Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Rudolph Sohm: zum 8. Juli 1914 [1 ed.] 9783428563425, 9783428163427


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German Pages 286 Year 1915

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Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Rudolph Sohm: zum 8. Juli 1914 [1 ed.]
 9783428563425, 9783428163427

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Festgabe der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Rudolph Sohm zum 8. Juli 1914

Duncker & Humblot reprints

Zeftgabe -er

Leipziger ^uriftenfakultät für

Dr. Rudolph Sohm ZUM

s. Juli 1914

München und Leipzig Verlag von vuncker & tzumblot 1915

Alle Rechte vorbehalten.

Ältenburg Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Seidel & Eo.

Herrn Geheimen Rat Professor Dr. jur., Dr. theol., Dr. phil. Rudolph Sohm in

Leipzig.

hochverehrter Herr Kollege! Heute ist ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem Sie an der Universität Ihres heiinatlandes auf Grund Ihrer ge­ krönten Preisschrift über das subpignus die juristische Doktor würde erlangten, und wenn Sie, in tiefe Trauer versenkt, uns auch nicht gestatten können, diesen Tag mit Ihnen festlich zu begehen, so dürfen wir ihn doch nicht vorübergehen lassen, ohne öffentlich zu bezeugen, daß wir wissen, was wir an Ihnen besitzen. Nachdem Sie in der Erforschung des deutschen Rechts das Ihrer Neigung entsprechende Feld wissenschaftlicher Arbeit ge­ funden hatten, wandten Sie sich in Ihrer scharfsinnigen Schrift über den Prozeß der Lex Salica gleich den schwierigsten und bestrittensten Fragen des ältesten Rechts zu. Mit großer Ent­ schiedenheit nahmen Sie Stellung auf feiten der damals noch neuen Richtung, die sich nicht mit einer emsigen Durchforschung der Quellen und einer deskriptiven Wiedergabe ihres Inhalts begnügen wollte, sondem sich bemühte, den darin verborgenen Feingehalt an juristischen Ideen zu ermitteln und einer Methode großen Stils auch auf dem Gebiete der deutschen Verfaffungsgeschichte die Bahn zu brechen. In Ihrer Fränkischen Reichs­ und Gerichtsverfassung, einem Buche, dem der seltene Erfolg

IV zuteil wurde, daß sich nach 40 Jahren ein unveränderter Neu­ druck als notwendig erwies, haben Sie von dem öffentlichen Recht des fränkischen Reichs ein großartiges, an neuen und fruchtbaren Ideen überaus reiches Bild entworfen, das für alle Zeit zu den klassischen Leistungen unserer Wissenschaft gezählt werden wird. Mit der gleichen Energie widmeten Sie sich der Erforschung einer der dunkelsten Partien des ältesten und mittelalterlichen Privatrechts. Sie haben, als der Erste das Geheimnis des altdeutschen Vertragsrechts entschleiernd, in großzügiger Weise die Entwicklungsgeschichte des Rechts der Eheschließung dar­ gestellt und seitdem in dem Kirchenrechte ein zweites großes Gebiet für Ihre wissenschaftliche Betätigung gefunden. Auch hier sind Sie, weitab von der betretenen Leerstraße, Ihre eigenen Wege gegangen; in einer hinreißenden, von tiefstem Verständnis für Religion, Kirche und Recht zeugenden Darstellung haben Sie es unternommen, eine ganz neue Auffassung vom Wesen des Kirchenrechts zu begründen. Auch wer sich zu Ihren An­ sichten nicht zu bekennen vermag, fühlt unter dem gewaltigen Eindruck Ihres Landbuchs des Kirchenrechts, daß hier nicht nur der gelehrte Forscher das Wort hat, sondern daß eine starke christliche Persönlichkeit die Tiefe ihrer Weltanschauung enthüllt, und aus der „gehobenen, begeisterten, von Lerzen kommenden, aus innerer Gottesoffenbarung geschöpften Rede" weht es ihn fast wie ein Lauch des mit diesen Worten von Ihnen so schön charakterisierten prophetischen Geistes an. Die Fortsetzung dieses großangelegten Werkes wurde unter­ brochen durch Ihre Berufung zu einer ganz anders gearteten wichtigen Aufgabe, zu der Mitarbeit an dem zweiten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich.

Auch

an dem fertigen Gesetzbuch haben Sie dann die Ihnen eigene Kraft juristischer Konstruktion bewährt, indem Sie ein neues, eigenartiges Problem zum Gegenstand tiefdurchdachter und anregender Untersuchungen machten.

V And doch bedeutet diese ebenso ausgedehnte wie vielseitige wissenschaftliche Tätigkeit, von der wir bloß die markantesten Leistungen hervorgehoben haben, nur die eine Seite dessen, was die Welt von Ihnen weiß und rühmt. In die weitesten Kreise, auch des Auslandes, ist der Ruf des großen Lehrers gedrungen, der durch seinen zugleich schwungvollen und pointierten, antithesenreichen Vortrag die Jugend zu fesseln, ja zu begeistern versteht. Sie haben keine Schule begründet, denn „das Eigenste, das Ihnen allein gehört", kann nicht gelehrt werden und spottet jeder Nachahmung, aber Tausende Ihrer Zuhörer bekennen voll Dank, daß sie erst durch Ihre Vorlesungen ein warmes, inner­ liches Verhältnis zur Rechtswissenschaft gewonnen haben. And wenn wir uns fragen, wodurch es Ihnen gelungen ist, in Schrift und Rede diese starken Wirkungen zu entfallen, so kann die Antwort nicht zweifelhaft sein: es ist neben dem Ge­ lehrten der Künstler, der aus Ihren Werken und aus Ihren Reden zu uns spricht, der Künstler, dessen Phantasie Fernes und Nahes geistvoll zu verknüpfen versteht, und der das so Ge­ schaute in Bildern von sinnlicher Greifbarkeit plastisch zu ge­ stalten weiß. Der Künstler in Ihnen ist es auch gewesen, der die beiden Werke geschaffen hat, welche mehr als alle übrigen in die weitesten Kreise gedrungen sind, das Institutionenlehrbuch und die Kirchengeschichte, zwei Werke, die — neben der Dar­ stellung des bürgerlichen Rechts in der „Kultur der Gegenwart" — Zeugnis ablegen von Ihrer bewunderungswürdigen Begabung, einen spröden wissenschaftlichen Stoff in volkstümlicher Behand­ lung stilvoll zu bändigen. So ist Ihr Name weit über die Grenzen der Jurisprudenz hinaus bekannt und gefeiert, die Doktorwürde dreier Fakultäten schmückt Ihr Saupt. Wir aber erinnern uns dankbar und stolz, daß Sie von der langen Zeit Ihrer wissenschaftlichen Wirksam­ keit mehr als die Sälfte hindurch der Ansrige gewesen sind. Noch jetzt walten Sie in ungebrochener Frische des Geistes Ihres Amtes, und es ist unser Wunsch und unser Soffen, daß

VI Sie uns noch viele Jahre in dieser vorbildlichen Schaffens­ freude erhalten bleiben mögen zum Nutzen unserer akademischen Zugend, zum Ruhme unserer Universität und der Wissenschaft zum Heil! Leipzig, den 8. Juli 1914.

Die Zuristenfakultät der Universität Leipzig. Dr. Ernst Iaeger, derzeit Dekan.

Dr. Adolf Wach. Dr. Otto Mayer. Dr. Heinrich Siber.

Dr. Ludwig Mitteis. Dr. Victor Ehrenberg. Dr. Richard Schmidt.

Inhalt. Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse. Von Ernst Das

Seite

Jaeger................................................................................. 1—79 „Interesse" im Versicherungsrechl. Von Victor

Ehrenberg................................................................. 1—70 Die Frage der Verfügungsgeschäste zu fremdem Recht. Von HeinrichSiber.......................................................1—53 Königsrecht, Kirchenrecht und Stadtrecht beim Aufbau des Jnquisitionsprozesses. Von Richard Schmidt.

1—73

Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe. von

Ernst Iaeger.

«♦

Leipziger Festschrift Sohm.

1

Inhalt. Seite

I. II. III. IV. V. VI.

Die Parteifühigkeit der offenen Handelsgesellschaft.................... 3—17 Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei......................................17—35 Die einzelnen Mitglieder als Dritte............................................. 35—45 Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozesses . 46—58 Rechtskraft und Rechtshängigkeit......................................................... 58—67 Die Vollstreckung..................................................................................... 67—79

Äer Streit über das Wesen der offenen Handelsgesellschaft kommt nicht zur Ruhe. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist von einheitlicher Stellungnahme noch weit entfernt. In der Rechtslehre aber hat neuestens Josef Köhler wieder lebhaft die Ansicht verfochten, die offene Handelsgesellschaft habe juristische Persönlichkeit, die herrschende Auffassung, die Gesellschafts­ recht statt Körperschaftsrecht gelten lasse, sei vollkommen un­ brauchbar und führe namentlich im Grundbuchverkehr wie im Erkenntnis- und Zwangsverfahren des Zivilprozesses von einer Konstmktionswidrigkeit zur andern. Mit starken sachlichen Gründen hat einer unserer namhaftesten Handelsrechtslehrer, Karl Leh­ mann, die herrschende Lehre verteidigt, freilich nicht ohne zu bekennen, daß die Stellung der offenen Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe zu den unerfreulichsten Rechtserscheinungen gehöre. Die Wahrheit liegt in der Mitte: der Mitgliedergemeinschaft als solcher kommt Rechtsfähigkeit zu, aber juristische Person ist die offene Handelsgesellschaft nicht. Gerade im Zivilprozeffe bewährt sich jene Rechtsfähigkeit. Das soll im folgenden dargetan werden. Da Satz für Satz umstritten ist, bedarf es fortlaufender Aus­ einandersetzung mit Gegenansichten. Daher die Fülle der Noten. Wesentlich gefördert wurde meine Aufgabe durch Flechtheims ausgezeichnete, die bisherige Literatur weit überragende Darstellung des Gesellschaftsrechtes, wiewohl ich die formelle Parteitheorie auch noch in der von ihm verteidigten Abschwächung verwerfen muß.

I. Die Parteifähigkeit öer offenen Hanöelsgefellfchaft. P a r t e i f ä h i g ist, wer Träger von Rechten und Verbindlich­ keiten fein kann (§ 50 Abs. 1 ZPO.).

Grundsätzlich beruht also l*

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

die Parteifähigkeit in der Rechtsfähigkeit. Das entspricht dem Zweck des Prozesses. Denn darum vor allem handelt es sich, dem Rechtsträger die staatliche Rechtsanerkennung zu ver­ schaffen und Verpflichtungen in der Person des Schuldners fest­ zustellen. Die Rechtsfähigkeit ist nun aber eine rechtliche, nicht eine natürliche Eigenschaft. Auch der Mensch hat sie nur, wenn sie ihm von der Rechtsordnung zugebilligt wird, mag uns auch heute diese Zubilligung als sittliche Notwendigkeit erscheinen. Um so zweifelloser kommt Personenvereinigungen als solchen die Rechts­ fähigkeit nur insoweit zu, als sie ihnen vom positiven Recht bei­ gelegt wird. Dieses bestimmt namentlich, unter welchen Voraus­ setzungen Verbände als juristische Personen die Rechts­ fähigkeit erlangen. Wäre die offene Handelsgesellschaft eine juristische Person, so hätte sie in dieser ihrer Eigenschaft volle Parteifähigkeit. Als­ dann könnte es nicht zweifelhaft sein, wer in den Prozessen der Firma als Träger der Parteirolle zu gelten hat. Allein diese Lösung wäre unangemessen. Sie widerspricht dem Leben. Wenn Brüder das vom Vater ererbte Handelsgeschäft gemeinsam fort­ führen, wenn der Kaufmann seinen Sohn als Teilnehmer auf­ nimmt, erscheinen bei ungezwungener Betrachtungsweise und gewiß auch nach der Auffassung des Verkehrs die Gemeinschafts­ genossen selber als Träger der im Gesellschaftsvermögen ver­ einigten Rechte und der Gesellschaftsverbindlichkeiten. Von solchen enggeschlossenen und in persönlicher Zusammengehörigkeit be­ gründeten Gemeinschaften muß die Konstruktion ausgehen, denn sie bilden nicht nur geschichtlich die Hauptwurzel der offenen Handelsgesellschaft, sondern auch heute noch ihren typischen Anwendungssall *.

Wie unnatürlich erscheint da die Vorstellung,1

1 Behrend, Handelsrecht, Bd. 1 (1886) § 63 N. 12, P. Nehme in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts Bd. 1 (1913) S. 103, 168 mit Literatur. Es ist eine Entartung dieser Gesellschaftsform, wenn sie etwa zum Zweck unveränderter Festhaltung der Firma (§ 22 Abs. 1 HGB., § 4

I. Die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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daß Herrin des Gesellschaftsvermögens nicht die Gemeinschaft der Mitglieder, sondern eine von diesen unterschiedene Person, daß die Haftung der Mitglieder für die Gesellschaftsverbindlichkeiten Haftung für fremde Schulden sei! So hat denn auch das ge­ schriebene Recht in der grundlegenden Vorschrift des 8 105 Abs. 2 HGB. die offene Handelsgesellschaft als eine Unterart „der Gesellschaft" gekennzeichnet: nicht die Rechtsregeln der Vereine (der Verbände mit juristischer Persönlichkeit), sondern die der Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (die den begrifflichen Gegensatz der juristischen Personen bilden) sollen ergänzend hinter den handelsrechtlichen Sondervorschriften maßgebend fein2. Heute erkennen daher Rechtsprechung und Rechtslehre fast einmütig an, daß die offene Handelsgesellschaft keine juristische Person fei3. * * * * 8 Die gegenteilige Meinung wird freilich mit großer LebhaftigGmbHG.) trotz starken Anwachsens der Mitgliederzahl (namentlich infolge wiederholter Beerbung) und trotz der dadurch notwendig gewordenen körperschaft­ lichen Inneneinrichtung beibehalten wird. Eine offene Handelsgesellschaft mit 159 Mitgliedern wie die, deren Konkurs das Urteil des Reichsgerichts Bd. 36 S. 60 betrifft, ist ein Unding. Wieweit ein solcher Verband sich von der Gemeinschaft, auf die das Gesetz angelegt ist, entfernt hat, zeigen deutlich die §§ 210, 211 KO., wonach alle Mitglieder zum Konkursantrag zu hören, alle nur einheitlich zum Vorschlag eines Zwangsvergleichs berechtigt sind. 2 Wenn der Pariser Kassationshof (Sirey 92 I 73, 497 u. ö., Zach ariäCrome, Handbuch des französischen Zivilrechts, 8. Aust. Bd. 1 § 38 N. 8) auch den gewöhnlichen Sozietäten Rechts- und Parteifähigkeit beilegt und ihren Gläubigern hinsichtlich des Sozietütsvermögens ein Recht auf Vorzugsbefriedigung vor den Einzelglüubigern zuerkennt, das sogar zur Konkurssühigkeit der Sozietät führen muh, so verwischt er damit einen Gegensatz, der für unser Reichsrecht grundlegende Bedeutung hat. Von unserm Standpunkt aus wäre es ein unerträglicher Widerspruch, wenn der § 105 Abs. 2 HGB. die offene Handels­ gesellschaft als juristische Person ergänzend den Regeln der bloßen Gesellschaft statt dem Vereinsrecht unterstellte. Bei der in der französischen Rechtsprechung herrschenden Begriffsvermengung hat es nicht viel zu bedeuten, daß die Lehre des Handelsrechts der offenen Handelsgesellschaft juristische Persönlichkeit zu­ erkennt (so z. B. Lyon-Caen et Renault, Traite de droit commercial, 3. Aust. Bd. 2 N. 105 f), zumal eine folgerechte Durchführung dieser Ansicht zu vermissen ist. Siehe unten 'Rote 99. 8 Siehe die Nachweise bei Düringer-Hachenburg, das Handels­ gesetzbuch, Bd. 4 (bearbeitet von Flechtheim) § 124 Anm. 1; die neueste Rechtsprechung des Reichsgerichts im Urteil des V. Zivilsenats vom 30. Juni 1913 Warn eher Ergänzungsband 1913 Nr. 436.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

keit von Köhler^ verfochten. Seine Beweisführung überzeugt jedoch nicht. Daß die Annahme juristischer Persönlichkeit die einfachere, will sagen die bequemere Lösung bietet, kann gegenüber der Tatsache, daß sie dem Wesen der offenen Handelsgesellschaft zuwiderläuft, unmöglich ins Gewicht fallen. Die Behauptung aber, der dem § 105 Abs. 2 HGB. zugrunde liegende Gedanke des Gesetzgebers sei „ganz gleichgültig", auch verordne der Rechts­ satz nur eine enffprechende und nur eine für das Jnnenrechtsverhältnis der Mitglieder maßgebende Anwendbarkeit der Regeln des Gesellschaftsrechtes, verkennt völlig, daß er über die Struktur der offenen Handelsgesellschaft entscheiden soll und diesem Zweck einen zweifelsfreien Ausdruck verleiht Wenn Köhler ferner im § 129 Abs. 4 HGB. eine Stütze seiner Auffassung findet, weil „unser Recht eine solche Sonderung des Vollstreckungstitels bei einheitlicher Haftung nicht lernte"6, so ist zu erwidern, daß eben nicht eine einheitliche, sondern eine scharf getrennte Haftung ver­ schiedener Vermögensmassen vorliegt. Für die Gesellschaftsschulden hastet die Gemeinschaft der Gesellschafter mit dem Gemeinschafts­ vermögen, jeder einzelne Gemeinschaftsgenoffe aber zugleich mit4 * 6 4 ZHR. Bd. 74 (1913) S. 456ff., ArchBürgR. Bd. 40 (1914) 6. 229ff.; siehe auch Einführung in die Rechtswissenschaft (4. Ausl.) S. 89 N. 1. 6 Köhler sagt ArchBürgR. Bd. 40 S. 259: „Was der Gesetzgeber gedacht hat, ist uns ganz gleichgültig, und die Bezugnahme auf seinen Gedanken und Willen ist ein eklatanter Fehler gegen die juristische Methode, den heutzutage niemand mehr machen sollte." Was unter dem „Willen des Gesetzqebers" oder „des Gesetzes" zu verstehen sei, ist hier nicht zu erörtern (vgl. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 612ff.). Keinesfalls aber darf die Auslegung sich über den im Wortlaut unzweideutig ausgedrückten Zweck des Gesetzes hinwegsetzen, sonst artet sie zur Willkür aus. Ein ab­ schreckendes Beispiel auch unten S. 78. Im übrigen siehe namentlich Leh­ mann ZHR. Bd. 74 S. 467 f., der gegen Köhler noch weitere beachtens­ werte Gründe ins Feld führt. Die Annahme, daß der offenen Handelsgesellschaft im völkerrechtlichen Verkehr eine eigene Staatsangehörigkeit zukomme, und daß diese durch den Sitz der Gesellschaft bestimmt werde, läßt sich (gegen Köhler ArchBürgR. a. a. O. S. 280) nicht nur vom Standpunkte der juristischen Persönlichkeit aus rechtfertigen. Vgl. Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 19, Staub, Kommentar zum HGB., 9. Aufl. (Bd. 2 bearbeitet von P i n n e r) § 105 Anm. 45. Siehe unten Anm. 42, 48. 6 ZHR. Bd. 74 S. 458.

I. Die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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seinem Eigenvermögen und zwar ein Genosse neben bem andern als Gesamtschuldner (§ 128 HGB).

So hat der gegen die Ge­

meinschaft erwirkte Titel einen ganz anderen Sinn als der Titel gegen einzelne Genossen7. Die Haftungssonderung ermöglicht auch den Sonderkonkurs (§§ 209 ff. KO.). Gerade die konkurs­ rechtliche Regelung aber spricht, wie noch auszuführen sein wird8,9 entschieden gegen die Annahme juristischer Persönlichkeit der offenen Handelsgesellschaft. Ist die offene Handelsgesellschaft keine juristische Person, so hat sie auch im Prozesse nicht die Stellung einer solchen. Zwar liegt die Folgerung nahe: wenn der nur passiv parteisähige Verein ohne Rechtsfähigkeit nach § 50 Abs. 2 ZPO. im Prozesse die Stellung eines rechtsfähigen Vereins haben soll, muß dies erst recht gelten für die aktiv und passiv parteifähige offene Handelsgesellschaft". Allein diese Verbände sind von gmndverschiedener Art. Der Verein ohne Rechtsfähigkeit ist körperschaftlich organisiert. Die Unabhängigkeit vom Mitglieder­ wechsel bildet eine Wesenseigentümlichkeit des Vereins, nicht nur — wie im Gesellschaftsrecht — eine Ausnahmeerscheinung. über­ dies aber spricht der Rechtssatz, der die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft anerkennt, der § 124 Abs. 1 HGB., ihr diese Eigenschaft im engsten Zusammenhange mit der Fähigkeit zu, „unter ihrer Firma Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten 7 Näheres unten VI 1. 8 Unten VI 2. 9 Vgl. Neukainp, Handkommentar zur ZPO., 2. Auflage (1911) § 50 Anm. 3, namentlich aber Hellwig, Anspruch und Klagerecht (1900) § 37, System des deutschen Zivilprozeßrechts, Bd. 1 (1912) S- 159 mit S. 152. Hier führt Hellwig aus, die offene Handelsgesellschaft sei keine juristische Person, aber sie habe die Stellung einer solchen, solange sie bestehe. In diesem Sinne sage auch das Reichsgericht (Bd. 56 S. 432), sie nähere sich der juristischen Person, wenngleich sie keine sei. Das ist aber doch etwas anderes. Siehe unten Note 25. Da Hellwig auch der Konkursmasse „die Stellung einer juristischen Person" zuschreibt (System, S. 154, 157 f.), im Konkurse der offenen Handelsgesellschaft Konkursmasse und Gesellschaftsvermögen sich aber nicht decken (Anspruch, S. 288 Note 10), muß er hier zwei selbständige Sonder­ vermögen in der Stellung juristischer Personen nebeneinander unterscheiden.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

einzugehen".

Eine zwiespältige Beurteilung der materiellen und

der prozessualen Rechtslage ist daher bei der offenen Handels­ gesellschaft ausgeschlossen. Die offene Handelsgesellschaft ist keine juristische Person. Sie hat auch im Prozesse nicht die Stellung einer solchen.

Daraus

folgt nun aber keineswegs, daß in den unter der Firma geführten Rechtsstreitigkeiten endgültig die einzelnen, bei Prozeß­ beginn der Gesellschaft angehörenden Mitglieder als Streitgenossen Partei sind. Freilich ist es denkbar, daß ein Rechtssatz, der Prozeßführung unter bestimmtem Namen verstattet, nur die nähere Bezeichnung der Partei ersparen und so die Klagerhebung (§ 253 Nr. 1 ZPO.) erleichtern will. Diesen Zweck verfolgt die neue Vorschrift des § 17 Abs. 2 HGB., nach der ein Einzelkaufmann im £>anbel10 unter seiner Firma klagen 10 Die Worte „im Handel" gelten nach dem inneren Zusammenhang der beiden Absätze des § 17 HGB. auch für den zweiten. Es ist klar, daß für und gegen den Kaufmann unter der von seinem bürgerlichen Namen ver­ schiedenen Firma Ehescheidungs- oder Vaterschaftsprozesse nicht geführt werden können. Mißbräuchliche Angabe der bloßen, vom bürgerlichen Namen ver­ schiedenen Firma in der Klageschrift bedeutet einen wesentlichen Mangel (§ 253 Nr. 1 ZPO.), der zur Abweisung der Klage durch ProZeßurteil führt, wenn er nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO. geheilt wird. Andrerseits genügt die Firma zur Bezeichnung des Inhabers bei allen Arten der gerichtlichen Geltendmachung seiner Kaufmannsrechte und Kaufmannspflichten, nicht nur bei der Klage oder Widerklage, sondern namentlich auch im Mahnverfahren, bei der Intervention, bei der Anmeldung im Konkurs, auch im Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z. B. Einspruch in Registersachen, §§ 132 ff. FGG.), im Verwaltungsverfahren (z. B. Gewerbefteuerstreit), bei Strafanträgen, Privat­ oder Nebenklagen „im Handel" (etwa wegen Verletzung von Patenten, Gebrauchs­ mustern, Warenzeichen, wegen unlauteren Wettbewerbs). Die Angabe der Firma als des kaufmännischen „Namens" (§ 17 Abs. 1 HGB.) genügt zur Parteibenennung auch im Urteil (§ 313 Nr. 1 ZPO.) sowie zur „namentlichen" Bezeichnung des Kaufmanns als Vollstreckungsgläubiger oder Vollstreckungsschuldner nach § 750 ZPO. Dafür sprechen Wortlaut und Zweck des § 17 HGB. so zweifel­ los, daß tatsächliche Schwierigkeiten, die sich vielleicht nach einem während des Firmenprozesses (vgl. § 729 Abs. 2 ZPO.) erfolgten Inhaberwechsel einer Fest­ stellung der Person des Vollstreckungsschuldners (des Inhabers bei Beginn der Rechtshängigkeit) entgegenstellen, nicht den Ausschlag geben können. Sie sind im Einwendungsverfahren auszutragen (§§ 766, 771 ZPO.). Vgl. DüringerHachenburg § 17 Anm. 15, Staub § 17 Anm. 36ff., OLG. Braunschweig vom 2. 6. 1911 OLG. Bd. 23 S. 206; abw. Stein ZPO. (11. Auflage) § 727 unter IV mit Verweisen (für entsprechende Anwendung des § 727).

I. Die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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und verklagt werden kann. In einem solchen Rechtsstreite birgt sich unter der Firma, die nicht selber Rechtssubjekt, sondern nur der Name eines solchen ist, als wahre Partei, wer beim Eintritte der Rechtshängigkeit (§§ 263, 281, 693 ZPO.) Träger der Firma ist". Er bleibt als Kläger oder Beklagter — vorbehaltlich eines Wechsels nach § 265 Abs. 2 ZPO. — auch dann Partei, wenn während des Prozesses Geschäft und Firma unter Lebenden auf einen dritten Erwerber übertragen werden. Er, nicht der jeweilige Inhaber der Firma ist Partei. Er hat Parteieid und Offen­ barungseid zu leisten. Sein Tod unterbricht den Prozeß (§§ 239, 246 ZPO.).

In seiner Person wirken Rechtshängigkeit, Rechts­

kraft und Vollstreckbarkeit (unbeschadet einer Erstreckung dieser Wirksamkeit nach Maßgabe der §§ 325, 727 ZPO.). Da der § 17 Abs. 2 HGB. die Prozeßführung unter dem Handelsnamen des Einzelkaufmanns nur gestattet, nicht gebietet, können auch Geschäftsansprüche und Geschäftsverbindlichkeiten unter dem von11 11 Wenn schon in der Zeit zwischen der Einreichung der Klage oder ihrer Anbringung zu Protokoll des Gerichtsschreibers und der Zustellung, also noch vor dem Eintritte der Rechtshängigkeit, der Inhaber der Firma gewechselt hat, dann ist der bisherige Inhaber, der als Kläger oder Beklagter durch bloße An­ gabe der von seinem bürgerlichen Namen verschiedenen Firma hatte benannt werden sollen, als Partei nicht richtig bezeichnet. Es liegt also eine Verletzung des im § 253 Nr. 1 ZPO aufgestellten Mußerfordernisses bestimmter Partei­ angabe vor (über die Heilbarkeit eines solchen Mangels nach § 295 Abs. 1 ZPO. vgl. Stein § 253 unter IV). Würde die nach dem Willen des Klägers gegen den bisherigen Inhaber gerichtete Klage nicht diesem, sondern dem Nach­ manne zugestellt, so läge noch eine zweite (ebenfalls verzichtbare) Ordnungs­ widrigkeit der Klagerhebung vor. Unzutreffend ist es, wenn die herrschende Lehre aus § 17 Abs. 2 HGB. den allgemeinen Satz herleiten will, daß bei zwischen­ zeitlichem Inhaberwechsel der Nach mann Klüger oder Beklagter werde. So z. B. Staub § 17 Anm. 32 seit der 8. Auflage, dagegen Göppert ZHR. 47 S. 270, dem früher Staub und jetzt P i s k o, Ehrenbergs Hand­ buch Bd. 2 S. 282 gefolgt ist. Allerdings aber kommt es auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit insofern an, als die bloße Firmenangabe nur zur Benennung dessen als Partei genügt, der zu dieser Zeit Inhaber der Firma ist. Er bleibt Partei, auch wenn er die Firma im Laufe des Prozesses einem anderen übertrügt oder mit oder ohne Firmenünderung einen Gesellschafter aufnimmt (§ 24 HGB). Der § 17 Abs. 2 HGB. wird also nur dann anwend­ bar, wenn derjenige, der unter der Firma klagen will oder verklagt werden soll, zur Zeit der Klagerhebung noch Firmeninhaber ist.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

der Firma verschiedenen bürgerlichen Namen des Inhabers ohne Zusatz der Firma gerichtlich geltend gemacht werden. Auch steht es dem Kläger nach § 268 Nr. 1 ZPO. einseitig frei, die in bloßer Firmenangabe bestehende Parteibezeichnung durch Auf­ deckung des Inhabers zu ergänzen oder den der Firma von vorn­ herein beigefügten, von ihr verschiedenen bürgerlichen Namen des Kaufmanns zu 6erid)tigen12. 13 Da 14 nun die Wendung des § 17 — „kann unter seiner Firma klagen und verklagt werden" — im § 124 Abs. 1 HGB. wörtlich wiederkehrt, fragt es sich, ob etwa der Sinn beidemal derselbe ist.

In der Tat wird gelehrt: Der

Satz, die offene Handelsgesellschaft könne unter ihrer Firma klagen und verklagt werden, sei nur eine entbehrliche Wiederholung der int § 17 Abs. 2 HGB. ausgesprochenen Regel. Im Gesellschafts­ prozesse seien daher die unter einer Kollektivbezeichnung zusammen­ gefaßten Gesellschafter selbst die Partei.

Der Firmengebrauch

bedeute nur eine formelle Erleichterung wie des Geschäftsverkehrs so der Prozeßführung Dabei wird vor allem verkannt, daß der offenen Handelsgesellschaft nicht wie dem Einzelkaufmann ein kaufmännischer und ein bürgerlicher Name zur Wahl stehen. Ihre Firma ist ihr einziger Name.

Anders als unter ihrer

Firma kann sie gar nicht klagen und verklagt werden. Sind Karl und Franz Moor die Inhaber der offenen Handelsgesellschaft „Gebrüder Weiß", so wäre die wegen einer Gesellschastsschuld gegen Karl und Franz Moor ohne Hinweis auf die Firma er­ hobene Klage überhaupt keine Klage „gegen die Gesellschaft". Die Verurteilung dieser Streitgenoffen würde, obgleich sie die Gesellschaftsverbindlichkeit feststellt, „gegen die Gesellschaft" weder Rechtskraft noch Vollstreckbarkeit wirken (§ 124 Abs. 2 HGB.). Die offene Handelsgesellschaft kann — als solche (§ 17 Abs. 1 ZPO.) — verklagt werden, aber eben nur unter ihrer Firma". 12 Stein § 268 unter V 1 mit Rechtsprechung, Kisch, Parteiänderung im Zivilprozeß (1912), S. 572 ff. 13 So Düringer-Hachenburg § 17 Anrn. 12, § 124 Anrn. 6. 14 Sonach hat das Wort „kann" trn § 124 Abs. 1 eine andere Be-

I. Die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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Die Firma ist zur Parteibezeichnung nicht bloß ge­ nügend, sondern auch erforderlich. Wichtiger noch ist der innere Unterschied der beiden Vorschriften. Wäre wirklich der Satz, daß die offene Handelsgesellschaft unter ihrer Firma klagen und verklagt werden kann, nur eine Anwendung der Regel des § 17 Abs. 2 HGB., dann müßten endgültig Parteien sein die einzelnen Mitglieder, die der Gesellschaft zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit angehören. Gerade diese Annahme aber lehnen Rechtslehre und Rechtsprechung heute in richtiger Erkenntnis des Gegensatzes ab 15. 16 Für das ältere Recht haben namentlich Wach und Planck^ die Ansicht vertreten, es seien in den unter der Firma der offenen Handelsgesellschaft geführten Prozessen alle einzelnen Mit­ glieder als notwendige Streitgenossen Partei. Wach unterscheidet einen materiellen und formellen Parteibegriff und dementsprechend eine materielle und formelle Parteifähigkeit. In: materiellen Sinne seien Parteien die Subjekte des ProzeßrechtsVerhältnisses und zwar deshalb, weil sie die behaupteten aktiven oder passiven Subjekte der res in iudicium deducenda sive deducta, des den Streitgegenstand bildenden materiellen Rechts­ verhältnisses feien17.

Dagegen liege das Wesen des formellen

Parteibegriffs in der Eigenschaft einer Person — Personenmehrheit oder Vermögensmasse —, als solche eigenen Namens klagen und verklagt werden zu können. Den Hauptfall des nur formell parteifähigen Personenverbandes bilde die offene Handelsgesell­ schaft.

Unter dem Kollektivnamen der Firma seien als Kläger

deutung als im § 17 Abs. 2 HGB.: erstere Vorschrift entstammt dem älteren Recht und hat den ursprünglichen Sinn bewahrt, letztere ist neu und verfolgt einen ganz anderen Zweck. 16 So Düringer-Hachenburg selbst und zwar mit aller Schärfe (§ 124 Anm. 11). 16 Wach, Handbuch des Zivilprozeßrechts, Bd. 1 (1885) § 46; I. W. Planck, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, Bd. 1 (1887) § 43. 17 Über Fälle, in denen die Partei nicht, auch nicht der Behauptung nach, Subjekt des umstrittenen Rechtsverhältnisses ist, siehe Jaeger ZZP. 40 S. 127 f.

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Ernst Iaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

oder Beklagte die Gesellschaftsmitglieder die wahren Parteien und zwar „immer nur die Summe der einzelnen". Darum wirke namentlich das gegen die Gesellschaft erstrittene Urteil Rechts­ kraft und Vollstreckbarkeit gegenüber den einzelnen Gesellschaftern, wie auch die Rechtshängigkeit des gegen die Gesellschaft schwebenden Prozesses der Zulässigkeit einer Ausklagung der einzelnen Mit­ glieder entgegenstehe. Zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangt Planck. Allein das neue Handelsgesetzbuch lehnt sie ab (§§ 124 Abs. 2, 129 Abs. 4). Auch steht die Fassung der Zivilprozeß­ ordnung der Unterscheidung einer zwiespältigen Parteifähigkeit im dargelegten Sinne entgegen.

Das Gesetz kennt nur eine

Parteifähigkeit. Es stellt den formellrechtlichen Begriff der Partei­ fähigkeit ab auf den (§ 50 Abs. 1 ZPO.).

inateriellrechtlichen der Rechtsfähigkeit Die Parteifähigkeit ist als solche eine

prozeßrechtliche Eigenschaft, eine Prozeßvoraussetzung im Sinne einer Vorbedingung für die Zulässigkeit der Sachverhandlung und Sachentscheidung. Parteifähigkeit ist nicht Rechtsfähigkeit. Dies besagt auch keineswegs der Grundsatz des § 50 Abs. 1 ZPO. Er bestimmt, wer Parteifähigkeit hat. Die Parteifähigkeit bildet einen Ausfluß der Rechtsfähigkeit und hängt unlösbar mit ihr zusammen.

Auch die halbe Parteifähigkeit der Vereine ohne

Rechtsfähigkeit (§ 50 Abs. 2 ZPO.) sprengt diesen Zusammen­ hang nicht, weil ja das Gesetz solchen Verbänden für Passivprozeffe die Stellung rechtsfähiger Vereine ausdrücklich zuerkennt. Auch hier liegen also die Dinge keineswegs so, als ob die Summe der einzelnen Vereinsmitglieder unter einem bloßen Decknamen ver­ klagt wäre: für die Zwecke des Passivprozeffes wird der Verband als rechtsfähiger Verein behandelt. Läßt aber das Gesetz die Klage unter einem Decknamen zu, so erkennt es damit weder einen besonderen Parteibegriff noch eine besondere Parteifähigkeit an. Die in solchem Sinne „nur formelle" Partei ist in Wahr­ heit eben nicht Partei. Der Deckname erspart lediglich die nähere Partei bez eich nun g. So im Falle des § 17 Abs. 2 HGB.: unter der Firma birgt sich als wahre Partei der Einzel-

I. Die Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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saufmattn, der beim Eintritte der Rechtshängigkeit Inhaber des Handelsgewerbes ist". Die innere Beziehung zwischen Rechtsfähigkeit und Partei­ fähigkeit bildet auch den Schlüssel zur Lösung der Frage nach der Stellung der offenen Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe. Der § 124 Abs. 1 HGB. erklärt die offene Handelsgesellschaft in demselben Satze und in demselben Sinne für parteifähig, in dem er ihr die Fähigkeit zuspricht, unter ihrer Firma Rechte zu er­ werben und Verbindlichkeiten einzugehen. So wenig durch die unter der Firma abgeschlossenen Rechtsgeschäfte die gegenwärtigen Mitglieder als einzelne berechtigt und verpflichtet werden, so wenig bilden sie als einzelne die Parteien im Prozesse der Firma. Was die Fähigkeit der offenen Handelsgesellschaft, unter ihrer Firma Rechte zu erwerben, bedeutet, das wird be­ sonders klar im Grundbuchverkehr. Damit das Eigentum an einem Grundstück Gesellschastsvermögen werde, bedarf es, auch wenn das Grundstück nicht einem Dritten, sondern einem Gesell­ schafter oder selbst allen Gesellschaftern zusammen gehört, einer Vollübereignung durch Auslassung an die Gesellschaft und Ein­ tragung derselben im Grundbuch'0. Der Bucheintrag hat auf die Firma der offenen Handelsgesellschaft zu lauten18 20 19 und bleibt richtig, auch wenn die Teilhaber wechseln.

Warum?

18 Im Sinne der abgelehnten Unterscheidung wäre die Firma des Einzel­ kaufmanns „formell", „der äußeren Erscheinung nach" Partei. Sie ist aber in Wirklichkeit nur der Name einer Partei. Die Unterscheidung verwirrt den Parteibegriff, statt ihn zu klären. Siehe auch Bunsen ZZP. Bd. 26 S. 197ff., der S. 200 die formelle Partei eine Maske nennt und nach den Gründen fragt, die solche Maskierung rechtfertigen. 19 Düringer-Hachenburg Bd. 4. Allgemeine Einleitung Anm. 161 ff. mit Berweisen, Ritter § 105 Anm. 7b. 10 Predari, Grundbuchordnung, 2. Auflage S. 396, Güthe, Grundbuchordnung, 3. Auflage Bd. 2 S. 1578. Die verbreitere Wendung, „es genüge Buchung auf die Firma", ist ungenau. Der korrekte Eintrag muß auf die Firma lauten. So bestimmt für Preußen die Allgemeine Verfügung vom 20. November 1899 zur Ausführung der Grundbuchordnung (JMBl. 1899 S. 349) im § 4 Nr. 2 durchaus zutreffend: „Zur Bezeichnung der Berechtigten sind im Grundbuch anzugeben bei Handelsgesellschaften die Firma und der Sitz." Darum ist auch kein Raum für den § 48 GBO. (Güthe Bd. 1 S. 978).

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

Weil nicht die einzelnen Mitglieder zur Zeit der Eintragung die Berechtigten sind, sondern weil Subjekt des verbuchten Gesellschastsrechtes die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder ist. Diese Gemeinschaft ist Trägerin der im Gesellschaftsvermögen vereinigten Rechte. Sie ist als solche rechtsfähig und darum parteifähig. Sie, die Gesellschaft, wird im Rechts­ geschäfts- und Prozeßverkehr vertreten (§§ 125, 149 HGB.). Da­ gegen hat das Gesetz der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Rechts- und Parteifähigkeit nicht zuerkannt. Wohl redet es auch bei ihr von einem „Gesellschaftsvermögen" (§ 718 BGB.), das um des gemeinsamen Zweckes willen (§ 705 BGB.) rechtlich ge­ sondert und gebunden ist (§§ 719, 725 BGB., § 859 Abs. 1 ZPO.). Allein das Gesetz steigert weder diese Sonderung bis zur Sonderhaftung noch spricht es, wie im § 124 Abs. 1 HGB.21 21 Eine gesetzliche Sonderhaftung des „Gesellschaftsvermögens" für „Gesellschaftsschulven" besteht Lei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht. Der § 736 ZPO. läßt in scharfem Gegensatze zum § 124 Abs. 2 HGB. die Zwangsvollstreckung in Geseüschaftsvermögen auf Grund eines „gegen alle Gesellschafter" erwirkten Titels zu, auch wenn die vollstreckbare Schuld keine Gesellschaftsverbindlichkeit bildet. Einen gegenteiligen Antrag hat die Kommission für die zweite Lesung des EBGB. (Protokolle Bd. 2 S. 434 ff.) mit guten Gründen verworfen. Die damals von der Minderheit geltend gemachte Er­ wägung, es dürfe ein Zwangszugriff auf Gesellschaftsvermögen nur wegen einer Gesellschaftsschuld zugelassen werden, weil das Verhältnis der Gesellschafter als Gemeinschaft zur gesamten Hand gestaltet und darum für die Zwecke der Gesellschaft gebunden sei, kehrt wieder bei L. v. Seuffert, Zivilprozeß­ ordnung, 11. Auflage § 736 Anm. 1, Düringer-Hachenburg a. a. O. S. 126 u. a. Sie entbehrt aber jeder Beweiskraft, denn die Geschlossenheit des Gemeinschaftsvermögens ist bei den verschiedenen Arten der Gesamthandsgemeinschasten in ganz verschiedener Stärke ausgeprägt. Es hatte sich gerade gefragt, ob auch bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts wie bei der offenen Handelsgesellschaft die Bindung des Gemeinschaftsvermögens für den Gemein­ schaftszweck bis zur Haftungssonderung durchzuführen sei. Das Gesetz hat die Gleichstellung abgelehnt, weil das Gemeinschaftsverhültnis bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht wie bei der offenen Handelsgesellschaft für Dritte kündbar ist. Es wäre in der Tat eine unzweckmäßige Regelung, aus einer vollstreckbaren Wechselschuld aller Mitglieder den Zwangszngriff auf Vermögen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nur dann zuzulassen, wenn die Wechselverbindlichkeit sich auf das Gesellschaftsverhältnis gründete, zumal doch auch den Privatglüubigern eines Mitglieds die Pfändung des An­ teils ihres Schuldners am Gesellschaftsvermögen unmittelbar freisteht (§ 859

I. Die Partcifühigkeit der offenen Handelsgesellschaft.

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aus, daß „die Gesellschaft" Rechte und Verbindlichkeiten erwerben, klagen und verklagt werden könne. Der Gesellschafter kann nicht „die Gesellschaft", sondern nur „die anderen Gesellschafter" ver­ treten (§ 714 BGB.). Die dem gemeinschaftlichen Zweck ge­ widmeten Rechte sind im Grundbuch als gemeinschaftliche Rechte der einzeln und namentlich bezeichneten Gesellschafter (§ 48 GBO.), nicht als Rechte „der Gesellschaft" einzutragen22. Kommt es späterhin zu einem Mitgliederwechsel, der ausnahmeweise den Bestand der Gesellschaft und damit des Gesellschaftsvermögens aufrecht erhält, dann wird infolge der im § 738 BGB. geregelten Anwachsung oder einer ihr entsprechenden Abwachsung23 das Grundbuch unrichtig. Parteifähigkeit hat das Gesetz der Ge­ sellschaft des bürgerlichen Rechts für Grundbuchsachen oder andere Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ebensowenig bei­ gelegt als für den Zivilprozeß. Daraus, daß die Mitberechtigung ZPO.). Mit Recht erkennt daher die herrschende Lehre an, daß nach § 736 ZPO. die Zwangsvollstreckung in Gesellschaftsvermögen auch aus solchen Gesamtschulden aller Mitglieder stattfindet, die nicht Gesellschaftsverbindlichkeiten sind. Stein § 736 unter II mit Verweisen. Im Mangel einer gesetzlichen Sonderhaftung des Gesellschaftsvermögens liegt der innere Grund dafür, daß das Gesetz — wie ein Gegenschluß aus § 728 BGB. und aus § 209 KO., wo der Gesellschaftskonkurs erwähnt sein müßte, ergibt — einen Sonderkonkurs über das Vermögen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht zuläßt. Jaeger, Konkursordnung, 5. Auflage, § 25 Anm. 8 (mit Verweisen), § 102 Anm. 1, dem die nun herrschende Lehre folgt. Von einem Konkurse der stillen Gesell­ schaft als solcher kann schon deshalb keine Rede sein, weil das Geschäftsvermögen nicht Gescllschaftsvermögen, sondern Alleinvermögen des Geschäftsinhabers ist ($ 335 HGB.) 22 Güthe a. a. O., N e u d e g g e r ArchBürg.N. Bd. 34 S. 41 ff. mit Lit., besonders S. 90 ff. Treffend bestimmt die bayerische Dienstanweisung für Grundbuchümter in den Landesteilen rechts des Rheins vom 27. Februar 1905 im § 272: „Grundstücke oder Rechte, die Bestandteile eines Gesellschaftsvermögens bilden, sind, da die Gesellschaft des BGB. unter ihrem Namen Rechte nicht er­ werben kann, auf die Namen der Gesellschafter einzutragen, z. V. Fischer, Georg, Kaufmann in Waslingen HsNr. 17, Huber, Franz, Unterhändler in Langenfelden HsNr. 8, als Gesellschafter". Durch den Zusatz „als Gesell­ schafter" wird der im § 48 GBO. verlangten Kennzeichnung des für die Ge­ meinschaft maßgebenden Rechtsverhältnisses genügt. 23 Gierte, Verein ohne Rechtsfähigkeit, 2. Auflage S. 26, ArchBürgR. Bd. 19 S. 128 f., Neudegger a. a. O. S. 61 mit Verweisen.

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Ernst Ja eg er: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

eine Gemeinschaft zur gesamten Hand ist, folgt weder eine Rechtsnoch eine Parteifähigkeit „der Gesellschaft". Sonst würden auch Ehegatten- und Miterbengemeinschaft parteifähig fein24. 25 Die offene Handelsgesellschaft ist als solche rechts- und partei­ fähig und doch ist sie keine juristische Person.

Trägerin der

Gesellschaftsrechte und Gesellschaftspflichten und Partei in den Gesellschaftsprozessen ist die Gemeinschaft der Mitglieder selbst und zwar der jeweiligen. So stellt die offene Handelsgesellschaft eine Mittelstufe der Rechtsfähigkeit dar zwischen In­ dividuum und juristischer Person2^. 24 Gierte ArchBürgR. Bd. 19 S. 121 lehrt: rechtsfähig sei auch die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts; es fehle ihr nur der formale Ausdruck der Einheit, die Firma. Wäre sie rechtsfähig, dann müßte sie auch parteisähig sein (§ 50 Abs. 1 ZPO.), was die herrschende Lehre (Stein § 50 unter III 1 gegen Seuffert § 50 Anm. 2d) mit Recht verneint. Nichts hindert eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, etwa eine Vereinigung von Handwerkern oder Kleinkaufleuten zu gemeinschaftlichem Gewerbebetrieb (§ 4 Abs. 2 HGB.), sich einen eigenen Namen beizulegen. Daß aber unter solchem Einheitsnamen nicht „die Gesellschaft" handeln kann, liegt lediglich daran, daß ihr das positive Recht nicht — wie der § 124 Abs. 1 HGB. der offenen Handels­ gesellschaft — Rechts- und Parteifähigkeit zuerkennt. Im § 124 Abs. 1 HGB. könnten die Worte „unter ihrer Firma" fehlen, ohne daß der Sinn des Rechts­ satzes sich veränderte. Sie verstehen sich von selbst. Entscheidend ist nur die Bestimmung: „Die offene Handelsgesellschaft kann Rechte erwerben und Ver­ bindlichkeiten eingehen, klagen und verklagt werden", d. h. sie ist rechts- und parteifähig. Sic ist es „als solche", als Gesellschaft. Der § 17 Abs. 1 ZPO., demzufolge sich der allgemeine Gerichtsstand durch den Sitz bestimmt, trifft mit der Wendung „Gesellschaften, welche als solche verklagt werden können" unstreitig auch die offene Handelsgesellschaft, ohne die Frage anzurühren, ob sie juristische Person ist oder nicht. Deshalb darf man aber auch die An­ sicht, daß die offene Handelsgesellschaft anders als die Aktiengesellschaft keine juristische Person sei, nicht darauf stützen, daß der § 124 Abs. 1 nicht wie der § 210 Abs. 1 HGB. die Worte „als solche" enthält. 25 In diesem Sinne mag man mit dem Reichsgericht sagen: die offene Handelsgesellschaft nähert sich der juristischen Person, ohne eine solche zu sein [oben Note 9j. Abwegig aber ist es, mit Hellwig, System § 69, hier von einem Sondervermögen zu reden, das als juristische Person behandelt werde, obwohl es keine solche sei. Das Vermögen hat seine bestimmten Träger. Seltsamerweise betont Hellwig hier S. 158, unser schon LZ. 1910 S. 153f. klargestellter Standpunkt stimme mit dem seinigen überein, wir redeten an­ einander vorbei. Und wenn er S. 157 lehrt, der charakteristische Unterschied zwischen parteifähigem Sondervermögen und juristischer Person liege darin, daß

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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Der Rechtssatz des § 124 Abs. 1 HGB., der die Partei­ fähigkeit der offenen Handelsgesellschaft anerkennt, spricht nur von ihrer Fähigkeit zu klagen und verklagt zu werden. Darin er­ schöpft sich indessen die Parteifähigkeit nicht. Als parteifähiges Gebilde kann die offene Handelsgesellschaft unter ihrer Firma auch Subjekt („Gläubiger" und „Schuldner") des Mahn-, Arrestund Vollstreckungsverfahrens sein. Als solches ist sie zur Neben­ intervention befähigt. Auch auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit, namentlich für Anträge und Beschwerden in Register- und Grundbuchsachen, kommt ihr Parteifähigkeit zu. Desgleichen im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstreit­ verfahren 2U.

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei. Partei im Prozesse der offenen Handelsgesellschaft ist die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder: die Gemeinschaft, nicht die Summe der einzelnen; die Gemeinschaft der jeweiligen, nicht der ihr bei Beginn der Rechtshängigkeit angehörenden Mit­ glieder. Die gesetzliche Anerkennung einer Parteifähigkeit der Gemeinschaft enffpricht dem Bedürfnis einheitlichen Rechtsschutzes. Die Gemeinschaft ist jedoch als solche zwar rechts-, aber nicht geschäftsfähig, zwar Partei-, aber nicht prozeßfähig. Insofern26 ersteres vorübergehender Natur, letztere aber ihrem Wesen nach auf die Dauerangelegt sei, so kann man zwar ein Sammelvermögen als vorübergehende Ver­ mögenslage bezeichnen, aber doch gewiß nicht die offene Handelsgesellschaft. Die Fälle sind grundverschieden. Gerade ihre einheitliche Behandlung aber er­ klärt Hellwig a. a. O. für das Wichtigste In unserm Sinne FörsterKann, Zivilprozeßordnung, 3. Auflage, § 50 Anm. 3 mit einer Übersicht über die Rechtsprechung des Reichsgerichts, die mehr im Ausdruck als in der Sache schwankt; B ehrend, Lehrbuch des Handelsrechts, Bd. 1 S. 445, 516, 524f., Makower, Handelsgesetzbuch, 13. Auflage, § 124 Ia, II c. 26 Siehe oben Note 10 und wegen des Strafverfahrens auch Urteil des I. Strafsenats vom 13. Mürz 1913 IW. 1913 S. 1052 f. Leipziger Festschrift Sohm. 2

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

liegen die Dinge wie bei einer juristischen Person^.

Mit Recht

betrachtet daher das Reichsgericht, obwohl es die Annahme juristischer Persönlichkeit ablehnt, die vertretenden Mitglieder oder Liquidatoren als gesetzliche Vertreter einer prozeß­ unfähigen Partei27 28. Das bedeutet im einzelnen: 1. Die Gesellschaft selbst als die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder ist nach § 124 Abs. 1 HGB. wie Subjekt der umstrittenen Gesellschaftsrechte oder Gesellschaftspflichten so auch Trägerin der Parteirolle im Gesellschaftsprozesse, aktiv oder 27 Stein § 51 unter III mit Verweisen in Note 12 daselbst. Die Streitfrage, ob juristische Personen handlungsfähig sind, ist hier nicht aus­ zutragen. Bemerkt sei nur: Würde die Handlungsfähigkeit der juristischen Person schon daraus folgen, daß die Rechtsordnung die Handlungen der gesetzlichen Vertreter als Handlungen der juristischen Person wirken läßt (v. T uh r, All­ gemeiner Teil, Bd. 1, 1910, S. 460, 465), dann gäbe es beim Vorhandensein gesetzlicher Vertreter überhaupt keine handlungsunfähigen Personen. Denn mit Kindern und Geisteskranken steht es ebenso. Die Wendung, es handle die iuristische Person selbst in ihren Organen, ist nur ein Bild und zwar ein trügerisches (treffend v. Tuhr S. 461). Im Sinne unseres geltenden Prozeßrechts jedenfalls sind die juristischen Personen prozeßunfühig, die Organe gesetzliche Vertreter (§ 51 ZPO). So sehen sich denn auch solche Schrift­ steller, die wie S e u f f e x t §§ 51 f. Anm. 4 die offene Handelsgesellschaft und die juristische Person für prozeßfühig halten, zu dem Eingeständnisse genötigt, daß gleichwohl die für prozeßunfähige Personen geltenden Rechtssütze anwendbar seien, so z. B. der wichtige § 473 Abs. 1 ZPO.' (Seuffert § 473 Anm. 1). Eben darum müssen jene Gebilde im Sinne der Unterbrechungsvorschrift des § 241 ZPO. [unten Rote 51] als prozeßunfähige Parteien behandelt werden (abweichend H e l l w i g , Anspruch, S. 280 Note 3 trotz S. 275). Das Reichs­ gericht hat freilich in einem Urteil des III. Zivilsenats vom 17. März 1913 Bd. 82 S. 69 ausgesprochen, die offene Handelsgesellschaft sei nach § 124 HGB. Partei- undprozeßfühig,sie handle durch ihre Vertreter, und hat unter diesem Gesichtspunkte den nur für die Prozeßfähigkeit maßgebenden § 55 ZPO. an­ gewendet. Richtig erkennt dagegen derselbe III. Zivilsenat des Reichsgerichts im Urteil vom 3. Mai 1912 IW. 1912 S. 756 Nr. 24: die Gesellschaft (offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft) „ist parteifühig, aber nicht prozeßfühig und bedarf für die Vornahme einzelner Prozeßhandlungen der Vertretung durch die einzelnen Gesellschafter". 28 So namentlich Urteil des VI. Zivilsenats vom 12. Oktober 1899 Bd. 45 S. 342 mit Übersicht über die sonstige Rechtsprechung des Gerichtshofes, Behrend S. 525, Staub in den noch von ihm selbst verfaßten Auflagen seines Kommentars (6. und 7. Aust. § 124 Anm. 6); im übrigen siehe unten Note 44.

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

passiv zur Sache legitimiert.

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Nicht also sind Partei die

Gesellschafter als ©treitgenoffett29. Wären wirklich nur die einzelnen Gesellschafter als Streitgenossen Partei im Gesellschaftsprozesse, so würde es, da niemand sein eigner Streitgenosse sein kann, unzulässig sein, Gesellschaft und Gesellschafter zusammen als Streitgenossen wegen einer Gesellschaftsschuld zu verklagen.

Die Zulässigkeit einer solchen Streitgenossenschaft

steht aber außer allem Zweifel (§ 59 ZPO.). Das Gegenteil würde schon wegen der §§ 124 Abs. 2, 129 Abs. 4 HGB. mit den Verkehrsbedürfnissen unvereinbar sein. Eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 ZPO. liegt hier nicht vor, da die Entscheidung der Gesellschaft und dem Gesellschafter gegen­ über verschiedenartig ausfallen tarnt80. Daß mehrere wegen einer Gesellschaftsschuld persönlich belangte Mitglieder unter sich keine notwendige Streitgenossenschast bilden, folgt ohne weiteres daraus, -,J So lüge der Fall, wenn der § 124 Abs. 1 HGB. der Gesellschaft eine nur formelle Parteifähigkeit zugestände. In diesem Sinne noch DüringerHachenburg § 124 Anm. 8. Auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts finden sich nicht selten Wendungen, die so gedeutet werden können. Beispiels­ weise sagt das Urteil des VII. Zivilsenats vom 20. März 1900 Bd. 46 S. 41: Die einzelnen Gesellschafter seien die Subjekte der unter dem Kollektivnamen der Gesellschaft für sie, die Gesellschafter, erworbenen Rechte und eingegangenen Verbindlichkeiten; dementsprechend seien auch in den Prozessen der Gesellschaft die Gesellschafter Prozeßpartei. Aber es wird sofort hinzugefügt „als Gesamt­ heit" und weiter ausgeführt, „mit dem Aufhören der Gesellschaft gehe deren Parteirolle auf die sämtlichen früheren Gesellschafter als Streitgenossen über". Wenn später der I. Zivilsenat im Urteil vom 6. Juli 1901 IW. 1901 S. 654 Nr. 13 bemerkt, im Gesellschastsprozesfe seien aktiv und passiv wirkliche Partei die Ge­ sellschafter, wäre es „auch nur als solche und in Beziehung auf ihre in der Gesellschaft beruhende Vereinigung", so ist das bloß ein anderer Ausdruck dafür, daß die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder Trägerin der Parteirolle ist. Ausdrücklich verwirft für die Vorschriften über den Eidesbeweis [unten Note 53] die Annahme einer Streitgenossenschast der III. Zivilsenat im Urteil vom 3. Mai 1912 IW. 1912 S. 755 f. Nr. 24. Siehe auch Mako wer 8 124 unter IIc, Bunsen ZZP. Bd. 26 S. 238, Kormann in Gruchots Bei­ trägen Bd. 57 S. 504. 30 Stein 8 62 zu Note 19 (mit abweichender Rechtsprechung), FörsterKann 8 62 S. 215. Dagegen lehrt Seuffert 8 62 Anm. 2 S. 102, es liege notwendige Streitgenossenschast vor, soweit nicht Einwendungen erhoben werden, die nur in der Person eines Gesellschafters begründet sind. Die Be­ schränkung ist undurchführbar.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

daß sie nebeneinander (nicht neben der Gesellschaft) als Gesamt­ schuldner haften (§ 128 HGB., §§ 421, 425 BGB.)»'. Nimmt die Gesellschaft als solche ein Recht in Anspruch, das nach der Behauptung des Gegners nicht zum Gesellschaftsvermögen, sondern — wäre es auch als Gesamthandsrecht — zum Eigenvermögen sämtlicher Mitglieder gehört (z. B. eine von ihnen ererbte, aber nicht auf die Gesellschaft übergegangene Forderung), dann fehlt es an der aktiven Sachlegitimation: nicht den Gesellschaftern, sondern der Gesellschaft wird das Recht zu- oder aberkannt. Die Gesellschaft prozessiert unter ihrem Namen, unter der Firma»». Wird eine unter der Firma erhobene Klage bei Fortbestand der Gesellschaft»» auf die einzelnen Gesellschafter um­ gestellt oder ausgedehnt, so liegt darin — wie auch im um­ gekehrten Falle — der Versuch einer Parteiänderung, nicht eine bloße Berichtigung der Parteibezeichnung. So selbst dann, wenn der Firma die im Sinne des § 2(38 Nr. 1 ZPO. unwesentliche Angabe der Mitglieder beigefügt ist. Denn die Klage „gegen die offene Handelsgesellschaft Gebrüder Weiß, In­ haber Karl und Franz Moor" und die Klage „gegen Karl und Franz Moor" sind Klagen gegen verschiedene Parteien»''. Der Prozeß „gegen die offene Handelsgesellschaft Gebrüder Weiß" und gegen die beiden Mitglieder „Karl und Franz Moor" um-* 32 33 34 * 81 Nicht darauf kommt es an, daß die einzelnen Mitglieder sich tatsächlich auf abweichende Art verteidigen. Es genügt, daß gegenüber dem einzelnen Gesamtschuldner eine verschiedenartige Entscheidung möglich ist. Siehe Note 76. 32 Oben Note 14 und 15. 33 Gesellschastsauflösnng: unten S. 46 ff.; Mitgliederwechsel int Prozesse: S. 44 ff. 34 Vgl. Kisch, Parteiänderung im Zivilprozeß, 1912, S. 555 f. mit Rechtsprechung S. 556 Note 15; dazu RG. IIL Zivilsenat vom 11. Februar 1896 Bd. 36 S. 141: die Umwandlung eine unstatthafte Klagänderung: abw. Staub § 129 Anm. 2 (Umwandlung sei zulässig). Im Gegensatz zur herrschenden Ansicht erblickt Kisch (S. 7 ff.) im Parteiwechsel keine Klag­ änderung. Siehe aber die durchschlagenden Erwägungen von Förster-Kanu § 268 Anm. 5. Ebenso bedeutet d i e Ausdehnung der unter der Firma erhobenen Klage aus einzelne Mitglieder eine einseitig unzulässige Klagänderung durch Hereinziehung neuer Parteien in den Rechtsstreit. Düringer-Hachen­ burg Z 128 Anm. 7 gegen Staub a. a. O.

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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faßt drei Klagen, deren jede sich gegen eine andere Partei richtet. Tie Gesellschaft hat ihren eigenen allgemeinen Gerichtsstand. Er bestimmt sich durch ihren Sitz, nicht durch den davon verschiedenen, wenn auch einheitlichen Wohnsitz der Mitglieder (§ 17 ZPO.). Hat eine offene Handelsgesellschaft ihren Sitz im Ausland, aber eine Zweigniederlassung im Jnlande, so fehlt es an einem allgemeinen Gerichtsstand im Jnlande. Dafür kommen die besonderen Gerichtsstände der Niederlassung (§ 21 ZPO., § 238 KO.) und des Vermögens (§ 23 ZPO.) in Betracht. Der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft ist keineswegs als solcher auch Gerichtsstand für die ausschließliche oder gleichzeitige Ausklagung der Gesellschafter.

Wohl aber können nach der be­

sonderen Vorschrift des § 22 ZPO. beim Gerichte des allgemeinen Gerichtsstandes der Gesellschaft Ansprüche der Gesellschaft gegen ein Mitglied „als solches", auch gegen ein schon ausgeschiedenes Mitglied aus der früheren Mitgliedschaft (z. B. auf Zahlung rückständiger Beiträge), und Ansprüche eines Gesellschafters als solchen gegen den Mitgesellschafter (z. B. nach § 133 HGB. gegen den der Auflösung widersprechenden oder nach § 140 HGB. gegen den auszuschließenden Teilhaber) erhoben werden^. Der den all­ gemeinen Gerichtsstand der Gesellschaft bestimmende Sitz (genauer der Ort des wirklichen Sitzes) muß nach Maßgabe der §§ 106, 107 HGB. zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden. Von der Eintragung hängt aber weder die Entstehung einer parteifähigen offenen Handelsgesellschaft noch die Begründung des Sitzes ab. Ergänzend verfügt der § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO.,36 36 Ansprüche eines Gesellschafters „gegen die Gesellschaft" (z. B. auf Ersatz nach § 110 HGB.) gehören zur Zuständigkeit des § 17, nicht des § 22 ZPO. Dagegen fallen Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen geschäftsführende Mitglieder in den Bereich des § 22 ZPO., weil die Mitglieder als solche zur Geschäfts­ führung verpflichtet sind (§ 114 HGB.). Klagen der Gesellschaft aus Rechts­ geschäften, die sie mit einem Mitglied wie mit einem Dritten abgeschlossen hat, also z. B. aus Kauf, Miete, Darlehen, sind nicht Klagen gegen das Mitglied „als solches". Über die Zulässigkeit von Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten zwischen Gesellschaft und Gesellschafter siehe III 4.

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Ernst Ja eg er: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

es solle der Ort, an dem „die Verwaltung geführt wird" d. h. die Betriebsoberleitung erfolgt, als gerichtsstandbegründender Sitz gelten, „wenn nicht ein anderes erhellt". Während aber der Sitz einer Aktiengesellschaft beliebig durch die Satzung bestimmt werden kann (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 HGB.), fehlt es der offenen Handels­ gesellschaft an solcher Freiheit: ihr Sitz ist notwendig der Betriebs­ mittelpunkt. Deshalb besteht — anders als bei der Aktiengesell­ schaft — keine Möglichkeit, dem Orte der Verwaltung durch Gesellschastsvertrag

die

Maßgeblichkeit

für

den

allgemeinen

Gerichtsstand zu entziehen36. Für Verbindlichkeiten der Gesell­ schaft aus Schuldverträgen besteht der Gerichtsstand des Ortes der Vertragserfüllung (ß 29 ZPO.). Die Haftung der Mitglieder (§ 128 HGB.) stellt nun aber, wie noch aus­ zuführen sein wird, nicht eine Haftung für fremde Schuld dar; sie haften für dieselbe einheitliche Verbindlichkeit mit gesonderten Massen, als Gemeinschaft mit dem Gesellschaftsvermögen und als einzelne mit dem Eigenvermögen. Auch für die Haftung des Eigenvermögens bildet der Schuldvertrag der Gesellschaft den Entstehungsgrund. Die Gesellschaft (nicht der Gesellschafter) ist Vertragsgenosse, der Gesellschafter hastet nach § 128 HGB. „für die Verbindlichkeit der Gesellschaft"3I. Deshalb wird der Er­ füllungsort der Gesellschaft auch für den Gesellschafter maßgebend, der Gerichtsstand dieses Ortes für Klagen aus Vertragsschulden

:'6 Siehe Staub HGB. § 106 Anm. 4, dem das Kammergericht (Be­ schluß vom 28. November 1910 OLG. 33b. 22 S. 2) uud Düringer-Hachen­ burg § 106 Anm. 3 folgen,' abw. Stein § 17 Note 7 (die hier angeführten Entscheidungen beziehen sich auf Aktiengesellschaften). Die Möglichkeit, nach § 17 Abs. 3 ZPO. neben der gesetzlichen Zuständigkeit noch einen zweiten allgemeinen oder beschränkten Gerichtsstand zu schaffen, besteht auch für offene Handelsgesellschaften. Der Gerichtsstand des § 17 (mit § 22) ZPO. dauert im Abwicklungsstadium fort (§ 156 HGB). Im Sinne des § 899 ZPO. ent­ spricht der Sitz einer offenen Handelsgesellschaft dem Wohnsitz des Einzel­ schuldners und bestimmt sonach die örtliche Zuständigkeit für den namens der Gesellschaft zu leistenden Offenbarungseid. 37 Siehe RG. V. Zivilsenat vom 30. Juni 1913 Warneyer Ergänzungsband 1913 Nr. 436.

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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der Gesellschaft auch gegenüber dem Gesellschafter begründet fein38. 39 Insofern wirkt die zwischen Gläubiger und Gesellschaft geschlossene Vereinbarung eines Erfüllungsortes auch gegenüber ihren Mit­ gliedern. Von der unmittelbaren Vereinbarung einer Zuständig­ keit (§ 38 ZPO.» und von der Vereinbarung einer schiedsgericht­ lichen Streiterledigung (§ 1025 ZPO.) läßt sich int Zweifel ein Gleiches nicht behaupten. Da die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder, nicht die Summe der einzelnen Gesellschafter Partei ist, sind ferner per­ sönliche Beziehungen zwischen einem Gesellschafter und einer Gerichtsperson nicht als Beziehungen „der Partei" für die Aus­ schließung der Gerichtsperson maßgebend (vgl. §§ 41, 49 ZPO., § 156 GVG.). Bekleidet z. B. ein Gesellschafter das Amt eines Handelsrichters (§ 113 GVG.), so ist er in Prozessen der Gesell­ schaft von der Ausübung des Richteramtes nicht deshalb aus­ geschlossen, weil er selbst Partei wäre, sondern weil er zur Partei int Verhältnis eines Mitberechtigten oder Mitverpflichteten steht (§ 41 Nr. 1 ZPO.). Auch sind die Angehörigen eines Gesell­ schafters oder auch aller Gesellschafter int Gesellschaftsprozesse nicht nach § 383 Nr. 1—3 ZPO. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.

Doch kann sich ein solches Recht int

Einzelfall aus § 384 Nr. 1 (vgl. § 385) ZPO. ergeben, dessen Voraussetzungen schon erfüllt sind, wenn durch die Auskunft des Zeugen die Haftbarkeit eines Angehörigen aufgedeckt wird33. 38 Zu diesem Ergebnisse drängen die Bedürfnisse des Verkehrs, da sonst auch bei Vertragsschulden der Gesellschaft nicht selten ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand für die gleichzeitige Ausklagung der Gesellschaft und des Gesell­ schafters erst auf dem Umwege des $ 36 Nr. 3 ZPO. zu schaffen wäre. Recht­ sprechung und Nechtslehre gelangen denn auch einmütig zu diesem Schlüsse, freilich mit abweichenden Gründen. Siehe RG. VI. Zivilsenat vom 13. Nov. 1893 Bd. 32 S. 44 ff., II. Zivilsenat vom 26. November 1897 IW. 1898 S. 4 Nr. 5, Dil ringer-Hachenburg § 128 Anm. 5 mit weiterer Recht­ sprechung, Staub § 128 Anm. 14, § 129 Anm. 4, Stein § 29 unter IV 4. 39 Daß die Haftbarkeit durch die Auskunft begründet werde, ist gar­ nicht möglich. Schief daher RG. VI. Zivilsenat vom 13. November 1898 Bd. 32 S. 382. Siehe dagegen Förster-Kann § 384 Anm. 2 Nr. 1, Stein § 384 unter I Nr. 1. — Im Strafverfahren gegen einen Dritten wegen

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

Kann einer offenen Handelsgesellschaft das Armenrecht bewilligt werden? Die Verfasser der Vorschriften über das Armenrecht (§§ 114, 118, 122 ZPO.) hatten offenbar nur natür­ liche Personen im Auge. Darum haben sie den ausschlaggebenden Begriff der Mittellosigkeit zu eng gefaßt. Sachliche Gründe ver­ bieten es aber, beim Wortlaut des Gesetzes stehen zu bleiben. Denn sonst wäre einer juristischen Person, die außer den streitigen Rechten keine Vermögenswerte hat, der Rechtsschutz versagt. Gleichwohl spricht die herrschende Ansicht juristischen Personen das Armenrecht ab40. 41 Selbst wenn man dies zugeben müßte, wäre für die offene Handelsgesellschaft das Gegenteil anzunehmen. Hier ist die Gemeinschaft der Mitglieder Trägerin der Parteirolle. Hier hasten auch für die Prozeßkosten des Gesellschaftsprozesses die Mitglieder sowohl mit dem Gesellschaftsvermögen als mit dem Eigenvermögen.

Bei solcher Rechtslage würde es völlig

unverständlich sein, wenn in Gesellschaftsprozessen eine Armen­ rechtsbewilligung ausgeschlossen wäre. Die erforderliche Mittel­ losigkeit im Sinne des § 114 ZPO. liegt vor, wenn die Gesamt­ haftungsmasse (das Gemeinschafts- und die Eigenvermögen) die Kosten des Prozesses ohne Beeinträchtigung des für die Gesell­ schafter und ihre Familien erforderlichen Unterhalts nicht zu be­ streiten vermag4'. Schädigung des Gesellschaftsvermögens ist der Gesellschafter als Mitberechtigter mitverletzt und darum vom Amt eines Schöffen oder Geschworenen ausgeschlossen (§§ 22 Nr. 1, 32 StPO.; NG. II. Strafsenat vom 3. März 1905 Strass. Bd. 37 S. 415). Dem § 383 Nr. 1-3 ZPO. entspricht der § 51 StPO.; der § 384 ZPO. hat im § 54 StPO, nur eine beschränkte Parallele. 40 Stein § 114 unter I 1 (bet aber selbst die Beschränkung als „wenig zweckentsprechend" bezeichnet); dagegen namentlich Schott, das Armenrecht, 1900, S. 52f., 87, Förster-Kann § 114 Anm. 1, Seuffert § 114 Anm. 1, Hellwig, System, § 95 unter I 1. 41 So auch (abgesehen von den in Note 40 genannten Schriftstellern) die führenden Kommentare des Handelsrechts (Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 9, Ritter § 124 Anm. 3, Lehmann-Ring § 124 Nr. 5 Anm. 1) außer Staub (§ 105 Anm. 9 im Widerspruch mit § 124 Anm. 6). Das Reichsgericht schwankt. Im Beschlusse vom 18. Mai 1898 SeuffA. Bd. 54 Nr. 53 hat der 1. Zivilsenat einer Kommanditgesellschaft, da sie keine juristische

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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Ausländer, die als Kläger vor deutschen Gerichten auf­ treten, haben regelmäßig dem Beklagten auf dessen Verlangen Sicherheit wegen Erstattung der Prozeßkosten zu leisten (§§ 110ff., 274 Nr. 5 ZPO.) und einen dreifachen Gebühren­ vorschuß zu zahlen (§ 85 GKG.). Das rechtfertigt sich aus der Besorgnis, daß die Kostenbeitreibung im Ausland — auf die man doch bei ausländischen Gegnern gefaßt sein muß — Schwierigkeiten bereiten kann. Wo sie gewährleistet ist, ent­ fallen auch diese Erschwerungen der Rechtsverfolgung. So nach Maßgabe des Haager Abkommens über den Zivilprozeß vom 17. Juli 1005 «Art. 17ff.). Es fragt sich nun, wann eine im Inland klagende offene Handelsgesellschaft Ausländer im Sinne der Kostenvorschriften ist. Das Reichsgericht hat hinsichtlich einer englischen Gesellschaft (partnership), die ihren Sitz in London hatte, und deren beide Teilhaber in London wohnten, die Sicher­ heitspflicht verneint, weil beide deutscher Staatsangehörigkeit waren". Diese Ansicht widerstreitet dem Schutzzweck des Gesetzes.42 * * * * Person sei, das Armenrecht zuerkannt; dagegen hat es der V. Zivilsenat im Beschluß vom 5. April 1902 IW. 1902 S. 250 Nr. 4 einer offenen Handels­ gesellschaft versagt, weil die Gesellschaft ein von den Gesellschaftern „verschiedenes Rechtssubjekt sei" — unvereinbare Auffassungen. 42 So das Urteil des VI. Zivilsenats vom 25. November 1895 Bd. 36 S. 393 ff. Vergeblich bemüht es sich (S. 396), die in der ratio legis enthaltenen Gegengründe zu entkräften: Es erscheine „nicht recht zutreffend", wenn die Motive eine Kautionspflicht inländischer Klüger deshalb für ungerechtfertigt erklärten, weil ihnen gegenüber die Rechtshilfe (die inländische VollstreckungPlatz greife. Vielmehr sei ja der Inländer auch dann befreit, wenn er Wohn­ sitz und Vermögen nur im Ausland habe, andrerseits aber der Ausländer selbst in dem Falle zur Sicherheitsleistung verpflichtet, wenn sich ausreichende Deckungsmittel im Jnlande befinden. Regel bleibt doch, daß der Inländer sein Vermögen im Jnlande, der Ausländer es im Auslande hat. Damit muß das Gesetz rechnen. Gegen die Ansicht des Reichsgerichts siehe DüringerHachenburg § 124 Anm. 19, Stein § 110 zu Note 6, Förster Kann § 110 Anm. la, Hellwig System § 96 zu Note 5; dafür jedoch Staub § 105 Anm. 45. Letzterer erklärt „im Verfolg der vom Reichsgericht aufgestellten Grundsätze", es sei eine offene Handelsgesellschaft inländischen Sitzes gleichwohl sicherheitspflichtig, wenn Ausländer Gesellschafter seien. Wir ent­ scheiden entgegengesetzt, einerlei, ob einzelne oder alle Mitglieder Ausländer sind. Treffend betont übrigens ein Urteil des I. Zivilsenats vom 11. Februar 1896 Bd. 36 S. 177: obgleich die offene Handelsgesellschaft keine juristische Person

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft int Zivilprozesse.

Sie ist aber auch tatsächlich undurchführbar, weil sich sofort die Frage erhebt, wie zu entscheiden sei, wenn der eine TeilhaberInländer, der andere Ausländer ist.

Auch bleibt zu beachten,

daß die Mitglieder selbst und ihre Staatsangehörigkeit im Laufe des Prozesses wechseln können, Partei aber ist die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder. Die Antwort kann daher nur ein­ heitlich gegeben werden, und zwar nur nach dem Sitze der Gesellschaft, weil dort ihr Betriebsmittelpunkt, annehmbar auch der Hauptbestand des Gesellschaftsvermögens liegt. Desgleichen muß die Vorfrage, ob ein Verband, der seinem Wesen nach unserer offenen Handelsgesellschaft entspricht, als solcher Parteifähigkeit hat oder ob etwa nur die einzelnen Mitglieder klagen und verklagt werden können, nach dem Recht des Sitzes zu be­ antworten sein: eine nach dem Recht ihres Sitzes rechts- und parteifähige Handelsgesellschaft hat grundsätzlich auch im Jnlande Rechts- und Parteifähigkeit*48. 2. Da die Gemeinschaft der Mitglieder als solche der Ge­ schäfts- und Prozeßfähigkeit ermangelt, haben die zum Handeln unter der Firma ermächtigten Gesellschafter und Liquidatoren (§§ 125f., 149f. HGB.) die Stellung gesetzlicher Vertreter, mögen sie nun einzeln oder nur gemeinschaftlich zur Vertretung berufen fein4*. Die Macht der gesetzlichen Vertretung bildet eine sei, könne ihr als solcher privatrechilich wie staats- und völkerrechtlich eine von der Staatsangehörigkeit einzelner Mitglieder verschiedene Nationalität zu­ kommen. 48 So neuestens auch RG. II. Zivilsenat vom 16. Dezember 1913 Bd. 83 S. 367 ff., dessen Begründung nicht nur juristische Personen trifft; vgl. zu diesem Urteil Beer LZ. 1914 S. 551 f. Ebenso ferner Düringer-Hachen­ burg a. a. O., Stein § 50 zu Note 81; abweichend FörsternKann § 50 Anm. 7. Der für die Prozeszfahigkeit des Ausländers geltende Grundsatz des § 55 ZPO. läßt sich auf die untrennbar mit der Rechtsfähigkeit verknüpfte Parteifühigkeit nicht übertragen. Siehe oben Note 27. Im übrigen vgl. wegen der Parteifühigkeit der partnerships Lehmann ZHR. Bd. 74 S. 462ff., der schweizerischen Kollektivgesellschast OLG. Cassel vom 30. Juli 1909 LZ. 1909 S. 954 f. 44 So mit dem Reichsgericht [o&en Note 28J die heute vorherrschende Lehre: Behrend § 74 Note 4, Hellwig System §80 unter II 1, Förster-

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfahige Partei.

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von Amts wegen zu berücksichtigende Prozeßvoraussetzung (§ 56 ZPO.). Das besagt nicht, daß das Gericht verpflichtet oder auch nur berechtigt wäre, über das Vorhandensein der gesetz­ lichen Vertretungsmacht Beweise von Amts wegen zu erheben. Der Beweis obliegt vielmehr dem, dessen Antrag nur zulässig ist, wenn die behauptete Vertretungsmacht besteht45.

Das Gebot

der Amtsprüfung kann ferner, wenn anders es durchführbar sein soll, nicht bedeuten, daß das Gericht in jedem einzelnen Falle den Nachweis der nicht schon gerichtskundigen Vertretungsmacht zu fordern hätte. Nur wenn ihm selbst Bedenken aufsteigen, oder wenn der Gegner die Vertretungsmacht bestreitet (§ 274 Nr. 7 ZPO.), findet die Prüfung statt, dann allerdings unter Aus­ schluß aller Parteiverfügung 46. Die Prüfung obliegt nach § 56 Kann § 51 Anm, 4 aal, Stein § 51 zu Note 12, Staub § 124 Anm. 9, M akower § 125 unter Ic, Tormann in Gruchots Beiträgen Bd. 57 S. 504ff.; abweichend Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 7, die von bloß formeller Parteisähigkeit ausgehen, aber diesen Gedanken nicht durchführen können, sondern wichtige Sähe der gesetzlichen Vertretung anwenden (z. B. die §§ 56, 57, 171, 241 ZPO.); folgerecht Wach S. 531, während I. W. Planck S. 211 Note 12 lehrt, die Gesamtheit der dermaligen Mitglieder sei gesetzliche Vertreterin der offenen Handelsgesellschaft, der prozeßführende Teilhaber nur der Bevollmächtigte dieser Gesamtheit. Von unserem Standpunkt aus liegt der Hauptfall gesetzlicher Vertretung vor, der einzige, an den die Verfasser der Zivilprozeßordnung gedacht haben: eine aus dem Grunde des Mangels der Prozeßfühigkeit notwendige Vertretung (§ 51 ZPO.). Allein auch wer dem Verbände Geschäfts- und Prozeßfähigkeit beilegt [otien Note 27], muß den „Organen" die „Stellung gesetzlicher Vertreter" zugestehen (vgl. § 26 Abs. 2 BGB.). Denn gesetzliche Vertretung ist jede Vertretung, die nicht durch den Willen des Vertretenen selbst bestimmt wird. Daß der Ver­ tretene unmittelbar kraft Gesetzes (wie der elterliche Gewalthaber) oder kraft obrigkeitlicher Verfügung (wie der Vormund) zur Vertretung berufen wird, ist nicht begriffswesentlich. Die Stellung eines gesetzlichen Vertreters hat nach § 26 BGB. auch der Nereinsvorstand, obgleich seine Bestellung durch Beschluß der Mitgliederversammlung erfolgt (§ 27 BGB.). Die einzelnen Mitglieder sind eben nicht die Vertretenen; vertreten wird der Verein. Entsprechend liegt unser Fall: der Vertreter handelt nicht im Namen der Gesellschafter, deren Wille für seine Berufung maßgebend geworden ist (§§ 125, 146 HGB.), sondern im Namen der Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder. 46 Stein § 56 unter II 3 mit Verweisen. 4§ Stein § 56 unter II 1, 2 und Staub § 124 Anm. 9 mit Ver­ weisen; abweichend Hellwig, System, § 81 unter III.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

ZPO. „dem Gericht", nicht dem Vorsitzenden. Schon deshalb hat der Vorsitzende weder das Recht noch die Pflicht, bei Einreichung der.Klage für eine offene Handelsgesellschaft das Gesuch um Terminsbestimmung abzuweisen, wenn der gesetzliche Vertreter oder der von ihm bevollmächtigte Anwalt nicht zugleich den Nach­ weis der gesetzlichen Vertretungsmacht führt47. Die Angabe des gesetzlichen Vertreters bildet nur ein unwesentliches, nicht ein wesentliches Erfordernis der Klageschrift (§ 253 Abs. 4 mit § 130 Nr. 1 ZPO.); und wenn es selbst wesentlich wäre, hätte wiederum das Gericht, nicht der Vorsitzende, über die Folgen des ungeheilten Mangels zu entscheiden 48. 49Jedenfalls aber kann auf die Klage für oder gegen eine offene Handelsgesellschaft über die Prozeß­ voraussetzung der gesetzlichen Vertretung nur nach mündlicher Verhandlung erkannt werden. Steht der Mangel der gesetzlichen Vertretung dessen, der unter der Firma Klage erhoben hat, end­ gültig fest, dann muß das Urteil die Unzulässigkeit dieser Klag­ erhebung aussprechen und den Nichtvertreter persönlich in die Kosten verurteilen. Gegen die Auferlegung der Kosten steht ihm sofortige Beschwerde nach Maßgabe des § 99 Abs. 3 ZPO. und mit den Beschränkungen der §§ 567 Abs. 2, 568 Abs. 3 ZPO. zu. War umgekehrt eine gegen die offene Handelsgesellschaft gerichtete Klage einem Nichtvertreter zugestellt, so hat das Urteil, wenn der Mangel endgültig feststeht, auszusprechen, daß die Klagerhebung unzulässig sei, und daß der Kläger die dem Nicht­ vertreter erwachsenen Kosten an diesen zu erstatten habe48. In 47 Das Gegenteil lehrt Hellwig a. a. O. zit Note 3; siehe wider ihn auch Förster-Kann § 56 Anm. 2. 48 Noch weniger hat die Klage aus die Namen der Gesellschafter zu lauten siehe oben zu Note 14]. Dementsprechend kann auch das Gericht die Benennung der Inhaber nicht verlangen (abweichend Strucksberg LZ. 1911 S. 130ff. mit einer Übersicht über die verschiedenen Meinungen). Im Urteil sind die gesetz­ lichen Vertreter der Gesellschaft, nicht die Gesellschafter als solche anzugeben (§ 313 Nr. 1 ZPO.). 49 In diesem Sinne namentlich Seuffert § 56 Anm. 1 c, Förster Kann § 56 Anm. 4, Hellwig, System. § 81 unter III 2 mit Verweisen und abweichenden Ansichten. Der Eingang des Urteils hat sonach die Firma,

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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Fällen einer Gesamtvertretung (§§ 125 Abs. 2, 150 HGB.) ge­ nügt die Zustellung an einen der mehreren Vertreter (§ 171 Abs. 3 ZPO., vgl. §§ 125 Abs. 2 Satz 3, 150 Abs. 2 Satz 2 HGB.), während Prozeßhandlungen, die für die Gesellschaft vorzunehmen sind, von den Gesamtvertretern gemeinschaftlich oder von dem gemeinschaftlich bestellten Prozeßbevollmächtigten aus­ gehen müssen50. Wenn die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft zu einer Zeit, da die Klage unter der Firma bereits in zulässiger Weise erhoben ist5', unersetzt wegfallen, wird der Rechtsstreit der Tenor dagegen den Nichtvertreter persönlich zu nennen. Wenn z. B. der von der Vertretung der Gesellschaft „Gebrüder Weiß" ausgeschlossene Teilhaber Franz Moor Klage unter der Firma erhoben hatte, so wird „in Sachen der offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Weiß gegen N. N." erkannt: die von Franz Moor für die offene Handelsgesellschaft Gebrüder Weiß erhobene Klage ist un­ zulässig; die Kosten des Verfahrens trägt Franz Moor. Das Urteil ist ein Prozeßurteil, eine absolutio ab instantia. Es stellt mit der Unzulässigkeit der Klage, wie sie erhoben ist (angebrachtermaßen), die Unzulässigkeit einer Ent­ scheidung in der Sache selber fest. „Unwirksam" ist die Klagerhebung nicht, da auch beim Mangel einer Prozeßvoraussetzung ein Prozeßrechtsverhültnis entsteht. Ergeht aber ungeachtet des Mangels ein Sachurteil, dann leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel. Unter diesem Gesichtspunkt unterliegt das Urteil der Berufung, der Revision und der Nichtigkeitsklage. Doch heilt der Verstoß, obwohl eine Prozeßvoraussetzung gefehlt hat, rückwirkend durch eine vom wahren gesetzlichen Vertreter ausgehende Genehmigung. §} 539, 551 Nr. 5, 579 Nr. 4, 586 Abs. 3 ZPO. Vgl. (Steht § 56 unter I. R0 Darum wäre eine Einspruchs- oder Nechtsmitteleinlegung unzulässig, die nur von einem der Gesamtvertreter ausgeht oder durch den nur von einem der Gesamtvertreter bevollmächtigten Rechtsanwalt erfolgt. Das Reichsgericht (III. Zivilsenat vom 17. Mürz 1913) Bd. 82 S. 69 wendet auch den § 171 Abs. 2 ZPO. auf die offene Handelsgesellschaft an und bemerkt: die Zustellung erfolge an ihre Vertreter oder „Vorsteher". Eine besondere Bedeutung hätte diese Auslegung nur für einen von der Vertretung ausgeschlossenen „Vor­ steher". Nun ist zwar die offene Handelsgesellschaft im Sinne dieser Zu­ stellungsregel gewiß den Vereinen, die als solche klagen oder verklagt werden können, gleichzustellen. Ob es aber solche „Vorsteher" bei ihr gibt? Eine Ersatzzustellung freilich kann auch an nichtvertretende Mitglieder erfolgen. Die entsprechende Anwendung des § 184 ZPO. auf offene Handelsgesellschaften unterliegt keinem Bedenken (so mit Stein § 184 unter I das Kammergericht, Urteil vom 22. Februar 1907 OLG. Bd. 17 S. 137 f.). 51 Über den Einfluß der Auflösung siehe unten S. 46ff. Der Wegfall nur eines von mehreren zur Einzelvertretung ermächtigten Mitgliedern oder Liquidatoren erfüllt die Voraussetzungen des § 241 ZPO. noch nicht. Sie liegen nach dem Zwecke des Gesetzes nur dann vor, wenn bei fort-

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe.

unterbrochen, es sei denn, daß die Gesellschaft durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist (§§ 241, 246 ZPO.). Bei Verzugsgefahr kann, wer den erforderlichen Nachweis der Vertretungsmacht nicht zu führen vermag, durch Gerichtsbeschluß einstweilen zum Verhandeln zugelassen werden (§ 56 Abs. 2 ZPO.). Andererseits kann der Vorsitzende des Prozeßgerichts für die zu verklagende Gesellschaft bei Verzugsgefahr auf Gesuch des Gegners einen Notvertreter bestellen, der zwar nur bis zum Eintritte des gesetzlichen Vertreters, bis dahin aber mit endgültiger Wirksamkeit zum Handeln namens der Gesellschaft ermächtigt ist (§ 57 ZPO.). Ein Gesellschafter braucht dieser Notvertreter nicht zu sein. Seine Bestellung mag z. B. dann veranlaßt sein, wenn ein Gläubiger der Gesellschaft behufs Unterbrechung einer zu ihren Gunsten laufenden Verjährung Klage erheben muß, aber der einzige Gesell­ schaftsvertreter unter Fortbestand der Gesellschaft (§ 138 HGB.) gestorben und als solcher noch nicht ersetzt ist. Haben die zum Handeln unter der Firma ermächtigten Mit­ glieder oder Liquidatoren die Stellung gesetzlicher Vertreter einer dauerndem Vertretungsbedürfnis die Vertretungsmacht ersatz­ los erlischt. Für den Fall der Gesamtvertretung nehmen Förster-Kanu § 241 Anm. la schon beim Wegfall eines Mitvertreters Unterbrechung an. Es wird sich aber fragen, ob nicht die Vertretungsmacht des Wegfallenden dem oder den Überbleibenden zuwächst. Das kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend vereinbart sein. Erheblich wird es etwa, wenn von drei Mitgliedern einer offenen Handelsgesellschaft zwei Gesamtvertreter waren und einer dieser beiden unter Fortdauer der Gesellschaft wegfällt. Löst nur ein Vertreter den anderen oder eine Vertretungsart (Einzel-, Gesamtvertretung) die andere ab, so tritt nach jener ratio legis keine Unterbrechung ein sNote 72]. Es besteht auch nicht die Gefahr, daß die Gesellschafter, so oft es ihnen beliebt, den oder die Vertreter unersetzt durch Vertrag von der Ver­ tretung ausschließen könnten nur zu dem Zweck, eine ihnen erwünschte Unterbrechung des Verfahrens herbeizuführen. Denn selbst wenn es zulässig wäre, alle Gesellschafter von der Vertretung auszuschließen (dagegen B acmeister ZHR. Bd. 55 S. 417f., Köhler ArchBürgR. Bd. 40 E. 252f., DüringerHachenburg § 125 Anm. 4 mit Verweisen), würde sicherlich eine Übereinkunft des bezeichneten Zweckes nichtig sein (§ 138 BGB.). Haben die zum Handeln unter der Firma ermächtigten Gesellschafter oder Liquidatoren die Stellung gesetzlicher Vertreter, dann muß auch im Sinne des § 241 ZPO. die Gesellschaft als prozeßunsähige Partei gelten [ofcert Note 27].

II. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

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prozeßunfähigen Partei, so ist der Parteieid im Prozesse der offenen Handelsgesellschaft an diejenigen Mitglieder oder Liqui­ datoren zu- oder zurückzuschieben, die im Zeitpunkte der Zu- oder Zurückschiebung zur Vertretung ermächtigt sind, einerlei, ob sie — was bei Einzelvertretung nicht der Fall zu sein braucht — sämtlich an der Prozeßführung teilnehmen. Dies folgt unmittel­ bar aus der Vorschrift des § 473 Abs. 1 ZPO. Sie ergibt zu­ gleich im Zusammenhalt mit § 445 ZPO., daß die Eideszuschiebung zulässig ist: 1. über alle Tatsachen, über die der einzelne Ver­ treter den Parteieid zu leisten hätte, wenn er selber die Partei wäre, also über seine eignen Handlungen oder Wahrnehmungen, über Handlungen oder Wahrnehmungen eines Vorgängers in der Vertretungsmacht und über Handlungen oder Wahrnehmungen eines Vertreters des Schwurpflichtigen; 2. über Tatsachen, die in Handlungen oder Wahrnehmungen eines Rechtsvorgängers der offenen Handelsgesellschaft (der Partei) oder eines Vertreters von ihr (z. B. eines Prokuristen der Gesellschaft) bestehen. Insofern bürdet der § 473 ZPO. den gesetzlichen Vertretern der Firma eine weitgehende Erkundungspflicht auf, wenn sie auch über facta aliena nur der Überzeugung nach zu schwören brauchen (§ 459 ZPO.). Eigene Handlungen oder Wahrnehmungen der Partei selbst bleiben als Schwurtatsachen hier außer Betracht, weil die Gemeinschaft als solche einer Handlung oder Wahrnehmung un­ fähig, das einzelne Mitglied aber nicht Partei ist62. Sind mehrere Vertreter schwurpflichtig, so greifen die Vorschriften des § 474 ZPO. Platz. Stellt also die Schwurtatsache nur für einen oder einzelne der Vertreter ein factum proprium dar, dann entfällt die Schwurpflicht der übrigen r‘3, einerlei, ob die* 63 M RG. II. Zivilsenat vom 12. Mürz 1901 IW. 1901 S. 305 f. Nr. 7. 63 RG. III. Zivilsenat vom 3. Mai 1912 IW. 1912 S. 755 f. Nr. 24 mit Verweisen. Vom Standpunkt einer bloß formellen Parteifähigkeit der offenen Handelsgesellschaft aus sind dagegen die §§ 473 Abs. 1, 474 ZPO. unanwendbar, die Gesellschafter vielmehr alle als Streitgenossen schwurpflichtig (§ 472 ZPO.). In diesem Sinne Wach ZZP. Bd. 9 S. 433 ff., Bon di ZZP. Bd. 32 S. 228 f., Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 10 mit Verweisen;

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

Eigentatsache in der Wahrheitsform des § 459 Abs. 1 oder in der überzeugungsform des § 459 Abs. 2 ZPO. zu beschwören ist (§ 474 Satz 2 ZPO.). Bei widersprechendem Verhalten mehrerer einheitlich zur Eidesleistung verpflichteter Vertreter tritt an Stelle der Eidesbeweisregeln der Grundsatz freier Beweiswürdigung (§ 474 Satz 1 mit § 472 ZPO.). Da die gesetzlichen Vertreter als solche schwurpflichtig sind, müssen sie aus Anlaß der Zu­ schiebung oder Zurückschiebung des Eides namhaft gemacht werden. Erst so wird es dem Gericht ermöglicht zu ermessen, ob der Eid als Wahrheits- oder überzeugungseid, ob er allen Vertretern oder nach § 474 Satz 2 ZPO. nur einem oder einzelnen von ihnen aufzuerlegen sei. In dem auf den Eid erkennenden Urteil oder Beweisbeschluß sind die schwurpflichtigen Vertreter mit Namen zu bezeichnen-". Die Bezeichnung kann beim Urteil im Rechts­ mittelzuge, beim Beweisbeschluß von Amts wegen berichtigt* S. auch I. W. Planck gelangt von dem oben Note 44 bezeichneten Standpunkt aus zu einer Parteieidespflicht sämtlicher Gesellschafter. Dagegen anher dem Reichsgericht die Begründung des Entwurfs der ZPO. (1874) S. 286 zu § 417, die Denkschrift zum Entwurf eines HGB. (1896) S. 93 und die heute herrschende Lehre des Handelsrechts (z. B. Staub § 124 Anm. 12, Makower § 124 Sinnt. 5, Ritter § 124 Anm. 6) und Zivilprozeßrechts (z. B. Förster-Kanu Bd. 1 S. 958, 1114, 1115, Stein § 473 unter II, Seuffert 8 473 Anm. 1, Hellwig, System, Bd. 1 S. 189 mit S. 723s.). Einen Überblick über die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts gibt v. Hahn. Kommentar zum HGB., 4. Auflage, Art. 117 S 3 Note 2. Die besonders in der älteren Recht­ sprechung und Rechtslehre übliche Begründung, der von der Vertretung aus­ geschlossene Gesellschafter sei parteieidesunfähig, weil Eidesleistung und Eides­ verweigerung Verfügungen feien, schlägt freilich nicht durch (ZZP. Bd. 9 S. 435, 440 f., 448 ff.), entspringt aber dem richtigen Gefühle, daß es un­ angemessen wäre, wenn der von der Vertretung ausgeschlossene Gesellschafter einen so weitgehenden Einstnß auf das Schicksal des Prozesses hätte. Von unserm Standpunkt aus löst sich die Streitfrage einfach aus § 473 Abs. 1 ZPO. Der Einwarf, daß danach Beweismittel verloren gehen oder entzogen werden könnten (ZZP. a. a. O. S. 450 f.), trifft uns nicht. Denn wer auf­ hört, gesetzlicher Vertreter zu sein, wird damit zeugnisfähig. Eine Vereinbarung der Gesellschafter aber, die nur zum Zwecke der Vereitelung des Parteieides die bisherige Vertretungsmacht aufheben wollte, würde nach § 138 BGB. ein Fehl­ schlug sein (vgl. § 56 ZPO.). ^ Stein § 451 unter II mit Rechtsprechung, Fürst er-Kann § 451 Anm. 2e, Könige LZ. 1908 S. 856 Bem. 2.

il. Die Gemeinschaft als prozeßunfähige Partei.

werden (vgl. § 360 mit § 56 ZPO.).

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Tritt vor der Eides­

leistung ein Wechsel in der gesetzlichen Vertretung ein, so unter­ liegt die Eidestatsache erneuter Würdigung und Beweisantretung nach Maßgabe des § 471 ZPO. Wer aufgehört hat, gesetzlicher Vertreter zu sein, kann als solcher Prozeßhandlungen für die prozeßunfähige Partei nicht mehr vornehmen, also auch den Parteieid für die Gesellschaft nicht mehr leisten. Noch zur Zeit der Eidesleistung muß die gesetzliche Vertretungsmacht bestehen: wie die Zeugnisfühigkeit beurteilt sich die Parteieidesfähigkeit nach dem Zeitpunkte der Beweiserhebung35. Für den richterlichen Eid gelten entsprechende Regeln (§§ 475, 477 ZPO.). Nur fallen bei einer Mehrheit gesetzlicher Vertreter die Schranken des § 474: das Gericht läßt nach freiem Ermessen den oder die Vertreter schwören, von deren Eid es die wirksamste Förderung der Wahrheitsermittelung erhofft (§ 476 ZPO.). Endlich haben auch den Ofsenbarungseid des § 807 ZPO. für die offene Handelsgesellschaft diejenigen Personen zu leisten, die zur Zeit der Eidesleistung ihre gesetzlichen Vertreter sind. Denn wie die Gesellschaft und nicht jeder einzelne Teilhaber im Erkenntnis­ verfahren gegen die Firma die beklagte Partei bildet, so stellt sie als solche auch „den Schuldner" im Zwangsoollstreckungsverfahren dar. Daß die Gesellschaft, die Gemeinschaft der Mitglieder als Trägerin des Gesellschaftsvermögens, gerade im Gegensatze zu den einzelnen Gesellschaftern der Schuldner ist, steht heute nach der Fassung der §§ 124 Abs. 2, 129 Abs. 4 HGB. außer Zweifel. Als solche aber ist sie prozeßunfähig, die Prozeßhandlung des55 55 Siehe für die Zeugnisfähigkeit RG. VII. Zivilsenat vom 9. Januar 1900 Bd. 45 S. 429, für die Parteieidesfühigkeit RG. vom 19. April 1900 IW. 1900 S. 440f. Nr. 11 mit Verweisen, Behrend § 74 Note 8, Jaeger LZ. 1914 S. 1651 f. Daß es aber darum unangemessen wäre, schon bei der Eides­ auferlegung die schwurpflichtigen Vertreter zu benennen (so RG. V. Zivilsenat vom 28. Juni 1902 IW. 1902 S. 419 Nr. 6), ist ein verfehlter Schluß. Weshalb andrerseits die zur Zeit der Verkündung des Eidesurteils bestehende Eidessähigkeit fortdauern sollte, auch wenn die Vertretungsmacht vor der Eides­ leistung erlischt (so RG. II. Zivilsenat vom 18. September 1908 LZ. 1908 S. 856 Nr. 20, Staub 8 17 Anm. 28), ist unerfindlich. Leipziger Festschrift Sohm. 3

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe.

Offenbarungseides also für sie von ihrem gesetzlichen Vertreter vorzunehmen. Sind mehrere gesetzliche Vertreter da, so haben sie sämtlich zu schwören, da die auf den Eidesbeweis zugeschnittene Vorschrift des § 474 ZPO. keine Anwendung auf den Offen­ barungseid duldet^". Auch zu dieser Prozeßhandlung ist nur er­ mächtigt, wer zur Zeit der Eidesleistung — sei es als Mitglied oder als Liquidator — noch gesetzlicher Vertreter ist.

Ihn und

nur ihn trifft auch der Eideszwang (§§ 901 ff. ZPO.). Ob er in einem der Zwangsvollstreckung vorangegangenen Erkenntnis­ verfahren bereits als gesetzlicher Vertreter tätig geworden war, hat auf die Offenbarungspflicht und den Eideszwang keinen Ein­ fluß. Auch im Sinne der Gerichtsstandsvorschrist des § 899 ZPO. ist Schuldner die Gesellschaft als solche, nicht das einzelne schwur­ pflichtige Mitglied. Für die Abnahme des Offenbarungseides ist daher dasjenige Amtsgericht des Reiches zuständig, in dessen Sprengel die offene Handelsgesellschaft ihren Sitz hat^. Der gesetzliche Inhalt der Vertretungsmacht des Gesellschafters oder Liquidators schließt auch rechtsgeschäftliche Verfügungen über das umstrittene Recht der Gesellschaft ein und kann Dritten, also auch der anderen Prozeßpartei, gegenüber nicht wirksam 66 Seufsert § 807 Anm. 6, Stein § 807 unter IV mit Verweisen, Ritter § 124 Anm. 6; abweichend Bondi a. a. O. und offenbar unter dessen Einfluß nun Staub § 124 Anm. 15 im Gegensatze zu den früheren Auslagen und im Widersprüche mit § 124 Anm. 12. Daß die Offenbarungspflicht eines gesetzlichen Vertreters, wie Bondi a. a. O. S. 230 besorgt, durch eine die Vertretungsmacht aufhebende Vereinbarung der Gesellschaft vereitelt werden könnte, trifft nicht zu, weil eine zu solchem Zweck getroffene Übereinkunft nichtig wäre (§ 138 BGB.), also die Vertretungsmacht unberührt ließe. Siehe oben Rote 53. Der Schuldner hat nach § 807 ZPO. „sein Vermögen" anzugeben. Das die Zugriffsmasse bildende Schuldnervermögen ist aber nicht das Vermögen der einzelnen Mitglieder, sondern das Gesellschastsvermögen. Der gesetzliche Vertreter der Firma hat also zu beschwören, daß er „das Vermögen der von ihm vertretenen offenen Handelsgesellschaft" (der Partei) so vollständig als möglich angegeben habe. Wegen der Offenbarungspflicht im Gesellschastskonkurse siehe unten S. 76. 57 Oben Rote 36. Dies geben auch Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 10 zu, obwohl sie alle Mitglieder, nicht nur die vertretenden, für eides­ pflichtig halten.

III. Die einzelnen Mitglieder als Dritte.

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beschränkt werden (§§ 126, 151 HGB.). Schon aus diesem Grunde ist der Gesellschaftsvertreter zu Verzichten oder Ver­ gleichen auch ermächtigt, wenn sie die Form von Prozeßhand­ lungen annehmen (vgl. § 54 ZPO.).

III. Die einzelnen Mitglieüer als Dritte. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts leidet an einer viel­ beklagten Folgewidrigkeit. Auf der einen Seite erkennt sie (wie wir gesehen haben) an, daß die Gesellschaft eine prozeßunfähige, den Rechtsstreit durch gesetzliche Vertreter führende Partei sei, daß nicht die Summe der einzelnen Mitglieder, sondern deren Gesamtheit in ihrer Verbindung die Parteirolle trage. Auf der anderen Seite aber wird auch dem von der Vertretung aus­ geschlossenen Gesellschafter die Zeugnisfähigkeit aberkannt, weil er nicht Dritter, sondern Mitpartei sei, so daß seine Tatsachen­ kenntnis im Wege des Beweises überhaupt nicht verwertbar wäre. Der Zwiespalt wird dadurch noch gesteigert, daß das Reichsgericht— den Verkehrsbedürfnissen nachgebend — dem Gesellschafter die Fähigkeit zur Nebenintervention zuerkennt, weil er im Sinne der Vorschriften über die Nebenintervention als Dritter der Gesellschaft gegenüberstehe. Da die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder als solche die Partei ist, hat im Gesellschastsprozesse das einzelne nichtvertretende Mitglied die Stellung eines Dritten. 1. Ein von Teilhaber kann

der Vertretung ausgeschlossener in Gesellschaftsprozessen Zeuge

sein. Da er als Mitträger des Gesellschaftsvermögens wie mit Rücksicht auf seine persönliche Haftung für Gesellschaftsschulden ein rechtliches Interesse am Siege der klagendm oder verklagten Gesellschaft hat, wird er nach der Regel des Gesetzes als Zeuge unbeeidigt vernommen.

Doch steht es dem Prozeßgericht frei,

wenn es der Aussage Gewicht und Vertrauen beimißt, die Be­ eidigung zu beschließen. § 393 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO. Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann sich namentlich aus § 384 Nr. 1,3 3*

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

(§§ 385, 393 Nr. 3) ZPO. ergeben, wobei zu beachten ist, daß der Gesellschafter weder eigene Kunst- und Gewerbegeheimnisse noch solche der Gesellschaft preiszugeben braucht58. Die Zeugnisfähigkeit nichtvertretender Gesellschafter besteht von unserem Standpunkt aus selbst dann, wenn die am Rechts­ streit als Parteien beteiligten Personen — wie man früher all­ gemein lehrte — zeugnisunfähig sind. Denn der einzelne Gesell­ schafter ist weder Partei noch Mitpartei, sondern ein Dritter im Gefellschaftsprozesse. Allein auch als Mitpartei würde der von der Vertretung ausgeschlossene Gesellschafter zeugnisfähig sein, weil er parteieidesunfähig ist. Parteieidesfähigkeit und Zeugnis­ fähigkeit müssen einander ergänzen, wenn die Verwertung des tatsächlichen Wissens im Beweisverfahren lückenlos gewährleistet sein soll. Das Beweissystem duldet keinen toten Winkel"8.* 15 68 Vgl. RG. VI. Zivilsenat vom 15. Mai 1893 SeuffA. Bd. 49 Nr. 213. Siehe auch oben Note 39. 69 Aus dem angeblichen, aber nirgends ausgesprochenen und sachlich nicht zu rechtfertigenden Grundsätze, daß nur eine von den Parteien verschiedene Person Zeuge sein könne, leitet das Neichsgericht (I. Zivilsenat vom 15. Dez. 1886 Bd. 17 S. 365 ff. u. b.) die Zeugnisunfähigkeit auch der nicht zur Ver­ tretung der Gesellschaft ermächtigten Mitglieder ab. Der Schluß wäre aber — die Richtigkeit des Obersatzes zugegeben — nur dann zutreffend, wenn die einzelnen Gesellschafter als Streitgenossen Partei wären (folgerecht von seinem Standpunkt aus Wach S. 530). Dann müßten auch alle Mitglieder den Parteieid leisten. Das aber lehnt das Reichsgericht ab. So ergibt sich eine Lücke, die besonders fühlbar wird, wenn der zurzeit von der Vertretung aus­ geschlossene (vielleicht kränkliche) Gesellschaster das Geschäft, über dessen Zustande­ kommen und Inhalt im Prozesse gestritten wird, seinerzeit selber abgeschlossen hatte und darum am besten oder gar allein über den aufzuklärenden Tatbestand unterrichtet ist. Dieser Mißstand mußte in der Rechtsanwendung hervortreten. Das Reichsgericht hat ihn denn auch im Urteil des VI. Zivilsenats vom 15. November 1909 LZ. 1910 S. 150f. als „inneren Widerspruch" seiner Judikatur empfunden. Es tröstet sich aber damit, daß die Lücke durch An­ erkennung der Parteieidesfähigkeit aller Mitglieder ausgefüllt werden könnte (so auch Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 10), obwohl dieser Wandel einen Bruch mit seiner sonstigen Auffassung vom Wesen der offenen Handels­ gesellschaft bedeuten und auch nur dem Bedürfnis eines einzelnen Falles ab­ helfen würde. Die allein brauchbare Lösung bildet die bereits von Thiele im ArchZivPrax. Bd. 82 (1894) S. 31 angedeutete, von R. Schmidt, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 2. Auslage S. 499 ff. begründete, stetig an Boden gewinnende Ansicht, daß Parteieidesfühigkeit und Zeugnisfühigkeit

III. Tie einzelnen Mitglieder als Dritte.

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2. Der einzelne Gesellschafter kann der klagen­ den oder verklagten Gesellschaft als Nebeninter­ venient beitreten. Die Voraussetzungen des § 66 ZPO. sind erfüllt: „ein zwischen anderen Personen anhängiger Rechts­ einander ergänzen. In diesem Sinne Ja eg er LZ. 1910 S. 151 ff., FörsterKann Vordem. 1 vor § 373, Stein Vordem. I 1 vor § 373, Seuffert Vordem. 2 vor § 373, Struckmann-Koch Vordem. 1 vor § 373, Biermann ZZP. Bd. 34 S. 519, Engelmann ZZP. Bd. 41 S. 431, M. Wolfs in der Berliner Festgade für Gierte (1910) Bd. 2 S. 118 f. u. a.; vgl. neuestens auch RG. I. Zivilsenat vom 2. April 1913 Bd. 82 S. 133 („deachtenswerte Gründe"). Bezeichnend ist es auch, daß der VII. Zivilsenat im Urteil vom 9. Januar 1900 Bd. 45 S. 427 „die feststehende Rechtsregel, daß der gesetzliche Vertreter einer Partei ebensowenig als Zeuge vernommen werden dürfe wie die Partei selbst" durch den Zusatz rechtfertigt: „Es ist unzulässig, daß dieselbe Person betreffs derselben Tatsache, über welche ihr ein Parteieid zu- oder zurück­ geschoben werden kann, zugleich auch als Zeuge vernommen wird." Die Rechtsregel reicht nicht weiter als diese Begründung. Daß die nichtvertretenden Mitglieder im Prozeß einer offenen Handelsgesellschaft Zeugen sein können, er­ kennt auch Hellwig, System, § 215 S. 708 an, weil die offene Handels­ gesellschaft „die Stellung" einer juristischen Person habe (oben Rote 25]. Er bekämpft aber die Ansicht, daß zeugnissähig sei, wer den Parteieid nicht zu leisten habe, als „Verkennung des Wertes der unbeeidigten Parteiaussage". Ihm ist die Parteianssage ein von Zeugnis und Parteieid verschiedenes Beweismittel. Zur Rechtfertigung dieses Satzes beruft er sich auf den § 286 ZPO. (S. 672). Allein wenn diese Vorschrift den Richter anweist, auch das persönliche Gebaren der Partei in Rechnung zu ziehen, so handelt es sich doch gerade insoweit nicht um „das Ergebnis einer Beweisaufnahme". Ein be­ sonderes „Beweismittel" der Parteiaussage neben Zeugnis und Parteieid gibt es nicht. Siehe LZ. 1910 S. 152 Rote 2. Der Ansicht von Hellwig S. 707 Rote 3, daß nach § 141 ZPO. zur Aufklärung des Sachverhältnisses auch das Erscheinen einer prozeßunfühigen Partei angeordnet werden könnte, ist nicht beizupflichten (vgl. Seuffert § 141 Anm. 2, Förster-Kann § 141 Anm. 2 c). Seine Abhilfe wäre daher unzureichend, da gerade für die Zeugnis­ fähigkeit prozeßunfähiger Personen ein Bedürfnis besteht. So z. B. bei Pro­ zessen über Rechtsgeschäfte, die ein Minderjähriger mit Einwilligung des gesetz­ lichen Vertreters abgeschlossen hat, oder über Geldgeschäfte eines später ent­ mündigten Verschwenders. Wird der Prozeßunfähige nach Maßgabe des § 473 Abs. 2, 3 ZPO. zum Parteieide zugelassen, so erlischt damit seine Zeugnis­ fähigkeit. Die Möglichkeit solcher Zulassung bietet aber auch bei Eidesmündigen keinen ausreichenden Schutz. Denn ihre Verwirklichung hängt vom guten Willen des Gegners ab, der sich hüten wird, zu seinem Nachteile die Zulassung zu beantragen. Eine Zeugnisunfähigkeit oder auch nur ein Zeugnisverweigerungs­ recht wird durch Beteiligung am Prozeßausgang, auch durch unmittelbare, nicht begründet. Das Gesetz legt ihr nur die im § 393 Nr. 4 ZPO. bestimmte Folge bei.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

streit" ist der Prozeß der Gesellschaft mit einem Dritten deshalb, weil unter der Firma die Gesamtheit der jeweiligen Teilhaber, nicht das einzelne dermalige Mitglied Prozeß führt; ein rechtliches Interesse des Gesellschafters am Siege der Gesellschaft aber kann nicht nur in besonderen Rechtsbeziehungen liegen (etwa weil er ihr als Verkäufer der nun im Eigentumsstreit befangenen Sache gewährpflichtig ist), es folgt ganz allgemein aus seiner materiell­ rechtlichen Mitbeteiligung. Anlaß zur Nebenintervention kann der Gesellschafter haben, wenn er von der Vertretung ausgeschlossen ist, überdies namentlich bei Gesamtvertretung (§§ 125 Abs. 2, 150 HGB.) dann, wenn die Gesamtvertreter, zu denen er selber gehört, im Prozesse widersprechende und darum unwirksame (z. B. zur Bestreitung unzureichende) Erklärungen abgeben 60. Als Nebenintervenient hat der Gesellschafter die Stellung eines selbständigen Streithelfers im Sinne des § 69 ZPO., so­ fern das auf den Gesellschaftsprozeß ergehende Urteil Rechtskraft

60 Die Zulässigkeit der sJlebenmtemntion wird tu der Rechtsprechung (z. B. RG. I. Zivilsenat vom 9. Juli 1881 Bd. 5 S. 69 ff., da der Gesellschafter als Träger seines Eigenvermögens nicht mitbelangt, nicht Mitpartei sei) und in der Rechtslehre (z. B. Wals mann, die streitgenössische Rebenintervention, 1905, S. 178 ff., Behrend § 74 Note 14f., Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 8, Staub § 124 Anm. 15, Bunsen ZZP. Bd. 26 S. 240, Seuffert § 66 Anm. 2b mit Verweisen) fast einmütig anerkannt gegen Wach S. 530, 631. Bei Gesamtvertrctung wirkt nur ein einheitliches Handeln sämtlicher Ver­ treter (RG. a. a. O. S. 71). Bei Einzelvertretung ist zu unterscheiden, ob die widerstreitenden Erklärungen neben- oder nacheinander erfolgen: bei gleich­ zeitigem Handeln begründet der Widerspruch Unwirksamkeit beider Erklärungen (die vom einen vertretenden Gesellschafter oder dessen Anwalt zugegebene, vom andern oder dessen Anwalt sofort bestrittene Tatsache ist weder bestritten noch zugestanden), bei aufeinanderfolgendem Handeln wird die wirksam gewordene Ersterklürung durch den späteren Widerspruch entkräftet, soweit ihr das Prozeh­ gesetz nicht endgültige Mahgeblichkeit beilegt (die erst vom einen Gesellschafter bestrittene, später vom andern zugestandene Tatsache steht nun fest; das Rechts­ mittel, das der eine Gesellschafter hat einlegen, der andere nachträglich durch Zu­ stellung eines Schriftsatzes zurücknehmen lassen, ist im Sinne des § 515 Abs. 3 ZPO. verloren). Vgl. Förster-Kann § 84 Anm. 2b und eingehend Kormann in Gruchots Beitrügen Bd. 57 S. 496ff. mit Nachweisen. Bei wider sprechendem Verhalten schwurpflichtiger Vertreter der Gesellschaft gilt, wie bereits bemerkt, der § 474 ZPO.

III. Die einzelnen Mitglieder als Dritte.

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auch in der Person des Gesellschafters wirkt. Dies ist der Fall, wenn im Gesellschaftsprozeß über das Bestehen einer Gesellschastsschuld gestritten wird. Für solche Schuld haftet jeder Gesell­ schafter als Gemeinschaftsgenosse mit dem Gemeinschastsvermögen und zugleich als einzelner mit seinem Eigenvermögen (§ 128 HGB.). Mit der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Gesellschaftsschuld wird daher auch die Haftung des Eigen­ vermögens bejaht oder verneint. Die im Gesellschaftsprozeß er­ gehende Feststellung erwächst, wie noch darzulegen sein wird, auch gegen oder für die Gesellschafter in Rechtskraft. So gelangt man, was die Intervention betrifft, zu dem allein brauchbaren Ergebnisse, daß der im Gesellschaftsprozesse beitretende Gesell­ schafter den mit Rücksicht auf seine Eigenhaftung wünschenswerten Einfluß auf die Prozeßführung gewinnt. Einwendungen, die ausschließlich in der Person des Gesellschafters begründet sind, wie die Einrede einer nur ihm persönlich bewilligten Stundung, kann er auch als selbständiger Intervenient im Gesellschaftsprozesse nicht geltend machen. Sie stehen in diesem Verfahren nicht zur Entscheidung und bleiben ihm trotz einer Verurteilung der Ge­ sellschaft gewahrt (§ 129 Abs. 1 HGB.). Als selbständiger Inter­ venient wird der Gesellschafter parteieidesfähig (§ 449 Satz 2 ZPO.) und eben damit zeugnisunfähig61.

Als einem inter-

61 Die Rechtskraftwirkung und damit die Anwendbarkeit der §§ 69, 449 Satz 2 ZPO. wird in der Rechtsprechung (z. B. RG. II. Zivilsenat vom 12. Oktober 1894 Bd. 34 S. 363 ff., I. Zivilsenat vom 13. April 1901 Bd. 49 S. 343 mit Verweisen in Rote 1) und in der Rechtslehre (z. B. Wals manu a. a. O. mit Verweisen und ZZP. Bd. 39 S. 546) fast einmütig bejaht. Rur vereinzelt ist die Rechtskraftwirkung von der unrichtigen Annahme aus, daß Gesellschaft und Gesellschafter nebeneinander als Gesamtschuldner hafteten, also der § 425 BGB. Platz greife, bestritten worden. So besonders von Hellwig, Rechtskraft, S. 27 f., Lehrbuch § 135 Rote 71 (gegen die Anwendbarkeit des § 69 ZPO.) und Kuttner, die privatrechtlichen Nebenwirkungen der Zivil­ urteile, 1908 S. 98ff. Später hat aber Hellwig (System § 93 Note 7, § 232 unter III 3) seine Ansicht geändert, um — wie er betont — dem Schutzbedürfnisse des Gesellschafters gerecht werden zu können. In GesellschaftsProzeßen, in denen Rechte für die Gesellschaft in Anspruch genommen werden, hat der intervenierende Gesellschafter nur die Stellung eines unselbständigen

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Ernst Jacger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesfe.

ventionsfähigen Dritten kann die Gesellschaft dem Gesellschafter auch den Streit verkünden (§§ 72, 74 ZPO.-, etwa weil ihr als Käuferin gegen den Gesellschafter Gewährleistungsansprüche zu­ stehen. Auch eine Hauptintervention des Gesellschafters (§ 64 ZPO.) ist wie eine andere Klage gegen die Gesellschaft )siehe unter 4] statthaft. 3. Während einer wider die Gesellschaft betriebenen Zwangs­ vollstreckung kann der einzelne Gesellschafter gleichfalls die Rechte eines Dritten ausüben, weil Schuldner im Sinne dieser Voll­ streckung die Mitgliedergemeinschaft, nicht das einzelne Mitglied ist. So steht ihm vor allem die Widerspruchsklage des § 771 ZPO. offen, wenn auf Grund des nur gegen die Gesellschaft als solche erwirkten Titels Gegenstände seines Eigenvermögens mit Beschlag belegt werden (§ 129 Abs. 4 HGB.), wie andererseits die Gesellschaft zum Drittwiderspruch berechtigt ist, wenn auf Grund eines gegen einen einzelnen oder selbst gegen alle Gesellschafter, aber nicht gegen die Gesellschaft lautenden Titels die Zwangsvollstreckung in Gegmstände des Gesellschastsvermögens betrieben wird (§ 124 Abs. 2 HGB.).

Bedeutsam wird das

Widerspruchsrecht des Gesellschafters namentlich dann, wenn der Vollstreckungstitel für eine Gesellschaftsschuld erwirkt ist, für die der Gesellschafter traft einer ihm persönlich zukommenden Befreiung mit seinem Eigenvermögen nicht einzustehen hat. Die Klage kann aber auch trotz der Haftung des Eigenvermögens be­ gründet sein, ohne am Einwände der Arglist zu scheitern. Denn es ist keine Arglist, sondern das gute Recht des Gesellschafters, wenn er einen gegen ihn persönlich lautenden Titel oerlangt02, übrigens liegt im Hinweis auf den Mangel des nach § 129* 62 Streithelfers der Partei (§ 67 ZPO.), weil der dieses Recht zu- oder ab­ erkennende Richterspruch keine Feststellung enthält, die in der Person des ein­ zelnen Gesellschafters anders als kraft einer Rechtsnachfolge (§ 325 ZPO.) Rechtskraft wirken könnte. Siehe unten S. 59 f. Mitunter freilich werden Rechtskraftwirkung und Anwendbarkeit des § 69 ZPO. ganz allgemein bejaht (so z. B. von Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 8, 16). 62 Im Ergebnis ebenso Staub § 124 Anm. 15.

III. Die einzelnen Mitglieder als Dritte.

Abs. 4 (oder nach § 124 Abs.

2)

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HGB. erforderlichen Titels die

Rüge eines Verstoßes gegen die gesetzlich vorgeschriebene Art und Weise der Zwangsvollstreckung, so daß unter diesem Gesichtspunkte die auch Dritten offenstehende Einwendung des § 766 ZPO. mit der Widerspruchsklage konkurriert. Soll auf Grund eines gegen die Gesellschaft als solche lautenden Titels zum Gesellschafts­ vermögen gehörende Fahrnis gepfändet werden, die sich im Ge­ wahrsam eines Gesellschafters befindet, so kann sich dieser als ein Dritter, dessen Herausgabebereitschaft nach § 809 (vgl. § 886) ZPO. erforderlich wäre, dem Zwangszugriff nur dann widersetzen (§§ 766, 771 ZPO-), wenn er den Gewahrsam nicht für die Gesellschaft ausübt. So etwa, wenn er die Sache als Pfand zur Sicherung für ein der Gesellschaft gewährtes Darlehen er­ halten hat. Solchenfalls vermittelt er zwar der Gesellschaft den Besitz (§ 868 BGB.); den Gewahrsam aber hat er allein. 4. Neuestens hat der 11. Zivilsenat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 10. Februar 1914KS den befremdlichen Satz aufgestellt, die Klage einer offenen Handelsgesellschaft gegen einen Gesellschafter sei unzulässig, weilsonst der Gesellschafter sowohl Kläger als Beklagter sein würde.

Das Gegenteil galt bisher für ausgemacht.

Reichs­

oberhandelsgericht und Reichsgericht haben die Zulässigkeit solcher Prozesse als selbstverständlich betrachtet". Niemand hat daran gezweifelt, daß der Gerichtsstand des § 22 ZPO- für Klagen61 * * 64

61 LZ. 1914 S. 582 Nr. 10; dawider mit schlagenden Gründen Flecht­ heim ebenda S. 1260 ff., der S. 1261 auch den Tatbestand der Entscheidung mitteilt (Schadensersatzklage der Gesellschaft gegen einen Gesellschafter wegen Nichterfüllung einer im Gesellschaftsvertrag bedungenen Mitgliedspflicht). 64 Siehe z. B. ROHG. vom 12. Februar 1879 Bd. 25 S. 160 ff. (Einklaguug von Einlagen durch einen Liquidator), NG. I. Zivilsenat vom 29. September 1900 Bd. 47 S. 17 ff. (Zulässigkeit der Klage eines Mitglieds gegen die durch Liquidatoren vertretene Gesellschaft nicht beanstandet, nur wegen Mangels ausreichender gesetzlicher Vertretung abgewiesen). Der II. Zivilsenat selbst hat in einem späteren Urteil vom 81. Mürz 1914 LZ. S. 1080 f. Nr. 5 die Klage der ordnungsmäßig durch die Liquidatoren vertretenen Gesellschaft gegen Mitglieder auf Beitragsleistung stillschweigend als zulässig betrachtet.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

von „Gesellschaften" „gegen ihre Mitglieder als solche" auch für die offene Handelsgesellschaft von Bedeutung sei. Die Enffcheidung ist unrichtig und undurchführbar. Unrichtig ist sie jedenfalls von dem hier vertretenen Standpunkt aus, daß die Gemeinschaft der jeweiligen Teilhaber als solche Rechts- und Parteifähigkeit hat und sich darum als Rechts- und Prozeßsubjekt von der Person des einzelnen Gesellschafters scharf unterscheidet. Das Urteil würde aber selbst dann unrichtig sein, wenn im Gesellschafts­ prozesse die Summe der einzelnen dermaligen Mitglieder Partei wäre. Denn auch dann noch müßten die Gesellschafter als Mit­ träger des Gesellschaftsvermögens und als Subjekte ihrer Eigen­ güter eine verschiedene rechtliche Behandlung erfahren. Der Satz, „niemand kann mit sich selbst prozessieren", ist genau so zutreffend und so unzutreffend wie der andere, „niemand kann mit sich selbst kontrahieren". Sie bilden die Regel, versagen aber dort, wo zwei Vermögensmassen derselben Person auf Grund getrennter Haftung dergestalt voneinander gesondert sind, daß materielle Rechtsbeziehungen zwischen beiden Massen bestehen können. Als­ dann muß auch die Verfolgung dieser Rechtsbeziehungen im Prozesse statthast fein85. Der Erbe bleibt trotz der Gütersonderung (§ 1975 BGB.) Träger auch des ererbten Vermögens. Jetzt kann er sein eigener Gläubiger und Schuldner sein (z. B. nach § 1976 BGB.).

Jetzt kann er auch Kläger und zugleich Be­

klagter werden, wenn er als Träger seines Eigenvermögens gegen den Nachlaßverwalter (der den Erben als solchen, als Subjekt des Nachlasses vertritt) auf Erfüllung einer (etwa nach § 1976 BGB. als nicht erloschen geltenden» Verbindlichkeit klagt.

Ein

getrennter Haftung unterliegendes Sondergut bildet auch das Gesellschaftsvermögen. Zwischen ihm (der Gemeinschaft seiner Träger) und dem Eigenvermögen des einzelnen Mitgliedes sind Rechtsbeziehungen denkbar, sowohl unabhängig vom GesellschaftsVerhältnis (etwa aus Kauf-, Miet- oder Darlehensverträgen65 65 Siehe namentlich v. Tuhr, Allgemeiner Teil, § 19.

III. Die einzelnen Mitglieder als Dritte.

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zwischen Gesellschaft und Gesellschafter) wie auf Grund der Mit­ gliedschaft selber.

Sogar in Fällen der letzteren Art spricht das

Gesetz bezeichnender Weise von Verpflichtungen und Forderungen ,der Gesellschaft" gegenüber dem Gesellschafter (§§ 110, 113 HGB.). Erkennt aber das Gesetz solche Rechte an, dann gewähr­ leistet es damit auch ihre Verfolgbarkeit. Was hülfe dem Gesell­ schafter der Anspruch gegen die Gesellschaft, wenn er nicht in der Lage wäre, den zur Vollstreckung erforderlichen Titel „gegen die Gesellschaft" (§ 124 Abs. 2 HGB.) int Prozesse zu erwirken? Oder der Gesellschaft die Forderung gegen das Mitglied, wenn sie diese nicht einklagen und beitreiben könnte? So erweist die bekämpfte Ansicht sich zugleich als undurchführbar. Sie steht auch zur sonstigen Rechtsprechung des Reichsgerichts in unlösbarem Widerstreit.

Diese erkennt beispielsweise, wie bereits erwähnt,

die Zulässigkeit einer Nebenintervention des Gesellschafters in Gesellschaftsprozessen an, obwohl der Partei doch nur eine von ihr verschiedene Person, nur ein Dritter, als Streithelfer bei­ zutreten vermag. Auch hier gilt als Regel: es kann niemand sein eigener Intervenient sein.

Auch hier macht das Sondergut

eine Ausnahme. Sonach muß die Zulässigkeit von Klagen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, auch die Zu­ lässigkeit einer Hauptinteroentionsklage (§ 64 ZPO.) des Gesell­ schafters im Gesellschaftsprozesse wie der Gesellschaft im Prozesse des Gesellschafters, bejaht werden. Daß in einem solchen Rechts­ streit der Gesellschafter nicht zugleich Mitvertreter der Gesellschaft sein kann, entspricht dem Wesen der Vertretung (§ 181 BGB.). Die Vertretungsmacht, die dem als Kläger oder Beklagter der Gesellschaft gegenübertretenden Gesellschafter zusteht, erstreckt sich also schon von Rechts wegen nicht auf diesen Prozeß. Es bedarf insoweit keiner besonderen Neuregelung durch Vertrag oder Richter­ spruch (§ 127 HGB.). Im einfachsten Falle, da die Gesellschaft nur aus zwei Personen besteht, deren jede Einzelvertretungsmacht hat, entfällt diese ohne weiteres für den, der mit der Gesellschaft Prozeß führt. Nur der andere kann die Gesellschaft als Klägerin

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

oder Beklagte vertreten. Ebenso würde, wenn beide Gesellschafter nur in Gemeinschaft zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigt sind, die Mitvertretungsmacht des Gegners der Gesellschaft ganz von selbst versagen, alle Vertretungsmacht also für den Prozeß dem anderen Teilhaber zustehen. Es bedarf somit auch in Fällen der Gesamtvertretung, wenn die Gesellschaft verklagt werden soll, nicht der Bestellung eines Notvertreters nach § 57 ZPO., wenn sie klagen soll, nicht eines richterlichen Ausschlusses der Mit­ vertretungsmacht auf Grund des § 127 HGB., dessen Zulässigkeit mindestens zweifelhaft wäre66. 67Haben zwei offene Handels­ gesellschaften teilweise oder — was gleichfalls statthast ist — ganz dieselben Mitglieder, so sind Rechtsgeschäfte und Rechts­ streitigkeiten zwischen beiden Gesellschaften möglich, wenn nur verschiedene Personen als Gesellschaftsvertreter handeln". 5. Da Partei des Gesellschaftsprozesses die Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder ist, hat der unter Fortbestand der Ge­ sellschaft sich vollziehende Mitgliederwechsel — das Aus­ scheiden eines alten wie der Eintritt eines neuen Mitgliedes — auf den Gang des Prozesses keinen Einfluß (vgl. §§ 138, 140, 141 HGB.). Unterbrochen wird der Rechtsstreit nicht durch den Wegfall eines Gesellschafters als solchen (Tod, Verlust der Prozeß­ fähigkeit), sondern höchstens durch den Wegfall des gesetzlichen Vertreters soben Note 51].

Schon während der Zugehörigkeit

66 Im wesentlichen übereinstimmend Flechtheim a. a. O. S. 1266s., der auf RG. Bd. 47 S. 17 ff. verweist. Siehe auch RG. Bd. 7 S. 405. Flechtheim weicht insofern ab, als er eine vertragsmäßige Neuordnung der Vertretungsverhältnisse fordert, wenn der Gegner der Gesellschaft alleiniger Vertreter oder der eine von zwei Gesamtvertretern ist. Da eine gütliche Neu­ regelung aber kaum zu erwarten steht, ergeben sich Schwierigkeiten. Sie sollen mit Hilfe des § 57 ZPO. behoben werden. Allein dieses Auskunstsmittel ver­ sagt, wenn die Gesellschaft klagen will. Eine Ausschließung nach § 127 HGB. aber erklärt Flechtheim gegen RG. Bd. 74 S. 300f. mit guten Gründen für unstatthaft, wenn nur zwei Gesellschafter da sind (Düringer-Hachenburg § 127 Anm. 9). Auch gegen eine entsprechende Anwendung des § 29 BGB. bestehen Bedenken. — Gerichtsstand: oben II 1. 67 Vgl. das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 15. Juni 1901 OLG. Bd. 3 S. 81 f. mit Verweisen.

III. Die einzelnen Mitglieder als Dritte.

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zur Gesellschaft ist der einzelne Gesellschafter eine von der Partei verschiedene Person. Das Ausscheiden begründet seine Drittstellung nicht erst, der Eintritt hebt sie nicht auf68. 69 Für den § 265 ZPO. ist insoweit kein Raum.

So auch nicht in Aktiv­

prozessen der Gesellschaft, d. h. in Rechtsstreitigkeiten, in denen die Gesellschaft ein Recht als zum Gesellschaftsvermögen gehörend in Anspruch nimmt.

Freilich vollzieht sich hier eine Rechts­

änderung, indem ein neues Mitglied einrückt in den Kreis der Gemeinschaftsgenossen oder ein bisheriges aus diesem Kreise scheidet. Allein eine Veräußerung im Sinne des § 265 ZPO. liegt gleichwohl nicht vor, weil die Gesellschaft als Gemeinschaft der jeweiligen Mitglieder Trägerin der Sachlegitimation ist. Einen Rechtsnachfolger, der mit Zustimmung des Gegners an Stelle der Gesellschaft deren Prozeß „als Hauptpartei übernehmen" könnte, gibt es hier nicht6". 68 Von seinem unter III 1 bekämpften Standpunkt aus sagt das Reichs­ gericht: wer aus der Mitgliedschaft ausscheidet, wird damit zeugnisfähig. So z. B. VII. Zivilsenat vom 8. November 1901 Bd. 49 S. 426. In Wahrheit war er es schon, wenn er keine gesetzliche Vertretungsmacht hatte. Fraglich kann nur sein, ob das Interesse des Ausscheidenden am Siege der Gesellschaft erlischt (§ 393 Nr. 4 ZPO). Das Reichsgericht a. a. O. will nach Lage des Falles entscheiden. Danach wäre die Frage namentlich dann zu bejahen, wenn der Streit sich in der Hauptsache um eine Gesellschaftsjchuld dreht, da für eine solche auch der Ausscheidende persönlich haftbar bleibt. Nicht mehr sagt das Urteil des I. Zivilsenats vom 8. Juli 1911 IW. 1911 S. 817 Nr. 30. Es genügt aber, wie Stein § 393 unter II mit § 66 unter III 4 betont, wenn die Entscheidung im Kostenpunkt die Rechtslage des Zeugen beeinflußt. Dies ist stets der Fall, da die Kostenverbindlichkeit der unterliegenden Firma eine Gesellschaftsschuld bildet. 69 Unzutreffend RG. III. Zivilsenat vom 28. November 1899 IW. 1900 S. 18 Nr. 28 und mit ihm einzelne Kommentare (so z. B. Förster-Kann § 265 Anm. 3c unter bb). Eine „Analogie" zur Klage des Vereins ohne Rechtsfähigkeit, wie sie Nußbaum ZZP. Bd. 34 S. 149 annimmt, besteht nicht, da ja einem solchen Verein gerade die aktive Parteifähigkeit fehlt. Uber die Anwendbarkeit des § 265 ZPO. im Falle der Übertragung des Vermögens einer aufgelösten Gesellschaft siehe unter IV.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozejses. Die Rechts- und Parteifähigkeit einer in „Auflösung" begriffenen offenen Handelsgesellschaft (§ 131 HGB.) besteht noch insoweit und noch insolange, als es einer Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern und ihren Rechtsnachfolgern bedarf. Der Zweck der Gesellschaft ist ein anderer geworden. Er liegt nicht mehr im Betriebe (§ 105 HGB.), sondern in der Abwicklung eines Handelsgewerbes. In den beschränkten Grenzen dieses Zweckes aber dauert die Gesellschaft als solche fort (vgl. § 156 HGB. mit § 730 Abs. 2 BGB.). Die Abwicklungsgemeinschaft ist nicht die Rechtsnachfolgerin der Erwerbsgemeinschaft. Es ist ein und dieselbe Gesellschaft. Nach der Regel des Gesetzes be­ deutet sonach die Auslösung keinen unmittelbaren Untergang der Gesellschaft, sondern zunächst nur Veränderung ihres Zweckes. So wenn eine Liquidation stattfindet (§§ 145 ff. HGB.). So ferner, wenn die Gesellschafter anstatt der Liquidation eine andere Art der Auseinandersetzung vereinbart haben, solange noch un­ geteiltes Gesellschaftsvermögen da ist (§ 158 HGB.). So endlich wenn die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Ge­ sellschaft diese in den Stand der Auflösung versetzt (§ 131 Nr. 3 HGB.), oder wenn erst während der Liquidation der Gesellschaftskonkurs eröffnet wird. Denn auch in den zwei letzterwähnten Fällen kann, was das Gesetz für den ersteren ausdrücklich bestimmt (§ 144 HGB.), nach dem Konkurs eine „Fortsetzung" — nicht etwa nur eine Neugründung — der Gesellschaft erfolgen70. Es fragt sich aber nicht bloß, welches Schicksal die beim Eintritte des Abwicklungsstandes schwebenden Gesellschaftsprozeffe haben, sondern auch, was aus ihnen wird, wenn die Abwicklung tatsächlich durchgeführt oder nach Lage der Sache erübrigt, be­ 70 Siehe Jaeger KO. § 25 Anm. 6f., 9, § 209f. Sinnt. 20 mit Ver­ weisen; über die Möglichkeit der Rnckverwandlnng der Liquidationsgemeinschaft in eine werbende Gesellschaft siehe Stand § 131 Anm. 2.

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozesses.

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sonders das Geschäft von einem Gesellschafter oder einem Dritten übernommen worden ist. Gerade der Einfluß einer solchen „Vollbeendigung" (RG. Bd. 46 S. 40) auf unerledigte Gesellschaftsprozesse ist streitig und zweifelhaft. Die Zivilprozeß­ ordnung regelt durch ausdrückliche Vorschriften nur den Wegfall der in einer Parteirolle stehenden natürlichen Person (§§ 239, 246). Eine entsprechende Anwendung auf das Erlöschen von Verbänden mag sich rechtfertigen, wo es zum Vermögensübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kommt, wie in den Fällen des § 46 BGB. oder der §§ 304, 306 HGB. Die Vollbeendigung offener Handelsgesellschaften bietet keine Analogie. Verwandelt sich beim Tod eines Mitgliedes die offene Handelsgesellschaft unter Vermeidung der Auflösung und Vollbeendigung nach Maß­ gabe des § 139 Abs. 1 (vgl. § 162 Abs. 3) HGB. in eine Kommanditgesellschaft, so bleibt die Identität der Rechtsträgerin und Partei erhalten". Der zur Zeit dieser Umformung schwebende Gesellschaftsprozeß erlischt weder, noch gerät er in Stillstand. 1. Der Eintritt des Abwicklungszustandes läßt den schwebenden Prozeß der Gesellschaft regelmäßig unberührt, da sie für den Zweck der Abwicklung noch fortbesteht und viel­ leicht wieder zur werbenden Gesellschaft zurückgebildet wird. Im Rahmen dieses Zweckes können auch neue Gesellschaftsprozesse begonnen werden. Unrichtig ist die verbreitete Lehre, daß im Falle der Liquidation stets nach Maßgabe der §§ 241, 246 ZPO. eine Unterbrechung anhängiger Gesellschastsprozesse erfolge, wenn die Gesellschaft nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten fei71 72. Denn nur ein „Aufhören" der gesetzlichen Vertretung bei 71 Vgl. RG. I. Zivilsenat vom 20. Juni 1903 Bd. 55 S. 127. 72 So z. B. ganz allgemein Staub § 124 Anm. 18, Ritter § 124 Anm. 3; siehe dagegen besonders Schaefer in Gruchots Beiträgen Bd. 38 (1894) S. 802, Thiele im ArchZivPrax. Bd. 82 S. 64, Hellwig, Anspruch, S. 287 und oben Rote -71. Nicht ganz durchsichtig ist die Meinung des Reichs­ gerichts im Urteil des II. Zivilsenats vom 12. Oktober 1894 Bd. 34 S. 362, wo es heißt: infolge der Auflösung „fömtc" es allerdings „unter Umständen" zu einer „Änderung" hinsichtlich der Vertretung kommen; so weit dies nicht der Fall sei, werde das Verfahren (auch abgesehen vom § 246 ZPO.) nicht unter-

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Ernst Iaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

fortdauerndem Vertretungsbedürfnisse der Partei, nicht der Ver­ treterwechsel und nicht jede Ändemng der Vertretungsmacht nach Art oder Umfang hat zur Folge, daß die Partei unverteidigt dasteht und darum den Schutz der Prozeßunterbrechung nötig hat. Dies bestätigt gerade der Ausnahmesatz des § 246 ZPO. Wenn also die Gesellschafter ohne weiteres zu Liquidatoren werden oder andere Liquidatoren alsbald zur Stelle sind, tritt ein Still­ stand des Verfahrens nicht ein. Auch eine nach Maßgabe der §§ 149, 150 HGB. beschränkte Vertretungsmacht der Liquidatoren reicht zur Durchführung schwebender Prozesse aus. Nur hat das Gericht die Beschränkung, namentlich den etwaigen Übergang einer bisherigen Einzelvertretung in die Gesamtvertretung, von Amts wegen zu beachten (§ 56 ZPO.). Dagegen unterbricht der Gesellschaftskonkurs den Gesellschaftsprozeß, einerlei, ob die Gesellschaft durch einen Prozeß­ bevollmächtigten vertreten ist oder nicht (§ 240 und Gegenschluß aus § 246 ZPO.). Nur der Konkurs der Partei selbst, der Gesellschaft, unterbricht ihren Rechtsstreit. Der Eigenkonkurs des einzelnen Gesellschafters und sogar aller Gesellschafter führt nach näherer Maßgabe der §§ 131 Nr. 5, 137, 138, 141, 142, 145 HGB. höchstens zur Liquidation. Der Gesellschaftskonkurs unterbricht nur Gesellschaftsprozesse, nicht Eigenprozesse der Mit­ glieder. Die Unterbrechung dauert solange, bis der Prozeß nach den besonderen Regeln der Konkursordnung aufgenommen wird (§§ 10, 11, 12, 144, 146 KO.). Erfolgt während des Gesellschaftskonkürses keine Ausnahme, so hört die Unterbrechung von selbst auf, sobald der Konkurs endet, sei es, daß nun eine Liqui­ dation noch verbliebener Masse erfolgt (§ 145 HGB.) oder die Gesellschaft fortgesetzt wird (§ 144 HGB.). Der Wort­ laut des die Dauer des Stillstandes regelnden § 240 ZPO. brochen. Den Inhalt der bisherigen gesetzlichen Bertretnngsmacht ändert aber eine Auflösung allemal, die Art wenigstens nach der Regel des Gesetzes (§§ 149, 150 gegen § 125 HGB.). Das Wort „Änderung" muß also wohl in diesem Urteil einen engeren Sinn haben.

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozesses.

ist ungenau.

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Sein Zweck ergibt, daß die Unterbrechung endet

nicht nur, wenn das Konkursverfahren „aufgehoben" (§§ 163, 190 KO.), sondern auch wenn es eingestellt wird (§§ 202,204 KO.), und daß sie selbst dann nur für die Zukunft aufhört, wenn der Eröffnungsbeschluß auf Beschwerde aufgehoben wird (§§ 109, 116 KO.), obwohl diese Art der Konkursbeendigung andere un­ mittelbare Konkursfolgen mit rückwirkender Kraft beseitigt. Der Gesellschaftskonkurs versetzt die Gesellschaft nicht in Liquidation, sondern in eine eigens geregelte Abwicklung. Liquidiert sie bereits zur Zeit der Eröffnung des Gesellschaftskonkurses, dann verdrängt der Konkursverwalter die Liquidatoren aus der Abwicklungstätig­ keit. Als Gemeinschuldner handeln nun, wie später dargelegt wird, die Gesellschafter selbst. Lehnt der Konkursverwalter die Aufnahme eines durch Eröffnung des Gesellschastskonkurses unterbrochenen Aktivprozesses der Gesellschaft als aussichtslos ab, so kann der Rechtsstreit nach § 10 Abs. 2 KO. unter der Firma von den Ge­ sellschaftern oder gegen diese aufgenommen werden: das umstrittene Recht der Gesellschaft bildet fortab konkursfreies, der Verfügungs­ macht des Verwalters entrücktes Gesellschaftsvermögen ssiehe Rote 94]. Wenn der Konkursverwalter den Rechtsstreit aus­ genommen hatte, der Konkurs aber vor Prozeßerledigung endet, ohne daß der streitige Gegenstand noch als Bestandteil einer Nachtragsverteilungsmasse (§ 166 KO.) konkursgebunden bleibt, dann ist der Prozeß von der Gesellschaft, falls sie nicht etwa fortgesetzt wird, nach den Sätzen der Liquidation auszutragen. Im Verhältnis zu dritten Personen, also auch im Verhältnis zum Prozeßgegner, finden nach § 158 HGB. die Regeln der Liquidation auch bei Vereinbarung einer anderen Auseinander­ setzungsart solange entsprechende Anwendung, als noch unverteiltes Gesellschaftsvermögen vorhanden ist. Jnsolange bleibt sonach die Gesellschaft als solche parteifähig (vgl. § 156 HGB.), nur daß die gesetzliche Vertretungsmacht der Mitglieder sich nun nach den §§ 149—151 HGB. bestimmt. Der Fall liegt schon dann vor, wenn das im schwebenden Prozesse für die Gesellschaft Leipziger Festschrift Sohm.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

in Anspruch genommene Recht der einzige noch unverteilte Gegen­ stand des Gesellschaftsvermögens ist. Auch dann, wenn dieses Recht mit dem übrigen Gesellschaftsvermögen unter Vermeidung der Liquidation aus einen Gesellschafter oder einen Dritten übertragen wird, besteht die Parteifähigkeit der Gesellschaft als solcher für den schwebenden Rechtsstreit fort. Das folgt aus § 265 ZPO. Auf daß die Gegenpartei des Ver­ äußerers den Streit mit diesem selber ausfechten könne, wird der Fortbestand seiner in Wahrheit durch die Veräußerung er­ loschenen Sachlegitimation insoweit unterstellt, als dies zur Durch­ führung des Prozesses mit ihm erforderlich ist. Die Fortdauer der Sachlegitimation ist aber ohne gleichzeitige Fortdauer der Parteifähigkeit der Gesellschaft als der bisherigen und im Pro­ zesse festzuhaltenden Partei undenkbar. Sie müssen beide als weiterbestehend gelten. Das behauptete Recht wird also, wenn es begründet ist, fortdauernd als noch der Gesellschaft zustehend und darum als unverteiltes Gesellschaftsvermögen im Sinne des § 158 HGB. behandelt. Nur mit Zustimmung der Gegenpartei könnte der Erwerber in den Rechtsstreit an Stelle der Gesellschaft einrücken (§ 265 Abs. 2 ZPO.). Unterbleibt eine solche Prozeß­ übernahme, so wird der Rechtsstreit unter der Firma ausgetragen, aber das Urteil wirkt nach Maßgabe der §§ 325, 727 ZPO. Rechtskraft und Vollstreckbarkeit auch im Verhältnis zum Erwerber. Wenn die Gesellschaft unterliegt, wird der Kostenerstattungs­ anspruch dem Grunde nach im Urteil, dem Betrage nach im Kostenfestsetzungsbeschluß „gegen die Gesellschaft" zuerkannt^. 78 Im wesentlichen übereinstimmend und zwar schon vor Erlassung des jetzigen § 158 HGB. namentlich Schaefer a. a. O. S. 807ff., ferner Thiele a. a. O. S. 63f., Staub in den noch von ihm selbst herausgegebenen Auflagen seines Kommentars (6. u. 7. Aust. § 124 Anm. 12) und Hellwig, Anspruch, S. 289f., System, S. 573f. Die späteren Auflagen des Staubschen Werkes sind in die Lehre von der Parteistellung der Gesellschafter selbst zurückgefallen, was um so bedauerlicher ist, als das neue HGB. diesen Standpunkt ausdrück­ lich ablehnt (§§ 124, 129) und darum eine folgerechte Durchführung unmöglich macht. Siehe 9. Auflage § 124 Anm. 18, ähnlich Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 13. Hier heißt es: die Gesellschafter „bleiben" als notwendige

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozesses.

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Besteht die Gesellschaft nur aus zwei Teilhabern, deren einer das Geschäft und mit ihm das umstrittene Gesellschaftsrecht nach § 142 HGB. ohne Liquidation übernimmt, so findet auf die Übernahme gleichfalls der § 265 ZPO. mit § 158 HGB. An­ wendung : auch hier gilt zum Zwecke der Durchführung des Aktiv­ prozesses die Gesellschaft als fortbestehend. Eine Gesamtrechtsnachfolge, die zur entsprechenden Anwendung des § 239 ZPO. führen könnte, liegt nicht vor". Stirbt der eine der beiden Teilhaber, so findet — unbeschadet anderweiter Übereinkunft — nach der Regel des Gesetzes eine Liquidation zwischen dem über­ lebenden und den Erben des Verstorbenen statt (§ 131 Nr. 4, 145 HGB.). Ist der überlebende selbst der Alleinerbe, so hat er zwar den Verstorbenen — etwa als Sohn den Vater — be­ erbt, aber nicht die offene Handelsgesellschaft. Wie sonst kraft Vereinbarung der Beteiligten kann hier kraft einseitiger Ent­ schließung der Überlebende als Einzelkaufmann das Handels­ gewerbe weiter betreiben.

Da er durch Erbfolge erlangt hat,

was ihm zum Vollerwerbe des Gesellschaftsvermögens noch fehlte, nämlich den Anteil des Mitgesellschafters, wird er als Gesamt-* 74 Streitgenosscn Partei. Die für diese Ansicht angezogenen Entscheidungen des Reichsgerichts betreffen nur teilweise Aktivprozesse und geben keine ausreichende Be­ gründung. So I. Zivilsenat vom 13. Februar 1901 IW. 1901 S. 226 f. Nr. 3, VI. vom 17. September 1906 Bd. 64 S. 79: die bisherigen Gesellschafter „werden" notwendige Streitgenossen. Wenn bisher nur „die Verbindung" („die Gesamt­ heit") der Mitglieder Partei war, was das Reichsgericht so oft betont, nun aber die einzelnen Mitglieder Partei „werden", vollzieht sich eben eine Partei­ änderung, deren Zulässigkeit zu rechtfertigen wäre. Die Kommentare der Zivil­ prozeßordnung (zu § 239), auch die besten, leiden unter der Vermengung von Aktiv- und Passivprozessen, von Auslösung und Vollbeendigung. Wegen der Bedeutung eines auch gegen die Gesellschaft lautenden Titels siehe den Text unter 2 a. 74 Das müßte selbst dann angenommen werden, wenn mit der dermaligen Rechrsprechung des Reichsgerichts die Notwendigkeit rechtsgeschäftlicher Einzelübertragungen im Falle des § 142 HGB. zu verneinen ist. Siehe über diese Frage Staub § 142 Anm. 3 mit Verweisen, dazu Köhler ArchBürgR. Bd. 40 S. 254f., der von „einer Fusion der Persönlichkeiten" (der Gesellschaft und des Gesellschafters) redet, ohne die doch so naheliegende und vielumstrittene prozeßrechtliche Seite des Falles zu erörtern. 4*

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

rechtsnachfolger der Gesellschaft zu behandeln sein, obwohl er nicht diese, sondern einen Gesellschafter beerbt hat. Es voll­ zieht sich also ein Parteiwechsel unter entsprechender Anwendung der §§ 239, 246 ZPO. So auch dann, wenn die alte Firma beibehalten und unter ihr der Prozeß durchgeführt wird: Partei ist fortab ein Einzelkaufmann (§§ 17 Abs. 2, 24 HGB.). Aktivprozeß ist der Rechtsstreit auch dann, wenn die Gesell­ schaft, die das umstrittene Recht für sich in Anspruch nimmt, in der Beklagtenrolle steht. So etwa bei negativer Eigentumsfeststellungs- oder Grundbuchberichtigungsklage. Entsprechend liegt der Fall, wenn mit der Gesellschaft über eine vom Gegner be­ hauptete, aber von der Gesellschaft geleugnete Belastung eines Gegenstandes des Gesellschaftsvermögens gestritten wird. So z. B. bei Klagen gegen die Gesellschaft auf Feststellung einer angeblichen Dienstbarkeit oder auf Verurteilung zur Zahlung einer angeblichen Hypothek sowie bei Klagen der Gesellschaft auf die gegenteilige Feststellung oder Buchberichtigung. Auch Rechtsstreitigkeiten dieser Art sind also grundsätzlich mit der Gesellschaft auszutragen. Nur greift hier die Besonderheit des § 266 ZPO. ein. 2. So verbleibt die Frage nach dem Schicksal solcher Passiv­ prozesse, sie seien Leistungs- oder Feststellungsklagen, in denen eine persönliche Verbindlichkeit der Gesellschaft geltend gemacht wird. Solange zwar die Gesellschaft aus irgendeinem sonstigen Grund als Abwicklungsgemeinschaft fort­ besteht, bleibt sie auch hier als Beklagte oder (bei negativer Fest­ stellungsklage) als Klägerin Prozeßpartei.

Der Fall liegt z. B.

schon dann vor, wenn die wegen einer Gesellschaftsschuld ver­ klagte Firma Widerklage auf Schadensersatz erhoben hat, weil der rechtshängige Gegenanspruch der Gesellschaft, wie dargelegt wurde, deren Parteifähigkeit aufrecht erhält.

Wie aber, wenn es nach

Abschluß der Liquidation oder des Konkurses oder ohne eine solche Abwicklung vor Prozeßerledigung zur Vollbeendigung der Gesellschaft kommt? Namentlich dann, wenn das Geschäft mit Aktiven und Passiven auf einen Gesellschafter oder auf einen

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozesses.

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Dritten (z. B. durch Einbringung in eine Mtiengesellschast oder Gesell­ schaft mit beschränkter Haftung) übergeht? Dreierlei wird behauptet. a) Die erste Ansicht geht dahin: Die Partei sei weg­ gefallen, der Prozeß erloschen; ein Urteil gegen die Ge­ sellschaft könne also nicht mehr erwirkt werden; dem Gläubiger bleibe nur der Weg neuer Klagen gegen die Gesellschafter^. Das Ergebnis ist so unbefriedigend, daß es ohne zwingende Gründe nicht in den Kauf genommen werden darf. Vor allem leuchtet ein, daß der Gläubiger außerstande wäre, zur Erstattung der ihm im Streite mit der Gesellschaft erwachsenen Prozeßkosten zu gelangen, ganz einerlei, ob einzelne Gesellschafter mitbelangt waren oder nicht. Wohl hastet der Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft, eine Kostenerstattungspflicht der Gesellschaft aber, die während des Prozesses höchstens bedingt begründet war, könnte nun, nachdem die Verurteilung der Firma unmöglich geworden, gar nicht mehr zustandekommen.

Der Gläubiger, der außerhalb

7R So namentlich Staub in den eignen Bearbeitungen seines Werkes (6. und 7. Aufl. § 124 Anm. 13), Behrend § 74 Note 8, Hellwig, An­ spruch. S. 290 mit dem Beifügen: nachdem kein Gesellschaftsvermögen mehr da sei, habe die Austragung des Prozesses mit der Gesellschaft keinen Wert mehr; nach § 129 Abs. 4 HGB. sei ja der Gläubiger einer Klage gegen die Gesell­ schafter doch nicht überhoben: er möge sich von vornherein durch Mitbelangung der Gesellschafter sicherstellen; in der persönlichen Haftung der Gesellschafter finde er auch wegen der Prozeßkosten Ersah. Treffend dagegen über den Wert einer Verurteilung der Gesellschaft Schaefer a. a. O. S. 812ff. Eine sehr erhebliche Bedeutung würde in dem Falle, daß das Geschäft mit Aktiven und Passiven übertragen und dadurch die Gesellschaft vor ihrer Verurteilung beendet worden ist, dem später noch gegen die Gesellschaft ergehenden Urteil zukommen, wenn die §§ 325, 727 ZPO. auf den Übernehmer als Rechtsnachfolger der Schuldnerin anwendbar wären. Dies lehren Hellwig, System, § 235 III 1 c, FörsterKann § 325 S. 867 f. und die daselbst genannten Schriftsteller. Allein die Schuldübernahme ist keine Rechtsnachfolge in die Schuld. Der Schuldübernehmer fällt als solcher so wenig unter den § 325 als unter den nach der Entstehungs­ geschichte des Gesetzes unlösbar mit ihm verknüpften § 265 ZPO. und bedarf auch bei befreiender Schuldübernahme des besonderen Schutzes nicht, da sie nur mit seinem Willen eintritt. Daß der § 727 ZPO. vom „Rechtsnachfolger des Schuldners" redet, beweist gar nichts. Gemeint ist der Gesamtrechtsnachfolger. Siehe namentlich Sohm, der Gegenstand, 1905 S. 25f. Note 5, Strohal, Schuldpflicht und Haftung, 1914 S. 147, Knoke in Jherings Jahrb. Bd. 60 S. 462 f., Stein § 325 unter III 3 mit Verweisen.

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozeffe.

des Prozesses die Zuerkennung des Erstattungsanspruchs nicht er­ wirken kann, würde, wenn er nun noch gegen die Gesellschaft ein Urteil beantragte, unter Abweisung der Klage selbst in die Kosten verurteilt werden müssen (§ 91 ZPO.). Auch abgesehen vom Kostenpunkt hat eine Verurteilung der Gesellschaft als solcher ihren Wert. Sie wirkt, soweit sie eine Gesellschaftsschuld feststellt oder deren Bestehen verneint, Rechtskraft gegen oder für die Gesellschafter. Auch liefert sie, wenn die Gesellschaft Gesellschaftsvermögen zum Nachteil ihrer Gläubiger aufgeopfert hat, den für die Einzel­ anfechtung erforderlichen Titel und ermöglicht den Zwangszugriff auf die zurückzugewährenden Gesellschastswerte (§§ 2, 7 AnfG., § 124 Abs. 2 HGB.). Die Vollstreckung in Eigenvermögen der Gesellschafter freilich würde die Verurteilung der Gesellschaft jetzt ebensowenig erschließen als zur Zeit ihres Vollbestandes oder ihrer Abwicklung (§ 129 Abs. 4 HGB.). b) Nach einer zweiten, namentlich vom Reichsgericht ver­ tretenen Meinung wäre der Gesellschaftsprozeß nun als Prozeß gegen die Gesellschafter und zwar nach Belieben des Gläubigers gegen einzelne oder alle fortzusetzen: „nach wie vor stehen die Gesellschafter der anderen Partei als Prozeß­ gegner gegenüber, allerdings nicht mehr in ihrer früheren, durch das Gesellschaftsband hergestellten Verbindung, nicht mehr als geschlossene Gesamtheit, sondern als gewöhnliche Streitgenossen;" „daraus folgt, daß mit dem Aufhören der Gesellschaft deren Parteirolle auf die sämtlichen früheren Gesellschafter als Streit­ genossen übergeht;" „die Sachlage ist dieselbe wie in dem Falle, daß ein Gläubiger bei bestehender Gesellschaft nicht diese, sondern die einzelnen Gesellschafter nach § 128 HGB. belangt;" „er ist nicht gehindert, den gegen alle früheren Gesellschafter anhängigen Rechtsstreit nur gegen einen oder einige fortzusetzen;" „freilich bleibt in diesem Falle die Klage gegen die übrigen Streitgenossen, solange sie nicht gegen diese zurückgenommen ist, anhängig 76." 76 So RG. VII. Zivilsenat vom 20. März 1900 Bd. 46 S. 41 f. mit Verweisen; siehe ferner I. Zivilsenat vom 6. Juli 1901 IW. 1901 S. 653f.

IV. Beendigung der Gesellschaft wahrend des Gesellschaftsprozesses.

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Die Ansicht ist unhaltbar. Sie widerspricht vor allem dem Gesetz. Daß Klagen und Urteile gegen die Gesellschaft rechtlich etwas ganz anderes bedeuten als Klagen und Urteile gegen Gesellschafter, stellt gerade für die Einklagung von Gesellschaftsverbindlichkeiten die Fassung der §§ 124, 128, 129 HGB. außer Zweifel. Wie könnte auch sonst die unentbehrliche und in der Praxis allgemein zugelassene gleichzeitige Ausklagung von Gesellschaft und Gesell­ schaftern statthaft sein?

Und was sollte aus Prozessen eines

Nr. 13 („zur Bezeichnung der Prozeßpartei" könne nach der im Laufe des Prozesses eingetretenen Vollbeendigung die bloße Angabe der Firma nicht mehr genügen), VI. Zivilsenat vom 17. September 1906 Bd. 64 S. 77ff (S. 80: „Es ist unbedenklich, aus dem Umstande, daß nunmehr statt der Gesellschaft die einzelnen Gesellschafter Beklagte geworden sind, in Verbindung damit, daß es ein Gesellschaftsvermögen nicht mehr gibt, die Folgerung zu ziehen, daß, während die Beschränkung der Zwangsvollstreckung aus einer etwaigen Verurteilung auf das Gesellschaftsvermögen wegfällt, nun auch jeder einzelne Gesellschafter noch in diesem Prozeß auch seine persön­ lichen Einreden vorbringen muß"); VI. Zivilsenat vom 21. Mai 1906 IW. 1906 S. 477 Nr. 41 (wenn die gegen eine offene Handelsgesellschaft er­ hobene Klage nach dem Erlöschen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter ge­ richtet werde, sei dies keine Änderung der Klage, sondern nur ein Wechsel der Parteibezeichnung). Dem Reichsgericht folgen zahlreiche Schriftsteller; so die 9. Auflage Staubs (§ 124 Anm. 19f.), Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 14 und nun auch Hellwig, System, S. 574 (ohne jede Begründung, obwohl er im Gesellschaftsprozeß ein als juristische Person zu behandelndes Sondervermögen als Partei betrachtet; die Umstellung des Klagantrags auf die Gesellschafter sei statthaft, nicht erforderlich; unterbleibe sie, dann werde nur eine Gesellschaftsschuld festgestellt). Übrigens wird mehrfach auch in Ent­ scheidungen des Reichsgerichts behauptet, die persönlich wegen einer Gesellschafts­ schuld belangten Mitglieder seien notwendige Streitgenossen im Sinne des § 62 ZPO., wenn der Streit sich nur um den Bestand einer Gesellschaftsschuld drehe (so z. B. I. Zivilsenat vom 12. Juli 1902 IW. 1902 S. 443f. Nr. 2, VII. Zivilsenat vom 28. November 1902 IW. 1903 S. 21 Nr. 2). Das ist offenbar unrichtig, da ein Gesellschafter neben dem anderen (nicht neben der Gesellschaft) als Gesamtschuldner haftet, also der § 425 Abs. 2 BGB. Platz greift, einerlei, ob sie sich verschiedenartig oder gleichartig verteidigen. Schief daher auch die Begründung im Urteil des II. Zivilsenats vom 1. Dezember 1911 LZ. 1912 S. 222f. Nr. 4. Wie es mit der Anfechtung eines noch gegen die Gesellschaft erlassenen Urteils steht, wird nicht erörtert. Kann, wenn die Zustellung vor der Vollbeendigung an die Gesellschaft erfolgt war, nun jeder einzelne Gesellschafter den noch zulässigen Rechtsbehelf einlegen und mit welcher Wirkung? Wenn noch nicht zugestellt war, wie wirkt die Zustellung an den einzelnen Gesellschafter?

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

Gesellschafters gegen die Gesellschaft, was aus solchen Einzel­ prozessen der Gesellschaftsgläubiger gegen Gesellschafter werden, die in gesondertem Verfahren vielleicht vor anderen Gerichten und in anderen Instanzen schweben? Schon die Kostenfrage dürfte einer Prozeßverschmelzung unüberwindliche Schwierigkeiten be­ reiten'^. Jedenfalls müßte man zugeben, daß bis zur Voll­ beendigung in der Gesellschaft eine andere Partei belangt war als die einzelnen Gesellschafter. Dann handelt es sich aber, was das Reichsgericht vergeblich zu verhüllen sucht, bei der Umstellung des Klagantrags nicht bloß um einen Wechsel der Parteibezeichnung, sondern der Partei selbst, also mindestens um eine Änderung des subjektiven Klagegrundes, die unter den besonderen Voraussetzungen der Klagänderung (§§ 264, 527 ZPO.), aber auch nur unter ihnen zulässig ist. Die Ansicht widerspricht ferner in ihrer Begründung

zahlreichen anderen Entscheidungen des

Reichsgerichts, namentlich solchen, die der offenen Handelsgesellschaft Parteifähigkeit zuerkennen und die Nebenintervention des Gesell­ schafters im Gesellschaftsprozesse zulassen ssiehe oben II]. Auch müßte, wenn wirklich schon vor der Beendigung der Gesellschaft die Gesellschafter selbst die wahren Parteien gewesen sind, ein noch gegen die Gesellschaft erwirktes Urteil nach einer nun erst erfolgenden Beendigung durch Berichtigung der Parteibezeichnung umgeschrieben werden sönnen77 78. kann keine Rede sein.

Von einer einheitlichen Praxis

c) Brauchbar ist allein eine dritte Lehre, derzufolge die Gesellschaft nicht die Macht hat, durch Herbeiführung ihrer Voll­ beendigung den wegen einer Gesellschaftsschuld anhängigen Rechts77 Man nehme an, die jetzt erloschene Gesellschaft hatte drei Mitglieder; außer ihr selbst waren in gesonderten Prozessen zwei Gesellschafter belangt; nach Vollbeendigung der Gesellschaft beliebt es dem Gläubiger, den Gescllschaftsprozeß gegen den bisher persönlich nicht verklagten dritten Teilhaber fortzusetzen. 78 Vgl. RG. I. Zivilsenat vom 11. Juli 1894 IW. 1894 S. 426 Nr. 22 (zunächst für das Liquidationsstadium) und dazu den Beschluß des Kammer­ gerichts vom 6. Dezember 1906 OLG. 14 S. 168f. gegen Staub § 124 Sinnt. 23.

IV. Beendigung der Gesellschaft während des Gesellschaftsprozcsses.

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streit zum Erlöschen zu bringen: der Prozeß kann mit der Gesellschaft selber ausgetragen werden^. Einen Rechtssatz des Inhalts, daß eine ungetilgte Gesellschaftsschuld den Untergang der Gesellschaft hintanhalte, haben wir freilich nicht.

Auch besteht für den Fall, daß die offene Handelsgesell­

schaft ihr Geschäft im ganzen veräußert, kein dem § 306 HGB. entsprechender Gläubigerschutz. Die persönliche Haftung der Ge­ sellschafter gilt als ausreichend. Allein der dem § 265 ZPO. zugrunde liegende Gedanke ergibt, daß eine Partei — von der eigens geregelten und engbegrenzten Klagezurücknahme abgesehen — außerstande ist, sich einseitig aus dem Prozeßrechtsverhältnis, also aus einer im öffentlichen Recht begründeten Gebundenheit, zu lösen. An dieser Schranke scheitert die Verfügungsmacht der Partei. Mag also auch die auf Vollbeendigung abzielende Hand­ lung des Gesellschaftsvertreters nach bürgerlichem Rechte wirksam sein, so beeinflußt sie doch den Prozeß nicht b°. Für dessen Zwecke gilt die Gesellschaft wie bei unmittelbarer Anwendbarkeit des § 265 ZPO. als fortbestehend. Das Urteil ergeht noch gegen sie und äußert die unter a) dargelegte Wirksamkeit. Durch die Gesellschaft oder ihr gegenüber hat die Zustellung und Anfechtung von Ent­ scheidungen zu geschehen. Unter diesem Gesichtspunkte lösen sich auch die Zweifel, die in dem Falle bestehen, daß gegen die Gesell­ schaft vor ihrer Vollbeendigung ein bedingtes, noch der Läutemng harrendes Endurteil ergangen war (§§ 460, 462 Abs. 2 ZPO.): für die Gesellschaft schwört der jetzige gesetzliche Vertreter (§§ 473, 474 ZPO.); gegen sie (unter der Firma) ergeht das Läuterungs-79 80 79 Zu diesem Schlüsse gelangen Schaefer a. a. O. S. 810ff., Thiele a. a. O. S. 62f. und v. Wilmowski-Levy, Zivilprozeßordnung, 7. Auflage § 219 Anm. 3 mit verschiedener Begründung. 80 Auf ähnlichen Erwägungen beruht die den Fall der Beendigung einer Genossenschaft vor Erledigung der Klage aus einer Genossenschaftsschuld be­ handelnde Entscheidung des Reichsgerichts vom 23. Februar 1894 (III. Zivil­ senat) IW. 1894 S. 139 Nr. 5: vgl. auch Urteil vom 25. Oktober 1905 (I. Zivilsenat) IW. 1906 S. 40 Nr. 52 und v. Wilmowski-Levy a. a. O. Übrigens würde eine Geschüftsübertragung zu dem Zwecke, den Gegner klaglos zu stellen, schon nach bürgerlichem Recht der Wirksamkeit ermangeln (§ 138 BGB.).

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Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

urteil; von ihr und ihr gegenüber sind die Rechtsmittel einzulegen81. Bon unserem Standpunkt aus unterliegt es weiter keinem Be­ denken, daß der bisherige Prozeßbevollmächtigte der Gesellschaft nach wie vor den Rechtsstreit durch Vergleich oder Anerkenntnis der Lösung zuführen kann (§§ 81, 86 ZPO.)82. Für uns ver­ steht es sich endlich von selbst, daß die gegenüber der Gesellschaft als solcher begründete Zuständigkeit, besonders der Gerichtsstand des § 17 ZPO., unberührt bleibt83. 84

V. Rechtskraft und Rechtshängigkeit. 1. Noch unter der Herrschaft des geltenden Rechts wird von einigen Schriftstellern aus verschiedenartigen Gründen gelehrt, ein im Gesellschaftsprozeß ergehendes Urteil wirke Rechtskraft für und gegen die Gesellschafter8'1. In dieser allgemeinen Fassung 81 Die Gegner sind uneinig. Das Oberlandesgericht Köln hat im Urteil vom 19. Oktober 1901 OLG. Bd. 3 S. 344 f. erkannt, es sei der Eid von allen bisherigen Gesellschaftern als notwendigen Streitgenossen zu leisten, das Urteil darauf aber noch gegen die Gesellschaft zu läutern. Die meisten (z. B. Staub § 124 Anm. 21) verwerfen diese Ansicht und erklären, das Urteil sei gegenüber den Gesellschaftern persönlich zu läutern. Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 14 lehnen auch das ab und erklären den § 471 ZPO. für ent­ sprechend anwendbar, damit die Gesellschafter Gelegenheit zum Vorschützen persönlicher Einwendungen finden. 82 Das Hanseatische Oberlandesgericht hat wiederholt erkannt, die bis­ herige Prozehvollmacht bleibe ohne weiteres für die bisherigen Gesellschafter als jetzige Parteien in Kraft (8. Februar 1903 OLG. Bd. 17 S. 182, 13. März 1908 LZ. 1908 S. 871 Nr. 2). 83 Unter den Gegnern besieht auch insoweit Streit. Während das Reichs­ gericht (VII. Zivilsenat vom 25. Oktober 1901 Bd. 49 S. 419 f.), Staub § 124 Anm. 17 und andere den Fortbestand der Zuständigkeit für den Fall, daß an Stelle der Gesellschaft die Gesellschafter getreten seien, bejahen, lehren Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 15, die umgewandelte Klage sei eine erweiterte und insofern neue, daher die Zuständigkeit nach allgemeinen Regeln zu beurteilen. 84 So behaupten Düringer-Hachenburg § 124 Anm. 16: die materielle Rechtskraft des im Gesellschaftsprozeh ergehenden Urteils wirke, da die Gesellschafter selbst die Prozeßparteien seien, für und gegen diese. R. Schmidt S. 768 sagt: das Urteil, das die offene Handelsgesellschaft über eine Gesellschafts­ forderung oder -schuld erstritten habe, wirke für und gegen die Gesell-

V. Rechtskraft und Rechtshängigkeit.

trifft der Satz

nicht zu.

59

Das Wesen der Rechtskraft des

Zivilurteils liegt in der bindenden Feststellung eines Rechts­ verhältnisses, eines „Anspruchs", wie der auf die Leistungs­ klage zugeschnittene § 322 ZPO. sagt. Von einer Rechts­ kraftwirkung in der Person des einzelnen Gesellschafters kann daher nur soweit die Rede sein, als ein Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Gegner der Gesellschaft im Urteil normiert wird. An einem solchen fehlt es vor allem bei Aktivprozessen der Gesellschaft.

Das Urteil, das ein von der Gesellschaft in

Anspruch genommenes dingliches oder persönliches Recht zu- oder aberkennt, wirkt Rechtskraft nur für oder gegen die Gesellschaft selber, also für oder gegen die Gemeinschaft der jeweiligen Teil­ haber, anders ausgedrückt: nur im Verhältnis zum Gesellschafts­ vermögen.

Das

umstrittene Eigentumsrecht,

die umstrittene

Forderung wird der Gesellschaft, nicht einzelnen Gesellschaftern zu- oder aberkannt. Der persönlichen Inanspruchnahme des der Gesellschaft aberkannten Rechtes durch einen Gesellschafter steht die Rechtskraft nicht entgegen. Die zugunsten der Gesellschaft erfolgte Zuerkennung enthält keine Feststellung zugunsten des Eigenvermögens eines Gesellschafters. Nur kraft einer Rechts­ nachfolge in die streitbefangene Sache oder in die geltend gemachte Forderung der Gesellschaft (namentlich kraft einer nach Ein­ tritt der Rechtshängigkeit vollzogenen Übernahme des Geschäfts» äußert das Urteil auch für und gegen den Gesellschafter wie für und gegen irgendeinen dritten Erwerber Rechtskraft (§§ 265, 325 ZPO.). Andererseits hat die im Prozesse des einzelnen Ge­ sellschafters oder aller einzelnen Gesellschafter erfolgende Zu- oder Aberkennung eines Rechtes im Verhältnis zur Gesellschaft keine Rechtskraftwirkung, es sei denn, daß wiederum der besondere Er­ streckungsgrund der Rechtsnachfolge (Einbringung in das Gesell­* schafter, denn wenn auch Gesellschaft und Gesellschafter als getrennte Parteien anzusehen seien, decke sich doch zivilrechtlich ihre Vermögenssphäre (die hier an­ gezogenen Entscheidungen des Reichsgerichts reden aber nur von der Rechtskraft des Urteils über eine Gesellschafts s ch u l d).

60

Ernst Jaeger: Die offene Handelsgesellschaft im Zivilprozesse.

schastsvermögen) gegeben wäre.

Wie im Aktivprozesse liegen die

Dinge dann, wenn das Urteil das Bestehen oder Nichtbestehen der Belastung eines zum Gesellschastsvermögen gehörenden Gegen­ standes feststellt. Auch hier mangelt es an einem Rechtsverhältnis zwischen dem Gesellschafter und dem Prozeßgegner der Firma, das

im

Verhältnisse zwischen beiden rechtskräftig

festgestellt

werden könnte. Wie aber wirkt die Entscheidung über eine Gesellschafts­ verbindlichkeit? Das Urteil aus eine Klage, die der an­ gebliche Gläubiger gegen einen einzelnen Gesellschafter oder selbst gegen alle einzelnen Gesellschafter erhoben hatte, äußert im Ver­ hältnis zur Gesellschaft keine Rechtskraft. Die Gesellschaft ist eine andere Partei. Irgendein gesetzlicher Anhalt für eine Rechtskrasterstreckung liegt nicht vor. Auch fehlt jeder Anlaß zu einer solchen. Das leuchtet ohne weiteres ein für die Klagabweisung, die auf persönlichen Befreiungsgründen beruhen kaun: in Rechts­ kraft erwächst die Feststellung des Nichtbestehens einer Verbind­ lichkeit des einzelnen Gesellschafters, nicht aber die Begründung, mit welcher der Richter ihr Bestehen verneint hat. Auch die Feststellung des Bestehens einer Schuld einzelner ober aller Gesellschafter wirkt keine Rechtskraft zu Lasten der Firma. Sie erkennt nur die Haftung des Eigenvermögens an. Tie unter ihrem eigenen Namen, nicht unter der Firma verklagten (vielleicht von der Ver­ tretung der Gesellschaft ausgeschlossenen) Gesellschafter führen nicht für die Gesellschaft, nicht mit Wirkung für das von ihrem Eigenvermögen scharf gesonderte Gesellschaftsvermögen Prozeß und können durch die ausschließlich in ihrem eigenen Namen vor­ genommenen

Prozeßhandlungen

die

Gesellschaft

ebensowenig

binden, als sie ihr durch Vertragsschluß im eigenen Namen rechtsgeschäftliche Verpflichtungen aufzuerlegen imstande sind85.86 86 Auch Hellwig, Anspruch, S. 270f. führt aus: selbst das gegen alle Gesellschafter ergangene Urteil wirke keine Rechtskraft gegenüber der Gesellschaft. Zur Begründung verweist er auf den § 124 Abs. 2 HGB., der allerdings nur von der Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaft spreche, die Vollstreckbarkeit

V. Rechtskraft und Rechtshängigkeit.

61

Dagegen wirkt allerdings die Verurteilung der Gesellschaft auch Rechtskraft gegen die Gesell­ schafter, insofern sie das Bestehen einer Gesell­ schaftsverbindlichkeit bejaht, und umgekehrt die von der Gesellschaft Nichtbestehens einer

erstrittene Feststellung des Gesellschaftsverbindlichkeit

Rechtskraft zugunsten der Gesellschafter, insofern sie zugleich die Haftung des Eigenvermögens ver­ neint. Den Grund dieser Besonderheit bildet die Eigenart der Haftung. Die Haftung der Gesellschafter (der einzelnen mit ihrem Eigenvermögen) folgt rechtsnotwendig aus der Haftung der Ge­ sellschaft (der Gemeinschaft mit ihren: Gemeinschaftsvermögen). In diesem Sinne sagt der § 128 HGB.: die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Keineswegs haften Gesellschaft und Gesellschafter neben einander im Verhältnisse von Gesamtschuldnern 8

Leipziger Festschrift Sohm.

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I. Stand der Frage................................................................................ 3 II. Die Inquisition der päpstlichen Dekretalen und der sizilischen Konsti­ tutionen ............................................................................................................ 10 III. Anglonormannischer und sizilisch-normannischer Staat.................. 13 IV. Die Rüge-Inquisition in England und in Sizilien..........................25 V. Die inquisitio Jnnocenz' III............................................................... 42 VI. Der formfreie Jnquisitionsprozeß der oberitalienischen Städte... 49 VII. Stadtrecht, Kirchenrecht und Königsrecht in ihren Berührungen . . 62

I. Stand -er Zrage. Seit Brunner das Dickicht des germanischen Urwalds ge­ lichtet hatte, worin früher die Vergangenheit der Schwurgerichte verborgen gelegen, war der Werdegang und die ursprüngliche Idee des englischen Rechtsgebildes, das der öffentlichen-mündlichen Hauptverhandlung in schweren Verbrechensfällen bei allen modernen Nationen zum Ausgang gedient hat, in allen wesentlichen Punkten klargelegt. Gerade in dem Jahre 1871, als man sich anschickte, dem deutschen Reichsstrafprozeß seine abschließende Form zu geben, wurde die eine Reihe seiner Vor­ verfahren ziemlich lückenlos feststellbar'.

Aber nur die eine.

Tie Physiognomie des heutigen Strafprozesses weist bekanntlich noch auf eine zweite Ahnenreihe zurück. Das Vorverfahren mit seiner typischen Form, seiner Kette von einseitigen amtlichen Untersuchungsakten in heimlichem und schriftlichem Verfahren, verdankt seine Struktur dem italienischen Jnquisitionsprozeß, und in dessen Vorgeschichte hat Brunners Werk noch kein ebenbürtiges Seitenstück gesunden. Nur die ersten Anfänge einer amtlichen Voruntersuchung des Verbrechens waren schon vor Brunner durch Richard Dove ermittelt worden. 5Dooe1 2 hatte 1859 und 1864 den Quellenknäuel entwirrt, der sich in der Zeit des Niedergangs des Karolingerreichs um teils weltliche, teils 1 Heinrich Brunner, Die Entstehung der Schwurgerichte, 1871.

Dove, Untersuchungen über die Sendgerichte; Zeitschr. f. deutsches Recht, Bd. 19 S. 321 ff. (1859) und Zeitschr. für Kirchenrecht, Bd. 4 S. 1 ff. (1864). Vgl. dazu weiter Brunner, Schwurgerichte S. 463; Hinschius, Kirchenrecht 5, S. 426 ff.; H auck, Kirchengeschichte Deutschlands, II. Teil