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German Pages 338 Year 2017
Elisabeth Klaus, Ricarda Drüeke (Hg.) Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse
| Band 14
Editorial Die Reihe »Critical Studies in Media and Communication« (bis September 2015: »Critical Media Studies«) unterzieht Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit einer kritischen Gesellschaftsanalyse. Dies umfasst Studien, die soziale Praktiken, Kommunikations- und Alltagskulturen aus aktueller wie historischer, sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive analysieren. Die Beiträge der Reihe verdeutlichen, wie Gender, Race und Class als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung in globalisierten Medienkulturen wirksam – zugleich aber auch unterlaufen – werden. Die Reihe wird herausgegeben von Elke Grittmann, Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser, Tanja Thomas und Ulla Wischermann.
Elisabeth Klaus, Ricarda Drüeke (Hg.)
Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse Theoretische Perspektiven und empirische Befunde
Gefördert durch Universität Salzburg und Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg
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Inhalt
Einleitung: Zur Aktualität des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit
Ricarda Drüeke und Elisabeth Klaus | 7
I. GRUNDLAGEN Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Rückblick und Ausblick
Elisabeth Klaus | 17 Politische Kommunikationsräume im Internet
Ricarda Drüeke | 39
II. FRAUENBEWEGUNGEN UND FEMINISTISCHE ÖFFENTLICHKEITEN Zur öffentlichen Wirksamkeit der deutschen historischen Frauenbewegungen um 1900 – Die Interaktion von Öffentlichkeiten
Ulla Wischermann | 63 Der Aufstieg als Niedergang? Eine Analyse der Öffentlichkeitsprozesse rund um politische Frauenzeitschriften in Kaiserreich und Weimarer Republik
Susanne Kinnebrock | 79 Internetöffentlichkeiten und Gender Studies: Von den Rändern in das Zentrum?
Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke | 101
III. POLITISCHES, ÖFFENTLICHES UND PERSÖNLICHES IM INTERNET Mit welchen Öffentlichkeiten kommunizieren Politikerinnen? Eine vergleichende Netzwerkanalyse von Social-Media-Auftritten
Veronika Fagerer | 129
Von kleinen Gesprächen zu großen Öffentlichkeiten? Zur Dynamik und Theorie von Öffentlichkeiten in sozialen Medien
Christian Katzenbach | 151 Zwischen Öffentlichem und Privatem: alltägliche Kommunikationsprozesse im Kontext sozialer Medien
Stefan Fey | 175
IV. MEHR-EBENEN-MODELLE UND ÖFFENTLICHKEITSTHEORIEN Ebenen der Partizipation in der Auflösung? Das Drei-Ebenen-Modell und Ansätze partizipatorischer Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter
Jeffrey Wimmer | 197 Das Mehr-Ebenen-Modell und die +DEHUPDV¶VFKH Öffentlichkeitstheorie. Erweiterung, Ergänzung, Probleme
Boris Romahn | 217 Öffentlichkeiten aus österreichischer Perspektive. Ein Forschungsüberblick unter Berücksichtigung des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit
Martina Thiele | 239
V. DISKURSIVE SCHNITTSTELLEN: KUNST, SPRACHE, ZEIT Künstlerische Interventionen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit in künstlerisch-edukativen Kontexten
Elke Zobl | 265 Öffentlichkeit und Diskurs: Zur Relevanz von Sprache für die Konstituierung von Öffentlichkeiten
Susanne Kirchhoff | 295 Zur Veränderung von Öffentlichkeit(en) in den digitalen Netzen
Thomas Steinmaurer | 319
Verzeichnis der Autor_innen | 335
Einleitung: Zur Aktualität des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit
Einleitung: Zur Aktualität des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit RICARDA DRÜEKE UND ELISABETH KLAUS
Konzeptionen von Öffentlichkeit sind in der Kommunikationswissenschaft und den Sozialwissenschaften Bestandteil virulenter Debatten. Der Sammelband bietet einen Überblick über das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit von Elisabeth Klaus, das vor allem in den sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Gender Studies wie auch in der Internetforschung auf Resonanz gestoßen ist und eine Reihe von kommunikations-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Studien empirisch fundiert hat. In diesem Sammelband werden erstmals die ansonsten weit verstreuten Forschungsarbeiten zum Drei-Ebenen-Modell in einem Band versammelt, um damit Anstöße für die aktuellen Diskussionen zum Wandel der Öffentlichkeit zu geben. Mitte der 1990er Jahre hat Elisabeth Klaus erstmals das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit vorgestellt, das sich u. a. an das Arenenmodell von Öffentlichkeit von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt anlehnt, aber statt einer systemtheoretischen eine kritische, handlungstheoretische Fundierung zugrunde legt und diese mit Konzeptionen von Gegenöffentlichkeiten verbindet, wie sie zentral von Nancy Fraser in ihrer zustimmenden und zugleich kritischen Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas in die Diskussion eingebracht worden sind. Öffentlichkeit ist demzufolge ein Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft, der mittels Deliberation in verschiedenen sich gegenseitig durchdringenden Diskurssphären vonstatten geht. Alle Autor_innen des Sammelbandes legen diese Überlegungen zu Öffentlichkeit zugrunde und wenden sie auf empirische und/oder theoretische Problem- und Fragestellungen an. Dadurch entstehen zahlreiche Vorschläge für die Weiterentwicklung und Konkretisierung des Modells aber auch für eine Verknüpfung mit weiteren partizipatorischen Öffentlichkeitstheorien. Die Beiträge zeigen damit zugleich die anhaltende wissenschaftliche Relevanz, empirische Brauchbarkeit und theoretische Validität des Ansatzes auf. Gemeinsames Ziel aller Beiträge ist die Analyse des weiten Themenfeldes Medien und Öffentlichkeit aus gesellschafts-
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theoretischer Sicht. Auf unterschiedliche Weise stellen die Beiträge dabei Fragen QDFK VSH]L¿VFKHQ |IIHQWOLFKHQ$XVKDQGOXQJVSUR]HVVHQ QDFK GHQ 0|JOLFKNHLWHQ zur Eröffnung neuer Öffentlichkeiten und Räume im Internet sowie zur Produktivität feministischer Öffentlichkeiten. Indem machtpolitische Konstellationen problematisiert werden, eröffnen sich neue Sichtweisen auf das Verhältnis von Medien und Öffentlichkeit und es zeigen sich Perspektiven für die Veränderung hegemonialer Praxen. Die beiden Beiträge von Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke im Abschnitt Grundlagen: Öffentlichkeit und Kommunikationsräume beschäftigen sich mit dem konzeptionellen Rahmen der hier vorgeschlagenen Annäherung an Öffentlichkeit. Einleitend stellt Elisabeth Klaus die Genese und Entwicklung des DreiEbenen-Modells vor und zeigt auf, welche Leerstellen der bisherigen Forschung maßgeblich für diese Neu-Konzeption waren. Der Beitrag stellt die drei Ebenen von Öffentlichkeit – einfach, mittel und komplex – grundlegend vor. Die drei Ebenen unterscheiden sich zwar in Bezug auf die Rolle der Kommunkator_innen, der Beziehungen zwischen Kommunikator_innen und Publikum sowie der jeweiligen Funktion von Öffentlichkeit, jedoch sind alle Ebenen stets in gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse involviert. Aufbauend auf das Drei-Ebenen-Modell verbindet Ricarda Drüeke Öffentlichkeitstheorien mit raumtheoretischen Ansätzen. Um die Differenzierungs- und Funktionsgrade von Öffentlichkeiten im Internet als Teil gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu erfassen, wird auf drei Ebenen von Räumlichkeit verwiesen, die sich aus der räumlichen Praxis, den Repräsentationen von Raum und dem gelebten Raum ergeben. Damit wird ein Modell SROLWLVFKHU.RPPXQLNDWLRQVUlXPHHQWZRUIHQGDVHVHUP|JOLFKWGLH6SH]L¿NYRQ Öffentlichkeiten im Internet zu analysieren. Frauenpolitische und feministische Bewegungen bedienen sich eigener Medien zur Information und als Mittel der Mobilisierung; zugleich bilden sie damit Öffentlichkeiten heraus, die Kritik an herrschenden Strukturen allgemein und an den Inhalten der Mainstream-Medien insbesondere bündeln und vielfältige Produktions- und Nutzungsweisen von Medien beinhalten. Feministische Medienproduktionen können zum Initiator für die Entstehung neuer sozialer Bewegungen werden, die Frauenrechte und politische Mitbestimmung einfordern. Die Beiträge von Ulla Wischermann und Susanne Kinnebrock im Abschnitt Frauenbewegungen und feministische Öffentlichkeiten beschäftigen sich aus einer historischen Perspektive mit solchen Frauen- und Bewegungsöffentlichkeiten. Im Fokus des Beitrags von Ulla Wischermann steht das Verhältnis von sozialen Bewegungen und Öffentlichkeiten. Anhand zweier Frauenbewegungen um 1900 arbeitet sie heraus, wie das Drei-Ebenen-Modell historische Analysen bereichern und zum besseren Verständnis von alternativen Öffentlichkeiten beitragen kann, da es die private Seite von Politik stärker betont, persönliche Verbindungen und Vernetzungen zwischen den Akteur_innen berücksichtigt sowie Erfahrungen und Emotionen als
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Formierungsbedingungen von Öffentlichkeit einbezieht. Den Frauenbewegungen um die Wende zum 19. Jahrhundert gelang es durch das Ineinandergreifen der drei Ebenen – Frauenkultur, Frauenöffentlichkeit und öffentliche Meinung – die komplexe Öffentlichkeit zu erreichen und nachhaltig zu verändern. Historisch gesehen waren Frauenöffentlichkeiten zumeist Gegenöffentlichkeiten, die durch die Artikulation alternativer Positionen die hegemoniale Öffentlichkeit zu erreichen suchten. Susanne Kinnebrock fragt danach, wie die politische Einbindung von Frauen nach 1918, nachdem sie erstmals das aktive und passive Wahlrecht errungen hatten, problemlos gelingen konnte. Dafür arbeitet sie heraus, wie politische Frauenzeitschriften im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Öffentlichkeit herstellten. Diese Zeitschriften begründeten eine Gemeinschaft ihrer Leserinnen und fungierten als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Öffentlichkeitsebenen. Die Analyse auf Basis des Drei-Ebenen-Modells zeigt, dass im Kaiserreich Öffentlichkeitsprozesse »von unten« gut funktionierten und Frauenöffentlichkeiten die Schaffung neuer, leicht zugänglicher Räume ermöglichten, ZlKUHQGVLHLQGHU:HLPDUHU5HSXEOLN]XQHKPHQGGHU0DFKWXQGGHV(LQÀXVVHV von komplexen Öffentlichkeiten ausgesetzt waren und zunehmend »von oben« bestimmt wurden. Die Erforschung der historischen Frauenbewegungen wie der feministischen Bewegungen der 1970er Jahre führte zur Herausbildung feministischer Öffentlichkeitstheorien. Diese ermöglichen es nun nicht nur die Entstehung von Frauenöffentlichkeiten besser zu verstehen, sondern liefern darüber hinaus wichtige Impulse für die Öffentlichkeitsforschung im Allgemeinen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Auswirkungen des derzeitigen tiefgreifenden Gesellschafts- und Medienwandels auf Öffentlichkeit zumeist ohne Rückgriff auf diese Erkenntnisse diskutiert werden. Ausgehend von einer feministischen Kritik an hegemonialen gIIHQWOLFKNHLWVPRGHOOHQUHÀHNWLHUHQRicarda Drüeke und Elisabeth Klaus zentrale Prämissen feministischer Öffentlichkeitstheorien und erweitern diese im Rückgriff auf neuere theoretische Ansätze aus den Gender und Queer Studies. Obwohl zunächst nicht auf das Internet bezogen, stellen diese Prämissen – etwa die Kritik an den Dualismen von öffentlich und privat oder Emotio und Ratio –, ein breites analytisches wie auch theoretisches Instrumentarium für die aktuellen Debatten über GLH6SH]L¿NYRQ2QOLQHgIIHQWOLFKNHLWHQEHUHLW Auf den Charakter und die Merkmale von Online-Öffentlichkeiten und die darin beobachtbare Verschmelzung von bisher als dichotom gedachten Kategorien gehen die im Abschnitt Politisches, Öffentliches und Persönliches im Internet versammelten Beiträge näher ein. Christian Katzenbach diskutiert die Herausbildung von einfachen Öffentlichkeiten durch Blogs und erweitert dafür das Drei-Ebenen-Modell um das Merkmal »Medialität«. Es wird deutlich, dass durch die aktuelle Entwicklung von Blogs, aber weitergehend auch durch Social Media komplexe Dynamiken der gesellschaftlichen Aushandlung von Wirklichkeit ent-
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stehen, in denen verschiedene Kommunikationsprozesse nicht getrennt ablaufen. Vernetzte Öffentlichkeiten kennzeichnet, dass sie zugleich in verschiedenen Ebenen ablaufen und darin jeweils als differenzierbare Phänomene analysiert werden können. Stefan Fey diskutiert in seinem Beitrag gleichermaßen Anschlussstellen des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit an aktuelle Debatten zur Blogosphäre. Er analysiert die Potenziale der Blogosphäre zur Herstellung bzw. Entwicklung von (Gegen-)Öffentlichkeit(en). Zentrales Moment ist dabei die in und um das Web 2.0 bereits verstärkt zu beobachtende aktive Partizipation der Nutzer_innen, die sich in der sozialen Praxis des Bloggens widerspiegelt. Die Blogosphäre wird an den Schnittstellen von öffentlicher und privater Sphäre verortet. Veronika Fagerer untersucht die Facebook-Auftritte von prominenten österreichischen Politikerinnen und arbeitet heraus, auf welchen Öffentlichkeitsebenen Politikerinnen und Bürger_innen auf dieser Social-Media-Plattform miteinander kommunizieren und welcher Zusammenhang zur massenmedialen Berichterstattung besteht. Die sich daraus ergebenden Verknüpfungen werden im Beitrag als Netzwerk von Bezugnahmen und Interaktionen auf allen drei Ebenen von Öffentlichkeit veranschaulicht. Es zeigt sich, dass die politischen Handlungsträgerinnen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, ihre Facebookauftritte vor allem zur Vermittlung ihrer Positionen und von, teilweise aus den Massenmedien stammenden, Inhalten an die Bevölkerung nutzen und relativ wenig in den direkten Austausch mit Bürger_innen treten. 'HU0HGLHQXQG*HVHOOVFKDIWVZDQGHOHUIRUGHUWLPPHUZLHGHUHLQH5HÀH[LRQ der normativen Grundlagen von Öffentlichkeitstheorien. Die im Abschnitt MehrEbenen-Modelle und Öffentlichkeitsforschung versammelten Beiträge stellen das Drei-Ebenen-Modell mit seiner handlungstheoretischen Fundierung in den Kontext von partizipativen und deliberativen Öffentlichkeitstheorien bzw. verorten seine Bedeutung in der österreichischen Öffentlichkeitsforschung. Ausgehend von gegenwärtigen Medienumbrüchen zeichnet Jeffrey Wimmer den Strukturwandel öffentlicher Kommunikation nach. Diese Änderungen zeigen sich in struktureller Hinsicht durch scheinbar von politischen Geltungsbereichen und physischen Bezügen losgelösten Kommunikationsprozessen sowie aus subjektbezogener Sicht durch zunehmend mobile Lebenswelten. Neue kommunikative Potenziale eröffnen insbesondere digitale Medien, die die im Drei-Ebenen-Modell zentral verankerte Rolle des Publikums deutlich hervortreten lassen. Das Publikum bleibt nicht nur der Adressat politischer Öffentlichkeit, sondern stellt zunehmend dessen Resonanzboden dar. Boris Romahn arbeitet in seinem Beitrag Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Drei-Ebenen-Modell und der Habermas’schen Öffentlichkeitstheorie heraus, um ergänzende Perspektiven für die aktuelle ÖffentlichNHLWVIRUVFKXQJ DXI]X]HLJHQ $OV ]HQWUDOH 3UREOHPEHUHLFKH LGHQWL¿]LHUW 5RPDKQ vor allem die Zusammensetzung und Ausgestaltung der verschiedenen Ebenen, die sich je nach zu verhandelndem Gegenstand durchaus ändern können. Des Weiteren
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stellt er zur Diskussion, ob es nicht eine Art normativer »Über-Ebene« gibt, die die Grundlage der Selbstverständigungsprozesse auf den drei Ebenen von Öffentlichkeit bildet. Dass Forschung zu Öffentlichkeiten in einen transnationalen, vor allem aber nach wie vor nationalen Rahmen eingebunden ist, wird im Beitrag von Martina Thiele deutlich. Die Meta-Analyse von Publikationen von in Österreich tätigen Wissenschaftler_innen zeigt Kontinuitäten aber auch Brüche der Öffentlichkeitsforschung auf. Dabei lassen sich fünf Schwerpunkte der Forschungsarbeiten in Österreich – Gegenöffentlichkeit und Bewegungsöffentlichkeit, Geschlecht und Öffentlichkeit, Internet und Öffentlichkeit, Europäische Öffentlichkeit sowie Ökonomie und Öffentlichkeit – festmachen. Öffentlichkeit ist kein statischer Prozess, sondern eingebunden in gesellschaftliche und kulturelle Praktiken, in Raum- und Zeitrelationen und diskursive Aushandlungsprozesse. Die im letzten Abschnitt unter Diskursive Schnittstellen: Kunst, Sprache, Zeit JHIDVVWHQ %HLWUlJH UHÀHNWLHUHQ GLHV DXV XQWHUVFKLHGOLFKHQ Perspektiven und schlagen Erweiterungen des Drei-Ebenen-Modells auf verschiedene Forschungsfelder vor. Die Frage nach der Rolle von Kunst und Ästhetik in der Öffentlichkeit und für deren Herstellung wird seit dem Aufkommen des Begriffs immer wieder und neuerdings wieder verstärkt diskutiert. In dieser Tradition steht der Beitrag von Elke Zobl, die anhand von künstlerischen Interventionen, die in einem Projekt mit Jugendlichen durchgeführt wurden, die Anwendbarkeit des Drei-Ebenen-Modells in edukativen Kontexten diskutiert. Sie zeigt, dass sich damit die Aushandlungs- und Aneignungsprozesse, aber auch die PolitisierungsSUR]HVVH GLH ]ZLVFKHQ YHUVFKLHGHQHQ gIIHQWOLFKNHLWVHEHQHQ VWDWW¿QGHQ LQ GHQ %OLFNQHKPHQXQG$VSHNWHYRQ(PSRZHUPHQWXQG7HLOKDEHDEHUDXFK.RQÀLNWH und Ausschlüsse analysieren lassen. Doch nicht nur in direkten und interpersoQDOHQ ,QWHUYHQWLRQHQ ]HLJHQ VLFK .RQÀLNWH XQG$XVVFKOVVH$XFK LQ GHU SROLWL schen Kommunikation wird diskursiv um Bedeutungszuschreibungen, Identitäten und Handlungsräume gerungen. Susanne Kirchhoff weist in ihrem Beitrag auf die Relevanz von Sprache hin, die in der Öffentlichkeitsforschung allgemein und im Drei-Ebenen-Modell insbesondere zu wenig berücksichtigt wird. Sie arbeitet den Zusammenhang von Öffentlichkeit und Diskurs heraus. Insbesondere Metaphern dienen als Mittel diskursiver Wirklichkeitskonstruktionen und machen damit auf unterschiedliche sprachliche Bedeutungskonstruktionen durch Diskursgemeinschaften auf den verschiedenen Öffentlichkeitsebenen aufmerksam. Neben der Sprache sind es insbesondere Zeitrelationen, die durch die zunehmende Digitalisierung und mobile Nutzung von Kommunikationstechnologien in den Blickpunkt rücken. Thomas Steinmaurer arbeitet in seinem Beitrag heraus, dass nicht nur soziale Räume, sondern vor allem auch Zeitkonzeptionen einen entscheidenden Faktor im Prozess Öffentlichkeit darstellen. Auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen lassen sich so Verschiebungen festmachen, die durch Individualisierungstendenzen und mobilisierte Dauervernetzung angestoßen werden. Sie können damit Transfor-
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mationen verdeutlichen, die nicht nur für die Debatte um die Strukturierung von Öffentlichkeiten von Bedeutung sind, sondern auch andere, damit in Verbindung stehende Aspekte der Metaentwicklung digitaler Vernetzung ansprechen. Neben den in diesem Sammelband vorliegenden Auseinandersetzungen mit dem Drei-Ebenen-Modell sind am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg zahlreiche Masterarbeiten entstanden, die ausgehend vom Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit so unterschiedliche Fragen untersucht haben, wie die Informations- und Kommunikationspolitik des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission (Rohrer 2009), die Herstellung von Gegenöffentlichkeiten im Internet am Beispiel von unternehmenskritischen »Shitstorms« (Neubert 2015), die Formierung der Tierrechtsbewegungen (Bossow 2015) oder auch die Analyse der verschiedenen Formen von Cyberaktivismus (Stenitzer 2013). Gruber (2007) hat anhand des Modells den Wandel medialer GeschlechterGH¿QLWLRQHQXQGSRVLWLRQLHUXQJHQLQ=HLWHQSROLWLVFKHU8PEUFKHXQWHUVXFKWXQG auf Basis einer empirischen Langzeituntersuchung der österreichischen Frauenzeitschrift Die Unzufriedene/Das Kleine Frauenblatt (1923–1944) die These aufgestellt, dass sich die Beziehung zwischen den Ebenen je nach Gesellschaftssystem (Demokratie, autoritäre Regierung, Diktatur) unterscheidet. Daneben wurden weitere Studien und Analysen zu Internet-Öffentlichkeiten unter Berücksichtigung des Drei-Ebenen-Modells durchgeführt. So zeigen Drüeke und Zobl (2016) am Beispiel der Herstellung von Öffentlichkeit auf verschiedenen Ebenen durch den Hashtag #aufschrei, wie durch eine feministische Protestartikulation auf einer einfachen Öffentlichkeitsebene weitere Öffentlichkeiten erreicht werden können. Auch antifeministische Online-Diskurse lassen sich in Hinblick auf Vernetzungen über verschiedene Öffentlichkeitsebenen und wiederkehrende Argumentationsmuster analysieren (vgl. Drüeke/Klaus 2014). Aufbauend auf ihrer am Fachbereich Kommunikationswissenschaft in Salzburg eingereichten Dissertation hat Siglinde Lang (2015) ein Ablaufmodell für partizipative Kulturmanagementprozesse entwickelt, das u. a. auf das Drei-Ebenen-Modell zurückgreift. Die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit der in den neueren Fachdebatten aufgeworfenen Fragen nach dem Wesen von Teilhabe und Partizipation durch Öffentlichkeiten sowie nach Umdeutungen herrschender Geschlechterverhältnisse machen die hier versammelten Beiträge deutlich. Der Sammelband spannt damit einen weiten Bogen. In der Vielfalt der hier thematisierten Probleme, der Unterschiedlichkeit der Ansätze und Perspektiven zeichnen sich zentrale Dimensionen der Anwendbarkeit aber auch Erweiterungsmöglichkeiten des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit ab. Zugleich verweisen die Beiträge damit auf die immer drängender werdende Frage nach den sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen von Partizipation an Öffentlichkeit und Teilhabe an Medien. Selbstverständlich erhebt der Sammelband keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern bietet den Leser_innen einen fundierten Einblick in das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit
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durch einen Überblick über Forschungsarbeiten, die unter Berücksichtigung des Drei-Ebenen-Modells entstanden sind. Auch hierbei gibt es Lücken; so fehlen beispielsweise Untersuchungen zu den »großen« Bewegungen des 20. Jahrhunderts wie den Umwelt- und Friedensbewegungen, auch werden etwa queertheoretische und postkoloniale Ansätze nicht in Zusammenhang mit dem Modell diskutiert. Öffentlichkeit und die Forschung zu Öffentlichkeit ist ein fortwährender Prozess und unterliegt gesellschaftlichen wir wissenschaftlichen Aushandlungsprozessen. 'LHVHHUIRUGHUQHLQHNRQWLQXLHUOLFKHZLVVHQVFKDIWOLFKH5HÀH[LRQXQG6HOEVWUHÀH xion, in der neue Forschungsfelder und theoretische Ansätze einbezogen werden müssen. Dabei bleibt als zentrale Richtschnur für eine kritische, gesellschafts- und machtheoretische Öffentlichkeitsforschung die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen und das Bestreben, einen Beitrag zum sozialen Wandel zu leisten.
LITERATUR Bossow, Friederike (2015): Soziale Bewegungen im Internet – Zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit durch Facebook am Beispiel der Tierrechtsbewegung. Unveröffentlichte Masterarbeit, Salzburg. Drüeke, Ricarda/Zobl, Elke (2016): Online feminist protest against sexism: the German-language hashtag #aufschrei. In: Feminist Media Studies. 16. Jg., H. 1, S. 35–54. Drüeke, Ricarda/Klaus, Elisabeth (2014): Öffentlichkeiten im Internet: Zwischen Feminismus und Antifeminismus. In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft. 23. Jg. H. 2, S. 59–70. *UXEHU/DXUD :DQGHOPHGLDOHU*HVFKOHFKWHUGH¿QLWLRQHQXQGSRVLWLRQLH rungen in Zeiten politischer Umbrüche. Erste Republik – Austrofaschismus – Nationalsozialismus. Eine Untersuchung der Frauenzeitschrift Die Unzufriedene/Das Kleine Frauenblatt (1923–1944). Unveröffentlichte Magisterarbeit am Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Salzburg. Lang, Siglinde (2015): Partizipatives Kulturmanagement. Interdisziplinäre Verhandlungen zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit. Bielefeld: transcript. Neubert, Friederike (2015): Shitstorms. Die Gegenöffentlichkeit im Internet? Unveröffentlichte Masterarbeit am Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Salzburg. Rohrer, Madeleine (2009): Auf der Suche nach Öffentlichkeit. Die Informationsund Kommunikationspolitik des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission. Eine historische Betrachtung. Unveröffentlichte Magisterarbeit am Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Salzburg. Stenitzer, Carla (2013): Cyberaktivismus. Unveröffentlichte Masterarbeit am Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Salzburg.
I.
Grundlagen
Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess
Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Rückblick und Ausblick ELISABETH KLAUS
Dieser Beitrag stellt eine Art Bestandsaufnahme und Synopse meiner in den vergangenen 25 Jahren an verschiedenen Stellen vorgestellten Überlegungen zum Stellenwert von Öffentlichkeit und den Konstitutionsbedingungen von Gegenöffentlichkeiten dar. Auf einzelne Nachweise zu diesen Arbeiten habe ich verzichtet und verweise dafür auf das Verzeichnis meiner diesbezüglichen Veröffentlichungen am Ende dieses Beitrags. Zunächst diskutiere ich im Sinne einer Genealogie die gesellschaftlichen und disziplinären Entstehungsbedingungen des Drei-Ebenen-Modells. Diese Ausführungen zur Genese meiner Überlegungen sollen sowohl Missverständnissen vorbeugen als auch verdeutlichen, auf welche wissenschaftliche Fragestellungen und alltäglichen Herausforderungen das Modell versucht hat, $QWZRUWHQ]X¿QGHQ,P$QVFKOXVVHUOlXWHUHLFKGLHXQWHUVFKLHGOLFKHQMHGRFK]X sammen gehörenden Komponenten des Drei-Ebenen-Modells und ihre Verbindungen. Dabei handelt es sich um: 1. die Bestimmung von Öffentlichkeit als gesellschaftlichem Selbstverständigungsprozess, 2. die Unterscheidung von drei Ebenen von Öffentlichkeit, GLH'H¿QLWLRQYRQ7HLO|IIHQWOLFKNHLWHQLQVEHVRQGHUHLQ%H]XJDXI)UDXHQEH wegungen, und ihrer Konstitutionsbedingungen, schließlich 4. die gesellschafts- und machttheoretische Verortung von öffentlichen Debatten, wobei Umbruchphasen eine wichtige Rolle erhalten. Schließlich frage ich danach, vor welchen Herausforderungen das Drei-EbenenModell in Zeiten digitaler Medien und von Online-Kommunikation steht.
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1. ZUR GENESE DES DREI-EBENEN-MODELLS: ÜBERLEGUNGEN ZU ÖFFENTLICHKEIT(EN) 1.1 Eine persönliche Annäherung Meine Überlegungen zum Konzept demokratischer Öffentlichkeit standen stets in einem Kontext mit jenen theoretischen wie empirischen Arbeiten vor allem aus der Geschlechterforschung, die die Frage nach den Möglichkeiten sozialen Wandels stellten, denn die bürgerliche, hegemoniale Öffentlichkeit beruhte auf dem Ausschluss von Frauen – besonders augenfällig im fehlenden Wahlrecht für Frauen dokumentiert – und half ihre Diskriminierung zu legitimieren. Das Modell knüpft an zwei soziologische bzw. historische Forschungsbereiche an: zum einen an die Frauenbewegungsforschung, zum anderen an jene Arbeiten, die nach dem Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit und der Bedeutung dieser Trennung für die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Geschlechtertrennung gefragt haben (vgl. für einen Überblick Klaus/Drüeke 2010). Dabei stieß ich auf einen logischen Widerspruch: Wenn Frauen aus der bürgerlichen Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen waren, wie konnte es ihnen trotzdem gelingen, diese Öffentlichkeit nach und nach zu verändern und ihren Interessen und Erfahrungen Stimme und Ausdruck zu verleihen? Und welche Möglichkeiten eröffnet das heutigen sozialen Bewegungen? Nach meinen Aktivitäten in der Studenten- und Frauenbewegung ab Ende der 1970er Jahre erhielt ich nach meinem Soziologiedoktorat in den USA eher überraschend 1986 eine Stelle am Institut für Journalistik der Universität Dortmund. Dort standen u. a. die Frauenmedien nach 1945 und die Journalistinnen der Weimarer Republik, später dann der frühen Nachkriegsjahre im Fokus meiner Forschung. Das lenkte meinen Blick auf Umbruchphasen als gesellschaftliche Zeiträume, in denen mehr Frauen den Journalismus eroberten und sich die gesellschaftlichen Macht- und Geschlechterverhältnisse dynamisierten. Am Institut für Journalistik in Dortmund konstituierte sich auch die »Gruppe feministische Öffentlichkeit«, ein Diskussions- und Lesezirkel, der sich mit feministischer Theorie beschäftigte. Aus diesem Kreis ging unter anderem die »igitte« hervor, eine autonome feministische Zeitschrift für das Ruhrgebiet, die zwischen 1987 und 1991 erschien. Der Prozess »Öffentlichkeit« beschäftigt mich seit 25 Jahren. Ein Auslöser daIU ZDU GLH *HEXUW PHLQHU7RFKWHU 3O|W]OLFK WUDW QHEHQ PHLQH EHUXÀLFKHQ Aktivitäten und neben mein Engagement in feministischen und linken Politikzusammenhängen eine ganz andere Art von Gruppenzugehörigkeit, die durch meine Aufgaben als Mutter bestimmt war. Diese »kleinen« Öffentlichkeiten der Krabbelgruppen, Kindergartentreffen, Bastelkreise, Gymnastikkurse und Schmuck- und Tupperwarepartys irritierten mich, denn die Unterhaltungen dort erlebte ich in hohem Maße als normativ und meinungsbildend. Oft generierten sie einen Sub-
ÖFFENTLICHKEIT ALS GESELLSCHAFTLICHER SELBSTVERSTÄNDIGUNGSPROZESS
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text, in dem verhandelt wurde, wie Mutter- und Elternschaft sein sollte, welche Erziehungs- und Bildungsvorstellungen anerkannt und welche abgelehnt wurden, welche Konsumhaltungen legitim, welche illegitim waren, etc. Ich begann genauer zu beobachten, wo überall im Alltag und in nicht-öffentlichen oder halböffentlichen Räumen Normen und Werte des Zusammenlebens verhandelt werden – auf GHU3DUNEDQNLQGHU6DXQDLP+DXVÀXUhEHUGLHVHª+HLPOLFKHgIIHQWOLFKNHLW© veröffentlichte ich einen ersten Text 1992 in »Femina Publica«, ein von der »Gruppe feministische Öffentlichkeit« herausgegebener Sammelband. Seitdem sehe ich Öffentlichkeit als einen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess an, der von vielen Menschen mitgetragen wird und sich auch an nicht-öffentlichen Orten HQWIDOWHQNDQQ,Qª)HPLQD3XEOLFD©UHÀHNWLHUWHQZLUHEHQIDOOVGLH8QWHUVFKLHGH zwischen »Frauenöffentlichkeiten« und feministischen Öffentlichkeiten. Dieses Thema habe ich dann in einem von Katharina Pühl redaktionell betreuten und bei Suhrkamp 1995 erschienen Band vor dem Hintergrund der Debatte um Öffentlichkeit und Privatheit in den Gender Studies aufgegriffen und dort »Frauenöffentlichkeiten« als spontane Debattierkreise, die im Zuge der ReproduktionsDXIJDEHQYRQ)UDXHQ]XVDPPHQ¿QGHQYRQIHPLQLVWLVFKHQgIIHQWOLFKNHLWHQXQWHU schieden (vgl. Institut für Sozialforschung 1995). Feministische Öffentlichkeiten können demgegenüber als Ensemble von Gruppierungen gefasst werden, die sich bewusst organisieren und mit den herrschenden Geschlechterverhältnissen kritisch auseinandersetzen. Mit der Kritik am Differenzdenken innerhalb feministischer Forschung und der Rezeption von Judith Butlers »Das Unbehagen der Geschlechter« (1991) stellt sich allerdings die Frage, ob die Rede von »Frauenöffentlichkeiten« nicht essentialisierende, das System der Zweigeschlechtlichkeit stützende, Züge aufweist. 1.2 Kommunikationswissenschaftliche Veror tung Als Kommunikationswissenschafterin interessieren mich vor allem die Medien und der Journalismus, so war es fast ebenso naheliegend danach zu fragen, welche Verbindungen zwischen den Frauenöffentlichkeiten und Frauenbewegungen auf der einen Seite und den Massenmedien auf der anderen bestehen. Insbesondere das von Gerhards und Neidhardts erstmals 1990 vorgestellte »Arenamodell« von Öffentlichkeit, in dem die Autoren zwischen drei Öffentlichkeitsebenen unterscheiden, erwies sich als passgenau zu meinen Vorstellungen. Ich habe eine ReiKHZLFKWLJHU(UNHQQWQLVVHXQG%HJULIÀLFKNHLWHQGDUDXVIUPHLQHgIIHQWOLFKNHLWV überlegungen übernommen und u. a. in der 1995 fertig gestellten Monographie »Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung« (1998; 2005) vorgestellt. Nicht gefolgt bin ich Gerhards und Neidhardt in ihrem systemtheoretischen Zugang und ihrer Konzeptionalisierung von Öffentlichkeit als intermediärem System: »Öffentlichkeit bildet ein intermediäres System, dessen politische Funktion
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in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden Öffentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politiVFKH6\VWHPEHVWHKW©*HUKDUGV1HLGKDUGW (LQHVROFKH'H¿QLWLRQELQGHW Öffentlichkeit fest an das politische System, orientiert sich damit an einem relativ engen Politikbegriff und rückt die Bildung einer »öffentlichen Meinung« ins Zentrum der Beobachtung von Öffentlichkeit – zuungunsten einer Betrachtung der in der Öffentlichkeit Agierenden. Der Fokus auf Laienorientierung und die Betonung der Offenheit des Systems Öffentlichkeit bei Gerhards und Neidhardt ermöglicht aber zugleich eine handlungstheoretische Deutung wie sie Habermas 1962 vorgelegt hat, der zufolge in einer Demokratie alle Bürger_innen in den Prozess Öffentlichkeit eingebunden sind bzw. sein sollten (Habermas 1995). Besonders prägend für mein Modell war Gerhards und Neidhardts Differenzierung von Öffentlichkeitsebenen als »Vielzahl kleiner und großer Foren« und ihre Unterscheidung zwischen »einfachen Interaktionssystemen« (Gerhards/Neidhardt 1990: 19), öffentlichen Veranstaltungen und Massenmedienkommunikation und deren jeweilige Funktionen und Verknüpfungen. Ich habe diese Ebenen dann als einfache, mittlere und komplexe Ebene von Öffentlichkeit bezeichnet und auf der mittleren Ebene die, dann später auch von Habermas als bedeutend herausgestrichenen, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Gegenöffentlichkeiten angesiedelt (z. B. Habermas 2009). Zur komplexen Ebene von Öffentlichkeit zähle ich neben den Massenmedien auch die etablierten Räume GHPRNUDWLVFKHU (QWVFKHLGXQJV¿QGXQJ ZLH 5HJLHUXQJHQ XQG 3DUODPHQWH VLHGHOH aber auch die PR- und Lobbyarbeit großer Unternehmen hier an. Dass auf diesen Ebenen von Öffentlichkeit eine Pluralität von Öffentlichkeiten agiert, habe ich Frasers (2001) Kritik und Erweiterung von Habermas’ Öffentlichkeitskonzept (1995) entnommen. Zu diesem Zeitpunkt begann ich Umbruchphasen als Dynamisierungsschübe für Öffentlichkeit zu verstehen, weil mit der Krise hegemonialer Öffentlichkeit die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit sichtbarer in Erscheinung treten und alternative bzw. gegenhegemoniale oder subalterne Öffentlichkeiten dann größere Resonanz erzeugen können. Historische Beispiele GDIUOLHIHUQHWZDGLH$XÀ|VXQJGHU''5RGHUDXFKGLH5HJLHUXQJVEHUQDKPHGHU Unidad Popular unter Allende in Chile und die daraufhin im Zuge eines Putsches am 11. September 1973 errichtete Pinochet-Diktatur. Neidhardt hat 1994 die Ebenen des Arenamodells als Encounteröffentlichkeit, Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit und Medienöffentlichkeit neu bezeichnet. Dieses Modell haben Patrick Donges und Kurt Imhof 2001 bzw. 2010 mit Verweis auf eine 1998 bzw. 2006 erfolgte Publikation von Donges und Jarren aufgegriffen. Letztere folgen darin Neidhardt (1994) und sehen die oberste Ebene durch Massenmedien bestimmt. Entsprechend siedeln sie die Elitemedien in der Spitze der Pyramide an. Keiner dieser Kollegen hat, soweit ich weiß, je auf meine Ausfüh-
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rungen Bezug genommen, die ich etwa im Rahmen des von Kurt Imhof veranstalteten Luzerner Colloquiums bereits 1996 vorgestellt und dann im 1998 dazu erschienenen Tagungsband auch publiziert habe (vgl. Donges/Imhof 2001; Jarren/Donges 2006). In der Rezeptionsgeschichte wurden meine Beiträge vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, im Rahmen der Gender Studies innerhalb, aber auch außerhalb der Kommunikationswissenschaft zur Kenntnis genommen, während die diesbezüglichen Publikationen von Jarren und Donges vor allem in der politischen Kommunikationsforschung Beachtung fanden. So wird etwa im Medien-Kultur-Wiki der Leuphana Universität Lüneburg nur der Zürcher Strang in der Entwicklung von Mehr-Ebenen-Modellen erwähnt. 2001 habe ich anlässlich einer Tagung der Fachgruppe »Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht«, die von Friederike Herrmann und Margreth Lünenborg organisiert wurde, eine Art Zusammenfassung und zugleich Schärfung meiner verschiedenen Überlegungen vorgetragen, dabei aber das Formierungsprinzip von Teilöffentlichkeiten allgemeiner bestimmt. Friederike Herrmann machte mich darauf aufmerksam, dass mein Modell Gefahr liefe, gesellschaftliche Macht und Hierarchien auszublenden, da oben und unten, also komplexe und einfache Öffentlichkeiten, darin quasi als gleichmächtig erschienen. Damit war dann ein Thema gesetzt, das mich immer noch und vielleicht zunehmend umtreibt: die Frage danach, wer denn letztlich die »öffentliche Meinung« bestimmen kann. Auf der komplexen Ebene agieren die politischen, wirtschaftlichen und auch publizistischen Eliten einer Gesellschaft. Diese können damit die öffentliche Wahrnehmung wirkungsmächtiger EHHLQÀXVVHQDOVGLHDXIGHUPLWWOHUHQXQGHLQIDFKHQ(EHQHDJLHUHQGHQgIIHQWOLFK keiten. Dadurch sichern sie ihre gesellschaftliche Macht. Öffentlichkeit hat dann im Wesentlichen eine Legitimierungsfunktion zur Stabilisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse (vgl. dazu 2.4, 3.1). Trotzdem kann es Gegenöffentlichkeiten – sowohl in Umbruchphasen als auch in Zeiten relativer gesellschaftlicher Stabilität – gelingen, die hegemoniale Öffentlichkeit in Teilen zu hinterfragen, eigene Themen zu setzen oder bestehende Normen in Frage zu stellen und zu verändern. Seit der Jahrtausendwende ist es vor allem die Zusammenarbeit mit Kolleg_innen im Bereich feministischer Medien- und Kommunikationswissenschaft, die zu Weiterentwicklungen des Modells geführt hat (insbesondere Wischermann 2003; Drüeke 2013; vgl. auch im Anhang). Die verschiedenen Beiträge dieses Bandes zeigen, wie produktiv in verschiedenen Studien das Modell angewendet und inhaltlich weiter entwickelt und geschärft worden ist. Anwendung hat das Modell u. a. in folgenden Themen- bzw. Forschungsbereichen gefunden: Im Rahmen der Frauenbewegungsforschung, der Internetforschung und der Forschung zu Europäischer Öffentlichkeit. Vereinzelt ist es zudem im Zusammenhang mit anderen Öffentlichkeitsmodellen, vor allem solchen, die nach Partizipationsmöglichkeiten auf der Basis republikanischer Demokratiemodelle fragen, diskutiert worden (etwa Sauer 2001, Wimmer 2007).
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2. DIE VIER KOMPONENTEN DES ÖFFENTLICHKEITSMODELLS 2.1 Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess gIIHQWOLFKNHLWLVWYLHOIlOWLJGH¿QLHUWZRUGHQXDDOV5DXPSROLWLVFKHQ+DQGHOQV als autonomes System, das auf Laienorientierung ausgelegt ist, als Kommunikations- und Mediensystem (vgl. etwa Imhof 2003). Demgegenüber sehe ich Öffentlichkeit als jenen fortlaufenden Prozess an, in dem sich die Mitglieder einer Gesellschaft darüber verständigen, wie sie leben wollen. Dies geschieht wesentlich auf Basis ihrer Lebenserfahrungen, wobei der Erfahrungsbegriff sich an die Ausführungen von Joan Scott (1991) anlehnt. Durch die Thematisierung, Verallgemeinerung und Bewertung von Erfahrungen werden im Prozess Öffentlichkeit:
gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt, gefestigt, ent- oder verworfen, die gesellschaftlichen Bedeutungen von Themen herausgearbeitet, die Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestätigt oder PRGL¿]LHUW kulturelle Ziele überprüft und kulturelle Identitätsvorlagen geliefert, nicht zuletzt auch die politische, ökonomische und juristische Verfasstheit der Gesellschaft diskutiert und legitimiert.
(LQHVROFKH'H¿QLWLRQLPSOL]LHUWHLQHQZHLWHQ3ROLWLNEHJULIIGHU3ROLWLNQLFKWQXU als das fasst, was im politischen System und in den politischen Institutionen verKDQGHOWZLUGVRQGHUQª3ROLWLNDOVHLQHJUXQGVlW]OLFKEHUDOODXI¿QGEDUH9HUKDO tensweise oder als öffentlicher Aspekt unserer gesellschaftlichen Beziehungen« (Suter 1994: 45) versteht. 2.2 Drei Ebenen von Öffentlichkeit gIIHQWOLFKNHLW DOV JHVHOOVFKDIWOLFKHU 6HOEVWYHUVWlQGLJXQJVSUR]HVV ¿QGHW DXI GUHL Ebenen statt. Diese drei Ebenen sind nicht überschneidungsfrei, sondern stellen idealtypische Beschreibungen von Öffentlichkeitsprozessen dar. Je komplexer die Ebene der Öffentlichkeit wird, umso kleiner ist die Zahl der hier möglichen Kommunikationsforen. Die drei Ebenen von Öffentlichkeit unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Kommunikationsformen und -foren und nehmen unterschiedliche Funktionen im Öffentlichkeitsprozess ein.
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Tabelle 1: Struktur der verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit Ebene von Öffentlichkeit
Kommunikator_ innenrolle
Beziehung zwischen Kommunikator_innen und Publikum
Funktion
einfach
voraussetzungslos
interpersonal und relativ gleichberechtigt
Erfahrungen und »Gefühlskulturen«; widerständige Positionen
mittel
statuarisch geregelt, Kompetenz gefordert
i. W. direkt, bei gleichzeitiger Rollendifferenzierung
»Übersetzerrolle«: Bündelung und Bereitstellung von Themen
komplex
anspruchsvoll und professionalisiert
einseitig und indirekt
hegemoniale Themenselektion und -verbreitung, Entscheidungs¿QGXQJ
Den mittleren Öffentlichkeiten kommt im Modell eine »Übersetzungsfunktion« zu. Sie bündeln Themen aus den einfachen Öffentlichkeiten und stellen sie für die komplexen, politischen Institutionen und Massenmedien zu Verfügung. Sie ermöglichen damit den komplexen Öffentlichkeiten, Resonanzen des Publikums bzw. der Bürger_innen wahrzunehmen und zu deuten, die über Verkaufszahlen, Einschaltquoten oder Wahlbeteiligung hinausgehen und auf das Warum von Veränderungen eine Antwort geben können. In gewisser Weise kann man die Markt- und Meinungsforschung sowie die Medienanalysen als Versuche interpretieren, unter Umgehung der mittleren Öffentlichkeiten direkt etwas von den einfachen Öffentlichkeiten zu erfahren. Das gelingt aber u. a. deshalb nur begrenzt, weil diese z. B. nichts über Themen erfragen können, die in den komplexen Öffentlichkeiten gar nicht wahrgenommen werden, aber auf der einfachen Ebene debattiert werden. Auf den drei Ebenen von Öffentlichkeit agieren Akteursgruppen bzw. Handlungssysteme. Auf der einfachen Ebene tauschen sich individuelle Akteur_innen untereinander aus; es geht um personale Beziehungen bzw. einen interpersonellen Austausch. Auf der mittleren Ebene sind vor allem soziale Gruppen und Gruppenbeziehungen konstitutiv, auf der komplexen agieren Organisationen, und es dominieren vielfältige Organisationsbeziehungen. So formuliert ist die Tabelle oben möglicherweise ergänzungsbedürftig. Als etwa 2010 Angela Merkel mit Josef $FNHUPDQQIHUQDEGHUPHGLDOHQgIIHQWOLFKNHLWEHUGLH%DQNHQ¿QDQ]LHUXQJRGHU die europäische Krise sprach, legitimierten sie zwar politische und wirtschaftli-
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Abbildung 1: Die Pyramide der Teilöffentlichkeiten
che Entscheidungen bzw. legten diese fest und befanden sich im interpersonellen Austausch, agierten jedoch keineswegs auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit, denn die Bundeskanzlerin und der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank sprachen zugleich als zentrale Vertreter_innen von Organisationen, die auf der komplexen Ebene von Öffentlichkeit angesiedelt sind (vgl. dazu Rügemer $XFKGLHHLQÀXVVUHLFKHQ%LOGHUEHUJ.RQIHUHQ]HQVLQGHLQ%HLVSLHOGDIU dass diejenigen, die demokratiepolitisch auf der komplexen Ebene von ÖffentlichNHLWDQJHVLHGHOWVLQGNHLQHVZHJVLPPHUKLHUDJLHUHQVRQGHUQKlX¿JMHQVHLWVGHU Öffentlichkeit, im Privaten Entscheidungen treffen (vgl. Grumbach 2010, der sich hier auf Krysmanski bezieht). 2.3 Teilöffentlichkeiten Teilöffentlichkeiten konstituieren sich auf der Basis gemeinsamer sozialer Erfahrungen, sich überschneidender Handlungsräume oder geteilter Interessen, das heißt sie sind u. a. schicht-, generationen-, geschlechts- und kulturgebunden. TeilöffentOLFKNHLWHQELOGHQMHZHLOVVSH]L¿VFKH'LVNXVVLRQVZHLVHQXQG.RPPXQLNDWLRQVIRU men aus. Besonders interessant sind die Gegenöffentlichkeiten, also gegenhegemonialen Bewegungen, die kulturelle und/oder politische Veränderungen im Sinne der Verwirklichung der Menschenrechte, von Demokratie und Gleichberechtigung durchsetzen wollen. Demgegenüber sind Anti-Bewegungen, die rechtsradikales, militaristisches, sexistisches oder rassistisches Gedankengut verbreiten, also antidemokratische bzw. menschenfeindliche Gruppierungen, in der Bewegungsforschung bisher kaum untersucht worden. In Bezug auf geschlechtsgebundene Teilöffentlichkeiten lassen sich drei verschiedene Arten von Teilöffentlichkeiten – Frauenöffentlichkeiten, feministische Öffentlichkeiten und maskulinistische bzw. antifeministische Öffentlichkeiten – unterscheiden.
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Frauenöffentlichkeiten umassen all jene Kommunikationsforen und -formen, in denen sich Frauen untereinander und ohne Anwesenheit von Männern am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess beteiligen und in denen ihre Erfahrungen eigenständige Relevanz erhalten. Sie basieren auf der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und auf der Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit. Frauenöffentlichkeiten sind in zweifacher Hinsicht heimliche Öffentlichkeiten: einerseits, weil es den Teilnehmerinnen nicht bewusst ist, dass sie sich am Selbstverständigungspro]HVV GHU *HVHOOVFKDIW EHWHLOLJHQ XQG GLHVHQ EHHLQÀXVVHQ XQG DQGHUHUVHLWV ZHLO VLFK GLHVH gIIHQWOLFKNHLWHQ KlX¿J JDU QLFKW DQ |IIHQWOLFKHQ SK\VLVFKHQ 5lXPHQ bewegen, sondern sich in privaten bzw. halb-öffentlichen Orten (z. B. Cafés, GePHLQGH]HQWUHQ +DXVÀXUHQ WUHIIHQ 6ROFKH gIIHQWOLFKNHLWHQ EOHLEHQ LQ LKUHU JH sellschaftliche Bedeutung ambivalent, weil sie zum individuellen Empowerment EHLWUDJHQ N|QQHQ MHGRFK ]XJOHLFK KlX¿J XQG ZRKO UHJHOPlLJHU EHUNRPPHQH Werte und traditionelle Normen stützen und damit die hegemoniale Ordnung stabilisieren. Feministische Öffentlichkeiten sind Öffentlichkeiten, die auf der mittleren Ebene des Öffentlichkeitsprozesses wirken – also Bewegungsöffentlichkeiten sind –, sich bewusst kritisch mit dem bestehenden Geschlechterverhältnissen auseinandersetzen und eine politische oder kulturelle Agenda der Veränderung besitzen. Historisch wurden sie von Frauen getragen, heute zunehmend von Mitgliedern queerer Bewegungen, also von Menschen, die die Normen der Zweigeschlechtlichkeit, von Heteronormativität und Heterosexualität, verändern und durchbrechen wollen. Antifeministische und maskulinistische Öffentlichkeiten sind als Reaktion auf die Emanzipationsbewegungen der Frauen zu verstehen. Feminismus nimmt dabei die Rolle des gesellschaftlichen Buhmanns ein, der für fast alle Probleme unserer Gesellschaft verantwortlich gemacht wird und angeblich auf Männerhass basiert. Fast immer gehen antifeministische und maskulinistische Bewegungen mit fundamentalistischen Positionen einher, die die Vorstellung von der Natürlichkeit der Geschlechterdifferenzen beinhalten. Während die Akteur_innen antiIHPLQLVWLVFKHU %HZHJXQJHQ VLFK DOV )UDXHQ XQG 0lQQHU LGHQWL¿]LHUHQ ZLUG GLH maskulinistische Bewegung von Männern getragen (ausführlicher Drüeke/Klaus 2014, im Anhang). Die antifeministischen und maskulinistischen Netzwerke diskutiere ich hier erstmals in einem direkten Zusammenhang mit feministischen Öffentlichkeiten. Ob das legitim ist, muss aber noch geprüft werden, wie sich überhaupt die Frage stellt, ob »feministische Öffentlichkeiten« stets »Frauenbewegungsöffentlichkeiten« gewesen sind, also notwendig ausschließlich auf Frauen beschränkt blieben. Feminist_innen und Aktivist_innen der Transgender- und Queerbewegungen zeigen, dass deutlich mehr Teilöffentlichkeiten existieren, die Fragen nach Geschlecht und Begehren thematisieren, als ich das in meiner ursprünglichen Unterscheidung von Frauenöffentlichkeiten und feministischen Öffentlichkeiten bedacht habe. Es-
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sentialismen sind nur dann zu vermeiden, wenn diese Unterscheidungen stets an konkrete Akteur_innen und deren Erfahrungsräume gebunden bleiben und darüber hinaus auch erweitert werden. 2.4 Gesellschafts- und machttheoretische Veror tung Das Verhältnis der drei Ebenen von Öffentlichkeit lässt sich als eine hierarchisch gegliederte Pyramide visualisieren. Es gilt nämlich: Je komplexer die Kommunikationsstruktur, umso kleiner die Zahl der kommunikativen Foren und umso geringer die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger_innen. Und weiter auch: Je komplexer die Öffentlichkeit, umso größer ihre gesellschaftliche Macht und ihr (LQÀXVVDXIGLHª|IIHQWOLFKH0HLQXQJ© Das Modell impliziert, dass gesellschaftliche Kontinuität und soziale StagnaWLRQGLH5HJHOVLQGGDNRPSOH[HQgIIHQWOLFKNHLWHQHLQHZHLWJHKHQGH'H¿QLWLRQV macht für die öffentliche Meinungsbildung zukommt und diese im Sinne der geVHOOVFKDIWOLFKHQ (OLWHQ DJLHUHQ 'DV 0RGHOO ]HLJW DEHU DXFK ZLH LQ VSH]L¿VFKHQ historischen Situationen mehr oder weniger tiefgreifende Veränderungsprozesse in Gang gesetzt werden können, etwa dadurch, dass oppositionelle Positionen, die zunächst nur auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit relevant sind, die komplexe Öffentlichkeit erreichen und eine Delegitimierung hegemonialer Positionen, z. B. Gesetzesänderungen, bewirken können. Auch wenn dieses Modell nur bedingt Prognosen über sozialen Wandel ermöglicht, so ist es geeignet, das ZustandekomPHQNRQÀLNWlUHUJHVHOOVFKDIWOLFKHU'LVNXUVHEHVVHU]XYHUVWHKHQ Abbildung 2: Hierarchie der drei Ebenen von Öffentlichkeit
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In diesem Zusammenhang erhalten gesellschaftliche Umbrüche eine große Bedeutung. Meine – an verschiedenen Stellen näher begründete – diesbezügliche These lautet: In Umbruchzeiten öffnet sich das massenmediale System für alternative Entwürfe und Gesellschaftsbilder, das heißt kleine und mittlere ÖffentlichkeiWHQN|QQHQ'H¿QLWLRQVPDFKWHUKDOWHQ*HVHOOVFKDIWOLFKH8PEUFKHVLQGGDGXUFK gekennzeichnet, dass die bestehenden politischen und/oder ökonomischen VerhältQLVVHJUXQGOHJHQGLQ)UDJHJHVWHOOWZHUGHQ8PEUXFK]HLWHQGH¿QLHUHLFKHQWVSUH chend als jene historische Zeitspanne, in der das überkommene Herrschaftssystem seine Tragfähigkeit verliert und in der um eine neue politische und gesellschaftliche Verfasstheit gerungen wird. Soziologisch können sie als Modernisierungsschübe verstanden werden. Umbruchzeiten können aber auch von außen diktiert werden, beispielsweise durch Naturkatastrophen oder Kriege herbeigeführt werden. Sie enden mit der Fixierung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung und der Konsolidierung der politischen und ökonomischen Verhältnisse. Relativ stabil ist dieser neue Gesellschaftsvertrag dann, wenn dabei ein gesellschaftlicher Grundkonsensus hergestellt werden kann, d. h. eine Mehrheit der Bevölkerung sich mit GHUHWDEOLHUWHQ2UGQXQJLGHQWL¿]LHUWRGHUGLHVH]XPLQGHVWJUXQGVlW]OLFKDN]HSWLHUW Die Wende in der DDR liefert dafür ein Beispiel, ebenso die unmittelbare Nachkriegszeit und der kulturelle und soziale Wandel in der Bundesrepublik in Folge der 1968er Protestbewegungen. Die Frage, ob der skizzierte idealtypische Verlauf von Umbruchphasen als Dynamisierungsschübe für Öffentlichkeit auch in Diktaturen und autoritären Regierungsformen Gültigkeit beanspruchen kann, in denen die repräsentative Demokratie unterlaufen wird und die Massenmedien einer Zensur unterliegen, hat Laura Gruber (2007) am Beispiel der sozialdemokratischen österreichischen Frauenzeitschrift »Die Unzufriedene/Das Kleine Frauenblatt« aufgeworfen, die während der Ersten Republik, im Austrofaschismus und schließlich auch noch am Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft erschien und damit in drei unterschiedlichen 6\VWHPHQ LQ GHQHQ DXFK MHZHLOV XQWHUVFKLHGOLFKH *HVFKOHFKWHUGH¿QLWLRQHQ YRU herrschten. Eine Analyse der Zeitschrift eignet sich damit hervorragend um den Wandel der Medienadressierung in verschiedenen Systemen – Demokratie, autoULWlUH5HJLHUXQJVIRUPXQG'LNWDWXU±QDFK]X]HLFKQHQ*UXEHUV0RGL¿NDWLRQGHV 'UHL(EHQHQ0RGHOOVJHKWGDYRQDXVGDVVLQ'LNWDWXUHQKlX¿JGLHWUDGLWLRQHOOHQ mittleren Öffentlichkeiten umgangen werden und demgegenüber eine direkte Ansprache der einfachen Öffentlichkeiten erfolgt. Empirisch kann sie diese These anhand der Entwicklung der Geschlechterrepräsentationen in der von ihr untersuchten Frauenzeitschrift belegen. Wenn sich dieser Befund erhärten und damit verallgemeinern ließe, dann würde das bedeuten, dass mittleren Öffentlichkeiten allgemein – also nicht nur subalternen Gruppen im Sinne Frasers (2001) – eine zentrale Rolle für die Demokratie und die Sicherung der Vielfalt der Meinungen und Stimmen zukommen würde.
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HERAUSFORDERUNGEN UND WEITERENTWICKLUNGEN
Derzeit stellen sich mir im Hinblick auf die vorgestellten Überlegungen eine Reihe von Fragen, die ich als Herausforderungen begreife und die teilweise, aber nicht in Gänze, in Beiträgen dieses Bandes aufgegriffen und ausführlicher diskutiert werden. Ein Teil der damit aufgeworfenen Probleme sind mit den gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Entwicklungen verbunden, die das, was Öffentlichkeit heute heißt, deutlich verändert haben. Ein anderer Teil thematisiert Unklarheiten bzw. Unschärfen, die im Zuge empirisch-theoretischer Anwendungen aufgeworfen wurden. Solche Herausforderungen, die ich im Folgenden kurz diskutiere, sind insbesondere: 1. die differenziertere Bestimmung von Öffentlichkeit auch als ein Vermittlungssystem zwischen Demokratie und Kapitalismus 2. die Beschreibung des Stellenwerts von Medien auf allen drei Ebenen von Öffentlichkeit 3. die Integration von »neuen« und »alten«, Öffentlichkeiten sowie 4. die Integration von nationalen, supranationalen und transnationalen Öffentlichkeiten in das Modell. 3.1 Öffentlichkeit als Vermittlungssystem zwischen Demokratie und Kapitalismus Wie bereits oben kurz erwähnt, interessiert mich bereits seit längerer Zeit die Frage, wie gesellschaftliche Macht als integraler Bestandteil in meinen Öffentlichkeitsüberlegungen zum Ausdruck gebracht werden kann. Das muss über die derzeit recht lapidare Feststellung, dass komplexe Öffentlichkeiten letztlich die öffentliche Meinung bestimmen, also mächtiger sind als einfache und mittlere Öffentlichkeiten, hinausgehen. Dazu können die in den letzten Jahren vorgelegten kritischen Gesellschaftsanalysen, vor allem in Bezug auf die neoliberale Wende der kapitalistischen Gesellschaften, herangezogen werden. Zwei Gedanken scheinen mir dabei besonders produktiv zu sein, um über das Drei-Ebenen-Modell nachzudenken und HVJJIV]XPRGL¿]LHUHQ Zum einen hat Alex 'HPLURYLü (2013) darauf hingewiesen, dass die zentrale Frage für die Sicherung der Demokratie ist, wie die Eigentumsverhältnisse demokratisiert werden können. Dabei versteht 'HPLURYLü Demokratie als umfassende diskursive und damit performative Praxis. Öffentlichkeit könnte in dieser Perspektive als Scharnier zwischen kapitalistischer Wirtschaft und demokratischen Institutionen konzeptioniert werden, gewissermaßen als Schmiermittel der Gesellschaft.
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Öffentlichkeit hätte dann auch eine »Legitimationsfunktion«, indem vielfältige Mitglieder der Gesellschaft daran partizipieren können, ohne aber zugleich wirkliche Entscheidungsgewalt zu haben, da die zentralen gesellschaftlichen Prozesse durch eine, der Demokratie und Öffentlichkeit weitgehend entzogene, Wirtschaft bestimmt werden. Eine solche Sichtweise wird durch empirische Studien, etwa zur EU erhärtet. So hat etwa Madeleine Rohrer (2009) gezeigt, dass zwar in der (8]XQHKPHQGHLQ'HPRNUDWLHGH¿]LWHUNDQQWXQGHQWVSUHFKHQGH%UJHUBLQQHQ IRUHQHLQJHULFKWHWZXUGHQGLHVHDEHUNDXP(LQÀXVVDXI(QWVFKHLGXQJHQQHKPHQ können. Stattdessen beherrschen Lobbyisten – die auf keiner der drei Ebenen von Öffentlichkeit verortet werden können – die Meinungsbildungsprozesse im Brüsseler Parlament. Das führt zu meiner zweiten Überlegung, die an der Beobachtung ansetzt, dass heute eine Abnabelung der Eliten von der Demokratie feststellbar ist bzw. eine zunehmende Kluft zwischen denen, die Macht und Geld haben, und den Bürger_innen besteht. Als ein Zweig der Eliteforschung, der für meine Überlegungen releYDQW LVW ZLUG DOV ª3RZHU 6WUXFWXUH 5HVHDUFK© EH]HLFKQHW %HL :LNLSHGLD ¿QGHW man dazu folgenden Eintrag1: Power Structure Research geht davon aus, dass es Netzwerke von einigen tausend Personen gibt, in denen die wichtigsten staatlichen, parlamentarischen und gesetzgeberischen Aktivitäten vorentschieden werden. Forschungsgegenstand sind daher die Elemente dieser Zusammenhänge, insbesondere – das soziale Umfeld und die ökonomischen Interessen von einzelnen Mitgliedern der Machtelite ± GLHLQQHUH0DFKWVWUXNWXUJURHU.RQ]HUQHXQGLKUH(LQÀXVVQDKPH ± GHU*HOGÀXVVDXVGLHVHQ.UHLVHQDQSROLWLVFKH.DQGLGDWHQXQG3DUWHLHQ – die Rolle von Lobbyisten und Lobbyistinnen, Stiftungen, Denkfabriken und Unternehmensverbänden.
Der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski (2009), ein führender Protagonist dieser Forschungsrichtung, hat in Bezug auf diese immer kleiner, zugleich aber mächtiger werdende Macht-Geld-Elite von einer Re-Feudalisierungder Gesellschaft und einer Privatisierung der Macht gesprochen. Gesellschaftlich bedeutende Entscheidungen würden damit zunehmend ent-öffentlicht und stünden damit immer weniger zur gesellschaftlichen Debatte bereit. Zusammenfassend führen beide Überlegungen dazu, dass Öffentlichkeit damit zum demokratischen Kitt für wirtschaftliche und politische Entscheidungen wird, die selber jedoch immer stärker jenseits von Öffentlichkeit zwischen den Eliten entschieden und der öffentlichen Kontrolle immer mehr entzogen werden. 1
http://de.wikipedia.org/wiki/Power_Structure_Research (Abruf: 15.09.2015).
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Öffentlichkeit kann in der Folge zwar weiterhin als Selbstverständigungsprozess GH¿QLHUWZHUGHQLVWDEHUGDQHEHQJOHLFKHUPDHQDXFKDOV/HJLWLPDWLRQVSUR]HVV]X bewerten, der sich u. a. durch Normalitätsdiskurse konstituiert (vgl. Link 2006). Wie könnten solche Überlegungen im Modell ausgeführt und dargestellt werden? 3.2 Die Beziehung zwischen Medien und Öffentlichkeiten Gerhards und Neidhardt (1990) haben die massenmediale Öffentlichkeit in der obersten Stufe von Öffentlichkeit verortet. Entsprechend sind auch bei Donges und Imhof (2010) die Elitemedien an der Spitze ihrer Pyramide angesiedelt. In meinem Modell dagegen werden der komplexen Öffentlichkeit auch andere Akteur_innen und Organisationen zugerechnet, etwa die Parlamente, Parteien und Regierungen, also die klassischen Institutionen und Räume bürgerlicher Demokratie, weiter auch die professionelle Öffentlichkeitsarbeit großer Unternehmen. Das liegt daran, dass die drei Ebenen Diskursräume unterschiedlicher Komplexität sind. Diese inkludieren Medien, aber eben nicht nur diese, sondern vor allem auch jene Diskursteilnehmer_innen, die wiederum Medien nutzen, um ihre Positionen zu artikulieren. Ulla Wischermann (2003) hat gezeigt, dass die Erfolge der Frauenbewegungen um die Wende zum 20. Jahrhundert damit verbunden waren, dass diese mithilfe unterschiedlicher Kommunikationsformen und Medien – angefangen vom persönlichen Gespräch und Liedern über das Flugblatt und die Bewegungszeitschriften bis hin zu Petitionen und der Massenpresse – die Öffentlichkeit auf allen drei Ebenen des Öffentlichkeitsprozesses erreichen konnten. Trotzdem ist noch weitgehend unbekannt, wie sich das Verhältnis von Medien und sozialen Akteur_innenkonstellationen im Einzelnen darstellt? So greift in der Fallstudie von Wischermann eine Bewegung, angesiedelt auf der mittleren Ebene, auf Mittel zurück, die zu den Kommunikationsformen auf der einfachen oder komplexen Ebene von Öffentlichkeit zählen. Sind Medien dann »lediglich« als Mittel zu sehen, die Akteur_innen in verschiedenen Öffentlichkeiten zur Popularisierung und Verbreitung ihrer Themen mehr oder weniger intensiv nutzen (können)? Noch komplexer wird diese Frage, wenn man bedenkt, dass mit der zunehmenden Mediatisierung der Gesellschaft Handeln stets auch mediales Handeln ist. Das zeigt sich besonders deutlich im Internet. 3.3 »Neue« und »alte« Öffentlichkeiten Vor allem das Internet hat den Debatten um Öffentlichkeit reichhaltige neue Nahrung gegeben. In meiner Formulierung des Drei-Ebenen-Modells, die aus dem »Vor-Internet-Zeitalter« stammt, vermitteln die mittleren Öffentlichkeiten (wie unter 2.2 kurz ausgeführt) zwischen den einfachen und den komplexen, denn diese haben keinen direkten Zugriff aufeinander. Die komplexen Öffentlichkeiten brauchen deshalb die Übersetzungs- und Vermittlungsleistung der mittleren, die »klei-
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nen Öffentlichkeiten« deren Möglichkeit, Themen zu bündeln und Interessen als Gruppeninteressen zu artikulieren. Das ändert sich mit dem Internet und den zahlreichen neuen Möglichkeiten, die dieses für öffentliche Artikulationen bietet, grundlegend. Die Durchlässigkeit der Ebenen steigt enorm und das hat die Frage aufgeworfen, ob das Modell im Internetzeitalter überhaupt noch tragfähig ist. Ricarda Drüeke (2013) und die diesbezüglichen Beiträge in diesem Band bejahen die Frage. Versuchsweise haben wir die neuen Kommunikationsformen im Internet in Abb. 3 den drei Ebenen zugeordnet (vgl. Drüeke/Klaus 2014, im Anhang). Gleichwohl bleiben Fragen nach der Durchlässigkeit der verschiedenen Ebenen und ihrem dadurch bedingten Funktionswandel. Abbildung 3: Ebenen von Internet-Öffentlichkeiten
Quelle: Drüeke/Klaus 2014, 61 (im Anhang)
3.4 Nationale, supranationale und transnationale Öffentlichkeiten Das Konzept Öffentlichkeit ist an die Herausbildung von Nationalstaaten gebunden. Die Frage ist nun, ob es für andere, transnationale und supranationale, Öffentlichkeiten sinnvoll verwendet werden kann. Das geht, solange diese anderen (EHQHQZLHTXDVLQDWLRQDOVWDDWOLFKH*HELOGHEHKDQGHOWZHUGHQZLHHVKlX¿JLQ Diskussionen um die europäische Öffentlichkeit geschieht. Neben die nationalstaatlichen Öffentlichkeiten treten dann die supranationalstaatlichen quasi additiv hinzu. In Globalisierungsprozessen stellt sich das Problem aber als viel komplexer und vielschichtiger dar, da sich verschiedene Öffentlichkeiten durchdringen und miteinander verschränken.
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So werden z. B. die Occupy-Bewegung oder Attac als transnationale Bewegungen gesehen. Die Frage ist jedoch, ob es sich dabei nicht eher um transkulturelle Bewegungen handelt, wie sie die Frauen-, Friedens-, Umweltschutz- und Arbeiterbewegungen darstellen. Diese vernetzen sich zwar international und tauschen sich länderübergreifend aus, erzielen als Öffentlichkeiten aber letztlich vor allem durch ihre Aktivitäten und Erfolge in den einzelnen Nationalstaaten Aufmerksamkeit. Migrationsbewegungen führen ebenfalls zu ganz neuen Öffentlichkeitskonstellationen, da Migrant_innen einerseits dort in einfache oder auch mittlere Öffentlichkeiten eingebunden sind, wo sie residieren, zugleich aber auch in vielfältigen Kommunikationsräumen über die jeweiligen Ländergrenzen hinaus agieren (vgl. Hepp 2008). Nancy Fraser (2007) sieht entsprechend europäische, nationale und transnationale Öffentlichkeiten als komplementäre politische Arenen. Für sie ist dabei besonders wichtig, welche Ein- und Ausschlüsse die verschiedenen Öffentlichkeiten jeweils beinhalten, etwa wenn im Rahmen des Nationalstaates das Recht der öffentlichen Artikulation weitgehend nur den Bürger_innen vorbehalten bleibt, und damit Migrant_innen ausschließt, oder die EU mit militärischer Gewalt die Sicherung ihrer Grenzen gegenüber afrikanischen Flüchtlingen durchsetzt. Hier wird das unter 3.1 angesprochene Problem der Geld-Macht-Elite und der Re-Feudalisierung sozusagen von unten thematisiert. Es ist wichtig, Ausschlüsse auch mit Bezug auf die verschiedenen Öffentlichkeitsebenen zu beobachten: Wem wird nicht nur die Partizipation an Entscheidungen, sondern darüber hinaus die Partizipation am gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess insgesamt verweigert?
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RESÜMEE
Die Vorstellungen von Öffentlichkeit als Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft und das damit in Verbindung stehende Drei-Ebenen-Modell ist eben das: ein Modell, welches es erleichtert, darüber nachzudenken, wie und unter welchen Bedingungen gesellschaftliche Veränderungen im Interesse antihegemonialer ÖfIHQWOLFKNHLWHQXQGVR]LDOHU%HZHJXQJHQP|JOLFKZHUGHQ'HU%URFNKDXVGH¿QLHUW ein (naturwissenschaftliches) Modell als »ein Abbild bestimmter, der empir. Erfahrung durch Beobachtung oder Experiment zugängl. Aspekte der unbelebten oder belebten Natur bzw. Materie, bei dem die für wesentlich erachteten Eigenschaften hervorgehoben und die als nebensächlich angesehenen Attribute außer Acht gelassen werden. Das M. in diesem Sinn ist ein Mittel zur Beschreibung – und damit zur Interpretation – der erfahrenen Realität und zur Begriffsbildung durch Idealisierung und Abstraktion von der Wirklichkeit.« (Brockhaus 2006: Bd. 18, 626)
Als Modell vereinfachen meine Überlegungen den Prozess Öffentlichkeit. Sie bedürfen deshalb des Nachweises ihrer empirischen Brauchbarkeit und ihrer theo-
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retischen Relevanz sowie Anschlussfähigkeit an andere Forschungsbereiche und Basistheorien. Die verschiedenen Beiträge des Bandes liefern dazu Material. Neue Herausforderungen ergeben sich vor allem durch die Zunahme sozialer Ungleichheit, die rasante Entwicklung neuer Technologien und Kommunikationsräume sowie vielfältiger transnationaler wie transkultureller Veränderungen, wie sie etwa durch Migration induziert werden. Ist es in diesem Zusammenhang überhaupt noch sinnvoll, an Öffentlichkeit als einem zentralen sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Konzept festzuhalten? Ich meine ja, denn die Öffentlichkeit in der Einzahl ist ein mit normativen Erwartungen verbundenes Ideal. Das gilt für seine Bestimmung als demokratisches Prinzip, als Deliberationsprozess wie auch als Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft. Als solches bleibt das vieldimensionale Konzept eine bedeutende Grundlage für jedwede gesellschaftskritische Forschung. Empirisch könnte Öffentlichkeit in der Einzahl als Gesamtheit aller Öffentlichkeiten gefasst werden, die auf den drei Ebenen von Öffentlichkeit agieren. Die zahlreichen und immer neu entstehenden Öffentlichkeiten, öffentlichen Diskurse und Aushandlungsprozesse bleiben dann der empirischen Forschung zugänglich.
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LITERATUR
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Politische Kommunikationsräume im Internet
Politische Kommunikationsräume im Internet RICARDA DRÜEKE
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EINLEITUNG: POLITISCHE KOMMUNIKATION IM INTERNET
In YouTube-Videos wendet sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Bürger_innen. Über das Internet wird der ehemalige Innenminister Österreichs Günther Platter, der bezüglich seiner Maßnahmen zur Inneren Sicherheit in die Kritik geraten war, selbst zum Überwachten. Online-Auftritte von Tageszeitungen ermöglichen es Nutzer_innen direkt zu kommentieren und bilden so die Basis breiter Diskussionen. So genannte »Watchblogs« im Internet setzen der massenmedialen Boulevard-Presse eine kritische Öffentlichkeit entgegen. Das Internet wird von immer mehr Menschen weltweit als primäre Nachrichtenquelle genutzt (vgl. Pew Research 2011). Die Unruhen des Jahres 2011 in Tunesien und Ägypten riefen einmal mehr (und wieder) Medienberichte hervor, die das demokratische Potenzial des Internets betonen. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen und deutet darauf hin, dass das Internet in Bezug auf demokratische Öffentlichkeit und politische Kommunikation eine wesentliche Rolle spielt. Diese Entwicklungen bedingen veränderte Erwartungen an die Herstellung von Öffentlichkeit im und durch das Internet. Insbesondere eine Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteur_innen scheint erleichtert: Netzwerkbildung zwischen den Akteur_innen, Produzieren von gemeinVDPHQ 3UREOHPGH¿QLWLRQHQ DOV %DVLV IU JHPHLQVDPHV +DQGHOQ VRZLH GLH %H reitstellung von Mobilisierungsangeboten für politisches Engagement (vgl. Lang 2004). Auch Einzelakteur_innen, also Bürger_innen, können auf eine neue Art an politischer Kommunikation teilhaben und Öffentlichkeiten herstellen. Insbesondere durch die Entwicklung des so genannten »Social Web« konnten aus passiven Rezipient_innen aktive Produzent_innen von Inhalten werden (vgl. Bruns 2008). Individuellen Kommunikationsformen zeigen sich vor allem in Blogs, in denen Alltägliches und Privates öffentlich verhandelt wird (vgl. Schmidt 2006; Katzenbach 2008). Mit dem Citizen Journalism ist den Massenmedien darüber hinaus eine wirkmächtige Form alternativen Journalismus entgegen getreten (vgl. Allan/ Thorson 2009).
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Ausgehend von diesen Überlegungen setzt sich dieser Beitrag mit der Frage auseinander, wie sich eine Untersuchung von Online-Kommunikation theoretisch fundieren lässt. Ziel des Beitrags ist es, ein Modell politischer Kommunikationsräume im Internet darzustellen, das aus einer theoretischen Auseinandersetzung mit aktuellen Raum- und Öffentlichkeitstheorien gewonnen wurde. In den folgenden Abschnitten werden die zentralen theoretischen Aspekte, die mit dem so genannten spatial turn einhergehen, erläutert. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf den raumtheoretischen Ansatz von Edward Soja. Daran anschließend werden feministische Öffentlichkeitstheorien vorgestellt, da Öffentlichkeit eine zentrale Kategorie zum Verständnis von Gesellschaft und ebenso ein Grundbegriff der politischen Kommunikation darstellt. So sollen Kommunikations- und Entscheidungsvorgänge vor dem Hintergrund unterschiedlicher Formierungsbedingungen von Öffentlichkeiten analysierbar werden. Zentraler Ansatzpunkt ist dabei das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit (Klaus 2001), das mit raumtheoretischen Ansätzen, insbesondere unter Rückgriff auf Edward Soja (1989), verbunden wird. Die Diskussion über das Verhältnis von Raum und Öffentlichkeit legt die Grundlage für ein Modell der politischen Kommunikationsräume im Internet. Dieses theoretische Modell bildet die konzeptionelle Grundlage und den Analyserahmen, um politische Kommunikationsräume im Internet empirisch zu erfassen und zu analysieren.
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ANMERKUNGEN ZUM SPATIAL TURN
Veränderbare und gestaltbare Räume, insbesondere mediale Räume, bilden die Geographien der Kommunikation, in denen sich gesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen analysieren lassen. Medien selbst sind dabei Teil eines permanenWHQ NXOWXUHOOHQ VR]LDOHQ XQG JHVHOOVFKDIWOLFKHQ :DQGHOV .RPPXQLNDWLRQ ¿QGHW in solchen medialen Räumen statt, konstruiert sie aber auch und schafft so Verortungen für Subjekte und Positionen. Als Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher und geographischer Ansätze sind insbesondere Ansätze der Sozialgeographie zu nennen, die eine zentrale Basis sozial- und kulturwissenschaftlicher Raumbeschreibungen darstellen. Für eine Fundierung des spatial turn beziehe ich mich im Folgenden auf zentrale theoretische Positionen zum Raum aus der Sozialgeographie. Zentrale Vertreter_innen sind Henri Lefebvre, Edward Soja und Doreen Massey, deren Konzepten gemeinsam ist, das sie nach der Beziehung zwischen Raum und Gesellschaft fragen und Raum nicht essentialistisch auffassen. Ihr Ausgangspunkt ist vielmehr, dass ein ständiger Prozess des Machens und Gemachtwerdens bei der Konstituierung von Raum entscheidend ist. So greift Edward Soja, dessen raumtheoretischer Ansatz in diesem Abschnitt im Zentrum steht, in seinen Überlegungen zum Raum im Wesentlichen auf zwei Theoretiker_innen zurück. Erster Bezugspunkt ist das Werk Henri Lefebvres; Soja
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übernimmt von Lefebvre die Grundauffassung, dass Raum gesellschaftlich geschaffen wird. Zentral ist dabei, »dass wir ihn [den Raum] ändern können« (Soja 2008: 255). Der zweite theoretische Bezugspunkt sind die Arbeiten von bell hooks (1990), mittels derer Soja soziale Differenzen als konstitutive Merkmale von RäPHQLGHQWL¿]LHUW'LHHUVFKLHQHQH0RQRJUDSKLHª3RVWPRGHUQ*HRJUDSKLHV© gilt als ein Meilenstein, insbesondere der sozialgeographischen Debatten, des spatial turn. Soja bezieht sich zwar in weiten Teilen auf die Erkenntnisse der Kritischen Theorie erweitert diese jedoch um die Raumperspektive auf gesellschaftliche Prozesse. Denn die Kritische Theorie habe den Raum nicht nur »ignoriert«, sondern »unterdrückt« und damit Raum lange Zeit als etwas »Immobiles, Undialektisches, Fixiertes« begriffen, während Zeit auf der anderen Seite etwas »Dialektisches« war (Soja 1989: 12). Der Sinn und Zweck von Gesellschaften lässt sich Soja zufolge nur erfassen, wenn der Raum in den Mittelpunkt der Betrachtung einer Gesellschaft gerückt wird. Sojas Grundannahme ist dementsprechend, dass das Räumliche bzw. der Raum fundamental für die Konstituierung des sozialen Lebens ist und damit zugleich eine zentrale Rolle für jede Theoriebildung einnimmt. Soja (2008: 256) führt aus, dass gesellschaftliche Prozesse ebenso räumliche Formen ausbilden, wie der Raum gesellschaftliche Prozesse erst verursacht. Diese Prozesse erfasst Soja mit Hilfe einer »Trias« zur Unterscheidung der räumlichen Ebenen. Mit dieser Dreiteilung übernimmt Soja einerseits das Argument von Lefebvre, wonach Dualismen dem tatsächlich gelebten Raum nicht gerecht werden können, andererseits greift er die postmoderne, feministische und poststrukturalistische Kritik an der binären Logik des Denkens der Moderne auf (vgl. +LSÀ 6REH]LHKWVLFK6RMDDXIGLH$QQDKPH/HIHEYUHVGDVVVLFK3UR zesse der Verräumlichung, also der Raumbildung, insbesondere durch drei Ebenen fassen lassen. Er übernimmt dementsprechend die Konzeption des perceived space, des conceived space und des lived space. Darüber hinaus differenziert er das Verhältnis zwischen Raum und sozialer Praxis weiter aus, um Räume der Peripherie und der Marginalisierten und die damit verbundenen Machtverhältnisse abzubilden. Ausgehend von der Annahme, dass schon das Leben an sich, das »Sein«, durch eine »Trialektik« geprägt ist, arbeitet Soja mit den Begriffen der Geschichtlichkeit (»Historicality«), Räumlichkeit (»Spatiality«) und die Gesellschaftlichkeit bzw. Vergesellschaftung (»Socialitity«) (vgl. Soja 1999: 263). Zentral ist dabei die Räumlichkeit, die wiederum aus drei sie konstituierenden Ebenen besteht. Die schon angesprochene »trialectics of spatiality« erstreckt sich über das Wahrgenommene (»perceived«), das Imaginierte (»conceived«) und das Gelebte (»lived«). Diese Trialektik der Räumlichkeit steht im Zentrum von Sojas Ausarbeitungen und stellt damit das Gerüst eines umfassenden Raumbegriffs dar. Die jeweiligen Ebenen, das Wahrgenommene, das Erdachte und Gelebte, sieht Soja in Verbindung mit
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analytisch unterscheidbaren Räumen (vgl. Soja 1999: 265 ff.). Die soziale Praxis, die zu diesen Räumen führt, lassen sich dann weitergehend in einen First-, Secondund Thirdspace unterscheiden: (1) Der wahrgenommene Raum (»perceived space«) ist als räumliche Praxis der Firstspace. Diese Ebene von Räumlichkeit umfasst den Raum, in dem wir uns bewegen und interagieren. Der Raum ist materiell oder wird als materialisiert wahrgenommen, da er die erfahrbare und messbare Welt umfasst. Der »Firstspace« reicht jedoch nicht als Erklärung für gesellschaftliche Prozesse aus, da auch materielle Räume oder Geographien nicht festgeschrieben, sondern das Ergebnis von Machtprozessen sind. (2) Der erdachte Raum (»conceived space«) als die Repräsentation von Raum ist der Secondspace. In diesem erdachten Raum wird die subjektive, imaginierte Repräsentation von Räumlichkeit deutlich. Dieser Raum besteht aus Diskursen, also der Art und Weise, wie gesellschaftliche und kulturelle Konstruktionen beispielsweise innerhalb einer Gemeinschaft gebildet und gedacht werden. Dabei sind Geographien nicht von diesen Prozessen ausgenommen. Auch das Denken über bestimmte räumliche Formen, wie beispielsweise den Nationalstaat, bestimmen dessen Nutzung und Bedeutung mit. (3) Mit der Konzeption eines gelebten Raums (»lived spaces«) erweitert Soja die Binarität von First- und Secondspace um einen Thirdspace. Dieser gelebte Raum umfasst ein Nebeneinander von traditionell in Oppositionen Gedachtem. Bisherige dualistisch konzipierte Begriffe vermischen sich: »Everything comes together in Thirdspace: subjectivity and objectivity, the abstract and the concrete, the real and the imagined, the knowable und die unimaginable, the repetitive and the differential, structure and agency, mind and body, consciousness and the unconscious, the disciplined and the transdisciplinary, everyday life and unending history« (Soja 1996: 56 f.). Sojas Trialektik von Raum führt also zu einer Konzeption, die eine (interdisziplinäre) Herangehensweise einfordert, da historische und gesellschaftliche Entwicklungen bei der Entstehung von Räumen berücksichtigt werden. Gleichzeitig begründet er durch den Thirdspace die Möglichkeit einer Gesellschaftskritik, die nach Zwischenformen und Umdeutungen fragt. In räumlichen Prozessen einer Gesellschaft werden dementsprechend einerseits Markierungen von Herrschaftspositionen sichtbar, die aber andererseits immer auch Aushandlungsprozesse sind (vgl. Löw 2001: 159). Über Relationen zwischen verschiedenen Räumen können demnach neue und sich gegenseitig überlappende Räume gebildet werden (ebd: 111). Ähnlich argumentiert Edward Said (1995) in seinen Ausführungen zur Orientalismuskritik, in denen er Dichotomien in Frage stellt, die sich auf Ghettos, Kolonien und Reservate beziehen und damit konkrete Orte gesellschaftlicher und sozialer Differenz bezeichnen. Hinzu kommen durch Migrationsbewegungen diasporische Gemeinschaften, die heutzutage auch auf verschiedenen Medien zur Vernetzung
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zurückgreifen und auf ihre Differenzierungen hinterfragt werden können (vgl. +HSS ,Q=XVDPPHQKDQJGDPLWVWHKWDXFKHLQH5HÀH[LRQGHVMHZHLOVJH wählten Ausgangspunkts, was Fragen nach Zentrum und Peripherie gesellschaftlicher Betrachtungsweise in den Mittelpunkt rückt. Eine derartige RaumkonzepWLRQ OlVVW HLQH ZHLWUHLFKHQGH 5HNRQ¿JXUDWLRQ XQG 7UDQVIRUPDWLRQ GHU $QDO\VH gesellschaftlicher Prozesse zu (vgl. auch Soja 2008: 242 f.). Politische Veränderungsmöglichkeiten und Potenzial zum Widerstand sind in dieser Raumkonzeption mitgedacht, da die gesellschaftliche Produktion von Räumen, die auch Ungleichheiten festigen, als etwas nicht ein für allemal Fixiertes betrachtet werden. *HVHOOVFKDIWOLFKH3UR]HVVHGLHPLWWHOVVROFKHUVR]LDOHU5lXPHVWDWW¿QGHQZHUGHQ analysier- aber auch kritisierbar. Dadurch eröffnet sich ein kritisches Potenzial, um Räume nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie in ihren Undeindeutigkeiten und Lücken zu erfassen. Auch von und in Medien gebildete Räume, in GHQHQ.RPPXQLNDWLRQVWDWW¿QGHWVLQGGDPLWYHUlQGHUEDU6LHODVVHQVLFKDXILKUH Konstruktionen hinterfragen und damit die sie kennzeichnenden Praktiken und Repräsentationen in den Blick nehmen. Bedeutungen und Zuschreibungen, die beispielsweise hinter Begriffen kommunikativer Inhalte liegen, sind dann analysierbar. Medien und auch das Internet sind nicht an territoriale Grenzen gebunden, aber sie sind auch nicht ohne Rückbezug auf gesellschaftliche Strukturen zu erklären. Die vorgestellte Trialektik von Raum vermeidet dualistische Konstruktionen, damit beispielsweise nicht zwischen der technischen Basis des Internets und den sozialen Prozessen getrennt wird. So stellt ein Forum im Internet die materielle Basis dar, und ist damit der Firstspace, in dem die Teilnehmer_innen agieren und der materialisiert wahrgenommen wird. In diesem Forum wird durch Threads und Postings diskursiv festgelegt, wie bestimmte Themen verhandelt werden, und bestimmte Repräsentationen werden durch die Inhalte erzeugt, was den Secondspace auszeichnet. Dass dieses Prozesse nicht eindeutig sind und voller Widersprüche sein können, darauf weist der Thirdspace hin. Auch wenn eine bestimmte Deutung im betrachteten Internetforum vorherrscht, sind auch andere Repräsentationen denkbar, die Alternativen aufzeigen und vielleicht gerade dadurch politische Kraft entfalten können.
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ÖFFENTLICHKEITSTHEORIEN UND ÖFFENTLICHE DISKURSE IN FEMINISTISCHER PERSPEKTIVE
In diesem Abschnitt wird ausgehend von den Debatten um das Verhältnis zwischen privat und öffentlich die Erweiterung des Politikbegriffs nachgezeichnet. Daran anschließend wird das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit vorgestellt. Jede Theorie der Öffentlichkeit, des öffentlichen Raumes und des öffentlichen Dialoges setzt notwendigerweise eine Art Grenzziehung zwischen dem Privaten
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und dem Öffentlichen voraus. Dabei ist die Trennung in eine private und eine |IIHQWOLFKH 6SKlUH ]XPHLVW KLVWRULVFK SROLWLVFK XQG NXOWXUHOO VSH]L¿VFK XQG GLH Grenzen dieser beiden Sphären nicht festgelegt. Dennoch ist für ÖffentlichkeitsWKHRULHQHLQH5HÀH[LRQGHV3ULYDWHQNRQVWLWXLHUHQG%HDWH5|VVOHU EHWRQW den »Wert des Privaten« – allerdings nicht von einer explizit feministischen Perspektive ausgehend – und entwirft eine Theorie des Privaten, um so auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, dass das Private als eigenständiges Konzept in vielen Öffentlichkeitstheorien vernachlässigt wird und lediglich das Gegenüber von Öffentlichkeit darstellt. Feministische Theoretiker_innen kritisieren an einer Grenzziehung zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sphäre vor allem, dass damit eine Zuordnung bestimmter Bereiche zu der jeweiligen Sphäre verbunden ist, die auch immer mit Machtverhältnissen und Differenzsetzungen einhergeht. Die tradierte gesellschaftliche Zuordnung von Frauen zu einem privaten (häuslichen) Bereich und von Männern zu einem öffentlichen (politischen) Bereich schafft und reproduziert Ungleichheiten. Damit ging die Zuweisung bestimmter Geschlechterrollen einher, so werden weiblich konnotierte Handlungsbereiche wie +DXVDUEHLW UHSURGXNWLYH7lWLJNHLWHQ 3ÀHJH XQG 6RUJHDUEHLW DOV SULYDW PDUNLHUW und damit Frauen zugeordnet. Die Basis feministischer Öffentlichkeitstheorien ist dementsprechend eine Neukonzeption tradierter Vorstellungen von Privatheit. Privatheit wird nicht als »natürliche« Sphäre angesehen, sondern als Ort der Bewahrung »privater Räume und privater Lebensdimensionen, um den Sinn individueller Freiheit zu gewährleisten« (Rössler 2001: 54). 'LH'LFKRWRPLH]ZLVFKHQ|IIHQWOLFKXQGSULYDWLVWDOVRJHVFKOHFKWHUVSH]L¿VFK aufgeladen (vgl. Lang 2004: 72). Insbesondere der feministischen Forschung ist es zu verdanken, dass Öffentlichkeit und vor allem ihre Entgegensetzung zur privaten Sphäre kritisch beleuchtet und das implizit asymmetrische Machtverhältnis, das eine solche Trennung hervorruft, in den Blick genommen wurde. Dackweiler und Holland-Cunz (1990) haben schon früh beschrieben, dass Öffentlichkeit kein geschlechtsloser Ort demokratischer Willensbildung ist. Selbstverständigung ¿QGHWGHPQDFKVRZRKOLQ.RPPXQLNDWLRQVIRUPHQLP3ULYDWUDXPDOVDXFKLQDO ternativen öffentlich-politischen Diskursen statt. Zwar werden manche Marginalisierungen »privat« erlebt, sie haben aber zugleich eine gesellschaftlich normierte Dimension. Eng verknüpft mit feministischen Diskursen zu Privatheit ist der Begriff des Politischen – dabei wird vor allem zwischen einem engen und einem weiten Politikbegriff unterschieden. Beim engen Politikbegriff liegt die Ebene der institutioQHOOHQXQGVWDDWOLFKHQ3ROLWLNHQLP=HQWUXPGHU%HWUDFKWXQJ(UQLPPWDI¿UPDWLY %H]XJDXIKHUUVFKHQGH9HUKlOWQLVVHXQGGH¿QLHUWVLFKLP*HJHQVDW]]XP3ULYDWHQ somit wird Politik gleichgesetzt mit der öffentlichen Sphäre. Feministische Kritik daran ist, dass so die Virulenz der Kategorie »Geschlecht« für diese Sphären ignoriert wird, was zu einer Stärkung der Position des historisch dominierenden
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Geschlechtes geführt hat. Weite Teile des Politischen werden so einem demokratischen Kontrollverfahren entzogen, und damit wird die ungleiche Verteilung der Macht aufrechterhalten (vgl. Rosenberger 1996; Sauer 2001). Favorisiert wird von feministischen Theoretiker_innen ein weiter Politikbegriff, der die institutionelle und damit staatliche Einfassung des Politischen überwindet. Eine Ausweitung des Politikbegriffs zielt darauf ab, dass eine Anwendung auf »staatsferne« soziale Bewegungen, privat konnotierte Bereiche und alternative bzw. informelle PolitikforPHQVWDWW¿QGHW6DXHU 3ROLWLNVROOGDEHLQLFKWQXUª,QWHUHVVHQVSROLWLN© sein, d. h. Formulierung, Aggregierung und Durchsetzung bzw. Realisierung von »gleichsam voraussetzungslos im Jenseits des Politischen entstandenen Interessen« (Sauer 2001: 39); Politik umfasst vielmehr die Herstellung, Konstruktion und Repräsentation von politischen Identitäten bzw. von sozialer und kultureller DiffeUHQ]LQHLQHPNRQÀLNWKDIWHQ3UR]HVV Die konkrete Ausgestaltung ist unterschiedlich: Die institutionell erfolgreichste Variante besteht in der Aufnahme frauenrelevanter Themen- und Problemfelder des Privaten in die Agenda des Öffentlich-Politischen, typisch dafür ist GLH (WDEOLHUXQJ HLQHV 3ROLWLNIHOGHV )UDXHQSROLWLN 'DPLW HLQKHU JHKW KlX¿J HLQH Professionalisierung und Etablierung von Frauenfördermaßnahmen, die jedoch meist nur eine Angleichung an herrschende Verhältnisse bedeuten und nicht die 6WUXNWXUHQ DQ VLFK LQ )UDJH VWHOOHQ 9HUlQGHUXQJHQ ¿QGHQ LQQHUKDOE YRQ ,QVWL tutionen und Organisationen statt, z. B. durch Frauenabteilungen, karrierebezogene Frauennetzwerke und durch eine institutionalisierte Frauenpolitik. »Gender Mainstreaming« und »Diversity Management« sind Gleichstellungstrategien und damit weniger politisches Projekte, die eine Gesellschaftsveränderung zum Ziel haben. Andere Theoretiker_innen wiederum entwickeln aus der Kritik am der androzentristischen Gesellschaftsorganisation Forderungen nach einer sozial-weiblichen und nicht-neutralen Politik der Differenz durch die Politisierung weiblicher Lebenszusammenhänge (vgl. Firestone 1976; Gilligan 1984). Gleichheitstheoretisch argumentierende Feminist_innen entwerfen ein Konzept einer allgemeinen Menschlichkeit mit der Ablehnung einer besonderen Frauenrolle. Feministische Vorstellungen und Visionen beinhalten eine nicht-patriarchale demokratische geschlechtergerechte politische Ordnung. Holland-Cunz (1998: 81) spricht von einer auf Bindung, Gebundenheit und Sozialität und auf Imagination, Sinnkonstruktion und Normativität basierenden Demokratietheorie. Sie führt den Begriff der »gebundenen Freiheit« (1998: 85) ein, bei der persönliche Autonomie und individuelle Emanzipation mit gemeinschaftsbezogener Bindung und Verantwortlichkeit zusammen gedacht werden. Der Ort des Politischen soll neu formuliert werden als Ort gleichzeitig sozial männlicher und sozial weiblicher Praxis und Erfahrung. In diesen Ansätzen wird die hegemoniale bzw. tradierte Sichtweise auf Öffentlichkeit durch Hinzunahme weiterer Foren, Räume, Institutionen und Medien, die
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als öffentlich gelten können, erweitert (vgl. Geiger 2002: 81). Ähnlich wie Arendt (2005), die den öffentlichen Raum als »Assoziationsöffentlichkeit« ansieht, die immer dann entsteht, wenn Menschen gemeinsam handeln, ist Öffentlichkeit als komplexer und dynamischer Prozess nicht an bestimmte Räume oder Foren gebunden und kann damit auch so genannte private Alltagspraxen umfassen (vgl. Geiger 2002: 81). Mit der perspektivischen Erweiterung der Räume, die als öffentlich gelten, werden auch demokratietheoretische Annahmen reformuliert. Insbesondere stehen tradierte Konzepte politischer Öffentlichkeit, die von Familie und Familienarbeit getrennt ist, in der Kritik. Zwar hat Jürgen Habermas (1995) mit der Konzeption einer bürgerlichen Öffentlichkeit die tradierten Konzepte ergänzt, aber das Politische behält – so wurde in der feministischen Auseinandersetzung deutlich – auch in diesem Gegenentwurf seinen universellen Charakter. Zudem beruht die bürgerliche Öffentlichkeit auf Differenzsetzungen, da das Ideal des Diskurses zwischen freien Bürger_innen vor allem auf Erfahrungen und Lebenswelten »männlicher« Subjekte beruht (vgl. Fraser 1996). Frauen bleiben auf diese Weise aus dem öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess ausgeschlossen (vgl. Lang 1994; Kulke 1994). Lang (2003) weist darauf hin, dass die Idealisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit den Blick darauf verstellt hat, dass ihr bereits im 18. Jahrhundert Exklusionsprozesse inhärent waren und existierende alternative Ausdrucksformen, wie Flugschriftenpublizistik oder das Verfassen von Protestbriefen, nicht berücksichtigt wurden, obwohl Frauen darin in weitaus stärkerem Maße involviert waren. Trotz aller Kritik bietet jedoch diese Konzeption einer bürgerlichen Öffentlichkeit – so die Einschätzung vieler feministischer Theoretiker_innen (vgl. dazu Lang 2003: 103) – mehr Ansatzpunkte als systemWKHRUHWLVFKH(QWZUIH'HQQ+DEHUPDVGH¿QLHUW3ROLWLNXQGgIIHQWOLFKNHLWQLFKW in einem institutionell-staatlichen Rahmen, sondern als diskursiven Prozess und eröffnet damit durchaus Veränderungsmöglichkeiten von hegemonialen Vorgaben und Normen. Für die Entwicklung eines feministischen Öffentlichkeitsverständnisses war dementsprechend eine Auseinandersetzung mit Habermas zumeist der Ausgangspunkt. Die Kritik an der gesellschaftliche Trennung in einen öffentlichen und einen privaten Bereich sowie der analytischen Vernachlässigung der Kategorie Geschlecht führte zu verschiedenen Positionen, die das Öffentliche erweitern. Von einer vollständigen Aufhebung der Trennungslinie versprach man sich die Verwirklichung allgemeiner politischer Ideale auch im privaten Bereich (vgl. Elsthain 1981; Pateman 1988). Die feministische Kritik der 1980er Jahre an der klassischen Konzeption von Öffentlichkeit rückte so das Moment der faktischen Exklusion von Frauen stark in den Vordergrund. Darüber hinaus wurden die tradierten Modelle von Öffentlichkeit erweitert. Aus den Anfängen feministischer Theoriebildung stammt die Konzeption einer »Gegenöffentlichkeit«, die sich bewusst in Abgrenzung zur herrschenden männlich geprägten Öffentlichkeit versteht (vgl. Gruppe fe-
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ministische Öffentlichkeit 1992: 16 f.).1 In dieser Gegenöffentlichkeit werden – in Anlehnung an die Differenztheorie – eigene Kommunikationsforen und -formen für »Frauen-Anliegen« hergestellt. Diese werden als weibliche Gegenkultur zur Sphäre des Politischen entworfen, die als homogener und frauendiskrimierender 2UWGH¿QLHUWZLUGYJO'DFNZHLOHU+ROODQG&XQ] ,QPDQFKHQJOHLFKKHLWV theoretisch orientierten Konzeptionen wird vorgeschlagen, das herkömmliche Verständnis von Öffentlichkeit zu erweitern. Durch das Einbringen »sozial-weiblicher Personalität« (Gilligan 1984) oder »mütterlicher Prinzipien der Gewaltlosigkeit« 5XGGLFN VROOGHU%HUHLFKGHVgIIHQWOLFKHQDXVJHGHKQWXQGPLWVSH]L¿VFK »weiblichen« Eigenschaften angereichert werden. Ebenfalls eine Veränderung der KHUUVFKHQGHQ gIIHQWOLFKNHLW ZLUG LQ .RQ]HSWHQ YRQ JUXSSHQVSH]L¿VFKHQ 5HSUl sentationen aufgezeigt. Darüber wird die gleiche Teilhabe am politischen System durch die Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen, die z. B. durch Ethnie oder Geschlecht gebildet werden, in repräsentativ-demokratischen Organen angestrebt (vgl. Philipps 1995, Young 1995). Im Mittelpunkt vieler Konzeptionen (z. B. Benhabib 1997; Fraser 1996; Klaus 2001) steht eine Abgrenzung von der Idee einer einzigen Öffentlichkeit und die Zugrundelegung eines breiten Öffentlichkeitsverständnisses. Zahlreiche und unterschiedlich gestaltete Öffentlichkeiten werden nicht als der »einzigen« politischen Öffentlichkeit entgegengesetzt konzipiert, sondern als weitere Möglichkeit für kulturelle und politische Kämpfe insbesondere benachteiligter Gruppen (vgl. Benhabib 6RGH¿QLHUW%LUJLW6DXHU gIIHQWOLFKNHLWDOVªHLQHQ5DXPLQ dem Macht und Herrschaft thematisiert und kritisiert werden«. Eine gesellschaftliche Neuordnung der Geschlechterverhältnisse wird dementsprechend nur möglich, wenn gesellschaftliche Strukturen in den Blick genommen und deren Ungleichheit auslösende Mechanismen hinterfragt werden. So entstanden in der feministischen Forschung vielfältige Konzeptionen, die von einer vollständigen Aufhebung der 7UHQQXQJEHUHLQHPRGL¿]LHUWH$XIUHFKWHUKDOWXQJEHLGHU6SKlUHQELVKLQ]XHLQHU vollständig neuen Konzeption reichen, um die Benachteiligungen von Frauen aufgrund der Dichotomisierung dieser beiden Sphären abzubauen. Allen gemeinsam ist eine Politisierung weiblich konnotierter Lebenszusammenhänge, geschlechtsVSH]L¿VFKHU$UEHLWVWHLOXQJXQGSULYDWHU*HZDOWYHUKlOWQLVVHVRZLHGDV+LQWHUIUDJHQ der bisherigen gesellschaftlichen Konstruktionsweisen des »Weiblichen« und des Privaten und damit eine Erweiterung des Politischen und Politikfähigen. In einer gesellschafts- und machtkritischen Tradition steht das Öffentlichkeitsmodell von Elisabeth Klaus, das ein zentrales kommunikationswissenschaftliches Öffentlichkeitsmodell aus feministischer Perspektive darstellt. Grundsätzlich be1
Der Begriff der Gegenöffentlichkeit wird hierbei allerdings mit einer anderen Bedeutung verwendet, als dies für das von Nancy Fraser geprägte Konzept der subalternen Gegenöffentlichkeiten gilt.
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greift Klaus Öffentlichkeit als einen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess, konzeptuell entwickelt sie dabei ein Mehr-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit (vgl. dsb. 2001 und 2006). Ähnlich hat auch Habermas (2008) zwischen drei Ebenen der Massenkommunikation unterschieden. Als Ebenen macht Habermas institutionalisierte Diskurse, mediengestützte Massenkommunikation sowie die (EHQHGHUXQWHU$QZHVHQGHQDXFKYLUWXHOO VWDWW¿QGHQGHQ]LYLOJHVHOOVFKDIWOLFKHQ Alltagskommunikation in »veranstalteten« oder informellen Öffentlichkeiten fest. Das Öffentlichkeitsmodell von Klaus, das im Folgenden genauer dargestellt wird, unterscheidet sich von diesen Annahmen insofern, als es drei gesellschaftliche Öffentlichkeitsebenen charakterisiert. In Öffentlichkeiten verschiedener ZusamPHQVHW]XQJHQ¿QGHWGHP]XIROJHHLQH0LWZLUNXQJDP3UR]HVVgIIHQWOLFKNHLWVWDWW Wenn Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess verstanden wird, dann rückt die Frage nach der Durchsetzungsfähigkeit bestimmter Themen und Interessen, also wer auf »dem Marktplatz der Öffentlichkeiten« die Macht besitzt, die jeweiligen Gesellschaftsvorstellungen als verbindlich durchzusetzen, ebenso ins Zentrum wie die Frage danach, ob es eine Hierarchie im Verhältnis der verschiedenen Öffentlichkeitsebenen gibt (vgl. Klaus 2006). Die drei Öffentlichkeitsebenen unterscheiden sich hinsichtlich Kommunikator_innenrolle, Beziehung zwischen Kommunikator_innen und Publikum sowie )XQNWLRQ -H QDFK %H]LHKXQJVJHÀHFKW XQG .RPSOH[LWlWVJUDG EH]HLFKQHW .ODXV diese als »einfache«, »mittlere« und »komplexe« Öffentlichkeitsebene (für die $XÀLVWXQJYJO.ODXVXQG.ODXV (1) Einfache Öffentlichkeiten haben zumeist keinen dauerhaften Treffpunkt für ihre Konstituierung. Die Orte und Räume, an denen sie sich konstituieren sind nicht eingrenzbar, da sich für Kommunikation alle möglichen Räume eignen. Ob es sich um Öffentlichkeit handelt, hängt davon ab, ob den Gesprächsinhalten eine QRUPJHEHQGH PRUDOVHW]HQGH RGHU NXOWXUEHHLQÀXVVHQGH :LUNXQJ ]XNRPPW (V handelt sich um Öffentlichkeiten, in denen sich Privates und Politisches vermischt. +lX¿JZHUGHQVLHGXUFKVSRQWDQHQWZLFNHOWH.RPPXQLNDWLRQLP$OOWDJJHELOGHW XQGVRPLWEHUDOOWDJVZHOWOLFKH7KHPHQEHVWLPPW6SH]L¿VFKH,QKDOWHXQG)RUPHQ von einfachen Öffentlichkeiten festzumachen, ist dabei fast nicht möglich. (2) Mittlere ÖffentlichkeitenZHUGHQKlX¿JGXUFKVR]LDOH%HZHJXQJHQJHELO det. Sie haben Funktionen einer Gegenöffentlichkeit und können eine Brücke zur Medien- und politischen Öffentlichkeit sein. Im Unterschied zu den einfachen Öffentlichkeiten verfügen sie über eine Organisationsstruktur und mehr oder weniger ¿[LHUWH5HJHOQ±GLHVHgIIHQWOLFKNHLWHQVWHKHQKlX¿JLQ9HUELQGXQJ]XHLQIDFKHQ Öffentlichkeiten. Darüber hinaus nehmen sie eine Vermittlerrolle zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsebenen ein. (3) In komplexen Öffentlichkeiten erhalten kommunikative Foren eine hochkomplexe und stabile Funktion, z. B. Massenmedien, Regierung, Parteien, Unternehmen. Durch die technische Vermittlung können Entscheidungen, Debatten
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XQG0HLQXQJHQVFKQHOOXQGJURÀlFKLJYHUEUHLWHWZHUGHQ(LQ:HFKVHO]ZLVFKHQ Kommunikator_innen und Publikum ist durch die Ausdifferenzierung und Professionalisierung weitgehend ausgeschlossen. Komplexe Öffentlichkeiten haben eiQHQ JU|HUHQ (LQÀXVV DXI GLH .RQVWUXNWLRQ QHXHU 'HXWXQJVPXVWHU DOV HLQIDFKH und mittlere Öffentlichkeiten. Ihre Funktion besteht in der Themenselektion und YHUDUEHLWXQJ+lX¿JJHEHQNRPSOH[HgIIHQWOLFKNHLWGDPLWYRUZDVLQHLQIDFKHQ und mittleren Öffentlichkeiten als relevantes Thema wahrgenommen und einer gesellschaftlichen Thematisierung und Verhandlung unterzogen wird. In diesem Verständnis ist Öffentlichkeit ein Prozess, in dem gesellschaftliche hEHUHLQNQIWHHU]LHOWZHUGHQDXIMHGHUGLHVHUGUHL(EHQHQ¿QGHWHLQH0LWZLUNXQJ am Prozess der Öffentlichkeit statt. Insbesondere der konzeptuelle Einbezug von einfachen und mittleren Öffentlichkeiten und die Abkehr von einer Fokussierung auf die komplexe, und damit zumeist auch hegemoniale, Öffentlichkeit, richtet den Blick auch auf alltägliche und informelle Gesprächsformen und -foren. In diesen ¿QGHWHLQHª9HUVWlQGLJXQJEHUDN]HSWLHUWHXQGDN]HSWDEOH9HUKDOWHQVPXVWHUVWDWW traditionelle Haltungen werden gefestigt oder gelockert und Handlungsweisen bestärkt oder verworfen« (Klaus 2006). Auch wenn die Reichweite der Öffentlichkeiten je nach Komplexitätsgrad zunimmt, können auch einfache und mittlere Öffentlichkeiten eine gesellschaftliche und politische Relevanz erzielen. Diesem Modell ist somit ein weiter Politikbegriff inhärent, der auch Alltagspraxen miteinschließt, und den Bereich des Öffentlich-Politischen ausgedehnt. Die emanzipatorische Kraft dieses Modells liegt darin, dass auch einfachen Öffentlichkeiten eine Mitwirkung am Prozess Öffentlichkeit eingeräumt wird. Ähnlich hat auch Fraser (1996) argumentiert, die zwischen Gegenöffentlichkeit und Öffentlichkeit eine starke Beziehung annimmt, gleichsam eine »Brückenfunktion«. Die verschiedenen Öffentlichkeitsebenen lassen sich weitergehend mit Räumen, Personen und Medien verknüpfen, dabei kommen unterschiedliche Strategien zur Durchsetzung von Themen zum Tragen. Die Bedeutung von Erfahrung, die vor allem Scott (2001) als analytische Kategorie in der feministische Forschung gefestigt hat, wird auch in diesem Modell berücksichtigt. Eine Politisierung des Privaten kann durch die Verbindung von Erfahrung, die durch Lebenswirklichkeiten und VSH]L¿VFKH8QUHFKWVHUIDKUXQJHQJHSUlJWLVWHUUHLFKWZHUGHQYJO:LVFKHUPDQQ 2003a). Frauen haben sich, so Klaus (2001: 19 f.), zu allen Zeiten im gesellschaftlichen Diskurs artikuliert, unsichtbar bleiben sie allerdings, wenn nur bestimmte Öffentlichkeiten als politisch angesehen werden. Das angeführte Öffentlichkeitsmodell nimmt jedoch auch die im Alltag bedeutenden Öffentlichkeiten in den Blick. Alltägliche Praxen dienen der Verhandlung gesellschaftlicher Normen und Werte und ermöglichen so subkulturelle Identitätsbildung (vgl. ebd.). Die Berücksichtigung sozialer Bewegungen, zivilgesellschaftlicher Akteur_innen und individueller Alltagspraxen sowie feministischer Perspektiven bedeutet eine strukturelle Veränderung von Öffentlichkeitstheorien.
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DAS KONZEPT DER »POLITISCHEN KOMMUNIKATIONSRÄUME«
Im Folgenden werden die Ausführungen zu Raum und Öffentlichkeit verbunden, um ein Modell politischer Kommunikationsräume im Internet zu entwickeln. Das 0RGHOO SROLWLVFKHU .RPPXQLNDWLRQVUlXPH VROO GDEHL KHOIHQ VSH]L¿VFKH$VSHN te von Identität, Zugehörigkeit, Inklusion und Teilhabe, die für eine Demokratie zentral sind, in politischen Kommunikationsprozessen im Internet zu analysieren. Damit werden die theoretischen Überlegungen im Sinne einer empirischen Operationalisierbarkeit näher an die Analyse von Mediendebatten herangeführt. Das im Folgenden vorgestellte Modell der politischen Kommunikationsräume setzt sich vor allem aus zwei zentralen Komponenten zusammen. Zum einen wird das Internet als Raum von Öffentlichkeit begriffen und damit der konzeptionelle Rahmen gebildet. Dieser beinhaltet die aus den Ausarbeitungen zu Raum- und Öffentlichkeitstheorien gezogenen Schlussfolgerungen, die die Veränderbarkeit und Gestaltbarkeit von Räumen betonen. Gleichzeitig wird für einen erweiterten Begriff des Politischen plädiert sowie der Blick auf Inklusions- und Exklusionsprozesse in und durch Öffentlichkeiten gerichtet. Handlungsbezogen werden zum anderen die verschiedenen Formen von Online-Kommunikation erfasst. Diese zeichnen sich gegenüber traditionellen Kommunikationsmöglichkeiten durch veränderte Formen DXVGLHVSH]L¿VFKH0|JOLFKNHLWHQEHUHLWVWHOOHQDXIJUXQGGHUHUEHVWLPPWHNRP munikative Praktiken wahrscheinlicher werden als andere. Diese beiden Komponenten fügen sich im Modell politischer Kommunikationsräume zusammen. Die erarbeiteten sozialgeographischen und kommunikationswissenschaftlichen Raumtheorien begründen folgende Prinzipien für eine Analyse gesellschaftlicher Prozesse: So sind Kommunikationsräume nicht materiell zu konzipieren, sondern sie sind Teil vielfältiger Konstruktionen. Insbesondere die sozialgeographischen Ansätze haben die Wandelbarkeit und Veränderungsmöglichkeiten von Räumen aufgezeigt, die eher plural als einheitlich erscheinen. Für politische Kommunikationsräume im Internet bedeutet dies, dass sie selbst und ihre Grenzen Teil eines permanenten kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels sind und keine ein für allemal festgelegten Bedeutungen haben, sondern unterschiedliche Deutungen, Nutzungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten erlauben. Die Interdependenzen von Gesellschaft und Medien in Raumrelationen zu beschreiben bedeutet dementsprechend, den Fokus auf die Prozesse der Konstituierung von medialen Räumen zu legen.Kommunikative Prozesse sind dabei Teil gesellschaftlicher Gestaltungsprozesse: Nicht nur entsteht Kommunikation zumeist in einem Raum, auch konstituiert sich Raum mittels Kommunikation. Die wissenschaftliche Perspektive auf Raumkonzepte zu richten, so HollandCunz (2006: 30), kann als eine Ausdifferenzierung von Öffentlichkeiten begriffen werden. In heterogenen, pluralisierten und mediatisierten Räumen bilden sich Öf-
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fentlichkeiten ebenso wie Öffentlichkeiten zur Erzeugung dieser Räume beitragen. Demzufolge erzeugen Öffentlichkeiten im Internet Räume, gleichzeitig werden die Möglichkeiten einer Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit auch vom jeweiligen Raum festgelegt. Diese Räume zeichnen sich durch unterschiedliche Funktionen und Strukturen aus. Für eine Demokratie sind insbesondere solche Räume wichtig, die eine Verbindung zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten herstellen können, die somit Teil des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses sind. Ein produktives Zusammendenken von Raum und Öffentlichkeit führt im Weiteren dazu, dass eine Ausdifferenzierung politischer Kommunikation entlang verschiedener – am gesellschaftlichen Aushandlungsprozess beteiligter – Öffentlichkeitsebenen analysiert werden kann. Die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit unterscheiden sich nach ihrem Komplexitätsgrad sowie in ihrer Funktion und Struktur. Politische Kommunikation ist HEHQVRZLH3ROLWLNNHLQHKRPRJHQH6SKlUHVRQGHUQHLQ)RUXPGHV.RQÀLNWVXDXP Bedeutungszuschreibungen, Werte und Identitäten (vgl. Dörner 2006: 223; Mouffe 'HXWXQJVNRQÀLNWHVWHKHQLP=XVDPPHQKDQJPLW0DFKWUHODWLRQHQXQG+HUU schaftsverhältnissen. Politische Kommunikation und politische Bedeutungen sind nicht etwas Gegebenes, sondern das Resultat von interaktiven Prozessen (vgl. ebd.). Politische Kommunikation in Räumen zu beschreiben, verdeutlicht die Offenheit und Gestaltbarkeit, die diesen Prozessen inhärent ist. Durch kommunikative Praktiken in politischen Kommunikationsprozessen, die kulturelle Deutungskämpfe einschließen, wird in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen über Integration und Desintegration, ,QNOXVLRQXQG([NOXVLRQ.RQVHQVXQG.RQÀLNWYHUKDQGHOWXQGHQWVFKLHGHQ±IUHLQH Demokratie sind dies elementare Aushandlungsprozesse. Politische Kommunikation ¿QGHWGHPQDFKDXIDOOHQ(EHQHQXQGLQYLHOIlOWLJHQ.RPPXQLNDWLRQVUlXPHQVWDWW die bestehende Hierarchien partiell auch durchbrechen können. Unter politischen Kommunikationsräumen werden also kommunikative und medial geschaffene Räume verstanden, in denen – im dargelegten erweiterten 6LQQH±SROLWLVFKH.RPPXQLNDWLRQVWDWW¿QGHW'LHVH.RPPXQLNDWLRQVUlXPHVLQG einerseits bestimmt durch eine Zuordnung der Akteur_innen zu verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Bereichen – sie sind aber auch durch das Internet geschaffene symbolische Räume, auf die sich soziale Subjekte in ihrer Identitätskonstruktion beziehen können. Kommunikationsräume im Internet können eine emanzipatorische, hegemoniale oder subversive Ausrichtung haben. Durch eine Erweiterung des Politikbegriffs sind vielfältige Kommunikationsräume als politisch zu begreifen. So lässt sich der Gegenstandsbereich politischer Kommunikation weit fassen; vielfältige Akteur_innen und Formen des Politischen sowie Themen werden damit einbezogen. Ob die Öffentlichkeiten in den verschiedenen Kommunikationsräumen aus der hier immer wieder bedachten feministischen Perspektive einen emanzipatorischen Charakter haben, hängt von ihrem Verhältnis zu hegemonialen bzw. institutionellen Kommunikationsräumen ab. Sie können diese stützen, aber auch durchbrechen, indem sie
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marginalisierten Gruppen eine größere Deutungsmacht verschaffen sowie neue und andere Räume eröffnen. Kommunikationsräume können miteinander verbunden oder DEJHVFKRWWHWVHLQVLFKYHUQHW]HQRGHULQNRQÀLNWKDIWHQXQGZLGHUVSUFKOLFKHQ%H]LH hungen zueinander stehen. Gemeinsame Themen und Ereignisse sowie gegenseitige Bezugnahmen strukturieren Kommunikationsräume. »Verdichtete Kommunikation«, so Hepp und Wessler (2009: 174 ff.), führt zur Entstehung von Öffentlichkeiten, die sich durch die Grenzen dieser Verdichtungen sozialräumlich voneinander unterscheiGHQODVVHQ'DEHL¿QGHWDXFKLPPHUHLQH(LQELQGXQJE]Z5FNNRSSHOXQJLQJHVHOO schaftliche Strukturen statt. Kommunikative Prozesse der politischen Kommunikation entscheiden des Weiteren über die Verbindungen zwischen Öffentlichkeiten und im weiteren Verlauf über Inklusionen und Exklusionen in und aus Öffentlichkeiten. In Kommunikationsräumen wird festgelegt, wer Teil der Gesellschaft ist, wer welchen Platz darin einnimmt und wer damit an gesellschaftlichen Prozessen partizipiert. Dadurch wird auch die Gestalt des Raumes strukturiert. Wie andere gesellschaftliche Räume werden also auch Kommunikationsräume durch vielfältige Konstruktionen und Repräsentationen geschaffen. Raum ist weniger materiell erfahrbar; vielmehr entstehen in Kommunikationsprozessen – und damit auch in und durch Medien – virtuelle, symbolische, nicht-materielle Räume durch Positionierungen von Menschen, 9HUPLWWOXQJXQG$XVDUEHLWXQJYRQ,GHQWLWlWVRSWLRQHQXQGNRQVWUXNWLRQHQYJO+LSÀ 2004). Fragestellungen nach diesen Positionierungen lassen sich dann sowohl in medialen Repräsentationen im Internet als auch in Aneignungs- und Aushandlungsprozessen der Nutzer_innen untersuchen. In politischen Kommunikationsräumen im Internet werden, so die Schlussfolgerung, für demokratische Gesellschaften wesentliche inhaltliche Perspektiven verhandelt. Ausgehend von den Ausarbeitungen zu Raum- und Öffentlichkeitstheorien sind zentrale Kategorien und Konzepte einer Demokratie Inklusion, Identität, Zugehörigkeit und Teilhabe bzw. Partizipation. Die Ausführungen lassen sich zu vier übergeordneten Bereichen inhaltlicher und thematischer Aspekte zusammenführen: (1) Fragen von Inklusion und Exklusion sind zentrale Themen gesellschaftlicher Debatten in demokratischen Gesellschaften. Auch Räume werden durch Einund Ausschlüsse gebildet und stehen damit in einem Zusammenhang mit Fragen von Inklusionen und damit auch von Exklusionen. (2) Fragen von Inklusion hängen eng mit Identitätskonstruktionen zusammen. Eine Demokratie ist ständig darum bemüht, eine Gemeinschaft zu schaffen. In diesem Zusammenhang wird darüber entschieden, wer als Bürger_in der Gesellschaft betrachtet werden kann. Identität ist somit eine zentrale Kategorie für demokratische Gesellschaften. Die Konstruktion einer eigenen Identität hängt zumeist mit Differenzsetzungen oder Alterisierungsprozessen zusammen, die wiederum Ungleichheiten hervorrufen können, welche Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse sind.
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(3) In diesen Räumen kann somit die Herstellung von Zugehörigkeit untersucht werden. Die Untersuchung von Verortungen, angebotenen Identitätspositionen und Aneignungsprozessen legt den Fokus darauf, wie Medien Wandel oder Kontinuität befördern und zwar unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. (4) Für Partizipation und Teilhabe von Bürger_innen sind individuelle Rechte, die das Sprechen, aber auch das Gehörtwerden ermöglichen, zentral. Diese Rechte sind elementarer Bestandteil des Konzeptes von »Citizenship«. Auch im Internet werden dementsprechende Positionen ausgehandelt, in diesen Verhandlungen wird darüber entschieden, wem das Recht auf kommunikative und politische Partizipation eingeräumt wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem Modell der politischen Kommunikationsräume die Analyse von Formen und Orten der Kommunikation nicht nur innerhalb von vorgegebenen Strukturen und Prozessen möglich ist, sondern darüber hinaus Repräsentationen, vielfältige performative Praktiken und symbolische Konstruktionen untersucht werden können. Aus demokratietheoretischer Sicht kommt den politischen Kommunikationsräumen im Internet insofern Bedeutung zu als dort demokratische Formen unterstützt werden oder neu entstehen, aber auch unterlaufen werden können. Diesbezüglich kann das Internet – analytisch gesehen – der Demokratie neue politische (und räumliche) Foren eröffnen.
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ANALYSEEBENEN POLITISCHER KOMMUNIKATIONSRÄUME
Im Folgenden wird dargestellt, wie politische Kommunikationsräume im Internet konkret untersucht werden können. Politische Kommunikation als konstituierenden Teil von Öffentlichkeiten in räumlichen Kontexten zu betrachten, bietet neben konzeptionellen auch analytische Vorteile. Das entwickelte Modell der politischen Kommunikationsräume hilft politische Prozesse im Internet empirisch zu untersuchen, die eine Unterscheidung von massenmedialen, medialen oder interpersonalen Kommunikationen obsolet macht. Kommunikationsräume haben, wie ausgeführt, nur bedingt physische räumliche Strukturen. Sie entstehen vielmehr im alltäglichen, zivilgesellschaftlichen oder institutionellen Handeln und in dessen Kontexten. Vielfältige Kommunikationsräume haben so einen politischen Impetus. Wenn nur institutionell hergestellte Kommunikationsräume analysiert werden, sind Ergebnisse zur Online-Kommunikation nicht verwunderlich, die konstatieren, dass im Internet die gleichen wissenschafts- und betreiberdominierten Seiten vorherrschen wie in Printmedien (vgl. Gerhards/Schäfer 2006: 155 ff.). Bei klasVLVFKHQ0DVVHQPHGLHQZLUGKlX¿JGHUHQ5ROOHEHLGHUJHVHOOVFKDIWOLFKHQ7KHPHQ herstellung betont, doch sind es nicht nur Massenmedien – das gilt insbesondere für das Internet –, die Themen her- bzw. bereitstellen. Im Internet haben Institu-
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tionen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Individuen die Möglichkeit, Themen zu platzieren – auf individuelle und/oder kooperative Weise. Zudem werden nicht ausschließlich redaktionell bearbeitete und selektierte Themen bereitgestellt; all das, was unter dem Stichwort »user-generated-content« gefasst wird, ist oft weit davon entfernt. Aufgrund dessen ist es notwendig, Analyseebenen zu entwickeln, anhand derer sich politische Kommunikationsräume im Internet erfassen lassen. Durch die beschriebene theoretische Konzeptualisierung und die Entwicklung von $QDO\VHHEHQHQVROOYHUPLHGHQZHUGHQHPSLULVFKH.RPPXQLNDWLRQVÀVVHOHGLJ lich zu beschreiben. Die verschiedenen Räume im Internet bedingen – wie ausgeführt – vielfältige Öffentlichkeiten. Diese konzeptionellen Überlegungen sind die Voraussetzung für eine Unterscheidung in verschiedene Analysebenen. Grundlage der Analyseebenen ist eine Unterscheidung nach Akteur_innen sowie nach Politikbereichen. Hinsichtlich der Akteur_innen wird erstens zwischen institutionellen, zivilgesellschaftlichen und »privaten« Akteur_innen unterschieden, die das Internet nutzen, um damit Politik zu betreiben oder in ihrer Kommunikation Öffentlichkeiten zu gestalten. Die Einteilung in verschiedene Politikebenen resultiert zweitens aus unterscheidbaren politischen Bereichen. Eine hierarchische Anordnung ist insofern möglich, als manche Politikbereiche durchsetzungsfähiger sind als andere, ohne damit zugleich eine Wertung vorzunehmen. Die Unterscheidung in verschiedene Kommunikationsräume bietet dementsprechend eine Analysehilfe. Gemäß den theoretischen Überlegungen wird versucht, möglichst alle beteiligten Akteursgruppen an einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zu erfassen. Damit wird also nicht politische Öffentlichkeit im Internet insgesamt abgebildet; es können aber Aussagen zu einem bestimmten Untersuchungsfeld in einem bestimmten Zeitraum getroffen werden. Diese führt zu politischen Kommunikationsräumen im Internet, die im Folgenden LGHQWL¿]LHUWZHUGHQ'LHDQDO\WLVFKH7UHQQXQJLQYHUVFKLHGHQH.RPPXQLNDWLRQVUlX PHLVWQLFKWVWDUUXQGHLQIUDOOH0DO¿[LHUWVRQGHUQDXFKLPPHUZDQGHOEDU.RQNUHW differenziere ich zwischen den folgenden fünf Ebenen (vgl. Tabelle 1): 1. Das Internet als politischer Raum I: institutionelle und staatliche Politik 2. Das Internet als politischer Raum II: Zivilgesellschaften, Interessensgruppen und soziale Bewegungen 3. Das Internet als Medienraum: Mediengesteuerte und medieninitiierte OnlineAngebote 4. Das Internet als Diskussions- und Kommunikationsraum für Alltagsöffentlichkeiten 5. Das Internet als persönlicher Raum2 2
Denkbar wäre des Weiteren auch ein Raum der »Beziehungen«, unter den Online-Gemeinschaften wie beispielsweise Facebook fallen würden – in diesem Modell werden allerdings nur Räume berücksichtigt, die ohne Anmeldung zugänglich sind.
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Tabelle 1: Analyseebenen politischer Kommunikationsräume im Internet Bezeichnung
Gegenstandsbereich
Ebene von Öffentlichkeit
Das Internet als politischer Raum I: Institutionelle und staatliche Politik
Formen: Online-Wahl, Online-Referendum, Computervermittelte staatliche Information und Kommunikation, eGovernment Webseiten: Regionale und nationale Regierungsseiten, Parteien, Blogs von Abgeordneten.
Komplexe Öffentlichkeiten
Das Internet als politischer Raum II: Interessensgruppen und soziale Bewegungen
Formen: Gegenöffentlichkeit, Online-Petitionen, Online-Protest, eDemocracy Webseiten: zivilgesellschaftliche Gruppen soziale Bewegungen, Interessensgruppen (z. B. Attac, SOS Rassismus), alternative Medien.
Mittlere Öffentlichkeiten
Das Internet als Medienraum: Mediengesteuerte und medien-initiierte Online-Angebote
Formen: massenmediale Informationsbereitstellung, Kommentarfunktion für User_innen, von Medien bereitgestellte Foren Webseiten: überregionale/regionale Tageszeitung, Qualitätszeitung, Boulevardzeitung, Blogs von Journalist_innen.
Komplexe und einfache Öffentlichkeiten
Das Internet als Diskussions- & Kommunikationsraum für Alltagsöffentlichkeiten: Politikforen
Formen: Deliberation und Austausch über eine Vielzahl von Themen, teilweise vorgegeben, teilweise von den Teilnehmer_innen selbst gewählt Webseiten: Online-Politikforen.
Einfache Öffentlichkeiten
Das Internet als persönlicher Raum: Blogs und persönliche Homepages
Formen: Tagebücher, Selbstdarstellung, Reportagen und Berichte, z. T. Kommentare von Leser_innen Webseiten: Blogs, persönliche Homepages.
Einfache Öffentlichkeiten
Im Internet als politischer Raum I, der institutionellen und staatlichen Politik,¿Q den sich die politischen Kommunikationsformen und Akteur_innen, die einer traditionellen Sichtweise zufolge als originär politisch gesehen werden. Sie umfassen professionalisierte und routinisierte Kommunikationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit von etablierten politischen Akteur_innen und Institutionen (vgl. Lang 1994: 210 ff.). Darunter fallen Akteur_innen aus Parteien und Institutionen, Exekutive und Legislative – meist wird dieser Bereich als eGovernment bezeichnet. Damit KlQJHQ VSH]L¿VFKH .RPPXQLNDWLRQVIRUPHQ ZLH 5HJLHUXQJVNRPPXQLNDWLRQ Wahlkampfkommunikation und staatliche Informationsbereitstellung zusammen, aber auch die Möglichkeit der Online-Wahl oder eines Online-Referendums. Diese $NWHXUBLQQHQ ZHUGHQ KlX¿J DOV GDV ªSROLWLVFKH =HQWUXP© RGHU DOV ]HQWUDOH Akteur_innen politischer Kommunikation angesehen, da sie mit konkreter Entscheidungsmacht ausgestattet sind. In politischen Debatten und damit auch in politischen Kommunikationsprozessen sind sie aufgrund dessen meist die dominierenden Akteur_innen. Dieser Raum besteht aus komplexen Öffentlichkeiten, einfache Öffentlichkeiten kommen in diesem Kommunikationsraum nicht vor, da
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in der Regel keine Kommentar- oder Feedbackmöglichkeiten für Bürger_innen angeboten werden. Die sich im Internet als politischer Raum II der Zivilgesellschaften, Interessensgruppen und soziale Bewegungen konstituierenden Öffentlichkeiten besteht aus Protest- und Vernetzungskommunikation von sozialen Bewegungen und unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen. Sie zeichnen sich durch kollektive Akte politischen Handelns aus, die in ihrer Asudrucksform spontan aber auch RUJDQLVLHUWVHLQN|QQHQ,QGHU,QWHUQHWIRUVFKXQJZLUGKlX¿JIUHLQH%HVFKUHLEXQJ der Begriff der eDemocracy verwendet, der den Bereich des eGovernment um zivilgesellschaftliche Akteur_innen erweitert. Die Unterscheidung in staatliche und zivilgesellschaftliche Akteur_innen orientiert sich u. a. an Habermas (1995: 443), der staatliche Akteur_innen und nicht-staatliche Akteur_innen unterscheidet und letztere der Zivilgesellschaft zuordnet. Habermas sieht in zivilgesellschaftlichen Akteur_innen vornehmlich solche, die einen demokratischen Anspruch verfolgen. Auch Mouffe (2007) betont, dass ein Grundkonsens über demokratische Werte die Voraussetzung für demokratische Debatten ist. Jedoch können durch die prinzipielle Offenheit des Internets auch rechtsextreme Seiten oder Beiträge innerhalb von Foren bzw. in KomPHQWDUHQ7HLOGHU$QDO\VHZHUGHQ+LHU¿QGHQVLFKDXIJUXQGGHV2UJDQLVDWLRQVJUDGV von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen mittlere Öffentlichkeiten. Quer zu allen Räumen verläuft das Internet als Medienraum in Form von mediengesteuerten bzw. medieninitiierten Kommunikationsformen. Hierunter sind zum einen die Online-Angebote von Medien (also beispielsweise von Tageszeitungen) gefasst, aber auch Journalist_innenblogs sowie medieninitiierte Foren und Kommentarmöglichkeiten. Damit ist eine massenmediale Informationsbereitstellung mit weiteren Formen individueller Äußerungen verknüpft und vermischt. Im Internet als Medienraum werden die mediengesteuerten Online-Angebote der komplexen Ebene von Öffentlichkeit zugeordnet. Aufgrund der Kommentarmöglichkeit bei Online-Zeitungen kommen allerdings einfache Öffentlichkeiten HEHQVRLP0HGLHQUDXPYRU6R¿QGHW]ZDUQLFKWHLQ:HFKVHO]ZLVFKHQ.RPPX nikator_innen und Publikum statt, jedoch werden einfache Öffentlichkeiten in medieninitiierten Online-Angeboten wahrnehmbar und sichtbar. Bei medieninitiierten Foren und Kommentarmöglichkeiten werden Überschneidungen zum Internet als Diskussions- und Kommunikationsraum für Alltagsöffentlichkeiten erkennbar, in dem nicht als Expert_innen ausgewiesene Bürger_innen über politische Themen diskutieren und kommunizieren. Unter Alltagsöffentlichkeiten werden Öffentlichkeiten verstanden, die sich über spontan entwickelnde Kommunikation im Alltag bilden. Darunter fallen individuelle politische Äußerungen in nicht hochgradig institutionalisierten Kontexten; so können Aussagen von Nutzer_innen in Foren über eine Vielzahl von Themen und deren Deutungen erfasst werden. Das sichtbare Akteursspektrum in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen wird damit erweitert. Diese bilden einfache Öffentlich-
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keiten, die in Alltagskommunikation und nicht hochgradig organisierten Zusammenhängen entstehen. Das Internet als persönlicher Raum entspricht einem weiten Politikbegriff, der auch Privates und Persönliches als politisch mit einbezieht und so auch individuelle Äußerungen einzelner Bürger_innen umfasst. Schmidt (2009: 107 f.) spricht von »persönlichen Öffentlichkeiten«, da Nutzer_innen die Möglichkeit haben, sich mit ihren eigenen Interessen, Erlebnissen und Meinungen zu präsentieren. DieVHLQGLYLGXHOOHQbXHUXQJHQ¿QGHQVLFKDXI%ORJVRGHUSHUV|QOLFKHQ+RPHSDJHV und sind teilweise an ein disparates Publikum gerichtet oder haben einen festen $GUHVVDWBLQQHQNUHLVGD%ORJVKlX¿JXQWHUHLQDQGHUYHUQHW]WVLQG+LHUHQWVWHKHQ aus spontan entwickelter Kommunikation einfache Öffentlichkeiten. Das Modell der politischen Kommunikationsräume im Internet bildet damit den wahrnehmbaren Raum ab, der als soziale Praxis verstanden werden kann. Die Repräsentationen von Raum zeigen sich in den Diskursen und Debatten, die die Vorstellung über gesellschaftliche Prozesse prägen, die auch über die Form des jeweiligen Kommunikationsraums bestimmen. Erkennbar sind auch verschiedene demokratietheoretische Verfahrensweisen, die den Bürger_innen entweder Teilhabemöglichkeiten einräumen oder eher auf einer repräsentativen Ebene verbleiben. Alle diese Kommunikationen können politische Relevanz entfalten, auch jene, die nicht institutionalisiert sind. Das Konzept der politischen Kommunikationsräumen und die konkreten Analyseebenen dienen dazu, Kommunikation und politische Prozesse im Internet zugleich angemessen theoretisch zu beschreiben als auch empirisch zu erfassen.
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EIN KURZES RESÜMEE
Raumtheorien und das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit zu verbinden, erscheint fruchtbar, um die verschiedenen Differenzierungs- und Funktionsgrade von Öffentlichkeiten im Internet als Teil gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse ersichtlich werden zu lassen. Durch dieses Öffentlichkeitsmodell werden Teilöffentlichkeiten konzeptionell eingebunden und einfache Öffentlichkeiten in ihrer politischen Bedeutung aufgewertet. Das Modell arbeitet heraus, dass vielfältige Öffentlichkeiten in unterschiedlichen Kommunikationsräumen an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen beteiligt sind. Es ist damit der Versuch, zunächst in einer normativen Herangehensweise darzustellen, was Öffentlichkeit im Internet leisten kann. Dazu wurde auf die drei Ebenen von Räumlichkeit verwiesen, die sich aus der räumlichen Praxis, den Repräsentationen von Raum und dem gelebten Raum gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse im Internet zusammensetzen. So kann analytisch in den Blick genommen werden, wie Räume konstruiert werden und Öffentlichkeiten entstehen sowie empirisch danach gefragt werden, wie Raum und Öffentlichkeit jeweils gestaltet sind. Die Verbindung zwischen Öffentlichkeits- und Raumtheorien zeigt, dass in politischen Kommunikationsräumen
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im Internet unterschiedliche Öffentlichkeitsebenen in vielfältigen Konstellationen DXIHLQDQGHU WUHIIHQ ZDV GHQ GXUFKOlVVLJHQ XQG ÀXLGHQ &KDUDNWHU LQVEHVRQGHUH von Online-Öffentlichkeiten herausstreicht.
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II. Frauenbewegungen und feministische Öffentlichkeiten
Zur öffentlichen Wirksamkeit der deutschen historischen Frauenbewegungen
Zur öffentlichen Wirksamkeit der deutschen historischen Frauenbewegungen um 1900 – Die Interaktion von Öffentlichkeiten ULLA WISCHERMANN
Soziale Bewegungen sind auf Öffentlichkeit angewiesen. Gerade weil sie nicht direkt an den institutionalisierten Formen der Macht, der etablierten Politik beteiligt sind, müssen sie versuchen, über Personen, Institutionen und nicht zuletzt EHUGLH0HGLHQ(LQÀXVV]XJHZLQQHQ0LWGHU0RELOLVLHUXQJHLQHV|IIHQWOLFKHQ Interesses können sie gesellschaftlichen Druck ausüben und versuchen, so auf das politisch-administrative System einzuwirken. Wenn es gelingt, Zustimmung und Unterstützung zu erreichen, aber auch wenn es zu ablehnenden Haltungen kommt, bedeutet dies, dass es für die Ziele und Forderungen der jeweiligen Bewegungen Aufmerksamkeit gibt und dass diese als Akteure in politischen Aushandlungsprozessen wahrgenommen werden (vgl. Neidhardt 1994). Die Herstellung von Öffentlichkeit ist ein vielschichtiger Prozess. Es müssen Transfer- und Durchsetzungsleistungen erbracht werden, die eine Interaktion verschiedener Ebenen von Öffentlichkeit voraussetzen. Solche Interaktionen, die auf einer Achse von privat – öffentlich angesiedelt sind, habe ich am Beispiel der historischen Frauenbewegungen in Deutschland (genauer: an der Stimmrechts- sowie der Sittlichkeits- und Sexualreformbewegung) um 1900 empirisch rekonstruiert und daraus ein, auch auf andere soziale Bewegungen anwendbares, Modell zur Interaktion von Bewegungskultur, Bewegungsöffentlichkeit und von Öffentlichkeit/Öffentlicher Meinung (Wischermann 2003) entwickelt und mit dem DreiEbenen-Modell von Elisabeth Klaus verbunden (Klaus 2005; Klaus/Wischermann 2008). Zur Erforschung von sozialen Bewegungen und Öffentlichkeit hat sich dieses Forschungsdesign mit drei Analysedimensionen theoretisch und empirisch bewährt: Erstens, indem die private Seite von Politik stärker betont und persönliche Verbindungen und Vernetzungen in Bewegungskulturen als Ressourcen für Politisierung gesehen werden. Und indem zweitens Bewegungsöffentlichkeiten als Orte für Emotionen und Erfahrungen sowie für die Formierung widerständiger Öffent-
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lichkeiten berücksichtigt werden. Diese Bewegungsöffentlichkeiten können als ebenso unverzichtbar für die Wirkungsmacht und politische Mobilisierung gelten wie – drittens – die Präsenz sozialer Bewegungen und ihrer Forderungen in den diskursiven und massenmedialen Arenen der dominanten Öffentlichkeit. Mit dieser Forschungsperspektive wird Öffentlichkeits- und Sozialen-Bewegungstheorien entgegen getreten, die am Dualismus privat – öffentlich festhalten, Gegenöffentlichkeiten zu wenig Aufmerksamkeit schenken und den Erfolg sozialer Bewegungen hauptsächlich an ihrer öffentlichen Wirksamkeit messen (Wischermann 2005). Empirische Grundlage für die vorgeschlagene Analyse sozialer Bewegungen, genauer der deutschen historischen Frauenbewegungen in den Jahren 1894–1914, ist die Auswertung von Nachlässen, Briefen, Tagebüchern, Autobiographien, also sog. ego-documents, sowie die Erschließung dreier zentraler Frauenbewegungszeitschriften von 1894–1914, die die drei wichtigsten Flügel der Frauenbewegung repräsentieren: Die Gleichheit (1892–1923), im Untersuchungszeitraum herausgegeben von Clara Zetkin, Die Frauenbewegung (1895–1919) von Minna Cauer sowie das von Marie Stritt, später von Gertrud Bäumer herausgegebene Centralblatt des Bundes deutscher Frauenbewegung (1899–1921). Diese Publikationsorgane stehen für die Inhalte, Themen und Forderungen der proletarischen, radikalen und bürgerlich-gemäßigten Richtungen der Frauenbewegung. Die Presseauswertung wurde als Vollerhebung der genannten Bewegungszeitschriften durchgeführt. Es wurden mehr als 1.000 Artikel über Stimmrecht und Sittlichkeit/Sexualreform ausgewertet und in einer Themenstrukturanalyse aufbereitet. Des Weiteren wurden alle Kurzmeldungen – insgesamt über 2.000 – über Organisationen, Personen, Versammlungen und Protestaktionen der Stimmrechts- und Sittlichkeitsbewegung erfasst. Diese systematische Erschließung von Detailinformationen erlaubte es, mosaikartig Muster und Abläufe zu rekonstruieren und in einer Netzwerkanalyse zusammenzuführen, die Einblicke in die Kommunikations- und Handlungssysteme der Frauenbewegungen gestatten (vgl. Wischermann 2003).
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FRAUENBEWEGUNGEN IN DEUTSCHLAND UM 1900
Die Zeit um 1900 kann als die Hochphase der historischen deutschen Frauenbewegungen bezeichnet werden. Nach mühsamen organisatorischen Anfängen ab 1865, die vor allem durch behördliche Restriktionen und Verbote sowie durch antifeministische Reaktionen gekennzeichnet waren, kam es in den 1880er und 90er Jahren zu einem Mobilisierungsschub und zu einer Ausdifferenzierung der Bewegung. Die politischen Gelegenheitsstrukturen hierfür waren nach der Gründung des Kaiserreichs günstig: die Entlassung Bismarcks, die Aufhebung der Sozialistengesetze sowie ein geschärftes sozialpolitisches Problembewusstsein und ein spürbarer Wi-
ZUR ÖFFENTLICHEN WIRKSAMKEIT DER DEUTSCHEN HISTORISCHEN FRAUENBEWEGUNGEN
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derspruch zwischen tradierter Frauenrolle und den Anforderungen des Industriekapitalismus (Gerhard 2009: 62) machten die »Frauenfrage« zu einer der »wichtigsten Fragen der Gegenwart«(Ziegler 1901). Proletarische und bürgerliche Frauen organisierten sich deutschlandweit, auch konfessionelle Frauenvereine entstanden in vielen Städten. Die gewerkschaftliche Arbeiterinnenbewegung erstarkte, und bürgerliche Frauen schlossen sich in zahllosen Berufsverbänden zusammen, um ihre Interessen zu vertreten. Innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung entstanden um 1900 ein radikaler und ein gemäßigter Flügel. Die beiden Flügel unterschieden sich nicht nur im Tempo und Stil ihrer politischen Arbeit, sondern auch in ihren Geschlechterkonzepten. Geschlechtergleichheit bei den Radikalen und Geschlechterdifferenz bei den Gemäßigten stellten – grob gesagt – die divergierenden Orientierungsrahmen dar, auf welche jeweils rekurriert wurde (Gerhard 1990: 73 ff.). Die proletarischen Frauen sahen sich fest verankert in der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie, wie sie von August Bebel und Clara Zetkin vor der Jahrhundertwende entwickelt worden war (Gerhard 1990: 186 ff.). Das Spektrum an Themen und Forderungen der Frauenbewegungen war sehr breit und ist zum Teil heute immer noch aktuell. Der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit umfasste die Bereiche Bildung (Mädchenbildung und Frauenstudium), Sexualreform, Rechte, vor allem das Frauenstimmrecht und die Interessen der berufstätigen Frauen, Angestellte wie Arbeiterinnen. Die historische Frauenbewegung um 1900 war im Gegensatz zur Neuen Frauenbewegung ab den 1970er Jahren, die sich als autonom und lose vernetzt verstand, in Vereinen organisiert und formal hierarchisch strukturiert. Nach und nach überzogen Frauenorganisationen das ganze Land bis hin in die abgelegene Provinz. In einer Zeit ohne Internet und Telefon waren es besonders die vielfältigen Zeitschriften der Frauenbewegung und die zahlreichen Vortragsreisenden, die die Themen und Forderungen der Bewegung einer fraueninteressierten Öffentlichkeit bekannt machten und auch die öffentliche Wahrnehmung auf die sog. Frauenfrage richteten. Diese internen und externen Mobilisierungsprozesse der Frauenbewegungen hingen von vielfältigen Faktoren ab, die erst in ihrer gelungenen Interaktion zum Erfolg führen konnten.
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FRAUENBEWEGUNGSKULTUREN
Soziale Bewegungen produzieren Kultur – in unterschiedlichem Ausmaß und differierender Ausprägung, sei es als soziale Praxis, als Lebensweise oder als praktisches Handeln. Diese Bewegungskultur wird bewusst als Gruppenkultur hergestellt. Sie hat einen Bezug zur herrschenden, dominanten Kultur, grenzt sich aber von ihr ab, transformiert sie und wirkt wieder auf sie zurück. Im Ensemble gegenkultureller Lebens- und Arbeitszusammenhänge können sich kollektive Identitäten
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KHUDXVELOGHQXQG¿QGHWGLH6HOEVWYHUVWlQGLJXQJXQG6HOEVWUHSUlVHQWDWLRQVR]LDOHU Bewegungen statt, auch ihre interne Mobilisierung, die zu politischem Handeln führt (Wischermann 2003: 20 ff.). Persönliche Beziehungen stellten eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Basis der Frauen(bewegungs)kultur um 1900 dar, und sie verfügten nachweislich über ein großes Mobilisierungspotential. ,P9RUIHOGGHU*UQGXQJYRQ)UDXHQEHZHJXQJVYHUHLQHQZXUGHKlX¿JDXIEH stehende Kontakte zurückgegriffen, beispielsweise auf sog. pre-existing networks, die vor Ort bereits im Kontext von sozialer Arbeit oder in fortschrittlichen Kirchenkreisen bestanden. Eine Analyse von Vereins- und Personennetzwerken zeigt zudem, dass die Akteurinnen durch vielfältige Verwandtschafts-, Bekanntschaftsund Freundschaftsbeziehungen persönlich eng miteinander verbunden waren. In vielen Städten, wie in Frankfurt am Main, wurden besonders die familiären und verwandtschaftlichen Verbindungen zur Werbung von Anhängerinnen und für neue Vereinsgründungen genutzt (Klausmann 1997: 325 f.). %HLGHU$QQlKHUXQJDQHLQHNROOHNWLYH%LRJUD¿HGHUEHUUHJLRQDOWlWLJHQ)K rungselite der Stimmrechts- und Sittlichkeitsbewegung zeigt sich, dass vor allem Bekanntschafts- und Freundschaftsnetze für die Mobilisierung wichtig waren und dass persönliche Lebenserfahrung und politischer Aufbruch eng mit der frauenbewegten Existenz der Akteurinnen zusammenhingen. Überregionale Hauptakteurinnen wie die gemäßigt-bürgerliche Helene Lange (1848–1930) und ihre Lebensgefährtin Gertrud Bäumer (1873–1954) oder die Radikalen Lida Gustava Heymann (1868–1943) und Anita Augspurg (1857–1943), auch die zunächst Radikale, später Nationalkonservative Käthe Schirmacher (1865–1930) und viele mehr lebten in GHUXQGIUGLH%HZHJXQJGLHLKQHQKlX¿J$UEHLWVXQG/HEHQV]XVDPPHQKDQJ zugleich war. Für Einige, vor allem für Vortragsreisende und/oder Herausgeberinnen von Bewegungszeitschriften, wie die Hauptakteurin der proletarischen Frauenbewegung Clara Zetkin (1857–1933) oder die Sexualreformerin Helene Stöcker (1869–1943), sicherte diese Tätigkeit zudem ihren Lebensunterhalt. In den Frauenbewegungskulturen waren formelle und informelle Bezüge der $NWHXULQQHQDQJHVLHGHOWZXUGHQSHUV|QOLFKH.RQWDNWHJHSÀHJWXQGRIWJHQXJLP Sinne der Bewegung politisch genutzt. Freundschaften und Lebensgemeinschaften spielten als Basis von Frauenpolitik, aber auch für die Stärkung der Bewegungsidentität eine unverzichtbare Rolle. Auch wenn sich die persönlichen Beziehungen GXUFK.RQÀLNWHYHUlQGHUWHQZLUNWHVLFKGDVDXIGLHSROLWLVFKH$UEHLWDXVXQG]RJ KlX¿J 8PVWUXNWXULHUXQJHQ LQ GHQ9HUHLQV XQG 3HUVRQHQQHW]HQ QDFK VLFK *HU KDUGXD 'LHVOlVVWVLFKDQGHQ%H]LHKXQJVJHÀHFKWHQGHU6WLPPUHFKWOHULQ Minna Cauer (1841–1922) oder der Abolitionistin Anna Pappritz (1861–1939) und der Sexualreformerin Helene Stöcker beispielhaft nachvollziehen (Wischermann 2003: 125 ff.). 'DVHQJJHÀRFKWHQH1HW]YRQ)UDXHQEH]LHKXQJHQPLWVHLQHUVSH]L¿VFKHQ9HU bindung von Privatem und Politischen legte also einen wichtigen Grundstein für die
ZUR ÖFFENTLICHEN WIRKSAMKEIT DER DEUTSCHEN HISTORISCHEN FRAUENBEWEGUNGEN
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Entstehung einer Frauenbewegungskultur. Hinzu kamen gemeinsame Projekte, Freizeit und Geselligkeit und vor allem auch die Schaffung eigener Räume. Diese Räume entstanden ab der Jahrhundertwende mit der Gründung von Frauenklubs in zahlreichen deutschen Städten, die in Vielem mit den Frauenzentren der Neuen Frauenbewegung vergleichbar sind. Hier konnten berufstätige Frauen ihren Mittagstisch einnehmen, es gab eine Bibliothek und Gästezimmer. Abends konnten Vorträge gehört oder Musikveranstaltungen besucht und Feste gefeiert werden. Manchmal wurden Kinderbetreuungsmöglichkeiten angeboten. Auch die Organisierung von Festen, gemeinVDPH$XVÀJHRGHUGLH%HWHLOLJXQJDQ6HOEVWKLOIH,QLWLDWLYHQZLHGHQ]DKOUHLFKHQ Beratungsstellen für Frauen stärkten die soziale Bindung der Aktiven an die Bewegung und sind als Bestandteile der weit gefächerten Bewegungskultur zu interpretieren. =XP$XIEDXHLQHU¾ZHLEOLFKHQ*HPHLQVFKDIW½JHK|UWHQ]XGHP¿QDQ]LHOOH8QWHUVWW zungsnetzwerke wie die Stiftung »Altershilfe der Frauenbewegung« oder die Gründung einer Frauenbank mit der dazu gehörenden Zeitschrift »Frauenkapital – eine werdende Macht«, die allerdings bereits im Ersten Weltkrieg Konkurs anmelden musste (Wischermann 2003: 155 ff.). DUMMY-FN12 Abbildung 1: Typologie zu Kommunikations- und Interaktionsformen der Frauenbewegungen um 1900: Bewegungskulturen Bewegungskulturen
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Aktivierung bestehender Bewegungsnetze und -kontakte: pre-existing networks; VXSSRUWQHWZRUNV¿QDQ]LHOOH Netzwerke
Aktivierung persönlicher Beziehungen zwischen Akteurinnen: Verwandtschaft; Bekanntschaft; Freundschaft und Feindschaft; Einschluss und Ausschluss
Medien
Tagebuch; persönlicher Brief
Funktion
Interne Mobilisierung durch persönliche Beziehungen
Ebene von Öffentlichkeit
Einfache Öffentlichkeit2
Gemeinsame Projekte, Freizeit und Geselligkeit: Kulturelle Veranstaltungen; 5HLVHQ$XVÀJH:RKQHQ Arbeiten; Eigene Räume
»Politics of Identity«:1 Aufbau einer Bewegungsgemeinschaft durch Stärkung des Wir-Gefühls und Herausbildung von Gruppenidentität; Vermischung von Privatem und Politischem
Diese – auch im Folgenden angewandte – Beschreibung des kommunikativen Handelns GHU )UDXHQEHZHJXQJ DOV SROLWLFV RI LGHQWLW\ LQÀXHQFH XQG LQFOXVLRQ HUIROJW QDFK GHU Terminologie von Cohen/Arato 1992. Die Unterscheidung von drei Öffentlichkeitsebenen in Anlehnung an Klaus 2005; 2001.
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Festzuhalten bleibt: Persönliche Beziehungen, die über Jahre hinweg vernetzt wurden und die Schaffung einer eigenständigen Frauenbewegungskultur bildeten unentbehrliche Grundlagen für Politisierung und Empowerment der historischen Frauenbewegungen um 1900. Bezogen auf das Mehr-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit ist die von persönlichen Beziehungen getragene Frauenbewegungskultur auf der Ebene der einfachen Öffentlichkeit anzusiedeln. Ihre Grundlage bildet die interpersonelle, teilweise intime und persönliche Kommunikation. Besonders deutlich zeigt sich in den Freundschaften der Aktiven und in ihren gemeinsamen Alltagsbezügen, wie bedeutend diese einfache Öffentlichkeit für die Aktivitäten der Frauenbewegungen war. Dabei ist die Grenze zur mittleren Öffentlichkeit alOHUGLQJV ÀLHHQG 6SlWHVWHQV ZHQQ GLH SHUV|QOLFKHQ %H]LHKXQJHQ EHZXVVW XQG strategisch für die Bewegung vernetzt wurden, konstituierte sich eine Bewegungsöffentlichkeit, die als mittlere Öffentlichkeit zu bezeichnen ist.
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FRAUENBEWEGUNGSÖFFENTLICHKEITEN
Bewegungsöffentlichkeiten umfassen Räume, Personen und Medien. Sie sind zumeist autonom konzipiert und wirken in zwei Richtungen: in die Bewegung hinein und aus ihr heraus, umfassen interne und externe Kommunikation. Die interne Kommunikation über Ziele und Forderungen der Stimmrechts- und Sittlichkeitsbewegung fand zu einem großen Teil in Vereinen und durch Vorträge statt. Besonders die Organisationen der Stimmrechtlerinnen überzogen nach und nach das ganze Land und trugen den Kampf um politische Gleichberechtigung und Partizipation in alle Landesteile. Die ab 1902 in Deutschland gegründeten Stimmrechtsvereine bildeten ein ausdifferenziertes Organisationsnetz heraus, das von oben ausgehend hierarchisch strukturiert war. Zunächst gab es den nationalen Dachverband, der – im Jahr 1902 als »Deutscher Verein für Frauenstimmecht« in Hamburg gegründet – ab 1904 »Deutscher Verband für Frauenstimmrecht« hieß. Es folgte die Gründung von insgesamt siebzehn Landesvereinen (ab 1906) und von zwölf Provinzialvereinen (ab 1909). Parallel dazu fand die Initiierung von Ortsgruppen statt, von denen im Untersuchungszeitraum 1894–1914 insgesamt 157 nachgewiesen werden konnten (Wischermann 2003: 107 ff.). Besonders die Organisierung lokaler Vereine galt als Gradmesser für den Erfolg der Stimmrechtsbewegung. Sie wurde strategisch geplant, indem bekannte und beliebte Rednerinnen eingeladen wurden, welche am Ende des Vortragsabends eine Vereinsgründung ›vor Ort‹ initiierten. Ein Nachverfolgen der Reiserouten einiger Hauptakteurinnen zeigt, wie eng die Reisen getaktet waren. Louise Zietz (1865–1922), eine Akteurin der proletarischen Frauenbewegung, hielt auf ihren Reisen bisweilen täglich zwei Vorträge in unterschiedlichen Städten, sie kurbelte Aktionen an und führte der SPD viele
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neue weibliche Mitglieder zu. Käthe Schirmacher und Anita Augspurg vom radikalen Flügel warben mit ihren Auftritten Jahre lang erfolgreich für die Gründung von Stimmrechtsvereinen; sie waren geradezu prominent, und es wurde ihnen eine charismatische Ausstrahlung nachgesagt (Wischermann 2003: 182 ff.; Gehmacher 2011). 'LHDEVWDWW¿QGHQGH([SDQVLRQXQG0RELOLVLHUXQJGHU7HLOEHZHJXQJHQ die auch für die Sittlichkeits- und Sexualreformbewegung zutrifft, ist kein linearer Prozess. Im Gegenteil, sie war begleitet von Ausdifferenzierungen, etwa durch unterschiedliche Akzentsetzungen in den Bewegungszielen, die zu Verschiebungen in den Vereins- und Personennetzen führten. Neben ihren politischen Aufgaben gewannen die Vereine oft eine soziale und emotionale Bedeutung. Mit Freizeitangeboten und Geselligkeit stärkten sie die Bindungen zwischen den Akteurinnen und leisteten zudem einen wichtigen Beitrag zur politischen Vereinskultur der jeweiligen Städte (vgl. Klausmann 1997). Vor allem die Stimmrechtsbewegung als Propagandabewegung setzte stark auf identitätsstiftende Elemente: Die Stimmrechtlerinnen schmückten ihre Versammlungssäle mit Fahnen, die auch von den englischen Suffragetten benutzt wurden. Sie begannen ihre Versammlungen mit Musik und Stimmrechtsliedern, verteilten Abzeichen mit dem Vereinsemblem und Postkarten, um für das Frauenwahlrecht zu werben. Diese Bezugnahme auf gemeinsame Symbole und Rituale wurde bewusst eingesetzt, um die emotionale und identitätspolitische Dimension der Bewegung zu stärken. Indem gleichermaßen kognitive wie auch emotionale und symbolische Elemente einbezogen waren, konnte hier die für soziale Bewegungen so wichtige Konstruktion gemeinsamer Deutungsrahmen gelingen. Die erforderliche Integration konkurrierender Identitäten und heterogener Gruppen – das zeigt insbesondere die Analyse von Briefen und Tagebüchern – fand bewusst nicht nur diskursiv und rational statt, sondern wurde durch das Rekurrieren auf gemeinsame Erfahrungen und ›Gefühlskulturen‹ ergänzt (so auch z. B. Rupp/Taylor 2001; Wilmers 2007). Indem emotionale und erfahrungsbezogene Dimensionen in den Bewegungsdiskurs integriert wurden, gelang eine Konsensmobilisierung, die sich positiv auf die diskursive Meinungsbildung und politische Handlungsfähigkeit der Bewegungen auswirkte. Die Frauenbewegungen der letzten Jahrhundertwende organisierten und mobilisierten sich in großem Maße durch ihre Vereine. Gleichzeitig verfügten sie über ein ausdifferenziertes Publikationswesen. In sog. Propaganda-Ausschüssen wurde Schulungs- und Agitationsmaterial entworfen und verbreitet, das Stärkung und Rückhalt für die Anhängerinnen bot und bei der Gewinnung neuer Frauen eingesetzt wurde. Auch Flugblätter erschienen zu konkreten Anlässen und Ereignissen, ZREHLRIW0DVVHQDXÀDJHQHUUHLFKWZXUGHQ'DEHLZDULPPHUZLHGHUGDV)UDXHQ ZDKOUHFKW ]HQWUDO 6R HUUHLFKWH EHLVSLHOVZHLVH HLQ )UDXHQZDKOUHFKWVÀXJEODWW GHU SUROHWDULVFKHQ)UDXHQEHZHJXQJHLQH$XÀDJHYRQ0LOOLRQHQ)UYHUWLHIHQGH
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Informationen zu Zielen und Forderungen der Frauenbewegung wurden Broschüren und sog. Flugschriften entwickelt, die auf Lese- und Diskussionsabenden besprochen und bei der politischen Schulung von Frauen eingesetzt wurden (Wischermann 2003: 191 ff.). Eine herausragende Rolle im Publikationswesen der Frauenbewegung spielten GLHYLHOIlOWLJHQXQGDXÀDJHQVWDUNHQ%HZHJXQJV]HLWVFKULIWHQ:LVFKHUPDQQ Hier wurden alle Kämpfe und Forderungen diskutiert, artikulierten sich die unterVFKLHGOLFKHQ SROLWLVFKHQ 5LFKWXQJHQ XQG ZXUGHQ GLH (LQÀXVVP|JOLFKNHLWHQ GHU Frauenbewegung auf die öffentliche Meinung abgewogen. Aufklärung und Konsensstiftung nach innen, Propaganda und Mobilisierung nach außen, so lässt sich die duale Struktur dieser Bewegungspresse knapp auf den Punkt bringen. Auch über Ziele, Forderungen und Aktivitäten der Sittlichkeits- und Stimmrechtsbewegung wurde breit in den überregionalen Bewegungsmedien berichtet. Daneben entstand eine Reihe publizistischer Organe, die sich ganz auf diese Teilbewegungen konzentrierten, etwa Zeitschriften wie Der Abolitionist (1902–1933), Mutterschutz und Sexualreform (1905–1908), Die neue Generation (1908–1932) oder, für die Stimmrechtlerinnen, die Zeitschrift für Frauenstimmrecht (1907– 1918), Frauen-Stimmrecht! (1912–1914), Die Staatsbürgerin (1914–1919) und andere mehr (Wischermann 1984; Kinnebrock 1999). 'LH%HZHJXQJVSUHVVHKlX¿JKDQGHOWHHVVLFKXP9HUHLQV]HLWVFKULIWHQLQIRU mierte ihre Leser_innen über Tagespolitik, brachte Nachrichten aus dem Ausland, publizierte Grundsatzartikel zu einzelnen Aspekten der Frauenfrage und ließ Kontroversen darüber zu. Mitteilungen aus den Vereinen und dem Vereinsleben, Informationen über Vortragsreisen und Kongressberichte machten den weiteren Inhalt aus und stellen – damals wie heute – heute eine sehr ergiebige Quelle dar. Die Zeitschriften wirkten in die Bewegung hinein, aber auch aus ihr hinaus und fungierten als Gegenöffentlichkeiten, die Widerstand gegen die hegemoniale/n Öffentlichkeit/en fomierten und gleichzeitig mit ihrem Agenda Setting versuchten, GLHVH]XEHHLQÀXVVHQXQG]XYHUlQGHUQ Festzuhalten bleibt: Anhand der Frauenbewegungen und ihrer vielfältigen Vereine und Publikationen lässt sich der Prozess zunehmender Rollendifferenzierung im Übergang von einfacher zu mittlerer Öffentlichkeit nachvollziehen. Medienund Vereinsgründungen erforderten die Verabschiedung und Einhaltung von Regularien. Den Stimmen von hauptamtlichen Redakteurinnen, den Vorsitzenden der diversen Vereine und Gesellschaften und den Vortragsreisenden kam deshalb mehr Gewicht zu als anderen Aktivistinnen. Zugleich erfüllten die Frauenbewegungen eine Übersetzungsfunktion, indem sie die Unzufriedenheit von Frauen mit ihrer politisch wie familiär rechtlosen Situation aufgriffen, bündelten und verallgemeinerten. Das Anknüpfen an (Unrechts-)Erfahrungen und die Mobilisierung von Emotionen stellten wichtige Faktoren für gemeinsames Bewegungslernen dar. Die weit verbreiteten Publikationsorgane der Bewegungen erfüllten eine doppelte Aufgabe,
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indem sie zugleich auch als Gegenöffentlichkeiten fungierten. Eine solche Brücke von der Bewegungsöffentlichkeit als mittlerer Öffentlichkeit in die komplexe Öffentlichkeit ist aus Sicht der sozialen Bewegungsforschung unverzichtbar für Bewegungserfolge – darauf hat auch besonders die US-amerikanische Sozialphilosophin und Öffentlichkeitstheoretikerin Nancy Fraser hingewiesen (Fraser 2001). Abbildung 2: Typologie zu Kommunikations- und Interaktionsformen der Frauenbewegungen um 1900: Bewegungsöffentlichkeiten Bewegungsöffentlichkeiten Schaffung regionaler und überregionaler Vereinsnetze
Zusammentreffen der Akteurinnen auf: VereinsVersammlungen, Generalversammlungen; Tagungen, Frauenkonferenzen, nationalen und internationalen Kongressen sowie Vortragsreisen
Medien
Vereinskorrespondenz; Rundschreiben; Flugblatt; Plakat; Buch; Broschüre Frauenbewegungspresse
Funktion
Interne und externe Mobilisierung durch formelle und informelle Beziehungen sowie Medien
Ebene von Öffentlichkeit
Mittlere Öffentlichkeit
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Rituale und Symbole: Gesang; Gedichte; Abzeichen; Stimmrechtsbriefmarken
ª3ROLWLFVRI,QÀXHQFH© Kollektive Lernprozesse (Emotion und Erfahrung)/ Alternative diskursive Praktiken; Konstruktion von gemeinsamen Deutungsmustern; Kollektive Handlungsfähigkeit; Gegenöffentlichkeit und Brücke zur Medien- und politischen Öffentlichkeit
MOBILISIERUNG DER ÖFFENTLICHEN WAHRNEHMUNG
Wie dargestellt, waren Bewegungskulturen und Bewegungsöffentlichkeiten unverzichtbare Ressourcen für die Frauenbewegungen um 1900. Nun stellt sich die Frage nach ihrer öffentlichen Wirksamkeit und Wahrnehmung. Hierfür sind Aktionen und Proteste als Mittel der Mobilisierung und Schritte zur Durchsetzung von Bewegungszielen in den Blick zu nehmen. Sie stellen kollektives Bewegungshandeln dar und resultieren aus sorgsamer Vorbereitung und der Aktivierung unterschiedlichster bewegungsinterner Ressourcen. Als politische Intervention sind sie darauf
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angelegt, die auf gesellschaftlichen Wandel zielenden Forderungen beispielsweise bei Parteien, Parlamenten, Interessengruppen und den Massenmedien bekannt zu machen und möglichst Unterstützung dafür zu gewinnen. Durch ihre Ereignisbezogenheit und Aktualität bieten sie gute Möglichkeiten, die Öffentlichkeitsarbeit sozialer Bewegungen zu intensivieren und danach wieder zu verstetigen (Wischermann 2003: 49 ff.). Für die Rekonstruktion und Untersuchung von Protestverläufen, vor allem für die Bewertung ihrer Wirkungspotenziale, ist die Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher und politischer Kontextstrukturen äußerst wichtig. Um erfolgreich sein zu können, sind soziale Bewegungen grundsätzlich darauf angewiesen, günstige politische Gelegenheitsstrukturen zu nutzen, sie wenn möglich sogar mit zu schaffen. Dazu gehört auch, die jeweiligen Strategien und Taktiken des Bewegungshandelns an sich stets verändernde Rahmenbedingungen anzupassen und daPLWNRQWLQXLHUOLFK]XYHUVXFKHQGLH|IIHQWOLFKH0HLQXQJSRVLWLY]XEHHLQÀXVVHQ 'HU9HUVXFK VR]LDOHU %HZHJXQJHQ (LQÀXVV DXI 6WDDW XQG 3ROLWLN ]X JHZLQ nen, läuft zum großen Teil über den Versuch, ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. So ist die Frage nach der Inszenierung von Aktionen und der Wirksamkeit von Protest letztlich verbunden mit der Frage nach ihrer Aufnahme und Rezeption durch politische Institutionen und Medien. Da Frauen bis 1918 nicht über die direkte politische Partizipationsform des Frauenstimmrechts verfügten, mussten sie ihre Emanzipationsforderungen und Rechtsansprüche im außerparlamentarischen Raum artikulieren, bzw. auf indirekten Wegen in Parteien und Parlamenten platzieren. Für den erforderlichen Platz in der öffentlichen WahrQHKPXQJ VHW]WHQ VLH DXI$XINOlUXQJ$NWLRQ XQG (LQÀXVV 'DEHL ZXUGHQ XQWHU schiedliche Wege begangen: Die stetige Mobilisierung formeller und informeller Kontakte gehört genauso dazu wie die Versuche, Aufmerksamkeit in den mediatisierten Öffentlichkeiten zu gewinnen. Hierfür griffen sie auf demonstrative und auf intermediäre Aktionsformen zurück. Demonstrationen, Massenkundgebungen und vor allem öffentliche Protestversammlungen stellten für die Frauenbewegungen der Jahrhundertwende die eine Seite ihres Protesthandelns dar, der Versuch einer SROLWLVFKHQ(LQÀXVVQDKPH]%LQ:DKONlPSIHQVRZLHGHU]lKH*DQJGXUFKSR litische Gremien mit Petitionen, Resolutionen und über männliche Parlamentarier lancierte Landtags- und Reichstagsanträge die andere. Die bürgerliche Frauenbewegung entwickelte – in der kritischen Perspektive der Proletarierinnen ausgedrückt – geradezu ein »Petitionsheldentum«. Allein in den Jahren 1894 bis 1907 wurden vom »Bund deutscher Frauenvereine« 41 Petitionen ausgearbeitet und bei Landes- und Reichsbehörden eingereicht. Wenn es sich dabei auch um eine mühsame und meist erfolglose Kleinarbeit handelte, gelang es immer wieder, mit Hilfe von Petitionen bestimmte dringende Anliegen der Frauenbewegung publik zu machen und in die Diskussion zu bringen (Wischermann 2003: 211 ff.).
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Wenn soziale Bewegungen auf Publizität angewiesen sind, stellt sich zugleich die Frage, inwiefern sie sich an massenmedialen Öffentlichkeiten orientieren und welche Anpassungsleistungen sie dafür erbringen (müssen). Die Notwendigkeit, Bewegungsforderungen politisches Gewicht zu verleihen, legt ein Verständnis von Öffentlichkeit als einem Prozess nahe, der bewusst begleitet, bzw. auch gesteuert und inszeniert wird. Gleichzeitig muss immer mit Diffusionsprozessen gerechnet werden, denn letztlich ist die Medienberichterstattung und -resonanz nicht sicher ›kalkulierbar‹ (Wischermann 2003: 49 ff.). Eine Analyse von Protestverläufen um 1900 zeigt, dass den Akteurinnen der Stimmrechts- und Sittlichkeitsbewegung eine Präsenz auf der Ebene der komplexen Öffentlichkeit gelang. Sie platzierten ihre Ziele und Forderungen erfolgreich und setzten die Frauenfrage auf die politische Agenda des Kaiserreichs. Die zeitgenössische Presse ging in einem aus heutiger Sicht überraschenden Ausmaß auf die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse und die Frage der Frauenemanzipation ein. Familienblätter berichteten über die Ziele und Forderungen insbesondere der gemäßigten Frauenbewegung und über ihre Hauptakteurinnen. Die Tagespresse konzentrierte sich auf die lokalen Bewegungsaktivitäten, informierte über Vereinsund Protestversammlungen und stellte die Rednerinnen vor. Überregionale Blätter richteten Frauenbeilagen ein, die teilweise von bekannten Bewegungsakteurinnen redigiert wurden. Sie enthielten politische und kulturelle Berichterstattung, gingen auf Berufs- und Bildungsfragen sowie auf die Aktivitäten der Frauenbewegung ein. Auch die Illustriertenpresse sparte das Thema nicht aus – im Gegenteil: Führerinnen der nationalen und internationalen Frauenbewegung waren am Anfang des 20. Jahrhunderts so prominent, dass ihre Porträts die Titelseiten der Woche und der Berliner Illustrierten zierten (Wischermann 2001: 233 ff.). gIIHQWOLFKH 3URWHVWYHUVDPPOXQJHQ ZDUHQ HLQ KlX¿J HLQJHVHW]WHV 0LWWHO IU eine gelungene Mobilisierung der Medien. Sie dienten der Skandalisierung von Unrechtserfahrungen, die Frauen machten und verbanden sie mit Forderungen und Themen der Frauenbewegungen. Der Kampf gegen die Reglementierung der Prostitution ist nur ein Beispiel dafür, wie differenziert auch damals schon der Umgang mit Öffentlichkeit war. Unrechtserfahrungen und Skandale wurden nicht nur medienwirksam genutzt, sondern durchaus auch inszeniert. Spektakuläre Aktionen und Proteste, die einen hohen Nachrichtenwert hatten, boten sich hierfür besonders an. Anita Augspurg, Deutschlands erste promovierte Juristin und radikale Stimmrechtlerin provozierte beispielsweise einen öffentlichkeitswirksamen Skandal, als sie 1902 in Weimar von einem Beamten der Sittenpolizei wegen Verdachts auf Gewerbsunzucht von der Straße weg verhaftet wurde (vgl. a. Kinnebrock 2005: 215 ff.). Solche MissJULIIHGHU3ROL]HLJDEHVKlX¿J6LHWUDIHQXQEHVFKROWHQH)UDXHQXQG3URVWLWXLHUWH und waren der Frauenbewegung im Kampf gegen die Reglementierung der Prostitution ein ständiger Anlass für Protest. Es spricht vieles dafür, dass Augspurg ihre
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Verhaftung inszeniert hatte und die danach ablaufende Protestwelle gekonnt geplant war. Im ganzen Land wurden unter großer öffentlicher Beteiligung Protestversammlungen abgehalten und Resolutionen verabschiedet. Die Presse stieg, teils sachlich, teils polemisch, ausführlich in das Thema ein, sogar eine hitzige Reichstagsverhandlung fand statt. Auch innerhalb der Bewegung hatte der Skandal Folgen: Die Sittlichkeits- und Sexualreformbewegung erhielt einen Mobilisierungsschub, die Broschüren zum Thema waren bald vergriffen, eine groß angelegte Petition nebst Denkschrift wurde in Angriff genommen (Wischermann 2003: 241 ff.). In diesem Beispiel ist Öffentlichkeit ein Prozess, der bewusst begleitet wird und mehrere Ebenen umfasst: die Interaktion von Personen, die örtlich zentrierte Öffentlichkeit und die medial vermittelte Öffentlichkeit. Nicht nur gelungene Öffentlichkeitsarbeit und gute Kontakte zur Presse standen im Hintergrund medialer Berichterstattungen. Oft waren diese von Journalistinnen verantwortet, die selbst aus der Bewegung kamen, bzw. mit ihr sympathisierten. Anita Augspurg etwa redigierte die Frauenbeilage der Tageszeitung Der Abbildung 3: Typologie zu Kommunikations- und Interaktionsformen der Frauenbewegungen um 1900: Öffentlichkeit/öffentliche Meinung Öffentlichkeit/Öffentliche Meinung Vernetzung mit anderen gesellschaftlichen Reformkräften/mit anderen sozialen Bewegungen
Teilnahme an politischen Öffentlichkeiten: Besuch von Parteiversammlungen, Parlamentssitzungen etc.
Medien
Pressemitteilungen; Tagespresse; Zeitschrift; Illustrierte; Bild/Foto; Buch/Broschüre; Plakat; Flugblatt
Funktion
Externe Mobilisierung durch formelle und informelle Kontakte sowie PR-Strategien
Aktion und Intervention in politische Öffentlichkeit durch: Einreichen von Petitionen und Resolutionen Öffentliche Protestversammlungen Demonstrationen Ziviler Ungehorsam
»Politics of Inclusion« Diffusionsprozesse und Konstruktion neuer Deutungsmuster (LQÀXVVQDKPHDXI Parteien, Verbände, Interessengruppen Politisch-administratives System Medien und Journalist/innen Publikum (Multiplikatoren, Sympathisanten, Unterstützer, Neutrale, Gegner)
Ebene von Öffentlichkeit
komplexe Öffentlichkeit
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Tag und schrieb außer in der Frauenbewegungspresse Artikel für die Münchener Stadtzeitung, das Berliner Tageblatt, die Vossische Zeitung und den Hamburger Generalanzeiger sowie für Fach- und Wochenzeitschriften wie Europa, Die Kultur u. a. m. (Kinnebrock 2005: 232 ff.). Überhaupt lässt sich feststellen, dass die Frauenbewegungen zur Zunahme der Zahl professioneller Journalistinnen geführt haben (vgl. Klaus/Wischermann 2013). Festzuhalten bleibt: Die Mobilisierung der öffentlichen Meinung durch die Frauenbewegungen der Jahrhundertwende fand nicht spontan statt, sondern war das Ergebnis guter und mühevoller Vorbereitung durch die Propaganda-Ausschüsse und Agitationskommissionen der jeweiligen Teilbewegungen. Ganz gleich, REORNDORGHUEH]LHKXQJVZHLVHXQGÀlFKHQGHFNHQGSURWHVWLHUWXQGDJLHUWZXUGH wurde dafür auf bestehende organisatorische und kommunikative Infrastrukturen sowie persönliche Beziehungsnetze und formelle wie informelle Kontakte, beispielsweise zu Politikern und Journalisten, zurückgegriffen. Auch Journalistinnen, die aus dem Umfeld der Frauenbewegungen kamen, trugen zur Bekanntheit der Frauenfrage bei. Grundsätzlich kann die Öffentlichkeitsarbeit der Frauenbewegungen als ein gelungenes Zusammenspiel kurzfristigen Ereignismanagements und längerfristiger Einbettung in diskursive Meinungsbildung und Politisierung charakterisiert werden.
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FAZIT
Auch wenn es bisher selten praktiziert wurde, hat es sich als produktiv erwiesen, die Geschichte einer alten sozialen Bewegung aus dem Blickwinkel (neuer) sozialer Bewegungsforschung zu schreiben. Eine Zusammenschau der Sittlichkeits- und Stimmrechtsbewegung im Kaiserreich zeigt, dass die Dimensionen und Kategorien der Bewegungsforschung – seien es die Aspekte interner oder externer Mobilisierung oder die Fragen nach Ideologien, Organisationen, Akteuren, Strategien und Aktionsrepertoires – neue Erkenntnisgewinne über Entwicklungsdynamiken und politische Wirkungspotenziale ermöglichen. Die Beachtung und Einarbeitung der Dimensionen Bewegungskulturen und Bewegungsöffentlichkeiten und die damit beabsichtigte Einbindung in alltagsweltlichen Erfahrungen der Akteur_innen sowie die Bezugnahme auf das sogenannte Private beinhaltet weitere Möglichkeiten, ein neues Licht auf die Funktionsweisen (alter und neuer) sozialer Bewegungen zu ZHUIHQ6RNDQQGD]XEHLJHWUDJHQZHUGHQGDVKlX¿JDXIH[WHUQH0RELOLVLHUXQJV prozesse festgelegte Forschungsfeld soziale Bewegung und Öffentlichkeit neu zu strukturieren und den Zusammenhang von Identitätsbildung und politischer Artikulation, von Binnen- und Außenkommunikation besser zu integrieren. Meine empirische Studie über »Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900« (Wischermann 2003) belegt: Erfolge und Wirksamkeit der Frauenbewe-
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gungen der letzten Jahrhundertwende sind auf eine gelungene Synthese verschiedenster Faktoren im Spannungsfeld privat-öffentlich zurückzuführen. Das Ineinandergreifen von persönlichen Beziehungen und organisatorischer Vernetzung, die Schaffung gegenkultureller Milieus sowie das Agieren in Versammlungsöffentlichkeiten und die Gründung eigener Bewegungsmedien stellten die unentbehrlichen Ressourcen dar, mit deren Hilfe es nach und nach gelang, Bewegungsziele und -forderungen in Politik, Medien und Öffentlichkeit zu platzieren und somit auf die politische Agenda des Kaiserreichs zu bringen. Erst in der Pluralität und Komplementarität von Öffentlichkeiten – der Dynamik von Bewegungskulturen, Gegenöffentlichkeiten und massenmedialen Öffentlichkeiten – lag der Schlüssel zur mobilisierenden Kraft der Stimmrechts- und Sexualreformbewegungen. Ihr Kampf für Stimmrecht und Sexualreform fand auf allen Ebenen von Öffentlichkeit statt, in der Interaktion einfacher, mittlerer und komplexer Öffentlichkeiten – hier sind die Anschlussmöglichkeiten zum Drei-Ebenen-Modell von Elisabeth Klaus (Klaus 2005) offensichtlich und produktiv. Das komplexe Kommunikations- und Handlungssystem der Frauenbewegungen verweist auf mehrere Zeit- und Bewusstseinsebenen, wobei verschiedene Bereiche und Phasen, Akteur_innen und Medien ineinander griffen. Nur wenn Öffentlichkeitskonzepte diese Komplexität berücksichtigen, können sie Aufschluss über das Funktionieren sozialer Bewegungen geben. Dann wird Öffentlichkeit zu einem sich dynamisch entfaltenden gesellschaftlichen Verständigungsprozess (Klaus 2005: 103 ff.), in dem politische Übereinkünfte ausgehandelt und (hoffentlich auch:) erzielt werden.
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Der Aufstieg als Niedergang?
Der Aufstieg als Niedergang? Eine Analyse der Öffentlichkeitsprozesse rund um politische Frauenzeitschriften in Kaiserreich und Weimarer Republik SUSANNE KINNEBROCK
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HINFÜHRUNG: ÖFFENTLICHKEITSPROZESSE UND PARTIZIPATION
Geht es um die politische Partizipation von Frauen, dann wird zumeist das Jahr 1919 als entscheidende Zäsur ausgemacht: Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und der Revolution von 1918 konnten Frauen zum ersten Mal deutschlandweit wählen. Und sie nutzten ihr neues Recht: Frauen beteiligten sich an der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung im gleichen Maße wie Männer (zu über 82 Prozent) und insgesamt 41 Parlamentarierinnen konnten schließlich in der Nationalversammlung über die Ausgestaltung der Weimarer Republik mitentscheiden. Das entsprach einem Frauenanteil von 9,7 Prozent. Ähnlich ›hohe‹ Parlamentarierinnenanteile erreichten die Reichs- und Bundestage bezeichnenderweise erst wieder nach 1983 (vgl. Rosenbusch 1998: 473, 478). 1919 gelang also die Einbindung von Frauen in politische Prozesse anscheinend schnell und reibungslos. Diese Einbindung hat allerdings eine Vorgeschichte. Der tatsächlichen Ausübung von politischen Wahlrechten im Jahr 1919 gingen rund 50 Jahre mühsamer Versuche voraus, Frauenbelange öffentlich zu artikulieren. Frauen mussten ihre $QOLHJHQ]XQlFKVWHLQPDOLGHQWL¿]LHUHQDUWLNXOLHUHQXQGLKQHQ|IIHQWOLFK*HK|U verschaffen. Dies geschah unter erschwerten Rahmenbedingungen, galt es doch als nicht ›schicklich‹, sich als Frau mit politischen Themen zu befassen. Weiterhin beschränkte sich die Mädchenbildung auf den praktisch-haushälterischen, allenfalls schöngeistigen Bereich. Frauen hatten keinen Zugang zu solchen Bildungsinstitutionen, die wissenschaftliches und politisches Wissen fundiert vermittelten. Und schließlich sorgten noch handfeste rechtliche Regelungen dafür, dass Frauen der Zutritt in sichtbare öffentliche Bereiche erschwert wurde: Grundlegende Partizi-
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pationsrechte (politische Wahlrechte, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, ja zeitweise sogar die Pressefreiheit) wurden Frauen gar nicht oder nur eingeschränkt gewährt (siehe Frevert 2001: 63–145 und zur Pressefreiheit Wischermann 1998: 109). Angesichts der Verbannung ins Haus, des Bildungsmangel und schließlich der vielfältigen Beschränkungen von Partizipation mag die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen 1919 ihre politischen Rechte wahrnahmen, zunächst überraschen. Erweitert man jedoch den Blick von weithin sichtbaren Formen politischer Partizipation auf eher niedrigschwellige Formen zivilgesellschaftlichen Engagements, dann wird die schnelle und insbesondere reibungslose Einbindung von Frauen in den politischen Alltag nachvollziehbarer. Vor allem aber gerät die Frauenbewegung des deutschen Kaiserreichs samt ihrer vielfältigen Versuche, gemeinsame Interessen ]XLGHQWL¿]LHUHQ]XIRUPXOLHUHQXQGVFKOLHOLFK|IIHQWOLFK]XYHUEUHLWHQLQV=HQ trum des Interesses. Das Jahr 1919 mag politikgeschichtlich zwar eine relevante Zäsur sein, die entscheidenden Prozesse, die eine wachsende Partizipation von Frauen ermöglichten, fanden aber bereits im Kaiserreich statt. Zentral waren hierbei Öffentlichkeitsprozesse: Über Frauenvereine und politische Frauenzeitschriften schufen sich Frauen vermehrt Foren, die konstitutiv für eine »Bewegungsöffentlichkeit« wurden (vgl. Klaus/Wischermann 2008; Wischermann 2003). Diese Bewegungsöffentlichkeit zeichnete sich dadurch aus, dass sie sowohl Anbindung an Kommunikationsinhalte XQGIRUPHQKDWWHZLHVLHEOLFKHUZHLVHLQGHU3ULYDWVSKlUHYRU]X¿QGHQVLQGDOV auch an solche der etablierten Medienöffentlichkeit. Legt man das Drei-EbenenModell von Öffentlichkeit zugrunde (Klaus 2009), dann wird deutlich, dass politische Frauenzeitschriften eine zentrale Mittlerrolle zwischen einfachen (Alltags-) Öffentlichkeiten und komplexer (Medien-)Öffentlichkeit einnahmen (vgl. Klaus/ Wischermann 2008). Diesen politischen Frauenzeitschriften und der Art und Weise, wie sie Öffentlichkeit herstellten, widmet sich mein Beitrag. Dabei werden in einem ersten Schritt das Drei-Ebenen-Modell und Medienfunktionen in Beziehung gesetzt sowie das Potenzial von Presseorganen diskutiert, als Quellen zur Rekonstruktion historischer Öffentlichkeitsprozesse zu fungieren. Anschließend wird in einem zweiten Schritt ein spezieller Pressetyp, nämlich politische Frauenzeitschriften, vorgestellt. Dabei wird erläutert, wie zahlreich und vielfältig diejenigen Periodika waren, die hier unter dem Begriff »politische Frauenzeitschriften« zusammengefasst werden. In einem dritten Schritt soll schließlich mithilfe ausgewählter Zeitschriften der Frauenbewegung und anhand von zwei Fallbeispielen aufgezeigt werden, wie um 1900 die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit adressiert und zuweilen auch erfolgreich verknüpft wurden. Abschließend will ich am Beispiel von politischen Frauenzeitschriften der Weimarer Parteien darlegen, wie – nicht zuletzt aufgrund parteitaktischen Kalküls – die Anbindung an einfache Öffentlich-
DER AUFSTIEG ALS NIEDERGANG?
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keiten aufgegeben wurde, so dass politische Frauenzeitschriften ihrer eigentlichen Stärke beraubt wurden, nämlich ein Scharnier zwischen einfacher und komplexer Öffentlichkeitsebene zu bilden und so zu gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen beizutragen.
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ZEITSCHRIFTENFORSCHUNG UND ÖFFENTLICHKEITSPROZESSE
Politische Frauenzeitschriften sind zunächst einmal Gegenstand der Zeitschriftenforschung, die allerdings primär mediumzentriert, kaum öffentlichkeitsorientiert arbeitet. Dabei ist die historische Zeitschriftenforschung zuerst pressestaWLVWLVFK YRUJHJDQJHQ G K VLH HUIDVVWH 'DWHQ ]X (UVFKHLQXQJVZHLVHQ$XÀDJHQ XQGWKHPDWLVFKHQ6FKZHUSXQNWHQYRQ=HLWVFKULIWHQNODVVL¿]LHUWHGLH%OlWWHUXQG dokumentierte ihre Ergebnisse in Zeitschriftenbibliographien (z. B. Kirchner 1966–1989). Darüber hinaus wurden politisch bedeutsame Leitmedien mit Zeitschriftenporträts gewürdigt, weil sie entweder ein Herrschaftssystem nachhaltig stützten oder es mit scharfer Kritik ins Wanken brachten. In solchen Darstellungen standen freilich politische Linien und prägende Blattmacher im Vordergrund (z. B. Fischer 1973). Allerdings verstellt die Konzentration auf die Zeitschrift als Medium bzw. politisches Instrument den Blick darauf, dass Zeitschriften v. a. auch Kommunikationsprozesse in Gang setzen, (LeserInnen-)Gemeinschaften bilden und somit Öffentlichkeit auch ›von unten‹ konstituieren (vgl. Bohrmann/ Schneider 1975: 32). Eine öffentlichkeitszentrierte Zeitschriftenforschung, die das kommunikationsgeschichtliche Paradigma, Kommunikationsprozesse der Vergangenheit zu rekonstruieren, systematisch umsetzt statt sich in einer eher deskriptiven Schilderung einzelner Medien zu ergehen, steht allerdings immer noch aus. Und dies erklärt vielleicht auch das ›nachgeordnete Interesse‹ (vgl. Stöber 2002: 44), auf das die historische Zeitschriftenforschung inzwischen in der Kommunikationswissenschaft stößt. Weiterhin spielen Medienfunktionen in der Zeitschriftenforschung eine wichtige Rolle, weil sie die Grundlage zahlreicher Zeitschriftentypologien, aber auch Zeitschriftenporträts bilden. Dabei fällt eine eigentümliche Orientierung der historischen Zeitschriftenforschung an politischen Medienfunktionen auf: Kritik und Kontrolle, Information (oft im Sinne von Aufdeckung) oder der Beitrag eines Blattes zur politischen Willensbildung stehen im Zentrum. Bedürfnisse, Erwartungen XQG*UDWL¿NDWLRQHQDXI6HLWHQGHU/HVHU,QQHQVFKDIWVLQGKLQJHJHQEHLGHUW\SROR gischen Zuordnung bzw. der Porträtierung historischer Zeitschriften zumeist nachrangig. Politische und gesellschaftliche Medienfunktionen beschreiben Leistungen von (Massen-)Medien, die auf einer Makro-Ebene anzusiedeln sind, d. h. sie ha-
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ben als funktionalen Bezug primär das Politik-, Gesellschafts- oder auch das Wirtschaftssystem (vgl. überblickshaft Burkart 2002: 378–412). Somit werden Medien im Allgemeinen oder eine Zeitschrift im Speziellen – relativ abstrakt – hinsichtlich ihrer (mutmaßlichen) Leistungen für die oben genannten Systeme bemessen. Die angewandte Forschung zu aktuellen Zeitschriften verfolgt hingegen eine andere Herangehensweise. Sie widmet sich in ihren empirischen Studien überwiegend Medienfunktionen auf der Mikroebene. Die potenziellen Leistungen für RezipienWHQXQG5H]LSLHQWLQQHQZHUGHQ±RIWPLWKLOIHYRQ%HIUDJXQJHQ±LGHQWL¿]LHUWXQG YHUVFKLHGHQH%OlWWHUGDQQHQWODQJGLYHUJLHUHQGHU/HLVWXQJVSUR¿OHEHVFKULHEHQXQG eingeordnet. Damit lehnt sich die aktuelle Zeitschriftenforschung – wenngleich nicht immer explizit – an solche Forschungen an, die in der Tradition des »Uses DQG*UDWL¿FDWLRQ$SSURDFKHV©VWHKHQ Dies ist insofern von Bedeutung, als mit der RezipientInnenperspektive des ª8VHV DQG *UDWL¿FDWLRQ$SSURDFKHV© JlQ]OLFK DQGHUH 0HGLHQOHLVWXQJHQ LQ GHQ Blick geraten als solche, die für das politische System als funktional bzw. als ›erwünscht‹ erachtet werden – wie Information, Herstellung von Öffentlichkeit, Kritik und Kontrolle (Medienfunktionen auf Makro-Ebene). Andere Fragen rücken in den Mittelpunkt, nämlich inwieweit Medien soziale Orientierung und Integration – sei es mit Bezug auf das Gesellschaftssystem, aber auch auf einzelne soziale Gruppen oder Organisationen – unterstützen und dabei zur Stärkung des individuellen Handlungsvermögens sowie zur kollektiven Mobilisierung beitragen (vgl. McQuail 2000: 80–81). Die Integration von Personen in größere Sozialstrukturen samt ihrer kommunikativen Einbindung interessiert, wenn Medienfunktionen auf der Meso-Ebene untersucht werden. Und wendet man schließlich den Blick von den Organisationen ab und stattdessen hin zu einzelnen Personen, dann stellt sich die Frage, inwieweit Medien individuellen Bedürfnissen nach Austausch und Interaktion nachkommen und schließlich emotionale Erlebnisse, ästhetische Erbauung und – eng damit verbunden – Unterhaltung ermöglichen (Medienfunktionen auf Mikro-Ebene). Auf der Mikroebene, d. h. bei RezipientInnen, setzt auch die Medien- und .RPPXQLNDWLRQVSV\FKRORJLH DQ GLH VLFK PLW *UDWL¿NDWLRQVHUZDUWXQJHQ .RP munikationsverhalten und individuellen Verarbeitungsweisen von Medieninhalten beschäftigt. Sie hat, ausgehend vom Individuum, kommunikationspsychologiVFKH:LUNXQJVGLPHQVLRQHQLGHQWL¿]LHUWGLHHLQHOHLFKWYHUlQGHUWH6WUXNWXULHUXQJ von Medienfunktionen angeraten sein lässt. Aus kommunikationspsychologischer Perspektive treten Kommunikationsfolgen im kognitiven, motivationalen, interaktiv-sozialen und affektiven Bereich auf (Six et al. 2007: 30). Setzt man diese Differenzierung von Wirkungsbereichen in Beziehung zu Medienfunktionen, dann sind im kognitiven Bereich Informations-, Orientierungs- und Kritikleistungen anzusiedeln. Mit Blick auf den motivationalen Bereich können Medien das individuelle Handlungsvermögen stärken, eine Person für eine Sache mo-
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bilisieren und schließlich zur Integration in vielfältige soziale Zusammenhänge beitragen. Zur Aktivierung des interaktiven Bereichs können über Medien Wissen und Erfahrungen ausgetauscht und dabei gleichzeitig bewertet werden, wobei im Zuge dieser Kommunikationsprozesse soziale Beziehungen aufgebaut werden. Und was schließlich den affektiven Bereich anbelangt, so tragen Medien zur Unterhaltung bei und erlauben den Nachvollzug von Emotionen (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Medienfunktionen, Foren und Öffentlichkeitsebenen Medienfunktionen
(mediales) Forum
Öffentlichkeitsebene
kognitiver Bereich
– Information – Orientierung – Kritik
– (tages)aktuelle Presse – Parlamente
komplexe Öffentlichkeit
motivationaler Bereich
– Stärkung des Handlungsvermögens – Mobilisierung – Integration
– Bewegungszeitschriften – Vereinszeitschriften – größere Kongresse
mittlere Öffentlichkeit
interaktiver Bereich
– Wissensaustausch und Bewertung – Erfahrungsaustausch und Bewertung – Aufbau sozialer Beziehungen
– kleinere Versammlungen – Gespräche am Rande von Versammlungen – Briefe
einfache Öffentlichkeit
affektiver Bereich
– Unterhaltung – Emotion
Ausgehend von den jeweils interessierenden Medienfunktionen geraten immer nur bestimmte Forschungsspektren, konkret: bestimmte mediale Foren und Öffentlichkeitsebenen, in den Fokus der Analyse. In der traditionellen historischen Zeitschriftenforschung stehen beispielsweise Information und Kritik als Medienleistungen im Zentrum – und dies zumeist weniger mit Bezug zum Individuum, sondern zum politischen System. In der Folge werden vor allem Medien bzw. Foren beobachtet, die auf der Ebene der komplexen Öffentlichkeit angesiedelt sind – wie z. B. aktuelle Leitmedien oder nationale Parlamente als nicht-mediales Forum. Gleichzeitig hat die Einnahme einer solchen Perspektive aber zum einen zur Folge, dass zusätzliche Leistungen, die Medien erbringen können, die v. a. im motivationalen, interaktiven und affektiven Bereich liegen, ausgeblendet bleiben. Und zum anderen werden so auch weitere Öffentlichkeitsebenen nicht erfasst, auf denen eine Zeitschrift ebenso eine Rolle spielen kann – zumindest aus dem Blickwinkel ihres Publikums.
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Beschäftigt man sich mit sozialen Bewegungen, dann sind v. a. Medienfunktionen im motivationalen Bereich zu berücksichtigen, denn die Mobilisierung von AnhängerInnen stellt ein zentrales Ziel sozialer Bewegungen dar. Ins Visier der Analysen geraten demnach (kleinere) Bewegungszeitschriften und Öffentlichkeitsprozesse auf mittlerer Ebene. Zwar sind hier die Kommunikationsrollen – wie die GHU%ODWWYHUDQWZRUWOLFKHQRGHUGLHGHU/HVHU,Q±QRFKVSH]L¿]LHUWDEHUHVNRPPW ab und an schon zum Rollenwechsel, wenn sich ›einfache‹ AktivistInnen mit ihren Forderungen und Aktionen zu Wort melden. Das gesamte Spektrum möglicher Medienfunktionen ist aber noch nicht abgedeckt, denn Funktionen im interaktiven und affektiven Bereich wie Wissensaustausch, Erfahrungsaustausch, Aufbau von sozialen Beziehungen, Unterhaltung und emotionale Erlebnisse sind noch nicht berücksichtigt. Solche Funktionen werden zwar überwiegend von nicht-medialen Foren getragen, d. h. die KommunikationsSUR]HVVH ¿QGHQ Y D LQ SHUV|QOLFKHQ *HVSUlFKHQ %ULHIHQ RGHU DXI NOHLQHQ9HU sammlungen statt und sind primär auf einfacher Öffentlichkeitsebene anzusiedeln. Dennoch sollte das Potenzial von Medien, speziell von Zeitschriften, nicht unterschätzt werden, bis in diese Öffentlichkeitsebenen vorzudringen und Leistungen im interaktiven sowie affektiven Bereich zu erbringen. Die zentrale These dieses Beitrags lautet demnach, dass es politischen Frauenzeitschriften zuweilen nicht nur gelang, ein breites Spektrum an Medienfunktionen zu bedienen, sondern ebenso als Mittler zwischen allen drei Öffentlichkeitsebenen zu fungieren (vgl. Abbildung 2). In Phasen, in denen dies tatsächlich gelang, entfalteten sich rund um die Zeitschrift kommunikative Dynamiken, die eine verstärkte Partizipation ermöglichten und gesellschaftliche Wandelprozesse forcierten. Allerdings ist es nicht ohne weiteres möglich, Kommunikationsprozesse zwischen allen drei Öffentlichkeitsebenen aufrecht zu erhalten, weil auf jeder Ebene andere Selektionskriterien, Verarbeitungsweisen und Kommunikationsmodi üblich sind. Das direkte Gespräch ist beispielsweise sehr viel umgangssprachlicher, emotionaler und weit weniger strukturiert als ein Leitartikel. Und wenn ein Kommunikationsmodus der einfachen Öffentlichkeitsebene, beispielsweise eine emotionale Beschimpfung, auf der mittleren oder gar komplexen Öffentlichkeitsebene zur Anwendung kommt, dann führt das im Zweifelsfall zu Irritationen. Schließlich wird dem der Ebene angemessenen Kommunikationsmodus nicht entsprochen, was dazu führt, dass die Äußerung als unpassend oder gar ›unprofessionell‹ eingeordnet wird. Ein gewisses Knirschen ist also zu vernehmen, wenn Öffentlichkeitsprozesse zwischen den Ebenen im Gange sind und die HEHQHQVSH]L¿VFKGLIIHUHQWHQ.RPPXQLNDWLRQVPRGLDXIHLQDQGHUSUDOOHQ±XQGGLH ses Knirschen bzw. die Frage nach seinen Ursachen und Hintergründen könnte Ausgangspunkt werden für eine vertiefte Analyse von Öffentlichkeitsprozessen rund um Zeitschriften.
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Abbildung 2: Kommunikationsprozesse zwischen Öffentlichkeitsebenen Medienfunktionen
(mediales) Forum
kognitiver Bereich
– Information – Orientierung – Kritik
– (tages)aktuelle Presse – Parlamente
motivationaler Bereich
– Stärkung des Handlungsvermögens – Mobilisierung – Integration
– Bewegungszeitschriften – Vereinszeitschriften – größere Kongresse
interaktiver Bereich
– Wissensaustausch und Bewertung – Erfahrungsaustausch und Bewertung – Aufbau sozialer Beziehungen
affektiver Bereich
– kleinere Versammlungen – Gespräche am Rande von Versammlungen – Briefe
Öffentlichkeitsebene komplexe Öffentlichkeit
mittlere Öffentlichkeit
einfache Öffentlichkeit
– Unterhaltung – Emotion
Betrachtet man allerdings die üblichen Herangehensweisen der historischen Zeitschriftenforschung, so werden solche Fragen vergleichsweise selten gestellt. In der Regel interessieren vor allem die politischen Linien von Presseorganen, ihre Effekte auf Repräsentanten des politischen Establishments und nachhaltige Auswirkungen auf das Zeitgeschehen.1 Doch eine solche Betrachtungsweise, wie sie auch in Buchtiteln wie »Leitartikel bewegen die Welt« (Schaber/Fabian 1964) Ausdruck ¿QGHWNRQ]HQWULHUWVLFKDOOHQIDOOVDXIGLH5ROOHGLH0HGLHQLP5DKPHQNRPSOH[HU Öffentlichkeiten spielen, sowie auf Funktionen, die Medien auf der Makro-Ebene zugeschrieben werden (v. a. Kritik und Kontrolle des politischen Systems). D. h. andere Leistungen, nämlich solche, die die Blätter für Öffentlichkeitsprozesse ›von unten‹ und für das Verknüpfen aller drei Öffentlichkeitsebenen erbringen, bleiben weiterhin unterbelichtet. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab (z. B. Wischermann 2003; Klaus/Wischermann 2008; Kinnebrock 2008; Kinnebrock 2009), so dominieren im Bereich der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Presseforschung nach wie vor politik- und mediumszentrierte Darstellungen, während komplexe kommunikationshistorische Analysen, die ausgehend von rezipientInnenorientierten Medienfunktionen Öffentlichkeitsprozesse detailliert nachzeichnen, äußerst rar sind. Dies mag zum Teil der besonderen Quellenproblematik historischer Forschung geschuldet sein: Da insbesondere bei historischen Medien die Einschätzungen von
1
Siehe exemplarisch die Zeitschriftenporträts in Fischers Sammelband (1973).
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Medienleistungen durch RezipientInnen schwer rekonstruierbar sind, rückt das Medium selbst, seine Programmatik und seine (retrospektiv bestimmte) historische Bedeutung in den Fokus der Untersuchungen. Die Konzentration auf Medien und ihre Inhalte muss allerdings nicht zwingend einen Verzicht auf kommunikations- und öffentlichkeitshistorische Perspektiven nach sich ziehen. Denn neben programmatischen Leitartikeln enthalten Presseorgane viele weitere Beiträge, aus denen sich der Austausch zwischen Redaktion und LeserInnenschaft, aber auch innerhalb des Publikums herauslesen lässt. Neben dem altbekannten LeserInnenbrief2 sei hier die Darstellungsform der ›Replik‹ erwähnt, letztlich eine Antwort auf einen Leitartikel, die aber i.d.R. nicht von der Redaktion, sondern von Außenstehenden bzw. Betroffenen verfasst wurde; Rubriken mit Titeln wie »In eigener Sache« lassen zumindest indirekte Schlüsse auf kommunikative Austauschprozesse zu, wurden doch dort redaktionelle Entscheidungen den LeserInnen gegenüber gerechtfertigt. Und schließlich wurden viele vermeintlich langweilige Rubriken – z. B. über die »Vereinsarbeit« oder »Veranstaltungen« – mit Beiträgen von LeserInnen gefüllt: Aktivitäten und Sichtweisen des Publikums lassen sich also aus diesen Rubriken erschließen. Darüber hinaus enthielten Versammlungsberichte zahlreiche Hinweise darauf, wie die Themen des jeweiligen Blattes auf Versammlungsöffentlichkeiten verhandelt worden waren, d. h. Rückschlüsse sind nicht nur auf die schreibenden LeserInnen möglich, sondern auch auf weniger exponierte Personen, die aber dennoch an Öffentlichkeitsprozessen ›von unten‹ mitwirkten. Es gibt also auch in der historischen Forschung durchaus Möglichkeiten, Kommunikationsprozesse sowohl zwischen Redaktion und Publikum zu rekonstruieren (wobei es durchaus zu Rollenüberschneidungen kommt) als auch Austausch zwischen verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit zu erfassen. Dazu müssen historische Blätter aber nicht nur neu gelesen werden, sondern es sollten zur Ergänzung und Absicherung der Befunde medienexterne Quellen herangezogen werden – z. B. Tagebücher, Autobiographien oder Briefe, in denen Rezeptionserlebnisse und Öffentlichkeitserfahrungen festgehalten sind (siehe dazu auch Wischermann 1996).
2
Siehe zur internationalen Debatte zur Funktion des LeserInnenbriefs in Bewegungsmedien Wahl-Jorgensen (2007: 41–46) und Chambers, Steiner und Fleming (2004: 145– 178).
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ZEITSCHRIFTEN IM UMFELD DER HISTORISCHEN FRAUENBEWEGUNG
Bevor im dritten Punkt beispielhaft ausgeführt wird, welche Rolle politische Frauenzeitschriften im Rahmen solcher Austausch- und Öffentlichkeitsprozesse in Kaiserreich und Weimarer Republik spielten, sollen diese Blätter zunächst in der damaligen Zeitschriftenlandschaft verortet werden. Im deutschsprachigen Raum können Periodika speziell für Frauen inzwischen auf eine fast 300-jährige Tradition verweisen. Zeitschriften, die sich gezielt an Frauen richteten und deren redaktionelle Inhalte tatsächlich politisch waren (d. h. die bei der Auseinandersetzung mit dem weiblichen Lebenszusammenhang Veränderungsmöglichkeiten der sozialen Lebenssituation von Frauen und/oder ihre Partizipation am Gemeinwesen thematisierten), erschienen allerdings vermehrt erst in der Zeit des Kaiserreichs.3 Berücksichtigt man als ›politische Frauenzeitschrift‹ alle mindestens YLHUWHOMlKUOLFKHUVFKHLQHQGHQ%OlWWHUGLH)UDXHQEHLP=XUHFKW¿QGHQLQGHU|IIHQWOLFKHQ Sphäre helfen – sei es in der Erwerbswelt (zum Beispiel Berufszeitschriften), bei der Sozialarbeit für das Gemeinwesen (karitative Frauenzeitschriften), aber auch in der außerhäuslichen Gemeindearbeit (kirchliche Frauenzeitschriften) oder schließlich beim Engagement in der Frauenbewegung (Frauenbewegungszeitschriften) oder der Politik (parteinahe Frauenzeitschriften), dann lassen sich für den Zeitraum von 1871 bis 1933 insgesamt 366 politische Frauenzeitschriften ausmachen (vgl. Kinnebrock 2008: 144).4 Bedenkt man weiterhin, dass bis zu 150 politische Frauenzeitschriften zur gleichen Zeit parallel erschienen (vgl. Kinnebrock 2009: 282), dann wird deutlich, was für ein beachtliches Segment politische Frauenzeitschriften im Zeitschriftenmarkt bildeten. Setzt man die 150 politischen Frauenzeitschriften in Beziehung zur Gesamtzahl an Zeitschriftentitel, die 1914 mit knapp 7.000 ihren Höhepunkt erreichte (vgl. Wilke 2000: 276–277), dann dürften politische Frauenzeitschriften ca. zwei Prozent aller Titel gestellt haben, vielleicht sogar mehr. So vielfältig die Versuche dieser Frauenzeitschriften waren, Fraueninteressen zu artikulieren und Frauen beim Agieren in der öffentlichen Sphäre zu unterstützen, so schwer fällt zuweilen der Vergleich dieser sehr unterschiedlichen Blätter. Denn
3
4
Grundlage für die folgenden Zahlen und Ausführungen bilden zwei Forschungsprojekte, die von der Ludwig-Maximilians-Universität München (2003/2004) und von der Universität Erfurt (2005/2006) gefördert wurden. Im Rahmen der Projekte wurde der Gesamtbestand an politischen Frauenzeitschriften bis 1945 systematisch erfasst und eine Zeitschriftenbibliographie erstellt (vgl. Kinnebrock 2009). Aufnahme fanden dabei nur eigenständig erscheinende Zeitschriften für Frauen, keine Beilagen. Ebenso wurden Periodika, die ihren Titel änderten, aber die Jahrgangszählung beibehielten, nur als ein Titel gezählt. Bei weniger restriktiver Zählweise hätte sich die Zahl der Titel noch deutlich erhöht.
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XQWHUGHQKLHUDOVSROLWLVFKLGHQWL¿]LHUWHQ)UDXHQ]HLWVFKULIWHQ¿QGHQVLFKDXFK]DKO reiche Organe, die zwar handlungsrelevante politische Information für Frauen enthielten, aber das politische Tagesgeschehen weitgehend ignorierten. Beispielsweise wurden in den zahlreichen Zeitschriften für Lehrerinnen die staatlich verordneten Schulreformen und ihre Folgen intensiv diskutiert. Gesetzes- und Verordnungstexte wurden Paragraph für Paragraph analysiert und auf ihre Bedeutung für den Berufsalltag hin erläutert. Politische Wendepunkte hingegen – zum Beispiel die Wahl zur Nationalversammlung 1919, an der Frauen erstmals teilnehmen durften – wurden in solchen Berufszeitschriften weitgehend ausgeblendet (vgl. Kinnebrock 2009: 285). Das heißt, die Blätter konzentrierten sich auf politische Spezialthemen, die für ihre jeweilige Zielgruppe Relevanz besaßen, während aktuelles politisches Geschehen und weitere für komplexe Öffentlichkeiten typische Themen kaum verhandelt wurden. Da somit der Austausch zwischen mittlerer und komplexer Öffentlichkeit deutlich erschwert war, will ich mich im Folgenden auf solche Blätter konzentrieren, die tatsächlich als Scharnier zwischen den drei Öffentlichkeitsebenen fungierten: nämlich auf Frauenbewegungszeitschriften und parteinahe Frauenzeitschriften, seien sie nun linker, liberaler oder konservativer Provenienz.5
4
FALLBEISPIELE FÜR KOMMUNIKATIONSPROZESSE ZWISCHEN ÖFFENTLICHKEITSEBENEN
Anhand von drei Fallbeispielen soll mithilfe des Drei-Ebenen-Modells verdeutlicht werden, wie sich Kommunikationsprozesse von einer Öffentlichkeitsebene auf die nächste verlagerten und inwieweit politische Frauenzeitschriften ein Bindeglied zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsebenen darstellten. Konkret wird es zunächst um eine Protestaktion aus dem Jahr 1902 gehen, die sich gegen die damalige Regulierung von Prostitution richtete und maßgeblich von der Zeitschrift »Die Frauenbewegung« samt ihrer Beilage »Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung« getragen wurde, dann um eine kurze Debatte über die Schlachtmethode des Schächtens, die 1913 in der Zeitschrift »Frauenstimmrecht!« geführt wurde, XQGVFKOLHOLFKXPPXWPDOLFK¿QJLHUWH/HVHU,QQHQ]XVFKULIWHQLQGHU:HLPDUHU Polit-Illustrierten »Der Weg der Frau«. 4.1 Fallbeispiel: Proteste gegen den Prostitutionsparagraphen 361,6 RStGB und die Rolle der »Frauenbewegung« »Die Frauenbewegung« spiegelt wie kaum ein anderes Blatt die Aktivitäten der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung des Kaiserreichs wider. Sie erschien von 5
Siehe zu weiteren zeitschriftentypologischen Binnendifferenzierungen Kinnebrock (2009: 287).
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1895 bis 1919 halbmonatlich, umfasste acht bis zwölf Seiten im Quartformat und brachte seit 1899 eine vierseitige Beilage (mit wechselnden Titeln) heraus. Das Blatt thematisierte neben Fragen der Mädchenbildung und der Erwerbstätigkeit auch den Anspruch von Frauen auf politische und rechtliche Gleichstellung, was zumindest im ausgehenden 19. Jahrhundert noch ein Novum darstellte (vgl. zur »Frauenbewegung« Wischermann 1984: 40–46). Spannend ist aber auch die Rolle der »Frauenbewegung« mit Blick auf die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit, wie sie das Drei-Ebenen-Modell nahelegt. Bereits in ihrem Programm hatte die Zeitschrift verdeutlicht, dass sie sich als »Mittelpunkt« frauenrechtlerischer Bestrebungen sah. Denn erfolgreiche Frauenzeitschriften »vermitteln die Bekanntschaft der einzelnen Vereine unter sich; sie klären den Fernstehenden auf; sie bilden das wirksamste Agitationsmittel nach außen. Der Deutschen Frauenbewegung fehlt solch eine Zeitschrift. [. . .] Die Frauenbewegung wird aber niemals ihr Ziel – die Gleichberechtigung der Geschlechter – erreichen, wenn die Frauen sich nicht untereinander verbunden fühlen.«6 »Die Frauenbewegung« wollte also auf allen drei Öffentlichkeitebenen wirken. Auf einfacher Ebene sollten Verbindungen unter Frauen hergestellt werden, auf mittlerer Ebene wollte das Blatt die Kommunikation zwischen den Frauenvereinen verdichten und schließlich sollte auch noch »nach außen« gewirkt werden. D. h. die komplexe Öffentlichkeit wurde ebenso adressiert – und dies mit beachtlichem Erfolg. Orientiert man sich an zeitgenössischen Presseausschnittsammlungen zur )UDXHQIUDJHGDQQZDUª'LH)UDXHQEHZHJXQJ©QHEHQGHPXQJOHLFKDXÀDJHQVWlU keren SPD-Blatt »Die Gleichheit« die am meisten zitierte Frauenzeitschrift (vgl. Kinnebrock 2005: 175). Wie die drei Öffentlichkeitsebenen verknüpft wurden, sei exemplarisch anhand der Proteste gegen den ominösen Paragraphen 361,6 RStGB gezeigt.7 Dieser Paragraph des Strafgesetzbuches verbot die Prostitution und lieferte gleichzeitig die rechtliche Grundlage dafür, dass die Polizei nach Gutdünken Frauen, die sie für potentielle Prostituierte hielt, herausgreifen, zur gynäkologischen Zwangsuntersuchung schicken und gegebenenfalls der Sittenpolizei unterstellen konnte (vgl. Gerhard 1984: 85–88). Für »Die Frauenbewegung« und ihre Beilage »Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung« stellte dieser Paragraph eine »unerträgliche Missachtung der Persönlichkeit der Frau«8 dar, was in zahlreichen Grundsatzartikeln detailliert ausgeführt wurde. Darüber hinaus berichteten die bei6 7 8
Die Herausgeberinnen [Minna Cauer/Lily von Gizycki]: o. T. [Programm]. In: Die Frauenbewegung. 1. Jg./Nr. 1 (1895), S. 1. Siehe zu rechtlichen Hintergründen und Ereignissen des Protests Kinnebrock (2005: 282–287). Anita Augspurg: Schweigen die Frauen?. In: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung. 3. Jg./Nr. 14 (1902), S. 53.
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den Blätter kontinuierlich über ›polizeiliche Missgriffe‹, d. h. über Verhaftungen und Zwangsuntersuchungen von arglosen und ›unbescholtenen‹ Bürgerinnen. EiQHQYRUOlX¿JHQ+|KHSXQNWIDQGGLH.DPSDJQHJHJHQGHQLP1RYHPEHU 1902, als die Herausgeberin der Beilage »Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung«, Anita Augspurg, gezielt ihre Verhaftung provozierte, um die Aufmerksamkeit der komplexen Öffentlichkeit auf den Prostitutionsparagraphen zu lenken. Dies gelang insofern, als ein Rauschen durch den deutschen Blätterwald ging und die Presse zunächst den Eindruck gewann, Augspurg, die ›ehrwürdige Frauenrechtlerin‹, sei tatsächlich aufgrund dieses Paragraphen als Prostituierte arretiert worden.9 Dabei kam der Paragraph 361,6, der zwar prinzipiell die rechtliche Grundlage für Augspurgs Verhaftung hätte liefern können, in Augspurgs Fall gar nicht zur Anwendung (vgl. Kinnebrock 2005: 284–287). Dennoch wurde der Fall nicht nur in der Tagespresse, sondern auch im Reichstag debattiert, wo der freisinnige Abgeordnete Ernst Müller-Meiningen den Prostitutionsparagraphen heftig kritisierte. Er beklagte dort – ganz im Einklang mit der Berichterstattung »Der Frauenbewegung« –, dass es »geradezu eine Art Sport geworden [. . .] [sei], unbescholtene Frauen [. . .] einfach zu verhaften, [. . .] sie zur Polizei zu schleppen, sie dort wie Dirnen zu behandeln.«10 Die Medien- und Parlamentsöffentlichkeit, die beide als Foren der komplexen Öffentlichkeit einzuordnen sind, hatte »Die Frauenbewegung« im Zuge ihrer Kampagne gegen ›polizeiliche Missgriffe‹ also erreicht. Allerdings zeigt die Analyse der Presseausschnitte auch, dass die Aufmerksamkeit der Presse weniger der Frage galt, wie der Staat mit Prostitution und Frauenrechten umzugehen habe, als vielmehr einem bereits etablierten Thema, auf das sich v. a. linke und liberale Presse seit Längerem eingeschossen hatten: Polizeiwillkür bzw. Tölpel bei der Polizei.11 Die erfolgreiche Adressierung der komplexen Öffentlichkeit konnte also durchaus ambivalente Folgen zeitigen, weil sich deren Selektions- und Verarbeitungsmechanismen von denen der Bewegungsöffentlichkeit auf mittlerer Ebene durchaus unterschieden. In der »Frauenbewegung« und ihrer Beilage stand die grundsätzliche Rechtsproblematik des Prostitutionsparagraphen im Zentrum, aus dem in der Rechtspraxis eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau abgeleitet wurde: Strafe und Zwangsregistrierung war nur für Prostituierte, nicht für Freier vorgesehen. Neben solchen Grundsatzdebatten, die sich primär wohl an Frauenrechtlerinnen richteten, berichtete »Die Frauenbewegung« zusätzlich in ihren Rubriken zu Vereinsaktivi9
Die Diktion der damaligen Presse ist hier mit einfachen Anführungsstrichen gekennzeichnet. 10 Verhandlungen des Reichstages, 220. Sitzung am 22. November 1902. 11 Dies ergab die Auswertung der Zeitungsausschnitte im Bundesarchiv Berlin (R 8034 II 7956) und im Staatsarchiv Hamburg (P.P. S 14139).
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täten über Protestveranstaltungen, auf denen Solidarität mit Anita Augspurg, dem (vermeintlichen) Opfer des Prostitutionsparagraphen, kundgetan wurde. D. h. über Bewegungsaktivitäten auf mittlerer Öffentlichkeitsebene wurde berichtet, was mutmaßlich für die Mobilisierung einzelner Anhängerinnen und ihre Integration in die Bewegung förderlich war. Zudem druckte das Blatt vorformulierte Resolutionen, die auf weiteren (Protest-)Versammlungen verabschiedet werden konnten, was individuelles wie kollektives Handlungsvermögen gestärkt haben dürfte. Dass diese Kampagne auch die einfache Öffentlichkeitsebene erreichte, zeigen nicht nur privat gehaltene Briefe, in denen die Verhaftung debattiert wurde,12 sondern auch zahlreiche »telegraphische Zustimmungen«, die auf den Frauenversammlungen verlesen und deren UrheberInnen namentlich erwähnt wurden.13 Der »Frauenbewegung« gelang beim Protest gegen den Prostitutionsparagraphen 361,6 eine Verknüpfung aller drei Ebenen von Öffentlichkeit. Allerdings wurde an den Pressereaktionen, die sich v. a. über die Unfähigkeit der Polizei amüsierten, bereits deutlich, dass Selektions- und Bearbeitungsregeln auf den verschiedenen Öffentlichkeitsebenen divergieren. Dies betrifft nicht nur die komplexe und mittlere Öffentlichkeitsebene, sondern ebenso einfache Öffentlichkeiten. Inhalte auf einfacher Ebene sind u. a. von dialogischen Strukturen, emotionalen Appellen und dem Thematisieren persönlicher Erfahrungen gekennzeichnet (vgl. Klaus/Wischermann 2008: 107). In der Zeit des Kaiserreichs erfolgte die Kommunikation auf einfachen Öffentlichkeitsebenen v. a. im Zuge persönlicher Gespräche, die entweder im privaten Rahmen oder am Rande von Veranstaltungen geführt wurden, sowie in zahlreichen Briefen. Was genau auf einfacher Öffentlichkeitsebene gesagt wurde und wie Anliegen vorgebracht wurden, erschließt sich retrospektiv primär aus Briefwechseln in Nachlässen, Versammlungsprotokollen und Ego-Dokumenten.14 Aber auch die politischen Frauenzeitschriften geben zuweilen Einblicke in die Themen und Kommunikationsmodi einfacher Öffentlichkeiten – v. a. wenn authentische Zuschriften von Leserinnen abgedruckt wurden. 4.2 Fallbeispiel: Die Debatte um das Schächten in »Frauenstimmrecht!« Zuschriften sorgten für eine dialogische Struktur, die viele der frühen Frauenbewegungszeitschriften auszeichnete. Denn oft blieb es nicht bei einem LeserInnenbrief, 12 Siehe z. B. das Schreiben Helene Langes an Marie Stritt vom 12. 12. 1902 (LandesarchivBerlin/Helene-Lange-Archiv: Fiche 13–47). 13 Kundgebungen zu der Protestversammlung gegen die Mißgriffe der Polizei am 1. Dezember 1902. In: Die Frauenbewegung. 8. Jg./Nr. 24 (1902), S. 188. 14 Zur Vielfältigkeit von Egodokumenten und ihrer Interpretation siehe Schulze 1996.
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ein lebhaftes Hin und Her entwickelte sich – entweder innerhalb eines Blattes, oder auch zwischen verschiedenen Organen der Frauenbewegung (siehe Kinnebrock 1999; Wischermann 2003: 194–209). Allerdings wurden diese Debatten nicht nur in distinguierter Schriftsprache und mit rationalen Argumenten geführt, sondern enthielten durchaus auch Elemente der mündlichen Alltagskommunikation. Dies wird unter anderem in den zuweilen recht sprunghaft argumentierenden und persönlich gehaltenen Zuschriften erkennbar, deren Sprachduktus stark an persönliche Auseinandersetzungen erinnert, wie sie in privaten Briefen und in persönlichen Gesprächen ausgetragen wurden. Exemplarisch sei hier eine Debatte über das Schächten in der Zeitschrift »Frauenstimmrecht!« (1912–1914) erwähnt. Die Gründung der »Monatshefte des Verbandes für Frauenstimmrecht«, so der Untertitel des Blattes, erfolgte 1912 und war ein Resultat zahlreicher Auseinandersetzungen innerhalb der Stimmrechtsbewegung. Neben inhaltlichen Kontroversen über das zu fordernde Wahlrecht (ein demokratisches oder ein klassengebundenes?) stritt die Stimmrechtsbewegung darüber, ob man sich primär als Reform- oder Protestbewegung verstehen sollte. Und auch der Zugang zu den verbandsinternen Medien war umkämpft. Die Verbandsvorsitzende, Anita Augspurg, die das Blatt eigentlich zu ihrem Sprachrohr hatte machen wollen, wurde lediglich für zwei Jahre mit der Redaktionsleitung von »Frauenstimmrecht!« betraut. Zudem bekam sie eine Pressekommission zur Seite gestellt, die Beschwerden gegen die Redaktionsleitung entgegennehmen und ggf. schiedsrichterliche Entscheidungen treffen sollte (vgl. Kinnebrock 2005: 337–346). Dies erklärt zum Teil, warum es weniger die erste Verbandsvorsitzende und Reaktionsleiterin selbst war, die in Streitfragen klar Stellung bezog. Dieser Part blieb Anita Augsburgs Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann vorbehalten, die vor Polemik nicht zurückschreckte und damit freilich auch polarisierte. Im Mai 1913 veröffentlichte die bekennende Vegetarierin Heymann in »Frauenstimmrecht!« einen Artikel, der die im Judentum gängige Schlachtmethode des Schächtens als Tierquälerei brandmarkte.15 Dieser Artikel provozierte heftigen Widerspruch: Heymann wurde vorgeworfen, sie würde mit stimmrechtsfernen Themen unnötig Mitglieder verprellen.16 Berücksichtigt man allerdings den Ton der Leserbriefe, so wird deutlich, dass sich die Artikel nicht nur gegen Heymanns Vorgehen in der Sache, sondern ebenso gegen sie als Person richteten. So schloss Clara Heinemann, ein einfaches Mitglied des Stimmrechtrechtsverbandes, ihre Sachkritik sehr emotional und sogar persönlich verletzend mit den Worten: »So könnte ich Euch noch vieles sagen, Euch vielwissenden und wohlweisen L.G. Heymann und Genossen, 15 Lida Gustava Heymann: Nur Frauenstimmrecht? In: Frauenstimmrecht! 2. Jg./Nr. 3 (1913), S. 59–62. 16 Vgl. Schlußwort der Redaktion. In: Frauenstimmrecht! 2. Jg./Nr. 5 (1913), S. 101.
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die Ihr schon so männlich geworden seid, daß man von Eurem weiblichen Herzen nichts mehr merkt . . .«17 Solche Leserbriefe verdeutlichen, dass Kommunikationsmodi, die persönliche Gespräche kennzeichnen, Eingang in die Blätter der Frauenbewegung fanden. Das, was auf den ersten Blick vielleicht unprofessionell oder gar unbeholfen wirken mag, markiert jedoch zugleich eine Stärke damaliger politischer Frauenzeitschriften. Sie fungierten als ein Bindeglied zwischen privater und öffentlicher Sphäre, indem sie Themen (inklusive deren zuweilen auch befremdlichen Bewertungen) aus einfachen Öffentlichkeiten aufgriffen, einem größeren und engagierten Publikum zugänglich machten und damit manchmal sogar auf den Foren der komplexen Öffentlichkeit Resonanz erzeugten. Die Prostitutionsdebatte ist dafür ein Beispiel. Die oben getätigte Kritik, Heymann sei »vielwissend« und »wohlweis«, verweist aber auch darauf, dass die Verknüpfung der Öffentlichkeiten auf einfacher und mittlerer Ebene nicht reibungslos erfolgte, oft wohl auch gar nicht glückte. Hinter der Bemerkung dürfte sich nämlich auch Unmut gegen eine elitäre Haltung verbergen, die der Ansprache von Tagespresse und Parlament Priorität einräumte – und deshalb auf Stimmen aus der Bewegung kaum mehr hörte und auch die ›Nestwärme‹ innerhalb der Bewegung, also verbindende Erfahrungen und die von Emotionalität getragenen persönlichen Beziehungen, geringschätze. Zumindest sah sich Lida Gustava Heymann zunehmend als Anführerin einer auserwählten kleinen Schar, die – im Gegensatz zur restlichen Stimmrechtsbewegung – den ›richtigen‹ Weg zum Stimmrecht erkannt hatte (Gelblum 1992: 218). In privaten Briefen hatte sie schon 1906 geäußert, dass sie auf das Urteil des Fußvolks der Bewegung nichts mehr gäbe: Es sei ihr »völlig schnuppe«, wenn wegen ihrer 9RUWUlJH RGHU$UWLNHO ªHLQLJH 9HUHLQH DE¿HOHQ >@ ZLUNOLFK UDGLNDOH )UDXHQ sind für unsere Sache wichtiger, als 500 radikale, die es nur halb sind.« Und: »Ja, die Provinzen habe ich aufgegeben und weine ihnen keine Thräne nach, ich habe wichtigere Arbeit zu tun, [. . .] die propagandistische Arbeit . . .«18 Zieht man zur Analyse dieser Prozesse das Drei-Ebenen-Modell heran, dann wird deutlich, dass auch von der Zeitschrift »Frauenstimmrecht!« erwartet wurde, solche Debatten aufzugreifen, die auf den Foren der einfachen Öffentlichkeitsebene verhandelt wurden. Nicht ohne Grund war der leitenden Redakteurin eine Pressekommission zur Seite gestellt worden, die sicherstellen sollte, dass unterschiedlichste Wortmeldungen (auch ›unprofessionelle‹) Berücksichtigung fanden. Die starke Orientierung der Verbandsspitze an massenmedialen Selektions- und Bearbeitungsregeln, d. h. die Adressierung der komplexen Öffentlichkeit, scheint 17 Clara Heinemann: Nur – Frauenstimmrecht? In: F!. 2. Jg./Nr. 5 (August 1913), S. 100– 101, S. 101. 18 Vgl. Universitätsbibliothek Rostock: Nachlass Schirmacher 992: Schreiben Lida Gustava Heymanns an Käthe Schirmacher vom 5. 9. 1906.
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Teile der LeserInnenschaft irritiert zu haben. Bezeichnend ist auch, dass diejenigen Stimmrechtsaktivistinnen, die im Rampenlicht der Medien standen und PR-Arbeit sehr professionell betrieben, als gefühlskalt und männlich gebrandmarkt wurden – und damit letztlich als einer Frauenbewegung nicht mehr wirklich zugehörig. Jedenfalls beschloss die Generalversammlung des Stimmrechtsverbandes noch im gleichen Jahr, »die Beziehungen zwischen dem Verband und der Redaktion von ›Frauenstimmrecht‹ so zu regeln, daß die Zeitschrift in Wirklichkeit das Organ des Verbandes wird.«19 Die beiden elitären Führerinnen der Stimmrechtsbewegung, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, stellten die Arbeit an »Frauenstimmrecht!« unverzüglich ein und verließen den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht. 4.3 Fallbeispiel: »Der Weg der Frau« und die Simulierung von Bezügen zu Leserinnen Das Wahlrecht, das Frauen 1918/1919 erhielten, wirkte sich durchaus auch auf die Landschaft politischer Frauenzeitschriften aus. Denn die politischen Parteien sahen sich veranlasst, eine neue Klientel zu gewinnen. Beim Versuch, die neuen Wählerinnen an sich zu binden, versuchten die Parteien zunächst, bekannte Frauenrechtlerinnen und die Bewegungszeitschriften für ihre Partei zu gewinnen (vgl. Frevert 2001: 167). Die Einbindung von Aktivistinnen der Frauenbewegung gelang im Wesentlichen, zahlreiche exponierte Frauenrechtlerinnen engagierten sich für unterschiedliche Parteien und wurden zuweilen auch in die Parlamente gewählt. Allerdings hatte die scheinbar reibungslose Integration von Frauenrechtlerinnen in die Parteien zur Folge, dass weitere Kontroversen in die Frauenbewegung beziehungsweise in ihre Blätter hineingetragen wurden. »Zentrifugale Tendenzen« verstärkten sich (vgl. Schaser 2006: 97–109), denn neben feministische Dispute traten nun zusätzlich parteipolitisch motivierte. Das Mäandern zwischen Partei- und Fraueninteressen kennzeichnet auch zwei Polit-Illustrierte für Frauen, das SPD-Blatt »Frauenwelt« (1924–1933) und die im kommunistischen Münzenbergkonzern erscheinende Zeitschrift »Der Weg der Frau« (1931–1933). Diese Polit-Illustrierten für Frauen waren populärer aufgemacht als die nun ›altmodischen‹ Bewegungszeitschriften. Sie besaßen ein moGHUQHV/D\RXWHUVFKLHQHQLQGHXWOLFKK|KHUHQ$XÀDJHQXQGHUZHLWHUWHQLKUH7KH menpalette um ›klassische Frauenthemen‹ wie z. B. Haushalt, Mode, Wohnen und menschliche Beziehungen (siehe Geiger/Weigel 1981; Wilhelms 1990). Zudem enthielten sie mehr politische Information im engeren Sinne: Ereignisse rund um 19 Adelheid von Welczeck: Die V. Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht in Eisenach vom 6. bis 9. Oktober 1913. In: Frauenstimmrecht!. 2. Jg./Nr. 8 (1913), S. 167–173, S. 168.
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das Staats-, Regierungs- und Parteienhandeln rückten zunehmend in den Mittelpunkt, wobei – ganz im Trend der Zeit (vgl. Fulda 2006) – einseitige Kommentierungen zunahmen und politische Instruktion stärker akzentuiert wurde. Meine These ist, dass in dem Maße, wie die Parteien politische Frauenzeitschriften auf Linie brachten bzw. hielten, die Blätter ihre Scharnier-Funktion zwischen einfacher und komplexer Öffentlichkeitsebene verloren. Die Instruktion ›von oben‹ ersetzte den Input ›von unten‹. Allerdings wurde das gut kaschiert, denn LeserInnenzuschriften spielten nach wie vor eine wichtige Rolle in diesen Blättern. Allerdings muss offen bleiben, ob es sich um echte Zuschriften handelte RGHU¿QJLHUWH%ULHIHGLHHLQHQ$XVWDXVFKPLWGHQ/HVHU,QQHQXQGGLH$QELQGXQJ an einfache Öffentlichkeiten nur simulierten. Die Münzenbergische Polit-Illustrierte »Der Weg der Frau« enthielt zahlreiche Versuche, die LeserInnenschaft einzubinden. Beiträge der Leserinnen – sei es in Gedichtform, als Erzählung oder als LeserInnenbrief – wurden explizit eingefordert, z. T. auch mit Preisen prämiert. Ebenso enthielt das Blatt Rubriken nur für LeserInnenzuschriften. Dennoch lassen Themen und Diktion Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei veröffentlichten Briefen stets um authentische Zuschriften handelte. Beispielsweise wurden oft sehr allgemein gehaltene und v. a. extrem positive Beurteilungen des »Wegs der Frau« abgedruckt, die aber weder einen konkreten thematischen Bezug hatten noch sich auf einen konkreten Artikel bezogen. Stritt man in den alten Frauenbewegungszeitschriften der Kaiserzeit noch um die Sache, so wurde nun die neue Polit-Illustrierte pauschal gelobt. Dies geschah zuweilen auch dadurch, dass das Konkurrenzblatt der SPD, die »Frauenwelt«, als grundsätzlich uninteressant und schlecht herabgesetzt wurde. D. h. die Polit-Illustrierte selbst und ihre mediale Konkurrenz standen im Mittelpunkt anstelle von Sachfragen. Und dies legt die Vermutung nahe, dass hier wohl eher die Redaktion selbst oder Propaganda-Strategen der KPD diese Zuschriften verfassten (vgl. Kinnebrock 2009: 293–294). Ähnliches lässt auch die Dezembernummer des Jahres 1931 mutmaßen, in der die geplante Umstellung von einem monatlichen auf einen vierzehntägigen Erscheinungsrhythmus verkündet wurde. Just in der gleichen Nummer wurden zahlreiche Briefe von Leserinnen abgedruckt, die genau diese Umstellung forderten und zugleich konkrete Finanzierungsvorschläge machten.20 D. h. letztlich übernahmen die vermeintlichen Leserinnen ungefragt die Blattmacher-Perspektive. Der Vergleich mit den authentischen, thematisch gebundenen und zuweilen recht ›unprofessionell‹ anmutenden Briefen aus früheren Jahren lässt den Schluss 20 Vgl. »Der Weg der Frau« alle 14 Tage. In: Der Weg der Frau. 1. Jg./Nr. 8 (Dezember 1931), S. 2; Was die Leserinnen sagen. In: Der Weg der Frau. 1. Jg./Nr. 8 (Dezember 1931), S. 2.
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zu, dass hier nicht Leserinnen selber um Inhalte und deren Artikulierung rangen, sondern dass eine von oben diktierte (Partei-)Linie und Diktion Hintergrund dieser Zuschriften waren. Das Aushandeln von Themen und Positionen ›von unten‹ wurde zusehends durch das Propagieren vorgefertigter Positionen zu gesetzten Themen ›von oben‹ substituiert. Mit Blick auf das Drei-Ebenen-Modell heißt das, dass die Polit-Illustrierten LKUH)XQNWLRQQLFKWPHKUGDULQVDKHQVROFKH7KHPHQXQG%H¿QGOLFKNHLWHQDXI]X nehmen, die in einfachen Öffentlichkeiten verhandelt wurden. Vielmehr waren die Foren der komplexen Öffentlichkeit zentraler Bezugspunkt. Lag im Kaiserreich GLHVSH]L¿VFKH/HLVWXQJYRQSROLWLVFKHQ)UDXHQ]HLWVFKULIWHQQRFKGDULQGHQ$XV tausch zwischen den Foren auf einfacher, mittlerer und komplexer Öffentlichkeitsebene zu ermöglichen – und zwar in beide Richtungen! –, scheint in der Weimarer Republik das Kommunikationspotenzial von politischen Frauenzeitschriften zunehmend in Richtung »one way«-Kommunikation reduziert worden zu sein. Allerdings, dies sei auch herausgestellt, wurde der wechselseitige Austausch zwischen Redaktion und LeserInnen zumindest noch für so wichtig gehalten, dass ]XPLQGHVW HLQH $QELQGXQJ DQ HLQIDFKH gIIHQWOLFKNHLWHQ PLWKLOIH ¿QJLHUWHU =X schriften simuliert und dadurch das Handeln der Redaktion, besser vielleicht: die Partielinie, legitimiert wurde. Geht man allerdings davon aus, dass Authentizität und zweiseitiger Austausch unabdingbare Grundlage von Kommunikations- und Vergemeinschaftungsprozessen darstellen, dann entpuppt sich der vermeintliche Aufstieg der politischen Frauenzeitschrift von einer kleinen Bewegungspostille ]XHLQHUSURIHVVLRQHOOJHVWDOWHWHQ3ROLW,OOXVWULHUWHQPLW0DVVHQDXÀDJHDOVLKU1LH dergang.
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RESÜMEE: POTENZIALE DES DREI-EBENEN-MODELLS
Anfangs wurde festgestellt, mit welcher Selbstverständlichkeit Frauen 1919 ihre Möglichkeiten, politisch zu partizipieren, wahrnahmen. Die Arbeit in Frauenvereinen hatte sie darin geschult, Anliegen nicht nur im rein privaten Kreis zu artikulieren, sondern auch auf den Foren der mittleren Öffentlichkeitsebene – v. a. in Bewegungszeitschriften. Und diejenigen Aktivistinnen, die die BewegungszeitVFKULIWHQ PDJHEOLFK SUlJWHQ UHVVLHUWHQ KlX¿J DXFK DOV -RXUQDOLVWLQQHQ LQ GHU Massenpresse. Schließlich waren ihnen die Selektions- und Verarbeitungsregeln von komplexen Öffentlichkeiten vertraut. Auffallend ist, dass im vermeintlich undemokratischen Kaiserreich Öffentlichkeitsprozesse ›von unten‹ relativ gut funktionierten. Die einfachen Frauenöffentlichkeiten und die (schon etwas stärker strukturierten) Bewegungsöffentlichkeiten stellten leicht zugängliche und wenig hierarchisch geprägte Räume dar, in denen sich Debatten entwickeln konnten. In der Weimarer Republik hingegen kam es
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vermehrt zu einer »Vermachtung« der ehemals freien Kommunikationsräume, die von politischen Frauenzeitschriften geschaffen worden waren. Interessant ist, dass auch in der Weimarer Republik an die Debattenkultur früherer Bewegungszeitschriften insofern angeknüpft wurde, als die Beteiligung der Leserinnen zumindest noch simuliert wurde. De facto orientierten sich die Parteiblätter für Frauen an den Themen der komplexen Öffentlichkeit und den durch Parteien vorgegebenen Interpretationen. Öffentlichkeitsprozesse ›von unten‹ wurden zunehmend von Öffentlichkeitsprozessen ›von oben‹ ersetzt – zumindest in diesem Segment des Zeitschriftenmarktes. Für kommunikationshistorische Analysen, wie sie hier anhand dreier Fallbeispiele exemplarisch getätigt wurden, ist das Drei-Ebenen-Modell äußerst hilfreich. Es erlaubt nicht nur, die Richtung von Öffentlichkeitsprozessen festzustellen, sonGHUQVHQVLELOLVLHUW]XGHPIUHEHQHQVSH]L¿VFKH6HOHNWLRQVNULWHULHQXQG9HUDUEHL tungsweisen, die v. a. erkennbar werden, wenn ein ›falscher‹, d. h. für die jeweilige Ebenen untypischer Kommunikationsmodus zum Einsatz kommt. Und schließlich eröffnet das Drei-Ebenen-Modell neue Perspektiven für die Zeitschriftenforschung, indem es einen Weg weist, die Fixiertheit der historischen Zeitschriftenforschung auf das Medium an sich und das politische System zu überwinden. Die Öffentlichkeitsprozesse rund um Zeitschriften sind eben nicht ausschließlich auf komplexer Öffentlichkeitsebene anzusiedeln. Zeitschriften konstituieren vielmehr Gemeinschaft und fungieren als Bindeglied zwischen unterschiedlichsten Öffentlichkeitsebenen. In der Folge sind ihre Leistungspotenziale auch nicht nur entlang von (politischen) Medienfunktionen auf der Makroebene oder kognitiven Leistungen für Rezipientinnen zu beschreiben. Vielmehr ist die Vielfalt ihrer Funktionen zu berücksichtigen, seien sie nun eher im motivationalen, interaktiven oder affektiven Bereich.
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Internetöffentlichkeiten und Gender Studies: Von den Rändern in das Zentrum?
Internetöffentlichkeiten und Gender Studies: Von den Rändern in das Zentrum? ELISABETH KLAUS UND RICARDA DRÜEKE
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EINLEITUNG: VON DEN RÄNDERN IN DAS ZENTRUM?
Der Untertitel des Beitrags enthält eine Reminiszenz an bell hooks Publikation »From the Margins to the Center« (1984), in der sie analysiert, dass von deren Rändern aus die Gesellschaft viel genauer beobachtet und besser verstanden werden kann, als von einer Positionierung in ihrem Zentrum. Als Forschungsbereich der Gender Studies hat sich feministische Öffentlichkeitstheorie von den Rändern der wissenschaftlichen Disziplinen aus entwickelt und blickte dementsprechend lange Zeit mit kritischem Blick auf die noch immer vorherrschenden Öffentlichkeitstheorien im Zentrum der Sozialwissenschaften. Ausgangspunkt unserer Argumentation ist eine Kritik an klassischen Öffentlichkeitstheorien, die traditionelle Massenmedien und öffentliche Meinung in den Mittelpunkt rücken. Daran anschließend stellen wir die Ausgangspunkte feministischer Forschung dar, die schon früh die Dichotomie zwischen öffentlich und privat kritisierte und von Öffentlichkeiten im Plural ausging. Daraus entstanden zentrale Erkenntnisperspektiven, die Dualismen in Frage stellen und gängige Konzepte erweitern. Diese Grundlagen feministischer Öffentlichkeitstheorie und ihre Erweiterung diskutieren wir anschließend anhand der durch das Internet evozierten Veränderungen, das die Möglichkeiten öffentlicher Artikulationen verändert hat. Mit den so in den Blick geratenen vielfältigen »neuen« Öffentlichkeiten und den neuartigen Mischformen zwischen dem, was als öffentlich und dem, was als privat angesehen wurde, mussten sich jedoch auch die vorherrschenden Öffentlichkeitstheorien verändern. Damit sind Aussagen, die oft als eher befremdliche und unakzeptable, jedenfalls nicht ernst zu nehmende Phantasmen der Gender Studies angesehen wurden, in das Zentrum der Öffentlichkeitsforschung gerückt, jedoch meist ohne dabei auf die Erkenntnisse der Gender Studies Bezug zu nehmen. Dabei erweist sich die feministische Öffentlichkeitstheorie als ausgesprochen tragfähig und geeignet, um die Konstituierung von Öffentlichkeiten unter Berücksichtigung
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von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen durch das Internet und Social Media besser zu verstehen. Zentrale Fragen sind dabei: Wie lassen sich durch Rückgriff auf feministische Öffentlichkeitstheorien die Veränderungen von Öffentlichkeiten in Folge des technischen und medialen Kommunikationswandels gewinnbringend analysieren? Ist diese von den Rändern stärker in das Zentrum der Öffenlichkeitsforschung gerückt? Oder: Könnte und sollte sie es?
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AUSGANGSPUNKTE: TRADITIONELLE MASSENMEDIEN UND ÖFFENTLICHE MEINUNG
Öffentlichkeit ist eine zentrale Kategorie zum Verständnis von Gesellschaft und ebenso ein Grundbegriff der politischen Kommunikation. Öffentlichkeitstheorien unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem normativem Anspruch und dem, was zum Bereich des Öffentlichen gezählt wird. Dabei wird immer zugleich eine bestimmte Vorstellung von Privatheit zugrunde gelegt und eine Setzung dahingehendvorgenommen, was zum Bereich des Politisch-Öffentlichen zählt oder eben nicht. In Anlehnung an Arendt (2005) und Habermas (1995) wird Öffentlichkeit heute meist nicht als physischer Raum – als Orte, etwa im Sinne der griechischen Agora, des Parlamentssaals oder der Medienredaktionen – konzeptioniert, sondern als imaginärer Raum von politischen Auseinandersetzungen, der unterschiedliche Gestalt annehmen kann. Öffentlichkeit wird dabei nicht als eine homogene Sphäre verstanden, denn mit der Vorstellung von sozial konstruierten öffentlichen Räumen kommen eine Vielzahl weiterer Öffentlichkeiten zum Vorschein. Ausgehend von diesen grundlegenden Unterscheidungen differieren die Vorstellungen darüber, wie Öffentlichkeit strukturiert sein soll, damit sie ihre demokratische Funktion erfüllen kann. Kurt Imhof hat im Handbuch »Öffentliche Kommunikation« (2003) die folgenden Öffentlichkeitstheorien vorgestellt: Die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer, die Theorie der Schweigespirale von Nölle-Neumann, Luhmanns Systemtheorie und Habermas’ Diskursanalyse sowie das arenentheoretische Modell von Gerhards und Neidhardt. Nur im letzteren wird die Rolle der Medien als heute konstitutiver Faktor für die Herstellung von Öffentlichkeit durch weitere Akteur_innen partiell ergänzt. Einen Verweis auf feministische Öffentlichkeitstheorien sucht man bei Imhof umsonst. Eine Gemeinsamkeit der genannten Öffentlichkeitstheorien liegt in der großen Rolle, die Massenmedien darin spielen, weil Massenemdien zunehmend die Beteiligung von Staatsbürger_innen am öffentlichen Diskurs sichern. Mit dem Siegeszug des Fernsehens werden alle Menschen als Teil des Publikums zu »citizens of the media« (Hartley 1999). Medien vermitteln zwischen der »Welt da draußen« und dem häuslichen Raum. Sie dienen zugleich als Mittel, um gesellschaftliche Beziehungen täglich neu zu bestätigen oder neu auszuhandeln. Die neuere Publi-
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kumsforschung, wie sie vor allem durch die Cultural Studies angestoßen wurde, sieht in der Medienrezeption folglich einen sozial kontextuierten, aktiven Aneignungsprozess. Diesen Ansätzen steht nach wie vor die Wirkungsforschung entgegen, die von einem Transmissionsmodell der Mediennutzung ausgeht (Merten 1994), wie es etwa für die Schweigespirale, für Luhmanns Öffentlichkeitssystem und auch für die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer gilt. Medien wird darin eine besonders große, wenn nicht gar alleinige Rolle bei der HerstelOXQJ YRQ gIIHQWOLFKNHLW ]XJHVSURFKHQ 'DEHL ZLUG ]XJOHLFK KlX¿J DXFK LQ$OO tagsdiskursen, von einer negativen Wirkung der Medien auf Öffentlichkeit ausgegangen. Unbestritten fungieren Medien als Agenda-Setter und stellen Themen für GHQ|IIHQWOLFKHQ'LVNXUVEHUHLW$XFKOLHIHUQVLH]%GXUFKVSH]L¿VFKH9HUZHLVH und Einordnung in bestimmte historische Kontexte, eine Rahmung (Framing) von Ereignissen, die sinnvolle öffentliche Debatten ermöglicht und diese zugleich im Interesse der gesellschaftlichen Eliten reguliert. Um öffentliches Interesse zu wecken und öffentliche Resonanz zu erzielen, versuchen die verschiedenen sozialen Institutionen und Gruppen ihre Positionen mittels Öffentlichkeitsarbeit zu verbreiten und so ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Öffentlichkeitsarbeit richtet ihr Augenmerk vor allem darauf, in den Medien präsent zu sein und ein positives Image zu erzeugen. Alternative soziale Bewegungen wie etwa die Frauenbewegungen verbinden dabei eigene publizistische Aktivitäten mit dem Versuch, die traditionellen Massenmedien zu erreichen. Eng verwandt mit dem Begriff der Öffentlichkeit ist der der öffentlichen Meinung. Öffentliche Meinung oder Publizität bezeichnet dabei sowohl den Grad der Aufmerksamkeit wie auch die Zustimmung oder Ablehnung der Allgemeinheit gegenüber einer sozialen Bewegung oder einem bestimmten Thema (vgl. Pöttker 2001). Ein Problem dieses Begriffs ist aber, dass er im Zuge der Etablierung der Meinungsforschung zu einer statistischen Kennziffer für die Erfassung der MehrKHLWVPHLQXQJJHZRUGHQLVWPLWJURHP(LQÀXVVDXIGLHSROLWLVFKHQ3UR]HVVH'D mit verschleiert die Rede von »der öffentlichen Meinung« jedoch, dass es daneben immer mehr oder weniger starke Minderheitenmeinungen gibt, die für politische Prozesse manchmal hochrelevant werden. Öffentlichkeit ist also von vorneherein mit Ausschlüssen verbunden, die in der sozialen Bewegungsforschung, aber kaum in den vorherrschenden ÖffentlichNHLWVWKHRULHQWKHRUHWLVFKUHÀHNWLHUWZXUGHQªgIIHQWOLFKH0HLQXQJ©ZLUGGDPLW]X einem problematischen, die Vielfalt der Debatten homogenisierenden Konzept. $XFK +DEHUPDV KDW EHNDQQWHUPDHQ HUVW LQ GHU 1HXDXÀDJH GHV ª6WUXNWXUZDQ dels der Öffentlichkeit« (1995) auf die Intervention der Gender Studies und der Arbeiterbewegungsforschung hin – für letzteres war die Diskussion einer proletarischen Öffentlichkeit von Negt und Kluge besonders relevant –, reagiert und die Ausschlüsse von Frauen und Arbeiter_innen aus der bürgerlichen Öffentlichkeit konstatiert. Eine der Ursachen für diese blinden Stellen auch anderer Öffentlich-
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keitstheorien liegt in der Überbetonung der Rolle von Massenmedien für öffentOLFKH'LVNXUVH(LQHZHLWHUHUHVXOWLHUWDXVGHUVSH]L¿VFKHQ$UWGHU*UHQ]]LHKXQJ zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Ausgehend von einer Kritik an dieser lange Zeit vorherrschenden Sicht auf Öffentlichkeit stellen wir im Folgenden die Grundlagen feministischer Öffentlichkeitstheorie vor und diskutieren darauf aufbauend, die später erfolgten konzeptionellen Ergänzungen und Erweiterungen.
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GRUNDLAGEN FEMINISTISCHER FORSCHUNG: DAS ÖFFENTLICHE UND DAS PRIVATE
3.1 Frauenöffentlichkeiten und feministische Öffentlichkeiten Dass in Imhofs Überblicksbeitrag zwar immerhin Theorien zum Klassenantagonismus, nicht aber zum Ausschluss und der Marginalisierung von Frauen und GHQ ,QWHUYHQWLRQHQ GHU *HQGHU 6WXGLHV (UZlKQXQJ ¿QGHQ HUVFKHLQW V\PSWRPD tisch. Im Rahmen der gängigen Öffentlichkeitstheorien kam das Gendering gesellschaftlicher Institutionen ebenso wenig vor wie das Leben von Frauen und ihr gemeinschaftliches Handeln Beachtung fanden. So blieb es zunächst Historikerinnen, Soziologinnen, Politologinnen und Kommunikationswissenschaftlerinnen vorbehalten, die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten von Frauen und ihr Agieren in der Öffentlichkeit nachzuzeichnen und weitergehend theoretisch zu konzeptualisieren. Die Wirkmächtigkeit gerade der Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert wirft ja die Frage auf, wie diese Erfolge möglich waren, wenn Frauen doch zunächst von der Teilnahme an der bürgerlichen Öffentlichkeit ausgeschlossen und damit fest im Privatraum verortet wurden. Denn trotzdem waren zahlreiche Frauen auch in jenen Zeiten, in denen sie kein Wahlrecht besaßen, ihnen Bildung verwehrt wurde und sie nicht selbständig wirtschaften durften, politisch engagiert oder gingen einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nach. Über das historische Engagement von Frauen für die Erweiterung ihrer Rechte, liegen inzwischen zahlreiche Studien vor (vgl. Gerhard 1992, Wischermann 2003; 1998; Kinnebrock 1995; Hervé 1995). Neuere Studien erlauben intensive Einblicke in einzelne der seit den 1970er Jahren entstandenen Frauenöffentlichkeiten und feministischen Öffentlichkeiten und untersuchen diese in ihrem komplexen Wechselverhältnis. Doderer (2003) zeigt beispielsweise durch welche Strategien die Schaffung neuer Räume gelang und durch welche »urbanen Praktiken« öffentliches Terrain erobert werden konnte, das zuvor Männern vorbehalten war. Offensichtlich kam den Großstädten für die Formierung der feministischen Öffentlichkeiten eine wichtige Rolle zu, da sie aufgrund ihrer sozialen Struktur vielfältige Interessenskonstellationen und -artikula-
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tionen ermöglichten. Lesbische Frauen und ihr Beitrag zur Öffentlichkeit der Autonomen Frauenbewegung liefern dafür Anschauungsmaterial (vgl. Münst 1998). Eine der vielen Schnittstellen zwischen Frauenöffentlichkeiten und feministischen Öffentlichkeiten stellt die Mütterzentrenbewegung dar, die Kortendiek (1999) in einer Vollerhebung analysiert. »Mütterzentrumsfrauen entwickeln durch die Gestaltung und Nutzung von Mütterzentren eine kollektive Strategie der alltäglichen Lebensführung, die nicht nur die Möglichkeit zur Bewältigung von Ambivalenz in sich birgt, sondern auch das Potential, auf der Basis einer ›Frauenöffentlichkeit‹ eine ›feministische Öffentlichkeit‹ zu schaffen« (ebd.: Klappentext). Solche weiterhin bestehenden Schnittstellen zwischen den verschiedenen Öffentlichkeiten zeugen vom nachhaltigen Erfolgen der feministischen Frauenbewegungen. Die vorhandenen Grauzonen zwischen den verschiedenen Ebenen des Öffentlichkeitsprozesses genauer zu beschreiben, bleibt auch deshalb eine wichtige Herausforderung für die Gender Studies. In der soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung fanden Frauenzeitschriften und Soap Operas als Medienangebote, die sich speziell an Frauen richten, besondere Beachtung. Zunächst überwog dabei ein negativer Blick auf die Produkte für die Zielgruppe Frau (vgl. z. B. Tuchman 1980). Spätere Arbeiten zeigten aber, wie stark Frauenzeitschriften (vgl. Röser 1992) und Soap Operas (vgl. Brown 1994) dem sozialen Wandel unterliegen und sich auf sozial differenzierte (Ziel-)Gruppen einstellen. Im Unterschied zu anderen Medien beschäftigen sie sich zentral mit den Frauen zugesprochenen Tätigkeitsbereichen und Entwicklungsaufgaben und verleihen ihnen damit eine gewisse Anerkennung. Die hier nur beispielhaft angeführten Forschungsergebnisse zeigen, dass Männer und Frauen als Folge der symbolischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit partiell anders in der Öffentlichkeit agieren und ihre öffentlichen Ausdrucksformen bis heute unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Auf solche Erfahrungen Bezug nehmend können FrauenöffentlichkeitenGH¿QLHUWZHUGHQRK ne dabei zugleich die Geschlechterdifferenz essentialistisch zu bestätigen: »Frauenöffentlichkeiten umfassen all jene Kommunikationsforen und -formen, in denen sich Frauen untereinander und ohne Anwesenheit von Männern am gesellschaftlichen Kommunikationsprozess beteiligen und in denen ihre Erfahrungen eigenständige Relevanz erhalten« (Klaus 2001: 27). Von einem feministischen Standpunkt ausgehend sind Frauenöffentlichkeiten durchaus ambivalent, da sie sich teilweise DI¿UPDWLYDXIGLHEHVWHKHQGHSDWULDUFKDOH2UGQXQJEH]LHKHQXQGGHUHQ1RUPHQ und Werte bestätigen. Feministische Öffentlichkeiten können demgegenüber als VSH]L¿VFKHSROLWLVFKH)UDXHQ|IIHQWOLFKNHLWHQDQJHVHKHQZHUGHQGLHGDVXQJOHLFKH Geschlechterverhältnis diagnostizieren und verändern wollen. Sie stehen in einer Tradition mit den großen Emanzipationsbewegungen der Frauen und ihrem Streben nach politischen Rechten und Publizität.
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Im Zuge der feministischen Frauenbewegungen entstanden zu Beginn der 1970er Jahre zahlreiche Initiativen und Gruppen, die ein verändertes gesellschaftliches Frauenbild präsentierten und die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft anprangerten. Eine wichtige Rolle bei der Herstellung feministischer Öffentlichkeiten, die sich als Gegenöffentlichkeit und Gegenkultur formierten, kam den meist regionalen Frauenzeitschriften zu (Werner/Röttger 1992). Mit der »Emma« und der inzwischen wieder eingestellten »Courage« gründeten sich des weiteren zwei überregionale feministische Zeitschriften. Zahlreiche Fachzeitschriften begleiteten auch die Entwicklung der Gender Studies. Im Laufe der Zeit kamen mit dem lokalen Hörfunk und vor allem mit dem Internet neue Medien dazu, in denen für feministische Belange geworben wurde und die eine weitere Artikulationsebene für feministische Öffentlichkeiten bildeten (vgl. Shade 2002). Mit dem Internet verbanden sich zunächst Hoffnungen auf die Subversion von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität. Wirkmächtige Umdeutungen von gesellschaftlichen Konzepten wie Identität und Körper, ein nachhaltiges »gender swapping« schienen möglich (vgl. Paasonen 2005). Den feministischen Bewegungen gelang es, manche ihrer Themen auf die Agenda der traditionellen Öffentlichkeit von Massenmedien und Parlamenten zu setzen. Die Debatte um Integration in die traditionellen gesellschaftlichen Institutionen oder Autonomie begleitete die Entwicklung der feministischen Öffentlichkeit. Sollten Feministinnen die patriarchal strukturierte Öffentlichkeit suchen und in mühsamer Überzeugungsarbeit ihre Themen hier einbringen oder ihre Zeit besser zum Aufbau eigener Netzwerke und selbstbestimmter Formen der Kommunikation verwenden? Diese Frage berührt unmittelbar einen weiteren wichtigen Streitpunkt über die richtige Strategie der feministischen Bewegung, nämlich die Forderung nach Anerkennung von Gleichheit oder Differenz. In ihrer Analyse des Kampfes um den Gleichberechtigungsparagraphen im Grundgesetz löst Böttger (1990) den vermeintlichen Gegensatz aber überzeugend auf, indem sie argumentiert, dass Gleichheit – die Aufhebung der Herrschaft des Mannes über die Frau – nur vor dem Hintergrund der Anerkennung differenter Ausgangs- und Lebensbedingungen wirksam werden kann. Umgekehrt stützt das Beharren auf Differenz angesichts der symbolischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit das ungleiche Geschlechterverhältnis, wenn es nicht zugleich mit dem Kampf um Gleichheit verbunden wird. 3.2 Das Private wird öffentlich Um die beschriebenen Frauenöffentlichkeiten und feministischen Öffentlichkeiten sichtbar zu machen, ist eine kritische Diskussion des konstruierten Gegensatzes von Öffentlichkeit und Privatheit zentral, da dieser den öffentlichen Raum ideo-
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ORJLVFKDOV'RPlQHGHV0DQQHVGHQSULYDWHQDOV5HLFKGHU)UDX¿[LHUW'LH%H schäftigung mit Öffentlichkeit wurde deshalb zu einem zentralen Thema feministischer Theoriebildung (z. B. Elshtain1981; Pateman 1988; Hausen 1992). Seit der Aufklärung wird Öffentlichkeit als Raum oder Sphäre gedacht, die im Gegensatz zur Privatheit steht. In der Öffentlichkeit zu agieren, bedeutet außerhalb der privaten, häuslichen Sphäre zu handeln. Der Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit ist so mit einer symbolischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit eng verknüpft, da Haus und Privates weiblich konnotiert sind, außerhäusliche Aktivitäten und öffentliches Agieren aber vor allem dem (bürgerlichen) Mann zugesprochen werden. Der Ausschluss von Frauen ist für die bürgerliche Öffentlichkeit ELVKHXWHVWUXNWXUELOGHQG6RZXUGHQGLHHLQÀXVVUHLFKHQ|IIHQWOLFKHQ,QVWLWXWLRQHQ weitgehend durch Männer geprägt. Frauen mussten sich demgegenüber erst mühsam und Schritt für Schritt den Weg in Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft XQG -XVWL] HUNlPSIHQ:LH gIIHQWOLFKNHLW GH¿QLHUW XQG JHVWDOWHW ZHUGHQ N|QQWH das wurde zu einer Schlüsselfrage der Emanzipationsbewegungen der Frauen und hat feministische Wissenschaftlerinnen in vielen Disziplinen beschäftigt. Die Entgegensetzung von Öffentlichkeit und Privatheit und ihre Bindung an den Geschlechterdualismus hatte weiter zur Folge, dass Probleme des ungleichen Geschlechterverhältnisses zur Privatsache erklärt werden konnten und damit die Interessen und Anliegen von Frauen, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, selbstbestimmte Sexualität oder die Freiheit der Berufswahl als nicht-öffentliche familiäre Angelegenheiten galten, in die der Staat nicht einzugreifen hatte. Vor GLHVHP +LQWHUJUXQG ZXUGH ª'DV 3ULYDWH LVW SROLWLVFK© ]X HLQHP HLQÀXVVUHLFKHQ Slogan der feministischen Frauenbewegung. Die Behauptung, dass das Private ohne Weiteres politisch sei, blieb jedoch nicht unwidersprochen. Schwarze Frauen kritisierten deren Verwurzelung in der Mittelschicht, da sie ihre Privatsphäre vor dem Eindringen und der Überwachung durch öffentliche Institutionen stets verteidigen mussten (z. B. Bobo/Seiter 1991; Castro Varela/Dhawan 2005). Auch Fraser (1994b, 2001: 151 ff.) zeigt, dass die Fähigkeit, eine Grenze zwischen Intimsphäre und Öffentlichkeit zu ziehen, von der gesellschaftlichen Macht der Akteur_innen abhängt. Sauer (2001) weist entsprechend darauf hin, dass die Rolle des Staates bzw. der Institutionen bei einer solchen Grenzziehung zu beachten sei. Weiter wird angesichts der neueren Medienentwicklungen und den damit gegebenen Möglichkeiten – etwa der umfassenden Überwachung und auch der Ent-Blößungen im Netz – hervorgehoben, dass das Private ein zentrales schützenswertes Gut ist (vgl. Rössler 2001; für eine Kritik siehe Bartl 2014: 208 f.). Zugleich wird jedoch von Seiten der Queer-Forschung angemerkt, dass Begehren, das nicht der »heterosexuellen Matrix« entspricht (vgl. %XWOHU KlX¿JLQGDV3ULYDWHXQGGDPLWJHVHOOVFKDIWOLFK8QVLFKWEDUHDEJH drängt wurden; somit biete eine Veröffentlichung von bisher privat Konnotiertem die Möglichkeit einer stärkeren gesellschaftlichen Wahrnehmbarkeit (vgl. Philips
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2007). Öffentlichkeit und Privatheit sind folglich als jeweils strategische Positionierungen zu sehen. Eine Veröffentlichung von intimen, privaten Lebensentscheidungen ist nicht pauschal mit Fortschritt gleichzusetzen, jedoch ist zugleich auf die Sichtbarkeit und Sagbarkeit von aus dem öffentlichem Raum ausgeschlossenen Identitäten zu beharren. 3.3 Vielfältige (Gegen-)Öffentlichkeiten Feministische Öffentlichkeiten haben sich stets auch als Gegenöffentlichkeiten verstanden, da nicht nur staatliche Institutionen und die klassische bürgerliche Öffentlichkeit im Mittelpunkt ihres Interesses standen, sondern weitere Öffentlichkeiten und subkulturelle Räume ebenso wie der »Privatbereich« zum Schauplatz politischen Handelns wurden (vgl. Rudolph/Schirmer 2003). Feministische Forscher_innen haben insbesondere die Bedeutung pluraler Öffentlichkeiten für die Veränderung des öffentlichen Diskurses herausgearbeitet. Paradigmatisch steht hierfür Fraser (2001), die in Abgrenzung zu Habermas’ Ideal einer politischen und deliberativ agierenden Öffentlichkeit die Position begründet hat, dass das demokratische Ideal der gleichberechtigten Partizipation durch eine Vielzahl von Öffentlichkeiten besser zu verwirklichen sei. Alternative, subalterne oder Gegen-Öffentlichkeiten sind in diesem Sinne eine Modernisierungsressource (Wischermann 2003) und rücken damit ins Zentrum von Öffentlichkeitstheorien. Funktionierende Öffentlichkeiten, darauf hat die feministische Forschung hingewiesen, basieren auf Prozessen des Verhandelns, Verstehens und Missverstehens ebenso wie der Interpretation und Umdeutung. Diese können sich nur dann entfalten, wenn schon konzeptionell nicht nur von einer Öffentlichkeit ausgegangen wird (vgl. Benhabib 1997). Plurale Öffentlichkeiten können unterschieden werden nach der Komplexität ihrer kommunikativen Foren oder Arenen oder auch entlang gesellschaftlicher Segmentierungen. Ihre Bildung ist verbunden mit geteilten Interessen, Räumen und Erfahrungen, die relational und diskursiv hergestellt werden (vgl. Klaus 2001; vgl. auch Klaus in diesem Band). Spivak (1994) schreibt in ihrem Artikel »Can the subaltern speak?«, dass Angehörige von subkulturellen oder marginalisierten Gruppen nicht sprechen können, solange sie nicht gehört oder von westlichen Intellektuellen interpretiert werden, die ihre Deutungen dem Sprechen der Subalternen einschreiben. Fraser (1994a) greift die Bezeichnung wieder auf und argumentiert, dass solche subalternen Öffentlichkeiten zum Funktionieren der von Habermas entworfenen rationalen Diskurssphäre des Bürgers notwendig sind und hier als Korrektiv fungieren. Öffentlichkeit ist danach ein diskursives Forum ]XU,QV]HQLHUXQJYRQ.RQÀLNWHQGDVDXVVWDUNHQXQGVFKZDFKHQgIIHQWOLFKNHLWHQ besteht (vgl. Fraser 2001: 107 ff.). Öffentlichkeit ist folglich kein machtfreier Raum, wie erstmals Negt und Kluge (1972) in ihrem Konzept der proletarischen Öffentlichkeit ausgeführt haben. Auch
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Mouffe (2007) pocht darauf, dass gesellschaftliche Hierarchien und die damit verbundenen antagonistischen bzw. agonistischen Interessen den öffentlichen Diskurs und seine Formen bestimmen. Innerhalb der feministischen Bewegung ist bereits früh diskutiert worden, dass (Teil-)Öffentlichkeiten und ihre Wirkmächtigkeit wesentlich mit kulturellen Positionierungen und gesellschaftlichen Hierarchien verbunden sind. Seit den 1980er Jahren hat die Kritik von Schwarzen Frauen und von Migrantinnen an einer Mittelschichtorientierung der feministischen Bewegung die Vielzahl und die VerVFKUlQNXQJVWUDWL¿NDWRULVFKHU'LIIHUHQ]LHUXQJHQ]XP9RUVFKHLQJHEUDFKW%HUHLWV mit dem Beginn der neuen, feministischen Frauenbewegung wurde vor allem in den US-amerikanischen Beiträgen auf die Verschränkungen der Kategorien race, class und gender hingewiesen (etwa Davis 1981). Damit wurden gesellschaftliche Machtverhältnisse als eine wesentliche Grundlage, um die Konstituierung von Öffentlichkeit angemessen zu analysieren, schon früh in ihrer intersektionalen Verschränkung diskutiert. Diese Forschungsrichtung hat mit den Queer Studies und postkolonialen Ansätzen in den letzten Jahren produktive Erweiterungen erfahren (z. B. Gutiérrez Rodríguez 2003). Die Intersektionalitätsforschung weist im Zusammenhang mit Öffentlichkeitstheorien darauf hin, dass es zahlreiche Inklusions- und Exklusionsprozesse bei der Bildung von Öffentlichkeiten und der Durchsetzung von Themen gibt. Sie stellt damit die Anforderung, sowohl den ZuJDQJ]XDOVDXFKGLH7HLOKDEHDQgIIHQWOLFKNHLWNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ'DEHLVLQG Ausschlussmechanismen ebenso in den Blick zu nehmen wie Darstellungen und Repräsentationen, die Differenzen produzieren oder reproduzieren (vgl. Drüeke/ Klaus/Thiele 2015). +lX¿J QLPPW GLH gIIHQWOLFKNHLWVIRUVFKXQJ DXI HLQH QDWLRQDOH gIIHQWOLFKNHLW Bezug. Dementsprechend gehen zahlreiche Öffentlichkeitskonzeptionen von nationalstaatlichen Zusammenhängen aus (vgl. Fraser 2005). Im Kontext von Globalisierungsprozessen rückt demgegenüber heute die Transnationalisierung von Öffentlichkeiten stärker in den Fokus, weil diese mit der umfassenden Transformation von Nationalstaaten einhergeht (vgl. Wessler et al. 2008: 1). Transnationale Öffentlichkeiten umfassen in diesem Verständnis sowohl neue Verbindungen zwischen nationalen Öffentlichkeiten als auch die Herausbildung sogenannter »supranationaler« Öffentlichkeiten, also nationenübergreifender Staatenverbünde wie beispielsweise der EU. Nancy Fraser (2001: 118 ff.) bezeichnet das Zusammenspiel verschiedener Öffentlichkeiten und ihrer Interaktionen als »strukturiertes Setting«, legt also ihrer Öffentlichkeitstheorie eine hierarchische Schichtung verschiedener ÖffentlichkeiWHQ]XJUXQGHGLHLQXQJOHLFKHP0DEHU5HVVRXUFHQXQG'H¿QLWLRQVPDFKWYHU fügen. Aber schon in der Vergangenheit bildeten sich viele Öffentlichkeiten heraus, die nicht an ein Territorium gebunden sind. Zu solchen Öffentlichkeiten gehören etwa religiöse Gruppierungen und soziale Bewegungen wie die Friedens- oder
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Umweltschutzbewegungen (vgl. Hepp/Vogelgesang 2005). Auch die historischen wie die feministischen Frauenbewegungen traten parallel in verschiedenen Ländern auf und waren international vernetzt (vgl. z. B. Rupp 2011). So tauschten sich die Aktivistinnen etwa auf internationalen Kongressen aus und besprachen ihre Strategien im Kampf um Frauenrechte und gegen den gesellschaftlichen Antifeminismus (Wischermann 2003). Erst in den letzten Jahren hat die feministische Forschung begonnen, diesen transnationalen Charakter der Frauenbewegungen und feministischen Öffentlichkeiten genauer zu untersuchen. Damit kann auch ein 'H¿]LWGHUª7UDQVQDWLRQDOLVLHUXQJVIRUVFKXQJ©EHKREHQZHUGHQGDV)UDVHU 18) benennt: Forschungen, die »Transnationalität« als empirisches Konzept operationalisieren, lösen sich bisher meist von dem Konzept einer normativen Demokratietheorie, da sie lediglich die Formen und Interaktionen von transnationaler Öffentlichkeit beschreiben, nicht aber deren implizite Werturteile thematisieren.
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ERWEITERUNGEN: JENSEITS DER DICHOTOMIEN
Ausgehend von der Dekonstruktion des vermeintlichen Gegensatzes Mann-Frau und der ihnen zugewiesenen getrennten Sphären und gegensätzlichen Charaktereigenschaften hat die feministische Forschung das dualistische Denken generell in Frage gestellt und versucht, andere erkenntnistheoretische Wege einzuschlagen (Haraway 1985; vgl. auch Krotz 2015). Das gilt insbesondere auch für die feministische Öffentlichkeitsforschung, an deren Beginn eine Auseinandersetzung mit dem Gegensatz von Privatheit und Öffentlichkeit steht (vgl. 3.2). Damit ist die Beschäftigung mit weiteren Dichotomien verbunden. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Diskursstränge dieser Debatte vor. 4.1 Emotionen und Affekte mit Verstand Das Ideal eines rationalen öffentlichen Diskurses wurde von Habermas (1995) geprägt, der in einem herrschaftsfreien Austausch rationaler Argumente den Weg zu einer konsensorientierten Deliberation sah. Diese Sichtweise wurde schon früh mit dem Hinweis auf die in den öffentlichen Diskurs eingeschriebenen Hierarchien, aber auch die Emotionalität als elementaren Bestandteil jeden Redens und Handelns kritisiert und damit das Ideal eines rationalen öffentlichen Diskurses historisch und aktuell in Frage gestellt. Die mit der Aufklärung verankerten Trennungen von Körper und Geist, von Emotio und Ratio sind mit dem Geschlechterdualismus eng verknüpft und legen auch fest, wer im öffentlichen Diskurs was und wie viel zu sagen hat. Bereits 1985 hat Haraway in ihrem »Cyborg Manifesto« eine antiessentialistische Position eingenommen und postuliert, dass u. a. die neuen Kommunikations- und In-
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IRUPDWLRQVWHFKQRORJLHQDXFK]XU$XÀ|VXQJYRQJlQJLJHQ'LFKRWRPLHQZLHGHP zwischen Mensch und Maschine, Physischem und Methaphysischem, Fakt und )LNWLRQ.|USHUXQG*HLVWIKUHQN|QQHQ+DUDZD\VFKlW]WHLQHVROFKH9HUÀVVL gung von Grenzen als ambivalent ein, sieht in ihr zugleich eine Reproduktion von +HUUVFKDIWVYHUKlOWQLVVHQXQGHLQH&KDQFHLKUHU9HUlQGHUXQJ'LH$XÀ|VXQJGHU von ihr benannten Grenzen ist mit dem Internet noch deutlicher hervorgetreten. In der Forschung zu den historischen Frauenbewegungen wird darüber hinaus implizit eine Verknüpfung von emotionalen Ausdrucks- und Kommunikationsformen mit einer erfolgreichen Veränderung der öffentlichen Meinung belegt. Wischermann (2003; vgl. auch in diesem Band) hält fest, dass zu den Erfolgsbedingungen der Wahlrechts- und Sexualstrafrechtsreformbewegung sowohl die freundschaftliche Verbundenheit der Aktivistinnen zählte als auch die Begründung einer Gemeinsamkeit stiftenden Frauenbewegungskultur sowie die Wahl diskursiver Argumentationsstrategien, um politische Öffentlichkeit zu erreichen. Die emotionale Besetzung von Sinneseindrücken ermöglicht ihre Selektion aus einer nicht zu verarbeitenden Fülle und begründet dann die individuelle, rationale Auseinandersetzung mit einem Thema. Auch die feministische Politikwissenschaft hat herausgearbeitet, dass Deliberation nicht einfach mit rationaler Argumentation gleichgesetzt werden kann (vgl. Young 1996). Die eigene Geschichte zu erzählen als ein wichtiger Bestandteil öffentlicher Diskurse geht nie gänzlich in einer rationalen, von subjektiven Momenten befreiten, Argumentationslinie auf. »Story-telling«, das Erzählen der eigenen Geschichte, ist eng mit Lebenserfahrungen verknüpft (vgl. für die Medien Bilandzic/ Kinnebrock 2009). Innerhalb der Kommunikationswissenschaft haben vereinzelt Studien danach gefragt, wie historische Ereignisse und aktuelle Nachrichten am besten behalten werden (vgl. z. B. Hamm/Koller 1992). Das ist dann der Fall, wenn diese – etwa im Rahmen einer Soap Opera Erzählung oder auch in Nachrichtenmagazinen – in Geschichten eingebunden sind und damit emotional besetzt werden können. Emotionalität, Oralität und Narration sind auf diese Weise eng miteinander verknüpft. Als Modi der Informationsvermittlung und -verarbeitung stehen sie den Normen von Objektivität, Literalität und Faktizität gegenüber, die mit einem an Männlichkeit ausgerichtetem »Bürgerideal« und mit Herrschaftswissen verbunden sind. Auch mit den Affect Studies, die unter diesem Begriff seit Mitte der 1990erJahre in den Kultur- und Sozialwissenschaften auftreten, zeigt sich eine Hinwendung zur Bedeutung von Affekten und Gefühlen für Interaktionen mit anderen Lebewesen (vgl. Sedgwick 2003; Gregg/Seigworth 2010). Affekt und Emotion als materiell-körperliche Aspekte stellen damit eine Erweiterung der dekonstruktivistisch geprägten Diskussionen über Kultur, Subjekt, Identität und Körper dar und rücken den Zusammenhang zwischen individuellem Erleben und gesellschaftlichen Machtverhältnissen in den Fokus (vgl. Baier et al. 2014: 14 f.). Auch Scott
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(2001) hat sich mit der (de-)konstruktivistischen Kritik am Begriff der Erfahrung auseinander gesetzt und für dessen Beibehaltung als analytische Kategorie plädiert, da eine Politisierung des Privaten durch die Verbindung von Erfahrung mit /HEHQVZLUNOLFKNHLWHQXQGPLWGHU%HQHQQXQJVSH]L¿VFKHU8QUHFKWVHUIDKUXQJHQ die Ungleichheiten verdeutlichen, erreicht werden könne. Eine solche theoretische Hinwendung zu Affekten steht damit in der Tradition feministischer Kritik an der Dichotomie von privat und öffentlich, wobei Emotionen, Affekte und Persönliches der privaten Sphäre zugewiesen werden. Feministische Öffentlichkeitstheorien werden damit um eine genauere Beschreibung der mit gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozessen stets einhergehenden Verbindung von Emotio, Ratio und Erfahrung bereichert. 4.2 Für einen erweiterten Politikbegriff Eng verknüpft mit den Diskursen zur Konstituierung von »Frauenräumen« (vgl. 3.1) ist ein in Frage stellen des vorherrschenden Begriffs des Politischen, da sich viele Öffentlichkeitsdebatten auf eine politische Öffentlichkeit im engeren, traditionellen Sinne beschränken. Dabei wird zwischen einem engen und einem weiten Politikbegriff unterschieden. Der enge Politikbegriff setzt Politik gleich mit einer öffentlichen Sphäre, in dem er die institutionelle und staatliche Seite politischen Handelns betont. Diese Sicht wurde von den Gender Studies grundlegend problematisiert, da damit viele gesellschaftliche und kulturelle Ausdrucksformen, die poOLWLVFKH(QWVFKHLGXQJHQIXQGDPHQWDOEHHLQÀXVVHQN|QQHQYHUQDFKOlVVLJWZHUGHQ So brachte der Slogan der neuen Frauenbewegung »Das Private ist politisch!« die Notwendigkeit einer Entgrenzung des Politikbegriffs zum Ausdruck. PolitikgestalWXQJ¿QGHWQLFKWH[NOXVLYLQGHQ3DUWHLHQ3DUODPHQWHQXQG5HJLHUXQJHQVWDWWZLH es liberale Öffentlichkeitstheorien postulieren und die traditionelle Politikberichterstattung der Massenmedien suggeriert, sondern auch in vielen anderen Foren und Formen. Feministische Politikwissenschaftlerinnen haben darüber hinaus darauf hingewiesen, dass dabei die Relevanz der Kategorie »Geschlecht« nicht mitgedacht wird und dies die Position des historisch dominierenden Geschlechtes weiter stärkt (vgl. Rosenberger 1996; Sauer 2001). Die demgegenüber vorgeschlagene Ausweitung zielt darauf ab, den Politikbegriff auf »staatsferne« soziale Bewegungen, privat konstruierte Räume und alternative bzw. informelle Politikformen auszuweiten (Sauer 2001: 34). Politik soll dabei nicht nur »Interessenspolitik« sein, d. h. Formulierung, Aggregierung und Durchsetzung bzw. Realisierung von »gleichsam voraussetzungslos im Jenseits des Politischen entstandenen Interessen« (Sauer 2001: 39): Politik umfasst vielmehr die Herstellung, Konstruktion und Repräsentation von politischen Identitäten bzw. von sozialer und kultureller DifIHUHQ]GLHLQHLQHPNRQÀLNWKDIWHQ3UR]HVVHQWVWHKHQXQGEH]LHKWGDEHLZHLEOLFK konnotierte Lebenszusammenhänge und »Frauenöffentlichkeiten« mit ein.
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Dass diese manchmal große Wirkmächtigkeit erzielen können, haben die Frauenbewegungen um die Jahrhundertwende gezeigt, die zwar von der politischen Teilhabe im engeren Sinne noch vollständig ausgeschlossen waren, sich aber gleichwohl in der Öffentlichkeit erfolgreich zu Wort meldeten (Wischermann 1998). Legt man einen engen Politikbegriff zugrunde und beschränkt sich zugleich auf die Betrachtung einer politischen Öffentlichkeit, so werden in der Analyse von Medien insbesondere Entertainment und populäre Genres ausgegrenzt (vgl. Zoonen 2005). Dass hingegen auch Unterhaltung und populären Formaten eine explizite politische Komponente zu eigen ist, haben Arbeiten etwa zur Inklusion von Migrant_innen in Casting Shows (Dietze 2008) bzw. allgemeiner in den Unterhaltungsbereich (Lünenborg et al. 2011) gezeigt. Weiter ist in der Diskussion um Öffentlichkeit, insbesondere auch in der Rezeption von Habermas’ Werken im englischsprachigen Raum, vorgeschlagen worden, die »political public sphere« durch eine »cultural public sphere« zu ergänzen bzw. deren anhaltende Relevanz im Sinne Habermas zu diskutieren. In der kulturellen Öffentlichkeit werden die Bedingungen der kulturellen Teilhabe verhandelt. Damit kommt ihnen in gesellschaftliche Inklusions- und Exklusionsprozesse ein zentraler Stellenwert zu. (vgl. McGuigan 2005) In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff einer cultural citizenship (Klaus/Lünenborg 2012), der darauf hinweist, dass neben den politischen, sozialen und individuellen Rechten, auch kulturelle Rechte für die Teilhabe an den Selbstverständigungsprozessen und Kommunikationen einer Gesellschaft zunehmend bedeutend sind. Mit Medien, durch Medien und mittels Medien wird heute gesellschaftliche, individuelle und gruppenbezogene Identität ausgehandelt. Cultural citizenship bezeichnet dabei jene kulturellen Praxen, die eine Teilhabe an den kulturellen Ressourcen der Gesellschaft erlauben und Sichtbarkeit und Sprechen im öffentlichen Diskurs ermöglichen. Unter bestimmten Bedingungen können damit Kommunikationsrechte als temporäre Inklusion in kulturelle Öffentlichkeit verwirklicht und so auch Bürgerrechte eingeübt werden (vgl. Saxer 2007). 4.3 Öffentlichkeit – Inszenierung und Performativität Der Begriff der »performativen Öffentlichkeit« wird in der historischen Stadt- und Öffentlichkeitsforschung verwendet, um die leiblichen, nichtmedialen Formen der Aushandlung gesellschaftlicher Normen und Werte zu charakterisieren (vgl. etwa Schlögl 2011). Performativität in diesem Sinne ist aber durch Medien und Massenkommunikation nie vollständig abgelöst worden, wie die Geschichte sozialer Bewegungen zeigt. Bereits in ihren Anfängen hat die Frauenbewegung auf verschiedene Formen der Inszenierung zur Artikulation ihres Protests und zur Mobilisierung von Unterstützung zurückgegriffen. Historisch drückte sich das etwa in
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Skandalisierungspraktiken und bewussten Provokationen aus, wie sie etwa Anita Augspurg praktizierte, als sie sich unter Anwesenheit der Medien an das Parlamentsgebäude ketten und festnehmen ließ (vgl. Kinnebrock 2005). Auch in den feministischen Bewegungen der 1970er Jahre waren Verkleidung, Improvisation und Provokation integraler Bestandteil des öffentlichen Protests. Naturalisierte Wissensbestände im Sinne Foucaults sind Ausdruck einer patriarchalen Ordnung und verbunden mit unhinterfragten und unhinterfragbaren, dominanten Geschlechternormen. Erst durch performative Praktiken, durch Inszenierung, Maskerade und Skandalisierung lassen sie sich effektiv in Frage stellen. Insbesondere poststrukturalistische Ansätze unterscheiden zwischen Performanz und Performativität. Inszenierungen von Protest lassen sich demnach als Praktiken der Performanz betrachten. Theoretisch weiter gefasst und dezidiert ausgearbeitet hat Butler (1995) den Begriff der Performativität, in dem sie die Rolle eines autonomen und intentional agierenden Subjekts in Frage stellt. Sie beschreibt damit, dass Subjektpositionen in symbolischen Repräsentationen immer wieder hervorgebracht und damit verfestigt werden. Auch Gender wird so nur scheinbar ausgedrückt, gleichsam konstituiert es die Bedeutung als seinen Effekt. Unter Berücksichtigung dessen lassen sich lokale Strategien entwickeln, die das »Unnatürliche« ins Spiel bringen und zur »Ent-Naturalisierung der Geschlechtsidentität als solcher« (ebd.: 216) führen können. Solche Strategien unterstützen die Konstituierung von Gegenöffentlichkeiten, wie Schirmer (2010) am Beispiel der DragKing-Szene darlegt, deren performative Praktiken teilweise die Normierungen der geschlechtlichen Welt und Wirklichkeit in Frage stellen. In der Medienforschung sind Humor und Comedy als Möglichkeiten erforscht worden, widerständiges Rezeptionshandeln jenseits traditioneller Zweigeschlechtlichkeit und heterosexueller Normierung zu ermöglichen (für eine abwägende Diskussion vgl. Mills 2009). Jones (2013) diskutiert die politische Fernsehsatire als Beispiel dafür, dass Performativität und ein spielerischer Umgang mit Wissensbeständen wichtige Instrumente der Teilhabe an Gesellschaft sind.
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INTERNETÖFFENTLICHKEITEN: FEMINISTISCHE ÖFFENTLICHKEITSFORSCHUNG AUF DEM PRÜFSTAND
Das Internet hat die Kommunikationswissenschaft vor neue Herausforderungen gestellt, weil darin dominante, von weiten Teilen des Faches lange akzeptierte Grenzsetzungen verwischen: die zwischen Massenkommunikation und interpersoneller Kommunikation, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Information und Unterhaltung, zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Produzent_innen und Konsument_innen, schließlich auch zwischen Verstand und Emotion, Geist und Körper. Für die Analyse der neuen Kommunikationsforen und -formen kön-
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nen die Gender Studies auf ihre schon lange bestehende, theoretisch ausgearbeitete und empirisch erprobte Kritik an diesen Dualismen zurückgreifen. Insbesondere hat die Internetkommunikation dazu geführt, dass die in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung schon lange verankerte Konzeption von Öffentlichkeiten im Plural inzwischen Eingang in den Mainstream der Disziplin gefunden hat – allerdings zumeist ohne Verweis auf ihre Genese in den feministischen Wissenschaften. So schreiben Hahn, Hohlfeld und Knieper (2015) in der Einleitung zur Tagungspublikation »Digitale Öffentlichkeiten« der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, dass in Folge der Digitalisierung von Kommunikation die Verwendung von Öffentlichkeit im Plural nun »statthaft« sei, ohne dabei die langjährigen Debatten über plurale Öffentlichkeiten in den Gender Studies zu erwähnen. Die in den vorangegangenen Abschnitten diskutieren Perspektiven feministischer Öffentlichkeitstheorien werden im Folgenden anhand der durch das Internet und mobile Technologien bewirkten Veränderungen diskutiert. Zugrunde gelegt wird dabei die diesen Sammelband einende Perspektive von Öffentlichkeit als einen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess von Klaus (2001; siehe auch in diesem Band) und entlang der drei ursprünglich unterschiedenen Öffentlichkeitsebenen die Veränderungen durch digitale Technologien aufgezeigt. Wenn Öffentlichkeit als Selbstverständigungsprozess einer Gesellschaft gefasst wird, der mittels Deliberation vonstatten geht, verweist dies auf verschiedene sich gegenseitig durchdringende Diskurssphären. Öffentlichkeiten können dann nach der Komplexität der Kommunikationsforen differenziert werden. Entsprechend unterscheiden wir zwischen drei Ebenen, auf denen Öffentlichkeit entsteht XQGJHVHOOVFKDIWOLFKH6HOEVWYHUVWlQGLJXQJVSUR]HVVHVWDWW¿QGHQ'LHVHGUHL(EHQHQ sind nicht überschneidungsfrei, sondern stellen idealtypische Beschreibungen des Öffentlichkeitsprozesses dar (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Ebenen von Internet-Öffentlichkeiten
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Die einfache, mittlere und komplexe Ebene von Öffentlichkeit weisen ihre je eigenen Kommunikationsformen und -foren auf. Die Ebene der einfachen Öffentlichkeit stellt sich durch spontane Begegnungen her und zeichnet sich durch direkte und egalitäre Kommunikationsformen aus. Ihren Prototyp bilden Alltagskommunikationen, das mehr oder weniger zufällige Zusammentreffen von sozial Handelnden. Abbildung 1 verdeutlicht, welche Internetforen den jeweiligen Ebenen zugeordnet werden können und wie diese miteinander in Verbindung stehen. Auf der einfachen Öffentlichkeitsebene sind Forumseinträge, Äußerungen auf Twitter, Kommentare zu Medienberichten in Online-Zeitungen und Blogs angesiedelt (vgl. Drüeke 2013: 125 ff.; auch Katzenbach 2008). Vor allem Letztere stellen eine Erweiterung der einfachen Öffentlichkeitsebene im Internet dar, da Verfasser_innen von Blogs mehr Menschen adressieren können, als das im persönlichen Gespräch möglich ist. Im Kontext von Protestbewegungen können gut vernetzte Blogs auch als mittlere Öffentlichkeiten fungieren. Zwar gibt es mit dem Internet neue technische Möglichkeiten, private Daten zu sammeln und die Nutzer_innen zu überwachen, jedoch bedeutet eine Verschiebung der Bedeutungszuweisungen, die mit den Konzepten privat und öffentlich angesprochen sind, zugleich eine Chance: Eine stärkere Verhandlung bisher privat konnotierter Themen kann zu einer verstärkten öffentlichen Sichtbarkeit vielfältiger Lebensweisen führen. So werden etwa queere Lebensentwürfe sichtbarer, weil Begehren jenseits einer heteronormativen Matrix im Internet artikuliert werden, wobei offen bleibt, ob dies zugleich zu einer größeren gesellschaftlichen Anerkennung führt. Auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit zeigen sich Praktiken der Inszenierung und Performativität auf vielfältige Weise. So wird Subjektivität und damit auch Identität und Geschlecht inszeniert, ausgeübt und konstruiert. Dabei können Uneindeutigkeiten oder auch Überzeichnungen von Geschlechtsidentitäten durch Performanz dichotome Geschlechterkonstruktionen in Frage stellen und die Vielfalt von Geschlechterpositionierungen aufzeigen. So verstehen zahlreiche queere Seiten im Internet ihre Artikulationen als Eingriff in die symbolische Ordnung, indem sie die Geschlechterbinarität in Frage stellen und die damit verbundenen, strukturell verankerten, Hierarchien und gesellschaftlichen Ungleichheiten demaskieren. Die Kommunikationsweisen und kommunikativen Foren auf dieser Öffentlichkeitsebene können genauer analysiert werden, wenn Emotionalität und Rationalität nicht als Gegensätze, sondern als sich aufeinander beziehende Größen untersucht werden. Gerade in Blogs werden persönliche Erfahrungen thematisiert und »eigene Geschichten« erzählt. Digital storytelling gehört in den neuen Medien zu den zentralen Kommunikationsformen. Solche öffentlichen Foren erfahren verstärkte Aufmerksamkeit, wenn sie im Weiteren in den Printmedien zitiert werden. Das geschah etwa bei den so genannten »War Blogs«, in denen Zivilist_innen über den Irak-Krieg berichteten (vgl. Roering 2007), oder bei den Protestbewegungen im
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arabischen Raum im Frühjahr 2011, als Blogs zur wesentlichen Nachrichtenquelle der westlichen Massenmedien wurden. Deutlich wird, dass solche kommunikativen Formen nicht systematisch zwischen rationaler Argumentation und emotionaler Berichterstattung trennen, vielmehr sind beide Bestandteil politischer Partizipation. Auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit basiert die Netzkommunikation auf einer nicht zu entwirrenden Mischung von Emotionalität und Rationalität, von Literalität und Oralität, von Unterhaltung und Information, von Narration und Faktizität. Auf der mittleren Ebene von Öffentlichkeit bleibt die interpersonelle KomPXQLNDWLRQEHGHXWHQGHV¿QGHWDEHUHLQH5ROOHQGLIIHUHQ]LHUXQJ]ZLVFKHQ6SUH cher_innen und Zuhörer_innen, zwischen aktiven und »einfachen« Mitgliedern statt. Prototypen mittlerer Öffentlichkeiten stellen Bürger_inneninitiativen und Vereine dar. Mittlere Öffentlichkeiten haben eine Übersetzungsfunktion, insofern sie Themen und Positionen, die auf der einfachen Ebene der Öffentlichkeit verhandelt werden, bündeln und verallgemeinern. Soziale Bewegungen, Subkulturen und Gegenöffentlichkeiten bekommen mit dem Internet neue Formen, um sich zu verständigen und sich mitzuteilen (vgl. Baringhorst 2009). Das wirft neue Fragen an die Genese, die Konstituierung, die Funktion und die Wirkungen von Teilöffentlichkeiten auf, etwa jene, ob es noch ausreicht, zwischen hegemonialen und subalternen (Gegen-)Öffentlichkeiten zu unterscheiden. Aktionen etwa von Wikileaks oder der Gruppe Anonymous zeigen, dass das Internet neue Instrumente zur Kontrolle von staatlichen Organen und politischen Institutionen bereitstellt. Die Organisation der Globalisierungskritiker Attac hat sich diese Qualität des Internets für ihre Mobilisierungsaktionen konsequent zu Nutze gemacht. Damit einher geht aber zugleich eine neue »Flüchtigkeit« sozialer Bewegungen. Die Internetgruppe AVAAZ.org – Die Welt in Aktion (http://www.avaaz.org/ de/) sammelt zu einem breiten Spektrum von Anliegen weltweit mehrfach wöchentlich oft Hunderttausende von Unterschriften, ihr Unterstützerkreis umfasst mehrere Millionen Menschen. Diese Unterschriften signalisieren aber nicht unbedingt eine neue Bürgerbewegung, zumal die verhältnismäßig geringe Zahl an Aktivist_innen oft unsichtbar bleibt. Hamm (2006: 87) spricht daher bei solchen Foren von einer transnationalen »community of protest«, die »temporäre Protestgeographien« (ebd.: 85) jenseits nationaler Grenzen erschafft. Deutlich wird, dass neben die einst vorwiegend nationalen Diskussionsforen zahlreiche transnationale Initiativen getreten sind und diese nebeneinander bestehen. Die schon für die Frauenbewegung zumindest im Ansatz geltende De-Territorialisierung von Diskurs und Bewegung ist für das Medium Internet konstitutiv. Hier sind der globale Ideenaustausch und die de-territoriale Vernetzung als Reaktion auf nationale Ereignisse eher die Regel als die Ausnahme, da mit dem Internet nationale Grenzen viel leichter überwunden werden können. Zugleich ist das Internet in einem geringeren Ausmaß als die klassischen Massenmedien Print und
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Fernsehen an Sprachräume gebunden. Allerdings entstehen durch die Dominanz des Englischen neue Ausschlüsse und neue Hegemonien. Einmal mehr zeigt sich, dass Öffentlichkeit, auch im Internet, kein herrschaftsfreier Raum ist. Deutlicher hervor tritt noch ein weiterer Aspekt feministischer Theoriebildung: Individuelle, politische Blogs, zivilgesellschaftliche Partizipation oder der sogenannte Citizen Journalism sind nicht mit einem engen Politikverständnis zu erfasVHQ,P,QWHUQHW¿QGHWGLH$XVKDQGOXQJSROLWLVFKHU7KHPHQLQYLHOIlOWLJHQ)RUPHQ und Foren statt: »an opening up of politics taking place online« (Coleman 2013). »Alte« und »neue«, institutionelle und informelle Politikformen, repräsentative und deliberative politische Kommunikation gehen im Internet neue Verbindungen ein. Deshalb argumentieren, weit über den ursprünglichen Kreis feministischer Politikwissenschaftlerin hinaus, zahlreiche Wissenschaftler_innen, die sich mit dem Internet und politischer Partizipation beschäftigen, inzwischen für die Übernahme eines weiten Politikbegriffes (vgl. für einen Literaturüberblick Bakker/de Vreese 2011: 452 ff.). Auf der komplexen Ebene von Öffentlichkeit wird die Kommunikation weitergehend professionalisiert und die Rollen von Kommunikator_innen und Publikum sind nicht mehr ohne weiteres austauschbar. Die zentralen Akteur_innen, z. B. Minister_innen oder Journalist_innen, sind Mitglieder hoch komplexer und funktional ausdifferenzierter Institutionen und handeln stellvertretend für andere. Weil das Publikum zugleich immer abstrakter und in seinen Handlungsmöglichkeiten beVFKUlQNWHUZLUGNDQQNHLQHZLUNOLFKH'HOLEHUDWLRQVWDWW¿QGHQVRGDVVHLQHGLUHNWH soziale Kontrolle der Funktionsträger_innen und eine Korrektur ihrer Entscheidungen behindert werden. Im Internet agieren auf dieser Ebene Regierungen und die in ihrer Reichweite besonders erfolgreichen traditionellen Massenmedien. Aufgrund der Kommentarmöglichkeit etwa bei Online-Zeitungen erhalten aber nun Akteursgruppen auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit eine viel größere Chance, sich auf diesen SeiWHQGLUHNW]X:RUW]XPHOGHQ6R¿QGHW]ZDUNHLQ:HFKVHO]ZLVFKHQ.RPPXQLND tor_innen und Publikum statt, wohl aber können Positionen, die auf der einfachen Öffentlichkeitsebene existieren, auf den medieninitiierten Internet-Seiten artikuliert und damit sichtbar werden. Manche dieser Kommentare werden wiederum in den Artikeln der Online- und Printzeitungen aufgegriffen. Hier zeigen sich neue Bezüge zwischen der massenmedialen Öffentlichkeit und einer sich eher spontan äußernden Alltagsöffentlichkeit. Artikel in traditionellen Printmedien lösen zuweilen rege Diskussionen aus, deren Textlänge und Argumentationsumfang den des XUVSUQJOLFKHQ$UWLNHOVZHLWEHUVWHLJW,P9HUJOHLFK]X2IÀLQHgIIHQWOLFKNHLWHQ LVWGDV,QWHUQHWGXUFKOlVVLJHUXQGÀXLGHU+LHUWUHIIHQXQWHUVFKLHGOLFKHgIIHQWOLFK keitsebenen in vielfältigeren Konstellationen aufeinander und durchdringen sich gegenseitig. Die vielfältigen Verbindungen zwischen den einzelnen Öffentlichkeitsebenen werden in Abbildung 1 durch die verschiedenen Pfeile visualisiert.
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Insbesondere ermöglicht der virtuelle Raum eine direkte und wechselseitige Bezugnahme zwischen einfachen und komplexen Öffentlichkeiten. Trotz dieser größeren Dynamik gilt jedoch weiterhin, dass die Wirkmächtigkeit von einfachen über mittlere hin zu komplexen Öffentlichkeiten deutlich zunimmt. Aus diesem Grund weist Abbildung 1 starke und schwache Pfeile auf. Die bestehenden, auch kommunikativ hergestellten, gesellschaftlichen Hierarchien werden durch das Internet nicht ausgehebelt.
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AUSBLICK
Das von uns vorgeschlagene Drei-Ebenen-Modell ermöglicht es, die gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozesse im Internet, und darüber hinaus ihre VerbinGXQJ]X2IÀLQHgIIHQWOLFKNHLWHQV\VWHPDWLVFK]XDQDO\VLHUHQ=XVDPPHQIDVVHQG lässt sich festhalten, dass die verschiedenen Diskursstränge feministischer Öffentlichkeitstheorie und feministischer politischer Praxen nicht nur der traditionellen Öffentlichkeitsforschung zahlreiche Impulse gegeben haben, sondern gerade auch die Internetforschung vielfältig stimulieren könnten. Die im Rahmen feministischer Erkenntnistheorie und Forschung grundlegend kritisierten Dualismen von Unterhaltung und Information, Privatheit und Öffentlichkeit, Emotio und Ratio, Inszenierung und Authentizität werden mit der Verbreitung des Internets vielfältig problematisiert und neu diskutiert. Die an sich schon unscharfen Grenzen zwischen den verschiedenen ÖffentlichNHLWVHEHQHQVLQGGXUFKGDV,QWHUQHWÀXLGHUJHZRUGHQ'DPLWlQGHUWVLFKDXFKGLH Rolle der mittleren Öffentlichkeiten, deren zentrale Funktion als Mittler zwischen der einfachen und der komplexen Ebene von Öffentlichkeit weniger exklusiv ist, weil letztere neue Verbindungen aufweisen. Gleichwohl bleibt eine Bündelung von Themen, die aus der hegemonialen Öffentlichkeit ausgeschlossen sind, ihre zentrale Funktion. Dass dabei ganz neue Probleme entstehen, zeigen rechtsradikale, rassistische und maskulinistische Seiten, die Positionen artikulieren, die mit dem Grundgesetz, der UNO-Menschenrechtskonvention oft nicht vereinbar sind und die nicht selten die Schwelle zur Kriminalität überschreiten. Das Internet ermöglicht dies, u. a. weil nationale Gesetze durch die international verfügbare Technologie ausgehebelt werden können. Es stellt eine neue Herausforderung dar, solche »subalternen« Öffentlichkeiten und ihre Vernetzungen genauer zu untersuchen. Ein anderes, aber vielleicht damit verbundenes Problem stellt das Nebeneinander neuer politischer Artikulationen und traditioneller institutionalisierter Politik dar. Eine Online-Unterschrift ist noch kein wirkmächtiges politisches Eingreifen. Im Rauschen des Netzes gehen viele politische Meinungsäußerungen verloren, wobei zugleich die Illusion genährt wird, dass eine Teilnahme an der politischen Kommunikation stattgefunden habe. Dabei scheinen die meisten politischen Entscheidun-
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gen ganz traditionell und mit nur losem Bezug auf die entsprechenden Internetdebatten gefällt zu werden. Feministische Öffentlichkeitstheorie ist ein guter Ausgangspunkt, um solche und viele weitere Fragen nach dem Wandel von Öffentlichkeit, Politik, Demokratie und Citizenship zu stellen. Jedenfalls hat sie sich als geeignet erwiesen, um wesentliche Aspekte des gegenwärtigen Wandels öffentlicher Kommunikation zu begreifen. Die Infragestellung gängiger Dichotomien oder die Beobachtung der Performativität von Öffentlichkeiten, auch im massenmedialen Zeitalter, all das sind Aspekte, die sich für die Analyse von Internet-Öffentlichkeiten eignen. En Passant zeigt sich, dass zahlreiche Momente, die von der Internetöffentlichkeitsforschung herausgestrichen werden, keineswegs so neu sind, wie es vielfach behauptet wird. Eine der Fragen, die wir einleitend gestellt haben – Wie lassen sich durch Rückgriff auf feministische Öffentlichkeitstheorien die Veränderungen von Öffentlichkeiten in Folge des technischen und medialen Kommunikationswandels gewinnbringend analysieren? – scheint also produktiv bearbeitbar zu sein. Aber ist diese damit zugleich stärker von den Rändern in das Zentrum der Öffenlichkeitsforschung gerückt? Darauf fällt die Antwort amivalent aus. Einige der zentralen Erkenntnisse feministischer Öffentlichkeitstheorien sind im Zentrum der Kommunikationswissenschaft angekommen. So wird angesichts der technologischen Veränderungen wie selbstverständlich von Öffentlichkeiten im Plural gesprochen, wobei allerdings nur selten auf die Gender Studies und die frühen Forschungen zu Öffentlichkeiten bzw. Teilöffentlichkeiten Bezug genomPHQZLUG$XFKGLHÀXLGHQ*UHQ]HQ]ZLVFKHQGHP3ULYDWHQXQGGHPgIIHQWOLFKHQ werden, vor allem mit Bezug auf Blogs und Social Media wie Facebook und Twitter, zwar zur Kenntnis genommen, zugleich dominiert aber die Gleichsetzung von öffentlicher Meinung und Öffentlichkeit. Zugleich werden Veränderungen konstatiert, die vor allem die Herstellung von Öffentlichkeit durch soziale Bewegungen bzw. Protestbewegungen berühren und im Internet deutlich zu Tage traten. Damit wird zugleich diskutiert, wie heutzutage Politik und Teilhabe gefasst werden können. Deutlich zeichnet sich dabei eine Erweiterung des institutionellen Politikbegriffs ab. Andere Erkenntnisse feministischer Forschung werden kontrovers diskutiert, wie das Verhältnis zwischen Emotio und Ratio. Dies zeigt sich insbesondere in Diskursen, in denen vor einer Zersplitterung der Öffentlichkeit, vor dem Vorherrschen von Unterhaltung und dem Zurückdrängen der »wirklichen« Politik gewarnt wird. Damit werden Ambivalenzen in Bezug auf die Positionierung der Gender Studies deutlich: Zwar sind mittlerweile Erkenntnisse der Gender Studies im Zentrum der Kommunikationswissenschaft verankert, allerdings werden diese teilweise verkürzt rezipiert und vereinnahmt, wenn etwa ihr Ursprung aus in den Gender Studies verschwiegen wird. Gleichzeitig stehen grundlegende Erkenntnisse der fePLQLVWLVFKHQgIIHQWOLFKNHLWVWKHRULHQQRFKLPPHU]XU'LVNXVVLRQXQGKlX¿JDXFK
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zur Disposition. Eine Ambivalenz ergibt sich auch, wenn wir danach fragen, wie Erfolge der Gender Studies aus der Binnenansicht zu beurteilen sind. Denn mit einer Anerkennung feministischer Ideen geht auch eines ihrer zentralen Momente, die Gesellschaftskritik, verloren. So hat beispielsweise Fraser (2009) gefragt, ob es eine »heimliche Wahlverwandtschaft« zwischen feministischer Kritik und Neoliberalismus gibt, denn feministische Forderungen die sich gegen Androzentrismus, GLHJHVFKOHFKWVVSH]L¿VFKH$UEHLWVWHLOXQJXQG(WDWLVPXVULFKWHWHQNRQQWHQLP6LQ ne neoliberaler Ideologien für die Flexibilisierung der Arbeitskraft instrumentalisiert werden. Eine gesellschaftskritische Ausrichtung bzw. Neuausrichtung der Gender Studies bleibt also weiterhin notwendig. Das wirft die Frage auf, wie Kritik angesichts des »Siegeszugs« neoliberaler Ideologien überhaupt noch möglich ist. Kritik kann sich nicht nur nach außen, gegen »die Anderen« richten, denn Kritik – so Hark (2005: 391) mit Bezug auf Marx – ist immer nur immanent möglich, damit auch diejenigen, die kritisieren, Gegenstand der Kritik bleiben. Das bedeutet, dass es einerseits wichtig ist, in das Zentrum der Wissenschaft vorzudringen, zugleich aber notwendig bleibt, die Gesellschaft und gesellschaftliche Entwicklungen von den Rändern aus zu beobachten und zu analysieren. Beides zu vereinbaren, einen »ZuZDFKVDQ5HÀH[LYLWlWXQGGLH/XVWDPGLVVRQDQWHQ:LGHUVWUHLWLQNRPPHQVXUDEOHU Perspektiven« (Hark 2005: 396), das bleibt die wichtigste Herausforderung für feministische Öffentlichkeitstheorie und -forschung.
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III. Politisches, Öffentliches und Persönliches im Internet
Mit welchen Öffentlichkeiten kommunizieren Politikerinnen?
Mit welchen Öffentlichkeiten kommunizieren Politikerinnen? Eine vergleichende Netzwerkanalyse von Social-Media-Auftritten VERONIKA FAGERER
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POLITISCHE ÖFFENTLICHKEITEN IM INTERNET – EINE EINLEITUNG
»Daß die Etablierung des Internets irgendwann zu einer Veränderung der Politik führen wird, scheint mir [. . .] unzweifelhaft«, schlussfolgerte Scherer (1998: 185) schon 1998 und führte an, dass »[a]ufgrund der symbiotischen Beziehung zwiVFKHQ3ROLWLNXQG0HGLHQ>@GLH3ROLWLNQLFKWXQEHHLQÀXWEOHLEHQ>NDQQ9)@ von den dramatischen Veränderungen des Mediensystems.« Das Internet stellt das Verständnis davon, wie politische Akteurinnen und Akteure mit ihren Teilöffentlichkeiten in Beziehung treten, vor neue Herausforderungen. Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen des Drei-Ebenen-Modells nach Klaus und des Modells der politischen Kommunikationsräume im Internet nach Drüeke wird auf den folgenden Seiten eine Netzwerkanalyse von Facebook3UR¿OHQ|VWHUUHLFKLVFKHU3ROLWLNHULQQHQYRUJHVWHOOWGLHGLHEHVWHKHQGHQ%H]LHKXQ gen zwischen den politischen Akteurinnen und ihren Teilöffentlichkeiten in den Blick nimmt.1 Für die Analyse wird die Social-Media-Plattform Facebook herangezogen. Dies gründet sich auf der Idee, dass durch die Möglichkeit zweiseitiger KommuQLNDWLRQVÀVVHDXI2QOLQHSODWWIRUPHQGLH7UDQVSDUHQ]XQG3DUWL]LSDWLRQVP|JOLFK 1
Die vorgestellte Analyse ist Teil meiner Masterarbeit »Politikerinnen zwischen Selbstdarstellung und medialer Fremddarstellung. Eine vergleichende Inhaltsanalyse der Social-Media-Auftritte österreichischer Politikerinnen und der Online-Medienberichterstattung über diese in ausgewählten Medien.« Neben der Netzwerkanalyse umfasst diese zusätzlich eine vergleichende Inhaltsanalyse der Darstellungsformen von Politikerinnen, die vor dem Hintergrund der Marginalisierung von Frauen in der Politik aus einem gendertheoretischen Blickwinkel betrachtet werden.
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keiten innerhalb des öffentlichen Diskurses erhöht werden können (vgl. Marschall 1999: 116 u. 121). Politische Akteurinnen und Akteure präsentieren sich immer KlX¿JHULP1HW]YJO0DUVFKDOOI XQGVWUHEHQQDFK|IIHQWOLFKHU8QWHU stützung für ihre Anliegen und ihre Person. Um dies zu erreichen, müssen sie sich an die Besonderheiten der Internetkommunikation anpassen. Die Politik stellt bis heute ein Arbeitsfeld dar, das für Frauen mit Hemmschwellen verbunden ist (z. B. Parlamentsdirektion Republik Österreich 2014: o. S.; Hofer/Wolfgruber 2000: 255 u. 267). Es zeigt sich, dass Politikerinnen weiterhin unterrepräsentiert sind (vgl. Pantti 2007: 37; Baldaszti et al. 2010: 353 u. 365), weshalb die folgende Analyse auf sie fokussiert. Analysen zu politischer Kommunikation stützen sich für den deutschsprachigen Raum zumeist auf Deutschland (vgl. Röser/Müller 2012; Lünenborg et al. 2009). Demgegenüber steht hier Österreich im Mittelpunkt. Wie sich die politische Kommunikation auf der Plattform Facebook online entwickelt, ist das zentrale Thema dieses Beitrags. Es wird untersucht, wie Politikerinnen und Bürgerinnen und Bürger auf dieser Social-Media-Plattform miteinander kommunizieren und welche Verknüpfungen sich innerhalb des so entstehenden Netzwerks im Hinblick auf das Agieren auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen ergeben.
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ONLINEPLATTFORMEN UND DAS DREI-EBENEN MODELL VON ÖFFENTLICHKEIT
Um Social-Media-Auftritte von Politikerinnen und Politikern angemessen zu analysieren, ist es nötig, sowohl die politisch Handelnden als auch die Bürger und Bürgerinnen zu berücksichtigen. Mittels Aushandlungsprozessen innerhalb der Bevölkerung werden einige wenige breit anerkannte Standpunkte zu gesellschaftlich relevanten Themen generiert – die öffentliche Meinung (vgl. Gerhards 1998: 694). Parteien und deren Akteurinnen und Akteure sind bestrebt, diese öffentliche 0HLQXQJ ]X EHHLQÀXVVHQ VLQG MHGRFK ]XJOHLFK VHOEVW YRQ GLHVHU DEKlQJLJ YJO Friedrichsen 1996: 47; Donges/Jarren 1999: 89 f.). Der Versuch die öffentliche 0HLQXQJPLWWHOVNRQNXUULHUHQGHU,GHHQ]XEHHLQÀXVVHQIKUWGD]XGDVVNHLQH3DU tei »eine ihr völlig genehme öffentliche Meinung« erzielen kann (vgl. Friedrichsen 1996: 47). Die Bevölkerung wirkt durch verschiedene Formen direkter und indirekter Demokratie auf politische Karrieren und das parteipolitische Vorankommen YRQ 3ROLWLNHULQQHQ XQG 3ROLWLNHUQ HLQ XQG EHHLQÀXVVW GLH 'LVNXVVLRQ SROLWLVFKHU Themen, etwa im Falle eines Volksbegehrens (vgl. Friedrichsen 1996: 58). Als Quelle für Informationen, die für die Meinungsbildung essentiell sind, dienen den Bürgerinnen und Bürgern in hohem Ausmaß Massenmedien (vgl. Friedrichsen 1996: 48). Sie werfen Themen auf, die im weiteren Verlauf öffentlich diskutiert werden oder durch die Art der journalistischen Aufbereitung sogar Meinungstrends
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generieren (vgl. Wimmer 2007: 46). Sie nehmen so eine Vermittlerrolle ein und bilden eine Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der Politik (vgl. Wimmer 'LH(LQÀVVHGHU%UJHULQQHQXQG%UJHUGHUSROLWLVFKHQ$NWHXULQQHQ und Akteure und der Medien in einer demokratischen Gesellschaft machen deutlich, wie komplexe Kommunikationsprozesse den politischen Alltag prägen. Obwohl die gesellschaftliche Aushandlung von Themen eine öffentliche Sphäre erfordert, bildet sich die öffentliche Meinung auch im Privaten aus: In der westlichen Tradition des Nachdenkens über Politik hat die Art, wie diese Grenze zwischen den öffentlichen und den privaten Bereichen gezogen wurde, bis zum heutigen Tag dazu gedient, die Frauen und ›typisch weibliche‹ Handlungsbereiche wie Hausarbeit, reproGXNWLYH7lWLJNHLWHQ3ÀHJHXQG6RUJHXPGHQ1DFKZXFKVGLH.UDQNHQXQG%HWDJWHQDXIGLH ›private‹ Domäne zu beschränken und sie von der ›öffentlichen Tagesordnung‹ des liberalen Staates fernzuhalten. (Benhabib 1995: 121 f.)
(LQÀVVHGHV3ULYDWHQDXISROLWLVFKH(QWVFKHLGXQJHQZHUGHQVRPLWYHUVFKOHLHUWXQG GHU(LQÀXVVGHU3ROLWLNDXIGHQSULYDWHQ5DXPQLFKWDXVUHLFKHQGDQHUNDQQWYJO Herrmann 2001: 51). Öffentlichkeitstheorien waren somit lange »genderblind, das heißt, diese Theorien haben das Problem der Geschlechterdifferenz, die Unterschiedlichkeit ›männlicher‹ und ›weiblicher‹ Erfahrungen in allen Bereichen des Lebens, ignoriert und außerdem den Eindruck vermittelt, es gäbe in der sogenannten ›Intimsphäre‹ keine Machtverhältnisse.« (Benhabib 1995: 124, H. i. O.) In diesem Sinne weist Klaus (2001: 19 f.) darauf hin, dass Öffentlichkeit nicht auf die komplexe Öffentlichkeitsebene – in der die öffentliche Meinung gebildet ZLUG±EHVFKUlQNWZHUGHQNDQQGDDXFKDOOWlJOLFKHSULYDWH'LVNXVVLRQHQ(LQÀXVV auf die Gesellschaft und das öffentliche Geschehen haben können. »Öffentlichkeit besteht aus einer Vielzahl von Teilöffentlichkeiten, umfaßt all jene Kommunikationsforen, die am Entwurf gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktionen beteiOLJWVLQG©.ODXV 'LHHLQ]HOQHQ7HLO|IIHQWOLFKNHLWHQ¿QGHQVLFKDXI grund von Gemeinsamkeiten (z. B. sozialem Hintergrund, Interessen) zusammen und bringen jeweils eigene »Diskussionsweisen und Kommunikationsformen« in die gesellschaftliche Aushandlung ein (vgl. Klaus 2001: 20 f.). Öffentlichkeit wird als fortlaufender »Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft« (Klaus 2001: 20; Klaus 1998a: 136) begriffen. In ihm werden »gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt«, »Regeln und Normen des gesellschaftlichen ZusammenOHEHQV EHVWlWLJW RGHU PRGL¿]LHUW© XQG ªNXOWXUHOOH =LHOH EHUSUIW XQG NXOWXUHOOH Identitätsvorlagen geliefert« (vgl. Klaus in diesem Band). Aufgrund der vorhergehenden Überlegungen zum politischen Prozess ist das Drei-Ebenenmodell von Öffentlichkeit eine passende Analysegrundlage für meine Untersuchung. Für die hier im Mittelpunkt stehende Fragestellung, bedarf es alOHUGLQJVHLQLJHU$GDSWLRQHQGHV0RGHOOVXPGLHVSH]L¿VFKHQ&KDUDNWHULVWLNDYRQ
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Onlineplattformen fassen zu können. Deshalb wird es durch das Modell der politischen Kommunikationsräume im Internet nach Drüeke (2013) ergänzt, das auf den Überlegungen des 3-Ebenen-Modells aufbaut (vgl. Drüeke in diesem Band). Da die folgende Analyse die Facebook-Seiten von Politikerinnen zum Ausgangspunkt nimmt, die Drüeke nicht analysiert, wird die detaillierte Umlegung und Anpassung beider Modelle auf diese Plattform notwendig. Jene Kommunikation politischer Akteurinnen und Akteure, die als professionelle PR-Kommunikation verstanden werden kann, wird, abweichend vom Drei-Ebenen-Modell (vgl. Klaus 2001: 23) nicht auf der Ebene komplexer Öffentlichkeiten DQJHVLHGHOWVRQGHUQDXIGLHPLWWOHUH(EHQHYHUVFKREHQ.ODXV GH¿QLHUW Kommunikation auf der komplexen Eben als technisch vermittelt, ohne Möglichkeit des Rollenwechsels und an ein schwer fassbares Publikum gerichtet, mit der Aufgabe der Themenselektion und -verarbeitung. Ihre Überlegungen beziehen sich auf GLHNODVVLVFKHQ0DVVHQPHGLHQ$XIJUXQGGHU6SH]L¿NDYRQ2QOLQHSODWWIRUPHQYRU allem auf Facebook, die allen Anwenderinnen und Anwendern gleiche oder zumindest ähnliche Rechte und Möglichkeiten einräumen, werden die Grenzen zwischen den Öffentlichkeitsebenen durchlässiger. So ist es etwa möglich, durch zweiseitige Kommunikationsbeiträge (Kommentare, Likes, etc.) und Trackingdienste auf Onlineplattformen mehr Informationen über die Leserinnen und Leser und die Vernetzung der geteilten Inhalte zu erhalten als dies für klassische PR-Instrumente wie Pressemitteilungen gilt. Die technische Vermittlung ist im Internet kein Alleinstellungsmerkmal von komplexen Öffentlichkeiten, sondern gewinnt auch im Bereich des Privaten an Bedeutung. Die Themenselektion und -aufbereitung von Internet-PR stützt sich auf Posts und Kommentare, deren Inhalte sich nicht wesentlich von denen der Alltagskommunikation unterscheiden. Deshalb erscheint die Verortung von PR-Kommunikation auf einer komplexen Öffentlichkeitsebene problematisch. Wie bei Drüeke (2013: 127) werden die Onlineplattformen, die von traditionellen Medienhäusern betrieben werden, deshalb als eigene Variable, als Medienraum gewertet. Eine weitere Anpassung erfolgt im Hinblick auf die bei Drüeke als politischer Raum I gefassten Kommunikationsformen. Diese werden von Drüeke (2013: 126) als Kommunikation institutioneller und staatlicher Politikakteurinnen und -akteuren LQQHUKDOESROLWLVFKHU,QWHUQHWIRUHQGH¿QLHUWXQGDXIGHUNRPSOH[HQ(EHQHYRQgIIHQW lichkeit verortet. Demgegenüber verorte ich für die Analyse der Facebook-Plattform den politischen Raum I und II gemeinsam auf der mittleren Ebene. Dies hat den Grund, dass Facebook auf vielfältige Weise genutzt werden kann und nicht per se für die Diskussion politischer Sachverhalte konzipiert ist. Politische Foren, die speziell für den Politikdiskurs bzw. für die Vermittlung politischer Inhalte erstellt wurden (z.B eGovernment Plattformen, Politblogs von Abgeordneten), weisen den Akteurinnen XQG$NWHXUHDEKlQJLJYRQLKUHU6WHOOXQJLPSROLWLVFKHQ)HOGVSH]L¿VFKH+DQGOXQJV spielräume zu. Sie sind durch eine Hierarchie zwischen denen, die Inhalte aufbereiten und veröffentlichen, und denen, die diese lediglich rezipieren, gekennzeichnet. Da
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die Verwendungsweisen von Facebook weitgreifender sind als jene eines politischen Internetforums und durch weniger hierarchische Beziehungen zwischen Politikakteurinnen, -akteuren und der Bevölkerung gekennzeichnet sind, verliert dieser Raum GLH&KDUDNWHULVWLNDGLHLKQDOVNRPSOH[HgIIHQWOLFKNHLWGH¿QLHUHQZUGHQ Die unterschiedlichen Personen, die sich auf Facebook an politischer Kommunikation beteiligen, von den Politikerinnen selbst bis hin zu partizipierenden Bürgerinnen und Bürgern, können so erfasst werden. Die Kommunikation auf der Social-Media-Plattform ermöglicht, unterschiedliche Öffentlichkeiten darzustellen und sie im Hinblick auf ihre Verbundenheit im Netzwerk zu analysieren, was die Austauschprozesse zwischen den unterschiedlichen Öffentlichkeitsebenen, die Klaus (2001: 23) beschreibt, darstellbar macht.
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EINE ANALYSE DER VIRTUELLEN INTERAKTION VON POLITIKERINNEN AUF FACEBOOK
Im Mittelpunkt der im Folgenden vorgestellten Untersuchung stehen die Facebook-Auftritte ausgewählter österreichischer Politikerinnen, die im Hinblick auf ihre öffentliche Zugänglichkeit und ihre Interaktion mit der Bevölkerung analysiert werden. Für die Netzwerkanalyse kamen lediglich Politikerinnen in Frage, die einen Auftritt auf der Social-Media-Plattform Facebook aufwiesen, wodurch einige Amtsinhaberinnen von vornherein ausgeklammert werden konnten. Darüber hinaus wurden die Politikerinnen bewusst ausgewählt, worunter die »[. . .] planvoll, aufgrund vorheriger Überlegungen gezielt vorgenommene« Wahl (Kromrey 2006: 281) verstanden wird. Dies sollte sicherstellen, dass zumindest jeweils eine Vertreterin der vier mandatsstärksten Parteien einbezogen und zugleich die Analyse nicht auf eine einzige politische Ebene (z. B. Bundesregierung) beschränkt werden würde. Für die Auswahl wurden so folgende Kriterien aufgestellt:
$XIJUXQGGHV'H¿]LWVDQ)RUVFKXQJHQ]XUSROLWLVFKHQ.RPPXQLNDWLRQVWHOOW die Republik Österreich das Analyseland dar. Die gewählten Politikerinnen sollen die vier mandatstärksten politischen Parteien ÖVP, SPÖ, Grüne und FPÖ repräsentieren. Die ausgewählten Politikerinnen sollen die Bundesregierung, den Nationalrat und eine Landesregierung repräsentieren. Für die Landesregierung wurde exemplarisch das Bundesland Salzburg gewählt, da es zum Analysezeitpunkt 2013 das einzige mit einer Landeshauptfrau war.
Durch die Einbeziehung unterschiedlicher politischer Ebenen, die verschiedenen Agenden und Abläufen unterliegen, wurde anstelle einer zeitlichen Eingren-
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zung auf eine thematische Fokussierung zurückgegriffen. Dies diente der Identi¿]LHUXQJE]Z9HUPHLGXQJYRQDXHUJHZ|KQOLFKHQ$XVJDQJVODJHQ]%:DKOHQ etc.), die die politische Kommunikation deutlich verändern (vgl. Schütz 1994: 194) und so den Vergleich der Facebook3UR¿OHYHU]HUUHQN|QQWH,FKLGHQWL¿]LHU te drei Themen, die zum Untersuchungszeitpunkt aktuell und überregional releYDQW ZDUHQ XQG GLH$UEHLW DOOHU 3ROLWLNHULQQHQ WDQJLHUWHQ GLH :HKUSÀLFKW XQG Berufsheervolksbefragung am 20.01.2013, der Internationale (Welt-)Frauentag am 08.03.2013 und der Untersuchungsausschuss zum Finanzskandal in der Salzburger Landesregierung von 20.02. bis zum 24.04.2013. Aufbauend auf dieser thematischen Eingrenzung wurden alle Social-Media-Veröffentlichungen für vier Monate, vom 01.01.2013 bis einschließlich 30.04.2013, gesammelt. Grundlage der vollständigen Analyse waren aufgrund dieser Kriterien die Politikerinnen Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ, Frauenministerin), Eva Glawischnig (Grüne, Parteiobfrau und Nationalratsabgeordnete), Claudia Durchschlag (ÖVP, Nationalratsabgeordnete), Carmen Gartelgruber (FPÖ, Nationalratsabgeordnete) und Gabi Burgstaller (SPÖ, damalige Landeshauptfrau). Da sich zeigte, GDVV ]ZHL GHU XQWHUVXFKWHQ 3UR¿OH QLFKW YROOVWlQGLJ |IIHQWOLFK HLQVHKEDU ZDUHQ wurden sie im Folgenden ausgeklammert. Für diesen Beitrag stelle ich daher die Ergebnisse für die Politikerinnen Heinisch-Hosek, Glawischnig und Burgstaller vor. 'LH DXVJHZlKOWHQ 6RFLDO0HGLD$XIWULWWH ZHUGHQ PLWWHOV HLQHU GUHLVWX¿JHQ Analyse bestehend aus einer qualitativen und einer quantitativen Inhaltsanalyse sowie einer Netzwerkanalyse untersucht. Dabei gilt die Online-Inhaltsanalyse zwar QLFKW DOV HLJHQVWlQGLJH 0HWKRGH PRGL¿]LHUW DEHU DXIJUXQG GHV 8QWHUVXFKXQJV gegenstandes die traditionelle inhaltsanalytische Herangehensweise (vgl. Welker et al. 2010: 10). Das Ziel der qualitativen Inhaltsanalyse ist es, Rückschlüsse auf Kommunikationsaspekte (Sender, Empfänger, etc.) zu ziehen, Zusammenhänge deutlich zu machen (vgl. Mayring 2010: 12 f.; Lamnek 2010: 438) und so die Struktur der Beziehungen zwischen den Politikerinnen und den Bürgerinnen bzw. Bürgern auf Facebook sichtbar zu machen. Für die Analyse der Facebook-Posts wurde dafür in einem ersten Schritt mittels offenen Kodierens eine Typologie erstellt, die die Intention und die Art der veröffentlichten Inhalte fasst. Es zeigte sich, dass die Art, wie einzelne Posts genutzt werden, sechs Kategorien umfasst:
Initiativposts zu politischen Themen bzw. politische Stellungnahmen: Direkte Stellungnahmen von Politikerinnen zu politischen Sachverhalten oder politischen Aussagen. Verweise auf Medienberichterstattung: Medienberichte werden a) zur Untermauerung des eigenen Standpunktes herangezogen, b) genützt, um ein Problem zu thematisieren oder c) ein solches kritisch zu hinterfragen.
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Selbstöffnung und Personalisierung: Mittels Posts wird Einblick in den beruflichen Alltag und/oder das Privatleben einer Politikerin gegeben. Veranstaltungshinweise: Ankündigungen zur Aufmerksamkeitsgenerierung für Veranstaltungen. (Kann durch nachträgliche Hinweise über den Erfolg/Ablauf der Veranstaltung ergänzt werden.) Ansprache der Bürgerinnen und Bürger: Durch direktes oder indirektes Ansprechen von Bürgerinnen und Bürgern oder dem Aufruf zur Teilnahme an Aktionen wird eine Verbindung zur Bevölkerung hergestellt. Innerparteiliche Vernetzung: Durch Posts werden innerparteiliche Vernetzungen in Bezug auf a) die Partei selbst, b) Politikerinnen und Politiker der Partei RGHU F RI¿]LHOOH$XVVHQGXQJHQ XQG VRQVWLJH ,QIRPDWHULDOLHQ GHU 3DUWHL JH schaffen.
Die quantitative Inhaltsanalyse liefert in einem zweiten Schritt, im Sinne der 4XDQWL¿]LHUXQJ GHU XQWHUVXFKWHQ 7H[WH YJO )UK HUJlQ]HQGH 'DWHQ über die Anzahl und Länge der Inhalte auf den Facebook-Seiten und die Zahl der Beziehungen zu Bürgerinnen bzw. Bürgern und deren Beiträgen. Um darüber hinaus auch die Kommunikation auf und zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsebenen zu fassen, wird in einem dritten Schritt ergänzend eine Netzwerkanalyse durchgeführt. Das Ziel dieser Netzwerkanalyse ist es, die Beziehungen in Online-Sozialstrukturen zu untersuchen (vgl. Garton/Haythornthwaite/Wellman 1999: 93 f.). Durch die Netzwerkanalyse werden die Vernetzungen der einzelnen Akteurinnen und Akteure sichtbar und die gemeinsame Analyse der unterschiedlichen Daten wird ermöglicht. In Bezug auf die zugrundeliegenden Fragestellungen wird eine Ego-zentrierte Netzwerkperspektive gewählt. Dabei steht eine bestimmte Person, in diesem Fall die jeweilige Politikerin, im Mittelpunkt (»focal individual«), deren Handlungen und Beziehungen zu anderen sozialen Akteurinnen und Akteuren untersucht wird: »These ego-centered (or ›personal‹) networks provide Ptolemaic views of their networks from the perspective of the SHUVRQHJRV DWWKHFHQWHUVRIWKHLUQHWZRUN0HPEHUVRIWKHQHWZRUNDUHGH¿QHG E\WKHLUVSHFL¿FUHODWLRQVZLWKHJR©*DUWRQ+D\WKRUQWKZDLWH:HOOPDQ Durch diese Herangehensweise können die Netzwerke der Politikerinnen aufgrund der Art und Anzahl der Beziehungen und den entstehenden Vernetzungen zwischen den Seitenbesucherinnen und -besuchern aufgezeigt werden (vgl. Garton/Haythornthwaite/Wellman 1999: 81 f.). Garton, Haythornthwaite und Wellman (1999: 78–81) sehen Beziehungen und Bindungen als die zentralen Variablen für eine solche Analyse2: Beziehungen (»Relations/Strands«) unterscheiden sich DXIJUXQGLKUHU6WlUNH+lX¿JNHLWGHU.RPPXQLNDWLRQ.DSLWDODXVWDXVFKZLFKWL 2
Darüber hinaus gelten auch noch Multiplexität und Composition als Analysemerkmale. Da sich die vorliegende Untersuchung lediglich auf einen Ausschnitt einer Netzwerk-
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ger vs. unwichtiger Austausch) und Richtung (gerichtet, ungerichtet) sowie ihrem ,QKDOW DGPLQLVWUDWLYH SHUV|QOLFKH DUEHLWVVSH]L¿VFKH XQG VR]LDOH ,QIRUPDWLRQ (vgl. Garton/Haythornthwaite/Wellman 1999: 78 f.). Bindungen (»Ties«) bezeichnen hingegen die Art der Verbindung(en) von Akteurinnen und Akteuren: »A tie connects a pair of actors by one or more relations. Pairs may maintain a tie based on one relation only (e. g., as members of the same organization), or they may maintain a multiplex tie, based on many relations, such as sharing information, JLYLQJ ¿QDQFLDO VXSSRUW DQG DWWHQGLQJ FRQIHUHQFHV WRJHWKHU© (Ebd.: 79) Diese %LQGXQJHQ N|QQHQ MH QDFK+lX¿JNHLW ,QWLPLWlWXQG9HUWUDXWKHLW ZLHGHUXPDOV stark oder schwach eingestuft werden (vgl. ebd.: 79). So wird deutlich, welche (LQÀXVVIDNWRUHQGLH.RPPXQLNDWLRQEHVWLPPHQHEG
4
FACEBOOK ALS VERNETZUNGSINSTRUMENT FÜR POLITISCHE DISKUSSIONEN
Die Präsenz auf Onlineplattformen gewinnt für Politikerinnen und Politiker zwar zunehmend an Bedeutung (vgl. Marschall 1999: 119 f.), schon im ersten Analyseschritt zeigt sich jedoch, dass diese Art der Selbstinszenierung nicht von allen genutzt wird. Ob ein Facebook3UR¿OHLQJHULFKWHWZLUGLVWGDEHLQLFKWYRPSROL tischen Amt abhängig, denn sowohl in der Bundesregierung als auch in der Landesregierung bis hin zu den Gemeindeebenen gibt es politische Repräsentantinnen und Repräsentanten, die sich auf Facebook präsentieren, oder darauf verzichten. Die grundlegenden Verwendungsweisen der Facebook3UR¿OHZHUGHQLP)RO genden dargestellt. Weiter wird ein Überblick über die Vernetzungsleistungen der Onlineauftritte gegeben, bevor im nächsten Kapitel Einzelportraits der jeweiligen Politikerin im Mittelpunkt stehen. Hauptsächlich werden die Facebook3UR¿OH GHU GUHL DXVJHZlKOWHQ 3ROLWLNH rinnen dazu genutzt, um sich persönlich vorzustellen und als Mensch greifbar zu werden (vgl. Tab. 1). Mittels Bildern und kurzen Nachrichten werden dabei Einblicke in den (Arbeits-)Alltag gewährt, oder die Persönlichkeit, die hinter dem politischen Amt steht, beschrieben (vgl. Heinisch-Hosek Post 463; Glawischnig 3RVW%XUJVWDOOHU3RVW 3ROLWLVFKH7KHPHQ¿QGHQHLQHJHULQJHUH%HDFKWXQJ
3
struktur bezieht, erscheinen diese zusätzlichen Merkmale für die Fragestellung wenig UHOHYDQWXQG¿QGHQNHLQH$QZHQGXQJ Um eine unübersichtliche Notation zu vermeiden, wurden die Posts im Untersuchungszeitraum zwischen 01.01.2013 und 30.04.2013 beginnend mit dem ältesten Eintrag nummeriert. Da die Plattform Facebook das Veröffentlichen beliebig vieler Inhalte pro Tag ermöglicht (Datierung sehr komplex) und die Urheberin bzw. der Urheber nicht immer zweifelsfrei erhoben werden kann, erschien dies als die bestmögliche Lösung.
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Politische Stellungnahmen (im Folgenden auch Initiativposts genannt) bilden die ]ZHLWKlX¿JVWH3RVWIRUP'DEHLZHUGHQSROLWLVFKH=LHOHYHUPLWWHOWRGHUSROLWLVFKH Sachverhalte aus dem eigenen Blickwinkel dargelegt (vgl. Heinisch-Hosek Post 5; *ODZLVFKQLJ3RVW%XUJVWDOOHU3RVW $OVGULWWKlX¿JVWH)RUPZHUGHQPLWWHOV innerparteilicher Vernetzung Kolleginnen und Kollegen unterstützt, auf die Seiten der Partei verwiesen sowie parteipolitische Anliegen hervorgehoben und geteilt (vgl. Glawischnig Post 74; Burgstaller Post 12).
Medienbezüge
Innerparteiliche Vernetzungng
Personalisierungng
Veranstaltungshinweisese
Einbezug von BürgerInnen
Fehlendnd
Totalal
HeinischHosek
Initiativpoststs
Tabelle 1: Funktionen von Posts
29
4
4
35
8
19
7
106
27,4%
3,8%
3,8%
33,0%
7,5%
17,9%
6,6%
100,0%
33
28
31
27
11
14
11
155
21,3%
18,1%
20,0%
17,4%
7,1%
9,0%
7,1%
100,0%
16
12
34
71
29
27
22
211
7,6%
5,7%
16,1%
33,7%
13,7%
12,8%
10,4%
100,0%
78
44
69
133
48
60
40
472
16,5%
9,3%
14,6%
28,2%
10,2%
12,7%
8,5%
100,0%
Glawischnig
Burgstaller Total
In den untersuchten Facebook3UR¿OHQOLHJWDOVRHLQ6FKZHUSXQNWDXI3HUVRQDOL sierung und Selbstdarstellung sowie auf dem Bemühen, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten, indem diese am Leben der Politikerin teilhaben kann. In Stellungnahmen zu politischen Fragen wird zudem die eigene Position offengelegt und für Unterstützung dafür geworben. Das Ermöglichen von Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern führt aber auch zu kritischen Kommentaren, die sich sowohl gegen politische Entscheidungen der Politikerin, als auch gegen ihre Person richten (vgl. Kommentar 4 zum Burgstaller Post 6; Kommentare 2 bis 4 zu Heinisch-Hosek Post 39). Bei allen vier Politikerinnen bleibt solche Kritik meist unkommentiert und wird nur selten direkt aufgegriffen (vgl. Kommentar 6 zum Burgstaller Post 6). Für die Netzwerkanalyse bilden neben den Merkmalen der Posts, die auf die VerZHQGXQJVZHLVHGHU3UR¿OHKLQGHXWHQDXFK'DWHQHLQHQZLFKWLJHQ%H]XJVSXQNWGLH 5FNVFKOVVHDXIGLH9HUQHW]XQJGHU3UR¿OH]XODVVHQ$OV,QGLNDWRUHQKLHUIUZXUGH die Zahl von ›Gefällt mir‹-Angaben, virtuellen ›Freundschaften‹ und Kommentaren (Likes, Kommentare, Teilungen) berechnet (vgl. Tab. 2 und Tab. 3). Alle drei hier
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GDUJHVWHOOWHQ3UR¿OHVLQG|IIHQWOLFK]XJlQJOLFK(LQHGLUHNWHUH.RPPXQLNDWLRQVEH ziehung entsteht, wenn die Seite der Politikerin durch eine ›Gefällt mir‹-Beziehung PLWGHPSHUV|QOLFKHQ3UR¿OHLQHU%UJHULQE]ZHLQHV%UJHUVYHUNQSIWZLUG,Q halte, die die Politikerin veröffentlicht hat, scheinen dann auch auf den Startseiten der Social-Media-Nutzerinnen und Nutzern auf. Die Zahl der Personen, die sich den Seiten zuwenden, scheint in direktem Zusammenhang mit der Höhe der Aktivitäten der Politikerin zu stehen. Mehr Posts gehen mit einer größeren Anzahl an Bürgerinnen und Bürger einher, die sich den Seiten zuwenden. Ausprägungen der untersuchten Facebook-Profile 7DEHOOH$XVSUlJXQJHQ)DFHERRN3UR¿OH'DWHQ6WDQG DUMMY4 Post Anzahl
›Gefällt mir‹-Angaben/ FreundInnen
Heinisch-Hosek
106
3.291
Glawischnig
155
6.558
Burgstaller
211
10.281
Politikerin4
'HU9HUVXFKGHU9HUPHLGXQJYRQ:DKONDPS¿QKDOWHQGLHGLHSROLWLVFKH.RPPX nikation deutlich verändern (vgl. Schütz 1994: 194), war nicht auf allen Ebenen erfolgreich. Der Finanzskandal in Salzburg führte zu vorgezogenen Neuwahlen. Bei der vergleichsweise hohen Zahl an veröffentlichten Posts von Burgstaller muss daher die zeitliche Nähe zu den Landtagswahlen und deren Thematisierung durch die Politikerin berücksichtigt werden. Für einen erfolgreichen Wahlkampf ist die »positive Darstellung eigener Eigenschaften und Fähigkeiten unumgänglich« (Schütz 1994: 194), was die höhere Aktivität der Politikerin erklären könnte. Bürgerinnen und Bürgerbeteiligung Tabelle 3: Likes, Kommentare und Teilungen5
4 5
Politikerin
Likes
durchschnittliche Kommentare pro Post
Teilungen
Heinisch-Hosek
51,18
10,42
4,52
Glawischnig
100,19
16,5
15,92
Burgstaller
133,90
13,45
10,84
Die Reihung der Politikerinnen in dieser Tabelle und im Folgenden richtet sich nach der Bedeutung ihres politischen Amts. Als Berechnungsgrundlage wurde das arithmetische Mittel herangezogen.
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Auch die Art der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mittels Kommentaren, Likes und Teilungen (vgl. Tab. 3) steht in Relation zu den Posts, die die betreffende Politikerin auf ihrer Seite veröffentlicht. Mittels Kommentaren steuern Bürgerinnen und Bürger eigene Ideen, Sichtweisen und kritische Anmerkungen bei, durch Likes kann die Zustimmung oder Unterstützung von Inhalten ausgedrückt werden und Teilungen ermöglichen die weitere Verbreitung von Links bzw. Inhalten auf GHPHLJHQHQ3UR¿O'LH0|JOLFKNHLWHQ]XU.RPPHQWLHUXQJVLQG]XGHPDXI|IIHQW OLFKHQEHUXÀLFKJHQXW]WHQ3UR¿OHQEHVRQGHUVKRFKGDGDIUNHLQH9HUQHW]XQJPLW der betreffenden Seite notwendig ist. Zusammengefasst hat die Kommunikation auf Social-Media-Plattformen auf unterschiedlichen politischen Ebenen Fuß gefasst und wird vorwiegend für die Selbstdarstellung und das In-Kontakt-Treten mit der Bevölkerung genutzt. Die eigentliche Diskussion politischer Themen durch die Politikerinnen erscheint eine eher nachrangige Bedeutung einzunehmen.
5
DIE NETZWERKSTRUKTUREN VON POLITIKERINNEN AUF FACEBOOK
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Netzwerkanalyse von Frauenministerin +HLQLVFK+RVHN *UQHQ3DUWHLFKH¿Q *ODZLVFKQLJ XQG /DQGHVKDXSWIUDX %XUJ staller präsentiert. Es zeigt sich, dass die einzelnen Politikerinnen mit unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten und in verschiedener Weise bzw. Intensität kommunizieren. 5.1 Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) Auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht Heinisch-Hosek im Untersuchungszeitraum 106 Posts, die bis zu 3.291 Personen direkt erreichen (vgl. Tab. 2) und zudem uneingeschränkt einsehbar sind. Sie tritt zumeist selbst als Autorin auf und gibt den Bürgerinnen und Bürgern so einen Einblick in ihre politische Arbeit. Verein]HOW¿QGHQVLFK(LQWUlJHGLHDXIGLH$XWRUHQVFKDIW'ULWWHUVFKOLHHQODVVHQYJO Heinisch-Hosek Post 51; Heinisch-Hosek Post 53; Heinisch-Hosek Post 84). Diese stellen allerdings lediglich einen kleinen Teil der gesamten Posts dar, wodurch ein persönlicher Eindruck der Seite aufrechterhalten wird. Thematisch nimmt sich die Frauenministerin vorwiegend genderpolitischer Themen an. Der Fokus der Initiativposts liegt mit 52% deutlich auf Fragen der Gleichstellung und der Lebenswelt von Frauen. Mit 16% aller Posts folgen Stellungnahmen zur :HKUSÀLFKWGHEDWWH, die die Politikerin aus einem genderpolitischen Blickwinkel kommentiert. So widmet sich Heinisch-Hosek vorwiegend den Karrierechancen für Frauen innerhalb des Berufsheeres (vgl. Heinisch-Hosek Post
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10). Zum Salzburger Finanzskandal äußert sie sich nicht. Um Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen, stellt sie ihnen Fragen zu ihren politischen Vorhaben und versucht, Diskussionen anzuregen (vgl. Heinisch-Hosek Post 2; Heinisch-Hosek 3RVW 'LHVH+DQGOXQJHQVLQGGHU%H]LHKXQJVSÀHJH]X]XRUGQHQ Der Social-Media-Auftritt der Frauenministerin bewegt sich nicht eindeutig auf der komplexen Ebene, sondern bildet vielmehr eine Mischform, die auf der einfachen und mittleren Öffentlichkeitsebene operiert. Ein direktes In-KontaktTreten mit der Bevölkerung gibt es in eingeschränkter Form, denn auf eine anfängliche Adressierung von Seitenbesucherinnen und -besuchern folgt zumeist keine weitere Kommunikation. Heinisch-Hosek antwortet in dem untersuchten Zeitraum lediglich zwei Mal auf Kommentare zu ihren Posts (vgl. HeinischHosek Post 39; Heinisch-Hosek Post 105). Vereinzelt wird das durch ihre Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter ausgeglichen, die im Namen der Politikerin einen Beitrag leisten (vgl. Kommentar 3 zu Heinisch-Hosek Post 5; Kommentar 5 zu Heinisch-Hosek Post 59). In Folge dessen nehmen die Besucherinnen und Besucher der Seite Heinisch-Hoseks Mitarbeiterin als Ansprechpartnerin wahr und wenden sich einmal mit Fragen direkt an diese (vgl. Kommentar 3 & 4 zu Heinisch-Hosek Post 106). Ein Dialog entsteht jedoch zwischen den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch gegenseitige Inputs zu mitunter ausgedehnter Politdebatten anregen. Insgesamt ergibt sich eine Netzwerkstruktur, die zwar einen Diskurs auf mittlerer Öffentlichkeitsebene erlaubt, deren Kern jedoch auf der einfachen Ebene angesiedelt ist. Die stärkste Vernetzung ergibt sich zwischen den Besucherinnen und Besuchern der Seite selbst, die im Sinne einer Alltagsöffentlichkeit, wie VLH'UHNH GH¿QLHUW]XSROLWLVFKHQ6DFKYHUKDOWHQ6WHOOXQJEH]LHKHQ Dennoch wird durch die Politikerin sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einigen Stellen in die Unterhaltung eingegriffen, um die politischen Ansichten Heinisch-Hoseks zu stützen. ,QGHU*UD¿NVLHKH$EE ZLUGGLH3ROLWLNHULQGHVKDOEYRQ%UJHULQQHQXQG Bürgern abgegrenzt und der Kern der Netzwerkstruktur zwischen den Seitenbesucherinnen und -besuchern selbst verortet. Der Input der Politikerin, obwohl als verbindendes Element zwischen den verschiedenen Personen zu sehen, steht dabei in der Quantität hinter den Meinungsäußerungen der Bürgerinnen und Bürger zurück. Zwischen diesen entwickeln sich zumeist lose Bindungen, die sich um ein von Heinisch-Hosek lediglich angestoßenes Thema bilden und später wieder ]HUIDOOHQ ,Q GHU *UD¿N ZLUG GDKHU GHU .QRWHQSXQNW ¾%UJHU,QQHQ½ KHUYRUJHKR ben. Obwohl auf Leserinnen- und Leserkommentare kaum eingegangen wird, bieten diese doch eine potentielle Informationsquelle für Heinisch-Hosek. Eine Rückbindung der Kommentare von Bürgerinnen und Bürgern an Heinisch-Hosek ist daher ebenfalls Teil der Netzwerkstruktur. Aufgrund dieser Beziehungen ergibt sich die folgende schematische Darstellung der Netzwerkstruktur:
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Abbildung 1: Netzwerkstruktur Facebook-Auftritt Heinisch-Hosek
$OOH ,QSXWV ZHUGHQ JUD¿VFK GXUFK JHULFKWHWH 3IHLOH GDUJHVWHOOW GLH GHQ 9HUODXI GHV ,QIRUPDWLRQV E]Z 0HLQXQJVÀXVVHV GLH 6WlUNH GHV$XVWDXVFKHV VRZLH GLH Richtung der Beziehung signalisieren. Die Pfeilstärke fußt auf den Beziehungen, die sich aus der Anzahl des Kommunikationsaustauschs, des politischen Inputs und der Wichtigkeit der Inhalte (z. B. argumentativ untermauert) zusammensetzen, und den Bindungen, die von der Intimität der Kommunikation und der Anzahl an Rollen (z. B. agierend als Politikerin und Freundin) abhängig sind. Obwohl sich die Seite Heinisch-Hoseks wie gezeigt wurde hauptsächlich auf der einfachen und mittleren Öffentlichkeitsebene bewegt, wird durch Verweise der Ministerin auf Medienberichte eine (zusätzliche) Schnittstelle zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Medien geschaffen. Auch zwischen der Politikerin und den Medien ist ein Austausch zu erkennen. Heinisch-Hosek wird in der Berichterstattung nicht nur erwähnt, sondern verweist auch selbst auf Medienberichte, um ihre Positionen zu stützen (vgl. Heinsch-Hosek Post 3) und entnimmt der Presse Anregungen zu eigenen Äußerungen (siehe zweiseitiger kräftiger Pfeil zwischen Politikerin und Medienberichterstattung). Es handelt sich dabei um eine zweiseitige und intensive Beziehung. Auch die Benutzerinnen und Benutzer greifen Medienberichte vereinzelt auf (siehe schwacher Peil von ›BürgerInnen‹ zu Medienberichterstattung). Vorwiegend als Plattform zur Selbstdarstellung genutzt und klar auf genderSROLWLVFKH7KHPHQIRNXVVLHUWVW|WGDV)DFHERRN3UR¿OYRQ+HLQLVFK+RVHNYRU allem Diskussionen innerhalb der Bevölkerung an. Während die Kommunikation DXIDOOHQGUHLgIIHQWOLFKNHLWVHEHQHQVWDWW¿QGHWOLHJWGHU+DXSWDQWHLODXIGHUHLQID chen gefolgt von der mittleren Öffentlichkeitsebene.
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5.2 Grünen-Parteisprecherin und Nationalratsabgeordnete Eva Glawischnig Eva Glawischnig erreicht mit ihren 155 Posts im untersuchten Zeitraum direkt 3HUVRQHQ GLH LKU HLJHQHV 3UR¿O PLW GHP GHU 3ROLWLNHULQ YHUNQSIW KDEHQ 'LH XQHLQJHVFKUlQNWH |IIHQWOLFKH =XJlQJOLFKNHLW GHV 3UR¿OV HUP|JOLFKW GDUEHU hinaus auch weiteren Bürgerinnen und Bürgern, die keine virtuelle Vernetzung mit der Politikerin eingehen, die veröffentlichten Inhalte abzurufen. Daher ist anzunehmen, dass die Posts mehr als 6.558 Personen erreichen. Glawischnigs Facebook-Auftritt vermittelt einen persönlichen Eindruck. Stilistisch sind die Posts so verfasst, dass die Politikerin selbst als Autorin auftritt und zu unterschiedlichen Themen subjektiv Stellung bezieht (vgl. Glawischnig Post 1; Glawischnig Post 28). Obwohl die Politikerin auf alle drei untersuchten Themenschwerpunkte eingeht, liegt der Schwerpunkt ihrer Posts auf dem Wahlkampf der Grünen (vgl. Glawischnig Post 30; Glawischnig Post 73). Genderpolitische Fragen stellen 21% aller Posts dar. Das Facebook3UR¿O ZLUG LQ VWDUNHP $XVPD IU GLH %H]LHKXQJVSÀHJH ]X Bürgerinnen und Bürgern genutzt. Durch direkte Fragestellungen (vgl. Glawischnig Post 35), Aufrufe zur Teilhabe an Umfragen (vgl. Glawischnig Post 43; Glawischnig Post 61) oder zum Aktivwerden in der Partei (vgl. Glawischnig Post 113) wird die Bevölkerung einbezogen. Die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern bleibt dennoch einseitig, da die Beteiligung Glawischnigs nach der initiativen Ansprache der Leserinnen und Leser endet (lediglich 0,4% aller Folgekommentare werden von Glawischnig veröffentlicht). Aufgrund der hohen Anzahl an Initiativkommentaren und der Behandlung von Themen über einen längeren Zeitraum hinweg werden dennoch politische Diskussionen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern angestoßen, aufrecht erhalten und eine Beziehung mit den Seitenbesucherinnen und -besuchern aufgebaut. Die politische Kommunikation auf der Facebook-Seite von Glawischnig bewegt sich auf der einfachen und mittleren Öffentlichkeitsebene: Glawischnigs ausführliche Stellungnahmen zu politischen Themen und deren Aufbereitung über mehrere Tage hinweg sind auf der mittleren Öffentlichkeitsebene angesiedelt. Als verbindendes Element (siehe Abb. 2, schwacher Pfeil von Politikerin zu BürgerInnen) stößt Glawischnig politische Debatten zwischen den Bürgerinnen und %UJHUQQLFKWQXUDQVRQGHUQEHHLQÀXVVWDXFKGHQ.RPPXQLNDWLRQVYHUODXI'LH Mehrzahl der Diskussionen wird allerdings nahezu ausschließlich von den Besucherinnen und Besuchern der Seite (Knotenpunkt ›BürgerInnen‹) geführt. Diese Kommunikation ist auf der einfachen Öffentlichkeitsebene zu verorten. Graphisch ist dies in Abb. 2 aufbereitet dargestellt, wobei wiederum die Pfeile Richtung und Stärke der kommunikativen Beziehungen aufzeigen.
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Abbildung 2: Netzwerkstruktur Facebook-Auftritt Glawischnig
Glawischnig nutzt ihre Facebook-Seite zudem zur innerparteilichen Vernetzung (vgl. Glawischnig Post 40, Glawischnig Post 74, Glawischnig Post 109, Glawischnig Post 147). Es entsteht ein wechselseitiger Austauschprozess zwischen der Politikerin und der Partei der Grünen (siehe zweiseitiger Pfeil zwischen Grünen und Politikerin). Bezüglich der medialen Berichterstattung zeigt sich eine ausgeprägte Vernet]XQJ *ODZLVFKQLJ VHOEVW KlX¿J LQ GHQ 0HGLHQ ]LWLHUW YHUZHLVW RIW DXI GLH %H richterstattung klassischer Massenmedien (vgl. Glawischnig Post 26; Glawischnig Post 49; Glawischnig Post 98), um auf politische Sachverhalte hinzuweisen oder den eigenen Standpunkt zu untermauern (vgl. Glawischnig Post 32). Darüber hinaus verwenden auch die Besucherinnen und Besucher der Facebook-Seite Glawischnigs Medientexte zur Untermauerung ihrer Standpunkte und tragen so zu GHU9HUÀHFKWXQJGHV1HW]ZHUNVEHLYJO.RPPHQWDU]X*ODZLVFKQLJ3RVW Kommentar 24 zu Glawischnig Post 35). Glawischnig erweckt mit der Art ihrer Kommunikation und der Veröffentlichung subjektiver Stellungnahmen einen sehr persönlichen Eindruck und nutzt ihren Facebook$XIWULWWYRUDOOHP]XU%H]LHKXQJVSÀHJHPLWGHU%HY|ONHUXQJXQG der Ansprache politischer Ideen der Grünen. Durch die wiederkehrende ThemaWLVLHUXQJYRQSROLWLVFKHQ)UDJHQXQG3UREOHPHQEWVLHHLQHQVWlUNHUHQ(LQÀXVV auf die politischen Diskussionen zwischen der Bevölkerung aus. Der Großteil der Kommunikation wird dennoch vor allem auf der einfachen Öffentlichkeitsebene geführt.
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5.3 Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) Der Facebook-Auftritt der damaligen Salzburger Landeshauptfrau Burgstaller unterscheidet sich erheblich von den beiden vorhergehenden. Durch den Stil der Facebook-Posts – die verwendeten Personalpronomen (vgl. Burgstaller Post 47; Burgstaller Post 91) und das direkte Zitieren von Burgstallers Aussagen (vgl. Burgstaller Post 1) – wird deutlich, dass Inhalte zumeist von Angestellten der SPÖ und nicht von Burgstaller selbst verfasst werden. Dennoch oder gerade deshalb werden mit einer Zahl von 211 die meisten Posts im Untersuchungszeitraum veröffentlicht und Burgstaller ist mit 10.281 Personen direkt vernetzt. Auf der Seite werden nur in sehr geringem Ausmaß textbasierte Inhalte eingestellt. Veröffentlichte Inhalte bestehen vorwiegend aus Bildern und Verlinkungen. $XVIKUXQJHQ]XSROLWLVFKHQ7KHPHQ¿QGHQVLFKQXUYHUHLQ]HOW:LUGHLQH6WHO lungnahme veröffentlicht, zeichnet sich diese durch eine sachliche Formulierung aus, bei der keine Meinungsbekundung von Burgstaller enthalten ist (vgl. Burgstaller Post 191; Burgstaller Post 14). Zentrales Element der Initiativposts von Gabi Burgstaller stellt im Untersuchungszeitraum der Wahlkampf für den Salzburger Landtag dar (vgl. Burgstaller Post 1; Burgstaller Post 29; Burgstaller Post 101). Darüber hinaus wird vor allem der Finanzskandal des Landes Salzburg behandelt (vgl. Burgstaller Post 2; Burgstaller Post 7; Burgstaller Post 10). Genderpolitische Themen nehmen hingegen einen verschwindend geringen Stellenwert ein. Ein Beispiel für das Vorgehen, Inhalte lediglich durch Bilder bzw. Verlinkungen vorzutragen, ist die Auseinandersetzung mit dem Salzburger Finanzskandal. 6WDWWHLJHQHU'LVNXVVLRQVLQSXWVZHUGHQRI¿]LHOOH6WDWHPHQWVGHU6DO]EXUJHU63g Homepage (vgl. Burgstaller Post 1; Burgstaller Post 90; Burgstaller Post 174), Videoaufzeichnungen von Pressekonferenzen (vgl. Burgstaller Post 2) und unkomPHQWLHUWH*UD¿NHQXQG6WDWLVWLNHQYJO%XUJVWDOOHU3RVW%XUJVWDOOHU3RVW präsentiert. Gleiches gilt für die wenigen genderpolitischen Stellungnahmen, die wiederum vorwiegend von Verlinkungen zu externen Informationen oder Kommentaren getragen werden: Verweise auf SPÖ-Veranstaltungen zum Weltfrauentag (vgl. Burgstaller Post 04; Burgstaller Post 75; Burgstaller Post 76), ein Bildverweis auf den Weltfrauentag (vgl. Burgstaller Post 73) und Daten zu dem ansteigenden Frauenanteil im Land Salzburg (vgl. Burgstaller Post 68). Durch die indirekte Thematisierung wird eine gewisse Distanz zwischen der Politikerin und den Besucherinnen und Besuchern ihrer Facebook-Seite aufgebaut. Obwohl die Ausrichtung der Facebook-Seite von Gabi Burgstaller klar auf ihre politische Tätigkeit ausgelegt ist, werden die politischen Debatten nicht auf einer komplexen Ebene geführt. Die Zahl originärer politischer Statements, die GHQ9HUODXIGHU'LVNXVVLRQEHHLQÀXVVHQLVWVHKUJHULQJ(VJLEWQDKH]XNHLQGL rektes In-Kontakt-Treten mit einzelnen Bürgerinnen und Bürgern. Antworten auf
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die Kommentare der Seitenbesucherinnen und -besucher gibt es nur wenige (1,4% aller Kommentare). Der politische Diskurs und die Abwägung unterschiedlicher Argumente spielen sich daher auf Burgstallers Seite vorwiegend in den Kommentaren von Leserinnen und Lesern ab. Mittels der Kommentarfunktion wird die politische Diskussion von den Bürgerinnen und Bürgern übernommen, wobei die Argumentationen mitunter völlig vom ursprünglichen Inhalt der Posts abweichen. In diesem Sinne ist die Politikdebatte auf Burgstallers Facebook-Seite als Kommunikationsraum für Alltagsöffentlichkeiten zu sehen und operiert auf einer einfachen Öffentlichkeitsebene. *UD¿VFKVWHOOWGLHV$EEGDU Die fehlende Einbeziehung der Kommentare von Leserinnen und Lesern führt zu einer einseitigen Netzwerkstruktur. Während innerparteilich starke Bindungen erkennbar sind und die Vernetzung in beide Richtungen zu verlaufen scheint (siehe kräftiger zweiseitiger Pfeil zwischen Politikerin und SPÖ), bleiben die Bindungen zu anderen Akteurinnen und Akteuren lose. Die Art der Beziehung zur Bevölkerung ist klar hierarchisch strukturiert. Deren Kommentare und Anfragen führen nur sehr vereinzelt zu entsprechenden Reaktionen der Politikerin. Hinsichtlich der Beziehung zu den Medien ist festzuhalten, dass Burgstallers Facebook-Seite nahezu keine medialen Berichte aufgreift (siehe schwacher Pfeil zwischen Politikerin und Medienberichterstattung), obwohl die Politikerin selbst ein wiederkehrendes Medienobjekt darstellt (siehe starker Pfeil von Medien zu Burgstaller). Vielmehr nehmen sich Bürgerinnen und Bürger der Verknüpfung von Medieninhalten an und verweisen mittels Verlinkungen auf ausgewählte Texte Abbildung 3: Netzwerkstruktur Facebook-Auftritt Burgstaller
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(vgl. Kommentar 13 zu Burgstaller Post 1; Kommentar 16 zu Burgstaller Post 6) (siehe starker Pfeil zwischen BürgerInnen und Medienberichterstattung). Der sehr unpersönliche Eindruck und das Fehlen von inhaltlichen Inputs kennzeichnen den Facebook-Auftritt von Burgstaller. Eine politische Kommunikation ¿QGHWVLFKIDVWDXVVFKOLHOLFKLQGHQ.RPPHQWDUHQGHU%UJHULQQHQXQG%UJHUQ welche auf der einfachen Öffentlichkeitsebene zu verorten sind. Während mittlere gIIHQWOLFKNHLWHQGXUFK,QKDOWHRI¿]LHOOHU63g6HLWHQHLQEH]RJHQZHUGHQÀLHHQ Inputs von komplexen Öffentlichkeiten in verschwindend geringem Ausmaß ein.
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FAZIT: DOMINANZ EINFACHER ÖFFENTLICHKEITEN INNERHALB DER POLITISCHEN DISKUSSION AUF FACEBOOK
Betrachtet man die Netzwerkstrukturen der Social-Media-Auftritte der Politikerinnen, so zeigt sich, dass die politische Kommunikation in alle Öffentlichkeitsebenen hineinreicht, wobei sich das Ausmaß der Diskussion auf den drei Ebenen GHXWOLFKXQWHUVFKHLGHW'HU+DXSWWHLOGHUSROLWLVFKHQ.RPPXQLNDWLRQ¿QGHWLQQHU halb einfacher Öffentlichkeiten statt, die sich rund um die betreffende Politikerin formieren. Die Funktion der politischen Akteurin beschränkt sich zum Großteil auf Initiativposts, die eine Debatte zwischen Besucherinnen und Besuchern der Seite anstoßen, und auf Versuche der innerparteilichen Vernetzung (mittlere Öffentlichkeitsebene). Die Antwortraten der Politikerinnen auf Kommentierungen der Bevölkerung bewegen sich zwischen lediglich 0,3% und 1,4%. Es kann daher nicht von einem regen Austausch auf der Ebene der mittleren Öffentlichkeiten gesprochen werden. Gleiches gilt für die Kommunikationen auf der komplexen Öffentlichkeitsebene, die lediglich vereinzelt durch Verlinkungen mit Medienberichten HLQHQ(LQÀXVVDXIGLHSROLWLVFKH'LVNXVVLRQDXIFacebook nehmen. Obwohl sich die Dominanz der politischen Kommunikation auf der einfachen Öffentlichkeitsebene klar zeigt, unterliegt dieses Ergebnis gewissen Einschränkungen. Da die Auswahl des Samples so gewählt wurde, dass sowohl eine qualitative und quantitative Inhaltsanalyse als auch eine Netzwerkanalyse durchgeführt werden konnte, musste die Datenmenge gering gehalten werden. Aufgrund dessen können etwa für die Ergebnisse keine Korrelationen berechnet werden. Zudem würde sich eine Folgeuntersuchung anbieten, die sowohl weibliche als auch männliche Handlungsträger berücksichtigt. Trotz dieser Einschränkungen bilden sich die vielfältigen Verbindungen zwischen Öffentlichkeit, Politik und Medien im Internet, wie sie Friedrichsen (1996: 48) bereits 1996 beschreibt, deutlich in den dargestellten Netzwerkmodellen ab. Sie bestätigen, dass von privaten Erfahrungen bis zu medialen Berichten eine Viel-
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]DKODQ)DNWRUHQLQGLHSROLWLVFKH'LVNXVVLRQHLQÀLHHQXQGHLQ$XVWDXVFK]ZL VFKHQ GHQ XQWHUVFKLHGOLFKHQ gIIHQWOLFKNHLWVHEHQHQ VWDWW¿QGHW 'LH GUHL (EHQHQ die Klaus (2001: 23) als Grundlage ihres Öffentlichkeitsmodells beschreibt, erscheinen für die Analyse von politischer Kommunikation im Internet adäquat. Marschalls (1999: 116 u. 121) Hoffnung, dass sich online gleichberechtigte, ]ZHLVHLWLJH .RPPXQLNDWLRQVÀVVH ELOGHQ GLH ]XU 7UDQVSDUHQ] GHU SROLWLVFKHQ Kommunikation beitragen und die Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger erhöhen, kann für die Facebook3UR¿OHGHUXQWHUVXFKWHQ3ROLWLNHULQ nen nicht bestätigt werden. Die politischen Handlungsträgerinnen nutzen die Plattform vor allem zur Vermittlung von Inhalten an die Bevölkerung und weniger für den direkten Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern. Dennoch ist festzuhalten, dass sich zwischen den so angesprochenen Alltagsöffentlichkeiten durchaus politische Debatten entfalten, die potentiell eine Vielzahl an Bürgerinnen und Bürgern erreichen können.
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Von kleinen Gesprächen zu großen Öffentlichkeiten?
Von kleinen Gesprächen zu großen Öffentlichkeiten? Zur Dynamik und Theorie von Öffentlichkeiten in sozialen Medien CHRISTIAN KATZENBACH
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ÖFFENTLICHKEITSTHEORIE UND SOZIALE MEDIEN
So unterschiedlich neue Technologien und die sich mit ihnen institutionalisierenden Medienformen auch sein mögen, so haben sie doch eines gemeinsam: In ihrer Frühphase dominiert in der Regel eine Dichotomie von Euphorie und Skepsis (Münch/Schmidt 2005), die den noch ungewohnten und manchmal auch irritierenden, neu aufkommenden Kommunikationsformen verheißungsvolle VerbesserunJHQRGHUHEHQ±XQGGDVQRFKKlX¿JHU±DEVXUGH1XW]ORVLJNHLWY|OOLJH,UUHOHYDQ] oder verherrende Auswirkungen zuschreiben.1 Dieses Muster zeigte sich auch in der Anfangsphase der Debatte um Merkmale, Relevanz und Auswirkungen von Kommunikationen und Öffentlichkeiten, die sich auf der Basis von Blogs und anderen Formaten des »Social Web« (Zerfass et al., 2008) herausbildeten (Yang 2008). Auf der einen Seite sprachen Beobachter von einer »Medienrevolution«, die zu »völlig neuen demokratische Strukturen« führe (Möller, 2005: VII); Andrew Sullivan (2002) vermutete gar, dass Blogs die tiefgreifendste publizistische Revolution VHLWGHU(U¿QGXQJGHV%XFKGUXFNVGDUVWHOOHQN|QQWHQ8QGVHOEVWHKHUYRUVLFKWLJH KommunikationswissenschaftlerInnen gingen von einem »neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit« aus (vgl. etwa Neuberger, 2006; Bucher & Büffel, 2006). Auf der anderen Seite sprachen professionelle Kommunikatoren Blogs jegliche Relevanz ab oder machten sich über die Nutzer lustig. So war dann etwa die Rede davon, dass »99% der Weblogs einfach nur Müll« seien oder die »Klowände des Internet« darstellten.2 Michael Keren (2008) negierte ein emanzipatorisches Potenzial der 1 2
Zur einer herrlichen Zusammenschau von Beispielen vgl. Katrin Passigs »Standardsituationen der Technologiekritik« (Passig 2009). »Spiegel«-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron im Interview im OnlineMagazin »onlinejournalismus.de« im Oktober 2004 (URL: http://goa2003.onlinejour-
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Nutzung von Blogs, und Marco Bräuer et al. (2008: 204) kamen in einer breit angelegten empirischen Studie zur politischen Kommunikation im Netz zu dem Schluss, »dass sich auch in der Phase des Web 2.0 das Engagement der Bürger bei der aktiven Erstellung eigener politischer Angebote nicht grundsätzlich verändert hat«. In den vergangenen Jahren haben sich nicht nur die bevorzugten Formate verschoben, sondern auch die Einschätzung ihrer Relevanz. Inzwischen sind zwar nicht Blogs im Alltag der meisten Bürger angekommen, wohl aber andere Formen der medialen Artikulation von Alltag: Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter werden inzwischen von der Mehrheit der Internet-Nutzer verwendet. In Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wird ihre Relevanz kaum noch bezweifelt – gerade auch im Hinblick auf die Bildung von Öffentlichkeiten. Für diese Dynamisierung (und vermeintliche Amateurisierung) von Öffentlichkeit bieten Mehr-Ebenen-Modelle von Öffentlichkeit, wie sie von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt (1990) und Elisabeth Klaus (2001) entwickelt wurden, einen hilfreichen Rahmen und Startpunkt. Diese Öffentlichkeitsmodelle unterscheiden verschiedene Ebenen von Öffentlichkeit, vom Gespräch in der Familie oder im Büro bis hin zu massenmedialen, gesamtgesellschaftlichen Debatten und setzen sie dabei – und das ist hier der entscheidende Punkt – zueinander in Beziehung. Insbesondere Elisabeth Klaus kommt dabei das Verdienst zu Gute, die demokratietheoretische, kulturelle und emanzipatorische Bedeutung von vermeintlich kleinen und privaten Gesprächen herausgearbeitet zu haben. Diese Verknüpfung ermöglicht zwei für die Betrachtung von Öffentlichkeiten, die in und durch Social Media gebildet werden, zentrale Gedanken: Entgegen einer Banalisierung lassen sich mit dieser Perspektive erstens Kommunikationen in Blogs oder über Plattformen wie Twitter und Facebook als Formen Auseinandersetzung mit vielfältigen Themen ernst nehmen und damit auch die zahlreichen Äußerungen über Privates und individuelle Erlebnisse und Meinungen als Formen einfacher Öffentlichkeit verstehen – zunächst unabhängig von einer vermeintlichen gesellschaftlichen Relevanz oder Irrelevanz der diskutierten Inhalte. Dadurch dass sich zweitens diese vermeintlich banalen Gespräche somit in einen medialen Raum verschieben, können individuelle Lebenserfahrungen und Sichtweisen potentiell als Gruppenerfahrungen wahrgenommen werden. Aus dieser Konstellation können sich dann Dynamiken entwickeln: Finden diese zunächst singulären Äußerungen in den vernetzen medialen Umgebungen hinreichend Resonanz, und bilden sich Formen der organisierten Artikulation heraus, dann können diese auch in größere Öffentlichkeiten hineinwirken.3 Für die Kommunikationswissenschaft ergeben sich aus dieser Konstellation grund-
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nalismus.de/webwatch/interviewblumencron.php, geprüft: 21.01.2009) und WerbeFachmann Jean-Remy von Matt in einer internen Mail (URL: http://www.jensscholz. com/2006_01_01_archive.htm#113762765814900254, geprüft: 21.01.2009). Klaus (2001: 26 f.) hat diesen Gedanken für Reality-Formate und Talkshows formuliert.
VON KLEINEN GESPRÄCHEN ZU GROSSEN ÖFFENTLICHKEITEN?
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legende Fragen: Inwiefern tragen Social Media zu einer strukturellen Veränderung von Öffentlichkeit bei? Ermöglichen sie etwa vormals marginalisierten Positionen systematisch mehr Gewicht in der Themensetzung und -diskussion? Oder führen sie ihrerseits zu einer (neuen) Vermachtung von öffentlichen Debatten? Gleichzeitig werfen diese empirischen Entwicklungen konzeptionelle Fragen nach der Tragfähigkeit bestehender öffentlichkeitstheoretischer Modelle auf. Ist etwa die Unterscheidung von drei Ebenen, auf denen sich Öffentlichkeit realisiert, weiterhin aufrecht zu erhalten? Und wenn ja, was zeichnet diese Ebenen aus? Der vorliegende Beitrag adressiert einen kleinen Ausschnitt dieser großen Fragen, indem zunächst durch ein Resümee von Studien zur Entstehung von Öffentlichkeiten im Umfeld von Blogs in frühen Phase der Institutionalisierung von Social Media insbesondere versucht wird, Funktionen und Wandel von einfachen Öffentlichkeiten im Zuge ihrer Mediatisierung herauszuarbeiten. Darauf aufbauend wird dieser inzwischen eher historische und konzeptionelle Blick durch eine überblickshafte Diskussion neuerer Entwicklungen und Studien zu Öffentlichkeiten in Social Media aktualisiert. Anhand dieser Auseinandersetzung mit aktuellen Online-Öffentlichkeiten wird schließlich der theoretische Gewinn eines Verständnisses von Öffentlichkeit als vielschichtigem Prozess der Selbstverständigung auf verschiedenen Ebenen diskutiert.
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VON KLEINEN UND GROSSEN GESPRÄCHEN: EBENEN-MODELLE VON ÖFFENTLICHKEIT
Für die Betrachtung von Öffentlichkeiten im Umfeld von Blogs und Plattformen haben sich die öffentlichkeitstheoretischen Arbeiten von Elisabeth Klaus (1995; 2001; 2006) als instruktiver Startpunkt erwiesen. Durch die Unterscheidung mehrerer Ebenen von Öffentlichkeit einerseits und die Aufwertung von »kleinen« Gesprächen als Öffentlichkeitsform andererseits wurde eine erste öffentlichkeitstheoretische Einordnung von Blogs und anderen Social Media-Formen bereits in ihrer Frühphase möglich.4 Denn so disparat die Bewertungen von Relevanz und Auswirkung der neuen Formate als »Medienrevolution« oder »Müll« waren, so deckt dieVHVSH]L¿VFKH|IIHQWOLFKNHLWVWKHRUHWLVFKH%ULOOHHLQH*HPHLQVDPNHLWDXI'HU'LV kurs war geprägt von Ansprüchen, die sich auf bekannte massenmediale, mithin gesamtgesellschaftliche Kommunikationen beziehen. Auf der Makro-Ebene der Gesamtheit der Blogs (»Blogosphäre«) wird die Selektion, Verarbeitung und Vermittlung von Inhalten und Meinungen erwartet, auf der Mikro-Ebene der einzelnen Blogs meist die Folie des mündigen, politisch engagierten Bürgers angelegt, der sich zu Themen mit gesellschaftlicher Relevanz äußert – in einer der (professio4
Vgl. dafür und die folgende Argumentation ausführlich Katzenbach (2008; 2010).
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nellen) öffentlichen Kommunikation angemessenen Form und Qualität. Dass die Anwendung gängiger Relevanz- und Qualitätskriterien auf Blog-Nutzungen problematisch ist, darauf hatten Jan Schmidt et al. (2005: 5) bereits früh hingewiesen: »Diese [Blog-Nutzungen] sind zwar ebenfalls öffentlich, aber es geht der überwiegenden Mehrheit nicht darum, gesellschaftlich relevante Informationen ins Internet zu stellen, sondern vielmehr Dinge von persönlicher Relevanz zu artikulieren.« Die Artikulation von Privatem in öffentlichen medialen Räumen, wie Blogs und nun in Facebook, Twitter oder Tumblr, unterläuft eine eindeutige Zuordnung von Öffentlichkeit und Relevanz, wie wir sie von medialen Kommunikationsformen gewohnt waren: Je größer das potentielle Publikum, desto relevanter das Thema. Die publizierten Geschichten und Meinungen von Bloggern und Twitter-Nutzern sind zwar meist für alle Internet-Nutzer zugänglich, dabei aber selten interessant für größere Öffentlichkeiten; für die Autoren und ihre (meist sehr wenigen) Leser hingegen können sie hochrelevant sein.
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DREI EBENEN VON ÖFFENTLICHKEIT
Ausgehend von dieser Beobachtung lassen sich diese einfachen Interaktionen auf der Mikro-Ebene der individuellen Blog-Nutzung mithilfe des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit (Klaus 2001) systematisch als Formen von Öffentlichkeit verstehen, sowie ihre Potentiale des Hineinwirkens in größere Öffentlichkeiten diskutieren. Dieses Modell unterschiedet zwischen »einfachen«, »mittleren« und »komplexen« Öffentlichkeiten« entlang von drei Dimensionen:
Zugang: Die Voraussetzungen, die an die Sprecherrolle einer Öffentlichkeitsform gebunden sind. Kommunikation/Rollenverhältnis: Ausdifferenzierung von Rollen, kommunikatives Verhältnis zwischen Sender und Empfänger. Funktion: Die jeweiligen gesellschaftlichen Funktionen einer Öffentlichkeitsebene.
In der Auseinandersetzung mit Blogs und anderen Online-Kommunikationsformen wurde Medialität als vierte Dimension ergänzt (Katzenbach 2008: 109 ff.), d. h. in welchem Maße und auf welche Weise die Kommunikationen einer Öffentlichkeitsform medial vermittelt sind. Diese Ergänzung trägt der potentiellen Verschiebung YRQ*HVSUlFKHQLQPHGLDOH5lXPHXQGGDPLWGHU$XÀ|VXQJGHV=XVDPPHQKDQJV von Medialität und (gesellschaftlicher) Relevanz Rechnung. Die unterste Ebene bilden in dieser Konzeption einfache Interaktionssysteme, die Klaus als einfache Öffentlichkeiten bezeichnet:5GDVÀFKWLJH$XIHLQDQGHUWUHI 5
Bei Klaus werden im Unterschied zu Gerhards und Neidhardt die Ebenen nicht durch ihre Erscheinungsform benannt (Encounter/Veranstaltung/Massenmedien), sondern
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fen von Menschen in Kneipen, Verkehrsmitteln oder Büros als elementarste Form von Öffentlichkeit. Diese einfachen Interaktionssysteme sind sehr offen, d. h. es sind keine Voraussetzungen an die Sprecherrolle geknüpft, strukturell gibt es keine Unterscheidung von Sprecher- und Publikumsrolle (Gerhards/Neidhardt 1990). Funktional geht es hier um die »jeweilige alltagsweltliche Relevanz und damit letztlich [um] die gesellschaftliche Wirkung von Wirklichkeitskonstruktionen, gesellschaftlichen Normen und kulturellen Zielen« (Klaus, 2001: 24). Die GespräFKHGLHKLHUVWDWW¿QGHQVLQGLQGHU5HJHOÀFKWLJH,QWHUDNWLRQHQXQWHU$QZHVHQ den, die keiner technischen Vermittlung bedürfen – und damit gleichsam an Zeit und Ort der Handlung gebunden sind. Abbildung 1: Merkmale der Öffentlichkeitsformen (in Anlehnung an Klaus 2001: 22) Ebene von Öffentlichkeit
Zugang
Kommunikation / Rollen
Funktion
Medialität
komplex
Profession
indirekt und einseitig
Selektion, Verarbeitung, Verbreitung von Themen
medial
mittel
Kompetenz / Status
direkt, Rollendifferenzierung
Themen/Meinungen %! bereitstellen
direkt
einfach
keine Begrenzung
gleichberechtigt, wechselnd
Alltagsrelevanz, Bedeutung und Wirkung von Themen
direkt, '%
Auf der zweiten Ebene, der mittleren Öffentlichkeit, haben sich Handlungsrollen herausgebildet, welche die Kommunikation in dieser Form von Öffentlichkeit strukturieren: Die Rollen der Sprecher, Moderatoren und des Publikums sind zwar prinzipiell wechselbar, geben den Kommunikationsprozessen aber eine vorgegebene Form. Die Voraussetzungen für das Synthetisieren von Meinungen und die Herstellung einer öffentlichen Meinung sind deutlich besser als in einfachen Interaktionssystemen. Veranstaltungsöffentlichkeiten bündeln Themen und Meinungen und stellen sie für komplexere Öffentlichkeiten bereit. Es bleibt aber die Beschränkung der Kommunikation hinsichtlich Zeit und Raum; auch Veranstaltungsöffentlichkeiten sind traditionell ÀFKWLJ und ortsgebunden, da sie in der Regel nicht medial verfasst sind. durch den Grad ihrer Strukturiertheit (einfach/mittel/komplex). Dieser Benennung wird sich hier angeschlossen, da die Erscheinungsformen sich wandeln, die analytische Unterscheidung der Ebenen aber weiter hilfreich ist.
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Die für moderne Gesellschaften prägende Form von Öffentlichkeit ist aber die massenmediale Kommunikation. Die Funktionsrollen differenzieren sich hier weiter aus. Die Sprecherrolle ist professionalisiert, der Zugang zu Öffentlichkeit dadurch stark eingeschränkt. Die Funktion massenmedialer, komplexer Öffentlichkeiten liegt in der Selektion, Verarbeitung und Verbreitung von Themen und Meinungen einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990: 6). Massenmedien als intermediäre Vermittlungssysteme sind damit die zentralen Institutionen der Zuschreibung gesellschaftlicher Relevanz. Der besondere Gewinn dieser Ebenen-Differenzierung liegt darin, dass es möglich ist, den Zusammenhang zwischen Kommunikationen auf verschiedenen Ebenen zu beschreiben. Massenmediale Kommunikation und interpersonale bzw. Gruppen-Kommunikation werden nicht als getrennte Sphären behandelt, sondern als in verschiedene Ebenen differenzierbare, aber eben zusammenhängende Kommunikationsstrukturen. Diese Perspektive ist besonders fruchtbar für die Analyse von Online-Öffentlichkeiten, weil sich hier die verschiedenen Öffentlichkeitsformen »nebeneinander« auf einer medialen Plattform bilden.
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VERSCHRÄNKUNG DER EBENEN
Der kommunikative Zusammenhang zwischen den Ebenen ist für die demokratietheoretische Funktion von Öffentlichkeit unabdingbar: Zur Erfüllung der »Repräsentativitätsfunktion« ist es zentral, ob und inwiefern »Kommunikationen auf den unteren Öffentlichkeitsebenen aktiv ausgeprägt und in die Ebenen von Massenkommunikation hinein vermittelt sind« (Gerhards & Neidhardt, 1990: 34). Eine strukturelle Voraussetzung für die Verknüpfung der Kommunikation auf den verschiedenen Ebenen ist die Anschlussfähigkeit der kommunikativen Strukturen. Vor diesem Hintergrund sind »Encounter-Öffentlichkeiten« nur sehr ÀFKWLJH Formen von Öffentlichkeit, da sie sich immer nur für kurze Zeit bilden und dann wieder DXÀ|VHQ 'LHVH HLQ]HOQHQ NRPPXQLNDWLYHQ ª(SLVRGHQ© VLQG XQWHUHLQDQGHU QLFKW YHUQHW]WªVRGDVV]ZLVFKHQLKQHQNHLQ.RPPXQLNDWLRQVÀXVVVWDWW¿QGHWGHUV\Q ergetische Effekte der Meinungsbildung auslösen könnte«; das Hineinwirken in mittlere und komplexe Öffentlichkeiten ist so stark begrenzt (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990: 21). Diese Meinungsbildungs- und Themensetzungsprozesse »von unten nach oben« sind jedoch notwendig für das Funktionieren der Kommunikation in der Arena der Massenmedien. Veranstaltungsöffentlichkeiten und die Bildung von Organisationen zur Vertretung von Interessen leisten im massenmedialen Kontext die Überbrückung der medialen Kluft zwischen Arena und Galerie. Im Zusammenhang mit Blogs und anderen Social Media steht deshalb aus öffentlichkeitstheoretischer Theorie empirisch die Frage im Zentrum, inwiefern die
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Plattformen zur Verknüpfung der unterschiedlichen Öffentlichkeiten und Kommunikationsformen beitragen.6 Gleichzeitig stellt sich konzeptionell die Frage, inwiefern Ebenen-Modelle von Öffentlichkeit angesichts dieser Entwicklungen weiterentwickelt oder gar gänzlich neu überdacht werden müssen.
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BLOGS UND IHRE ÖFFENTLICHKEITEN
5.1 Die spezifische Medialität von Blogs Blogs haben sich nach 2000 als eine bestimmte Form der Online-Publikation entwickelt, in der Inhalte in umgekehrt chronologischer Reihenfolge dargestellt werden (vgl. Nardi et al., 2004; Herring et al., 2004). Dabei haben sie einige Funktionen etabliert, die heute auch die Kommunikation in Sozialen Netzwerken und Plattformen strukturieren und öffentlichkeitstheoretisch relevant sind: Auf technischer Ebene lassen sich Blogs als Infrastruktur beschreiben, die (1.) das Öffentlichmachen von Inhalten einfach und kostengünstig ermöglicht hat. Blogs verfügen (2.) in der Regel über eine Kommentarfunktion, d. h. Leser können direkt unter einem Beitrag Fehler und Unstimmigkeiten notieren und ihre Meinung oder Lesart veröffentlichen. Während der kommunikative Kreislauf aus Produktion, Zirkulation und Rezeption bei traditionellen Medien zwischen Redaktionssystem, Zeitungspapier und interpersonaler Anschlusskommunikation mehrere Medienbrüche durchläuft, fallen in Blogs diese Stufen zusammen. Der Leserbrief ist in gewisser Weise der Normalfall – und zwar nicht zeitlich und räumlich getrennt vom Artikel an wenig prominenter Stelle, sondern direkt darunter. Die Lesarten der Nutzer treten damit als ergänzende, alternative oder bestätigende Sichtweisen direkt neben den Text des Autors.7 Neben dieser Unterstützung von Diskussion auf dem einzelnen Medientext durch Kommentare bieten Blogs (3) durch Links und Trackbacks die Möglichkeit, Texte und damit Debatten über verschiedene Blogs hinweg miteinander zu verknüpfen. Die Verknüpfung von Texten liegt im Kern des World Wide Web; Links ermöglichen es dem Nutzer, von einer Stelle im Dokument direkt auf ein anderes Dokument zuzugreifen und erzeugen so ein Netz von Texten, das durch unzählige Querverweise geknüpft ist und vom Nutzer auf eigenen Wegen erschlossen wird. Gleichzeitig werden gegenseitige Bezugnahmen durch Links explizit. Hyperlinks operieren im WWW allerdings nur einseitig. Blogs verwenden eine Technologie namens »Trackback«, die dies ändert: Verlinkungen werden auch 6 7
Vgl. zur einer ausführlicheren Diskussion, auch aus einer Cultural-Studies-Perspektive Katzenbach (2010). Die Tendenz zur Verschmelzung der Produktion und Nutzung kultureller Produkte verhandelt Bruns (2008) unter dem Begriff »produsage«.
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in der Gegenrichtung verfolgbar. Verweist ein Beitrag auf einen anderen, so sendet er eine kurze Benachrichtigung (»Ping«). Blogs ermöglichen so in wesentlich höherem Maße als herkömmliche Webseiten Anschlusskommunikation. Wechselseitige Bezugnahme, die für die Herstellung von Öffentlichkeit zentral ist, wird durch Trackbacks unterstützt, indem sie Verknüpfungen beidseitig begehbar machen. Dadurch, dass auf diese Weise Debatten fortgeführt und verschiedene Lesarten transparent gemacht werden, kann Blog-Kommunikation (zumindest potentiell) dem ÀFKWLJHQ Charakter von face-to-face-Kommunikationen in »Encounter-Öffentlichkeiten« entgehen. Für Kommunikation über gewöhnliche Homepages gilt dies nicht zwingend: Sie sind zwar in zeitlicher Hinsicht persistent, in strukturelOHU+LQVLFKWVWHOOHQVLHLPREHQEHVFKULHEHQHQ6LQQDEHUKlX¿J(SLVRGHQGDUGLH keine Anschlusskommunikation unterstützen.8 Ein weiteres Merkmal von BlogSystemen liegt (4) in ihrer Unterstützung von kommunikativer Kontinuität. Zum einen sind Blogs – durch die umgekehrt chronologische Darstellung der Beiträge – zeitlich strukturiert; die einzelnen Artikel sind aber direkt über eine feste URL adressierbar (»Permalink«) und bleiben so als Bezugspunkte für Anschlusskommunikationen verfügbar. Zum anderen haben Blogs RSS-Feeds (Really Simple Syndication) populär gemacht: eine Technologie, welche die Inhalte unabhängig von der Darstellung zur Verfügung stellt und es Nutzern ermöglicht, ein Blog zu »abonnieren« und sich so automatisch über neue Einträge informieren zu lassen. Dadurch müssen Leser nicht alle Blogs nach neuen Beiträgen durchsuchen, sondern überblicken in einem »Newsreader« ihre abonnierten Blogs und die neuen Artikel. RSS ermöglicht auf diese Weise eine Übersicht über eine relativ hohe Anzahl verschiedener Nachrichtenquellen, indem nicht jede einzelne besucht und auf neue Beiträge hin geprüft werden muss. Zudem unterstützt es eine Kontinuität in der wechselseitigen Bezugnahme. Isolierte Nutzungsepisoden auf verschiedenen verstreuten Webseiten werden damit in Alltagsroutinen der Rezeption bekannter Angebote überführt. Blogs lassen sich also als eine technische Infrastruktur fassen, die öffentliche Kommunikation und wechselseitige Bezugnahmen in mehreren Dimensionen unterstützt: Auf der Ebene der Produktion bieten Blogs dem »vormaligen Publikum« (Gillmor, 2004: 136 ff.) eine niedrigschwellige Form der medialen Äußerung. Das Veröffentlichen von Texten, Bildern und Filmen wird einfach und kostengünstig; Produktion und Rezeption rücken durch die Möglichkeit des Kommentierens enger aneinander; Links und Trackbacks machen wechselseitige Bezugnahmen sichtbar und nachvollziehbar. Zudem unterstützen Blogs durch die zeitliche Strukturierung des Inhalts und die Bereitstellung von RSS-Feeds kontinuierliche Kommunikationen. 8
Für eine ausführliche Diskussion der öffentlichkeitstheoretischen Implikationen von Trackbacks vgl. Katzenbach (2008: 76 ff.).
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5.2 Blogs und ihre Nutzung In inhaltlicher Hinsicht hat sich in der Frühphase der Institutionalisierung von Blogs gezeigt, dass beim Schreiben primär persönliche Relevanzkriterien eine Rolle spielen (Blood, 2003; Herring et al., 2004; Nardi et al., 2004).9 Schmidt et al. (2006) haben dann in einer groß angelegten quantitativen Studie deutschsprachige Blogger zu ihren Nutzungsmotiven und -praktiken befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass für die meisten Blogger intrinsische Gründe (»zum Spaß«, »weil ich gerne schreibe«) im Vordergrund stehen. Als zentrale Motive treten das Dokumentieren von Ideen und Erlebnissen sowie das Verarbeiten von Gefühlen hinzu. Im Vergleich zu diesen selbstbezogenen Beweggründen sind kommunikative Motive, wie der Austausch mit anderen und die Veröffentlichung des eigenen Wissens, seltener, werden aber zumindest von der Hälfte bzw. einem Drittel der Blogger angeführt.10 Diese persönlichen und meist selbstbezogenen Motive der Blogger drückten sich auch in den Themen aus. Die meisten Blog-Beiträge sind Berichte aus dem 3ULYDWOHEHQXQGHLJHQH)RWRV(EHQIDOOVVHKUKlX¿JVLQG/LQNV]X)XQGVWHOOHQLP Netz mit eigenem Kommentar. Fast die Hälfte der befragten Blogger veröffentlicht Artikel zu ihren Hobbies oder Filmen, Büchern und Musik. Themen, die aus journalistischer Sichtweise Relevanz aufweisen, etwa »Ereignisse oder Themen aus meiner Stadt« und »Artikel zu aktuellen politischen Themen«, werden seltener, DEHUDXFKYRQJXWHLQHP'ULWWHOJHQDQQW=XGHPZHUGHQ%ORJVKlX¿JIUGLH9HU |IIHQWOLFKXQJVSH]L¿VFKIDFKOLFKHU7KHPHQYHUZHQGHW In der Zusammenschau wird deutlich, dass das Führen von Blogs in dieser Frühphase vor allem intrinsisch und subjektiv motiviert ist. Blogs wurden also vor allem genutzt, um einfach und ohne externe Vorgaben Texte zu veröffentlichen. Diese Texte sind zwar (in der Regel) öffentlich zugänglich, den meisten geht es aber weder darum, eine große, den Massenmedien entsprechende Öffentlichkeit zu erreichen, noch Informationen von gesellschaftlicher Relevanz 9
Angesichts der enormen Bandbreite an Angeboten, die sich inzwischen Blogseinerseits DOVWHFKQLVFKHU,QIUDVWUXNWXUEHGLHQHQYRQHLQÀXVVUHLFKHQ2QOLQH0DJD]LQHQZLHGHU ª+XI¿QJWRQ3RVW©]XSULYDWHQ2QOLQH-RXUQDOHQ]XGHPLVWGDVXUVSUQJOLFKDOV%ORJ Software entwickelte »Wordpress« inzwischen eines der Standard-Systeme zum Betreiben einer Website), andererseits als Genre (meinungsstark, Autor im Vordergrund) verwenden, wird es immer schwieriger, Blogs in diesem Sinne als Kommunikationsform zu beschreiben. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb auf die Frühform der Etablierung. 10 Ähnliche Befunde liefert etwa der Bericht von Lenhart&Fox (2006) für US-amerikanische Blogger. Auch hier dominieren Motive, die sich auf das Schreiben selbst oder den persönlichen Alltag beziehen; darauf folgen die Dokumentation von Ideen, der AusWDXVFKPLWDQGHUHQXQGGDV3ÀHJHQYRQ.RQWDNWHQ
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zu veröffentlichen. Vielmehr möchten sie Dinge von persönlicher Relevanz artikulieren und sich mit einer (kleinen) Gemeinschaft von Lesern und anderen Bloggern austauschen.11 5.3 Von kleinen zu großen Gesprächen? Für die Öffentlichkeiten, die sich rund um Blogs herausbilden, hat Jan Schmidt (2007, 2011: 105 ff.) den Begriff der »persönlichen Öffentlichkeiten« vorgeschlagen, in denen sich Nutzer mit denjenigen austauschen, die ihre Lebenswelt und ihre Interessen teilen. In der Durchsicht der verschiedenen Dimensionen in Klaus’ Modell zeigt sich, dass die so entstehenden Öffentlichkeiten in den meisten Aspekten vergleichbar sind mit einfachen Interaktionen, wie Gespräche in Kneipen und Cafés oder Diskussionen am Arbeitsplatz (vgl. Abb. 2).12 Wie in einfachen Gesprächen geht es in Blogs vor allem um die »jeweilige alltagsweltliche Relevanz und damit letztlich [um] die gesellschaftliche Wirkung von Wirklichkeitskonstruktionen, gesellschaftlichen Normen und kulturellen Zielen« (Klaus 2001: 24). Abbildung 2: Merkmale von einfachen Blog-Öffentlichkeiten &CFOFWPO ½GGFOUMJDILFJU
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Blog-Öffentlichkeiten sind aber medial vermittelt. In den traditionellen Konzeptionen ist die massenmediale Öffentlichkeit die einzige Ausprägungsform einer medialen Öffentlichkeit. Einfache Öffentlichkeiten – und teilweise auch Veranstaltungsöffentlichkeiten – können keine Kommunikation über Zeit und Raum gewährleisten. Blogs hingegen unterstützen gerade die Vernetzung von einzelnen 11 Eine starke Subjekt-Orientierung zeigt sich auch im Selbstverständnis von Bloggern. In den Befragungen von Reed (2005) und Boyd (2006) dominieren etwa Prozesse der Identitätsbildung und der Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld. 12 Für eine ausführliche Diskussion vgl. Katzenbach (2008: 109 ff.; 2010).
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Episoden. Den Kommunikationsraum bilden hier mediale, öffentlich zugängliche Texte. Die Flüchtigkeit der Interaktionen in einfachen Öffentlichkeiten wird so durch Blogs in eine manifeste, permanente Form gebannt. Diese Permanenz ermöglicht das Führen und Aufbereiten von Debatten über einen Zeitverlauf. Über Links und Trackbacks verbinden sich die einzelnen Episoden zu vernetzten Konversationen. Die Verschiebung von einfachen Öffentlichkeiten in einen medialen Raum mit den beschrieben Merkmalen steigert damit enorm die Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation. Blogs verknüpfen die Gespräche zu größeren Kommunikationszusammenhängen und ermöglichen so die Wahrnehmung von individuellen Erlebnissen und Sichtweisen als Gruppenerfahrungen und -meinungen und damit auch die Herausbildung und Artikulation von sozialen und gesellschaftlichen Themen und Problemen. Das Hineinwirken von privaten Erfahrungen und möglicherweise den gesellschaftlichen Machtverhältnissen entgegenlaufenden Diskursen und Meinungen in komplexe Öffentlichkeiten kann auf diese Weise durch Blogs unterstützt werden.Übertragen auf die Rezeption massenmedialer Produkte lässt sich dieser Aspekt folgendermaßen beschreiben: Auch wenn Medientexte von ihren Rezipienten »gegen den Strich« gelesen werden, gelangt diese Lesart im massenmedialen Kontext an keine mediale Öffentlichkeit. Er liegt nur als Deutung des Nutzers vor, über die er sich mit Freunden und Bekannten austauschen kann. Für andere, die diese Lesart des Textes oder des gesellschaftlichen Problems vielleicht teilen, bleiben diese Gespräche aber unsichtbar. Anschlusskommunikation ist nur in sehr geringem Maße möglich. Finden diese Aneignungsprozesse aber in Blogs (oder inzwischen stärker auf Plattformen wie Twitter oder Facebook) statt, schlagen sich die Lesarten des Publikums tatsächlich wieder selbst in manifesten, öffentlich zugänglichen Texten nieder. So können die individuellen Meinungen als gemeinsame Sichtweisen wahrgenommen werden und in verschiedene Öffentlichkeitsformen eintreten – potentiell sogar in die selbe Öffentlichkeit wie der Ursprungstext. Der Aushandlungsprozess über dieses gesellschaftliche Problem wird im äußersten Fall auf Augenhöhe, zumindest aber medial auf einer Ebene weitergeführt. Eine zweite Konsequenz der Mediatisierung von einfachen Öffentlichkeiten ist, dass der professionell-journalistische Zugriff auf Wirklichkeit sein mediales Deutungsmonopol verliert. Was uns medial begegnet, hat immer seltener die Routinen und Strukturen der journalistischen Medienproduktion durchlaufen und ist immer öfter individueller Ausdruck von Meinungen und Sichtweisen des vormaligen Publikums. Die Gespräche in einfachen Öffentlichkeiten erfahren durch ihre Verschiebung in den medialen Raum eine Aufwertung, indem sie als alternative Angebote zur Wirklichkeitsdeutung direkt neben journalistische Konstruktionen treten. Internet-Nutzer erfahren mögliche Interpretationen eines gesellschaftlichen Themas nicht nur durch Journalisten und ihr direktes persönliches Umfeld, sondern auch durch andere Blogger und Internet-Nutzer.
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Diese Aspekte weisen auf den zweiten Schritt der Betrachtung von Blog-Öffentlichkeiten hin. Neben den diskutierten einfachen Öffentlichkeiten entstehen durch die Vernetzungen Kommunikationsräume über eine Vielzahl oder gar die Gesamtheit von Blogs hinweg. Die sich daran anschließende Frage, ob und inwiefern sich also über Blogs auch komplexe Formen von Öffentlichkeiten bilden, die als Vermittlungssysteme der Selektion, Verarbeitung und Verbreitung von Kommunikation fungieren und damit Massenmedien funktional ergänzen oder gar ersetzen, ist kommunikationswissenschaftlich von hohem Interesse. Im Falle der Blogs bietet sich da ein zwiespältiges Bild: In der Verwendungsgemeinschaft von Blogs wurden einerseits durchaus zentrale und dezentrale MechaQLVPHQLGHQWL¿]LHUWGLH]XU+HUVWHOOXQJYRQNRKlUHQWHQ.RPPXQLNDWLRQVUlXPHQ führen, welche über die beschriebenen einfachen Öffentlichkeiten hinausreichen: hohe Sichtbarkeit einzelner Blogs, Bildung von thematischen Clustern, Aggregation in Ergebnis-, Rang- und Themenlisten (Katzenbach 2010: 204). Diese Mechanismen führten dazu, dass einzelnen Blogs innerhalb der Blogosphäre in unterschiedlichem Maße Relevanz und Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird. In einzelnen Fällen hat dies auch dazu geführt, dass individuelle Artikulationen genügend Resonanz und so Eingang in massenmediale Öffentlichkeit gefunden haben, wie dies in den Fällen »Trent Lott«, »Spreeblick/Jamba«, »Vorratsdatenspeicherung/Stasi 2.0« oder #aufschrei13 geschehen ist. Ob und inwiefern dies aber tatsächlich kontinuierlich geschieht, ist unklar, denn systematische Studien zu »Spill-Over-Effekten« oder Prozessen des Intermedia-Agenda-Setting liegen bislang nicht vor. Blogs leisten damit aber potentiell etwas, das persönliche Homepages und Foren kaum geschafft haben: Mechanismen der gegenseitigen Bezugnahme führen zu einer Strukturierung des Kommunikationsraums, welche die Vielstimmigkeit und das Durcheinander der Gespräche in Blogs koordinieren und so die Vermittlung von Themen und Meinungen aus einfachen Öffentlichkeiten in komplexe ermöglichen.
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VON BLOGS ZU PLATTFORMEN UND SOZIALEN NETZWERKEN
In den vergangenen Jahren haben sich die öffentlichkeitstheoretischen Potentiale von Blogs zwar punktuell realisiert: Für Deutschland werden etwa der Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler oder die (erste) Debatte um die Einführung der Vorratsdatenspeicherung (»Stasi 2.0«) als Beispiele genannt, in denen aus kleinen, kritischen Gesprächen, die über Blogs verteilt geführt wurden, große öffentliche Debatten wurden. Gleichzeitig ist die These heute aber wohl kaum mehr haltbar, dass Blogs eine große eigenständige Funktion in der Entstehung und 13 Vgl. folgenden Abschnitt.
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Etablierung von Öffentlichkeit haben. Blogs scheinen sich als eigenständiges Medium oder Angebot kaum jemals wirklich durchgesetzt oder institutionalisiert zu haben. Heute sind sie vielfach als Autoren-Blogs in journalistische Angebote integriert, werden als »Micro-Blogs« über Plattformen wie Tumblr geführt oder sind ganz in den großen Sozialen Netzwerken und Plattformen wie Facebook, Twitter, YouTube und Instagram aufgegangen. Während sich die Nutzungszahlen dieser neueren Online-Formate rasant entwickelt haben, ist die Nutzung von Blogs seit 2007 sogar tendenziell abnehmend (vgl. Abb. 3).14 Abbildung 3: Nutzung von Social Media 2007 bis 2013 (eig. Darstellung, nach Eimeren/Frees 2013: 364)
Wenn Josh Hands allgemein für das Netz formuliert: »Indeed, many of the operations that used to typify the Internet are now funnelled through so-called ›platforms‹« (Hands 2013: 1); so gilt das auch für die hier verfolgte öffentlichkeitstheoretische Anliegen. Eine Vielzahl der oben Blogs zugeschriebenen Funktionen, insbesondere bezüglich der Mediatisierung von Alltagsgesprächen und -banalitäten, ist inzwischen in Plattformen wie Facebook, Twitter, YouTube, Instagram und Tumblr abgewandert. Diese mediale Thematisierung von Alltäglichem und Politischem durch individuelle Bürger steht insbesondere auf den populärsten Plattformen Facebook, Twitter und YouTube Seite an Seite mit professionell produzierten journalistischen und nicht-journalistischen Angeboten. Für digitale Mediennutzer ist es der Normalfall, dass kurze Notizen von Freunden, Beiträge von Firmen oder Prominenten 14 Die Zahlen zu 2013 stellen hier einen bemerkenswerten Ausreißer dar, dessen Erklärung noch geliefert werden muss; möglich wäre etwa eine veränderte Frageformulierung oder aber doch eine wachsende »Wiedererkennung« des Begriffs durch die Auszeichnung bestimmter Formate und Angebote von Online-Angebote als Autoren-Blogs o. ä.
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und journalistische Angebote sich auf einem Bildschirm versammeln. Kleine und komplexe Öffentlichkeiten vermischen und durchdringen sich damit in der alltäglichen Medienroutine heute ganz selbstverständlich. »Users can adapt their routines of information management and directly follow interesting sources (such as a celebrity or a politician) instead of having to rely on information about WKHPEHLQJ¿OWHUHGDQG¾SDFNDJHG½E\MRXUQDOLVWV7KXVXVHUVFDQEXLOGWKHLURZQUDGDURI information sources by selecting and following only those accounts or conversations that (promise to) provide content that is relevant to them.« (Schmidt 2013: 6)
6.1 Vom kleinen #aufschrei zur großen Öffentlichkeit Aus öffentlichkeitstheoretischer Sicht wirft diese wechselseitige Vermischung und Durchdringung die Frage auf, wie sich die entstehenden Strukturen beschreiben lassen und in welcher Weise insbesondere vertikale Verknüpfungen zwischen kleinen und großen Gesprächen hergestellt werden. Für diese vertikalen Dynamiken, in denen aus einzelnen wenigen Beiträgen auf Twitter und Facebook von bekannten oder unbekannten Personen relativ schnell größere Debatten mit teil- oder VRJDU JHVDPWJHVHOOVFKDIWOLFKHU $XVVWUDKOXQJ JHZRUGHQ VLQG ¿QGHQ VLFK LQ]ZL schen eine ganze Reihe von Bespielfällen. Ein für diese so genannten »Ad-hoc publics« (Bruns/Burgess 2011) und die dynamische wechselseitige Durchdringung von kleinen und komplexen Öffentlichkeiten besonders instruktiver Fall ist die #aufschrei-Debatte. Ausgelöst durch einen Stern-Artikel über die Erfahrungen einer jungen Journalistin im Politikbetrieb, entwickelte sich in der Nacht vom 24. auf den 25. Januar 2013 unter Twitter-NutzerInnen ein Austausch über sexuelle Belästigung im Alltag, der in den folgenden Tagen auf große Resonanz im Medienbetrieb gestoßen ist und eine breite gesellschaftliche Debatte um Sexismus zumindest deutlich befördert hat. Eine Studie von Axel Maireder und Stephan Schlögl (2013) zu dieser Themenkarriere ist für die hier verfolgte Frage nach der horizontalen und vertikalen Verknüpfung von Öffentlichkeit besonders instruktiv. In ihrer netzwerkund inhaltsanalytischen Nachzeichnung der Dynamik zeigt sich sowohl thematisch wie akteursbezogen ein interessanter Verlauf: Nach dem Vorschlag einer Nutzerin, individuelle Erfahrungen unter dem »hashtag« (Schlagwort) #aufschrei teilen mehrere tausend Nutzerinnen, aber auch Nutzer ihre Erlebnisse. Die Inhaltsanalyse von Maireder und Schlögl (2013) zeigt, dass sich die Tweets vor allem am nächsten Tag dann thematisch in Richtung einer breiteren Thematisierung von Gründen, Ausprägungen und Wirkungen von Sexismus in der Gesellschaft verschieben und weniger eng am Lebensumfeld der Nutzer/innen liegen. Diese Verschiebung hängt, so argumentieren Maireder und Schlögl auch mit einer Verschiebung der Akteursgruppen zusammen, die sich an der Debatte auf Twitter sukzessive beteiligen. Während es zunächst vor allem parteilose Twitter-Nutzerin-
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nen (die die Autoren dem Cluster »Feminismus-Nahe« zuordnen) sind, stoßen am folgenden Tag Parteienvertreter, Journalisten etc. dazu. Dieses Beispiel illustriert die Potentiale der Artikulation von Alltagserfahrungen in vernetzten Umgebungen. Hätte die Anschlusskommunikation über den Stern-Artikel lediglich in Cafés, Büros oder am Küchentisch stattgefunden, wäre diese Dynamik vermutlich nicht entstanden. Die gewöhnlichen einfachen Öffentlichkeiten stehen in der Regel als isolierte Episoden nebeneinander, so dass die gemeinsame Wahrnehmung HUVFKZHUWZLUG(V¿QGHWª]ZLVFKHQLKQHQNHLQ.RPPXQLNDWLRQVÀXVV>VWDWW@GHU synergetische Effekte der Meinungsbildung auslösen könnte.« (Gerhards/Neidhardt 1990: 21) Diese schon durch Blogs unterstützte zunächst horizontale Verknüpfung wird auf Plattformen wie Twitter nochmals deutlich verstärkt. 6.2 Die Dynamiken von Öffentlichkeit und »Politics of Platforms« Für die Frage der vertikalen Verknüpfung, d. h. den Austausches zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsebenen ist im Zusammenhang mit Plattformen insbesondere auch deren technische Ausgestaltung von Interesse. Auch im obigen Fall sorgte die Markierung der einzelnen Beitrag mit dem Hashtag #aufschrei nicht nur für eine gute Schlagzeile am nächsten Tag, sondern auch innerhalb der Plattform Twitter für die Zusammenführung und den Zusammenhalt der Einzelbeiträge. NutzerInnen auf Twitter können solchen Hashtags folgen, d. h. ein Klick auf den Hashtag zeigt die mit diesem Schlagwort markierten Beiträge an, und diese »Suche« kann auch abonniert werden. NutzerInnen erhalten dann nicht nur alle Tweets der Personen, denen sie folgen, sondern auch alle Tweets mit diesem Tag. Zudem weist Twitter auf der Startseite und in verschiedenen Apps auch auf sogenannte »Trending Topics« hin, also aktuell besonders stark diskutierte Themen. Dies sorgte im Fall von #aufschrei für zusätzliche Aufmerksamkeit. In vergangenen zwei Jahren wird vor diesem Hintergrund den »politics of platform« vermehrt Aufmerksamkeit in der Forschung geschenkt (Gillespie 2010, 2013; Hands 2013; Langlois 2013). Facebook und Twitter verfügen wie andere 3ODWWIRUPHQEHUVSH]L¿VFKH0HFKDQLVPHQHLQ]HOQHQ%HLWUlJHQXQG7KHPHQ5H levanz zu- oder auch abzuschreiben, sowie zwischen angemessenen und unangemessenen Inhalten zu unterscheiden. Diese Differenzierung realisiert sich nicht nur über die Nutzer und ihre Netzwerke, sondern sind auch in die Konstruktion der Plattformen – und ihre alltäglichen Anpassungen! – eingeschrieben. »Algorithms play an increasingly important role in selecting what information is considered most relevant to us, a crucial feature of our participation in public life. [. . .] Algorithms manage our interactions on social networking sites, highlighting the news of one friend while excluding another’s. Algorithms designed to calculate what is ›hot‹ or ›trending‹ or ›most discussed‹ skim the cream from the seemingly boundless chatter that’s on offer. Together,
166 | CHRISTIAN KATZENBACH WKHVHDOJRULWKPVQRWRQO\KHOSXV¿QGLQIRUPDWLRQWKH\SURYLGHDPHDQVWRNQRZZKDWWKHUH is to know and how to know it, to participate in social and political discourse, and to familiarize ourselves with the publics in which we participate.« (Gillespie 2013: 1)
Die Art und Weise, wie diese Plattformen die unübersichtliche Gesprächigkeit VWUXNWXULHUHQ XQG GDPLW 5HOHYDQ] XQG ,UUHOHYDQ] ]XZHLVHQ JHK|UW ]ZDQJVOlX¿J zu einer Auseinandersetzung mit aktuellen Öffentlichkeiten hinzu – ähnlich wie Journalismusforscher seit Jahrzehnten Routinen der journalistischen Zuschreibung von Relevanz studieren.
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HORIZONTALE UND VERTIKALE VERKNÜPFUNG VON ÖFFENTLICHKEITEN
Diese Diskussion von Öffentlichkeiten im Netz mit einem Schwerpunkt auf der Betrachtung von einfachen Öffentlichkeit und ihrer potentiellen Ausstrahlung zu größeren und komplexen Öffentlichkeiten hat hinsichtlich der empirischen Entwicklung zwei miteinander verschränkte Entwicklungen aufgezeigt: Die Medialität von Alltagsgesprächen ist alltäglich geworden (horizontale Verknüpfung): Die vorliegenden Studien zu Blogs und sozialen Medien haben gezeigt, dass diese Medienformen aus öffentlichkeitstheoretischer Perspektive wohl keine »Revolution« darstellt, aber durchaus zu einer Verschiebung beiträgt: zu einer Mediatisierung von Alltagsgesprächen. Was sonst in Gesprächen mit Freunden und Kollegen in Cafés und Büros passiert, geschieht nun auch online: Alltägliches wird verhandelt, gesellschaftliche Fragen in das persönliche Umfeld der Nutzer eingeordnet. Der »Nachrichtenwert« orientiert sich hier nicht an Konstruktionen gesellschaftlicher Relevanz, sondern schlicht an persönlicher Bedeutsamkeit. Der traditionell eindeutige Zusammenhang von potentieller Reichweite und gesellschaftlich zugeschriebener Relevanz ist in Blogs wie in all den anderen Social Media-Angeboten nicht mehr vorhanden. Beiträge sind zwar in der Regel für eine hohe Anzahl potentieller Nutzer rezipierbar, das tatsächlich adressierte Publikum ist eventuell aber nur ein enger Freundes- oder Familienkreis. Diese Diskrepanz erklärt die Banalisierungstendenz insbesondere in den Frühphasen der neuen Medienformen. Die Inhalte werden beurteilt an Kriterien, die sich in professionellen Medienöffentlichkeiten etabliert haben, und für diese Form der Alltagskommunikation ebenso unpassend sind wie für andere Formen unserer alltäglichen und ja: banalen Kommunikation.15 15 Dass Irritationen entstehen, wenn Kommunikationen, die augenscheinlich eher einfache Öffentlichkeiten adressieren in größere Öffentlichkeiten hineinwirken, ist keineswegs eine neue Erkenntnis. Susanne Kinnebrock zeigt dies sehr anschaulich in ihren Studien
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Diese Alltagskommunikationen haben aber eine, und das zu betonen ist eines der Verdienste des Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit in Elisabeth Klaus’ Fassung, öffentlichkeitstheoretische Funktion. »The citizen is alone, but not lonely or isolated. The citizen is connected, and operates in a mode and with political language determined by him or her. Operating from a civically privé environment, the citizen enters the public spectrum by negotiating aspects of his/her privacy as necessary, depending on the urgency and relevance of particular situations (Papacharissi 2010: 132)« Die Verschiebung dieser kleinen Gespräche bietet, wie hier entwickelt, Potenziale zunächst zur horizontalen Verknüpfung. Einzelne Gespräche können zu größeren Kommunikationszusammenhängen verknüpft werden und ermöglichen so die Wahrnehmung von individuellen Erlebnissen und Sichtweisen als Gruppenerfahrungen und -meinungen. Durch die Sichtbarkeit, Persistenz und Adressierbarkeit können aus isolierten Episoden so Knoten in einem – bei ausreichender Resonanz – wachsenden Netzwerk können. Diese Verknüpfung verteilter Gespräche über Plattformen und Netzwerke ist nicht nur eine horizontale Verknüpfung, sondern kann auch eine vertikale Verknüpfung darstellen. In vielen Einzelfällen (wie hier der #aufschrei-Debatte) ist inzwischen deutlich geworden, dass sich in digital vernetzten Umgebungen aus individuellen Artikulationen schnell Themenkarrieren entwickeln, die eine in einem vermeintlich »kleinen« Gespräch vertretene Position in einen größeren Zusammenhang hinein transportiert. Internet-Öffentlichkeiten haben damit zu einer deutlichen Dynamisierung und Verschränkung der drei Öffentlichkeits-Ebenen beigetragen. Da diese Dynamiken wesentlich auf verschiedenen sozio-technischen Mechanismen der Zuschreibung von Relevanz beruhen, müssen auch aus öffentlichkeitstheoretischer Hinsicht die »politics« dieser Plattformen berücksichtigt werden. Die Art und Weise wie hier ausgewählt, dargestellt und sortiert wird, hat einen erhebliFKHQ(LQÀXVVGDUDXIZLHVLFKgIIHQWOLFKNHLWLP1HW]UHNRQ¿JXULHUW
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ÖFFENTLICHKEIT ALS PROZESS
Diese empirischen Befunde stellen Öffentlichkeitstheorien vor konzeptionelle Herausforderungen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob ein Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit diese Dynamik und Übersichtlichkeit überhaupt noch hilfreich strukturieren kann. Christian Nuernbergk (2013) etwa kommt in seiner umfassenden Analyse von Medien- und Anschlusskommunikation zum Schluss, diese Ebenen-Differenzierung zu verabschieden: zu Frauenzeitschriften im beginnenden 20. Jahrhundert und deutet diese Irritationen als Indikatoren für strukturelle Verschiebungen in Öffentlichkeiten (Kinnebrock in diesem Band).
168 | CHRISTIAN KATZENBACH »In der Öffentlichkeit des Internets [. . .] lassen sich die drei Ebenen [. . .] praktisch und analytisch kaum noch klar trennen. Weder die strukturelle Verankerung, die sich zum einen aus den technischen, rechtlichen und ökonomischen Barrieren im kommunikativen Zugang zu einem Massenpublikum ergab und zum anderen aus der notwendigen Rollendifferenzierung in großen Öffentlichkeiten, noch der Grad der Kommunikationsteilnehmer können unter den Bedingungen des Internets als Differenzierungsmerkmale herangezogen werden. Im Internet VLQGGLHhEHUJlQJH]ZLVFKHQNOHLQHQXQGJURHQgIIHQWOLFKNHLWHQYLHOPHKUÀLHHQGNOHLQH und große Teilnehmerzahlen lassen sich im selben Medium stufenweise oder direkt erreichen.« (Nuernbergk 2013: 41)
So richtig die Diagnose einer Verschränkung und Verschiebung ist: Die Verabschiedung des Drei-Ebenen-Modells muss daraus nicht notwendigerweise folgen. Denn präzisiert man, worauf sich Öffentlichkeit einerseits und die Unterscheidung in verschiedene Ebenen andererseits beziehen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Versteht man Öffentlichkeit als »Raum« und fasst die Unterteilung entsprechend als Differenzierung disjunkter Kommunikationsräume, ist es tatsächlich offensichtlich, dass Online-Kommunikationen ein solches Modell unterlaufen. Zu deutlich ist geworden, dass einzelne Kommunikate schnell aus einfachen Öffentlichkeiten in komplexe wandern können. Ein Drei-Ebenen-Modell wie in der Fassung von Gerhards und Neidhardt (1991), das den Öffentlichkeits-Begriff stark mittels räumlicher und medialer Begriffe strukturiert (Ebenen als Encounter, Veranstaltungen, Medien; vgl. auch Arena, Galerie, Hinterbühne), wird somit offenkundig problematisch. Das Ebenen-Modell von Elisabeth Klaus aber gründet sich auf der Vorstellung von Öffentlichkeit als Prozess, als Selbstverständigungsprozess einer Gesellschaft, indem »gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt, gefestigt, entoder verworfen [und] die Regeln und Normen des gesellschaftlichen ZusammenOHEHQV >@ DXIJHVWHOOW EHVWlWLJW RGHU PRGL¿]LHUW >ZHUGHQ@© .ODXV Dieser Prozess ist aber nicht an bestimmte Räume gebunden, sondern vollzieht sich in vielfältigen Formen, die sich wechselseitig durchdringen.16 Hierin deutet sich etwas an, was durch die vermeintlich ganz neue Verschränkung und Verschiebung im Online-Bereich offenkundig wird: Versteht man Öffentlichkeit konsequent als Prozess der Selbstverständigung einer Gesellschaft, dann sind einzelne, nur scheinbar banale Kommunikationen im Alltag immer auch gleichzeitig Teil einer komplexeren Dynamik der gesellschaftlichen Aushandlung von Wirklichkeit. In der Konsequenz führt die Frage (und das vermeintliche Problem!), ob eine Kommunikation nun der einfachen, mittleren oder komplexeren
16 Klaus arbeitet etwa die Bedeutung »privaterer« Foren wie Stammtischen oder Krabbelgruppen für die Aushandlung sozialer Normen heraus sowie ihre inhärente Interaktion mit massenmedialen Öffentlichkeiten (Klaus 2001: 19 f.).
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Öffentlichkeit zuzuordnen ist, in die Irre. Ein einzelner #aufschrei-Tweet operiert in dieser Sicht nämlich auf mehreren Ebenen gleichzeitig: Er ist zunächst individuelle Lebensäußerung (einfache Öffentlichkeit), die durch das vielfache Aufgreifen und wechselseitige Bezugnehmen wesentlich zu einer kollektiven Problemwahrnehmung beiträgt (mittlere Öffentlichkeit) und schließlich Element eines gesellschaftlichen Diskurses über Sexismus im Alltag wird (komplexe Öffentlichkeit). Dies gilt aber nicht nur für Online-Kommunikationen. Denkt man das Verständnis von Öffentlichkeit als Prozess konsequent weiter, ist jede Kommunikation immer gleichzeitig individuelle Äußerung, mehr oder weniger wahrnehmbarer Teil eines Prozesses kollektiver Artikulation sowie Element übergreifender gesellschaftlicher Aushandlungen. Grundsätzlich ist jeder unbedachte Satz in der Kaffeeküche Teil des komplexen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, den wir hier Öffentlichkeit nennen (also bspw. des Diskurses über Sexismus im Alltag und Geschlechterverhältnisse). Es ist dann schlicht eine empirische Frage, welche Artikulationen von welchen Akteuren in komplexeren Öffentlichkeiten wie viel Resonanz erzeugen können. Dieses Verständnis ist in Elisabeth Klaus’ öffentlichkeitstheoretischen Texten grundsätzlich entwickelt worden, wird aber durch die enge Verknüpfung einzelner gIIHQWOLFKNHLWV(EHQHQ PLW VSH]L¿VFKHQ .RPPXQLNDWLRQVIRUPHQ XQG PHGLDOHQ Räumen mitunter überdeckt. Die unübersichtlichen Verhältnisse der Online-Kommunikation machen es nun notwendig, den theoretischen Kniff, Öffentlichkeit als Prozess zu verstehen, präziser herauszuarbeiten. Fasst man die Ebenen-Differenzierung dann aber in diesem Sinne als Prozesse unterschiedlicher Komplexität, wird sie durch Online-Kommunikation keineswegs obsolet. Im Gegensatz: Derart weiterentwickelt erweist es sich als instruktives Modell, um die enorme Dynamik von vernetzten Öffentlichkeiten in den Griff zu kriegen: Indem es verschiedene Kommunikationsformen eben nicht getrennt, sondern als in verschiedenen Ebenen differenzierbare Phänomene behandelt, kann es die »Skalierung« von Öffentlichkeiten von kleinen Gesprächen zu großen Diskursen, von individueller Bedeutung zu gesellschaftlicher Relevanz (und zurück) vielschichtig beschreiben.
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Zwischen Öffentlichem und Privatem
Zwischen Öffentlichem und Privatem: alltägliche Kommunikationsprozesse im Kontext sozialer Medien STEFAN FEY
Der Journalist Johannes Kuhn erklärte Anfang 2012 in seinem Eröffnungsbeitrag zum Start des »Digitalblogs« im Onlineangebot der Süddeutschen Zeitung das Jahr 2011 nachträglich zu dem Jahr, in dem »Mikro-Öffentlichkeiten begannen, durch das Netz in unserer Wahrnehmung zu einer ersten Form einer breiteren digitalen Öffentlichkeit zu verschmelzen« (Kuhn 2012). Und in der Tat war bereits einige Jahre zuvor im Zuge der »Emergenz digitaler Öffentlichkeiten« (Münker 2009) eine teils heftig geführte Debatte (Shirky 2008; Morozov 2011) über das politische Potenzial der sich im und um das so genannte »Web 2.0« entwickelnden kommunikativen Macht der NutzerInnen entbrannt. Das »einstige Publikum« (»the people formerly known as the audience« (Rosen 2006 zit. nach Bruns 2008: 73)), verschaffte sich, so schien es zumindest, kollektiv mit Hilfe der so genannten »sozialen Medien« des Web 2.0 auch zunehmend außerhalb dieser Gehör, und das zum Teil mit beeindruckenden Mobilisierungserfolgen. Aus dem vergangenen Jahr ist vor allem die unter dem Stichwort bzw. »Hashtag« #aufschrei im Kontext des Microblogging-Dienstes »Twitter« entstandene Debatte über alltäglichen Sexismus in Erinnerung geblieben (Drüeke/Zobl 2013). Beispiele für in den sozialen Medien, insbesondere der so genannten »Blogosphäre«, geführte politische Debatten, GLHVXN]HVVLYHDXFKLQGHQWUDGLWLRQHOOHQ0DVVHQPHGLHQ%HDFKWXQJIDQGHQ¿QGHQ sich jedoch, auch schon zuvor (Katzenbach 2008: 127; Schmidt 2009: 152; Ebersbach/Glaser/Heigel 2008: 233–234). Während einige BeobachterInnen die Blogosphäre schon in der Rolle einer »fünften Gewalt« (Seeber 2008: 29; Prigge 2005) sahen, konnten wiederum andere in ihr nichts weiter erkennen, als eine »Aneinanderreihung von persönlichen Be¿QGOLFKNHLWHQ>@GLHHLJHQWOLFKIUGHQ-RXUQDOLVPXVRGHUIUGLHgIIHQWOLFKNHLW keine wirkliche Bedeutung haben« (Jakobs/Floto 2007). Dabei erscheint auffällig, dass die Blogosphäre hier mit dem professionellen Journalismus bzw. der massenPHGLDOHQ%HULFKWHUVWDWWXQJLQ9HUELQGXQJJHEUDFKWZLUGKlX¿JDOVHLQH$UWª%U
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gerjournalismus« verstanden wird, was Erwartungen in Bezug auf die Inhalte, aber auch deren (politische) Relevanz weckte. Auf der Grundlage des »Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit« von Elisabeth Klaus (2001) und daran anschließender Überlegungen (Wischermann 2005; Katzenbach 2008; Klaus/Wischermann 2008) steht in diesem Beitrag das Potenzial der Blogosphäre zur Herstellung bzw. Entwicklung von (Gegen-)Öffentlichkeit(en) verschiedenster Art und Ausprägung im Vordergrund. Zentrales Moment scheint dabei die in und um das Web 2.0 bereits verstärkt zu beobachtende aktive Partizipation der NutzerInnen zu sein, die sich in Bezug auf Weblogs in einer technisch-unterstützen, aber primär sozialen Praxis des »Bloggens« widerspiegelt, welche neben der Produktion von Inhalten in der Form von individuellen Blogbeiträgen, vor allem auch begleitende, kommunikative Handlungen miteinschließt. An die Erläuterung der Funktionsweise von Weblogs als »soziale Medien« schließt sich eine Vorortung der Blogosphäre zwischen den beiden Polen des Öffentlichen und des Privaten an. Die Blogosphäre deckt dabei ein breites Spektrum unterschiedlicher Kommunikationsformen und -arenen ab, die bei Vorhandensein unterstützender, sozialer Vermittlungsstrukturen auch dazu beitragen können, einen diskursiven Bogen zwischen dem Privaten und dem Politischen zu spannen. Die Entstehung von Gegenöffentlichkeit(en) innerhalb der Blogosphäre wird darauf aufbauend als »Mehr-Ebenen-Prozess« beschrieben, woran sich ein abschließendes Fazit zum politischen Potenzial der Blogosphäre anschließt.
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»SOCIAL WEB« – VOM VERÖFFENTLICHUNGSZUM PARTIZIPATIONSMEDIUM: ÜBER DAS PARTIZIPATIVE POTENZIAL SOZIALER MEDIEN
In seinem grundlegenden Aufsatz »What is Web 2.0?« beschreibt Tim O’Reilly (2005) den paradigmatischen Wandel des »World Wide Web« von einem Veröffentlichungs- hin zu einem Partizipationsmedium, und skizziert ein Web 2.0, das vor allem aus kollaborativen Plattformen und so genannten »Web-Applikationen«, und immer weniger aus statischen Inhalten besteht. Ebersbach/Glaser/Heigel (2008) verschieben mit dem Begriff des »Social Web« den Schwerpunkt weiter in den Bereich des Sozialen, bescheinigen dem Web 2.0 letztendlich weniger eine »neue Internet-Architektur«, sondern »eher eine neue soziale Bewegung« zu sein (Kuhlen 2008 zit. nach ebd.: 9). Im Zentrum des Social Web stehen dabei weniger die Plattformen selbst und die ihnen zugrunde liegenden Technologien, sondern vielmehr deren NutzerInnen und das von ihnen geschaffene soziale Umfeld. Die Partizipation der NutzerInnen und nutzerInnengenerierten Inhalte sind für das Web 2.0 in der Tat von entscheidender Bedeutung. Die BetreiberInnen der 3ODWWIRUPHQVWHOOHQKlX¿JPLWGHU$SSOLNDWLRQOHGLJOLFKGLHQ|WLJHQ:HUN]HXJHEH
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reit, für die Inhalte – meist die eigentliche Hauptattraktion der jeweiligen Plattform – sorgen die NutzerInnen in Folge weitestgehend selbst. Dies gilt für die OnlineEnzyklopädie »Wikipedia« ebenso wie für »Facebook« oder »Twitter« und in spe]L¿VFKHU)RUPDXFKIU%ORJVE]ZGLH%ORJRVSKlUHDOV*DQ]HV'LH3ODWWIRUPHQ selbst spielen hierbei vielfach nur noch die Rolle eines »automated intermediary« (O’Reilly 2005), eines zwischengeschalteten Vermittlers, der die auf den Plattformen ablaufenden sozialen Prozesse durch das Bereitstellen einer technischen Infrastruktur bzw. technischer Hilfsmittel unterstützt. Im Hintergrund der Plattformen spielen die technischen Werkzeuge, die komplexen Programme und Algorithmen der Plattformen, dennoch oft eine wichtige 5ROOHEHLGHU(UP|JOLFKXQJXQG]XP7HLODXFKEHLGHU(I¿]LHQ]VWHLJHUXQJGHUDXI GHU2EHUÀlFKHGHU3ODWWIRUPHQVWDWW¿QGHQGHQNROODERUDWLYHQ3UR]HVVH1XW]HU,Qnengenerierte Inhalte werden nicht zuletzt auch technisch (weiter-)verarbeitet, sodass soziale und technische Aspekte auch auf diese Weise miteinander verschmelzen. Beim Zusammentragen und bei der Auswertung der im Web 2.0 anfallenden kleinteiligen, oft verstreuten, aber in der Summe großen Datenmengen, sind die NutzerInnen oft auf technische Unterstützung und geeignete Werkzeuge angewiesen. »Without the data, the tools are useless; without the software, the data is unmanageable« (ebd.). Die wesentlichen Prozesse sind jedoch meist sozialer Natur. Ohne die kollektive Praxis und die kollaborativen Prozesse der NutzerInnen würden diese darunterliegenden technischen Prozesse zum Stillstand kommen. Der Nutzen bzw. Mehrwert des Angebotes ergibt sich oft erst durch die bzw. aus der Bevölkerung der Plattform mit NutzerInnen. Das Entstehen einer Gemeinschaft, einer »Community«, um das eigene Angebot wird daher von den BetreiberInnen der Plattformen, schon aus Eigeninteresse heraus, meist aktiv befördert bzw. bei der Entwicklung mitberücksichtigt: »Alle Anwendungen [. . .] unterstützen konkret die Entstehung einer Online-Community. Meist gruppieren sich Leute um ein bestimmtes Thema oder man verfolgt ein gemeinsames Ziel« (Ebersbach/Glaser/ Heigel 2008: 96). Deutlich wird dies zum Beispiel im Kontext der Online-Enzyklopädie Wikipedia: Wie und auf welche Weise im Rahmen von Wikipedia eine Enzyklopädie entsteht, ist nahezu vollständig das Ergebnis von Verständigungsprozessen der um die Plattform herum entstandenen NutzerInnengemeinschaft (s. a. Stegbauer 2009). Die NutzerInnen legen ihre Inhalte heute nicht mehr nur im World Wide Web ab, veröffentlichen diese, sondern schaffen diese gemeinsam im und mithilfe des Social Web, partizipieren in kollaborativen Prozessen, die Inhalte, gleichzeitig aber auch soziale Strukturen hervorbringen: »[T]he object of the communal effort is almost always as much the development of social structures to support and sustain the shared project as it is the development of that project itself« (Bruns 2007). Soziale Strukturen bzw. Netzwerke, die unter Umständen dann
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auch Öffentlichkeit für die jeweiligen Inhalte, bzw. bestimmte Themen herstellen können. Dies wird insbesondere im Zuge der Betrachtung von Blogs und der Blogosphäre deutlich.
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WEBLOGS UND IHRE KOMMUNIKATIONSSTRUKTUREN – MIKROKOSMOS DER KLEINSTÖFFENTLICHKEITEN
Gerade in Hinblick auf Weblogs und die Praxis des Bloggens lässt sich zeigen, dass die technischen Werkzeuge der Blog-Software bzw. der Blogging-Plattformen durch unterstützende,soziale Prozesse ergänzt werden, sowie, dass die technischen Hilfsmittel bzw. die typischen Funktionen eines Weblogs geradezu darauf abzielen, Kommunikationsprozesse zwischen den NutzerInnen anzustoßen bzw. zu fördern. Das Bloggen ist somit in sich als eine zutiefst soziale Praxis anzusehen. Ein Weblog ließe sich zwar im Prinzip auch in Isolation betreiben, jedoch wirken alle technischen Hilfsmittel und Werkzeuge darauf hin, den Austausch und die Vernetzung mit anderen BloggerInnen zu befördern (Möller 2005: 148). Zur Vernetzung von Blogs tragen insbesondere »Hyperlinks« bei: »In the realm of weblog discourse [. . .] links serve at least three extremely important functions. First, they are a way to cite sources; second, they join texts in a vital network of conYHUVDWLRQDQGWKLUGWKH\HQDEOHQHZUHDGHUVWR¿QGZHEORJVDQGEORJJHUVWRJHWWUDI¿FWR others’ weblogs, serving as a political economy« (Ratliff 2005: 2)
Diese Basistechnologie des World Wide Web wurde von den BloggerInnen nicht nur technisch weiterentwickelt, sie wird von diesen auch konsequenter und poten]LHOOKlX¿JHUJHQXW]W2¶5HLOO\6HHEHU DOVLQDQGHUHQ.RQWH[WHQ des World Wide Web, sodass sich zwischen Blogs ein engmaschiges Netz an Verweisen in der Form von Hyperlinks bildet. Dafür sorgen zum Teil technische Automatismen, zum anderen aber auch soziale Konventionen. Dies trägtnicht zuletzt auch dazu bei, Einschränkungen der frühen persönlichen Homepages in Bezug auf die Sichtbarkeit des eigenen Angebots und die Entstehung von Anschlusskommunikation aufzuheben. Neben dem klassischen Hyperlink, der auch in Blogbeiträgen ZHLWHUKLQ9HUZHQGXQJ¿QGHWJUHLIHQ%ORJV]XVlW]OLFK]%DXIVSH]LHOOHELGLUHN tionale Hyperlinks, so genannte »Trackbacks« oder »Pingbacks«, und so genannte »Permalinks« zurück, die eine dauerhafte Referenzierung der in chronologischer Folge veröffentlichten Beiträge erlauben. Darüber hinaus helfen »RSS-Feeds«, sowie die so genannte »Blogroll« vor allem dabei, einfach Anschluss und in der Folge einen Überblick über die außerhalb des eigenen Blogs geführten Debatten zu behalten. Dies legt den Grundstein für die Entstehung der »Blogosphäre«, als gemeinsamer bzw. geteilter Kommunikationsraum, der aus der kontinuierlichen
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Praxis der Bezugnahme und des regelmäßigen Austausches der einzelnen Blogs bzw. BloggerInnen entsteht. Zur Blogosphäre gehört ein Blog in Folge nicht autoPDWLVFK±XQGLQGHU7DWJLEWHVYHUPXWOLFKHLQHVLJQL¿NDQWH$Q]DKODQ%ORJVGLH intentionell oder akzidentell für sich alleine stehen – sondern erst in dem Moment, in dem der Kontakt zu anderen BlogerInnen aufgenommen wird. Ohne diesen Anschluss an die Blogosphäre ließe sich ein Weblog im Prinzip nur noch als »Content Management System« zweckentfremden. Ohne die sozialen Aspekte des Bloggens, den Anschluss an die Gemeinschaft der Blogosphäre, würden grundlegendetechnische Funktionen, wie z. B. Trackbacks oder Pingbacks, RSS-Feeds oder die Blogroll weitestgehend ins Leere laufen. Über die Inhalte der jeweiligen Blogs bzw. der Beiträge selbst lässt sich vergleichsweise wenig Konkretes sagen. Blogs decken ein breites Themenspektrum ab, das von den jeweiligen BloggerInnen auf unterschiedlichste Weise und aus unterschiedlichsten Blickwinkeln heraus betrachtet werden kann: Blogs können den persönlichen Interessen des bzw. der BetreiberInnen entsprechend eine perV|QOLFKHRGHUWKHPDWLVFKPHKURGHUZHQLJHUVSH]L¿VFKH$XVULFKWXQJKDEHQVLFK PLW$OOWlJOLFKHP DEHU DXFK PLW VSH]L¿VFKHQ 7KHPHQ EHVFKlIWLJHQ 'LH %HLWUl ge rangieren von reinen oder kurz kommentierten Linksammlungen bis zu längeren Essays und aufwendig recherchierten Originalbeiträgen. Der oder die BetreiberInnen selbst können Einzelpersonen oder AutorInnenkollektive sein. Es können Privatpersonen, JournalistInnen oder auch ExpertInnen sein, die wiederum aus privatem, journalistischem oder kommerziellem Interesse heraus schreiben. UnterVFKLHGOLFKH)RUPHQPVVHQGDEHL]ZDQJOlX¿JLPPHULGHDOW\SLVFKEOHLEHQª>9@RQ ›den‹ Weblogs zu sprechen«, sei so Schmidt/Paetzold/Wilbers (2006: 5), daher »im Grunde eine unzulässige Verallgemeinerung«. Auf eine Typisierung wird an dieser Stelle daher bewusst verzichtet. Blogs auf Grund dieser augenscheinlichen Heterogenität in Bezug auf Formate und Inhalte jedoch primär als eine technische Veröffentlichungs- bzw. Distributionsplattform zu betrachten,würde jedoch die zuvor angesprochenen sozialen und gemeinschaftlichen Aspekte des Bloggens übersehen. Zum Bloggen gehörte schon im Verständnis früher Beteiligter mehr als nur die regelmäßige Veröffentlichung von Beiträgen auf einer speziell dafür eingerichteten Webseite. Bereits der als grundlegend anzusehende Beitrag »Anatomy of a Weblog« von Barrett (1999) weist darauf hin, dass BloggerInnen sich gegenseitig wahr- und aufeinander Bezug nehmen, eine (zunächst noch übersichtliche) Gemeinschaft bilden. Auf diese WeiVH HQWZLFNHOWH VLFK PLW GHU =HLW DXFK HLQ VSH]L¿VFKHV 6HOEVWYHUVWlQGQLV ªVR]LDO akzeptierte und geteilte Verwendungsweisen« (Schmidt/Paetzold/Wilbers 2006: 6), bzw. eine Vorstellung davon was es bedeutet (in Gemeinschaft) zu bloggen. Insbesondere hat sich innerhalb der Blogosphäre ein Schreibstil etabliert, der gerade den persönlichen Bezug, die Einarbeitung der eigenen Erfahrungen und des subjektiven Interesses als wesentliche Komponente eines Blogbeitrages begreift
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(Seeber 2008: 14–15; Katzenbach 2008: 94). BloggerInnen machen diese Verbindungen in ihren Beiträgen daher oft deutlich: »Ist die strikte Trennung zwischen Information und Meinung zumindest bei den Qualitätsmedien stark institutionalisiert, ist Subjektivität eines der Leitbilder der Blogosphäre, die, analog zu vielen anderen Angeboten im Internet, von Meinungsäußerungen und der Möglichkeit des Austausches durchdrungen ist« (Seeger 2007: 109).
Mit der Zeit haben sich auch spezielle Beitragsformate etabliert, die der Förderung der Vernetzung innerhalb der Blogosphäre dienen. Dazu gehören z. B. Gastbeiträge von BloggerInnen im eigenen Umfeld, »Presse«- oder präziser »Blogschauen«, die einen Überblick über gelesene Beiträge im eigenen thematischen bzw. persönlichen Umfeld geben, oder z. B. blogübergreifende Projekte, abgestimmte Beiträge zu einem bestimmten Themenkomplex oder die gemeinsame Bearbeitung eines thematischen Schwerpunktes, um nur einige Beispiele zu nennen. Es gibt daher GXUFKDXVJXWH*UQGHYRQ%ORJVDOVHLQHPVSH]L¿VFKHQGenre zu sprechen. Beiträge entstehen in Folge dieser Praxis des gemeinschaftlichen Bloggens oft gerade in Reaktion auf einen in einem anderen Blog gelesenen Beitrag, der in diesem Folgebeitrag referenziert und aufgegriffen wird. Geschieht dies nacheinander durch mehrere BloggerInnen, entwickelt sich oft recht schnell eine komplexe Debatte innerhalb der Blogosphäre. Beziehungsnetzwerke bilden sich auf diese Weise vor allem entlang thematischer Übereinstimmungen: »Eine besondere Leistung der Blogosphäre ist, dass sie basierend auf je indidividuellen [sic!] Publikations-, Vernetzungs- und Rezeptionsregeln, (Teil-)Öffentlichkeiten zu bestimmten Themen herstellt: Diese haben oft die Form von ›verteilten Konversationen‹, weil über wechselseitige Verlinkungen und Kommentare weblogübergreifend Informationen ausgetauscht und kommuniziert werden.« (Schmidt/Paetzold/Wilbers 2006: 43)
Aus der Praxis heraus entstehen auf diese Weise auf Dauer, kleinere und größere, über strong und weak ties miteinander verbundene »Cluster«, Netzwerke von Kleinstöffentlichkeiten, die zusammen erst eine nun verteilte und geteilte, größere Öffentlichkeit, eben jene Blogsphäre, bilden. Entscheidend in Bezug auf die Entstehung von Öffentlichkeit ist in diesem Kontext, dass Inhalte innerhalb dieser Cluster auf einen fruchtbaren Nährboden fallen können, dass sich um bestimmte Themen und Inhalte ein interessiertes Publikum formieren kann, und innerhalb dieser Kontexte AnschlusskommunikatioQHQ VWDWW¿QGHQ 'LHV IKUW GD]X GDVV YHU|IIHQWOLFKWH %HLWUlJH LP ,GHDOIDOO QLFKW für sich allein stehen (bleiben), sondern in der ein oder anderen Art aufgegriffen bzw. weiterverarbeitet und in die im breiteren Rahmen geführte Debatte integriert werden können. Bruns (2008: 71, 74), der diese Praxis, in Abgrenzung zur »Gate-
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keeper«-Rolle von Medienschaffenden in Bezug auf die Berichterstattung in den traditionellen Massenmedien, als »Gatewatching« bezeichnet, hebt hervor, dass innerhalb der Blogosphäre eine Umkehrung dieser klassischen Filter- und Distributionsstrukturen erkennbar wird. Das von den BloggerInnen praktizierte Gatewatching sei als »publicizing rather than publishing«, eher als ein Prozess des Bekanntmachens des bereits Veröffentlichten zu verstehen. Denn veröffentlicht werden kann innerhalb der Blogosphäre zunächst einmal jeder Beitrag, einem größeren Publikum bekannt wirder dadurch jedoch per se noch nicht. Dazu muss der Beitrag auch innerhalb der Blogosphäre einen »ex post«-Filterprozess (»the good is sorted from the mediocre after the fact«) durchlaufen (ebd.). Um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, muss der Beitrag in Folge von anderen BloggerInnen aufgegriffen und weiterverbreitet werden. In Bezug auf die Veröffentlichung unterlaufen Weblogs damit zunächst eine »eindeutige Zuordnung von Öffentlichkeit und Relevanz« (Katzenbach 2008: 12). Dies ermöglicht, so Schmidt (2009: 105), erst die Ansiedelung von »persönlichen Öffentlichkeiten«, in »denen Nutzer sich mit ihren eigenen Interessen, Erlebnissen, kulturellen Werken oder Meinungen für in Publikum präsentieren, ohne notwendigerweise [gleich] gesellschaftsweite Relevanz zu beanspruchen«. Das gemeinsame Projekt, an dem die einzelnen BloggerInnen im Kontext der Blogosphäre dezentral arbeiten, und bei dem unterstützende technische und soziale Strukturen ineinandergreifen, kann letztendlich als ein Ausdifferenzierungsprozess von Öffentlichkeit verstanden werden. Neben der Produktion von Inhalten, den jeweiligen Blogbeiträgen, beinhaltet die soziale Praxis des Bloggens immer auch unterstützende Handlungen zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von ÖffentlichNHLWHQWODQJVSH]L¿VFKHU,QKDOWH=XU8QWHUVXFKXQJGLHVHU$XVGLIIHUHQ]LHUXQJVSUR zesse stellt die Blogosphäre zudem, wie sich zeigen wird, einen idealen Ort dar, da die unterschiedlichen Prozesse hier auf kleinstem Raum in ihrem Wechselbeziehungen zueinander beobachtet werden können, vorausgesetzt, man wählt eine Betrachtungsperspektive, die nicht schon gleich zu Beginn der Analyse einen großen Teil dieser Prozesse aus dem Blickfeld verliert. 2.1 Weblogs und die Blogosphäre zwischen Öffentlichem und Privaten – Zur (politischen) Relevanz alltäglicher Kommunikationsprozesse und geteilter (Lebens-)Erfahrungen im Kontext des Web 2.0 Zwar wurde die Blogosphäre nahezu von Anfang an als politisch relevant und teils auch als eine sich entwickelnde Gegenöffentlichkeit insbesondere zum professionellen Journalismus der klassischen Massenmedien angesehen (Bruns 2008: 86; (EHUVEDFK*ODVHU+HLJHO HEHQVRKlX¿JZXUGHMHGRFKDXFKGLH7KHPD tisierung von Privatem innerhalb der Blogosphäre herangezogen, um die politische
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Relevanz der Blogosphäre als Ganzes zu relativieren oder große Teile einer perspektivischen Betrachtung von vornherein zu entziehen. In Bezug auf das Internet allgemein, vor allem aber im Kontext des Web 2.0 und der Blogosphäre von Interesse ist dabei die, Wimmer (2007: 43) zufolge, von »kommunikationswissenschaftliche[n] und [. . .] [den] meisten politikwissenschaftlichen und soziologischen Theorieentwürfe[n]« gewählte Analyseperspektive auf (politische) Öffentlichkeit. Zentral sei in diesem Kontext einerseits »die Vorstellung von Öffentlichkeit als – hauptsächlich massenmedial vermittelter – Kommunikation« (ebd.: 35). Öffentlichkeit werde dabei mitunter »mit massenmedialer Kommunikation, genauer gesagt mit Presse und Rundfunk als deren Organe, gleichgesetzt« (ebd.: 23 f.). Neben dieser Perspektive existieren auch Konzeptionen von Öffentlichkeit, die einen umfassenderen Blickwinkel einnehmen, und Öffentlichkeit primär als einen »Verständigungsprozess der Gesellschaft über sich selbst« (Klaus 2001: 20) verstehen, an dem verschiedene AkteurInnen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen mitwirken. Andere Formen von Öffentlichkeit neben der massenmedialen, bis hinein in den Bereich des Privaten, wie z. B. Kommunikationsprozesse im Rahmen von alltäglichen Begegnungen, so genannter »Encounter«, oder »Versammlungsöffentlichkeiten« spielen dabei ebenso eine Rolle. 'LH5HOHYDQ]GHUDXIGLHVHQ(EHQHQVWDWW¿QGHQGHQ.RPPXQLNDWLRQHQIUSR litische und gesellschaftliche Aushandlungs- und Verständigungsprozesse wird betont. Eine solche Perspektive nehmen insbesondere auch feministische Konzeptionen von Öffentlichkeit ein: »Feministische Forscherinnen gehen [. . .] grundsätzlich von einem Verständnis von vielfältigen Öffentlichkeiten aus und wenden sich dabei gezielt gegen die Form einer einzigen [. . .] Öffentlichkeit, wie sie [. . .] von vielen DemokratietheoretikerInnen vertreten wird.« (Drüeke/Winker 2005: 39)
Zudem sei diesen Ansätzen, »eine Erweiterung des Politischen und des Politikfähigen« (ebd.: 40) gemein. Will man die Blogosphäre in ihrer gesamten Bandbreite, als Kontinuum, d. h. gerade nicht als zwei voneinander getrennte öffentliche und private Bereiche, betrachten, bietet sich ein Modell an, das Öffentlichkeit und Privatsphäre nicht im Sinne eines »Entweder-Oder-Ansatz[es]« (Wimmer 2007: 49) oder eines »Zwei-Welten-Modells« YRQHLQDQGHUDEJUHQ]WVRQGHUQDOVªUHODWLYH%HJULIIHPLWÀLHHQGHQ*UHQ]HQ©.ODXV XQGVLJQL¿NDQWHQhEHUODSSXQJHQEHJUHLIW:LPPHU EHWRQWLQ seiner Darstellung des »Arenenmodells« von Gerhards und Neidhardt (1990), dass die »Medienöffentlichkeit ohne die anderen [darunterliegenden] Ebenen kaum vorstellbar [sei], da sie einerseits in diesen verankert ist und andererseits Anregungen von diesen« aufnehme. »Letztendlich entsteh[e] Öffentlichkeit somit in der Inter-
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aktion der [versch.] Ebenen«. Gerade weil die Massenmedien also nicht per se als »ausschließliche Träger von Öffentlichkeit« (Klaus/Drüeke 2008: 243) angesehen werden können, fallen bei der zuvor beschriebenen Analyseperspektive zwangsOlX¿JDOOH)RUPHQYRQgIIHQWOLFKNHLWGLHVLFKMHQVHLWVGHUPDVVHQPHGLDOHQ(EHQH konstituieren oder in keiner direkten Beziehung zu dieser stehen, aus der Betrachtung heraus. Gerade in Bezug auf das Internet, und dies gilt insbesondere für das Web 2.0 und die Blogosphäre, wo die verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit zunehmend dichter nebeneinander anzutreffen und potenziell stärker miteinander vernetzt sind, erweist sich eine solche Perspektive als zunehmend hinderlich. So bemerken etwa Neuberger/vom Hofe/Nuernbergk (2010: 14): »Im Internet ist nun auf eine Plattform versammelt, was zuvor getrennt war; es schafft die technischen Voraussetzungen für eine integrierte Öffentlichkeit, die die unterschiedliche Ebenen von Öffentlichkeit in einem Medium vereint. Im Internet wird sichtbar, dass es jenseits der massenmedialen Öffentlichkeit auch bisher schon ›kleine‹, spezialisierte Öffentlichkeiten gab [. . .]«
Die Betrachtung von Blogs »mit der kommunikationswissenschaftlichen Standard-Brille [. . .]«, erfasse, so auch Katzenbach (2010: 206), letztendlich »nur einen sehr kleinen Ausschnitt des Phänomens«. Dennoch charakterisierten erste Studien die Blogosphäre vor allem als eine Art »Bürgerjournalismus« und wählten eine »top-down«-Perspektive, die sich vor allem an den reichweitenstarken, sich oftmals auch mit vordergründig politischen Themen beschäftigenden, sogenannten »A-List«-Blogs orientierte. Die Betrachtung der Blogosphäre erfolgte hier, wenig überraschend, zunächst vor allem in Hinblick auf ihre Bedeutung bzw. ihren Be]XJ]XGHUDXIGHUPDVVHQPHGLDOHQ(EHQHVWDWW¿QGHQGHU.RPPXQLNDWLRQ]%PLW %OLFN DXI LQQHUKDOE GHU %ORJRVSKlUH VWDWW¿QGHQGH$QVFKOXVVNRPPXQLNDWLRQ ]XU klassischen Berichterstattung etablierter Medienangebote. Entlang klassischer Vorstellungen von politischer Öffentlichkeit und Relevanz wurden auf diese Weise gleichzeitig Grenzen in die Blogosphäre eingezogen, die dieser bis dahin eigentlich fremd waren. Die Unterscheidung in »journals and journalism« (Dean 2010: 44; Boyd 2006), in politisch-relevanten (Bürger-)Journalismus auf der einen Seite und privat-markierte Online-Tagebücher auf der anderen 6HLWHLVWLQIUKHQ8QWHUVXFKXQJHQ]XU%ORJRVSKlUHUHODWLYKlX¿JDQ]XWUHIIHQ ª7RJHWKHUWKHWZRPHWDSKRUVRIMRXUQDODQGMRXUQDOLVPFRQ¿JXUHWKHSUDFWLFHRIEORJJLQJLQ terms of a private and a public sphere, failing to analyze or even acknowledge the inaptness of a modern spatial division as a way of thinking about contemporary media and communicative practices.« (Dean 2010: 45)
Nicht zuletzt, so eine der zentralen Erkenntnisse der Frauenbewegung, ist aber auch das Private immer auch ein Stückweit politisch und eine derart gewählte Per-
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spektive läuft Gefahr, gerade dieses Potenzial der Blogosphäre, und in Erweiterung anderer Bereiche des Web 2.0, in denen (medial vermittelt) alltägliche KommuniNDWLRQVSUR]HVVH VWDWW¿QGHQ ]X EHUVHKHQ gIIHQWOLFKNHLW ZLUG KLHU ZLH YLHOIDFK von der Frauen- und Geschlechterforschung kritisiert, als »Ausschlusskategorie« (Klaus/Wischermann 2008: 104 f.) verwendet: »Damit werden Hierarchien auf drei Ebenen [. . .] etabliert: erstens in Bezug auf den Raum, in dem Öffentlichkeit wahrgenommen wird, zweitens in Bezug auf die Legitimität und die Autorität der öffentlich auftretenden AkteurInnen und drittens in Bezug auf die gesellschaftliche Relevanz, die Themen zu- oder abgesprochen wird. [. . .] Frauen als ›Fremdkörper‹ im öffentlichen Raum und ihre vermeintlich privaten Themen sind in dieser Hierarchie nur von minderer Bedeutung.«
Übertragen auf den Kontext der Blogosphäre bedeutet dies, dass aus der eingangs gewählten Perspektive die (überwiegend weiblichen) BloggerInnen mit ihren scheinbar privaten Themen nicht als politisch relevante AkteurInnen wahrgenomPHQZHUGHQGLHJHVHOOVFKDIWOLFKHXQGSROLWLVFKH6LJQL¿NDQ]LKUHU(UIDKUXQJHQXQG Beiträge infrage gestellt, und ihren Blogs und den in diesem Umfeld entstehenden persönlichen und thematischen Beziehungsnetzwerken eine geringere Bedeutung zugebilligt wird. Diese werden letztlich nicht als Öffentlichkeit wahrgenommen, sondern einer apolitischen Privatsphäre zugerechnet. Dass die Blogosphäre, u. a. in ihrem Beitragsstil prinzipiell selbst von dieser, in den klassischen Öffentlichkeitsbegriff eingeschriebenen, dualistischen Konstruktion von Öffentlichem und Privatem abweicht bzw. diese transzendiert, kann als Anzeichen dafür gewertet werden, dass diese Grenzziehungen von außen an die Blogosphäre herangetragen werden. Dass die Beiträge der Blogosphäre das Private und Persönliche miteinbeziehen, es, ganz im Gegensatz zur Praxis des professionellen Journalismus, sichtbar und nicht unsichtbar machen wird in Folge vielfach als ein qualitativer Mangel verstanden und entsprechend kritisiert. Hesse (2008: 9–10) weist darauf hin, dass ein in diesen als privat-markierten Kontexten der Blogosphäre eventuell vorhandenes Potenzial, welches aus der (medial vermittelten) Kommunikation individueller, lebensweltlicher Erfahrungen entspringt, übersehen werden könnte: »Gerade das Tagebuchblog ermöglicht durch seine Zugänglichkeit die diskursive Anknüpfung an die lebensweltliche Erfahrung durch Autor/-innen und Leser/-innen. [. . .] Es zeigen sich Ansatzpunkte für die Entstehung von einfachen Öffentlichkeiten, die die Anknüpfung an lebensweltliche Erfahrung auch auf anderen Ebenen von Öffentlichkeit gestatten.«
Für eine Analyse der Blogosphäre, die explizit auch diese Bereiche von Öffentlichkeit in den Blick nimmt, bietet sich insbesondere das »Drei-Ebenen-Modell«
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von Elisabeth Klaus (2001) an, das von Katzenbach (2008) auf die Blogosphäre und von Wischermann (2003; 2005) auf Bewegungskontexte übertragen wurde. Klaus’ (ebd.: 20) Analyseperspektive bezieht auch die Bereiche des »öffentlichen Lebens« als konstitutiv mit ein, weil gerade »[a]uch im Privaten [. . .] Öffentlichkeit mitgestaltet, hergestellt und verwirklicht« wird. Durch die Verlagerung alltäglicher Kommunikationsprozesse auf eine mediale Ebene bzw. in eine mediatisierte Umgebung ergeben sich, wie von Hesse beobachtet, gerade bezüglich der Entstehung und Aufrechterhaltung, aber auch Ausweitung einfacher Formen von Öffentlichkeit erweiterte Möglichkeiten. Für einfache »Encounter«, Kommunikation im Rahmen alltäglicher, spontaner Begegnungen, die für Klaus (2001: 21–24) die einfachste Stufe von Öffentlichkeit ausmachen, bedeutet die Verlagerung in eine mediatisierte Umgebung, dass diese die zuvor mit dieser Kommunikationsstufe verbundenen Beschränkungen zumindest teilweise ablegen können. Boyd (2008: 27, vgl. Schmidt 2009: 107) nennt insgesamt vier Dimensionen auf Grund derer sich Internet-Encounter in ihrer Beschränktheit von ihren lebensweltlichen Pendants unterscheiden. Durch ihre Verlagerung in eine mediatisierte Umgebung würden diese (1) persistent, (2) replizierbar, (3) skalierbar und (4) durchsuchbar, verlieren dabei zum Teil ihren zuvor als wesentlich an]XVHKHQGHQ ÀFKWLJHQ ªHSLVRGHQKDIWHQ© &KDUDNWHU .DW]HQEDFK XQG werden dadurch zumindest potenziell anschlussfähiger. Die Durchsuchbarkeit und 5HSOL]LHUEDUNHLWGHU,QKDOWHHUOHLFKWHUW]XPHLQHQGDV$XI¿QGHQGHUDUWLJHU%HLWUl ge, zum anderen ermöglicht es, vergleichsweise unkompliziert, deren erneute Nutzung in einem anderen Kontext: »Auch mehrere Jahre nach ihrem Einsatz sind die entsprechenden Artefakte [. . .] im Netz archiviert und verlängern so die Themenöffentlichkeit [. . .] über ihre eigentliche Beendigung hinaus« (Kneip 2010: 169). In Klaus’ Modell fällt der mittleren Ebene u. a. eine zentrale Vermittlerrolle zu. Sie überbrückt die kommunikative Distanz zwischen einfacher und massenmedialer Öffentlichkeit, übersetzt bzw. bereitet Themen für die Verwendung in den jeweiligen Arenen auf: »Themen und Positionen, die auf der einfachen Ebene der Öffentlichkeit diskutiert werden«, werden auf der mittleren Ebene gebündelt bzw. verallgemeinert und so erst in eine Form gebracht, die diese auch in »massenmediale Öffentlichkeiten und institutionalisierte Entscheidungsprozesse« hereinwirken lässt (Klaus/Wischermann 2008: 107). Die massenmediale Ebene ist zur Ausübung ihrer Funktion auf Vorleistungen der beiden unteren Ebenen angewiesen, diese wiederum benötig(t)en die komplexe Ebene (bisher) »um ihren Themen Aufmerksamkeit zu verleihen und ihre gesellschaftliche Relevanz zu sichern« (Klaus 2001: 23). Verschieben sich hier im Zuge des Web 2.0 eventuell die Grenzziehungen zwischen den jeweiligen Ebenen? Inhaltlich, in Hinblick auf die behandelten Themen, sowie funktional, mit Blick auf die Intention der einzelnen BloggerInnen, sind einzelne Blogs und Blogbeiträge dabei, auch Katzenbach (2008: 112) zufolge, als einfache Öffentlichkeiten zu
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verstehen: »Hier wird Alltägliches verhandelt, werden gesellschaftliche Fragen in das persönliche Umfeld der Nutzer eingeordnet.« Die zuvor beschriebenen Effekte der Mediatisierung wirken sich auch hier aus und werden auf der Ebene der Blogs durch die, bereits beschriebenen, verschiedenen technischen Hilfsmittel bezüglich Persistenz und Durchsuchbarkeit zusätzlich verstärkt. Erst der Anschluss an die %ORJRVSKlUH XQG GLH GRUW VWDWW¿QGHQGHQ 3UR]HVVH IKUHQ GD]X GDVV DXV GLHVHQ einfachen Interaktionen vernetzte, mittlere Öffentlichkeiten werden: »Aus isolierten Episoden werden verteilte Konversationen, die nun durchaus die Möglichkeit bieten, Themen und Meinungen zu sammeln [. . .]« (ebd.). Aus dieser Perspektive kann die Praxis des Bloggens als ein fortlaufender Prozess der Verständigung und des Erfahrungsaustausches innerhalb der Blogosphäre verstanden werden: Einzelne Beiträge stellen in diesem größeren Kontext prinzipiell immer nur einen Zwischenstand dar, an den jederzeit zeitlich, räumlich und inhaltlich durch andere BloggerInnen weiter angeknüpft werden kann. Mit Blick auf die zuvor angesprochene Thematisierung lebensweltlicher Erfahrungen innerhalb solcher Kommunikationszusammenhänge, entstehen hier durch eine Anknüpfung bzw. ein subsequentes Aufgreifen günstige Voraussetzungen, auch für eine Politisierung. Mit Blick auf das Aufgreifen derartiger Erfahrungen in den traditionellen Massenmedien betont Klaus (2001: 26–29) aber auch, dass allein deren (einmalige) Thematisierung in einem mediatisierten Umfeld nicht automatisch zu einer Politisierung führe. Ohne daran anschließende Handlungen drohen diese Erfahrungen auch in einer solchen Umgebung zu verpuffen. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese individuellen Erfahrungen, um politische Wirkung entfalten zu können, zuvor auf mittlerer Ebene Übersetzungs- bzw. Transformationsprozesse in der Form einer 9HUDOOJHPHLQHUXQJXQG%QGHOXQJMHZHLOVVSH]L¿VFKHU(UIDKUXQJHQGXUFKODXIHQ »Wandlungsprozesse haben vielmehr zur Voraussetzung, dass organisierte AkteurInnen [. . .] die privaten Erfahrungen verallgemeinern und als Beispiele für [. . .] soziale und gesellVFKDIWOLFKH3UREOHPHXQG.RQÀLNWHWKHPDWLVLHUHQ©(EG
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GEGENÖFFENTLICHKEIT ALS »MEHR-EBENEN-PROZESS«
Diese, an bestimmte AkteurInnen gebundenen Prozesse, sind durch technische Weiterentwicklungen bzw. mit technischen Mitteln nicht ohne Weiteres ersetzbar. Gerade im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien, aber auch zum frühen, noch weitestgehend statischen, World Wide Web könnte in Bezug auf die zu erbringende Transformationsleistung in den zu Kleinstöffentlichkeiten verbundenen Clustern der Blogosphäre ein soziales Potenzial zur Entstehung von (Gegen-)Öffentlichkeit(en)vorhanden sein, welches nicht zuletzt auch die Politisierung des Privaten erlaubt.
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Alltägliche, persönliche Erfahrungen, die im Rahmen eines Blogbeitrages gelXHUWZHUGHQN|QQHQGXUFKGLHVSH]L¿VFKH6WUXNWXUGLHVHU&OXVWHUHYHQWXHOODXI einen fruchtbaren Nährboden treffen. Werden geteilte Erfahrungen von der jeweiligen Gemeinschaft, der Community, aufgegriffen, könnte in einer sich in Folge entwickelnden Debatte die Transformation von einer individuellen Erfahrung hin zu einer Gruppenerfahrung gelingen. In einem auf thematischen und persönlichen Beziehungen aufbauenden Netzwerk erscheint dies als hinreichend wahrscheinlich: »Teilöffentlichkeiten konstituieren sich auf der Basis gemeinsamer, sozialer Erfahrungen, sich überschneidender Handlungsräume oder geteilter Interessen [. . .].« (Klaus 2001: 21)
6REDOGMHGRFKª(UIDKUXQJHQDOVVSH]L¿VFKH8QUHFKWVHUIDKUXQJHQDUWLNXOLHUWQHX bewertet und verallgemeinert werden« können, kann sich eine Gegenöffentlichkeit formieren, deren »öffentliche[] Ausdrucksformen [. . .] einen Bogen vom Privaten zum Politischen [Hervorh. d. Verf.] spannen« (Klaus/Wischermann 2008: 106). Insbesondere aus einer prozessualen Perspektive von Öffentlichkeit als »MehrEbenen-Prozess« ist daher in diesem Kontext erneut danach zu fragen, ob nicht auch in den als privat ausgegrenzten Bereichen der Blogosphäre ein – übersehenes, aber nicht zu geringschätzendes – (politisches) Potenzial zur Entstehung von (Gegen-)Öffentlichkeit – als Ausdifferenzierungsprozess von Erfahrung(en) – verbogen liegen könnte, welches auch in Bezug auf die auf der massenmedialen Ebene zu beobachtenden Interventionen aus der Blogosphäre eine Rolle spielt bzw. spielen könnte. Die zuvor kritisierte »top-down«-Perspektive erstreckt sich, Wischermann (2005) zufolge, letztlich auch auf neuere Bewegungsansätze. Auch dort wurde der Erfolg von Bewegungen in zunehmendem Maße daran gemessen, inwieweit es diesen gelingt, oft in Form von spektakulären, (massen-)medienwirksamen Aktionen mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Dabei werde eine »hauptsächlich an [. . .] medialer Öffentlichkeit orientierte[] Messlatte« angelegt. Ein solcher Ansatz greife aber auch in Bezug auf Gegenöffentlichkeit(en) zu kurz und führe zu »zu einer Unterschätzung anderer wichtiger Bewegungsressourcen« (ebd.: 14 f.). Wischermann (ebd.: 21) verweist auf Raschke (1987: 343), der feststellt: »Eine BeZHJXQJEHUGLHQLFKWEHULFKWHWZLUG¿QGHWQLFKWVWDWW©'LHVH(LQVFKlW]XQJLVW nicht unbedingt als falsch zurückzuweisen. Als einseitig stellt sie sich aber dann heraus, wenn sie in ihrer Betrachtung zu stark fokussiert und etwaige Vorleistungen auf den Ebenen einfacher und mittlerer Öffentlichkeit nicht miteinbezieht, und somit davon ausgeht, die Prozesse von Gegenöffentlichkeit auf der Ebene komplexer Öffentlichkeit stünden für sich allein. Wischermann (2005: 21) hingegen betont: »Erst das komplexe Zusammenspiel«, die »Interaktion einfacher, mittlerer und komplexer Öffentlichkeiten«, ermöglicht es den sozialen Bewegungen auch auf die Diskurse auf massenmedialer
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Ebene einzuwirken. Auch hier sei es nötig, »das ganze Spektrum von Privatheit und Öffentlichkeit« miteinzubeziehen. Angelehnt an Klaus’ Modell unterscheidet Wischermann drei Dimensionen von Bewegungsöffentlichkeit (vgl. ebd.). Auf der Mikro-Ebene der einfachen Öffentlichkeit entwickeln sich dabei so genannte Bewegungskulturen, auf der Meso-Ebene der mittleren Öffentlichkeit Bewegungsöffentlichkeiten, auf der Makro-Ebene schließlich geht es um die »Präsenz [. . .] in den diskursiven und massenmedialen Arenen« (ebd.: 15) der komplexen Öffentlichkeit. Sie betont dabei die entscheidende Bedeutung der auf den unteren Ebenen ablaufenden Prozesse für eine effektive Handlungsfähigkeit der Bewegung auf höherer Ebene. Die notwendige Basis dafür bilden im Kontext einfacher Öffentlichkeit(en) persönliche Beziehungen und sich ausbildende Beziehungsnetzwerke. Diese dienen zum einen als Ressourcen zur Politisierung, aber auch zur Rekrutierung und gegenseitigen Unterstützung. Wie ausgeführt, ist der Aufbau von Beziehungen und Beziehungsnetzwerken im Rahmen einer persönlichen Verortung innerhalb der Blogosphäre fester Bestandteil des Bloggens als sozialer Praxis. Die inhaltlichen Anforderungen an einen typischen Blog-Beitrag und die Erwartungen des Publikums sind zudem hinreichend offen für Artikulationen lebensgeschichtlicher Erfahrungen, für die Thematisierung von Privatem und Persönlichen aus einer subjektiven Perspektive. In einer Studie von Schmidt/Paetzold/Wilbers (2006: 11, 22) geben mehr als drei Viertel der befragten BloggerInnen an, u. a. »Berichte, Episoden, Anekdoten aus [ihrem] Privatleben« im eigenen Blog zu veröffentlichen. Etwa die gleiche Anzahl an befragten BloggerInnen (72%) erklärt auch eine Präferenz bzw. ein Interesse an entsprechenden Beiträgen in anderen Weblogs. Die Blogosphäre bildet somit ein potenziell geeignetes Umfeld für die Transformation von persönlichen Erfahrungen in Gruppenerfahrungen. Auf der Meso-Ebene der mittleren Öffentlichkeit bilden sich unterstützende, widerständige Öffentlichkeiten. Diese zeichnen sich vor allem durch ihre duale Modellierung aus, sie wirken in Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen nach innen wie auch nach außen. Nach innen bilden diese Bewegungsöffentlichkeiten als Gegenöffentlichkeiten eine geschützte Sphäre. Sie schaffen einen Ort, an dem kollektive Selbstverständigungsprozesse ablaufen, eigene Positionen und Strategien entwickelt und erprobt werden können. Nach außen hin wirken sie als »Sprachrohr«, welches die dort entwickelten Positionen und Diskursergebnisse in einen breiteren, hegemonialen Diskurs einzubringen sucht. Auf der Basis persönlicher und thematischer Vernetzung können innerhalb der Blogosphäre, wie erwähnt, stark verdichtete Cluster entstehen, die zusammen einen gemeinsamen, durchaus auch widerständigen, dauerhaft angelegten Kommunikationsraum bilden. Diese Cluster können durch ihre enge Verbundenheit ebenfalls eine duale Modellierung entfalten. Dadurch dass die BloggerInnen innerhalb eines bestimmten Clusters deutlich stärker miteinander vernetzt sind, in intensi-
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veren Austauschbeziehungen, mit- und zueinander stehen, als dies bei außenstehenden Blogs der Fall ist, kann sich innerhalb eines solchen Verbundes ebenfalls HLQJHVFKW]WHU'LVNXUVUDXPHQWZLFNHOQLQGHPHLQLQWHUQHU$XVWDXVFKVWDWW¿QGHQ kann, der sich gegenüber Angriffen von außen jedoch als hinreichend widerständig erweist. Ein innovatives Beispiel für die Widerständigkeit dieser Diskurssphären und für den kreativen Umgang mit Angriffen von außen ist das u. a. von feministischen BloggerInnen ins Leben gerufene Projekt »Hatr«1. Über weniger starke bzw. dauerhafte Verbindungen strahlen diese Diskurse auch nach außen, in benachbarte Sphären. Aufgrund von thematischen Überschneidungen können Blogs über Doppelmitgliedschaften auch zwischen Diskursen in den jeweils stärker verdichteten Kontexten vermitteln. Im Umfeld der Cluster entstehen so mitunter semi-permeable, aber hinreichend abgeschottete, eigene Diskursräume, die gleichzeitig anschlussfähig bleiben an den breiteren Diskurs der Blogosphäre. Die Aufmerksamkeitsströme der Blogosphäre führen dabei in unterschiedliche Richtungen. Sie können aus der Blogosphäre auf die Angebote der Massenmedien verweisen, sie können selbst die Aufmerksamkeit der Massenmedien erregen und nicht zuletzt können sie, und auch das ist zunehmend der Fall, auch die Aufmerksamkeit auf Themen lenken, die von den Massenmedien keine oder eine zu geringe Beachtung erfahren.
4
FAZIT
Aus der Perspektive eines »Drei-Ebenen-Modells« von Öffentlichkeit bzw. von Öffentlichkeit als »Mehr-Ebenen-Prozess« wird deutlich, dass das politische Potenzial der Blogosphäre sich keineswegs in einigen wenigen reichenweitenstarken »A-List«-Blogs erschöpft, sondern sich vielmehr über die ganze Blogosphäre und über alle Ebenen von Öffentlichkeit – von der einfachen bis hinein in die komplexe Ebene – erstreckt. Diese veränderte Perspektive erlaubt es die Blogosphäre nicht nur eindimensional, als eine einzelne (Gegen-)Öffentlichkeit wahrzunehmen, die sich vor allem in Richtung der traditionellen Massenmedien in Stellung zu bringen
1
Das Projekt »Hatr« (http://www.hatr.org/, 02.02.2014) sammelt auf einer zentralen, eigens für diesen Zweck eingerichteten, Plattform u. a. offen diskriminierende und andere inakzeptable Kommentare von NutzerInnen aus den teilnehmenden Weblogs, v. a. mit feministischem und antirassistischem Schwerpunkt, und platziert diese dort u. a. neben geschalteten Werbebannern. Diese Kommentare werden dadurch nicht einfach aus den jeweiligen Blogs gelöscht, wodurch ihr Ausmaß »unsichtbar« gemacht würde, sondern werden in dem anderem, abweichenden Kontext der Plattform konsequent »sichtbar« gemacht, ohne dabei »das Gesprächsklima auf den Blogs zu stören«, so u. a. die Projektbeschreibung.
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scheint, sondern als einen vielschichtigen und komplexeren Entwicklungsraum von (Gegen-)Öffentlichkeit, innerhalb dessen kleinere (Gegen-)Öffentlichkeiten unterschiedlicher Art und Ausrichtung in teilweise komplexen Wechsel- und Austauschbeziehungen zueinander stehen. Interessant erscheint die Blogosphäre demnach vor allem als klassische mittlere Öffentlichkeit, sowohl in Bezug auf ihr Vermittlungsund Übersetzungspotenzial in Richtung komplexer Öffentlichkeitszusammenhänge, aber eben auch in Richtung einfacherer Formen von Öffentlichkeit. Schon in der Frühphase des Internets wurde von einigen BeobachterInnen vermutet, die Entwicklung von Gegenöffentlichkeit(en) im Internet werde vor allem durch das Fehlen von geeigneten Vermittlungsstrukturen gehemmt: Informationen wurden zwar ins Internet gestellt, waren dort also veröffentlicht bzw. potenziell abrufbar, es entwickelte sich jedoch keine diskursive Öffentlichkeit um diese herum. Den technischen Weiterentwicklungen schienen zu diesem Zeitpunkt noch keine geeigneten, unterstützenden sozialen Strukturen gegenüberzustehen. In der Hoffnung, dass dies zur »politisch[en] Stärkung« (Taube/Winker 2005: 123) beitrage, entwickelten Taube und Winker (ebd.) bereits zur damaligen Zeit ihr Konzept »Virtuelle[r] Nachbarschaften zur Unterstützung subalterner Gegenöffentlichkeiten« im Internet. Sie betrachteten das Internet schon damals »als soziales Netzwerk [. . .], das Menschen mit Hilfe von Computern verbindet« und erkannten, dass die »Herausforderung [. . .] nicht in der Bereitstellung immer vielfältigerer Informationen EHVWDQGVRQGHUQLQGHU$XI¿QGEDUNHLWXQG6WUXNWXULHUXQJDOOGHU,QIRUPDWLRQHQ die auf den unterschiedlichsten [. . .] Websites [. . .] bereits zur Verfügung stehen« (ebd.:108). Mit den »Virtuellen Nachbarschaften« sollten im Internet »gemeinsame Bezugspunkte« entstehen, inhaltlich abgegrenzte Teilbereiche, »ein [. . .] Ort im WWW, an dem Websites und Personen gebündelt werden, die einen gemeinsamen inhaltlichen Bezug haben« (ebd.:108, 111). Vergleich man diese Darstellung mit den sich in der Blogosphäre ausbildenden Strukturen, wird deutlich, dass diese mit den »Virtuellen Nachbarschaften« unübersehbare Gemeinsamkeiten aufweisen. Im Vergleich zu den frühen persönlichen Homepages zeigt sich der Paradigmenwechsel, der im Kontext der Entwicklung zum Web 2.0 stattgefunden hat. Weblogs sind nicht mehr in erster Linie ein Informations-, sondern vor allem ein Kommunikations- bzw. Dialogangebot, ganz im Sinne von dem von O’Reilly beobachteten turn vom »publishing« zur »participation«. Paradoxerweise verwies Leggewie (1998: 43) bereits 1998 darauf, dass das »übersehene« Potenzial des Internets »vor allem in der Vernetzung jener Sphäre [bestehe], die klassische Theorien von Öffentlichkeit als nicht-öffentlich [Hervorh. d. Verf.] denunziert haben«. Die Entwicklung des World Wide Web von einem Veröffentlichungs-, hin zu einem Partizipationsmedium im Kontext des Web 2.0 scheint inzwischen zumindest potenziell diejenigen Vermittlungsstrukturen geschaffen zu haben, durch deren Fehlen BeobachterInnen in der Frühphase des Internets das Potenzial zur Entwicklung von (Gegen-)Öffentlichkeit noch gehemmt sahen.
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Durch das Ineinandergreifen von geeigneten technischen Hilfsmitteln, vor allem aber unterstützenden sozialen Strukturen kann im Kontext der Blogosphäre nicht nur die effektive Nutzbarmachung der vielen einzelnen Beiträge und der darin enthaltenen Erfahrungen gelingen, sondern diese werden im Idealfall auch in einen Prozess der gemeinschaftlichen (Weiter-)Verarbeitung eingefügt, welcher es erlaubt, deren Potenzial zu entwickeln: Eine Transformation, die auch im Kontext einer zunehmenden Mediatisierung und, daraus folgend, eines immer komplexeren Neben-, vielfach auch Durcheinanders unterschiedlichster Kommunikationsprozesse nach wie vor erforderlich scheint, um den Bogen vom Privaten zum Politischen sowie von einfacheren zu komplexeren Öffentlichkeitszusammenhängen zu spannen. Die auf der mittleren Ebene innerhalb der Blogosphäre ablaufenden sozialen Prozesse – der Austausch und die Bezugnahme der BloggerInnen sowie die daGXUFKVWDWW¿QGHQGH9HUDUEHLWXQJYRQ7KHPHQDEHUDXFK9HUJHPHLQVFKDIWXQJYRQ Personen – bilden effektive Vermittlungs- bzw. Übersetzungsstrukturen, um Erfahrungen aus einfachen Öffentlichkeitskontexten zu sammeln und auf eine Art und Weise zu bündeln, dass diese auch in breitere Kontexte hineinwirken können. Für die Handlungsfähigkeit von AkteurInnen auf den jeweils höheren Ebenen von Öffentlichkeit und die in diesem Kontext zu erbringende Transformationsleistungen sind diese vorgelagerten Strukturen vermutlich von entscheidender Bedeutung.
5
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IV. Mehr-Ebenen-Modelle und Öffentlichkeitstheorien
(EHQHQGHU3DUWL]LSDWLRQLQGHU$XÀ|VXQJ"
Ebenen der Partizipation in der Auflösung? Das Drei-Ebenen-Modell und Ansätze partizipatorischer Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter JEFFREY WIMMER
1
ÖFFENTLICHKEIT ALS MOVING TARGET
Öffentlichkeit ist ein Schlüsselbegriff der Kommunikationswissenschaft. Seit dem 19. Jahrhundert wird er bis heute in klassischen Öffentlichkeitsansätzen aber auch im öffentlichen Diskurs vor allem durch journalistische Massenkommunikation charakterisiert (vgl. Heesen 2008). Allerdings stellt Öffentlichkeit mehr denn je in mehrfacher Hinsicht ein ›moving target‹ dar. Der rasche Medien- und Gesellschaftswandel macht – nicht nur aus erkenntnistheoretischer, sondern auch aus normativer Perspektive – eine Neubestimmung des Öffentlichkeitsbegriffs notwendig. Differenzierende Ansätze wie das Drei-Ebenen-Modell zeigen auf, GDVV GDV .RQVWUXNW gIIHQWOLFKNHLW LPPHU DXFK DXFK DQ VSH]L¿VFKH .RQWH[WH ± u. a. sozialer, zeitlicher und räumlicher Art – gebunden ist. Die im Zuge des gegenwärtigen Wandels sich ändernden medienkulturellen, gesellschaftspolitischen und technischen Bezüge öffentlicher Kommunikation haben also auch neue Koppelungen zur Folge, die es erst noch öffentlichkeitstheoretisch wie empirisch DXV]XORWHQ JLOW YJO ] % :DOOQHU$GROI 6R ¿QGHW |IIHQWOLFKH .RPPX nikation beispielsweise in struktureller Hinsicht zunehmend auch in virtuellen, individualisierten und dynamisierten Kommunikationsräumen scheinbar losgelöst von politischen Geltungsbereichen und physischen Bezügen statt. Aber auch aus subjektbezogener Sicht ändert sich die Konstituierung und Relevanz von Öffentlichkeit, da sich beispielsweise BürgerInnen nicht mehr allein in lokal begrenzten sozialen und politischen Kontexten, sondern in zunehmend mobilisierten Lebenswelten bewegen, die mit recht unterschiedlichen, von kosmopolitischen bis hin zu idiosynkratischen Öffentlichkeitsanbindungen einhergehen können (vgl. Lingenberg 2014).
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Einen zentralen Beitrag zur kommunikationswissenschaftlichen Erforschung der Komplexität von Öffentlichkeit hat Klaus (1998) mit dem so genannten DreiEbenen-Modell geliefert. Es konzipiert Öffentlichkeit als einen hochdynamischen Konstruktionsprozess und bietet einen Analyserahmen für die Frage, auf welchen Ebenen sich welche Form von Öffentlichkeit konstituiert und von welchen Teilöffentlichkeiten, Diskursen und gesellschaftlichen Umbruchsphasen diese getragen wird. Im Anschluss an dieses Modell kann Öffentlichkeit als ein Mehrebenenphänomen verstanden werden (vgl. ähnlich auch Dahlgren 2005; Klaus/Wischermann 2008; Krotz 1998; Peters 2007), das neben der vor allem in der Publizistik fokusVLHUWHQUHSUlVHQWDWLRQHOOHQ'LPHQVLRQQLFKWQXUHLQHQMHVSH]L¿VFKHQPHGLHQNXOWX rellen und gesellschaftspolitischen Kontext besitzt, sondern auch stets eine strukturelle wie subjektbezogene Dimension impliziert (Wimmer 2011).1 Die strukturelle Dimension bezieht sich auf die manifesten Organisationsformen, Institutionen und Funktionen von Öffentlichkeit, die diese auf gesamtgesellschaftlicher bis hin zur lokalen Ebene einnimmt. Die subjektbezogene bzw. interaktionale Dimension verweist auf die Aneignung öffentlicher Kommunikationsprozesse und die Teilhabe an Öffentlichkeit. Diese kann unterschiedliche Formen annehmen – wie z. B. das emotionale ›Bewegtsein‹ der Menschen, die Publikumsresonanz von Medienangeboten (so genannte Anschlusskommunikation) oder auch die Interaktion zwischen den BürgerInnen, welche sich von interpersonalen Gesprächen auf der Mikroebene, über größere Veranstaltungen und Versammlungen auf der Mesoebene hin zur allgemeinen kommunikativen Konstruktion und Etablierung medialer Öffentlichkeiten auf der gesellschaftsweiten Makroebene erstrecken kann. Auch die Möglichkeiten der BürgerInnen zur (medialen) Partizipationskommunikation u. a. im Sinne der Produktion eigener Medieninhalte, dem Aufbau von Bürgermedien, der Konstituierung von Bewegungsöffentlichkeiten oder auch im Internet in Form partizipativer Nachrichtenseiten sind dabei analytisch in Betracht zu ziehen. 'LHYHUVFKLHGHQHQ'LPHQVLRQHQXQG(EHQHQYRQgIIHQWOLFKNHLWEH¿QGHQVLFK zum einen jeweilig in einem andauernden Wandlungsprozess, zum anderen sind sie komplex aufeinander bezogen – im Internet-Zeitalter augenscheinlich mehr denn je. Vor dem Hintergrund des rapiden medialen wie gesellschaftlichen Wandels soll daher in diesem Beitrag kritisch ausgelotet werden, inwieweit sowohl die strukturelle Ebenendifferenzierung als auch die subjektbezogenen Bedeutungen von Öffentlichkeit aus dem »Vor-Internet-Zeitalter« (Klaus 2013) noch aufrechtzuerhalten sind. Als Fallbeispiel der ebenenübergreifenden Konstruktion von Öffentlichkeit(en) dienen die alten wie neuen Formen von Partizipationskommunikation, z. B. im Rahmen interpersonaler Anschlusskommunikation im Social Web. Die Analyse gliedert sich dafür in drei Abschnitte: Zuerst wird auf das Drei )U HLQH VSH]L¿VFKH $XI]lKOXQJ NRQNUHWHU gIIHQWOLFKNHLWVNDWHJRULHQ GLH DXI GLHVH Grunddimensionen rekurrieren, vgl. Wimmer (2011: 168 f.).
EBENEN DER PARTIZIPATION IN DER AUFLÖSUNG?
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Ebenen-Modell und den durch die Digitalisierung und Mediatisierung forcierten und beschleunigten Struktur- und Bedeutungswandel öffentlicher Kommunikation eingegangen (Abschnitt 2). Vor dem Hintergrund dieses Strukturwandels sind die kommunikativen Potentiale für die Zivilgesellschaft im Sinne der Partizipation an Öffentlichkeit grundsätzlich ambivalent zu beurteilen (Abschnitt 3). Der Beitrag schließt mit Implikationen für die Erforschung und die Zukunft von Öffentlichkeit und medialer Teilhabe an Öffentlichkeit (Abschnitt 4).
2
DAS DREI-EBENEN-MODELL VON ÖFFENTLICHKEIT IM INTERNET-ZEITALTER
Der Öffentlichkeitsansatz von Klaus (1997; 1998) steht in der Tradition sowohl (medien-)kulturorientierter Analysen aus dem Bereich der Cultural Studies als auch von Ansätzen aus der konstruktivistischen Politiktheorie (z. B. Fraser 1992; )HOVNL .ODXVYHUGHXWOLFKWGDVVNODVVLVFKH'H¿QLWLRQHQYRQgIIHQWOLFKNHLW als eine bestimmte Einheit (= Öffentlichkeit im Singular) an ihre Grenzen stoßen (vgl. ausführlich Klaus/Drüeke 2012). Die kommunikationswissenschaftliche Analyse sollte sich nicht auf politische Funktionen von Öffentlichkeit (= Öffentlichkeit im engeren Sinne) beschränken, wie es exemplarisch der Ansatz von Öffentlichkeit als intermediäres Kommunikationssystem (Gerhards/Neidhardt 1990) implizit betreibt. Vielmehr müssen auch die Verschränkungen von Öffentlichkeit mit anderen gesellschaftlichen Bereichen sowie ihre zentrale Rolle bei der Konstituierung individueller wie gesellschaftlicher Identitätsprozesse und damit u. a. bei der Ausbildung gesellschaftlicher Normen und Ungleichheiten (= ÖffentOLFKNHLW LP ZHLWHQ 6LQQH LQ GHQ )RNXV JHQRPPHQ ZHUGHQ 6R GH¿QLHUW .ODXV (1998: 136) Öffentlichkeit als den »Verständigungsprozeß der Gesellschaft über sich selbst«, über den »gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt, gefestigt, ent- oder verworfen, die Regeln und Normen des gesellschaftlichen =XVDPPHQOHEHQV EHVWlWLJW RGHU PRGL¿]LHUW VRZLH NXOWXUHOOH =LHOH EHUSUIW XQG kulturelle Identitäten geschaffen« werden.2 In struktureller Hinsicht ist der Kernaspekt des Drei-Ebenen-Modells die Differenzierung von Öffentlichkeit in so genannte einfache (spontane, interpersonale Kommunikation), mittlere (z. B. organisierte Kommunikation im Rahmen von
2
Sie verweist in ihrer Argumentation auf Winter (1993: 29), der den Grundgedanken dieser Analyseperspektive verdeutlicht: »[. . .] Hauptbezugspunkt ist [. . .] nicht die traditionelle Frage nach der Möglichkeit der Kritik politischer Macht durch Öffentlichkeit, sondern die Frage nach anderen Funktionen von Öffentlichkeit, z. B. den Möglichkeiten von Öffentlichkeiten, kulturelle Selbstvergewisserungsprozesse anzustoßen oder kulturelle Ziele und Identitäten zu konstituieren.«
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Organisationszusammenhängen) und komplexe Öffentlichkeiten (v. a. massenmediale Kommunikation) (Klaus 1997; 1998). Auf den ersten Blick orientiert sich Klaus dabei stark an der Systematik von Gerhards und Neidhardt. Öffentlichkeit wird hier als ein quasi unbegrenztes Kommunikationssystem modelliert, das eine Vielzahl kleiner und großer Foren umfasst, die nur teilweise miteinander vernetzt sind (Gerhards/Neidhardt 1991: 49). Die Foren wiederum lassen sich anhand der Menge der TeilnehmerInnen und dem Grad der strukturellen Verankerung in drei Öffentlichkeitsebenen differenzieren (Gerhards/Neidhardt 1991: 49 ff.). Auf der Makroebene (massen-)medialer Öffentlichkeit(en) kann man von einer »langfristig relativ stabile(n) synergetische(n) Konstellation aus Sprecherensemble, Medien und Publika« ausgehen (Brüggemann et al. 2009 408). Auf der Mesoebene sind meist temporäre und z. T. recht verschiedene Versammlungsöffentlichkeiten, eine Eventisierung politischer Kommunikation (Couldry et al. 2009), aber auch eine zunehmende Resonanz populärkultureller Ereignisse wie z. B. den Eurovision Song Contest oder Fußball-Weltmeisterschaften (Brüggemann et al. 2009) zu beobachten. Auf der Mikroebene sind hochgradig episodische und unterschiedliche persönOLFKH(UIDKUXQJHQXQG(PS¿QGXQJHQJHWHLOWHSROLWLVFKHXQGNXOWXUHOOH,GHQWLWlWHQ oder soziale Anliegen zu differenzieren, die dann oftmals Anlass für interpersonale Anschlusskommunikation und individuelle Sozialisationsprozesse sind. Schon bei Gerhards und Neidhardt (1990: 19) ist »(d)ie Beschreibung der Ebenen [. . .] kein Selbstzweck«. Denn mit der Ebenenunterscheidung wollen die Autoren zum einen die (historische) Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit beschreiben, zum anderen deren Funktions- und Leistungsfähigkeit auf die Spur kommen. Klaus geht allerdings in ihrem Öffentlichkeitskonzept über die Heuristik von Gerhards und Neidhardt in mehrfacher Hinsicht hinaus. So macht sie pointiert auf die »blinden Stellen« bisheriger traditioneller Öffentlichkeitskonzepte3 aufmerksam, von denen in der Argumentation des Beitrags v. a. die von Klaus und Drüeke (2012) bezeichneten »Impulse« des »Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit« und die»Verwendung eines weiten Begriffs der Öffentlichkeit« eine wichtige Rolle spielen.4 Beiden theoretischen Ansprüchen des Drei-Ebenen-Modells kommt, wie
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Ferree et al. (2002) differenzieren diesbezüglich repräsentativ-liberale, partizipatorischliberale, deliberative und konstruktionistische Demokratietheorien bzw. Öffentlichkeitsmodelle. Klaus und Drüeke (2012: 55) formulieren insgesamt sieben so genannter »Impulsstränge«, um Öffentlichkeit hinsichtlich ihrer »theoretischen wie politischen Dimensionen« erfassen zu können: »(1) Die Infragestellung des Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit, (2) (d)ie Betonung der emotionalen Verankerung rationaler öffentlicher Diskurse, (3) (d)ie Argumentation für einen weiten Politikbegriff in der Öffentlichkeitsforschung, (4) (d)ie Erkenntnis, dass Öffentlichkeit als Norm sich in pluralen Teilöffentlichkeiten verwirklicht, (5) (d)ie Einsicht, dass es zur Analyse von Öffentlichkeiten
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noch auszuführen ist, im Rahmen der Digitalisierung und Mediatisierung von Öffentlichkeit eine immer größer werdende Rolle zu. Den Impulsen folgend nimmt Klaus in ihrem Öffentlichkeitsmodell nicht nur analytische Differenzierungen vor, sondern berücksichtigt stärker aus kritischer Perspektive auch gesellschaftspolitische und damit normative Kontexte. Im Anschluss an Fraser veranschaulicht sie zum einen die Notwendigkeit der gesellschafts- und machttheoretischen und damit strukturellen Verortung von Öffentlichkeit, da Öffentlichkeit die Teilhabe an Politik und damit letztendlich die Kontrolle von Herrschaft ermöglicht. Zum anderen YHUGHXWOLFKWVLHGLH3OXUDOLWlW5HÀH[LYLWlWXQG:LGHUVSUFKOLFKNHLWGHUVXEMHNWEH zogenen und damit z. T. höchst individuellen wie privaten Dimension politischer Kommunikation, die nichtsdestotrotz öffentlichkeitswirksam ist – wie beispielsweise politische Bedeutungskonstruktionen auf der Basis von kulturellen, freizeitbezogenen, medialen oder gar sexuellen Orientierungen und Präferenzen etc. (vgl. hierzu grundlegend Fraser 1996; Polan 1993; Warner 2002). Diese Verschränkung von subjektbezogenen und strukturellen Dimensionen von Öffentlichkeit, von Privatheit und Partizipation ist zugleich zentraler normativer Anspruch an Öffentlichkeit, da mit dem »Prinzip« Öffentlichkeit immer auch )UDJHQYRQ0DFKW(LQÀXVVXQG8Q *OHLFKKHLWYHUEXQGHQVLQG6RYHUGHXWOLFKW Klaus (1998) exemplarisch, dass die subjektive Relevanzzuschreibung im Rahmen »einfacher Öffentlichkeiten«, also die Publikumswahrnehmung, oftmals ungleich der Gewichtung eines politischen Themas durch die Medienöffentlichkeit (»komplexe Öffentlichkeiten«) ist und dieses gravierende gesellschaftspolitische wie individuelle Folgen besitzen kann. Vor dem Hintergrund der raschen Transformation von Öffentlichkeit und deren zentralen integrativen Funktion für die Gesellschaft formuliert Krotz (1998: 111 f., Hervorhebung i. O.) daher folgende Grundsatzfrage nach den Partizipationschancen an der Öffentlichkeit: »[W]ie adäquat [ist] die bisher mögliche Teilhabe an organisierter Öffentlichkeit als Nutzung standardisierter Nachrichten- und Informationssendungen und wie adäquat [sind] die Partizipationsmöglichkeiten der repräsentativen Demokratie unter heutigen Lebens-, Arbeits- und Medienbedingungen heute noch [. . .] Denn Bürgern und Bürgerinnen müssen gemäß des gesellschaftlichen und technischen Entwicklungsstands adäquate Informations- und Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden.«
Öffentlichkeit gewährt in diesem Kontext die Teilhabe an Politik. Partizipation kann dabei als eine Praxis bzw. Alltagshandlung verstanden werden, die von den BürgerInnen in konkreten Situationen, unter bestimmten Umständen und zu beintersektioneller Perspektiven bedarf, (6) (d)ie Beobachtung der Transnationalität vieler Öffentlichkeiten, (7) (d)ie Inszenierung und Performativität insbesondere von Gegenöffentlichkeiten.«
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stimmten Zwecken ausgeübt wird. In diesem Kontext verweist der Begriff auf ein Kontinuum verschiedener Formen der Teilhabe, die von Fehl- oder Scheinformen über latente und manifeste bzw. bewusste und unbewusste Formen der Beteiligung bis hin zu Arten der Selbstverwaltung reichen können (vgl. Ekman/Amna 2012). Partizipation in und durch Medien (Carpentier 2011) bezieht sich auf die mannigfaltigen Optionen zur Teilhabe an und Repräsentation in öffentlichen Diskursen. Aus theoretisch-analytischer Perspektive sind somit hauptsächlich die sowohl VXEMHNWLY HPSIXQGHQHQ DOV DXFK VWUXNWXUHOO YHUPLWWHOWHQ =XJDQJV XQG (LQÀXVV möglichkeiten im Rahmen von Öffentlichkeitsprozessen von Interesse. Empirisch gilt es zu untersuchen, inwieweit in der (politischen) Öffentlichkeit (als intermediäre Sphäre zwischen der privaten Lebenswelt und politischen wie gesellschaftlichen Strukturen) private Themen und Meinungen gesellschaftsweit diskutiert ZHUGHQZHOFKHGDYRQ$QVFKOXVVDQHLQHQEUHLWHUHQJHVHOOVFKDIWOLFKHQ'LVNXUV¿Q den und welchen Beitrag die BürgerInnen dazu leisten können (vgl. prototypisch Couldry et al. 2007: 24) In ihrer Analyse der grundlegenden Medienrepertoires des Publikums konkretisieren Couldry et al. (2007) ihren Ansatz der so genannten »Public Connection«: Eine größere kommunikative Vernetzung der Menschen untereinander und eine größere Orientierung an – in Kommunikationsmedien vermittelten – öffentlichen Themen können zu einem größeren Vertrauen in den Staat und zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement führen. Lingenberg (2010: 150) zeigt an empirischen Fallbeispielen allerdings auf, dass »die Beteiligung an öffentlichen Diskursen ebenso wie die Beobachtung politischen Geschehens längst nicht mehr nur über Massenmedien, sondern auch über spezialisierte Newsgroups, Diskussionsforen, Blogs und Twitter im Internet oder über das Mobiltelefon denkbar [sind]«. Auf XQ]lKOLJHQ3ODWWIRUPHQ¿QGHQ0HQVFKHQPLWlKQOLFKHQSULYDWHQNXOWXUHOOHQDEHU auch politischen Interessen zueinander, um ihr Wissen zu teilen, sich zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Es entstehen hier neue Formen von Teilöffentlichkeiten, GLHVRZRKO|IIHQWOLFKNHLWUHÀHNWLHUHQGDOVDXFKUHOHYDQWDJLHUHQGLHVRJHQDQQWHQ »networked publics« (vgl. im Überblick boyd 2010; Varnelis 2008). Der Fokus der Öffentlichkeitsforschung verschiebt sich somit von den Öffentlichkeitsebenen hin zu den Netzwerken der Öffentlichkeitakteure (vgl. Abschnitt 3) und auf die damit zusammenhängende basale Frage, inwieweit die Machtzunahme der persönlichen Öffentlichkeiten und der intermediären Technologien wie z. B. dem Social Web zu einer größeren Persistenz und/oder Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Öffentlichkeitsebenen führt (vgl. Theis-Berglmair 2014). Diese theoretischen Ansätze wie auch empirische Befunde revitalisieren auch in der Kommunikationswissenschaft die grundsätzliche Debatte darüber, inwieweit bei der Konstitution von Öffentlichkeit nicht nur die Rolle der Massenmedien, sondern auch die der interpersonalen Kommunikation stärker in den Untersuchungsfokus geraten muss. So stellt schon Habermas (1990 [1962]) fest, dass in
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der Moderne die Medienorganisationen zwar den institutionellen Kern politischer Öffentlichkeit bilden, aber erst im Rahmen so genannter episodischer Öffentlichkeiten5 Öffentlichkeit an sich zum Leben erweckt wird und damit in der Moderne die (medienvermittelte) interpersonale Kommunikation das eigentliche Fundament der Demokratie darstellt.6 Den hohen Stellenwert von individuellen Selektions-, Rezeptions- und Aneignungsprozessen bei der Konstitution von Öffentlichkeit(en) betont auch Dahlgren (2006: 274; vgl. grundlegend hierzu Krotz 1998): »The public sphere does not begin and end when media content reaches an audience; this is but one step in larger communication and cultural chains that include how the media output is received, made sense of and utilized by citizens.« Eingebettet sind diese individuellen Kommunikationshandlungen in die immer stärker werdende mediale Vermittlung und Durchdringung unseres Alltags, der in der Kommunikationswissenschaft als überreifender Metaprozess der Mediatisierung gefasst wird und der sowohl die Chancen und Risiken dieses Öffentlichkeitswandels analytisch berücksichtigt. So konkretisiert Krotz (2007: 107), dass »die computervermittelte Kommunikation [. . .] als Folge des Mediatisierungsprozesses langfristig eine potenzielle Basis für neue Formen von Öffentlichkeit und politischer Kommunikation bilden kann.« Neuberger (2009, S. 35) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass digitaler Medienwandel und die neuen technischen Potentiale für Interaktivität die Akteurshandlungen, Strukturen und Leistungen von Öffentlichkeit neu prägen und eventuell »funktionale Äquivalente« zum Journalismus und damit zu massenmedialer Öffentlichkeit entstehen lassen wie z. B. die so genannte Blogosphäre und deren quasi-öffentliche Anschlusskommunikation (Nuernbergk 2014) oder andere Formen zivilgesellschaftlicher Partizipationskommunikation im Internet. Diese kann für Dutton (2009) aus politikwissenschaftlicher Sicht einen so genannten »fünften Stand« bzw. aus kommunikationstheoretischer Sicht eine »fünfte Gewalt« im Staat einnehmen, die in ihrer Kommunikationsmacht langsam aber sicher die traditionellen Machtinstitutionen (Exekutive, JudiNDWLYH/HJLVODWLYHXQG-RXUQDOLVPXV EHUÀJHOW
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Ähnlich wie Gerhards und Neidhardt (1990) und Klaus (1998) unterscheidet Habermas (1992: 452) anhand der Kriterien Kommunikationsdichte, Organisationskomplexität und Reichweite drei Ebenen von Öffentlichkeit: »von der episodischen Kneipen-, Kaffeehaus- oder Straßenöffentlichkeit über die veranstaltete Präsenzöffentlichkeit von Theateraufführungen, Elternabenden, Rockkonzerten, Parteiversammlungen oder Kirchentagen bis zur abstrakten, über Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit von vereinzelten und global verstreuten Lesern, Zuhörern und Zuschauern.« Allerdings konstatieren Habermas selbst und weitere Autoren diesbezüglich kritisch, dass die Massenmedien Öffentlichkeit gleichsam monopolisiert haben (z. B. Marcinkowski 2001: 245 f.).
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Die im öffentlichen Diskurs beispielsweise äußerst populäre Diagnose einer »Facebook-Revolution« als Manifestation des aktuellen Strukturwandels von Öffentlichkeit erscheint aus dieser Perspektive klar unterkomplex, wenn sie allein auf die technischen Öffentlichkeitspotentiale bestimmter Social Web-Anwendungen rekurriert.7 Denn es ändern sich nicht nur die strukturellen sondern auch die subjektbezogenen Dimensionen von Öffentlichkeit. So können wir nicht nur einen Strukturwandel von Öffentlichkeit feststellen, sondern auch einen subjektbezogenen Bedeutungswandel von Partizipation. Denn der übergreifende Gesellschaftsund Kulturwandel im Rahmen der Mediatisierung verschränkt die kommunikativen Handlungen in den verschiedenen (mediatisierten) öffentlichen Räumen in komplexer und oft widersprüchlicher Weise mit den privaten Einstellungen und Verhaltensweisen.8 Coleman und Ross (2010: 154) präzisieren diesen Umstand am Fallbeispiel politischer Partizipation und der aktiven Teilhabe an Öffentlichkeit als »glaring paradox of contemporary democracies«: Obwohl das Publikum mehr denn kommunikative und mediale Möglichkeiten zur Partizipation besitzt, wie EHLVSLHOVZHLVHªTXHVWLRQWKHLUUXOHUVFKDOOHQJHRI¿FLDOLQIRUPDWLRQFRQWULEXWHWR mainstream media; produce their own media and speak for themselves«, belegen empirische Studien neben der zunehmenden Politikverdrossenheit auch eine Art Kommunikations- und Medienverdrossenheit – »feeling distant from elites; ignored by the media; unheard by representatives; constrained in public speech and utterly frustrated by the promises of democracy.«
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Idealtypisch für diese Position kann auf die Schlussfolgerungen von Theis-Berglmair (2014) zu den »Veränderungen der Öffentlichkeit durch das Social Web« verwiesen werden: »Gerade die digitale Technik und die darauf basierenden Anwendungen des sozialen Netzes fördern sowohl die Persistenz und Beobachtbarkeit der einzelnen Öffentlichkeitsebenen als auch die Durchlässigkeit zwischen ihnen. [. . .] Erleichtert wird die größere Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Öffentlichkeitsebenen im Internet durch die Technik, die es erlaubt, digitalisierte Inhalte ohne großen Aufwand in unterschiedliche Anwendungen zu transferieren.« Exemplarisch formuliert Hepp (2012: s. p.): »Es ist aber nicht das Social Web, das irgendwas zur Folge hat. Es sind vielmehr die Menschen auf den Straßen, die spätestens seit Seattle und der im Anschluss an Genua auch in Deutschland erstarkenden globalisierungskritischen Bewegung Protest artikulieren.Was sich aber geändert hat ist, dass diese Proteste auf den Straßen umfassend mediatisiert sind – von Medien durchdrungen wie auch durch sie geprägt. Dabei spielen sicherlich digitale Medien eine Rolle: Die Menschen in den Straßen organisieren ihre Proteste über Facebook, twittern die wichtigsten Geschehnisse, schreiben sich fortlaufend SMS, um der Polizei auszuweichen, sind dabei stets durch ihr Mobiltelefon erreichbar.«
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DIE AMBIVALENZ DER MEDIATISIERUNG UND DIGITALISIERUNG VON ÖFFENTLICHKEIT UND PARTIZIPATION
Der stark ambivalente Charakter der Herausforderungen, die mit den sich gewandelten Öffentlichkeits- und Partizipationsmöglichkeiten einhergehen, kann exemplarisch schon an der dialektischen Position von Habermas (2008: 161 f.) selbst fest gemacht werden. Unter dem Eindruck der zunehmenden Digitalisierung geht er zwar von einer Revitalisierung von Öffentlichkeit(en) gerade in Bezug auf Interaktion und Deliberation auf der Mikroebene aus, diese Diagnose ist aber für ihn gleichzeitig und unweigerlich mit einer Fragmentierung von Öffentlichkeit auf einer strukturellen Ebene verknüpft (vgl. Neuberger 2009: 19 f.), Habermas sieht die Öffentlichkeit dahingehend in Einzelteile zerfallen, dass die Masse an Informationen keine Filterung durch den professionellen Journalismus mehr erfahre. Das Publikum habe direkten Zugang zu den Informationen und sei durch den Mangel an professionellen »Kommunikationsagenten« dazu gezwungen, selbst über die Qualität von Onlinebeiträgen zu urteilen. An dieser Stelle müsse die Kompetenz der Mediennutzer diesbezüglich infrage gestellt werden, da die Glaubwürdigkeit vieler Informationen im Internet durch ihr massenhaftes Vorkommen schwer zu beurteilen sei. Das Internet stelle eine übersichtliche Landschaft von Informationsfragmenten dar, in der der journalistische »Gatekeeper« fehle (vgl. Neuberger 2009: 38). Gegen die noch zu skizzierende euphorische Perspektive einer größeren Öffentlichkeit im Internet im Sinne ihrer gesellschaftlichen Funktion spricht u. a. auch, dass im Internet ein so genanntes »power law« gilt (vgl. z. B. Neuberger et al. 2007: 108), also das Gesetz der Kumulation von $XIPHUNVDPNHLWXQG(LQÀXVV=ZDULVWHVSULQ]LSLHOOP|JOLFKGDVVMHGHUVHLQH0HL nung veröffentlicht. Doch die technische Struktur des Internets und die Logik der Suchmaschinen führen dazu, dass nur vergleichsweise wenige Inhalte im Netz auch tatsächlich von einer größeren Anzahl von NutzerInnen wahrgenommen werden. Im Ergebnis, so die SkeptikerInnen der Internetverheißungen, kann öffentliche Kommunikation im Internet zu einer Bevorzugung bereits etablierter Akteure sowie zu einer Fragmentierung des öffentlichen Diskurses führen (vgl. u. a. Friedland et al. 2006; Rethemeyer 2007). Auch der Journalismus, neben der Politik aus Sicht traditioneller Öffentlichkeitstheorien Hauptakteur bei der Konstituierung von Öffentlichkeit, unterliegt gravierenden Veränderungen u. a. aus subjektbezogener Sicht z. B. im Rahmen individueller Recherche und des Umgangs mit Informationen, die ambivalent zu bewerten sind (vgl. umfassend Neuberger et al. 2009). Im Rahmen der Disintermediation entstehen aus struktureller Sicht neue journalistische Konkurrenten auf dem Informationsmarkt (wie z. B. Suchmaschinen, Corporate Media, Partizipativer Journalismus etc.), die das Publikum im Rahmen der Internetkommunikation direkt ansprechen können, ohne auf das journalistische »Nadelöhr« angewiesen zu sein (vgl. Neuberger 2009: 54 ff.).
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Neben diesen strukturellen Perspektiven können negative Begleiterscheinungen auch auf subjektbezogener Ebene von Öffentlichkeit ausgemacht werden – wie z. B. die vermehrte Entstehung idiosynkratischer Teilöffentlichkeiten und/ oder persönlicher Öffentlichkeiten (Schmidt 2009: 107 ff.). Diese neuen Teilöffentlichkeiten sind u. U. stark von persönlichen Relevanzen und/oder erwarteter Anschlusskommunikation geprägt. Die zunehmenden Möglichkeiten der Personalisierung und Individualisierung der Informationssuche und Kommunikation können auch zu hochselektiven individuellen und/oder gruppenbezogenen InforPDWLRQVVSKlUHQGLHVRJHQDQQWHQª¿OWHUEXEEOHV©IKUHQGHQHQVLFKGLH1XW]HrInnen nicht unbedingt bewusst sind (vgl. z. B. Papacharissie 2002; Pariser 2011; Sunstein 2001). Diese Formen an sich »einfacher« Öffentlichkeiten können unter bestimmten thematischen und gesellschaftspolitischen Kontexten sehr schnell die Relevanz und Reichweite »komplexer« Öffentlichkeiten erreichen. Der öffentliche Stellenwert der in der Forschung so genannten »Ad-hoc-Öffentlichkeiten« (Bruns/ Burgess 2011; Maireder/Schlögl 2014; Pentzold et al. 2014: 33 f.) kann aber auch sehr schnell wieder verloren gehen – nicht nur aus strukturellen Ursachen, sondern auch gerade wegen dem Umstand, dass das Interesse und die Aufmerksamkeit der NutzerInnen rascher denn je verloren geht. Wenn man einen Blick in die Zukunft wirft, erscheint es zumindest plausibel, anzunehmen, dass digitale )RUPHQYRQ3DUWL]LSDWLRQXQGGDPLWDXFKYRQWKHPHQVSH]L¿VFKHQgIIHQWOLFKNHL ten in Deutschland insgesamt eine Professionalisierung erleben werden. Themenübergreifende Online-Kampagnennetzwerke wie »Campact« oder »Avaaz« stellen hier einen wichtigen, da publikumswirksamen Entwicklungsschritt dar, da sie die subjektbezogene wie strukturelle Beschränkungen der Teilhabe an Öffentlichkeit quasi spielerisch überwinden. Diese Beteiligungsplattformen initiieren in vergleichsweise kurzer Zeit Protest-Kampagnen und Online-Petitionen zu verschiedensten Themen. Ein prototypisches Beispiel für diese Form von mobilisierender Gegenöffentlichkeit ist die Kampagne »KONY 2012«. Um die InternetnutzerInnen auf emotionaler Ebene zu erreichen, nutzte die dahinterstehende Nichtregierungsorganisation »Invisible Children« das Internet in seiner Funktion als »Mitmach-Web« und gestaltete so auch den politischen Aktivismus generell ein Stück weit neu. Ein knapp 30-minütiger YouTube-Film, der neben dem Akquirieren von Spendengeldern und UnterstützerInnen vor allem die Bekanntmachung der Organisation und des Sachverhalts zum Ziel hatte, kann besser als eine Art »virales Marketing« denn als eine Form von Öffentlichkeit charakterisiert werden. Denn ein Großteil der Menschen, die sich das Video anschauten, taten dies nur, da sie im Rahmen von Anschlusskommunikation von anderen NutzerInnen darauf aufmerksam gemacht wurden (vgl. zu den Charakteristika dieses Prozesses Hack/Schumann 2011). Der Umstand einer überaus großen Publikums- wie Medienresonanz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Kampagne – wie viele andere in diesem
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Bereich – eine Aufmerksamkeitswelle erzeugte, die im Grunde genauso schnell wieder verschwand, wie sie aufgetaucht war. Problematisch an dieser Entwicklung ist aus aufmerksamkeitsökonomischer Perspektive, dass derartiger Partizipationskommunikation mit steigendem Aufkommen auf Dauer weniger öffentliche Relevanz zugesprochen wird, als es jetzt noch der Fall ist. Letztendlich verlieren damit die Sachfragen an Wert und die Darstellungspolitik und das Aufmerksamkeitsmanagement gewinnen noch mehr an Relevanz. Aus demokratietheoretischer Perspektive ist auch zu befürchten, dass die Ernsthaftigkeit der Beteiligung an vielen digitalen Öffentlichkeiten nicht wirklich gegeben ist (Stichwort Clicktivism), aber nichtsdestotrotz politische Wirkmächtigkeit erfahren kann. Darüber hinaus VLQGZLUWVFKDIWOLFKHZLHSROLWLVFKH(LQÀXVVQDKPHQDXIGLHVHNROODERUDWLYH)RUP von Partizipationskommunikation zu diagnostizieren. So dienen bspw. FacebookFanseiten oder Youtube-Videos zum größten Teil ökonomischen aber auch individuellen macht- und kommunikationspolitischen Interessen, die den Internetnutzern nicht immer bewusst sind (vgl. z. B. Fuchs 2013).9 Aus Perspektive des Drei-Ebenen-Modells führen diese Aufmerksamkeitswellen allerdings allesamt zu einer Zunahme der Dynamik von Öffentlichkeit. Im starken Kontrast dazu sehen idealtypisch für eine eher euphorische Position Jenkins et al. (2009) den Beginn eines Zeitalters transmedialer und transnationaler Partizipationskultur (Participatory Culture). Denn die technischen Möglichkeiten des Social Web lassen auf einfache Weise zivilgesellschaftliches Engagement und damit auch auf längere Sicht politische Partizipation zum Bestandteil des alltäglichen Medienhandelns werden. Ursprünglich bezogen auf den Bereich der Populärkultur und Unterhaltungskommunikation können für Jenkins (2010) alle digitalen Kommunikationsmedien und Medientechnologien unter bestimmten Voraussetzungen als sogenannte »Civic Media« fungieren, die Partizipation und Teilhabe an Öffentlichkeit ermöglichen. Das Phänomen des »Consumer Netizen«10 verdeutlicht, dass diese neuen Formen von Partizipation ohne Medienvermittlung gar nicht mehr gedacht werden: Digitale Kommunikationsmedien werden hier auf vielfältige Weise unter anderem zur Vernetzung, Selbstdarstellung oder zum Wissensmanagement der neuen, mehr oder weniger politiknahen Alltagspraktiken genutzt beziehungsweise ermöglichen diese erst (vgl. z. B. Baringhorst 2012).
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Ein prototypisches Beispiel hierfür ist die große öffentliche Resonanz auf die vermeintlich spontane Aktion von Fußballspielern gegen den alltäglichen Rassismus in Fußballstadien (http://www.sueddeutsche.de/sport/bara-aktion-gegen-rassismus-geplanter-bissin-die-banane-1.1948714) 10 Dieser Ansatz geht von einem Konsumenten mit moralischem Verantwortungsbewusstsein für den sozialen, politischen und ökologischen Status Quo sowie einem Bezug zur Einhaltung des Menschenrechts, ökologischer Nachhaltigkeit und dem gerechten Welthandel aus.
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Ein ähnliches Argument vertritt auch Bruns (2009) in seinem Ansatz des Produsage, mit dem er die Verschmelzung individueller Nutzungs- und Produktionsvorgänge beschreibt. Er postuliert, dass die vernetzte Kommunikation im 6RFLDO:HEXQGGLHGDEHLVWDWW¿QGHQGHVHOEVWRUJDQLVLHUWHXQGNROODERUDWLYH3UR duktion medialer Inhalte als Keimzellen politischer Praktiken gewertet werden können, da sie eine massenmedial kompatible und hierarchisch strukturierte politische Öffentlichkeit aufbrechen. Castells (2007; 2008) nimmt aus soziologischer Sicht grundsätzliche Machtverschiebungen wahr: Bislang verfügten der Staat und etablierte Institutionen über einen privilegierten Zugang zu den Medien und damit über einen Aufmerksamkeitsvorteil. In der so genannten Netzwerkgesellschaft ändert sich dies rapide. Deren kommunikative Basis besteht nicht länger aus vertikaler Kommunikation, sondern aus horizontalen sozial-, raum- und zeitübergreifenden Kommunikationsnetzwerken, die in der Zivilgesellschaft verankert sind. Dies führt zu einer neuen Form sozialer Kommunikation, die Castells (2007: 248) »mass self communication« nennt. Die Produktion, Verbreitung und die Rezeption von Informationen erfolgen im Internet für ihn zunehmend selbstbestimmter. Die Zentralität der Internet-Infrastruktur für diese Diagnose einer wachsenden politischen wie kommunikativen Gegenmacht führt Dahlgren (2005: 155) aus: »In the arena of new politics, the Internet becomes not only relevant but central: It is especially the capacity for the ›horizontal communication‹ of civic interaction that is paramount. Both technologically and economically, access to the Net (and other new technologies, such as mobile phones) has helped facilitate the growth of large digital networks of activists.« Die aktuelle Beschäftigung mit digitalen Öffentlichkeiten zeichnet sich im Anschluss an die oben skizzierte Mediatisierungsforschung durch einen analytisch differenzierteren Blick auf politische Partizipation in und durch digitale Kommunikationsmedien aus, die sich dadurch von den stark normativ geprägten vorhergehenden Debatten der SkeptikerInnen und EuphorikerInnen abgrenzt (z. B. Fenton 2012, Hepp/Pfadenhauer 2014). Implizit machen aktuelle Studien in diesem Forschungsgebiet zwei Aspekte deutlich: (1) Zum einen ist es die inhaltliche Erkenntnis, dass die neuen Partizipationsmöglichkeiten nicht per se demokratisch oder gar emanzipativ wirken, da sie genauso auch von reaktionären und demokratiefeindlichen Gruppierungen genutzt werden. Ein plastisches Beispiel ist gegenwärtig die auf den ersten Blick sehr modern und jugendlich wirkende so genannte »Identitäre Bewegung« – eine rechtsextreme Jugendbewegung, die europaweit Ableger besitzt.11 (2) Zum anderen ist es der Verweis auf die hinter der normativen Diskussion medialer Partizipation stehende nicht nur analytische sondern auch methodologische Problematik, inwieweit man die zunehmende Komplexität des Medienwan11 Vgl. z. B. Brücken 2013, http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/identitaere-rechtsextreme-islamfeinde-machen-auf-jugendbewegung-a-880400.html
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dels und der dazugehörigen Alltagspraktiken der BürgerInnen in ihren Bedeutungskontexten, die sich in der sozialen, räumlichen, zeitlichen und technischen Entgrenzung interpersonaler, gruppenbezogener und öffentlicher Kommunikation ausdrückt, z. B. im Rahmen medienethnographischer Studien überhaupt nachvollziehen kann (vgl. zu den Herausforderungen auch Klaus 2013). Eine Synopse privater, gruppenbezogener und öffentlicher Kommunikationspraktiken im Internet kann natürlich nur einen Bruchteil der vielen verschiedenen politischen Beteiligungs- und Protestformen im Rahmen des Öffentlichkeitswandels wiedergeben, verweist aber klar auf drei weiterführende Prozesse: Erstens existieren im Rahmen der Mediatisierung von Partizipation und Protest nicht nur digitale Abbilder realweltlicher Partizipationskommunikation, wie z. B. erfolgreiches zivilgesellschaftliches Agenda Building im Social Web durch YouTube-Videos, wie 2012 prominent im Falle der »ACTA«-Debatte. Zweitens entstehen gleichzeitig gänzlich neue Formen von Gegenöffentlichkeit und Protest, wie z. B. virtuelle Sit-Ins in Online-Spielwelten.12 Mit beiden Prozessen einher geht drittens die Bedeutungszunahme sowohl des Subpolitischen als auch des Subkulturellen im Rahmen der Konstituierung von Öffentlichkeit, die sowohl integrative als auch anomische Folgen für die politische Öffentlichkeit insgesamt besitzen. Eine Vermischung von Politik, Unterhaltung und anderen Formen von Populärkultur war im Bereich politischer Kommunikation zwar schon immer zu beobachten. So kommt aus struktureller Perspektive Saxer (2007) im Anschluss an Habermas zu dem Schluss, dass sich politische Öffentlichkeit immer mehr zu einer Unterhaltungsöffentlichkeit entwickelt und Politainment zu einer zentralen Strategie politischen Handelns avanciert. Aber auch aus subjektbezogener 3HUVSHNWLYH VWHOOHQ PHGLDOH 8QWHUKDOWXQJVDQJHERWH XQG GLH GDULQ VWDWW¿QGHQGH Politikdarstellung und -vermittlung – z. B. Unterhaltungsserien wie »LindenstraH©.LQR¿OPHZLHª'LH7ULEXWHYRQ3DQHP©RGHU6DWLUHIRUPDWHZLHª7KH'DLO\ Show« – zunehmend eine Quelle für Informationen über die politische Umwelt dar und sind damit ernst zu nehmen für die Vermittlung und Aneignung politischer Kommunikation und stärker in der Öffentlichkeitsforschung analytisch zu berücksichtigen (z. B. van Zoonen 2005, Dohle/Vowe 2014). Klaus (2006) verdeutlicht das exemplarisch an der Unterhaltungsöffentlichkeit des Eurovision Song Contest, der zumindest hinsichtlich der Publikumsresonanz einen stärkeren Beitrag zur Schaffung von (transnationaler) Öffentlichkeit leistet als die verschiedenen Formen traditioneller politischer Kommunikation und journalistischer Berichterstattung der Massenmedien, die bisher im Fokus kommunikationswissenschaftlicher Forschung standen.
12 Vgl. z. B. Abalieno 2005, http://www.cesspit.net/drupal/node/491
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Die Positionen Klaus’ zur politischen Prägkraft von Unterhaltungskultur scheinen in Zeiten des Internets aktueller denn je zu sein, wenn man sich die Popularität bestimmter Unterhaltungsformate im Social Web vor Augen führt. Prototypisch dafür ist die explizite Verfremdung moderner Populärkultur mit politischen Inhalten und Intentionen oder vice versa durch InternetnutzerInnen. Hartley (2010) verdeutlicht die Implikationen dieses Phänomens am Beispiel der im US-Wahlkampf ungeheuer populären und ironisierenden Videos, in denen US-amerikanische Präsidentschaftskandidaten auf den ersten Blick als Straßentänzer agieren. Diese Videos würden zwar im Rahmen von Anschlusskommunikation oft weitergeleitet und kommentiert werden, allerdings aber auf lange Sicht Politikverdrossenheit stärken, da sie das Ansehen der Politik unterminieren, ein Umstand, den Hartley u. a. zu der Etikettierung »Silly Citizenship« veranlasst. Ein anderes Beispiel, das die zum Teil dysfunktionale Verbindung von OnlineUnterhaltungskultur mit politischen Kontexten exemplarisch verdeutlicht, stellt die im Frühjahr 2013 für kurze Zeit auf sozialen Netzwerkdiensten länderübergreifend und rege geführte Debatte um die Nominierung einer Südtiroler Rockband namens »Frei.Wild« für den deutschen Musikpreis Echo. Nachdem mehrere KünstlerInnen darunter die deutsche Gruppe Mia rechtsextremes Gedankengut anprangerten und sich erfolgreich für den Ausschluss dieser Band aussprachen, bombardierten »Frei. Wild«-Fans regelrecht die Social-Media-Kanäle der KritikerInnen mit ihren Kommentaren und Beschimpfungen (Stichwort »Shitstorm«). Allerdings bemerkten sie nicht, dass es aufgrund einer Namensgleichheit u. a. die falschen AdressatInnen traf – auch die fast namensgleiche britische Sängerin »M.I.A.«, die sich aufgrund ihrer Herkunft für die Rechte von Migranten einsetzt.13
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FAZIT
Der Öffentlichkeitsansatz von Klaus fußt zum einen auf der Annahme, dass Subjektivität, (politische) Vergemeinschaftung und Kommunikation in einem engen Zusammenhang stehen, zum anderen auf der normativen Prämisse, dass die spannungsreiche Interdependenz von medialer Strukturen, Partizipation und Macht bei der Analyse von Öffentlichkeit nicht ausgeblendet werden darf. Klaus zeigt auch DXI GDVV WUDGLWLRQHOOH 'H¿QLWLRQHQ SROLWLVFKHU gIIHQWOLFKNHLW DOV HLQH EHVWLPPWH (LQKHLWDQLKUH*UHQ]HQVWRHQ±GDVJLOWHEHQVRIUGLH'H¿QLWLRQYRQSROLWLVFKHU Partizipation in einem engeren Sinne, primär verstanden als Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess und an Entscheidungsprozessen im Rahmen von 13 Vgl. Frickel 2013, http://www.focus.de/digital/internet/facebook/nach-echo-eklat-umrechtsrock-band-frei-wild-fans-starten-shitstorm-gegen-die-falsche-band_aid_935587. html
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Wahlen und Parteien.14 Um die Konstruktion, Komplexität und Kontexte von Öffentlichkeit als gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess (Klaus 1998) aufzuspüren, erscheint es daher angemessener, politische Kommunikation in einem weiten Sinne – wie z. B. Politikdarstellung und -vermittlung in Unterhaltungsangeboten – aber auch neue Formen von Partizipation und Engagement, die sich nicht nur auf politische Praktiken in einem engeren Sinne, sondern immer auch auf mediale wie private Praktiken beziehen, in den Fokus der Analyse zu rücken. Der gegenwärtige Strukturwandel von Öffentlichkeit in der Folge von Mediatisierung und Digitalisierung führt dazu, dass individuelle Kommunikations- und 7HLOKDEHSUDNWLNHQXQGGLHLQVWUXPHQWHOOH(LQÀXVVQDKPHGDUDXIGXUFKDQGHUH$N teure), wie sie beispielsweise in der vernetzten Anschlusskommunikation im Netz zum Ausdruck kommt, gesellschaftspolitisch relevanter werden. Insbesondere das so genannte Social Web erlaubt vielfältige Interaktionsstrukturen, bei denen der direkten und subjektbezogenen Ansprache besondere Bedeutung zukommt. Welches Beteiligungs- und Mobilisierungspotenzial und damit Kommunikationsmacht in solchen mediatisierten interpersonalen Kommunikationsnetzwerken liegt, kann die Forschung zu den ebenenübergreifenden ›Ad-Hoc-Öffentlichkeiten‹ wie z. B. KONY2012 prototypisch verdeutlichen. Empirische Analysen aktueller Konstruktionsprozesse von Öffentlichkeit zeigen nachdrücklich, dass – wie Klaus schon frühzeitig theoretisch postuliert hat – das Publikum nicht nur Adressat politischer Öffentlichkeit, sondern zugleich der Resonanzboden darstellt, der aktiv politische Kommunikation betreibt und damit Öffentlichkeit konstituiert. In der sich gegenwärtig entfaltenden digitalen Mediengesellschaft wirkt daher mehr denn je beispielsweise die dichotome Unterscheidung zwischen »BürgerIn«, »KonsumentIn« und »RezipientIn«, wie sie im demokratietheoretischen Diskurs und in der politischen Kommunikationsforschung bisher oftmals üblich war, überkommen, denn die RezipientInnen stellen heutzutage zugleich ein Medienpublikum partizipierender Bürgerschaft und vice versa dar (vgl. ausführlich Couldry 2004), das sich mehr und minder aktiv in kommunikative Zusammenhänge in alter wie neuer Weise einbringt – mit allen damit verbundenen Chancen und Risiken. Kommunikationstheoretisch hat Klaus (1998) allerdings schon frühzeitig auch darauf verwiesen, dass im Prozess der öffentlichen EntscheiGXQJV¿QGXQJHLQH$UWKLHUDUFKLVFKHU2UGQXQJ]ZLVFKHQGHQ.RPSOH[LWlWVHEHQHQ von Öffentlichkeit besteht. Inwieweit diese nun gegenwärtig aus struktureller wie subjektbezogener Perspektive überhaupt aufgebrochen wird bzw. werden kann, harrt noch der empirischen Analyse.
14 So werden die neuen Formen des politischen Engagements und der Partizipation, wie sie im skizzierten Rahmen der Konvergenzkultur zum Ausdruck kommen, in den kommunikationswissenschaftlichen Standardstudien größtenteils bisher nicht erhoben.
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Das Mehr-Ebenen-Modell und die Habermassche Öffentlichkeitstheorie
'DV0HKU(EHQHQ0RGHOOXQGGLH+DEHUPDV¶VFKH Öffentlichkeitstheorie. Erweiterung, Ergänzung, Probleme BORIS ROMAHN
Der folgende Beitrag hat sich zwei Ziele gesetzt: erstens, in groben Zügen den Strukturwandel der Öffentlichkeit darlegen und die Idee einer public sphere als Ideal aus diesem ableiten; zweitens, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Habermas Ideen zu Öffentlichkeit und Elisabeth Klaus’ Mehr-Ebenen-Modell LGHQWL¿]LHUHQXQGVLFKGDUDXVJJIHUJHEHQGH(UJlQ]XQJHQXQG3UREOHPHGLVNX tieren.
1
STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT – AUF- UND ABSTIEG BÜRGERLICHER ÖFFENTLICHKEIT SOWIE DIE IDEE DER PUBLIC SPHERE
Jürgen Habermas’ Idee einer public sphere, wie er sie in »Strukturwandel der Öffentlichkeit« skizziert und u. a. in der »Theorie der Kommunikativen Handelns« wieder aufgegriffen hat, war und ist Ausgangspunkt vieler Modelle, Theorie(entwürfe) von und Auseinandersetzungen um Öffentlichkeit. Sehen die einen in ihr einen »fruitful starting point for work on urgent contemporary issues in the study of mass media and democratic politics« (Garnham 1992: 360) oder sprechen gar von »Habermas’ New Social Movement Theory« (Edwards 2004: 112), erinnern DQGHUHGDUDQGDVVHVZHVHQWOLFKDGlTXDWHUHXQGPHGLHQDI¿QHUH7KHRULHQ]XgI fentlichkeit(en) gebe, sie im Sinne eines »gender and public access« (Fraser 2001: 116) erhebliche Probleme aufwerfe, die Macht der menschlichen Vernunft überschätze (vgl. Mouffe 2002: 101) und ihre Popularität einzig der englischen Übersetzung verdanke (Kleinsteuber 2000: 41; ganz anders übrigens: Hohendahl 2000: 2). Ist es demnach (folge-)richtig die Idee der ursprünglichen public sphere als überholtes »kontrafaktisches Ideal« (Burkart 2002: 433) aufzugeben? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Refeudalisierung von Öffentlichkeit, wie sie von Ha-
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bermas in Aussicht gestellt wurde, nicht nur anhält, sondern sich extrem beschleunigt hat, und in zentralen Entstehungsbedingungen von Öffentlichkeit bereits ihr Zerfall angelegt ist? Der im Titel der Habermas’schen Untersuchung bereits angesprochene »Strukturwandel« ist weniger dem Aufstieg der bürgerlichen Öffentlichkeit als deren Niedergang gewidmet. Die Analyse der Deformation und letztendlich des Zerfalls jener Öffentlichkeit und die Frage, welche Tendenzen hieran maßgeblich Anteil hatten, rückt Habermas in Augen vieler KommunikationswissenschaftlerInnen in die Nähe der von Horkheimer und Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« vertretenen Kulturindustrie-These. Der Gegenstand der Habermas’schen »Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft«, so der Untertitel von »Strukturwandel der Öffentlichkeit« zeigt sich aber, wie in Abbildung 1 dargestellt, als ein dreifacher: neben dem Aufstieg einer historisch besonderen und zeitlich begrenzten Form von Öffentlichkeit, der bürgerlichen Öffentlichkeit, geht Habermas nicht nur denjenigen Bedingungen nach, die zu deren Struktuwandel und letztlich bis heute andauernden Zerfall geführt haben, sondern konstruiert entgegen dieser negativen Entwicklung ein normativ positives Ideal, die public sphere. Jene public VSKHUHKDEHGHQ3UR]HVVGHV=HUIDOOVEHUGDXHUWXQG¿QGHVLFKDXFKKHXWHQRFKDOV normative Basis demokratischer Gesellschaften. (vgl. Habermas 2014) Abbildung 1: Untersuchung dreifacher Natur. Eigene Darstellung
Eigene Darstellung
Im Folgenden wird auf die historische Entstehung und das Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit stark zusammenfassend eingegangen. Als Grundannahme sei vorweg genommen: In Deutschland hat sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
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»eine kleine, aber kritisch diskutierende Öffentlichkeit« (Wehler 1987: 303) ausgebildet. Als zentrale Ursachen, gleichsam Bedingungen, für diese Entwicklung lassen sich vor allem zwei Kräfte anführen, zum einen Markt und Ökonomie, zum anderen die Medien. Es entstand und institutionalisierte sich eine bürgerliche Öffentlichkeit, an die gemäß Habermas folgende Ansprüche zu stellen sind: Erstens, Bürgerliche Öffentlichkeit entsteht aus der Mitte der Privatsphäre heraus, sie ist quasi eine Sammlung von Privatleuten. Diese bürgerliche Öffentlichkeit soll, zweitens, durch Parität gekennzeichnet sein. Die Art des gesellschaftlichen Verkehrs in dieser neuen Sphäre von Öffentlichkeit setzt nicht nur die Gleichheit des Status voraus, sondern sehe von diesem ab. (Vgl. Habermas 1990: 97) »Gegen das Zeremoniell der Ränge setzt sich tendenziell der Takt der Ebenbürtigkeit durch.« (Habermas 1990: 97) Drittens, die Diskussion in der bürgerlichen Öffentlichkeit setzt »Problematisierung von Bereichen voraus, die bislang nicht als fragwürdig galten« (Habermas 1990: 97). Das Allgemeine, mit dem sich BürgerInnen nun beschäftigen, war bislang der Sphäre der öffentlichen Gewalt, oder aber Kunst und Literatur vorbehalten. In dem Maße aber, wie nun jene Werke (aus Kunst und Literatur) für den Markt hergestellt und durch ihn vermittelt werden, werden sie als Waren im Prinzip allgemein zugänglich. »Die Privatleute, denen das Werk als Ware zugänglich wird, profanieren es, indem sie autonom, auf dem Wege der rationalen Verständigung untereinander, seinen Sinn suchen, bereden und damit aussprechen müssen, was eben in der Unausgesprochenheit solange autoritative Kraft hatte entfalten können.« (Habermas 1990: 98) Viertens, führt der gleiche Vorgang, der Kultur in Warenform überführt und sie damit erst zu einer diskussionsfähigen macht, zu einer prinzipiellen Unabgeschlossenheit des Publikums. »Die diskutablen Fragen werden ›allgemein‹ nicht nur im Sinne ihrer Bedeutsamkeit, sondern auch der Zugänglichkeit: alle müssen dazugehören können.« (Habermas 1990: 98, Hvh. i. O.) Bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. »Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit.« (Habermas 1990: 156) Bürgerliche Öffentlichkeit versteht sich als neue Gestalt der bürgerlichen Repräsentation, als »publizistische Körperschaft« (Habermas 1990: 99), die sich von innen nach außen wenden kann und jedermann zugänglich sein soll: »the principle of participation, far from being antithetical to modernity, is one of its chief prerequisites« (Benhabib 1992: 86). Fünftens, kann als Schlüsselphänomen im Zusammenhang mit bürgerlicher Öffentlichkeit die Presse1 gelten. Mittels 1
Habermas betont die Rolle der Zeitschriften: »In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts sind die aufblühenden Zeitschriften, auch die politischen, geradezu Kristallisationspunkte des gesellschaftlichen Lebens unter den Privatleuten« (Habermas 1990: 140).
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ihr gelingt es, bürgerliche Diskurse einem wachsenden Lesepublikum bekannt und beitragsfähig zu machen und gleichsam Legitimationspostulate im Sinne publizistischer Kontrolle an Entscheidungsträger öffentlicher Gewalt zu stellen.
2
DER STRUKTURWANDEL UND ZERFALL DER ÖFFENTLICHKEIT
Bürgerliche Öffentlichkeit kann zum einen als historischer Hintergrund für moderne Formen von Kommunikation herangezogen werden, zum anderen, im Sinne eines diskurstheoretischen Ideals, als Abgleich zu jetzigen demokratisch, rechtsstaatlichen Umsetzungen von Öffentlichkeit dienen. »Inzwischen sind aber deren gesellschaftliche Grundlagen, seit etwa einem Jahrhundert, ZLHGHULQ$XÀ|VXQJEHJULIIHQ7HQGHQ]HQGHV=HUIDOOVGHUgIIHQWOLFKNHLWVLQGXQYHUNHQQEDU während sich ihre Sphäre immer großartiger erweitert, wird ihre Funktion immer kraftloser.« (Habermas 1990: 57)
Der im Titel von »Strukturwandel der Öffentlichkeit« angesprochene Strukturwandel stellt demzufolge für Habermas maßgeblich den Niedergang jener Öffentlichkeit dar, weniger deren zeitlich limitierten Aufstieg. »Habermas verfolgt hier die Deformation und den Zerfall derjenigen Institution, die als ›Öffentlichkeit‹ erstmals gegen die nicht öffentliche Politik der Monarchien durchgesetzt wurde und deren grundlegende Idee es war, Herrschaft über das Medium öffentlicher Diskussionen zu rationalisieren.« (Gripp 1984: 20)
Als Ironie kann in diesem Zusammenhang gelten, dass die Kräfte, die bürgerliche Öffentlichkeit erst ermöglicht haben, bereits jenes zerstörerische Potential beinhalteten, das zu ihrem späteren Niedergang wesentlich beigetragen hat. Insbesondere drei Tendenzen sind als ursächlich für das Scheitern der bürgerlichen Öffentlichkeit anzusehen: Erstens, das Eindringen des Marktes in die Privatsphäre. Zweitens der Wandel des kulturräsonierenden zum -konsumierenden Publikum; ein Prozeß, der mit dem Wandel der Medien hin zu Massenmedien einhergeht. Und drittens, hier schließt sich wiederum der Kreis zur Sphäre des Privaten, das Eindringen organisierter, strategisch artikulierter Privatinteressen in die Öffentlichkeit. Auf diese drei Tendenzen wird im Folgenden kurz eingegangen. 2.1 Das Ende des Privaten Kommen wir zur ersten Tendenz: Bürgerliche Öffentlichkeit entstand aus der Privatsphäre einer literarisch-kulturräsonnierenden Öffentlichkeit, begünstigt durch Presse einerseits und Ökonomie andererseits. Wesentliches Merkmal war zunächst
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die Privatsphäre selbst, in der im Sinne einer Emanzipation vom Lebensnotwendigen BürgerInnen begannen, nicht nur über ihre Rolle als EigentümerInnen und Wirtschaftssubjekte, sondern gleichsam über sich selbst als Menschen nachzusinnen und zu diskutieren. Freilich, zunächst literarisch, erst später mit politischem Bezug. Genau diese Schwelle der Trennung zwischen den Geschäften einerseits und jenem Umgang andererseits, der Privatleute als Publikum verbindet, wird aber nivelliert, sobald und soweit die literarische Öffentlichkeit in den Konsumbereich hineinwächst. »Wenn die Gesetze des Marktes, die die Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit beherrschen, auch in die den Privatleuten als Publikum vorbehaltene Sphäre eindringen, wandelt sich Räsonnement tendenziell in Konsum, und der Zusammenhang öffentlicher Kommunikation zerfällt in die wie immer gleichförmig geprägten Akte vereinzelter Rezeption.« (Habermas 1990: 249)
Der bürgerliche Idealtypus sah vor, dass sich aus der wohlbegründeten Intimsphäre der publikumsbezogenen Subjektivität eine literarische Öffentlichkeit herausbildete. Nun wird jene publikumsbezogene Privatheit geradezu umgestülpt und in den apolitischen Kreislauf von Produktion und Konsum – Habermas agiert hier ganz in der Tradition der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule mit dem Begriff Kulturindustrie – als Schein bürgerlicher Privatheit einbezogen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts seien die Institutionen, die den Zusammenhang des Publikums als eines räsonierenden sicherten, erschüttert, so Habermas. Insbesondere die Familie verliere die Funktion eines literarischen Propagandakreises, in dem sich durch gemeinsames Lesen und Diskussion über das Gelesene literarische Öffentlichkeit entfalten konnte. Sie werde »stattdessen heute zu einem Einfallstor für die, über die konsumkulturelle Öffentlichkeit der Massenmedien in den kleinfamilialen Raum eingeschleusten sozialen Kräfte. Der entprivatisierte Intimbereich wird publizistisch ausgehöhlt, eine entliteralisierte Pseudoöffentlichkeit zur Vertrautheitszone einer Art Überfamilie zusammengezogen« (Habermas 1990: 250).
2.2 Vom kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum Begleitet wird dieser Wandel der Privatsphäre von einer zweiten Tendenz, dem Wandel eines kulturräsonierenden zu einem kulturkonsumierenden Publikum. Ein erstes Indiz für diese Entwicklung lässt sich bereits an der kritischen Betrachtung der Charakteristik der Kultur als Gut festmachen. Zwar war die Kommerzialisierung der Kulturgüter einst Voraussetzung für das Räsonnement; es selbst blieb aber grundsätzlich von den Tauschbeziehungen ausgeschlossen, blieb Zentrum eben jener Sphäre, in der die Privateigentümer als Menschen, und nur als solche,
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einander begegnen wollten. Für Lektüre, Theater, Konzert, Museum hatte man zu zahlen, nicht aber auch noch für das Gespräch über das, was man gelesen, gesehen und gehört hatte, und im gemeinsamen Gespräch darüber sich aneignen mochte. Die Diskussion wird nun ins Geschäft mit einbezogen. »Das derart arrangierte Räsonnement erfüllt gewiß wichtige sozialpsychologische Funktionen, vorab die eines quietiven Handlungsersatzes; seine publizistische Funktion büßt es indes immer mehr ein.« (Habermas 1990: 253) Der Kulturgütermarkt selbst übernimmt neue Funktionen. Ermöglichte er erst die Verteilung der Kulturgüter, LQGHP HU VLH GHP UHLQ K|¿VFKHQ *HEUDXFK HQW]RJ VR VLQG QXQ ªGLH *HVHW]H des Marktes in die Substanz der Werke eingedrungen, sind ihnen als Gestaltungsgesetze immanent geworden« (Habermas 1990: 254). Bereits die Erzeugung von Kultur als solche richte sich darum nun vorrangig nach Gesetzen der Absatzstrategie. Hierbei ist es der Markt, der einen Zugang eines immer größeren Publikums zu Kultur erst ermöglicht, wobei zwei Funktionen unterschieden werden können: zum einen eine Erleichterung des Zugangs auf ökonomische Art, hauptsächlich durch Verbilligung der Produkte. Zum anderen bewirkt der Markt aber eine Erleichterung des Zugangs auf psychologische Art, das heißt, der Inhalt der Kulturgüter wird den eigenen Bedürfnissen derart adaptiert, dass sie Konsumreife aufweisen: »Ohne strenge Voraussetzungen, freilich auch ohne spürbare Folgen rezipiert werden zu können, setzt die Kommerzialisierung der Kulturgüter in ein umgekehrtes Verhältnis zu ihrer Komplexität.« (Habermas 1990: 255) Eine ähnliche Tendenz lasse sich für die Medien feststellen: die neu entstehende Massenpresse beruht auf kommerzieller Umfunktionierung jener Teilnahme breiter Schichten an der Öffentlichkeit, die vorwiegend Massen überhaupt Zugang zur Öffentlichkeit verschaffen sollte. Dabei büßt eine so erweiterte Öffentlichkeit ihren politischen Charakter in dem Maße ein, in dem die »Mittel GHU ¾SV\FKRORJLVFKHQ (UOHLFKWHUXQJ½ ]XP 6HOEVW]ZHFN HLQHU NRPPHU]LHOO ¿[LHU ten Verbraucherhaltung« (Habermas 1990: 258) werden konnten2. Die »Maximierung des Absatzes wird tendenziell mit Entpolitisierung des Inhaltes bezahlt« (Röpke 1970: 181). So entsteht eine Presse, die mit ihrem »mixtum compositum eines angenehmen und zugleich annehmlichen Unterhaltungsstoffes« eher zum »unpersönlichen Verbrauch von Entspannungsreizen ver-, als zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft anleitet« (Habermas 1990: 260). Damit verdränge die ökonomische Orientierung den offenen und öffentlichen Meinungsmarkt in periphere Stellungen. (Vgl. Röpke 1970: 191) +LHU WULIIW %FKHUV EHNDQQWH 'H¿QLWLRQ ]X GDVV ªGLH =HLWXQJ GHQ &KDUDNWHU einer Unternehmung annimmt, welche Anzeigenraum als Ware produziert, die durch einen redaktionellen Teil absetzbar wird« (Bücher zit. nach Habermas 1990: 2
Jochen Röpke sieht »selektive Anreize« als wesentliche Mittel einer solchen psychologischen Erleichterung. (Vgl. Röpke 1970, 187)
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278). Die Vergrößerung und Perfektionierung des technischen und organisatorischen Apparats der Presse erforderte eine Erweiterung der Kapitalbasis und somit eine Erhöhung des geschäftlichen Risikos. In dem Maße ihrer Kommerzialisierung wird aber Presse nun selbst manipulierbar: »Seitdem der Absatz des redaktionellen Teils mit dem Absatz des Annoncenteils in Wechselwirkung steht, wird die Presse, bis dahin Institution der Privatleute als Publikum, zur Institution bestimmter Publikumsteilnehmer als Privatleuten – nämlich zum Einfallstor privilegierter Privatinteressen in die Öffentlichkeit.« (Habermas 1990: 280)
2.3 Die Refeudalisierung von Öffentlichkeit Mit diesem Druck privater Interessen zeigt sich die dritte Tendenz, die zur Deformation bürgerlicher Öffentlichkeit beigetragen hat. Die ökonomisch notwendig gewordene Invasion der Werbung in die Sphäre der Öffentlichkeit hätte noch nicht schon als solche deren Wandel zur Folge haben müssen. (Vgl. Habermas 1990: 288) »Wie seit dem zweiten Drittel des vergangenen Jahrhunderts etwa die Tageszeitungen vom redaktionellen einen Annoncenteil abzuspalten begannen, so hätte auch eine Trennung der publizistischen Funktionen in ein öffentliches Räsonnement der Privatleute als Publikum und in eine öffentliche Präsentation je individueller oder kollektiver Privatinteressen die Öffentlichkeit im wesentlichen unberührt lassen können.« (Habermas 1990: 288)
Dazu konnte es aber nicht kommen, da die publizistische Darstellung privilegierter Privatinteressen immer schon mit politischen Interessen verquickt war; in der Praxis der public relations gelangt ökonomische Reklame zum Bewusstsein ihres SROLWLVFKHQ &KDUDNWHUV -HQH ª¾0HLQXQJVSÀHJH½ XQWHUVFKHLGH VLFK YRQ :HUEXQJ dadurch, daß sie die Öffentlichkeit ausdrücklich als politische in Anspruch nimmt« (Habermas 1990: 289, H. i. O.). Adressat der PR ist die öffentliche Meinung, sind die Privatleute als Publikum und weniger als KonsumentInnen, wobei der Absender in der Rolle eines am öffentlichen Wohl Interessierten seine geschäftlichen Absichten kaschiert. (Vgl. Habermas 1990: 289) Die rezipierten Funktionen der Öffentlichkeit werden auf diese Weise der Konkurrenz organisierter Privatinteressen integriert, wobei den KonsumentInnen das falsche Bewusstsein vermittelt wird, dass sie als räsonierende Privatleute verantwortlich an öffentlicher Meinung mitwirkten. Die vormals bürgerliche Öffentlichkeit nimmt durch ihre Gestaltung via PR wieder feudale Züge an: »die ›Angebotsträger‹ entfalten repräsentativen Aufwand vor folgebereiten Kunden« (Habermas 1990: 292, H. i. O.). Die Integration von Massenunterhaltung und Werbung, die in Gestalt der PR bereits politischen Charakter angenommen hat,
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unterwirft aber nicht nur die Privatleute ihren Mechanismen, sondern auch den Staat selber. »Der Strukturwandel der Öffentlichkeit ist eingebettet in die Transformation von Staat und Ökonomie«. (Habermas 1990: 21) So lässt sich beispielsweise erklären, warum der Staat seine BürgerInnen wie Verbraucher ansprechen, oder sich im Spannungsfeld organisierter Interessen akkomodieren muss, wobei Öffentlichkeit sowohl ihre Vermittlungs- als auch ihrer Partizipationsfunktion verliert. Strukturwandel der Öffentlichkeit versteht sich jedoch nicht als Gesellschaftsgeschichte und trägt den ideologiekritischen Ansatz bereits in sich. So desillusionierend die Analyse dieses Strukturwandels auch anmuten mag, endet sie dennoch nicht resignativ. Eine sich in organisationsinternen Öffentlichkeiten abspielende kritische Publizität »würde Zwangsformen eines durch Druck erzeugten Konsensus ebenso lockern, wie die Zwangsformen der bisher der Öffentlichkeit entzogeQHQ.RQÀLNWHPLOGHUQN|QQHQ.RQÀLNWXQG.RQVHQVXVVLQGZLHGLH+HUUVFKDIW selbst und die Gewalt, deren Stabilitätsgrad sie analytisch bezeichnen, keine Kategorien, an denen die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft spurlos vorübergeht« (Habermas 1990: 359). Habermas’ Fazit bleibt positiv, aber konjunktivistisch. »Damit will ich sagen, daß ich, wenn ich heute noch einmal an eine Untersuchung des Strukturwandels der Öffentlichkeit herangehen würde, nicht wüsste, welches Ergebnis sie für eine Demokratietheorie haben würde – vielleicht eines, das Anlaß wäre für eine weniger pessimistische Einschätzung und für einen weniger trotzigen, bloß postulierenden Ausblick als seinerzeit.« (Habermas 1990: 49 f.)
3
DAS KONZEPT DER PUBLIC SPHERE
Wie in Abbildung 1. dargestellt, ist Habermas Untersuchung bürgerlicher Öffentlichkeit dreifacher Natur. Neben der Analyse des Aufstiegs der historisch besonderen und begrenzten Form bürgerlicher Öffentlichkeit geht Habermas jenen Bedingungen nach, die zu deren Zerfall beigetragen haben. Drittens ist mit dieser Analyse aber gleichsam die Konstruktion eines idealisiert normativen Modells verbunden, das als public sphere jenen Zerfall überdauerte und sich auch noch in den Fundamenten heutiger Gesellschaften (etwa in den Verfassungen derselELJHQ ZLHGHU¿QGHQOlVVW+DEHUPDV]HLJWVRHEHQJHUDGHQLFKWQXU$XIVWLHJXQG Degeneration einer bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern »the element of truth and emancipatory potential that it contained despite its ideological misrepresentation DQGFRQWUDGLFWLRQV©&DOKRXQ -HQHV3RWHQWLDO¿QGHWVLFKGDQQ]XJOHLFK im Ansatz einer diskurstheoretischen Demokratie (vgl. Beierwaltes 2002: 172) wieder. Bohrmann behauptet in diesem Zusammenhang zu Recht: »Das Aufsehen, das die Arbeit erzielte, lag nicht im Thema begründet, sondern im konse-
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quenten Durchdenken eines Schlüsselbegriffs politischer Theorie« (Bohrmann 2001: 197) – und man könnte ergänzen: eines kommunikationswissenschaftlichen Schlüsselbegriffs. Somit stellt sich »Strukturwandel der Öffentlichkeit« nicht als reine Gesellschaftsgeschichte, sondern auch als Entwurf eines Idealtypus demokratischer Gesellschaft dar. Unter der eine solche Gesellschaft konstituierenden public sphere versteht Habermas einen jeder und jedem zugänglichen Bereich unseres Gemeinwesens, in dem sich so etwas wie ein vernunftgeleiteter öffentlicher Konsens unter rationalem Diskurs bilden kann. Öffentlichkeit lässt sich somit nicht als Institution oder gar als Organisation begreifen (vgl. Habermas 1997: 435 f.), sonGHUQ VLH LVW DOV ÀXLGHU ªPHWDWRSLVFKHU 5DXP© 7D\ORU LQ GHP ªYHU nünftige Ansichten entwickelt werden, die der Regierung als Richtschnur ihres Handelns dienen sollten« (Taylor 1993: 31), zu begreifen. Politische Gerechtigkeit könnte nur auf dem Wege des Diskurses innerhalb des Raums einer public sphere erzielt werden: »As Habermas does not rely on a providential nature, SROLWLFDO MXVWLFH FDQ RQO\ EH DFKLHYHG IRU KLP WKURXJK WKH GLVFXUVLYH XQL¿FDWLRQ of empirical wills« (McCarthy 1992: 52) Dieser Raum werde durch Kommunikation unter den AkteurInnen aufgespannt und in ihm werde die Verständigung über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse, die res publica betreffend, gesucht. Die Bildung einer rationalen, beziehungsweise aufgeklärten öffentlichen Meinung erscheint als das Ergebnis eines öffentlichen Diskursprozesses in der public sphere, die als Netzwerk verständigungsorientierten Handelns begriffen werden kann. In diesem Modell des politisch-kommunikativen Prozesses geht es ªXP HLQH 5HÀH[LRQ YRUJHJHEHQHU ,QWHUHVVHQGH¿QLWLRQHQ XP HLQH P|JOLFKH Transformation und Weiterentwicklung auch individueller Interessen und Aspirationen, um normative Prinzipien und Regeln, welche den egozentrischen individuellen Interessenhorizont transzendieren« (Peters 1994: 48). Public sphere zeichnet sich demgemäß durch die Akzeptanz der Gleichheit der diskutierenden Akteurinnen und Akteure, die Reziprozität der kommunikativen Beziehungen sowie durch eine Struktur aus, die ausreichend Möglichkeiten zur Teilnahme am Diskurs bietet und nicht bestimmte Meinungen oder gar ganze Themenkomplexe strukturell ausschließt. »Sie wurde durch die Macht von Kirche und Staat geschützt. Sie war im Prinzip für alle offen, so wie auch der Markt für alle offen war.« (Steininger 2000: 33) Die Möglichkeit, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen (Mitgliedschaftsrechte), gehöre für Habermas zu den Grundrechten von Individuen. (vgl. Donges/Imhof 2001: 112) Dazu zählen für Habermas auch die materiellen Lebensbedingungen, die die chancengleiche Wahrnehmung jener Mitgliedschaftsrechte gewährleisten. Parallel zu den Ansprüchen, die an eine bürgerliche Öffentlichkeit zu stellen sind, werden hier nun wesentliche Charakteristika des Idealtypus public sphere zusammengefasst:
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Erstens, public sphere bildet einen Resonanzboden für eine breite, aktive, sich aber zugleich zerstreuende Teilhabe an einer rational diskursiven politischen Öffentlichkeit. Um, zweitens, eine solch allgemeine Partizipation zu verwirklichen, sollen weder Status noch Eigentumsrechte am Zugang zur public sphere hindern; sie soll prinzipiell allen offen stehen und zugänglich sein.Innerhalb dieser public sphere werden, drittens, öffentliche Fragen einem verständigungsorientierten Diskurs im Vertrauen auf die Nutzung der Produktivkraft Kommunikation (vgl. Habermas 1990: 39) zugeführt. Die public sphere ist »der Raum, in dem die politischen Bürger über ihre gemeinsamen Angelegenheiten beratschlagen, und ist demzufolge eine institutionalisierte Arena der diskursiven Interaktion« (Fraser 2001: 109). Dabei soll sich, viertens, ganz im Sinne bürgerlichen Räsonnements, das bessere, weil im Lichte des in der Sprache angelegtem Vernunftpotentials einleuchtendere Argument durchsetzen. »In this public sphere, practical reason was institutionalized through norms of reasoned discourse in which argument, not statuses or traditions, were to be decisive.« (Calhoun 1992, 2) Strategische Motive und Kalküle sind im Rahmen dieses Entdeckungsverfahrens von vorneherein ebenso auszuschließen, wie andere als auf Verständigung ausgerichtete Modi. Public sphere »ist keine Arena marktförmiger, sondern diskursiver Beziehungen, eine Bühne für das Debattieren und Beratschlagen anstatt für das Kaufen und Verkaufen« (Fraser 2001: 19). Um, fünftens, kommunikative Vernunft zu gewährleisten, handelt es sich bei der public sphere gerade um eine nicht organisierte (vgl. Habermas 1989: 87; ders. 1990: 43), im Sinne einer herrschaftsfreien und regierungsexternen, Sphäre der Öffentlichkeit. Denn die public sphere herrscht nicht, sondern legitiPLHUW GLH %HVFKOXVV IDVVHQGHQ DGPLQLVWUDWLYHQ ,QVWDQ]HQ PLW TXDVL YHUÀVVLJWHU 9RONVVRXYHUlQLWlW'LHVHªNRPPXQLNDWLYYHUÀVVLJWH6RXYHUlQLWlWEULQJWVLFKLQ der Macht öffentlicher Diskurse zur Geltung, die Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz entdecken, Werte interpretieren, Beiträge zu Problemlösungen leisten, gute Gründe produzieren und schlechte entwerten« (Habermas 1990: 44). Unabhängigkeit, Autonomie und Legitimation gehören zum Charakter einer so beschaffenen public sphere. (Vgl. Fraser 2001:145) Habermas entwirft mit der public sphere das Postulat einer Fundamentaldemokratisierung, in der Öffentlichkeit als normativer Begriff fungiert. Eine »räsonierende Öffentlichkeit wäre in der Tat eine Grundlage dessen, was Habermas sich als diskursive Willensbildung vorstellt« (Reese-Schäfer 1994: 475). Indes wurde das utopische Potential dieses Modells der public sphere noch nie in vollem Umfang in die Praxis umgesetzt. (Vgl. Fraser 2001: 112) Diejenigen, die public sphere nicht nur als bedingt zufälliges Resultat der Gesellschaftsgeschichte interpretieren, sehen in ihr »an institutional location for practical reason in public affairs and for the accompanying valid, if often deceptive, claims of formal democracy« (Calhoun 1992: 1). Public sphere lässt sich als Mo-
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dus der Koordinierung gegenüber Markt oder Staat begreifen. In diesem Zusammenhang muss aber einschränkend erwähnt werden, dass Habermas keinesfalls die Notwendigkeit des Staates und Marktes in komplexen, modernen Gesellschaften anzweifelt.3 (Vgl. Benhabib 1992: 86) Gleichwohl verlangt er, dass sich insbesondere die administrative Macht einem kontinuierlichen Verfahren der öffentlichen Legitimation – eben jenem des öffentlichen Diskurses innert der public sphere – nicht nur zu stellen, sondern auch für dessen unversehrten Fortbestand Sorge zu tragen habe.
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DISKUSSION(EN) FÜR DAS »DREI-EBENEN-MODELL« VON ÖFFENTLICHKEIT?
Lassen sich aus dem Strukturwandel der Öffentlichkeit Aspekte formulieren, die für eine Diskussion des Mehrebenenphänomens Öffentlichkeit (Klaus 1998; Krotz 1998; Peters 2007) beziehungsweise des 3-Ebenen-Modells von Elisabeth Klaus im Sinne Garnhams (1992: 360) »fruitful starting points« darstellen? 4.1 Gemeinsamkeiten Habermas’ Öffentlichkeitsvorstellung, die sie neben den Modellen anderer TheoretikerInnen wie etwa Ahrendt, Gerhards und Neidhardt, Fraser oder Mouffe zu ihrem Modell inspiriert habe (vgl. Klaus 2006: 95), lässt sich aus Perspektive des Strukturwandels der Öffentlichkeit vor allem in vier Punkten wiedererkennen: Erstens, in der Idee von Verhandlungs- oder Diskursmodi, aus denen sich Öffentlichkeit konstituiert, also in der Frage, wie Öffentlichkeit entsteht. Diese Frage ist umso wichtiger, als sie in liberalen Öffentlichkeitsmodellen, insbesondere in Gerhards und Neidhardts Arenenmodell zu weiten Teilen unterbelichtet bleibe (vgl. Lingenberg 2010: 36), zumal angenommen werde, »dass die Erzielung von Konsens über den diskursiven Austausch von Argumenten in pluralistischen Gesellschaften unwahrscheinlich ist und demnach von Öffentlichkeit auch nicht
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Auch viele der neueren sozialen Bewegungen können dessen nicht bezichtigt werden: ihr Anliegen mag zwar marktkritisch orientiert sein, ist dies aber auch nur in dem Maße, als der Marktmechanismus in Bereiche vordringt – auch hier zeigt sich ein Anknüpfungspunkt zu Habermas’ Überlegungen in der Theorie des kommunikativen Handelns –, deren Koordinierung die Gesellschaft anderen, vornehmlich verständigungsorientierten Instrumentarien zugrunde gelegt hat. Und auch die demokratische Gemeinschaft per se wird nicht in Abrede gestellt. Rucht formuliert es treffend: »Es geht weniger um das Projekt der Gesellschaft als vielmehr um Projekte in der Gesellschaft« (Rucht 2000: 61, Hervorhebungen im Original).
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geleistet werden kann« (Lingenberg 2010: 36). Öffentlichkeit erfüllt Transparenzfunktionen und »ihre Publizität ist schon ihre Leistung« (Neidhardt 1994: 9). Das greift insofern ganz erheblich zu kurz, als dass »Öffentlichkeit nicht unwesentlich von der kommunikativen Beteiligung der Menschen an entsprechenden Diskursen« (Lingenberg 2010: 27) abhängt. Zweitens,LQGHU9RUVWHOOXQJYRQgIIHQWOLFKNHLWDOVÀXLGHPXQDEJHVFKORVVHQHP Prozess und Raum, der sich beständig seiner selbst zu versichern hätte. So stellt Öffentlichkeit einen erst durch Kommunikation strukturierten Raum dar, in dem durch Interaktionsprozesse Sinn hergestellt werde (vgl. Westerbarkey 1999: 147 ff.). Zugleich gibt aber Calhoun zu bedenken: »the term public sphere is a spatial metaphor for a largely nonspatial phenomenon« (Calhoun 2003: 243). Mit einher geht die Vorstellung von Öffentlichkeit als weder an Orte ihrer AkteurInnen noch an Orte ihrer Publika gebundene, sondern als metaphorischen Raum, der seinerseits »Felder verdichteter Kommunikation« (Peters 1994: 56) bereit stellt. Öffentlichkeit ist somit »an sich nicht greifbar, sie hat keinen Ort und ist eigentlich dezentral« (Franz 2000: 7). Die Folge ist zugleich, dass die Rede von der einen Öffentlichkeit unangebracht scheint, und Öffentlichkeit vielmehr im Plural gedacht werden muss. »Unter Rekurs auf Habermas kann sie dementsprechend auch als hochkomplexes Netzwerk vielzähliger Öffentlichkeiten beschrieben werden, das sich über verschiedene Räume, Ebenen und Entfernungen erstreckt.« (Lingenberg 2010: 28) Drittens, in der prinzipiellen Offenheit der Diskursräume, von denen keine und keiner a priori ausgeschlossen wird. Diese Offenheit hatte Habermas in der Erstfassung des Strukturwandels mit den zum Publikum versammelten Bürgern ident gesetzt und erfüllt gesehen; eine Fehleinschätzung, die große Teile der Bevölkerung, z. B. Frauen, nicht dem Stand des Bürgertums Angehörende, etc. von GLHVHP3XEOLNXPLP6LQQHHLQHVGH¿]LWlUHQªSXEOLFDQGJHQGHUDFFHVV©)UDVHU DXVVFKORVV ,Q HLQHP 9RUZRUW ]XU 1HXDXÀDJH VHLQHV %XFKHV revidierte Habermas zum Teil diesen Fehler. Das Drei- oder Mehrebenenmodell von Öffentlichkeit setzt bewusst auch bei der Einzelnen, deren Zugang zu Öffentlichkeit bzw. Erfahrungen mit öffentlichen Themen, ihr Betroffensein und/oder ihrem politischen Engagement und ihrer Partizipation an. Damit rückt auch die Frage in den Fokus, welchen Beitrag die Einzelne überhaupt für Öffentlichkeit leisten kann und welche Strukturbedingungen hierfür gegeben sind. Das Postulat des prinzipiell offenen Zugangs ist unter dem Eindruck des Medien- und Gesellschaftswandels insofern ein verändertes, als dass die Komplexitätsebenen von Öffentlichkeit gerade auch in der bestehenden Netzwerköffentlichkeit spielerisch miteinander verbunden werden (vgl. Neuberger 2009: 40) und der Zugang zu den Medien einfacher scheint als etwa in der von Habermas analysierten bürgerlichen Öffentlichkeit. Nichtsdestotrotz ist nach wie vor die wichtige Frage zu stellen, ob alle, die an den öffentlichen Kommunikationsprozessen teilnehmen wollen, auch die Möglichkeit dazu haben. Denn es
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»gibt Ungleichheiten der Sichtbarkeit oder Vernehmlichkeit, des jeweils beanspruchten oder NRQWUROOLHUWHQ$QWHLOVDP|IIHQWOLFKHQ5DXPHVJLEW8QJOHLFKKHLWHQGHV(LQÀXVVHVXQGHV gibt schließlich assymetrische Wissensvoraussetzungen in Kommunikationen« (Peters 1994: 52, Hvh. i. O.).
So wie Öffentlichkeit erst Teilhabe an der Demokratie gewährleistet, muss Teilhabe an der Öffentlichkeit von der Demokratie durch adäquate Mitgestaltungsoptionen gewährleistet sein: beide, Öffentlichkeit und Demokratie, sind untrennbar miteinander verbunden. Viertens, in der Idee, dass Öffentlichkeit auf der einfachen Ebene aus der Sphäre des Privaten entsteht, wenngleich Habermas dem, bedingt durch seine Analyse des Niedergangs der bürgerlichen Öffentlichkeit und der Refeudalisierung alles Privaten, insbesondere der Familie, zunächst wenig Hoffnung einräumte und in neueren Publikationen hierin den Hauptgrund für die Fragmentierung politischer Öffentlichkeit sieht (vgl. Habermas 2008: 161 ff.): »As has been pointed out often, the idea of public is associated implacably with reason, rationality, objectivity, argument, work, text, information and knowledge (and, de facto, one might add, discursively dominant masculine and Caucasian). Private resonates with the personal, emotion, intimacy, subjectivity, identity, consumption, aesthetics, style, entertainment, popular culture and pleasure. If this whole side is walled off analytically from our understanding of politics, then we will never be able to understand, for example, the motivations, identities and passions that can launch people into the public sphere.« (Dahlgren 2006: 275)
Habermas (1990) spricht in diesem Zusammenhang von sog. »episodischen Öffentlichkeiten«, die sich im Alltagsleben zugangsoffen und zum Teil unvorhersehbar auftun. Öffentlichkeit bezieht »ihre Impulse aus der privaten Verarbeitung lebensgesellschaftlich räsonierender gesellschaftlicher Problemlagen« (Habermas 1998: 442 f.), wurzelt demnach im Privaten und erlangt zugleich ihre Realität und Existenz erst im privaten Gespräch und in Alltagssituationen (vgl. Arendt 1996: 63; Habermas 1990: 57; Klaus 1998: 135). ª'LHVHYRU¿QGEDUHQHLQIDFKVWHQ)RUPHQYRQgIIHQWOLFKNHLWZLHGHUXPVLQGIXQGDPHQWDOIU die darauf aufbauenden, komplexeren Formen politischer Öffentlichkeit und damit Grundstein einer funktionierenden und lebendigen Demokratie. Allerdings bleiben diese Prozesse auf der Mikroebene oft unsichtbar, da allein die Makroebene empirisch untersucht wird.« (Wimmer 2011: 181).
Neben den episodischen Öffentlichkeiten darf aber auch die Vielzahl medieninduzierter Anschlusskommunikationshandlungen nicht außer Acht gelassen werden, die auch die einfache Ebene von Öffentlicheit prägen:
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Hier widersprechen sowohl das Drei- bzw. Mehrebenenmodell von Öffentlichkeit als auch Habermas’ Ideen deutlich jenen kybernetischen und auf Luhmanns Systemtheorie rekurrierenden Öffentlichkeitsmodellen, die bezogen auf das Potenzial privater Kommunikation meinen, dass erst auf der komplexen Ebene von Öffentlichkeit Sammlung, Verarbeitung und Anwendung von Information erfolgreich erreicht werde. Die Ebene einfacher und z. T. auch mittlerer Öffentlichkeit sei hingegen zu vernachlässigen, denn eine Kontinuität der Themenführung sei hier kaum festzustellen und dementsprechend seien »Synthetisierungen von Themen und Meinungen und damit Akkumulationseffekte der Meinungsgenerierung unwahrscheinlich« (Gerhards/Neidhardt 1991: 49). 4.2 Unterschiede Eine allumfassende Interpretation und Verortung von Öffentlichkeitskonzepten kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Dennoch soll auf grundsätzliche Unterschiede zwischen Klaus’ Mehr-Ebenen-Modell und Habermas’scher Öffentlichkeit kurz eingegangen werden. Zur Vorsicht bei solchen Vergleichen, gerade bei der thematischen Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit, mahnt Jeff Weintraub: »Different sets of people who employ these concepts mean very different things by them – and sometimes, without quite realizing it, mean several things at once.« (Weintraub 1997: 1 f.) Ein großer Unterschied zu den Habermas’schen Grundannahmen ist sicher in der Weite des Öffentlichkeitsbegriffs zu sehen, den Elisabeth Klaus (2006: 96) als Basis ihres 3-Ebenen-Modells wählt. Einen erweiterten Begriff von Öffentlichkeit zu nutzen, »ist aufgrund seiner historisch etablierten Konnotationen und eingespielten disziplinären Verwendungen kein selbstverständliches Unterfangen« (Schmitt/ Vonderau 2014: 9). Zu Recht erinnern Schmitt und Vonderau daran, dass Öffentlichkeit spätestens seit Jürgen Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit ein vor allem in den Politikwissenschaften gebräuchlicher Begriff sei, der als »epochale Kategorie« gelte. Die fehlende Fixierung auf die eine Öffentlichkeit in der Konzeption von Elisabeth Klaus ermöglicht nicht nur einen »more open space«, sondern auch generell freiere und ergebnisoffenere Verhandlungsmodi von Öffentlichkeit, die sich nicht (nur) auf die Sphäre des Politischen beschränken, sondern ganz bewusst auch Ebenen der Privat-, Alltags- und Versammlungskommunikation einbe-
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ziehen. Betroffenheit der AkteurInnen entsteht hier durch ihre »wechselseitige Verstrickung in Strukturen und/oder Institutionen« (Fraser 2008: 31), die zum zentralen »Entfaltungs- und Inklusionsprinzip von Öffentlichkeit« (Schmitt/Vonderau 2014: 9) werden. Dass dabei dann nicht nur E-Inhalte, sondern gerade auch die U-Inhalte von Medien und Alltag, Narration und Erfahrungswissen Anschlusskommunikation ¿QGHQVWHOOWHLQHQZHLWHUHQJURHQ8QWHUVFKLHG]XGHQ,GHHQGHV6WUXNWXUZDQGHOV der Öffentlichkeit dar. Zumal »die Beteiligung an öffentlichen Diskursen ebenso wie die Beobachtung politischen Geschehens längst nicht mehr nur über Massenmedien, sondern auch über spezialisierte Newsgroups, Diskussionsforen, Blogs und Twitter im Internet oder über das Mobiltelefon denkbar« (Lingenberg 2010: 150) seien und die immer stärker werdende mediale Vermittlung und Durchdringung unseres Alltages »langfristig eine potenzielle Basis für neue Formen von Öffentlichkeit und politischer Kommunikation bilden kann« (Krotz 2007: 107). Auch wenn Habermas, wie Wimmer (2007: 166) meint, glaubt, »dass Öffentlichkeit erst im Rahmen der Kommunikation au trottoir zum Leben erweckt wird und damit die (medienvermittelte) interpersonale Kommunikation eigentlich das Fundament der Demokratie darstellt«, ist seine Skepsis gerade gegenüber den positiven Öffentlichkeitspotenzialen neuerer sozialer Medien zu weiten Teilen gleich geblieben. 4.3 Diskussionen In der Frage, welche Öffentlichkeitsmodelle zum Verstehen und Erforschen einer europäischen Öffentlichkeit dienlich sein könnten, habe ich 2006 gemeinsam mit Elisabeth Klaus eine Übersicht erarbeitet (vgl. Klaus 2006: 1010) die auf der einen Seite Medien, Raum und AkteurInnen als Kategorien einer Einordnung bereit hielt, auf der anderen Seite die Frage, ob Öffentlichkeit singular oder plural im Sinne von (Teil-)Öffentlichkeiten betrachtet wird. Diskussion(en) zum Mehrebenenmodell könnte(n), wie bei vielen anderen Öffentlichkeitsmodellen auch, nun zusätzlich an der Frage ansetzen, ob es neben den »nach Komplexitätsgrad« (Kiefer 2007: 54) angeordneten drei Ebenen (einfach, mittel, komplex) nicht zusätzlich einer Art metatopischen »Über-Ebene« bedarf, die so etwas wie das Ergebnis und zugleich Norm aller Kommunikationsforen materialisiert. Bei Jürgen Habermas war dies ja die Idee der »public sphere«, die nicht nur Öffentlichkeit im Sinne einer demokratischen Norm verdichtet, sondern gleichsam als Maßstab für das Handeln der AkteurInnen im Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft diene. Geht man, wie etwa Wimmer (2011: 164) davon aus, dass Öffentlichkeit im Dreiebenenmodell sich auf der Makroebene als manifeste Strukturen und Funktionen von Öffentlichkeit auszeichnet, auf der Mikroebene als personeller kontinuierlicher andauernder Wandlungsprozess, so ist »dem Konstrukt Öffentlichkeit immer automatisch auch eine Mikro-Makro-Problematik inhärent«, die folgerichtig nur »im Sinne ein es dynamischen, komplexen und dabei multidimensionalen Kommunikationsprozesses
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zu konzeptionalisieren« sei. Darüber hinaus wäre aber eine zusätzliche Über-Ebene sinnvoll, die die normativen Konnotationen des Modells als eine Art utopisches Filtrat, das als Erklärung des Prinzips Öffentlichkeit samt der speziell in diesem Konzept verwendeten normativen Grundannahmen und gleichsam als Handlungsanweisung zu Öffentlichkeit fungieren könnte. Mit dieser zusätzlichen Metaebene ließe sich auch der Vorwurf des normativen Eisbergsyndroms (vgl. Scheufele/Wimmer 2006) entkräften und die eigenen Ansprüche, denen das Öffentlichkeitskonzept genügen soll (vgl. Faulstich 2000: 51; Raupp 1999: 113), darlegen. »Das Konzept der Öffentlichkeit wurde nicht etwa entwickelt, um lediglich empirische .RPPXQLNDWLRQVÀVVH]XYHUVWHKHQVRQGHUQXP]XHLQHUQRUPDWLYHQSROLWLVFKHQ'HPR kratietheorie beizutragen [. . .]. Es ist demnach wichtig festzuhalten, wer partizipiert und zu welchen Bedingungen dies der Fall ist. Zudem soll die Öffentlichkeit als ein Vehikel für die Mobilisierung öffentlicher Meinung als einer politischen Kraft fungieren. Sie sollte die Bürgerinnen und Bürger gegenüber privaten Mächten ermächtigen und es ihnen ermöglichen, (LQÀXVVDXIGHQ6WDDWDXV]XEHQ©)UDVHU
Eine weitere Diskussionsanregung könnte die Frage aufwerfen, inwieweit die Modelldarstellung auch stärker auf die Verhandlungsobjekte eingehen kann und sollte. Je nach zu verhandelndem Gegenstand ist durchaus denkbar, dass sich die im Modell skizzierte »Pyramide« bezüglich ihrer Zusammensetzung verändert. Das kann bis dahin führen, dass bestimmte Thematiken nur auf einer der drei Ebenen verhanGHOWZHUGHQXQGHLQ$ERGHU=XÀXVVLQGLHDQGHUHQ(EHQHQQLFKW]XVWDQGHNRPPW oder bewusst be-/verhindert wird. Als Beispiel wären hier ggf. die bewusst unter $XVVFKOXVVGHUgIIHQWOLFKNHLWVWDWW¿QGHQGH$UEHLWYRQSDUODPHQWDULVFKHQ$UEHLWV gruppen zu nennen. Eine letzte Anregung zur Diskussion, die an diesen Gedanken anschließt und gleichermaßen dem alten und »neuen« Strukturwandel der Öffentlichkeit entstammt: die Frage, inwieweit das auf eigenen Vorteil bedachte geschäftlich Private in Form strategischer Interessen das Öffentliche überformt und letztlich das Ergebnis dessen, was in der komplexen Ebene von Öffentlichkeit als Verhandlungs- und (QWVFKHLGXQJVWKHPHQDQNRPPWEHHLQÀXVVWZHQQQLFKWJDUYRUZHJQLPPW'LHVH Frage betrifft vorrangig auch die »Spielregeln«, die bezüglich der Mitwirkung der AkteurInnen in allen drei Ebenen von Öffentlichkeit Gültigkeit besitzen sollen. Es geht neben den Kommunikationsmodi also stets auch um die Macht, die sich nur bedingt in den Ebenen wiederspiegelt. Denn nicht ausgeschlossen scheint, dass AkteurInnen zum einen bewusst Ebenen umgehen – hier sind neue Formen der Direktdemokratie, Abstimmungsprozesse via Online-Medien, shit- und candystorm, etc. ebenso als Beispiel denkbar wie Einzelne, die mit (v. a. ökonomischer) Macht ausgestattet die Ebenen bespielen, ohne direkt in Erscheinung zu treten bzw. sich Diskursen zu »stellen« – oder gleich eigene Ebenen neben den drei vorhandenen als quasi Ersatz-Schauplätze entwickeln.
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LITERATUR
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Öffentlichkeiten aus österreichischer Perspektive
Öffentlichkeiten aus österreichischer Perspektive. Ein Forschungsüberblick unter Berücksichtigung des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit MARTINA THIELE
Öffentlichkeit und Öffentlichkeiten aus österreichischer Perspektive zu betrachten XQGVLFKGDEHLDXIHLQVSH]L¿VFKHVgIIHQWOLFKNHLWVPRGHOO]XEH]LHKHQEHGHXWHWLQ mancher Hinsicht Einschränkungen vorzunehmen, in mancher Hinsicht aber auch den oftmals verengten Forscher_innenblickwinkel zu erweitern. Auf eine Erweiterung der bisherigen Forschung deutet die Beschäftigung mit Öffentlichkeiten und mit einem Öffentlichkeitsmodell, das Elisabeth Klaus Mitte der 1990er Jahre zur Diskussion gestellt und seitdem weiterentwickelt hat (vgl. Klaus 1995; 1998b; 2001; 2006 und in diesem Band), auf eine Einschränkung bzw. Herausforderung die Fokussierung auf »österreichische« Forschung. Einleitend wird das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit kurz vorgestellt und die Einnahme einer nationalen Perspektive diskutiert. Dem folgt eine Analyse ausgewählter Publikationen zum Thema Öffentlichkeit. Dieser Forschungsüberblick wird ergänzt durch eine abschließende Einordnung der Ergebnisse, die im Zuge neuerer Forschungen zu Öffentlichkeit(en) theoretisch hergeleitet, in Modellen wie dem Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit (Klaus 2006) veranschaulicht und z. T. empirisch geprüft worden sind.
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DAS DREI-EBENEN-MODELL VON ÖFFENTLICHKEIT
Ihre Beschäftigung mit den vorherrschenden Theorien und Modellen von ÖffentOLFKNHLW EHVFKUHLEW (OLVDEHWK .ODXV DOV VWDUN EHHLQÀXVVW GXUFK GLH *HVFKOHFKWHU forschung. Aus dieser Richtung seien beständig Anstöße zur Weiterentwicklung von Öffentlichkeitstheorien gekommen, die jedoch von der scientic community weitgehend ignoriert wurden. Dabei könnten feministische Öffentlichkeitstheorien »zu vielen der diskutierten Aspekte eines Wandels von Öffentlichkeit einen
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substantiellen Diskussionsbeitrag [leisten]« (Klaus/Drüeke 2012: 52). Schließlich hätten sie die Öffentlichkeitsforschung dahingehend verändert, dass die Dualismen von Öffentlichkeit und Privatheit sowie Emotionalität und Rationalität hinterfragt wurden, dass ein erweiterter Politikbegriff Einzug in die Öffentlichkeitsforschung gehalten hat, dass plurale und transnationale Teilöffentlichkeiten, deren Analyse intersektioneller Perspektiven bedarf, stärker in den Blick genommen wurden, zudem dass das Wie der Herstellung von Öffentlichkeiten und damit Inszenierungen und performative Praktiken mehr Beachtung fänden (vgl. Klaus/Drüeke 2012: 55). 'LH(QWVWHKXQJLKUHV0RGHOOVVR.ODXV KDEHSUR¿WLHUWYRQ'HEDWWHQ innerhalb der Geschlechterforschung und von der Kritik, die u. a. Oskar Negt und Alexander Kluge (1972) oder Nancy Fraser (1994, 2001) an der von Jürgen Habermas in Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962/1990) entwickelten Öffentlichkeitstheorie geübt haben. Wichtig seien auch die Arbeiten von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt, die 1990 mit dem Arena-Modell ein Mehrebenen-Modell von Öffentlichkeit vorgestellt haben. Sie unterscheiden zwischen Encounter, Veranstaltungen und Massenmedien als Ebenen politischer Öffentlichkeit (vgl. Gerhards/Neidhardt 1990; Neidhardt 1994). Ulla Wischermann, die in einer breit angelegten kommunikationshistorischen Studie »Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900« untersucht hat, beschreibt ebenfalls drei Ebenen: die der Bewegungskulturen (einfache Öffentlichkeit), der Bewegungsöffentlichkeiten (mittlere Öffentlichkeit) und die Ebene der Öffentlichen Meinung, einer etablierten politischen und massenmedialen Öffentlichkeit (komplexe Öffentlichkeit) (vgl. Wischermann 2003 und in diesem Band). Wie andere feministische Forscherinnen unterstreicht Wischermann die Bedeutung der auf persönlichen Beziehungen beruhenden sozialen Netzwerke für die Entstehung von (Gegen-)Öffentlichkeiten. Elisabeth Klaus berücksichtigt in in ihrem Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit, bei dem sie Öffentlichkeitsebenen nach Komplexitätsgrad unterscheidet, die unterschiedliche Verteilung von Macht- und Entscheidungsbefugnissen und die Zahl der Kommunikationsforen. Danach gilt für die komplexe Ebene von Öffentlichkeit: enorme Macht- und Entscheidungsbefugnisse bei eingeschränkter Zahl der Kommunikationsforen. Und umgekehrt für die einfache Ebene: eingeschränkte Macht- und Entscheidungsbefugnisse bei enormer Vielfalt an Kommunikationsforen. Der mittleren Ebene kommt eine Art Mittler-, Übersetzungs- und Verstärkerfunktion zu. Ihr Modell wendet sie u. a. auf Frauenöffentlichkeiten an (vgl. Klaus 1998a) und auf ein vieldiskutiertes Beispiel für transnationale Öffentlichkeit, nämlich europäische Öffentlichkeit (vgl. Klaus 2006). Ricarda Drüeke nutzt es für die Auseinandersetzung mit Kommunikationsräumen im Internet (vgl. Drüeke 2013: 103 f.). In verschiedenen Publikationen führt Klaus selbst einige Komponenten an, die ihr Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit von anderen, zur selben Zeit entstandeQHQ0RGHOOHQXQWHUVFKHLGHW'DVLVW]XQlFKVWGLH'H¿QLWLRQYRQgIIHQWOLFKNHLWDOV
ÖFFENTLICHKEITEN AUS ÖSTERREICHISCHER PERSPEKTIVE
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»gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess« (Klaus 1998b; 2006; 2009) und damit einhergehend ein erweiterter Politikbegriff, dann die Unterscheidung mehrerer Ebenen von Öffentlichkeit, die in Beziehungen zueinander stehen und durchlässig sind, die Beachtung von Teilöffentlichkeiten, die partiell gegen die herrschende öffentliche Meinung argumentieren, schließlich eine gesellschafts- und machttheoretische Verortung (vgl. Klaus in diesem Band). Auf diese Komponenten des Modells und die damit verbundenen Ansprüche an eine kritische Öffentlichkeitstheorie ist abschließend zurückzukommen. Vorerst steht neben Öffentlichkeit noch ein anderer Begriff zur Debatte: der der Nation. Denn deutlich geworden ist in der Debatte über neuere Ansätze in der Öffentlichkeitsforschung, dass bisherige Forschung ganz überwiegend von der Nation als Bezugspunkt ausgegangen ist, diese Perspektive aber in einer globalisierten Welt nur bedingt zur Erklärung von Öffentlichkeiten taugt.
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NATIONALE WISSENSCHAFTS- UND FACHKULTUREN ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
Wird nach der Österreichischen Kommunikationswissenschaft im Vergleich zur Schweizer oder Deutschen oder US-Amerikanischen gefragt, steht dahinter die Annahme, dass es nationale Wissens- und Wissenschaftskulturen gibt, die zur Herausbildung nationaler Fachidentitäten führen. Diese Annahme sah sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmender Kritik ausgesetzt. Schließlich hat das Wissen um die soziale Konstruiertheit von Begriffen auch die Beschäftigung PLW1DWLRQHQYHUlQGHUW+lX¿J]LWLHUWZLUG%HQHGLFW$QGHUVRQV:HUNª,PDJLQHG Communities« (1983), doch auch Autoren wie Ernest Gellner mit »Nations and Nationalism« (1983), Eric Hobsbawm mit »Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality« (1990) oder Zygmunt Bauman mit »Modernity and Ambivalence« (1991) nehmen eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf das Ideologem »Nation« ein. Die war zwar nicht neu, wenn man als einen wichtigen Ausgangspunkt konstruktivistischen Denkens in den Geistes- und Sozialwissenschaften Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns Klassiker »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (1969/1987) heranzieht. Dennoch lässt sich für die geistes- und sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Begriff »Nation« ein (de-)konstruktivistischer Schub in den 1980er Jahren feststellen, der einerseits zur grundsätzlichen Infragestellung des Nationenbegriffs geführt hat, andererseits zu Begriffsdifferenzierungen und -neubildungen wie etwa »transnational« oder »supranational«, die jedoch weiterhin die Nation als Bezugspunkt beinhalten. :HLO:LVVHQVFKDIWQLFKWDXI1DWLRQDOVWDDWHQEHJUHQ]WVWDWW¿QGHWVRQGHUQVLFK LQ HLQHP VWlQGLJHQ $XVWDXVFK XQG :HWWEHZHUE EH¿QGHW GHU DOV LQWHUQDWLRQDO transnational, global oder auch transkulturell bezeichnet werden kann, spricht die
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Wissenschaftssoziologin Karin Knorr-Cetina (1999; 2002) von »epistemic cultures«, von Wissenschaftskulturen (im Plural) als Teil von Wissenskulturen. Diese umfassen für sie ». . . diejenigen Praktiken, Mechanismen und Prinzipien, die, gebunden durch Verwandtschaft, Notwendigkeit und historische Koinzidenz, in einem Wissensgebiet bestimmen, wie wir wissen, was wir wissen.« (Knorr-Cetina 2002: 11) Wenn im Folgenden in Anlehnung an Dirk Kaesler (1984: 9) sowie Stefanie Averbeck und Arnulf Kutsch (2002: 59) die Verbindung von Sozialgestalt, Ideengestalt und Milieu innerhalb einer bestimmten Zeitspanne und innerhalb eines bestimmten Raumes untersucht wird, um Aussagen über »die kommunikationswissenschaftliche Öffentlichkeitsforschung in Österreich« zu treffen, so geschieht das unter den wissenschaftssoziologischen Prämissen einer sozialen Konstruiertheit wissenschaftlichen Wissens und nationaler Räume. Eine Entgrenzung und Transnationalisierung lässt sich auch für die österreichische Kommunikationswissenschaft und speziell die Erforschung von Öffentlichkeit(en) konstatieren. Sie geht einher mit einer Selbstverständnisdebatte, die es seit Beginn des 20. Jahrhunderts und den ersten Versuchen, das Fach als akademische Disziplin zu etablieren, gibt. Einen wichtigen Diskursstrang innerhalb dieser Selbstverständnisdebatte stellt die Auseinandersetzung um Germanisierung, AusWUL¿]LHUXQJXQG,QWHUQDWLRQDOLVLHUXQJGDU'LHVH$XVHLQDQGHUVHW]XQJVSLHJHOWVLFK in der 1977 gegründeten Fachzeitschrift Medien Journal wieder. In seinen »Thesen zur Entwicklung von Kommunikationswissenschaft und -forschung in Österreich« fordert Hans Heinz Fabris 1983 »einen deutlichen Österreich-Bezug« herzustellen und »die einseitige Orientierung an der bundesdeutschen Publizistikwissenschaft« aufzugeben, dabei aber, »um der Gefahr einer Provinzialisierung durch eine derDUWLJH¾$XVWUL¿]LHUXQJ½]XHQWJHKHQ©DXIª,QWHUQDWLRQDOLVLHUXQJ©]XVHW]HQYJO Fabris 1983: 5). Bis heute besteht eine gewisse Distanz gegenüber der bundesdeutschen Kommunikationswissenschaft und ihrer Fachgesellschaft DGPuK (vgl. Karmasin/Krainer 2013; Klaus/Thiele 2013), um so interessanter ist, ob es auch bei der Erforschung von Öffentlichkeit(en) Besonderheiten österreichischer TheorieELOGXQJ]ZLVFKHQ*HUPDQLVLHUXQJ$XVWUL¿]LHUXQJXQG,QWHUQDWLRQDOLVLHUXQJJLEW So stellen sich bezogen auf die Öffentlichkeitsforschung in Österreich verschiedene Fragen: zum einen, welche nationalen Besonderheiten erkennbar, zum DQGHUHQZHOFKHWUDQVQDWLRQDOHQ(LQÀVVH]XLGHQWL¿] LHUHQVLQGGKZRGLH|VWHU reichische kommunikationswissenschaftliche Öffentlichkeitsforschung Ideen entwickelt, weitergegeben oder aufgenommen und sich dadurch verändert hat. Mit »Ideen« sind hier zusammenfassend Forschungsgegenstände, Theorien, Modelle, Begriffe und Methoden, aber auch Orientierungen sowie Einstellungen und Haltungen gemeint. Somit bildet die »Ideengestalt«, die »kognitive Ausdifferenzierung« der kommunikationswissenschaftlichen Öffentlichkeitsforschung in Österreich, einen Forschungsstrang, dem im Folgenden nachgegangen werden soll, den anderen,
ÖFFENTLICHKEITEN AUS ÖSTERREICHISCHER PERSPEKTIVE
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damit unmittelbar verbundenen Forschungsstrang bildet die »Sozialgestalt«, die »soziale Ausdifferenzierung« der Kommunikationswissenschaft in Österreich. Der räumliche Schwerpunkt ist damit festgelegt, jedoch geht es auch um transnationale Perspektiven innerhalb der österreichischen Kommunikationsforschung und damit um »multidimensionale und graduelle Prozesse, die die Grenzen nationaler Räume überschreiten« (Brüggemann et al. 2006: 215). Der zeitliche Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den letzten zwei Jahrzehnten. In diesem Zeitraum sind nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, dem Beitritt Österreichs zur EU 1995 und bedingt durch verschiedene technische Innovationen tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse in Gang gesetzt worden. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf einem Forschungsfeld, das durch die seit den 1990er Jahren beschleunigte Technisierung und Globalisierung vor QHXHQ+HUDXVIRUGHUXQJHQVWHKWXQGEHLGHPVLFKWUDQVQDWLRQDOH(LQÀVVHGHXWOLFK bemerkbar machen: die Erforschung von Öffentlichkeit(en).
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METAANALYSE AUSGEWÄHLTER PUBLIKATIONEN ZUM THEMA ÖFFENTLICHKEIT
Die unter 2. formulierten erkenntnistheoretischen Einsichten bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die empirische Forschung, weil ab einem gewissen Punkt die (De-)konstruktion von Nation die Beschäftigung mit »österreichischer« Öffentlichkeitsforschung vor die Herausforderung stellt zu ermitteln, wer ein_e österreichische_r Kommunikationswissenschafter_in ist? Nicht weniger problematisch sind Bezeichnungen wie Kommunikationswissenschafter_in in Österreich oder »österreichische« Kommunikationswissenschaft. Theoretisch und empirisch befriedigend kann dieses Problem kaum gelöst werden. Hier wird dennoch der Versuch unternommen, erste Antworten auf die eingangs aufgeworfenen Fragen zu geben, indem ausgewählte Publikationen auf Themenschwerpunkte innerhalb der Befassung mit Öffentlichkeit bzw. auf Diskursstränge innerhalb des kommunikationswissenschaftlichen Öffentlichkeitsdiskurses untersucht werden. Sinn und Zweck eines solchen metaanalytischen Verfahrens (vgl. Bonfadelli/ Meier 1984; Lueginger/Renger 2013), das auf der Auswertung bereits vorhandener Studien beruht, ist zum einen die Bestandsaufnahme (»Wer hat zu einem bestimmten Thema in einem bestimmten Zeitraum geforscht? Welche theoretischen Bezüge sind erkennbar, welche Methoden wurden eingesetzt, welche Ergebnisse liegen vor?«), zum anderen die Überprüfung von Hypothesen, die sich z. T. erst aus der Aufarbeitung des Forschungsstandes ergeben. Das übergeordnete Ziel metaanalytischer Verfahren ist ein möglichst hoher Synthetisierungsgrad, eine Art »wissenschaftlicher Mehrwert«, der z. B. darin bestehen kann, Forschungstrends XQGVFKZHUSXQNWHUHVXOWDWHXQGGH¿]LWH]XLGHQWL¿]LHUHQ
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Gerade für wissenssoziologische, fachhistorische und komparatistische Fragestellungen bietet sich ein metaanalytisches Vorgehen an, das eine thematische, zeitliche und geographische Eingrenzung vorsieht. Josef Seethaler hat 2006 einen Aufsatz publiziert, in dem er durch die Analyse der zwischen 1989 und 2004 erschienenen Beiträge zu europäischer Öffentlichkeit in vier europäischen Fachzeitschriften den Stand der kommunikationswissenschaftlichen Forschung zu diesem Thema erhoben hat (vgl. Seethaler 2006). Jeffrey Wimmer (2009) hat empirische Studien zu europäischen Gegenöffentlichkeiten metaanalytisch untersucht. Die vorliegende Untersuchung nimmt im Vergleich dazu an manchen Stellen Einschränkungen vor, an manchen aber auch Erweiterungen des Samples. Erhoben wurde erstens, welche Monographien und Sammelbände zum Thema Öffentlichkeit von in Österreich tätigen Wissenschafter_innen publiziert worden sind. Vorraussetzung für die Berücksichtigung eines Werkes ist, dass es zwischen 1990 und 2013 erschienen ist, im Titel der Begriff Öffentlichkeit vorkommt und – falls es sich um einen Sammelband handelt – in Österreich tätige Wissenschafter_ innen mit Beiträgen vertreten sind. Berücksichtigt wurden sechs Monographien (Drüeke 2013; Winter 2009; Romahn 2008; Wallner 2008; Steininger 2007b; Gottwald 2006) und fünf Sammelbände (Maier/Thiele/Linke 2012; Pöttker/Schwarzenegger 2010; Langenbucher/Latzer 2006; Schachtner/Winker 2005; Langenbucher 1995; Dorer/Marschik/Glatter 1992/93). Zweitens gelangten Beiträge aus den beiden Fachzeitschriften Medien Journal und Medien & Zeit in die Stichprobe. Das Medien Journal ist die österreichische Fachzeitschrift, die so gut wie alle innerhalb der österreichischen KommunikaWLRQVZLVVHQVFKDIW7lWLJHQHUUHLFKW,QGHUHUVWHQ$XVJDEHYRQ¿QGHWVLFKGHU Aufruf zur Gründung einer österreichische Fachgesellschaft sowie Überlegungen zu einer zukünftigen Kommunikationswissenschaft: Sie soll gesellschaftsbezogen und kritisch sein, zuwenden müsse sie sich u. a. »alternativen Formen der Öffentlichkeit« (Medien Journal 1/1977, wieder abgedruckt in 1, 2/1986). Laut Impressum verfolgt das Medien Journal den Anspruch, »die Medienarbeit in Österreich und auch in anderen Ländern zu durchleuchten und Nachrichten aus der Medienforschung und Medienpraxis zu bringen«, es will außerdem »Forum für die offene Diskussion sein« (vgl. Impressum, 5/1987: 136). Medien & Zeit befasst sich schwerpunktmäßig mit historischer Kommunikationsforschung. Die Zeitschrift wird vom Verein »Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung« herausgegeben und erscheint seit 1986 ebenso wie das Medien Journal vierteljährlich. Angesiedelt ist die Zeitschrift am Wiener Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Sie ist die einzige ausschließlich kommunikationshistorisch orientierte Fachzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Medien & Zeit versteht sich laut Impressum als »Forum für eine kritische und interdisziplinär ausgerichtete Auseinandersetzung über Theorien, Methoden und Probleme der Kommunikationsgeschichte«. Berücksichtigt wurden die Bei-
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träge aus vier Schwerpunktheften der beiden Fachzeitschriften. So widmet sich Medien & Zeit, Heft 3/2008, dem Thema »Kommunikationsraum Europa – Europa als kommunizierter Raum«, Heft 1/2002 dem Thema »Gegenöffentlichkeit«. Das Medien Journal, Heft 1/2007, setzt sich mit »Öffentlichkeit – Begriff und Theorie« auseinander, Heft 1/2000 mit »Frauenöffentlichkeiten in Österreich«.
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ERGEBNISSE DER METAANALYSE UND INTERPRETATION
Unter Anwendung inhaltsanalytischer Verfahren konnten Schwerpunkte der ÖfIHQWOLFKNHLWVIRUVFKXQJLQgVWHUUHLFKLP]HLWOLFKHQ9HUODXILGHQWL¿]LHUWZHUGHQ8QG zwar: 1. Gegenöffentlichkeit und Bewegungsöffentlichkeit, 2. Geschlecht und Öffentlichkeit, 3. Onlinemedien und Öffentlichkeit, 4. Europäische Öffentlichkeit sowie 5. Ökonomie und Öffentlichkeit. Auf diese fünf Forschungsschwerpunkte soll im Folgenden mit Bezug auf die ausgewerteten Publikationen eingegangen werden. 4.1 Gegenöffentlichkeit und Bewegungsöffentlichkeit 1992 publizieren Johanna Dorer, Matthias Marschik und Robert Glattau ein Handbuch, das österreichiche Alternativmedien und Studien zu Gegenöffentlichkeit vorstellt. Damit, so Wolfgang R. Langenbucher im Vorwort, ist dokumentiert, »daß sich – spätestens in den 80er Jahren – auch in Österreich ein Strukturwandel der Öffentlichkeit vollzog, der keineswegs das in diesem Kontext übliche Etikett ›Verfall‹ verdient. Wenn es denn je den so oft beschworenen Modernitätsrückstand gegenüber anderen westlichen Ländern gab, so ist er jedenfalls von einzelnen aktiven Menschen, von Bürgerinitiativen und den sozialen Bewegungen früher aufgeholt worden, als dies die österreichischen Verfallstheoretiker registriert haben.« (Langenbucher 1992: 7) ›Modernität‹ drückt sich demnach in der Existenz von Alternativmedien aus. Sie beruht jedoch auch auf dem immer wieder kritisierten und reformierten System staatlicher Publizistik- und Presseförderung (vgl. RTR 2014). Einen ersten Aufschwung erfahren Alternativmedien und das Konzept von Gegenöffentlichkeit im Zuge der 1968er Bewegung, die in Österreich allerdings »eine zahme Revolution« (Ebner/Vocelka 1998) bleibt, bei der »die Medien« weit weniger in der Kritik stehen als etwa in Deutschland, wo »Enteignet Springer!« gefordert wird. Was aber die Dichte an Alternativmedien Anfang der 1990er Jahre anbelangt, konstatieren die Herausgeber_innen, dass sie »etwa drei Mal höher« (Dorer/Marschik/Glattau 1992: 9) sei als in Deutschland. Trotzdem könnten Alternativmedien nur ansatzweise einen Gegenpol zum hochkonzentrierten Markt der etablierten Medien darstellen, so auch die anderen Autor_innen, die im weiteren einzelne, alternative Medien in Österreich vorstellen.
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Zehn Jahre später greift Medien & Zeit das Thema Gegenöffentlichkeit auf, stellt »paradigmatische Konzepte im deutschsprachigen Diskurs« seit den 1960er Jahren vor und spannt einen Bogen, der von Gegenöffentlichkeit vor 1848 (Duchkowitsch 2002), der Wiener tschechischen Presse der Donaumonarchie (Hysek 2002), bis zu Gegenöffentlichkeiten während des Kalten Krieges (Moser 2002), im ›Realsozialismus‹ (Behrend 2002) und schließlich gegenwärtigen Formen von Gegenöffentlichkeit (Boyer 2002) reicht. Die aktuelle politische Situation, die Bildung einer Regierung durch die bürgerlich-konservative ÖVP und die rechtspopulistische FPÖ, hat die Diskussion über Widerstand und Gegenöffentlichkeit neu entfacht. Von einem Aufbruch der österreichischen Zivilgesellschaft ist die Rede, da nach der Angelobung der schwarz-blauen Regierung regelmäßig DemonstraWLRQHQYRUDOOHPLQ:LHQVWDWW¿QGHQ:LHGHUXPNRPPWGLH)UDJHDXIZLHYLHO fältig und unabhängig Österreichs Medien sind, wie die Chancen für alternative, SROLWLVFKXQDEKlQJLJH0HGLHQVWHKHQ8QGZLHGHUXP¿QGHWGHU9HUJOHLFKPLWGHU Situation in anderen Ländern statt. Elisabeth Boyer berichtet, dass nach dem Vorbild der Wiener Demonstrationen auch in New York Demonstrationen gegen die Bush-Regierung stattgefunden hätten. Allerdings nur bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 (vgl. Boyer 2002: 70). Das Kopieren österreichischer Formen der Herstellung von Gegenöffentlichkeit erkennt auch Monika Bernold (2012), die sich mit der Studierendenbewegung des Jahres 2009 als Bewegungsöffentlichkeit befasst. So hätten sich die Proteste gegen die Studienbedingungen in Wien vom deutschen »Bildungsstreik« »durch den massiven Einsatz von Web 2.0« (Bernold 2012: 10) unterschieden. Im Vergleich zur Studierendenbewegung von 1968 zeigten sich Unterschiede nicht nur im Hinblick auf die neuen technischen Kommunikationsmittel, welche Vernetzung, schnellen Informationsaustausch und Unabhängigkeit von den etablierten Medien ermöglichten. Anders als 1968 hätten 2009 sowohl die Qualitäts- als auch die Boulevardmedien interessiert und überwiegend wohlwollend auf die Proteste reagiert. Was diese drei im Abstand von jeweils einem Jahrzehnt veröffentlichten Publikationen eint, ist, dass die nationale Medienlandschaft betrachtet wird (Alternativmedien in Österreich) und es sich um nationale Ereignisse handelt (Beteiligung der FPÖ an der Regierung, Besetzung des Audimax der Universität Wien), die die FraJHQDFK*HJHQ|IIHQWOLFKNHLWDXIZHUIHQ7URW]GHUQDWLRQDOHQ6SH]L¿NGLHGHXWOLFK KHUDXVJHVWHOOWZLUG¿QGHWLPPHUDXFKHLQLQWHUQDWLRQDOHU9HUJOHLFKVWDWW%HDFK WXQJ¿QGHWZLHLQGHQ86$RGHULQ'HXWVFKODQGDXIlKQOLFKH(UHLJQLVVHUHDJLHUW wird. Die Verwendung des Begriffs Gegenöffentlichkeit unterstreicht, dass die eine Öffentlichkeit in Frage gestellt wird, weil parallele, kritische Teilöffentlichkeiten bestehen. Solche stellen z. B. »Frauenöffentlichkeiten« dar.
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4.2 Geschlecht und Öffentlichkeit »Der Begriff der Gegenöffentlichkeit ist eng mit den Emanzipationsbewegungen der Frauen verbunden«, stellt Elisabeth Klaus (2005: 105) fest. Denn, so Irene Neverla (1986: 219): »Von Anfang an war bürgerliche Öffentlichkeit draußen die Welt des Mannes, der Rest war der Platz der Frau.« Die feministische Wissenschaft hat die Dichotomie von privat und öffentlich als eine patriarchale Konstruktion kritisiert, die dazu führt bestimmte Formen von Öffentlichkeit auzublenden oder zu marginialisieren. Schon die Rede von der einen, politischen Öffentlichkeit suggeriere, dass alles »Unpolitische« privat und damit weniger wichtig ist. Doch: »Das Private ist politisch!«, so einer der Slogans der Zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahre. In der frühen Phase der Beschäftigung mit Öffenlichkeit aus geschlechtertheoretischer Perspektive stehen sog. »Frauenöffentlichkeiten« als alternative Öffentlichkeiten im Mittelpunkt feministischer Forschung. Das Medien Journal, das von Anfang an kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung gegenüber aufgeschlossen war (vgl. Thiele 2008: 48 f.), bietet dieser Forschung in Heft 4/2000 ein Forum. Auch hier wird im Editorial Bezug auf die aktuelle politische Situation, die neue schwarz-blaue Regierung, genommen. Es seien Tendenzen erkennbar, »Gegenöffentlichkeiten mundtot machen zu wollen« (Neissl 2000: 2). Eine wichtige Rolle spielt in den Beiträgen der Autor_innen das Frauenvolksbegehren von 1997, eine Form der direkten Demokratie, die von mehr als 640.000 Unterzeichner_innen unterstützt worden ist. Trotz aller Mobilisierungs- und Thematisierungserfolge deute nun die neue Regierung Frauenpolitik in Familien- und Mütterpolitik um, so Brigitte Geiger (2000: 18). Was Ansätze der Geschlechterforschung anbelangt, sind die Medien JournalBeiträge dem Differenzansatz (vgl. Klaus 1998a) zuzuordnen; für die Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit hat das zur Folge, dass von Frauenöffentlichkeiten im Gegensatz zur einen, bürgerlichen, männlich dominierten Öffentlichkeit gesprochen wird. Eine Infragestellung und Dekonstruktion von Dichotomien wie ¾PlQQOLFK½¾ZHLEOLFK½ ¾|IIHQWOLFK½¾SULYDW½ ¿QGHW KLHU QLFKW VWDWW ± YLHOOHLFKW HLQ strategischer Essentialismus, um angesichts der veränderten innenpolitischen Situation, die als Rückschlag empfunden wird, handlungsfähig zu bleiben. Dass speziell Onlinemedien Chancen für alternative Öffentlichkeiten und gerade auch »Frauenöffentlichkeiten« bieten, sprechen einige Autor_innen im Medien Journal an (vgl. Krainer 2000: 12; Pühringer/Panagl 2000: 34). Schließlich gingen schon 1996 die Tiroler Ceiberweiber online und mit dieStandard.at startete am Internationalen Frauentag im Jahr 2000 die erste Onlinezeitung mit Schwerpunkt Geschlechterpolitik. In Österreich verankerte »Frauenöffentlichkeiten« bestehen weiterhin. Zugleich sind im Zuge der Entwicklung von der Frauen- zur Geschlechterforschung Foren entstanden, in denen jenseits dichotomer Geschlechterkon-
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struktionen das doing gender und die Performativität von Geschlecht diskutiert werden. Neben den traditionellen Foren, in denen Öffentlichkeit entsteht, bieten Onlinemedien Kommunikationsräume für alternative und queere Lebensentwürfe. 4.3 Onlinemedien und Öffentlichkeit 'DV.RQ]HSWGHUPHGLDOHQ,GHQWLWlWVUlXPHZLUGLQGHPYRQ%ULJLWWH+LSÀ(OL sabeth Klaus und Uta Scheer herausgegebenen gleichnamigen Band ausgearbeitet. Er markiert neben anderen Publikationen wie etwa dem 2005 erschienenem Band »Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetze im Internet« (Schachtner/ Winker 2005) den spatial turn in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft. Ein solcher bzw. die Berücksichtigung von Raum ist zwar schon sehr viel früher eingefordert worden (vgl. z. B. Maier-Rabler 1991; 1992), doch forciert die Etablierung von Onlinemedien die intensivere Beschäftigung mit Kommunikationsräumen. In Salzburg und Klagenfurt entwickeln sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Forschungsschwerpunkte zu neuen Medien und Öffentlichkeiten, theoretisch untermauert durch die Auseinandersetzung mit Habermas’ deliberativen Modell von Öffentlichkeit, den Cultural Studies, Gender Studies, Mediatisierungs- und Techniktheorien. Gerade das Internet mit seinen Möglichkeiten GHU¾N|USHUORVHQ½.RPPXQLNDWLRQELHWHHLQHª3URMHNWLRQVÀlFKHIUSRVWPRGHUQH und dekonstruktitivistische Entwürfe.« (Klaus/Drüeke 2012: 65). Jedoch wäre es falsch anzunehmen, dass Gegenöffentlichkeiten im Internet durchwegs anti-hegemoniale, partizipatorische Kommunikationsintentionen verfolgten. Das Internet ist gerade auch der Ort, an dem sexistische, rassistische und nationalistische Auffassungen verbreitet werden, wie Laura Gruber (2012) durch ihre Analyse der maskulinistischen Plattform »Wieviel ›Gleichberechtigung‹ verträgt das Land?« (wgvdl. com) verdeutlicht. Die Verbindung von Öffentlichkeitstheorien, Gender Studies und Internetforschung erweist sich hier als fruchtbar. Rainer Winter wendet sich in seiner Studie den durch netzbasierte Kommunikation entstehenden transnationalen Gegenöffentlichkeiten zu. Die Frauen- und international vernetzten Gruppen, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen, zählen sicher auch zu den transnationalen Bewegungen. Winter aber hat für seine Analyse des »Widerstands im Netz« eine medienkritische, eine globalisierungskritische und eine auf Ökologie und Nachhaltigkeit setzende Bewegung ausgewählt (vgl. Winter 2009: 113 ff.). Im Gegensatz zu nationalen Regierungen könnten Nichtregierungsorganisationen transnational agieren und so globale Probleme auch global angehen. Die Nutzung digitaler Medien stelle dabei einen entscheidenden Faktor dar. Winter verbindet mit ihr die Hoffnung auf demokratische Veränderungen und weltweite Solidarität, erforderlich sei jedoch mehr Theoriearbeit, »um das kritische und emanzipatorische Potential des Öffentlichkeitsbegriffs unter transnationalen Bedingungen bewahren zu können« (Winter 2009: 148).
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Transnationalität spielt in der jüngeren österreichischen Forschung zu Internetöffentlichkeiten eine wichtige Rolle, wie die hier vorgestellten Publikationen zeigen. Das wirft die Frage auf, seit wann diese Perspektive in der Öffentlichkeitsforschung eingenommen wird, seit wann die Nation als Bezugspunkt – zumindest vorgeblich – in Frage gestellt wird. Zu vermuten ist, dass die österreichische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit transnationalen Öffentlichkeiten wesentlich in Gang gesetzt wurde durch die Entscheidung, der Europäischen Union (EU) beizutreten. 4.4 Europäische Öffentlichkeit 1995 wird Österreich Mitglied der EU. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht interessiert neben den medienrechtlichen und -ökonomischen Folgen für einen »Kleinstaat« wie Österreich die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit. Sie gilt als Beispiel für eine transnationale Öffentlichkeit, doch scheint sie nur ansatzweise zu existieren. Überwiegend würden europäische Angelegenheiten aus nationalstaatlicher Perspektive behandelt, stellen Florian Saurwein, Cornelia Brantner und Astrid Dietrich in ihrem Bericht zur »Europäisierung der österreichischen Öffentlichkeit« (Saurwein/Brantner/Dietrich 2005) fest. Die Forschungen am Wiener Institut führen 2004 zu einer Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft (ÖGK) zum Thema Europäische Öffentlichkeit und in ihrer Folge zu dem von Wolfgang R. Langenbucher und Michael Latzer 2006 herausgegebenen Band »Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel. Eine transdisziplinäre Perspektive«. Der Band versammelt 22 sowohl theoretische als auch empirische Beiträge von 38 Autor_innen, darunter Metaanalysen medieninhaltsanalytischer Studien (Machill/Beiler/Fischer 2006) und theoretische Annäherungen an europäische Öffentlichkeit (Seethaler 2006). Elisabeth Klaus (2006) geht der Frage nach, ob sich die auf den Nationalstaat bezogenen normativ-theoretischen Öffentlichkeitsmodelle überhaupt auf den europäischen Kontext übertragen lassen und wendet ihr Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit auf den Fall »europäische Öffentlichkeit« an. Stefan Tobler (2006) argumentiert gegen die weit YHUEUHLWHWH XQG ] 7 DXFK HPSLULVFK EHOHJWH 7KHVH HLQHV gIIHQWOLFKNHLWVGH¿]LWV bzw. einer Nicht-Existenz europäischer Öffentlichkeit, und auch Michael Brüggemann et al. (2006) präsentieren Daten, die auf eine Transnationalisierung öffentlicher Diskurse deuten. Grundsätzlichen Zweifel an den theoretischen Ansätzen und empirischen Daten zu europäischer Öffentlichkeit formuliert Friedhelm Neidhardt (2006) und scheut auch nicht davor zurück, von »Artefakten« zu sprechen, die die empirische Öffentlichkeitsforschung aufgrund theoretischer Ungereimtheiten produziert habe. Die Debatte über die Existenz einer europäischen, transnationalen Öffentlichkeit setzt sich fort in einer Ausgabe von Medien & Zeit (2008) und dem Band Europäische
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Öffentlichkeit und journalistische Verantwortung (Pöttker/Schwarzenegger 2010). Letzterer enthält empirische Studien, die den Grad der Europäisierung österreichischer Medienangebote erfassen wollen, zum anderen Beiträge, die Institutionen der Selbstkontrolle in europäischen Nationalstaaten vorstellen und Möglichkeiten einer europäischen journalistischen Selbstkontrolle diskutieren. In dem Medien & ZeitHeft wird das Thema Europäische Öffentlichkeit u. a. aus journalismustheoretischer Perspektive (Neverla/Schoon 2008), aus Publikumssicht (Lingenberg 2008) und mit einem Plädoyer für die Berücksichtigung europäischer Alltagskultur (Schwarzenegger 2008) angegangen. Hans-Jörg Trenz (2008) prüft Argumente für und wider einer Beibehaltung der nationalen Fokussierung der Öffentlichkeits- und Medienforschung. Offensichtlich sei, wie sehr die Nation als elementare Untersuchungseinheit die etablierten Forschungsroutinen bestimme und ein »methodologischer Nationalismus« vorherrsche, doch beruhe dieser auch auf dem ungebrochenem Nationalismus der politischen Nachrichtenmedien, der seinerseits medienökonomisch mit der Nachfrage der nationalen Publika begründet wird. Auch das Internet trage wenig bei zu einer Transnationalisierung von Öffentlichkeit, da die durchschnittlichen Internetuser politische Informationen vor allem dem Onlineangebot lokaler oder nationaler Zeitungen und Sender entnähmen (vgl. Trenz 2008: 11). Während Trenz unter europäischer Öffentlichkeit eine im engeren Sinne politische Öffentlichkeit versteht, entsteht durch die Beiträge der anderen Autor_innen eine erweiterte Perspektive, wonach EuropäiVLHUXQJDXIDOOHQ(EHQHQJHVHOOVFKDIWOLFKHQ/HEHQVVWDWW¿QGHWXQGJHUDGHDXFKGLH Nutzung populärkultureller Angebote den Prozess einer Herausbildung europäischer Öffentlichkeit und Identität befördern kann. 4.5 Ökonomie und Öffentlichkeit Zu kurz kommt nach Ansicht einiger Kommunikationswissenschafter_innen die ökonomische Bedingtheit der Entstehung von Öffentlichkeit. In der Kommerzialisierung des Mediensystems, der extrem hohen Pressekonzentration in Österreich sowie der Tendenz zur »Selbstentöffentlichung« (Steininger 2010) des öffentlichrechtlichen Rundfunks ORF sehen sie eine Gefahr für die Demokratie, die doch auf eine funktionierende Öffentlichkeit angewiesen ist. Christian Steininger stellt in seiner Habilitationsschrift zu Markt und Öffentlichkeit (2007b) eine Verbindung zwischen ökonomischer Güterlehre und kommunikationswissenschaftlicher Öffentlichkeitsforschung her. Dieser medienökonomische Zugang wird auch im Band Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel gewählt (vgl. Steininger 2006; Meier/Trappel 2006) und bestimmt Heft 1/2007 des Medien Journals zu Öffentlichkeit. Neben einem begriffstheoretischen Beitrag von Martin Heidinger und &KULVWLDQ6WHLQLQJHU+HLGLQJHU6WHLQLQJHU ¿QGHWVLFKGDULQGHU$XIVDW]YRQ Boris Romahn (2007), der am Beispiel marktkritischer Bewegungen die Anwendbarkeit deliberativer Öffentlichkeitstheorien auf zivilgesellschaftliche Bewegun-
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gen und ihre Öffentlichkeiten diskutiert sowie der Beitrag von Marie-Luise Kiefer (2007), die verschiedene Öffentlichkeitsmodelle aus konstitutionenökonomischer Perspektive betrachtet. Öffentlichkeitstheoretische Überlegungen spielen in der österreichischen Public Value-Debatte (vgl. Karmasin/Süssenbacher/Gonser 2011; Wenzel 2012; Gonser 2013 und Medien Journal 2/2012 zu Public Value) bislang keine große Rolle. Im Mittelpunkt steht die Empirie, mittels derer belegt werden soll, dass die öffentlich-rechtlichen Online- und Rundfunk-Angebote einen gesellschaftlichen MehrZHUW ELHWHQ GHU ZLHGHUXP HLQH *HEKUHQ¿QDQ]LHUXQJ OHJLWLPLHUW$XFK HLQ 3X blic Value privat-kommerzieller Rundfunkmedien steht zur Diskussion (vgl. RTR 2010). In beiden Fällen und erst recht bei der Publizistikförderung wird die Fiktion eines nationalen Medienmarktes und einer nationalen Öffentlichkeit aufrechterhalten, auch wenn international agierende Medienunternehmen und transnationale Medienmärkte schon lange ökonomische Realität sind.
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DISKUSSION DER ERGEBNISSE NEUERER FORSCHUNGEN ZU ÖFFENTLICHKEITEN UND EIN FAZIT
Die Metaanalyse der seit 1990 erschienenen Publikationen zeigt, welche inhaltlichen Schwerpunkte (siehe 4.1 bis 4.5) in der Öffentlichkeitsforschung gesetzt wurden. Schon die Vielfalt an Schwerpunkten und Perspektiven deutet darauf hin, dass das Konzept von der einen, letztlich entscheidenden, politischen Öffentlichkeit aus theoretischen wie empirischen Gründen zunehmend in Frage gestellt war. Ausgegangen wurde in den neueren Forschungen nicht länger von einem statischen, sondern von einem dynamischen Öffentlichkeitsbegriff, der das Prozesshafte der Entstehung von (Teil-)Öffentlichkeiten beinhaltet. Jene (Teil-)Öffentlichkeiten, insbesondere Bewegungs- und Gegenöffentlichkeiten, und ihre Medien rückten in den Fokus. Denn von Interesse war und ist, wie sich sozialer Wandel, Medienwandel und Veränderungen der Machtverhältnisse erklären lassen. Elisabeth Klaus hat im Zusammenhang mit ihrem Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit diese als »gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess« (Klaus 1998b; 2006; 2009) beschrieben. Was für den Einzelnen, die soziale Gruppe und die Gesellschaft insgesamt wichtig ist und angesprochen gehört, wird demnach diskursiv verhandelt. Die Aushandlungsprozesse verlaufen auf verschiedenen Ebenen, die nach Komplexitätsgrad unterschieden werden (vgl. Klaus/Wischermann 2008). Allerdings sind jene Ebenen miteinander verschränkt und durchlässig, so dass Themen, die zunächst nur für einen kleinen Kreis, eine Teilöffentlichkeit, relevant erscheinen, auch von anderen Teilöffentlichkeiten mit der Zeit zur Kenntnis genommen werden können und sich folglich Medien-, Publikums- und Politikagenden verändern.
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Öffentlichkeit als gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess zu begreifen, impliziert einen erweiterten, tatsächlich gesellschaftsbezogenen Politik- und Demokratiebegriff, der vielfältige Partizipations- und Artikulationsformen einschließt, statt sich auf Institutionen der politischen Macht, auf Parlamente, Regierungen, Parteien und öffentlich sichtbare, mächtige Akteur_innen zu beschränken. Neben dem Politikbegriff erfährt auch der Medienbegriff in neueren Auseinandersetzungen mit Öffentlichkeiten eine Erweiterung. Nicht nur die klassischen Massenmedien und da die sog. Qualitäts- und Meinungsführermedien mit ihrer Politikberichterstattung spielen eine wichtige Rolle im Prozess der Entstehung von Öffentlichkeiten, sondern auch interpersonelle Kommunikation, alternative Medien und unterhaltende Medienangebote. Gerade die Diskussionen über eine europäische Öffentlichkeit hätten viel zu lange ausgeblendet, dass eine solche auch durch europäische Medienereignisse wie die Fussballeuropameisterschaft oder den Eurovision Songcontest entsteht (vgl. Klaus 2006: 97). Das Aufkommen »neuer«, interaktiver Onlinemedien in den 1990er Jahren lieferte zusätzliche Argumente für einen erweiterten Medien- und Öffentlichkeits- und auch Akteurs- und Publikumsbegriff. Denn Interaktivität bedeutet, dass die klassischen Rollenzuschreibungen nicht mehr zutreffen und weniger eindeutig ist, wer aktiv, wer passiv, wer Kommunikator_in, wer Rezipient_in ist. Den Begriffserweiterungen liegt eine grundsätzliche und gerade auch von Geschlechterforscher_innen formulierte Kritik an den Prämissen traditioneller Öffentlichkeitsforschung zugrunde. Dazu zählt ein Denken in Dichotomien: öffentlich vs. privat, politisch vs. unpolitisch, informativ vs. unterhaltend, rational vs. emotional, aktiv vs. passiv uvm. Auch die Betrachtung von Öffentlichkeit aus einer nationalen vs. transnationalen Perspektive passt in dieses Denkmuster. In den meisten der hier in den Blick genommenen Studien zu Öffentlichkeit ist die nationale Perspektive vorherrschend. Zwar wird die Existenz transnationaler Öffentlichkeiten nicht verneint, doch auf Sprachbarrieren und nationale bzw. »kulturelle« Unterschiede und Besonderheiten verwiesen, die es ratsam erscheinen lassen, dann doch wieder die Nation als Augangspunkt zu nehmen. Auch in diesem Beitrag. So schwankt die österreichische Öffentlichkeitsforschung zwischen Austri¿]LHUXQJ XQG ,QWHUQDWLRQDOLVLHUXQJ /HW]WHUH EHVFKUlQNW VLFK DOOHUGLQJV KlX¿J auf österreichisch-deutsche und zuweilen Schweizer Kooperationen, also den »deutschsprachigen Raum«. Allerdings steigt der Anteil englischsprachiger Quellen kontinuierlich, wie die Referenzlisten der ausgewerteten Studien belegen. Rückschlüsse auf »die österreichische Öffentlichkeitsforschung« sind jedoch nur unter Berücksichtung der in Abschnitt 2 getroffenen Aussagen zur immer problematischen Befassung mit »nationalen« Wissenschafts- und Fachkulturen zu ziehen. Auch wenn die untersuchten Publikationen einen Österreichbezug aufweisen, kann nicht von »der« österreichischen Öffentlichkeitsforschung gesprochen werden. Dennoch lässt sich abschließend festhalten, dass sich die hier betrachtete
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kommunikationswissenschaftliche Öffentlichkeitsforschung in Österreich als recht lebendig und vielseitig darstellt. Sie reagiert auf die Folgen des politischen und technischen Wandels, die seit den 1990er Jahren unter dem Stichwort Globaliserung diskutiert werden und nimmt die Kritik auf, die von verschiedenen Seiten an den bestehenden Konzeptionen von Öffentlichkeit geübt worden ist. Das zeigt die Entwicklung des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit und das u. a. auf Nancy Frasers Überlegungen zur Transnationalisierung von Öffentlichkeit rekurrierende Konzept von Cultural Citizenship (Klaus/Lünenborg: 2004), wonach nicht allein Staatsbürgerschaft über politische Teilhabe entscheiden kann. An den drei kommunikationswissenschaftlichen Instituten haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten unterschiedliche Schwerpunkte herausgebildet. Am Wiener Institut hat die Forschung zu Europäischer Öffentlichkeit ihren Anfang genommen, in Salzburg und Klagenfurt wird der Entstehung und dem Wandel von Öffentlichkeiten durch ICT besondere Aufmerksamkeit zuteil. Gegen- und Bewegungsöffentlichkeiten, zu denen auch sog. Frauenöffentlichkeiten gezählt werden, stoßen auf ein besonderes Interesse der Forschenden, zumal wenn es sich um ›genuin‹ österreichische Bewegungen handelt. Das zeigt auch der Aufschwung, den die Öffentlichkeitsforschung nach dem EU-Beitritt Österreichs 1995 und nach der Bildung einer schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000 genommen hat. Bestätigt ist dadurch meine Annahme, dass Öffentlichkeitsforschung insbesondere nach politiVFKHQ8PEUXFKVSKDVHQDOV3KDVHQYHUGLFKWHWHU.RPPXQLNDWLRQVWDWW¿QGHW Gleichwohl wurden einige Forschungsbereiche weniger bearbeitet, so die macht- und demokratietheoretische Verortung von Öffentlichkeiten, von Teilhabe und Ausschluss unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer Macht – und eng damit verbunden die Frage, welche Möglichkeiten ICT und das Internet, das sich mehr und mehr als vermachteter und kontrollierter Kommunikationsraum darstellt, wem tatsächlich bieten? Denn nach einer ersten Phase der Interneteuphorie und der danach immer wieder aufkommenden Hoffnung oppositioneller Bewegungen auf mehr politische Freiheit und weniger Zensur rücken nun die weniger erfreulichen Aspekte in den Vordergrund: Überwachung durch Geheimdienste, Datenhandel und das Internet als öffentlicher Pranger sowie Forum rassistischer und antifeministischer Gruppierungen. Für die zukünftige kommunikationswissenschaftliche Öffentlichkeitsforschung bleiben somit genügend Themen. Hier konnten lediglich Forschungstrends sichtbar gemacht und daraus mit aller gebotenen Vorsicht Rückschlüsse auf »die« österreichische kommunikationswissenschaftliche Öffentlichkeitsforschung der vergangenen zwei Jahrzehnte gezogen werden.
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LITERATUR
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Künstlerische Interventionen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse
Künstlerische Interventionen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit in künstlerisch-edukativen Kontexten ELKE ZOBL
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EINLEITUNG: ÖFFENTLICHKEIT(EN) UND DIE INTERVENIERENDER KUNST
ROLLE
»Wie kann ich Agent meines Lebens sein, Realität mitgestalten, auf das Konstrukt Wirklichkeit einwirken?« (Künstler_in Hans Scheierl in Kraus/Scheierl 2006) »Betrachtet man sie als gegenhegemoniale Interventionen, so können kritische künstlerische Praktiken zur Schaffung einer Vielzahl an Orten beitragen, an denen die herrschende Hegemonie infrage gestellt werden kann.« (Mouffe 2014: 158)
In der zeitgenössischen Kunst gibt es vielfältige Strategien der Intervention (Besand 2012; von Borries et al. 2012; Höller 1995; Mouffe 2008, 2014; Thuswald 2010; Wege 2001) und der Partizipation (Bishop 2012; Feldhoff 2011; Milevska 2006/2015; Rollig/Sturm 2002). Sie werden von KünstlerInnen vor allem seit den 1960er und 70er Jahren eingesetzt. Für die 1990er Jahre wurde ein »participatory turn« in der Kunst konstatiert (Ziese 2010: 72), der in einer Vielzahl von sozial engagierten Praktiken und relationalen Kunstpraxen (z. B. new genre public art, community art) sichtbar wird und neue Wege der Kommunikation und der Kollaboration aufzeigt. So beziehen die KünstlerInnen die Öffentlichkeit oft von Beginn an ein und verwenden Strategien der Interventionen und des zivilen Engagements. Diese interventionistischen Strategien sind wiederum vielfältig. Kulturelle Interventionen sind impulsgebende, kulturelle Akte des Eingreifens in gesellschaftliche Prozesse und des kulturellen Gestaltens und Mitbestimmens, um sozialen Wandel zu initiieren. Laut Kristina Volke bedeutet der Begriff der kulturellen Intervention »das absichtsvolle, geplante, auf konkrete Fragen und Rezipienten
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ausgerichtete kulturelle Handeln«. Dabei geht es darum, »Prozesse in Gang [zu] setzen, um ein Problem zu lösen, nicht aber Problemlösung selbst« zu sein (2010: (LQHVSH]L¿VFKH)RUPXQG6WUDWHJLHGDEHLVLQGNQVWOHULVFKH,QWHUYHQWLRQHQ (UVWPDOVGH¿QLHUWGDVª*ORVVDUGHU,QWHUYHQWLRQHQ©GHQVHKUKHWHURJHQHQ%HJULII der Intervention und seine unterschiedliche Verwendung: Der Terminus der künstOHULVFKHQ ,QWHUYHQWLRQ ¿QGHW LQ GHU ELOGHQGHQ .XQVW LQ GHQ OHW]WHQ -DKUHQ LQ Verbindung mit sozialen und politischen Anliegen, kulturellem Aktivismus, Kunst im öffentlichen Raum sowie informellen und subversiven künstlerischen Strategien seine Verwendung (von Borries 2012: 126). Astrid Wege (2001) und Christian Höller (1995) unterscheiden zwei Arten der künstlerischen Intervention: Erstens jene, die primär politisch motiviert Machtstrukturen im Bereich der Kultur- und Medienindustrie durch gezielte interventionistische Aktionen stören, sowie zweitens künstlerische Interventionen, die vorwiegend sozial motiviert sind und gesellschaftlich marginalisierte Gruppen unterstützen, indem für deren Belange eine Öffentlichkeit geschaffen und zur Verbesserung ihrer Situationen beigetragen wird (vgl. Reitsamer/Zobl 2014). Der Begriff der künstlerischen Intervention wird jedoch auch kritisch betrachtet. Janna Graham und Nicolas Vass weisen auf neutralisierende und instrumentalisierende Effekte hin (2014): »Artistic interventions have been turned into something of a fetish in artistic circles and institutions. Even the best intentions from artists, organizers and curators often end up absorbing the radical histories and potentials of past actions and interventions within and outside the sphere of culture. By virtue of the ›artistic‹ moniker, institutions and organizations often neutralize the idea of an intervention, extricating it from its situated environment in politically informed civil life.« (2014: online)
Graham und Vass argumentieren klar für eine solidarische Zusammenarbeit zwischen KünstlerInnen, KulturarbeiterInnen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen bzw. mit Projekten sozialer Gerechtigkeit und sozialer Bewegungen. Chantal Mouffe (2008, 2014) stellt zentrale Bezüge zwischen Öffentlichkeiten, agonistischer Politik und künstlerischen Praktiken, insbesondere künstlerischen Interventionen, her. In ihrem 2014 erschienenen Buch »Agonistik: Die Welt politisch denken« fragt sie: »Welchen Beitrag können kulturelle und künstlerische Praktiken zu dem gegenhegemonialen Projekt leisten, bei dem es darum geht, die neoliberale Hegemonie zu hinterfragen?« (2014: 140) Für Mouffe ist der öffentlichen Raum – verstanden als eine »Vielzahl diskursiver Plattformen und öffentlicher Räume« (2014: 141) – ein Kampfplatz der Konfrontation verschieGHQHU KHJHPRQLDOHU 3URMHNWH (V LVW GHU ª2UW DQ GHP NRQÀLJLHUHQGH 6LFKWZHL sen aufeinandertreffen, ohne dass die geringste Chance bestünde, sie ein für alle Mal miteinander zu versöhnen« (2014: 142). Das »Ringen um die Hegemonie«, so Mouffe, besteht auch »in dem Versuch [. . .] in den öffentlichen Räumen eine
KÜNSTLERISCHE INTERVENTIONEN UND GESELLSCHAFTLICHE AUSHANDLUNGSPROZESSE
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andere Artikulationsform zu etablieren« (2014: 141). Dabei spielen insbesondere Formen kritischer künstlerischer Praktiken (»critical art«) eine wichtige Rolle, da sie zu einer Hinterfragung und Destabilisierung der dominanten Hegemonie beitragen können, indem sie visualisieren, was unterdrückt und durch den Konsens der post-politischen Demokratie zerstört wird (2008: 6 ff.), und ein »Schlaglicht darauf werfen, dass es Alternativen zur gegenwärtigen postpolitischen Ordnung gibt« (2014: 143): »According to the agonistic approach, critical art is art that foments dissensus, that makes visible what the dominant consensus tends to obscure and obliterate. It is constituted by a manifold of artistic practices aiming at giving a voice to all those who are silenced within the framework of the existing hegemony.«(2008: 12)
Als ein Feld der »critical art« (Mouffe 2008) haben Rosa Reitsamer und ich feministische und antirassistische künstlerische Interventionen gefasst (Reitsamer/ Zobl 2014). Diese produzieren herrschaftskritisches Wissen und fordern besteKHQGH 0DFKWYHUKlOWQLVVH DXI LKUH MH VSH]L¿VFKH :HLVH XQG XQWHU %H]XJQDKPH heterogener Strategien und Praktiken heraus. Feministische und antirassistische künstlerische Interventionen entwickeln Gegenöffentlichkeiten, in deren Mittelpunkt die gesellschaftsstrukturierenden Kategorien Geschlecht, Ethnizität, Klasse, Sexualität stehen. Solche Interventionen orientieren sich folglich an Konzepten der Gegenöffentlichkeit, die die traditionelle Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufheben – wie bereits die zweite Frauenbewegung mit dem Slogan »Das Private ist politisch!« gefordert hat – und den Begriff des Politischen erweitern. Diese Erweiterung des Politischen manifestiert sich durch eine Kritik an der hegemonialen Öffentlichkeit und durch die Herstellung von Gegendiskursen, die auf bestehende soziale Ungleichheiten aufmerksam machen. Mouffe argumentiert weiters für eine »Erweiterung des Feldes der künstlerischen Intervention, indem Künstler in einer Vielzahl gesellschaftlicher Räume jenseits traditioneller Institutionen daran arbeiten, das Programm des Kapitalismus, der auf die totale gesellschaftliche Mobilisierung hinausläuft, zu unterminieren« (2014: 135). Die Hauptaufgabe künstlerischer Praktiken ist die »Produktion neuer Subjektivitäten und die Ausarbeitung neuer Welten« (ebd.), um den »Common Sense« – im Verständnis Gramscis »Ergebnis einer diskursiven Artikulation« (ebd. 139) – durch gegenhegemoniale Interventionen zu verändern (ebd. 139). Mouffe weist aber auch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin: »Wenn künstlerische Praktiken bei der Schaffung neuer Formen der Subjektivität eine maßgebliche Rolle spielen können, dann deshalb, weil sie durch den Rückgriff auf Ressourcen, die emotionale Reaktionen auslösen, Menschen auf der affektiven Ebene anzusprechen vermögen. Hierin liegt die große Kraft der Kunst – in ihrer Fähigkeit, uns Dinge in einem anderen Licht sehen und uns neue Möglichkeiten erkennen zu lassen.« (2014: 148)
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Gerade im Kontext von kritischer Bildungsarbeit kommt dieser Funktion von Kunst eine wichtige Rolle zu: Denn wenn Kinder und junge Menschen durch die Auseinandersetzung mit (kritischen) künstlerischen Praktiken neue Erfahrungen und Bezüge herstellen, können sich ungewohnte Perspektiven und Handlungsräume eröffnen.
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DIESER BEITRAG
In diesem Beitrag beschäftigen mich folgende Fragen: Welche Rolle spielen kritische künstlerische Praktiken im Austausch darüber, wie eine Gesellschaft leben will? Wie können künstlerische Interventionen Jugendlichen ermächtigende und kritische Handlungsräume sowie andere Sichtweisen und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitgestaltung eröffnen? Wie können künstlerisch-edukative Projekte mit Jugendlichen im Kontext des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit (Klaus 2006/2013) gedacht werden? Und schließlich: Ist es überhaupt sinnvoll und produktiv, das Drei-Ebenen-Modell transdiziplinär an den Schnittstellen von Jugend, Kunst und Bildung anzuwenden und weiterzudenken? 'LHVH )UDJHQ VRZLH GLH REHQ JHQDQQWHQ hEHUOHJXQJHQ ]X .RQÀLNW XQG 3DU tizipation standen im Kontext eines künstlerisch-edukativen Projektes, das ich in einer zwei-semestrigen Lehrveranstaltung am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst, einer Kooperation der Universität Salzburg und Mozarteum Universität, im Studienjahr 2013/14 durchgeführt habe, und werden in dem vorliegenden Beitrag diskutiert. Die Analyse ist Teil einer Vorstudie zu einem größeren Forschungsprojekt an der Schnittstelle von Schule und Universität1. ,P0LWWHOSXQNWGLHVHV%HLWUDJHVVWHKWGLH5HÀH[LRQYRQ$XVYHUKDQGOXQJVXQG Aneignungsprozessen sowie der Eröffnung von Diskurs- und Handlungsräumen bei Jugendlichen, die sich in einem Projekt mit künstlerischen Interventionen auseinandersetzten. Dabei konzentriere ich mich auf Prozesse, die auf der ersten und zweiten Ebene des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit, entwickelt von (OLVDEHWK.ODXV VWDWW¿QGHQ'HU%HLWUDJLVWHLQHUVWHU9HUVXFK
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Hierbei handelt es sich um das Projekt »MAKING ART – TAKING PART! Künstlerische und kulturelle Interventionen von und mit Jugendlichen zur Herstellung von partizipativen Öffentlichkeiten«, das in der Förderschiene Sparkling Science am Programmbereich Contemporary Arts & Cultural Production am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst angesiedelt ist und mit einer Reihe von universitären, außeruniversitären und schulischen KooperationspartnerInnen durchgeführt wird (2014–2016). Die Vorstudie basiert wiederumauf bisherigen Erfahrungen in Bezug auf kollaborative Wissensproduktion, partizipative Lernprozesse und zivilgesellschaftlicher Mitbestimmung in dem Lehrprojekt »I am a Cultural Producer« (Zobl/Lang 2013).
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das Modell in einem Bildungskontext zu denken und die Rolle von künstlerischen 3UDNWLNHQLQJHVHOOVFKDIWOLFKHQ$XVYHUKDQGOXQJVSUR]HVVHQ]XUHÀHNWLHUHQ2 Es ist somit ein transdisziplinäre Experiment, das ein kommunikationswissenschaftliches Modell auf ein künstlerisches Vermittlungsprojekt anzuwenden und dieses aus dieser theoretischen Perspektive zu denken versucht. Wichtig zu erwähnen ist dabei, dass sich in der Anwendung des Modells in diesem Projekt auch gewisVHªEOLQGH)OHFNHQ©EH¿QGHQ=XPHLQHQGHULQVWLWXWLRQHOOHDNDGHPLVFKH±XQG damit elitäre – Kontext und damit zusammenhängend zum anderen die ziemlich homogen zusammengesetzten TeilnehmerInnen als weiße, junge, der Mehrheitsgesellschaft angehörige Studierende. Zu Beginn möchte ich den theoretischen Rahmen in Bezug auf das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit vorstellen, um dann am konkreten Beispiel eines künstlerisch-edukativen Projektes die Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse – also die Mitwirkung am Prozess Öffentlichkeit – in Bildungskontexten zu analyVLHUHQ,P0LWWHOSXQNWVWHKWGDEHLGLH5HÀH[LRQ]ZHLHUJUXQGVlW]OLFKHU)UDJHQLQ Bezug auf künstlerisch-edukative Projekte, die künstlerische Interventionen initiieren und kritische, gesellschaftliche Themen aufgreifen wollen:
Wie sehen die Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse von jungen Menschen in einem künstlerisch-edukativen Kontext aus? Wie kann in einem künstlerisch-edukativen Projektein kollaborativer Diskursund Handlungsraum eröffnet werden?
Ich schließe mit zusammenfassenden Überlegungen und weiteren Fragen zu den Prozessen der Herstellung von Öffentlichkeit.3
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Mir sind bisher keine wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Drei-EbenenModell in künstlerischen oder edukativen Kontexten bekannt, mit Ausnahme von Siglinde Langs Dissertation (2014, 2015), die sich auf kulturmanageriale Kontexte im Bereich der zeitgenössischen Kunst bezieht. Vorausschicken möchte ich Hintergrund und Motivation, das Projekt durchzuführen: Als Absolventin einer Kunstakademie und einer Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und derzeit als Mitarbeiterin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft und am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst sind mir beide Bereiche – die künstlerische Praxis und die theoretische Auseinandersetzung mit Kunst und ÖffentOLFKNHLWHQ ±]XJlQJOLFK,FKHUIRUVFKHZLHNULWLVFKHXQGHUPlFKWLJHQGH5HÀH[LRQV und Handlungsräume gemeinsam mit jungen Menschen eröffnet werden können, um Mitwirkung am Prozess Öffentlichkeit auszuverhandeln. Meine bisherigen Arbeiten und Projekte zu feministischen alternativen Medien, partizipativer Kultur und künstlerischen und kulturellen Interventionen (u. a. Reitsamer/Zobl 2011 und 2014; Zobl/Drüeke 2012; Zobl/Lang 2013; Zobl 2012 und 2009) bieten dazu einen Ausgangspunkt.
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DIE VIELFALT VON ÖFFENTLICHKEITEN: DAS DREI-EBENEN-MODELL VON ÖFFENTLICHKEIT
»Ich sehe Öffentlichkeit als jenen fortlaufenden Prozess an, in dem sich die Gesellschaft darüber verständigt, wie sie leben will.« (Klaus 2013)
Das Konzept der Öffentlichkeit ist wesentlich für das Verständnis von Demokratie und Gesellschaft. Öffentlichkeit ist grundsätzlich ein Prozess, in dem gesellschaftliche Übereinkünfte erzielt werden (Klaus 2006/2013; Wischermann/Klaus 2008), stellen Elisabeth Klaus und Ulla Wischermann fest: »Durch die Thematisierung, Verallgemeinerung und Bewertung von Erfahrungen werden im Prozess Öffentlichkeit
gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt, gefestigt, ent- oder verworfen, die gesellschaftlichen Bedeutungen von Themen herausgearbeitet, die Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestätigt oder modi¿]LHUW
kulturelle Ziele überprüft und kulturelle Identitätsvorlagen geliefert, nicht zuletzt auch die politische, ökonomische und juristische Verfasstheit der Gesellschaft diskutiert und legitimiert (Klaus 2001, 2005, 2006).« (2008: 105)
Die Mitwirkung an Öffentlichkeit kann auf drei Ebenen (Klaus 2001/2006) statt¿QGHQ ,Q GHP 'UHL(EHQHQ0RGHOO GH¿QLHUW (OLVDEHWK .ODXV gIIHQWOLFKNHLW DOV gesellschaftlichen Aushandlungsraum, der sich aus alltäglichen Kommunikationsprozessen (Mikro-Ebene), einer organisierten interessensvertretenden Ebene (Meso-Ebene) sowie einer komplexen, zumeist massenmedialen Ebene (Makro-Ebene) konstituiert. Lebensweltliche Erfahrungen müssen die mittlere Ebene durchlaufen und sich dort vernetzen, um politische Wirkung zu entfalten. So können Gegenöffentlichkeiten entstehen, die der komplexen Öffentlichkeitsebene alternative Deutungsmuster entgegensetzen (Klaus 2013). Auf der mittleren Ebene kann also ein kollektiver Kommunikations- und Diskursraum gebildet werden und es können soziale und gesellschaftliche Themen gemeinsam verhandelt werden.4 Unter demokratiepolitischer Perspektive ermöglicht dies »eine Verbindung zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten«, um so »gesellschaftliche Aushandlungsprozesse« (Drüeke 2013: 120) anzustoßen. In der Konstitution dieser Räume gilt es, Partizipationschancen sowie Inklusions- und Exklusionsprozesse zu berücksichtigen. Ausgangspunkt des Drei-Ebenen-Modells ist ein weiter Politikbegriff, der Alltagspraktiken miteinschließt. Drüeke stellt fest, dass »die 4
Als Beispiel dafür könnte im künstlerischen Kontext die WIENWOCHE genannt werden (http://wienwoche.org/de/wienwoche/).
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emanzipatorische Kraft dieses Modells [. . .] darin [liegt], dass auch einfachen Öffentlichkeiten eine Mitwirkung am Prozess Öffentlichkeit eingeräumt wird« (Drüeke 2014: 104). Mit dem Drei-Ebenen-Modell gehen wir davon aus, Öffentlichkeit nicht als homogenes Gebilde aufzufassen, sondern die Vielfalt von Öffentlichkeiten und die kommunikativen Prozesse zur Herstellung von Öffentlichkeit in den Blick zu nehmen. Ich skizziere im Folgenden kurz einige theoretische Ansätze, die diese Sichtweise entwickelt haben (für einen Überblick zu Demokratie- und Öffentlichkeitstheorien vgl. Drüeke 2014: 73 ff.). Nancy Fraser (2001) führt das Konzept der subalternen Gegenöffentlichkeiten ein und geht damit – anders als Habermas (vgl. 1995) – davon aus, dass es nicht nur eine hegemoniale Öffentlichkeit gibt, sondern zahlreiche (nicht-bürgerliche) Gegenöffentlichkeiten5, die im Modell der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht inkluGLHUWVLQGgIIHQWOLFKNHLWZLUGGDPLWªEHJULIÀLFKYRP6WDDWXQWHUVFKLHGHQDOVHLQ Ort, an dem Diskurse hervorgebracht und verbreitet werden« (Drüeke 2014: 90). Die Anliegen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die in hegemonialen gIIHQWOLFKNHLWHQDXVJHVFKORVVHQVLQG¿QGHQQXQLQGHU|IIHQWOLFKHQ$XVHLQDQGHU setzung und Ausverhandlung Platz. Mit Frasers Konzept rücken die Sichtbarkeit, die Artikulation von Erfahrungen sowie die Partizipationsmöglichkeiten marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen ins Zentrum. Öffentlichkeiten haben damit das 3RWHQ]LDOGHV(PSRZHUPHQWV)UDVHU VLQGMHGRFKQLFKWNRQÀLNWIUHLVRQGHUQ umkämpft. Chantal Mouffe (2007, 2014) weist insbesondere auf diesen agonistischen Charakter von Öffentlichkeiten hin, in denen – entgegen Konsens-orientierter PoOLWLN±DXFK.RQÀLNWHDXVJHKDQGHOWZHUGHQ0LW0RXIIHVªDJRQLVWLVFKHP0RGHOO der Demokratie« rücken »Fragen nach und Annahmen über Macht in das Zentrum der Betrachtung« (Drüeke 2014: 95), sowie der permanente Widerstreit zwischen sozialen Positionen. In den Brüchen und Verschiebungen des Antagonismus entwickelt sich, nach Mouffe, das Politische, während Politik der Errichtung einer gesellschaftlichen Ordnung und Struktur dient (vgl. ebd.). 'DVVGLHVH$XVHLQDQGHUVHW]XQJLPPHUXQWHUGHQ$VSHNWHQGHUNRQÀLNWKDIWHQ Verhandelbarkeit und der grundsätzlichen Ermöglichung von (produktiven) KonÀLNWHQ±LP6LQQH)UDVHUVXQG0RXIIHV±XQGQLFKWDXIURPDQWLVFKHQXQKLQWHUIUDJ ten Begriffen von Partizipation, Solidarität und Harmonie basieren kann, darauf hat Markus Miessen hingewiesen (2007, 2012). Er argumentiert für einen Begriff YRQªNRQÀLNWKDIWHU3DUWL]LSDWLRQ©DOVªXQHUZQVFKWH,UULWDWLRQ© 0LHV sen stellt die Frage: 5
Jeffrey Wimmer hat in Anlehnung an Fraser drei Komplexitätsebenen von Gegenöffentlichkeiten unterschieden: alternative Öffentlichkeiten (Makroebene), partizipatorische Öffentlichkeiten (Mesoebene) und Medienaktivismus (Mikroebene) (2007: 238 ff.).
272 | ELKE ZOBL »Wie ist es möglich, an einer bestimmten Umgebung oder Situation zu partizipieren, ohne die eigene Rolle als ein/e aktiv Handelnde/r zu kompromittieren, der/die sich nicht dafür interessiert, ›Gutes zu tun‹, sondern Fragen stellt und dabei versucht, die Praxis in einer EHVWLPPWHQ5LFKWXQJ]XSUlJHQ(LQ9HNWRULP.UlIWHIHOGGHU.RQÀLNWH]XZHUGHQZLUIW die Frage auf, wie man partizipiert, ohne bereits bestehende Bedürfnisse oder Aufgaben zu bedienen [. . .]« (2007: 3)
:HQQ ZLU .RQÀLNW ªDOV HLQH PLNURSROLWLVFKH 3UD[LV >YHUVWHKHQ@ GXUFK GLH GLH Partizipierenden zu aktiv Handelnden werden, die darauf bestehen, in dem Kräftefeld, mit dem sie sich konfrontiert sehen, zu AkteurInnen zu werden [. . .] wird Partizipation eine Form der kritischen Auseinandersetzung« (ebd.: 3). Damit N|QQWH.RQÀLNWNRQ]HSWLRQHOOªDOV(UP|JOLFKXQJDOV+HUVWHOOXQJHLQHUSURGXN tiven Umgebung« (ebd.: 4) verstanden werden und, mit Hinweis auf Florian Schneider, von Kollaboration statt von Kooperation gesprochen werden. Schneider schreibt: »Im Gegensatz zur Kooperation wird Kollaboration von komplexen Realitäten angetrieben und nicht von romantischen Vorstellungen einer gemeinsamen Grundlage oder Gemeinsamkeit. Es ist ein ambivalenter Prozess, der sich durch eine Gruppe paradoxer Beziehungen ]ZLVFKHQ.RSURGX]HQW,QQHQNRQVWLWXLHUWGLHVLFKJHJHQVHLWLJEHHLQÀXVVHQ6FKQHLGHU]LWLHUW nach Miessen 2007: 1).
Diese Aspekte der Transformation zu AkteurInnen und der Kollaboration als ambivalentem Prozess eröffnet in künstlerisch-edukativen Projekten viele Fragen, wie LQGHU5HÀH[LRQGHV3URMHNWHVQRFK]XVHKHQVHLQZLUG
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MITWIRKUNG AM PROZESS DER ÖFFENTLICHKEIT IN BILDUNGSKONTEXTEN AM BEISPIEL EINES KÜNSTLERISCH-EDUKATIVEN PROJEKTES
4.1 Kontexte »Gemeinsam entwickeln wir eine politische Kunstpraxis, die uns ermöglicht, mit unseren XQWHUVFKLHGOLFKHQ*HVFKLFKWHQHLQHQHXH3RVLWLRQ]X¿QGHQ©$QWLNXOWLDWHOLHURQOLQH
Mit dem Ziel, kulturelle Teilhabe für möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu ermöglichen, wurden in der Kunst- und Kulturvermittlung zahlreiche strategische und methodische Instrumente entwickelt. Einen der kritischen Kunstvermittlung (Institute for Art Education 2013; Mörsch/Settele 2012; Schnittpunkt 2013; Sturm 2011) zugeordneten Ansatz stellt dabei das Konzept der künstlerisch-edu-
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kativen Projekte, das von Eva Sturm entwickelt wurde, dar.6 Dieser Terminus beschreibt, wie das Züricher Institute for Art Education darlegt, Projekte, »die entweder im Kunstfeld angesiedelt oder kunstnah angelegt« sind und sich kritisch UHÀHNWLHUHQGLQ%LOGXQJVNRQWH[WHQYHURUWHQª(VVLQG9RUKDEHQLQGHQHQNQVW lerische Praktiken die Arbeitspraxis strukturieren und in denen verschiedene Öffentlichkeiten mit KünstlerInnen bzw. KunstvermittlerInnen bzw. Cultural Workers kooperieren [. . .] Gemeinsam ist solchen Projekten in der Regel, dass die Ergebnisse [. . .] wieder in den öffentlichen Raum zurückgespielt werden.« (Institute for Art Education: online). In diesem Beitrag wird der Ansatz der künstlerisch-edukativen Projekte mit dem Konzept der künstlerischen Interventionen YHUEXQGHQ GD EHL EHLGHQ NULWLVFKH 5HÀH[LRQ GHV 6WDWXV TXR GHU %LOGXQJV kontexte, etc.) und das Eingreifen bzw. Zurückspielen in den öffentlichen Raum HLQH]HQWUDOH5ROOHVSLHOHQ'DVª(GXNDWLYH©PDUNLHUWHLQHNULWLVFKUHÀHNWLHUHQGH Verortung in einem Bildungskontext, in dem alle am Prozess Beteiligten als Lernende gefasst werden, und das »Künstlerische« beschreibt das Eingreifen durch künstlerische Praktiken in Aushandlungsprozesse von Öffentlichkeit. Dass dabei mit verschiedenen Teilöffentlichkeiten zusammengearbeitet wird, ist ein weiteres verbindendes Element. Im Folgenden stelle ich das Projekt »Künstlerische und kulturelle Interventionen« vor und analysiere die dabei stattgefundenen Prozesse. Das Projekt fand im Rahmen der zweisemestrigen Lehrveranstaltung »Projektentwicklung Künstlerische und kulturelle Interventionen« im interuniversitären Studienschwerpunkt »Cultural Production & Arts Management« statt. Die Studierenden stammen von der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg und der Kunst- und Musikuniversität Mozarteum Salzburg und studieren viele verschiedene Fächer7. Diese Mischung bietet eine große Chance, da die Studierenden ihre je eigenen Zugänge, Wissensbestände und Erfahrungen mitbringen.
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Der Ansatz der künstlerisch-edukativen Projekte wird in einer wachsenden Zahl an Publikationen und bei Konferenzen weiterentwickelt. Er eignet sich für die Arbeit mit Jugendlichen in der Kunstvermittlung, im Schulkontext (Lüth 2005) und für die Kommunikation zwischen kultureller und politischer Bildung (vgl. u. a. Besand 2012). Beispielsweise nahmen im Wintersemester 21 Studentinnen und zwei Studenten teil: aus den Fächern Kommunikationswissenschaft (14), MA Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft (2), Bildnerische Erziehung (1), Kunstgeschichte (1), Psychologie (1), Politikwissenschaft (1), European Union Studies (1), Soziologie (1) und 55-Plus (1). Das 55-Plus-Programm der Universität Salzburg bietet SeniorInnen die Möglichkeit an Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Im Sommersemester fand ein leichter Wechsel an Studierenden statt, die meisten setzten jedoch die Teilnahme an der Lehrveranstaltung fort.
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Ziel der Lehrveranstaltung war es, Einblicke in konkrete Projekte und Strategien künstlerischer Interventionen mit Fokus auf antirassistische und queer-feministische Perspektiven zu geben, eigene Ideen für Interventionen in Workshops zu diskutieren und zu entwickeln, Workshop-Ergebnisse in Form einer Ausstellung ]XSUlVHQWLHUHQVRZLHGDV7KHPHQIHOGNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQ'LH/HKUYHUDQVWDO tung bestand konkret aus zwei zentralen Schritten bzw. Projektphasen, die meines (UDFKWHQVQRWZHQGLJVLQGXP5HÀH[LRQV'HNRQVWUXNWLRQVXQG$QHLJQXQJVSUR zesse zu initiieren: Im ersten Schritt die Annäherung an eine eigene Position der Studierenden durch die Teilnahme an künstlerischen Workshops und im zweiten Schritt die Entwicklung und Durchführung von Workshops mit anderen jungen Menschen durch die Studierenden mit dem Ziel der Gestaltung eines künstlerischen Stadtspaziergangs im Stadtraum von Salzburg. Das bedeutet, dass die Studierenden in dem Projekt unterschiedliche Rollen einnahmen: Im ersten Schritt nahmen sie als TeilnehmerInnen von Workshops teil, im zweiten Schritt wurden sie selbst zu VermittlerInnen und Workshop-LeiterInnen. 4.2 Ablauf und Inhalt des Projektes Schritt 1: Annäherung an eine eigene Positionen und Entwicklung von künstlerischen Interventionen durch die Studierenden in Workshops: Im Wintersemester 2013/14 nahmen die Studierenden wahlweise an einem der beiden Workshops mit dem Kollektiv migrantas (Berlin) »Eine visuelle Sprache der Migration. Stadtraum: Anerkennung und Sichtbarkeit« oder Ka Schmitz (Berlin) »guerilla comics: kunst_intervention_alltag« teil.8 Beide Workshops verfolgten das Ziel, eine Intervention im öffentlichen Stadtraum von Salzburg zu entwickeln und die Ergebnisse im Dezember 2013 abschließend in einer Ausstellung im Schloss Mirabell zu präsentieren. Das Künstlerinnen-Kollektiv migrantas entwickelt in seiner Arbeit in partizipativen Workshops eine »visuelle Sprache der Migration« und verhandelt dabei Themen wie Migration, Mobilität, Identität, 1HEHQ (LQIKUXQJHQ LQV 7KHPD XQG 5HÀH[LRQHQ QDKPHQ GLH 7HLOQHKPHU,QQHQ ZHL ters an einer Filmvorführung von »Was wir träumen: Zum gleichnamigen Theaterprojekt mit dem Clearing-house Salzburg« teil. Diese praxisorientierten Workshops waren öffentlich zugänglich und Teil der mehrteiligen Veranstaltungsreihe »Künstlerische Interventionen: Kollaborative und selbstorganisierte Praxen//Fokus: Feministische und antirassistische Perspektiven«, die der Programmbereich Contemporary Arts & Cultural Production im Herbst 2013 durchführte. Die Reihe wurde in Kooperation mit dem Frauenbüro und der Kulturabteilung der Stadt Salzburg sowie der Kulturabteilung des Landes Salzburg veranstaltet und war verbunden mit einer Vorlesung mit Übung, so dass die meisten Studierenden an beiden Lehrveranstaltungen und der gesamten Veranstaltungsreihe teilnahmen. Vgl. http://www.w-k.sbg.ac.at/de/contemporary-arts-cultural-production/symposien/kuenstlerische-interventionen-i.html.
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Transkulturalität, aber auch Rassismus und unterschiedliche Inklusions- und Exklusionsprozesse. Die Beteiligten haben die Möglichkeit, ihre eigenen alltäglichen Erfahrungen mit Migration in der Gruppe zum Ausdruck zu bringen und sich zu vernetzen, um ihre Statements in den öffentlichen Stadtraum zu tragen und am öffentlichen Diskurs teilzuhaben. Im Workshop in Salzburg wurden von migrantas und den zwölf TeilnehmerInnen sechs Piktogramme konzipiert und gestaltet. Die TeilnehmerInnen erstellten in mehreren Runden Zeichnungen zum Themenfeld Migration, diese Zeichnungen wurden in der Gruppe diskutiert und zu breiteren Themenkomplexen zusammengestellt. Verbindende Schlüsselelemente wurden herausgearbeitet, auf Grundlage derer wiederum die Piktogramme entstanden. Diese wurden auf Tragetaschen gebügelt. Diese Taschen wurden im öffentlichen Raum verteilt und in der abschließenden Ausstellung präsentiert. Zudem wurden Plakate und Postkarten mit diesen Piktogrammen gedruckt; 200 Plakate waren zwei Wochen lang in der Stadt Salzburg zu sehen. Dabei ist anzumerken, dass abgesehen von drei jugendlichen Flüchtlingen des Clearing-house Salzburg, einer Betreuungseinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die weiteren (studentischen) TeilnehmerInnen des Workshops nur zum geringen Teil migrantische Erfahrungen und Hintergründe aufwiesen und migrantas erstmals einen Workshop in einem solchen universitären Kontext durchführte. Der zweite Workshop wurde von der Comic-Künstlerin Ka Schmitz durchgeführt. Sie greift in ihrer künstlerischen Praxis sexistische und rassistische Klischees und Stereotype auf und spielt sie in kritischen Formen – wie beispielsweise in Form von »antisexistischen Bierdeckeln« oder dem »Ich sehe was, was du nicht siehst oder: wer sieht hier wen? Gender-Light-Faden« (vgl. auch Schmitz 2014) – der Öffentlichkeit wieder zurück. In dem Workshop erhielten die 15 TeilnehmerInnen eine Einführung in das Zeichnen von Comics. Auf dieser Basis arbeiteten sie in einem kollaborativen Prozess an mehreren Comic-Geschichten, die in einem kleinen Heft zusammengefasst wurden. Weiters wurden ebenfalls gemeinsam fünf OHEHQVJURH &RPLF¿JXUHQ HQWZLFNHOW GLH VLFK LURQLVFKVSLHOHULVFK PLW 1RUPHQ Klischees und Stereotypen sowie deren Durchbrechung beschäftigten. So stelle z. B. eine Figur einer Person mit langen blonden Haaren, Bart, Ballettkleidung und einer Bohrmaschine in der Hand mit der Sprechblase »Hart & Zart mit Bart« dar oder eine weitere eine ältere Frau mit der Aussage »Wir tanzen wann & wo wir ZROOHQ©'LH3DSS¿JXUHQZXUGHQLP6WDGWUDXP6DO]EXUJVYRQGHQ7HLOQHKPHU,Qnen an verschiedenen Orten platziert. Die dabei entstandenen Fotos wurden auf 3RVWNDUWHQJHGUXFNW%HLGHUDEVFKOLHHQGHQ$XVVWHOOXQJGLHQWHQGLH3DSS¿JXUHQ auch dazu, das Publikum einzuladen, Botschaften in leere Sprechblasen zu schreiben und sich somit in die Intervention einzuschreiben. Zusammengeführt wurden die Ergebnisse der Workshops in einer Ausstellung im Schloss Mirabell, die in Kooperation mit dem Frauenbüro der Stadt Salzburg
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Abbildung 1 und 2: Beispielhaft für die Arbeit in den Workshops mit den Künstlerinnen: Plakate im Stadtraum von Salzburg und eine Postkarte mit den Comic-Figuren Fotos: Elke Zobl (oben) und Pia Streicher (unten) stattfand. Weiters verfassten zwei Studierende Beiträge für eine Ausgabe des eJournals »p/art/icipate« des Programmbereichs. Schritt 2: Entwicklung und Durchführung von Workshops mit einer Gruppe junger Menschen durch die Studierenden mit dem Ziel der Gestaltung eines künstlerischen Stadtspaziergangs im Salzburger Stadtraum: Im zweiten Teil der Projektentwicklung erarbeiteten die Studierenden Workshop-Konzepte, die sie dann – in der Rolle der VermittlerInnen und LeiterInnen – mit Mädchen und jungen Frauen durchführte. Dies erfolgte erneut in einem kollaborativen Prozess in der Lehrveranstaltung. Drei Gruppen entwickelten verschiedene künstlerische Interventionen, die sie mit insgesamt 30 jungen Frauen aus sechs Nationen (Ägypten, Estland, Moldawien, Österreich, Spanien, Tunesien) im Rahmen der internationalen Jugendbegegnung »Women’s Space« (in Kooperation mit dem Büro für Mädchenförderung des Landes Salzburg) erprobten. Aufgrund der Internationalität der Gruppe wurden die Workshops auf Englisch gehalten. Die Interventionen konnten in einem künstlerischen Stadtspaziergang erkundet und dadurch eigene Botschaften in die Öffentlichkeit getragen werden.
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Abbildung 3 und 4: Body sculpture »Dream Big!!!//We live to change!« vor der Universität Salzburg (Fotos: Pia Streicher) Gruppe 1: Eine Gruppe von sieben Studierenden gestaltete einen Workshop mit dem Titel »I have something to say. Women’s statements in public space« in Anlehnung an die Künstlerin Chandy Chang (2013). Hier hatten die Teilnehmerinnen die Möglichkeit, ihre eigenen Statements zum Thema Frauen bzw. Frauenrechte mithilfe von Buchstabenschablonen, Sprühdosen und Farben auf Kreidetafeln zu schreiben. Die entstandenen Statements hießen: »Equality means . . .«, »Women need . . .«, »If I were a girl . . .« und »If I were a boy . . .«. Im Anschluss daran wurden diese auf dem Mozartsteg (einem zentralen Fußgängersteg über die Salzach) montiert und die Teilnehmerinnen traten in Interaktion mit den PassantInnen, indem sie diese dazu anregten, die Statements zu ergänzen. Gruppe 2: Drei Studentinnen luden die Teilnehmerinnen zu einer »guided reflection« zum Thema »My profession in 20 years: Dreams, Obstacles and Possibilities – React and Act« ein. Die daraus entwickelten Botschaften wurden auf T-Shirts aufgemalt und in einer »body sculpture« im öffentlichen Raum, direkt vor dem Unipark Salzburg, präsentiert. Die Buchstaben ergaben auf den T-Shirts auf der Vorderseite die »Message«»We live to change« und auf der Rückseite »Dream big!« erkennen. Die Inspiration für diesen Workshop stammte von der Intervention ªIDLUGURS±IDFHWKHIDFWDQGDFW©GHU.QVWOHU,QQHQ/XFLD'HOOHIDQW6HUD¿QH/LQ demann und Nico Grove. Gruppe 3: Vier Studentinnen gestalteten einen Input zum Thema »(A day in) My life in 20 years« für den Zine-Workshop. Nach einer lebhaften Diskussion zwischen den jungen Frauen über Frauenrechte und die Situation von Frauen weltweit wurde ein gemeinsames Zine als Medium zur Formulierung und Verbreitung eigener Gedanken, Wünsche und kritischer Positionen produziert und in der Stadt verteilt.
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Eine Dokumentation sowie Ergebnisse der Workshops wurden in der Folge in einer Ausstellung im KunstQuartier Salzburg gezeigt und Beiträge von Studierenden im eJournal des Programmbereichs (Aqra 2014; Tschötschel-Gänger 2014; Moritz 2014; Yanginoglu 2014) veröffentlicht.
Abbildung 5 und 6: Interventionen am Mozartsteg in Salzburg und die Produktion eines Zines (Fotos: Pia Streicher)
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ANALYSE DES PROJEKTES IM KONTEXT DES DREI-EBENEN MODELLS VON ÖFFENTLICHKEIT
Es stellt sich nun die grundsätzliche Frage: Wie lassen sich die Erfahrungs-, Lern-, Aneignungs-Prozesse, die in diesem Projekt stattgefunden haben, im Kontext des Drei-Ebenen-Modells von Öffentlichkeit denken? In diesem Teil analysiere ich exemplarisch die Potenziale und Herausforderungen des Projektes »Künstlerische und kulturelle Interventionen« unter Berücksichtigung der Sicht der Studierenden und frage nach jenen Prozessen im Übertritt von der einfachen (Mikro-) in die mittlere (Meso-)Ebene, die das Potenzial haben, Entwicklungs-, 5HÀH[LRQV XQG$QHLJQXQJVSUR]HVVH ± XQG GDPLW (PSRZHUPHQW XQG HLQH 3ROL tisierung – zu initiieren. Ich verwende im Folgenden den englischen Begriff des
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»Empowerments« anstatt des deutschen »Ermächtigung«. Ich gebrauche ihn im Sinne von bell hooks, die Empowerment so beschreibt: »Dieser Prozess setzt ein, wenn wir beginnen zu verstehen, auf welche Weise Herrschaftsstrukturen das eigene Leben bestimmen, wenn wir ein kritisches Bewusstsein und die Fähigkeit zum kritischen Denken entwickeln, wenn wir neue alternative Lebensgewohnheiten ersinnen und aufgrund dieses marginalen Raums von Differenz in uns Widerstand leisten.« (hooks 1996, zitiert in Johnston-Arthur o. J.). Der Begriff des Empowerments ist ein schwieriger9 (s. Enggruber o. J., JohnstonArthur o. J., Mörsch 2016). Die Prozesse der Politisierung betreffen v. a. die kritische Hinterfragung und Verhandlung gesellschaftlicher Normen und Werte. Ulla Wischermann hat auf die Politisierung des Privaten durch die Verbindung YRQ /HEHQVZLUNOLFKNHLWHQ PLW GHU %HQHQQXQJ VSH]L¿VFKHU 8QUHFKWVHUIDKUXQJHQ hingewiesen (2003). In ihrer Analyse der Herstellung von (Gegen-)Öffentlichkeit in Bezug auf Frauenbewegungen um 1900, betont sie die Bedeutung emotionaler und erfahrungsbezogener Aspekte u. a. durch die persönlichen Beziehungen der AkteurInnen für Prozesse des kulturellen Wandels.10 Dieser Aspekt spielte in dem vorliegenden Projekt eine wichtige Rolle. Die Verortung des Projektes im universitären – und daher normierenden – Kontext verursacht Beschränkungen in Bezug auf die Teilnahme unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und auf die Freiwilligkeit, ermöglichte aber auch die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen. Die Gespräche und der Austausch der TeilnehmerInnen im Projekt sind nicht mehr auf der Alltagsebene der spontanen *HVSUlFKHDQJHVLHGHOWVRQGHUQ¿QGHQLQHLQHPLQVWLWXWLRQHOOHQ.RQWH[WVWDWWVR GDVVEHUHLWVHLQH9HUODJHUXQJLQGLH]ZHLWH(EHQHYRQgIIHQWOLFKNHLWVWDWW¿QGHW(V wird im Folgenden aber deutlich, dass die TeilnehmerInnen die Erfahrungen und das Erlernte aus dem Projekt in ihre Alltagskontexte zurücktragen und dort diskutieren. Der Ausgangspunkt der Analyse der Workshops im Kontext des Drei-Ebenen Modells besteht in der Perspektive der Studierenden, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten dazu aufgefordert waren, innerhalb von Kleingruppen Interviews durchzuführen und ihre eigenen Erwartungshaltungen, Erfahrungen sowie den
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Ich danke Carmen Mörsch für diesen Literaturhinweis und die Zurverfügungstellung ihres Manuskripts (2015). 10 ,Q :LVFKHUPDQQV GUHLVWX¿JHP 0RGHOO ZLUG GLHVHU VR]LDOH %H]LHKXQJVDVSHNW DXI Mikroebene von einer von persönlichen Netzwerken geprägten »Bewegungskultur«, auf Mesoebene von einer »Bewegungsöffentlichkeit«, die sich durch autonome Kommunikationsstrukturen, Organisations- und Versammlungsöffentlichkeit sowie bewegungseigene Medien bildet, und – auf Makroebene – von der »breiten Öffentlichkeit«, auf die vor allem Massenmedien einwirken, hervorgehoben (vgl. Wischermann 2003).
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$UEHLWVSUR]HVVNULWLVFK]XUHÀHNWLHUHQXQGGDU]XOHJHQ11,P)ROJHQGHQUHÀHNWLHUH ich dabei die zwei eingangs erwähnten Fragen: Frage 1: Wie sehen die Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse von jungen Menschen in einem künstlerisch-edukativen Kontext aus? (5.1) Frage 2: Wie kann in einem künstlerisch-edukativen Projekt ein kollaborativer Diskurs- und Handlungsraum eröffnet werden? (5.2.) 5.1 Frage 1: Wie sehen die Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse von jungen Menschen in einem künstlerisch-edukativen Kontext aus? »[Es wurde] aufgezeigt, mit welchen Möglichkeiten man sich den Themen Antirassismus, Feminismus und anderen Problematiken annähern kann und zwar in einer Weise, die Menschen zum Nachdenken anregt und nicht zwangsweise immer von der Politik ausgehen muss. Einzelne Leute, Gruppen oder Kollektive können auch viel im öffentlichen Raum bewirken und Änderungen initiieren – durch künstlerische und kulturelle Formen.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
'LH7HLOQHKPHU,QQHQUHÀHNWLHUWHQGDV3RWHQWLDONQVWOHULVFKHU,QWHUYHQWLRQHQLP öffentlichen Raum und überlegten, wozu sie dienen und genutzt werden können. +lX¿JZXUGHDQJHIKUWGDVVVLFK$XIPHUNVDPNHLWIUEHVWLPPWHJHVHOOVFKDIWOL che Problemlagen, alternative Sichtweisen und Kritik an Stereotypen und MachtYHUKlOWQLVVHQJHQHULHUHQODVVHQ'LHVZXUGHPLWGHURIWDEHUQLFKWQlKHUVSH]L¿ zierten) Überzeugung verknüpft, Menschen durch die jeweilige Intervention »zum Nachdenken« zu bringen beziehungsweise Möglichkeiten des eigenen Aktiv-Werdens aufzuzeigen: »Ich wünsche mir, dass wir durch diese Intervention Leute dazu animiert haben, selber im öffentlichen Raum einen Diskurs anzuregen über Dinge, die ihnen am Herzen liegen.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
Zudem wurden die Grenzen der Interventionen und der Möglichkeiten des eigenen Beitrags zu gesellschaftlichen Veränderungen thematisiert: »Nachdenken werden die Leute wahrscheinlich schon, aber ändern kann man an der Problematik nichts. Ich denke, dass es bei solchen Interventionen darum geht, dass Leute, in unserem Fall vor den Plakaten, stehenbleiben und nachdenken oder vielleicht auch darüber reden. 11 Die Interviews der Studierenden wurden sprachlich bereinigt. Als Hintergrundinformation dienen weiters die Interviews mit Marula die Como und Florencia Young (migrantas) und Ka Schmitz, die 2010 von Rosa Reitsamer im Rahmen des FWF-Forschungsprojekts »Feminist Media Production in Europe« (Reitsamer 2010a, 2010).
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Aber ich denke auch, dass mehr als die Diskussion drüber nicht passieren kann. Selbst wenn man Politiker damit erreicht: Ich glaube nicht, dass das Piktogramm so ausschlaggebend ist, dass es an der Asylbewerber-Problematik etwas ändern wird. Aber es ist gut, dass man zusätzlich darauf aufmerksam machen kann.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
1HEHQ GHU EHUHFKWLJWHQ 6NHSVLV JHJHQEHU GHP HLJHQHQ LQGLYLGXHOOHQ (LQÀXVV DXIJHVDPWJHVHOOVFKDIWOLFKH9HUKlOWQLVVHNDPHV]XHLQHU5HÀH[LRQGHU(IIHNWHDXI den eigenen Lebenszusammenhang und der eigenen Wahrnehmungen und Vorstellungen. Diese waren auf einer individuellen (ersten) Ebene zu verorten und lassen Rückwirkungen in den eigenen Lebensalltag der TeilnehmerInnen erkennen, insbesondere bezüglich der eigenen Sensibilisierung gegenüber sexistischen und rassistischen Machtverhältnissen: »Im Rahmen unseres Workshops setzten wir uns aktiv mit (anti-)rassistischen und sexistischen Themen auseinander. [. . .] Ich wurde durch diese Lehrveranstaltung dazu ermutigt, mir Situationen aus dem Alltag bewusst zu machen, etwa wenn man sich selbst auf den ersten Blick rassistisch verhält, ohne dies zu wollen. Gerade in den Wochen nach dem Kurs habe ich einige Dinge viel mehr hinterfragt und mich auch aktiv mit meinem Umfeld ausgetauscht und meine Meinung gesagt, wenn sich jemand nicht ›korrekt‹ verhalten hat oder menschenunwürdige Äußerungen getätigt hat.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
Die kleinen Eingriffe und Veränderungen im Alltag bestärkten die TeilnehmerInnen in der Sinnhaftigkeit der jeweiligen Aktion und in der eigenen Überzeugung, etwas bewirken und verändern zu können. Dadurch weisen diese über die konkrete Workshop-Situation, die Interventionen im öffentlichen Raum und die Ausstellung hinaus. Besonders klar wurde das in Bezug auf die Stofftaschen thematisiert: »Wenn ich meine Tasche trage, fällt mir im Bus auch oft auf, dass Menschen sie immer ganz genau betrachten und ich hoffe, dass es sie auch zum Denken anregt. Die Taschen sind also immer wieder eine kleine Intervention.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
Des Weiteren wurde von manchen angeführt, dass sie sich durch die Teilnahme am Workshop gewisse Fähigkeiten (z. B. bestimmte Techniken des Comic-Zeichnens, Strategien der Themenvermittlung) angeeignet haben, von denen sie sich HUKRIIHQVLHIULKUHQHLJHQHQDXFKEHUXÀLFKHQ $OOWDJQXW]HQ]XN|QQHQ6RHU wähnte eine Teilnehmerin des Workshops von Ka Schmitz, dass sie selbst in ihrer Freizeit Comics zeichnet und der Workshop für sie dazu diente, sich diesbezüglich weitere Fähigkeiten anzueignen und sich weitergehend über ihren weiteren Lebensweg Gedanken zu machen: »Ka Schmitz hat mich dazu motiviert, diese Freizeitbeschäftigung fortzuführen und diese vielleicht auch in naher Zukunft als EHUXÀLFKHQ:HUGHJDQJ LQ %HWUDFKW ]X ]LHKHQ© (Studentin der Kommunikations-
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ZLVVHQVFKDIW (LQH DQGHUH7HLOQHKPHULQ GLH EHUHLWV EHU ODQJMlKULJH EHUXÀLFKH Erfahrung verfügt, kündigte an, ihre eigenen Lernerfahrungen an andere weitervermitteln zu wollen und so zur Multiplikatorin zu werden: »Darüber hinaus stellt die Methode von Ka Schmitz einen starken Impuls für meine Arbeit in der freien Erwachsenenbildung und in Selbsterfahrungsgruppen dar. Ich suchte nach einer Methode des Empowerments, die sich nicht in Selbstoptimierung erschöpft und nicht im Seminarraum festhängen bleibt. [. . .] Mir sind Wege aufgezeigt worden, wie Menschen ihre gemeinsamen Anliegen öffentlich machen und damit politisch wirksamer werden können. Die Workshops haben mich animiert, dafür eine neues Seminar-Format auszuarbeiten, in welchem sich die Tiefe und Solidarität von Selbsterfahrungsprozessen mit politischer Partizipation verbinden lässt.« (55-Plus-Studentin)
Der hier erwähnte Aspekt des Empowerments ist insofern zentral, als gemeinsame Aktionen und Prozesse zu Veränderung (des eigenen Verhaltens im Alltag und des Bewusstseins, sowie in Bezug auf gesellschaftlichen Wandel) und auch einer Politisierung beitragen können. Die Studierenden machten sich Gedanken darüber, wie künstlerische Interventionen Prozesse des Empowerments im Sinne eines »Sichäußern-Könnens« und »In-der-Öffentlichkeit-Gehör-Findens« und somit auch der Teilhabe an diesen Öffentlichkeiten anstoßen können: »Die wenig aufwändige Form der Anfertigung von Comic-Kunst erlaubt Selbstrepräsentanz ohne große Schwellen: persönliche Erfahrungen und Statements lassen sich einerseits sehr einfach und auch kollaborativ produzieren. Andererseits ist auch die Verteilung und Verbreitung im öffentlichen Raum für Menschen ohne Medienkapital möglich und daher außerordentlich demokratisch und bedeutet eine große Chance für Selbstermächtigung.« (55-Plus Studentin)
Hier zeigte sich, dass Empowerment, Partizipation und Kollaboration oftmals weniger im Kontext eines möglichen politischen Engagements oder der Teilhabe an gesamtgesellschaftlichen Prozessen und Diskursen von den TeilnehmerInnen verhandelt, sondern vor allem aus einer individuellen, persönlichen und alltagsweltlichen Perspektive heraus thematisiert werden. Das bedeutet im Kontext des Drei-Ebenen-Modells, dass die TeilnehmerInnen primär auf lebensweltliche Erfahrungen auf der ersten Ebene zurückgreifen bzw. davon ausgehen. Es wurden vor allem das »Befähigt-Werden«, sich zu äußern und eigene Ideen und Anliegen zu artikulieren, die Stärkung des Selbstvertrauens in die eigenen Fähigkeiten (insbesondere was die eigenen künstlerischen und zeichnerischen Fähigkeiten anbelangt), aber auch die Möglichkeiten eines fruchtbaren, gemeinsamen Arbeitens in der Gruppe in einem künstlerisch-edukativen Kontext – und damit der Schritt auf die zweite Ebene von Öffentlichkeit – hervorgehoben:
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»Das Endprodukt entsteht [. . .] auf Basis eines gemeinsamen Dialogs und der Fokus der Arbeit liegt darin, den TeilnehmerInnen ein Werkzeug in die Hand zu geben, um die eigenen Ideen auszudrücken. [. . .] Aus einem anfänglichen Gefühl des Zweifels und der Ratlosigkeit entstehen durch Spontanität und die Selbstverständlichkeit, dass die Ideen und Zeichnungen nicht perfekt sein müssen, eine Reihe beeindruckender Arbeiten.« (Studentin der Psychologie)
Es wurde auch betont, dass Interventionen, die mit einfachen Mitteln umzusetzen sind, bereits Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bewirken können: »Ich habe gelernt, dass man mit wenigen Mitteln etwas bewegen, Menschen erreichen und auf Themen aufmerksam machen kann. Wir lernen ja viele PR-Strategien, von Marketing über Werbung usw., aber manchmal braucht es eigentlich nicht viel, um Inhalte zu vermitteln und auf etwas aufmerksam zu machen.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
'LH7HLOQHKPHU,QQHQUHÀHNWLHUWHQJUXQGVlW]OLFKGLH5ROOHGLH)XQNWLRQXQGGDV Potential der künstlerischen Interventionen und verbanden sie mit dem eigenen Agieren im öffentlichen (Stadt-)Raum. Positiv wurde angemerkt, dass der Status Quo hinterfragt und kritische Themen aufgegriffen werden können (wie die Hinterfragung von Stereotypen, traditionellen Geschlechterrollen oder AlltagsrassisPHQ ,QGHPHLQNULWLVFKHU5HÀH[LRQVSUR]HVVLQLWLLHUWZLUGXQG*HJHQELOGHUXQG *HJHQHQWZUIH ]XU KHJHPRQLDOHQ gIIHQWOLFKNHLW HQWZRUIHQ ZHUGHQ ¿QGHW ± ]X mindest temporär in dem Projekt – ein Aushandlungsprozess und teilweise ein Aneignungsprozess von Öffentlichkeit(en) statt. In diesem Sinne könnte von der Herstellung einer temporären Gegenöffentlichkeit gesprochen werden. Ein langfristiger, tiefergehender sozialer Wandel bedarf des Engagements auf allen Ebenen von Öffentlichkeit (vgl. Wischermann 2003). 5.2 Frage 2: Wie kann in einem künstlerisch-edukativen Projekt ein kollaborativer Diskurs- und Handlungsraum eröffnet werden? Während in der ersten Projektphase die Studierenden vorwiegend unter sich blieben, trafen sie im zweiten Teil auf die Herausforderung, gemeinsam mit einer externen, sehr internationalen Gruppe in englischer Sprache an den Interventionen zu arbeiten und diese in den öffentlichen Raum zu tragen. Damit einher ging ein für die Studierenden neuer und als nicht einfach empfundener Erfahrungs- und Lernprozess im Rollenwechsel – von der Position als TeilnehmerIn eines Workshops zur Position als aktive GestalterIn und LeiterIn. Somit wurde der Diskurs- und Handlungsraum von einem internen in einen externen erweitert, was von den Studierenden als durchwegs positiv gesehen wurde:
284 | ELKE ZOBL »Ich hatte das Gefühl, je mehr wir alle miteinander reden, desto mehr bilden wir eine ›Gemeinschaft‹ und kommen uns mit unseren Zielen in Bezug auf die Zukunft näher. [. . .] im Großen und Ganzen hatten wir alle das gleiche Ziel: mehr Bewusstsein für bestimmte Themen [zu] schaffen und ein Zeichen zu setzen[:] Zusammen sind wir stark und können was erreichen.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
Neben dieser exemplarischen Beschreibung des Übergangs von der einfachen zur PLWWOHUHQ gIIHQWOLFKNHLWVHEHQH UHÀHNWLHUWHQ GLH 6WXGLHUHQGHQ GLH JHPHLQVDPH Entwicklung der Workshops und die lustvolle, engagierte Zusammenarbeit mit den jungen Teilnehmerinnen in Bezug auf den kollaborativen Prozess und die Partizipationsmöglichkeiten: »Die freudige Arbeitsstimmung, welche im Workshop und auch bei der Präsentation vor der Uni spürbar war, dürfte eine Ermutigung dafür darstellen, kollektiv/kollaborativ ein Anliegen zum öffentlichen Thema zu machen. [. . .] Auch vermute ich, dass sie erlebt haben, dass ihre eigenen Ideen, Anliegen und Botschaften bedeutsam sind und auch in einem Bildungskontext Raum bekommen können.« (55-Plus Studentin)
Im Zuge dessen wurde auch auf die Möglichkeit solidarischen Handelns hingewiesen: »Die Gruppenskulptur, die eine gemeinsame Botschaft formt, erzeugt Solidarität. Es werden anhand von bestimmten Körperbewegungen Emotionen ausgedrückt, die in der Gruppe stark werden. Das Darstellen von Emotionen im öffentlichen Raum ist durch den Prozess der Solidarisierung gekennzeichnet, der dies möglich macht.« (Studentin der Kommunikationswissenschaft)
So positiv die Studierenden die Erfolge der Workshops beurteilten, so muss hier auf das im Vorfeld dargestellte »Problem« mit einem vereinfacht verstandenen Konzept von Partizipation (und auch Solidarität und Gemeinschaft) hingewiesen ZHUGHQ'LHPHLVWHQ6WXGLHUHQGHQVWDQGHQLQGLHVHP5HÀH[LRQVSUR]HVVQRFKDP Anfang. Zwei Studentinnen jedoch machten sich eingehend Gedanken, wie kriWLVFKUHÀHNWLHUHQGHHUPlFKWLJHQGH$XVWDXVFKSUR]HVVHDXI$XJHQK|KHVWDWW¿QGHQ könnten, um »die Teilnehmerinnen nicht zu degradieren zu Ausführenden einer von uns geplanten Intervention« (55-Plus Studentin). Ihnen ging es vor allem um das In-den-Blick-Nehmen unbewusster hierarchischer Strukturen und Rollen soZLHGLH(LQQDKPHHLQHVVHOEVWUHÀH[LYHQXQGNULWLVFKHQ6WDQGSXQNWHVª0DQPXVV das Konzept der geplanten Intervention fortwährend mit kritischen Augen betrachten, versuchen seine eigene Position zu verlassen und auch aus anderen Perspektiven dieses beleuchten, um Schwachstellen zu erkennen« (Studentin MA Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft). Die Erarbeitung der Konzepte für die
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Workshops gestaltete sich durchaus schwierig und war begleitet von Momenten GHV 6FKHLWHUQV XQG 8PJHVWDOWHQV GLH YRQ GHQ 6WXGLHUHQGHQ WHLOZHLVH UHÀHNWLHUW wurden. Durch den Zeitmangel in der Lehrveranstaltung wurden diese Schwierigkeiten sowie der Kontext des »geschützten« Raums mit vorhandenen Ressourcen (personell, Material, Budget etc.) an der Universität nicht ausreichend thematiVLHUW XQG DXIJHJULIIHQ :lKUHQG GLHVH 6HOEVWUHÀH[LRQ HLQ ZLFKWLJHU$VSHNW YRQ NULWLVFKHP+DQGHOQXQGYRQ*HJHQ|IIHQWOLFKNHLWHQLVWPVVHQGHUVSH]L¿VFKHLQ diesem Fall normierende akademische) Kontext sowie Ausschlussmechanismen in solchen Projekten weit eingehender berücksichtigt werden. Die Herausforderungen und Grenzen im Speziellen von Partizipation und Empowerment wurden hingegen im ersten Teil im Workshop von migrantas von HLQLJHQ7HLOQHKPHU,QQHQZDKUJHQRPPHQ XQG NULWLVFK UHÀHNWLHUWª7HLOZHLVH KDW mir gefehlt, dass wir noch mehr in diesen Prozess des Heraus-Kristallisierens mit eingebunden werden und die Essenz der einzelnen Zeichnungen zusammenführen.«(Student der Soziologie) Die TeilnehmerInnen waren zwar an der Erarbeitung der den Piktogrammen zugrunde liegenden Zeichnungen beteiligt, brachten dort ihre eigenen Erfahrungen ein und diskutierten diese auch in der Gruppe. Die Entscheidung darüber, welche Zeichnungen schlussendlich als Ausgangsmaterial für die Piktogramme herangezogen wurden, oblag jedoch größtenteils den KünstOHULQQHQ'LHNQVWOHULVFKH*HVWDOWXQJGHU3LNWRJUDPPH¿HOYROOVWlQGLJLQGHUHQ Verantwortungsbereich. Dies wurde von migrantas, aber auch von den TeilnehmerInnen selbst, mit knappen zeitlichen Ressourcen und mangelnden FähigkeiWHQ GHU 7HLOQHKPHU,QQHQ LP 8PJDQJ PLW *UD¿NSURJUDPPHQ HUNOlUW 'HQQRFK nahmen die TeilnehmerInnen dies bisweilen als Limitierung ihrer Möglichkeiten der Teilhabe und der Selbstrepräsentation wahr. Diese Rollendifferenzierung zwischen Workshop-Leitung und TeilnehmerInnen – wie sie in der mittleren Ebene YRQgIIHQWOLFKNHLWDXIWULWW±ZXUGHNULWLVFKUHÀHNWLHUW12 Die Hierarchien zwischen Leitung und TeilnehmerInnen sowie die fehlenden partizipativen und kollaborativen Handlungsmöglichkeiten wurden nicht als singulär auftretende Schwierigkeit interpretiert, sondern als strukturelle und methodische Schwachstelle des Workshops gesehen. Eine Studentin thematisiert die Gefahr der Instrumentalisierung der 7HLOQHKPHU,QQHQ'LH5HÀH[LRQGHU7HLOQHKPHU,QQHQOlVVWGDUDXIVFKOLHHQGDVV in den Workshops – und in dem Projekt als Ganzem – ein (zwar zeitlich begrenzter) kollaborativer Diskurs- und Handlungsraum gebildet und gewisse (begrenzte) soziale und gesellschaftliche Themen gemeinsam verhandelt werden (konnten). Welche konkreten Möglichkeiten der Partizipation/Teilhabe und der Aktivierung jeweils zur Verfügung standen und von den TeilnehmerInnen aufgegriffen wurden, 12 Kritisch sehe ich mittlerweile auch die visuelle Darstellung von gesellschaftlichen Gruppen unter Rückgriff auf Stereotype und Klischees, da diese so wiederum gefestigt und zurückgespielt werden.
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variierte jedoch. Dabei wurden auch Schwierigkeiten, Grenzen und Ausschlüsse der jeweiligen Intervention angesprochen. Offen blieb, welche Rolle das kollaborative Arbeiten, der Austausch und vor allem die Vernetzung von individuellen Erfahrungen und Perspektiven für die längerfristige selbstermächtigende und eigene politische Aktivierung spielen.
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DISKUSSION
Welche Folgerungen können wir aus dem Projekt ziehen? Als sehr positiv sehe ich GDV3URMHNWLQVRIHUQDOVHV3UR]HVVHGHUNULWLVFKHU5HÀH[LRQXQGGHU$QHLJQXQJEHL den Studierenden zu initiieren vermochte und die Ergebnisse in den öffentlichen Raum zurückgespielt wurden. Obwohl der Prozess der Auseinandersetzung mit kritischen Themen auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen stattfand, war dies auf einen zeitlichen kurzen und sehr eingeschränkten sowie normierenden akademischen Rahmen beschränkt. Wichtig war in der Projektentwicklung auch, dass eine Vielzahl und Vielfalt an Orten und Formen künstlerischer Interventionen in den Blick genommen werden, die – wie Chantal Mouffe argumentiert hat – die affektive Ebene ansprechen und hegemoniales Wissen in Frage stellen. Nachdem das Projekt im universitären Rahmen stattfand, sollte es einen Anstoß geben, Studierende, die vormals noch nie oder wenig mit künstlerischen oder kulturellen Kontexte zu tun KDWWHQ]XHUPXQWHUQHLJHQHNULWLVFKUHÀHNWLHUWH3URMHNWH]XHQWZLFNHOQ Als Herausforderung haben sich in dem Projekt verschiedene Aspekte erwiesen: Es stellt sich die grundlegenden Frage, ob künstlerische Interventionen überhaupt als solche in einem institutionellen Bildungskontext planbar und durchführbar sind (und sein sollen), oder ob dabei ihr politischer Anspruch per se verloren geht. Es besteht weiters einerseits die Gefahr, künstlerische Strategien für einen Zweck zu instrumentalisieren, oder andererseits jene der Einvernahme von zivilgesellschaftlichen Initiativen für akademisch situierte Projekte. Hier stellen sich viele Fragen: Was passiert genau in der Auseinandersetzung mit Kunst? Wie kann die Erarbeitung inhaltlicher Aspekte in den künstlerischen Prozess einbezogen ZHUGHQ" :LH NDQQ NROODERUDWLY JHDUEHLWHW XQG ZLH N|QQHQ .RQÀLNW XQG$PEL valenzen zugelassen werden? Kann ein offener Prozess im Rahmen einer strukWXUHOOYRUJHJHEHQHQ]HLWOLFKOLPLWLHUWHQ/HKUYHUDQVWDOWXQJEHUKDXSWVWDWW¿QGHQ" Und wie nehmen wir blinde Flecken in den Blick (z. B. in Bezug auf Whiteness)? Zweifelsohne stellten die institutionellen und sehr begrenzten zeitlichen Rahmenbedingungen eine Herausforderung dar, aber eventuell auch eine Chance, um den Prozess voranzutreiben. Bei der weiteren Entwicklung (und kritischen Hinterfragung) des Projektes und seiner Ansätze scheint mir die kritische Kulturvermittlung sehr vielversprechend. So hat Nora Landkammer im Kontext des AntikultiAtelier-Projektes die
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Position »als Vermittlerin in einer Kulturinstitution, die an einer Zusammenarbeit mit anderen Öffentlichkeiten trotz und entgegen der genannten oder ähnlicher 0DFKWNRQVWHOODWLRQHQLQWHUHVVLHUWLVW©$QWLNXOWL$WHOLHU UHÀHNWLHUW6LHZHLVW auf drei Aspekte hin: Die Offenlegung (und Diskussion) (1) der Rahmenbedingungen des Projektes und der Interessen daran im Sinne der Transparenz, (2) der EntVFKHLGXQJVSUR]HVVHXQG GHU5HÀH[LRQGHUHLJHQHQ5ROOHDOV9HUPLWWOHULQGDV heißt für sie: »Vermittlung als kollaborative Wissensproduktion zu denken, heißt auch als Vermittlerin vom eigenen Lernen und Verlernen auszugehen, und die eigene Dringlichkeit in einem kollektiven Prozess zu formulieren.« (AntikultiAtelier 'LHVH$VSHNWHVRZLHNRQNUHWGLHLQKDOWOLFKH7KHPHQ¿QGXQJXQG5HÀH[LRQ GHU YLVXHOOHQNQVWOHULVFKHQ 'DUVWHOOXQJ VHOEVW DOV7HLO GHV 3UR]HVVHV ªNRQÀLNW hafte Partizipation« und eine längerfristige, kollaborative Zusammenarbeit mit einer gesellschaftlichen Gruppe, müssten in der Weiterentwicklung des Projektes eingehender beachtet werden.
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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK: DIE KUNST DES FRAGEN STELLENS
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Modell den Blick der Lehrenden bzw. GHU 3URMHNWOHLWXQJ XQG GHU7HLOQHKPHU,QQHQ DXI (QWZLFNOXQJV 5HÀH[LRQV XQG Aneignungsprozesse (sowie anknüpfende Fragen) – und damit die Möglichkeit der Eröffnung von kollaborativen Diskurs- und Handlungsräumen – schärft, die den Übergang von der ersten auf die zweite Ebene initiieren und unterstützen können (vgl. Tabelle 1). Im Zuge dieser Prozesse entstehen viele (unabschließbare und offene) Fragen, die nicht eine Antwort zur Folge haben, sondern viele Antworten eröffnen (können). Darin besteht auch mein persönliches Fazit ein Jahr nach diesem Projekt: Ich habe gelernt zu fragen und immer wieder Fragen zu stellen. Beispielsweise habe LFK PLFK LP 5HÀH[LRQVSUR]HVV GHV 3URMHNWHV NRQWLQXLHUOLFK JHIUDJW ,VW HV EHU haupt – wie eingangs in den Raum gestellt – sinnvoll und produktiv, das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit transdiziplinär an den Schnittstellen von Jugend, Kunst und Bildung anzuwenden und weiterzudenken? Oder, provokant formuliert, werden damit komplexe Vermittlungsprozesse und künstlerische Praxen in ein theoretischen Modell »künstlich« eingeordnet oder gar instrumentalisiert? Meiner Meinung nach hat sich das Drei-Ebenen-Modell als produktiv erwiesen, um die Ausverhandlungs- und Aneignungsprozesse, aber auch die Politisierungsprozesse, GLH]ZLVFKHQGHUHUVWHQXQG]ZHLWHQ(EHQHXQGDXIGHU]ZHLWHQ(EHQHVWDWW¿QGHQ in den Blick zu nehmen und um Aspekte von Empowerment, Partizipation, KonÀLNW7HLOKDEHXQG$XVVFKOVVHVRZLHGHU5ROOHQYHUWHLOXQJ]XIRNXVVLHUHQ:LFKWLJ dabei ist jedoch, die »blinden Flecken« in Bezug auf die Ausschlussmechanismen
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Tabelle 1: Prozesse im Übergang von der ersten auf die zweite Ebene von Öffentlichkeit Prozesse im Übergang von der ersten auf die zweite Ebene von Öffentlichkeit zur Mitwirkung an Öffentlichkeit(en) im Rahmen künstlerisch-edukativer Projekte Entwicklung
– eines künstlerisch-edukativen Projektes in einem offenen, kollaborativen Prozess – künstlerischer Praktiken, die Menschen auf kritischer und affektiver Ebene ansprechen – inhaltlicher Aspekte aus künstlerischen Praktiken und Prozessen heraus – von Kooperationen mit verschiedenen Öffentlichkeiten (Solidaritätsarbeit zwischen KünstlerInnen, KulturarbeiterInnen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen bzw. mit Projekten sozialer Gerechtigkeit und sozialer Bewegungen)
5HÀH[LRQXQG Dekonstruktion
± YRQVSH]L¿VFKHQ8QUHFKWVHUIDKUXQJHQGXUFKGLH8QJOHLFKKHLWHQGHXW lich werden), Benennung von Stereotypen und Klischees, des Status Quo und der Machtverhältnisse – der Rollenverteilung (alle am Prozess Beteiligten sind Lernende) und der KommunikatorInnenrolle (der VermittlerInnen sowie der TeilnehmerInnen), um damit die Aspekte der Partizipation und TeilKDEHVRZLHYRQ.RQÀLNWHQXQG$XVKDQGOXQJVSUR]HVVHQRIIHQ]XOHJHQ – der Rahmenbedingungen des Projektes, der Entscheidungsprozesse und der Interessen daran, sowie des Bildungskontextes, im Sinne der Transparenz – von Inklusions- und Exklusionsmechanismen (strukturelle Benachteiligung, Ausschlussmechanismen, Intersektion von Gender, »Race«, Klasse, Alter), aber auch Prozesse der Entpolitisierung (Leerstellen, LQKDOWOLFKH9HUÀDFKXQJ
Aneignung
– Entwicklung alternativer Deutungsmuster sozialer und gesellschaftlicher Themen und Ausdruck neuer Sichtweisen – Verbindung der eigenen Erfahrungen mit Lebenswirklichkeiten und kollektiven Erfahrungen anderer, um damit Prozesse des Empowerments und des Öffentlich-Machens von persönlichen Erfahrungen und Interessen sowie der Solidarisierung zu ermöglichen – Künstlerisches Intervenieren in bzw. Zurückspielen in den öffentlichen Raum – Erkennen und Wahrnehmen der Möglichkeit der gesellschaftlichen Mitgestaltung und Mitwirkung
und von Gender, »Race«, Klasse und Alter mitzudenken, was in diesem Projekt noch nicht ausreichend passiert ist. Allerdings bleibt in der Analyse des konkreten Projektes offen, welche Rolle die dritte Ebene spielt. Dazu hätte das Projekt in gröHUHP8PIDQJVWDWW¿QGHQPVVHQ13, mit einer Rezeption der Massenmedien bzw. langfristig, so dass die Ebene der politischen Institutionen und Gesetzgebung mit13 In bescheidenem Umfang fand eine Interaktion mit der dritten Ebene in Bezug auf die Kooperation mit dem Frauenbüro der Stadt Salzburg (in Form einer Zusammenarbeit mit der Ausstellung und einer Co-Finanzierung, einhergehend mit einer Bewerbung und Information des Projektes) und dem Mädchenbüro des Landes Salzburg (in Form einer Projektkooperation und von Informationsaussendungen) statt.
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einbezogen werden könnte. Grundsätzlich könnten auf der komplexen Ebene von Öffentlichkeit hegemoniale Öffentlichkeiten hinterfragt werden. Künstlerisch-edukative Projekte mit Jugendlichen können (zumindest temporär) gesellschaftliche Aushandlungsprozesse – und damit eine Mitwirkung am Prozess Öffentlichkeit – eröffnen, wenn die Rahmenbedingungen und Methoden in einer kritischen Praxis verortet werden und gegenüber Ambivalenzen in der .ROODERUDWLRQXQG.RQÀLNWHQRIIHQVLQG(VJHKWGDEHLXP3DUWL]LSDWLRQQLFKWDOV »naives Mitbestimmungsparadigma«, sondern um eine »Teilhabe, die Intervention ermöglicht, statt die dominanten Erzählweisen zu reproduzieren und Beteiligung zu simulieren« (Ziese 2010: 77). Eine dieser Möglichkeiten des gesellschaftlichen »Eingreifens«, »Mitredens« und »Mitgestaltens« – oder der Verweigerung bzw. Kritik – eröffnen intervenierende und partizipative Strategien der zeitgenössischen Kunst- und Kulturproduktion. Kritische künstlerische Praktiken ermöglichen den Entwurf neuer Subjektivitäten und Welten, wie Mouffe (2014) es formuliert hat, um durch gegenhegemoniale Interventionen Veränderungen der dominanten Öffentlichkeit zu bewirken. Eine solche Mitwirkung an den Aushandlungsprozessen einer Gesellschaft darüber, »wie sie leben will« (Klaus 2013: 1), setzt die Fähigkeit voraus, Fragen aufzuwerfen und den Status Quo zu hinterfragen. Den Prozessen GHUJHVHOOVFKDIWOLFKHQ*HVWDOWXQJYRQgIIHQWOLFKNHLWPXVVHLQHNULWLVFKH5HÀH[LRQ von künstlerischen Interventionsmöglichkeiten, Partizipation und Empowerment sowie von blinden Flecken und Ausschlüssen beinhaltet sein. Diese Fähigkeit des )UDJHQ6WHOOHQVGHUNULWLVFKHQ5HÀH[LRQXQGGHU'HNRQVWUXNWLRQZLUGYRUDOOHP für Jugendliche in unserer neoliberalen Gesellschaft immer bedeutender, damit sie als gesellschaftliche AkteurInnen teilhaben können.
DANKSAGUNG Ich danke Stefanie Grünangerl, Veronika Aqra, Siglinde Lang, Laila Huber und Elke Smodics sowie den Herausgeberinnen Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke für ihr konstruktives Feedback, weiters Roswitha Gabriel für das Lektorat.
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LITERATUR
AntikultiAtelier (2013): »Das AntikultiAtelier. Wir gestalten zusammen neue Interessen«, in: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03. Online unter: http:// www.p-art-icipate.net/cms/wir-gestalten-zusammen-neue-interessen-dasantikultiatelier/. Aqra, Veronika (2014a): »Workshop mit migrantas: Eine visuelle Sprache der Migration«, in: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04. Online unter: http:// www.p-art-icipate.net/cms/workshop-mit-migrantas-eine-visuelle-spracheder-migration.
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Aqra, Veronika (2014b): »Künstlerische Interventionen: Fotodokumentation. Impressionen vom Workshop mit der Künstlerin Ka Schmitz zum Thema »guerilla comics: kunst_intervention_alltag« und vom Workshop mit dem Künstlerinnen-Kollektiv migrantas zum Thema »Piktogramme im Stadtraum: Anerkennung und Sichtbarkeit«, in: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 04. Online unter: http://www.p-art-icipate.net/cms/kunstlerische-interventionenfotodokumentation-2/. Besand, Anja (Hg.) (2012): Politik trifft Kunst. Zum Verhältnis von politischer und kultureller Bildung, Bonn: BpB. %LVKRS &ODLUH $UWL¿FLDO +HOOV 3DUWLFLSDWRU\ $UW DQG WKH 3ROLWLFV RI Spectatorship, London: Verso. von Borries, Friedrich/Hiller, Christian/Kerber, Daniel/Wegner, Friederike/Wenzel, Anna-Lena (2012): Glossar der Interventionen, Berlin: Merve. &KDQJ&DQG\ %HIRUH,'LH1HZ