Finance: Investition – Unternehmensfinanzierung – Kapitalstruktur [5th extensively revised edition] 9783110472240, 9783110472219

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German Pages 276 [278] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Modul: Eigen- und Fremdkapital
2. Modul: Gewinn und Cashflow
3. Modul: Investitionsentscheidungen
4. Modul: Unternehmensbewertung
5. Modul: Kapitalstruktur
6. Modul: Kennzahlen
Stichwortverzeichnis
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Finance: Investition – Unternehmensfinanzierung – Kapitalstruktur [5th extensively revised edition]
 9783110472240, 9783110472219

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Klaus Spremann, Andreas Grüner Finance

IMF: International Management and Finance

| Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus Spremann

Klaus Spremann, Andreas Grüner

Finance

| Investition – Unternehmensfinanzierung – Kapitalstruktur 5., überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-11-047221-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047224-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047231-8 Library of Congress Control Number: 2018955058 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Universität St.Gallen (HSG) Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com

Vorwort Die klassischen Fragen der Investition und Finanzierung von Unternehmen haben sich mit der Untersuchung von Finanzmärkten zu einem Lehr- und Forschungsgebiet verschmolzen. Dies berücksichtigend bietet dieses Buch eine moderne Sicht der Un­ ternehmensfinanzierung (Corporate Finance). Sie ist durch die Einsicht geprägt, dass Märkte, vor allem eben Finanzmärkte, allen Beteiligten zahlreiche Möglichkeiten bie­ ten. Dadurch wird eine „Marktsicht“ auch für jene bedeutend, die eigentlich aufgrund der Einzelsituation und allein anhand persönlicher Besonderheiten entscheiden wür­ den. Sind die Märkte offen und zugänglich, strahlen die Marktbedingungen auf alle unternehmerischen Entscheidungen aus, insbesondere auf die über Investitionen und Finanzierungen. Das Buch in Ihren Händen präsentiert das Fachwissen und entwickelt jene Denk­ weisen und Methoden, die in der Finance und in der Corporate Finance heute zum Standardwissen gehören. Gleichwohl werden immer wieder auch kleinere Unterneh­ men, Neugründungen und Ventures berücksichtigt, die nur begrenzten Zugang zu den Finanzmärkten haben und verstärkt auf bilaterale Finanzkontrakte angewiesen sind. Für diese Unternehmen sind jeweilige Besonderheiten wichtiger als das „allgemein“ im Markt vorherrschende Denken und die sich im Markt einstellenden Konditionen. Das Buch hat die Besonderheit, aus (insgesamt sechs) Modulen zusammengesetzt zu sein. Jedes umfasst rund 45 Seiten. Man könnte sagen, dass Sie, geschätzte Leserin­ nen und Leser, sechs eigenständige Hefte in Händen halten, die zusammengebunden wurden. Die Module können unabhängig voneinander gelesen werden. – Das bedeutet, dass nur ein einziges Modul oder auch zwei oder drei Module aus­ gewählt werden könnten. – Auch die Reihenfolge des Lesens kann anders gewählt werden als die, in der die Module im Buch angeordnet sind. Wir kommen damit dem sich über die Jahre verändernden Leseverhalten entgegen, sich fokussiert und themenbezogen mit einzelnen Themenbereichen auseinanderzu­ setzen. Hier die Themen der Module: – Modul 1: Eigen- und Fremdkapital – Modul 2: Gewinn und Cashflow – Modul 3: Investitionsentscheidungen – Modul 4: Unternehmensbewertung – Modul 5: Kapitalstruktur – Modul 6: Kennzahlen Nun wünschen wir Freude am Buch sowie viel Erfolg beim Lernen.

St.Gallen, im Herbst 2018 https://doi.org/10.1515/9783110472240-201

Klaus Spremann und Andreas Grüner

Inhalt Vorwort | V Abbildungsverzeichnis | XII Tabellenverzeichnis | XIII 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.6 1.6.1 1.6.2 1.6.3 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.7.4

Modul: Eigen- und Fremdkapital | 1 Zahlungsreihen | 2 Corporate Governance | 2 Unternehmerische Risiken | 4 Finanzkontrakte | 6 Risikopolitik | 6 Typen von Finanzverträgen | 7 Varianten von Eigen- und Fremdkapital | 10 Finanzbedarf | 12 Betrag und Dauer | 13 Risiko und Haftung | 14 Ablauf | 17 Planung und Glaubwürdigkeit | 20 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung | 22 Nur Wunsch der Eigenkapitalgeber? | 23 Fisher-Separation | 24 Organisation der Entscheidungsmacht | 27 Fremdkapital | 29 Allgemeines zum Kredit | 29 Konkurs | 30 Kreditkonvenanten | 31 Kreditrisikoprämie | 32 Hybridkapital | 35 Anreizkonflikte | 35 Hybridkapital für spezielle Situationen | 36 Wandelrechte | 39 Finanzmärkte | 40 Vorteile der Liquidität | 40 Merkmale des Kapitalismus | 42 Gleichgerichtetes Verhalten | 43 Primär- und Sekundärmarkt | 44

VIII | Inhalt

1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.8.4

Zusammenfassung | 46 Lernpfad | 46 Personen | 47 Schlüsselbegriffe | 47 Aufgaben | 47

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7 2.7.1 2.7.2 2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.8.4

Modul: Gewinn und Cashflow | 48 Innenfinanzierung | 49 Transformationsprozess | 49 Vom Jahresumsatz zum Cashflow | 51 Verwendung des Cashflows | 53 Geld oder Gewinn? | 56 Cashflow-Ermittlung | 56 Gewinn | 56 Fisher-Separation | 57 Dividendenrendite und Gewinnrendite | 60 Gewinnthesaurierung oder Gewinnausschüttung | 60 Rücklagen | 62 Abschreibungen | 63 Quellen der Innenfinanzierung | 63 Rückstellungen | 65 Debitoren und Kreditoren | 66 Brutto-Cashflow, EBIT, EBITDA | 68 EBIT und EBITDA | 68 Gewinnmarge | 70 Unternehmenswert | 73 Wert eines Unternehmens | 73 Ausbluten oder Aufblühen | 74 Kapitalkosten | 76 Discounted Cashflow in sieben Schritten | 77 Fallstudie | 79 Relativer Fortführungswert | 79 Skizze mit Wachstum | 82 Zusammenfassung | 84 Lernpfad | 84 Personen | 84 Schlüsselbegriffe | 84 Aufgaben | 85

3 3.1 3.1.1

Modul: Investitionsentscheidungen | 86 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital | 87 Begriffe | 87

Inhalt | IX

3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6 3.6.1 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.9 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3

Kapitalkosten | 90 Nach-Steuer-Betrachtung | 91 Barwert | 94 Barwertkriterium | 94 Wertadditivität | 96 Internal Rate of Return und Capital Budgeting | 98 Interne Rendite | 98 Capital Budgeting nach Dean | 99 Simultanansatz oder Einzelprüfungen? | 101 Periodenkriterium | 102 Flotte mit geschichteter Altersstruktur | 102 Ersatzwert der Flotte | 103 Analyse | 105 Irreversibilität | 108 Bindung an Wissen | 108 Transaktionskosten | 111 Akquisitionen und Marktwert-Buchwert-Verhältnis | 114 Greenfield oder Brownfield | 114 Synergien | 118 Neutrale Begutachtung oder Beraterfunktion | 119 Unechte und echte Synergien | 121 Fragen zur Lernkontrolle | 122 Verhandlungen | 123 Objektiver Wert oder subjektiver Entscheidungswert | 123 Orientierung am Markt | 125 Marktwert oder Shapley-Wert? | 126 Zusammenfassung | 129 Lernpfad | 129 Personen | 129 Schlüsselbegriffe | 130 Aufgaben | 130 Modul: Unternehmensbewertung | 131 Dividend Discount Model | 132 Zum Wertbegriff | 132 Barwert von Dividenden plus Verkaufserlös | 133 Transversalität | 135 Beschränktes Wachstum | 137 Perlen und Lasten | 139 Betrieb plus Finanzanlagen | 140 Betriebsnotwendig oder nicht betriebsnotwendig | 141 Gordon Growth Model | 143

X | Inhalt

4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.6 4.6.1 4.7 4.7.1 4.7.2 4.7.3 4.8 4.8.1 4.8.2 4.8.3 4.8.4 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3

Gleichförmiges Wachstum | 143 Wachstum des Unternehmens | 146 Implizite Wachstumsrate | 148 Ertragswert und organisches Wachstum | 151 Wachstum bei Gewinnausschüttung | 151 Gewinnrendite und organisches Wachstum | 153 Ermittlung des organischen Wachstums | 155 Discounted Cashflow | 158 Discounted-Cashflow-Erträge oder Dividenden | 158 Freie Cashflows | 160 Skizze und Budgetierung | 164 Residual Income Model | 170 Goodwill | 170 Drei Ergänzungen | 172 Bewertung oder Entscheidungsrechnung? | 172 Multiplikatorenmethode | 174 Wertorientierung | 176 Zusammenfassung | 177 Lernpfad | 177 Personen | 177 Schlüsselbegriffe | 177 Aufgaben | 178 Modul: Kapitalstruktur | 180 Irrelevanzthesen | 181 Zur Einführung | 181 Modigliani-Miller-Thesen | 182 Adjusted-Present-Value-Ansatz | 185 Wert des Eigenkapitals | 188 Steuern und volle Eigenfinanzierung | 188 Flow-to-Equity-Ansatz | 190 Capital Asset Pricing Model und Leveraging | 192 Wert des Gesamtkapitals | 195 Total-Cashflow-Ansatz | 195 Zwei Zahlenbeispiele | 197 Kosten unvollständiger Information | 200 Pecking Order | 200 Typen von Informationsasymmetrien | 203 Kosten für Kreditrisiken | 206 Trade-off-Theorie | 207 Zusätzliche Kosten | 208 Eintrübung und Anspannung | 209

Inhalt | XI

5.5.4 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.7 5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5 6.5.1 6.5.2 6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4

Gläubigerschutz | 213 Interessenkonflikte | 215 Die Entscheidungsregel | 215 Effizienz versus Solvenz | 217 Zwei Krisenzustände | 219 Ineffizienz und Insolvenz | 222 Zusammenfassung | 224 Lernpfad | 224 Personen | 225 Schlüsselbegriffe | 225 Aufgaben | 225 Modul: Kennzahlen | 227 Performance im Finanzmarkt | 228 Wozu Kennzahlen? | 228 Dividenden- und Gewinnrendite | 229 Signale hoher Aktienrendite | 231 Fragen zur Lernkontrolle | 233 Aktienrenditen und Return on Equity | 234 Beta und Kapitalkostensatz | 234 Nochmals das Kurs-Gewinn-Verhältnis | 236 Return on Equity und Return on Assets | 239 Bilanzkennzahlen | 241 Einführung und Übersicht | 241 Kennzahlen zur Vermögens- und Kapitalstruktur | 242 Kreditorenquote | 245 Kennzahlen zur Liquidität | 246 Effizienz und operative Stärke | 248 Auf den Umsatz bezogene Kennzahlen | 248 Operative Stärke | 249 Fragen zur Lernkontrolle | 250 Wertanalyse | 251 Vier Bewertungsansätze | 251 Fragen zur Lernkontrolle | 254 Zusammenfassung | 255 Lernpfad | 255 Personen | 255 Schlüsselbegriffe | 255 Aufgaben | 255

Stichwortverzeichnis | 259

Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1 Abb. 1.2

Einteilung von Finanzkontrakten nach Typus (Eigen- oder Fremdkapital) und Einfachheit der Übertragung der Rechte auf Dritte | 12 Gründung von Single Purpose Companies (SPCs) | 45

Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 2.3

Direkte und indirekte Berechnung des Cashflows | 64 Zusammenhang zwischen Brutto-Cashflow und Gewinn | 69 Von den Umsatzerlösen zum Cashflow und EBIT | 72

Abb. 3.1 Abb. 3.2

Mögliche Investitionsprojekte in der Reihenfolge fallender interner Verzinsung nach Dean | 100 Das optimale Budget nach Dean | 100

Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3

Freie Cashflows | 161 Vorgehensweise einer DCF-Bewertung | 166 Werttreiber der DCF-Methode | 168

Abb. 5.1

Abb. 5.3

Equity Value und Gesamtwert eines realwirtschaftlichen Projekts unter Finanzierungsplan-Veränderung | 186 Organisatorische Effizienz, Solvenz und die vier Zustände eines Unternehmens | 218 Konsequenzen bei Insolvenz und organisatorischer Ineffizienz | 220

Abb. 6.1

Price Earnings Ratio des S&P-500-Indexes ab 1926 | 230

Abb. 5.2

https://doi.org/10.1515/9783110472240-202

Tabellenverzeichnis Tab. 1.1

Merkmalsausprägungen von Eigen- und Fremdkapital | 8

Tab. 2.1 Tab. 2.2

Unternehmensplanung mit Strategie der Werterhaltung | 81 Unternehmensplanung mit Strategie des Wachstums | 83

Tab. 3.1 Tab. 3.2

Zur Transaktionskostentheorie | 113 Merkmalsunterschiede in den Rollen des neutralen Gutachters und des Beraters | 120 Berücksichtigung von echten und unechten Synergien | 121

Tab. 3.3 Tab. 4.1 Tab. 4.2

Tab. 6.1 Tab. 6.2 Tab. 6.3

Als typisch angesehene Kurs-Gewinn-Verhältnisse für fünf verschiedene Gruppen von Branchen | 154 Drei Bewertungsmodelle nach zunehmender „Entfernung“ vom Betriebsgeschehen | 160 Marktwerte, Buchwerte (Mrd. USD) und M/B-Kennzahlen internationaler Unternehmen | 237 Marktwerte, Buchwerte (Mrd. USD) und M/S-Kennzahlen internationaler Unternehmen | 238 Kennzahlen zur Bilanzanalyse | 243

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1 Modul: Eigen- und Fremdkapital 1.1 Zahlungsreihen Weil Unternehmen Auszahlungen für die Bereithaltung von Ressourcen leisten, bevor sie Einzahlun­ gen aus dem Absatz erhalten, müssen sie sich finanzieren. Die benötigten Mittel stellen Finanziers zur Verfügung, denen dafür spätere Rückflüsse zugesagt werden.

1.2 Finanzkontrakte Finanzierungen können nicht allein als Zahlungen in der Zeit verstanden werden, denn die Finanziers bedingen sich Rechte aus, um die ihnen zugesagten Rückflüsse zu sichern und zu beeinflussen. Ge­ naueres wird zwischen Unternehmen und Finanziers vertraglich festgelegt (oder ist durch die Gesetze und die Rechtsform des Unternehmens vorgegeben). Folglich heißt Finanzieren, Verträge abzuschlie­ ßen. Obschon Vertragsfreiheit besteht, sind bei Finanzkontrakten zwei Vertragstypen dominant: Ei­ gen- und Fremdkapital. Eine besondere Rolle für das Unternehmen spielt Eigenkapital. Einerseits trägt das Eigenkapital die unternehmerischen Risiken, wozu es (als Vertrag) permanent mit dem Un­ ternehmen verbunden bleiben muss: Es darf nicht sein, dass sich alle Eigenkapitalgeber auszahlen und das Unternehmen alleine lassen. Andererseits erhalten die Halter des Eigenkapitals umfängliche Entscheidungs- und Verfügungsrechte im Unternehmen. Oft werden sie deswegen sogar als Eigentü­ mer des Unternehmens gesehen.

1.3 Finanzbedarf Beim Finanzbedarf sind vier Dimensionen zu unterscheiden: die Fristigkeit der Finanzierungen, die Beträge, die Eigenkapitalquote und die Gestaltung von Haftungsbeschränkungen durch rechtliche Konstruktionen.

1.4 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung Unternehmen werden aus unterschiedlichsten Zielen gegründet. Die Motive und Intentionen sind stark vom/von den Eigenkapitalgeber(n) geprägt. Entsprechend können sich die von Unternehmen angestrebten Zielsetzungen deutlich unterscheiden. Von der Umsetzung einer technischen Idee, der Schaffung von Arbeitsplätzen bis zur Wertsteigerung des Unternehmens ist eine große Vielfalt an Zielen und Motiven zu beobachten.

1.5 Fremdkapital Die Grundstruktur von Fremdkapital ist die des Kredits. So wie beim Eigenkapital gibt es auch beim Fremdkapital Verträge in diversen Varianten. Die meisten Kreditverträge halten eine Überlassung des Kapitals für eine im Vorhinein festgeschriebene Zeitspanne vor. Ist diese abgelaufen, wird die Rückzahlung des Kreditbetrags fällig. Bis zur Rückzahlung oder Tilgung leistet der Kreditnehmer/ Schuldner Zinszahlungen, so, wie sie im Kreditvertrag vereinbart wurden.

1.6 Hybridkapital Hybridkapital (Mezzanine) bezeichnet Zwischenformen zwischen Eigen- und Fremdkapital. Zur Grup­ pe der Mezzanine gehören Finanzierungsverträge, die für besondere Situationen geeignet sein sollen. Unter Mezzanine fallen beispielsweise Finanzverträge, welche die Optionen beinhalten, Fremd- in Ei­ genkapital wandeln zu können.

https://doi.org/10.1515/9783110472240-001

2 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

1.7 Finanzmärkte Die Stichworte zu diesem Abschnitt sind: Liquidität, Primär- und Sekundärmarkt, Securitization, gleichgerichtetes Verhalten, Krisen.

1.8 Zusammenfassung In Modul 1 werden, wie in jedem weiteren Modul dieses Buches als Zusammenfassung ein Lernpfad, eine Auflistung erwähnter Personen, Schlüsselbegriffe sowie Aufgaben angeboten.

1.1 Zahlungsreihen Als wichtige Träger des Wirtschaftslebens sind Unternehmen überall auf der Welt zu finden. Unternehmen produzieren Güter, bewerkstelligen deren Distribution und ent­ falten Entwicklungskräfte für Innovation und Wachstum. Dazu bringen Unternehmen verschiedene Ressourcen zusammen, kombinieren und transformieren diese und ent­ wickeln das dafür verlangte Wissen. Sie umwerben ihre Kundschaft und bauen Repu­ tation und Markennamen auf. Dabei streben Unternehmen an, mit den Ressourcen nicht verschwenderisch um­ zugehen und die Umwelt zu schonen. 1. Sie lassen also ökonomische Zielsetzungen walten. 2. Gleichwohl verfolgen Unternehmen durchaus eigene Ziele: Meist wollen sie Ergeb­ nisse erreichen, die für einen Kreis von Berechtigten wertvoll sind. 3. Zudem sind die meisten Unternehmen auf Dauer angelegt, weshalb sie versuchen, ihre Existenz zu erhalten. 4. Weiter wollen sie ein gewisses Ansehen erreichen, sodass die Politik und die Ge­ sellschaft ihnen Freiräume gewähren. 5. Daneben versuchen Unternehmen, soziale Ziele zu verwirklichen. Dazu gehört es, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, Verantwortung in der Gesellschaft zu zeigen und mit Technologien und Produkten allgemeine Anerkennung zu erhalten.¹

1.1.1 Corporate Governance Für das Unternehmen werden die Entscheidungen durch eine Person (oder eine kleine Personengruppe) getroffen. Das ist der Unternehmer, Geschäftsführer, Vorstand, CEO. Natürlich kann diese Person die Planung und Entscheidung vorbereiten lassen oder delegieren, doch letztlich werden die Festlegungen von ihr genehmigt und durch Unterzeichnen von Verträgen festgehalten. In diesem Sinn ist die Unternehmung ein

1 In besonderen Situationen können temporär weitere Zielsetzungen in den Vordergrund rücken wie etwa die Internationalisierung des Geschäfts, die Adaption von IT oder die Einführung neuer Indus­ triestandards.

1.1 Zahlungsreihen | 3

Bündel (Nexus) von Verträgen, die alle mit einer Instanz geschlossen und von dieser unterzeichnet werden, der Firma.² Dabei wird die erwähnte Person, der Geschäftsführer, einer Kontrolle und der Pflicht zur Rechenschaft unterworfen sein. Eventuell wird sie von anderen Gremien oder Gruppen gewählt und muss sich an deren Richtungsvorgaben halten. Damit wird ein Aufsichtsgremium eingerichtet. Die Beziehung zwischen der die Geschäfte füh­ renden Person und dem Aufsichtsgremium wird als Corporate Governance bezeich­ net. Corporate Governance ist ein eigenständiges Wissensgebiet, das eng mit der Cor­ porate Finance (Unternehmensfinanzierung) verbunden ist. Die Corporate Governan­ ce ist der Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen.³ Selbstverständlich gibt es zahlreiche kleinere Unternehmen. Dann wird das Un­ ternehmen, wie bei einer Einzelfirma üblich, von einer Person geführt, die zugleich einziger Mitarbeiter und Chef ist und die sich selbst kontrolliert. Dies geschieht durch Disziplin und ethisches Verhalten (Selbstbindung an Moral), das sich der Unterneh­ mer auferlegt. Bei etwas größeren Unternehmen ist es bereits sinnvoll, zwischen drei Gruppen zu unterschieden: 1. den Mitarbeitenden, 2. deren geschäftsführendem Chef und 3. dem Präsidenten eines im Hintergrund stehenden Aufsichtsgremiums. Die von einem Unternehmen benötigten Ressourcen sind zum Teil im Privateigentum des jeweiligen Unternehmens. Das Unternehmen wird diese Ressourcen durch Inves­ titionen erwerben, als Vorleistungen einkaufen oder selbst schaffen. Beispiele für Res­ sourcen im Eigentum sind (längerfristig genutzte) betriebliche Anlagen, des Weiteren Inputs, die verbraucht werden (Umlaufvermögen) und vor allem das Wissen. Selbst­ verständlich wird ein Unternehmen ihr materielles ebenso wie ihr immaterielles Ver­ mögen schützen. Das ist besonders beim Wissen nicht immer leicht. Weil Wissen, Mar­ ken und Designs durch Kopien entwertet werden, ist der Schutz der sich im Eigentum des Unternehmens befindlichen Ressourcen eine wichtige Aufgabe des Unternehmens und des Staates. Auch wenn durch Gesetze eingeschränkt geben Ressourcen im Eigentum eine praktisch unbeschränkte Verfügungsmacht. Zum anderen Teil können die benö­ tigten Ressourcen durchaus im Eigentum anderer Personen verbleiben. Das Unter­ nehmen verschafft sich die Nutzungsmöglichkeit über Verträge. Beispiele sind Miete, Pacht und Leasing. Daneben ist hier die Arbeitskraft von Mitarbeitenden zu sehen, die im Rahmen von Arbeitsverträgen für das Unternehmen tätig sind. Über diese Res­ sourcen erhält das Unternehmen nur eine deutlich eingeschränkte Verfügungsmacht.

2 Michael C. Jensen und William H. Meckling: Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure. Journal of Financial Economics 3 (1976) 4, S. 305–360. 3 Vidhi Chhaochharia und Luc Laeven: Corporate governance norms and practices. Journal of Finan­ cial Intermediation 18 (2009), S. 405–431.

4 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

Fazit Die Investitionen, der Bezug von Vorleistungen und die Sicherung von Arbeitskraft verlangen Auszah­ lungen. Diese Auszahlungen ermöglichen den Kauf greifbarer Vermögenspositionen, die Entwicklung von Wissen, Auszahlungen für Löhne, Leasingverträge, Versicherungsverträge, den Bezug von Vorleis­ tungen und so fort. Im Verlauf der unternehmerischen Tätigkeiten werden solche Auszahlungen immer wieder fällig.

1.1.2 Unternehmerische Risiken Natürlich strebt jedes Unternehmen an, Einzahlungen aus dem Absatz ihrer Produkte und Leistungen zu erhalten. Daher können Absatzerlöse, sobald sie vorliegen, durch­ aus für weitere Auszahlungen herangezogen werden. Über eine sehr lange Frist soll­ ten die Absatzerlöse insgesamt sogar die über die Zeit hinweg getätigten Auszahlun­ gen übersteigen. Denn das erwerbswirtschaftliche Streben des Unternehmens drückt sich darin aus, über lange Zeit gesehen eher mehr Geld zu vereinnahmen als in die Geschäfte hineingesteckt wurde. Die Auszahlungen für die Beschaffung der Ressourcen liegen typischerweise al­ lerdings zeitlich vor dem Inkasso der Absatzerlöse. Das ist offensichtlich: Die unter­ nehmerischen Prozesse dienen einer Transformation von Inputs in Outputs und jede Transformation verlangt eine gewisse Zeit. Inputs müssen also bezahlt werden, bevor die Outputs von den Abnehmern bezahlt sind. Dies gilt auch dann, wenn die Kund­ schaft Vorauszahlungen leistet und wenn die Lieferanten mit langen Zahlungszielen einverstanden sind. Die zeitliche Inkongruenz zwischen Auszahlungen (für die Ressourcen) und Ein­ zahlungen (aus dem Verkauf der Produkte) verlangen, dass jemand dem Unternehmen Zahlungsmittel vorstreckt, es ihm also wenigstens für gewisse Zeit überlässt. Diese Person oder Personen stellen Finanzmittel zur Verfügung. Das heißt, sie geben dem Unternehmen das Geld für seine früher fälligen Auszahlungen und erhalten später Geld vom Unternehmen, wenn es dann einmal über Erlöse aus dem Absatz verfügen kann. Die Personen sind die Finanziers des Unternehmens. Das Unternehmen finan­ ziert sich. Die Rückflüsse, die Finanziers erwarten, sind für sie Kapital (im Sinn von Vermögen). Für das Unternehmen sind die zu leistenden Rückflüsse eine Pflicht. Für das Unternehmen drückt das Kapital diese Pflicht aus. Kapital hat ein Janusgesicht: Für den Finanzier drückt es die Ansprüche aus, für das Unternehmen die Pflicht. Soweit hat es den Anschein, als ob eine Finanzierung durch eine Zahlungsreihe beschrieben werden kann: Das Unternehmen erhält Geld vom Finanzier und leistet später an ihn Rückflüsse. Zur zeitlichen Inkongruenz von Einzahlungen und Auszah­ lungen kommt indes ein Zweites hinzu: Produktion und Absatz des Unternehmens

1.1 Zahlungsreihen |

5

sind verschiedenen Risiken ausgesetzt. Folglich ist die Möglichkeit, später Zahlungen an die Finanziers leisten zu können, Unsicherheiten ausgesetzt. Diese unternehmeri­ schen Risiken beziehen sich zum einen auf die Zeitpunkte und die Beträge der Rück­ flüsse an die Finanziers, zum anderen lässt sich nicht einmal sicher prognostizieren, ob die langfristigen Einzahlungen genügen werden, um überhaupt die Auszahlungen zu decken, oder ob das Unternehmen vorzeitig beendet werden muss. Wenn die Fi­ nanzierung durch eine Zahlungsreihe beschrieben wird, dann müssten diese Risiken wenigstens dadurch beschrieben werden, dass die spätere Zahlungsreihe unsichere Größen enthält. Die unternehmerischen Risiken haben verschiedene Ursachen: 1. Vor allem sind zukünftige Absatzerlöse unsicher. 2. Hinzu kommen physische Gefahren, wie etwa Naturereignisse, Diebstahl, Angriff von Hackern, oder Geschehnisse, durch die das Vermögen, darunter das Wissen des Unternehmens, entwertet wird. 3. Politische Unwägbarkeiten und rechtliche Risiken kommen hinzu. 4. Einstellungen von Verbrauchern können sich in gleichgerichteter Weise verändern und auf diese Weise massive Veränderungen herbeiführen. 5. Nicht zuletzt muss ein Unternehmen regelmäßig planen, ohne dass zuvor alle re­ levanten Informationen beschafft werden konnten. Ein Unternehmen trifft dann Entscheidungen unter partieller Information. In solchen Fällen wird das Unter­ nehmen später mit Tatsachen konfrontiert, die eigentlich schon vorher hätten ge­ sehen werden können. Unvollständige Information bei der üblichen Notwendig­ keit, schnell entscheiden zu müssen, bewirkt zusätzliche Unsicherheiten. Wie wird mit all diesen Risiken umgegangen? Bei der Institution der Unternehmung – eine Einrichtung unserer Rechtsordnung – ist vorgesehen, dass weder die Mitarbeiter noch andere Vertragspartner, wie etwa Zulieferanten, primär die unternehmerischen Risiken tragen. Vielmehr sollen in erster Linie die Finanziers oder eine Teilgruppe der Finanziers die Risiken auffangen. Die betreffenden Finanziers sind bereit, auf erhoffte Rückflüsse ganz oder teilweise zu verzichten, falls das Unternehmen nur ungenügen­ de Einzahlungen erhält. Eventuell müssen diese Finanziers sogar weitere Zahlungs­ mittel einlegen, damit das Unternehmen seine sonstigen Verträge (gegenüber Mitar­ beitern, Zulieferanten und anderen Partnern) weiterhin erfüllen kann. Zugegeben: In einer sehr tiefen Krise des Unternehmens könnten durchaus auch andere Vertrags­ partner des Unternehmens Nachteile erleiden, darunter die Mitarbeitenden. Doch pri­ mär sind die Finanziers betroffen, sie leisten den ersten Verzicht. Alle Finanziers überlassen dem Unternehmen Zahlungsmittel in der Zeit, doch einer oder einige der Finanziers tragen das unternehmerische Risiko, indem sie al­ lenfalls auf Rückflüsse verzichten oder, falls erforderlich, sogar weitere eigene Mittel einlegen.

6 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

Kapitel 1.1 in Kürze – – –

Zu Beginn wird ein Blick auf die zeitliche Inkongruenz von Ein- und Auszahlungen geworfen und auf die Notwendigkeit, Lücken durch Finanzierung zu schließen. Sodann werden drei Personengruppen betrachtet: 1. Mitarbeitende, 2. Chef, 3. Präsident des Auf­ sichtsgremiums. Anschließend wird behandelt, wer die Risiken trägt und was in tiefen Krisen geschieht.

Fragen zu Kapitel 1.1 1. 2. 3.

Nennen Sie verschiedene unternehmerische Zielsetzungen. Was wird unter Corporate Governance verstanden? Welche Ursachen bewirken unternehmerische Risiken? Was heißt, die unternehmerischen Risi­ ken würden „in erster Linie“ von einem bestimmten Teil der Finanziers getragen?

1.2 Finanzkontrakte Mit der Finanzierung muss nicht nur festgelegt werden, welcher der Finanziers wie viel zahlt und wohl später erhalten dürfte. Zugleich muss festgelegt werden, ob die Rückflüsse mit Sicherheit erfolgen beziehungsweise unter welchen Umständen und bei welchen negativen unternehmerischen Ereignissen sie gekürzt oder ganz ausblei­ ben werden. Dabei muss festgelegt werden, welche Risikopolitik das Unternehmen ergreift und wer die Details der Risikopolitik bestimmt.

1.2.1 Risikopolitik Zur Risikopolitik des Unternehmens gehören Maßnahmen in diesen Bereichen:⁴ – Exposure: Jedes Unternehmen kann sich schwächer oder stärker externen Risi­ ken aussetzen. Dies geschieht durch die Wahl des Gegenstands des Unterneh­ mens und die Selektion der unternehmerischen Aktivitäten. – Absicherungen: Das Unternehmen kann sich selbst schwächer oder stärker ab­ sichern, beispielsweise durch Versicherungsverträge. – Resilienz: Das Unternehmen kann mit dem Geschäftsplan, der Wahl der Strate­ gie und der Bildung von Reserven eine geringere oder stärkere Elastizität (Resi­ lienz) aufbauen, um externe Schwankungen abzufedern. So ist Flexibilität zwar immer etwas teurer, doch sie hilft bei unvorhergesehenen Schwankungen – eine der zahlreichen Abwägungen eines Unternehmens.

4 Silvia Rogler (2002): Risikomanagement im Industriebetrieb. Analyse von Beschaffungs-, Produkti­ ons- und Absatzrisiken. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.

1.2 Finanzkontrakte |

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Jedes Unternehmen hat bei Exposure, Absicherungen und Resilienz einen breiten Spielraum. Da letztlich Finanziers die unternehmerischen Risiken tragen, werden sich Finanziers das Recht ausbedingen, die Risikopolitik zu beeinflussen. Folglich wird das Unternehmen bei der Finanzierung mit den Finanziers vereinbaren, ob und wie sie Einfluss auf die Strategie, die Risikopolitik und die Geschäfte nehmen können. Zu den Rechten der Finanziers, die zugleich Pflichten für das Unternehmen sind, gehören daher 1. die periodische Information der Finanziers über die aktuelle Situation, in der sich das Unternehmen sieht, sowie über die Maßnahmen, die getroffen werden, insbesondere über Maßnahmen der Risikopolitik. 2. die Rechte, die Finanziers sich ausbedingen könnten, um in die unternehmeri­ schen Entscheidungen eingreifen zu können. Diese Entscheidungsrechte gehen von einem Vetorecht über die Mitsprache bei Personenentscheidungen bis hin zur Festlegung aller Entscheidungen im Unternehmen. Folglich können Finanzierungen nicht auf reine Zahlungsreihen reduziert werden, da die Thematik der Risiken und, damit verbunden, die Thematik der Rechte (Infor­ mation, Eingriff, Vetorecht, Entscheidung, Unternehmensführung) hinzutreten (siehe Tab. 1.1). Jede Finanzierung muss vielmehr drei Vereinbarungen festhalten: 1. Zahlungsreihe: Einzahlungen des Finanziers und die zu erwarteten Rückflüsse (Zahlungstermine, Beträge) 2. Risiken: Ereignisse, von denen diese Rückflüsse abhängen können oder unter de­ nen sie ganz ausbleiben 3. Rechte (Information, Veto, Entscheidung), die der Finanzier erhält Kein Finanzier würde eine Zahlung an das Unternehmen leisten, bevor nicht die Rech­ te geklärt sind, die ihm zukommen (und selbstverständlich würde kein Unternehmen Pflichten übernehmen, ohne damit verbunden die angekündigten Finanzmittel zu er­ halten). Fazit Bei einer Beurteilung von Finanzierungsalternativen genügt es nicht, auf einen Zins, auf eine Rendite oder einen Kapitalkostensatz zu achten und diese Größen aus der Zahlungsreihe abzuleiten. Vielmehr müssen als Zweites die Risiken betrachtet werden, die ein Finanzier zu tragen bereit ist, und es müssen als Drittes die Rechte des Finanziers einbezogen werden.

1.2.2 Typen von Finanzverträgen Im Mittelpunkt der Finanzierung steht somit ein Vertrag, ein Finanzkontrakt. Wenn ein solcher Kontrakt geschlossen ist, dann erhält das Unternehmen das Geld und

8 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

Tab. 1.1: Merkmalsausprägungen von Eigen- und Fremdkapital (eigene Darstellung). Fremdkapital (Debt)

Eigenkapital (Equity)

Laufzeit

Am Ende der vereinbarten Laufzeit ist der Nennbetrag zur Rückzah­ lung fällig.

Vom Grundsatz her hat Eigenkapital eine unbeschränkte Laufzeit, doch es kann unter Umständen herabgesetzt werden.

Einkommen des Kapitalgebers

Zinszahlungen (beim Kreditvertrag) oder Couponzahlungen (bei einer Anleihe) sowie die Rückzahlung bei Laufzeitende

Entnahmen und Dividenden, Erlös aus Verkauf der Beteiligung

Rechte

Der Gläubiger besteht darauf, pe­ riodisch vom Schuldner informiert zu werden.

Der Eigenkapitalgeber hat umfangreiche Rechte, in die Geschäftsführung des Kapitalnehmers (Unternehmung) einzugreifen.

Risiken

Falls eine Zahlungsunfähigkeit beim Schuldner eintritt, kann ein jeder Gläubiger einen Konkurs beantragen

Wenn es einer Unternehmung wirtschaftlich schlecht geht und sie keine Dividenden mehr zahlt, müssen die Eigenkapitalgeber gemeinschaftlich dafür sorgen, dass die Geschäfte besser geführt werden.

Besteuerung beim Kapitalgeber

Zinseinkünfte und Couponzahlun­ gen, nicht aber die Rückzahlung des Kreditbetrags, unterliegen der Besteuerung beim Gläubiger.

Entnahmen und Dividenden müssen vom Eigenkapitalgeber versteuert werden, bei Verkauf einer Beteiligung müssen vielfach auch die erzielten Wertsteigerungen versteuert werden.

Besteuerung beim Kapitalnehmer und beim Unternehmen

Ergebnisse, die als Zinszahlung an Fremdkapitalgeber gehen, müs­ sen von der Unternehmung nicht versteuert werden.

Wirtschaftliche Ergebnisse, die als Gewinn dargestellt werden, unterliegen bei der Unternehmung der Unternehmenssteuer (Corporate Tax).

gibt parallel dazu die Rechte ab. Kurz: Ein Unternehmen, das sich finanziert, verkauft Rechte. Es erhält zwar Geld, doch gibt es Rechte ab. Der sie finanzierende Vertrags­ partner, der Finanzier, kauft Rechte. Er gibt Geld und erhält Rechte. Damit Risiken über Finanzverträge wirklich weitergegeben werden können, so wie es die Unternehmung als Institution vorsieht, darf nicht der Fall eintreten, dass sich die betreffenden Finanziers rechtzeitig auszahlen lassen und „davonstehlen“. – Wenigstens ein Finanzier oder einige der Finanziers müssen, um das Risiko wirk­ lich übernehmen zu können, dem Unternehmen auf Dauer verbunden bleiben. Das sind die Eigenkapitalgeber. Sie sind es, die im Gegenzug umfassende Ent­ scheidungsrechte erhalten.

1.2 Finanzkontrakte | 9



Neben einem oder einigen Eigenkapitalgebern kann es durchaus noch weitere Finanziers geben, die weniger Risiken tragen und konsequenterweise weniger Rechte haben, insbesondere keine Entscheidungsrechte. Diese Finanziers halten Fremdkapital.

Zu Eigen- und Fremdkapital als Vertragstypen der Finanzierung noch diese Ergän­ zung: Hinsichtlich der Finanzkontrakte herrscht (in den meisten Ländern) die auch sonst übliche Vertragsfreiheit. Vertragsfreiheit ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Ein Grund dafür ist, dass bei freien Verträgen Anpassungen an die individuellen Um­ stände möglich sind. Finanzierungsanlässe sind höchst unterschiedlich. Gründung, Wachstum, Akquisitionen wurden genannt. So wird sich eine Anschubfinanzierung in vielen Merkmalen von der Finanzierung für weiteres Wachstum unterscheiden. Un­ ternehmen sind stark von ihren jeweiligen Besonderheiten geprägt, die auf den pas­ senden Finanzkontrakt ausstrahlen. Die Besonderheiten sind oftmals durch den Wirt­ schaftssektor geprägt. Beispielsweise wird eine Versicherungsgesellschaft andere Fi­ nanzierungen eingehen als ein Unternehmen, das Immobilien hält und vermietet, oder als ein Industrieunternehmen. Dazu ist es gut, wenn die Finanzierungskontrakte den Erfordernissen entsprechend vereinbart werden dürfen. Die Vertragskonditionen hängen unter anderem davon ab, welche Alternativen die beiden Parteien haben, die den Vertrag aushandeln und schließen. Auch in die­ ser Hinsicht unterscheiden sich die gesuchten Finanzierungen. Ein Unternehmen, das nur Zugang zur Hausbank hat, wird andere Vertragskonditionen akzeptieren, als ein Unternehmen, das direkten Zugang zum Kapitalmarkt hat. Finanzkontrakte können also wie Verträge individuell ausgehandelt und abge­ schlossen werden – und das ist zweckmäßig. Jedoch ist ein Rechtssystem, in dem jeder Vertrag von Neuem sondiert, besprochen und ausgehandelt werden muss, sozial ex­ trem teuer. Die Transaktionskosten (für Partnersuche, Sondierung, Aushandlung, Abschluss, Abwicklung, Kontrolle der Ausführung und Durchsetzung von Rechten) sind zu hoch. Günstiger ist es, wenn auf Standardtypen von Verträgen zurückgegriffen werden kann. Deshalb unterstützt auch die Gesetzgebung Standardtypen der Finan­ zierung. Mit der Wahl eines Standardtyps sinken die mit dem Abschluss eines Finanz­ kontrakts verbundenen Transaktionskosten. Im Bereich der Unternehmensfinanzierung haben sich zwei Vertragstypen her­ ausgebildet: – Eigenkapital ähnelt in vertraglicher Hinsicht einem für immer vereinbarten, en­ gen Bündnis. Es ist besonders zweckmäßig, um Risiken zu tragen. Damit die Part­ nerschaft zwischen Unternehmen und Finanzier hält, sie also in schlechten Zei­ ten nicht versagt, verpflichten sich beide Seiten, auf Dauer zusammenzuhalten. Beispielsweise kann sich ein Finanzier, der ein Unternehmen per Eigenkapital fi­ nanziert, nicht einfach „davonstehlen“, sobald sich die Erträge zurückbilden oder andere Wolken den Himmel trüben. Und auch ein Unternehmen kann in guten

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Zeiten, wenn Absatzerlöse sprudeln, seine Eigenkapitalgeber nicht einfach aus­ zahlen und herausdrängen. Das Eigenkapital hat als Vertragstyp grundsätzlich kein vertragliches Ende (auch wenn Möglichkeiten für eine Kapitalherabsetzung bestehen). Die Belohnung der Eigenkapitalgeber für eventuelle schlechte Zeiten sind erstens die Hoffnung und Aussicht auf gute Zeiten mit hohen Rückflüssen sowie zweitens die Möglichkeit, das Unternehmen in Richtung versprechender Steigerungen zu lenken. Fremdkapital modelliert die Finanzbeziehung zwischen zwei Seiten, die nur temporär zusammen sein werden. Beide Seiten wollen deshalb den weiteren Auf­ wand, insbesondere den für Information und Kontrolle, möglichst geringhalten. Das ist möglich, indem die Rückflüsse der Höhe und den Terminen nach fest vereinbart werden. Zudem sollen sie unabhängig von der Geschäftslage an die Fremdkapitalgeber ausbezahlt werden. Bei der Vertragsaushandlung mit Fremd­ kapitalgebern geht es um die Beträge und die Zeitpunkte der Zahlungen. Aus der Zahlungsreihe lässt sich ein „Zinssatz“ errechnen, um leicht abschätzen zu können, welchen Wert den unterschiedlichen Zahlungszeitpunkten beigemessen wird. Weil die Zahlungen nicht vom Geschäftsgang abhängen, genügt es, wenn die Fremdkapitalgeber vom Unternehmen immer wieder informiert werden. Sie ha­ ben jedoch keine Geschäftsbefugnisse, solange das Unternehmen die vertraglich festgelegten Rückflüsse zahlt. Fremdkapital hat als vertragliche Form die des Kre­ dits. Der Kreditvertrag oder das Gesetz sehen indes Eingriffsmöglichkeiten für den Fall vor, dass dem Unternehmen die Rückzahlungen an den Fremdkapitalgeber nicht wie vorgesehen möglich sind. Für diesen Fall verlangen die Fremdkapital­ geber, weitere Geschäfte des Unternehmens mit einem Vetorecht blockieren zu können, denn diese Geschäfte könnten die Einbringlichkeit des Kredits weiter verringern. Das kann bis zum Anrufen eines Konkursverwalters gehen.

1.2.3 Varianten von Eigen- und Fremdkapital Selbstverständlich sind weder Eigen- noch Fremdkapital hinsichtlich sämtlicher ver­ traglicher Details vorweg festgeschrieben. Vielmehr gibt es von jeder der beiden Fi­ nanzierungstypen zahlreiche Varianten, sodass Eigen- und Fremdkapital als Arten oder Kategorien von Finanzkontrakten anzusehen sind. – Rechtsform: Insbesondere beim Eigenkapital hat die Rechtsform des Unterneh­ mens einen deutlichen Einfluss auf die Beziehung des Eigenkapitalgebers oder der Eigenkapitalgeber zum Unternehmen. Verschiedene, für die Rechte der Eigen­ kapitalgeber wichtige Aspekte, werden durch die Gesetze festgelegt, und zwar in für die einzelnen Rechtsformen von Unternehmen unterschiedlicher Weise. – Haftungsbeschränkung: Ein wichtiges, vor allem durch die Rechtsform des Unternehmens vorgegebenes Merkmal ist, ob eine Haftungsbeschränkung von Eigenkapitalgebern vorgesehen ist oder nicht. Hat ein Eigenkapitalgeber be­

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schränkte Haftung und hat er seine Kapitaleinlage vollständig geleistet, muss er keine weiteren Gelder „nachschießen“, falls das Unternehmen seinen Ver­ pflichtungen nicht nachkommen kann.⁵ Kapitalgesellschaften wie die AG und die GmbH sehen die Haftungsbeschränkung der Eigenkapitalgeber institutionell vor, während bei Personengesellschaften (Einzelfirma oder OHG oder KG) der (oder wenigstens einer der) Eigenkapitalgeber mit seinem Privatvermögen für die Ver­ bindlichkeiten des Unternehmens eintreten muss. Bei einer Genossenschaft ist die Nachschusspflicht meist betragsmäßig beschränkt. Personalunion von Kapitalgeber und Geschäftsführer: Eine dritte Frage, welche die Auswahl der Finanziers und die Gestaltung der Verträge mit ihnen beeinflusst, ist die nach einer Mitarbeit eines oder mehrerer Eigenkapitalgeber im Unterneh­ men. Beispielsweise wird ein im Unternehmen mitarbeitender Eigenkapitalgeber bei einer weiteren Finanzierung auf Vertragsvarianten achten, bei denen sein Ein­ fluss nicht durch breite Teilung der Entscheidungsmacht verwässert wird, es sei denn, er sucht eine Nachfolge. Bei größeren Unternehmen kann es zu einem In­ teressenkonflikt kommen: Das Unternehmen – vertreten durch die Geschäftsfüh­ rung – sucht eine breitere Basis von Investoren, oft auch von internationalen In­ vestoren, während die bisherigen Eigenkapitalgeber sich lieber einer Teilung ihrer Rechte verschließen. Handelbarkeit von Wertpapieren: Ein vierter Punkt ist, ob und wie leicht ein Fi­ nanzier sein Kapital (seine Rechte und die Ansprüche auf Rückflüsse) an eine an­ dere Person abtreten darf. Eventuell ist der Vertrag verbrieft und das Kapital kann als Wertpapier „öffentlich“ gehandelt werden. Solche Wertpapiere sind uns ge­ genwärtig, etwa als Aktie oder als Unternehmensanleihe. Man spricht von öffent­ lichem Kapital. Indes haben zahlreiche Varianten von Eigen- und Fremdkapital einen rein bilateralen, „privaten“ Charakter. Zu diesem privaten Kapital gehört beispielsweise das private Eigenkapital (Private Equity) und der von einer Bank dem Unternehmen gegebener Kredit (Private Debt).

Neben Eigen- und Fremdkapital mit den jeweiligen Ausprägungen (Varianten) gibt es Zwischenformen, die Merkmale des Eigenkapitals mit Merkmalen des Fremdka­ pitals kombinieren. Solche Zwischenformen werden als Mezzanine bezeichnet (sie­ he Abb. 1.1). Ein Hauptvertreter dieser Gattung sind Finanzkontrakte, die zunächst Eigenschaften des Fremdkapitals aufweisen, in bestimmten Situationen oder bei Ein­ treten gewisser Ereignisse indes in Eigenkapital gewandelt werden.

5 Allerdings werden in Rechtsprechung und Literatur Situationen einer „Durchgriffshaftung“ berück­ sichtigt, in denen die Eigenkapitalgeber einer Kapitalgesellschaft dennoch herangezogen werden, um für Verpflichtungen des Unternehmens einzustehen – dies, wenn das Unternehmen klar unterkapi­ talisiert war, wenn das Vermögen des Unternehmens und das eines Eigenkapitalgebers nicht klar ge­ trennt, sondern „vermischt“ war, oder wenn die Rechtsform der Kapitalgesellschaft „missbräuchlich“ nur deshalb gewählt wurde, um Haftung auszuschließen.

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Wertpapier, öffentlich gehandelt, Markt oder Market Maker

Eigenkapital

Fremdkapital

Aktien von Blue Chips

Anleihen

Mezzanine Mezzanine privater, bilateraler Kontrakt, eingeschränkte Übertragbarkeit

Private Equity

Bankkredit

Abb. 1.1: Einteilung von Finanzkontrakten nach Typus (Eigen- oder Fremdkapital) und Einfachheit der Übertragung der Rechte auf Dritte (eigene Darstellung).

Kapitel 1.2 in Kürze Als drei Stichworte zur Risikopolitik wurden erwähnt: Exposure, Absicherungen, Resilienz. Die Wirt­ schaftsgeschichte hat Standardtypen von Finanzverträgen hervorgebracht und dadurch die Transak­ tionskosten stark verringert. Dennoch bestehen Varianten beider Grundtypen des Eigen- und Fremd­ kapitals.

Fragen zu Kapitel 1.2 1. 2. 3.

Welche Vertragspunkte werden (neben den Zahlungen) in einem Finanzkontrakt besprochen? Nennen Sie in Stichworten die wichtigsten Merkmale von Eigen- und von Fremdkapital. Was sind Transaktionskosten? Inwieweit werden durch die Beschränkung auf die beiden Grund­ typen der Finanzierung Transaktionskosten reduziert?

1.3 Finanzbedarf Wie hoch ist der Finanzierungsbedarf eines Unternehmens? Hierbei wird wohl zu­ nächst an den Geldbetrag als wichtigste Dimension gedacht. Eine zweite Dimension des Finanzbedarfs ist die Dauer, für die das Kapital im Unternehmen gebunden ist. Es kommen zwei weitere Dimensionen hinzu, die mit dem unternehmerischen Risiko in Zusammenhang stehen. Die Risiken legen fest, wie hoch die Eigenkapitalquote sein muss, denn höhere Risiken verlangen eine höhere Eigenkapitalquote. Die Risiken be­ stimmen auch, ob und welche rechtlichen Konstruktionen zur Haftungsbeschränkung von den Finanziers verlangt werden dürfen. Der Finanzierungsbedarf muss demnach mehrdimensional gesehen werden. Vier Dimensionen werden näher betrachtet, und zwar

1.3 Finanzbedarf |

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1. Betrag, 2. Dauer, 3. Eigenkapitalquote, 4. Haftungsbeschränkung.

1.3.1 Betrag und Dauer Der Finanzbedarf hängt hinsichtlich der beiden Dimensionen „Betrag“ und „Dauer“ davon ab, welche Vorbereitungen (Investitionen) für die Transformationsprozesse des Unternehmens verlangt sind, und welche Zeit im Mittel vergeht, bis Auszahlungen für Inputs zu entsprechenden Einzahlungen für die Outputs werden. Dabei hängt die zeit­ liche Dimension des Finanzbedarfs nicht allein davon ab, welche Zeit zwischen der Bezahlung von Materialien und Vorleistungen und dem Eintreffen der Erlöse aus dem Absatz der Produkte vergeht, sondern vor allem von der Zeitspanne, innerhalb de­ rer sich die Investitionen „bezahlt“ machen sollen. Deshalb wird zusätzlich zur Dau­ er, die Finanzierungen überspannen soll, meist der Break-even-Punkt betrachtet, also die Zeitspanne, nach der sich die Investitionen „auszahlen“ und „rentieren“. Vier Bei­ spiele: 1. Bei einem Handelsunternehmen, das hauptsächlich Waren bevorratet, ist der Break-even kurz. 2. Bei anderen Unternehmen ist der typische Break-even ein paar Jahre lang. 3. Im Pharmabereich wird mit Entwicklungs- und Produktzyklen von mehr als einem Jahrzehnt gerechnet. 4. Wo Innovation, die Schaffung von Wissen und der Aufbau von Markennamen be­ trachtet werden, wird mit Zeiträumen von 40 Jahren für den Break-even gerech­ net. Hier wird man an entsprechend lange laufende Finanzierungen denken. Des Weiteren spielt in den Finanzbedarf hinein, wie viele der Vorbereitungen eigenes Vermögen (Anlagen, Wissen) des Unternehmens verlangen und bei welchen der be­ reitzustellenden Ressourcen vertraglich vereinbarte Nutzungsmöglichkeiten genügen. Diese Entscheidung hat großen Einfluss auf den Finanzbedarf. Auch als Privatperson stellt sich die Frage, ob man Wohnungseigentum erwerben möchte oder ob eine An­ mietung genügt. Selbstverständlich bringt Wohnungseigentum einen höheren Finan­ zierungsbedarf mit sich. Wie gesagt ist bei dieser Frage wichtig, ob die Verfügungsmacht beschränkt sein kann oder ob sie unbeschränkt sein sollte. Die Antwort darauf hängt oftmals vom An­ teil des Wissens ab. Ist der Transformationsprozess wissensintensiv, wird also viel Wissen beschafft oder aufgebaut, dann müssen Betrag und Zeit der Finanzierung un­ ter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob das sich im Eigentum des Unternehmens befindliche Wissen geschützt wird.

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Außerdem hängt die Antwort auf die Frage, wie ausgeprägt die Verfügungsmacht gestaltet sein muss, mit dem Break-even zusammen. Wenn Ressourcen über längere Zeiträume verwendet werden, sind sie meist eher denkbaren abträglichen Entwick­ lungen ausgesetzt, als dies bei kürzeren Zeiträumen der Fall ist. Von daher dürfte es so sein, dass es bei einem längeren Break-even bevorzugt wird, wenn sich ein höherer Anteil der benötigten Ressourcen im Eigentum des Unternehmens befindet. Schließlich kann der Finanzbedarf stärkeren zeitlichen Schwankungen unterwor­ fen sein. Große Vorhaben und besondere Phasen können auf erhöhten Finanzbedarf führen. Beispiele sind 1. die Phase der Gründung, 2. Zeitabschnitte starken Wachstums mit hohen Investitionen, 3. die Akquisition eines anderen Unternehmens. Es gibt auch Situationen, in denen sich der Finanzbedarf verringert. Das ist zum Bei­ spiel der Fall, wenn das Unternehmen einen Unternehmensteil verkauft. Doch selbst wenn das Unternehmen bereits „läuft“ und wenn die Geschäfte immer gleichförmig weiterlaufen, muss jemand dem Unternehmen die Mittel überlassen haben und wei­ terhin überlassen, damit im Eigentum des Unternehmens befindliche Ressourcen wie Maschinen und Anlagen auch weiterhin gehalten werden können. Selbst wenn es das Unternehmen aufgrund des guten Geschäftsverlaufs schafft, alle Kredite zurückzu­ zahlen, werden sich die Eigenkapitalgeber nicht vom Unternehmen auszahlen lassen und damit auf ihre Rechte verzichten. In Österreich haben vor geraumer Zeit mehrere Gemeinden als Eigenkapitalgeber eine Pfandbrief­ anstalt gegründet, durch die es ihnen möglich wurde, sich durch die Ausgabe von Pfandbriefen zu finanzieren. Die Pfandbriefanstalt wurde als ein Gemeinschaftsunternehmen ins Leben gerufen. Die Geschäfte der Anstalt entwickelten sich sehr gut. Der Direktor bot den Gemeinden an, sie als Gründer und Eigentümer sämtlich „auszuzahlen“, was sie gerne annahmen. Entstanden ist eine Bank, die zwar Vermögen hatte, jedoch (scheinbar) keinerlei Kapital. Zur Bestimmung der Nach­ folge führte der Direktor der Pfandbriefanstalt das Verfahren der Kooptation ein. Rein rechtlich gesehen hätten die Gemeinden ihr Eigenkapital nicht (vollständig) entnehmen dürfen. Wirtschaft­ lich gesehen hatten sie Verzicht geleistet. Nach einiger Zeit wurde der rechtlich ungeklärte Zustand der Pfandbriefanstalt dadurch bereinigt, dass die Gemeinden ihre Ansprüche, soweit sie noch be­ standen, an das Land übertrugen.

1.3.2 Risiko und Haftung Aufgrund der Risiken und der den Eigenkapitalgebern gegebenen Entscheidungsrech­ te muss die bisher betrachtete Ermittlung des Finanzbedarfs erweitert werden. Die al­ leinige Betrachtung von Betrag und Dauer der Finanzierungen reicht nicht aus. Wich­ tig ist, welchen Anteil das Eigenkapital haben sollte. Der Rest kann dann Fremdkapital sein. Die für ein Unternehmen anzustrebende Eigenkapitalquote (Anteil des Eigen­

1.3 Finanzbedarf |

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kapitals am Gesamtkapital) hängt von den Risiken des Unternehmens ab und davon, wer das Recht zur Mitwirkung bei den Entscheidungen haben soll, da eine Erhöhung der Eigenkapitalquote in aller Regel mit einer Erweiterung des Kreises derjenigen Per­ sonen einhergeht, die mitreden und mitentscheiden. Einige Unternehmen haben eine Eigenkapitalquote, die nahe bei 100 % liegt. Ein hohes unternehmerisches Risiko verlangt eine starke Eigenkapitalausstattung. Folg­ lich kann eine hohe Eigenkapitalquote in Situationen erhöhten Risikos angebracht sein. Vier Beispiele: 1. Gründung 2. Restrukturierung im Zusammenhang mit einer Krisenbewältigung 3. Unternehmen, die eine risikoreiche Neuorientierung versuchen oder einen Stra­ tegiewechsel bewältigen wollen, werden zusätzliches Eigenkapital aufnehmen. 4. Gelegentlich wollen Unternehmen von Fremdkapitalgebern gänzlich unabhängig sein. Sie streben eine vollständige Eigenfinanzierung an. Unternehmen mit Ge­ schäftsfeldern, die der öffentlichen Kritik ausgesetzt sind, können oftmals nicht alle Details kommunizieren. Sie müssen vermeiden, dass beispielsweise ein Kre­ ditwunsch von einem Gremium der Bank hinterfragt wird. Unternehmen, denen Transparenz und Kommunikation eher schaden könnten, möchten sich daher von Fremdkapitalgebern befreien. Viele Industrieunternehmen haben um die 50 % Eigenkapital. Die Finanzierung mit Fremdmitteln ist unter mehreren Aspekten günstiger als die mit Eigenkapital, weshalb die große Mehrheit der Unternehmen Fremdkapital in ihre Finanzierung einbezieht. In besonderen Branchen versuchen Unternehmen, mit einem noch geringeren Anteil an Eigenkapital auszukommen, weil es gegenüber dem Fremdkapital hier und da als teuer angesehen wird. So haben Banken traditionell recht geringe Eigenkapitalquo­ ten von 8 % bis 10 %. Schließlich: Wenn in manchen Sektoren Unternehmen relativ oft „Pleite gehen“, wie beispielsweise im Bausektor, liegt dies an einer (gemessen an den Risiken) zu geringen Ausstattung mit Eigenkapital. Die Regulierung von Finanz­ intermediären ist bestrebt, Mindestanforderungen an die Eigenmittelausstattung zu formulieren. Danach sollen Banken, die vermehrt mit Risiken belastete Geschäfte tä­ tigen, eine höhere Eigenkapitalquote aufweisen. Einige Forscher, darunter Anat R. Admati und Martin Hellwig, fordern für Banken 25 % Eigenkapital.⁶ Die Eigenkapitalquote ist also eine dritte Dimension des Finanzierungsbedarfs (nach den Dimensionen „Betrag“ und „Dauer“). Die Eigenkapitalquote ist zwar haupt­ sächlich dadurch bestimmt, dass die unternehmerischen Risiken primär vom Eigen­ kapital getragen werden. Indes kann die Eigenkapitalquote auch durch die passen­ de Breite der Entscheidung im Unternehmen beeinflusst sein. Gelegentlich wünschen

6 Anat Admati und Martin Hellwig: Des Bankers neue Kleider. Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muß. FinanzBuch Verlag, 3. Auflage (2014), S. 173.

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sich die bisherigen Eigenkapitalgeber, die personelle Basis für die Ausübung dieser Entscheidungsrechte zu vergrößern. Sie sprechen dann Personen an, mit denen sie gern die Geschäfte führen oder die Aufsicht teilen möchten. Dann wird eine Erhöhung des Eigenkapitals nicht so sehr aus der Perspektive hohen unternehmerischen Risikos angestrebt als vielmehr aus der Perspektive, wer Entscheidungen und Festlegungen trifft und wer über Kompetenz verfügt. Beispielsweise können Eigentümer eines klei­ nen oder mittelgroßen Unternehmens einen weiteren Partner suchen, der neben Ka­ pital auch über besondere Kenntnisse verfügt und etwa das Netzwerk für den Absatz vergrößern würde. Wenn die Kapitalgeber die Geschäftsführung an einen angestell­ ten Manager delegiert haben, könnten sie ihm anbieten, einen Teil des Eigenkapitals zu übernehmen. Der Einbezug weiterer Kapitalgeber bietet sich auch bei Nachfolge­ regelungen an. Hier stehen die Personen, die das Eigenkapital geben, eher im Vor­ dergrund als die Funktion des Eigenkapitals als Risikoträger. Schließlich kommt eine vierte Dimension des Finanzbedarfs hinzu: die Haftungs­ begrenzung. Sie ist eng mit der Wahl der Rechtsform verknüpft, denn die für die Fi­ nanzierung angesprochenen Eigenkapitalgeber haben selbstverständlich Erwartun­ gen dahingehend, wie die Haftung geregelt werden sollte. Gelegentlich verlangen die Finanziers, dass verschiedene Geschäftsbereiche in eigene Gesellschaften ausgeglie­ dert werden sollen, damit eine mögliche Krise in einem Bereich nicht die Existenz der anderen Bereiche bedroht. So werden vielfach eine Produktions-GmbH und eine Absatz-GmbH eingerichtet. Auf diese Weise müssen krisenhafte Schwierigkeiten und Einbrüche bei der Absatz-GmbH die Produktions-GmbH nicht gleich mit in die Krise hineinziehen. Das Gesamtunternehmen ist dann eine Gesellschaft, die das Eigenka­ pital beider Tochterunternehmen hält. Ein verschachtelter rechtlicher Aufbau des Gesamtunternehmens dient somit vorderhand der Haftungsbeschränkung. Die un­ ternehmerischen Risiken verlangen bei der Finanzierung auch die Klärung, welche „Schutzmauern“ innerhalb des Unternehmens bestehen. Diesen vier Fragen zum Finanzbedarf wurde nachgegangen: 1. Dimension: Wie lange dauern Transformationsprozesse, Produktzyklen und Break-even bei dem Unternehmen? Die Fristigkeit der Finanzierung sollte darauf abgestellt sein. 2. Dimension: Welche der benötigten und bereitzuhaltenden Ressourcen sollten sich im Eigen­ tum des Unternehmens befinden (und müssen daher finanziert werden), um volle Verfügungs­ macht zu haben? Bei welchen Ressourcen genügt eine eingeschränkte Verfügungsmacht. Sie können per Vertrag genutzt werden. Diese Festlegung bestimmt den Finanzierungsbedarf dem Betrag nach. 3. Dimension: Welche Eigenkapitalquote ist angemessen? a. Hier kommt es auf die Risiken an – hohe Geschäftsrisiken verlangen viel Eigenkapital. b. Außerdem spielt es eine Rolle, wie die Führung und Aufsicht durch mehr oder weniger Eigenkapital verändert wird. 4. Dimension: Welche rechtliche Konstruktion ist aus Überlegungen der Haftung vorzusehen, und wie werden dadurch die Finanzverträge beeinflusst? Regulierung von Finanzintermediären ist bestrebt, Mindestanforderungen an die Eigenmittelausstattung zu formulieren. Danach sol­ len Banken, die vermehrt mit Risiken belastete Geschäfte tätigen, eine höhere Eigenkapital­ quote aufweisen.

1.3 Finanzbedarf |

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1.3.3 Ablauf Entsprechend den vier Dimensionen des Finanzbedarfs sind Finanzierungen viel­ schichtige und oftmals komplexe Vorgänge. Finanzierungen verlangen daher mehre­ re Schritte. So ist es sinnvoll, die Finanzierung in ihrem Ablauf nachzuzeichnen. Der Ablauf der Finanzierung bei einem kleinen Unternehmen, das sich in der Gründung befindet, darf als repräsentativ für andere Finanzierungsabläufe angesehen werden. Fünf Schritte sollen betrachtet werden: 1. Formulierung der Geschäftsidee 2. Suche und Ansprache von Finanziers 3. Vertragsaushandlung und die Ausarbeitung der Verträge durch Juristen 4. Entgegennahme der Geldbeträge und Ausweis eingegangener Verpflichtungen (Finanzierung als Verkauf von Rechten) 5. Erfüllung der Ansprüche im Zeitverlauf und Pflege eines guten Ansehens in Fi­ nanzkreisen. Die fünf Schritte sollen näher ausgeführt werden. Schritt 1: Idee, Modell, Plan a. Die Geschäftsidee (prägnant auf einer DIN-A4-Seite formuliert), das Ge­ schäftsmodell (dargelegt auf fünf DIN-A4-Seiten) und die konkreteren Pro­ duktions- und Absatzpläne (Tabellenkalkulationen und Vorschau der kom­ menden Jahre) führen zur Aufstellung eines Investitionsplans oder, noch besser, zu alternativen Plänen für die Bereitstellung von Ressourcen. b. Zur Planung werden Finanzierungen mit solchen Konditionen als möglich an­ genommen, die typischerweise realisierbar sind. Die Investition in alternati­ ven Varianten wird entsprechend bewertet. c. Die Risiken werden genannt. Daraus werden die verlangten Schutzmaßnah­ men, Versicherungen und Reserven abgeleitet. Die einzuschlagende Flexibi­ lität (Resilienz) wird bestimmt. d. Es wird ein „Plan B“ angesprochen und überlegt, in welcher rechtlichen Kon­ struktion das Unternehmen aufgebaut und finanziert werden soll. e. Aus den derart bestimmten Plänen ergibt sich der Finanzbedarf hinsichtlich Betrag, Dauer und Eigenkapitalquote. Schritt 2: Ansprache von Finanziers Der Investitions- und Finanzierungsplan liegt vor, die Risiken sind angesprochen, der Finanzbedarf ist bestimmt. Doch wie kann das Unternehmen Finanziers fin­ den und mit ihnen Verträge aushandeln und schließen? Betrachtet wird die Su­ che nach Eigenkapitalgebern. Hierzu bieten sich mehrere Wege an: In jedem Falle nützlich ist ein Netzwerk. Eventuell müssen Finanzmakler eingeschaltet werden. Personen mit einschlägiger fachlicher Expertise, etwa Business Angels, trifft man auf Messen und Tagungen. Außerdem werden Finanzintermediäre kontaktiert, die sich auf Finanzierungen spezialisiert haben und Geschäftsbeteiligungen einge­

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hen: Kapitalanlagegesellschaften und Private-Equity-Firmen. Auch wenn es letzt­ lich „um Geld geht“, ist bei diesen Kontakten wichtig, dass sich die Geschäfts­ partner gut verstehen und einander vertrauen können. Bei Fremdfinanzierungen empfiehlt sich wohl als erstes der Weg zur Bank, die einen Kredit gibt, oder es wird von dem Unternehmen und einem Fremdkapitalgeber vereinbart, eine Bank als Intermediär einzuschalten. Schritt 3: Vertragsaushandlung Die Aushandlung der Konditionen des Finanzkontrakts beginnt. Beide Seiten müssen sich überlegen, ob sie sich eher an einen Standardvertrag halten oder ob sie „maßgeschneidert“ auf die Wünsche beider Seiten und auf besondere Um­ stände eingehen möchten. Bei einer Einigung werden die Ergebnisse in einem Termsheet festgehalten, das von Juristen als Vertragswerk ausformuliert wird. Trotz eines ausführlichen Vertragswerks kommt es immer wieder zu (negativen) Überraschungen. Dadurch zeigt sich, dass nicht immer alles besprochen und geregelt wurde. Das heißt, eine jede Finanzbeziehung enthält über den expli­ ziten Vertrag hinaus implizite Elemente. Beide Seiten haben ihre Erwartungen, wie vorgegangen werden soll, sollte ein Ereignis eintreten, das nicht geregelt wurde. Natürlich werden hier und da implizite Vertragselemente unterschiedlich interpretiert und nicht immer eingehalten. Ein weiterer Punkt bei der Vertragsaus­ handlung ist schließlich die Regelung, sollte eine Seite die Finanzierung beenden wollen. Exitregeln sind bei Neugründungen von den ersten Eigenkapitalgebern erwünscht. Schritt 4: Entgegennahme und investive Verwendung der Zahlungsmittel Die Entgegennahme der Zahlungsmittel und deren investive Verwendung wird meist durch juristische Konstruktionen abgesichert, ähnlich wie dies bei einem Hauskauf der Fall ist. Das Unternehmen muss das Geld von einem Finanzier er­ halten und der Finanzier muss die explizit vereinbarten Ansprüche juristisch ge­ sichert sehen. Gelegentlich wird eine Umsetzung des Vertrags Zug um Zug verein­ bart. Gleichzeitig muss auch das Unternehmen immer wieder zeigen, dass es die Ansprüche des Finanziers anerkennt. Schritt 5: Erfüllung der Ansprüche Kapitalgeber möchten über Stand und Entwicklung der Geschäfte informiert wer­ den. Fremdkapitalgeber interessiert, ob das Unternehmen im angekündigten Um­ fang sichere und reversible Investitionen getätigt hat, oder ob stattdessen Auszah­ lungen geleistet wurden, bei denen zukünftige Rückflüsse nicht greifbar, sondern bloße Hoffnung sind. Fremdkapitalgeber wünschen sich daher eine Übersicht, die greifbare Vermögensgegenstände zu einem vorsichtig bemessenen Zeitwert aus­ weist und die diese den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber allen Fremd­ kapitalgebern gegenüberstellt. Das leistet eine Bilanz (nach alten Standards der Rechnungslegung).

1.3 Finanzbedarf |

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Schließlich werden sich die fünf Schritte wiederholen. Das kann nur dann in Kontinui­ tätgeschehen, wenn das Unternehmen finanzielle Reputation aufbaut und pflegt. Da­ bei sind charakterliche Eigenschaften des Unternehmers wie Integrität, Verlässlich­ keit und Berechenbarkeit wichtig. Gut ist zudem, wenn unternehmerische Situation und unternehmerisches Geschehen immer wieder transparent gemacht werden. Betrachtet wird ein kleines Unternehmen, das sich in der Phase der Gründung befinde: Um Finanziers anzusprechen, besuchen Erfinder Messen. Dort können sie ihr Vorhaben vorstellen. Auf Messen kommen sie mit Gebern von Private Equity zu­ sammen. Finden sich ein Gründer und ein Private-Equity-Investor und bringen sie ihr Interesse an einer Partnerschaft zum Ausdruck, formulieren sie ein Termsheet (Eck­ punkte einer Vereinbarung über privates Eigenkapital). Spätestens mit Unterzeich­ nung des Finanzvertrags wird das Unternehmen gegründet. In der Regel ist oder wird der Erfinder Geschäftsführer. Ungeachtet, ob der Erfinder selbst auch Eigenmittel ein­ legt oder nicht, übernimmt der Private-Equity-Geber die Aufgaben eines Präsidenten. Viele solcher Partnerschaften zwischen Erfinder/Geschäftsführer und PrivateEquity-Investor/-Präsident gelingen und bewirken enorme Wertschöpfungen. Zwei Felder können allerdings zu Konflikten führen: Erstens kann es sein, dass sich der Präsident vornehmlich um den Außenbereich des Unternehmens kümmert. Ebenso gut kann deutlich werden, dass der Präsident intensiv beim Aufbau des Teams mit­ wirken und in den „Innenbereich“ des neuen Unternehmens eingreifen möchte. Ein Interessenkonflikt kann auftreten, wenn sich der Private-Equity-Investor nach eini­ ger Zeit wieder lösen möchte. Eine solche Exitmöglichkeit muss der Geschäftsführer vorbereiten, was bedeutet, dass andere Finanziers gefunden werden müssen, die eintreten. Betrachtet werden soll nun ein mittleres Unternehmen: Oftmals ist es bei einem mittleren Unternehmen schwierig, neues Eigenkapital zu erhalten. Die bisherigen Ei­ genkapitalgeber wollen keine Verwässerung ihrer Rechte und Ansprüche durch weite­ re Personen hinnehmen, selbst wenn dies die Geschäftsführung vorschlägt. Dann ist für eine neue Finanzierung verlangt, dass zusätzliches Fremdkapital aufgenommen wird. In der Regel ist das ein (privater, bilateral vergebener) Kredit, den das Unterneh­ men von einer Bank erhält. Möglicherweise bieten sich auch Darlehen an, welche die bisherigen Eigenkapitalgeber ihrem Unternehmen geben. Angesichts dieser Situation wird die Geschäftsführung des mittelgroßen Unternehmens bemüht sein, eine gute Beziehung zur Hausbank aufzubauen. Allerdings hat eine Bank eigene Ziele. Die Bank wünscht Sicherheit und Einbringlichkeit der Kredite, während Eigenkapitalgeber un­ ternehmerisch denken und risikobereit sind, wenn sich Chancen zeigen – Unsicher­ heit ist für die Bank Verlustgefahr, für den Investor Gewinnchance. Angesichts der gu­ ten Beziehung zwischen Geschäftsführung und Hausbank werden die Eigenkapitalge­ ber verhindern wollen, dass ihnen die Richtlinienkompetenz bei der Geschäftspolitik entgleitet. Beispielsweise werden sie für das Aufsichtsgremium einen „starken“ Präsi­ denten wählen. Die Corporate Governance muss dann so verbessert werden, dass kei­ ne Gegensätze zwischen Geschäftsführung in Verbindung mit Banken einerseits und

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dem bewusst nach Stärke ausgewählten Präsidenten andererseits aufkommen kön­ nen. Als drittes Beispiel für die Vielschichtigkeit der Finanzierungsfragen und der ver­ langten Schritte soll ein großes Unternehmen dienen: In der Regel sind direkte Wege zum Finanzmarkt möglich. Die Ausgabe von Unternehmensanleihen und die sich an­ schließende Bedienung der Anleger verlangen die Begleitung durch eine Investment­ bank. Deshalb kann es günstig sein, wenn der CFO einige Jahre selbst in einer Invest­ mentbank gearbeitet hat. Vielfach kommt dadurch eine überwiegend angelsächsisch geprägte Finanzkultur in das Unternehmen. Damit verbunden kann sich das Capital Budgeting in ein Management des Portfolios von Beteiligungen wandeln. Das Unter­ nehmen kauft und verkauft andere Unternehmen. Das geschieht aus zwei Gründen. Oftmals wird als Begründung einer Akquisition angeführt, man wolle sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren und diese vertiefen. Das Unternehmen kauft indes auch andere Firmen, um dort einige Jahre lang die Organisation, die Prozesse, und den Kundenzugang zu verbessern. Damit geht eine Wertsteigerung einher, die sich nach ein paar Jahren durch Verkauf realisieren lässt. Der Zugang zum Finanzmarkt zeigt sich auch in der Ausgabe von neuen Aktien (Initial Public Offering (IPO), Kapi­ talerhöhung). Die Investmentbank bereitet Roadshows vor, um institutionellen Anle­ gern die bevorstehende Transaktion nahezubringen. Dies wird ab und zu von jenen nicht verstanden, deren Aufgabe die Gestaltung der Leistungsprozesse in den einzel­ nen Unternehmensbereichen ist. Das Unternehmen muss dann erreichen, dass trotz der Transaktionen und der Ausrichtung auf die Finanzmärkte das Engagement der Mitarbeiterschaft nicht leidet. Der Schlüssel dafür liegt in einer gelungenen Unter­ nehmenskultur. Fazit Drei Beispiele für kleine, mittlere und große Unternehmen zeigten, dass die Planungen vielschich­ tig und komplex sind und die Finanzierung mehrere Schritte umfasst. Obwohl finanzielle Partner­ schaften enorme Wertschöpfungen erlauben, werden hier und da unterschiedliche Interessen deut­ lich.

1.3.4 Planung und Glaubwürdigkeit Der Finanzbedarf und die Auswahl der Finanzierungsmöglichkeiten ergeben sich aus den geplanten Investitionen und den laufenden Zahlungen der Geschäfte. Bei der Ent­ scheidung über Investitionen müssen selbstverständlich die Finanzierungsmöglich­ keiten beachtet werden. Die gegenseitige Bedingung von Investition und Finanzie­ rung verlangt eine umfassende Sicht: Weder können die Investitionen ohne Beach­ tung der Kosten der Finanzierung ausgewählt werden, noch können Finanzierungen ohne Blick auf die Renditen der Investitionen ergriffen werden. In einer Gesamtbe­ trachtung werden mögliche Investitionsprojekte und Finanzierungsmaßnahmen si­

1.3 Finanzbedarf |

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multan beurteilt. Eine solche Gesamtplanung von Investitionen und Finanzierungen wird als Capital Budgeting bezeichnet. Das Capital Budgeting ist kein einmaliger Planungsvorgang, sondern Teil der rol­ lierenden Planung, denn die angestrebte längerfristige Existenz des Unternehmens verlangt immer wieder neue Investitionen und neue Finanzierungen. Sowohl die In­ vestitionstätigkeit als auch die Finanzierung sind somit als ein integriert verlaufender Prozess zu sehen. Periodisch oder durch Anlässe ausgelöst wird die Gesamtplanung von Investitionen und Finanzierungen abgestimmt. Immer wieder wird ein aktuali­ siertes Capital Budget verabschiedet und damit das bisherige ersetzt. Das Capital Bud­ geting ist folglich eine rollierende Planung von Investitionen und Finanzierungen. Mithin muss der Finanzverantwortliche im Unternehmen mehrere Charaktermerkmale und Fähigkeiten aufweisen. Deshalb können unter „Finanzierung“ die augenblickliche finanzielle Situation gesehen werden, der aktuelle Finanzstatus also, und die vorgezeichneten Veränderungen aufgrund kommen­ der Aktualisierungen im Capital-Budgeting-Prozess. Was den Finanzstatus betrifft, so ist dieser 1. durch die aktuell bestehenden Finanzkontrakte, 2. durch den Liquiditätsstatus und die kommenden Ein- und Auszahlungen für laufende Geschäfte sowie 3. durch die bestehende Reputation des Unternehmens gegenüber den Finanziers bestimmt.

Die Führung der Finanzen ist daher eine umfangreiche Aufgabe. Sie umfasst die peri­ odische Beobachtung des Finanzstatus, die Prognose der Veränderungen des Finanz­ status, die verantwortliche Mitwirkung beim Capital Budgeting und die Pflege finan­ zieller Reputation. In größeren Unternehmen wird dieser Aufgabenbereich einer spe­ zialisierten Führungspersönlichkeit übertragen. Die übliche Funktionsbezeichnung ist die des Chief Financial Officers (CFO) oder die des Leiters des Finanz- und Rech­ nungswesens. In kleineren Unternehmen wird der Finanzbereich vom Geschäftsfüh­ rer wahrgenommen. Diese Person muss über die verlangten Fähigkeiten verfügen und einen guten Leu­ mund vorweisen. Zusätzlich sind gewisse Charaktermerkmale vonnöten. Auch wenn vieles schriftlich festgehalten wird, ist persönliche Integrität verlangt: Die Finanziers als Gesprächspartner dieser Person müssen erkennen, dass bei ihr persönliche Ein­ stellungen und das Gesagte übereinstimmen, das Gesagtes also glaubwürdig ist und konstante Gültigkeit besitzt. Integrität bietet den Finanziers eine gewisse menschliche Sicherheit, dass sich das Unternehmen, sollte eine vertraglich nicht erfasste Situation eintreten, dennoch kooperativ verhalten wird. Die Glaubwürdigkeit ergibt sich aus der persönlichen Integrität des Leiters des Finanzbereichs. Ein zweites Charaktermerkmal kommt hinzu: Die im Unternehmen für die Finan­ zen verantwortliche Person muss in der Lage sein, die Situation, die Geschäfte, die Opportunitäten und die Risiken möglichst genau in Worte zu kleiden. Nicht unbe­ dingt kann alles durch Zahlen oder durch Kennzahlen zum Ausdruck gebracht wer­ den, doch das Gesagte muss so präzise sein, das eine spätere Nachprüfung der Aus­ sagen möglich ist. So kann die Person (Geschäftsführer, Eigenkapitalgeber, CEO) ge­

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gebenenfalls dazu aufgefordert werden, Rechenschaft zu geben und Verantwortung zu übernehmen. Die Fähigkeit, die Situation und die Vorgänge verbal und in Form von Aufzeichnungen präzise darzustellen, ist die Fähigkeit, Rechenschaft ablegen zu können. Angesichts der Tatsache, dass die unternehmerischen Ergebnisse von unter­ schiedlichen Parteien beansprucht werden, müssen die auftretenden Verteilungen rechnerisch dargestellt werden. Ist somit Eigen- wie Fremdkapital vorhanden, dann sind Rechnungen und Berechnungen verlangt, aus denen die Finanziers erkennen, wie hoch ihre jeweiligen Rückflüsse sind und wie sich diese oder jene Aufteilung begründet. Der für Finanzen im Unternehmen Verantwortliche muss also über die Fähigkeit verfügen, Berechnungen in Übereinstimmung mit den Verträgen vorzule­ gen. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit zur Rechnungslegung. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist der für die Finanzen Verantwortliche häufig zugleich Leiter des Rechnungswesens des Unternehmens. Bei öffentlichem Kapital kommt eine weitere Forderung an den Finanzverantwort­ lichen hinzu: Die Pläne, Ziele und Vorgänge müssen in einer Form dargestellt werden, die für eine öffentliche Kommunikation geeignet ist. Dies ist die Fähigkeit zu Trans­ parenz und Kommunikation. Kapitel 1.3 in Kürze Die vier Dimensionen des Finanzbedarfs sind: Betrag und Dauer, Risiko (also Eigenkapitalquote) und Haftung (rechtliche Konstruktionen). Hinsichtlich des Ablaufs der Finanzierung wurden mehrere Schritte beleuchtet: die Planung der Geschäfte, die Suche von Finanziers, Sondierungen, Verhand­ lungen, die Entgegennahme der Zahlungsmittel und deren investive Verwendung, der Nachweis der gegenüber den Finanziers eingegangenen Verpflichtungen (Rechnungswesen und Berichte). Schließlich werden von den Finanziers verschiedene persönliche und sachliche Anforderungen an die Unternehmensführung gestellt (u. a. Fähigkeit und Integrität).

Fragen zu Kapitel 1.3 1.

2. 3.

Gehen Sie näher auf die vier Dimensionen des Finanzbedarfs ein: Dauer der Transformations­ prozess und der Investitionszyklen, benötigte Verfügungsmacht über die zu finanzierenden Res­ sourcen, Eigenkapitalquote, rechtliche Konstruktionen zur Haftungsbegrenzung. Welche Forderung vertreten Anat R. Admati und Martin Hellwig? Was ist ein Termsheet? Was wird unter Integrität verstanden?

1.4 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung Unternehmen werden aus unterschiedlichsten Gründen gegründet. Die Motive und Intentionen sind stark vom/von den Eigenkapitalgeber(n) geprägt. Da sie vieles an einen Geschäftsführer delegieren können, dürfte auch der Geschäftsführer faktische

1.4 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung |

23

Macht haben, den Unternehmenszweck und die Zielrichtung zu beeinflussen. Die von Unternehmen angestrebten Zielsetzungen können sich deutlich unterscheiden. – Oftmals steht der Erfinder oder Innovator im Vordergrund. Das Unternehmen wur­ de gegründet, um mit einer technischen Idee und den Prototypen Erfolg zu haben. An Gewinne wird zunächst nicht gedacht. Bei solchen Unternehmen stehen die Technologie, das innovative Team und die Ingenieure im Vordergrund. – Andere Unternehmen fühlen sich der Schaffung von Arbeitsplätzen verpflichtet. Bei Investitionen wird stets gefragt, ob und wie viele Stellen geschaffen werden. Das spielt eine wichtige Rolle bei Entscheidungen. Hier steht der Betrieb im Mit­ telpunkt des Denkens. – Manchmal, besonders in Asien, herrscht die Sicht vor, dass Wille und Vision des Gründers für immer fortgeführt werden sollen. Das Unternehmen muss daher den vom Gründer seinerzeit eingeschlagenen sachlichen Zielen auch für die Zukunft höchste Priorität einräumen. Eine inhaltliche Umorientierung ist oftmals ausge­ schlossen. – Wiederum andere Unternehmen verhalten sich bei allen Entscheidungen wie eine rechtliche Konstruktion, die es erlaubt, mithilfe von Transaktionen und Transfor­ mationen Gewinne zu erzielen und den Wert des Unternehmens zu steigern, und dies selbst dann, wenn Restrukturierungen verlangt sind, bei denen Arbeitsplätze verloren gehen. Entsprechend berichten diese Unternehmen auf eigene Weise über den erzielten Er­ folg. Das erste Unternehmen berichtet über die Technologien und Innovationen, das zweite über Arbeitsplätze, Mitarbeitende und Sozialleistungen, das dritte über die Un­ ternehmensgeschichte und darüber, wie sich diese geradlinig in einer Aufwärtsbewe­ gung zeigt, während das vierte Unternehmen auf Gewinne und Finanzpositionen ver­ weisen wird.

1.4.1 Nur Wunsch der Eigenkapitalgeber? Welche dieser Ziele und Perspektiven auch immer betont werden – alle Unternehmen vertreten die Auffassung: Ein Unternehmen hat dauerhaft Eigenkapital und der/die Eigenkapitalgeber treffen für das Unternehmen die Entscheidungen. Sie führen das Unternehmen (oder entscheiden, an wen sie die Führung delegieren). Diese Entscheidungsmacht besteht ohne Einschränkungen, solange das Unter­ nehmen seine Verpflichtungen gegenüber den Fremdkapitalgebern sowie anderen Gruppen erfüllt. Zu überlegen ist, ob nur die explizit in Verträgen angesprochenen Verpflichtungen zu erfüllen sind, oder auch implizite Erwartungen der Vertragspartner, denn es sind nicht nur die finanziellen Verpflichtungen gegenüber Fremdkapitalgebern zu sehen, sondern ebenso die Sozialverpflichtungen gegenüber der Mitarbeiterschaft sowie Ga­

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rantien auf Gewährleistungen und ähnliche Zusagen gegenüber der Kundschaft. Ge­ rade die Mitarbeiter und die Kundschaft haben implizite Erwartungen. Weitere Ein­ schränkungen der Entscheidungsmacht können sich folglich daraus ergeben, dass Unternehmen nach allgemeiner Auffassung die impliziten Erwartungen der mitwir­ kenden Gruppen, die auch als Stakeholder (im Unterschied zu den Shareholdern, den Eigenkapitalgebern) bezeichnet werden, zu erfüllen haben, zumindest in einem angemessenen Umfang. Weitergehende Einschränkungen der Entscheidungsmacht der Eigenkapitalgeber sind selbstverständlich durch die Gesetze gegeben, darunter auch Mitbestimmungsgesetze. Die Eigenkapitalgeber können vieles frei entscheiden, solange sie die (expliziten und in gewissem Umfang auch impliziten) Verbindlichkeiten des Unternehmens er­ füllen und die Gesetze einhalten. Diese Ordnung gibt den Eigenkapitalgebern eine Position, mit der sie hierarchisch gesehen über den anderen Gruppen stehen, die an einem Unternehmen mitwirken. Die Verbindung von Entscheidungsmacht und Eigenkapital bedeuten nicht, dass jedes Unternehmen einzig nach Gewinn strebt. Wie gesagt können Eigenkapitalgeber eher eine technische oder eine soziale Motivation zeigen. Ein Gründer hat wohl die Innovation im Auge, ein Unternehmen mit staatlichem Eigenkapitalgeber vielleicht den Erhalt von Arbeitsplätzen. Ein Unternehmen, bei denen das Eigenkapital von den Mitgliedern einer Familie gehalten wird, wird prioritär auf die Existenzsicherung ach­ ten. Und natürlich gibt es rechtliche Konstruktionen von Unternehmen, mittels derer spekulative Transaktionen ausgeführt werden. Die Entscheidungen eines Unternehmens werden somit von den Eigenkapitalge­ bern getroffen. Diese können höchst unterschiedliche Grundhaltungen aufweisen und Ziele umsetzen.

1.4.2 Fisher-Separation Die Fisher-Separation ist eine Erkenntnis von höchst praktischer Konsequenz. Sie ist nach dem amerikanischen Geldtheoretiker Irving Fisher (1867–1947) benannt. Die­ se Erkenntnis liefert einen Grund, aus dem heraus alle Eigenkapitalgeber letztlich die gleiche Zielsetzung verfolgen.⁷ Fisher untersuchte zunächst persönliche Präferenzen und Nutzenvorstellungen und stellte die Frage, was eine Person tun solle, um hinsichtlich des persönlichen Nutzenempfindens das Maximum zu erreichen. In die Untersuchung eingeschlossen ist selbstverständlich die Frage, was ein Unternehmen sich als Ziel setzen sollte an­ gesichts der persönlichen Präferenzen des Eigenkapitalgebers, der berechtigt ist, die Ergebnisse zu beanspruchen.

7 Irving Fisher (1930): The Theory of Interest: The Macmillan Company, New York (1930).

1.4 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung |

25

Auf diese Frage ist oft dieser Rat zu hören: Höre auf Dich, finde heraus, was Du eigentlich willst, und arbeite genau an der Erfüllung Deiner eigenen Wünsche – halte Dich nicht mit anderem auf. Das hieße hier: Der Eigenkapitalgeber möge seine per­ sönlichen Visionen und Zielsetzungen formulieren und durchsetzen, dass die unter­ nehmerischen Entscheidungen danach ausgerichtet werden. Wenn also der Eigenka­ pitalgeber aus einer starken sozialen Motivation heraus sehen möchte, dass zahlrei­ che Arbeitsplätze vorhanden sind, dann sollte er einen direkten Beitrag dazu leisten. Er sollte im eigenen Unternehmen damit beginnen, arbeitsintensive Erzeugnisse im Produktionsprogramm zu behalten und keine Investitionen tätigen, die vor allem die Arbeitskraft ersetzen würden. Irving Fisher hat nun gefragt, ob diese direkte Erfüllung eigener Wünsche und Präferenzen auch dann noch ökonomisch richtig ist, wenn ein Markt besteht, auf dem einerseits die Erzeugnisse und Ergebnisse des Unternehmens verkauft werden können und auf dem andererseits die Objekte, die vom Berechtigten gewünscht werden, ge­ kauft werden können. Wenn ein solcher Markt besteht und gut funktioniert, so Fisher, sollte das Unternehmen die Dinge produzieren, mit denen es den grössten Markterfolg hat. Der Berechtigte sollte sich dann mit den Erlösen kaufen, was ihm seiner persönlichen Präferenz entsprechend den höchsten Nutzen verschafft.

Diese Erkenntnis ist allgemein anerkannt, sie ist uns allen geläufig: Jedes Unterneh­ men produziert für den Markt und ist auf den Erfolg im Absatzmarkt ausgerichtet, der jeweilige Unternehmer entnimmt das Ergebnis in Form von Geld und kauft sich, was ihm persönlich am besten gefällt. Kaum jemand, der sich sehnlich eine Berghütte zu haben wünscht, käme auf die Idee, seine Arbeitsstelle aufzugeben um die Zeit dafür zu haben, die Hütte selbst zu bauen. Stattdessen überlegen bei einem solchen Wunsch einige, bezahlte Überstunden zu machen, um mit dem Geld eine Berghütte zu kau­ fen. Fisher hat nun weiter gefragt, was diese Binsenweisheit für die Zielsetzung ei­ nes Unternehmens bedeutet. Genauer, was ist unter Erfolg im Absatzmarkt zu verste­ hen? Ist der Jahresgewinn gemeint oder ein langfristiger Gewinn? Welche Grösse ist gemeint? Um diese Fragen zu beantworten greift Fisher auf den Sachverhalt zurück, dass Eigenkapitalgeber Rückflüsse erhalten. Die Rückflüsse eines Eigenkapitalgebers sind die möglichen Entnahmen, bei einer Aktiengesellschaft sind dies die Dividenden, bei einem Verkauf des Unternehmens oder von Unternehmensteilen ist dies der Ver­ kaufserlös. Der Verkaufserlös eines Unternehmens ist natürlich (in aller Regel) umso höher, je mehr das Unternehmen bis dahin gewachsen ist. Fisher stellt nun die Fra­ ge, welchen Preis diese Rückflüsse in einem Finanzmarkt haben. Von dieser Prämisse eines funktionierenden Finanzmarktes wird mehrfach ausgegangen mit entsprechen­ der Modellation als ideal funktionierender Markt.

26 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

Fisher fragt also nach dem Preis, den die Rückflüsse in einem ideal funktionierenden Kapitalmarkt hätten. Das ist der Wert der Rückflüsse.

Nun wird klar: Ein Unternehmen, das nach Erfolg strebt, muss versuchen, den Wert der Rückflüsse (an die Eigenkapitalgeber) möglichst groß zu machen. Der Wert der Rückflüsse setzt sich zusammen aus den Barwerten der einzelnen Entnahmen sowie aus dem Barwert eines eventuellen späteren Verkaufs des Unternehmens. Kurz: Das Unternehmen sollte versuchen, zugunsten der Eigenkapitalgeber die Barwerte der Entnahmen oder Ausschüttungen zu maximieren. Die Zeitpunkte von Ausschüttungen und die eines eventuellen Verkaufs, die Zeit­ punkte der Rückflüsse, sind vielleicht aber nicht die, zu denen ein Eigenkapitalgeber gerne das Geld hätte. Das, so Fisher, spielt keine Rolle, sofern wieder ein gut funktio­ nierender Finanzmarkt da ist, denn der Eigenkapitalgeber kann mithilfe von Geldan­ lagen und Kreditaufnahmen die Zeitpunkte der Zahlungen beliebig verschieben. Diese Möglichkeit ist jedermann geläufig: Manche nehmen einen Kredit auf, um Konsum zu ermöglichen, und sie zahlen den Kredit später zurück. Andere legen Geld an, das sie zu einem Zeitpunkt erhalten, zu dem sie nicht mehr konsumieren wollen. Diese Erkenntnis wird Fisher-Separation genannt. Separation, weil zwei Aufgaben voneinander ge­ trennt werden. Erstens wird das Unternehmen sich am besten so ausrichten, dass der Wert der Rück­ flüsse (an die berechtigten Eigenkapitalgeber) möglichst hoch ist. Dabei sind Ausschüttungen und Wachstum die Treiber für den Wert der Rückflüsse. Zweitens hat ein Eigenkapitalgeber die Aufgabe, die erhaltenen Rückflüsse, wieder mithilfe des unterstellten Finanzmarkts, in ihrer zeitlichen Verfüg­ barkeit so zu transformieren, dass die mit der Transformation der Zahlungszeitpunkte erzeugte Ver­ fügbarkeit von Geld seinen persönlichen (zeitlichen) Präferenzen am meisten entgegenkommt. Damit ist die Zielsetzung eines jeden Unternehmens präzisiert. Ein Eigenkapitalgeber wird es, so­ fern es Märkte gibt, mithilfe seiner Entscheidungsmacht einrichten, dass das Unternehmen versucht den Wert der Rückflüsse zu maximieren) – dies ungeachtet der Konsumpräferenzen (Welche Konsum­ güter sollen gekauft werden?) und ungeachtet der persönlichen Zeitpräferenz (Wann ist der Konsum besonders erwünscht?).

Die Erkenntnis von Fisher findet dort ihre Einschränkungen, wo kein Markt existiert. Wer zu einem Bergrestaurant wandert, dem kann es noch genügen, Geld mitzuneh­ men. Wer hingegen in die Wildnis geht, sollte Proviant mitnehmen. Wenn ein Eigen­ kapitalgeber laufend hohe Entnahmen tätigen möchte, wenn für ihn das Geld aus ei­ nem in der Zukunft liegenden Verkauf wenig nützlich erscheint und wenn es keinen Finanzmarkt gibt, dann dürfte er das Unternehmen so führen, dass hohe Entnahmen möglich werden, selbst wenn das Unternehmen dabei kaum wächst. Fazit Angesichts der Märkte werden alle Unternehmen versuchen, den Wert der an die Eigenkapitalgeber gehenden Rückflüsse zu maximieren. Nur wenn die Märkte nicht zugänglich sind oder wenn sie nur

1.4 Gründe, Motive, Ziele von Unternehmensgründung und Unternehmensführung |

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wenig funktionieren, werden Eigenkapitalgeber dafür Sorge tragen, dass ihre Präferenzen in direk­ ter Weise erfüllt werden (und nicht in indirekter Weise über das Geld). Da bei vorhandenen Märkten nach Fisher alle Eigenkapitalgeber eine übereinstimmende Zielsetzung haben, können sie sich auch leichter untereinander einigen.

1.4.3 Organisation der Entscheidungsmacht Bei der Durchsetzung von Zielen und Wünschen der Eigenkapitalgeber kommt es dar­ auf an, wie sie die Umsetzung ihrer Entscheidungsmacht organisatorisch angehen. Das kann eine Delegation verlangen, verbunden mit dem Rückzug, lediglich über die Leitlinien der Unternehmensführung zu befinden. In der Regel behalten die Eigen­ kapitalgeber auch die Personalentscheidung (bei der Wahl des Geschäftsführers). Bei großen Unternehmen wird die Geschäftsführung an Direktoren, Vorstände, und an ei­ nen Chief Executive Officer (CEO) delegiert. Für die Überwachung werden Aufsichts­ gremien eingerichtet. Dann werden die den Eigenkapitalgebern verbleibenden Festle­ gungen und Wahlen dem Aufsichtsrat übertragen. – In Kontinentaleuropa besteht ein zweistufiges System. Hier treffen sich die ge­ schäftsführenden Vorstände in Sitzungen, an denen die Mitglieder des Aufsichts­ gremiums nicht oder nicht immer teilnehmen. So können in den Sitzungen der Geschäftsführer Abwägungen vorgenommen werden, ohne dass die Kapitalgeber jedes Wort hören.⁸ – In den USA, in einigen Ländern Asiens und in Grossbritannien herrscht hinge­ gen ein einstufiges Board-System vor. Hier sind bei allen Sitzungen, zu denen sich die geschäftsführenden Vorstände oder Executive Officers treffen, die Vertreter der Eigenkapitalgeber anwesend oder sie werden durch sogenannte externe Direkto­ ren vertreten. Folglich sind von diesem einstufigen Board keine Erörterungen und Entscheidungen zu erwarten, die aus Sicht der Eigenkapitalgeber unerwünscht wären. – In Japan schließlich dominiert ein Typ, bei dem der Gründer genaue Vorgaben hin­ sichtlich des Gegenstands des Unternehmens in die Satzung aufgenommen hat. Ähnlich wie bei einer Stiftung werden die Entscheidungen an diesen Vorgaben ausgerichtet (und weniger an finanziellen Werten). Es bestehen folglich unterschiedliche Auffassungen darüber, ob überhaupt und wie stark die Entscheidungsmacht der Eigenkapitalgeber eingeengt werden sollte. In den USA sollten Ansprüche weiterer Gruppen, durch die die Eigenkapitalgeber einge­

8 Markus Schmid und Heinz Zimmermann: Should Chairman and CEO Be Separated? Lea­ dership Structure and Firm Performance in Switzerland, Schmalenbach Business Review 60 (2008), S. 182–204.

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schränkt werden würden, eine eher geringe Rolle spielen. Dazu gehören implizite Ansprüche und Erwartungen. In Kontinentaleuropa herrscht die Auffassung vor, ein Unternehmen sollte auch die Wünsche anderer Gruppen und deren implizite Erwartungen erfüllen. Zudem soll­ ten die Wünsche der Gesellschaft als Ganzes angemessen berücksichtigt werden. In Japan wirkt der Wunsch des Gründers für lange Zeit fort und führt möglicherweise zu Einengungen der unternehmerischen Freiheit der Eigenkapitalgeber. Wie kann herausgefunden werden, welches System an Corporate Governance das beste ist? Empirische Forschungen greifen vielfach auf die Wertschaffung als Krite­ rium zurück. Dahinter steht die Argumentation von Fisher: Wenn Märkte bestehen, sollte das Unternehmen Marktwerte schaffen. Die Governance sollte also danach ge­ wählt werden, wie sie die Wertschaffung erlaubt und unterstützt.⁹ Fazit In den USA ist das Unternehmen der verlängerte Arm des Eigenkapitalgebers, in Kontinentaleuropa eine ausgewogene „Veranstaltung“ aller Gruppen, in Japan dient das Unternehmen dazu, die Vision des Gründers zu verfolgen.

Kapitel 1.4 in Kürze Anfangs wurden verschiedene Zielsetzungen genannt, die Eigenkapitalgeber anstreben könnten (In­ novationen fördern, Arbeitsplätze schaffen, Gründervision fortführen). In diese Vielfalt hat Irving Fi­ sher eine theoretische Erkenntnis gestellt, die hohe praktische Bedeutung hat: Im Markt wollen erst einmal alle möglichst viel Geld bekommen, das jeder nach seinen Wünschen ausgibt. Natürlich kommt es auf die organisatorischen Rahmenbedingungen und die Corporate Governance an, wie die Entschei­ dungsrechte der Eigenkapitalgeber faktisch aussehen. Hierbei ist es üblich, das einstufige vom zwei­ stufigen Board-System zu unterscheiden.

Fragen zu Kapitel 1.4 1.

2.

Welche Erkenntnis von Irving Fisher wird genannt? Erläutern Sie kurz, was diese besagt. Was ist die Hauptaussage? Inwiefern ist die Hauptaussage der Fisher-Separation nicht begründet, wenn es keine gut funktionierenden Märkte gibt? Inwieweit hängt die faktisch umgesetzte Zielsetzung eines Unternehmens davon ab, ob ein ein­ stufiges oder ein zweistufiges Board-System besteht?

9 Manuel Ammann, David Oesch und Markus Schmid: Corporate Governance and Firm Value: In­ ternational Evidence, Journal of Empirical Finance 18 (2011) 1, S. 36–55; Wolfgang Dobretz, Markus Schmid und Heinz Zimmermann: An Integrated Framework of Corporate Governance and Firm Valua­ tion, European Financial Management 12 (2006), S. 249–283.

1.5 Fremdkapital | 29

1.5 Fremdkapital 1.5.1 Allgemeines zum Kredit Die Grundstruktur von Fremdkapital ist die des Kredits. Die meisten Kreditverträge halten eine Überlassung des Kapitals für eine im Vorhinein festgeschriebene Zeit­ spanne vor. Ist diese abgelaufen, wird die Rückzahlung des Kreditbetrags fällig. Bis zur Rückzahlung oder Tilgung, leistet der Kreditnehmer/Schuldner Zinszahlungen, so, wie sie im Kreditvertrag vereinbart wurden. Der Kreditgeber/Gläubiger wird peri­ odisch über die wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers informiert. Die Informationen sollen erkennen lassen, ob eine möglicherweise eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners die weiteren Rückflüsse an den Gläubiger ge­ fährdet. Insoweit haben die Fremdkapitalgeber nicht das Recht, in die Geschäftsführung einzugreifen. Es bleibt daher Zielsetzung des Unternehmens, den Wert derjenigen Rückflüsse zu steigern, die an die Eigenkapitalgeber gehen werden. Deshalb wird das Unternehmen gewisse Risiken eingehen, die sich dann in Unsicherheiten der Rück­ flüsse ausdrücken, sofern sich der Wert der Rückflüsse dadurch steigert. Fremdkapi­ talgeber partizipieren aber nicht primär an Wertsteigerungen, wenn von sekundären Effekten abgesehen wird (etwa von dem, dass durch Wertsteigerungen Kredite siche­ rer werden). Könnten die Gläubiger die Geschäfte beeinflussen, würden sie direkter auf die Sicherheit der Kredite achten. Sie würden darauf drängen, dass nur sichere Geschäfte eingegangen werden und dass angeschaffte Vermögenspositionen leicht verkäuflich sind. – Fremdkapitalgeber würden viele Risiken meiden, auch wenn sie mit Opportuni­ täten verbunden sind, die für Eigenkapitalgeber interessant sind. – Fremdkapitalgeber würden bei Investitionen darauf drängen, dass leicht weiter­ zuverkaufende Vermögenspositionen erworben werden, also materielle und zu­ gleich universelle Anlagegegenstände, da sie in einer Notlage in der Regel leichter liquidiert werden könnten (als intangible oder spezielle Vermögenspositionen). Kreditgeber würden nicht unternehmerisch führen, sondern auf Sicherheit bedacht verwalten.

Bei den Kreditgesprächen, etwa zwischen einem Geschäftsführer und einer Bank, ach­ tet die Bank indes darauf, ihre Vorstellungen hinsichtlich der Geschäftspolitik nicht als Wunsch oder Bedingung zu äußern. Laufen die Geschäfte schlecht, könnte das Un­ ternehmen der Bank eine Mitschuld geben. Deshalb wird sich eine Bank bei einer Kre­ ditvergabe zurückhalten, wenn die Pläne besprochen werden. Doch es bleibt ein Inter­ essenkonflikt insofern, als dass die Bank eher konservativ als wagemutig (auch wenn vielleicht wertsteigernd) anlegen würde – dies vor allem, weil die Bank Verpflichtun­ gen gegenüber ihrer Einlagekundschaft erfüllen muss.

30 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

1.5.2 Konkurs Immer wieder geraten Unternehmen in eine Situation der finanziellen Anspannung (Distress), es tritt eine Zahlungsstockung ein oder die Fähigkeit, eingegangene Zahlungsverpflichtungen zu bedienen (Zahlungsausfall), geht vollständig verlo­ ren. Ebenso könnte die Situation eintreten, dass mit Blick auf die Zukunft das heute vorhandene Vermögen einen geringeren Wert hat als die Schulden (Summe der Bar­ werte aller Zahlungsverpflichtungen). Dann wäre das Unternehmen überschuldet/ insolvent. In diesen Situationen erhalten die Gläubiger besondere Rechte. Diese sollen dazu dienen, einen weiteren Verfall der Werte ihrer Forderungen zu verhindern. Das Gesetz sieht im Falle einer Überschuldung oder eines Zahlungsausfalls vor, dass jeder Gläubiger das Recht hat, bei Gericht Konkurs zu beantragen. Dabei kommt es immer wieder vor, dass ein Konkursverfahren dennoch nicht eröffnet wird, weil der Wertzerfall des Unternehmens bereits zu weit fortgeschritten ist. Unter Umstän­ den gibt es eine Prüfung, ob der desolate Zustand betrügerisch herbeigeführt wurde. Ansonsten eröffnet das Gericht ein Konkursverfahren und bestimmt einen Konkurs­ verwalter. Der Konkursverwalter trifft ab dann alle Entscheidungen: Weder können die Eigenkapitalgeber die Geschäfte weiterführen, noch haben die Gläubiger weitere Rechte. Die Gläubiger können allenfalls die Herausgabe von Sicherheiten verlangen, die ihnen bei Abschluss des Kreditvertrags zugesagt wurden. Der Konkursverwalter prüft, ob eine Liquidation möglich ist, also ein Verkauf des gesamten Unternehmens oder ein Verkauf der einzelnen Vermögensgegenstände (Anlagen, Vorräte, Patente). Zum Schluss wird die rechtliche Existenz des Unternehmens beendet. Hinsichtlich der Verwendung der Erlöse aus der Liquidation geht der Konkurs­ verwalter nach einem hierarchischen Schema vor, um die Forderungen, so gut es eben geht, zu erfüllen. Löhne und Sozialleistungen haben die höchste Priorität. Wenn sie sämtlich erfüllt sind und Geld übrig bleibt, erfüllt der Konkursverwalter die Forde­ rungen der Fremdkapitalgeber. In vielen Fällen können die Forderungen der Gläu­ biger allenfalls zu einer geringen Quote erfüllt werden. Nur wenn alle Forderungen vollständig erfüllt sind und weiterhin Geld vorhanden ist, wird es den Eigenkapital­ gebern zugewiesen. In der Realität aber werden viele Anträge, einen Konkurs zu er­ öffnen, mangels Masse abgelehnt. Vielfach genügen die Gelder nicht, die einfachsten Sozialpläne umzusetzen. Auch die Fremdkapitalgeber erhalten nichts (weshalb sie oft keinen Konkurs beantragen). Bei großen Unternehmen wird der Staat angerufen, um mit Überbrückungsdarlehen Arbeitsplätze zu erhalten. Man könnte auch sagen: Im Falle eines Konkurses verlieren alle, auch die Fremdkapitalgeber. Dieser Sachverhalt bringt die Gläubiger dazu, sobald eine Überschuldung oder eine Zahlungsunfähigkeit eintritt oder erkennbar wird, gemeinsam zu versuchen, ein Konkursverfahren zu vermeiden. Oftmals verzichten die Fremdkapitalgeber auf einen Teil der Forderungen (Kapitalschnitt) und bestehen gleichzeitig darauf, dass das Un­ ternehmen (vom alten Management) nach einem Sanierungsplan weitergeführt wird,

1.5 Fremdkapital | 31

um das Unternehmen zu retten. Der Sanierungsplan soll nach Möglichkeit das im­ materielle Vermögen vor dem Verfall retten und unter angestrebter Sicherung eines möglichst hohen Teils der Forderungen die Produktion und Absatz, nach Umsetzung angezeigter Verbesserungen, weiterführen. Beantragt ein Gläubiger Konkurs, erhält kein Gläubiger etwas. Tun sich alle Gläubiger zusammen, be­ steht durchaus die Chance, dass die Forderungen zu einem gewissen Teil erfüllt werden.

1.5.3 Kreditkonvenanten Reglements von Kapitalschnitt und Sanierungsplan sind mithin für alle Beteiligten besser. Daher wurde in einigen Ländern das Konkursrecht verändert. Bevor einer der Gläubiger bei Gericht ein Konkursverfahren beantragen kann, ist es dem Management erlaubt, Aufschub zu beantragen und bei Gericht einen Sonderzustand als eingetreten zu erklären. Der Sonderzustand gibt eine gewisse Frist, in der sich die Gläubiger tref­ fen und über einen Sanierungsplan beraten können und sie sich vielleicht zu einem Kapitalschnitt bereit erklären. Nur wenn die Frist ohne Ergebnis verstreicht, setzt ein Konkursverfahren ein. Bekanntlich ist dieses veränderte Konkursrecht in den USA ein­ schneidend und dort näher in Chapter 11 des Insolvenzrechts beschrieben. Soweit zum gesetzlichen Konkursrecht. Wie gesagt wurden bereits einige Geset­ ze so verändert, dass ein Konkurs vermieden werden kann. Auch bei einem einzel­ nen Kreditvertrag, privatrechtlich geschlossen zwischen einem Unternehmen und ei­ ner Bank, sind vergleichbare Regelungen möglich. Bank und Unternehmen können überlegen, ob sie Punkte in den Kreditvertrag aufnehmen, durch die hohe Konkurs­ kosten vermieden werden können. Das ist möglich, wenn eingegriffen wird, bevor es zu einem Konkurs kommt. Solche privatrechtlichen Regelungen sind nicht nur mög­ lich, sondern ausgesprochen üblich und weit verbreitet. Die Vertragspunkte werden als Kreditkonvenanten bezeichnet. Kreditkonvenanten identifizieren Kennzahlen und nennen Schwellenwerte für diese Kennzahlen. Sie verlangen vom Unternehmen, die entsprechenden Relationen einzuhalten. Das Unternehmen muss sofort berichten, sollten die Kennzahlenrelatio­ nen verletzt werden. Beispielsweise kann festgehalten werden, dass der Quartalsum­ satz über 10 Mio. Euro liegen soll und dass mit dem Working Capital eine bestimmte Liquidität vorgehalten wird. Eine Verletzung der verlangten Relationen wird als Zu­ stand finanzieller Anspannung (Distress) bezeichnet und muss dem Kreditvertrag zufolge der Bank sofort gemeldet werden. Im Financial Distress liegt also (noch) keine Überschuldung vor und das Unter­ nehmen ist (immer noch) zahlungsfähig. Dennoch erhält die Bank nach dem Kredit­ vertrag weitgehende Rechte. So kann die Bank beispielsweise die Geschäftsführung übernehmen. In der Praxis kommen in diesem Fall Mitarbeitende der Bank in das Unternehmen und verlangen, dass sie für alle Geschäfte die Genehmigung erteilen.

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Der Geschäftsführer bleibt im Amt, ist aber nicht mehr frei. Selbstverständlich wird das Unternehmen dann keine Wertsteigerung mehr anstreben, sondern versuchen, die Verwertbarkeit seiner Vermögensgegenstände zu erhalten. Das Unternehmen wird fortan eher verwaltet, als dass es Chancen sucht (die immer mit Risiken verbunden sind). Kreditkonvenanten dienen dazu, einen Konkurs zu vermeiden. Noch bevor (bei einer Verschlechterung der Unternehmensentwicklung) es zum Konkurs kommt, tritt ein förmlich definierter Finanzzustand ein. Die Vertragsbedingungen versetzen das Unternehmen in einen Zustand, in dem es den Zielen des Fremdkapitalgebers folgt und so weiterexistieren kann.

Eine Bank wird das Unternehmen bei Verhandlungen über einen Kredit drängen, den Kreditkonvenanten zuzustimmen. Die von der Bank gegebenen Kredite wären somit vollständig einbringlich, während sie bei einem Konkurs praktisch uneinbringlich wären. Das Unternehmen und die Eigenkapitalgeber haben durch die Kreditkonven­ anten einen gewissen Nachteil insofern, als dass sie das Zepter recht früh aus der Hand geben müssen. Sofern nur die Kreditkonvenanten verletzt sind, besteht eine gewisse Chance, dass sich das Unternehmen wieder erholt und es weder zu Überschuldung noch zu Zahlungsausfall kommt. Damit die Eigenkapitalgeber Kreditkonvenanten zu­ stimmen, bietet die Bank den Kredit für einen geringeren Kreditzins an. Dies ist der Bank möglich, denn die Einbringlichkeit des Kredits in einem Krisenfall steigt durch die Konvenanten von 0 % auf 100 %. Die Bank kann den Kredit anders kalkulieren, sofern der Kreditvertrag Konvenanten enthält.

1.5.4 Kreditrisikoprämie Das führt zu der Frage, wie eine Bank – stellvertretend für andere Fremdkapitalge­ ber – einen Kredit kalkuliert. Noch weiter gefasst: Wie entscheidet eine Bank über die Kreditvergabe. Vorauszuschicken ist, dass heute niemand mehr davon ausgeht, ein Schuldner könne eine Zahlungsunfähigkeit böswillig herbeiführen. Bei einem unter­ nehmerischen Schuldner wird davon ausgegangen, dass es externe, unvorhersehbare Ereignisse sind, die zu einem Kreditereignis führen. Ob der Schuldner das hätte ab­ wehren können, sei dahingestellt. Ohne Frage ist auch wichtig, ob der Schuldner von sich aus auf die Bank zugeht, sobald er Anzeichen für eine kommende Krise sieht. Primär wird heute der Schuldner als Opfer zufälliger, abträglicher Ereignisse ge­ sehen, ähnlich wie bei einem Versicherungsfall. Entsprechend wollen Banken vorweg die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls kalkulieren. Zusätzlich schätzen sie, wel­ cher Teil des Kreditbetrags im Fall einer Krise verloren ist und welcher folglich noch einbringlich sein sollte. Daraus berechnen die Banken den Erwartungswert des Scha­ dens und daraus wiederum die Kreditrisikoprämie, die wie eine Versicherungsprä­ mie im Zins mit abzugelten ist.

1.5 Fremdkapital | 33

Die Entscheidung der Banken über die Kreditvergabe ist als mehrstufiger Prozess gestaltet. Allem voran bestimmen Banken die Verschuldungskapazität. Dabei han­ delt es sich um den Gesamtbetrag, bis zu dem nach allgemeiner Sicht ein Schuld­ ner Kredite aufnehmen darf. Die Verschuldungskapazität wird so bestimmt, dass ein Schuldner unter Verwendung aller seiner finanziellen Möglichkeiten die Kredite in­ nerhalb von sieben Jahren gänzlich zurückzahlen kann. – Bei einem Unternehmen werden die finanziellen Möglichkeiten mit dem soge­ nannten freien Cashflow identifiziert. Das ist jener Teil des Cashflows, der nicht durch weitere Festlegungen (etwa für Boni oder für zwingende Investitionen) ge­ bunden ist. – Den Cashflow eines Jahres wiederum kann man sich in einer sehr vereinfachten Sicht als Jahresgewinn plus Abschreibungen vorstellen. Natürlich schwankt diese Größe von Jahr zu Jahr, weshalb für die Berechnung der Verschuldungskapazität ein vorsichtig bestimmter Durchschnitt der letzten Jahre zugrunde gelegt wird. Von diesem durchschnittlichen Cashflow werden bereits festliegende Auszahlun­ gen für Boni und zwingende Investitionen abgezogen. Der resultierende (durchschnittliche) freie Cashflow sollte es über die nächsten sieben Jahre erlauben, sämtliche Kredite zu bedienen und zurückzuzahlen. Grob gesprochen und ohne Berücksichtigung von Zinsen beträgt die Verschuldungskapazität also das Siebenfache des freien Cashflows. Ist die so bestimmte Verschuldungskapazität durch bereits laufende Kredite nicht gänzlich ausgeschöpft, wird die Bank einen Kredit in Höhe der Differenz zwischen aktuellem Schuldenstand und Verschuldungskapazität geben. Beispiel Ein Unternehmen hatte in den letzten drei Jahren Gewinne von 195, 210, 200 (Tsd. Eu­ ro), die alle am jeweiligen Jahresende bar vorgelegen haben. Hinzu werden Abschrei­ bungen gezählt (die bei der Gewinnermittlung als Aufwand abgezogen wurden). Das waren in jedem der Jahre 100. Der durchschnittliche Cashflow, der in den kommenden Jahren möglich sein sollte, wird aufgrund dieser Zahlen mit 300 veranschlagt. Hiervon werden 125 Tsd. Euro abgezogen für Boni und für zwingende Instandhaltung. Folglich werden 175 Tsd. Euro als freier Cashflow angesehen, woraus sich eine Verschuldungs­ kapazität von 1,225 Mio. Euro ergibt. Das Unternehmen hat bereits einen Kredit über eine halbe Million Euro. Die Bank ist bereit, einen weiteren Kredit bis zu 725 Tsd. Euro zu geben. In der zweiten Stufe der Kreditvergabe wird über die Ausfallwahrscheinlichkeit bezogen auf ein Jahr sowie über die Quote der Einbringlichkeit, sollte es zu einem abträglichen Kreditereignis kommen, gesprochen. Die Schätzung der Ausfallwahr­ scheinlichkeit beruht auf einem Rating, das wiederum die typischen Risiken der Branche sowie die Kondition des spezifischen Unternehmens, externe Schocks abzu­

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wehren und aufzufangen, berücksichtigt. Bei der Einschätzung der Einbringlichkeit spielt eine Rolle, ob das Unternehmen Sicherheiten bieten kann und als wie koopera­ tiv im Krisenfall das Management von der Bank eingeschätzt wird. Sodann bestimmt die Bank den Zins im Wesentlichen als Summe des Zinssatzes, der an den Finanzmärk­ ten besteht, und der erforderlichen Kreditrisikoprämie. Zur Einschätzung der Kreditrisikoprämie dient eine Formel. Sie bestimmt den in einem Jahr zu erwartenden Verlust, bezeichnet als Expected Loss (EL) des Fremdka­ pitalgebers. Der EL errechnet sich als Produkt dreier Faktoren. Erstens ist die auf ein Jahr bezogene Wahrscheinlichkeit bestimmend, dass es zu einem Kreditereignis, zu einem Default, kommt. Diese Probability of Default (PD) ergibt sich aus dem Rating. Zweitens ist das Exposure des Fremdkapitalgebers Exposure at Default (ED) wesent­ lich. Das ist, sofern inzwischen keine Rückzahlungen des Kredits getätigt wurden, der Kreditbetrag. Der dritte Faktor ist die Verlustquote Loss Given Default (LD). Sie ist die Differenz zwischen 1 und der Quote der Einbringlichkeit. EL = PD ⋅ ED ⋅ (1 − LD)

(1.1)

Beispiel Die auf ein Jahr bezogene Ausfallwahrscheinlichkeit beträgt 4 % (alle 25 Jahre könn­ te es passieren). Die Einbringlichkeit wird mit 25 % veranschlagt, was heißt, dass bei einem Kreditereignis 75 % verloren sind. Die versicherungsmathematische Prämie be­ trägt 3 %. Bei einem Kreditbetrag von 725 Tsd. Euro wäre der für ein Jahr zu erwartete Verlust 21.750 Euro. Diesen Betrag würde die Bank jedes Jahr von Neuem als Kredit­ risikoprämie verlangen. Liegt der Kapitalmarktzins bei 5 %, würde die Bank für den Kredit einen Zins von wenigstens 8 % ansetzen. Sie würde sogar etwas mehr verlan­ gen, um ihre Betriebskosten zu decken, sich durch Reserven selbst zu schützen und einen Bankgewinn einzukalkulieren. Das könnte zu einem Kreditzins von 8,5 % oder 9 % führen. Kapitel 1.5 in Kürze Fremdkapital trägt zwar primär keine unternehmerischen Risiken, doch die Gläubiger müssen mit der Möglichkeit einer größeren Krise rechnen, durch die auch ihre Kredite ausfallen können. Eine Möglich­ keit der Reaktion darauf bieten Bestimmungen im Kreditvertrag, sogenannte Kreditkonvenanten, mit denen der Schaden verhindert werden soll. Eine andere Möglichkeit ist die, dass die Bank zwar einen Schaden bei einem Kreditereignis haben könnte, dass sie jedoch eine Kreditrisikoprämie verlangt.

Fragen zu Kapitel 1.5 1. 2. 3.

Inwiefern unterscheiden sich die Zielsetzungen, nach denen Eigenkapitalgeber beziehungsweise Fremdkapitalgeber das Unternehmen führen wollen? Was sind Kreditkonvenanten? Was geschieht, sollten sie greifen? Geben Sie eine einfache Definition des Cashflows. Wie ergibt sich daraus der freie Cashflow? Welche Bedeutung hat der freie Cashflow für die Verschuldungskapazität?

1.6 Hybridkapital

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35

1.6 Hybridkapital 1.6.1 Anreizkonflikte Es existieren Varianten sowohl des Eigen- als des Fremdkapitals. Dabei handelt es sich um Finanzverträge, die einzelne Merkmale des Eigenkapitals und andere Charakte­ ristika des Fremdkapitals kombinierend vereinen, oder die ihre Merkmale im Zeitver­ lauf deutlich ändern. Derartige Finanzkontrakte werden als Hybridkapital oder als Mezzanine bezeichnet, benannt nach dem Zwischengeschoss in herrschaftlichen Vil­ len.¹⁰ Beispielsweise könnten die bestehenden Eigenkapitalgeber eines Unternehmens neue Eigenkapitalgeber suchen, weil größere Risiken zu tragen sind. Allerdings möch­ ten sie ihre Entscheidungsrechte möglicherweise nicht teilen. Dann könnten sie Ei­ genkapital anbieten, das zwar Risiken tragen wird, jedoch nicht mit Entscheidungs­ rechten ausgestattet ist. Als Kompensation wird den neuen Eigenkapitalgebern eine bevorzugte Beteiligung an den Gewinnen geboten, so etwa eine Garantie auf Dividen­ denzahlungen (Genussrechte). Nur dann, wenn das Unternehmen die garantierten Ausschüttungen nicht leisten kann, dürfen die Geber des bevorzugten Eigenkapitals entscheiden. Ein Beispiel für einen Finanzkontrakt, der seine Merkmale deutlich verändern kann, ist der kündbare Kredit. Der unternehmerische Schuldner kann den Kredit noch vor Fälligkeit kündigen. Diese Form von Kapital ist für das Unternehmen dann interes­ sant, wenn die derzeitigen Zinsen besonders hoch sind. Dann sind vermutlich in we­ nigen Jahren günstigere Anschlussfinanzierungen möglich. Die vorzeitige Kreditrück­ zahlung ist weiterhin interessant, wenn das Unternehmen erwartet, dass sich sein Ra­ ting verbessern wird, denn auch die Risikoprämie bestimmt den bei Abschluss eines Kreditvertrags für die Laufzeit vereinbarten Kreditzins. Ein weiteres Beispiel für einen Finanzkontrakt, dessen Merkmale sich deutlich ändern können: Bei einigen Kredit­ verträgen hat der Gläubiger das Wahlrecht, das Fremd- in Eigenkapital zu wandeln. Auch solche Finanzierungen mit Wandelrecht und mit Optionen stellen Hybridkapital dar. In der Gruppe der Mezzanine gibt es zahlreiche Vertragskonstruktionen, die si­ tuationsabhängig konzipiert sind. Da sie weniger üblich sind als reines Eigen- und Fremdkapital, haben sie höhere Kosten für Sondierung, Verhandlung und Überwa­ chung. Zwischenformen, die Merkmale von Eigen- und von Fremdkapitalgeber kom­ binieren, oder Kapital, das seine Merkmale im Zeitverlauf oder situationsabhängig verändert, dienen vor allem der Lösung von Interessenkonflikten. Fremdkapitalgeber

10 Klaus Nathusius (2001): Grundlagen der Gründungsfinanzierung: Instrumente – Prozesse – Bei­ spiele. Heidelberg: Springer; Beat Bernet und Christoph L. Denk (2000): Finanzierungsmodelle für KMU. Haupt: Bern.

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sind an hoher Einbringlichkeit interessiert und möchten, dass ihre Forderungen nicht durch unternehmerische Risiken gefährdet werden. Eigenkapitalgeber sind hingegen an Wertsteigerungen interessiert und dazu bereit, jede Unsicherheit als Chance zu sehen. Besondere Vertragskonstruktionen können solche Interessenkonflikte lösen. Beispielsweise kann sich ein Fremdkapitalgeber in einer Phase der Restrukturierung zurückziehen wollen. Gläubiger werden vielleicht eine Liquidation vorziehen wollen. Eigenkapitalgeber wollen möglicherweise sanieren und fortführen, jedoch nur unter der Bedingung, dass sich die Kreditgeber nicht zurückziehen und sie die Restrukturie­ rung des Unternehmens mittragen. Das ist ein deutlicher Interessenkonflikt. Werden Kredite dann mit Wandlungsrechten ausgestattet, könnten die Gläubiger partizipie­ ren, sollte die Restrukturierung gelingen. Solche Optionen können also Interessen­ konflikte zwischen Eigen- und Fremdkapitalgebern lösen. Hybride Finanzkontrakte dienen also vornehmlich dazu, Anreizkonflikte zu mildern.

1.6.2 Hybridkapital für spezielle Situationen Die stille Beteiligung ist eine Beteiligung am Handelsgewerbe eines anderen ohne Übernahme einer Tätigkeit im oder für das Unternehmen. Insoweit ähnelt sie dem Fremdkapital, doch wie beim Eigenkapital ist der Stille am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Eventuell ist auch eine Übernahme von Verlusten vereinbart. Wird die Ver­ lustbeteiligung ausgeschlossen, bleibt das Verlustrisiko des Stillen auf die Höhe des eingelegten Geldbetrags begrenzt. Der Stille partizipiert dann nur am Gewinn des Un­ ternehmens. Ist die Beteiligung des Stillen dabei nicht auf einen bestimmten Nominalbetrag festgelegt, etwa auf den der Einlage, sondern quotenmäßig vereinbart, liegt eine so genannte atypische stille Beteiligung vor. Hierbei ist der Stille nicht nur an Gewinn und Verlust beteiligt, sondern auch am Vermögen und an Vermögensänderungen. Die atypische stille Beteiligung erstreckt sich also auch auf Reserven und stille Reserven, die das Unternehmen möglicherweise akkumulieren kann. Der Rückzahlungsbetrag bei der atypischen stillen Beteiligung steht nicht vorab als Betrag fest, sondern als Quote am Vermögen. Damit ähnelt die atypische stille Beteiligung einer Eigenfinanzie­ rung. Gelegentlich sind mit einer Quotenregelung sogar Rechte verbunden, auf deren Basis der Stille Einfluss nehmen kann. Dies kann bis zu einer verdeckten Geschäfts­ führung reichen. Zur Gruppe stiller Beteiligungen gehören auch partiarische Darle­ hen, die einem Gläubiger neben einer fixen Basisverzinsung zusätzlich einen gewinn­ abhängigen Verzinsungsbetrag einräumen. Bei Gewinnschuldverschreibungen handelt es sich um Fremdkapital, um Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit den Gewinnansprü­ chen von Eigenkapitalgebern kombiniert werden. Dies drückt sich in einem vertraglich vereinbarten Zinssatz aus, der indes nur dann zahlbar ist, wenn ein anhand der Bilanz definierter Überschuss realisiert wird. Gewinnschuldverschreibungen gewähren dem

1.6 Hybridkapital |

37

Unternehmen (durch steuerliche Abzugsfähigkeit der Zinszahlungen) niedrigere Fi­ nanzierungskosten und verringern durch die an Gewinne geknüpften Zinszahlungen das Risiko, überschuldet oder zahlungsunfähig zu werden. Die auch als Darlehen mit Rangrücktritt bezeichneten Nachrangdarlehen bürden dem Gläubiger Nachteile im Fall von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit auf. Kommt es zu einem Konkurs, werden (nach Leistung der Verpflichtungen aus den Sozialverträgen) zunächst alle Gläubiger mit Reservierungsrechten befriedigt, die also besondere Sicherheiten ha­ ben, bevor unbesicherte Gläubiger zum Zuge kommen. Bleiben anschließend Gelder aus der Liquidation, werden sie den Eigenkapitalgebern zugesprochen. – Gläubiger, die nachrangige Kredite gegeben haben, nehmen in dieser Rangfolge die Stellung zwischen den unbesicherten Gläubigern und den Eigenkapitalgebern ein. – Gläubiger mit Nachrangdarlehen sind bei einem Konkurs somit kaum besserge­ stellt als die Eigenkapitalgeber. Sie müssen faktisch damit rechnen, dass ihre For­ derungen unerfüllt bleiben. Dafür verlangen sie eine höhere Verzinsung. Nachrangige Kredite spielen auch bei Joint Ventures oder Projektfinanzierungen ei­ ne Rolle. Das klassische Eigenkapital wird dazu um subordinierte Darlehen ergänzt, die von den Eigenkapitalgebern gegeben werden (Gesellschafterdarlehen). Diese sind nachrangig in Bezug auf die Ansprüche der normalen Kreditgeber (Bank) und erhöhen faktisch die Haftungsmasse. Dadurch werden das übrige Fremdkapital (Bankkredite) sicherer und die verlangten Risikoprämien sinken. Gleichwohl wird das nachrangige Darlehen steuerlich als Fremdkapital behandelt. Eine entsprechend abgestufte Haftungsreihenfolge wird auch bei der Emission von durch Kundenforderungen unterlegten Asset Backed Securities (ABS) umge­ setzt. Dies ermöglicht die Finanzierung des wesentlichen Betrags durch die Begebung faktisch risikofreier Anleihen mit hohem Rating zu erstklassigen Konditionen. Mög­ liche Ausfallrisiken entfallen auf häufig mehrfach abgestufte nachrangige Anleihen mit schlechterem Rating und höherer Verzinsung, die zunehmend den Charakter von Risikokapital haben. Vorzugsaktien schließen das Stimmrecht des Aktionärs aus und kompensieren diesen Nachteil durch einen Vorzug insbesondere bei der Gewinnausschüttung. Wer­ den Vorzugsaktien ausgegeben, werden die anderen Aktien als Stammaktien bezeich­ net. Sie geben dem Aktionär ein Stimmrecht, werden indes bei Dividenden erst dann berücksichtigt, wenn die Ansprüche der Vorzugsaktionäre vollständig erfüllt sind. Au­ ßerdem können Vorzugsaktien im Falle einer Liquidation des Unternehmens einen höheren Rang als Stammaktien haben. Es gibt mithin Varianten. So gibt es Vorzugsaktien, die auch bei schlechtem Geschäftsgang Rück­ zahlungen an den Finanzier vorsehen, die den Zinszahlungen eines Kredits nahekommen. Bei einer generellen Überdividende wird vorab ein bestimmter Betrag an die Vorzugsaktionäre ausgeschüt­ tet; der restliche Gewinn wird gleichmäßig auf alle Stamm- und Vorzugsaktien verteilt. Bei der

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limitierten Vorzugsdividende erhalten die Vorzugsaktionäre vorab eine nach oben begrenzte Aus­ schüttung, der verbleibende Gewinn wird an die Stammaktionäre ausgezahlt. Bei der kumulierten Vorzugsdividende schließlich werden in den Vorjahren ausgefallene Dividendenzahlungen an die Vorzugsaktionäre nachgezahlt, wenn in den folgenden Jahren ein ausschüttungsfähiger Gewinn zur Verfügung steht. Absolute Vorzugsaktien gewähren dem Inhaber neben dem Dividendenvor­ zug auch bei den anderen Rechten Vorteile.

Vorzugsaktien dürfen maximal bis zur Hälfte des Gesamtnennbetrags aller Aktien aus­ gegeben werden. Vorzugsaktien werden insbesondere von Unternehmen ausgegeben, deren Eigenkapitalgeber zusätzlich benötigtes Eigenkapital nicht zur Verfügung stel­ len können oder wollen. Seit einigen Jahren geht der Trend dahin, dass Unternehmen nur noch eine Kategorie, in der Regel Stammaktien, ausgeben. Zum einen werden Vorzugsaktien von Anlegern vielfach als weniger at­ traktiv eingeschätzt: Der Vorteil einer bevorzugten Dividendenzahlung hat materiell keine oder nur eine geringe Bedeutung, da angesichts der geringen Dividendenrendite von im Durchschnitt 1 bis 3,5 % der wesentliche Teil der (erwarteten) Aktienperformance aus Kurssteigerungen stammt. Zu­ dem kennen ausländische Investoren von ihren Heimatmärkten meist nur Aktien mit Stimmrecht. Der Börsenkurs von Vorzugsaktien liegt daher häufig deutlich unter dem der Stammaktien dieses Emittenten. Das hat zur Folge, dass die Eigenkapitalkosten von Vorzugsaktien entsprechend über denen von Stammaktien liegen.

Genussscheine gewähren Gläubigerrechte schuldrechtlicher Art, schließen aber das Recht von Eigenkapitalgebern (Eigentümern, Aktionären oder Gesellschaftern) aus, Entscheidungen zu treffen oder an den Versammlungen der Eigenkapitalgeber teil­ zunehmen. Auch Genussscheine sind in verschiedenen Ausgestaltungsformen zu finden. So ähnelt Genussscheinkapital einmal mehr dem Eigenkapital, ein andermal mehr dem Fremdkapital. Beteiligungskapital ist ein unabhängig von der Rechtsform bestehendes Fi­ nanzierungsinstrument für die Beteiligung an Wagnisfinanzierungsgesellschaf­ ten (Venture-Capital-Gesellschaften (VCG) und Kapitalbeteiligungsgesellschaften (KBG)).¹¹ Diese bankähnlichen Gesellschaften haben sich darauf spezialisiert, das Wachstum von kleineren und mittleren Unternehmen durch Eigenkapital zu finanzie­ ren. – Eine Venture-Capital-Gesellschaft (VCG) investiert in junge Unternehmen zum Teil bereits bei deren Gründung, – wohingegen sich eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft (KBG) an Unternehmen mit bereits mehrjähriger Existenz beteiligt.

11 Thilo Haack (2003): Unternehmensbeteiligungsgesellschaften. Berlin: Duncker/Humblot, Berlin, S. 23.

1.6 Hybridkapital |

39

Der Branchenfokus liegt bei VCG hauptsächlich auf Hightechfirmen, vornehmlich im Bereich der Informations-, Kommunikations- und Biotechnologie, wohingegen KBG klassische Industrie- und Dienstleistungsunternehmen bevorzugen.¹² Eine VCG strebt rasches Wachstum und eine entsprechend schnelle Wertsteige­ rung ihrer Beteiligungen an, von denen sie sich in der Regel nach zwei bis drei Jahren trennt. Im Gegensatz dazu beteiligen sich KBG über einen wesentlich längeren Zeit­ raum und profitieren von den laufenden Gewinnausschüttungen der Unternehmen.¹³

1.6.3 Wandelrechte Betrachtet wird ein Unternehmen, das sich in einer finanziell angespannten Lage be­ findet. Vielleicht droht sogar der Konkurs. Kaum ein Investor, der typischerweise Ei­ genkapital gibt, würde sich in einer solchen Situation durch eine Einlage beteiligen – selbst wenn die bisherigen Eigenkapitalgeber ihn dazu einladen. Vielleicht ist es dem Unternehmen noch möglich, Fremdkapital zu erhalten, weil der neue Fremdkapitalgeber sich im Kreditvertrag sehr viele Rechte ausbedingen kann. Insbesondere kann der neue Fremdkapitalgeber einen Sanierungsplan diktie­ ren. Sollte es dem Unternehmen finanziell wieder gut gehen, wovon die Eigenkapital­ geber profitieren, möchte der Fremdkapital gebende Sanierer an der Wertsteigerung partizipieren. Deshalb verlangt er das Recht, das von ihm in der Notsituation gegebe­ ne Fremdkapital in Eigenkapital wandeln zu können. Fremdkapitalverträge mit Wandelrecht sind auch dann üblich, wenn der Zins im Kapitalmarkt sehr hoch ist. In diesem Fall wird das Unternehmen kaum neues Eigen­ kapital erhalten, weil alle an Eigenkapital interessierten Investoren ihre Gelder lieber zum hohen Zins im Kapitalmarkt anlegen. Das Unternehmen bietet dann wandelbares Fremdkapital und kann sogar den Kreditzins etwas verringern, weil das Fremdkapital zum Teil durch das Wandelrecht vergütet wird. Denn das Wandelrecht ist eine Option, und Optionen haben einen gewissen Wert. Unternehmen, die direkten Zugang zum Kapitalmarkt haben, verschulden sich durch die Ausgabe von Anleihen. Gelegentlich geben sie Optionsanleihen (War­ rants) aus. Das Fremdkapital kann dabei zwar nicht in Eigenkapital umgewandelt werden, doch Erwerber der Optionsanleihe erhalten das Recht, eine bestimmte An­ zahl an Aktien zu einem bestimmten Termin und einem bereits zum Emissionszeit­ punkt festgelegten Kurs zu erwerben. Oft kann die Option von der Anleihe getrennt

12 Andreas Grüner und Rebecca Kutz: Trade Sale versus IPO as Exit Strategy – An Empirical Analysis of European and US VC Backed Biotechnology Companies. Austin Journal of Business Administration and Management, 1 (2017) 4, S. 1–16. 13 Pascal Sieber (2009): Der Venture-Capital-Markt in der Schweiz – Triebfeder der Innovationsfähig­ keit. Zürich: Avenir Suisse, S. 27.

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an der Börse verkauft werden. Aufgrund dieser Wahlrechte liegen die Verzinsungen bei Optionsanleihen niedriger als bei einer reinen Fremdkapitalanleihe. Optionen sind bilaterale Verträge zwischen dem Optionsnehmer (Inhaber) und dem Optionsgeber (Stillhalter). Die eine Vertragsseite (Stillhalter) räumt der anderen (Inhaber) ein Wahlrecht ein und erhält dafür eine Prämie. Das Wahlrecht des Inhabers besteht darin, den Kauf (Call) oder den Ver­ kauf (Put) eines Objekts oder eines Wertpapiers (Basiswert, Underlying) zu festgesetzten Konditionen (Ausübungspreis, Strike) verlangen zu können. Optionen haben eine endliche Laufzeit. Das Wahlrecht kann entweder während der Laufzeit (amerikanische Option) oder nur zum Verfallstag (europäische Option) ausgeübt werden.

Kapitel 1.6 in Kürze Hybridkapital sind Finanzverträge, die besonders stark an die jeweilige Situationen angepasst sind. Dazu gehören stille Beteiligungen, Vorzugsaktien, Genussscheine und auch Finanzverträge, die Op­ tionen beinhalten, etwa in Form von Optionsanleihen.

Fragen zu Kapitel 1.6 1. 2. 3.

Was ist eine stille Beteiligung? Was ist eine Vorzugsaktie? Was unterscheidet Venture-Capital-Gesellschaften von Kapitalbeteiligungsgesellschaften Nennen Sie zwei Situationen, in denen Fremdkapital mit Wandelrecht üblich ist.

1.7 Finanzmärkte 1.7.1 Vorteile der Liquidität Eine Eigenkapitalbeteiligung oder ein Kredit können vertraglich so gestaltet sein, dass der betreffende Finanzier seine Rechte und Ansprüche an eine andere Person abtreten kann. Das kann durch einen Verkauf geschehen. – Solche Wechsel eines Finanziers sind nicht immer leicht für das Unternehmen, weil der neue Finanzier sich vielleicht anders verhält als der bisherige. Wenn das Unternehmen klein ist, nur einen Eigenkapitalgeber hat, und wenn dieser ver­ kauft, dann tritt ein neuer Eigentümer an dessen Stelle, was für Mitarbeiter und andere Stakeholder unangenehm sein kann. – Wenn das Unternehmen mehrere Eigenkapitalgeber hat und wenn einer von ih­ nen seine Beteiligung verkauft, müssen sich auch die anderen Eigenkapitalgeber mit dem neuen Miteigentümer arrangieren. – Wenn ein Gläubiger seine Forderungen aus einem Kreditvertrag weitergibt, könn­ te der neue Fremdkapitalgeber bereits bei der periodischen Information und erst recht bei Zahlungsstockungen härter auftreten. Auch bei größeren Unternehmen gibt es derartige Probleme. So kann es sein, dass ein Aktionär auf einmal über ein

1.7 Finanzmärkte | 41

so großes Aktienpaket verfügt, dass er sich gegen gewisse Entscheidungen der Geschäftsführung oder gegen Wahlen sperren kann. Eventuell hat er eine hinrei­ chende Mehrheit, um Änderungen der Strategie durchzusetzen. Auf der anderen Seite kann frischer Wind dann und wann nicht schaden. Vor allem erhalten Finanzverträge durch die Verkaufsmöglichkeit eine gewisse Liquidität. Auf­ grund der Liquidität dürften Finanziers viel leichter dazu bereit sein, Engagements einzugehen, denn sie können sich durch Verkauf auch wieder von Finanzverträgen trennen. Liquidität einer Art von Wertpapieren ist der Grad, in dem die Wertpapiere auch in höherem Gesamtbetrag auf einmal gekauft oder verkauft werden können. Die Kursbildung wird dabei nicht so stark beeinflusst.¹⁴ Allgemein ist Liquidität von Fi­ nanzinvestoren geschätzt. Ohne Finanzinvestoren würde den Unternehmen kaum in ausreichenden Umfang Kapital zur Verfügung gestellt werden. Die rechtliche Möglich­ keit der Weitergabe von Finanzkontrakten (Fungibilität, Zession) und die Möglichkeit des Verkaufs von Kapital an neue Finanziers haben Vor- und Nachteile. – Zum einen werden die wenig transparenten Beziehungen zwischen Unternehmen und Finanziers, die ohne Zession entstehen, aufgebrochen. Das ist für die Betei­ ligten nicht immer angenehm, sorgt aber möglicherweise für frischen Wind. – Zum anderen gewinnen die Finanzkontrakte Liquidität. Sie werden dadurch für alle Personen attraktiver. Diese Möglichkeit ist nicht nur für die Eigen- und Fremd­ kapitalgeber vorteilhaft, sie ist für das gesamte Wirtschaftsleben von Vorteil. Eine Überlegung soll dies verdeutlichen: Ein Unternehmen kann sich, wenn die Fi­ nanzkontrakte liquide sind, nicht nur „leichter“ finanzieren, weil mehr Investoren zu einem Engagement bereit sind. Weil es mehr interessierte Investoren sind, kann das Unternehmen die Konditionen, die den Eigen- und Fremdkapitalgebern geboten wer­ den, etwas zurücknehmen. Beispielsweise kann ein liquider Kredit mit einem geringeren Zins ausgestattet sein als ein illiquider Kredit. Ein Eigenkapitalgeber verlangt bei einem Engagement mit Liquidität weniger Ausschüttung und Wertsteigerung, als wenn er ohne Exitmög­ lichkeit für immer an ein Unternehmen gekettet bleibt. Diese bei Liquidität der Finan­ zierungen eingesparten Gelder kann das Unternehmen anderen Gruppen zukommen lassen. Beispielsweise kann es attraktivere Löhne zahlen, Produkte höherer Qualität erzeugen, mehr Investitionen tätigen und so fort. Kurzum: Das Unternehmen wird an­ dere, deren Finanzierungen nicht liquide sind, übertrumpfen und sich im Wettbewerb mit solchen Unternehmen durchsetzen. Ein Unternehmen mit Finanzierungen, die Li­ quidität aufweisen, erweist sich als überlegen.

14 Bernhard Köhler und Klaus Spremann: Liquiditätsmessung bei Immobilien. Immobilien Finanzie­ rung (LAK) (2013) 10, S. 332–334.

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1.7.2 Merkmale des Kapitalismus Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist nicht allein dadurch gekennzeichnet, dass Unternehmen zum Ausgleich ihres Risikos und zur Steigerung ihres Wertes entscheiden dürfen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist vielmehr auch dadurch geprägt, dass Finanzkontrakte (leicht) gekauft und weiterverkauft werden können. Dadurch können die den Finanziers zukommenden Rückflüsse (etwas) geringer ausfallen – und der Liquiditätsunterschied macht das Unternehmen überlegen: Das Unterneh­ men kann höhere Löhne zahlen, bessere Qualitäten erzeugen und mehr investieren. Die Liquidität der Finanzkontrakte wird weiter erhöht, wenn die jeweiligen Rechte und Ansprüche verbrieft und die so entstehenden Wertpapiere auf einer eigens dafür eingerichteten Börse gehandelt werden. Mit einer Börse öffnet sich der Wertpapier­ handel der Öffentlichkeit. Jedermann kann an einer Aktienbörse eine Beteiligung im gewünschten Umfang bei einem oder mehreren Unternehmen seiner Wahl erwerben. An einer Börse, an der Anleihen gehandelt werden, könnte jedermann Unternehmens­ anleihen erwerben. So wird das Kapital öffentlich zugänglich. Des Weiteren entstehen an einer Börse durch die Preisbildung Bewertungen, bei einer Aktienbörse mithin für die Rückflüsse, die an Aktionäre gehen. Die Bewertun­ gen deuten auf die jeweiligen Ausschüttungen, das Wachstum und die Risiken der Unternehmen hin. Sie sind daher nützlich für die Allokation des Kapitals. Schließlich entfaltet ein Markt durch die Vergleiche disziplinarische Kräfte. Vergleiche diszipli­ nieren einerseits Unternehmen und deren Geschäftsführer, andererseits die Finanz­ investoren und deren Erwartungen und Wünsche. Börsen zeigen beiden Seiten das Marktübliche. Durch übertragbare, marktgängige Wertpapiere entsteht mit der Mög­ lichkeit, dass Finanziers sich leichter von finanziellen Engagements trennen können, eine gewisse Distanz. Die Distanz zwischen Finanzier und Unternehmen wird noch größer, wenn die Wertpapiere klein gestückelt sind und von einem breiten Publikum gehalten werden. Dann sind die Entscheidungsrechte auf Beschlüsse in periodischen Versammlungen reduziert, wodurch das Management mehr Eigenständigkeit erhält. Übliche Definitionen gehen davon aus, der Kapitalismus sei eine Wirtschaftsform, in der sich die (meisten) Produktionsmittel in Privateigentum befinden. Zugleich wird die Börse als Symbol des Kapitalismus gesehen. In der Tat sind in Ländern, in denen die Bevölkerung und die Politik dem Kapitalismus kritisch gegenüberstehen (wie bis­ lang in Kuba), Unternehmen durchaus erlaubt. Folglich ist geduldet, dass Privatperso­ nen Ansprüche haben, die aus Rückflüssen bedient werden, dass sie weiter die Risiken tragen und deshalb im Unternehmen und für das Unternehmen entscheiden dürfen. Doch in besagten Ländern sind keine Börsen eingerichtet, und für einen Übertrag der Rechte und Ansprüche aus Finanzkontrakten auf neue Finanziers gibt es Hürden. Aus diesem Grund muss man sagen, der Kapitalismus ist durch die leichte Handelbarkeit von Kapital und Börsen geprägt (und weniger dadurch, dass sich Produktionsvermögen in Privateigentum befin­ den kann).

1.7 Finanzmärkte

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Je leichter der Kauf und Verkauf von Wertpapieren ist, je höher also die Liquidität ist und je geringer die Transaktionskosten sind, desto mehr treten als Akteure Personen auf, die von vermuteten Kursänderungen profitieren wollen, Spekulanten also. Speku­ lanten sind in vielen Kulturen verpönt, doch sie verhelfen der Börse dazu, dass sich neue Informationen ziemlich schnell in den Kursen niederschlagen. Von daher drü­ cken die Kursinformationen recht aktuelle Informationen über die wirtschaftliche Si­ tuation der Unternehmen und der Wirtschaft als Ganzes aus. Die Börsen bieten daher schnell genaue Informationen, was auch als Markteffizienz bezeichnet wird. Doch ungeachtet der Frage, ob die Finanzmärkte Informationen genau und schnell verar­ beiten, helfen die Kurse wiederum denjenigen Finanzinvestoren bei ihren Entschei­ dungen, die nicht spekulieren, sondern längerfristige Engagements suchen. Karl Marx (1818–1883) hatte sich intensiv mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln befasst. Er betrachtete zwei Klassen. Die Zugehörigkeit zu diesen Klassen bestimmte sich seiner Ansicht nach danach, ob jemand Eigentum an Produktionsmitteln hat oder nicht. Marx gelangte zu dem Schluss, die Einkommensunterschiede der beiden Klassen seien ungerechtfertigt. Die Löhne der Arbeiter seien zu niedrig, die Gewinne der Unternehmer (Eigentümer von Produktivvermögen) zu hoch. Die Folge dieser Ungerechtigkeit sei ein Klassenkampf, der in Enteignungen der Unterneh­ mer mündet. Erst wenn alle Produktionsmittel vergesellschaftet sind, so Marx, könne sich mit dem dadurch entstehenden Kommunismus eine gerechtere Gesellschaftsform entfalten. Zeitge­ nössische Politiker und Soziologen, die eine starke Korrektur des Kapitalismus verlangen, würden durchaus Produktionsmittel in Privateigentum zulassen, doch würden sie hohe Einkommen und auch Kapitalerträge stärker besteuern. Der Staat solle dann alle Grunddienste (öffentlicher Ver­ kehr, Krankenkasse, Telefon) gratis zur Verfügung stellen und zahlreiche öffentliche Güter schaf­ fen. Jedoch weisen Kritiker darauf hin, dass die unternehmerische Motivation zerstört würde. Kaum jemand wollte dann noch Risiken tragen und sich um Investitionen und innovative Weiterentwick­ lung kümmern.

1.7.3 Gleichgerichtetes Verhalten Letztlich haben alle Akteure an den Finanzmärkten dieselben Informationen, und da sie (laut Fisher-Separation) auf die Rendite ihrer Investments achten, treffen sie mehr oder minder übereinstimmende Entscheidungen: Entweder alle wollen ein Wertpapier kaufen oder alle wollen es verkaufen. Dieses gleichgerichtete Verhalten – manche sprechen von Herdenverhalten – führt zu neuen Risiken, auch Boom und Bust ge­ nannt. Diese Risiken gleichgerichteten Verhaltens wirken so stark, dass sie von der Finanzwirtschaft negativ auf die Realwirtschaft ausstrahlen können. Ebenso ist die gleichgerichtete Kreditnahme in weiten Teilen der Bevölkerung zu nennen, die in guten Zeiten zu leichtfertig Kredite nehmen und das geliehene Geld investieren, sei es in Häuser oder an der Börse. Die große und breite Kreditnahme der Allgemeinheit kann sich plötzlich in eine Krise umkehren. Das mündet in einen Zusammenbruch, der als Minsky-Kollaps bezeichnet wird, benannt nach Hyman P. Minsky (1919–1996).

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Zahlreiche Forscher kommen zu dem Ergebnis, dem Kapitalismus wohne Instabilität inne.

Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Politik zwar die Vorteile des Kapitalismus anerkennt, die Nachteile wirtschaftlicher Schwankungen aber verrin­ gern möchte, muss sie zu stabilisierende Maßnahmen greifen. Allerdings geht von Regulierungen und Stabilisierungen auch eine Bremswirkung aus.

1.7.4 Primär- und Sekundärmarkt Die Börse organisiert den sogenannten Sekundärmarkt: Die Wertpapiere wurden zu­ vor ausgegeben und werden nun im Sekundärmarkt gehandelt. Käufer und Verkäufer sind Finanziers, Finanzinvestoren. Doch das Unternehmen, das sich finanziert hat, tritt nicht am Sekundärmarkt auf (außer bei einem Aktienrückkauf). Das Geschehen und die Kursbildung am Sekundärmarkt liefern den Finanzinvestoren wichtige Infor­ mationen für deren Entscheidungen, zu kaufen oder zu verkaufen. Diese Informationen strahlen aus und beeinflussen die Ausgabe neuer Wertpa­ piere. Durch Kurssteigerungen von Aktien entsteht den Unternehmen zwar kein ganz direkter Vorteil, doch sie können bei Kurssteigerungen alsbald im Primärmarkt neue Mittel aufnehmen. Bei der Ausgabe neuer Aktien und neuer Anleihen helfen Investmentbanken. Sie ermitteln die Konditionen, zu denen diese Wertpapiere angeboten werden sol­ len. Auch hierbei werden Vergleiche gezogen, es entsteht wiederum ein Markt. Die Ausgabe neuer Wertpapiere (Emission) wird als Primärmarkt bezeichnet. Auf dem Primärmarkt stehen sich Unternehmen und Finanzinvestoren gegenüber. Unternehmen, die erstmals öffentliches Eigenkapital aufnehmen wollen und groß genug sind, um dies tun zu können, bieten die Aktien in einem Initial Public Offering (IPO) an.¹⁵ – Die beratende Investmentbank bereitet eine Roadshow vor: Der CEO des Unter­ nehmens besucht verschiedene Orte, an denen institutionelle Investoren ihren Sitz haben, und stellt das Unternehmen vor. – Dann beginnt eine Zeichnungsfrist. Der Emissionskurs ist so festgesetzt, dass eher eine Überzeichnung erwartet werden kann. Das Geld fließt tatsächlich dem Unternehmen zu (abzüglich des Honorars für die Investmentbank). – Jene Investoren, die aufgrund des Zuteilungsverfahrens berücksichtigt werden, haben bei dem im Sekundärmarkt einsetzenden Handel sehr oft Kursgewinne, was für die Finanzinvestoren interessant ist.

15 Leonid Baur: Der IPO-Prozess im Überblick. Der Schweizer Treuhänder, 2007, S. 360–363.

1.7 Finanzmärkte |

45

institutionelle Investoren

Originator gründet SPC und verkauft Forderungen gegenüber seinen Kunden an die SPC.

hoher Seniorität Anleihen hoher Seniorität Anleihenvon Originator

SPC FirstPiece Loss Piece First Loss

Abb. 1.2: Gründung von Single Purpose Companies (SPCs) (eigene Darstellung).

Ähnlich verläuft die Ausgabe einer neuen Anleihe. Auch hier ist das Zeichnen neu­ en Fremdkapitals für die Anleger etwas günstiger als der Kauf von Anleihen auf dem Sekundärmarkt. Wenn Aktien und Anleihen eines Unternehmens bereits emittiert sind und sich im Handel an den Sekundärmärkten befinden, kommt es dennoch immer wieder zu neu­ en Emissionen am Primärmarkt. Beim Eigenkapital werden oftmals Kapitalerhöhun­ gen beschlossen. Die bisherigen Aktionäre erhalten ein Bezugsrecht für die neuen Aktien. Für das Fremdkapital geht ein Unternehmen relativ oft an den Primärmarkt, weil Anleihen (in aller Regel) eine zeitlich begrenzte Laufzeit haben und Anschlussfi­ nanzierungen verlangt sind. Ein besonderer Weg der Finanzierung mit öffentlichem Kapital wird gangbar, so­ fern das Unternehmen spezielle, klar abgrenzbare Vermögenspositionen (Assets) hat, die Finanzinvestoren gerne als Gegenstand einer Finanzierung sehen. Das Unterneh­ men gründet dazu eine Einzweckgesellschaft (Single Purpose Company (SPC)) und verkauft dieser SPC das Vermögensobjekt oder die Vermögensposition, die somit aus­ gegliedert wird. Die SPC vermietet dann das Objekt an das Unternehmen oder betreibt es. Die SPC hat also Einnahmen aus ihrem neuen Eigentum. Diese Einnahmen sind gewissen Risiken unterworfen (siehe Abb. 1.2). Die SPC gibt Eigen- und Fremdkapital aus, um dem Unternehmen die übernom­ mene Vermögensposition zu bezahlen. Der Idee eines Unternehmens entsprechend werden die Risiken aus den Einnahmen der SPC von den Eigenkapitalgebern getra­ gen. Erst wenn die Risiken sehr groß sind, könnte es dazu kommen, dass die SPC überschuldet oder zahlungsunfähig wird. Nur dann leiden die Fremdkapitalgeber der SPC. Das Eigenkapital heißt deshalb First Loss Piece (FLP). Es wird bei Gründung der SPC von dem ursprünglichen Unternehmen übernommen, gelegentlich aber weiter­ verkauft (etwa an einen spekulativ eingestellten Hedgefonds). Das Fremdkapital der SPC wird in die Form von Wertpapieren gebracht. Diese Anleihen werden als Asset Backed Securities dem Anlegerpublikum angedient.

46 | 1 Modul: Eigen- und Fremdkapital

Wichtig bei dieser Art der Finanzierung spezieller Assets ist, dass die Größe des First Loss Pieces frei gewählt werden kann. Ein größeres First Loss Piece bedeutet, dass es mehr Risiken auffängt und folglich die Anleihen sicherer sind. Ist das First Loss Piece groß genug, vergeben Ratingagenturen sogar das beste Rating (AAA). Mit dem Triple-A-Rating und mit der Nennung attraktiver Assets finden die Anleihen schnell Investoren.

Auf diese Weise kann ein Unternehmen Fremdkapitalgeber finden, die keine üblichen Unternehmensanleihen kaufen würden, da sie auf das höchste Rating achten. Au­ ßerdem kann das Unternehmen mit der klaren Definition des Risikos der SPC un­ ter Umständen einen Hedgefonds finden, über den es einen Teil des ursprünglichen unternehmerischen Risikos „entsorgt“. Die SPC wird zu einem Instrument der Finan­ zierung, weil sie eine Restrukturierung des Kapitals erlaubt. Das ursprüngliche Un­ ternehmen erhält Geld, weil es gewisse Assets verkauft. Die SPC hingegen geht Finan­ zierungen ein, um für diese Assets zu bezahlen. Kapitel 1.7 in Kürze Märkte für Kapital geben den Finanzverträgen Liquidität. Liquidität ist von den Finanzinvestoren er­ wünscht. Deshalb werden Finanzverträge nach Möglichkeit so gestaltet, dass das Kapital übertragen und vielleicht sogar öffentlich (an Börsen) gehandelt werden kann. Zahlreiche Konstruktionen sind in diesem Zusammenhang aufgekommen. Eine davon ist die Securitization. Damit werden Eigenschaften erzeugt, die von Wertpapierkäufern gewünscht sind.

Fragen zu Kapitel 1.7 1. 2. 3. 4.

Was ist unter der Liquidität eines Finanzkontrakts verstanden? Inwiefern nützt die Liquidität von Finanzkontrakten nicht nur den Finanziers, sondern der Wirtschaft als Ganzes? Wie würden Sie Kapitalismus definieren? Erklären Sie kurz, was man unter dem Minsky-Kollaps versteht. Wie unterscheiden sich Primärmarkt und Sekundärmarkt? Wie kann ein Unternehmen das Kapital mithilfe einer Securitization restrukturieren?

1.8 Zusammenfassung 1.8.1 Lernpfad Modul 1 hat einen weiten Bogen gespannt. Vier Punkte sind hervorzuheben: 1. Finanzierung als Vertrag 2. Eigenkapitalgeber als primärer Träger unternehmerischer Risiken 3. Finanzbedarf in vier Dimensionen 4. Hybridkapital und Finanzmärkte

1.8 Zusammenfassung | 47

Der Weg führte auf zwei Gipfel: 1. Fisher-Separation 2. Kreditkonvenanten 1.8.2 Personen Im Text erwähnte (natürliche und juristische) Personen: – Anat R. Admati, Martin Hellwig – Irving Fisher – Lehman Brothers – Karl Marx – Hyman P. Minsky 1.8.3 Schlüsselbegriffe Corporate Governance – zeitliche Inkongruenz zwischen Auszahlungen und Einzah­ lungen – Liquidität – Finanzmittel – Finanziers – Risikopolitik (Exposure, Absiche­ rungen, Resilienz) – Informationspflichten und Entscheidungsrechte – Eigen- und Fremdkapital – Transaktionskosten (für Partnersuche, Sondierung, Aushandlung, Abschluss, Abwicklung, Kontrolle der Ausführung und die Durchsetzung von Rech­ ten) – Varianten (Rechtsform, Haftungsbeschränkung, Personalunion, Handelbarkeit von Wertpapieren) – Finanzbedarf (nach Betrag und Dauer, Risiken und Haftungs­ begrenzung) – Capital Budgeting – Fisher-Separation – Board-System – Konkurs – Financial Distress – Zahlungsstockung – Zahlungsausfall – Kreditkonvenanten – Kreditrisikoprämie und Verschuldungskapazität – Hybridkapital (Mezzanine) – stille Beteiligung (typisch und atypisch) – Asset Backed Securities – Wagnisfinanzierungs­ gesellschaften – Wandelrechte – Optionsanleihen – Merkmale des Kapitalismus – gleichgerichtetes Verhalten – Minsky-Kollaps 1.8.4 Aufgaben 1.

2.

3.

Ein Vorstand sagte einmal: „Wir [gemeint ist das Unternehmen] haben unser Ka­ pital schon. Deshalb verstehe ich das ganze Getue mit den Aktionären, wie bei­ spielsweise die Diskussionen auf der Hauptversammlung, nicht.“ Nehmen Sie da­ zu Stellung. Bei Aktiengesellschaften in Kontinentaleuropa ist ein zweistufiges Boardsystem, in Deutschland ist überdies eine Mitbestimmung vorgesehen. Welches sind die wichtigsten Gesetze zur Corporate Governance in Deutschland? Nokia Oyj, die thyssenkrupp AG und andere Unternehmen haben in ihrer Ge­ schichte ihre Strategie fundamental geändert. Stellen Sie dazu Materialien zu­ sammen und gehen Sie auf die finanziellen Anforderungen ein, um derartige Neuorientierungen bewältigen zu können.

2 Modul: Gewinn und Cashflow 2.1. Innenfinanzierung Der Cashflow ist die Differenz der baren Erträge und der baren Aufwendungen einer Periode. Der Cash­ flow ist somit der Zahlungsüberschuss der Periode und unterliegt daher der Verfügung der Eigenkapi­ talgeber, die dabei Sorge tragen müssen, dass ihr Unternehmen die Schulden begleicht. Innenfinan­ zierung ist durch den nicht ausgeschütteten Cashflow möglich und gegeben. Sie verlangt keine neuen Finanzkontrakte wie bei Außenfinanzierungen, die explizit mit Finanziers zu vereinbaren sind.

2.2. Geld oder Gewinn? Zwar spricht einiges für den Gewinn als Indiz des in einem Jahr erreichten Erfolgs, doch Eigenkapi­ talgeber dürften auf tatsächliche Rückflüsse achten. Irving Fisher argumentiert, dass es auf den Wert ankommt, den die Rückflüsse im Finanzmarkt haben. Jedoch setzt die Fisher-Separation Märkte vor­ aus, und es gibt zweifellos Ziele, die ein verantwortungsbewusster Unternehmer erreichen möchte, und für die es keinen Markt gibt.

2.3. Dividendenrendite und Gewinnrendite Hier werden die zwei Kennzahlen „Dividendenrendite“ und „Gewinnrendite“ und deren Zusammen­ hang mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis sowie der Ausschüttungsquote behandelt.

2.4. Abschreibungen Bei der indirekten Methode der Berechnung des Cashflows stehen die Unterschiede zwischen Gewinn und Cashflow im Vordergrund. Diese sind durch Abschreibungen, Nettoerhöhungen der Rückstellun­ gen und Veränderungen weiterer Bestände oder Fonds gegeben, vor allem der Debitoren und der Kreditoren. Daneben unterscheiden sich Cashflow und Gewinn durch Abschreibungen. Die Finanzie­ rung aus Abschreibungen erlaubt einem Unternehmen kraftvolle Neuorientierungen.

2.5. Brutto-Cashflow, EBIT und EBITDA Ermittelt man ausgehend vom Cashflow oder vom Gewinn Gesamtergebnisgrößen, müssen Zinsen und Steuern berücksichtigt werden. Die resultierenden Größen sind der Brutto-Cashflow als Wirt­ schaftsleistung und das EBIT als Betriebsgewinn. Aufgrund der hohen Bedeutung des EBIT werden Brutto-Cashflow und Wirtschaftsleistung ähnlich bezeichnet, und zwar als EBITDA.

2.6. Unternehmenswert Größen wie Gewinn, Cashflow, EBIT und EBITDA beziehen sich auf eine bereits beendete Periode. Eine Planung kann zeigen, in welchen Höhen sie für die kommenden Jahre zu erwarten sind. Aus den für die Zukunft erwarteten Ergebnisgrößen kann der Unternehmenswert ermittelt werden. Modul 2 behandelt den als Discounted Cashflow (DCF) bezeichneten Bewertungsansatz.

2.7. Fallstudie Hier werden zwei Zahlenbeispiele zum DCF-Ansatz gerechnet und kommentiert.

2.8. Zusammenfassung Wie in jedem Modul dieses Buches werden auch in Modul 2 als Zusammenfassung ein Lernpfad, eine Auflistung erwähnter Personen, Schlüsselbegriffe sowie Aufgaben angeboten.

https://doi.org/10.1515/9783110472240-002

2.1 Innenfinanzierung |

49

2.1 Innenfinanzierung 2.1.1 Transformationsprozess Die unternehmerische Tätigkeit kann als ein Prozess gesehen werden, bei dem Inputs in Outputs transformiert werden. Outputs werden als Produkte ausgebracht und am Markt abgesetzt. Inputs bestehen aus verschiedenen Ressourcen wie Material und Ar­ beitskraft. Zusätzlich sind gewisse Anlagen und Einrichtungen verlangt, wie Maschi­ nen oder Wissen. Deren Schaffung geht auf Investitionen oder eigene Tätigkeit des Unternehmens zurück. Die Beschaffung dieser Ressourcen, die Sicherung und Bindung der Arbeitskraft, die Bereitstellung der Einrichtungen und der Aufbau und die Pflege von Wissen ver­ langen vom Unternehmen Auszahlungen. Auszahlungen sind dann besonders deut­ lich, wenn Anlagen und Einrichtungen durch Investitionen beschafft werden. Dazu gehört der Kauf von Maschinen ebenso wie eine Akquisition. Selbst wenn Einrich­ tungen nicht erworben werden, sondern im Eigentum Dritter bleiben und angemie­ tet werden, sind Auszahlungen für Miete fällig. Der Verkauf der Produkte bringt dem Unternehmen Einzahlungen in Form von Absatzerlösen. Verkaufserlöse können auch dadurch bewirkt werden, dass das Unternehmen aus seinem Eigentum eine Vermö­ gensposition (teil-)verkauft. Da die Transformation von Inputs in Outputs eine gewisse Zeit benötigt, gehen die Auszahlungen des Unternehmens zeitlich den Einzahlungen voraus. Zudem sind spä­ tere Einzahlungen immer mit gewissen Risiken behaftet. Auf die Ebene der Zahlungen übertragen, bedingt der Transformationsprozess folglich, dass anfängliche und rela­ tiv gut planbare Auszahlungen später zu Einzahlungen führen, die anfänglich noch unsicher sind. Folglich benötigt das Unternehmen Partner, die die Auszahlungen vorstrecken und später (wenn dem Unternehmen die Absatzerlöse als Zahlungsmittel zugeflossen sind) Rückflüsse verlangen. Das sind die Finanziers des Unternehmens. Zumindest ei­ nige der Finanziers müssen dazu bereit sein, sich mit Rückflüssen in unsicherer Höhe zufrieden zu geben. So kann das Unternehmen die Risiken der unsicheren Einzah­ lungen an diese Finanziers weitergeben. Das sind die Eigenkapitalgeber. Wenn es hinreichend viel Eigenkapital gibt, können den anderen Finanziers sichere Rückflüs­ se zugesagt werden. Das sind die Fremdkapitalgeber. Fazit Um die zeitliche Inkongruenz der Einzahlungen und Auszahlungen auszugleichen, muss das Unter­ nehmen Vertragspartner finden, die zunächst Geld vorstrecken und später Rückflüsse erhalten. Die Partner sind Finanziers oder Finanzinvestoren, die Verträge Finanzkontrakte. Durchaus können Fi­ nanzverträge, zumindest zum Teil, wie ein Kredit gestaltet sein und sichere Rückflüsse zusagen. Sie stellen das Fremdkapital des Unternehmens dar. Um hinsichtlich der Rückzahlungen sicher sein zu können, bietet das Unternehmen den Fremdkapitalgebern periodisch Informationen. Da die späte­ ren, dem Unternehmen aus dem Absatz der Produkte zufließenden Einzahlungen unsicher sind, muss

50 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

das Unternehmen zu einem Teil solche Finanziers an sich binden, die zu unsicheren Rückflüssen bereit sind. Diese Verträge stellen das Eigenkapital dar. Im Ausgleich für das übernommene Risiko erhalten die Eigenkapitalgeber Entscheidungsrechte. Die Entscheidungsrechte gehen bei gewissen Rechts­ formen sehr weit, sodass sich die Eigenkapitalgeber gelegentlich als Eigentümer und nicht nur als Berechtigte des Unternehmens betrachten. In der Tat können Eigenkapitalgeber alles für sich bean­ spruchen, sofern das Unternehmen alle Verpflichtungen erfüllt. Ihnen steht das Residuum (der nach Erfüllung der Verpflichtungen verbleibende Rest) zu.

Die Finanzierung mit neuen Finanzkontrakten für das Eigen- und Fremdkapital nennt sich Außenfinanzierung. In der Tat sind dabei von außen Finanziers hinzugetreten und haben neue Verträge geschlossen. Unternehmerischen Transformationen finden nicht nur einmalig statt. In der Re­ gel werden sie immer wieder von Neuem begonnen und durchgeführt. Somit sind Zeit­ verlauf immer wieder weitere Auszahlungen verlangt – dies, weil Arbeitskräfte weiter­ beschäftigt werden, verbrauchte Ressourcen als Vorleistungen neu gekauft werden, abgenutzte Anlagen und Einrichtungen erneuert werden und Wissen aktualisiert wer­ den muss. Daher ist in gewissem Umfang immer wieder eine neue Außenfinanzierung ver­ langt. Neue Finanzkontrakte sind nicht nur dann notwendig, wenn das Unternehmen wächst und seine unternehmerischen Prozesse ausweitet. Selbst bei einem gleichför­ migen weiteren Verlauf der unternehmerischen Transformationen ohne Geschäftsaus­ weitung sind immer wieder neue Außenfinanzierungen verlangt. Fremdkapitalverträ­ ge etwa, Kredite also, haben eine befristete Laufzeit. Deshalb müssen bei Fälligkeit eines Kredits Anschlussfinanzierungen getätigt werden. Beim Eigenkapital hingegen sind keine neuen Verträge (im Sinne einer Außenfi­ nanzierung) nötig, da es dem Unternehmen unbefristet überlassen wird. Gleichwohl können bisherige Eigenkapitalgeber ihre Rechte und Ansprüche anderen Investoren übertragen (sofern die Rechtsform, Gesetze und weitere Bestimmungen diese Weiter­ gabe dies erlauben). Andererseits können die bisherigen Eigenkapitalgeber sich um weiteres Eigenka­ pital bemühen, beispielsweise durch Ansprache weiterer Finanziers. Dies ist dann an­ gezeigt, wenn sich das unternehmerische Risiko vergrößert oder wenn die personelle Basis für die unternehmerische Entscheidungsfindung ausgeweitet werden soll. Fazit Die sich immer wiederholenden unternehmerischen Prozesse verlangen Auszahlungen für Inputs. Zeitlich verzögert und mit Risiken behaftet erhält das Unternehmen Einzahlungen aus dem Verkauf der Outputs. Zum Ausgleich für die Inkongruenz von Ein- und Auszahlungen sowie als Träger der Risiken geht das Unternehmen Finanzkontrakte mit Finanziers ein. Die Finanziers geben anfäng­ lich Geld und erhalten Rechte und später Rückflüsse. Fremdkapitalgeber gehen zeitlich befristete Finanzkontrakte ein und es werden ihnen sichere Rückflüsse zugesagt. Sie erhalten Informations­ rechte. Eigenkapitalgeber überlassen ihre Einlage unbefristet, die ihnen zukommenden Rückflüsse sind aufgrund der Schwankungen der Absatzerlöse unsicher. Weil sie die Risiken übernehmen, ist

2.1 Innenfinanzierung |

51

vorgesehen, dass Eigenkapitalgeber im Unternehmen weitestgehend entscheiden können (fast so, als wären sie die Eigentümer).

2.1.2 Vom Jahresumsatz zum Cashflow Zumindest langfristig sollten bei permanenter Wiederholung der Transformationen die dem Unternehmen aus dem Absatz der Outputs zufließenden Einzahlungen die für die Inputs nötigen Auszahlungen übersteigen. Denn die Eigenkapitalgeber werden mit ihren Entscheidungsrechten durchsetzen, dass ihr Unternehmen dem erwerbs­ wirtschaftlichen Prinzip folgt. Diese Relation von Ein- und Auszahlungen kann sich bereits in kurzer Zeit einstellen. In einer Periode von einem Jahr könnte durchaus die Situation eintreten, dass die Einzahlungen aus dem Verkauf der Outputs und aus dem Verkauf sonstiger Objekte die Auszahlungen für die Inputs übersteigen. Selbst wenn von dieser Differenz die für das Jahr vertraglich festgelegten Rückflüsse an die Fremd­ kapitalgeber und die Steuerzahlungen abgezogen werden, bleibt möglicherweise ein positiver Geldbetrag übrig. Dieser in der Periode erzeugte und erhaltene Geldbetrag, der nach Steuern und der Bedienung der Fremdkapitalgeber (zunächst) im Unterneh­ men verbleibt, ist der Cashflow oder Geldfluss. Der direkte Weg vom Jahresumsatz zum Cashflow gestaltet sich wie folgt: Einzahlungen aus Absatz und Verkauf – Lohnzahlungen – Auszahlungen für Vorleistungen – Zinszahlungen – Steuerzahlungen = Cashflow

Der Cashflow beschreibt den während der Periode (Geschäftsjahr) entstandener Zah­ lungsmittelüberschuss aus der operativen Tätigkeit des Unternehmens. Im Rechnungswesen ist der Cashflow definiert als Unterschied zwischen den ba­ ren Erträgen und den baren Aufwendungen. Gemeint sind jene Erträge, die in der­ selben Periode (und nicht erst in einer späteren Periode) von Einzahlungen begleitet sind, sowie jene Aufwendungen, die Auszahlungen derselben Periode sind. Wie wird der Cashflow verwendet und wer entscheidet über dessen Verwendung? Oft wird gesagt, der Cashflow liege im Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber. Das ist insoweit korrekt, als dass das Geld in das Unternehmen geflossen ist und die Eigen­ kapitalgeber dazu berechtigt sind, für das Unternehmen zu entscheiden – ungeachtet der Frage, ob sie ihre Entscheidungen an einen Geschäftsführer delegieren.¹

1 Christian Toll: Unternehmensbewertung bei Vorliegen verhandelbarer Zahlungsmodalitäten. Be­ triebswirtschaftliche Forschung und Praxis (BFuP) 62 (2010), S. 384–411.

52 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Jedoch darf der Verfügungsbereich nicht als bedingungslos verstanden werden. Trotz der für Arbeitskräfte gezahlten Löhne, trotz bezahlter Vorleistungen und trotz bereits gezahlter Steuern dürften weiterhin gewisse Verbindlichkeiten bestehen, die früher oder später erfüllt werden müssen. Vor allem aber muss für Fremdkapital nicht nur periodisch ein Zins bezahlt werden, sondern es muss bei Fälligkeit zurückbezahlt werden. Die Eigenkapitalgeber können also über das Unternehmen nur dann uneinge­ schränkt verfügen, wenn alle Verbindlichkeiten erfüllt und das Fremdkapital zurück­ bezahlt ist. Zuvor muss die Verfügungsmacht der Eigenkapitalgeber eingeschränkt werden, damit sie das Unternehmen nicht in die Lage bringen, Verbindlichkeiten und Rück­ zahlungspflichten schlecht oder gar nicht erfüllen zu können. Dazu dienen verschie­ dene gesetzliche Regelungen. Im Hinblick auf den Cashflow hegen Eigenkapitalgeber möglicherweise den Wunsch einer Entnahme oder Ausschüttung. Aufgrund der Ver­ bindlichkeiten und Rückzahlungspflichten müssen Entnahmen oder Ausschüttungen begrenzt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Verbindlichkeiten im Zusam­ menhang mit dem Cashflow im Geschäftsjahr erhöhen können. Beispiel Das Unternehmen gibt einigen Mitarbeitenden die Zusage, ihnen zu einem späteren Zeitpunkt eine Betriebsrente zu zahlen. Ein Teil des Lohnes wird daher nicht gleich ausbezahlt, sondern verbleibt im Unternehmen. Somit sind die Lohnzahlungen, die bei der Berechnung des Cashflows von den Umsatzerlösen abgezogen werden, gerin­ ger. Der Cashflow wird durch die Zusage größer, zugleich aber nehmen die Verbind­ lichkeiten des Unternehmens zu, da die einbehaltenen Lohnteile später als Betriebs­ rente ausbezahlt werden müssen. Als Fazit darf gesagt werden, dass der (durch die Zusage erhöhte) Cashflow zwar momentan in den Verfügungsbereich der Eigenkapi­ talgeber gelangt, dies jedoch nur temporär, denn es bleibt Bedingung, dass das Un­ ternehmen die Verbindlichkeiten leisten und Schulden zurückzahlen (können) muss, bevor sich die Eigenkapitalgeber des Residuums bemächtigen. Bei Zusagen betriebli­ cher Versorgung nehmen die Verbindlichkeiten zu. Das Unternehmen kann den Cashflow auf verschiedene Weise verwenden. Die Entscheidungen treffen die Eigenkapitalgeber oder die Geschäftsführung: – Entnahme: Einen Teil des Cashflows werden die Eigenkapitalgeber entnehmen wollen. – Innenfinanzierung: Der Rest des Cashflows kann zumindest für einige Zeit im Unternehmen verbleiben. Dieser Teil kann vier Arten von Verwendung finden: 1. Mit diesem Teil des Cashflows können Investitionen ermöglicht werden. 2. Der im Unternehmen verbleibende Cashflow kann dazu dienen, Schulden zu verringern. 3. Der im Unternehmen verbleibende Cashflow wird weiterhin in Form von Geld oder Sichtguthaben gehalten – wie eine Barreserve. Damit könnte das Un­

2.1 Innenfinanzierung |

4.

53

ternehmen gewisse Risiken selbst abfangen, ohne sich im Fall fehlender Zah­ lungsmittel an die Eigenkapitalgeber wenden zu müssen. Ineffizienz: Es ist nicht auszuschließen, dass der Cashflow für Dinge ausge­ geben wird, die die produktive Kraft des Unternehmens nicht stärken, son­ dern die als Vergeudung und Verschwendung anzusehen ist. Beispielsweise könnte aus dem Cashflow eine Akquisition finanziert werden, bei der ein zu hoher Preis für die Übernahme bezahlt wird.

Die insgesamt fünf Verwendungsmöglichkeiten für den Cashflow sind: – Cashflow = Entnahmen/Ausschüttungen/Dividenden + Innenfinanzierungspotenzial – Innenfinanzierung = Investitionen + Tilgung von Schulden + Erhöhung der Barreserve + unren­ table Ausgaben

Eine Innenfinanzierung ist durch den nicht ausgeschütteten Cashflow möglich und gegeben. Sie verlangt keine neuen Finanzkontrakte wie dies bei Außenfinanzierungen der Fall ist, die explizit mit Finanziers zu vereinbaren sind.

2.1.3 Verwendung des Cashflows Wie die Innenfinanzierung genutzt wird, hängt stark vom Management ab, oftmals unter nicht perfekter Kontrolle seitens der Eigenkapitalgeber. Folgende vier Verwendungsmöglichkeiten stehen im Vordergrund: 1. Investitionen 2. Schuldtilgungen 3. Erhöhungen der Barreserve 4. Schlendrian und Vergeudung (unrentable Ausgaben)

Zur Entstehung der Innenfinanzierung: Der nicht ausgeschüttete Teil des Cashflows wird von zwei Faktoren bestimmt: 1. von der Höhe des Cashflows 2. von der Höhe der Entnahmen oder Ausschüttungen Bei dem im Unternehmen verbleibenden Cashflow, der Innenfinanzierung, kann eine weitere Unterscheidung getroffen werden: 1. Sie umfasst Zahlungsmittel, welche die Eigenkapitalgeber zwar entnehmen dürf­ ten, auf deren Entnahme sie indes freiwillig verzichten (um auf diese Weise mehr innenfinanzierte Investitionen zu ermöglichen). 2. Dazu gehören Zahlungsmittel, die die Eigenkapitalgeber ohnehin nicht entneh­ men dürfen. Dieser Teil ergibt sich maßgeblich aus den Gesetzen, aus der Rechts­ form, der Satzung und der Rechnungslegung.

54 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Fazit Die Kapitalkosten einer Investition hängen von drei Einflussfaktoren ab. 1. Die Geschäftsleitung hat mit Produktion und Absatz dafür gesorgt, wie groß der Cashflow gewor­ den ist. 2. Das Risiko der Investition bestimmt, wie viel Eigenkapital verlangt ist. Das Eigenkapital dient als Risikoträger. Bei höherem Investitionsrisiko muss mehr Eigenkapital zur Finanzierung eingesetzt werden. Mit dem Eigenkapital ist im Kapitalmarkt eine Renditeerwartung verbunden, die höher ist als der Zinssatz, der Vergütung für die Überlassung von Fremdkapital in der Zeit. 3. Die Entnahmeentscheidung der Eigenkapitalgeber bezieht sich lediglich auf denjenigen Teil des Cashflows, den sie nach Gesetz (Rechtsform) und Satzung entnehmen dürfen.

Die Innenfinanzierung hängt hinsichtlich des Aufkommens der Mittel von drei Ein­ flussfaktoren ab: 1. betriebliches Geschehen (Produktion und Absatz) und besondere unternehmeri­ sche Verkäufe; beides beeinflusst die Höhe des Cashflows. 2. Rechnungswesen und Rechnungslegung, Satzung, Rechtsform und Gesetze; sie legen fest, welche Teile des Cashflows im Unternehmen verbleiben müssen. 3. Eigenkapitalgeber mit ihrer Entnahmeentscheidung; sie legen fest, ob und inwie­ weit sie auf die Entnahme von Zahlungsmitteln verzichten, die nach dem Gesetz ausgeschüttet werden dürfen. In Deutschland wurde der Cashflow in das Handelsgesetzbuch (HGB) aufgenommen. § 264 Abs. 1 HGB verlangt für eine Aktiengesellschaft (oder eine Kommanditgesell­ schaft auf Aktien), dass eine Kapitalflussrechnung aufgestellt wird. Sie ist nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS (IAS 1.2 und IAS 7.1) integraler Bestandteil des Jahresabschlusses. CAPEX zeigt die außen- oder innenfinanzierten In­ vestitionen in Sachanlagen. CAPEX (Capital Expenditure) = + − − − −

Cashflow Einzahlungen aus neuer Außenfinanzierung Dividenden Investitionen in Vorräte (Umlaufvermögen) Investitionen in Wissenskapital Investitionen in Finanzkapital

Die fünf Verwendungsmöglichkeiten für den Cashflow (Entnahmen/Ausschüttungen/ Dividenden, Investitionen, Tilgung von Schulden, Halten als Barreserve, Schlendrian und Vergeudung) sind breit gefächert. Deshalb interessieren sich die Finanziers un­ ter Einschluss der Fremdkapitalgeber nicht nur für die Größe des Cashflows, sondern auch für den Betrag, der letztlich investiert wurde. Dazu dient die Kenngröße Capital Expenditure.

2.1 Innenfinanzierung |

55

Diese auf eine Periode bezogene Kenngröße bezeichnet die Auszahlungen für Investitionen, und zwar für die „klassischen“ Investitionen in „langfristiges“ Sachkapital wie Maschinen und Immobilien, so­ wie Auszahlungen für Erstausrüstungen und den Ersatz von Anlagen und von Ausrüstungen.

Bei CAPEX bleiben Investitionen in das Umlaufvermögen (Vorräte) unberücksichtigt und auch Investitionen in Wissenskapital und in Finanzanlagen sind ausgeklammert. CAPEX unterscheidet nicht nach der Finanzierungsart, sondern drückt alle Investitio­ nen in das langfristige Sachkapital aus, sowohl jene, die innenfinanziert sind, als auch jene, die außenfinanziert sind. Selbstverständlich könnte der CAPEX einer Periode auch negativ sein, zum Bei­ spiel wenn Sachanlagen verkauft und zurückgemietet werden. – In Ergänzung zu CAPEX stehen Auszahlungen für den operativen Geschäftsbe­ trieb, genannt Operational Expenditure (OPEX). OPEX ist die Summe aus den Auszahlungen für Vorleistungen, Löhne, Steuern und Zinszahlungen. – Die Gesamtauszahlungen für werden Total Expenditure (TOTEX) genannt. Die Kenngröße TOTEX = CAPEX + OPEX.

Kapitel 2.1 in Kürze – –





Der Cashflow ist die Differenz der Erträge, die von Einzahlungen begleitet waren, und der Auf­ wendungen, die bar in der Periode bezahlt wurden. Der Cashflow ist der Zahlungsüberschuss der Periode. Er unterliegt daher der Verfügung der Ei­ genkapitalgeber, die Sorge tragen müssen, dass ihr Unternehmen Schulden begleicht und Ge­ setze einhält. Der Cashflow entsteht aus dem betrieblichen Geschehen von Produktion und Absatz unter Ein­ schluss von Verkäufen aus dem Vermögen des Unternehmens. Werden die Entnahmen oder Aus­ schüttungen an die Eigenkapitalgeber vom Cashflow abgezogen, resultiert daraus der während der Periode durch die unternehmerischen Leistungsprozesse erzeugte Zahlungsüberschuss, der im Unternehmen verbleibt. Dieser Geldbetrag wird Innenfinanzierung genannt und kann auf verschiedene Weise verwendet werden, vor allem für Investitionen, für die Rückzahlung von Schulden oder auch als (zusätzliche) Barreserve. Natürlich kann das Geld auch durch Schlendrian und Vergeudung versickern.

Fragen zu Kapitel 2.1 1. 2.

3.

Ein Unternehmen nimmt im Rahmen einer Außenfinanzierung einen Kredit auf und der Kreditbe­ trag fließt zu. Erhöht dieser Geldzufluss den Cashflow der Periode? Einige Kunden haben sehr lange Zahlungsziele und bezahlen oftmals erst im folgenden Ge­ schäftsjahr. Die Verkaufsleitung drängt diese Kunden durch hohe Skonti dazu, die abgenomme­ nen Waren umgehend zu bezahlen. Hat dies Einfluss auf die Höhe des Cashflows? Ein Berater schlägt dem Unternehmen vor, die Lagerhalle zu verkaufen und anschließend zu mie­ ten. Welchen Einfluss hat dieses Sale-and-lease-back auf Cashflow und CAPEX?

56 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

2.2 Geld oder Gewinn? 2.2.1 Cashflow-Ermittlung

Der Cashflow einer Periode ist definiert als Differenz zwischen den baren Erträgen und den baren Aufwendungen (direkte Methode).

Um seine Größe zu bestimmen, bieten sich zwei Rechenwege an. 1. Direkte Methode: Ausgangspunkt der Cashflowermittlung sind die im Jahr als Zahlung eingehenden Erlöse aus dem Verkauf. Davon werden die baren Aufwen­ dungen des Geschäftsjahrs abgezogen, also Auszahlungen für Löhne und Boni, Auszahlungen für den Bezug von Vorleistungen, Steuerzahlungen sowie Zinszah­ lungen. 2. Indirekte Methode: Ausgangsgröße ist der Gewinn der Periode. Der Gewinn ist die Differenz zwischen allen Erträgen und allen Aufwendungen der Periode. So­ wohl die Erträge als auch die Aufwendungen einer Periode können zahlungswirk­ sam (barer Natur) sein, also in derselben Periode von Zahlungen begleitet sein. Die restlichen Erträge und die anderen Aufwendungen sind erst in späteren Peri­ oden von Zahlungen begleitet. Sie werden als nicht zahlungswirksam oder un­ bar bezeichnet. Selbstverständlich werden unbare Erträge „zahlungswirksam“, also von Zahlungen begleitet werden, jedoch erst in einer der Folgeperioden. Auch die unbaren Aufwen­ dungen werden in der Zukunft „zahlungswirksam“. Der Cashflow ergibt sich aus dem Gewinn, indem die unbaren Aufwendungen addiert und die unbaren Erträge subtrahiert werden (indirekte Methode).

2.2.2 Gewinn Der Gewinn wird als Zahl und in Geldeinheiten ausgedrückt. Er misst den Gesamter­ folg, den die unternehmerischen Tätigkeiten in einer Periode (Geschäftsjahr) zuguns­ ten der Eigenkapitalgeber erzielt haben. Der Gewinn wird im Rechnungswesen mithil­ fe des Jahresabschlusses ermittelt. Der Jahresgewinn ist die wohl wichtigste Periodengröße, anhand derer Eigenkapi­ talgeber einschätzen können, inwieweit ihre Ziele durch unternehmerische Tätigkeit während eines Jahres erreicht wurden. Gleichwohl dürften die Eigenkapitalgeber eine etwas andere Zielsetzung haben als die, Gewinn zu maximieren. Eigenkapitalgeber möchten, genau wie andere Investoren auch, hohe Rückflüsse aus ihrem Engagement erhalten.

2.2 Geld oder Gewinn?

| 57

Irving Fisher (1867–1947) und viele andere Ökonomen nach ihm haben sich mit der Frage der Zielsetzung von Eigenkapitalgebern auseinandergesetzt. Falls Märkte und Finanzmärkte bestehen, streben jene, die entscheiden dürfen, nach möglichst „Wert­ vollem“ für sich. Wer Wertvolles erhält oder darüber verfügt, kann es in den Märkten gegen das tau­ schen, was den persönlichen Nutzen am besten erfüllt.

Jedermann versucht, möglichst großen Erfolg zu haben. Der Markt bestimmt, wer Er­ folg hat. Wer im Markt irgendetwas Wertvolles anbieten und verkaufen kann, erhält mit dem Verkauf das Geld, um sich dann diejenigen Dinge kaufen zu können, die dem persönlichen Geschmack und den jeweiligen Nutzenvorstellungen am meisten ent­ sprechen. Diese Erkenntnis gilt auch für Geldzahlungen, die zu einem bestimmten Termin geleistet werden. Man betrachte eine Person, die solche Zahlungen erhalten und eine gewisse Auswahl hat. Die Auswahl betrifft die Höhe und die jeweilige zeitliche Verfüg­ barkeit der Zahlung. Die Person wird dann nicht unbedingt jene der Zahlungen wäh­ len, die gerade zu dem Zeitpunkt geleistet wird, zu dem die Person am liebsten Geld hätte, denn im Finanzmarkt ist es durch Geldanlagen oder Kreditaufnahme möglich, die Zeitpunkte, zu denen Zahlungen anfallen, zu verschieben. Folglich wird die Person jene Zahlung wählen, die im Finanzmarkt den höchsten Wert hat.

2.2.3 Fisher-Separation Der Wert einer in Zukunft fälligen Zahlung im Finanzmarkt ist der Barwert, berech­ net durch Diskontierung. Entscheidet sich die betrachtete Person für die Zahlung (mit dem höchsten Barwert), kann sie die zeitliche Verfügbarkeit dieses Geldbetrags ver­ ändern. Mithilfe des Finanzmarkts wird sie für sich persönlich mit einer Geldanlage oder einer Kreditaufnahme jenen Zeitpunkt einrichten, zu dem sie das Geld am liebs­ ten hätte. Beispiel Jemand kann eine von drei Zahlungen auswählen (alle Beträge in Euro): 1.000 sofort, 1.200 in zwei Jahren oder 2.000 in zehn Jahren. Welche dieser Zahlungen würden Sie, liebe(r) Leser(in), persönlich wählen? Die Zahlungen in zwei und in zehn Jahren sind als voll besichert zu betrachten. Angenommen, die Person bevorzugt eine Zahlung in drei Jahren und sie könnte Geld zu einem Zins von 5 % anlegen und aufnehmen, dann könnten die 1.200 in einen sofortigen Geldbetrag von 1.088 getauscht werden und die 2.000 in einen sofortigen Geldbetrag von 1.228. Risiken ausgeklammert, würde sich die Person für die in zehn Jahren fälligen 2.000 entscheiden, denn sie hätte den höchs­

58 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

ten Barwert. Mit einem sofort abgeschlossenen Kreditvertrag würde sie diese in zehn Jahren fällige Zahlung in 1.421, fällig in drei Jahren, wie gewünscht, umtauschen. Dies wird als Fisher-Separation bezeichnet, da mehrere Aufgaben voneinander getrennt werden: 1. Aufgabe: Was soll das Unternehmen produzieren? Das Unternehmen versucht, Wertvolles zu erzeugen. Was wertvoll ist, ergibt sich aus dem Ab­ satzmarkt und den dort (normalerweise) vorherrschenden Preisen. 2. Aufgabe: Was machen die Berechtigten mit den Rückflüssen? Die Eigenkapitalgeber entnehmen die Ergebnisse von Produktion und Absatz in Form von Geld. Sodann verändern sie die zeitliche Verfügbarkeit der Rückflüsse durch Anlagen und Aufnahmen am Kapitalmarkt. Beispielsweise wird ein Aktionär, wenn in einem Jahr keine Dividende ausbe­ zahlt wird, einen Kredit aufnehmen, um trotzdem und der persönlichen Zeitpräferenz entspre­ chend Konsum tätigen zu können. 3. Aufgabe: Konsumentscheidungen. Sodann kaufen sich die Berechtigten jene Konsumgüter, die sie präferieren.

Die Fisher-Separation besagt, dass diese drei Aufgaben gut zu trennen sind, sofern Märkte bestehen und gut funktionieren.

Zu 1. und 2.: Das Unternehmen sollte aufgrund der Fisher-Separation versuchen, über die Zeit hinweg möglichst große Rückflüsse an die Berechtigten auszahlen zu kön­ nen. Angestrebt wird, dass der Wert, den diese Rückflüsse im Kapitalmarkt haben, möglichst hoch ist. Ziel des Unternehmens ist mithin, den Wert der Rückflüsse zu maximieren. Bei diesem Wert handelt es sich um den Wert des Eigenkapitals, mit anderen Worten: den Unterneh­ menswert. Unternehmen werden in den für eine Bewertung maßgeblichen „Markt für Beteiligungsti­ tel“ übertragen. Der sich dort einstellende Preis ist der Wert des Unternehmens (wobei für jede Be­ wertung angenommen wird, dass der Markt für Beteiligungstitel perfekt funktioniert).

Die Fisher-Separation folgt der Prämisse, dass es Finanzmärkte gibt. Ein erster Markt dient dem Unternehmen dazu, Produkte zu verkaufen. Ein zweiter Markt dient Ei­ genkapitalgebern dazu, die zeitliche Verfügbarkeit der vom Unternehmen geleisteten Rückflüsse zu verändern. Ein dritter Markt dient dazu, dass sich jeder Eigenkapitalge­ ber die Konsumgüter kaufen kann, die er am liebsten hätte. Gibt es hingegen keine perfekt oder wenigstens gut funktionierenden Märkte, müssen die Eigenkapi­ talgeber versuchen, ihre persönlichen Ziele direkt (und ohne Umweg über das Geld) im Unternehmen zu verwirklichen.

Beispielsweise dürfte ein Unternehmer, der keinen Zugang zum Kapitalmarkt hat und kein Konto bei einer Bank, seine Entscheidungen und Investitionen danach ausrich­

2.2 Geld oder Gewinn? |

59

ten, wann er Geld für seinen persönlichen Konsum entnehmen möchte. Oder ein Ge­ schäftsführer, der keinen guten Kontakt zur Bank hat, verkauft das Tafelsilber des Unternehmens, obwohl er nur einen schlechten Preis erzielt – und das nur, um sei­ ne Wunschinvestition mit Innenfinanzierung zu ermöglichen. Natürlich entstammen diese beiden Beispiele der Vergangenheit. Gleichwohl gibt es auch heute Dinge, die sich Eigenkapitalgeber wünschen und die sie nicht am Markt kaufen können. Dazu gehört beispielsweise, dass ihr Unternehmen soziale Verantwortung zeigt oder eine unrentable ökologische Entwicklung vorantreibt. Weil dies nicht an einem Markt ge­ kauft werden kann, muss das Unternehmen dies selbst angehen. Es gibt Zielsetzungen der Eigenkapitalgeber, deren Erreichen nicht an einem Markt erkauft werden kann. Diese Zielsetzungen müssen deshalb vom Unternehmen selbst und direkt angegangen werden. Damit muss die Fisher-Separation neu interpretiert werden: Das Unternehmen strebt danach, den Wert der Rückflüsse zu maximieren, dies jedoch nur unter der Nebenbedingung, dass die weiteren Wünsche der Eigenkapitalgeber, die nicht über einen Markt erfüllt werden können, auf direkte Weise vom Unternehmen erfüllt werden.

Sicherlich entstehen für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung oder für ökologische Eigenentwicklungen weitere Aufwendungen. Diese Aufwendungen zu tragen ist die Nebenbedingung, unter der im Weiteren ein hoher Unternehmenswert angestrebt wird. Die besondere Verantwortung des Unternehmers für die Zukunft und die Gesellschaft drückt sich in gewissen Nebenbedingungen aus, die den Freiraum etwas einengen. Dennoch ist der verbleibende unternehmerische Freiraum so groß, dass dort Wertorientierung walten kann. Die Fisher-Separation begründet für diesen Freiraum, warum den Zahlungen und dem Cashflow hohe Bedeutung zukommt. Trotz dieser hohen Bedeutung des „Geldes“ ist in der Praxis eines zu beobachten: Oftmals achten Eigenkapitalgeber nicht auf den Unternehmenswert oder auf Steige­ rungen des Werts in einem Geschäftsjahr. Sie betonen stattdessen den Gewinn. Der Gewinn dient ihnen als Indiz für den Erfolg der unternehmerischen Tätigkeit in einer bestimmten Periode. Warum ist das so? Der Gewinn hat den Vorteil, dass die Zahlen des Rechnungswesens nachprüfbar sind und dass bei der Gewinnermittlung bekannte Standards eingehalten werden. Zu­ dem wird der Gewinn, der auf historischen Zahlen beruht, für eine abgelaufene Peri­ ode ermittelt. Hingegen ergibt sich der Wert, den die zukünftigen Rückflüsse im Finanzmarkt haben, aus einer Prognose. Der Blick in die Zukunft verlangt eine Modellbetrachtung: – Zunächst müssen Erwartungen hinsichtlich der unsicheren zukünftigen Rückflüs­ se gebildet werden. – Sodann müssen die Erwartungen bewertet werden. Dazu muss der Finanzmarkt nachgebildet, simuliert werden. All das macht den Wert zu einer eher abstrakten Größe. Gleiches gilt für die in einem Jahr erreichte Wertsteigerung.

60 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

In der Tat gibt es Unternehmen, die sich aufgrund der Vorgaben der Anteilseigner strikt dem Ziel der Wertsteigerung verschrieben haben, dennoch sprechen Gesell­ schafter und Aktionäre auf ihren Versammlungen vor allem über den Gewinn. Der Gewinn ist auch deshalb wichtig, weil er ein Maß für die Entnahmen oder Ausschüttungen bildet. Die Rechtsform regelt die Entnahmemöglichkeiten, indem sie auf den Gewinn Bezug nimmt. Bei einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) dürfen die Eigenkapitalgeber (Gesellschafter, Aktionäre) eine Ausschüttung fast bis zur Höhe des Gewinns beschließen. Allerdings verlangen Gesetze und Satzung, dass aus dem Gewinn Reserven gebil­ det werden, die in der Bilanz als Rücklagen angeführt sind. Die haftenden Eigenkapi­ talgeber einer Personengesellschaft dürfen sogar mehr als den Jahresgewinn entneh­ men. Im Regelfall behalten Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform einen deutlich erkennbaren Teil des Gewinns ein. Dieser einbehaltene Teil des Gewinns trägt zur In­ nenfinanzierung bei. Kapitel 2.2 in Kürze – – –

Einiges spricht für den Gewinn als Indiz für den in einem Jahr erreichten Erfolg. Die Berechtigten dürften hingegen eher auf die Rückflüsse achten. Bei der indirekten Methode der Berechnung des Cashflows stehen die Unterschiede zwischen Gewinn und Cashflow im Vordergrund. Wie Fisher argumentiert, kommt es auf den Wert an, den die Rückflüsse im Finanzmarkt haben. Jedoch setzt die Fisher-Separation Märkte voraus. Daneben gibt es zweifellos Ziele, die ein ver­ antwortungsbewusster Unternehmer erreichen möchte.

Fragen zu Kapitel 2.2 1. 2. 3.

Richtig oder falsch: Gewinn und Cashflow unterscheiden sich durch unbare Aufwendungen und unbare Erträge. Begründen Sie Ihre Entscheidung. Warum wird der Gewinn des abgelaufenen Jahres oftmals häufiger als Indiz für den Erfolg der unternehmerischen Tätigkeit gesehen als eine Steigerung des Unternehmenswerts? Was versteht man unter Rücklagen, Rückstellungen und stillen Reserven?

2.3 Dividendenrendite und Gewinnrendite 2.3.1 Gewinnthesaurierung oder Gewinnausschüttung Mit der Entscheidung der Eigenkapitalgeber, welcher Teil des Jahresgewinns einbe­ halten werden soll, wie hoch also die Gewinnthesaurierung festgelegt wird, wird bestimmt, wie viel Innenfinanzierung dem Management erlaubt ist. Die Gewinnthe­ saurierung wird auch als Selbstfinanzierung bezeichnet. Die Quote, zu der Gewinn ausgeschüttet wird, ist die Ausschüttungsquote. Um die Ausschüttungsquote zu berechnen, wird die auf eine Aktie (oder einen Anteil­ schein) entfallende Dividende durch den auf eine Aktie entfallenden Gewinn geteilt.

2.3 Dividendenrendite und Gewinnrendite |

61

Die Ausschüttungsquote steht mit einigen weiteren Kennzahlen in Verbindung. Um sie zu definieren, soll eine Aktiengesellschaft betrachtet werden: Aktionäre betrachten die Dividendenrendite, auch direkte Rendite (Direct Yield (DYD)) genannt. Sie wird errechnet, indem die auf eine Aktie entfallende Di­ vidende durch den Kurswert der Aktie geteilt wird. Bei großen Aktiengesellschaften bewegt sich die Dividendenrendite zwischen 1 % und 4 %, wobei es Unternehmen gibt, die keine Ausschüttungen vornehmen. Microsoft Corporation beispielsweise hat über Jahrzehnte hinweg keine Dividende ausgeschüttet, während die Dividen­ denrendite des Softwareunternehmens heute bei 2 % liegt. Die Siemens AG schüttet regelmäßig eine Dividende aus, die in etwa 3 % des Aktienkurses beträgt. Bei der Allianz AG liegt die Dividendenrendite über 4 %. Eine weitere populäre Kennzahl ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), auch Price Earnings Ratio (PE) genannt. Das KGV ergibt sich, indem der augenblickliche Kurs der Aktien durch den Gewinn geteilt wird, der auf eine Aktie entfällt. Hierbei kann der Gewinn des gerade abgelaufenen Geschäftsjahrs zugrunde gelegt werden oder, von Finanzanalysten bevorzugt, der für das beginnende Geschäftsjahr zu erwar­ tende Gewinn. Vielfach wird das Kurs-Gewinn-Verhältnis herangezogen, um auszudrücken, wie „teuer“ eine Aktie ist. Da die Gewinne schwanken und meist über längere Zeit hinweg steigen, empfiehlt es sich, für die Berechnung einen durchschnittlichen Gewinn her­ anzuziehen. Die Aktien werden dann eher als etwas teuer angesehen, womit man dem Prinzip der Vorsicht folgt. Benjamin Graham (1894–1976) und Robert J. Shiller teilen die durchschnittlichen Gewinne der letzten Jahre durch den aktuellen Börsenkurs. Shiller definiert die CAPE-Ratio (Cyclically Adjusted Price to Earnings Ratio) als den heutigen Kurs geteilt durch die (um Inflation bereinigten) durchschnittlichen Gewinne der letzten zehn Jahre. Shiller legt empirische Studien vor, nach denen die Rendite für den Aktieninvestor für die kommenden fünf Jahre tendenziell geringer ist, wenn die Kennzahl CAPE größer ist. Shillers Studien zeigen, dass die zukünftigen Renditen stark durch die CAPE-Ratio vorbestimmt sind.² Zuvor setzte Graham den aktuellen Kurs zu den durchschnittlichen Gewinnen der letzten zehn Jahre in Beziehung, bereinigte jedoch nicht um die Inflation.³

Der Kehrwert des Kursgewinnverhältnisses ist die Gewinnrendite (Earnings Yield (EYD)). Werden die Kennzahlen kombiniert, errechnet sich die Ausschüttungsquote, defi­ niert als Dividende in Relation zum Gewinn. Da die Dividende den Gewinn nicht über­ steigen darf, ist die Ausschüttungsquote geringer als 100 %. Der Unterschied zu 100 % ist die Quote des Selbstbehalts (oder der Gewinnthesaurierung).

2 Robert C. Shiller (2000): Irrational Exuberance. Princeton: University Press. 3 Benjamin Graham und David Dodd (1934): Security Analysis. New York: McGraw-Hill.

62 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Beispiel Wenn ein Unternehmen eine Gewinnrendite von 6 % aufweist (was einem KGV von 16,7 entspricht) und wenn die Dividendenrendite 2,5 % ist, dann beträgt die Ausschüt­ tungsquote 42 %. 58 % ist die Quote der Selbstfinanzierung. Ein Anbieter von Finanzdaten nennt (2018) für die Siemens AG eine Dividendenrendite von 3 % und erwähnt, dass 42,3 % des Gewinns für die Dividende verwendet werden müssen. Folglich ist die Gewinnrendite 7,1 % und das KGV 14. Für die Allianz AG werden als Dividendenrendite 4,3 % genannt, dies sind 46,9 % des Gewinns. Somit beträgt die Gewinnrendite 9,2 %.

Natürlich schwanken die Gewinne über die Jahre hinweg, wohingegen die meisten Eigenkapitalgeber verstetigte Entnahmen oder Ausschüttungen bevorzugen. Oftmals bemüht sich die Unternehmensführung, für diese Rückflüsse an die Eigenkapitalge­ ber (Entnahmen, Dividenden) dem Betrag nach von Jahr zu Jahr leichte Erhöhungen vorzuschlagen. Die einbehaltenen Gewinnteile verändern sich entsprechend jährlich.

2.3.2 Rücklagen Viele Unternehmen engen die Ausschüttung durch die Satzung ein, der Gewinn soll dann zu einem gewissen Prozentsatz als Reserve im Unternehmen verbleiben. Dieser Gewinnteil wird in der Bilanz als Rücklage ausgewiesen, ungeachtet dessen, was das Unternehmen mit diesen Mitteln macht, ob sie in Form von Geld oder Guthaben ge­ halten, investiv verwendet werden oder ob sie dazu dienen, Fremdkapital abzulösen. Die Bilanzpolitik des Unternehmens hat durchaus Einfluss auf die Höhe des aus­ gewiesenen Gewinns, wenngleich die Einflussnahme von Rechnungslegungsstan­ dards abhängt. Neuere Standards der Rechnungslegung versuchen, den bilanzpoliti­ schen Einfluss zu reduzieren. Dennoch sei der Begriff der stillen Reserven genannt. Stille Reserven werden durch einen tendenziell (zu) geringen Gewinnausweis ge­ schaffen. Um stille Reserven zu bilden, werden Aufwendungen eher als (zu) hoch ausgewiesen. Mancher Eigentümer bildet stille Reserven, damit die Steuer niedriger angesetzt wird. Dennoch weiß er um die wahren Werte seines Unternehmens. Wurde die Geschäftsführung delegiert, sind stille Reserven von geringer Relevanz, da das Management kaum Interesse daran haben dürfte, den Gewinn geringer darzu­ stellen als er tatsächlich ausfällt. Eher das Gegenteil ist der Fall: So kann der Mana­ ger einer Aktiengesellschaft, der bald aus dem Unternehmen ausscheiden wird, die Gewinne höher ausweisen, als sie tatsächlich sind, und noch höhere Dividenden vor­ schlagen: 1. Aufwendungen werden eher als zu gering angesetzt. 2. Abschreibungen werden unterlassen.

2.4 Abschreibungen | 63

3. 4.

Lagerbestände von inzwischen obsolet gewordenen Waren werden nicht tiefer be­ wertet. Wirtschaftsprüfer werden vom Management genötigt, die „Werthaltigkeit“ einer Akquisition zu bestätigen. Dass hier und da Vermögenspositionen überbewertet sind, bringt erst der Nachfolger des CEOs ans Licht.

Es kann Jahre geben, in denen der Cashflow negativ ist. Wird ein Unternehmen re­ strukturiert, sind die baren Aufwendungen zeitweise höher als die baren Erträge. Hat das Unternehmen wenig Erfolg und muss Mitarbeiter(innen) entlassen, sind Sozial­ leistungen und Abfindungen bar zu zahlen. In Situationen, in denen der Cashflow negativ ist, muss das Unternehmen seinen Bestand an Liquidität reduzieren, jedoch wird eine gewisse Summe in der Transaktionskasse immer benötigt. Deshalb ist es erforderlich, zusätzlich Fremdkapital aufzunehmen, oder aber die Eigenkapitalgeber müssen neue Gelder einlegen, damit die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens auf­ rechterhalten werden kann. Kapitel 2.3 in Kürze Die Dividendenrendite beträgt bei den meisten Aktiengesellschaften zwischen 1 % und 4 %, auch wenn Unternehmen in Phasen starken Wachstums gelegentlich keine Ausschüttungen vorsehen. Der Kehrwert der Gewinnrendite ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Die Ausschüttungsquote beantwortet, wie viel Prozent des Gewinns ausgeschüttet werden. Folglich ist der Unterschied zu 100 % die Quote des Selbstbehalts.

Fragen zu Kapitel 2.3 1.

2. 3.

Die Unipol Gruppo Finanziario S.p.A. mit Firmensitz in Bologna hat (im Januar 2018) einen Kurs von 4,50 Euro und schüttet pro Aktie 0,19 Euro als Dividende aus. Den Gewinnschätzungen der Analysten zufolge sind das 37,7 % des Gewinns. Berechnen Sie die Dividendenrendite, die Ge­ winnrendite und das KGV. Was wird unter CAPE verstanden, was unter OPEX und TOTEX? Jemand berichtet: „Der Vorstandsvorsitzende ist 65 Jahre alt und demnächst wird die Nachfol­ ge bestimmt. Auf den letzten Hauptversammlungen hat der Topmanager berichtet, beträchtliche stille Reserven gelegt zu haben.“ Kommentieren Sie diesen Bericht.

2.4 Abschreibungen 2.4.1 Quellen der Innenfinanzierung Die Einbehaltung eines Teils des Gewinns ist eine erste Quelle für die Innenfinanzie­ rung. Um eine zweite Quelle für die Innenfinanzierung zu betrachten, soll der Blick auf die Unterschiede zwischen Cashflow und Gewinn gerichtet werden (siehe Abb. 2.1).

64 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

barer Ertrag, mit Einzahlungen

Ertrag

Cashflow

in derselben Periode verbunden (Absatz, Kunde zahlt in derselben Periode)

Gewinn unbarer Aufwand (Abschreibungen, Nettoerhöhung der Rückstellungen) barer Aufwand, mit Auszahlungen in derselben Periode verbunden (Löhne, Zahlungen für Faktoren)

Aufwand

unbarer Ertrag (Lieferung auf Ziel)

Abb. 2.1: Direkte und indirekte Berechnung des Cashflows (eigene Darstellung).

Der Gewinn ist die Differenz zwischen (baren oder unbaren) Erträgen sowie den (ba­ ren oder unbaren) Aufwendungen. Der Cashflow hingegen ist die Differenz zwischen den baren Erträgen und den baren Aufwendungen. Deshalb kann der Cashflow aus dem Gewinn errechnet werden. Vom Gewinn ausgehend werden die unbaren Aufwen­ dungen addiert und die unbaren Erträge subtrahiert. Das ist die indirekte Ermittlung des Cashflows. Eine zweite Quelle für die Innenfinanzierung ist somit durch die un­ baren Aufwendungen gegeben, von denen die unbaren Erträge abgezogen werden. Die wohl wichtigsten unbaren Aufwendungen sind Abschreibungen.

Bei der Gewinnermittlung wird berücksichtigt, ob sich Vermögenspositionen während des Geschäftsjahrs womöglich im Wert verringert haben. Ursachen hierfür sind Abnut­ zung, technologischer Wandel, Mode, Bruch, Beschädigung und Diebstahl. Die Wert­ verringerungen in einer Periode werden mittels Abschreibungen erfasst (und vor der Gewinnermittlung in Abzug gebracht). Bei der direkten Berechnung des Cashflows werden von allen baren Erträgen die baren Aufwendungen abgezogen. Bei der indirekten Berechnung werden die unbaren Aufwendungen zum Gewinn hinzuaddiert – dies sind vor allem die Abschreibungen und die Nettoerhöhung der Rückstellungen. Die unbaren Erträge (wie zum Beispiel die Erhöhung der Debitoren) werden subtrahiert (siehe Abb. 2.1). Dabei sind die Preise, zu denen das Unternehmen seine Produkte vertreibt, in aller Regel so hoch, dass sie die Nutzung von Einrichtungen unter Einschluss der Wertver­ ringerungen kompensieren. Kurzum: Die Verkaufserlöse decken im Regelfall auch die Abschreibungen. Somit liegen die Abschreibungen am Jahresende als Geld vor und sind in den Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber gelangt. Die den Abschreibun­ gen entsprechenden Zahlungsmittel (bei einer Kapitalgesellschaft) dürfen nicht ent­ nommen oder ausgeschüttet werden, da sie vor Gewinnermittlung abgezogen wurden und höchstens der Gewinn ausgeschüttet werden darf. Die Zahlungsmittel, die den

2.4 Abschreibungen | 65

Abschreibungen entsprechen, verbleiben mithin aufgrund von Gesetzen im Unterneh­ men. Nach der Gewinnthesaurierung sind sie eine wichtige Quelle für die Innenfinan­ zierung.

2.4.2 Rückstellungen Ein weiteres Beispiel für unbare Aufwendungen sind Erhöhungen der Rückstellungen. Rückstellungen sind bilanziert, um bestehende Verbindlichkeiten des Unternehmens zu zeigen, deren Höhen und Fälligkeitstermine aber noch nicht bekannt sind.

Beispiele 1. Rückstellungen werden gebildet, wenn das Unternehmen eine Produktgarantie gibt und davon ausgeht, dass Kunden Nachforderungen geltend machen werden. Das Unternehmen kann den Erwartungswert der Belastung statistisch berechnen, jedoch sind die genauen Forderungen und Termine noch unsicher. 2. Rückstellungen werden gebildet, wenn das Unternehmen als Partei an einem Ge­ richtsverfahren teilnimmt und vermutet, den Rechtsstreit zu verlieren. Vor Urteils­ spruch sind Höhe und Termin Zahlungsverpflichtung unbekannt. Diese Situation tritt immer häufiger auf, da staatliche Instanzen den Unternehmen hohe Strafen für vertragswidriges Verhalten auferlegen. 3. Rückstellungen werden gebildet, wenn einem Mitarbeiter eine betriebliche Alters­ versorgung zugesagt wird. Die sich daraus ergebenden Verpflichtungen stehen zwar fest, allerdings sind Höhe und Termine erst dann bekannt, wenn der Ren­ tenfall eintritt. 4. In einigen Branchen, etwa in der Abfall- oder Elektrizitätswirtschaft, haben von Unternehmen häufig Zusagen zu treffen, das Gelände nach Einstellung des Be­ triebs in den natürlichen Zustand zu überführen. Auch dafür werden Rückstel­ lungen gebildet, selbst wenn sie als Verbindlichkeit möglicherweise nie konkret werden. Erhöhungen der Rückstellungen in einem Jahr stellen unbaren Aufwand dar. Ähnlich wie bei Abschreibungen gilt auch hier, dass die Verkaufspreise für die Produkte so kal­ kuliert werden, dass der unbare Aufwand für die Erhöhungen der Rückstellungen ge­ deckt ist. Folglich sollten beim Absatz die den höheren Rückstellungen entsprechen­ den Geldbeträge eingehen. Sie tragen somit zum Cashflow bei. Selbstverständlich werden Rückstellungen immer wieder aufgelöst. Das ge­ schieht, wenn Verpflichtungen durch Zahlung erfüllt werden. Dieser Vorgang der Auflösung von Rückstellungen reduziert den Cashflow.

66 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Rückstellungen sind „pulsierende“ Positionen, Wie bei einem Fonds werden auch bei Rückstellungen Positionen hinzugefügt oder entnommen. Maßgeblich für Cashflow und unbare Aufwendungen sind die Nettowertänderungen im betreffenden Jahr.

2.4.3 Debitoren und Kreditoren Unbare Erträge ergeben sich vor allem dann, wenn die Kundschaft die gekauften Pro­ dukte erst zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt. Dann wird eine Position gebildet, die alle derzeit noch unbezahlten aber bereits abgeschlossenen Käufe umfasst. Die­ se Position wird als Debitor bezeichnet. Sie umfasst Forderungen aus Lieferungen und Leistungen des Unternehmens. Ein Debitor ist ein Schuldner, meist ein Kunde, der eine offene Rechnung zu begleichen hat. Die Position der Debitoren ist ebenso pulsierend. Neue Debitoren erhöhen den Bestand an Forderungen, die das Unternehmen an andere richtet. Sobald ein Schuldner zahlt, verringert sich der Bestand. Bei der Ermittlung des Cashflows aus dem Gewinn ist also maßgeblich, welche Nettoerhöhung es bei den Debitoren im Geschäftsjahr gegeben hat. Diese Erhöhung ist unbarer Ertrag. Sie wird vom Gewinn abgezogen.

Unbare Aufwendungen ergeben sich, wenn das Unternehmen von ihren Lieferanten bezogene Vorleistungen erst zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt. Die entsprechen­ de Bestandsposition wird als Kreditor bezeichnet. Ein Kreditor ist ein Lieferant, der dem Unternehmen ein langes Zahlungsziel einräumt und ihm auf diese Weise einen Kredit gibt. In der Praxis wird die Buchhaltung der Kreditoren ausgebaut, sodass das Unternehmen die geplanten Zahlungstermine in eine Liquiditätsvorschau einfließen lässt. Nettoerhöhungen der Kreditoren stellen unbaren Aufwand dar. Dieser unbare Aufwand erhöht in der indirekten Berechnung den Cashflow: Cashflow = Gewinn + Abschreibungen + Nettoerhöhungen der Rückstellungen + Nettoerhöhung der Kreditoren − Nettoerhöhung der Debitoren

(2.1)

Gegebenenfalls müssen weitere Fonds und deren Nettoerhöhung in die Berechnung des Cashflows miteinbezogen werden. Dies ist dann notwendig, wenn die unbaren Aufwendungen nicht nur Abschreibung und Nettoerhöhungen der Rückstellungen und der Kreditoren sind. Auch weitere Fonds und deren Nettoveränderung im Ge­ schäftsjahr müssen betrachtet werden, wenn die unbaren Erträge nicht allein aus den Nettoveränderungen bei den Debitoren bestehen. Deshalb werden in der Literatur Berechnungen für den Cashflow angegeben, die unterschiedlich fein gegliedert sind.

2.4 Abschreibungen | 67

Steht das Wesentliche im Vordergrund, sollen die Abschreibungen als Unter­ schied zwischen Gewinn und Cashflow betont werden: Cashflow = Gewinn + Abschreibungen ± ∆Fonds

(2.2)

Die Abschreibungen sollen die Unterschiede zwischen Gewinn und Cashflow re­ präsentieren (was zu Cashflow = Gewinn + Abschreibungen führt). Diese Vereinfa­ chungen werden in dem Bewusstsein verwendet, dass die Nettoveränderungen bei Rückstellungen und die verschiedenen weiteren Fonds noch hinzutreten. Denn ihre Änderungen gehören auch zu unbaren Aufwendungen oder unbaren Erträgen eines Geschäftsjahrs und fließen deshalb in den Unterschied zwischen Gewinn und Cash­ flow ein. Mit (2.1) kann die Innenfinanzierung etwas anders ausgedrückt werden. Sie war definiert als Cashflow abzüglich der Ausschüttungen. Das ist gleich dem einbehaltenen Gewinn (Selbstbehalt oder Selbstfi­ nanzierung) plus (kurz) den Abschreibungen: Innenfinanzierung = Selbstfinanzierung plus Abschrei­ bungen.

Aufgrund der hohen Bedeutung der Abschreibungen für die Innenfinanzierung wird der ihnen entsprechende Geldbetrag auch als Finanzierung aus Abschreibungen be­ zeichnet. Also gilt, wiederum bis auf ±∆ Fonds, der nachstehende Zusammenhang: Innenfinanzierung = Selbstfinanzierung + Finanzierung aus Abschreibungen (2.3)

Die Finanzierung aus Abschreibungen findet sich besonders häufig in der Industrie, da Maschinen und maschinelle Einrichtungen dort oftmals nur wenige Jahre genutzt werden. Enorme Abschreibun­ gen sind auch in der Modeindustrie zu verzeichnen oder in Firmen, die angewandtes Wissen (Entwick­ lungsarbeit, Konstruktionen) benötigen und hervorbringen, das aber, anders als Grundlagenwissen, nur wenige Jahre von Nutzen ist. Damit ist in solchen Unternehmen die Finanzierung aus Abschrei­ bungen bedeutender als die Selbstfinanzierung. Die Finanzierung aus Abschreibungen versetzt das Management dieser Unternehmen in die Lage, dem Unternehmen ohne Ansprache weiterer Finanziers in wenigen Jahren ein „neues Gesicht“ zu geben.

In der Praxis kann dies unter geringer Kontrolle seitens der Eigenkapitalgeber gesche­ hen. Es kommt hinzu, dass die den Abschreibungen entsprechenden Gelder nicht un­ bedingt im selben Jahr für gleichartigen Ersatz ausgegeben werden müssen. Die meis­ ten Abschreibungen sind rein kalkulatorischer Natur: Der gesamte Wertverlust bis zum Ende der mehrjährigen Nutzungszeit wird auf die einzelnen Jahre umgerechnet. Viele Anlagen und Einrichtungen behalten ihre Funktionsfähigkeit, auch wenn die Abschreibungsbeträge nicht jedes Jahr eingesetzt werden. Das Management könn­ te mit den Abschreibungsbeträgen also entweder die Kapazität erhöhen oder aber an­ dere Anlagen einrichten, um so einen Strategiewechsel herbeiführen. Man denke zum Beispiel an eine Privatperson, die mit eigenem Geld und einem Kredit für sich als Ein­

68 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

zelfirma ein Auto kauft und sich als Taxifahrer betätigt. Die veranschlagten Preise er­ lauben es, den Sprit und die Kreditzinsen zu bezahlen. Sie sind sogar so hoch ange­ setzt, dass die für das Fahrzeug anzunehmende Wertminderung gedeckt ist. Die Gel­ der fließen aber zunächst nicht ab, weil das Auto durchaus funktionstüchtig ist. Der Unternehmer kann nun beispielsweise damit beginnen, seine berufliche Tätigkeit auf einen neuen Bereich zu verlagern: Er kauft sich Anteile an einer Gärtnerei, die Bio­ erzeugnisse an lokale Supermärkte liefert. Später kann er die Gärtnerei übernehmen, doch zunächst fährt er weiterhin Taxi mit seinem immer älter werdenden Auto. Na­ türlich sieht das die Bank, die mit ihrem Kredit geholfen hatte, dass das Auto gekauft werden konnte, doch sie hält still, da sie die Zahlungsfähigkeit der Person durch die strategische Geschäftsveränderung als gestärkt ansieht. Die Innenfinanzierung, vor allem die Finanzierung aus Abschreibungen, erlaubt Neuausrichtungen auch bei großen Unternehmen. Eines der bekanntesten Beispiele ist das finnische Unternehmen Nokia, das sich von einem Holzstoffhersteller und Mischkonzern seit den 1970er-Jahren zu einem Telekommunikationsunternehmen wandelte. Natürlich zieht das enorme Potenzial an Finanzierung aus Abschreibungen ak­ tivistische Investoren und Hedgefonds an, die dem Management eine Nutzung dieses Potenzials diktieren wollen. Kapitel 2.4 in Kürze –



Bei der indirekten Ermittlung des Cashflows werden Gewinn und Abschreibungen addiert, dann werden die Nettoerhöhungen der Rückstellungen und die der Kreditoren addiert, während die Nettoerhöhungen der Debitoren subtrahiert werden. Die Finanzierung aus Abschreibungen ist bei Industrieunternehmen beträchtlich. Nicht immer müssen sofort Ersatzinvestitionen getätigt werden. Eventuell kann dem Unternehmen mithilfe dieser Innenfinanzierungsquelle ein völlig neues Gesicht gegeben werden.

Fragen zu Kapitel 2.4 1. 2. 3. 4.

Nennen Sie vier Beispiele für Vorgänge, die eine Erhöhung der Rückstellungen verlangen. Was sind Debitoren, was sind Kreditoren? Welche Rolle spielen sie bei der Ermittlung des Cash­ flows? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Innenfinanzierung und Selbstfinanzierung? Was besagt der Lohmann-Ruchti-Effekt über die „Kapazitätserweiterung“?

2.5 Brutto-Cashflow, EBIT, EBITDA 2.5.1 EBIT und EBITDA Der Cashflow bezieht sich auf die Zahlungsebene, der Gewinn auf die Erfolgsebene. Beide Größen weisen dennoch Gemeinsamkeiten auf (siehe Abb. 2.2), so zeigen sie,

2.5 Brutto-Cashflow, EBIT, EBITDA | 69

Cashflow

minus Zinsen minus Steuern

Gewinn

minus Abschreibungen

minus Zinsen minus Steuern

minus Abschreibungen

Brutto-Cashflow = EBITDA

EBIT

Abb. 2.2: Zusammenhang zwischen Brutto-Cashflow und Gewinn (eigene Darstellung).

was den Eigenkapitalgebern zugerechnet wird. Die Eigenkapitalgeber sind jedoch nur eine von mehreren Parteien, denen Teile des Gesamtergebnisses zustehen. Cashflow und Gewinn drücken damit etwas über die Verteilung des Gesamtergebnisses aus. An­ dere Gruppen, denen auch ein Teil des Gesamtergebnisses zukommen, bleiben bei die­ sen Begriffen unberücksichtigt. Oftmals, besonders für die betriebliche und die unter­ nehmerische Planung, möchte man (zunächst) die Verteilung ausklammern und sich erst einmal auf die Entstehung des Gesamtergebnisses konzentrieren. Um Gesamtergebnisgrößen zu definieren und zu ermitteln, wird nicht nur berück­ sichtigt, was Eigenkapitalgebern zukommt, sondern auch, was andere Gruppen erhal­ ten. Wird alles Verteilte und Zugewiesene addiert, resultiert daraus, was in der Periode insgesamt erzeugt wurde. Die Summe des Verteilten entspricht dem, was geschaffen wurde. Zu Cashflow und Gewinn werden jene Ergebnisgrößen addiert, die anderen Par­ teien zukommen. Unter „anderen Parteien“ werden üblicherweise Fremdkapitalgeber und Fiskus verstanden. Die entstehenden Gesamtergebnisgrößen zeigen mithin, was den Eigenkapitalgebern, den Fremdkapitalgebern sowie dem Fiskus zugewiesen wird. Je nachdem, ob die Zahlungsebene oder die Erfolgsebene bevorzugt wird, entstehen zwei Größen: Wirtschaftsleistung und Betriebsgewinn. – Die Wirtschaftsleistung bezieht sich auf die Ebene der Zahlungen. Die Wirt­ schaftsleistung wird auch als Brutto-Cashflow bezeichnet. Zur Ermittlung wer­ den zum Cashflow die in der Periode geleisteten Zinszahlungen sowie die Steuer­ zahlungen addiert. – Der Betriebsgewinn bezieht sich auf die Erfolgsebene. Der Betriebsgewinn wird als Earnings before Interest and Taxes (EBIT) bezeichnet. Das EBIT entsteht, indem zum Gewinn der Zinsaufwand der Periode sowie die Steuern addiert wer­ den.

70 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Das EBIT ist also der Gewinn vor Zinsen und Steuern. Anders ausgedrückt: Von den Erlösen aus dem Verkauf werden zunächst Löhne und Vorleistungen, und dann Ab­ schreibungen und Nettoerhöhungen der Rückstellungen abgezogen.⁴ Während Wirtschaftsleistung (Brutto-Cashflow) und Cashflow sich auf Zahlungen beziehen, beziehen Betriebsgewinn und Gewinn sich auf die Erfolgsebene. Beide Ebe­ nen würden übereinstimmen, wenn alle Erträge und Aufwendungen bar wären und wenn alle Zinsen und Steuerforderungen in der Periode bezahlt würden. Das ist praktisch nie der Fall, weshalb zwischen Wirtschaftsleistung und Betriebs­ gewinn gewisse Unterschiede bestehen. Sie gehen auf unbare Erträge und unbare Auf­ wendungen zurück (ähnlich erklären sich die Unterschiede zwischen Cashflow und Gewinn aus unbaren Erträgen und unbaren Aufwendungen). Die größte Position stellen hier in der Regel die Abschreibungen dar, sieht man von anderen Bestandsgrößen. Vereinfacht ausgedrückt: Abschreibungen bestimmen den Unterschied zwischen Wirtschaftsleistung und Betriebsgewinn (und zwischen Cashflow und Gewinn). Die Unterschiede zwischen Wirtschaftsleistung und Cashflow einerseits und die Unter­ schiede zwischen Betriebsgewinn und Gewinn andererseits sind durch Zinsen und Steuern gegeben.

2.5.2 Gewinnmarge Zur Verdeutlichung wird die Gewinnmarge (Profit Margin) betrachtet. Sie ist defi­ niert als Betriebsgewinn (EBIT) geteilt durch den Umsatz der Periode. Sowohl Umsatz als auch Gewinnmarge unterliegen Veränderungen, doch in stabilen Geschäften kön­ nen sie für einige Jahre vorhergesagt werden. Dann ist es möglich, für die kommenden Jahre das EBIT zu prognostizieren, indem Umsatz und Gewinnmarge des betreffenden Geschäftsjahrs multipliziert werden. Werden dann zum EBIT die Abschreibungen ad­ diert, folgt der Brutto-Cashflow. Werden davon Zinszahlungen und Steuern subtrahiert, resultiert daraus der Cashflow: Cashflow = Umsatz ⋅ Gewinnmarge + Abschreibungen − Zinsen − Steuern

Beispiel Der Umsatz der kommenden beiden Geschäftsjahre beträgt 500 und 550 (Tsd. Eu­ ro), die Gewinnmarge 16 % und 12 %. Die Abschreibungen sind in beiden Jahren 40 (Tsd. Euro), die Fremdkapitalzinsen jeweils 30, die Steuern sind 20 in beiden Jahren.

4 Dieser Betriebsgewinn EBIT ist jedoch nicht der „Gewinn aus betrieblicher Tätigkeit“, es ist ein Ge­ winn aus unternehmerischer Tätigkeit zugunsten von Eigenkapitalgebern, Fremdkapitalgebern, und Fiskus.

2.5 Brutto-Cashflow, EBIT, EBITDA | 71

Daraus errechnet sich für die Betriebsgewinne 80 und 66, für die Wirtschaftsleistun­ gen 120 und 116, und für die Cashflows 70 und 66. Weil die Abschreibungen den Unterschied zwischen Wirtschaftsleistung und Be­ triebsgewinn (EBIT) bestimmen, kann die Wirtschaftsleistung auch als Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibung bezeichnet werden. – Im Englischen werden Abschreibungen auf das Sachvermögen als Depreciation – und Abschreibungen auf das immaterielle Vermögen als Amortisation bezeich­ net. Wissen, etwa in Form eines Entwurfs oder einer Produktentwicklung, altert nicht wie eine Sache. Es stellt sich vielmehr die Frage, innerhalb welcher Zeitspanne sich Wis­ sen bezahlt gemacht, es sich also amortisiert hat. Auf ein Geschäftsjahr bezogen ist das die Amortisation. Die Wirtschaftsleistung bezieht sich auf die Ebene der Zahlungen. Die Wirtschaftsleistung wird auch als Brutto-Cashflow bezeichnet. Zur Ermittlung der Wirtschaftsleistung werden zum Cashflow die in der Periode geleisteten Zinszahlungen sowie die Steuerzahlungen addiert (2.4).

Die Wirtschaftsleistung ist demnach der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschrei­ bung auf greifbares Vermögen sowie vor Amortisation des ungreifbaren Vermögens (Earnings before Interest, Taxes, Depreciation (EBITDA)). Das EBITDA kann aus dem EBIT berechnet werden, indem die Abschreibung auf greifbares Vermögen und die Amortisation des ungreifbaren Vermögens addiert wer­ den. EBITDA = EBIT + Abschreibungen (2.4) Berichte und Planungen, die sich auf EBIT oder EBITDA stützen, sind näher am Be­ triebsgeschehen und der Erzeugung der wirtschaftlichen Leistung als Berichte und Planungen, die auf den Größen „Gewinn“ und „Cashflow“ basieren. Mit EBIT und EBITDA sind Ländervergleiche trotz unterschiedlicher Besteuerung gut möglich. Die beiden Größen „Gewinn“ und „Cashflow“ erfassen hingegen einen Aspekt der Vertei­ lung. Sie zeigen, was den Eigenkapitalgebern zugutekommt. In Planungen und Un­ ternehmensanalysen werden EBIT und EBITDA häufiger verwendet als Gewinn und Cashflow (siehe Abb. 2.3). Eines darf jedoch nicht übersehen werden: In der Praxis der Berichterstattung werden beim EBIT wie auch beim EBITDA die Earnings auf den durch ordentliche Be­ triebstätigkeit entstehenden Gewinn eingeschränkt. Das Finanzergebnis ebenso wie außerordentliche Betriebsereignisse bleiben unberücksichtigt. Insbesondere werden Finanzierungsaufwendungen und Abschreibungen, die nicht der ordentlichen Be­ triebstätigkeit entsprechen, aus dem EBIT wie dem EBITDA herausgerechnet. Ein positiver EBIT und ein hoher EBITDA besagen: Wäre alles wie geplant gelau­ fen (und wären keine abträglichen Sondereinflüsse eingetreten), hätten wir diesen Ge­

72 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Kunden Zulieferanten

Vorleistungen

Mitarbeitende Staat Fremdkapitalgeber

Löhne

Eigenkapitalgeber Steuern

Brutto-Cashflow

Umsatzerlöse

Unternehmung

EBIT

Zinsen Gewinn

Dividende

Abschreibungen

Innenfinanzierung

Cashflow

Abb. 2.3: Von den Umsatzerlösen zum Cashflow und EBIT (eigene Darstellung).

winn. Aufgrund finanzieller oder außerordentlicher Vorgänge kann das Unternehmen tatsächlich aber Verluste haben. Bei Unternehmen, die in ihrer Berichterstattung nie den wirklichen Gewinn nennen, sondern bevor­ zugt auf den EBIT und den EBITDA abstellen, sollte gefragt werden, wie das Finanzergebnis tatsächlich aussieht und welche außerordentlichen Ereignisse erwähnt werden müssten.

Durch das Ausklammern nicht betrieblicher Ergebnisse können Verluste beschönigt werden: Der Cashflow eines Jahres ist in der Regel deutlich größer als der Gewinn, denn der Ertrag führt normalerweise (fast) vollständig zu Einzahlungen in dersel­ ben Periode. Abschreibungen, eine wichtige Aufwandsposition, sind hingegen unbar. Durch Abschreibungen (und Nettoerhöhungen der Rückstellungen) ist der Aufwand deutlich höher als der bare Aufwand. Es kann Jahre geben, in denen der Gewinn negativ und der Cashflow positiv ist. Verlust bei posi­ tivem Cashflow kann sich aus der Notwendigkeit heraus ergeben, Sonderabschreibungen vorneh­ men zu müssen, um das Vermögen in einer „bereinigten Bilanz“ „realistisch“ bewerten zu kön­ nen. Aktionären wird auf der Hauptversammlung entsprechend mitgeteilt, Cashflow und Gewinn seien positiv, allerdings seien aus „rein bilanztechnischen Gründen“ Sonderabschreibungen vor­ genommen worden. Das klingt positiver als die Äußerung, es sei zu einem Verlust gekommen. Die Abschreibungspolitik hat großen Einfluss auf den Gewinn, nicht aber auf den Cashflow.

2.6 Unternehmenswert | 73

Kapitel 2.5 in Kürze – –

Es ist gängige Praxis, bei der Planung und Analyse von Unternehmen den Kreis der Berechtigten um Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und den Fiskus zu erweitern. Das EBIT wird als Betriebsgewinn bezeichnet. Hingegen wird mit dem EBITDA die Ebene der Zah­ lungen angesprochen und somit die Wirtschaftsleistung des Unternehmens.

Fragen zu Kapitel 2.5 1. 2. 3.

Warum sind Planung und Analyse des Unternehmens eher auf EBIT und EBITDA ausgerichtet als auf Cashflow und Gewinn? Warum ist es sinnvoll, zu fragen, innerhalb welches Zeitraums sich immaterielles Vermögen amortisiert haben sollte? Warum ist es beim EBITDA wichtig zu wissen, ob die Earnings als Gewinn zu sehen sind oder als Gewinn aus Betriebstätigkeit?

2.6 Unternehmenswert 2.6.1 Wert eines Unternehmens Der Wert eines Unternehmens ist vor allem aus drei Gründen eine wichtige Größe. 1. Aufgrund der Fisher-Separation streben Eigenkapitalgeber, Wertsteigerungen an. 2. Immer wieder kommt es zu Käufen und Verkäufen ganzer Unternehmen oder aus­ gegliederter Unternehmensteile. Zwar halten sich Käufer und Verkäufer bei ihren Verhandlungen nicht immer an eine Wertermittlung, jedoch lassen sie sich vom Unternehmenswert leiten. 3. An gut funktionierenden Börsen stellen sich Kurse ein, die im Mittel den mit einer Aktie verbundenen Wert treffen. Finanzanalysten bewerten Unternehmen, um Ab­ weichungen zu identifizieren. Ihre Bewertungen dienen als Vorgabe des Kursziels. Unternehmenswerte dienen Investoren bei der Allokation des volkswirtschaftlichen Kapitals als Ori­ entierung. Durch Unternehmenswerte werden Wachstum und Ausrichtung der Wirtschaftstätigkeit insgesamt bestimmt.

Wie ist der Wert eines Unternehmens zu verstehen? Allgemein gilt als wertvoll, was von der Allgemeinheit als erhaltens- und erstrebenswert angesehen wird. Die Werthöhe ergibt sich aus den Ressourcen, die die Allgemeinheit aufzuwenden bereit ist, um das als wertvoll Angesehene zu schaffen, zu erwerben, zu erhalten. Eine Bewertung verlangt eine typische Sicht („Allgemeinheit“), die aus einer vom Speziellen bereinig­ ten Perspektive („Prozess der Läuterung“) getroffen wird. Rein persönliche Sichtweisen und augen­ blickliche Besonderheiten sind auszuklammern.

74 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Irving Fisher setzte den Wert eines Unternehmens mit dem Wert gleich, den alle in Zu­ kunft an die Eigenkapitalgeber gehenden Rückflüsse im Finanzmarkt haben. Erklär­ termaßen müssen Rückflüsse aus einer allgemeinen Perspektive und unter Zugrunde­ legung allgemeiner Informationen und Erwartungen prognostiziert werden. Was den Finanzmarkt anbelangt, darf eine möglicherweise momentan bestehende ungewöhn­ liche Situation dabei keine Berücksichtigung finden. Dennoch mag der Unternehmenswert recht abstrakt erscheinen. Zunächst muss definiert werden, wie sich Rückflüsse zusammensetzen, wie auf die Zukunft bezogene, allgemein geteilte Erwartungen gebildet werden und welchen Preis Rückflüsse unter gewöhnlichen Verhältnissen im Finanzmarkt hätten. Somit ist verständlich, dass Manager sich noch vor wenigen Jahrzenten an Umsatz oder Gewinn des letzten Jahres orientierten, mussten sie ein Unternehmen bewerten. Bewertungen auf Basis von historischen, dem Rechnungswesen entnommener Grö­ ßen herrschten in der Praxis vor. Derartige Bewertungsansätze sind allerdings unge­ eignet, sofern in den kommenden Jahren Änderungen der Unternehmensstrategie an­ stehen und danach gefragt wird, wie sich diese im Unternehmenswert niederschlagen werden. Der Wirtschaftswissenschaftler Alfred Rappaport (1986) konnte Folgendes zeigen: 1. Er konkretisierte die Rückflüsse anhand von Cashflows, 2. Er leitete Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Cashflows aus Produktions- und Absatzplanun­ gen ab. 3. Er leitete aus Forschungen zu Theorie und Empirie der Finanzmärkte ab, wie zukünftig fällige, unsichere Zahlungen zu bewerten sind. Letzteres wird durch Diskontierung ermittelt, der eine Rendite zugrunde gelegt wird, die mit dem Ca­ pital Asset Pricing Model (CAPM) bestimmt werden kann.

Der daraus resultierende Bewertungsansatz wird als Discounted Cashflow (DCF) be­ zeichnet. Die DCF-Methode wird mittlerweile regelmäßig eingesetzt, zum Beispiel zur Kontrolle anderer Bewertungsansätze.

2.6.2 Ausbluten oder Aufblühen Nachfolgend wird die DCF-Methode vorgestellt. Streng genommen müssten Erwartun­ gen hinsichtlich aller zukünftigen Rückflüsse gebildet werden. Es lassen sich jedoch kaum Prognosen hinsichtlich der fernen Zukunft treffen, wohingegen Vorhersagen für einige Jahre durchaus möglich sind, Um Rückflüsse in ferner Zukunft nicht im Detail prognostizieren zu müssen, schlägt Alfred Rappaport (1986, S. 26) vor, eine Skizze zu erstellen, die verdeutlicht, wo das Unternehmen, zum Beispiel in fünf Jahren, hinsichtlich Produktion und Absatz stehen wird. Diese Skizze soll zum Ausdruck bringen, wie viele Mitarbeitende zu diesem Zeitpunkt im Unternehmen angestellt sind, welche Anlagen und Be­

2.6 Unternehmenswert | 75

triebsstätten vorhanden sind und wie sich die Finanzierung gestaltet. Der Wert, den das Unternehmen voraussichtlich haben wird, wird als Fortführungswert (Continuing Value) bezeichnet.

Für die Bewertung wird angenommen, dass die Eigenkapitalgeber das Unternehmen im fünften Jahr zum Fortführungswert verkaufen werden.⁵ Mit dieser vereinfachten Betrachtung müssen lediglich die Rückflüsse der ersten fünf Jahre (der eigentlich unendlichen Folge von Rückflüssen) berücksichtigt werden. Die Rückflüsse werden anhand der Cashflows ermittelt. Die in der Skizze festgehalte­ nen und für den Betrieb erforderlichen Investitionen müssen getätigt werden. Diese Investitionen werden als budgetiert bezeichnet. Rappaport identifiziert die Rückflüsse der ersten fünf Jahre mittels der Cashflows dieser Jahre abzüg­ lich der Auszahlungen für die budgetierten Investitionen. Die Differenzen zwischen den Cashflows der kommenden Jahre und den jeweiligen Auszahlungen für die budgetierten Investitionen werden als freie Cashflows bezeichnet.

Da die Eigenkapitalgeber das Unternehmen in fünf Jahren verkaufen und den Fort­ führungswert für sich beanspruchen könnten, kommt ein weiterer Rückfluss hinzu. Der Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber umfasst also sechs Zahlungen als Rück­ flüsse: in den ersten fünf Jahren die freien Cashflows, danach zusätzlich den Fortfüh­ rungswert. Wie viele Investitionen werden budgetiert? Die Auszahlungen für die budgetier­ ten Investitionen (die von den Cashflows abgezogen werden) sind abhängig von der Skizze, die den Zustand des Unternehmens in fünf Jahren beschreibt. Zeigt die Skiz­ ze ein ausgeblutetes Unternehmen, sind möglicherweise keine Investitionen erforder­ lich. In diesem Fall entsprechen die freien Cashflows der ersten fünf Jahre den Cash­ flows. Wird das Unternehmen ausgeblutet, ist der Fortführungswert im fünften Jahr entsprechend gering, nur wenig Geld gelangt in den Verfügungsbereich der Eigenka­ pitalgeber. Zeigt die Skizze ein aufgeblühtes Unternehmen, weist es einen entsprechend ho­ hen Fortführungswert auf. Innerhalb der fünf Jahre sind erhebliche Investitionen zu budgetieren. Die freien Cashflows sind folglich gering. Nimmt man an, das aufgeblüh­ te Unternehmen würde in fünf Jahren verkauft werden, würde viel Geld in den Verfü­ gungsbereich der Eigenkapitalgeber gelangen. Wie viele Investitionen budgetiert werden, ob also Ausbluten oder Aufblühen des Unternehmens ge­ wählt wird, hängt vom Fortführungswert ab. Dieser soll mittels der budgetierten Investitionen erreicht werden. Ein geringer Fortführungswert erlaubt es (für die Bewertung), das Unternehmen ausbluten zu lassen, wobei daraus hohe freie Cashflows resultieren können. Ein (für die Bewertung) hoch ange­

5 Ist der Fortführungswert bekannt, erübrigt sich die Frage, ob es neben Rückflüssen an die Kapital­ geber „Lasten“ oder „Perlen“ geben wird, die bei einer Bewertung berücksichtigt werden müssen.

76 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

setzter Fortführungswert verlangt entsprechend hohe Budgetierung von Investitionen, wobei daraus geringere freie Cashflows resultieren.

2.6.3 Kapitalkosten In einem nächsten Schritt wird auf Basis der Skizze und der Absatz- und Produktions­ planung, wobei relevant ist, wie viele Investitionen budgetiert wurden, eine Schät­ zung vorgenommen: Welche Risiken bestehen für die Eigenkapitalgeber? Die Reali­ sierung der freien Cashflows und des Fortführungswerts können von den prognosti­ zierten und erwarteten Größen abweichen. Gemäß der Finanzmarktforschung ist die zu erwartende Rendite umso höher, je größer die nicht mehr weiter diversifizierbaren Risiken sind. Folgt man Rappaports Argumentation, sind die Rückflüsse (freie Cashflows, Fortführungswert) mit der Ren­ dite, die bei vergleichbaren Risiken normalerweise im Finanzmarkt anzutreffen ist, zu diskontieren.⁶ Anhand der Risiken wird die von Eigenkapitalgebern als marktgerecht angesehe­ ne Rendite bestimmt. Aus Sicht des Unternehmens entstehen Kosten, um diese Erwar­ tungen zu bedienen, die sogenannten Eigenkapitalkosten. Um die Höhe der Eigen­ kapitalkosten auszumachen, können diese mit jenen Renditen verglichen werden, die üblicherweise im Finanzmarkt zu beobachten sind. Die Renditeerwartungen der Eigenkapitalgeber hängen auch davon ab, ob und wenn ja, wie viel Fremd­ kapital eingesetzt wird. Mit dem Fremdkapital wirkt der Leverage-Effekt. Dieser beschreibt 1. eine Anhebelung des Erwartungswerts der Eigenkapitalrendite und 2. eine riskantere Eigenkapitalrendite (bei zunehmendem Einsatz von Fremdkapital wird das (gege­ bene) unternehmerische Risiko von immer weniger Eigenkapital getragen).

Wurden die Eigenkapitalkosten (des teils fremdfinanzierten) Unternehmens bestimmt, können die Rückflüsse (freie Cashflows der ersten fünf Jahre und Fortführungswert im fünften Jahr) diskontiert werden. Die Summe der Barwerte liefert als Ergebnis den Wert des Eigenkapitals (EK). Da er sich auf den heutigen Zeitpunkt (der Bewertung) bezieht, sei der Eigenkapitalwert mit EK0 bezeichnet: EK0 =

FCF1 FCF2 FCF5 CV5 + +...+ + 2 5 1 + rEK (1 + rEK ) (1 + rEK ) (1 + rEK )5

(2.5)

Dabei bezeichnet rEK die Eigenkapitalkosten – die als Vergleichsrendite ermittelt wer­ den, wobei die von der Skizze abhängigen Risiken sowie die geplante Fremdfinanzie­ rung berücksichtigt werden. 6 Vergleiche Bernd Schwetzler: Unternehmensbewertung unter Unsicherheit – Sicherheitsäquiva­ lent oder Risikozuschlagsmethode? Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 52 (2000) 5, S. 469–486.

2.6 Unternehmenswert | 77

Der Fortführungswert sei CV5 (Continuing Value). Der Zeitindex 5 drückt aus, dass die Eigenkapitalgeber das Unternehmen nach fünf Jahren zu diesem Betrag verkaufen.

2.6.4 Discounted Cashflow in sieben Schritten Die Vorgehensweise zur Ermittlung des Unternehmenswerts (zugunsten der Eigenka­ pitalgeber) ist noch einmal in Schritten dargestellt: 1. Schritt: Es wird eine Skizze formuliert, die (für die Bewertung) beschreibt, wie das Unternehmen in fünf Jahren aussehen soll. Die Skizze erlaubt es, den Fortfüh­ rungswert (als Verkaufswert in fünf Jahren) zu schätzen oder anderweitig ermit­ teln. 2. Schritt: Es werden Annahmen getroffen, welche Investitionen zu budgetieren sind und welcher Fortführungswert in fünf Jahren erreicht werden wird. 3. Schritt: Der Geschäftsplan wird auf Basis der Skizze detailliert, sodass die Cash­ flows aus der Fünfjahresplanung von Produktion und Absatz entnommen werden können. Die freien Cashflows werden berechnet, indem von den prognostizierten Cashflows die Auszahlungen für die budgetierten Investitionen abgezogen wer­ den. 4. Schritt: Das unternehmerische Risiko wird anhand der Skizze bestimmt. Das Ri­ siko ergibt sich aus dem Geschäftsplan sowie aus dem Plan, in fünf Jahren zu verkaufen. Sind in der Skizze geringe Investitionen budgetiert (Unternehmen blu­ tet aus, Fortführungswert ist gering), besteht das unternehmerische Risiko be­ sonders in der Unsicherheit der Cashflows. Sind in der Skizze hohe Investitionen budgetiert (Unternehmen blüht auf, Fortführungswert ist hoch), besteht das un­ ternehmerische das Risiko besonders darin, dass budgetierte Investitionen nicht greifen und der angestrebte Fortführungswert nicht realisiert werden kann. 5. Schritt: Es wird festgelegt, von wie viel Fremdfinanzierung (in der Bewertungs­ rechnung) ausgegangen wird und wie hoch die Vergleichsrendite ist. Der Einsatz von Fremdkapital führt in Anbetracht der nicht finanzierungsneutralen Unter­ nehmensbesteuerung dazu, dass die Gewinnsteuern geringer ausfallen. Gegebe­ nenfalls muss Schritt 3 wiederholt werden. 6. Schritt: Risiken und (für die Bewertung) unterstellte Fremdfinanzierung werden mit dem Finanzmarkt verglichen und so die Renditeerwartung der Eigenkapital­ geber (Eigenkapitalkosten) ermittelt. Die Eigenkapitalkosten werden für die Dis­ kontierung der freien Cashflows und die Ermittlung des Fortführungswerts her­ angezogen.⁷

7 Im Finanzmarkt haben zwei Zahlungsansprüche denselben Wert, wenn sie in all jenen Merkma­ len übereinstimmen, die den Preis beeinflussen (= Vergleich). Auch der Begriff der Replikation wird hierfür verwendet. In der modernen Finanzmarkttheorie wird eher von Replikation als von Vergleich gesprochen.

78 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

7. Schritt: Die Addition der Barwerte liefert den Wert (zugunsten der Eigenkapitalge­ ber). Ergänzungen 1. Die erste Ergänzung betrifft den Fortführungswert. Dieser hängt von der Skizze ab. Er wird als vorgegeben betrachtet. Eine Vorgabe kann zum Beispiel sein: Das Unternehmen soll (in der Bewertung) stets die Cashflows ausschütten. Diese wer­ den in der Folge immer geringer. Eine andere Vorgabe kann zum Beispiel sein: Der Unternehmenswert soll in etwa gleich bleiben. Investitionen sind nur in dem Umfang zu tätigen, wie Produktionsmittel und Einrichtungen zu ersetzen sind. 2. Die zweite Ergänzung betrifft die Bewertung des gesamten Unternehmens. Rapap­ port (1986) betrachtet nicht nur den Unternehmenswert zugunsten der Eigenka­ pitalgeber, sondern auch den Gesamtwert eines Unternehmens. Der Gesamtwert ist der Barwert aller zukünftigen Rückflüsse, die an Eigen- und an Fremdkapital­ geber gehen. Die Fremdkapitalgeber erhalten Zinszahlungen (und ihre Forderun­ gen werden zu einem späteren Zeitpunkt durch Rückzahlung von Kreditbeträgen erfüllt). Um eine Gesamtbewertung vorzunehmen, müssen in Berechnungen in den Zählern freie Cashflows plus Zinszahlungen stehen. In den Nennern stehen durchschnittliche Kapitalkosten, also der Mittelwert von Eigen- und Fremdkapi­ talkosten. In einer Gesamtbewertung ist der Fortführungswert nicht gleich dem Verkaufserlös des Unternehmens, den die Eigenkapitalgeber für sich in Anspruch nehmen können. Der Fortführungswert ist größer, weil er den Wert des Fremdka­ pitals einschließt, den das Unternehmen auf Basis der Skizze haben sollte.

Kapitel 2.6 in Kürze –



– –

Folgt man der Fisher-Separation, ist es das Ziel, den Unternehmenswert und somit die Rückflüsse an die Eigenkapitalgeber zu steigern, unter Einhaltung der Nebenbedingungen, wie sie dem Un­ ternehmer etwa durch die gesellschaftliche Verantwortung auferlegt sind. Immer wieder kommt es zu Käufen und Verkäufen von Unternehmen, wobei die Akteure Rechenschaft über Differenzen zwischen Wert und ausgehandeltem Preis für das Unternehmen ablegen müssen. Die volkswirt­ schaftliche Allokation des Kapitals orientiert sich daran, wie Finanzmittel bestmöglich investiert werden können. Der Unternehmenswert ist der Wert, den die in Zukunft an die Eigenkapitalgeber gehenden Rück­ flüsse im Finanzmarkt haben. Aus dieser Definition entwickelt Rappaport den Discounted-Cash­ flow-Ansatz (DCF) und schafft damit einen praktikablen Bewertungsansatz. Er identifiziert die Rückflüsse mittels der freien Cashflows, deren Wert durch Diskontierung ermittelt wird. Die Diskontrate ist eine Vergleichsrendite. Bei höherem Risiko wird stärker diskontiert als bei we­ niger hohem. Rappaport zeigt auch, wie Rückflüsse geplant und prognostiziert werden können. Im Bewertungsmodell wird unterstellt, dass das Unternehmen im fünften Jahr zum Fortführungs­ wert verkauft wird. Um einen gewissen Fortführungswert zu erreichen, sind Investitionen ver­ langt. Diese sind zu budgetieren. Die Abweichungen von Cashflows und Auszahlungen für bud­ getierte Investitionen sind freie Cashflows, die zu diskontieren sind. Die Rückflüsse sind in den ersten fünf Jahren die budgetierten Investitionen, danach der Fortführungswert.

2.7 Fallstudie | 79

Fragen zu Kapitel 2.6 1. 2. 3.

Warum haben sich bis vor einigen Jahrzehnten Manager eher an Umsatz und Gewinn des letzten Jahres als am Unternehmenswert orientiert? Nennen Sie die sieben Schritte der Bewertung nach dem DCF-Ansatz. Richtig oder falsch? Wenn im Bewertungsmodell eine teilweise Fremdfinanzierung unterstellt wird, ändern sich aufgrund der Zinszahlungen und der Steuern die Cashflows. Daneben ändern sich die für die Diskontierung heranzuziehenden Eigenkapitalkosten, da aufgrund der Risikowir­ kung der Leverage die Eigenkapitalrendite riskanter ist. Begründen Sie Ihre Wahl.

2.7 Fallstudie Wie werden die Cashflows der kommenden fünf Jahre geschätzt? Wie kann die Ver­ gleichsrendite ermittelt werden? Wie kann der Fortführungswert geschätzt werden? Zur Prognose der Cashflows wird für die kommenden fünf Jahre zunächst der jeweilige Umsatz geplant. Anschließend wird die Umsatzmarge geschätzt. Multipli­ ziert man Umsatz und Umsatzmarge resultieren daraus die Betriebsgewinne (EBIT) der kommenden Jahre. Sodann werden die Abschreibungen geplant. Grundlage dafür ist die Bestandsentwicklung bei Anlagen und Einrichtungen. Weiter werden Zinszah­ lungen und Steuern geplant. Dann werden die Cashflows für die kommenden fünf Jahre wie folgt bestimmt: Cashflow = Umsatz ⋅ Gewinnmarge + Abschreibungen − Zinsen − Steuern

(2.6)

Erträge aus Finanzanlagen sind ausgeklammert. Um die Vergleichsrendite zu ermitteln, mit der die Rückflüsse (freie Cashflows, Fortführungswert) diskontiert werden, wird mit Renditen verglichen, die im Finanz­ markt üblicherweise zu beobachten sind. Dazu werden die Risiken der Rückflüsse geschätzt, die entstehen, da die später eintretenden Beträge von den in der Bewer­ tungsrechnung erwarteten Werten voraussichtlich abweichen werden. Es wird festge­ legt, wie hoch diese Abweichungen ausfallen werden. Anschließend wird gefragt, wie stark diese Abweichungen mit den Schwankungen des Marktportfolios in Zusammen­ hang stehen. Beides definiert den Risikofaktor Beta (Maß für nicht diversifizierbares Risiko). Das Capital Asset Pricing Model (CAPM), mitbegründet von William F. Sharpe (1964), erlaubt es, die Vergleichsrendite zu berechnen. Diese ergibt sich aus dem Zins­ satz (für sichere Geldanlagen) plus einer Risikoprämie. Die Risikoprämie für die Rück­ flüsse an die Eigenkapitalgeber ist nach CAPM das Produkt aus Beta und Risikoprämie des Marktportfolios.

2.7.1 Relativer Fortführungswert Zur Ermittlung des Fortführungswerts existieren verschiedene Ansätze. In einem der Ansätze wird geschätzt, wie hoch der Fortführungswert in Relation zum heutigen Wert ausfällt.

80 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

Beispielsweise kann (auf Basis der bisherigen Entwicklung) geschätzt werden, dass das Unternehmen am Ende einer Fünfjahresperiode 1,39-mal so viel wert ist wie zu Beginn der Periode. Auf das Jahr umgerechnet entspricht das einem jährlichen Wertwachstum von 6 %. Wird hingegen die Skizze für das Unternehmen in fünf Jahren mit dem Unternehmen heute verglichen, ergibt sich lediglich der 1,16-fache Wert. Dies entspricht einer durchschnittlichen Rate von 3 % für das Wertwachstum. Die Annah­ me wird formuliert: CV5 = (1 + gCV )5 ⋅ EK0 (2.7) Die Skizze, die der Bewertung zugrunde gelegt wird, beschreibt also, dass der Un­ ternehmenswert (zugunsten der Eigenkapitalgeber) mit der Rate gCV wächst (oder schrumpft, falls die in der Skizze gewählte Rate negativ ist). Mit der relativen Einschätzung des Fortführungswerts gemäß (2.7) kann die Glei­ chung (2.5) nach dem Ausgangswert EK0 aufgelöst werden. Dies gilt, sofern die Wachs­ tumsrate des Wertwachstums nicht gleich dem Kapitalkostensatz ist. Für das Wert­ wachstum wird gCV < rEK vorausgesetzt. Wird (2.7) in (2.5) eingesetzt, folgt: EK0 ⋅ (1 −

(1 + gCV )5 FCF1 FCF2 FCF5 )= + +...+ 1 + rEK (1 + rEK )2 (1 + rEK )5 (1 + rEK )5

(2.8)

Der Multiplikator des Werts auf der linken Seite ist der Anteil des Werts, der durch die ersten fünf freien Cashflows erklärt wird. Zunächst sei dem Multiplikator die Bezeich­ nung ω (Omega) gegeben: FCF1 FCF2 FCF5 + +...+ 1 + rEK (1 + rEK )2 (1 + rEK )5 (1 + gCV )5 ω =1− (1 + rEK )5

ω ⋅ EK0 =

(2.9)

Aus (2.7) ergibt sich die Beziehung ω=

FCF1 1+rEK

+

FCF2 (1+rEK )2

+...+

EK0

FCF5 (1+rEK )5

,

(2.10)

sodass das Omega der Anteil ist, den die Barwerte der ersten fünf Cashflows am Wert haben. Ergebnis – Werden wenige Investitionen budgetiert (Ausblutung), ist der freie Cashflow hoch. Der Fortführungswert ist gering. Das Wertwachstum ist gering, vielleicht sogar negativ. Der Anteil ω ist hoch. Ein hoher Teil des Werts erklärt sich aus den ersten fünf Cashflows. – Werden viele Investitionen budgetiert (Aufblühen), ist der freie Cashflow gering. Fortführungswert und Wertwachstum sind hoch. Der Anteil ω ist gering. Ein ge­ ringer Teil des Werts erklärt sich aus den ersten fünf Cashflows. Der Wert erklärt sich zum größeren Teil aus dem Fortführungswert.

2.7 Fallstudie |

81

Wird (2.7) nach EK0 aufgelöst, resultiert daraus diese Bewertungsformel: EK0 =

(1 + rEK )4 ⋅ FCF1 + (1 + rEK )3 ⋅ FCF2 + (1 + rEK )2 ⋅ FCF3 + (1 + rEK ) ⋅ FCF4 + FCF5 (1 + rEK )5 − (1 + gCV )5 (2.11)

Beispiel Ein vom Eigentümer geführtes Unternehmen, ein Malergeschäft, hat 50 Beschäftigte, davon 35 Maler und 15 Angestellte in der Verwaltung, in der Buchhaltung, im Ladenge­ schäft, beim Transport und an der Pforte zur Sicherung des Warenlagers. Der Eigentü­ mer möchte seine Firma bewerten. Die Firma ist teils fremdfinanziert. Im Durchschnitt arbeiten 3 Maler etwa eine Woche für einen Auftrag. Aufgrund von Urlaub und Krank­ heit werden rund 125 Aufträge im Jahr ausgeführt. Im Durchschnitt bringt ein Auftrag einen Rechnungsbetrag von 20 Tsd. Euro. Zunächst zur Skizze: Der Eigentümer möchte seine Firma konstant so weiterfüh­ ren. Abschreibungsgegenwerte werden investiert, um abgenutzte Anlagen (Fahrzeu­ ge, Spritzpistolen, Mischgeräte) zu ersetzen. Da der Ersatz aufgrund von technischem Fortschritt eine höhere Ausbringungs­ menge erlaubt, kann der Umsatz in den nächsten Jahren etwas ansteigen. Doch die Umsatzmarge wird angesichts von Konkurrenz und von Lohnanpassungen geringer. Insgesamt dürfte der Unternehmenswert unter der Skizze konstanter Weiterfüh­ rung bei Ende der Fünfjahresperiode (Fortführungswert) in etwa gleich sein wie der Wert des Unternehmens heute. Die Wachstumsrate in (2.5) ist gleich Null. Aufgrund der Skizze werden keine besonders hohen Risiken gesehen. Die anhand eines Vergleichs bestimmte Eigenkapitalrendite wird mit 10 % beziffert. Die Planung der Umsätze, der Umsatzmarge und der anderen Größen ist in Tab. 2.1 wiedergegeben (Geldeinheit: Tsd. Euro). Die Summe der diskontierten Cashflows ist gleich der untersten Summe 898,83 Tsd. Euro. Diese sind gleich 37,91 % des Wertes, denn für das bei dieser Skizze un­ Tab. 2.1: Unternehmensplanung mit Strategie der Werterhaltung (eigene Darstellung). Jahr

1

2

3

4

5

Umsatz Gewinnmarge EBIT Abschreibungen Zinsen Steuern Cashflow budgetierte Investitionen freier Cashflow Barwert

5.000 16 % 800 400 300 200 700 400 300 272,72

5.200 15 % 780 400 300 200 680 400 280 231,40

5.500 14 % 770 400 300 200 670 400 270 202,85

5.750 12 % 690 400 300 200 590 400 190 129,77

6.000 10 % 600 400 300 200 500 400 100 62,09

82 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

terstellte Wertwachstum von 0 und dem Diskontsatz von 10 % ist der Multiplikator links in (2.7) gleich 0,3791. Folglich beträgt der zu ermittelnde Unternehmenswert 2.371 Tsd. Euro. Der Inhaber würde bei einem Verkauf seiner Firma also einen Preis von rund 2,4 Mio. Euro erwarten. Der Käufer würde die Firma mit allen Rechten und Pflichten übernehmen. Insbesondere würde er die laufenden Kredite übernehmen. Die Zinsen betragen 300 Tsd. Euro pro Jahr, wie Tab. 2.1 zeigt. Es soll ein Gesamt­ zinssatz von 8 % angenommen werden, da die Bank mit dem Marktzinssatz sowie mit einer Kreditrisikoprämie kalkuliert. Das Fremdkapital soll daher eine Höhe von 3.750 Tsd. Euro haben. Mit der Einschätzung des Fremdkapitals kann der Gesamtwert des Unternehmens als Wert zugunsten der Eigen- und Fremdkapitalgeber bestimmt werden. Der Gesamt­ wert liegt bei 6.121 Tsd. Euro. Eine Zwischenbemerkung: Da der Umsatz in allen betrachteten Jahren der Größe nach ungefähr dem Gesamtwert entspricht, würde das Unternehmen von Analysten der Kategorie „Value“ zugeordnet werden. Bei einem Verkauf im fünften Jahr würde (im unterstellten Finanzmarkt) das Gesamtunternehmen über 6 Mio. Euro einbringen, die jedoch die Eigenkapitalgeber nicht für sich beanspruchen dürften, denn sie müs­ sen für die Tilgung der Schulden sorgen und erhielten folglich nur die zuvor berech­ neten 2.371 Tsd. Euro.

2.7.2 Skizze mit Wachstum Das Beispiel soll fortgesetzt werden, um zu illustrieren, wie eine Änderung der Stra­ tegie wirken könnte. Jetzt möchte der Eigentümer nicht nur Ersatzinvestitionen täti­ gen, sondern das Geschäft regelrecht ausbauen. Er beabsichtigt, die Investitionen Jahr für Jahr von 400 auf 600 zu erhöhen, was entsprechende Umsatzsteigerungen aus­ lösen dürfte. Dadurch sollte der Unternehmenswert am Ende der Fünfjahresperiode, der Fortführungswert, um 50 % größer sein als zu Beginn. Auf ein Jahr bezogen ist ei­ ne Wertsteigerung von 8,5 % angenommen (2.5). Mit dieser Wertsteigerungsrate wird weiter gerechnet. Die Wachstumsstrategie bringt natürlich höhere Risiken mit sich, weshalb nun mit einer Vergleichsrendite von rEK = 15 % gerechnet werden soll. Der Multiplikator ω in (2.7) beträgt nun nur 0,2524. Das bedeutet: Die Barwerte der Cashflows der kommenden fünf Jahre erklären 25,24 % des Wertes. Die neuen Plangrö­ ßen zeigt Tab. 2.2. Die Summe der diskontierten Cashflows ist 814,76. Diese sind gleich 25,24 % des Wertes. Folglich ist der zu ermittelnde Unternehmenswert zugunsten des Eigentümers nun 3.228 Tsd. Euro. Dieser Wert ist um fast 1 Mio. Euro höher. Der für die Bewer­ tung herangezogene Berater erklärt dem Eigentümer: „Wenn Sie mit einem Kaufinteressenten sprechen, müssen Sie darauf hinweisen, dass allgemein eine Wachs­ tumsstrategie als möglich und als überlegen angesehen wird. Alle Experten, mit denen Sie gesprochen hätten, würden zu Investitionen und zu Wachstum raten. Am

2.7 Fallstudie | 83

Tab. 2.2: Unternehmensplanung mit Strategie des Wachstums (eigene Darstellung). Jahr

1

2

3

4

5

Umsatz Gewinnmarge EBIT Abschreibungen Zinsen Steuern Cashflow budgetierte Investitionen freier Cashflow Barwert

5.000 16 % 800 400 300 200 700 600 100 86,96

6.000 15 % 900 450 300 225 825 600 225 170,13

7.000 14 % 980 500 300 250 930 600 330 216,98

8.000 12 % 960 550 300 275 935 600 335 191,54

9.000 10 % 900 600 300 300 900 600 300 149,15

besten sagen Sie in einem Verkaufsgespräch, dass Sie gerade dabei sind, die Vorberei­ tungen zu treffen. Sofern Sie den Investitionsplan bereits bei Ihrer Bank angesprochen haben, können Sie darauf im Gespräch hinweisen. Dann wird bei der Bewertung die Skizze des Wachstums zugrunde gelegt. Doch Sie selbst müssen wissen, dass mit einer unveränderten Weiterführung Ihrer Firma dieser Wert nicht realisiert würde“. Kapitel 2.7 in Kürze Die Tabellen 2.1 und 2.2 veranschaulichen, dass es in der Praxis durchaus möglich ist, die Cashflows der kommenden fünf Jahre zu planen. Die Auszahlungen für die budgetierten Investitionen, die von den Cashflows abgezogen werden, um die freien Cashflows zu erhalten, müssen so festgesetzt sein, dass die hinter dem Fortführungswert stehende Skizze des Unternehmens in fünf Jahren realistisch erreicht werden kann. Die Strategie hat indes auch Auswirkungen auf das Risiko und damit auf die Vergleichsrendite, mit der diskontiert wird. Für jede Strategie – hier 1. eine auf Konstanz und 2. eine auf Wachstum ausgerichtete Unternehmensführung – kann die jeweils resultierende Summe der Bar­ werte der Rückflüsse (freie Cashflows, Fortführungswert) berechnet werden. Der Unternehmenswert bezieht sich jedoch auf jene Strategie, die von Fachleuten als allgemein möglich erachtet wird. Mut­ maßlich ist das jene, die den höchsten DCF liefert – dies ungeachtet der Frage, ob ein Unternehmer aus persönlichen Gründen eine andere Strategie bevorzugt.

Fragen zu Kapitel 2.7 1.

2. 3.

Jemand behauptet, es wäre beim DCF-Ansatz am besten, wenig Investitionen zu budgetieren, weil dann die Zahlungen im Zähler, die diskontiert werden, nämlich die freien Cashflows, eher größer sind und damit ein höherer Unternehmenswert herauskommt. Nehmen Sie dazu Stellung. Wie können die Cashflows prognostiziert werden, wenn von den Umsätzen und der Gewinnmarge ausgegangen wird? Ein Wirtschaftsprüfer, der als neutraler Gutachter regelmäßig Unternehmen bewertet, meint, dass grundsätzlich eine Skizze zugrunde gelegt wird, bei der die freien Cashflows der ersten 5 Jahre die Hälfte des Unternehmenswerts erklären. Welche Wertwachstumsrate wird dabei unterstellt? Sind die Investitionen, die für dieses Wachstum budgetiert werden müssen, typi­ scherweise höher oder geringer als die Abschreibungen?

84 | 2 Modul: Gewinn und Cashflow

2.8 Zusammenfassung 2.8.1 Lernpfad Modul 2 hat einen weiten Bogen gespannt. Vier Punkte sind hervorzuheben: 1. direkter und indirekter Weg, den Cashflow zu ermitteln 2. auf den Gewinn bezogene Kennzahlen wie KGV, Earnings Yield, CAPE-Ratio (Shiller). 3. die Auswirkung des Managements von Debitoren und Kreditoren 4. die sicherlich gewonnene Souveränität bei der Unterscheidung von Wirtschafts­ leistung und Betriebsgewinn Der Weg führte auf zwei Gipfel: 1. die Argumentation von Fisher zur unternehmerischen Zielsetzung (Fisher-Sepa­ ration) 2. der DCF-Ansatz, zu dem auch eine Fallstudie dargestellt wurde

2.8.2 Personen Im Text erwähnte (natürliche und juristische) Personen: – Irving Fisher – Benjamin Graham und Robert J. Shiller – Martin Lohmann und Hans Ruchti – Alfred Rappaport – William F. Sharpe

2.8.3 Schlüsselbegriffe Eigenkapitalgeber – Fremdkapitalgeber – Fremdkapital – periodische Informatio­ nen – Eigenkapital –Entscheidungsrechte – Außenfinanzierung – Innenfinanzierung, Cashflow (direkte/indirekte Methode), – Zielsetzung des Unternehmens – FisherSeparation – Unternehmenswert – Dividendenrendite – Kurs-Gewinn-Verhältnis – CAPE-Ratio – Gewinnrendite – stille Reserve – Rückstellungen – Wirtschaftsleis­ tung – Betriebsgewinn – Earnings before Interest and Taxes (EBIT) – Gewinnmar­ ge – Depreciation – Amortisation Earnings before Interests, Taxes, Depreciation and Amortisation (EBITA) – Discounted Cashflow (DCF) – Fortführungswert (Continuing Value) – Prognose der Cashflows – Vergleichsrendite

2.8 Zusammenfassung | 85

2.8.4 Aufgaben 1.

2.

3.

Jemand sagt, der Cashflow gehöre nicht allein den Eigenkapitalgebern, sondern den Eigen- und Fremdkapitalgebern zusammen. a. Ist das korrekt? Begründen Sie Ihre Antwort. b. Unterscheiden Sie Cashflow und Brutto-Cashflow. c. Gehen Sie der Aussage nach, dass in der US-Literatur der Brutto-Cashflow oft kurz als Cashflow bezeichnet wird. Richtig oder falsch? Und weshalb? a. Wenn vom Umsatz eines Jahres die Vorleistungen und die Lohnsumme abge­ zogen werden, resultiert die Wirtschaftsleistung. Da die Umsätze, die Vorleis­ tungen und die Löhne zahlungswirksam sind, ist die Wirtschaftsleistung ein Geldbetrag, der als Brutto-Cashflow bezeichnet wird. b. Die Wirtschaftsleistung, die den Eigenkapitalgebern zukommt, ist der Cash­ flow. c. Zur direkten Berechnung des Cashflows werden vom Brutto-Cashflow die Zinszahlungen und die Steuern abgezogen. d. Bei der indirekten Berechnung werden zum Gewinn die unbaren Aufwendun­ gen hinzuaddiert. Wodurch ist der Zusammenhang a. zwischen EBITDA (Brutto-Cashflow) und Cashflow b. und wodurch der zwischen EBIT und Gewinn gegeben? c. Angenommen das Unternehmen ist auf der Seite des Vermögens bereits struk­ turiert, die Maschinen sind vorhanden, die Produktion und der Absatz laufen. Die Umsatzerlöse stehen fest. Doch nun werden für die Finanzierungsseite zwei Varianten diskutiert. Bei Variante A wird das Unternehmen vollständig eigenfinanziert, bei der Kapitalstruktur B wird neben Eigenkapital in erheb­ lichem Umfang Fremdkapital verwendet. Welche Unterschiede bestehen bei den Varianten A und B zwischen den jeweiligen EBIT-Margen (EBIT zu Um­ satz) und zwischen den Cashflow-Margen (Cashflow zu Umsatz)?

3 Modul: Investitionsentscheidungen 3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital Auf der Zahlungsebene sind Investitionsprojekte durch Zahlungsreihen beschrieben. Das Unter­ nehmen tätigt Auszahlungen für die Beschaffung der Vermögensposition und für Umbauten, später folgen Rückflüsse aus der Investition, am Ende kann möglicherweise ein Restwert realisiert werden. Investitionen müssen daher finanziert werden, Finanziers formulieren durch Vergleich mit möglichen Alternativen Renditeerwartungen. Diese werden mit den Kapitalkosten des Unternehmens verglichen. Das Risiko des Investitionsprojekts bestimmt, wie bei der Finanzierung Eigen- und Fremdkapital zu gewichten sind. Die gewichteten Kapitalkosten, bezeichnet als WACC, berücksichtigen, dass übli­ cherweise eine Planung anhand von Nach-Steuer-Größen vorgenommen wird.

3.2 Barwertkriterium Ein Projekt ist vorteilhaft, wenn die anfänglichen Auszahlungen geringer sind als die Summe der diskontierten Rückflüsse. Die Differenz beider Größen ist der Nettobarwert oder Present Value. Eine Investition mit positivem Nettobarwert ist deshalb vorteilhaft, weil es ein Finanzmarkt ermöglicht, die später fälligen Rückflüsse in einen sofort fälligen Geldbetrag (in Höhe des Barwerts) zu tauschen. Die Präferenz des Unternehmers spielt dabei keine Rolle.

3.3 Internal Rate of Return und Capital Budgeting Ein weiteres, besonders von Praktikern geschätztes Kriterium basiert auf der internen Rendite der Zahlungsreihe. Ist sie höher als der tatsächliche Kapitalkostensatz, gilt das Projekt als vorteilhaft. Joel Dean (1951, S. 85) hat daraus einen Ansatz für das Capital Budgeting entwickelt.

3.4 Periodenkriterium Oft wird eine Investition bereits seit Jahren genutzt und die Frage ist nicht, ob man bei der ursprüng­ lichen Entscheidung klug gehandelt hat. Nicht infrage gestellt wird, dass seinerzeit über die Ent­ scheidung anhand der internen Rendite oder anhand des Barwertkriteriums entschieden wurde. Die Frage lautet vielmehr, ob die Investition immer noch hinreichend rentabel ist. Nach einiger Zeit lau­ fender Instandhaltungen und Ersetzungen einzelner Elemente einer Gruppe von Elementen möchte man wissen, ob sich dies noch rechnet. Für diese praxisnahe Frage bietet das Periodenkriterium den geeigneten Beurteilungsrahmen.

3.5 Irreversibilität Investitionen sind mit Wissen verbunden. Aufgrund der Natur von Wissen (langlebig, übergreifend) müssen Investitionsentscheidungen langfristig und umfassend konzipiert werden. Dies verlangt eine neue Ebene zur Beurteilung von Investitionen, und zwar die Ebene des Wissens. Auf dieser Ebene wird eine Investition als „gut“ angesehen, wenn sie vorhandenes Wissen nutzt und zu dessen Weiterent­ wicklung beiträgt. Besonders durch das Wissen, aber auch durch Umbauten und andere spezifische Anpassungen, erhalten Investitionen zumindest teilweise Irreversibilität. Die Irreversibilität erhöht das Exposure gegen Risiken. Durch Irreversibilität kann die Gefahr entstehen, dass Gegenspieler die Investition angreifen oder ausbeuten. Dann kommt die Frage auf, ob technische oder vertragliche Schutzmaßnahmen möglich sind. Werden die dafür anfallenden Transaktionskosten zu hoch, wird die Investition nicht ergriffen.

https://doi.org/10.1515/9783110472240-003

3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital

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87

3.6 Akquisitionen Unternehmen investieren oftmals mit dem Ziel von Wachstum oder Veränderung. Dafür werden zwei Wege verglichen: Die Akquisition (Brownfield-Approach) oder der Aufbau „auf der grünen Wiese“ (Greenfield-Approach). Der Weg der Akquisitionen wird oft bevorzugt, weil er schneller zum Ziel füh­ ren soll. Doch ob das Wissen einer übernommenen Firma (zusammen mit konstruktivem Verhalten des Personals) damit einfach erworben werden kann, ist aufgrund der Untersuchungen zu geschei­ terten Akquisitionen zu bezweifeln. James Tobin (1969, S. 15) hat mit dem Quotienten Q beide Wege verglichen.

3.7 Synergien Soll eine objektive Bewertung vorgenommen oder ein subjektiver Entscheidungswert ermittelt wer­ den? Je nachdem werden allgemein zugängliche und allgemein geteilte Informationen verwendet, Angaben einer Person oder einer kleinen Personengruppe. Ein wichtiger Punkt dabei sind Synergien. Unechte Synergien werden allgemein für möglich gehalten, echte Synergien werden nur von der Per­ son oder den wenigen Personen gesehen, deren Entscheidung ansteht.

3.8 Verhandlungen Wenn ein Unternehmen an der Übernahme einer Firma interessiert ist, sind bei den beginnenden Verhandlungen vier Größen von Bedeutung: 1. der Wert und der Vergleichspreis, der in der augen­ blicklichen Marktsituation für vergleichbare Transaktionen gezahlt wird, 2. die persönliche Preisober­ grenze, die der Kaufinteressent maximal zahlen darf. Ohne einen Schiedsrichter anzurufen, dürften sich beide Parteien im Bereich von Wert und Vergleichspreis einigen. Ein Vermittler hingegen würde die Preisgrenzen bei den beiden Parteien erfragen und den Shapley-Wert vorschlagen.

3.9 Zusammenfassung Wie in jedem Modul dieses Buches werden auch in Modul 3 als Zusammenfassung ein Lernpfad, eine Auflistung erwähnter Personen, Schlüsselbegriffe sowie Aufgaben angeboten.

3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital 3.1.1 Begriffe Unternehmen und Betriebe bezwecken, Inputs in Outputs zu transformieren. Der Transformationsprozess verlangt nicht nur Arbeit und Ressourcen, die bei der Pro­ duktion verbraucht werden. Zusätzlich wirken bei der Produktion gewisse Anlagen, Einrichtungen und Wissen mit. Diese Ressourcen werden zwar gebraucht und sind während der Produktion zeitlich gebunden, doch sie werden nicht verbraucht, auch wenn sie sich zum Teil abnutzen. Die angesprochenen Ressourcen können daher über längere Zeit hinweg genutzt werden, insbesondere für längere Zeit als ein Geschäfts­ jahr. Diese Ressourcen zu beschaffen, selbst zu erstellen oder durch vertragliche Nut­ zungsrechte zu erhalten verlangt folglich längerfristig angelegte Entscheidungen und Planungen, die mehrere Geschäftsjahre überspannen.

88 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Es wird von einer Investition gesprochen: Das Unternehmen erwirbt, schafft oder sichert sich vertraglich Vermögenspositionen, die über längere Zeit genutzt werden können. Günter Wöhe (1924–2007) regte an, Investitionen nach der Natur der Vermö­ gensposition zu unterscheiden. – In einem engeren Sinne geht es bei der unternehmerischen Investition um den Erwerb von Sachanlagen, also um den Kauf von Gebäuden, Maschinen und Fahr­ zeugen. Sachanlagen führen auf greifbare Vermögenspositionen (Tangibles). – Daneben stellen der Erwerb, der Aufbau und die Pflege von Wissen eine Investi­ tion dar. Zu diesen weichen Faktoren gehören das für die Produktion im Unter­ nehmen nötige und dann eingesetzte Know-how ebenso wie die absatzförderli­ che Reputation und Markennamen. Des Weiteren gehören zum Wissen des Un­ ternehmens die spezielle Art von Organisation und Planung sowie die Kultur, die am Arbeitsplatz gepflegt wird. Alle diese Vermögenspositionen sind nicht greifbar (Intangibles). Selbstverständlich gehört auch das Management der Finanzanlagen zum Thema „In­ vestition“. Bei Finanzanlagen werden Wertpapiere gekauft (Rechte aus Verträgen, die dem Unternehmen Zahlungen bieten). Das sind vor allem Aktien und Anleihen. Zu Fi­ nanzanlagen werden auch Objekte gerechnet, die leicht verkäuflich und daher geld­ nah sind und die ohne konkretere Absicht der Verwendung im Produktionsprozess vom Unternehmen erworben werden. Das können beispielsweise Beteiligungspake­ te sein, die wegen der Rückflüsse erworben werden. Ebenso eignet sich unbebautes Land als Finanzanlage. Typischerweise müssen bei einer Investition am Anfang der mehrjährigen Nutzungsdauer Zahlungs­ mittel für die Beschaffung oder Erstellung der Vermögensposition eingesetzt werden, während sich ihr Einsatz und ihre Nutzung in den Erfolgen der Folgejahre ausdrückt. Das Unternehmen hat dann Rückflüsse aus der Investition.

Die Rückflüsse stammen aus dem Absatz neuer oder besserer Erzeugnisse oder – bei Rationalisierungsinvestitionen – aus Ersparnissen. Die Rückflüsse können für das Un­ ternehmen konkrete Einzahlungen sein. Das dürfte dann der Fall sein, wenn mithil­ fe der Investition neue Erzeugnisse oder Leistungen möglich werden, die direkt am Markt verkauft werden können. Die Rückflüsse können auch Schätzungen sein, die für eine Rechnung angenommen werden. Wer beispielsweise kalkulieren möchte, ob sich der Kauf eines Fahrzeugs lohnt, der wird versuchen, die Nützlichkeit eines eigenen Fahrzeugs durch einen Geldbetrag auszudrücken. Bei der Aufstellung können Vergleiche mit einer alternativen Anmie­ tung helfen. Sind die Rückflüsse geschätzt, dann können sie mit dem Anschaffungs­ preis verglichen werden. Neben den periodischen Rückflüssen aus Nutzung und Anschaffungspreis müs­ sen bei der Beschreibung der Investition auf der Zahlungsebene zwei weitere Auszah­ lungen in die Beurteilung einbezogen werden.

3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital

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89

Da eine Anlage nach dem Kauf vielfach noch an den Betrieb angepasst werden muss, da Umbauten verlangt sind, sind erstens die dadurch bedingten Auszahlungen zu berücksichtigen. Durch diese Anpassungen und Umbauten gewinnt die Investiti­ on an spezifischem Zuschnitt, verliert indes an universeller Verwendbarkeit. Dadurch kommt eine gewisse Irreversibilität auf. Müsste das Projekt abgebrochen werden, wären zumindest die Auszahlungen für die Anpassungen und Umbauten uneinbring­ lich und verloren. Zweitens kann die Vermögensposition am Ende der geplanten Nut­ zungsdauer, auch wenn inzwischen vielleicht gealtert, oft noch verkauft werden. Bei Sachanlagen wird vom Restwert gesprochen, der sich realisieren lässt. In besonderen Situationen kann der Restwert negativ sein. Das dürfte dann der Fall sein, wenn Betriebsbeendigung, Abbruch und Entsorgung zusätzliche Auszahlungen verlangen.

3.1.1.1 Zahlungsebene Bei dieser Vorgehensweise wird eine Investition auf die Ebene von Zahlungen pro­ jiziert. Dabei bleiben zwar einige Aspekte unberücksichtigt, doch die Zahlungswir­ kungen der Investition werden umso deutlicher. Bei einem Investitionsprojekt stehen am Anfang immer Auszahlungen, während in den Folgejahren Einzahlungen zuguns­ ten des Unternehmens zu verzeichnen sind. Man könnte sich ein Investitionsprojekt daher durch eine Zahlungsreihe beschrieben denken.¹ Bezeichnungen: – T sei die Anzahl von Jahren, während derer die Investition nach Plan eingesetzt werden soll. – P bezeichnet den Preis für die Beschaffung. – B sind zusätzliche Auszahlungen für Anpassungen, Umbauten, Testläufe und der­ gleichen. – R ist der Restwert, der am Ende der Nutzungszeit realisiert werden kann. – Z1 , Z2 , . . . , ZT sind die Rückflüsse aus der Nutzung. Alle im Zusammenhang mit der Investition stehenden Zahlungen erfolgen zu den Zeit­ punkten t = 0, 1, 2, . . . T. Zum Zeitpunkt t = 0 sind zwei Auszahlungen fällig: 1. die Auszahlung P für die Anschaffung oder Erstellung der Vermögensposition sowie 2. die Auszahlung B für Anpassungen, Umbauten, Testläufe und dergleichen. Der Zeitpunkt t = 1 markiert das Ende des ersten Jahres des Einsatzes der Inves­ tition. Die Rückflüsse aus dem ersten Nutzungsjahr – Kosten für Betrieb und Instand­ haltung sind bereits abgezogen – werden so modelliert, als ob sie zum Ende des ersten Nutzungsjahrs, also zu diesem Zeitpunkt, erfolgen.

1 Lutz Kruschwitz (2014): Investitionsrechnung. München: De Gruyter Oldenbourg.

90 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Ähnliches gilt für die Folgejahre. Die Rückflüsse aus der Nutzung sind Z1 , Z2 , . . . , ZT . Zum Zeitpunkt T (zum Ende der geplanten Nutzungsdauer) wird schließlich der Rückfluss ZT aus der Nutzung während des letzten Jahres fällig, und zusätzlich wird der Restwert R realisiert. Somit ist das auf die Ebene von Zahlungen projizierte Investitionsprojekt durch diese Zahlungsreihe beschrieben: (−(P + B) , Z1 , Z2 , . . . , ZT−1 , (ZT + R))

(3.1)

Beispiel Jemand kauft für seine Einzelfirma ein Auto und plant, es T = 4 Jahre zu nutzen. Die Anschaffung kostet P = 22 (Geldeinheit Tsd. Euro). Umbauten und Anbringen einer Werbeaufschrift kosten B = 2. Der Nutzen wird geschätzt: Die in Geld ausgedrückten Vorteile in den 4 Jahren der Nutzung sollten Z1 = 6, Z2 = 5, Z3 = 4, Z4 = 3 betragen. Die Abnahme der Rückflüsse im Zeitverlauf erklärt sich aus höheren Auszahlungen für die Wartung. Ein Restwert von R = 10 sollte realisierbar sein. Die Zahlungsreihe ist (−24, 6, 5, 4, 13). Investitionen sind als Zahlungsreihe gesehen das Gegenstück zu Finanzierungen. Bei einer Finanzierungsmaßnahme erhält das Unternehmen zunächst Einzahlungen. In der Folgezeit erwartet der Finanzier Rückflüsse vom Unternehmen. Selbstverständlich muss jedes Unternehmen auf den Ausgleich aller Ein- und Auszahlungen in der Zeit bedacht sein. Deshalb müssen Investitionen finanziert werden. Über Investitionen wird mit Blick auf Finanzierungsmöglichkeiten entschieden. Im Umkehrschluss gilt: Die Aufnahme von Finanzmit­ teln verlangt, dass sie investiert werden, denn ohne begründete Zahlungseingänge beim Unterneh­ men wird kaum ein Finanzier Mittel überlassen.

Die simultane Entscheidung über mögliche Investitionsprojekte und mögliche Finanzierungsmaßnah­ men wird als Capital Budgeting bezeichnet.

3.1.2 Kapitalkosten Die Notwendigkeit, eine Investition zu finanzieren, verlangt es, die Erwartungen und Forderungen zu berücksichtigen, die Kapitalgeber üblicherweise haben. Finanziers wünschen und erwarten Rückflüsse in einer Höhe, die ihnen eine gewisse Rendite bringt. Die Höhen der Renditeerwartungen orientieren sich an denjenigen Renditen, die sonst im Kapitalmarkt üblich sind und die Alternativen für die Anlage von Finanz­ mitteln wären. Die Finanziers vergleichen Alternativen. Deshalb wird von einer Ver­ gleichsrendite gesprochen.

3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital

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91

Im Finanzmarkt gilt: Wer mehr wagt, der kann mehr erwarten. Die zu erwarten­ de Rendite ist bei höherem Anlagerisiko höher. Daher wird die Vergleichsrendite der Finanzierung einer Investition davon abhängen, welche Risiken die Investition hat. Riskantere Investitionen müssen folglich anhand einer höheren Vergleichsrendite be­ urteilt werden als sichere Investitionen. In den Kalkulationen des Unternehmens wird das, was erfüllt werden muss, als Kosten in die Rechnungen einbezogen. Deshalb wird die von Finanziers erwartete Ver­ gleichsrendite in den Kalkulationen des Unternehmens als Kapitalkosten bezeich­ net. Etwas konkreter bieten die Finanziers Eigen- oder Fremdkapital an. Fremdkapi­ talgeber geben Kredite und verlangen eine hohe Sicherheit hinsichtlich der Leistung von Zinszahlungen und Rückzahlungen. Die von Fremdkapitalgebern verlangte Ver­ gleichsrendite ist durch den Marktzinssatz gegeben. Hinzu kommt eine Ausfallprä­ mie für den denkbaren Fall, dass der Kredit nicht mehr bedient wird. Zusammen sind das die Fremdkapitalkosten, mit denen das Unternehmen kalkuliert. Dabei wird von weiteren kleineren Beträgen abgesehen, die in die Kalkulation einer Bank als Kreditge­ ber einfließen, darunter Verwaltungskosten, ein anteiliger Betriebsgewinn sowie Kos­ ten für die Reservehaltung der Bank. Eigenkapitalgeber sind die eigentlichen Träger des Risikos. Aufgrund der Verglei­ che mit anderen Möglichkeiten im Finanzmarkt sind die von ihnen erwarteten Rück­ flüsse gleich dem Zinssatz plus der im Finanzmarkt üblichen Risikoprämie. Die Sum­ me aus Zinssatz und Risikoprämie ist gleich den Eigenkapitalkosten, mit denen das Investitionsprojekt beurteilt wird. Das Risiko des Investitionsprojekts bestimmt, wie viel Eigen- und Fremdkapital zur Finanzierung herangezogen werden sollte. Weniger riskante Investitionen können mit einem hohen Anteil an Fremdkapital finanziert werden. Investitionen mit höhe­ rem Risiko verlangen einen entsprechend höheren Anteil an Eigenkapital. Die Kapitalkosten sind somit ein gewichtetes Mittel der Eigen- und Fremdkapital­ kosten. Die Gewichtung hängt ab von der Kombination von Eigen- und Fremdkapital, also von der relativen Gewichtung von Eigen- und Fremdkapital, die für das Investiti­ onsprojekt aufgrund des Risikos als adäquat anzusehen sind. Das Projektrisiko bestimmt die relativen Gewichte von Eigen- und Fremdkapital und somit die Kapital­ kosten, anhand derer die Investition beurteilt wird.

3.1.3 Nach-Steuer-Betrachtung Weil das Investitionsprojekt innerhalb des Unternehmens realisiert werden soll, un­ terliegt es der Besteuerung von Unternehmen – dies ungeachtet der Frage, wie die Finanziers die später an sie gehenden Rückflüsse aus den Finanzierungsverträgen versteuern müssen (Einkommensteuer, Vermögensteuer). Die Besteuerung von Unter­

92 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

nehmen besteht vor allem aus der Besteuerung des Gewinns. Daneben gibt es in vielen Ländern weitere Steuern, so zum Beispiel in Deutschland die Gewerbesteuer. Die Gewinnsteuer ist fast überall proportional. Wenn der Jahresgewinn Gt ist, sei s ⋅ Gt die Steuer in jenem Jahr t. Es ist üblich, alle Zahlungen, die ein Investitionsprojekt beschreiben, als NachSteuer-Größen aufzufassen, da Nach-Steuer-Größen vielfach leichter geplant werden können. Die Rückflüsse zu den Zeitpunkten 1, 2, . . . , T sind beispielsweise einer Planung der dem Projekt zugerechneten Cashflows entnommen, die sich aus Umsatzerlösen abzüglich Vorleistungen und Löhnen ergeben. Des Weiteren werden Betriebskosten für den Einsatz der mit der Investition be­ schafften Vermögensposition abgezogen sowie schließlich die dem Investitionspro­ jekt zugerechneten Steuern. Bei einer Nach-Steuer-Betrachtung ist eines zu beachten: Die an Fremdkapitalge­ ber gehenden Zinszahlungen stellen in der Gewinn- und Erfolgsrechnung des Unter­ nehmens Aufwand dar. Sie reduzieren den Gewinn. Gleichsam erhält das Unternehmen, wenn es bereits alles versteuert hat und nun entscheidet, Fremd­ kapital einzusetzen, noch eine Steuergutschrift. Die Steuergutschrift wird oftmals so betrachtet, als sei der in der Kalkulation zu berücksichtigen­ de Zinssatz für Fremdkapital geringer. Die Fremdkapitalkosten, mit denen das Unternehmen in einer Nach-Steuer-Rechnung kalkuliert, sind geringer als der Zinssatz für Fremdkapital.

Wird der Zins (einschließlich Ausfallprämie) mit r0 bezeichnet, sind die für die NachSteuer-Rechnung relevanten Fremdkapitalkosten gleich r0 ⋅ (1 − s). So entsteht die Formel für die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten, be­ zeichnet als Weighted Average Cost of Capital (WACC): WACC =

EK FK ⋅ rEK + ⋅ r0 ⋅ (1 − s) EK + FK EK + FK

(3.2)

In (3.2) bezeichnet EK das für die Investition eingesetzte Eigenkapital, FK das Fremd­ kapital und EK + FK das Gesamtkapital, das der Beschaffung der Vermögensposition dient. Weiter sind rEK die Eigenkapitalkosten des (teils verschuldeten) Unternehmens. Damit wird die marktübliche Renditeerwartung der Eigenkapitalgeber bezeichnet, die sie angesichts der Risiken des Investitionsprojekts sowie der Tatsache bilden, dass die Investition zum Teil fremdfinanziert wird. Mit dem Einsatz von Fremdkapital wirkt ein Hebeleffekt (Leverage). Zwar wird die erwartete Eigenkapi­ talrendite angehoben, doch gleichzeitig wird die Eigenkapitalrendite riskanter, denn das Fremdkapi­ tal ist primär risikofrei, weshalb bei der Verwendung von Fremdkapital weniger Eigenkapital mit dem gesamten Projektrisiko belastet wird.

3.1 Zeitreihe und Weighted Average Cost of Capital

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93

Aufgrund der teilweisen Fremdfinanzierung ist die Eigenkapitalrendite riskanter als sie es bei vollständiger Eigenfinanzierung wäre. Dies wird als Leverage-Risiko be­ zeichnet. Das Risiko der Eigenkapitalrendite (eines teils fremdfinanzierten Projekts) ist folglich durch das Projektrisiko und das Leverage-Risiko bestimmt. Die Kapitalkos­ ten einer Investition hängen also von drei Einflussfaktoren ab. 1. Die im Kapitalmarkt üblichen Renditen bestimmen die Renditeforderungen der Finanziers. 2. Das Risiko der Investition bestimmt, wie viel Eigenkapital verlangt ist. Das Eigen­ kapital dient als Risikoträger. Bei höherem Investitionsrisiko muss mehr Eigen­ kapital zur Finanzierung eingesetzt werden. Mit dem Eigenkapital ist im Kapital­ markt eine Renditeerwartung verbunden, die höher ist als der Zinssatz, der Ver­ gütung für die Überlassung von Fremdkapital in der Zeit. 3. Das Unternehmen muss für Gewinne, die den Eigenkapitalgebern zugerechnet werden, Unternehmenssteuern bezahlen. Fremdkapitalzinsen gelten hingegen als Aufwand und unterliegen keiner Gewinnsteuer. Werden die mit einer Investi­ tion verbundenen Zahlungen als Nach-Steuer-Größen geplant, ergibt sich durch den Einsatz von Fremdkapital ein Steuervorteil. Dieser drückt sich darin aus, dass in der Kalkulation die Fremdkapitalkosten geringer sind als der an die Kreditgeber zu entrichtende Zins. Beispiel Das Unternehmen prüft den Erwerb einer Immobilie. Die Investition wird als ziemlich sicher angesehen. Die Immobilie erlaubt es sogar, Pfandrechte zugunsten von Kredit­ gebern in das Grundbuch eintragen zu lassen. Deshalb genügen 20 % Eigenkapital, während 80 % fremdfinanziert werden können. Die Vergleichsrenditen sind 10 % für das Eigenkapital angesichts der Immobilienrisiken und der gewählten Fremdfinan­ zierung. Die Vergleichsrendite für das Fremdkapital ist 5 %. Alle mit der Immobilie zusammenhängenden Zahlungen sind als Nach-Steuer-Größen geplant. Die Steuer­ quote s = 30 %. Für die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten folgt WACC = 0,20 ⋅ 0,10 + 0,80 ⋅ 0,05 ⋅ (1 − 0,3) = 0,048 = 4,8 %. Kapitel 3.1 in Kürze –





Auf die Ebene von Zahlungen projiziert, sind Investitionsprojekte durch Zahlungsreihen beschrie­ ben. Das Unternehmen tätigt zuerst Auszahlungen für die Beschaffung der Vermögensposition und für Umbauten, später folgen gewisse Rückflüsse aus der Investition und zuletzt kann am En­ de der Nutzungsdauer vielleicht ein Restwert realisiert werden. Investitionen müssen finanziert werden und Finanziers formulieren durch Vergleich mit den ihnen möglichen Alternativen Renditeerwartungen. Sie gehen als Kapitalkosten in die Entscheidungs­ rechnung des Unternehmens ein. Das Risiko des Investitionsprojekts bestimmt, wie bei der Finanzierung Eigen- und Fremdkapital zu gewichten sind. Die gewichteten Kapitalkosten berücksichtigen zudem, dass üblicherweise eine Planung anhand von Nach-Steuer-Größen vorgenommen wird.

94 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen Fragen zu Kapitel 3.1 1. 2. 3.

Erläutern Sie, weshalb der betrachtete Restwert negativ sein kann. Ein Investitionsprojekt soll beurteilt und kalkuliert werden. Hängen die Kapitalkosten vom Risiko des Unternehmens oder vom Risiko des Projekts ab? Der Geschäftsführer einer GmbH kauft für sich einen Neuwagen zur betrieblichen Nutzung und stößt ihn nach drei Jahren ab. Aufgrund der Risiken, insbesondere hinsichtlich des Restwerts, wird eine Finanzierung für adäquat erachtet, die zur Hälfte Fremdkapital und zur Hälfte Eigenka­ pital einsetzt. Die Vergleichsrenditen sind 10 % für das Eigenkapital angesichts der Projektrisiken (Unsicherheit Restwert) sowie der gewählten Finanzierung (Leverage) und 5 % für Fremdkapital. Der Steuersatz ist s = 30 %. Berechnen Sie die WACC.

3.2 Barwert 3.2.1 Barwertkriterium Das als Erstes zu besprechende Kriterium lässt die Kosten der Finanzierung unberück­ sichtigt. Gelegentlich wird das Kriterium als statisch bezeichnet, weil es alle Zahlun­ gen gleichbehandelt, auch wenn sie zu verschiedenen Zeitpunkten anfallen. Bei der Prüfung der Vorteilhaftigkeit wird gefragt, ob sämtliche Rückflüsse zu­ sammengerechnet hinreichend groß sind, um den anfänglichen Investitionsbetrag zu übertreffen. Das ist dann der Fall, wenn gilt: Z1 + Z2 + . . . + ZT + R > P + B

(3.3)

Ist das nicht der Fall, sollte die Investition nicht verwirklicht werden. Allerdings ist die Investition nicht notwendigerweise vorteilhaft, falls die Rück­ flüsse (einschließlich Restwert) zusammengenommen die anfänglichen Auszahlun­ gen übersteigen, denn die Rückflüsse erfolgen zeitlich später und die anfänglichen Auszahlungen von P + B müssen finanziert werden. Im Summenkriterium bleibt un­ berücksichtigt, dass spätere Zahlungen aufgrund der Finanzierungskosten einen ge­ ringeren Gegenwartswert haben. Bei der einfachen Summe der Beträge bleibt unbe­ rücksichtigt, wann die Zahlungen erfolgen. Insofern eignet sich das dargestellte Summenkriterium nur für eine Vorprüfung. Dieses Manko des Summenkriteriums wird durch die Ermittlung der Barwerte be­ seitigt. Das Vorgehen: 1. Die Barwerte erst in Zukunft fälliger Zahlungen werden durch Diskontierung ge­ funden.² 2. Dann wird die Summe der Barwerte aller Rückflüsse gebildet.

2 Das ist einfacher ausgedrückt als es der Barwertfindung in den Finanzmärkten entspricht. Ein Punkt bei weiter in der Zukunft liegenden unsicheren Zahlungen ist die sogenannte Risikoauflösung. Dahin­ ter steht die Frage, wann die Finanzinvestoren Genaueres über eine Zahlung erfahren, die sie vielleicht in zehn Jahren erhalten sollen. Erhalten sie die Informationen bereits in einem Jahr oder ist bis zum neunten Jahr alles unsicher? Entsprechend wäre die Diskontierung (zur Findung des Barwerts) auf die Art der Risikoauflösung abzustellen.

3.2 Barwert |

3. 4.

95

Diese Summe wird mit dem anfänglichen Investitionsbetrag verglichen. Dieses Vorgehen führt zum Barwertkriterium. Danach ist die Investition genau dann vorteilhaft (und sollte ergriffen werden), wenn gilt: Z1 Zt + R Z2 +...+ > P+B + 1 + WACC (1 + WACC)2 (1 + WACC)T

(3.4)

Der Nettobarwert der Zahlungsreihe wird auch als Present Value (PV) bezeichnet. Der PV ist gleich den diskontierten Rückflüssen abzüglich der anfänglichen Auszah­ lungen. Wenn gilt PV > 0, ist das Projekt vorteilhaft. In der Tat wird bei einem positiven Present Value das Barwertkriterium nicht nur als vorteilhaft angesehen oder als vorteilhaft empfunden. Es ist wirklich vorteilhaft, sofern Zahlungsmittel zum Diskontsatz angelegt und aufgenommen werden können. Dies wird als Annahme eines perfekten Kapitalmarkts bezeichnet. Der Finanzmarkt erlaubt gewisse Transformationen. Wenn die marktgerechte Rendite so groß wie das WACC ist, kann beispielsweise die in einem Jahr fällige Zahlung in Höhe von Z1 getauscht werden in eine heute fällige Zahlung der Höhe Z1 /(1 + WACC). Das heißt, alle in Zukunft fälligen Rückflüsse aus der Investition können sofort in den Barwert der Rückflüsse eingetauscht werden. Die Frage, ob eine Investition für das Unternehmen vorteilhaft ist oder nicht, verändert sich mit diesen Verschiebungen der Fälligkeitstermine hin zu der Frage, ob der Betrag, in den die Rückflüsse in einen heute verfügbaren Geldbetrag getauscht werden (können) größer ist als die heutigen Auszahlungen für die Investition oder nicht. Anhand dieser Argumentation wird deutlich, dass es nicht auf eine „Zeitpräferenz des Unter­ nehmers“ oder eine Nutzenvorstellung der beteiligten Personen ankommt. Verlangt ist nur, dass Un­ ternehmer und Personen es als vorteilhaft ansehen, wenn sie (sofort) einen positiven Geldbetrag erhalten können. Es kommt auch nicht auf die Risikopräferenz eines Unternehmers oder auf die der Beteiligten an, denn wenn ein zukünftiger Rückfluss unsicher ist, wird jener Kapitalkostensatz zur Dis­ kontierung verwendet, mit dem jener Betrag als Barwert entsteht, gegen den der unsichere zukünftige Rückfluss im Finanzmarkt eingetauscht werden kann. Somit ist die persönliche Risikopräferenz des Unternehmers ohne Bedeutung. Auch hinsichtlich der Risikopräferenz kommt es nicht auf eine konkrete Person innerhalb des Unternehmens an, sondern darauf, was im Markt üblich ist (dies hängt von allen dort handelnden Personen ab, vor allem von der preisbestimmenden Mehrheit der Akteure).

Beispiel Der Unternehmer beurteilt die Anschaffung und Nutzung eines Fahrzeugs mit dem Plan, es nach 4 Jahren zu verkaufen. Die Zahlungsreihe ist (−24, 6. 5. 4. 13), die Geld­ einheit Tausend Euro (Tsd. Euro). Die Kapitalkosten werden zunächst mit WACC = 5 % veranschlagt. Das scheint gering zu sein, doch es soll ein großer Anteil des in der Nachsteuerrechnung günsti­ gen Fremdkapitals aufgenommen werden. Die Barwerte der Rückflüsse einschließlich Realisation des Restwerts sind 5.714, 4.535, 3.455, 10.695 Euro, in Summe 24.400 Eu­

96 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

ro. Das übersteigt die anfänglichen Auszahlungen von 24.000 Euro. Der Nettobarwert PV = 400 Euro. Das Projekt, beurteilt in der Zahlungsebene, ist als vorteilhaft anzu­ sehen. Die Rechnung soll mit Finanzierungskosten von WACC = 7 % wiederholt werden. Die Barwerte der Rückflüsse (einschließlich Restwert) sind nun 5.607, 4.367, 3.265 und 9.918 Euro, in Summe 23.157 Euro, also PV = −843 Euro. Das Projekt wird bei diesem Kapitalkostensatz abgelehnt. Das Beispiel wird fortgeführt. Der Unternehmer entscheidet sich dafür, ein 2 Jah­ re altes Gebrauchtfahrzeug zu kaufen und es für 2 weitere Jahre zu nutzen. Der Preis dafür liegt zwischen 22 (Beschaffung) und 10 (Restwert) Tsd. Euro, vielleicht beträgt er 13, weil der Wertverlust anfangs immer etwas höher ist. Dieser Gebrauchtwagen­ preis scheint für den Käufer günstig zu sein, denn der Restwert R = 10 kann nach 2 Nutzungsjahren für das dann 4 Jahre alte Fahrzeug realisiert werden. Selbstverständlich muss auch das Gebrauchtfahrzeug umgerüstet werden (B = 2). Die Nutzwerte sind unverändert, allerdings weisen sie jetzt aufgrund des Fahrzeugal­ ters die Höhen 4 und 3 Tsd. Euro auf. Die Zahlungsreihe ist (–15, 4, 13). Wieder soll mit WACC = 5 % gerechnet werden. Die Barwerte der beiden Rück­ flüsse sind 3.810 und 11.791 Euro, zusammen 15.601 Euro, PV = 601. Das sieht gut aus, doch um volle Vergleichbarkeit zu haben, soll auch für diese Beschaffungspoli­ tik ein Zeitraum von 4 Jahren betrachtet werden. Zunächst wird die Zahlungsreihe für das erste Fahrzeug in der Form (−15, 4. 13, 0, 0) geschrieben. Am Ende des zweiten Jahres wird das erste Fahrzeug durch einen zweiten Gebrauchtwagen ersetzt, was wie­ derum Auszahlungen von 15 Tsd. Euro verlangt. Allein für das zweite Fahrzeug ist die Zahlungsreihe (0, 0, −15, 4. 13). Die gesamte Zahlungsreihe für beide Gebrauchtfahrzeuge ist folglich (−15, 4, −2, 4. 13). Für diese Zahlungen errechnen sich für Diskontierung mit 5 % die Barwerte von 3.810, −1.814, 3.455, 10.695 Euro, in Summe 16.146 Euro, also PV = 1.146. Wieder ist es vorteilhaft, Gebrauchtwagen zu beschaffen. In der Tat sollte der Barwert gleich sein dem Barwert für eine Zweijahresnutzung, das sind 601 Euro. Hinzu kommt für das zweite Gebrauchtfahrzeug nochmals dieser Betrag. Doch da der Betrag sich auf heute in 2 Jahren bezieht, muss er diskontiert wer­ den. Das ergibt 545 Euro. Der eben errechnete Barwert von 1.146 Euro für den Vierjah­ reszeitraum ist tatsächlich die Summe von 601 und 545 Euro.

3.2.2 Wertadditivität Der Present Value ist eine lineare Funktion der Zahlungen. Folglich ist der Present Va­ lue der Gesamtzahlungen zweier Projekte gleich der Summe der Barwerte der beiden Projekte. Diese Wertadditivität besagt als Formel: PV(Projekt1 + Projekt2 ) = PV(Projekt1 ) + PV(Projekt2 )

(3.5)

3.2 Barwert | 97

Beim Capital Budgeting werden mehrere Investitionsprojekte als möglich und meh­ rere Finanzierungsmaßnahmen als ergreifbar betrachtet. Die Frage lautet, welche In­ vestitionen und welche Finanzierungen genommen und in einen Gesamtplan aufge­ nommen werden sollen. Zunächst scheint das Capital Budgeting auf ein größeres Optimierungsproblem hinauszulaufen, das simultan über die Möglichkeiten von Investitionen und Finanzie­ rung befindet. Ein Mathematiker würde vielleicht ein Problem der Kombinatorik sehen, weil der aufzustellende Gesamtplan manche Investitionen annimmt, andere ablehnt, und genau so auch bei den Finanzierungen eine Auswahl trifft. Doch wer mit dem Bar­ wertkriterium arbeitet, der kann das Problem, simultan über mehrere Investitionspro­ jekte und zugleich über mehrere Finanzierungsmaßnahmen zu entscheiden, zerlegen. Denn der aufgestellte Gesamtplan hat einen Barwert, der nach der Wertadditivität (3.5) gleich ist der Summe der Barwerte der im Gesamtplan angenommenen Projekte und Maßnahmen. Um diese Summe größtmöglich zu machen, wird ein Projekt oder eine Maßnahme genau dann angenommen, wenn ihr individueller Barwert positiv ist. Je­ des Projekt und jede Maßnahme, die einzeln beurteilt einen negativen Barwert hat, wird abgelehnt. Eine Annahme würde die Summe der Barwerte nur verringern. Somit wird durch die Verwendung des Barwertkriteriums eine Simultanplanung in Einzelprüfungen zerlegt, die voneinander unabhängig vorgenommen werden können. Diesen Sachverhalt hat der ame­ rikanische Ökonom und Geldtheoretiker Irving Fisher (1867–1947)³ aufgezeigt.

Kapitel 3.2 in Kürze –





Ein Projekt ist vorteilhaft, wenn die anfänglichen Auszahlungen geringer sind als die Summe der diskontierten Rückflüsse. Die Differenz beider Größen ist der Nettobarwert oder Present Value. Warum ist eine Investition mit positivem Nettobarwert vorteilhaft? Sie ist deshalb vorteilhaft, da es der Finanzmarkt ermöglicht, die später fälligen Rückflüsse in einen sofort fälligen Geldbetrag (in Höhe des Barwerts) zu tauschen. Das Barwertkriterium drückt aus, ob heute per saldo ein positiver Betrag herauskommt. Die Prä­ ferenz des Unternehmers spielt dabei keine Rolle. Persönliche Aspekte sind nur insoweit rele­ vant, als die aufgestellte Zahlungsreihe und die darin auftauchenden Erwartungen hinsichtlich der Rückflüsse durch das Subjekt beeinflusst sein können, da der Unternehmer die Projektbe­ schreibung selbst vornimmt. Die Diskontfaktoren hingegen entsprechen den Gegebenheiten im Markt. Mit der Verwendung des Barwertkriteriums wird unterstellt, dass die Markttransaktionen zur zeitlichen Verschiebung der Rückflüsse vorgenommen werden können.

Fragen zu Kapitel 3.2 1.

Kommentieren Sie diese Situation: Jemand möchte einem Unternehmen eine Immobilie verkau­ fen, die sich bei einem Finanzierungssatz von 4 % durchaus rechnet. Doch der Finanzchef meint,

3 Irving Fisher (1930): The Theory of Interest. New York: Macmillan.

98 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

2. 3.

im Unternehmen wird immer mit Kapitalkosten von 7 % gerechnet, weshalb die Immobilie zu teu­ er ist. Ein Einzelunternehmer entscheidet bei Investitionen aufgrund der Zeitpunkte, zu denen es Rück­ flüsse gibt. Er prüft, ob er dann Geld benötigt. Kommentieren Sie diese Art der Auswahl. Zwei Projektvarianten A und B stehen zur Wahl. Sie unterscheiden sich durch den Kaufpreis und den Restwert. Die Zahlungsreihen sind A = (−22, 6, 5, 4, 13) und B = (−20, 6, 5, 4, 11). Der Kalkulationssatz der Finanzierungskosten ist 7 %. Wenn nur eine Variante gewählt werden soll, welche ist dann zu empfehlen? Wenn entweder eine der Varianten oder beide Varianten möglich sind, wenn also entweder A oder B oder A + B möglich sind, wozu würden Sie raten?

3.3 Internal Rate of Return und Capital Budgeting 3.3.1 Interne Rendite Bei Praktikern ist ein weiteres Kriterium sehr beliebt, bei dem nach der internen Ren­ dite des Zahlungsstroms gefragt wird: die Internal Rate of Return (IRR). Die interne Rendite als Diskontsatz verwendet bewirkt, dass die Summe der Barwerte aller Rück­ flüsse gleich groß wird wie der anfängliche Auszahlungsbetrag: Z1 ZT−1 ZT + R Z2 +...+ + =P+B + 1 + IRR (1 + IRR)2 (1 + IRR)T−1 (1 + IRR)T

(3.6)

Die algebraische Gleichung zur Bestimmung der internen Rendite (3.6) wird nume­ risch durch Iterationen gelöst. Taschenrechner und Programme zur Tabellenkalkula­ tion bieten entsprechende Lösungsfunktionen an. Das Kriterium der internen Rendite verlangt, die interne Rendite mit den durchschnittlichen Kapital­ kosten zu vergleichen, welche die tatsächlichen Kosten der Finanzierung zeigen. Das Investitionspro­ jekt wird als vorteilhaft angesehen, falls die interne Rendite größer ist als der Kapitalkostensatz, wenn also gilt IRR > WACC.

Beispiel Das Projekt ist durch die Zahlungsreihe (−24, 6, 5, 4, 13) beschrieben. Die Tabellen­ kalkulation liefert IRR = 5,63 %. Die diskontierten Rückflüsse sind bei diesem Satz gleich 5.680, 4.481, 3.394 und 10.442 Euro, zusammen 23.998 Euro. Das stimmt (bis auf einen Rundungsfehler) mit den anfänglichen Auszahlungen von 24.000 Euro über­ ein. Folglich realisiert man das Projekt, sofern die WACC < 5,63 % sind. Andernfalls wird das Projekt als unvorteilhaft abgelehnt. Als weiteres Zahlenbeispiel soll die in­ terne Rendite der Politik ermittelt werden, stets Gebrauchtfahrzeuge zu kaufen (und aufzurüsten). Für die bereits aufgestellte Zahlungsreihe (−15, 4, −2, 4, 13) folgt IRR = 7,38 %. Steigen die Zinsen und wird deshalb die Beschaffung des Neuwagens zu teu­ er, bleibt die Politik, auf Gebrauchtfahrzeuge zu setzen.

3.3 Internal Rate of Return und Capital Budgeting |

99

3.3.2 Capital Budgeting nach Dean Joel Dean (1906–1979) hat aus dem Kriterium der internen Rendite einen Ansatz für das Capital Budgeting entwickelt, den er in seinem Buch „Capital Budgeting and Ma­ nagerial Economics“ aus dem Jahre 1951 dargestellt hat.⁴ Joel Deans Idee besagt: Ein Geschäft wirft mehr ab, wenn „rentable“ Investitionen mit „günstigen“ Finanzierungen kombiniert werden. Investitionen mit geringerer Rentabilität sollen ebenso wie teure Finanzierungen vermieden werden.

Das Ergebnis in Relation zur Anfangsauszahlung einer Investition wird gut durch die interne Rendite beschrieben, denn die interne Rendite bezieht gleichsam das Gesamt­ ergebnis auf den eingesetzten Geldbetrag und verteilt es auf die gesamte Projektdauer. Nach Dean sollen also die möglichen Investitionsvorhaben in der Reihe fallender in­ terner Renditen angenommen werden. Dazu werden die möglichen Projekte in einem vorbereitenden Schritt sortiert. Parallel dazu werden die dem Unternehmer möglichen Finanzierungen sortiert. Die „günstigen“ kommen zuerst, die „weniger günstigen“ Fi­ nanzierungen folgen danach. Die mit einer Finanzierungsmaßnahme verbundenen Finanzierungskosten werden (ebenso wie bei den Investitionen) auf den Betrag bezo­ gen. Wiederum dient die interne Verzinsung oder die interne Rendite der Zahlungs­ reihe als Maß für die Attraktivität von Finanzierungsmöglichkeiten. Der Ansatz von Dean ist darauf ausgerichtet, rentable Investitionen mit günstigen Finanzierungen zu kombinieren. Das Kapital, das ein Unternehmen aufnehmen kann, wird als begrenzt angesehen. Des­ halb kommt es bei jeder Investition darauf an, welches Ergebnis sie in Relation zum benötigten Kapital hat. Letzteres wird durch die Anfangsauszahlung bestimmt (siehe Abb. 3.1).

Nun stellt eine Finanzierungsmaßnahme des Unternehmens für den Financier eine Investition dar, die für ihn, den Finanzinvestor, umso attraktiver wirkt, je höher deren interne Rendite ist. Im Budgetierungsansatz von Dean werden folglich die möglichen Finanzierungsmaßnahmen in die Reihenfolge aufsteigender interner Renditen gebracht und in dieser Reihenfolge angenommen. Mit diesem Vorgehen wird der gesamte Kapitalbedarf in der Reihenfolge absteigender Attraktivität der Investitionen mit dem gesamten Finanzierungsangebot in der Reihenfolge teurer werdender Finanzie­ rungen verglichen.

Für den Vergleich werden die Geldbeträge benötigt, die in der ersten Periode von den Investitionen als Auszahlungen verlangt und von den Finanzierungen als Einzahlun­

4 Joel Dean (1951): Managerial Economics. Englewood Cliffs, N. J.: Prentice-Hall.

100 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Rendite interne Rendite von IP2

IP1

Investitionsprojekte IP2 IP3

Betrag Kapitalbedarf des Projektes mit der zweithöchsten internen Rendite Abb. 3.1: Mögliche Investitionsprojekte in der Reihenfolge fallender interner Verzinsung nach Dean (eigene Darstellung).

Rendite Finanzierungsmaßnahmen

IP1

kritische Rendite

FM4 IP2

FM2

FM3 IP3

Investitionsprojekte

FM1 Betrag optimales Budget

Abb. 3.2: Das optimale Budget nach Dean (eigene Darstellung).

gen erbracht werden. Die Gegenüberstellung liefert das als optimal anzusehende Bud­ get nach Dean (siehe Abb. 3.2). Beim optimalen Budget liegen die internen Renditen aller angenommenen Investitionen gerade noch oberhalb der internen Renditen aller angenommenen Finanzierungen. Eine weitere Investition oder Finanzierung würde diese Relation durchbrechen (siehe Abb. 3.2).

Ist das optimale Budget bestimmt, kann es durch eine kritische Rendite charakte­ risiert werden: Alle Investitionsprojekte, deren interne Rendite größer ist als die kri­ tische Rendite, werden angenommen. Alle Finanzierungsmöglichkeiten mit geringe­ rem internen Zinssatz oder geringerer interner Rendite werden akzeptiert. Die kriti­ sche Rendite bringt das Budget zum Ausgleich.

3.3 Internal Rate of Return und Capital Budgeting |

101

Aufgaben, welche die Struktur des Capital Budgeting aufweisen, sind im Operations Research als Rucksackproblem bekannt – der Situation eines Wanderers entsprechend, der in die Einsamkeit aufbricht. Der Wanderer kann nicht beliebig viele Gegenstände (Brot, Getränk, Landkarte, GPS, Notzelt) mitnehmen, da sein Rucksack zu schwer werden würde. Aufgrund der Gewichtsbeschrän­ kung sortiert er die infrage kommenden Gegenstände nicht nach ihrer absoluten Nützlichkeit (die er in einer Punkteskala ausdrücken muss), sondern nach der Nützlichkeit geteilt durch das jewei­ lige Gewicht. Nach dieser Sortierung nimmt er den Gegenstand mit der höchsten Nützlichkeit pro Gewichtseinheit zuerst und packt anschließend den Rucksack mit den Dingen in der Reihenfol­ ge abnehmender relativer Nützlichkeit so lange weiter, bis das tragbare Gesamtgewicht erreicht ist.

3.3.3 Simultanansatz oder Einzelprüfungen? Der Unterschied im Capital Budgeting zwischen dem Simultanansatz von Dean und der durch Fisher begründeten Einzelprüfung möglicher Investitionsprojekte und Fi­ nanzierungsmaßnahmen liegt in der Voraussetzung: Ist kein perfekter Finanzmarkt gegeben, muss der Simultanansatz von Dean gewählt werden, denn man kann kei­ ne Projekte annehmen und dann durch Hinzunahme von Finanzierungen vom Markt ermöglichen. Besteht hingegen ein (hinreichend gut funktionierender) Finanzmarkt, kann jedes Projekt mit Kontrakten vom Markt finanziert werden. Der Simultanansatz von Dean bewerkstelligt das Capital Budgeting unter der (unausgesprochenen) Nebenbedingung, dass für die angenommenen Investitionsprojekte nur Finanzierungen aus der Men­ ge als möglich erachteter Finanzierungsmaßnahmen verwendet werden dürfen. Weitere Finanzierun­ gen mit Kontrakten, die ein Markt bieten würde, bleiben unberücksichtigt.

Umgekehrt werden mit dem Ansatz von Dean nur Finanzierungen angenommen, die innerhalb der Menge möglicher Investitionsprojekte Verwendung finden. Eine Anlage von Finanzmitteln in einem Finanzmarkt bleibt im Simultanansatz ausgeklammert. Das Prinzip des Capital Budgetings, sich an internen Renditen zu orientieren, kommt den Vorstel­ lungen entgegen, die in der Praxis gepflegt werden. Das Capital Budgeting nach Dean bot eine konkrete Problemlösung, welche die Fachwelt nach Erscheinen akzeptierte. Heute werden eher diejenigen Möglichkeiten betont, die gut funktionierende Finanzmärkte bieten. Von daher wird dem Barwertkriterium heute größere Bedeutung beigemessen.

Kapitel 3.3 in Kürze Ein von Praktikern geschätztes Kriterium basiert auf der internen Rendite der Zahlungsreihe. Ist der tatsächliche Kapitalkostensatz geringer, gilt das Projekt als vorteilhaft. Joel Dean hat dies zu einem Ansatz für das Capital Budgeting ausgebaut.

102 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen Fragen zu Kapitel 3.3 1.

2.

3.

Jemand möchte das Kriterium der internen Rendite anwenden und überlegt, ob die IRR eines Pro­ jekts steigt oder fällt, wenn a. der Restwert größer wird, b. der Anschaffungspreis höher wird, c. wenn Anschaffungspreis und der Restwert um denselben Betrag steigen. Was würden Sie sagen? Betrachten Sie eine zukünftige Zahlung, die für das Unternehmen negativ ist und eine Auszah­ lung darstellt (wie etwa ein Rückfluss bei hohen Abbruchkosten). a. Ist ihr Barwert negativ? b. Ist der Barwert dem Betrag nach geringer oder höher als der Betrag der späteren Auszah­ lung? c. Steigt der Barwert bei höherem Kapitalkostensatz oder nimmt er ab? Sollte es in einer Zahlungsreihe mehr als einen Vorzeichenwechsel geben, könnte das Kriteri­ um der internen Rendite fehlleiten. Verifizieren Sie diese Aussage anhand der Zahlungsreihe (−9, +100, −100). Zeigen Sie, dass IRR = 11,1 % gilt. Ist der PV der Zahlungsreihe negativ, wenn der Kapitalkostensatz steigt, so wie es beim Kriterium der internen Rendite normalerweise der Fall ist?

3.4 Periodenkriterium Das Barwertkriterium und das Kriterium der internen Rendite setzen bei der Zahlungs­ reihe an, die das Projekt beschreibt. Vielfach wird hingegen gewünscht, dass eine ein­ zelne Periode, also ein „typisches“ Geschäftsjahr, betrachtet wird. Es wird dann ver­ sucht, die Vorteilhaftigkeit der Investition anhand einer Kostenkalkulation für dieses Geschäftsjahr zu prüfen. In die Kalkulation sollten die „typischen“ Rückflüsse eingehen. Dazu gehört ein Wertverlust bei der Vermögensposition, der durch kalkulatorische Abschreibungen ausgedrückt wird. Auch die Kapitalkosten müssen bei der Aufstellung der Rückflüsse eines als „typisch“ betrachteten Jahres berücksichtigt werden. Die Kapitalkosten soll­ ten sich auf das „typischerweise“ durch die Investition gebundene Kapital beziehen.

3.4.1 Flotte mit geschichteter Altersstruktur Um diese Sichtweise zu konkretisieren, wird zunächst zum Beispiel des Fahrzeug­ kaufs gegriffen. Die allgemeine Situation folgt im Anschluss. Im Beispielprojekt soll das Fahrzeug T = 4 Jahre genutzt werden. Die Zahlungen (Tsd. Euro) sind nachste­ hend nochmals aufgeführt. Aus Gründen, die sogleich deutlich werden, soll der Be­ schaffungspreis P etwas anders dargestellt werden. Hierzu wird der Aufpreis A betrachtet, den die Beschaffung gegenüber dem Rest­ wert mehr kostet, also: A = P − R. Dieser Punkt ist nicht wesentlich, doch er verein­ facht die Formel (3.6) und ihre Interpretation.

3.4 Periodenkriterium |

103

Die Beurteilung der Investition aufgrund der Vorteilhaftigkeit einer Periode soll anhand dieser Zahlen gezeigt werden. – Aufpreis A = 12, Restwert R = 10 (also Beschaffungspreis 22) – Umbauten und Inbetriebnahme B = 2 (also anfänglicher Investitionsbetrag 24) – Rückflüsse aus Nutzung Z1 = 6, Z2 = 5, Z3 = 4, Z4 = 3 (wobei im vierten Jahr als zusätzlicher Rückfluss der Restwert von 10 zu verzeichnen ist) Anstatt ein einziges Fahrzeug zu betrachten, werden die Zahlungswirkungen einer Flotte von Fahrzeugen untersucht, wobei jedes durch die bereits genannte Zahlungs­ reihe beschrieben wird, also durch (−24, 6, 5, 4, 3 + 10). Die Flotte soll aus T = 4 solcher Fahrzeuge zusammengestellt werden und eine geschichtete Alters­ struktur aufweisen: Ein Fahrzeug befindet sich im ersten Jahr der Nutzung, ein anderes im zweiten Nutzungsjahr, wieder ein anderes im dritten und wiederum ein anderes Fahrzeug der Flotte im vierten Jahre der Nutzung. Die Folge dieser Altersschichtung ist, dass die Flotte nie altert. Und in jedem Geschäftsjahr erfol­ gen übereinstimmende Zahlungen.

Man betrachte irgendeinen Zeitpunkt, zu dem das Geschäftsjahr wechselt: – Ein Fahrzeug, bislang im ersten Nutzungsjahr, kommt in das zweite Nutzungsjahr und liefert den Rückfluss von 6 (Tsd. Euro). – Ein anderes Fahrzeug, bislang im zweiten Nutzungsjahr, kommt in das dritte Nut­ zungsjahr und wirft einen Rückfluss von 5 ab. – Wieder ein anderes Fahrzeug, bislang im dritten Nutzungsjahr, kommt in das vier­ te Nutzungsjahr und wirft Rückflüsse von 4 ab. – Wiederum ein anderes Fahrzeug, bislang im vierten Nutzungsjahr, wirft als Rück­ fluss 3 ab, wird sodann verkauft, was als Restwert 10 einbringt, und gleich durch ein neues Fahrzeug ersetzt, wozu 24 (Tsd. Euro) zu zahlen sind. Zu jedem Zeitpunkt erhält das (die Flotte betreibende) Unternehmen Zahlungen von 6 + 5 + 4 + 13 − 24, also eine Einzahlung von 4 Geldeinheiten. Das Unternehmen als Flotteninhaber kann jedes Jahr 4 (Tsd. Euro) kassieren und hat stets eine Flotte von identischem Wert: Nach jedem Jahreswechsel ist ein Auto neu, ein zweites ist 1 Jahr alt, und so fort. Die Flotte erhält sich gleichsam von selbst – stets dasselbe, und am Ende des Geschäftsjahrs fallen 4 Tsd. Euro ab. Ein Goldesel! Da kommt die Frage auf: Wie viel muss man investieren, um das Eigentum an einer solchen Flotte, die permanent 4 Tsd. Euro abwirft, zu erwerben?

3.4.2 Ersatzwert der Flotte Um eine Antwort zu erhalten, muss bestimmt werden, welchen Ersatzwert die vier Fahrzeuge haben. Angenommen, gleich nach Jahresbeginn würden alle vier Fahrzeu­

104 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

ge (unerwartet) ausfallen: Um die Flotte in gleicher Altersstruktur zu ersetzen, muss ein neues Fahrzeug beschafft werden, ein gebrauchtes, das 1 Jahr alt ist, ein weiteres, das 2 Jahre genutzt wurde und ein gebrauchtes, das 3 Jahre genutzt wurde. Alle vier Fahrzeuge müssen mit den Umbauten ausgerüstet werden. Die Frage ist, was für den Ersatz gezahlt werden muss. 1. Für einen Ersatz des ganz neuen Auto innerhalb der Flotte müssen 24 Geldeinhei­ ten aufgebracht werden. Das ist die Summe aus A + R + B. 2. Was ein Auto einschließlich der speziellen Umbauten kosten würde, wenn es be­ reits ein Jahr alt ist, wird üblicherweise mit Abschreibungen bestimmt. Der Wert­ verlust beim „reinen Fahrzeug“ über die vier Nutzungsjahre hinweg beträgt A. Nun wird deutlich, weshalb der Aufpreis eingeführt wurde. Der Aufpreis beschreibt die während der gesamten Nutzungsdauer erforderlichen Abschreibungen. Mit den Zahlen des Beispiels werden über die Dauer von 4 Jahren A = 12 (Tsd. Euro) abge­ schrieben. Der auf 1 Jahr bezogene Abschreibungsbetrag beträgt folglich A/T = 12/4 = 3. Doch auch wenn der Unternehmer einen Gebrauchtwagen kaufen sollte, um ein vielleicht ausgefallenes Fahrzeug zu ersetzen, muss er die Umbauten für B = 2 zum Gebrauchtwagenpreis hinzurechnen. – Ein Fahrzeug, das 1 Jahr alt ist, kostet beim Ersatz mithin 22 − 3 + 2 = 21. – Ein Fahrzeug, das 2 Jahre alt ist, verlangt beim Ersatz Auszahlungen in Höhe von 22 − 2 ⋅ 3 + 2 = 18 und ein gerade 3 Jahre alt gewordenes Fahrzeug ist inklusive der unternehmensspezifischen Umbauten für 22 − 3 ⋅ 3 + 2 = 15 zu haben. – Ist das Fahrzeug gerade 4 Jahre alt, wird es dem Plan nach verkauft und durch ein neues ersetzt. Sollte dieser Neuwagen dann (etwa in der ersten Einsatzwoche) ausfallen, ist das gegen Zahlung von 22 + 2 = 24 möglich. Folglich kann zu Beginn eines jeden Jahres die gesamte Flotte durch Zahlung von 24+ 21 + 18 + 15 = 78 ersetzt werden. Dieser Ersatzwert der gesamten Flotte, er sei mit EW bezeichnet, müsste finanziert werden, was beim Kapitalkostensatz WACC möglich wäre.

Anders ausgedrückt: Wer bereit ist, Jahr für Jahr Kapitalkosten in Höhe des Betrags von 78 ⋅ WACC zu zahlen, der erhält Jahr für Jahr eine Einzahlung von 4 (Tsd. Euro). Wer dies bejaht, hat permanent eine Flotte als Vermögensposition. Allerdings be­ stehen gleich hohe Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber den Kapitalgebern. Die Vermögensposition und die Rückzahlungsverpflichtungen gleichen sich aus. Sie müs­ sen daher nicht weiter betrachtet werden. So bleibt als Frage, ob es vorteilhaft ist, Jahr für Jahr 4 Tsd. Euro zu vereinnahmen und die Kapitalkosten von 78 ⋅ WACC zu tragen. Rein rechnerisch wäre das vorteilhaft, sofern die Kapitalkosten unter 4/78 = 5,13 % liegen.

3.4 Periodenkriterium | 105

3.4.3 Analyse Nun zur allgemeinen Formel für die Vorteilhaftigkeit der Investition in die Flotte. Zu jedem Zeitpunkt erzeugt die Flotte als Nettoauszahlungen: Z1 + Z2 + . . . + ZT + R − (A + R + B). Das kann vereinfacht werden. Die Nettorückflüsse für die gesamte Flotte, und zwar jedes Jahr, sind: Z1 + Z2 + . . . + ZT − A − B (3.7) Für einen Ersatz der Flotte sind die folgenden Beträge auszuzahlen. Die Summe ist der Ersatzwert der Flotte: EW = (A + R+ B)+ (A −

A A A + R + B) + (A − 2 ⋅ + R + B)+ . . . + (A − (T − 1) ⋅ + R + B) T T T

Das kann umformuliert werden: T−1 T−2 1 ⋅ A + R + B) + ( ⋅ A + R + B) + . . . + ( ⋅ A + R + B) T T T (3.8) Mithilfe der Summenformel folgt für den Flottenersatzwert. EW = (A + R + B) + (

EW =

T+1 ⋅A+T⋅R+T⋅B 2

Wird der Ersatzwert auf ein Fahrzeug bezogen, ergibt sich: EW =

T+1 ⋅A+R+B 2⋅T

(3.9)

Der auf ein Fahrzeug bezogene Flottenersatzwert beträgt ziemlich genau die Hälfte des Aufpreises A (plus Restwert R plus Umbaukosten B).

Der Sachverhalt, nach dem der Ersatzwert und somit das gebundene Kapital geringer sind als der Beschaffungspreis für ein neues Element, ist intuitiv zu erfassen. Wer wür­ de behaupten, in seinem in die Jahre gekommenen Auto seien noch die 50 Tsd. Euro gebunden, die das Fahrzeug seinerzeit gekostet hat? Bereits Martin Lohmann (1901–1993) und Hans Ruchti (1903–1988) haben diesen Sachverhalt erkannt. Sie beschrieben einen Effekt der Kapazitätserweiterung, der heute als Lohmann-Ruchti-Effekt bezeichnet wird: Um im Beispiel zu bleiben: Zwei Gebrauchtfahrzeuge binden so viel Kapital wie ein neues, bieten aber die doppelte Nutzungskapazität. Aufgrund obiger Berechnung darf festgehalten werden: Das gebundene Kapital pro Leistungseinheit ist (ungefähr) gleich der Hälfte des Aufpreises gegenüber dem Restwert plus Restwert plus Kosten für die Umrüstung und Inbetriebnahme.

106 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Die Zahlen des Beispiels sollen zur Probe in die allgemeinen Formeln für die Net­ torückflüsse und das gebundene Kapital eingesetzt werden. Die auf ein Flottenele­ ment bezogenen Nettorückflüsse sind: 6 + 5 + 4 + 3 − (12 + 2) 4 = =1 4 4 Das im Durchschnitt in einem Element der Flotte gebundene Kapital ist mit den Daten des Beispiels: EW 5 = ⋅ 12 + 10 + 2 = 19,5 4 8 Bei einem Kapitalkostensatz von 1/19,5 = 5,13 % stimmen die mittleren Nettorück­ flüsse pro Element der Flotte und die Finanzierungskosten überein. Dieser kritische Kapitalkostensatz stimmt mit der oben berechneten Rendite IRR überein. Fazit Das Periodenkriterium betrachtet eine Periode, also ein Geschäftsjahr, für eine altersgeschichtete Flotte. – Bei jedem Jahresende fällt die Summe aller Rückflüsse an und das eine Fahrzeug, welches das Ende der Nutzungsdauer erreicht hat, muss ersetzt werden. Dabei kann der Restwert realisiert werden, ein neues Fahrzeug und die Umbauten müssen bezahlt werden. – Die Zahlungssumme kann auf ein einzelnes Fahrzeug bezogen werden. – Sodann wird der Ersatzwert berechnet. Er ist ziemlich genau gleich der Hälfte des Aufpreises plus Restwert plus Umbaukosten. Der Ersatzwert ist das gebundene Kapital. Darauf wird der Kapital­ kostensatz angewendet.

Nun werden die beiden Größen miteinander verglichen: Z1 + Z2 + . . . + ZT − (A + B) ? T + 1 ⋅ A + R + B) ⋅ WACC >( T 2⋅T

(3.10)

Die Formel lautet also: Unter typischen Rückflüssen und Zahlungen einer Investition wird ein Durch­ schnitt über alle Perioden der Nutzung gebildet. Dieser wird auf eine Einheit bezogen. Die typischen Rückflüsse werden sodann mit den Finanzierungskosten verglichen. Die Finanzierungskosten sind das Produkt aus dem im Mittel (in einer Einheit) gebundenem Kapital und dem Kapitalkostensatz.

Die Formel sei für einen vereinfachten Fall wiederholt: Im vereinfachten Fall gibt es keinen Restwert, R = 0. Es sollen auch keine Kosten für Ein- und Umbau anfallen, B = 0. Für diesen Fall gilt: T+1 ⋅ Anschaffungwert 2⋅T Periodenertrag pro Element = gebundenes Kapital ⋅ WACC gebundenes Kapital = Ersatzwert =

(3.11)

In der Praxis wird diese Perspektive geschätzt, weil sie auf eine einzelne Periode aus­ gerichtet ist. Viele Unternehmen unterhalten eine netzartige Infrastruktur, bestehend aus vielen Knotenelementen. Oftmals hat jeder Knoten eine lange Nutzungsdauer,

3.4 Periodenkriterium |

107

zum Beispiel von T = 50 Jahren. Jedes Jahr werden die ältesten Knoten im Rahmen der Instandhaltung ausgewechselt und durch neue Elemente ersetzt. – Die Leistung dieses Netzes wird geschätzt und auch die Kosten der ersetzenden Instandhaltung sind bekannt. – Dann wird die Leistung abzüglich der Instandhaltungskosten mit den Kapitalkos­ ten verglichen. – Hierzu wird das im Mittel gebundene Kapital bestimmt und mit dem Kapitalkos­ tensatz multipliziert. Es wird also genau dem Ansatz gefolgt, der zum Periodenkriterium führt. In der Regu­ lierung von Telecoms werden durch die Aufsichtsbehörde sogar Kriterien vorgegeben, nach denen das gebundene Kapital bestimmt werden soll. Hierbei wird das Konzept der Modern Equivalent Assets (MEA) herangezogen. Mit der Modellrechnung wird unterstellt, das Netz habe die aktuell modernste technische Struktur und Leistungs­ fähigkeit. Kapitel 3.4 in Kürze –





Beim Periodenkriterium wird ein Netz oder eine Flotte betrachtet, wobei die Knoten oder die Ele­ mente unterschiedliche Restlaufzeit haben. Das Netz oder die Flotte sollen geschichtet sein, so­ dass alle Alter vertreten sind. Dieser Ansatz des Periodenkriteriums wirkt für Anwender realitäts­ nah. Oft wird eine Investition bereits seit Jahren genutzt. Die Frage ist nicht, ob man damals, bei der ursprünglichen Entscheidung, klug gehandelt hat. Ebenso wenig wird infrage gestellt, ob seiner­ zeit über die Investition anhand der internen Rendite oder anhand des Barwertkriteriums ent­ schieden wurde und ob die damalige Entscheidung korrekt war. Die aktuell gestellte Frage lautet vielmehr, ob die Investition immer noch hinreichend rentabel ist. Nach einiger Zeit laufender Instandhaltungen und Ersetzungen einzelner Elemente möchte man wissen, ob sich das alles noch rechnet. Für diese praxisnahe Frage bietet das Periodenkriterium den geeigneten Beurteilungsrahmen. Das Periodenkriterium prüft, ob ein Flottenbetrieb weiter fortgeführt werden soll, oder ob es besser ist, die Flotte zu liquidieren.

Fragen zu Kapitel 3.4 1.

2.

Eine Firma hat über Jahrzehnte hinweg einen Maschinenpark aufgebaut, der heute 10 Maschinen umfasst. Die Nutzungsdauer einer neuen Maschine ist 10 Jahre. Jedes Jahr wird eine Maschine durch eine neue ersetzt. Es gibt keine nennenswerten Auszahlungen für Umbauten oder für die Inbetriebnahme einer neuen Maschine, und die ersetzen alten Maschinen können nicht mehr verkauft werden. Der Beschaffungspreis einer Maschine ist 1 Mio. Euro. Wie viel Kapital ist in dem Maschinenpark gebunden? Eine Privatperson kauft einen Jahreswagen und plant, ihn für 10 Jahre zu nutzen. Sie möchte die Finanzierungskosten für ein „typisches Jahr“ ermitteln und dabei einen „Zinssatz“ von 8 % an­ nehmen. Die Finanzierungskosten sollen zeigen, wie hoch der in Geld ausgedrückte Nutzen für das „typische“ Jahr sein muss, damit sich der Kauf lohnt. Der Jahreswagen kostet 40.000 Eu­ ro, Anpassungen sind nicht erforderlich, am Ende der Nutzungsdauer ist mit keinem Restwert zu rechnen.

108 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

3.

Die eben betrachtete Privatperson ändert ihre Politik. Sie möchte den Neuwagen (Beschaffungs­ preis 40.000 Euro) nur 4 Jahre fahren und kann dann noch einen Restwert von 16.000 Euro reali­ sieren. Ermitteln Sie die Finanzierungskosten für ein „typisches Jahr“ und für einen Kapitalkos­ tensatz von 8 %. Wie hoch muss der in Geld ausgedrückte Nutzen für das „typische“ Jahr sein, damit sich diese Politik lohnt.

3.5 Irreversibilität Das eben besprochene Periodenkriterium hat nochmals betont: Auszahlungen für die Inbetriebnahme, für Umbauten und für Anpassungen sind notwendig, um ein Inves­ titionsobjekt in Betrieb zu nehmen. Dies ist auch dann der Fall, wenn ein gebrauchtes Objekt beschafft wird. Aber die besagten Auszahlungen sind mit Ende der Nutzungs­ dauer verloren, während das Objekt vielleicht noch einen gewissen Restwert hat. Die Auszahlungen für Inbetriebnahme, Umbauten und Anpassungen bringen das Investitionsobjekt näher an unternehmensspezifische Gegebenheiten und Erforder­ nisse Sie machen es „spezieller zugeschnitten“. Das Objekt wird allerdings zugleich weniger universell verwendbar und es kann im Krisenfall nicht mehr so leicht verkauft werden. Die Investition wird zumindest zum Teil irreversibel.

3.5.1 Bindung an Wissen Die Irreversibilität einer Investition wird umso deutlicher, je stärker das Investiti­ onsobjekt mit Wissen verbunden ist. Viele Sachanlagen sind untrennbar mit Wissen verbunden. Um eine Sachanlage verwenden zu können, muss oftmals erst Wissen auf­ gebaut werden. Der Aufbau von Wissen stellt wiederum eine Investition dar. Aufgrund der Verbundenheit können Sachanlage und Wissensaufbau nicht im­ mer als zwei voneinander getrennte Investitionen behandelt werden. Ohne Wissen kann das Objekt nicht verwendet werden. Zugleich führt der Einsatz der Sachanlage zu neuen Erfahrungen und somit zu neuem Wissen. Die Investition umfasst nicht al­ lein die Sachanlage, sondern eine Vielzahl begleitender Maßnahmen zum Aufbau, zur Pflege und zum Einsatz von Wissen. Bei einigen Investitionen in eine Kombination von Sachanlagen und Wissen hat das Wissen grö­ ßere Bedeutung. Vor der Produktion des Airbus A380 kostete die Entwicklung des Großflugzeugs 14 Mrd. Euro. Die Entwürfe zu einer neuen Performance des kanadischen Cirque du Soleil und das Einstudieren der Shows kosten jedes Mal rund 4 Mrd. Euro. Ähnliches ist von der Entwicklung neu­ er Pharmazeutika zu sagen. Dagegen erfordern die erforderlichen Sachanlagen geringeren Auf­ wand.

Der gelegentlich recht hohe Anteil der „weichen Faktoren“ hat verschiedene Konse­ quenzen. Im Fall, dass eine Investition einen hohen Anteil von Wissen beinhaltet,

3.5 Irreversibilität

| 109

ergeben sich verschiedene Folgen für die Investitionsentscheidung und die Finanzie­ rung. Zunächst werden zwei der Konsequenzen betrachtet. 1. Investitionsentscheidungen müssen langfristig und umfassend konzipiert wer­ den. 2. Investitionen, gesehen als Kombination von Sachanlage und Aufbau von Wissen, enthalten deutlich irreversible Anteile. Zu 1.: Zwar wird ab und zu gesagt, dass Wissen schnell veralte und daher permanent erneuert werden müsse. Für gewisse weiche Faktoren ist das richtig. Sie sollten sich in entsprechend kurzer Zeit amortisieren. Doch zu einem großen Teil wirkt das Wis­ sen eines Unternehmens über Jahrzehnte hinweg. Zu weichen Faktoren mit sehr langer Wirkung gehören das technologische Wissen des Unternehmens, die Organisation, die Kultur. Eine ebenso lange Wirkung ist mit Markennamen verbunden. Gleiches gilt für das Ansehen des Unternehmens (als Arbeitgeber, als Garant für gute Produk­ te, als Partner der Öffentlichkeit, als Förderer zukunftsweisender Entwicklungen). Deshalb kann das auf Sachanlagen bezogene Wissen die physische Lebensdauer der Anlage durch­ aus überdauern. Dann wird die Sachanlage oftmals in identischer Weise ersetzt, um das vorhandene Wissen nicht zu entwerten.

So kaufen sich viele Autofahrer immer wieder Modelle desselben Herstellers, denn sie sind ge­ wohnt, wie bei dem betreffenden Hersteller Armaturen und Schalter angeordnet sind und wie das Fahrzeug in Kurven reagiert. Bei den Airlines bestimmt die Ausbildung der Piloten, von welchem Hersteller die Flugzeuge gekauft werden. Die Software, die benutzt wird, bestimmt die Hardware, die beschafft wird.

Das mit einer Sachanlage zusammenhängende Wissen kann infolgedessen dazu füh­ ren, dass ein Unternehmen hinsichtlich der späteren Ersatzinvestitionen bereits ge­ bunden ist. Aufgrund der Langlebigkeit der weichen Faktoren muss die Entscheidung über die Investition anhand einer sehr langfristigen Perspektive getroffen werden. Hinzu kommt Folgendes: Die grundlegenderen Wissensschichten können ebenso für benachbarte In­ vestitionen in Sachanlagen nützlich sein. Auch das mit einer Sachanlage verbundene Wissen kann mit dem Wissen einer anderen Sachanlage verzahnt sein. Folglich führt das Wissen des Unternehmens ebenso zu Vorgaben hinsichtlich benachbarter Investitionsentscheidungen.

Fazit Die Investitionsentscheidung für eine bestimmte Sachanlage bedingt, welches Wissen weiter genutzt und gepflegt wird. Dieses Wissen bestimmt wiederum die folgenden Käufe von Sachanlagen.

110 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen Gute Investitionen sind solche, die das vorhandene Wissen nutzen und die dazu beitragen, das Wissen weiterzuentwickeln. Da Wissen ein sehr langes Leben und eine breite Wirkung hat, müssen Investiti­ onsentscheidungen langfristig und umfassend konzipiert werden.

Bei der Beschreibung und Beurteilung von Investitionen ist es aufgrund ihrer Wissens­ komponente ungenügend, allein die Ebene von Zahlungen zu betrachten. Vielmehr muss die Investition zusätzlich auf die Wissensebene projiziert werden. Dort stellen sich zwei Fragen: 1. Welches bereits vorhandene Wissen ist für die Investition förderlich? Welches Wissen muss für die Investition zusätzlich erworben oder aufgebaut werden? Wie hilft die Investition bei der Weiterentwicklung des Wissens, etwa durch Erfahrun­ gen? 2. Welche weiteren Entscheidungen, etwa hinsichtlich späterer Ersatzinvestitionen oder benachbarter Investitionen, sind durch das Wissen schon vorgezeichnet? Zu 2.: Wissen kann weder leicht abgegrenzt noch so einfach verkauft werden wie ein Gegenstand. Zeit und Geld für den Erwerb und die Weiterentwicklung von Wissen sind irreversibel versunken, ebenso wie bei einer Sachanlage die Auszahlungen für Anpas­ sungen, Umbauten und die Inbetriebnahme. Damit sich Wissen bezahlt macht, muss es hinreichend lange eingesetzt werden. In der Folge entsteht bei der mit einer Investition verbundenen Kombination von Sach­ anlage und Wissen eine deutliche Irreversibilität. Die Irreversibilität von Investitio­ nen geht also auf die erforderlichen Anpassungen und Umbauten bei Sachanlagen zurück sowie auf das Wissen, mit dem sie verbunden sind. Die Irreversibilität drückt sich als Risiko für die Finanziers aus. Fremdkapitalge­ ber wünschen sich Besicherung ihrer Kredite und Verwertungsmöglichkeiten im Kri­ senfall. Die Verwertungsmöglichkeiten sind jedoch auf den Verkauf der gebrauchten Objekte eingeschränkt, während die Kosten für Anpassungen und die Investitionen in Wissen uneinbringlich sind. Bei ausgeprägter Irreversibilität verlangt die Investition (in die Kombination von Sachanlage und Wissen) vermehrt Eigenkapital, da Eigenka­ pitalgeber zur Übernahme von Risiken bereit sind. Aufgrund der Risikoprämie, die Eigenkapitalgeber aufgrund der unternehmeri­ schen Planungen erwarten, ist die Finanzierung mit Eigenkapital „teurer“ als die mit Fremdkapital. Hinzu kommt die Tatsache, dass die den Eigenkapitalgebern zugewie­ senen Gewinne vom Unternehmen versteuert werden müssen, während Zinszahlun­ gen Aufwand sind und im Unternehmen keiner Gewinnsteuer unterliegen. Auch die Steuer bewirkt, dass die Eigenkapitalkosten höher als Fremdkapital­ kosten sind. So hat die Irreversibilität zur Folge, dass weniger Investitionsprojekte die verlangte Rentabilität (nach Finanzierungskosten) erreichen. Ein Weiteres kommt durch die Irreversibilität hinzu: Wer etwas in der Hand hält, dem könnte es genommen werden. Eine irreversible Investition versperrt den Weg, bei einer Bedrohung durch einen Gegenspieler den Rückzug anzutreten. Mehr noch:

3.5 Irreversibilität

| 111

Irreversible Investitionen können Gegenspieler des Unternehmens dazu bringen, ge­ schaffene Vermögenspositionen anzugreifen und auszubeuten. Beispiel Durch Datendiebstahl kann eine durch das Wissen erzeugte Alleinstellungsposition zerstört werden. Raubkopien können den Absatz schmälern. Wurde Reputation auf­ gebaut, kann sie durch üble Nachrede entwertet werden. Aufgrund der für alle ein­ sehbaren Meinungen in den sozialen Medien kann Kritik, auch ungerechtfertigte und vielleicht sogar leichtfertig geäußerte, schaden. Meinungsführer können Urteilen fäl­ len, die gleichgerichtet von vielen zum Ausdruck gebracht werden. Das Unternehmen muss also prüfen, welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Hier bieten sich drei Maßnahmen an, doch auch sie verursachen Kosten. 1. Vielfach sind technische Vorrichtungen möglich, um Diebstähle oder Angriffe zu verhindern. 2. Es kann versucht werden, Gegenspieler zu motivieren, auf Angriffe oder Ausbeu­ tungen zu verzichten. Das kann vielfach durch Langfristverträge oder Partner­ schaften gelingen. Selbstverständlich sind auch diese Einflussnahmen auf die Motivationen potenzieller Gefährder mit Kosten verbunden. 3. Personen, die versuchen könnten, anzugreifen oder auszubeuten, können einer starken Kontrolle unterworfen werden. Beispielsweise kann das Unternehmen Ei­ gentum an Dingen erwerben, die die Gegenspieler benötigen. Der Staat kann dazu gebracht werden, eine Aufsicht einzurichten, die Angriffe und Ausbeutungen un­ ter Strafandrohungen verbietet. Entfalten diese Maßnahmen keine ausreichende Kraft oder sind sie für das Unterneh­ men zu teuer, muss die Investition unterbleiben.

3.5.2 Transaktionskosten Die Kosten für technischen Schutz, für Langfristverträge und Partnerschaften, und für die Errichtung einer hierarchischen Kontrolle sind zusätzliche Kosten, die im Zu­ sammenhang mit der Investition stehen. Oliver Williamson (1999, 2002) hat sie als Transaktionskosten bezeichnet.⁵

5 Arnold Picot: Transaktionskostenansatz in der Organisationstheorie. Stand der Diskussion und Aus­ sagewert. Die Betriebswirtschaft 42 (1982), S. 267–284; Oliver E. Williamson: Strategy Research: Gover­ nance and Competence Perspectives. Strategic Management Journal 20 (1999) 12, S. 1087–1108; Oliver E. Williamson: The Theory of the Firm as Governance Structure: From Choice to Contract. Journal of Economic Perspectives 16 (2002) 3, S. 171–195; Helmut Dietl (2007): Transaktionskostentheorie. In: Richard Köhler, Hans-Ulrich Küpper und Andreas Pfingsten: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft (HWB). Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre (EdBWL) Bd.1, S. 1750–1760.

112 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Demnach gibt es eine dritte Ebene, neben den beiden Ebenen der Zahlungen und der des Wissens, auf die eine Investition projiziert werden muss. Gemeint ist die Ebene der Transaktionskosten. Die Fragen lauten: Ziel welcher Angriffe und Ausbeutungen könnte die Investition sein? Welche Maßnahmen müssen zusätzlich ergriffen werden, um die Investition zu schützen? Williamson (1999, 2002) hat gezeigt, welche Finanzierung, welche Governance und welche Kontrolle verlangt ist, um Investitionen zu schützen. Anstelle von Irrever­ sibilität spricht Williamson (1999, 2002) von Spezifizität. Je spezifischer eine Investi­ tion ausgestaltet ist, desto geringer ist die Einbringlichkeit, sollte ein vorzeitiger Ab­ bruch nötig werden. – Daher bedeutet hohe Spezifizität Unbeweglichkeit und möglicherweise Angreif­ barkeit. – Geringe Spezifizität einer Investition liegt bei universeller Verwendbarkeit der Ver­ mögensobjekte vor, weshalb im Krisenfall ein Verkauf leichter möglich ist. Bei geringer Spezifizität (hoher Universalität, hoher Reversibilität) ist sogar eine weit­ gehende Fremdfinanzierung möglich. Sachanlagen können den Kreditgebern zur Si­ cherheit übereignet werden (siehe Tab. 3.1). Bei hoher Spezifizität kommt es hingegen darauf an, ob, und wenn ja, wie stark die Investition der Gefahr einer Entwertung (Datendiebstahl, Raubkopie, Reputations­ verlust) ausgesetzt ist. Immerhin kann es sein, dass eine Investition zwar irreversibel ist, was gewisse „Geschäftsrisiken“ mit sich bringt, dass es jedoch keine Gegenspie­ ler gibt, die versuchen könnten, anzugreifen oder auszubeuten. Wenn die Gefahr der Ausbeutung oder des Angriffs gering ist, wäre die Realisation der (spezifischen, ir­ reversiblen) Investition möglich, wobei eine Finanzierung mit Eigenkapital verlangt ist. Die Eigenkapitalgeber übernehmen die durch die Spezifizität oder durch Irreversi­ bilität gegebenen Geschäftsrisiken. Im Fall, dass es potenzielle Gegenspieler gibt, besteht die Gefahr von Angriff oder Ausbeutung. Dann kommt es nach Williamson (1999, 2002) darauf an, ob ausreichen­ de Schutzmaßnahmen (Safeguards) getroffen sind. Diese können technischer oder vertraglicher Art sein. Gegenspieler können auch durch eine Ausweitung der Kontroll­ möglichkeiten „in Schach gehalten“ werden. Das kann nach Williamson (1999, 2002) durch vertikale Integration geschehen. All das verursacht Transaktionskosten. – Williamson diskutiert, dass die Transaktionskosten für technischen Schutz am geringsten sind, – während Langfristverträge und Partnerschaften teurer sind. – Am teuersten wäre es, wenn das Unternehmen, das die Investition plant, die hier­ archischen Kontrollmöglichkeiten ausweitet. Deshalb werden die drei Gruppen von Maßnahmen in der genannten Reihenfolge er­ griffen. Wenn keine der drei Schutzmaßnahmen zu ausreichender Sicherheit für die Investition führt, ist die Investition nicht durchführbar.

3.5 Irreversibilität

| 113

Tab. 3.1: Zur Transaktionskostentheorie (in Anlehnung an Williamson 1988)⁶. Risiko

Angriffsgefahr

Finanzierung

unspezifische, universel­ le Investition, reversibel, relativ geringes Geschäfts­ risiko, keine Angriffsgefahr

gering, da Investition schnell aufgegeben wer­ den kann

Fremdkapital, Sachanlage dient als Kreditsicherheit

spezifische Investition, irreversibel, hohes Ge­ schäftsrisiko, Angriffsge­ fahr kann bestehen oder auch nicht

zwar denkbar, doch es gibt keine Bedrohungen, mit Angriff oder Ausbeutung ist nicht zu rechnen

Investition mit Eigenkapital verwirklicht

besteht, doch es gibt Sicherheitsmaßnahmen (Safeguards), techni­ sche Sicherheitsmaßnah­ men (Safeguards) gut zu verwirklichen

Zusätzlich zur Finanzierung (mit Eigenkapital) werden Schutzmaßnahmen ergriffen (zusätzliche Transaktionskosten): 1. technische Sicherheit, 2. Einbindung der Gegenspieler durch Langfristverträge und Partnerschaften, 3. Ausdehnung der Kontrollrechte durch vertikale Integration, um Gegenspieler disziplinieren zu können

besteht, doch es gibt keine Sicherheitsmaßnahmen (Safeguards) oder die mit ihnen verbundenen Transak­ tionskosten sind zu hoch

Investition nicht durchgeführt

Kapitel 3.5 in Kürze –



Alle Investitionen sind in gewissem Umfang mit Wissen verbunden. Aufgrund der Natur von Wis­ sen (langlebig, übergreifend) müssen Investitionsentscheidungen langfristig und umfassend konzipiert werden. Das verlangt eine neue Ebene der Beurteilung, die Ebene des Wissens. Auf dieser Ebene wird eine Investition als „gut“ angesehen, wenn sie vorhandenes Wissen nutzt und zu seiner Weiterentwicklung beiträgt. Besonders durch das Wissen, aber auch durch Umbauten und andere spezifische Anpassungen, erhalten Investitionen zumindest teilweise Irreversibilität. Die Irreversibilität erhöht das Expo­ sure gegen Risiken. Durch Irreversibilität kann auch die Gefahr bestehen, dass Gegenspieler die Investition angreifen oder ausbeuten. Dann stellt sich die Frage, ob Schutzmaßnahmen möglich sind. Oliver Williamson (1999, 2002) rechnet zu diesen Schutzmaßnahmen technische Siche­ rungen, Partnerschaften und den Ausbau hierarchischer Kontrolle. Sind die dafür anfallenden Transaktionskosten zu hoch, unterbleibt die Investition.

6 Oliver E. Williamson: Corporate Finance and Corporate Governance. Journal of Finance (1988) 7, S. 567–591.

114 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen Fragen zu Kapitel 3.5 1.

2.

3.

Eine vorteilhafte Investition ist ein Vorhaben, das erstens 1. das vorhandene Wissen des Unter­ nehmens sinnvoll nutzt und, 2. zur Pflege und Weiterentwicklung dieses Wissens beiträgt. Kom­ mentieren Sie diese Aussage. Seit dem ersten Geldautomaten wurden durch Fortschritt immer wieder neuere Geräte eingeführt, die die Sicherheit erhöhen. Dennoch wurde stets darauf geachtet, dass ein Generationenwechsel vom Publikum kaum bemerkt wurde. Warum? Eine Person ist der Auffassung, Rundfunk und Fernsehen sollten von privaten Unternehmen an­ geboten werden, die sich dann von ihren Kunden bezahlen lassen. Eine andere Person ist der Meinung, solche Vorhaben seien zu wenig geschützt, weshalb man gesetzlich Beiträge festle­ gen müsse. Dies jedoch könne nur eine öffentliche Körperschaft. Wer hat Recht?

3.6 Akquisitionen und Marktwert-Buchwert-Verhältnis 3.6.1 Greenfield oder Brownfield Unternehmen tätigen Investitionen, um zu wachsen. Dazu werden entweder die Kapa­ zitäten in einem bestehenden Geschäftsfeld ausgeweitet oder es werden Potenziale in neuen Geschäftsfeldern aufgebaut. Oft investieren Unternehmen gleichzeitig in Wis­ sen und schaffen so die Voraussetzungen für Verbesserungen und qualitatives Wachs­ tum. Unternehmen haben vielfach die Wahl zwischen dem eigenen Aufbau neuer Pro­ duktionskapazität „auf der grünen Wiese“ (Greenfield-Approach) und dem Kauf ei­ nes anderen Unternehmens, das bereits fertige, als „braune Ware“ bezeichnete Produk­ te vertreibt (Brownfield-Approach). Die akquirierte Firma wird anschließend mehr oder weniger stark in das Unternehmen integriert. – Der Brownfield-Approach verlangt es, den heutigen Marktwert M zu bezahlen, den die akquirierte Firma hat. Weitere Kosten treten hinzu: Vermutlich muss im Wirtschaftsleben etwas mehr bezahlt werden, um die bisherigen Eigentümer zum Verkauf ihrer Anteile zu bewegen. Außerdem fordert die in die Transaktion invol­ vierte Investmentbank ein Honorar und im Anschluss an die Transaktion entste­ hen dem kaufenden Unternehmen Kosten, um die übernommene Firma vollstän­ dig oder halbwegs zu integrieren. – Der Greenfield-Approach verlangt es, um bei der betrachteten Firma zu bleiben, die Vermögenspositionen im Einzelnen zu beschaffen. Dabei ist zunächst vor al­ lem das greifbare Vermögen gemeint, genauer, das in der Bilanz angeführte Ver­ mögen (denn manche Entwicklungen sind aktiviert). Der Greenfield-Approach for­ dert also Auszahlungen in Höhe der Summe der Ersatzwerte. Grob gesprochen entsprechen diese Wiederbeschaffungskosten der Bilanzsumme, kurz dem Buch­ wert B.

3.6 Akquisitionen und Marktwert-Buchwert-Verhältnis |

115

Die Bilanzsumme ist natürlich geringer, als wenn alle Vermögenspositionen neu wä­ ren, denn sie sind zum Zeitwert bilanziert. Doch wer eine neue Fabrik auf der grünen Wiese erstellt, muss nicht alles kaufen, und was gekauft wird, muss nicht alles neu sein. Das Grundstück und die Betriebsgebäude könnten gepachtet und gewisse Ver­ mögensobjekte können in einem Gebrauchtzustand erworben werden. Beispielsweise können Einrichtungen von einem Unternehmen übernommen werden, das liquidiert wird. Um den Greenfield-Approach mit dem Brownfield-Approach zu vergleichen, soll beim GreenfieldApproach der Ersatz der bilanzierten Vermögensobjekte in jenem Zustand vorgenommen werden, welcher der Firma entspricht.

Beide Wachstumsmöglichkeiten wurden von James Tobin (1918–2002) näher unter­ sucht. Tobin hat dazu 1969 und 1977 die makroökonomische Bedeutung einer Kenn­ zahl aufgezeigt, die wenige Jahre zuvor von Nicholas Kaldor (1908–1986) eingeführt und untersucht wurde (Kaldor hatte sie mit V bezeichnet). Die Kennzahl soll die Rela­ tion zwischen dem Gesamtwert eines Unternehmens und dem Ersatzwert der (physi­ schen) Vermögenspositionen ausdrücken. Der Quotient wird heute als Tobin’s Q be­ zeichnet. Im Zähler steht die Summe aus dem Marktwert des Eigenkapitals M und dem Fremdkapital (das mit F bezeichnet sei). Im Nenner steht die Summe aus dem Buch­ wert des Eigenkapitals B und dem Fremdkapital F. Somit ist der Quotient Q definiert als (M+F)/(B+F).⁷ Wenn der gesamte Buchwert B+F des Unternehmens mit dem Ersatzwert der tan­ giblen Vermögenspositionen identifiziert wird, dann drückt Tobin’s Q aus, wie teuer eine Akquisition (Brownfield-Approach) in Relation zur Einzelbeschaffung aller tangi­ blen Vermögensgegenstände (Greenfield-Approach) käme. Der Quotient Q ist ähnlich aufgebaut wie das Marktwert-Buchwert-Verhältnis MIB, nur bezieht sich Letzteres allein auf das Eigenkapital, während Q sich auf das Gesamtkapital bezieht. Dass beide Kenngrößen wichtig sind, erkennt man daran, dass für die Differenz zwischen Markt­ wert und Buchwert ein eigener Begriff geprägt wurde. Die Differenz wird als Goodwill bezeichnet. Tobin vertritt die Auffassung, der Quotient zwischen Markt- und Buchwert – ge­ nauer zwischen Marktwert und Ersatzwert – beträgt in etwa 1. Doch der Quotient un­ terliegt Schwankungen, deren Ursachen eher makroökonomischer Natur sind. Dabei ist zu sehen, dass der Brownfield-Approach und der Greenfield-Approach sich in drei Punkten unterscheiden.

7 Nicholas Kaldor: Marginal Productivity and the Macro-Economic Theories of Distribution. Review of Economic Studies, 33 (1966), 4, S. 309-319. James Tobin: A General Equilibrium Approach to Monetary Theory. Journal of Money, Credit and Banking 1 (1969), 15-29. James Tobin und William C. Brainard: Asset Markets and the Cost of Capital; in: Bela Balassa und Richard Nelson, Hrsg.: Economic Progress, Private Values and Public Policy. North-Holland, 1977, S. 235-262.

116 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

1.

2.

3.

Bei einer Akquisition wird Eigentum auch an demjenigen Wissen der Firma, das nicht bilanziert ist, erworben. Bei einem Greenfield-Approach muss dieses Wissen erst noch aufgebaut werden, wenn es nicht von dem Unternehmen übertragen werden kann. Bei einer Akquisition geht alles schneller. Das kaufende Unternehmen hat sofort eine Organisation, das Personal, und es ist sofort im Zielmarkt vertreten. Bei ei­ nem Aufbau mit einzeln erworbenen Vermögensobjekten muss das Personal ge­ funden und gewisses Wissen selbst geschaffen werden und auch der Markteintritt kostet Zeit. Der Greenfield-Approach bietet mehr Optionen, denn bei einem Aufbau und der Personalsuche kann vieles am Bedarf des Unternehmens ausgerichtet werden.

Beide Wege haben also Vor- und Nachteile. Gleichwohl bietet das Marktwert-Buch­ wert-Verhältnis eine Orientierung, welcher der beiden Wege besser ist. – Wenn M/B kleiner als 1 ist, wird eine Akquisition als günstigere Variante der In­ vestition angesehen. – Wenn M/B größer als 1 ist, muss geprüft werden, ob das Wissen der Firma, die gekauft werden soll, den Aufpreis wert ist. – Ebenso muss bei M/B > 1 geprüft werden, wie viel Wert darin liegt, schnell und vergleichsweise einfach ans Ziel zu gelangen. – Außerdem muss geprüft werden, wie viel die Optionen wert sind, die aufgegeben werden, wenn eine Firma so gekauft wird, wie sie ist, und man, anders als bei einem eigenen Firmenaufbau, nicht alles selbst festlegen kann. Dennoch ist Ernüchterung angebracht. In Deutschland wird bei 25 % der Firmenkäu­ fe sofort deutlich, dass die Akquisitionen ein Fehler war, bei 50 % der Käufe wird der Fehler nach rund 10 Jahren eingestanden und versucht, die übernommene Firma wie­ der zu verkaufen. Für die USA gilt als Faustregel, dass ein Drittel der Akquisitionen sofort als Fehler erkannt werden, bei einem Drittel ist es unklar, und nur bei dem ver­ bleibenden Drittel wird die Akquisition als erfolgreich beurteilt. 3.6.1.1 Scheitern von Investitionen Untersuchungen zeigen, dass im Falle eines Scheiterns zwei Gründe im Vordergrund stehen: – Nach einer Übernahme können Unterschiede in den beiden Kulturen nicht aus­ reichend überbrückt werden. – Dem Verhalten der Personen der übernommenen Firma wird vom Käufer zu we­ nig Bedeutung beigemessen. Die beiden beteiligten Unternehmen waren vor dem Kauf zumeist Konkurrenten, sodass beim Personal des Kaufobjekts vielfach eine abwehrende Haltung vorherrscht.

3.6 Akquisitionen und Marktwert-Buchwert-Verhältnis | 117

Daher ist eine vorsichtige Einschätzung von Akquisitionen angebracht. Gleichwohl bleibt als Argument die Schnelligkeit, mit der eine Akquisition zum erwünschten Wachstum führen soll. In gewissen Zeiten wird dieses Argument als ausschlaggebend angesehen. Das M/B schwankt also im Zeitablauf. – Starke, von Neuerungen und Innovationen getriebene Veränderungen treten in Zyklen auf. Diese Zyklen wurden bereits von Joseph Schumpeter (1883–1950) un­ tersucht: Er entdeckte, dass Innovationsschübe und die Notwendigkeit der Neu­ positionierung von Unternehmen sich auf gewisse Zeitabschnitte konzentrieren. In diesen Phasen ziehen es Unternehmen vor, sich durch Akquisitionen zu verän­ dern, weil sie auf diesem Weg schneller zu den erwünschten Ressourcen gelan­ gen. So kommt es immer wieder zu regelrechten Mergers&Aquisitions(M&A)Wellen und zu stürmischen Unternehmensveränderungen. – In anderen Phasen herrscht eine eher ruhig wirkende Konsolidierung vor. Wenn Unternehmen wachsen, bevorzugen sie in einer Phase der Konsolidierung den Weg der Betriebserweiterung und der Neugründung auf der grünen Wiese. Dies erlaubt eine ruhigere Planung und Bedarfsanpassung. Der Wechsel von schubartiger Veränderung und Konsolidierung kann indes kaum durch die Nachahmung von Meinungsführern erklärt werden. Es ist nicht so, dass ei­ nige Unternehmen Firmen aufkaufen und, ihnen folgend, alle anderen Unternehmen ebenso versuchen, Firmen zu übernehmen. Vielmehr scheint es allgemein stürmische Phasen zu geben, die von ruhigeren Phasen abgelöst werden, die eine Konsolidierung erlauben. Sicher wird sich dieser „Wechsel der Zeiten“ auch in der Gesellschaft zeigen oder sogar vom gesellschaftlichen Wandel verursacht sein. Dieses Wechselspiel von Ruhe und Sturm bedeutet auch, dass in stürmischen Zei­ ten gesehen wird, dass auch einmal wieder ruhigere Zeiten einkehren. Die Empfeh­ lung ist daher, eine Perspektive der Nachhaltigkeit einzunehmen. Die Entscheidung zwischen Akquisition und Neugründung auf der grünen Wiese sollte demnach langfristig getroffen werden und nicht aus dem Augenblick heraus. Die Beschreibung eines Projekts unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit liefert damit eine vierte Beurteilungsebene neben der Projektion des Vorhabens auf die Ebenen der Zahlungen, des Wissens und der Transaktionskosten. Selbstverständlich wird Tobin’s Q beziehungsweise das Marktwert-Buchwert-Verhältnis zur Fi­ nanzanalyse herangezogen. Bei einer Aktiengesellschaft ist es üblich, den Buchwert zunächst auf eine Aktie zu beziehen. Sodann wird der Kurs (als Indikator für den Wert) durch diesen anteiligen Buchwert geteilt. Das Ergebnis wird Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) genannt. Die Kennzahlen Q, M/B und KBV drücken Ähnliches aus. Auch beim KBV ist zu sehen, dass Wissen nicht vollständig bilanziert ist, wogegen es sich im Kurs und in der Marktbewertung ausdrückt. Deshalb sind die drei Kennzahlen überwiegend > 1.

118 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Kapitel 3.6 in Kürze –



Unternehmen investieren oft, um als Ziel Wachstum oder Veränderung zu erreichen. Dafür wer­ den zwei Wege miteinander verglichen: Die Akquisition und der Aufbau „auf der grünen Wiese“ (Greenfield-Approach). Der Weg der Akquisitionen wird oft bevorzugt, weil er schneller zum Ziel führt. Ob das Wissen einer übernommenen Firma (zusammen mit konstruktivem Verhalten des Personals) damit einfach erworben werden kann, ist aufgrund der Untersuchungen zu geschei­ terten Akquisitionen allerdings zu bezweifeln. Tobin hat mit seinem Quotienten Q die beiden Wege verglichen. Er zeigt, dass diese Relation Schwankungen unterliegt. Besonders dann, wenn Akquisitionen teuer sind, gibt es anscheinend nicht genug Zeit für den Greenfield-Approach. Dann suchen alle Unternehmen nach Firmen, die sie übernehmen könnten.

Fragen zu Kapitel 3.6 1.

2.

3.

Richtig oder falsch? a. Der Buchwert eines Unternehmens hängt davon ab, wie alt die gehaltenen (und bilanzierten) Vermögensobjekte sind? Wenn sie nicht sachgerecht abgeschrieben wurden, ist die Kenn­ zahl M/B etwas höher. b. Stille Reserven oder stille Lasten beeinflussen den Buchwert. c. Das Verhältnis M/B hängt vom Wert des Wissens des Unternehmens ab. Richtig oder falsch? Den Bereichen Unternehmenskultur, Humankapital, Führungskompetenz und Organisationsstruktur wird bei einer Akquisition vielfach zu wenig Aufmerksamkeit gewid­ met, was eine mögliche Gefahr für das Scheitern einer Akquisition darstellt. Welche Motive könnten einen CEO dazu bringen, für eine Akquisition und gegen den Aufbau einer neuen Fabrik auf der grünen Wiese zu sprechen?

3.7 Synergien Investitionen sind vielschichtige Vorhaben. Deshalb können sie aus unterschiedlichs­ ter Sicht betrachtet, beschrieben und beurteilt werden. Vier solcher Sichtweisen wur­ den in Modul 3 bereits besprochen: 1. die der Zahlungen, 2. die des Wissens, 3. die der Verträge und Transaktionskosten sowie 4. die der Nachhaltigkeit. Jede der vier Ebenen weist eigene Kriterien auf und bietet eine eigene Art der Beurtei­ lung. Nach Projektion auf eine dieser vier Ebenen kann ein Investitionsprojekt durch­ aus vorteilhaft erscheinen, während bei Projektion auf alle Ebenen die Nachteile über­ wiegen könnten.

3.7 Synergien |

119

3.7.1 Neutrale Begutachtung oder Beraterfunktion Bei allen vier Ebenen bleibt eine grundsätzliche Frage, die vorweg geklärt werden muss: – Sollte das Investitionsprojekt aus einer allgemeinen, gleichsam objektiven Sicht beschrieben und anhand der generellen Informationen und Kriterien beurteilt werden, die von allen Fachleuten geteilt werden? – Sollte das Projekt eher aus der subjektiven Sicht eines oder einiger weniger Ent­ scheidungsträger des Unternehmens beschrieben und beurteilt werden? Die Ent­ scheidungsträger innerhalb des Unternehmens, insbesondere der CEO, verfügen womöglich über weitergehende oder andere Informationen als die Allgemeinheit. Sie verfügen über Insiderwissen und kennen die Möglichkeiten und Vorhaben besser als Außenstehende. Von daher können objektive und subjektive Beurtei­ lungen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Objektivierte Beurteilungen und Bewertungen gehen von einer Sichtweise aus, wie sie im Markt üblich ist. Den Erwartungen hinsichtlich der Zukunft werden Informationen zugrunde gelegt, die allgemein verfügbar sind, zumindest unter Fachleuten. Ebenso werden typische steuerliche Verhältnisse zugrunde gelegt. Für den Markt werden Ver­ hältnisse angenommen, die normalerweise vorherrschen. Wer diese Bewertungsper­ spektive einnimmt, ermittelt den Marktwert oder kurz den Wert eines Projekts. Worin liegt die Bedeutung von Marktwert oder Wert? Transaktionen im Markt er­ folgen zu Konditionen, die sich an dem Marktwert orientieren. Ein CEO hat als Investi­ tion einen Firmenkauf vor. Bevor er in Verhandlungen tritt, fragt er sich, wo am Ende das Verhandlungsergebnis liegen wird. Die Antwort: Eine Preisvereinbarung für ei­ ne Übernahme dürfte nahe beim Wert oder Marktwert liegen. Diese Perspektive wird von der Wirtschaftsprüfung ebenso unterstützt wie von einem neutralen Gutachter. Solche Bewertungen kann im Grunde jeder vornehmen, weshalb sie nicht als geheim betrachtet werden. Subjektive Beurteilungen und Bewertungen haben hingegen den Zweck, die Ent­ scheidungsfindung für ein einzelnes Subjekt zu unterstützen. Deshalb werden die Informationen und die Präferenzen des Betreffenden zugrunde gelegt. Auch die per­ sönlichen steuerlichen Verhältnisse fließen in die Rechnung zur individuellen Ent­ scheidungsfindung ein. Der Einzelne – hier das betrachtete Unternehmen oder der CEO – möchte durch eine Rechnung erfahren, wie die möglichen Entscheidungsalter­ nativen die Nützlichkeit für das Unternehmen beeinflussen. Beispielsweise kann ein Unternehmer ein Wachstumsziel verfolgen, weil er denkt, nur dann die von ihm gesehenen Chancen gegen Wettbewerber aufrechterhalten zu können. Dann interessiert den Unternehmer, ob er mit einer infrage kommenden In­

120 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

vestition dieses Ziel wohl erreichen wird. Bei der Entscheidungsrechnung wird von Informationen ausgegangen, über die der Unternehmer verfügt. Nicht notwendig sind die allgemein verfügbaren Kenntnisse anderer Marktteilnehmer. Diese subjektive Per­ spektive des Einzelnen wird von Beratern unterstützt, die der Unternehmer eigens damit beauftragt, die Entscheidungsrechnung für ihn auszuarbeiten. Ebenso kann ein Wirtschaftsprüfer angesprochen werden, in beratender Funktion tätig zu wer­ den (und nicht als neutraler Gutachter). Da die Besonderheiten des konkreten Falles in die Entscheidungsrechnung einfließen, wird das Ergebnis typischerweise als ver­ traulich behandelt (siehe Tab. 3.2).⁸ Zum Vergleich der objektiven und der subjektiven Rechnung: Bei einer Akquisi­ tion würde die objektivierte Beurteilung einen Preis liefern, der als marktüblich an­ gesehen werden kann. Wenn ein Unternehmen dann mehr zahlt, setzt es sich dem Vorwurf aus, einen zu hohen Preis geboten zu haben. Die subjektive Beurteilung wür­ de hingegen einen Höchstpreis ermitteln, über den der interessierte Käufer bei den Verhandlungen nicht hinausgehen sollte, um sich nicht selbst zu schaden. Liegt die Marktbewertung über dem persönlichen Höchstpreis, tritt der Interessent vermutlich erst gar nicht in eine Verhandlung ein. Tab. 3.2: Merkmalsunterschiede in den Rollen des neutralen Gutachters und des Beraters (eigene Darstellung). Funktion

neutraler Gutachter

Berater

Zweck

Bestimmung des (objektivierten) Werts des Unternehmens

Ermittlung des subjektiven Entscheidungswerts für eine konkrete Partei

Ausführende

neutraler Gutachter und Wirtschaftsprüfer

Consultingfirma, Wirtschaftsprüfung in Beratungsfunktion

Informationen

Prognosen der Zahlungsüberschüsse und Einschätzung der Risiken (Diskontrate) aus der allgemeinen Sicht, die im Markt geteilt wird

In Abweichung von der allgemeinen Einschätzung des Marktes können die subjektiven Zukunftserwartungen des Auftraggebers einfließen.

Gesamtperspektive

typische Größen, die normalerweise vorliegen

Umstände der konkreten Situation im Augenblick

Synergien

Unechte Synergien werden berücksichtigt.

Unechte und echte Synergien werden berücksichtigt.

8 Peter Beck (2013): Unternehmensbewertung für Akquisitionen: Methoden – Anwendungen – Pro­ bleme. Wiesbaden: Gabler.

3.7 Synergien

|

121

3.7.2 Unechte und echte Synergien Worin sind die Unterschiede begründet? Die Unterschiede zwischen der allgemeinen und der speziellen, subjektiven Information und Situation wurden in Kap. 3.7.1 ange­ sprochen. Ein Hauptpunkt bei den Unterschieden zwischen der objektivierten und der sub­ jektiven Sicht liegt darin, inwieweit Synergien in die Bewertung beziehungsweise in die Entscheidungsrechnung einfließen sollen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) definiert in den Standards ES 1 (neue Fassung) Synergien wie folgt: Synergi­ en sind die Veränderung finanzieller Überschüsse, die durch den wirtschaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen oder durch das zusätzliche Einbringen besonderer Ressourcen (wie Wissen) entstehen, soweit sie „von der Summe der isoliert entstehenden Überschüsse abweichen“ (IDW ES 1 n. F. 44)⁹. Man spricht von unechten Synergien, wenn die Verbesserungsmöglichkeiten selbst aus der generellen Marktsicht erkannt werden. Hingegen sind echte Synergi­ en solche Verbesserungen, die das Wissen oder die Ressourcen einer konkreten Partei verlangen und daher über jene Synergien hinausgehen, die der Markt als Ganzes als möglich ansieht (siehe Tab. 3.3). Tab. 3.3: Berücksichtigung von echten und unechten Synergien (eigene Darstellung). Synergien

Wert des Unternehmens

Entscheidungsrechnung

unechte Synergien, mit deren Umsetzung bereits angefangen wurde

werden berücksichtigt

werden berücksichtigt

unechte Synergien, deren Umsetzung noch nicht begonnen hat

fraglich, ob zu berücksichtigen, weshalb eher nur in einem Kommentar des Wertgutachtens erwähnt

werden berücksichtigt und die Berücksichtigung wird eigens kommentiert

echte Synergien, die in internen Papieren (Sitzungsprotokoll, Foliensatz) behandelt sind

bleiben unberücksichtigt

werden berücksichtigt

echte Synergien, die der der CEO sieht, die aber nirgendwo dokumentiert sind

bleiben unberücksichtigt

hängt vom Auftrag ab, sollten im Auftrag erwähnt werden, jedoch können sie bei Berücksichtigung später zu Haftungsklagen führen

9 Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) (2004): Entwurf einer Neufassung des IDW Standards: Grund­ sätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW ES 1 n.f.). Düsseldorf.

122 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

Unechte Synergien werden üblicherweise bei der Bestimmung des Marktwerts eines Unternehmens berücksichtigt.¹⁰ Echte und unechte Synergien fließen in die (subjektive) Entscheidungsrechnung ein. Unechte Synergien werden bei der Entscheidungsrechnung besonders dann berücksichtigt, wenn sie im Unternehmen besprochen wurden (Sitzungsprotokoll) oder wenn darüber interne geheime Unter­ lagen vorhanden sind (Foliensatz).

Die eben entwickelten Perspektiven werden von wissenschaftlicher Seite und ein­ schlägigen Berufsverbänden geteilt. Des Weiteren beurteilen die Markteilnehmer bei einer Bewertung die von einem Unternehmen generierbaren Zahlungsüberschüsse aufgrund der im Markt verfügbaren (allgemeinen) Informationen. Sie errechnen des­ halb den Barwert der Zahlungsüberschüsse aus einer allgemeinen Perspektive: Es wird eine langfristige Sicht entfaltet und es werden typische Zahlen eingesetzt. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) legt nahe, die Sicht des Gesamtmarkts durch einen reprä­ sentativen Investor zu erfassen: „Der objektivierte Unternehmenswert stellt einen typisierten und intersubjektiv nachvollziehbaren Zukunftserfolgswert aus der Perspektive eines inländischen, un­ beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners bei Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept dar [..., der sich] mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchan­ cen [...] ergibt” (IDW ES 1 n. F. 12, 42). Schließlich bemerkt das IDW, die Prognose der Zahlungsüberschüsse und die Bewertung sollen anhand einer „Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept“ vorgenommen wer­ den. Der Strategie oder Geschäftspolitik soll also eine realistische Perspektive der allgemeinen Marktsicht dienen. Meistens beschreibt die bisherige Geschäftspolitik, was aus einer allgemeinen Marktsicht in Zukunft möglich ist, wenn sie realistisch eingeschätzt wird. Doch es kann Verbesse­ rungsmöglichkeiten geben, die bisher noch nicht umgesetzt wurden, die der Markt insgesamt aber als gangbar betrachtet.

3.7.3 Fragen zur Lernkontrolle Kapitel 3.7 in Kürze –



Ungeachtet dessen, aus welcher Perspektive (Zahlungsebene, Wissen, Verträge, Nachhaltigkeit) eine Investition beurteilt wird, muss vorweg eine grundsätzliche Frage geklärt sein: Soll eine objektive Bewertung vorgenommen oder ein subjektiver Entscheidungswert ermittelt werden? Je nach Antwort werden allgemein zugängliche und allgemein geteilte Informationen oder die Angaben einer Einzelperson oder einer kleinen Personengruppe zur individuellen Situation und zur persönlichen Sichtweise verwendet. Ein wichtiger Punkt sind Synergien. Unechte Synergien werden allgemein für möglich gehalten, echte Synergien werden nur von der Person oder den wenigen Personen gesehen, deren Entschei­ dung ansteht.

10 Das IDW ist empfiehlt, unechte Synergien bei einer Unternehmensbewertung nur insoweit zu be­ rücksichtigen, als die entsprechenden „Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskon­ zept dokumentiert sind“ (IDW ES 1 n. F. 45).

3.8 Verhandlungen

| 123

Fragen zu Kapitel 3.7 1. 2.

Welche Informationen benötigt und verwendet ein neutraler Gutachter, welche ein Berater? Richtig oder falsch? a. Unechte Synergien sind Verbesserungen, die jedermann als möglich ansieht. b. Mit der Umsetzung von Synergien kann, etwa bei dem Ziel einer Akquisition, bereits begon­ nen worden sein oder eben noch nicht. c. Unechte Synergien werden grundsätzlich bei einer Bewertung einer Investition berücksich­ tigt. d. Echte Synergien sind zusätzliche Verbesserungen, die bei einer Investition durch ein Unter­ nehmen aus der Sicht dieses Unternehmens möglich sein sollten. e. Unechte Synergien sind vielfach nicht im Unternehmen dokumentiert, weder in Sitzungs­ protokollen noch in internen Papieren. f. Wenn die diskutierte Investition aus einer Akquisition besteht, kommen später immer kriti­ sche Fragen auf, ob nicht ein zu hoher Preis bezahlt wurde. Im Vorfeld wird ein die Investition vorantreibender CEO deshalb darauf achten, dass die vorgegebenen echten Synergien un­ ternehmensintern besprochen werden und entsprechende Aufzeichnungen vorhanden sind.

3.8 Verhandlungen 3.8.1 Objektiver Wert oder subjektiver Entscheidungswert Selbstverständlich müssen Preis (im Markt) und Nutzen (einer Person) unterschieden werden. Der Preis bezieht sich auf eine bestimmte Menge eines Objekts – in unseren Anwendungen ein ganzes Unternehmen oder ein bestimmtes Beteiligungspaket. Der Preis kommt aufgrund der Präferenzen mehrerer Personen zustande. Demgegenüber steht der persönliche und in Geld ausgedrückte Nutzen, den eine bestimmte, an einer Transaktion interessierte einzelne Person hat. – Wer an einem Kauf eines Beteiligungspakets (oder eines ganzen Unternehmens) interessiert ist, hat eine persönliche Preisobergrenze O. Wenn es sich um den Kaufinteressenten k handelt, bezeichnen wir diese Preisobergrenze mit Ok . So wird hervorgehoben, dass es sich um eine persönliche Größe von k handelt. Der Kaufinteressent k ist indifferent zwischen dem Behalten des Geldbetrags Ok und dem Erhalt des Beteiligungspakets. Wenn es zu der Transaktion kommen sollte, hat der Käufer einen Nutzengewinn, falls der von ihm zu zahlende Preis gerin­ ger als die persönliche Preisobergrenze Ok für das Paket ist. Würde der am Kauf Interessierte einen Preis bezahlen, der über Ok liegt, würde er sich persönlich schaden. – Wer an einem Verkauf eines Beteiligungspakets interessiert ist, hat dafür eine persönliche Preisuntergrenze U. Der Verkaufinteressent ist indifferent zwischen dem Behalten des Geldbetrags U und dem Erhalt des Beteiligungspakets. Wenn es sich dabei um den konkreten Verkäufer l handelt, sei diese Untergrenze Ul . So wird hervorgehoben, dass es sich um eine persönliche Größe von l handelt. Der Verkaufsinteressent l hat, wenn es zur Transaktion kommt, einen Nutzengewinn,

124 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

sofern der vereinnahmte Preis höher als die persönliche Preisuntergrenze Ul ist. Würde der am Verkauf Interessierte einen Preis akzeptieren, der unter Ul liegt, würde er sich persönlich schaden. Nicht immer fällt es leicht, die eigene Situation und die eigenen Präferenzen präzi­ se zu erfassen und daraus für sich und auf nachvollziehbare Weise die Preisgrenze abzuleiten. Die Ermittlung der Preisobergrenze eines Kaufinteressenten verlangt bei wichtigen Transaktionen daher eine methodische Entscheidungsrechnung. Gleiches gilt für die Ermittlung der Preisuntergrenze für eine am Verkauf interessierte Partei. Die Entscheidungsrechnung, wie hoch die persönliche Preisgrenze aufgrund der individuellen Um­ stände anzusetzen ist, kann an einen Ratgeber delegiert werden. So kann die an einem Kauf interes­ sierte Partei einen Unternehmensberater ermitteln lassen, wie viel sie höchstens für ein Beteiligungs­ paket oder für eine Akquisition zahlen darf. Gleichfalls kann jemand, der ein Beteiligungspaket hält, den Beratungsauftrag erteilen, die persönliche Preisuntergrenze zu bestimmen.

Wie gesagt unterscheidet das Institut für Wirtschaftsprüfer (IDW) die Funktion des neutralen Gutachters von der des Beraters. Während der neutrale Gutachter einen „ob­ jektivierten, von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhän­ gigen Wert des Unternehmens ermittelt“, wird die Beratung so definiert: „In der Bera­ tungsfunktion ermittelt der Wirtschaftsprüfer einen subjektiven Entscheidungswert, der z. B. angeben kann, was – unter Berücksichtigung der vorhandenen individuellen Möglichkeiten und Planungen – ein bestimmter Investor für ein Unternehmen höchs­ tens anlegen darf (Preisobergrenze) oder ein Verkäufer mindestens verlangen muss (Preisuntergrenze), um seine ökonomische Situation durch die Transaktion nicht zu verschlechtern,“ (IDW ES 1 n. F. 12; Hervorh. d. Verf.). Der Wirtschaftsprüfer in Beraterfunktion wird für die Bestimmung der persönlichen Preisgrenzen oder Entscheidungswerte eine ähnliche Strategie wählen, die auch bei einer Unternehmensbewertung Ver­ wendung findet, nur nimmt der Ratgeber Bezug auf die persönliche Situation der an der Transaktion interessierten Partei. Wie gesagt sind dies weitere Vermögenspositionen, über die der Auftraggeber bereits verfügt, persönliche Präferenzen, persönlich geprägte Einschätzungen der Zukunft sowie eine persönliche Sicht auf Synergien.

Wenn der Kaufinteressent eine persönlich auf ihn oder sein Unternehmen zugeschnit­ tene Entscheidungsrechnung in Auftrag gibt, wird er vom Consultant oder von der beratenden Wirtschaftsprüfung verlangen, dass sie eine Kalkulation aufgrund seiner subjektiven Prognosen vornimmt. Gleiches gilt für die Einschätzung der Risiken und die Bestimmung der ihnen entsprechenden Diskontrate. Insgesamt darf sich die Ermittlung der Preisgrenze auf Informationen stützen, welche die persönliche Sicht des Auftraggebers der Entscheidungsrechnung sind, auch wenn diese Sicht von der allgemeinen Sicht des Kapitalmarkts abweicht. Das gilt nicht nur bei Synergien, sondern ebenso bei der Einschät­ zung des Wachstums und der Risiken.

3.8 Verhandlungen

| 125

3.8.2 Orientierung am Markt Selbstverständlich gehört es zur Aufgabe des Beraters, mit dem Auftraggeber zu spre­ chen, falls dieser eine klar unrealistische Sicht hat. Oft sind Kaufinteressenten ausge­ prägt optimistisch. Ebenso kommt es vor, dass Personen, die verkaufen möchten, eine unrealistisch pessimistische Sicht über die weitere Fortführung ihres Unternehmens haben. Gleichwohl soll der Berater klären, welche Preisgrenze sich aus der Situation des Auftraggebers, aus der persönlichen Präferenz und aus jenen Einschätzungen errech­ net, die der Auftraggeber (und nicht der Berater oder der Markt als Ganzes) über die Zukunft hat. Gesucht ist der subjektive Entscheidungswert (IDW ES 1 n. F. 12). Bei der Bestimmung der Preisobergrenze wird auch eine Rolle spielen, ob der Kaufinteressent durch das diskutierte Beteiligungspaket Herrschaftsrechte einer ge­ wissen Qualität erlangt oder ob es letztlich bei einer rein finanziellen Beteiligung bleibt. Entsprechend wird bei der Preisobergrenze ein Paketzuschlag berücksichtigt. Es sind demnach einige Unterschiede zwischen der Bewertung eines Unterneh­ mens oder eines Beteiligungspakets aus Marktsicht und der Bestimmung der Preis­ grenze für eine konkrete Partei auszumachen. Die wichtigsten sind die mit der Größe des Pakets verbundenen Rechte, die persönliche Einschätzung der zukünftigen Ent­ wicklung und die Bedeutung von Synergien. In einem (halbwegs funktionierenden) Markt versuchen alle Personen immer wie­ der, ob sie zu (für sie) günstigen Konditionen zu einer Sache kommen, die ihnen per­ sönlich mehr bedeutet als sie dafür zahlen müssen. Ebenso werden Personen, die über Objekte verfügen, die verkauft werden können, ab und zu prüfen, ob „interessante“ Preise erzielt werden können. Dabei ist eine Orientierung am Marktüblichen hilfreich, damit nicht jede denk­ bare bilaterale Vorabklärung erforderlich ist. Jedermann wird also für die Dinge, die ihm besonders wünschenswert erscheinen, Marktpreise beobachten. Das gleiche Ver­ halten ist im Markt für Beteiligungen anzutreffen. Verwendete Notation: 1. W Wert oder Marktwert, ermittelt von neutralem Gutachter oder Wirtschaftsprü­ fer 2. Ok Preisobergrenze für den Kaufinteressenten k, ermittelt von einem Consultant oder einem Wirtschaftsprüfer in Beraterfunktion 3. Ul Preisuntergrenze für den eventuellen Verkäufer, ermittelt von einem (anderen) Unternehmensberater Wenn bei der Orientierung über ein Beteiligungspaket oder ein Unternehmen eine Per­ son k für sich W < Ok erkennt, wird sie aktiv eine am Verkauf interessierte Partei suchen. Ähnlich wird eine Person l, die eine Beteiligung hält, im Fall des Erkennens von Ul < W aktiv werden und einen Käufer suchen. Allein oder mithilfe von Maklern oder Investmentbanken werden sich die beiden Parteien k und l finden. Beide werden

126 | 3 Modul: Investitionsentscheidungen

durch unverbindliche Vorgespräche voneinander wissen, dass für sie der Sachverhalt Ul < W < Ok

(3.12)

zutrifft. Beide wissen, dass sie sich zum Vorteil beider Seiten auf einen Transfer einigen können. Allerdings stellen die beiden Grenzpreise Ul und Ok private Infor­ mationen dar: Der Kaufinteressent k kennt zwar seine Obergrenze Ok , nicht aber die Untergrenze Ul des Gesprächspartners, von der er nur Ul < W weiß. Der Verkaufs­ interessent k kennt zwar seine Untergrenze Ul , nicht aber die Preisgrenze Ok des Kaufinteressenten. Die Verhandlungstaktik gebietet es beiden, den eigenen subjektiven Grenzpreis der anderen Partei nicht bekanntzugeben. Daher orientieren sich die Parteien bei ih­ ren Verhandlungen an Größen, die mit allgemein zugänglichen Informationen ermit­ telt werden können und die nichts über die eigenen Grenzpreise verraten. Eine solche Größe ist der Unternehmenswert W. Daneben kommt ein Preis infrage, der in der augenblicklichen Marktsituation für vergleichbare Transaktionen gezahlt wird. Das ist der sogenannte Vergleichspreis V. Durchaus kann der Vergleichspreis V vom Unternehmenswert W abweichen: In Phasen, in denen es in der Wirtschaft gehäuft zu Übernahmen kommt – Zeitabschnit­ te starker Innovation, Veränderung der Nachfragemuster, Neuorientierung und eiliger Neupositionierung der Unternehmen – gilt typischerweise W < V, weil der Markt­ wert W aus einer längerfristigen und allgemeinen Perspektive heraus berechnet wird, während der Preis für vergleichbare Transaktionen V die augenblickliche Situation hoher Akquisitionstätigkeit beschreibt. Im Ergebnis stehen die vier Werte in diesem Verhältnis zueinander: U ... > 1 + r (1 + r)2 (1 + r)3

(4.6)

Selbstverständlich kommt es auch auf die Diskontrate bzw. die Vergleichsrendite r an. Dabei handelt es sich um jene Rendite, mit der man im Markt auf vergleichbare Weise Mittel anlegen kann, und um jene Rendite, die das betrachtete Unternehmen erwar­ tungsgemäß erwirtschaftet. Die Diskontrate ist folglich einerseits die Vergleichsrendi­ te im Markt, andererseits ist sie die Rendite, die ein Einsatz der Mittel im Unternehmen erwarten lässt. Ein Unternehmen kann das Wirtschaftsergebnis zum Teil als Dividende ausschüt­ ten, zum Teil einbehalten und in das Unternehmen investieren. Durch Einbehaltung und Wiederanlage von Wirtschaftsergebnissen im Unternehmen steigen die Unterneh­ menswerte über die Jahre hinweg. Allerdings nehmen die Unternehmenswerte we­

140 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

niger stark zu, als durch die Rendite beschrieben wird, eben weil ein Teil des Wirt­ schaftsergebnisses als Dividende abfließt. Das Wachstum der Unternehmenswerte ist infolgedessen schwächer als die Entwicklung von Kapital, das ohne Ausschüttungen oder Entnahmen mit besagter Rendite wächst. Von daher spricht vieles für die Gültigkeit der Transversalität, sobald das Unternehmen Ausschüttungen vornimmt.

Die Transversalität ist allerdings nicht immer erfüllt. Die Nichterfüllung basiert in die­ sen Fällen auf dem Vorhandensein von Vermögenspositionen oder von Schuldpositio­ nen innerhalb des Unternehmens, deren Wert immer weiter zunimmt, die indes am Entstehungsprozess der zum Teil ausgeschütteten Wirtschaftsergebnisse unbeteiligt sind und für die daher das Wachstum mit der Vergleichsrendite eintritt.

4.2.1 Betrieb plus Finanzanlagen 1.

2.

3.

Man betrachte ein Unternehmen, für das die zukünftigen Dividenden in den Hö­ hen D1 , D2 , D3 , . . . prognostiziert werden. Weiter stelle man sich vor, das zu be­ wertende Unternehmen könne in zwei Teile zerlegt werden. Der Anschaulichkeit wegen sei der eine Unternehmensteil „Betrieb“ und der andere „Finanzanlagen“ genannt. Die wirtschaftliche Leistung beider Unternehmensteile soll vom Markt mit der übereinstimmenden Rendite r eingeschätzt werden, die für beide Unter­ nehmensteile die adäquate Rate für die Diskontierung darstellt. Weiter sollen die eben genannten und mit D1 , D2 , D3 , . . . prognostizierten Divi­ denden voll aus der betrieblichen Leistung stammen. Dabei sollen die Dividen­ den, gemessen am Wert des Betriebs, eine gewisse Mindestschranke nie unter­ schreiten. Würde der Betrieb als eigenständiges Unternehmen betrachtet, wäre für ihn die Transversalität erfüllt. Der Wert, der für den Betrieb aus heutiger Sicht für das Jahr t prognostiziert wird, sei Bt , also sind die diskontierten Werte des Be­ triebs in der Grenze gleich Null. Der heutige Wert des Betriebs kann folglich nach dem DDM bestimmt werden und ist gleich der Summe aller diskontierten Dividen­ den B0 = ∑ Dt /(1 + r)t . Bei den Finanzanlagen sei unterstellt, dass deren Erträge voll wieder angelegt werden. Aus den Finanzanlagen gibt es annahmegemäß keine Ausschüttungen an die Eigenkapitalgeber. Da die Rendite bei den Finanzanlagen ebenso r ist, wachsen die Werte der Finanzanlagen mit dieser Rendite: F1 = F0 ⋅ (1 + r), F2 = F1 ⋅ (1 + r) = F0 ⋅ (1 + r)2 , . . . Ft = F0 ⋅ (1 + r)t und so fort. Betrachtet man die Folge der diskontierten Werte der Finanzanlagen Ft /(1 + r)t , so sind alle Fol­ genglieder gleich F0 . Daher ist auch der Grenzwert der Folge gleich F0 und somit größer als Null. Die Transversalität ist für diesen Unternehmensteil nicht erfüllt. Daher kann der Wert der Finanzanlagen nicht allein als Summe aller diskontier­

4.2 Perlen und Lasten |

4.

5.

6.

141

ten Ausschüttungen gewonnen werden. Das DDM ist für sie nicht anwendbar, weil die Transversalität nicht erfüllt ist. Nun wenden wir uns dem Gesamtunternehmen zu. Der relative Anteil der Finanz­ anlagen am Unternehmenswert nimmt laufend zu, während der relative Anteil des Betriebs im Verlauf der Zeit immer weiter zurückgeht, denn die Werte Bt des Betriebs wachsen mit der Zeit t aufgrund der Dividenden spürbar langsamer als die Faktoren (1 + r)t . Immerhin konvergieren die diskontierten Betriebswerte Bt /(1+r)t , und zwar gegen Null. Die Werte der Finanzanlagen Ft wachsen hingegen genauso schnell wie die Faktoren (1 + r)t , denn es gilt Ft = F0 ⋅ (1 + r)t . Hinsichtlich der Werte des Unternehmens als Ganzes gilt demnach: Die Folge der diskontierten Werte, Wt /(1 + r)t = Bt /(1 + r)t + Ft /(1 + r)t , konvergiert nicht gegen Null: WT BT + F T lim = lim T→∞ (1 + r)T T→∞ (1 + r)T BT FT = lim + lim T T→∞ (1 + r) T→∞ (1 + r)T = 0 + F0

(4.7)

Finanzanlagen sind wie Perlen: Perlen sind wertvoll, aber nicht unbedingt (zur Gene­ rierung der Dividenden) erforderlich. Perlen werden im Laufe der Jahre immer wert­ voller. Dies geschieht mit einer Rate, die gleich ist mit jener, die zur Diskontierung dient. Daher strebt auch der Barwert der diskontierten Werte (einer Perle) nicht gegen Null. Perlen verletzen die Annahme der Transversalität. Der Wert eines Unternehmens mit Perlen ist nicht gleich der Summe der Barwerte der Dividenden. Der Wert eines solchen Unternehmens ergibt sich aus dem, was es in allen zukünftigen Jahren noch abwirft plus dem Wert von Perlen.

4.2.2 Betriebsnotwendig oder nicht betriebsnotwendig Diese Einsicht findet in der Bewertungspraxis Berücksichtigung. Der Experte oder Wirtschaftsprüfer zerlegt ein Unternehmen, das bewertet werden soll, regelmäßig in zwei Teile. Der erste Teil, hier als „Betrieb“ bezeichnet, umfasst das betriebsnotwen­ dige Vermögen. Der zweite Unternehmensteil, hier als „Finanzanlagen“ beziehungs­ weise als „Perlen“ bezeichnet, besteht aus dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen. Betriebsnotwendig sind alle Aktivitätsbereiche (und das zugehörige Sach- und Wissenskapital), die zur Erzeugung der Dividenden verwendet werden. Nicht be­ triebsnotwendig sind alle Aktivitätsbereiche (und das ihnen zugehörige Sach- und Wissenskapital), aus denen keine Ausschüttungen erfolgen. Der Unternehmenswert kann dann aus den Barwerten der zukünftigen Zahlungsüberschüsse ermittelt wer­ den, die der Betrieb abwirft, indem der Wert des Finanzvermögens hinzuaddiert wird.

142 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

In der Praxis wird dies wie folgt umgesetzt: Unbebaute Grundstücke und betrieblich nicht notwendi­ ge Finanzanlagen werden getrennt bewertet, etwa durch Analogien zu vergleichbaren Transaktionen. Ihr so bestimmter Wert wird dann zu demjenigen Wert des „eigentlichen Betriebs“ hinzuaddiert, wel­ cher entweder nach dem DDM bestimmt wird oder nach einem anderen Verfahren, das ebenso auf die Summe der Barwerte von Rückflüssen abhebt.

Manchmal ist der Grenzwert der Folge der diskontierten Unternehmenswerte, lim Wt / (1 + r)t für t → ∞, zwar genau bestimmt, allerdings ist er negativ. Auch dann ist die Transversalität (4.4) verletzt. Dieser Fall tritt dann ein, wenn das Unternehmen Ver­ pflichtungen erfüllen muss, deren Erfüllung im Zeitverlauf immer teurer wird, und zwar so stark, dass die Kosten mit der Rendite r wachsen. Hier spricht man von Las­ ten. Lasten wirken sich bei der Unternehmensbewertung wie negative Perlen aus. Eine Last kann sich beispielsweise aus einer Sanierungsauflage ergeben. In ei­ nigen Branchen werden Unternehmen dazu verpflichtet, Betriebsgelände in ihren ur­ sprünglichen natürlichen Zustand zurückzuführen, sollte die Betriebstätigkeit einmal aufgegeben werden. Es wird nicht verlangt, dass Betriebsgelände zu einem bestimm­ ten Zeitpunkt wieder geräumt werden. Solche Sanierungen werden im Laufe der Jahre immer teurer. In gewissen Fällen, etwa wenn Gifte entsorgt werden müssen, ist davon auszugehen, dass die Sanierungs­ kosten Jahr um Jahr um dieselbe Rate teurer werden, mit der diskontiert wird. Das heißt, die diskontierten Sanierungskosten konvergieren nicht gegen Null. Solche Las­ ten müssen dann von der Summe der diskontierten Dividenden abgezogen werden. Wir können daher die Bewertungsformel (4.8) so schreiben: ∞

Dt + Perlen − Lasten (1 + r)t t=1

Wert = ∑

(4.8)

Beispiel Unter Umständen ist der Wert eines Unternehmens, das zugunsten der Beteiligten ansehnliche Ausschüttungen vornimmt, negativ. In Graz hat das Stadtparlament be­ schlossen, das Gelände einer Mülldeponie müsse saniert werden, falls die Deponie einmal aufgegeben werden sollte. Der Deponie hatte eine Art unbefristete Betriebs­ lizenz erhalten, allerdings hieß es nun, dass im Falle einer Beendigung saniert wer­ den müsse. Diese Auflage wirkt zunächst harmlos, weil sie nicht für ein bestimmtes Jahr ausgesprochen wurde, sondern sie sich auf den hypothetischen Fall bezog, dass der Betrieb einmal beendet werde. Allerdings wird die Sanierung eines möglicherwei­ se kontaminierten Betriebsgeländes Jahr für Jahr teurer, und zwar mit einer Rate, die kaum geringer ist als jene, mit der diskontiert wird: Der Grenzwert der diskontierten Entsorgungskosten ist folglich nicht gleich Null, sondern negativ. Es liegt eine Last vor. Obwohl die Deponie laufend betriebliche Überschüsse erzielt, die zum Teil aus­ geschüttet werden, ist ihr Wert durch die Last negativ geworden. Das hat dramatische

4.3 Gordon Growth Model

| 143

Konsequenzen. Möchte ein Gesellschafter seine Anteile verkaufen, wird die Deponie zu diesem Zweck entsprechend bewertet. Kapitel 4.2 in Kürze Während beim Einsatz des betriebsnotwendigen Vermögens nahezu immer die Transversalität erfüllt ist, ist dies bei nicht betriebsnotwendigem Vermögen und bei gewissen Lasten zumeist nicht der Fall. Derartige Perlen und Lasten gehen zulasten der Transversalität. Bei einer Unternehmensbewertung werden daher Perlen und Lasten getrennt bewertet, beispielsweise mithilfe von Analogiebildungen und anderen Vergleichen. Der Betrieb hingegen wird mit dem Dividend Discount Model (DDM) oder einem anderen Verfahren bewertet, das auf dem Barwert zukünftiger Rückflüsse oder Zahlungsüber­ schüsse beruht:

Fragen zu Kapitel 4.2 1.

2. 3.

Jemand hält in seinem Zeitungskiosk eine umfangreiche Sammlung von Goldmünzen versteckt, denn dort vermutet sie niemand. Nun vermacht er den Kiosk „mit allem Drum und Dran“ seiner Tochter. Wie würden Sie den Kiosk bewerten? Geben Sie Beispiele, wie durch eine harmlos wirkende Änderung des rechtlichen Rahmens Lasten entstehen können. Können durch Änderung von Gesetzen Perlen entstehen? Stellen stille Reserven Perlen dar?

4.3 Gordon Growth Model 4.3.1 Gleichförmiges Wachstum Mit einer Zusatzannahme entsteht aus dem Dividend Discount Model (DDM) ein Wachstumsmodell,⁶ das Gordon’sche Wachstumsmodell oder das Gordon Growth Model (GGM), benannt nach Myron J. Gordon (1920–2010).⁷

6 Myron J. Gordon (1920–2010), von 1947 bis 1952 Professor an der Carnegie-Mellon University, von 1952 bis 1962 am Massachusetts Institute of Technology, an der University of California at Berkeley und der University of Rochester. Ab 1970 an der School of Management der University of Toronto. Gordon war Präsident der American Finance Association, zahlreiche Gastprofessuren, 1993 Verleihung der Ehrendoktorwürde; Gordon machte das nach ihm benannte Dividenden-Wachstums-Modell bekannt. 7 Myron J. Gordon (1920–2010) veröffentlichte sein Wachstumsmodell gemeinsam mit Eli Shapiro (1916–2010) (Myron J. Gordon und Eli Shapiro: Capital Equipment Analysis: The Required Rate of Pro­ fit. Management Science 3 (1956) 1, S. 102–110). Gordon führte in einer Publikation aus dem Jahre 1959 aus, wie vielfältig das Modell eingesetzt werden kann (Myron J. Gordon (1959): Dividends, Earnings and Stock Prices. Review of Economics and Statistics 41 (1959) 2, S. 99–105). Zuvor wurde das Modell in der Dissertation von John Burr Williams (John Burr Williams (1938): The Theory of Investment Value. Cambridge: Harvard University Press) erwähnt, die dieser bei seinem Doktorvater Joseph Schumpeter (1983–1950) anfertigte. Schumpeter hatte dazu angeregt, den „inneren Wert“ eines Unternehmens zu untersuchen.

144 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Die Bewertung anhand des Dividend Discount Models (4.5) verlangt, alle zukünf­ tigen Dividenden im Einzelnen zu prognostizieren. Diese Anforderung übersteigt das, was in der Praxis möglich ist. Um dennoch mit dem DDM arbeiten zu können, sucht man nach einem Bildungsgesetz, das die Dividenden erzeugt. Dieses soll einfach um­ zusetzen sein und dennoch die Wirklichkeit des zu bewertenden Unternehmens in akzeptabler Genauigkeit wiedergeben. Der Schlüssel für ein solches Bildungsgesetz liegt im Wachstum der Dividenden. Viele Unternehmen können wachsen und bieten ihren Aktionären im Laufe der Jahre wachsende Dividenden (selbst wenn von Kapitalerhöhungen abgesehen wird). Das einfachste Bildungsgesetz unterstellt, dass die prognostizierten Dividenden von Jahr zu Jahr mit einer konstanten Rate wachsen. Die Rate sei mit g bezeichnet: D2 = D1 ⋅ (1 + g) D3 = D2 ⋅ (1 + g) = D1 ⋅ (1 + g)2

(4.9)

D4 = D3 ⋅ (1 + g) = D1 ⋅ (1 + g) . . . 3

Demnach wird (für Dividenden) ein für immer währendes gleichförmiges Wachstum angenommen. Für den Barwert einer gleichförmig wachsenden, unendlichen Zahlungsreihe gibt es eine einfache Formel. Mit dieser allgemein bekannten Formel nimmt das DDM fol­ gendermaßen Gestalt an: (4.9)

W0 =

D1 D1 D1 ⋅ (1 + g) D1 ⋅ (1 + g)2 + +... = + 2 3 (1 + r) r−g (1 + r) (1 + r)

(4.10)

Der Wert ist also gleich der ersten in zwölf Monaten erwarteten Dividende geteilt durch die Differenz aus Diskontrate und Wachstumsrate.

Zur Herleitung der Wertformel (4.10) ist neben r > 0 vorauszusetzen, dass die Wachs­ tumsrate der Dividenden geringer ist als die Diskontrate, g < r. In diesem Fall ist die Transversalität erfüllt. Beim dargestellten Bewertungsmodell (4.10) handelt es sich um das Gordon Growth Model (GGM), einen „Spezialfall“ des DDMs, insofern, als dass es für die Dividenden vom Wachstumsgesetz (4.9) ausgeht. Durch die weitere Annahme g < r ist zudem die Transversalität erfüllt.

Beispiel Der Eigentümer einer Immobilie rechnet wie folgt: Die jährlichen Mieteinnahmen be­ tragen mit Jahresende 12 Tsd. Euro. Nach Abzug von Verwaltungsgebühren und Auf­ wand für die laufende Renovierung stehen mit Ende des laufenden Jahres 8 Tsd. Euro für eine Entnahme zur Verfügung. Der Wert der Immobilie steigt aufgrund der Lage und angesichts ständiger baulicher Verbesserungen Jahr um Jahr um 3 %. Auch die Mieten steigen um diese Rate. Würde das Geld an anderer Stelle in vergleichbarer Wei­

4.3 Gordon Growth Model |

145

se und mit ähnlichen Risiken angelegt, könnte der Kapitalanleger eine Rendite von 7 %. erwarten. Daher hat die Immobilie einen Wert 300 Tsd. Euro. Beispiel Eine Person hat im abgelaufenen Jahr eine Rente von monatlich 800 Euro erhalten. In den letzten Jahren ist die Rente jeweils um etwa 1,5 % gestiegen. Für die kommenden Jahre werden entsprechende Steigerungen erwartet. Würden die Zahlungen unendlich in die Zukunft reichen und nimmt man zudem ein Zinssatz von 4 % an, weist der Barwert der zukünftigen Renten folgende Höhe auf: W = 1,015 ⋅ 12 ⋅ 800/(0,040 − 0,015) = 389.760 Euro. Die Rente ist endlich. In einer Kalkulation wird nun nach dem Barwert der zehn kommenden Jahresrenten gefragt. Errechnet wird der Wert der restlichen Rente, die wegfällt, wenn die Rente endet. Die Berechnung geht davon aus, dass die erstmals für das elfte Jahr entfallende Rente eine Höhe von 1,01511 ⋅ 12 ⋅ 800 = 1,178 ⋅ 9.600 = 11.308,80 Euro aufweist. Der auf heute in zehn Jahren bezogene Wert der entfallen­ den restlichen Rente ist 11.308,80/(0,040−0,015) = 452.352 Euro. Wird dieser Wert auf den heutigen Zeitpunkt bezogen, folgt 452.352/(1 + 0,04)10 = 305.592 Euro. Folglich ist die Differenz, 389.760 − 305.592 = 84.168 Euro, der Wert der ersten zehn Jahresrenten. Eine Überschlagsrechnung zeigt, dass dies in etwa stimmen soll­ te, da die Summe der ersten zehn Jahresrenten 96.000 Euro ist. Zwar wird mit 4 % diskontiert, doch die Renten steigen um 1,5 %. Deshalb sollte der Barwert der ersten zehn Renten geringer als 96.000 Euro sein. Beispiel Wir befinden uns zum Zeitpunkt t = 0, Anfang Januar 2018. Gesucht ist der Wert ei­ ner Aktie der K Corporation, einer in Singapur ansässigen Gesellschaft. Die Dividende wurde immer wieder angehoben. Sie betrug im Jahr zuvor 23 Cents und 16 Jahre da­ vor 5,6 Cents. Aus den beiden Angaben kann die Wachstumsrate mittels (1 + g)16 = 23/5,6 = 4,11 zu g = 9,2 % geschätzt werden. Aufgrund der höheren Anlagerisiken betrachten die Investoren eine Rendite von r = 12 % als marktgerecht. Um eine auf Januar 2018 bezogene Bewertung einer Aktie vorzunehmen, muss eine Prognose für die Dividende vorgenommen werden, die im Jahr 2019 pro Aktie gezahlt werden wird. Aus D(2018) = D(2016) ⋅ (1 + g)2 = 23 ⋅ (1 + 0,092)2 = 27,4 folgt D1 = 27,4 Cents. Nach dem Gordon Growth Model (GGM) ist der auf das Jahr 2018 bezogene Wert einer Aktie W0 = D1 /(r − g) = 27,4/(0,12 − 0,092) = 979 Cents. Das sind knapp 10 Singa­ pur-Dollar. Tatsächlich betrug das Kursniveau zum Bewertungstag 13 Singapur-Dollar. Für die Abweichung zwischen Wert und Kurs bieten sich drei Erklärungen an: 1. Die Rechnung hat Sonderausschüttungen nicht berücksichtigt. 2. Vielleicht wurde die Rendite mit r = 12 % als zu hoch angenommen. 3. Die Börse in Singapur könnte im Januar 2018 aufgrund temporärer Besonderhei­ ten zu Kursen geführt haben, die über den Werten lagen.

146 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Wird das Gordon Growth Model (GGM) zur Bewertung von Unternehmen herangezogen, ist genau wie beim Dividend Discount Model (DDM) zu beachten, dass viele Unternehmen immer wieder Kapitaler­ höhungen durchführen. Im Laufe der Zeit nimmt deshalb die Anzahl der ausgegebenen Aktien zu. Die Dividendensumme wächst dann schneller als die Dividende pro Aktie (vgl. nachfolgende Beispiele).

Beispiel Eine Aktie lässt in 12 Monaten eine Dividende von 10 Euro erwarten. Für das lang­ fristige Wachstum des Unternehmens soll von 4 % Jahresrate ausgegangen werden. Dieses Wachstum ist möglich, ohne dass Kapitalerhöhungen stattfinden und neue Aktien ausgegeben werden. Deshalb wird die Dividende gleichfalls mit der Rate von 4 % wachsen. Es soll mit 9 % diskontiert werden. Als Wert der Aktie folgt nach GGM: W0 = 10/(0,09 − 0,04) = 200 Euro. Die Dividendenrendite (Dividend Yield (DYD)), ist DYD = D1 /W0 = 10/200 = 5 %. Beispiel Für den Vorstandsvorsitzenden einer AG steht Wachstum an erster Stelle. Den Aktio­ nären berichtet er regelmäßig über den Gesamtbetrag der Ausschüttungen. Die Divi­ dendensumme ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten unter seiner Führung tat­ sächlich jährlich um 8 % gestiegen. Es wird mit 10 % diskontiert. Der Vorsitzende be­ richtet auf der Hauptversammlung: „Die nächste Dividende pro Aktie beträgt 3 Euro. Die Zahlen für Wachstum und Rendite führen nach dem GGM auf den Wert einer Aktie von 3/(0,10 − 0,08) = 150 Euro.“ Ein Aktionär entgegnet: „Zwar ist das gesamte Unternehmen um 8 % gewachsen und ebenso ist die Dividendensumme um 8 % gewachsen, doch gibt es heute viel mehr Aktionäre als noch vor zwanzig Jahren. Deshalb ist die Dividende pro Aktie langsamer angestiegen. Nicht nur wurden bei den Kapitalerhöhungen unsere Stimmrechte ver­ wässert, auch die Dividende pro Aktie ist zurückgeblieben. Eigentlich ist es keine be­ sonders große Kunst, immer wieder einen großen Kredit zu nehmen oder neue Aktien auszugeben, um so Erweiterungsinvestitionen zu tätigen. Die beim GGM verwendete Wachstumsrate bezieht sich auf das Wachstum, das durch nicht ausgeschüttete Teile der Wirtschaftsleistung entsteht, nicht aber auf weiteres, außenfinanziertes Wachs­ tum, dessen Früchte neue Finanziers ernten möchten.“

4.3.2 Wachstum des Unternehmens Das Gordon’sche Wachstumsmodell bezieht sich auf eine Situation, in der die (aus heutiger Sicht) prognostizierten Dividenden D1 , D2 , D3 , . . . geometrisch wachsen, genau wie in (4.9) beschrieben. Mit dieser Annahme kann der heutige Wert ge­ mäß (4.10) bestimmt werden: W0 = D1 /(r − g). Das Modell erlaubt zudem, W1 und

4.3 Gordon Growth Model | 147

W2 und so fort zu bestimmen. W1 ist die (aus heutiger Sicht) getroffene Prognose des Werts, den das Unternehmen zu t = 1 haben dürfte: D2 D3 +... + 1 + r (1 + r)2 D1 ⋅ (1 + g) D1 ⋅ (1 + g)2 +... + = 1+r (1 + r)2

W1 =

= (1 + g) ⋅ W0

(4.11)

Analog gilt für die Folgejahre: W2 = (1 + g)2 ⋅ W0 , W3 = (1 + g)3 ⋅ W0 , . . . Der Wert des Unternehmens wächst im Gordon Growth Model (GGM) mit derselben Rate, mit der die Dividenden wachsen. Es muss also nicht immer präzisiert werden, dass g die Wachstumsrate der Di­ videnden ist. Denn g erweist sich ebenso als Wachstumsrate des Unternehmenswerts. Folglich kann von der Wachstumsrate des Unternehmens gesprochen werden.

Dieser Tatbestand verdeutlicht, dass die Dividendenrendite im Gordon’schen Wachs­ tumsmodell eine Konstante ist. Die Dividendenrendite (Dividend Yield) D1 /W0 sei mit DYD bezeichnet: D1 DYD = (4.12) W0 Im Jahr danach lässt sich die dann gültige Dividendenrendite D2/W1 als unverändert erkennen. Denn annahmegemäß gilt: D2 = D1 ⋅(1+g). Wegen (4.11) gilt W1 = W0 ⋅(1+g). Die Dividendenrendite bleibt im GGM über die Jahre hinweg konstant. Diese Konstante ergibt sich, wenn die Wertformel (4.10) in (4.12) eingesetzt wird: DYD =

D1 D1 = D = r−g 1 W0

(4.13)

r−g

Beispiel Ein Unternehmen kann Mittel so anlegen, dass sie mit 10 % rentieren. Es werden immer wieder Ausschüttungen vorgenommen, die gleichförmig anwachsen. Dies ge­ schieht mit einer Wachstumsrate von 6 %. Folglich ist die Dividendenrendite 4 %. Die Gleichung (4.13) kann ebenso gut in der nachstehenden Form geschrieben werden: r = DYD + g (4.14) Man kann aus (4.14) direkt (4.10) folgern. Denn W0 = D1 /(r − g) führt auf r − g = D1 /W0 oder, nochmals umformuliert, r − g = DYD. (4.14) stellt den grundlegenden Zusammenhang dar, der im Gordon’schen Modell zwischen der Dis­ kontrate r, der in einem Jahr gezahlten Dividende D1 und der Wachstumsrate g gilt.

148 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Formel (4.14) zeigt, dass die Rendite r gleich der Dividendenrendite plus der Wachs­ tumsrate ist. In der Tat kommt die Rendite den Berechtigten zum Teil in barer Form als Dividende zu. Zum anderen Teil bewirkt sie weiteres Wachstum, weitere Wertstei­ gerungen und höhere Ausschüttungen in der Zukunft. Beispiel Viele Bürger von St.Gallen halten Aktien der Kantonalbank des Kantons. Die Dividen­ denrendite beträgt beim gegenwärtigen Kurs 3 %. Finanzinvestoren sehen bei Kanto­ nalbanken eine Rendite von r = 8 % als marktgerecht an. Nach (4.14) müsste die Kan­ tonalbank auf Dauer mit jährlich 5 % wachsen. Ein Wachstum dieser Größenordnung erscheint den Finanzanalysten und den Aktionären realistisch, denn die Geschäfte und Einnahmen der Bank – ausgedrückt als Nominalbeträge – nehmen aufgrund der Inflation ohnehin im Zeitverlauf zu. Außerdem ist die Kantonalbank in der Vermö­ gensverwaltung tätig. Selbst wenn also keine neuen Kunden gewonnen werden könn­ ten, würden die verwalteten Vermögen (und die Einnahmen der Bank) langfristig mit der Anlagerendite steigen. Die Aktie scheint daher korrekt bewertet.

4.3.3 Implizite Wachstumsrate (4.14) verdeutlicht, dass die Unternehmung mit der Entscheidung über Ausschüttun­ gen und über die Dividendenrendite zugleich die Wachstumsrate festlegt. Die Diskont­ rate r darf als eine Größe angesehen werden, die nicht von der Dividendenpolitik be­ einflusst wird. Sie ist durch die Art und die Risiken des Geschäfts gegeben. Damit darf r als Konstante betrachtet werden (solange der bisherige Geschäfts­ plan fortgeführt und keine neue Strategie mit anderen Risiken eingeschlagen wird). Hingegen ist die Aufteilung der relativen Wirtschaftsleistung in Höhe von r auf den ausgeschütteten Teil DYD und den nicht ausgeschütteten Teil g variabel und von der Dividendenpolitik abhängig. Höhere Ausschüttungen werden mit einer geringeren Wachstumsrate erkauft. Geringere Ausschüttun­ gen ermöglichen höheres Wachstum. Die Summe von Dividendenrendite DYD und Wachstumsrate g ist konstant.

Die Formel (4.14) wird in der Finanzanalyse häufig eingesetzt. Dort wird sie in die Form g = r − DYD gebracht: Die Wachstumsrate ergibt sich, wenn von der Rendite r die Dividendenrendite DYD abgezogen wird. Finanzanalysten beobachten den Kurs einer Aktie, unterstellen W0 = Kurs, pro­ gnostizieren die Dividende D1 und nehmen eine Schätzung für r vor. Dann errechnen sie die aus diesen Größen folgende implizite Wachstumsrate g=r−

D1 Kurs

(4.15)

4.3 Gordon Growth Model |

149

Finanzanalysten fragen sodann, ob die aus der Kursbildung folgende Wachstumsrate als realistisch anzusehen ist. Formel (4.15) besagt: – Ein hoher Kurs heißt, dass die Kursbildung ein hohes implizites Wachstum unter­ stellt. – Ein geringer Kurs heißt, dass bei der Kursbildung von der preisbestimmenden Mehrheit der Börsenteilnehmer ein eher geringes implizites Wachstum angenom­ men wird. Wenn der Markt von einer hohen Wachstumsrate ausgeht, entstehen höhere Kurse. Wenn der Markt ein geringeres Wachstum annimmt, sind die sich einstellenden Kurse geringer. Wenn den Finanzanalysten das nach (4.15) errechnete implizite Wachstum als zu gering erscheint, wenn sie also aufgrund sonstiger Beurteilungen der Ansicht sind, das Unternehmen könne durchaus schneller wachsen, dann sehen sie den Kurs im Vergleich zum Wert als eher gering an. Sie geben also eine Kaufempfehlung und nen­ nen ein höheres Kursziel. Wenn den Finanzanalysten hingegen die über (4.15) errechnete implizite Wachs­ tumsrate als unrealistisch hoch erscheint, dann sehen sie den Kurs als eher zu hoch an und geben eine Verkaufsempfehlung. Zum Schluss noch ein Paradoxon: Die Diskontrate ist eine Marktgröße. Investo­ ren und Finanzanalysten betrachten die sonstigen und vergleichbaren Anlagemög­ lichkeiten und formulieren Erwartungen, welche Renditen mit diesen Alternativen wohl erzielt werden können. Diese Renditeerwartungen übertragen sie auf das zu be­ wertende Unternehmen und diskontieren dessen Ausschüttungen. Selbstverständlich berücksichtigen sie bei dieser Übertragung die jeweiligen Risiken. Was passiert, wenn sich hier unvorhergesehene Änderungen ergeben? Wenn die Finanzinvestoren aufgrund unvorhergesehener „Eintrübungen“ zu­ künftig eher geringere Renditen erwarten, als dies noch bis vor Kurzem der Fall war, dann wird die allgemeine Renditeerwartung geringer. In der Folge der Neubestim­ mung der Renditeerwartung kommt es zu einer Anpassung: Der im Modell ermittelte Wert des Unternehmens steigt. Das konkrete Börsengeschehen im wirklichen Ka­ pitalmarkt wird sich an die neuen Werte angleichen, die Kurse steigen. Bei dieser Anpassung erhalten jene Finanzinvestoren, die bereits Aktionäre sind, Kursgewinne. So entsteht ein Paradoxon: – Immer, wenn die Finanzinvestoren aufgrund von überraschenden Eintrübungen geringere Renditen erwarten, kommt es zu höheren Bewertungen. Folglich kommt es an der Börse zu Kurssteigerungen und letztlich zu höheren Renditen. – Wenn die Investoren aufgrund unerwartet positiver Nachrichten höhere Renditen erwarten, dann diskontieren sie stärker. Die Bewertungen gehen zurück, worauf­ hin die Kurse an der Börse fallen und Investoren durch den Kursrückgang eine geringere Rendite erhalten.

150 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Kapitel 4.3 in Kürze –



– –

Gordon und andere haben mit einer einfachen Zusatzannahme aus dem Dividend Discount Mo­ del (DDM) ein praxisnahes, vielseitig einsetzbares Wachstumsmodell entwickelt. Sie haben an­ genommen, die Dividenden wachsen gleichförmig. Damit ist der Unternehmenswert gleich der nächstfolgenden Dividendenzahlung geteilt durch die Differenz zwischen der Rendite und der Wachstumsrate. Es zeigt sich, dass diese Rate nicht nur das Wachstum der Dividenden beschreibt, sondern darüber hinaus auch das Wachstum des Unternehmens insgesamt. Außerdem zeigt sich, dass im Gordon’schen Wachstumsmodell (GGM) die Rendite gleich der Summe aus der Dividendenrendite und der Wachstumsrate ist. Die Analyse zeigt ein Paradoxon: Wird die im Modell unterstellte Rendite erhöht, erhalten die Finanzinvestoren eine geringere Rendite. Wird sie reduziert, erhalten die Investoren eine höhere Rendite.

Fragen zu Kapitel 4.3 1.

2.

3.

Ein Unternehmen ist stets mit einer Jahresrate von 4 % gewachsen, was sich so fortsetzen soll­ te. Der Markt erwartet aufgrund der Risiken eine Rendite von 10 %. Die im gerade abgelaufenen Jahr gezahlte Dividende betrug 25 Euro pro Aktie. Prognostizieren Sie die nächste Dividende und ermitteln Sie den Wert einer Aktie. Ein Unternehmen zahlte in der Vergangenheit stets Dividenden, die gleichförmig gewachsen sind. Finanzanalysten gehen davon aus, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird. Die Vergleichsrendite ist 10 %. Die kommende Dividende sollte 4 Euro pro Aktie betragen, der Kurs einer Aktie liegt bei 100 Euro. a. Wie hoch ist die implizite Wachstumsrate? b. Zusätzliche Informationen lassen für das Unternehmen ein Wachstum von 5 % jährlich er­ warten. Ist der Kurs der Aktie eher zu hoch oder zu niedrig? Ermitteln Sie das entsprechende Kursziel. Die Annahmen des Gordon’schen Wachstumsmodells werden für ein Unternehmen als erfüllt an­ gesehen: Als letzte Dividende, bezogen auf eine Aktie, wurden 6 Euro bezahlt. Die Rendite beträgt 9 %, die Wachstumsrate 5 %. Daraus errechnen sich 6,30 Euro als nächstfolgende Dividende und 157,50 Euro als Wert. Der Wert entspricht dem augenblicklichen Kurs. Ein Aktionär hat die Aktie gerade zu diesem Preis gekauft. Nun trüben sich die wirtschaftlichen Aussichten. Im Markt wird plötzlich davon gesprochen, man solle als Rendite nicht von 9 %, sondern nur von 8 % ausgehen. Das Management versichert, es werde trotz dieser Eintrübung an einem Wachstum von 5 % und an der bisherigen Dividendenpolitik festhalten. a. Wie ändert sich der Wert? b. Sollte sich innerhalb der Jahresfrist der Kurs an den neuen Wert angleichen? c. Welche Rendite hat der Anleger tatsächlich erzielt?

4.4 Ertragswert und organisches Wachstum |

151

4.4 Ertragswert und organisches Wachstum 4.4.1 Wachstum bei Gewinnausschüttung Nun wird der Annahme gefolgt, das zu bewertende Unternehmen schütte Jahr für Jahr seinen (im Jahresabschluss ermittelten) Gewinn voll aus. Das ist natürlich reine Fikti­ on. Unternehmen schütten tatsächlich nur einen Teil ihrer Gewinne aus. Der Wert ist davon jedoch nicht betroffen, wie Franco Modigliani (1918–2003) und Merton H. Miller (1923–2000) mit ihrer Irrelevanz der Dividendenpolitik⁸ argumentierten. Wer einen Kuchen nicht sofort verzehrt, sondern sich ein Stück für den nächsten Tag aufhebt, der erhöht vermutlich seinen persönlichen Nutzen. Doch der Wert des Kuchens ändert sich durch diese Entscheidung nicht. Gleiches gilt, wenn jemand 100.000 Euro erbt und sich überlegt, welche Entnah­ men er in den künftigen Jahren tätigen sollte. Unabhängig von der Entnahmepolitik haben alle zukünftigen Entnahmen den Barwert von 100.000 Euro. Ebenso ist der Wert eines Unternehmens nicht von der Ausschüttungspolitik abhängig, und zwar deshalb nicht, weil die Dividendenpolitik typischerweise keine Rückwirkung auf die Höhe von Umsatz, Verkaufspreisen und Gewinnen hat.⁹ Ein Unternehmen kann also entweder anhand der tatsächlichen Rückflüsse, oder anhand fiktiver Aus­ schüttungen, die das Unternehmen vornehmen könnte, bewertet werden Entsprechend ist die Annah­ me möglich, dass Gewinne vollständig ausgeschüttet werden.

Diese Annahme führt zur Ertragsbewertung als drittem Bewertungsansatz nach dem DDM und GGM. Für die Herleitung der Formel für den Ertragswert wird wiederum auf das Dividend Discount Model (DDM) oder das Gordon Growth Model (GGM) zurück­ gegriffen, allerdings sind die dort als „Dividenden“ bezeichneten Zahlungen, die den Berechtigten zufließen, in der Fiktion die Gewinne. Falls die Transversalität erfüllt ist – andernfalls müssen Perlen oder Lasten ge­ trennt bewertet werden – kann der Unternehmenswert analog zum DDM als Summe der Barwerte aller zukünftigen Gewinne E1 , E2 , E3 . . . dargestellt werden: W0 =

∞ Et E1 E3 E2 + + . . . = ∑ + 1 + r (1 + r)2 (1 + r)3 (1 + r)t t=1

(4.16)

8 Merton H. Miller und Franco Modigliani (1961): Dividend Policy, Growth, and the Valuation of Sha­ res. The Journal of Business, Vol. 34, No. 4 (Oct., 1961), S. 411–433. 9 Es wird zudem unterstellt, dass die Dividendenpolitik die Steuerbelastung des Unternehmens nicht beeinflusst, auch wenn in einigen Ländern ausgeschüttete Gewinne höher besteuert werden als ein­ behaltene Gewinne.

152 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Auf eines ist dabei zu achten: Bei den Gewinnen E1 , E2 , E3 , . . . handelt es sich um Prognosen derjenigen Gewinne, die das Unternehmen hätte, sofern es die Gewinne Jahr für Jahr voll ausschütten würde. Es handelt sich nicht um eine Prognose der Gewinne, die das Unternehmen ange­ sichts des Sachverhalts, dass es tatsächlich einen Teil der Gewinne einbehalten und investieren wird, machen wird. Würde man die realistisch zu erwartenden Gewinne betrachten, so würden diese stärker wachsen als in der Folge E1 , E2 , E3 . . ., die sich auf eine Vollausschüttung der Gewinne bezieht, prognostiziert. Die Gewinne wachsen bei Vollausschüttung langsa­ mer. Für die weiteren Umformulierungen von (4.16) soll die Gordon’sche Annahme ei­ ner gleichförmigen Weiterentwicklung des Unternehmens gelten. Die der Fiktion der Vollausschüttung entsprechenden Gewinne E1 , E2 , E3 . . . sollen also gleichförmig wachsen. Die Wachstumsrate sei mit gE bezeichnet. So entsteht die Aufgabe, gE zu bestimmen. Dabei ergibt sich die Frage, ob von gE = 0 ausgegangen werden muss. Richtig ist, dass bei Vollausschüttung kein Gewinnteil einbehalten wird, der für Erweiterungsinvestitionen verwendet werden könnte. Von daher könnte man gE = 0 vermuten. Allerdings sind drei Punkte zu berücksichtigen, die gE ≠ 0 bewirken könn­ ten: – Teilhabe am Strom der Zeit: Die Einkommen der Menschen steigen, wodurch das Unternehmen wachsen kann, sofern es im Strom dieser Veränderungen gut platziert ist. Selbst ohne Kapazitätsausweitung kann es vielleicht höhere Preise durchsetzen. – Maßnahmen, die den Gewinn verringern und zugleich den Unternehmenswert er­ höhen: Einige Standards der Rechnungslegung erlauben es, dass ein Unterneh­ men interne Arbeiten mit werterhöhender Wirkung zwar als Aufwand verbucht, nicht aber aktiviert.¹⁰ Ähnliches gilt für Maßnahmen zur Effizienzsteigerung, die den Wert des Unternehmens, nicht aber den Gewinn erhöhen. – Neupositionierung durch Ersatzinvestitionen: Die Gegenwerte der Abschreibun­ gen werden regelmäßig wieder im Unternehmen angelegt – auch bei Vollaus­ schüttung der Gewinne. Dabei können Neuerungen realisiert und ein qualitativer oder sogar quantitativer Ausbau kann bewerkstelligt werden.¹¹

10 Ein Beispiel hierfür sind Forschungsarbeiten, die gemäß IAS und US-GAAP nicht aktiviert wer­ den dürfen. Bei Entwicklungsarbeiten gibt es hingegen bei IAS ein Aktivierungswahlrecht, sofern be­ stimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Auch der Aufbau von Reputation – klar werterhöhend – etwa durch großzügigere Kundenbedienung (Aufwand), wird nicht aktiviert. 11 Ähnlich können Instandhaltungen und Reparaturen, die in der Jahresrechnung als Aufwand auf­ geführt werden, für (werterhöhenden) technischen Fortschritt verwendet werden.

4.4 Ertragswert und organisches Wachstum |

153

Das Ganze noch einmal in Rezeptform dargestellt: 1. 2.

Rezept: Beim Gehen möglichst Rückenwind ausnutzen. Rezept: Kleine Arbeiten im Verborgenen sind weniger mühselig, können jedoch auch Wirkung zeigen. 3. Rezept: Jeder Ersatz von etwas Bestehendem erlaubt eine neue Wahl, und mit etwas Klugheit kann man sich attraktiver aufzustellen. Mit wenig Mühe und ohne zusätzliches Geld kann man also ebenfalls weiterkommen.

Die drei Aspekte deuten an, dass in der Realität gE > 0 gelten dürfte. Das Unternehmen würde also immer noch wachsen, selbst wenn die Gewinne vollständig ausgeschüttet würden. Dieses Wachstum hängt von Vorgängen im wirtschaftlichen Umfeld sowie von internen Vorgängen ab (natürliche oder organische Vorgänge).

4.4.2 Gewinnrendite und organisches Wachstum Unter organischem Wachstum wird jenes Wachstum eines Unternehmens verstan­ den, das sich auch dann einstellt, wenn die Gewinne voll ausgeschüttet werden. Das organische Wachstum ist eine Komponente jenes Wachstums, das auch dann möglich ist, wenn Gewinne zum Teil einbehalten werden. Es bietet eine natürliche Basis für die Weiterentwicklung, die auch ohne umfangreiche Zusatzanschaffungen möglich ist.¹² Wächst ein Unternehmen in der Annahme der Vollausschüttung der Gewinne über die Jahre hinweg mit einer gleichförmigen Rate (des organischen Wachstums), E2 = E1 ⋅ (1 + gE ) E3 = E2 ⋅ (1 + gE ) = E1 ⋅ (1 + gE )2

(4.17)

E4 = E3 ⋅ (1 + gE ) = E1 ⋅ (1 + gE ) . . . 3

dann ist ihr Wert nach der Wertformel des Gordon’schen Wachstumsmodells: ∞

Et E1 = t (1 + r) r − gE t=1

W0 = ∑

(4.18)

Wie gewohnt ist E1 der nächstfolgende Gewinn, r die Rendite (mit ihrer Doppelge­ sichtigkeit von Rendite und risikogerechter Diskontrate) und gE die Rate organischen Wachstums. 12 In einer ähnlichen Definition wird das Wachstum eines Unternehmens dann als „organisch“ be­ zeichnet, wenn es durch „interne“ Vorgänge und „kleinere“ Investitionen erzeugt wird, nicht aber durch „größere“ Investitionen oder Akquisitionen. Die Begriffsbildung dient oft dazu, internes von externem Wachstum zu unterschieden. Wachstum wird als „extern“ bezeichnet, wenn es durch Zu­ käufe von anderen Unternehmen bewerkstelligt wird. Wachstum ohne Zukäufe wird als „intern“ oder „organisch“ bezeichnet.

154 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Tab. 4.1: Als typisch angesehene Kurs-Gewinn-Verhältnisse für fünf verschiedene Gruppen von Branchen (eigene Darstellung). Branche

Kurs-Gewinn-Verhältnis

organisches Wachstum nach (4.23) für Rendite = 10 %

Biotechnologie, Software, IT Pharma, Medizintechnologie Konsumgüter, Lebensmittel, Dienstleistungen, Medien Banken, Versicherungen, Handel, Maschinen, Elektrotechnik, Chemie Baugewerbe, Transporte, Stahl, Rohstoffe

über 30 24. . .30 18. . .24

6,7 % < gE 5,8 % < gE < 6,7 % 4,4 % < gE < 5,8 %

12. . .18

1,7 % < gE < 3,4 %

6. . .12

−4 % < gE < 1,7 %

Die Formel (4.18) beschreibt den Ertragswert des Unternehmens.

Ein Unternehmen kann also anhand der Barwerte seiner zukünftigen Gewinne bewer­ tet werden. Jedoch wachsen im Bewertungsmodell die Gewinne nur organisch – im Unterschied zum faktischen Wachstum des Unternehmens, das aufgrund der Einbe­ haltung von Gewinnteilen stärker ist (siehe Tab. 4.1). Die Formel für den Ertragswert (4.18) kann auch geschrieben werden: E1 = r − gE W0

(4.19)

Der Quotient links ähnelt der Gewinnrendite, jedoch bezieht sich die Relation auf den Wert und nicht auf den Kurs. Der Quotient links ähnelt also dem Kehrwert des KursGewinn-Verhältnisses (KGV). Rechts findet sich der Unterschied zwischen Rendite und Rate des organischen Wachstums. Die Identität (4.19) kann nach der Rate des organi­ schen Wachstums aufgelöst werden (siehe Tab. 4.1). Die Rate des organischen Wachstums ist gleich der Rendite abzüglich der (auf den Wert bezogenen) Gewinnrendite. Wenn der Kurs dem Wert entspricht, ist die Rate des organischen Wachstums gleich Rendite minus Kehrwert des KGV.

Beispiel Für eine Gesellschaft wird allgemein von den Finanzanalysten ein Gewinn pro Aktie für das nächste Jahr von 3 Euro prognostiziert. Der Gepflogenheit bei dieser Gesell­ schaft entsprechend beträgt die nächste Dividende ein Drittel davon, und zwar 1 Eu­ ro. Der Markt insgesamt sieht eine Rendite von 10 als sachgerecht an. Die tatsächliche Wachstumsrate der Gesellschaft ist 8 %, wobei das organische Wachstum in den Me­ dien mit gE = 4 % veranschlagt wird.

4.4 Ertragswert und organisches Wachstum |

1. 2.

155

Es werden zwei Bewertungen vorgenommen: Eine Bewertung anhand der tatsächlichen Dividenden: W0 = 1/(0,10 − 0,08) = 50 Euro. Eine Bewertung der Aktie nach (4.18) liefert denselben Wert: W0 = 3/(0,10 − 0,04) = 50 Euro.

Beispiel Obiges Beispiel wird fortgeführt. Die Gesellschaft hat 100.000 Aktien ausgegeben, die sämtlich von einer einzigen Person gehalten werden. Diese Person hat einen Interes­ senten gefunden, der alle Aktien übernehmen möchte. Der Verkäufer erklärt dem Interessenten: „Wir sollten eine Ertragsbewertung vor­ nehmen. Denn wie viel sie dem Geschäft als neuer Eigentümer entnehmen werden, hängt allein von ihnen ab. Deshalb ist eine Bewertung anhand der historischen Divi­ denden ungeeignet.“ Der bisherige Aktionär führt fort: „Die Gesellschaft hat im nächsten Jahr einen Gesamtgewinn von 300.000 Euro. Wir diskontieren mit r = 10 %. Wir müssen berück­ sichtigen, dass die Gesellschaft immer mit g = 8 % gewachsen ist. Diese Wachstums­ rate wird durch die Zahlen der letzten fünfzehn Jahre untermauert. Es ist vorauszuse­ hen, dass sich dieses Wachstum in der Zukunft fortsetzen wird. Also führt die Ertrags­ bewertung auf 300.000/(0,10 − 0,08) = 15.000.000 Euro. Dies entspricht meiner Preisforderung.“ Der Kaufinteressent wirft ein, die Bewertung sei nicht korrekt, Bei einer Ertragsbe­ wertung dürfe im Nenner nur die Rate des organischen Wachstums stehen. Diese be­ trage branchenüblich 4 %. Folglich würde die Ertragsbewertung auf 300.000/(0,10 − 0,04) = 5.000.000 Euro führen. Das sei er zu zahlen bereit. Der Verkäufer entgegnet: „Für akademische Spitzfindigkeiten haben wir in der Praxis keine Zeit. Sie können weder leugnen, dass der nächste Gesamtgewinn bei 300.000 Euro liegen wird, noch können sie abstreiten, dass die Unternehmung und ihr Gewinn bislang mit 8 % gewachsen sind.“

4.4.3 Ermittlung des organischen Wachstums Um die Rate des organischen Wachstums gE zu bestimmen, sind einige weitere Überle­ gungen nötig. Die gesuchte Rate kann nicht mithilfe der direkten Beobachtung der Un­ ternehmensentwicklung in der Vergangenheit erschlossen werden, da die Annahme der Vollausschüttung des Gewinns eine Fiktion ist. Wer das Unternehmen beobachtet, der sieht tatsächliches Wachstum – es sei zur Unterscheidung mit gD bezeichnet. Das tatsächliche Wachstum ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass als Dividende nur ein Teil des Gewinns ausgeschüttet wird.

156 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Die Rate des tatsächlichen Unternehmenswachstums gD kann gut beobachtet werden, wohingegen das organische Wachstum gE nur mit Hilfsüberlegungen erschlossen werden kann.

Zwei Wege bieten sich zur Ermittlung der Rate des organischen Wachstums an: Der erste Weg beginnt mit Formel 4.14, die allgemein im Gordon’schen Wachstumsmodell gilt. (4.14) besagt, dass die Rendite gleich der Wachstumsrate plus Dividendenrendi­ te ist. Selbstverständlich gilt diese Beziehung ebenso, wenn der Gewinn zur Gänze ausgeschüttet wird: Die Rendite ist gleich der bei voller Gewinnausschüttung zu ver­ zeichnenden Wachstumsrate plus der Gewinnrendite. Führt man beides zusammen, entsteht: r = DYD + gD = EYD + gE (4.20) Aus dieser Gleichung folgt: gE = gD − (EYD − DYD)

(4.21)

Die gesuchte Rate des organischen Wachstums ist folglich gleich der tatsächlichen Wachstumsrate des Unternehmens abzüglich des Unterschieds zwischen Gewinnren­ dite und Dividendenrendite. Dieser Unterschied ist die Thesaurierungsquote oder Selbstfinanzierungsquote (Einbehalt/Gewinn). Gleichung (4.11) kann bei der Einschätzung der Rate des organischen Wachstums helfen. Die Rate des tatsächlichen Wachstums kann gut anhand der Vergangenheit erschlossen werden. Sowohl die Ge­ winnrendite als auch die Dividendenrendite beziehungsweise der einbehaltene Teil des Gewinns sind bekannt. So entsteht (4.12). Die Formel (4.12) zeigt, dass die gesuchte Rate organischen Wachstums gleich ist der tatsächlichen Wachstumsrate abzüglich des Unterschieds zwischen Gewinnrendite und Dividendenrendite.

(4.21) kann etwas umformuliert werden, wenn die Ausschüttungsquote (Dividend Payout Ratio (DPR)) als Kennzahl hinzugezogen wird. Die DPR ist gleich der Dividen­ de geteilt durch den Gewinn und folglich gleich dem Quotienten DYD/EYD. Deshalb kann die Differenz zwischen Gewinnrendite und Dividendenrendite wie folgt umge­ schrieben werden: EYD − DYD = (1 − DPR) ⋅ EYD. Anstelle von (4.20) ergibt sich somit: gE = gD − (1 − DPR) ⋅ EYD

(4.22)

Man kann die Rate des organischen Wachstums schätzen, indem die tatsächliche Wachstumsrate gD beobachtet und von ihr das (1-DPR)-fache der Gewinnrendite Earnings Yield (EYD) abgezogen wird. Die Gewinnrendite wiederum ist der Kehrwert des KGV.

Beispiel Die Siemens AG schüttet seit 1952 ununterbrochen Dividenden aus, die Dividenden­ rendite beträgt DYD = 3,9 %. Das Unternehmen hat ein KGV von rund 14, was ei­

4.4 Ertragswert und organisches Wachstum |

157

ner Gewinnrendite von EYD = 1/14 = 7,1 % bedeutet. Ein Anbieter von Finanz­ zahlen nennt als langfristige Wachstumsrate 9,6 %. Demnach wäre die Rendite r = 3,9 % + 9,6 % = 13,5 %. Für die Rate des organischen Wachstums folgt nach (4.20) 9,6 % − (7,1 % − 3,9 %) = 9,6 % − 3,2 % = 6,4 %. Man kann auch Formel (4.21) aus­ werten. Für die Ausschüttungsquote folgt: DPR = 3,9 %/7,1 % = 55 %. Also werden 45 % des Gewinns einbehalten. Die Rate des organischen Wachstums ergibt sich zu 9,6 % − 0,45 ⋅ 7,1 % = 9,6 % − 3,2 % = 6,4 %. Ein zweiter Weg zur Schätzung der Rate organischen Wachstums führt über typi­ sche Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV). Wir verwenden (4.19) in der Form: gE = r − EYD = r −

1 KGV

(4.23)

Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) der verschiedenen Unternehmen unterscheiden sich, doch die Unterschiede lassen sich durch die Branchenzugehörigkeit erklären. Deshalb kann aus der Branchenzugehörigkeit des zu bewertenden Unternehmens (in der ohnehin angestellten langfristigen Betrachtung) auf ein branchentypisches KGV geschlossen werden. Der Kehrwert ist eine branchentypische Gewinnrendite. Der in (4.23) dargestellte Unterschied zwischen der Rendite und der branchentypischen Gewinnrendite liefert die gesuchte Rate organischen Wachstums. Beispiel Die Firma Systemsoft ist in der Computerbranche etabliert und wächst seit Jahren. Sie hat nie eine Dividende ausgeschüttet. Es wird auch für die absehbare Zukunft nicht beabsichtigt, Ausschüttungen vorzunehmen. Versagt das DDM? „Nein“, antwortet ei­ ne Finanzanalystin, „wir können Systemsoft so bewerten, als ob die Gesellschaft eine Dividende ausschütten würde. Wir nehmen an, das Unternehmen schütte stets den Gewinn aus, denn dieser ist bekannt. Nur müssen wir uns fragen, mit welcher Ra­ te Systemsoft dann noch wachsen kann.“ Der Gewinn der Systemsoft soll in zwölf Monaten 2 Mio. Euro betragen. Eine Rendite von r = 10 % wird als marktgerecht angesehen. Zur Rate des organischen Wachstums sagt die Analystin: „Systemsoft ist gut positioniert. Ohne besondere Investitionen würde das Unternehmen im Aufwärts­ strom von Technologie mitgetragen.“ Nach diesem Votum wird gE = 6 % geschätzt. Das GGM für die Ertragsbewertung liefert W0 = 2/(0,10 − 0,06) = 50 Mio. Euro, KGV = 1/(0,10 − 0,06) = 25. Kapitel 4.4 in Kürze –

Die Ertragsbewertung folgt der Methode, wie sie im Zuge der Darstellung des Dividend Discount Models (DDM) und des Gordon’schen Wachstumsmodells (GGM) erläutert wurde. Beim Ertrags­ wert wird hingegen der Fiktion gefolgt, die Gewinne würden stets vollständig ausgeschüttet. Ob­ wohl es sich dabei um eine Fiktion handelt, entsteht derselbe Wert, denn nach Modigliani und Miller ist die Dividendenpolitik irrelevant für den Wert.

158 | 4 Modul: Unternehmensbewertung





Im Rahmen der Ertragsbewertung kommt die Frage auf, ob überhaupt und, wenn ja, wie stark Unternehmen wachsen, wenn sie keinen Gewinnteil mehr einbehalten. Gemeint ist selbstver­ ständlich kein Wachstum, das durch Außenfinanzierung ermöglicht wird. Es zeigt sich jedoch, dass die meisten Unternehmen auch bei Vollausschüttung noch wachsen, wenn keine (größeren) Erweiterungsinvestitionen mehr getätigt werden. Ein solches organisches Wachstum ist aus mehreren Gründen möglich. Bei der Ertragsbewertung muss also berücksich­ tigt werden, dass das Unternehmen sich in der Fiktion der Vollausschüttung von Gewinnen (nur noch) mit der Rate organischen Wachstums weiterentwickelt. Die Rate des organischen Wachs­ tums kann zwar nicht anhand von Vergangenheitsdaten geschätzt werden, dennoch bieten sich Wege für deren Bestimmung an.

Fragen zu Kapitel 4.4 1.

2.

3.

Jemand sagt: Eine Ertragsbewertung ist gesellschaftspolitisch akzeptabel, weil ein Unternehmen Gewinne erwirtschaften muss, um die Eigenkapitalgeber nicht zu verlieren. Auch sie erwarten einen marktüblichen Gewinn als Kompensation für ihren Kapitaleinsatz und das Tragen von Risi­ ken. Jedoch ist es sozial nicht zu vertreten, dass die „Früchte“ des organischen Wachstums allein den Eigenkapitalgebern zugerechnet werden. Denn der Gewinn kommt zustande, ohne dass die Eigenkapitalgeber Geld für Erweiterungen einsetzen müssen. Gehen Sie auf drei Gründe für or­ ganisches Wachstum ein und antworten Sie auf die Kritik. Finanzanalysten schätzen für ein Unternehmen einen Gewinn im nächsten Jahr von 6 Euro pro Ak­ tie. Der Gepflogenheit bei dieser Gesellschaft entsprechend beträgt die nächste Dividende davon die Hälfte. Aus Marktsicht ist eine Rendite von 9 % risikogerecht. Die tatsächliche Wachstumsra­ te der Gesellschaft ist 5 %, wobei das organische Wachstum in den Medien mit 3 % veranschlagt wird. Nehmen Sie eine Ertragsbewertung vor. Der kommende Gewinn eines Unternehmens im IT-Bereich wird auf 3.000.000 Euro geschätzt. Wie bisher sollen keine Ausschüttungen vorgenommen werden. Es wird von einer Rendite in Höhe 14 % gesprochen. Nehmen Sie eine Ertragsbewertung vor. Rechnen Sie dazu mit zwei verschie­ denen Raten organischen Wachstums, und zwar mit 4 % und 8 %.

4.5 Discounted Cashflow 4.5.1 Discounted-Cashflow-Erträge oder Dividenden Die Bewertung kann hinsichtlich der Ausschüttungen auch jeder anderen Fiktion fol­ gen, da der daraus resultierende Unternehmenswert stets derselbe ist. Dies besagt die von Modigliani und Miller aufgestellte These der Irrelevanz der Dividendenpolitik. Insbesondere kann eine fiktive Reihe von Ausschüttungen zugrunde gelegt werden, die eher am An­ fang die Erzeugung von Geld im betrieblichen Leistungsprozess von Produktion und Absatz beschrei­ ben als die Verwendung des Geldes am Ende des Prozesses (Ausschüttungspolitik). Ein Vorteil da­ von ist, dass der Leistungsprozess vergleichsweise gut für die nächsten Jahre geplant werden kann, weshalb die fiktiven Ausschüttungen für das Bewertungsmodell relativ genau prognostiziert werden können.

4.5 Discounted Cashflow |

159

Es wurden Bewertungsmodelle geschaffen, in denen die Zahlungsüberschüsse be­ trachtet werden, die vielleicht nicht sofort ausgeschüttet werden, sondern die tatsäch­ lich nur „in den Verfügungsbereich der Berechtigten“ gelangen. – Wenn die Eigenkapitalgeber als Berechtigte betrachtet werden und somit der Wert des Unternehmens zugunsten der Eigenkapitalgeber bestimmt wird, sind diese Zahlungsüberschüsse die Cashflows. – Wird der Kreis der Berechtigten ausgedehnt, sodass neben den Eigenkapitalge­ bern auch die Fremdkapitalgeber und der Fiskus einbezogen sind, werden die für diese Gruppe erzeugten Zahlungsmittel durch die Brutto-Cashflows (der kom­ menden Jahre) beschrieben. Cashflows und Brutto-Cashflows unterscheiden sich 1. hinsichtlich der Zinszahlungen und 2. hin­ sichtlich der Steuern. Der Brutto-Cashflow drückt auf der Ebene der Zahlungen die Wirtschaftsleis­ tung des Unternehmens im betreffenden Jahr aus. Überspitzt könnte man auch sagen, die Cashflows gehören den Eigenkapitalgebern, während die Brutto-Cashflows einer ganzen Gruppe gehören, die sich aus den Eigenkapitalgebern, den Fremd­ kapitalgebern und dem Fiskus zusammensetzt. Innerhalb dieser Gruppe besteht eine klare Auf­ teilung: Die Fremdkapitalgeber beanspruchen Zinszahlungen in Höhe des vereinbarten Zinssatzes bezogen auf das Fremdkapital. Der Fiskus beansprucht Steuern in Höhe des auf den Gewinn des Unternehmens angewendeten Steuersatzes.

Wir bleiben bei den Eigenkapitalgebern als Anspruchsberechtigte und betrachten als Geldbetrag, der in ihren Verfügungsbereich gelangt, den Cashflow des entsprechen­ den Jahres. Entsprechend wird der Unternehmenswert als Summe der diskontierten Cashflows dargestellt. Das Bewertungsmodell wird deshalb als Discounted Cashflow (DCF) oder als DCF-Ansatz bezeichnet. Der DCF-Ansatz ist mittlerweile ein Standardmodell der Unternehmensbewertung.

Genau wie alle bisherigen Bewertungsmodelle (DDM, GGM, Ertragsbewertung) eine Prognose der weiteren Entwicklung des Unternehmens erfordern, ist auch beim DCFAnsatz eine planerische Vorschau der zukünftigen Cashflows verlangt. Die Cashflows der kommenden Jahre stellen eine fiktive Reihe von Ausschüttungen dar, da sie in der Realität nur zum Teil ausgeschüttet werden. Mit dem DCF bewegt man sich auf der Modellebene, die durch Annahmen gegeben ist. Die Beschreibung dieses Modells und die Bestimmung der für die Bewertung benötigten Größen beziehen sich auf eine Skizze. Für das Bewertungsmodell und die Skizze ist nicht erheblich, ob die fiktiven Aus­ schüttungen gesetzlich zulässig sind. Da in Kapitalgesellschaften höchstens der Ge­ winn ausgeschüttet werden darf, ist eine Ausschüttung des gesamten Cashflows nicht zulässig. Der Cashflow ist typischerweise größer als der Gewinn. Dennoch werden für

160 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Tab. 4.2: Drei Bewertungsmodelle nach zunehmender „Entfernung“ vom Betriebsgeschehen (eigene Darstellung). Bewertungsansatz

Discounted Cashflow

Ertragsbewertung

Dividend Discount Model

Zahlungen an die Berechtigten

Cashflows als fiktive Dividenden

Gewinne als fiktive Dividenden

tatsächliche Dividenden

nahe an

der Entstehung des Wirtschaftsergebnisses

der Ermittlung und Definition des Wirtschaftsergebnisses

der Verwendung und Verteilung des Wirtschaftsergebnisses

abhängig von

Produktion/Absatz

Produktion/Absatz, Bilanzpolitik

Produktion/Absatz, Bi­ lanzpolitik, Abstimmung über Ausschüttung

die Bewertung Situationen modelliert, in denen unterstellt wird, die Cashflows oder große Teile der Cashflows würden abfließen. Eine Bewertung anhand des DCFs setzt also direkt an jenen Geldströmen an, die mit der Wirtschaftstätigkeit erzeugt werden (siehe Tab. 4.2). Die DCF-Methode löst sich von der Ertragsbewertung und von der Betrachtung der Gewinne, denn diese hän­ gen von Accounting-Standards und der jeweiligen Bilanzpolitik ab. Die DCF-Methode (ebenso wie die Ertragsbewertung) betrachtet nicht die tatsächlichen Dividenden, die primär eine Entscheidung über die Verteilung des Ergebnisses zum Ausdruck bringen.

4.5.2 Freie Cashflows Im DCF-Ansatz werden die Cashflows erst nach einer Modifikation als Ausschüttun­ gen oder Zahlungsüberschüsse betrachtet. Denn das Unternehmen würde (in der Mo­ dellbetrachtung) sehr schnell „ausbluten“, würden die gesamten Cashflows Jahr für Jahr ausgeschüttet. In einer vereinfachten Betrachtung ist der Cashflow eines Jahres so hoch wie die Summe aus Gewinn und Abschreibungen. Würden (in der Modell­ betrachtung) die Cashflows ausgeschüttet, dann würden nicht einmal Ersatzinvesti­ tionen in Höhe der Abschreibungen vorgenommen. Bei fiktiven Ausschüttungen in voller Höhe der Cashflows kann demnach der durch Abschreibungen erfasste Wert­ zerfall nicht kompensiert werden. Das Unternehmen würde in dem für die Bewertung vorgenommenen „Sandkastenspiel“ stark schrumpfen. Zwar würde man den korrek­ ten Unternehmenswert erhalten, aber die Annahmen wären sehr weit von der Realität entfernt – was die Akzeptanz der Bewertungsrechnung verringert. Beim DCF-Ansatz wird unterstellt, dass Investitionen in gewissem Umfang vorgenommen werden. Die­ se im Bewertungsmodell angenommenen Investitionen werden als budgetierte Investitionen bezeich­ net. Der Unternehmenswert wird sodann als Summe der diskontierten freien Cashflows bestimmt.

4.5 Discounted Cashflow |

Maßnahmen

161

erwartete Cashflows

Planung der Geschäfte für die kommenden Jahre

budgetierte Investitionen

freie Cashflows

Ermittlung des Barwerts der freien Cashflows

Abb. 4.1: Freie Cashflows (eigene Darstellung).

Die zentrale Definition lautet: Die Differenz zwischen den Cashflows und den Auszah­ lungen für die budgetierten Investitionen wird freier Cashflow (Free Cashflow (FCF)) genannt. Die freien Cashflows sind also gleich Cashflows minus budgetierte Investi­ tionen (siehe Abb. 4.1). Wenn für das zukünftige Jahr t ein Cashflow in Höhe CFt prognostiziert wird und wenn It die Auszahlungen für die budgetierten Investitionen sind, dann ist der pro­ gnostizierte freie Cashflow die Differenz: FCFt = CFt − It

(4.24)

Beim DCF-Ansatz wird angenommen, der FCF würde Jahr für Jahr wie ein Zahlungs­ überschuss an die Berechtigten ausgeschüttet. Der Unternehmenswert ist also die Summe der Barwerte zukünftiger freier Cashflows. Die Formel für den Wert des Unter­ nehmens beziehungsweise für einen Beteiligungstitel lautet allgemein: ∞

FCFt (1 + r)t t=1

W0 = ∑

(4.25)

Diskontiert werden die freien Cashflows als die im Bewertungsmodell unterstellten Rückflüsse an die Berechtigten. Wie Formel (4.23) unterstreicht, sind dies die Eigenkapitalgeber. Denn die Cash­ flows sind Zahlungsüberschüsse, die zugunsten der Eigenkapitalgeber generiert werden. Anders wäre das, wenn man nicht von den Cashflows, sondern von den Brutto-Cashflows abzüglich der Steuern ausgehen würde. Denn dann würden in den Zählern in (4.24) Rückflüsse stehen, die an die Gruppe aller Kapitalgeber gehen, Eigen- und Fremdkapitalgeber zusammengenommen. Auch solche Ermittlungen des Gesamtwerts können mit dem DCF-Ansatz ermittelt werden. Nur müssen dann auch in den Nennern die durchschnittlichen Renditen des Gesamtkapitals stehen, die durch­ schnittlichen Kapitalkosten. Vorläufig wollen wir bei der Bewertung des Eigenkapitals bleiben, weshalb in den Zählern die freien Cashflows stehen und in den Nennern die Eigenkapitalrenditen, also die Eigenkapitalkosten.

162 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Auch die DCF-Formel setzt die Transversalität voraus. Diese dürfte erfüllt sein, da die freien Cashflows im Bewertungsmodell abfließen. Zudem können Perlen und Lasten voneinander getrennt werden, bevor Formel (4.24) ausgewertet wird. Um die Formel (4.24) auswerten zu können, müssten die freien Cashflows bis in die unendlich ferne Zukunft prognostiziert sein. In der Praxis sind deshalb Vereinfa­ chungen verlangt. Üblich ist, für die Bewertung die freien Cashflows für die ersten N Jahre im Einzelnen zu planen. Vielfach wird, wie auch hier, N = 5 gewählt. Für die Prognose der freien Cashflows in der für die Bewertung erstellten Skizze kann die Fünfjahresplanung von Produktion und Absatz herangezogen werden. Diese liefert die Cashflows. Das Investitionsbudget kann für 5 Jahre recht gut aufgestellt werden, sodass damit auch die Auszahlungen für die budgetierten Investitionen planerisch aufgestellt sind. Damit können die Differenzen (4.23) gebildet und die freien Cash­ flows für die ersten 5 Jahre bestimmt werden. Die auf diese Weise budgetierten Investitionen weisen darauf hin, welchen Wert das Unternehmen in 5 Jahren, also mit Ende der Planungsperiode, haben sollte. Dieser Wert wird Fortführungswert oder Continuing Value genannt und als CV5 bezeich­ net. Damit nimmt (4.24) eine praxisnähere Form an: W0 = –



FCF1 FCF5 CV5 FCF2 +...+ + + 1 + r (1 + r)2 (1 + r)5 (1 + r)5

(4.26)

Selbstverständlich ist der Fortführungswert CV5 höher, wenn für die ersten 5 Jah­ re viele Investitonen budgetiert werden und die ersten freien Cashflows somit an­ fänglich geringer sind. Der Fortführungswert CV5 ist hingegen geringer, wenn nur wenige Investitionen budgetiert werden und die freien Cashflows damit anfänglich größer sind.

Hinsichtlich der Skizze, aus der sich die Vorhersagen von Cashflows, Investitionen und Fortführungs­ wert ergeben, besteht eine gewisse Freiheit. Jedoch müssen die Höhen der budgetierten Investitionen und der nach 5 Jahren zu erreichende Fortführungswert ein in sich stimmiges Bild ergeben.

Es existieren mehrere Wege, um den Fortführungswert zu schätzen. Ein erster Weg besteht darin, den Fortführungswert in Relation zum heutigen Wert zu setzen. In der Skizze wird festgehalten, dass gilt: CV5 = Ω ⋅ W0

(4.27)

Beispielsweise kann die Skizze vorsehen, dass der Unternehmenswert am Ende der Fünfjahresperiode um 25 % höher ist als zu Beginn der Periode, was Ω = 1,25 be­ deuten würde. Bleibt der Unternehmenswert in etwa gleich, bedeutet dies Ω = 1. Die budgetierten Investitionen müssen mit diesen Annahmen harmonieren. Wird (4.27) in (4.26) eingesetzt, folgt nach Umformulierungen: W0 ⋅

(1 + r)5 − Ω FCF1 FCFN FCF2 = +...+ + 5 2 1 + r (1 + r) (1 + r) (1 + r)N

(4.28)

4.5 Discounted Cashflow |

163

Die Umformungen setzen Ω < (1 + r)5 voraus. Der Faktor, mit dem der heutige Wert multipliziert ist, sei mit ω bezeichnet: ω=

FCF1 1+r

+

FCF2 (1+r)2

+...+

FCF5 (1+r)5

W0

=

(1 + r)5 − Ω (1 + r)5

(4.29)

Wie (4.29) zeigt, gibt ω wieder, welcher Anteil des Werts durch die freien Cashflows der ersten 5 Jahre erklärt wird. – Sind zum Beispiel r = 10 % und Ω = 1,25, ergibt ω = 0,518. Das bedeutet, dass bei dieser Skizze rund 52 % des heutigen Werts durch die freien Cashflows der kommenden 5 Jahre bestimmt sind. – Bei r = 10 % und Ω = 1 ist ω = 0,776, was bedeutet, dass rund 78 % des heutigen Werts durch die freien Cashflows der kommenden 5 Jahre bestimmt sind. Hat man entweder Ω oder ω bestimmt, ist es ein Leichtes, aus den ersten fünf freien Cashflows den Unternehmenswert zu ermitteln. Ein zweiter Weg zur Schätzung des Fortführungswerts basiert auf der Annahme, dass ab dem fünften Jahr die zu diskontierenden freien Cashflows gleichmäßig wach­ sen, und zwar mit einer Rate, die mit gF bezeichnet sei: CVN =

FCFN+1 r − gF

(4.30)

Beispielsweise könnte man ab dem fünften Jahr für die Bewertung unterstellen, dass die budgetierten Investitionen gerade so hoch angesetzt werden, dass die freien Cash­ flows den Gewinnen entsprechen. Wird für die Bewertung angenommen, dass die Gewinne abfließen, dann würde das Unternehmen immer noch organisch wachsen. Dann wäre der Fortführungswert gerade der Ertragswert. Wird (4.30) in (4.26) eingesetzt, ergibt sich die DCF-Formel: W0 =

FCF1 FCFN 1 FCFN+1 FCF2 +...+ + ⋅ + N N 1 + r (1 + r)2 r − gF (1 + r) (1 + r)

(4.31)

Um (4.31) anzuwenden, müssen also die freien Cashflows für die ersten 6 Jahre aufge­ stellt werden sowie – in Harmonie mit den unterstellten budgetierten Investitionen – die ab dem fünften Jahr für immer währende Wachstumsrate gF der freien Cashflows. Läuft mit (4.31) die DCF-Methode nicht immer wieder auf den Ertragswert hinaus? Nein, dem ist nicht so. Denn gerade in den ersten 5 Jahren kann in der Skizze eine Sa­ nierung, eine Restrukturierung oder ein Wachstumsschub modelliert werden, wobei die daraus resultierenden freien Cashflows von den Gewinnen abweichen. Der DCF-Ansatz ist folglich wesentlich flexibler als die Ertragsbewertung. Er kann dazu dienen, Werte für zur Diskussion stehende Investitionsstrategien zu berechnen. Der DCF-Ansatz kann zudem dahingehend umformuliert werden, dass mit ihm der Gesamtwert des Unternehmens ermittelt werden kann, also der Wert zugunsten der zusammengefasst gesehenen Gruppe von Eigen- und Fremdkapitalgebern.

164 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Beispiel Ein Unternehmen plant die freien Cashflows der kommenden 3 Jahre zu 100, 20, 300 Tsd. Euro. Der freie Cashflow im vierten Jahr ist 400 mit einem weiteren Wachstum (unter der Annahme der Ausschüttung der freien Cashflows) von gF = 0 %. Als markt­ gerecht wird eine Rendite von 10 % angesehen. Der (auf das dritte Jahr bezogene) Fortführungswert CV3 beträgt CV3 = FCF4 /(r−gF ) = 400/(0,10−0) = 4.000 Tsd. Euro. Der Unternehmenswert beträgt W0 = 100/1,1 + 20/1,21 + (300 + 4.000)/1,331 = 3.338 Tsd. Euro.

4.5.3 Skizze und Budgetierung Bei der Budgetierung hat man von Investitionen in der Modellrechnung große Freihei­ ten. – Werden keine oder nur geringe Investitionen budgetiert, dann sind die freien Cashflows höher und tragen in den ersten Jahren stark zum Unternehmenswert bei. Jedoch wird das Unternehmen in der Modellrechnung schrumpfen, die Cash­ flows sind bald darauf niedrig. – Werden hingegen hohe Investitionen budgetiert, sind die freien Cashflows niedri­ ger und tragen in den ersten Jahren nur wenig zum Unternehmenswert bei. Jedoch wird das Unternehmen in der Modellrechnung stärker wachsen, die Cashflows sind bald darauf hoch. Werden nur wenige Investitionen budgetiert, orientiert sich der Unternehmenswert stark an dem Vorhandenen. Werden sehr viele Investitionen budgetiert, orientiert sich der Unternehmenswert stark an dem, was durch die budgetierten Investitionen ent­ stehen soll. Bei geringen budgetierten Investitionen wird der Wert vom vorhandenen Unternehmen bestimmt. Bei hohen budgetierten Investitionen hängt der Wert vom Investitionsplan ab. Die gewählte Budgetie­ rungsvariante bringt also zum Ausdruck, was letztlich bewertet werden soll: Liegt die Betonung auf der betrieblichen Produktion und dem Absatz, so wie sie heute bestehen? Oder soll vor allem eine neue Investitionsidee in die Bewertung des Unternehmens einfließen?¹³

In der Praxis wird vielfach ein Mittelweg eingeschlagen. Üblicherweise werden so vie­ le Investitionen budgetiert, dass sich der Wert des Unternehmens im Bewertungsmo­

13 Wer hingegen zum Zweck der Bewertung umfangreiche Investitionsideen budgetiert, lenkt die Be­ urteilung auf diese neuen Vorhaben und die in deren Beschreibung implizit enthaltene, postulierte Rentabilität. Diese Budgetierungsvariante wird gewählt, wenn es einem Unternehmen weniger gut geht und dies übertüncht werden soll, dem Unternehmen wird durch großzügige Budgetierung eine profitable Investitionsidee „übergestülpt“. Dies ergibt ein „rosiges Bild“.

4.5 Discounted Cashflow |

165

dell über die Jahre hinweg kaum verändert (4.28). Diese Budgetierungsvariante hat den Vorteil, dass der Fortführungswert feststeht – zumindest in Relation zum gesuch­ ten heutigen Wert. Da es immer ein gewisses organisches Wachstum geben wird, das über die Jahre hinweg für eine Werterhöhung sorgt, bedeutet dies, dass (im Bewer­ tungsmodell) etwas mehr als der Gewinn ausgeschüttet werden kann. Eine davon leicht abweichende Variante bei der Budgetierung sieht Investitionen vor, die den Abschreibungen entsprechen: Abschreibungen = (budgetierte) Investitionen

(4.32)

Bei dieser Variante entspricht der Cashflow den Gewinnen plus Abschreibungen, wes­ halb der freie Cashflow ziemlich genau dem Gewinn entspricht: FCF = EBIT − Zinsen − Steuern

(4.33)

Von Vorteil ist, dass die DCF-Bewertung anhand von Größen vorgenommen wird, die aufgrund der Planungspraxis gut prognostizierbar sind. Allerdings dürfte aufgrund des organischen Wachstums der nach einigen Jahren erreichte Wert über dem heuti­ gen Wert liegen, weshalb der Fortführungswert eigens geschätzt werden muss. Dazu eignen sich die Formeln (4.27) und (4.30). Eventuell kann der Fortführungswert unter der Annahme (4.32) mithilfe des Gor­ don’schen Wachstumsmodells bestimmt werden. Die Wachstumsrate ist dann gleich der Rate des organischen Wachstums.¹⁴ Einige Studien ermitteln den Unternehmenswert sogar für zwei oder sogar drei Budgetierungsvarianten. Schließlich verwenden Bewertungsstudien nicht nur den DCF-Ansatz, sondern sie nehmen zusätzlich eine Ertragsbewertung vor oder nutzen einen anderen Ansatz. Auf diese Weise gelangen die Verfasser umfassender Bewertungsstudien zu einer Value Range, also zu Bereichsangaben für den Unternehmenswert. Dabei kann die Breite der Value Range überraschen. Sie bringt die Prognoseunsicherheit zum Aus­ druck. Wer eine Bewertungsstudie verfasst, hat also gewisse Freiheiten (siehe Abb. 4.2). In Abb. 4.2 wird die risikogerechte Rendite, mit der die prognostizierten freien Cash­ flows diskontiert werden, als Kapitalkosten bezeichnet: Aus Sicht des Managements

14 Auch bei der mittleren Budgetierungsvariante der Hinweis auf Konsistenz: Wenn das Unternehmen seine Earnings Before Interest and Taxes (EBIT) plant, dann geht es hinsichtlich der weiteren Entwick­ lung der EBIT für die kommenden Jahre vom tatsächlichen Unternehmenswachstum aus, das bei der Ausschüttung von Dividenden in üblicher Höhe möglich ist. In einer DCF-Bewertung unter der mittle­ ren Budgetierungsvariante muss demgegenüber eine geringere Weiterentwicklung des Unternehmens prognostiziert werden. Man darf also auch dann, wenn eine DCF-Formel auf den EBIT beruht, diese nicht so ohne Weiteres aus der Unternehmensplanung entnehmen. Unter der Annahme (4.33) wer­ den Jahr um Jahr die „Earnings“ ausgeschüttet. Die mittlere Budgetierungsvariante dürfte daher ein Wachstum der freien Cashflows ergeben, das dem organischen Wachstum entspricht.

166 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Aus dem Geschäftsplan folgen

1. die Cashflows der kommenden Jahre.

2. die budgetierten Investitionen.

Daraus folgen die erwarteten freien Cashflows,

3. die Risiken.

daraus folgen die Kapitalkosten,

woraus sich der DCF berechnet.

Abb. 4.2: Vorgehensweise einer DCF-Bewertung (eigene Darstellung).

erwarten die Finanziers diese Rendite. Diese Erwartung wird in den Kalkulationen des Unternehmens durch einen Kostensatz berücksichtigt. Bei der Wahl und Festlegung sollen indes drei Kriterien beachtet werden: 1. Transparenz: Wird in der Bewertungsstudie deutlich, welche Budgetierungsva­ riante beim DCF-Ansatz warum gewählt wurde? 2. Materielle Korrektheit: Die Prognose der freien Cashflows muss den Realitäten des Unternehmens und allgemeinen Information entsprechen. Ist das der Fall? Wird durch die Budgetierung von Investitionen eine zu optimistische Entwicklung oder eine Einzelmeinung in die Bewertung hineingetragen? 3. Konsistenz: Entsprechen das unterstellte Wachstum und die weitere Entwick­ lung des Unternehmens dem in der Modellbetrachtung anzunehmenden Sach­ verhalt, dass die freien Cashflows vollständig abfließen? Wir gehen auf das dritte Kriterium ein: Aufgrund der Irrelevanz der Dividendenpoli­ tik führt jede fiktive Ausschüttung ebenso wie die tatsächliche Dividende auf densel­ ben Unternehmenswert. Die jeweils getroffenen Annahmen müssen lediglich konsis­ tent sein: Wird eine gewisse Ausschüttungspolitik angenommen, so muss diejenige Wachstumsrate für das Unternehmen verwendet werden, die möglich ist, wenn die angenommenen Dividenden tatsächlich abfließen (und nicht doch noch investiert wer­ den).

4.5 Discounted Cashflow |

167

Warum sollte eine fiktive Ausschüttungspolitik in der Bewertungspraxis nützli­ cher sein als eine Bewertung aufgrund der tatsächlichen Ausschüttungen? Dafür spre­ chen drei Gründe: 1. Mathematischer Grund: Die Formel W0 = D1 /(r − g) für das GGM zeigt, dass der Wert sehr sensitiv auf selbst kleine Veränderungen hinsichtlich der Wachstums­ rate g beziehungsweise der Rendite r reagiert. Besonders bei geringen Ausschüt­ tungen, wenn folglich zwar g < r aber g ≈ r gilt, wirken sich Schätzfehler stark auf die Wertberechnung aus. Von daher ergeben sich wegen der immer vorhandenen Schätzfehler robustere Bewertungen, wenn g und r auseinanderliegen. Deshalb sind für die Bewertungsrechnung fiktive Politiken mit hoher Ausschüttung und geringem Wachstum zu bevorzugen. 2. Betriebswirtschaftlicher Grund: Für die Bewertung bei gleichförmiger Unterneh­ mensentwicklung ist (neben der Rendite und der zur Ausschüttungspolitik pas­ senden Wachstumsrate) die Höhe der Ausschüttung im Jahr t = 1 wichtig. Für sie können in aller Regel hinreichend genaue Prognosen getroffen werden. Dazu wer­ den die fiktiven Ausschüttungen mit Größen wie EBIT oder EBITDA identifiziert. Diese Größen können zuverlässig geplant werden. Von daher sind Bewertungen vorzuziehen, die fiktive Ausschüttungen in Höhe der betrieblichen Leistungsgrö­ ßen wie EBIT unterstellen. 3. Sozialökonomischer Grund: Wer die Bewertung an den tatsächlichen Dividenden festmacht, betont stark die Zuweisung der wirtschaftlichen Leistung an die Aktio­ näre. Wer die Bewertung hingegen auf Größen wie EBIT und EBITDA stützt, betont die Entstehung der unternehmerischen Leistung durch die Arbeit im Betrieb. Der DCF-Ansatz wurde maßgeblich von Alfred Rappaport geprägt. Rappaport konnte die im Rechnungswesen tätigen Praktiker von der Bedeutung zukünftiger Cashflows überzeugen.¹⁵ Rappaport kombinierte drei Ansätze: 1. Er stellte verständlich dar, weshalb sich Buchgrößen nicht für Investitionsent­ scheidungen eignen. Stattdessen, so seine an die Praxis gerichtete Botschaft, kä­ me es auf die Zahlungswirkungen von Maßnahmen an sowie auf deren Wert aus der Sicht des Finanzmarkts. 2. Weiter präzisierte er die Zahlungsüberschüsse als freie Cashflows und zeigte, wie die von Maßnahmen ausgelösten freien Cashflows der kommenden Jahre diskon­ tiert werden müssen. Die Diskontrate, verstanden als Kapitalkostensatz, kann

15 Alfred Rappaport, geboren 1932, Professor of Managerial Accounting, legte zwischen 1980 und 1990 die Grundlagen für die DCF-Methode; nach seinem Studium an der University of Illinois (M. S. 1961, Ph. D. 1963) war Rappaport von 1979 bis 1990 Distinguished Professor und ab 1990 Adjunct Professor an der J. L. Kellog Graduate School of Management der Northwestern University, nebenbei gründete er 1979 zusammen mit Carl M. Noble, Jr. eine Beratungsgesellschaft.

168 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Corporate Objective

Valuation Components

Value Drivers

Management Decisions

Creating Shareholder Value

Intangible Driven Earnings

Intellectual Capital

Operating Operating Cash Cashflow flow

Shareholder Return: Dividends Capital Gain

Discount Rate Rate Discount

DebtDebt

Value Growth Growth Sales WorkingCapital Value Sales Growth Growth Working Capital Duration Investment Duration Investment OperatingProfit Operating Profit Margin Fixed FixedCapital Capital Margin Investment Investment Income Income Tax Tax rate Rate Operating Operating

Investment

Cost Cost of of Capital Capital

Financing Financing

Abb. 4.3: Werttreiber der DCF-Methode (eigene Darstellung).

3.

durch das CAPM bestimmt werden. Das CAPM präzisiert, wie die Risiken zu mes­ sen sind und wie hoch der Diskontsatz ist. Schließlich ergänzte Rappaport die Wertermittlung um einen Blick auf die wich­ tigsten Faktoren, die den Wert beeinflussen. Diese Faktoren bezeichnete er als Werttreiber (Value Driver) (siehe Abb. 4.3).¹⁶ Die Erweiterung (links) in Abb. 4.3 stellt das intellektuelle Kapital sowie jene Gewinne dar, die auf abstrakte Vermö­ genswerte zurückgehen.

Das Bewertungsmodell bietet damit eine Hilfe für die Unternehmensführung. Die Me­ thode betont die freien Cashflows, geht auf deren Definition und Berechnung ein und diskontiert die in zukünftigen Jahren erwarteten Zahlungsüberschüsse anhand von Kapitalkosten, die mithilfe des CAPM bestimmt werden. Schließlich können Maßnah­ men durch die Werttreiber auf ihre Wirkung hin analysiert werden. Die Methodik wurde weitgehend übernommen, ergänzt und ausgeweitet. Damit hat die Unternehmensbewertung eine neue Rolle für die Unternehmensführung er­ halten. Ihr Ziel sollte die Schaffung von Werten sein. Anfänglich wurde der Begriff „Shareholder Value“ verwendet, mit dem zunehmend eine gewisse Rücksichtslosig­ keit gegenüber der Mitarbeiterschaft verbunden wurde. Dabei wurde schnell klar, dass nicht alle im Namen der Firma geschlossenen Verträge explizit sind. Es gibt zahlrei­

16 Alfred Rappaport: Selecting Strategies that create shareholder value, Harvard Business Review, 59 (Mai 1981), S. 139–149; Alfred Rappaport (1998): Creating Shareholder Value: A Guide for Managers and Investors. New York: Free Press.

4.5 Discounted Cashflow |

169

che implizite Abmachungen mit verschiedenen Gruppen, die am unternehmerischen Geschehen mitwirken. Diese Gruppen von Mitwirkenden bringen oft mehr Leistung ein, als explizit vereinbart und vertraglich gefordert. Aufgrund dieser zusätzlichen Leistung erheben diese Gruppen implizite Ansprüche. Ihr Mehreinsatz macht die­ se Mitwirkenden zu Stakeholdern. Die Hauptaussage des Stakeholder-Ansatzes ist: Das Unternehmen muss bei der Festlegung von Maßnahmen auch die impliziten An­ sprüche beachten. Die mit Stakeholdern eingegangenen impliziten Kontrakte haben zu einer allgemeinen Diskussion der Rolle des Unternehmens und von dessen Ziele in der modernen Welt geführt.¹⁷ Kapitel 4.5 in Kürze – –



Beim DCF-Verfahren werden die freien Cashflows, diskontiert. Der freie Cashflow eines Jahres ist gleich dem Cashflow abzüglich der Auszahlungen für budgetierte Investitionen. Bei der (für das Bewertungsmodell vorgenommenen) Budgetierung bestehen große Freiheiten. Meist wird in der Praxis eine mittlere Variante der Budgetierung gewählt, bei der die für die Be­ wertung benötigten Größen anhand der Planung gut prognostiziert werden können. Der DCF wurde maßgeblich von Rappaport geprägt.

Fragen zu Kapitel 4.5 1.

2.

3.

Ein Unternehmen soll bewertet werden. Die Investitionen werden für das Bewertungsmodell so budgetiert, dass der Unternehmenswert nach 5 Jahren ziemlich genau die Höhe des heutigen Wertes aufweist. Das bedeutet, dass Gewinne plus Erfolge aus organischem Wachstum ausge­ schüttet werden. Die Planungsgrößen für die nächsten 5 Jahre sind: 20, 20, 40, 50, 60 (Geldein­ heiten). Es soll mit einer Rate von 12 % diskontiert werden. Berechnen Sie den Unternehmens­ wert. Ein Unternehmen ist in einer finanziell angespannten Lage. Deshalb werden an sich vielverspre­ chende Investitionen zurückgestellt. Es wird ein Käufer gesucht und ein Interessent gefunden. Der Kaufinteressent beauftragt einen Berater damit, den Verkäufer mit einigen Rechnungen auf die Preisverhandlungen vorzubereiten. Der Berater entscheidet sich für eine Bewertung nach dem DCF-Ansatz. Wie viele Investitionen wird er wohl budgetieren? Eine Beteiligungsgesellschaft möchte ein Unternehmen übernehmen. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, einen neutralen Gutachter mit einem Wertgutachten zu beauftragen. Im An­ schluss überlegt der Geschäftsführer der Beteiligungsgesellschaft, im Falle der Übernahme sämtliches Fremdkapital zurückzuzahlen und das Unternehmen vollständig mit Eigenmitteln zu finanzieren. Würde dadurch der Wert der geplanten Beteiligung steigen, fallen oder unverändert bleiben?

17 Edward R. Freeman (1984): Strategic Management. A stakeholder approach. Marshfield: Pittman Books; Bradford Cornell und Alan C. Shapiro: Corporate Stakeholders and Corporate Finance. Finan­ cial Management 16 (1987), S. 5–14; Gerhard Speckbacher: Shareholder Value und Stakeholder Ansatz. Die Betriebswirtschaft 57 (1997), S. 630–639.

170 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

4.6 Residual Income Model 4.6.1 Goodwill Das Residual Income Model (RIM) verwendet das sogenannte Residualeinkommen als Grundlage für die Unternehmensbewertung. Das Residualeinkommen ist jenes zusätzliche Einkommen, das mit dem Goodwill erzeugt wird und das folglich den Wert des Goodwills ausmacht. Der Goodwill ist die Differenz zwischen dem Wert eines Unternehmens und dem Buchwert.

Der Goodwill drückt folglich Positionen und Ressourcen aus, die nicht in der Bilanz erscheinen oder dort nicht marktgerecht bewertet sind. Dazu gehören der gute Firmen­ name, die Reputation, das Wissen, die effiziente Organisation und andere Ressourcen. Selbstverständlich ist es wichtig zu wissen, welcher Wertbeitrag auf den Good­ will zurückzuführen ist. Hierzu wird die Frage geklärt, welche Teile der Zahlungsüber­ schüsse, Cashflows oder Umsatzerlöse auf den Goodwill zurückgehen. Die Summe der diskontierten Teile dieser Zahlungsüberschüsse ist der Wert des Goodwills. Das Bewertungsmodell RIM wird hier in zwei Schritten entwickelt: – Ausgangspunkt ist eine Ertragsbewertung. – Nun wird eine Änderung vorgenommen: Alle Vermögenspositionen, die den Buchwerten B entsprechen, werden verkauft und für alle folgenden Jahre vom Verkäufer gemietet, so wie im Sale-and-lease-back-Verfahren. Verkauft und zu­ rückgemietet werden alle greifbaren Vermögenspositionen. Im perfekten Markt fällt dafür Jahr für Jahr die Miete in Höhe r ⋅ B an.¹⁸ Damit hat das modifizierte Unternehmen geringere Gewinne: Die Gewinne sind gerin­ ger, weil die Buchwerte verzinst werden müssen. Die neuen Gewinne sind die Resi­ dualeinkommen. Sie erklären sich aus dem Goodwill: RIt = Et − r ⋅ B

(4.34)

Selbstverständlich setzt sich der Wert des Unternehmens aus den diskontierten, wenngleich nun geringeren Gewinnen (Residualeinkommen) zusammen plus dem Buchwert, der beim Verkauf der greifbaren Vermögenspositionen realisiert wurde. Der Goodwill ist die Summe der diskontierten zukünftigen Residualeinkommen. Der Unternehmenswert ist gleich den diskontierten Residualeinkommen plus dem realisierten Buchwert. 18 Wie in jedem DCF-Ansatz beruht die Prognose auf der Annahme, dass die Residualeinkommen Jahr für Jahr entnommen werden. Da in der Realität Dividenden und nicht Residualeinkommen aus­ geschüttet werden, verändern sich die Buchwerte in der Realität im Verlauf der Zeit, anders als im Bewertungsmodell unterstellt.

4.6 Residual Income Model

| 171



RIt (1 + r)t t=1

W0 − B = ∑

(4.35)



RIt (1 + r)t t=1

W= B+∑

(4.36)

Die Formel (4.36) beschreibt das Residual Income Model (RIM). Das RIM ist ausgesprochen beliebt, weil es eine Brücke zwischen dem Substanz­ wert und dem Ertragswert schlägt.¹⁹ Interessanterweise kommt es beim RIM nicht auf den Rechnungslegungsstandard an. – Wenn bei einer konservativen Bilanzierung die Buchwerte eher gering ausfallen, dann sind die Residualeinkommen größer. – Wenn die Rechnungslegung höhere Buchwerte ausweist, dann sind die Residual­ einkommen geringer. In (4.36) gleichen sich Unterschiede in der Bilanzierung aus, weil der Wert als Summe des Buchwerts und der diskontierten Residualeinkommen dargestellt wird. In jüngerer Zeit wurden die Residualeinkommen zur Messung der Outperfor­ mance von Unternehmen von Consultingfirmen aufgegriffen. Am bekanntesten ist das Beratungsprodukt von Stern Stewart & Co., dessen Kern das dort als Economic Value Added (EVA) bezeichnete Residualeinkommen bildet.²⁰ Seit 1995 wurde das Residual Income Model (RIM) durch Arbeiten von James A. Ohlson erweitert. Die Residualeinkommen werden durch zwei stochastische Prozesse beschrieben.²¹

19 Der britische Volkswirt und Mitbegründer der Neoklassik Alfred Marshall (1842–1924) bezeichne­ te 1898 den Residual Income als „earnings of undertaking or management“ (Alfred Marshall (2009): Principles of Economics: Unabridged Eighth Edition. New York: Cosimo Classics, S. 502). Die Verwen­ dung des RIMs geht auf Gabriel A. D. Preinreich und auf Kenneth V. Peasnell zurück. Preinreich hatte 1936 klar erkannt und anhand von Grafiken erläutert, wie Goodwill mithilfe von Residualeinkommen gemessen werden kann. Peasnell (1981) ist die mathematische Beschreibung im Rahmen des soge­ nannten Clean Surplus Accounting zu verdanken. 20 Gordon B. Stewart (1991): The quest for value. New York: Harper. Für den deutschen und schwei­ zerischen Raum wurde das Konzept konkretisiert: Stephan Hostettler (1997): Economic Value Added. Dissertation, Universität St.Gallen. Bern: Haupt. 21 Michael J. Mepham: The Residual Income Debate. Journal of Business Finance & Accounting 7 (1980) 2, S. 183–199; Victor L. Bernard: The Feltham-Ohlson Framework: Implications for Empiricists. Contemporary Accounting Reserach 11 (1995) 2, S. 733–747; Gabriel A. D. Preinreich: Economic Theories of Goodwill. Journal of Accountancy 68 (1939), S. 169–180; Kenneth V. Peasnell: On Capital Budgeting And Income Measurement. ABACUS 17 (1981) 1, S. 52–67; Gabriel A. D. Peasnell: Some Formal Connec­ tions Between Economic Values and Yields and Accounting Numbers. Journal of Business Finance and Accounting 9 (1982) 3, S. 361–381; James A. Ohlson: Earnings, Book Values, and Dividends in Equity Valuation. Contemporary Accounting Reserach 11 (1995) 2, S. 661–687; Gerald A. Feltham und James

172 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Kapitel 4.6 in Kürze Der Wert von Unternehmen hängt von den Rückflüssen ab und davon, wie sie allgemein im Markt prognostiziert werden. Daneben hängt der Unternehmenswert von den Risiken ab, mit denen norma­ lerweise zu rechnen ist. Sie bestimmen somit die marktgerechte Diskontrate als Vergleichsrendite. Gleiches gilt für die Einschätzung, ob die Transversalität erfüllt ist. Aus heutiger Sicht dürfen die auf die kommenden Jahre bezogenen Unternehmenswerte durchaus steigen, doch sie müssen definitiv langsamer steigen als unangetastetes Kapital, das mit besagter Vergleichsrendite anwächst.

Fragen zu Kapitel 4.6 1. 2. 3.

Wie ist der Residualgewinn definiert? Welchen Einfluss hat der Standard der Rechnungslegung auf den nach dem Residual Income Mo­ del (RIM) ermittelten Unternehmenswert? Ein Unternehmen hat Perlen, wie etwa Finanzanlagen, die nicht betrieblich notwendig sind. Wie wird damit im RIM verfahren?

4.7 Drei Ergänzungen 4.7.1 Bewertung oder Entscheidungsrechnung? Der Wert eines Objekts misst sich daran, auf wie viel anderes die Mehrheit der Men­ schen zu verzichten bereit wäre, um das Objekt zu erhalten. Der Wert ist der Preis, den das Objekt in einem Markt hätte, sofern der Markt hinreichend gut funktioniert und sofern folglich zahlreiche Personen ihre jeweiligen Sichtweisen und Präferenzen in das Marktgeschehen einbringen. Zumeist muss eine Bewertung von allgemeinen und normalen Verhältnisse ausgehen. Diese werden dann für die Bewertung nachgebildet, simuliert. Die Bewertung ergibt sich in einer modellartigen Betrachtung. Auch der Wert eines Unternehmens ist der Preis, den es in einem gut funktionie­ renden Markt unter Mitwirkung vieler Marktteilnehmer normalerweise hätte. Unter­ nehmen werden verkauft und übernommen, indem Beteiligungstitel übertragen wer­ den. In einem solchen Markt finden Transaktionen von Beteiligungstiteln oder von Paketen solcher Beteiligungstitel statt. In diesem Markt sind Investoren aktiv, die auf Rückflüsse aus ihren Investitionen achten. Gelegentlich wird gesagt, die Bewertung lege einen „repräsentativen Investor“ zugrunde. Ein repräsentativer Investor verfügt weder über spezielle Informationen (die andere nicht haben), noch geht er von einer neuen Strategie aus. Zudem legt der

A. Ohlson: Valuation and Clean Surplus Accounting for Operating and Financial Activities. Contem­ porary Accounting Research 11 (1995) 2, S. 689–731; James A. Ohlson und Xiao-Jun Zhang: Accrual Accounting and Equity Valuation. Journal of Accounting Research, Supplement 36 (1998), S. 85–111; Gerald A. Feltham und James A. Ohlson: Residual Earnings Valuation With Risk and Stochastic Inte­ rest rates. Accounting Review 74 (1999) 2, S. 165–183.

4.7 Drei Ergänzungen

| 173

repräsentative Investor zur Beurteilung Verhältnisse zugrunde, wie sie sich bei einer langfristigen Beobachtung des Finanzmarkts zeigen. Die Wertermittlung muss von einer Entscheidungsrechnung unterschieden werden, die eine einzelne Partei für sich vornehmen lässt. Oftmals möchte ein großer Investor den Höchstpreis erfahren, den er aufgrund seiner individuellen Situation und in Anbetracht der konkreten Umstände in einer Akquisition zu bezahlen in der Lage ist, ohne sich selbst zu schaden. Dann möchte diese Partei, dass die eigenen In­ formationen und Kenntnisse Berücksichtigung finden, auch wenn andere Investoren nicht darüber verfügen. Vor allem werden in Entscheidungsrechnungen für eine Partei alle Arten von Syn­ ergien berücksichtigt, auch solche, die der Allgemeinheit nicht bekannt sind. Das In­ stitut der Wirtschaftsprüfer (IDW) definiert wie folgt: Synergien sind die Veränderung finanzieller Überschüsse, die durch den wirt­ schaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen oder durch das zusätzli­ che Einbringen besonderer Ressourcen (wie Wissen) entstehen, soweit sie „von der Summe der isoliert entstehenden Überschüsse abweichen“. Man spricht von unech­ ten Synergien, wenn die Verbesserungsmöglichkeiten aus der generellen Marktsicht erkannt werden. Hingegen sind echte Synergien solche Verbesserungen, die das Wis­ sen oder die Ressourcen einer einzelnen, konkreten Partei verlangen, und daher über jene Synergien hinausgehen, die der Markt als Ganzes für möglich ansieht. Unechte Synergien werden bei der Bestimmung des Werts eines Unternehmens berücksichtigt, besonders wenn entsprechende Maßnahmen oder Verbesserungen bereits eingeleitet sind. Echte Synergien werden hingegen nur bei einer Entschei­ dungsrechnung für eine Partei beachtet, nicht aber bei einer generellen Wertermitt­ lung.²² Ansonsten folgen Entscheidungsrechnungen (für eine Partei) einer der Be­ wertung ähnlichen Vorgehensweise: Zahlungsüberschüsse werden prognostiziert und diskontiert. Insgesamt werden bei Bewertungen, Investitionsrechnungen und Entscheidungsrechnungen verschiedene Teilaufgaben ausgeführt. Diese Vorgehens­ weise umfasst folgende Schritte: 1. Zweck und Anlass der Bewertung werden dokumentiert. Insbesondere wird un­ terschieden, ob eine (allgemeine) Bewertung vorgenommen werden soll oder ei­ ne Rechnung zur Entscheidungsunterstützung. Sodann wird auf die verwendeten Informationen eingegangen und darauf, welche Daten für die Schätzung der Ren­ diten im Finanzmarkt herangezogen werden. 2. Wahl des Modells: Immerhin bieten sich verschiedene Bewertungsmodelle. Sie präzisieren, wie jeweils die Zahlungsüberschüsse zu verstehen sind, und welche Bedingungen für die Vorschau der zukünftigen Jahre unterstellt werden.

22 Das IDW ist etwas vorsichtiger und empfiehlt, unechte Synergien bei einer Unternehmensbewer­ tung nur dann insoweit zu berücksichtigen, als die entsprechenden „Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind“ (IDW ES 1 n. F. 44 und 45).

174 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Skizze des Plans, nach dem im Bewertungsmodell das Unternehmen weiterhin geführt wird: Auf dieser planerischen Basis werden die Zahlungsüberschüsse er­ mittelt (die bei dem gewählten Bewertungsmodell benötigt werden). Ebenso wer­ den die Risiken geschätzt, mit denen normalerweise zu rechnen ist. Daraus wird der adäquate Diskontsatz bestimmt, also der Satz der Kapitalkosten. 4. Auswerten der Formel: Sodann können die Zahlungsüberschüsse diskontiert und addiert werden, was den gesuchten Wert ergibt. 5. Wiederholung der Bewertung mit Variationen: Es bieten sich Varianten hinsicht­ lich des Bewertungsmodells, hinsichtlich der Vorschau zukünftiger Zahlungs­ überschüsse und hinsichtlich der Diskontierung an. Es entstehen verschiedene Ergebnisse, die den Value Range für den Wert aufspannen. 6. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die ursprüngliche Frage (Grund der Bewer­ tung), Schlusskommentare, Hinweis auf Annahmen und Grenzen der Aussage­ fähigkeit. 3.

4.7.2 Multiplikatorenmethode Neben Bewertungsmodellen und Modellrechnungen für die Entscheidungsunterstüt­ zung kommen häufig Multiplikatorenansätze zum Einsatz. Multiplikatoren dienen der Ermittlung von Vergleichspreisen, die in einer konkreten Marktsituation als „situa­ tionsgerecht“ angesehen werden. Ausgangspunkt ist eine Gruppe als ähnlich betrachteter Unternehmen oder als vergleichbar angesehener Transaktionen der letzten Zeit, bei denen die Preise bekannt sind, die tatsächlich gezahlt wurden. Diese Vergleichsgruppe nennt man Peergroup. Sodann werden die Unternehmen der Peergroup durch eine skalare Größe miteinan­ der verglichen und zusätzlich zu dem Unternehmen in Beziehung gesetzt, das beur­ teilt werden soll. Für diesen Skalar kommen diverse quantitative Merkmale der Unter­ nehmen infrage, so die Bilanzsumme, der Jahresumsatz, der Gewinn, die Anzahl der Beschäftigten und so fort. Anschließend wird für jedes Unternehmen der Peergroup der jeweils beobachtete Preis durch den Skalar des betreffenden Unternehmens geteilt. Die erhaltenen Größen werden gemittelt und es ergibt sich der mittlere Preis pro Größeneinheit (Bilanzsum­ me, Jahresumsatz, Gewinn, Beschäftigte . . . ). Dieser mittlere Preis wird sodann als Multiplikator auf die Größeneinheit des zu bewertenden Unternehmens angewendet. Die Vorgehensweise umfasst folgende Schritte: – Für das zu beurteilende Unternehmen wird eine Peergroup bestimmt, eine Grup­ pe vergleichbarer Unternehmen, von denen bekannt ist, zu welchen Konditionen Beteiligungspakete verkauft wurden. – Danach wird ein Größenmerkmal (Bezugsgröße, Äquivalenzziffer) gewählt, das sowohl für das Unternehmen als auch für die Unternehmen der Peergroup leicht bestimmt werden kann. Dazu gehört zum Beispiel der Gewinn.

4.7 Drei Ergänzungen



| 175

Daraufhin wird für jedes Unternehmen der Peergroup die Relation zwischen Preis und Größenmerkmal berechnet. Um die Quotienten nicht zu verzerren, werden diese z. B. anhand des Medians gemittelt.

Der durch Vergleich entstandene Preis bezieht sich auf die derzeitige Marktsituation. Mithilfe des Multiplikators ermittelte Vergleichspreise können von realen Werten ab­ weichen. Dennoch werden immer wieder Vergleichspreise als Näherungen für den Wert verwendet. In diesem Sinne wird die Methode der Multiples gelegentlich als Ansatz für eine Unternehmensbewertung gesehen.²³ Beispielsweise kann der Wert ermittelt werden, in dem als Bezugsgröße die kom­ mende Dividendenzahlung oder die Gewinnschätzung gewählt wird. Diese Bezugs­ größen können gut veranschaulichen, dass die Multiplikatoren keine willkürlichen Ansätze darstellen, sondern vielmehr mit der Unternehmensbewertung in Einklang stehen können. Zunächst wirkt die Vorgehensweise der Multiples so, als bestünde kein Bezug zur Bewertungstheorie. Doch es gibt eine Verbindung zwischen Multiples und dem GGM. W = MD ⋅ D1 W = ME ⋅ E1

1 r − gD

für

MD =

für

1 ME = r − gE

(4.37)

In (4.37) bezeichnet die Dividende in einem Jahr, ist E1 der am Ende des beginnenden Jahres festgestellte Gewinn, r die Diskontrate, gD die Wachstumsrate (bei der tatsäch­ lichen Ausschüttungspolitik) und gE die Rate organischen Wachstums – jene Wachs­ tumsrate also, die das Unternehmen hätte, wenn es Jahr um Jahr Gewinn ausschütten würde. Das Gordon’sche Wachstumsmodell zeigt, dass der Unternehmenswert unter (4.37) ein Vielfaches einer Bezugsgröße ist (MD bzw. ME ). Die Bezugsgröße ist die nächste (tatsächliche oder fiktive) Ausschüttung (z. B. D1 , E1 ). Das Vielfache ist gleich dem Kehrwert des Unterschieds zwischen Rendite und Wachstumsrate [(1/(r−gD ) bzw. (1/(r−gE )]. Beim Multiplikatorenansatz werden die Multiplikatoren aus der Peergroup erschlossen und nicht über die in (4.37) genannte Diskontrate berechnet. Der Multiplikator ME ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Soll ein Unternehmen bewertet werden, wird der kommende Gewinn mit dem für die Branche typischen Mul­ tiplikator multipliziert. Um zu prüfen, welche Bewertungsansätze zu genaueren Ergebnissen kommen, wurden empirische Studien durchgeführt. Sie betrachten Aktiengesellschaften und

23 Gelegentlich wird in der Praxis nicht einmal die Peergroup herangezogen. Stattdessen wird für den Multiplikator gleich ein „typischer“ Wert angenommen. Im Kreise von Investmentbanken und Wirtschaftsprüfungen werden „typische“ Multiplikatoren kommuniziert, mit denen die Basisgrößen zu multiplizieren sind, um direkt den Wert zu ermitteln.

176 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

nehmen an, der an der Börse beobachtbare Kurs beziehungsweise die Marktkapita­ lisierung sei gleich dem wahren Wert. Dann wird empirisch geprüft, welcher Bewer­ tungsansatz die Kurse beziehungsweise Marktkapitalisierungen besser trifft. Aufgrund der inzwischen für verschiedene Länder vorliegenden empirischen Stu­ dien verdichtet sich das folgende Bild: – Unternehmensbewertungen aufgrund von Multiplikatoren sind im Vergleich zu anderen Bewertungsmodellen nicht ungenauer. – Gute Ergebnisse bei Multiples liefert der erwartete zukünftige Gewinn. Gewinnpro­ gnosen für das kommende Jahr als Basisgröße liefern genauere Ergebnisse, als wenn der Gewinn des letzten Jahres zugrunde gelegt wird.²⁴

4.7.3 Wertorientierung Die Rolle der Wertorientierung und der heutige Stellenwert des Wertes als Leitgedanke in der Finanzwirtschaft sind in einem langen Entwicklungsprozess entstanden. Irving Fisher (1867–1947) klärte die Bedeutung des Barwertes: Wer zu einem zu­ künftigen Zeitpunkt einen Geldbetrag erhält, der kann den Zeitpunkt der Fälligkeit beliebig nach hinten verschieben, indem der Geldbetrag angelegt wird. Die Verfüg­ barkeit kann vorgezogen werden, indem ein Kredit genommen wird²⁵. Damit wird die persönliche Zeitpräferenz (hinsichtlich der Verfügbarkeit von Zah­ lungen) unbedeutend. Wer aus verschiedenen Zahlungen mit zukünftiger Fälligkeit oder aus Zahlungsströmen auswählen kann, wird allein auf den Present Value achten. Es wird also zunächst allein darauf geachtet, dass ein Zahlungsanspruch mit hohem Present Value entsteht. Anschließend wird die die Verfügbarkeit der Gelder entspre­ chend der persönlichen Präferenz modifiziert. – Die ersten, die erkannten, dass sich der Unternehmenswert aus Zahlungsüber­ schüssen ableitet, waren Robert F. Wiese (1930)²⁶ und John Burr Williams (1938)²⁷. – Modigliani und Miller haben mit ihren Arbeiten das Streben nach Wertsteigerung und den Wert als Zielkriterium für Unternehmen etabliert. – Mit Rappaport kam die Frage hinzu, welches die wesentlichen Werttreiber sind.

24 Jing Liu, Doron Nissim und Jacob Thomas: Equity valuation using multiples. Journal of Accoun­ ting Research 40 (2002), S. 135–172; Sanjeev Bhojraj und Charles M. C. Lee: Who is my peer? A valua­ tion-based approach to the selection of comparable firms. Journal of Accounting Research 40 (2002), S. 407–439. Jing Liu, Doron Nissim und Jacob Thomas (2003): Price multiples based on forecasts and reported values of earnings, dividends, sales, and cash flows: an international analysis. Working Pa­ per. University of Columbia u. a., Los Angeles u. a.; Andreas Schreiner (2007): Equity Valuation Using Multiples – An Empirical Investigation. Schriften zum europäischen Management. Heidelberg: Deut­ scher Universitätsverlag. 25 Irving Fisher (1930): The Theory of Interest. New York: The Macmillan Company, §8: The rate of interest. 26 Robert F. Wiese (1930): Investing for True Values. Barron’s, September 8, S. 5. 27 John Burr Williams (1938): The Theory of Investment Value. Cambridge: Harvard University Press.

4.8 Zusammenfassung

| 177

Kapitel 4.7 in Kürze Inhalt von Kapitel 4.7 war – der Unterschied zwischen Bewertung und Entscheidungsrechnung und die Frage, wie dabei Syn­ ergien berücksichtigt werden, – der Multiplikatorenansatz, – eine kurze historische Notiz zur Wertorientierung.

Fragen zu Kapitel 4.7 1. 2.

Was sind echte, was unechte Synergien? Früher wurde für die Unternehmensbewertung ein Mittelwert zwischen Substanzwert und Er­ tragswert vorgeschlagen. Nehmen Sie dazu Stellung.

4.8 Zusammenfassung 4.8.1 Lernpfad Modul 4 hat einen weiten Bogen gespannt. Vier Punkte sind hervorzuheben: 1. Bewertung anhand von Zahlungsüberschüssen und Transversalität als Vorausset­ zung, nur Ausschüttungen betrachten zu dürfen 2. Erkenntnis, das sowohl anhand der Dividenden als auch anhand der Gewinne bewertet werden kann, sofern die jeweils korrekte Wachstumsrate verwendet wird 3. Schritte im DCF-Ansatz 4. Versalität, die das RIM für Praxis wie weitere Forschung bietet Der Weg führte auf zwei Gipfel: 1. Zusammenhang zwischen der Ausschüttungsquote, der Rendite und der Wachs­ tumsrate im Gordon’schen Modell 2. Kombination mehrerer Instrumente zum DCF-Ansatz durch Rappaport 4.8.2 Personen Im Text erwähnte (natürliche und juristische) Personen: – Myron J. Gordon – Alfred Rappaport – James A. Ohlson 4.8.3 Schlüsselbegriffe Dividend Discount Model (DDM) – Diskontrate als Vergleichsrendite – Perlen – Las­ ten – Transversalität – Gordon Growth Model (GGM)– Ertragswert – organisches

178 | 4 Modul: Unternehmensbewertung

Wachstum – Discounted Cashflow (DCF) – freier Cashflow – Residual Income Model (RIM) – Economic Value Added (EVA)

4.8.4 Aufgaben 1.

Beurteilen Sie die Richtigkeit der folgenden Aussagen bzw. beantworten Sie die nachfolgenden Fragen: a. Wenn Transversalität erfüllt ist, dann ist der Wert eines Unternehmens gleich der Summe der diskontierten zukünftigen Dividenden. b. Wie lautet die als Transversalität bezeichnete Annahme und wozu wird diese Annahme getroffen? c. Kann der Unternehmenswert trotz ansehnlicher Dividenden negativ sein? 2. Ein Unternehmen kalkuliert mit Kapitalkosten von 10 %. Die Dividende beträgt 9 Euro in einem Jahr. Der Aktienkurs beträgt 300 Euro. Berechnen Sie die implizite Wachstumsrate. Welche der nachstehenden Antworten ist für Sie korrekt? a. 1 % b. 3 % c. 4 % d. 5 % e. Keine der Antworten ist richtig. 3. Richtig oder falsch? a. Der Ertragswert ist größer als die Summe der diskontierten Dividenden, da in der Regel nicht die gesamten Gewinne ausgeschüttet werden. b. Die drei Anforderungen „Transparenz“, „materielle Korrektheit“ und „Kon­ sistenz“ können nicht in Einklang gebracht werden. Deshalb sollte man sich je nach Situation auf eine der Anforderungen konzentrieren. c. Während die Unternehmensbewertung nur echte Synergien berücksichtigt, darf der subjektive Entscheidungswert (Preisgrenze) auch unechte Synergien einbeziehen. d. Typischerweise schlägt bei Preisverhandlungen der Kaufinteressent den Ver­ gleichspreis vor, während der Verkaufsinteressent auf Basis des Unterneh­ menswerts argumentiert. e. Ein Schiedsrichter versucht, die Parteien dazu zu bewegen, sich auf den Be­ reich zwischen Marktwert und Vergleichspreis zu einigen. f. Das Verhältnis von Marktwert zu Buchwert ist immer größer oder gleich 1. g. Das RIM ist zwar attraktiv, weil aber der Buchwert einfließt, liefert es verschie­ dene Werte, wenn unterschiedliche Rechnungslegungsstandards angewandt werden. 4. Aus welchen drei Gründen kann eine fiktive Ausschüttungspolitik in der Bewer­ tungspraxis nützlicher sein als eine Bewertung aufgrund der tatsächlichen Aus­ schüttungen?

4.8 Zusammenfassung |

5.

179

Welche Vorteile hat der DCF-Ansatz gegenüber der Ertragsbewertung und gegen­ über einer Bewertung anhand der tatsächlichen Dividenden? 6. Unter welcher Variante der Budgetierung stimmen die Freien Cashflows mit dem EBIT abzüglich Zinsen und Steuern überein? 7. Ein Unternehmen möchte seine „Ertragskraft“ anhand einer DCF-Bewertung be­ weisen. Das Management wählt eine Budgetierungsvariante, die vollständig von Investitionen absieht. Der reine Unterhalt und die Reparaturen seien als Aufwand berücksichtigt, heißt es. Unter dieser Budgetierungsvariante werden die Cash­ flows der kommenden Jahre mit 63, 66, 69, 72 (Mio. Euro) prognostiziert. Es wird T = 3 gewählt. Die Diskontrate ist r = 10 %. Industrievergleiche zeigen, dass die Cashflowrendite bei c = 30 % liegt. Berechnen Sie den Wert. 8. Die Residualeinkommen eines Unternehmens mit Buchwert B = 200 Geldeinhei­ ten dürften in 12 Monaten RI1 = 5 betragen und ab dann mit einer Rate g = 3 % jährlich wachsen (sofern diese Beträge jährlich entnommen werden). Die Diskont­ rate ist r = 8 %. Berechnen Sie den Wert der Unternehmung mit dem RIM.

5 Modul: Kapitalstruktur 5.1 Irrelevanzthesen Modigliani und Miller (MoMi) haben gezeigt, unter welchen Bedingungen der Wert eines Unter­ nehmens nicht davon abhängt, wie es finanziert ist. MoMi sind auch darauf eingegangen, welche Wirkung die übliche, nicht finanzierungsneutrale Besteuerung der Unternehmen hat. Der APV-Ansatz von Myers zeigt, wie angesichts von Steuern der Gesamtwert eines Unternehmens bestimmt werden kann: Zum Wert des Unternehmens, ermittelt in der Annahme es sei voll eigenfinanziert, wird der Tax Shield addiert.

5.2 Wert des Eigenkapitals Zwei Wege bieten sich an, um den Wert des Eigenkapitals oder den Wert besteuerter Unternehmen zu berechnen. Ein erster Weg führt über die Annahme vollständiger Eigenfinanzierung (APV-Ansatz). Der andere Weg folgt dem Ansatz des Flow to Equity. Dieser Weg führt ebenso einfach wie der APV-Ansatz zum Gesamtwert des Unternehmens. Thema beider Wege ist die Frage, wie die Eigenkapitalkosten bestimmt werden können. Dazu wird ein Blick auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM) geworfen.

5.3 Wert des Gesamtkapitals Mit APV und Flow to Equity kann der Gesamtwert in zwei Stufen ermittelt werden. Eine direkte Berech­ nung betrachtet das versteuerte Gesamtergebnis (für die kommenden Jahre) und diskontiert sie mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten WACC.

5.4 Kosten unvollständiger Information Aufgrund der Informationsunterschiede zwischen Management und Eigenkapitalgebern einerseits und Management und Fremdkapitalgebern andererseits entsteht eine „Hackordnung“ (Pecking Or­ der) der Finanzierungsquellen hinsichtlich ihrer Finanzierungskosten. Hieraus ergibt sich eine Präfe­ renz zwischen den drei grundlegenden Finanzquellen: der Innenfinanzierung, der Finanzierung durch Fremdkapital und der Finanzierung durch Eigenkapital.

5.5 Kosten für Kreditrisiken Die Trade-off-Theorie der Kapitalstruktur baut darauf auf, dass eine sehr geringe Verschuldung als positives Signal gewertet wird, wohingegen das Fremdkapital mit zunehmender Verschuldung immer teurer wird. Hier werden mehrere Situationen durchlaufen, beginnend mit der Eintrübung über die finanzielle Anspannung bis hin zum Default mit Gläubigerschutz und dem Scheitern des Gläubiger­ schutzes. Das Minimum der (durchschnittlichen) Kapitalkosten wird für die Zielkapitalstruktur (Target Capital Structure) erreicht.

5.6 Interessenkonflikte Die Entscheidung zwischen Fortführung und Liquidation eines Unternehmens wird bei besonderen Anlässen (Financial Distress, Gläubigerschutz) von drei Parteien getroffen: von Eigenkapitalgebern, Fremdkapitalgebern sowie vom Management gemeinsam mit den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit.

5.7. Zusammenfassung Wie in jedem Modul dieses Buches werden auch in Modul 5 als Zusammenfassung ein Lernpfad, eine Auflistung erwähnter Personen, Schlüsselbegriffe sowie Aufgaben angeboten.

https://doi.org/10.1515/9783110472240-005

5.1 Irrelevanzthesen | 181

5.1 Irrelevanzthesen 5.1.1 Zur Einführung Die meisten Unternehmen setzen Fremdkapital ein. Es stellt sich also die Frage, in welcher Zusammensetzung von Eigen- und Fremdkapital das Unternehmen am bes­ ten finanziert werden soll. Die Zusammensetzung des Kapitals wird als Kapitalstruk­ tur bezeichnet. Dabei geht es um eine grundlegende und in der Praxis umfangreiche Aufgabe. In der Praxis werden sowohl beim Eigen- als auch beim Fremdkapital die verschiedenen Vertragsvarianten betrachtet, beim Fremdkapital etwa die Zinskondi­ tionen und Laufzeiten der einzelnen Kredite. So besteht die Aufgabe der Strukturie­ rung des Kapitals in der Planung der Liquidität, der Prognose der Geschäfte und vor allem im Treffen von Entscheidungen hinsichtlich möglicher Investitionen. Aufgrund der Bedeutung der Kapitalstruktur wurden Theorien entwickelt, in de­ nen jedoch die tiefere Strukturierung des Kapitals hinsichtlich einzelner Formen von Eigenkapital und einzelner Kredite nur summarisch betrachtet werden. Sowohl das Eigen- als das Fremdkapital des Unternehmens sollen in sich homogen sein. Dann kann die Kapitalstruktur durch das Verhältnis zwischen dem Eigenkapital und dem Gesamtkapital (Eigenkapital plus Fremdkapital) ausgedrückt werden, der sogenann­ ten Eigenkapitalquote: Q=

Eigenkapital Eigenkapital + Fremdkapital

(5.1)

Damit in Zusammenhang stehend ist die Fremdkapitalquote, das Verhältnis von Fremdkapital und Gesamtkapital. Die Fremdkapitalquote ist 1 − Q. Der Verschul­ dungsgrad (oder Leverage-Quotient) ist das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital (Debt to Equity Ratio, Gearing oder Leverage Ratio): L=

Fremdkapital Eigenkapital

(5.2)

Aus jeder der drei Größen Eigen- und Fremdkapitalquote sowie Verschuldungsgrad können jeweils die beiden anderen errechnet werden. Jede der Größen beschreibt also die Kapitalstruktur. Beispielsweise bedeutet eine Eigenkapitalquote von 1 : 3 eine Fremdkapitalquote von 2 : 3, der Leverage-Quotient ist 2. Allgemeiner ausgedrückt gilt L = (1 − Q)/Q und Q = 1/(1 + L). Ein L = 0 weist auf ein unverschuldetes Unternehmen hin. Diese Kenngrößen für das Eigen- und das Fremdkapital können durch Buchwerte (Bilanzgrößen) oder Marktwerte ausgedrückt sein. Im hiesigen Kontext beziehen sie sich auf Marktbewertungen. Bei der Wahl der Kapitalstruktur spielen verschiedene Argumente eine Rolle: 1. Die Finanzierung ist nicht steuerneutral. Rückflüsse an die Eigenkapitalgeber wer­ den steuerlich anders behandelt als solche an die Fremdkapitalgeber. Gewinne des Unternehmens werden besteuert, wohingegen Zinszahlungen als Aufwand behandelt werden.

182 | 5 Modul: Kapitalstruktur

2.

3.

Bei zunehmender Verschuldung verlangen Kreditgeber eine Kompensation des Ausfallrisikos in Form einer Kreditrisikoprämie. Durch diese Prämie ist ein ho­ her Einsatz von Fremdkapital teuer. Zudem bestehen Banken auf besondere Ver­ tragspunkte, die zu beträchtlichen Kosten führen, falls das Unternehmen in den Zustand finanzieller Anspannung gerät. Das ist wahrscheinlicher, wenn der Ver­ schuldungsgrad hoch ist. Ein weiteres Argument sind Informationsunterschiede zwischen dem Manage­ ment und den Eigen- sowie Fremdkapitalgebern. Aufgrund der Informationsun­ terscheide kommt es bei neuen Finanzierungen zu unterschiedlichen Motivati­ onslagen und zu Transaktionskosten. Informationsunterschiede beeinflussen die anzustrebende Kapitalstruktur.

Mit diesen und weiteren Argumenten wurden Theorien der Kapitalstruktur, d. h. zur Frage der Zusammensetzung von Eigen- und Fremdkapital, entwickelt und empirisch überprüft. Alle Kapitalstrukturtheorien haben gemein, dass als wichtiges Kriterium für die Wahl der Kapitalstruktur, also der Festlegung der Anteile von Eigen- und Fremdkapital, ihre Wirkung auf den Wert des Unternehmens herangezogen wird. Gemeint ist der Gesamtwert des Unternehmens zugunsten aller Kapitalgeber. Es muss zwischen dem Wert des Eigenkapitals, dem Wert des Fremdkapitals und dem Wert des Gesamtunternehmens unterschieden werden. Der Wert des Gesamtun­ ternehmens ist gleich dem Wert des Eigenkapitals plus dem Wert des Fremdkapitals. Selbstverständlich hängen diese Werte von der Kapitalstruktur ab. Als Bezeich­ nung für den Gesamtwert des Unternehmens sei GK gewählt, der Gesamtwert des Ka­ pitals. EK(L) ist der Wert des Eigenkapitals beim Verschuldungsgrad L, FK(L) der des Fremdkapitals. Beide sind als Marktwerte und nicht als Buchgrößen aufzufassen. Der Wert des gesamten Unternehmens beim Verschuldungsgrad L wird also mit GK(L) be­ zeichnet. Als Vergleich wird oft der Wert eines unverschuldeten Unternehmens her­ angezogen: GK(L) = EK(L) + FK(L) (5.3) GK(0) = EK(0)

5.1.2 Modigliani-Miller-Thesen Die Frage ist, wie der Gesamtwert GK(L) vom Verschuldungsgrad L abhängt. Eine ers­ te Antwort haben Franco Modigliani (1918–2003) und Merton H. Miller (1923–2000), kurz MoMi, in zwei Aufsätzen gegeben.¹ Beide Aufsätze gehen von einem perfekten Finanzmarkt aus. Insbesondere bestehen keine Transaktionskosten und die Akteure 1 Franco Modigliani (1918–2003) und Merton H. Miller (1923–2000) beeinflussten die Corporate Fi­ nance mit zwei ihrer Aufsätze sehr stark. Modigliani stammt aus Rom und hatte an der dortigen La Sapienza 1939 sein juristisches Studium abgeschlossen. Er musste emigrieren und lehrte an verschie­

5.1 Irrelevanzthesen | 183

können nach Belieben Finanzgeschäfte und Gegengeschäfte abschließen. Im ersten Aufsatz von 1958² wird ein Unternehmen betrachtet, das keine Steuern zahlen muss, die von L abhängen. Dann ist für alle L: GK(L) ≡ EK(0) (5.4) Der Gesamtwert ist unabhängig vom Verschuldungsgrad. Der in L konstante Gesamtwert stimmt mit dem Wert des Eigenkapitals überein, so, als wäre das Unternehmen unverschuldet.

Diese These der Irrelevanz der Kapitalstruktur beruht auf der Annahme, dass die Finanzierung keinen Einfluss auf die Vermögenspositionen und Geschäfte des Unter­ nehmens hat. In der Realität ist allerdings davon auszugehen, dass es eine Rückwir­ kung der Finanzierungsmöglichkeiten auf Investitionen, Produktion und Absatz gibt. Modigliani und Miller nehmen zum Zweck der Analyse jedoch an, diese seien fix vor­ gegeben und die Kapitalstruktur sei variabel.³ Ein weiteres MoMi-Ergebnis betrifft die Kapitalkosten. Die von den Eigenkapital­ gebern erwartete Rendite steigt mit dem Verschuldungsgrad, denn die unternehmeri­ schen Risiken insgesamt bleiben (da Produktion und Absatz vorgegeben sind) von der Finanzierung unberührt. Bei höherem Fremdkapitalanteil müssen die Risiken von zu­ nehmend weniger Eigenkapital getragen werden. Die Eigenkapitalrendite wird riskan­ ter, die Eigenkapitalgeber erwarten folglich eine höhere Risikoprämie. Da eine solche Risikoprämie nicht für Fremdkapital bezahlt wird, ist das Fremdkapital günstiger als das Eigenkapital. Doch mit zunehmender Verschuldung wird das Eigenkapital (aus Sicht des Unternehmens) teurer. Beide Effekte gleichen sich aus, wie Modigliani und

denen Universitäten in den USA, ab 1962 am Massachusetts Institute of Technology als Professor für Economics and Finance. Im Jahr 1985 erhielt er den Nobelpreis. Ab 1988 lebte Modigliani als Emeritus in Boston. Miller erhielt den Nobelpreis 1990 gemeinsam mit Harry Markowitz und William F. Sharpe. Miller stammte aus Boston und hatte sein Studium an der Harvard Universität 1943 abgeschlossen. Er lernte Modigliani an der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh 1953 kennen, wo Modigliani damals lehr­ te. Miller ging später nach Chicago und wurde nach einer Professur Direktor des Chicago Board of Trade, später der Chicago Mercantile Exchange. Miller hat wiederholt und kraftvoll die Idee des freien Marktes vertreten. 2 Franco Modigliani und Merton H. Miller: The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment. American Economic Review 48 (Juni 1958) 3, S. 261–297 (URL: www.jstor.org/stable/ 1809766?seq=1#page_scan_tab_contents, zuletzt abgerufen am: 15.06.2018). 3 Vergleiche die Erklärungen für die Existenz von Wertsteigerungspotentialen durch Finanzierungs­ entscheidungen in der Praxis in: Karl Frauendorfer, Rainer Eggers und Axel Jeromin (1998): Dynami­ sche Finanzierungsstrategien – Herausforderungen an das quantitative Management. Working Paper, Universität St.Gallen (9/1998), S. 7 (URL: www.alexandria.unisg.ch/publications/7245, zuletzt abgeru­ fen am 04.07.2018).

184 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Miller zeigen. Im Durchschnitt bleibt das Kapital gleich teuer, unabhängig von der Verschuldung. Die durchschnittlichen Kapitalkosten (Mittel der Eigen- und der Fremdkapitalkosten) sind unabhängig vom Verschuldungsgrad.

Das Vermögen und die Geschäfte des Unternehmens bestimmen die „Größe des Kuchens“. Die Fi­ nanzierung legt lediglich fest, wie der Kuchen geschnitten und auf die Eigen- und Fremdkapitalgeber verteilt wird. Die Art des Schneidens hat keinen Einfluss auf das, was beide Gruppen zusammen er­ halten.

Die von den Finanziers erwarteten, marktgerechten Renditen müssen vom Unternehmen erarbeitet werden, was in der Kalkulation mit „Kosten“ berücksichtigt wird. Daher werden die Renditeerwartun­ gen als Kapitalkosten bezeichnet.⁴

Insgesamt haben Modigliani und Miller bewiesen, dass in einem perfekten Finanz­ markt hinsichtlich der Finanzierung von Unternehmen vier Sachverhalte gelten (kurz: MoMi-Thesen): 1. Die durchschnittlichen Kapitalkosten sind unabhängig vom Verschuldungsgrad. 2. Der Gesamtwert des Unternehmens ist unabhängig vom Verschuldungsgrad (5.4). 3. Die Dividendenpolitik ist für den Gesamtwert des Unternehmens irrelevant. 4. Die Art der Finanzierung einer Investition ist dafür, ob die Investition vorteilhaft ist oder nicht, nicht relevant. Die Antwort auf die Frage der Vorteilhaftigkeit ei­ ner Investition hängt im perfekten Markt allein von den Konditionen ab, die im Kapitalmarkt herrschen. Diese vier MoMi-Thesen gelten unter drei Voraussetzungen: 1. Die Steuern müssen finanzierungsneutral sein. 2. Produktion und Absatz sind von der Art der Finanzierung unabhängig. 3. Der Finanzmarkt ist perfekt (alle Beteiligten sind voll informiert, es gibt keine Transaktionskosten, alle sind Preisnehmer, niemand hat Macht, die Preise zu bewegen).

4 Für eine Differenzierung der Gleichsetzung von Rendite und Kapitalkosten siehe Andreas Löff­ ler: Gewichtete Kapitalkosten (WACC) in der Unternehmensbewertung. Finanz Betrieb 5 (2002), S. 296–300; Bernhard Schwetzler, Marc Steffen Rapp und Andreas Löffler: Arbitrage, Kapitalkosten und die Miles/Ezzell-Anpassung im zweiperiodigen Binominalmodell sowie gewichtete Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung: Finanz Betrieb 5 (2002), 502–509; Lutz Kruschwitz und Andreas Löff­ ler: Ein neuer Zugang zum Konzept des Discounted Cashflow. Journal für Betriebswirtschaft 55 (2005), S. 21–36.; Jörg Laitenberger: Rendite und Kapitalkosten. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 76 (2006) 1, S. 79–101.

5.1 Irrelevanzthesen | 185

Im zweiten Aufsatz von 1961 entfallen auf Zinszahlungen, die den Fremdkapitalge­ bern zukommen, keine Unternehmenssteuern, während Gelder, die zugunsten der Ei­ genkapitalgeber erzeugt werden, besteuert werden.⁵ Das ist realitätsnäher. Jetzt ist die Fremdfinanzierung klar günstiger, weil sich die Steuerbelastung proportional mit dem Einsatz von Fremdkapital verringert. Der Gesamtwert des Unternehmens nimmt folg­ lich mit der Verschuldung zu, die durchschnittlichen Kapitalkosten nehmen ab.

5.1.3 Adjusted-Present-Value-Ansatz Der Sachverhalt, dass die gesamte Steuerlast bei teilweiser Fremdfinanzierung gerin­ ger ist als bei vollständiger Eigenfinanzierung, bildet einen wichtigen Baustein für die Wahl der Kapitalstruktur. Die Steuervorteile (des teils fremdfinanzierten Unter­ nehmens) haben einen bestimmten Wert. Der Wert kann als Barwert der zukünftigen Steuervorteile bestimmt oder geschätzt werden. Der Wert der Steuervorteile wird als Tax Shield bezeichnet (siehe Abb. 5.1). In Abb. 5.1 ist die Steuer nicht finanzierungs­ neutral. Bei vollständiger Finanzierung mit Eigenkapital ist der Wert geringer als bei einer teilweisen Finanzierung mit Fremdkapital. Der Gesamtwert des verschuldeten Unternehmens ist gleich dem Wert des Unternehmens, so, als wäre es unverschuldet (in diesem Fall fallen höhere Steuern an), plus dem Wert der Steuervorteile, die mit dem Einsatz von Fremdkapital verbunden sind.

Dieser Sachverhalt führt zu einem Rechenweg für den Wert des Gesamtunternehmens, der Adjusted-Present-Value-Ansatz (APV-Ansatz) genannt wird. Der APV-Ansatz wurde (nach Vorarbeiten von Modigliani und Miller) 1974 von Stewart C. Myers vorge­ stellt.⁶ Beim APV-Ansatz von Myers wird das Unternehmen zunächst so bewertet, als wä­ re es vollständig eigenfinanziert – eine Fiktion. Der Tax Shield, der Barwert aller zu­ künftigen Steuervorteile, die sich aus dem Einsatz von Fremdkapital ergebe, wird hin­ zuaddiert.

5 Franco Modigliani und Merton H. Miller: Dividend Policy, Growth and the Valuation of Shares In: Journal of Business, 34 (Oktober 1961) 4, S. 411–433 (URL: www.jstor.org/stable/2351143?seq=1#page_ scan_tab_contents, zuletzt abgerufen am: 15.06.2018). 6 Stewart C. Myers: Interactions of Corporate Financing and Investment Decisions – Implications for Capital Budgeting. Journal of Finance 29 (March 1974), S. 1–25; Sven Husmann, Lutz Kruschwitz und Andreas Löffler: Unternehmensbewertung unter deutschen Steuern. Die Betriebswirtschaft 62 (2002), S. 24–43; Michael C. Ehrhardt und Phillip R. Daves: Corporate Valuation: The Combined Impact of Growth and the Tax Shield of Debt on the Cost of Capital and Systematic Risk. Journal of Applied Finance 12, (2002) 2, S. 31–38.

186 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Produktions- und Absatzplan: Zahlungsstrom aufgrund realwirtschaftlicher Tätigkeit – ohne Beachtung von Finanzierungskosten und Steuern

Finanzierungsplan: Aufteilung des Zahlungsstroms an drei Parteien: Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und Fiskus

Fall: nur Eigenkapital

Equity-Value (und in diesem Fall der unverschuldeten Unternehmung ist er gleich dem Gesamtwert)

Wert der Steuern

TaxShield

Equity-Value

Fremdkapital

Wert der Steuern

Fall: Eigen- und Fremdkapital Gesamtwert

Abb. 5.1: Equity Value und Gesamtwert eines realwirtschaftlichen Projekts unter FinanzierungsplanVeränderung (eigene Darstellung).

Beispiel In einer Fiktion wird angenommen, die Firma ist vollständig mit Eigenkapital fi­ nanziert. Dafür wird ein Wert von 4.000 (Geldeinheit: Tsd. Euro) ermittelt. Der Tax Shield wird mit 1.500 geschätzt. Folglich ist der Gesamtwert (des besteuerten und teils fremdfinanzierten) Unternehmens 5.500. Weiter ist bekannt, dass der Wert des Fremdkapitals 3.000 ist. Folglich ist der Wert des Eigenkapitals (des besteuerten und teils fremdfinanzierten) Unternehmens 2.500. Die Eigenkapitalquote beträgt 2.500/5.500 = 45,6 %, der Verschuldungsgrad ist 3.000/2.500 = 1,2.

5.1 Irrelevanzthesen | 187





Der APV-Ansatz verlangt also die Lösung zweier Teilaufgaben: Zunächst wird der Wert des Unternehmens so berechnet, als wäre es vollständig eigenfinanziert (und müsste entsprechend hohe Steuern entrichten). Sodann wird der Steuervorteil (Tax Shield) ermittelt und hinzuaddiert. Anschließend besteht die Möglichkeit, aus dem gefundenen Gesamtwert des (be­ steuerten und teils fremdfinanzierten) Unternehmens den Wert des Eigenkapitals zu errechnen. Hierzu wird der Marktwert des Fremdkapitals ermittelt (wozu die Bilanz einen guten Ansatz bietet) und dann vom Gesamtwert abgezogen.

Ist auf diese Weise der Marktwert des Eigenkapitals des (besteuerten und teils fremdfi­ nanzierten) Unternehmens gefunden, können Kennzahlen berechnet werden, so etwa die Dividendenrendite, die Gewinnrendite, die Eigenkapitalquote oder der Verschul­ dungsgrad. Myers’ APV-Ansatz ist unter Praktikern beliebt und anerkannt. Die Berechnung erfolgt intuitiv. – Start ist der Wert des unverschuldeten (und voll besteuerten) Unternehmens. – Dieser Wert wird anhand verschiedener Besonderheiten, die in der Praxis hinzu­ kommen, adjustiert. Der Steuervorteil bei Fremdfinanzierung, der Tax Shield, wird berechnet oder ge­ schätzt. Oft kommen andere Vorteile hinzu, die weitere Adjustierungen erlauben. So gibt es einen weiteren Shield, falls die Unternehmung Subventionen erhält. Ein zusätzlicher Shield ist gerechtfertigt, wenn das Unternehmen in einem Land Arbeits­ platz-Förderungsprogramme, gut bezahlte Aufträge oder sonstige Vorzüge zugewie­ sen bekommt. Der Ausweis der Basis und der verschiedenen Adjustierungen bereitet die Entscheidung vor: 1. Soll eine Niederlassung in einem Land errichtet werden oder nicht? 2. Soll Fremdkapital eingesetzt werden oder nicht? 3. Möchte man an einem Förderprogramm teilnehmen und die dazu verlangten Be­ dingungen erfüllen oder nicht? Kapitel 5.1 in Kürze Modigliani und Miller (MoMi) haben gezeigt, unter welchen Bedingungen der Wert eines Unterneh­ mens nicht davon abhängt, wie es finanziert ist. Die Voraussetzungen sind – ein perfekter Finanzmarkt (vollkommene Information, keine Transaktionskosten, alle Teilnehmer sind Preisnehmer) – eine Finanzierung, die keine Rückwirkung auf Produktion und Absatz hat. – als finanzierungsneutral angenommene Steuern. MoMi sind auch darauf eingegangen, welche Auswirkungen die tatsächliche Besteuerung hat. Der APV-Ansatz von Myers zeigt, wie der Gesamtwert eines Unternehmens angesichts nicht finanzierungs­ neutraler Steuern rechnerisch bestimmt werden kann: Zum Wert des Unternehmens, ermittelt in der Annahme es wäre voll eigenfinanziert, wird der Tax Shield hinzuaddiert.

188 | 5 Modul: Kapitalstruktur Fragen zu Kapitel 5.1 1. 2. 3.

Welche vier Thesen haben Modigliani und Miller in ihrem Aufsatz 1958 aufgestellt? Ein Unternehmen muss in der nächsten Zeit Zinszahlungen von rund 150 Tsd. Euro pro Jahr zahlen. Geben Sie eine (grobe) Schätzung des Tax Shields ab.⁷ In Kapitel 5.1 wird ein Zahlenbeispiel zur Veranschaulichung des APV-Ansatzes genannt. Welche Zahlen ergeben sich, wenn das Eigenkapital in der Annahme, das Unternehmen wäre voll eigen­ finanziert, nicht 4.000 sondern 6.000 Tsd. Euro beträgt (und alle anderen Größen unverändert bleiben)?

5.2 Wert des Eigenkapitals 5.2.1 Steuern und volle Eigenfinanzierung Der (ökonomische) Wert einer Sache ist der Preis, den sie in einem perfekten Markt hätte (der vielleicht zum Zweck der Bewertung angenommen wurde). Beteiligungsti­ tel eines Unternehmens werden von Investoren gehandelt. In ihrer preisbestimmen­ den Mehrheit achten Investoren auf die zukünftigen Rückflüsse, die sie aufgrund ei­ ner Finanzinvestition erhalten. Folglich ist der Wert eines vollständigen eigenfinan­ zierten Unternehmens durch die Rückflüsse an die Eigenkapitalgeber bestimmt. Es ist der Wert, den diese Rückflüsse im Finanzmarkt haben. Der Wert errechnet sich also durch Diskontierung aller zukünftigen Rückflüsse, welche die Aktionäre aus ihrer Be­ teiligung erwarten. Dabei legen sie allgemeine und daher typische Informationen und übliche Verhältnisse zugrunde. Wie wird für den APV-Ansatz der Unternehmenswert bestimmt, wenn angenom­ men wird, das Unternehmen wäre vollständig eigenfinanziert und müsste daher ent­ sprechend hohe Steuern entrichten? Für eine Bewertung müssen die Rückflüsse pro­ gnostiziert und diskontiert werden. Als Rückflüsse können die Gewinne nach Steuern verwendet werden. Für das unverschuldete Unternehmen sind sie gleich EBIT ⋅ (1 − s), wobei s den Satz der Gewinnsteuern bezeichnet. Die Diskontierung wird mit der Rendite vorgenommen, welche die Eigenkapital­ geber als marktgerecht ansehen. Das ist die Eigenkapitalrendite des (angenommen) unverschuldeten Unternehmens, bezeichnet mit rEK, L=0 . Folglich ist der für den APVAnsatz verlangte Wert des unverschuldeten Unternehmens so bestimmt: EKL=0 =

EBITt=1 ⋅ (1 − s) EBITt=2 ⋅ (1 − s) EBITt=3 ⋅ (1 − s) + + +... 2 3 (1 + rEK, L=0 ) (1 + rEK, L=0 ) (1 + rEK, L=0 )

(5.5)

7 Dazu muss die Steuerquote bekannt sein. Das könnten 30 % sein. Außerdem muss für eine Kapi­ talisierung als unendliche Reihe der Satz bekannt sein, mit dem kapitalisiert werden kann. Sicher unterliegen die Steuerersparnisse noch gewissen Schwankungen, weshalb hierfür 10 % angemessen sein können.

5.2 Wert des Eigenkapitals

| 189

Für die Bewertung ist unwichtig, ob die versteuerten Gewinne tatsächlich vollstän­ dig ausgeschüttet werden oder nicht, denn nach der MoMi-These der Irrelevanz der Dividendenpolitik führen alle Ausschüttungspolitiken auf denselben Wert. Ohnehin ist auch die Unterstellung, das Unternehmen verwende kein Fremdkapital, Fiktion, und auch diese Annahme so möglich. Für die Verwendung des EBIT in der Bewertung spricht, dass diese Größen in der Praxis gut geplant und für die kommenden Jahre prognostiziert werden können. Oft wird die unendliche Reihe (5.5) als gleichförmig wachsend unterstellt, was auf eine besonders einfache Formel für die unendliche Summe führt. Die im Zähler stehende Größe für das kommende Jahr EBITt=1 ⋅ (1 − s) wird mit dem Eigenkapital­ kostensatz kapitalisiert. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Reihe etwas wachsen wird. Wenn die Gewinne abfließen, dann wird zwar kein Gewinnteil einbe­ halten, der für zusätzliche, innenfinanzierte Investitionen verwendet werden kann. Doch es dürfte noch ein natürliches Wachstum geben, ein organisches Wachstum. Die Rate des organischen Wachstums ist mit gorg bezeichnet. Folglich ist der gesuchte Wert des Eigenkapitals so gegeben: EKL=0 = – – –

EBITt=1 ⋅ (1 − s) rEK,L=0 − gorg

(5.6)

In dieser Formel kommt es nur auf das EBIT des kommenden Jahres an. Die Rate des organischen Wachstums wird geschätzt. Dafür gibt es für jede Bran­ che Erfahrungswerte. Für die Ermittlung der marktgerechten Eigenkapitalrendite (des für die Bewertung als unverschuldet angenommenen Unternehmens) ist ein Modell verlangt, das die zu erwartenden Renditen als Funktion der Risiken beschreibt. Best Practice ist, dafür das Capital Asset Pricing Model (CAPM) heranzuziehen.

Unter Umständen ist die so bestimmte Eigenkapitalrendite geringer als die an der Bör­ se beobachteten historischen Durchschnitte für Aktienrenditen, denn die hier benö­ tigte Eigenkapitalrendite bezieht sich auf die Fiktion, das Unternehmen sei unver­ schuldet. Die von den Medien berichteten historischen Eigenkapitalrenditen beziehen sich hingegen auf Unternehmen mit der Verschuldung, die sie tatsächlich haben, und diese sind durch den Leverage-Effekt etwas größer. Beispiel Eine GmbH soll im nächsten Jahr ein EBIT in Höhe von 10 Mio. Euro aufweisen. Wäre das Unternehmen vollständig mit Eigenkapital finanziert und müsste (entsprechend hohe) Gewinnsteuern bezahlen, verblieben als Gewinn nach Steuern 7 Mio. Euro. Ein Unternehmen dieser Art würde aufgrund der Inflation und sonstiger „natürli­ cher“ Entwicklungen im Jahr mit einer Rate von 2 % wachsen. Aufgrund der Risiken würden die Eigenkapitalgeber eine Rendite von 9 % als marktgerecht erwarten, wäre

190 | 5 Modul: Kapitalstruktur

das Unternehmen unverschuldet. Das Unternehmen hätte demnach den Wert von 100 Mio. Euro, wäre es unverschuldet. Nun hat das Unternehmen tatsächlich 50 Mio. Euro Fremdkapital. Der Zins beträgt 6 % weshalb im Jahr 3 Mio Euro Zinsen gezahlt werden. Dadurch werden 1 Mio. Euro Steuern gespart. Kapitalisiert ergibt dies einen Tax Shield von geschätzt 15 Mio. Euro. Somit ergibt sich als Gesamtwert des Unternehmens nach dem APVAnsatz 115 Mio. Euro. Wird davon das Fremdkapital (50 Mio. Euro) abgezogen, ergibt sich als Marktwert des Eigenkapitals 65 Mio. Euro. Die Gesellschafter sind zufrieden, denn sie sprechen von einer tatsächlichen Gewinnrendite, die nach Steuern etwas über 10 % liegt. Der APV-Ansatz vom Myers ist ein praxisnaher Zugang, um den Gesamtwert eines verschuldeten Unter­ nehmens zu bestimmen. Der APV-Ansatz unterstellt zum Zwecke der Bewertung, das Unternehmen sei unverschuldet, müsse indes Steuern zahlen. Zusätzlich wird der Steuervorteil (Tax Shield) geschätzt, der sich aus dem Einsatz von Fremdkapital ergibt. Beides addiert liefert den Gesamtwert des ver­ schuldeten und besteuerten Unternehmens. Unter Kenntnis des Wertes des Fremdkapitals folgt dar­ aus durch Differenz der Wert des Eigenkapitals des Unternehmens, das ja tatsächlich verschuldet ist. Dass die getroffenen fiktiven Annahmen überhaupt auf den richtigen Unternehmenswert führen, zei­ gen die MoMi-Thesen. Nach diesen Thesen entsteht kein anderer Wert, wenn die Finanzierung variiert wird. Daher kann eine Bewertung anhand der Realität oder anhand einer Fiktion vorgenommen wer­ den. Dies ist die große praktische Bedeutung der MoMi-Thesen.

5.2.2 Flow-to-Equity-Ansatz Neben dem APV-Ansatz wurden verschiedene weitere Ansätze zur Bewertung besteu­ erter Unternehmen entwickelt. Hierbei treten zwei Ansätze in den Vordergrund, der Flow-to-Equity-Ansatz und der Total-Cashflow-Ansatz. Der Flow-to-Equity-Ansatz (FTE-Ansatz) zielt zunächst darauf ab, direkt das Ei­ genkapital des teils fremdfinanzierten und besteuerten Unternehmens zu bestimmen. Anschließend wird der Gesamtwert des Unternehmens ermittelt, indem der Wert des Fremdkapitals hinzuaddiert wird. Der Wert des Eigenkapitals eines teils fremdfinan­ zierten und besteuerten Unternehmens ist aus zwei Gründen verschieden von dem bereits betrachteten Wert eines unverschuldeten und besteuerten Unternehmens, der im APV-Ansatz verwendet wird. 1. Den Eigenkapitalgebern fließen geringere Rückflüsse zu, wenn aus den Ergebnis­ sen von Produktion und Absatz auch Zinsforderungen der Fremdkapitalgeber zu erfüllen sind. 2. Die Eigenkapitalrendite ist bei Einsatz von Fremdkapital riskanter. Das Fremd­ kapital übernimmt primär kein Risiko, weshalb das (durch die Finanzierung un­ veränderte) unternehmerische Risiko von weniger Eigenkapital getragen werden muss. Folglich ist eine höhere Renditeerwartung für das Eigenkapital des teils fremdfinanzierten Unternehmens marktgerecht.

5.2 Wert des Eigenkapitals |

191

Diese beiden Unterschiede sind in Formel (5.7) berücksichtigt, wobei nun im Nenner die (höhere) Eigenkapitalrendite des verschuldeten Unternehmens steht. ∞

(EBITt − Zinsent ) ⋅ (1 − s) (1 + rEK )t t=1

EKL=0 = ∑

(5.7)

An der Formel ist zu sehen, dass wir für die Diskontierung aller zukünftigen Rückflüs­ se dieselbe Rendite oder denselben Eigenkapitalkostensatz verwenden. Das ist selbst­ verständlich nur dann gerechtfertigt, wenn sich die Risiken zukünftiger Ergebnisse nicht ändern. Insbesondere lautet die unterstellte Annahme, dass sich die Eigenkapi­ talrendite nicht dadurch ändert, dass sich die Fremdfinanzierung im Zeitverlauf än­ dert. Denn mit dem Leverage-Effekt wird nicht nur die Eigenkapitalrendite gehebelt, auch das Risiko steigt mit dem Verschuldungsgrad. Ist der Verschuldungsgrad aber va­ riabel, sind Verfeinerungen verlangt.⁸ Als Komplikation kann hinzu kommen, dass die zukünftige Verschuldung sich nicht nur verändert, sondern unsicher ist. Dann kommt dadurch eine weitere Unsicherheit ins Spiel.⁹ Wir gehen dem hier nicht weiter nach. Stattdessen suchen wir noch nach einer Vereinfachung von (5.7) und treffen dazu zwei weitere Annahmen. Erstens soll sich das Unternehmen den zukünftigen Jahren gleichförmig weiterentwickeln. Zweitens soll auch bei Vollausschüttung der Gewinne noch ein natürliches Wachstum eintre­ ten. Dann ist der Wert des Eigenkapitals des teils fremdfinanzierten und besteuerten Unternehmens wie folgt gegeben: EKL=0 =

(EBITt=1 − Zinsent=1 ) ⋅ (1 − s) rEK − gorg

(5.8)

Wie schon in (5.6) bezeichnet gorg die Rate organischen Wachstums. Aufmerksamkeit verlangen die Eigenkapitalkosten, denn die Größe rEK in (5.7) und (5.8) unterscheiden sich von den Eigenkapitalkosten rEK, L=0 in den Formeln (5.5) und (5.6) zuvor. Denn in (5.7) und (5.8) handelt es sich um die Eigenkapitalkosten des teils verschuldeten Unternehmens. Sie sind daher höher als jene, die in (5.5) und (5.6) verwendet werden. Zum Wert des Eigenkapitals des teils fremdfinanzierten und besteuerten Unter­ nehmens (5.7) beziehungsweise (5.8) kann nun der Wert des Fremdkapitals FK(L) ad­ diert werden. Das Resultat ist der Gesamtwert des teils fremdfinanzierten und besteu­ erten Unternehmens GK(L) = EKL=0 + FK(L) (5.9) Der Wert des Fremdkapitals wird getrennt bestimmt. In einfachen Fällen ist dieser Wert gleich der diskontierten Höhe der nominalen Forderungen der Fremdkapitalge­ ber und kann der Bilanz entnommen werden. 8 Andreas Grüner und Fabian Schönenberger: Risk Cluster Framework – How to analyse Companies by Operating Leverage. Journal of Business Management and Administration Affairs 1 (2017) 12, S. 1–6. 9 Frank Richter: Unternehmensbewertung bei variablem Verschuldungsgrad. Zeitschrift für Bank­ recht und Bankwirtschaft 10 (1998), S. 379–389.

192 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Doch in besonderen Fällen sind zusätzliche Aspekte wertbestimmend. Beispiels­ weise könnten die Fremdkapitalgeber Wahlrechte haben, wie etwa bei Wandelanlei­ hen. Dann erhöhen die Werte der Optionen die Verpflichtungen des Unternehmens. Hinzu kommt, dass Banken bei der Kreditvergabe oftmals auf zusätzliche Vertrags­ punkte bestehen, die ihnen in Situationen finanzieller Anspannung weitergehende Rechte einräumen. Sie werden als Kreditkonvenanten bezeichnet und auch sie erhö­ hen den Marktwert des Fremdkapitals. Eine weitere Komplexität bei der Marktbewer­ tung des Fremdkapitals geht von Kreditrisikoprämien aus, durch die der für einen Kre­ dit zu zahlende Gesamtzins den Marktzinssatz übersteigt. Das Fremdkapital markt­ gerecht zu bewerten, verlangt mithin komplexere Ansätze. Doch hier fahren wir mit der Vorstellung fort, die Bilanz zeige den Wert des Fremdkapitals für den Zweck der Unternehmensbewertung genau genug.

5.2.3 Capital Asset Pricing Model und Leveraging Für die Ermittlung der Höhe der Eigenkapitalkosten als marktübliche Renditeerwar­ tung wird ein Modell herangezogen, das die Verhältnisse im Finanzmarkt beschreibt. Üblich und Best Practice ist es, das Capital Asset Pricing Model (CAPM) zu verwen­ den. Das CAPM ist eng mit der Modernen Portfoliotheorie verknüpft. Harry M. Marko­ witz betrachtete eine Situation, in der einem Finanzinvestor verschiedene risikobehaf­ tete Anlagemöglichkeiten zur Verfügung stehen, auf die der anzulegende Geldbetrag verteilt werden kann.¹⁰ Bereits im Talmud ist empfohlen, dabei auf Diversifikation zu achten. Markowitz hat gezeigt, wie Portfolios mit bester Diversifikation mathematisch charakterisiert und berechnet werden können. Dazu hat Markowitz die risikobehafteten Anlagemöglichkeiten durch ihre unsi­ cheren Renditen beschrieben. Weiters hat er jede der unsicheren Renditen erstens durch ihren jeweiligen Erwartungswert, die Renditeerwartung (kurz: Return), be­ schrieben sowie zweitens durch ihre Standardabweichung (Risk). Drittens müssen die Korrelationskoeffizienten gegeben sein. Denn sie bestimmen, wie deutlich Risi­ ken im Portfolio durch Ausgleich nicht gleichgerichteter Renditeschwankungen zum Verschwinden gebracht werden können, eben durch Diversifikation. James Tobin (1918–2002)¹¹ erweitere diese Grundlagen der Portfolioselektion, in­ dem er zusätzlich eine sichere Anlage (zum Zinssatz rf , wobei der tiefgestellte Index auf free of risk verweist) als möglich betrachtete. Dann, so zeigt die Mathematik, läuft alles auf ein einziges, am besten diversifiziertes Portfolio hinaus. Es ist das Markt­ portfolio und hat den mit rM bezeichneten Return und das mit σM bezeichnete Risk. In der Realität der Finanzmärkte wird der Marktindex als Proxy für das Marktportfolio

10 Harry Markowitz: Portfolio Selection. Journal of Finance (1952), Volume 7, Issue 1, S. 77–91. 11 James Tobin: Liquidity preference as behavior towards risk, The Review of Economic Studies (1958), 25, 65–86.

5.2 Wert des Eigenkapitals | 193

genommen. William Sharpe¹² und in etwa zeitgleich andere Forscher konnten zeigen, dass alle Einzelanlagen mit ihren Parametern in einer bestimmten Beziehung zum Marktportfolio stehen. Für jede Einzelanlage k mit Return rk und Risk σk gilt rk = βk ⋅ (rM − rf ) + rf

(5.10)

Dabei ist das sogenannte Beta βk der Quotient: βk =

σk ⋅ ρk,M σM

(5.11)

Weiter ist ρk,M der Koeffizient, der die Korrelation zwischen der Rendite der Einzel­ anlage und der des Marktportfolios ausdrückt. Die Differenz rM − rf wird auch als Ri­ sikoprämie des Marktportfolios bezeichnet. Dass diese Prämie positiv ist, erklärt sich aus dem Sachverhalt, dass sich nicht sämtliche Renditeschwankungen durch Di­ versifikation gegenseitig ausgleichen. Die preisbestimmende Mehrheit der Finanzin­ vestoren gibt daher der risikofreien Anlage zum Zinssatz den Vorzug vor dem Markt­ portfolio. Ohne diese Risikoprämie würde niemand seine Mittel in das Marktportfolio anlegen. Empirische Prämien, ermittelt aus historischen Daten für die an Börsen ge­ handelten Aktien, liegen bei 4 % bis 5 %.¹³ Die Beziehung (5.10) mit (5.11) ist das CAPM. Würde eine Einzelanlage das CAPM nicht erfüllen, etwa weil ihr Return geringer ist, dann würde sie von den Investoren gemieden. An der Börse würde der Aktienkurs so lange fallen, bis die auf den geringeren Kurs bezogene Renditeerwartung wieder das CAPM erfüllt.

Natürlich wurde oft empirisch überprüft, wie gut das CAPM die Wirklichkeit der Ak­ tienbörsen beschreibt. Die empirische Evidenz ist gemischt. Die Wirklichkeit ist kom­ plexer ist als ein Modell, das auf einfachen Annahmen beruht. Zwar wurden Verfeine­ rungen entwickelt, die mehrere Risikoarten oder Faktoren zur Erklärung des Returns heranziehen, während das CAPM als einzigen Risikofaktor die durch Beta gemessene Stärke der Variation mit dem Marktportfolio betrachtet.¹⁴ Dennoch ist das CAPM Best Practice für die Ermittlung von Eigenkapitalkosten. Um mit dem CAPM die Renditeerwartung einer einzelnen Anlagemöglichkeit zu ermitteln, muss zu­ nächst ihr Beta bestimmt sein. Das verlangt mehrere Schritte: 1. Man muss wissen, welcher Markt (die sonstigen Anlagemöglichkeiten) zugrunde gelegt ist. 2. Welche Zahlenwerte haben die Parameter Return und Risk für das Marktportfolio?

12 William F. Sharpe: Capital asset prices: A theory of market equilibrium under conditions of risk, Journal of Finance (1964), 19 (3), 425–442. 13 Vergleiche Manuel Ammann und Michael Verhofen: Wie hoch ist die zukünftige Marktrisikoprä­ mie? Schweizer Personalvorsorge. 3 (2004), S. 23–25. 14 Beatrice Bieri und Klaus Spremann: Erklärt das Zyklusbeta Aktienrenditen? Kredit und Kapital, 43 (2010) 1, S. 125–147.

194 | 5 Modul: Kapitalstruktur

3. 4.

Es muss bekannt sein, wie hoch der Zinssatz ist. Das Risk der betrachteten Einzelanlage (also die Standardabweichung ihrer Rendite) muss be­ kannt sein.

Das CAPM kann auch für die Berechnung der Renditeerwartung beim Eigenkapital ei­ nes Unternehmens verwendet werden, wenn sich dessen Kapitalstruktur ändert. Die­ se Umrechnungen werden als Leveraging beziehungsweise Unleveraging bezeich­ net. Man betrachte also ein Unternehmen, was heißen soll, dass man die Vermögens­ positionen (Assets), die Produktion und den Absatz als vorgegeben betrachtet. Zwei Kapitalstrukturen werden untersucht, eine habe die Eigenkapitalquote qA , die andere die Eigenkapitalquote qB . Dann gilt für die ihnen entsprechenden Eigenkapitalrendi­ ten: qB rA = ⋅ (rB − rf ) + rf (5.12) qA Beispiel Ein Unternehmen habe die Eigenkapitalquote 1/2 und bezogen auf diese ein Beta von 1,25. Die Risikoprämie des Marktportfolios sei 4 % und der Marktzinssatz 6 %. Zu­ nächst errechnet sich die Eigenkapitalrendite (bezogen auf die genannte Eigenkapi­ talquote) nach dem CAPM zu = 1,25 ⋅ 0,04 + 0,06 = 11 %. Nun wird nach der Eigen­ kapitalrendite gefragt, die einer Kapitalstruktur mit einer Eigenkapitalquote von 1/3 entspräche. Nach (5.11) ist diese Eigenkapitalrendite durch 1,5 ⋅ 1,25 ⋅ 0,04 + 0,06 = 13,5 % bestimmt. Kapitel 5.2 in Kürze –





Zwei Wege bieten sich an, um den Wert des Eigenkapitals zu berechnen. Ein erster Weg folgt der Fiktion vollständiger Eigenfinanzierung. Dieser Wert wird für den APV-Ansatz benötigt. Der Gesamtwert des Unternehmens entsteht, indem zum Wert (unter der Fiktion vollständiger Eigen­ finanzierung) der Tax Shield hinzuaddiert wird. Der zweite Weg folgt dem Ansatz des Flow to Equity. Dabei ist zu beachten: Der Wert des Eigenkapitals ist im FTE-Ansatz aus zwei Gründen verschie­ den von dem bereits betrachteten Wert eines unverschuldeten und besteuerten Unternehmens, der im APV-Ansatz verwendet wird. Denn erstens fließen den Eigenkapitalgebern geringere Rückflüsse zu, wenn aus den Ergebnissen von Produktion und Absatz auch Zinsforderungen der Fremdkapitalgeber zu erfüllen sind. Zweitens ist die Eigenkapitalrendite bei Einsatz von Fremdkapital riskanter, denn das unternehmerische Risiko wird von weniger Eigenkapital getra­ gen. Folglich ist eine höhere Renditeerwartung für das Eigenkapital des teils fremdfinanzierten Unternehmens marktgerecht. Der FTE-Ansatz führt ebenso leicht wie der APV-Ansatz zum Gesamtwert des Unternehmens, nur wird beim FTE-Ansatz nicht der Tax Shield, sondern der Marktwert des Fremdkapitals addiert. Ein Thema beider Wege ist die Frage, wie die Eigenkapitalkosten bestimmt werden können. Dazu wird Blick auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM) geworfen. Außerdem wird die Formel für die Umrechnung der Eigenkapitalrendite auf eine andere Kapitalstruktur (Leveraging, Unleveraging) dargestellt.

5.3 Wert des Gesamtkapitals |

195

Fragen zu Kapitel 5.2 1.

2.

3.

Für eine GmbH sollte der Gewinn im kommenden Jahr 400 Tsd. Euro betragen, wovon 120 Tsd. Eu­ ro als Gewinnsteuern abgehen würden, wenn die Firma voll eigenfinanziert wäre. Die GmbH wächst weiterhin gleichmäßig, und die Rate organischen Wachstums ist 3 %. a. Wie hoch ist der Unternehmenswert, wenn die GmbH voll eigenfinanziert ist? Rechnen Sie mit Eigenkapitalkosten von 10 % unter der Annahme vollständiger Eigenfinanzierung. Nun hat die GmbH tatsächlich 3.000 Tsd. Euro Fremdkapital aufgenommen. Der Tax Shield wird mit 1.500 Tsd. Euro geschätzt. b. Ermitteln Sie den Gesamtwert nach dem APV-Ansatz. Die Risikoprämie des Marktportfolios betrage 4 %, 5 % sei der Marktzinssatz. Ein unverschulde­ tes Unternehmen habe Eigenkapitalkosten von 8 %. a. Wie hoch ist das Beta dieses Unternehmens? Nun stellt sich heraus, dass die Firma doch Fremdkapital verwendet. Mit dem APV-Ansatz wurde für sie ein Gesamtwert von 5.500 Tsd. Euro ermittelt. Da das Fremdkapital 3.000 Tsd. Euro beträgt, ist der Wert des Eigenkapitals 2.500 Tsd. Euro. Die Eigenkapitalquote beträgt demnach 45,5 % b. Ermitteln Sie durch Leveraging die Eigenkapitalkosten. Für eine teils fremdfinanzierte GmbH hat im kommenden Jahr das EBIT in Höhe von 550 Tsd. Euro, wobei 150 Tsd. Euro Zinsen sind. Die Quote der Gewinnbesteuerung ist 46,25 %. Der Satz der Eigenkapitalkosten für die (teils fremdfinanzierten) Firma ist 11,6 %. Wie hoch ist der Wert des Eigenkapitals nach dem FTE-Ansatz? Rechnen Sie mit gleichmäßigem Wachstum und einer Rate organischen Wachstums von 3 %.

5.3 Wert des Gesamtkapitals Der Flow-To-Equity-Ansatz (siehe Kap. 5.2) liefert den Gesamtwert des Unternehmens in zwei Schritten: Zum Eigenkapitalwert des besteuerten und teils fremdfinanzierten Unternehmens wird der separat ermittelte Wert des Fremdkapitals addiert. Der jetzt zu behandelnde Total-Cashflow-Ansatz (TCF) zielt hingegen direkt auf den Gesamtwert des besteuerten und teils fremdfinanzierten Unternehmens ab, ohne dass zuvor der Wert des Eigenkapitals bestimmt wird.

5.3.1 Total-Cashflow-Ansatz Im TCF-Ansatz werden die totalen Rückflüsse diskontiert, die an die Kapitalgeber insgesamt fließen. Der TCF-Ansatz betrachtet Eigen- und Fremdkapitalgeber als ei­ ne Gruppe. In Bezug auf das EBIT als Ergebnisgröße handelt es sich dabei um das EBIT nach Abzug der Steuern. Die Diskontierung wird mit einer mittleren Rendite vor­ genommen, mit einem durchschnittlichen Kapitalkostensatz, mit der die Ansprüche der vereinheitlicht gesehenen Gruppe von Kapitalgebern vom Unternehmen bedient werden müssen. Zunächst zu den totalen Rückflüssen. Sie sind gleich dem EBIT abzüglich der Steu­ ern. Würde man die Steuern mit s ⋅ EBIT gleichsetzen, s ist der Steuersatz, dann wären sie zu hoch bemessen. Denn die im EBIT enthaltenen Zinsen bleiben beim Unterneh­

196 | 5 Modul: Kapitalstruktur men unversteuert. Die Steuern betragen s ⋅ EBIT − s ⋅ Zinsen. Bei dieser Totalbetrach­ tung wird das EBIT insgesamt mit dem Satz s besteuert. Anschließend gibt es eine Steuergutschrift in Höhe des s-fachen Betrags der Zinsen. Deshalb sind bei dem Be­ wertungsansatz als Rückflüsse an alle Kapitalgeber die Größen (1− s)⋅EBIT + s⋅Zinsen zukünftiger Jahre zu nehmen. Diese Größen müssen sodann diskontiert werden. Um die in den Zählern der Brüche stehenden Größen zu vereinfachen, haben James A. Miles und John R. Ezzell 1980¹⁵ gezeigt, dass nachstehende Vorgehensweise möglich ist und zum korrekten Ergebnis führt: Die eben angesprochene Steuergutschrift wird nicht im Zähler, sondern im Nen­ ner der Brüche berücksichtigt, also in den durchschnittlichen Kapitalkosten, denn die Steuergutschrift wirkt sich so aus, als ob der zu zahlende Zinssatz um das s-fache ge­ ringer wäre. Damit sind die durchschnittlichen Kapitalkosten wie folgt bestimmt: WACC = L ⋅ rEK + (1 − L) ⋅ (1 − s) ⋅ rFK =

EK FK ⋅ rEK + ⋅ (1 − s) ⋅ rFK (5.13) EK + FK EK + FK

Der Gesamtwert des teils fremdfinanzierten und besteuerten Unternehmens ist nach diesem Total-Cashflow-Ansatz gegeben durch: ∞

(1 − s) ⋅ EBITt (1 + WACC)t t=1

GK = ∑

(5.14)

Hier eine Geschichte, die veranschaulicht, dass dieser Weg der Verkleinerung von Zäh­ ler und Nenner funktioniert und auf den korrekten Gesamtwert führt: In Ruritanien gibt es (wie überall auf der Welt) eine nicht finanzierungsneutrale Besteuerung der Unternehmen. Zinsen gelten als Aufwand und unterliegen nicht der Besteuerung. Doch die Steuerbeamten in Ruritanien halten sich nicht an das Gesetz. Sie ge­ hen zu jedem Unternehmen und verlangen, dass das Gesamtergebnis EBIT versteuert wird, ungeachtet der Frage, ob Fremdkapital eingesetzt wird oder nicht. Den Mana­ gern bleibt trotz Protest nichts anderes übrig, als EBIT voll zu versteuern. Die Zah­ lungsüberschüsse zugunsten aller Financiers sind also nur (1 − s) ⋅ EBIT. Die Manager vermuten, dass die Steuerbeamten die um Zinsen ⋅ s zu viel erhobe­ ne Steuer in private Taschen abzweigen. Sie erheben Klage. Doch die Steuerbehörde entgegnet: „Wir überweisen den zu viel erhobenen Betrag Zinsen ⋅ s an die Banken.“ Aufgrund dieser Auskunft wenden sich die Manager an die Banken, weil es ihrer Ver­ mutung nach dort zur ungesetzlichen Bereicherung kommt. Doch die Banker winken ab: „Der Betrag, den wir vom Finanzamt erhalten, ver­ schwindet nicht in Bonuszahlungen. Wir zahlen den Betrag schnell dem betreffenden

15 James A. Miles und John A. Ezzell: The Weighted Average Cost of Capital, Perfect Capital Markets, and Project Life: A Clarification, in: Journal of Financial and Quantitative Analysis (1980), S. 719–730.

5.3 Wert des Gesamtkapitals |

197

Unternehmen zurück. Das machen wir in der Form, dass wir den Zinssatz, den die Unternehmen für Fremdkapital entrichten müssen, von r0 auf r0 ⋅ (1 − s) reduzieren.“ Da nirgendwo auch nur ein Cent verloren geht, muss der Unternehmenswert bei diesem ungewöhnlichen Gebaren der Beteiligten genauso hoch sein, wie wenn ers­ tens genau nach Gesetz besteuert würde, und zweitens die Banken den Zinssatz r0 verlangen würden. Die Miles-Ezzell-Formel (5.14), wie sie auch genannt wird, ist in der Praxis weit­ hin anerkannt. Sie verwendet Größen, die in der Praxis gut bestimmt werden kön­ nen.¹⁶ Allerdings muss man sehen, dass bereits das Konzept der gewichteten durch­ schnittlichen Kapitalkosten gewisse Punkte mit sich bringt, die Aufmerksamkeit ver­ langen. Eine erste Anmerkung dazu betrifft die Formel für die gewichteten durchschnitt­ lichen Kapitalkosten in der Miles-Ezzell-Formel. Diese Formel verwendet die Eigenka­ pitalkosten des teils verschuldeten Unternehmen. Möglicherweise müssen diese Eigenkapitalkosten erst durch Leveraging ermittelt werden, doch das Leveraging setzt wiederum voraus, dass die korrekte Eigenkapital­ quote bekannt ist. Diese ergibt sich erst aus den Marktwerten, die hier berechnet wer­ den. Ebenso werden die Eigen- und die Fremdkapitalquote in der Formel für die Ge­ wichte benötigt, mit denen die Eigenkapitalkosten und die Fremdkapitalkosten zu­ sammengeführt werden. Doch die Marktwerte sind noch nicht bekannt, wenn die durchschnittlichen Kapitalkosten errechnet werden. In beiden Punkten helfen Iterationen. Man beginnt die Bewertung mit einer ange­ nommenen Kapitalstruktur, berechnet den Gesamtwert des Unternehmens und dar­ aus mithilfe des (separat bewerteten) Fremdkapitals den Wert des Eigenkapitals. So erhält man eine schon genauere Eigenkapitalquote. Für sie wird die Bewertung er­ neut vorgenommen und so fort. Wie Beispiele zeigen, genügen zwei oder drei Iterati­ onsschritte bereits, um hinreichend genau an die gesuchten Werte zu gelangen.

5.3.2 Zwei Zahlenbeispiele Ein Zahlenbeispiel unterstreicht die Leistungsfähigkeit des Ansatzes von Miles und Ezzell: Das Beispiel ist so gestaltet, dass die Investition nur bei gewissen Kapitalstruk­ turen vorteilhaft ist.

16 Lutz Kruschwitz und Andreas Löffler: DCF = APV + (FTE & TCF & WACC)? In: Frank Richter, Andreas Schüler und Bernhard Schwetzler (Hrsg.) (2003): Kapitalgeberansprüche, Marktwertorientierung und Unternehmenswert. München: Vahlen, S. 235–254.

198 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Beispiel Ein Konzern plane eine Single Purpose Company (SPC), die von vornherein nur eine kurze Lebensdauer haben wird. Um die SPC in Gang zu bringen, ist eine Anfangszah­ lung in Höhe 24 (Geldeinheit Mio. Euro) verlangt. Die SPC wird durch dieses EBIT für die folgenden drei Jahre beschrieben: 10, 20, 30. Danach ist die SPC wertlos und wird aufgelöst. Der Steuersatz beträgt s = 0,4. Aufgrund der eher hohen Risiken (und ohne Beachtung von Risiken, die mit ei­ ner speziellen Kapitalstruktur verbunden wären), werden die Eigenkapitalkosten mit 20 % veranschlagt, wäre die SPC unverschuldet. Der Zinssatz für Fremdkapital ist rFK = 12 %. Gesucht ist der Wert der SPC in Abhängigkeit von verschiedenen Finanzierungs­ varianten. Wir führen Alternativrechnungen für zwei Situationen vor. – In der ersten ist die SPC unverschuldet. – In der zweiten Kapitalstruktur soll die Verschuldung so eingestellt werden, dass die Eigenkapitalquote 1 : 3 ist und die Fremdkapitalquote folglich 2 : 3. Der Verschuldungsgrad ist folglich L = 2. Für die unverschuldete SPC ist die Fremdkapitalquote gleich 0, die Kapitalkosten sind allein durch die Eigenkapitalkosten bestimmt und gleich 20 % wie angegeben. Der Gesamtwert der drei Rückflüsse nach Steuern beträgt: GKL=0 =

0,6 ⋅ 10 0,6 ⋅ 20 0,6 ⋅ 30 + = 23,75 + 1,20 1,202 1,203

Da die Errichtung der SPC aber 24 Mio. Euro kostet, ist sie nicht vorteilhaft, sofern sie vollständig mit Eigenmitteln finanziert würde. Nun zur Kapitalstruktur, bei der 1 Teil Eigenkapital und 2 Teile Fremdkapital kom­ biniert werden. Zunächst ist zu bedenken, dass die von Eigenkapitalgebern erwartete Rendite höher ist, weil die Eigenkapitalrendite beim Einsatz von Fremdkapital riskan­ ter ist. Bezogen auf die risikofreie Anlage (Fremdkapital) von 12 % hatte die unver­ schuldete SPC für einen Eigenkapitalgeber eine Prämie von 8 % bereitzustellen. Jetzt sollen dieselben Risiken von nur 1/3 soviel Eigenkapital getragen werden. Das heißt, das Eigenkapital der verschuldeten SPC muss den Trägern des Risikos eine Rendite von 24 % plus Fremdkapitalzins bieten, also 36 %. Damit können die durchschnittli­ chen Kapitalkosten gemäß (5.13) ermittelt werden. Sie ergeben sich aus 1/3 von 36 % plus 2/3 von 12 % multipliziert mit 1 − s. Die WACC sind demnach WACC =

1 2 0,36 + (1 − 0,4) ⋅ 0,12 ⋅ rEK, L=2 + ⋅ (1 − s) ⋅ rFK = = 14,4 % 3 3 3

Nun kann diskontiert werden: 0,6 ⋅ 10 0,6 ⋅ 20 0,6 ⋅ 30 + GKL=2 = + = 26,44 1,144 1,1442 1,1443 Weil anfänglich 24 Mio. Euro verlangt sind, um die SPC zu gründen, ist sie vorteilhaft, doch eben nur, wenn hinreichend viel Fremdkapital eingesetzt wird.

5.3 Wert des Gesamtkapitals |

199

Nach den beiden gebrachten Anmerkungen soll noch ein dritter Punkt beleuchtet werden. Dieser Punkt betrifft den Sachverhalt, dass mit einem Mittelwert diskontiert wird. Um den Punkt besser zu sehen, sei ein Zahlenbeispiel vorgeführt. Beispiel Man stelle man sich vor, jemand lege 100 Geldeinheiten in Aktien mit 10 % Rendi­ te und nochmals 100 Geldeinheiten in ein Sparbuch mit 2 % Rendite an, und zwar auf zwei Jahre. Die durchschnittliche Jahresrendite beträgt also 6 %. Ungeachtet jeder Rechnung ist klar, dass der Gegenwartswert der Rückflüsse gleich 200 ist. Nach zwei Jahren der Anlage ist der Gesamtwert des Portfolios – keine Entnahmen oder Ausschüttungen zwischendurch – von anfänglich 200 auf 121,00 + 104,04 = 225,04 gewachsen. Wird dieses Anlageergebnis dann in zwei Jahren voll entnommen, errechnet sich nach der Diskontierung mit der mittleren Rendite von 6 % ein Barwert von 225,04/1,1236 = 200,3 Geldeinheiten. Das ist nicht genau der korrekte Barwert von 200. Jedoch ist die anhand eines durchschnittlichen Kapitalkostensatzes vorgenomme­ ne Bewertung nicht immer falsch. In gewissen Situationen ist sie durchaus exakt. Da­ zu gehört die Situation, in denen der Wert des Unternehmens (angesichts der fiktiven Rückflüsse an die Kapitalgeber) sich über die Jahre hinweg nicht (beziehungsweise kaum) verändert. Und das ist der Fall, wenn in den dem Bewertungsmodell zugrunde liegenden Rückflüssen das EBIT (nach Steuern) gewählt wird.¹⁷ Kapitel 5.3 in Kürze –

– –

Auf den dargestellten Wegen (APV-Ansatz, Flow to Equity) konnte in zwei Stufen aus dem jeweils erhaltenen Eigenkapitalwert auch der Gesamtwert des Unternehmens ermittelt werden. Beim APV-Ansatz wird zum Eigenkapitalwert (des angenommen vollständig eigenfinanzierten Unter­ nehmens) der Tax Shield hinzuaddiert. Beim Flow to Equity wird zum Eigenkapitalwert der se­ parat zu ermittelnde Marktwert des Fremdkapitals addiert. Daneben bestehen auch Ansätze zur direkten Berechnung des Gesamtwerts des (besteuerten und teils fremdfinanzierten Unterneh­ mens). Sie gehen erstens von den Rückflüssen aus, die an die zusammengefasste Gruppe aller Kapitalgeber gehen. Diese Rückflüsse werden mit einem durchschnittlichen Kapitalkostensatz diskontiert. Es wird vom Total-Cashflow-Ansatz gesprochen. Eine besondere und praktisch gut handhabbare Variante des Total-Cashflow-Ansatzes geht auf Miles und Ezzell (1980) zurück. Sie schlagen vor, die Tatsache der Steuerbefreiung von Rück­ flüssen an die Fremdkapitalgeber nicht in den Zählern der Brüche in der Bewertungsformel zu berücksichtigen, sondern stattdessen in den Nennern.

17 Christian Krause: Verallgemeinerte Zusammenhänge von Kapitalkosten im Discounted Cash-flowVerfahren. Finanz Betrieb 11 (2006), S. 710–715.

200 | 5 Modul: Kapitalstruktur Fragen zu Kapitel 5.3 1.

2.

3.

Das EBIT eines Unternehmens beträgt im kommenden Jahr 10 Geldeinheiten, der Satz für die Ge­ winnbesteuerung ist s = 30 %. Gleichmäßiges Wachstum mit einer Rate des organischen Wachs­ tums von 1 % darf unterstellt werden. Es soll mit durchschnittlichen Kapitalkosten WACC von 8 % gerechnet werden. Wie hoch ist der Gesamtwert des Unternehmens? Der neue Präsident kündigt an, den Satz der Unternehmenssteuern von 30 % auf 15 % senken zu wollen, also auf die Hälfte. Dadurch, so der Präsident, würden die Gesamtwerte der Unternehmen auf das Doppelte steigen, also um 100 % zunehmen. Ist das korrekt berechnet? Jemand sagt, die Miles-Ezzell-Formel belege, wie stark der Gesamtwert eines Unternehmens vom „Niveau“ der Kapitalkosten abhänge. Wenn die Zentralbank die Zinsen auf Dauer senken kann und wenn folglich auch die Renditeerwartungen der Eigenkapitalgeber geringer werden, dann würden die Gesamtwerte steigen. Bei einem teils fremdfinanzierten Unternehmen würde der Wert des Eigenkapitals besonders steigen. Ist hier die Formel richtig interpretiert? Was würde mit den Gesamtwerten und den Werten des Eigenkapitals geschehen, sollte das Zinsniveau nachhaltig steigen?

5.4 Kosten unvollständiger Information Modigliani und Miller haben mit ihren vier Thesen gezeigt, was im perfekten Markt hinsichtlich Kapitalkosten, Unternehmenswert, Dividendenpolitik und Vorteilhaftig­ keit von Investitionen zutrifft. Zugleich haben sie mit der Prämisse des perfekten Mark­ tes darauf hingewiesen, was alles anders sein könnte, wenn der Finanzmarkt unvoll­ kommen ist. Eine bedeutsame Marktunvollkommenheit besteht, wenn die Marktteil­ nehmer unterschiedlich informiert sind. Im Zusammenhang mit der Kapitalstruktur kann das für das Unternehmen han­ delnde Management, wenn es am Finanzmarkt Mittel aufnimmt, anders informiert sein als die Finanzinvestoren. Besonders bei großen Unternehmen und wenn die Be­ teiligungstitel breit gestreut sind, wie das in den großen Publikumsgesellschaften der Fall ist, haben die Eigenkapitalgeber einen Informationsrückstand. Selbstverständ­ lich haben auch Banken einen Informationsrückstand bezüglich der Informationen, die sie vertraglich erwarten und die sie benötigen. Offensichtlich entstehen besondere Transaktionskosten, die mit der ungleichen Information von Parteien zusammenhän­ gen, die an sich zusammenarbeiten wollen. Die Transaktionskosten werden von der Kapitalstruktur abhängen, also davon, wie viel Eigen- und wie viel Fremdkapital eingesetzt wird, und davon, ob es große Finanziers gibt oder nicht. Angesichts der Transaktionskosten wird sich dann wohl eine Kapitalstruktur einstellen, bei der sie so gering wie möglich sind.

5.4.1 Pecking Order Einer der Aspekte, in denen sich Informationsunterscheide zeigen, betrifft die Ein­ schätzung des Wertes. Der Unternehmenswert ist zum Beispiel bei Kapitalerhöhun­

5.4 Kosten unvollständiger Information

| 201

gen wichtig. Das Management möchte mit einer Kapitalerhöhung und der Ausgabe neuer Aktien für das Unternehmen einen möglichst großen Geldbetrag erhalten. Doch die angesprochenen Aktionäre befürchten, dass ein hoher Ausgabepreis den wahren Wert der Aktien übertreffen könnte. Immerhin hat das Management typischerweise eine eher optimistische Haltung. Deshalb muss das Management geplante Erhöhungen des Eigenkapitals gut vor­ bereiten und im Vorfeld umfangreiche Erklärungen abgeben. Vermutlich muss das Management neue Aktien besonders günstig anbieten, damit eine Kapitalerhöhung nicht scheitert. Wird nicht das ganze angebotene Volumen gezeichnet, dann fühlen sich diejenigen betrogen, die frühzeitig erklärt haben, das Angebot anzunehmen. Ei­ ne Kapitalerhöhung verursacht also doppelte Kosten: Kosten während der Zeit der Vor­ bereitung und Kosten für die Notwendigkeit, ein günstiges Angebot festzulegen, das mit Sicherheit greift. Kapitalerhöhungen gehen mit hohen Transaktionskosten einher. Um den Aufwand zu vermeiden, wird das Management zuvor andere Finanzierungs­ quellen ausschöpfen, die es leichter angehen kann. Das Management muss bei einer Kapitalerhöhung den Ausgabepreis für neue Aktien sehr tief an­ setzen. Die Zweifel am wahren Wert verlangen, einen niedrigen Ausgabekurs zu setzen. Aufgrund der Kosten, die mit einer glaubhaften Kommunikation verbunden sind, ist die Aufnahme neuen Eigenkapitals teuer. Hinzu kommt, dass Eigenkapital aus Sicht des Managements auch weiterhin eine teure Finanzierung bleibt. Für jede neue Aktie wird Dividende erwartet, und die mit den Eigen­ mitteln finanzierten Investitionen müssen definitiv so rentabel sein, dass auch für die neuen Aktien hinreichendes Wachstum erzeugt werden kann. Eigenkapital ist bei der Aufnahme teuer und es ist dann im Zeitverlauf teuer. Allerdings ist es als primärerer Träger der unternehmerischen Risiken unerlässlich.

So entsteht eine Reihenfolge bei der Wahl von Finanzierungskontrakten: – Wenn das Management die Investitionen mit dem Potenzial an Innenfinanzierung verwirklichen kann, dann muss keinem außenstehenden Finanzier etwas erklärt werden. Besonders bei großen Unternehmen können die Eigenkapitalgeber kei­ ne Rechenschaft über Innenfinanzierung erwarten. Allenfalls ein Großaktionär könnte so tief in die Geschäftsführung eingreifen. Eventuell verfügt das Unter­ nehmen über Finanzanlagen, durch deren Verkauf sich das Innenfinanzierungs­ potenzial erhöht. Die Innenfinanzierung hat die geringsten Transaktionskosten. – Sobald der CEO über einen neuen Kredit mit der Bank verhandelt, müssen der Bank gewisse Erklärungen gegeben werden, denn auch zwischen Management und Fremdkapitalgeber bestehen Informationsunterschiede. Diese muss das Ma­ nagement zwar überbrücken, doch die Informationsbedürfnisse der Fremdkapi­ talgeber sind nicht so groß wie die der Eigenkapitalgeber. Der CEO muss einer Bank die Planung des Cashflows vorlegen und jene Faktoren besprechen, anhand derer Bonität und Kreditrisiko eingeschätzt werden. Eventuell ist ein externes Ra­ ting verlangt. Doch insgesamt gesehen sind die Transaktionskosten für die Be­

202 | 5 Modul: Kapitalstruktur



schaffung von Fremdkapital deutlich geringer als die bei einer Erhöhung des Ei­ genkapitals. Falls das Management zusätzliches Eigenkapital durch weitere Einlagen seitens alter oder neuer Aktionäre benötigt, also eine Kapitalerhöhung durchführen möchte, fragen sich die Angesprochenen, ob der Ausgabepreis für neue Aktien nicht zu hoch ist. Die Aktionäre können kaum eigene Bewertungen vornehmen und sind auf Darstellungen des Managements angewiesen. Ihre Frage lautet: Wä­ re es nicht besser, mit dem Geld Aktien anderer Gesellschaften zu kaufen, über die im Markt genaue Informationen und Bewertungen vorliegen?

Die Reihenfolge (1. Innenfinanzierung, 2. Außenfinanzierung mit Fremdkapital, 3. Außenfinanzierung mit zusätzlichem Eigenkapital) wird als Hackordnung (Pecking Order) der Finanzierung bezeichnet. Stewart C. Myers und Nicholas S. Majluf haben die Hackordnung der Finanzierung mit den Informationsunterschieden zwischen Management und Eigenkapitalgebern einerseits sowie zwischen Management und Fremdkapitalgebern andererseits erklärt.¹⁸ Aufgrund der Hackordnung wird sich eine Kapitalstruktur einstellen, die das Fremdkapital stark betont. Entsprechend wird die Beziehung zwischen Management und Banken enger. Eigenkapitalerhöhungen dürften eher selten vorgenommen wer­ den. Sie dienen dazu, das Verlangen der Fremdkapitalgeber nach einem hinreichend großen Risikopuffer zu erfüllen. Außerdem ist damit zu rechnen, dass an sich vorteil­ hafte Investitionen unterbleiben, weil für sie vielleicht die Innenfinanzierung nicht ausreicht. Die Hackordnung wurde immer wieder beobachtet, sie ist empirisch also hoch bestätigt. Ähnliche Erklärungen werden für das Underpricing bei der ersten Einrich­ tung des Börsenhandels für Aktien gegeben. Weil die mit einem Initial Public Offer­ ing (IPO) angesprochenen Finanzinvestoren nicht den wahren Wert neu ausgegebe­ ner Aktien kennen, müssen Finanzinvestoren durch erhebliche Abschläge gegenüber dem Wert angezogen werden. Das macht Aktienemissionen teuer. Angesichts der Informationsunterschiede wird als positives Signal gesehen, wenn sie überbrückt werden können. Überzeichnungen und Kurssteigerungen gleich nach einer Emission machen den wahren Wert des Unternehmens glaubhaft und setzen die Pecking Order außer Kraft. Erfolgreiche Finanzierungen mit Fremdkapital sind ebenso ein positives Signal. Die Gewinnung einer Bank für eine Kreditvergabe sendet in einer Umgebung unvollständiger Information eine allgemein erkennbare und glaubhafte Botschaft aus, denn eine Bank nimmt gewisse Prüfungen vor. Ein Unternehmen, das diese Prüfungen besteht, wird eine Finanzplanung und ein Risikomanagement um­

18 Stewart C. Myers und Nicholas S. Majluf: Corporate financing and investment decisions when firms have information that investors do not have. Journal of Financial Economics (6/1984), Volume 13, Issue 2, S. 187–221.

5.4 Kosten unvollständiger Information

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203

gesetzt haben. Selbst wenn die Fremdfinanzierung einen nur geringen Umfang hat, zeigt sie, dass das Unternehmen in der Lage ist, Ansprüche von Finanziers ordentlich zu bedienen. Dieses Signal strahlt auf Eigenkapitalgeber, Mitarbeiter, Kunden und auf weitere Gruppen aus. Folglich vertrauen Aktionäre dem Management eines etwas ver­ schuldeten Unternehmens oftmals mehr als einer ganz schuldenfreien Firma.

5.4.2 Typen von Informationsasymmetrien Informationsunterschiede können die Zusammenarbeit von Partnern auch in ande­ ren Zusammenhängen beinträchtigen. Deshalb ist nützlich, Informationsasymmetri­ en auch unabhängig vom Beispiel der Kapitalerhöhung zu untersuchen. Kenneth J. Ar­ row (1921–2017) hat die zwischen zwei Partnern möglichen Informationsunterschiede klassifiziert. So wurden Typen asymmetrischer Information gebildet.¹⁹ Innerhalb einer Partnerschaft können natürlich Informationsunterscheide hin­ sichtlich verschiedenster Aspekte bestehen. Einmal ist der eine Partner besser infor­ miert, bei einem anderen Aspekt der andere. Für die ökonomische Analyse ist indes wichtig, ein Faktum herauszugreifen. Information über dieses eine Faktum sind asym­ metrisch: Einer der Partner weiß darüber mehr als der andere, zumindest zu Beginn der Partnerschaft. Die nachstehenden Definitionen betrachten mithin nur einen As­ pekt, über den Informationsunterscheide bestehen. Einer der Partner ist über diesen Aspekt anfangs, wenn Festlegungen getroffen werden, besser informiert als der ande­ re. Arrow (1968) hat zwei Merkmalsdimensionen betrachtet. Eine erste Dimension der Informationsunterschiede hinsichtlich des betrachteten Aspekts ist, ob er in seiner Ausprägung oder Stärke dem Willen des besser Informier­ ten unterliegt oder nicht. Einsatz, Engagement und Anstrengung unterliegen klar dem Willen, die persönliche Eignung für eine Aufgabe hingegen eher nicht. Die Eignung für eine Aufgabe kann eine Person kurzfristig nicht willentlich verändern. Eine zweite Unterscheidung ist, ob der Partner mit dem schlechteren Informa­ tionsstand nach Abwicklung aller Vorgänge eine genaue Kenntnis der Fakten erhält oder nicht. So wird die Höhe eines finanziellen Ergebnisses mit dem Jahresabschluss bekannt. Die Höhe der wahren Anstrengung (der besser informierten) Person wird hingegen auch später (der schlechter informierten Person) nicht genau bekannt sein. Warum? Kann die Anstrengung nicht aus den Ergebnissen erschlossen werden? Nein, denn wie sich Einsatz und Engagement im Ergebnis auswirken, hängt auch von wei­ teren Zufälligkeiten ab, und deren Realisationen können oft nicht genau beobachtet werden. Es ist dann dem schlechter Informierten unmöglich, herauszufinden, ob ein vielleicht nur durchschnittliches Ergebnis innerhalb der Partnerschaft auf Faulheit kombiniert mit etwas Glück zurückgehet oder auf Anstrengung kombiniert mit Pech. 19 Kenneth J. Arrow: The Economics of Moral Hazard. The American Economic Review (6/1968), Vol. 58, No. 3, Part 1, S. 537–539.

204 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Typen asymmetrischer Information werden danach unterschieden, ob der bes­ ser Informierte das Faktum willentlich beeinflussen kann oder nicht, und ob die In­ formationsunterschiede im Verlauf der Partnerschaft reduziert werden oder bestehen bleiben. Diese doppelte Unterscheidung mündet eigentlich in vier Typen asymmetri­ scher Information. Doch davon ergibt eine wenig Sinn. So werden drei Typen asym­ metrischer Information unterschieden:²⁰ Qualitätsunsicherheit, Hold-up, und Moral Hazard. 1. Qualitätsunsicherheit hängt mit Fakten zusammen, die unabhängig vom Willen (des besser informierten Partners) sind und im Laufe der Zeit (auch dem anfangs schlechter informierten Partner) durchaus bekannt werden. Beispielsweise könn­ ten die Eigenkapitalgeber eine Person zum CEO bestimmen, und erst später wird bekannt, dass diese über eine der verlangten Qualifikationen nicht verfügt. Bei Qualitätsunsicherheit sind mehr Prüfungen notwendig. Zugleich könnte die bes­ ser informierte Partei die Qualität deutlicher zeigen, zum Beispiel durch das soge­ nannte Signalisieren. Die zuvor betrachtete Pecking Order geht von Qualitätsun­ sicherheit aus: Die Aktionäre können den wahren Wert des Unternehmens nicht so gut einschätzen wie das Management. 2. Hold-up bezeichnet folgende Situation: Die eine Partei nimmt Handlungen vor, von denen die andere Partei überrascht wird und die sie nicht erwartet hat. Die Handlungen werden klar willentlich vorgenommen und verletzten nicht explizi­ te Verträge oder den Bereich der Legalität. Dennoch hatte die andere Seite die implizite Erwartung, dass diese Aktionen nie geschehen würden. Beispielsweise könnte der neu ernannte CEO kurz vor dem ersten öffentlichen Auftritt dem Präsi­ denten des Aufsichtsrats sagen, er fordere eine Neuverhandlung der Abgangsent­ schädigung. Hold-up wird nicht grundlos mit „Überfall“ übersetzt. Schutz gegen Hold-up besteht in der vertikalen Integration, im Erwerb der uneingeschränkten Kontrolle über alle Ressourcen, die durch Hold-up überraschend entzogen wer­ den könnten. 3. Der dritte Typus asymmetrischer Information ist Moral Hazard. Hierbei kann die besser informierte Partei zum eigenen Vorteil Maßnahmen ergreifen, welche die andere Partei benachteiligen. Doch die andere Partei kann nie so genau beurtei­ len, welche Maßnahmen tatsächlich ergriffen wurden. Denn die Ergebnisse, die dann durchaus zutage treten, hängen auch von Zufällen ab, welche die weniger gut informierte Partei nicht so klar beobachten kann. Handlungen, die dem eige­ nen Willen unterliegen, einen selbst besser stellen (auch wenn dies auf Kosten anderer geschieht), die aber im Verborgenen bleiben, stellen eine besondere mo­ ralische Gefährdung dar. Diese wird als Moral Hazard bezeichnet.

20 Klaus Spremann: Reputation, Garantie, Information. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 58 (1988), S. 613–629; Klaus Spremann: Asymmetrische Information. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 60 (1990), S. 561–586.

5.4 Kosten unvollständiger Information

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Beispielsweise könnte die Geschäftsführung, nachdem ihr ein neuer Kredit zugespro­ chen wurde, die Mittel riskanter investieren, als dies der Bank gegenüber dargestellt wurde. Doch die Unterschiede sind so fein, dass sie der Bank verborgen bleiben. Bei einem für den Kredit abträglichen Ereignis könnte die Geschäftsführung immer exter­ ne Entwicklungen als Ursache nennen. Solche Situationen, in der die besser informierte Partei das Faktum willentlich beeinflussen und formen kann, wobei indes vieles im Nebel und der anderen Partei verborgen bleibt, sind seit Langem von Versicherungen bekannt. Jemand versichert eine Sache und geht dann aus eigener Bequemlichkeit leichtfertiger mit der Sache um. In einem leicht anderen Kontext steht die Delegation im Vordergrund: Ein soge­ nannter Prinzipal delegiert eine Aufgabe an einen Agenten, der sich dann aus Be­ quemlichkeit oder aus einem anderen Eigennutz weniger dafür engagiert. Heute wird diese Thematik in der Agency-Theorie betrachtet. Die Agency-Theorie untersucht Kooperationen zwischen einem Agenten und ei­ nem Prinzipal, bei der die tatsächliche Anstrengung des Agenten nie bekannt wird und daher auch nicht zum Punkt einer vertraglichen Einigung gemacht werden kann. Der Prinzipal muss andere Wege finden, um den Agenten von einem zu egoistischen Verhalten abzubringen. Die Agency-Theorie bietet sich gut zur Analyse der Informa­ tionsunterschiede zwischen Management und Eigenkapitalgeber an. Zwei Personen (Eigenkapitalgeber und Manager) kooperieren, wobei der Eigenkapitalgeber als der Prinzipal (als die schlechter informierte Partei) dem Manager als Agenten mit der Aufgabe betraut, das Unternehmen zu führen. Dafür bietet der Prinzipal dem Agen­ ten einen Geldbetrag als Entschädigung. Doch gewisse Aspekte der Unternehmens­ führung, die dem Willen des Agenten unterliegen, werden dem Prinzipal nie ganz bekannt, auch wenn ein Jahresabschluss und weitere Berichte vorgelegt werden. Der Agent kann auch bei schlechten Resultaten immer weitere Unsicherheiten zur Erklä­ rung heranziehen, weshalb ein Rückschluss vom Ergebnis auf das Engagement des Agenten unmöglich ist. Ein auf der Agency-Theorie basierender Ansatz rückt den freien Cashflow in den Mittelpunkt. Michael M. Jensen entwickelt die Free Cash Flow Theory.²¹ Manager können in einer reifen Industrie aufgrund etablierter Preise und stabilen Absatzes ein hohes Innenfinanzierungspotenzial unkontrolliert von Eigenkapitalgebern verwen­ den. Weil die Industrie reif ist und der Absatzmarkt gesättigt, bestehen aber keine rentablen Investitionsmöglichkeiten. Das Management wird verführt, unrentable In­ vestitionen in den bisherigen Geschäftsfeldern zu tätigen. Oder das Management wendet sich neuen Geschäftsfeldern zu und geht dort Risiken ein, die es nicht be­ herrscht. Beispielsweise könnte das Management bei Akquisitionen in für sie neuen Geschäftsfeldern übervorteilt werden. Jensen empfiehlt, die Mittel auszuschütten. Das

21 Michael C. Jensen und William H. Meckling: Theory of the firm: managerial behaviour, agency costs and ownership structures. Journal of Financial Economics 3 (1976), S. 305–360.

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ist eine spezielle Lösung der Agency-Problematik: Das Management lehnt den Auftrag ab, die Mittel für die Prinzipale (Aktionäre) zu investieren. Sie sollen das besser selbst tun. Das ist in einem gut funktionierenden Kapitalmarkt auch nicht schwer. Kapitel 5.4 in Kürze –

– –

Myers und Majluf (1984) zeigen: Aufgrund der Informationsunterschiede zwischen Manage­ ment und Eigenkapitalgebern einerseits und Management und Fremdkapitalgebern andererseits kommt es zu einer Reihenfolge (Hackordnung, Pecking-Order), in der die drei Finanzquellen (In­ nenfinanzierung, Finanzierung mit Fremdkapital, Finanzierung mit Eigenkapital) genutzt werden. Arrow (1968) hat Informationsasymmetrien generell klassifiziert und drei Typen solcher Asymme­ trien charakterisiert: Qualitätsunsicherheit, Hold-up und Agency-Problematik (Moral Hazard). Jensen (1976) weist darauf hin, dass es gelegentlich für Prinzipale besser ist, wenn ein angespro­ chener Agent die Delegation nicht annimmt. Für reife Industrien empfiehlt er mit der Free Cash Flow Theory höhere Ausschüttungen.

Fragen zu Kapitel 5.4 1. 2. 3.

Welche Gruppe von Kapitalgebern muss angesichts der Hackordnung darauf achten, dass sie nicht ins Hintertreffen gelangt und weshalb? Warum kann in Agency-Problemen nicht aus dem (beobachtbaren) Ergebnis auf das Engagement des Agenten geschlossen werden? Zwei Investitionsfehler können nach Jensen bei der Innenfinanzierung begangen werden. Welche sind das?

5.5 Kosten für Kreditrisiken In einem perfekten Markt hängt der Preis nicht von der gehandelten Quantität ab. Wer im perfekten Markt 100 Mio. Euro festverzinslich anlegt, der erhält denselben Zinssatz wie jemand, der 1 Tsd. Euro anlegt – nur in einem Retailmarkt ist das etwas anders. Im Markt für Kredite nimmt der Preis für einen Kredit zu, wenn der Kreditnehmer be­ reits viele Kredite aufgenommen hat, denn mit zunehmender Verschuldung sehen die Kreditgeber, dass sich die Ausfallgefahr erhöht. Sie verlangen eine zusätzliche Risiko­ prämie oder treffen andere Vorkehrungen, um einen Kreditausfall zu vermeiden. Auch solche Vorkehrungen sind für den Kreditnehmer teuer. Aus diesen Gründen (Risiko­ prämie, Vorkehrungen) ist eine Kapitalstruktur mit hohem Anteil von Fremdkapital teuer und sollte daher eher gemieden werden – ungeachtet der Steuervorteile. Die Su­ che nach einer geeigneten Kapitalstruktur darf sich deshalb nicht darin erschöpfen, einen möglichst großen Tax Shield zu erhalten. Auch genügt nicht, auf die geringeren Transaktionskosten zu verweisen, die angesichts von Informationsunterschieden mit einer Fremdkapitalaufnahme verbunden sind.

5.5 Kosten für Kreditrisiken

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5.5.1 Trade-off-Theorie Mit zunehmender Verschuldung treten mehrere Effekte auf, durch die eine Fremdfi­ nanzierung immer teurer wird. Verstärkt durch die faktische oder juristische Haftungsbeschränkung der Eigen­ kapitalgeber tragen die Fremdkapitalgeber das Risiko eines Kreditausfalls. Ähnlich wie eine Versicherungsgesellschaft lassen sich die Fremdkapitalgeber den Schaden, der aus einem möglichen Kreditausfall erwartet wird, durch eine Prämie vergüten. Diese Kreditrisikoprämie hängt von der Bonität ab, durch die vor allem die Wahr­ scheinlichkeit eines Kreditausfalls ausgedrückt wird. Diese Wahrscheinlichkeit, und damit die marktgerechte Kreditrisikoprämie, vergrößern sich mit zunehmender Ver­ schuldung. Die Kreditrisikoprämie nimmt mit dem Verschuldungsgrad zu. Sie könnte Fremdkapital am Ende teurer machen als Eigenkapital. Ein Zweites kommt hinzu: Mit zunehmender Verschuldung gerät ein Unterneh­ men immer leichter in eine abträgliche Situation, die als Zustand finanzieller An­ spannung oder als Financial Distress bezeichnet wird. Falls dieser Zustand eintritt, entstehen zusätzliche Probleme, die weitere Kosten verursachen. Die Distress-Kosten betragen zwischen 10 % und 20 % der Bilanzsumme. Die meisten Banken bedingen sich zur Vorkehrung weitergehende Rechte gegen­ über dem Management und den Eigenkapitalgebern aus, sollte sich die wirtschaftli­ che und finanzielle Lage des Unternehmens verschlechtern. Diese zusätzlichen Rech­ te werden in den Kreditvertrag als sogenannte Kreditkonvenanten aufgenommen. Da die Wahrscheinlichkeit für einen Financial Distress mit dem Verschuldungsgrad zunimmt, nehmen auch die zu erwartenden Nachteile aus solchen Kreditkonvenan­ ten zu. Sollte es zu einem Konkurs kommen, wird ein Verfahren in Gang gesetzt, bei dem alle Parteien verlieren (oder realisieren müssen, was bereits verloren gegangen ist). Jedenfalls ist ein jeder Konkurs sehr teuer. Kreditnehmer werden auch dies einkalku­ lieren, weshalb weitere Kredite bei höherer Verschuldung teuer sind. Eine Erhöhung des Verschuldungsgrads hat folglich mehrere Effekte: 1. Die steuerliche Entlastung wird zwar größer, der Tax Shield nimmt zu. 2. Die insgesamt mit dem Zins zu entrichtende Kreditrisikoprämie nimmt zu, und zwar überproportional (weil die Bonität mit zunehmender Verschuldung sinkt). 3. Der Eintritt des Zustands finanzieller Anspannung (Financial Distress) wird im­ mer wahrscheinlicher, und folglich werden die Distress-Kosten mit höherer Wahr­ scheinlichkeit anfallen. 4. Es entstehen eventuell weitere Nachteile, falls ein Financial Distress eintritt und sofern das Unternehmen den Kreditkonvenanten zugestimmt hat. 5. Mit zunehmender Verschuldung wird die Konkursgefahr höher. Insgesamt nehmen mit etwas Verschuldung die durchschnittlichen Kapitalkosten zu­ nächst ab, denn 1. greift der Tax Shield und 2. ist ein wenig Fremdkapital ein positives

208 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Signal. Es unterstreicht, dass Finanzplanung und Risikomanagement vorliegen und dass die Geschäftsführung dazu bereit ist, Verpflichtungen aus Finanzverträgen or­ dentlich zu bedienen. Mit zunehmender Verschuldung verliert sich diese Signalwirkung, doch der Tax Shield greift nach wie vor. Nimmt die Verschuldung noch weiter zu, wird das Fremd­ kapital immer teurer – dies durch die höhere Kreditrisikoprämie, die immer stärker zu erwartenden Distress-Kosten und die wahrscheinlicheren Nachteile eines Konkurses. Hier einen Ausgleich zu finden, ist das Ziel der Trade-off-Theorie. Die Trade-offTheorie sieht diejenige Kapitalstruktur als optimal an, bei der die mit einer zusätzli­ chen Geldeinheit Fremdkapital verbundenen Steuervorteile und die genannten Nach­ teile gleich groß sind. Diese optimale Kapitalstruktur wird auch als Zielkapital­ struktur bezeichnet, als Target Capital Structure. Die empirische Forschung bestätigt, dass viele Unternehmen eine solche Zielkapitalstruktur haben, dass sie diese kennen und sie immer wieder (ungeachtet eventueller Transaktionskosten) anstreben.²²

5.5.2 Zusätzliche Kosten Unternehmen können (ebenso wie Privatpersonen) in eine finanzielle Krise geraten, in der die Zahlungsverpflichtungen aus einem Kreditvertrag nicht mehr ganz erfüllt werden (können). – Solche Krisen werden davon beeinflusst, dass für Eigenkapital eine faktische oder eine juristische Haftungsbeschränkung bestehen kann. – Ein zweiter Einflussfaktor ist der Gesamtbetrag der Schulden und Forderungen in Relation zum Vermögen. – Ein dritter Faktor, der auf die Gefährdung von Krediten ausstrahlt, ist das Risiko, dem sich der Schuldner mit seinen Geschäften aussetzt. – Ein vierter Einflussfaktor ist die Frage, ob der Schuldner Absicherungen eingerich­ tet hat oder auf Reserven zugreifen kann. – Als Fünftes kommt sicherlich hinzu, dass jedermann Glück oder Pech haben kann. Indes wird heute niemandem mehr unterstellt, eine finanzielle Notlage willentlich selbst herbeizuführen. Deshalb wird Schuldnern auch nicht mehr angedroht, dass sie in den Hungerturm geworfen werden. Heute herrscht die Sicht vor, dass eine finan­ zielle Krise, die zum Kreditausfall führt, sich wie der Bruch eines mechanischen Teils ereignet. Wenn eine von außen kommende, als zufällig angesehene Belastung zu groß ist, kann die Krise eintreten. Ob das geschieht oder nicht, hängt 1. von der Stärke der Belastung und 2. von der Kondition der Mechanik ab. Die Kondition kann sich im Laufe der Zeit durch „Abnut­ 22 André Getzmann, Sebastian Lang und Klaus Spremann (2014): Target Capital Structure and Ad­ justment Speed in Asia. Asia-Pacific Journal of Financial Studies, 43 (1). 1–30.

5.5 Kosten für Kreditrisiken |

209

zung“ zwar verringern, doch gibt es Konstruktionen, die elastischer sind und so einen Bruch vermeiden. Zustände, in denen zusätzliche Kosten entstehen, weshalb die Möglichkeit ihres Eintritts bereits eine Prämie verlangt, durch die Kredite mit zunehmender Verschuldung immer teurer werden: 1. Zustand finanzieller Eintrübung (milder Distress) 2. Zustand finanzieller Anspannung (Financial Distress) 3. Kreditereignis und Gläubigerschutz wird angerufen 4. Gläubigerschutz bleibt ergebnislos und Konkurs wird eröffnet

In Zusammenhang mit dem Fremdkapital wird als schwerster Krisenfall eines Unter­ nehmens ein Zustand gesehen, in dem das Recht es erlaubt, ein Konkursverfahren zu beantragen. Auslöser ist die Feststellung einer Überschuldung (Insolvenz) und die auf Dauer eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Doch diese Auslöser sind nicht immer früh­ zeitig und mit Sicherheit erkennbar. Deshalb wird die Evidenz, dass die Forderungen der Fremdkapitalgeber nicht mehr erfüllt werden können, anders genannt und defi­ niert. Banken sprechen von einem Kreditereignis oder einem Default, wenn ein oder mehrere der nachstehenden fünf Ereignisse eingetreten sind: 1. Das Unternehmen ist mit einer Zahlungsverpflichtung 90 Tage oder länger im Ver­ zug. 2. Es hat um eine Verschiebung fälliger Zinszahlungen nachgesucht (und dies wurde von der Bank akzeptiert). 3. Aufgrund allgemein vorliegender Informationen ist zu bezweifeln, dass das Un­ ternehmen seine Zahlungsverpflichtungen voll erfüllen kann. 4. Die Bank hat auf ihre Forderungen bereits Abschreibungen vorgenommen. 5. Das Unternehmen hat bereits von sich aus ein Insolvenzverfahren beantragt. Damit ist (ziemlich) klar definiert, wann ein Kreditereignis (Default) eingetreten ist. Dabei gibt es immer Ereignisse, die überraschen und selbst im Rückblick wie zufällig wirken: Ein Kunde des Unternehmens gerät in Zahlungsschwierigkeiten, ein wichti­ ger Auftrag wurde storniert, ein Unfall auf dem Betriebsgelände führte zu Produkti­ onsausfällen und so fort. Allerdings befindet sich das Unternehmen oft schon in ei­ nem Zustand finanzieller Schwäche, sodass die genannten Ereignisse zu einem De­ fault führen. Ohne Zustand finanzieller Schwäche würde das Unternehmen bei den genannten Ereignissen vielleicht nicht gleich einen Default haben, sondern mehr Wi­ derstand bieten.

5.5.3 Eintrübung und Anspannung So lassen sich mehrere finanzielle Zustände definieren, die einem Default vorgelagert sind. Zwei solcher vorgelagerter Zustände werden nachstehend unterschieden:

210 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Einer ist der Zustand finanzieller Eintrübung. Ein Unternehmen in diesem Zu­ stand wird auch als mildly distressed bezeichnet. In diesem Zustand haben allgemein bekannte Veränderungen im Umfeld des Unternehmens stattgefunden, die auf das Unternehmen ausstrahlen könnten und vielleicht im Ansatz schon ausgestrahlt ha­ ben. Also hat sich vor allem das Umfeld (von Produktion und Absatz) verschlechtert, während mit dem Unternehmen noch fast alles in Ordnung ist. Sobald sich der Finanzzustand eines Unternehmens eintrübt, beginnen die äuße­ ren Nachteile eine leichte Wirkung innerhalb des Unternehmens zu zeigen. Dass eine Eintrübung vorliegt, kann an Indikatoren festgestellt werden. Dazu gehören: 1. Allgemeine Trends und wirtschaftliche Schwierigkeiten der Branche 2. Starke Gewinnausschüttung bei geringen Investitionen 3. Mangelhafte Produktinnovation Andererseits geben die Finanzkennzahlen auch bei Eintrübung noch ein gutes Bild ab. Die Relation zwischen Jahresumsatz und Marktkapitalisierung ist hoch und liegt bei 1. Die Gewinnrendite kann hoch sein, auch wenn vielleicht das organische Wachstum gering oder negativ ist. Trotz vergleichsweise hoher Gewinne stagniert die Entwick­ lung des Unternehmenswerts. Das Kursgewinnverhältnis KGV ist niedrig und liegt so­ gar unter 10. Vielen Aktieninvestoren erscheinen Unternehmen in dieser Phase der Eintrübung attraktiv, weil die Dividendenrendite hoch ist.²³ Das Verhältnis zwischen Marktkapitalisierung und Buchwert des Eigenkapitals, das Kurswert-Buchwert-Verhältnis KBV, ist gering und nur wenig größer oder sogar etwas kleiner als 1. Der Aktienkäufer meint, viel Wert (Value) für einen geringen Preis zu erhalten. Doch es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die Eintrübung nicht auflöst und sich der Finanzzustand des Unternehmens weiter verschlechtert. Dann kann der Zustand finanzieller Anspannung (Financial Distress) eintreten. Dieser zweite Zustand ist deutlich näher am Default als die bloße Eintrübung. Im Distress hat das Unternehmen bereits gewisse Schwierigkeiten, pünktlich zu zahlen, auch wenn es nicht um eine Verschiebung fälliger Zahlungen nachsucht. Beispielsweise werden die Gehälter ein paar Tage später als sonst üblich bezahlt und auf interessante Chancen wird verzichtet. Vielleicht verkauft das Unternehmen bereits das „Tafelsilber“. Vor allem ist der Financial Distress bereits ein Fangzustand. Die finanzielle An­ spannung bleibt nicht verborgen, was Nachteile mit sich bringt. Selbst wenn dem Un­ ternehmen wieder hohe Einnahmen aus dem Umsatz zufließen, bleiben die DistressKosten einige Zeit bestehen. Durch die Persistenz der Distress-Kosten wird eine Ver­ besserung des Finanzzustands verhindert, selbst wenn sich die Finanzen ansonsten verbessern sollten. Aufgrund des Fangzustands ist das Unternehmen im Distress auf

23 Vergleiche Roland Füss und Björn Lenzner: Die Vorteilhaftigkeit von Dividendenstrategien für Pri­ vatanleger. Finanz-Betrieb, 2 (2007), S. 126–136.

5.5 Kosten für Kreditrisiken |

211

Hilfe von außen angewiesen, etwa auf einen Finanzinvestor, der ein größeres Betei­ ligungspaket übernimmt. Dieser Investor wird dann allerdings eigene Vorstellungen für die Sanierung durchsetzen. Deshalb ist im Financial Distress mit einer Änderung von Management und Strategie zu rechnen. Meistens fällt ein Unternehmen nicht direkt in einen Financial Distress, sondern durchläuft zuvor eine Phase finanzieller Eintrübung. Bei einer Eintrübung wird die kreditgebende Bank daher bereits die möglichen Nachteile hinterfragen, die sie haben könnte, falls ein Financial Distress oder sogar ein Default eintreten sollten. Die Bank wird dann nicht nur eine Kreditrisikoprämie verlangen. Sie wird sich fragen, ob ein Default nicht (für sie) rechtzeitig abgewendet werden könnte, also zu einem so früh­ zeitigen Zeitpunkt, in dem ihre Forderungen aus den Krediten noch nicht entwertet sind. Die Bank wird dazu Bedingungen im Kreditvertrag durchsetzen, die ihr bereits bei Eintreten von Financial Distress die Möglichkeit geben, eine weitere Verschlechterung und damit eine Insolvenz abzuwenden. Das geschieht dadurch, dass die Bank im Financial Distress die Geschäftsführung so beeinflussen kann, dass fortan das Unternehmen nicht mehr wertorientiert geführt, sondern mit dem Ziel der Ein­ bringlichkeit der Kredite verwaltet wird. Diese Vertragsbedingungen heißen Kreditkonvenanten.

Bei kleinen und mittleren Unternehmen, bei denen die Hausbank wichtigster Kredit­ geber ist, sind Kreditkonvenanten üblich. Selbstverständlich kann eine Bank kaum Kreditkonvenanten vorschlagen, wenn zum Zeitpunkt der Kreditverhandlungen der fi­ nanzielle Status nicht eingetrübt ist. Doch wenn bei den Kreditverhandlungen bereits eine Eintrübung erkennbar wird, werden Kreditkonvenanten zu einem unvermeidba­ ren Punkt. Die Bank kann dann sogar dem Unternehmen günstigere Kreditkonditio­ nen anbieten, weil die hohen Kosten, zu denen es im Default kommt, umgangen wer­ den. Kreditkonvenanten sind Zusatzklauseln im Kreditvertrag, die den Freiraum des schuldnerischen Unternehmens einengen, falls und sobald sich seine finanzielle und wirtschaftliche Lage verschlechtert und ein Financial Distress eintritt. Kreditkonven­ anten sind keine Zusatzbedingungen, die den Freiraum des Schuldners generell be­ grenzen. Es geht um Bedingungen, die nur dann greifen, falls und wenn ein Financial Distress eintritt.

Beim Abschluss eines Kreditvertrags ist das Management davon überzeugt, dass es nie dazu kommen wird. Aus diesem Grund schenken weder das Management noch die Eigenkapitalgeber den Kreditkonvenanten viel Aufmerksamkeit. Sie stimmen zu, besonders im Lichte der günstigeren Kreditkonditionen. Erst wenn dann ein Financial Distress eintreten sollte und die Kreditkonvenanten greifen, erkennen die Eigenkapi­ talgeber den Umfang der Rechte, die sie an die Bank abgetreten haben.

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Kreditkonvenanten haben verschiedene Wirkungen auf die involvierten Parteien, die unterschiedlich eingeschätzt werden. 1. Eher positiv: Kreditkonvenanten stellen eine privatwirtschaftlich vereinbarte Al­ ternative zum gesetzlichen Insolvenzverfahren dar, wodurch die hohen Kosten ei­ nes Konkurses vermieden werden. Sie reduzieren die Nachteile (Agency-Kosten), die aus Informationsunterschieden zwischen Bank und Unternehen erwachsen, weil Kreditkonvenanten häufige und detaillierte Berichte verlangen. 2. Eher negativ: Kreditkonvenanten verlangen Zusatzaufwand nicht nur für die Aus­ handlung und den Abschluss, sondern vor allem für die laufende Überwachung des Finanzzustands des Unternehmens. Die Bank hat Kosten, ein Team von Spe­ zialisten bereitzuhalten, die bei dem unternehmerischen Schuldner jederzeit die Geschäftsführung übernehmen könnten. Vor allem aber sind Kreditkonvenanten mit dem enormen Nachteil verbunden, dass sie die unternehmerische, investi­ ve (und volkswirtschaftlich erwünschte) unternehmerische Tätigkeit bereits im Zustand finanzieller Anspannung beenden, auch wenn dann das Unternehmen noch nicht überschuldet ist. Einige Kritiker sprechen davon, die Kreditkonvenan­ ten würden das Gesetz (beim Insolvenzverfahren) durch eine private Abmachung außer Kraft setzen.²⁴ Kreditkonvenanten regeln drei Punkte: 1. Wie ist der Zustand oder das Ereignis genau definiert, in dem die Klauseln greifen sollen? Meist werden hierzu Kennzahlen verwendet. Sobald eine Kennzahl einen kritischen Wert un­ ter- beziehungsweise überschreitet, gilt ein Financial Distress als eingetreten. 2. Welche Möglichkeiten direkter Einflussnahme hat ab jetzt der Gläubiger? Was muss der Schuldner von sich aus tun und welche Handlungen muss er unterlassen, sofern und sobald der Financial Distress eintritt? 3. Welche Sanktionen hat der Gläubiger, sollte der Schuldner diese Pflichten verletzen? Kredit­ konvenanten können sich darauf beschränken, die Unternehmen im Financial Distress zu ver­ stärkter Berichterstattung zu verpflichten. Eventuell verlangen die Kreditkonvenanten, dass gewisse Maßnahmen mit der Bank abgesprochen werden müssen. Kreditkonvenanten können auch sehr kraftvoll formuliert sein: Falls ein Financial Distress eintritt, erhält die Bank das Recht, mit sofortiger Wirkung die Führung der Geschäfte zu übernehmen. Das bedeutet praktisch, dass Spezialisten der Bank in einen Raum im Unternehmen neben dem Ge­ schäftsführer ziehen und der Geschäftsführer alle Maßnahmen so ausführt, wie es die Spezia­ listen der Bank vorgeben. Die Bank wird die bis dahin wertorientierte Geschäftspolitik aufge­ ben und stattdessen den Weg eines auf Sicherheit und Liquidierbarkeit bedachten Einsatzes des unternehmerischen Vermögens einschlagen. Die Kreditkonvenanten ersetzen unternehmerisches Denken durch eine konservierende Verwaltung.

24 Friedrich Thießen: Covenants in Kreditverträgen: Alternative oder Ergänzung zum Insolvenzrecht? Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 8 (1996) 1, S. 19–37; Horst Eidenmüller (1999): Unterneh­ menssanierung zwischen Markt und Gesetz. Köln: Otto Schmidt; Steffen Hahn und Johannes Ortner: Financial Covenants – risikoadäquante Kreditbepreisung im Spannungsfeld von Bankenaufsichtsund Zivilrecht. Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 60 (2006) 7, S. 42–46.

5.5 Kosten für Kreditrisiken

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5.5.4 Gläubigerschutz In einigen Ländern ist ein weiterer Finanzzustand gesetzlich eingerichtet, der zwi­ schen einer eingetretenen Insolvenz und der Eröffnung eines Konkursverfahrens steht. Dieser Finanzzustand ist der sogenannte Gläubigerschutz. Wird er vom Ma­ nagement angerufen, dann gewährt das Gericht eine Schonfrist, in der das Unter­ nehmen vor dem Zugriff einzelner Gläubiger geschützt ist. Damit soll die Gruppe der Gläubiger insgesamt besser gestellt werden. Das Management sowie die Eigen- und Fremdkapitalgeber werden gleich zu Beginn der Schonfrist verpflichtet, Pläne zur Fortführung zu erarbeiten. Später werden Gläubiger in die Planungen eingebunden. Eventuell müssen sich beim Gläubigerschutz einzelne Gläubiger den beschlossenen Plänen unterwerfen. – Der Gläubigerschutz soll verhindern, dass einzelne Gläubiger von „ihrem Recht“ Gebrauch machen und die Eröffnung eines Konkursverfahrens beantragen, denn dadurch wird eine Fortführung des Unternehmens in aller Regel verhindert. Kon­ kursbeantragende Gläubiger versuchen, dingliche Sicherheiten an sich nehmen und vom Betriebsgelände zu entfernen. Damit wird jede Möglichkeit einer Fort­ führung der betrieblichen Tätigkeit zunichte gemacht. – Im Zustand des Gläubigerschutzes sollen Management und Gläubiger dazu ver­ pflichtet werden, gemeinsam zu versuchen, eine Fortführung zu organisieren. Re­ gelmäßig wird in diesem Finanzzustand beschlossen, dass Banken auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten (Kapitalschnitt). Zudem müssen Eigenkapitalgeber die Haftungsbasis erhöhen und die Geschäftspolitik muss geändert werden. Mög­ licherweise hat Letzteres auch personelle Konsequenzen. Die im Finanzzustand des Gläubigerschutzes einberufenen Gremien von Management und Kapitalgebern zwingt insbesondere die Fremdkapitalgeber zu einer gewissen Ein­ heitlichkeit. Kein einzelner Fremdkapitalgeber kann den Fortführungsversuch bedro­ hen, um für sich Sonderbedingungen zu erhalten. Auch ein Moratorium bietet Zeit, um Möglichkeiten der Fortführung zu prüfen. Doch das Moratorium wird vom Ma­ nagement und den Eigenkapitalgebern angeregt. Die Unterzeichnung verlangt mithin die Bereitschaft aller Gläubiger. Regelungen zum Gläubigerschutz gibt es in den USA, in der Schweiz, und in Frankreich. Der Gläubigerschutz ist also ein Finanzzustand, in dem vor einzelnen Gläubigern geschützt wird. Dies geschieht zum Schutz aller Gläubiger. Eine Fortführung des Unternehmens bietet sich an, wenn das Unternehmen eigentlich gut geführt wurde, also organisatorisch effizient ist, und durch unkontrollier­ te Verluste insolvent wurde. Der Gläubigerschutz kann vom Management angerufen werden und wird dann, unter Leitung des Gerichts, eine Lösung suchen, denen die Gläubiger mehrheitlich zustimmen. Erst wenn die Versuche scheitern, die Finanzen des Unternehmens neu zu ordnen, oder wenn die Frist abgelaufen ist, wird ein Konkursverfahren eröffnet.

214 | 5 Modul: Kapitalstruktur

In den USA gibt es im Insolvenzrecht (U.S. Bankruptcy Code) Chapter 11, das eine vom Gericht überwachte Reorganisation der Finanzen des Unternehmens regelt. Auf An­ trag des Managements richtet das angerufene Gericht einen Rat ein. Die Pläne des Ma­ nagements werden dem Rat sowie den Fremd- und Eigenkapitalgebern vorgelegt, wo­ bei letztlich der Rat allein entscheidet. Nach Schweizer Recht kann eine überschuldete Gesellschaft, anstatt den Konkursrichter gemäß Art. 725 Obligationenrecht (OR) zu be­ nachrichtigen, gemäß Art. 293ff. Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) bei der Nachlassbehörde ein Gesuch um Nachlassstundung zwecks Vorbe­ reitung eines gerichtlichen Nachlassvertrags stellen. Letzterer ist ein öffentlich-recht­ licher Zwangsvergleich, der unter amtlicher Aufsicht zustande kommt und auch für nicht zustimmende Gläubiger verbindlich ist. Für das Zustandekommen sind ein qua­ lifizierter Mehrheitsbeschluss der Gläubiger sowie die Bestätigung des Nachlassrich­ ters nötig. Die gesetzlich vorgesehenen Arten des Nachlassvertrags lassen sich in sol­ che mit Sanierungscharakter (Stundungsvergleich und Prozentvergleich) und solche mit Liquidationscharakter (Liquidationsvergleich) unterscheiden. Kapitel 5.5 in Kürze –

– –

Die Trade-off-Theorie der Kapitalstruktur baut darauf auf, dass eine sehr geringe Verschuldung als positives Signal gewertet wird, wogegen mit weiter zunehmender Verschuldung das Fremd­ kapital für das Unternehmen immer teurer wird, denn eine höhere Fremdkapitalquote und höhere Verpflichtungen machen schlechte Finanzzustände immer wahrscheinlicher. Diese Zustände sind 1. die Eintrübung, 2. die finanzielle Anspannung, 3. der Gläubigerschutz und 4., bei einem Scheitern des Gläubigerschutzes, das Insolvenzverfahren. Bereits in einem Zustand finanzieller Eintrübung bestehen Banken auf Kreditkonvenanten, die zwar günstigere Kreditkonditionen erlauben, gleichzeitig aber für das Unternehmen die Kosten eines Endes der unternehmerischen Geschäftspolitik noch vor der Insolvenz mit sich bringen. Jedenfalls nehmen die Kosten für das Fremdkapital mit dem Verschuldungsgrad zu (ungeachtet eines steuerlichen Vorteils). Das Minimum der (durchschnittlichen) Kapitalkosten wird für die Zielkapitalstruktur erreicht.

Fragen zu Kapitel 5.5 1.

2. 3. 4.

Ist die Behauptung richtig, die Trade-off-Theorie der Kapitalstruktur fuße auf den Informations­ unterschieden zwischen Management und den Eigenkapitalgebern sowie zwischen Management und Fremdkapitalgebern? Wie kann anhand von Kennzahlen eine Eintrübung erkannt werden? Richtig oder falsch: Kreditkonvenanten greifen nur, wenn ein Financial Distress eintritt. Erklären Sie kurz, wie mit einer hohen Eigenkapitalquote die abträglichen Wirkungen und Kosten von Finanzzuständen wie Eintrübung, Financial Distress und Gläubigerschutz gemildert werden können, und inwiefern ihr Eintreten mit einer hohen Eigenkapitalquote vermieden wird?

5.6 Interessenkonflikte | 215

5.6 Interessenkonflikte 5.6.1 Die Entscheidungsregel In einer Situation, die eine Sanierung der Finanzen verlangt und eventuell eine andere Ausrichtung der Geschäfte, muss zunächst eine grundsätzliche Entscheidung getrof­ fen werden: Soll das das Unternehmen fortgeführt oder liquidiert werden? Anlass für diese Frage kann ein Financial Distress sein, wenn ein neuer Eigenkapitalgeber gesucht wird. Ein weiterer Anlass für das Stellen dieser grundsätzlichen Frage sind ein Krediter­ eignis und der Antrag auf Gläubigerschutz. Die Entscheidung zwischen Fortführung und Liquidation ist vielschichtig, und wenn sie getroffen ist, ist sie so oder so in der Umsetzung schwierig. Bei einer Fortführung im Sanierungsfall muss meistens die Strategie geändert werden. Plötzlich werden Innovation und neue Produkte dringlich verlangt und gleichzeitig sollen Kosten gesenkt werden. Ein neu hinzutretender Finanzpartner dürfte weitere Bedingungen stellen. Eine Liquidation verlangt den Verkauf des Unternehmens als Ganzes oder den Verkauf der Vermögensgegenstände. Mitarbeitende müssen Zeit bekommen, um an­ dere Aufgaben zu finden, und es müssen Entlassungen ausgesprochen und Sozialplä­ ne umgesetzt werden. Die Entscheidung zwischen Fortführung oder Liquidation ist nicht nur komplex, weil beide Wege schwierig sind. Es kommen bei der Entscheidungsfindung Interessen­ konflikte hinzu, die von der Kapitalstruktur abhängen. Zur Klärung ist eine vereinfach­ te Darstellung verlangt. Wir folgen dazu einer Arbeit von Hans Neukomm (1992).²⁵ In der Volkswirtschaft sollte, wenn eine von zwei Möglichkeiten auszuwählen ist, die wertvollere gewählt werden, denn der Wert drückt die generelle Wünschbarkeit aus. In einer Marktwirtschaft zeigt der Preis, auf wie viele andere Ressourcen die Menschen verzichten würden, um das Objekt zu erhalten. – Wert des Eigenkapitals: Der Wert einer Fortführung zugunsten der Eigenkapital­ geber wird durch den Marktwert des Eigenkapitals ausgedrückt. Wir hatten es mit EK bezeichnet. – Buchwert des Eigenkapitals: Daneben soll der Buchwert B des Eigenkapitals be­ trachtet werden. Dieser wird entweder direkt der Bilanz entnommen oder er ergibt sich als Differenz zwischen Bilanzsumme und dem Buchwert aller Forderungen und Verpflichtungen.

25 Hans Neukomm: Soll eine zahlungsunfähige Bank liquidiert werden? Quartalsheft der Schweizeri­ schen Nationalbank (1992) 2, S. 180–194. Die Darstellung in diesem Kapitel erweitert die Ausführungen in Burkard Schwenker und Klaus Spremann (2008): Unternehmerisches Denken zwischen Strategie und Finanzen – Die vier Jahreszeiten der Unternehmung. Heidelberg: Springer.

216 | 5 Modul: Kapitalstruktur





– – –

Differenz aus Marktwert und Buchwert: Der Unterschied EK − B ist im Regelfall positiv und Ausdruck der Tatsache, dass Vermögenspositionen vorhanden sind, die nicht in der Bilanz erscheinen: Wissen, Forschungsideen, Marken, eine gu­ te Organisation. Oder es gibt Vermögenspositionen, die in der Bilanz mit einem geringeren Wertansatz erscheinen, so wie etwa Produktentwicklungen. Fremdkapital: Mit FK ist das Fremdkapital bezeichnet. Zur Vereinfachung werden keine Unterschiede zwischen einer Marktbewertung und dem Buchwert aller For­ derungen und Verpflichtungen berücksichtigt. Bilanz: B + FK ist folglich der Buchwert des gesamten Kapitals, zugleich die Bi­ lanzsumme und damit der Buchwert aller (bilanzierten) Vermögenspositionen. Gesamtwert: GK = EK + FK ist der Marktwert des Unternehmens insgesamt. Liquidation: Bei einer Liquidation werden alle Vermögenspositionen (Assets) des Unternehmens veräußert. Es wird die Annahme getroffen, dass die Liquidation der Vermögenspositionen (Assets) den Buchwert B + FK einbringt.

Wie beurteilen nun die Kapitalgeber die Entscheidungsalternative? Die Eigenkapital­ geber ziehen die für sie wertvollere Variante vor. Das heißt, sie wollen im Fall EK > B fortführen und im Fall EK < B liquidieren.

Die Fremdkapitalgeber sind indifferent, sofern ihre Forderungen in Höhe FK erfüllt werden. Werden die Eigen- und Fremdkapitalgeber zu einer Gruppe zusammengefasst, die ein gemeinsames Votum abgeben muss, dann möchten sie im Fall GK > B + FK fort­ führen. Das entspricht dem Kriterium der Eigenkapitalgeber. Selbstverständlich gibt es weitere Gruppen (Management, Mitarbeitende, Kun­ den, Öffentlichkeit), die stets eine Fortführung vorziehen und dankbar sind, wenn der Fall EK > B vorliegt. – In diesem Fall EK > B erzeugt das Unternehmen (Management, Strategie, Mitar­ beitende) aus den Buchwerten höhere Marktwerte. – Der wirtschaftliche Einsatz der Vermögenspositionen in Verbindung mit Wissen, Organisation und Führung ermöglicht (in der Zukunft) eine Wertschöpfung. Das Unternehmen soll als organisatorisch effizient oder kurz: als effizient bezeichnet werden. Geschäftsführung, Strategie und Positionierung sind gut und rechtferti­ gen die gegenüber den Buchwerten höhere Bewertung zukünftiger Rückflüsse. – Hingegen sollte ein Unternehmen liquidiert werden, falls und sobald EK < B (oder, äquivalent dazu, GK < B + FK) eintritt. In diesem Fall ist das Unterneh­ men organisatorisch ineffizient (oder kurz: ineffizient). Geschäftsführung, Stra­ tegie oder Positionierung dürften es nicht schaffen, mehr aus den vorhandenen Vermögenspositionen „herauszuholen“ als jenen Betrag, zu dem sie derzeit ver­ kauft werden könnten.

5.6 Interessenkonflikte | 217

Die Entscheidungsregel also lautet: Fortführung bei Effizienz, Liquidation bei Ineffizienz.

Ob diese Entscheidungsregel immer so und sogleich umgesetzt wird, sei dahinge­ stellt. Die bereits genannten Gruppen „Management“, „Mitarbeitende“, „Öffentlich­ keit“ könnten verzögern, dass eine Ineffizienz erkannt wird, und sie könnten die Umsetzung der Entscheidungsregel dadurch erschweren, dass sie für den Fall einer Liquidation zusätzliche Kosten ins Spiel bringen. Neben der Entscheidungsregel ist zu sehen, dass die Gesetze ein anderes Kriteri­ um aufstellen. Das Insolvenzrecht sieht vor, dass ein Unternehmen liquidiert wird, wenn es überschuldet ist. Die Überschuldung wird anhand von Buchwerten beurteilt. Insolvenz (Überschuldung) liegt vor, wenn der Buchwert des Gesamtvermögens B + FK kleiner als die Schulden FK sind. Anders formuliert: Insolvenz liegt vor, wenn der Buchwert des Eigenkapitals negativ ist.

Zwar wird bei einem Antrag, einen Konkurs einzuleiten, auch geprüft, ob eine dau­ ernde Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Doch wollen wir annehmen, dass ein nicht über­ schuldetes Unternehmen immer noch einen Kredit erhalten würde. Deshalb ist letzt­ lich das Kriterium, ob Insolvenz eingetreten ist oder (noch) Solvenz vorliegt. Solange der Buchwert des Eigenkapitals positiv ist, kann nach dem Insolvenzrecht das Unternehmen fortgeführt werden – dessen ungeachtet, ob der Marktwert des Ei­ genkapitals größer oder kleiner ist als der Buchwert des Eigenkapitals. Das Insolvenz­ recht kümmert sich nicht darum, ob das Unternehmen effizient ist oder nicht.

5.6.2 Effizienz versus Solvenz Für die Entscheidung zwischen Fortführung und Liquidation bestehen mithin zwei Kriterien. Zuerst sei das Kriterium genannt, welches das Insolvenzrecht betrachtet. Es bezieht sich auf Buchwerte, insbesondere auf den Buchwert des Eigenkapitals. – Ist er positiv, dann kann fortgeführt werden – das Unternehmen ist solvent. – Ist er negativ, dann wird liquidiert – das Unternehmen ist insolvent. Das zweite Kriterium wird von den Eigenkapitalgebern betrachtet. Es bezieht sich auf den Marktwert des Eigenkapitals. – Ist er hinreichend groß (nämlich größer als der Buchwert des Eigenkapitals), dann möchten die Eigenkapitalgeber fortführen und betrachten das Unternehmen als effizient. – Ist er zu klein, dann betrachten sie es als ineffizient und möchten liquidieren oder jedenfalls die Weiterführung mit der bisherigen Strategie und Führung stoppen.

218 | 5 Modul: Kapitalstruktur

organisatorisch effizient W>B

organisatorisch ineffizient W 0

?



Stopp

?

Abb. 5.2: Organisatorische Effizienz, Solvenz und die vier Zustände eines Unternehmens (eigene Darstellung).

Relevant für die Entscheidung zwischen Fortführung und Liquidation ist mithin, wo das Unternehmen in einem zweidimensionalen Koordinatensystem positioniert wer­ den kann (siehe Abb. 5.2). – Die Abszisse (x-Achse) soll den Buchwert des Eigenkapitals zeigen, – die Ordinate (y-Achse) den Marktwert des Eigenkapitals. Kritisch ist der Punkt im Koordinatensystem, der in der Abszisse einen Buchwert von 0 zeigt und zugleich in der Ordinate einen Marktwert in Höhe des Buchwerts. Oberhalb ist ein Unternehmen positioniert, wenn es effizient ist, unterhalb ist es positioniert, wenn es ineffizient ist. Links vom kritischen Punkt ist das betrachtete Unternehmen positioniert, wenn es insolvent ist, rechts wenn es solvent ist. Vier Zustände sind folglich zu unterscheiden: Das Unternehmen kann einerseits organisatorisch effizient oder nicht effizient sein (obere und untere Zeile in Abb. 5.2). Andererseits kann es solvent oder insolvent sein (rechte und linke Spalte in Abb. 5.2). Durch Kombination der Ausprägungen dieser beiden Dimensionen entstehen die vier Zustände. Sie sollen im Uhrzeigersinn betrachtet werden: – Der Zustand oben rechts in Abb. 5.2 zeigt ein effizientes und solventes Unterneh­ men. Aufgrund der Effizienz sind die Eigenkapitalgeber für eine Fortführung. Auf­ grund der Solvenz erheben die Fremdkapitalgeber keine Einsprüche. – Unten rechts in Abb. 5.2 ist ein Unternehmen positioniert, das ineffizient (gewor­ den) ist und nach der Entscheidungsregel eigentlich liquidiert werden sollte. Doch das Unternehmen ist (noch) nicht insolvent, weshalb die Fremdkapitalgeber kei­ ne Liquidation verlangen können. Natürlich wird den Eigenkapitalgebern Kraft

5.6 Interessenkonflikte | 219





abverlangt, wenn sie ihre Präferenz für die Liquidation artikulieren und durch­ setzen. Im Zustand unten links in Abb. 5.2 ist das Unternehmen ineffizient und insolvent. Weder die Eigenkapitalgeber wollen fortführen noch erlaubt das Konkursrecht ei­ ne Weiterführung in bisheriger Form. Ein oben links in Abb. 5.2 positioniertes Unternehmen ist effizient. Die Eigenka­ pitalgeber möchten es eigentlich fortführen. Doch es ist insolvent (geworden), sodass die Fremdkapitalgeber eine Liquidation verlangen können. Ist Gläubiger­ schutz vom Gesetz her eingerichtet, dann kann dieser beantragt werden. Viel­ leicht einigen sich die Parteien dann doch noch auf eine Fortführung unter einem Plan der Sanierung (Reorganisation) der Finanzen.

Eine Reihe weiterer Untersuchungen drängt sich auf. Eine erste Frage ist die nach Ursachen, die, ausgehend von einem Zustand der Ef­ fizienz und Solvenz kombiniert, zu einem der krisenhaften Zustände (links und unten in Abb. 5.2) führen können. Als zweite Frage schließt sich an, ob aus einem der krisenhaften Zustände mög­ licherweise nicht doch wieder der wünschenswerte Finanzzustand von Effizienz und Solvenz herbeigeführt werden kann, sodass eine Liquidation nicht nur aufgeschoben sondern nachhaltig vermieden wird. Eine dritte Frage schließlich betrifft die Präferenz und Mitwirkung der weiteren Gruppen, wie dem Management und der Regierung.

5.6.3 Zwei Krisenzustände Der Bestzustand von Effizienz und Solvenz verbindet gute Führung und Strategie mit finanzieller Stärke im Sinne von Solvenz (oben rechts in Abb. 5.2). Wie an den Ent­ wicklungen der meisten Unternehmen zu erkennen ist, verbleibt ein Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Zustand. Vielleicht ist innerhalb dieses Best­ zustands noch eine Differenzierung angebracht, je nachdem, ob das Management und der Finanzstatus über- oder unterdurchschnittlich sind: Ein sehr gutes Management wird bei einer anstehenden Verjüngung dafür sorgen, dass die besten Kandidaten berufen werden. Finanzielle Stärke zeigt sich darin, dass Reserven gebildet werden und sich die Verpflichtungen in Grenzen halten. Die Kapi­ talstruktur betont das Eigenkapital. Die finanzielle Freiheit bewirkt, dass bei Investi­ tionen die attraktivsten Projekte möglich sind und daraus die besten ausgewählt wer­ den können. Kurz: Ist das Unternehmen sehr gut geführt und in sehr guter finanzieller Kondition, dürften sich die Führung und der Finanzstatus weiter verbessern. Exzellenz begünstigt noch höherer Exzellenz. Natürlich kann eine nur mittelmäßige Führung und Strategie blasser werden und ein mittelmäßige Finanzkondition kann Kraft verlieren – ohne dass dabei der Zustand

220 | 5 Modul: Kapitalstruktur Produkthaftung, operationelles Risiko, Ausfall von Forderungen

An sich gutes Management, doch Unternehmung ist plötzlich überschuldet.



keine Kostenkontrolle, Zerfall der Marke, falsche Akquisitionen

organisatorisch effizient W>B

organisatorisch ineffizient W 0

Abb. 5.3: Konsequenzen bei Insolvenz und organisatorischer Ineffizienz (eigene Darstellung).

von Effizienz und Solvenz verlassen wird. Ein mittelmäßiges Management wird kaum Stars anlocken und eine mittelmäßige finanzielle Konstitution wird nicht so leicht zu finanzieller Stärke führen. Das mittelmäßige Unternehmen bleibt mit hoher Wahr­ scheinlichkeit im Zustand der Mittelmäßigkeit, auch wenn der Zustand von Effizienz und Solvenz nicht verlassen wird. Allerdings sind Unternehmen in der Effizienz und Solvenz, die nur eine durch­ schnittliche Führung haben, die eine mittelmäßige Strategie verfolgen und deren fi­ nanzielle Kondition in Ordnung, wenngleich angreifbar ist, Gefährdungen ausgesetzt. Diese Gefährdungen können einen Übergang in den Zustand der Insolvenz herbeifüh­ ren (siehe Abb. 5.3). Auslöser für den Übergang ist oftmals ein zufälliges Ereignis. Die Insolvenz entsteht durch eine überraschend kommende Zusatzforderung oder einen plötzlichen Wertverlust des Vermögens. Ein Schaden kann durch Produkthaf­ tung entstehen, durch eine Strafe, ein operationelles Risiko oder durch Forderungs­ ausfall. Der Zustand der Insolvenz bei organisatorischer Effizienz (links oben in Abb. 5.3) verlangt ein Moratorium, eine Reorganisation des Kapitals sowie eine Verbesserung des Risikomanagements. Der Zustand der organisatorischen Ineffizienz bei Solvenz (rechts unten in Abb. 5.3) verlangt eine Verbesserung der Corporate Governance, ein verbessertes Controlling, eine striktere Wertorientierung und dazu möglicherweise personelle Änderungen im Management. Wirtschaftsprüfer könnten aufdecken, dass

5.6 Interessenkonflikte | 221

Sonderabschreibungen vorgenommen werden müssen, und danach ist das Unterneh­ men insolvent. Ebenso können sich Gesetzesänderungen negativ auswirken und im internatio­ nalen Geschäft könnten aufgrund der Währungsumrechnungen Verluste eintreten. Wenn diese Ereignisse nicht aufgefangen werden können, weil die Finanzkonditi­ on nur mittelmäßig ist (auch wenn Solvenz vorliegt), dann tritt der Übergang zwischen den beiden Zuständen (in Abb. 5.3 von oben von rechts nach oben links) ein. Zweifellos wird man Schwächen bei der Risikopolitik zugeben, doch im We­ sentlichen bleibt das Unternehmen auch nach dem Zustandsübergang effizient. Das Unternehmen hatte nur Pech und das Management kann sich damit entschul­ digen. Es wird pflichtgemäß das Gericht, die Fremdkapitalgeber und die Eigenkapital­ geber informieren. Doch angesichts kaum getrübter Effizienz möchten alle drei Instan­ zen fortführen. Ausgehend vom Zustand der Effizienz und Solvenz (in Abb. 5.3 oben rechts) kann indes auch ein Übergang in den Zustand der Ineffizienz (unten rechts in Abb. 5.3) statt­ finden. Das geschieht meist in einem längeren Prozess. Gründe sind – mangelhafte Kostenkontrolle und – ein Verfall der Marke, ein Ausbleiben von Innovationen sowie eine fehlende Er­ neuerung der Prozesse. – Eventuell erweist sich eine Investition als doch sehr teuer, etwa weil bei einer Ak­ quisition die Integration nicht gelingt oder erhoffte Synergien ausbleiben. Selbstverständlich macht die Führung auf eigene Schwächen ebenso wenig aufmerk­ sam wie auf Fehlentscheide bei Akquisitionen oder auf verlangte strategische Ände­ rungen. Das Management wird stets behaupten, dass der Zustand der Effizienz vor­ herrscht. Allenfalls wird das Management eingestehen, dass durch Pech sich hier und da die finanzielle Kondition etwas abgeschwächt habe, wobei indes immer noch Sol­ venz gegeben ist. Deshalb werden sich die Fremdkapitalgeber damit zurückhalten, eine Beurteilung über das Management abzugeben. Die Banken werden weiterhin Kre­ dite geben, denn das Unternehmen ist (vorläufig) solvent. Insbesondere Anschlussfi­ nanzierungen stellen kein Problem dar. Den Sachverhalt, dass der Zustand von Ineffizienz kombiniert mit Solvenz (unten rechts in Abb. 5.3) eingetreten ist, müssen allein die Eigenkapitalgeber herausfinden. Weder das Management noch die Banken unterstützen die Eigenkapitalgeber dabei. Nach der Entscheidungsregel sollten also die Ei­ genkapitalgeber feststellen, dass dieser Zustand von Ineffizienz und Solvenz vorliegt, ohne dass ih­ nen jemand dabei hilft.²⁶

26 Vergleiche Markus Schmid, Daniel Hoechle, Ingo Walter, David Yermack: How Much of the Diver­ sification Discount Can be Explained by Poor Corporate Governance? Journal of Financial Economics, 103 (2012) 1, S. 41–60.

222 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Die Eigenkapitalgeber sollten, wiederum ohne Hilfe, Änderungen herbeiführen. Je­ denfalls wollen sie das Unternehmen nicht wie bisher weiterführen. Sie wollen also die Führung ändern und die Strategie erneuern. Das setzt voraus, dass die Eigenkapi­ talgeber den Zustand genau so benennen, wie er ist, und dass sie sich kraftvoll für die verlangten Änderungen aussprechen. Hierzu ist eine effektive Corporate Governance verlangt. Möglicherweise erkennen die Eigenkapitalgeber die Situation, weil Finanz­ analysten ihnen dabei helfen, den Verfall der Effizienz in seinen Ursachen besser zu verstehen. Wenn die Eigenkapitalgeber allerdings allein die nötigen Änderungen nicht durchsetzen können (gegen das Management und bei neutral bleibenden Fremd­ kapitalgebern), dann müssen sie wenigstens dafür sorgen, dass Unternehmensberater ins Haus kommen. Vielleicht nutzen die Eigenkapitalgeber auch ihr Netzwerk und finden einen Hedgefonds oder einen Corporate Raider. Diese Akteure planen eine Übernahme, die dann das Management als „feindlich“ tituliert.

5.6.4 Ineffizienz und Insolvenz Der dritte Krisenzustand kombiniert Ineffizienz mit Insolvenz (unten links in Abb. 5.3). Dieser Zustand wird nicht direkt vom Bestzustand eines gut geführten und finanzstar­ ken Unternehmens erreicht. Der Weg zum dritten Krisenzustand kann einerseits über die Insolvenz (oben links in Abb. 5.3) führen, andererseits über die Ineffizienz (unten rechts in Abb. 5.3). Im Zustand von Effizienz und Insolvenz (oben links in Abb. 5.3) kann es dazu kommen, dass die Reorganisation des Kapitals nur „halbherzig“ vollzogen wird. Oder die Eigen- und Fremdkapitalgeber können sich unerwarteterweise doch nicht einigen. Noch bevor ein Konkurs eingeleitet wird, kommt es zu Verschlechterungen in der Füh­ rungsqualität und bei der Eignung der Strategie. Immerhin kann die Tatsache, dass eine Reorganisation der Finanzen verlangt ist, bekannt werden, und negativ auf das Verhalten der Mitarbeiter, auf Produktion und Absatz ausstrahlen. So kann zur Insol­ venz leicht eine Ineffizienz hinzukommen. Der Weg in den Zustand von Ineffizienz und Insolvenz kann andererseits über die Ineffizienz führen. Die Eigenkapitalgeber schaffen es weder mit Unternehmensbera­ tern noch mit einem Corporate Raider, wieder Effizienz herbeizuführen. Management und Strategie bleiben schwach, die Kosten hoch. Bereits geringfügige zufällige Verlus­ te – durch nötige Abschreibungen, verlangte Haftungsleistungen, operationelle Risi­ ken, Währungsverluste – verschieben die Position des Unternehmens darauf in die Insolvenz (unten von rechts nach links in Abb. 5.3). Die Banken erkennen, dass dieser Zustand eingetreten ist. Eventuell machen sie eine Anschlussfinanzierung davon abhängig, dass ein Wirtschaftsprüfer eine aktuelle Bilanz erstellt. Die Banken drängen dann auf eine Liquidation.

5.6 Interessenkonflikte |

223

Sie wären vielleicht auch noch mit einem Neuanfang einverstanden, doch im drit­ ten Krisenzustand haben sich die Eigenkapitalgeber aufgrund der geschwundenen Ef­ fizienz bereits (frustriert) zurückgezogen – dies, weil weder die Reorganisation des Ka­ pitals (beim Weg über den Zustand oben links in Abb. 5.3) noch die Erneuerung von Führung und Strategie (beim Weg über den Zustand unten rechts in Abb. 5.3) mithilfe einer Unternehmensberatung gelungen ist. Deshalb können die Banken nicht darauf hoffen, zusammen mit den Eigenkapitalgebern einen Neuanfang oder eine Fortfüh­ rung zu erreichen. So bleibt den Banken nichts anderes, als ein Konkursverfahren anzustreben. Das Management wird stets wiederholen, man sei immer noch im Zustand von Effizienz, auch wenn Insolvenz vorliege. Das Management wird verschiedene Gründe nennen, die auf Pech hindeuten. Das Management wird die Medien sagen lassen, die Eigenwie Fremdkapitalgeber müssen nun die Verantwortung übernehmen und das Unter­ nehmen mit neuem Kapital ausstatten. Doch die Banken wissen, dass keine Aussicht besteht, mit einer Reorganisation des Kapitals die gesetzlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche und nachhaltige Fortführung zu schaffen. Deshalb wird das Management im dritten Krisenzustand, möglichst noch vor Eröffnung eines Konkurs­ verfahrens, die Regierung darauf aufmerksam machen, dass Arbeitsplätze in Gefahr sind, da diese bei einem Konkurs verloren gehen.

Das dürfte die Regierung (bei einem großen Unternehmen) dazu bringen, Überbrü­ ckungskredite zu sprechen. So wird ein Konkurs mit seinen förmlichen Konsequenzen zumindest aufgeschoben. Doch man darf sich nicht täuschen: Die Regierung erwartet nicht, dass das Unternehmen mit einem Überbrückungskredit aus den Problemen der Ineffizienz und Insolvenz herausgeführt werden kann. Die Regierung erwartet auch nicht, dass der Überbrückungskredit die bisherigen Eigen- und Fremdkapitalgeber da­ von überzeugt, doch noch eine Fortführung zu versuchen. Der Überbrückungskredit der Regierung soll lediglich Zeit kaufen, vielleicht ein halbes Jahr. Die Hoffnung ist, dass in dieser Frist ein Käufer gefunden werden kann. Ein inländischer oder ausländischer Konzern übernimmt das ineffiziente und insol­ vente Unternehmen (Industry Deal) und leistet sogleich eine Arbeitsplatzgarantie für (etwa) zwei Jahre. Als Ausgleich für die Arbeitsplatzgarantie erhält der kaufende Konzern das Un­ ternehmen „für ein Butterbrot“ (wie die Medien schreiben). Die Regierung handelt also im Zustand von Ineffizienz und Insolvenz nicht in der Erwartung, die bisherigen Kapitalgeber oder das Management könnten einen Neuanfang begründen. Die Regie­ rungskredite dienen dazu, Zeit für die Suche zu kaufen und einen Industry Deal zu ermöglichen. Gleichzeitig mit den Krediten werden die Löhne für die Mitarbeiter be­ zahlt, und zwar für zwei bis drei Jahre.

224 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Kapitel 5.6 in Kürze –





Die Entscheidung zwischen Fortführung und Liquidation eines Unternehmens wird bei besonde­ ren Anlässen (Financial Distress, Gläubigerschutz) von mehreren Parteien getroffen. Während die Eigenkapitalgeber auf Effizienz achten, ist für das Konkursrecht ausschlaggebend, ob Solvenz oder Insolvenz vorliegt. Im Bestzustand ist das Unternehmen effizient und solvent. Drei Krisenzustände sind zu unterscheiden. In einem Krisenzustand ist das Unternehmen insol­ vent (aufgrund von Pech), im anderen ist es ineffizient (wegen fehlender Kostenkontrolle), im dritten ist es ineffizient und insolvent. Management, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit wünschen in Krisenzuständen dennoch eine Fortführung. Hatte das Unternehmen nur Pech, finden Eigen- und Fremdkapitalgeber in der Re­ gel zu einer Reorganisation der Finanzen. Ist das Unternehmen ineffizient geworden, könnte eine Unternehmensberatung (oder auch ein Kapitalmarktakteur) dabei helfen, die Effizienz zu steigern. Im dritten Krisenzustand (Ineffizienz und Insolvenz) dürften weder die Eigen- noch die Fremdkapitalgeber eine Basis finden, auf der sie gemeinsam einen Neubeginn versuchen wollen. Regierungskredite dienen dazu, Zeit zu gewinnen, in denen ein bislang außenstehender Käufer gefunden werden kann, sodass Arbeitsplätze wenigstens für einige wenige Jahre gesichert sind.

Fragen zu Kapitel 5.6 1.

2.

3.

Jemand sagt, eine kraftvolle Corporate Governance sei besonders in einem ganz bestimmten Zu­ stand verlangt. a. Wenn diese Aussage zutreffen sollte, welche Zustand ist dann gemeint? b. Wirken in diesem Zustand nicht schon die Fremdkapitalgeber disziplinierend auf das Ma­ nagement ein? Wird eine Krise bekannt, äußern sich die Medien oftmals gegen die Eigen- und Fremdkapitalge­ ber (Banken). Die Medien verlangen, dass die Kapitalgeber „endlich Verantwortung zeigen“, sich „alle an einen Tisch setzen“ und dem Unternehmen „frisches Kapital“ zuführen. Gehen Sie auf die drei besprochenen Krisenzustände ein und prüfen, in welchen davon die Aussage der Medien den Sachverhalt trifft. Es wird bekannt, dass sich CEO und CFO bis vor Kurzem noch oft mit Bankern zum Essen getrof­ fen haben und auch sonst eine gute Beziehung unterhielten, doch dass in letzter Zeit nur noch sporadische und förmliche Sitzungen mit Gesprächen stattgefunden haben. In welchem Zustand würden sie das Unternehmen vermuten?

5.7 Zusammenfassung 5.7.1 Lernpfad Modul 5 hat einen weiten Bogen gespannt. Vier Punkte sind hervorzuheben: 1. MoMi-Thesen 2. drei besprochene Bewertungsansätze: APV-, Flow-to-Equity- und Total-CashflowAnsatz in der Variante von Miles und Ezzell 3. Pecking Order und Free-Cash-Flow-Ansatz von Jensen 4. Trade-off-Theorie der Kapitalstruktur, Hybridkapital und Finanzmärkte

5.7 Zusammenfassung |

225

Der Weg führte auf zwei Gipfel: 1. Kreditkonvenanten und die Änderung der Geschäftspolitik von der Wertorientie­ rung auf den Erhalt der Liquidierbarkeit in dem Fall, dass sie greifen 2. Krisenzustände, und wie bei ihrem Eintreten die Motivationen der beteiligten Par­ teien ausgerichtet sind

5.7.2 Personen Im Text erwähnte (natürliche und juristische) Personen: – Franco Modigliani und Merton H. Miller – Stewart C. Myers (auch gemeinsam mit Nicholas S. Majluf) – Harry M. Markowitz – William F. Sharpe – Kenneth J. Arrow – Michael Jensen – Hans Neukomm

5.7.3 Schlüsselbegriffe Irrelvanzthesen von Modigliani und Miller – Adjusted-Present-Value-Ansatz – Tax Shield – Flow-to-Equity-Ansatz –Hackordnung (Pecking Order) – Trade-off-Theorie der Kapitalstruktur – Target Capital Structure – Effizienz und Ineffizienz – Solvenz und Insolvenz

5.7.4 Aufgaben 1.

2.

Ein Konzern plant, in Ruritanien ein Unternehmen zu kaufen. Dort werden Ge­ winne von Firmen mit 50 % besteuert, doch der Gouverneur meint, der Steuer­ satz wirke sich nicht so stark aus, wenn sehr viel Fremdkapital eingesetzt wird. Die lokalen Banken seien zur Kreditvergabe bereit. Vor Steuern würde das Unter­ nehmen eine Rendite von 16 % bringen und das EBIT werde (bis in die unendliche Zukunft) jedes Jahr 100 Mio. Euro sein. Die Verkäufer würden das von ihnen ge­ nommene Fremdkapital tilgen und für die Firma dann 400 Mio. Euro verlangen. Lohnt sich die Investition bei vollständiger Eigenfinanzierung? Schätzen Sie den Unternehmenswert für eine Finanzierung mit einer Eigenkapitalquote von 20 %. Wählen Sie nicht gegebene und benötigte Größen so, dass sie begründbar sind. Jemand hat für eine börsennotierte Aktiengesellschaft beobachtet, dass im histo­ rischen Mittel die Aktienrendite bei 9 % lag, wogegen das Marktportfolio eine Ren­ dite von 8 % brachte. Rechnen Sie mit einem risikofreien Zins von 5 %. Ermitteln

226 | 5 Modul: Kapitalstruktur

Sie das Beta der Aktien. Die AG war immer mit einem Verschuldungsgrad von 2 fremdfinanziert. Lassen Sie den Effekt von Steuern außer Acht. Welches wäre die Aktienrendite, wenn das Unternehmen vollständig eigenfinanziert wäre? 3. Die Miles-Ezzell-Formel sieht recht einfach aus, jedoch muss bei ihrer Verwen­ dung für die Bewertung die marktmäßige Kapitalstruktur bekannt sein. Wie wür­ den Sie vorgehen, um dieses Problem zu lösen? 4. Eine Firma wird Jahr um Jahr und ohne zeitliche Begrenzung einen EBIT von 20 Geldeinheiten haben. Für die Bewertung wird der Fiktion gefolgt, dass diese Beträge an die Kapitalgeber und den Fiskus abfließen. Es gibt kein (organisches) Wachstum. Allerdings werden Gewinne mit 50 % versteuert und es werden zwei extreme Kapitalstrukturen diskutiert. Eine ist die vollständige Eigenfinanzierung der Firma. Die Eigenkapitalkosten bei dieser Finanzierung sind 10 %. Die zweite, ebenso extreme Kapitalstruktur verwendet (in marktmäßiger Bewertung) 1 Teil Eigenkapital und 9 Teile Fremdkapital. Rechnen Sie mit einem Zinssatz von 6 %. Wie hoch sind die Eigenkapitalkosten bei der zweiten Kapitalstruktur? Wie hoch sind die WACC bei der ersten und wie hoch bei der zweiten Kapitalstruktur? Wel­ che Grenzen für den Wertbereich haben Sie dadurch errechnet? 5. Angenommen, die Pecking Order würde die Wirklichkeit sehr gut beschreiben. a. Welche Kapitalstruktur hätten dann die Unternehmen? b. Welche Auswirkungen auf die Insolvenzen würden sich ergeben? c. Welche Auswirkungen auf die Investitionspolitik würden sich zeigen? d. Würde die Pecking Order ihre Erklärungskraft verlieren, wenn auch Zinszah­ lungen an die Fremdkapitalgeber mit einer EBIT-Steuer belastet würden? 6. Die Hausbank schlägt dem Unternehmer vor, Kreditkonvenanten in den Vertrag zu nehmen. Sie sagt, der Kredit würde dann günstiger. Wo kommt letztlich das Geld her, das es erlaubt, Kredite günstiger zu vergeben? 7. Wie kann man sich erklären, dass der dritte Krisenzustand (Ineffizienz und Insol­ venz) immer in den Medien kommentiert wird, während der Krisenzustand von Insolvenz bei Effizienz oftmals in einem rein privaten Kreis mit einer Reorganisa­ tion der Finanzen gelöst wird und gar nichts davon an die Öffentlichkeit dringt?

6 Modul: Kennzahlen 6.1 Performance im Finanzmarkt Modul 6 beginnt mit der Performancebetrachtung im Finanzmarkt. Zentraler Gegenstand sind die Kennzahlen Dividendenrendite, Gewinnrendite und Ausschüttungsquote. Daneben wird auf Markt­ wert und Buchwert (des Eigenkapitals) sowie Goodwill eingegangen. Zudem wird die Persistenz der Gewinn-Niveaus erörtert und anschließend die Multiplikator-Methode vorgestellt , verbunden mit der Frage, ob die Aktienselektion sich eher an geringen Kurs-Gewinn-Verhältnissen oder an hohen Dividendenrenditen orientieren sollte.

6.2 Aktienrendite und Return on Equity Zunächst wird das CAPM rekapituliert. Die Begriffe sind Return und Risk, Marktportfolio, die Ri­ sikoprämie des Marktportfolios und das Beta. Nach dem CAPM wird die Rendite als Summe aus Dividendenrendite und Wachstumsrate dargestellt. Diese Zerlegung ist im Gordon’schen Wachstums­ modell möglich. Sie bildet die Grundlage für Begriffe wie etwa den der impliziten Wachstumsrate. Es folgen weitere Kennzahlen: ROE, ROA, Cashflow-Marge und EBITDA-Marge.

6.3 Bilanzkennzahlen Bei den Bilanzkennzahlen werden zwei Schwerpunkte gesetzt: Kennzahlen für die Vermögens- und Kapitalstruktur sowie für die Liquidität. Als Kennzahlen zur Vermögens- und Kapitalstruktur werden der Kapitalumschlag, die Anlageintensität, die Eigenkapitalquote und die Kreditorenquote genannt. Als Kennzahlen zur Liquidität werden das Working Capital, die Liquidität II. Grades (Quick Ratio) und der Cashzyklus besprochen.

6.4 Effizienz und operative Stärke Zur Effizienz werden mehrere Kennzahlen vorgestellt, die eine Größe in Bezug auf den Umsatz aus­ drücken: Dazu zählen die Vertriebsgemeinkosten, die Forschungsausgaben, der Gewinn sowie der Cashflow in Bezug zum Umsatz. Zur Beurteilung operativer Stärke wird in der Praxis die Zinsde­ ckungsquote herangezogen, weiter die Effektivverschuldung, die dynamische Verschuldung und die Investitionsquote.

6.5 Wertanalyse Zunächst werden Grundlagen zum Unternehmenswert behandelt. Dabei wird auch der Entschei­ dungswert erwähnt sowie die Ermittlung des vergleichbaren Transaktionspreises in einer konkreten Marktsituation. Anschließend werden vier Bewertungsmodelle erläutert: Das Dividend Discount Mo­ del (DDM), auch in der Gordon’schen Variante gleichförmig wachsender Dividenden, die Ertragsbe­ wertung (mit kurzem Blick auf das organische Wachstum), der DCF-Ansatz (mit kurzer Diskussion der Budgetierung von Investitionen), die Gesamtbewertung im Total-Cashflow-Ansatz und die Weighted Average Costs of Capital (WAAC) nach Miles und Ezzell.

6.6 Zusammenfassung Wie in jedem Modul dieses Buches werden auch in Modul 6 als Zusammenfassung ein Lernpfad, eine Auflistung erwähnter Personen, Schlüsselbegriffe sowie Aufgaben angeboten.

https://doi.org/10.1515/9783110472240-006

228 | 6 Modul: Kennzahlen

6.1 Performance im Finanzmarkt 6.1.1 Wozu Kennzahlen? Kenngrößen und Kennzahlen drücken die Situation oder die Verhältnisse in einer Zahl aus. Somit verdichten sie Informationen, und das Ergebnis der Verdichtung ist quan­ titativ. Kenngrößen sind oft Summen (wie die Bilanzsumme), Differenzen (wie der Ge­ winn, das Residuum, der Cashflow) oder Durchschnitte (wie die durchschnittlichen Kapitalkosten). Kennzahlen sind meist Quotienten (wie beispielsweise das KursGewinn-Verhältnis, die Rendite, die Cashflow-Marge). Kennzahlen und Kenngrößen erweisen ihre hohe Nützlichkeit im Rahmen der Un­ ternehmensfinanzierung. Kenngrößen und Kennzahlen dienen erstens dazu, eine Ori­ entierung über die Situation und die Verhältnisse zu gewinnen, und zweitens helfen sie, Entscheidungen vorzubereiten. Vielfach werden mehrere Kennzahlen so grup­ piert, dass sie ein Gesamtbild ergeben. Es wird dann von einem Kennzahlensystem gesprochen. Auf solchen Kennzahlensystemen bauen Führungsinstrumente auf. Einzelne Kenngrößen und Kennzahlen als reine Zahlenwerte haben oftmals nur begrenzte Aussagekraft. Wenn man sie zu einem Gesamtbild zusammengefügt und sie mit Zahlenwerten anderer Unternehmen an anderen Märkten und über die Zeit vergleicht, entfalten sie volle Aussagekraft. In Modul 6 werden die wichtigsten Kennzahlen der Unternehmensfinanzierung zusammengetragen und in drei Gruppen unterteilt: 1. in solche, die eine Größe vor dem Hintergrund des Finanzmarkts beurteilen, 2. in Kennzahlen zur Bilanz und zur Gewinn- und Verlustrechnung, 3. in Kennzahlen, die in Zusammenhang mit der Be­ wertung des Unternehmens stehen. Kennzahlen informieren über einen Zustand oder über eine Veränderung. Kenn­ zahlen sollten daher nicht nur für einen einzigen Stichtag oder eine einzige Periode berechnet, sondern immer im Vergleich über mehrere Stichtage oder Perioden hinweg dargestellt werden. So wird die Entwicklung nachvollziehbar. Vergleicht man verschiedene Unternehmen, ist die Branchenzugehörigkeit zu be­ achten, denn die als gut oder schlecht angesehenen Kennzahlen variieren deutlich mit dem Wirtschaftssektor. Nur wenige Kennzahlen gestatten einen Vergleich von Un­ ternehmen, die in verschiedenen Sektoren tätig sind. Vorsicht bei solchen Vergleichen ist angebracht, wenn die einbezogenen Unternehmen diversifiziert und in mehreren Sektoren tätig sind. Die Geschäftseinheiten eines Unternehmens sollten separat ana­ lysiert werden. Die Konsolidierung von Zahlen verschiedener Geschäftsbereiche ver­ wischt die Charakteristika. Wer zu viele Kennzahlen ermittelt, kann leicht zu einem verwirrenden Bild ge­ langen. Letztlich muss versucht werden, aus der Vielzahl der ermittelten Kennzahlen einen Gesamteindruck über das Unternehmen abzuleiten. Heute bestehen hierzu integrierende Konzepte wie die Balanced Scorecard (BSC), das Performance Ma­

6.1 Performance im Finanzmarkt | 229

nagement (PM-Ansatz) und die Business Intelligence (BI-System). Die Konzepte unterstützen Investoren und Finanzanalysten bei ihrer Arbeit. Schließlich werden für die Aufbereitung und Kommunikation von Kennzahlen Formen gewählt, die sich stark an den Wünschen der Adressaten orientieren. Dafür sind Finanzcockpits und Dashboards geeignet. Diese Systeme arbeiten die Erfolgstreiber in Ursache-WirkungsZusammenhängen heraus.

6.1.2 Dividenden- und Gewinnrendite Die Finanzanalyse möchte Unternehmen aus finanzieller Sicht beurteilen. Sie kann als interne Analyse innerhalb des Unternehmens selbst durchgeführt werden. Die in­ terne Analyse soll Planungs- und Kontrollinformationen für Entscheidungen der Un­ ternehmensleitung zur Verfügung stellen. Die interne Analyse kann auch die Prüfung unterstützen. Die externe Finanzanalyse wendet sich an Personen außerhalb des Un­ ternehmens. Sie dient dann Investoren, Gläubigern und Medien. Eine Reihe von Kennzahlen befassen sich mit der Performance des Unternehmens im Finanzmarkt. Eine erste Kennzahl ist die Dividendenrendite (Dividend Yield). Ty­ pische Dividendenrenditen von Aktiengesellschaften liegen im Bereich zwischen 1 % und 4 %, wobei länderspezifische Gepflogenheiten eine Rolle spielen. DYD =

Dividende pro Aktie Aktienkurs

(6.1)

Eine zweite Kennzahl ist die Gewinnrendite (Earnings Yield). Ihr Kehrwert ist das bekannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder Price Earnings Ratio (PE): EYD =

EPS Gewinn pro Aktie = Aktienkurs Aktienkurs (6.2)

1 Aktienkurs Aktienkurs KGV = = = EYD Gewinn pro Aktie EPS Langzeitstudien berichten über ein mittleres KGV von 17 bei börsennotierten Aktien­ gesellschaften (siehe Abb. 6.1). Kurzfristig treten teils deutlich höhere Zahlenwerte für das KGV auf. Vor dem Zusammenbruch der Märkte für Informationstechnologie im Jahr 2000 hatten die Kursbewertungen einiger Firmen zu Kurs-Gewinn-Verhältnissen von bis zu 100 geführt. Ebenso treten Phasen auf, in denen die Kurs-Gewinn-Verhält­ nisse gering sind. Meist sind das Zeitabschnitte, in denen das Zinsniveau am Kapital­ markt hoch ist. In solchen Situationen bevorzugen Finanzinvestoren festverzinsliche Geldanlagen und reduzieren ihre Aktienanlagen. Die Dividendenrendite und die Gewinnrendite sind durch die Ausschüttungsquo­ te miteinander verknüpft. Wird die Gewinnrendite mit der Ausschüttungsquote mul­ tipliziert, entsteht die Dividendenrendite. Die Formel für die Ausschüttungsquote,

230 | 6 Modul: Kennzahlen

130 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30

20

10

1930

1940

1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

Abb. 6.1: Price Earnings Ratio des S&P-500-Indexes ab 1926 (S&P 500 PE Ratio – 90 Year Histo­ rical Chart) (URL: www.macrotrends.net/2577/sp-500-pe-ratio-price-to-earnings-chart, zuletzt abgerufen am: 15.06.2018).

Dividend Payout Ratio (DPR), ist in (6.7) dargestellt. Diese Ausschüttungsquote be­ stimmt zugleich die Selbstbehaltquote. Beispiel Wenn 40 % des Gewinns ausgeschüttet werden, DPR = 40 %, dann ist die Quote des Selbstbehalts oder der Thesaurierung 60 %. Für KGV = 17 ergibt sich als Gewinnren­ dite: EYD = 1/17 = 5,9 %. Die Dividendenrendite: DYD = 0,40 ⋅ 0,059 = 2,36 % DYD =

Dividende pro Aktie Gewinn pro Aktie ⋅ Gewinn pro Aktie Aktienkurs

= Payout Ratio ⋅

Gewinn pro Aktie Aktienkurs

(6.3)

Mit wenigen Umformungen entsteht eine Beziehung zwischen der Dividendenrendite, dem ROE und dem Markt-Buchwert-Verhältnis M/B: DYD =

ROE ⋅ DPR M/B

(6.4)

Der Return on Equity (ROE), eine Renditekennzahl, ist als Gewinn geteilt durch den Buchwert des Eigenkapitals definiert. Die Formel für den ROE findet sich in (6.14). Die

6.1 Performance im Finanzmarkt | 231

Relation M/B bezeichnet das Marktwert-Buchwert-Verhältnis. Gemeint sind dabei der Marktwert und der Buchwert des Eigenkapitals. Die Dividendenrendite eines Unternehmens ist eher gering, falls die Kennzahl M/B hoch ist (6.4). Das ist bei Unternehmen der Fall, die zwar einen gewissen Wert haben, dabei aber einen geringen Buchwert. Praktisch bei allen Unternehmen ist der Marktwert größer als der Buchwert, denn die Bilanz zeigt nicht das gesamte Wissen des Unternehmens und auch nicht Marken­ namen und Reputation. Das wird erst dann deutlich, wenn das Unternehmen verkauft wird und der Käufer den bezahlten Preis, der in etwa dem Wert entspricht, bilanziert. Außerdem gibt es einige, an sich wertvolle Positionen, die in der Bilanz zwar angeführt aber dort anders bewertet sind. Anders ausgedrückt: Die Differenz zwischen M und B ist positiv. Die Differenz zwischen Marktwert und Buchwert wird auch als Goodwill bezeichnet: Goodwill = M − B (6.5) Da der Goodwill vor allem aufgrund des Wissens (oder der Intelligenz des Unterneh­ mens) positiv ist, wird zu (6.4) dieser Merksatz formuliert: „Intelligente Unternehmen haben eine geringe Dividendenrendite.“ Beispiele Ein Unternehmen habe einen Marktwert, der gleich dem Buchwert ist, also M/B = l. Der Return on Equity (ROE), also der Quotient von Gewinn zu Buchwert, sei 10 % (ROE = 10 %). Die Dividend Payout Ratio (DPR) sei 40 % (DPR = 0,4). Die Dividen­ denrendite DYD beträgt nach (6.4) folglich 4 %. Im Vergleich zu einer Geldanlage bei Zinssätzen von vielleicht 5 % oder auch 6 % ist die Dividendenrendite durchaus als hoch anzusehen, sodass ein Kauf von Aktien infrage kommt. Weil das Unternehmen 60 % der Gewinne einbehält, kann es noch wachsen. In einem weiteren Zahlenbeispiel seien M/B = 3, ROE = 15 % und DPR = 0,2. Die Dividendenrendite DYD beträgt also 1 %. In einem zusätzlichen Zahlenbeispiel seien M/B = 10, ROE = 20 % und DPR = 0,2. Die Dividendenrendite beträgt somit 0,4 %.

6.1.3 Signale hoher Aktienrendite Finanzanalysten schenken den Gewinnen der letzten Jahre sowie der von ihnen in der Zukunft erwarteten Gewinnentwicklung hohe Aufmerksamkeit. Meist werden die Gewinne pro Aktie genannt. Der Gewinn pro Aktie, ein Geldbetrag, wird mit Earnings per Share (EPS) abgekürzt: EPSt =

Gewinnt Anzahl Aktien

(6.6)

232 | 6 Modul: Kennzahlen

Empirische Untersuchungen belegen eine Besonderheit bei der Gewinnentwicklung, die natürlich mit Unischerheiten behaftet ist. Die Änderungen der Gewinne, die über die Jahre hinweg zu verzeichnen sind, werden als zufällige Fluktuationen des Ge­ winns um ein vorgegebenes Niveau betrachtet. Änderungen des Niveaus werden hin­ gegen als langsam betrachtet. Deshalb wird von Persistenz hinsichtlich des Gewinn­ niveaus gesprochen. Die Änderungen der Gewinne von Jahr zu Jahr sind kaum seriell korreliert, jedoch sind die Gewinne aufeinanderfolgender Jahre positiv korreliert. Wenn die Gewinnerwartung oder die Erwartung des Gewinns pro Aktie nach oben korrigiert wird, besteht infolgedessen aufgrund der Persistenz eine hohe Wahrschein­ lichkeit, dass die Gewinne der später folgenden Jahre ebenso höher sein werden. Falls sich der nächste Gewinn zurückbildet, besteht aufgrund der Persistenz eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die nachfolgenden Gewinne ein tieferes Niveau haben wer­ den. Aufgrund der Persistenz, also der positiven seriellen Korrelation von Gewinnen, stellt eine Nachricht über die Höhe des kommenden Gewinns (oder über eine Gewinn­ änderung gegenüber dem letzten Jahr) nicht nur eine Information für dieses kommen­ de Jahr dar. Sie gestattet eine Erwartungsbildung hinsichtlich aller folgenden Jahre. Ankündigungen über Gewinnänderungen sind besonders starke Signale. Ankündigungen über den nächsten Gewinn haben ausgesprochen kräftige Wirkungen auf die Kursbildung.

DPR =

Dividende Dividende pro Aktie = Gewinn EPS

(6.7)

Formel (6.7) zeigt die Ausschüttungsquote, Dividend Payout Ratio oder Payout Ratio. Oftmals bezieht sie sich nicht auf tatsächliche, sondern auf angestrebte Verhältnis­ se. Eine Dividend Payout Ratio von 40 % besagt, dass Unternehmen strebt an, 40 % des Gewinns auszuschütten und 60 % einzubehalten. Die tatsächliche Payout Ratio schwankt von Jahr zu Jahr und Unternehmen versuchen, die Dividendenzahlungen zu verstetigen. Nimmt man eine langfristige Untersuchung vor, muss man sich im Nenner von (6.7) eher einen mittleren Gewinn vorstellen. Der Zusammenhang zwischen Divi­ dendenrendite und Gewinnrendite lautet als Formel dargestellt: DYD = DPR ⋅ EYD. Beträgt die Gewinnrendite 6 % und wird ein Drittel ausgeschüttet, ist die Dividenden­ rendite 2 %. Die Gewinnrenditen oder ihr Kehrwert, die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von Unter­ nehmen, sind oftmals in einer Branche ähnlich. Daher werden bei Analysen häufig branchenbezogene Vergleichskennzahlen als Benchmark verwendet. Gleichwohl un­ terliegen auch die branchenbezogenen Kennzahlen zeitlichen Schwankungen im Gleichklang mit den Schwankungen der Kursniveaus an den Börsen. Dieser Sachver­ halt wird dazu verwendet, einen Preis für vergleichbare Transaktionen zu bestimmen. 1. In der Regel werden bei einer Unternehmensbewertung langfristige und übliche Verhältnisse zugrunde gelegt.

6.1 Performance im Finanzmarkt

2.

| 233

Gelegentlich lautet die Frage jedoch: Welcher Preis wird wohl für das Unterneh­ men XYZ bezahlt werden, sollte es gerade in der konkreten Marktsituation zu einer Transaktion kommen?

In diesem Fall wird folgendermaßen vorgegangen: 1. Man bestimmt das KGV, das in der betreffenden Branche im Augenblick herrscht. Meistens betrachtet man eine so­ genannte Peergroup, also Firmen, die direkte Parallelen zum Unternehmen XYZ auf­ weisen. Möglicherweise wird die Peergroup weiter eingeschränkt, sodass sie nur Un­ ternehmen umfasst, die in der letzten Zeit übernommen wurden und für die der be­ zahlte Preis bekannt ist. Sodann wird das für die Peergroup bestimmte (mittlere) KGV mit dem Gewinn des Unternehmens XYZ multipliziert. Das KGV der Peergroup dient folglich als Multiplikator, als Multiple. Bei dieser Multiplikatormethode hat sich das vorausblickende KGV als besonders kraftvoll er­ wiesen. Es wird dasjenige KGV verwendet, welches das augenblickliche Kursniveau in Relation zur Gewinnschätzung des kommenden Jahres stellt. Neben seiner Verwen­ dung als Multiple wird das KGV auch sonst gern verwendet, etwa um die Preiswürdig­ keit einer Aktie zu beurteilen. Viele Anleger denken, das Geheimnis einer guten Akti­ enauswahl bestünde darin, auf geringe Kurs-Gewinn-Verhältnisse zu achten, um Akti­ en nicht zu teuer zu kaufen. Empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass eine Erhöhung der Dividend Payout Ratio eher ein positives Signal hinsichtlich zukünftiger Aktienrenditen ist. Die Payout Ratio scheint für den Zweck der Prognose zukünftiger Aktienrenditen sogar kraftvoller zu sein als die Gewinnrendite (oder das KGV).¹ Die praktische Empfehlung für den Anleger lautet, bei der Auswahl von Aktien eher auf hohe Dividenden (in Relation zum Gewinn) zu achten, als auf ein geringes KGV.

6.1.4 Fragen zur Lernkontrolle

Kapitel 6.1 in Kürze In Kapitel 6.1 wurden grundlegende Kennzahlen geübt: Dividendenrendite, Gewinnrendite, Ausschüt­ tungsquote. Daneben wurden behandelt: Marktwert und Buchwert (des Eigenkapitals) sowie Good­ will. Weiterhin wurde auf die Persistenz von Gewinnniveaus sowie auf die Multiplikatormethode ein­ gegangen.

1 Zu weiteren Performance-Kennzahlen vergleiche Martin Eling und Frank Schuhmacher: Perfor­ mance Measurement of Hedge Fund Indices – Does the Measure Matter? In: Hans-Dietrich Hassis, Herbert Kopfer und Jon Schönberger (Hrsg.) (2005): Handbuch Alternative Investments. Berlin et al.: Springer, S. 601–618. Nicolas Schmidlin (2013): Unternehmensbewertung & Kennzahlenanalyse. 2. Auflage. Vahlen.

234 | 6 Modul: Kennzahlen Fragen zu Kapitel 6.1 1.

2.

Ein Architekturbüro berichtet diese Kennzahlen: M/B = 10, ROE = 20 %. Der gesamte Gewinn wird vom Architekten entnommen (DPR = 100 %). a. Wie hoch ist die an der Entnahme orientierte Dividendenrendite? b. Wie hoch ist das KGV? Ein Unternehmer plant, sich in vielleicht drei Jahren zurückzuziehen und seine Firma zu verkau­ fen. Ungeachtet der dann vorherrschenden Preisniveaus möchte er seine Firma noch zur Blüte bringen. Worauf muss er besonders achten?

6.2 Aktienrenditen und Return on Equity 6.2.1 Beta und Kapitalkostensatz Zu Aktienrenditen existieren verschiedene Modelle. Entweder, die Modelle erklären Aktienrenditen durch Faktoren, oder sie weisen sie als Summe verschiedener Teile aus. Große Beachtung findet das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Es modelliert einen Finanzmarkt, in dem mehrere risikobehaftete Anlagemöglichkeiten bestehen. Jede der Einzelanlagen hat im CAPM eine Rendite, die sich aus dem jeweiligen Risiko ergibt. Die Kraft des Modells liegt darin, zu zeigen, wie das Risiko definiert ist und ge­ messen werden kann. Das CAPM ist somit ein Einfaktormodell. Der erklärende Faktor für die Höhe der Rendite einer Aktie ist das unternehmerische Risiko. Das CAPM wurde erweitert, um zusätzliche Faktoren berücksichtigen zu können. Ein zweiter Faktor, der die Aktienrendite empirisch gesehen zumindest teilweise er­ klärt, ist die Unternehmensgröße: Kleinere Firmen rentieren besser als große Unter­ nehmen (Size-Effekt).² Auch die Relation von Marktwert zu Buchwert (M/B) erklärt die Rendite: Unternehmen mit einem geringen M/B rentieren typischerweise mehr als solche mit einem hohen M/B. Letzteres nennt man Value-Effekt.³ Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) kann aus der Modernen Portfolio Theo­ rie (MPT) hergeleitet werden. Der erste Ansatz der MPT geht auf Harry M. Markowitz (1952)⁴ zurück. James Tobin (1958)⁵ erweiterte diesen Ansatz, indem er neben risikobe­ hafteten Anlagemöglichkeiten eine sichere Anlage als möglich erachtete. In (6.8) ist der entsprechende Zinssatz mit rf bezeichnet, wobei der Index aus free of risk abgelei­ tet ist. In der durch Markowitz und Tobin formulierten Portfoliotheorie läuft alles auf

2 Vergleiche Klaus Spremann und Patrick Scheurle: Size, book-to-market, and momentum during the business cycle. Review of Managerial Science 4, (2010) 3, S. 201–215. 3 Zu den unterschiedlichen Faktormodellen vergleiche Andreas Grüner und Christian Finke: LeadLag Relationship in International Stock Markets Revisited: Are They Exploitable? International Jour­ nal of Financial Research 9 (2018) 1, S. 8–30. 4 Harry Markowitz: Portfolio Selection. Journal of Finance (1952), Volume 7, Issue 1, S. 77–91. 5 James Tobin: Liquidity preference as behavior towards risk, The Review of Economic Studies (1958), 25, 65–86.

6.2 Aktienrenditen und Return on Equity

| 235

ein einziges, am meisten diversifiziertes Portfolio hinaus, das Marktportfolio. Es um­ fasst den mit rM bezeichneten Return (Renditeerwartung) und das mit σM bezeichne­ te Risk (Standardabweichung der Rendite). Auf Finanzmärkten wird der Marktindex als Proxy für das Marktportfolio herangezogen. William Sharpe (1964)⁶ konnte zeigen, dass sämtliche Einzelanlagen mit ihren Parametern (Return, Risk und Korrelationen) in einer bestimmten Beziehung zum Marktportfolio stehen. Diese Beziehung ist das CAPM: Für jede Einzelanlage k mit Return rk und Risk σk gilt: rk = βk ⋅ (rM − rf ) + rf

(6.8)

Dabei ist das sogenannte Beta βk der Quotient βk =

σk ⋅ ρk,M σM

(6.9)

In (6.9) ist ρk,M der Koeffizient der Korrelation zwischen der Rendite der Einzelan­ lage und des Marktportfolios. Die Differenz rM − rf wird als Risikoprämie des Markt­ portfolios bezeichnet. Empirische Prämien, ermittelt anhand historischer Daten für die an Börsen gehandelten Aktien, liegen bei 4 % bis 5 %. Beispiele 1. Eine Aktie hat ein Beta von 1,25, die Risikoprämie des Marktes liegt bei 4 %. Zu­ gleich beträgt der für die Betrachtung herangezogene langfristige Zinssatz 5 %. Nach dem CAPM würde man eine Rendite von 10 % erwarten. 2. Jemand gründet eine Single-Purpose-Company SPC, die sehr viel Fremdkapital einsetzt. Durch Leverage ist das Risiko der Rendite auf das wenige Eigenkapi­ tal recht hoch, die Standardabweichung der Eigenkapitalrendite der SPC beträgt 60 % , wogegen die Rendite des Marktportfolios 20 % beträgt. Der Koeffizient der Korrelation ist 1. Wie hoch ist das Beta der SPC? Antwort: Aus (6.9) ergibt sich Beta = 0,6/0,2 = 3. Weiter ist der Zinssatz 5 % und die Risikoprämie des Mark­ tes 4 %. Welche Rendite ist für das Eigenkapital der SPC marktgerecht? Antwort: 17 %. Das CAPM wird in der Unternehmensfinanzierung dazu genutzt, die marktgerechte Renditeerwartung der Eigenkapitalgeber zu ermitteln. Im Weiteren wird anhand die­ ser Renditeerwartung auch jene Renditeerwartung berechnet, die von allen Kapital­ gebern (Eigen- und Fremdkapitalgebern) gefordert wird. Diese durchschnittliche Ren­ dite entspricht dem Marktüblichen. So wird die Rendite in den Kalkulationen des Un­ ternehmens als Kapitalkosten ausgewiesen.

6 William F. Sharpe: Capital asset prices: A theory of market equilibrium under conditions of risk, Journal of Finance (1964), 19 (3), 425–442.

236 | 6 Modul: Kennzahlen

6.2.2 Nochmals das Kurs-Gewinn-Verhältnis Die Basis für die Zerlegung der Rendite ist das Gordon Growth Modell GGM. Die Aktien­ rendite kann damit in die beiden Renditebestandteile „Dividendenrendite“ und „Ka­ pitalrendite“ zerlegt werden. Für die mit rt bezeichnete Aktienrendite in einem Jahr t gilt: rt =

Kt − Ko + Divt Divt Kt − Ko = + Po Ko Ko

= Dividendenrendite + Kapitalrendite

(6.10)

K0 = Kurs der Anlage zum heutigen Zeitpunkt 0 (Beginn der Periode t) Kt = Kurs der Anlage am Ende der Periode t Divt = Dividende gezahlt zum Ende der Periode t Im Gordon’schen Wachstumsmodell gibt g die Rate des Wachstums (von Dividenden und Werten) wieder. Wenn der Aktienkurs gleich der Wachstumsrate ist, entspricht die Wachstumsrate der Kurszuwachsrate der Aktie. r = DYD + g = Dividendenrendite + Kapitalrendite

(6.11)

Formel (6.11) wird in der Finanzanalyse häufig eingesetzt. Dort wird sie in die äquiva­ lente Form g = r − DYD = r − D1 /W0 (6.12) gebracht. Die Wachstumsrate ergibt sich wie folgt: Von der Rendite r wird die Dividen­ denrendite DYD abgezogen. In der Praxis wird (6.12) so verwendet: Finanzanalysten beobachten den Kurs ei­ ner Aktie und unterstellen W0 = Kurs. Dann prognostizieren sie die nächste Divi­ dende D1 und nehmen eine Schätzung für r vor. Daraus errechnen sie die implizite Wachstumsrate: D1 g=r− (6.13) Kurs Wenn Finanzanalysten das aus der Kursbildung errechnete (implizite) Wachstum zu gering erscheint, wenn sie also der Ansicht sind, das Unternehmen könne durchaus stärker wachsen, sehen sie den Kurs im Vergleich zum Wert als gering an und geben eine Kaufempfehlung. Wenn den Analysten hingegen die mittels (6.13) errechnete Wachstumsrate zu hoch erscheint, betrachten sie den Kurs als zu hoch und sprechen eine Verkaufsempfehlung aus oder sie empfehlen das Halten. Wenn eine Aktie an ei­ ner Börse in diesem Sinne einen zu niedrigen (oder zu hohen) Kurs aufweist, wird der sich in der Zukunft einstellende Kurs geschätzt. Basis dieser Schätzung bilden die Divi­ dendenrendite, das beobachtete Wachstum und die geschätzte Rendite in der in (6.13) dargestellten Beziehung.

6.2 Aktienrenditen und Return on Equity

| 237

Anmerkungen: 1. Falsche Bewertungen werden korrigiert. Benjamin Graham (1934)⁷ vertrat die An­ sicht, eine Korrektur könne drei Jahre beanspruchen. Die Kurse bewegen sich also in Richtung der Werte. In einem informationseffizienten Markt wird eine Wert­ korrektur sehr schnell vorgenommen, in anderen Handelsumgebungen kann es auch mehr Zeit in Anspruch nehmen. Eventuelle Abweichungen zwischen Kurs und Kursziel werden von Finanzanalysten anhand des aktuellen Kurs-GewinnVerhältnisses erkannt. 2. Das Unternehmen kann wachsen. Die Wachstumsmöglichkeiten ergeben sich aus einem eventuellen Umsatzwachstum und einer Zunahme der Marge (Gewinn in Relation zum Umsatz). 3. Eine dritte Komponente der Rendite sind die Ausschüttungen. Sie werden durch die Dividendenrendite bestimmt. Unternehmen, Branchen, oder Länder sind folglich interessant für Finanzanleger (sie­ he Tab. 6.1), wenn sie 1. an der Börse aktuell niedrig bewertet sind (und sich auf­ grund eines höheren Wertes die Kurse in Richtung der Werte bewegen), wenn es 2. gute Argumente für stärkeres Wachstum gibt (der Umsatz und auch die Marge neh­ men zu), wenn sie 3. eine ansehnliche Dividendenrendite bieten, die sich mögli­ cherweise noch erhöhen könnte. Bei Anlagen im Ausland können 4. Währungseffekte hinzukommen (siehe Tab. 6.2). Die aus der Standardform des KGV abgeleitete Cyclically Adjusted Price to Earn­ ings-Ratio (CAPE-Ratio) hat sich mittlerweile etabliert. Die CAPE-Ratio geht auf Robert Tab. 6.1: Marktwerte, Buchwerte (Mrd. USD) und M/B-Kennzahlen internationaler Unternehmen (Thomson Reuters EIKON, end-of-fiscal year 2017). Aktiengesellschaft

Industrie

Marktwert

Buchwert

M/B

General Electric SAP Siemens Novartis Nestle Lufthansa AT&T Chevron Daimler Deutsche Bank

Industrial Conglomerates Software Industrial Conglomerates Pharmaceuticals Food Products Airlines Diversified Telecommunication Services Oil, Gas and Consumable Fuels Automobiles Capital Markets

152 138 119 221 268 17 239 238 91 39

76 28 51 75 63 7 123 146 61 68

2.0 5.0 2.3 3.0 4.2 2.3 1.9 1.6 1.5 0.6

7 Benjamin Graham und David Dodd (1934): Security Analysis. New York: McGraw-Hill.

238 | 6 Modul: Kennzahlen

Tab. 6.2: Marktwerte, Buchwerte (Mrd. USD) und M/S-Kennzahlen internationaler Unternehmen (Thomson Reuters EIKON, end-of-fiscal year 2017). Aktiengesellschaft

Industrie

Marktwert

Buchwert

M/B

Boing Deutsche Telekom IBM Microsoft Continental Bayer ABB Walmart Apple

Aerospace and Defense Diversified Telecommunication Services IT Services Software Auto Components Pharmaceuticals Electric Equipment Food and Staples Retailing Technology Hardware, Storage and Peri­ pherals Automobiles

176 85 142 660 54 103 58 293 869

95 77 80 90 43 49 34 486 229

1.9 1.1 1.8 7.3 1.3 2.1 1.7 0.6 3.8

58

166

0.3

General Motors

Shiller (2000)⁸ zurück, der den Aktienkurs durch den Zehnjahresdurchschnitt der in­ flationsbereinigten Gewinne dividierte. Einen ähnlichen Weg wählte zuvor Benjamin Graham (1934). Die Graham’sche Definition des KGVs verwendet im Nenner den Zehn­ jahresdurchschnitt der nicht inflationsbereinigten Gewinne.⁹ Mit der Durchschnittsbildung nach Graham und nach Shiller werden die Konjunk­ turzyklen geglättet. In empirischen Studien erweist sich die CAPE-Ratio als geeignet, um zukünftige Renditen einer Aktienanlage zu prognostizieren.¹⁰ Die Vorteile des KGVs können folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Die Profitabilität eines Unternehmens ist der Haupttreiber des Aktienpreises, so­ dass das Hauptaugenmerk der Investoren und Wertpapieranalysten auf den Ge­ winn je Aktie fällt. 2. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist unter den Marktteilnehmern eine akzeptierte Ent­ scheidungsgröße beim Kauf und Verkauf von Aktien und dementsprechend weit verbreitet. 3. Empirische Studien zeigen, dass die relative Höhe des Kurs-Gewinn-Verhältnisses einen Einfluss auf die langfristige durchschnittliche Rendite hat.

8 Robert C. Shiller (2000): Irrational Exuberance. Princeton: University Press. 9 Benjamin Graham und David Dodd (1934): Security Analysis. New York: McGraw-Hill. 10 Joachim Klement (2012): Does the Shiller-PE work in emerging markets? URL: https://papers.ssrn. com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2088140, zuletzt abgerufen am 04.07.2018. Sowie Mec Faber: Glo­ bal Value: Building Trading Models with the 10-Year CAPE: Cambria Quantitative Research (8/2012), No. 5. URL: https://ssrn.com/abstract=2129474, zuletzt abgerufen am 04.07.2018. Vergleiche generell zur Vorhersagekraft von finanziellen Variablen: Angelo Ranaldo, Mario Meichle und Attilio Zanetti: Do financial variables help predict the state of the business cycle in small open economies? Evidence from Switzerland. Journal of Financial Markets & Portfolio Management, 25 (2011) 4, S. 435–453.

6.2 Aktienrenditen und Return on Equity |

239

Die Nachteile bei der Anwendung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses sind mehrheitlich auf Eigenschaften des Gewinns zurückzuführen: a. Der Gewinn je Aktie kann null, negativ oder im Vergleich zum Aktienpreis sehr ge­ ring sein, sodass das Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht aussagekräftig ist oder wenig Sinn ergibt. b. Der Gewinn je Aktie kann sehr volatil sein, vor allem bei wachstumsstarken und risikoreichen Unternehmen.

6.2.3 Return on Equity und Return on Assets Das Management hat früher eine interne Sicht der Marktperspektive vorgezogen. Buch­ größen standen im Vordergrund. Entsprechend weist das Management auch heute noch den Gewinn vielfach in Relation zum Buchwert des Eigenkapitals aus. Diese Kennzahl heißt Return On Equity (ROE). Typische Werte für den ROE liegen bei 15 %. ROE =

Gewinn Buchwert

(6.14)

Daneben wird der Return on Assets (ROA) als Kennzahl berechnet: ROA =

Gewinn Buchwert des Gesamtkapitals

(6.15)

Die Verwendung des ROE als Kennzahl fand durch das bei dem Chemieunternehmen DuPont verwendete Kennzahlensystem Akzeptanz und Verbreitung. Im Du-PontKennzahlensystem wird der ROE als Produkt dreier Kennzahlen dargestellt: 1. der Marge (Gewinn pro Umsatz), 2. der Umschlaghäufigkeit (Umsatz geteilt durch Vermögen) und 3. der Finanzkennzahl, die das Gesamtkapital in Relation zum Eigenkapital setzt (Kehrwert der Eigenkapitalquote). ROE =

Gewinn Gewinn Umsatz Gesamtkapital = × × Eigenkapital Umsatz Vermögen Eigenkapital

(6.16)

(6.16) zeigt: Der ROE fasst den Erfolgsbeitrag dreier Abteilungen zusammen. 1. Die Absatzabteilung muss versuchen, die Gewinnmarge zu erhöhen, bezogen auf den Umsatz also möglichst viel zu verdienen. 2. Die Produktionsabteilung muss versuchen, die Durchlaufzeiten so zu verringern, dass, bezogen auf das Vermögen – oder das Sachkapital, die Maschinen und die Produktionskapazität – der Umsatz möglichst hoch wird. 3. Die Finanzabteilung muss versuchen, bezogen auf die (als beschränkt angesehe­ nen) Eigenmittel so viel Kapital wie möglich durch Aufnahme von Fremdkapital anzuhäufen. Dabei gilt die Bilanzgleichung: Vermögen = Gesamtkapital. Die technologische Wirklichkeit ist heute eine andere als zu Hochzeiten des ROE, als dieser Grundlage ganzer Kennzahlensysteme war. Heute beziehen Aktionäre den Ge­

240 | 6 Modul: Kennzahlen

winn zumeist nicht mehr auf den Buchwert des Eigenkapitals, sondern auf den Markt­ wert, denn der Marktwert ist der Betrag, den sie selbst in der Aktie investiert halten. Das Aufkommen der Finanzmärkte hat den ROE in den Hintergrund gedrängt. Die Umsatzrentabilität bezieht den Gewinn auf den Umsatz und wird deshalb auch als Gewinnmarge bezeichnet: Gewinnmarge =

Gewinn Umsatz

(6.17)

Die typische Umsatzrentabilität eines Industrieunternehmens liegt bei 5 % bis 10 %. Wird der Kreis der Berechtigten über die Eigenkapitalgeber hinaus erweitert, gelangt man zur EBIT-Marge: EBIT (6.18) EBIT-Marge = Umsatz Die EBIT-Marge drückt aus, wie hoch das zugunsten der Gruppe von Kapitalgebern und Fiskus erzeugte Ergebnis (Betriebsgewinn) in Relation zum Umsatz ist. Die Cashflow-Marge drückt die finanzielle Beweglichkeit des Unternehmens aus. Die Eigenkapitalgeber könnten sowohl auf Ausschüttungen und auf Ersatzinvestitio­ nen verzichten. Cashflow Cashflow-Marge = (6.19) Umsatz In diesem Fall stünde der gesamte Cashflow, etwa für eine strategische Neuausrich­ tung des Unternehmens, zur Verfügung, ohne dass Außenfinanzierung verlangt wäre. Der Kreis der Berechtigten kann bei dieser Betrachtung wiederum erweitert werden. Es wird dann statt dem Cashflow der Brutto-Cashflow zugrunde gelegt. Der Cashflow bezieht sich auf den Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber. Der Brutto-Cashflow bezieht sich auf die Gruppe von Eigenkapitalgebern, Fremdkapitalgebern und den Fis­ kus. Bei dieser erweiterten Basis wird die EBITDA-Marge gebildet. Sie ist gleich dem Brutto-Cashflow geteilt durch den Jahresumsatz: EBITDA-Marge =

Brutto-Cashflow Umsatz

(6.20)

Kapitel 6.2 in Kürze Zunächst wurde das CAPM rekapituliert: Return und Risk, Marktportfolio, Risikoprämie des Marktport­ folios, Beta. Das CAPM, entwickelt von Markowitz, Tobin und Sharpe, ist ein Einfaktormodell, hergelei­ tet aus den Annahmen der Modernen Portfoliotheorie. Mehrfaktormodelle ziehen als zusätzliche Fak­ toren vor allem die Unternehmensgröße und die Kennzahl M/B heran. Nach der Behandlung des CAPM als Einfaktormodell wird die Rendite in ihre beiden Bestandteile Dividendenrendite und Wachstums­ rate zerlegt. Diese Zerlegung ist gemäß dem Gordon’schen Wachstumsmodell möglich. Sie eröffnet zugleich die Möglichkeit, weitere Kenngrößen wie etwa die implizite Wachstumsrate zu ermitteln und ermöglicht es Analysten damit, die Kursbildung implizit zu beurteilen. Darauf aufbauend werden wei­ tere Kennzahlen besprochen: ROE, ROA, Cashflow-Marge und EBITDA-Marge. Im Zuge der Darstellung des ROE wurde das Kennzahlensystem von DuPont erwähnt, das den ROE als Produkt dreier Kennzah­ len, die Absatz, Produktion und Finanzen betreffen, beschreibt.

6.3 Bilanzkennzahlen | 241

Fragen zu Kapitel 6.2 1. 2. 3. 4.

5.

Richtig oder falsch? „Wenn die Gewinnrendite steigt, fällt das Kurs-Gewinn-Verhältnis.“ Gibt es einen Zusammenhang zwischen Dividend Payout Ratio und Wachstum? Bringt die Cashflow-Marge die „finanzielle Beweglichkeit“ des Unternehmens zum Ausdruck? Beurteilen Sie ein Unternehmen, bei dem Sie erwägen, Geld in Aktien anzulegen, anhand von drei Punkten: a. eventuelle Unterschiede zwischen Kurs und Wert. b. eventuelle Änderungen des Wachstums c. eventuelle Änderungen bei den Gewinnen Angenommen, das Unternehmen ist auf Vermögensseite bereits strukturiert, Maschinen sind vor­ handen, Produktion und Absatz laufen, Umsatzerlöse stehen fest. Nun werden auf der Finanzie­ rungsseite zwei Varianten diskutiert. Bei Variante A wird das Unternehmen vollständig eigen­ finanziert, bei Kapitalstruktur B wird neben Eigenkapital Fremdkapital in erheblichem Umfang verwendet. Wie unterscheiden sich die EBIT-Margen, Cashflow-Margen und EBITDA-Margen bei Kapitalstruktur A von den drei Kennzahlen der Kapitalstruktur B?

6.3 Bilanzkennzahlen 6.3.1 Einführung und Übersicht Große Unternehmen müssen ihren Jahresabschluss publizieren. Für die externe Finanzanalyse stehen somit die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung zur Verfügung. Bei Kapitalgesellschaften kommen Anhang und Lagebericht hinzu, bei Konzernabschlüssen die Kapitalflussrechnung und die Segmentberichterstattung. Die externe Finanzanalyse nimmt primär eine Analyse des Jahresabschlusses vor, es können jedoch darüber hinausgehende Daten der Branche sowie der wirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklung herangezogen werden. Bei der Entwicklung von Bilanzkennzahlen wurden sehr viele Kennziffern und Kennzahlen aufgestellt. Es muss also eine Auswahl getroffen und Schwerpunkte müs­ sen gesetzt werden: – Vermögen- und Kapitalstruktur, Liquidität – Effizienz und Rendite, operative Stärke Diese Einteilung folgt den Empfehlungen der Berufsverbände, sich bei Kennzahlen­ analysen auf nur wenige, relevante Bereiche zu beschränken und sich in den jeweili­ gen Bereichen auf die treffsichersten Kennzahlen zu konzentrieren.¹¹ Deshalb betrach­

11 Bernd Heesen (2017): Basiswissen Bilanzanalyse. Heidelberg: Springer Gabler; Jörg Niermann und Marcus Linnepe: Große Analytik für kleine Unternehmen, FAZ, 29.01.2018, S. 18; Preissler, Peter R. (2008): Betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Formeln, Aussagekraft, Sollwerte, Ermittlungsintervalle. München: Oldenbourg.

242 | 6 Modul: Kennzahlen

ten wir in Tab. 6.3 die vier genannten Analysebereiche mit ihren jeweiligen Kennzah­ len.¹²

6.3.2 Kennzahlen zur Vermögens- und Kapitalstruktur Die Kapital- und die Vermögensstruktur eines Unternehmens können nicht unabhän­ gig voneinander beurteilt werden. Durch horizontale Bilanzstrukturkennziffern lassen sich die Beziehungen zwischen dem Vermögen und dem Kapital beziehungsweise zwi­ schen Investition und Finanzierung aufzeigen. Bei den Finanzierungsregeln handelt es sich um normative Kennziffern, die be­ stimmte langfristige Deckungsgrade von Vermögenspositionen vorschreiben. Finan­ zierungsregeln stellen damit horizontale Verbindungen zwischen Vermögen und Ka­ pital her. Bei den Liquiditätsregeln werden demgegenüber kurzfristige Deckungsgra­ de ermittelt, indem kurz- und mittelfristig liquidierbare Vermögensteile zu kurz- und mittelfristigen Schulden in Beziehung gesetzt werden. Vier Kennzahlen – Kapitalumschlag, Anlageintensität, Eigenkapitalquote, Kredi­ torenquote – beziehen sich auf die Bilanzsumme (und nicht auf den Marktwert des Unternehmens). Der Kapitalumschlag ist so definiert: Kapitalumschlag =

Umsatz durchschnittliche Bilanzsumme

(6.21)

Der Kapitalumschlag gibt an, wie viel Umsatz durch Kapital generiert wird. Je größer der Kapitalumschlag, desto effektiver verwendet ein Unternehmen sein Kapital, um Umsatz zu erzeugen. Die Möglichkeiten dazu hängen von der Branche ab, in der sich das Unternehmen befindet. Ein Bergbauunternehmen wie K+S wird einen geringen Kapitalumschlag haben, ein Onlinehändler wie Zalando einen hohen. Den Kapitalumschlag kann ein Unternehmen erhöhen, zum Beispiel, indem es weniger in seine Anlagen investiert, als es abschreibt. Somit verringern sich das An­ lagevermögen und damit die Bilanzsumme, was bei unverändertem Umsatz zu einer höheren Kennzahl (6.21) führt. Diese Politik ist allerdings nicht nachhaltig. Das Un­ ternehmen kann einen Teil seiner Maschinen langfristig leasen. Die Maschinen kön­ nen in diesem Fall (unter Umständen) nicht in den Büchern unter „Anlagevermögen“ bilanziert (wie bei langfristigen Leasingverträgen vorgesehen), sondern nur als Aus­ gaben in der Gewinn- und Verlustrechnung verbucht werden. Dadurch kann das Ma­ nagement seine Bilanzsumme verkürzen und Kapital „einsparen“.

12 Gerrit Brösel (2017): Bilanzanalyse. Berlin: Erich Schmidt; Nicolas Schmidlin (2013): Unterneh­ mensbewertung und Kennzahlenanalyse. München: Vahlen.

6.3 Bilanzkennzahlen | 243

Tab. 6.3: Kennzahlen zur Bilanzanalyse¹³. Kennzahlen zur

Kurzbeschreibung

Vermögens- und Kapitalstruktur

Wie solide ist das Unternehmen finanziert? Wie solide setzt das Unternehmen Kapital ein? Wie viel Umsatz generiert das Kapital? Wie viel Prozent des Gesamtkapitals steckt in Sachanlagen? Wie viel Prozent des Gesamtkapitals wird durch Eigenkapital gestellt? Wie viel Prozent des Fremdkapitals machen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Lieferanten etc. aus?

Kapitalumschlag Anlageintensität Eigenkapitalquote Kreditorenquote

Liquidität Liquidität II. Grades Cashzyklus

Effizienz und Rendite Vertriebsgemeinkostenintensität Forschungsintensität Nettomarge Eigenkapitalrendite

Cashflow-Marge

operative Stärke Zinsdeckungsquote Dynamische Verschuldung Investitionsquote

Verfügt das Unternehmen über ausreichend liquide Mittel, um seine kurzfristigen Verbindlichkeiten bedienen zu können? Wie hoch sind die liquiden Mittel im Vergleich zu anstehenden Zahlungsverpflichtungen? Was ist Differenz in Tagen zwischen durchschnittlichem Rechnungseingang und Zahlung eigener Rechnungen? Für wie viele Produktionstage findet sich Ware in den Lagerhallen? Wie effizient ist die Organisation? Generiert das Unternehmen ausreichend Gewinn und Cashflow aus seinem Umsatz? Wie viel Prozent des Umsatzes machen Vertriebs- und Gemeinkosten aus? Wie viel Prozent des Umsatzes werden in Forschung investiert? Wie viel Prozent des Umsatzes bleiben dem Unternehmen als Gewinn? Wie hat sich das Eigenkapital der Eigentümer innerhalb eines Geschäftsjahrs verzinst? Wie viel Prozent des erwirtschafteten Gewinns fallen auf das investierte eigene Kapital an? Wie viel Prozent des Umsatzes fließen als Liquidität in das Unternehmen? Ist das Unternehmen stark genug, sich aus seinem operativen Geschäft zu finanzieren? Wie gut deckt das operative Ergebnis die fälligen Zinszahlungen? Wie viele Jahre würde es in Anspruch nehmen, alle Schulden mit dem operativen Cashflow zu tilgen? Investiert das Unternehmen genug in den Erhalt seiner Anlagen?

13 In Anlehnung an Bernd Schmid, 15 Bilanzkennzahlen, die dich zu einem besseren Anleger ma­ chen, Motley Fool, www.fool.de/mehr/15-bilanzkennzahlen-die-dich-zu-einem-besseren-anlegermachen, zuletzt abgerufen am 18.01.2018.

244 | 6 Modul: Kennzahlen

Die Anlageintensität ist: Anlageintensität =

Vermögenswerte Bilanzsumme

(6.22)

Die Anlageintensität beschreibt den Anteil von Maschinen, Gebäuden und anderen Einrichtungen am eingesetzten Kapital des Unternehmens. Auch die Anlageintensität ist eine Kennzahl, die einen horizontalen Vergleich vornimmt. Je höher die Anlagen­ intensität, desto mehr Kapital hält ein Unternehmen in Anlagen gebunden und desto wettbewerbsfähiger kann es sein, zum Beispiel, weil neuere und teurere Maschinen eine höhere Effizienz mit sich bringen können. Auf der anderen Seite bedeutet ein hö­ herer Kapitalanteil, der im Vermögen gebunden ist, eine geringere Flexibilität. Auch hier verringert das Beispiel mit den geleasten Maschinen die Kennzahl. Relativ niedriges Anlagevermögen ist ein Zeichen betrieblicher Flexibilität. Unternehmen mit kleinem Anlagevermögen können sich leichter an Beschäftigungs­ schwankungen anpassen, da sie weniger Kapital langfristig gebunden haben und ge­ ringere Fixkosten haben. Ersteres ermöglicht rascher Produktionsumstellungen, Letz­ teres lässt einen Beschäftigungsrückgang weniger stark auf den Erfolg durchschlagen. Bei Industriebetrieben können den positiven Aspekten eines niedrigen Anlage­ vermögens negative Wirkungen gegenüberstehen. So kann ein geringes bilanzielles Anlagevermögen auch darauf zurückzuführen sein, dass der Betrieb mit alten, bereits abgeschriebenen Anlagen arbeitet. Es besteht die Gefahr, dass der Anschluss an den technischen Fortschritt verloren geht. In diesem Fall ist in der baldigen Zukunft mit einem Rückgang des Ertrags zu rechnen oder es sind erhebliche Investitionen zu tä­ tigen. Während bei Handels- und Dienstleistungsbetrieben im Allgemeinen ein nied­ riges Anlagevermögen und ein hohes Umlaufvermögen positiv zu beurteilen sind, be­ darf es bei Industriebetrieben der Kenntnis der branchenspezifischen Gegebenheiten. Die Eigenkapitalquote (als eine auf die Bilanz bezogene Kennzahl) berechnet sich wie folgt: Eigenkapital Eigenkapitalquote = (6.23) Bilanzsumme Die Eigenkapitalquote gibt an, wie viel Prozent des Gesamtkapitals durch Eigenkapital gestellt werden. Je höher die Eigenkapitalquote, desto solider die Finanzierungsbasis eines Unternehmens. Eigenkapital gilt im Vergleich zu Fremdkapital als teurer, da­ her ist ein gesunder Mix anzustreben. Eine Quote von über 50 % ist nicht unbedingt notwendig sofern es die Geschäfte aufgrund hoher Risiken nicht verlangen. Bei un­ ter 20 % liegt eine Ausdünnung der Eigenkapitaldecke vor, die Anlass zur Sorge gibt (obwohl das bei kapitalintensiven Industrien auch vorkommen kann). Es bleibt an­ zumerken, dass die Eigenkapitalquote die Fremdkapitalquote bestimmt und umge­ kehrt. Der Verschuldungsgrad ist die Relation von Fremdkapital zu Eigenkapital. Alle drei Kennzahlen – Eigenkapitalquote, Fremdkapitalquote und Verschuldungsgrad – werden vielfach auf Marktwerte bezogen, nicht wie hier auf Buchwerte.

6.3 Bilanzkennzahlen |

245

6.3.3 Kreditorenquote Die Kreditorenquote zeigt, welcher Teil des Fremdkapitals darauf zurückgeht, dass die Firma noch nicht alle bezogenen Vorleistungen bezahlt hat. Sie bilanziert entspre­ chend Verbindlichkeiten. Ein Kreditor ist ein Gläubiger von Forderungen aus Liefe­ rungen und Leistungen (die das Unternehmen bezogen hat). Die Kreditorenquote ist wie folgt definiert: Kreditorenquote =

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gesamtes Fremdkapital

(6.24)

Anhand der Kreditorenquote wird ermittelt, wie viel Prozent des Fremdkapitals aus Zahlungsverpflichtungen gegenüber Lieferanten stammt. Es gilt: Je höher die Kredito­ renquote, desto höher der Liquiditätsbedarf (weil die Verbindlichkeiten durch Bezah­ lungen erfüllt werden), aber desto kostengünstiger ist das Fremdkapital (weil durch spätere Bezahlung kein zusätzlicher Zins belastet wird). Eine sehr hohe Kreditoren­ quote haben Händler, die gegenüber den Lieferanten Handelsmacht haben. Eine ge­ ringe Kreditorenquote haben Firmen, die kaum Vorleistungen beziehen. Die formulierten Kapitalstrukturregelungen werden auch als vertikale Finanzie­ rungsregeln bezeichnet. Sie geben Empfehlungen für die Zusammensetzung des Ka­ pitals. Zentral ist der Anteil von Eigen- und Fremdkapital, die Kapitalstruktur. Dafür werden Regeln genannt, die sich in der älteren Literatur ausschließlich auf Bilanz­ werte beziehen, in der neueren Literatur und in der heutigen Praxis hingegen auch auf Marktwerte. In der Beleihungspraxis der Banken wurde früher ein Verhältnis von Eigenkapi­ tal zu Fremdkapital von 1 : 1 gefordert (als normative Kennzahl). Die Forderung ba­ sierte auf Sicherheits- und Elastizitätsanforderungen. Die Regel entspricht dem soge­ nannten Fünfzig-Prozent-Besicherungskalkül. Danach sollen (nicht auszuschließen­ de) Verluste oder Wertminderungen bis zur Hälfte des gesamten, als Kreditsicherheit dienenden Vermögens des Unternehmens möglich sein, ohne die Befriedigung der Gläubiger zu gefährden. Aus solchen Überlegungen resultiert das Interesse der Ana­ lysten, zur Beurteilung der Kapitalstruktur auch Kennzahlen der Vermögensstruktur heranzuziehen, insbesondere solche Kennzahlen, die eine Verbindung zwischen Ver­ mögens- und Kapitalstruktur herstellen. Dies wiederum sind die horizontalen Bilanz­ strukturkennzahlen. Der Eigenkapitalanteil der deutschen Unternehmen hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend verringert, die geforderte 1:1-Regel wurde mittlerweile zu einer 1:2-Norm für das Verhältnis von Ei­ gen- zu Fremdkapital. Die Eigenkapitalausstattung der deutschen Industrie ist im internationalen Vergleich gering. Zurückzuführen ist dies zum einen auf das rasche Wachstum der deutschen Wirt­ schaft bei mangelnder Eigenfinanzierungsmöglichkeit der Betriebe, zum anderen auf die Möglich­ keit der Kreditgeber, insbesondere der Hausbanken, auf das Geschäftsgebaren und damit auf das Investitionsrisiko der Unternehmen Einfluss zu nehmen.

246 | 6 Modul: Kennzahlen

Die Eigenkapitalquote ist in Abhängigkeit vom leistungswirtschaftlichen Risiko des jeweiligen Un­ ternehmens und der damit verbundenen Varianz der Erträge zu sehen. Generell sind mit steigen­ dem leistungswirtschaftlichem Risiko, also zu erwartender hoher Varianz der Unternehmenserträ­ ge, zunehmende Anforderungen an die Eigenkapitalquote zu stellen.

6.3.4 Kennzahlen zur Liquidität Die bestandsorientierte Liquiditätsanalyse beruht auf einer Gegenüberstellung von Zahlungsverpflichtungen und flüssigen Mitteln, soweit diese aus der Bilanz ersicht­ lich sind. Traditionellerweise werden Liquiditätsgrade ermittelt. Hierbei handelt es sich um Verhältniszahlen, die sich hinsichtlich der Länge der Frist, in der Verbind­ lichkeiten erfüllt werden und Forderungen beglichen werden müssen, unterscheiden. Neben den traditionellen Verhältniszahlen werden auch Kenngrößen zur Beurteilung der Liquidität herangezogen. Dazu gehört das Working Capital. Das Working Capital ist diese Differenz: kurzfristig liquide werdendes Umlaufvermögen − kurzfristige Verbindlichkeiten = Working Capital

(6.25)

Das Working Capital ist die Differenz zwischen dem kurzfristig gebundenen Umlauf­ vermögen und dem kurzfristigen Fremdkapital. Das Working Capital wird auch als Reinumlaufvermögen oder Nettoumlaufmittel bezeichnet. Das Working Capital zeigt eingetretene Liquiditätsveränderungen, das langfristige Finanzierungspotenzial und das zukünftige Liquiditätsrisiko. Als Kennzahlen zur Liquidität betrachten wir nun noch die Liquidität II. Grades sowie den Cashzyklus. Die Liquidität II. Grades ist wie folgt definiert: Forderungen aus Lieferungen und Leistungen + liquide Mittel kurzfristiges Fremdkapital (6.26) Die Liquidität II. Grades (6.26) ist weit verbreitet. Sie wird auch Quick Ratio oder Acid Test Ratio genannt. Sie gibt an, wie gut das Unternehmen seine kurzfristig anste­ henden Zahlungsverbindlichkeiten (mit Frist unter einem Jahr) mit Bargeld und liqui­ ditätsnahen Mitteln (Forderungen zugunsten des Unternehmens) begleichen kann. Natürlich besteht eine Unsicherheit dahingehend, dass das kurzfristige Umlaufvermö­ gen wirklich zu Einzahlungen führen muss. (6.26) drückt mithin den Grad an Sicher­ heit aus, das heißt, dass die kurzfristigen Zahlungsverbindlichkeiten ohne Aufnahme weiteren Kapitals erfüllt werden können. Mit (6.26) wird also die Relation zwischen den liquiden Mitteln und den kurzfris­ tigen Verbindlichkeiten berücksichtigt. Die Relation bringt zum Ausdruck, ob das Un­

Liquidität II. Grades =

6.3 Bilanzkennzahlen | 247

ternehmen über überschüssige Liquidität verfügt, und somit einen „langen Atem“ hat, oder ob das Unternehmen immer wieder „Löcher stopfen muss“. – Es sind Zahlenwerte von über 100 % für die Liquidität II. Grades anzustreben. Die Liquidität sollte dann ausreichen, um alle anstehenden Zahlungsverpflichtungen erfüllen zu können. – Bei Werten unter 100 % wird die Liquiditätslage als eher kritisch angesehen. Vor Bilanzstichtagen nehmen Unternehmen zum Teil einen langfristigen Kredit auf. Diesen Kreditbetrag halten sie als Geld oder in geldnaher Form. Es ist also verständ­ lich, dass Analysten versuchen, dies bei ihren Beurteilungen herauszurechnen. Liquidität ist teuer, denn liquide gehaltene Mittel werden kaum verzinst. 1. Eine sichere und zugleich teure Politik ist es, immer eine hohe Liquidität zu halten beziehungsweise das kurzfristige Umlaufvermögen langfristig zu finanzieren. 2. Die Alternative ist, die Liquidität gering zu halten und somit das langfristige Um­ laufvermögen oder auch Teile des Anlagevermögens kurzfristig zu finanzieren. Diese Finanzierung ist allerdings risikoreich. Mit dem Cashzyklus wird die Liquiditätssituation nicht in Form eines Geldbetrags ausgedrückt, sondern als Zeitdifferenz zwischen dem Kreditoren- und dem Debitoren­ ziel. Ein Kreditor ist ein Gläubiger von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (die das Unternehmen bezogen hat), ein Debitor ist der Schuldner aus Lieferungen und Leistungen (die das Unternehmen produziert und verkauft hat). Für die Liquidität des Unternehmens ist es von Vorteil, wenn Kreditoren dem Un­ ternehmen ein langes Zahlungsziel einräumen. Des Weiteren ist es vorteilhaft, wenn das Unternehmen den Debitoren ein kurzes Zahlungsziel abverlangen kann. Cashzyklus = Kreditorenziel − Debitorenziel

(6.27)

Die Kenngröße Cashzyklus stellt die Zahlungsziele von Kreditoren und Debitoren ge­ genüber. Der Cashzyklus gibt Auskunft darüber, ob das Unternehmen von seinen Kre­ ditoren finanziert wird (Kreditoren haben lange Zahlungsziele gewährt, Cashzyklus ist positiv) oder ob Debitoren vom Unternehmen finanziert werden (Debitoren wer­ den lange Zahlungsziele eingeräumt, Cashzyklus ist negativ). Ein positiver Cashzyklus ist erstrebenswert: Das Unternehmen bezahlt seine Lieferanten durchschnittlich nach längerer Frist als es Zahlungen von den eigenen Kunden einfordert. Ein positiver Cashzyklus kann auf die Zahlungsgewohnheiten in den betroffenen Marktsegmenten zurückgehen. Er kann indes auch Ausdruck der Verhandlungsmacht sein, die das Unternehmen gegenüber Lieferanten hat. Ist der Cashzyklus negativ und hat das Unternehmen nicht ausreichend liquide Mittel, um die Differenz auszugleichen, muss es selbst Finanzmittel aufnehmen. Sollte ein Kunde verspätet zahlen, kann es zu Liquiditätsengpässen kommen.

248 | 6 Modul: Kennzahlen

Kapitel 6.3 in Kürze Es wurden vier Gruppen von Kennzahlen genannt. 1. Vermögens- und Kapitalstruktur 2. Liquidität 3. Effizienz und Rendite 4. operative Stärke Auf die Vermögens- und Kapitalstruktur sowie auf die Liquidität wurde ausführlicher eingegangen. Als Kennzahlen zur Vermögens- und Kapitalstruktur wurden der Kapitalumschlag, die Anlageintensi­ tät, die Eigenkapitalquote und die Kreditorenquote genannt. Als Kennzahlen zur Liquidität wurden besprochen: das Working-Capital, die Liquidität II. Grades (Quick Ratio), der Cashzyklus.

Fragen zu Kapitel 6.3 1. 2.

Eine Finanzierungsregel verlangt, dass langfristig genutztes Vermögen auch langfristig finanziert wird. Ist damit eine horizontale oder eine vertikale Struktur der Bilanz verlangt? Jemand sagt, lange Zahlungsziele kommen weniger als Ergebnis von Verhandlungsmacht zustan­ de. Sie sind vielmehr zurückzuführen auf Gewohnheiten im betreffenden Marktsegment. So müs­ sen Endverbraucher und Konsumenten meist sofort zahlen, während sich Firmen häufig mehr Zeit bei der Begleichung ihrer Verbindlichkeiten lassen. Demnach haben Discounter und Firmen mit starken Markennamen die Möglichkeit, große Cashzyklen für ihre Finanzierung zu nutzen. Richtig oder falsch?

6.4 Effizienz und operative Stärke 6.4.1 Auf den Umsatz bezogene Kennzahlen Zur Messung von Effizienz und Rendite eignen sich folgende Kennzahlen: die Ver­ triebsgemeinkostenintensität, die Forschungsintensität, die Nettomarge, die Eigenka­ pitalrendite und die Cashflow-Marge. Die Vertriebsgemeinkostenintensität errech­ net sich wie folgt: Vertriebsgemeinkostenintensität =

Vertriebsgemeinkosten Umsatz

(6.28)

Die Vertriebsgemeinkostenintensität (6.28) gibt an, welcher Anteil des Umsatzes für Vertrieb und Verwaltung aufgewendet wird. Je geringer die Vertriebsgemeinkostenin­ tensität, desto effizienter sind Vertrieb und Verwaltung organisiert. Eine zweite, auf den Umsatz bezogene Kennzahl ist die Forschungsintensität: Forschungsintensität =

Forschungsaufwand Umsatz

(6.29)

Die Forschungsintensität (6.29) zeigt den Teil des Umsatzes, der für Forschung und Entwicklung aufgewendet wird. Die Forschungsintensität ist ein Indikator für Innova­ tion und Produktentwicklung. Eine höhere Forschungsintensität weist auf Wachstum

6.4 Effizienz und operative Stärke |

249

hin. In wettbewerbsintensiven oder sich rasch verändernden Industrien sind höhere Investitionen in Innovation verlangt. Die Nettomarge ist wie folgt definiert: Nettomarge =

Jahresüberschuss Umsatz

(6.30)

Anhand der Nettomarge (6.30) lässt sich feststellen, welcher Teil des Umsatzes als Ge­ winn ausgewiesen werden kann. Die Nettomarge zeigt, wie profitabel das Unterneh­ men in Bezug auf den Umsatz ist. Deshalb wird die Nettomarge auch Umsatzrenta­ bilität genannt. Eine hohe Umsatzrentabilität wird von den Eigenkapitalgebern als positiv wahrgenommen. Die Cashflow-Marge setzt den Cashflow in Relation zum Umsatz: Cashflow-Marge =

Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit Umsatz

(6.31)

Je mehr Liquidität das Unternehmen über den Umsatzprozess generiert, desto weni­ ger ist es auf die Finanzierung durch Dritte angewiesen. Unternehmen mit hoher Cash­ flow-Marge können Investitionen aus eigenen Mitteln finanzieren. Die Cashflow-Marge sollte nicht dauerhaft niedriger sein als die Nettomarge, denn dies würde bedeuten, dass der Gewinn nicht in Form von Cash an das Unternehmen fließt. Besonders bei nicht oder nur gering profitablen Wachstumsunternehmen ist zusätzlich zu prüfen, ob die Cashflow-Marge über die Zeit gehalten werden kann.

6.4.2 Operative Stärke Die operative Stärke eines Unternehmens wird üblicherweise anhand der drei Kenn­ zahlen Zinsdeckungsquote, dynamische Verschuldung und Investitionsquote ausge­ drückt. Die Zinsdeckungsquote ist wie folgt definiert: Zinsdeckungsquote =

Betriebsergebnis Zinsen

(6.32)

Die Zinsdeckungsquote gibt an, um welchen Faktor das Betriebsergebnis die Aufwen­ dungen für die Finanzierung des operativen Geschäfts (Zinsen) übersteigt. Die Zinsde­ ckungsquote beantwortet also die Frage: Das Wievielfache der Zinsen kann durch das Betriebsergebnis bezahlt werden? Zum Beispiel bedeutet eine Zinsdeckungsquote von 5, dass aus dem Betriebsergebnis fünfmal der Zinsaufwand beglichen werden kann. Je höher die Zinsdeckungsquote, desto besser fällt zumeist das Rating aus. Die Zins­ deckungsquote hängt von der Branche ab. Werte von über 5 werden als gut oder sehr gut angesehen. Zahlenwerte unter 3 werden als kritisch beurteilt, denn dann würde ein Drittel des operativen Ergebnisses für Zinszahlungen fällig sein.

250 | 6 Modul: Kennzahlen

Der dynamische Verschuldungsgrad ist ein Maß für die Verschuldungsfähigkeit eines Unternehmens und damit Indikator für die Tragfähigkeit von Schulden: Effektivverschuldung =

gesamte Verbindlichkeiten monetäres Umlaufvermögen

(6.33)

An der Effektivverschuldung lässt sich erkennen, wie viele Jahre es dauert, bis das Unternehmen seine Schulden aus selbst erwirtschafteten Mitteln tilgen kann. In Dar­ lehensverträgen, zum Beispiel bei Schuldscheindarlehen, wird mitunter die Ver­ schuldung des Kreditnehmers auf einen bestimmten Wert begrenzt. Banken ermitteln anhand dessen die Verschuldungskapazität: Schulden sollen mithilfe des freien Cashflows innerhalb von sieben Jahren zurückbezahlt werden können. Die Verschul­ dungskapazität hängt direkt mit der dynamischen Verschuldung zusammen: dynamische Verschuldung =

gesamtes Fremdkapital Cashflow aus operativer Geschäftstätigkeit

(6.34)

Die dynamische Verschuldung (6.34) gibt an, wie viele Jahre es dauert, alle Schulden des Unternehmens mittels des Cashflows aus operativer Geschäftstätigkeit zu tilgen. Die Investitionsquote als vierte Kennzahl zur Messung der operativen Stärke ist wie folgt definiert: Investitionen Investitionsquote = (6.35) Abschreibungen Die Investitionsquote (6.35) zeigt, ob das Unternehmen ausreichend in den Erhalt, den Aufbau oder die Erneuerung von Vermögen investieren kann. Bilanzleser schätzen In­ vestitionsquoten, die über 1 liegen, denn dann kann Wachstum erwartet werden.

6.4.3 Fragen zur Lernkontrolle Kapitel 6.4 in Kürze Behandelt wurden Effizienz, Rendite und operative Stärke. Zur Beurteilung der Effizienz wurden Kenn­ zahlen dargestellt, die eine Größe in Bezug zum Umsatz ausdrücken. So wurde auf Vetriebskosten, Forschungsausgaben, Gewinn und Cashflow eingegangen. Zur Beurteilung operativer Stärke wurden die Zinsdeckungsquote, die Effektivverschuldung, die dynamische Verschuldung und die Investitions­ quote herangezogen.

Fragen zu Kapitel 6.4 1. 2.

3.

Was sind Gemeinkosten für Vertrieb und Verwaltung und durch welche Maßnahmen können sie gesenkt werden? Banken gehen von folgender Annahme aus: Wenn die Verschuldungskapazität ausgeschöpft ist, sollten Schulden des Unternehmens innerhalb von sieben Jahren mittels des freien Cashflows zurückbezahlt werden können. Wie hängt die Verschuldungskapazität mit der Kennzahl der dy­ namischen Finanzierung zusammen? Eine hohe Investitionsquote wird vielfach als positives Zeichen gesehen. Was spricht für diese Einschätzung?

6.5 Wertanalyse |

251

6.5 Wertanalyse 6.5.1 Vier Bewertungsansätze Nach allgemeinem Verständnis ist der (ökonomische) Wert der Preis, der sich für das Objekt in einem Markt einstellt, sofern der Markt perfekt funktioniert. Im Markt han­ deln Personen, die investieren, mit Kapital. Kapitalgeber bewerten ein Unternehmen aus Investorensicht. Da Investoren mehrheitlich – und die Mehrheit bestimmt im perfekten Markt den Preis – auf Rückflüsse achten, ist der Unternehmenswert der Barwert von Rückflüssen, die in Zukunft an die Kapitalgeber gehen werden. Da ein perfekter Finanzmarkt unter­ stellt wird, jedoch kein Finanzmarkt perfekt ist, müssen Annahmen getroffen werden. Für die Bewertung werden Verhältnisse unterstellt, die üblich sind und die sich nor­ malerweise (in konkreten Märkten) langfristig einstellen dürften. Bei der Prognose der Rückflüsse werden allgemeine Informationen und unternehmerische Möglichkeiten unterstellt. Die Unternehmensbewertung verlangt daher eine Prognose der Rückflüsse, wie sie aufgrund allgemeiner Informationen möglich sein sollten. Die Diskontierung erfolgt anhand von Konditionen, die normalerweise im Finanzmarkt gelten. Für diese Modellwelt wurden in der Wissenschaft Theoreme aufgestellt, die hohe praktische Bedeutung haben. Eines lautet stattdessen, dass der Kuchen seinen Wert nicht verändert, wenn erst ein Stück und später noch eines gegessen wird, oder wenn gleich zwei Stücke gegessen werden. Diese These der Irrelevanz der Entnahmepolitik oder Dividendenpolitik geht auf Modigliani und Miller zurück. Man kann folglich ein Unternehmen anhand tatsächlicher Rückflüsse an die Kapitalgeber bewerten oder an­ hand fiktiver Rückflüsse. Nur muss berücksichtigt werden, dass bei hohen Ausschüt­ tungen, seien sie nun real oder fiktiv, das Unternehmen langsamer wächst. Für die Bewertung folgt dies: Ein Unternehmen kann aufgrund tatsächlicher Dividenden be­ wertet werden oder anhand der Fiktion, Gewinne würden ausgeschüttet. Ebenso gut für die Bewertung eignet sich die Fiktion, das Unternehmen würde Jahr für Jahr die gesamten Cashflows oder die freien Cashflows ausschütten. Alle diese Skizzen, die für das Bewertungsmodell gezeichnet werden, führen auf denselben Wert. Was die Bewertung teilweise sehr anspruchsvoll werden lässt, sind die Steuern. Denn die Steuern hängen vor allem von den Gewinnen ab. Weil Fremdkapital steuer­ lich als Aufwand behandelt wird, ist der Einsatz von Fremdkapital günstig. Allerdings kommt bei teilweiser Fremdfinanzierung auch der Leverageeffekt dazu. Die Eigenka­ pitalrendite wird gehebelt, doch gleichzeitig erhöht sich das Risiko. Somit haben die Eigenkapitalgeber (eines teilweise fremdfinanzierten Unternehmens) eine höhere Er­ wartung hinsichtlich der Rendite. Von daher wurden auch einige Bewertungsmodelle formuliert, die gleich den Ge­ samtwert des Unternehmens ermitteln. In der Tat kann der Kreis der Berechtigten ent­ weder enger gezogen werden und umfasst allein die Eigenkapitalgeber. Das Ergebnis der Bewertung ist dann der Wert des Eigenkapitals. Oder der Kreis der Berechtigten

252 | 6 Modul: Kennzahlen

wird weitergezogen werden und umschließt dann Eigen- und Fremdkapitalgeber zu­ sammen. Die Rückflüsse an die Kaitalgeber insgesamt werden dann mit einer Rendite vorgenommen, die ein gewichteter Durchschnitt der Renditen sind, welche die Eigenbeziehungsweise die Fremdkapitalgeber als marktgerecht ansehen. Die durchschnitt­ liche Rendite kann auch sogleich den Steuereffekt einbeziehen, der mit dem Fremd­ kapital verbunden ist. So entstehen die Weighted Average Costs of Capital (WACC). Der einfachste Bewertungsansatz geht von einer Prognose der Ausschüttungen an die Kapitalgeber aus. Die Ausschüttungen werden als Dividenden mit D1 , D2 , . . . bezeichnet. Es handelt sich dabei um die erwarteten Werte der Dividenden. Sie wur­ den vom Unternehmen mit dem Gewinn versteuert. Selbstverständlich müssen die Dividenden auch von den Eigenkapitalgebern versteuert werden (wenn die Eigenkapi­ talgeber die Dividenden für den privaten Konsum verwenden, kann des Weiteren die Mehrwertsteuer anfallen). Die Steuerbelastung von Finanzinvestoren ist indes ohne Belang für die Bewertung des Unternehmens. Um den Wert der Dividenden im (perfek­ ten) Finanzmarkt zu bestimmen, werden sie diskontiert. Die marktgerechte Diskont­ rate – zur Vereinfachung der Notation für alle Jahre als konstant angenommen – sei mit r bezeichnet. Dies entspricht der Eigenkapitalrendite des (möglicherweise teilwei­ se verschuldeten) Unternehmens. Die Wertformel im Dividend Discount Model (DDM) lautet folglich: ∞ Dt W0 = ∑ (6.36) (1 + r)t t=1 Die Gültigkeit der Formel verlangt, dass die Dividenden im Vergleich zur Rendite, mit der diskontiert wird, nicht zu stark ansteigen. Diese Voraussetzung wird auch als Transversalität bezeichnet. Für die Bewertung wird unterstellt, dass das Unternehmen gleichförmig mit einer gewissen Rate wächst, die mit g bezeichnet sei. D2 = (1 + g) ⋅ D1 , D2 = (1 + g) ⋅ D1 ,

D3 = (1 + g) ⋅ D2 , . . .

(6.37)

Natürlich kann diese Wachstumsrate auch negativ sein. Dann schrumpft das Unter­ nehmen. Jedoch muss die Rate kleiner als die Rendite sein. Bei gleichförmigem Wachs­ tum der Dividenden (6.37) entsteht aus (6.36) die folgende Formel: W0 =

D1 r−g

(6.38)

Für eine Bewertung können die tatsächlichen Dividenden und deren Wachstum her­ angezogen werden. Man kann für die Bewertung aber auch annehmen, dass das Un­ ternehmen Jahr für Jahr die Gewinne voll ausschüttet. Dann würde das Wachstum ge­ ringer ausfallen. Ein Unternehmen, das die Gewinne voll ausschüttet, weist immer noch ein natürliches Wachstum auf, auch wenn dieses Wachstum geringer ausfällt, als bei einem Unternehmen, das nur einen Teil der Gewinne ausschüttet. Die bei Ge­

6.5 Wertanalyse

| 253

winnausschüttung noch mögliche Wachstumsrate ist die des organischen Wachstums. Die Formel für die Ertragsbewertung ist wie folgt definiert: ∞

Et E1 = t r − gE (1 + r) t=1

W0 = ∑

(6.39)

Darin bezeichnet gE die Rate organischen Wachstums. Die Gewinne sind bereits um die Unternehmenssteuer korrigiert. Die Diskontrate ist jene Rendite, welche die Eigen­ kapitalgeber als marktgerecht ansehen. Die Eigenkapitalgeber berücksichtigen ein Le­ verage-Risiko durch den Einsatz von Fremdkapital. Als drittes Bewertungsmodell wird der Discounted-Cashflow-Ansatz in einer Grundvariante betrachtet: Es wird angenommen, dass die Rückflüsse an die Eigenka­ pitalgeber durch die freien Cashflows gegeben sind. Außerdem wird angenommen, das Unternehmen habe im fünften Jahr einen gewissen Wert, der als Fortführungs­ wert oder Continuing Value bezeichnet wird. Dieser Fortführungswert wird wie ein Rückfluss behandelt. Gleichsam kann das Unternehmen im fünften Jahr zum Con­ tinuing Value verkauft werden. Die Investitionen, die budgetiert (und vom Cashflow abgezogen) werden, werden so bemessen, dass dieser Continuing Value auch in fünf Jahren erreicht wird. Die DCF-Formel lautet: W0 =

FCF1 FCF5 CV5 FCF2 +...+ + + 1 + r (1 + r)2 (1 + r)5 (1 + r)5

(6.40)

Dabei bezeichnet CV5 den Fortführungswert. Wieder ist zu bemerken, dass die Höhe der Rückflüsse, die in der Fiktion des Bewertungsmodells an die Eigenkapitalgeber gehen, die Weiterentwicklung bestimmt. Werden hohe Investitionen budgetiert, sind die freien Cashflows zwar geringer, doch der Fortführungswert ist größer. Werden nur geringe Investitionen budgetiert, sind die freien Cashflows höher, doch der Fortfüh­ rungswert ist geringer. Der DCF-Ansatz als viertes Bewertungsmodell dient dazu, den Gesamtwert ei­ nes teilweise fremdfinanziertes Unternehmens zu berechnen. Grundlage bildet TotalCashflow-Ansatz in einer von Miles und Ezzell (1980)¹⁴ entwickelten Form. Diskontiert werden die Rückflüsse, die an die Kapitalgeber insgesamt fließen. Die an Eigen- und Fremdkapitalgeber ausgeschütteten Rückflüsse sind durch EBIT gegeben, wobei es sich um das EBIT nach Abzug der Steuern handelt. Die Diskontierung wird mit einer mittleren Rendite vorgenommen, mit einem durchschnittlichen Kapitalkostensatz. Setzt man die Steuern mit s ⋅ EBIT gleich, s ist der Steuersatz des Unternehmens, dann sind sie zu hoch bemessen, denn die im EBIT enthaltenen Zinsen bleiben seitens des Unternehmens unversteuert. Die Steuern betragen s ⋅ EBIT − s ⋅ Zinsen. Bei dieser

14 James A. Miles und John A. Ezzell: The Weighted Average Cost of Capital, Perfect Capital Markets, and Project Life: A Clarification, in: Journal of Financial and Quantitative Analysis (1980), S. 719–730.

254 | 6 Modul: Kennzahlen

Betrachtung wird das EBIT insgesamt mit dem Satz s besteuert. Anschließend wird eine Steuergutschrift in Höhe des s-fachen Betrags der Zinsen angesetzt. Bei diesem Bewertungsansatz sind als Rückflüsse an alle Kapitalgeber die Größen (1 − s) ⋅ EBIT + s ⋅ Zinsen der künftigen Jahre zugrunde zu legen. Diese Größen müssen sodann diskontiert werden. Die eben angesprochene Steu­ ergutschrift wird nicht im Zähler, sondern im Nenner der Brüche berücksichtigt, also in den durchschnittlichen Kapitalkosten. Denn die Steuergutschrift wirkt sich so aus, als ob der zu zahlende Zinssatz um das s-fache geringer wäre. Damit sind die durch­ schnittlichen Kapitalkosten wie folgt bestimmt: WACC = L ⋅ rEK + (1 − L) ⋅ (1 − s) ⋅ rFK =

EK FK ⋅ rEK + ⋅ (1 − s) ⋅ rFK (6.41) EK + FK EK + FK

Der Gesamtwert des teils fremdfinanzierten und besteuerten Unternehmens ist nach diesem Total-Cashflow-Ansatz gegeben durch: ∞

(1 − s) ⋅ EBITt (1 + WACC)t t=1

GW = ∑

(6.42)

6.5.2 Fragen zur Lernkontrolle

Kapitel 6.5 in Kürze Zunächst wurden Grundlagen hinsichtlich des Unternehmenswerts besprochen. Dabei wurden der Entscheidungswert und die Ermittlung des vergleichbaren Transaktionspreises in einer konkreten Marktsituation behandelt. Anschließend wurde auf vier Bewertungsmodelle eingegangen: 1. Dividend Discount Modell, auch in der Gordon’schen Variante mit gleichförmig wachsenden Di­ videnden 2. Ertragsbewertung (mit kurzen Blick auf das organische Wachstum) 3. DCF-Ansatz (mit kurzer Diskussion der Budgetierung von Investitionen) 4. Gesamtbewertung mittels des Total-Cashflow-Ansatzes, Weighted Average Costs of Capital (WACC) nach Miles und Ezzell.

Fragen zu Kapitel 6.5 1.

2.

3.

Erläutern Sie die Bedeutung a. des Barwerts einer Zahlungsreihe. b. des Wertes eines Unternehmens. Geben Sie Argumente für die Wahl des jeweiligen Verfahrens: Ein Unternehmer ist sich nicht si­ cher, ob er den Wert seines Unternehmens ermitteln möchte, den geringsten Preis, den er per­ sönlich bei einem Verkauf erzielen sollte, um sich nicht zu schaden, oder den Preis, der derzeit im konkreten Marktumfeld mutmaßlich erzielt werden könnte. Erläutern Sie folgenden Sachverhalt: Bei der Berechnung des Fortführungswerts sind geringe Wachstumsraten anzunehmen, wenn die budgetierten Investitionen gering sind. Die Wachstums­ raten sind als hoch zu unterstellen, wenn die budgetierten Investitionen hoch sind.

6.6 Zusammenfassung |

255

6.6 Zusammenfassung 6.6.1 Lernpfad Modul 6 hat einen weiten Bogen gespannt. Vier Punkte sind hervorzuheben: 1. Beurteilung der Performance eines Unternehmens 2. Einordnung und Verankerung der Finanzanalyse (Rendite, Wachstum) 3. Bilanzkennzahlen zur Vermögens-, Liquiditäts-, und Ertragslage eines Unterneh­ mens 4. Unternehmenswert Der Weg führte auf zwei Gipfel: 1. Verständnis für die Bedeutung des Barwerts 2. Zusammenhang von Cashflow (zugunsten der Eigenkapitalgeber) und BruttoCashflow (zugunsten von Eigenkapitalgebern, Fremdkapitalgebern und Fiskus)

6.6.2 Personen Im Text erwähnte (natürliche und juristische) Personen: – Benjamin Graham und David Dodd – Harry M. Markowitz – Franco Modigliani und Merton H. Miller – James A. Miles und John A. Ezzell – William F. Sharpe – Rober C. Shiller – James Tobin 6.6.3 Schlüsselbegriffe Finanzkennzahlen – Bilanzkennzahlen – Kennzahlen zur Wertanalyse – Dividendenund Gewinnrendite – Aktienrendite – Wachstum – implizite Wachstumsrate –o rgani­ sches Wachstum – Marktwert-Buchwert-Verhältnis (M/B) – Marktwert und Umsatz – Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) – Return on Equity (ROE) – Return on Assets (ROA) – Umsatzrentabilität – Cashflow-Marge – Vermögens- und Kapitalstruktur – Liquidität – Effizienz – Rendite –Wertanalyse 6.6.4 Aufgaben 1.

Kommentieren Sie die folgenden Aussagen: a. Wenn die Gewinnrendite steigt, fällt das Kurs-Gewinn-Verhältnis. b. Das Marktwert-Buchwert-Verhältnis (M/B) drückt die Bedeutung des Wissens­ kapitals für ein Unternehmen aus.

256 | 6 Modul: Kennzahlen Ein Unternehmen hat einen vergleichsweise geringen Bilanzgewinn: ROE = 5 %. Ferner gilt M/B = 1. Errechnen Sie aus diesen Angaben das KGV. 3. Jemand trifft drei Aussagen: a. Das KGV ist höher, wenn das Unternehmen stärker wächst. b. Da Unternehmen mit höherer Innenfinanzierung ein höheres Wachstum ha­ ben, steigt c. das KGV, wenn ein Unternehmen einen höheren Teil der Gewinne einbehält und reinvestiert. Sind diese Aussagen so richtig? Beurteilen Sie jede der drei Teilaussagen. 4. Ein Unternehmen schüttet Dividenden aus, die halb so hoch sind wie die Gewin­ ne. Das Unternehmen und die Dividenden wachsen mit 6 % gleichförmig. Die Ren­ dite ist 10 %. Mit welcher Rate könnte das Unternehmen wachsen, falls Jahr für Jahr die gesamten Gewinne ausgeschüttet würden? 5. Eine Aktie hat heute den Kurs P0 = 60 Euro, als Dividende ist in 12 Monaten mit 2,40 Euro zu rechnen, was eine vergleichsweise hohe Dividendenrendite von 4 % bedeutet. Die Diskontrate sei 9 %. Welche Wachstumsrate erwarten die Marktteil­ nehmer? 6. Ein Gesellschafter möchte ausscheiden. Die weiteren Eigentümer stellen ihn vor die Wahl, sich für eine Kapitalabfindung oder für eine auf 10 Jahre laufende Rente (erstmals in 12 Monaten gezahlt, in Höhe von C = 10.000 Euro jährlich) zu ent­ scheiden. Wie hoch ist der Barwert dieser Rente bei einer Diskontierung mit 10 %? 7. Berechnen Sie den Barwert eines jährlich gezahlten, nie endenden Einkommens­ stroms, der immer wieder an die Inflation angepasst wird. Die nächste Zahlung, in 12 Monaten fällig, beträgt nominal 100 Euro. Die für die Bewertung unterstellte Inflationsrate (als Steigerungsrate der Nominalzahlungen) beträgt 3 %, die Dis­ kontrate ist 10 %. 8. Jemand hat die Wahl, ein Grundstück zu kaufen oder es zu mieten. Die Person möchte den Barwert aller Mietzahlungen ermitteln, die in der gesamten Zukunft zu zahlen wären. Die erste, in einem Jahr fällige Jahrespacht beträgt 10.000 Euro, doch die nominale Höhe der Pacht dürfte der langfristigen Inflation von 3 % ent­ sprechend steigen. Die Person ist unsicher, ob sie die Diskontierung mit nur 5 % oder mit 7 % vornehmen soll und wünscht sich eine Alternativrechnung. Erstellen Sie diese Rechnung. 9. Ein Unternehmen zahlte in der Vergangenheit stets Dividenden. Analysten gehen davon aus, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird. Dieses Jahr (t = 0) wurde ein Gewinn von 20 Euro pro Aktie erwirtschaftet, von dem die Hälfte aus­ geschüttet wurde. Die jährliche Wachstumsrate der Unternehmung beträgt lang­ fristig 5 %, die Kapitalkosten sind 10 %. Gehen Sie davon aus, dass die Dividend Payout Ratio konstant bleiben wird. Berechnen Sie den Wert einer Aktie. Welche der Antworten ist korrekt? Der Wert einer Aktie beträgt: a. 105 Euro, b. 200 Euro, 2.

6.6 Zusammenfassung | 257

c. 210 Euro, d. 420 Euro. e. Keine der Antworten ist richtig. 10. Gegeben sind die nachstehenden Zahlen aus dem Jahresabschluss. Sie entneh­ men dem Geschäftsbericht der Pro AG zudem die folgende Aussage: „Im Ge­ schäftsjahr 2 wurde die Rentabilität deutlich verbessert. So gelang es uns, die Umsatzrendite, verstanden als Betriebsergebnis/Umsatz von 20,0 % auf 22,0 % zu steigern“. Nehmen Sie zu dieser Aussage des Berichts Stellung. Jahresabschlusszahlen der Pro AG:

Anlagevermögen Umlaufvermögen Bilanzsumme

Umsatz Aufwand Betriebsergebnis Zinsaufwand Steuern Jahresüberschuss

Jahr 1

Jahr 2

120,00 90,00 210,00

160,00 150,00 310,00

Jahr 1

Jahr 2

200,00 160,00 40,00 5,00 10,50 24,50

250,00 195,00 55,00 5,50 14,85 34,65

Eigenkapital Fremdkapital Bilanzsumme

Jahr 1

Jahr 1

100,00 110,00 210,00

100,00 210,00 310,00

11. Nachfolgend ist der vereinfachte Jahresabschluss der Pro AG des abgelaufenen Geschäftsjahres angeben. Berechnen Sie aussagekräftige Kennzahlen für die Pro AG und diskutieren Sie daraufhin kurz die Lage des Unternehmens. Bilanz per Jahr 1 Aktiva

Passiva

Anlagevermögen

200.000

Eigenkapital

150.000

Vorräte

100.000

Finanzverbindlichkeiten

120.000

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen

120.000

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

170.000

Bilanzsumme

440.000

Gewinn- und Verlustrechnung

Jahr 1

Umsatzerlöse Materialaufwand Personalaufwand Abschreibungen Zinsaufwand Steuern Jahresüberschuss

600.000 300.000 230.000 20.000 8.000 16.800 25.200

440.000

258 | 6 Modul: Kennzahlen

12. Ein Unternehmen soll bewertet werden. Die nächste, in 1 Jahr fällige Dividende beträgt z1 = 100. Sie wächst bis zum Jahr T = 10 mit einer Rate von gA = 8 %, ab dann wächst sie nur noch mit gB = 5 %. Es soll mit r = 12 % diskontiert werden. a. Wie hoch ist der Wert? b. Wie hoch wäre der Wert, wenn die Dividende nur bis einschließlich T = 10 gezahlt wird und ab dann keine Ausschüttungen mehr erfolgen? c. Wie hoch wäre der Wert, wenn die Dividende für immer mit 8 % wachsen und für immer gezahlt werden würde? 13. Der Käufer einer Eigentumswohnung ETW rechnet damit, Jahr um Jahr 12.000 Eu­ ro als Miete einnehmen zu können. Die Rendite für vergleichbare Kapitalanlagen beträgt 5 %. Allerdings erwartet der Immobilienkäufer, dass die ETW jedes Jahr 3 % an Wert verlieren wird. Er kalkuliert deshalb mit einer negativen Wachstums­ rate von −3 %. Berechnen Sie den Wert der Immobilie.

Stichwortverzeichnis Abschreibung 48, 63, 104, 152, 165 Absicherung 6 Acid Test Ratio 246 Adjusted Present Value (APV) 185 Agency-Theorie 205 Agent 205 Akquisition 87, 114 Aktienrendite 227, 231, 234 Altersstruktur 103 Amortisation 71 Anlage 192, 234 Anlageintensität 244 Anlagevermögen 244 Anschlussfinanzierung 50 Anspannung 209 – finanzielle 207, 210 Anspruch – impliziter 28, 169 Asset Backed Securities (ABS) 37, 45 Aufpreis 102 Ausfallwahrscheinlichkeit 33 Ausschüttung 53 Ausschüttungsquote – Dividend Payout Ratio (DPR) 156, 229 – Payout Ratio 60 Außenfinanzierung 50 Ausübungspreis 40 Balanced Scorecard (BSC) 228 Barreserve 52 Barwert 57, 94, 133, 141, 144 Barwertkriterium 86, 94 Berater 120 Besteuerung 91 Beta 234, 235 Beteiligung – stille 36 – stille atypische 36 Beteiligungskapital 38 Betrieb 140 Betriebsgewinn 69 Bewertung 172 Bezugsrecht 45 Bilanzkennzahl 227, 241 Bonität 207 https://doi.org/10.1515/9783110472240-007

Break-even-Punkt 13 Brownfield-Approach 114 Buchwert 114 Budgetierungsvariante 165 Business Intelligence (BI) 229 Call 40 CAPE-Ratio 61, 237 Capital Asset Pricing Model (CAPM) 74, 189, 192, 193, 234 Capital Budgeting 21, 86, 90, 99 Capital Expenditure (CAPEX) 54 Cashflow 51, 159 – Brutto- 48, 68, 159 – Ermittlung 56 – freier 33, 75, 160, 161 – indirekte Ermittlung 64 – Prognose 79 – Total- (TCF) 195 Cashflow-Marge 240, 249 Cashzyklus 247 Chapter 11 31 Continuing Value 75, 162, 253 Corporate Governance 3 Darlehen – mit Rangrücktritt 37 – partiarisches 36 Dashboard 229 Debitor 66 Default 209 – Exposure at (ED) 34 – Loss Given (LD) 34 – Probability of (PD) 34 Depreciation 71 Discounted Cashflow – Ansatz 253 Discounted Cashflow (DCF) 74, 77, 131, 158, 159 – Ansatz 159 – Formel 162, 165 Diskontierung 140 Diskontsatz 134 Distress 30 Diversifikation 192 Dividend Discount Model (DDM) 131–133, 137, 252

260 | Stichwortverzeichnis

Dividend Yield (DY) 229 Dividende 53, 133 Dividendenpolitik – Irrelevanz 151 Dividendenrendite 48, 60, 61, 146–148, 229, 237 Earnings before Interest and Taxes (EBIT) 48, 68, 69 Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation (EBITDA) 48, 68, 71 Earnings per Share (EPS) 231 Earnings Yield (EYD) 61, 229 EBIT-Marge 240 Economic Value Added (EVA) 171 Effizienz 216, 217, 227, 248 Eigenfinanzierung 188 Eigenkapital 8, 9, 50 – Wert 58 Eigenkapitalgeber 49 Eigenkapitalkosten 76, 91, 110 Eigenkapitalquote 14, 181, 244 Einfaktormodell 234 Eintrübung – finanzielle 209, 210 Emissionskurs 44 Entnahme 53 Entscheidungsfindung 119 Entscheidungsmacht 27 Entscheidungsrechnung 172, 173 Entscheidungsrecht 50 Entscheidungsregel 215, 217 Entscheidungswert – subjektiver 87, 123, 125 Ersatzwert 103–105 Ertragsbewertung 151, 253 Ertragswert 131, 151, 154, 171 Erwartung – implizite 23 Expected Loss (EL) 34 Exposure 6 Fangzustand 210 Financial Distress 31, 207, 210, 215 Finanzanalyst 222 Finanzanlage 140–142 Finanzbedarf 1, 12 Finanzcockpit 229 Finanzier 18, 49

Finanzierungsregel 242 Finanzinvestor 49 Finanzkontrakt 1, 2, 6, 7, 49 Finanzmarkt 1, 40, 227 Finanzstatus 21 Finanzvertrag 7 First Loss Piece 45 Fisher-Separation 24, 26, 57, 58 Flexibilität 244 Flotte 102 Flow to Equity (FTE) 190 Forschungsintensität 248 Fortführung 215 Fortführungswert 75, 162, 253 – Ermittlung 79 – relativer 79 Free Cash Flow Theory 205 Free Cashflow 161 Fremdkapital 1, 8, 10, 12, 29, 39, 49 Fremdkapitalgeber 49 Fremdkapitalkosten 91, 110 Fremdkapitalquote 181, 244 Genussschein 38 Gewinn 56, 59 Gewinnausschüttung 37, 60, 151 Gewinnmarge 70, 239, 240 Gewinnniveau 232 Gewinnrendite 48, 60, 61, 153, 229 Gewinnschuldverschreibung 36 Gewinnsteuer 188 Gewinnthesaurierung 60, 61, 137 Gläubigerschutz 213 Glaubwürdigkeit 21 Goodwill 115, 170, 231 Gordon Growth Model (GGM) 131, 143 Governance 28 Greenfield-Approach 114 Größenmerkmal 174 Gutachter – neutraler 119 Hackordnung 202 Haftung 14 Haftungsbegrenzung 16 Haftungsbeschränkung 10 Handelsgesetzbuch (HGB) 54 Herdenverhalten 43

Stichwortverzeichnis

Hold-up 204 Hybridkapital 35 Ineffizienz 53, 216, 222 Information – unvollständige 180, 200 Informationsasymmetrie – Typen 203 Initial Public Offering (IPO) 44, 202 Innenfinanzierung 48, 49, 52, 53, 63 Innenfinanzierungspotenzial 53 Insolvenz 30, 222 Insolvenzrecht 217 Instabilität – inhärente 44 Intangibles 88 Interessenkonflikt 180, 215 Internal Rate of Return (IRR) 86, 98 Investition 53, 88 – budgetierte 160 Investitionsentscheidung 86 Investor – repräsentativer 172 Irrelevanzthese 180, 181 Irreversibilität 86, 89, 108, 110 Jahresumsatz 51 Kapazitätserweiterung 105 Kapital – gebundenes 102, 106 Kapitalbeteiligungsgesellschaft (KBG) 38 Kapitalerhöhung 201 Kapitalismus 42 Kapitalkosten 76, 90, 183, 235 Kapitalkostensatz 106, 167, 234 Kapitalmarkt – perfekter 95 Kapitalnehmer 8 Kapitalschnitt 30 Kapitalstruktur 180, 181, 242 – Irrelevanz 183 – optimale 208 Kaufempfehlung 236 Kennzahl 227, 228, 242 – Liquidität 246 Kommunikation 22 Konkurs 30 Konkursverfahren 30

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Konsistenz 166 Korrektheit – materielle 166 Korrelation – Koeffizient 235 Kosten – zusätzliche 208 Kredit 29 – nachrangiger 37 Krediteinbringlichkeit 10 Kreditereignis 209 Kreditkonvenante 31, 207, 211 Kreditor 66, 245 Kreditorenquote 245 Kreditrisiko 180 Kreditrisikoprämie 32, 207 Krisenzustand 219 Kultur 109 Kursbildung 149 Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 61, 154, 229, 236 Kursziel 149 Lasten 131, 139, 151 Leverage-Effekt 76 Leverage-Quotient 181 Leverage-Risiko 93 Leveraging 192, 194 Liquidation 30, 215 Liquidität 40, 134 Liquidität II. Grades 246 Liquiditätsgrad 246 Liquiditätsprämie 134 Liquiditätsregel 242 Lohmann-Ruchti-Effekt 105 Markenname 109 Marktindex 235 Marktportfolio 192, 193, 235 Marktwert 114, 119, 126 Marktwert-Buchwert-Verhältnis (M/B) 87, 114, 231, 234 Mergers&Aquisitions(M&A)-Welle 117 Methode – indirekte 56 Mezzanine 1, 11, 35 Miles-Ezzell-Formel 197 Minsky-Kollaps 43 Modern Equivalent Assets (MEA) 107 Moderne Portfoliotheorie (MPT) 234

262 | Stichwortverzeichnis

Modigliani-Miller(MoMi)-Thesen 182, 184 Moral Hazard 204 Moratorium 213 Multiple 175, 233 Multiplikator 233 Multiplikatormethode 174, 233 Nachfolgeregelung 16 Nachhaltigkeit 117 Nachrangdarlehen 37 Nettorückfluss 105 Operational Expenditure (OPEX) 55 Option 40 – amerikanische 40 – europäische 40 Optionsanleihe 39 Organisation 109 Paketzuschlag 125 Paradoxon 149 Pecking Order 200, 202 Peergroup 174, 175, 233 Performance 227, 228 Performance Management (PM) 229 Periodenkriterium 86, 102, 106 Perlen 131, 139, 151 Persistenz 232 Personalunion 11 Preisobergrenze 124 Preisuntergrenze 124 Present Value (PV) 95 Price Earnings Ratio (PE) 61 Primärmarkt 44 Prinzipal 205 Profit Margin 70 Projektrisiko 92 Projektwert 119 Put 40 Qualitätsunsicherheit 204 Quick Ratio 246 Rating 33 Rechnungslegung 22 Rechtsform 10, 60 Rendite – interne 98 – Standardabweichung 235

Renditeerwartung 192, 235 Reserve – stille 62 Residual Income Model (RIM) 131, 170, 171 Residuum 50 Resilienz 6 Restrukturierung 46 Restwert 89 Return 192, 235 Return on Assets (ROA) 239 Return on Equity (ROE) 230, 234, 239 Risiko 14, 234 – gleichgerichtetes Verhalten 43 – unternehmerisches 5 Risikopolitik 6, 221 Risikoprämie 91, 134, 193, 235 Risk 192, 235 Rücklage 60, 62 Rückstellung 65 Rückzahlung 29 Safeguard 112 Sanierungsauflage 142 Sanierungsplan 30 Schuldentilgung 53 Schutzmaßnahme 112 Sekundärmarkt 44 Selbstbehalt 61 Selbstbehaltquote 230 Selbstfinanzierung 60 Selbstfinanzierungsquote 156 Shapley-Wert 126 Shareholder 24 Signal 231 – starkes 232 Simultanansatz 101 Single Purpose Company (SPC) 45, 198 Size-Effekt 234 Solvenz 217 Spezifizität 112 Stakeholder 24 Standardabweichung 192 Stärke – operative 227, 248, 249 Steuer 188 Stillhalter 40 Strike 40 Substanzwert 171

Stichwortverzeichnis

Synergie 87, 118 – echte 121, 173 – unechte 121, 173 Tangibles 88 Tax Shield 185 Thesaurierungsquote 156 Tilgung 29 Total Expenditure (TOTEX) 55 Trade-off-Theorie 207, 208 Transaktionskosten 9, 111 Transaktionskostentheorie 113 Transformationsprozess 49 Transparenz 22, 166 Transversalität 135, 136, 139, 142, 144, 151, 162, 172, 252 Überschuldung 30 Umsatzrentabilität 240, 249 Umschlaghäufigkeit 239 Underlying 40 Underpricing 202 Unleveraging 194 Unternehmensbewertung 131, 142, 159, 170, 173–175 Unternehmensgröße 234 Unternehmenswert 48, 58, 73, 159 Value 210 Value Driver 168 Value Range 165 Value-Effekt 234 Venture-Capital-Gesellschaft (VCG) 38 Vergleichspreis 126 Vergleichsrendite 79, 90, 134 Verkaufsempfehlung 236 Verkaufserlös 133 Vermögensstruktur 242 Verschuldungsgrad 181, 244 – dynamischer 250 Verschuldungskapazität 33, 250 Vertragstyp 9 Vertriebsgemeinkostenintensität 248 Vorzugsaktie 37 Wachstum 144, 146, 154, 158, 166, 167 – organisches 131, 151, 153, 155, 189 – stärkeres 237 Wachstumsrate 147, 148 – implizite 148, 236

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Wagnisfinanzierungsgesellschaft 38 Wahlrecht 40 Wandelrecht 39 Warrant 39 Weighted Averaged Cost of Capital (WACC) 86, 87, 92, 252 Wert – Eigenkapital 180, 188 – Gesamtkapital 180, 195 – objektiver 123 Wertadditivität 96 Wertanalyse 227, 251 Wertbegriff 132 Wertermittlung 173 Wertorientierung 176 Wertpapierhandelbarkeit 11 Werttreiber 168 Wirtschaftsleistung 69, 71 Wissen – technologisches 109 Working Capital 246 Zahlungsausfall 30 Zahlungsebene 89 Zahlungsreihe 1 Zahlungsstockung 30 Zeitreihe 86, 87 Zeitwert 18 Zielkapitalstruktur 208 Zinsdeckungsquote 249 Zinssatz 36, 234