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German Pages 289 [279] Year 2023
Bruno P. Kremer
Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen
Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen
Bruno P. Kremer
Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weih‑ nachtsbäumen 2. Auflage
Bruno P. Kremer Wachtberg Deutschland
ISBN 978-3-662-68097-1 ISBN 978-3-662-68098-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Ursprünglich erschienen unter dem Titel: Unsere Jahresfeste – biologisch betrachtet © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an SpringerVerlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2017, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Wolf Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar.
Tages Arbeit, abends Gäste. Saure Wochen, frohe Feste. Johann Wolfgang von Goethe (1797)
Feste feiern … aber auch die Hintergründe verstehen
Ein bunter Blumenstrauß passt für alle Feste
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VIII Feste feiern … aber auch die Hintergründe verstehen
Jeder Jahresablauf hat mit seinen bei genauerer Inspektion doch erstaunlich viele, meist sogar kalendarisch festgelegte sowie im persönlichen Erleben ohnehin entsprechend verankerte und aktiv mitvollzogene Feste. Diese haben in vielen Fällen astronomische Gründe, deren genauere Festlegung lange Zeit beanspruchte und heute wie selbstverständlich (aber nicht mehr unbedingt wirklich verstanden) akzeptiert sind: Geradezu grundlegende Ursache ist die von der Natur vorgegebene Schiefe der Erdachse (rund 23,5°) zur Ebene ihrer Umlaufbahn um den zentralen Fixstern Sonne (auch Ekliptik genannt), denn nur sie beschert uns in den gemäßigten Breiten einen absolut und unverrückbar zuverlässigen Wechsel der Jahreszeiten. Geradezu regelhaft, wenn auch nicht exakt tagesgenau vorhersagbar, folgen die phänologischen Erscheinungen mit den kennzeichnenden Lebensäußerungen der Organismen aufeinander, von der Winterruhe der meisten Arten, über das immer wieder erstaunliche und ausdrücklich freudig begrüßte Frühlingserwachen mit dem Laubaustrieb bis hin zu den beachtlichen sommerlich ekstatischen Blühwellen, die schließlich einmünden in die Zeit der Reife, die den Herbst kennzeichnet und die Vorbereitung auf die nächste unausweichlich fällige Winterpause einleitet.
Eine kleine Vorüberlegung Nach den von den Details der Erdbahn um die Sonne geradezu absolutistisch diktierten Jahreszeiten geht konsequenterweise auch die Gliederung des Jahreslaufes in seine verschiedenen Monate letztlich auf astronomische Sachverhalte zurück: Die varianten Erscheinungsbilder des Mondes mit seinen stetigen Wechseln zwischen Neu- und Vollmond (= Lunationen) gaben schon in
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den frühen Kulturen die Untergliederung des Jahreslaufs in die einzelnen Monate (die bemerkenswerte Namensähnlichkeit Mond/Monat ist sicherlich nicht zufällig) vor, wenngleich diese lunare Periodizität und das auf den scheinbaren Sonnenlauf bezogene Geschehen früher deutlich auseinanderklafften. Die Lösung dieses Problems hat neben der Erfindung und Ausgestaltung des Kalenders seit der Antike Generationen von Astronomen beschäftigt. Heute können wir dank geradezu unglaublich präziser Beobachtungen und Messungen die Jahreslänge sogar in Bruchteilen einer Sekunde genau angeben: Ein so bezeichnetes siderisches Jahr mit seinen zwei aufeinanderfolgenden Vorübergängen der mittleren Sonne durch die Mittagslinie (Meridian) dauert 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten und 10 Sekunden – in der astronomisch üblichen Schreibweise stellt sich diese geradezu fantastisch präzise Angabe in der Notierung 365d06h09m10s dar. Wissenschaftshistorisch gesehen ist diese Erkenntnis eine absolut bewundernswerte Leistung. Allein die Erfindung des Jahres und des den Jahreslauf strukturierenden Kalenders waren einzigartige frühe kulturelle Großtaten, die erstaunlicherweise schon in der Antike grundgelegt sind.
Kirchlich-religiöse Zusammenhänge Auch dieser Befund ist für viele sicherlich überaus erstaunlich und durchaus bedenkenswert: Die weitaus meisten im deutschsprachigen Raum kalendarisch verordneten und fallweise sogar per staatlicher Intervention mehrtägig begangenen Jahresfeste (wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten) haben immer einen religiös-kirchlichen Hintergrund mit langer und im Allgemeinen durchaus
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stationenreicher sowie fallweise faszinierender Kulturhistorie. Diese ist in der heute mehrheitlich profanierten bzw. säkularisierten Öffentlichkeit mit ihrer dezidierten Ausrichtung auf simplen Medienkonsum in ihren Umrissen jedoch nicht mehr zuverlässig, oft nur noch schemenhaft oder zumeist nicht einmal mehr in Fragmenten bekannt. Gegenüber den meist mit besonderen Riten verbundenen und im regionalen bzw. lokalen Brauchtum explizit begangenen kirchlichen Festanlässen verblassen selbst die staatlich verordneten Feiertage häufig zunehmend bis zur totalen Konturlosigkeit. Am schon kurz nach der Wiedervereinigung (1989) eigens so eingerichteten deutschen Nationalfeiertag (Tag der deutschen Einheit, 3. Oktober, nach bemerkenswertem Wechsel vom Aufstandstag 17. Juni (1953) auf den Herbsttermin, vernimmt man zwar mancherlei politische Reden mit der meist in dieser verbosen Branche üblichen Nullbotschaft, aber zum wirklichen Festtag mit einem die Volksseele nachhaltig bewegenden und memorablen Inhalt geriet dieser sicherlich denkwürdige Oktobertag trotz seiner unstrittigen historischen Bedeutung zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung selbst nach mehr als einem Vierteljahrhundert gewiss nicht. Zudem gibt es bislang noch kein begleitendes institutionalisierendes Brauchtum, und dieses wird sich auch in naher Zukunft wohl nur schwerlich entwickeln. Die große Mehrheit der Bevölkerung freut sich zu diesem Termin Anfang Oktober verständlicherweise eher auf einen jahreszeitlich durchaus zu erwartenden sonnigen und für irgendwelche animativen Freilandaktivitäten nutzbaren Frühherbsttag. Möge man indessen doch im Bundestag in Berlin oder sonstwo – sicherlich überwiegend in dunkles Tuch gewandet und eine ernste Miene zur Schau tragend –
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zweifellos wunderbaren Streichquartetten zuhören und Reden mit unterdessen sattbekannten Inhalten ertragen …
Die Politik – auch hier irgendwie chancenlos Politisch gesetzte Feiertagstermine können mithin mit den kirchlich tradierten und so eventuell schon seit vielen Jahrhunderten bestehenden Ereignissen ohnehin erwiesenermaßen einfach nicht mithalten, auch wenn sie als solche ausdrücklich im Kalender stehen. Ein weiteres Beispiel für die in der Öffentlichkeit weithin so empfundene inhaltliche Bedeutungslosigkeit eines staatlich begründeten (und nur deswegen auch gesetzlich verankerten) Feiertags ist der 1. Mai – wenngleich auch er je nach Lage im Wochenrhythmus eine überaus willkommene Unterbrechung des Arbeitslebens mit etwaiger Brückentagsfunktion in Aussicht stellt. Es bleibt also dabei: Die wirklich ernstzunehmenden und auch gerne so erlebten Akzente im Jahreslauf setzen tatsächlich und ganz überwiegend nur die – zumindest in unserem Kulturkreis – so festgelegten christlich-kirchlich motivierten Feste, auch wenn sie in ihren spirituellen Inhalten zunehmend verblassen und meist leider nur noch kalendarisch wahrgenommen werden. Vielfach ist nicht einmal dieses gewährleistet: Der überwiegende Teil der aktuell erlebbaren, oft bemerkenswert ungebildeten und meist nur oberflächlich agierenden Freizeitgesellschaft durchlebt überwiegend einen ziemlich amorphen, zur totalen Indifferenz verkommenen und insofern einfach nur akzentlosen Jahresablauf.
XII Feste feiern … aber auch die Hintergründe verstehen
Gegen den Sumpf des Vergessens Angesichts der beängstigend zunehmenden Profanierung bzw. Säkularisierung des öffentlichen Lebens sowie der (zumindest nach sämtlichen jüngeren PISA-Studien) bedenklich grassierenden Bildungsdefizite in unserer Gesellschaft, die von der aktuellen und zumeist ziemlich hilflos wirkenden Kultuspolitik mehrheitlich sogar eher gefördert werden, drohen auch deren traditionelle Inhalte allerdings arg in den Hintergrund zu geraten oder gänzlich im Sumpf der Nichtwahrnehmung bzw. des Vergessens zu versinken. Die tradierten Feieranlässe sind zwar fallweise im lokalen resp. regionalen (und eben überwiegend kirchlich geprägten) Brauchtum fest verankert, werden aber eher ohne betonte religiöse Anbindung oder die zugehörige notwendige Hintergrundwahrnehmung vor allem für Kurzurlaube genutzt oder geben günstigenfalls zumindest die Kulisse für heftig begangene PartyEvents her. Die kulturkritisch zugehörige Vokabel notiert zutreffend das Phänomen einer bedenklichen Verflachung. Sie entspricht durchweg dem üblichen und durchweg bedauerlichen Bildungsstandard vieler politisch Verantwortlichen.
Unverzichtbares kulturelles Erbe Aber warum sind die traditionellen und fast ausschließlich kirchlich vorgegebenen Jahresfeste überhaupt so bedeutsam? Einerseits stellen sie einen nach mehrheitlicher Überzeugung unverzichtbaren Bestandteil unseres kulturellen Erbes dar, das man nicht leichtfertig durch Fremdeinflüsse erodieren lassen darf, auch wenn man mit manchen religiösen Aussagen bzw. Inhalten fallweise durchaus
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verständliche Probleme hat. Die mit dem jahreszeitlich fixierten Festkalender verbundene Traditionspflege ist die eine Seite. Zudem werden die mit den schon lange üblichen Begleitaktionen wie Weihnachtsmärkten, Karnevalsbrauchtum, Ostereiersuche, Kirmestage, Erntedankfeste und der gesamte Erscheinungsreichtum der Adventszeit trotz unterdessen verbreiteter religiöser Gegenentwürfe bei allem Respekt vor deren Überzeugungen so schnell nicht untergehen – schon allein deswegen nicht, weil damit umsatzstarke jahreszeitliche kommerzielle Ereignisse verbunden sind. Auf der anderen Seite empfinden die meisten Mitmenschen in der tradierten Jahresfestabfolge einen ihr eigenes Leben und Erleben wohltuend organisierenden, den Zeitlauf angenehm und überschaubar strukturierenden Rhythmus – eben ein unverzichtbares, weil grundlegendes und überkommenes Lebensmuster, das man seit der Kindheit erfahren hat. Wir brauchen schon allein aus kulturhistorischen Gründen tatsächlich die Bräuche und sollten deswegen die allfälligen Feste auch nach Kräften gebührend feiern. Und vor allem erscheint es wichtig zu wissen, wie diese Feste entstanden und warum wir sie überhaupt feiern. Immerhin sind sie ein schlicht unverzichtbarer Bestandteil unseres abendländischen Erbes, das es auf jeden Fall gegen jegliche annullierenden Fremdeinflüsse zu bewahren gilt. „Es muss feste Bräuche geben“, notierte zutreffend schon vor Jahrzehnten Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944), denn: Bräuche helfen, weil sie das Leben verschönern. Sie erinnern aber auch, weil sie über Generationen hinweg Hoffnungen wach halten und den Strom der Traditionen nicht abbrechen lassen. Zudem verbinden sie, weil sie Gemeinschaft stiften und erhalten helfen.
XIV Feste feiern … aber auch die Hintergründe verstehen
Viele Organismen begleiten uns Ein weiterer bezeichnender, aber so bisher selten bis gar nicht thematisierter Sachverhalt ist dazu festzuhalten: Bezeichnenderweise sind nämlich die im öffentlichen und privaten Bereich begangenen Jahresfeste fast immer mit bestimmten Lebewesen assoziiert. Meist sind es Pflanzen, oft aber auch Tiere und weniger häufig sogar Pilze. Sie sind einerseits als ausgesuchtes und beliebtes DekoMaterial einfach mit dabei, dienen aber auch als lange tradierte und heute meist nicht mehr so recht verstandene Symbolträger. Insofern erscheint eine sie ausdrücklich würdigende Betrachtung durchaus angemessen. Dieses Buch spürt also erklärtermaßen den kulturgeschichtlich bedeutsamen und durchweg interessanten Zusammenhängen nach, zeigt dabei aber nicht nur die wichtigsten kulturellen bzw. kulturhistorischen Hintergründe der bekannteren Jahresfeste auf, sondern stellt dazu gerade auch die biologisch-organismischen Kontexte her. Seien Sie also durchaus gespannt: Sie werden bei den folgenden chronologisch angelegten Exkursen in vielen Fällen gänzlich unvermutete, fast immer überraschende oder mitunter auch recht kuriose Sachverhalte kennenlernen und hoffentlich so manches Brauchtum in einem anderen Licht wahrnehmen. Sie werden den Valentinstag verstehen, am Palmsonntag vermutlich nachdenklich werden, den Osterhasen neu interpretieren, die Taube zum Pfingstfest eher zuordnen können und auch in der zweiten Jahreshälfte mit ihren vielen Lichtfesten besondere Botschaften vernehmen. Freuen Sie sich also auf eine kultursoziologisch ebenso wie biologisch-naturkundlich facettenreiche Umschau. Herrn P. Dr. Hermann Josef Roth O. Cist. danke ich ausdrücklich für viele aufschlussreiche Gespräche, hilfreiche Hinweise und die kritische Durchsicht der einzelnen Kapitel.
Inhaltsverzeichnis
1
Neujahr: Vom Hering bis zur Weidenrinde 1
2
Wenige Tage nach Weihnachten: Die Heiligen Drei Könige kommen 15
3
Valentinstag – ein besonderes Fest der Verliebten 31
4
Fasching, Fastnacht, Karneval: Kamelle un Strüssjer 43
5
Die Palmen zum Palmsonntag 53
6
Ostern – Eier, Hasen und Kaninchen 67
7
Zum 1. Mai: Walpurgisnacht und Wonnemonat 83
XV
XVI Inhaltsverzeichnis
8
Der zweite Sonntag im Mai: Muttertag 101
9
Pfingsten – das Symbolfest der Taube 107
10 Am 24. Juni ist Johannistag 123 11 Die Kraft der Kräuter (15. August) 129 12 Ende September: Danken für die gute Ernte 147 13 Rund um die Rebe: Der Wein und seine Winzerfeste 159 14 Karneval schon im Herbst: Halloween 175 15 Am Beginn des Trauermonats: Allerheiligen (1. November) 185 16 Markenzeichen mildtätig: Martin von Tour und sein Brauchtum 193 17 Advent – vier Wochen froher Erwartung 203 18 Vom Nikolaus zum Weihnachtsmann 217 19 Lichterglanz und Feststimmung: Weihnachten 227 20 Silvester – und jede Menge Glückssymbole 249 Literatur 261 Stichwortverzeichnis 265
1 Neujahr: Vom Hering bis zur Weidenrinde
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_1
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Die Botschaft, wonach der 1. Januar den Beginn eines neuen Jahres markiert und daher Neujahrstag heißt, ist fast so unerträglich trivial wie die angeblich bäuerliche Wetterregel: Wenn’s Silvester stürmt und schneit, dann ist Neujahr nicht mehr weit.
Jeder heutige Kalender ist absolut unverrückbar auf dieses gleichsam betonierte Datum fixiert, das aber erstaunlicherweise so erst 1691 unter Papst Innozenz XII festgelegt wurde. Aber: In anderen Kulturen beginnt das Jahr durchaus nicht am 1. Januar – so etwa im aktuellen chinesischen Kalender. Jahresbeginn war in Ägypten früher immer der 29. August, und die koptische Kirche hat dieses Datum bis heute beibehalten. Bis 1700 begann im alten Russland das Jahr am 1. September – wie zuvor im byzantinischen Reich. Zudem war auch im übrigen europäischen Kulturkreis der eventuell auch festlich begangene Jahresbeginn keineswegs schon immer identisch mit dem ersten Tag des Januars. Die Entwicklung des modernen und heute gewöhnlich nicht mehr hinterfragten Kalendariums ist eine kulturhistorisch so interessante Angelegenheit, dass wir hier dieser speziellen Frage notwendigerweise eine kleine Programmschleife widmen.
Wurzeln im antiken Hellas Die „Erfindung des Jahres“ und die korrespondierende Entwicklung funktionierender Kalender ist zweifellos eine der hervorragendsten Leistungen der Kulturgeschichte. Den im antiken Griechenland (Hellas) am weitesten verwendeten Kalender hatte der geniale Astronom Meton
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(unbekannt–461 v. Chr.) entwickelt. Er fand nämlich schon damals erstaunlicherweise heraus, dass 19 Sonnenjahre exakt 235 Mondmonate (Mondphasen) umfassen – nach 19 Jahren fallen also die jeweiligen Mondphasen jeweils wieder auf die gleichen Tage des Sonnenjahres. Nach diesem Meton’scher Zyklus oder viel besser Meton’scher Periode genannten Sachverhalt funktionieren alle neuzeitlichen Lunisolarkalender und auch die AstroVorschauen moderner Astronomen. Während die Griechen kalendarisch schon recht fortgeschritten waren, verwendeten die Römer ursprünglich einen reinen Mondkalender mit 10 Monaten, der natürlich überhaupt nicht funktionieren konnte und somit schlicht ziemlich praxisfern war. Aber schon im 7. vorchristlichen Jahrhundert fügten die Römer nach den offensichtlichen Unstimmigkeiten mit dem realen, an den Erscheinungen der Natur ablesbaren Jahresablauf noch zwei weitere Monate hinzu. Das römische Jahr begann allerdings zunächst immer mit dem 1. März, dem Monat, den sie ausdrücklich ihrem Kriegsgott Mars geweiht hatten. Insofern trugen die späteren Folgemonate, nämlich September bis Dezember, nach der ursprünglichen Zählung als siebenter bis zehnter Monat, völlig korrekte Bezeichnungen. Den elften Monat nannten die Römer Januarius (abgeleitet von janua = Haustür) nach dem doppelgesichtigen Gott Janus, der zugleich nach vorne wie nach rückwärts schaute – in der heutigen kalendarischen Positionierung des Januars sicherlich kein übles Bild. Der letzte Jahresmonat war im alten Rom der Februar(ius), so benannt nach den jetzt traditionell durchgeführten Reinigungs- und Erneuerungsritualen (februare = reinigen). Seit 153 v. Chr. traten die jeweiligen römischen Konsuln ihr Amt am 1. Januar an, und allein deswegen verlegte man alsbald den Jahresbeginn in Rom auf exakt dieses Datum.
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Der römische Kalender blieb indessen aus mancherlei weiteren Gründen einigermaßen chaotisch. Nachdem Julius Cäsar in Ägypten außer der offenbar umwerfend hübschen Kleopatra auch einen wunderbar funktionierenden Sonnenkalender kennengelernt hatte, ließ er von dem dort tätigen hellenistischen Astronomen Sosigenes (Lebensdaten unbekannt) einen solchen auch für das römische Reich ausarbeiten. Als später so benannter Julianischer Kalender trat er 46 v. Chr. in Kraft. Die Monatsnamen blieben aber zunächst unverändert. Im Jahre 44 v. Chr. benannte allerdings der Senat den bisherigen Quintilis (Geburtsmonat Cäsars) in Julius um. Aus Gründen der Dankbarkeit bzw. Pietät gegenüber Kaiser Augustus erhielt der Folgemonat Sextilis später seine heutige Bezeichnung August. Da der Sextilis allerdings nur 30 Tage umfasste, der Quintilis jedoch 31, hielt der römische Senat diese damals so empfundene Benachteiligung von Kaiser Augustus für schlicht inakzeptabel. Daher wurde der August respektvoll um einen Tag verlängert und der Februar entsprechend verkürzt. Bis heute sind Juli und August die einzigen beiden aufeinanderfolgenden Monate der Jahresmitte mit je 31 Tagen. Abzählen kann man sie übrigens anhand der Knöchelhöhen bzw. Zwischentäler der geballten Faust: Der Januar beginnt auf der Linken mít einem (31-tägigen) Knöchelhoch und endet mit einem solchen für den Monat Juli. Das bedeutende, weil folgenreiche Konzil von Nicäa legte im Jahre 325 den anfangs gebietsweise stark angefeindeten Julianischen Kalender als Grundlage der christlichen Zeitrechnung fest – aber noch das Konzil von Tours (576) sprach sich allerdings heftig dagegen aus. Unter Berücksichtigung astronomischer Erkenntnisse aus Ägypten fixierte man aber bald den Frühlingsbeginn auf den 21. März und reservierte für das Osterfest den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond: Mithin kann
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Ostern frühestens am 22. März und spätestens am 25. April stattfinden. Aus verschiedenen und vor allem astronomischen Gründen klafften der traditionelle Frühlingsbeginn und der aktuelle Tageskalender bereits in der frühen Neuzeit schon um rund eine Woche auseinander. Nachdem kalenderkundige Gelehrte vehement auf diesen im Prinzip unerträglichen Sachverhalt aufmerksam gemacht hatten, ließ Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 nach mehreren Anläufen tatsächlich eine bis heute nachwirkende Kalenderreform durchführen: Auf Donnerstag, den 4. Oktober, folgte damals unmittelbar Freitag, der 15. Oktober. Somit wurde zwar die aktuelle Zeitrechnung um 10 Tage verkürzt, aber die unterdessen aufgelaufene Differenz wirksam beseitigt. Dieser in die Geschichte eingegangene Gregorianische Kalender ist heute weltweit anerkannt und gültig. Er sichert uns die vertraute Abfolge von Gemein- und Schaltjahren, sowie die seltenen Regelausnahmen dazu. Die sicherlich verworrene, aber kulturgeschichtlich faszinierende Historie der Entwicklung der Kalenderstruktur bzw. der ihr zugrundeliegenden Zeit(mess)systeme in den unterschiedlichen Kulturen und Regionen verdient zugegebenermaßen eine genauere Inspektion, die dieses Buch aber nicht leisten kann. Eine vorzügliche Zusammenfassung findet sich bei Göttert (2007) sowie in den grundlegenden Werken etwa von Rohner (1978) oder Zemanek (2008).
Mit Schall und Rauch: Das Neujahrsfeuerwerk Da die Knaller, Kracher, Leuchtraketen und sonstigen akusto-optischen Effekte mehrheitlich erst nach 0.00 h gezündet werden, ist die Bezeichnung Neujahrsfeuerwerk zweifellos zutreffend, obwohl man oft auch die Bezeichnung
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Abb. 1.1 Der von Charlys Meisterhand in Wachtberg gebackene Neujahrskranz ist mit seinem erkennbaren Anfang und Ende ein wunderbares Symbol des Jahresfestkreises
Silvesterfeuerwerk vernimmt. Eine respektable Umweltsünde bleibt die dabei tonnenweise in die untere Atmosphäre katapultierte und zudem ziemlich ungesunde anorganische Chemie mit ihren vielen problematischen Verbrennungsrückständen aber unabhängig von ihrer genauen Benennung. Eine möglicherweise deutlich sinnvollere Verwendung der hierbei vergeudeten Kosten, die trotz zahlreicher Appelle aber seit Jahrzehnten nur wenig Überzeugungskraft entwickeln konnte, werden wir lieber gar nicht diskutieren. Sicherlich unproblematischer, weil für den stillen Genuss gedacht, ist ein leckerer Neujahrskranz (Abb. 1.1).
Wichtigste Empfehlung: jetzt die eigene Physiologie unterstützen Die diversen netten Dekorationsartikel vom Vorabend wie Glücksklee, Glückspilz oder Glücksschwein sind am Folgetag gewiss noch präsent und können jetzt ihre so
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unterstellte segensreiche Wirkung hoffentlich auch weiterhin wirksam entfalten. Daher berichtet dieses kleine Binnenkapitel auch nicht von einer ganz spezifisch mit Neujahr assoziierten Schmuck- oder Symbolart, die es so im Übrigen auch gar nicht gibt, sondern widmet sich stattdessen ausnahmsweise eher medizinisch relevanten Sachverhalten. Die eventuell doch recht ausgelassen durchzechte Silvesterfeier vom Vorabend endet normalerweise natürlich nicht um Mitternacht. Wenn es also je nach Perspektive bzw. Persistenz recht spät oder nach anderer Wahrnehmung zumindest ziemlich früh wurde, hängt man nach Ansage der körperlichen Fitness definitiv in den Seilen. Für den vielleicht doch etwas reichlichen Genuss von Getränken mit betonten Ethanolgehalt rächt sich die körpereigene Physiologie mit mancherlei Effekten, die physiologisch-biochemisch ein ganzes Syndrom umfassen. Die Details in der molekularen Dimension sind genauso fürchterlich wie man sich fühlt, und deswegen lassen wir sie hier einfach weg. Aber: Zur Therapie wäre jetzt konsequenterweise ein gut sortiertes Katerfrühstück zur gezielten Bekämpfung von Brummschädel und eventuell heftig empfundener Depression fällig. Klassischerweise besteht dieses aus besonderen meist geräucherten, sauren oder eingelegten Fischspezialitäten – vor allem aus Bismarckhering, Rollmops oder Heringssalat, wenngleich gelegentlich katergeplagte und vor diesem spezifischen Hintergrund therapieerfahrene Partygänger auch auf andere gut funktionierende Zubereitungen schwören, für die es natürlich auch im Internet spezifische Empfehlungen gibt. Die konsistent angeratenen Speisen für ein Katerfrühstück sollen die Proteinspeicher im Körper regenerieren und zudem mit ihrem salzig-sauren Geschmack mit mancher-
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lei interessanten An- und Kationen den eventuell überstrapazierten Elektrolythaushalt wieder auffüllen.
Bismarck und die Heringe Der bis heute so benannte Bismarckhering trägt seine Bezeichnung tatsächlich nach dem ersten deutschen Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck (1815–1898). Angeblich hat er die spezifische Art der kulinarischen Aufbereitung dieser damals doch eher als Arme-LeuteEssen verbreiteten Fische sehr geschätzt, wozu es aber keine verlässliche historische Quelle gibt. Eine andere Legende berichtet, dass der Stralsunder Fischhändler Johann Wiechmann dem amtierenden Reichskanzler just im Jahre 1871 zu dessen Geburtstag (1. April) ein Fässchen mit sauer eingelegten Heringsfilets geschickt habe, woraufhin Bismarck ihm per persönlich handschriftlichem Anschreiben genehmigt haben soll, die so vorbehandelten Fische (angeblich eine Idee von Wiechmanns Ehefrau) fortan als Bismarckheringe zu vermarkten. Anderen Angaben zufolge soll es dagegen ein Wirt aus Flensburg gewesen sein: Während eines Frontbesuchs im deutschdänischen Krieg 1864 speiste Bismarck bei einem Flensburger Gastronomen zu Mittag. Den nach Art des Hauses zubereiteten Hering soll er sehr gelobt haben, woraufhin der Wirt das Gericht fortan als Bismarck-Hering auf seiner Karte führte. Schließlich soll Bismarcks Leibarzt, der Dermatologe Ernst Schweninger, dem kränklichen Reichskanzler eine Heildiät mit sauer eingelegten Heringen verordnet haben, wozu es tatsächlich ein authentisches Zeugnis Bismarcks gibt. Kulturhistorisch kritische Analysen gehen indessen davon aus, dass keine dieser kulinarischen Legenden wirklich stimmt. Immerhin war es in der Amtszeit des eisernen
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Kanzlers absolut üblich, alle möglichen Objekte nach ihm zu benennen – daher rühren die vielen Bismarcktürme und eben möglicherweise auch die in Frage stehende Fisch-Delikatesse. Und auch das ist kulturhistorisch bemerkenswert: Weil man in der ideologisch so total verklemmten DDR den Namen des ehemaligen, aber eben doch ziemlich bourgeoisen deutschen Reichskanzlers nicht unnötigerweise zitieren wollte, hieß der Bismarckhering gänzlich neutralisiert und somit politisch einwandfrei einfach Delikatesshering. Aber nun zur kulinarischen Orientierung: Ein Heringsfilet ist ein enthäuteter, von allen Flossen getrennter Fisch, der folglich zwei Filets je Hering ergibt. Ein Bismarckhering hängt jedoch an der Rückenseite noch zusammen und ergibt somit nur ein zusammenklappbares Filet pro Fisch. Ein anlässlich von Katerfrühstücken häufig angebotener Rollmops ist ein von Holzspießchen in Form gehaltenes Heringsfilet, das zusammen mit eingelegten Gurken und mitunter auch Zwiebeln angeboten wird. Er gilt als Spezialität der Berliner Küche und erhielt hier auch seine Bezeichnung. Je nach Art des Servierens spricht man auch von Gabelrollmops.
Früher Grundnahrung, heute eher Delikatesse Der Hering (Clupea harengus ) (Abb. 1.2) ist eine im Nordatlantik weit verbreitete und formenreiche Art. Von der ziemlich ähnlich aussehenden Sprotte unterscheidet man ihn am besten mithilfe des Bauchflossenansatzes: Dieser liegt deutlich hinter der Vorderkante des Rückenflossenansatzes. Heringe sind typische Schwarmfische, die bis in 200 m Tiefe vorkommen – ihre Schwärme umfassten
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Abb. 1.2 Heringe sind Schwarmfische und geschätzte Basis mancher Delikatesse
früher eventuell mehrere tausend Tonnen Fische und bildeten lange Zeit die wirtschaftliche Basis der Hanse. Rigorose und unkontrollierte Befischung hat die Bestände überall erheblich dezimiert – der Hering wurde vom Grundnahrungsmittel zur teuren Delikatesse. Unterdessen hat sich die wirtschaftliche Seite zumindest für den Ostseehering umgekehrt: Da es für ihn immer noch kein ökologisch verträgliches Fangquotenmanagement gibt und auch deswegen keine Ökozertifizierung vorliegt, sind Ostseeheringe in Deutschland kaum abzusetzen. Das führt zum Preisverfall und tragischerweise schließlich auch zur Existenzbedrohung der Berufsfischer. Ein kleiner, aber respektabler Heringsschwarm ist übrigens im auch sonst unbedingt erlebniswerten Ozeaneum in Stralsund zu erleben. Kein anderes Meeresaquarium in Europa kann mit einer solchen Attraktion aufwarten. In der westlichen Ostsee sind die Heringe typische Frühjahrslaicher. Um Rügen und Bornholm laicht der Hering zwischen März und Mai und zieht dann auf eine ausgiebige Fresswanderung in den Skagerrak und
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in die östliche Nordsee. Die Überwinterung findet in den flachen Sunden Dänemarks statt, ehe die laichreifen Tiere in die Ostsee zurückkehren. Wichtigster Laichplatz ist der Greifswalder Bodden, dem somit schon allein aus fischereiwirtschaftlichen Gründen eine erhebliche Bedeutung zukommt. Die Heringe der östlichen Ostsee, die vor allem in den finnischen Gewässern befischt werden, sind gewöhnlich kürzer als 25 cm (meist 15–20 cm) und gehören einer eigenen Unterart Clupea harengus membras an. Die Schwärme halten sich vorwiegend nachts im Oberflächenwasser auf und wandern tagsüber in die Tiefe ab.
Katerstimmung und Weidenrinde Schon in den frühen Hochkulturen war bekannt, dass man mit Extrakten aus der Rinde von Weiden Fieber und Schmerzen wirksam bekämpfen konnte. Schon in den frühen medizinischen Schriften von Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.), Dioskurides (genauere Lebensdaten unbekannt) und Plinius dem Älteren (23–79) wird die Weidenrinde ausdrücklich als Arznei empfohlen. Auch den Germanen und Kelten war der offenbar heilsame Gebrauch von Weidenrinde offenbar durchaus bekannt. Von der antiken bloßen Naturerfahrungsmedizin bis zum tatsächlich als solchen weithin (an)erkannten Wirkstoff war allerdings noch ein weiter Weg zu beschreiten. Die (auch) in den heimischen Weiden (Gattung Salix ) (Abb. 1.3) enthaltene Verbindung Salicylsäure beschäftigte im Jahre 1897 den bei den damaligen Farbenfabriken Bayer (FFB) beschäftigten Chemiker Felix Hoffmann (1868–1946), stark motiviert durch die Sorge um seinen rheumakranken Vater. Am 10. August 1897 gelang ihm im heutigen Wuppertal-Elberfeld die Umwandlung
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Abb. 1.3 Der wirksame Grundstoff von Aspirin ist in der Rinde der heimischen Weiden-Arten enthalten, so auch in der an Fluss‑ ufern häufigen Purpur-Weide
der labilen Salicylsäure auf einem vergleichsweise einfachen Syntheseweg durch Anhängen eines EssigsäureRestes zur wesentlich haltbareren Acetylsalicylsäure. Die nachfolgende Erprobung bestätigt, dass damit tatsächlich ein wirksames und verträgliches Medikament gefunden wurde, das gleichermaßen Schmerzen lindert, Entzündungen hemmt, Fieber senkt sowie die elenden Brummschädel nach heftig durchlebten Nachtstunden erträglicher gestaltet – und das alles ohne die bislang eher unangenehmen Nebenwirkungen der reinen Salicylsäure. Ob tatsächlich Felix Hoffmann oder sein Mitarbeiter Arthur Eichengrün (1867–1949) als tatsächlicher Entdecker der Acetylsalicylsäure (ASS; in ganz moderner, weil internationalen Standards folgender Nomenklatur 2-Acetoxybenzoesäure) gelten kann, ist bis heute wegen fehlender Zeitzeugen ungeklärt. Die offizielle Firmenhistorie von Bayer hält konstant am Namen von Felix
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Hoffmann fest, obwohl es auch neuere andere Studien gibt, die abweichende Ergebnisse vorlegen. Unter der Bezeichnung Aspirin ist die Acetylsalicylsäure in ihren unterdessen verschiedenen Darreichungsformen heute eines der weltweit erfolgreichsten Medikamente generell und gilt nach Verlautbarungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar als eine der unentbehrlichsten Arzneien überhaupt. Den heute überall in der Welt bekannten Warennamen prägte der in Halle/Saale am damaligen Diakonissenkrankenhaus wirkende Oberarzt Kurt Wittbauer (1865–1911), der die erste klinische Studie über die Wirksamkeit der Acetylsalicylsäure veröffentlichte. Er leitete den von ihm gewählten Arzneimittelnamen Aspirin von der Pflanzenart Echtes Mädesüß (früher Spiraea ulmaria, heute Filipendula ulmaria ) ab (Abb. 1.4), wobei das „A“ für die folgenreiche Acetylgruppe, und „spirin“ für den spezifischen Inhaltsstoff der Spiräen steht. Die Gattung Spiraea gehört zu den Rosengewächsen. Das in Feuchtwiesen und an Gräben vorkommende Mädesüß stellt man heute allerdings in die
Abb. 1.4 Als das Mädesüß noch Spiraea ulmaria hieß, leitete man davon den Handelsnamen Aspirin ab
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Gattung Filipendula. Die zahlreichen Blüten dieser durchaus dekorativen Art duften enorm stark. Ihr intensiv süßliches Aroma verstärkt sich nach dem Trocknen sogar noch. Der Markenname Aspirin ist seit 1899 gesetzlich geschützt.
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Für den 6. Januar vermeldet wirklich jeder profane Kalender den besonderen Tageseintrag Dreikönigsfest oder Heilige Drei Könige. Unter dieser populären Bezeichnung ist er als Feiertag im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt und wegen der damit obrigkeitlich verordneten, weil zugewonnenen Freizeit auch überaus beliebt. Kirchlich und liturgisch korrekt heißt dieser Tag in der evangelischen wie in der katholischen Kirche übrigens Epiphanie bzw. (nach dem griechischen Genitiv) Epiphanias, übersetzt mit (Fest der) Erscheinung des Herrn. Die unter diesen beiden Benennungen begangenen kirchlich-theologischen Inhalte sind erkennbar verschieden und erschließen sich daher nicht so ganz einfach. Daher empfiehlt sich zunächst ein kleiner orientierender Überblick.
Die antiken Ursprünge Im antiken Ägypten gedachte man in der Nacht zum 6. Januar feierlich der Geburt des Sonnengottes Aion aus der Jungfrau Kore und begab sich bei Tageslicht zum Nil, um dort Heil bringendes Wasser zu schöpfen. Im frühen Christentum feierte man am 6. Januar das Erscheinen von Christus in der Welt, eben die Menschwerdung Gottes durch die Geburt seines Sohnes. Anknüpfend an die antike Tradition thematisierte das Fest der Epiphanie, fallweise, aber nicht unbedingt zutreffend auch Theophanie genannt, also das plötzliche Sichtbarwerden Gottes in der Welt. Es war aber nie das eigentliche Geburts(tags)fest des Gottessohnes; dieses verlegte man erst deutlich später im 4. Jahrhundert auf der Basis des Lukas-Evangeliums (Weihnachtsgeschichte nach Lk 1, 1 ff.) auf den 25. Dezember. Mit Epiphanie verband das frühe Christentum in den Lesungen gleich mehrere biblische Motive, nämlich
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die Taufe Jesu im Jordan (Joh 1, 32–34), das Weinwunder (sein erstes …) anlässlich der Hochzeit zu Kana (Joh 2, 12) sowie die Anbetung des Kindes durch die Weisen (Mt 2, 2). Mit der Begehung der Taufe und dem Weinwunder, dem jeweils ein besonderes Wasserschöpfen voranging, fallen bemerkenswerte Parallelen zum altägyptischen Sonnengott-Fest auf. Erst im Mittelalter trennte die Kirche diese Inhalte und verschob sie im Kirchenjahr auf die folgenden Sonntage. Nur die Anbetung des Kindes verblieb auf dem 6. Januar. Damit rückten die heute so benannten Heiligen Drei Könige stark in den Mittelpunkt.
Magier aus dem Morgenland Die Geschichte von den Weisen, die sich nach Bethlehem aufmachen, um dort das neugeborene Kind als künftigen König der Juden anzubeten, bildet den Anfang des Matthäusevangeliums (Mt 2, 1–12). Der griechische Urtext spricht von magoi = Magiern. Die fragliche Textstelle benennt allerdings weder Anzahl, Namen, genaue Herkunft, Reiseroute oder Stand der beteiligten Personen. Je nach Übersetzung der Bibel werden sie als Magier, Sterndeuter, Weise oder Wissende bezeichnet. Die moderne Einheitsübersetzung der Bibel nennt sie einfach Sterndeuter. Nach Mt 2, 2 berichteten sie vor Herodes, dass sie einen besonderen Stern haben aufgehen sehen und diesem himmlischen Zeichen nach Judäa gefolgt sind. Als Könige werden sie allerdings erst im 3. Jahrhundert bezeichnet. Aus der berichteten Anzahl der in Bethlehem überreichten Geschenke – Gold, Weihrauch und Myrrhe – schließt der aus Ägypten stammende frühe Kirchengelehrte Origenes (195–254), dass es wohl drei Sterndeuter gewesen sein
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müssten. Ihre heute bekannten Namen Caspar, Melchior und Balthasar erhielten sie so erst frühestens im 6. (nach anderen Angaben erst im 8. oder gar im 9.) Jahrhundert. Weil zu dieser Zeit noch die Überzeugung herrschte, die Erde umfasse nur drei Erdteile, ordnete man je einem dieser Könige einen eigenen Kontinent zu. Zudem sollen die drei Weisen verschiedene Lebensalter repräsentieren. In der Kunst – so auch auf dem berühmten im Kölner Dom zu bewundernden Altar der Stadtpatrone (1442) von Stefan Lochner (ca. 1400–1451) – erscheinen gewöhnlich der jugendliche Caspar als Myrrhe überreichender Afrikaner, der schon gereiftere Balthasar als asiatischer König mit Weihrauch und schließlich der greise Melchior mit Goldschätzen aus Europa. Die entsprechende Ikonografie ist jedoch überhaupt nicht einheitlich. Wer von den dreien eigentlich der „Mohr“ ist, stellen verschiedene Kunstwerke ganz unterschiedlich dar. Unklar bzw. unerwähnt bleibt in der Erzähltradition der Bibel allerdings, warum Maria und Josef mit ihrem Neugeborenen selbst Tage oder sogar Wochen bis zum Eintreffen der drei Weisen immer noch im Stall in Bethlehem verharrt haben.
Der Stern von Bethlehem Viele künstlerische Darstellungen zeigen den wegweisenden Stern von Bethlehem als Kometen mit langem, geschwungenem Schweif – etwa vom Typ des berühmten Halley’schen Kometen, der nach dem verdienstvollen englischen Astronomen Edmond Halley (1656–1747) benannt ist. Halley bestimmte im Jahre 1705 seine Umlaufzeit zu 76 Jahren und prognostizierte daraufhin dessen Wiederkehr zutreffend für 1758/59. In der Antike galten Kometen jedoch durchweg als Unglücksboten. Ver-
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mutlich wären sie für die damaligen über entsprechendes Wissen verfügenden Sterndeuter sicher kein unbedingt einladendes Signal für ihre mit Huldigungsabsichten unternommene Reise nach Bethlehem gewesen. Außerdem war der Halley’sche Komet zur damaligen fraglichen Zeit nach moderner Rückrechnung nur im Jahre 12 v. Chr. und dann erst wieder 64 n. Chr. zu sehen. Nun beobachtete der damals in Prag wirkende Astronom Johannes Kepler (1571–1630) just an Weihnachten des Jahres 1603 eine bemerkenswert nahe Begegnung der drei Planeten Merkur, Jupiter und Saturn, die als eng benachbartes Ensemble ein auffällig leuchtendes Gesamtbild boten. Kepler rechnete anhand der von ihm aufgefundenen Gesetzmäßigkeiten (Kepler’sche Gesetze) zurück und fand überraschend heraus, dass im Jahre 7 v. Chr. tatsächlich eine vergleichbare Begegnung zumindest der beiden Riesenplaneten Jupiter und Saturn stattgefunden hat. Das Jahr „7 vor“ wird heute aus hier nicht weiter zu verfolgenden Gründen übrigens als tatsächliches Geburtsjahr Christi diskutiert. Schließlich beobachtete Kepler am 9. Oktober 1604 auch noch eine Supernova – die gewaltige Explosion eines zum Roten Riesen aufgeblähten Sterns vom Typ unserer Sonne, der am Ende seiner regulären Betriebszeit plötzlich kollabiert und dann durch kurzfristig heftigst ablaufende Kernreaktionen zum gigantischen Lichtspektakel aufflammt. Die Erklärung dieser Abläufe kannte Kepler natürlich noch nicht, aber das hell leuchtende Neuobjekt am Sternenhimmel – eben eine Supernova – gab ihm doch zu denken. Für den Zeitraum um Christi Geburt sind allerdings leider keine Ereignisse dieser Art bekannt – auch frühere Supernovae kann man heute mit astronomischen Methoden recht zuverlässig datieren. Vielleicht bleibt es also bei der Interpretation mancher Bibelforscher, die darauf verweisen, dass beispielsweise
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auch die Geburt des Kaisers Augustus nachträglich als „aufgehender Stern“ gefeiert wurde und somit nicht als astronomisches Ereignis, sondern lediglich literarischsymbolisch zu verstehen ist.
Die Könige kommen nach Köln Strapazieren eigentlich schon der biblische Bericht bei Matthäus und erst recht die nachfolgend entstandenen frommen Legenden aus heutiger Sicht die kritische Einsicht, so gilt das erst recht für die nun einsetzenden Entwicklungen. Nach alten Berichten soll Helena (248/249–328/329), die Mutter des römischen Kaisers Konstantin (ca. 280–337), die Gebeine der damals so noch nicht benannten Heiligen Drei Könige (wo? wie? wann?) aufgefunden und nach Konstantinopel gebracht haben. Wahrscheinlich erst im 12. Jahrhundert, möglicherweise aber schon deutlich früher, gelangten sie von dort als Geschenk nach Mailand in die seinerzeit etwas außerhalb gelegene Kirche Sant’ Eustorgio – die ganz genauen Umstände sind aber nicht überliefert. Als Friedrich Barbarossa (1122–1190) während seiner Italienfeldzüge schließlich auch Mailand eroberte, beschlagnahmte er die Reliquien kurzerhand und übergab sie seinem Reichskanzler und Erzbischof Rainald von Dassel (1159– 1167), der sie 1164 nach Köln brachte. Hier feiert man am 23.Juli mit mancherlei Zeremonien den Gedenktag der Übertragung. Entlang des Transportweges über die Alpen finden sich übrigens bis heute bemerkenswert viele Gasthäuser mit aufschlussreichen Bezeichnungen „Zur Krone“ oder gar „Zum Mohren“. In Köln spricht man heute angesichts dieser rechtlich sicherlich nicht ganz unproblematischen Transaktion gerne von „klerikalem Knochen-Klau“.
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Aber immerhin: Hier ließ man für deren Aufbewahrung 1180–1225 durch die Werkstatt des Nikolaus von Verdun (1130–1205) den überaus kostbaren Dreikönigenschrein anfertigen (vgl. Kapiteleingangsbild) – zunächst noch aufgestellt im romanischen Hilleboldsdom, dessen Grundmauern man im archäologischen Grabungsbereich unter dem heutigen Dom bewundern kann. Der nunmehr massiv einsetzende Pilgerstrom – selbst die deutschen Könige und Kaiser suchten ihn vor ihrer Krönung in Aachen geradezu routinemäßig auf – erforderte schon bald einen größeren Neubau. So kam es 1248 zur Grundsteinlegung für den hochgotischen Dom, an dem man bis 1560 baute. Nach 282 Jahren Bauunterbrechung wurden die Arbeiten erst im Jahre 1834 neugotisch fortgeführt und 1880 in nur 36-jähriger Bauzeit (vorerst) vollendet – auch dies ist eine kulturhistorisch faszinierende Geschichte, deren Details wir uns hier ersparen müssen. Nach mehrheitlicher Einschätzung der Kunsthistoriker verkörpert dieses Bauwerk die reinste und umfassend formvollendete Gotik in Europa. Übrigens: Den nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs neukonstruierten Vierungsturm des Kölner Doms ziert nicht – wie sonst üblich – ein Kreuz oder gar ein Wetterhahn, sondern bezeichnenderweise ein vergoldeter Stern, denn: Rund 100 m tiefer ruhen in ihrem prächtigen Schrein die (angeblichen) Gebeine der Heiligen Drei Könige, auch symbolisiert durch drei goldene Kronen im Kölner Stadtwappen. In den meisten kirchlichen wie auch privaten Krippendarstellungen kommen sie figürlich – begleitet von einem geschmückten Kamel (Abb. 2.1) – tatsächlich erst am 6. Januar und somit an ihrem Namensfest zum Einsatz. Aber noch etwas: Eine offizielle Heiligsprechung (Kanonisierung) der drei prominenten orientalischen Pilger hat es nie gegeben. Immerhin: Die (katholische)
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Abb. 2.1 Das Fortbewegungsmittel der drei Weisen war gewiss das Dromedar – wie es auch zu fast allen Krippendarstellungen gehört
Kirche duldet die Bezeichnung und den mit ihnen verbundenen Kult stillschweigend. Zudem sind sie als Bedeutungs- und Symbolträger aus den zahllosen Krippendarstellungen einfach nicht wegzudenken, obwohl sie weder Heilige noch Könige waren. Aber der Volksfrömmigkeit tut das keinen Abbruch.
Königliche Geschenke Weihrauch kennt man aus der Liturgie der katholischen Kirche als unentbehrliche rituelle Zutat besonders festlicher Gottesdienste. Den angenehm aromatisch duftenden Verbrennungsprodukten der dafür eingesetzten Weihrauch-Harze, die auch noch so überzeugend zu Himmel steigen, wohnt liturgisch gesehen ein enormer Symbolwert inne. Ein oft gesungener Versikel im liturgischen Stundengebet lautet immerhin: „Lenke, Herr, mein Gebet wie Weihrauch zu Deinem Antlitz“. Profane Kritiker weisen auf der Basis von objektiven TÜV-Daten
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allerdings darauf hin, dass nach intensivem Einsatz von Weihrauchfässern bei besonderen Gottesdiensten der heute als problematisch angesehene Feinststaubgehalt des Kircheninnenraums in etwa dem einer stark befahrenen Verkehrsstraße oder einer früher total verrauchten Kneipe entspricht. Immerhin: Seit langer Zeit und sicherlich auch schon in der Antike begeistert der überaus angenehme Duft von verräuchertem Weihrauch die Nasen der Umstehenden. Unter Weihrauch versteht man das getrocknete Harz vor allem der Boswellia-Arten aus der Familie der Balsambaumgewächse (Burseraceae). Hauptsächlich genutzt werden die bezeichnenderweise so benannte Bowellia sacra neben Boswellia papyrifera, B. serrata und B. frereana. Alle Arten wachsen in felsigen Halbwüsten Ostafrikas und erreichen meist nur Wuchshöhen bis etwa 8 m. Gezielte Schnitte in Stamm und Äste der benannten Gehölzarten provozieren den Austritt einer klebrig-milchigen Flüssigkeit, die an der Luft zu einem festen Harz trocknet (Abb. 2.2). Ab April beginnt die Harzproduktion. Je Baum können etwa 3–10 kg Harz geerntet werden. Der
Abb. 2.2 Der für kirchliche Zwecke eingesetzte Weihrauch ent‑ hält viele weitere duftende Zutaten diverser Herkunft
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Abb. 2.3 Der wichtigste Weihrauchlieferant der Gattung Boswellia ist ein trockenheitstoleranter Strauch der ost‑ afrikanischen Halbwüsten
größte Teil der Weihrauchharz-Produktion stammt heute aus Somalia (Abb. 2.3). Die übrigen Anteile verteilen sich vor allem auf Arabien, Eritrea, Äthiopien und den Sudan – allesamt Gebiete, in denen eine geregelte und zukunftsorientierte Volks- bzw. Landwirtschaft wegen des allenthalben zu beklagenden politischen Chaos eher ein Fremdwort ist. In der traditionellen indischen Ayurveda-Medizin wird das vor allem aus dem Salaibaum (Boswellia serrata) gewonnene Harz sogar als Indischer Weihrauch im Europäischen Arzneibuch geführt. Seine pharmakologisch wirksamen Hauptkomponenten sind α-Thujen, β-Myrcen, p-Cymol und neben weiteren Komponenten auch Methyleugenol, die man in ähnlicher Mischung von vielen typischen und heute beliebten Gartenkräutern kennt. Daneben sind im komplexen Inhaltsstoffbild auch besondere Harzsäuren (u. a. Boswellia-Säuren) vertreten. Die kirchlich-liturgisch eingesetzten Weihrauchharze sind heute in aller Regel nicht mehr nur die Rindenexsudate der Boswellia-Arten, sondern weitaus komplexere
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Mischungen verschiedener pflanzlicher Duftspender (Abb. 2.3). Die reinen Boswellia-Harze teilen sich den sensiblen Nasen der unmittelbar betroffenen Kleriker und der eher mittelbar teilhabenden Gläubigen mitunter mit einer ein wenig beißenden Note mit. Deswegen werden ihre spezifischen Duftnoten durch diverse Zusätze deutlich abgemildert. Hierfür sind unter anderem Späne von Sandelholz, ferner die getrockneten Blüten von Lavendel oder anderer Duftkräuter sowie die leicht verräucherbaren und technisch auf verschiedenen Wegen gewonnenen Harze von Gehölzen der Gattungen Styrax sowie Liquidambar im Einsatz. Internetangebote überraschen mit einer so vielleicht nicht unbedingt erwarteten Produktvielfalt nicht nur für rein kirchliche Zwecke.
Myrrhe – ebenfalls eine durchaus harzige Angelegenheit Mit dem weiteren königlichen Geschenk Myrrhe bezeichnet man vor allem man das Harz der Gehölzart Commiphora molmol oder der Commiphora myrrha (Abb. 2.4). Vor allem bei der letzteren Spezies handelt es sich um eine Arzneipflanze mit geradezu biblischer Tradition und um eines der ältesten phytotherapeutisch etablierten Heilmittel der Menschheit. Die Art, erstmals beschrieben nach Sammlungsmaterial aus dem Bonner Botanischen Garten von dem verdienstvollen Bonner Botaniker Christian Gottfried Nees von Esenbeck (1776– 1858), stellt man heute ebenfalls in die überwiegend in den trockenen Wärmegebieten verbreitete Familie der Balsambaumgewächse (Burseraceae), die in Mitteleuropa keine Vertreter aufweisen.
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Abb. 2.4 Myrrhe kommt als bernsteinfarbenes Granulat in den Handel
Neben Weihrauch spielte gerade die Myrrhe in den frühen Hochkulturen eine besondere, wenn nicht sogar herausragende Rolle. Der griechische Autor Plutarch (46–119) berichtet, dass man in Ägypten in bestimmten Tempeln sogar drei Mal täglich ein besonderes Räucheropfer zelebrierte – morgens mit Weihrauch, mittags mit Myrrhe und abends mit einer heute nicht mehr genau zu entwirrenden Räucherwerk-Mischung aus diversen Spezies. Verständlich, dass die offenbar hochgeschätzte Myrrhe schon im Alten Testament schon als Bestandteil von Salböl gebührend erwähnt wird (Exodus 30, 23–25). Sonst erscheint die Myrrhe meist im Zusammenhang mit Hochzeit und Liebeswerbung (so etwa Ps 45, 8 f.; Spr. 7, 17; Est 2, 12 sowie Hld 1,13; 3,6; 4,14; 5,1; 5, 13), womit offensichtlich immer eine Art Parfum gemeint ist. Myrrhe gilt als eine geradezu biblische Medizin. Aber auch nach Dioskurides (genaue Lebensdaten nicht bekannt) hilft Myrrhe gegen chronischen Husten, Brustschmerzen und Diarrhöe. Heiserkeit, Mundgeruch und Darmwürmer waren weitere wichtige Anwendungsgebiete.
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Die arabische Medizin empfiehlt die offenbar bewährte Droge – insbesondere durch ihren bedeutenden, aus dem heutigen Usbekistan stammenden Vertreter Ibn Sina Abu Ali al Hussain (= Avicenna, ca. 980–1037). Sogar die bedeutende mittelalterliche Naturheilkundlerin Hildegard von Bingen (1098–1179) widmet ihr in ihrem Hauptwerk „Physica“ eine umfangreiche Darstellung. In verschiedenen Zubereitungen und Darreichungsformen sind Myrrhen-Produkte auch in der modernen Pharmazie immer noch im Einsatz. Alle Commiphora-Arten sind in den Trockengebieten des subtropischen bis tropischen Afrikas verbreitet. Einige Arten finden sich auch auf Madagaskar sowie in Indien. Die meisten Arten der Gattung entwickeln Sträucher oder kleine Bäume mit bemerkenswert spitzen Sprossdornen. Das wertvolle Harz gewinnt man auch in diesem Fall durch gezieltes Anritzen von größeren Ästen und Stämmen und anschließendes manuelles Abernten (Abb. 2.5).
Abb. 2.5 Die verräucherbaren Duftharze gewinnt man aus der Rinde ausgewählter Gehölzarten – so auch aus der Myrrhe
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Ähnlicher Name, aber etwas ganz Anderes In den Hochstaudenfluren von den Pyrenäen bis zum Kaukasus kommt der bis 2 m Wuchshöhe erreichende Myrrhenkerbel (Myrrhis odorata) (Abb. 2.6) vor. Alle Teile der Pflanzen duften intensiv süßlich nach Anis, weswegen man sie auch Süßdolde nennt. Ihre großen, mehrfach gefiederten Blattspreiten sind unterseits weich behaart und deutlich größer als bei den ähnlich aussehenden Arten Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris) oder den Kälberkropf-Arten (Chaerophyllum spp.). Von diesen nur wenig bis gar nicht duftenden Arten unterscheidet sie sich durch vor allem durch ihre ätherischen Öle mit den Hauptkomponenten Anethol, Caryophyllen, Limonen, Myrcen und Estragol. Myrrhenkerbel ist eine essbare Wildpflanze. Verwendet werden vor allem die jungen Blätter zu Wildkrautsalaten, Saucen und Fischgerichten. Auch die gekochten Wurzeln sind ein empfehlenswertes Wildgemüse. Die im Herbst geernteten Früchte enthalten
Abb. 2.6 Myrrhenkerbel duftet zwar sehr angenehm, liefert aber kein Duftharz
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ebenfalls die als angenehm empfundenen Aromastoffe. Setzt man sie gemahlen säuerlichen Fruchtkompotts zu, lässt sich die Zuckerung deutlich verringern. Extrakte aus dem Myrrhenkerbel sind in den meisten Klosterlikören der benediktinischen Tradition (beispielsweise im Chartreuse ) enthalten. Als traditionelle Bauerngartenpflanze ist die übrigens recht dekorative Art auch aus ökologischen Gründen für moderne Hausgärten sehr zu empfehlen. Eine etwaige Quelle der Verwirrung könnte auch die Braut-Myrte (Myrtus communis) bieten – ein dekorativer, immergrüner Strauch mit aromatisch duftenden Blättern, aus dem man die Blattöle für verschiedene Verwendungen gewinnt. Die Art ist in den Macchien bzw. Felsgebüschen der Mittelmeerländer beheimatet und wird sortenreich auch in Gärten angepflanzt. Als Kübelpflanze ist sie sogar für das mitteleuropäische Klima geeignet.
Dromedar oder Trampeltier In fast allen figürlichen Krippendarstellungen tritt mit dem Erscheinen der Heiligen Drei Könige – und termingerecht aufgestellt tatsächlich erst am 6. Januar – ein Kamel als Begleiter eines der drei Weisen auf. Zoologischbiogeographisch korrekt ist das Dromedar oder Einhöckerige Kamel (Camelus dromedarius) der geeignete Kandidat, der wild in den Wüsten Nordafrikas und Südwestasiens vorkam und in Arabien wahrscheinlich schon lange vor dem ersten christlichen Jahrtausend domestiziert wurde (Abb. 2.1). Die Wildart starb jedoch schon in der biblischen Antike aus bzw. wurde ausgerottet. Domestizierte Dromedare sind heute überall im vorderen Orient sowie in großen Teilen Afrikas verbreitet. Selbst in den ziemlich trostlosen Outbacks in Zentralaustralien
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finden sich größere Bestände halbwild vorkommender Dromedare. Als Last- und Reittiere haben sie vor allem im Orient eine lange Tradition – so werden auch die drei biblischen Weisen aus dem Morgenland nicht nur mit einem Individuum nach Bethlehem gekommen sein, sondern womöglich mit einer größeren Karawane – und eventuell auf der berühmten die Arabische Halbinsel querende Weihrauchstraße von Oman nach Damaskus, einer der weltweit ältesten Handelsstraßen überhaupt. Immerhin: Alle Krippendarstellungen bis in die Neuzeit verwenden – biogeographisch völlig korrekt – das einhöckerige Dromedar als Symbolfigur, allerdings immer nur in Einzahl. Das Zweihöckerige Kamel oder Trampeltier (Camelus bactrianus) hat dagegen keine biblische Tradition. Es stammt aus dem Steppengrasland der Mongolei und wurde unabhängig etwa 2500 v. Chr. in den Hochländern des nördlichen Irans bzw. im Südwesten Turkestans domestiziert. Kamele sind im Unterschied zu allen übrigen Huftieren Sohlengänger, die mit ausgeprägten Schwielensohlen auftreten – eine für den ursprünglichen Lebensraum optimale Anpassung. Typisch für alle Kamele sind auch die gespaltene Oberlippe – für das Abweiden der meist ziemlich kleinblättrigen Halbwüstenpflanzen somit bestens geeignet – und der ausgeprägte Passgang.
3 Valentinstag – ein besonderes Fest der Verliebten
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_3
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Traditionell begeht die katholische Kirche am 14. Februar das Namensfest des heiligen Valentin, Bischof von Terni (unbekannt–269). Dieser Gedenktag wurde schon unter dem Pontifikat von Papst Gelasius (492–496) eingeführt. Spätestens seit dem 5. Jahrhundert ist in Rom die geradezu kultische Verehrung Valentins nachweisbar, weshalb manche Darstellungen ihn auch Valentin in Rom nennen. Die Kirchenhistorie kennt indessen noch einen weiteren Heiligen dieses Namens, nämlich Valentin von Rätien (ca. 400–475, der nach seiner Vertreibung aus Passau in Südtirol lebte, als Einsiedler in der Zenoburg bei Meran verstarb und dort auch beigesetzt wurde. Sein Namenstag ist der 7. Januar. Ferner gibt es als möglichen dritten Namensträger noch Valentin von Viterbo, weil hier im 8. Jahrhundert eine nach ihm benannte Kirche S. Valentino bezeugt ist. Fachleute halten allerdings Valentin von Viterbo und Valentin von Terni für identisch.
Von Lichtmess zu den Liebenden Ursprünglich beging die katholische Kirche am 14. Februar das Fest Mariä Lichtmess – so genannt wegen der früher zu diesem Termin vielerorts stattfindenden Lichterprozessionen, die gleichzeitig das Winterende beschworen. Spätestens zu diesem Termin wurde auch der Weihnachtsbaum abdekoriert und die Krippe verpackt. Nachdem aber schon recht früh im 4. Jahrhundert die Verlegung des Weihnachtsfestes vom 6. Januar auf den 25. Dezember (eben die ursprüngliche heidnische Julnacht) erfolgte, rutschte das traditionelle Marienfest konsequenterweise auf den 2. Februar, an dem man es bis heute als Ende des Weihnachtsfestkreises begeht. Damit war der 14. Februar zunächst sozusagen motivisch unbesetzt und thematisierte in der Folgezeit in gewisser inhaltlicher Umwidmung das Verhältnis von Braut und Bräutigam.
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Zur spezifischen Rolle des Valentin von Terni entstanden im Laufe der Zeit zahl- und variantenreiche Legenden, die zwar allesamt historisch nicht belegbar sind, aber irgendwie die Volksseele tief berühren. Diese unsichere Faktenlage ist zudem vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Zweite Vatikanische Konzil Valentin von Terni im Jahre 1970 tatsächlich aus dem offiziellen Heiligenkatalog gestrichen hat. Aber immerhin strahlte Radio Vatikan noch vor wenigen Jahren einen erstaunlichen Funkbeitrag aus, der den wohl doch eher legendären Valentin als ebenso legendären, aber überaus populären Liebespatron thematisierte: Danach hatte Valentin offenbar die sympathische Gewohnheit, Brautleuten, die ihn besuchten, eine Blume aus seinem Garten zu schenken und Glück in der Ehe zu wünschen. Außerdem soll er zahlreiche Paare heimlich getraut haben, die aus politischen bzw. militärischen Gründen nicht heiraten durften oder konnten. Diese riskante Auflehnung gegen die Obrigkeit wurde ihm angeblich zum Verhängnis – denn in Rom soll er im Jahre 269 hingerichtet worden sein.
Wie ein Brauch entsteht Nach besser gesicherter Überlieferung haben wohl anfangs vor allem die höfischen Kreise in England den Valentinstag als Tag der Verliebten begangen. Darauf verweist zumindest ein vom seinerzeit bedeutenden englischen Dichter Geoffrey Chaucer (ca. 1340–1400) überliefertes Poem. Vor allem im Umfeld des englischen Königshauses pflegte man die Tradition der Bräuche, Gedichte und Liebesbriefe am Valentinstag. Junge adelige Männer wählten im damaligen England eine angebetete Valentine und ließen ihr an besagtem Tag eine kleine Aufmerksamkeit zukommen. Bezeichnenderweise legt William Shakespeare (1564–1616) im 1599 entstandenen
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Hamlet seiner tragischen Figur Ophelia die folgenden bezeichnenden Zeilen in den Mund: „Auf Morgen ist Sankt Valentins Tag. Wohl an der Zeit noch früh. Und ich, eine Maid am Fensterschlag, will sein eure Valentine.“ Im kontinentalen Europa hat man dem Valentinstag dagegen zunächst wohl nur wenig Interesse entgegengebracht. Von England wanderte das dort offenbar fest etablierte Valentinsbrauchtum als „Tag der familiären Beziehungen“ irgendwann im 19. Jahrhundert nach Nordamerika aus und kam spätestens am Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem folgenreichen und nicht immer besonders geschätzten US-Militär zurück nach Europa.
Blumen zum Valentinstag Wenn man sich die heutigen Werbefeldzüge im geraumen zeitlichen Vorfeld des 14. Februar anschaut, gelangt man vorschnell zu der Überzeugung, der Valentinstag sei ein überaus gelungener Marketinggag der Floristenbranche (Abb. 3.1) und geradezu verschwörerisch flankiert von
Abb. 3.1 Rote Rosen sind in ihrem Aussagewert kaum zu toppen
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den analogen Angeboten der Süßwarenindustrie. Schon seit 1947 bewerben nämlich die Floristenverbände in Belgien, Frankreich und der Schweiz dieses ausdrücklich so deklarierte Fest der Liebenden – wer könnte diesem animativen Motiv tatsächlich ernsthaft widerstehen. In Deutschland fand es erst nach 1950 zunächst nur wenig Beachtung. Hier gelang der entscheidende Durchbruch wohl erst anfangs der 1970er Jahre. Seither bietet der Fachhandel – außer dem ausdrücklich beworbenen Blumenstrauß – jede Menge sonstiger Accessoires in einer beachtlichen geschmacklichen Bandbreite an – vom simplen Sticker bis hin zum samtenen Kunststoffherz mit Thermometer. Außerdem finden sich im Internet mengenweise Gutscheine für kleine Liebesdienste und spezifische Interpretationshilfen für die früher viel intensiver bemühte Blumensprache. Zudem: Am Valentinstag lässt man nicht nur die Blumen sprechen. Die heute üblichen Kommunikationskanäle wie SMS oder irgendwelche sozialen Netzwerke werden daher ebenfalls recht heftig bemüht.
So ganz und gar nicht zuletzt Bemerkenswerterweise findet der in der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der partnerschaftlichen Beziehungspflege begangene Gedenktag des möglicherweise doch eher legendären Valentins in jüngerer Zeit in vielen evangelischen und katholischen Pfarreien erstaunlicherweise wiederum zunehmende Aufmerksamkeit, zumal ihm im Prinzip eine durchaus beachtenswerte evangeliale Botschaft innewohnt. Damit hält das tradierte Brauchtum gleichsam wieder erneut und sogar verstärkt Einzug in die heutige kirchliche Praxis. Den Ausgangspunkt markiert offenbar eine erstmals am Valentinstag 2000 in Erfurt
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begangene Liturgiefeier. Seither gibt es in vielen Städten am 14. Februar spezifisch thematisch ausgerichtete Gottesdienste bzw. Segnungsfeiern für verliebte Paare – selbst in der Hohen Domkirche zu Köln.
Rosen stehen für innige Gefühle Zum Valentinstag Mitte Februar hält der kalenderbewusst intensiv werbende Blumenfachhandel durchaus eine Menge typischer Frühblüher bereit. Die gezielte Nachfrage bei diversen Fachhändlern lieferte indessen ein so vielleicht nicht erwartetes, aber durchaus verständliches Bild: Absolut und weit abgeschlagener Spitzenreiter bei den am Valentinstag überreichten Gebinden sind keineswegs die als vielleicht etwas schnöde empfundenen Tulpen, sondern erwartungsgemäß die ungleich heftiger symbolträchtigen, weil (dunkel)roten Rosen. Natürlich wären auch nett gebundene Sträuße in sonstiger floraler Komposition à la saison eine durchaus geeignete Botschaft, aber nach den aktuellen Erfahrungsberichten aus der Floristenbranche sind vor allem langstielige rote Rosen offenbar absolut nicht zu toppen. An kaum einem anderen Tag werden nach übereinstimmender Branchenaussage in Deutschland mehr Blumen verkauft.
Recht komplexe Verhältnisse Die Botanik nicht nur der im Blumenladen gehandelten Rosen ist indessen äußerst komplex, um nicht zu sagen unübersichtlich – ein im Jahre 1829 erschienener französischer Rosenkatalog listete immerhin bereits 2562 Sorten auf. Wer soll die unterscheiden können? Sicher ist nur Folgendes: Am extrem vielfältigen und sich zudem
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Abb. 3.2 Die heimischen Wildrosen wie die verbreitete HeckenRose haben zum heutigen Sortenbild wenig bis gar nichts bei‑ getragen
Abb. 3.3 Auch die heute in der Naturlandschaft als Neophyt weit verbreitete und sehr ansehnliche Runzelblättrige Rose ist am modernen Sortenbild der Gartenrosen nicht beteiligt
ständig verändernden Sortenbild sind die heimischen Wildrosen (Abb. 3.2 und 3.3) so gut wie gar nicht beteiligt. Die schier endlose Sortenliste der Strauch- und Parkrosen, der Beet-, Edel-, Kletter- und Bodendeckerrosen gehen wohl mehrheitlich allesamt auf asiatische
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Arten zurück, die durch tatsächlich schon jahrtausendelange Auslesezüchtung und gezielte (Rück-)Kreuzungen zum heutigen variantenreichen Erscheinungsbild fortentwickelt wurden. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (ca. 490–424 v. Chr.) erwähnt immerhin schon um 400 v. Chr. eine gefülltblütige, etwa 60-blättrige Rose aus dem Garten des phrygischen Königs Midas. Sein literarisch aktiver Landsmann Theophrast (ca. 370– 287 v. Chr.) ist der erste nachweisbare Autor, der von Rosen mit bis zu über 100 Kronblättern (hekaton phylla) berichtete – eine Sortengruppe, die man später Centifolien (Rosa × centifolia) nannte. Als wichtige Stammform aller europäischen Gartenrosen ist die vor allem in Südeuropa und in Kleinasien beheimatete Essig-Rose (Rosa gallica) (Abb. 3.4) anzusehen, die trotz ihres botanischen Namens nicht im römischen Gallien zu Hause ist, sondern dorthin erst viel später verbracht wurde. In Deutschland kommt sie wild nur südlich von Main und Mosel an Waldrändern in den Kalkgebieten vor und auch dort nur sehr selten. Die älteste Kulturrose überhaupt ist ver-
Abb. 3.4 Die Essig-Rose ist eine der wichtigsten Stammarten der heutigen Kulturrosen
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mutlich die Hybride Rosa × damascena. Schon lange vor unserer modernen Zeitrechnung war sie im Mittelmeerraum in Kultur. Nördlich der Alpen wurde sie erst durch die Römer bekannt. Bei diesen Formen handelt es sich um frühe Arthybriden der Spezies Rosa gallica und Rosa phoenicea. Vermutet wird auch, dass am heutigen Sortenbild fallweise auch die asiatisch Moschus-Rose (Rosa moschata) beteiligt sein. Selbst mit den modernsten molekulargenetischen Methoden ist die ganz genaue Genealogie der heute überaus beliebten Gartenrosen kaum noch zuverlässig aufzufasern oder gar nachvollziehbar zu begründen. Man muss diese ganz einfach als bewundernswerte Dokumente dafür verstehen, dass züchterisch gezielt vorgenommene Kreuzungen bzw. Rückkreuzungen und die damit zusammengeführten komplexen GenKombinationen tatsächlich eine ungeahnt breite Palette neuer und oft auch spektakulärer Formen generieren. Gerade die äußerst beliebten Gartenrosen sind – übrigens neben den nicht minder bewundernswerten Hunderassen – ein faszinierendes Beispiel für die in der Kulturpflanzenzüchtung verfolgte und recht beachtliche genetische Plastizität einer Formengruppe, die es so in der Natur überhaupt nicht gibt.
Beachtliche Kulturgeschichte Rosen gehören zu den ältesten Gartenpflanzen. Schon die Babylonier verwendeten sie, und in den berühmten Hängenden Gärten der Semiramis waren sie auch vertreten. Aus diesem Umfeld wird berichtet, dass den Rosen im Kult der Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar eine bedeutende Rolle zufiel. Daraus entwickelten die Griechen den Mythos der Aphrodite, bei deren Geburt aus dem Meer ein paar Schaumflocken verdrifteten und zu den ersten
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weißen Rosen aufwuchsen. Bei den Römern nimmt die Venus das Aufgabenfeld der Aphrodite ein, und auch ihr besonderes Attribut ist eine Rose. Sie steht als Symbol für Jugend, Lebensfreude, Schönheit und Fruchtbarkeit – nicht von ungefähr vermutet man etymologische Zusammenhänge zwischen Rose und Eros. Aus der Zeit des Frühchristentums vernimmt man zur Verwendung von Rosen eher gar nichts. Erst im Mittelalter rückt sie als Symbolpflanze zunehmend in den Mittelpunkt der Marienverehrung – auch ablesbar an vielen bedeutenden Werken der Tafelmalerei: Die Madonna wurde vielfach „im Rosenhag“ dargestellt.
Lange Stiele – und ein unglaubliches Rot Alle heimischen Wildrosen wachsen als kleine bis mittelgroße Sträucher. Einige davon, so auch die weit verbreitete Gewöhnliche Heckenrose (Rosa canina) (Abb. 3.2), sind bemerkenswert erfolgreiche Klettersträucher und somit eher im Einsatzgebiet Dornröschenschloss verankert. Keine der Wildformen entwickelt nur eine bis zuletzt einigermaßen geschlossene Blüte auf einem langen, geraden und eventuell auch noch weitgehend stachellosen Stiel (Rosen tragen allesamt tatsächlich nur Stachel und keine Dornen!) – dieses spezifische Erscheinungsbild hat man den Rosen erst während der langen züchterischen Geschichte anerzogen. Jahrzehntelang war die um 1954 von der provençalischen und heute in der fünften Generation tätigen Züchterfamilie Meilland auf dem Markt etablierte Sorte’Baccara’ der absolute Star unter den langstielig Einblütigen, obwohl sie im kommerziellen Anbau nicht so ganz einfach war. Nachdem
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1974 der rechtlich wirksame Sortenschutz auslief, wurde sie von Meilland nicht mehr weiterentwickelt. Als sicherlich eine der erfolgreichsten Rosensorten weltweit ist sie derzeit jedoch kaum noch am Markt. Heute hat sie ihren unstrittig verdienten Rang allerdings längst an vergleichbare andere bzw. fortentwickelte Sorten abgegeben.
Teerosen passen auch zum Tee Ausnahmslos alle heute im Handel befindlichen und bevorzugten langstielig-einblütigen Sorten, die man gegebenenfalls auch noch am deutlich fortgeschrittenen Abend von einem fliegenden, meist dunkelhäutigen Händler in irgendeinem beliebigen Stadtrestaurant erwerben kann, gehören zur Gruppe der Teerosen (Abb. 3.5). Deren Bezeichnung leitet sich von der als Rosenzüchter besonders erfolgreichen chinesischen Großgärtnerei Fa-Ti in Kanton ab, die ihre Sorten anfangs des 19. Jahrhunderts vor allem nach Großbritannien exportierte. Deren Bezeichnung war den Briten aber offenbar zu sperrig, so dass man sie lieber einfach
Abb. 3.5 Teerosen passen natürlich auch zum Tee
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als tea roses zitierte. Mit der etwaigen Verwendung als sicherlich geeignetes Deko-Material anlässlich eines traditionellen Fünf-Uhr-Tees hat die Sortengruppenbezeichnung also definitiv gar nichts zu tun. In dieser Gruppe der Edelrosen gibt es außer der seinerzeit beliebten’Baccara’ erwartungsgemäß etliche weitere bemerkenswert erfolgreiche Sorten, von denen einige auch die Namen memorabler Politiker tragen, darunter ‚Konrad Adenauer‘ wie auch ‚Helmut Schmidt‘. Helmut Kohl kommt bislang bei den Sortennamen (noch) nicht vor.
Rosen auf Reisen Zu keinem Termin werden handelsstatistisch mehr Blumen verkauft als vor dem oder direkt am Valentinstag. Die heute (nicht nur zum Valentinstag gehandelten) mehrheitlich gewählten Rosen haben indessen oft schon eine erstaunlich weite Reise hinter sich. Am Welthandel maßgeblich beteiligte Anbauländer sind heute vor allem Äthiopien, Ecuador, Kenia und Kolumbien. Die südamerikanischen Erzeugnisse lagern schon Wochen vor dem Valentinstag in Kühlhäusern und werden vor allem von nordamerikanischen Händlern aufgekauft. Die qualitativ besten und auch etwas teureren Exemplare stammen nach Aussagen aus Fachhändlerkreisen jedoch aus den Niederlanden: Unser Nachbar führt die Importliste mit jährlich mehr als einer Milliarde (!) Stängel geradezu unschlagbar an. Die Umweltverbände weisen hingegen mit Recht darauf hin, dass gerade die außereuropäische Importware oft in erschreckendem Maße pestizidbelastet ist: Im Grunde genommen müsste man so manchen äußerst gefühlvoll überreichten Rosenstrauß vor diesem Hintergrund als Sondermüll entsorgen…
4 Fasching, Fastnacht, Karneval: Kamelle un Strüssjer
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_4
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Die närrische Zeit vor dem tristen Aschermittwoch feiert man zwar auch anderenorts mit ausgelassener Fröhlichkeit, aber vor allem in den überwiegend katholisch geprägten Gebieten rechts und links des Rheins zwischen den Großräumen Rhein-Main (mit deutlichem Zentrum Mainz) und Rhein-Ruhr (mit absolutem Epizentrum Köln) ist sie ein jahreszeitlich unüberseh- und bis heute zunehmend unüberhörbar dominantes (und bisweilen penetrantes) Phänomen. In den rheinischen Kernlanden bringt man es angesichts des eindeutigen landschaftlichen Primats für etwaige ex- bzw. importierte Faschings- bzw. Karnevalsveranstaltungen in völlig distanten Regionen allenfalls ein wenig mitleidiges Verständnis, aber ansonsten eher ein müdes Lächeln auf. Die durchweg überschaubare und sicherlich enthusiasmierte Narrenschar etwa im Münsterland oder gar im schleswig-holsteinischen Marne möge diese Wahrnehmung den genuin ungleich heftiger infizierten Rheinländern nachsehen.
Phasenreich und vielfältig Die historische Entwicklung von Fasching, Fastnacht und Karneval ist enorm phasenreich und zudem in ihren regionalen bzw. lokalen Erscheinungsformen äußerst vielfältig. Die Wurzeln dieses schon immer als närrisch empfundenen Treibens – früher allerdings oftmals mit ganz anderen Inhalten versehen – reichen weit über Neuzeit und Mittelalter bis in die Antike zurück. Diese Spuren werden wir hier indessen nicht weiterverfolgen und auch nicht untersuchen, ob die Fastnacht überhaupt ein theologisch motiviertes bzw. christliches Fest ist, wie es die heutige Terminlage im Jahreskreis unterstellt. Das gilt für alle drei im deutschen Sprachraum etablierten regionalen Ausformungen, dem süddeutsch-österreichischen Fasching (mit
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den Hochburgen München und Wien), der schwäbischalemannischen Fasnacht (mit Zentrum Basel) ebenso wie dem rheinischen Karneval, den man flächendeckend überall zwischen den Großräumen Mainz, Köln und Düsseldorf begeht. Zumindest die heutige Form des rheinischen Karnevals hat interessanterweise sicherlich politische Wurzeln. Sie erklären sich aus der Zeit der Besatzung durch napoleonische Truppen in der Wende vom 18./19. Jahrhundert: Bis zum Sommer 1794 hatten die französischen Revolutionstruppen alle Gebiete links des Rheins in Besitz genommen. Obwohl diese Landesteile damit staatsrechtlich noch nicht zu Frankreich gehörten (dies regelte erst 1801 der Friede von Lunéville), richtete die französische Verwaltung hier vier neue Départements ein und verbot als angebliches Relikt des Ancien Régime konsequenterweise auch sämtliche karnevalistischen Umtriebe. Dieses endete allerdings gerade abrupt nach 1815, als die (französischen) Rheinlande zu Preußen kamen.
Kirchliche Vorschrift und tatsächliche Fröhlichkeit Die kirchlich verordnete 40-tägige vorösterliche Fastenzeit mit generellem Verzicht auf alle fleischlichen Zutaten (verboten war/ist das Fleisch vierfüßiger Tiere) stellte sicherlich eine radikale Zäsur in den früheren Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung dar. Die älteste heute kulturhistorisch nachweisbare Brauchtumsschicht von Fastnacht bzw. Karneval besteht daher verständlicherweise in einer letzten Welle üppigster Gelage mit Speisen und Getränken, die in den nachfolgenden Wochen kirchlicherseits schlicht verboten waren. Deren urkundliche bzw.
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literarische Überlieferung reicht tatsächlich bis in das 13. Jahrhundert zurück. Auch in späterer Zeit beging man das direkte Vorfeld der Fastenzeit viele Jahrhunderte lang mit Zechen, Schwermen, Danzen und Tollen sowie unter anderem mit prunkvollen Maskenbällen und Maskentreiben auf den Straßen. In den Klöstern beging man üblicherweise den "schmutzigen Donnerstag" als den Tag, an dem nach der Mönchsregel keine Abstinenz galt. Erst der Einmarsch der französischen Revolutionstruppen in die geradezu überrumpelten Rheinlande (1794) setzte diesem Treiben ein (aber nur vorläufiges) Ende. Denn: Als man die – nicht nur in Köln meistenteils so empfundene – extrem missliebige französische Bagage nach dem Wiener Kongress (1815) endlich los war, äußerte sich schon bald der Wunsch, das damals noch als mittelalterlich empfundene Fest neu zu beleben. Schon im Jahre 1823, als der Spuk der französischen Besatzungszeit zumindest im linksrheinischen Rheinland schon geraume Zeit glücklicherweise erledigt war, organisierte man in Köln den ersten Karnevalsumzug – der zudem das verhasste französische Truppengebaren bis heute mit nachdrücklich pseudomilitärischem Gebaren (Garden, Gulaschkanone, Reitercorps, Uniformen u. a.) heftigst persifliert.
Zur Frage der Terminwahl Fasching bzw. Karneval findet in jedem Jahr zu einem anderen Termin statt – die bei den Aktiven so benannte Session kann folglich in manchen Jahren bemerkenswert kurz, aber auch recht ausgedehnt sein. Darin bildet sich die direkte Abhängigkeit dieser – regional auch als fünfte Jahreszeit bezeichneten – Kalendertage vom astronomisch strikt vorgegebenen Ostertermin ab. Die
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in der katholischen Kirche als Fastenzeit bezeichnete, in der evangelischen dagegen Passionszeit benannte Periode beginnt seit dem Jahre 1091 genau 40 Tage vor dem Osterfest am heutigen Aschermittwoch – zur Erinnerung an das 40-tägige Fasten Jesu in der Wüste nach seiner Taufe im Jordan (Joh 1, 32–34). Seit geraumer Zeit ist es allerdings üblich, bei der tagesgenauen Zählung die jeweiligen Sonntage auszulassen – die Kalenderkontrolle bestätigt es locker. Weil je nach Auffassung der Karfreitag und der Karsamstag (Ostersamstag) nicht mehr zur Fasten- bzw. Passionszeit, sondern schon zum Osterfestkreis gehören, sind es fallweise ganz genau sogar nur 38 Tage. Regional vollzog man diese schon im Jahre 1091 eingeführte Festlegung allerdings nicht mit, sondern rechnete in die 40-tägige Periode eben auch die Sonntage mit ein – so beispielsweise in der seit dem 16. Jahrhundert reformierten Stadt Basel: Die berühmte Basler Fasnacht mit ihrem spezifischen Mummenschanz und Pfeifenkonzerten beginnt daher bis heute am Montag nach Aschermittwoch. Übrigens: Die sechs Sonntage der Fasten- bzw. Passionszeit tragen traditionell besondere Namen, die den Anfangswörtern der jeweiligen lateinischen Eingangsgebete (Introitus) der Tagesmesse entnommen sind. In der von der Öffentlichkeit durchweg kritisch beäugten Zunft der Jäger, die sich in ihrer betont grünen Berockung so gerne als besondere Naturliebhaber verstehen, gab es dafür im Blick auf die traditionell im Frühjahr stattfindende Schnepfenjagd (alle heute völlig unnötigerweise eventuell immer noch bejagten Spezies wie Bekassine, Doppelschnepfe, Waldschnepfe und Zwergschnepfe sind übrigens Rote-Liste-Arten) den folgenden Merkspruch, den aber gewiss die wenigsten Vertreter
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kennen, die heute in unserer Fauna so frohgemut herumballern: Reminiscere – putzt die Gewehre Oculi – das kommen sie Laetare – das ist das Wahre Judica – sind auch noch da Palmarum – Tralallarum Quasimodo geniti [Ostersonntag] – halt Jägerlein, jetzt brüten sie!
Warum Rosenmontag? Zumindest in einigen Teilbereichen des Rheinlandes kennt man die für das verlängerte Karnevalswochenende beliebte Terminfolge Tulpensonntag, Rosenmontag und Veilchendienstag. Hier ist also eine Menge botanischer Implikationen versammelt. Der Rosenmontag als prominentester dieser närrischen Tage hat aber nach Ansicht mancher Volkskundler möglicherweise ganz andere Wurzeln: Ursprünglich war einer der vorösterlichen Sonntage (Laetare) schon seit dem 11. Jahrhundert der Tag, an dem der jeweilige Papst mit einer goldenen Rose in der Hand auf dem Balkon des Lateranpalastes in Rom erschien, um auf die bevorstehende Passion Christi hinzuweisen. Aus diesem heute längst nicht mehr bekannten oder gar so verstandenen Rosensonntag entstand wohl – wegen des am nachfolgenden Montag stattfindenden Hauptversammlungstermins des Kölner KarnevalsKomitees – die Bezeichnung Rosenmontagsgesellschaft. Von dieser Benennung zum Rosenmontagszug, den das Komitee jährlich organisiert, ist es begrifflich nun nicht mehr weit (Abb. 4.1).
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Abb. 4.1 Duft-Veilchen zum Veilchendienstag haben bislang keine nennenswerte Karriere erfahren
Rosen eher Fehlanzeige Nun wären Rosen im Rosenmontagszug außer Kamellen und anderen Lutschverwöhnern gewiss ein besonders angesagtes Wurfgut. Immerhin werden im Kölner Rosenmontagszug rund 150 t Süßkram unter die mehr als eine Million zählende Zuschauerschar verteilt. Es gibt aber auch eine spezifisch kölsche Karnevalsbotanik, und die hat sich traditionell folgendermaßen orientiert: Außer vorgetriebenen Narzissen und Tulpen sowie sicherlich auch vereinzelten Rosen fliegen in Köln klassischerweise vor allem die knallgelben Blütenstände von Mimosen zu den Jecken am Zugweg. Als Mimose kennt fast jede(r) das kleine, höchst sensible und daher sogar sprichwörtliche Gewächs Mimosa pudica, das nach etwas unsanfter Berührung augenblicklich seine Blätter und Zweige herunterklappt. Diese in Südamerika beheimatete und heute auch in vielen Gartencentern als Kuriosum angebotene Art ist zweifellos die prominenteste der fast 500 Spezies umfassenden Gattung.
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Man hat sie – vielleicht nicht ganz unzutreffend – nach dem spanischen Wort „mimosa“ benannt, das die gesamte Bedeutungsspanne vom verhätschelten Kind bis zur neurotisch-zimperlichen Dame umfasst. Mimosa pudica ist übrigens die einzige Art, die so erstaunlich schreckhaft reagiert. Alle anderen stecken auch eine gröbere Behandlung locker weg. Was die rheinischen Karnevalsjecken am Zugweg als Strüssje hochgradig erfreut, sind allerdings gar keine Mimosen, sondern fast immer die Blütenstände der Silber-Akazie (Acacia dealbata) (vgl. Kapiteleingangsbild). Diese mehr als 1000 Arten umfassende und ziemlich unübersichtliche Pflanzenverwandtschaft, die überwiegend aus Australien stammt, stellt man heute in die Familie der Schmetterlingsblütengewächse, allerdings in eine eigene Unterfamilie. Auch die in Europa gebietsweise naturalisierte Silber-Akazie ist ursprünglich nur in Australien und Tasmanien heimisch. Schon im 17. Jahrhundert wurde sie wegen ihres frühen Blühtermins im Mittelmeergebiet als Ziergehölz angepflanzt. Zwischen Januar und März stehen an der Côte d’Azur, auf Korsika, in Italien und auch in Israel überall die bis zu 30 m hohen Bäume überreich in Blüte. Die Einzelblüten sind mit 1,5 mm Länge zugegebenermaßen sehr klein. Zu rund drei Dutzend stehen sie dicht in kugeligen Köpfchen zusammen und machen dann schon eher etwas her. Diese wiederum bilden noch auffälligere rispig-büschelige Gesamtblütenstände von durchaus dekorativem Wert. Weil sie so angenehm nach Citrus-Aromen duften, verarbeitet man sie in Südfrankreich auch in der Parfumindustrie. Wenn die Strüssjer von den Garde- und Komiteewagen zu den Jecken fliegen, haben sie also bereits eine Luftreise hinter sich: Bis vor wenigen Jahren hat man tatsächlich ganze Flugzeugladungen blühender Zweige der
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Silber-Akazie aus dem Mittelmeergebiet ins Rheinland einfliegen lassen. Viele fleißige Hände in spezialisierten Gärtnereien des Kölner Raumes haben sie dann mit einem Farnblatt oder Lebensbaumzweig zum Wurfgut gebunden – zeitweilig sogar mehr als eine Viertelmillion Exemplare. Unterdessen ist der finanzielle Aufwand dafür vielen Karnevalsvereinen einfach zu hoch. Man sieht sie zwar im Wurfgut immer noch, doch wird das Mengenverhältnis im wohl weiter zugunsten der ungleich billigeren Tulpen-Importe aus den Niederlanden und sowieso zu den Kamelle ausfallen.
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Übereinstimmend berichten alle vier Evangelien (Joh 12, 12–19; Lk 19, 29–40; Mk 11, 1–11 sowie Mt 21, 1–11), dass Jesus vor seiner in der folgenden Woche stattfindenden Passion feierlich in Jerusalem eingezogen ist – © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_5
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wohl aus Anlass zur Mitfeier des bedeutenden jüdischen Passahfestes. Joh 12, 15 und Mt 21, 5 erwähnen auch ausdrücklich das gewählte Reittier, nämlich einen Esel. Jesus traf vermutlich mit einer erheblichen Anhängerschar ein. Mithin muss sein Einzug unter den bereits anwesenden Besucher, die ebenfalls zum Passahfest nach Jerusalem gekommen waren, großen Eindruck hinterlassen haben: Immerhin berichtet Mt 21, 7, dass die enthusiasmierte Menge ihre Kleider auf dem Weg ausgebreitet und grüne Zweige gestreut habe. Alle Evangelisten berichten vom somit vom Einzug nach Jerusalem, aber nur bei Joh 12, 12 ist ausdrücklich die Rede von Palmzweigen, mit denen die begeisterten Leute ihm entgegengingen bzw. in die Stadt begleiteten.
Welche Zweige am Palmsonntag? Obwohl im vorderen Orient mehrere Arten der Pflanzenfamilie Arecaceae (Palmen, früher einfach Palmae genannt), vorkommen, könnte es sich bei der biblisch mehrfach erwähnten Spezies mit großer Wahrscheinlichkeit um die Dattelpalme (Phoenix dactylifera) gehandelt haben. Deren Kulturgeschichte reicht immerhin mindestens 6000 Jahre zurück: Bis heute wird sie sorten- und individuenreich in den Trockengebieten von Vorderasien bis nach Nordafrika in ausgedehnten Hainen vor allem zur Gewinnung der ernährungsphysiologisch überaus interessanten Beerenfrüchte angepflanzt. Dattelpalmen entwickeln ansehnliche Baumgestalten bis 25 m Höhe und erreichen bis 200 Jahre Lebensalter. Die leicht graugrünen Fiederblätter sind 2–4 m lang und stehen zu 30–50 in einem dichten Blattschopf am Stammende. Für etwa 5–7 Jahre verbleiben sie am Baum (Abb. 5.1).
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Abb. 5.1 Die massiven Blätter der Dattelpalme wurden beim Einzug in Jerusalem vermutlich nicht verwendet
Nun entwickeln geradschäftige Palmen keine Zweige, sondern nur die oben erwähnten langen Fiederblätter im Blattschopf, und die stellen nach morphologischen Kriterien keine Seitenzweige dar, auch wenn sie wegen ihrer respektablen Größe so aussehen. Die Evangelien sprechen aber in der lateinischen Urfassung ausdrücklich von ramus palmarum = Palm“zweige“, so dass für diese Bezeichnung sicher kein Übersetzungsproblem in Frage kommt. Aber eine andere Schwierigkeit besteht: Wegen der respektablen Wuchshöhe der Dattelpalme können die überrascht und freudig reagierenden Jerusalemer Juden (vgl. Joh 12, 12–13) die Blätter sicher nicht spontan von ausgewachsenen Dattelpalmen entnommen haben. Zudem: Jerusalem ist eine Bergstadt auf rund 780 m ü NHN (Normalhöhennull), und hier gedeiht die eher für Tiefländer Palästinas typische Dattelpalme nicht. Denkbar ist daher, dass man in Vorfreude auf den bevorstehenden
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Einzug Jesu Dattelpalmzweige aus dem tieferen Umland (etwa Jericho) importiert hat, wie es auch zum jährlichen Laubhüttenfest üblicherweise der Fall war. Einfach ist die Prozedur der Palmblatternte jedoch keineswegs: Die zweifellos imposanten Palmblätter sitzen nämlich bei den meisten Arten mit ihren armdicken Blattstielen erstaunlich fest und nicht so ohne weiteres abreißbar an ihrem Stamm. Außerdem gehen die Fiederblätter im unteren Bereich der kräftigen Blattstiele in ausgesprochen handunfreundliche Dornen über. Deswegen mögen leichte Zweifel an der botanischen Korrektheit der Evangelienberichte erlaubt sein. Eventuell haben die frommen Juden, die Jesus bei seinem Einzug nach Jerusalem nach der Schrift so begeistert feierten, auch das handgreiflich deutlich einfacher zu bewältigende Blattwerk ganz anderer Pflanzenarten verwendet. Die Berichte der Evangelisten geben dazu artdiagnostisch allerdings verständlicherweise so gar nichts her. Von der Pharmaziehistorikerin Irmgard Müller stammt der interessante Vorschlag, mit der im frühen kirchlichen Schrifttum gelegentlich erwähnten Palma Christi sei die auch im damaligen Palästina mit Sicherheit verbreitete Rizinuspflanze (Ricinus communis) gemeint, die auffallend große und vor allem handförmig geteilte Blattspreiten entwickelt (Abb. 5.2 und Abb. 5.3). Das hochgiftige Wolfsmilchgewächs Rizinus, auch Wunderbaum genannt, ist in unseren Breiten nur einjährig zu kultivieren. In seiner vorderasiatisch-afrikanischen Heimat kann diese Art jedoch 3–4 m hohe Sträucher bilden, in den Tropen sogar baumförmig gedeihen mit Wuchshöhen bis etwa 12 m. Nur an einer einzigen Stelle im Alten Testament wird diese auch im Altertum schon bedeutsame Nutzpflanze erwähnt (Jona 4, 6–10). Die palma ist ein antikes Längenmaß – es entspricht der Länge der Hand von der Handwurzel bis zur längsten
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Abb. 5.2 Die Rizinuspflanze – bei uns nur einjährig zu kultivieren – wächst in ihrer Heimat zu respektablen Gehölzen heran
Abb. 5.3 Die handförmig geteilten Blätter der Rizinuspflanze waren Anlass zur Namengebung Palma Christi
Fingerspitze bzw. der Breite der gespreizten Hand zwischen Daumen und kleinem Finger. Eine ähnliche Überlegung zur Artzuordnung der Palmen anlässlich des Einzugs nach Jerusalem hat seinerzeit auch schon einer der bedeutenden „Väter der Pflanzenkunde“, der Tübinger Leonhart Fuchs (1501–1566) angestellt.
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Geduldige Lastenträger Nach übereinstimmenden Schilderungen der oben zitierten Evangelien zog Jesus auf einer Eselin reitend in Jerusalem ein. Auch dieser Sachverhalt verdient eine kleine biologische Programmschleife. Esel wurden schon früh zum Haus- bzw. Nutztier domestiziert – die ältesten Hinweise mit artgenau wiedergegebenen Halbreliefs stammen aus dem Ägypten des 4. vorchristlichen Jahrtausends. Hausesel stammen vom heute einzigen Wildesel (Equus africanus) ab, der allerdings nur noch in schwindend kleinen Restpopulationen im Nordosten Afrikas vorkommt, und zwar vor allem von der Unterart Nubischer Wildesel (Abb. 5.4). Weitere Unterarten sind bis auf den ebenfalls sehr selten gewordenen Somalischen Wildesel schon lange ausgerottet. Im alten Ägypten waren die in vielen Bildwerken festgehaltenen domestizierten Esel als Last- und Zugtiere im landwirtschaftlichen Einsatz. Auch im früheren Palästina ist der Hausesel seit Jahrtausenden belegt. Aus dem
Abb. 5.4 Schon vor Jahrtausenden wurden die Wildesel zum Nutztier gezähmt
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kupferzeitlichen Grab von Tel Azor beim heutigen Tel Aviv wurde eine Terrakotta geborgen, die einen Esel mit Lasten auf dem Rücken darstellt. Im alten Testament ist eine Stelle bei Nehemia (7, 68) aufschlussreich, die für den Tross der aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrenden Israeliten immerhin 6720 Esel benennt. Alle frühen Hochkulturen des Vorderen Orients hätten ohne den Hausesel als vielseitig einsetzbares Lasttier sicherlich nicht entstehen können. In den biblischen Texten hat das erst viel später so bedeutsame Pferd übrigens einen durchweg schlechten Ruf – die Juden lernten es nämlich erst in den Auseinandersetzungen mit seinen angreifenden Feinden und als Nutztier einer sich ausbeuterisch gebährdenden fremden Oberschicht kennen. Der bodenständige Hausesel genoss dagegen höchste Wertschätzung, und so lassen eben auch die Evangelisten Jesus reitend auf einer Eselin nach Jerusalem einziehen, um so gleichzeitig zu unterstreichen, dass er der lange erwartete Messias und Friedensverkünder ist.
Vom Anlass zum Brauchtum Erstmals um das Jahr 600 entstand auf der Iberischen Halbinsel wohl der Brauch, am letzten Sonntag vor Ostern den feierlichen Einzug Jesu nach Jerusalem szenisch nachzuvollziehen. Aber erst im 8. Jahrhundert entwickelte sich daraus unter dem Einfluss ostkirchlicher Liturgien die Palmweihe auf einem offenen Platz mit anschließender Palmprozession in die nächst gelegene Kirche. Auch die kirchliche Tagesbezeichnung Palmsonntag stammt aus dieser Zeit. Der Tag selbst leitet im Kirchenjahr die Karwoche ein und setzt damit für die
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gläubige Gemeinde ein besonderes und deswegen im positiven Sinne merkwürdiges Zeichen. Bis heute sind vor allem in den südeuropäischen Ländern oder in davon geprägten sonstigen Gebieten (Kanaren, Madeira sowie in Südamerika) am Palmsonntag besonders festliche und überaus eindrucksvolle Umzüge üblich, bei denen auch viele figürliche Darstellungen mitgeführt werden. Das bedeutende Schnütgen-Museum in Köln, das einzigartige mitteleuropäische sakrale Kunst aus mehr als einem Jahrtausend präsentiert, besitzt in seinem Bestand eine fast lebensgroße und segnend dargestellte Christus-Figur auf einem Esel, die um 1500 entstand und aus einer Kölner Gemeinde stammt. Die Darstellung ist praktischerweise auf Rädern montiert und konnte folglich bei den jährlich stattfindenden Palmprozessionen an der Spitze des Umzuges relativ leicht bewegt werden. Solche Umzüge finden aber in rheinischen Regionen schon seit geraumer Zeit nicht mehr statt. Die wenigen überlieferten Palmesel sind insofern nur noch museales Anschauungsgut.
Botanisches zum Palmsonntag Das einen Botaniker natürlich beschäftigende morphologische Problem, ob die Palmzweige eventuell eher Palmblätter waren, ist für Mitteleuropa ziemlich irrelevant. Selbst in Südeuropa behalf man sich für den Palmsonntag häufig eher mit offenkundig praktischeren Ersatzlösungen – entweder mit den ebenfalls ziemlich langen Fiederblättern der hier häufig angepflanzten Kanarenpalme (Phoenix canariensis) oder mit den ungleich handlicheren Zweigen des Ölbaums (Olea europaea) (Abb. 5.5).
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Abb. 5.5 In Südeuropa liefert der Ölbaum die Palmzweige
In Mitteleuropa stehen beide Arten normalerweise nicht zur Verfügung. Deswegen behilft man sich hier mit anderem pflanzlichen Ersatz: Äußerst beliebt und bis heute üblicherweise verwendet sind die Zweige des immergrünen Buchsbaums (Buxus sempervirens) (Abb. 5.6). Dieser dicht verzweigte Strauch, der gelegentlich auch als kleiner Baum wächst, wird bis etwa 7 m hoch. Seine Triebe sind kantig und grün, die Blätter gegenständig, oberseits glänzend dunkelgrün, unterseits hellgrün, lederig und bemerkenswert fest. Obwohl die kleinen gelblichen Blüten eher unauffällig sind, werden sie von Bestäuberinsekten überaus gerne angeflogen. Die Art ist im südwestlichen und westlichen Mitteleuropa weit verbreitet und kommt ferner in Nordafrika sowie in Westasien vor. Ihr nördlichstes Wildvorkommen findet sich in Deutschland an der unteren Mosel. Häufig pflanzt man den Buchs in verschiedenen Sorten auch als Gartengehölz an. Buchs ist eine alte Kloster- und Bauerngartenpflanze, die gerne in
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Abb. 5.6 Nördlich der Alpen verwendet man an Palmsonntag meist Zweige des Buchsbaums
Form betont niedriger Schnitthecken als Beetumfassung gezogen wurde. In der französischen Gartenkunst hat man die meist dicht verzweigten Buchssträucher durch kunstvollen Schnitt auch in allerhand Phantasieformen gebracht. Seit 2006 tritt in Deutschland der aus Ostasien vermutlich mit Baumschulware eingeschleppte Buchsbaumzünsler (Cydalina perspectus), ein kleiner Schmetterling, dessen Raupen durch Schadfraß die schmucken Sträucher absterben lassen und bereits große Verheerungen angerichtet haben. Bleibt zu hoffen, dass der kulturhistorische so bemerkenswerte Buchs in unserem Gebiet dennoch überleben wird. An seinen nördlichsten Wildstandorten an der Mosel hat der Buchsbaumzünsler bislang keine Ausfälle verursacht – die trockenheißen und für den Steillagenweinbau genutzten Hänge des Moseltals sagen ihm offenbar nicht zu.
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Großer Auftritt für die Kätzchen Wo Buchs nicht zur Verfügung steht oder als immergrüner Zweiglieferant vielleicht eher unüblich ist, verwendet man ersatzweise auch gerne die gerade aufblühenden Zweige der fast überall häufigen Sal-Weide (Salix caprea) (Abb. 5.7). Deswegen heißt sie regional (vor allem in Süddeutschland) auch einfach Palmweide. Besonders beliebt sind immer noch die gerade aufbrechenden Blütenstandsknospen männlicher Exemplare, die man wegen ihrer anfangs seidenweichen Behaarung üblicherweise auch Weidenkätzchen nennt. Je nach Witterungsverlauf im vorösterlichen Frühjahr und dessen genauere Terminlage sind es tatsächlich noch gerade geöffnete Knospen oder schon voll erblühte, kräftig gelbe Blütenstände. Deren auffällige Färbung rührt von den überaus zahlreich vorhandenen männlichen Einzelblüten her,
Abb. 5.7 In manchen Gegenden (vor allem in Süddeutschland) sind auch Palmweiden üblich – die gerade erblühenden Zweige der männlichen Sal-Weide
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deren überreiches Pollenangebot eine wichtige Erstlingsnahrung für die schon im Frühjahr aktiven Hautflügler (vor allem Bienen und Hummeln) ist. Die auf anderen Gehölzindividuen lokalisierten weiblichen Blütenstände der Weiden sind dagegen total unauffällig graugrün. Aber auch sie werden von den aktiven Bestäuberinsekten zuverlässig angeflogen, weil sie an ihren Einzelblüten eine offenbar ziemlich lohnende Nektardrüse besitzen und vermutlich mit Duftsignalen ausgestattet sind, die wir gar nicht wahrnehmen können. Ohne diesen Zusatztrick würde die für die nachfolgende Fruchtbildung unentbehrliche Bestäubung gar nicht funktionieren. In Apotheken aufgestellte Pollenflugkalender strapazieren zwar (auch) den spätestens im März einsetzenden Flug der WeidenPollen, aber rein quantitativ kann man den getrost vergessen. Außerdem ist Weiden-Pollen überhaupt nicht allergen.
Und dann? Den am Palmsonntag geweihten Zweigen schrieb der fromme Volksglaube eine besondere Wirkung zu, denn sie sollten Schäden von Haus und Hof sowie deren Bewohnern abwenden. So verzehrte man die Knospen der im Gottesdienst gesegneten Zweige, um Krankheiten abzuwenden. Auch wurden vielfach gesegnete Zweige in Kreuzform in die Äcker gesteckt. Zu Hause arrangierte man sie hinter einem in frommen Haushalten immer vorhandenen Kruzifix. Bedarfsweise verbrannte man sie auch schon vorsorglich, um Blitz, Hagel und andere die Ernte ernsthaft gefährdende Wetterunbilden abzuwehren oder die Hausbewohner vor sonstigem Ungemach zu bewahren. Üblicherweise verbrennt man die am Palmsonntag geweihten Zweige des Vorjahres im Rahmen der neuen
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Palmweihe oder zu einem anderen Anlass – weil sie geweiht waren, wurden sie nicht einfach weggeworfen. Nur deren Asche wird für das Aschenkreuz verwendete, das gläubige Katholiken im Gottesdienst an Aschermittwoch zu Beginn der vorösterlichen Fastenzeit empfangen. Früher wurde dazu begleitend die eindringliche Formel Memento homo, quia pulvis es et ad pulverem reverteris (Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staube zurückkehren wirst) gesprochen.
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Im kirchlichen Leben der christlichen Konfessionen nimmt das Osterfest wie kein anderes eine geradezu zentrale Rolle ein: Es ist nach übereinstimmender Einschätzung unstrittig der Höhepunkt des Kirchenjahres und sein höchstes Fest. Die evangelischen Christen feiern damit eher den Tod Jesu, die katholischen dagegen seine von den Bibeltexten verkündete gloriose Auferstehung. Kulturhistorisch gesehen steht das Osterfest klar in der Nachfolge des jüdischen Passahfestes, eines der wichtigsten Feste des Judentums, mit dem an den folgenreichen Auszug der Israeliten aus Ägypten und ihrer Befreiung aus der Sklaverei (vgl. 2. Buch Mose) erinnert werden soll. Auffällig ist die sprachliche Nähe des aramäischen pascha bzw. des hebräischen Pessach zum französischen Pâques, zum italienischen pasqua oder zum griechischen Pascha belegt. In vielen anderen Sprachen lauten die Festbezeichnungen sehr ähnlich. Ein sprachliches Problem ist allerdings die vertraute deutsche Bezeichnung. Während für die Festbezeichnungen Weihnachten und Pfingsten (vgl. Kap. 9) eindeutige Wortherleitungen bestehen, ist die Namensherkunft für Ostern (bzw. das auf die gleiche sprachliche Wurzel zurückgehende englische Easter) schwierig bis umstritten. Manche Etymologen sehen hier Anklänge an das altgermanische austro = Morgenröte; im Althochdeutschen wurde daraus ostra, im Altenglischen eastre. Von hier mag ein begrifflicher Zusammenhang mit der Himmelsrichtung Osten entstanden sein, da die aufgehende Sonne schon früh als Symbol für den auferstandenen Christus steht: Ex oriente lux…
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Ein klassisches Schaukelfest Im Unterschied zum Weihnachtsfest, das immer am 25. Dezember (u. a. in Deutschland mit Nachschlag am 26.12.) eines Jahres begangen wird und somit kalendarisch bzw. solar nach dem scheinbaren Sonnenlauf unverrückbar fixiert ist, feiert man Ostern jedes Jahr an einem anderen Tag – es ist eben ein typisches Schaukelfest: Die aktuell praktizierte, aber schon häufig diskutierte Regel legt das Osterfest auf den ersten Sonntag nach dem FrühlingsVollmond fest. Es ist demnach ein lunosolar bestimmter Fest- und Feiertag. Die orthodoxen bzw. altorientalischen Kirchen praktizieren dagegen bis heute davon deutlich abweichende Termine. Die erste zu erfüllende Voraussetzung für die Festlegung des Ostertermins ist demnach der kalendarischastronomische Beginn des Frühlings am 20. oder 21. März. An diesem Tag schneidet die scheinbare Sonnenbahn (= aufsteigender Ast der Ekliptik) den Himmelsäquator und markiert damit den Frühlingspunkt. Die Sonne überschreitet dann auf ihrer scheinbaren Bahn den Himmelsäquator und tritt in den nördlichen Teil der Ekliptik bzw. des Tierkreises (Zodiakus) ein. Sie erreicht damit im Jahreslauf an einem ihrer beiden Äquinoktialpunkte, und somit haben wir Tagundnachtgleiche. Das ist jedes Jahr im Stunden- bzw. Minutenrahmen ein wenig anders: Im Jahre 2023 erreichte die Sonne den Frühlingspunkt ihrer scheinbaren Jahresbahn am 20. März um 22h24m (MEZ) und trat damit in das Tierkreiszeichen Widder ein – wir erleben die Frühjahrs-Tagundnachtgleiche (Äquinoktium), und damit ist astronomisch der Winter zu Ende. Dieser Zeitpunkt legt also nach astronomischen Kriterien den Frühlingsbeginn fest und ist damit sozusagen solar definiert.
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Die zweite Voraussetzung, der Vollmond-Termin, ist dagegen lunar festgelegt. Zum Zeitpunkt des Vollmondes bilden Sonne, Erde und Mond eine gerade Linie. Sollten sie dann auch noch in der gleichen Ebene liegen, sind von der Erde aus sogar Mondfinsternisse zu beobachten. Nach langer abendländischer und vorerst nicht diskutierter Praxis feiert man Ostern also immer am ersten Sonntag, der auf den ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn folgt. Diese Regelung wurde bereits auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 so vereinbart. Im Jahre 2019 gab es jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme, denn nur wenige Stunden nach dem spätabendlichen Frühlingsbeginns (20. März um 22.58 Uhr), nämlich am 21. März um 2.53 Uhr war Vollmond. Somit hätte nach der vereinfachten traditionellen Regel das Osterfest schon am 24. März gefeiert werden müssen. Tatsächlich fand es aber einen ganzen Mondzyklus später, nämlich erst am 21. April statt. Wir erlebten also in diesem Jahr (wie zuletzt im Jahre 1962) eine so genannte Osterparadoxie, und die ist folgendermaßen zu erklären: Die aktuell genaue Berechnung des jeweiligen Ostertermins erfolgt nach einer relativ komplizierten Formel mit etlichen Ausnahmen und Sonderregelungen, die der deutsche Astronom und Mathematiker Christophorus Clavius (1538–1612) entwickelte und die vom berühmten Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777–1855) für die Praxis etwas vereinfacht wurde. Maßgebend in diesen Berechnungen ist nun nicht der astronomisch-kalendarische (= siderische) Vollmondtermin (in diesem Jahr der 21. März), sondern der zyklische März-Vollmond (nach dem 19-jährigen Meton-Zyklus), und der lag 2019 tatsächlich vor dem Frühlingsbeginn am 20. März. Somit kann das Osterfest konsequenterweise erst rund vier Wochen später gefeiert werden. Die nächste Osterparadoxie (mit Ostersonntag am 25. April) wird sich erst im Jahre 2038 ereignen.
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Grundsätzlich kann nach der bisherigen (einfachen) Praxis das Osterfest nur auf einen Sonntag zwischen dem 22. März und dem 25. April eines Jahres fallen. Einen der frühesten möglichen Ostertermine der jüngeren Zeit hatten wir im Jahre 2008: Frühlingsbeginn war am Do, den 20. März, um 6:48 h, und Frühlingsvollmond fand am Fr, den 21. März, statt. Ostersonntag war demnach der 23. März 2008. Die theologisch-religiösen Inhalte und Aussagen des christlichen Osterfestes bleiben hier aus mancherlei Gründen im Hintergrund, so sehr auch die zahlreichen daran geknüpften und kulturgeschichtlich relevanten Kontexte zu einer näheren Beschäftigung herausfordern – beispielsweise die berühmte Studierstuben-Szene in Goethes Faust I, in der die Titelgestalt ihr als nutzlos empfundenes Dasein als Büchergelehrter heftigst beklagt und als Konsequenz nur noch die längere Zeit unbeachtete Phiole mit ihrem hochgiftigen Inhalt im Studierstubenregal sieht. Glockenklang und Engelchor zerren den gelehrten Faust allerdings wirksam in das Leben zurück: „Die Botschaft hör ich, allein mir fehlt der Glaube“. So mag es heute manchem ergehen. Ostern steht zwar im Kalender, aber der eigentliche religiöse Inhalt ist in unserer säkularisierten Welt arg in den Hintergrund gerückt.
Zentralfigur Osterlamm Das Schaf gehört zusammen mit der Ziege zu den ältesten Nutztieren der Menschheit. Seine Domestikation fand nach Ausweis eindeutiger Knochenfunde immerhin bereits im 9. vorchristlichen Jahrtausend in den Bergregionen Vorderasiens statt. Ausgangsform sind wohl die dort bis heute vorkommenden Wildschafe des eurasischen Formenkreises vom Mufflon (Ovis ammon), die in mehr
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als zwei Dutzend Unterarten bekannt sind und heute noch auf Korsika und Sardinien sowie nach gezielter Auswilderung auch in etlichen Teilgebieten Mitteleuropas vorkommen. Die jahrtausendelange züchterische Auslese hat natürlich zahlreiche Rassen entstehen lassen, die sich aber mehrheitlich durch problemlose Haltung, vielseitige Nutzung und hohe Reproduktionsleistung auszeichnen und zudem untereinander fruchtbar zu kreuzen sind. Wie die schon in der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium ausdrücklich erwähnten Schafe (vgl. Lk 2,1 ff.) in der Zeit um Christi Geburt tatsächlich ausgesehen haben, ist leider nicht überliefert. Vermutlich waren sie im Erscheinungsbild von den heute in unseren Breiten gehaltenen Schafrassen noch recht verschieden. Mit der genaueren Begründung des Ende März gefeierten jüdischen Passah-Festes und den daran geknüpften nicht ganz so appetitlichen Schlachtritualen der Osterlämmer werden wir uns hier nicht näher beschäftigen. Hier mag lediglich der Hinweis genügen, dass man als Opfer- und Schlachttiere überwiegend männliche Exemplare auswählte, weil man aus mancherlei Gründen nicht zu viele Schafböcke in der Herde haben wollte. Die Hauptsetzzeit der Lämmer im Frühjahr um den Termin des Passah-Festes (jeweils in zeitlicher Nähe zum Frühjahrs-Äquinoktium) kam den tradierten religiösen Ritualen durchaus entgegen (vgl. Kapiteleingangsbild). In den christlichen Kirchen ist das Lamm zum Christussymbol geworden und gilt als älteste, bedeutendste und verbreitetste Metapher. „Pascha nostrum immolatus est Christus“ (Christus, unser Lamm ist geopfert worden), heißt es bezeichnenderweise im Eingangsgebet zur katholischen Eucharistie am Ostersonntag sowie im ersten Korintherbrief des Apostels Paulus (1 Kor, 5, 7). Auch in etlichen anderen Gebetsformeln tritt es auf.
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Das (immerhin geschlachtete bzw. geschächtete!) Lamm wird – sicherlich nicht ganz einfach zu verstehen – gar als Zeichen des Lebens verstanden. Ikonographisch tritt es interessanterweise in zweierlei Aussagen auf: Auf der einen Seite erscheint das siegreiche und triumphierende Christuslamm (so in einem Kuppelmosaik aus dem 6. Jahrhundert in der berühmten Kirche San Vitale in Ravenna), auf der anderen steht es als Opferlamm und damit als Bild für den gemarterten und schließlich gekreuzigten Jesus. Vor allem zu Ostern findet man auf den Menükarten der gehobenen (mediterran inspirierten) Gastronomie als angeblich besondere kulinarische Verheißung Lammrücken, Lammkotelett oder Lammkeule – vor allem in Rom als abbacchio und sonst eher als agnello. Entschiedene Vegetarier haben gegen diese Produktwahl natürlich etliche und durchaus gut begründbare Vorbehalte. Das aus Rührteig in einer speziellen Form gebackene Osterlamm ist dazu ein klarer und gänzlich unproblematischer Gegenentwurf.
Die sonstige Ostermenagerie Schon im geraumen zeitlichen Vorfeld des Osterfestes treten in Bäckereien, Konditoreien, Supermärkten und anderen Einrichtungen der Lebensmittelbranche allerhand typische, in ihrem Aussagewert aber meist gar nicht mehr kritisch hinterfragte oder im Symbolgehalt richtig eingeordnete Saisonartikel in Erscheinung – unter anderem die Ostereier (Abb. 6.1). Im Ei, einer geradezu genialen Erfindung der Evolution, sieht man wohl zu Recht ein Symbol für die Erneuerung des Lebens. Dem berühmten italienischen Arzt Francesco Redi (1626–1697), der als kritischer Beobachter mit seinen Fliegenmaden-Experi-
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Abb. 6.1 Bunte Ostereier sind ein unverzichtbares Osterattribut
menten die damals vorherrschende und reichlich naive Urzeugungshypothese endgültig widerlegte, schreibt man die griffige Formel zu Omne vivum ex ovo – alles Leben stammt aus dem Ei. Dem ist zunächst einmal nichts hinzuzufügen, weil der Sachverhalt tatsächlich und absolut ausnahmslos stimmt. Ob aber nun das Ei oder etwa die Eier legende Henne zuerst da waren, ist ein in der Philosophie ausgiebig diskutiertes Problem, zu dem wir hier aber ebenfalls rein gar nichts beitragen werden. Seit dem 12. Jahrhundert sind (Hühner-)Eier Gegenstand einer besonderen Speiseweihe in der christlichen Osterliturgie, wohl konsequent ausgehend davon, dass sie während der vorangegangenen Fastenzeit nicht auf dem Ernährungsplan stehen durften. Somit boten die wochenlang angesammelten Eier für die österliche Küche ein besonders üppiges und wohl auch notwendiges Aktionsfeld. Bunt angemalte Ostereier sind erstmals für das Jahr 1553 dokumentiert. Von den Ostereiern zu den frisch geschlüpften und deswegen besonders niedlich anzusehenden Osterküken, die heute als Symbolträger weithin
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das österliche Erleben begleiten, ist es sicherlich ein denkbar kurzer Weg.
Wieso Osterhase? Das von der Genussmittelbranche allerdings am häufigsten mit dem Osterfest assoziierte und heftig beworbene Objekt ist der Osterhase – in dieser Sonderfunktion erstmals nachweisbar immerhin schon im Jahre 1638. Als Deko-Sujet bzw. Maskottchen auf Grußkarten und sonstigen österlich notierten Botschaften beispielsweise der Werbung und vor allem als vollplastisch nachgebildete Schokoladenfigur ist er unterdessen offenbar völlig unentbehrlich. In dieser Funktion wird er auch in eher religionsfernen und sogar in nichtchristlich geprägten Kreisen verstanden. Auch hier mag die Fruchtbarkeitsideologie im Kontext mit Frühling und Wiedererwachen des Lebens nach der winterlich erzwungenen Ruhe in der heimischen Natur die entscheidenden Impulse gegeben haben. Immerhin wirft die Häsin im Frühjahr bis zu fünf Junge, und weitere ergebnisreiche Würfe folgen planmäßig.
Hase gegen Kaninchen Obwohl man auch Kaninchen umgangssprachlich häufig als „Häschen“ bezeichnet findet, repräsentieren beide nach biologischen Kriterien klar unterscheidbare und nicht einmal so ganz nah verwandte Arten. Der Hase, genauer der heimische Feldhase (Lepus europaeus) (Abb. 6.2), ist ursprünglich ein Steppenbewohner. Seine Kopf-Rumpf-Länge beträgt 48–76 cm. Das Fell ist unterseits reinweiß. Die Geschlechter sind aus
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Abb. 6.2 Ob der heimische Feldhase wirklich das Vorbild für den Osterhasen ist?
der Distanz nicht unterscheidbar. In Mitteleuropa kommt der Feldhase von der Niederung bis zur alpinen Waldgrenze vor, wenngleich ihn hier und in Nordeuropa der etwas kleinere Schneehase (Lepus timidus) biogeografisch ablöst. Feldhasen sind meist dämmerungs- und nachtaktiv. Sie sind typische Fluchttiere: Rasch laufend (bis 70 km/h) und mit Sprüngen (etwa 2 m hoch und bis 2,7 m weit) flüchten sie bei jeglicher Beunruhigung. Bundesweit brachen die Bestände gegen Ende der 1970er Jahre aus immer noch nicht so recht verstandenen Gründen drastisch zusammen. Seither ist trotz unausgesetzter Bejagung wieder ein erfreulicher Anstieg der Populationsdichte zu verzeichnen. Das zur gleichen Säugetierordnung und -familie gehörende und etwas kleinere Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) (Kopf-Rumpflänge 35–45 cm) unterscheidet sich von Feldhasen durch die deutlich kürzeren Vorderund Hinterbeine, die kürzeren und stets aufgerichteten Ohren sowie seine insgesamt viel rundlicheren Körperkonturen (Abb. 6.3). Damit erfüllt es alle wesentlichen Kriterien für ein in der Kinderwelt äußerst beliebtes
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Abb. 6.3 Die Schokoladenversion erinnert eher an Wildkaninchen
der
meisten
Osterhasen
Kuscheltier. Das Fell der Bauchseite ist zwar heller als die Oberseite, aber nicht weiß, sondern eher hellgrau. Kaninchen leben in Großfamilien mit strenger Rangordnung und sind heute typische Bewohner trockenwarmer Landschaften. Sie kommen überaus individuenreich überraschenderweise auch in vielen Großstädten vor. Schaut man sich nun die als Werbeträger, Jahresfestsymbole, Schokoladenfiguren oder sonstwie jahreszeitlichmotivisch verwendeten Oster“hasen“ daraufhin einmal etwas genauer an, wird man gerade aus biologischer Sicht doch ein wenig stutzig: Die oftmals betont verniedlichend kuschelig und dazu ziemlich rundlich dargestellten österlichen Vertreter der Ordnung Hasenartige sind nach wildbiologischen Kriterien ganz klar und eindeutig Kaninchen – so auch die beliebten „Goldhasen“ eines bekannten Schweizer Herstellers, der 2013 nach einem langwierigen Rechtsstreit einem anderen Anbieter österlicher Schokoladensaisonartikel endgültig unterlag. Die spezifische Formgebung lässt indessen keinerlei Zweifel aufkommen: Der typische, in Mitteleuropa allenthalben
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konterfeite und so auch konsistent zitierte Osterhase ist meistens ein Osterkaninchen. Dieses niedliche Geschöpf, in Zoohandlungen mitunter auch als Zwerghase angeboten, ist ursprünglich allerdings nicht einmal in Mitteleuropa zu Hause und insofern auch noch ein unstrittiger Migrant. Dazu gibt es die folgende tiergeographisch bemerkenswerte Notiz:
Spanien und die Kaninchen Jedes Land hat so seine Nationalsymbole. Mal ist es ein stolzer Adler oder ein Bär, mal eine besondere Pflanzenart wie bei den Zedern des Libanon. Für Spanien könnte man sich in dieser spezifischen Funktion tatsächlich einen der vielen bei den unsäglichen Corridas schaurig hingemetzelten Stiere vorstellen. Ein kuscheliges Kaninchen wäre allerdings viel passender. Wie bitte? „Die hohen Berge sind die Zuflucht der Steinböcke, und die Steinklüfte die der Kaninchen“ lautet eine gängige Übertragung von Psalm 104, Vers 18 aus dem Alten Testament, so auch in der Lutherschen Bibelübersetzung. Mit Kaninchen ist in dieser antiken Landschaftsbeschreibung jedoch eine ganz andere Tierart gemeint, nämlich der bis an die Küsten des Libanon vorkommende Klippschliefer (Procavia spp.) – ein kleines, murmeltierähnliches Huftier, dessen nächste Verwandte eigenartigerweise die Elefanten sind. Die Hebräer und Phönizier nannten diese zweifellos seltsame Tierart shapan (wörtlich: der „Sichverbergende“). Als die seefahrenden Phönizier vor etwa 3300 Jahren auch in Südspanien ihre Handelskolonien gründeten, fielen ihnen sofort die dort mengenweise vorkommenden Wildkaninchen auf. Da diese Tiere eine gewisse Ähnlichkeit mit den ostmediterranen Klippschliefern aufweisen, nannten sie auch die abendländischen Kaninchen
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shapan und die betreffende Küstenregion der Iberischen Halbinsel ishapan. Als nun deutlich später die Römer in dieser Region das Regiment übernahmen, latinisierten sie die unterdessen eingeführte Landesbezeichnung kurzerhand zu hispania, und daraus wurde schließlich auf relativ kurzem Wege españa bzw. Spanien. Demnach bedeutet Spanien tatsächlich Kaninchenland. Erst viel später hat man die iberischen Kaninchen als Pelz- und Fleischlieferanten nach Mitteleuropa gebracht, wo sie ursprünglich gar nicht heimisch waren. Heute kommen sie fast überall in Mitteleuropa vor – östlich bis zur Weichsel, und nördlich bis Südschweden. Auch auf den Britischen Inseln sind sie längst heimisch. Stabile Populationen gibt es auch in Italien und Griechenland.
Osterhase und Ostereier Was sich in der vorösterlichen Zeit in den Warenhausregalen abspielt und auch bei vielen sonstigen Anlässen kolportiert wird, ist eine biologisch so nicht hinnehmbare, weil völlig unmögliche Verkitschung aus dem 19. und 20. Jahrhundert: Der Osterhase als Eier (und etwaige sonstige Geschenke) transportierender Gabenbringer ist ein für die Volksseele gewiss wohltuendes, aber von der Realität denkbar weit entferntes gedankliches Konstrukt. Insbesondere in der Kinderliteratur finden sich seit Jahrzehnten etablierte und zugegebenermaßen irgendwie nette Geschichten, beispielsweise die seit ihrem ersten Erscheinen im Jahre 1924 bis heute äußerst beliebte und als Buch enorm erfolgreiche Häschenschule mit dem Text des bayerischen Lehrers Albert Sixtus (1892–1960) und den wunderbar vermenschlichten Hasen des genialen Zeichners Fritz Koch-Gotha (1877–1956), der die kleinen Akteure in einer speziellen Szene gar Ostereier bemalen
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lässt. Die Krönung dieser zweifellos absolut realitätsfernen, aber interessanterweise weithin und gänzlich unkritisch akzeptierten merkantilen Verklitterung verschiedener kulturhistorischer Stränge sind Arrangements von schokoladenen Osterhasen inmitten eines Nestes mit diversen kulinarisch enorm diversifizierten Ostereiern. Reale Biologie und tatsächlich praktizierte Festtagsbräuche klaffen eben mitunter denkbar und in diesem Fall besonders weit auseinander. Aber den empfänglichen Seelen tut solches Brauchtum offenbar enorm gut. Das ist im Osterfestkreis nicht grundsätzlich anders als bei den diversen Festen der Advents- und Weihnachtszeit.
Glocken zu Ostern und Osterglocken Nach altem Brauch schweigen in katholischen Kirchen die großen Turmglocken ebenso wie die kleinen Altarschellen vom letzten Gründonnerstagsgottesdienst bis zur Auferstehungsfeier am Abend des Karsamstags. Hierbei handelt es sich übrigens nicht etwa um ein Gebot, sondern um den Rest eines uralten Brauchtums aus der Zeit, als es noch keine Glocken gab, sondern mit Klappern zum Gottesdienst geladen wurde. Nach den Kartagen sind sie wieder als traditionelle akustische Signalsysteme mit vielerlei Bedeutung für den Rest des Jahres im Einsatz. Die besondere und mit etlichen regionalen sowie lokalen Sonderformen ausgestatte Glockensymbolik ist hier aber gar nicht gemeint, sondern schlicht der knallgelbe und meist überreichlich vorhandene Blütenschmuck zum Osterfest, der aus Parkanlagen und Gärten kaum wegzudenken ist: Innerhalb der arten- und formenreichen Gattung ist die Bezeichnung Osterglocke nur für die Gelbe Narzisse (Narcissus pseudonarcissus) reserviert. Je nach Lage des
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Osterfestes und vorangegangenem Witterungsverlauf passt der Blühtermin hervorragend – oder auch gar nicht. Im viel zu warmen Winter 2015/16 und auch in den Folgejahren blühten sie in manchen Stadtparks im Rheinland tatsächlich schon zu Weihnachten… Die gärtnerisch verwendeten sowie zu dicken Sträußen gebündelt selbst in Supermärkten erhältlichen Osterglocken sind allerdings allesamt über lange Zeit herausgezüchtete, meist hochwüchsige und ziemlich großblütige Kulturformen der deutlich kleineren und unter Schutz stehenden Wildform. Diese findet man zu Hunderttausenden in den Wiesen einiger Bachtäler der Westeifel, die heute als Naturschutzgebiete gesichert sind und unter der besonderen Obhut der Nordrhein-Westfalen-Stiftung stehen (Abb. 6.4 und 6.5). Die Blüten der Wildform sind viel zierlicher als die der Gartenformen und außerdem etwas anders gefärbt: Die Nebenkrone ist intensiv dottergelb, die freien Kronblattzipfel jedoch blass zitronengelb. Ursprünglich stammt die Art aber gar nicht aus den Wiesen – diesen Standort verdankt sie ausschließlich einer traditionellen, heute kaum noch praktizierten Form der
Abb. 6.4 Wilde Narzissen sind viel kleinblütiger als die typischen Osterglocken aus dem Garten
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Abb. 6.5 Die prächtigsten Vorkommen von Wildnarzissen finden sich im belgisch-deutschen Grenzgebiet randnah am Hohen Venn
Wiesenbewirtschaftung. Eigentlich ist eine Pflanze lichter Laubmischwälder der Auen und Talhänge im niederschlagsreichen westlichen Europa. Von Natur aus kommt sie in einem weiten Bogen vom walisischen Bergland in Großbritannien, über Ardennen, Eifel und Hunsrück, Vogesen, die westliche Schweiz, Burgund, Zentralfrankreich bis hin zu den Pyrenäen vor. Die Pflanze ist in allen Teilen giftig – das gilt auch für die vielen Kulturformen.
7 Zum 1. Mai: Walpurgisnacht und Wonnemonat
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_7
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Seit dem Mittelalter hat der Mai im jahreszeitlichen Erleben einen besonderen Stellenwert – eventuell zurückgehend auf eine unter Pippin III. (um 715–768) im Jahre 755 begründete fränkische Tradition einer Heeresversammlung, die angesichts des Frühlingserwachens von allerhand heiteren Spielen und Turnieren begleitet wurde. Die winterliche Ruhepause in der Natur ist nun endgültig vorüber. Sichtbares Zeichen ist das frische Grün in der Flur und die spätestens jetzt auch im Bergland einsetzende Obstblüte, die eine gerade verschwenderische Fülle inszeniert. Das hat auch nachhaltig die Vorstellungswelt der Römer beflügelt: Mit Flora bezeichneten sie ihre für Blüten und Gärten zuständige Göttin. Nachweislich errichteten sie ihr schon im Jahre 238 v. Chr. im antiken Stadtzentrum Roms nahe beim Circus Maximus einen eigenen Tempel. Konsequenterweise hatte die göttliche Flora im Frühjahr auch ihre eigenen und – glaubt man den antiken Quellen – meist sogar ziemlich heftig begangenen Festtage: Die Floralia fanden jedes Jahr zwischen April und Mai statt, wenn auch im mediterranen Süden fast alles in Blüte steht. Nach römischer Auffassung soll die blumige Göttin Flora mit der seinerzeit ebenfalls hochverehrten Ceres verwandt sein, der wachsamen Göttin des Ackerbaus und aller der Ernährung dienenden Pflanzen. Das wäre eine durchaus treffliche verwandtschaftliche Linie. Weil nun der Mai so unverkennbar den Neubeginn in der Natur markiert (Abb. 7.1), führen manche Kulturhistoriker bzw. Volkskundler die Maifeier(n) sogar auf antike Ursprünge zurück. Dafür spricht auch der Monatsname: Er ist benannt nach dem Jupiter Maius, dem Wachstum bringenden Jupiter.
7 Zum 1. Mai: Walpurgisnacht und Wonnemonat 85
Abb. 7.1 Überall zeigt sich im Mai der Aufbruch in die neue Saison: Roter Hartriegel in Vollblüte
Wonniger Mai In der Öffentlichkeit bezeichnet man den Mai auch gerne als Wonnemonat – eine Zeit voller inniger Gefühle, tief empfundener Beglückung und betörender Genüsse. Tatsächlich ist diese Bezeichnung aber ursprünglich eine durchweg landwirtschaftliche Notierung, denn sie leitet sich vom althochdeutschen winna = Wiese oder Weideland ab und bezeichnet die Zeit, in der man das Vieh wieder auf seine jahreszeitlichen Futterplätze im Freiland treiben konnte. Der heute ausschließlich mit der betonten Gefühlswelt assoziierte Begriff im Sinne von Freudenmonat ist erst seit dem 16. Jahrhundert üblich, wie man der zahlreich überlieferten Liebeslyrik entnehmen kann. Die unstrittige Beliebtheit des Monats Mai zeigt sich indessen in einem vielfältig entwickelten Brauchtum, das sich allerdings mehrheitlich auf den Monatsanfang konzentriert – die jeweiligen Aktivitäten finden sogar überwiegend am Vorabend und/oder in der ersten Mainacht statt: Vor allem Walpurgisnacht, Maiansingen,
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Maibaumsetzen sowie das heute eher verrufene Mailehen mit Versteigerung der Dorfmädchen unter den Junggesellen wären hier zu nennen. Andere kalendarisch eventuell in den Mai fallende Festtage wie Pfingsten sind davon gänzlich unabhängig zu sehen.
Unterwegs zum Blocksberg: Die Walpurgisnacht Der 30. April ist das Namensfest der heiligen Walburga (ca. 710–779), einer gelehrten und geachteten Äbtissin, die vor allem im süddeutschen Raum missionarisch gewirkt hat. Obwohl man sie aus nicht näher ermittelbaren Gründen tatsächlich auch als Beschützerin vor Hexenspuk und Zauberkünsten versteht, hat sie mit dem Tun der Walpurgisnacht nun wirklich so gar nichts zu tun. Dieses ominöse Treiben, in den Vorstellungen naiver Gemüter vielfältig zu wahren Orgien ausgesponnen, ist Ausdruck eines alten und kulturhistorisch durchaus bemerkenswerten Aberglaubens. In dessen Mittelpunkt stehen die so benannten Hexen – sozusagen die personifizierten weiblichen Pendants des Bösen, die über widernatürliche Fähigkeiten verfügen und sogar in die Zukunft blicken können, wie man etwa dem geheimnisvollen Tun der drei Hexen der berühmten Brückenszene in der Tragödie Macbeth von William Shakespeare (1564–1616) entnehmen kann. Angeblich versammeln sich die Hexen in der Nacht zum 1. Mai – auf Besenstielen, Heugabeln oder Ziegenböcken herbeigeflogen – auf dem Brocken, der mit 1142 m höchsten Erhebung im Harz. Hier feiern sie in offenbar erotisch stark aufgeheizter Stimmung (vgl. die Walpurgisnachtszene in Goethes Faust I mit der konkreten Ortsangabe „Harzgebirg, Gegend um
7 Zum 1. Mai: Walpurgisnacht und Wonnemonat 87
Schierke und Elend“) ihren Hexensabbat. Bei den angeblichen Hexenritten waren gewiss Rauschdrogen (Hexensalben) beteiligt, vor allem eine ebenso berüchtigte wie gefährliche Zubereitung aus Tollkirsche (Atropa belladonna), Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) (Abb. 7.2) und Stechapfel (Datura stramonium) (Abb. 7.3). Alle drei Arten gehören zu einer Pflanzenfamilie, die den geradezu programmatischen und etwas gespenstischen Namen Nachtschattengewächse (Solanaceae) führen. Die pharmakologischen (wenngleich auch in anderen kulturhistorischen Kontexten interessanten) Details dieser Giftpflanzen blenden wir hier aus. Immerhin galten die vermeintlichen Hexen als kräuterkundige und irgendwie unheimliche Zauberweiber. Auf die unsägliche Hexenverfolgung bis zum 18. Jahrhundert ist hier ebenfalls nicht näher einzugehen.
Abb. 7.2 Das gefährliche Bilsenkraut gehörte zu den Ingredienzien der berüchtigten Hexensalben für die vermeint‑ liche Luftfahrt zum Blocksberg
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Abb. 7.3 Auch der hochgiftige Stechapfel – wenngleich bemerkenswert dekorativ – gehört zu den gefährlichen Drogen im Umfeld der Walpurgisnacht
Heute begeht man die Walpurgisnacht hier und da – nicht selten auch deutlich feministisch motiviert – als eher karnevaleskes Gruselevent mit ausgelassenen Partys und Tänzen um das Feuer. Auch gibt es vielerorts speziell auf Kinder abgestimmte Veranstaltungen, in der sich diese als kleine Hexen oder Teufelchen vergnügen dürfen.
Der traditionelle Maibaum Schon seit dem 16. Jahrhundert kennt man das Setzen eines Maibaums als erkennbares Zeichen der jetzt angebrochenen angenehmen Jahreszeit mit der wieder auflebenden Natur (vgl. Kapiteleingangsbild). Vor allem im ländlichen Raum wird ein möglichst imposanter Maibaum auf dem zentralen Dorfplatz meist schon am Nachmittag des 20. April von den Mitgliedern eines örtlichen Brauchtums- oder Junggesellenvereins bzw. der Feuerwehr geschickt aufgerichtet und in einer vorhandenen Befestigungsvorrichtung sicher verankert, nachdem die
7 Zum 1. Mai: Walpurgisnacht und Wonnemonat 89
Abb. 7.4 Kinder schmücken den noch liegenden Maibaum mit bunten Bändern
Dorfkinder ihn zuvor mit bunten Bändern geschmückt haben (Abb. 7.4) – aber immer nur in Handarbeit und meist ohne Kranhilfe, auch wenn er mehr als drei Dutzend Meter hoch sein sollte. Abgeschlossen wird diese Aktion durch ein gemeinsames Maiansingen. In der folgenden Nacht setzen die jungen Burschen in gemeinschaftlicher Aktion ihrer jeweiligen Liebsten einen deutlich überschaubarer bemessenen Maibaum – auch dieser ist nett dekoriert mit bunten Bändern und einer persönlichen Widmung. Die zuständigen Forstverwaltungen bieten dazu schon Tage vorher bei Durchforstungsarbeiten anfallende Bäume gegen ein erträgliches Entgelt an, um illegalen Fällungsaktionen vorzubeugen. In den größeren Städten ist die Beschaffung eines veritablen Maibaums dagegen ein kaum zu lösendes Problem. Hier behelfen sich die verliebten Jungs mit geschmückten Zweigen, die sie an den nächststehenden Laternenpfahl binden. Die so adressierte Angebetete wird dieses Zeichen sicherlich nicht übersehen. In den letzten Jahren hat es sich, allerdings nur in den Schaltjahren, regional übrigens eingebürgert, dass
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(ausschließlich) die weiblichen Jugendlichen losziehen und nächtens ihren verehrten Freunden ein solches Liebeszeichen aufstellen. Die Ansage ist eindeutig, denn oftmals hängt im bändergeschmückten Gehölz auch noch ein rotes hölzernes Herz mit dem Vornamen des so Beglückten. Gewöhnlich ist der öffentlich ebenso wie der privat aufgestellte Maibaum eine Birke, genauer ein Vertreter der überall häufigen Weiß- oder Hänge-Birke (Betula pendula) (Abb. 7.5). Vor allem wegen der hellen Rinde jüngerer Bäume symbolisierten sie schon in der Antike anlässlich von Fruchtbarkeitsfesten die jungfräulichen Göttinnen. Wo ungenutzte Brachflächen bestehen, findet sich die Birke neben wenigen anderen heimischen Gehölzen wie Sal-Weide (Salix caprea) oder Zitter-Pappel (Populus tremula) schon nach kurzer Zeit zuverlässig als Pioniergehölz ein. Reine Birkenwälder gibt es in Mitteleuropa nicht – die Art ist stets Begleiter in Forstkulturen bzw. auf Waldlichtungen, wo sie als betont lichtliebendes Gehölz auf Dauer ohnehin keine Chance hat. Außerdem werden
Abb. 7.5 In Mitteleuropa gibt es im Unterschied zu Nordeuropa keine reinen Birkenwälder. Dennoch ist die Weiß-Birke in vielen Waldtypen präsent
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Birken nicht sehr alt – maximal 100 Jahre sind eher die Ausnahme. Insofern ist die jährliche Entnahme von 10bis 20-jährigen und fast immer betont schlankwüchsigen Birken nicht unbedingt ein Frevel an der Waldnatur. Neben der häufigen Hänge-Birke ist auch die nahe verwandte Moor-Birke (Betula pubescens) nicht selten. Ihre jungen Triebe und Blätter sind flaumig behaart, und auch die Blätter haben einen etwas anderen Schnitt. Im fortgeschrittenen Sommer ist dieses Merkmal aber nicht mehr besonders ausgeprägt. Dann hilft allerdings ein Geschmackstest: Die Blätter der Hänge-Birke schmecken immer ziemlich bitter, die der Moor-Birke dagegen eher süßlich. Vor allem in Süddeutschland ist der öffentliche Maibaum eher ein Nadelholz, meist eine hohe, im gesamten unteren Stammteil entastete und geschälte Fichte (Picea abies). In manchen Orten trägt der Baum auch die Zunftzeichen der ortsansässigen Handwerker und erhält zum 1. Mai nur eine frische grüne Spitze.
Kleiner Exkurs: Wie entstehen Hexenbesen? Manchmal zeigt das ebenmäßige und fast grafisch wirkende Verzweigungsprogramm einer Baumkrone seltsame Abweichungen: Fast sieht es dann so aus, als hätten sich auf einzelnen Ästen dichte, wirr verzweigte kleine Büsche angesiedelt. Hexenbesen oder Donnerbüsche (Abb. 7.6) nennt sie der Volksmund, denn früher hielt man diese eigenartigen Gebilde tatsächlich für geparkte Luftfahrtgeräte aus der letzten Walpurgisnacht. Biologisch liegt ihnen jedoch ein ganz anderer Sachverhalt zu Grunde. Angeregt durch bestimmte Pilze –
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Abb. 7.6 Hexenbesen nennt man die infektionsbedingt übermäßige Zweigbildung vor allem bei Moor-Birken
seltener auch durch Milben – geht ein Ast durch gezielte Störungen seiner Wuchshormone punktuell zu einem außergewöhnlichen Verzweigungswachstum über und entwickelt in einer Saison ausnahmsweise gleich mehrere Zweiggenerationen. Auf engstem Raum drängen sich dann die zahlreich angelegten Seitenzweige zusammen. Recht häufig treten solche Hexenbesen bei Birken (vor allem Moor-Birke) auf, gelegentlich auch bei Erle, Hainbuche und Kirschbaum. Bei Fichten kann sogar der gesamte Wipfelbereich der Krone in einen einzigen Hexenbesen umgeformt sein. In diesem Fall spricht man vom Krähennest-Phänomen.
Aroma für die Maibowle Fast überall zwischen Mitteleuropa und Westsibirien kommt in Buchen- bzw. Laubmischwäldern von der Ebene bis ins Gebirge (ca. 1300 m) der Waldmeister (Galium odoratum) (Abb. 7.7) vor – eine kaum verwechselbare, wintergrüne. krautige Pflanze mit Wuchs-
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Abb. 7.7 Waldmeister liefert ein unkritisches Geschmackskorrektiv
beliebtes,
aber
nicht
höhen bis 30 cm. Im Boden bildet er lange, dünne, mehrjährige Kriechsprosse (Rhizome) mit langen Ausläufern, über die er sich auch vegetativ vermehren kann. Die Art gehört der gleichen Pflanzenfamilie Rötegewächse (Rubiaceae) an wie die Kaffeepflanze (Coffea spp.). Die etwas kantigen Stängel wachsen aufrecht und tragen aus 6–8 in charakteristischen Quirlen stehende schmalelliptische Blätter. Die kleinen Blüten sind reinweiß, und bis 5 mm breit. Ihre trichterförmige Krone besteht aus vier ausgebreiteten Kronzipfeln. Die Blüten stehen zahlreich in lockeren, doldenartigen Rispen. Zur Reifezeit (ab Juni) entwickelt sich aus dem Fruchtknoten eine trockene Spaltfrucht mit zwei einsamigen, fast kugeligen Teilfrüchten. Diese sind dicht mit rund 1 mm langen Borstenhaaren besetzt, die sich leicht im Fell kleiner Säugetiere verhaken und so die Ausbreitung der Art wirksam fördern. Frischgrüne Pflanzen duften nicht – erst beim Welken bzw. Trocknen grüner Pflanzenteile oder nach Verletzung entwickelt sich nach Ablauf einer Enzymreaktion das charakteristische Waldmeisteraroma, das aus dem Duftund Geschmacksstoff Cumarin beruht. Entgegen einer
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weit verbreiteten Einschätzung kann man Waldmeister auch während und nach der Blütezeit zum (vorsichtigen!) Aromatisieren von Getränken verwenden, beispielsweise der überaus beliebten Maibowle, die viele Gastronomiebetriebe bereits zum 1. Mai anbieten. Die auch gerne mit grünem Zuckersirup aromatisierte Berliner Weiße ist ebenfalls ein Klassiker für sommerliche Gartenfeste. Mit der Dosierung von Cumarin muss man allerdings vorsichtig sein – die bisweilen auch in der Homöopathie eingesetzte Substanz ist leicht giftig und beeinflusst die Blutgerinnung. Größere Mengen verursachen Kopfschmerzen oder gar Leberschäden. Immerhin: In chemisch leicht veränderter Form (= Dicumarol) verwendet man sie bezeichnenderweise beispielsweise als Rattengift. Für lebensmitteltechnologische Zwecke ist heute das etwas weniger bedenkliche 6-Methylcumarin gebräuchlich. Cumarin ist in der Pflanzenwelt weit verbreitet – unter anderem in Gräsern (beispielsweise Ruchgras, Anthoxanthum odoratum, und Mariengras, Hierochloe odorata ) sowie in vielen Vertretern der Schmetterlingsblütengewächse, vor allem in den Steinklee-Arten (Melilotus spp.). Daher geht auch der typische süßliche Heuduft auf diese Substanz zurück.
Politischer 1. Mai Im Jahre 1889 feierte der Internationale Arbeiterkongress (Gründungskongress der Zweiten Sozialistischen Internationalen) in Paris den hundertsten Jahrestag der französischen Revolution. Man beschloss enthusiastisch, den 1. Mai 1890 als Weltfeiertag des Proletariats einzurichten. In Deutschland scheiterten die beabsichtigten politischen Aktivitäten am 1. Mai aber zunächst noch an strikten obrigkeitlichen Verboten, aber 1919 erklärte die
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Nationalversammlung diesen Tag per Gesetz als staatlichen, aber dennoch nur zögerlich angenommenen und zeitweilig auch wieder stark eingeschränkten Feiertag vor allem für die Arbeiterschaft. Ausgerechnet die Nationalsozialisten verhalfen dem 1. Mai wirklich zum Durchbruch: Seit 1933 ist dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag und ein betonter sowie so gewollter Gegenentwurf zur „bolschewistischen Internationale“. Auch die Kirche mischte in den Zeitströmungen mit: Im Jahre 1955 legte Papst Pius XII. (Pontifikat 1939–1958) den ersten Maitag ebenfalls in einer Art Gegenbewegung als Fest des heiligen Josefs als Patron der katholischen Arbeitervereine fest. Schon Jahrzehnte zuvor hatte die katholische Kirche indessen die Marienverehrung akzentuiert und dennoch versucht, ihr ein sozialpolitisches Profil zu verleihen. Daher gilt der Mai ausdrücklich auch als Marienmonat. In den Kirchen und im privaten Bereich schmückt man die jeweiligen Madonnenstatuen mit meist weißen Blumen, in den Gotteshäusern überwiegend mit der bezeichnenderweise so genannten Madonnen-Lilie (Lilium candidum), zu Hause eher mit weißen Feld- oder Gartenblumen. Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinnahmten vor allem die Gewerkschaften den Tag für Aufmärsche und politische Kundgebungen, die jedoch zunehmend verblassen. Die heutigen Arbeiter unternehmen an diesem Tag jedoch viel lieber einen Ausflug ins Grüne, weil ihnen die seit Jahrzehnten wiederholten Phrasen nichts mehr bedeuten.
Verräterische rote Nelke Häufig eingesetztes Symbol bei den früheren Gewerkschafteraufmärschen war eine mitgeführte bzw. irgendwo an der Garderobe verankerte rote Nelke (Abb. 7.8).
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Abb. 7.8 An sich ist die rote Nelke durchaus dekorativ – aber als Blume deutlich aus der Mode gekommen
Diese symbolträchtige sowie durchaus ansehnliche und dekorative Zierpflanze ist indessen aus den Gärten und auch aus dem Blumenhandel fast vollständig verschwunden – auch Blumen haben offenbar eben ihre definierten Modezeiten. Die diesem Symbolgewächs zu Grunde liegende Garten-Nelke (Dianthus caryophyllus) hat nach moderner biologischer Auffassung keine Wildform, weil sie erst durch Hybridisierung nach Einkreuzung mehrerer wild vorkommender Sippen entstanden ist. Lange Zeit hielt man die an Gartenmauern im Mittelmeergebiet wachsenden Exemplare mit ungefüllten Blüten für eine mögliche Wildform, doch handelte es sich dabei immer um verwilderte Gartenexemplare einfacher Sorten der Garten-Nelke. Erst ab dem 16. Jahrhundert sind gefülltblütige Nelken nachgewiesen – unter anderem durch entsprechende Darstellung auf Gemälden von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553) oder Hans Holbein dem Jüngeren (1497–1543).
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In vorlinnéischer Zeit bezeichnete man die damals „Negelblum“ (wegen der mit einem schmalen, Nagel genannten Abschnitt gestalteten Kronblätter) genannte Pflanze nach einem altgriechischen Namen als Caryophyllus. Carl von Linné (1707–1778) behielt diese Bezeichnung in seinem Grundlagenwerk Species Plantarum jedoch erstaunlicherweise nicht bei, sondern benannte die gesamte Gattung als „Gottesblume“ Dianthus. Die ältere Bezeichnung lebt aber immerhin im Familiennamen der Nelkengewächse fort, die bis heute als Caryophyllaceae geführt werden, obwohl sie nach den gültigen Regeln eigentlich Dianthaceae heißen müssten. Sie sind somit eines der seltenen Beispiele für eine gänzlich abweichend praktizierte taxonomische Benennung. Und noch ein so meist nicht realisiertes Merkmal erscheint hervorhebenswert: Die so hervorstechend knallrote Nelke und alle anderen rot blühenden Vertreter dieser Familie enthalten als das Erscheinungsbild bestimmendes Pigment einen oder mehrere Vertreter aus der typenreichen Stoffgruppe der Anthocyane, die auch Klatsch-Mohn sowie Pfingstrosen so überaus wirksam und geradezu poppig ausfärben. In allen anderen Familien, die zur etablierten Ordnung Caryophyllales gehören, sind die zugrundeliegenden Pigmente der Blüten und Früchte jedoch Vertreter einer gänzlich anderen Naturstofffamilie, nämlich der nicht minder farbkräftigen Betalaine – so benannt nach dem überaus durchschlagenden Farbstoff der Roten Bete (Beta vulgaris), die – wenn Sie sie denn in Ihrem gemischten Salat vorfinden sollten – alle anderen Komponenten total übertönt. Übrigens: Man schreibt diese interessante Kulturpflanze, konsistent und klar abweichend von der häufigen Praxis selbst von 5-SterneRestaurants, tatsächlich nur mit einem „e“.
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Was macht denn ein Maikäfer im Juni? Pünktlich mit dem Frühjahr rollen zuverlässig diverse Wellen süßester Versuchungen an. Prominente Vertreter der heimischen Fauna dominieren nun als Schokoladenfiguren die Süßwarenregale der Supermärkte. Eigenartigerweise nimmt mit fortschreitender Saison die Zahl der Beine der verführerischen Appetithappen zu: Nach zweibeinigen Osterküken und vierbeinigen Osterhasen rücken nunmehr allmählich die sechsbeinigen Maikäfer klar in den Vordergrund (Abb. 7.9). Die meisten Mitmenschen werden die Schokoladenversion der gemütlichen Krabbeltiere eher kennen als die Originale aus der Natur. Durch Insektizideinsatz in Land- und Forstwirtschaft sind die Maikäfer europaweit fast überall eher selten geworden. Wenn sie allerdings in mehrjährigen Zyklen dennoch in Massen auftreten wie manchmal regional in Süddeutschland, werden sie sogleich zum Medienereignis. Schon früher haben sie die Gemüter stark bewegt. Im fünften Streich von Wilhelm Buschs
Abb. 7.9 Mit den Fühlerblättchen nehmen die Maikäfer sehr feine Düfte wahr. Das abgebildete Exemplar ist ein Weibchen
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„Max und Moritz“ überraschen sie das Opfer der Attacke unangenehmerweise gar im Bett. Das spezifische Design der Schokoladenzoologie ignoriert gewöhnlich, dass es in Mitteleuropa gleich drei verschiedene Maikäferarten gibt. Die bis knapp 3 cm langen Feldmaikäfer, wissenschaftlich Melolontha melolontha genannt, tragen meist einen schwarzen, gelegentlich braunen Halsschild, während er beim etwas kleineren Waldmaikäfer (Melolontha hippocastani) gewöhnlich braun und seltener schwarz ist. Zuverlässiger für die Artbestimmung ist die Form der Hinterleibsspitze (Abb. 7.10). Beim Feldmaikäfer läuft sie schlank aus, beim Waldmaikäfer endet sie mit einem rundlichen Knöpfchen. Dem Feldmaikäfer sehr ähnlich ist die allerdings sehr seltene Art Melolontha pectoralis, für die es keinen deutschen Namen gibt. Mit den ersten zuverlässigen Wärmeschüben kommen die Käfer aus dem Boden – Waldmaikäfer witterungsabhängig eventuell schon im April, Feldmaikäfer etwas später und in betont kalten Frühsommern sogar erst im Juni. Schon im Spätsommer des Vorjahres und nach fast
Abb. 7.10 Die beiden häufigeren heimischen Maikäferarten lassen sich relativ einfach (vor allem an ihrem Hinterteil) unter‑ scheiden: Feldmaikäfer (links) und Waldmaikäfer (rechts)
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vierjähriger Larvenzeit als Engerling im Wurzelraum sind sie aus der Puppe geschlüpft und verbrachten die Herbst- und Winterwochen kältestarr fast einen Meter tief im Boden. Ab etwa 20°C Lufttemperatur graben sie sich jedoch nach oben und schwärmen bei einbrechender Dunkelheit konsequent los. Nun suchen sie Laubbäume auf und fressen an deren frischen Blättern, um vollends geschlechtsreif zu werden, bevorzugt an Eichen, aber auch an Buchen, Hasel, Ahorn oder Obstbäumen. Vor allem abends schwärmen sie mit vernehmlichem Gebrumm in den Baumkronen: Die Männchen suchen dann eifrig nach paarungsbereiten Weibchen. Die über 50.000 Geruchsempfänger ihrer Fühlerlamellen registrieren selbst aus der größeren Distanz zunächst den Duft der frisch angebissenen Blätter und dann erst in der Nähe den Lockstoff der Weibchen. Nach der erfolgreichen Begattung legen die Weibchen in mehreren Schüben ihre Eier im tieferen Boden ab – Feldmaikäfer in der offenen Flur, Waldmaikäfer eher in der Nähe ihrer Nahrungsbäume. Schon nach der Eiablage sterben die meisten Weibchen ab. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die sich durch mehrjährigen Wurzelfraß mästen und dabei zu Engerlingen mit bis zu 5 cm Länge heranwachsen. Mit der Fortpflanzung ist die Lebensaufgabe der Käfer erfüllt. Spätestens im Laufe des Juni sterben auch die Männchen ab, und dann gibt es völlig planmäßig und gleichsam naturgewollt keine Maikäfer mehr (Reinhard Mey). In den Folgewochen treten dann nahe verwandte Arten wie die Juni- und die Julikäfer mit sehr ähnlichem Verhalten und vergleichbaren Lebenszyklen auf.
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© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_8
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Der heute so begangene und kalendarisch fixierte Muttertag ist ein jede auch nur halbwegs intakte Familie ungemein anrührender Termin. Überraschenderweise ist er indessen eine tatsächlich nur verhältnismäßig junge Erfindung aus den USA: Im amerikanischen Sezessionskrieg (1881–1885) setzte sich Ann Jarvis (1832–1905) nachdrücklich für die Betreuung der vielen Kriegsverletzten und die Versorgung der verbliebenen Witwen ein. Sie gründete folgerichtig den Mother’s Day Work Club und fand ab 1872 vehemente Unterstützung durch die Publizistin Julia Ward Howe (1819–1910). Die gleichnamige Tochter von Ann Jarvis (1864–1948) feierte den Todestag ihrer Mutter am zweiten Sonntag im Mai in ihrer methodistischen Heimatgemeinde als Memorial Mother’s Day Meeting, was sogleich eine unerwartete Resonanz fand: Schon 1910 wird der Mother’s Day im gesamten West Virginia begangen, und Präsident Woodrow Wilson (1856–1924) erklärt nach vielfachem Drängen den 8. Mai 1914 für die gesamten USA zum Muttertag. Mit der alsbald einsetzenden gewaltigen Kommerzialisierung des Gedenktages konnte sich Ann Jarvis II allerdings nie anfreunden und opponierte dagegen heftig, aber letztlich erfolglos.
Eine noch ziemlich junge Geschichte In Deutschland geht die Einführung des Muttertages ab 1925 vor allem auf den Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber zurück – das erinnert irgendwie an das forcierte Geschäftsgebahren anlässlich des Valentinstages. In den Folgejahren nahm sich besonders die evangelische Kirche des Gedankens an einen besonderen Muttertages an, während sich die katholische Kirche in dieser
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Frage vorerst noch erstaunlich bedeckt hielt. Direkt im Jahr der Machtergreifung (1933) bemächtigte sich der Nationalsozialismus sofort und bemerkenswert vorbehaltlos dieses Gedenktages, denn die Mutterideologie passte doch so hervorragend ins Parteiprogramm (vgl. die Einführung eines besonderen Mutterkreuzes im Jahre 1939). Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb es um den Muttertag zunächst einmal ziemlich still. Erst in den 1950er Jahren wurde die Idee aus verschiedener Richtung neu belebt, und seit dieser Zeit hat der Muttertag auch einen besonderen Kalendereintrag. Für einige Branchen ist er ein hervorhebenswert umsatzstarker Termin.
Blumen bzw. Flieder zum Muttertag Ein Blumenstrauß zum Muttertag, eventuell auch noch überaus passend und gefühlsbetont überreicht von einer kleinen Vertreterin bzw. einem ebensolchen Vertreter der F1-Generation, hat natürlich zweifellos etwas ungemein Anrührendes. Für die spezifische Komposition dieses Straußes, der im Wege der starken, wenn nicht sogar mitunter unsäglichen Kommerzialisierung dieses Tages häufig von anderen kleinen Geschenken begleitet wird, gibt es keine feste Regeln. Eingesetzt wird, was gefällt bzw. was verfügbar ist. Geradezu unschlagbar ist in dieser Aufgabenstellung der jetzt im Allgemeinen voll aufgeblühte Flieder: Man könnte die zugrundeliegende Spezies Syringa vulgaris daher auch geradezu als Muttertagsflieder bezeichnen (vgl. Kapiteleingangsbild). Der Flieder gehört überraschenderweise zu den Ölbaumgewächsen (Oleaceae). Die Gattung Syringa umfasst mindestens zwei Dutzend Arten, von denen die weitaus meisten in Ost- und Zentralasien beheimatet sind.
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Davon hat allerdings nur die Spezies Syringa vulgaris eine bis heute fortdauernde größere Bedeutung erlangt. Von Natur aus kommt diese dekorative Art auf dem Balkan als Unterholz in artenreichen Eichenwäldern und Gebüschgesellschaften an sonnigen, warmen Hängen vor. Ihre weitere, aber letztlich erfolgreiche Kulturgeschichte in Mitteleuropa ist einigermaßen verworren. Sicher ist lediglich, dass sie zunächst in Wien kultiviert wurde und von dort spätestens im 16. Jahrhundert den Weg auch in andere bedeutende botanische Gärten fand. Bis in die privaten Gärten war es damit gewiss auch nicht mehr sehr weit. Ab dem 19. Jahrhundert war der Flieder als Ziergehölz generell überaus beliebt und tatsächlich fast überall reichlich vorhanden. Schon zu diesem Zeitpunkt verwilderte er aber auch zunehmend aus den ihm zugewiesenen Gärten – ein Prozess, den man auch in der Gegenwart vielfach beobachten kann: Den Flieder kann man in manchen Gebieten somit tatsächlich als eingebürgerten Neophyten auffassen. Bemerkenswert ist zudem seine enorme Sortenvielfalt – schon um 1900 waren weltweit durch züchterische Maßnahmen über 1000 anerkannte Sorten entstanden. Flieder ist sicherlich eines der dekorativsten auch in unserem Raum verfügbaren Ziergehölze. Seine 4-zähligen Blüten gehören zum blütenökologisch so bezeichneten Stieltellertyp und sind zahlreich zu dichten, endständigen Rispen zusammengefasst. Die Krone ist trichterförmig und weist oberhalb der ziemlich engen Röhre 4 freie und ausgebreitete Zipfeln auf. Bei der Wildform ist sie immer dunkellila, bei Kultursorten dagegen blau, violett, rötlich oder sogar weiß (vgl. die Schnulze „Wenn der weiße Flieder…). Die Blüten duften ziemlich stark und angenehm – auch ein Grund für die ungebrochen gerne vorgenommene Wahl zum Gartengehölz (Abb. 8.1).
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Abb. 8.1 Garten-Flieder – blühstark, duftintensiv und einfach nur schön anzusehen: Die Fliederblütenstände gibt es immer im Doppelpack
Der in der ziemlich engen und Kronröhre eingeschlossene Nektar ist nur den mit langem Saugrüssel ausgestatteten Schmetterlingen und einigen der vorbehaltlos schützenswerten Wildbienen zugänglich, nicht jedoch den Honigbienen und auch nicht den meisten Hummeln. Schwebfliegen beuten vor allem das nicht allzu üppige Pollenangebot aus und sind damit wichtige Bestäuber. Wenn man Flieder im eigenen Garten anpflanzen möchte, sollte man unbedingt nur Sorten mit ungefüllten Blüten wählen (Abb. 8.2), denn die gefülltblütigen, wenngleich bei Gartenfreaks sehr beliebten Typen sind für die Kleintierwelt völlig unergiebig und geradezu nutzlos. Man kann sie daher aus sehr guten Gründen glatt vergessen.
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Abb. 8.2 Nur bei den ungefüllten Formen ist der enge Kron‑ röhreneingang für Besucherinsekten frei zugänglich
9 Pfingsten – das Symbolfest der Taube
Als einer der drei besonders herausgehobenen Festtage im Kirchenjahr begehen alle christlichen Kirchen und Gemeinschaften das Pfingstfest. An diesem speziellen Jahresfest ist nicht nur die spezifische Namengebung einigermaßen schwierig: Die scheinbar geläufige © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_9
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Benennung leitet sich nämlich – sprachlich äußerst stark verschliffen – ab vom altgriechischen Zahlwort pentekoste = 50, weil Pfingsten eben am 50. Tag nach Ostersonntag begangen wird. Die französische Bezeichnung Pentecôte und auch das englische Pentecost sind der historischen Wortherkunft bis heute unstrittig erkennbar noch deutlich näher. Ursprünglich meinte pentecoste übrigens tatsächlich nur den Zeitraum zwischen Ostern und Pfingsten – dieser zeitliche Abstand war, worauf bereits einer der frühen Kirchenväter und spätere Papst, Hippolytos von Rom (173–235), hinweist, interessanterweise auch mit der magisch anmutenden Zahlenangabe 7 × 7 Tage anzugeben, wobei dann Pfingstsonntag der 50. und abschließende Tag der nachösterlichen Freuden- und Feierperiode war. Da schon das christliche Osterfest exakt auf den Termin des jüdischen Passahfestes gelegt wurde, passte es sozusagen bestens, dass mit dem Pfingstsonntag ebenfalls ein früheres jüdisches Fest wirksam überprägt werden konnte: Am 50. Tag nach Passah erinnerte nämlich das rabbinische Judentum unter anderem an die Überreichung der bedeutsamen Gesetzestafeln an Moses auf dem Sinai. Vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem (70 n. Chr.) war es wohl eher ein Wallfahrts- bzw. Erntefest: Weil der Ostertermin jährlich wechselt – der zu Grunde liegende lunosolare Zusammenhang ist beim Osterfest (vgl. Kap. 6) näher erläutert – hat auch Pfingsten keinen genuin festen Kalendertag: Das Fest findet jährlich wechselnd frühestens am 9. Mai und spätestens am 13. Juni statt. Vor der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) war es jedoch eher ein Wallfahrtsfest, das mit der Ernte in Zusammenhang stand. Die ältesten Quellen (Ex 23, 16) sprechen sogar direkt vom "Fest der Ernte“.
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Ein schwieriges Fest Das Pfingstfest mit seinem auch staatlich sanktionierten Nachschlagfeiertag Pfingstmontag liegt nach seiner phänologischen Positionierung zuverlässig im äußerst angenehmen Spätfrühjahr, wenn fast alles in Blüte steht und die Natur weithin geradezu explodiert. Sollte dann passenderweise auch noch das allfällige Wetter stimmen, hält sozusagen nichts mehr die Familie davon ab, ins Grüne auszuschwärmen, den zirpenden Grillen zuzuhören, umhergaukelnde Schmetterlinge zu erleben oder das Vogelzwitschern zu genießen. Unter diesen äußeren Voraussetzungen ist der Freizeitwert des Pfingstfestes unbestritten einfach enorm – die Menschen genießen in vollen Zügen das höchst willkommen wahrgenommene verlängerte Wochenende. Aber: Mit dem eigentlichen Inhalt des Festanlasses können nur noch die wenigsten etwas anfangen. Tatsächlich ist sein spiritueller Gehalt nicht leicht und in einer weitgehend profanierten bzw. säkularisierten Öffentlichkeit offenbar schon gar nicht mehr überzeugend zu vermitteln. Direkter kirchlicher Festanlass für das Pfingstfest ist eine in der Apostelgeschichte (Apg 2, 1–41) geschilderte Begebenheit, wonach die in einem Hause versammelten Apostel und Jünger hier den Heiligen Geist als dritte der göttlichen Personen der Dreifaltigkeit (Trinität, so als Dogma erst im Jahre 381 verkündet) empfingen. Nach theologischem Verständnis bezeichnet der Heilige Geist die Gegenwart und Kraft Gottes, welche den Menschen innerlich bestimmt und in seinem Tun führt. Kirchenhistorisch verknüpft man mit der Niederkunft des Heiligen Geistes auf die versammelte Anhängerschar Jesu die Gründung der ersten christlichen Gemeinde. Einige Jahrhunderte lang war der Pfingsttag übrigens eher ein
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Christusfest, bis man die anfangs zu diesem Termin begangene Himmelfahrt in der Spätantike um 10 Tage nach vorne (auf den 40. Tag nach Ostern) verlegte. Damit war nun jedoch der Pfingstsonntag frei für neue Inhalte und wurde erst im 4. oder 5. Jahrhundert als Gedenktag der Aussendung des Geistes ausformuliert.
Die Sache mit der Taube Die christlich inspirierte Ikonographie stellt den Heiligen Geist vielfach und konsistent als weiße Taube dar: Dieses Symbol erscheint so beispielsweise in einer Axiallunette hoch über dem Hauptaltar des Petersdomes in Rom ebenso wie in etlichen gemalten Bildwerken, oft sogar schon in den meisten Darstellungen der Verkündigungsszene, die man im Blick auf das Geburtsfest 25. Dezember biologisch korrekt auf den 25. März (Mariä Verkündigung) terminiert hat. Die erste biblische Erwähnung einer Taube findet sich im Hohelied (5,2) – hier allerdings als klares Zitat für die Geliebte: Salomon schwärmt von seiner Sulamith als „meine Schwester, meine Taube, meine Fromme“. Nirgendwo im Neuen Testament ist allerdings die häufig zu vernehmende Deutung zu lesen, wonach der Heilige Geist in der konkreten Gestalt einer Taube zu den Menschen herabstieg. Der entscheidende Urtext im Matthäusevangelium (Mt 3, 16 f.) führt nämlich bezeichnenderweise Folgendes aus: „Er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und auf sich herabkommen“ (…et vidit Spiritum Dei descendentem sicut columbam venientem super se ). Gemeint ist damit natürlich das sanfte vogelgleiche Herabschweben und nicht ein tatsächlich herabflatterndes Vogelindividuum. Die betreffende Bibelstelle, welche die für die christliche
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Ikonographie folgenreiche Taufe Jesu im Jordan schildert, ist die einzige, in der die Taube als Erscheinungsform des Heiligen Geistes eine Rolle spielt. Im Pfingstgeschehen spielt sie allerdings erwiesenermaßen keine Rolle, auch wenn man früher in ländlichen Gemeinden (z. B. der Eifel) im Pfingstgottesdienst bei passender Gelegenheit von der Orgelempore tatsächlich eine weiße Taube in den Kirchenraum flattern ließ. Die nachfolgende Ikonographie hat hier vielfach eine andere Rollenzuweisung vorgenommen und verwendet die Taube als Pfingstorganismus ausgiebig sowie zahlreich. Dennoch ist die (weiße) Taube in ihrem Bedeutungsinhalt für die dritte göttliche Person kaum noch zu korrigieren.
Von der Felsen- zur Haustaube Trotz dieser Missinterpretation erscheinen ein paar Anmerkungen zu den Tauben angebracht. Obwohl in Mitteleuropa etwa mit Ringel- (Columba palumbus) und der selteneren Hohltaube (Streptopelia turtur) sowie dem aus Südosteuropa zugewanderten Neozoon Türkentaube (Streptopelia decaocta) auch heimische, aber meist nicht allzu auffällige Wildtauben vorkommen, stammen die meisten der heute als Stadttauben bezeichneten und fast nur hier auf Plätzen und Bahnhöfen individuenreich auftretenden Vögel von der im Mittelmeerraum beheimaten Felsentaube (Columba livia) ab (Abb. 9.1). Meist tragen sie sogar noch die typischen Gefiedermerkmale ihrer Wildform. Aber ab und zu sind auch andere Farbschläge darunter, die offensichtlich von spontanen Einkreuzungen verschiedener Haustaubenrassen herrühren. Der mit Beginn der Jungsteinzeit auch nördlich der Alpen einsetzende Getreideanbau bot der mediterranen Felsentaube attraktive Nahrungsangebote, und so wurde sie
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Abb. 9.1 Haus- und Stadttauben leiten sich von der ost‑ mediterranen Felsentaube ab
schon bald auch nördlich der Alpen zum konstanten und erfolgreichen Kulturfolger. Alle heutigen Haus-, Briefsowie Ziertauben-Rassen stammen von dieser Felsentaube ab, obwohl man zeitweilig auch die Beteiligung anderer eurasiatischer Taubenarten diskutiert hat. Moderne genetische Analysen schließen diese allerdings aus dem derzeit bekannten Bild aus. Wann die Felsentaube zur Haustaube wurde, ist archäozoologisch bislang nicht einmal in Umrissen fassbar, denn die zarten Taubenknochen werden bei gezielten Grabungen in alten Kulturschichten kaum gefunden. Die Impulse für ihre wohl baldige Domestikation waren zunächst sicherlich noch überwiegend kulinarischer Art: Taubenfleisch ist wegen seines Protein- und Ionengehaltes diätetisch bemerkenswert wertvoll und schmeckte vermutlich auch schon den Menschen der Vorzeit. Ferner dürfte die in dieser Spezies übliche betonte Bindung an Partner und Brutplatz auch schon früh die relativ einfache Freiflughaltung nachhaltig geprägt und erleichtert haben. Stadttauben sind generell bemerkenswert reproduktiv – das erklärt ihre meist große Anzahl in städtischen Bio-
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topen. Die Täubinnen sind bereits vier Monate nach dem Schlüpfen fortpflanzungsfähig, Tauber dagegen erst mit etwa sieben Monaten. Sie gehören somit zu den am raschesten heranreifenden Wirbeltieren. Bereits drei Wochen nach dem Schlüpfen erreichen sie ihr Adultgewicht.
Symbolfigur Taube Seit dem bedeutenden Konzil von Nicäa (325) gilt die Taube als Symbol des Heiligen Geistes und wird so auch in der gesamten christlichen Ikonographie der späteren Zeit dargestellt – übrigens immer als weiße Taube und somit ausschließlich in ihrer domestizierten Form. Die Ursprünge für gerade diese Symbolwahl sind kulturhistorisch aber nicht so recht klar zu fassen. Die erste bildliche Darstellung findet sich in einem aus dem 5. Jahrhundert stammenden Mosaik der bedeutenden (weil ältesten) Kirche Roms Santa Maria Maggiore. Das Bild von der taubenbegleiteten Taufe Jesu im Jordan hat damit bis in die Gegenwart in der christlichen Ikonographie seine Bedeutung behalten. Schon früh verband man die Taube wegen ihrer ausgeprägten Vermehrungsfreudigkeit mit Fruchtbarkeitsgottheiten. Möglicherweise hat sich gerade daraus das Symbol des Heiligen Geistes als geistig wie körperlich befruchtende Kraft entwickelt. Außerdem verhalten sich Tauben dem Menschen gegenüber immer betont friedfertig, denn sie wehren sich überhaupt nicht, wenn man sie in Händen hält. Das wiederum begründete ihre hervorhebenswerte Karriere als Friedenstaube. Geradezu weltberühmt wurde die „weiße Friedenstaube“ als populärste Grafik von Pablo Picasso (1881–1973): Als Motiv für ein beauftragtes Plakat des im April 1949 in Paris durch-
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geführten Weltfriedenskongresses wählte er seine erst im Januar dieses Jahres geschaffene Lithografie einer weißen (also domestizierten) Taube, die er absolut genial mit nur sechs geschwungenen Linien darstellte. Seiner am Vortag des Kongressbeginns geborenen Tochter gab er bezeichnenderweise den Namen Paloma, die spanische Bezeichnung für Taube. Das Taubenmotiv hat den überzeugten Pazifisten Picasso übrigens sehr oft beschäftigt: Äußerst anrührend ist sein Ölbild „Mädchen mit Taube“ (1901). Ein anderes der vielen Werkbeispiele ist die „Friedenstaube mit Blumen“ (1957).
Problematische Mitbewohner Fast europaweit sieht man die Stadttauben heute übrigens zumeist als ernstes Problem an. Nach starken Populationseinbrüchen im zeitlichen Umfeld des letzten Weltkriegs haben sich die von verwilderten Haustauben herleitenden Stadttauben enorm vermehrt, weil die zahlreichen Abfälle der Wohlstandgesellschaft und auch die gezielte (aber fast überall verbotene) Taubenfütterung ihnen eine gesicherte Nahrungsgrundlage bieten. Obwohl man die Stadttauben aus biologischer Sicht eher als eine Bereicherung der ansonsten extrem tierarmen Citybereiche unserer Städte ansehen könnte, haben sie – nicht zuletzt auch als mögliche Parasitenüberträger – ein ziemlich schlechtes Image. Am Kölner Dom, der wie auch bedeutende Gebäude in anderen Städten unter den zahlreichen dort brütenden Stadttauben und ihren Immissionen (jede Taube setzt jährlich etwa 8 kg Nasskot ab) besonders leidet, hat man sich schon vor längerer Zeit eine einigermaßen wirksame Bekämpfungsmethode einfallen lassen: Die in der Nähe angesiedelten Wanderfalken halten die Population zuverlässig unter Kontrolle.
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Die knalligen Pfingstrosen Der Sinngehalt des intellektuell zweifellos etwas anstrengenden Pfingstfestes stand seiner Popularität wohl schon immer arg im Wege. Das an diesen Termin angeknüpfte volkstümliche Brauchtum ist daher mehrheitlich wegen der jahreszeitlichen Einbindung von Pfingsten in die Phase des jetzt beginnenden sowie alsbald geradezu ekstatischen sommerlichen Blühens und Wachsens eher von ausgelassen-fröhlichen Frühlingsfeiern geprägt und weniger von der Pfingstbotschaft selbst. Eine gewisse Ausnahme stellen die Pfingstrosen dar (Abb. 9.2) – überaus dekorative Erscheinungen, die man wohl wegen ihres wunderbar passenden Blühtermins in der Monatswende vom Mai zum Juni so benannte. Gerade wegen ihrer enormen Schmuckwirkung verwendet man insbesondere die rotblühenden und üppig gefüllten Formen an Pfingsten als spezifischen Altarschmuck, denn die liturgische Farbe an diesem Kirchenfest ist zur Erinnerung an das Feuer des Heiligen Geistes rot.
Abb. 9.2 Die echte ungefüllte Blüten
Bauerngarten-Pfingstrose
entwickelt
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Die einfachblütige Wildform der Pfingstrose (Paeonia officinalis) stammt aus dem Mittelmeergebiet und fand schon früh den Weg in die Kloster- bzw. Bauerngärten. Die mindestens zwei Dutzend eurasiatische Arten umfassende Gattung Paeonia ist die einzige der Pflanzenfamilie Pfingstrosengewächse (Paeoniaceae). Früher stellte man sie in die Familie Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), aber aus mancherlei Gründen wurde sie aus dieser Verwandtschaft wieder herausgelöst. Unter anderem sprachen dafür die gänzlich abweichenden Inhaltsstoffmuster und weitere molekulare Daten. In der antiken und mittelalterlichen Kräuterliteratur wird die Pfingstrose indessen als besonders heilkräftig gerühmt. Ihren durch Carl von Linné (1707–1778) geprägten botanischen Gattungsnamen Paeonia erhielt sie nach dem in der griechischen Mythologie erwähnten Arzt Paian, der damit die unterweltliche, vom kräftig dreinschlagenden Herakles angeblich heftig malträtierte Gottheit Pluto geheilt haben soll. Obwohl auch die kräuterkundige Äbtissin Hildegard von Bingen (ca. 1098– 1179) die seinerzeit unstrittig anerkannten Heilwirkungen der Pfingstrose ausführlich beschreibt, wurde die Art aus den modernen Arzneibüchern wegen mangelnder bzw. schlecht erkennbarer Wirksamkeit schlicht gestrichen. Die intensiv rot gefärbten Kronblätter vor allem der üppigst gefülltblumigen Formen (Abb. 9.3) werden heute allenfalls noch als Farbgeber zur Verschönerung von Teedrogen verwendet. Übrigens: Wer im Garten eine blühende Pfingstrose erleben möchte, möge doch bitte die ursprüngliche Bauerngartenform mit ungefüllten Blüten verwenden (vgl. Abb. 9.2). Diese geben zwar dekorativ zugegebenermaßen nicht ganz so viel her wie die überaus pompösen gefülltblütigen Formen, aber sie sind für die heimische Insektenwelt ungleich nützlicher, weil die Blütenbesucher
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Abb. 9.3 Blütenökologisch sind die pompösen gefüllten Formen der Pfingstrose völlig nutzlos
hier tatsächlich noch die für sie als Nahrungsquellen interessanten bzw. unentbehrlichen Staubblätter und Fruchtknoten erreichen. Außer den bemerkenswert dekorativen Pfingstrosen gibt es wenige andere Pflanzenarten, die in ihrem Namen vor allem wegen des Blühtermins das Pfingstfest führen: Prominentes Beispiel ist die in Deutschland nur bis zum unteren Ahrtal verbreitete und auch dort extrem seltene Pfingst-Nelke (Dianthus gratianopolitanus) (Abb. 9.4), die in ihrem wissenschaftlichen Artnamenzusatz die Stadt Grenoble führt, was auf ihre submediterrane Herkunft hinweist.
Pfingstochsen gehören nicht unmittelbar zum Fest Ähnlich wie die Pfingstrose sind auch die geschmückten Pfingstochsen nicht unbedingt ursächlich oder gar inhaltlich, sondern allenfalls terminlich mit dem Pfingstfest
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Abb. 9.4 Nur wegen ihres Blühtermins heißt diese in Deutsch‑ land ziemlich seltene und aparte Pflanzenart Pfingst-Nelke
verbunden. In der traditionellen Vieh- und Weidewirtschaft wurden zum Pfingsttermin die bisher aufgestallt gehaltenen Rinder erstmals wieder auf die unterdessen ergrünten Weiden getrieben – in den Alpen auch auf die dann zumeist schon weitgehend schneefreien (unteren) Almen. Für die traditionelle bäuerliche Wirtschaft war das ein verständlicherweise ein besonders hervorhebenswerter Termin, den man auch entsprechend festlich beging. Das Leittier der auf die nunmehr saftigen Weiden geführten Tiere war gewöhnlich ein mit Grünzeug und/oder Feldblumen, die man zwischen die Hörner band, besonders auffällig geschmückter Ochse. Dieser Brauch trägt verständlicherweise deutliche regionale und vielerlei lokalspezifische Züge. Ein besonders geschmücktes und gar in einem Festzug mitgeführtes Weidetier ist nach manchem Empfinden vielleicht doch etwas übertrieben. „Aussehen wie ein Pfingstochse“ bezeichnet indessen konsequent
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und geradezu sprichwörtlich einen gänzlich unangemessen gekleideten Mitmenschen, der die Grenzen des geschmacklich Vertretbaren deutlich überschritten hat. Ist schon das regional bis heute übliche blumige Schmücken des Pfingstochsen ein überdenkenswertes und zuweilen mit übertriebenen Formen agierendes Ritual, erscheint ein unangepasst und vermeintlich wahnsinnig modisch gekleideter Mitbürger ganz und gar als eine gelungene Lachnummer, der man bestenfalls geschmackliche Verwirrung attestieren kann. Solche „Pfingstochsen“ (oder deren zweifellos auch vorhandene weibliche Pendants) werden Sie zuverlässig bei jeder nächsten City-Tour erleben können – nicht wundern oder gar ärgern, denn die Betreffenden können oder wollen offenbar nicht anders…
Die Peripherie von Pfingsten: Himmelfahrt und Fronleichnam Im Kalender sind vor und nach Pfingsten zwei wichtige kirchliche Fest- und in manchen Bundesländern auch gesetzliche Feiertage verankert – nämlich Christi Himmelfahrt (immer an einem Donnerstag zwischen dem 1. Mai und dem 4. Juni sowie 40 Tage nach Ostersonntag bzw. 10 Tage vor Pfingstsonntag) und Fronleichnam (ebenfalls immer an einem Donnerstag zwischen dem 21. Mai und dem 24. Juni resp. 10 Tage nach Pfingstsonntag und 60 Tage nach Ostern). Das Begängnis der geheimnisvollen Himmelfahrt Christi mag man dem Volksglauben gewiss noch relativ einfach verdeutlichen können, aber Fronleichnam umfasst trotz seiner in vielen Gegenden bis heute ungebrochenen Traditionen nur schwer vermittelbare Inhalte.
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Zu beiden Anlässen finden Prozessionen statt, an Fronleichnam etwa eine im Kölner Raum nach wie vor äußerst angesagte und eindrucksvolle Schiffsprozession auf dem Rhein (Mühlheimer Gottestracht). Für die Fronleichnamsprozessionen bauen die Anwohner in jeweils vier verschiedenen Ortsteilen kleine Altäre auf, an denen besondere Segnungen stattfinden. Der Prozessionsweg und auch das direkte Umfeld der Quartieraltäre werden gewöhnlich mit aufwändig hergerichteten Blumenteppichen geschmückt – ausgeführt mit in feuchten Sand gesteckten Blütenköpfen. Diese sammeln die Schulkinder schon ein paar Tage zuvor in den ortsnahen Fluren. Ein festspezifisch festgelegtes Artenrepertoire lässt sich dabei allerdings nicht ausmachen – es sind eben weit verbreitete, ziemlich häufige und zu dieser Zeit zuverlässig blühende Arten wie Gewöhnliche Wucherblume (Leucanthemum vulgare) (Abb. 9.5), Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvstris), Hahnenfuß-Arten (Ranunculus spp.) oder diverse gelb blühende Vertreter der Korbblütengewächse wie die Pippau-Arten (Crepis spp.). Angesichts der zunehmenden Artenverarmung und Verödung der modernen landwirt-
Abb. 9.5 Für Blumenteppiche an den Prozessionsaltären geben die heutigen Feldfluren meist nicht mehr viel her
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Abb. 9.6 Die eigens angelegten Blühsäume zur Stützung der heimischen Insektenwelt sollte man nicht unnötig plündern
schaftlichen Fluren, die nur noch von Gift und Gülle getriebenes Grün inszenieren, dürfte es immer schwieriger werden, genügende Mengen an Schmuckblüten zu sammeln, auch wenn es im dörflich-städtischen Wohnumfeld bemerkenswerte Versuche gibt, wieder üppige Blühsäume anzusiedeln (Abb. 9.6). Aber die sollte man besser nicht plündern…
10 Am 24. Juni ist Johannistag
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_10
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Die Nähe zum astronomisch-kalendarischen Sommerbeginn (am 21. Juni) ist unverkennbar. Der Tag selbst bezeichnet das Namensfest (genauer den Geburtstag) des Bußpredigers Johannes des Täufers (durch Herodes enthauptet 28. v. Chr.). In der dritten Juni-Dekade findet die Sommersonnenwende statt – die Sonne erreicht auf ihrer scheinbaren jährlichen Bahn durch die Ekliptik den höchsten Horizontabstand, weswegen man auch von Sommerpunkt, Sonnenstillstand oder Sommersolstitium spricht. Dieser schon erstaunlich früh völlig korrekt erkannte Zeitpunkt war bereits in vorgeschichtlicher Zeit eine besondere Kalendermarke, wie man etwa aus der astronomischen Bedeutung und dem rekonstruierten Brauchtum der einzigartigen Steinsetzung Stonehenge ableiten kann. In diesem Kontext sind die früher in vielen Gegenden entfachten, aber heute eher selten gewordenen Johannisfeuer zu sehen: Sie sollen ähnlich reinigende Wirkungen entfalten wie andere im Jahreslauf abgebrannte Feuer (beispielsweise Oster- und Martinsfeuer) und dadurch böse Geister bannen, welche die Ernte verderben sowie sonstiges Unglück über Mensch und Vieh bringen könnten. Kulturhistorisch gesehen handelt es sich hier jeweils um eine typische Vermischung vorchristlicher und kirchlicher Traditionen rund um den in seinem Erlebnischarakter sicherlich hervorhebenswerten Sommerpunkt – die christliche Brauchtumspflege versuchte eben möglichst viele heidnische Anlässe gleichsam zu absorbieren. Die offenkundige festkalendarische Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Sommerbeginn (meist 21. Juni, aus astronomischen Gründen seltener am Folgetag) und dem 24. Juni als Namensfest von Johannes dem Täufer ist bisher nicht überzeugend erklärbar.
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Johanniskraut im Vordergrund Früher war die Überzeugung verbreitet, dass in der Johannisnacht alle Kräuter und ihre Wurzeln zu wundertätigen bzw. zumindest gesundheitsfördernden Zauberpflanzen wurden. Daher wurde (und wird) der Johannistag in manchen Regionen immer noch als Termin einer Kräuterweihe begangen – zu diesem Anlass werden meist verschiedene Pflanzenarten zu einem Kranz zusammengebunden. Zu den in diesem Kontext am meisten genannten Arten gehören Bärlapp (Lycopodium sp.), Beifuß (Artemisia vulgaris), Eiche (Quercus robur), Farnkraut (wohl überwiegend Dryopteris filix-mas ), Johanniskraut (Hypericum perforatum, vgl. Kapiteleingangsbild), Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas), Kornblume (Centaurea cyanus), Lilien (Lilium spp.), Rittersporn (Delphinium spp.) und Rosen (Rosa spp.). Die weitaus meisten dieser Pflanzen besitzen keine besonderen pharmakologisch hervorhebenswerten Eigenschaften. Eine Ausnahme ist jedoch bemerkenswert – nämlich das absolut passenderweise so benannte Johanniskraut. Besondere Kräuterweihen finden übrigens auch an anderen Jahrestagen statt – insbesondere am 15. August (siehe dort).
Eine merkwürdige Heilpflanze Das Johanniskraut oder Tüpfel-Hartheu (Hypericum perforatum) ist eine ziemlich häufige Wildpflanze und draußen auf diversen Ruderalstandorten einfach nicht zu übersehen: Die wohl in erster Linie nach ihrem durchschnittlichen Blühbeginn um den kirchlichen Johannistag (24. Juni) so benannte Art ist eine an Wegrändern,
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Böschungen, Gleiskörpern und Waldrändern sowie auf Trockenhängen fast überall in Europa verbreitet. Übrigens wäre sie auch für den eigenen Wildkrautgarten eine durchaus empfehlenswerte und zudem dekorative Spezies. Meist nimmt man diese hübsche Wildpflanze gerade wegen ihrer Häufigkeit gar nicht mehr als etwas Erwähnenswertes wahr, aber wie so oft: Das genauere Hinsehen und ein zusätzliches harmloses Experiment zeigen jedoch mancherlei Merkwürdigkeiten. Die Blüten sind zwar im Prinzip fünfzählig, aber: Sie tragen ihre bis zu 100 Staubblätter eigenartigerweise in nur drei üppigen Büscheln (Abb. 10.1). Diese ungewöhnliche Vergrößerung der Staubblattzahl bezeichnet man in der die Blütenbiologie als sekundäre Polyandrie. Die Blüten zeigen jedoch noch weitere Merkwürdigkeiten: Ihre fünf Kronblätter sind nämlich ganz und gar asymmetrisch und bilden zusammen eine eher windradähnliche Figur. Nur die in der Aufsicht jeweils linke Seite eines Kronblattes ist ein wenig gezähnt. Zudem trägt sie in den Zwischenräumen der randlichen Zacken auffällig dicke
Abb. 10.1 Johanniskraut besticht durch seine ungewöhnliche Blütenkonstruktion
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und schwärzliche Punkte. Im Lupenbild erweisen sie sich als Sekretbehälter: Wenn man – und nun folgt Ihr kleines Experiment – ein oder zwei Kronblätter (oder noch besser eine Blütenknospe) zwischen den Fingerkuppen zerquetscht, setzen diese ganz unerwartet einen kirschroten Inhalt frei. Der Volksmund nennt ihn eigenartigerweise Elfenblut. Dieser besondere Inhaltsstoff enthält mehrere Komponenten, vor allem das farbgebende Hypericin. Dieses ist chemisch gesehen ein Mitglied der in Natur sonst nicht allzu häufig auftretenden Anthrachinone. Vor allem damit begründete sich der Ruf des Johanniskrautes als Heilpflanze. Besondere Zubereitungen setzt man traditionell gegen nervöse Unruhe und mittelschwere Depressionen ein, wobei die therapeutische Wirksamkeit allerdings umstritten ist. Dagegen sind zwei weitere Randeffekte hervorhebenswert: Der rote Wirkstoff Hypericin macht die Haut betont pigmentarmer Personen erwiesenermaßen ziemlich lichtempfindlich: Diesen Effekt bezeichnet man als Photosensibilisierung. Genauso wirkt das hübsche Johanniskraut übrigens auch auf hellhäutige bzw. weißfellige Weidetiere, sofern diese größere Mengen der Pflanze konsumiert haben sollten. Die zweite hervorhebenswerte Wirkung der Pflanzen betrifft die Leber: Ihr Wirkstoff Hypericin aktiviert nämlich in den Leberzellen den für den Zellstoffwechsel enorm wichtigen Hilfsstoff Cytochrom 450, und der wiederum fördert recht effektiv den Abbau von Arzneiwirkstoffen – und darunter fatalerweise auch die hormonellen Komponenten der „Pille“. Nach vorliegenden Erfahrungsberichten wurden Studentinnen, die in der Prüfungsphase zur gezielten und sicherlich nötigen Nervenglättung ein von den konsultierten Apotheken für diesen Zweck ausdrücklich empfohlenes JohanniskrautPräparat eingenommen hatten, just nach erfolgreichem Examen prompt und sogar nicht erwartet schwanger.
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Der Artnamenzusatz perforatum im wissenschaftlichen Namen des Johanniskrautes bedeutet durchlöchert. Er bezieht sich auf die zahlreichen lochartig erscheinenden Bereiche der grünen Laubblätter, die man besonders bei Betrachtung im Gegenlicht gut erkennt. Es sind aber keine wirklichen Löcher, sondern die in die Blattgewebe zahlreich eingelassenen kleinen Behälter mit einem ätherischem Öl, das jedoch andere Inhaltsstoffe führt als die auffälligen rotschwarzen Kronblattdrüsen. Nur in den Blattrandbereichen finden sich wenige schwärzliche Sekretbehälter mit Hypericin. Nach der mittelalterlichen Signaturenlehre glaubte man tatsächlich, dass solcherart auffällig durchlöcherte Johanniskraut sei ein zuverlässiges pflanzliches Hilfsmittel bei Hieb- und Stichverletzungen, was natürlich blanker Unfug ist.
11 Die Kraft der Kräuter (15. August)
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Mitten im August feiert die katholische Kirche ihr ältestes und bedeutendstes, wohl schon im 5. Jahrhundert entstandenes Marienfest. Im heutigen kirchlichen Festkalender trägt es die offizielle Bezeichnung Aufnahme Mariens in den Himmel. Volkstümlicher und so auch in allen profanen Kalendern eingetragen heißt es Mariä Himmelfahrt. Die besonderen theologischen bzw. religionsgeschichtlichen Implikationen, die den spezifischen Inhalt dieses Festes ausmachen, werden hier aus sicherlich nachvollziehbaren Gründen nicht weiter aufgefasert. Für das besondere Anliegen dieses Buches ist viel bedeutsamer, dass an diesem Tag traditionell die Segnung von (nützlichen) Kräutern stattfindet – ein uralter Brauch, denn entsprechende kirchliche Segnungsformeln lassen sich schon im 10. Jahrhundert nachweisen. Durch die Segnung soll die damals schon lange anerkannte Heilkraft mancher Kräuter für den Menschen und seine Nutztiere bekräftigt und verstärkt werden. Das früher in die Segnung einbezogene Gebet enthält ferner die ausdrückliche Bitte, durch die gesegneten Kräuter möge die Gnade Mariens den Menschen und allem Vieh zugute kommen und alle vor Krankheiten, Seuchen, Schlangengift, den Biss anderer gefährlicher Tiere sowie zum Schutz gegen die Anfechtungen durch den Teufel schützen. Die seit 1978 übliche neuere Segnungsformel betont dagegen das göttliche Wirken in der belebten Natur und die daran geknüpfte Überzeugung, dass mit den Kräutern die Schönheit der Felder und Gärten in den Gottesdienst einzieht und ihn zu einem sommerlichen Fest der Freude ausgestaltet. Immerhin: Ein bunter Kräutergarten im persönlichen Umfeld ist gewiss nicht nur eine Augenweide (vgl. Kapiteleingangsbild). Im 20. Jahrhundert verflachte das früher weit verbreitete Brauchtum der Kräutersegnung allerdings oder wurde vielerorts sogar gänzlich aufgegeben. Seitdem aber
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(nicht nur) die heimischen Heilpflanzen und ihre zweifelsfrei erwiesenen medizinischen Wirkungen in jüngerer Zeit und in weiten Kreisen im Wege der Rückbesinnung auf eine größere Naturnähe tatsächlich eine gänzlich neue Wertschätzung als Naturheilmittel erfuhren, wurde der alte Brauch der Kräuterweihe vor allem im ländlichen Bereich vielfach wieder neu belebt – oftmals initiiert von Heimat- bzw. Brauchtumsvereinen und dann auch gerne unterstützt von den örtlichen Kirchengemeinden.
Krautbund oder Krautwisch Gegenstand der Kräutersegnung waren (und sind) nicht etwa einzelne Stängel oder Zweige wie am Palmsonntag, sondern aus vielen heimischen oder im Garten gedeihenden Arten zusammengebundene Sträuße. Die Anzahl der im Krautbund bzw. -wisch verwendeten Arten orientierte sich vielfach an besonderen religiös motivierten Zahlen – es waren mindestens drei (in Anlehnung an die Dreifaltigkeit), häufig auch sieben (Hinweis auf die Sakramente), nicht selten auch 12 (Anzahl der Apostel) oder fallweise noch weitaus mehr, denen dann allerdings kein besonderer Symbolgehalt mehr zu unterstellen war: Es gibt verlässliche Berichte beispielsweise aus dem Rheinland, wonach man mancherorts sogar 77 oder selbst 99 verschiedene Kräuter zum Krautwisch bündelte. Das dürfte heute angesichts der immer monotoner ausfallenden Gärten ebenso wie der landwirtschaftlichen Fluren nicht mehr so ganz einfach zu leisten sein. Die genaue Zusammensetzung des zur Segnung vorbereiteten Straußes (Wisches) richtete sich erwartungsgemäß nach dem lokal verfügbaren Artenspektrum. Zu den in den diversen Quellen am häufigsten genannten Arten gehören:
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Alant (Inula helenium ) Baldrian (Valeriana officinalis ) Dost (Origanum vulgare ) (Abb. 11.1) Kamille (Chamomilla recutita ) Königskerze (Verbascum spp.) Rainfarn (Tanacetum vulgare ) Ringelblume (Calendula officinalis ) Salbei (Salvia officinalis ) Schafgarbe (Achillea millefolium ) Seifenkraut (Saponaria officinalis ) Wegwarte (Cichorium intybus ) (Abb. 11.2) Wermut (Artemisia absinthium )
und damit Arten, die in der offenen Flur bis heute einigermaßen häufig sind oder aus dem eigenen Garten entnommen werden konnten. Alle benannten Arten sind schon in der mittelalterlichen Klostermedizin hoffnungsfroh und überzeugt eingesetzte Heilpflanzen, die man
Abb. 11.1 Dost ist fast immer ein Bestandteil des traditionellen Krautwischs
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Abb. 11.2 Auch die schmucke Wegwarte band man in den Krautwisch ein
früher auch in der ländlichen Selbstmedikation verwendete. Heute gibt es für diesen Einsatz bei manchen Arten allerdings einige Vorbehalte, beispielsweise bei Rainfarn, Seifenkraut und Wermut, weil sie nach neuerer Erkenntnis (auch) problematische Inhaltsstoffe aufweisen, die für die Selbstmedikation einfach ungeeignet sind. Konsistenter Bestandteil des Krautstraußes waren ferner auch einige Ähren der in der umgebenden Flur angebauten Getreidearten. Mancherorts band man auch genau so viele Blütenstände des aromatischen Alants aus dem eigenen Bauerngarten ein, wie Menschen, Kühe und Pferde auf dem betreffenden Hof lebten.
Gezielter Einsatz im Notfall Der gesegnete und anschließend an der Luft getrocknete Kräuterstrauß wurde zu Hause in einer wasserlosen Vase – eventuell in einem besonderen Andachtswinkel im
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Wohnbereich – aufgestellt. Bei einem aufziehenden, schweren Gewitter oder anderem drohenden Unwetter verbrannte man einige Teile davon auf der Herdstelle. Dem erkrankten Vieh mischte man bei angezeigtem Bedarf ein paar Kräuterzweige daraus ins Futter oder kochte ihm gar einen besonderen Kräutertee. Bis zur neuen Kräuterweihe im folgenden Sommer war der Vorrat somit meist aus irgendwelchen Anlässen aufgebraucht. Weggeworfen wurden die Kräutersträuße auf keinen Fall, denn sie waren immerhin gesegnet.
Eine Summe langer Traditionen Die meisten der oben aufgeführten Pflanzenarten wuchsen früher auch in den ländlichen Hausgärten. In diesem Fall war die Zusammenstellung eines entsprechenden Artenpotpourris für die Kräutersegnung eher eine einfache Aufgabe. Erst in jüngerer Zeit ist mit der funktionalen Versachlichung der Gartenanlagen an Haus und Hof eine zunehmende Distanz zu so wichtigen Kriterien unseres ureigensten Lebensraumes wie Arten- und Funktionsvielfalt eingetreten. Dieser kulturkritisch gesehen zweifellos ungute Wandel ist im direkten Zusammenhang zu sehen mit tiefgreifenden Veränderungen durch Technisierung und Rationalisierung in nahezu allen Lebensbreichen des ländlichen Raumes. Obwohl sie unsere vorgegebene Umwelt unterdessen völlig umstrukturiert haben, sind gewiss auch die positiven Seiten solcher Entwicklungen nicht zu übersehen. Aber: Die so veränderten Lebensbedingungen haben gerade im ländlich-dörflichen Raum einen beträchtlichen Verlust an vielerlei Kulturgut mit sich gebracht. Davon sind die tradierten Lebensformen ebenso betroffen wie das zugehörige Sachgut. Nur zögerlich machen sich
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Rückbesinnungen bemerkbar – die neue Wertschätzung der nutzbaren Wildpflanzen gehört sicherlich dazu. Die von den Volkshochschulen angebotenen Kräuterseminare bzw. -exkursionen erfreuen sich größter Beliebtheit, und das ist ein durchaus positives Signal.
Artenreiche Kräutergärten stehen auf der Verlustliste Zu den lange verkannten und vernachlässigten Sachgütern bäuerlicher Tradition gehören unter anderem die traditionellen Kräutergärten an Haus und Hof. Gerade im dörflichen Bereich prägten früher die artenreich bestückten Gärten das Erscheinungsbild des Siedlungsraumes. Zwar befanden sich hier und da zwischen den einzelnen Anwesen auch Obstanger oder Baumwiesen, doch wurden die Freiflächen dazwischen gewöhnlich von hausnahen Gärten eingenommen. Solche Kräuterund Nutzgärten sind überaus aufschlussreiche Zeugnisse der Lebens- und Wirtschaftsweise früherer Zeiten. Bezeichnenderweise kommt gerade das bunte Inventar eines Bauerngartens (Abb. 11.3 und 11.4) dem modernen Konzept des naturnahen und vor allem artenreichen Gartens sehr nahe. Die Geschichte der hausnahen Gärten reicht weit über das frühe Mittelalter in die Zeit zurück, in der die Menschen von der jagend-sammelnden zur wirtschaftenden Lebensweise übergingen. Ein genaueres Bild von Bestückung und Gestaltung eines Funktionsgartens geben erstmals schriftliche Quellen aus dem 9. Jahrhundert, darunter die berühmte Domänenverordnung Capitulare de villis, entstanden im höfischen Umfeld Karl des Großen im Jahre 812. Programm-
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Abb. 11.3 Im traditionellen Blumengarten sind viele bemerkens‑ werte Pflanzenarten vertreten – so auch die schmucke BergFlockenblume
Abb. 11.4 Bäuerlich-ländliche Gärten bedienen bis heute vieler‑ lei Anforderungen
identisch ist damit der gartengeschichtlich zu Recht berühmte, im Jahre 820 entwickelte Gartenplan im leicht idealisierten Grundriss des Klosters St. Gallen. Eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung zeigt auch das lateinisch abgefasste, im Jahre 827 entstandene Gartengedicht Hortulus des frommen Abtes Walahfried von
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Strabo aus dem Kloster Reichenau. Die ersten fassbaren Dokumente über Pflanz- und Kräutergärten sind demnach bemerkenswerterweise allesamt auf der benediktinischen Traditionslinie anzusiedeln. Auch die in den Schriften der heute wieder hochgeschätzten, weil kräuterkundigen Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) zusammengefassten Pflanzenbeschreibungen stehen zweifellos in dieser Tradition. Sicherung, Pflege und Weitergabe des angesammelten botanischen Wissens fiel anfänglich nur in die Aufgabenbereiche der Klöster. Von diesen Quellen wurden natürlich auch die bäuerlichen Gärten nachhaltig beeinflusst. Neben der Feldbestellung, der Tierhaltung und der Waldnutzung war nämlich der Gartenbau die vierte wichtige Stütze in der bäuerlichen Selbstversorgung. Somit waren gerade die Bauerngärten daher immer eine unverzichtbare Einrichtung zur Deckung des Eigenbedarfs an Pflanzen und Pflanzenprodukten (Abb. 11.5). In diesem essenziellen Beitrag unterscheiden sich die alten Gärten wesentlich von modernen Gartenanlagen, die weniger als Stätten zur Pflanzenproduktion, sondern eher
Abb. 11.5 Es geht auch ganz anders: Ein artenreicher Garten lädt geradezu ein zum Reinsetzen…
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als grüner Lebensraum verstanden werden oder gänzlich zum Deko-Objekt im Designer-Look verkümmerten. Vordringliche Aufgabe des bäuerlichen Hausgartens war es, die Versorgung mit küchentauglichen Gemüsepflanzen sicherzustellen. Fast alle Gemüsearten bzw. -sorten, die heute noch in ländlichen Nutzgärten zu finden sind, führt bereits das berühmte „Capitulare“ als empfehlenswertes Pflanzgut auf. Manche der dort benannten Gemüsearten gehören allerdings nicht mehr zum heutigen Anbauprogramm, etwa die Pastinake, die Garten-Melde oder der Geißfuß. Pastinake und Geißfuß finden sich heute jedoch nicht selten als Kennarten in ruderal geprägten Pflanzengesellschaften entlang von Gebüschen und Säumen. Melde und Pastinake werden neuerdings als lange vergessene, aber empfehlenswerte Gemüse wiederentdeckt.
Erstaunliche Funktionsvielfalt Außer den Gemüsepflanzen war eben auch eine größere Anzahl von Kräutern fester Bestandteil des Bauerngartens, darunter besonders die Artengruppe der Gewürz- und Aromapflanzen. Hierbei ist in erster Linie an die zahlreichen Vertreter der Doldenblütengewächse (Apiaceae) und der Lippenblütengewächse (Lamiaceae) neben einigen Repräsentanten der Korbblütler (Asteraceae) zu denken. Immerhin: Das gesamte klassische Gewürzsortiment der raffinierten Kräuterküche rekrutiert sich bis heute nahezu ausschließlich aus den Vertretern dieser drei Pflanzenfamilien und ihrer überwiegend mediterranen Herkünfte, die in klösterlichen und bäuerlichen Gärten bereits eine mehr als 1000-jährige Tradition aufweisen. Viele dieser Arten sind gleichzeitig wertvolle Medizinalpflanzen. Mit den rund zwei oder gar drei Dutzend Aromalieferanten, die sich spätestens seit dem oben erwähnten Capitulare
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durch sämtliche Pflanzeninventare der klösterlichen bzw. ländlichen Gärten verfolgen lassen, konnte auch der bäuerliche Garten gleichsam eine Doppelfunktion erfüllen: Er war nämlich Würzgarten und Kräuterapotheke zugleich. Der gezielte Einsatz von Kräuterzubereitungen bei kleineren oder größeren medizinischen Alltagsproblemen verlangte allerdings besondere Kenntnisse der Grenzen und Möglichkeiten einer Phytotherapie bzw. Selbstmedikation. Diese gewachsene Bedeutung von Heilpflanzen (auch oder gerade) aus dem eigenen Garten wird in unserer Zeit erfreulicherweise wieder neu geschätzt: Die beispielsweise von Naturschutzverbänden und Volkshochschulen angebotenen Kräuter-Seminare erfreuen sich erfahrungsgemäß größter Beliebtheit.
Ein bunter, schöner Kräutergarten Erprobte Nützlichkeit steht der anerkannten Schönheit einer privaten Gartenanlage überhaupt nicht im Wege. Viele Aromapflanzen des Bauerngartens sind gleichzeitig ausgesprochen dekorative Erscheinungen, wenn man etwa an Echte Engelwurz, Alant, Muskateller- bzw. ScharlachSalbei oder an Balsamkraut denkt. Die Pflanzen des bäuerlichen Gartens, die auch in dieser Hinsicht etwas hergaben, fanden bevorzugt Eingang in das regionale Brauchtum, darunter eben auch in die traditionelle Kräutersegnung im August. Im traditionellen bäuerlichen Garten gedieh verständlicherweise neben den Pflanzen mit erwiesener medizinischer Wirksamkeit mitunter auch ein wenig der naive Aberglaube. Die Großblütige Königskerze oder ihre nahen Verwandten mögen hierfür als Beispiel dienen. Als Beimischung in Hustentees leisten sie im Verein mit anderen Bestandteilen sicherlich willkommene Linderung
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und wirksame Hilfe. Als „Blitzkraut“ oder „Wetterkerze“ gewährt eine schmucke Königskerze nach der Überlieferung dem Haus auch Schutz vor Blitzschlag und Unwettern, und schon allein deswegen war sie fast immer Bestandteil eines Krautwisches. Gerade darin wird ein tief verankertes Empfinden vom weitreichenden Nutzen der Kräutergartenflora spürbar: Wenn schon viele Pflanzenarten erfolgreich gegen allerlei körperliche Beschwerden einzusetzen waren, sollten sie doch auch gegen übernatürlich erscheinende Bedrohungen oder schicksalhafte Ereignisse wirksam anzuwenden sein. Im früheren ländlichen Umfeld hatten die Pflanzen eben nicht nur realnützliche Eigenschaften, sondern auch einen besonderen symbolischen Stellenwert. Die überkommene grüne Philosophie eines bäuerlichen Gartens unterscheidet in der Nutzung seiner Produkte somit nicht nur nach streng rationalen Kategorien. Eine wichtige Funktion ist heute hinzugekommen: Artenreiche Gärten sind wichtige Proviantstationen für vielerlei sympathische Kleintiere (Abb. 11.6 und 11.7).
Abb. 11.6 Auch ganz wichtig: Nur artenreiche Gärten erfüllen die Lebensraumansprüche wichtiger Kleintierarten
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Abb. 11.7 Vor allem in artenreich bestückten Hausgärten findet sich der schmucke Admiral als Blütengast ein
Vielfalt auch auf kleinem Raum Zu Recht hat man dem Bauerngarten immer wieder verzierte Nützlichkeit attestiert – sein oft zitierter Dreiklang aus Blumen, Gemüsen und Kräutern steht einerseits für Funktionsvielfalt, aber auch für Farben- und Formenreichtum. Die Liste der nachweisbaren und zum Teil bis heute noch verwendeten Bauerngartenpflanzen umfasst etwa 200 verschiedene Arten. Natürlich ist in keinem früheren oder gar heutigen Privatgarten dieses respektabel umfassende Arteninventar komplett vertreten, selbst wenn ein durchschnittlich bestückter früherer bäuerlicher Garten sicherlich auf einen Bestand von 30 bis 50 verschiedenen Arten kam. Die solcherart auch numerisch dokumentierbare und geradezu kunterbunt blumige Vielfalt eines traditionell artenreich bestückten Hausgartens ist eines der Leitmotive, die den Bauerngarten gerade auch aus ökologischer Sicht als eine besonders erhaltens- und auch im privaten Bereich nachahmenswerte Institution erscheinen lassen.
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Fast überall nur grässliche Kontrasterlebnisse Von der unkomplizierten Heiterkeit eines traditionellen Kräutergartens lassen nämlich die heutigen Gärten meist nur noch wenig erkennen (vgl. Abb. 11.8). Sie neigen dazu, freie und in der Region gewöhnlich nicht vertretene Natur nachzuahmen (Steingärten, Heidegärten) oder Monokulturen (Tulpenbeete, Rosenrabatten, Zwergkoniferen-/ZierrasenMischbestände) anzulegen. Der ursprüngliche Artenreichtum bleibt dabei erwartungsgemäß total auf der Strecke. Das Umfeld der Wohn- und Wirtschaftsgebäude entspricht damit im Wesentlichen dem Aspekt der freien Flur – von Ausräumung und Bereinigung geprägte Gleichförmigkeit, deren Monotonie einfach keine nennenswerten Lebensraumfunktionen mehr zulässt. Auf einer Fläche, die überwiegend unter streichholzkurzem Scherrasen begraben liegt, kann sich natürlich kein Artenreichtum einstellen.
Abb. 11.8 Auf den ersten Blick vielleicht ein wenig chaotisch, aber auf jeden Fall lebensnah und insofern eine echte Öko-Oase
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In nahezu vollendeter Form zeigt dagegen der traditionelle bäuerliche Garten alle Merkmale, die der ökologisch orientierte Gartenbau unter dem Stichwort Mischkultur oder naturnaher Garten aufgreift und empfiehlt. Ein nach diesen Vorstellungen artenreich bestückter Kräuter- und Nutzgarten kann sich erstaunlicherweise durchaus Toleranz gegenüber allerlei Zaungästen leisten, ohne unter etwaigem Schädlingsbefall gleich so hemmungslos zusammenzubrechen, wie es auf den monostrukturierten Anbauflächen der Agrarlandschaft ohne ständigen Gifteinsatz der Fall wäre. Der üppig bunte und vielfältig durchstrukturierte Bauerngarten entspricht unbedingt dem alternativen Bild des naturnah und anreichernd bewirtschafteten Nutz- und Ziergartens. Mit seinem abwechslungsreichen Mosaik aus Pflanzen unterschiedlicher Wuchshöhe und Blühperiodik erscheint er nicht nur dem betrachtenden Auge attraktiv, sondern bietet auch zahllosen Kleintierarten zumindest zeitweise Nahrung und Unterschlupf. Bis weit in den Herbst finden Blüten besuchende Insekten ein ausreichendes Angebot. Wo ein genügendes Nahrungsspektrum vorhanden ist, stellen sich auch samen- oder insektenfressende Kleinvögel umso zahlreicher ein. In der weitgehend ausgeräumten, artenverarmten Kulturlandschaft kann der reichhaltig bestückte Garten daher eine wichtige Ausgleichsfunktion übernehmen. Fortgeführte oder wiederbegründete Gärten nach dem sympathischen Vorbild der alten bäuerlichen Nutz- und Ziergarten erweisen sich daher als regelrechte Inselbiotope. Damit könnte sich der Gedankenkreis schließen, denn vor allem solche Gärten und nicht die betont pflegeleichten Monokulturen empfinden wir heute als Abbilder des Paradieses.
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Eine neue Perspektive? Die lange gewachsene, immer wieder erweiterte und verbesserte Mehrfachfunktion als Wirtschafts-, Kräuter- und Ziergarten kennzeichnen einen Bauerngarten zweifellos als eine besondere Kulturleistung und somit auch im institutionellen Sinne als Kulturdenkmal. Anlage und Pflege regionaltypischer Bauerngärten übernehmen seit geraumer Zeit auch die Freilichtmuseen bäuerlicher Kulturdenkmäler. Sie zeigen einerseits die alten bäuerlichen Anwesen in ihrem vollständigen Funktionszusammenhang, betonen andererseits aber auch, wie sich denkmalwerte Gebäude durch typische einrahmende Gärten viel wirkungsvoller in ihren neuen Standort einbinden lassen. Zum Teil steht der Gartentyp Bauerngarten aber auch eigenwertig im Mittelpunkt der musealen Denkmalpflege. Nur im Rahmen der sicherlich engagierten Museumsarbeit allein lässt sich der bedauerliche Niedergang der bäuerlichen Gartenkultur jedoch nicht auffangen. Der schöne, artenreich bestückte und daher ökologisch wirksamere Garten, der auch dem Erscheinungsbild unserer Kultur- und Siedlungslandschaft wesentlich zuträglicher wäre, bleibt ein unverzichtbares Aufgabenfeld vor allem für private Gartenbesitzer. Gegen eintönige, langweilige und wirkungslose Gärten an Haus und Hof ist in der Tat manch interessantes Kraut gewachsen (vgl. Abb. 11.9 und 11.10). Und vielleicht ist auch der aus dem eigenen Garten zusammengestellte Kräuterbund eine bedenkenswerte Maßnahme. Eine verbreitete und geradezu traditionell bei vielen Gelegenheiten zitierte rheinische Weisheit lautet immerhin: „Man weiß nie, wofür es gut ist“.
11 Die Kraft der Kräuter (15. August) 145
Abb. 11.9 Paradiesisch? Aber ja!
Abb. 11.10 War schon einmal ein Igel in Ihrem Garten? Dann haben Sie den Garten-Ökotest (schon beinahe) gewonnen
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© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_12
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Die meisten mitteleuropäischen Menschen decken ihren Bedarf an Lebensmitteln heute üblicherweise durch einen gezielten Besuch im Supermarkt: Sie streifen an den hier gewöhnlich überreich bestückten Regalen vorbei und beladen den fahrbaren Warenkorb eher reflektorisch mit ihren Wunschprodukten. Vom traditionellen natürlichen Ablauf der Lebensmittelproduktion mit Säen, Pflanzen, Pflegen und Ernten im eigenen Garten sowie dem damit verbundenen aktiven Erleben der durchweg sogar recht mühsamen gärtnerischen bzw. landwirtschaftlichen Nahrungsproduktion sind sie damit natürlich total abgekoppelt. Ihr Verhältnis zu den vielen guten Gaben, die irgendwann auf dem Familienesstisch stehen, ist somit durchweg ziemlich sachlich-distanziert und zudem (leider) weitgehend unreflektiert.
So selbstverständlich ist es nicht Einerseits artikuliert sich darin – was die hierzulande normalerweise permanent gesicherte Versorgungslage angeht – sicherlich eine überaus positive Entwicklung: In unseren Breiten muss man sich um das nötige tägliche Brot und auch sonstige pflanzliche Konsumarten sicherlich keine besonderen Gedanken machen – es steht einfach alles rund um’s Jahr in genügender Menge zur Verfügung. Aber andererseits geht im soziokulturellen Kontext damit eine bedeutende Wahrnehmung gänzlich verloren, nämlich die Gewissheit, dass die gezielte Nahrungsmittelproduktion auf den Äckern und Feldern sowie in den eigenen Gärten ein durchaus risikobehaftetes Unterfangen ist. Eigentlich müsste man sich am Ende der Wachstumssaison zu Recht darüber ausdrücklich und äußerst dankbar freuen, wenn ohne nennenswerte Unbilden
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Abb. 12.1 Der spätsommerliche Garten verspricht eine reiche Ernte
Abb. 12.2 Auch die fast schnittreife Gerste ist ein Grund für den baldigen Erntedank
der Natur einmal wieder eine gute und ertragreiche Ernte heranwachsen und eingefahren werden konnte (Abb. 12.1 und 12.2). Die städtische Bevölkerung – sie nimmt heute in unseren Regionen den deutlich überwiegenden Teil ein – ist dafür meist nicht mehr besonders sensibilisiert. Am ehesten ist bei den Menschen im ländlichen Raum noch ein aufmerksames und waches
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Sensorium dafür entwickelt, was draußen gerade vorgeht und was man an spannenden saisonalen Entwicklungen in der Flur oder im Hausgarten verfolgen kann.
Freude über die gute Ernte In einer zunehmend profanierten, von religiösen Inhalten und Vorstellungen aus mancherlei und sicherlich bedauerlichen Gründen immer mehr abgerückten (angeblich multikulturellen) Öffentlichkeit kommt man meist nicht mehr unbedingt auf den Gedanken, dass eine gut verlaufene Wachstumssaison bei den Feld- und Gartenfrüchten eventuell nicht einfach selbstverständlich ist, sondern dass nach glücklichem Abschluss der zeitweilig sicherlich mühsamen Anbau- und Erntearbeiten eventuell ein dankbares Innehalten angezeigt ist. Schon im 3. Jahrhundert beging die frühe katholische Kirche vor diesem spezifischen Hintergrund besondere Erntedankfeste. Weil die Ernte je nach Klimagebiet regional unterschiedlich in verschiedenen Wochen des Jahresablaufs eingebracht wurde, gab es dafür früher verständlicherweise keinen einheitlichen Termin – mit Ausnahme vielleicht des jüdischen Laubhüttenfestes (nach 2 Mos 23, 16), das ebenfalls der Erntedank-Thematik gewidmet war. Nach stark wechselndem Brauch in früheren Zeiten mit durchaus begründbaren Terminen zwischen August und November verlegte man den fälligen Erntedank in jüngerer Zeit mehrheitlich auf das Wochenende nach dem 29. September (Michaelstag) oder auf das erste Oktoberwochenende danach. Den letzteren Termin bestimmte auch die deutsche katholische Bischofskonferenz im Jahre 1972, obwohl ein dezidiertes Erntedankfest nicht ausdrücklicher Bestandteil der sonstigen Festfolge im Kirchenjahr ist und den Gemeinden damit keine
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besondere Verpflichtung auferlegt wurde. Diese letztlich jedoch durchaus glückliche Terminwahl geht übrigens erstaunlicherweise auf eine administrative preußische Verordnung aus dem Jahre 1773 zurück. Der heilige Michael, der mit dem bäuerlich-gärtnerischen Wirken eigentlich so gar nichts zu tun hat, verdankt die Positionierung seines Namensfestes als kalendarischen Fixpunkt für den frommen Erntedank wohl eher zufällig der jahreszeitlichen Terminlage am erkennbaren Ende der Vegetationsperiode.
Vielerlei Ausdrucksformen In vielen ländlichen Gebieten mit gefühlsmäßig persistierender Nähe zum aktuellen Geschehen in Feld und Flur begeht man das Erntedankfest traditionell Ende September oder Anfang Oktober und mancherorts bis heute sogar mit besonderen Festumzügen, die einem erstaunten Publikum erwartungsgemäß speziell hervorhebenswerte, weil ungewöhnliche Ernteerfolge (der größte Kürbis, der dickste Kohlkopf, der schönste Rettich u. a.) vorführen. Vielfach wird zu diesem Anlass auch ein aus Getreideähren gebundener Garbenkranz oder eine ähnlich gefertigte Erntekrone mitgeführt, die anschließend demjenigen Bauern zur Aufbewahrung übergeben wird, von dessen Acker das verwendete Deko-Material schon im Sommer vor dem Getreideschnitt entnommen wurde. Wo keine besonderen Umzüge stattfinden, gibt es vielerorts zumindest besondere dem Erntedank gewidmete Gottesdienste. Die als ausdrücklichen „Dank für die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“ (so im Wortlaut die kirchliche Empfehlung) begangene Eucharistie flankieren vor dem Altar in Körben niedergelegte Produkte vor allem aus den eigenen Gärten – eben die gesamte übliche Palette der meist von Kindergarten-
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und/oder Schulkindern deponierten Auswahl der in den Familien selbst produzierten und fein säuberlich hergerichteten Gemüse wie Bohnen, Gurken, Kartoffeln, Kohl-Sorten, Kürbis, Möhren, Salat sowie Stangen-Lauch. Diese ergeben natürlich einen überaus farbenprächtigen dekorativen Rahmen (Abb. 12.3).
Globalisierung im Einkaufskorb Aber hätten Sie das wirklich geahnt? Selbst ein nur kurzer Gang durch den etwaigen eigenen Gemüsegarten (und erst recht zwischen den Einkaufsregalen im Supermarkt) gerät unversehens, aber so meist gar nicht wahrgenommen zum Ausflug in ganz andere Erdteile: Die Salatgurken stammen aus Nordindien, die Küchen-Zwiebeln aus Afghanistan und der Spinat aus dem Kaukasus. Die
Abb. 12.3 Zum Erntedank bringt man einen Teil der Garten‑ früchte zum Altar
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gewöhnlich ziemlich sortenreich und zu allen Jahreszeiten angebotene Tomate ist gar in Mittelamerika beheimatet und trägt übrigens auch in unserer Sprache bis heute noch den Namen, den ihr bereits die Azteken gaben. Die schlanken Zucchini, die von der gleichen Wildpflanze abstammen wie die superdicken Halloween-Kürbisse, kommen ebenfalls aus dem tropischen Amerika. Die Erbse ist im Mittelmeergebiet beheimatet, ebenso wie der heute ganzjährig überaus sortenreich vertriebene Kopfsalat. Bohnen stammen je nach angebauter Art aus Südamerika, Afrika oder Ostasien. Somit ist schon allein das üblicherweise angebotene Gemüse in unserer Zeit der zumeist so nicht wahrgenommene Ausdruck eines umfassend globalen Geschehens (Abb. 12.4).
Durchaus bescheidene Beiträge Dagegen ist die ursprünglich heimische Flora auf den eigenen Gartenbeeten und erst recht in den Supermarktregalen gänzlich unterrepräsentiert. Nicht einmal die
Abb. 12.4 Hinter dem Gartenzaun reift eine verheißungsvolle Fülle heran – aber sie genügt kaum noch heutigen Ansprüchen
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weniger erwünschten Wildkräuter, die man gewöhnlich etwas erbarmungslos als Unkräuter diffamiert, halten sich an die von der Natur vorgegebene Biogeographie – sie sind keine Mitteleuropäer, sondern stammen wie Kamille, Kornblume, Klatsch-Mohn und andere Klassiker der Feldflur bezeichnenderweise meist aus den gleichen Herkunftsgebieten wie die hoch geschätzten Nutzpflanzen. Bei den benannten Arten ist es der so benannte Fruchtbare Halbmond in Vorderasien, von wo die Evolution der meisten unserer heutigen Getreidearten aus ursprünglichen Wildgräsern ihren Ausgang nahm. Der Prozess des globalen Artentausches dauert übrigens immer noch an. In jedem durchschnittlich bestückten Garten oder seinem Umfeld finden sich daher (auch) Wildkrautarten aus allen Kontinenten.
Aus aller Herren Länder Selbst wenn die heimische Flora beispielsweise mit der Wilden Möhre (Daucus carota) oder Pastinake (Pastinaca sativa) heute in der Kulturlandschaft häufige und weit verbreitete Arten aufweist, spricht das nicht unbedingt für deren biogeographischen Domestikationsbereich – sie wurden nämlich vor allem in Südeuropa zu ihrer heutigen Sortenvielfalt herausgebildet. Das gilt auch für weitere heute bedeutsame Gemüse: Die Stammpflanze aller Kohlsorten, der Klippen-Kohl (Brassica oleracea), kommt zwar wild in Deutschland (aber nur auf Helgoland) vor, wurde aber ebenfalls nicht in Mitteleuropa, sondern vor allem im mediterranen Süden zu seiner beachtlichen Formenund Sortenvielfalt entwickelt. Dazu gehören außer den diversen Kopfkohlen, die eigentlich Superknospen darstellen, immerhin so unterschiedliche Erscheinungsbilder wie Rosen-, Blumen-, Grün- und Krauskohl sowie Brokkoli oder Wirsing. Einige Kohl-Formen erkennt
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man übrigens schon von diversen Pflanzendarstellungen auf den Wandfresken mancher Villen des nach dem Vesuvausbruch (79 n. Chr.) urplötzlich untergegangenen Pompeji. An den atlantischen Küsten Westeuropas und wiederum mit dem einzigen deutschen Standort Helgoland kommt als bemerkenswerte Wildpflanze die Wilde Rübe (Beta maritima) vor. Von dieser Art leiten sich gleich vier heute recht bedeutsame Kulturpflanzen ab – nämlich Rote Bete, Mangold, die für die Tierhaltung wichtige Futter- oder Runkelrübe sowie die wirtschaftlich heute besonders bedeutsame Zuckerrübe. Die ersteren beiden sind wiederum im Mittelmeerraum zu Gemüsepflanzen herausgebildet worden. Nur die Zuckerrübe ist erst seit dem 18. Jahrhundert vor allem in Deutschland und in bemerkenswert kurzer Zeit von einem Apotheker zu einer ertragreichen Kulturpflanze herausgezüchtet worden. Somit bleibt der spezifische Beitrag der heimischen Flora zur modernen Gemüse-Kulinarik doch eher recht bescheiden. Absehen muss man in diesem Kontext allerdings von der bemerkenswerten Tatsache, dass in den
Abb. 12.5 Nur wenige Nutzpflanzen haben ihren Ursprung in Mitteleuropa – darunter die Meerstrand-Rübe, die Stammpflanze von Mangold und Zuckerrübe
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letzten Jahren die gezielte Verwendung essbarer Wildkräuter als Gemüse, in Wildkrautsalaten oder in daraus zubereiteten -suppen wieder ein verstärktes und bislang konstantes Interesse findet (Abb. 12.5).
Abhängig vom Rest der Welt Auch das sollte man sich anlässlich eines Erntedankfestes besonders verdeutlichen: Es ist nämlich schon überaus erstaunlich, mit wie vielen Produkten gerade der nichtheimischen Pflanzen man an einem ganz und gar durchschnittlichen Tag zu tun hat. Die umfangreiche Parade beginnt bereits beim morgendlichen Ritual im Bad mit allerhand Duftessenzen in Duschgel, Parfüm bzw. Rasierwasser. Dann folgen die üblichen Tagestextilien eventuell aus afrikanischer Baumwolle. Das anschließende Frühstück bringt die Fortsetzung mit Kaffee aus Kolumbien oder Tee aus Indien, mit Erdnussbutter aus den USA oder einem Fruchtjogurt mit Guave oder Maracuja aus Honduras. Bevor man den Fuß vor die Haustür auf die Matte aus Fasern der mexikanischen Sisal-Agave setzt, steckt man noch schnell eine Banane aus Costa Rica für die gelbe und einen Schokoriegel mit Erntegut aus Sri Lanka für die lila Pause am Vormittag ein. Im Mittagessen finden sich Kartoffeln, Tomaten oder Paprika und weitere Pflanzen, die zwar bei uns wachsen, aber ihre eigentliche Heimat in der Neuen Welt haben. Nun ja, und dann wäre da eventuell noch eine Cocktailparty anlässlich eines Kollegengeburtstages, mit deren Zutaten man ebenfalls angewandte Botanik aus weit entfernten Biogeographien inszeniert. Bevor der Tag zu Ende geht, hat man mit seinen eigentlich als ganz normal empfundenen Lebensund Konsumgewohnheiten tatsächlich größere Teile des Welthandels beflügelt (Abb. 12.6).
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Abb. 12.6 Bananen (im Bild ein üppiger Blütenstand) sind ein konsistentes Importgut aus tropischen Fernen
13 Rund um die Rebe: Der Wein und seine Winzerfeste
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Irgendwann Ende September, aber spätestens Anfang Oktober (und angesichts des Klimawandels meist deutlich früher) ist es soweit: Die hauptberuflich oder auch nur in ihrer Freizeit tätigen Winzer eilen in ihre Weingärten („Wingerte“) und ernten die Fruchtstände mit den reifen Weinbeeren, die man botanisch völlig unkorrekt (leider) als Weintrauben bezeichnet, nachdem zuvor deren tatsächlicher Zuckergehalt (fachmännisch als Mostgewicht bezeichnet) bestimmt wurde. Die dazu eingesetzte Standardmessmethode ist gewöhnlich die Refraktometrie: Deren Messprinzip ist die Zunahme der Brechzahl n (Brechungsindex) einer Lösung mit der Menge eines darin gelösten Stoffes. Die Bestimmung von n erfolgt gewöhnlich über den gegenüber einer Kontrolle (reines Lösemittel, meist Wasser) veränderten Brechungswinkel. Hinsichtlich ihrer Konstruktion und Handhabung unterscheiden sich die verschiedenen Refraktometer-Bautypen beträchtlich. Die durchaus bemerkenswerten technischen Details sind hier aber sicherlich entbehrlich.
Weinreben tragen gar keine Trauben Als Traube bezeichnet der klassisch-morphologisch trainierte Botaniker konsistent nur eine ganz besondere Verzweigungsform bei den Blütenpflanzen: In einer veritablen Traube sitzen die Einzelblüten (und folglich auch später die Früchte) jeweils auf Seitenstielen einer ansonsten grundsätzlich unverzweigten Hauptachse. Sind diese Seitenzweige dagegen ihrerseits und eventuell sogar mehrfach verzweigt, liegt nach den Kriterien der fachlichen Definition unstrittig eine Rispe vor. Das Fruchtensemble der Johannisbeeren ist somit unstrittig eine richtige Traube, aber dasjenige der immer verzweigten Fruchtstände der Weinbeeren repräsentiert ebenso ein-
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Abb. 13.1 Die fast erntereifen roten Weintrauben sind – botanisch gesehen – eigentlich Beerenfrüchte an Rispen
deutig eine Rispe (Abb. 13.1). Die durchweg übliche Handelsbezeichnung „Weintrauben“ ist somit zwar seit langem eingeführt und absolut gängig, liegt begrifflich indessen ganz und gar eindeutig daneben; aus der heutigen volkstümlichen Begrifflichkeit ist sie aber offenbar einfach nicht mehr zu löschen.
Bemerkenswert lange Tradition Der Weinbau kam gewiss mit den Römern in das heutige Deutschland, wobei aber genau datierbare Quellen für die regionalen Anfänge zumeist leider fehlen. Für das Weinbaugebiet Mosel gibt es immerhin den römischen Dichter Decimus Magnus Ausonius (310–393), der im Jahre 371 sein weindokumentarisch überaus bemerkenswertes Gedicht Mosella verfasste. Dieses berichtet von den damals offenbar schon im bis heute bewundernswerten Steilhanganbau vorhandenen Rebanlagen und vom Winzerleben der Region (Abb. 13.3). Alle sonstigen verwertbaren
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Quellen zum Weinbau stammen frühestens aus dem Mittelalter. Die immer berechtigte Sorge um Ungeziefer oder Unwetter, welche die Ernteaussichten gefährdeten, veranlasste die Winzer in fast allen heutigen Weinbaugebieten, um göttliche Hilfe nachzusuchen. Das erklärt die zahlreichen bis heute vorhandenen Kapellen oder Heiligenstatuen in der Rebflur. Die heiligen Helfer der Winzer waren für deren besondere Anliegen neben der Gottesmutter Maria je nach Region vor allem Kilian, Laurentius, Vitus und sogar Martin. Als wichtigster Weinheiliger zumindest in den deutschen Weinbaugebieten gilt einerseits der heilige Papst Urban I. (unbekannt–230). Üblicherweise wird er zusammen mit seinen päpstlichen Insignien, aber oft auch mit dem Fruchtstand der Weinrebe (Rispe!) auf einem Buch oder in der Hand dargestellt. Sein spezifisches Patrozonium begründet sich nach dem Termin seines Gedenktages am 25. Mai – an diesem Tag soll er als Märtyrer verschieden sein, und der gleiche Tag soll nach der Überlieferung den spätesten Termin der im Frühjahr fälligen Pflegearbeiten im Weinberg markieren. Nach anderer Auffassung ist allerdings gar nicht dieser Papst Urban als Weinpatron gemeint, sondern vielmehr der beliebte Bischof Urban von Langres (unbekannt–375). Mit der Verehrung des (oder der) Heiligen Urbans als Beschützer der Rebfluren verbreiteten sich seit der frühen Neuzeit vielerorts mancherlei liturgische und profane Bräuche, unter anderem besondere Bittprozessionen in die Rebfluren (unter Mitführung einer Urban-Statue) oder vergleichbare Flurumgänge. Da die Weinrebe im Erwerbsleben vieler in dieser Form der Sonderkulturen Tätigen eine wirtschaftlich tragende Rolle spielte, liegt ihre auch im religiös motivierten Brauchtum verankerte Bedeutung einfach nahe.
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Wein- und Winzerfeste Spätestens ab Mitte September begeht man (zumindest in den rheinischen) Weinbaugebieten vielerorts die traditionellen Winzerfeste. Konsumiert werden dabei überwiegend die noch jungen Weine der Vorjahresernte, denn die Ergebnisse der aktuellen Lese können wegen der fehlenden und als absolut notwendig empfundenen Reifezeit im Weinkeller eigentlich noch gar nicht verkostbar vorliegen. Allenfalls finden sich im Angebot die von dezidierten Weinkennern nicht wirklich ernst genommenen jungen und noch im Gärprozess befindlichen Produkte wie Federweißer oder Federroter. Diese sind nach ihren kulinarischen Qualitäten von einem ausgereiften und zuvor gekonnt kellertechnisch behandeltem Produkt natürlich denkbar weit entfernt.
Botanisches zu einer besonderen Nutzpflanze Nach anbautechnisch-botanischen Kriterien ist die Weinrebe (Vitis vinifera ) aus der Familie Weinrebengewächse (Vitaceae) ein von Natur aus bis 20 m hoher Kletterstrauch. Diese ausschließlich sommergrüne Kletterpflanze befestigt sich an ihrer jeweiligen Stütze mit verzweigten, gegen den Uhrzeigersinn windenden Ranken, die tatsächlich umgebildeten Blütenständen entsprechen. Die Triebe sind anfangs behaart, aber später meist kahl; die Ranken oder die daraus entstandenen Blütenstände fehlen an jedem dritten Sprossknoten. Die Blätter sind immer lang gestielt, im Umriss rundlich bis herzförmig, mit unter-
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schiedlich großer Stielbucht ausgestattet, 3- bis 5-lappig, scharf gezähnt, oberseits kahl, unterseits dicklich behaart und im Herbst (sortenabhängig) goldgelb oder intensiv rot. Die Blüten sind erstaunlicherweise recht unscheinbar, nämlich grünlich gelb und nur schwach duftend. Sie stehen zahlreich in aufrechten oder bogig abstehenden Rispen (= Gescheine) an der Basis jüngerer Triebe (Abb. 13.2). Ihre Kelch- und Kronblätter fallen schon frühzeitig ab. Bei der Wildform sind die Blüten immer eingeschlechtig (zweihäusig), bei Kulturreben dagegen überwiegend zwittrig. Die daraus entstehende Beerenfrucht ist kugelig bis länglich, bei der Wildform nur etwa erbsengroß und schwärzlich blau sowie von betont saurem Geschmack, bei den zahlreichen Kulturreben dagegen sortenabhängig gelbgrün, rotbraun oder blauviolett. Die in Mitteleuropa beheimatete Wildform ist übrigens vom Aussterben bedroht.
Abb. 13.2 Die gegen Ende Juni entwickelten Blüten der Wein‑ rebe – fachmännisch Gescheine genannt – markieren den Beginn einer hoffnungsvollen Saison
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Abb. 13.3 Bevor man Winzerfeste feiern kann, ist viel harte Arbeit erforderlich, vor allem im Steillagenanbau. Dieser Wein‑ berg bei Mayschoß an der mittleren Ahr ist einer der steilsten in Deutschland
Nicht unbedingt heimisch Die bemerkenswert typenreiche Wildform der Weinrebe ist in SO- und S-Europa beheimatet, ferner im gesamten Mittelmeergebiet sowie in Vorderasien. Von Natur aus ist sie eine auch im Halbschatten gedeihende Liane strukturreicher Auenwälder und bevorzugt insofern tiefgründige, basenreiche Lehm- und Tonböden. In Deutschland kommt sie nur noch sehr selten im Oberrheingebiet und an der Donau vor. Die zahlreichen Kulturformen der Weinrebe werden heute in einem breiten Gürtel zwischen 30 und 50° nördlicher Breite sowie 30 und 40° südlicher Breite auf allen Kontinenten in diversen Rebsorten angebaut. Nur im Tropengürtel ist aus klimatischen Gründen kein Weinbau möglich.
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Die der europäischen Weinrebe recht ähnliche Fuchs- oder Fox-Weinrebe (Vitis labrusca) aus dem östlichen N-Amerika zeichnet sich durch auffallend flockig behaarte junge Triebe aus. Ihre Blattranken bzw. Blütenstände entwickeln sich ohne Unterbrechung an mehreren aufeinander folgenden Sprossknoten, die Blätter sind im Umriss rundlich, bis 16 cm breit, undeutlich 3- bis 5-lappig bis 3-zipflig, fein gezähnt, an der Basis mit enger Stielbucht, oberseits matt dunkelgrün, unterseits zunächst grau-, zuletzt braunfilzig. Die Früchte sind reif dunkelviolett, bei manchen Kulturformen auch etwas grünlich. Diese bemerkenswerte Wildrebe, die man in ihrer Heimat stellenweise auch in Sorten anbaut, wurde – d a sie gegen die zu Recht gefürchtete Reblaus resistent ist – zunächst in die europäischen Reben eingekreuzt, was jedoch deren sortentypischen Geschmack ziemlich nachteilig beeinflusste und mit den so genannten FoxTönen belastete. Daher hat man sie später nur noch als reblausfeste Pfropfunterlage verwendet. Heute arbeitet man indessen hinsichtlich der erwünschten Schädlingsresistenz längst mit modernen gentechnischen Methoden der hoch geschätzten Rebsorten. Die oft als Wilder Wein bezeichneten und ebenfalls aus Nordamerika stammenden Arten der Jungfernreben (Parthenocissus spp.) sind zwar mit der kultivierten Weinrebe enge verwandt, liefern aber keine verwertbaren Beerenfrüchte (Abb. 13.4).
Verheißungsvolle Beerenfrüchte Die Beerenfrüchte der Weinreben, meist verkürzt und botanisch nicht ganz korrekt Trauben genannt, verwendet man als Tafelobst oder bereitet daraus regionaltypische Weine zu. Nur das ausschließlich aus der Weinbeere nach strengen Regeln mit vielschrittiger Kellertechnik bereitete
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Abb. 13.4 Die oft als Wilder Wein bezeichnete Kletterpflanze Jungfernrebe ist eine eingebürgerte nordamerikanische Ver‑ wandte
Gärprodukt darf nach rechtlicher Regelung tatsächlich die Bezeichnung „Wein“ tragen. Alle anderen aus süßen und vergärbaren Früchten hergestellten Fruchtweine erhalten eine gesetzlich vorgeschriebene Zusatzbezeichnung, so etwa Apfel-, Brombeer-, Holunder- oder Pflaumenwein. Die als eigene Art (Vitis sylvestris) aufgefasste Wildform ist heute nördlich der Alpen extrem selten, weil einerseits durch Veränderung der Flussauen ihre natürlichen Standorte zum großen Teil verschwunden sind und andererseits die im 19. Jahrhundert aus Nordamerika eingeschleppten Schädlinge (Mehltau-Pilze, Reblaus) auch die wenigen noch wild vorkommenden Restpopulationen stark beeinträchtigt haben. Schon die Menschen der Jungsteinzeit sammelten und verwerteten die wilden Weinbeeren, wie Traubenkernfunde in alten Siedlungshorizonten selbst im nördlichen Mitteleuropa beweisen. Da die frühesten angebauten Reben der rotfrüchtigen Wildform noch sehr nahe standen, sind die schon in der Bibel (beispielsweise beim Weinwunder von Kana (vgl. Joh 2,12) erwähnten Weine
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mit größter Wahrscheinlichkeit Rotweine gewesen. Überhaupt spielt die Weinrebe in der Bibel eine besondere Rolle: Beim Evangelisten Johannes ist die bemerkenswerte Sentenz „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ nachzulesen (Joh 15,5).
Kaum zu überschauen – das Bild der Rebsorten Die in einem großen zusammenhängenden Verbreitungsgebiet bis in den vorderen Orient beheimatete Wildrebe ist eine der wichtigsten Stammarten im heute außerordentlich komplexen Sortenbild der Kulturreben, die man in züchterisch veredelter Form schon seit der frühen Vorantike anbaut, beispielsweise in Kleinasien. Im Vergleich zur Wildrebe entwickeln die Kulturreben, die man meist als eigene Unterart oder auch als selbständige Art auffasst, viel dickere Zweige, stärker behaarte Blätter und wesentlich größere, saftreichere Beeren in vielen Farbnuancen. Man kennt heute über 3000 verschiedene Rebsorten, von denen aber nur etwa 100 in größerem Umfang angebaut werden. Die sichere Ansprache der hierzulande behördlich zugelassenen Rebsorten nur nach Blatt- und Fruchtmerkmalen ist recht schwierig und nur mit großer Erfahrung möglich. Bei den in Deutschland angebauten Rebsorten (etwa 30) sind die vielerorts eingerichteten Weinlehrpfade hilfreich, die jeweils die Leitsorten der betreffenden Weinbaulandschaft genauer vorstellen, beispielsweise Riesling an Rhein und Mosel, Spätburgunder und Portugieser an der Ahr sowie Gutedel, Lemberger und Trollinger in Baden-Württemberg (Abb. 13.5 und 13.6). Weinbau ist längst nicht mehr nur eine traditionell europäische Angelegenheit, sondern fallweise schon vor
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Abb. 13.5 Vor allem die roten Rebsorten entwickeln im Herbst eine geradezu spektakuläre Laubfärbung
Abb. 13.6 Im Ahrtal: In den Herbstwochen verdeutlichen die üppigen Blattfarben auf den Rebhängen die Fülle der angebauten Sorten
Jahrhunderten auch in buchstäblich exotische Regionen verlagert worden. Die Weinbauländer außerhalb Europas und Vorderasiens fasst man unter dem Sammelbegriff „Neue Welt“ zusammen, der sich durchaus nicht mit der üblichen geographischen Bezeichnung für die beiden Amerikas deckt. Zur neuen Weinwelt gehört daher neben
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Australien und Neuseeland auch Südafrika. Aus dieser Neuen Welt gelangen nicht nur harmlose Konsumweine zu Tiefstpreisen auf den europäischen Markt, sondern vielfach auch überaus bemerkenswerte Produkte äußerst verfeinerter Weinstile. Auf fast allen Kontinenten baut man nämlich Rebsorten an, die ihren Ursprung überwiegend in den klassischen Weinbauregionen Europas haben. Die wichtigsten in der Neuen Welt angebauten weißen (w) und roten (r) Rebsorten, die man heute in allen gut sortierten Supermarktregalen findet, sind: • Chardonnay (w): stammt aus dem Burgund, entwickelt feine Blütenaromen und eine leichte Vanille-Note, kann aber auf schlechten Böden und bei reichlich fantasielosem Ausbau auch weitgehend nichtssagend ausfallen; • Chenin blanc (w): kommt von der Loire, liefert sehr trockene, harmonische, gut reifende und lange lagerfähige Weine; • Grenache (r): ursprünglich nur in Spanien kultiviert und in Mitteleuropa immer noch wenig bekannt, obwohl er heute auf Rang 2 der Rebbestockungsstatistik steht, ergibt auch auf kargen Böden große Weine von beachtlicher Komplexität; • Carmenière (r): alte Rebsorte aus der BordeauxGegend, im Ursprungsgebiet heute nahezu bedeutungslos, aber in Chile (wo man sie jahrzehntelang für Merlot hielt) großflächig kultiviert und zu großartigen Weinen ausgebaut; • Cabernet Sauvignon (r): bedeutende Rebsorte für große Weine von Bordeaux-Charakter, ging aus einer Kreuzung der beiden Reben Cabernet franc und Sauvignon blanc hervor und ist seit dem 18. Jahrhundert die Leitrebe in SW-Frankreich; eine spät reifende Sorte mit typischer Johannisbeer- bzw. CassisNote;
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• Merlot (r): stammt wie der Cabernet Sauvignon aus SW-Frankreich und ist heute weltweit die dritthäufigste angebaute Rebsorte für Rotwein, zeichnet sich durch vielschichtige, etwas pflaumenwürzige Frucht-Noten aus und bringt auch auf mittelmäßigen Böden hervorragende Ergebnisse; kleinere Anteile von Merlot nimmt man gerne auch zum Verschnitt, denn seine Eigenart tritt in einer Cuvée kaum hervor, gibt dem Wein aber dennoch eine bemerkenswerte Rundheit und Fülle; • Syrah (Shiraz) (r): bemerkenswert noble, vermutlich aus dem Zweistromland stammende Rebsorte, die in Frankreich fast nur an der Rhône angebaut wird, heute aber das Bild der australischen Rotweine beherrscht – auf dem fünften Kontinent wird die Rebe seit 1832 und in den letzten Jahrzehnten in großem Umfang kultiviert (nur hier Shiraz genannt); • Zinfandel (r): genetisch identisch mit dem aus Süditalien stammenden Primitivo und weiteren, nur kleinräumig angebauten Reben anderer Bezeichnung, in den USA vor allem in Kalifornien seit den Tagen des Goldrausches angebaut, bringt etwas rustikale Weine mit durchaus beeindruckenden Frucht-Noten hervor. Neben dem Shiraz in Australien dominieren diese Reben die folgenden Weinbaulandschaften der Neuen Welt: • Chile: Cabernet Sauvignon, Merlot, Carmenière • Kalifornien: Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot, Zinfandel • Neuseeland: Sauvignon blanc, Chardonnay, Merlot • Südafrika: Chenin blanc, Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot und Pinotage –eine 1925 entwickelte Kreuzung aus Spätburgunder/Pinot noir und Cinsault, der in Frankreich meist zu Rosé verarbeitet wird.
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Kaum eine andere kommerziell kultivierte Frucht gibt es in einer vergleichbar breiten und komplexen Produktpalette und zudem in einer enormen kulturellen Verfeinerung. Angesichts dieser Fülle fällt die Entscheidung für die eine oder andere Weinherkunft naturgemäß äußerst schwer. Was letztlich zählt, sind das subjektiv geschmackliche Ergebnis und Erlebnis, und beide sind auch nach den mitunter penetranten Beteuerungen von Gourmet-Zeitschriften absolut nicht normierbar. Ein liebevoll und kompetent ausgebauter Frühburgunder aus dem Ahrtal oder ein trockener Rheingauer Riesling können bei erfahrenen Weinkennern absolut helles Entzücken hervorrufen. Außer den amtlich festgelegten bestimmten deutschen Weinbaugebieten wird kurioserweise auch weit außerhalb der etablierten Weinbauregionen erfolgreich Weinbau betrieben: Auf Sylt, der nördlichsten der Nordfriesischen Inseln, gibt es seit 2009 in Keitum (wenig nördlich der bedeutenden Inselkirche St. Severin) tatsächlich eine Rebflur. Weinberg kann man sie natürlich nicht nennen, denn sie gedeiht auf der nahezu tellerebenen Geest und
Abb. 13.7 Gewiss reichlich kurios: Deutschlands nördlichster Weingarten befindet sich auf der Insel Sylt
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ist insofern eher ein Weingarten. Der aus dem Rheingau stammende Initiator hat hier auf 0,3 ha Fläche 1600 Weinstöcke angepflanzt, und zwar 1100 Solaris- und 500 Rivaner-Reben. Sie gedeihen hier bei durchschnittlich etwas mehr als 1700 Sonnenscheinstunden (rund 130 mehr als im Rheingau) überaus prächtig (Abb. 13.7).
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© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_14
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Mengen von Vampiren und Horden von Zombies – so stellt sich das gesuchte, gewollte und spezifische Ambiente für die heutigen Besucher einer der bislang überwiegend im städtischen Umfeld angesagten Halloween-Partys am 31. Oktober dar – ein nach manchem Empfinden denkbar gewöhnungsbedürftiges Festival heftigst selbstinszenierter Gruselcharaktere. Nach kulturhistorischen Kriterien sind sie dagegen sicherlich nur schwer, wenn überhaupt irgendwo einzusortieren. Zum terminlichen Hintergrund: Den 31. Oktober begeht die evangelische Christenheit als Reformationsfest – nämlich den Jahrestag jenes denkwürdigen Vorgangs im Jahre 1517, bei dem der wegen der damaligen kirchlichen Praktiken doch äußerst erboste Martin Luther (1483–1546) seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte – so historisch bekanntermaßen übrigens nicht erwiesen, aber dennoch von durchaus verhängnisvollen und später auch fatalerweise religiös motivierten Nachwirkungen von den Bauernkriegen bis zum Dreißigjährigen Krieg gefolgt. In der katholischen Christenheit ist der 31. Oktober dagegen der Vorabend zum altehrwürdigen Hochfest Allerheiligen, im englischen Sprachgebrauch all hallows’ evening und sprachlich stark verschliffen zur zwar eingekürzten, aber heute üblichen und erstaunlicherweise nicht mehr unbedingt verständlichen Bezeichnung Halloween. Das mittenständige „w“ in der Bezeichnung dieses Tagesfestes wird übrigens im Gegensatz zur gängigen und fallweise durchweg miserablen Sprachpraxis fast aller deutschsprachigen Nachrichtensender definitiv nicht mitgesprochen.
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Irische Wurzeln Nach weit verbreiteter Darstellung geht Halloween angeblich auf einen heidnisch-keltischen Totenkult in Irland zurück. Die vorhandene und kritisch gesichtete Literatur gibt zu diesen angeblich keltischen Wurzeln allerdings so gut wie gar nichts her. Volkskundler sehen daher im traditionellen Halloween-Brauchtum mehrheitlich eher den Versuch, sich von den vielen bedrückenden christlichen Totengedenkfesten im ohnehin ziemlich tristen und daher konsequent depressiv stimmenden November (mit Allerheiligen, Allerseelen, Totensonntag, Volkstrauertag) deutlich abzusetzen. Aktiv bis spielerisch sollen sie – auch nach übereinstimmender Aussage vieler Psychotherapeuten – helfen, die Furcht vor dem finalen Verhängnis Tod zu überwinden. Historisch gesichert ist indessen lediglich, dass seinerzeit ein in Irland verheerender Parasitenbefall der dort angebauten Kartoffeln (nämlich durch den fatalen Protisten der heute nicht mehr den Pilzen zugerechneten Spezies Phytophthora infestans ) eine nachfolgende, etliche Jahre währende katastrophale Hungersnot verursachte. Diese löste im frühen 19. Jahrhundert folgenreiche, weil geradezu massenhaft praktizierte Auswanderungswelle aus. Die verzweifelten Auswanderer nahmen mancherlei Gebräuche mit in ihre neue Heimat und exportierten auch das damals im keltischen Nordwesteuropa offenbar schon weit verbreitete Halloween-Brauchtum nach Nordamerika. Von dort schwappte es – bislang im Jahresfestkreis bemerkenswerterweise beispiellos und ohne jede Parallele – erst in den späten 1980er Jahren nach Europa zurück. Zunächst gab es nur zaghafte Ansätze überwiegend durch die Kinder aus Familien im
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direkten Umfeld von amerikanischen Garnisonen oder aus sonstigen Institutionen mit neuweltlichem Hintergrund. Aber schon bald etablierte sich die neue jahreszeitliche Sitte bezeichnenderweise vor allem im vom Karneval ohnehin durchweg heftig infizierten Rheinland und zunächst nur als harmlos-lustiges Kinderbrauchtum mit abendlichem Umhergeistern in fantasievoller Verkleidung. Unterdessen hat Halloween jedoch in erstaunlich kurzer Zeit die gesamte Republik erobert. Eine ganze Industrie bietet ab September mengenweise und in beachtlicher geschmacklicher Bandbreite die (angeblich) nötigen Accessoires für den letzten Tag im Oktober an. Betont kulturkritische Kreise sehen diese notable Entwicklung durchaus mit starkem Vorbehalt und verweisen auf die zugegebenermaßen und gelegentlich zunehmend zu registrierenden Auswüchse bis hin zum Okkultismus. Jedoch: Irgendwann hatte das gesamte im heute während des Jahresablaufs begangenen Brauchtum einen zunächst vielleicht nur diffusen, dann aber zunehmend klaren und schließlich sogar kalendarisch gesetzten Beginn. Und außerdem: Zumindest die verkleideten Kinder, die am Abend des 31. Oktobers gruppenweise mit dem recht dezidiert verkündeten Motto (Trick or treat bzw. Süßes oder Saures ) von Haus zu Haus ziehen und eine kleine Süßigkeit erwarten, haben erkennbar ihren erklärten Spaß an der Sache. Was indessen auf den deutlich merkantil instrumentalisierten Halloween-Partys der Erwachsenen abgeht, ist eine völlig andere Geschichte und soll uns hier nicht weiter erregen. Zentrales botanisches Attribut sind dabei die Kürbisse (Abb. 14.1).
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Abb. 14.1 Kürbisse sind eine erst vor wenigen Jahren neu ent‑ deckte kulinarische Klasse, insbesondere die Sortengruppe ‚Hokkaido‘. Sie lassen sich auch prächtig zu frech grinsenden Kürbisfratzen zurechtschnitzen (vgl. Kapiteleingangsbild)
Von der Rübenlaterne… Im christlichen Irland erzählt man sich bis heute gerne die Geschichte vom trunksüchtigen Schmied Jack O’Lantern, der am Vorabend von Allerheiligen (eben all hallows evening ) mal wieder heftig beschwipst in der Dorfkneipe saß und hier listig, nämlich ausgestattet mit einem silbernen Kreuz, tatsächlich den Teufel austrickste, der ihn nach einer früheren Vereinbarung abholen wollte. Aus dem fast schon besiegelten Abholmanöver wurde mithilfe des rechtzeitig präsentierten Silberkreuzes natürlich nichts. Als Jack aber irgendwann tatsächlich starb, wies man ihn wegen seines doch recht bedenklichen Lebenswandels am Himmelstor ebenso konsequent wie rigoros ab. In die Hölle konnte er nun aber auch nicht, weil der Teufel ihm dort versprochenermaßen den Zutritt verwehren musste. Also zieht der unglückliche Jack seither in den kühlen Herbstnächten mit einer ausgehöhlten und mit glühenden
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Schmiedekohlen befüllten Rübe als wegweisende Laterne rastlos umher… Solche mit aparten Grimassengesichtern gestalteten Rübenlaternen hatten in den ländlichen Regionen mit lebendigem Martinsbrauchtum und begleitenden Fackelumzügen viele Jahre lang immer noch ihre besondere Bedeutung. Verwendet wurden dazu ausschließlich die besonders großen Runkelrüben, die man nach wie vor als Viehfutter anbaut. Diese bemerkenswerte Kulturpflanze leitet sich von der an fast allen atlantischen Meeresküsten verbreiteten Wildform Meerstrand-Rübe (Beta maritima) (vgl. Abb. 12.5) ab, die in Deutschland bezeichnenderweise nur auf der roten Felseninsel Helgoland vorkommt. Botanisch zur gleichen Spezies gehören übrigens überraschenderweise weitere bedeutende Nutzpflanzen wie Mangold, Rote Bete und Zuckerrübe, für die man diesen engen verwandtschaftlichen Zusammenhang so eher gar nicht vermutet.
… zum Fest der Kürbisse Die irischen Auswanderer bauten im frühen 19. Jahrhundert in ihrer neuen Heimat zunächst noch keine Runkelrüben an, denn die standen zum Anbau zunächst noch nicht zur Verfügung. Sie übernahmen hier allerdings von der indigenen Bevölkerung die bereits seit mehreren Jahrtausenden zu beachtlicher Sortenvielfalt entwickelte Kultur der ursprünglich nur in der Neuen Welt beheimateten Kürbisse. Heute kultiviert man sie tatsächlich weltweit in allen (einigermaßen) sommerwarmen Klimagebieten (Abb. 14.1 und 14.2). Mehrheitlich gehören diese der überaus formenreichen Spezies Cucurbita pepo an, zu der überraschenderweise auch die so ganz anders aussehenden Zucchini gehören. Zum
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Abb. 14.2 Fast alle größeren Kürbisse sind kulinarisch bedeut‑ sam. Bei den Zierkürbissen sollte man mit dem Konsum allerdings vorsichtig sein, denn sie könnten extrem unverträglich sein
Fest Halloween, das man in Nordamerika Ende Oktober ursprünglich eher als Erntedank und weniger als fröhlich-verdrängenden Befreiungsversuch vom bedrückenden Totengedenken beging, kamen nun statt der in Europa üblichen Rüben- konsequenterweise die sicherlich ebenso tauglichen Kürbislaternen zum Einsatz. Eine für das Aushöhlen wegen ihrer kräftigen Farbe und üppigen Rundungen besonders geeignete Form trägt übrigens den absolut beziehungsreichen Sortennamen ‚Jack O’Lantern‘. Parallel zur Etablierung von Halloween als heftige Herbstgaudi vor der sicherlich ziemlich schwermütigen Tristesse des nachfolgenden düsteren Novembers haben die in nur wenigen Sommerwochen auf beachtliche Größe und intensiv orangegelb herangereifte, in üppigen Formen prangende Kürbisse als Deko-Material ebenso wie als kulinarische Entdeckung zuverlässig die Vorlieben der Herbstfreaks erobert. Eine delikate Kürbiscremesuppe,
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garniert mit ein paar spiralig verteilten Streifen Kürbiskernöl, ist eine durchaus empfehlenswerte kulinarische Verheißung, auf die sich die ambitionierte Gastronomie auch hierzulande schon seit geraumer Zeit erfolgreich eingerichtet hat. Auch das ist eine – wenngleich überwiegend kulinarisch etablierte Erscheinung – durchaus begrüßenswerte neue Tradition.
Eine ganz spezielle „Erd“ beere Ein viele (Dutzend) Kilogramm schwerer erntereifer Kürbis – was ist das bloß für eine seltsame Frucht? „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, verspricht uns die Bibel zwar zuversichtlich in Mt 7,16, aber so einfach ist es nun auch wieder nicht. Mancherlei Verwirrung ergibt sich nämlich schon allein daraus, dass der bürgerliche vom botanischen Sprachgebrauch in der Bezeichnung der Feldfrüchte oft ziemlich stark abweicht. Die Fachwissenschaft, die sich mit den Pflanzen(teilen) und ihren Verwendungsmöglichkeiten in Küche oder Technik befasst, bemüht sich natürlich um größtmögliche Klarheit. Das führt gelegentlich zu interessanten Konflikten. Der folgende kleine Ausflug in die Anatomie der äußerst variantenreichen Früchte liefert Ihnen ein wenig Stoff, mit dem Sie getrost eine Wette – natürlich auch anlässlich einer Halloween-Party – eingehen können. Diese werden Sie mit dem garantierten Kenntniszuwachs im nächsten Absatz natürlich locker gewinnen. Unter einer Beere versteht man generell eine Frucht mit relativ dünner Fruchthaut, saftigem Fruchtfleisch und wenigen bis ziemlich vielen darin eingelassenen Samen. Diesem Bild entsprechen – nach botanischen Kriterien völlig korrekt – unter anderem Johannisbeere, Blaubeere oder Weinbeere. Im botanischen Sinne „richtige“ Beeren
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Abb. 14.3 Die Sortenvielfalt der Kürbisse ist enorm – es sollen mindestens 800 verschiedene sein
sind auch Aubergine, Banane, Dattel, Gurke, Melone, nach neuerer Erkenntnis auch Avocado und die in enormer Sortenvielfalt verbreiteten Kürbisse (Abb. 14.3). Die Erdbeeren gehören dagegen definitiv nicht dazu: Sie zählt man nämlich zu den Sammelnussfrüchten, weil das zweifellos köstliche Fruchtfleisch durch Verdickung des Blütenbodens und eben nicht unmittelbar aus Wucherungen des Fruchtknotens entsteht. Dagegen ist die Ananas sogar ein relativ unübersichtlicher Beerenfruchtverband. Begrifflich unsauber werden häufig auch die noch nicht vollreifen und gerne als Gemüse verwendeten Früchte von Bohnen und Erbsen benannt: Beide gehören bekanntermaßen zu den Hülsenfrüchten, und ihre kennzeichnende Fruchtform ist demnach eine Hülse, aber selbst die sonst uneingeschränkt empfehlenswerte Kochliteratur von Viersterneköchen zitiert sie meist als Schoten. Der imposante Halloween-Kürbis – manche immer rekordverdächtigen und sogar jährlich prämiierten Formen erreichen tatsächlich Durchmesser von über 1 m – ist dagegen ganz unstrittig eine wirklich echte Beere und zudem die mit Abstand schwerste Beerenfrucht überhaupt.
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Weil die eher schmächtig-zartstängelige und zudem auch noch kriechende Kürbispflanze solche Schwergewichte natürlich nicht frei im Luftraum hängend tragen kann wie etwa Auberginen oder Tomaten, entwickeln sich die massiv-massigen Kürbisse konsequenterweise – übrigens auch bei den Wildformen – liegend auf dem Boden. Sie sind also gleichsam eine besondere Variante von „Erd“ beeren. Nun entwickelt die ansehnliche Gigabeere Kürbis zugegebenermaßen eine besonders kräftige Außenhaut. Daher nennt man sie sicherheitshalber Panzerbeere. Dennoch könnte das Erfolgsrezept für eine klassische Vierfrucht-Marmelade auf Beerenbasis botanisch absolut unstrittig lauten: Man nehme drei Kürbisse und eine Johannisbeere…
15 Am Beginn des Trauermonats: Allerheiligen (1. November)
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Draußen in der Natur ist nach zumindest noch am Monatsanfang die oft geradezu spektakulär Laubfärbung zu erleben, der mit dem anschließenden Laubfall eine recht unbarmherzige Verabschiedung der Saisonbelaubung der sommergrünen Gehölze erfolgt und diese nunmehr buchstäblich Abfall degradiert. Indessen: Unser (bisheriges) Klima diktiert den sommergrünen Gehölzen diesen auffälligen Wechsel ziemlich vorsorglich, weil im üblicherweise recht frostigen Winter eine geregelte Wasserversorgung der sensiblen Blattorgane einfach nicht möglich ist. Der 1. November leitet einen der zugegebenermaßen tristesten Monate im Jahreslauf ein. Angesichts der sich überall andeutenden Winterruhe, in der nun Vieles abstirbt oder sich auf einen Neubeginn im kommenden Frühjahr einrichtet, stimmt der Monat November nach dem Empfinden vieler Menschen geradezu depressiv, führt er doch mit dem Geschehen in der Natur unübersehbar die Endlichkeit jeglicher Existenz eindringlich vor Augen. Mit Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag sowie Totensonntag wird dieser oft auch noch von trübem Wetter begleitete Monat folgerichtig zu einer Zeit der öffentlichen Trauer.
Anfangs so gar kein Trauertag Bereits im 4. Jahrhundert begingen die frühen Christen in Vorderasien ein besonderes Fest zum Gedenken an ihre Märtyrer, und zwar ursprünglich am Sonntag nach Pfingsten. In der byzantinisch-orthodoxen Kirche behält man diesen Termin bis heute bei. Dann verlagerte man das Fest allerdings auf die Kirchweihe des zuvor heidnischen Tempels Pantheon in Rom, als Bonifatius IV. (als Papst 608–615) das imposante antike Bauwerk am 13.
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Mai 610 zur christlichen Kirche Santa Maria ad Martyres konsekrierte, die sie bis heute darstellt, auch wenn das Monument heute von der staatlichen italienischen Denkmalverwaltung betreut wird und man angesichts des Touristentrubels von der Würde eines Kirchenraumes wenig wahrnimmt. Das Allerheiligenfest im heutigen Sinne entstand erst unter Papst Gregor IV. (–) im Jahre 835, der auch die Terminwahl 1. November bestimmte. Bemerkenswerterweise war Allerheiligen ursprünglich nie ein Trauertag, sondern eben ein Gedenkfest aller Heiligen, die nach kirchlich-theologischem Verständnis die Nachfolge Christi bereits erfolgreich vollzogen haben.
Für Heilige und andere Seelen Bis zur Einführung eines Festes zur Ehrung aller verstorbenen Gläubigen verging noch geraume Zeit. Erstmals im Jahre 998 führte Abt Odilo von Cluny (961/962–1049, Abt seit 994) in der damals ungeheuer bedeutenden Abtei einen besonderen Gedenktag für alle verstorbenen Mönche der ihm unterstellten Klöster der Cluniazensischen Reform ein und legte den Termin auf den 2. November fest. Wann die heutige Tagesbezeichnung Allerseelen erstmals auftauchte, ist nicht genau auszumachen, aber das Begängnis des Allerseelentages reicht weit zurück: Es verbreitete sich noch im 12. Jahrhundert über ganz Europa. Während Allerheiligen ein ökumenisches Fest ist, wird Allerseelen nur in der katholischen Kirche begangen. Erst in der engen zeitlichen Kopplung von Allerheiligen und Allerseelen ist dieses Doppelfest zum Traueranlass geworden. Liturgische Farbe ist an beiden Tagen schwarz, was man als zusätzlichen Ausdruck der Trauer deuten könnte – aber tatsächlich
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handelt es sich um die antike Festfarbe, die heute so nicht mehr verstanden wird. Allerseelen ist, wenn der Termin nicht auf einen Sonntag fällt, ein gewöhnlicher Werktag. Sein Bedeutungsinhalt ist daher weitgehend auf den Allerheiligentag übergegangen, der zumindest in den fünf Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ein gesetzlicher Feiertag ist und somit Gelegenheit gibt, die Gräber der verstorbenen Familienmitglieder aufzusuchen und zu schmücken.
Lichter und Schmuck für die Gräber Die überall zahlreich aufgestellten und am Tag selbst oder in seiner zeitlichen Peripherie angezündeten Grablichter, die selbst Drogerie- und andere Supermärkte in Mengen anbieten, stellen zweifellos eine besonders vielschichtige Symbolik dar, der wir hier aber nicht weiter nachspüren wollen. Vielfach steht die Kerzenflamme als Zeichen dafür, dass die dankbare Erinnerung an ein liebes dahingeschiedenes Familienmitglied immer noch nachwirkt. Mit dem November beginnt eben eine dunkle und stille Zeit – angereichert mit viel Lichtmetaphorik. Aber auch allerhand pflanzlicher Dekor wird schon in den letzten Oktobertagen auf den Gräbern ausgebracht: Vielfach sind es einigermaßen winterstabile Vertreter der Heidekrautgewächse (Ericaceae), neben verschiedenen gärtnerischen Kulturformen der heimischen Besenheide (Calluna vulgaris) vor allem die heute formenreich kultivierte Art Erica gracilis, die ursprünglich aus der südafrikanischen Kapregion stammt. Dort liegt eigenartigerweise mit über 600 Arten das Mannigfaltigkeitszentrum dieser Pflanzenfamilie und begründet mit einigen sonstigen botanischen Besonderheiten, dass die Kapregion
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trotz ihrer relativ bescheidenen Flächengröße tatsächlich eine eigene Florenprovinz darstellt.
Islandmoos ist geradezu der Klassiker Graugrüne Trockengestecke, versehen mit sonstigem Dekor (Koniferenzapfen, Fruchtstände bzw. Früchte), waren viele Jahrzehnte lang ein äußerst beliebter Grabschmuck. Im gärtnerischen Bereich bezeichnet man die kleinen bäumchenartig verzweigten Gebilde meist als Islandmoos. Biologisch handelt es sich aber nicht um ein Moos, und aus Island stammt das Material meist auch nicht: Vielmehr sind es Strauchflechten der Gattung Cladonia, zumeist Vertreter von Cladonia alpestris oder Cl. stellaris. Auch im Modellbau werden sie (meist allerdings heftig eingefärbt) zur Darstellung von Baum- oder Strauchgruppen gerne verwendet (Abb. 15.1).
Abb. 15.1 Heute nur noch wenig als Schmuckobjekt verwendet – die nicht ganz korrekt als Islandmoos bezeichnete Rentier‑ flechte
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Flechten sind ein ganz ungewöhnlicher Lebensentwurf. Sie gehören nach modernem systematischem Verständnis nicht zu den Pflanzen, sondern stellen ernährungsphysiologisch spezialisierte Pilze dar: Jede Flechtenart ist sozusagen ein Mehrfachorganismus, indem Pilzpartner und Algenpartner eine innige Betriebs- und Lebensgemeinschaft eingegangen sind (Abb. 15.2). Bislang war man der Auffassung, dass in einer Flechte, die je nach Verwandtschaft auch krustenförmig oder blättrig wachsen kann, jeweils ein Pilz und ein Vertreter der Cyanobakterien („Blaualgen“) oder meist der Grünalgen im weitesten Sinne zusammenleben. Cyanobakterien bzw. Grünalgen sind als photoautotrophe Organismen mit der Fähigkeit zur Photosynthese gleichsam die Primärproduzenten der Gemeinschaft, während die Pilze eher die äußere Gestalt und die Wahl des Wuchsplatzes bestimmen.
Abb. 15.2 Die ungewöhnliche Lebensform Flechte existiert in gänzlich unterschiedlichen Wuchsgestalten – unter anderem auch als Kruste, die der Unterlage eng verhaftet ist
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Ganz anders als vermutet Mit großer Wahrscheinlichkeit wird man nun die Lehrbücher allerdings zumindest in Teilen umschreiben müssen: Ging man bislang von nur zwei Flechtenpartnern aus unterschiedlichen Domänen aus, ergab eine neuere (und 2016 veröffentlichte) Studie überraschend, dass in der ohnehin schon faszinierenden Flechtensymbiose auch noch ein dritter und bislang nicht erkannter Partner mitmischt: Das bisher nur als duales System verstandene und daher nach traditionellem Verständnis nur aus zwei kooperierenden Arten bestehende Ensemble Flechte repräsentiert offenbar immer eine klassische Dreierbeziehung. Zunächst nur am Beispiel zweier ganz unterschiedlich aussehender Arten der Flechtengattung Bryoria ließ sich zeigen, dass tatsächlich ein hefeähnlicher Vertreter der Ständerpilze (Basidiomyceten) als konsistent dritter Beteiligter eine offenbar essenzielle Rolle in der Flechtensymbiose übernimmt. Das betrifft nach den mit molekulargenetischen Sonden durchgeführten Analysen bisher die Vertreter aus mehr als 50 Flechtengattungen: Der zweite und bisher schlicht übersehene Flechtenpilz ist immerhin in Flechten von der Antarktis über Japan und Südamerika bis nach Ostafrika nachweisbar. Offenbar handelt es sich also tatsächlich um ein generelles Phänomen. Er ist wohl auch im Deko-Material der dekorativen Gestecke mit „Islandmoos“ vorhanden.
16 Markenzeichen mildtätig: Martin von Tour und sein Brauchtum
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In vielen Regionen feiert man am 11. November das Fest des heiligen Martin von Tour a(vermutlich 317–371) – schon im 5. Jahrhundert wurde dieser Tag der Grablege in seiner Bischofskirche in Tours zum Namensfest bestimmt. Das mit Sankt Martin verknüpfte und bemerkenswert reichhaltige Brauchtum findet aber zumeist am Vorabend des Namenstages statt – ein besonderer Anlass nicht nur die Kinder und zudem im Jahresfestkreis der glanzvolle Beginn einer ganzen Reihe von besonderen Tagen, die mit Weihnachten ihren Höhepunkt erreichen. Zahlreiche religiöse und weltliche Motive fließen im Martinsbrauchtum zusammen. All dies gilt der Erinnerung an einen bemerkenswerten Menschen, der vor allem durch seine Mantelteilung berühmt wurde und bis heute über alle konfessionellen Grenzen hinweg als Symbolfigur für Hilfsbereitschaft und Mildtätigkeit gilt.
Vom Militär zum Missionar Vermutlich im Jahre 317 (vielleicht auch schon 316) wird Martin in Sabaria, der Hauptstadt der römischen Provinz Pannonien (heute Ungarn) geboren. Sein Vater war römischer Offizier – das erklärt wohl auch die Namenswahl für seinen Sohn, denn Martin leitet sich vom römischen Kriegsgott Mars ab. Mit 15 Jahren kommt Martin nach Pavia in Oberitalien, tritt – wie es die Familientradition erforderte – in die römische Armee ein und wird um 334 in Amiens (Nordfrankreich) stationiert. An einem kalten Winterabend trifft er hier vor dem Stadttor auf einen ärmlich bekleideten Bettler, der die Vorübergehenden um ein Almosen bittet. Der berittene Soldat Martin hat aber weder Geld noch Lebensmittel bei sich. Kurz entschlossen nimmt er seinen warmen Umhang von
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der Schulter, teilt mit dem Schwert ein gehöriges Stück davon ab und reicht es dem Bedürftigen. Die anrührende Szene ist auf dem Eingangsbild dargestellt – es handelt sich um das berühmte, um 1450 entstandene Halbrelief in der katholischen Pfarrkirche von Bassenheim/Osteifel. Man schreibt es dem Meister der Naumburger Stifterfiguren zu. In der Nazi-Zeit hat man dieses Kunstwerk nicht als Martins-Darstellung, sondern als Bassenheimer Reiter zitieren müssen. Nach einer frommen Legende soll noch in der auf die Mantelteilung folgenden Nacht Christus Martin im Traum erschienen sein und zu den umstehenden Engeln gesagt haben: „Martinus hat mich mit diesem Mantel bekleidet. Was er einem meiner Geringsten getan hat, hat er mir getan“. Daraufhin soll sich Martin taufen gelassen haben. Martin verlässt im Alter von 40 Jahren das Militär, begibt sich nach Poitiers, erhält dort wenig später die Priesterweihe und wird nach zehnjährigem Aufenthalt zum Bischof von Tours gewählt. Von hier aus missionierte er die Gebiete entlang der mittleren und unteren Loire. Knapp 100 Jahre später erklärte der merowingische König Chlodwig I. (ca. 466–511) ihn zum Schutzheiligen der Franken. Nach Martins Tod gehörte die als besonders wertvoll angesehene Mantelreliquie – die cappa – zum Königsschatz der Merowinger. Sie begleitete den König bei allen Reisen durch sein Reich und ging später auf die Karolinger über. Ihr jeweiliger Aufbewahrungsort war die Kapelle, der mit ihrer Obhut beauftragte Geistliche der Kapellan (vgl. Kaplan). Mit der Ausbreitung der fränkischen Herrschaft drang auch Martins Ruhm in immer größere Gebiete vor. Viele bedeutende Kirchenbauten tragen heute sein Patrozinium.
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Licht und Feuer Ältester Bestandteil des Martinsbrauchtums ist das Abbrennen des Martinsfeuers auf einem brachliegenden Flurstück vor dem Ort (Abb. 16.1). Der Zusammenhang des lodernden Feuers mit dem Martinsfest besteht wohl eher zufällig: Dem Licht spendenden Feuer kommt gerade in der dunklen Jahreszeit ein besonderer Symbolwert zu – auch die Kerzen am Weihnachtsbaum leiten sich schließlich von der schon vor Jahrhunderten so empfundenen Lichtsymbolik her. Der Überlieferung nach soll der helle Schein des spätherbstlichen Feuers die frischen Wintersaaten schützen und den Feldern Fruchtbarkeit für die kommende Wachstumsperiode spenden. Da diese Feldfeuer jeweils nach Abschluss der herbstlichen Arbeiten in Feld und Flur abgebrannt wurden, rückten sie zeitlich zwangsläufig in die Nähe des Martinstages. Viel jünger sind die Laternenumzüge der Kinder. Im Rheinland kennt man sie tatsächlich erst aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.
Abb. 16.1 Kleinere und größere Feuer begleiten weithin das Martinsbrauchtum
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Die Martinsgans Einer netten Legende zufolge, die aber wohl eher anekdotischen Charakter hat, soll Martin sich vor der Übernahme des hohen Bischofsamtes gedrückt und vor seinen frommen Verfolgern in einem Gänsestall verbergende Zuflucht gesucht haben. Weil sich die Gänse wegen des plötzlich aufgetauchten und somit ungewohnten Mitbewohners offenbar ziemlich aufregten und laut geschnattert haben, entdeckte man den Flüchtigen und führte ihn planmäßig seinem neuen Aufgabenfeld zu. Damit wäre zumindest eine der Verbindungslinien von Martin zu den Martinsgänsen motiviert (Abb. 16.2). Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf einen leckeren Gänsebraten werben ländliche ebenso wie städtische Restaurants. Familien, Freundeskreise oder Vereine kommen um die Zeit des Martinstages (11.11.) zum gemeinsamen Gänseessen zusammen. Der Brauch ist schon seit dem 16. Jahrhundert verbürgt, aber vermutlich schon viel älter. In einem Codex aus der österreichischen
Abb. 16.2 Noch schreiten sie munter einher, aber bald schon werden sie Federn lassen
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Benediktinerabtei Lambach (gegründet um 1056) findet sich die bezeichnende (hier übersetzte) Sentenz „die Gäns´ sollst du uns mehren und auch den kühlen Wein“. Von Martin Luther ist überliefert, dass er sich 1541 ausdrücklich für zwei äußerst fette Gänse bedankt, die man ihm zu seinem Geburtstag (10. November) geschenkt hat. Auch in dieser Brauchtumslinie fließen offenbar verschiedene Stränge zusammen. Im traditionellen Kirchenjahr markiert der 11. November den Beginn einer 40-tägigen Fastenzeit, die bis Weihnachten dauert – vergleichbar der Quadragesima vor Ostern. Bevor also die Weihnachtsfastenzeit einsetzte, sollte noch einmal ein etwas üppigeres Gelage stattfinden. Dazu passt hervorragend die seit dem Mittelalter übliche Verkostung des neuen Weins zu Ehren von Sankt Martin, der neben Papst Urban I. sowie Urban von Langres auch als Winzerpatron verehrt wurde. Immerhin soll Martin der Legende nach einen wundertätigen Weinstock gepflanzt, einen armen Fährmann mit Wein beglückt und noch aus seinem Grabe Wasser in Wein verwandelt haben. Realer Hintergrund ist aber wohl, dass um den 11. November auch in der Rebflur die jahreszeitliche Arbeit beendet und in den Fässern der junge Wein so weit herangereift war, dass man ihn verkosten konnte. Schließlich wurzeln Martinstrunk und Martinsgans auch im Rechtswesen: An „Martini“ endete das bäuerliche Rechnungs- und Wirtschaftsjahr. An diesem Tag waren Pachten und Zinsen abzugeben, und Knechte sowie Mägde konnten eventuell ihren Arbeitgeber wechseln. Da die Gänsemast Anfang November ebenfalls abgeschlossen war und die schlachtreife Gans ein interessantes Wirtschaftsgut darstellte, galt sie als Zahlungsmittel der kleineren Bauern an Adel oder Geistlichkeit. Zudem schlachtete man zu diesem Zeitpunkt gerne das über den Sommer herangemästete Federvieh, weil man es dann nicht über den ganzen Winter hinweg füttern musste.
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Wo im heutigen regionalen Brauchtum von den Schulkindern Martinslose verkauft werden, ist eine Martinsgans üblicherweise der Hauptgewinn.
Ein noch junges Nutzgeflügel Verglichen mit dem Haushuhn ist die Gans noch ein vergleichsweise junges Hausgeflügel, denn nach archäologischen Befunden reicht ihre Domestikation allenfalls bis in das zweite vorchristliche Jahrtausend zurück. Stammform ist die 1758 von Carl von Linné beschriebene Graugans (Anser anser), die wild im gesamten Eurasien vom Atlantik bis zum Pazifik vorkommt und unterdessen auch wieder in Deutschland ein häufiger Brutvogel ist. Neben der heute eingebürgerten Kanadagans ist die Graugans die größte und schwerste Art unter den eurasiatischen Wildgänsen (Abb. 16.3). Die ältesten Hinweise auf die Domestikation zur Hausgans finden sich im alten Ägypten. Hier verwendete man
Abb. 16.3 Stammart der Hausgänse ist die in Deutschland wieder weit verbreitete Graugans
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Abb. 16.4 Die aus Afrika stammenden Nilgänse haben sich als Neozoen in der heimischen Avifauna äußerst erfolgreich etabliert. Auf den Menükarten findet man sie allerdings noch nicht
als beliebte Speise- und Opfertiere auch die Saatgans (Anser fabalis), die Blässgans (Anser albifrons) und die afrikanische Nilgans (Allopochen aegyptiacus) (Abb. 16.4), die heute auch bei uns und ziemlich nachkommenreich fest eingebürgert ist. Die Haltung von Gänsen ist für Mitteleuropa erst seit dem Beginn der Eisenzeit anzusetzen. Bei Plinius d. Ä. ist nachzulesen, dass die Römer große Herden von Gänsen aus germanischem Gebiet bezogen. Verbürgt sind die als Wachpersonal eingesetzten „kapitolinischen Gänse“. Auch die Herausbildung der zehn derzeit unterschiedenen Gänserassen erfolgte wohl überwiegend in Mitteleuropa. Im Wege der Auslesezüchtung entstanden dabei auch reinweiße, deren Rassenzuordnung schwieriger ist als bei Formen, die in Teilen ihres Federkleides noch die Färbung der Wildform tragen. Heute züchtet man (weiße) Hausgänse hauptsächlich in Osteuropa (Polen, Rumänien Ungarn), von wo sie ab Herbst in großen Mengen auch nach Deutschland unter oft inakzeptablen Transportbedingungen importiert
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werden. Die bevorzugte Gänsehaltung gerade in diesen Ländern hat bezeichnenderweise vor allem jüdische Wurzeln, denn in den beengten Verhältnissen der Gettos und Schtetl konnte man relativ einfach die ebenso fetten wie koscheren Gänse halten. Von Tierschützern zu Recht angeprangerte und unsägliche Methoden der Gänsehaltung in engst bemessenen Massenquartieren sind das quälerische Daunenrupfen lebender Tiere sowie die gewaltsame Ernährung (Stopfgans), die eine Fettleber für die kulinarisch vor allem in Frankreich so sehr geschätzte „Foie gras“ erzeugen soll. Nach der vorweihnachtliche Fastenzeit feiert der Gänsebraten als Weihnachtsgans (vgl. Abb. 16.2) ein erneutes Comeback – für die betroffenen Tiere sozusagen ein „da capo al fine“.
17 Advent – vier Wochen froher Erwartung
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Am Sonntag nach dem 26. November endet das bisherige Kirchenjahr, und mit dem darauf folgenden ersten Adventssonntag beginnt ein neues. Die geläufige Bezeichnung Advent leitet sich ab von der heute durchweg weniger geläufigen lateinischen Vokabel adventus = Ankunft und vermittelt ungefähr den gleichen theologischen Inhalt wie die Festbezeichnung Epiphania. Es geht dabei um die Erscheinung Gottes in dieser Welt und konkret um die Vorfreude auf die Geburt des göttlichen Kindes, das die Christenheit heute mit dem Weihnachtsfest am 25. Dezember begeht. Die Wochen davor waren traditionell immer eine Zeit der Besinnung und der inneren Einkehr, weswegen die liturgische Farbe der diese Zeit begleitenden Gottesdienste auch fast immer das eher verhaltene und gewiss etwas nachdenklich stimmende Violett ist. Nur am dritten Adventssonntag (Gaudete = freuet euch) trug der Zelebrant rosa (wie auch am Sonntag Laetare in der Fastenzeit – sonst kommt diese Farbe nie vor. Die Adventszeit, die kirchlicherseits ursprünglich analog der 40-tägigen vorösterlichen Fastenzeit als mehrwöchige Phase der physischen Zügelung gedacht war, hat diesen spezifischen Charakter wegen des besonderen in dieser Zeit begangenen Brauchtums allerdings weitgehend aufgeben müssen. Der Advent endet mit dem ersten dem eigentlichen Weihnachtsfest zugeordneten Gottesdienst. Schon mit den Wochen vor Weihnachten ist ein beachtliches und bis heute in vielen Regionen praktiziertes Brauchtum im privaten ebenso wie im öffentlichen Bereich verknüpft. Ein sicherlich besonders bemerkenswertes Kennzeichen sind die vor allem an den Wochenenden stattfindenden lokalen Weihnachtsmärkte, die neben sonstigen Konsumgütern eher kulinarischer Art jede Menge potenzieller Weihnachtsgeschenke sowie jahreszeitlich abgestimmte Deko-Artikel jeglicher
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geschmacklicher Bandbreite zwischen apart und total verkitscht anbieten. Die aktuell erlebbaren Besucherzahlen belegen nachdrücklich, dass hier offensichtlich des „Volkes wahrer Himmel“ (Goethe in Faust I, allerdings bezogen auf die Osterzeit) zu erleben ist. Man muss dieses Phänomen gewiss nicht unangemessen oder gar unnötig kritisieren, aber es ist kultursoziologisch gesehen schon irgendwie bemerkenswert, in welchem Maße sich zugegebenermaßen breiteste Bevölkerungskreise auch aus migrationsbedingt unterschiedlichen religiösen Herkünften überaus frohgemut vom Sog der merkantilen vorweihnachtlichen Marktevents mitreißen lassen.
Kränze und Kerzen Besondere Fest- oder Vorbereitungszeiten sind üblicherweise im häuslichen Umfeld flankiert von besonderen Schmuckelementen. Zu den heute unverzichtbaren Zutaten der Adventszeit vor Weihnachten gehört der Adventkranz (vgl. Kapiteleingangsbild). Sein sanftes Kerzenlicht passt hervorragend zur eher nachdenklichen Stimmung der Adventzeit. Nach allen vorliegenden Quellen geht er wohl auf den einfallsreichen und pädagogisch geschickten evangelischen Pfarrer Johann Hinrich Wichern (1808–1881) zurück. Wichern begründete 1839 ganz in der Nähe von Hamburg ein „Rettungshaus“ für verwahrloste Kinder und Jugendliche. Schon bald führte er den Brauch ein, dass sich die kleine und vermutlich im Blick auf Weihnachten ungeduldige Gemeinde alltäglich zu einer Andacht vor einem mit Kerzen geschmückten Wagenrad zum Gebet versammelte. Dieses war mit vier großen und 20 kleineren Kerzen dekoriert, um den Kindern das Abzählen der Zeit bis Weihnachten (als froh erwarteten Tag der Geschenke)
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Abb. 17.1 Eine ungewöhnliche Lösung: schwimmender Advents‑ kranz auf der Wied
zu erleichtern. Diese didaktische Idee fand allenthalben großen Gefallen. Ab etwa 1860 wurde es daher üblich, statt der mit zahlreichen Kerzen bestückten Wagenräder nur noch einfachere, aus immergrünem Bindegut gewundene Kränze mit vier Kerzen in öffentlichen wie in privaten Räumen zu verwenden (Abb. 17.1). Dieser Brauch besteht ungebrochen: Selbst extrem säkulare Institutionen wie Behörden (u. a. die allgemein wenig beliebten Finanzämter) oder gar Banken und Versicherungsgesellschaften sowie sonstige öffentliche Einrichtungen verzichten nicht auf dieses unterdessen fest etablierte Dekor. Die dazu mehrheitlich verwendeten Koniferenzweige sehen wir ins allerdings erst im Kontext des Weihnachtsbaumes genauer an.
Mysteriöse Misteln Schon seit langem ist der Zeitraum zwischen dem 1. Adventsonntag und Weihnachten vor allem durch die unübersehbaren Offerten der Blumenhändlerbranche
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in der Kundenwahrnehmung durchaus präsent, weil die jahreszeitlich passenden Angebote einfach nicht zu übersehen sind: Im gezielten Deko-Angebot für die Vorweihnachtszeit finden sich fast immer auch die seltsamen Misteln, die zweifellos zu den ausgefallensten und schon deswegen bemerkenswerten heimischen Strauchgehölzen gehören. Eigentlich sind diese überaus interessanten Pflanzen wirklich viel zu schade, um nach überschaubar kurzem Einsatz als geschätzter Deko-Artikel in der Entsorgungstonne zu enden. Vor allem in der kalten Jahreszeit und ohne die visuelle Störung der Baumkronenbelaubung fallen die zweifellos bemerkenswerten Misteln als kugelförmige, dichte und hell- bis mittelgrüne Büsche in den sonst winterkahlen Laubbaumkronen auf (Abb. 17.2). Hinsichtlich ihrer Wuchsunterlage sind diese erkennbar Aufsässigen absolut wählerisch. Laubholz-Misteln findet man tatsächlich nur auf Ahorn, Birken, Hainbuchen, Obstgehölzen (am häufigsten auf Apfelbäumen – sie bestimmen so übrigens das Landschaftsbild der Normandie…), Pappeln,
Abb. 17.2 Misteln sind höchst ungewöhnliche Pflanzen: Bei solcher Befallsdichte wird die Sache für alle Beteiligten problematisch
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Robinien und Weiden, niemals dagegen auf Buchen oder Eichen. Den nur auf Nadelgehölzen wachsenden Arten räumt man heute einen eigenen Artstatus ein. Deren genauere Taxonomie ist in diesem Kontext sicherlich entbehrlich. Dem jeweiligen Wirtsbaumast, auf dem sie sich erfolgreich verankert haben, entnehmen die Misteln tatsächlich lediglich Wasser und die darin gelösten Mineralsalze, nicht dagegen organische Baustoffe (Abb. 17.3). Diese können sie mit ihren gelbgrünen Lederblättern rund um das Jahr via Photosynthese völlig autark selbst herstellen. Daher gelten Misteln schlimmstenfalls als Halbparasiten. Sie werden übrigens immer nur dann zum Problem für ihren Wirtsbaum, wenn sie sich in allzu großer Zahl angesiedelt haben: Man sieht in der Kulturlandschaft nicht selten ältere Apfelbäume, die selbst im Winter durch üppigsten Mistel-Besatz völlig grün aussehen (vgl. Abb. 17.2). Aber wie kommen sie auf ihren Wuchsplatz in zumeist luftiger Höhe? Die Gallier glaubten noch, dass die Misteln vom Himmel fallen und bei ihren Landemanövern einfach im Geäst hängen blieben. Deswegen waren ihnen diese
Abb. 17.3 Misteln sind Halbparasiten – sie entnehmen ihrer Wuchsunterlage lediglich Wasser und Mineralstoffe
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ungewöhnlichen Pflanzen besonders heilig – man erinnert sich in diesem Kontext gewiss gerne an die schon vor Jahrzehnten von Uderzo und Goscinny kreierte und immer noch populäre Figur des Druiden Miraculix, der für die beiden anderen Comic-Akteure Asterix und Obelix aus speziell geernteten Mistelzweigen einen Kraft spendenden Zaubertrank braut. Meist sind Misteln für die Primärbesiedlung einer Baumkrone auf tierische Hilfe angewiesen. So haben vor allem die bezeichnenderweise so benannten Misteldrosseln eine besondere Vorliebe für die weißlichen Scheinbeeren (Abb. 17.4). In deren klebriges Fruchtfleisch sind die Samen mit der eigentlichen Fruchthülle eingebettet. Die überstehen problemlos die Magen-Darm-Passage durch den Vogel, landen mit dem nächsten Kotspritzer auf (eventuell) geeignetem Geäst und keimen dort erfolgreich aus. Ist der Mistelbusch erst einmal zur Fruchtreife herangewachsen, geht er anschließend meist zur effizienten
Abb. 17.4 Die weißlichen Scheinbeeren sind giftig erntende Vögel wie für die Misteldrossel allerdings nicht
–
für
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Selbsthilfe über: Die kleinen Samen seilen sich an den zähen Fruchtfleischfäden regelrecht ab, bis sie einen tiefer gelegenen Zweig treffen und sich darauf gleichsam von selbst erfolgreich aussäen. Von diesen extrem klebrigen Fäden leitet sich übrigens – auf der Basis des wissenschaftlichen Gattungsnamens – der technische Ausdruck Viscosität ab. Übrigens: Alle Teile der Misteln sind ziemlich giftig – sie enthalten als Viscotoxine bezeichnete Polypeptidgemische. Am giftigsten sind eigenartigerweise die auf Ahorn wachsenden Exemplare. Deutlich weniger toxisch sind die Misteln auf Apfelbäumen. Die Gründe dafür sind noch unklar. Zeitweilig setzte man Mistel-Präparate in der Krebs-Therapie ein. Im Deutschen Krebsforschungszentrum (Heidelberg) ist man von deren Wirksamkeit bislang allerdings nicht überzeugt. Eventuell viel wirksamer ist ein aus England überlieferter und auch in Mitteleuropa unterdessen weithin eingeführter Brauch: Küssen sich zwei Verliebte unter dem über dem Türeingang aufgehängten Mistelzweig, dann werden sie auch ein glückliches Paar. Eine junge Frau kann den Kuss unter der Mistel-Deko nicht verwehren, sonst bleibt sie nach tradiertem Volksglauben auch im Folgejahr garantiert ledig.
Die dekorative Christrose Botanisch heißt sie eigentlich Schwarze Nieswurz oder Schneerose, aber im Gartenfachhandel nennt man sie wegen des netterweise passenden Blühtermins vorgetriebener Exemplare auch Christrose. Gemeint ist die in der Naturlandschaft gar nicht so häufige Spezies Helleborus niger aus der großen Familie der Hahnenfußgewächse
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(Ranunculaceae). Gärtnerisch kultivierte Exemplare werden aber in Mengen mit mancherlei Tricks so herangezogen, dass sie rechtzeitig in der verkaufsträchtigen Vorweihnachtszeit vollauf blühen und dann ihrem Namen alle Ehre machen. Der eigenartige botanische Name Schwarze Nieswurz bezieht sich auf die bei dieser Art tiefschwarzen Wurzelstöcke (Rhizome) und Wurzeln, während Nieswurz die darin enthaltenen Inhaltsstoffe bemüht: Früher waren deren gepulverte Wurzelstöcke tatsächlich Bestandteil diverser Schnupftabake – ein durchaus nicht ganz unkritisches Konsumgut, denn die Pflanze enthält einen recht gefährlichen Cocktail aus Saponinen, Alkaloiden und herzwirksamen Giften, die allesamt zu starkem Niesen reizen. Obwohl diese Pflanzenart in den höheren Gebirgslagen zu Hause ist, ist sie erstaunlicherweise doch recht frostempfindlich. Während der klimatisch ärgsten Winterwochen ist sie an ihrem natürlichen Standort jedoch durch eine (normalerweise vorhandene) Schneeauflage wirksam geschützt. Hier blüht sie auch gewöhnlich nicht vor Ende Februar auf. Der besondere Blickfang der Christ- bzw. Schneerose ist die sicherlich hübsche, bis 7 cm breite Blüte. Die meist 5 Blütenhüllblätter sind entweder schneeweiß oder ganz leicht rötlich bis grünlich getönt. Wenn die Hauptblütezeit abgeschlossen ist, ergrünen sie übrigens wieder und betreiben dann – offenbar zur stofflichen Unterstützung der Samenreifung – auch aktiv Photosynthese (Abb. 17.5). Die aparten Blüten sollte man sich etwas genauer anschauen, um dann eigentlich ein wenig stutzig zu werden: Von außen nach innen zeigen sich die großen, flach ausgebreiteten Blütenhüllblätter, dann folgt eine größere Schar von gelblichen Staubblättern und ganz
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Abb. 17.5 Christoder ungewöhnliche Blüten
Schneerosen
entwickeln
recht
innen eine respektable Anzahl von langen Griffeln, die jeweils zu den zahlreichen Fruchtknoten gehören. Insofern entspricht diese Abfolge völlig der normalen Blütenarchitektur. Aber: Zwischen den Blütenhüll- und den Staubblättern – und von diesen meist bedeckt – findet sich ein dichter Kreis seltsam gelblich-grüner Gebilde, die wie kleine kurzgestielte Tütchen mit Öffnung nach außen aussehen. Es handelt sich um die Nektarblätter, die bei vielen Vertretern der Hahnenfußgewächse vorkommen. An der Basis der Nektarblätter befinden sich innen Drüsenzellen, die mengenweise Nektar absondern. Blütenbesucher finden das gesuchte Nahrungsangebot bei der Christrose also nicht sofort und gänzlich frei zugänglich vor, sondern müssen erst ein wenig danach suchen. Das verlängert erkennbar die Kontaktzeit zwischen dem Blütenbesucher und den Blütenorganen, wodurch sich letztlich die Chance der erfolgreichen Pollenaufladung deutlich erhöht.
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Barbara-Zweige: Kirschblüten zu Weihnachten „Zweige zu Sankt Barbara, sind am Christtag Blüten da“, beteuert vehement eine alte bäuerliche bzw. bürgerliche Regel. Traditionell schneidet man tatsächlich am 4. Dezember, dem (katholischen) Namensfest der heiligen Barbara, ein paar Zweige bestimmter Gehölze, stellt sie in Wasser in die warme Wohnung und kann dann ziemlich sicher sein, ungefähr drei Wochen später an Weihnachten (25. Dezember) nicht nur auf einen grünen, sondern sogar auf einen heftig blühenden Zweig zu kommen. Mitten in den düsteren Wintertagen nehmen also die durch die Zimmerwärme sichtlich angetriebenen und dann auch tatsächlich blühenden Barbara-Zweige den nächsten (und jetzt in der winterlichen Dunkelheit schon ziemlich ersehnten) Frühling ein wenig vorweg. Je nach Region verwendet man für den eigenen Vor-Frühling im Wohnzimmer alternativ die Zweige von Apfelbaum, Forsythien, Hasel, Kirschbaum, Pflaumenbaum, Rosskastanie oder Weißdorn. Die Sache funktioniert natürlich auch mit beliebigen anderen Gehölzarten, die hübsch anzusehende Blüten(stände) entwickeln, beispielsweise mit Kornelkirsche, Weiden, WinterJasmin oder Zaubernuss (Hamamelis) (Abb. 17.6). Das bemerkenswerte Brauchtum der Barbara-Zweige greift eine alte und insofern lang tradierte christliche Legende auf: Die historisch nicht gesicherte (und deswegen auch bis heute nicht kanonisierte) Barbara von Nikomedia (heute Izmir) starb der Überlieferung nach als christliche Märtyrerin, weil ihr heidnischer Vater für ihre religiösen Überzeugungen partout kein Verständnis aufbringen konnte. Das erinnert überaus fatal an Restriktionen, die in gewissen Kulturkreisen bis heute üblich sind. Auf Barbaras Weg ins Gefängnis knickte ihr offenbar heftig wallendes Gewand einen Kirschbaumzweig
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Abb. 17.6 So schon wie im Frühjahr blühen die Barbarazweige zu Weihnachten sicherlich nicht
ab. Den nahm sie mit ins verhängnisvolle Verlies und erlebte just am Tag ihres auch alsbald vollstreckten Todesurteils dessen Aufblühen.
Nur eine fromme Legende Diese fromme christliche Legende stellt sich aus der Sicht der versachlicht argumentierenden modernen Biologen etwas anders dar. Kernpunkt ist dabei das Problem, wie man die von der Natur aus strikt eingerichtete und für unser Klimagebiet durchaus vorsorglich angelegte Knospenruhe vorzeitig abbrechen kann. Das Erfolgsrezept ist bewährt: Die für die Zeit der planmäßigen jahreszeitlichen Vegetationsruhe angelegten Winterknospen der Gehölze enthalten einen komplizierten Cocktail verschiedener Pflanzenhormone. Der verhindert zuverlässig, dass die Knospen schon an milden Spätherbst- oder Wintertagen gänzlich unpassenderweise viel zu früh austreiben. Holt man etwa Anfang November irgend-
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welche Zweige in die warme Wohnung, passiert folglich rein gar nichts. Am Barbara-Tag Anfang Dezember haben die Zweige und Knospen draußen dagegen mit größter Wahrscheinlichkeit ein paar knackige Frostnächte ertragen müssen, und die verändern den HormonCocktail tatsächlich total: Die zuvor von innen diktierte Knospenruhe ist jetzt tatsächlich dahin. Die weitere Knospenaktionskontrolle übernehmen nun ausschließlich die Außenfaktoren. Wärmeperioden bringen die nunmehr betriebsbereiten Knospen artabhängig innerhalb von rund drei Wochen zum Austreiben. Deshalb blühen in dezidiert wintermilden Regionen wie im Rheinland die Haselkätzchen (Corylus avellana) draußen in günstigen Jahren eventuell schon Mitte Januar, und ab Mitte Februar kann man in vielen Jahren ohne anhaltend knackige Winterfrostperioden auch schon Kornelkirsche (Gelber Hartriegel, Cornus mas ) oder sogar Duft-Schneeball (Viburnum fragrans) erleben – die aparten Elfen-Krokusse (Crocus tomassinianus) in den kommunalen Parks ohnehin (Abb. 17.7).
Abb. 17.7 Die hübschen Elfen-Krokusse sind wegen des Klima‑ wandels in milden Wintern schon recht frühzeitig und sogar um die Weihnachtszeit aktiv
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Die von kräftigen Nachtfrösten zuverlässig gebrochene winterliche Knospenruhe, in Fachkreisen Vernalisation genannt, kann man natürlich auch künstlich einleiten: Wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass Ihre Apfelbaumoder Kirschbaum-Zweige auch tatsächlich zu Weihnachten in der Vase erblühen, legen Sie sie nach dem Schneiden sicherheitshalber – gegen unnötige Wasserverluste durch Folie geschützt – einfach für ein paar Tage in die Tiefkühltruhe. Dieser simple Trick simuliert die natürlichen und jahreszeitlich üblichen Außenbedingungen und stimmt die pflanzliche Ruheperiode zuverlässig um.
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© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_18
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Schon allein hinsichtlich seiner Terminlage ist dieses populäre und von der Süßwarenbranche immer wieder heftig beworbene Jahresfest bei weiten Bevölkerungskreisen vor allem deswegen bekannt bzw. noch in Erinnerung: Am Vorabend des Nikolaustages (6. Dezember) stellte man seine penibel geputzten Schuhe auf die Türschwelle und konnte ziemlich sicher sein, darin am nächsten Morgen eine Anzahl süßer Leckereien vorzufinden. In den Niederlanden legt man zudem eine Möhre bereit, denn Sinter Klaas kommt nach dortiger Überzeugung mit einem Pferd vorbei. Schon in mittelalterlicher Zeit war dieser Termin ein besonderer Beschertag für die Kinder. Zweifellos ist der Nikolaustag die am intensivsten wahrgenommene Unterbrechung der Adventszeit und gleichsam deren Hauptfest, das zudem ein bemerkenswert reichhaltiges Brauchtum mit mancherlei regionalen Ausformungen gezeitigt hat.
Ein Bischof aus Kleinasien Hinsichtlich der Vita von Nikolaus vermischen sich – eigentlich normal nach so langer Zeit – Fiktion und Tatsache. Nach der (einigermaßen gesicherten) Überlieferung war Nikolaus historisch belegbar (ca. 270–343) Erzbischof von Myra in Lykien (Kleinasien). Südlich des antiken Myra, in der Provinzstadt Kale (bzw. früher Demre) in der heutigen Türkei, ist über dem zweifelsfrei nachgewiesenen Grab des heiligen Nikolaus eine eindrucksvolle Basilika errichtet, deren heutige Form unter maßgeblicher Förderung durch den russischen Zaren Alexander II. (1818–1881) errichtet wurde. Hier findet jeweils am 6. Dezember ein großes internationales Nikolaus-Fest statt. Schon im Mai 1087 wurden die in Myra aufbewahrten Gebeine von Nikolaus vor (angeblich drohenden) Über-
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fällen von Muslimen von italienischen Kauf- bzw. Seeleuten „sichergestellt“ und in die apulische Hafenstadt Bari überführt (bzw. entführt oder schlicht geraubt). Die wenigen am Originalort verbliebenen Knochenfragmente sind heute zusammen mit dem hölzernen Sarkophag in einem Provinzmuseum in Antalya zu sehen. Die Hafenstadt Bari versteht sich mit ihrem stolzen Besitz der Nikolaus-Reliquien folgerichtig als unbedingtes Zentrum des Nikolaus-Kultes. Immerhin hat man als Aufbewahrungsort der Reliquien auch hier eine überaus beeindruckende Basilika erbaut – übrigens eine der ersten großen Kathedralen der apulischen Romanik und bis heute das Wahrzeichen der Stadt. In Mitteleuropa breitete sich der zunehmend beachtliche Nikolaus-Kult erst ab dem 10. Jahrhundert aus – er steht offenbar im Zusammenhang mit der (vor allem im Rheinland aus mancherlei Gründen hochgeschätzten) byzantinischen Prinzessin Theophanu (955–991), die Kaiser Otto II. im Jahre 972 heiratete. Die älteste im deutschsprachigen Raum erhaltene Nikolaus-Darstellung ist eine in der Kirche St. Johann Baptist in Aachen-Burscheid aufbewahrte Ikone aus diesem Zeitraum.
Viele Legenden und noch mehr Patronate Die Beliebtheit des kleinasiatischen Erzbischofs Nikolaus steht einzigartig da. Er gehört zu den frühesten Gestalten der Kirchengeschichte, die nicht durch ein Martyrium, sondern durch wohltätiges Wirken zum Heiligenruhm gelangten. Zu den besonders nachhaltigen Wirkungen gehört die Jungfrauen-Legende: Ein völlig verarmter Vater konnte seine drei Töchter wegen der
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fehlenden Mitgift nicht standesgemäß verheiraten und wollte sie konsequenterweise in einem Bordell unterbringen. Nikolaus erfuhr davon und – selbst familiär recht begütert – warf den betroffenen Mädchen nächtens respektable Goldklumpen ins Schlafgemach. In einem anderen Fall rettete Nikolaus drei unschuldig verurteilte Schüler, die man schon – aus welchen Gründen auch immer – in einem Salzfass eingepökelt hatte. Schließlich half er auch drei durch einen schweren Sturm in arge Bedrängnis geratenen Seeleuten, indem er – flehentlich angerufen – selbst das Ruder ergriff und das Schiff sicher in den nächsten Hafen steuerte. Die letztere Legende ist besonders nachhaltig wirksam geworden: In vielen Küstenstädten gibt es eine dem heiligen Nikolaus geweihte Kirche, und an den Flüssen finden sich zahlreiche Nikolaus-Kapellen oder zumindest Statuen, die den Heiligen als Patron der Schifffahrt zeigen. In der alten Schifferkirche St. Maria Lyskirchen in Köln zeigt ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes Deckengemälde (auch) diese Szene.
Vom Erzbischof zum Weihnachtsmann In den vielen überlieferten Bildwerken vom Hochmittelalter bis in die jüngste Neuzeit ist Sankt Nikolaus immer als Bischof in entsprechendem Amtsornat dargestellt. Erst im 19. und noch heftiger im 20. Jahrhundert hat er einen beachtlichen Wandel zu einer überaus stark säkularisierten Figur vollzogen, in der man die traditionellen Züge kaum noch wiederfindet – eben Mitra gegen Zipfelmütze. Geblieben ist dabei nur seine Funktion als hochwillkommener Gabenbringer. So mutiert er bereits 1835 in dem von Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874) getexteten volkstümlichen Lied Morgen kommt
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der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben eben zum beliebten (und in vielen nachfolgenden bildlichen Darstellungen auch reichlich beleibten) Geschenkebringer, der sich vom religiösen Kontext bisweilen doch recht deutlich entfernt hat (Abb. 18.1). Den vorläufigen Schlusspunkt dieser Entwicklung setzt die sicherlich nur als Usurpierung zu bezeichnende Übernahme des Weihnachtsmann-Idols zum neuweltlichen, aber heute global so begriffenen Santa Claus mit großem, weißem Rauschebart, roter Robe, breitem schwarzem Ledergürtel und weiß pelzverbrämt abgesetzter Mütze durch einen US-amerikanischen Getränke-Konzern seit den 1930er Jahren. Passend zur Werbeabsicht hält er auch noch gleich ein paar Cola-Flaschen in Händen. Diese überaus erfolgreiche und bis heute fortgeführte Darstellung geht auf den deutschen Graphiker Thomas Nast (1840–1902) zurück, der in jungen Jahren mit seiner Mutter in die USA auswanderte und hier eine bemerkenswert erfolgreiche Designerkarriere hinlegte. Seine Vorstellungen vom später überaus erfolgreichen Bild des
Abb. 18.1 Weihnachtsmanndarstellungen sind saisonaler Kult, aber zumeist auch definitiv deutlich grenzwertiger Kitsch
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Santa Claus sind sicherlich von seinen früheren Kindheitserfahrungen in der heimischen Pfalz stark beeinflusst worden.
Können Rentiere fliegen? Eine mit dem heiligen Nikolaus direkt und unverwechselbar assoziierte Organismenart ist schwerlich auszumachen, aber mit dem Weihnachtsmann bzw. Santa Claus gelingt es: Da gibt es immerhin die heute weithin bekannte Verknüpfung mit dem Ren (Rangifer tarandus) – in Ein- oder Mehrzahl vor den schwer mit Geschenkpaketen beladenen Schlitten des geschätzten Gabenbringers gespannt und wegen der doch beträchtlich zu bewältigenden Distanzen zu den vielen Kindern, die beschert werden wollen, gar mit der unwahrscheinlichen Fähigkeit ausgestattet, die ungleich schnellere Luftroute zu nutzen. Rein physikalisch gesehen funktioniert das natürlich überhaupt nicht. Ein weiteres Problem auch besteht darin, dass Millionen (christlicher) Kinder auf verschiedenen Erdteilen in einem geradezu beängstigend kurzen Zeitraum zu beglücken wären, und ist selbst im Rahmen der modernen Quantentheorie ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. Die Verknüpfung mit der auch Rentier genannten, hochnordisch verbreiteten Hirschart – sie unterstellt übrigens stillschweigend und keineswegs kritisch hinterfragt, dass der Weihnachtsmann bzw. Santa Claus irgendwo in der Taiga oder Tundra zu Hause ist – geht nach den vorliegenden Quellen zurück auf das 1822 von Clement Clark Moore (1779–1863) veröffentlichte Gedicht A visit from St Nicholas. Der hochgebildete Moore (er übersetzte u. a. römische Dichter ins Englische) dozierte an einem Lehrerseminar in New York und war mit den Traditionen der Einwanderer aus dem alten
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Abb. 18.2 Das Bild vom Weihnachtsmann in seinem geschenk‑ beladenen Schlitten hat viele Ausdrucksformen erfahren. Im vorliegenden Fall (aus einem Bastelset) stimmen allerdings die Größenverhältnisse nicht…
Europa bestens vertraut. So band er die vor allem aus den Niederlanden importierte Geschichte des Sinter Klaas in ein folgenreiches Poem ein, und darin kommt eben auch das einen Schlitten ziehende Ren vor (Abb. 18.2).
Ein durchaus seltsamer Hirsch Das Ren, eine im hohen Norden Eurasiens verbreitete, auch in Nordamerika als eigene Unterart vorkommende und hier nach der Eingeborenensprache Karibu genannte Spezies, ist eine vergleichsweise kleine Hirschart: Die Schulterhöhe beträgt höchstens 140 cm, und damit übertrifft sie nur wenig diejenige unseres heimischen Rehs. Als einzige Hirschart tragen beim Ren auch die Weibchen ein jahreszeitliches Geweih, das jedoch immer deutlich kleiner und vergleichsweise geradezu mickrig ausfällt als bei den Männchen. Die bei den skandinavischen Lappen halbdomestiziert schon seit langer Zeit genutzte Variante ist
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Abb. 18.3 An der Größe der Geweihe kann man sie unter‑ scheiden: Hier sind nur männliche Exemplare unterwegs
etwas kleiner als die freilebende Wildform. Eine einzigartige Besonderheit zeichnet die Rentiere aus: Sie wechseln nämlich zwei Mal im Jahr aus bislang nicht bekannten Gründen ihre Augenfarbe: Zur Sommerzeit schimmert ihre Iris goldfarben, in den Wintermonaten ist sie dagegen dunkelblau. Die männlichen Exemplare des Rens werfen nach der Brunft- bzw. Paarungszeit ihr durchaus stattliches Geweih (Abb. 18.3) im Spätherbst ab. Sollten also irgendwelche adventlich-weihnachtlichen Deko-Artikel ein Ren im vollen Geweihschmuck darstellen, ist das schon rein biologisch ganz einfach ein völliges Unding. Die weiblichen Exemplare legen ihr eher schmächtig erscheinendes Geweih (Abb. 18.4) zugegebenermaßen erst nach dem Setzen der Kälber im fortgeschrittenen Frühjahr ab. Sie sind also mit einiger Sicherheit nicht die Vorlage für die sicherlich nett gemeinten, aber wie so häufig auch schlicht verdummenden Zitate aus der realen Natur.
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Abb. 18.4 Bei weiblichen Exemplaren bleiben die Geweihe deut‑ lich kleiner
Das rotnasige Rentier Rudolph Jeder kennt den zur Weihnachtszeit überall zu hörenden Evergreen Rudolph, the Red-Nosed Reindeer. Ursprünglich wurde diese Figur in den USA für ein Kindermalbuch entwickelt, und dann textete der Songwriter Johnny Marks dazu ein Kinderlied, das 1949 von Gene Autry musikalisch umgesetzt und enorm erfolgreich veröffentlicht wurde. Er beschreibt den rotnasigen Rudolph, der – von seinen Artgenossen als Außenseiter drangsaliert – schließlich im Schlittengespann des Weihnachtsmannes Karriere macht, weil er hier mit seiner angeblich leuchtend roten Nase als Nebelscheinwerfer dient. Wie man zur Entstehungszeit des weltbekannten Hits auf die heftig rote Rentiernase kam, bleibt indessen unklar – denn man kann das leuchtende Riechorgan tatsächlich nur auf Bildern sehen, die mit einer Wärmebildkamera aufgenommen wurden. Eine Weile lang galt als Erklärung, dass die Nasen etlicher Rentiere von Parasiten infiziert sind. Ein niederländisch-norwegisches Forscherteam hat
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dagegen in einer medizinischen Fachzeitschrift unlängst eine schlüssige alternative Erklärung vorgelegt: Rentiernasen sind demnach deutlich besser durchblutet als diejenige vergleichbarer Hirscharten oder selbst die unserer eigenen Spezies. Das gezielte Anheizen des Nasenraums ist für das Überleben in der Arktis geradezu essenziell und dient zudem der Temperaturregulation des Gehirns.
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In der jährlich wiederkehrenden Festfolge ist Weihnachten in der allgemeinen Wahrnehmung sicherlich das größte Feiertagsereignis, wenngleich es nach kirchlichem Ver© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_19
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ständnis hinter dem Osterfest klar zurücksteht. Wie kein zweites Jahresfest wird es – aus gutem Grunde gerade in der dunkelsten Zeit des Winterhalbjahres – als besonders glanzvolle Inszenierung begangen. Mögen schon zuvor während der gesamten Adventszeit öffentliche Räume wie Plätze, Straßen, Warenhäuser und Weihnachtsmärkte, aber auch Gehölze privater Gärten ebenso wie Hausfassaden in aufwändigem vorfestlichem Lichterschmuck erstrahlt sein, zieht meist erst mit dem Heiligabend (24. Dezember) der helle Glanz gleichsam auch in die gute Stube ein – gewöhnlich als prächtig geschmückter und vor allem beleuchteter Weihnachtsbaum, den man regional auch Christ- oder Lichterbaum nennt. Möglichst viel Licht ist in der dunkelsten Jahreszeit um Weihnachten eben ein besonders angesagtes Hilfsmittel. Kaum ein anderes christliches Jahresfest ist mit so vielfältigem und bis heute lebendigem Brauchtum von verknüpft – selbst bei solchen Zeitgenossen, die religiöse Überzeugungen längst verdrängt haben. Bezeichnenderweise sind die weihnachtlichen Gottesdienste so gut besucht wie sonst zu keinem anderen Anlass. Hier schwingen offenbar viele Saiten mit – nachdenkliche Erinnerungen an die eigene Kindheit sowie ein die Seele stark bewegendes, weil zum sonstigen kühl-distanzierten Alltag betont kontrapunktisches Erleben. Die anrührende Weihnachtsgeschichte, die nur von dem Evangelisten Lukas berichtet wird (Lk 2,1–20), wirkt eben zuverlässig nach.
Asiatische und römische Anknüpfungen Die Urkirche feierte die Geburt Jesu zunächst am 6. Januar, aber nicht als Geburtstagsfest, sondern als Freudentag über das Erscheinen Gottes in der Welt. Daher trägt dieser Tag im Kirchenjahr bis heute die Bezeichnung
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Epiphanias (vgl. Kap. 2). Allerdings erfolgte die Verlegung auf den 25. Dezember schon sehr frühzeitig. Als Reaktion auf den Kult des vorderasiatischen Licht- und Sonnengottes Mithras erhob Kaiser Aurelian (214–275) im Jahre 274 den römischen Sonnengott Sol invictus zum Reichsgott und legte sein Fest auf den 25. Dezember, den Tag des wiederkehrenden Lichtes. Die frühen Christen wollten dem ihren eigenen Gott entgegensetzen, zumal die biblischen Texte Jesus mit einer ausgeprägten Lichtmetaphorik umgeben: Erstmals am 25. Dezember 354 feierte Papst Liberius (unbekannt-366) in Rom den Geburtstag Jesu. Unter Kaiser Theodosius (347–395) wurden das Christentum römische Staatsreligion und der 25. Dezember als besonderes Lichtfest bestätigt. Im deutschsprachigen Raum breitete sich dieses Festbegängnis erst im Laufe des 8. Jahrhunderts fast überall ein. Die Bezeichnung Weihnachten taucht erstmals im Jahre 1170 bei einem bayerischen Spruchdichter in der Schreibung wîhen naht auf.
Das astronomische Umfeld Der heute kalendarisch unverrückbar festgelegte Termin des Weihnachtsfestes (25. Dezember) liegt bezeichnend nahe am Zeitpunkt der Wintersonnenwende (Wintersolstitium, Winterbeginn) – ein astronomisch absolut klar definiertes Ereignis: Am 21. und in manchen Jahren am 22. Dezember erreicht die Sonne nämlich auf der Nordhalbkugel der Erde die geringste Mittagshöhe über dem Horizont und kehrt vom tiefsten Punkt ihrer scheinbaren Jahresbahn über dem südlichen Wendekreis (Wendekreis des Steinbocks bei 23°26’) wieder in Richtung Äquator und dann weiter zum nördlichen Wendekreis (Wendekreis des Krebses) zurück. Künftig fällt der so definierte
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kalendarische Winterbeginn übrigens häufiger auf den 21. Dezember. Erst im Dezember 2019 begann er vorerst ein letztes Mal am 22. Dezember. Der Termin der Wintersonnenwende markiert den kürzesten Tag und die längste Nacht, weil der größere Teil der täglichen Sonnenbahn unterhalb des Horizonts liegt. Nördlich des Polarkreises gibt es zur Wintersonnenwende einen Tag ganz ohne Sonnenaufgang – die scheinbare tägliche Sonnenbahn liegt vollständig unterhalb des Horizonts. Obwohl die Wintersonnenwende den kürzesten Tag bezeichnet, findet der früheste Sonnenuntergang schon etwa zehn Tage früher und ihr spätester Aufgang erst etwa zehn Tage später statt. Der Grund dafür ist die auf Unregelmäßigkeiten in der jahreszeitlichen Bahnbewegung der Erde um die Sonne beruhende Zeitgleichung, womit man die Differenz zwischen der wahren Sonnenzeit (wahre Ortszeit) und der mittleren Sonnenzeit (mittlere Ortszeit = MEZ) eines Ortes bezeichnet. In vielen antiken Kulturen war die Wintersonnenwende ein bedeutendes Fest, das man oft auch schon ein paar Tage vor bzw. nach dem Datum der astronomisch exakten Sonnenwende feierte. Schon die steinzeitlichen Kultstätten wie die zu Recht berühmte Anlage von Stonehenge in Südengland ließen diesen Zeitpunkt mit den relativ leicht bestimmbaren Auf- und Untergangspunkte der Sonne recht zuverlässig erfassen. Übrigens: Vor der Einführung des Julianischen Kalenders lag die Wintersonnenwende auf dem 13. Dezember. Dieser Tag ist das Namensfest der heiligen Lucia (die Leuchtende ), einer unter Kaiser Diokletian (ca. 240–316) im sizilianischen Syrakus ermordeten Märtyrerin, die nach christlicher Überzeugung das Licht in die längste Nacht des Jahres tragen soll. Im vor allem in Schweden bis heute lebendigen Lucia-Brauchtum stellt die älteste Tochter des Hauses als Luciabraut die gemeuchelte
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Heilige dar – weiß gewandet und gekrönt von einem Lichterkranz mit sieben Kerzen auf einem Holzreif, den sie auf dem Kopf trägt.
Am Vorabend von Weihnachten Der 24. Dezember erscheint in jedem profanen Kalender mit der ausdrücklichen Eintragung Heiligabend – der fast überall traditionelle Termin der Bescherung mit den für die Lieben ausgesuchten Weihnachtsgeschenken und dem eventuellen spätabendlichen Besuch einer Christmette. Der 24. Dezember ist aber auch – in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – der Namenstag von Adam und Eva, jenes legendären Paares aus der Genesis, das uns nach der biblischen Tradition den ersten Sündenfall einbrockte. Ihr gemeinsamer Namenstag ist aus theologischer Sicht wunderbar platziert – nämlich ausgerechnet am Vortag der Geburt des Erlösers, der nach christlicher Überzeugung die im Paradies entstandene Erbschuld tilgen soll. Das nach der alttestamentalischen Genesis am sechsten Schöpfungstag zusammen mit allen übrigen großen Tieren erschaffene Paar Adam und Eva sollte sich fortan unbekümmert im Paradies (Garten Eden) tummeln können – wenn da nicht die verführerische Schlange gewesen wäre, die sie zum Genuss einer Frucht vom Baum der Erkenntnis verleitet hätte. Bezeichnenderweise war es Eva als Verführerin, die ihren Gefährten Adam erfolgreich zum Genuss animierte… Nirgendwo in der Genesis noch an anderer Stelle der Bibel wird eindeutig erläutert, zu welcher botanischen Spezies die folgenreich verfehmte Frucht vom Baum der Erkenntnis eigentlich gehört. Erst in viel späterer Zeit wurde sie in der abendländischen Ikonographie als Apfel interpretiert und entsprechend häufig auch als solcher in
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Bildwerken dargestellt, etwa in dem berühmten Gemälde Das Paradies (1530) von Lukas Cranach d. Ä. (1472– 1553), das Adam und Eva vor einem üppig behangenden Baum mit einladend reifen Äpfeln zeigt. Auch gibt es von Cranach ein bekanntes Gemälde mit dem Titel Madonna mit Kind unter einem Apfelbaum (ebenfalls entstanden im Jahre 1530). Auch diese Darstellung ist irgendwie anachronistisch, denn auch zur Zeit der Kindheit Jesu gab es noch keine saftigen Äpfel im heutigen Supermarktformat. Der erst deutlich nachbiblisch bemühte Apfelbaum gehört botanisch zur einheimischen, wenngleich nicht allzu weit verbreiteten Spezies Wild- oder Holz-Apfel (Malus sylvestris). Er kommt zwar bis heute im Heiligen Land vor, aber er blieb nutzungstechnisch völlig bedeutungslos. Nach archäologischem Fundgut wurde er schon in der Jungsteinzeit gesammelt und wohl auch konsumiert, obwohl sein kulinarischer Wert gegenüber den heutigen Hochzuchtsorten, die unter der Sammelbezeichnung Kultur-Apfelbaum (Malus domestica) laufen, unzweifelhaft weit im Hintergrund blieb. Außerdem waren die Wildapfelfrüchte ursprünglich allenfalls kirschgroß und somit in ihrem Verführungspotenzial noch absolut bescheiden (Abb. 19.1). Aber immerhin ist der Wild-Apfel mit seinem Erbgut am heutigen und schon fast unübersichtlichen Sortenbild der zahlreichen supermarkttauglichen Kulturapfelsorten beteiligt. Nach neueren molekulargenetischen Analysen ist daran wohl durch spontanes oder gelenktes Einkreuzen auch der Asiatische Wild-Apfel (Malus sieversii) beteiligt. Aber in großen Teilen könnte Adams biblischer Apfelbaum durchaus in Mitteleuropa gestanden haben. Ganz nebenbei: So manche heute hochgeschätzte Apfelsorte ist interessanterweise nicht das Ergebnis planmäßig gelenkter Züchtung, sondern geht auf zufällig entdeckte Spontanmutationen bzw. Zufallssämlinge zurück, darunter etwa Altländer Pfannkuchenapfel, Berner Rosenapfel, Bohnapfel, Boskoop, Cox, Glockenapfel und viele andere.
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Abb. 19.1 Nur ungefähr so groß wie diese heranreifenden Apfelfrüchte werden in biblischer Zeit die Wildäpfel ausgesehen haben – Verführung pur?
Und noch etwas: Der entgegen jeglicher botanischer Überzeugung so bezeichnete „Adamsapfel“, der bei männlichen Individuen unserer eigenen Spezies relativ markant hervortretende Schildknorpel des Kehlkopfes, soll auf den in Adams Hals stecken gebliebenen Bissen vom fatalen Apfel des biblischen Baumes der Erkenntnis zurückgehen.
Der Weihnachtsbaum Natürlich wäre es ungemein reizvoll, den verschiedenen kulturhistorischen Strängen der auch regional reich differenzierten Weihnachtsbräuche nachzugehen, die sich immerhin in so verschiedenen Erscheinungsformen wie Weihnachtslieder, -gedichte, -gebäck, -geschenke, -karten, -sondermarken, -krippen sowie vielerlei anderem Kulturgut Ausdruck finden. Wir beschränken uns hier indessen auf eine
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kurze Betrachtung des Weihnachtsbaumes, den eine über 500-jährige Historie auszeichnet. Den ersten unter anderem mit Sternen geschmückten Weihnachtsbaum zeigt ein Kupferstich von Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553) aus dem Jahre 1509. Ungefähr um diese Zeit erwähnt der Straßburger Autor Sebastian Brant (1458–1521) geschmückte Bäume, die zu Weihnachten im Elsass aufgestellt werden. Indirekt wird der Weihnachtsbaum in einem Rechnungsbuch aus dem elsässischen Schlettstadt (heute Séléstat) erwähnt; die bemerkenswerte Eintragung belegt, dass man einem Förster einen gewissen Betrag bezahlt habe, damit er ab dem St. Thomastag (22. Dezember) die Bäume gegen frevelhaften Diebstahl bewache. Das Weihnachtsbaum-Brauchtum gewann dennoch rasch an Beliebtheit und gelangte aus dem südwestdeutschen Raum fast überall hin und verlief alsbald auch in markttechnisch geordneten Bahnen: Im Hause Wilhelm von Humboldts (1767–1835) zündete dessen Ehefrau Caroline zu Weihnachten 1815 die Kerzen an einem der ersten Berliner Weihnachtsbäume an (Abb. 19.2 und 19.3).
Abb. 19.2 Öffentliche Weihnachtsbäume auf den Weihnachts‑ märkten nehmen das Christfest schon ein wenig vorweg
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Abb. 19.3 Wie ein ordentlich geschmückter privater Weih‑ nachtsbaum auszusehen hat, zeigt eine bereits 1878 in Frankfurt/M. erschienene Darstellung
O Tannenbaum In etlichen Erzählungen, Gedichten und Liedern wird der weihnachtlich-festlich geschmückte Tannenbaum gefeiert. Selten lag die botanische Artdiagnose aber so unbarmherzig daneben wie bei den jahreszeitlichen Lichterbäumen, denn zur Entstehungszeit der weihnachtlichen Lyrik und Prosa verwendete man wohl überwiegend Exemplare der Gewöhnlichen Fichte (Picea abies), ein heute in Mitteleuropa ein fast überall verbreiteter Nadelbaum (Abb. 19.5). Als ursprüngliche Wuchsgebiete gelten allerdings nur die Höhenregionen oberhalb 800 m von Harz, Rhön, Fichtelgebirge, Bayrischem Wald, Schwarzwald, Vogesen und die entsprechenden Höhengürtel der Alpen. Alle übrigen in den tieferen
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Lagen wachsenden Fichtenbestände sind erst aus umfangreichen Aufforstungen während der letzten 200 Jahre hervorgegangen, denn die Art ist auch auf solchen Standorten ertragreich und raschwüchsig, auf denen die heimischen Laubbaumarten weniger gut oder gar nicht gedeihen. Obwohl die neuere Forstpolitik den Nadelholzanteil zugunsten einer Laubholzbestockung zurückdrängt, werden monostrukturierte Fichtenforsten in vielen Regionen noch für eine Weile das Landschaftsbild beherrschen. Nur die für besonders repräsentative Zwecke auserkorenen großen Exemplare, die gewöhnlich im Freistand heranwachsen konnten, erntet man meist im natürlichen Verbreitungsgebiet. Die für die häuslichen Weihnachtsbäume verwendeten Fichten stammen dagegen überwiegend aus Spezialkulturen, in denen sie in 5–10 Jahren bis zur Hiebreife heranwachsen. Das genaue Alter kann man leicht an der Anzahl der Astwirtel ermitteln – jedes Jahr legen die Nadelbaumarten einen neuen Kranz an. Die Nadelblätter der Fichten verdienen einen genaueren Blick: Sie sind im Querschnitt rautenförmig und stecken relativ locker in einer besonderen Nadeltasche, welche die Fichtenzweige nach dem frühen Abnadeln ziemlich rau erscheinen lässt. Mit einer Lupe erkennt man auf jeder der vier Nadelblattflanken eine Linie mit weißlichen Punkten – es sind die mit hellem Wachs versiegelten Spaltöffnungen (Stomata), durch die der für die Photosynthese wichtige Betriebsstoff Kohlenstoffdioxid (CO2) in die grünen Blattgewebe gelangt. Zum vierseitigen Bautyp eines Nadelblattes gibt es eine bemerkenswerte Alternative: Bei Douglasie (Pseudotsuga menziesii), Hemlock (Tsuga canadensis) und Tanne (Abies spp.) sind in Flachbauweise konstruiert – lang, schmal und relativ dünn. Ihre Oberseite zeigt sich leicht glänzend
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dunkelgrün, und nur die Unterseite zeigt dekorative, weißliche Längsstreifen. Diese schmalen Nadelstreifen markieren wiederum die Lage der Spaltöffnungen. Auch sieht die Verbindung der Nadelblattbasis zum Zweig ganz anders aus: Bei den echten Tannen sowie bei Hemlock und Douglasie sitzen die Nadeln mit einer fußartig breiten und rundlichen Basis fest (Abb. 19.6). Deshalb nadeln die Vertreter dieser Gattungen auch nicht so rasch ab wie die Fichten. Gerade der letztere Umstand hat in den letzten Jahren die aus dem Kaukasus stammen Nordmann-Tanne (Abies nordmanniana) zum unterdessen beliebtesten Weihnachtsbaum werden lassen. Benannt wurde die Art nach ihrem Entdecker, dem finnischen Biologen Alexander von Nordmann (1803–1866). Von den mehr als 20 Mio. allein in Deutschland verkauften Weihnachtsbäumen sind heute etwa 70 % Nordmann-Tannen aus Spezialkulturen vor allem in Dänemark (Abb. 19.4). Angesichts dieser
Abb. 19.4 Als Weihnachtsbäume werden heute fast nur noch die beliebten Nordmann-Tannen herangezogen
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Abb. 19.5 Bei der Fichte sitzen die Nadeln spitzfüßig in Zweig‑ vertiefungen
Abb. 19.6 Bei Tannen und ihre Verwandten sind die Nadel‑ blätter mit einer breiten Fußscheibe fixiert
bemerkenswerten Marktentwicklung transportiert das allbekannte traditionelle Weihnachtslied O Tannenbaum… (um 1820 nach älteren Vorlagen textlich und musikalisch adaptiert von August Zarnack (1777–1827)) eine ganz neue und dieses Mal korrekte Artdiagnose (Abb. 19.7).
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Abb. 19.7 Weihnachtsbäume anderswo: Wo sie vorkommen, sind es sogar Araukarien
Weihnachtssterne In fast allen Haushalten, aber auch in Hotelhallen und Kirchen findet man meist schon während der Adventszeit, aber spätestens zum Fest selbst die äußerst dekorativen Weihnachts- oder Christsterne (Euphorbia pulcherrima), mitunter nach dem von dieser Pflanze total begeisterten US-amerikanischen Botschafter in Mexiko Joel Poinsett auch Poinsettie genannt. Ihr wissenschaftlicher Artname spiegelt das zur Blütezeit geradezu spektakuläre Erscheinungsbild – übersetzt bedeutet er „die schönste aller Euphorbien“. Die Art gehört zu den Wolfsmilchgewächsen (Euphorbiaceae) und führt wie die meisten Vertreter der Familie in allen Teilen einen viskösen weißen Milchsaft. Lange Zeit galt sie als relativ giftig, doch wird sie neuerdings als eher unproblematisch eingestuft. Die in den Wildpflanzen tatsächlich enthaltenen und zugegebenermaßen
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recht ungesunden Diterpene sind in den Kulturformen fast nicht mehr nachweisbar (Abb. 19.8). Die Pflanze ist im tropischen Mexiko sowie in Mittel- und Südamerika vor allem in den Laubwäldern beheimatet, wächst dort aber auch an Ruderalstellen als immergrüner, bis etwa 4 m hoher, aber nur wenig verzweigter Strauch. Heute ist sie im Tropengürtel nahezu weltweit verbreitet und vielfach in großen Beständen verwildert, unter anderem auch auf den Kanaren. Die bei uns gehandelten Kulturformen sind dagegen deutlich stärker und manchmal sogar ziemlich buschig verzweigt. Im Jahre 1804 brachte der bedeutende Forschungsreisende Alexander von Humboldt (1769–1859) die Pflanze von seiner legendären Reise „in die Äquinoktialgegenden“ der neuen Welt nach Europa. Hier erhielt sie zunächst den heute ungültigen Namen Euphorbia heterophylla, wurde aber schon 1833 durch den bedeutenden Berliner Botaniker Carl Ludwig Willdenow (1765–182, war der Lehrer Alexander von Humboldts) mit dem aktuellen botanischen Namen versehen und 1836
Abb. 19.8 Bei den Weihnachtssternen sind nur die kleinen kugeligen Gebilde die wirklichen Blüten – der Rest ist nur Reklame
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von dem ebenfalls in Berlin wirkenden Arzt und Apotheker Johann Friedrich Klotzsch (1805–1860) wissenschaftlich beschrieben. Lange Zeit war sie nur eine gerne gezeigte Rarität in wenigen botanischen Gärten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg (ab etwa 1950) wurde sie zunehmend als beliebte und heute auch wirtschaftlich enorm wichtige Topfpflanze gärtnerisch kultiviert – im Wesentlichen eine bemerkenswerte Züchtungsleistung spezialisierter deutscher Gartenbaubetriebe. Immerhin gehören sie nach Auskunft der Blumenhändlerbranche zu den am häufigsten gehandelten Saisonartikeln. Weihnachtssterne gibt es in allen Formaten – nur handbreit hoch oder üppig buschig, und dazu auch in diversen Farbnuancen von cremeweiß bis lachsrosa. Es ist auch in diesem Fall überaus erstaunlich, was der Genpool der Spezies in der Folge züchterischer Maßnahmen an Farbund Formvarianten alles hergibt. In ihrer Heimat blühen die Weihnachtssterne im Wesentlichen nur in der Zeit von November bis Februar, an manchen Wuchsplätzen aber auch nahezu ganzjährig. Sie sind – wie viele tropische Pflanzenarten – typische Kurztagspflanzen und setzen folglich nur dann Blüten an, wenn sie täglich nicht mehr als 12 h Licht bekommen. An ihren natürlichen Standorten in den Tropen ist das ganzjährig der Fall. Bei uns muss die gärtnerische Praxis die notwendige Dunkelphase in den Gewächshäusern ab Oktober mithilfe von schattierenden Folien auf mindestens 12 h verlängern, damit die Pflanzen pünktlich zur Advents- bzw. Weihnachtszeit blühen und marktreif sind. Was zunächst wie ein äußerst üppiger Blütenstand aussieht, sind tatsächlich die großen, rosettenförmig dicht gedrängten und durch Anthocyane intensiv hochrot ausgefärbten Hochblätter oder Brakteen. Die eigentlichen Blüten in der Mitte dieses auffälligen Blattschopfes sind dagegen ziemlich klein und eher unscheinbar
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grünlich-gelb. Aber auch hier ist eine genauere Unterscheidung nötig: Was zunächst wie eine rundlich-kopfige Blüte aussieht, ist wie bei allen Vertretern der Gattung Euphorbia tatsächlich ein eigener kleiner Blütenstand, in Fachkreisen Cyathium genannter Blütenstand. Die darin befindlichen und tatsächlich nur mit Lupenhilfe erkennbaren Einzelblüten sind eingeschlechtig. In jedem Cyathium findet sich nur eine einfache weibliche Gipfelblüte ohne weitere Blütenhüllblätter, die von fünf ebenfalls hüllblattlosen Gruppen männlicher Blüten umstanden wird, die jeweils nur aus einem Staubblatt bestehen. Umgeben wird dieses komplexe Arrangement von mehreren lippenförmigen Nektardrüsen. Deren Nektar weist mit bis zu 60 % eine durchaus ungewöhnlich hohe Zuckerkonzentration auf. In ihrer ursprünglichen neuweltlichen Heimat werden die Weihnachtssterne von Vögeln (vor allem Kolibris) bestäubt. In der heimischen Wohnung erweisen sich Weihnachtssterne in der Pflege als recht sensibel. Kühle Temperaturen und Zugluft ertragen sie ebenso wenig wie übermäßiges oder zu sparsames Gießen. Nur selten sind sie über die Sommersaison hinweg bis in die nachfolgende Weihnachtszeit zu retten.
Ein Arsenal von Aromen „Äpfel, Nuss und Mandelstern, essen alle Kinder gern“ verkündet eine alte Liedzeile im Blick auf die genüsslichen Wohltaten, die zur Weihnachtszeit zu erwarten sind. Allerhand Leckereien, die (früher) während des übrigen Jahres nicht verfügbar sein konnten, beherrschen nunmehr die Szene – vom reich bestückten Naschteller schon am Nikolaustag bis zum vielfach noch üblichen und kulinarisch üppigen (i. e. kalorisch bedenklichen)
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Weihnachtsteller am eigentlichen Hochfest. Was hier üblicherweise an spezifischen Zutaten pflanzlicher Herkunft aus aller Welt Verwendung findet, könnte zweifellos ein eigenes Buch füllen, denn tatsächlich beruhen die jahreszeitlich und vor allem weihnachtlich motivierten Leckereien zu einem großen Teil auf aromaliefernden Zutaten, die in Mitteleuropa gar nicht gedeihen können. Kopra (gemahlenes Endosperm der Kokosnüsse) gehört häufig dazu. Ohne Anis, Gewürznelken, Kardamom, Koriander Muskat, Piment oder Zimt wären auch Lebkuchen, Spekulatius oder sonstige traditionelle weihnachtliche Backwaren nicht denkbar. Nicht zu vergessen sind Citronat (aus der Zitronatzitrone Citrus medica ) bzw. Orangeat aus der Pomeranze (Citrus aurantium ssp. amara ). Dieser thematische Schlenker zu den weltweit geschätzten Citrus-Früchten führt linear zu den Orangen (Abb. 19.9). Heute bekommt man sie im Supermarkt in reicher Sortenvielfalt fast ganzjährig, aber noch vor wenigen Jahrzehnten waren sie eher eine besondere und
Abb. 19.9 Mit Weihnachten verband man früher auch das köst‑ liche Aroma von Citrus-Früchten
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deswegen auch sehr geschätzte Zutat zum Gabenteller an Weihnachten. Das mag zu einer kurzen botanischen Betrachtung überleiten. Apfelsinen bzw. Orangen, im Handel mitunter auch Süßorangen genannt, sind zwar ganzjährig zu bekommen, aber die Hauptwelle des Erntegutes rollt etwa ab Ende September sortenreich in unsere Supermärkte. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné gab diesem wichtigen Obstgehölz den wissenschaftlichen Namen Citrus sinensis entsprechend der ursprünglichen Bezeichnung Chinaapfel, der übrigens im niederländischen sinaasappel fortlebt. Daraus wurde – sprachlich leicht verunstaltet – die Apfelsine. Den Ursprung dieser köstlichen Frucht vermutete man schon immer in Südostasien (Südchina bzw. Indochina), zumal sie dort nachweislich schon seit Jahrtausenden kultiviert wird. In Europa wurde sie erst im 15. Jahrhundert bekannt, wobei der genaue Weg der Einführung unklar ist. Um 800 v. Chr. hat sie angeblich bereits die berühmten Hängenden Gärten der Königin Semiramis in Babylon geziert. Da auch die Araber die Frucht kannten, gelangte sie wahrscheinlich über den Vorderen Orient nach Spanien und Portugal und von dort mit den iberischen Eroberern in die Neue Welt. Die ersten Pflanzungen in den heutigen USA entstanden nach 1513 – in Florida avancierte die Orange sogar zum Staatssymbol. In Spanien wurden die ersten Orangenkulturen im 18. Jahrhundert angelegt. Aber erst die Verfügbarkeit einer modernen und leistungsfähigen Transportlogistik (nach 1950) ließ die Apfelsine zur bedeutenden Exportfrucht werden. Heute ist sie mit über 60 Mio. t Gesamternte die weltweit am meisten angebaute Citrusfrucht. So wie man für Apfel-, Birn- und Kirschbäume in der heimischen Gehölzflora die entsprechenden Wildformen kennt, hielt man auch den Apfelsinenbaum lange Zeit für eine botanisch sauber definierbare Art, obwohl im
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Ursprungsgebiet eine Wildform nicht bekannt ist. Das ist immer reichlich verdächtig. Erst vor kurzem hat eine chinesische Forschergruppe jedoch Licht in die immer noch weitgehend unklaren Verwandtschaftsverhältnisse der vielen kultivierten Citrus-Formen bringen können. Mit neuen, aufwändigen und bemerkenswert trickreichen Verfahren der Molekulargenetik konnten die Forscher nachweisen, dass die Apfelsine als Nutzpflanze tatsächlich erst unter der Hand des Menschen entstanden ist. Danach begann der Apfelsinen-Werdegang mit einer Kreuzung von Pampelmuse (Citrus maxima, Eizellenspender) und Mandarine (Citrus deliciosa, Pollenspender). Das nicht erhaltene Kreuzungsprodukt wurde offenbar erneut mit einer Mandarine als Pollenspender hybridisiert und ergab damit die Stammform der heute sortenreich kultivierten Apfelsine.
Ochse und Esel an der Krippe Obwohl sie in der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium (Lk 2,1–20) gar nicht ausdrücklich erwähnt werden, sind Ochse und Esel spätestens seit dem Mittelalter offenbar unverzichtbare Bestandteile bildlicher Darstellungen der Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem. Viele hochrangige Werke der spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Tafelmalerei zu Thema Geburt Jesu, beispielsweise von Rogier van der Weyden (1399–1464) oder Hans Baldung Grien (1484–1545), zeigen das anrührende Krippenszenario konsistent mit Ochse und Esel im Hintergrund – übrigens aus der Betrachterperspektive traditionell immer mit dem Ochsen links und dem Esel rechts vom Jesuskind in der Krippe, wobei moderne Darstellungen dagegen fallweise auch schon einmal verstoßen. Ihr sich aus dieser räumlichen Konstellation notwendig
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überkreuzender Atem wird von manchen Kunsthistorikern als Hinweis auf den späteren Kreuzestod Jesu interpretiert. Vielleicht sollte aber auch ihr naher warmer Atem das üblicherweise höchst dürftig bekleidet oder sogar nackt dargestellte neugeborene Christkind auf seinem pieksigen Strohbett in der Krippe in der auch im Orient relativ kalten Nacht vor Schlimmerem bewahren. Figürliche Darstellungen der Krippe kommen im deutschsprachigen Raum erst im 16. Jahrhundert auf. Sie dienten zunächst vor allem im klösterlichen Bereich offenbar als probates didaktisches Mittel der katechetischen Unterweisung einer des Lesens und Schreibens noch weithin unkundigen Bevölkerung und insofern als klare Gegenbewegung zum vorangegangenen rigorosen Bildersturm der Reformation. Schon bald fanden Krippendarstellungen aber auch Eingang in den häuslichen Bereich und finden dort bis heute eine begeisterte Aufnahme. Weithin bekannt ist der bis heute jährlich veranstaltete Kölner Krippenweg, mit fast 100 Stationen der weltweit größte, in dem Kirchen ebenso wie private Institutionen (sogar Banken!) ihre jeweiligen und zumeist historischen Krippendarstellungen präsentieren. Ochse und Esel sind natürlich fast immer dabei, selbst in ganz modernen und fast schon abstrakten Versionen (Abb. 19.10). Der Esel als biblisch mehrfach instrumentalisiertes Nutztier wurde schon in Kap. 5 vorgestellt. Der Ochse spielt indessen in den überlieferten Bibeltexten tatsächlich keine Rolle, denn die Kastrierung von Tieren war im antiken Israel schlicht verboten. In der Deutung einiger Bibelhistoriker geht die Zugehörigkeit beider Tiere zum Krippeninventar auf das Alte Testament zurück, und zwar auf einen Vers im Buch Jesaja (Jes 1,3), in dem es heißt: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“ Demnach wären beide Nutztiere in
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Abb. 19.10 Bei Krippen einfach unentbehrlich: Ochse und Esel sind immer dabei
der heute üblichen Krippendarstellung eher allegorisch zu verstehen, eben als Hinweis auf den besonderen Status des Kindes in der Krippe. Ferner ist der schon in der Antike so verstandene Symbolwert der beiden Nutztiere zu berücksichtigen: Der Esel steht für die Juden, der Ochse für die Heiden, die nach christlichem Verständnis allesamt das Volk Gottes bilden. Lediglich das Nutztier Rind, findet in der Bibel mancherlei Erwähnung. Seine Stammform ist der Ur bzw. Auerochse (Bos primigenius), der im ersten nachchristlichen Jahrtausend auch noch in Vorderasien wild vorkam, heute aber trotz seines ursprünglich riesigen Verbreitungsgebietes schon lange ausgestorben bzw. ausgerottet ist. Vorderasien war nach archäozoologischen Befunden wohl eines der ersten Zentren der Rinderdomestikation, wobei die Herausbildung der Haustierform ungefähr gleichzeitig an zwei verschiedenen Unterarten ansetzte. Vermutlich führte man den schon bestehenden Hausrindherden auch immer wieder Wildrindkälber zu, denn die ausgewachsenen Exemplare konnte man nicht zähmen, wie man im Buch
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Ijob (39, 9–12) eindrucksvoll nachlesen kann. Nach übereinstimmender Einschätzung der Kulturanthropologen waren die domestizierten Rinder mit ihrem vielfältigen Nutzen die wichtigste ökonomische Grundlage für die Herausbildung der vorantiken Hochkulturen. Im alttestamentalischen Buch der Sprüche findet sich die bemerkenswerte und zweifellos zutreffende Einschätzung „Wo keine Rinder sind, ist kein Korn, aber groß werden die Erträge durch die Kraft des Stieres“ (Spr 14,4).
20 Silvester – und jede Menge Glückssymbole
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. P. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8_20
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Das bürgerliche Kalenderjahr endet, wie Abreiß-, Klappund Taschenkalender geradezu erbarmungslos und somit unmissverständlich verkünden, mit Ablauf des 31. Dezembers – in dieser Notierung gewiss keine völlig neue oder gar überraschende Trivialbotschaft. Aber: Müsste denn der Name des zwölften Jahresmonats Dezember nicht dennoch ein wenig nachdenklich stimmen, wo er sich doch vom lateinischen decem = zehn ableitet? Tatsächlich war der Dezember in römischer Zeit der zehnte Monat im Jahreslauf (September bis November waren entsprechend die Monate 7 bis 9), bis man bereits im Jahre 153 v. Chr. den Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar verlegte und damit praktischerweise auf den Amtsbeginn der römischen Konsuln. Seit über 2170 Jahren stimmen die nach Zahlen benannten Monate mit ihrer der jeweiligen aktuellen Position im Jahresgang also nicht mehr überein. So lange kann abendländische kulturelle Tradition währen…
Der Tag im Umfeld der Gestirne Nach astronomischen Kriterien sind übrigens der Jahresendtag ebenso wie der nachfolgende Neujahrstag nicht besonders markiert, wenn man davon absieht, dass tatsächlich der 31. Dezember und nicht der Winteranfang am 21. oder 22. Dezember der Tag mit dem spätesten Sonnenaufgang ist: Bezogen auf MEZ (für 15° östliche Länge) zeigt sich unser Zentralgestirn erst um 8.38 h über dem Horizont, während die Sonne zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende (21./22. Dezember) schon rund drei Minuten früher zu sehen war. Der früheste Sonnenuntergang ereignete sich übrigens bereits am 10. Dezember: In der MEZ-Zone mit ihrer mittleren Sonnenzeit war sie schon um 16.25 h einfach hin und weg. Der Grund für
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diese nicht ganz einfach erklärbaren Verschiebungen sind leichte Bahnunregelmäßigkeiten der Erde auf ihrem jährlichen Weg um die Sonne: unter anderem erleben wir hier eine praktische Auswirkung des Zweiten Kepler’schen Gesetzes sowie Überlagerungen mit anderen systemischen Bahnveränderungen.
Silvester im Kirchenjahr Die Tagesbezeichnung Silvester, die man auch in vielen weiteren Bezeichnungen wie Silvesterfeier, Silvestermenü, Silvesterparty, Silvesterprogramm (in Radio und TV) oder Silvesterpunsch findet, ist – nach Umfrageergebnissen selbst bei Vertretern der jüngeren Generation mit Abschluss an einer weiterführenden Schule – überhaupt nicht bekannt oder reproduzierbar wiederzugeben. Das entsetzt oder verwundert Bildungstheoretiker angesichts der insgesamt miesen Leistungsbilanz unseres behördlich so geförderten und daher weitgehend erodierten Bildungssystems überhaupt nicht – simple Sachverhalte kognitiv sicher zu beherrschen, ist einfach nicht mehr angesagt. Stattdessen beherrscht die von der Kultusministerkonferenz (KMK) so als Apotheose instrumentalisierte Vorgabe des Kompetenztrainings als hehres Bildungsziel die neuen Lernwelten („Quasselkultur“). Die fatalen Ergebnisse sehen wir überall. In diesen Hintergrund passt sich der auch bei den mental sicherlich nicht mehr allzu umfassend trainierten KMK-Repräsentanten so vermutlich kaum noch wahrgenommene Name von Papst Silvester I. (unbekannt–335) ein, den Tagesheiligen nach dem liturgischen Kalender der römisch-katholischen Kirche. Die so bezeichnete Konstantinische Schenkung, die sich in der kritischen historischen Forschung später allerdings als dreiste
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Urkundenfälschung erweisen sollte, weist ihm in der Vita von Kaiser Konstantin tatsächlich eine besondere Rolle zu. Der 31. Dezember ist sein Todestag. Für Silvester ist nach Duden übrigens nur die Schreibung mit „i“ zulässig; die seltene Variante mit „y“ (Sylvester) bezeichnet lediglich einen heute kaum noch gebräuchlichen männlichen Vornamen.
Viel Glück durch viele Glücksbringer Allein die verbal vorgetragenen Glückwünsche zum neuen Jahr reichen offenbar überhaupt nicht aus. Solche verständlichen, weil schon lange praktizierten Rituale brauchen auch ihre konkrete und womöglich verstärkende Ausformung, und deshalb kommen sie gerne in dekorativer Begleitung mit verschiedenen Symbolen daher: Hufeisen und Schornsteinfeger gehören auf jeden Fall dazu, wie immer deren Verbindung zum individuellen Lebensglück aussehen mag. Das in vielen Kulturen als solches verstandene Glücksschwein war schon in der griechisch-römischen Antike immerhin ein hochangesehenes Opfertier. Nur bei Juden und Muslimen wird dieses überaus nützliche Tier wegen seines Wühlens im (angeblichen) Unrat konsequent stark und aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar verachtet. In der mitteleuropäischen Kulturhistorie ist es indessen wegen seines unstrittig erkennbaren Nutzens tief verwurzelt und spielt selbst in Märchen („Hans im Glück“) eine tragende Rolle. Die Verteufelung einer heute weltweit wichtigen Nutztierart ist absolut nicht verständlich und nur vor dem Hintergrund religiös motivierter Voreinstellungen einigermaßen nachzuvollziehen. In vielen gebräuchlichen Zitaten übernimmt das Hausschwein eine geradezu tragende Rolle: Die verbreitete
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Redensart „Schwein gehabt“ soll einerseits auf mittelalterliche Karten- bzw. Wettspiele zurückgehen, deren letzter und damit eher unverdienter Preis oft ein Schwein war. Den Verlierer ereilte zwar der kollektive Spott, aber er konnte immerhin in Gestalt des benannten Vierbeiners eine nützliche Naturalie nach Hause tragen. Noch mal eben Glück gehabt bzw. gut davon gekommen, meint diese auch heute noch problemlos verstandene Redensart. Die betont bauchige und angenehm handschmeichlerisch gerundete Gestalt ließ das (Haus-)Schwein seit dem 17. Jahrhundert auch zur besonders beliebten Form der Geldaufbewahrung werden – eben zur Spardose in Gestalt eines Spar- oder Glücksschweins. Dabei halfen dem Haustier in Sparbüchsenform zweifellos die sympathisch symbolischen und tatsächlichen Werte eines Hausschweins, die für Glück, Fruchtbarkeit (Vermehrungsfähigkeit) und Wohlstand stehen. Wer früher (ein) Schwein hatte, konnte sich in der Tat glücklich schätzen, weil er in kritischen Zeiten nicht hungern musste. Wenn also zu Silvester ein rosiges Marzipanschweinchen vor Ihnen steht, mag auch dieses eine beziehungsreiche Notierung sein… Aber auch das netteste Sparschwein ist am Ende seiner spezifisch-sympathischen Aufgabenstellung eine arme Sau, denn man muss sie zur Nutzung des angesammelten Innenlebens schlichtweg schlachten…
Probleme mit den Pilzen Der Aufstieg des zweifellos hübschen, aber erwiesenermaßen doch recht giftigen Fliegenpilzes zum Glückspilz (Abb. 20.1) ist eventuell nur durch seine kritischen Inhaltsstoffe aus der generell heftig und buchstäblich auf die Nerven gehenden Alkaloid-Familie zu erklären, denn diese beeinflussen doch recht heftig das
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Abb. 20.1 Als Glückspilze sind sie geradezu ein Topos: Die Inhaltsstoffe der Fliegenpilze sind aber nicht unproblematisch
Bewusstsein: Das vermeintliche Glück kommt hier also auf dem durchaus kritischen Umweg über eine Rauschdroge, vor der man nur aus heutiger Sicht nur nachdrücklich warnen kann. In Osteuropa und Nordasien ist sie indessen als Vehikel für die verständliche Flucht vor der oftmals verhängnisvoll herben Wirklichkeit nach wie vor außerordentlich beliebt. Gänzlich unverdächtig ist dagegen der botanische Beitrag zum gesamten Symbolszenario: Das vierblättrige Kleeblatt, einfach auch nur Glücksklee genannt, rundet das Ensemble der beliebten und auch überall so verstandenen Glücksbringer trefflich ab. Als der schwedische Naturforscher Carl von Linné im Jahre 1753 alle zu seiner Zeit bekannten Pflanzen für den Wissenschaftsgebrauch mit eindeutigen lateinischen Namen versah, richtete er für die Klee-Arten die Gattung Trifolium = Dreiblatt ein, weil es tatsächlich so aussieht, als trügen diese nützlichen Pflanzen jeweils nur drei gleich
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große Einzelblätter. Nun ist der dreiblättrige Klee jedoch kein Stängel mit drei Blättern an seinem Ende, sondern tatsächlich ein simpler Blattstiel mit drei Teilblättern (= Fiedern). Wie bei vielen Vertretern der Schmetterlingsblütengewächse ist das gewöhnliche Klee-Blatt also dreizählig gefiedert. Genauso ist es natürlich beim Glücksklee(blatt). Streng genommen müsste man dieses Gebilde daher als zusammengesetztes, ausnahmsweise vierzählig gefiedertes bzw. vierfiederblättriges Laubblatt bezeichnen – aber für die Erklärung der Neujahrssymbolik ist diese botanisch zweifelsfrei exakte, wenngleich für die übliche Umgangssprache zugegebenermaßen etwas schwierige Notierung vielleicht doch etwas zu sperrig. Besonders selten sind vierzählige Kleeblätter übrigens nicht. Ihre Häufigkeit liegt bei etwa ein Prozent, beim weißblütigen Kriech-Klee sogar noch etwas darüber, beim roten Wiesen-Klee eher darunter. Auf gut gedüngten Weiden und Wiesen findet man nicht selten durchaus auch Exemplare mit fünf oder noch mehr Fiederblättern. Nun ist die draußen veranstaltete gezielte Suche nach den Glück verheißenden Fiederblättern in der richtigen Anzahl vielleicht doch etwas mühsam, zumal in der winterlichen Jahreszeit um Silvester. Konsequenterweise bietet der Zierpflanzenhandel als willkommenen Ausweg exakt unter dem Namen Glücksklee die durchaus hübsch anzusehende Art Oxalis tetraphylla an, die tatsächlich und völlig planmäßig ausschließlich vierteilige Blätter trägt (vgl. Kapiteleingangsbild). Diese durchaus dekorative Art stammt aus dem südwestlichen Mexiko und wurde erstmals 1837 nach England eingeführt. Mit dem klassischen heimischen Klee ist sie indessen überhaupt nicht verwandt, sondern gehört in eine ganz andere Familie, nämlich zu den Sauerkleegewächsen. Wenn man eines der hübschen Fiederblätter ein wenig zerknabbert, merkt man sofort, warum diese Pflanzenfamilie ihren
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absolut zutreffenden Namen erhielt. Die in allen Pflanzenteilen enthaltene und zudem vulgo auch noch Kleesäure genannte Verbindung ist übrigens die denkbar einfachste Dicarbonsäure – sie besteht tatsächlich nur aus zwei verknüpften Carboxyl-Gruppen und hat die überschaubare Formel HOOC-COOH. Systematisch-chemisch bezeichnet man sie indessen als Oxalsäure und ihre Salze als Oxalate – bezeichnenderweise abgeleitet vom wissenschaftlichen Gattungsnamen Oxalis der gesamten Verwandtschaft. In vielen Pflanzenzellen finden sich als ausrangierte Stoffwechselendprodukte die Calcium-Verbindungen der Oxalsäure als besonders formschöne und im mikroskopischen Bild auffällige Kristalle. Ein in dieser Hinsicht besonders betrachtenswertes Präparat liefern übrigens die trockenen häutigen Hüllen der gewöhnlichen Küchen-Zwiebel.
Silvesterkarpfen – etwas Besonderes zum Schluss Traditionell ist er ein überaus geschätzter Speisefisch und könnte in dieser Funktion auch schon unter den kulinarischen Gewohnheiten des Weihnachtsfestes aufgeführt worden sein. Die gerne notorisch mäkelnden und angeblichen, meist aber jeweils selbst ernannten Feinschmecker haben ihn aus ihrer kulinarischen Wahrnehmung gänzlich ungerechtfertigterweise und leider auch weitgehend verdrängt. Tatsächlich ist er aus nicht so recht nachvollziehbaren Gründen von den Menüvorschlägen selbst der nach der oft etwas barock anmutenden Selbstdarstellung so genannt ambitionierter Restaurants fast gänzlich verschwunden. Das sieht fast schon nach vorsätzlichem Rufmord aus, denn der heimische Karpfen ist
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nach natürlich wie vor eine bemerkenswerte kulinarische Erfahrung. Zudem ist Folgendes zu bedenken: Viele, wenn nicht sogar die meisten üblicherweise auf den Speisekarten aufgeführten marinen oder limnischen Fischarten gehören heute zu hochgradig gefährdeten Arten, die sich infolge rigoroser und selbst im internationalen Maßstab weitgehend ungeregelter Befischung faktisch am Rande des Bestandsminimums befinden. Zu Recht haben die großen Naturschutzverbände auf der Basis der Bestandssituationen wohl begründete Empfehlungslisten veröffentlicht, nach denen man sich in seinen Konsumgewohnheiten möglichst richten sollte, um noch größere ökologische Katastrophen wirksam abzuwenden. Beim Karpfen braucht man indessen überhaupt kein schlechtes Gewissen zu haben – die diversen heute bekannten und im Handel auftauchenden Zuchtformen sind absolut nicht gefährdet. Insofern ist es nicht so recht verständlich, warum der Karpfen mit weniger als 1 % heute einen so geringen Marktanteil aufweist. Schließlich würde man mit der Wahl eines Karpfen-Gerichtes bei den nächsten Restaurant-Besuchen sogar die heimische Wirtschaft wirksam stärken. In anderen Ländern, beispielsweise bei den osteuropäischen Nachbarn, sind Festtagsessen ohne Karpfen dagegen nahezu undenkbar. Der europäische Karpfen (Cyprinus carpio ) (Abb. 20.2) gehört einer Spezies an, die ursprünglich in drei Unterarten in den Einzugsgebieten des Kaspischen und des Schwarzen Meeres, ferner im Amurbecken in Nordchina sowie in Südchina und Vietnam verbreitet war. Schon die Römer sollen den Karpfen nach Mitteleuropa gebracht haben. Heute ist er hierzulande für die Teichwirtschaft (beispielsweise in der Lausitz, in Oberfranken und in Österreich) überaus bedeutsam. Vermutlich haben die Mönch- und Nonnenklöster die Karpfenhaltung in klosternahen Anzuchtteichen sehr gefördert, um ihren
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Abb. 20.2 Ganz am Ende eine kulinarische Überraschung: Karpfen sind ein überaus empfehlenswertes Jahresabschlussessen
fastenzeitlichen Speisezettel ein wenig anzureichern. Mehrere archäologische Befunde deuten in diese Richtung. Die heute weltweit in besonderen Teichanlagen herangezüchteten Karpfen verteilen sich im Wesentlichen auf vier verschiedene Zuchtformen: Schuppenkarpfen weisen das vollständige und somit der Art entsprechende Schuppenkleid auf. Spiegelkarpfen besitzen dagegen nur noch wenige und zudem ziemlich unregelmäßig verteilte „Spiegelschuppen“. Die so bezeichneten Zeilkarpfen entwickeln nur noch eine einzige erkennbare Schuppenreihe entlang der Seitenlinie. Die zumeist gehandelten Karpfen gehören der Zuchtform Leder- oder Nacktkarpfen an, die überhaupt keine Schuppen mehr entwickeln. Geschmackliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Zuchtformen dieser bedeutenden und der kulinarischen Wahrnehmung nachdrücklich empfohlenen Süßwasserfischart sind nicht verbürgt.
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Zu guter Letzt Die besonnen und bewusst begangenen Jahresfeste haben zweifellos etwas Besonderes. Sie sind eine klare Auflehnung gegen jegliche proletarische Nivellierung durch unerwünschte Fremdeinflüsse. Unsere Feste atmen eben die besondere Freude derer, die sie feiern. „Nicht das ist das Kunststück, ein Fest zu veranstalten, sondern solche zu finden, welche sich an ihm freuen“ – soweit Friedrich Nietzsche (1844–1900) in seinen nachgelassenen Schriften. Dieser zweifellos klugen Sentenz ist zunächst sicherlich nichts hinzuzufügen.
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Stichwortverzeichnis
A
Acetylsalicylsäure 12 Adam und Eva 231 Advent 204 Adventkranz 205 Allerheiligen 176, 186 Allerseelen 186 Altar der Stadtpatrone 18 Anthocyane 97, 241 Apfelsine 244 Apfelsinen-Werdegang 245 Aphrodite 40 Aromalieferant 138 Artenrepertoire 120 Aschenkreuz 65 Aschermittwoch 65 Aspirin 13 Asterix und Obelix 209
Augenfarbe 224 August 4 Avicenna 27 Ayurveda-Medizin 24 B
Baccara 40 Balthasar 18 Barbara-Zweig 213 Basler Fasnacht 47 Bauerngarten 135 Baum der Erkenntnis 231 Beerenfrucht 166 Berliner Weiß 94 Besenheide 188 Betalaine 97 Bethlehem 17
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 B. Kremer, Festtage und ihre geheimnisvollen Geschichten: Von Osterhasen, Pfingstochsen und Weihnachtsbäumen, https://doi.org/10.1007/978-3-662-68098-8
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266 Stichwortverzeichnis
Bilsenkraut 87 Bingen, Hildegard von 27, 116, 137 Birke 90 Bischof von Tours 195 Bismarckhering 7 Blässgans 200 Boswellia-Art 23 Brakteen 241 Brauchtum XIV Buchsbaum 61 Buß- und Bettag 186 C
Capitulare de villis 135 Caspar 18 Centifolie 38 Ceres 84 Chinaapfel 244 Christrose 210 Christstern 239 Christussymbol 72 Cluniazensische Reform 187 Commiphora 25 Cranach d. Ä., Lukas 232 Cumarin 93 Cyathium 242 D
Dassel, Rainald von 20 Dattelpalme 54 Dezember 250 Dioskurides 26 Douglasie 236 Dreifaltigkeit 109
Dreikönigenschrein 21 Dreikönigsfest 16 Dromedar 29 Duft-Schneeball 215 E
Ekliptik X, 69 Elektrolythaushalt 8 Elfenblut 127 Elfen-Krokus 215 Epiphania 204, 228 Epiphanie 16 Erdbahn X Erntedankfest 150 Esel 58, 245 Esenbeck, Nees von 25 Essig-Rose 38 F
Farbe, liturgische 204 Fasching 44 Fastenzeit 45, 47 Fastnacht 44 Feldhase 75 Feldmaikäfer 99 Felsentaube 111 Festanlass XII Fichte 91, 235 Flechte 190 Flieder 103 Flora 84 Floralia 84 Floristenbranche 34 Foie gras 201 Fotosensibilisierung 127
Stichwortverzeichnis 267
Fox-Weinrebe 166 Friedenstaube 113 Fronleichnam 119 Fruchtbarkeitsgöttin 39 Frühlingspunkt 69 Frühlingsvollmond 4 Fuchs, Leonhart 57 Funktionsvielfalt 138 Fürst Otto von Bismarck 8 G
Gabelrollmops 9 Gallier 208 Gänseessen 197 Gänsehaltung 201 Gänsemast 198 Gänsestall 197 Garten Eden 231 Garten-Nelke 96 Gartenrose 39 Gauß, Carl Friedrich 70 Geschein 164 Globalisierung 152 Glücksklee 6, 254 Glückspilz 6, 253 Glücksschwein 6, 252 Glückssymbol 250 Goldhase 77 Grablicht 188 Graugans 199 Gregorianischer Kalender 5 Greifswalder Bodden 11 Grien, Hans Baldung 245
H
Halleyscher Komet 19 Halloween 176 Halloween-Kürbis 183 Hamlet 33 Hänge-Birke 90 Hängende Gärten 39 Hans im Glück 252 Häschenschule 79 Haselkätzchen 215 Hausesel 59 Hausgans 199 Heckenrose 40 Heidekrautgewächs 188 Heiligabend 228 Heilige Drei Könige 16 Heiligsprechung 21 Hemlock 236 Hering 2 Heringsfilet 9 Herodes 17 Hexe 86 Hexenbesen 91 Hexensalbe 87 Hilleboldsdom 21 Himmelfahrt 119 Hippolytos von Rom 108 Hochzeit zu Kana 17 Hohelied 110 Hohltaube 111 Holz-Apfel 232 Hortulus 136 Hufeisen 252 Hypericin 127
268 Stichwortverzeichnis I
Indischer Weihrauch 24 Introitus 47 Ischtar 39 Islandmoos 189 J
Jahr, römisches 3 Januarius 3 Jarvis, Ann 102 Jericho 56 Johannisfeuer 124 Johanniskraut 125 Jordan 111 Julnacht 32 K
Kaffeepflanze 93 Kalender XI, 2 Kamel 21 einhöckeriges 29 zweihöckeriges 30 Kamelle 44 Kanadagans 199 Kanarenpalme 60 Kaninchen 75 Kanonisierung 21 Karfreitag 47 Karibu 223 Karneval 44, 178 Karsamstag 47 Katerstimmung 11 Keplersche Gesetze 19 Kerzenflamme 188 Kinderbrauchtum 178
Kirchenjahr 198 Kirschblüte 213 Kleesäure 256 Klippen-Kohl 154 Klippschliefer 78 Klosterlikör 29 Klostermedizin 132 Knöchelhoch 4 Knochen-Klau 20 Kölner Stadtwappen 21 Konzil von Nicäa 4, 70 Kornelkirsche 215 Krautbund 131 Kräutergarten 135, 139 Kräutersegnung 130 Krautwisch 131 Krippe 245 Kultur-Apfelbaum 232 Kürbis 180 L
Laubhüttenfest 56, 150 Lavendel 25 Lebensmittelproduktion 148 Lichterprozession 32 Lichterschmuck 228 Lichtmess 32 Lichtmetaphorik 229 Licht und Feuer 196 Linné, Carl von 116 Lucia-Brauchtum 230 Lunation X lunosolar 69 Luther, Martin 198
Stichwortverzeichnis 269 M
N
Macbeth 86 Mädesüß 13 Madonnen-Lilie 95 Magier 17 Maiansingen 85, 89 Maibaum 88 Maibaumsetzen 85 Maibowle 92 Maifeier 84 Maikäfer 98 Mantelreliquie 195 Mariä Himmelfahrt 130 Mariä Lichtmess 32 Mariengras 94 Marienmonat 95 Marienverehrung 95 Martinsfeuer 196 Martinstrunk 198 Marzipanschweinchen 253 Melchior 18 Metonscher Zyklus 3 Meton-Zyklus 70 Michaelstag 150 Mimose 49 Mistel 206 Misteldrossel 209 Moor-Birke 91 Moschus-Rose 39 Mother’s Day 102 Mufflon 71 Muttertag 102 Muttertagsflieder 103 Myrrhe 25, 26 Myrrhenkerbel 28
Nacktkarpfen 258 Nadelblatt 236 Narzisse 80 Nationalsozialismus 103 Nationalsozialist 95 Naturheilmittel 131 Nektarblatt 212 Nelke, rote 95 Neophyt 104 Neujahr 2 Neujahrsfeuerwerk 5 Neujahrstag 250 Nieswurz 211 Nietzsche, Friedrich 259 Nikolaus 218 Nikolaus-Reliquie 219 Nikomedia, Barbara von 213 Nilgans 200 Nordmann-Tanne 237 Nutzpflanze 154 Nutztier Rind 247 O
Ochse 245 Ölbaum 60 Opferlamm 73 Ophelia 34 Orange 244 Osterei 73 Osterfest 68 Osterglocke 80, 81 Osterhase 75 Osterlamm 71 Ostermenagerie 73 Osterparadoxie 70
270 Stichwortverzeichnis
Ostersamstag 47 Ostseehering 10 Oxalsäure 256 Ozeaneum 10 O’Lantern, Jack 179
Q
Quadragesima 198 Quantentheorie 222 Quintilis 4 R
P
Palma Christi 56 Palme 53 Palmesel 60 Palmsonntag 53 Palmweide 63 Palmweihe 59 Palmzweige 54 Paloma 114 Panzerbeere 184 Papst Silvester I. 251 Passahfest 54, 68 Passgang 30 Passionszeit 47 Pessach 68 Petersdom 110 Pfingsten 108 Pfingst-Nelke 117 Pfingstochse 117 Pfingstrose 97, 115 Pflanzenhormon 214 Phytotherapie 139 Picasso, Pablo 113 Plutarch 26 Poinsettie 239 Politischer 1. Mai 94 Profanierung XIV
Räucheropfer 26 Rauschdroge 87 Reblaus 166 Rebsorte 168 Red-Nosed Reindeer 225 Reformationsfest 176 Refraktometrie 160 Reliquie 20 Rentier 222 Rentiernase, rote 225 Revolutionstruppe, französische 46 Rindenexsudat 24 Ringeltaube 111 Rizinuspflanze 56 Rose 36 Rosenhag 40 Rosenmontag 48 Rote-Liste-Arten 47 Rübenlaterne 179 Ruchgras 94 Rudolph 225 Ruheperiode 216 S
Saatgans 200 Salaibaum 24 Salböl 26 Salicylsäure 11
Stichwortverzeichnis 271
Salomon 110 Sal-Weide 63, 90 Sandelholz 25 Sankt Martin 194 Santa Claus 221 Santa Maria Maggiore 113 Schaltjahr 5 Schaukelfest 69 Schifferkirche 220 Schneehase 76 Schneerose 210 Schnepfenjagd 47 Schornsteinfeger 252 Schwarze Nieswurz 210 Sekretbehälter 127 Selbstmedikation 139 Semiramis 39 Sextilis 4 Sezessionskrieg 102 Shakespeare, William 33 Silberakazie 50 Silvester 250 Silvesterkarpfen 256 Sinter Klaas 218 Sommersolstitium 124 Sommersonnenwende 124 Sonnengott 229 Sonnenkalender 4 Spaltöffnung 236 Sprotte 9 St. Thomastag 234 Stadttaube 111 Stechapfel 87 Steilhanganbau 161 Steinklee 94 Sterndeuter 17 Stern von Bethlehem 18
Stopfgans 201 Strauchflechte 189 Strüssjer 44 Sulamith 110 Supernova 19 Sylt 172 Symbolfigur Taube 113 Symbolträger XVI T
Tag der deutschen Einheit XII Tagundnachtgleiche 69 Tanne 236 Tannenbaum 235 Taube 110 Taufe Jesu 111 Teerose 41 Terni, Valentin von 32 Theophanie 16 Theophanu 219 Theophrast 38 Tollkirsche 87 Totensonntag 186 Tour 194 Trampeltier 29 Traubenkernfunde 167 Trauermonat 186 Trinität 109 Tulpe 36 Tulpensonntag 48 Tüpfel-Hartheu 125 Türkentaube 111
272 Stichwortverzeichnis V
Valentine 33 Valentinstag 33 Veilchendienstag 48 Verdun, Nikolaus von 21 Vernalisation 216 Viscotoxin 210 Volkstrauertag 186 W
Waldmaikäfer 99 Waldmeister 92 Walpurgisnacht 84 Weidenkätzchen 63 Weidenrinde 2, 11 Weihnachten 227 Weihnachtsbaum 233 Weihnachtsfest 204 Weihnachtsgans 201 Weihnachtsmann 218 Weihnachtsmarkt 204 Weihnachtsstern 239 Weihnachtsteller 242 Weihrauch-Harz 22 Wein 160 Weinbeere 160 Weinheiliger 162 Weinrebe 162, 163 Weinwelt 169 Weinwunder 17
Weinwunder von Kana 167 Weltgesundheitsorganisation (WHO) 13 Wendekreis des Steinbocks 229 Weyden, Rogier van der 245 Wichern, Johann Wichern 205 Wiener Kongress 46 Wilde Rübe 155 Wildesel 58 Wildkaninchen 76 Wildrose 37 Wildschaf 71 Wildtaube 111 Winteranfang 250 Winterruhe 186 Wintersonnenwende 229 Winzerfest 160, 163 Winzerpatron 198 Wirtschaftsjahr 198 Wonnemonat 84, 85 Wurzel, politische 45 Z
Zeilkarpfen 258 Zitter-Pappel 90 Zodiakus 69