Führungsinformationen für das Kommunalmanagement (Informationsmanagement und Computer Aided Team) (German Edition) 3835005413, 9783835005419

Die Wirtschaftsinformatik beschäftigt sich schon seit mehreren Jahrzehnten mit unterschiedlichen Aspekten der Frage, wie

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Führungsinformationen für das Kommunalmanagement (Informationsmanagement und Computer Aided Team) (German Edition)
 3835005413, 9783835005419

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Petra Wolf Führungsinformationen für das Kommunalmanagement

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Informationsmanagement und Computer Aided Team Herausgegeben von Professor Dr. Helmut Krcmar

Die Schriftenreihe präsentiert Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Forschung im Themenfeld der Wirtschaftsinformatik. Das Zusammenwirken von Informations- und Kommunikationstechnologien mit Wettbewerb, Organisation und Menschen wird von umfassenden Änderungen gekennzeichnet. Die Schriftenreihe greift diese Fragen auf und stellt neue Erkenntnisse aus Theorie und Praxis sowie anwendungsorientierte Konzepte und Modelle zur Diskussion.

Petra Wolf

Führungsinformationen für das Kommunalmanagement Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Helmut Krcmar

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Hohenheim, 2006 D100

1. Auflage März 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Anita Wilke Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0541-9

Geleitwort Mit der Arbeit ‚Führungsinformationen für das Kommunalmanagement’ wird ein Themengebiet aufgegriffen, das nach wie vor hohe Aktualität besitzt: Die Wirtschaftsinformatik beschäftigt sich schon seit mehreren Jahrzehnten mit unterschiedlichen Aspekten der Frage, wie steuerungsrelevante Informationen für Führungskräfte bereitgestellt werden können. Allerdings stehen bislang in erster Linie Führungskräfte im unternehmerischen Umfeld im Fokus der Betrachtung, Verwaltungsmanager wurden kaum berücksichtigt. Auch die wenigen Arbeiten, die zu Führungsinformationen für Verwaltungsführungskräfte verfügbar sind, konzentrieren sich auf strukturierte Bereiche der Führungsarbeit, die einen hochgradig antizipierbaren Informationsbedarf erwarten lassen. Um den Informationsbedarf von Führungskräften im Kommunalmanagement in seiner gesamten Bandbreite zu untersuchen, entwickelt Frau Wolf ein Instrumentarium für die Informationsbedarfsanalyse im Kommunalmanagement. Hierfür kombiniert sie erstmals Erkenntnisse zu Führungsarbeit aus den Bereichen Management, Politik und Verwaltung. Aus diesen Komponenten leitet sie ein Modell von Einflussfaktoren und charakteristischen Merkmalen von Informationsbedarf ab, das sich als sehr geeignet erweist, den Informationsbedarf unterschiedlicher Gruppen von Kommunalmanagern trennscharf zu analysieren. Die Autorin stellt nicht nur eine Ist-Analyse des Informationsbedarfs anhand eines konkreten Forschungsprojekts dar, sondern entwickelt eine Methode, die auf die Informationsbedarfsanalyse im Kommunalmanagement übertragbar ist. Basierend auf der intensiven Auseinandersetzung mit Informationsprozessen im Kommunalmanagement gelingt es ihr, die Verbindung zum Ansatz des Issues Management schlüssig darzustellen. Der Zyklus des kommunalen Issues Management dient schließlich als Grundlage für die Konzeption eines an die Arbeitsweise des Kommunalmanagements angepassten Informationsangebots. Für die Ausgestaltung des Informationsangebots für Kommunalmanager arbeitet Frau Wolf umfassend Erkenntnisse zur Informationsstrukturierung auf und entwickelt mit dem Issues Monitor und der Kontext-Navigation zwei innovative Vorschläge für die Unterstützung des Kommunalen Issues Management auf der Basis von Topic Maps.

V

Mit der Arbeit von Frau Wolf liegt eine fundierte Arbeit an der Schnittstelle von Wirtschaftsinformatik und Verwaltungswissenschaften vor. Die Intention der Verfasserin, den Betrachtungsfokus für Führungsformationen im Kommunalmanagement sowohl durch empirische Ergebnisse als auch durch übertragbare Vorgehensmodelle zu erweitern, wird voll erfüllt. Die zahlreichen Abbildungen erleichtern das Verständnis der Ergebnisse. Aus wissenschaftlicher Sicht wie auch bezüglich praktischer Relevanz ist den Befunden von Frau Wolf eine beachtenswerte Leistung zu attestieren, und so verspricht das Buch für Wissenschaftler wie auch für Verwaltungsmanager eine lohnende Lektüre.

Helmut Krcmar

VI

Vorwort Im Rahmen meines Promotionsvorhabens „Führungsinformationen für das Kommunalmanagement“ wird das Themengebiet Führungsinformationen für die öffentliche Verwaltung in einer neuen Form aufgegriffen. Bislang beschränkten sich die Konzepte in diesem Bereich auf vergleichsweise abstrakte Empfehlungen, oder sie konzentrierten sich auf stark strukturierte Bereiche der Führungsinformationen, auf die MISKonzepte aus der Privatwirtschaft übertragen wurden. Das Anliegen dieser Arbeit ist die Erweiterung dieser Betrachtung. Die Erfahrung aus verschiedenen Forschungsprojekten in der Kommunalverwaltung hat gezeigt, dass sich die Führungsrealität von Bürgermeistern, Oberbürgermeister oder auch Gemeinderäten nur zu einem sehr kleinen Teil in einem Controllingbericht abbilden lässt. Vielmehr prägt die Tagespolitik, die Verhandlung in politischen Gremien oder die Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Kooperationspartnern die Arbeit dieser Führungskräfte. Sie füllen Rollen aus als Manager einer Organisation, als Politiker und als Mitglieder einer stark regulierten Verwaltung. Der daraus resultierende Informationsbedarf lässt sich nur vollständig erfassen, wenn Erkenntnisse aus all diesen Fachbereichen herangezogen und kombiniert werden. Mit dem Modell des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern und den daraus abgeleiteten Informationsbedarfselementen liegt nun ein Ansatz zur Ermittlung und Beschreibung von Informationsbedarf vor, der diese Forderung erfüllt. Die Informationsprozesse, die zu verschiedenen Bedarfsausprägungen und -profilen führen, können im Zyklus des Kommunalen Issues Management zusammengefasst werden. Die Dynamik, die mit dem ständigen Wechsel von Themen bzw. Issues einhergeht, stellt hohe Anforderungen an ein entsprechendes Informationsangebot. Die Konzepte für Issues Radar und Kontext-Navigation orientieren sich an diesen Forderungen nach Flexibilität und ad-hoc-Zugriff. Die technische Weiterentwicklung im Bereich der Topic Maps und Semantic Webs ermöglicht neben der Umsetzung der skizzierten Konzepte in kurzer Zeit sicher noch weitergehende Unterstützungsmöglichkeiten. Insofern ist die vorliegende Arbeit sicherlich ein Beitrag, aber keinesfalls ein abschließendes Resümee zur Forschung zu Führungsinformationen für das Kommunalmanagement. Zum Gelingen der Dissertation, zu meiner persönlichen Weiterentwicklung und zu meiner Motivation haben viele Personen maßgeblich beigetragen. VII

Zu allererst danke ich ganz besonders meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Krcmar, für die weitsichtige, konstruktive und motivierende Betreuung und Unterstützung während meines Dissertationsvorhabens. Meinen zahlreichen AnsprechpartnerInnen im Rathaus der Landeshauptstadt Stuttgart möchte ich ebenfalls danken, ohne sie wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Hier sind stellvertretend für viele weitere zu nennen: Frau Iris Frank, Herr Andreas Majer und Herr Dieter Gronbach. Besonders bedanke ich mich bei meiner Familie. Durch Aufmunterung an passender Stelle, Ablenkungen, durch Diskussionen und unermüdliches Korrekturlesen und dadurch, dass ich für meine Pläne und Träume immer Unterstützung fand, wurde diese Arbeit erst möglich. Viele Freunde haben mich auf dem Weg zur Dissertation begleitet und viel dazu beigetragen, dass dieser Weg ein sehr interessanter und abwechslungsreicher Abschnitt meines Lebens wurde, in dem die Hochphasen, die Tiefpunkte deutlich überwiegen. Zum Schluss danke ich meinem Mann, Dr. Malthe Wolf, für die vielen konstruktiven Diskussionen, für seine Geduld, Ermutigung und die Zuversicht, dass wir das schon schaffen.

Petra Wolf

VIII

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Vorwort Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis 1

VII IX XV XIX

Einleitung

1

1.1

Forschungsgegenstand

1

1.2

Forschungsziele

2

1.3 Forschungsdesign 1.3.1 Wissenschaftstheoretische Grundlagen 1.3.2 Forschungsdesign der Arbeit 1.3.3 Voraussetzungen und Grenzen der Forschungsarbeit

2

V

3 3 7 9

1.4

Forschungsprojekt

10

1.5

Aufbau der Arbeit

13

Führungsinformationen

15

2.1

Führungsunterstützungssysteme für das Top-Management Führungsinformationssysteme 2.1.1 Management Information Systems 2.1.2 Executive Information Systems

19 20 21

2.2

Führungsunterstützungssysteme für das Middle und LowerManagement - Führungsunterstützungssysteme (i.e.S.) bzw. Management Information Systems 2.2.1 Entscheidungsunterstützungssysteme 2.2.2 Expertensysteme 2.2.3 Führungsunterstützungssysteme für das Lower-Management Management Information Systems

22 23 24

2.3 Führungsinformationen für das Verwaltungsmanagement 2.3.1 Controllingorientierte MIS-Ansätze 2.3.2 Kommunales Führungsunterstützungssystem

27 29 34

2.4

26

Konsequenzen für die Entwicklung eines Führungsinformationssystems für das Kommunalmanagement

35 IX

3

4

Ermittlung von Informationsbedarf

41

3.1

47

Objektive, analytische Verfahren der Informationsbedarfsanalyse

3.2 Subjektive Verfahren der Informationsanalyse 3.2.1 Verfahren der Benutzerforschung 3.2.1.1 Informationsverhalten

48 49 51

3.2.1.2 Kontext von Informationsverhalten 3.2.1.3 Typologisierung von Informationsnutzern 3.2.2 Eignung/Anwendung der Ansätze der Benutzerforschung zur Bestimmung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

75 84

3.3 Gemischte Verfahren der Informationsbedarfsanalyse 3.3.1 Methode Bestimmung der Kritischen Erfolgsfaktoren 3.3.2 Informationsbedarfsermittlung über die Balanced Scorecard 3.3.3 Benutzermodellierung

86 86 89 90

3.4

92

Zusammenfassung

Merkmale und Faktoren des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern 4.1

4.2

Ein Modell zur Erhebung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

95

95

Faktoren und Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

X

84

99

4.3 Rahmenbedingungen der Managementarbeit 4.3.1 Handlungsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben 4.3.2 Entscheidungsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben 4.3.3 Funktionsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben 4.3.4 Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Managern

100 101 105 107 107

4.4 Rahmenbedingungen der politischen Steuerung 4.4.1 Policy Netzwerke 4.4.2 Informationen als Grundlage für politische Entscheidungen 4.4.3 Information als Grundlage für parlamentarische Kontrolle 4.4.4 Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Politikern

110 113 114 115 116

4.5 Rahmenbedingungen des Verwaltungsmanagements 4.5.1 Strukturelle Rahmenbedingungen 4.5.2 New Public Management - Neues Steuerungsmodell

118 119 124

4.5.2.1

5

6

Wirkungsorientierung

125

4.5.2.2

Prozess- und Qualitätsorientierung

125

4.5.2.3

Rollenverständnis

126

4.5.2.4

Personal- und Organisationsorientierung

127

4.5.2.5

Ziel- und Strategieorientierung

127

4.5.2.6

Markt- und Wettbewerbsorientierung

128

4.5.2.7 Controlling 4.5.3 Veränderung der Führungsarbeit durch das Neue Steuerungsmodell 4.5.4 Unterstützung von Verwaltungsmodernisierung durch IT 4.5.5 Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern

129 130 131

4.6 Rahmenbedingungen des Kommunalmanagements 4.6.1 Steuerung in Kommunen 4.6.2 Akteure des Kommunalmanagements 4.6.2.1 Verwaltung 4.6.2.2 Gemeinderat 4.6.3 Arbeitssituation von Kommunalmanagern 4.6.3.1 Verwaltung 4.6.3.2 Gemeinderat

137 139 140 140 142 142 143 146

4.6.4 Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

148

134

4.7

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Führungskräften 150 in Kommunen

4.8

Zusammenfassung

154

Empirische Grundlagen und Vorgehen bei der Erhebung des Informationsbedarfs

157

5.1 Offene Erhebungsmethoden 5.1.1 Interviews 5.1.2 Teilnehmende Beobachtung

157 157 159

5.2

Verdeckte Erhebungsmethoden

159

5.3

Auswertung des empirischen Materials

159

Elemente des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

161

XI

6.1

Aufgaben und Rahmenbedingungen der Arbeit von

Kommunalmanagern 6.1.1 Amtsleiter 6.1.1.1

Fallbeschreibung Amtsleiter

162

6.1.1.2

Auswertung Amtsleiter

164

6.1.2 Bürgermeister

164

6.1.2.1 Fallbeschreibung Bürgermeister 6.1.2.2 Auswertung Bürgermeister 6.1.3 Oberbürgermeister 6.1.3.1 Fallbeschreibung Oberbürgermeister 6.1.3.2 Auswertung Oberbürgermeister 6.1.4 Gemeinderat 6.1.4.1 Fallbeschreibung Gemeinderat 6.1.4.2 Auswertung Gemeinderat 6.1.5 Fraktionsgeschäftsstelle 6.1.5.1 Fallbeschreibung Fraktionsgeschäftsstelle 6.1.5.2 Auswertung Fraktionsgeschäftsstelle

164 168 169 169 171 172 172 174 175 175 176

6.2

Bestimmungsfaktoren

177

6.3

Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

180

6.4 Informationsbedarfselemente bei Kommunalmanagern 6.4.1 Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf 6.4.2 Kunden/Bürgerorientierter Informationsbedarf 6.4.3 Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf 6.4.4 Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf 6.4.5 Globalsteuerungsinformationsbedarf 6.4.6 Fachbezogene Frühaufklärung 6.4.7 Informationsbedarf im Rahmen der Politischen Positionierung im Themenzyklus 6.4.8 Recherchebezogener Informationsbedarf 6.4.9 Beobachtung der politischen Wettbewerber 6.4.10 Sitzungsbezogener Informationsbedarf

XII

161 162

186 190 192 194 197 198 200 203 205 207 208

6.5

Informationsbedarfselemente im Zusammenhang – Kommunales Issues Management 209

6.6

Informationsbedarfsprofile

215

6.6.1 Amtsleiter 6.6.2 Bürgermeister

217

6.6.3 Oberbürgermeister

218

6.6.4 Gemeinderat 6.6.4.1 Gemeinderäte 6.6.4.2 Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen

220 220 222

6.7

6.8

6.9 7

215

Zusammensetzung des Informationsbedarfsprofils von Kommunalmanagern

223

Anwendung der Informationsbedarfselemente und -profile zur Informationsbedarfsanalyse – Übertragbarkeit des entwickelten Modells

228

Zusammenfassung

230

Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement 231 7.1

Informationsstrukturierung als Ansatz zur Gestaltung eines Informationsangebots 7.1.1 Taxonomien 7.1.2 Thesauri 7.1.3 Semantische Netze 7.1.3.1 Issue Based Information Systems (IBIS) 7.1.3.2 Semantic Webs 7.1.3.3 7.1.3.4

234 235 237 239 241 242

Topic Maps 244 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Semantic Webs und Topic Maps 247

7.2

Topic Maps als Instrument zur themenorientierten Strukturierung von Führungsinformationen 7.2.1 Vorgehen bei der Entwicklung einer Topic Map 7.2.2 Vorgehen bei der Entwicklung der Topic Map für das Kommunalmanagement – die kooperative Szenarioentwicklung als Ansatz zur Domänenmodellierung 7.2.2.1 Erfahrungen mit der Kooperativen Szenarioentwicklung in Stuttgart 7.2.2.2 Ergebnisse der Auswertung der Rechercheszenarien 7.2.3 Umsetzung der themenorientierten Informationsstrukturierung in KORVIS

248 250

256 263 267 276 XIII

8

7.2.4 Erste Nutzerrückmeldungen zum KORVIS-Prototypen

282

7.3

Unterstützung eines Kommunalen Issues Managements

283

7.4

Profilspezifische Führungsinformationen für Kommunalmanager

286

7.5

Zusammenfassung

288

Führungsinformationen für das Kommunalmanagement

291

8.1

Erreichung der Forschungsziele

291

8.2

Einordnung in die bisherigen Erkenntnisse zu Führungs informat ionen in der öffentlichen bzw. Kommunalverwaltung

296

8.3 Fazit Literaturverzeichnis

XIV

297 301

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Phasen des Action Research Zyklus Abbildung 1-2: Action Research Zyklus nach Baskerville Abbildung 1-3: Aufbau der Arbeit Abbildung 2-1: Morphologischer Kasten für Führungsunterstützungssysteme am Beispiel eines EUS Abbildung 2-2: Systempyramide des MSS Abbildung 2-3: Führungsinformation für Top-, Middle- und Lower-Management Abbildung 2-4: Aufbau von Expertensystemen Abbildung 2-5: Workflow-basiertes Controlling - Einordnung in gängige Controllingkonzepte Abbildung 2-6: Steuerungsrelevante Gestaltungsfelder in öffentlichen Verwaltungen als Grundlage der Ausgestaltung eines ÖMIS Abbildung 2-7: Geschäfts-, Support- und Managementprozesse in der Steuerverwaltung Abbildung 2-8: Kommunales Führungsunterstützungssystem (KFUS) Abbildung 3-1: Lebenszyklus der Informationswirtschaft

5 6 14 17 18 19 25 26 30 31 34 41

Abbildung 3-2: Die Ermittlung des Informationsstands aus Bedarf, Angebot und Nachfrage Abbildung 3-3: Informationsbedarf und -angebot Abbildung 3-4: Benutzerdefinitionen nach Wersig Abbildung 3-5: Systematisierung der Informationsverhaltensforschung Abbildung 3-6: Modell des Informationsverhaltens nach Wilson 1981 Abbildung 3-7: Allgemeines Modell des Informationsverhaltens Abbildung 3-8: Informationsverhalten nach Leckie et al. Abbildung 3-9: System von Information und Kommunikation Abbildung 3-10: Informationsverhalten bei der Webrecherche Abbildung 3-11: Information-seeking Behavior Abbildung 3-12: Konzeptionelle Lücken und 'integrating themes' Abbildung 3-13: Konversationstheorie und Informationsrecherche Abbildung 3-14: Benutzermodell nach Paisley und Bock

43 44 50 53 54 56 58 61 68 69 71 74 76

Abbildung 3-15: Dimensionen der Kritischen Erfolgsfaktoren

87

Abbildung 3-16: Beispiel einer Balanced Scorecard

90

Abbildung 4-1: Dimensionen eines FIS-Fachkonzepts Abbildung 4-2: Rahmenmodell für die Ermittlung von Informationsbedarf

96 97 XV

Abbildung 4-3: Charakteristische Informationsbedarfsmerkmale

98

Abbildung 4-4: Mögliche Einflussfaktoren und Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

99

Abbildung 4-5: Managerial Roles

101

Abbildung 4-6: Informationsbedarf und Informationsbedürfnis

103

Abbildung 4-7: Bestimmende Merkmale der Managerarbeit

104

Abbildung 4-8: Merkmale des Informationsbedarfs von Managern Abbildung 4-9: Handlungs- bzw. Entscheidungskorridore Abbildung 4-10: Modell eines politischen Systems Abbildung 4-11: Politische Regelungsstrukturen Abbildung 4-12: Merkmale des Informationsbedarfs von Politikern Abbildung 4-13: Controlling als zentrale Klammer der Steuerungselemente Abbildung 4-14: Merkmale des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern Abbildung 4-15: Regelkreis der (politischen) Steuerung Abbildung 4-16: Aufbauorganisation der Kommunalverwaltung Abbildung 4-17: Zentrale Bereiche der Gemeinderatsarbeit Abbildung 4-18: Anteile der Arbeit mit verschiedenen Medien Abbildung 4-19: Nutzungsfrequenz unterschiedlicher Informationsquellen Abbildung 4-20: Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Abbildung 4-21: Merkmale des Informationsbedarfs von kommunalen Führungskräften Abbildung 5-1: Zwischenergebnis der Auswertung des empirischen Materials Abbildung 6-1: Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Abbildung 6-2: Arbeitsteilung im politischen Regelkreis der Kommunalsteuerung Abbildung 6-3: Informationsbedarfselement Abbildung 6-4: Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Abbildung 6-5: Kunden/ Bürgerorientierter Informationsbedarf Abbildung 6-6: Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf Abbildung 6-7: Projektsteuerungs/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf Abbildung 6-8: Globalsteuerungsinformationsbedarf Abbildung 6-9: Fachbezogene Frühaufklärung Abbildung 6-10: Informationsbedarf zur Politischen Positionierung Abbildung 6-11: Recherchebezogener Informationsbedarf Abbildung 6-12: Beobachtung der politischen Wettbewerber

108 111 112 113 117 130 136 139 141 143 145 148 149

XVI

155 160 183 184 186 190 192 195 197 199 200 203 206 207

Abbildung 6-13: Sitzungsbezogener Informationsbedarf

208

Abbildung 6-14: Entwicklung von politischen Themen

210

Abbildung 6-15: Einflussfaktoren auf den Informationsbedarf von Kommunalmanagern Abbildung 6-16: Zusammensetzung des Informationsbedarfsprofils von Kommunalmanagern

224

Abbildung 6-17: Generische Informationsbedarfsprofile Abbildung 7-1: Klassifikationen Abbildung 7-2: Beschreibung eines Deskriptors im Standard Thesaurus Wirtschaft Abbildung 7-3: Einfaches semantisches Netz Abbildung 7-4: Vererbung in einfachen semantischen Netzen Abbildung 7-5: Strukturelemente des IBIS-Konzepts Abbildung 7-6: Ansätze zur hierarchischen und netzartigen Strukturierung Abbildung 7-7: Bausteine einer Topic Map Abbildung 7-8: Topic Map für das Kommunalmanagement Abbildung 7-9: Phasen der Topic Map-Entwicklung Abbildung 7-10: Begriffsnetz um den Begriff 'Ziege' Abbildung 7-11: Erhebung von Domäneninformationen Abbildung 7-12: Phasen der Topic Map Entwicklung Abbildung 7-13: Vorgehen bei der kooperativen Szenarioentwicklung Abbildung 7-14: Struktur eines Rechercheszenarios Abbildung 7-15: Rechercheszenario Sitzungsvorbereitung Abbildung 7-16: Kernstruktur des Domänenmodells Abbildung 7-17: Teilausschnitt ‚Verwaltungsangehöriger’ des Domänenmodells Abbildung 7-18: Teilausschnitt ‚Organisationseinheit’ des Domänenmodells Abbildung 7-19: Teilausschnitt 'Gemeinderat' aus Domänenmodell Abbildung 7-20: Teilausschnitt 'Gemeinderatsausschuss' aus Domänenmodell Abbildung 7-21: Dreistufiges Navigationskonzept Abbildung 7-22: Screenshot KORVIS Eingangsportal Abbildung 7-23: Screenshot KORVIS Trefferliste Abbildung 7-24: Funktion der Crosskonkordanz-Tabellen in KORVIS Abbildung 7-25: Screenshot KORVIS Dokumentenansicht Abbildung 7-26: Kommunales Issues Management Abbildung 7-27: Unterstützung des Kommunalen Issues Managements durch die Topic Map

227 236

225

239 240 240 241 245 247 250 251 252 255 256 259 261 265 270 271 272 274 275 278 279 279 280 281 284 286 XVII

Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Definitionen von Teilsystemen der Klasse der Management Support Systems Tabelle 2-2: Begriffe für Führungsunterstützungssysteme

16 16

Tabelle 2-3: Tabelle 2-4: Tabelle 2-5: Tabelle 3-1: Tabelle 3-2: Tabelle 3-3: Tabelle 3-4: Tabelle 3-5: Tabelle 3-6: Tabelle 3-7: Tabelle 4-1: Tabelle 4-2: Tabelle 4-3:

Phasen im Entscheidungsprozess 23 Vergleich von DSS und ES 25 Übersetzung der Strategie in Kennzahlen und Indikatoren 33 46 Verfahren zur Ermittlung des Informationsbedarfs Information Seeking Process 65 76 Problemfokussierung im Rechercheprozess Konversationselemente 73 Aufgabenkomplexität und Informationsbedarf 81 Auflistung der individuellen Kritischen Erfolgsfaktoren 88 Merkmale von Benutzermodellen 91 103 Typen von Informationsverarbeitungsaufgaben Typen von Führungsentscheidungen 106 Informationen der Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenerledigun 122 124 Tabelle 4-4: Zieldimensionen des NPM in der internationalen Literatur Tabelle 4-5: Wandel der Führungsbedingungen der Verwaltung Tabelle 4-6: Unterstützung der Verwaltungsmodernisierung durch Informationstechnologie Tabelle 4-7: Merkmale für Informationsbedarf Tabelle 5-1: Interviewpartner bei der Informationsbedarfsermittlung Tabelle 5-2: Inhalte des Interviewleitfadens Tabelle 6-1: Aktivitäten eines Amtsleiters Tabelle 6-2: Aktivitäten Bürgermeister Tabelle 6-3: Aktivitäten Oberbürgermeister Tabelle 6-4: Aktivitäten Gemeinderat Tabelle 6-5: Aktivitäten Fraktionsgeschäftsstelle Tabelle 6-6: Anpassung der urspünglichen Einflussfaktoren für die Anwendung auf die Empirie Tabelle 6-7: Anpassung der urspünglichen Merkmale für die Anwendung auf die Empirie Tabelle 6-8: Übersicht der Informationsbedarfselemente Tabelle 6-9: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Amtsleiter

131 132 153 158 158 164 169 171 175 177 179 181 189 215 XIX

Tabelle 6-10: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Bürgermeister ................217 Tabelle 6-11: Informationsbedarfsprofil des Oberbürgermeisters ..............................219 Tabelle 6-12: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Gemeinderäte ................221 Tabelle 6-13: Informationsbedarfsprofil der untersuchten Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen.......................................................................222 Tabelle 7-1: Methoden zur Informationsstrukturierung ............................................235 Tabelle 7-2: Tabelle 7-3: Tabelle 7-4: Tabelle 7-5: Tabelle 7-6:

XX

Internationale Dezimalklassifikation.....................................................236 Standardthesaurus Wirtschaft................................................................238 Über die Topic Map zu erschließende Informationssysteme -quellen..249 Analyseschritte des NDA ......................................................................257 Beispiel für eine Crosskonkordanz-Tabelle ..........................................277

1

Einleitung

1.1

Forschungsgegenstand

Schon seit einigen Jahrzehnten beschäftigt sich die Wirtschaftsinformatik mit dem Thema Führungsinformationen. Aufgabe dieses Informationssystemtypus ist es, Führungskräften in Wirtschaft oder Verwaltung steuerungsrelevante Informationen in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen (Swiontek 1997, S. 57; Stahlknecht/Hasenkamp 2002, S. 397). Allerdings lag bislang das Hauptaugenmerk auf Führungsinformationen für den unternehmerischen Bereich und den für diese Domäne spezifischen Informationsbedarf. Dementsprechend wurden Systemkonzepte und Vorgehensweisen beim Entwurf derartiger Informationssysteme auf die Belange von Unternehmen zugeschnitten. Ähnlich wie auch in anderen Bereichen der Informationssystementwicklung zeigte sich, dass eine Übertragung der Führungsinformationskonzepte auf die Domäne der öffentlichen Verwaltung nicht ohne weiteres möglich ist, da sich inhaltliche und organisatorische Erfordernisse im Umfeld der öffentlichen Verwaltung stark vom unternehmerischen Bereich unterscheiden. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Führungsinformationssystemen ist die Frage nach dem Informationsbedarf, der durch diese Systeme gedeckt werden soll. Für die Ermittlung von Informationsbedarf wurden unterschiedliche Methoden entwickelt, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten unter Einbeziehung des Arbeitsumfeldes bzw. Aufgabengebietes der jeweiligen Führungskräfte Hinweise auf die benötigten Informationen erheben (Krcmar 2005, S. 61ff). Der Fokus auf Aufgaben und Arbeitsbereich führt jedoch gerade in Domänen mit einem hohen Anteil an politisch motivierten Aktivitäten und vielfacher Überlagerung von Rollen wie der öffentlichen Verwaltung dazu, dass nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Informationsbedarf einer Führungskraft erfasst werden kann. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist daher die Untersuchung des vielschichtigen Informationsbedarfs von Führungskräften im Kommunalmanagement und die Überführung der gewonnenen Erkenntnisse in das Design eines entsprechenden Führungsinformationssystems. Zu diesem Zweck wird ein Erhebungsinstrument entwickelt, das darauf ausgerichtet ist, die domänenspezifischen Besonderheiten und die verschiedenen Facetten des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern sowohl bei dessen Erhebung her1

auszuarbeiten als auch bei der Gestaltung eines entsprechenden Informationsangebots zu berücksichtigen. 1.2

Forschungsziele

Für die Auseinandersetzung mit dem Thema Führungsinformationen für das Kommunalmanagement ergeben sich folgende forschungsleitende Frage- und Zielstellungen: • Ermittlung charakterisierender Elemente für den Informationsbedarf von Führungskräften im Kommunalmanagement: Zahlreiche Führungskonzepte werden aus der klassischen Betriebswirtschaftslehre für die öffentliche Verwaltung mit mehr oder weniger großen Anpassungen übernommen. Neues Steuerungsmodell und Balanced Scorecard sind nur zwei von vielen theoretischen Ansätzen, die hier Eingang finden und so auch Auswirkungen auf den Informationsbedarf von Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung haben. Neben den angeführten Informationsbedürfnissen, die sich aus der Theorie ableiten lassen, gibt es aber auch einen großen Anteil an Informationsbedarf, der sich aus dem spontanen Zusammenspiel von Akteuren in politischen Aushandlungsprozessen ergibt. Ziel ist es, diese für die Beschreibung des Informationsbedarfs bspw. eines Bürgermeisters charakteristischen Elemente zu identifizieren und eine Strukturierung für ihre systematische Erhebung zu entwickeln. • Identifikation von Nutzergruppen: Um Informationen gezielt auf spezifische Informationsbedürfnisse abgestimmt bereitstellen zu können, werden die identifizierten Informationsbedarfselemente zu Bedarfsprofilen kombiniert. Auf der Basis unterschiedlicher Kombinationen und Relevanz der Informationsbedarfselemente wird eine Abgrenzung vorgenommen, die den Ausgangspunkt für die Gestaltung von entsprechenden Informationsangeboten darstellt. • Konzept für die Erschließung von Informationen für Führungskräfte im Kommunalmanagement: Um den Besonderheiten der Domäne öffentliche Verwaltung gerecht zu werden, können gängige Konzepte der Managementunterstützung nicht unverändert übertragen werden. Als besondere Herausforderung ist der Bereich des unstrukturierten und nicht antizipierbaren Informationsbedarfs (Groffmann 1997, S. 2

• 12f) anzusehen, der mit Hilfe von Instrumenten und Techniken der Informationsstrukturierung angegangen werden soll. Ziel ist es, eine Organisation von Informationsobjekten zu entwerfen, die den Erfordernissen und dem Arbeitsstil des Kommunalmanagements entspricht und so möglichst wirkungsvoll, aber gleichzeitig leicht handhabbar die Informationsnachfrage unterstützt. • Nutzergruppenspezifische Informationsangebote: Die Kombination der Erkenntnisse aus den Bereichen ‚Elemente des Informationsbedarfs von Führungskräften’ und ‚Identifikation von Nutzergruppen’ führt zu einem Entwurf von nutzergruppenspezifischen Informationsangeboten, die in Inhalt und Struktur dem spezifischen Informationsbedarf und -verhalten Rechnung tragen. 1.3

Forschungsdesign

1.3.1

Wissenschaftstheoretische Grundlagen

Informationssysteme sind soziotechnische Mensch-Maschine-Systeme (Krcmar 2005, S. 25), d.h. ihre charakteristischen Eigenschaften resultieren zu einem beträchtlichen Anteil aus der Interaktion zwischen Mensch und System. Dieses besondere Merkmal wird auch durch den von Lee für Management Informationssysteme postulierten Unterschied zwischen industrieller Technik und intellektueller Technik deutlich gemacht (1999, S. 8f): Unter industrieller Technik sind Systeme zusammengefasst, die einen limitierten Funktionsumfang aufweisen wie bspw. eine Dampfturbine. (Management-)Informationssysteme hingegen als Beispiel für eine intellektuelle Technik haben einen offenen Funktionsumfang, der sich durch die Interaktion mit menschlichen Nutzern und Entwicklern kontinuierlich weiterentwickeln kann. Die Nutzung von Informationssystemen beeinflusst menschliches Handeln und Verhalten und ermöglicht Lernen. In der Konsequenz entwickeln Menschen auf der Basis der gewonnenen Erfahrungen neue Anwendungsmöglichkeiten und Funktionen für Informationssysteme, die wiederum neue Erfahrungen und verändertes Verhalten hervorrufen usw. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Informationssystemen bedeutet dies, dass insbesondere interpretative Forschungsansätze geeignet sind, auch die soziale oder menschliche Komponente des Untersuchungsgegenstandes zu erfassen, da sie auf das Verständnis der Interaktion mit und Interpretation von Informationssystemen durch Menschen abzielen (Myers 1997, S. 4; Frank et al. 1998, S. 5f; Lee 1999, S. 3

16f). Die Existenz einer vom betrachtenden Subjekt abstrahierbaren Wirklichkeit wird von interpretativen Ansätzen abgelehnt. Jedes Individuum interpretiert die eigenen Wahrnehmungen vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes (Lee 1999, S. 16f). Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse können nach diesem Verständnis nur dann gewonnen werden, wenn neben ‚objektiv’ beobachtbaren Fakten und Verhaltensweisen auch die subjektive Interpretation oder Bedeutung, die den Fakten oder Verhaltensweisen von den untersuchten menschlichen Akteuren zugewiesen wird, mit in die Erhebung einbezogen wird. Entsprechend der Fokussierung auf das Verständnis von Individuen und deren Verhalten werden im Rahmen von interpretativen Forschungsansätzen in erster Linie qualitative Forschungsmethoden verwendet (Lee 1999, S. 17). Zu den wichtigsten qualitativen Forschungsmethoden1 gehören die Aktionsforschung, Fallstudien, Ethnographie und Grounded Theory (Myers 1997, S. 5). Der vorliegenden Arbeit liegen die Prinzipien der Aktionsforschung zu Grunde, daher wird diese Forschungsmethode im Folgenden ausführlicher dargestellt. Der Ansatz der Aktionsforschung geht zurück auf den Sozialwissenschaftler Kurt Lewin, der 1946 einen neuen Forschungsansatz vorstellte, eine Kombination aus Theoriebildung und praktischen Eingriffen in soziale Systeme (Susman/Evered 1978, S. 586). Die Aktion, d.h. der verändernde Eingriff in ein soziales System, steht im Zentrum dieses Forschungsansatzes, da sie gleichzeitig als Instrument zur Erforschung und zur Verbesserung des betrachteten Systems gesehen wird. Die meist zitierte Definition für Aktionsforschung lieferte Rapoport (1970, S. 499): “Action research aims to contribute both to the practical concerns of people in an immediate problematic situation and to the goals of social science by joint collaboration within an mutually acceptable ethical framework.” Der hermeneutischen Grundlage des Aktionsforschungsansatzes folgend ist das Vorgehen in Zyklen bzw. Spiralen angelegt, die eine Abfolge von Planungsschritten, Aktionen und Auswertung der erzielten Ergebnisse darstellen. Susman entwickelt hieraus ein 5-phasiges Vorgehensmodell, bestehend aus den Phasen ‚Diagnosing’, ‚Action Planning’, ‚Action Taking’, ‚Evaluating’ und ‚Specifying Learning’ (1978, S. 588), um dem Ansatz durch systematisches Vorgehen zu mehr Anerkennung in der

1

4

Diese können allerdings unabhängig von einem positivistischen, interpretativen oder kritischen Forschungsansatz gewählt werden.

bislang vorwiegend ablehnenden Wissenschaftsgemeinschaft zu verhelfen. Die Ausrichtung und die Explikation der konkreten methodischen Umsetzung der einzelnen Phasen gelten heute als wesentliches Merkmal für seriöse Forschungsarbeiten (Avison et al. 1999, S. 96). Diagnosing Identifying or defining a problem

Specifying Learning Identifying general findings

Development of a clientsystem infrastructure

Evaluating Studying the consequences of an action

Action Planning Considering alternative courses of action for solving a problem

Action Taking Selecting a course of action

Abbildung 1-1: Phasen des Action Research Zyklus Quelle: (Susman/Evered 1978, S. 588)

Im Rahmen des ‚Diagnosing’ werden die Probleme analysiert, die zu dem Wunsch nach Aktion oder Veränderung in der Organisation geführt haben bzw. die im Fall eines Systementwicklungsprojektes den Ansatzpunkt des Unterstützungsbedarfs darstellen (Frank et al. 1998, S. 8). Die ganzheitliche Betrachtung der Situation und die Ableitung von Arbeitshypothesen hinsichtlich der Ursachen für Schwierigkeiten sind Ziel dieser Phase (Baskerville 1999, S. 15f). Zur Erhebung der zu lösenden Probleme bzw. des Unterstützungsbedarfs kommen im Allgemeinen „wenig strukturierende Instrumente“ wie bspw. Gruppendiskussionen oder semi-strukturierte Interviews zum Einsatz (Frank et al. 1998, S. 3). Die folgende Phase ‚Action Planning’ beinhaltet die Erarbeitung von Maßnahmen und Aktionen zur Verbesserung bzw. Beseitigung der konstatierten Probleme. Der gewünschte Soll-Zustand und die erforderlichen Maßnahmen werden in einem theoretischen Handlungsrahmen für die geplante Aktion festgehalten und vorgegeben. In der ‚Action Taking’ Phase werden die geplanten Maßnahmen umgesetzt. 5

Anschließend werden die durchgeführten Aktionen und deren Resultate in der ‚Evaluating’ Phase dahingehend überprüft, ob die theoretisch vorgesehenen Wirkungen und Veränderungen erzielt wurden, und ob diese Veränderungen die ursprünglichen Probleme behoben haben. Für den Fall, dass die durchgeführten Aktionen nicht erfolgreich waren, sind die Ursachen zu analysieren und neue Aktionen zu planen. Formal gesehen findet die Phase ‚Specifying Learning’ am Ende des Zyklus statt, faktisch stellt sie jedoch einen kontinuierlichen Prozess dar. Die gewonnenen Ergebnisse können an verschiedenen Stellen einfließen: Zum einen können neue Lernstrukturen in der Organisation verankert werden, um von den gewonnenen Erfahrungen zu profitieren. Darüber hinaus können die Erkenntnisse aus misslungenen Aktionen zur Weiterentwicklung der Instrumente der Diagnosing und Action Planning Phase genutzt werden. Und schließlich liefert die praktische Anwendung und Überprüfung des entwickelten theoretischen Handlungsrahmens wertvolle Erkenntnisse für die Wissenschaftsgemeinschaft und die weitere empirische Arbeit. Baskerville ergänzt das Phasenmodell um die formalen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Forschungsprojektes, ‚Client-System Infrastructure’, die mit der jeweiligen ‚Klientenorganisation’ vereinbart werden (1999, S. 15). Diese Vereinbarungen betreffen beispielsweise den Entscheidungsspielraum des oder der Forscher/s und halten die gemeinsamen Erwartungen und Ziele für das gemeinsame Projekt fest.

Diagnosing

Specifying Learning

Evaluating

Action Planning

Action Taking

Client System Infrastructure

Abbildung 1-2: Action Research Zyklus nach Baskerville Quelle: (1999, S. 14)

6

In der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre hat die Pilotierung als designorientierter Forschungsansatz eine weit zurückreichende Tradition (vgl. Szyperski 1971). Aus der Anerkennung von Innovation als Aufgabe der Betriebswirtschaft resultiert die Forderung nach einer empirischen Erprobung der theoretisch entwickelten Konzepte (Schwabe 2000, S. 156). Bezogen auf die Wirtschaftsinformatik wird daraus die Gestaltung von soziotechnoökonomischen Nutzungsinnovationen als zentraler Auftrag abgeleitet (König et al. 1995; Schwabe 2000, S. 157; Krcmar 2002). Die Pilotierung kann allerdings als Spezialfall der Aktionsforschung betrachtet werden, da sie als Aktion technische Innovationen in ein soziales Umfeld, ein Unternehmen oder eine Verwaltung, einführt und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen untersucht (Schwabe/Krcmar 2000, S. 133). Derartige Pilotprojekte beinhalten zwei unterschiedliche Wirkungszusammenhänge, die Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung sein können (Witte 1997): Zum einen den Zusammenhang zwischen Anforderungen und Rahmenbedingungen, die durch das soziale Umfeld an das Design eines zu pilotierenden Artefakts gerichtet werden. Das soziale bzw. soziotechnische Umfeld repräsentiert in diesem Fall die bewirkenden oder unabhängigen Variablen, während die realisierte Innovation die bewirkten oder abhängigen Variablen repräsentiert (Schwabe 2000, S. 157). Im zweiten Fall steht der Zusammenhang zwischen eingeführter Innovation als bewirkende Variable und den Auswirkungen auf das soziotechnische System als bewirkte Variablen im Zentrum. In der vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf dem erstgenannten Wirkungszusammenhang, d.h. auf der möglichst detaillierten und vollständigen Erfassung der Bedarfsmerkmale des sozialen Umfeldes und deren adäquaten Abbildung in einem Entwurf für eine soziotechnische Nutzungsinnovation. Nach dem dargelegten Verständnis kann die Aktionsforschung als Rahmenansatz herangezogen werden, der mit theoretischen Modellen zur Unterstützung der Interpretations- und Designarbeit in den einzelnen Phasen ergänzt wird (Schwabe/Krcmar 2000, S. 137). 1.3.2

Forschungsdesign der Arbeit

Die Anwendung der Arbeitsphasen der Aktionsforschung auf die dargestellten Forschungsfragen und -inhalte ergibt folgenden Aufbau der Forschungsarbeiten: Die Client-System Infrastructure ist nicht als Phase zu bezeichnen, sondern stellt den Rahmen für die empirische Forschungsarbeit dar. Sowohl durch formale bspw. 7

vertragliche Rahmensetzungen mit dem Feldpartner oder der Klientenorganisation werden bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten des Forschers gemacht, gleichzeitig ergeben sich aber auch auf informeller Ebene bspw. durch Beschlüsse hinsichtlich des im Projekt zu bearbeitenden Themenschwerpunkts Begrenzungen oder Ausweitungen der möglichen Forschungsfragen. Diagnose-Phase: Die Diagnose-Phase beinhaltet die Erhebung und Auswertung des Informationsbedarfs von Führungskräften im Kommunalmanagement. Als Erhebungsinstrumente kommen semistrukturierte Interviews, Workshops, teilnehmende Beobachtung und Dokumentenanalyse zum Einsatz. Theoretische Grundlage für die Erhebung und Analyse des Informationsbedarfs sind Ansätze zur Führungs- und Steuerungslehre in Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung, Modelle zur Entscheidungsfindung in der Politik aber auch Konzepte aus Wirtschaftswissenschaften und Informationssystemforschung zur Ermittlung von Informationsbedarf. Ergebnis der Diagnose-Phase ist die Charakterisierung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern, wobei zwischen unterschiedlichen Elementen von Informationsbedarf differenziert wird, die jeweils spezifische Anforderungen an das Design stellen. Action Planning-Phase: Inhalt der Action Planning-Phase ist der Transfer der erhobenen Anforderungen in Gestaltungsansätze. Auf der Basis der Charakterisierung der erhobenen Informationsbedarfselemente werden Hypothesen darüber entwickelt, wie ein Informationssystem gestaltet werden muss, um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen. Diese Hypothesen schlagen sich in dem Entwurf eines profilspezifischen Informationsangebots nieder. Aus den gefundenen Informationsbedarfselementen wird ein Schwerpunkt gewählt – die Kernelemente des Kommunalen Issues Managements. Zur Unterstützung des Kommunalen Issues Managements wird ein Konzept zur themenorientierten Informationsstrukturierung basierend auf dem Topic Map-Ansatz entwickelt. Action Taking-Phase: Im Rahmen der Action Taking-Phase wird das auf der Basis einer Topic Map entwickelte Informationssystem bei einem begrenzten Nutzerkreis eingeführt und von diesem benutzt. Der Erfolg des Informationssystems bei der Lösung des eingangs diagnostizierten Problems, Informationsbedarf, wird in der Evaluationsphase überprüft. Die Evaluationsphase kann sich hier natürlich nur auf den Teil des Informationsbedarfs bzw. das Element von Informationsbedarf beschränken, das im Rahmen der Action PlanningPhase ausgewählt und implementiert wurde. 8

Die Specifying Learning-Phase bezieht sich auf die kritische Reflexion der durchgeführten Arbeitsphasen und die Abstraktion und Bewertung der gewonnenen Erfahrungen, um diese sowohl in das Feld als auch an die Wissenschaftsgemeinschaft weiter zu geben. Hier wird insbesondere die Vorgehensweise zur Erhebung des Informationsbedarfs und zur Modellierung der Topic Map noch einmal vor dem Hintergrund der Projektergebnisse überprüft und Verbesserungen diskutiert. 1.3.3

Voraussetzungen und Grenzen der Forschungsarbeit

Die intensive Arbeit mit einem einzelnen Fall, den Führungskräften der Landeshauptstadt Stuttgart, bietet einerseits große Vorteile für diese Arbeit, bringt aber gleichzeitig auch gewisse Beschränkungen mit sich: So wird zum einen mit der ausführlichen Berücksichtigung möglichst vieler Details dem explorativen Charakter des Forschungsthemas Rechnung getragen. Zum anderen sind auf der Basis eines einzelnen Falls nur schwierig generalisierende Aussagen über Führungsinformationen für das Kommunalmanagement zu treffen. Die naheliegende Konsequenz aus dieser Einschränkung wäre, mehrere Kommunen im Hinblick auf den Informationsbedarf der Führungskräfte zu untersuchen. Dies ist allerdings im Rahmen eines Dissertationsprojektes nicht möglich, da der Aufbau eines Feldzugangs insbesondere für das sensible Thema Führungsinformationen und die Motivation der Feldmitglieder zur Partizipation beträchtlichen Aufwand erfordert (Frank et al. 1998, S. 9). Der gewählte Forschungsansatz, Aktionsforschung, trägt diesem Umstand insofern Rechnung, als er aus sich heraus eine ideographische, d.h. auf die Analyse des Einzelfalls konzentrierte, Sichtweise fordert (Baskerville 1999, S. 4). Begründet wird diese Forderung mit dem Argument, dass soziale Systeme wie bspw. ein Unternehmen oder eine Kommune durch zahlreiche Parameter geprägt und charakterisiert sind, deren wechselseitige Abhängigkeiten wenn überhaupt, nur individuell aufgeklärt werden können, so dass Aktionen und deren Wirkungen nur für den Einzelfall sinnvoll geplant werden können (Susman/Evered 1978, S. 593). Gerade durch die explizite Berücksichtigung und Analyse von individuellen Gegebenheiten kann jedoch auch eine gute externe Validität der Ergebnisse erzielt werden, da von diesen individuellen Merkmalen abstrahiert werden kann. Nicht die von Susman (1978, S. 593) als für jedes soziale System charakteristisch bezeichnete Ausprägung von Parametern ist somit das Forschungsziel, sondern die Charakterisierung der 9

Parameter selbst, die bspw. den Informationsbedarf von Kommunalmanagern in unterschiedlichen Kommunen in unterschiedlicher Ausprägung beschreiben. In Anlehnung an Schwabe (2000, S. 56) ist bei der Betrachtung von Einzelfällen besonderes Augenmerk auf die vollständige Beschreibung des charakteristischen Kontextes und seiner Merkmale zu legen, um den daraus abzuleitenden Geltungsanspruch klarzustellen. Zu den Beschränkungen einer qualitativen Arbeit kommen jedoch auch durch den Forschungsgegenstand bedingte Umstände, die selbst bei quantitativer Betrachtung einer weitergehenden Verallgemeinerung entgegenstünden: Anlage und Stand kommunaler Reformprojekte in Deutschland sind als sehr heterogen zu bezeichnen (siehe z.B. Kuhlmann 2004), so dass jede Kommune im Hinblick auf ihr Führungskonzept und die Managerindividuen einen Einzelfall darstellt, der für sich betrachtet werden muss. Das Führungsinformationssystem für das Kommunalmanagement in Deutschland schlechthin kann es daher nicht geben. Aus diesem Grund zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, den Informationsbedarf von kommunalen Führungskräften im Hinblick auf verallgemeinerbare charakteristische Elemente und Parameter zu untersuchen, deren Zusammensetzung und Gewichtung zu Informationsprofilen in jeder Kommune unterschiedlich ausfallen kann. Gleichermaßen wird die Entwicklung einer Topic Map für das Kommunalmanagement unter dem Gesichtspunkt verallgemeinerbarer Vorgehensweisen gesehen, um auch hier die Möglichkeit zur Übertragung auf andere Kommunen zu gewährleisten. 1.4

Forschungsprojekt

Im Rahmen des von der Stadt Stuttgart und dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik gemeinsam betriebenen Kompetenzzentrums, Unterstützung von digital Government durch IT, diGit, wurde im Frühjahr 2001 mit den Planungen für ein Führungsinformationssystem für die Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) begonnen. DiGit geht zurück auf das Kompetenzzentrum Telegremien, CCTG, das die LHS mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik als gemeinsame Kooperationsplattform im Anschluss an das Projekt CUPARLA gegründet hatte.

10

Das Ratsinformationssystem CUPARLA2 wurde 1995 im Auftrag der Deutschen Telekom Berkom GmbH von einem Konsortium, bestehend aus der Universität Hohenheim (Projektkoordinator), der Datenzentrale Baden-Württemberg und ITM GmbH im Rahmen des Telearbeitsprogramms der Deutschen Telekom Berkom GmbH3 und der Deutschen Telekom entwickelt und in Stuttgart sowie in Kornwestheim eingeführt (vgl. bspw. Schwabe/Krcmar 1999, S. 608). Die Zusammenarbeit der Stadträte sollte sowohl untereinander als auch mit der Verwaltung in drei unterschiedlichen Telearbeitsszenarien unterstützt werden (Schwabe/Krcmar 1999, S. 608): 1. Computerterstütze Sitzungen zur gleichen Zeit am gleichen Ort, 2. Telekooperation zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten sowie 3. Telekooperation zu unterschiedlichen Zeitpunkten an verschiedenen Orten. Entsprechend dieser ganz unterschiedlichen Arbeitskontexte wurde für die Unterstützung der Gemeinderatsarbeit ein kontextorientierter Ansatz gewählt (Krcmar et al. 2002a, S. 126f). Die identifizierten Arbeitskontexte wie z.B. ‚zu Hause’ oder ‚Fraktion’ werden in CUPARLA über korrespondierende ‚Räume’ abgebildet. Das ‚Fraktionszimmer’ beinhaltet bspw. neben einer bestimmten Sicht auf die in der Datenbank abgelegten Dokumente – alle Fraktionsmitglieder können die dort abgelegten Dokumente lesen - auch eine bestimmte Auswahl an Werkzeugen, die in diesem Arbeitskontext benötigt werden. Nach Abschluss des CUPARLA-Projektes wurde 1998 von der Landeshauptstadt Stuttgart und dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Hohenheim das Kompetenzzentrum Telegremien gegründet, um gemeinsam die Weiterentwicklung der IT-Unterstützung für die Gremienarbeit sowie an der Schnittstelle zur Verwaltung voranzutreiben (o.A. 1998). Nach einer ersten Voruntersuchung zum Thema Informationsbedarf von Führungskräften in Verwaltung und Gemeinderat wurde Anfang 2002 beschlossen, mit KORVIS (Kommunales Rats- und Verwaltungs InformationsSystem) ein Führungsinformationssystem zu entwickeln, das zum einen eine grundsätzliche Überarbeitung von CUPARLA beinhaltet als auch eine integrierte Informationserschließung für Räte und Verwaltungsführungskräfte bietet.

2

ComputerUnterstützte PARLAmentsarbeit

3

Heute Teil von T-Nova, einer 100% Tochter der Deutschen Telekom.

11

Ziel des Projekts ist es, das Management der LHS sowie den Gemeinderat mit entscheidungsrelevanten Informationen zu versorgen und diese möglichst einfach zugänglich zu machen. Um eine möglichst hohe Benutzerfreundlichkeit und damit auch Akzeptanz zu erzielen, sollen Nutzergruppen mit unterschiedlichem Informationsverhalten und -bedürfnis identifiziert und aus diesen Profilen individuelle Informationsportale konzipiert werden. Für die verschiedenen Nutzergruppen sind auch jeweils angepasste Kommunikations-, Einführungs- und Schulungskonzepte zu entwickeln. In der ersten Vor-Projektphase, Mitte 2001 bis Anfang 2002, wurden Interviews und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, um den Informationsbedarf der zukünftigen Nutzer zu erheben. Die Auswertung des empirischen Materials lieferte erste Erkenntnisse hinsichtlich Struktur und Inhalten des zu entwickelnden Systems. Die zweite Projektphase, Mitte 2002 bis Ende 2004, war von iterativen Entwicklungszyklen gekennzeichnet, die sich zunächst auf die Erschließung und Strukturierung der dokumentenbasierten Inhalte des zukünftigen Systems konzentrierten. Ab Anfang 2005 wurden erste Pilotnutzer an das System herangeführt, zunächst über Demonstrationssitzungen und schließlich auch mit Testversionen auf dem eigenen Rechner. Im Rahmen der aktiven Teilnahme der Autorin an allen Phasen des Projekts konnten kontinuierlich offen (Interviews, Beobachtungen) und verdeckt (Arbeitssitzungen, Diskussionen) Informationen zum Forschungsgegenstand gesammelt werden. Weitere Informationen zum Projekt KORVS finden sich in (Krcmar et al. 2002b; Krcmar/Wolf 2002; Landeshauptstadt Stuttgart 2002, 2003; Majer/Schwabe 2003; o.A. 2005; Wolf et al. 2005; Wolf/Krcmar 2005; Schwarze o.J.). Nach dem Wechsel des Lehrstuhlinhabers, Professor Helmut Krcmar, von der Universität Hohenheim zur Technischen Universität München im Herbst 2002 wird das Kooperationsprojekt CCTG unter dem neuen Titel diGit an der TU München weitergeführt (Wolf/Krcmar o.J.).

12

1.5

Aufbau der Arbeit

Die weitere Arbeit gliedert sich wie folgt (vgl. Abbildung 1-3): Das zweite Kapitel, Führungsinformationen, gibt einen Überblick über den Stand der Forschung zu Führungsinformationssystemen im Allgemeinen und zu Führungsinformationssystemen für die öffentliche Verwaltung, um die bereits dokumentierten Erkenntnisse auf ihre Übertragbarkeit bzw. Verwendbarkeit für die aktuellen Forschungsfragen hin zu überprüfen. Aus der kritischen Auseinandersetzung mit den dargestellten Forschungsergebnissen werden Anforderungen abgeleitet, die für die Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement grundlegend sind. Als Ausgangspunkt für die Erhebung von Informationsbedarf werden in Kapitel 3, Ermittlung von Informationsbedarf, Grundlagen des Informationsbedarfsbegriffs geklärt sowie Konzepte und Methoden zur Beschreibung bzw. Erhebung von Informationsbedarf vorgestellt. Die für diese Arbeit zentralen Ansätze zur Erhebung und Systematisierung von Informationsbedarf werden in Kapitel 4, Merkmale und Faktoren des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern, zu einem Modell des Informationsbedarfs zusammengefasst, das im Weiteren als Erhebungs- und Auswertungsrahmen dient. Das Rahmenmodell für die Ermittlung von Informationsbedarf beruht auf der Kombination von Faktoren, die Informationsbedarf auslösen und Merkmalen, die Informationsbedarf beschreiben. Auf der Basis von theoretischen Ansätzen und Modellen zur Führungsarbeit, politischen Arbeit, Verwaltungsarbeit etc. werden Faktoren und Merkmale abgeleitet, die zur Charakterisierung von Informationsbedarf dienen sollen. In Kapitel 5, Empirische Grundlagen und Vorgehen bei der Erhebung des Informationsbedarfs, werden die Rahmenbedingungen und die Vorgehensweise bei der Erhebung des empirischen Materials zum Informationsbedarf erläutert. Die Auswertung des empirischen Materials anhand des Rahmenmodells für Informationsbedarf wird in Kapitel 6, Elemente des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern, beschrieben. Die Ergebnisse werden hier aggregiert und in Form von charakteristischen Informationsbedarfselementen vorgestellt. Informationsbedarfselemente stellen eine typische Kombination von auslösenden Faktoren und Merkmalen von Informationsbedarf dar. Aus der Analyse der Prozesse, die der Entstehung der Informationsbedarfselemente zu Grunde liegen, und dem Zusammenspiel verschiedener Elemente wird ein Modell des Kommunalen Issues Managements entwickelt. Die In13

formationsbedarfselemente werden zu generischen, für bestimmte Nutzergruppen typische Informationsbedarfsprofile kombiniert. Führungsinformationssysteme: Existierende Konzepte, Anwendbarkeit für das Kommunalmanagement (Kap. 2) Informationsbedarf von Kommunalmanagern Informationsbedarf: Faktoren und Merkmale Methoden und Modelle des Informationsbedarfs von (Kap. 3) Kommunalmanagern (Kap. 4) Empirische Untersuchung (Kap. 5) Informationsbedarfselemente und -profile im Kommunalmanagement; kommunales Issues Management (Kap. 6) themenorientierte Informationsstrukturierung als Ansatz für Führungsinformationen für das Kommunalmanagement; Methoden, Vorgehensmodell und konkrete Umsetzung (Kap.7) Zusammenfassung und Ausblick (Kap. 8)

Abbildung 1-3: Aufbau der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung

In Kapitel 7, Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement, werden Ansätze zur Bereitstellung von Informationen entsprechend der erhobenen Informationsbedarfselemente diskutiert und die Vorgehensweise zur Entwicklung eines Informationsangebots für die Unterstützung des Kommunalen Issues Managements vorgestellt. Der Hauptteil des Kapitels beschäftigt sich mit Ansätzen zur Informationsstrukturierung und der Darstellung der Vorgehensweise bei der Gestaltung einer themenorientierten Informationsstrukturierung im Sinne einer Topic Map. Abschließend werden in Kapitel 8, Führungsinformationen für das Kommunalmanagement, die Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und kritisch reflektiert. Aus Gründen der Lesbarkeit und der Wahrung der Anonymität der an der empirischen Untersuchung beteiligten Personen wird im Folgenden ausschließlich die maskuline Form für die Beschreibung von Akteuren des Kommunalmanagements benutzt.

14

2

Führungsinformationen In der Literatur zu Führungs- oder Managementinformationssystemen wird eine

Vielzahl von Begriffen für mehr oder weniger spezialisierte Unterstützungssysteme verwendet. Häufig werden die Begrifflichkeiten synonym verwendet oder weisen in ihrer Bedeutung zumindest Überschneidungen auf (Keen/Morton 1978, S. 33). Die nachfolgenden Abschnitte stellen daher die wichtigsten Entwicklungen und Begriffe kurz dar und grenzen diese von einander ab. Als gemeinsamer Oberbegriff für Informationssysteme zur Unterstützung von Entscheidungsträgern wird in Anlehnung an Swiontek (1997, S. 55) die Bezeichnung Führungsunterstützungssysteme (FUS) verwendet. Je nach Autor und Betrachtungsschwerpunkt werden FUS nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert. Holten und Knackstedt (1997) liefern einen Überblick über knapp 20 Jahre Defintionen und Abgrenzungen im Bereich von FUS bzw. FUSTeilsystemen (siehe Tabelle 2-1): Autor(en)

Jahr

Gorry/Scott Morton

1971

Mertens/Griese

1972

Kirsch/Klein

1977

Keen

1979

Keen/Hackathor n

1979

Alter

1980

Moore/Chang

1980

Bonczek et al.

1980

Sprague

1980

King

1983

Systembezeichnung Structured Decision Systems Management Decision Systems Berichts-, Auskunfts, Abfrage und Dialogsysteme Datenspeicher- und Kommunikationssystem Berichts- und Kontrollsystem Entscheidungsunterstützungssystem Data-oriented Data-manipulation-oriented Model-oriented DSS Personal Support System Group Support System Organisational Support System u.a. optimization and suggestion models u.a. ad-hoc-Datenanalysen und Entscheidungsmodelle Language-, Knowledge-, Problem-, Processing System

Differenzierungskriterien Grad der Strukturiertheit Kommunikationsart

Datenverdichtungsgrad

Art der Datentechnik Grad der Entscheidungsvernetzung Grad der Entscheidungsnähe Systemanforderungen Logische Systemkomponenten Tech. Systemkomponenten (Database, Modelbase, Dialogmanagement) und Anwenderebene (Manager, Entwickler, Techniker)

Strategic Decision Support Systems

15

Autor(en)

Jahr

Scott Morton

1983

Treacy

1985

Luconi et al.

1986

Expert support Systems

1987

Konventionelle und wissensbasierte DSS

Krallmann/Rieger

Differenzierungskriterien

Systembezeichnung Data Support Systems Decision Support Systems Executive Support Systems Data- and model-oriented DSS Individual and organizational information support Fuzzy modelling and expert support

Unterstützungsart

Problemstruktur

Softwaretechnik

Tabelle 2-1: Definitionen von Teilsystemen der Klasse der Management Support Systems Quelle: (Holten/Knackstedt 1997, S. 7)

Vereinfacht lassen sich grundsätzlich zwei Arten von FUS unterscheiden: Informationssysteme, die in erster Linie Informationen bereitstellen, und Unterstützungssysteme, die darüber hinaus auf der Basis von Methoden und/oder Modellen weitergehende Unterstützung anbieten (vgl. Krcmar 1990; Werner 1992, S. 31; Behme/Schimmelpfeng 1993, S. 13; Swiontek 1997, S. 57; Mertens/Griese 2002, S. 12; Stahlknecht/ Hasenkamp 2002, S. 398f). Tabelle 2-2 gibt einen Überblick über die Einordnung der gängigen Begriffe für FUS in diese beiden Kategorien. Führungsunterstützungssysteme Informationssysteme

Unterstützungssysteme

Management-Informationssysteme (MIS)

Decision Support Systeme (DSS); auch Entscheidungsunterstützungssysteme (EUS)

Executive Information Systeme (EIS); auch Chefinformationssysteme (CIS), Führungsinformationssysteme (FIS), Executive Support Systems (ESS)

Expertensysteme (ES)

Tabelle 2-2: Begriffe für Führungsunterstützungssysteme Quelle: In Anlehnung an (Swiontek 1997, S. 58)

Mertens und Griese schlagen einen differenzierteren Ansatz zur Systematisierung der Ansätze zur Führungsunterstützung vor: Aus einer Zusammenstellung unterschiedlicher Merkmale von Informations- bzw. Unterstützungssystemen und deren Ausprägungen kann an Hand eines morphologischen Kastens die jeweils für ein konkretes System spezifische Kombination identifiziert werden (2002, S. 3ff). Abbildung 2-1

16

zeigt die beispielhafte Merkmalskombination eines Entscheidungsunterstützungssystems. Merkmal Auslöser

Ausprägungen KalendertermiBenutzerwunsch ne

Signale/Datenkonstellation

Adressatenzahl Adressatenhierarchie Benutzermodell Informationsherkunft Informationsart Präsentations-form Abfragemodus Informationsdistribution Dialogsteuerung

Rein benutzergesteuert

Kritiksysteme, adaptive Dialoge

Lotsensysteme

Entscheidungs-modell

Nicht vorhanden

Entscheidungsmodell mit statistischen Methoden

Entscheidungsmodell mit Operations-ResearchMethoden

Simulation Phase im Lösungsprozess

Einzelperson Untere Führungsebene

Entscheidungsbedarf

Gruppen Mittlere Führungsebene

Obere Führungsebene

Nicht vorhanden

vorhanden

Interne Quellen

Externe Quellen

Qualitative Informationen

Quantitative Informationen

Meldungen

Tabellen

Verbale Berichte

Grafiken

Standard-Abfragen

Freie Abfragen

Pull-Verfahren

Push-Verfahren

What-if-Rechnungen

Nicht simulativ Symptomerkennung

Diagnose

Therapie

Expertisen

Rein systemgesteuert Entscheidungsmodell mit Methoden der Künstlichen Intelligenz How-to-achieveRechnungen

Prognose

Kontrolle

Abbildung 2-1: Morphologischer Kasten für Führungsunterstützungssysteme am Beispiel eines EUS Quelle: (Mertens/Griese 2002, S. 11)

Die verschiedenen Unterstützungssysteme stehen jedoch nicht unabhängig als Alternativen nebeneinander, sondern können entsprechend ihrer komplementären Funktionen und Zielgruppen zu einer Architektur eines FUS oder Management Support Systems (MSS) basierend aufeinander zuarbeitenden Komponenten zusammengefügt werden (siehe Abbildung 2-2) (Gluchowski et al. 1997, S. 238). Der Morphologische Kasten nach Mertens und Griese deutet bereits an, dass die verschiedenen Informations- bzw. Unterstützungssysteme sich nicht nur bezüglich ihrer Funktion, sondern auch hinsichtlich ihres Adressatenkreises unterscheiden. In der Regel werden die drei Ebenen ‚Untere Führungsebene’, Lower Management’ oder ‚Operative Ebene’, ‚Mittlere Führungsebene’, Middle Management’ oder ‚Mittleres Management’ und ‚Obere Führungsebene’, Top-Management’ oder ‚Oberes Management’ unterschieden (Bullinger et al. 1993, S. 45; Jahnke 1993a, S. 31; Mertens/Griese 2002, S. 11). Grundlage für diese Abschichtung sind i.d.R. Kriterien wie „Strukturie17

rungsgrad der Aufgaben, Freiheitsgrade der Handlungsmöglichkeiten sowie Informationsbedürfnisse der Entscheidungsträger“ (Jahnke 1993a, S. 30).

EIS

M

DSS

MIS

SS

Produktion Vertrieb

Einkauf

FuE

Lager

Administrations- und Dispositionssysteme

Abbildung 2-2: Systempyramide des MSS Quelle: (Gluchowski et al. 1997, S. 238)

Bullinger et al. weisen als Unterscheidungskriterien v.a. auf die Unterschiede im Informationsbedarf hinsichtlich der Informationsarten, erforderlichem zeitlichen Horizont der Informationen und Anteil der nach außen gerichteten Informationen (Markt, Konkurrenz) hin (1993, S. 45). Der Informationsbedarf des Top-Managements ist im Vergleich zu dem der Führungskräfte der übrigen beiden Ebenen durch den größten Anteil an ZukunftsInformationen, Markt-Informationen und Konkurrenz-Informationen gekennzeichnet. Außerdem weisen die benötigten Informationsarten den größten Grad an Abstraktion auf. Die in der Literatur diskutierten Typen von FUS werden im Folgenden entsprechend ihrer Ausrichtung auf Adressaten des Top-, Middle- und Lower-Management vorgestellt.

18

Bedarf an Bedarf an Bedarf an ZukunftsMarktKonkurrenzInformationen Informationen Informationen hoch

Informationsart

Top-Management krit. Erfolgsfaktoren, Prognosedaten, Frühwarnindikatoren Middle-Management Ziel-, Plan-, KontrollAnalysedaten, Kennziffern Lower-Management Steuerungsdaten, operative Daten

Lieferant

gering

Einkauf

Konstruktion

Produktion

Vertrieb

Kunde

Informationsbereiche und Informationsquelle

Abbildung 2-3: Führungsinformation für Top-, Middle- und Lower-Management Quelle: In Anlehnung an (Bullinger et al. 1993, S. 45)

Im Hinblick auf die Unterstützung von Führungskräften im Kommunalmanagement mit Führungsinformationen stellt sich die Frage, inwieweit die Abschichtung in drei Managementebenen sowie die zu Grunde liegenden Annahmen über den Informationsbedarf der einzelnen Managementebenen übernommen werden können. Die verfügbaren Untersuchungen und Konzepte zu Führungsinformationen für die öffentliche Verwaltung bzw. die Kommunalverwaltung werden daher auf ihre Adressatenausrichtung und die herangezogenen Annahmen und Erkenntnisse zum Informationsbedarf geprüft und entsprechend eingeordnet. 2.1

Führungsunterstützungssysteme für das Top-Management - Führungsinformationssysteme

Führungsinformationssysteme zielen darauf ab, Entscheidungsträger mit relevanten Informationen in geeigneter Form zu versorgen (Swiontek 1997, S. 57; Stahlknecht/ Hasenkamp 2002, S. 397). Dieser Kategorie von FUS können Management Information Systems und Executive Information Systems zugeordnet werden. Grundlage für die Bereitstellung von Informationen sind in beiden Fällen empirische Erkenntnisse und Modelle zum Zustandekommen von Managemententscheidungen 19

und den dafür erforderlichen Informationen. Zeitlicher und thematischer Horizont sowie das Aggregationsniveau der bereitgestellten Informationen entsprechen der hierarchischen Ebene. Das Top-Management benötigt für den Überblick über und die Steuerung des gesamten Unternehmens oder eines Vorstandsbereichs ein Höchstmaß an Aggregation. 2.1.1

Management Information Systems

Mit dem Konzept des integrierten Management Information System (MIS) begann in den 1960er Jahren die Entwicklung von Informationssystemen gezielt für Entscheidungsträger (vgl. bspw.Sprague 1980, S. 21; Frackmann 1992, S. 197). Die Idee des MIS war es, die gesamte Unternehmung von der Datenerfassung bis zur Unternehmensinformation abzubilden und neben der Informationsversorgung auch die Kontrollund Steuerungsprozesse zu automatisieren (Swiontek 1997, S. 65; Kemper 1999), um den durch das Management mit Nachdruck formulierten Anforderungen an die Informationsversorgung nachzukommen (Gluchowski et al. 1997, S. 150): • Periodisierte, standardisierte Berichte, • Verfügbarkeit auf allen Managementebenen, • verdichtete, zentralisierte Informationen über alle Geschäftsaktivitäten und • größtmögliche Aktualität und Korrektheit. Hierzu werden in einem MIS operative Daten verschiedenen Aggregations- und Filterprozessen unterworfen, Soll-Ist-Vergleiche hergestellt und bestimmte Routineentscheidungen teilautomatisiert (Swiontek 1997, S. 73f). Wesentliche Schwierigkeiten bei der Realisierung von totalen MIS waren die Bewältigung der abzubildenden Komplexität (Gluchowski et al. 1997, S. 149; Swiontek 1997, S. 65) und die Illusion, die Steuerung eines Unternehmens mit Hilfe von Methoden und Verfahren automatisieren zu können (Mintzberg 1972; Kemper 1999, S. 40). Mintzberg spricht bereits in den 1970er Jahren von den Mythen der MIS, da seine qualitativen Untersuchungen der Arbeit von Managern eine starke Diskrepanz zwischen der Vorstellung des POSTCORB-Managers4 und der beobachtbaren ManagementRealität zeigen (Mintzberg 1972, S. 92ff). Seinen Erkenntnissen zu Folge ist die Arbeit

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20

Das Akronym POSTCORB wurde in den 1930er Jahren von Luther Gulick geprägt, und sollte die Aufgaben und Tätigkeiten eines Managers, nämlich „planning, organizing, staffing, directing, coordinating, reporting and budgeting“ umschreiben (Mintzberg 1972, S. 92).

von Top-Managern nicht durch strukturierte und programmierte Abläufe gekennzeichnet, demzufolge entsprechen strukturierte und formalisierte Informationssysteme auch nicht dem Informationsbedarf von Top-Managern (Mintzberg 1972, S. 96). Viel eher kann die Arbeit von Top-Führungskräften durch unterschiedliche Rollen charakterisiert werden (siehe auch Kapitel 4.3.1), die diese als informationelles Nervenzentrum ihrer Organisation einnehmen (Mintzberg 1972, S. 93). In der Konsequenz können Managementinformationssysteme für Top-Manager nur auf Basis einer individuellen Ermittlung des Informationsbedarfs- und -verarbeitungsverhaltens der einzlenen Führungskraft entwickelt werden (Mintzberg 1972, S. 96). Sie können auch dann nur als ein Element eines Informationssystems verstanden werden, das durch das Zusammenwirken von persönlichen, institutionellen und IT-unterstützten Informationsquellen und -kanälen gekennzeichnet ist (Mintzberg 1972, S. 97). Der umfassende Informationsanspruch der MIS führt dazu, dass sie schließlich als Kombination aus Informations- und Kommunikationstechnik (IT)-gestützten und menschlichen Informationskomponenten begriffen werden. Während sich die IT auf die Bereitstellung quantitativer Informationen beschränkt, sind Berater und Assistenzkräfte der Manager für die Belieferung mit qualitativen Informationen und Bewertungen zuständig (Swiontek 1997, S. 79). Als ein weiterer Grund für das Scheitern wird das Fehlen von leistungsfähigen Datenbanksystemen und anderen informationstechnischen Voraussetzungen angeführt (Stahlknecht/Hasenkamp 2002, S. 398). Letztendlich führte der Versuch, das durch die Entscheidungsträger beklagte Informationsdefizit zu beseitigen, zu einer undifferenzierten Überflutung mit häufig irrelevanten Daten. Ein positiver Effekt des MIS auf die Qualität der Entscheidungen war unter diesen Bedingungen nicht nachzuweisen (Gluchowski et al. 1997, S. 162f; Holten 1999, S. 31). 2.1.2

Executive Information Systems

Die verbesserte Verfügbarkeit leistungsstarker Computer, zunehmende Vernetzung von Informationssystemen sowie Weiterentwicklungen im Bereich der Gestaltung von nutzerfreundlichen Bedieneroberflächen stellt Mitte der 1980er Jahre die Basis dar für einen Neubeginn der MIS unter dem unbelasteten Titel Executive Information Systems (EIS) (Gluchowski et al. 1997, S. 201; Swiontek 1997, S. 133f). „EIS sind rechnergestützte, dialog- und datenorientierte Informationssysteme für das Management mit ausgeprägten Kommunikationselementen, die einzelnen Entscheidungsträgern (oder Gruppen von Entscheidungsträgern) aktuelle entscheidungsrele21

vante interne und externe Informationen ohne Entscheidungsmodell zur Selektion und Analyse über intuitiv benutzbare und individuell anpassbare Benutzungsoberflächen anbieten.“ (Gluchowski et al. 1997, S. 203). Die Zielsetzung von EIS liegt wie schon bei den MIS auf der optimalen Bereitstellung von entscheidungsrelevanten Informationen für Planung, Steuerung, Kontrolle und Überwachung. Noch stärker ausgeprägt ist die organisatorische Einbindung des Systems in die Unterstützungsarbeit von Assistenzkräften und Stab, um die gewünschte Kombination von harten und weichen Informationen als Grundlage zur Beurteilung von Handlungsbedarf zu gewinnen (Jahnke 1993a, S. 30; Gluchowski et al. 1997, S. 203; Swiontek 1997, S. 139f). Diese sind bspw. (Swiontek 1997, S. 147): • Eine Schlüsselproblemliste, die erklärenden Text mit Grafiken über bestimmte Problembereiche des Unternehmens enthält, • zusammenfassende Darstellungen, die den Unternehmensstatus den kritischen Erfolgsfaktoren gegenüberstellen, • finanzwirtschaftliche Führungskennzahlen, die den finanzwirtschaftlichen Zustand des Unternehmens mit absoluten und relativen Zahlen darstellen, • Schlüsselfaktoren, die als Maßgrößen für die kritischen Erfolgsfaktoren dienen und bei Abweichungen von einem Soll grafisch hervorgehoben werden sollen sowie • detaillierte Verantwortlichkeitsberichte, die die genauen Anteile von Personen oder Gruppen am Unternehmenserfolg ausweisen. 2.2

Führungsunterstützungssysteme für das Middle und Lower-Management - Führungsunterstützungssysteme (i.e.S.) bzw. Management Information Systems

Nach dem Scheitern der MIS etablieren sich unter dem Titel Entscheidungsunterstützungssysteme (EUS) oder Decision Support Systems (DSS) verstärkt Systeme, die den Entscheidungsprozess von Führungskräften unterstützen sollen (Krcmar 1990, S. 405; Swiontek 1997, S. 90f; Kemper 1999, S. 44f). Ausgangspunkt sind neue Erkenntnisse über das Problemlösungsverhalten von Individuen, die in entsprechende Computermodelle zur Entscheidungsunterstützung Eingang finden. Diese Systeme richten sich in erster Linie an das Middle-Management, da 22

die Entscheidungsunterstützung mittels softwaregestützter Methoden voraussetzt, dass die zu treffenden Entscheidungen wenn auch wenig so doch ein gewisses Maß an Strukturierung und Antizipierbarkeit beinhalten. Dieser Entscheidungstypus wird v.a. beim Middle-Management gesehen (vgl. Jahnke 1993a, S. 30). 2.2.1

Entscheidungsunterstützungssysteme

„Als Entscheidungsunterstützungssysteme (EUS) werden rechnergestütze Systeme bezeichnet, die Entscheidungsträger in schlecht oder unstrukturierten Entscheidungssituationen unterstützen“ (Krcmar 1990, S. 405). Inhalte der Unterstützung sind Modelle, Methoden und problembezogene Daten (Gluchowski et al. 1997, S. 168). Nach Simon (1960, S. 2) lässt sich der Entscheidungsprozess in drei Phasen einteilen (siehe Tabelle 2-3): Suche, Entwurf/ Alternativgenerierung und Auswahl. Phase im Entscheidungsprozess Suche (Intelligence)

Alternativengenerierung(Design) Auswahl (Choice)

Erläuterung Der Entscheidungsträger identifiziert den Problembereich, für den eine Entscheidung getroffen werden muss. Der Entscheidungsträger analysiert das Problem und entwickelt mehrere Lösungsalternativen. Nach der Abwägung der verschiedenen Alternativen wird die beste Lösung ausgewählt.

Tabelle 2-3: Phasen im Entscheidungsprozess Quelle: (Swiontek 1997, S. 97)

In Anlehnung an Simon unterscheiden Keen und Morton (1978, S. 87-91) hinsichtlich des Strukturierungsgrades drei Entscheidungskategorien: • Strukturierte Entscheidungen: Alle Entscheidungsphasen sind bekannt (z.B. Buchhaltung), die Entscheidungsprobleme können vollautomatisch durch Administrations- oder Dispositionssysteme gelöst werden. • Semistrukturierte Entscheidungen: Einige aber nicht alle Entscheidungsphasen sind bekannt (bspw. Entscheidung über Unternehmensakquisition). Entscheidungsunterstützungssysteme können Methoden und Modelle bereitstellen, um Entscheidungsprobleme zu strukturieren und subjektive Entscheidungsfindung zu unterstützen. • Unstrukturierte Entscheidungen: Entscheidungsphasen sind nicht bekannt (bspw. Entscheidung über Planung und Finanzierung eines FuE-Projektes), die 23

Entscheidungsprobleme können nicht durch ein Informationssystem gelöst werden. Im Gegensatz zu MIS richten sich EUS nicht in erster Linie an das TopManagement, sondern an mittlere Managementebenen bzw. alle Entscheider, die bei der Alternativensuche und -bewertung bei schlecht strukturierten Entscheidungsproblemen unterstützt werden sollen (Sprague 1980, S. 6,12; Krcmar 1990, S. 406; Gluchowski et al. 1997, S. 195). Um dieser Anforderung nachzukommen, muss das EUS selbst einen gewissen Beitrag zur Strukturierung eines Entscheidungsproblems leisten. Luconi et al. greifen daher für die Entwicklung ihres Referenzmodells auf die Elemente des Problemlösungsprozesses nach Newell zurück (1986) zitiert nach (Frackmann 1996, S. 34). Diese Elemente sind: Daten, d.h. die Dimensionen und Werte, die für die Charakterisierung des Problems erforderlich sind, Prozeduren oder Vorgehensmodelle für die Problemlösung, Ziele und Einschränkungen (bezüglich der möglichen Maßnahmen) sowie flexible Strategien, um sich für geeignete Lösungsprozeduren entscheiden zu können (Frackmann 1996, S. 34f). EUS können einen Manager nach diesem Verständnis dahingehend unterstützen, dass sie Daten, Prozeduren und Ziele bzw. Einschränkungen als Strukturierungshilfe anbieten. Die Anwendung flexibler Strategien, um sich für einen passenden Lösungsweg zu entscheiden, liegt beim Benutzer. 2.2.2

Expertensysteme

In der Literatur gibt es keine Übereinstimmung über eine klare Abgrenzung für den Begriff Expertensysteme (ES). Von einigen Autoren werden diese als spezifische DSS angesehen, die in noch stärkerem Umfang darauf abzielen, bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, indem sie noch weitreichendere Modelle und Entscheidungslogiken beinhalten (Swiontek 1997, S. 118ff). Tabelle 2-4 gibt einen Überblick über diese Abgrenzung von DSS und ES. DSS

ES

Paradigm

Management decision making

Problem solving

Goal of System

Support of intuition

‘Complete’ solution

Goal Type

‘ill specified’

‘well specified’

User

manager

Educated layperson

Factors of Influence

Not predictable from many domains

Predictable restricted

Representation Problem solving

Sparse representation

Dense representation

24

DSS

ES

Control

With the user

With the system

Techniques

Tools in formalized subdomains

Artificial intelligence knowledge representation

Tabelle 2-4: Vergleich von DSS und ES Quelle: (Pfeifer/Lüthi 1987, S. 49) zitiert nach (Swiontek 1997, S. 120)

Auf abstrakterer Ebene werden Expertensysteme als eine Ausprägung von wissensbasierten Systemen definiert, die wiederum ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz darstellen (vgl. Krcmar 1991, S. 6; Kurbel 1992, S. 25). Sie sind i.d.R. aus den vier grundlegenden Funktionsbereichen Wissensakquisition, Problemlösung, Dialog und Erklärung sowie einer Wissensbasis aufgebaut (vgl. Abbildung 2-4) (Kurbel 1992, S. 27ff; Krcmar 2003).

Dialog

Experte

Erklärung

Wissensakquisition

Problemlösung

bereichsbezogenes Expertenwissen

fallspezifisches Wissen

Benutzer

Zwischenergebnisse und Problemlösungen

Abbildung 2-4: Aufbau von Expertensystemen Quelle: In Anlehnung an (Krcmar 1991, S. 8)

Im Kontrast zu den hohen Erwartungen, die in Expertensysteme gesetzt wurden, stehen die Nachteile, die sich bei ihrem Einsatz ergeben (Swiontek 1997, S. 130f): Da ES nur auf der Basis ihrer intern vorgegebenen Modelle und Wissens- bzw. Informationsbasis arbeiten, sind sie nicht in der Lage, kreative Lösungen zu erarbeiten oder mit inkonsistenten Informationen umzugehen (siehe auch Kurbel 1992, S. 198f). Zudem stellt es sich als problematisch heraus, die zur Lösung von schlecht strukturierten Entscheidungsproblemen erforderliche Informationsbasis im Vorhinein vollständig zu beschreiben bzw. diese Informationen in Form von ‚Expertenwissen’ zugänglich zu machen.

25

2.2.3

Führungsunterstützungssysteme für das Lower-Management - Management Information Systems

Seit Anfang der 1970er Jahre ist eine Neuausrichtung der MIS im Sinne einer Spezialisierung auf bestimmte betriebliche Funktionsbereiche zu verzeichnen (Stahlknecht/ Hasenkamp 2002, S. 398). Sie dienen dem unteren und mittleren Management in erster Linie dazu, direkt auf die operativen Daten eines Unternehmens zuzugreifen und wertschöpfende Prozesse zu überwachen (Jahnke 1993a, S. 30; Kemper 1999, S. 44). Inhalte sind i.d.R. vordefinierte Informationen und strukturierte Berichte (Jahnke 1993b, S. 2f). Eine Ausprägung solcher ‚neuen’ MIS sind Workflow-Monitoring- und –Controlling-Systeme. Sie dienen dazu, betriebliche Abläufe kontinuierlich zu überwachen, um Störfälle schnellstmöglich zu beheben oder Statusanfragen beantworten zu können (vgl. zur Mühlen 2001). Darüber hinaus werden sie auch zur ex post Auswertung von Prozesskennzahlen wie Durchlaufzeit, Fehlerrate usw. herangezogen, um gezieltes Prozess- und Qualitätsmanagement betreiben zu können. Abbildung 2-5 zeigt die Einordnung derartiger Systeme in gängige Controlling-Konzepte. Scope of the Analysis Enterprise

Process Performance Measurement Systems Enhanced Workflow-based Controlling Workflow-based Controlling

Quantitative Aspects

Aspects Analyzed

Qualitative Aspects

Business Process

Statistical Process Control

Quality Awards and SelfAssessment Balanced Scorecards Traditional Controlling Methods

PIMS

Abbildung 2-5: Workflow-basiertes Controlling - Einordnung in gängige Controllingkonzepte Quelle: (zur Mühlen 2001, S. 564)

26

2.3

Führungsinformationen für das Verwaltungsmanagement

Die bislang vorgestellten Kategorien von Führungsinformations- bzw. –unterstützungssystemen wurden in erster Linie für Führungskräfte in Unternehmen entwickelt und auf deren Bedürfnisse zugeschnitten. Allerdings hatten diese konzeptionellen und technischen Entwicklungen auch auf die IT-Unterstützung der Führungskräfte in Verwaltung und Politik Einfluss. So führte der Boom der MIS in den 1970er Jahren dazu, dass die deutsche Bundesregierung die Entwicklung eines „allumfassenden Informationsbankensystems“ plante (Lenk/Wengelowski 2004, S. 150). Die dargestellten Ausprägungen von FUS wurden fast ausnahmslos auch auf die öffentliche Verwaltung angewendet (Traunmüller 1999b, S. 75f), wobei sich die Anwendungsentwicklung unter dem Stichwort Verwaltungsautomation zunächst auf die Unterstützung „massenhafter Vollzugsaufgaben“ (Reinermann 1985, S. 7f) konzentrierte. Das Thema Führungsinformationen wurde vergleichsweise spät und in erster Linie angebotsorientiert und technikgetrieben angegangen (Reinermann 1987, S. 42f). Lenk formuliert in diesem Zusammenhang Kritik an den „technischen Lösungsansätze[n]5 nach Maßgabe des gerade erreichten Standes modernster Technik“ (2004, S. 150). Die Gestaltungsempfehlungen, die von Seiten der Verwaltungsinformatik formuliert werden, bleiben auf einem abstrakten Niveau: Reinermann fordert bspw. die systematische Integration und Nutzung von Informationen zur Planung, Steuerung und Kontrolle (1985, S. 10) sowie die Ergänzung der controllingfokussierten Innenperspektive um eine Außenperspektive der Führungsinformationen (1987, S. 42). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung konzentriert sich v.a. auf die Erarbeitung konzeptioneller Grundlagen und Modelle sowie der Identifikation von verwaltungsspezifischen Unterstützungsbedarfen und Rahmenbedingungen. Als verwaltungstypisch werden Aufgaben- und Zielbündel sowie damit zusammenhängende Informationstypen herausgearbeitet (Lenk 1999, S. 6; Lenk/Wengelowski 2004, S. 148): Ziel der Arbeit öffentlicher Verwaltungen ist per Definition die Erhaltung gesellschaftlicher Stabilität und die Gewährleistung von innerer Sicherheit. Zu diesem Zweck werden gesellschaftliche Entwicklungen beobachtet und sowohl präventive als auch reaktive Maßnahmen ergriffen. Die dazu benötigten Informationen beziehen sich auf die zu beobachtende gesellschaftliche Umwelt, das eigene Verwal-

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Ergänzt durch die Autorin.

27

tungshandeln sowie auf die zu berücksichtigenden rechtlichen Rahmenbedingungen (Lenk 1999, S. 13). Die resultierende Komplexität der Führungsaufgaben in der öffentlichen Verwaltung lässt eine kontextorientierte Analyse des Informations- und Unterstützungsbedarfs sinnvoll erscheinen (Lenk/Wengelowski 2004, S. 155ff): In den Tätigkeitsbereichen von Führungskräften in Politik und Verwaltung überlagern sich persönliche, rollenund situationsspezifische Aspekte von Informationsbedarf (Reinermann 1999, S. 200ff), denen sowohl bei der Anforderungsanalyse als auch beim Design von Führungsinformationssystemen Rechnung getragen werden muss. Klassische Methoden des Requirements Engineering wie Dokumentenanalyse und Interviews greifen zu kurz, da sie nur Ausschnitte aus der Arbeitswelt der befragten Führungskräfte abbilden können. Die Ergänzung um ethnographische Beobachtungsansätze soll dazu dienen, ein reicheres Verständnis der Unterstützungsbedarfe zu entwickeln (Traunmüller 1999a, S. 98). Erst in jüngerer Vergangenheit wurden in der Literatur auch konkretere Konzepte für Führungsinformationssysteme für die öffentliche Verwaltung entwickelt: Zum aktuellen Zeitpunkt sind im deutschsprachigen Raum6 drei konkrete Ansätze für Führungsunterstützungssysteme für Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung verfügbar, zwei controllingorientierte Ansätze von Budäus (2000) und von Ösze (2000) und ein umfassender FUS-Ansatz von Vöhringer (2004). Diese Konzepte werden im Folgenden hinsichtlich ihrer Einordnung in die Adressatenorientierte Systematik für FUS und den zu Grunde liegenden Annahmen und Erkenntnissen zum Informationsbedarf der Führungskräfte diskutiert. Es zeigt sich, dass die hierarchische Gliederung in Adressatengruppen wie Lower-, Middle- und Top-Management nur greift, wenn unter Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung nur Verwaltungsführungskräfte, d.h. Angehörige des hierarchisch gegliederten Verwaltungsapparats verstanden werden. Sobald Parlaments- oder Gemeinderatsmitglieder ebenfalls zu den Adressaten gerechnet werden, greift die hierarchische Strukturierung nicht mehr. Daraus kann geschlossen werden, dass auch die

6

28

Um die Überlegungen und Ergebnisse auf die aktuellen Forschungsfragen und die Rahmenbedingungen in einer deutschen Kommunalverwaltung übertragen zu können, erfolgt eine Beschränkung auf den deutschsprachigen Raum. Durch gemeinsame und gegenseitig beeinflusste Entwicklungen von Führungskonzepten wie dem Neuen Steuerungsmodell, kann hier von einer gewissen Ähnlichkeit der Strukturen ausgegangen werden.

Annahmen zu den unterschiedlichen Ausprägungen von Informationsbedarf der einzelnen Adressatengruppen ergänzt oder überarbeitet werden müssen. Es steht zu vermuten, dass die Strukturiertheit der Aufgaben oder Freiheitsgrade nicht die alleinigen Einflussfaktoren auf den Informationsbedarf von Führungskräften in der öffentlichen oder Kommunalverwaltung sind. 2.3.1

Controllingorientierte MIS-Ansätze

Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der Verwaltungsreform und deren Auswirkungen auf den resultierenden Informationsbedarf der Führungskräfte führt zu normativ geprägten MIS-Ansätzen, die aus den Prinzipien des Neuen Steuerungsmodells (vgl. 4.5.2) oder eines modernen öffentlichen Rechnungswesens direkt Gestaltungsparameter für entsprechende Berichtssysteme o.ä. ableiten. Budäus geht von den Rahmenbedingungen eines Neuen Kommunalen Rechnungswesens aus und entwickelt auf dieser Basis ein übergreifendes Konzept für ein öffentliches Management-Informationssystem (ÖMIS), das Führungskräfte sowohl in Politik als auch in der Verwaltung adressiert (Budäus 2000). Das resultierende Konzept ist allerdings weniger ein konkreter Gestaltungsansatz als eine Systematisierung von Handlungsfeldern bzw. Teilsystemen, die in der Kombination ein umfassendes Informationssystem ergeben. Die Grundlage für die Adressierung der verschiedenen Anspruchsgruppen ist die Unterscheidung von drei Formalzielen der öffentlichen Verwaltung, Effektivität, Effizienz und Kosteneffizienz (Budäus 2000, S. 74). Die Abgrenzung der Adressaten in Politik und Verwaltung erfolgt anstatt über hierarchische Stufen über die Zuweisung von Zuständigkeiten entlang dieser Zieldifferenzierung. Die Politik ist nach Budäus zuständig für die Zielebene der Effektivität, d.h. die Festlegung von Zielen und die Überwachung von Outcomes. Die zweite Ebene, Effizienz, bezieht sich auf Produkte, Budgets und Outputs in Zusammenhang mit der Erreichung der festgelegten Ziele und wird gemeinsam von Politik und Verwaltung bekümmert. Die dritte Ebene der Kosteneffizienz betrifft die Prozessgestaltung und -steuerung und wird ausschließlich von der Verwaltung verantwortet (Budäus 2000, S. 74f). Diese Ebenengliederung wird in Form einer abgewandelten Balanced Scorecard auf die steuerungsrelevanten Gestaltungsfelder der Verwaltung abgebildet und soll so als Grundlage für die Implementierung entsprechender Informationssysteme dienen (siehe Abbildung 2-6) (Budäus 2000, S. 75).

29

Frühwarnsysteme

Leistungsrechnung

Bürger/Umfeld

Produkte/ Prozesse

strategische operative Messgrößen Messgrößen

strategische operative Messgrößen Messgrößen

Strategisches Berichtswesen

Kostenrechnung Vermögensrechnung Budgetierung

Zieldokumentationen

Politik Ziele/ Ressourcen

Indikatorenrechnung

strategische operative Messgrößen Messgrößen

Öffentliches ManagementInformationsSystem (ÖMIS)

Finanzen strategische operative Messgrößen Messgrößen

Mitarbeiter/ Personal

Finanzrechnung (Einnahmen/ Ausgaben)

Erfolgsrechnung (Aufwand/Erträge)

INTEGRIERTE VERBUNDRECHNUNG

INTEGRIERTE KOMPONENTENRECHNUNG

Bürgerinformationssysteme

strategische operative Messgrößen Messgrößen Personalinformationssysteme

Personalbewirtschaftungssysteme

Abbildung 2-6: Steuerungsrelevante Gestaltungsfelder in öffentlichen Verwaltungen als Grundlage der Ausgestaltung eines ÖMIS Quelle: (Budäus 2000, S. 75)

Ösze entwickelt ein Konzept für ein Managementinformationssystem nach jüngerem Verständnis (siehe Abschnitt 2.2.3) für die Steuerverwaltung des Kantons Bern in der Schweiz (2000, S. 183ff). Er leitet aus den Prinzipien des New Public Management ebenfalls Dimensionen einer Balanced Scorecard ab, die die Grundlagen eines elektronisch unterstützten Berichtswesens für die Verwaltungsführung bilden. Zielgruppe des Systems sind ausschließlich Amtsleiter, Abteilungsleiter und Prozessverantwortliche (Ösze 2000, S. 164f), die im Sinne der Gruppierung von Adressaten zu den Gruppen Middle- und Lower-Management zu rechnen sind. Analog zu den in Kapitel 2 dargestellten Annahmen zur Entwicklung des Informations- und Unterstützungsbedarfs entlang der Adressatenebenen wird hier ebenfalls von einer Zunahme der Aggregationsebene der benötigten Informationen entlang der Hierarchieebenen ausgegangen (Ösze 2000, S. 163). Aufgabe dieses Managementinformationssystems ist die Unterstützung von Geschäftsprozessen, Managementprozessen und Supportprozessen in der Steuerverwaltung (vgl. Abbildung 2-7) (Ösze 2000, S. 178).

30

Veranlagungsprozess Einkommenssteuern

Vermögensgewinnsteuern

Buchhaltung

Inkasso (Fakturierung)

Kapitalsteuern

Steuerteilung

Quellensteuern

Nach- und Strafsteuer

periodisch

Verrechnungssteuern

Gewinnsteuern

aperiodisch

Registerführung

Vermögenssteuern

Erbschafts- und Schenkungssteuern Managementprozesse Supportprozesse

Abbildung 2-7: Geschäfts-, Support- und Managementprozesse in der Steuerverwaltung Quelle: (Ösze 2000, S. 178)

Basierend auf den zu unterstützenden Prozessen bzw. Verwaltungsprodukten werden strategische Ziele wie z.B. schnelle, transparente und effiziente Abwicklung der Veranlagung (Ösze 2000, S. 191) und operative Ziele z.B. korrekte Veranlagung (Ösze 2000, S. 190) definiert, die schließlich zu messbaren Indikatoren operationalisiert (bspw. Anteil Einspracheerfolge) werden. Das Ergebnis ist ein System aus Kennzahlen und Frühindikatoren, das in ein entsprechendes Berichtssystem überführt wird (vgl. Tabelle 2-5)(Ösze 2000, S. 214). Das ÖMIS-Konzept von Budäus liefert eine controllingorientierte Systematisierung von führungsrelevanten Informationsquellen und –systemen, gegliedert nach den verschiedenen Gestaltungsbereichen der öffentlichen Verwaltung. Es liefert eine generische Grundlage für die konkrete Ausgestaltung entsprechender Systeme, zugeschnitten auf spezifische Nutzerkreise aus Politik und Verwaltung. Im Fokus liegen zahlenbasierte Informationen zur Steuerung der einzelnen Aufgabenbereiche. Im Gegensatz zu ÖMIS weist der Vorschlag von Ösze einen hohen Spezialisierungsgrad in mehrerlei Hinsicht auf: Die Zielgruppe ist mit dem mittleren Verwaltungsmanagement klar und eng umrissen, darüber hinaus ist auch die Domäne der Steuerverwaltung ein stark strukturierter Bereich der Verwaltung, der von einem hohen Grad ‚programmierter’ Tätigkeiten geprägt ist, d.h. stark routinisiert abläuft.

31

In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass derartige controllingfokussierte Berichtssysteme lediglich einen Teil des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern bedienen können, da die (operative) Steuerung nur eine von mehreren Aufgaben einer Führungskraft ausmacht. Berichtssysteme auf der Basis vordefinierter Messgrößen und Indikatoren können naturgemäß nur antizipierten Informationsbedarf decken, Entscheidungen und Themenstellungen gerade im politischen Umfeld lassen sich allerdings nicht immer vollständig antizipieren. Um nicht nur der Standardsituation der Führung im Neuen Steuerungsmodell gerecht zu werden, ist demnach eine differenziertere, über die Aufgabenorientierung hinausgehende Betrachtung von Informationsbedarf erforderlich. Controllingorientierter oder Steuerungsinformationsbedarf macht in einem solchen Bedarfsprofil nur einen von mehreren Teilen aus.

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Finanz- und Leistungsperspektive

(Teil-)Strategie Effiziente Veranlagung unselbständig Erwerbender Ergebniskennzahlen • Kosten pro Veranlagung unselbständig Erwerbender • Kosten pro Veranlagung nach Kundengruppen (A, B, C) • Kosten aller Veranlagungen im Vergleich zum Steuerertrag • Gesamtkosten pro Veranlagung (inkl. Nachfragen, Prüfungen, Einsprachen etc.)

Interne Prozessperspektive

Zielsetzung in der internen Prozessperspektive A. Automatisierungsgrad erhöhen A1) Automatisierungsgrad A2) Verlässlichkeit A3) Steuerertrag halten

B. Prozessführung verbessern B1) Einstufige Veranlagung B2) Prozessqualität B3) Durchlaufzeiten

C.

Elektron. Kommunikationskanäle C1) Kommunikationskanäle Kunden C2) Vernetzung Lieferanten C3) NESKO7-Gemeinden

Frühindikatoren A1) Anteil automatischer Veranlagungen A2) Anzahl übereinstimmender Doppelprüfungen A3) Durchschnittlicher Steuerertrag

B1) Anteil einstufiger Veranlagungen B2) Anzahl Prozessfehler B3) Durchschnittliche Durchlaufzeit pro Kundengruppe; Cashto-Cash-Zyklus

C1) Anteil elektron. eingegangener St.Erklärungen C2) Anteil elektron. Eingereichter LA/ Wertschriftendepots C3) Anteil NESKOGemeinden

Lern- und Entwicklungsperspektive

Zielsetzung in der Lern- und Entwicklungsperspektive D. Vorleistungsqualität der Gemeinden erhöhen D1) Ausbildung der Gemeindemitarbeiter D2) Unterstützung der Gemeinden D3) Betreuung der Gemeinden vor Ort

E. Mitarbeiterproduktivität erhöhen E1) Mitarbeiterzufriedenheit E2) Optimaler Ausbildungsgrad E3) Konzentration der Veranlagungsmitarbeiter auf ihre Kernfähigkeiten

Frühindikatoren D. Anteil korrekt vorerfasster bzw. weitergeleiteter Steuererklärungen D1) Ausbildungsgrad der Gemeindermitarbeiter D2) Zufriedenheit der Gemeinde mit der Unterstützung D3) Anteil jährl. besuchter Gemeinden

E. Anzahl Veranlagungen pro Mitarbeiter bzw. pro Team E1) Mitarbeiterzufriedenheitsindex E2) Strategischer Aufgabendeckungsgrad E3) Anteil der Arbeitszeit, die zur Veranlagung verwendet wird

Maßnahmen Tabelle 2-5: Übersetzung der Strategie in Kennzahlen und Indikatoren Quelle: (Ösze 2000, S. 214)

7

NESKO ist die Bezeichnung für einen Informatikverbund, der Gemeinden eine gemeinsame Netzwerkinfrastruktur zur Verfügung stellt (Ösze 2000, S. 207).

33

2.3.2

Kommunales Führungsunterstützungssystem

Vöhringer geht bei seiner umfassenden Konzeption für ein Führungsunterstützungssystem für das Kommunalmanagement weniger auf konkrete Inhalte als auf die möglichst lückenlose Unterstützung der Führungsarbeit ein (2004, S. 375ff). Basierend auf theoretischen und empirischen Erkenntnissen zur Arbeitssituation von Kommunalmanagern schlägt er Komponenten eines Kommunalen Führungsunterstützungssystems (KFUS) vor, die nicht auf vorstrukturierten Arbeitsabläufen oder Managementkonzepten basieren, sondern größtmögliche Flexibilität der Unterstützung gewährleisten sollen. Zur Gruppe der kommunalen Führungskräfte gehören bei Vöhringer neben Verwaltungsführungskräften auch die Gemeinderäte (2004, S. 4), so dass klassische hierarchische Gliederungsmuster für diese Adressatengruppen nur begrenzt anwendbar sind. Verwaltungsunterstützungssysteme Ratsunterstützungssysteme Rats- und Verwaltungsinformationssysteme Informationssysteme

Archivierungs- u. Dokumentenmanagementsysteme

Office-Systeme

Politische ControllingSysteme

Wissensmanagementsysteme

Sitzungsunterstützungssysteme

Kommunikationssysteme

Koordinationssysteme

Kooperationssysteme

Präsentationssysteme

Partizipationssysteme

Sitzungsdienstsysteme

Abbildung 2-8: Kommunales Führungsunterstützungssystem (KFUS) Quelle: (Vöhringer 2004, S. 390)

Vöhringer umgeht die Differenzierung unterschiedlicher Adressatengruppen mit spezifischem Informationsbedarf, indem er ein modular aufgebautes Konzept für ein Unterstützungssystem entwirft, das für alle kommunalen Führungskräfte gilt. Neben 34

der Belieferung mit Informationen für Führungsaufgaben werden auch Module für die Unterstützung der Kommunikation, Kooperation und Koordination entwickelt (siehe Abbildung 2-8). Differenzierung wird hier über bestimmte Spezialfunktionen von Unterstützungssystemen erreicht, die nach Bedarf kombiniert werden. Die vorgeschlagene Kombination zu Rats- und Verwaltungsinformationssystemen, Ratsunterstützungssystem und Verwaltungsunterstützungssystem erfolgt allerdings ähnlich wie bei Budäus auf der Basis normativer Konzepte der Aufgabenverteilung zwischen Politik und Verwaltung. Aufgabenorientierung als zentrales Gestaltungskriterium führt auch hier zu einem vergleichsweise abstrakten Designvorschlag, der zu einer Vervollständigung neben einer weiteren Differenzierung auch die Berücksichtigung weiterer Aspekte von Informationsbedarf benötigt. 2.4

Konsequenzen für die Entwicklung eines Führungsinformationssystems für das Kommunalmanagement

In Anbetracht des beachtlichen Umfangs der bislang erzielten Forschungsergebnisse zum Thema Führungsinformationen stellt sich die Frage, welche Annahmen und Ergebnisse zu Führungsinformationen in Unternehmen für eine Anwendung auf die öffentliche Verwaltung überarbeitet werden müssen und an welchen Erkenntnissen angeknüpft werden kann. Ebenso sind die bisherigen Erkenntnisse zu Führungsinformationen in der öffentlichen Verwaltung diesbezüglich zu hinterfragen. Auf der Seite der Verwaltungsinformatik werden die Unterschiede der Führungsarbeit zwischen Managern in Unternehmen und in Verwaltungen hervorgehoben8 (Poetzsch-Heffter 1991, S. 34; Damkowski/Precht 1995, S. 27) und auch die Vertreter der MIS-Domäne sehen die Ergebnisse ihrer eigenen Fachrichtung kritisch: Neben den Nachteilen und Defiziten, die bereits im Zusammenhang mit der Beschreibung der einzelnen Systemklassen dargestellt wurden, werden IT-gestützten Führungsinformationssystemen9 auch Nachteile ganz grundsätzlicher Natur zugeschrieben. Rechkemmer unterscheidet in diesem Zusammenhang allgemeine und konzeptionelle Defizite (1999, S. 16ff).

8

Eine ausführlichere Darstellung der Unterschiede erfolgt in Kapitel 4.5.

9

Ohne hier weiter auf die Spezifizierung im Sinne der Klassifikation aus Kapitel 2 einzugehen.

35

Zu den allgemeinen Defiziten zählt eine übermäßige Technikfokussierung insbesondere zu Beginn der Auseinandersetzung mit Führungsinformationssystemen (siehe auch Bullinger et al. 1993, S. 47). In Anbetracht der Faszination neuer technischer Errungenschaften gerät die Differenzierung von Nutzergruppen und deren spezifische Unterstützungs- und Informationsbedürfnisse in den Hintergrund, mit der Folge der undifferenzierten Überschwemmung mit irrelevanten Informationen und Funktionen. Ein weiterer Aspekt ist die Orientierung an Pionierentwicklungen aus dem USamerikanischen Raum, die naturgemäß stark durch die dort herrschende Führungskultur und Managementstil geprägt und somit nicht zwangsläufig mit europäischen oder deutschen Gegebenheiten kompatibel sind. Wesentliche Unterschiede werden bspw. im Bereich der organisatorischen Gliederung und der Führungsprinzipien gesehen. Bei der Übertragung von FUS-Konzepten aus dem unternehmerischen Bereich auf die Domäne der öffentlichen Verwaltung sind dementsprechend Anpassungen an die spezifischen Gegebenheiten erforderlich, um derartige Schwierigkeiten zu vermeiden. Dazu müssen diese spezifischen Gegebenheiten der Führungsarbeit in der öffentlichen Verwaltung jedoch zunächst herausgearbeitet werden. Die konzeptionellen Defizite gliedern sich auf in Defizite bei der Theoriebildung und empirische Defizite (Rechkemmer 1999, S. 20ff). Zur erstgenannten Gruppe gehört die begriffliche Unschärfe zum einen bei der Bezeichnung der unterschiedlichen Systemklassen, die bereits weiter oben angesprochen wurde, aber auch bei der Differenzierung der Zielgruppe für die unterschiedlichen Typen von Führungsinformationsbzw. -unterstützungssystemen. Dies führt dazu, dass mangels Auseinandersetzung mit den spezifischen Unterstützungsanforderungen der einzelnen Gruppen von Führungskräften das passende System für deren Bedarf nur schwer gefunden werden kann. Die zu unterscheidenden Gruppen von Führungskräften sind für die öffentliche Verwaltung zunächst noch zu identifizieren und deren spezifische Unterstützungsanforderungen zu untersuchen. Bisherige Forschungsarbeiten haben sich entweder auf einzelne Gruppen fokussiert (vgl. Ösze 2000) oder eine nähere Differenzierung vermieden (vgl. Vöhringer 2004). Auch bei der Beschreibung der Nutzenpotenziale der einzelnen Systeme wird häufig nicht berücksichtigt, ob diese auf die Benutzung durch die Führungskraft selbst oder durch deren Assistenzbereich abzielen (Rechkemmer 1999, S. 20ff). Für die konkrete Einführung des Systems hat dies jedoch umfangreiche Auswirkungen bspw. hinsichtlich des vertretbaren Schulungsaufwands und des Zuschnitts auf die tatsächlichen Nutzer. 36

Die Gestaltung von Führungsinformationssystemen orientiert sich an präskriptivtheoretischen und empirischen Erkenntnissen der Managementforschung, um Aussagen über den Informations- und Unterstützungsbedarf von Führungskräften abzuleiten. Die resultierenden Gestaltungsanforderungen für das Design von Informationssystemen sind naturgemäß allgemein, da sie auf allgemeinen Modellen, Mittelwerten und Generalisierungen beruhen. Als Beispiel nennt Rechkemmer modellhafte Aufgabenarten des Managements oder auch das vielfach beschriebene Vorherrschen von unstrukturierten ad-hoc-Entscheidungen (1999, S. 28). Für die Gestaltung eines konkreten Systems sind diese Annahmen jedoch zu allgemein und müssten konkretisiert bzw. für die tatsächliche Zielgruppe überprüft werden. Über die Führungsarbeit in der öffentlichen Verwaltung gibt es bislang vergleichsweise wenige Erkenntnisse, die als Grundlage für die Gestaltung von Führungsinformationen herangezogen werden könnten. Diese sind zunächst zu sammeln und als Basis für die Auseinandersetzung mit der konkreten Zielgruppe zu systematisieren. Ähnlich fällt das Urteil zu den im Zusammenhang mit Führungsinformationssystemen diskutierten Informationskategorien aus: Die gängigen Unterscheidungen in externe vs. interne oder hochaggregierte Informationen vs. Expertenwissen vs. Detailinformationen sind ebenso zu grobrastrig und ungenau wie die Kategorisierung entlang von kritischen Erfolgsfaktoren oder ähnlichen Modellen. Sie berücksichtigen zudem nicht das Zusammenspiel von Führungskräften und ihren Mitarbeitern, die unter Umständen auch oder ausschließliche Nutzer des Systems sind und einen von der Führungskraft unterschiedlichen Informations- und Unterstützungsbedarf haben (Rechkemmer 1999, S. 32f). Für die Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement sind neue Kategorien von Informationsbedarf und Informationsarten (vgl. Reinermann 1999, S. 200f) zu entwickeln, um einerseits die Besonderheiten des Informationsbedarfs der unterschiedlichen Führungskräftegruppen abbilden und andererseits auch entsprechende Informationsangebote ableiten zu können. Empirische Defizite sieht Rechkemmer v.a. im Bereich der mangelnden Repräsentativität der Studien, die zur Bestimmung von Arbeitsweise und Informationsbedarf von Führungskräften herangezogen werden. Darüber hinaus wird auch hier seiner Ansicht nach zu wenig zwischen den unterschiedlichen Führungsbereichen differenziert (1999, S. 35).

37

Dieser Kritikpunkt ist nur schwer mit dem der mangelnden Anpassung an individuelle Gegebenheiten (s.o.) vereinbar. Repräsentativität wird erzielt, indem über eine repräsentative Auswahl von Fällen gemittelt wird. Zwangsläufig werden dabei individuelle Besonderheiten vernachlässigt, die jedoch für die Gestaltung eines konkreten Systems von zentraler Bedeutung sein können. Ein weiteres Manko, das allerdings weniger mit dem Systemdesign als mit der Einführungspraxis zusammenhängt, wird von Holten angeführt (1999, S. 61f). Nur in wenigen Fällen der Einführung von Führungsinformationssystemen geht dem Projekt eine Informationsbedarfsanalyse bei den zukünftigen Nutzern voraus. Dieser Umstand verstärkt die von Rechkemmer (s.o.) aufgeführten Probleme hinsichtlich der Passung von Informationsangebot und -bedarf. Für die Entwicklung eines Führungsinformationssystems für das Kommunalmanagement haben diese Kritikpunkte und Erkenntnisse folgende Auswirkungen: • Grundprinzip für die Gestaltung eines Führungsinformationssystems für das Kommunalmanagement ist die Bedarfsorientierung. Unabhängig von technischen Möglichkeiten und verfügbaren Informationsquellen und -angeboten müssen zunächst die unterschiedlichen Informationsbedarfe von verschiedenen Adressatengruppen kommunaler Führungskräfte untersucht werden. Ausgangspunkt ist eine Informationsbedarfsanalyse. • Basis für die Informationsbedarfsanalyse sind vorhandene Erkenntnisse zur Führungsarbeit in der öffentlichen Verwaltung bzw. im Kommunalmanagement. Diese dienen als Ausgangspunkt, um Annahmen und Modelle, die FUS im unternehmerischen Bereich zu Grunde liegen, für die öffentliche Verwaltung zu überprüfen und ggf. zu ergänzen bzw. zu überarbeiten. Zu diesen Annahmen gehört auch die hierarchische Gliederung in Adressatengruppen, die für das Kommunalmanagement nur begrenzt anwendbar ist. • Für den Informationsbedarf von kommunalen Führungskräften sind neue Informationsarten und -kategorien zu entwickeln, um sowohl die Parameter von Informationsbedarf konkret beschreiben als auch ein geeignetes Informationsangebot ableiten zu können. Die bislang dargestellten Ansätze von Informationssystemen für Führungskräfte in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung zielen in erster Linie auf die Unterstützung einer fokussierten Bedarfsdimension ab, die Entscheidungssituation, das Controlling von Geschäftsprozessen oder die Überwachung von Zielerreichungsgraden. In der Regel umfassen die Auf38

gaben von Kommunalmanagern mehr als nur eine dieser Dimensionen, darüber hinaus sind sie in unterschiedlichem Umfang auch Politiker, die eine bestimmte Klientel zu vertreten haben. Das hat zur Folge, dass auch ihr Informationsbedarf durch Faktoren aus unterschiedlichen Dimensionen beeinflusst wird. Als vielversprechender Ansatz erweist sich daher der Vorschlag von Reinermann, Informationsbedarf als das Produkt unterschiedlicher Einflussfaktoren wie persönliches Interesse, Rolle, Kontext, Aufgabengebiet oder Reichweite von Führungsentscheidungen zu begreifen (1999, S. 200). Das Rollenmodell von Mintzberg (1972; 1980) weist in eine ähnliche Richtung, es verbindet die individuelle Betrachtung einzelner Managerindividuen mit einem generalisierbaren Schema zur Kategorisierung der relevanten Informationsbedarfskontexte. Ziel einer Informationsbedarfsanalyse, die den unterschiedlichen Facetten von Informationsbedarf gerecht wird, ist folglich die Definition charakteristischer Informationsbedarfselemente: Aus der Kombination von rollen- oder aufgabenspezifischen Bedarfsfaktoren und Merkmalen der benötigten Informationen lassen sich kontextspezifische Informationsbedarfselemente definieren, die als Analyseraster für den Bedarf kommunaler Führungskräfte herangezogen werden können. Auf diese Weise kann einerseits der Notwendigkeit einer individuellen Erhebung des Informationsbedarfs nachgekommen und gleichzeitig können generalisierbare Bedarfsstrukturen identifiziert werden. Die individuelle Zusammensetzung von Aufgaben- und Rollenprofilen wird durch die entsprechende Kombination von Informationsbedarfselementen zu individuellen Bedarfsprofilen nachgezeichnet. • Die zu erzielenden Ergebnisse zum konkreten Informationsbedarf von Kommunalmanagern können damit auch nur in begrenztem Umfang Repräsentativität beanspruchen. Diese würde auch im Widerspruch zum angestrebten Ziel einer möglichst genauen Erhebung individuellen Informationsbedarfs stehen. • Der Begriff des Führungsinformationssystems ist neu zu definieren und auf das Umfeld der Assistenzkräfte von Kommunalmanagern auszuweiten (vgl.Lenk/ Wengelowski 2004, S. 156). Ein Führungsinformationssystem ist somit im wörtlichsten Sinne als soziotechnisches System zu begreifen. Dies hat Konsequenzen für die Ermittlung von Informationsbedarf und auch für die Gestaltung eines Informationsangebots.

39

Ziel des folgenden Kapitels ist es, die konzeptionelle Grundlage für eine Informationsbedarfsanalyse basierend auf Informationsbedarfselementen zu entwickeln, um so der komplexen Bedarfssituation von Führungskräften in Politk und Verwaltung gerecht zu werden.

40

3

Ermittlung von Informationsbedarf Informationsbedarf bildet sowohl Anlass als auch Grundlage für die Gestaltung ei-

nes Informationssystems (IS). Die möglichst genaue Charakterisierung der benötigten, d.h. bereit zu stellenden Informationen ist daher einerseits zentrale Aufgabe des ISDesigns. Andererseits stellt sie aber auch eine Herausforderung hinsichtlich der für Interviews o.ä. zur Verfügung stehenden Ressourcen und auch der Fähigkeit der späteren Nutzer, ihren Informationsbedarf exakt und vollständig zu äußern, dar. Die Auseinandersetzung mit Informationsbedarf als Ausgangspunkt für die Gestaltung eines Informationssystems ist initialer Bestandteil des Lebenszyklus der Informationswirtschaft (Krcmar 2005, S. 55ff). Grundprinzip der Informationswirtschaft ist es, in dem dynamischen Wechselspiel von Informationsangebot und Informationsnachfrage für Ausgleich zu sorgen. Um dieser Aufgabe allerdings nachkommen zu können, ist die Kenntnis von Informationsnachfrage und Informationsbedarf, die entsprechende Erschließung von Informationsquellen und Aufbereitung von Informationsressourcen erforderlich, da nur so ein entsprechendes Informationsangebot bereitgestellt werden kann. MANAGEMENT DER INFORMATIONSNACHFRAGE Anforderungen

INFORMATIONSBENUTZER entscheiden müssen, Neugier haben

MANAGEMENT DER INFORMATIONSQUELLEN INFORMATIONSQUELLE 1. erkennen, 2. erheben, 3. explizieren, 4. vernetzen, 5. sammeln, 6. erfassen

vernetzen ver(an)wenden interpretieren bewerten

MANAGEMENT DER INFORMATIONSVERWENDUNG Informationen Informationen verstehbar, inter- bewerten pretierbar anbieten MANAGEMENT DER INFORMATIONSRESSOURCEN

nutzbar machen

Bereitstellung: verteilen, übermitteln

MANAGEMENT DES INFORMATIONSANGEBOTS INFORMATION PRODUKT | DIENST analysieren, umordnen, reproduzieren, reduzieren, verdichten

INFORMATIONSRESSOURCE 1. strukturieren, 2. repräsentieren, 3. speichern, 4. physischen Zugang sicherstellen, 5. verifizieren, 6. intellektuellen Zugang ermöglichen

Zuschnitt auf Nutzerbedürfnisse

7. Instand halten, pflegen

Abbildung 3-1: Lebenszyklus der Informationswirtschaft Quelle: (Krcmar 2005, S. 57)

41

Zentraler Gegenstand des Managements der Informationsnachfrage ist daher der Informationsbenutzer mit seinen Anforderungen an eine adäquate Informationsversorgung. Diese Anforderungen an Informationsversorgung bzw. an ein Informationsangebot werden durch zahlreiche Begriffe wie Informationsnachfrage, Informationsbedarf oder Informationsstand noch weiter konkretisiert, so dass eine Abgrenzung dieser Begriffe erforderlich ist: Schon allein der Begriff ‚Informationsbedarf’ lässt unterschiedliche Perspektiven und Interpretationen zu und führt in der Informationssystemliteratur zu der mittlerweile etablierten Dichotomie von objektivem vs. subjektivem Informationsbedarf. Während Koreimann (1975, S. 65) ein objektives, aufgaben- bzw. problemgeleitetes Verständnis von Informationsbedarf vermittelt, beziehen Mertens (2001, S. 193) und Picot (1988, S. 236) die Akteure einer Aufgabe und deren subjektive Auffassung von Informationserfordernissen explizit in ihre Definitionen mit ein: „Unter Informationsbedarf verstehen wir die Summe aller Informationen, die erforderlich sind, um einen Sachverhalt – z.B. einen Realprozeß oder eine Problemsituation – abzubilden; dies folgt aus der generellen Abbildungsfunktion der Information“ (Koreimann 1975, S. 65). „Der Informationsbedarf bezeichnet die Art, Qualität und Menge der Information, welche Aufgabenträger (Personen oder Organisationseinheiten) zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe benötigen“ (Mertens 2001, S. 193). „Unter Informationsbedarf wird im allgemeinen die Art, Menge und Beschaffenheit von Informationen verstanden, die ein Individuum oder eine Gruppe zur Erfüllung einer Aufgabe benötigt“ (Picot 1988, S. 236). Hieraus ergibt sich die in Abbildung 3-2 dargestellte Differenzierung der Begrifflichkeiten in Zusammenhang mit Informationsbedarf und -nachfrage. Unter objektivem Informationsbedarf wird der aus einer Aufgabenstellung oder Problemsituation ableitbare Bedarf an Informationen zusammengefasst. Dem gegenüber steht der subjektive Informationsbedarf, der von einem Informationsnutzer individuell wahrgenommen wird. Die tatsächlich geäußerte Informationsnachfrage, d.h. der explizit gemachte Informationsbedarf, ist eine Teilmenge des subjektiven Informationsbedarfs. Der im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe schließlich realisierte In42

formationsstand ist die Schnittmenge aus Informationsnachfrage und objektivem, d.h. aufgabenbezogenem Informationsbedarf (siehe auch Krcmar 2005, S. 59f).

Objektiver Informationsbedarf

Info.Info.- NachStand frage

Subjektiver Informationsbedarf

Informationsangebot

Abbildung 3-2: Die Ermittlung des Informationsstands aus Bedarf, Angebot und Nachfrage Quelle: (Picot 1988, S. 246)

Diese Sichtweise setzt allerdings das Gegebensein eines objektiven oder ‚tatsächlichen’ Informationsbedarfs hinsichtlich der zu lösenden Aufgabe voraus. Da aber auch der Träger einer Aufgabe diese subjektiv interpretiert, kann diese Position bezweifelt werden. Daher verneinen Autoren der Informationswissenschaften wie Wilson die Existenz eines objektiv beschreibbaren Informationsbedarfs (1997, S. 552): „need is a subjective experience that occurs only in the mind of the person in need and, consequently, is not directly accessible to an observer.“ Auch haben Fehlschläge bei der Entwicklung von FUS, die in erster Linie auf Managementmodellen und anderen theoriebasierten Annahmen über den objektiven Informationsbedarf von Führungskräften beruhten, gezeigt, dass sich Informationsbedarf so nur unzureichend erfassen lässt: „The big problem about management science models is that managers practically never use them” (Little 1970, S. 467). Informationsbedarf ergibt sich aus der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung von Aufgaben und Problemen (Groffmann 1992, S. 15; Swiontek 1997, S. 202). Die Darstellung von Informationsbedarf und -angebot muss dementsprechend angepasst werden (siehe Abbildung 3-3).

43

Informationsbedarf Aufgaben Rahmenbedingungen Interessen .. Informationsnachfrage Rahmenbedingungen Motivation ....

Informationsangebot Rahmenbedingungen Zugang ...

Informationsstand

Abbildung 3-3: Informationsbedarf und -angebot Quelle: In Anlehnung an (Byström/Järvelin 1995; Groffmann 1992, S. 16; Wilson 1981, S. 8)

Informationsbedarf resultiert demnach aus der Interpretation der Aufgabenstellung durch ein Individuum (Byström/Järvelin 1995; Groffmann 1992, S. 15), die durch persönliche Interessen und auch Rahmenbedingungen unterschiedlicher Natur beeinflusst wird. Ein Teil dieses Informationsbedarfs wird als Informationsnachfrage geäußert. Faktoren psychologischer, demographischer etc. (siehe unten ausführlicher) Art führen dazu, dass nicht der vollständige Informationsbedarf als Nachfrage geäußert wird (Wilson 1997). Der Umfang des zugänglichen Informationsangebots ist ebenfalls durch ökonomische, politische u.a. Restriktionen (Wilson 1981) oder auch das Wissen um ein Informationsangebot (Leckie et al. 1996) begrenzt. Im Resultat ergibt sich aus der Schnittmenge von Informationsnachfrage und Informationsangebot der erzielte Informationsstand. Der Argumentation Wilsons folgend wird der Wissensbegriff, obwohl in der Literatur häufig ähnlich dem Informationsbegriff verwendet, hier gezielt vermieden. „…knowledge is knowable only to the knower. It cannot be transmitted – only information about knowledge I have can be recorded and accessed by another person, and that information can only ever be an incomplete surrogate for the knowledge“ (2000, S. 50). 44

Als Anhaltspunkt für die Gestaltung eines Informationssystems ist zunächst die tatsächlich realisierte Informationsnachfrage am einfachsten zugänglich. Allerdings ist auch der bislang nicht geäußerte Informationsbedarf ein wichtiger Ansatzpunkt für die Anforderungsanalyse. Um diesen gewissermaßen passiven Informationsbedarf zu ermitteln, stehen unterschiedliche Methoden und Instrumente zur Informationsbedarfsanalyse zur Verfügung. Sie werden definiert als „jene Verfahren und Methoden, die geeignet sind, diejenigen Informationen zu ermitteln, die für die Lösung konkreter betriebswirtschaftlicher Aufgaben im Rahmen eines Unternehmens erforderlich sind; es handelt sich dabei prinzipiell um dem Bereich der Ermittlungsmodelle zuzuordnende Verfahren“ (Koreimann 1975, S. 65). Ziel der Informationsbedarfsanalyse ist die "Annäherung des subjektiven an den objektiven Informationsbedarf und letztendlich die Abstimmung von geäußertem Informationsbedarf (Informationsnachfrage) an das Informationsangebot" (Bahlmann 1982, S. 44). Die gängigen Methoden der Informationsbedarfsanalyse entsprechen der oben dargestellten Dichotomie von objektivem und subjektivem Informationsbedarf und lassen sich daher zunächst zwei unterschiedliche Grundausrichtungen zuordnen: • Auf der einen Seite ergibt sich die Fokussierung auf den durch die ‚betriebswirtschaftliche Aufgabe’ vorgegebenen, d.h. analytisch objektiv zugänglichen Informationsbedarf. Diese Herangehensweise impliziert die Annahme eines auf die Aufgabe zugeschnittenen Problemlösungsmodells, das eindeutige Rückschlüsse auf die relevanten Informationsobjekte zulässt (Hauschildt 1990, S. 526). • Dem gegenüber steht die ‚empiristische’ Ermittlung des subjektiv vom Informationsnutzer wahrgenommenen Informationsbedarfs: Gegenstand der Untersuchung ist sein Verhalten und seine Bedürfnisse in Zusammenhang mit Informationsbeschaffung, ohne diese theoriebasiert bezüglich der Angemessenheit des resultierenden Informationsstandes im Hinblick auf die Aufgabenstellung zu analysieren oder zu bewerten (Hauschildt 1990, S. 527). Die erstgenannte Ausrichtung hat zahlreiche Methoden hervorgebracht bzw. zusammengetragen, um Organisationsstrukturen, Aufgaben sowie Arbeits- und Entscheidungsprozesse dahingehend zu analysieren, welche Informationen von Akteuren 45

in diesen Organisationen und Prozessen benötigt, verarbeitet und produziert werden. Ein Großteil dieser Methoden kann unter dem Oberbegriff der Organisationsanalyse zusammengefasst werden, wobei Organisationsanalyse als „die Methoden und Vorgehensweisen zur informationellen Analyse und Darstellung eines Aktionsgefüges“ (Koreimann 1975, S. 82) verstanden wird. Die auf den Benutzer zentrierten subjektiven Verfahren der Informationsbedarfsermittlung weisen ebenfalls ein breites Methodenspektrum auf, das von unstrukturierten Interviews bis hin zu komplexen Modellen der Benutzerforschung reicht. Das Hauptinteresse der ‚soziologischen Benutzerforschung’ (Koreimann 1975, S. 71) liegt in der Untersuchung des Informationsverhaltens von Akteuren im Kontext der sie prägenden Umwelt. Mischformen aus beiden Ansätzen, sog. theoriegestützte, empirisch fundierte Ansätze, versuchen, positive Elemente wie das systematische Vorgehen und die theoretische Fundierung einerseits und Auseinandersetzung mit den Menschen, die Aufgaben vor dem Hintergrund ihres individuellen Interpretationsrasters zu bewältigen haben, andererseits zu kombinieren und die vorhandenen Schwächen – das häufige Fehlen von eindeutigen Problemlösungsmodellen, oder Fehler bei der von subjektiven Kriterien geleiteten Informationsbeschaffung – zu minimieren (Hauschildt 1990, S. 527). Tabelle 3-1 gibt einen groben Überblick über Verfahren zur Informationsbedarfsanalyse. Verfahren zur Ermittlung des Informationsbedarfs Subjektive Verfahren ƒ ƒ ƒ ƒ

Offene Befragung Teilnehmende Beobachtung Wunschkataloge Befragung der Mitarbeiter im Tätigkeitsumfeld

ƒ ƒ ƒ ƒ

Objektive, analytische Verfahren Strategieanalyse Prozessanalyse Input-Prozess-OutputAnalyse Entscheidungsanalyse

Theoriegestützte, empirisch fundierte Verfahren ƒ Strukturierte Befragung ƒ Methode der kritischen Erfolgsfaktoren ƒ Balanced Scorecard ƒ Weiterentwicklung aus dem Kontext (Evolution) ƒ Entwicklung aus dem Bestehenden (IstSituation bzw. Tätigkeitsanalysen)

Tabelle 3-1: Verfahren zur Ermittlung des Informationsbedarfs Quelle: In Anlehnung an (Hauschildt 1990, S. 527; Krcmar 2005, S. 62)

Obgleich die Ausrichtung eines Informationsangebots allein an objektiv mess- oder erhebbaren Merkmalen des Informationsbedarfs fragwürdig erscheint (s.o.), können 46

die entsprechenden Methoden und Konzepte dennoch Aufschluss geben über Zusammenhänge und Auslöser von subjektiv wahrgenommenem Informationsbedarf. Dieses Prinzip schlägt sich insbesondere bei gemischten Verfahren der Informationsbedarfsermittlung oder auch bei einigen Ansätzen der Benutzerforschung nieder. Nachteile der subjektiven Verfahren der Informationsbedarfsermittlung sind in erster Linie darin zu sehen, dass die Befragten im Rahmen von Interviews häufig nicht in der Lage sind, ihre Bedürfnisse vollständig zu artikulieren, oder durch die Kommunikation mit dem Interviewer Ergebnisse beeinflusst oder verfälscht werden (Swiontek 1997, S. 199). 3.1

Objektive, analytische Verfahren der Informationsbedarfsanalyse

Ausgehend von der Annahme, dass sich Informationsbedarf in erster Linie von der Aufgabenstellung bzw. den Aufgabenrahmenbedingungen eines Informationsnutzers ableitet, zielen objektive Verfahren der Informationsbedarfsanalyse darauf ab, diese Aufgabenstellung bzw. Rahmenbedingungen zu erfassen. Strategische Zielsetzungen, Geschäfts- oder auch Entscheidungsprozesse werden hinsichtlich der zu ihrer Umsetzung benötigten Informationen untersucht und daraus entsprechend Informationsbedarf abgeleitet (Schneider 1990, S. 235f). Vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verständnisses von Informationsbedarf als das Ergebnis subjektiver Wahrnehmung erfolgt an dieser Stelle keine gesonderte Auseinandersetzung mit objektiven Verfahren der Informationsbedarfsanalyse. Sie fließen dort mit ein, wo sie als Elemente subjektiver oder gemischter Erhebungsverfahren Anwendung finden.

47

3.2

Subjektive Verfahren der Informationsanalyse

Subjektive Verfahren der Informationsbedarfsanalyse gehen bei der Erhebung des Informationsbedarfs von den zukünftigen Nutzern eines Informationssystems aus, und versuchen deren Bedarf durch offene Befragungen, teilnehmende Beobachtungen und andere Techniken der empirischen Sozialforschung möglichst genau zu charakterisieren10. Die Verfahren, die unter dem Stichwort ‚subjektiv’ zusammengefasst werden, sind zu einem großen Teil der Benutzerforschung entlehnt, die sich in dieser Ausprägung, d.h. der Hinwendung zum individuellen Informationsbenutzer, ab dem Ende der 1960er Jahre herausbildete (Czermak 1984, S. 8). Ursprünglich entwickelte sich die Benutzerforschung als Teilbereich der Informationswissenschaften zur Erforschung des Verhaltens von Nutzern institutioneller Informationsanbieter wie bspw. Bibliotheken. Hauptanliegen der Benutzerforschung ist die Untersuchung des Informations- und Nutzungsverhaltens, um daraus Anhaltspunkte für die Gestaltung und Verbesserung von Informationsangeboten abzuleiten (Koreimann 1975, S. 71; Czermak 1984, S. 9f). Die Erkenntnisse und Verfahren der Benutzerforschung wurden mit der zunehmenden Bedeutung von Informationssystemen als Werkzeug zur Gestaltung von Informationsangeboten auch auf diese Domäne übertragen und auf die besonderen Gegebenheiten der digitalen Informationsbereitstellung angepasst (Koreimann 1975; Kluck 1997, S. 795). Da die Benutzerforschung sich als geeignete Grundlage für die Entwicklung eines explorativen Rasters zur Ermittlung subjektiver Aspekte des Informationsbedarfs darstellt, werden Grundprinzipien und für die Gestaltung von IS relevante Ansätze im Folgenden ausführlicher dargestellt. Als relevant werden die dargestellten Ansätze zum einen erachtet, wenn sie explizit für die Informationsbedarfsanalyse herangezogen werden. Ein weiteres Kriterium ist die Offenheit des jeweiligen Ansatzes gegenüber der Art bzw. des Mediums des Informationsdienstes, für den Bedarf ermittelt wird. Zahlreiche Ansätze der jüngeren Literatur beziehen Unterstützungsbedarf im Hinblick auf digitale Informationsangebote explizit ein, während frühere Untersuchungen häufig stark auf Bibliotheksangebote ausgerichtet waren. Die Kombination der Erkenntnisse zu Informationsbedarf und Informationsverhalten aus den unterschiedlichen Do-

10

48

Schneider unterscheidet zwischen Erhebungsmethode (subjektiver vs. objektiver Ansatz) und Erhebungstechnik (Befragung, Beobachtung, ..) (1990, S. 234), d.h. im Rahmen der subjektiven Informationsanalysemethode kommen unterschiedliche Erhebungstechniken zum Einsatz.

mänen wird bereits von zahlreichen Autoren gefordert (Vakkari 1999, S. 819; Pettigrew et al. 2001, S. 64) und auch z.T. praktiziert (Wilson 2000, S. 49). 3.2.1

Verfahren der Benutzerforschung

Aufgrund ihrer Wurzeln in der empirischen Sozialforschung wird die Benutzerforschung auch als ‚soziologische Benutzerforschung’ bezeichnet (Koreimann 1975, S. 71). Bock, der diese Bezeichnung geprägt hat, definiert den Inhalt der soziologischen Benutzerforschung „als die Übertragung und Anwendung soziologischer Methoden, Begriffe, Konzepte und Theorien auf eine spezifische Form sozialen Verhaltens – das Benutzerverhalten – ... zwecks deren Deskription und/oder Explanation“ (Bock 1972, S. 236). Drei wesentliche Untersuchungsgegenstände stehen im Zentrum der Benutzerforschung (Koreimann 1975, S. 71), • das Informationsverhalten, • Kontext von Informationsbedarf (bzw. Informationsverhalten) und • die Klassifikation oder Typologisierung von Informationsnutzern. Ziel der Benutzerforschung ist, „durch die Analyse des Benutzungs- und Informationsverhaltens Aussagen über die Struktur und Eigenschaften eines in einem Systemzusammenhang stehenden Handlungssubjektes abzuleiten, um dadurch das gesamte Aktionsgefüge – d.h. Institution und Benutzer – effizienter gestalten zu können“ (Koreimann 1975, S. 72). Der Informationsbenutzer wird in der Benutzerforschung folglich als Individuum gesehen, das durch den Kontext seiner Arbeits- und Lebensumgebung in seinem Informationsverhalten beeinflusst und geprägt wird. Für die Untersuchung des Informationsverhaltens bedeutet dies wiederum, dass diese Umfeldeinflüsse und deren Auswirkungen auf das Benutzerverhalten ebenso erforscht werden müssen. Für die konkrete Erhebung ergibt sich hieraus die Frage nach der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes bzw. des Begriffs des Informationsbenutzers. Nach Wersig werden vier Benutzertypen unterschieden (1973, S. 12): • Der ‚Nutzer’ benutzt eine Information für einen bestimmten Zweck und erzielt dadurch einen Nutzen. Er ist nicht notwendigerweise auch derjenige, der Informationen recherchiert. 49

• Der ‚tatsächliche Benutzer’ fungiert als Informationsbeschaffer für einen ‚Nutzer’, er recherchiert Informationen, benutzt die Informationen aber nicht selbst, um einen Nutzen zu erzielen. • Von ‚vermuteten Benutzern’ wird angenommen, dass sie Nutzer oder tatsächliche Benutzer sein könnten. • Ein ‚potentieller Benutzer’ hat einen Informationsbedarf, der durch das Informationsangebot gedeckt werden könnte.

Informationsangebot

alle möglicherweise daran Interessierten

alle Personen mit Zugangsmöglichkeiten

potentielle Benutzer

vermutete Benutzer

alle Personen, die tatsächlich nutzen

tatsächliche Benutzer

Personen, die einen Nutzen daraus ziehen

Nutzer

Abbildung 3-4: Benutzerdefinitionen nach Wersig Quelle: In Anlehnung an (Wersig 1973, S. 13)

Im Folgenden werden die Gruppe der ‚Nutzer’ und die Gruppe der ‚tatsächlichen Benutzer’ gemeinsam betrachtet, da sowohl der subjektive Informationsbedarf der Informationsnutzer als auch das Informationsverhalten der Recherchierenden, also der Benutzer, für die Gestaltung von Informationssystemen von Interesse ist. Diese gemeinsame Gruppe wird als ‚Informationsbenutzer’ bezeichnet. Führungsinformationssysteme werden i.d.R. für einen vorbestimmten Nutzerkreis entwickelt, daher sind potentielle und vermutete Benutzer in diesem Zusammenhang nicht von Interesse. Um Informationsbedarf im Kontext mit Einflussfaktoren aus dem sozialen Umfeld des Informationsbenutzers analysieren zu können, muss sich die Informationsbedarfserhebung auf mehrere Aspekte beziehen, die gemeinsam Informationsbedarf charakterisieren und bedingen (Wersig 1973, S. 13f):

50

• Die Analyse des Informationsflusses im Rahmen einer Informationsfluss- oder Kommunikationsanalyse, • die Analyse von Einfluss- und Auslöserfaktoren oder auch des Kontextes von Informationsbedarf unter dem Stichwort Benutzeranalyse (Rollenverhalten, Gruppenzugehörigkeiten), • die Analyse von Informationsverhalten, d.h. Benutzerforschung im engeren Sinne fokussiert auf das Problemlösungsverhalten des Informationsbenutzers und • die Nutzungsanalyse unterschieden nach Bedarf, d.h. zu welchem Zweck wird Information nachgefragt, und tatsächlicher Nutzung. Die Erkenntnisse dieser Einzeluntersuchungen werden zu einem integrierten Bild von der Informationssituation des betreffenden Nutzers oder der Nutzergruppe zusammengesetzt. Als Systematisierungsschema für die verschiedenen Einflussfaktoren auf Informationsbedarf und deren Zusammenhänge wurden in der Benutzerforschung unterschiedliche Modelle und Ansätze entwickelt. In der Benutzerforschung wird der Begriff ‚Informationssystem’ übergreifend für alle systematischen Zugänge zu Informationen verstanden. Hierunter werden bspw. Bibliotheken mit ihren systematischen Katalogen in Papierform oder digitaler Form ebenso gefasst wie digitale Informationssysteme oder das Internet. Um Informationsangebote auf die Recherchegewohnheiten und -strategien von Informationsbenutzern zuschneiden zu können, untersucht die Benutzerforschung deren Informationsverhalten insbesondere im Hinblick darauf, wie typische Informationsbeschaffungsprozesse und -verhalten aussehen. Da Informationsverhalten offenbar stark von der Domänenzugehörigkeit der betrachteten Informationsbenutzer abhängt, zeigt sich in der Literatur zu Informationsverhalten auch eine deutliche Spezialisierung vieler Untersuchungen auf einzelne Domänen bspw. zum Informationsverhalten von Geisteswissenschaftlern, Ingenieuren oder Physikern (vgl. Ellis et al. 1993; Ellis/Haugan 1997). 3.2.1.1 Informationsverhalten Ein Großteil der umfangreichen Literatur zu Informationsverhalten ist den Informationswissenschaften zuzuordnen, allerdings beschäftigen sich auch zahlreiche andere Wissenschaftsdisziplinen mit der Frage, wie Informationsbenutzer bei einer Recherche 51

vorgehen und wie sie darin unterstützt werden können. Zu diesen zählen u.a. die Psychologie, die Konsumentenforschung, Innovationsforschung, Kommunikationsforschung im Gesundheitswesen, Organisationslehre und Informationsbedarfsforschung für Informationssystemdesign (Wilson 1997, S. 551). Aus der engen Verwandtschaft der Benutzerforschung mit den Informations- bzw. Bibliothekswissenschaften ergibt sich bei den empirischen Untersuchungen eine starke Konzentration auf die Benutzergruppe der Wissenschaftler als Forschungsobjekt, da diese einen Großteil ihrer Zeit mit Informationsrecherche verbringen und für die universitäre Forschung offenbar ein einfach zugängliches Untersuchungsobjekt darstellen. Viele Erkenntnisse lassen sich jedoch auch auf andere Gruppen von Informationsbenutzern übertragen. Informationsverhalten wird betrachtet vor dem Hintergrund der Fragen, • Was sind Auslöser für Informationsbedarf? • Welche Merkmale prägen Informationsbedarf? • Wie wird Informationsbedarf zur Informationsnachfrage? Der Aspekt der Effizienz im Zusammenhang mit Informationsverhalten11 wird aus diesem Grund ausgeblendet. Die Komplexität der vorgestellten Ergebnisse und Ansätze entwickelt sich von einfachen bis hin zu komplexen Modellen, die kognitive Prozesse im Rahmen des Rechercheprozesses beschreiben12. Informationsverhalten wird in diesen Untersuchungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und v.a. in unterschiedlichen Ausschnitten betrachtet. Wilson unterscheidet zur Systematisierung der Informationsverhaltensforschung drei Betrachtungsausschnitte (2000, S. 49), Informationsverhalten (Information Behavior), Informationsrechercheverhalten (Information Seeking Behavior) und Informationssuchverhalten (Informations Searching Behavior) (siehe Abbildung 3-5). Unter Informationsverhalten (Information Behavior) werden alle menschlichen Verhaltenmuster gegenüber Informationsquellen und -kanälen verstanden. Es umfasst somit die aktive und passive Recherche und Nutzung von Informationen bspw. in Form

11

Siehe bspw. (Witte 1972), (Hauschildt 1983)

12

Vgl. (Ford 2004)

52

persönlicher Kommunikation aber auch in Form der passiven Rezeption von Informationen beim Fernsehen. Das Informationsrechercheverhalten (Information seeking behavior) verengt den Fokus und beschreibt die zielgerichtete Recherche nach Informationen, um Informationsbedarf zu decken. Bei der Recherche konsultieren die Informationsbenutzer unterschiedliche Informationssysteme, manuelle wie Tageszeitungen oder persönliche Kommunikation, aber auch elektronische Systeme wie das Internet. Mit noch engerem Blickwinkel umfasst das Informationssuchverhalten (Information Searching Behavior) die konkrete Interaktion des Suchenden mit einem Informationssystem sowohl auf physischer Ebene (Mausklicks) als auch intellektueller Ebene (kognitive Prozesse bei der Suche).

Information behavior

Information seeking behavior

Information searching behavior

Abbildung 3-5: Systematisierung der Informationsverhaltensforschung Quelle: (Wilson 1999, S. 840)

Darüber hinaus werden die Modelle zum Informations(recherche)verhalten auch in kognitive, soziale und multiperspektivische oder holistische Ansätze eingeteilt (Sugar 1995, S. 85; Pettigrew et al. 2001, S. 46). Kognitive Ansätze beschäftigen sich mit den gedanklichen Strukturen und Prozessen eines Individuums im Zusammenhang mit dessen Informationsverhalten, während soziale Ansätze großen Wert auf die Berücksichtigung des sozialen Kontextes legen. Multiperspektivische Ansätze führen Elemente beider Ausrichtungen zusammen. Im Folgenden werden verschiedene Ansätze zur Verhaltensforschung bei Informationsbenutzern vorgestellt, um Entwicklung und Ausrichtungen der Benutzerforschung darzulegen. Die Reihenfolge der Darstellung erfolgt in der Regel chronologisch, wobei spätere Überarbeitungen von Modellen zusammengefasst werden. Regelmäßig er53

scheinende Reviews13 der jeweils aktuellen Forschungsergebnisse wurden herangezogen, um relevante Ansätze, die sich in der Wissenschaftsgemeinde durchgesetzt haben, zu identifizieren. Informationsverhalten allgemein Wilson entwirft bereits 1981 ein erstes übergreifendes Modell des Informationsverhaltens, das sich aus drei Grundelementen zusammensetzt, dem Kontext, in dem Informationsbedarf entsteht, dem Informationsrechercheverhalten und Hindernissen auf dem Weg vom Informationsbedarf zur Recherche (1981, S. 8). Environment Role

personal, interpersonal & environmental barriers

Person physiological needs affective needs cognitive needs

Information Seeking Behavior

work role performance level work environment socio-cultural environment politico-economic envirnoment physiological environment

Abbildung 3-6: Modell des Informationsverhaltens nach Wilson 1981 Quelle: (Wilson 1981, S. 8)

Während sich die Untersuchungen zu Informationsverhalten bis dato in erster Linie auf die Erforschung des Rechercheverhaltens konzentriert hatten, fordert Wilson 1981 die Einbeziehung des Kontextes, in dem Informationsbedarf entsteht, da er die Auslöser für Informationsbedarf als wichtigen Schlüssel für das Verständnis von Informationsbedarf und Informationsverhalten sieht (1981, S. 5). Problematisch ist laut Wilson schon die Wahl des Begriffs Informationsbedarf. Dieser suggeriert ein in der Natur des Menschen liegendes Grundbedürfnis, dessen Her-

13

54

Bspw. Annual Review of Information Science and Technology

kunft nicht weiter reflektiert wird (1981, S. 7). Im Gegensatz dazu resultierten v.a. aus dem sozialen Umfeld eines Menschen heraus bestimmte Bedürfnisse oder Erfordernisse, die mit Hilfe des Instruments Information gedeckt werden können (Wilson 1981, S. 10). Aus der Psychologie leitet er eine Differenzierung des Begriffs Bedarf in die Unterkategorien • physiologischer Bedarf (bspw. der Bedarf nach Wasser oder Nahrung), • affektiver Bedarf (auch psychologische oder emotionale Bedürfnisse) und • kognitiver Bedarf (bspw. Planungsbedarf) ab (Wilson 1981, S. 7). Diese Bedarfstypen beeinflussen sich wechselseitig und können auf der Ebene des Individuums Auslöser für Informationsrecherchen sein, bspw. wenn Informationen als Planungsgrundlage benötigt werden oder um ein Gefühl von Unsicherheit zu verringern. Die individuellen Bedürfnisse werden ihrerseits beeinflusst von den Rollen, die ein Informationsbenutzer in seinem sozialen Umfeld ausfüllt, davon nimmt die ‚Arbeitsrolle’ die bedeutendste ein (Wilson 1981, S. 9). Das Ausführen von bestimmten Aufgaben sowie Planungs- und Entscheidungsprozesse sind in erster Linie Auslöser für kognitiven Bedarf, affektiver Bedarf wie bspw. Bestätigung oder Erfolg wird hingegen durch die Kombination aus Organisationsstruktur und Persönlichkeitsstruktur generiert. Auf einer noch weiter gefassten Ebene wird das Umfeld betrachtet, in der die Arbeitsrolle ausgefüllt wird. Wilson unterscheidet hier zwischen drei verschiedenen Dimensionen (1981, S. 10): • das ökonomische Klima, das unter dem Gesichtspunkt der ungleichen Verteilung von Ressourcen zu einer Differenzierung zwischen ‚Information-rich’ und ‚Information-poor’ führt. Informationsverhalten wird durch die Verfügbarkeit von Informationsquellen und -kanälen direkt beeinflusst, • das politische System, das u.U. den Zugriff auf bestimmte Informationen reglementiert und damit die Ausführung von Arbeitsrollen behindert, die physische Umwelt, die einen eindeutigen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen haben kann und den daraus entstehenden kognitiven Bedarf (das von Wilson angeführte Beispiel weist auf die unterschiedlichen Erfordernisse bei Ölbohrungen in der Nordsee und Ölbohrungen in Saudi Arabien hin).

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Das resultierende Informationsverhaltensmuster basiert auf der Summe von Faktoren aus allen drei beschriebenen Ebenen, die eng miteinander verknüpft sind (Wilson 1981, S. 9). Die dabei auftretenden Barrieren ergeben sich ebenfalls aus allen drei Ebenen, dies kann zum einen die Kenntnis oder Unkenntnis von Informationsquellen sein oder auch die politisch oder wirtschaftlich bedingte Verfügbarkeit von Informationen. Dieses Modell ergänzt Wilson 1997 um zwei Blöcke von ‚activating mechanisms’ zu dem in Abbildung 3-7 dargestellten Verhaltensmodell. Wie die meisten Modelle zu Informationsverhalten oder auch Informationsrechercheverhalten beinhaltet das erste Modell von Wilson in erster Linie Platzhalter für Konzepte und Ansätze zur Erklärung von Informationsverhalten. In seiner Weiterentwicklung füllt er diese Platzhalter auf der Grundlage empirischer Ergebnisse und umfangreicher Literaturarbeit mit theoretischen Erklärungsmodellen. context of information need

activating mechanism

intervening variables

activating mechanism

information seeking behavior

person-incontext

stress/ coping theory

psychological

risk/ reward theory

passive attention

demographic role-related or interpersonal environmental

social learning theory selfefficacy

passive search active search ongoing search

source characteristics information processing and use

Abbildung 3-7: Allgemeines Modell des Informationsverhaltens Quelle: (Wilson 1997, S. 569)

Nach wie vor ist der Ausgangspunkt für Informationsverhalten die Person, die Informationsbedarf hat, und der Kontext, in dem dieser Informationsbedarf entsteht. Allerdings löst die Feststellung von Informationsbedarf laut Wilson nicht zwangsläufig eine Informationsrecherche aus, die Gründe dafür können persönlicher Natur sein, oder soziale, rollen-abhängige oder umweltbestimmte Hemmnisse (1997, S. 556). Aus Prestigegründen kann es bspw. ungünstig sein, eigene Unwissenheit durch die 56

Äußerung von Informationsbedarf zu offenbaren. Dies greift Wilson in den ‚Intervening Variables’ auf. Die Stress- oder Coping-Theorie wird herangezogen, um das individuelle Verhalten in der Situation einer Informationslücke zu erklären. Das eigentliche Informationsrechercheverhalten lässt sich laut Wilson u.a. mit Hilfe der Risk/Reward-Theorie erklären, die eine Verbindung zwischen erwarteten Rechercheresultaten und den dafür unternommenen Anstrengungen bzw. eingegangenen Risiken herstellt (Wilson 1997, S. 562). Die Social-Learning-Theorie geht in eine ähnliche Richtung, sie beschreibt die Erwartungshaltung eines Individuums, dass ein bestimmtes Verhalten zu einem bestimmten erwarteten Ergebnis führen wird. Darüber hinaus wird noch die persönliche Einschätzung mit einbezogen, dass man dieses Verhalten auch erfolgreich reproduzieren kann (Wilson 1997, S. 563). Hinsichtlich des Informationsrechercheverhaltens unterscheidet Wilson vier unterschiedliche Recherchemodi, • passive attention, d.h. ungezielte Informationsaufnahme wie bspw. beim Radiohören, • passive search, d.h. das zufällige Finden von relevanten Informationen, • active search, d.h. gezielte Informationsrecherche im Sinne des Modells von Ellis (siehe bei Informationsrecherche und -suchverhalten) und • ongoing search, d.h. die fortgesetzte Beobachtung eines bestimmten Bereichs nach bestimmten Kriterien, um auf dem Laufenden zu bleiben (1997, S. 562), die aber nicht zu einander in Bezug gesetzt werden. Für die Erklärung der Informationsverarbeitung und -nutzung wurde offenbar noch kein schlüssiges Konzept gefunden, sowohl die Diffusionstheorie von Rogers (Rogers 1995) wird angeführt als auch die social cognitive theory, ohne diesen Bereich vollständig erklären zu können (Wilson 1997, S. 567ff). Genau wie Wilson beziehen auch Leckie et al. den Arbeitskontext des Informationsbenutzers in Form von unterschiedlichen Rollen, die er einnimmt, mit in ihr Modell des Informationsverhaltens ein (1996, S. 180). Obgleich sie ihr Modell selbst auf das

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Informationsrechercheverhalten von ‚Professionals’14 beziehen, liefern sie dennoch nach der Kategorisierung von Wilson ein übergreifendes Modell des Informationsverhaltens ab (siehe Abbildung 3-8). Work Roles

Tasks

Sources of Information

Information is sought

Characteristics of Information Needs

Awareness of Information

Outcomes

Abbildung 3-8: Informationsverhalten nach Leckie et al. Quelle: (Leckie et al. 1996, S. 180).

Selbst innerhalb eines zunächst klar umrissenen Berufsbildes wie Arzt oder Lehrer nehmen Informationsbenutzer zahlreiche unterschiedliche Rollen wie Dienstleister, Planer oder Entscheider ein (Leckie et al. 1996, S. 181). Diese Rollen bringen jeweils eine Anzahl verschiedener typischer Aufgaben mit sich, die unterschiedliche Informationen zu ihrer Erfüllung benötigen. Aus der Summe der Aufgaben ergeben sich daher charakteristische Merkmale des Informationsbedarfs eines Informationsbenutzers, die um weitere Faktoren wie demographische Merkmale des Informationsbenutzers, situativer Kontext des Informationsbedarfs sowie Häufigkeit, Dringlichkeit, Komplexität oder Prognostizierbarkeit, etc. ergänzt werden (Leckie et al. 1996, S. 182f). Ausschlaggebend für die Charakterisierung der Informationsrecherche ist nach Leckie et al. die Wahl der Informationsquellen (Sources of Information), das Wissen um Informationsquellen (Awareness of Information) und das erzielte Ergebnis (Outcomes) (1996, S. 183ff). 14

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Der Oberbegriff ‚Professionals’ bezeichnet in diesem Zusammenhang Berufsgruppen, die eine breite Basis theoretischen Wissens und eine weiterführende Ausbildung erfordern und bestimmten u.a. ethischen Prinzipien gehorchen. Beispiele sind Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Physiotherapeuten o.ä. (Leckie et al. 1996, S. 162).

Für die Informationsrecherche stehen neben Literaturrecherche, Gesprächen mit Kollegen oder Experten sowie dem eigenen Wissens- und Erfahrungsschatz viele weitere zur Verfügung. Die systematische Charakterisierung dieser Quellen erfolgt zunächst nach der Art des Informationskanals, d.h. formelle Informationskanäle (Fachpublikationen oder Konferenzen) vs. informelle Kanäle (persönliche Gespräche oder Interviews), externe Informationskanäle vs. interne, aber auch nach dem Format der Informationsquelle, d.h. schriftlich vs. mündlich. Das direkte oder indirekte Wissen um Informationsquellen und die Wahrnehmung oder Einschätzung dieser Quellen und deren Nutzung sind wichtige Einflussfaktoren für den Rechercheprozess. Vertrautheit in der Nutzung einer Quelle oder frühere Rechercheerfolge, Vertrauenswürdigkeit, geeigneter Umfang oder Granularität der erzielbaren Ergebnisse, zeitlicher Aufwand, Kosten und Zugänglichkeit sind Kriterien, die hier angelegt werden. Als Ergebnis der Informationsrecherche kann der auslösende Informationsbedarf entweder gedeckt werden oder nicht. Im zweiten Fall würde das negative Ergebnis eine erneute Recherche vermutlich mit anderen Rechercheparametern (Quellen, Kanälen) auslösen. Auf Grund wechselseitiger Verflechtungen von Rollen und Pflichten ist davon auszugehen, dass Informationsrecherche nicht als eindimensionaler Prozess gesehen werden kann, der von dem Bedarfsprofil einer bestimmten Aufgabe oder einer bestimmten Arbeitsrolle ausgelöst wird, sondern eher einem dynamischen Gleichgewicht aus Anforderungen und Erkenntnissen entspricht. Informationsrecherche und -suchverhalten Zahlreiche Autoren konzentrieren sich innerhalb des Informationsverhaltens auf den Informationsrechercheprozess bzw. auf das Informationsrechercheverhalten. Wie bereits hier angedeutet lassen sich zwei Hauptrichtungen unterscheiden: Zum einen Modelle und Konzepte, die Informationsrechercheverhalten beschreiben und auf unterschiedliche Aktivitäten oder Recherchemodi fokussieren (Wilson 1999, S. 840), hierzu gehören die Modelle von Aguilar (1967), Ellis (1989), Choo et al. (2000) und Foster (2004). Daneben gibt es aber auch den Versuch, einen Rechercheprozess zu identifizieren und Aktivitäten in einer Abfolge zu untersuchen. Zu dieser Ausrichtung ist das Modell von Kuhlthau (1991) zu zählen.

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Aguilar15 unterschiedet bereits 1967 auf Grund von Untersuchungen mit Managern unterschiedlicher Industriebetriebe vier verschiedene Wahrnehmungsmodi gegenüber Informationen, die v.a. über den Grad der Fokussierung und der Motivation des Informationsinteresses voneinander abgegrenzt werden (1967, S. 19ff). Ungerichtete Aufnahme (undirected viewing) bezeichnet eine Informationsaufnahme, die nicht von einem bestimmten Informationsbedarf gelenkt wird. Das Hauptanliegen ist, sich einen breiten Überblick zu verschaffen, um Auffälligkeiten oder frühe Signale für Veränderungen zu entdecken. Es werden zahlreiche unterschiedliche Informationsquellen genutzt und eine große Menge an Informationen durchgesehen, wobei ein entsprechend grobes Raster für die Filterung unwichtiger Informationen angelegt wird. Bei der gerichteten Aufnahme (conditioned view) lenkt der Informationsbenutzer seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen oder bestimmte Informationstypen. Es geht darum, die aufgenommenen Informationen zu bewerten, um Auswirkungen für die Organisation bzw. das eigene Unternehmen abschätzen zu können. Bestimmte Informationsgebiete, die für die Organisation als relevant erachtet werden, werden der ungerichteten Aufnahme zugeführt und die Bedeutung der Entwicklungen in diesen Bereichen bewertet. Informelle Suche (informal search) beschreibt eine aktive Informationssuche, die dazu dient, das Wissen und Verständnis für ein bestimmtes Thema zu vertiefen. Informell heißt in diesem Zusammenhang, dass die Suche mit vergleichsweise geringem Aufwand und unstrukturiert betrieben wird. Ziel der informellen Suche ist die informationelle Aufbereitung eines Themas, um daraus Handlungsbedarf für die Organisation bzw. das Unternehmen ableiten zu können. Die formelle Suche (formal search) zielt darauf ab, ganz gezielt bestimmte Informationen oder Informationstypen zu einem bestimmten Thema zu sammeln. Formell heißt diese Suche, da sie strukturiert abläuft, nach vorgegebenen Mustern oder Methoden. Die Granularität der Ergebnisse ist fein, da die Suche stark auf Detailinformationen fokussiert. Aufgabe der formellen Suche ist die systematische Informationsbeschaffung zu einem Thema, um eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen.

15

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Aguilar ist strenggenommen nicht zur Benutzerforschung zu rechnen, da er sich mit Informationsverhalten von Managern vor dem Hintergrund der Bereitstellung von Führungsinformationen auseinandergesetzt hat. Dennoch ist seine Systematisierung in diesem Zusammenhang von Bedeutung und wird von der Benutzerforschung weiterentwickelt (vgl. Choo et al. 1998).

Die Entscheidung für einen der vier Wahrnehmungs- oder Scanning-Modi hängt von informations-, kapazitäts-, und themenbezogenen Kriterien ab (Aguilar 1967, S. 26). Informationsbezogene Kriterien sind bspw. die Beurteilung der bereits vorhandenen Informationen, die Verfügbarkeit zusätzlicher Informationen und die Prognostizierbarkeit zukünftiger Informationen. Die Menge der zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Budget, ..), Anzahl und Natur der relevanten Themen oder auch individuelle Interessen zählen zu den kapazitätsbezogenen Kriterien. Zu den themenbezogenen Kriterien zählt die Beurteilung der Dringlichkeit eines Themas. Belkin stellt 1978 ein Konzept zu kognitiven Aspekten der Informationsrecherche vor . Er geht aus von einem Informationsverständnis, das Information als strukturveränderndes Phänomen auffasst: „information is that which is capable of transforming structure“(Belkin/Robertson 1976, S. 198), zitiert nach (Belkin 1978, S. 80). Gleichzeitig ist Information selbst Struktur: “Information (in information science) being the structure of any text which is capable of changing the image structure of some recipient” (Belkin 1978, S. 80). Der Austausch von Informationen – Kommunikation – entspricht damit der gezielten Strukturierung einer Botschaft, um einen bestimmten strukturverändernden Einfluss auf die kognitive oder Wissensstruktur des Empfängers auszuüben. Die übermittelte Information ist selbst das Produkt des aktuellen Wissensstatus (State of Knowledge) des Senders. Generators

Texts

Recipients

Information

Anomalous state of Knowledge

linguistic Level of the system States of Knowledge cognitive Level of the system

Abbildung 3-9: System von Information und Kommunikation Quelle: (Belkin 1978, S. 81)

Ein Autor eines Textes trifft zunächst eine Auswahl eines bestimmten Teils seines Wissensstatus, den er kommunizieren will. Je nach Intention und auch in Abhängigkeit 61

von dem vermuteten Wissensstatus der Informationsempfänger wird die konzeptionelle Struktur des gewählten Themas angepasst. Der Prozess des Informationsaustauschs wird allerdings erst von einem Informationsbenutzer angestoßen, der bei sich selbst eine Fehlstelle, d.h. einen anomalen Wissensstatus entdeckt hat, die mit dem angebotenen Teil des Wissensstatus des Senders korrespondiert (Belkin 1978, S. 81). An diesem Punkt entsteht auf Seiten des Informationsbenutzers Informationsbedarf, allerdings kann er im Allgemeinen nicht genau spezifizieren, mit welcher Art von Information er diese Anomalie beheben kann (Belkin et al. 1982, S. 62). Im Sinne von ‚try and error’ wird er nun Anfragen an das Informationssystem formulieren. Die Antworten werden hinsichtlich ihrer Informationsstruktur interpretiert und geprüft, ob sie der Anomalie entsprechen und diese beheben können(Belkin 1978, S. 81). Für die weitere Auseinandersetzung mit Informationsbedarf schlägt Belkin vor, sich weniger auf die Beschreibung des Bedarfs zu konzentrieren, da dieser naturgemäß nur unzureichend formuliert werden kann, sondern mehr Aufmerksamkeit der Untersuchung und Unterstützung des Transfers von anomalem Wissensstatus zur Formulierung einer Informationsanfrage zu schenken (Belkin et al. 1982, S. 62). Eine Annäherung an diese Idee stellt ein von Oddy entwickeltes System dar, das zur Informationsrecherche anstatt einer Suchmaske eine graphische Repräsentation der verfügbaren Dokumente und deren Beziehungen untereinander in Kombination mit Metainformationen wie Autoren oder behandelte Themen anbietet (Belkin et al. 1982, S. 62). Mit dem Ziel, Empfehlungen für die Gestaltung von Informationssystemen abzuleiten, entwickelt Ellis (1989; 1993; 1997) ein Verhaltensmodell auf der Basis von Untersuchungen mit Forschern aus Natur-, Sozial- und Ingenieurswissenschaften. Über alle untersuchten Wissenschaftsdisziplinen hinweg können sechs generische Aktivitätsmuster im Informationsverhalten identifiziert werden (Ellis 1989, S. 241ff; Ellis et al. 1993, S. 360ff): Unter ‚Starting’ werden Aktivitäten zusammengefasst, die am Beginn einer Informationsrecherche stehen wie bspw. die Identifikation von Ausgangspunkten für eine Suche. Neben bekannten Informationsquellen werden auch neue Quellen mit in die Suche einbezogen. Ausgehend von einer Informationsquelle können weitere neue Quellen er-

62

schlossen werden. Ziel ist es, sich einen Überblick über das Recherchegebiet zu verschaffen und evt. Schlüsselkonzepte oder -quellen zu identifizieren. Das Verfolgen von Informationsspuren ausgehend von anfänglichen Informationsquellen wird als ‚Chaining’ bezeichnet, es kann sowohl rückwärts gewandt sein (wenn bspw. ausgehend von einem Text die zitierten Quellen recherchiert werden) oder auch vorwärts. Als Paradebeispiel für Chaining wird das Verfolgen von zitierten Quellen ausgehend von einer Publikation beschrieben, diese Aktivität scheint insbesondere typisch für die Recherche von Wissenschaftlern. Browsing wird als teils-zielgerichtetes oder teil-fokussiertes Durchstöbern von potentiell interessanten Themengebieten verstanden. Es dient dazu, sich einen ersten Zugang zu einem Gebiet zu erarbeiten, indem bspw. Überschriften oder Abstracts von Zeitschriftenartikeln überflogen werden, aber auch um in einem bestimmten Themengebiet auf dem Laufenden zu bleiben. Informationsquellen werden im Rahmen des ‚Differentiating’ nach ihrer Art und Qualität gefiltert, in ihrer Relevanz gewichtet und auch auf der Basis von persönlichen Einschätzungen bewertet. Laut Ellis werden im Allgemeinen drei Typen von Kriterien zur Bewertung angelegt, • Themenbezug, • Herangehensweise oder Perspektive sowie • Niveau bzw. Qualität oder Art der Behandlung des Themas (1989, S. 242). Die kontinuierliche Beobachtung eines Informationsgebietes durch regelmäßige Konsultation bestimmter, für das Gebiet zentraler Informationsquellen bezeichnet Ellis als ‚Monitoring’ (1993, S. 362). Zu diesen zentralen Informationsquellen gehören sowohl Veröffentlichungen als auch persönliche Kontakte. ‚Extracting’ bezeichnet das systematische Durchsuchen einer oder mehrerer Informationsquellen. Es dient in erster Linie dazu, sich einen vollständigen Überblick zu einem bestimmten Thema zu verschaffen (Ellis 1989, S. 242). In der Veröffentlichung von 1993 (Ellis et al.) werden noch zwei weitere Aktivitäten beschrieben, die allerdings in der Literatur nicht die nachhaltige Bedeutung erlangt haben wie die ursprünglichen sechs Aktivitäten: 63

‚Verifying’ beschreibt die Überprüfung von Rechercheergebnissen hinsichtlich ihrer Korrektheit. Die Notwendigkeit einer Überprüfung wird häufig von der Vertrauenswürdigkeit einer Quelle abhängig gemacht (Ellis et al. 1993, S. 364f). ‚Ending’ findet zumeist am Ende der Beschäftigung mit einem Thema statt, wenn noch letzte ungelöste Fragen zu beantworten sind (Ellis/Haugan 1997, S. 400) oder die gewonnenen Erkenntnisse im Lichte anderer oder aktueller Publikation reflektiert werden sollen (Ellis et al. 1993, S. 365; Ellis/Haugan 1997, S. 400). Die einzelnen Aktivitätsmuster des Informationsrecherchemodells nach Ellis weisen in unterschiedlichem Ausmaß ganz spezifische Bezüge zur Recherchetätigkeit von Wissenschaftlern auf. Insbesondere ‚Chaining’ oder auch ‚Ending’ scheinen typisch für die Literaturarbeit in den von Ellis untersuchten Wissenschaftsdisziplinen. Andere Aktivitätsmuster wie bspw. ‚Monitoring’ sind auch für Informationsbenutzer aus anderen Arbeitsdomänen plausibel. Im Gegensatz zu Modellen, die sich in erster Linie auf die Darstellung der Rechercheaktivitäten konzentrieren, bezieht Kuhlthau den Hintergrund der Informationsrecherche, den Problemlösungsprozess, als zentralen Bestandteil in ihr Modell mit ein (1991, S. 362). Sie stellt sich damit in die Tradition von Belkin, der als Auslöser für Informationsrecherche einen ‚anomalous state of knowledge’, d.h. eine Leerstelle im Wissensschatz des Informationsbenutzers, identifiziert (1978, S. 80f) und Wilson, der den Entstehungskontext des Informationsbedarfs als wichtigen Einflussfaktor für die Informationsrecherche sieht (1981). Kuhlthau schlägt den Prozess der Problemdefinition und -lösung als zentrales Gliederungsmerkmal für das Informationsrechercheverhalten vor. Von der Wahrnehmung eines Problems bis hin zu seiner Lösung werden in der Literatur Veränderungen hinsichtlich psychologischer und kognitiver Prozesse des Informationsbenutzers beschrieben, die Kuhlthau im Rahmen empirischer Studien mit Studenten und Wissenschaftlern in Verbindung mit physischen Aktivitäten bei der Informationsrecherche erhebt und so ein entsprechend gegliedertes Modell entwickelt (1991, S. 366ff). Der Information Seeking Process umfasst sechs Phasen, Initiation, Selection, Exploration, Formulation, Collection und Presentation, für die drei Dimensionen des Informationsverhaltens untersucht werden. Die betrachteten Dimensionen betreffen psychische (Gefühle), kognitive (Gedanken) und physische (Aktivitäten) Elemente des Benutzerverhaltens (Kuhlthau 1991, S. 366).

64

In der ‚Inititation’Phase wird sich der Informationsbenutzer laut Kuhlthau einer ‚Wissenslücke’ bewusst und fühlt sich unsicher. In dieser Phase geht es darum, den Informationsbedarf (kognitiv) zu erkennen und die damit zusammenhängende auslösende Aufgabe oder das Problem zu verstehen und vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen und Wissen zu bewerten. Zu diesem Zweck werden typischerweise mögliche relevante Themen und Herangehensweisen mit anderen diskutiert (Kuhlthau 1991, S. 366). Identifikation und Auswahl des groben Themas, das recherchiert werden soll, bzw. der Herangehensweise, nach der vorgegangen wird, geschehen in der ‚Selection’Phase. Nach der Entscheidung für ein Thema oder eine Herangehensweise tritt häufig Optimismus anstelle der bislang vorherrschenden Unsicherheit ein und die Bereitschaft, mit der Recherche zu beginnen. Mögliche Recherchethemen werden vor dem Hintergrund von persönlichen Interessen, Anforderungen aus der gestellten Aufgabe, verfügbaren Informationen und dem verfügbaren Zeitbudget bewertet. Außerdem werden die wahrscheinlichen Resultate für jedes mögliche Recherchethema abgeschätzt und der erfolgversprechendste Weg für die Recherche eingeschlagen. Rücksprache mit anderen oder auch oberflächliche Vorrecherchen sind typische Aktivitäten. Phasen im Information Seeking Process

Für die Phase typische Gefühle

Für die Phase typische Gedanken

Für die Phase typische Aktivitäten

Geeignete Aufgabe nach Kuhlthau

Allgemein/ Vage

Hintergrundinformationen Suchen

Informationsbedarf erkennen

1. Initiation

Unsicherheit

2. Selection

Optimismus

3. Exploration

Verwirrung/ Frustration/ Zweifel

4. Formulation

Klarheit

Enger gefasst/ klarer

5. Collection

Richtungsgefühl/ Vertrauen

Wachsendes Interesse

6. Presentation

Erleichterung/ Zufriedenheit oder Enttäuschung

Klarer oder fokussiert

Relevante Informationen suchen

Themen identifizieren Recherche, Informationsstand erweitern Focus formulieren

Relevante oder fokussierte Informationen suchen

Sammeln

Komplettieren

Tabelle 3-2: Information Seeking Process Quelle: in Anlehnung an (Kuhlthau 1991, S. 367)

65

Die ‚Exploration’Phase ist wiederum gekennzeichnet von zunehmender Verwirrung, Unsicherheit und Zweifel. Ziel ist es, sich in dem betreffenden Themengebiet zu orientieren und ausreichend Informationen zu sammeln, um sich auf das tatsächlich Gesuchte zu fokussieren oder eine persönliche Meinung zu bilden. Allerdings können zu diesem Zeitpunkt die gesuchten Informationen nur unpräzise spezifiziert werden, so dass die Konsultation von Informationssystemen mühsam ist. Typische Aktivitäten sind die Lokalisierung von Informationen über das grobe Thema sowie deren Aufnahme und Einordnung in das bislang vorhandene Wissen. Häufig passen neu gefundene Informationen nicht ohne weiteres in das bislang vorhandene gedankliche Modell, so dass diese Phase als frustrierend empfunden wird. Der Wendepunkt des Information Seeking Process ist die ‚Formulation’Phase. Das Gefühl der Unsicherheit verschwindet zu Gunsten von Selbstvertrauen und gedanklicher Klarheit. Die gefundenen Informationen werden analysiert und ein Schwerpunkt bzw. Fokus festgelegt sowie ggf. auch ein gedankliches Modell des untersuchten Themenfeldes entwickelt. In der ‚Collection’Phase werden dann Informationen zu dem zuvor eingegrenzten Themenfokus gesammelt, der gedanklich weiter bestimmt, ausgeweitet oder bestätigt wird. Durch diese Fokussierung können Suchanfragen an ein Informationssystem in dieser Phase besonders genau und zielführend formuliert werden. Informationen, die zu dem bestimmten Themenschwerpunkt passen, werden selektiert, allgemeine Informationen werden in dieser Phase nicht mehr benötigt. Selbstvertrauen und Interesse am Recherchethema nehmen kontinuierlich zu. Vorherrschende Gefühle in der ‚Presentation’Phase sind Erleichterung und Zufriedenheit im Fall einer erfolgreichen Recherche bzw. Enttäuschung bei Misserfolg. Die Ergebnisse der Recherche werden nach ihrer Komplettierung ihrem Zweck zugeführt bzw. präsentiert. Hierzu werden die gefundenen Informationen systematisiert und zusammengefasst. Neuere Untersuchungen befassen sich auch explizit mit dem Internet als Recherchemedium und analysieren Benutzerverhalten bei der Internetrecherche. Aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Browsertechnik in der Informationssystementwicklung sind die Erkenntnisse dieser Untersuchungen auch für die Gestaltung von Informationssystemen von Interesse. Vakkari sieht Informationsbedarf genau wie Belkin (1982, S. 62), Kulthau (1991) und Byström (1995) vor dem Hintergrund eines Problemlösungsprozesses (1999, S. 66

824). Darüber hinaus betont er die dynamische Veränderung von Informationsbedarf und Rechercheaktivitäten im Lauf dieses Prozesses sowohl durch die Interaktion von Informationsbenutzern mit Informationen (Vakkari 1999, S. 823) als auch durch kognitive Veränderungen v.a. durch die Formulierung eines Problemfokus (Vakkari 1999, S. 830). Die Formulierung des Problemfokus stellt folglich die zentrale Zäsur in seinem Modell dar. In Anlehnung an Kuhlthaus Modell (1991) fasst er Recherchephasen vor der Fokusbildung zusammen, in denen allgemeine Quellen konsultiert werden, da noch kein klares Bild von der Problemstruktur und den zur Lösung erforderlichen Informationen vorhanden ist. Vor Fokusbildung Phasen nach Kuhlthau: Initiation, Selection, Exploration Aktivitäten nach Ellis: Browsing, Chaining

Fokusbildung Phase nach Kuhlthau: Formulation

Nach Fokusbildung Phasen nach Kuhlthau: Collection, Presentation Aktivitäten nach Ellis: Ending

Tabelle 3-3: Problemfokussierung im Rechercheprozess Quelle: In Anlehnung an (Kuhlthau 1991, S. 367; Vakkari 1999, S. 832)

In den Phasen nach der Fokusbildung sind die Rechercheaktivitäten gezielter: Da es ein klar strukturiertes Bild von der Aufgabenstruktur gibt, können problemrelevante Informationen zielgerichtet gesucht werden (Vakkari 1999, S. 831). Choo et al. untersuchen Informationsverhalten bei Internetrecherchen und greifen zur Systematisierung der gefundenen Verhaltensmuster auf das Konzept von Aguilar (s.o.) aus der Organisationslehre zurück, das unterschiedliche Informationswahrnehmungsmodi beschreibt (1999, S. 3f). Sie kombinieren Aguilars Wahrnehmungsmodi mit den Aktivitätsmustern des EllisModells zu Informationsverhalten und wenden das resultierende Modell auf das Informationsverhalten von Individuen an (Choo et al. 2000). Anhand von Untersuchungen mit IT-Experten aus verschiedenen Unternehmen können sie bei Informationsbenutzern vier komplementäre Informationswahrnehmungsoder recherchemodi nachweisen, die mit jeweils spezifischen Motivationen für die Informationssuche verknüpft sind. Mit diesen unterschiedlichen Suchmodi gehen charakteristische Muster von Suchaktivitäten einher (Choo et al. 2000, S. 14).

67

Undirected Viewing

Conditioned Viewing

Informal Search

Starting

Chaining

Indentifying, selecting, starting pages and sites

Following links on intital pages

Browsing

Browsing entry pages, headings, site maps

Differentiating

Bookmarking; printing, copying; going directly to known site Bookmarking; printing, copying; going directly to known site

Formal Search

Monitoring Extracting

Revisiting ‘favorite’ or bookmarked sites for new information Revisiting ‘favorite’ or bookmarked sites for new information

Using (local) search engines to extract information

Revisiting ‘favorite’ or bookmarked sites for new information

Using (local) search engines to extract information

Abbildung 3-10: Informationsverhalten bei der Webrecherche Quelle: in Anlehnung an (Choo et al. 2000)

Bezüglich des von Ellis et al. beschriebenen Aktivitätsmusters ‚Monitoring’ nehmen sie für den Spezialfall der Internetrecherche eine Erweiterung vor, indem sie zwischen Pull-Monitoring und Push-Monitoring differenzieren (Choo et al. 2000, S. 15). Pull-Monitoring steht für die vom Informationsbenutzer selbst initiierte Beobachtung bestimmter Informationsquellen, während Push-Monitoring die automatische Belieferung mit Updates bspw. durch Newsletter o.ä. beschreibt. Bezüglich der zeitlichen Abfolge und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Suchmodi oder Aktivitätsmuster im Sinne eines Rechercheprozesses machen Choo et al. keine Aussagen. Foster schlägt ein nicht-lineares Modell des Informationsverhaltens vor, das sich aus drei Kernprozessen, Opening, Orientation und Consolidation, zusammensetzt, die vor einem dreistufig abgeschichteten Kontext ablaufen (2004). Unter Opening fasst Foster den Beginn einer Informationssuche zusammen, die geprägt ist von Aktivitäten wie der Definition des zugrunde liegenden Problems bzw. Fragestellung und ersten Schritten in Richtung der Exploration des betreffenden Recherchegebietes (Foster 2004, S. 233). Über diesen Prozess versuchen sich die Informationssuchenden innerhalb des Recherchegebietes zu orientieren, indem sie durch 68

erste Recherchen und Anfragen relevante Themen identifizieren. Die Aktivitäten innerhalb des Opening-Prozesses finden nicht nach einem linearen Ablaufschema statt, sondern stellen wechselseitig Grundlagen für weitere Opening-Aktivitäten oder auch Aktivitäten anderer Kernprozesse dar. Foster identifiziert innerhalb des OpeningProzesses zwei Aktivitätencluster: Breadth Exploration und Eclecticism. Abbildung 3-11 stellt den Zusammenhang dieser Aktivitäten schematisch dar. Am Beginn einer Informationssuche versuchen Informationsbenutzer das zu recherchierende Gebiet bewusst auszudehnen, um allen denkbaren Möglichkeiten, d.h. Informationstypen, -quellen und Fachrichtungen nachgehen zu können. Dieses Verhalten wird als Breadth Exploration bezeichnet. Ziel ist es, auf der Basis der Auswertung einer ersten, breit angelegten Recherche die Suche gezielt einschränken zu können.

Core Processes Opening

Orientation

Consolidation Cognitive Approach Internal Context External Context

Abbildung 3-11: Information-seeking Behavior Quelle: (Foster 2004, S. 232)

Eclecticism bezeichnet die Verhaltensweise, Informationen teilweise über beträchtliche Zeiträume aus ganz unterschiedlichen Quellen zu sammeln und zu archivieren, um später bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können. Es führt dazu, dass so viele Informationskanäle wie möglich benutzt werden, um möglichst viele Informationen zu möglicherweise interessanten Konzepten und Ideen zu sammeln. Neben diesen beiden Aktivitäten-Clustern spielt im Opening-Prozess eine weitere Aktivität, Networking, eine wesentliche Rolle. Der Kontakt zu Kollegen, Bekannten und anderen Personen aus dem näheren und weiteren Umfeld dient dazu, weitere In69

formationen und -quellen, gerade auch aus anderen Fachgebieten, zu identifizieren. Networking wird als Möglichkeit gesehen, bei begrenztem eigenen Wissen und begrenzter zeitlicher Ressourcen schnell einen Überblick über ein Recherchegebiet zu bekommen und sich innerhalb der Informationsflut zu orientieren. Der zweite Kernprozess wird mit dem Begriff ‚Orientation’ umschrieben. Er umfasst Aktivitäten, die dazu dienen, sich in der Menge der zur Verfügung stehenden Informationen ein Bild von der recherchierten Fragestellung zu machen, indem Schlüsselbegriffe und -themen identifiziert werden und Fachleute, die sich damit auseinander setzen (Foster 2004, S. 234). Während im Opening-Prozess möglichst breit recherchiert wird, geht es bei Orientation um Fokussierung und Konkretisierung der Fragestellung und darum, eine Vorstellung von den einzelnen Aspekten einer Fragestellung und deren Zusammenhängen zu erzielen. Hierzu werden auch bereits angesammeltes Wissen und Informationen einem Review-Prozess unterzogen, um ihre Anwendbarkeit auf die aktuelle Frage zu überprüfen und vorhandene Informationslücken aufzudecken. Der Orientation-Prozess kann Input aus Opening-Aktivitäten bekommen, kann aber gleichzeitig auch selbst wieder Anlass für Opening-Aktivitäten geben, wenn bspw. eine Informationslücke aufgedeckt wurde. ‚Consolidation’ als dritter Kernprozess bezeichnet die Zusammenführung und Bewertung von Rechercheergebnissen, um entscheiden zu können, ob noch weitere Recherche erforderlich ist. Der Consolidation-Prozess ist daher notwendigerweise eng mit Opening- und Orientation-Prozessen in Feedbackschleifen verzahnt. Die zentrale Aktivität für den Consolidation-Prozess ist die Überprüfung, ob die aktuellen Ergebnisse den Informationsbedarf decken. In diesem Zusammenhang muss auch die Definition und Abgrenzung der Ausgangsfragestellung kontinuierlich angepasst werden, um relevante Informationen zu identifizieren und die Suche entsprechend zu fokussieren. Eine weitere Voraussetzung für die Entscheidung über den Abschluss der Recherche ist die Integration der gefundenen Informationen und deren problemgerechte Organisation. Die dargestellten drei Kernprozesse werden beeinflusst durch den Kontext, in dem ein Informationsbenutzer recherchiert. Foster gliedert diesen Kontext in drei Schichten (Foster 2004, S. 232f): Der ‚External Context’ beinhaltet Einflussfaktoren aus dem sozialen oder organisationalen Umfeld des Recherchierenden, aber auch Aspekte wie Zeitbudget, das aktuelle Projekt oder Zugang zu Informationsquellen. Gerade für den Opening-Prozess spielt 70

das soziale Netzwerk eines Informationsbenutzers eine wichtige Rolle, da es über die Zugangsmöglichkeiten zu Informationsressourcen entscheidet. Unter ‚Internal Context’ versteht Foster den individuellen Erfahrungsstand und das Vorwissen eines Informationsbenutzers. Der ‚Cognitive Approach’ bezeichnet die Herangehensweise und die individuelle Einstellung des Informationssuchenden bezüglich der Identifikation von möglicherweise relevanter Information. Es werden vier unterschiedliche ‚Approaches’ differenziert, die sich hinsichtlich der Offenheit gegenüber neuen Perspektiven auf die recherchierte Fragestellung und das Umgehen mit diesen unterschiedlichen Ansätzen unterscheiden (vgl. Foster 2004, S. 233). Im Unterschied zu den meisten der bislang dargestellten Informationsrecherchemodellen konzentriert sich Ford ähnlich wie Belkin (s.o.) ausschließlich auf kognitive Aspekte der Informationsrecherche (2004). Ausgehend von dem Konzept der Information als ein Instrument, um Unsicherheit in einer bestimmten (problematischen) Situation zu reduzieren, definiert er als entscheidendes Merkmal einer solchen problematischen Situation die gedankliche Unvereinbarkeit zweier Konzepte, d.h. eine konzeptionelle Lücke oder Anomalie (Ford 2004, S. 770). Recherche bzw. Problemlösung dient in diesem Sinne dazu, Informationen (‚integrating themes’) zu finden, „by which otherwise discrete entities become integrated. Such integrating themes are essentially similarity relationships between concepts.” (Ford 1999, S. 528) integrating theme similarities

differences

discrete entity 1

anomaly/ gap

differences

discrete entity 2

Abbildung 3-12: Konzeptionelle Lücken und 'integrating themes' Quelle: In Anlehnung an (Ford 2004, S. 770)

Je nach Ausmaß der ursprünglich wahrgenommenen Unvereinbarkeit beinhaltet der Prozess der Verknüpfung Elemente des Verstehens, Problem-Lösens oder kreative E71

lemente wie bspw. beim Transfer von wissenschaftlichen Modellen einer Disziplin auf eine völlig neue Anwendungsdomäne. In den meisten Fällen sind die zur Integration der unvereinbaren Konzepte erforderlichen Informationen nicht unmittelbar vorhanden, so dass sich ein Informationsbedarf ergibt. Auch andere Konzepte problematisieren an dieser Stelle die Schwierigkeiten des Informationsbenutzers, einen exakten Informationsbedarf zu formulieren. Ford geht jedoch noch einen Schritt weiter, seine zentrale Fragestellung an diesem Punkt lautet: „To what extend, and how, can awareness of what integrating theme is required to resolve the anomaly – which is precisely what the individual does not possess at this stage – be generated?” (Ford 2004, S. 771). Den Schlüssel zu dieser Frage sieht Ford in der Iteration von Theorieformulierung und Theorietest, wie sie bereits von Popper formuliert wurde (Ford 2004, S. 771f). Ausgehend von einer ersten groben Vorstellung werden Informationen gesammelt, die die Formulierung einer provisorischen Theorie erlauben. Diese wird nun auf der Basis weiterer Informationen entweder verfeinert oder verworfen. In Kombination mit der Informationstheorie nach Shannon16 heißt das bezogen auf den Informationsrechercheprozess, dass basierend auf den Ausgangsinformationen eine Anfrage an ein Informationssystem ‚kodiert’ wird, deren Antwort nach ihrer Dekodierung zu einer ersten provisorischen Theorie hinsichtlich einer Problemlösung führt. Daraufhin kann ein weiterer Informationsabfrageschritt zum Test dieser Theorie ausgeführt werden. Diese Abfolge wird so lange wiederholt, bis eine Lösung gefunden ist. In Anlehnung an Konzepte aus der Konversationstheorie kann der Problemlösungsoder auch Verstehensprozess als Interaktion zwischen konzeptionellen Konversationspartnern (p-individuals) aufgefasst werden, diese können (müssen nicht) ‚mechanischen’ Konversationspartnern (Menschen, Maschinen) entsprechen (Ford 2004, S. 773). Grundelemente der Konversation sind Übereinstimmung oder Differenz der Konversationspartner im Hinblick auf ausgetauschte Konzepte. Eine Konversationsdomäne setzt sich aus Themenobjekten zusammen, die gemeinsam ein zusammenhängendes Themengebiet ergeben. Dieses Themengebiet kann über ein Netz von Vererbungen und assoziierte Aufgabenstrukturen abgebildet werden.

16

72

Siehe z.B. (Shannon 1948)

Innerhalb einer Konversationsdomäne gibt es warum-Beziehungen und wieBeziehungen, die die Interaktionstypen zwischen den Konversationspartnern widerspiegeln. Warum-Beziehungen beziehen sich auf die Art der Verknüpfung eines Themenobjektes mit anderen Themenobjekten. Wie-Beziehungen beschreiben das zugrunde liegende Konzept eines Themenobjektes. Participant 1 (e.g. learner or information seeker) may..

Participant 2 (e.g. teacher or information provider) may…

Ask “why?”

Offer an explanation of “why”

Ask “how?”

Offer an explanation of “how”

Offer an explanation of “why” Offer an explanation of “how”

Request from Participant 1 an explanation of “why?” Request from Participant 1 an explanation of “how”

Ask for a demonstration

Carry out a demonstration

Carry out a demonstration

Request Participant 1 to carry out a demonstration

Tabelle 3-4: Konversationselemente Quelle: (Ford 2004, S. 773)

Den Problemlösungsprozess bzw. Theoriebildungs- und -testprozess kann man sich in diesem Sinne als eine Konversation zwischen konzeptionellen Partnern (p-individuals) im Inneren einer Person (m-individual) vorstellen, die durch Informationen von außen gespeist wird, welche im Rahmen einer Interaktion mit einem Informationssystem gewonnen werden. Für diese äußere Interaktion ist es zunächst auf Seiten des Informationsbenutzers oder m-individual 1 erforderlich, die wahrgenommene Anomalie oder konzeptionelle Leerstelle auf der Basis einer ersten Hypothese in eine Informationsanfrage zu transformieren. Zu diesem Zweck wird der Informationsbenutzer sich ein Bild von der Logik des Informationssystems (m-individual 2) machen, um seine Anfrage auch möglichst so zu formulieren, dass sie von dem System adäquat verstanden wird. Auch das Informationssystem wird, je nach Intelligenz, versuchen, sich auf Basis der gestellten Anfrage ein Bild vom Informationsbedarf des Informationsnutzers zu machen. Bei Zurücklieferung einer Information vom System an den Informationsbenutzer erfolgt schließlich die Interpretation der Meldung.

73

M-Individual 1 P-Individual 1

inner dialogue

M-Individual 2 P-Individual 2

external dialogue

P-Individual 3

Knowledge state 1 Tentative theorie 1 Knowledge state 2 Tentative theorie 2 Knowledge state 3 Tentative theorie 3 Knowledge state 4 Tentative theorie 4

Encode information need Conversation resulting in agreements and non-agreements

Interpretation of what the information sources are saying

Encode information need Conversation resulting in agreements and non-agreements

Interpretation of what the information sources are saying

Encode information need Conversation resulting in agreements and non-agreements

Interpretation of what the information sources are saying

Interpretation by IR System of what the information seeker wants Decode source Interpretation by IR System of what the information seeker wants Decode source Interpretation by IR System of what the information seeker wants Decode source

Information sources

Information sources

Information sources

Abbildung 3-13: Konversationstheorie und Informationsrecherche Quelle: in Anlehnung an (Ford 2004, S. 774f)

Ein analoger Prozess der Theoriebildung über Verstehensmuster auf Seiten des Konversationspartners kann bereits bei der Generierung von Informationen bspw. durch den Autor eines Textes (m-individual 3) angenommen werden. Auch er macht sich eine Vorstellung von seiner Zielgruppe und wie er seine Botschaft so formuliert, dass sie adäquat verstanden wird (Ford 2004, S. 775). Die Konversationstheorie geht davon aus, dass Lernen und Verstehen im Sinne von warum- und wie-Strukturen geschieht, die auf ein bestimmtes Wissensgebiet abgebildet werden. Wenn eine Person zu einem bestimmten Thema sowohl das zugehörige Konzept, d.h. das „wie“ im Sinne von Prozeduren, als auch die entsprechenden Verknüpfungen, d.h. das „warum“ im Sinne von Beschreibungen, abrufen oder rekonstruieren kann, dann ist dieses Thema besonders gut lernbar. In diesem Zusammenhang bezeichnet man das Entwickeln von Beschreibungen ‚Verstehen-Lernen’ und das Entwickeln von Prozeduren ‚Ablauf-Lernen’, die effektive Kombination aus beiden Lernformen heißt ‚versatile Learning’ (Ford 2004, S. 775). Dem Entwickeln von Beschreibungen entspricht der Aufbau von konzeptionellen Karten, die Themen und ihre Beziehungen untereinander hierarchisch vernetzt abbilden. Eigenschaften werden entlang von Baumstrukturen vererbt, so dass sich die Ei74

genschaften eines Themas oder Objektes direkt von den verknüpften anderen Themen ableiten lassen. Das Entwickeln von Prozeduren ist gekennzeichnet durch die Verknüpfung von Aufgabenstrukturen, die bei ihrer Ausführung als Ergebnis die Instantiierung eines Themas haben. Während das Entwickeln von Beschreibungen von Seiten eines Informationssystems durch das Angebot von Klassifikation oder Ontologien, die Beziehungen zwischen Themen abbilden, unterstützt werden kann, ist für das Entwickeln von Prozeduren eher die detaillierte Information aus einem Volltext erforderlich (Ford 2004, S. 776). Informationssuchverhalten Unter dem Stichwort Informationssuchverhalten werden physische und kognitive Prozesse untersucht, die bei einer konkreten Informationssuche vor sich gehen. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, inwieweit Vorwissen über die Recherchedomäne diese Suchaktivitäten beeinflusst. Allen (1991) und Wildemuth (2004) weisen nach, dass dieses Domänenvorwissen insofern zu einer erfolgreicheren oder schnelleren Suche führt, als die Informationsbenutzer mit umfangreichen Kenntnissen exaktere Anfragen formulieren können bzw. im Fall eines nicht zufrieden stellenden Ergebnisses ein größeres Repertoire an alternativen Suchbegriffen zur Verfügung haben. 3.2.1.2 Kontext von Informationsverhalten „Context is the quark of communication theory; everyone knows it is there, but nobody is sure where – or what – it is.” (Keith 1994, S. 229)

Unabhängig vom Prozess der Informationsbeschaffung werden im Rahmen der Benutzerforschung auch die Einflussfaktoren und Auslöser für Informationsbedarf untersucht. In der Literatur zeigen sich zwei prinzipielle Herangehensweisen: Einerseits Ansätze, die versuchen ein möglichst umfassendes Bild des Kontextes von Informationsverhalten zu zeichnen wie bspw. Paisley (1968) oder Allen (1969). Andere Ansätze konzentrieren sich eher auf die Untersuchung einer bestimmten Gruppe von Einflussfaktoren wie z.B. die Aufgabenstruktur eines Informationsbenutzers (Byström/Järvelin 1995). Paisley schlägt ein deskriptives Klassifikationsmodell vor, das Informationsquellen bzw. -kanäle als um den Benutzer konzentrisch abgeschichtete Umsysteme darstellt (1968, S. 7ff). Es werden sieben (Um)Systeme differenziert (siehe Abbildung 3-14), 75

die durch drei periphere Systeme ergänzt werden. Die Gesamtheit dieser Systeme wird von Bock als das Aktionssystem einer Person definiert, das er in drei Ebenen gliedert, das kulturelle, das soziale und das Persönlichkeitssystem (Bock 1972). Die Person oder ‚the scientist within his own head’ (Paisley 1968, S. 9) steht im Zentrum der Umsysteme. Auf dieser Ebene entscheidet die individuelle Beurteilung der Nützlichkeit und Zugänglichkeit darüber, welche Informationskanäle genutzt werden. Ausschlaggebend für Auswahl sind Erfahrungen mit der Nutzung bestimmter Informationskanäle.

rechtliches System

wirtschaftliches System kulturelles System

formelle Information

politisches System Mitgliedschaftsgruppe Bezugsgruppe invisible College formale Organisation Arbeitsteam Person kulturelles System

Soziales System

Persönlichkeitssystem Aktionssystem

Soziales System

kulturelles System

Abbildung 3-14: Benutzermodell nach Paisley und Bock Quelle: in Anlehnung an (Paisley 1968; Bock 1972)

Als erstes Umsystem wird das Arbeitsteam beschrieben, das in zweierlei Hinsicht Einfluss hat auf das Informationsverhalten von Individuen: Zum einen stellen die Personen in der nächsten Arbeitsumgebung eine der wichtigsten Informationsquellen dar, zum anderen hat die Aufgabenstruktur eines Arbeitsteams einen großen Einfluss darauf, welche Informationskanäle gewählt werden (Paisley 1968, S. 10f). In Anlehnung an Allen (1966) betont der die Rolle des ‚Gatekeepers’, der innerhalb eines Arbeitsteams in besonderem Maß externe Informationen sammelt und nach innen kanalisiert. Wichtige Informationsimpulse ergeben sich innerhalb eines Arbeitsteams auch dadurch, dass der Austausch zwischen Kollegen mit unterschiedlichen In76

teressensgebieten für den Einzelnen relevante Anhaltspunkte liefert, nach denen er selbst nicht gesucht hätte (Paisley 1968, S. 12). Der Einfluss der formalen Organisation wirkt in erster Linie durch die Organisationspolitik im Hinblick auf die Nutzung und Zugänglichkeit von Informationsquellen und -kanälen. Zudem haben Funktion und hierarchische Position eines Informationsbenutzers innerhalb einer Organisation auch Auswirkungen auf sein Informationsverhalten (Paisley 1968, S. 14). Mit ‚Invisible College’ wird eine Gruppe von Wissenschaftlern bezeichnet, die an einem gemeinsamen Thema interessiert ist und sich dazu über Organisationsgrenzen hinweg formell (über Publikationen) und informell (Konferenzen, Foren) austauscht (Paisley 1968, S. 14). Editoren von maßgeblichen Fachzeitschriften eines Invisible Colleges nehmen eine Gatekeeperfunktion ein. Die Systeme Bezugsgruppe (‚Reference Group’) und Mitgliedschaftsgruppe (‚Membership Group’) unterscheiden sich vom ‚Invisible College’ in erster Linie durch ihren zunehmenden Umfang und das Fehlen direkter informeller Kommunikation zwischen den Mitgliedern (Paisley 1968, S. 15ff). Alle drei Ebenen beziehen sich explizit auf die Kommunikations- und Veröffentlichungspraxis von Wissenschaftlern. Das politische System, in dem ein Informationsbenutzer agiert, hat Einfluss auf Art, Menge und Struktur der zur Verfügung stehenden Informationsquellen, indem es einerseits für die entsprechenden Etats verantwortlich ist und andererseits Entscheidungen über die Zugänglichkeit und Verbreitung von Informationen fällt (Paisley 1968, S. 22). Für die Publikation (wissenschaftlicher) Informationen ist auch das kulturelle System verantwortlich, das entscheidet, nach welchen Kriterien Ergebnisse beurteilt werden und somit über deren Publikation die Verfügbarkeit dieser Erkenntnisse reglementiert (Paisley 1968, S. 23). Formelle Informationssysteme wie Bibliotheken liefern einen zentralen Zugang zu publizierten Informationen. Die Qualität der Systematiken und Kataloge entscheidet über Zugänglichkeit und Nutzung. Allen überarbeitet das Modell von Paisley, indem er die ursprünglich 10 Einflussfaktoren zu 6 zusammenfasst (1969, S. 5). Ausgehend von einem zentralen Individuum werden fünf Umsystemdimensionen differenziert (Allen 1969, S. 5ff):

77

• Bei der Betrachtung des Informationsbenutzers im Zentrum der Umsysteme bezieht Allen neben der Wahl der Informationskanäle auch die Nutzung von Informationen mit ein. Die Bevorzugung einzelner Kanäle hängt nicht nur von Nutzungserfahrungen, sondern auch von der konkreten Problemstellung ab. Es werden unterschiedliche Typen oder Kategorien von Informationsbedarf unterschieden: Informationen, die benötigt werden, um Ideen zu generieren und Informationen, die zur Problemdefinition dienen. Im ersten Bedarfsfall werden v.a. schriftliche Informationskanäle benutzt, im zweiten persönliche Gespräche bzw. Diskussionen. Literaturrecherche dient häufig als Einstieg in ein Themengebiet, um persönliche Gespräche bspw. mit Gatekeepern vorzubereiten. • Im Sinne der von Allen festgehaltenen Definition umfasst das Arbeitsteam als Informationssystem nicht nur die direkt an einem gemeinsamen Projekt beteiligten Mitarbeiter, sondern alle, die direkt oder indirekt als Informations- oder Ideenlieferanten mitwirken. • Die Organisation, in der ein Informationsbenutzer arbeitet, nimmt zunächst durch ihre formalen und hierarchischen Strukturen und explizite sowie implizite Regeln für die Informationsweitergabe Einfluss auf das Informationsverhalten. Darüber hinaus hat auch die informelle Organisation, d.h. die persönlichen Beziehungen zwischen Kollegen Auswirkungen auf die Informationsweitergabe und die Wahl von Informationskanälen. Allen führt auch empirische Hinweise dafür an, dass die architektonische Gestaltung von Bürogebäuden oder Forschungseinrichtungen in Form von physischen Distanzen zwischen Kollegen und der Atmosphäre von Treffpunkten direkt die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, mit der persönliche Gespräche und Informationsaustausch stattfinden. • Unter dem Begriff ‚Professional Society’ fasst Allen die von Paisley (s.o.) differenzierten Systeme der ‚Reference Group’ und der ‚Membership Group’ zusammen. Ähnlich wie bei Paisley ist hier der Fokus auf die Arbeit von Wissenschaftlern am deutlichsten, da die Professional Society als Synonym für die internationale Wissenschaftsgemeinschaft zu einer bestimmten Disziplin verstanden wird. Sie dient als Austauschplattform über Konferenzen und Publikationen, um eigene Erkenntnisse zu diskutieren und neue Erkenntnisse anderer aufzunehmen.

78

• ‚Invisible Colleges’ werden analog zu Paisley definiert, allerdings wird ihre Bedeutung bzw. der Nachweis ihrer Bedeutung kritisch gesehen, da die meisten Untersuchungen zu Invisible Colleges keine eindeutigen Befunde erbringen. • Allen rechnet zu formellen Informationssystemen auch regelmäßig erscheinende Fachpublikationen. Kriterien wie vollständige Abdeckung des betreffenden Themengebietes sind ausschlaggebend für die Rezeption durch die Zielgruppe. Während Paisley und Allen sich auf den Informationskontext eines Individuums konzentrieren, ohne die Auslöserfaktoren für Informationsbedarf zu untersuchen, entwickeln Wilson (1981) und Leckie et al. (1996) ähnliche konzentrische Konstrukte, um die Entstehung von Informationsbedarf zu beschreiben (s.o.). Zahlreiche Autoren beschäftigen sich jedoch ganz gezielt mit einem einzelnen Aspekt wie bspw. der Aufgabenstruktur eines Akteurs innerhalb des Kontextes von Informationsbedarf. Aufgabenstruktur als Einflussfaktor Die Aufgabenstruktur bzw. die Arbeitsinhalte eines (aus beruflicher Motivation handelnden) Informationsbenutzers sind der wichtigste Einflussfaktor auf seinen Informationsbedarf. Das wird schon 1972 von Lin und Garvey in einem Überblick zum aktuellen Stand der Benutzerforschung festgehalten (1972, S. 8). Als entscheidende Merkmale identifizieren sie einerseits, ob die Arbeit – bezogen auf Wissenschaftler – eher Grundlagen betrifft oder angewandt ist, was Einfluss auf den Aktualitätsgrad der benötigten Informationen habe (Lin/Garvey 1972, S. 9f). Andererseits spiele die Wissenschaftsdisziplin eine Rolle im Hinblick auf die Nutzung von Bibliotheken als Informationskanal. Byström und Järvelin setzen sich zum Ziel, den Einfluss der Aufgabenstruktur eines Informationsbenutzers auf seinen Informationsbedarf zu untersuchen (1995). Um bestimmten Aufgabenklassen einen bestimmten Informationsbedarf in Form einer oder mehrerer benötigten Informationsarten zuweisen zu können, unterscheiden sie zunächst drei Informationskategorien: Domäneninformationen (Hintergrundinformationen zu einem bestimmten Bereich), Probleminformationen (charakteristische Merkmale des gestellten Problems/ Aufgabe) und Problemlösungsinformationen (Informationen zum Umgang/ zur Lösung eines Problems/ Aufgabe) (Byström/Järvelin 1995, S. 192). Aufgabenklassen werden nach ihrer Komplexität unterschieden, charakteristische Kriterien für die Bestimmung von Komplexität sind der Grad an Vorbestimmtheit 79

oder Strukturiertheit einer Aufgabe, d.h. in welchem Ausmaß ist Ablauf und Ergebnis einer Aufgabe determiniert und der Umfang einer Aufgabe (Byström/Järvelin 1995, S. 193f). Aus der Kombination der Kriterien ergeben sich bei Byström und Järvelin fünf Aufgabenklassen, von denen sie für die Klassen II bis V empirische Befunde in einer finnischen Stadtverwaltung ermitteln: I.

echte Entscheidungsaufgaben

II.

bekannte, echte Entscheidungsaufgaben

III.

normale Entscheidungsaufgaben

IV.

normale Informationsverarbeitungsaufgaben

V.

automatische Informationsverarbeitungsaufgaben.

Der Zusammenhang zwischen Aufgaben und Informationsbedarf ergibt sich dadurch, dass ein Individuum eine Aufgabe und deren Informationserfordernisse interpretiert und daraus einen bestimmten aufgabenspezifischen Informationsbedarf ableitet (Byström/Järvelin 1995, S. 192). Aufgabentyp

80

Art der Aufgabe

Informationsbedarf

I

Unerwartete, neue und unstrukturierte Aufgabe, d.h. weder Ergebnis oder Prozess, noch Informationsbedarf können vorab definiert werden. Bsp.: Reaktion v. Regierungen auf d. Zusammenbruch des Sowjetregimes.

II

Art und Struktur der Entscheidungsergebnisse sind bekannt, aber bislang gibt es noch kein Standardvorgehen. Bsp.: Standortentscheidung f. eine Produktionsstätte

In erster Linie werden Problemlösungsinformationen benötigt

III

Strukturierte Aufgabe, deren Hauptbestandteil fallbasierte Entscheidungen sind. Bsp.: Einstellung eines Mitarbeiters

Komplexe Informationen werden benötigt, neben Probleminformationen werden auch

Genutzte Informationsquellen und -kanäle

Anwendbarkeit der Informationen

Keine Untersuchungsergebnisse

Keine Nutzung von Recherchekanälen, Informationsquellen sind zumeist interne Ansprechpartner, pro Aufgabe werden im Allg. drei Experten und weitere interne Quellen konsultiert. 4-5 Quellen werden benötigt, fast alle Quellen sind intern, häufig kommen neue Quellen hinzu, in erster Linie allgemeine Quellen (Experten, Literatur);

Die gefundenen Informationen sind nur z.T. anwendbar

Gute Anwendbarkeit der gefundenen Informationen

Aufgabentyp

Art der Aufgabe

Informationsbedarf Problemlösungs- und Domäneninformationen benötigt

IV

Weitgehend strukturierte Aufgabe, die allerdings auch fallbasierte Entscheidungen erfordert. Bsp.: Bestimmung der Steuerklasse

V

Vollständig strukturierte/ routinisierte Aufgabe, die theoret. auch automatisiert werden könnte. Bsp.: Berechung des Nettoeinkommens

Fast ausschließlich Probleminformationen

Fast ausschließlich Probleminformationen

Genutzte Informationsquellen und -kanäle nur wenige Recherchekanäle werden genutzt

Drei oder mehr Informationsquellen werden benötigt, größere Varianz der benötigten Quellen, viele Quellen sind intern (Dokumente, involvierte Personen), auch Nutzung von allgemeinen Quellen (Experten, Literatur); kaum Nutzung von Recherchekanälen; Konzentration auf wenige Informationsquellen (1-2), diese sind bekannt (Fachbücher, etc.), daher nur in 50% Nutzung von internen Recherchekanälen (Bibliothekskatalog, Register, ..)

Anwendbarkeit der Informationen

Gute Anwendbarkeit der gefundenen Informationen

Hohe Anwendbarkeit der gefundenen Informationen zur Aufgabenbewältigung

Tabelle 3-5: Aufgabenkomplexität und Informationsbedarf Quelle: In Anlehnung an (Byström/Järvelin 1995, S. 192ff)

Die Ergebnisse zeigen, dass mit zunehmender Komplexität der Aufgaben auch die Komplexität des Informationsbedarfs zunimmt (Byström/Järvelin 1995, S. 208f). Es werden verschiedenartigere und zunehmend externe Informationen benötigt, und auch der Anteil an benötigten Domänen und v.a. Problemlösungsinformationen steigt. In gleicher Richtung verändern sich die genutzten Informationsquellen, von faktenorientierten Quellen hin zu allgemeinen Quellen, die als Lieferant für aggregierte und angereicherte Informationen zur Problemstrukturierung und -lösung herangezogen werden. Mit zunehmender Aufgabenkomplexität werden Rechercheerfolge geringer und die Anwendbarkeit der gefundenen Informationen nimmt ab. Dies wird damit erklärt, dass bei komplexen Aufgabenstellungen der entsprechende Informationsbedarf häufig unklar ist und recherchierte Informationen erst aufwändig auf die aktuelle Aufgabensituation übertragen werden müssen. Die spärliche Nutzung von Recherchekanälen wird 81

darauf zurückgeführt, dass die erforderlichen Informationsquellen bei einfacher strukturierten Aufgaben ohnehin bekannt sind, während es bei komplexen Aufgaben schwer fällt, Rechercheanfragen zu formulieren und daher allgemeine Quellen zur Orientierung genutzt werden. Arbeitsdomäne als Einflussfaktor Ein Großteil der empirischen Untersuchungen zu Informationsverhalten beschäftigt sich mit Informationsbedarf und Rechercheverhalten von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Allerdings gibt es auch einige Studien, die sich mit dem Informationsverhalten anderer Berufs- oder Gesellschaftsgruppen auseinandersetzen. Aguilar hat in seiner Untersuchung das Informationsverhalten von Managern in Chemieunternehmen untersucht (1967), Leckie et al. haben Anwälte, Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer u.a. unter dem Oberbegriff ‚Professionals’ beforscht (1996) und Byström/ Järvelin beschäftigten sich mit Mitarbeitern einer Stadtverwaltung (1995). Allerdings hatte keine der genannten Untersuchungen die Bestimmung der charakteristischen Informationsbedarfsmerkmale oder entsprechender Einflussfaktoren einer spezifischen Berufsgruppe zum Ziel. Auster und Choo untersuchen 1994 das Informationsverhalten von CEOs in kanadischen Unternehmen mit dem Fokus, deren Vorgehen bei der Umfeldbeobachtung näher zu beschreiben (1994). Es zeigt sich, dass die Natur der Entscheidungen, die eine Führungskraft zu treffen hat, ausschlaggebend für ihren jeweiligen Informationsbedarf ist. Demzufolge unterscheiden Auster/ Choo in Anlehnung an Mintzberg (1975) vier Entscheidungs-Rollen (1994, S. 611f): 1. In der ‚entrepreneur decisional role’ werden Entscheidungen getroffen, die von strategischer Bedeutung für das ganze Unternehmen sind. 2. In der ‚resource allocator decisional role’ sind Entscheidungen bezüglich der Zuteilung bzw. Umverteilung von Ressourcen zu treffen. 3. In der ‚disturbance handler decisional role’ sind Entscheidungen im Hinblick auf die Lösung von Problemen oder dem Umgang mit bestimmten Herausforderungen zu treffen. 4. In der ‚negotiator decisional role’ hat eine Führungskraft Verhandlungsentscheidungen zu treffen. Je nach Entscheidungssituation nehmen Führungskräfte unterschiedliche Rollen wahr. 82

Bezüglich des Informationsbedarfs in den verschiedenen Entscheidungssituationen finden Auster/ Choo, dass insbesondere im Fall von ‚entrepreneur decisions’ Informationen über das Unternehmensumfeld benötigt werden (1994, S. 614). Die Beobachtung des Unternehmensumfelds liefert Anhaltspunkte über Chancen und mögliche Probleme für das Unternehmen, auf die mit Entscheidungen reagiert werden muss. Je größer der Umfang der über das Umfeld gesammelten Informationen, umso größer ist die Chance, dass hier auch schon Hinweise auf Lösungen und Entscheidungsalternativen gefunden werden. Inhaltlich konzentrieren sich die überwachten Bereiche auf Konkurrenten, Kunden, Technologieentwicklung und Behörden. Über alle Entscheidungsrollen hinweg zeigt sich eine Präferenz der Führungskräfte für persönliche Informationsquellen, d.h. persönliche Gespräche face-to-face oder per Telefon. Dies wird damit erklärt, dass ein Großteil der Informationen über die Unternehmensumwelt mehrere Interpretationen zulässt. Um Entscheidungen zu treffen, ist es für eine Führungskraft aber unerlässlich, sich zu diesen Punkten eine Meinung zu bilden. Hierfür sind persönliche Gespräche als Informationskanal besonders gut geeignet, da sie spontane Reaktionen und Feedback beinhalten und über Mimik, Gestik usw. auch die Übermittlung von Informationen erlauben, die über reine Fakten hinausgehen. Sie werden daher auch als informationsintensive (information rich) Quellen bezeichnet (Auster/Choo 1994, S. 616). Keane (1999, S. 435ff) beobachtet ebenfalls für die Beschreibung des Informationskontextes von CEOs verschiedene Merkmale zu deren Informationsversorgung und Informationsnutzung. Diese Untersuchung ist insbesondere wegen der zur Beschreibung genutzten Variablen interessant. Hinsichtlich der Informationsversorgung wird unterschieden in Informationsquellen, Liefermechanismen für die Informationen und Inhalt der Informationen. Informationsquellen: Es zeigt sich, dass CEOs in der Hauptsache von externen Ansprechpartnern mit Informationen versorgt werden, erst danach folgen direkt unterstellte Mitarbeiter. Politische Informationen spielen für Manager staatlicher Organisationen eine größere Rolle als für Manager von Wirtschaftsunternehmen. Der weitaus größte Teil der Informationen wird CEOs zugetragen, ohne dass eine gezielte Anfrage erfolgt. Mehr als die Hälfte der Informationen stammt aus externen Quellen, das Verhältnis von formellen und informellen Quellen ist allerdings ausgeglichen. Liefermechanismen (= Informationskanäle): Die meisten Informationen werden mündlich kommuniziert, die eigene Recherche am Computer spielt eine untergeordne83

te Rolle. Der wichtigste Ort, an dem Informationen in Empfang genommen werden, ist das eigene Büro oder Besprechungszimmer. Externe Orte wie Konferenzen oder gesellschaftliche Treffpunkte sind eher unwichtig. Inhalt der Informationen: Keane unterscheidet drei Informationskategorien, Fakten, Meinung und Gerücht. Fakten und Meinungsinformationen nehmen beinahe gleichrangig den Hauptteil der Informationsversorgung ein (90%). Informationen mit Gegenwarts- und Zukunftsbezug stehen zu gleichen Teilen im Vordergrund. Vergangenheitsbezogene Informationen werden nur zu 10% benötigt. Zwei Drittel der genutzten Informationen bezieht sich auf interne Bereiche des Unternehmens. 3.2.1.3 Typologisierung von Informationsnutzern Neben der detaillierten Untersuchung des Informationsbedarfs von Individuen bemüht sich die Benutzerforschung auch um die Generalisierung von Informationsbedarfsmerkmalen hin zu Benutzertypen. Personen, die zu einem Benutzertyp zusammengefasst werden, zeichnen sich durch einen gleichen oder vergleichbaren Informationsbedarf aus (Koreimann 1975, S. 78). Hintergrund der Typologisierung von Benutzern ist das Bestreben, Personen mit jeweils ähnlichem Informationsbedarf zu identifizieren, um ein auf die Bedürfnisse dieser abstrahierten Benutzertypen zugeschnittenes Informationsangebot entwickeln zu können. Bei der Charakterisierung des Informationsbedarfs steht nicht die individuelle Abbildung des Informationsverhaltens eines einzelnen Nutzers im Mittelpunkt, sondern die standardisierte Beschreibung vieler Nutzer anhand von vorab festgelegten Merkmalen und deren Ausprägungen (Kschenka 1973). Diese Merkmale und Merkmalsausprägungen werden durch die Operationalisierung der oben dargestellten Konzepte zu Umwelteinflüssen auf das Informationsverhalten entwickelt und über verschiedene Methoden der empirischen Sozialforschung untersucht (vgl. Kluck 1997, S. 799). 3.2.2

Eignung/Anwendung der Ansätze der Benutzerforschung zur Bestimmung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

• Die Modelle zum Informationsverhalten liefern einen Überblick über Einflussfaktoren auf den Informationsbedarf von (Kommunal)Managern entsprechend der von Reinermann geforderten erweiterten Betrachtung (Reinermann 1999, S. 198ff). Sie können als Rahmen herangezogen werden, um ein möglichst vollständiges Bild des Informationsbedarfs zu bestimmen.

84

• Ansätze zur Informationsrecherche betrachten unterschiedliche „informationsbedarfsbestimmende Faktoren“ (Koreimann 1975, S. 82) wie bspw. Aufgabenstruktur (siehe (Byström/Järvelin 1995) und geben Anhaltspunkte auf deren Auswirkungen auf Informationsbedarf. • Die Idee der Benutzertypologie entspricht der Systematisierung der einzelnen Informationsbedarfsvariablen und deren Abstraktion vom Individuum hin zur Definition von Benutzergruppen, die aufgrund typischer Kombinationen von Informationsbedarfsmerkmalen gebildet werden.

85

3.3

Gemischte Verfahren der Informationsbedarfsanalyse

Gemischte Verfahren der Informationsbedarfsanalyse kombinieren ein auf objektiven Kriterien basierendes Untersuchungsraster mit der Erhebung subjektiver Einschätzungen oder Bewertungen der Informationsbenutzer (Schneider 1990, S. 233). Ausgangspunkt für die Entwicklung von Untersuchungsrastern ist die Analyse von Management- oder Entscheidungsbereichen wie im Fall der Methoden Balanced Scorecard und Kritische Erfolgsfaktoren oder auch die Betrachtung der aktuellen Informationssituation und des Arbeitskontextes. 3.3.1

Methode Bestimmung der Kritischen Erfolgsfaktoren

Die Methode der Bestimmung Kritischer Erfolgsfaktoren (KEF) basiert auf einem Verfahren, das von Rockart (1979) entwickelt wurde, um die Informationsbedürfnisse des Topmanagements zu ermitteln. Rockhart definiert Kritische Erfolgsfaktoren als „for any business the limited number of areas in which results, if they are satisfactory, will ensure successful competitive performance for the organization. They are the few key areas where “things must go right” for the business to florish”. (Rockart 1979, S. 85). Folglich entsprechen Kritische Erfolgfaktoren genau den Bereichen, die von Führungskräften kontinuierlich überwacht werden und über die sie entsprechende Informationen als Entscheidungsgrundlage benötigen. Kritische Erfolgsfaktoren sind auf Grund individueller Präferenzen für jeden Manager spezifisch ausgeprägt, dennoch gibt es fünf Quellen für kritische Erfolgsfaktoren, die bei der Erhebung generell berücksichtigt werden sollten (Rockart 1979, S. 86; Bullen/Rockart 1981, S. 14ff): • Die Branche, in der ein Unternehmen tätig ist, weist charakteristische Erfolgsfaktoren auf, die von allen Unternehmen der Branche beachtet werden. • Die Wettbewerbsstrategie bspw. Marktführerschaft und die Position eines Unternehmens innerhalb seiner Branche legt weitere Kritische Erfolgsfaktoren wie bspw. die Wettbewerbsstrategie der Konkurrenz fest. • Obwohl ein Unternehmen auf Umweltfaktoren wie Politik und Konjunktur naturgemäß wenig Einfluss hat, generieren auch sie Kritische Erfolgsfaktoren.

86

• Temporäre Faktoren sind nur für einen bestimmten Zeitraum in einer Ausnahmesituation erfolgskritisch. • Die inhaltliche Ausrichtung der jeweiligen Managementposition bringt ebenfalls bestimmte charakteristische Kritische Erfolgsfaktoren mit sich. Bullen schlägt vor, die ermittelten Erfolgsfaktoren nach zwei Dimensionen zu differenzieren, zum einen nach der Unterscheidung in interne und externe Faktoren und in beobachtend und aufbauende bzw. anpassende Faktoren (1981, S. 17). Die Überwachung der Produktionskosten wäre in diesem Zusammenhang ein beobachtender, während die Produktneuentwicklung einen aufbauenden Faktor darstellt. Zur systematischen Visualisierung der Kritischen Erfolgsfaktoren wird ein dreidimensionales Raster entlang der dargestellten Dimensionen intern – extern und beobachten – aufbauend sowie der dargestellten 5 Quellen für Erfolgsfaktoren vorgeschlagen. UnternehmensAkquisen

Branche Strategie

Konjunktur

neue Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben/ aufbauen

Umwelt aufbauend

temporär

Betriebsklima

Position

beobachtend extern

intern

Abbildung 3-15: Dimensionen der Kritischen Erfolgsfaktoren Quelle: In Anlehnung an (Bullen/Rockart 1981, S. 18)

Die Erhebung der Kritischen Erfolgsfaktoren beinhaltet Interviews und Diskussionen mit Führungskräften des betreffenden Unternehmensbereichs, um neben Erfolgsfaktoren und den zugehörigen Indikatoren auch mehr über die Organisation sowie individuelle Ziele und Motive der Führungskräfte zu ermitteln (Bullen/Rockart 1981, S. 38ff).

87

Im Laufe des Interviews werden die oben genannten Erkenntnisziele bzw. -bereiche erörtert. Im Rahmen der Auswertung der Interviews werden die ermittelten Erfolgsfaktoren mit den dargestellten Klassen und Dimensionen verglichen, um sicher zu gehen, dass alle wesentlichen Arbeitsbereiche der Führungskräfte abgedeckt wurden (Bullen/Rockart 1981, S. 62ff). Über Vergleiche der ermittelten Faktoren werden Übereinstimmungen zwischen den individuellen Kritischen Erfolgsfaktoren identifiziert (siehe Tabelle 3-6). Diese Übereinstimmungen stellen eine gute Näherung der organisationsweit relevanten Erfolgsfaktoren dar. Auf dieser Basis können für die Deckung des Informationsbedarfs zentrale Quellen abgeleitet werden. CSFs Corp. Executives Holding Co.: Harris Connors Wolsky Property & Casualty: Pollack Contreras Jordan Holloway Life: Wensley Firenze Washington Rubenstein

Human Resource

Strategy

Efficiency of Quality of Operation Service

Pricing Strategy

1 5 2

2 1 3

3 2 1

4 -

5 4

3 1 2 5

1 4 -

5 1

2 3 1 2

2 -

3 3 4 -

1 4 1 1

2 -

1 3 -

4 2 2 2

Tabelle 3-6: Auflistung der individuellen Kritischen Erfolgsfaktoren17 Quelle: (Bullen/Rockart 1981, S. 39)

Laut Rockart ist ein wesentlicher Vorteil der Methode der Kritischen Erfolgsfaktoren der, dass über die systematische Ermittlung von Informationsbedarf in Abhängigkeit von Erfolgsfaktoren die Tendenz vermieden wird, sich bei der Gestaltung von Informationssystemen in erster Linie an den leicht verfügbaren Informationsquellen zu orientieren (1979, S. 88).

17

88

Anmerkung: Die Zahlen geben die Priorität (1 = hoch, 5 = niedrig) des jeweiligen KEF an, keine Zahl heißt, der KEF wurde von dem betreffenden Manager nicht genannt. Die Kreise zeigen gemeinsame KEF innerhalb einer Organisationseinheit an.

Die Erhebung von Kritischen Erfolgsfaktoren, wie sie von Bullen und Rockart beschrieben wird, ist vergleichsweise aufwändig und liefert gleichzeitig unter Umständen sehr unscharfe bis generische Ergebnisse (Holten 1999, S. 124f). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich die Arbeit von (Kommunal)Managern nur zu einem Teil über kritische Erfolgfaktoren abbilden lässt (Swiontek 1997, S. 204f), daher erscheint diese Methode für sich genommen nicht ausreichend, um deren Informationsbedarf zu ermitteln. 3.3.2

Informationsbedarfsermittlung über die Balanced Scorecard

Die von Kaplan und Norton entwickelte Balanced Scorecard ist ein weiterer Ansatz, Informationen für Führungskräfte zu aggregieren und zu strukturieren. Ziel ist es, Topmanagern mit Hilfe von Schlüsselkennzahlen aus den vier Perspektiven, customer, internal business, innovation and learning und finance, einen „fast but comprehensive view of the business“ zu verschaffen (1992, S. 71). Um den Informationsbedarf innerhalb dieser vier Perspektiven zu ermitteln, wird ähnlich wie bei der Methode der Kritischen Erfolgsfaktoren eine Serie von Interviews und Workshops mit den betreffenden Führungskräften durchgeführt (Kaplan/Norton 1993, S. 138f). Ausgehend von der globalen Vision und Strategie des Unternehmens bzw. der Business Unit werden kritische Erfolgs- bzw. Zielindikatoren und entsprechende Messgrößen entlang der vier Perspektiven erhoben und in mehreren Reviewzyklen verfeinert. Um die Kundenperspektive nicht nur aus der internen Sicht zu beurteilen, werden hier z.T. auch Kunden in den Erhebungsprozess mit einbezogen (Kaplan/Norton 1992, S. 73f). Abbildung 3-16 zeigt eine beispielhafte Balanced Scorecard. Die Zielsetzungen des Unternehmens bzw. der Organisationseinheit sollen in überprüf- und messbare Größen übersetzt werden, um Fortschritte und Problemfelder möglichst schnell und vollständig zu erkennen. Dabei sollen im Rahmen des Erstellungsprozesses auch konfligierende Zielsetzungen identifiziert werden, um schließlich zu ‚ausbalancierten’ Zielen in den einzelnen Perspektiven zu kommen (Kaplan/Norton 1992, S. 73).

89

Financial Perspective • Return-on-Capital-Employed • Cash-Flow • Project Profitability • Profit Forecast Reliability • Sales Backlog Internal Business Perspective

Customer Perspective • Pricing Index, Tier II Customer • Customer Ranking Survey • Customer Satisfaction Index • Market Share • Business Segment, Tier I Customers

• Hours with Customers • Tender Success Rates • Rework • Safety Incident Index • Project Performance Index • Project Closeout Cycles Innovation and Learning Perspective • % Revenue from new services • Rate of Improvement Index • Staff Attitude Survey • Ø of Employee Suggestions • Revenue per Employee

Abbildung 3-16: Beispiel einer Balanced Scorecard Quelle: (Kaplan/Norton 1993, S. 136)

3.3.3

Benutzermodellierung

Die Benutzermodellierung kann in gewissem Umfang auch zu den gemischten Verfahren der Informationsbedarfsermittlung gerechnet werden, da sie – je nach Ausprägung – sowohl Aufgaben- oder Rollenspezifika von Informationsbenutzern berücksichtigt als auch deren individuelles Informationsverhalten (Mertens/Höhl 1999, S. 30). Ein Benutzermodell ist „Wissen, das es dem Computer erlaubt, sich möglichst gut auf den Menschen einzustellen“ (Mertens/Höhl 1999, S. 5). Benutzermodelle dienen dazu, Informationsangebote nach der Präferenz des Informationsbenutzers zu selektieren oder entsprechend zu präsentieren (Mertens/Höhl 1999, S. 9ff). Gegenstand der Benutzermodellierung kann entweder der Informationsnutzer, d.h. der Empfänger oder der tatsächliche Informationsbenutzer, d.h. der Bediener des Systems sein, entsprechend kann das Modell sich auf die Präferenzen von Gruppen oder Individuen beziehen. Die Merkmale, die das Benutzermodell ausmachen, können harte Fakten wie bspw. das Geschlecht oder Alter der Benutzer sein oder auch weiche Informationen wie Ziele oder Pläne. Ein Benutzermodell kann statisch, d.h. unveränderlich sein oder sich auch dynamisch den Aktivitäten und Erfordernissen des Benutzers anpassen.

90

Merkmale

Ausprägung

Zweck

Selektion

Präsentation Domäne; System

Gegenstand

Empfänger Kunde; Rolle; Organis.; Gruppe

Bediener

Individualisierung

Individuell

Gruppierend

Art der Informationen

Weiche Informationen

Harte Fakten

Veränderbarkeit

Statisch

Dynamisch

Gewinnung

Implizit

Explizit ex ante; ex post

Einsichtigkeit

Transparent

Intransparent

Gültigkeit

Langfristig

Kurzfristig

Wissensakquisition

Personell

lernend

Tabelle 3-7: Merkmale von Benutzermodellen Quelle: (Mertens/Höhl 1999, S. 9)

Die Informationen für die Entwicklung eines Benutzermodells stammen entweder aus der impliziten Beobachtung bei der Nutzung des Systems oder werden explizit bspw. durch Befragung (ex ante oder ex post) gewonnen. Das heißt, Benutzermodelle können das modellierte Ergebnis einer Informationsbedarfserhebung sein oder auch selbst Informationsbedarf bzw. -verhalten erheben. Transparente Benutzermodelle sind für den Benutzer einsehbar, d.h. er kann die Merkmale, die über ihn gespeichert sind, einsehen, während dies bei intransparenten Benutzermodellen nur zum Teil oder überhaupt nicht möglich ist. Die Modellierung kann entweder langfristig aufgebaut und gespeichert werden oder bei jeder Nutzungssitzung aufs Neue erstellt werden. Dies kann automatisch im Sinne eines lernenden Systems geschehen oder auch personell bspw. durch eine Befragung oder personelle Auswertung der gewonnenen Daten. Die Weiterentwicklung der Benutzermodellierung zielt darauf ab, zunehmend mehr und komplexere Merkmale über den Benutzer zu erfassen, ohne dass dieser mit Eingaben oder Abfragen behelligt wird (siehe auch Kobsa 1993; Schwab et al. 2000; Kobsa 2001).

91

3.4

Zusammenfassung

Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Konzepten zu Informationsbedarf ist der Anspruch einer bedarfsorientierten und nutzergruppenspezifischen Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement. Ziel ist die Entwicklung eines Instruments zur Erhebung von Informationsbedarf, das einerseits unterschiedliche Einflussfaktoren berücksichtigt sowie andererseits spezifische Merkmale des daraus resultierenden Bedarfs erfasst. Die dargestellten Erkenntnisse zur Erhebung und Systematisierung von Informationsbedarf zeigen, dass das Phänomen Informationsbedarf sowohl durch seine auslösenden Faktoren wie z.B. Aufgaben- oder Entscheidungsstruktur, Rollencharakteristika, Kontext etc. als auch durch die daraus resultierenden Merkmale des empfundenen oder geäußerten Bedarfs charakterisiert wird. Zur Erhebung des nutzergruppenspezifischen Informationsbedarfs von Kommunalmanagern sind folglich beide Dimensionen zu betrachten. Die Erkenntnisse der Ansätze zum Informationsbedarf in verschiedenen Arbeitsdomänen zeigen ein sehr breites Spektrum an Informationen, die von Führungskräften in den unterschiedlichen Domänen benötigt werden. Dies legt den Schluss nahe, dass die gemischten Verfahren zur Informationsbedarfserhebung, die sich an konkreten Management- bzw. Controllingkonzepten orientieren, wie Balanced Scorecard oder KEF, nur einen Ausschnitt des Bedarfsspektrums abbilden können. Neben Ansatzpunkten zur Erhebung von Informationsbedarf liefert die Benutzerforschung auch Hinweise auf die Gestaltung eines Informationsangebots. Die Arbeiten von Belkin und Ford deuten darauf hin, dass die kognitiven Prozesse, die der Informationsrecherche und -verarbeitung zu Grunde liegen, durch eine gezielte Strukturierung des Informationsangebots unterstützt werden können. Für die Erhebung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern wird im Weiteren aus den dargestellten Ansätzen der Benutzerforschung ein Gesamtmodell entwickelt, das es erlaubt, auslösende Faktoren und daraus resultierende Merkmale im Zusammenhang zu betrachten. Das Gesamtmodell für Informationsbedarf basiert im Wesentlichen auf den Ansätzen von Wilson (1981) und Leckie et al. (1996). Diese Ansätze liefern die theoretische Grundlage für die bereits eingangs geforderte Untersuchung von Informationsbedarfselementen. Sie differenzieren sowohl verschiedene Bestimmungsparameter für Informationsbedarf als auch charakteristische Merkmale des resultierenden Informationsverhaltens und -bedarfs. 92

Die Auseinandersetzung mit Erkenntnissen zur Aufgabenstruktur, Rahmenbedingungen und Informationsbedarf von Führungskräften in Unternehmen, Politik und Verwaltung soll im Folgenden Anhaltspunkte geben für die Bandbreite möglicher Faktoren und Merkmale.

93

4

Merkmale und Faktoren des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Die Erkenntnisse der Benutzerforschung werden im Folgenden dazu verwendet, ein

Modell zu entwickeln, das einen Zusammenhang herstellt zwischen Einflussfaktoren auf Informationsbedarf und den Merkmalen, die ihn charakterisieren. Daraus ergibt sich zunächst ein generisches Schema, das mit Inhalt, d.h. Annahmen und Erkenntnisse über die Art des Zusammenhangs zwischen Einflussfaktoren und Merkmalen gefüllt werden muss. Die Quelle für die Befüllung des Modells bildet die Auswertung der Literatur zu verschiedenen Dimensionen der Arbeit von Kommunalmanagern: Sie arbeiten als Manager, als Politiker, als Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung bzw. speziell in der Kommunalverwaltung. Diese Dimensionen überlagern sich zum Teil, bestimmen aber auch spezifische Aufgaben und Rolle, so dass sich in der Summe ein charakteristisches Bild der Einflussfaktoren und Beschreibungsmerkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern ergibt. 4.1

Ein Modell zur Erhebung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

Die Informationsbedarfsanalyse nimmt für die Auswahl bzw. für das Design eines Führungsinformationssystems eine zentrale Rolle ein, da sie ausschlaggebend dafür ist, wie differenziert der Informations- und Unterstützungsbedarf der zukünftigen Nutzer erfasst, wie differenziert auch die Nutzergruppe selbst beschrieben und gegliedert und wie gut das zu entwickelnde System auf diese Bedürfnisse hin zugeschnitten werden kann. Die in Kapitel 3 dargestellten Methoden zur Ermittlung von Informationsbedarf sind Instrumente, die zu einer sinnvollen Informationsbedarfsanalyse in ein übergeordnetes Rahmenkonzept eingebettet werden müssen. Das Rahmenkonzept enthält Annahmen über den Zusammenhang zwischen Informationsbenutzern und Informationsbedarf und gibt eine Strukturierung des Vorgehens bei der Bedarfsermittlung und Auswertung der Befunde vor. Holten hat diesbezüglich zur Strukturierung seines FIS-Fachkonzepts ein dreidimensionales Rahmenmodell entwickelt, das Führungskräfte, Informationsobjekte und Regelungsaufgaben einander zuordnet (1999, S. 66ff).

95

Führungskräfte

Führungskraft 2

Informationsobjekte

Führungskraft 1

Steuerungs- und Regelungsaufgaben

Abbildung 4-1: Dimensionen eines FIS-Fachkonzepts Quelle: In Anlehnung an (Holten 1999, S. 68)

Sowohl die Verknüpfung von verschiedenen Steuerungs- und Regelungsaufgaben als auch individuelle Gegebenheiten führen zur Zuweisung von verschiedenen Informationsobjekten. Zwei Führungskräfte 1 und 2, die mit identischen oder ähnlichen Steuerungs- und Regelungsaufgaben betraut sind, können also in einem Fall auch dieselben Informationsobjekte benötigen, in einem anderen Fall jedoch unterschiedliche Informationsobjekte. Die Orientierung an einem bestehenden Informationsangebot sowie die Ausrichtung auf ein gut strukturiertes und beständiges Aufgabenmuster (Holten 1999, S. 166) lassen dieses Modell für die Informationsbedarfsanalyse bei Kommunalmanagern ungeeignet erscheinen. Daher wird auf der Basis der dargestellten Ansätze der Benutzerforschung ein eigenes Rahmenmodell entwickelt, um Informationsbedarf möglichst umfassend beschreiben zu können und unabhängig von einem vorhandenen Informationsangebot neben strukturierten Aufgabenbereichen auch weniger strukturierte Bereiche berücksichtigen zu können.

96

Umwelt/ Umfeld Rolle Person Arbeitsrolle Æ Amt, Funktion Funktionen Æ Aufgaben

Arbeitsumfeld:

Merkmale von Informationsbedarf

Informationsrecherche

- Rahmenbedingungen Kommunalmanagement - Rahmenbedingungen Verwaltungsmanagement, politische Steuerung - Rahmenbedingungen Management v. Organisationen

Informationsquellen (elektronisch, Papier, persönliche..)

Abbildung 4-2: Rahmenmodell für die Ermittlung von Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Basierend auf den Modellen von Wilson (1981) und Leckie et al. (1996) beschreibt das Rahmenmodell (Abbildung 4-2) den Informationsbedarf von Führungskräften auf der Basis unterschiedlicher beeinflussender Faktoren. Das Modell differenziert aus den bereits angeführten Gründen nicht zwischen einem objektiven und einem subjektiven Informationsbedarf. Merkmale der Aufgabengestaltung und Rahmenbedingungen fließen als beeinflussende Faktoren mit ein, da sie Auswirkungen auf den vom Subjekt wahrgenommenen Informationsbedarf haben. Sowohl Faktoren aus dem Bereich der Aufgabenstellung und Rolle eines Kommunalmanagers als auch Faktoren aus dem Bereich der näheren und weiteren Umwelt oder des Umfeldes eines Managers beeinflussen seinen Informationsbedarf und führen zu einer charakteristischen Merkmalsausprägung. Ebenso ist die Wahl der Quellen bzw. Kanäle, die zur Deckung des Informationsbedarfs gewählt werden, charakteristisch für bestimmte Rollen, Aufgaben, etc. Zu den beeinflussenden Faktoren auf der Aufgaben- und Rollenebene zählen das Amt, das eine Führungskraft innehat, und die damit verbundenen Aufgaben und Verantwortungsbereiche. Darüber hinaus spielen auf der Ebene des Umfeldes und der Arbeitsumwelt Gegebenheiten und Rahmenbedingungen der Führungsarbeit im Allgemeinen und in der öffentlichen Verwaltung bzw. Kommune im Besonderen sowie Charakteristika der politischen Steuerung eine Rolle. Die theoretische Auseinanderset97

zung mit diesen Rahmenbedingungen auf der Basis der Erkenntnisse der Managementforschung, der Politikwissenschaften und aus den Bereichen des Verwaltungs- bzw. Kommunalmanagements liefern die Basis für die Konkretisierung dieser Faktoren. Als Elemente eines morphologischen Kastens werden Faktoren dieser unterschiedlichen Ebenen theoretisch bzw. auf der Basis dokumentierter empirischer Befunde zusammengetragen. Das resultierende Modell dient schließlich zur Strukturierung und Interpretation der eigenen empirischen Befunde mit dem Ziel, Einflussfaktoren, Merkmale und typische Merkmalskombinationen für den Informationsbedarf von Kommunalmanagern zu identifizieren. Abbildung 4-3 zeigt einen generischen morphologischen Kasten, der 4 verschiedene Merkmale für Informationsbedarf mit jeweils zwischen 2 bzw. 4 unterschiedlichen Ausprägungen aufweist. Die charakteristische Kombination von Merkmalsausprägungen und auslösenden Faktoren wird zu einem Informationsbedarfselement zusammengefasst.

Merkmal 1

Ausprägung a

Merkmal 2

Ausprägung a

Merkmal 3

Ausprägung a

Merkmal 4

Ausprägung a

Ausprägung b

Ausprägung b

Ausprägung c

Ausprägung b

Ausprägung b

Ausprägung c

Ausprägung d

Ausprägung c

Ausprägung d

charakteristische Merkmalskombination

Abbildung 4-3: Charakteristische Informationsbedarfsmerkmale Quelle: Eigene Darstellung.

Die für einen oder eine Gruppe von Kommunalmanagern charakteristische Kombination von Informationsbedarfselementen ist sein Informationsbedarfsprofil. Diese Vorgehensweise verhindert die voreingenommene Bildung von Informationsbenutzertypen bspw. nur auf Grund eines Amtes unter der Annahme, alle Amtsleiter hätten ein ähnliches Informationsbedarfsprofil. Gleichzeitig erlaubt sie dennoch die Clusterung von Informationsbenutzern mit ähnlichen oder identischen Merkmalskom98

binationen. Über die Definition der Merkmale und Ausprägungen kann die Differenziertheit des Modells an die empirischen Befunde angepasst werden. 4.2

Faktoren und Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

Der Informationsbedarf von Kommunalmanagern ist in hohem Maße geprägt durch ihre spezifische Rolle bzw. Funktion und Rahmendbedingungen des Managements und der politischen Arbeit in der öffentlichen Verwaltung bzw. genauer in der Kommunalverwaltung (siehe Abbildung 4-4). Sowohl zu den einzelnen Aspekten der Rahmenbedingungen als auch zu Einflussfaktoren, die aus der Funktion einer Führungskraft resultieren, gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen, die im Folgenden herangezogen werden, um mögliche Bestimmungsfaktoren für den Informationsbedarf von Kommunalmanagern abzuleiten. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit Merkmalen und Rahmenbedingungen der Führungsarbeit im Management, im politischen Umfeld sowie im Verwaltungs- bzw. Kommunalmanagement, die für die Generierung von Informationsbedarf als relevant erachtet werden. Ziel ist es, aus den einzelnen Aspekten, die für die Beschreibung der Rahmenbedingungen der Arbeit von Kommunalmanagern herangezogen werden, mögliche Einflussfaktoren und Merkmale ihres Informationsbedarfs und deren Ausprägungen abzuleiten. Die Sammlung der theoretisch abgeleiteten Merkmale dient als Interpretationsraster für die empirisch zu erhebenden Faktoren und Merkmale von Informationsbedarf innerhalb des Rahmenmodells. Faktoren Rolle/ Aufgaben Umwelt/ Rahmenbedingungen - Managementarbeit - politische Arbeit - Arbeit im Verwaltungsmanagement - Arbeit im Kommunalmanagement

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 4-4: Mögliche Einflussfaktoren und Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Quelle: Eigene Darstellung.

99

Theoretische und empirische Erkenntnisse zur Arbeit von Führungskräften in Wirtschaft, Politik und Verwaltung werden herangezogen, um sowohl aus den Bestimmungsfaktoren der Rahmenbedingungen von Führungsarbeit als auch aus der konkreten Funktion oder der Rolle einer Führungskraft Beschreibungsmerkmale für Informationsbedarf abzuleiten. Dabei werden die einzelnen Quellen für Bestimmungsmerkmale gleichwertig nebeneinander betrachtet. Die Summe der ermittelten Merkmale ergibt ein Interpretationsraster mit maximaler Differenziertheit. Erst in der Arbeit mit den empirischen Erkenntnissen kann die Anwendbarkeit der Merkmale und Ausprägungen festgestellt werden. Das Ergebnis der Auswertung sind Informationsbedarfselemente, typische Kombinationen von Informationsbedarfsmerkmalen, die mit bestimmten Faktorenkombinationen von Rolle und Rahmenbedingungen einer Führungskraft in Zusammenhang stehen. 4.3

Rahmenbedingungen der Managementarbeit

Wie Rechkemmer (1999, S. 20ff) konstatieren auch andere wie bspw. Reichwald oder Rockart, dass bislang nur wenig repräsentative Erkenntnisse über die Arbeit von Top-Managern als Grundlage für die Gestaltung von Führungsinformationssystemen vorhanden seien (Reichwald et al. 1984, S. 86; Rockart/De Long 1988, S. 41). Dennoch geben die existierenden Forschungsergebnisse insbesondere dort wichtige Hinweise, wo unterschiedliche Untersuchungsansätze zu übereinstimmenden oder zumindest ähnlichen Ergebnissen kommen. Die resultierenden Modelle zu informationsbezogenen Rahmenbedingungen und Struktur der Arbeit von Managern werden im Folgenden zusammengefasst. Die Forschungsergebnisse zur Arbeit von (Top-)Managern lassen sich in Anlehnung an Frackmann (1992, S. 45) in drei Ausrichtungen einteilen: • In handlungsorientierte Ansätze, die sich damit auseinandersetzen, was Manager als informationsverarbeitendes Zentrum einer Organisation arbeiten, • in entscheidungsorientierte Ansätze, die Managementarbeit in erster Linie als das Fällen von Entscheidungen verstehen, und • in funktionsorientierte Ansätze, die sich mit den Management-Funktionen ‚strategische Planung’ und ‚strategische Entscheidungen’ beschäftigen. 100

4.3.1

Handlungsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben

Einen der wesentlichen Beiträge zu den handlungsorientierten Ansätzen hat Mintzberg geleistet (siehe 1980, S. 54ff). Als Ergebnis seiner Untersuchungen entwickelte er ein Rollenkonzept, das die Tätigkeiten von Managern in den drei Dimensionen Führen und Netzwerk (interpersonal roles), Informieren (informational roles) sowie Entscheiden (decisional roles) zu 10 komplementären Rollen zusammenfasst. Formal authority and status

Interpersonal roles

Informational roles

Decisional roles

Figurehead

Monitor

Leader

Disseminator

Disturbance handler

Liaison

Spokesman

Resource allocator

Entrepreneur

Negotiator

Abbildung 4-5: Managerial Roles Quelle: (Mintzberg 1975, S. 55)

Nach diesem Verständnis haben Manager Entscheidungen zu treffen, die sich auf die Unternehmensentwicklung beziehen, die Ressourcenverteilung regeln, Verhandlungen beeinflussen oder dem Umgang mit Schwierigkeiten dienen. Darüber hinaus fungieren Manager als Informationsknotenpunkt in ihrem Unternehmen, indem sie interne und externe Informationen aufnehmen, im Unternehmen kanalisieren und je nach Zweck auch gezielt kommunizieren (Mintzberg 1980, S. 66ff bzw. 95f). Bereits in den 1960er Jahren hatte Aguilar ein Modell entwickelt, das unterschiedliche Modi der Informationswahrnehmung differenziert und damit auf die Bedeutung der Aufnahme insbesondere externer Informationen für die Managementarbeit hindeutet (1967) (siehe Kapitel 3.2.1.1). Die von Rockart postulierten kritischen Erfolgsfaktoren (vgl. 1979)) oder auch eine Balanced Scorecard (siehe 3.3.2) können als Konkretisierung der ‚gerichteten Aufnahme’ bzw. ‚formellen Suche’ aufgefasst werden. Mintzberg und Kotter heben in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung des ‚Agenda setting’ durch den Manager hervor, der mit gezielter Weitergabe von Informationen die Bedeutung von Themen steuern kann (Mintzberg 1980, S. 73; Kotter 1982, S. 160f). Bei der Aufnahme von Informationen hat neben der sachlichen Information de101

ren Bewertung und Einschätzung auf der Basis von Erfahrungen eine große Bedeutung. Diese subjektiven ‚Metainformationen’ erhalten Manager in erster Linie aus ihrem persönlichen Netzwerk bzw. über persönliche Gespräche (Mintzberg 1980, S. 171; Rockart/De Long 1988, S. 53; Auster/Choo 1994, S. 616). Der Aspekt der persönlichen Netzwerke spielt auch in der dritten Dimension der Managementaufgaben, Führen und Netzwerk, eine Rolle. Von Managern wird erwartet, dass sie eine gewisse Vorbildfunktion erfüllen und ihre Mitarbeiter über Motivation und Ziele führen. Die Ausbildung und Pflege eines persönlichen Netzwerks ist die Grundvoraussetzung für die Versorgung mit wichtigen externen Informationen und Einschätzungen aber auch für die Bildung von wirkungsvollen Allianzen für die Umsetzung der persönlichen Agenda (Mintzberg 1980, S. 63ff, 167ff; Kotter 1982, S. 161f). Der Alltag eines Managers ist nach den Erkenntnissen handlungsorientierter Untersuchungen geprägt von offiziellen Terminen und geplanten Aufgaben einerseits (Reichwald et al. 1984, S. 93ff), andererseits aber auch durch einen beträchtlichen Anteil unterschiedlicher, ungeplanter Einzelaktivitäten (Reichwald et al. 1984, S. 95f; Frackmann 1992, S. 50). Manager verbringen einen großen Teil ihrer Arbeitszeit nicht an ihrem Arbeitsplatz (Reichwald et al. 1984, S. 99f), weshalb den ihnen zuarbeitenden Mitarbeitern bzw. dem Sekretariat eine bedeutende Rolle bei der Informationsverwaltung und –vorselektion sowie bei der Koordination zukommt (Reichwald et al. 1984, S. 112ff). Die meisten Manager erbringen selbst Informationsdienstleistungen für Vorgesetzte und andere (bspw. Aktionäre) in Form individueller oder routinemäßiger Informationsdossiers und Berichte oder auch themenspezifischer Vorträge (Reichwald et al. 1984, S. 144f). Wie bereits oben angedeutet, spielen bei der Informationsaufnahme neben schriftlichen Dokumenten mündlich übermittelte Informationen eine besondere Rolle (Reichwald et al. 1984, S. 90). Bezüglich des Inhalts lässt sich bei Managern eine Präferenz für aktuelle und spezifische, d.h. nicht-routinemäßige, weiche Informationen konstatieren (Mintzberg 1980, S. 171; Frackmann 1992, S. 51). Die Art der Aufgaben bzw. der zu bewältigenden Problemstellungen spielt eine große Rolle für den resultierenden Informations- und Unterstützungsbedarf einer Führungskraft. Reichwald identifiziert diesbezüglich drei Typen von Büroarbeit (ver102

gleichbar mit den Entscheidungstypen nach (Byström/Järvelin 1995) in 3.2.1.2), die sich im Hinblick auf ihre Formalisierung und Planbarkeit und den verbundenen Informations- und Assistenzbedarf unterscheiden (Reichwald 1984, S. 45f). Merkmale d. Aufgabenerfüllung Aufgabentyp Büroarbeit vom Typ 3 Einzelfall (nicht formalisierbar)

Büroarbeit vom Typ 2 Sachbezogener Fall (teilweise formalisierbar) Büroarbeit vom Typ 1 Routinefall

Problemstellung (Komplexität, Planbarkeit)

hohe Komplexität niedrige Planbarkeit, projektbezogen mittlere Komplexität, mittlere Planbarkeit; vorgangsbezogen niedrige Komplexität, hohe Planbarkeit, Routine

Informationsbedarf

Kooperationspartner

Assistenzbedarf

Unbestimmt nicht planbar

Wechselnd, nicht festgelegt

Sehr hoch

Problemabhängig, (un)bestimmt teilweise planbar

Wechselnd, festgelegt

Hoch

bestimmt vollständig planbar

Gleichbleibend, festgelegt

niedrig

Tabelle 4-1: Typen von Informationsverarbeitungsaufgaben Quelle: In Anlehnung an (Reichwald 1984, S. 45)

In Anlehnung an das bislang zur Arbeit von Managern Zusammengetragene können die Aufgabenbereiche von Führungskräften in der Hauptsache dem Typ 3 zugeordnet werden. Routineaufgabe

Innovative Aufgabe

Informationsbedarf

Informationsbedürfnis

Innovationsgrad

Abbildung 4-6: Informationsbedarf und Informationsbedürfnis Quelle: (Groffmann 1997, S. 13)

Auch Groffmann stellt den Anteil neuartiger, innovativer Aufgaben in direkten Zusammenhang zum Informationsbedarf einer Führungskraft (1997, S. 12). Während Routineaufgaben einen antizipierbaren, durch die Art und Struktur der Aufgabe vorgegebenen Informationsbedarf verursachen, hängt die Auswahl und Bewertung von In-

103

formationen, die zur Lösung einer neuartigen Aufgabe erforderlich sind, vom individuellen Vorwissen und der Erfahrung ab (Groffmann 1997, S. 12f). Die Beschreibung des Manageralltags legt nahe, dass auf Grund des hohen Anteils reaktiver Abarbeitung von unstrukturierten ad-hoc-Aufgaben die Durchsetzung übergreifender Konzepte oder Strategien für die Managementarbeit nur schwer möglich ist. Isenberg weist jedoch darauf hin, dass auch diesen kurzfristigen Tätigkeiten eine interne Rationalität bzw. die Ausrichtung an ‚General issues’ zu Grunde liegt (1984, S. 87f) zitiert nach (Frackmann 1992, S. 53). Environmental Variables: Characteristics of the milieu, the industry, the organization Job Variables: The level of the job and the function supervised Person Variables: Personality and style characteristics of the incumbent in the job Situational Variables: Temporal features of an individual job

Basic Managerial Role Requirements

Basic Characteristics of Managerial Work

One Manager‘s Work

Abbildung 4-7: Bestimmende Merkmale der Managerarbeit Quelle: (Mintzberg 1980, S. 103)

In weitgehender Übereinstimmung mit dem Informationsverhaltensmodell von Wilson (vgl. Kapitel 3.2.1.1) stellt Mintzberg die Bestimmungsfaktoren der Managerarbeit als die Summe von Variablen unterschiedlicher Dimensionen dar (1980, S. 101ff). Als wichtigstes Differenzierungsmerkmal für die Arbeit von Managern identifiziert er die Variablen, die den Aufgabenbereich bzw. die Funktion oder Rolle eines Managers charakterisieren (Mintzberg 1980, S. 109ff). Die hierarchische Position eines Managers hat demzufolge größeren Einfluss auf seine Arbeit als bspw. die Branche, in der er arbeitet. Je tiefer ein Manager hierarchisch angesiedelt ist, desto strukturierter und spezialisierter wird sein Aufgabenbereich. Die Konzentration auf die operative Steuerung von Workflows und die thematische Fokussierung nehmen zu, der betrachtete zeitliche Horizont verengt sich. Für eine Bestimmung von Informationsbedarf, die auf 104

die Identifikation von intersubjektiven Bedarfselementen abzielt, ist die Fokussierung auf Umwelt- und Job-Variablen die logische Konsequenz. Unterstützungspotenzial für derartig charakterisierte Managementaufgaben wird in erster Linie in der flexiblen Bereitstellung interner und externer Informationen gesehen (Frackmann 1992, S. 56). Nachfrageorientierte Informationssysteme sollen Informationen so strukturieren und anbieten, dass der Benutzer weder auf vorgefertigte Abfragen festgelegt ist, noch die zu Grunde liegende Logik des Systems kennen muss. Informationen sollen über natürlich-sprachliche Abfragen aus unterschiedlichsten Informationsquellen zugänglich gemacht werden (Groffmann 1997, S. 14-19). 4.3.2

Entscheidungsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben

Entscheidungsorientierte Betrachtungsansätze sehen die Vorbereitung und das Treffen von Entscheidungen als den Kern der Managementarbeit an (Frackmann 1992, S. 60ff). Entscheidungsprozesse und Entscheidungssituationen sind demzufolge auch das zentrale Untersuchungsobjekt dieser Ausrichtung der Managementforschung. Gemünden untersucht Anfang der 1980er Jahre das Informationsverhalten von Managern bei Entscheidungen in Abhängigkeit des Entscheidungstyps und differenziert zu diesem Zweck Managemententscheidungen nach den Kriterien Relevanz, Häufigkeit, Risiko, Zeitdruck, Gestaltungsspielraum und Alternativenzahl (1983, S. 106ff). Auf Basis der Analyse von theoretischen und empirischen Befunden sowie eigener Erhebungen kommt er zu einer Klassifikation von 4 Typen von Unternehmensentscheidungen (vgl. Tabelle 4-2). Typen 1. Unternehmenspolitische RichtlinienEntscheidungen

2. Entscheidungen im außergewöhnlichen Fall

a) Fallweise Entscheidungen b) PräzedenzEntscheidung

Kennzeichen

Informationsnachfrage

• hohe Relevanz • großer Gestaltungsspielraum • meistens erhebliche ‚Präzedenzwirkung’ • ‚normaler’ Zeitdruck • einmalige, aus dem Rahmen fallende Entscheidung • großer Gestaltungsspielraum • häufig ohne Zeitdruck • ohne Präzedenzwirkung

Hoher Informationsbedarf, aber weniger hohe Informationsnachfrage, hohes Informationslieferinteresse Dritter

• mit erheblicher Präzedenz-Wirkung

relativ geringer Informationsbedarf hoher Entscheidungsfeldbezogener Informationsbedarf

105

Typen 3. Entscheidungen unter Stress a) Entscheidungen über eilige Plankorrekturen b) Entscheidungen über Okkasionen oder Störungen

4. Entscheidungen zu laufenden Bereichsabstimmungen

Kennzeichen • hoher Zeitdruck • • • • • •

häufige Entscheidungen kleiner Gestaltungsspielraum meist ohne Präzedenz-Wirkung meist einmalige Entscheidungen großer Gestaltungsspielraum häufig mit erheblicher Präzedenzwirkung

• häufig zu treffende Entscheidungen mit programmierter Informationslieferung • ohne Präzedenz-Wirkung • ‚normaler’ Zeitdruck

Informationsnachfrage Intensivierte Informationsnachfrage bei hohem wahrgenommenen Risiko bzw. Chancen Geringe Informationsnachfrage bei Plankorrekturen als bei Entscheidungen über Okkasionen, da höhere PräzedenzWirkung Mittlerer Informationsbedarf und mittlere Informationsnachfrage

Tabelle 4-2: Typen von Führungsentscheidungen Quelle: In Anlehnung an (Gemünden 1983, S. 137ff)

Gemünden kann einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Entscheidungstyp und Informationsnachfrage nachweisen (1983, S. 142). Bezüglich der Bedeutung der einzelnen Kriterien wie Zeitdruck oder wahrgenommenes Risiko zeigt sich, dass Zeitdruck alleine keine eindeutigen Auswirkungen auf die Informationsnachfrage hat, während das gleichzeitig wahrgenommene Risiko bzw. erwartete Chancen zu einer Verstärkung der Nachfrage führen. Die Präzedenzwirkung einer Entscheidung führt meist zu einer erhöhten Informationsnachfrage. Allerdings führen Schwierigkeiten, den problembezogenen Informationsbedarf genau zu bestimmen, im Fall von unternehmenspolitischen Richtlinienentscheidungen dazu, dass weniger Informationen nachgefragt werden, als eigentlich benötigt würden. Obwohl regelmäßige Bereichsabstimmungen einen hohen Grad an Routine und wenig Präzedenzcharakter aufweisen und folglich nur geringer Informationsbedarf zu erwarten wäre, entsteht dennoch eine mittlere Informationsnachfrage auf Grund hoher Unsicherheit bezüglich zukünftiger Entwicklungen (Gemünden 1983, S. 143). Die Unterstützung von Managemententscheidungen kann zum einen darin bestehen, Entscheidungsbedarf d.h. potentiell problematische Situationen oder Okkasionen frühzeitig zu entdecken bzw. darauf hinzuweisen (Zmud 1986, S. 93), zum anderen können Entscheidungsalternativen aufgezeigt und auf der Basis von Entscheidungsmodellen Empfehlungen entwickelt sowie über Fortschreibungsalgorithmen die Konsequenzen einzelner Alternativen prognostiziert werden (Frackmann 1992, S. 68ff).

106

4.3.3

Funktionsorientierte Betrachtung von Managementaufgaben

Im Zentrum der funktionsorientierten Betrachtung von Managementaufgaben stehen in Anlehnung an Frackmann (1992, S. 78) die strategische Planung und strategische Entscheidungen als charakteristische Elemente der Managementarbeit. Unter strategischer Planung wird „der systematische Prozess der Herausbildung einer Strategie der Organisation“ (Frackmann 1992, S. 82) verstanden. „Strategische Entscheidungen sind sehr wichtige, bedeutsame, herausragende Entscheidungen, die das Verhalten der Organisation nach Innen oder gegenüber der Umwelt grundsätzlich berühren“ (Frackmann 1992, S. 82). Strategische Planung beinhaltet die Schritte eines typischen Planungszyklus von Analyse der Ausgangssituation über Entwicklung von Strategiealternativen bis hin zur Überprüfung der Wirkung der umgesetzten Strategie (Frackmann 1992, S. 84). Strategische Entscheidungen werden analog zu anderen Managemententscheidungen in Phasen oder Prozessschritte eingeteilt und typologisiert (Frackmann 1992, S. 91). Entsprechend der konkreten Ausgestaltung des Planungszyklus kann eine Managementunterstützung für die strategische Planung in Form von Checklisten, Analyse- oder auch Strategiemodellen erfolgen (Frackmann 1992, S. 88f). Die Unterstützungsmöglichkeiten für strategische Entscheidungen unterscheiden sich nicht von denen anderer Managemententscheidungen (siehe Abschnitt 4.3.2). 4.3.4

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Managern

Aus den dargestellten Rahmenbedingungen der Arbeit von (Top-)Managern lassen sich Einflussfaktoren der Managementarbeit und resultierende Merkmale von Informationsbedarf ableiten bzw. zusammenfassen: • Aufgabenart: Der Grad an Formalisierung der Aufgabenstellungen einer Führungskraft ist ausschlaggebend für die Antizipierbarkeit und Struktur des resultierenden Informationsbedarfs. • Reichweite und Planbarkeit der Entscheidungen: Je nach Reichweite und Planung von Entscheidungen werden in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Ausrichtung Informationen benötigt. • Position: Die hierarchische Position und damit der Grad an Generalität (im Gegensatz zu Spezialisierung) einer Führungskraft bedingt eine spezifische Breite und Tiefe des Informationsbedarfs. 107

• Rolle: Die Einordnung in die Mintzberg-Rollen als Negotiator oder Disseminator prägen ebenfalls den Informationsbedarf einer Führungskraft. Mehrere Rollen können sich hier situationsspezifisch überlagern. • Netzwerk: Je nachdem, wie bedeutsam die Pflege eines persönlichen Netzwerks für die Arbeit einer Führungskraft ist, kommt den entsprechenden Informationen über und von Netzwerkakteure(n) eine höhere oder geringere Bedeutung zu. • Abbildung 4-8 gibt einen Überblick über die potenziellen Merkmale des Informationsbedarfs von Managern.

Fokussierung

Routinecharakter Zeitlicher Horizont

Gerichtet; bspw. konkretisiert durch BalanGezielter Fokus auf einen Einced Scorecard, Kritische zelaspekt Erfolgsfaktoren, General issues Häufig zu treffende Entscheidungen, Einmalige Entscheidung, aktuelle Routineaufgaben, langfristige Themen geSituation, generiert ad-hocnerieren wiederholten RoutineinformatiInformationsbedarf onsbedarf

Ungerichtet/ ungezielt

Langfristig

Mittelfristig

Kurzfristig

Sachinformationen Thematische Ausrichtung

Netzwerkinformationen über andere Akteure

Methodeninformationen wie bspw. Checklisten oder Strategiemodelle

Beziehungsorientiert, subjektive Einschätzungen, ‚weiche’ Informationen

unpersönliche, objektive, ‚harte’ Informationen

Informationsebene

Zeitbezug

Informationen zu möglichen Entscheidungssituationen/ Aufgaben in der Zukunft

Herkunft

Intern

Themen

Kennzahleninformationen

Projekte/ Aktivitäten bspw. Statusinformationen oder Evaluationsinformationen

Textbasierte, Dokumenteninformationen

Informationen zu aktuellen Entscheidungssituationen/ Aufgaben EntscheiHintergrunddungsalternainformationen tiven

Informationen zur Umsetzung/ Outcomes von getroffenen Entscheidungen

Extern

Abbildung 4-8: Merkmale des Informationsbedarfs von Managern Quelle: Eigene Darstellung.

In Anlehnung an Informationsaufnahmemodi unterscheidet ein erstes Merkmal des Informationsbedarfs von Managern unter dem Oberbegriff Fokussierung zwischen

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• ungerichteter oder ungezielter Aufnahme von Informationen, um auf einer breiten Informationsbasis erste Anzeichen für möglichen Handlungsbedarf zu identifizieren, • gerichteter Aufnahme von Informationen mit Bezug bspw. zu Kritischen Erfolgsfaktoren oder als wichtig erachteten Themenfeldern sowie • der gezielten Fokussierung auf einen bestimmten Themenaspekt, wenn einer der beiden anderen Informationsfoki Hinweise auf Unregelmäßigkeiten oder Handlungsbedarf ergeben hat. Über das Merkmal Routinecharakter (gleichbedeutend mit Routinegrad) werden Informationen, die einmalig in einer spezifischen Situation erforderlich sind, unterschieden von Informationen, die regelmäßig in ähnlich wiederkehrenden Situationen benötigt werden. Der Zeitliche Horizont von benötigten Informationen variiert zwischen lang-, mittel- und kurzfristig. Das Merkmal, Thematische Ausrichtung, differenziert zwischen Netzwerkinformationen, die sich auf Charakteristika und Einschätzungen hinsichtlich relevanter Akteure beziehen und Sachinformationen, die Methoden, Themen oder Aktivitäten betreffen. In der Merkmalskategorie Informationsebene ergeben sich zunächst zwei grundsätzliche Ausprägungen, beziehungsorientierte/ weiche Informationen, die Bewertungen und persönliche Einschätzungen enthalten, im Gegensatz zu objektiven/ harten Informationen. Objektive Informationen werden darüber hinaus unterschieden in Kennzahleninformationen und textbasierte Informationen. Das Merkmal Zeitbezug gliedert sich in drei Ausprägungsvarianten: • Informationen zu zukünftigen Aufgaben bzw. potenziellen Entscheidungssituationen, • Informationen zu gegenwärtigen Entscheidungssituationen und Aufgaben, die wieder in Hintergrundinformationen und Informationen zu Entscheidungs- oder Handlungsalternativen gegliedert werden, und • Informationen zu abgeschlossenen Entscheidungen, d.h. zu deren Umsetzung und Auswirkungen. 109

Aus den dargestellten Einflussfaktoren und Merkmalen lassen sich zahlreiche Kombinationen bilden, die jeweils typische Informationsbedarfselemente für Manager mit bestimmten Aufgaben, Rollen oder in bestimmten Kontexten sind. Ein charakteristisches Informationsbedarfselement für einen Top-Manager könnte bspw. aus den Einflussfaktoren hierarchische Führungsposition und damit hoher Grad an Generalität, große Bedeutung der Negotiator-Rolle und damit verbunden zentrale Bedeutung des persönlichen Netzwerks generiert werden. Daraus ergeben sich charakteristische Bedarfsmerkmale wie ungerichete Fokussierung, thematische Ausrichtung auf Netzwerkinformationen, die in erster Linie beziehungsorientiert sind und sowohl aus internen als auch aus externen Quellen kommen. Nicht alle Dimensionen von Einflussfaktoren und Merkmalen werden jeweils benötigt, um ein Informationsbedarfselement zu charakterisieren. Ziel ist es zentrale Aspekte der Elemente herauszuarbeiten, um diese bei der Bedarfsermittlung als Analyseraster verwenden zu können und mit spezifischen Inhalten zu füllen. 4.4

Rahmenbedingungen der politischen Steuerung

Politische Steuerung oder Regierungshandeln basiert auf politischen Entscheidungen, d.h. demokratisch legitimierte „Akteure entscheiden nach einem mehrstufigen Prozess der Informationsverarbeitung“ (Korte/Fröhlich 2004, S. 23) über die Auswahl aus mehreren Handlungsalternativen. Die dazu erforderliche bzw. genutzte Informationsgrundlage steht in engem Zusammenhang damit, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Die Regierungsforschung geht hinsichtlich der Determinanten politischer Entscheidungen von einem Dualismus von Akteur (Mikroebene) und System/Struktur (Makroebene) aus (Korte/Fröhlich 2004, S. 23), d.h. sowohl gesellschaftliche und institutionelle Strukturen als auch das Handeln von Akteuren haben Einfluss auf politische Entscheidungen. Während Erklärungsmodelle der Mikroebene die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Akteure in den Vordergrund stellen und somit politische Prozesse handlungstheoretisch und subjektzentriert betrachten, gehen systemtheoretische Erklärungsmodelle der Makroebene davon aus, dass Akteure kaum unabhängige Einwirkungsmöglichkeiten haben, da vorgefundene institutionelle und strukturelle Verhältnisse ihre Entscheidungsfreiheit beschneiden. Im Vordergrund stehen strukturelle und ökonomische Faktoren (Korte/Fröhlich 2004, S. 24f).

110

Aus der Synthese dieser beiden Erklärungsansätze ergibt sich eine dritte Perspektive, die den handelnden Akteur vor dem Hintergrund des institutionellen Kontextes betrachtet, der ihm einen Entscheidungskorridor vorgibt. Man geht davon aus, dass institutionelle Strukturen zwar einerseits reglementierend auf den Akteur einwirken, dieser sich aber andererseits auch aktiv der Regeln und Routinen einer Institution bedienen kann, um seinen Handlungsspielraum auszuschöpfen (Korte/Fröhlich 2004, S. 25). Handlungskorridore

Problemdruck Lageanalyse Problemdeutung Risikoeinschätzung

politische Akteure

Konstellationen Rahmen- + Problemkonstellation

Interaktionsformen Verhandlungen Kommunikationsauswahl

politische Entscheidungen StrategieAuswahl

Abbildung 4-9: Handlungs- bzw. Entscheidungskorridore Quelle: In Anlehnung an (Korte/Fröhlich 2004, S. 185)

Abbildung 4-9 zeigt die Determinanten des Entscheidungskontexts bzw. Handlungskorridors eines politischen Akteurs auf: Anlass einer politischen Entscheidung ist häufig die Wahrnehmung eines Problems. Die Analyse und Deutung des Problems hängen jedoch unmittelbar mit der Person bzw. Rolle des Akteurs zusammen, da sie die Handlungskompetenz bzw. den Entscheidungsdruck des Akteurs bedingt. Ist der Akteur in der Regierungsverantwortung, resultiert aus einer bestimmten Problemwahrnehmung ein anderer Entscheidungsdruck als für einen Akteur, der eine bestimmte Interessengruppe vertritt. Ebenso wie die Rolle oder Position des Akteurs haben allgemeine und problembezogene Rahmenbedingungen Einfluss auf den Entscheidungsspielraum. Auf der Basis dieser Eckdaten der Entscheidungssituation können geeignete Interaktionsformen für die Aushandlung und Kommunikation einer politischen Entscheidung bzw. Position gewählt werden, um die tatsächliche Entscheidungsfindung voran zu treiben. Das Wechselspiel von politischen Akteuren und Strukturen wird im systemtheoretisch orientierten Modell des politischen Systems (vgl. Abbildung 4-10) abgebildet (Korte/Fröhlich 2004, S. 27f). Aus der Umwelt des politischen Systems gelangt Input in Form von diffuser und spezifischer Unterstützung bspw. in Form von Loyalität gegenüber der Regierungs111

form (diffuse Unterstützung) oder konkreter Förderung bestimmter Entscheidungen durch Interessengruppen (spezifische Unterstützung) in das System. Die Verarbeitung des Inputs hin zu politischen Entscheidungen geschieht entlang der Prozessfunktionen, an denen unterschiedliche Akteure (gewählte Politiker, Interessenvertretungen, Medien, etc.) beteiligt sind. Die Wahrung von ‚Spielregeln’, die Rekrutierung der politischen Akteure und die Kommunikation des politischen Geschehens wird durch die Systemfunktionen gewährleistet. Outputs des politischen Systems sind hoheitlich durchgesetzte Entscheidungen wie bspw. Gesetze, Erlasse, Urteile und Verordnungen, die spezifische Wirkungen und Ergebnisse, d.h. Outcomes erzeugen. Diese Wirkungen erzeugen Feedbacks, die an unterschiedlichen Strukturelementen des politischen Systems wieder als Input Eingang finden. Systemfunktionen

Umwelt

Sozialisierung, Rekrutierung, Kommunikation

Strukturen InteressenParlament Parteien gruppen/ Regierung Verbände

Umwelt

Outcomes

Prozessfunktionen ImplemenInteressen- Interessen- Policytierung und artikulation aggregation making Überprüfung Outputs

- diffuse Unterstützung - spezifische Unterstützung

Inputs

Umwelt

Verwaltung Justiz

Umwelt Feedbacks

Abbildung 4-10: Modell eines politischen Systems Quelle: In Anlehnung an (Merkel 1999, S. 59) zitiert nach (Korte/Fröhlich 2004, S. 27)

Um das Zusammenwirken der unterschiedlichen politischen Akteure noch besser nachvollziehen zu können, werden politische Prozesse entlang von Policy-Zyklen untersucht (Korte/Fröhlich 2004, S. 29ff). Entlang der Phasen ‚Problemwahrnehmung und Problemdefinition’, ‚Entwickeln und Bewerten von Lösungsalternativen’, ‚Politikformulierung und Implementierung’, ‚Outcome/Impact’, ‚Evaluierung/Kontrolle’ und ‚Politisches Lernen’ werden Aktivitäten, Einfluss und Zusammenspiel unterschiedlicher Akteursgruppen untersucht, allerdings lässt das Modell keine Rückschlüsse über 112

die Kausalbeziehungen zwischen Zyklus-Phasen, Rahmenbedingungen des politischen Systems und Ergebnissen und Wirkungen zu. 4.4.1

Policy Netzwerke

Die Nachteile der vorgestellten Modelle – die Betrachtung des politischen Systems vernachlässigt die Akteursperspektive und prozessuale Elemente, während die Untersuchung von Policy-Zyklen kausale Zusammenhänge nicht erklären kann – führen zur Entwicklung unterschiedlicher Modelle politischer Regelungsstrukturen (Kuhlmann 1998, S. 40ff; Korte/Fröhlich 2004, S. 32ff). Staatliche und nicht-staatliche Akteure nehmen in unterschiedlichem Ausmaß Einfluss auf gesellschaftliche und politische Leistungs- und Steuerungsprozesse. Mayntz/Scharpf leiten daraus eine Gliederung in fünf nach der Handlungsfähigkeit staatlicher und gesellschaftlicher Akteure differenzierte Regelungsstrukturen ab (Mayntz/Scharpf 1995, S. 24ff). Staatliche Handlungsfähigkeit hoch

hoch

Korporatismus

Gesellschaftliche Handlungsfähigkeit

niedrig

niedrig

Kolonisierung

Politiknetzwerke

Etatismus

Markt Eigendynamik

Abbildung 4-11: Politische Regelungsstrukturen Quelle: (Mayntz/Scharpf 1995, S. 25)

Ein Policy-Netzwerk bezeichnet ein auf Dauer angelegtes Geflecht informeller politischer Beziehungen zwischen einer begrenzten Anzahl sachthemenspezifischer Akteure, die aus unterschiedlichen Bereichen (Politik, Administration, Interessengruppen) kommen, zum Zweck der Politikformulierung und -implementierung (Götz 2001, S. 92; Korte/Fröhlich 2004, S. 33; Marin/Mayntz 1991, S. 16). Je nach Policy-Bereich bilden sich aus dem Netzwerk jeweils spezifisch zusammengesetzte Entscheidungskonstellationen heraus.

113

Ziel von Policy-Netzwerken ist es, Entscheidungskosten zu verringern, indem bereits im Vorfeld formaler Entscheidungen Interessenausgleich hergestellt wird. Dabei bestehen zwischen den verschiedenen Akteuren eines Netzwerks auf Grund unterschiedlicher Ressourcen- bzw. Befugnisverteilungen z.T. asymmetrische Machtbeziehungen (Götz 2001, S. 92). Den Akteuren im Netzwerk stehen prinzipiell drei unterschiedliche Interventionsvarianten offen (Mayntz/Scharpf 1995, S. 26f): • Handeln im eigenen Interesse, wobei auf Ziele und Aktionen anderer soweit als möglich eingegangen wird. • Verfolgung separater institutioneller Interessen. Interaktion mit anderen Akteuren erfolgt im Rahmen von Aushandlungsprozessen. • Entwicklung gemeinsamer Situationsdeutungen und Zielvorstellungen. 4.4.2

Informationen als Grundlage für politische Entscheidungen

Die Darstellung des Handlungskorridors eines politischen Akteurs zeigt auf, dass die Lagebeurteilung eine Schlüsselstellung für die Entwicklung einer politischen Entscheidung hat (Korte/Fröhlich 2004, S. 203). Ebenso wichtig ist für einen im Netzwerk agierenden Politiker die Einschätzung möglicher Partner und Opponenten sowie Interessenskonstellationen, um erfolgreiche Koalitionen schließen zu können und die eigene Strategiewahl zielorientiert treffen zu können (Kuhlmann 1998, S. 42; Korte 2003b, S. 18). Informationen sind ein wichtiger Machtfaktor. Auf Grund knapper Zeit-Ressourcen sind politische Akteure darauf angewiesen, Informationen und Entscheidungen auf der Basis von Priorisierungsregeln zu filtern bzw. in eine Bearbeitungsreihenfolge zu bringen (Korte/Fröhlich 2004, S. 205). Um alle anstehenden Probleme bearbeiten zu können, sind regierungsverantwortliche Akteure auf die Entscheidungsvorbereitung von Seiten des administrativen Regierungsapparates angewiesen. Das Ergebnis sind zum einen hochaggregierte, zugespitzte Informationen und zum anderen auch das eigenständige Agenda-Setting durch Ministerien etc., das durch den Akteur zu bewerten ist. Um diese Priorisierungs- und Bewertungsaufgaben zu bewältigen, pflegen politische Akteure engen Kontakt zu Personen mit sog. Maklermacht (Korte/Fröhlich 2004, S. 206f), die meist in ihrem näheren Umfeld als persönliche Assistenten, Amtsleiter o.ä. angesiedelt sind. Ihr Einfluss geht weit über die aus dem Organigramm ablesbare Posi114

tion hinaus, da sie politische Akteure bei zentralen Aktivitäten wie Informations- und Ideengewinnung, Informations- und Ideenauswertung sowie Informationsinterpretation unterstützen (Korte 2003a, S. 33f). Darüber hinaus stellen sie und auch andere externe Ansprechpartner einen wichtigen Machtfaktor dar, indem sie dem politischen Akteur alternative Informationsquellen zugänglich machen, die eine unabhängige Bewertung der von der eigenen Verwaltung vorgelegten Unterlagen erlauben (Korte 2003a, S. 34). Die formellen und informellen Informationsaktivitäten politischer Akteure zielen darauf ab, • einen sog. „geistigen Fitnesskurs“ (Korte/Fröhlich 2004, S. 208) zu absolvieren, d.h. den aktuellen Stand der Dinge im Hinblick auf Sachlage, Argumentationsmuster, Willensbildung und organisatorische Details zu erarbeiten, • Informationen zu gewichten und zu selektieren, d.h. Brisanz und Verknüpfung von Themen einzuschätzen und nach Schadens- und Nutzenpotenzial zu priorisieren sowie • Herrschaftswissen zwischen unterschiedlichen Personen und Netzwerken zu fragmentieren, d.h. unterschiedliche Zusammensetzungen von Personen und Gruppen in Entscheidungsprozesse einzubinden, um Loyalität und Motivation zu erhalten und gleichzeitig Machtverhältnisse auszugleichen. 4.4.3

Information als Grundlage für parlamentarische Kontrolle

Die parlamentarische Kontrolle von Regierungsentscheidungen beinhaltet die „Überprüfung von Handlungen mit dem Ziel, Korrekturen durch Androhung von Sanktionen zu erwirken“ (Kevenhörster et al. 1975, S. 234). Grundvoraussetzung für die Funktion des Parlaments als Kontrollorgan und Sprachrohr des Wählerwillens ist die kontinuierliche Kommunikation mit Wählern, Interessenvertretern und Medien, um über aktuelle Probleme informiert zu sein (Kevenhörster et al. 1975, S. 234f). Insbesondere gilt dieser Informationsbedarf den Aktivitäten und Problemen der Regierung, um die parlamentarische Aufgabe der Leistungs- und Richtungskontrolle wahrnehmen zu können. Richtungskontrolle bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Einhaltung von politischen Zielvorstellungen der Parlamentsmehrheit überprüft wird, die Leistungskontrolle misst einzelne Regierungsvorhaben an diesen Zielvorga115

ben. Hierzu benötigt das Parlament laufend Informationen über Planung, Begründung und Auswirkungen und den Status von Regierungsaktivitäten. Durch das Übergewicht der Exekutive im politischen Entscheidungsprozess, d.h. die zunehmende Komplexität der Regierungspolitik und -aufgaben sowie die Möglichkeit selektiver Informationsweitergabe durch die Verwaltung, entsteht auf Seiten des Parlaments eine Informationslücke, die die Ausführung seiner Kontrollfunktionen erschwert (Kevenhörster et al. 1975, S. 235ff). Neben diesem traditionellen Informationsvorsprung der Verwaltung wird auch eine ‚neue’ Informationslücke konstatiert, die durch IT-unterstützte Informationsüberversorgung des Parlaments ausgelöst wird (Kevenhörster et al. 1975, S. 245ff). Im Gegensatz zu politischen Akteuren auf Seiten der Exekutive verfügen Parlamentarier nicht in vergleichbarem Umfang über einen Unterstützungsapparat, der die verfügbaren Informationen strukturiert, organisiert und verdichtet. Die menschlichen Grenzen der Informationsaufnahmen und -verarbeitung führen so beinahe zwangsläufig zu einer weiteren Verschiebung des Informationsgleichgewichtes zu Ungunsten des Parlaments. 4.4.4

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Politikern

Aus den dargestellten Rahmenbedingungen politischer Steuerung ergeben sich folgende Bestimmungsfaktoren für Informationsbedarf auf Seiten der politischen Akteure: • Rolle bzw. Funktion: Wichtigster Bestimmungsfaktor ist die Rolle eines politischen Akteurs im Rahmen des Policy-Kreislaufs. Als Vertreter einer Interessengruppe unterscheidet sich sein Informationsbedarf deutlich von dem eines Regierungs- oder Verwaltungsmitglieds. Gleichzeitig ist damit eine bestimmte Funktion im Hinblick auf das Treffen, Umsetzen und Kontrollieren von Entscheidungen verbunden. • Policy-Bereich: Die Zuordnung zu einem bestimmten Policy-Bereich ist ausschlaggebend dafür, welche Ausprägung von Policy-Netzwerk für die Arbeit des betreffenden Akteurs relevant ist. Im Unterschied zum Aspekt ‚Rolle/Funktion’ ist hierunter die thematische Ausrichtung zu verstehen, die jeweils unterschiedliche Kooperationspartner (Verbände, Interessengruppen, freie Träger von sozialer Arbeit, etc. ...) in einem Netzwerk miteinander verbindet.

116

Die Merkmale des resultierenden Informationsbedarfs sind in Abbildung 4-12 dargestellt.

Thema-tische Ausrichtung Zeitbezug entlang des PolicyZyklus Detaillierungsgrad Informationsebene Herkunft der Informationen

Informationen zu PolicyNetzwerken Informationen Informationen über Interesüber Akteure senbündel Probleminformationen, Informationen über Entscheidungsbedarf

Sachinformationen Situations-/ Themen/ LageinforAufgaben mationen

Informationen zu institutionellen Rahmenbedingungen

Entscheidungs-/ Handlungsalternativen

Umsetzungskontrolle und Outcomes

Hoch aggregierte Informationen

Detailinformationen

Beziehungsorientiert, subjektive Einschätzungen, ‚weiche’ Informationen

unpersönliche, objektive, ‚harte’ Informationen

Verwaltungsintern

Verwaltungsextern

Abbildung 4-12: Merkmale des Informationsbedarfs von Politikern Quelle: Eigene Darstellung.

Die Erkenntnisse zu den Rahmenbedingungen der politischen Führungsarbeit legen keine Schlüsse hinsichtlich Merkmalen bestimmter Funktionen nahe. Die dargestellte Informationsasymmetrie zwischen Regierung und Parlament ist weniger Ausdruck unterschiedlichen Informationsbedarfs als des einseitigen Zugangs zu entsprechenden Informationen. Das Merkmal Thematische Ausrichtung weist eine Zweiteilung auf in • Informationen zu Policy-Netzwerken, d.h. Informationen zu Akteuren eines solchen Netzwerks und zu Interessenbündel, die in einem Policy-Netzwerk verfolgt werden, • Informationen mit Sachbezug, die sich weiter untergliedern in Informationen zur Charakterisierung der aktuellen Situation, Informationen zu Themen und Aufgaben und Informationen zu institutionellen Rahmenbedingungen. Das Merkmal Zeitbezug orientiert sich an den Phasen des Policy-Zyklus und unterscheidet dementsprechend zwischen Informations- zu zukünftigem Entscheidungsbedarf, Informationen zu aktuellen Entscheidungsalternativen und Informationen zur Umsetzung und Wirkung bereits getroffener Entscheidungen. Hoch aggregierte Informationen, die gleichzeitig auch entsprechend grobrastrig sind, werden unter dem Punkt Detaillierungsgrad von Detailinformationen differenziert.

117

Auch im Zusammenhang mit dem Informationsbedarf von Politikern spielt die Informationsebene als Beschreibungsmerkmal eine Rolle. Sie weist die Ausprägungen beziehungsorientierte, bewertete oder weiche Informationen im Gegensatz zu objektiven, faktenorientierten Informationen auf. Bezüglich der Herkunft von Informationen zeigt sich eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen verwaltungsinternen und verwaltungsexternen Informationen. Die Kombinationsmöglichkeiten der Einflussfaktoren und Merkmale scheinen insbesondere durch die unterschiedlichen Rollenausprägungen sowie durch die verschiedenen Phasen im Policy-Zyklus geprägt. Ein beispielhaftes Informationsbedarfselement, das für den Bedarf eines gewählten Interessenvertreters charakteristisch sein könnte, wird bestimmt durch den Einflussfaktor Rolle (hier Interessenvertreter), der meist eng verknüpft ist mit einer inhaltlichen und/oder geographischen Ausrichtung des bearbeiteten Policy-Bereiches, z.B. Sozialpolitik und Verantwortung für einen bestimmten Wahlkreis. Ausgehend von der Ausprägung ‚Umsetzungkontrolle’ beim Merkmal Zeitbezug im Policy-Zyklus, d.h. Überwachung der Ausführung der getroffenen politischen Entscheidungen, ist dieses Bedarfselement weiterhin charakterisiert durch die Aspekte Ausrichtung auf Sachinformationen, hoher Aggregationsgrad, objektive Informationsebene und Fokus auf verwaltungsinterne Informationen. Auch hier gilt es, die Zahl der theoretisch möglichen Kombinationen aus Einflussfaktoren und Bedarfsmerkmalen an der Empirie zu spiegeln, um zu plausiblen und realitätsnahen Informationsbedarfselementen zu gelangen, die als Analyseinstrument für Informationsbedarf geeignet sind. 4.5

Rahmenbedingungen des Verwaltungsmanagements

Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung bzw. in Kommunalverwaltungen stehen spezifischen Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen gegenüber, die sich in mehrerlei Hinsicht von der Arbeit in Wirtschaftsunternehmen unterscheidet und somit auch spezifischen Informationsbedarf bedingt (Damkowski/Precht 1995, S. 24ff): Verwaltungsmanager sehen sich in größerem Umfang komplexen Verknüpfungen von äußeren Einflussfaktoren gegenüber, sie sind stärker in formale Abläufe eingebunden und verwenden mehr Zeit auf den Austausch mit Anspruchsgruppen innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation. Entscheidungen der Verwaltungsführungen haben mehr politische Relevanz als Entscheidungen des Topmanagements in Unternehmen und sind daher von sorgfältigen Abwägungen der einzelnen Interessen geprägt (Mintzberg 1980, S. 108). 118

Sowohl die Gegebenheiten der öffentlichen Verwaltung im Allgemeinen als auch die Besonderheiten der Führungsaufgaben der Kommunalverwaltung im Besonderen spielen hierbei eine Rolle. 4.5.1

Strukturelle Rahmenbedingungen

In vieler Hinsicht ähnelt die öffentliche Verwaltung einem Dienstleistungsbetrieb, denn nur ein geringer Teil der Verwaltungsmitarbeiter beschäftigt sich tatsächlich mit hoheitlichen Aufgaben (Ellwein 1977, S. 341). Dennoch unterscheidet sich die öffentliche Verwaltung in einigen wesentlichen Merkmalen von einem Dienstleistungsunternehmen (Poetzsch-Heffter 1991, S. 34; Damkowski/Precht 1995, S. 27): Die Arbeit und Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung müssen sich am Gemeinwohl orientieren und sind in größerem Umfang Gegenstand rechtlicher Kontrollen und Überwachung, als dies bei privatwirtschaftlichen Dienstleistern der Fall ist. Während die Zielsetzung eines Wirtschaftsunternehmens in der Regel eindeutig auf Profitabilität ausgerichtet ist, verfolgt die öffentliche Verwaltung meist komplexe Zielbündel wie bspw. Verbesserung der Lebensqualität, Umweltschutz, Wirtschaftsförderung usw. Darüber hinaus kann die öffentliche Verwaltung nicht über das Spektrum der angebotenen Dienstleistungen entscheiden, da diese weitgehend gesetzlich vorgegeben sind. Das Ziel der Arbeit der Verwaltungsführung wird definiert als „einen optimalen Ausgleich zwischen den Erfordernissen aus dem Verwaltungszweck, den Verwaltungsaufgaben und den ressourcialen Bedingungen durch Organisationsgestaltung herzustellen“ (Grimmer 1991, S. 96). Die damit zusammenhängenden Aufgaben der Verwaltungsführung können grob gegliedert werden in (Poetzsch-Heffter 1991, S. 32f): • Zielbestimmung und deren kontinuierliche Weiterentwicklung, d.h. die Entwicklung eines Zielkonzeptes in Form eines Regierungsprogramms oder auch konkreter Regierungsentscheidungen, sowie die mittel- und langfristige Planung für dessen Umsetzung; die erforderlichen Informationen werden auf Ressortebene vorbereitet und verdichtet und in Form von Vorentscheidungen vorgelegt. • Leitung der Zielverwirklichung, d.h. im Rahmen des laufenden Geschäftes ist die Umsetzung des Zielkonzeptes durch Konkretisierung der Zielvorgaben, 119

Verabschiedung von Gesetzen oder Verordnungen sowie entsprechender Haushaltsplanung voranzutreiben. Auch hier wird ein großer Teil der Entscheidungsvorbereitung durch die zuständigen Ressorts übernommen. Aufgabe der Regierung ist es, die verdichteten Informationen zu bewerten, Vorschläge ggf. zu korrigieren und zur Umsetzung zu bringen. • Sicherung des politischen Konsenses zu Zielbestimmung und -verwirklichung, d.h. Pflege eines intensiven Kontakts zu Fraktionen und Interessenvertretern, um die Meinung der Öffentlichkeit in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen und Regierungsentscheidungen angemessen zu kommunizieren. Inhaltlich fallen in den Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung die Gewährleistung von Ordnung, die Vermittlung und Zuweisung von Leistungen, die Durchführung, Planung und Vorbereitung rechtlicher Regelungen sowie die Bereitstellung von Ressourcen (Grimmer 1997, S. 14). Darüber hinaus können Verwaltungsaufgaben auch nach Politikfeldern wie z.B. Sozialaufgaben, Polizeiaufgaben, etc. unterschieden werden (Grimmer 1997, S. 17). Die Organe der öffentlichen Verwaltung erfüllen ihre Aufgaben nicht alleine. Private Träger und Kooperationen öffentlicher und privater Stellen spielen in bestimmten Bereichen eine wichtige Rolle (Grimmer 1997, S. 13). Je nach Politikfeld hat folglich die Koordination unterschiedlicher Kooperationspartner eine spezifische Bedeutung. Innerhalb dieser Aufgabenbereiche nehmen Entscheidungen einen Großteil der Führungsarbeit von Verwaltungsmanagern ein. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung werden im Wesentlichen zwei Typen von Entscheidungen unterschieden: Konditionalentscheidungen und Innovations- bzw. Planungsentscheidungen (Fuchs 1988, S. 13f). Konditionalentscheidungen spielen sich innerhalb eines durch Gesetze oder andere Vorgaben gesteckten Rahmens ab. Die Erfüllung bestimmter Vorbedingungen wird geprüft und führt regelbasiert zu einer Entscheidung. Anders ist dies im Fall von Innovations- oder Planungsentscheidungen. Zwar gibt es auch hier vorgegebene Grenzen für die Entscheidung, allerdings liegt die Berücksichtigung von Handlungszielen, Mittelrestriktionen und anderen Rahmenbedingungen und deren Gewichtung in der Hand des entscheidenden Akteurs, der sich nicht auf Regeln zurückziehen kann. Im Gegensatz zu Konditionalentscheidungen kann sich der Akteur bei einer komplexen Planungsentscheidung nicht auf gewohnheitsmäßige Schritte und Routinen 120

stützen, da die Entscheidungssituation i.d.R. als neu empfunden wird und keine verwendbaren Routinen vorhanden sind. Derartige komplexe Entscheidungssituationen sind gekennzeichnet durch folgende Merkmale (Fuchs 1988, S. 15): • Die Entscheidungsmerkmale sind zu Beginn unklar oder fehlen völlig. • Die Art und Zahl der entscheidungsrelevanten Faktoren ist nicht vollständig bekannt. • Mehrere Ziele sind gleichzeitig zu berücksichtigen, die untereinander auch konfliktär sein können. • Das Entscheidungsfeld besteht aus einer großen zum Teil zunächst nicht überschaubaren Anzahl möglicher Alternativen. • Verschiedene Entscheidungsalternativen sind dabei mit unterschiedlichen Zielkombinationen verbunden. • Die Effekte einer getroffenen Entscheidung sind im Entscheidungszeitpunkt nicht vollständig zu überblicken (Nebenwirkungen). • Werte und Präferenzen sind wesentliche Entscheidungskomponenten. Als natürliche Reaktion auf die durch die neuartige, komplexe Entscheidungssituation ausgelöste Unsicherheit, versucht man, die fehlenden Informationen zu beschaffen (Fuchs 1988, S. 17f). Dabei hängen Art und Umfang der als erforderlich erachteten Informationen vom Vorwissen und der Erfahrung des Akteurs ab (Groffmann 1997, S. 12). Die zur Entscheidungsvorbereitung erforderlichen Informationen können grob in die drei Kategorien Sachinformationen, Verfahrensinformationen und politische Informationen eingeteilt werden (Poetzsch-Heffter 1991, S. 35f). Unter Sachinformationen versteht man fachliche Aspekte, die zur Vorbereitung von Einzelentscheidungen oder auch längerfristigen Planungsentscheidungen herangezogen werden. Verfahrensinformationen dienen dazu, sich über den Status von Aktivitäten oder Projekten zu informieren. Sie beinhalten sowohl strukturelle Informationen über den Ablauf und beteiligte Stellen an einem Verwaltungsprozess, als auch inhaltliche Abfragen über den konkreten Stand eines bestimmten Projektes. 121

Politische Informationen beziehen sich auf die Reaktionen auf Regierungsentscheidungen oder -vorschlägen von Personen und Gruppen, die am Meinungsbildungsprozess beteiligt sind. Sie geben darüber Aufschluss, wer in welchem Umfang Einfluss auf diesen Prozess hat und wie wahrscheinlich ein Konsens zu einem bestimmten Thema ist. Bereich

Quellen

Informationen der Aufgabenwahrnehmung/ Verfahrensinformationen Informationen über Normen und Regeln, z.B. zu den Rechten der Führungskraft Verfahrensinformationen, z.B. zum Gang einer (Gesetzes) Vorlage und zu Dienstwegen Kontextinformationen, z.B. zu Sitzungsterminen und Sitzungsorten Informationsbeschaffungswissen

Satzungen, Gesetze, ... Handbücher der Verwaltung, Handbücher zur Parlamentsarbeit/ Ratsarbeit, mündlich übermitteltes Wissen Sitzungskalender, Bekanntmachungen der Verwaltung, mündlich übermitteltes Wissen Informationskataloge, mündlich übermitteltes Wissen

Informationen der Aufgabenerledigung/ Sachinformationen Allgemeine fachliche Informationen Aktuelle Informationen der Stadt, des Bundeslandes, .. Einzelfallbezogene Informationen

Tagespresse, Fernsehen, Rundfunk, Gespräche, Dokumente ... Bürgerkontakte, Lokalpresse, Verbände, Kontakte in der Verwaltung und im Parlament/ Gemeinderat Vorlagen, Berichte von Ämtern, Tagesordnungen, Protokolle, externe Experten, rechtliche Grundlagen

Politische Informationen Allgemeine Informationen zur Stimmung zu bestimmten Themen, Informationen zu konkreten Entscheidungen Informationen zum Einfluss bestimmter Personen/ Gruppen

Presse, Meinungs- und Interessenvertreter, Bürgerkontakte, .. Verbände, Interessenvertreter, Personen mit Maklermacht, ...

Tabelle 4-3: Informationen der Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenerledigung Quelle: In Anlehnung an (Grimmer 1997, S. 22f; Poetzsch-Heffter 1991, S. 35f; Vöhringer 2004, S. 206)

Allerdings hört sich dies (die für eine Entscheidung erforderlichen Informationen beschaffen) zunächst einfacher an, als es ist. Nicht nur begrenzte personelle oder finanzielle Ressourcen oder die Verfügbarkeit von bestimmten Informationen schränken die Beschaffungsmöglichkeiten ein, auch die häufig beschränkte Vorbereitungszeit für Entscheidungen führt dazu, dass vollständige Information nicht erzielt werden kann. Darüber hinaus verlieren bereits gesammelte Informationen auch wieder an Aussagekraft, je länger ihr Erhebungszeitpunkt zurück liegt bzw. in dem Moment, in dem sich die Rahmenbedingungen einer Entscheidung ändern (Fuchs 1988, S. 17). 122

Daher greifen Entscheider in dieser Situation nicht nur auf recherchierbare Informationen, sondern auch auf die Unterstützung durch informelle Beziehungen zu Ratgebern und Vertrauenspersonen zurück, um die Informationslage zu analysieren und zu bewerten18 (Luhmann 1966, S. 57). Die Tendenz der Reduktion sozialer und informationeller Komplexität über den Mechanismus des persönlichen Vertrauens konstatiert König unter dem Stichwort Personalisierung der Führung (1991, S. 72f). Diese Entwicklung wird als Reaktion aufgefasst auf die Veränderung der Entscheidungsfindung, weg von auf Aktenlage basierenden stark formalistischen Problemlösungsprozessen, hin zu flexiblen gemeinschaftlichen Problemkonstruktions- und Aushandlungsprozessen in Policy-Netzwerken. Sie gehen in zunehmendem Umfang mit echten Entscheidungen einher, für die es keine Routinen gibt (siehe auch Ladeur 1998, S. 257). Aus der dargestellten Differenzierung der Führungsaufgaben lassen sich auf Seiten der Verwaltungsspitze zumindest zwei verschiedene Führungsebenen mit unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten und Informationsbedarf unterscheiden (PoetzschHeffter 1991, S. 36ff): Die Aufgaben der Regierung, d.h. Regierungschef und Kabinett, bestehen in erster Linie darin, Entscheidungen hinsichtlich der Zielbestimmung und Prioritätensetzung zu treffen. In diesem Zusammenhang müssen die anstehenden Entscheidungen sowohl hinsichtlich ihrer Konsequenzen auf den politischen Konsens geprüft werden, als auch bezüglich ihrer Umsetzbarkeit vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Informationen, die auf Regierungsebene in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden, basieren hauptsächlich auf individueller Einschätzung des Risikos, der politischen Dringlichkeit u.a. Kriterien. Den Ressorts obliegt es, Zielsetzungen zu erarbeiten und die von der Regierung verabschiedeten Zielvorgaben auf Basis ihrer Fachsicht zu konkretisieren und entsprechende Maßnahmen und Lösungsansätze zu entwickeln. Dafür sind Informationen bezüglich des gegenwärtigen und zukünftigen Handlungsbedarfs der einzelnen Fachbereiche erforderlich, die in dem jeweils abgedeckten Zeithorizont (kurz-, mittel- und langfristig) den Dimensionen der betreffenden Maßnahmen entsprechen müssen. Ne-

18

Vgl. Ausführungen zu Personen mit Maklermacht in Kapitel 4.4.

123

ben Sachinformationen sind auch auf Ressortebene häufig politische Informationen bei der Planung zu berücksichtigen. 4.5.2

New Public Management - Neues Steuerungsmodell

Ausgehend von der zunehmend als unzureichend empfundenen bürokratischen Organisation der Verwaltung wurden zuerst in angloamerikanischen Ländern und wenig später auch in Europa unter dem Stichwort ‚Reinventing Government’, New Public Management oder Neues Steuerungsmodell zahlreiche Reformansätze zur Neugestaltung der öffentlichen Verwaltung entwickelt (Ösze 2000, S. 54). Die Zieldimensionen dieser Konzepte weisen über die unterschiedlichen Autoren und Nationen eine hohe Übereinstimmung auf, die in Tabelle 4-4 dargestellt ist. Die Inhalte der Zieldimensionen werden im Anschluss kurz vorgestellt.

x

x

x

Homes/Shand (NZ)

x

x

x

x

x

Hood (GB)

x

x

x

Barzelay (GB)

x

Thompson (USA)

x

Borins (Kanada)

x

x

Budäus (D)

x

x

Klages/Loeffler (D)

x

x

Reinermann (D)

x

x

Mussari (I) OECD Puma

Markt- und Wettbewerbsorientierung

Ziel- und Strategieorientierung

x

Rollenverständnis

x

Prozess- und Qualitätsorientierung

Pallot (NZ)

Autor (Land)

Wirkungsorientierung

Personal- und Organisationsorientierung

Zieldimensi onen

x

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x x

x x

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x x

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x x

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Schedler (CH)

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x

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Mastronardi (CH)

x

fakultativ

fakultativ

fakultativ

x

fakultativ

Tabelle 4-4: Zieldimensionen des NPM in der internationalen Literatur Quelle: (Ösze 2000, S. 55)

124

Der in Deutschland vorherrschende Begriff ‚Neues Steuerungsmodell’ (NSM) beinhaltet bereits im Titel als zentralen Gegenstand der Reform die Steuerungsinstrumente der Verwaltung. In der klassischen Betriebswirtschaftslehre wird Steuerung genau wie Planung als Führungsinstrument definiert (Schweitzer 2001, S. 20f). Wie in Unternehmen auch, werden in der öffentlichen Verwaltung zur Erreichung von Zielen und für die Erledigung von Aufgaben Pläne erstellt. Nur selten können Planungen ohne Störungen und Zwischenfälle genau so wie ursprünglich gedacht umgesetzt werden. Die Aufgabe der Steuerung ist es, solche Störungen zu erkennen und die Umsetzung der Planung durch gezielte (korrigierende) Eingriffe zu ermöglichen. Im Zusammenhang mit dem NSM wird der Begriff der Steuerung etwas weiter gefasst als in der betriebswirtschaftlichen Literatur. Der Steuerungsprozess umfasst hier auch schon den Prozess der Planung für ein Ziel oder eine Aufgabe. Die Zieldimensionen, die mit der Umsetzung des NSM angestrebt werden, werden im Folgenden kurz dargestellt. 4.5.2.1 Wirkungsorientierung Herkömmliche Steuerungsansätze nahmen in erster Linie Einfluss auf die Mittel, die der Verwaltung zur Verfügung gestellt wurden, d.h. Prioritäten wurden gesetzt über den Mittelumfang, der für bestimmte Bereiche zur Verfügung gestellt wurde. Dieser Steuerungsgrundsatz wird auch als Inputsteuerung bezeichnet. Prinzipiell kann Verwaltungssteuerung Einfluss nehmen auf die Ziele der Verwaltungsarbeit, die Produkte der Verwaltung und die zur Verfügung stehenden Mittel (Schedler/Proeller 2000, S. 113f). Wichtigster Steuerungsgegenstand des Neuen Steuerungsmodells sind nicht mehr die Mittel sondern die Produkte der Verwaltungsarbeit, daher wird dieser Steuerungsgrundsatz auch als output- oder wirkungsorientierte Steuerung bezeichnet. Ziel der Steuerung ist es, bestimmte Wirkungen zu erzielen, die mithilfe der Produkte der Verwaltungsarbeit möglichst genau definiert werden und deren Erreichung überprüft wird. 4.5.2.2 Prozess- und Qualitätsorientierung Mit dem Ziel, die Verwaltungsarbeit effektiver, effizienter und produktiver zu machen und gleichzeitig sowohl die Qualität des Leistungserstellungsprozesses als auch der produzierten Leistung zu verbessern, sollen ganzheitliche Wertschöpfungsketten gebildet werden. Statt der bislang vorherrschenden vertikal-funktionsorientierten Be125

trachtung

steht

Funktionsintegration

und

Prozesssteuerung

im

Vordergrund

(Reinermann 2000b, S. 26). Ursprünglich wurde im Verwaltungsumfeld unter Qualität verstanden, dass Verwaltungsabläufe ordnungsgemäß und entsprechend der rechtlichen Rahmenbedingungen abgewickelt werden. Im Zuge von Kundenorientierung und Wirkungsorientierung wurde der Qualitätsbegriff neu definiert und die bisherigen Kriterien der Recht- und Ordnungsmäßigkeit als nicht mehr ausreichend erachtet (Schedler/Proeller 2000, S. 65). Entsprechend der ISO Norm 9000 wird Qualität definiert als das Erfüllen von Erwartungen und Erfordernissen (Normenausschuss Qualitätsmanagement Statistik und Zertifizierungsgrundlagen (NQSZ) im DIN Deutsches Institut für Normierung e.V. 2000).Die Qualitätsdefinition nach ISO ist für eine konkrete Anwendung zu breit gefasst, daher werden unterschiedliche Typen oder Anwendungsbereiche des Qualitätsbegriffs differenziert (Schedler/Proeller 2000, S. 65f): • Produktbezogene Qualität definiert Unterschiede im Hinblick auf die Eigenschaften von Produkten, d.h. man unterscheidet bspw. das reine Produkt ‚Wohnsitz ummelden' von dem erweiterten Produkt ‚Wohnsitz ummelden und Beratung bezüglich weiterer umzugsbezogener Dienstleistungen'. • Kundenbezogene Qualität bezieht sich auf die Ziele, die mit der Erstellung einer Leistung verbunden werden bspw. Kundenzufriedenheit oder Aufklärung der Kunden über Verwaltungsabläufe. • Prozessbezogene Qualität hebt auf den Prozess der Leistungserstellung ab. Kriterien sind hier bspw. Schnelligkeit des Ablaufs oder Fehlerquote. • Wertbezogene Qualität betrachtet das Kosten-Leistungs-Verhältnis oder das Kosten-Wirkungs-Verhältnis eines Produktes. • Auch die Politik als Auftraggeber von Verwaltungsleistungen hat eine eigene Sicht auf den Qualitätsbegriff. Der Nutzen für die Gesellschaft wird u.a. unter dem Stichwort Politische Qualität berücksichtigt. 4.5.2.3 Rollenverständnis Die Politik, das Parlament oder der Rat haben laut NSM die Aufgabe, Ziele in einem strategischen Konzept festzulegen. Zu deren Umsetzung werden Mittel global, d.h. ohne Abstimmung über Einzelpositionen für konkrete Maßnahmen, genehmigt. Allerdings muss die Zusammensetzung dieser Budgets offen gelegt werden. Die Verwal126

tungsführung kümmert sich darum, aus den vorgegebenen Zielsetzungen Leistungsaufträge für die verschiedenen beteiligten Verwaltungseinheiten zu formulieren (Schedler/Proeller 2000, S. 134f). Ziel ist es, strategische Planung als Aufgabe der Politik von operativer Umsetzung als Aufgabe der Verwaltung zu trennen (Reinermann 1998, S. 44). Vorteile dieses neuen Rollenverständnisses sind größere Flexibilität, größere Motivation bei den Verwaltungsmitarbeitern durch mehr Verantwortung, weniger staatliche Monopole durch mehr Wettbewerb, wirksame Aufgabenerledigung und Förderung des Kostenbewusstseins. Diesen Vorteilen stehen allerdings auch Probleme gegenüber: Von politischer Seite ist Umdenken notwendig für die neue Rollenverteilung, außerdem sind aufwändige Kontrollmechanismen erforderlich für die Sicherstellung der Einhaltung der Vereinbarungen (Reinermann 1998, S. 44f; Schedler/Proeller 2000, S. 134f). 4.5.2.4 Personal- und Organisationsorientierung Die Entwicklung zur ‚menschlichen Verwaltung’, mit der sich Mitarbeiter identifizieren können und die durch Verstehbarkeit für Bürger und Beschäftigte Motivation und Bürgernähe fördert, ist eine weitere Vision des NSM (Reinermann 2000b, S. 25; Schedler/Proeller 2000, S. 49f). Instrumente, um diese Vision in die Realität umzusetzen, sind Deregulierung, Transparenz und Verwaltungsvereinfachung sowie Delegation von Entscheidungs- und Ausführungskompetenzen (Reinermann 2000b, S. 25ff). Darüber hinaus dienen Instrumente der Personal- und Organisationsentwicklung dazu, Mitarbeiter über Qualifikationsmaßnahmen auf die veränderten Anforderungen vorzubereiten, Anreizstrukturen zu schaffen und Organisationsstrukturen zu vereinfachen und zu flexibilisieren. 4.5.2.5 Ziel- und Strategieorientierung Im Sinne des oben dargestellten Rollenverständnisses wird von der Politik erwartet, unter Berücksichtigung auch längerfristiger Entwicklungen und Wirkungszusammenhänge eine strategische Ausrichtung und Vision für die Arbeit der öffentliche Verwaltung zu entwickeln. Innerhalb der definierten Zielbündel ist es ebenfalls Aufgabe der Politik, vor dem Hintergrund von Kostenüberlegungen Priorisierungen vorzunehmen (Reinermann 2000b, S. 27).

127

Der Umsetzungsauftrag der strategischen Zielsetzungen in konkrete Maßnahmen erfolgt an die Verwaltung über Kontrakte, die Zielvereinbarungen über Menge, Qualität und Kosten der zu erbringenden Leistung enthalten. Die Bedürfnisse und Interessen, die in die Ausgestaltung der Ziele der Verwaltungsarbeit einfließen, sind sehr unterschiedlich, daher wird es oft als besonders schwierig bezeichnet, in der öffentlichen Verwaltung für alle Arbeitsbereiche Ziele zu definieren (Schedler/Proeller 2000, S. 117). Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass die Arbeit ohne Zielausrichtung ineffektiv wird. Zwei Arten von Zielen sind für jedes Verwaltungsprodukt zu ermitteln: Das übergeordnete Sachziel, das Auskunft gibt über die Wirkung, die mit dem jeweiligen Produkt angestrebt werden soll, und das mit dem Produkt konkret verknüpfte Leistungsziel für eine bestimmte Betrachtungsperiode (¼ jährlich, ½ jährlich, etc.). Die Definition von Zielen ist ein schrittweise ablaufender Prozess, in den immer wieder Informationen von außen einfließen, Schritte auch immer wieder wiederholt werden und Resultate mit den Ergebnissen früherer Durchläufe verglichen werden. Am Ende des Prozesses der Zieldefinition steht ein Konstrukt von Oberzielen und Unterzielen. Es ist geklärt, welche Unterziele welchen Beitrag zu welchen Oberzielen leisten und wie die einzelnen Ziele unter einander priorisiert sind. 4.5.2.6 Markt- und Wettbewerbsorientierung Das NSM geht von der Prämisse aus, dass funktionierender Wettbewerb dazu führt, dass nur begrenzt vorhandene Mittel und Ressourcen möglichst effizient verteilt werden (Schedler/Proeller 2000, S. 45). Mit dieser Annahme geht man sogar so weit, dass die Verteilung der knappen Mittel umso effizienter geschehen soll, je größer der Konkurrenzdruck ist. Im NSM versucht man daher, sich diese Zusammenhänge zu Nutze zu machen, indem man an möglichst vielen Stellen in der öffentlichen Verwaltung Marktprinzipien einführt. Ein Schritt auf dem Weg zu Marktprinzipien ist, dass sich einzelne Stellen in der Verwaltung, die Leistungen erbringen oder in Auftrag geben, tatsächlich wie Anbieter und Kunden verhalten (Schedler 1998, S. 17): Leistungen werden intern verrechnet, d.h. die Stelle, die eine Leistung in Auftrag gibt, hat formal einen Betrag aus ihrem Budget für die Erbringung zu entrichten. Gleichzeitig kann die Stelle, die eine Leistung erbringt, den entrichteten Betrag als Einnahmen verbuchen. In der Folge sind die leistungserbringenden Stellen – vorausge128

setzt es gibt Alternativanbieter - an der Zufriedenheit ihrer ‚Kunden’ und an einer gleichbleibenden Servicequalität interessiert, d.h. sie kümmern sich auch bei Reklamationen um die Behebung von Mängeln und die Verbesserung der betreffenden Leistungen. 4.5.2.7 Controlling Ergänzend und auch gewissermaßen übergreifend zu den bislang vorgestellten Prinzipien des Neuen Steuerungsmodells ist die Einführung eines ‚politischen’ Controllings zu nennen (Schedler 1998, S. 128ff). Als Gegenpol zum Rückzug auf die Vorgabe strategischer Zielrichtungen bzw. Delegierung von Ausführungsverantwortung benötigen Politik und Verwaltungsführung neue Instrumente zur Koordination und Kontrolle. In diesem Zusammenhang ist die Einführung eines Controllingkonzeptes ein weiteres zentrales Element des NSM (Gornas 1998, S. 205ff). Controlling in der öffentlichen Verwaltung wird aus Managementperspektive definiert als ein Instrument zur „Optimierung der verwaltungsbetrieblichen Input-OutputRelation auf der Grundlage der gesetzlichen Grundlagen und Restriktionen“ (Gornas 1998, S. 205). Anders ausgedrückt versucht man, mithilfe von Controlling die Einzelelemente des Neuen Steuerungsmodells zu einem ganzheitlichen Steuerungsinstrument zu integrieren. Hierfür werden zum einen kosten- und leistungsbezogene Instrumente aber auch fachliche, qualitätsbezogene und führungsunterstützende Aspekte sowie bereits vorhandene Steuerungsinstrumente zusammengeführt (Hofman/Lutz 1999, S. 2ff). Controlling wird dementsprechend nicht als Ersatz für bislang eingesetzte Steuerungsinstrumente gesehen, sondern als Werkzeug zur Integration von Informationsflüssen und Steuerungsprozessen mit dem Ziel einer ganzheitlichen Steuerung der Verwaltung. Abbildung 4-13 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Controlling erhält im Rahmen des NSM noch eine stärkere Bedeutung, da Dezentralisierung unter dem Stichwort Kontraktmanagement und Dezentrale Fach- und Ressourcenverantwortung ein wesentlicher Bestandteil des NSM ist (siehe oben). Dies äußert sich in der Schaffung zunehmend autonomer Betriebseinheiten im Sinne einer verteilten Verwaltung, die der zielgerichteten Steuerung und Kontrolle bedürfen (siehe auch Reinermann 2000b, S. 25ff). Das zu installierende Controllingkonzept hat zwei Aufgaben zu verfolgen: Einerseits die technische Umsetzung der Steuerung und Kontrolle unter anderem mit Hilfe eines 129

Informations- und Kommunikationssystems und andererseits die Zusammenführung der dezentralen Aktivitäten in Richtung eines einheitlichen Verwaltungshandelns.

Zielvereinbarungen

Organisationsentwicklung

Personalentwicklung

Kosten- und Leistungstransparenz

Verwaltungscontrolling

Wettbewerbsorientierung

Budgetierung

Dez. Fach- und Ressourcenverantwortung

Qualitätsmanagement

Abbildung 4-13: Controlling als zentrale Klammer der Steuerungselemente Quelle: (Hofman/Lutz 1999, S. 3)

Bei der Erfüllung dieser Aufgaben stehen die beiden Funktionen Information und Innovation im Vordergrund. Zum einen sollen der Verwaltungsführung Informationen geliefert werden, die eine kosten- und ergebnisorientierte Steuerung ermöglichen, ebenso wie eine fachbereichsübergreifende Koordination der Verwaltungsprozesse in den Fach- und Betriebseinheiten. Zudem sind die Entscheidungsprozesse der Führungskräfte in Verwaltung und Politik mit steuerungsrelevanten Informationen zu unterstützen und die Basis für eine effektive Öffentlichkeitsarbeit zu liefern. 4.5.3

Veränderung der Führungsarbeit durch das Neue Steuerungsmodell

Bedingt durch die Reformen im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells verändern sich die Anforderungen an das Verwaltungsmanagement. Wo früher stark strukturierte Routinetätigkeiten vorherrschten, ist nun Flexibilität und kooperatives Arbeiten gefordert ( siehe auch Ladeur 1998, S. 256). Klages und Gensicke stellen herkömmliche und aktuelle Anforderungen an die Verwaltungsführung gegenüber (1996, S. 36ff) zitiert nach (Vöhringer 2004, S. 155). Die Zunahme wenig strukturierter, komplexer Aufgaben, die unter Beteiligung mehrerer Kooperationspartner erfüllt werden, bedingt eine wachsende Bedeutung von ad hoc entstehendem Informationsbedarf nicht nur zu Sachthemen, sondern auch zu Akteuren im Netzwerk. Im Hinblick auf die Beständigkeit von Akteurskonstellationen oder Kooperationsbeziehungen wird unterschieden zwischen dauerhaften und tempo130

rären Beziehungen, die bspw. nur für die Dauer eines Projektes bestehen (Grimmer 1997, S. 46). Führungsbedingungen der herkömmlichen Verwaltung Überwiegend gleichbleibende und routinisierbare, gleichzeitig auch einfache, von ‚oben’ leicht durchschaubare Arbeitsaufgaben

Führungsbedingungen der gegenwärtigen Verwaltung Zunahme komplexer, schwach strukturierter, veränderlicher, begrenzt routinisierbarer, oft schwer durchschaubarer Arbeitsaufgaben

Vorherrschen einer Routine-Technologie

Vordringen von Nicht-Routine-Technologien

Überwiegend wenig qualifizierte, leicht kontrollierbare, durch Befehl bzw. Weisung steuerbare Mitarbeiter Pflicht- und Akzeptanzwerte im Vordergrund des Wertehaushalts (Bereitschaft zum bedingungslosen Gehorsam)

Hoher Anteil qualifizierter Mitarbeiter, die nicht mehr ohne weiteres durch Befehl oder Weisungen steuerbar sind Vordringen gesellschaftlicher Selbstentfaltungswerte und Abnahme der bedingungslosen Gehorsamsbereitschaft Übergang zu einer dezentralen handlungs-, entscheidungs-, und selbstkontrollfähigen Organisationsform (Neues Steuerungsmodell)

Hierarchische, weisungs-, regel-, und kontrollorientierte bürokratische Organisation

Tabelle 4-5: Wandel der Führungsbedingungen der Verwaltung Quelle: (Klages/Gensicke 1996, S. 36ff) zitiert nach (Vöhringer 2004, S. 155).

4.5.4

Unterstützung von Verwaltungsmodernisierung durch IT

Viele der Reformen und Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells werden durch den Einsatz von IT erst ermöglicht, da nur so die Menge der hierfür zu verarbeitenden Informationen sinnvoll strukturiert und verfügbar gemacht werden kann (Schwabe 2000, S. 160). Schwabe gibt einen Überblick über das Unterstützungspotenzial von IT im Hinblick auf unterschiedliche Reformmaßnahmen (2000, S. 161) (vgl. Tabelle 4-6). Schwerpunkte der Verwaltungsmodernisierung

Unterstützende und beeinflussende Informationstechnologie

1. Dezentralisierung Entwicklung der Arbeitsorganisation

Telekooperation

Dezentrale Steuerung

Führungsinformationssysteme 2. Outputsteuerung

Produktbildung

Betriebliche Standardsoftware

Berichtswesen, Controlling

Führungsinformationssysteme

Budgetierungsvarianten

Betriebliche Standardsoftware

Qualitätsmanagement

Computer Aided Team, Betriebliche Standardsoftware

131

Schwerpunkte der Verwaltungsmodernisierung

Unterstützende und beeinflussende Informationstechnologie

3. Marktorientierte Organisationsentwicklung Privatisierung, Verselbständigung

EDI, E-Business

Compulsory Competitive Tendering/ Markttest

E-Commerce

Auftraggeber-Auftragnehmer-Modelle (KäuferLieferantenmodelle, Betreibermodelle)

Flexible Workflowsysteme

4. Personalentwicklung Personalplanung und –verwaltung

Personalinformationssysteme

Weiterbildung

Telequalifikation (E-Learning) 5. Demokratisierung der Gemeindeverwaltung

Schwerpunkte der Verwaltungsmodernisierung

Unterstützende und beeinflussende Informationstechnologie

Autonomie der Gemeinde/staatliche Dezentralisierung

Telekooperation

Verhältnis Politik zur Verwaltungsspitze

Telekooperation, Ratsinformationssysteme

Verhältnis Verwaltung zu Bürger

Bürgerinformation, Bürgerservices, computerunterstützte Workshops

6. Rückverlagerung der staatlichen Aufgaben 7. Optimierung der Geschäftsprozesse Reorganisation

Geschäftsprozessmodellierungswerkzeuge

Ablaufsteuerung

Workflow-Systeme

Ablaufunterstützung

Groupware, Telekooperation, Intranet

Tabelle 4-6: Unterstützung der Verwaltungsmodernisierung durch Informationstechnologie Quelle: (Schwabe 2000, S. 161)

Im Gegensatz zu dieser noch sehr technikzentrierten Sicht leitet Ösze von den dargestellten Zieldimensionen des New Public Management (NPM) verschiedene Informationsperspektiven ab, die bei einer auf NPM basierenden Verwaltungsführung von Bedeutung sind und möglichst durch ein entsprechendes Managementinformationssystem unterstützt werden; diese Informationsdimensionen sind im Einzelnen (2000, S. 70ff): • Kundenorientierung, • Verwaltungsreorganisation, • Personal- und Organisationsorientierung, 132

• Kontraktmanagement sowie • Steuerung über Ziele. Die Neuausrichtung der öffentlichen Verwaltung auf Kundenbedürfnisse erfordert, dass diese auch Eingang in die Informationsbasis der Führungskräfte findet. Die Vorstellungen und Bedürfnisse von Bürgern, Unternehmen und anderen Anspruchsgruppen dienen zum einen dazu, Entscheidungen und Angebote der Verwaltung entsprechend zu gestalten. Darüber hinaus sind sie jedoch auch Rückmeldung, inwieweit diese Entscheidungen und Anpassungen tatsächlich den Forderungen und Wünschen entsprechen und wo noch weiterer Verbesserungsbedarf besteht. Für eine konsequente Reorganisation der Verwaltung weg von funktionalen hin zu Abteilungsgrenzen überspannenden Prozessstrukturen, muss die Verwaltungsführung in der Lage sein, kritische Prozesse zu identifizieren und diese zu steuern. Daher sind entsprechende Informationen zur Koordination und Überwachung von Verwaltungsprozessen erforderlich. Die Personal- und Organisationsorientierung des NPM basiert darauf, dass sich sowohl Mitarbeiter als auch Organisationsstrukturen flexibel neuen Anforderungen an die öffentliche Verwaltung anpassen können. Die Berücksichtigung einer Personalund Organisationsentwicklungsperspektive ist daher ein weiterer wichtiger Bestandteil von Führungsinformationen. Für die Führung über Kontrakte werden im Gegenzug zur Übertragung von Entscheidungskompetenz wirksame Instrumente zur Überwachung der vereinbarten Ziele und Inhalte im Hinblick auf Leistungen und Kosten benötigt. Diese dienen auch den ausführenden Organisationseinheiten zur Steuerung der eigenen Arbeit. Eines der Grundprinzipien des NPM ist die Steuerung über Ziele. Damit Ziele und v.a. deren Erreichung überprüfbar werden, müssen diese in konkrete Aufgaben und Maßnahmen heruntergebrochen werden. Die Orientierung an Zielkennzahlen und der fortlaufende Soll-Ist-Vergleich dienen sowohl als Ausgangspunkt für korrigierende Maßnahmen als auch als Koordinationsinstrument, um trotz Dezentralisierung ein einheitliches Verwaltungshandeln zu gewährleisten. Dies kann unterstützt werden, indem die unterschiedlichen Zielgruppen innerhalb der Verwaltungsführung durch ein kontinuierliches, aktuelles und auf ihre spezifischen Informationsbedürfnisse abgestimmtes Berichtswesen in ihrer Arbeit unterstützt werden (Hofman/Lutz 1999, S. 20). Außerdem sind in diesem Zusammenhang auch auf 133

den jeweiligen aktuellen Entscheidungsbedarf ausgerichtete Einzelfallanalysen wie bspw. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Bedarfsschätzungen etc. zu nennen. Der Ausrichtung der Gestaltung der Controllinginformationen an den individuellen Bedürfnissen der Empfänger kommt aus verschiedenen Gründen große Bedeutung zu. Zum einen erfordert eine übersichtliche Darstellung von Inhalten eine Konzentration auf zentrale Aspekte und zum anderen sind die Aufgabenstellungen und Prozesse bspw. in verschiedenen Ämtern oder Behörden so unterschiedlich, dass dem auch bei ihrer Abbildung in einem Controllingsystem entsprechend Rechnung getragen werden muss (Hofman/Lutz 1999, S. 21). Wichtige Zielgruppen sind die Politik und auch das Verwaltungsmanagement. Aber auch die Mitarbeiter im operativen Bereich können von den Informationsflüssen profitieren. Schließlich stellt auch die Öffentlichkeit eine wichtige Zielgruppe dar, die als Kunde der Verwaltungsarbeit produkt- und ressourcenbezogen zu informieren ist (Gornas 1998, S. 206). Basis für ein Führungsinformationssystem, das Controlling im NSM unterstützt, sind Informationen, die aus unterschiedlichen verwaltungsinternen und -externen Quellsystemen extrahiert werden. Dies sind zum einen operative Systeme, die bspw. Haushaltsvollzug und -planung unterstützen, oder Personalinformationssysteme, aber auch externe Quellen, die Daten liefern über volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen, interkommunalen Vergleich oder statistische Regionaldaten (Hofman/Lutz 1999, S. 82). 4.5.5

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern

Die Einflussfaktoren auf und die Merkmale des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern, die sich aus den dargestellten theoretischen Überlegungen ableiten lassen, sind im Folgenden zusammengefasst und systematisiert. Einflussfaktoren für die Informationsbedarfselemente von Verwaltungsmanagern sind: • Entscheidungstyp: Je nach Art der hauptsächlich zu treffenden Entscheidungen ergibt sich ein mehr oder weniger antizipierbarer und in unterschiedlichem Umfang durch persönliche Vorkenntnisse oder Erfahrungen geprägter Informationsbedarf.

134

• Politikfeld: In Abhängigkeit des jeweils betreuten Politikfeldes haben Informationen zur Kooperation und Koordination mit bzw. von zahlreichen verwaltungsinternen und –externen Partnern eine spezifische Bedeutung. • Führungsebene: Auf der Ebene der Regierungsspitze werden Informationen zur Abwägung von Entscheidungs- und Handlungsalternativen und auch zur kritischen Bewertung der verwaltungsinternen Entscheidungsvorbereitung benötigt, während auf Ressortebene entsprechende Informationen zur Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsumsetzung erforderlich sind. • Rolle nach NSM: Die Differenzierung in strategische Planung vs. operative Umsetzung entsprechend den Zielen des NSM führt zu einer der Führungsebene parallel laufenden und diese ergänzenden Unterscheidung. Strategische Planer benötigen entsprechend höher aggregierte Informationen, die Prognosen und Planung erlauben, während für die operative Umsetzung Detailinformationen erforderlich sind, um konkrete Maßnahmen zu planen und deren Umsetzung zu überwachen. Der Routinecharakter von Aufgaben oder Entscheidungen hat auch Auswirkungen auf den resultierenden Bedarf an Informationen: Einmalig auftretende Entscheidungen bringen auch einen einmaligen Informationsbedarf mit sich, während Routineaufgaben einen wiederkehrenden Bedarf an ähnlichen Informationen (ggf. aktualisiert) bedingen. Die Ausrichtung des Fokus bestimmt, ob Informationen zugeschnitten auf eine spezialisierte Fachperspektive benötigt werden oder eher Informationen zur Unterstützung einer allgemeinen Globalperspektive erforderlich sind. Das Merkmal Perspektivische Ausrichtung differenziert zunächst zwischen einer Innen- und einer Außensicht bezüglich der benötigten Informationen. Unter der Ausprägung Außensicht werden Informationen zu den Bedürfnissen und Reaktionen der Verwaltungs-‚Kunden’ von Informationen zu ‚Wettbewerbern’ im Sinne des NSM abgegrenzt. Die Innensicht unterscheidet Informationen zum Leistungserstellungsprozess oder primären Aktivitäten (vgl. Porter 2000, S. 92ff; Bea/Haas 2001, S. 107ff), d.h. zu Produkten und Wertschöpfungsprozessen von Informationen zu Unterstützungs- oder Querschnittsaktivitäten, d.h. Informationen zu Personal- oder Organisationsentwicklungsthemen.

135

Routinecharakter

Einmalige Entscheidung, aktuelle Situation, generiert ad hoc Informationsbedarf

Fokus

Fachperspektive Außensicht

Häufig zu treffende Entscheidungen, Routineaufgaben, langfristige Themen generieren wiederholten Routineinformationsbedarf Übergreifende Globalperspektive: Sowohl eigene Aktionen mit globalen Auswirkungen als auch Koordination dezentraler Aktivitäten im Sinne globaler Interessen Innensicht Leistungserstellung

Perspektivische Ausrichtung

Kunden

Wettbewerb Produkte

Informationsebene

Thematische Ausrichtung

Zeitbezug entlang des PolicyZyklus Zeitlicher Horizont

Beziehungsorientiert, subjektive Einschätzungen, ‚weiche’ Informationen

Prozesse

Unterstützungs-/ Querschnittsfunktionen OrgaPersonisatinalentonsentwickwicklung lung

unpersönliche, objektive, ‚harte’ Informationen Textbasierte, DoKennzahleninkumenteninformaformationen tionen

Politische Informationen/ Informationen zum PolicySachinformaVerfahrensinforNetzwerk tionen mationen InformatioInformationen zu Interessennen zu Akbündeln teuren Informationen zu Informationen zu EntInformationen zur UmsetHandlungsbedarf, zung/ Controlling getrofscheidungsalternativen, Aufgaben; zukünffener Entscheidungen Rahmenbedingungen, tigen EntscheidunRessourcensituation akgen tueller Entscheidungen Langfristig

Mittelfristig

Kurzfristig

Abbildung 4-14: Merkmale des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern Quelle: Eigene Darstellung.

Das Merkmal Informationsebene erfährt im Unterschied zu seiner bisherigen Beschreibung eine weitere Differenzierung, da die Ausprägung ‚objektive Informationen’ weiter in zahlenbasierte vs. dokumentenbasierte Informationen untergliedert wird. Zur Beschreibung des Informationsbedarfs von Verwaltungsmanagern weist das Merkmal Thematische Ausrichtung in seinen Ausprägungen eine Dreiteilung auf: Die beschriebenen ‚Politischen Informationen’ entsprechen den Informationen zum Policy-Netzwerk und werden daher analog aufgeschlüsselt. Sachinformationen bezüglich Aufgaben und Entscheidungen werden hier von Verfahrensinformationen zu rechtlichen, institutionellen und anderen Rahmenbedingungen unterschieden. 136

Der Zeitbezug entlang des Policy-Zyklus unterscheidet auch hier zwischen Informationen zu zukünftigem Handlungs- oder Entscheidungsbedarf, Informationen zu aktuellen Entscheidungen und Informationen zur Umsetzung von bereits gefällten Entscheidungen. Der betrachtete Zeitliche Horizont kann unterschieden werden in lang-, mittel- und kurzfristig. Insbesondere die detaillierte Ausdifferenzierung des Merkmals perspektivische Ausrichtung deutet darauf hin, dass Verwaltungsmanager im Unterschied zu Politikern nicht nur auf einer strategischen Ebene Entscheidungen treffen und deren Auswirkungen controllen, sondern auch direkt mit der operativen Umsetzung dieser Entscheidungen betraut sind. Daraus ergeben sich weitere Kombinationsmöglichkeiten zu Informationsbedarfselementen, die für die spezifischen Aufgaben und Rollen von Verwaltungsführungskräften charakteristisch sind. Die Einordnung in eine mittlere Verwaltungsführungsebene, die sich an der Schnittstelle zwischen strategischer Planung und operativer Umsetzung befindet, bedingt dementsprechend einen Informationsbedarf, der durch die Merkmale Fokus auf Fachperspektive, Ausrichtung sowohl auf die Außen- und Kundensicht als auch auf die Innensicht, thematischer Fokus auf Sach- und Verfahrensinformationen sowie Bezug zur Entscheidungsvorbereitung sowie zur umsetzung gekennzeichnet ist. Die Überprüfung dieser theoretischen Überlegungen an der Empirie wird zeigen, welche Zuschnitte von Informationsbedarfselementen sich an konkreten Führungskräften zeigen lassen. 4.6

Rahmenbedingungen des Kommunalmanagements

Im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland nehmen die Gemeinden nach Bund und Ländern die unterste föderale Ebene ein. Das Subsidiaritätsprinzip regelt die Zuständigkeiten der einzelnen Ebenen dahingehend, dass es zu Gunsten der jeweils unteren Ebene eine Zuständigkeitsvermutung festlegt (o.V. 1995, S. 3201f). Somit sind die Kommunen gewissermaßen für alle Belange des Zusammenlebens der Bürger in ihrem Hoheitsgebiet verantwortlich und regeln diese in eigener Verantwortung, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (Rudolf 1994, S. 2). In diesem Sinne treffen Führungskräfte des Kommunalmanagements Entscheidungen, die Auswirkungen von Arbeitsplatz- und Infrastruktursituation bis hin zur Lebensqualität der Bürger der Kommune haben. Dementsprechend breit gefächert sind die Informationen, die zur Vorbereitung dieser Entscheidungen benötigt werden. 137

Die konkrete Regelung der Rechte und Pflichten einer Kommune erfolgt durch die Kommunalverfassung bzw. Gemeindeordnung, die jeweils länderspezifische Unterschiede aufweist. Abgesehen von der hessischen Magistratsverfassung wird generell zwischen einer norddeutschen und einer süddeutschen Ausrichtung der Kommunalverfassungen differenziert, die sich im Wesentlichen durch das Kräfteverhältnis zwischen Gemeinderat und Bürgermeister unterscheiden (Gisevius 1999, S. 32ff). Während in der norddeutschen Kommunalverfassung dem Rat eine Vorrangstellung eingeräumt wird, nimmt in süddeutschen Gemeinden der Bürger- oder Oberbürgermeister eine besonders mächtige Position ein – auf die Ausnahmesituation der hessischen Magistratsverfassung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Den Prinzipien des Neuen Steuerungsmodells folgend, die eine ‚Verwesentlichung’ der Ratsarbeit fordern (Schwabe 2000, S. 289), wird eine Aufgabenteilung zwischen Gemeinderat und Verwaltung dahingehend angestrebt, dass sich der Gemeinderat mit der Erarbeitung und Entscheidung über die strategische Ausrichtung, Ziele und Projekte der Kommune befasst und diese in Form von Aufträgen an die Verwaltung weitergibt. Die Verwaltung hingegen konzentriert sich auf die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben und die Umsetzung der Gemeinderatsaufträge, d.h. auf das operative Geschäft, und gibt Rückmeldung über den aktuellen Stand der Umsetzung. Von den einzelnen Stoßrichtungen und Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells wird auf kommunaler Ebene insbesondere der Einführung eines das Controlling unterstützenden Berichtswesens und der Reformierung des Verhältnisses zwischen Politik und Verwaltung im oben genannten Sinne große Bedeutung zugemessen (Vöhringer 2004, S. 243ff). In der Folge erwarten Führungskräfte im Kommunalmanagement für sich sowohl erhöhte Anforderungen bspw. im Hinblick auf Kenntnisse moderner Managementmethoden als auch einen erhöhten Informations-, Kommunikations-, Koordinations- und Kooperationsbedarf.

138

4.6.1

Steuerung in Kommunen

Zur Beschreibung der Führungsarbeit von Kommunalmanagern modifiziert Vöhringer den generischen Policy-Zyklus bestehend aus den Phasen: • Problemwahrnehmung, • Entwicklung und Bewertung von Lösungsalternativen, • Implementierung, • Outcome/Impact, • Evaluierung und • Politisches Lernen (siehe Abschnitt 4.4.1) um die Schritte ‚strategische Zielbildung’ und ‚Wirkungsfestlegung’, die eine den aktuellen Situationsgegebenheiten übergeordnete Handlungsrationalität abbilden. Als generisch wird der Policy-Zyklus bezeichnet, da die Gliederung der Phasen eine nur wenig angepasste Fassung allgemeiner systematischer Vorgehensmodelle wie bspw. auch des Action Research Zyklus darstellt.

(Strategische) Zielbildung

Situations-/Informationsanalyse

Wirkungsfestlegung

Suche nach Handlungsalternativen

Planung Prognose der Konsequenzen der Handlungsalternativen

Bewertung der Handlungsalternativen

Feedback

Problemerkenntnis und -analyse

Entscheidung (Auswahl von Handlungsalternativen) Umsetzung/Durchsetzung

Kontrolle

Abbildung 4-15: Regelkreis der (politischen) Steuerung Quelle: (Vöhringer 2004, S. 208).

Der resultierende Steuerungszyklus unterscheidet Phasen des Planens, Entscheidens und Kontrollierens im Rahmen der Steuerungsarbeit. Entlang dieser Phasen, die mit139

einander mehrfach durch Feedbackschleifen verbunden sind, werden jeweils spezifische Informationen etwa zur Entscheidungsvorbereitung oder Umsetzungskontrolle benötigt (Vöhringer 2004, S. 206ff). 4.6.2

Akteure des Kommunalmanagements

Obwohl auf kommunaler Ebene im Gegensatz zu den übrigen föderalen Ebenen keine tatsächliche Gewaltenteilung zwischen Legislative, dem Parlament, und Exekutive, der Regierung, installiert ist, sondern statt dessen von einer ‚Einheit von Politik und Verwaltung’ ausgegangen wird (Schulze 1994a, S. 3), deutet die Natur der Ratsarbeit mit zahlreichen Ausschüssen und Mehrheits- und Oppositionsfraktionen doch darauf hin, dass von einem Kommunalparlament gesprochen werden kann (Banner 1997, S. 128; Lang/Gronbach 1998, S. 162; Vöhringer 2004, S. 12). Auch die Aufgabenverteilung zwischen Gemeinderat, der durch Beschlüsse Ziele und Aufgaben vorgibt, und Verwaltung, die mit deren Umsetzung betraut ist, legt eine grobe Unterscheidung dieser beiden Gruppen nahe. 4.6.2.1 Verwaltung Auf Verwaltungsseite sind (Ober-)Bürgermeister19 und Beigeordnete oder Dezernenten und mittlere Führungskräfte wie Amtsleiter mit dem Kommunalmanagement betraut (Gisevius 1999, S. 73ff). Als eines der beiden zentralen Organe der Kommunalverfassung (neben dem Gemeinderat) nimmt der Bürgermeister auf Verwaltungsseite die wichtigste Position im Hinblick auf die politische Führung und Steuerung ein. Da der Bürgermeister in vielen Bundesländern nicht nur an der Verwaltungsspitze steht, sondern auch Leiter des Gemeinderates ist, setzen sich seine Rechte und Pflichten aus den Aufgaben dieser beiden Rollen zusammen.

19

140

Die Baden-Württembergische Gemeindeordnung sieht vor, dass Bürgermeister in großen Kreisstädten und Stadtkreisen den Titel Oberbürgermeister führen (o.V. 2003, S. 42 Abs. (4))

OB politische Leitung Bürgermeister fachliche Leitung

Amtsleiter

operative Arbeit

Abteilungsleiter Sachgebietsleiter Sachbearbeiter

Abbildung 4-16: Aufbauorganisation der Kommunalverwaltung Quelle: (Schwabe 2000, S. 284)

(Ober-)Bürgermeister Bürgermeister und Gemeinderat repräsentieren gemeinsam die Bürgerschaft, in seiner Rolle als Vorsitzender des Gemeinderates ist der Bürgermeister für die Vorbereitung und Leitung der Sitzungen des Gemeinderates zuständig. Ebenso liegt die Umsetzung der Gemeinderatsbeschlüsse in der Verantwortung des Bürgermeisters (siehe auch Wehling 1985). Als Leiter der Verwaltung ist der Bürgermeister für die Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsaufgaben seiner Kommune verantwortlich, seine Entscheidungsbefugnisse werden im Wesentlichen durch die Kommunalverfassung geregelt. Bürgermeister In größeren Kommunen wird die politische Leitung vom (Ober)Bürgermeister gemeinsam mit Beigeordneten oder Dezernenten übernommen. Den Dezernenten werden verschiedene Fachressorts bestehend aus mehreren Ämtern zugeordnet, die diese unter der Gesamtverantwortung des Oberbürgermeisters eigenverantwortlich bearbeiten (Gisevius 1999, S. 77f). Meist sind die Dezernenten selbst Wahlbeamte, die vom Gemeinderat für einen bestimmten Zeitraum gewählt werden. Amtsleiter Ein Amtsleiter nimmt die fachliche Leitung seines Amtes in enger Abstimmung mit dem jeweils zuständigen Bürgermeister oder Dezernenten sowie den Abteilungsleitern seines Amtes wahr (Schwabe 2000, S. 284). Er übernimmt auch die Vetretung seines 141

Amtes nach außen sowie gegenüber dem Gemeinderat. Einem Amt sind je nach Größe mehrere Abteilungsleiter und Sachgebietsleiter zugeordnet, die für die operative Arbeit zuständig sind. 4.6.2.2 Gemeinderat Die Mitglieder des Gemeinderates werden für einen bestimmten Zeitraum direkt von der Bürgerschaft der Kommune gewählt und führen ihr Amt ehrenamtlich aus. Trotz der angesprochenen parlamentarischen Merkmale ist der Gemeinderat in seiner Rolle als Verwaltungsorgan stärker mit der Verwaltung verflochten, als dies bei tatsächlichen Parlamenten auf Landes- oder Bundesebene der Fall ist (Vöhringer 2004, S. 13). Der Gemeinderat gibt mit seinen Beschlüssen Ziele und konkrete Aufgaben an die Verwaltung zur Umsetzung weiter. Die Ratsmitglieder schließen sich zu Fraktionen zusammen und bilden Ausschüsse, um die gemeinsame Arbeit effektiver zu gestalten. Der Gemeinderat nimmt einerseits ein Informationsrecht gegenüber der Verwaltung in Anspruch, ist aber gleichzeitig auch den Bürgern gegenüber zur Informationsweitergabe verpflichtet (Schulze 1994b, S. 4ff; Schulze 1994c, S. 2ff). 4.6.3

Arbeitssituation von Kommunalmanagern

Die Arbeitssituation von Gemeinderäten wurde von Schwabe im Zusammenhang mit dem Projekt CUPARLA untersucht (2000, S. 277ff). Vöhringer hat sich in einer Verwaltungsführungskräftebefragung mit den Rahmenbedingungen der Arbeit von Verwaltungsmanagern beschäftigt (2004, S. 158ff). Es zeigt sich, dass der gemeinsame Arbeitsschwerpunkt von Führungskräften in Verwaltung und Gemeinderat, die Ratsarbeit und ihre Vor- und Nachbereitung, in drei Bereiche zerfällt: Die Verwaltungsarbeit, die OB-gesteuerte Gemeinderatsarbeit und die Gemeinderatsgesteuerte Gemeinderatsarbeit (Schwabe 2000, S. 297). Die Steuerung der Verwaltungsarbeit liegt in der Hand der Verwaltung selbst, die Vorlagen zur Diskussion und Verabschiedung durch den Gemeinderat vorbereitet oder auf Anträge von Seiten des Gemeinderates reagiert (Schwabe 2000, S. 298f). Hauptakteure sind hier v.a. Amtsleiter und die jeweils federführenden Sachbearbeiter. Die OB-gesteuerte Gemeinderatsarbeit beinhaltet die Planung und Leitung der Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse. Diese Aufgaben werden durch die politische Ebene der Verwaltung, d.h. Bürgermeister und OB sowie der Geschäftsstelle des Gemeinderats wahrgenommen.

142

n elle rst e n ge rla Vo

Anträge stellen Verwaltungsarbeit Arbeitszimmer

Fraktion

Gemeinderatsgesteuerte Gemeinderatsarbeit

Verwaltung

Gemeinderat n re füh rch du en ng tzu Si

OB-gesteuerte Gemeinderatsarbeit

Ausschüsse

Abbildung 4-17: Zentrale Bereiche der Gemeinderatsarbeit Quelle: In Anlehnung an (Schwabe 2000, S. 297ff)

Die individuelle Arbeit der Gemeinderäte bzw. der Fraktionen, d.h. die Gemeinderatsgesteuerte Gemeinderatsarbeit bezieht sich auf die Vorbereitung auf Gemeinderatssitzung, das Stellen von Anträgen und die Überwachung der Umsetzung der getroffenen Entscheidungen. Nicht formale Regelungen, sondern Arbeitskontexte und regelmäßige Aktivitäten, wie bspw. der Rhythmus von Fraktionssitzungen oder das gemeinsame Erstellen von Anträgen, bilden die wichtigsten Strukturelemente. 4.6.3.1 Verwaltung Vöhringer hat für seine Untersuchung Verwaltungsführungskräfte in unterschiedlichen Funktionen von Oberbürgermeistern bis hin zu Abteilungsleitern zu ihrer Arbeitssituation im Hinblick auf Aufgaben, Arbeitsprozesse und Informations- und Kommunikationsaktivitäten befragt (2004, S. 151). Es zeigt sich, dass Verwaltungsführungskräfte im Hinblick auf ihre Aufgaben relativ frei und wenig durch Vorschriften reglementiert sind (Vöhringer 2004, S. 159), gleichzeitig geben sie jedoch an, dass sie ihre Arbeitszeit zu gut 40% mit administrativen Aufgaben verbringen und nur knapp 60% ihrer Zeit inhaltlichen Aufgaben widmen können (Vöhringer 2004, S. 160).

143

In Bezug auf die Planbarkeit der Aufgaben findet Vöhringer ein breites Spektrum, von 10% bis hin zu 80% planbaren Aufgaben. Im Schnitt heißt das, dass sich knapp die Hälfte der Aufgaben der Verwaltungsführungskräfte ungeplant ergibt und somit auch die Routinisierbarkeit dieser Aufgaben begrenzt ist. Verwaltungsführungskräfte erledigen einen Großteil ihrer Aufgaben in Einzelarbeit (57%), was dadurch erklärt wird, dass diese Aufgaben stark durch konzeptionelle Tätigkeiten wie das Erstellen von Vorlagen oder Schreiben von Reden geprägt sind (Vöhringer 2004, S. 162). Vorlagen stellen die Grundlage für Beschlüsse des Gemeinderats dar, da die Verwaltung dem Rat auf diese Weise Projekte oder einzelne Maßnahmen zur Verabschiedung vorlegt (Schwabe 2000, S. 300). Die Erstellung von Vorlagen bildet den Kernprozess des Verwaltungsparts an der Gemeinderatsarbeit, sie beginnt mit dem Entwurf der Vorlage durch einen Sachbearbeiter und zieht ein aufwändiges Verfahren von Stellungnahmen und Mitzeichnungen von zahlreichen beteiligten Stellen nach sich, bevor die Vorlage dem Gemeinderat zur Debatte vorgelegt wird. Die Beratung von Vorlagen und deren Verabschiedung im Rahmen von Ausschuss- und Plenumsitzungen des Gemeinderates wird vom Oberbürgermeister selbst bzw. den Bürgermeistern in seiner Vertretung über Termine und Tagesordnung koordiniert und geleitet (Schwabe 2000, S. 300f). Die Ergebnisse der Interaktionsanalyse geben auch Aufschluss über die Informationsquellen, die von Verwaltungsführungskräften für ihre Arbeit genutzt werden, nachdem davon ausgegangen werden kann, dass Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen auch für den Bezug von Informationen genutzt werden (Vöhringer 2004, S. 177). Verwaltungsmanager finden ihre wichtigsten Ansprechpartner innerhalb der Verwaltung, da sich offenbar ein Großteil der Führungsarbeit innerhalb der Verwaltung vollzieht (Vöhringer 2004, S. 168f). Erst danach werden Presse und Medien und kommunale Organisationen und Institute wie bspw. der Städtetag als weitere Interaktionspartner genannt. Bei einer näheren Untersuchung der verwaltungsinternen Ansprechpartner zeigt sich, dass Mitarbeiter vor Vorgesetzten hier die wichtigste Gruppe von Ansprechpartnern darstellen, wobei die informelle Kommunikation mit Einzelpersonen deutlich vor der formelleren Kommunikation mit Organisationseinheiten oder Gruppen rangiert.

144

0,5 20,7 33,4

Face-to-FaceKommunikation Telefon Papier Computer weitere Medien/Werkzeuge

24,0

21,4

n = 70 Angaben in %

Abbildung 4-18: Anteile der Arbeit mit verschiedenen Medien Quelle: In Anlehnung an (Vöhringer 2004, S. 185)

Dieser Präferenz für informelle Kommunikation entspricht auch die hohe Bedeutung synchroner Kommunikation insbesondere in Form von persönlichen Gesprächen oder Telefonaten (Vöhringer 2004, S. 174f und 185). Die inhaltliche Ausrichtung der von den Führungskräften gewünschten Informationen konzentriert sich in erste Linie auf die Beschreibung der internen Situation der Verwaltung, d.h. Meldungen und Hintergrundinformationen über Problemsituationen oder Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Maßnahmen sowie Informationen zur Vorbereitung von Entscheidungen. Trotz dieser Schwerpunktsetzung deckt der Informationsbedarf der Kommunalen Führungskräfte insgesamt ein sehr breites Spektrum an Bereichen ab, das von internen Informationen zur Finanzsituation bis hin zu externen Informationen zur Lebensqualität in der Kommune reicht (Vöhringer 2004, S. 212f). Verwaltungsführungskräfte beurteilen ihre Informationssituation im Allgemeinen als gut, wobei Qualität, Aktualität und Menge der verfügbaren Informationen von älteren hochrangigeren und computer-versierten Führungskräften als besonders gut bezeichnet wird. Dies legt den Schluss nahe, dass Erfahrung und Computerkenntnisse bei der persönlichen Recherche und Informationsselektion und damit v.a. für die Qualität und Menge von Bedeutung sind, während eine größere Zahl von zuarbeitenden Mitarbeitern eine höhere Aktualität der Informationen gewährleistet (Vöhringer 2004, S. 196ff).

145

Vöhringer konstatiert eine starke Korrelation zwischen dem Engagement einer Kommune bei der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und der Bedeutung von Informationen bezüglich interkommunaler Vergleichswerte, was er damit erklärt, dass die Kommunen versuchen, die im Neuen Steuerungsmodell geforderte Wettbewerbsausrichtung im interkommunalen Vergleich umzusetzen (2004, S. 192ff). Auf die Arbeit der Verwaltungsführungskräfte hat die Einführung des Neuen Steuerungsmodells dahingehend Einfluss, dass sich die Führungsarbeit weg von Ablaufsteuerung hin zu Zielvorgaben und zu Delegation entwickeln wird (Vöhringer 2004, S. 250ff). Es wird angenommen, dass sich die Arbeit von Verwaltungsmanagern zukünftig der von Unternehmensführern annähern wird, da in zunehmendem Maße betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente zum Einsatz kommen. Auf Grund der Delegation operativer Entscheidungen wird von einem erhöhten Informations- und Koordinationsaufwand ausgegangen. 4.6.3.2 Gemeinderat Von den Reformen im Zuge der Einführung des Neuen Steuerungsmodells wird (von Verwaltungsvertretern) erwartet, dass sich die Rolle des Gemeinderates hin zum Selbstverständnis als ‚strategischer Steuermann’ wandelt, der politische Lösungskonzepte erarbeitet und Grundsatzentscheidungen trifft (Vöhringer 2004, S. 249f). Der Rat soll sich auf strategische Aufgaben konzentrieren und die Umsetzung der Zielvorgaben in größerem Umfang an die Verwaltung delegieren. Im Gegenzug werde der Gemeinderat mit den erforderlichen Informationen wie Berichten und Kennzahlen als Entscheidungsgrundlage und zur Überwachung versorgt. Gemeinderäte sehen diese Entwicklungsperspektive - den Rückzug aus der Detailsteuerung - allerdings durchaus kritisch, außerdem fehlen nach heutigem Stand noch wesentliche instrumentelle Voraussetzungen, so dass hier nicht von einer kurzfristigen Veränderung der Situation auszugehen ist (Lang/Gronbach 1998, S. 164f; Vöhringer 2004, S. 273f). Zudem ist schon in der direkten Wahl des Gemeinderats durch die Bürger einer Kommune das Interesse der Räte an den Bedürfnissen und Problemstellungen von Seiten der Bürgerschaft begründet (Reinermann 1998, S. 43). Die Arbeit des Gemeinderates findet in unterschiedlichen Gremien statt, von denen das Plenum formal die wichtigste Funktion einnimmt (Schwabe 2000, S. 282). Alle Räte sowie der Oberbürgermeister sind Mitglieder des Plenums, hier werden die für die Kommune relevanten Entscheidungen getroffen. Wichtige Vorberatungen für diese Entscheidungen finden in den unterschiedlichen Ausschüssen des Gemeinderates statt, 146

die sich hauptsächlich aus fachlich spezialisierten Ratsmitgliedern – entsprechend des Fraktionsproporzes - zusammensetzen. Die Ausschüsse geben als Resultat ihrer Beratungen Empfehlungen an das Plenum ab und können in Einzelfällen auch kleinere Entscheidungen eigenständig treffen. Ein weiterer beratender Gremientyp sind die Beiräte, in denen Gemeinderäte, Bürger und Experten fachspezifische Themen diskutieren. Entsprechend der fachlichen Spezialisierung der Ausschüsse bilden insbesondere die größeren Fraktionen entsprechende thematische Arbeitskreise, um sich auf die Ausschussarbeit und längerfristige Themenschwerpunkte gezielt vorbereiten zu können (Schwabe 2000, S. 283). Diese Arbeitskreise werden von Arbeitskreissprechern geleitet (Schwabe 2000, S. 285). Der Kernprozess der vom Gemeinderat gesteuerten Ratsarbeit ist das Stellen von Anträgen und Anfragen (Schwabe 2000, S. 299). Mit einem Antrag fordert eine Gruppe von Gemeinderäten, häufig eine Fraktion, das Gremium auf, in eine bestimmte Richtung zu entscheiden oder der Antrag richtet sich an die Verwaltung, in einer bestimmten Richtung tätig zu werden. Anfragen dienen dazu, Informationen von der Verwaltung zu einem bestimmten Thema oder Sachverhalt einzufordern. Der Informationsbedarf eines Gemeinderates ist somit geprägt durch die thematische Ausrichtung seiner Arbeit, die sich bspw. auch in der Betreuung der Belange eines bestimmten Stadtbezirkes äußern kann (Schwabe 2000, S. 285). Ein weiterer wichtiger Bedarfsfaktor sind die Dokumente und Informationen, die in Zusammenhang mit den Kernprozessen der Gemeinderatsarbeit stehen. Abbildung 4-19 zeigt die Nutzungsfrequenz unterschiedlicher Informationsquellen durch Gemeinderäte. Daraus lassen sich weitere Aussagen bezüglich ihres Informationsbedarfs ableiten. Verwaltungsvorlagen spielen vor anderen mit der Ratsarbeit verknüpften Dokumenten offensichtlich eine zentrale Rolle, da sich die Ratsmitglieder bei der Sitzungsvorbereitung so über die anstehenden Entscheidungen informieren können (Schwabe 2000, S. 355). Darüber hinaus hat das persönliche Gespräch mit Ansprechpartnern in unterschiedlichen Bereichen ebenfalls eine große Bedeutung, um sich über Bedürfnisse, Meinungen und Reaktionen zu informieren. Die Tagespresse wird als wichtigstes verwaltungsexternes Medium dazu genutzt, sich über lokale, regionale und überregionale Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten (Schwabe 2000, S. 358).

147

8,8

Tageszeitung

8,7

Verwaltungsvorlagen 7,6

Gespräche mit Fraktionskollegen 6,4

Gespräche mit der Partei

6,3

Gespräche mit Organisationen Gespräche mit einzelnen Bürgern

6,3

Gespräche mit der Verwaltung

6,2 5,6

Vor-Ort-Besichtigungen Kommunale Fachzeitschriften

5,6

Gespräche mit anderen Stadträten

5,5 5,2

Sitzungsprotokolle von offiziellen Gremien

5,0

Informationsmaterial der Partei

4,8

Vertreter übergeordneter Ebenen

4,6

Kommunale Fachliteratur

4,5

Fraktionsarchiv 4,0

Recherchen bei Instituten, Verbänden, ... 3,5

Sitzungsprotokolle von Arbeitskreisen, ... 2,9

Verwaltungsarchiv

2,9

Vertreter anderer Städte

2,5

Stadtrecht Kommunalwissenschaftliche Datenbanken 0 1 0= nie;

1,4 2

3

4

5

6

7

8

9 10 10 = immer

Abbildung 4-19: Nutzungsfrequenz unterschiedlicher Informationsquellen Quelle: (Schwabe 2000, S. 360)

4.6.4

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

Aus den theoretischen und empirischen Erkenntnissen zur Arbeit von Kommunalmanagern ergeben sich die folgenden potentiellen Einflussfaktoren und Merkmale auf bzw. für deren Informationsbedarf. Einflussfaktoren (die sich von den bereits im Zusammenhang mit dem Informationsbedarf von Politikern bzw. Verwaltungsmanagern genannten unterscheiden): • Zentraler Bereich der Gemeinderatsarbeit: Die Zuordnung zu einem der drei zentralen Bereiche der Gemeinderatsarbeit bedingt eine jeweils charakteristische Ausrichtung des Informationsbedarfs. • Fach- vs. Querschnittsausrichtung: Die Konzentration auf ein bestimmtes Fachgebiet im Gegensatz zu einem Querschnittsthema bedingt einen entsprechend ausgerichteten Informationsbedarf. 148

Konkretisierung

Strategische, visionäre Zielvorgaben/Ausrichtung

Fokus

Fachperspektive

Routinecharakter

Einmalige Entscheidung, aktuelle Situation, generiert ad-hocInformationsbedarf

Herkunft

Verwaltungsintern

Thematische Ausrichtung

Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungs-zyklus

Informationsebene

Operative Maßnahmen/ Umsetzungsausrichtung Übergreifende Globalperspektive: Sowohl eigene Aktionen mit globalen Auswirkungen als auch Koordination dezentraler Aktivitäten im Sinne globaler Interessen Häufig zu treffende Entscheidungen, Routineaufgaben, langfristige Themen generieren wiederholten Routineinformationsbedarf Verwaltungsextern

Politische Informationen/ Informationen zum Policy-Netzwerk SachinformaVerfahrensinformaInformationen tionen tionen Informationen zu Interessenzu Akteuren bündeln Probleminformationen/ Informationen zu Informationen zu Informationen über EntEntscheidungsalterOutcomes/ Kontrolle scheidungsbedarf, Situanativen der Umsetzung tionsanalyse unpersönliche, objektive, ‚harte’ InBeziehungsorientiert, subjektive formationen Einschätzungen, ‚weiche’ InforTextbasierte, DoKennzahleninmationen kumenteninformaformationen tionen Außensicht

Perspektivische Ausrichtung Kommunikationsebene

Wettbewerb Kunden/ Bür(interkommuger (Lebensnale Verqualität in der Kommune) gleichswerte) Informelle (persönliche Kommunikation)

Innensicht (interne Situation, Kernprozesse)

Formelle Kommunikation

Abbildung 4-20: Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Quelle: Eigene Darstellung.

Die Konkretisierung einer Information beschreibt ihre Ausrichtung entweder auf strategische Zielsetzungen im Sinne der Perspektive eines strategischen Steuermanns oder auf konkrete, operative Maßnahmen im Sinne der eigentlichen Umsetzung von Arbeitsprogrammen und Projekten. Zur Beschreibung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern ergeben sich weiterhin die möglichen Merkmale Fokus, Routinecharakter, Herkunft, Thematische Ausrichtung, Zeitbezug entlang des Policy- (oder hier eher Steuerungs-) Zyklus, Informationsebene und Perspektivische Ausrichtung, die bereits in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben wurden. Im Fall der Perspektivischen Ausrichtung haben Kommunalmanager nicht nur den Verwaltungskunden im Auge, sondern 149

auch den Bürger20 der Kommune, dessen Interessen im Rahmen der demokratischen Legitimation des Gemeinderates zu vertreten sind. Darüber hinaus wird über das Merkmal Kommunikationsebene zwischen Informationen unterschieden, die über informelle oder persönliche Kommunikation übermittelt werden, und Informationen, die über formelle Kommunikationswege zugänglich sind. Die Einflussfaktoren und Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern stellen in gewisser Hinsicht die Verbindung und Konkretisierung dessen dar, was die Perspektiven ‚Politische Führungskräfte’ und ‚Verwaltungsmanager’ auf einer abstrakteren Ebene und getrennt voneinander betrachtet haben. Kommunalmanager nehmen die gesamte Bandbreite an dargestellten Aufgaben und Rollen ein, vom Management eines privatwirtschaftlich organisierten Krankenhausbetriebs über die Steuerung eines Verwaltungsressorts bis hin zur politischen Arbeit an der Spitze einer Gemeinderatsfraktion. Daher setzt sich auch das Spektrum theoretisch möglicher Einflussfaktoren und Merkmale für ihren Informationsbedarf aus allen bislang aufgeführten Ausprägungen zusammen. 4.7

Mögliche Merkmale des Informationsbedarfs von Führungskräften in Kommunen

Mit der Einführung von Instrumenten des Neuen Steuerungsmodells werden die bislang schon vorhandenen unternehmerischen Elemente der Führungsarbeit von kommunalen Managern noch verstärkt. Dennoch haben die Rahmenbedingungen der Arbeit in der öffentlichen Verwaltung bzw. in einer Kommune ebenfalls großen Einfluss auf ihren Informationsbedarf genau wie die Charakteristika der politischen Steuerungsarbeit.

20

150

Der Begriff des Bürgers wird für alle Anspruchsgruppen und Adressaten des Verwaltungshandelns verwendet, ob nun direkte Betroffene oder indirekte Nutznießer (vgl. Reinermann 2000a, S. 71f).

Mögliche Einflussfaktoren von Seiten der Aufgaben, Rolle/ Funktion und Rahmenbedingungen auf den Informationsbedarf von kommunalen Führungskräften sind: • Aufgabenart: Der Grad an Formalisierung der Aufgabenstellungen einer Führungskraft ist ausschlaggebend für die Antizipierbarkeit und Struktur des resultierenden Informationsbedarfs. • Zentraler Bereich der Gemeinderatsarbeit: Die Zuordnung zu einem der drei zentralen Bereiche der Gemeinderatsarbeit bedingt eine jeweils charakteristische Ausrichtung des Informationsbedarfs. • Reichweite der Entscheidungen: Je nach Reichweite von Entscheidungen werden in unterschiedlichem Umfang, Aggregation und unterschiedlicher Ausrichtung Informationen benötigt. • Planbarkeit der Entscheidungen: Je nach Planbarkeit der hauptsächlich zu treffenden Entscheidungen ergibt sich ein mehr oder weniger antizipierbarer und in unterschiedlichem Umfang durch persönliche Vorkenntnisse oder Erfahrungen geprägter Informationsbedarf. • Position: Die hierarchische Position und damit der Grad an Generalität (im Gegensatz zu Spezialisierung) einer Führungskraft bedingt eine spezifische Breite und Tiefe des Informationsbedarfs. Führungsebene: Auf der Ebene der Regierungsspitze werden Informationen zur Abwägung von Entscheidungs- und Handlungsalternativen und auch zur kritischen Bewertung der verwaltungsinternen Entscheidungsvorbereitung benötigt, während auf Ressortebene entsprechende Informationen zur Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsumsetzung erforderlich sind. • Rolle bzw. Funktion: Wichtiger Bestimmungsfaktor ist die Rolle eines politischen Akteurs im Rahmen des Policy-Kreislaufs. Als Vertreter einer Interessengruppe unterscheidet sich sein Informationsbedarf deutlich von dem eines Regierungs- oder Verwaltungsmitglieds. Gleichzeitig ist damit eine bestimmte Funktion im Hinblick auf das Treffen, Umsetzen und Kontrollieren von Entscheidungen verbunden. Strategische Planer benötigen entsprechend höher aggregierte Informationen, die Prognosen und Planung erlauben, während für die operative Umsetzung Detailinformationen erforderlich sind, um konkrete Maßnahmen zu planen und deren Umsetzung zu überwachen. 151

Die Einordnung in die Mintzberg-Rollen bspw. als Negotiator oder Disseminator prägen ebenfalls den Informationsbedarf einer Führungskraft. Allerdings ist die Ausprägung der Rollen individuell und situationsspezifisch, so dass eine Differenzierung über die Zeit und zwischen Individuen wahrscheinlicher ist als zwischen Bedarfsprofilen, die durch Aufgaben und Rahmenbedingungen gekennzeichnet sind. • Policy-Bereich/ Politikfeld: Die Zuordnung zu einem bestimmten PolicyBereich ist ausschlaggebend dafür, welche Ausprägung von Policy-Netzwerk für die Arbeit des betreffenden Akteurs relevant ist. Im Unterschied zum Aspekt ‚Rolle/Funktion’ ist hierunter die thematische Ausrichtung zu verstehen, die jeweils unterschiedliche Kooperationspartner (Verbände, Interessengruppen, freie Träger von sozialer Arbeit, etc. ...) in einem Netzwerk miteinander verbindet. • Netzwerk: Je nachdem, wie bedeutsam die Pflege eines persönlichen Netzwerks für die Arbeit einer Führungskraft ist, kommt den entsprechenden Informationen über und von Netzwerkakteure(n) eine höhere oder geringere Bedeutung zu. • Fach- vs. Querschnittsausrichtung: Die Konzentration auf ein bestimmtes Fachgebiet im Gegensatz zu einem Querschnittsthema bedingt einen entsprechend ausgerichteten Informationsbedarf. Die resultierenden möglichen Merkmale des Informationsbedarfs von Führungskräften in Kommunen werden durch die Kombination der einzelnen Bestimmungsdimensionen, • Management eines Geschäftsbereiches, • politische Arbeit in Netzwerken und entlang des Policy-Zyklusses, • Verwaltungsmanagement gemäß gesetzlicher Rahmenbedingungen und des gesellschaftlichen Auftrags sowie • Kommunalmanagement gekennzeichnet durch große Nähe zwischen Bürger/ Kunden und kommunalen Akteuren, des Informationsbedarfs gebildet.

152

Manager

Politiker

Detaillierung

Verwaltungsmanager

Kommunalmanager

x

Fokussierung

x

x

Herkunft

x

x

Informationsebene

x

x

x x

x

x

Kommunikationsebene

x

Konkretisierung

x

Perspektivische Ausrichtung

x

x

x

x

Routinecharakter

x

Thematische Ausrichtung Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungszyklus

x

x

x

x

x

x

x

x

Zeitlicher Horizont

x

x

Tabelle 4-7: Merkmale für Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Die meisten Merkmale für Informationsbedarf werden in der Literatur in ähnlicher Form für mehrere Bestimmungsdimensionen der Arbeit von Kommunalmanagern beschrieben. Die Thematische Ausrichtung der benötigten Informationen z.B. zieht sich als beschreibendes Merkmal durch alle betrachteten Bereiche. Tabelle 4-7 gibt einen Überblick über alle aus der Literatur abgeleiteten Merkmale und ihre Verknüpfung mit den Dimensionen Management, Politik, Verwaltungs- und Kommunalmanagement.

153

4.8

Zusammenfassung

Das erarbeitete Analyseraster von Einflussfaktoren und Bedarfsmerkmalen entspricht der Forderung nach einem multidimensionalen Vorgehen bei der Erhebung des Informationsbedarfs von Verwaltungs- oder Kommunalmanagern, das auch individuelle, aufgaben- und rollenspezifische Bedarfsmomente abbilden kann (Reinermann 1999, S. 200). Es wird im Folgenden auf die Untersuchung des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern angewendet und so einem empirischen Plausibilitätstest unterworfen. Ziel ist darüber hinaus die Erarbeitung von charakteristischen Faktor- und Merkmalskombinationen, sog. Informationsbedarfselementen. Diese typischen Informationsbedarfselemente dienen als Analyseraster für das Requirementsengineering im Kommunalmanagement, um systematisch situations-, aufgaben- und rollenspezifische Bedarfsstrukturen zu erheben und zu individuellen oder auch verallgemeinerbaren Profilen zu kombinieren. Die Kombination der verschiedenen Einflussfaktoren bietet den Vorteil gegenüber herkömmlichen Ansätzen zur Abgrenzung und Analyse von Informationsbedarf, dass nicht nur aufgabenbezogene Merkmale berücksichtigt werden können, sondern je nach Auswahl der integrierten Faktoren und Merkmale auch rollen- oder phasenspezifische Charakteristika von Informationsbedarf. Ziel ist eine möglichst vollständige Erfassung der den Informationsbedarf einer Führungskraft charakterisierenden Elemente.

154

155

Politische Informationen/ Informationen zu PolicyNetzwerken InformatiInformationen onen über über InteresAkteure senbündel

Probleminformationen/ Informationen über zukünftigen Entscheidungsbedarf, Situationsanalyse

Hoch aggregierte Informationen

Informelle (persönliche)Kommunikation

Thematische Ausrichtung

Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungszyklus

Detaillierung

Kommunikationsebene

Entscheidungs-/ Handlungsalternativen

Abbildung 4-21: Merkmale des Informationsbedarfs von kommunalen Führungskräften Quelle: Eigene Darstellung.

Formelle Kommunikation

Detailinformationen

Rahmenbedingungen, Ressourcensituation, Hintergrundinformationen

Informationen zu aktuellen Aufgaben/ Entscheidungen

Informationen zu Themen/ Aufgaben

Kennzahleninformationen

Sachlich/objektiv/hart

Verwaltungsextern

Informationen zu Outcomes/ Kontrolle der Umsetzung

textbasierte Dokumentinformationen Informationen zu Methoden/ Verfahrensinformationen, wie bspw. Checklisten, Modelle, Prozessinformationen, rechtliche Grundlagen und Informationen zu institutionellen Rahmenbedingungen

Innensicht (interne Situation, Kernprozesse)

Kurzfristig

Operative Maßnahmen/Umsetzungsausrichtung

Informationen zu Projekten/ Aktivitäten wie bspw. Statusinformationen oder Informationen zur Evaluation

Sachinformationen

Beziehungsorientiert/subjektiv/weich

Informationsebene

Wettbewerb (interkommunale Vergleichswerte)

Verwaltungsintern

Kunden/ Bürger (Lebensqualität in der Kommune)

Außensicht

Herkunft

Perspektivische Ausrichtung

Langfristig

Mittelfristig

Strategische/ visionäre/ Zielvorgaben Ausrichtung

Zeitlicher Horizont

Ungerichtet, ungezielt; GlobalGerichtet, bspw. konkretisiert durch BSC, KEF, General issues; Gezielter Fokus/ formelle Suche perspektive Fachperspektive Einmalige Entscheidung, aktuelle Situation, generiert Häufig zu treffende Entscheidungen, Routineaufgaben, langfristige Themen ad-hoc-Informationsbedarf generieren wiederholten Routineinformationsbedarf

Konkretisierung

Routinecharakter

Fokussierung

5

Empirische Grundlagen und Vorgehen bei der Erhebung des Informationsbedarfs Bevor die Ergebnisse der empirischen Arbeit dargestellt werden, stellt das folgende

Kapitel das Vorgehen zur Gewinnung dieser Ergebnisse vor. In den ersten beiden Abschnitten werden die angewendeten Erhebungsmethoden skizziert und schließlich im dritten Abschnitt der Prozess der Auswertung des empirischen Materials beschrieben. Vor dem Hintergrund des dargestellten Forschungsrahmens, der Aktionsforschung, kommen verschiedene Erhebungsmethoden zum Einsatz. Dies sind zum einen offene Erhebungsmethoden, die auf der unmittelbaren Interaktion des Forschers mit einem Merkmalsträger bzw. einer oder mehreren beforschten Personen beruhen und deren Erhebungscharakter den Beteiligten (insbesondere auch den Untersuchungsobjekten) bewusst ist (Roth 1995, S. 126). Zu offenen Erhebungsmethoden zählen Interviews, teilnehmende Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Brainstormings u.a. Darüber hinaus kommen auch verdeckte Erhebungsmethoden zum Einsatz, die Informationen zum Untersuchungsgegenstand eher beiläufig, d.h. im Rahmen von Projektsitzungen oder Arbeitsworkshops, erheben. Im Gegensatz zu offenen Erhebungsmethoden ist den Beforschten der Umstand, dass Informationen gesammelt werden, nicht bewusst, da der Forscher als reguläres Projektmitglied keinen Sonder- oder Beobachterstatus innehat. Neben der Sammlung von Informationen gezielt zu einzelnen Personen und deren Informationsverhalten erlauben verdeckte Erhebungsmethoden auch allgemeine Einblicke in Informationsflüsse und Informationskultur. 5.1

Offene Erhebungsmethoden

5.1.1

Interviews

Basierend auf den Aufgabenprofilen der unterschiedlichen Teilbereiche einer kommunalen Verwaltung und auf Expertengesprächen mit Vertretern der Landeshauptstadt Stuttgart wurden 5 voneinander zu unterscheidende funktionale Nutzergruppen vorab definiert, um ein möglichst vollständiges Bild des Informationsbedarfs der zukünftigen Nutzer zu ermitteln. Folgende funktionale Nutzergruppen wurden für den Zweck der Erhebung unterschieden (die Zahlen in Klammern geben die Anzahl der in der jeweiligen Nutzergruppe befragten Interviewpartner an):

157

Verwaltung (Befragte)

Gemeinderat (Befragte)

OB-Bereich (1)

Gemeinderäte (4)

Bürgermeister (2)

Fraktionsgeschäftsstellen (3)

Amtsleiter (5) Tabelle 5-1: Interviewpartner bei der Informationsbedarfsermittlung Quelle: Eigene Darstellung.

Entsprechend der Aufgabenbereiche bzw. Arbeitsumgebungen der einzelnen Nutzergruppen wurden unterschiedliche Interviewleitfäden (siehe Beispielleitfaden im Anhang) für Leitfadeninterviews (vgl. Bortz/Döring 1995, S. 289) konzipiert. Die Interviews wurden im Zeitraum vom 28.05.2001 bis 26.07.2001 durchgeführt und dauerten jeweils etwa 90 Minuten. Basis für die Gestaltung der Interviewleitfäden waren Vorgehensmodelle zur Informationsbedarfsanalyse aus dem Bereich der FUSLiteratur, Literatur zum Neuen Steuerungsmodell, sowie die dokumentierten Erkenntnisse und Erfahrungen aus der empirischen Arbeit mit den Führungskräften der Stadt Stuttgart im Zusammenhang mit dem Projekt CUPARLA und der Evaluation von Projekten zur Kommunalreform (vgl. Krcmar/Wolf 2002; Schwabe 2000; Vöhringer et al. 1999). Gegenstand der Einzelinterviews waren direkte und indirekte Fragen nach dem Informationsbedarf und Informationsverhalten der Führungskräfte. Tabelle 5-2 gibt einen Überblick über die in den Leitfadeninterviews angesprochenen Bereiche. Themenbereich Allgemeine Fragen Arbeitsplatz/ -situation

Persönliches Aufgabenumfeld

Design

Inhalt Erwartungshaltung gegenüber einem Führungsinformationssystem Charakteristische Tätigkeiten, Zeitanteile im Büro und außerhalb, Gestaltung/ Aufteilung des Büros Ziele, längerfristige Themen, spontane Fragestellungen, zentrale Informationsinhalte und medien, Vorgehen bei der Informationsbeschaffung IT-Kenntnisse, zumutbarer Schulungsaufwand, erforderliche Verfügbarkeit

Tabelle 5-2: Inhalte des Interviewleitfadens Quelle: Eigene Darstellung.

Im Zeitraum von Dezember 2004 bis Januar 2005 wurden weitere 5 unstrukturierte Interviews mit Gemeinderäten und Mitarbeitern aus Fraktionsgeschäftsstellen geführt, 158

die zur Ergänzung des Informationsbedarfs und der Informationssituation dieser Gruppen herangezogen wurden. Im März und April 2005 wurde die vorläufige Auswertung und Interpretation der Informationsbedarfserhebung mit Führungskräften der Stadt Stuttgart diskutiert und das Feedback in die Auswertung eingearbeitet. 5.1.2

Teilnehmende Beobachtung

Neben den Interviews konnte jeweils ein Vertreter der Nutzergruppe Bürgermeister und Amtsleiter für einen Tag im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung begleitet und das Beobachtete protokolliert werden. Die Beobachtungstage wurden von den betreffenden Personen so ausgewählt, dass sie ihrer Ansicht nach typische Arbeitstage repräsentieren. Die Protokolle der Beobachtungen wurden im Anschluss mit den betreffenden Führungskräften abgestimmt und ergänzendes Material wie bspw. Formulare in die Auswertung mit einbezogen. 5.2

Verdeckte Erhebungsmethoden

Neben den offenen Erhebungsmethoden beinhaltet das Konzept der Aktionsforschung auch die aktive Teilnahme des Forschers am Projektverlauf, was im Wesentlichen einer aktiven teilnehmenden Beobachtung entspricht. Wird im Lauf der Projektarbeit nicht explizit darauf hingewiesen, dass auch die Projektarbeit und die in ihrem Verlauf gesammelten Erkenntnisse Gegenstand der Forschung sind, verliert der Forscher seinen Beobachterstatus und wird zum regulären Projektmitglied, so dass seine Beobachtungen als verdeckt zu bezeichnen sind. Die Erkenntnisse, die im Rahmen der verdeckten aktiven teilnehmenden Beobachtung gesammelt wurden, sind im Vergleich zu den Ergebnissen der offenen Erhebungsmethoden weniger strukturiert und haben daher eher ergänzenden und bestätigenden Charakter. 5.3

Auswertung des empirischen Materials

In einem ersten Schritt werden die Resultate der offenen Erhebungsmethoden, d.h. der Interviews und der teilnehmenden Beobachtungen, mit Hilfe des entwickelten Interpretationsrasters analysiert.

159

Als Zwischenergebnis ergibt sich für jeden Interviewpartner eine Gegenüberstellung von Einflussfaktoren aus seinen Aufgaben bzw. seiner Rolle und Merkmalen seines Informationsbedarfs (siehe Abbildung 5-1). Kommunalmanager x

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf aus Aufgaben und Rolle

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 5-1: Zwischenergebnis der Auswertung des empirischen Materials Quelle: Eigene Darstellung.

Gleichzeitig wird das entwickelte Raster in seiner Granularität an Hand der empirischen Erkenntnisse überprüft und weiterentwickelt. Die Erkenntnisse der verdeckten Beobachtung dienen zur Vervollständigung und Bestätigung der Ergebnisse aus dem ersten Schritt. Aus dem Vergleich der Ergebnisse zu den Einflussfaktoren und Merkmalen des Informationsbedarfs einzelner Kommunalmanager werden in einem zweiten Schritt Übereinstimmungen und Muster abgeleitet. Diese typischen Informationsbedarfsmuster werden im Folgenden dargestellt. Die Kombination mehrerer Informationsbedarfsmuster beschreibt das Informationsbedarfsprofil eines Kommunalmanagers. Das Zustandekommen von ähnlichen Mustern, Informationsbedarfsprofilen und Zusammenhängen zwischen einzelnen Informationsbedarfselementen werden vor dem Hintergrund der langfristigen Erfahrungen mit Führungskräften aus der Domäne Kommunalmanagement diskutiert und ausgewertet.

160

6

Elemente des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Der Informationsbedarf von Kommunalmanagern wird neben persönlichen Interes-

sen bestimmt durch Aufgabenstellung, Rolle und die Rahmenbedingungen der Arbeit der Führungskräfte. In einem ersten Schritt werden diesem Kapitel empirisch erhobene Aufgaben, Rolle und Rahmenbedingungen als Einflussfaktoren untersucht und vor dem Hintergrund der theoretisch abgeleiteten Kategorien interpretiert. Das Raster der Einflussfaktoren wird wo erforderlich den empirischen Befunden angepasst. Anschließend werden die resultierenden Merkmale für Informationsbedarf mit Hilfe des theoriebasierten Modells analysiert und der Zuschnitt der Merkmalskategorien in iterativen Zyklen überarbeitet, bis Überschneidungen und Mehrdeutigkeiten so weit als möglich ausgeräumt sind. Aus der Kombination von Einflussfaktoren und Merkmalen auf bzw. für Informationsbedarf werden charakteristische Informationsbedarfselemente entwickelt und dargestellt. Die Kombination mehrerer Informationsbedarfselemente ergibt das Informationsbedarfsprofil einer Führungskraft. 6.1

Aufgaben und Rahmenbedingungen der Arbeit von Kommunalmanagern

Interviews, Beobachtungen und gemeinsame Arbeit mit den beforschten Führungskräften bzw. deren Mitarbeitern bilden die Grundlage für die Untersuchung der Einflussfaktoren auf ihren Informationsbedarf. Diese Grundlage wird zunächst in Form von typischen Arbeitsepisoden ausschnitthaft dargelegt, um anschließend die für den resultierenden Informationsbedarf ausschlaggebenden Bestimmungsfaktoren zu entwickeln. Um die Aufgabenstellung, Arbeitssituation und die Rahmenbedingungen der Arbeit der betrachteten Führungskräfte aus Verwaltung und Gemeinderat anschaulich zu machen, werden im Folgenden charakteristische Arbeitsepisoden von Amtsleiter, Bürgermeister, Oberbürgermeister, Gemeinderat und Fraktionsgeschäftsstelle vorgestellt. Die dargestellten Arbeitsepisoden beruhen auf Erkenntnissen aus den geführten Interviews, den Beobachtungen sowie aus der Mitarbeit mit den Führungskräften bzw. Mitarbeitern aus ihrem Umfeld im Rahmen des Projektes. Um die charakteristischen Merkmale der Arbeit bspw. eines Amtsleiters möglichst prägnant zusammen zu fassen, wurden aus dem empirischen Material synthetische Episoden entwickelt, die sich 161

aus mehreren Einzelereignissen über verschiedene Personen hinweg zusammensetzen. In einem ersten Schritt werden zunächst die charakteristischen Elemente für die Arbeitssituation der beobachteten Führungskräfte im Sinne einer Fallbeschreibung zusammengefasst. Im Anschluss erfolgt eine erste Analyse hinsichtlich informationsbedarfsrelevanter Aspekte. 6.1.1

Amtsleiter

6.1.1.1 Fallbeschreibung Amtsleiter Zu Beginn des Arbeitstages konsultiert Amtsleiter S. seinen Kalender mit den Sitzungs- und Besprechungsterminen des aktuellen Tages. Der Terminkalender wird vom Vorzimmer in Papierform gepflegt, die Termine werden telefonisch mit dem Sekretariat verabredet und in einen zentralen Kalender auf dem Schreibtisch der Sekretärin eingetragen. Auch Termine, die der Amtsleiter persönlich oder über gemeinsam genutzte elektronische Kalender vereinbart, werden mit diesem zentralen Kalender abgestimmt. Erster Termin an diesem Arbeitstag ist eine der regelmäßig stattfindenden Sitzungen der Abteilung x im Rathaus. Herr S. leitet als Amtsleiter diese Sitzung, an der neben dem Abteilungsleiter noch vier weitere Spezialisten aus der Abteilung teilnehmen. Die Tagesordnung wurde vorab von Herrn S. mit dem Abteilungsleiter besprochen, vom Abteilungsleiter entsprechend vorbereitet und per E-Mail an alle Teilnehmer verschickt. Es geht um den Abgleich der aktuellen Aktivitäten und die Diskussion der Steuerungskennzahlen. Für den Arbeitsbereich jeder Abteilung gibt es Ziele und Zielvorgaben. Diese werden in turnusmäßigen Sitzungen und Berichten mit dem erreichten Ist-Zustand verglichen. Die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele und der aktuelle Stand auf dem Weg dorthin werden von Herrn S. mit jeder einzelnen Abteilung besprochen. In problematischen Bereichen werden Ursachen erörtert und mögliche Lösungen diskutiert. Die Ergebnisse dieser Sitzungen dienen Herrn S. als Ausgangspunkt für die Erstellung der regelmäßigen Amtsberichte im Rahmen des Berichtswesens für Bürgermeister und Gemeinderat. Der zweite Termin ist eine Besprechung mit zwei Mitarbeitern im Büro des Amtsleiters. Die zur Diskussion stehenden Dokumente wurden von den beiden Mitarbeitern bereits per E-Mail an Herrn S. geschickt und liegen ausgedruckt vor. Es handelt sich um eines der (ebenfalls) regelmäßigen Gespräche mit einzelnen Mitarbeitern, bei denen neben sachlichen Themen zum Fortschritt in bestimmten Aufgabenbereichen auch persönliche Themen angeschnitten werden. Die Gestaltung der Tagesordnung liegt bei 162

den Mitarbeitern, meist steht ein aktuelles Thema aus dem Aufgabenbereich des oder der Mitarbeiter im Zentrum des Termins, davon ausgehend werden aber auch allgemeine aktuelle Aspekte und Fragestellungen, die in Zusammenhang mit der Arbeit stehen, erörtert. Herr S. bleibt so auf dem Laufenden bezüglich aktueller Entwicklungen und auch der Stimmung seiner Mitarbeiter und kann entsprechende Maßnahmen anstoßen, motivieren, loben oder auch ermahnen, wo dies erforderlich ist. Eine weitere Sitzung steht an, dieses Mal ist es das Treffen einer Projektgruppe in einem Sitzungszimmer des Rathauses. Auf der Tagesordnung, die vom Leiter des Projekts vorbereitet und an die Teilnehmer per E-Mail verschickt wurde, steht der Abgleich verschiedener Sachstände und Stellungnahmen unterschiedlicher Teammitglieder, um auf dieser Informationsbasis einen weiteren Meilenstein in Angriff nehmen zu können. Herr S. wurde vom Leiter des Projekts mit den entsprechenden Zahlen und Berichten zum Status im Vorfeld versorgt, die im Rahmen der Projektmanagementkonventionen standardmäßig zu jedem Projekt vorgehalten werden. Da das Projekt unter genauer Beobachtung des Rates steht, will Herr S. über jedes Detail – positiv oder negativ – informiert sein. Dazu gehört, dass er sich neben den Fakten auch über die Einschätzungen aus Sicht der direkt Beteiligten auf dem Laufenden hält. So kann er ggf. auch kurzfristig Auskünfte erteilen, sollten Nachfragen zum Projekt bei ihm oder Bürgermeister P. eingehen. An diesem Tag findet auch noch eine Besprechung bei seinem Vorgesetzten, Bürgermeister P. statt. Amtsleiter S. hat dafür die aktuellen Sachstände zu den unterschiedlichen Bereichen der Ämtergeschäfte vorbereitet. Außerdem war er vom Bürgermeister auch noch um eine Stellungnahme zu einer aktuellen Ratsanfrage gebeten worden. Eine kritische Pressenotiz hatte im Rat für Aufregung gesorgt, und man hatte daraufhin an die Verwaltung die Anfrage gerichtet, die Situation aus fachlicher Sicht darzustellen. Fachlich fällt das Thema in das Ressort von Bürgermeister P., der die Bearbeitung der Anfrage an seinen Spezialisten im Fachamt, Herrn S., delegiert hatte. Herr S. war von seinem zuständigen Abteilungsleiter bereits vor einigen Wochen auf das Thema aufmerksam gemacht worden und kann daher auf ein vorbereitetes Dossier zurückgreifen. Er stellt seinen Vorschlag zur Stellungnahme vor und gemeinsam erörtern Bürgermeister P. und Amtsleiter S., was man diesbezüglich weiter unternehmen muss und wie die politische Gemengelage außerhalb und innerhalb des Rathauses einzuschätzen ist.

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6.1.1.2 Auswertung Amtsleiter Die Arbeit eines Amtsleiters wird in großem Umfang durch die Leitung seiner Amtsgeschäfte geprägt (vgl. Tabelle 6-1). Er ist als Vorgesetzter für die Führung seiner Mitarbeiter verantwortlich sowie für die Steuerung und termingerechte Umsetzung der Projekte und Aufgaben seines Amtes. Aktivität

beteiligte Akteure

Terminkoordination

Amtsleiter, Sekretariat

Abteilungsleiterrunde: Amtssteuerung

Amtsleiter, Abteilungsleiter, Spezialisten

Mitarbeiterbesprechung: Personalführung

Amtsleiter, Mitarbeiter

Projektsitzung: Projektbezogene Steuerung

Amtsleiter, Projektleiter, Projektteam

Besprechung mit Bürgermeister: Spezialisten-/ Querschnittsrolle im Referat ausfüllen

Bürgermeister, Amtsleiter, Mitarbeiter des Bürgermeisters

Material Kalender, Termine Tagesordnung, Einladung, Protokoll, Sachstandsbericht, Diskussionsgrundlage Einladung, Sachstandsbericht, Diskussionsgrundlage Einladung, Tagesordnung, Projektberichte/ Stellungnahmen, Protokoll Einladung, Sachstandsberichte, Anfrage, Stellungnahme, Pressenotiz, Themendossier

Tabelle 6-1: Aktivitäten eines Amtsleiters Quelle: Eigene Darstellung.

Leiter von Fachämtern sind innerhalb des Verwaltungsapparates Fachleute für bestimmte Themen wie z.B. Gesundheit oder Stadtplanung. Daher haben sie die Entwicklungen ihres Fachgebiets im Auge und verfolgen neue Erkenntnisse und Trends, um Handlungsbedarf früh zu erkennen und sich entsprechend vorbereiten zu können. Auch Amtsleiter in Querschnittsämtern verfolgen bestimmte Fachthemen, allerdings sind sie in der Regel weniger spezialisiert als die Leiter von Fachämtern. Als Fachleute für ihr Thema werden alle Amtsleiter von ihren Vorgesetzten mit der Umsetzung von Gemeinderatsaufträgen betraut und nehmen innerhalb ihres Referats die Rolle von Experten für Fach- oder Querschnittsthemen ein. Ihr Informationsbedarf orientiert sich folglich stark an der konkreten Umsetzung von Aufträgen und Aufgaben. 6.1.2

Bürgermeister

6.1.2.1 Fallbeschreibung Bürgermeister Der erste Termin des Tages findet außerhalb des Rathauses in Bad Cannstatt statt. Für Bosnien gespendete Feuerwehrfahrzeuge werden durch Herrn P. an die angereisten bosnischen Empfänger feierlich übergeben. Zur Vorbereitung auf diesen Termin 164

wurde von den Referatsmitarbeitern eine Mappe mit den zentralen Informationen zusammengestellt. Herr P. überfliegt die Informationen während der Anfahrt und formuliert auf dieser Basis spontan eine kurze Ansprache zur Übergabe. Von Cannstatt aus geht es unmittelbar zum nächsten Termin außerhalb von Stuttgart. Der Termin beinhaltet eine Sitzung des Verbandsausschusses des xy-Verbandes mit mehreren Tagesordnungspunkten. Die Tagesordnung spiegelt aktuelle Handlungserfordernisse wider, die aus kürzlich erlassenen Gesetzesänderungen folgen. Sie wurde vom Vorsitzenden des Verbandes zusammengestellt und im Vorfeld der Sitzung an die Teilnehmer per Post verschickt. Bürgermeister P. hat zur Vorbereitung der Sitzung Stellungnahmen zu den Tagesordnungspunkten von seinen Amtsleitern entsprechend ihrer fachlichen Zuständigkeit erbeten. Vom Vorzimmer bzw. von den Referatsmitarbeitern wurde auf dieser Grundlage eine Mappe mit Unterlagen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten angelegt. Zu jedem Tagesordnungspunkt wurden neben der Stellungsnahmen der Amtsleiter Hintergrundinformationen wie Presseberichte, Gesetzespassagen, Sitzungsprotokolle und -beschlüsse o.ä. gesammelt. Zu wichtigen Entscheidungen, die im Rahmen der Sitzung anstehen, hat Herr P. mit dem betreffenden Amtsleiter über dessen Stellungnahme persönlich diskutiert, um eine gemeinsame Argumentationslinie zu entwickeln und im persönlichen Gespräch auch noch mehr Details und die persönliche Einschätzung des Amtsleiters zu hören. Auf der Fahrt zum Termin kann sich Herr P. mit diesen Unterlagen auf die Sitzung und die Entscheidungen, die er hier erzielen will, vorbereiten. Während der Sitzung notiert er handschriftlich die Ergebnisse und wichtige Anmerkungen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten in seine Unterlagen. Im Nachgang zur Sitzung werden diese protokollierten Ergebnisse zu den einzelnen Tagesordnungspunkten zurück an die zuständigen Amtsleiter geschickt, entweder nur zu deren Information oder als Arbeitsauftrag, die beschlossenen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Als nächstes steht eine Sitzung mit allen Amtsleitern und den Referatsmitarbeitern auf dem Programm. Die Tagesordnung ist weitgehend standardisiert und wird von Herrn P. nur um aktuelle Punkte ergänzt, bevor sie von seinen Mitarbeitern an die Amtsleiter verschickt wird. Alle Amtsleiter berichten kurz zum aktuellen Stand der Dinge in ihrem Bereich und gehen dabei sowohl auf den Umsetzungsstand der Ämterziele und standardisierte Steuerungskennzahlen als auch auf aktuelle Projekte und die Abarbeitung von Gemeinderatsaufträgen in Form von Anfragen und Beschlüssen ein. Wo Handlungsbedarf besteht, werden mögliche Maßnahmen diskutiert und als Arbeitsaufträge verteilt. Herr P. kann sich auf diese Weise sowohl einen sachlichen Ü165

berblick über die Geschäfte seiner Ämter als auch Einschätzung seiner Fachleute zu bestimmten Themen verschaffen. Das Ergebnis der Sitzung wird protokolliert und dient gemeinsam mit den ebenfalls schriftlich abgelieferten Ämterberichten zur Erstellung des Referatsberichts, der an OB und Gemeinderäte geht. Neben Besprechungen mit allen Amtsleitern seines Referats führt Herr P. auch regelmäßige Einzelgespräche, um neben Einzelheiten zum Amtsgeschäft – v.a. im Fall von Handlungsbedarf – auch etwas zur Stimmung und dem Arbeitsklima seiner Mitarbeiter zu erfahren. Die Gestaltung der Tagesordnung und die dementsprechende Vorbereitung liegt in diesem Fall hauptsächlich in der Hand der Amtsleiter, die in diesen Gesprächen offene Punkte mit Entscheidungsbedarf von Seiten des Bürgermeisters klären können oder sich Rückendeckung und Mangement Attention für schwierige Projekte und Initiativen sichern. Aktuelle Themen, die bspw. von Seiten der Presse aufgeworfen wurden, werden von den Amtsleitern in Eigeninitiative oder auf Anfrage vorbereitet und aus fachlicher und persönlicher Perspektive erörtert. Bevor ein Amt mit Ergebnissen aus einem Projekt oder der Umsetzung eines Gemeinderatsauftrags an die Öffentlichkeit geht bzw. dem Gemeinderat gegenübertritt, werden die Ergebnisse zunächst im Rahmen einer solchen Besprechung mit dem Bürgermeister, dessen persönlichem Assistenten, dem verantwortlichen Amtsleiter und den Projektleitern diskutiert. Häufig hängt die Außenwirkung von Projekten und Ergebnissen weniger von deren inhaltlicher Qualität als von der aktuellen politischen Großwetterlage ab. Der Bürgermeister und sein Assistent kennen diese aktuelle Stimmung aufgrund ihrer intensiven Arbeit mit und in den unterschiedlichsten Gremien und Arbeitskreisen, so dass sie einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Darstellung der Verwaltungsarbeit leisten. In regelmäßigem Rhythmus findet die Referentenrunde, eine Sitzung aller Bürgermeister mit dem Oberbürgermeister, statt. Jeder Bürgermeister gibt dort einen Bericht über den Status seiner Arbeit und hat die Gelegenheit, auf Handlungsbedarf und politische Themen in seinem Ressort aufmerksam zu machen. In Zeiten knapper Haushaltskassen entbrennt in dieser Runde häufig eine heftige Diskussion um Prioritäten, und nicht immer findet Bürgermeister P. angemessene Unterstützung für seine Vorschläge. Da er weiß, dass die Entscheidungen der Politiker nicht immer frei von taktischen und machtpolitischen Überlegungen sind und daher nicht immer nur sachliche Beweggründe vorgebracht werden, setzt er in solchen Fällen auf gezielte Pressearbeit, um auf brennende Probleme seines Ressorts hinzuweisen. Spätestens dann, wenn ein

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kritischer Artikel im Lokalteil die Gemeinderäte auf den Plan gerufen hat, wird man sich seine Vorschläge anhören. Die Teilnahme an Sitzungen unterschiedlicher Gremien des Gemeinderates bzw. verschiedener Fachausschüsse und -beiräte gehört zu den Aufgaben eines Bürgermeisters. Inhalt dieser Sitzungen sind zum einen Berichte über den Umsetzungsstand aktueller Projekte des Referats, Stellungnahmen zu Anfragen von Seiten der Räte und Initiativen für Maßnahmen und Projekte in Form von Beschlussvorlagen. Die Tagesordnung der Sitzungen wird vom Büro des Oberbürgermeisters unter Berücksichtigung der Vorschläge von Seiten der Bürgermeister gemacht. Die Vorbereitung der Sitzungen erfolgt ausgehend von der Tagesordnung auf der Basis von Stellungnahmen, Berichten und Vorlagen, die von den thematisch involvierten Amtsleitern sowie von den Referatsmitarbeitern erarbeitet werden (s.o.). Die Leiter der Querschnittsreferate ‚Allgemeine Verwaltung’ und ‚Finanzen’ haben nicht nur die Bearbeitung der Themenstellungen zur Aufgabe, die originär in ihr Ressort fallen, sondern werden im Rahmen des Mitzeichnungsverfahrens21 in Entscheidungsvorbereitungsprozesse aller Referate eingebunden. Plant ein Fachreferat eine Maßnahme oder ein Projekt – entweder auf eigene Initiative oder ausgelöst durch einen entsprechenden Gemeinderatsauftrag – werden die entsprechenden Beschlussvorlagen den Bürgermeistern der Querschnittsreferate zur Mitzeichnung vorgelegt. Aufgabe der Bürgermeister der Referate ‚Allgemeine Verwaltung’ und ‚Finanzen’ ist es, aus ihrer Querschnittsperspektive heraus konstruktiv an der Formulierung der Vorlagen und der Planung von Maßnahmen von Seiten der Fachreferate mitzuwirken und so Synergieeffekte und eine übergreifende Koordination des Verwaltungshandelns sicherzustellen. Neben den Themen, die direkt mit der Leitung seines Referats zusammenhängen, treiben Bürgermeister P. auch noch einige Themen um, die er aus persönlichem Inte-

21

Die Grundlage für die Beteiligung von Querschnittsreferaten oder auch anderen Fachreferaten an der Erarbeitung von Beschlussvorlagen im Rahmen der Mitzeichnung ist durch die Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien geregelt (Bundesministerium des Innern Stabsstelle Moderner Staat – Moderne Verwaltung (Hrsg.) 2000). Das federführende Referat kann von sich aus andere Stellen in den Prozess mit einbinden, um sich fachliche Unterstützung zu sichern. Darüber hinaus gibt es Regelungen, die die Mitzeichnung bestimmter Referate in bestimmten Fällen vorschreiben. Das mitzeichnende Referat übernimmt für einen bestimmten Teil der Vorlage die fachliche Verantwortung. Es kann jedoch nicht selbst Änderungen an der Vorlage vornehmen, sondern dem federführenden Referat lediglich Vorschläge zur Verbesserung unterbreiten und ggf. die Mitzeichnung verweigern.

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resse verfolgt. Er hält sich dazu über aktuelle Fachpublikationen und Veranstaltungen auf dem Laufenden und veröffentlicht auch selbst ab und zu einen Artikel in einschlägigen Kommunalzeitschriften. Diese General Issues (vgl. Abschnitt 4.3.1) versucht er, wo dies möglich ist, in seine Arbeit mit einzubringen und hat dazu einen seiner Stabsstellenmitarbeiter beauftragt, nach Möglichkeiten zu suchen, das Thema x in der Stadt voranzutreiben. 6.1.2.2 Auswertung Bürgermeister Im Arbeitsgebiet eines Bürgermeisters macht die Führung seiner Mitarbeiter und der Referatsgeschäfte einen von mehreren wichtigen Bestandteilen aus (siehe Tabelle 6-2). Bürgermeister übernehmen Repräsentationspflichten für die gesamte Stadtverwaltung, ihre Aufgabe ist es jedoch in erster Linie, für das Ressort eigene auf Grund ihres breiten Fachwissens weitblickende Planungen zu entwerfen, deren Erfordernisse und Stichhaltigkeit innerhalb des politischen Diskurses - im Priorisierungskampf mit anderen Fachinteressen - nachzuweisen und durchzusetzen sowie die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen. Für einen Bürgermeister ist es daher noch wichtiger als für seine Amtsleiter, über Entwicklungen (Gesetzgebung, wissenschaftliche Erkenntnisse, internationale Beispiele und Best Practices, etc.) im eigenen Fachgebiet unterrichtet zu sein, um absehbaren Handlungsbedarf und planungsrelevante Aspekte so früh wie möglich zu identifizieren und einzubeziehen. Um die Interessen seines Ressorts bzw. die Bürgerinteressen, die durch sein Ressort vertreten werden, möglichst wirkungsvoll gegenüber den anderen Fachbereichen und dem Gemeinderat zu vertreten, ist die politische Arbeit ein weiterer wichtiger Bestandteil seiner Aufgaben. Gerade in finanziell schwierigen Situationen müssen Ressortinteressen nicht nur gegenüber dem Gemeinderat argumentiert werden, sondern auch vor den anderen Ressorts und gegenüber dem Oberbürgermeister, um in der Prioritätenabwägung berücksichtigt zu werden. Als Politiker verfolgen Bürgermeister darüber hinaus häufig eigene, individuelle Themen, die sie unabhängig von ihrer Ressortausrichtung an unterschiedlichen Stellen vorantreiben. Je nach fachlicher Ausrichtung, inhaltlicher Neigung und Einfluss fließen die Ergebnisse aus diesen individuellen Themen in wissenschaftliche Veröffentlichungen oder auch in städtische Großprojekte mit ein.

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Aktivität

beteiligte Akteure

Repräsentationstermin: Repräsentation der Stadtverwaltung nach außen und gegenüber Bürgern Sitzung des Verbandsausschusses: Fachpolitik; Folgenabschätzung, Umsetzung aktueller Gesetzeslage

Material

Bürgermeister, externe Vertreter

Einladung, Tagesordnung, Redemanuskript

Bürgermeister, Ausschussmitglieder

Einladung, Tagesordnung, Stellungnahmen/ Dossiers der Fachämter zu Tagesordnungspunkten, Mitschrieb, Protokoll

Mitarbeitergespräch

Bürgermeister, Amtsleiter

Projektabnahme: Projektbezogene Steuerung Referentenrunde: Fach/Querschnittspolitik betreiben; Spezialistenrolle auf Referentenebene vertreten Gremiensitzung: Vertretung der Verwaltung im Policy-Zyklus Mitzeichnung: Einheitliches Verwaltungshandeln koordinieren Persönliche Themen verfolgen

Bürgermeister, Referatsassistent, Amtsleiter, Projektleitung

Einladung, Tagesordnung, Sachstandsberichte, Controllingberichtswesen, Protokoll, Ämterberichte Tagesordnung, Sachstandsbericht, Diskussionsunterlagen Projektauftrag/ Ratsdokumente, Projektdokumentation, Protokoll

Bürgermeister, Oberbürgermeister

Einladung, Tagesordnung, Sachstandsberichte, Protokoll

Bürgermeister, ggf. Oberbürgermeister, ggf. Amtsleiter, Gemeinderäte

Tagesordnung, Sitzungsunterlagen (Vorlagen, Stellungnahmen, Anträge/ Anfragen), Protokoll

Bürgermeister, Referatsmitarbeiter

Vorlage, gesetzliche Grundlagen, Haushalt, Sachstandsbericht

Bürgermeister, ggf. Referatsmitarbeiter, ggf. Amtsleiter

Publikationen, Recherche

Amtsleiterrunde: Steuerung des eigenen Ressorts

Bürgermeister, Amtsleiter, Referatsmitarbeiter

Tabelle 6-2: Aktivitäten Bürgermeister Quelle: Eigene Darstellung

6.1.3

Oberbürgermeister

6.1.3.1 Fallbeschreibung Oberbürgermeister Um die aktuelle Situation zu beurteilen und akuten sowie zukünftigen Handlungsbedarf zu identifizieren, werden im Büro des Oberbürgermeisters große Mengen an Informationen zu unterschiedlichsten kommunalen Themen gesammelt, geprüft und von Mitarbeitern des OBs nach ihrer Relevanz beurteilt. Bei dieser Beurteilung spielen unterschiedliche Kriterien eine Rolle: Der Oberbürgermeister hat sich für seine Wahlperiode bestimmte inhaltliche Ziele gesetzt, daneben sind einige städtische Großprojekte und Vorhaben direkt bei ihm angesiedelt, und es gibt auch Themen und Projekte unter der Leitung von Bürgermeistern, denen er seine besondere Unterstützung zugesichert hat. Darüber hinaus wird die gesamte Außenwirkung und diesbezüg169

liche Berichterstattung auf Handlungsbedarf geprüft. Als wichtig eingestufte interne und externe Informationen werden zusammengestellt und dem Oberbürgermeister vom Leiter seines Büros vorgetragen. Der Leiter des OB-Büros fungiert genau wie die Assistenten der Bürgermeister als Makler für seinen Vorgesetzten. Was zum OB gelangen soll, muss über seinen Tisch. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung und Kenntnis des Verwaltungsgeschehens und auch der politischen Gegebenheiten. Er pflegt häufig engen Kontakt zu Kooperationspartnern und wichtigen Akteuren außerhalb der Stadtverwaltung und kann so den Oberbürgermeister gezielt in sachlicher und politischer Hinsicht beraten. Der Oberbürgermeister führt regelmäßige Sitzungen mit allen Fach- und Querschnittsbürgermeistern durch. Die Tagesordnung wird im Vorfeld von den Assistenten der Bürgermeister gemeinsam mit dem Leiter des OB-Büros ausgehandelt und an die Teilnehmer der Runde verschickt. Die Sitzungen der sog. Referentenrunde dienen dazu, Sachstände und Handlungsbedarf aus Sicht der Bürgermeister darzulegen, um den OB auf absehbare politische Themen aufmerksam zu machen und entsprechende Maßnahmenvorschläge zu diskutieren. In der Zusammenschau der unterschiedlichen Fachperspektiven werden Vorschläge priorisiert und eine gemeinsame Position zu aktuellen tagespolitischen Themen entwickelt. In umgekehrter Richtung dienen diese Sitzungen auch dazu, Themen, die der OB aus seinen umfangreichen Kontakten in Wissenschaft, Wirtschaft und kommunalen Verbänden aufgegriffen hat und als wichtig erachtet, in die Verwaltung einzubringen und die zuständigen Ressorts mit der Bekümmerung zu beauftragen. Projekte mit stadtweiter Relevanz wie z.B. das Projekt zur Verwaltungsreform werden von einem Lenkungsausschuss überwacht, der sich aus Mitgliedern aus Verwaltungsführung und Gemeinderat zusammensetzt. Den Vorsitz solcher Lenkungsgremien und damit auch der entsprechenden Ausschusssitzungen hat i.d.R. der Oberbürgermeister inne. Die Tagesordnung der Sitzung wird von der Leitung des Projekts vorbereitet und an die Teilnehmer der Sitzung verschickt. Zur Vorbereitung auf die Sitzung bekommt der OB vorab den aktuellen Projektbericht und wird durch den zuständigen Bürgermeister und die Projektleitung über den Status und etwaige kritische Punkte unterrichtet. Ähnlich sieht die Vorbereitung auf die Leitung der Sitzungen des Gemeinderates aus. Die zum Beschluss anstehenden Vorlagen sowie der Stand der Umsetzung von

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Gemeinderatsaufträgen werden in der Referentenrunde besprochen. Mögliche kritische Punkte werden diskutiert und eine gemeinsame Argumentationslinie entwickelt. Einen großen Teil seiner Arbeitszeit nehmen Repräsentationsaufgaben und offizielle Termine ein, die der OB als Vertreter der Stadt wahrnimmt. Je nachdem, um welche Art von Termin es sich handelt, wird er von den Mitarbeitern des OB-Büros oder auch von dem zuständigen Bürgermeister und seinen Mitarbeitern vorbereitet. Zu den meisten Gästen erhält er ein individuelles Dossier zum Lebenslauf und ihre etwaigen Verknüpfungen zur Stadt. Das Programm für die Termine wird von seinem Büro gestaltet oder zumindest koordiniert, sofern andere Referate die Federführung haben. Vor jedem Termin wird er von einem Mitarbeiter gebrieft und mit Besonderheiten des Gastes oder des Termins vertraut gemacht. 6.1.3.2 Auswertung Oberbürgermeister Der Oberbürgermeister ist gleichzeitig Chef des Verwaltungsapparates, oberster Repräsentant der Stadt und Vorsitzender des Gemeinderates. Ihm obliegt die Aufgabe, die Arbeit von Verwaltung und Rat zu koordinieren und zu einem einheitlichen Vorgehen zu integrieren (vgl. Tabelle 6-3). Er hat in dieser Situation zwischen fachlichen Gesichtspunkten, administrativen Erfordernissen und der Forderung nach autonomer Fachverantwortung einerseits und politischen Erwägungen, der Vertretung von Bürgerinteressen sowie dem Versuch der Detailsteuerung andererseits zu vermitteln. Aktivität OB als Gatekeeper, persönliche Gestaltungsschwerpunkte verfolgen Referentenrunde: Koordination, Steuerung der Ressorts Leitung des Projektlenkungsausschusses: Projektbezogene Steuerung Leitung von Gemeinderatssitzungen: Steuerung der Zusammenarbeit von Rat und Verwaltung Repräsentationstermine: Vertretung der Stadt nach außen und gegenüber Bürgern

beteiligte Akteure Mitarbeiter/ Leiter des OBBüros, Oberbürgermeister Oberbürgermeister, Bürgermeister

Material Externe und interne Informationen zu zentralen Themen, OBZiele Tagesordnung, Sachstandsberichte, Diskussionsgrundlagen, Protokoll

Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeinderäte, etc.

Projektdokumentation, Sachstandsberichte

Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeinderäte

Tagesordnung, Sitzungsunterlagen (Vorlagen, Stellungnahmen, Anträge/Anfragen), Protokolle

Oberbürgermeister u.a.

Tagesordnung, Hintergrundmaterial zu Gästen, Redemanuskript, Protokoll

Tabelle 6-3: Aktivitäten Oberbürgermeister Quelle: Eigene Darstellung.

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Der Oberbürgermeister vertritt die Stadtverwaltung sowohl nach außen als auch gegenüber dem Rat. Er hat die Planung der einzelnen Fach- und Querschnittsressorts gemeinsam mit den Bürgermeistern der Querschnittsreferate zu einem stimmigen Gesamtkonzept zu integrieren und benötigt dafür den stadtweiten Überblick über Aufgaben, Erfordernisse und Aktivitäten der Verwaltung. Darüber hinaus macht er sich als Politiker bestimmte Themen und Projekte zu eigen, die er persönlich fördert und verfolgt. 6.1.4

Gemeinderat

6.1.4.1 Fallbeschreibung Gemeinderat Herr M. ist Betreuungsstadtrat für einen Stadtbezirk und vertritt daher insbesondere die Belange und Interessen der dortigen Bürger, zu denen er auch regen persönlichen Kontakt pflegt. Er nimmt an zahlreichen Bürgerversammlungen im Stadtbezirk teil und ist gleichzeitig auch Mitglied des ansässigen Bezirksbeirates. So weiß er jederzeit, welche Themen den Bürgern in x unter den Nägeln brennen und für welche stadtteilrelevanten Projekte und Maßnahmen er sich einsetzen muss. Neben den persönlichen Gesprächen mit Bürgern und Unternehmern aus x informiert er sich über alle Aktivitäten der Stadtverwaltung, die einen Bezug zu seinem Stadtteil haben, um auch auf Nachfragen von Bürgern immer eine kompetente Antwort geben zu können. Beruflich ist Herr M. als praktischer Arzt in seinem Stadtteil tätig. Einerseits nimmt ihn der Job sehr in Anspruch, so dass die Abende lang werden, wenn er dann noch für sein Ehrenamt als Gemeinderat tätig wird. Andererseits gibt ihm gerade dieser Beruf die Gelegenheit, mit Bürgern aus seinem Stadtteil – seinen Patienten – täglich in direkten Kontakt zu treten und so ihre Sorgen und Nöte aus erster Hand zu erfahren. Er pflegt engen Kontakt zu Kollegen in den städtischen Krankenhäusern und zu den städtischen Stellen, die sich im Gesundheitsbereich engagieren. Auf diese Weise erfährt er einige interessante Informationen zu Problemlagen und Entscheidungsbedarfen früher als andere und kann seiner Fraktion so zu dem entscheidenden Handlungsvorsprung verhelfen. Als Mitglied der Fraktionsspitze ist es außerdem wichtig für Herrn M., immer über die Aktivitäten der anderen Fraktionen im Bilde zu sein. Die Überwachung der aktuellen Anträge anderer Fraktionen oder auch nur einzelner Gemeinderäte gehört zu seinen täglichen Aktivitäten. Er wird dabei von den Mitarbeitern in der Geschäftsstelle unterstützt, die ihn ggf. auch in der Praxis anrufen, da er selbst nur in der Mittagspause und abends nachsehen kann. 172

Oft ist eine schnelle Reaktion gefragt, um die eigene Position gegenüber anderen erfolgreich durchzusetzen. Es ist von zentraler Bedeutung, Themen zu ‚erspüren’, die sich durch kleinste Anzeichen, Bemerkungen oder Rechercheaktivitäten anderer Fraktionen andeuten, um hier gleichfalls vorbereitet in die Diskussion gehen zu können. Durch die Unterstützung der Ratsarbeit mit dem Ratsinformationssystem CUPARLA, ist die Beobachtung der Antragsaktivitäten der anderen Fraktionen um vieles einfacher geworden. Die Räte sind nicht mehr darauf angewiesen, auf die Zustellung der Anträge per Hauspost an die Geschäftsstellen zu warten, sondern sehen am eigenen Rechner die digitale Veröffentlichung eines Antrags in dem Moment, in dem er von einem Mitarbeiter der zuständigen Geschäftsstelle im OB-Bereich in Empfang genommen und elektronisch freigegeben wird. Manchmal ergibt sich dadurch sogar die Situation, dass ein Antragsteller ungenau arbeitet und so das Antragsdokument sogar noch vor seiner offiziellen Übergabe an die Verwaltung für andere Fraktionen sichtbar wird. Wird dies von Räten der anderen Fraktionen entdeckt, kann es gelingen, der Konkurrenz mit einem eigenen Antrag noch zuvorzukommen und so das Thema selbst zu besetzen. Auf dem Programm des heutigen Sitzungstages steht die Teilnahme an einer Sitzung des Verwaltungsausschusses. Hier wird neben einigen Statusberichten zu verschiedenen Projekten auch über die Verabschiedung einer Straßenbaumaßnahme im Stadtteil x diskutiert. Herr M. hat sich daher akribisch vorbereitet. Er hat die Beschlussvorlage studiert, die vom federführenden Referat vorgelegt wurde, und dort einige Unstimmigkeiten mit seiner eigenen Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten entdeckt. Daher hat er sich mit Experten vor Ort und auch mit dem Ansprechpartner im betreffenden Fachamt in Verbindung gesetzt. Aus seiner Sicht weist die Darstellung einige Lücken auf, die er in die Diskussion einbringen will, um eine Nachbesserung der Planung zu fordern. Außerdem wurde er von einigen Bürgern gefragt, was denn aus den versprochenen Maßnahmen zum Thema x geworden sei, man hätte davon nie wieder etwas gehört. Er weiß, dass dazu vor einigen Monaten ein Beschluss gefasst wurde und konsultiert das elektronische Gemeinderatsauftragssystem. Dort sieht er, dass ein Meilensteinbericht mit dem aktuellen Zwischenstand längst fällig wäre und beschließt eine entsprechende Anfrage zu formulieren. Anschließend bereitet sich Herr M. noch auf die am Wochenende anstehenden Haushaltsplanberatungen vor. Die diesjährigen Beratungen zum Haushalt, der jeweils 173

für zwei Jahre verabschiedet wird, stehen ins Haus und jede Fraktion ist bestrebt, mit entsprechenden Haushaltsanträgen die Schwerpunktsetzung der Verwaltungsaktivitäten für die nächsten zwei Jahre in ihrem Sinne zu beeinflussen. Um bei diesem Unterfangen möglichst erfolgreich zu sein, treffen sich die Fraktionen im Vorfeld zu Haushaltsplanberatungen, bei denen zunächst einmal intern über Prioritäten und ein schlüssiges Konzept abgestimmt wird. Herr M. kennt die Brennpunkte in seinem Stadtbezirk, will aber dazu noch einmal genauer recherchieren, was die Ansprechpartner auf Seiten der Verwaltung planen, um sich hier ggf. abzustimmen und Unterstützung zu sichern. 6.1.4.2 Auswertung Gemeinderat Die ehrenamtliche Arbeit eines Gemeinderats teilt sich auf in zwei wesentliche Bereiche (vgl. Tabelle 6-4): Zum einen das Erkennen von Handlungsbedarf aus Gesprächen mit Bürgern und Fachleuten, der Lektüre von Tages- und Fachpresse sowie der Verfolgung von bundes- und landespolitischen Entwicklungen und Entscheidungen, und zum anderen die Veranlassung entsprechender Maßnahmen und die Kontrolle ihrer Umsetzung. Dabei gilt es, die eigene Fraktion bzw. sich selbst möglichst positiv und als Initiator der wichtigsten Entscheidungen darzustellen und zentrale Themen als erster zu besetzen. Sowohl in der unterjährigen Arbeit als auch bei der Diskussion um den Haushalt, die in zweijährigem Rhythmus geführt wird, ist es für die Profilierung einer Fraktion entscheidend, ein Thema als erste mit einer Initiative zu besetzen. Die Hinweise aus der Verwaltung und das Aufgreifen von Stimmungen aus der Bevölkerung sind dafür sehr wichtig, um zu entscheiden, in welchen Bereichen es sich aktuell lohnt, aktiv zu werden. Aktivität Informeller Austausch mit Bürgern und Unternehmen Beobachtung übergeordneter politischer Entwicklungen/ Themen Bezirksbeiratssitzungen: Information über Anliegen des Ortsteils Veranlassen/ Überwachen von Verwaltungsaktivitäten in best. Bereichen

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beteiligte Akteure

Material

Gemeinderat, Ansprechpartner im Stadtteil

Ggf. Presseartikel

Gemeinderat, Parteiorgane, Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstelle

Presse, Parteiveröffentlichungen, persönliche Kontakte in Regional-/ Landespolitik

Mitglieder des Bezirksbeirats

Sitzungsunterlagen

Gemeinderat, Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstelle

Ratsdokumente, v.a. Antrag/ Anfrage

Aktivität

beteiligte Akteure

Überwachung der Aktivitäten anderer Fraktionen Teilnahme an Gemeinderatssitzungen: Politische Entscheidungen treffen und Umsetzung kontrollieren Haushaltsdiskussion: Politische Schwerpunkte und Linie für den Haushaltszeitraum bestimmen

Material

Gemeinderat. Mitarbeiter in der Fraktionsgeschäftsstelle

Ratsdokumente/ Sitzungsunterlagen

Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeinderäte

Tagesordnung, Sitzungsunterlagen, Protokoll, Haushaltsdokument, Projektberichte

Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeinderäte

‚Wunschlisten’ der Verwaltung, Haushaltsanträge der Fraktionen, Haushaltsrahmendaten, Protokolle

Tabelle 6-4: Aktivitäten Gemeinderat Quelle: Eigene Darstellung.

6.1.5

Fraktionsgeschäftsstelle

6.1.5.1 Fallbeschreibung Fraktionsgeschäftsstelle In der Fraktionsgeschäftsstelle ist insbesondere an Sitzungstagen Hochbetrieb. Alle Gemeinderäte der Fraktion nutzen diesen Tag, um auch in der Geschäftsstelle vorbeizuschauen und sich hier aktuelle Informationen abzuholen. Schon morgens kommen die ersten Anrufe von Räten mit der Bitte, zu den Themen der heutigen Sitzung doch schnell noch einige Recherchen durchzuführen und die Ergebnisse möglichst prägnant als Argumentationsunterstützung zusammenzufassen. Zu den Rechercheaufträgen, die Herr L. und seine Kollegen in der Fraktionsgeschäftsstelle zu erfüllen haben, gehört auch die typische Anfrage, dass es zu diesem oder jenem Thema doch schon einmal vor einigen Wochen oder Monaten einen Antrag oder eine Anfrage von der xy-Fraktion gegeben hätte, und ob die nicht schnell noch herausgesucht werden könnte. Das digitale Archiv von Ratsdokumenten ist dafür eine der zentralen Informationsquellen für die Arbeit der Fraktionsgeschäftsstelle. Neben solchen kurzfristigen Fragestellungen bearbeiten die Mitarbeiter der Fraktionsgeschäftsstelle auch die Aufbereitung von Fach- und Tagespresse und die Auswertung von Publikationen aus Politik und Wissenschaft im Hinblick auf längerfristig aktuelle Themen der Fraktion. Alle lokalen Tageszeitungen werden dazu nach bestimmten Kriterien durchgesehen und interessante Artikel ausgeschnitten und nach einem fraktionsindividuellen Schema kategorisiert und archiviert. Auch bestimmte Fachpublikationen werden nach diesem Schema recherchiert und aufbereitet. So kann bei Be-

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darf auch kurzfristig auf umfassende Pressedokumentationen zu einem Thema zugegriffen werden. In den meisten Fraktionen gehört es zu den Aufgaben der Geschäftsstelle, die Aktivitäten der anderen Fraktionen im Hinblick auf Anträge zu verfolgen. Sie sind als hauptberuflich Angestellte in der Lage, ganztägig ein Auge auf die entsprechende Datenbank im Ratsinformationssystem zu haben und so unmittelbar zu reagieren und die Räte zu benachrichtigen, sollte ein entsprechend brisanter Antrag eingehen. Je nach Arbeitsgewohnheiten der Gemeinderäte recherchieren sie auch zu Vorlagen von Seiten der Verwaltung und liefern so eine verwaltungsunabhängige Entscheidungsvorbereitung. Manche Räte sind auf Grund ihrer hohen Arbeitsbelastung nicht immer in der Lage, sich zu jeder einzelnen Vorlage, über die im Ausschuss abgestimmt wird, umfangreich zu informieren. Aufgabe der Mitarbeiter in den Geschäftsstellen ist es in diesem Fall, die Entscheidungsvorbereitung möglichst weitgehend zu unterstützen, indem sie alle verfügbaren Informationen zu einer Beschlussvorlage zusammenstellen. Dazu gehört z.B. die Recherche der Beratungsvorgeschichte einer Vorlage, falls diese schon in anderen Gremien vorberaten wurde oder die Erstellung einer Zusammenfassung des mitunter umfangreichen Vorlagentextes. Darüber hinaus stellen Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen die zentrale Anlaufstelle für Bürger dar, die mit der Fraktion in Kontakt treten wollen. Sie bearbeiten Anfragen oder Anregungen entweder selbst oder leiten diese an den zuständigen Gemeinderat weiter. 6.1.5.2 Auswertung Fraktionsgeschäftsstelle Die Mitarbeiter in den Fraktionsgeschäftsstellen übernehmen die Recherche, Kanalisierung und Strukturierung von Informationen für die Gemeinderäte ihrer Fraktion (vgl. Tabelle 6-5). Ihr Informationsbedarf richtet sich nach dem der Gemeinderäte. Sie übernehmen sowohl längerfristige Beobachtungen und Recherchen zu bestimmten Themen, zu denen sie dann neben Dokumenten auch persönliche Auskünfte von Ansprechpartnern in der eigenen Verwaltung oder bei anderen Städten einholen, als auch kurzfristige Suchaufträge zu bestimmten Dokumenten und Hintergrundinformationen. In der Regel betreiben die Geschäftsstellen eine gezielte Presseauswertung für die Fraktion, die sowohl der aktuellen Lagebeurteilung als auch der rückblickenden Recherche dient.

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Durch ihre langfristige Einbindung in die Vor- und Nachbereitung von Entscheidungen werden sie auch zur Unterstützung bei der Beurteilung von Entscheidungsalternativen herangezogen. Aktivität

beteiligte Akteure

Sitzungsvorbereitung

Geschäftsstellenmitarbeiter

Themenrecherche

Geschäftsstellenmitarbeiter

Themenorientierte Presseauswertung Beobachtung der Antragsaktivitäten anderer Fraktionen Entscheidungsvorbereitung

Material Aktuelle Sitzungsunterlagen, Ratsdokumentenarchiv Sitzungsunterlagen, Gemeinderatsauftragsdokumentation, Projektberichte, Internet

Geschäftsstellenmitarbeiter

Tagespresse, Fachpresse

Geschäftsstellenmitarbeiter

Ratsdokumente Æ Anträge

Geschäftsstellenmitarbeiter

Sitzungsunterlagen (Vorlage), verwaltungsinterne Dokumente zum Sachstand, Internetrecherche

Tabelle 6-5: Aktivitäten Fraktionsgeschäftsstelle Quelle: Eigene Darstellung

6.2

Bestimmungsfaktoren

Die dargestellten empirischen Erkenntnisse zu Aufgaben und Arbeitskontexten der Führungskräfte wurden einerseits zur Evaluation des theoretisch abgeleiteten Modells aus Einflussfaktoren und Merkmalen herangezogen und andererseits mit dem daraufhin überarbeiteten Modell ausgewertet. Die aus der Literatur abgeleiteten Bestimmungsfaktoren für Informationsbedarf wurden im Rahmen des Auswertungsprozesses auf ihre Aussagekraft und Anwendbarkeit auf das empirische Material hin überprüft und, wo erforderlich, angepasst. Die Anpassungen der Faktoren werden im Folgenden vorgestellt (vgl. Tabelle 6-6). Es zeigt sich, dass der Grad an Formalisierung der Aufgabenstellung und Entscheidungen über die untersuchten Führungskräfte hinweg - entgegen der Vermutung einer Varianz bspw. entlang der Hierarchie bzw. mit der Aufgabenart (vgl.Mintzberg 1980, S. 109; Reichwald 1984, S. 45) - kaum variiert, da alle betrachteten Arbeitsbereiche nur in geringem Umfang oder keine formalisierten Aufgaben beinhalten. Eine mögliche Ursache für diesen Befund ist der betrachtete Ausschnitt des Kommunalmanagements. In der Literatur wird u.a. zwischen einer Vollzugsverwaltung mit hochgradig programmierten Aufgaben und sog. politischen Systemaufgaben, die weitgehend unstrukturiert sind, unterschieden (vgl. Brinckmann/Grimmer 1990, S. 177

19ff). Führungskräfte der Stadt Stuttgart bestätigen, dass es Bereiche der Kommunalverwaltung wie z.B. das Standesamt oder das Meldewesen gibt, die sich durch einen hohen Anteil an Konditionalentscheidungen auszeichnen und daher einen weitgehend antizipierbaren Informationsbedarf bedingen. Allerdings sind nur wenige Bereiche in so großem Umfang strukturiert und von den betrachteten Führungskräftegruppen sind nur Amtsleiter in solchen Bereichen beschäftigt (allerdings keiner der Interviewpartner). Der Faktor ‚Zentraler Bereich der Gemeinderatsarbeit’ stellt eine Aggregation des Faktors Rolle bzw. Funktion dar. Für die Auswertung hat sich die Unterscheidung der folgenden Rollen bzw. Funktionen als zweckmäßig erwiesen: • Interessenvertreter im weiteren Sinn, d.h. Gemeinderäte und ihre Assistenzkräfte in den Fraktionsgeschäftsstellen. • Verwaltungsspitze: Der Oberbürgermeister steht an der Schnittstelle zwischen Gemeinderat und Verwaltung, er ist einerseits Chef des Verwaltungsapparates und andererseits gewähltes Oberhaupt des Gemeinderats. • Fach- und Querschnittsverantwortliche sind als hauptberufliche Leiter von Ämtern und Referaten für die Betreuung von fachlich spezialisierten und querschnittartigen Aufgaben sowie die Umsetzung der Gemeinderatsbeschlüsse zuständig. Interessenvertreter bzw. gewählte Politiker haben gemeinsam mit ihren hauptberuflichen Assistenzkräften in den Fraktionsgeschäftsstellen ihren Schwerpunkt in der gemeinderatsgesteuerten Gemeinderatsarbeit. Politiker, Verwaltungsspitze und Fachbzw. Querschnittsverantwortliche treffen sich im Rahmen der OB-gesteuerten Gemeinderatsarbeit, den Sitzungen der einzelnen Gremien des Gemeinderates. Fachbzw. Querschnittsverantwortliche und Verwaltungsspitze bestreiten zusammen die verwaltungsgesteuerte Gemeinderatsarbeit. Für die Auswertung des empirischen Materials wurde daher die Gliederung in Rollen als ausschlaggebender Faktor herangezogen und nicht die Gliederung in Bereiche der Gemeinderatsarbeit. Der Faktor Reichweite der Entscheidungen wurde mit dem Faktor Position verknüpft, da sich gezeigt hat, dass die Position einer Führungskraft ausschlaggebend für die Reichweite ihrer Entscheidungen ist. Entlang der hierarchischen Position ist auf Seiten der Verwaltungsführungskräfte eine Zunahme der Reichweite ihrer Entschei178

dungen von Amtsleiter über Referatsleiter oder Bürgermeister bis hin zum Oberbürgermeister zu verzeichnen. Gemeinderäte stehen bezüglich der Reichweite ihrer Entscheidungen auf einer Stufe mit dem Oberbürgermeister, auch sie treffen Entscheidungen von stadtweiter Bedeutung. Der Faktor Policy-Bereich/ Politikfeld hat sich bei der Auswertung als sinnvoll erwiesen und wurde daher unverändert übernommen. Die Bedeutung des persönlichen bzw. politischen Netzwerks erweist sich als abhängiger Faktor, d.h. das Ausmaß, in dem ein persönliches Netzwerk für die Arbeit und damit auch für den Informationsbedarf relevant ist, hängt sowohl von der Rolle der Führungskraft als auch von dem jeweiligen Politikfeld ab. Daher wurde der Netzwerkaspekt in die beiden genannten Faktoren mit übernommen. Der Faktor ‚Fach- vs. Querschnittsausrichtung’ wird unverändert beibehalten. Die dargestellten Faktoren werden in unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen zur Beschreibung der Informationsbedarf auslösenden Umstände bei den untersuchten Führungskräften herangezogen. Ursprüngliche Faktoren Aufgabenart Planbarkeit der Entscheidungen Reichweite der Entscheidungen hierarchische Position

Zur Auswertung der Empirie verwendete Faktoren findet keine Anwendung findet keine Anwendung

hierarchische Position

Zentraler Bereich der Gemeinderatsarbeit Rolle bzw. Funktion

Rollen bzw. Funktion

Netzwerk Policy-Bereich/ Politikfeld

Policy-Bereich/ Politikfeld

Fach- vs. Querschnittsausrichtung

Fach- vs. Querschnittsausrichtung

Tabelle 6-6: Anpassung der ursprünglichen Einflussfaktoren für die Anwendung auf die Empirie Quelle: Eigene Darstellung.

Die Auswertung ergibt, dass der persönliche Arbeitsstil und individuelle Interessen auch einen beträchtlichen Anteil am Zustandekommen von Informationsbedarf haben,

179

dass aber über diese individuellen Vorlieben hinweg der größere Teil der Befunde in Zusammenhang mit den interpersonalen Faktoren zu bringen ist. 6.3

Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern

Für die Beschreibung von Informationsbedarf wurden bereits zahlreiche Merkmale aus der Literatur abgeleitet und systematisiert. Bei der Arbeit mit den empirischen Befunden wurde dieses theoretische Raster angepasst (vgl. Tabelle 6-7): In manchen Bereichen erforderten die Ergebnisse differenziertere Unterscheidungen bei den Merkmalsausprägungen. In anderen Bereichen ließ sich die theoretisch basierte Differenziertheit nicht empirisch untermauern, so dass Ausprägungen zusammengefasst wurden. Abbildung 6-1 zeigt das im Rahmen der Auswertung angepasste Interpretationsraster zu den Merkmalen des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern. Die Überarbeitung der einzelnen Merkmale wird im Folgenden kurz erläutert. Die Merkmale ‚Zeitlicher Horizont’ und ‚Fokussierung’ wurden zusammengefasst, da sich nur aus der Kombination eine Differenzierung zwischen Gruppen von Kommunalmanagern ergab: Das Merkmal ‚Fokussierung’ unterscheidet nun zwischen einem Globalbezug, der sich ohne zeitlichen Bezug auf alle Informationen mit Relevanz für die Kommune richtet. Demgegenüber weist die Ausprägung ‚gerichteter fach-/OEBezug’ eine Fokussierung auf fach- oder organisationseinheitsspezifische Themen wie bspw. Amtssteuerung oder Soziales auf, allerdings auch hier ohne Zeitbezug. Die dritte Ausprägung beinhaltet einen mittelfristigen Zeitbezug zu bestimmten fachlichen oder übergreifenden Themen, die nur für eine bestimmte Zeit besonders interessant sind. Das Merkmal ‚Routinecharakter’ wurde zu ‚Antizipierbarkeit’ uminterpretiert, da keine(r) der befragten Führungskräfte in größerem Umfang mit Routinetätigkeiten beschäftigt ist. Im Vordergrund steht vielmehr der Unterschied zwischen dauerhaft und kurz- oder mittelfristig interessanten Themen und Fragestellungen, die dementsprechend antizipierbaren oder nicht antizipierbaren Informationsbedarf verursachen. Das Merkmal ‚Konkretisierung’ wurde gestrichen, da es keine Differenzierung zwischen Gruppen von Kommunalmanagern erlaubt. Es stellt eine Generalisierung des Policy- oder Steuerungszyklus in die beiden Extrempositionen strategische Planung und operative Umsetzung dar. Diese findet sich in der gelebten Kommunalmanagementpraxis (vgl. Schwabe 2000; Vöhringer 2004) so nicht wieder. Das Merkmal ‚Phasenbezug entlang des Policy/Steuerungszyklus’ greift die angestrebte Unterscheidung differenzierter auf. 180

Die Ausprägungen des Merkmals ‚Perspektivische Ausrichtung’ wurden noch weiter differenziert, um bei der Ausprägung Außensicht zwischen der Ausrichtung auf ‚Kunden bzw. Wähler’, Kooperationspartner oder ‚Wettbewerber’ der Kommune unterscheiden zu können. Am Merkmal ‚Herkunft’ ergab sich kein Änderungsbedarf. Das Merkmal ‚Informationsebene’ wurde mit dem Merkmal Kommunikationsebene kombiniert. Aus der Informationsebene alleine ergab sich keine Differenzierung. Es zeigte sich allerdings, dass subjektive Bewertungen und Einschätzungen in erster Linie auf informellem Weg kommuniziert werden, während sachlich-objektive Informationen auf formellem Weg vermittelt und abgerufen werden. Ursprüngliche Merkmale Fokussierung

Zur Auswertung der Empirie verwendete Merkmale Fokussierung

Zeitlicher Horizont Routinecharakter

Antizipierbarkeit

Konkretisierung

findet kein Anwendung

Perspektivische Ausrichtung

Perspektivische Ausrichtung

Herkunft

Herkunft

Thematische Ausrichtung

Thematische Ausrichtung

Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungszyklus

Phasen des Regelkreises der Kommunalsteuerung

Detaillierung

Detaillierung

Informationsebene

Informations-/ Kommunikationsebene

Kommunikationsebene Tabelle 6-7: Anpassung der ursprünglichen Merkmale für die Anwendung auf die Empirie Quelle: Eigene Darstellung.

Zwei der drei Ausprägungen des Merkmals ‚Thematische Ausrichtung’ wurden vereinfacht. Aus dem empirischen Material lässt sich keine Unterscheidung zwischen Informationen zu Interessenbündel und Informationen zu Akteuren belegen, diese Informationsbereiche überschneiden sich in hohem Maße. Zwischen der Ausprägung ‚Informationen zu Projekten/ Aktivitäten’ ergibt sich ein Überschneidungsbereich mit dem Merkmal ‚Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungszyklus’. Daher wurde diese

181

Ausprägung zusammengefasst zu ‚Sachinformationen: Steuerungsinformationen, Informationen zu Themen/ Aufgaben’. Als ein wichtiges Differenzierungskriterium erweist sich der ’Zeitbezug entlang des Policy/ Steuerungszyklus’. Um dem Informationsbedarf der Führungskräfte gerecht zu werden, werden die Ausprägungen dieses Merkmals noch weiter verfeinert.

182

183

Politische Informationen/ Informationen zu Policy-Netzwerken: Informationen über Interessenbündel, Informationen über Akteure, Kooperationspartner

Thematische Ausrichtung

Sachinformationen: Steuerungsinformationen, Informationen zu Themen/ Aufgaben

Verwaltungsextern

Hoch aggregierte Informationen

Informelle (persönliche) Information/ Kommunikation zu subjektiven Einschätzungen, Meinungen

Detaillierung

Informations-/ Kommunikationsebene

Abbildung 6-1: Merkmale des Informationsbedarfs von Kommunalmanagern Quelle: Eigene Darstellung

Umsetzung/ Maßnahmenableitung

Informationen zu Outcomes/ Kontrolle der Umsetzung

Formelle Information/ Kommunikation zu sachlich-objektiven Inhalten

Detailinformationen

Rahmenbedingungen, Ressourcensituation, Hintergrundinformationen; Entscheidungs-/ Handlungsalternativen

Probleminformationen/ Informationen über zukünftigen Entscheidungsbedarf, Situationsanalyse

Phasen des Regelkreises der Kommunalsteuerung

Informationen zu Methoden/ Verfahrensinformationen, wie bspw. Checklisten, Modelle, Prozessinformationen, rechtliche Grundlagen und Informationen zu institutionellen Rahmenbedingungen

Innensicht (interne Situation, Kernprozesse)

Informationen zu aktuellen Aufgaben/ Entscheidungen

Verwaltungsintern

Wettbewerb (interkommunale Vergleichswerte)

Herkunft

Kooperationspartner

Kunden/ Bürger (Lebensqualität in der Kommune)

Außensicht

Ungerichtet, ungezielt; global – Gerichtet, fach-/ OE-Bezug Mittelfristiger Themenbezug stadtweit, general issues Durch kurz- oder mittelfristige Fragestellungen/ Themen, durch langfristige Themen/ Fragestellungen generierter antizipiergenerierter ad-hoc-Informationsbedarf barer Informationsbedarf

Perspektivische Ausrichtung

Antizipierbarkeit

Fokussierung

Angelehnt an den Policy-Zyklus (Korte/Fröhlich 2004, S. 27) bzw. den Regelkreis politischer Steuerung nach Vöhringer (2004, S. 208) kann ein Regelkreis politischer Steuerung im Kommunalmanagement entworfen werden (siehe Abbildung 6-2), der das Engagement von Verwaltungsapparat und Politik in unterschiedlichen Steuerungsphasen abbildet. Er verfeinert die Unterscheidung in strategische Planung auf der einen Seite und operative Umsetzung auf der anderen Seite. Die Empirie zeigt, dass die Phasen zumindest bezüglich ihres Schwerpunktes entweder der Domäne des operativen Verwaltungsapparates oder der Domäne des politischen Diskurses zugeordnet werden können. Der operative Verwaltungsapparat bezeichnet nach diesem Verständnis den Bereich der Kommunalverwaltung auf und unterhalb der Ressort- oder Referatsebene. Er beliefert die verwaltungsgesteuerte Gemeinderatsarbeit (vgl. Schwabe 2000, S. 297) und wird mit der Umsetzung von Entscheidungen beauftragt. Die Domäne des politischen Diskurses bezeichnet die Schnittstelle zwischen Verwaltungsspitze (Ressort- bzw. Referatsebene und OB) und Gemeinderat, die gemeinsam auf der Basis von Interessenartikulation und -bündelung sowie Situationsanalysen strategische Zielvorgaben macht und Entscheidungen trifft. Dieser Diskurs findet im Rahmen der OB-gesteuerten und der gemeinderatsgesteuerten Gemeinderatsarbeit statt (vgl. Schwabe 2000, S. 297). Domäne des (operativen) Verwaltungsapparates

Interessenaggregation Situationsanalyse Problemanalyse

Feedback

Suche nach Handlungsalternativen

Domäne des strategischen/ politischen Diskurses Probleminformationen/ Situationsanalyse

Strategische Zielbildung

Wirkungsfestlegung

Rahmenbedingungen, Ressourcensituation, Handlungsalternativen

Entscheidung (Auswahl von Handlungsalternativen) Umsetzung/Durchsetzung Kontrolle

Feedback

Bewertung der Handlungsalternativen

Umsetzung/ Maßnahmenableitung Informationen zu Outcomes/ Kontrolle der Umsetzung

Abbildung 6-2: Arbeitsteilung im politischen Regelkreis der Kommunalsteuerung Quelle: Eigene Darstellung

In der Domäne des politischen Diskurses werden Hinweise auf Handlungsbedarf aus unterschiedlichen Richtungen aufgegriffen und in den Prozess der strategischen 184

Zielbildung mit eingebracht. Anhaltspunkte für Entscheidungs- und Handlungsbedarf ergeben sich direkt aus der Artikulation und Bündelung von Interessen von Bürgern und Unternehmen in der Kommune. Darüber hinaus liefern aber auch die Beobachtung von sozialen, ökonomischen oder demographischen Variablen sowie Rückmeldungen aus dem Verwaltungsapparat Aufschluss über Problemfelder. Ergebnis der politischen Diskussion und Strategiebildung ist der Auftrag an den Verwaltungsapparat (bspw. per Gemeinderatsantrag), in den avisierten Handlungsbereichen eine Entscheidungsgrundlage herzustellen, indem Informationen gesammelt und aufbereitet und Entscheidungsalternativen geprüft werden. Im Rahmen des politischen Diskurses werden die von Seiten der Verwaltung (in Form von Beschlussvorlagen) vorgeschlagenen Entscheidungsalternativen geprüft und konsensfähige Alternativen verabschiedet. Der Verwaltungsapparat erhält nun den Auftrag (den Beschluss), die getroffenen Entscheidungen in konkrete Maßnahmen zu übersetzen und umzusetzen. Die Umsetzung selbst wird sowohl vom Verwaltungsapparat im Rahmen des Controllings als auch von Seiten der Politik überwacht. Aus dem Abgleich der Umsetzungsergebnisse mit den angestrebten Zielen ergibt sich u.U. erneuter Input für die Gestaltung korrigierender Programme. Für die Differenzierung unterschiedlicher Merkmalsausprägungen entlang dieses Phasenverlaufs bedeutet dies, dass die ‚Informationen zu aktuellen Entscheidungen’ neu gegliedert werden müssen: Die Ausprägungen ‚Rahmenbedingungen’ und ‚Handlungsalternativen’ werden zusammengefasst, da sie beide zur Phase der konkreten Entscheidungsvorbereitung zählen. Demgegenüber wird eine zweite Ausprägung ‚Informationen zur Entscheidungsumsetzung und Maßnahmenableitung’ benötigt. Das Merkmal Detaillierung bleibt unverändert, da es sich für die Interpretation des empirischen Materials als sinnvoll erwiesen hat. Je nach Position im Regelkreis der politischen Steuerung, d.h. von der Arbeit direkt an der operativen Umsetzung von Entscheidungen (Amtsleiter) über den Schnittbereich zwischen operativer Verwaltungsarbeit und politischem Diskurs (Bürgermeister) bis hin zur ausschließlichen Fokussierung auf den politischen Diskurs (Gemeinderat), ergeben sich zunehmende Grade des Generalistentums und damit eine Abnahme des Detaillierungsgrades der benötigten Informationen. Im Folgenden werden Kombinationen von Aufgabe bzw. Rahmenbedingung und Informationsbedarfsmerkmal(en) vorgestellt, die sich bei den untersuchten Führungs-

185

kräften als typisch gezeigt haben. Sie wurden zu charakteristischen Informationsbedarfselementen verdichtet. 6.4

Informationsbedarfselemente bei Kommunalmanagern

Die Erkenntnisse aus Interviews und Beobachtungen wurden entlang des dargestellten Modells (vgl. Abbildung 6-3) von auslösenden Faktoren, Aufgaben und Rahmenbedingungen einerseits und resultierenden Merkmalen von Informationsbedarf andererseits ausgewertet. Aus der Kombination von auslösenden Faktoren und resultierenden Merkmalen wurden in anschließenden iterativen Interpretationszyklen typische Muster identifiziert, die sich über mehrere Führungskräfte hinweg finden lassen. Diese werden als Informationsbedarfselemente bezeichnet. Informationsbedarfselement

• Aufgaben • Rolle • Rahmenbedingungen

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-3: Informationsbedarfselement Quelle: Eigene Darstellung

Die identifizierbaren Informationsbedarfselemente können aus mehreren Faktoren und Merkmalen zusammengesetzt sein, sie können aber auch aus der Verknüpfung von einem auslösenden Faktor und einem resultierenden Merkmal bestehen. Bei der Auswertung des empirischen Materials konnten insgesamt 10 Informationsbedarfselemente identifiziert werden, Tabelle 6-8 zeigt diese im Überblick:

186

Informationsbedarfselemente

auslösende Faktoren

Charakteristische Merkmale • •

Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf

• •

Politikfeld Rolle

• • • • •

Kunden/ Bürgerorientierter Informationsbedarf

• •

Politikfeld Rolle/ Funktion

• • • • •

Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf

• •

• • Rolle/ Funktion Position • •

Antizipierbarkeit: antizipierbar Perspektivische Ausrichtung: Außensicht/ Kooperationspartner Herkunft: extern Thematische Ausrichtung: politische Informationen, Sachinformationen Informations-/ Kommunikationsebene: informell-subjektiv, formell-objektiv Antizipierbarkeit: teilweise antizipierbar Perspektivische Ausrichtung: Außensicht, Kunde/Wähler Herkunft: extern Thematische Ausrichtung: politische Informationen, Sachinformationen Informations-/ Kommunikationsebene: informell-subjektiv Fokussierung: Fach-/OEBezug Antizipierbarkeit: antizipierbar Herkunft: v.a. intern Thematische Ausrichtung: Sachinformatione zu Aufgaben und Projekten Detaillierung: Detailinformationen, aggregierte Informationen Informations-/ Kommunikationsebene: informell-subjektiv, formell-objektiv

187

Informationsbedarfselemente

auslösende Faktoren

Charakteristische Merkmale • • • •

Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf

• •

Rolle/ Funktion Position



• • • • • Globalsteuerungsinformationsbedarf

• •

Rolle/ Funktion Position

• • • • • •

Fachbezogene Frühaufklärung

• • •

Rolle/ Funktion Position Fach-/ Querschnittsausrichtung

• • •



188

Fokussierung: gerichtet, Fachbezug Antizipierbarkeit: weitgehend antizipierbar Herkunft: intern Thematische Ausrichtung: Sachinformationen zu Projekten Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung: Informationen zu Outcomes, Kontrolle der Umsetzung Detaillierung: Detailinformationen, aggregierte Informationen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv Fokussierung: gerichtet Antizipierbarkeit: antizipierbar Perspektivische Ausrichtung: Außensicht/ wettbewerb, Innensicht Herkunft: extern, intern Thematische Ausrichtung: Sachinformationen Detaillierung: aggregierte Informationen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv Fokussierung: gerichtet, Fach-/OE-Bezug Antizipierbarkeit: antizipierbar Herkunft: extern, intern Thematische Ausrichtung: Sachinformationen Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung:Informationen zu zukünftigem Entscheidungsbedarf, Informationen zu aktuellen Entscheidungen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv

Informationsbedarfselemente

auslösende Faktoren

Charakteristische Merkmale • • • •

Informationsbedarf zur Politischen Positionierung im Themenzyklus

• • •

Rolle/ Funktion Position Politikfeld





Recherchebezogener Informationsbedarf

• •

• Rolle/ Funktion Position •

Beobachtung der politischen Wettbewerber



Rolle/ Funktion

• • • • •

Sitzungsbezogener Informationsbedarf.

• •

Rolle/ Funktion Position

• • •

Fokussierung: mittelfristiger Themenbezug Antizipierbarkeit: keine, ad hoc Herkunft extern, intern Thematische Ausrichtung: politische Informationen Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung: Informationen zu zukünftigem Entscheidungsbedarf, Informationen zu aktuellen Entscheidungen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv, informell-subjektiv Thematische Ausrichtung: Informationen zu Methoden, Zuständigkeiten, Informationsbeschaffungswissen Antizipierbarkeit. keine, ad hoc Herkunft: intern Thematische Ausrichtung: politische Informationen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv, informell-subjektiv Fokussierung: gerichtet Antizipierbarkeit: antizipierbar Herkunft: intern Thematische Ausrichtung: Verfahrensinformationen Informations-/ Kommunikationsebene: formell-objektiv

Tabelle 6-8: Übersicht der Informationsbedarfselemente Quelle: Eigene Darstellung.

Die folgenden Abschnitte widmen sich der Darstellung und Erläuterung des Zusammenspiels von auslösenden Faktoren und charakteristischen Merkmale bei diesen Informationsbedarfselementen.

189

6.4.1

Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf

Der Kooperationspartnerorientierte Informationsbedarf wird bestimmt von den Einflussfaktoren Politikfeld und Rolle, die eine charakteristische Zusammensetzung von Informationsbedarfsmerkmalen bedingen (siehe Abbildung 6-4). Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf

• Politikfeld • Rolle

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Antizipierbarkeit

antizipierbar

Perspektivische Ausrichtung

Außensicht/ Kooperationspartner

Herkunft

extern

Thematische Ausrichtung

politische Informationen

Informations-/ Kommunikationsebene

informell-subjektiv, sachlich-objektiv

Sachinformationen

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-4: Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Die Kooperation von kommunalen Akteuren mit Partnern aus unterschiedlichen Bereichen spielt in bestimmten Politikfeldern eine größere Rolle als in anderen. Auch die Zusammensetzung dieser Kooperationspartner hängt vom Politikfeld ab. Im medizinischen oder Sozialbereich bspw. hat die Zusammenarbeit mit freien Trägern kommunaler Aufgaben eine große Bedeutung, während im Bereich der Stadtplanung die Kooperation mit Planungsunternehmen eine wichtige Rolle spielt. Die Kooperation mit externen Partnern spielt insbesondere für Fach- und Querschnittsverantwortliche eine große Rolle, Führungskräfte in anderen Rollen sind entweder nur kurzfristig in der Situation, mit externen Partnern direkt zu kooperieren – wie bspw. im Fall eines direkt bei der Verwaltungsspitze aufgehängten Projekts. Interessenvertreter pflegen Kontakt zu unterschiedlichsten Partnern der kommunalen Arbeit, der nicht aus der Pflege einer direkten bzw. konkreten Kooperationsbeziehung heraus motiviert ist, sondern in Zusammenhang mit der Politikkoordination in PolicyNetzen zu sehen ist. Der aus diesen Einflussfaktoren resultierende Informationsbedarf ist im Bereich der perspektivischen Ausrichtung gekennzeichnet durch eine starke Betonung der Informationen zu Kooperationspartnern. Das zeigt sich auch daran, dass diese Kooperati190

onspartner (freie Träger kommunaler Aufgaben, Unternehmen, etc.) als wichtige bis sehr wichtige Quelle für Informationen und Ansprechpartner bezeichnet werden. Die erforderlichen Informationen kommen von außerhalb der Verwaltung. Die informelle, persönliche Kommunikation spielt in diesem Zusammenhang ebenfalls eine zentrale Rolle, um politische Informationen zu Befindlichkeiten und Interessenslagen zu sammeln sowie eine vertrauensvolle Kooperationsbeziehung zu pflegen. Darüber hinaus werden mit Kooperationspartnern aber auch sachliche Informationen zum Inhalt der Kooperation ausgetauscht. Bei einer Betätigung in einem Politikfeld, das auf der Kooperation mit externen Kooperationspartnern beruht, werden bspw. in jedem Fall Informationen über Ansprechpartner, Zuständigkeiten und Betätigungsfelder auf Seiten des Partners benötigt. Es zeigt sich aber, dass im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung auch spontan Meinungen und Interessenslagen von Kooperationspartnern eingeholt werden, so dass ein Teil dieses Informationsbedarfs als ad hoc entstehend angesehen werden kann. Bei der Auswertung des empirischen Materials zeigt sich, dass aus dem Bereich der Verwaltungsführungskräfte eine starke Orientierung des Informationsbedarfs an den für das jeweilige Politikfeld charakteristischen Kooperationspartner zu erkennen ist. Amtsleiter und Bürgermeister, die in kooperationsintensiven Politikfeldern tätig sind, interessieren sich dementsprechend für Kooperationspartner aus dem Bereich der freien Träger und Unternehmen. Die gute Zusammenarbeit wird als wichtiger Erfolgsfaktor für die eigene Arbeit bezeichnet und der Austausch mit den Partnern nimmt einen wichtigen Stellenwert unter den Informations- und Kommunikationsaktivitäten ein. Informelle, interaktive Kommunikationsmedien wie Telefon, E-Mail oder persönliche Treffen stehen im Vordergrund. Verwaltungsführungskräfte, deren Politikfeld weniger auf die Kooperation mit externen Partnern ausgerichtet ist, zeigen keinen derartigen Bedarfsschwerpunkt. Im OB-Bereich lässt sich keine Einschränkung des Politikfeldes vornehmen, daher ist hier auch keine längerfristige Ausrichtung des Informationsbedarfs auf spezifische Kooperationspartner erkennbar. Es gibt Projekte, die direkt von der Verwaltungsspitze koordiniert werden, wie bspw. die Olympiabewerbung einer Stadt. In solchen Fällen werden auch entsprechende Informationen von und zu Kooperationspartnern benötigt. Dies ist allerdings nur für die Dauer solcher Projekte und nur für projektspezifische Kooperationspartner relevant und zählt daher nicht zum eigentlichen aus dauerhaften Kooperationsbeziehungen resultierenden kooperationsorientierten Informationsbedarf. 191

Bei den Gemeinderäten und Mitarbeitern der Fraktionsgeschäftsstellen der Untersuchung lassen sich keine entsprechenden Muster erkennen. Die interviewten Gemeinderäte gehören zum Führungsbereich ihrer Fraktionen, daher kann ihnen ein gewisses Generalistentum im Gegensatz zur Spezialisierung auf ein oder wenige bestimmte Politikfelder unterstellt werden. Das Interesse von Gemeinderäten an Kooperationspartnern kommunaler Aufgaben stellt sich weniger als Ausdruck von Spezialisierung dar als von Interesse an allen Bereichen kommunaler Arbeit und den zugehörigen Interessen- und Akteursgruppen. Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf ist somit gekennzeichnet durch ein Politikfeld, das die Kooperation kommunaler mit externen Aufgabenträgern beinhaltet. Daraus resultiert auf Seiten der Fach- und Querschnittsverantwortlichen ein Bedarf an Informationen über und vom Kooperationspartner. Diese Informationen werden in erster Linie über informelle Informations- und Kommunikationswege bezogen. 6.4.2

Kunden/Bürgerorientierter Informationsbedarf

Die Betätigung in bestimmten Politik- oder Aufgabenfeldern bringt auf Seiten der Verwaltungsführungskräfte den Kontakt zu ‚Verwaltungskunden’ in unterschiedlichem Umfang mit sich. Kunden/ Bürgerorientierter Informationsbedarf

• Politikfeld • Rolle/ Funktion

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Antizipierbarkeit

teilweise antizipierbar

Perspektivische Ausrichtung

Außensicht: Kunde/ Wähler

Herkunft

extern

Thematische Ausrichtung

politische Informationen

Informations-/ Kommunikationsebene

informell-subjektiv

Sachinformationen

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-5: Kunden/ Bürgerorientierter Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Insbesondere in Bereichen, in denen die Kommunalverwaltung als Anbieter einer Dienstleistung in Konkurrenz mit anderen Anbietern steht, gewinnt die Kundenorientierung ein besonderes Gewicht. 192

Bei Verwaltungsspitze und Interessenvertretern kommt zur Kundenorientierung die Ausrichtung an der Wählergunst hinzu, so dass Stimmung und Feedback der Wähler bzw. Bürger für alle demokratisch legitimierten Verwaltungsführungskräfte und ‚Interessenvertreter’ gleichermaßen von zentraler Bedeutung sind. Ähnlich wie im Fall des Kooperationspartnerorientierten Informationsbedarfs stellt sich auch hier die Ausprägung der Merkmale dar (siehe Abbildung 6-5): Bei Verwaltungsführungskräften, die am Feedback ihrer Kunden zu den angebotenen Dienstleistungen und Produkten interessiert sind, ist eine klare Ausrichtung des Informationsbedarfs an dieser Kundenbeziehung erkennbar. Daher kann der Informationsbedarf in diesem Fall als antizipierbar bezeichnet werden. Interessenvertreter, die an Reaktion und Meinung von Bürgern interessiert sind, haben insofern einen antizipierbaren Informationsbedarf, wenn es um das thematisch ungezielte Einfangen der Bürgerstimmung geht. Ist aber die aktuelle Diskussion zu bestimmten Themen oder Entscheidungen Anlass für den Bedarf an Feedback aus der Bevölkerung, ist dieser Bedarf ebenso wenig antizipierbar, wie das auslösende Thema. Die Perspektivische Ausrichtung zielt innerhalb der Außensicht auf die Bedürfnisse und Reaktionen von Kunden bzw. Wählern auf Dienstleistungen und Aktivitäten der Kommune. Die gewünschten Informationen kommen auch in diesem Fall von extern. Um sich über den Stand der öffentlichen Diskussion zu informieren, wird die lokale Tagespresse mit Schwerpunkt auf Kommentaren und Leserbriefen kontinuierlich beobachtet (siehe auch Schwabe 2000, S. 360). Da es den Führungskräften darum geht, nicht nur objektive Einschätzungen der Qualität ihrer Arbeit, sondern darüber hinaus auch ein direktes Stimmungs- und Meinungsbild einzufangen, werden weiterführende Informationen in erster Linie auf informellem Weg über das persönliche Gespräch eingeholt. Die Interviews mit den Führungskräften aus Gemeinderat und Verwaltung ergaben, dass die Reaktion von Wählern bzw. Kunden als wichtiges Kriterium für die Bewertung der eigenen Arbeit herangezogen wird. Im Fall von Ämtern, die direkte Bürgerdienste erbringen, dienen die Reaktionen von Kunden in Form von Sachinformationen dazu, diese Dienste weiterzuentwickeln oder auch Handlungsbedarf für die Veränderung der Dienste auf Grund geänderter Nachfrage oder neuen Bedürfnis- oder Problemlagen (bspw. im Sozialbereich) zu erkennen. Ämter, die keinen direkten Kundenkontakt haben oder bei denen dieser Kontakt von den ‚Kunden’ naturgemäß als eher unangenehm empfunden wird, zeigen keinen derart ausgeprägten Informationsbedarf. 193

Auf der Ebene der Referate kommt zum Interesse an Kundenfeedback noch das Interesse an der Wählermeinung und Reaktionen auf die Aktivitäten der Kommune hinzu. Für demokratisch legitimierte Vertreter wie OB und Gemeinderäte schlägt sich die Beurteilung der Qualität ihrer Arbeit direkt in Wählerstimmen nieder. Daher ist die Ausrichtung an Wählerinteressen und die Reaktion auf von Bürgern artikulierte Bedürfnisse für alle gewählten Führungskräfte von zentraler Bedeutung. Dies zeigt sich auch daran, dass Bürger, Interessengruppen und bürgerschaftliche Organisationen als wichtige Informationsquellen genannt werden. Informationen zur Interessen- und Stimmungslage werden zum größten Teil in persönlichen Gesprächen bspw. im Rahmen von Bürgerversammlungen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen und Treffpunkten ausgetauscht. Publikationen in der Presse (Kommentare, Leserbriefe) oder in Veröffentlichungsorganen von Verbänden und anderen Interessenvertretungen bilden ebenfalls eine wichtige Quelle. Wird ein Thema wie z.B. die Feinstaubbelastung in deutschen Großstädten jedoch auf diesem Weg in die öffentliche Diskussion eingebracht, ist die schriftliche Information der Ausgangpunkt dafür, das Meinungsbild der relevanten Wähler- und Bürgergruppe im persönlichen Gespräch zu ermitteln. Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen erbringen keine Bürgerdienste im engeren Sinne und sind auch persönlich nicht von der Wählergunst abhängig. Dennoch arbeiten auch sie im weiteren Sinne im Auftrag der Wähler und fungieren zudem als Informationsbroker für die Gemeinderäte ihrer Fraktion. Daher ist bürgerorientierter Informationsbedarf auch für sie charakteristisch. Kunden/Bürgerorientierter Informationsbedarf wird ausgelöst durch ein Politikbzw. Aufgabenfeld, das den direkten Kontakt zu Verwaltungskunden beinhaltet bzw. durch eine entsprechende Rolle als politischer Vertreter von Wählerinteressen. Dieses Aufgaben- und Rollenprofil führt dazu, dass sachliche und politische Informationen zu Bedürfnissen sowie der Reaktion und subjektiven Beurteilung der eigenen Arbeit und Aktivitäten durch Kunden oder Wähler benötigt werden. Diese Informationen werden über Meinungsäußerungen in der Lokalpresse und insbesondere auf informellem, persönlichem Weg ermittelt. 6.4.3

Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf

Die Rolle als Leiter eines Amtes oder Referates bringt charakteristische Aufgaben und Verantwortungsbereiche mit sich, die sich bei den anderen betrachteten Rollen Verwaltungsspitze bzw. Interessenvertreter nicht oder nicht in vergleichbarem Um194

fang zeigen. Amts- und Referatsleiter sind Führungskräfte, die für einen bestimmten Bereich sowohl für die Umsetzung inhaltlicher Zielsetzungen als auch für die dort angesiedelten Mitarbeiter als Vorgesetzte verantwortlich sind. Der Faktor Position stellt beide in ein hierarchisches Verhältnis und entscheidet über Breite und Tiefe des Aufgaben- und Verantwortungsgebiets. Während ein Referatsleiter ein breites Spektrum an Themen und Fachbereichen zu leiten hat, ist das Aufgabengebiet eines Amtsleiters zwar enger gefasst aber in diesem Bereich in größerer Detailtiefe zu bearbeiten. Abbildung 6-6 zeigt auslösende Faktoren und resultierende Informationsbedarfsmerkmale im Überblick. Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf

• Rolle/ Funktion • Position

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

Fach-/OE-Bezug

Antizipierbarkeit

antizipierbar

Herkunft

v.a. intern

Thematische Ausrichtung

Sachinformationen zu Aufgaben und Projekten

Detaillierung

Detailinform.

Informations-/ Kommunikationsebene

formellobjektiv

aggregierte Inform. informellsubjektiv

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-6: Amts/ Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Der aus dieser Faktorenkombination resultierende Informationsbedarf ist bezüglich seiner Fokussierung auf Informationen mit fach- bzw. OE-Bezug konzentriert. Es überwiegen langfristig behandelte Amts- und Referatssteuerungsthemen wie Personaloder Haushaltssituation, daher handelt es sich um antizipierbaren Informationsbedarf. Bezüglich der thematischen Ausrichtung sind in erster Linie Sachinformationen gefragt, die in direktem Zusammenhang zur Aufgabenerfüllung stehen. Hierunter fallen bspw. Informationen zur finanziellen Situation des Amtes bzw. Referates oder zur Personalsituation wie Krankheitsausfälle, Fortbildungen, Qualifikationsprofile, Auslastung von Einrichtungen, aktuelle Projekte, Auftragslage etc., aber auch der Vergleich mit anderen Ämtern innerhalb und außerhalb der eigenen Kommune sowie ggf. mit gewerblichen Konkurrenten. Diese Informationen werden in erster Linie intern erfasst und bezogen, ein großer Teil steht auch nur innerhalb der eigenen Organisationseinheit bzw. innerhalb des eigenen Referates zur Verfügung. Neben sachlich195

formellen Informationen, die in Form von Berichten oder Tabellenabfragen bezogen werden, spielen im Rahmen der Aufgaben als Vorgesetzter gegenüber Mitarbeitern auch subjektiv-informelle Informationen zur Stimmung und dem Arbeitsklima eine wichtige Rolle. Bezüglich des Detailgrades unterscheiden sich die Anforderungen von Amtsleitern und Referatsleitern entsprechend der Breite des Zuständigkeitsgebiets. Während Amtsleiter im Rahmen regelmäßiger Berichtsrunden von ihren Abteilungsleitern über das aktuelle Geschehen informiert werden, sind Amtsleiter ihrerseits gegenüber ihren vorgesetzten Referatsleitern berichtspflichtig. Auch hier sind beide Informations- und Kommunikationsebenen relevant: Die zur Amts- oder Referatssteuerung erforderlichen ‚harten’ Zahlen werden im persönlichen Abstimmungsgespräch bewertet. Naturgemäß ergibt sich entlang der Hierarchie ein ansteigendes Aggregationsniveau der benötigten bzw. beherrschbaren Informationen. Auf der Ebene von Referaten ist im Hinblick auf die strategische Steuerung in erster Linie wichtig zu wissen, wo es Probleme gibt, d.h. was (akuten) Handlungsbedarf erzeugt und welche mittel- und langfristigen Planungselemente zu berücksichtigen sind, während Amtsleiter auch über gut laufende Projekte informiert werden wollen und im Sinne einer eher operativen Steuerung stark auf unmittelbare und das eigene Amt betreffende, fachliche Aspekte konzentriert sind. Amts-/Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf hängt mit der Rolle als Fach- bzw. Querschnittsverantwortlicher mit einem eigenen Geschäftsbereich zusammen und wird in seiner Breite bzw. Detaillierung geprägt durch die Position der Führungskraft als Amts- oder Referatsleiter. Kennzeichnend ist eine Fokussierung auf fach- bzw. OE-spezifische Informationen, die hauptsächlich verwaltungsintern bezogen werden. Sowohl sachliche Informationen als auch deren subjektive Bewertung spielen eine wichtige Rolle.

196

6.4.4

Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf

Ausschlaggebend für die Ausprägung eines Informationsbedarfs, der sich an Projekten ausrichtet, ist in erster Linie die exponierte Rolle in der Verwaltungsführung, d.h. als Ressortleiter oder Oberbürgermeister bzw. als Interessenvertreter. Hier steht nicht die Steuerung einer Organisationseinheit oder eines Geschäftsbereichs im Vordergrund, sondern die Steuerung und Umsetzungsüberwachung einzelner Projekte. Auf Seiten der Interessenvertreter entscheidet die Position als Gemeinderat über das direkte Interesse an derartigen Informationen. Mitarbeiter in Geschäftsstellen interessieren sich nur mittelbar und in geringem Umfang für Steuerungsdetails. Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf

• Rolle/ Funktion • Position

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

gerichtet, Fachbezug

Antizipierbarkeit

weitgehend antizipierbar

Herkunft

intern

Thematische Ausrichtung

Sachinformationen zu Projekten

Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung

Informationen zu Outcomes, Kontrolle der Umsetzung

Detaillierung

Detailinform.

Informations-/Kommunikationsebene

formell-objektiv

aggregierte Inform.

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-7: Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Charakteristisches Merkmal für diese Art von Informationsbedarf ist die Fokussierung auf gerichtete, fachbezogene Informationen. Ausschlaggebend für die Fokussierung ist in diesem Fall jedoch nicht der Bezug zu einer bestimmten Organisationseinheit, sondern der Bezug zu einem bestimmten Projekt bzw. Beschluss. Die Verabschiedung eines Projektvorhabens zieht auf Seiten der Interessenvertreter automatisch den Bedarf an Informationen zum Projektfortschritt nach sich. Insofern ist dieser Informationsbedarf antizipierbar. Es werden in erster Linie interne Sachinformationen zu Meilensteinen des Projekts, zu Mittelabflüssen und ggf. zu Problemen bei der Umsetzung, die ein Eingreifen oder korrigierende Maßnahmen erfordern, benötigt. Der Detailgrad hängt vom Status des jeweiligen Projekts ab: Bewegt sich das 197

Projekt innerhalb der geplanten Eckdaten zu Finanzen und Zeitplan, ist der Statusbericht mit wenigen Kennzahlen zusammen mit den Dokumenten zum entsprechenden Ratsbeschluss ausreichend. Ist das Projekt allerdings außerhalb des geplanten Korridors, da mehr Mittel oder mehr Zeit benötigt werden, oder ist das Projekt ein besonderes Prestigeprojekt, dem auch von außerhalb der Stadtverwaltung besondere Aufmerksamkeit zu teil wird, so werden detaillierte Informationen zu möglichen Korrekturmaßnahmen und zu den Ursachen der Abweichung gefordert. Die Informations-/ Kommunikationsebene der gewünschten Informationen ist in der Hauptsache objektiv-formell. Informationen zum Projektstatus werden häufig in Form von schriftlichen Berichten oder im Rahmen von Ausschusssitzungen vermittelt. Bei direkten Nachfragen wird von Seiten der Gemeinderäte häufig bewusst ein formeller Weg in Form einer Anfrage gewählt, um der Nachfrage einen gewissen Nachdruck zu verleihen. Die Verwaltungsspitze steuert nicht einen eigenen Geschäftsbereich, sondern Großprojekte, die direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt sind. Auch Bürgermeister betreuen persönlich bestimmte Projekte, die von ihrem Referat alleine oder in Kooperation mit anderen Referaten durchgeführt werden. Zu diesen Projekten sind dementsprechend Informationen zu Kooperationspartnern, Statusberichte und Informationen zu Schwierigkeiten und Korrekturmaßnahmen in größerer Detaillierung erforderlich als für die Umsetzungskontrolle von Seiten der Interessenvertreter. Allerdings ist die Ausprägung eines detaillierten Projektsteuerungsinformationsbedarfs im Fall der Verwaltungsspitze auch von der individuellen Ausgestaltung der OB-Rolle abhängig. Eine Auseinandersetzung mit konkreten Umsetzungsdetails ist nicht zwangsläufig mit dieser Rolle verbunden. Projektsteuerungs-/ Umsetzungskontrollebezogener Informationsbedarf tritt v.a. bei Verwaltungsführung und Gemeinderäten auf. Das Objekt der Steuerung sind daher Projekte und Beschlüsse, zu deren Umsetzung interne objektive Sachinformationen zum Stand der Umsetzung und etwaigen Problemen gefordert sind. Im Fall von Schwierigkeiten steigt die Detailtiefe der gewünschten Informationen, die sowohl zu Ursache als auch zu Maßnahmen zur Beseitigung der Probleme benötigt werden. 6.4.5

Globalsteuerungsinformationsbedarf

Eine weitgehend identische Konstellation an Faktoren, die auch Projektsteuerungsinformationsbedarf bedingt, führt zu Globalsteuerungsinformationsbedarf. Verwaltungsspitze und Interessenvertreter haben eine Steuerungsperspektive, die einerseits 198

auf Projekte fokussiert, andererseits aber einen Überblick über die finanzielle, Aufgaben- und Personalsituation der Kommune auch im Vergleich mit anderen Kommunen erfordert. Globalsteuerungsinformationsbedarf

• Rolle/ Funktion • Position

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

gerichtet

Antizipierbarkeit

antizipierbar

Perspektivische Ausrichtung

Außensicht: Wettbewerb

Innensicht

Herkunft

intern

extern

Thematische Ausrichtung

Sachinformationen

Detaillierung

aggregierte Informationen

Informations-/Kommunikationsebene

formell-objektiv

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-8: Globalsteuerungsinformationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Daraus resultiert der Bedarf nach Informationen zu den wichtigsten Eckdaten der Kommunalverwaltung als Ganzes wie z.B. die aktuelle Haushaltssituation, die Steuerentwicklung und interkommunale Vergleichswerte. Überspitzt lassen sich diese Informationen in wenigen Kennzahlen abbilden, die antizipierbar in regelmäßigen Abständen von Interesse sind. Da es sowohl um die Beschreibung der internen Situation als auch um den Vergleich mit anderen Kommunen geht, sind interne und externe Informationsquellen relevant. Die Thematische Ausrichtung zielt auf Sachinformationen ab, die in Form von standardisierten Berichten oder Abfragen bezogen werden. Werden im Rahmen dieser routinemäßigen, aggregierten Berichte Abweichungen von Erwartungswerten aufgedeckt, die Handlungsbedarf implizieren, sind detaillierte Informationen zur Ursachenforschung und möglichen Gegenmaßnahmen gefragt. Die Verwaltungsspitze bekommt diese globalsteuerungsbezogenen Informationen im Rahmen von Berichten bzw. im Rahmen regelmäßig stattfindender Sitzungen mit allen Bürgermeistern. Hier sind in erster Linie Abweichungen vom Soll-Zustand interessant, die eine Korrektur und/ oder diesbezügliche Stellungnahmen gegenüber den Interessenvertretern erforderlich machen. 199

Interessenvertreter beziehen diese Informationen über ein spezielles Berichtswesen und dedizierte Kennzahlenberichte. Oft sind Informationen nur im Fall von SollAbweichungen gefragt. Globalsteuerungsinformationsbedarf tritt bei Verwaltungsspitze und Interessenvertretern auf, die auf hohem Aggregationsniveau über die gesamtstädtische Situation bezüglich Organisation, Aufgaben und Finanzen informiert werden wollen. Dabei interessieren interne und externe Sachinformationen, die meist in Form formalisierter Berichte bezogen werden. 6.4.6

Fachbezogene Frühaufklärung

Fach- und Querschnittsverantwortliche haben aus ihrer Verantwortung für einen bestimmten Themen- bzw. Aufgabenbereich heraus einen entsprechend ausgerichteten Bedarf an Informationen zu aktuellen Forschungsergebnissen, Gesetzgebungsverfahren etc. Sie sind auf Seiten des Verwaltungsapparates Experten für ihr Themengebiet und es wird erwartet, dass sie jederzeit über neue Entwicklungen im Bilde sind. Auch aus der Führung ihrer Amts- oder Referatsgeschäfte heraus ergibt sich die Notwendigkeit, möglichst frühzeitig über fachbezogene Entwicklungen informiert zu sein, um entsprechende Reaktionen und Maßnahmen vorzubereiten und Themen mit Entscheidungsbedarf in die politische Diskussion mit einbringen zu können. Abbildung 6-9 gibt einen Überblick über Einflussfaktoren und resultierende Bedarfsmerkmale. Fachbezogene Frühaufklärung

• Rolle/ Funktion • Position • Fach-/ Querschnittsausrichtung

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

gerichtet, Fach-/ OE-Bezug

Antizipierbarkeit

antizipierbar

Herkunft

intern

Thematische Ausrichtung

Sachinformationen

Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung

Inform. zu zukünftigem Entscheidungsbedarf

Informations-/Kommunikationsebene

formell-objektiv

extern

Inform. zu aktuellen Entscheidungen

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-9: Fachbezogene Frühaufklärung Quelle: Eigene Darstellung.

Die Position als Amts- oder Referatsleiter entscheidet darüber, wie breit das fachlich zu überblickende Themengebiet ist. Die fachliche Ausrichtung dieses Informati200

onsbedarfs ist bei Führungskräften mit einer fachspezifischen Ausrichtung ihrer Tätigkeit eher ausgeprägt als bei Führungskräften mit einer Querschnittsausrichtung. Auch auf Seiten der Interessenvertreter gibt es Fachleute für bestimmte Fachbereiche, die ihre Fraktion auch in den entsprechenden Fachgremien vertreten. Sie haben jedoch als ehrenamtliche Vertreter in den meisten Fällen nicht den Mitarbeiterstab, der für sie die fachbezogenen Quellen und Veröffentlichungen in vergleichbarem Umfang recherchiert, so dass die Frühaufklärung weniger detailliert als auf Seiten der Verwaltung ausfällt. Der resultierende Informationsbedarf ist auf Informationen mit Fachbezug fokussiert. Es werden bspw. entsprechende Fachpublikationen und einschlägige wissenschaftliche oder politische Organisationen regelmäßig konsultiert. Da die Oberthemen, die überwacht werden, vergleichsweise konstant sind, kann von einem antizipierbaren Informationsbedarf gesprochen werden. Informationen zu fachspezifischen Themen kommen sowohl von internen als auch von externen Quellen, sie dienen dazu, Entscheidungsbedarf in der Zukunft zu bestimmen sowie konkrete Entscheidungen vorzubereiten und umzusetzen. Hier lässt sich wieder die bereits dargestellte Schwerpunktverteilung zwischen Referats- und Amtsleitern erkennen: Referatsleiter legen einen Schwerpunkt auf die strategische Vorbereitung fachspezifischer Themen. Ihre Quellen sind neben unterschiedlichen Publikationen auch persönliche Kontakte in Wissenschaft, Wirtschaft und zu Regierungskreisen auf höheren föderalen Ebenen. Sie konzentrieren sich darauf, Handlungsbedarf zu identifizieren und diesen in die politische Diskussion einzuspielen. Amtsleiter sind eher darauf fokussiert, die konkrete Entscheidungs- bzw. Beschlussvorbereitung sowie die -umsetzung zu übernehmen. Daran orientiert sich auch die Zusammensetzung der benötigten Informationen: Während der Blickwinkel von Referatsleitern tendenziell weiter in die Zukunft gerichtet ist und hierfür Informationen benötigt, die Entwicklungsprognosen erlauben, sind Amtsleiter eher an der aktuellen Situation und akutem Handlungsbedarf interessiert. Der Schwerpunkt der benötigten Informationen liegt auf formell-sachlichen Inhalten, da es um die objektive Beurteilung der fachlichen Situation geht. Erst wenn ein Thema zur Entscheidungsfindung in den politischen Diskurs eingebracht wird – und damit dort zum politischen Thema wird – sind (im Rahmen des themengetriebenen Informationsbedarfs) auch politische und damit informell-subjektive Informationen von Bedeutung. 201

Auf der Ebene der Verwaltungsspitze wird die fachbezogene Frühaufklärung ähnlich wie bei den Leitern von Querschnittsreferaten auf breiter thematischer Ebene betrieben. Weniger die fachliche Ausrichtung des Ressorts als persönliche Schwerpunktsetzungen und Kontakte spielen eine Rolle bei der Auswahl der Quellen und Beurteilung der Themen. Auch Interessenvertreter betreiben Fachbezogene Frühaufklärung. Die Unterstützung durch die Fraktionsgeschäftsstellen spielt dabei eine wichtige Rolle, setzt aber der Detaillierung und dem Umfang der beobachtbaren Quellen im Vergleich zum Verwaltungsapparat natürliche Grenzen. Eine wichtige Quelle für die Frühaufklärung auf Seiten der Gemeinderäte sind daher auch Publikationen der eigenen Partei, in denen aktuelle Themen und Trends aufbereitet werden. Werden im Rahmen der Frühaufklärung Hinweise auf neue politische Themen bzw. Handlungsbedarf identifiziert, schließen sich je nach Rolle und Position unterschiedliche Maßnahmen an: Von Seiten der Fach- und Querschnittsverantwortlichen werden konkretere Recherchen im eigenen Geschäftsbereich angestoßen, um entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und diese in Form von Vorschlägen an die Verwaltungsspitze weiterzugeben. Identifiziert die Verwaltungsspitze im Rahmen der Frühaufklärung ein relevantes Thema, werden die zuständigen Referate mit der Vorbereitung entsprechender Programme und Maßnahmen beauftragt. Ziel ist es in beiden Fällen, mit einer Initiative der Verwaltung das Thema in der politischen Diskussion zu besetzen. Wird Handlungsbedarf von Interessenvertretern erkannt, können diese das Thema besetzen, indem sie die Verwaltung über einen Antrag beauftragen, Informationen und Vorschläge zusammenzutragen. Es zeigt sich, dass Fachbezogene Frühaufklärung über alle Führungskräftegruppen hinweg in unterschiedlicher Fokussierung und Detailtiefe betrieben wird, da großes Interesse daran besteht, handlungsrelevante Themen frühzeitig in der politischen Diskussion zu besetzen und damit zu steuern. Der Detailgrad, mit dem Fachbezogene Frühaufklärung betrieben wird, ist auf Seiten der Fach- und Querschnittsverantwortlichen am größten, da hier zum einen die erforderliche Unterstützung in Form von Mitarbeitern zur Verfügung steht und zum anderen auch dort die konkrete Ausarbeitung und Umsetzung von Programmen und Maßnahmen anfällt. Die Verwaltungsspitze gibt die Detailvorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen größtenteils an Ressorts und Ämter weiter und konzentriert sich in erster Linie 202

auf die Identifikation und Besetzung von Themen. Ausgewählte Themen, die im persönlichen Interesse der Verwaltungsspitze liegen, werden jedoch auch in größerer Detailtiefe verfolgt und begleitet. Gemeinderäte hingegen fokussieren sich hauptsächlich auf das Erkennen von Handlungsbedarf und die Formulierung einer politischen Position. Die detaillierte Erarbeitung des Themengebiets und die Vorbereitung von Entscheidungen wird an die Fachleute auf Seiten der Verwaltung abgegeben. 6.4.7

Informationsbedarf im Rahmen der Politischen Positionierung im Themenzyklus

Die politische Arbeit der Führungskräfte in Verwaltung und Gemeinderat ist geprägt vom Wechsel der jeweils aktuellen Diskussionsthemen. Auslöser für den Aufstieg eines Themas in das Zentrum des Interesses und damit auch der Aktivitäten können von Seiten der Bundes- oder Landespolitik kommen, die bspw. mit Gesetzesänderungen Handlungsbedarf bei den Kommunen verursacht. Aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse, Bürgeranfragen, Presseartikel, veränderte Bedarfslagen oder parteipolitische Erwägungen können Anstoß für die Etablierung eines Themas sein (s.o. Fachliche Frühaufklärung). Informationsbedarf zu politischen Positionierung

• Rolle/ Funktion • Position • Politikfeld

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

mittelfristiger Themenbezug

Antizipierbarkeit

keine, ad hoc

Herkunft

intern

Thematische Ausrichtung

politische Informationen

Phase des Regelkreises der Kommunalsteuerung

Inform. zu zukünftigem Entscheidungsbedarf

Inform. zu aktuellen Entscheidungen

Informations-/Kommunikationsebene

formellobjektiv

informellsubjektiv

extern

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-10: Informationsbedarf zur Politischen Positionierung Quelle: Eigene Darstellung.

Die Dauerhaftigkeit eines Themas ist nur schwer einschätzbar. Während sich die Diskussion um ein Thema wie Kinderbetreuung zum Dauerbrenner entwickeln kann,

203

sind andere Themen wie z.B. schlechte Kritiken zur Tunnelsicherheit u.U. schneller wieder vom Tisch. Der Informationsbedarf zu diesen wechselnden Themen spielt bei Interessenvertretern und Verwaltungsführung durchgängig eine große Rolle. Die jeweils aktuellen politischen Themen prägen ihr Tagesgeschäft, da Presse und Bürger von ihnen hierzu Aussagen und Entscheidungen erwarten. Während Gemeinderat und Verwaltungsspitze vom Zyklus der Themen gleichermaßen betroffen sind, hängt die Frequenz und die Nachdrücklichkeit, mit der politische Themen in die Arbeit von Fach- und Querschnittsverantwortlichen eingreifen, in beträchtlichem Umfang vom jeweiligen Politikfeld ab. Es gibt Politikfelder, wie etwa den Sozialbereich oder die kommunalen Finanzen, in denen politische Themen ein großes Echo in der Bevölkerung erfahren und damit großen Einfluss ausüben, während andere Bereiche, wie etwa die interne Organisationsstruktur einer Kommune, nur wenig Aufmerksamkeit und damit wenig tagespolitisches Gewicht erlangen. Gemeinsam ist allen Führungskräften das Ziel, sich in der politischen Diskussion zu profilieren und politische Themen erfolgreich zu besetzen und damit zu bestimmen, in welche Richtung und mit welchen Schwerpunkten diskutiert wird. Informationsbedarf in Zusammenhang mit der Politischen Positionierung im Themenzyklus ist gekennzeichnet durch eine Fokussierung auf wechselnde politische Themen, die nur kurz- oder mittelfristig von größerer Bedeutung sind. Themen kommen häufig unerwartet zu großer politischer Bedeutung. Viele Themen deuten sich aber auch an oder werden bewusst zum Politikum gemacht. Allerdings sind Diskussionsschwerpunkte und auch Dauerhaftigkeit von politischen Themen kaum vorhersehbar. Im Rahmen der Fachbezogenen Frühaufklärung werden inhaltliche Informationen zu Diskussionsthemen beschafft, für die Politische Positionierung ist darüber hinaus jedoch wichtig, Informationen über andere Akteure im Politischen Diskurs, deren Aktivitäten und Position zum Thema zu haben. Nur so kann die eigene Argumentation entsprechend geschärft, ein Thema erfolgreich besetzt oder auf Initiativen anderer schnell und angemessen reagiert werden. Die erforderlichen politischen Informationen werden über interne und externe Quellen beschafft. Die meisten der politischen Themen erlangen ihre Bedeutung, da in der öffentlichen Diskussion mit ihnen ein Missstand oder dringender Handlungsbedarf verbunden wird. Daher sind gerade solche Situationen für Interessenvertreter, Verwaltungsspitze und Fach- und Querschnittsverantwortliche auf Ressortebene geeignet, sich zu profi204

lieren. Sie benötigen politische Informationen, um genau über Stimmung und Stand der Diskussion bei Bürgern, Unternehmen, Kooperationspartnern und Politikern (der eigenen und anderer Fraktionen) im Bilde zu sein, wenn es darum geht, Koalitionen für Entscheidungen zu schmieden. Diese Informationen werden v.a. auf informellem, persönlichem Weg, aber auch über formelle Kanäle gesammelt. Nur wenige politische Themen entwickeln sich völlig überraschend, da die Führungskräfte im Rahmen der Fachbezogenen Frühaufklärung meist Signale und Anzeichen für Missstände oder Handlungsbedarf identifizieren. Die politische Dimension eines Themas lässt sich jedoch nur schwer absehen, daher entsteht der Bedarf an politischen Informationen ad hoc. Welche Akteure sich in einer spezifischen Situation als besonders einflussreich erweisen und welche Gesichtspunkte eines Themas besondere Sprengkraft entwickeln, kann nur situativ beurteilt werden und löst entsprechende Recherchen aus. Um im konkreten Fall möglichst schnell an politische Informationen zu gelangen, pflegen Verwaltungsführungskräfte häufig gute Kontakte zu Politikern im Gemeinderat und umgekehrt. Informationsbedarf in Zusammenhang mit der Politischen Positionierung im Themenzyklus tritt bei allen Führungskräften auf: Themen, die sich aus der Fachbezogenen Frühaufklärung heraus als handlungsrelevant darstellen oder von anderen Akteuren in den Politischen Diskurs eingebracht werden, erfordern neben sachlichen auch politische Informationen zu Argumentationslinien, Interessen, Koalitionen und Aktivitäten der anderen Akteure. Zentrales Merkmal dieses ad hoc entstehenden Informationsbedarfs ist seine inhaltliche Orientierung an kurz- bis mittelfristig interessanten Themen. 6.4.8

Recherchebezogener Informationsbedarf

Interessenvertreter können als ehrenamtliche Politiker nur einen begrenzten Teil ihrer Rechercheanfragen an Mitarbeiter in den Fraktionsgeschäftsstellen weitergeben. Daher sind sie zu einem beträchtlichen Teil auf eigene Recherchen angewiesen. Dementsprechend benötigen sie auch Informationen darüber, wie und wo die gesuchten Informationen zu bekommen sind. Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen sind zu einem großen Teil ihrer Zeit mit Recherchen zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen beschäftigt. Sie sind zum einen mit regelmäßigen Recherchen zu Dokumenten rund um die Ratsarbeit be205

auftragt, werden aber auch spontan von Gemeinderäten mit Nachforschungen zu aktuellen Themen beauftragt. Recherchebezogener Informationsbedarf

• Rolle/ Funktion • Position Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Thematische Ausrichtung

Informationen zu Methoden, Zuständigkeiten, Informationsbeschaffungswissen

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-11: Recherchebezogener Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Die Führungskräfte auf Verwaltungsseite haben einen eigenen Mitarbeiterstab, dem sie Rechercheaufgaben übertragen können. Je nachdem in welchem Umfang eigene Nachforschungen durchgeführt werden, spielt auch bei Amtsleitern Informationsbeschaffungswissen eine Rolle. Bürgermeister und OB führen kaum eigene Recherchen durch, daher benötigen sie kaum diesbezügliche Informationen. Der dargestellte Informationsbedarf richtet sich auf Informationen zur Unterstützung der eigentlichen Informationsbeschaffung. Es geht in erster Linie um die Kenntnis von Ansprechpartnern, die zu bestimmten Themen Auskunft geben können, Online- und Offlinequellen, die als wertvolle Referenz für Informationen gelten, d.h. generell die Zuordnung welche Quelle zur Beschaffung bestimmter Informationen am geeignetsten ist. Zum Teil werden diese Informationen durch eigene Erfahrungen und die Weitergabe von Tipps durch Kollegen gewonnen. Gerade im Bereich der OnlineRecherche ist es jedoch wichtig, immer wieder neue Quellen und Suchstrategien zu testen. Da diese Informationen sowohl in Form von Verzeichnissen (Ansprechpartner zu bestimmten Themen) als auch persönlich übermittelt werden, können sie sowohl den formell-objektiven als auch informell-subjektiven Informationen zugeordnet werden. Recherchebezogener Informationsbedarf ist charakteristisch für die Führungskräfte, die tatsächlich in größerem Umfang selbst recherchieren. Er richtet sich auf Informationen und Erfahrungen bezüglich der geeigneten Wahl der Quellen und der Recherchestrategie, um an bestimmte Informationen zu gelangen.

206

6.4.9

Beobachtung der politischen Wettbewerber

Interessenvertreter sind in der Situation, sich gegenüber anderen Fraktionen profilieren zu müssen und in bestimmten Fällen schnell auf Aktionen der politischen Wettbewerber zu reagieren. Daher werden die Aktivitäten anderer Fraktionen, die Fragestellungen, die dort recherchiert werden, die Themen der Anträge, die von anderen Fraktionen oder Räten gestellt werden, etc. genau beobachtet. Beobachtung der politischen Wettbewerber

• Rolle/ Funktion

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Antizipierbarkeit

keine, ad hoc

Herkunft

intern

Thematische Ausrichtung

politische Informationen

Informations-/ Kommunikationsebene

formellobjektiv

informellsubjektiv

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-12: Beobachtung der politischen Wettbewerber Quelle: Eigene Darstellung.

Dieser Informationsbedarf besteht zwar kontinuierlich, dennoch ist nicht vorherzusehen, in welche Richtung die anderen Fraktionen aktiv werden. Es werden bspw. von allen Fraktionen kontinuierlich die Anträge der jeweils anderen Fraktionen beobachtet. Nicht alle Anträge erfordern jedoch weitere Nachforschungen und Aktivitäten auf Seiten der eigenen Fraktion. Da sich dieser Informationsbedarf auf die Beobachtung anderer Interessenvertreter bezieht, stammt ein Großteil der benötigten Informationen aus Quellen innerhalb der Stadt. Es handelt sich um die klassische Ausprägung des politischen Verhaltens in einem Policy-Netzwerk (siehe Kapitel 4.4.1), in dem es darum geht, die anderen Akteure und ihre Aktivitäten genau im Blick zu behalten. Diese politischen Informationen bekommt man zum einen über formelle Kanäle, in denen sich die Aktivitäten der anderen Fraktionen in Form von Anträgen manifestieren. Wichtig sind aber auch informell-subjektive Kanäle, um Einschätzungen über die politische Lage und die eigenen Reaktionsmöglichkeiten zu gewinnen. Informationen zur ‚Beobachtung politischer Wettbewerber’ werden von Interessenvertretern benötigt, um sich gegenüber der politischen Konkurrenz positionieren zu 207

können. Im Fall von Aktivitäten anderer Räte, die eine Reaktion der eigenen Fraktion erfordern, sind objektive und subjektive Informationen erforderlich. 6.4.10 Sitzungsbezogener Informationsbedarf Interessenvertreter, Verwaltungsspitze und Fach- und Querschnittsverantwortliche auf Referatsebene bestreiten gemeinsam die Sitzungen des Gemeinderats und seiner unterschiedlichen Gremien. Oberbürgermeister und Bürgermeister übernehmen dabei die Funktion der Vorsitzenden in den jeweiligen Gremien. Sie alle benötigen daher regelmäßig Informationen zu den Sitzungen im Hinblick auf Veranstaltungsort und -zeit sowie Tagesordnung und entsprechende Sitzungsunterlagen. Sitzungsbezogener Informationsbedarf

• Rolle/ Funktion • Position

Einflussfaktoren auf Informationsbedarf

Fokussierung

gerichtet

Antizipierbarkeit

antizipierbar

Herkunft

intern

Thematische Ausrichtung

Verfahrensinformationen

Informations-/ Kommunikationsebene

formell-objektiv

Merkmale des Informationsbedarfs

Abbildung 6-13: Sitzungsbezogener Informationsbedarf Quelle: Eigene Darstellung.

Als Mitglied eines bestimmten Gremiums sind die Daten zu den entsprechenden Sitzungen regelmäßig von Interesse, um den Terminkalender entsprechend zu pflegen. Insofern ist dieser Informationsbedarf gerichtet und auch antizipierbar. Die Informationen zu Sitzungsterminen und Tagesordnungen können als Verfahrensinformationen bezeichnet werden und werden intern auf formellem Weg über die entsprechenden Verteiler und Kalender bezogen. Der Oberbürgermeister ist Vorsitzender nahezu aller Ausschüsse des Gemeinderates sowie des Plenums, wird aber in vielen Fachbereichen durch die jeweiligen Fachoder Querschnittsbürgermeister vertreten. Grundsätzlich werden jedoch Informationen zu allen Sitzungen benötigt, um eine sinnvolle Terminpriorisierung vornehmen zu können.

208

Bürgermeister nehmen neben den Gremien, denen sie in Vertretung des OBs vorsitzen, auch an den Gremiensitzungen teil, in denen Vorlagen und Stellungnahmen ihres Referates behandelt werden. Sie benötigen folglich Informationen zu allen Sitzungen an denen sie als Vorsitzende oder Fachvertreter teilnehmen. Ähnliches gilt für Gemeinderäte, die Informationen zu allen Sitzungen, an denen sie selbst teilnehmen, benötigen. Häufig werden ihnen diese Informationen von Mitarbeitern aus den Fraktionsgeschäftsstellen zusammengestellt. Sitzungsbezogener Informationsbedarf trifft alle Führungskräfte, die an Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse teilnehmen. Sie benötigen sachliche Verfahrensinformationen zu Termin und Inhalt der jeweiligen Sitzung. Dieser Informationsbedarf lässt sich weitgehend aus der Mitgliedschaft in einem Gremium ableiten, daher kann er als antizipierbar bezeichnet werden. 6.5

Informationsbedarfselemente im Zusammenhang – Kommunales Issues Management

Die Beschreibung der Informationsbedarfselemente deutet bereits an, dass die einzelnen Elemente nicht isoliert zu sehen sind, sondern zumindest teilweise miteinander in Bezug stehen. Im Zentrum steht der Informationsbedarf im Rahmen der politischen Positionierung, der sich bei allen Führungskräften zeigt und von mehreren anderen Informationsbedarfselementen beeinflusst wird. Fachbezogene Frühaufklärung und Kunden-/Bürgerbezogener Informationsbedarf sowie im Fall der Interessenvertreter auch die Beobachtung politischer Wettbewerber entsprechen einem gleichzeitig nach innen und außen gerichteten Monitoring, das darauf abzielt, Akteure und Themenkarrieren zu beobachten und Handlungsbedarf möglichst frühzeitig zu identifizieren. Die Arbeit der Kommunalmanager an der Schnittstelle von politischem und gesellschaftlichem Diskurs ist geprägt von einem fortlaufenden Wandel der aktuellen Themenstruktur, der die Komplexität der Aufgaben und die Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Anspruchsgruppen der öffentlichen Verwaltung widerspiegelt (vgl. Luhmann 1970, S. 13). Themenkarrieren durchlaufen in der Regel eine typische Phasenabfolge von zunehmendem und wieder absinkendem öffentlichem Interesse, innerhalb der Entschei-

209

dungsbedarf identifiziert, Alternativen und Interessenlagen geprüft, Entscheidungen gefällt und umgesetzt werden. Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit

latent Politischer Steuerungsprozess

Durchbruch

Mode

Ermüdung Zeit

Interessenaggregation Situationsanalyse

fachbezogene Frühaufklärung

Handlungsalternativen

Entscheidung

Umsetzung und Kontrolle

Aushandlung im Policy Netz

Kunden-/ Bürgerorientierter Informationsbedarf

politische Positionierung

Beobachtung der politischen Wettbewerber

Projekt/ Amts/ Ressortsteuerung

Abbildung 6-14: Entwicklung von politischen Themen Quelle: Eigene Darstellung22

Der Begriff eines (politischen) Themas oder auch Issues umschreibt in diesem Zusammenhang Sachverhalte, die „als Konsequenz aus der Beziehung zwischen einer Organisation und einer mehrerer ihrer Teilöffentlichkeiten entstehen, Konfliktpotential bergen und nach Ansicht einer oder beider Parteien einer Behandlung bzw. Lösung bedürfen“ (Lütgens 2001, S. 62f). Obwohl es zahlreiche unterschiedliche Definitionsansätze zu diesem Begriff gibt, stimmen die Autoren in den zentralen Punkten, konflikthaltiger Sachverhalt in der Beziehung zwischen einer Organisation und ihren Stakeholdern, mehrere Alternativen für die als erforderlich erachtete Behandlung, überein (siehe z.B. Cobb et al. 1976, S. 127; Lütgens 2001, S. 62; Renfro 1993, S. 14; Röttger 2001, S. 15). Die Behandlung der kommunalen Issues liegt in den Händen des Kommunalmanagements, daher gehört die Beobachtung der Themenentwicklung zu den zentralen In-

22

210

Phasenfolge in Anlehnung an (Luhmann 1970)

formationsaufgaben. Die Entwicklung von politischen Themen folgt einem generalisierbaren Lebenszyklus (Luhmann 1970, S. 14ff) (siehe auch Abbildung 6-14): Nach einer ‚latenten Phase’, in der sich nur Experten und Interessierte mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen, folgt die tatsächliche Kreation eines politischen Themas durch Politiker oder Interessenvertreter, die sich davon politischen Erfolg versprechen oder inhaltlich motiviert sind. Noch hat das Thema keine Breitenwirkung erzielt und kann von anderen Politikern verhindert werden. Ist das Thema allerdings zur ‚Mode’ geworden und Bestandteil der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung, steht nicht mehr das Thema selbst, sondern nur noch die Wahl einer Position dazu zur Disposition. Der öffentliche Druck ist nun am stärksten, so dass politische Entscheidungen jetzt oder überhaupt nicht getroffen werden. Später treten Ermüdungserscheinungen ein, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geht zurück. Politiker, die das Thema jetzt noch aufgreifen, outen sich als Nachzügler. Entscheidungen sind – sofern noch nicht getroffen – nur möglich, wenn das Thema unter einem neuen Titel wieder auflebt. Die Etablierung eines Themas auf der politischen oder formellen Agenda kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen. Greift die Öffentlichkeit ein Thema auf, ist die Resonanz und der Umfang der Aufmerksamkeit, die das Thema erzielt, ausschlaggebend dafür, dass es den Sprung von der öffentlichen auf die politische Agenda und damit in den Entscheidungsprozess erreicht (Cobb et al. 1976, S. 127). Viele Themen entstehen allerdings innerhalb des politischen Diskurses zwischen politischer und Verwaltungsführung. Je nach thematischer Ausrichtung und aktuellen Machtverhältnissen werden diese Themen in der Öffentlichkeit platziert, um unterstützenden Entscheidungsdruck herzustellen. Manche Themen gelangen jedoch auch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit auf die politische Agenda und werden entsprechend behandelt (Cobb et al. 1976, S. 128). Auf kommunaler Ebene sind Verwaltungsführung und Gemeinderäte die Hauptinitiatoren von politischen Themen. Nur in seltenen Fällen werden neue Themen von Bürgern in den politischen Diskurs eingebracht, dies sind i.d. R. sehr konkrete Probleme, die z.B. die Situation in einem Stadtbezirk betreffen. Die Verteilung der Themeninitiativen zwischen Rat und Verwaltung ist in Stuttgart weitgehend ausgeglichen. Auf Grund guter persönlicher Kontakte zwischen Führungskräften aus beiden Lagern werden Themen, die zuerst von Fach- oder Querschnittsverantwortlichen identifiziert wurden, auf Seiten der Verwaltungsführung je211

doch keine Unterstützung finden, z.T. auch an den Rat zur Initiierung abgegeben. Diese informelle Zusammenarbeit über organisatorische Grenzen hinweg in sog. thematischen Policy Netzen oder Policy Communities verspricht den Akteuren eines solchen Netzes größeren Erfolg bei der Themenbearbeitung durch eine vorgeschaltete Koordination der Interessen (Kenis/Schneider 1991, S. 29; Marin/Mayntz 1991, S. 16,18). Ausschlaggebend für die Resonanz der Öffentlichkeit und auch der Politik auf ein (politisches) Thema sind folgende Aufmerksamkeitsfilterfaktoren (Luhmann 1970, S. 11ff; Herger 2001, S. 80): • Die Priorität bestimmter Werte wie z.B. Frieden oder Freiheit, die durch das Thema bedroht sind, • Krisen oder Krisensymptome, die durch das Thema hervorgerufen werden, • der Status des Kommunikators des Themas, • Symptome für politischen Erfolg, der mit der Bearbeitung des Themas verbunden sein könnte, • die Neuheit des Themas, • die Darstellbarkeit oder Vermittelbarkeit des Themas, • „Schmerzen oder zivilisatorische Schmerzsurrogate“ (Luhmann 1970, S. 13) wie z.B. Stress oder Geldverlust, die durch das Thema ausgelöst werden könnten. Themen, die in der Öffentlichkeit als besonders drängend empfunden werden oder eine große Bevölkerungsgruppe betreffen, eignen sich für Politiker besonders, um sich bei einer breiten Wählerschicht zu profilieren. Solche politischen ‚Großthemen’ werden von allen Fraktionen gleichermaßen aufgegriffen. Bei Themen mit geringerer öffentlicher Resonanz entscheiden auch parteispezifische und individuelle Schwerpunktsetzungen darüber, ob und in welchem Umfang ein Thema von den einzelnen Fraktionen aufgegriffen wird. Um politische Erfolge zu erzielen, versuchen Führungskräfte aus Politik und Verwaltung, Themen in ihrem Sinne zu steuern oder zu managen. Die gezielte Steuerung eines Themas oder gar Themenbereichs wird jedoch u.a. dadurch erschwert, dass bei der Etablierung eines Themas auf der öffentlichen Agenda zunächst eine gewisse Aufmerksamkeitsschwelle (s.o.) überwunden werden muss (Luhmann 1970, S. 22). 212

Darüber hinaus ist die Aufrechterhaltung eines aktuellen Informationsstandes zu Stand und Entwicklung politischer Themen sehr aufwändig, und die erfolgreiche Etablierung eines Themas auf der politischen Agenda ist nicht gleichbedeutend mit der Beherrschung des Themas. Andere Akteure können sich des Themas bemächtigen und es in eine andere Richtung weiterentwickeln oder redefinieren (Luhmann 1970, S. 23; Cobb et al. 1976, S. 127). Fachbezogene Frühaufklärung, Kunden- bzw. Bürgerinformationen sowie Informationen über die politischen Wettbewerber stellen zusammen genommen ein politisches Issues Management System dar, das die Identifikation neuer Themen und Handlungserfordernisse zum Ziel hat. Analog zum Issues Management in Unternehmen werden identifizierte Issues im Hinblick auf ihre Auswirkung auf die Organisation und ihre Stakeholder, ihre Priorität sowie mögliche Handlungsalternativen analysiert (Ansoff 1980, S. 133f; Renfro 1993, S. 28f, 60f; Röttger 2001, S. 23). Ziel der Politischen Positionierung im Themenzyklus ist auf dieser Grundlage die Sicherstellung einer aktiven Teilnahme an der Gestaltung der politischen Agenda insgesamt sowie der Steuerung einzelner politischer Themen. Eine erfolgreiche Politische Positionierung beruht darauf, neben der fachlichen Situationseinschätzung auch über Informationen zur politischen Situation, Machtverhältnissen und möglichen Koalitionen im entsprechenden Policy-Netz zu verfügen und diese zur Steuerung und Gestaltung von Issues nutzen zu können. Informelle Kontakte, auch über Organisationsgrenzen hinweg zu anderen Akteuren des Policy-Netzes, dienen sowohl zur Beschaffung dieser Informationen als auch zu Koordination von vorpolitischen Aushandlungsprozessen. Auf der Seite der Verwaltung werden Issues oder Handlungsbedarf von Fach- und Ressortverantwortlichen identifiziert und der Verwaltungsspitze vorgetragen, aber auch die Verwaltungsspitze greift Themen auf und veranlasst Fach- und Querschnittsverantwortliche, diese auf Handlungsbedarf und -alternativen zu prüfen. Ebenso beobachten Interessenvertreter kontinuierlich die Befindlichkeiten und Interessensäußerungen ihrer Wähler sowie andere externe Quellen (z.B. spezielle Parteiveröffentlichungen) im Hinblick auf möglichen Handlungsbedarf. Im weiteren Sinne fällt auch die Beobachtung der regionalen und nationalen gesellschaftspolitischen Lage unter diesen Blickwinkel. Auch im Rahmen der Beobachtung von Wettbewerbern werden Themenansätze identifiziert, die bereits von anderen Fraktionen als Handlungsfeld aufgegriffen wurden. 213

Da die konkrete Entscheidungsvorbereitung in jedem Fall (Initiative von Rat oder Verwaltung) in den Händen der zuständigen Fach- und Querschnittsverantwortlichen liegt23, fällt die fachliche Informationsbeschaffung hier am umfangreichsten und detailliertesten aus. Der Fokus von Verwaltungsspitze und Interessenvertretern bei der Fachbezogenen Frühaufklärung liegt dagegen in erster Linie auf der Identifikation eines Themas, um möglichst früh steuernd eingreifen zu können. Im nächsten Schritt wird der Verwaltungsapparat ggf. damit beauftragt, nähere Informationen als Entscheidungsgrundlage zu sammeln und konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Wurde im Rahmen des Diskurses eine konsensfähige Lösung gefunden und verabschiedet, geht der Auftrag zur Umsetzung an die betreffende Stelle im Verwaltungsapparat. Dort wird die Maßnahme oder das Projekt im Rahmen der Amts- oder Referatsgeschäfte umgesetzt. Je nach weiterer Bedeutung des Themas wird der Umsetzungskontrolle von Seiten der Interessenvertreter große oder weniger große Beachtung geschenkt. Für die Unterstützung von Informationsbedarf im Rahmen des kommunalen Issues Management heißt das, dass die Strukturierung des Informationsangebots die zentrale Rolle von Themen und ihre Verknüpfung mit kommunalen Aufgaben, Projekten und Akteuren abbilden sollte. Themen werden im Rahmen von spezifischen PolicyNetzwerken bearbeitet, das zeigt auch die Ausprägung des Kooperationspartnerbezogenen Informationsbedarfs. In Abhängigkeit des bearbeiteten Politikfeldes sind spezifische Akteursstrukturen sowie Kooperations- und Koordinationsarenen zu berücksichtigen (Dovifat et al. 2004). Informationsangebote können nur in Teilbereichen des Kommunalmanagements statisch bzw. auf antizipierbaren Bedarf ausgerichtet werden, kommunales Issues Management bedingt eine wechselnde thematische Fokussierung des Informationsbedarfs. Allerdings bleiben die grundsätzlichen Strukturen und Zuordnungen von Akteuren, Politikfeldern und Aufgabenbereichen weitgehend konstant. Diese Strukturen können zur themenorientierten Erschließung von Informationsangeboten für kommunales Issues Management herangezogen werden, um auch ad hoc entstehenden Informationsbedarf sowie die Navigation in Themen-Akteurszuordnungen zu unterstützen.

23

214

Sie werden entweder von Rat oder Verwaltungsspitze mit der Beschaffung von Informationen zur Entscheidungsvorbereitung beauftragt oder haben das Thema selbst initiiert und wollen es mit einem konkreten Vorschlag besetzen.

6.6

Informationsbedarfsprofile

Die beschriebenen Informationsbedarfselemente sind in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlichen Kombinationen für den Informationsbedarf der untersuchten Führungskräfte charakteristisch. Die jeweilige Kombination der Elemente ergibt das spezifische Informationsbedarfsprofil einer Führungskraft. Für jede Führungskraft der Untersuchung werden die zutreffenden Informationsbedarfselemente zu einem zunächst individuellen Profil zusammengesetzt. Aus dem Vergleich der einzelnen Profile zeigen sich Übereinstimmungen, die auf den besonderen Einfluss gemeinsamer Faktoren auf den Informationsbedarf hindeuten. 6.6.1

Amtsleiter

Allen betrachteten Amtsleitern ist der Amtsteuerungsbezogene Informationsbedarf gemeinsam, der einen zentralen Bestandteil im Informationsbedarfsprofil ausmacht. Die Führung der Amtsgeschäfte und der Mitarbeiter steht im Mittelpunkt der Aufgaben eines Amtsleiters, daher nimmt auch der diesbezügliche Informationsbedarf einen wesentlichen Platz im Rahmen des Gesamtprofils ein.

Amtsleiter 1 Amtsleiter 2 Amtsleiter 3 Amtsleiter 4 Amtsleiter 5 Amtsteuerungsbezogener Informationsbedarf Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Kundenorientierter Informationsbedarf Fachbezogene Frühaufklärung Informationsbedarf im Rahmen der politischen Positionierung Recherchebezogener Informationsbedarf

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Tabelle 6-9: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Amtsleiter Quelle: Eigene Darstellung

Die vier Amtsleiter, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit externen Kooperationspartnern zusammenarbeiten, haben dementsprechenden Kooperationspartnerorientierten Informationsbedarf. Alle Amtsleiter haben zwar mehr oder weniger direkten Kontakt zu Verwaltungskunden, in einem Fall ist dieser Kontakt für die Kunden jedoch unfreiwillig, so dass 215

nicht von einer echten ‚Kundenbeziehung’ gesprochen werden kann und nur vier Amtsleiter Kundenorientierten Informationsbedarf haben. Drei Amtsleiter (Amtsleiter 1, 4 und 5) benötigen auch Informationen zur Politischen Positionierung. Zwei von diesen drei Amtsleitern (Amtsleiter 4 und 5) arbeiten in Politikfeldern, in denen politische Themen einen besonders großen Raum in der täglichen Arbeit einnehmen. Ihr Informationsbedarfsprofil hat daher einen weiteren Schwerpunkt auf dem politisch ausgerichteten Informationsbedarf. Amtsleiter 1 arbeitet dagegen in einem Politikfeld, in dem er zwar auch Interessenslagen und Meinungsbilder zur Vorbereitung von Entscheidungen benötigt, die politischen Themenschwankungen beeinflussen seine Arbeit aber nicht in vergleichbarem Ausmaß. Amtsleiter 2 und 3 bleiben in ihren Bereichen weitgehend unbeeinträchtigt von den politischen Themenzyklen, sie sind daher in erster Linie an Aufträgen an ihre Ämter interessiert, die aus der politischen Diskussion resultieren. Alle Amtsleiter betreiben Fachbezogene Frühaufklärung, allerdings zeigt sich entsprechend der fachlichen oder Querschnittsausrichtung der Ämter ein Unterschied in der Ausprägung. Der Leiter des Querschnittsamtes benötigt im Rahmen der Fachbezogenen Frühaufklärung Informationen zu allgemeinen kommunalen Themen, während seine Kollegen aus den Fachämtern fachlich spezialisierte Informationen benötigen. Je nach persönlichem Arbeitsstil nimmt die eigene Recherche nach Informationen einen größeren oder kleineren Anteil an der Informationsbeschaffung insgesamt ein. Daher haben nur die Amtsleiter, die selbst in größerem Umfang Recherchen anstellen, auch einen diesbezüglichen Informationsbedarf. Es zeigt sich, dass die Bedarfsprofile der Amtsleiter sich – mit Ausnahme des Informationsbedarfs zur Politischen Positionierung - zum größten Teil aus Elementen zusammensetzen, die weitgehend antizipierbaren Informationsbedarf betreffen. Dies passt zu dem Befund, dass drei von fünf Amtsleitern angeben, weniger als ein Drittel ihres Informationsbedarfs entstünde ad hoc. Für die beiden Amtsleiter, deren Informationsbedarf zu mehr als 50% spontan entsteht, ist Informationsbedarf zur Politischen Positionierung ein Schwerpunkt in ihrem Bedarfsprofil. Sie sind vom politischen Tagesgeschehen in beträchtlichem Umfang abhängig und haben daher dementsprechend unvorhersehbaren Informationsbedarf. Das Politikfeld erweist sich als wichtiger Bestimmungsfaktor für den Informationsbedarf von Amtsleitern, da es sowohl die Bedeutung von Kooperationspartnern und 216

Kunden als auch den Einfluss von wechselnden politischen Themen auf die Arbeit eines Amtsleiters bestimmt. 6.6.2

Bürgermeister

Zwischen den beiden betrachteten Bürgermeistern zeigen sich hinsichtlich ihres Informationsbedarfsprofils nur wenige Unterschiede. Beide Bürgermeister weisen dieselben Informationsbedarfselemente auf, mit einem Unterschied, im Fall der Fachbezogenen Frühaufklärung. Während der fachlich orientierte Bürgermeister naturgemäß Informationen zu Fachthemen benötigt, bezieht sich der Informationsbedarf des Querschnittsbürgermeisters auf Informationen zu allgemeinen kommunalen Themen. Beide Bürgermeister verfolgen im Unterschied zu Amtsleitern auch ‚General Issues’ im Sinne von Isenberg (1984).

Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Kundenorientierter Informationsbedarf Projektsteuerungsinformationsbedarf Fachbezogene Frühaufklärung zu Fachthemen und General Issues Fachbezogene Frühaufklärung zu allgemeinen Themen und General Issues Informationsbedarf im Rahme der politischen Positionierung Sitzungsbezogener Informationsbedarf

Bürgermeister 1

Bürgermeister 2

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Tabelle 6-10: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Bürgermeister Quelle: Eigene Darstellung

Im Profil von Bürgermeistern spielt neben der Steuerung des Geschäftsbereichs auch die Steuerung einzelner wichtiger Projekte eine Rolle. Der Erfolg der Projekte des eigenen Referats wirkt sich direkt auf die Position des federführenden Bürgermeisters aus, darüber hinaus sind umfangreiche Projekte auch eine willkommene Gelegenheit, den Einflussbereich über die Linienorganisation hinaus auszudehnen. Außerdem nehmen Referatsleiter regelmäßig an Sitzungen des Gemeinderats und verschiedener Ausschüsse, Beiräte etc. teil, daher haben sie auch Sitzungsbezogenen Informationsbedarf. 217

Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf, Informationsbedarf zur Politischen Positionierung und Fachbezogene Frühaufklärung machen zusammen den wichtigsten Teil des Informationsbedarfsprofils der Bürgermeister aus. Während bei Amtsleitern der Schwerpunkt im Bedarfsprofil auf dem Amtsteuerungsbezogenen Informationsbedarf liegt, spielen bei den betrachteten Bürgermeistern die Elemente Fachbezogene Frühaufklärung und Informationsbedarf zur Politischen Positionierung die bedeutendere Rolle. Die Fachbezogene Frühaufklärung fällt auf Seiten der Bürgermeister stärker ins Gewicht, da sie in ihrer Funktion als Ressortchefs einen größeren zeitlichen Horizont überblicken und entsprechende Vorkehrungen für zukünftige Entwicklungen treffen müssen. Die Bedeutung der Politischen Positionierung erklärt sich aus ihrer Teilnahme am politischen Diskurs, in dem sie sich für Entscheidungen im Sinne ihrer Ressortplanung einsetzen. Auch bei den Bürgermeistern machen die Elemente, die antizipierbaren Informationsbedarf betreffen, den größeren Teil im Bedarfsprofil aus. Darüber hinaus sind sie es, die Rechercheaufträge im Fall eines neuen politischen Themas an ihre Amtsleiter delegieren. In Folge dessen geben beide Bürgermeister an, dass der spontan entstehende Informationsbedarf 10 bzw. 30% ihres Informationsbedarfs insgesamt ausmacht. 6.6.3

Oberbürgermeister

Am Informationsbedarfsprofil des Oberbürgermeisters zeigt sich der Übergang vom Verwaltungsapparat hin zur Domäne des politischen Diskurses. Der Informationsbedarf des Oberbürgermeisters zeigt keine fachlichen Schwerpunkte oder Fokussierung auf einen bestimmten Geschäftsbereich und dessen Steuerung. Alles, was in irgendeiner Form in Zusammenhang mit der Kommune steht, ist von Interesse. Die Fachbezogene Frühaufklärung im Profil des OBs bezieht sich daher in erster Linie auf allgemeine stadtweite Themen. Der Oberbürgermeister steuert den Verwaltungsapparat und den politischen Diskurs in erster Linie über Themen. Diese werden von Seiten der Referenten fachlich vorbereitet, in den Gremien des Gemeinderates diskutiert und verabschiedet und im Rahmen von Projekten umgesetzt. Besonderes Augenmerk von Seiten des OBs liegt dabei auf wenigen zentralen Großprojekten, die direkt von seinem Büro aus koordiniert werden.

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Das Büro des OBs hat die Aufgabe und das Recht, die Tagesordnungen für die Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse zu gestalten. Die Positionierung von Themen stellt eine Möglichkeit des Themenmanagements dar. Auf Grund seiner Schnittstellenposition zwischen Verwaltungsapparat und Gemeinderat verfügt der Oberbürgermeister über Informationen zu den aus Verwaltungssicht drängenden Themen und Entscheidungen und auch über die politische Gemengelage im Rat. Er hat so die Möglichkeit, selbst Themen frühzeitig zu besetzen und dabei fachliche und politische Gesichtspunkte zu integrieren. Das Informationsbedarfsprofil des Oberbürgermeisters hat dementsprechend drei wesentliche Schwerpunkte, die Fachbezogene Frühaufklärung, die Politische Positionierung und den Projektsteuerungsinformationsbedarf. Als direkt gewähltes Oberhaupt der Stadtverwaltung macht der Bürgerorientierte Informationsbedarf einen weiteren wichtigen Teil des Gesamtprofils des Oberbürgermeisters aus. Die Beobachtung des Meinungsbildungsprozesses in der Lokalpresse und auch der direkte persönliche Kontakt zu den Bürgern der Stadt gehören zu den zentralen Informationsquellen. Oberbürgermeister Bürgerorientierter Informationsbedarf Projektsteuerungsinformationsbedarf Globalsteuerungsinformationsbedarf Informationsbedarf im Rahme der politischen Positionierung Fachbezogene Frühaufklärung zu allgemeinen stadtweiten Themen Sitzungsbezogener Informationsbedarf

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Tabelle 6-11: Informationsbedarfsprofil des Oberbürgermeisters Quelle: Eigene Darstellung

Die Steuerungsperspektive des Oberbürgermeisters orientiert sich zwar zu einem beträchtlichen Teil an Themen und Projekten, dennoch spielt auch der Globalsteuerungsinformationsbedarf eine wichtige Rolle. Als Generalist und Leiter des Verwaltungsapparates gehört es zu den Aufgaben des Oberbürgermeisters, für ein einheitliches Verwaltungshandeln zu sorgen und die Aktivitäten der einzelnen Fachbereiche gemeinsam mit den Leitern der Querschnittsreferate aufeinander abzustimmen.

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Sitzungsbezogener Informationsbedarf gehört auch zum Profil des OBs, da er als Vorsitzender der meisten Gremien des Gemeinderates eine Vielzahl von Sitzungen leitet. Der Informationsbedarf des Oberbürgermeisters entsteht nur zu 20-30% spontan, dies spiegelt sich auch in seinem Bedarfsprofil wider, das zu einem großen Teil Informationsbedarfselemente beinhaltet, die antizipierbaren Informationsbedarf betreffen. Dadurch, dass von Seiten des Büros des Oberbürgermeisters Informationen in großem Umfang und in einer großen thematischen Breite nach ihrer möglichen Relevanz für die Kommune gescannt werden, werden Handlungsfelder und sich entwickelnde politische Themen frühzeitig erkannt. Dazu trägt auch bei, dass der OB in dieser Hinsicht von seinen Referenten mit unterschiedlichen fachlichen Spezialisierungen und Themenschwerpunkten unterstützt wird. Im Fall eines aktuellen politischen Themas entsteht ad-hoc-Informationsbedarf in erster Linie bezüglich der Interessenverteilung und Stimmungslage im Rat und bei den Bürgern. 6.6.4

Gemeinderat

Gemeinderäte und Mitarbeiter der Fraktionsgeschäftstellen werden als eine gemeinsame Gruppe betrachtet, da die Fraktionsgeschäftsstellen keine eigene Rolle im Regelkreis der kommunalen Steuerung spielen. Sie sind Assistenzkräfte der Gemeinderäte, ihr Informationsbedarf wird durch den Bedarf der Gemeinderäte bestimmt bzw. den Teil, der an sie als Rechercheaufträge weitergegeben wird. 6.6.4.1 Gemeinderäte Der Informationsbedarf der betrachteten Gemeinderäte wird dominiert durch Bürgerorientierten Informationsbedarf, Fachbezogene Frühaufklärung und Politische Positionierung und ähnelt damit stark dem Bedarfsprofil des Oberbürgermeisters. Als gewählte Vertreter der Bürger orientierten sich Gemeinderäte in großem Maß an den Interessen und Bedürfnissen, die ihnen direkt oder indirekt vorgetragen werden. Im Rahmen der Fachbezogene Frühaufklärung gibt es aus Sicht der Gemeinderäte zwei wichtige Aspekte: Die möglichst frühzeitige Identifikation eines neuen Themas noch vor allen anderen Akteuren ist erfolgskritisch, um das Thema für die eigene Fraktion besetzen zu können. Der Verwaltungsapparat wird dann zwar mit der Vorbereitung einer Entscheidung und der Aufbereitung der erforderlichen Informationen beauftragt. Um diese jedoch beurteilen zu können, muss eine gewisse Informationsgrundlage auch selbst aus unabhängigen Quellen beschafft werden. 220

Um sich als Anwalt der Bürgerinteressen zu profilieren ist es darüber hinaus von zentraler Bedeutung, Themen aus der öffentlichen Diskussion aufzugreifen und selbst zu besetzen. Quellen für Anhaltspunkte zu möglichen zukünftigen Themen sind neben Bürgern, Presse und städtischen Kooperationspartnern oder auch kommunalen Verbänden die Räte der anderen Fraktionen. Wurde ein Thema von anderen Akteuren initiiert, kann es immer noch unter einer anderen Perspektive oder mit einem anderen Schwerpunkt für die eigene Fraktion vereinnahmt werden. Wichtig ist nur, die Aktivitäten der anderen Fraktionen genau zu beobachten, um rechtzeitig reagieren zu können. Gemeinderat 1 Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Bürgerorientierter Informationsbedarf Informationsbedarf im Rahme der politischen Positionierung Projektsteuerungsinformationsbedarf Fachbezogene Frühaufklärung Globalsteuerungsinformationsbedarf Beobachtung von Wettbewerbern Recherchebezogener Informationsbedarf Sitzungsbezogener Informationsbedarf

Gemeinderat 2

Gemeinderat 3

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Tabelle 6-12: Informationsbedarfsprofile der untersuchten Gemeinderäte Quelle: Eigene Darstellung

Bürger erwarten nicht nur Entscheidungen, sondern auch deren Umsetzung, daher ist Projektsteuerungsinformationsbedarf auch ein Bestandteil im Profil der Gemeinderäte. Häufig werden Räte direkt von Bürgern auf den aktuellen Stand von bestimmten Projekten angesprochen, sie sind daher sowohl in der Situation Auskunft erteilen zu müssen als auch Umsetzungsergebnisse vorweisen zu wollen. Wie stark Gemeinderäte unterschiedliche Quellen wie z.B. Kooperationspartner bei der Informationsbeschaffung nutzen, hängt sowohl von den schwerpunktmäßig bearbeiteten Politikfeldern als auch von den individuellen Kontakten und Informationsgewohnheiten ab. Auch der Anteil der eigenen Recherche an der gesamten Informati221

onsbeschaffung hängt in diesem Fall vom individuellen Arbeitsstil ab, da alle betrachteten Räte zur Fraktionsspitze in ihren Fraktionen zu zählen sind und daher nach Bedarf von den Geschäftsstellen unterstützt werden. Der daraus resultierende Recherchebezogene Informationsbedarf hängt zum Teil mit dem Eigenanteil an der Recherche zusammen, wird aber auch durch die berufliche Qualifikation der Gemeinderäte und die recherchebezogene Vorbildung beeinflusst. Entsprechend der großen Bedeutung von Informationsbedarfselementen mit ad hoc entstehendem Informationsbedarf geben die betrachteten Gemeinderäte durchgängig einen Anteil von 50% oder mehr spontan entstehenden Informationsbedarf an. 6.6.4.2 Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen Das Informationsbedarfsprofil von Mitarbeitern in Fraktionsgeschäftsstellen spiegelt zu einem gewissen Teil den Informationsbedarf der Gemeinderäte wider. Ein Großteil der Recherchen im Rahmen der Fachbezogenen Frühaufklärung wird von den Räten an die Geschäftsstellen delegiert. Sie verfolgen darüber hinaus die Berichterstattung in lokalen und regionalen Print- und Onlinemedien, um Informationen über die Reaktionen der Öffentlichkeit auf städtische Aktivitäten zu sammeln. Fraktionsgeschäftsstellenmitarbeiter 1 Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf Bürgerorientierter Informationsbedarf Projektsteuerungsinformationsbedarf Fachbezogene Frühaufklärung Beobachtung von Wettbewerbern Recherchebezogener Informationsbedarf Sitzungsbezogener Informationsbedarf

Fraktionsgeschäftsstellenmitarbeiter 2

Fraktionsgeschäftsstellenmitarbeiter 3

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Tabelle 6-13: Informationsbedarfsprofil der untersuchten Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen Quelle: Eigene Darstellung

Neben Bürgerorientiertem Informationsbedarf und Politischer Positionierung spielen in ihren Profilen auch die Beobachtung von Wettbewerbern und der Sitzungsbezogene Informationsbedarf eine wichtige Rolle. Als Unterstützungskräfte für die Gemeinderäte werden die Aufgabe der Beobachtung von Wettbewerbern und auch die 222

Beschaffung von Sitzungsbezogenen Informationen häufig an die Geschäftsstellen übertragen. Je nachdem inwieweit die Mitarbeiter der Fraktionsgeschäftsstellen auch in die inhaltliche Arbeit der Fraktionen eingebunden werden, gehören auch Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf und Projektumsetzungsinformationsbedarf zu ihrem Profil. Da die Durchführung von ad-hoc-Recherchen zu bestimmten Themen und Anlässen eine ihrer Hauptaufgaben darstellt, ist Recherchebezogener Informationsbedarf für alle betrachteten Mitarbeiter in Geschäftsstellen gleichermaßen wichtig. Der Anteil des spontan entstehenden Informationsbedarfs liegt ähnlich wie bei den befragten Gemeinderäten bei 50% oder mehr. 6.7

Zusammensetzung des Informationsbedarfsprofils von Kommunalmanagern

Aus den dargestellten Informationsbedarfselementen und -profilen lassen sich Zusammenhänge und Muster ableiten, die die Entwicklung generischer Informationsbedarfsprofile erlauben. Bei diesen Überlegungen wurden die Informationsbedarfselemente Sitzungsbezogener Informationsbedarf und Recherchebezogener Informationsbedarf nicht berücksichtigt, da sie keinen Aufschluss über das Zusammenwirken der anderen Elemente geben und auch bei keiner der Führungskräfte einen Informationsbedarfsschwerpunkt darstellen. Es zeigt sich, dass die zu Anfang entlang der hierarchischen bzw. Rollengliederung vorgenommene Einteilung in die funktionalen Gruppen Amtsleiter, Bürgermeister, Oberbürgermeister, Gemeinderat und Fraktionsgeschäftsstellen auch durch die Informationsbedarfsprofile abgebildet wird. Davon unabhängige Faktoren wie das Politikfeld, in dem sich eine Führungskraft bewegt, oder die Fach- bzw. Querschnittsausrichtung spielen zwar über rollenspezifische Gruppen hinweg eine Rolle, sie markieren dennoch eher Differenzierungen innerhalb der funktionalen Gruppen als übergeordnete Gemeinsamkeiten. Die Aufgabenstellung, der Verantwortungsbereich und die Entscheidungsbefugnis einer Führungskraft sowie das politische Mandat gegenüber Wählern stellen sich als die Faktoren mit dem wichtigsten Einfluss auf den Informationsbedarf dar.

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Amtsleiter

Bürgermeister

Oberbürgermeister

Gemeinderat

strategische Planung für Verantwortungsbereich operative Steuerung themat.Fokussierung des Verantwortungsbereichs unmittelbare Orientierung an Wählern/öff. Meinung Beeinflussg durch wechselnde politische Themen

Abbildung 6-15: Einflussfaktoren auf den Informationsbedarf von Kommunalmanagern Quelle: Eigene Darstellung

Entlang der Hierarchie nimmt vom Amtsleiter über Bürgermeister bis zum Oberbürgermeister die Bedeutung der operativen Steuerung des eigenen Geschäftsbereichs für die Arbeit und den Informationsbedarf einer Führungskraft ab (siehe Abbildung 6-15). Gleichzeitig nehmen der betrachtete zeitliche und organisatorische Horizont sowie die Bedeutung der strategischen Planung für das Zuständigkeitsgebiet zu. Neben kontinuierlichen fachbezogenen Themen spielen wechselnde politische Themen eine zunehmende Rolle aber auch die Möglichkeiten, individuelle Interessen und Ziele einzubringen, nehmen zu. Allen drei Führungskräftegruppen ist die Innenperspektive auf die Kommunalverwaltung gemeinsam, d.h. sie verstehen sich gegenüber Bürgern und Rat als eine Einheit. Die unmittelbare Orientierung an der öffentlichen Meinung, den Interessen der Bürger und damit verbunden die Beeinflussung durch den Wechsel der aktuellen politischen Themen nimmt in entgegengesetzter Richtung von Gemeinderat über Oberbürgermeister bis hin zu Bürgermeistern ab. Gleichsinnig nimmt die Abhängigkeit der Führungskräfte vom direkten Mandat durch Wähler ab: Während über die Stärke einer Gemeinderatsfraktion in 5-jährigem Rhythmus abgestimmt wird24, stellt sich der Oberbürgermeister nur alle 8 Jahre zu Wahl. Bürgermeister werden von den Gemeinderäten jeweils für 8 Jahre gewählt. Im Unterschied zu Bürgermeistern und Oberbürgermeister nehmen die Gemeinderäte eine Außenperspektive gegenüber der Verwaltung ein. Ihnen ist das Selbstverständnis als Kontrollorgan gegenüber dem Verwaltungsapparat und die Rolle als Ver-

24

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(o.V. 2003, S. 30, Abs. (1)), (o.V. 2003, S. 42, Abs. (3)), (o.V. 2003, §50, Abs. (1), (2))

treter der Bürgerinteressen gemeinsam. Dennoch sehen sich die Fraktionen weniger als Einheit denn als Konkurrenten um die Gunst der Wähler. Der Regelkreis der Kommunalsteuerung unterscheidet in zwei Hauptsphären der Kommunalsteuerung, den Verwaltungsapparat und den politischen Diskurs. Dementsprechend können die Informationsbedarfselemente strukturiert werden in Elemente, die in Zusammenhang mit der Steuerung oder Kontrolle eines Geschäftsbereichs bzw. einer Organisation – dem Verwaltungsapparat bzw. der Kommunalverwaltung als Ganzes – stehen und in Elemente, die in Zusammenhang mit dem politischen Diskurs stehen. Kunden

Kooperationspartner

Wähler/ Öffentlichkeit

Steuerung/ Kontrolle eines Geschäftsbereichs/ einer Organisation Aufgaben/ Steuerung

(Fach)Themen

Kommunales Issues Management politischer Handlungsdruck

Biographie

persönliche Themen

Projekte

Amtsleiter Bürgermeister Oberbürgermeister Gemeinderat

Abbildung 6-16: Zusammensetzung des Informationsbedarfsprofils von Kommunalmanagern Quelle: Eigene Darstellung

Die Auswertung des Informationsbedarfs von Bürgermeistern und Oberbürgermeister ergab, dass diese Führungskräfte auch individuelle (Fach)Themen bzw. Ziele verfolgen, die sich weniger aus ihrem Fachbereich als eher aus der persönlichen Biographie ergeben. Der betreffende Informationsbedarf entspricht zwar weitgehend dem Muster Fachbezogenen Frühaufklärung, entspringt jedoch einer anderen Motivation und ist daher auch nicht der Steuerung eines Geschäftsbereichs zuzuordnen. Die Verfolgung persönlicher Themen und Ziele wird im Weiteren als zusätzliches Informationsbedarfselement behandelt. Kunden bzw. Bürger und Kooperationspartner können sowohl als unmittelbare Objekte des Informationsbedarfs betrachtet werden als auch als Auslöser und Einfluss225

faktoren auf andere Elemente des Informationsbedarfs. Als gewählte Interessenvertreter sind Gemeinderäte bspw. an einem direkten Zugang zu Bürgern und ihrer Meinung interessiert. Die Art und Weise, wie ein neues politisches Thema von den Bürgern aufgenommen wird, lässt sich daraus jedoch nicht immer präzise ableiten. Die Einschätzung der politischen Gefechtslage zu einem bestimmten Thema hängt dazu hin von mehr Faktoren als nur der öffentlichen Meinung ab. Die Informationsbedarfselemente Amts-/Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf, Fachbezogene Frühaufklärung und Projektsteuerungsinformationsbedarf können unter dem Stichwort ‚Steuerung oder Kontrolle eines Geschäftsbereichs oder einer Organisation’ zusammengefasst werden. Weitere Einflussfaktoren sind v.a. Kunden von Verwaltungsdienstleistungen und Kooperationspartner. Demgegenüber steht das Kommunale Issues Management bzw. politischer Handlungsdruck, der durch fachlich oder politisch motivierte Issues, Kooperationspartner etc., aber insbesondere durch die öffentliche Meinung beeinflusst wird. Ordnet man die betrachteten Führungskräftegruppen in diese Systematisierung entsprechend ihren Informationsbedarfsschwerpunkten ein, so zeigt sich, dass Bürgermeister mit ihren Bedarfsschwerpunkten das breiteste Spektrum aufweisen. Während Amtsleiter stark auf steuerungs- und fachbezogene Informationsbedarfselemente fokussiert sind, Oberbürgermeister und Gemeinderäte sich in ihrer Globalsicht auf die Verwaltung auf einzelne Projekte und politische Themen konzentrieren, decken Bürgermeister das gesamte Spektrum der Informationsbedarfselemente bis hin zur Verfolgung individueller Themen und Ziele ab. Aus der Generalisierung der individuellen Informationsbedarfsprofile und den dargestellten Zusammenhängen lassen sich charakteristische Rollenschwerpunkte von Kommunalmanagern entwickeln (siehe Abbildung 6-17): Das generalisierte Profil eines Amtsleiters beinhaltet die Informationsbedarfselemente Fachbezogene Frühaufklärung, Amts-/Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf sowie Kundenorientierten und Kooperationspartnerorientierten Informationsbedarf. Die Erfüllung der Aufgaben gegenüber Mitarbeitern, Vorgesetzten und Kunden steht im Mittelpunkt der Arbeit eines Amtsleiters.

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Amtsleiter

Bürgermeister

Oberbürgermeister

Gemeinderat

persönliche Schwerpunktthemen

persönliche Schwerpunktthemen

Beobachtung v. Wettbewerbern

Politische Positionierung

Politische Positionierung

Politische Positionierung

Projekte

Projekte

Projekte

Fachb. Frühaufklärung

Fachb. Frühaufklärung

Fachb. Frühaufklärung

Fachb. Frühaufklärung

Amts/ Ressortsteuerung

Amts/ Ressortsteuerung

Globalsteuerung

Globalsteuerung

Kunden

Kunden/Bürger

Bürger

Bürger

Kooperationspartner

Kooperationspartner

Kooperationspartner

Kooperationspartner

Aufgaben erfüllen, Fachperspektive

strategische Planung für Ressort; Themen voranbringen, Profilierung

strategische Planung für die Kommune; Themen voranbringen, Profilierung

Profilierung, Bürgerinteressen vertreten

Abbildung 6-17: Generische Informationsbedarfsprofile Quelle: Eigene Darstellung

Gegenüber dem Profil eines Amtsleiters muss das Informationsbedarfsprofil eines Bürgermeisters um die Elemente Politische Positionierung, Projektsteuerung und Persönliche Themen ergänzt werden. Darüber hinaus kommt in seinem Fall zum Kundenorientierten Informationsbedarf bereits die Dimension der Bürger- bzw. Wählerorientierung hinzu. Ein Bürgermeister ist in erster Linie mit der eigenverantwortlichen Planung und Leitung seines Ressorts betraut. Dieser Freiraum erlaubt ihm, neben fachlich motivierten auch persönliche Schwerpunktthemen voranzutreiben. Im Profil des Oberbürgermeisters ist der Kundenorientierte Informationsbedarf vollständig in Bürgerorientierung umgeschlagen. Die Fachperspektive des Bürgermeisters auf sein Ressort wandelt sich zum Globalsteuerungsinformationsbedarf und Projektsteuerungsbezogenen Informationsbedarf. Neben Politischer Positionierung spielen im Profil des Oberbürgermeisters auch Persönliche Schwerpunktthemen eine Rolle, die auch die Ausrichtung der Fachbezogene Frühaufklärung mit beeinflussen. Der Oberbürgermeister ist für die strategische Planung für die ganze Kommune verantwortlich. Als gewähltes Stadtoberhaupt ist er mit persönlichen Themen und Zielen angetreten, die er gemeinsam mit fachlichen Zielen verfolgt. Das generalisierte Profil eines Gemeinderats ähnelt stark dem des Oberbürgermeisters. Die Umsetzung individueller Ziele tritt jedoch in den Hintergrund, da sich Frak227

tionen einheitlich nach außen darstellen und in noch direkterer Weise den Interessen ihrer Wähler verpflichtet sind. Als ergänzendes Element kommt in diesem Profil die Beobachtung der Wettbewerber hinzu. Gemeinderäte agieren in erster Linie als Vertreter von Bürgerinteressen. Um ihr Engagement im Sinne der Bürger im Hinblick auf ihre Wiederwahl entsprechend darzustellen, sind sie auch um Profilierung gegenüber anderen Fraktionen bemüht. 6.8

Anwendung der Informationsbedarfselemente und -profile zur Informationsbedarfsanalyse – Übertragbarkeit des entwickelten Modells

Die entwickelten Informationsbedarfselemente setzen sich aus Faktoren und Merkmalen zusammen, die aus theoretischen Modellen und Überlegungen zu Rahmenbedingungen der Arbeit von Managern, Politikern, bzw. Kommunalmanagern sowie entsprechend dokumentierten empirischen Erkenntnissen abgeleitet wurden. Die Zusammenführung der Faktoren und Merkmale zu Informationsbedarfselementen ebenso wie die Entwicklung von Informationsbedarfsprofilen basiert auf empirischen Erkenntnissen zu Führungsarbeit und Informationsbedarf im Kommunalmanagement, die am Beispiel der Landeshauptstadt Stuttgart gewonnen wurden. Insofern kann deren Gültigkeit zunächst nur für diesen betrachteten Einzelfall beansprucht werden. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt allerdings nicht auf der möglichst detaillierten Abbildung individueller Informationsbedarfsausprägungen, sondern auf der Entdeckung von rollen- und aufgabenspezifischen Informationsbedarfsmustern. Daher wurden beeinflussende Faktoren und Merkmale von Informationsbedarf nicht isoliert, sondern als interdependente Variablen betrachtet. Der Zusammenhang zwischen phasen-, rollen- und aufgabenspezifischen Faktoren und den entsprechenden Informationsbedarfsmerkmalen sollte dementsprechend auch auf andere Fälle übertragbar sein. Die Kombination von Informationsbedarfselementen zu charakteristischen Informationsbedarfsprofilen beruht in erster Linie auf dem Zusammenspiel von phasen-, rollen- und aufgabenspezifischen Informationsbedarfsfaktoren, die wiederum das Auftreten von bestimmten Informationsbedarfsmerkmalen bedingen. Somit ist auch für das Konzept der Informationsbedarfsprofile eine Übertragbarkeit anzunehmen, wenn auch andere Aufgaben- und Rollenverteilungen in anderen Kommunalverwaltungen u.U. andere Kombinationen von Informationsbedarfselementen zu Profilen erfordern. Die Gewichtung der einzelnen Informationsbedarfselemente ist zu einem großen Teil durch die individuelle Ausprägung der Arbeits- und Führungsstrukturen in der Stadt 228

Stuttgart geprägt, so dass diese für jeden betrachteten Fall individuell vorzunehmen ist. Die beobachteten und aus der Empirie abstrahierten Muster korrespondieren mit theoretisch fundierten Modellen zu (politischem) Issues Management, Agenda Setting und Policy Netzwerken (siehe Abschnitt 6.5), was ihnen neben Plausibilität auch eine weitere Allgemeingültigkeit verleiht. Um das entwickelte Konzept von Informationsbedarfselementen und Informationsbedarfsprofilen zur Erhebung von Informationsbedarf in weiteren Fällen anzuwenden, sind zunächst die Informationsbedarfselemente für den konkreten Anwendungsfall auf Anpassungs- oder Erweiterungsbedarf zu überprüfen und zu operationalisieren. Die generalisierten Kategorien der Informationsbedarfselemente sind auf die Erhebung von konkretem, d.h. individuellem Informationsbedarf hin weiter zu entwickeln. Die vorgestellten Informationsbedarfsprofile sowie das inhaltliche Zusammenspiel der Elemente dienen als Anhaltspunkt für die Ableitung von Informationsbedarfsprofilen. Grundlage der hier dargestellten empirischen Erkenntnisse ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Forscherin und Feld, das im Rahmen einer fünfjährigen Projektzusammenarbeit aufgebaut wurde. Die Erhebung von Informationsbedarf gerade bei hochrangigen Führungskräften sowie die Analyse von Informationsbeziehungen wie dem kommunalen Issues Management erfordert eine längerfristige Zusammenarbeit mit dem Feld, um derartige Strukturen zu erkennen und den erforderlichen Kontakt zu Schlüsselpersonen aufzubauen. Für Außenstehende bedeutet dies einen vergleichsweise hohen zeitlichen Aufwand, der für die Entwicklung eines Führungsinformationssystem unverhältnismäßig erscheint. Das Ergebnis sind häufig rein aufgabenorientierte Bedarfsanalysen, die mit Interviews und konzeptioneller Arbeit auskommen. Ziel des hier entwickelten Requirements Engineering-Konzepts ist dagegen die Unterstützung einer strukturierten und umfassenden Bedarfsanalyse, die einerseits die methodische Kompetenz eines außenstehenden Experten nutzt, aber andererseits auf die Kooperation mit internen Domänenfachleuten baut, die Informationsstrukturen und Issues-Zyklen kennen. Diese Zusammenarbeit überwindet das Feldzugangsproblem, da die Erhebung der Informationsbedarfselemente und -profile von Domänenangehörigen durchgeführt wird. Die gemeinsame Anpassung und Operationalisierung des Erhebungsinstrumentariums mit dem externen Experten erlaubt eine methodische 229

Fundierung, Koordination und systematische Zusammenführung und Auswertung der Ergebnisse. 6.9

Zusammenfassung

Aus der Analyse der empirischen Ergebnisse lassen sich mit Hilfe des entwickelten Ansatzes der Faktoren und Merkmale von Informationsbedarf 10 Informationsbedarfsmerkmale identifizieren, die den Informationsbedarf von Kommunalmanager charakterisieren. Diese Elemente können für weitere Informationsbedarfsanalysen als Erhebungsinstrument eingesetzt werden. Im Unterschied zu bisherigen Erhebungs- und Systematisierungsinstrumenten für Informationsbedarf wie Prozessanalysen, Balanced Scorecard oder Kritische Erfolgsfaktoren fokussieren die Informationsbedarfselemente nicht nur auf einen bestimmten Ausschnitt von Informationsbedarf, sondern versuchen, das gesamte Spektrum von Informationsbedarf von Führungskräften abzudecken. Sie stellen ein flexibles Erhebungsinstrument dar, das auf individuelle Gegebenheiten angepasst werden kann, indem die berücksichtigten Faktoren und Merkmale für Informationsbedarf erweitert oder beschränkt werden. Die Gestaltung von Informationsangeboten auf der Basis von Informationsbedarfselementen und -profilen erfolgt modular, d.h. auf der Ebene einzelner Informationsbedarfselemente. Je nach Ausprägung des jeweiligen Elements können Angebote auf statischen oder antizipierbaren Bedarf ausgerichtet bzw. ad-hoc-Recherchen durch bedarfsorientierte Strukturierung und Aufbereitung unterstützt werden. Die Kombination einzelner Angebotsmodule, entsprechend den vorgefundenen Informationsbedarfsprofilen, führt zur nutzergruppenspezifischen bzw. individuellen Zuschnitten der Informationsangebote. Sowohl die Erhebung von Informationsbedarf als auch die Gestaltung entsprechender Angebote kann so systematisch effizient erfolgen und individuellen Unterstützungsbedarfen gerecht werden. Im Folgenden werden auf der Basis der identifizierten Informationsbedarfselemente Gestaltungsansätze für Führungsinformationen für das Kommunalmanagement entwickelt.

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Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement Das Zusammenspiel von Informationen, die über Dokumente aufgenommen wer-

den, mit Informationen, die nur über das persönliche Gespräch und die darin transportierbare politische und Meinungsebene aufgenommen werden können, ist charakteristisch für den Informationsbedarf aller Führungskräfte im Kommunalmanagement. Je nachdem, in welchem Politikfeld die Führungskräfte agieren und in welchem Umfang sie in den politischen Diskurs eingebunden sind, spielt der Anteil der zweiten Gruppe von Informationen eine größere oder kleinere Rolle. Informationssysteme können im ersten Fall v.a. bei bekanntem und antizipierbarem Informationsbedarf individuelle oder auf Nutzergruppen zugeschnittene Informationsangebote bereitstellen. Im zweiten Fall können Informationssysteme v.a. bei der Identifikation von geeigneten Gesprächspartnern, der Recherche von entsprechenden Kontaktdaten, Mediierung von Gesprächen und der Vor- und Nachbereitung von Unterhaltungen unterstützen. Dem Informationssystem kommen dabei zwei grundsätzlich verschiedene Rollen bei der Informationsbeschaffung zu: Im Fall von dokumentenbasierten Informationen ist das Informationssystem selbst die Quelle der gewünschten Informationen, im Fall von persönlich übermittelten Informationen unterstützt das Informationssystem bei der Identifikation und Erschließung der eigentlichen Informationsquelle, dem Ansprechpartner. Je nachdem, in welchem Umfang der zu deckende Informationsbedarf beide Fälle von Informationsaufnahme beinhaltet, sind diese bei der Gestaltung eines entsprechenden Informationssystems zu berücksichtigen. Für die Entwicklung eines konkreten Konzepts für Führungsinformationen für das Kommunalmanagement stellen sich v.a. die Informationsbedarfselemente Fachbezogene Frühaufklärung und Politische Positionierung als besonders interessante und wichtige Herausforderung dar, da sie im Zentrum des Kommunalen Issues Managements und Agenda Building stehen. Amts- oder Ressortsteuerungsbezogener Informationsbedarf weist auf Grund der Nähe zu betriebswirtschaftlichen Steuerungs- und Controllingkonzepten eine große Ähnlichkeit zu dem auf, was auf unternehmerischer Seite mit etablierten Lösungen für Berichtssysteme bedient wird. Das von Ösze vorgeschlagene Konzept ist ein Beispiel für die Übertragung dieser Konzepte auf die öffentliche Verwaltung (2000). Es gibt 231

für die öffentliche Verwaltung auch bereits entsprechend vorkonfigurierte Angebote, die auf unterschiedliche Rollen und Controllingkonzepte zugeschnitten sind (vgl. Vöhringer 2004, S. 306ff). In diesem Fall spielt das Informationssystem als Informationsquelle eine entscheidende Rolle. Der Globalsteuerungsinformationsbedarf kann als weitere Aggregation des Ressortsteuerungsinformationsbedarfs gesehen werden. Der zu überblickende Bereich ist die gesamte Kommunalverwaltung inklusive zahlreicher unternehmensähnlicher Betriebe, die aus dem eigentlichen Verwaltungsapparat ausgegliedert wurden25. Die Informationen, die zur Globalsteuerung benötigt werden, können bspw. in Form von hoch aggregierten Kennzahlenberichten und verdichteten Amts- und Referatsberichten, d.h. dokumentenbasiert, bereitgestellt werden. Für das Management und Controlling von Projekten gibt es ebenfalls eine Reihe von Standardsoftwareangeboten, die in unterschiedlicher Aggregation Informationen zum Projektstatus und Projektmaterialien verwalten. In der Stadt Stuttgart wurde im Hinblick auf den Projektsteuerungsinformationsbedarf ein Gemeinderatsauftragsmanagementsystem in mehreren Abstufungen entwickelt, das zu relevanten Projekten und anderen Gemeinderatsaufträgen den Umsetzungsstand, Meilensteinberichte und verantwortliche Ansprechpartner liefert. Kooperationspartnerorientierter Informationsbedarf bezieht sich auf Informationen von und über den Kooperationspartner. Ein Informationssystem dient folglich sowohl als Quelle und zur Erschließung von Informationsquellen. Informationsangebote im Sinne von ‚Yellow Pages’ wie sie auch im Rahmen von Wissensmanagement benutzt werden, stellen eine sinnvolle Unterstützung dar, um Kontaktdaten und weiterführende Informationen zu Kooperationspartnern zu verwalten und anzubieten. Die Unterstützung mit ‚Yellow Pages’ kann auch dazu genutzt werden, um Rechercheorientierten Informationsbedarf zu decken. Neben Ansprechpartnern zu bestimmten Themen werden hier aber auch Verzeichnisse von nutzbaren Online- und OfflineInformationsquellen benötigt. Um die Recherche selbst zu vereinfachen, ist die Entwicklung von Suchassistenten denkbar, die bei der Ausschöpfung der Möglichkeiten gängiger Suchmaschinen oder Bibliothekskataloge unterstützen.

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232

Wie z.B. Eigenbetriebe zur Abfallverwertung oder städt. Krankenhäuser.

Sitzungsorientierter Informationsbedarf bezieht sich auf Daten zu Sitzungen und die jeweils erforderlichen Sitzungsunterlagen. Diese werden über elektronische Sitzungskalender und Ratsinformationssysteme bzw. Sitzungsdienste bereitgestellt (s.u.). Im Zusammenhang mit der E-Government-Thematik wurde in jüngerer Zeit in Anlehnung an Customer Relationship Management der Begriff des Citizen Relationship Managements geprägt. Je nach Autor steht die Fokussierung auf Verwaltungskunden im Vordergrund (vgl. Lucke 2003, S. 905ff) oder der Begriff wird auf eine allgemeinere Bürgerbeziehung ausgedehnt (vgl. Bonin 2001). Die Informationen, die im Rahmen von elektronisch unterstützten Verwaltungsdienstleistungen oder auch ihm Rahmen von Bürgerbeteiligungsprojekten gewonnen werden, sollen gezielt zur Ausrichtung der politischen und Verwaltungsarbeit am Bürgerinteresse genutzt werden. Darüber hinaus wird auch über digitale Foren und Beteiligungsmöglichkeiten nachgedacht, um Bürger als Partner des Kommunalmanagements zu gewinnen (Bonin 2001, S. 217f). Im Zuge der elektronischen Abwicklung von Verwaltungsdienstleistungen erscheint eine entsprechende Unterstützung der ‚Kundenbeziehung’ plausibel und sinnvoll. Auch heute schon wird ‚Kundenfeedback’ zu Verwaltungsdienstleistungen über digitale und Papierformulare abgefragt. Die Lektüre der Tagespresse mit Schwerpunkt auf Meinungsseiten und den Lokalteil lässt sich prinzipiell auch digitalisieren. Die Lesegewohnheiten der Führungskräfte und individuelle Präferenzen für Papier oder Bildschirm sind hier entscheidend. Das Einfangen von Bürgerstimmung und der persönliche Kontakt zu Wählern werden sich jedoch insbesondere bei Politikern durch Informationssysteme bestenfalls ergänzen lassen. Schon heute stellt das Ratsinformationssystem CUPARLA eine wertvolle Unterstützung bei der Beobachtung politischer Wettbewerber dar. Aktivitäten der anderen Fraktionen können – sobald sie einen offiziellen, dokumentierten Status z.B. als Antrag erreicht haben – leicht verfolgt werden. Gleichzeitig wird jedes Informationssystem, das Informationen über seine Nutzer bspw. zum Zwecke der Personalisierung sammelt, Vorkehrungen treffen und transparent machen müssen, um sicher zu stellen, dass diese Informationen nicht zum Zwecke der Wettbewerberbeobachtung missbraucht werden können, wenn es bei Gemeinderäten Akzeptanz finden will. Die elektronisch unterstützte Beobachtbarkeit wird folglich den Bereich der offiziellen Aktivitäten nicht überschreiten.

233

Fachliche Frühaufklärung und Politische Positionierung machen die Hauptbestandteile des kommunalen Issues Managements aus, die durch Kunden- bzw. Bürgerorientierten Informationsbedarf und der Beobachtung politischer Wettbewerber ergänzt werden. Politische Issues sind charakterisiert durch das Zusammenspiel mehrerer Dimensionen und Perspektiven, die zu einer vollständigen Betrachtung und Behandlung erforderlich sind: Neben der sachlichen Dimension, die den objektiven Gehalt und bspw. gesetzliche, institutionelle und finanzielle Rahmenbedingungen des Sachverhalts beschreiben, sind Interessenlagen und Perspektiven der in diesem Policy-Feld und -Netz aktiven Akteure sowie der betroffenen (Teil-) Öffentlichkeit zu berücksichtigen sowie auch die Vorgeschichte des Issues (vgl. Luhmann 1970, S. 23) mit entsprechenden Implikationen auf mögliche Handlungsalternativen. Auf Grund der Dynamik der Themenentwicklung sowohl im fachlichen als auch im politischen Bereich erweisen sich die vorhandenen Informationssysteme i.d.R. entweder zu unflexibel oder zu unspezifisch. Im Augenblick werden Angebote für derartigen Informationsbedarf meist mit hohem personellen Aufwand von Mitarbeitern der Führungskräfte redaktionell vorbereitet. Diese Konstellation macht die Fachliche Frühaufklärung und die Politische Positionierung für die Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement besonders interessant. Politische Themen stehen im Zentrum des Interesses von Führungskräften in Verwaltung und Politik. Ein nahe liegender Ansatzpunkt für die Gestaltung eines Informationsangebotes ist daher eine Strukturierung der Informationen, entlang von Themen und thematischen Bezügen, mit dem Ziel, sich damit der multidimensionalen und multiperspektivischen Betrachtung von Themen oder Issues anzunähern. 7.1

Informationsstrukturierung als Ansatz zur Gestaltung eines Informationsangebots

Bereits seit den 1970er Jahren werden ausgehend von den Informationswissenschaften Versuche unternommen, Informationsangebote thematisch, im Sinne von Ontologien, zu strukturieren, um gerade in Fällen, in denen sich Informationsbedarf nicht scharf definieren oder abgrenzen lässt, sinnvolle Resultate zu erlauben (vgl. 3.2.1.126). Diese Erkenntnisse werden zum Ausgangspunkt genommen, um geeignete Methoden zur thematischen Strukturierung von Informationen für die Gestaltung von Führungsinformationen für das Kommunalmanagement zu finden.

26

234

(Belkin et al. 1982) und (Ford 2004)

Metadaten ermöglichen die Beschreibung und Entdeckung von Informationsobjekten (z.B. durch Angaben zu Inhalten und Erstellern), ihre Nutzung (z.B. durch Angaben zum verwendeten Datenformat) sowie ihr Management (z.B. durch Angaben zu Zugriffs- und Nutzungsrechten). Generell wird zwischen formalen Metadaten und inhaltlichen Metadaten unterschieden (Schmaltz 2004, S. 2). Formale Metadaten beschreiben äußere Merkmale des betreffenden Informationsobjektes, ähnlich wie bibliographische Daten. Inhaltliche Metadaten beziehen sich auf Themen und Inhalte der beschriebenen Ressourcen. Zur Informationsstrukturierung auf der Basis von Metadaten kommen verschiedene Methoden zum Einsatz: Beschreibung Hierarchische Klassifikation Assoziative Repräsentation durch Graphen

Ausprägung Taxonomie Thesaurus Issue Based Information Systems Semantic Web Topic Map

Tabelle 7-1: Methoden zur Informationsstrukturierung Quelle: In Anlehnung an (Krcmar 2005, S. 75)

Insbesondere die zweite Gruppe von Strukturierungsansätzen wird in der Literatur häufig in Zusammenhang mit Wissens- oder Knowledgemanagement diskutiert. Wie bereits in Kapitel 3 dargelegt, wird in dieser Arbeit zwischen individuellem, personengebundenem Wissen und speicher- und strukturierbaren Informationen differenziert. Nach diesem Verständnis dienen alle dargestellten Ansätze der Strukturierung von Informationen, nicht Wissen. 7.1.1

Taxonomien

Taxonomien sind hierarchische Klasseneinteilungen eines Themenbereichs (Spangler et al. 2003, S. 192; Schmaltz 2004, S. 5). Sie bilden Über- und Unterordnungsbeziehungen ab und können so Vererbungen darstellen. Die Relationen zwischen den Elementen einer Taxonomie haben keine semantische Bedeutung, die über die Über- oder Unterordnung bezüglich des verknüpften Elementes hinausgeht. Ein Beispiel für eine Taxonomie ist die biologische Einteilung von Pflanzen und Tieren in Gattungen, Arten und Familien. Man unterscheidet zwischen monohierarchischen und polyhierarchischen Klassifikationen (Manecke 1997, S. 142f). In monohierarchischen Klassifikationen kann ein 235

Begriff nur einem Oberbegriff zugeordnet werden, während in polyhierarchischen Klassifikationen auch die Zuordnung zu mehreren Oberbegriffen zulässig ist. Personentransport

Schiff

Fahrgastschiff

Frachtschiff

Fischereischiff

Schiff

Fahrgastschiff

monohierarchische Klassifikation

Frachtschiff

Fischerei

Fischereischiff

polyhierarchische Klassifikation

Abbildung 7-1: Klassifikationen Quelle: In Anlehnung an (Manecke 1997, S. 142f)

Ein Beispiel für ein Klassifikationssystem ist die Internationale Dezimalklassifikation (DK), die alle bekannten Informationsgebiete monohierarchisch in numerische Klassen einteilt (Manecke 1997, S. 148f) Hauptabteilung Hauptabteilungen 0

Allgemeines

1

Philosophie

2

Religion, Theologie

3

Sozialwissenschaften, Recht, Verwaltung

4

z.Zt. frei

5

Mathematik, Naturwissenschaften

Abteilungen

51 Mathematik 52 Astronomie, Geodäsie 53 Physik 54 Chemie, Mineralogische Wissenschaften 55 Geologie .... 6 7 8 9

Angewandte Wissenschaften, Medizin, Technik Kunst, Kunstgewerbe, Photographie, Musik, Spiel, Sport Sprachwissenschaften, Philologie, Schöne Literatur, Literaturwissenschaft Heimatkunde, Geographie, Biographie, Geschichte

Tabelle 7-2: Internationale Dezimalklassifikation Quelle: In Anlehnung an (Manecke 1997, S. 149)

236

7.1.2

Thesauri

Ein Thesaurus ist ein systematisches, hierarchisch geordnetes Verzeichnis von Schlagwörtern, sog. Deskriptoren, und deren terminologischen Beziehungen untereinander (bspw. Synonyme, Homonyme, Äquivalenzbeziehungen) innerhalb eines bestimmten Fachgebiets (Wedekind 2001, S. 474). Die Relationen zwischen den Elementen eines Thesaurus sind durch einen Standard vorgegeben. Die entsprechende DIN 1463 sieht drei unterschiedliche Klassen von Relationen vor (Deutsches Institut für Normung (DIN) 1987, S. 5ff) • Äquivalenzrelation: „Eine Äquivalenzrelation ist die Beziehung zwischen gleichwertigen Bezeichnungen (bedeutungsgleich oder bedeutungsähnlich), die zu einer Äquivalenzklasse zusammengeführt werden.“ Hierunter fallen Synonyme (Heirat als Synonym zu Eheschließung) und Quasisynonyme (Retrieval als Quasisynonym zu Recherche). • Hierarchierelation: „Hierarchierelationen liegen vor, wenn zwei Begriffe zueinander in einem Verhältnis der Über- oder Unterordnung stehen. Dabei sind zwei grundsätzlich verschiedene Formen der Hierarchierelationen zu unterscheiden:“ • die Abstraktionsrelation: „Eine Abstraktionsrelation (generische Relation) ist eine hierarchische Relation zwischen zwei Begriffen, von denen der untergeordnete Begriff (Unterbegriff) alle Merkmale des übergeordneten Begriffs (Oberbegriff) besitzt und zusätzlich mindestens ein weiteres (spezifizierendes) Merkmal.“ • die Bestandsrelation: „Eine Bestandsrelation (partitive Relation) ist eine hierarchische Relation zwischen zwei Begriffen, von denen der übergeordnete (weitere) Begriff (Verbandsbegriff) einem Ganzen entspricht und der untergeordnete (engere) Begriff (Teilbegriff) einen der Bestandteile dieses Ganzen repräsentiert.“ • Assoziationsrelation: „Eine Assoziationsrelation ist eine zwischen Begriffen bzw. ihren Bezeichnungen als wichtig erscheinende Relation, die weder eindeutig hierarchischer Natur ist noch als äquivalent angesehen werden kann.“ Die beiden wichtigsten Thesauri im deutschsprachigen Raum sind der Standardthesaurus Wirtschaft (STW) und die Schlagwortnormdatei (SWD).

237

Der Standardthesaurus Wirtschaft wird zur Indexierung wirtschaftswissenschaftlicher Datenbanken benutzt (Stock 2000, S. 84). Er wurde vom Hamburgischen WeltWirtschafts-Archiv (HWWA) gemeinsam mit dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel, dem Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) in München sowie der Gesellschaft für Betriebliche Informationen (GBI) entwickelt. Feld

Bezeichnung

B.00

Betriebswirtschaft

B.01

Unternehmensführung und Organisation

B.01.01

Unternehmensführung und Unternehmensplanung

B.01.02

Organisation

B.01.03

Betriebliche Information und Kommunikation

B.01.04

Rechtsformen

B.01.05

Unternehmensentwicklung, Betriebsgröße und Standortwahl

B.01.06

Umweltmanagement

Tabelle 7-3: Standardthesaurus Wirtschaft Quelle: In Anlehnung an (Gesellschaft für Betriebswirtschaftliche Informationen (Ed.) o.J.)

Die verwendeten Deskriptoren werden einer polyhierarchischen Klassifikation zugeordnet. Tabelle 7-3 zeigt die Klassen im Bereich Betriebswirtschaft. Den Deskriptoren werden Synonyme und Relationen entsprechend Abbildung 7-2 zugeordnet. Die Schlagwortnormdatei (SWD) wird von Der Deutschen Bibliothek in Kooperation mit anderen Bibliotheken aus dem deutschsprachigen Raum für die Systematisierung von Publikationen entwickelt und gepflegt (Die Deutsche Bibliothek (Ed.) 2003).

238

Führungskräfte Synonyme Betriebsleiter CEO (Chief Executive Officers) Corporate Executives .... Oberbegriffe Dienstleistungsberufe Erwerbsstatus Unterbegriffe Arbeitsdirektoren Bankmanager Industriemanager .... Verwandte Begriffe Elite Führungskräfteausbildung Führungskräfteauswahl ... Zuordnung B.01.01 Unternehmensführung und Unternehmensplanung V.13.06.03 Führungskräfte und akademische Berufe V.13.05 Berufe

Abbildung 7-2: Beschreibung eines Deskriptors im Standard Thesaurus Wirtschaft Quelle: In Anlehnung an (Gesellschaft für Betriebswirtschaftliche Informationen (Ed.) o.J.)

7.1.3

Semantische Netze

Semantische Netze unterstützen die Informationsorganisation, indem sie ein abstraktes Modell von Informationen verwalten und zu Recherchezwecken nutzen (Luckeneder et al. 2001, S. 745). Abstrakte Konzepte und Beziehungen zwischen diesen Konzepten werden vom Benutzer in Form von Knoten und Kanten modelliert und in Bezug zu den verwalteten Informationsressourcen gesetzt. Knoten stehen in Semantischen Netzen für Objekte, Konzepte oder typische Situationen, und Kanten repräsentieren die semantischen Beziehungen zwischen ihnen. Sowohl Knoten als auch Kanten können spezifische Bezeichnungen haben (Reimer 1997, S. 183; Freese 2000). Ein einfaches Beispiel für ein semantisches Netz ist die Abbildung familiärer Beziehungen wie z.B. ‚eine Mutter ist ein Elternteil’. Dafür werden zwei Knoten modelliert für ‚Mutter’ und ‚Elternteil’, die durch eine Kante als Entsprechung für die ‚ist ein/e’-Beziehung verbunden werden.

239

ist ein/e Mutter

Elternteil

Abbildung 7-3: Einfaches semantisches Netz Quelle: In Anlehnung an (Freese 2000).

Soll ein weiteres Element im Netz modelliert werden, z.B. eine bestimmte Person, Elke, von der deutlich gemacht werden soll, dass sie eine Mutter ist, so wird ein zusätzlicher Knoten eingeführt und über eine ‚ist ein/e-Kante’ mit dem Knoten ‚Mutter’ verbunden. Neben der Tatsache, dass Elke eine Mutter ist, bildet das Netz auch den Rückschluss ab, dass Elke ein Elternteil ist. ist ein/e Elke

ist ein/e Mutter

Elternteil

Abbildung 7-4: Vererbung in einfachen semantischen Netzen Quelle: In Anlehnung an (Freese 2000)

Die Möglichkeit, neue Erkenntnisse aus semantischen Netzen abzuleiten, indem man den Kanten folgt, heißt Transitivität. Das Beispiel zeigt, dass transitive Beziehungen oft gerichtet sind und nicht zwangsläufig auch im umgekehrten Fall gelten, d.h. reflexiv sind. Während die Aussage ‚Eine Mutter ist ein Elternteil’ wahr ist, gilt der Umkehrschluss ‚Ein Elternteil ist eine Mutter’ nicht in jedem Fall. ‚Ist ein Geschwister von’ wäre ein Beispiel für eine reflexive transitive Beziehung. Wenn bei drei Geschwistern A, B und C jeweils Geschwisterbeziehungen zwischen A und B und zwischen B und C bestehen, kann geschlossen werden, dass auch A und C Geschwister sind. Die Nutzung solcher Inferenzregeln stellt den wesentlichen Unterschied zwischen Semantischen Netzen und Thesauri dar. Indem diese modellierten Informationen genutzt werden, soll die Recherche in großen Informationsbeständen strukturierter und zielorientierter verlaufen können und weniger vom Vorwissen des Recherchierenden abhängen (Luckeneder et al. 2001). Erste Ansätze zur ontologiebasierten Strukturierung und Darstellung von Informationen werden bereits Ende der 1970er Jahren von Belkin vorgeschlagen (1978). Anfang der 1990er Jahre werden semantische Netze im Zusammenhang mit Expertensystemen (Krcmar 1991, S. 11) bzw. unter dem Stichwort ‚wissensbasiertes Information Retrieval’ diskutiert (Ohly 1992, S. 70f), die Diskussion bleibt allerdings auf theoretischer Ebene, den Beginn des großen Booms semantischer Strukturierungsansätze markiert der vielzitierte Aufsatz von Berners-Lee 2001. 240

7.1.3.1 Issue Based Information Systems (IBIS) Argumentative Informationssysteme oder Issue based Information Systems wurden entwickelt, um politische Planungs- und Entscheidungsprozesse zu unterstützen (Kunz/Rittel 1970, S. 1). Das zu Grunde liegende Strukturierungsprinzip basiert auf der Zuordnung von Informationsobjekten zu Themen, Positionen und entsprechenden Argumentationslinien. Ein zentrales Strukturelement sind Topics (bzw. Problembereiche), zu denen es einen Diskurs gibt, in dessen Verlauf verschiedene Issues oder Kontroversen mit gegensätzlichen Positionen diskutiert werden. Für jede Position gibt es Argumente, die diese unterstützen oder angreifen (Ludwig 1997, S. 126ff). Subtopic

...

Issue

...

Subtopic

Topic Generalisierung/ Analogie/...

Argument Zustimmung Widerspruch

Issue

Position

Issue

...

Argument

Issue

...

Abbildung 7-5: Strukturelemente des IBIS-Konzepts Quelle: In Anlehnung an (Ludwig 1997, S. 126-130)

Neben Zustimmung und Widerspruch werden für Argumente acht weitere semantische Beziehungen angeboten, in denen sie zu einer Position stehen können (Ludwig 1997, S. 129): • Anerkennung • Unsichere Anerkennung • Frage nach der Signifikanz • Forderung nach Untermauerung • Forderung nach weiteren Belegen 241

• Nachfrage • Zweifel • Zweifel oder Zurückweisung der Signifikanz oder Relevanz der Behauptung. Aus der Argumentation für oder gegen eine Position können sich weitere Issues ergeben, die zum ursprünglichen Issue in unterschiedlichen Beziehungen z.B. generalisierend oder als Analogie stehen können. In der Praxis werden IBIS v.a. eingesetzt, um kooperative Planungs- und Entwicklungsprozesse z.B. in der Raumplanung und auch im Softwaredesign zu unterstützen, indem die netzbasierte Kommunikation der Teilnehmer entweder durch diese selbst oder durch einen Moderator entsprechend des Argumentationskonzepts strukturiert wird (Conklin/Begeman 1988; Märker/Schmidt 1999). In gewisser Hinsicht können IBIS als semantische Netze betrachtet werden, allerdings sind der semantische Gehalt der Kanten und auch die Konzepte für die Knoten durch die dargestellte Argumentationsstruktur vorgegeben. IBIS eignen sich in erster Linie zur Strukturierung dialektisch aufgebauter Informationsbereiche, daher werden sie v.a. zur Problemexploration und -strukturierung eingesetzt (Isenmann/Reuter 1996). Die strenge Vorgabe der modellierbaren semantischen Konzepte führt dazu, dass IBIS sich nur begrenzt zur Abbildung allgemeiner Informationsstrukturen eignen (siehe auch Ludwig 1997, S. 131). Für die Entwicklung einer themenorientierten Informationsstrukturierung, die über die dialektische Betrachtung von Problembereichen hinausgeht, kommen IBIS folglich nicht in Betracht. 7.1.3.2 Semantic Webs Die Semantic Web Technologie liefert Werkzeuge zur Informationsmodellierung, die das Handling umfangreicher Informationsressourcen durch die Erfassung und Verwaltung von Metainformationen unterstützen. Die Grundidee von Semantic Webs ist es, Dokumenten oder anderen Informationsobjekten maschinenlesbare Informationen über ihren Inhalt und auch über ihre Beziehung zu anderen Dokumenten zu hinterlegen. Tim Berners Lee, der die Vision des Semantic Web mitgeprägt hat, geht in seiner Vorstellung noch weiter und entwirft Agenten, die sich in unserem Auftrag durchs Netz bewegen und eigenständig Arzttermine vereinbaren und diesbezügliche Recher242

chen durchführen (Berners-Lee et al. 2001). Grundlage für die Anreicherung der Dokumente um maschinenlesbare Semantik ist eine Methode zur Modellierung und Kodierung von Semantik. Zur Verdeutlichung des Semantic Web-Konzepts werden häufig Suchszenarien angeführt, um die Funktionsweise und die Vorteile des Konzepts darzustellen. Ein anschauliches Beispiel ist die Suche nach einem Experten zu Post-Impressionistischer Kunst. Hierfür müssen Informationen kombiniert werden, die über verschiedene WebSites verteilt sind und sich bspw. mit Kunstsammlungen, Künstlerbiographien und Kunstgeschichte beschäftigen (Goble 2003, S. 551). Um den Autor eines Buches über Van Gogh als Experten für Post-Impressionismus zu identifizieren, muss Van Gogh als Künstler dieser Ära bekannt sein, auch wenn dazu nichts auf der Seite des Autors erwähnt wird. Wenn der Buchautor ein Professor für Kunstgeschichte ist, müsste seiner Expertise mehr Gewicht beigemessen werden als dem Autor einer Diplomarbeit. Für eine derartige Recherche muss der Inhalt der gefundenen Stellen und Dokumente im Netz interpretiert werden, d.h. der Recherchierende muss zum einen in der Lage sein, den Inhalt der Fundstellen zu erfassen und zum anderen durch Kombination auch neues Wissen zu generieren. Bislang hängt der Rechercheerfolg von den Vorkenntnissen und der Kombinationsgabe auf Seiten des Recherchierenden ab. Die Vision des Semantic Web sieht vor, das Web dahingehend weiter zu entwickeln, dass Informationen und Dienste auch von Computern ‚verstanden’ und genutzt werden können. Dafür müssen den Web-Inhalten maschinenlesbare Metainformationen zu ihrer Semantik hinterlegt werden. Grundlage für die skizzierten Möglichkeiten der semantisch unterstützten Recherche sind gemeinsame Ontologien. Im Gegensatz zur Verwendung des Ontologiebegriffs im philosophischen Kontext werden in der Informatik formale Beschreibungen der Semantik von Informationsobjekten als Ontologien bezeichnet. In ihnen wird modelliert, wie Begriffe eines Gegenstands- oder Anwendungsbereichs zueinander in Beziehung stehen (Maedche 2002, S. 432). Beispielsweise wird in einer Ontologie festgelegt, dass es einen Begriff „Betriebliche Anwendungssysteme“ gibt. Diesem Begriff werden die Begriffe „Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme“ sowie „Finanzbuchführungssysteme“ zugeordnet. Typischerweise setzt sich eine Ontologie aus einer Taxonomie und einer Reihe von Ableitungs- oder Inferenzregeln zusammen (Berners-Lee et al. 2001). Die Taxonomien dienen dazu, Konventionen darüber herzustellen, was unter bestimmten Begrif243

fen und Konzepten, die zur Beschreibung von Informationsobjekten herangezogen werden, verstanden wird. In diesem Zusammenhang muss z.B. klargestellt werden, dass es sich bei dem Begriff ‚Post-Impressionismus’ um eine historische Phase der Malerei handelt und welche zeitliche Periode unter dem Begriff ‚Post-Impressionismus’ zusammengefasst werden soll. Hier würde auch geklärt, dass der Künstler Van Gogh mit dem Post-Impressionismus in Beziehung steht, da er als Maler dieser Epoche zuzurechnen ist. Eine Inferenzregel würde nahe legen, dass eine Ausstellung zu Künstlern des Post-Impressionismus mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Bilder von Van Gogh zeigt. Anders ausgedrückt stellt eine Ontologie somit eine Menge möglicher Begriffe und Begriffsdeutungen dar, die zur semantischen Beschreibung oder Annotation von Dokumenten herangezogen werden können. Zudem ist in einer Ontologie auch der inhaltliche Bezug der einzelnen Begriffe untereinander hinterlegt. Das Prinzip der Annotation beinhaltet, dass einem Dokument oder Informationsobjekt gewissermaßen ein maschinenlesbares Etikett mitgegeben wird, das seine Beschreibung im Sinne der verwendeten Ontologie trägt. Um diese maschinenlesbaren Beschreibungen universell verständlich zu machen, hat das World Wide Web Consortium (W3C) zwei Standards, das überarbeitete Resource Description Framework (RDF) und die Web Ontology Language (OWL), verabschiedet, die die kooperative Entwicklung und Wiederverwendbarkeit von Ontologien ermöglichen sollen (W3C (Hrsg.) 2004). 7.1.3.3 Topic Maps Ähnlich wie Semantic Webs beruhen auch Topic Maps auf einem abstrakten Modell von Informationen und Beziehungen zwischen ihnen. Physische Objekte und auch abstrakte Konzepte werden in einer Topic Map durch sog. Topics repräsentiert (Auillans et al. 2002, S. 70; Widhalm/Mück 2003, S. 64). Genau wie zwischen den repräsentierten realweltlichen Objekten können zwischen Topics Beziehungen, sog. Associations, bestehen. Um z.B. die Beziehung zwischen den Mitgliedern einer Familie abzubilden würden die Topics ‚Vater’, ‚Mutter’, ‚Sohn’ und ‚Tochter’ alle zur Association ‚Familie’ gehören. Ein Informationsobjekt, das den Sohn der Familie abbildet, wäre eine Occurrence des Topics ‚Sohn’ (TopicMaps.Org 2001). Im Unterschied zu anderen Strukturierungsansätzen können mit Topic Maps (wie auch mit Semantic Webs) netzartige Strukturen abgebildet werden. Die meisten der herkömmlichen Strukturierungsansätze basieren auf dem Baum-Paradigma, dem zufolge ausgehend von einem Stamm oder einer Hauptkategorie Zweige bzw. Unterka244

tegorien definiert werden (Luckeneder et al. 2001, S. 746). Bei strukturierten Informationsbereichen, die aus sich heraus in Elemente und Unterelemente zerfallen, erscheint dieses Vorgehen natürlich und angemessen. Die Anwendung einer baumartigen Struktur erlaubt die Einführung hierarchischer Abstraktionsniveaus und Elementeigenschaften können entlang von Verzweigungen vererbt werden.

streng hierarchische Klassifikation wie z.B. bei einer Taxonomie

Kombination von hierarchischer und netzartiger Struktur wie bei Topic Maps

Abbildung 7-6: Ansätze zur hierarchischen und netzartigen Strukturierung Quelle: Eigene Darstellung

Bei weniger gut strukturierten Informationsbereichen zeigt diese Baumstruktur jedoch Schwächen, da die vorhandenen Strukturen nur unzureichend über rein hierarchische Klassen abgebildet werden können. Topic Maps verbinden hierarchische Klassifikationsschemata mit netzartigen Strukturen und können daher auch für wenig strukturierte Informationsbereiche flexibel angewendet werden. Topic Maps gehen auf den Internationalen Standard ISO/IEC 13250 zurück und liefern eine standardisierte Ausdrucksform, um die Struktur von Informationsressourcen abzubilden (Luckeneder et al. 2001, S. 745f). Die Grundelemente von Topic Maps sind (vgl. Luckeneder et al. 2001, S. 747; TopicMaps.Org 2001): • Topics und Topic Types: Ein Topic stellt die virtuelle Entsprechung eines realweltlichen Objekts auf der Ebene der Topic Map dar (TopicMaps.Org 2001). Charakteristische Merkmale eines Topics sind ein Topic Name, eine Occurrence oder eine Role, die das Topic in einer Association einnimmt. Topic Types sind Klassen von Topics, wobei ein Topic mehreren Klassen zugeordnet sein kann. Im Beispiel der familiären Beziehungen wären ‚Mutter’ und ‚Vater’ jeweils Topics, die zum Topic Type ‚Eltern’ gehören. Das Topic ‚Mutter’ kann gleich-

245

zeitig dem Topic Type ‚Frau’ zugeordnet sein. Die Topic Types ‚Eltern’ und ‚Frau’ werden selbst auch als Topics gehandhabt. • Topic Occurrences und Occurrence Types: Eine Occurrence ist ein Informationsobjekt, das in Zusammenhang mit der realweltlichen Entsprechung eines Topics steht. Um von diesem Topic in der Topic Map auf das Informationsobjekt außerhalb verweisen zu können, muss das Informationsobjekt über einen Unified Resource Identifier (URI) adressiert oder als Datenressource in die Topic Map aufgenommen werden können (TopicMaps.Org 2001). Occurrences Types dienen zur Klassifikation von Occurrences, wobei diese jeweils nur einem Occurrence Type zugeordnet werden können (Luckeneder et al. 2001, S. 747; TopicMaps.Org 2001). Eine Occurrence im Familienbeispiel wäre eine Geburtsurkunde, die auf Vater und Mutter verweist. Sie würde, je nach Gestaltung der Topic Map, möglicherweise dem Occurrence Type ‚offizielle Dokumente’ zugeordnet werden. Auch Occurrences können als Topics behandelt werden (Freese 2000). • Associations, Association Types und Association Roles: Associations bezeichnen Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Topics. Um diese Beziehungen näher zu beschreiben, werden sie Klassen zugeordnet. Diese heißen Association Types. Innerhalb einer Association spielt jedes beteiligte Topic eine bestimmte Rolle, die ihm durch die Association Role zugewiesen wird (Luckeneder et al. 2001, S. 747; TopicMaps.Org 2001). Die Topics ‚Mutter’ und ‚Vater’ aus dem Beispiel gehören beide zur Association ‚Ehepaar’, in der das Topic ‚Mutter’ die Association Role ‚Ehefrau’ und das Topic ‚Vater’ die Association Role ‚Ehemann’ einnimmt. Bei der Erläuterung der Funktion der einzelnen Topic Map Elemente fällt auf, dass Topic Types und Associations dazu benutzt werden können, dieselben semantischen Bezüge zu modellieren: Ob nun die beiden Topics ‚Vater’ und ‚Mutter’ zum Topic Type ‚Eltern’ gehören, oder die beiden Topics ‚Frau’ und ‚Mann’ der Association ‚Eltern’ mit den Roles ‚Vater’ und ‚Mutter’ zugeordnet werden, drückt denselben Sachverhalt aus. Je nachdem, welche Zielsetzung mit der Topic Map verfolgt wird, sind unterschiedliche Modellierungsstrategien sinnvoll (Freese 2000).

246

Topic

Role

role types

topic types

Karte

Association

Statistik

Ratsdocs

Sitzungsvorbereitung

association types

Sitzungsnachbereitung

Sitzungsarbeit

Topics

Stadtplan

Verkehrs- Geburtenstatistik rate

Vorlage

Tages- Protokoll ordnung

Beschlussfassung

Abbildung 7-7: Bausteine einer Topic Map Quelle: In Anlehnung an (Auillans et al. 2002, S. 74)

Das Zusammenspiel der grundlegenden Elemente einer Topic Map soll an einem konkreten Beispiel erläutert werden (siehe Abbildung 7-7). Als Entsprechung zu einem realweltlichen Objekt gibt es in der Beispiel-Topic Map das Topic ‚Vorlage’. Es gehört zum Topic Typ Ratsdokumente und ist einer Association vom Type Sitzungsarbeit zugeordnet. In dieser Association übernimmt es, genau wie das Topic ‚Tagesordnung’, die Role vom Type ‚Sitzungsvorbereitung’. Die Topics ‚Protokoll’ und ‚Beschlussfassung’ sind auch der Association ‚Sitzungsarbeit’ zugeordnet. Zu ihnen gehört jedoch der Role Type ‚Sitzungsnachbereitung’. 7.1.3.4 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Semantic Webs und Topic Maps Beide Ansätze, Semantic Webs und Topic Maps, werden dazu benutzt, die Informationsbestände in Informationsressourcen zu modellieren (Luckeneder et al. 2001, S. 745). In beiden Ansätzen bilden Netze bestehend aus Informationsknoten die Grundlage. Nutzer dieser semantischen Netze können Kanten zwischen den Knoten modellieren und sowohl Kanten als auch Knoten semantische Informationen mitgeben (Freese 2000). Die entsprechenden Navigationswerkzeuge nutzen diese Modelle, um neue Informationen über einen Knoten im Modell abzuleiten, indem sie seinen Verknüpfungen folgen.

247

Während Topic Maps eher auf die Navigation von Topic zu Topic fokussieren, liegt der Schwerpunkt bei Semantic Webs auf den Kanten zwischen den Knoten und den damit verbundenen Informationen (Freese 2000). Ein weiterer Unterschied liegt in der angestrebten Reichweite und Standardisierung. Semantic Webs nach dem Verständnis von Tim Berners Lee sind auf eine webweite Reichweite ausgerichtet (2001; W3C (Hrsg.) 2004), was eine dementsprechende Standardisierung der benutzten Metainformationen und der zu Grunde liegenden Ontologie erfordert. Topic Maps hingegen zielen auf die Strukturierung von umfangreichen aber doch begrenzten Informationsbeständen ab und erlauben eine individuelle Modellierung der Informationen. 7.2

Topic Maps als Instrument zur themenorientierten Strukturierung von Führungsinformationen

Fachbezogene Frühaufklärung und Politische Positionierung als Kernelemente des Kommunalen Issues Managements beruhen darauf, Themen fachlicher und politischer Natur in Kontexten bestehend aus involvierten Akteuren, gesetzlichen, institutionellen und anderen Rahmenbedingungen, fachlichen Erfordernissen, gesellschaftlicher Stimmung etc. zu betrachten. Eine themenorientierte Strukturierung von Informationen kann einerseits die durch spontan entstehenden oder vertieften Informationsbedarf ausgelöste Recherche unterstützen. Sie kann aber auch die Grundlage für eine themenorientierte Unterstützung der Fachbezogenen Frühaufklärung darstellen, indem entsprechend der individuellen inhaltlichen Ausrichtung eines Kommunalmanagers regelmäßig themenorientierte Zusammenstellungen der neu zum Bestand hinzugekommenen Informationsobjekte bereitgestellt werden (siehe auch 7.3). Für die Entwicklung einer themenorientierten Strukturierung von Führungsinformationen in Stuttgart wurde der Topic Map-Ansatz gewählt, da er eine flexible und den individuellen Gegebenheiten angepasste Modellierung von Informationen und Beziehungen erlaubt. Darüber hinaus ist die Topic Map von den zu strukturierenden Informationsressourcen und der dort verwendeten Technik unabhängig und kann daher auch in einer heterogenen Informationslandschaft angewendet werden. In einem ersten Schritt wurden die wichtigsten Informationsquellen identifiziert, die über die Topic Map erschlossen werden sollen. Die Interviews zum Informationsbedarf der Führungskräfte hatten ergeben, dass potenziell alle verfügbaren Informations248

systeme im Rahmen der Frühaufklärung und auch der Recherchen für die Politische Positionierung genutzt werden. Zu den Informationsquellen, die größtenteils allen Führungskräften zugänglich sind, gehören Datenbanken mit Ratsdokumenten, Adressverzeichnisse, ein statistisches Informationssystem, das städtische Intranet und das Geoinformationssystem. Die in Tabelle 7-4 aufgelisteten Informationsquellen werden z.T. über spezifische Thesauri (Fachthesaurus für statistische Informationen, gemeinsamer Thesaurus für Internet und Intranet, Schlagwortliste für Ratsdokumente, Gauß-Krüger-Koordinaten im Fall der Geoinformationen) erschlossen, die in unterschiedlichem Umfang Fachwissen auf Seiten der Nutzer erfordern. Mit Hilfe der Topic Map soll eine übergreifende Strukturierung geschaffen werden, die auch zwischen den unterschiedlichen Fachsprachwelten vermittelt (siehe Abbildung 7-8). Informationssystem CUPARLA (ComputerUnterstützte PARLAmentsarbeit)

KSD (Kommunaler SitzungsDienst)

Geoinformationen

GA I, II, III (GemeinderatsAufträge)

Inhalt Ratsdokumente, d.h. Tagesordnungen, Vorlagen, Protokolle, Anträge, Anfragen, Stellungnahmen für die Gemeinderäte Ratsdokumente, d.h. Tagesordnungen, Vorlagen, Protokolle, Anträge, Anfragen, Stellungnahmen für die Verwaltungsmitarbeiter und führungskräfte Topographische Grundkarten, Stadtpläne, thematische Karten, Flächennutzungspläne, Parzellengrenzen, .... Gemeinderatsauftragsmanagementsysteme zur Statusüberwachung bei Anträgen und Anfragen(GA I), Beschlüssen (GA II) und Bauprojekten (GA III).

INA (Integriertes Namens- und Adressbuch)

Metaverzeichnis aller Stuttgarter Adressbücher

KOMUNIS

Statistisches Informationssystem mit „Zahlen, Kennziffern, Tabellen, Diagramme, thematische Karten, Kurzkommentare und Veröffentlichungen“ zu Stadt und Region Stuttgart (Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.) o.J.).

SOLID (Stadtweiter OnlineInformationsDienst)

Intranet der Stadt Stuttgart

Stuttgart.de

Internetauftritt der Stadt Stuttgart

Tabelle 7-4: Über die Topic Map zu erschließende Informationssysteme -quellen Quelle: Eigene Darstellung

Zwischen den Dokumenten und Informationsobjekten, die in den unterschiedlichen Informationssystemen abgelegt sind, bestehen bereits implizite und explizite Beziehungen, sowohl innerhalb desselben Informationssystems als auch über Informations249

systemgrenzen hinweg. Insbesondere im Bereich der Ratsdokumente sind diese Beziehungen bspw. zwischen einer Tagesordnung und den Unterlagen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten bereits explizit d.h. über Links nutzbar.

GUI topic map Fachthesaurus

KOMUNIS

Schlagwortliste

Gauß-KrügerKoordinaten

Geoinformationen

Ratsdokumente

Abbildung 7-8: Topic Map für das Kommunalmanagement Quelle: Eigene Darstellung

Ziel der Topic Map ist es, neben den bereits explizit genutzten Beziehungen weitere Beziehungen zwischen Informationsobjekten zu erschließen und diese für die Navigation nutzbar zu machen. Darüber hinaus wird die Semantik der Beziehungen, d.h. in welcher inhaltlichen Relation die verknüpften Informationsobjekte zueinander stehen, mit Hilfe graphischer oder textueller Repräsentation dargestellt. 7.2.1

Vorgehen bei der Entwicklung einer Topic Map

Bei der Entwicklung einer Topic Map als Instrument zur Informationsstrukturierung für Kommunalmanager ergeben sich verschiedene Herausforderungen: In der Literatur zu Topic Maps finden sich nur wenige detaillierte Hinweise darauf, wie der konkrete Entwicklungsprozess für eine Topic Map aussieht. Widhalm beschreibt einen generischen Entwicklungsprozess, bestehend aus den sieben Phasen Analyse, Design, Erstellung, Speicherung, Administration, Publikation und Verwendung (2002, S. 174-177). Die Analysephase beinhaltet die Identifikation des Informationsbereichs, der durch die Topic Map erschlossen werden soll. Die semantischen Bezüge, die die Topic Map abbilden soll, und die technischen Rahmenbedingungen werden geklärt. Die Phasen Design und Erstellung sind nicht klar voneinander trennbar. Das Design bezieht sich eher auf die konzeptionelle Modellierung von Topics und Associations, 250

während die Erstellung der Topic Map die technische Umsetzung des Modells, die Zusammenführung von Teil-Topic Maps und die Verknüpfung mit den zu erschließenden Informationsbeständen bezeichnet. Analyse

Design

Erstellung

Speicherung

Publikation

Administration

Verwendung Abbildung 7-9: Phasen der Topic Map-Entwicklung Quelle: (Widhalm/Mück 2002, S. 174)

Die Phasen Speicherung, Administration und Publikation folgen keinem streng sequentiellen Muster. Fragen der effizienten Speicherung und des Zugriffs auf die Topic Map sowie der kontinuierlichen Pflege müssen allerdings geklärt werden, bevor die Topic Map veröffentlicht und verwendet werden kann. Ein Großteil der Literatur konzentriert sich auf die Beschreibung der Elemente von Topic Maps, Modellierungsformalia und deren technische Umsetzung, d.h. die Phase der Erstellung (siehe z.B. Luckeneder et al. 2001; TopicMaps.Org 2001; Auillans et al. 2002; Widhalm/Mück 2002; Widhalm/Mück 2003). Auch zur automatischen Generierung von Topics im Rahmen der Designphase gibt es umfangreiche Dokumentationen (siehe z.B. Kohonen 1997; Godby et al. 1999; Hofmann 1999; Moore 2000; Yang/Lee 2003). In vielen Fällen wird jedoch darauf hingewiesen, dass die automatisch generierten Topic Maps nur einen initialen Status darstellen, der erst durch manuelle Modellierung erweitert und verfeinert werden muss, um das eigentliche Potenzial dieses Instruments auszuschöpfen (Baird 2000; Moore 2000; Yang/Lee 2003, S. 308). Die meisten dieser Verfahren basieren auf dem Prinzip der Begriffs- oder Themennetze (Gerick 2002, S. 94). Auf der Basis statistischer Auswertungen von Texten, die für den zu erschließenden Informationsbereich charakteristisch sind, werden sog. Kollokationsanalysen durchgeführt. Treten Begriffe in den analysierten Texten mit einer bestimmten Häufigkeit in enger Nachbarschaft zueinander auf, besteht die Annahme, dass diese in einer Beziehung zueinander stehen (Heyer et al. 2001, S. 73). Das Ergebnis derartiger Analysen 251

sind Netze von Begriffen, die zueinander in einer nicht näher qualifizierten Beziehung stehen (siehe Abbildung 7-10).

Abbildung 7-10: Begriffsnetz um den Begriff 'Ziege' Quelle: (Heyer et al. 2001, S. 72)

Die Anforderungen an den Gehalt der Topic Map, die Strukturiertheit der zu integrierenden Informationsbestände und das zur Verfügung stehende Budget sind ausschlaggebend für die Wahl des Vorgehens: Die manuelle Modellierung liefert zwar qualitativ hochwertige Ergebnisse, ist aber sehr kostspielig da zeitintensiv (Garshol 2002). Die automatische Generierung von Topics und Associations hingegen liefert nur dann ein zufrieden stellendes Ergebnis, wenn die zu erschließenden Informationsbestände schon eine gute Strukturierung aufweisen (Baird 2000; Garshol 2002). Ziel der Designphase ist es, die zur Strukturierung der Informationsbestände erforderlichen Konzepte in Form von Topics, Topic Types, Associations etc., d.h. die Ontologie der Informationsdomäne zu erheben und zu modellieren. Dazu ist einerseits ein tiefes konzeptionelles und technisches Verständnis der Funktionsweise von Topic 252

Maps erforderlich (Baird 2000), andererseits wird aber auch die Kenntnis der Domäne benötigt, um eine geeignete Informationsstruktur zu entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass Topic Map-Autoren in erster Linie technische Experten sind, die für die Modellierung der Ontologie Informationen über die Anwendungsdomäne erheben müssen bzw. Domänenexperten in den Modellierungsprozess mit einbeziehen. Zur Erhebung der erforderlichen Domäneninformationen gibt es nur wenig Literatur, die sich speziell mit Topic Maps oder Semantic Webs beschäftigt. Für die Entwicklung von Semantic Webs schlägt Davies Interviews und Gruppendiskussionen mit Entwicklern und Domänenexperten vor, um einen Eindruck von der Ontologie der zukünftigen Nutzer zu gewinnen (2002). Dieser Ansatz erscheint auch für die Entwicklung von Topic Maps plausibel, wirft aber grundsätzliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Kommunikation zwischen Topic Map-Autoren und Domänenexperten auf. Um einen Austausch über Informationsstrukturen als Ausgangspunkt für die Modellierung von Topics und Associations zu ermöglichen, muss eine gemeinsame Sprachebene gefunden werden. Auch dies trägt dazu bei, dass die manuelle Entwicklung von Topic Maps als besonders aufwändig gilt. Die Ontologie einer Informationsdomäne wie z.B. eine Stadtverwaltung beinhaltet auch einen beträchtlichen Anteil tazites Wissen (vgl. Nonaka/Takeuchi 1995). Um diese taziten Informationsstrukturen für die Topic Map-Entwicklung nutzbar zu machen, müssen Wege zu ihrer Externalisierung gefunden werden. Kritische Aspekte dabei sind u.a. (Schreider 1992, S. 26f): • Die Beurteilung der ‚Fachgebiete’ der Domänenexperten, • die Auflösung von Widersprüchen zwischen den Äußerungen mehrerer Domänenexperten, • die Interpretation von metaphorisch oder in Beispielen geäußerten Strukturinformationen, • die Motivation der Domänenexperten und • der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen technischen und Domänenexperten. Die Literatur zur Ontologiemodellierung im Bereich des Enterprise Engineering liefert einen interessanten Ansatz zur Erhebung und Evaluation von Domänenontologien: Die Motivating Scenarios (Grüninger/Fox 1995; Jones et al. 1999). In aufeinan253

der folgenden Phasen werden Informationen zur Ontologie erhoben, systematisiert und in eine formale Notation überführt (Jones et al. 1999). • Ausgangspunkt der Ontologiemodellierung ist ein sog. Motivating Scenario, das eine bestimmte Beispielsituation oder ein charakteristisches Problem beschreibt, das mit Hilfe der Ontologieunterstützung gelöst werden soll. • In einem zweiten Schritt werden Fragen formuliert, die eine dem Szenario entsprechende Ontologie beantworten können sollte. Dieser Schritt dient dazu, zu überprüfen, ob die Szenariobeschreibung bereits konkret und detailliert genug ist, um ein sinnvolles Modell zu entwickeln. • Im dritten Schritt werden auf dieser Grundlage formale Entitäten, Attribute und Beziehungen zwischen den Entitäten definiert. • Die in Schritt Zwei skizzierten Fragen werden in der vierten Phase in formale Anforderungen an die Aussagekraft der definierten Ontologieelemente formuliert. • In zwei weiteren Schritten werden ergänzende formale Definitionen entwickelt und die gebildete Ontologie evaluiert. Die Beispielszenarios dienen zweierlei Zwecken (Grüninger/Fox 1995): Zum einen liefern sie die Anforderungen und Fragestellungen, denen die zu entwickelnde Ontologie genügen soll, d.h. in gewisser Hinsicht den Informationsbedarf. Zum anderen geben sie bereits Aufschluss über die zur Modellierung der Ontologie erforderlichen Entitäten und Beziehungen. Auch im Requirements Engineering werden Nutzungsszenarien benutzt, um Anforderungen zu erheben und das entwickelte Design zu evaluieren (siehe z.B. Watahiki/Saeki 2001; Zhu et al. 2003). Szenarien wie bspw. UML Use Cases dienen hier in erster Linie zur vollständigen Beschreibung von Nutzerinteraktionen, Funktionen und Anforderungen, um den Entwicklern von Anwendungen eine Vorstellung des späteren Nutzungskontextes zu vermitteln (Zhu et al. 2003). Neben Szenarien im oben genannten Sinne ist der Entwurf bzw. die Interpretation von narrativen Szenarien eine ebenfalls häufig genutzte Technik, um Domäneninformationen zu gewinnen (Tan/Hunter 2003) oder um Informationen im Bereich des Wissensmanagements zu vermitteln (Swap et al. 2001). Mit narrativen Szenarien können reichhaltige Kontextinformationen transportiert werden, daher sind sie auch für 254

das Requirements Engineering sehr wertvoll, um eine gemeinsame Kommunikationsebene zwischen Entwicklern und zukünftigen Nutzern herzustellen. Derartige Szenarien werden insbesondere in Zusammenhang mit abstrakten und komplexen Konzepten wie z.B. Semantic Webs oder Topic Maps genutzt, die für die beteiligten Domänenexperten schwierig zu verstehen sind (Rolland et al. 1998, S. 1055; Klischewski/Jeenicke 2004). Zur Entwicklung von narrativen Szenarien werden unterschiedliche Informationsquellen herangezogen, zentral sind jedoch die direkte Interaktion mit den Domänenmitgliedern und die Dokumentenanalyse (siehe Abbildung 7-11) (Sun et al. 2003, S. 93f). Ziel der Interpretation der gewonnenen Szenarien ist die Identifikation von Schlüsselstellen (Sun et al. 2003, S. 94) oder -themen (Tan/Hunter 2003), die Hinweise auf den sequentiellen Ablauf von typischen Tätigkeiten und die Relationen zwischen Einzelsituationen oder Strukturelementen geben. Die Verknüpfung von Elementen der Szenarien, die z.T. metaphorisch dargestellt sind, und realen Informationsobjekten ist Ausgangspunkt für die Übertragung der Erkenntnisse in ein Ontologiemodell. Domäneninformationen in Texten gefasst

aus der direkten Interaktion mit Domänenexperten

textuell festgehaltene Domäneninformationen aus der Dokumentenanalyse

Erheben von Domäneninformationen

Abbildung 7-11: Erhebung von Domäneninformationen Quelle: In Anlehnung an (Sun et al. 2003, S. 93)

255

7.2.2

Vorgehen bei der Entwicklung der Topic Map für das Kommunalmanagement – die kooperative Szenarioentwicklung als Ansatz zur Domänenmodellierung

In Anlehnung an das von Davies bzw. Sun vorgeschlagene Vorgehen (s.o.) wurden für die Entwicklung einer ersten Skizze für die Topic Map Workshops mit Entwicklern und Domänenexperten durchgeführt, um in direkter Interaktion Domäneninformationen zu gewinnen. Erhebung der Domäneninformationen

Entwurf eines Kernmodells von Informationsobjekten und Beziehungen

Ableitung von Topics und Associations aus dem Kernmodell

Implementierung der Topic Map

Einführung und Evaluation mit den Nutzern

Abbildung 7-12: Phasen der Topic Map Entwicklung Quelle: Eigene Darstellung

Die Erhebung von Domäneninformationen als erster Schritt (siehe Abbildung 7-12) beinhaltet gleichzeitig auch die Identifikation relevanter Informationsquellen, die durch die Topic Map erschlossen werden sollen27. Die Domäneninformationen fließen in ein erstes Kernmodell von Informationsobjekten und Beziehungen ein, das als Diskussionsgrundlage mit Domänenexperten und zukünftigen Nutzern dient, um eine geeignete themenorientierte Informationsstrukturierung zu entwickeln. Rückkopplungsschleifen zwischen diesen beiden Schritten sorgen dafür, dass die Ergebnisse der Diskussion in die Erhebung der Domäneninformationen einfließen. Dieses Vorgehen entspricht weitgehend dem Analyseschritt des Needs Driven Approach, der Aufgaben, Arbeitsprozesse, Interaktionen etc. von Domänen untersucht (Schwabe/Krcmar 1996) (vgl. Tabelle 7-5). Analyse von

Ergebnis Analyse des Teams

Aufgaben

Vorgaben an die Gruppe und die Gruppenmitglieder

Arbeitsprozessen

typische Arbeitsprozesse (als Episoden)

Interaktionen soziale Kooperationsstruktur

27

256

aufgabenbezogene Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen das soziale Netzwerk der beteiligten Personen

Zwar wurden bereits im Vorfeld der Topic Map-Entwicklung Informationsquellen bestimmt, die durch die Topic Map erschlossen werden sollen, erst die Bestimmung zentraler Informationsobjekte erlaubt jedoch eine Beurteilung aus der Sicht der späteren Benutzer und eine Priorisierung der Integration von Informationssystemen.

Analyse von

Ergebnis Analyse der Hilfsmittel

Arbeitsmittel

verwendete Materialien und Werkzeuge Probleme des Arbeitsumfeldes (Geräusch ...), Nutzungsformen des Arbeitsraums, soziale Umgangsformen in Arbeitsräumen Umgangsformen mit Technologie, Beschreibung von Lernvorgängen (Episoden)

Arbeitsräume Aneignung

Analyse der Informationsspeicher 'Gedächtnis'

Struktur und Beschaffenheit der gespeicherten Informationen

Tabelle 7-5: Analyseschritte des NDA Quelle: (Schwabe/Krcmar 1996, S. 70)

Im Unterschied zum Needs Driven Approach liegt der Schwerpunkt bei der Domänenanalyse für die Ontologiemodellierung nicht auf der Untersuchung von Interaktions- und Kooperationsbeziehungen zwischen Akeuren, sondern in erster Linie auf der Erhebung von Verknüpfungen zwischen Themen, Aufgaben, Dokumenten und Akteuren. In den folgenden beiden Schritten wird das konzeptionelle und bislang noch wenig formale Modell in die Topic Map-Terminologie überführt. Dabei werden Überlegungen zur sinnvollen Umsetzung in Topic Map-Elemente angestellt und Anforderungen an die zu integrierenden Informationsquellen formuliert, die erfüllt sein müssen, um Verbindungen in Form von Occurrences zwischen Topic Map und Dokumenten herzustellen. Die technische Implementierung der Topic Map betrifft sowohl die Topic MapTechnik als auch die Schnittstellen zu den Informationsquellen. In enger Abstimmung mit den Domänenexperten wird eine Benutzerschnittstelle entwickelt, die eine leicht verständliche Navigation in der Topic Map erlaubt. In einem ersten Schritt wird die Topic Map als reines Rechercheinstrument entwickelt, um den Nutzern diese neue Form der Strukturierung nahe zu bringen und in weiteren Entwicklungszyklen noch Verfeinerungen an der Struktur vorzunehmen. Im Sinne einer kooperativen Pilotierung wird ein Prototyp der entwickelten Rechercheunterstützung bei den zukünftigen Nutzern eingeführt und evaluiert. Die Ergebnisse der Evaluation dienen als Grundlage für die Weiterentwicklung der Topic Map und der darauf basierenden Rechercheunterstützung. 257

Im Fokus dieser Arbeit liegt die konzeptionelle Vorgehensweise bei der themenorientierten Strukturierung von Informationen gemäß der in einer Domäne benutzten Ontologie, daher werden im Folgenden nur die Phasen 1, 2 und 5 der Topic MapEntwicklung dargestellt. Zu Beginn der Workshopserie wurden Idee und grundlegende Begrifflichkeiten zum Thema Topic Maps vorgestellt, um den Mitarbeitern der Stadtverwaltung, die ihr Domänenwissen einbringen sollten, zu verdeutlichen, welche Art von Informationen von ihrer Seite erwartet wird. Als weiterer Input für die Modellierungsbrainstormings wurden die Ergebnisse der Informationsbedarfsinterviews im Hinblick auf Strukturelemente ausgewertet. Dieser Ansatz erwies sich jedoch nach kurzer Zeit als nicht zielführend. Das Konzept der Topic Maps ist zu komplex, als dass es technischen Laien in kurzer Zeit so verständlich gemacht werden kann, dass diese in der Lage sind, Informationen zu ihrer Domänenontologie in Form von modellierbaren Einheiten wieder zu geben. Zwischen Entwicklern und Domänenexperten konnte über dieses Vorgehen keine gemeinsame Sprachebene gefunden werden, die eine Verständigung über Informationsstrukturen erlaubte. Durch die Versuche, die Grundbegriffe des Topic Map-Konzeptes zu vermitteln und die Mehrdeutigkeit bzw. Vorbelegung der deutschen Entsprechungen, hatten sich darüber hinaus ‚verbrannte’ Begriffe entwickelt, so dass bspw. der Begriff ‚Topic’ oder ‚Thema28’ nicht mehr für die Unterhaltung und Modellierung mit Domänenexperten benutzt werden konnte. Versuche mit automatischen Verfahren zur Topic Map-Entwicklung29 hatten gezeigt, dass auf diesem Weg nur eine grobe Grundlage geschaffen werden kann, die jedoch für die Anforderungen der Führungskräfte durch manuelle Modellierung ergänzt werden muss. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen und den personellen und finanziellen Entwicklungsaufwand zu begrenzen, wurde die kooperative Szenarioentwicklung als Vorgehensmodell für konzeptionelle Entwicklung der Topic Map entworfen.

28

Der Begriff ‚Thema’ steht im Fachsprachgebrauch der Mitarbeiter in der Landeshauptstadt Stuttgart für eine hierarchische Klasse innerhalb des Internetthesaurus.

29

In der Anfangsphase des Projektes wurden Angebote von Anbietern automatisch erstellter Topic Maps eingeholt und Testdokumentenbestände entsprechend indexiert.

258

Die ersten Modellierungsworkshops in Stuttgart hatten gezeigt, dass die Kommunikation zwischen Entwicklern und Verwaltungsfachleuten zu den Elementen der Topic Map und auch der Transfer von Informationsbedarf in Topic Map-Begrifflichkeiten eine besondere Herausforderung darstellen. Um eine gemeinsame Sprache für beide Partner zu finden, wurden gemeinsam mit Domänenexperten Rechercheszenarien entwickelt, die typische Situationen und den entsprechenden Informationsbedarf beschreiben sowie die in diesen Situationen charakteristischen Rechercheaktivitäten. Aus den Szenarien konnten schließlich Informationen zur Aufgabenstruktur, zu zentralen Informationsquellen und zu relevanten Informationsobjekten und den Relationen zwischen den Informationsobjekten gewonnen werden. Im Unterschied zu den dargestellten Szenarioansätzen im Requirements Engineering, die von Entwicklern auf der Basis von Interviews und Dokumentenanalysen selbst entwickelt werden (siehe Abschnitt 7.2.1), ist ein charakteristisches Merkmal des hier dargestellten Ansatzes, dass die Rechercheszenarien in Kooperation von Entwicklern und Domänenexperten entstehen. Die kooperative Entwicklung der Szenarien dient dazu, eine gemeinsame Sprachebene zwischen Entwicklern und Domänenexperten herzustellen. So kann die Expertise der Domänenangehörigen genutzt werden, um sowohl typische Rechercheepisoden zu generieren als auch die Schlüsselelemente darin (s.o.) bzw. zentrale Muster (Swap et al. 2001, S. 97) zu identifizieren.

Informationsbedarf der zukünftigen Nutzer Input von Domänenexperten

Informationsverhalten der zukünftigen Nutzer

Rechercheszenario

Aufgabenstruktur/ Kontext

Beziehungen zwischen zentrale Informationsquellen Informationsobjekten

Modell von Topics und Associations

Evaluation mit den zukünftigen Nutzern

Abbildung 7-13: Vorgehen bei der kooperativen Szenarioentwicklung Quelle: Eigene Darstellung

259

Ausgangspunkt für den Entwurf der Rechercheszenarien bilden die Ergebnisse der Interviews und Beobachtungen zur Informationsbedarfsanalyse. Diese werden einer weiteren Auswertung unterzogen, um Hinweise auf das Informationsverhalten und typische Informationsbedarfsanlässe in Zusammenhang mit Informationsbedarfselementen zu finden. Ziel der kooperativen Szenarioentwicklung ist es, auf der Basis von charakteristischen Rechercheanlässen die jeweils entsprechend resultierenden Rechercheaktivitäten zu identifizieren, die Aufschluss über relevante Informationsobjekte und Relationen geben können. Ein Rechercheszenario setzt sich dementsprechend aus folgenden Elementen zusammen (siehe Abbildung 7-13): • Der Rechercheanlass beschreibt eine Arbeitssituation, die typischerweise zu einer bestimmten Folge von Rechercheaktivitäten führt. Er ist gekennzeichnet durch eine charakteristische Kombination von Faktoren und Merkmalen von Informationsbedarf, die einem Ausschnitt eines Informationsbedarfselementes entsprechen. Der weitere Kontext, in den der Rechercheanlass eingebettet ist, kann Aufschluss über Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Informationsobjekten geben. Über die Zuordnung zu Informationsbedarfselementen ist die Verortung von Rechercheanlässen und damit Rechercheszenarien in Informationsbedarfsprofilen gegeben. Ein beispielhafter Rechercheanlass ist die Sitzungsvorbereitung. Sie entspricht einem Ausschnitt des Informationsbedarfselements ‚Sitzungsbezogener Informationsbedarf’ und ist dementsprechend gekennzeichnet durch den Bedarf an Informationen zu Ort und Zeit der aktuellen Sitzung sowie den Beratungsunterlagen zu den Tagesordnungspunkten der Sitzung. Darüber hinaus ist die Sitzungsvorbereitung in den übergreifenden Kontext der Gremienarbeit eingebettet, die durch Geschäftsordnungen und andere Vorgaben strukturiert ist. Die Rolle des recherchierenden Akteurs (oder seines Auftraggebers) im Kontext der Gremienarbeit ist ausschlaggebend für die konkrete Ausprägung der Informationsbedarfsmerkmale: Während ein Gemeinderat als stimmberechtigtes Mitglied des Gremiums zu allen Tagesordnungspunkten der Sitzung Informationen benötigt, wird sich ein Bürgermeister, der in der betreffenden Sitzung eine Stellungnahme abzugeben hat, in erster Linie für seinen Tagesordnungspunkt interessieren.

260

führt zu

Rechercheanlass

Rechercheaktivität

Kanal

gehört zu führt zu

gehört zu

löst aus

beinhaltet

Informationsobjekt

Informationsbedarfselement

Gespräch

Dokument

Quelle

...

inhaltl. Bezug

Abbildung 7-14: Struktur eines Rechercheszenarios Quelle: Eigene Darstellung

• Ein Rechercheanlass löst eine oder mehrere charakteristische Rechercheaktivitäten aus. Eine Rechercheaktivität bezieht sich auf einen konkreten Teil des Informationsbedarfs und nutzt einen bestimmten Kanal (persönliches Gespräch, Telefon, Informationssystem, ...), um die gesuchten Informationen zu beschaffen. Ergebnis einer Rechercheaktivität sind ein oder mehrere Informationsobjekte. Charakteristische Rechercheaktivitäten im Fall des Rechercheanlasses ‚Sitzungsvorbereitung’ sind die Konsultation von Informationssystemen, um Ort und Zeitpunkt zu erfahren sowie Sitzungsunterlagen zu bekommen oder auch ein Telefonat mit dem Verantwortlichen für eine Beschlussvorlage. • Ergebnis dieser Rechercheaktivitäten sind Informationsobjekte. Es werden unterschiedliche Typen von Informationsobjekten unterschieden: Dokumente in elektronischer oder Papierform aber auch Kontaktdaten zu einem Ansprechpartner oder ein persönliches Gespräch. Die zu unterscheidenden Typen sind nicht vorab festgelegt, sondern ergeben sich aus der Erhebung der Rechercheszenarien. Ein wichtiges Merkmal eines Informationsobjekts ist die Informationsquelle, über die es erschlossen werden kann. Quellen können Informationssysteme, Verzeichnisse, Ansprechpartner, Gesetzestexte, Akten usw. sein. Zwischen Informationsobjekten können inhaltliche Beziehungen bestehen, die 261

durch explizite Regelungen oder implizite Arbeitsstrukturen bestimmt sind. Diese Beziehungen führen dazu, dass das Ergebnis einer Rechercheaktivität häufig eine weitere Rechercheaktivität nach einem inhaltlich verknüpften Informationsobjekt auslöst. Für die Entwicklung einer Topic Map sind solche Rechercheketten von Interesse, da sie Aufschluss über inhaltliche Bezüge zwischen Informationsobjekten liefern. Die Recherche in der Datenbank mit den Sitzungsunterlagen liefert u.a. Informationsobjekte vom Typ Beschlussvorlagen, über die in der Sitzung entschieden werden soll. Die Lektüre einer Beschlussvorlage löst häufig die Recherche nach einem Ansprechpartner aus dem betreffenden Stadtbezirk oder dem verantwortlichen Amt bzw. Referat aus. Die Beziehung, in der diese Informationsobjekte zueinander stehen, wird im Rahmen der Entwicklung des Rechercheszenarios mit den Domänenexperten geklärt und im Szenario festgehalten. Die potenziellen Rechercheanlässe werden in Form von Episoden formuliert und mit den Domänenexperten auf ihre Plausibilität hin erörtert. Aus realistischen Rechercheanlässen werden gemeinsam Rechercheszenarien entwickelt, wobei die Elemente der Szenarien möglichst konkret beschrieben und mit Beispielen hinterlegt werden. Die entwickelten Rechercheszenarien werden im Anschluss gemeinsam von Entwicklern und Domänenexperten ausgewertet, um weitere Informationen über die Aufgabenstruktur der Kommunalmanager zu gewinnen, die Rechercheaktivitäten auslöst, sowie zentrale Informationsquellen und -objekte und deren inhaltliche Bezüge zu identifizieren. Die gewonnenen Erkenntnisse zu Informationsobjekten und deren inhaltlichen Bezügen können direkt für die Modellierung von Topics und Associations genutzt werden. Darüber hinaus werden aber auch die Informationen zu auslösenden Rechercheanlässen ausgewertet, um Informationsstrukturen kontextspezifisch gestalten zu können. Der Rechercheanlass ‚Nachbereitung einer vergangenen Ausschusssitzung’ beinhaltet bspw. einen besonderen Fokus auf die in Protokollen und Beschlüssen festgehaltenen Ergebnisse der Sitzung, obwohl diese Informationsobjekte inhaltliche Bezüge zu zahlreichen anderen Objekten aufweisen. Die Rechercheszenarien werden schließlich auch genutzt, um den künftigen Nutzern die Funktionen des entwickelten Rechercheunterstützungswerkzeugs nahe zu bringen. Die Illustration der einzelnen Funktionalitäten am Beispiel eines konkreten Rechercheszenarios erlaubt die problemorientierte Demonstration des Prototyps und 262

ermöglicht gleichzeitig eine Evaluation der Szenarien. Ähnlich wie bei der Entwicklung der Rechercheszenarien wird lediglich die Ausgangssituation bzw. der Rechercheanlass beschrieben und schließlich gemeinsam mit den Nutzern konkrete Rechercheaktivitäten durchgespielt. Hierbei ergeben sich neue, noch nicht berücksichtigte Rechercheanlässe und -aktivitäten und bereits entwickelte Rechercheszenarien können auf ihre Plausibilität hin überprüft werden. 7.2.2.1 Erfahrungen mit der Kooperativen Szenarioentwicklung in Stuttgart Für den Entwurf von charakteristischen Rechercheszenarien wurden neben den Ergebnissen der Informationsbedarfsanalyse auch Untersuchungsergebnisse einer Studie der Universität Stuttgart mit einbezogen, die das Informationsverhalten von Führungskräften in unterschiedlichen Entscheidungssituationen betrachtet hatte30. Zur Illustrierung der Rechercheszenarien wurden virtuelle Charaktere entworfen wie der Stadtrat ‚Schütterle’ und der Bürgermeister ‚Pfleiderer’, die für verschiedene Informationsbedarfsprofile stehen. Auf der Basis der Ergebnisse der Informationsbedarfserhebung wurden charakteristische Beschreibungen ihrer Tätigkeiten und Aufgabenstellungen entwickelt. Zur Erhebung von Domäneninformationen wurden diese Profile in Form von typischen Recherchesituationen mit Mitarbeitern des Kommunalmanagements diskutiert, um auf dieser Basis Muster von Informationsrecherchen und Arbeitsabläufen im Hinblick auf Topics und Associations zu identifizieren. In einem Beispiel wurde der Stadtrat Schütterle als Mitglied des Ausschusses für Umwelt und Technik vorgestellt, der sich auf die nächste Ausschusssitzung vorbereitet (Rechercheanlass: Sitzungsvorbereitung). Ausgangspunkt für seine Vorbereitung ist die Tagesordnung für diese Sitzung. Die Tagesordnung gehört zu den Informationsobjekten, die bereits Links zu anderen Informationsobjekten – in diesem Fall den entsprechenden Beratungsunterlagen – aufweisen, die nach dem Topic MapVerständnis als Associations interpretiert werden können. Alle Beratungsunterlagen, die Grundlage für einen Tagesordnungspunkt sind, müssen laut Regularien vor der Sitzung zur Vorbereitung zur Verfügung stehen. Der Tagesordnung, die über das Ratsinformationssystem elektronisch zur Verfügung steht, sind diese Beratungsunterlagen in elektronischer Form angehängt. Viele der Informationsobjekttypen, die in Zusammenhang mit der Ratsarbeit eine Rolle spielen, und auch die Bezüge zwischen ihnen und zu anderen Informationsobjekten sind durch die Regeln und Abläufe der

30

Liegt der Autorin als unveröffentlichte, interne Studie vor.

263

Ratsarbeit vorgegeben. Diese Regeln und Abläufe sind daher wichtige Quellen für die Strukturierung und Elemente der Topic Map. Die Rechercheanlässe skizzieren jeweils eine typische Arbeitssituation und enden an einer Schlüsselstelle, an der der beschriebene Charakter mit einer entsprechenden Rechercheaktivität beginnt. Im angesprochenen Beispiel wird geschildert, wie Herr Schütterle die Tagesordnung für die Ausschusssitzung am kommenden Tag ansieht und die angehängte Mitteilungsvorlage über den Status eines Bauprojektes öffnet. An dieser Stelle endet die vorgegebene Episode und die Domänenexperten werden aufgefordert, das Szenario weiter zu entwickeln und typische Informationsanfragen, die an sie in Zusammenhang mit derartigen Projekten und Dokumenten gerichtet werden bzw. weitere Informationen die in Zusammenhang mit derartigen Beschlussvorlagen interessant sind und in Sitzungen zu Sprache kommen, zu beschreiben. Die Domänenexperten im Topic Map Team sind in der Mehrzahl Verwaltungsangestellte, die entweder für ein bestimmtes Informationssystem verantwortlich sind oder für ein bestimmtes Informationsgebiet wie z.B. die Verwaltung der Ratsdokumente. Als Fachleute und Betreuer wichtiger Informationsquellen werden sie häufig von Führungskräften aus Verwaltung und Rat direkt mit Informationsanfragen angesprochen. Daher verfügen sie sowohl über intensive Kenntnisse der Informationsquellen und Ablagestrukturen als auch über typische Informationsanfragen und Recherchestrategien. Im obigen Beispiel würden als typische Rechercheaktivitäten die Suche nach Kontaktdaten zu Ansprechpartnern im verantwortlichen Amt oder auch in dem Stadtbezirk, in dem das Projekt angesiedelt ist, stattfinden. Darüber hinaus wird sich Herr Schütterle auch die zum Projekt gehörigen Beschlussunterlagen beschaffen, um einen Abgleich zwischen verabschiedeter Planung und tatsächlichem IST-Stand vornehmen zu können (siehe Abbildung 7-15). Die Informationsobjekte, die in Zusammenhang mit einem Statusbericht als relevant identifiziert werden, werden als weitere Topics mit Associations zu dem Topic ‚Statusbericht’ modelliert. In einem nächsten Schritt werden von den Entwicklern Anforderungen im Hinblick auf Metainformationen formuliert, die erforderlich sind, um die modellierten Beziehungen zu implementieren. Je nachdem inwieweit diese Metainformationen, z.B. zum verantwortlichen Ansprechpartner oder der zugeordneten Organisationseinheit bereits in den Informationsquellen gepflegt werden, müssen hier

264

Abwägungen getroffen werden hinsichtlich des Aufwand/Nutzen-Verhältnisses bei zusätzlich zu erhebenden und zu pflegenden Metainformationen. Sitzungsvorbereitung

Beschlussvorlage

Tagesordnung

Stellungnahme Recherche nach Beratungsunterlagen

Mitteilungsvorlage z. Projektstatus

Informationssystem

Beschluss z. berichteten Projekt

Informations -system

CUPARLA Recherche nach Beschluss

sachkundig im betr. Stadtbezirk Verantwortlich f. Umsetzung

Beratungsfolge Verzeichnis

Recherche nach Ansprechpartnern Kontaktdaten A

Protokoll Beschlussvorlage

Kontaktdaten B

Abbildung 7-15: Rechercheszenario Sitzungsvorbereitung Quelle: Eigene Darstellung

Das dargestellte Rechercheszenario zeigt lediglich eine Variante der Sitzungsvorbereitung. In Abhängigkeit der Sitzungsinhalte, d.h. der Informationsobjekte, die Gegenstand der Sitzung sind, finden unterschiedliche Ketten von Rechercheaktivitäten statt. Ziel der Modellierung ist es, möglichst viele Varianten zu einem Rechercheanlass zu erheben und zu analysieren. Für die Entwicklung der Topic Map in KORVIS wurden die folgenden Rechercheanlässe näher untersucht: • Sitzungsvorbereitung: In Zusammenhang mit dem Informationsbedarfselement Sitzungsbezogener Informationsbedarf spielt die Sitzungsvorbereitung insbesondere für Gemeinderäte eine zentrale Rolle. Ausgehend von Tagesordnungspunkten, die für die Sitzung vorgesehen sind, werden die entsprechenden Beratungsunterlagen und Hintergrundinformationen z.B. zu schon erfolgten Vorberatungen in anderen Gremien recherchiert. • Sitzungsnachbereitung: Die Sitzungsnachbereitung steht in erster Linie in Zusammenhang mit Amts- oder Ressortsteuerungsbezogenem Informationsbedarf, da sie die Grundlage für die Umsetzung von Beratungsergebnissen auf 265

Seiten des Verwaltungsapparates darstellt. Ausgangspunkt für die Sitzungsnachbereitung ist die Dokumentation der Sitzungsergebnisse in Beschlüssen und Protokollen. • Haushaltsantragsvorbereitung: Die Vorbereitung von Haushaltsanträgen im Rahmen der Haushaltsplanberatungen gehört für Gemeinderäte zur Politischen Positionierung. Über Haushaltsanträge können die Gemeinderäte über die Verwendung eines bestimmten Teils des Kommunalhaushaltes frei entscheiden. Grundlage für die Vorbereitung von Haushaltsanträgen ist die Recherche nach Handlungsbedarf in den einzelnen Stadtbezirken, Fachbereichen und bei langfristigen Vorhaben. Die entsprechenden Rechercheaktivitäten beziehen sich dementsprechend auf Jahresberichte, Veröffentlichungen und Kennzahlen aus den einzelnen Referaten und Stadtbezirken sowie auf zuständige Ansprechpartner. • Projektüberwachung: Die Projektüberwachung steht in Zusammenhang mit dem Projektsteuerungsbezogenen Informationsbedarf. Die Rechercheaktivitäten beziehen sich meist auf Ansprechpartner zu einem bestimmten Projekt und dem aktuellen Status. Bei Abweichungen von geplanten Meilensteinen werden darüber hinaus Ursachen und Korrekturmaßnahmen abgefragt. Ein Teil dieser Beziehungen ist in Stuttgart bereits in einem Gemeinderatsauftragsmanagementsystem (GA II bzw. GA III im Fall von Hochbauprojekten) abgebildet. Bereits beim Beschluss einer Maßnahme wird darüber entschieden, ob diese im GA-System verfolgt werden soll. Wenn ja, werden hier zu jedem Projekt die entsprechenden Ratsdokumente vorgehalten sowie Kontaktdaten von verantwortlichen Ansprechpartnern und Meilensteinberichte im vereinbarten Rhythmus. • Recherche zu einem Thema: Im Rahmen der Fachlichen Frühaufklärung werden regelmäßig Themen identifiziert, die möglicherweise Handlungsbedarf für die Kommunalmanager bedeuten. Diese Themen werden entweder von den Kommunalmanagern selbst oder von Mitarbeitern gründlich recherchiert, um entscheiden zu können, ob und in welche Richtung Entscheidungen erforderlich sind. Die Ausgangspunkte für derartige Recherchen sind sehr unterschiedlich, Gemeinderatsanträge, Bürgeranfragen oder auch Presseberichte können Anlass für eine tiefergehende Recherche sein. Je nach thematischer Zuordnung werden Fachleute als Ansprechpartner in Referaten, Ämtern oder Eigenbetrie266

ben der Stadt gesucht sowie Veröffentlichungen und thematisch verwandte Dokumente aus der Ratsarbeit recherchiert. • Beobachtung von Wettbewerbern: Der Zusammenhang zum entsprechenden Informationsbedarfselement wird bereits aus dem Rechercheanlass deutlich. Gemeinderäte und Mitarbeiter in Fraktionsgeschäftsstellen überwachen die Antragsaktivitäten der anderen Fraktionen v.a. über die Recherche in der entsprechenden Datenbank in CUPARLA. Das Rechercheszenario ist weitgehend routinisiert und beinhaltet die Recherche nach neuen Anträgen anderer Fraktionen bzw. von Gemeinderäten anderer Fraktionen, wobei besonderes Augenmerk auf der Autorenkonstellation und dem Inhalt der Anträge liegt. Die meisten der betrachteten Rechercheanlässe stehen in direktem oder zumindest indirektem Zusammenhang mit der Ratsarbeit. Die Ratsarbeit stellt die gemeinsame Schnittstelle von Verwaltungsapparat und Gemeinderat dar. Dennoch haben Führungskräfte aus Verwaltung und Rat unterschiedliche Perspektiven auf den Bereich der Ratsarbeit. Der Fokus der Gemeinderäte liegt entsprechend ihres Informationsbedarfsprofils auf der Veranlassung von Verwaltungsaktivitäten über entsprechende Anträge, die Beurteilung der Entscheidungsvorbereitung in Form von Beschlussvorlagen und die Umsetzungsüberwachung über verschiedene Berichtsarten und ist damit vergleichsweise einheitlich. Im Bereich des Verwaltungsapparates existieren über das durch die Organisations- und Zuständigkeitsstruktur vorgegebene Maß hinaus nur wenig einheitliche Strukturen und Perspektiven. Die Referenten haben innerhalb ihrer Referate einen weitgehenden Gestaltungsspielraum, der zu unterschiedlichen Führungsstilen und -strukturen führt. Aus Gründen der Zugänglichkeit wurde das Vorgehen zur Topic Map-Entwicklung zunächst für die Perspektive der Gemeinderäte erprobt. Die entwickelten Domänenmodelle bilden daher in erster Linie den Arbeitsbereich und die Perspektive der Gemeinderäte ab. 7.2.2.2 Ergebnisse der Auswertung der Rechercheszenarien Bei Auswertung der Rechercheszenarien zeigten sich v.a. in Zusammenhang mit der Ratsarbeit bestimmte Informationsverhaltensmuster, die für die Entwicklung der Topic Map eine wichtige Rollen spielen: In Zusammenhang mit der Beobachtung von Wettbewerbern ist bei der Recherche von Anträgen insbesondere interessant zu wis267

sen, von wem ein Antrag geschrieben wurde. Im Gegensatz dazu ist der Autor des Dokuments bei Beschlussvorlagen uninteressant, hier ist der Ansprechpartner im verantwortlichen Amt oder Referat von Interesse. Die Untersuchung der Universität Stuttgart ergab, dass insbesondere die Gemeinderäte bei Entscheidungen in großem Umfang persönliche Gespräche mit Fraktionskollegen, Mitgliedern der örtlichen Bezirksbeiräte und auch mit sachkundigen Einwohnern als Informationsquelle nutzen. In Rechercheszenarien schlägt sich dies als Rechercheaktivitäten im Hinblick auf die Kontaktdaten dieser Ansprechpartner nieder. Diese Verknüpfung zwischen Themen oder Verantwortungsbereichen und Ansprechpartnern ist folglich für die Entwicklung der Topic Map und die dort abzubildende Informationsstruktur von großer Bedeutung. Neben Hinweisen auf mögliche Topics und Associations lieferte die Analyse des Informationsverhaltens der zukünftigen Nutzer in Form von Rechercheszenarien auch Aufschluss über die zentralen Informationsquellen und die Struktur von Aufgaben und Tätigkeitsfeld der Kommunalmanager. Einige der genutzten Informationsquellen wie z.B. die Gemeinderatsauftragsmanagementsysteme bilden bereits inhaltliche Verknüpfungen zwischen Informationsobjekten ab. Diese können für die Modellierung der Topic Map wieder verwendet werden. Besonders ergiebig für die Entwicklung von Rechercheszenarien erweisen sich stark vorstrukturierte Arbeitsbereiche wie bspw. die Ratsarbeit, die wenig durch individuelle Recherchegewohnheiten geprägt sind. Durch die vorgegebenen Zusammenhänge zwischen Tagesordnungspunkten, Beratungsunterlagen, Protokollen etc. ergibt sich eine fast zwangsläufig vorgegebene Recherchekette, die für die Topic Map genutzt werden kann. Um weitere Zusammenhänge, die von außen vorgegeben sind, aufzudecken, wurde nach Strukturen und Regelungen gesucht, die als kondensierte Domäneninformationen für die Topic Map Modellierung genutzt werden können. Das Organigramm und der kommunale Produktkatalog wurden als weitere Strukturbausteine identifiziert. Das Organigramm des Verwaltungsapparates stellt den Zusammenhang zwischen den einzelnen Organen der Kommunalverwaltung und den entsprechenden Ansprechpartnern her. Der kommunale Produktkatalog verknüpft Aufgabenbereiche und Leistungen des Verwaltungsapparates sowohl mit den dafür relevanten gesetzlichen Grundlagen als auch mit den jeweils zuständigen Organisationseinheiten.

268

Die aus den Rechercheszenarien abgeleitete Struktur der Topic Map wurde mit Hilfe dieser Verknüpfungen erweitert bzw. verdichtet. Abbildung 7-16 zeigt ein Modell der Kernstruktur der Topic Map, das auf der Basis dieser Erkenntnisse entwickelt wurde. Es zeigt einen deutlichen Fokus auf die Informationsobjekte, die in Zusammenhang mit der Ratsarbeit von Bedeutung sind. Insbesondere die Unterscheidung verschiedener Typen von Beratungsunterlagen bzw. Ratsdokumenten und damit verknüpfte spezifische Bedeutungen und Beziehungen dieser Dokumente in der Beratungsfolge bilden den Ausgangspunkt der Domänenmodellierung. Über die Zuordnung dieser Dokumenttypen zu Autoren und verantwortlichen Personen oder Organisationseinheiten gelingt die Ausweitung dieser Grundstruktur. Das Organigramm des Verwaltungsapparates ist verzahnt mit thematischen Zuständigkeitsbereichen, die sich mit der thematischen Zuordnung der Ratsdokumente überschneiden. Auch Raumbezüge von Personen, Dokumenten und Organisationseinheiten, die bestimmte Stadtbezirke betreuen, betreffen oder verwalten schaffen weitere Vernetzungen. Das Kernmodell lehnt sich in der abgebildeten Notation an ein Entity Relationship Modell an, da auch hier unterschiedliche Beziehungskonzepte (Über-, Unterordnung, semantische Beziehungen) verwirklicht sind. Die Notation selbst ist jedoch lediglich ein Hilfsmittel zur Visualisierung der erhobenen Entitäten und Relationen. Sie beinhaltet noch keine Überlegungen zur tatsächlichen Modellierung von Topics und Associations, d.h. in welchen Fällen die Verwendung von Topic Types und wo Associations sinnvoller sind, um bestimmte Sachverhalte abzubilden. Ebenso gut könnte für die Modellierung der Domänenstruktur auch eine UML-Notation verwendet werden (siehe z.B. Sutcliffe et al. 1998).

269

270

Abbildung 7-16: Kernstruktur des Domänenmodells Quelle: Eigene Darstellung

Ausgehend von dieser Kernstruktur wurden einige Bereiche des Modells noch detaillierter untersucht und mehrere Teilausschnitte gesondert modelliert. Neben bestimmten Rollen in Gemeinderats- oder anderen Gremien können Verwaltungsangehörigen (siehe Abbildung 7-17) noch weitere Entitäten oder Informationsobjekte zugeordnet werden. Mit dem Zwischenschritt über eine Organisationseinheit ist ein Amtsleiter bspw. verantwortlich für die Bearbeitung von offenen Anträgen und Anfragen sowie die Umsetzung von Projekten, die von seinem Amt verantwortet werden. Die Zuordnung eines oder mehrerer Themen entspricht zum einen einer Funktion als fachlicher Ansprechpartner, ermöglicht aber auch die Herstellung von Querbezügen zu ähnlich zugeordneten Veröffentlichungen und anderen Informationsobjekten. GRGremium Verwaltungsangehöriger

Rolle in

Gremium And. Gremium

Amt in

Zuständig für

Organisations -einheit

Thema

To do

Offene Anträge/ Anfragen

Verantwortet

Vorlagen/ beschl. Projekte

Gibt heraus

Veröffentlichung

verfasst

Jahresbericht

verfasst

Kennzahlenbericht

erbringt

Verwaltungsleistungen/ Produkte

Kategorisiert

Abbildung 7-17: Teilausschnitt ‚Verwaltungsangehöriger’ des Domänenmodells Quelle: Eigene Darstellung

271

Die detailliertere Betrachtung einer Organisationseinheit (siehe Abbildung 7-18) zeigt deren Einordnung als über- bzw. nachgeordnete Einheit in das Organigramm des Verwaltungsapparates. Einer Organisationseinheit sind neben bestimmten Typen von Ratsdokumenten, die sie zu bearbeiten hat oder die sie selbst verantwortet auch Verwaltungsleistungen und Projekte zugeordnet, die von den Gemeinderäten in ihrer Umsetzung über Meilensteinberichte überwacht werden. Verwaltungsleistungen werden auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben und Regelungen auf unterschiedlichen föderalen Ebenen erbracht. Änderungen in der Gesetzgebung oder auch der zugehörigen Rechtsprechung können Auswirkungen auf die verknüpften Bereiche der Verwaltungsarbeit haben.

Organisationseinheit

Nachgeordnet

Organisationseinheit

Zugeordnet

Leitung

Übergeordnet

Organisationseinheit

Zugeordnet

Leitung

Zugeordnet

Leitung

To do

Offene Anträge/ Anfragen

Umsetzung

beschl. Projekte

Verantwortet

Vorlagen

verwaltet

Stadtbezirk

verfasst

Jahresbericht

verfasst

Kennzahlenbericht

Zuständig für

Thema

erstellt

Verwaltungsleistungen/ Produkte

Gibt heraus

Veröffentlichungen

Status zu

Meilensteine

Status zu

Jahresplanung

Basiert auf

Gesetzl. Grundlage

Grundlage von

Kategorisiert

Abbildung 7-18: Teilausschnitt ‚Organisationseinheit’ des Domänenmodells Quelle: Eigene Darstellung

272

Die Arbeit der Gemeinderäte (siehe Abbildung 7-19) einer Fraktion wird unterstützt durch die Mitarbeiter in der Fraktionsgeschäftsstelle. Neben den Initiativen, die aus dem Kreis der Fraktionsmitglieder entstehen, liefert auch die Kooperation mit den Orts-, Landes- und Bundesverbänden der Partei wichtige Ansatzpunkte für die politische Arbeit. Auch Gemeinderäten können bestimmte Dokumenttypen innerhalb der Ratsarbeit zugeordnet werden: Neben Anträgen, die sie alleine oder gemeinsam mit anderen Räten unterzeichnet haben, gehören dazu auch Protokolle, die Kommentare zu Tagesordnungspunkten in einer Sitzung dokumentieren. Viele Stadträte betreuen die Belange eines bestimmten Stadtbezirks als sog. Betreuungsstadtrat. Meist sind sie gleichzeitig auch Mitglied des örtlichen Bezirksbeirates. Ihre fachliche Spezialisierung schlägt sich in der Mitarbeit in den betreffenden Unterausschüssen des Gemeinderates und auch anderen spezialisierten Gremien wie z.B. Beiräten nieder.

273

Ortsverband

Gemeinderat

Rolle in

Fraktion

Beeinflusst durch

Partei

Unterstützt durch

Fraktionsgeschäfts stelle

Besteht aus

Fraktionskollege

Organisiert in

Landesverband

Bundespartei

GRGremium Mitglied in

Gremien And. Gremium Protokolle

Hat gestellt

Anträge/ Anfragen

betreut

Stadtbezirk

Spezialisiert

Fachgebiet

Beantwortet

Stellungnahmen

Abbildung 7-19: Teilausschnitt 'Gemeinderat' aus Domänenmodell Quelle: Eigene Darstellung

Die Sitzungen der Unterausschüsse des Gemeinderates (siehe Abbildung 7-20) werden ebenso wie die des Plenums vorab durch die Festlegung einer Tagesordnung koordiniert. Die Zusammenstellung der Tagesordnung liegt beim jeweiligen Vorsitzenden des Gremiums bzw. bei dessen dauerhaftem Vertreter. Vorsitzender aller Gremien des Gemeinderates ist grundsätzlich der Oberbürgermeister. De facto übergibt er die Leitung vieler Unterausschüsse dauerhaft an die fachlich zuständigen Referenten. Gegenstand der Sitzungen der Ausschüsse ist im Wesentlichen die Weitergabe von Informationen an das Gremium in Form von Stellungnahmen oder Mitteilungsvorlagen. 274

Darüber hinaus werden Vorberatungen und Beschlussfassungen zu Verwaltungsvorlagen durchgeführt. Die meisten Beschlussvorlagen durchlaufen eine vorab durch den Verwaltungsapparat festgelegte Folge von Vorberatungen, deren Ergebnisse jeweils Grundlage für die weiteren Beratungen darstellen, bis schließlich eine abschließende Beschlussfassung erfolgt. Spezialisiert auf

Fachgebiet

betreut

Stadtbezirk

Gehört zu

Fraktion

Gemeinderat

Sachk. Einwohner Ausschuss

hat

Mitglieder Koordiniert

Leitung

Tagesordnung

Zugeordnet

TO-Punkt

Vorlage

Stellungnahme

Grundlage

Termin Tagt in

Dokumentiert

Protkoll

Sitzungen Ort

Vorberatung

Beschlussfassung

Ergebnis

Geht ein

Abbildung 7-20: Teilausschnitt 'Gemeinderatsausschuss' aus Domänenmodell Quelle: Eigene Darstellung

275

Mitglieder der Unterausschüsse des Gemeinderates sind neben Stadträten und Verwaltungsführungskräften auch sog. Sachkundige Einwohner, die auf Grund ihrer fachlichen Expertise zur Mitarbeit in den Ausschüssen eingeladen werden. Die hier dargestellten Ausschnitte aus dem Domänenmodell gehen direkt in die Modellierung der Topic Map ein. Die Beziehungen zwischen Entitäten werden in Topics und Associations uminterpretiert. Allerdings geschieht hier keine 1:1 Abbildung des als Ist-Zustand modellierten Domänenmodells. Für die Topic Map-Modellierung werden bereits Anforderungen einer späteren Darstellung der Informationsstruktur für die Benutzer integriert, so ist es aus Sicht vieler Gemeinderäte bei der Informationsrecherche deutlich praktischer, eine direkte Beziehung zwischen einer Sitzungen, der entsprechenden Tagesordnung sowie den dort beratenen Vorlagen herzustellen, statt wie eigentlich formal korrekt den Umweg über einzelne Tagesordnungspunkte nehmen zu müssen. 7.2.3

Umsetzung der themenorientierten Informationsstrukturierung in KORVIS

Im Rahmen von KORVIS wurde vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der TU München neben der Informationsbedarfsanalyse bei den Führungskräften der Stadt Stuttgart auch die Entwicklung der themenorientierten Informationsstrukturierung vorangetrieben. Auf der Basis der Erkenntnisse aus Interviews und Beobachtungen wurden initiale Szenarien skizziert und gemeinsam mit Domänenexperten der Stadt (v.a. Mitarbeiter von Führungskräften und Ansprechpartner bei zentralen Informationssystemen) diskutiert und weiterentwickelt. Die resultierenden kooperativen Rechercheszenarien wurden gemeinsam mit den Topic Map-Entwicklern der Firma CIT31 auf Anforderungen an Metadaten aus den Quellsystemen überprüft. Jede Assoziation zwischen Topics beruht auf der Zulieferung von entsprechenden Metainformationen (über Autor, Datum, Bezug zu Stadtbezirk, Bezug zu Gremium, etc.) aus dem jeweiligen Quellinformationssystem, um die Verbindungen zwischen den dahinter liegenden Dokumenten und Personen auch zuverlässig abbilden zu können. Die abgeleiteten Anforderungen an Metainformationen wurden an die Betreuer der einzelnen Systeme in der Stadtverwaltung weitergegeben und dort die Möglichkeit bzw. der erforderliche Aufwand für die Bereitstellung der entsprechenden Daten geprüft. Je nach Priorität der jeweiligen Assoziationen wurden die erforderlichen Metainformationen – wo nicht bereits vorhanden – nachträglich in die Quellsysteme integriert.

31

276

Information Architectures CIT GmbH; http://www.cit.de/

Aus der Integration der verschiedenen Quellinformationssysteme ergab sich darüber hinaus die Notwendigkeit die unterschiedlichen genutzten Ansätze der Informationsstrukturierung mit einander zu verbinden. Während bspw. für das statistische Informationssystem eine stringente Fachschlagwortliste zur Strukturierung genutzt wird, gibt es für den Bereich der Ratsdokumente eine den pragmatischen Erfordernissen angepasste Schlagwortliste und für den Internet- und Intranetbereich einen zweistufigen Thesaurus. Diese verschiedenen Strukturierungsansätze wurden bislang unabhängig von einander genutzt und weiterentwickelt, so dass bei einer Suchanfrage, die über den gesamten Dokumentenbestand ausgeführt wird, je nach Wahl des Suchbegriffs (der von der Suchmaschine in den Überschriften und in den hinterlegten Schlagworten der Dokumente gesucht wird) nur ein Teil der relevanten Dokumente gefunden würde. Um die verschiedenen Schlagwortlisten mit einander zu verbinden und so alle Dokumente einer übergreifenden Suche zugänglich zu machen, wurde vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik ein Crosskonkordanz-Konzept entwickelt. Unter Crosskonkordanz versteht man „intellektuell erstellte Verbindungen zwischen Termen zweier Thesauri oder Klassifikationen. Sie enthalten neben reinen Synonymrelationen auch Oberbegriffs-/Unterbegriffs- und Ähnlichkeitsrelationen“ (Krause 2003, S. 14). Gemeinsam mit den Verantwortlichen der verschiedenen Quellinformationssysteme wurden offene Punkte zu Struktur, Ausrichtung und Anwendung der einzelnen Schlagwortlisten bzw. Thesauri geklärt. In einem Testlauf wurden 100 zufällig ausgewählte Begriffe des Schlagwortkatalogs der Ratsdokumente über eine Corsskonkordanz-Tabelle mit Entsprechungen des Internet-Thesaurus verbunden. Die Corsskonkordanz-Tabelle ordnet jedem Schlagwort des zu verbindenden Katalogs oder Thesaurus – sofern vorhanden - eine Entsprechung auf Seiten des zweiten Katalogs zu. Die verwendeten Relationstypen sind Synonymrelation, Über-/ Unterordnungsrelation und Nullrelation. Schlagwortkatalog A

Relation

Schlagwortkatalog B

Nachbar

>

Angrenzer

Autovermietung

=

Mietwagenunternehmen

Stadt