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German Pages 289 Year 1997
DIRK SAUERLAND
Föderalismus zwischen Freiheit und Effizienz
Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von
Heinz Grossekettler, Münster' Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, Hamburg . Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier' Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main
Band 29
Föderalismus zwischen Freiheit und Effizienz Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Gestaltung dezentralisierter politischer Systeme
Von Dirk Sauerland
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sauerland, Dirk: Föderalismus zwischen Freiheit und Effizienz : der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Gestaltung dezentralisierter politischer Systeme I von Dirk Sauerland. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts ; Bd. 29) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08901-4 NE:GT
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-08901-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort "Why has govemment been instituted at all? Because the passion of men will not confonn to the dictates of reason and justice without constraints ...
Federalist Papers No. 15 Ohne entsprechende Rabmenregeln trägt das eigennutzorientierte Handeln von Menschen nicht unbedingt zum Wohle der Gemeinschaft bei, in der sie leben. Da die politischen Entscheidungsträger einer Gesellschaft auch nur Menschen sind, muß ihr Handeln ebenfalls durch adäquate Beschränkungen kanalisiert werden. Neben der in demokratisch verfaßten Gesellschaften üblichen horizontalen Gewaltenteilung besteht auch die Möglichkeit, die Staatsgewalt auf verschiedene Gebietskörperschaften dezentral zu verteilen. Eine Form dieser vertikalen Gewaltenteilung stellt der Föderalismus dar, der aktuell nicht nur vor dem Hintergrund der zukünftigen Zusammenarbeit der Staaten in Europa diskutiert wird. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, welchen Beitrag die Ökonomik leisten kann, wenn es darum geht, die politische Diskussion mit theoretisch fundierten Argumenten zu versorgen, um zu einer adäquaten Gestaltung dezentralisierter politischer Systeme zu gelangen; sie wurde im Mai 1996 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen Obwohl sich letztendlich nur einer mit dem Titel schmücken darf, so sind am Zustandekommen einer solchen Arbeit viele Menschen direkt und indirekt beteiligt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Manfred Borchert, der durch seine fachliche Unterstützung und die Bereitstellung der Lehrstuhl-Infrastruktur das Entstehen dieser Arbeit erst ermöglicht hat. Meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Heinz Grossekettler danke ich für seine konstruktive Kritik und die Unterstützung bei der Veröffentlichung. Beim Korrekturlesen halfen mir mit vielen zusätzlichen Anmerkungen meine Kollegen Dr. Mathias Erlei, Dr. Martin Leschke, Klaus Nowak und Dr. Hansjörg Rodi. Die Literaturbeschaffung, insbesondere das Kopieren wurde durch den unermüdlichen Einsatz vieler studentischer Hilfskräfte sehr erleichtert. Last but not least hat Susanne Thiemann dankenswerterweise und mit großer Geduld erst das Manuskript getippt und dann in seine endgültige Formatierung gebracht.
Vorwort
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Trotz dieser vielfältigen fachlichen Unterstützung wäre die Arbeit nicht zustandegekomrnen ohne diejenigen, die auf andere, besondere Weise geholfen haben. Ich danke meinen Eltern, die mir meine Ausbildung ermöglichten und mir auch sonst vieles mit auf den Weg gegeben haben; leider konnte mein Vater den Abschluß meines Studiums und die anschließende Promotion nicht mehr miterleben. Das größte "Danke" schulde ich meiner Frau. Sie hat mit viel Verständnis die Zeitknappheit, die angespannten Nerven und meine - hoffentlich nur manchmal - schlechte Laune ertragen, mich immer wieder motiviert und auch moralisch unterstützt. Ich werde versuchen, mich dafür zu revanchieren. Ihnen widme ich diese Arbeit.
Dorsten im Januar 1997
Dirk Sauerland
Inhaltsverzeichnis A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme .. .................... ................. I.
Argumente Pro und Contra dezentralisierte Systeme......................................
13 16
11. Ausprägungen dezentralisierter politischer Systeme....................................... 20 III. Ökonomische Theorie und dezentralisierte politische Systeme ...................... 28. IV. Argumentationsrahmen und Gang der Untersuchung .................. .. ...... ........... 37 Teil} Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
41
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie........................................ .. .......................... 41 I.
Kriterien zur Charakterisierung öffentlicher Leistungen................................ 44 I. Das Kriterium "Rivalität im Konsum" .............................................. ........ 46 2. Das Kriterium "Exkludierbarkeit" ........ .................. .................................. 50
11. Folgerungen .................................................................. ,................................. 54 C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus...................................................... 59 I.
Die Wirkung der Abwanderung.... .............. .................... ................................ 59 I. Die Wirkung in der statischen Betrachtung .............. ................................ 61 2. Die Wirkung in der dynamischen Betrachtung......................................... 70
11. Folgerungen .................................................................................................... 77 D. Die Wirkung von Spillovers........ .... ............ .................................................... ...... 81 I.
Eine wohlfahrtökonomische Analyse von Spillovers ........................ ............. 85
11. Eine preistheoretische Analyse von Spillovers .......................................... ..... I. Neutrales Verhalten der Anbieter ............................................................. a) Anpassung b~i adaptiven Erwartungen ....................... ....................... b) Anpassung bei rationalen Erwartungen .............. ........................ ........ c) Eine Simulation der Ergebnisse .......................................................... 2. Aktives Verhalten der Anbieter: Ausbeutung oder Kooperation ..............
90 90 96 98 100 106
111. Folgerungen ........... ......................................................................................... 112
8
Inhaltsverzeichnis
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative ....................................... 117 1.
Die Grenzen der Abwanderung als Sanktionsrnechanismus ........................... 117 I. Abwanderung und Imperfect Choice ........................ ........ ........................ 118 2. Die räumliche Wirkung der Abwanderung ............................................... 123
II. Wahlen als Alternative zur Abwanderung ...................................................... 130 III. Folgerungen .................................................................................................... 137 Teil 2 Dezentralisierte politische Systeme und Neue Institutionenökonomik
141
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung ................................................ 141 1.
Die Nachfragerseite: Kosten der politischen Beteiligung ............................... I. Die Kosten der Abwanderung...................... ......................... .................... 2. Die Kosten des Wählens ........................................................................... 3. Implikationen für die Wahl zwischen Abwanderung und Wahlen ...........
142 144 150 159
II. Die Anbieterseite: Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen......................... I . Die Kosten der Administration.............................. .... ............ ............ ....... 2. Die Kosten der Koordination .................................................................... 3. Implikationen für die Wahl zwischen Administration und Koordination ............................................................................................................
164 168 169 171
III. Interdependenzen der Kosten auf Seiten der Nachfrager und Anbieter .......... 174 IV. Folgerungen .................................................................................................... 180 G. Das Verhalten der politischen Akteure .................................................................. 183 1.
Die Akteure im politischen Prozeß ..... ............................ ................................ 184 I. Die Anbieterseite: Politiker und Bürokraten ............................................. 185 2. Die Nachfragerseite: Organisierte und unorganisierte Interessen ............. 192
II. Besonderheiten einer föderalen Struktur......................................................... 196 III. Folgerungen .................................................................................................... 203 H. Entstehung und Stabilität dezentralisierter Systeme ............................................. 2 I I 1.
Die Bedeutung von Regeln in Kollektiven ..................................................... 2 I 2 I. Verhaltensmuster und interne Regeln .............. :........................................ 213 2. Verhaltensmuster, Regelverstöße und Regeldurchsetzung ....................... 2 I 6
II. Die Begründung eines foderal gegliederten Gemeinwesens ........................... 225 I. Die hypothetische Entstehung eines regelorien.tierten Gemeinwesens ..... 225 2. Entwicklung und Stabilität föderaler Strukturen ...................................... 229
Inhaltsverzeichnis III. Die Kosten des institutionellen Wandels ........................................................ I. Die Kosten rein dezentraler und föderaler Strukturen im Vergleich ......... 2. Die Kosten einer Vertiefung der Struktur ................................................. 3. Die Kosten der Erweiterung einer Struktur...............................................
9
234 235 240 243
IV. Folgerungen .................................................................................................... 249 I.
Zusammenfassung ................................................................................................. 255 Literaturverzeichnis
265
Stichwortregister
286
Abbildungsverzeichnis Abbildung I: Fonnen dezentralisierter politischer Systeme .................................... .
23
Abbildung 2: Der föderale Staatsaufbau im Überblick............................................. 24 Abbildung 3: Rivalitätsgrad in Abhängigkeit von der Nutzerzahl........................... 50 Abbildung 4: Der dezentralisierte Staatsaufbau auf Basis der Kollektivgütertheorie................................................................................................. 56 Abbildung 5: Transfonnationskurve im 2-Güter-Fall............................................... 87 Abbildung 6: Die Wirkung von Spillins auf die Allokation..................................... 88 Abbildung 7: Reaktionsgeraden bei adaptiven Erwartungen ........................................ 101 Abbildung 8: Reaktionsgeraden bei rationalen Erwartungen ................................... 101 Abbildung 9: Ergebnisse der Modellrechnung ................. ........................................ 102 Abbildung 10: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung...................................... 106 Abbildung 11: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung in Gemeinde A ............ 109 Abbildung 12: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung in Gemeinde B ............. 109 Abbildung 13: Gesamte Kosten des Wählens in Abhängigkeit vom Zustimmungsgrad ..................................................................................................... 153 Abbildung 14: Entscheidungsfindungskosten in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen ........................................................................................... 155 Abbildung 15: Externe Kosten in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen .......... 156 Abbildung 16: Gesamte Kosten des Wählens in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen ........................................................................................... 158 Abbildung 17: Gesamte Kosten des Wählens bei einfacher Mehrheitsregel .............. 158 Abbildung 18: Aufbauorganisation der Bereitstellung bei externer Beschaffung ...... 166 Abbildung 19: Aufbauorganisation der Bereitstellung bei eigener Produktion .......... 167 Abbildung 20: Administrations- und Koordinationsbedarf im föderalen Staatsaufbau ................................................................................................. 172 Abbildung 21: Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen in Abhängigkeit vom Zentralisierungsgrad ........................................................................... 173
Abbildungsverzeichnis
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Abbildung 22: Reaktionsgeraden der Bürger und der Regierungen ........................... 175 Abbildung 23: Transaktionskosten in Abhängigkeit vom Zentralisierungsgrad ........ 179 Abbildung 24: Arten von Regeln im Überblick .......................................................... 224 Abbildung 25: Die Theoriebausteine im Überblick .................................................... 261
A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme "Wirtschaftliche Notstände sind es, welche die weitverbreitete Stumpfheit gegenüber dem aufgeworfenen Problem zum Schwinden bringen."
Walter Eucken [1959], S. 7 Betrachtet man die Liste der Probleme, die heute und in den nächsten Jahren auf der Agenda der politischen Entscheidungsträger stehen, findet man an exponierter Stelle die Frage, wie die Zusammenarbeit der Staaten in Europa institutionell gestaltet werden soll. Die Frage nach der adäquaten Ausgestaltung der Zusammenarbeit ist so alt wie die europäische Integration und ist im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen institutionellen Arrangements gelöst worden. I Die Geschichte der europäischen Integration ist mithin auch eine Geschichte des institutionellen Wandels. 2 Die erste Stufe der Integration begann 1951 mit Gründung der Europäischen Gemeinschaft rur Kohle und Stahl (EGKS). In ihr erfolgte die vertragliche Vereinbarung, eine wirtschaftliche Teilintegration Europas durchzufiihren und einen gemeinsamen Markt rur den Montanbereich zu schaffen. Dieser multilaterale Vertrag wurde 1957 durch Vereinbarungen über andere wirtschaftspolitische Teilbereiche (EURATOM und EWG). ergänzt. Auch diese Verträge wurden zwischen unabhängigen, souveränen Staaten geschlossen. Jedoch erfolgte mit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge auch die Konstituierung eines Europäischen Parlaments. Die bestehenden drei Teilverträge wurden 1965 im Zuge der Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengefaßt. Im Rahmen der EG gingen einige Kompetenzbereiche von den nationalen Regierungen auf die Europäische Kommission als Organ der Europäischen Gemeinschaft über. Diese Kompetenzverlagerung wurde durch eine Stärkung der Stellung des Europaparlaments unterstützt. Die EG, die offensichtlich eine andere institutionelle Ausgestaltung hat als ihre Vorgänger, soll gemäß der 1991 in Maastricht gefaßten Be-
I Vgl. im folgenden für die Entwicklung der europäischen Integration Eurostat [1995], S. 12-31. 2 Zu einer allgemeinen Beschreibung des institutionellen Wandels vgl. z.B. North [1988].
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A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
schlüsse in eine Europäische Union (EU) übergehen. Diese beinhaltet neben einer gemeinsamen Währung im Rahmen einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) auch eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedsländer auf den Gebieten der Justiz- und der Innenpolitik, sowie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Damit werden weitere Kompetenzen auf die Organe der zentralen Instanz in Europa verlagert. Vor dem Hintergrund der gewachsenen Mitgliederzahl der EU, weiterer beantragter Mitgliedschaften - insbesondere der mittel- und osteuropäischen Transformationsländer - sowie der Vertiefung der Zusammenarbeit in den genannten Bereichen innerhalb der bestehenden Europäischen Union stellt sich die Frage nach der adäquaten institutionellen Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit in Europa um so dringlicher. 3 In der entsprechenden politischen Diskussion finden sich auch Vorschläge, die Union in Form einer Föderation oder eines Staatenbundes zu organisieren. 4 Diese Vorschläge werden vor dem Hintergrund großer Übereinstimmung darüber gemacht, daß die Kompetenzen der nationalen Regierungen weitgehend erhalten bleiben sollen. Damit bietet sich eine dezentralisierte Gliederung der Europäischen Union an. Ob diese dezentralisierte Gliederung aber in Form einer föderalen Struktur, d.h. durch Integration der bestehenden Nationalstaaten zu einem neuen Gebilde, oder in Form einer Kooperation zwischen den bestehenden Staaten organisiert werden soll, kann in der politischen Diskussion nicht eindeutig beantwortet werden. 5 Eine neue Aktualität bzw. Bedeutung erhält die Föderalismusdiskussion zur Zeit aber nicht nur durch die politische Integration Europas, wo das föderale Prinzip möglicherweise als Grundbaustein der Einheit in Vielheit dienen soll.6 Ein weiteres Beispiel tUr die Lebendigkeit des Föderalismus stellt die Diskussion in Deutschland um eine Stärkung der Länderkompetenzen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung mit dem Bund dar; ebenso gibt es eine Diskussion um die Auswirkungen der (Wieder-) Vereinigung auf die föderale Ordnung in Deutschland. 7 Auch die Entwicklung in Belgien, wo ein stärkerer Föderalismus dazu tUhren soll, die Animositäten zwischen Flamen und Wallonen
3 Vgl. FreylKirchgässner [1994], S. 30. 4 So z.B. InmanlRubin/eid [1992], Wiedmann [1992] sowie Müller [1993] und SiebertlKoop [1993]. 5 Vgl. Rist [1995]. 6 Vgl. dazu kritisch Schubert [1994], S. 38f. Zu den Auswirkungen der europäischen Integration auf die Situation der deutschen Bundesländer vgl. JefJerylYates [1993]. 7 Vgl. dazu Schultze [1993]. Dazu gehört beispielsweise auch die "Gebietsreform" mit der Zusammenlegung der Länder Berlin und Brandenburg. Vgl. z.B. Wurzel [1990] und Benz [1993] sowie Gunlicks [1994].
A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
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zu dämpfen, sowie der Versuch, den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien durch die Gründung einer Föderation in den Griff zu bekommen, zeigen die Aktualität diese Prinzips.8 Neben diesen zentripetalen Tendenzen zur Bildung neuer föderaler Strukturen gibt es aber auch entgegengesetzte Entwicklungen, nämlich bei bestehenden Föderationen. Dazu gehört die fortwährende Diskussion in Kanada, wo nach den letzten Regionalwahlen in der Provinz Quebec die Partei der Separatisten einen großen Wahlerfolg erzielen konnte und das Thema der Abspaltung von Rest-Kanada auf die Tagesordnung brachte.9 Auch die Entwicklung in der ehemaligen UdSSR, deren Nachfolgeorganisation GUS auch schnell zerfiel, gehört zu dieser zentrifugalen Tendenz. Eine dezentrale Staatsgliederung in Form einer Föderation besteht in mehr als 50 Prozent aller existierenden Nationalstaaten.) 0 Diese Zahl zeigt, daß eine solche Gliederung zwar weit verbreitet, aber nicht unumstritten ist. Dezentralisierte Staatsgliederungen, insbesondere der Föderalismus, erfahren in den letzten Jahren wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit. Viele Länder sehen in dieser dezentralen Form der Staatsgliederung eine Möglichkeit, ihre Probleme mit verschiedenen kulturellen und/oder ethnischen Gruppen, die innerhalb eines Staatsgebiets zusammenleben, lösen zu können, und somit die Einheit des Staates zu erreichen bzw. zu erhalten. Die Tatsache, daß es sowohl Tendenzen hin zur Gründung einer Föderation gibt, als auch solche, die zu einer Auflösung föderaler Strukturen fUhren, zeigt, daß eine föderale Struktur nicht immer die adäquate Form ist, um die Zusammenarbeit zwischen - mehr oder weniger - autonomen· (Teil-)Staaten zu organisieren. Damit stellt sich die Frage nach der jeweils adäquaten institutionellen Ausgestaltung einer solchen Zusammenarbeit. . Im Rahmen der Politikberatung ist hier auch die Ökonomik gefragt, inwieweit sie im Rahmen ihres theoretischen Instrumentariums einen Beitrag zur Lösung dieses Auswahlproblems leisten kann. Die Wirtschaftswissenschaft ist 8 Auch in Südafrika wird die Einführung föderaler Strukturen diskutiert. Vgl. dazu beispielsweise Karpen [1994] sowie o.V. [1995]. Der gesamte Prozeß zur Findung einer Verfassung in Südafrika ist umfassend in den Beiträgen von Vi/liers [Hrsg./1994] dargestellt. Zu ähnlichen Überlegungen für Israel, durch eine dezentrale bzw. föderale Gliederung ein Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem Staat zu erreichen, vgl. Bremer [1995]. 9 Vgl. Wieland [1995]. Das Referendum am 30.10.95 ergab keine Mehrheit für eine Abspaltung Quebecs von Kanada. Gleichwohl ist das Thema für die Separatisten weiter aktuell. Vgl. Wieland [1996]. \0 Vgl. Maier [1990], S. 215 und Riker [1964], S. I.
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A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
hier um so mehr gefordert, als sich einer ihrer Forschungszweige, die Neue Institutionenökonomik explizit mit eben dieser adäquaten Ausgestaltung unterschiedlicher institutioneller Arrangements beschäftigt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll daher der Versuch gemacht werden, die Ansätze, die sowohl die traditionelle Ökonomik als auch die Neue Institutionenökonomik zur Analyse von dezentral gegliederten politischen Systemen liefern, darzustellen, zu systematisieren und auf ihren normativen Gehalt in bezug auf das zu lösende Gestaltungsproblem zu untersuchen.
I. Argumente Pro und Contra dezentralisierte Systeme Wenn sich nun schon so viele Föderationen auf der Weltkarte finden lassen, neue hinzukommen und alte zerfallen, so drängt sich die Frage auf, welche Vor- bzw. Nachteile die dezentrale Staats struktur im Vergleich zu ihren Alternativen bietet. In ökonomischen Arbeiten werden dabei in der Regel folgende Argumente angefiihrt: 11 Charakterisiert man die Föderation als dezentral gesteuerte Organisation, den unitaristischen Staat hingegen als zentral gesteuert, so ist zunächst das von Hayek formulierte Argument fiir eine dezentrale Wissensverwertung anzufiihren. 12 Ebenso, wie es eine Anmaßung von Wissen ist, zu erwarten, daß eine zentral geleitete Wirtschaft funktionieren könnte, ist auch das Ausmaß an zu erhebenden und zu verarbeitenden Informationen fiir eine zentrale Staatsplanung zu groß, als daß es von einer einzigen Stelle bewältigt werden könnte. 13 Das Ausmaß des zur Steuerung notwendigen Wissens ist abhängig von der Größe bzw. Komplexität der zu steuernden Organisation: Während also für kleine (Stadt-)Staaten wie beispielsweise Monaco oder Luxemburg und Liechtenstein eine zentrale Steuerung möglich sein kann, sind insbesondere Flächen mit Staaten wie z.B. die USA oder auch die frühere UdSSR nicht allein durch eine Zentralregierung zu lenken. 14 Erst bei einer dezentralen Verarbeitung von
11 Auch in der juristischen Literatur werden Rechtfertigungsgründe fUr die Vortei1haftigkeit von Föderationen angebracht, so z.B. bei Bothe [1994], S. 24ff. 12 V gl. Hayek [1935], S. 210. 13 Die überlegene Problemlösungsfähigkeit dezentraler Strukturen wird von den Anhängern der Marktwirtschaft mit dem Argument belegt, die zentrale Planung verlange ein derartiges Ausmaß an Wissen, das in praxi nirgends und zu keiner Zeit zentral akkumuliert werden könne. Diese Anmaßung von Wissen fUhre dazu, daß die Planung an den Bedürfnissen der Nachfrager vorbeilaufe. Vgl. dazu grundlegend Hayek [1975). 14 Im weiteren Verlauf der Arbeit werden nur große Staaten betrachtet; erstgenannte Kleinstaaten bleiben unberücksichtigt.
A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
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Wissen gehen a) mehr Informationen und b) mehr Erfahrungen in den Entscheidungsprozeß ein, was einen unbestreitbaren Vorteil der dezentralen Struktur darstellt. 15 Ein weiteres Argument, das von den Befürwortem einer dezentralen Organisation häufig angeführt wird, ist der Hinweis auf die V orteilhaftigkeit des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften. 16 Dieser Wettbewerb innerhalb eines Gesamtgebiets kann nur in dezentral organisierten Ordnungen herrschen, in denen die einzelnen Jurisdiktionen über eigene Kompetenzen in den Bereichen der Exekutive, der Legislative und der Judikative verfügen. Durch die Dezentralisierung der Kompetenzen kann jede Gebietskörperschaft individuell auf die Präferenzen ihrer Einwohner eingehen. Der potentielle Wettbewerb zwischen den jeweiligen Gemeinden, Ländern oder' Staaten fUhrt dazu, daß auch in dynamischer Hinsicht die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Leistungen sichergestellt wird. Der Wettbewerb dient hier auch als "Entdeckungsverfahren"1 7, um innovativen Jurisdiktionen die Möglichkeit zu geben, im Parallelwettbewerb von den Bürgern gewünschte Verbesserungen zu fmden. Durch die Konkurrenz der Körperschaften - so das Argument - werden sich bessere Lösungen durchsetzen, d.h. sie werden von den anderen Jurisdiktionen imitiert. Das Wettbewerbsargument kann aber nicht nur in bezug auf die Konkurrenz zwischen Jurisdiktionen derselben Ebene angeführt werden; für eine Föderalstruktur kann zusätzlich auch der Wettbewerb zwischen verschiedenen föderalen Ebenen eine vorteilhafte Wirkung entfalten. 18 In dieser Hinsicht kann - bei entsprechender Ausgestaltung der institutionellen Gegebenheiten - beispielsweise die Ebene der Länder ein Korrektiv zur Bundesebene bilden. Diese "Countervailing powers" der Länder charakterisieren die Funktion des Föderalismus als Instrument der vertikalen Gewaltenteilung. Der Föderalismus ist in dieser Hinsicht eine Ergänzung zur horizontalen Gewaltenteilung in Exekutive, Legislative und Judikative. Dezentral gegliederte Staaten, insbesondere Föderationen, bieten weiterhin den Vorteil, einzelne Jurisdiktionen mit Kompetenzen auszustatten, die es 15 Vgl. Mayntz [1990], S. 234 und 241ff. In der von Isensee [1990a], S. 248f. und 259-261 aufgezeigten juristischen Diskussion bekommt man hingegen den Eindruck vermittelt, als handele es sich beim Zentralstaat um die problemlösungsüberlegene Staatsform. Ebenso Evers [1994], S. 51: "Der Einheitsstaat ist die Grundform, der Föderalismus die begründungsbedürftige Variante." 16 Vgl. z.B. BrennanlBuchanan [1980], S. 184. 17 Vgl. zum "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" Hayek [I 969b]. 18 Vgl. z.B. Oates [1989], S. 579. 2 Sauerland
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ermöglichen, ein hinsichtlich seiner Präferenzen heterogenes Staatsvolk in homogeneren Subeinheiten zu organisieren. 19 Das kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn sich die Bevölkerung eines Staates aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen mit unterschiedlichen Kulturen zusammensetzt. 20 Allerdings ist hierbei zu beachten, daß die räumliche Gliederung und die Zuordnung der Kompetenzen nicht in einer Weise erfolgt, daß (potentielle) Konflikte lediglich von der intrakollektiven auf die interkollektive Ebene verschoben werden und das Konfliktverhinderungspotential im dezentral gegliederten Staat so zu einem Nullsummenspiel wird. 21 Dezentrale Staatsgliederungen bringen aber nicht nur Vorteile. So ist mit der Dezentralisierung z.B. die Gefahr einer fehlenden, kurzfristigen Reaktionsfähigkeit auf Ausnahmesituationen verbunden. Hier kann man eine Analogie zur Wettbewerbstheorie aufbauen, die grundsätzlich auch dezentrale Strukturen präferiert, in Ausnahmefällen, wie z.B. bei Naturkatastrophen oder Kriegen, aber durchaus die schnelleren Reaktionsmöglichkeiten von zentralen Steuerungselementen akzeptiert. Auch ist die von den Befürwortern angeftihrte hohe Problemlösungsfähigkeit des dezentral gegliederten Staates mit dem Nachteil einer komplexen Struktur solcher Staatsformen verbunden. 22 Diese Komplexität führt zum einen dazu, daß keine einfachen Modelle von dezentralisierten politischen Systemen entwickelt werden können, die den realen Interdependenzen innerhalb einer solchen Gliederung auch nur annähernd gerecht werden. 23 Die mit der Komplexität verbundene Undurchschaubarkeit führt andererseits zu einer natürlichen
19 Zu solchen Vorteilen fOderaler Strukturen vgl. auch Elazar [1994], S. 29. 20 Vgl. zu einem solchen instrumentellen Einsatz des Föderalismus die - wohl erfolglos bleibenden - Bemühungen im früheren Jugoslawien. Vgl. auch Bathe [1994], S. 23 und S. 25. 21 Vgl. zur Unterscheidung intra- und interkollektiver Konflikte sowie den daraus resultierenden Problemen Kirsch [1980). 22 Vgl. auch Zimmermann [1987], S. 64. 23 Dieses Argument scheint insbesondere für die Theoretiker interessant, die sich seit jeher schwertun, Föderationen innerhalb der Staatslehre unterzubringen. Hier mag auch der Grund dafür liegen, daß es Juristen teilweise schwerfallt, Föderationen gegen den Zentralstaat zu verteidigen. Schließlich läßt sich der Zentralstaat besser in der Staats(rechts)lehre subsumieren. Vgl. Isensee [1990a], S. 264f. und Maier [1990], S. 215-218. Aber nicht nur für die Theorie ist Komplexität ein Problem: Geht man davon aus, daß ein Gemeinwesen nur so stabil ist, wie die überwiegende Zustimmung in der Bevölkerung, die ihn bildet und also trägt, bereitet es Schwierigkeiten, diese Zustimmung zu festigen, wenn das zu beschreibende Phänomen komplex ist. Die Komplexität führt dazu, daß Zusammenhänge, insbesondere für Laien, undurchschaubar werden.
A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
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Skepsis und auch einem gewissen Unverständnis gegenüber dem betrachteten Phänomen - sowohl bei den Theoretikern als auch bei der in Föderationen lebenden, und damit direkt von ihr betroffenen Bevölkerung. 24 Ein weiteres, mit Föderationen verbundenes Problem, ist die Möglichkeit gegenläufiger Interessen auf den unterschiedlichen Ebenen. 25 Treten solche Interessenkonflikte auf, kann es dazu kommen, daß sich politische Handlungen gegenseitig neutralisieren. Je nach der institutionellen Ausgestaltung von Mitwirkungsmöglichkeiten der unteren Ebenen bei Entscheidungen auf höheren Ebenen, kann es sogar zu einer Blockierung der Handlungsfähigkeit kommen. 26 Die Möglichkeit einer potentiellen Blockade verstärkt sowohl die angeführten Probleme bei kurzfristig auftretenden Ausnahmesituationen, ist aber auch in Zeiten ohne Ausnahmesituationen unerwünscht. Faßt man die Vor- und Nachteile zusammen, so muß man feststellen, daß bei idealtypischer Funktionsweise der dezentralisierte Aufbau eines Staates Vorteile aufweist, die insbesondere in demokratisch verfaßten, größeren Gemeinwesen bedeutend sein dürften. Auf der anderen Seite ist diese Art von Staatsgliederung als komplexes Phänomen27 anfällig gegen Kritik. Sie muß gegen 24 In den Jahren zwischen 1951 und 1962 wurden Umfragen vom Institut für Demoskopie in Allensbach durchgeführt, die in der bundesdeutschen Bevölkerung das Wissen um die Funktion der föderalen Elemente des Staatsaufbaus abfragen. Dabei stellte sich heraus, daß z.B. im Juli 1962 nur 11 Prozent der Befragten die Funktion des Bundesrates richtig einordnen konnten. Vgl. Deuerlein [1972], S. 1Of. 25 Heterogene Interessenlagen können auch zwischen Jurisdiktionen einer Ebene auftreten. Vgl. Lerche [1985], S. 348. Ein typisches finanzwissenschaftliches Beispiel für eine Kompensationswirkung von Maßnahmen zwischen zwei Ebenen ist der sogenannte "Flypaper effect". Dabei werden annahmegemäß die Einnahmen und Ausgaben der Zentralregierung zurückgeschraubt, um den privaten Wirtschaftssubjekten mehr disponibles Einkommen zur Verfügung zu stellen. Wird die Steuerentlastung direkt an die Steuerzahler weitergegeben, tritt der gewünschte Effekt ein. Wird hingegen die Steuerentlastung an eine untere Ebene weitergegeben - damit diese ihrerseits die Bürger entlastet - versickert das Geld bei den unteren Jurisdiktionen. Es wird dort nicht weitergegeben, sondern für öffentliche Leistungen verwendet. Vgl. zum Flypaper effect Oates [1991 a], S. 8f. und King [1992], S. 34-41. 26 Nimmt man den Fall der Bundesrepublik, so kann es aufgrund des Zwei-Kammer-Systems im Bund dazu kommen, daß der Bundesrat als Ländervertretung die Entscheidungen des Bundestags in Gesetzgebungsverfahren blockieren kann. Voraussetzung sind die Zustimmungspflicht des Bundesrates und eine Mehrheit im Bundesrat, die von der Mehrheit des Bundestags abweichende Interessen hat. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn die Bundes-Opposition die Mehrheit der Regierungen auf Landesebene stellt. Ähnlich auch schon RikeriSchaps [1957], S. 277. 27 Zur Charakterisierung komplexer Phänomene vgl. Hayek [1972). 2"
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A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
diese Kritik geschützt werden, ist allerdings - aufgrund ihrer Komplexität argumentativ nur schwer zu fassen. 28 Für die Wissenschaft als Politikberatung ergeben sich hier vieWiltige Aufgaben: Zum einen kann sie dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die Funktionsweise dezentraler Strukturen zu vermitteln. Sie hat aber auch die Aufgabe, beratend und beeinflussend das institutionelle Design dezentraler Strukturen zu gestalten, damit die Vorteile dieser Strukturen zum Tragen kommen und ihre Nachteile vermieden werden. Somit sollte die Wissenschaft - und also auch die Ökonomik - sowohl im Bereich der positiven als auch der normativen Analyse dezentralisierter politischer Systeme aktiv tätig sein.
11. Ausprägungen dezentralisierter politischer Systeme Eine dezentrale Gliederung eines Staatsgebiets setzt zunächst voraus, daß das betrachtete Gesamtgebiet in Teileinheiten gegliedert wird. Diese Teileinheiten müssen über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen und zumindest in Teilbereichen eigene Kompetenzen für bestimmte Politikbereiche besitzen. In diesem Sinne geht es beispielsweise um die Selbstverwaltung von Regionen, die mehr oder weniger unabhängig von einer zentralen Instanz durchgeführt wird. Nach dem Grad der Unabhängigkeit bzw. dem Grad der Integration unabhängiger Teilgebiete .unter einem gemeinsamen Dach kann man verschiedene Ausprägungen dezentralisierter politischer Systeme unterscheiden. Häufigste Ausprägungen dieser Strukturen sind die vollkommen dezentrale Struktur, die
28 Auch an dieser Stelle erscheint ein Analogieversuch zur Markwirtschaft möglich. So wie es bei den Anhängern der Marktwirtschaft, trotz gleicher Meinung bezüglich der Vorteilhaftigkeit, Unterschiede in der Einschätzung bezüglich der Robustheit und Stabilität einer solchen Veranstaltung gibt, kann man auch über die Stabilität von Föderationen geteilter Meinung sein. Auch die Diskussion, ob Marktwirtschaft Mittel zum Zweck der Gewährung von Freiheit ist, oder einen eigenen Wert darstellt, kann auf Föderationen übertragen werden. So kann Föderalismus als Instrument zum Erreichen von Freiheit und Demokratie gesehen werden, oder einen eigenen Wert zugestanden bekommen. Vgl. zu dieser Diskussion ähnlich Isensee [1990a], S. 260. Geht man davon aus, daß der Föderalismus eine eigene Qualität hat und daß er geschützt werden muß, weil auch hier die Selbsterhaltungskräfte nicht ausreichen, braucht man Kriterien, die Auskunft darüber geben, unter welchen Voraussetzungen Föderationen stabil sind. Diese kann man im Sinne von Mustervorhersagen ableiten und daraus dann entsprechende Schutzmaßnahmen herleiten. Zum Begriff der Mustervorhersage im Hayekschen Sinne vgl. z.B. Graf[1978].
A. Die Diskussion um dezentralisierte politische Systeme
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KonfOderation bzw. der Staatenbund und die Föderation bzw. der Bundesstaat. 29 Eine vollkommen dezentrale Gliederung zeichnet sich durch völlige Unabhängigkeit der Teilgebiete aus. Es existiert keine zentrale Instanz, die gegenüber den Teilgebieten in irgendeiner Art und Weise weisungsbefugt wäre. Für den Fall, daß eine Kooperation zwischen den Teilgebieten zustande kommen soll, wird diese in der Regel über bi- oder multilaterale Verträge vereinbart. Dabei steht meistens nur ein politischer Teilbereich zur Koordination bzw. zur Zusammenarbeit zur Debatte. Die kooperierenden Teilgebiete bleiben auch nach Abschluß dieser Verträge vollkommen unabhängig, es wird keine zentrale Koordinierungsinstanz eingerichtet, und es werden keine Kompetenzen auf andere Stellen übertragen. Betrachtet man an dieser Stelle wieder exemplarisch den Werdegang der europäischen Integration, so lassen sich hier die ersten Teilverträge über die EGKS, die EWG und das EURATOM einordnen. Erste Tendenzen zur Zentralisierung von Aufgaben zeichnen sich ab, wenn die Kooperation bzw. Koordination zwischen unabhängigen Teilgebieten in Form eines Staatenbundes organisiert wird. Der organisatorische Aufbau ist im wesentlichen bestimmt durch die ständige Zusammenarbeit unter einem festen institutionellen Dach, während bei der rein dezentralen Lösung weder dieses gemeinsame Dach vorhanden ist, noch die Konsultationen regelmäßig bzw. ständig stattfinden. Das gemeinsame institutionelle Dach ist aber nicht mit eigenen Kompetenzen gegenüber den Teilnehmerstaaten ausgestattet. Vielmehr dient es nur zur Erleichterung der langfristigen Zusammenarbeit: Entscheidungen werden immer noch von den unabhängigen Teilstaaten getroffen.
29 Es gibt in der Literatur keine einheitliche Definition des Begriffs Föderalismus. Dieses Problem hatte schon Waitz [1853], S. 500: "Es fehlt der Sprache ein allgemein anerkannter Ausdruck, um die staatliche Organisation der Gesamtheit im Gegensatz gegen die der einzelnen Theile zu bezeichnen." Hier soll im folgenden weitgehend auf eine Begriffsabgrenzung zurückgegriffen werden, die auf Elazar [1987], S. 12 f. zurückgeht. Zu trennen ist dabei der Begriff der Föderation von den Begriffen Föderalismus und föderales politisches System. Während der Begriff der Föderation einen bestimmten Staatstyp charakterisiert, beschreiben die beiden anderen Begriffe allgemein das Phänomen einer dezentralen Staatsgliederung. Dabei wird der Ausdruck Föderalismus i.d.R. normativ für ein philosophisches Prinzip von politischer Integration und Freiheit benutzt. Hingegen steht das föderale politische System als deskriptiver Begriff für eine Mischung aus zentralen und dezentralen Elementen in einer Staatsgliederung. In der vorliegenden Arbeit wird als allgemeines, deskriptives Prinzip das "dezentralisierte politische System" verwendet, das sowohl Föderationen im obigen Sinn als auch Konföderationen oder andere konkrete Mischformen umfaßt. Zu einer ähnlichen Begriffsabgrenzung vgl. Watts [1994], S. 76-78.
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Noch stärkere institutionelle Formen werden bei einer Föderation bzw. bei einem Bundesstaat benutzt: Die Stellung des institutionellen Überbaus, der ebenso wie bei einer KonfOderation eingerichtet wird, wird jetzt durch die Übertragung von Kompetenzen der unabhängigen Teilgebiete auf diese zentrale Stelle gestärkt. Die zentrale Koordinierungs- und Kooperationsstelle erhält nicht nur eigene Kompetenzen, sondern auch eine eigene Rechtspersönlichkeit. Damit entsteht für die Zentrale nicht nur eine Staatlichkeit, sondern auch ein Staatsvolk, das diese Staatlichkeit bildet. Die Teilgebiete geben mit der Errichtung einer Föderation einen Teil ihrer Unabhängigkeit auf, bleiben aber in wesentlichen Teilen ihrer Politik unabhängig. Anhand dieser Differenzierung läßt sich die bestehende Europäische Union als Zwischenform von Bundesstaat und Staatenbund ansehen, da wohl schon Kompetenzen von den Nationalstaaten auf die zentrale Ebene der EU übergegangen sind, die EU an sich aber noch nicht über ein eigenes Staatsvolk verfügt. Unterscheiden lassen sich die verschiedenen Formen der dezentralen Staatsgliederung im wesentlichen durch die Stellung der Zentrale in diesem System. Ist keine Zentrale vorhanden, existieren völlig unabhängige Staaten oder andere Teilgebiete; gibt es eine Zentrale, so verringert sich der Grad der Unabhängigkeit der Teilgebiete. Nimmt man die föderale Struktur als Mittelpunkt dieser Abgrenzung, so lassen sich zwei Tendenzen weg vom Föderalismus ausmachen: Dominieren die zentrifugalen Kräfte in einer Staatsgliederung, so nimmt die Bedeu«:rng der dezentralen Einheiten zu, und es kommt zu einer Entwicklung zum Partikularismus, wie er sich z.B. in der früheren UdSSR oder der früheren CSFR zeigt. Dominieren hingegen die zentripetalen Kräfte im Staatsaufbau, so kommt es zu einer zentralistischen Tendenz, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland teilweise beklagt und rür die Europäische Union befürchtet wird. Aufgrund der unterschiedlich starken Bindung zwischen Zentrale und - falls vorhanden - Teileinheiten kommt man zu der in Abbildung 1 dargestellten Begriffszuordnung. 30 Faßt man diese Überlegungen zusammen, so ergibt sich ein föderales politisches System31 als eine quasi gleichgewichtige Machtverteilung zwischen einer
30 Eine ähnliche Systematisierung findet man bei Schultze [1983], S. 93 sowie bei Elazar [1987], S. 38-64, der darüber hinaus auch zeigt, in welchen Ländern die verschiedenen Ausprägungen föderaler politischer Systeme implementiert sind. 31 Das "föderale politische System" wird hier wieder als allgemeines Prinzip verwendet. Die Frage, ob ein Staatenbund oder ein Bundesstaat diesem Gleichgewicht entspricht, kann allenfalls für konkret bestehende Organisationen beantwortet werden. Dazu wäre allerdings zunächst eine grundlegende Analyse des Ist-Zustands der betrachteten Organisation notwendig. Vgl. zur Unterscheidung von allgemeinen Prinzipien und deren konkreter Anwendung Eucken [1949], S. 28-32 sowie [1952], S. 252.
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Zentrale als umfassender Einheit und - zumindest in Teilbereichen - autonomen Regionen als kleineren Subeinheiten. 32 Verläßt man diesen Gleichgewichtszustand, so wird entweder die Zentrale auf Kosten der Regionen gestärkt (Unitarismus), oder die Regionen stärken ihre Position auf Kosten der Zentrale (Partikularismus). Am Ende beider Entwicklungen steht die faktische Auflösung einer Ebene. 33 Aufbauprinzip
Unitarismus
Ausgestaltung
Zentralstaat
Föderation
Konföderation
Koordination der Teile über
Anweisungen der Zentrale
Föderationsverfassung
Konföderationsvertrag
Teilverträge
Bedeutung der Zentrale
++
±
-
--
...
Partikularismus
Föderalismus
I
autonome (Teil-)Staaten
Abbildung 1: Formen dezentralisierter politischer Systeme Aus dem bisher gesagten folgt, daß eine Grundvoraussetzung fiir das Vorhandensein dezentraler Strukturen die Existenz von selbständigen Teileinheiten ist. Diese Teileinheiten müssen über eine eigene Rechtspersönlichkeit und eigene Kompetenzbereiche verfUgen, wenn sie nicht zu bloßen Befehlsempfängern der Zentrale degenerieren sollen. Worin aber liegt die Besonderheit der föderalen Struktur als Spezialfall einer dezentralen Struktur? Der hier vorgestellte Ansatz versteht Föderalismus in einem weiten Sinn, und zwar als (räumlich) überlappende Gliederung unabhängiger Organisationen unterschiedlicher Größe, die gegenüber einer gegebenen Menge von kleinsten Einheiten hierarchische Kompetenzen haben. 34 Kennzeichnend fiir den Föde-
32 Zur Annahme, daß ein föderales System im Kontinuum zwischen rein zentralen und rein dezentralen Lösungen liegt, vgl. kritisch Elazar [1987], Kapitel 2. 33 Vgl. zu einer ähnlichen Föderalismusauffassung Röpke [1949], S. 328f. sowie Kirsch [1987], S. 28, der vom Föderalismus als einem "homöostatischen System" zwischen zentrifugalen und zentripetalen Kräften spricht. 34 Die Definition des Begriffs Föderalismus ist in der Literatur umfassend und kontrovers diskutiert. Man kann sowohl sehr enge Abgrenzungen finden, die Föderalismus darauf beschränkt sehen, daß diese Staatsgliederung explizit in der Staatsverfassung
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ralismus ist damit das Nebeneinander zentraler und dezentraler Kompetenzbereiche und Kompetenzträger. 35
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an OstromlSchroederlWynne [1993], S. 179. Abbildung 2: Der föderale Staatsaufbau im Überblick
Der Föderalismus als Organisationsprinzip eines Staates zeichnet sich insbesondere dadurch aus, daß das Staatsvolk von mehr als einer Regierung gelenkt wird: 36 Im dreistufigen Staatsaufbau, der in Abbildung 2 dargestellt ist, aufgenommen ist. Andere, weite Definitionen umfassen alle - auch nicht explizit fixierte - Gewaltenteilungen auf der vertikalen Ebene. Vgl. zur Diskussion verschiedener Definitionen beispielsweise Riker [1964], S. 11, Elazar [1974], S. 202 und Rudolf[198 I ], S. 312. Die hier gewählte Definition entspricht im wesentlichen der weiten Abgrenzung und wird auch in der juristischen Literatur verwandt. So z.B. Häberle [1991], S. 177, der Föderalismus als eine "irgendwie geartete Pluralität der politischen Leitungsgewalt" versteht. Auch Buchanan [1950], S. 583 definiert ähnlich, wenngleich nur unter Bezug auf die fiskalische Kompetenz, wenn er feststellt, daß "in a federalism, two [or more, D.S.] constitutionally independent fiscal systems operate upon the fiscal resources of individual citicens." 35 Vgl. beispielsweise Dates [1972], S. 17; Wust [1981], S. 4. 36 Unter eine solch weite Definition von föderalen Strukturen lassen sich auch Organisationsformen subsumieren, die man im Bereich von Wirtschaftsorganisationen findet. Wenn man z.B. annimmt, daß unter dem Dach einer übergeordneten Holdinggesellschaft Tochtergesellschaften als eigenverantwortliche Einheiten über die einzelnen Produktionsziele und die dabei eingesetzten Ressourcen und Abteilungen disponieren,
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"untersteht" jeder Nachfrager-Bürger (nb) drei Regierungen: jeweils einer lokalen Regierung (LR), einer regionalen Regierung (RR) und einer nationalen Regierung (NR). Gleichzeitig hat jeder Bürger in einem demokratisch verfaßten Staat Mitbestimmungsmöglichkeiten auf jeder dieser drei Ebenen. 37 Der Focus bei der Analyse dezentralisierter politischer Systeme richtet sich auf zwei Teilbereiche: Zum einen auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften auf einer Ebene, zum anderen auf die Beziehungen der einzelnen Ebenen zueinander. Während bei der Betrachtung der horizontalen Beziehungen, also Z.B. zwischen den einzelnen Gemeinden, Ländern und/oder Nationalstaaten sowohl rein dezentrale als auch föderale Strukturen untersucht werden, ist die vertikale Komponente allein bei föderalen Strukturen vorhanden. Hier müssen auch die Beziehung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden innerhalb eines Gesamtgebiets beachtet werden. Dieser vertikale Blickwinkel beleuchtet auch das rür föderale Staaten grundlegende Problem, nämlich das der Kompetenzverteilung: Auf welcher Ebene sollen welche Kompetenzen angeordnet werden? Und: Welche Ebene besitzt die Kompetenz-Kompetenz, also diejenige, die es ermöglicht, festzulegen, wer welche Kompetenzen bekommen soll?38 Die Formulierung dieser Fragen zeigt auch die qualitative Einordnung der Föderalismusdiskussion: Die Frage des Staats aufbaus ist ebenso wie die der Rechtstaatlichkeit ein genuines Verfassungsproblem. 39 Daraus ergibt sich aber auch die Frage, ob es nicht nur eine optimale Kompetenzverteilung, sondern auch eine optimale räumliche Gliederung eines Staatsgebiets gibt, die ja einer Kompetenzverteilung zugrundeliegt. Die Frage nach der optimalen räumlichen Gliederung läßt sich wiederum in zwei Teilbereiche differenzieren: Gibt es - im Sinne der vertikalen Differenzierung - eine optimale Anzahl unterschiedlicher jurisdiktionaler Ebenen in einer Föderation und gibt es - als horizontale Differenzierung - eine optimale Anzahl von gleichartigen Jurisdiktionen auf einer Ebene?40 Neben Antworten auf diese Fragen sollte so kommt das einer allgemeinen Form der Föderation nahe. Vgl. zu einer solchen allgemeinen Interpretation des Föderalismus z.B. Schmidtheiny [1992]. 37 Vgl. ähnlich Riker/Schaps [1957], S. 276. 38 Insbesondere die Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz ist eine mögliche Konfliktquelle zwischen oberer und unterer Ebene. Vgl. dazu auch RikeriSchaps [1957], S. 276f. sowie Stewing [1992], S. 28ff. 39 Vgl. dazu für die Bundesrepublik Stewing [1992], S. 37. 40 Vgl. ähnlich King [1992], S. 23, der den fiskalföderalistischen Ansätzen zusätzlich noch die Beantwortung der Frage nach einer angemessenen Finanzierung der unteren Ebenen und der Kontrolle durch die obere Ebene auferlegt.
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eine umfassende Theorie des Föderalismus in der Lage sein zu erklären, wie eine Föderation überhaupt zustandekommt, wann sie anderen Organisationsformen - z.B. dem Unitarismus - vorzuziehen bzw. überlegen ist und vor allem auch, welche Faktoren dafür ausschlaggebend sind, daß eine Föderation als stabiles Gebilde erhalten bleibt, in dem die oben erwähnten zentripetalen und zentrifugalen Kräfte zum Ausgleich kommen. Eine solche Theorie sollte dann nicht nur Anhaltspunkte fiir das Zustandekommen, sondern auch für das langfristige Bestehen oder aber das Auseinanderfallen von Föderationen geben können. Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Fachrichtungen versucht seit jeher eine solche umfassende Theorie des Föderalismus zu entwickeln: 41 Politologen und Soziologen42 untersuchen das Phänomen "Föderalismus" ebenso wie Philosophen43 , Historiker4 4 und Theologen45 , Juristen46 und Ökonomen47 . Während die meisten dieser Arbeiten einzeldisziplinär ausgerichtet sind, gibt es auch einige, die versuchen, das komplexe Phänomen "Föderalismus" in einem interdisziplinären Ansatz zu beleuchten. 48 Die große Zahl der Fachrichtungen, die sich mit der Föderalismusforschung beschäftigen, fUhrt dazu, daß sich neben den Blickwinkeln der Analysen auch die Inhalte, die mit dem Begriff "Föderalismus" verbunden wurden und werden, stark unterscheiden. Der Begriff "Föderalismus" stammt etymologisch vom lateinischen "foedus" ab, was übersetzt "Bund" oder "Bündnis" bedeutet. Seit der Zeit des Imperium Romanum gibt es das Wort "foedus" und auch Gebietskörperschaften bzw. deren Zusammenschlüsse, die mit diesem Namen charakterisiert wurden. Der Ausdruck "Föderalismus" wurde erst im 17. Jahrhundert - genauer: während des englischen Bürgerkrieges 1645 - geprägt. 49 Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen "Föderalismus" hat eine lange Tradition: Seit dem 16. Jahrhundert hat nahezu jedes Jahrhundert seine eigene Konzeption des So z.B. Neumann [1967] und Frenkel [1984]. Einen Überblick gibt Birch [1966). Vgl. z.B. Esser [1988). 43 Zum Föderalismus bei Kant vgl. Riley [1987). 44 Vgl. Deuerlein [1972] und Steinberger [1987). 45 Die theologische Beschäftigung mit dem Föderalismus geht bis auf die Bibel zurück; vgl. dazu Susser [1987). 46 Die juristische Literatur zum Thema Föderalismus ist umfassend. Als Übersicht sei hier nur auf Zippelius [1991], S. 370-377 verwiesen. 47 Einen Überblick über die ökonomische Forschung zum Föderalismus liefert z.B. 41
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Hamlin [1985). 48 So z.B. Benz [1985). 49 Vgl. Frenkel [1984], S. 81.
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Föderalismus als großen Ordnungsentwurf. 50 Frühe Wurzeln solcher Entwürfe kann man im Deutschland des 16. Jahrhunderts finden, wo Althusius seine Gedanken zum Staatswesen entwickelte. 51 Äußerst aktuell wurde die Idee des Föderalismus bei der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Dort wurden die Grundzüge aller späteren Föderationen entwickelt und von Hamilton, Madison und Jay in den berühmten Federalist Papers niedergeschrieben. 52 Später wurde dieser Föderalismus amerikanischer Prägung quasi zur Blaupause für die Nachkriegsordnung in Westdeutschland. 53 Aber ebenso, wie die faktische Gestaltung dieser Bündnisse im Laufe der Jahrhunderte wechselte, änderte sich auch der mit den Begriffen Föderalismus und/oder Föderation verbundene Inhalt. 54 Gab es im 19. Jahrhundert beispielsweise noch eine starke theoretische Auseinandersetzung mit dem Föderalismus auf internationaler Ebene 55 , so wechselte der Inhalts- und Forschungsschwerpunkt im 20. Jahrhundert eher in die nationale Gliederung eines Staates. 56 Im 20. Jahrhundert erscheint der Begriff "Föderalismus" als juristisch besetzter Begriff der Staatsrechtslehre. Was aber kann die ökonomische Theorie zur Analyse des Föderalismus, oder allgemeiner, zur Analyse dezentraler Staatsgliederungen beitragen?
50 Vgl. z.B. den Titel von Elazar [1987a]: "Viewing Federalism as Grand Design". 51 Vergleiche zu Althusius als föderalem Vordenker Hueglin [1987] oder auch Gierke [1958]. 52 Siehe Hamiiton/MadisonlJay [1961). Vgl. dazu auch Ostrom [1976] sowie Dorn [1988], der versucht, James Madison in die Reihe der modemen ökonomischen Verfassungstheorie einzuordnen. 53 So z.B. Riker [1964], S. 115. Schon der Verfassungsentwurf von 1848 aus der Frankfurter Paulskirche war vom Vorbild der Verfassung der USA beeinflußt. Vgl. Isensee [1990a], S. 262, FN 37 sowie Steinberger [1987], S. 16ff. Es gab auch Pläne, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg eine Europäische Föderation ins Leben zu rufen. Vgl. dazu die Beiträge in Lipgens [Hrsg./1945). 54 Vgl. ähnlich Deuerlein [1972], S. 9f., Schubert [1994], S. 36 sowie kritisch Bothe [1994], S. 25f. 55 Vgl. z.B. Deuerlein [1972], S. 108 unter Bezugnahme auf Frantz [1962). Allerdings gibt es hier auch noch regionale Differenzen. Während der französische Zweig der Föderalismusforscher im 19. Jahrhundert besonders die Unabhängigkeit der kleineren Einheiten im Föderalismus betonte, gab es in Deutschland die oben erwähnte eher international ausgerichtete Auslegung von föderalen Strukturen. Vgl. Maier [1990], S. 214. 56 Vgl. dazu beispielsweise die Studie von EsterbauerlThöni [1981], die sich konkret auf Österreich bezieht, sowie die Beschreibung der Situation in Deutschland bei Isensee [1990).
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III. Ökonomische Theorie und dezentralisierte politische Systeme "Wie schon viele vor mir, will ich die Grundlagen für eine Gesellschaft untersuchen, deren Mitglieder frei sein wollen und die gleichzeitig die durch ihre wechselseitige Abhängigkeit im gesellschaftlichen Bereich gezogenen Grenzen erkennen."
James M. Buchanan [1984], S. XI Auch in der Ökonomik gibt es eine Tradition, Entwürfe für die Gestaltung von Ordnungen zu entwickeln. Während sich die älteren dieser Entwürfe allein auf die Gestaltung einer Wirtschaftsordnung beschränkten, beziehen sich neuere Ansätze auch explizit auf die Ordnung des Staates, mithin auch auf Fragen der Staatsgliederung. Der Entwurf von Ordnungskonzeptionen setzt bei den entsprechenden Designern eine bestimmte Sicht des wissenschaftlichen Arbeitens voraus, wie es auch das Zitat am Anfang dieses Abschnitts zeigt. Die Verfasser dieser Entwürfe sehen sich nicht als reine Analytiker, deren Aufgabe nur in der positiven Analyse gegebener Phänomene besteht; vielmehr wollen sie als politische Ökonomen gestaltenden Einfluß auf politische Entscheidungen bzw. die jeweilige (Wirtschafts-)Ordnung nehmen. Einer der bekanntesten Entwürfe für eine Wirtschaftsordnung ist der des Ordoliberalismus. 57 Die ordoliberale Schule entstand gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Freiburg. Maßgeblich von Walter Eucken und Franz Böhm geprägt, war es das Ziel dieser Schule, eine Wirtschaftsordnung58 zu entwerfen, in der eine möglichst gute Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen ebenso sichergestellt werden soll wie die Freiheit des einzelnen, selbstverantwortlich zu entscheiden. 59 Die Freiburger Schule zeichnete sich durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Juristen und Ökonomen aus; sie war weniger nationalökonomisch als mehr staatswissenschaftlich geprägt. 60 Gerade die Beteiligung dieser beiden Professionen wurde als besonders
57 Vgl. zum ordoliberalen Ordnungsentwurf grundlegend Eucken [1952] sowie [1959]. 58 "Für den Bereich der Wirtschaft ergibt sich die Frage: wie kann der modemen industrialisierten Wirtschaft eine funktionsfohige und menschenwürdige Ordnung gegeben werden?" Eucken [1949], S. I, (Hervorhebung D.S.) 59 Vgl. Eucken [1959], S. 240. 60 Vgl. zur Organisation und zum Selbstverständnis der Freiburger Schule beispielsweise Böhm [1957], S. I 58ff. Zu einer Rückbesinnung auf die "Staatswissenschaft" als ganzheitliche Forschungsrichtung vgl. Hesse et al. [1990], insbesondere S. 31 Of.
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wichtig flir die Lösung von ordnungstheoretischen und ordnungspolitischen Fragestellungen angesehen. Beschränkte sich der ordoliberale Ordnungs entwurf noch auf die reine Wirtschaftsordnung, weil allein der Bereich der Wirtschaftsordnung als dem Ökonomen zugewiesenes Aufgabengebiet akzeptiert wurde, hat sich das Selbstverständnis der Ökonomik in den nachfolgenden Jahrzehnten verändert: Dinge, die von Eucken noch dem - flir die ökonomische Analyse unveränderbar gegebenen - Datenkranz zugerechnet worden waren, sind im Rahmen des "ökonomischen Imperialismus" von Wirtschaftswissenschaftlern kritisch analysiert worden. 61 Im Rahmen dieses ökonomischen Imperialismus wurde das ökonomische Instrumentarium erfolgreich auf Anwendungsgebiete außerhalb der traditionellen Ökonomie angewandt. Das dabei verwendete ökonomische Instrumentarium besteht im wesentlichen aus drei Bestandteilen: der Annahme rationalen Verhaltens der betrachteten Akteure, der Verwendung des Homo oeconomicus als heuristischem Menschenbild sowie der Anwendung des methodologischen Individualismus. 62 Das Rationalverhalten beschreibt die Fähigkeit von Entscheidungsträgern bzw. Handelnden, die eigenen Präferenzen und auch bestehende Handlungsalternativen so ordnen zu können, daß aus einem gegebenen Handlungsraum die beste Alternative gewählt wird. 63 Die Wahl der besten Alternative setzt voraus, daß eine Zielfunktion oder Norm besteht, an der die Alternativen geordnet und bewertet werden können. Die Zielfunktion wird über das Konzept des Homo oeconomicus in den ökonomischen Ansatz integriert. Der Homo oeconomicus dient als Heuristik, um das durchschnittlic)1e Verhalten von Menschen analy61 Zum Begriff des Datenkranzes, zu dem Eucken auch explizit die rechtliche Organisation eines Staates zählte, vgl. Eucken [1959], S. 156ff. Jedoch hatten auch die Ordoliberalen schon die Notwendigkeit erkannt, auch die Ordnung des Staates kritisch zu durchdenken, um eine zur freiheitlichen Wettbewerbsordnung kompatible Staatsordnung zu entwickeln. So z.B. Eucken [1952], S. 331 f.: "Alle Fragen der Staatsform und des öffentlichen Rechts, auch des Völkerrechts, gehören hierher.... Das Problem ist noch offen. Auch gedanklich ist seine Bewältigung kaum begonnen." Es kann vermutet werden, daß die Ausarbeitung eines Ordnungsentwurfs für den Staat in der ordoliberalen Schule aufgrund des frühen Todes von Eucken unterblieben ist. 62 Die hier dargestellte Logik des ökonomischen Ansatzes ist ähnlich der bei Wessfing [1991], S. 32ff. angeführten, der als "leitende Ideen" explizit a) die Trennung von Präferenzen des Individuums und seiner Restriktionen, b) das Individualprinzip, c) das Prinzip der Nutzenmaximierung und d) die Anwendung des methodologischen Individualismus unterscheidet. 63 Zur Anwendung des Rationalitätsprinzips als Rahmenbedingung gesellschaftswissenschaftlicher Modellbildung vgl. kritisch Popper [1995].
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sieren zu können. Diese versuchen, in der jeweiligen Entscheidungssituation, d.h. unter Berücksichtigung der Präferenzen, der Restriktionen und der verbleibenden Handlungsalternativen64 , ihren Nutzen zu maximieren. 65 Die Betrachtung des Verhaltens einzelner Menschen folgt der Forderung des methodologischen Individualismus, im Gegensatz beispielsweise zum methodologischen Kollektivismus 66 , Entscheidungen auch in bzw. von Kollektiven immer auf die individuellen Entscheidungen der einzelnen Kollektivmitglieder zurückzuftihren. 67 Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. 68 Wie aber kann nun mit diesem Instrumentarium die Funktionsweise eines dezentral gegliederten Staatswesens analysiert werden? Da der Staatsaufbau außerhalb der reinen Ökonomik liegt, ist er erst relativ spät in das Interesse ökonomischer Überlegungen gerückt. Weil Ökonomen wiederum traditionell mit der Analyse von wirtschaftlichem Verhalten auf Märkten vertraut sind, verwundert es nicht, daß die Analyse der Funktionsweise des dezentralen Staatsaufbaus häufig in Form von Marktanalogien durchgeführt wird. 69 In der Regel geschieht das derart, daß Bürger als Nachfrager öffentlicher Leistungen und Gebietskörperschaften70 beziehungsweise deren Entscheidungsträger als Anbieter solcher Leistungen modelliert werden. Die Anreize und das Verhalten dieser Beteiligten am Austauschprozeß öffentlicher Leistungen werden dann marktanalog untersucht. Hier lassen sich traditionelle Ansätze von moderneren Ansätzen der ökonomischen Forschung unterscheiden.
64 Vgl. dazu Becker [1993], S. 386. 65 Vgl. Becker [1982], S. 3. 66 Zur Abgrenzung und Definition von methodologischem Individualismus und methodologischem Kollektivismus vgl. Hayek [1943], S. 41ff. 67 So auch Popper [1992], S. 116. 68 Einen Überblick über Anwendungsbereiche des ökonomischen Handlungsmodells gibt Becker [1982] sowie umfassend Kirchgässner [1991]. 69 Vgl. z.B. Rasmussen [1987). Aus der Analogiebildung Markt-Staat mit Hinblick auf das Anbieter- und Nachfragerverhalten, die Marktstruktur und die Wettbewerbskomponente, die flir das Marktergebnis relevant ist, entstehen vielfältige Probleme. Auf diese wird im Laufe der folgenden Ausflihrungen jeweils gesondert hingewiesen. Zur Bildung von Marktanalogien und den daraus resultierenden Problemen vgl. auch die eher technische Analyse von Meisterling [1986). 70 Im folgenden werden die Begriffe "Gebietskörperschaft" und "Jurisdiktion" synonym verwendet.
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Die traditionellen Ansätze beschäftigen sich hauptsächlich mit der Fragestellung, wie sichergestellt werden kann, daß die Versorgung mit öffentlichen Leistungen gemäß den Präferenzen der Bevölkerung in den entsprechenden Regionen erfolgt. Um die präferenzgemäße Versorgung zu erreichen, benötigen die Nachfrager-Bürger einen Mechanismus, über den sie ihre Präferenzen offenbaren können und mit dem sie die Anbieter-Jurisdiktionen bei Abweichungen von den Präferenzen sanktionieren können. Dieser Sanktionsmechanismus ist in den traditionellen Ansätzen zur dezentralen Staatsgliederung die Abwanderung. Unter der Annahme, daß mit der Nutzung der Wanderung als Sanktionsmechanismus keine Kosten verbunden sind, die Mobilität der Bevölkerung also vollkommen ist, kann eine effiziente Verteilung der Bevölkerung im Raum hergeleitet werden. Als Effizienzkriterium gilt die Pareto-Bedingung; die effiziente Verteilung ist dann erreicht, wenn das Nutzenniveau eines Einwohners nicht mehr verbessert werden kann, ohne daß ein anderer schlechter gestellt wird. Der Nutzen der Bürger wird hier über das Versorgungsniveau mit öffentlichen - und privaten - Gütern bestimmt. Während das Ziel der Nachfrager-Bürger darin besteht, ein möglichst hohes Nutzenniveau zu erreichen, ist es das Ziel der Anbieter-Jurisdiktionen, die Güterversorgung der Einwohner zu optimieren. Dieses Ziel wird mit einer präferenzgemäßen und im Sinne von kostenminimal effizienten Bereitstellung öffentlicher Leistungen innerhalb der jeweiligen Jurisdiktion erreicht. Diese typische Annahme der traditionellen Modelle bezüglich des Verhaltens der politischen Entscheidungsträger sorgt für eine Zielidentität von Anbietern und Nachfragern. Dieses Vorgehen kennzeichnet die Instrumentalisierung von Politikern als reines Werkzeug zur Umsetzung des Bürgerwillens, die im Bild des "wohlwollenden Diktators" gipfelt. Viele dieser Annahmen sind im Sinne des ökonomischen Imperialismus in neueren Ansätzen zur Analyse dezentraler Staatsgliederungen erweitert worden oder noch zu erweitern. Generell geht es bei den neueren Ansätzen darum, die Wirkungen der institutionellen Ausgestaltung des Staatsaufbaus zu analysieren. Allgemein gilt, daß Institutionen die Handlungen der Individuen in dem Sinne kanalisieren, als sie die Anreize der Individuen beeinflussen. 71 Damit läßt sich
71 Ähnlich Schotter [1986], S. 117: " ... (I)nstitutions are seen as sets of rules that constrain individual behavior and define the social outcomes that result from individual action." Der Begriff "Institution" ist in der Literatur nicht einheitlich definiert. Vgl. dazu Ostrom [1986], S. 3f. Die hier verwandte Definition ist umfassend; sie ähnelt der von Plott [1979], S. 156ff., der Institutionen zusammen mit den Präferenzen und den Fähigkeiten der Individuen als Determinanten fLir das Ergebnis ihrer Handlungen an-
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der Forschungsgegenstand der Neuen Institutionenökonomik beschreiben. Unter dem Begriff der Neuen Institutionenökonomik werden Ansätze subsumiert, die sich mit der Analyse unterschiedlicher Institutionen, ihrer Wirkung und ihrer Gestaltung beschäftigen. 72 Diese Ansätze lassen sich auch im Hinblick auf die Analyse dezentraler Staatsgliederungen fruchtbar anwenden.?3 Zunächst ist es das Verdienst der Transaktionskostenökonomik, darauf hinzuweisen, daß die Nutzung von Allokations- und/oder Sanktionsmechanismen nicht kostenlos ist. Vielmehr bestehen beispielswese Kosten der Nutzung des Wanderungsmechanismus. Diese Kosten determinieren aus Sicht der Anwender die Wirksamkeit bzw. Anwendbarkeit der entsprechenden Mechanismen. Ebenso sind bei der Analyse von Staatsgliederungen die Kosten, die mit einem gegebenen institutionellen Staatsaufbau auf der Anbieterseite verbunden sind, zu berücksichtigen, denn auch die Kosten des Betreibens von Iurisdiktionen werden letztendlich von den Nachfrager-Bürgern getragen. Durch die Einbeziehung der Transaktionskosten in die theoretischen Überlegungen verändert sich die Zielgröße der Untersuchung: während die traditionellen Ansätze bei der Analyse der Bereitstellung öffentlicher Leistungen eher auf die reinen Produktionskosten abstellen, differenzieren neuere Ansätze explizit zwischen Produktion und Bereitstellung sowie den damit verbundenen Kosten. Die Begriffe "Bereitstellung" und "Produktion" unterscheiden sich wie folgt: Produktion bedeutet die physische Herstellung von Gütern, die Bereitstellung hingegen betrifft die Kompetenz für das letztendliche "auf den Markt bringen" bzw. das Anbieten von Leistungen.?4 Die Bereitstellungskosten setzen sich sieht. Ebenso ähnlich North [1992], S. 4. Hingegen unterscheidet beispielsweise Khalil [1995] explizit zwischen Institutionen - als Arten von Regeln mit handlungskanalisierender Wirkung - und Organisationen, die als Gruppe von Individuen mit einem hierarchischen Aufbau charakterisiert werden. In diesem Sinne wäre der Staat bzw. der Staatsaufbau dem Bereich der Organisationen zuzuordnen. 72 Dazu gehören beispielsweise das Programm der Transaktionskostenökonomik, die Property-rights-Theorie, die Public-choice-Theorie sowie das Forschungsprogramm der Constitutional Economics. Einen Überblick über die einzelnen Theoriebereiche sowie ihre wichtigsten Vertreter findet man beispielsweise bei Lang/ois [1986], bei Leschke [1993], S. 17-21 oder bei Reuter [1994]. 73 Den Begriff der Institution bezogen auf politische beziehungsweise staatliche Strukturen verwenden z.B. Dah/ITufte [1973] sowie Dye [1966]. 74 Geht man von Industrieprodukten aus, so übernehmen Industrieunternehmen immer die Produktion, der Handel übernimmt die Bereitstellung der Güter. Natürlich kann auch durch Vorwärtsintegration die Bereitstellung des Handels im integrierten Unternehmen stattfinden. Grundsätzlich bleibt beim Bereitsteller die Entscheidung des Selbermachens oder Kaufens des Gutes ("make or buy"-Entscheidung). Vgl. auch ACIR [1987].
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entsprechend zusammen aus den reinen Produktionskosten der Leistungen und aus den Transaktionskosten, die bei der Bereitstellung entstehen;75 mithin gilt: Produktionskosten + Transaktionskosten der Bereitstellung =
Bereitstellungskosten
Diese gesamten Bereitstellungskosten werden in neueren ökonomischen Ansätzen als Zielgröße gewählt, um eine effiziente Bereitstellung öffentlicher Leistungen zu realisieren. Aufgrund der mit ihrem Einsatz verbundenen Kosten läßt sich zeigen, daß Sanktionsmechanismen, wiez.B. die Wanderung, nur begrenzt dazu beitragen: daß die Bereitstellung der öffentlichen Leistungen präferenzgemäß erfolgt. Zusätzliche Probleme werden deutlich, wenn man im Rahmen des ökonomischen Imperialismus den Homo oeconomicus nicht nur im Bereich der Wirtschaft einsetzt, sondern auch politische Entscheidungsträger als Homines oeconomici modelliert und in ihre Zielfunktion auch die Verfolgung des eigenen Nutzens aufnimmt. 76 Dann nämlich entstehen Zielkonflikte zwischen den Interessen der bereitstellenden Regierungen und den Interessen der Bürger, die sie repräsentieren. Wegen der daraus resultierenden möglichen Abweichung zwischen der Bereitstellung von Leistungen und den Präferenzen der Bürger kann es nicht allein bei einer positiven Analyse der Interessen der Regierungen bleiben; vielmehr ist eine normative Analyse notwendig, die Möglichkeiten aufzeigt, die handlungskanalisierenden Institutionen auch für politische Akteure so zu gestalten, daß ein präferenzgemäßes Ergebnis realisiert wird. 77 Nimmt man die Institutionen als Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen, so befaßten sich die Ordoliberalen allein mit den wirtschaftlichen Institutionen, insbesondere dem marktlichen Wettbewerb. Nun kann man aber die wirtschaftliche Ordnung nicht losgelöst von der staatlichen Ordnung sehen, da die Wirtschaft als interdependentes Subsystem der Gesellschaft eines Staates aufgefaßt werden muß.78 Die Analyse der staatlichen Ordnung ist dann genauso wichtig wie die der wirtschaftlichen Ordnung. Das hatten - wie erwähnt - auch bereits die Ordoliberalen erkannt: Sie machten die Ordnung des Staates jedoch 75 Die Transaktionskosten setzen sich zusammen aus den internen Administrationskosten und den externen Koordinationskosten. Vgl. zu diesen Kosten bzw. ihrer Definition ausführlicher auch Kapitel F., Abschnitt 11. 76 Vgl. Becker [1982], S. 3. 77 Vgl. zu den normativen Fragestellungen der Institutionenökonomik Pies [1993]. 78 Vgl. z.B. Albert [1964], S. 92. 3 Sauerland
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nicht zum Gegenstand ihrer Untersuchungen, sondern zählten sie explizit zum Datenkranz ihres Forschungsobjekts, der Wirtschaftsordnung.1 9 Die neuere ökonomische Forschung macht auch die Ordnung des Staates zum Gegenstand ihrer Untersuchungen. Auch fiir den Bereich des Staatsaufbaus kann mit Hilfe des ökonomischen Instrumentariums versucht werden, eine "menschenwürdige und funktionsfähige" Ordnung zu entwerfen. Dazu ist zunächst eine Präzisierung beziehungsweise Operationalisierung dieser Begriffe notwendig. Die Forderung nach einer menschenwürdigen Ordnung kann hier übersetzt werden mit der Forderung von möglichst großer individueller Freiheit fiir jeden einzelnen Staatsbürger.80 Im Rahmen eines demokratisch verfaßten Staates bedeutet das, daß jeder einzelne Bürger frei die Handlungen des Staates mitbestimmen können sollte.8 1 Diese Mitbestimmung fiihrt dazu, daß die staatlichen Handlungen nicht gegen die Präferenzen82 der Bürger verstoßen. Über die Mitbestimmung wird hier wieder das Prinzip des methodologischen Individualismus zugrunde gelegt. Im Mittelpunkt des Interesses und der Analyse steht wiederum der einzelne Mensch; Entscheidungen und die Handlungen des Kollektivs (hier des Staates) werden auf die souveränen Entscheidungen und Handlungen der einzelnen Bürger zurückgefiihrt. Verwirklichung von Freiheit heißt somit: Eingehen auf die Präferenzen der Bürger und staatliches Handeln gemäß dieser Präferenzen. Freiheit in diesem Sinne ist keine externe Norm, die von einem allwissenden oder wohlwollenden Dritten an die Ordnung angelegt wird. Vielmehr ist Freiheit als endogenes Kriterium aufzufassen, das sich in der Zustimmung der betroffenen Akteure zur jeweiligen Ordnung ausdrückt. Mithin ist die Freiheitsnorm dann umfassend erfiillt, wenn die bestehende Ordnung durch einen Konsens der Betroffenen getragen wird. Zu dem derart konzeptualisierten Prinzip einer menschenwürdigen Ordnung kommt das Prinzip der Funktionsfähigkeit hinzu. Unter einer funktionsfähigen Ordnung wird im folgenden eine Ordnung verstanden, die den Forderungen
79 So z.B. Eucken [1952], S. 331f.: "Die Ordnung des Staates ist ebenso eine Aufgabe wie die Ordnung der Wirtschaft. Die ganze Gefahr des totalitären Staates muß ebenso gesehen werden wie die Notwendigkeit eines stabilen Staatsapparates, der genug Macht besitzt, um bestimmte, genau umschriebene Ordnungsaufgaben zu erftillen." 80 Freiheit ist hier definiert als Abwesenheit von Zwang, der die Verfolgung individueller Interessen einengt. Vgl. ähnlich Eucken [1959], S. 240 und Buchanan [1984], S. XI. 81 Auf die Herleitung der Demokratie als freiheitliche Ordnung wird hier verzichtet. Vgl. zu dieser Begründung beispielsweise Baumann [1993], S. 84-103. 82 Zur Definition der Präferenzen vgl. Becker [1982], S. 3f.
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nach Präferenzerfüllung entspricht, diese Präferenzerfüllung aber auch effIzient gewährleistet. EffIzienz, also die Erfüllung der Präferenzen gemäß dem ökonomischen Prinzip, fordert einen wirtschaftlichen Umgang mit knappen Ressourcen. 83 Hinter dieser Forderung verbirgt sich die Überlegung, daß Unwirtschaftlichkeit dazu führen kann, daß zwar die Präferenzen der Bürger hinsichtlich Qualität und Quantität bezüglich der präferierten Leistungen erfüllt werden, der zu bezahlende Preis aber - aus Sicht der Nachfrager - zu hoch ist. Diese Verschwendung von Ressourcen führt letztendlich zu einer Destabilisierung bzw. Auflösung der Ordnung: entweder durch die Unzufriedenheit der Bürger84 - wenn die Preise nicht gesenkt werden - oder durch einen "Konkurs" des Staates 85 - wenn die Kosten der IneffIzienzen nicht an die Bürger weitergegeben werden. Letztlich sind damit die Normen Freiheit und EffIzienz zwei Seiten einer Medaille: Auch wenn das EffIzienzkriterium nicht erfüllt wird, fehlt die Zustimmung der Betroffenen zur jeweiligen Ordnung. 86 Die Trennung von Freiheit und EffIzienz wird im folgenden dennoch aufrechterhalten, um die einzelnen vorzustellenden Theoriebausteine besser gegeneinander abgrenzen bzw. systematisieren zu können.
83 Der Effizienzbegriff ist hier definiert als Kosteneffizienz, d.h. die Bereitstellung einer gegebenen Menge in gegebener Qualität soll zu den geringsten möglichen Kosten erfolgen. Zur Diskussion um den Effizienzbegriff in verschiedenen Bedeutungen vgl. z.B. DelleriChicoine [1988], S. 69. 84 Die Unzufriedenheit der Bürger bedeutet, daß schon gegen die erste Forderung nach Freiheit bzw. Präferenzerfüllung der Bürger verstoßen wird. Damit würde ein Ordnungsentwurf, der Ineffizienzen nicht ausschließt bzw. zu verhindern sucht, das Ziel der zu entwerfenden Ordnung per se verfehlen. Zu dieser Einordnung von Ineffizienzen vgl. beispielsweise Buchanan [1971], S. 312ff. sowie S. 319. 85 Der Staat muß nicht notwendigerweise "in Konkurs gehen". Möglich ist natürlich auch eine andere Finanzierung der Staatsausgaben, wenn die Subventionen der Bürger und um solche handelt es sich, wenn die Einnahmen des Staates hinter den Ausgaben zurückbleiben, um von den Bürgern keine kostendeckenden Preise für Leistungen zu verlangen - erhalten bleiben sollen. Das Mittel der Staatsverschuldung oder die Finanzierung über die Notenbank sind ebenso möglich, haben aber ebenfalls negative Auswirkungen auf die Bürger und nachfolgende Generationen. Vgl. zu den Wirkungen der Staatsverschuldung z.B. Funke [1994]. 86 Vgl. dazu auch Hoppmann [1987], S. 36, der darauf hinweist, daß Freiheit und Effizienz interdependent sind und sich letztendlich auf die Norm Freiheit - im Sinne der Zustimmung der Bevölkerung zur Ordnung - reduzieren lassen. 3'
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Die Verbindung von Freiheit und EffIzienz fUhrt zu einer "funktionsfähigen und menschenwürdigen" Ordnung. 87 Um eine solche Ordnung für ein Staatswesen sinnvoll entwerfen zu können, ist es notwendig, die Mechanismen, die in einem Staat bzw. in einer Jurisdiktion wirken, herauszufmden und ihre Wirkungsweise zu analysieren. Aufbauend auf einer solchen positiven Analyse kann dann konstruktiv gefragt werden, wie diese Mechanismen sinnvoll in eine Ordnung eingebaut werden können, die den oben genannten Anforderungen entspricht. Die neueren Überlegungen politischer Ökonomen zeigen eben diesen Versuch, zur Entwicklung einer "funktionsfähigen und menschenwürdigen" Ordnung beizutragen. Der Schutz individueller Freiheit und der Gedanke der EffIzienz stehen dabei ebenso im Mittelpunkt der Überlegungen wie schon bei den Ordoliberalen der Freiburger Schule. Insbesondere das Forschungsprogramm der Constitutional Economics als Teilbereich der Institutionenökonomik analysiert den Staatsaufbau, um - ähnlich wie die Theorie des Marktversagens 88 auf mögliche Funktionsdefekte im Rahmen bestehender demokratisch verfaßter Ordnungen hinzuweisen, die Öffentlichkeit für diese Probleme zu sensibilisieren und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. 89 Die Vertreter der Constitutional Economics befassen sich in der Regel mit Problemen der horizontalen Gewaltenteilung. Ausgehend von der klassischen Dreiteilung der Staatsgewalten in eine Legislative, eine Exekutive und eine Judikative stellt sich die Frage nach institutionellen Regelungen, die sicherstellen, daß "politicians who seek to serve 'public interest' can survive".90 Weitgehend außer Acht gelassen wird die zweite Seite einer möglichen Gewaltenteilung im Staat: die vertikale. Hier rückt dann wieder ein Begriff in den Mittelpunkt der Analyse, der weit weniger faßbar als die genannte Dreiteilung ist, aber im Laufe der letzten Jahrhunderte auch immer schon Gegenstand der staatswissenschaflichen Diskussion und Forschung war: der Föderalismus als Spezialform des dezentralen Staatsaufbaus.
87 Das Bezugnehmen auf diese Normen hat in der liberalen Theorie eine gewisse Tradition, da sowohl die OrdoliberaIen als auch die Vertreter der Constitutional Economics auf Freiheit und Effizienz als Beurteilungsmaßstab flir die Güte einer Ordnung zurückgreifen. Vgl. zu deren Begründung Eucken [1949], S. 1, Buchanan [1984], S. 236 sowie Hoppmann [1987]. 88 Zur Theorie des Marktversagens vgl. FritschiWein/Ewers [1993] sowie Wille [1990], der explizit auf den Zusammenhang von Staats- und Marktversagen eingeht. 89 Zum Inhalt des Forschungsprogramms der Constitutional Economics vgl. den gleichnamigen Artikel von Buchanan [1990]. 90 Vgl. Buchanan [1993], S. 1.
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IV. Argumentationsrahmen und Gang der Untersuchung
Der Versuch, eine föderale Ordnung zu entwerfen, die den postulierten Normen "Freiheit" und "Effizienz" genügt, erfordert aber zunächst noch eine weitergehende Operationalisierung dieser Normen im Hinblick auf das zu untersuchende Objekt. Die Normen der Freiheit und Effizienz können auf zwei Ebenen angelegt werden. Zum einen geht es um die Realisierung von Freiheit und Effizienz in bezug auf die Gliederung des Staates bzw. Gemeinwesens an sich. D.h., die Gliederung soll so gestaltet sein, daß beispielsweise freie Wahlmöglichkeiten des Wohnorts gegeben sind. Auch sollte Zwang in der Form abwesend sein, daß Volksgruppen, die aufgrund kultureller Ähnlichkeiten ein gewisses Verbundenheitsgefiihl aufweisen, nicht getrennt werden - wenn sie das nicht wollen. Umgekehrt sollten solche (Volks-)Gruppen nicht zwangsweise zu einer Jurisdiktion zusammengefaßt werden, die eben dieses Zusammengehörigkeitsgefiili.l nicht verspüren. Die Staats gliederung, die diese oberste Voraussetzung des freien Zusammenlebens erfiillt, soll dann institutionell effizient ausgestaltet werden. D.h., der Staatsaufbau ist c.p. so zu wählen, daß der Nettonutzen der Bevölkerung - definiert als Differenz aus dem Nutzen, der aus einer freien Standortwahl resultiert und den institutionellen Kosten, die mit der entsprechenden räumlichen Gliederung verbunden sind - maximiert wird. Wenn auf diese Weise der institutionelle Überbau der Staatsgliederung ermittelt wurde, können innerhalb dieser Gliederung wiederum die Normen Freiheit und Effizienz als Maßstab angelegt werden. Freiheit bedeutet innerhalb der Staatsgliederung die präferenzgemäße Bereitstellung öffentlicher Leistungen. Damit ist Freiheit im Sinne von Konsumentensouveränität definiert. 91 Bei der Frage der Effizienz geht es nun um die kostenoptimale Bereitstellung der öffentlichen Leistungen innerhalb der gegebenen Gliederung. Beide Normen - Freiheit und Effizienz - greifen somit zweifach: zum einen bei der Wahl der Rahmenregeln einer Gesellschaft (in Form einer Staatsgliederung); zum anderen finden sie Anwendung bei der Wahl der einzelnen Entscheidungen innerhalb der Rahmenregeln. 92 Um sicherzustellen, daß diesen
91 Der Begriff der Konsumentensouveränität geht auf Hutt [1936], S. 257 zurück. Er beinhaltet im vorliegenden Kontext, daß ein Nachfrager-Bürger sein - durch die entsprechenden Mechanismen - auszuübendes Recht zur positiven und negativen Sanktionierung der Anbieter nicht an staatliche Instanzen übertragen hat. Vgl. dazu auch Buchanan [1990a], S. 121 sowie 125. 92 Damit läßt sich die erste Entscheidung der Ebene des gesellschaftlichen Grundkonsenses zuordnen, während die zweite Frage den laufenden politischen Prozeß be-
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Normen in einem Staatswesen entsprochen wird, müssen die Bürger als Träger der demokratischen Grundordnung über Möglichkeiten verfügen, zum einen ihre Präferenzen zu äußern und zum anderen Abweichungen der bereitgestellten Gliederung und/oder Leistungen von ihren Präferenzen zu sanktionieren. Die notwendigen Sanktionsmechanismen sollten sicherstellen, daß bei Abweichungen der präferierten von der tatsächlichen Gliederung und/oder Abweichungen der bereitgestellten von den präferierten Leistungen die entsprechenden Anbieter dazu veranlaßt werden, wieder zu einem präferenzgemäßen Angebot zurückzukehren. Dabei stehen den Bürgern grundsätzlich zwei Instrumente zur Verfügung, um Druck auf die Anbieter auszuüben: die Abwanderung (Exit) und/oder die Meinungsäußerung über Signalling-Aktivitäten (Voice).93 Anhand der nunmehr operationalisierten Kriterien sollen die nachfolgend darzustellenden ökonomischen Ansätze hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit bzw. ihres Beitrags zur Gestaltung einer adäquaten Ordnung gemessen werden. Wie bereits erwähnt, werden in dieser Arbeit sowohl traditionelle als auch neuere Ansätze zur Analyse dezentraler Staatsgliederungen vorgestellt, systematisiert und kritisch analysiert. Die einzelnen Kapitel sind zum Zweck der besseren Übersichtlichkeit jeweils gleich aufgebaut: Zunächst wird eine positive Analyse des betrachteten Untersuchungsgegenstands geliefert; anschließend werden auf der Orundlage dieser positiven Überlegungen Folgerungen in bezug auf die Leistungsfähigkeit der beschriebenen Ansätze und in bezug auf normative Implikationen für einen dezentralen Staatsaufbau abgeleitet. Im ersten Teil der Arbeit werden die traditionellen ökonomischen Ansätze zur Analyse dezentralisierter Staatsgliederungen dargestellt, systematisiert und kritisch gewürdigt. Zunächst wird im Gliederungspunkt B. die Kollektivgütertheorie vorgestellt. Sie liefert ein Instrumentarium, um jeweils ein adäquates Nutzer-Kollektiv von öffentlichen Leistungen einer Anbieter-Institution zuzuordnen. Zur Ergänzung der Kollektivgütertheorie wird im Punkt C. der Wanderungsmechanismus analysiert. Die Wanderung stellt aus Sicht der Nachfrager-Bürger ein lnstrument dar, mit dessen Hilfe sie den Anbietern ihre Präferenzen offenbaren können. Weiterhin kann die Abwanderung der Bevölkerung unter bestimmten Voraussetzungen als Sanktionsmechanismus fungieren und die Anbieter für eine nicht-präferenzgemäße Bereitstellung öffentlicher Leistungen bestrafen.
trifft. Vgl. zur Unterscheidung der beiden Ebenen z. B. Frey/Kirchgässner [1994], S. 28 und 36\. 93 V gl. die entsprechenden Kapitel in Hirschman [1970].
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Der Gliederungspunkt D. beschäftigt sich mit den Problemen, die für die bereitstellenden Gebietskörperschaften aus der Existenz von Spillovers zwischen den Jurisdiktionen resultieren. Hier werden die Auswirkungen unterschiedlicher Antizipationsfähigkeiten ebenso beleuchtet wie die Möglichkeiten zur Internalisierung der Spillovers - insbesondere in einem Umfeld einer perfekt funktionierenden Wanderung. Die Annahme einer perfekt funktionierenden Wanderung wird im folgenden Gliederungspunkt E. relativiert. Anhand neuerer Ansätze zur Informationsverarbeitung wird gezeigt, daß die Wanderung als Sanktionsmechanismus nicht ausreicht, um das Handeln der Anbieter zu beeinflussen. Entsprechend werden Wahlen als alternativer bzw. ergänzender Sanktionsmechanismus eingeführt. Mit dem Gliederungspunkt F. beginnt der zweite Teil der Arbeit, der die de-' zentralen Staatsgliederungen aus der Sicht der Neuen Institutionenökonomik untersucht. Hier wird zunächst die Annahme aufgehoben, die Nutzung der Sanktionsmechanismen Abwanderung und Wahlen sei kostenlos. Auf die Kosten der Nutzung beider Mechanismen wird ebenso abgestellt wie auf die Kosten, die aus dem Betreiben eines gegebenen institutionellen Staatsaufbaus entstehen. Anschließend wird im Gliederungspunkt G. die Annahme aufgehoben, die politischen Entscheidungsträger seien nur daran interessiert, die Präferenzen der Bevölkerung zu evaluieren, um ihre Tätigkeit allein an diesen Präferenzen auszurichten. Die Anreize der am politischen Prozeß beteiligten Akteure werden aus Sicht der Public-choice-Theorie untersucht; ebenso werden die Auswirkungen dieser Anreize auf die Gestaltung einer Staatsgliederung betrachtet. Darüber hinaus werden hier die Besonderheiten einer föderalen Struktur herausgestellt und die Relevanz adäquater Verfassungsregeln begründet. Die Entstehung und Wirkung dieser Regeln steht dann im Gliederungspunkt H. im Vordergrund. Hier erfolgt auch die grundsätzliche Begründung für das Entstehen dezentraler Strukturen. In Anwendung des bis dahin erarbeiteten Instrumentariums werden die Kosten verschiedener institutioneller Ausgestaltungen der Staatsgliederung ebenso betrachtet wie die Erweiterung und die Vertiefung gegebener Strukturen. Mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse endet die Arbeit.
Teil J
Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie Die Funktionsweise von dezentralen Staatsgliederungen sowie die Wirkungsmechanismen innerhalb dieser Gliederungen werden traditionell im Bereich der Finanzwissenschaft analysiert.) Dieser Zweig der ökonomischen Forschung beschäftigt sich mit den Aufgaben und dem Verhalten des Staates und seiner Verwaltungseinrichtungen. Die Aufgaben des Staates bestehen aus Sicht der finanzwissenschaftlichen Theorie aus drei Funktionen: 2 Zum einen fällt dem Staat die Allokationsfunktion zu. Im Rahmen dieser Aufgabe soll der Staat dafür sorgen, daß die knappen Produktionsfaktoren in ihre effizienteste Verwendung gelangen und so eine möglichst gute Versorgung der Bevölkerung mit privaten und öffentlichen Gütern sichergestellt wird. Der zweite Aufgabenbereich des Staates liegt in der Distribution des Einkommens, das in einer Marktwirtschaft als Primärverteilung aufgrund des Leistungsprinzips zustandekommt und dann aufgrund sozialer Überlegungen durch staatliche Maßnahmen in eine gesellschaftliche Sekundärverteilung überführt wird. Unter diesen Aufgabenbereich fällt auch die sozialversicherungsrechtliche Absicherung derjenigen, die nicht am wirtschaftlichen Leistungsprozeß teilnehmen können. Als dritte Aufgabe hat der Staat eine Stabilisierungs funktion zu übernehmen. Diese besteht im wesentlichen in der Glättung von Konjunkturschwankungen, die aufgrund des dezentral gesteu-
) Zum Forschungsbereich der Finanzwissenschaft vgJ. als Überblick z.B. Grossekettler [1995a], S. 485-497. Zu einer Beschreibung der "Neuen Finanzwissenschaft" vgJ. RichteriWiegard [I 993] und [I 993a]. 2 Die Differenzierung der Staatsaufgaben in diese drei Teilgebiete geht zurück auf Musgrave [1959].
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
erten Wirtschafts systems in einer Marktwirtschaft als unvermeidlich angesehen werden. Alle drei Bereiche müssen in einer dezentralen Staatsgliederung den am besten geeigneten Trägem bzw. Jurisdiktionen zugeordnet werden. 3 Zusätzlich erschwert wird eine adäquate Kompetenzzuordnung dadurch, daß fiir jeden der genannten Bereiche die Kompetenzen weiter differenziert werden müssen. So muß man jeweils unterscheiden, welche Jurisdiktion bzw. - in föderalen Gliederungen - welche jurisdiktionelle Ebene die Kompetenz haben soll, Maßnahmen innerhalb der jeweiligen Aufgabenbereiche zu beschließen (Legislativkompetenz) und Maßnahmen durchzufiihren (Exekutivkompetenz). Da staatliche Maßnahmen in der Regel nicht nur beschlossen und durchgefiihrt werden, sondern auch mit Ausgaben verbunden sind, muß zusätzlich noch die Kompetenz zur Finanzierung der jeweiligen Maßnahme einer entsprechenden Stelle zugeordnet werden. Insbesondere dieser letzten Kompetenz wird im Rahmen der Finanzwissenschaft breite Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei werden zwei Aspekte des Finanzierungsproblems besonders hervorgehoben: Zum einen sollen die Kosten staatlichen Handeins denjenigen angelastet werden, die dieses Handeln auslösen, zum anderen sollen die einzelnen Jurisdiktionen mit adäquaten Instrumenten ausgestattet werden, die ihnen die Finanzierung ihrer jeweiligen Aufgaben ermöglicht. Im Hintergrund dieser finanzwissenschaftlichen Überlegungen steht regelmäßig das Äquivalenzprinzip.4 Das Äquivalenzprinzip fordert zunächst eine Identität zwischen den Nutznießern einer staatlichen Maßnahme und denjenigen, die die Kosten dieser Maßnahme tragen. D.h., daß jeder Nutzer mit einem nutzenäquivalenten Anteil an den Kosten belastet wird (fiskalische Äquivalenz).5 In einer erweiterten Version des Äquivalenzprinzips geht es um das Verhältnis zwischen den Nutznießern einer Maßnahme und denjenigen, die diese Maßnahme veranlassen. Hier postuliert das Äquivalenzprinzip eine Identität von Entscheidungsberechtigten und Zahlern: Nur wer mit den Kosten einer Entscheidung konfrontiert wird, so die Logik der Forderung, wird auch rational abwägend entscheiden, ob die betreffende Maßnahme notwendig und sinnvoll ist. Wer nicht mit den Kosten
3 An dieser Stelle der normativen Kompetenzzuweisung ist die ökonomische Theorie der juristischen überlegen, die sich zur Zeit außerstande sieht, dieses Problem zu lösen. Vgl. Bathe [1994], S. 29 und 30. 4 Zum Äquivalenzprinzip vgl. grundlegend Olsan [1969], S. 483. Zu seiner Anwendung im Bereich der Finanzierung von Kollektivgütem vgl. beispielsweise Grassekettler [1985], S. 235-238. 5 Diese Forderung findet man schon bei WiekseIl [1896], S. 72: "Government expenditures should be allocated according to their benefits."
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie
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seiner Entscheidung belastet wird, entscheidet tendenziell risikofreudiger. 6 Letztendlich fordert das Äquivalenzprinzip dann eine Identität von Entscheidungsberechtigten, Zahlern und Nutzern einer staatlichen Maßnahme, damit die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme sichergestellt wird; dadurch wird nicht nur die Effektivität einer Aktion sichergestellt, sondern auch die EffIzienz im Sinne des ökonomischen Prinzips. 7 Ein Teilbereich der finanzwissenschaftlichen Forschung ist der Fiskalföderalismus. 8 Er beschäftigt sich mit der Zuordnung der oben angeführten (Teil-) Kompetenzen auf die unterschiedlichen jurisdiktionellen Ebenen innerhalb eines dezentralen, föderalen Staatsaufbaus. Für diese Aufgaben werden auf Basis ökonomischer Überlegungen die adäquaten Träger gesucht. Gleichzeitig versucht der Fiskalföderalismus aufgrund von ökonomischen Überlegungen eine optimale Staatsgliederung zu entwerfen, in der im Bereich der Allokation eine effIziente Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern sichergestellt wird. Als theoretische Grundlagen der Zuordnung von Nachfrager-Bürgern auf die entsprechenden Anbieter-Jurisdiktionen dienen dabei die Kollektivgütertheorie sowie das Äquivalenzprinzip.
6 Diese Erkenntnis brachte schon die Ordoliberalen dazu, die Einheit von Haftung und Gestaltungsmacht zu fordern. Vgl. dazu das entsprechende konstituierende Prinzip . bei Eucken [1952], S. 254ff. 7 Vgl. auch hierzu Olson [1969], S. 479ff. Ist eine äquivalente Finanzierung innerhalb der einzelnen Körperschaften nicht möglich - oder nicht erwünscht -, stellt sich das Problem des Finanzausgleichs. Dieser kann sowohl zwischen gleichartigen Jurisdiktionen einer Ebene stattfinden (horizontaler Finanzausgleich) als auch zwischen Jurisdiktionen unterschiedlicher Ebenen (vertikaler Finanzausgleich). Die Finanzwissenschaft beschäftigt sich mit der effizienten Gestaltung dieses Ausgleichsmechanismus. So wurden z.B. im Rahmen der Reforrnierung des deutschen Bund-Länder-Finanzausgleichs, die aufgrund von Verfassungsgerichtsentscheidungen aus den Jahren 1986 und 1992 notwendig wurde, verschiedene Modelle zum Finanzausgleich diskutiert. Vgl. zu einer Gegenüberstellung der meistdiskutierten Vorschläge, die u.a. vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen [1992] entwickelt wurden, Lenk [1995], S. 231-273. Einen Überblick über die konkrete Ausgestaltung des Finanzausgleichs in Deutschland findet man beispielsweise bei Peffekoven [1994]. In anderen finanzwissenschaftlichen Arbeiten wird die Wirkungsweise alternativer Steuerarten zur Finanzierung konkreter Aufgaben abgeleitet. Beide Problemfelder werden hier nicht weiter betrachtet. 8 Zu einem kurzen Abriß über das Forschungsfeld des Fiskalföderalismus vgl. Oates [1977]. Aktuellere Entwicklungen werden im Überblick bei Oates [199Ia] und King [1992] dargestellt.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
I. Kriterien zur Charakterisierung öffentlicher Leistungen Die Sicherstellung einer angemessenen Versorgung mit privaten und öffentlichen Gütern steht im Mittelpunkt der staatlichen Allokationsaufgabe. Während die Versorgung mit privaten Gütern über eine adäquat gestaltete Ordnungspolitik sichergestellt werden kann, treten staatliche Stellen bei öffentlichen Gütern selbst als Bereitsteller auf. Grundsätzlich steht in marktwirtschaftlich verfaßten Wirtschaftssystemen das Recht, darüber zu entscheiden, ob ein Gut angeboten werden soll oder nicht, den privaten Wirtschaftssubjekten bzw. den Unternehmen zu. Sie bieten, bei gegebener Nachfrage, aufgrund der Gewinnchancen, die sie in der Produktion und im Verkauf des jeweiligen Gutes sehen, entsprechende Mengen auf dem Gütermarkt an. Hier sorgt der Marktmechanismus mit seinem Steuerungsinstrument der relativen Preise für eine angemessene Güterbereitstellung. 9 Läßt sich aber die Nachfrage nach bestimmten Gütern und Leistungen nicht so organisieren, daß eine Finanzierung der potentiell nachzufragenden Mengen zustandekommt, verzichten private Anbieter auf dieses "Grundrecht". In solchen Fällen von Marktversagen ist eine Bereitstellung von Gütern auch über öffentliche Stellen möglich. 10 Welche Güter aber können bzw. sollen dann von öffentlichen Stellen bereitgestellt werden? Güter lassen sich generell anband von zwei Eigenschaften differenzieren: der Rivalität im Konsum und der Exkludierbarkeit zusätzlicher Nutzer. 11 Mit Hilfe dieser Kriterien läßt sich eine Grobgliederung in rein öffentliche und rein private Güter vornehmen. Rein öffentliche Güter unterscheiden sich von den rein privaten in beiden Differenzierungskriterien. 12 Zum einen schränken zusätzliche Nutzer bei rein öffentlichen Gütern die bereits existierenden Nutzer dieser Güter nicht in ihrem Nutzenniveau ein. Es herrscht keine Rivalität im Konsum;
9 Vgl. Eucken [1952], S. 254ff. 10 Zur Theorie des Marktversagens vgl. FritschlWeinlEwers [1993]. Allein aus der Tatsache, daß der Markt nicht in der Lage ist, die Bereitstellung solcher Güter zu organisieren, kann nicht geschlossen werden, daß öffentliche Stellen diese Aufgabe übernehmen müssen. Vielmehr muß analysiert werden, welche Probleme bei der öffentlichen Bereitstellung existieren und wie groß diese im Vergleich zu den Problemen bei marktlicher Bereitstellung sind. Zu der Forderung, die Ergebnisse eines tatsächlichen Marktes nicht mit den Ergebnissen eines theoretisch optimal funktionierenden öffentlichen Sektors zu vergleichen ("Nirvana Approach") siehe z.B. CaporasolLevine [1992], S.144. 11 Grundlegende Ausflihrungen findet man bei Samuelson [1954]. 12 Zum Konzept der öffentlichen Güter vgl. Hanusch [1972], insbesondere S. 22-27 sowie ComeslSandler [I986], S. 67ff. oder MusgravelMusgravelKullmer [1990], S. 5396.
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie
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vielmehr steht die gesamte Menge rein öffentlicher Güter allen Nutzern gleichmäßig zur Verfiigung. Darüber hinaus sind rein öffentliche Güter dadurch gekennzeichnet, daß eine Exklusion von Nutzern aufgrund der Gütereigenschaften entweder gar nicht oder zumindest nicht zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten möglich ist. Als Grundlage fiir die Exklusion von Nutzern, die keinen Finanzierungsbeitrag zur Bereitstellung eines Gutes leisten, stehen zum einen das Privatrecht, zum anderen das öffentliche Recht zur Verfiigung. Dabei können private Anbieter von Gütern nur Techniken des Privatrechts, öffentliche Anbieter hingegen auch die des öffentlichen Rechts anwenden. Würde man versuchen, rein öffentliche Güter privat bereitzustellen und freiwillig zu finanzieren, so wäre es fiir einen Einzelnen vorteilhaft, die Freerider-Position einzunehmen. Als Trittbrettfahrer könnte er sich darauf verlassen, daß andere fiir die Bereitstellung und Finanzierung der öffentlichen Leistungen sorgen. Während dann die Bereitstellungs- und Zahlungswilligen die gesamten Kosten tragen, profitiert der Free rider von den externen Nutzen, den erstere produzieren. Da die Free-rider-Position fiir alle Beteiligten individuell vorteilhaft ist, kommt das Angebot durch private Anbieter i.d.R. nicht zustande, weil die mit der Bereitstellung verbundenen Kosten nicht gedeckt werden können bzw. mit Hilfe des Privatrechts keine wirksame Exklusion der Trittbrettfahrer möglich ist. 13 Das Free-rider-Problem wird damit zum Charakteristikum von öffentlichen Leistungen. 14 Als Anbieter können hier öffentliche Stellen eintreten, die mit Hilfe des öffentlichen Rechts über die Erhebung von Zwangsabgaben im Rahmen ihrer hoheitlichen Kompetenzen fiir eine angemessene Finanzierung der Güter sorgen können. 15 13 Hier tritt ein aus der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung bekanntes Kostenverteilungsproblem auf. Die vollen, durch die Bereitstellung und Produktion entstehenden Kosten müßten auf die freiwillig zahlenden Nutzer verteilt werden. Da diese i.d.R. nicht einsehen werden, den Finanzierungsanteil der Free rider mit zu bezahlen, geht die Zahl der freiwilligen Zahler sukzessive zurück. Die konstant hohen Kosten müßten also auf immer weniger Zahler umgelegt werden. Der Anbieter kalkuliert sich - typisch bei einer Kalkulation auf Vollkostenbasis - "aus dem Markt". Zu Fällen, in denen eine private Bereitstellung dennoch zustande kommen kann, vgl. Foldvary [I994]. Auf die Möglichkeit, daß internationale öffentliche Güter ohne internationale Regierung bereitgestellt werden können, weist Kindleberger [1986] hin. 14 Vgl. dazu auch Jasay [1989]. 15 Wichtig ist hierbei, daß die öffentlichen Stellen lediglich für die Bereitstellung der entsprechenden Leistungen zuständig sind. Die Entscheidung, ob die Jurisdiktionen auch als Produzent auftreten oder die Leistungen von privaten oder anderen öffentlichen
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Nun ist die Grobgliederung in rein öffentliche oder rein private Güter für praktische Zwecke wenig anwendbar. Daher hat es Versuche gegeben, die Klassifikation der Güter zu verfeinern und anhand adäquater "Kennziffern" zu operationalisieren.
J. Das Kriterium "Rivalität im Konsum"
Ein solcher Versuch der Operationalisierung der Güterklassifikation ist die Einführung eines Rivalitätsgrades zur feineren Unterteilung des Kriteriums "Rivalität im Konsum" .16 Wie schon Buchanan [1965] gezeigt hat, ist die Annahme des Dualismus zwischen rein privaten und rein öffentlichen Gütern unrealistisch: Bei den meisten Gütern ist der Nutzen, den der einzelne aus ihrem Konsum zieht, von der absoluten Anzahl der Nutzer abhängig. Unterstellt man, daß jeder Nutzer einen nutzenadäquaten Anteil zur Finanzierung des entsprechenden Gutes beiträgt, so reduziert jeder zusätzliche Nutzer bei konstanten Gesamtkosten der bereitgestellten Menge den individuellen Finanzierungsanteil. Gleichzeitig beeinträchtigen neue Nutzer aber auch das Nutzenpotential der alten Nutzer - wenn keine vollständige Nicht-Rivalität im Konsum gegeben ist. 17 Eine Ausweitung des Nutzerkreises ist daher - aus der Sicht eines einzelnen Nutzers - nur so lange erwünscht, wie die Reduktion der individuell zu tragenden Kosten durch einen zusätzlichen Nutzer größer ist als der daraus resultierende Nutzenverzicht. Die optimale Größe eines Nutzerkollektivs ist mithin dadurch gekennzeichnet, daß sich Grenznutzen und Grenzkosten eines zusätzlichen Kollektivmitglieds entsprechen. 18 Analytisch läßt sich dieser Zusammenhang zwischen den Kosten, die ein Zusätzliches Kollektivmitglied verursacht, und dem Nutzen, den es den bereits vorhandenen Mitgliedern stiftet, über den Rivalitätsgrad p ausdrücken. Dieser
Stellen beziehen und nur "durchhandeln" (make or buy) spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Hier ist allein die Bereitstellung - und die mit ihr verbundenen Kosten - relevant. 16 Vgl. zum folgenden Grossekettler [1985], [1991] sowie [1995a]. 17 Vgl. zu den Kosten, die aus einer Ausweitung der Nutzerzahl resultieren, Grossekettler [1985], S. 216. 18 Vgl. Buchanan [1965], S. 5. Betrachtet man die Kosten, die ein einzelner Nutzer des bereitgestellten Gutes zu tragen hat, so ist die optimale Klubgröße im Minimum dieser Pro-Kopf-Kosten erreicht. Ist die Anzahl der Klubmitglieder kleiner oder größer als optimal, so wird mit höheren Pro-Kopf-Kosten bereitgesteHt.
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie
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Rivalitätsgrad p ist definiert als relative Änderung der Produktionskosten K 19 bei einer relativen Änderung der Anzahl der Nutzer n, also
p:= Die so defmierte Elastizität p läßt sich analytisch auf zwei Teilelastizitäten zurückfuhren: die Nutzungselastizität der Bereitstellungsmenge y und die Mengenelastizität der Produktionskosten ö. Die Nutzungselastizität der Bereitstellungsmenge y gibt an, wie sich die Menge der bereitzustellenden Güter q relativ ändert, wenn sich die Zahl der Nutzer verändert: 20
y:= Die Mengenelastizität der Produktionskosten ö ist defmiert als relative Änderung der Produktionskosten bei einer relativen Änderung der Bereitstellungsmenge, mithin gilt:
ö:= Daraus folgt, daß p = y. ö ist. Die Nutzungselastizität r zeigt an, ob es Gruppenvorteile beim Konsum des bereitgestellten Gutes gibt. Liegen solche Gruppenkonsumvorteile vor, ist der Wert von y kleiner als eins. Das bedeutet, daß die zusätzlich bereitzustellende
19 Grossekettler [1995], S. 12f. nennt diese Kosten "Bereitstellungskosten". Er definiert sie als Herstellungs- bzw. Beschaffungskosten. Diese Definition weicht von der in Kapitel A., Abschnitt III angeführten insofern ab, als die Transaktionskosten der Bereitstellung nicht explizit berücksichtigt werden. Zwar ändert Grossekettler die Bezeichnung dieser Kosten in verschiedenen Aufsätzen: [1985], S. 214 spricht er noch allein von "Herstellungskosten" während er [1991], S. 73f. den Begriff "Versorgungskosten" wählt; jedoch umfaßt die neue Definition der "Bereitstellungskosten" eher die Produktionskosten in der genannten Definition. Grossekettler kann allerdings mit der Unterscheidung von Herstellungs- und Beschaffungskosten zwischen der eigenen Produktion der entsprechenden Leistung durch die bereitstellende Körperschaft (make) und dem Fremdbezug bei externen. Produzenten (buy) differenzieren. Betrachtet man die bei Fremdbezug entstehenden Beschaffungskosten, so gehen dort implizit wohl auch Transaktionskosten ein. 20 Auch hier geht es um eine relative Veränderung der Nutzerzahl.
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Menge im Verhältnis zu den zusätzlichen Nutzern unterproportional steigt. Die Mengenelastizität 0 hingegen gibt Auskunft darüber, ob es Skalenvorteile bei der Produktion des bereitzustellenden Gutes gibt. Diese existieren bei 8 < 1. Hier verändern sich die Produktionskosten bei zusätzlich bereitzustellenden Einheiten des Gutes unterproportional zur zusätzlich benötigten Menge. Tritt nun beispielsweise der Fall ein, daß beide Teilelastizitäten kleiner als eins aber größer als Null sind, so nimmt auch der Rivalitätsgrad einen Wert zwischen Null und eins an. 21 Dieser Wert des Rivalitätsgrades kennzeichnet sogenannte Klubkollektivgüter, bei denen innerhalb bestimmter Gruppengrößen Gruppenkonsumvorteile vorliegen. Wird diese Gruppengröße überschritten, strebt der Rivalitätsgrad gegen eins. 22 Dieser Bereich der Klubkollektivgüter wird eingeschlossen von den beiden Extremwerten des Rivalitätsgrades von Null und eins. Wenn p = 0 ist, liegt der Fall eines polaren öffentlichen Gutes vor. Hier macht das Auftreten von neuen Nutzern eine Ausweitung der bereitgestellten Menge nicht notwendig. Die neuen Konsumenten schränken die alten Konsumenten nicht in ihrem Nutzenniveau ein, mithin ist auch keine größere Menge des Gutes zur Erfüllung der Präferenzen notwendig. Den Gegenpol zum reinen öffentlichen Gut bildet das rein private Gut, das durch einen Rivalitätsgrad von eins gekennzeichnet ist. Treten hier zusätzliche Konsumenten des Gutes auf, so verdrängt jeder neue Konsument einen alten Konsumenten. Um das Nutzenniveau der Altkonsumenten nicht zu beeinträchtigen, ist dann zur Präferenzerfiillung der Neukonsumenten eine Ausweitung der Bereitstellungsmenge im Verhältnis 1: 1 notwendig. Die Defmition des Rivalitätsgrads fUhrt bei der praktischen Anwendung zu Problemen. So etwa fiir den Fall, daß aufgrund von natürlichen, exogen vorgegebenen Verfügbarkeiten von Produktionsfaktoren die Produktionsmenge nicht weiter ausgedehnt werden kann. Dann ist die Mengenelastizität der Bereitstellungskosten 8 = :-.
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nicht defmiert, da dq = 0 ist.
21 Einen Rivalitätsgrad zwischen Null und eins erhält man natürlich auch aus anderen Kombinationen der Teilelastizitäten. Der angeführte Fall, daß beide Teilelastizitäten kleiner als eins und größer als Null sind, ist jedoch der in der Realität relevante. 22 Beim Überschreiten der optimalen Gruppengröße treten für die Nutzer Kosten in Form von Überftillungs- oder Verdrängungskosten auf, wenn die Bereitstellungsmenge nicht verändert wird. Wird hingegen die Bereitstellungsmenge ausgeweitet, steigen die Bereitstellungskosten. Somit steigt in jedem Fall die Belastung der Benutzer, was aus deren Sicht unerwünscht sein ~ürfte. Dies entspricht wieder der von Buchanan [1965] angeführten Argumentation, so daß der Begriff "Kollektivgut" hier synonym mit dem Buchananschen "Klubgut" ist.
B. Grundzüge der Kollektivgütertheorie
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In diesem Fall wird aufgrund einer Plausibililtätsüberlegung 8 = gesetzt und der Rivalitätsgrad ist nur von der Nutzungselastizität y abhängig. Ähnliche Plausibilitätsüberlegungen sind auch dann anzustellen, wenn Kostendegressionsvorteile auftreten und a) die Nachfragekurve so weit außen liegt, daß alle Unternehmen im Produktions optimum arbeiten und gleichzeitig Wettbewerb möglich ist, oder b) diese Vorteile aufgrund der vorhandenen Nachfrage allein von einem Unternehmen im Produktionsoptimum befriedigt werden kann. Im Fall b), dem natürlichen Monopol im engeren Sinne, ist es plausibel, die Mengenelastizität mit einem Wert von 8 < 1 zu versehen. Demgegenüber ist im Fall a) der Wert von 8 = 1 plausibel, so daß gilt dK dq
= K .23 q
Mit dieser Klassifizierung von Gütern über den Rivalitätsgrad lassen sich· beispielsweise auch Situationen darstellen und erklären, in denen ein Gut seinen Charakter verändert. Vorstellbar ist z.B. der Übergang von einem reinen öffentlichen Gut zu einem Klubkollektivgut. Ein typisches Beispiel rur ein solches Gut, dessen Eigenschaften sich ändern, ist die Nutzung von Straßen. Die Straßennutzung ist - solange eine Straße nicht überfüllt ist - ein rein öffentliches Gut, weil zusätzliche Nutzer keine zusätzlichen Kosten verursachen. Ab einer kritischen Nutzerzahl verändert sich jedoch der Charakter des Gutes "Straßenbenutzung": Es treten Überfüllungskosten in Form von Wartezeiten im Stau (und persönlichem Ärger) auf; analytisch gesehen wird der Wert des Rivalitätsgrades p größer als Null. Wollte man die Qualität des Gutes Straße erhalten, so müßten neue Fahrspuren gebaut werden, was mit tatsächlichen tangiblen Kosten verbunden wäre. Wird die Kapazität der Straße nicht erweitert, existieren weiterhin Staukosten, die mit wachsender Nutzerzahl ansteigen. Aus Sicht der Nachfrager bzw. Nutzer verschlechtert sich durch die Überfüllung die Qualität des Gutes bei gleichbleibenden tangiblen Kosten. 24
23 Vgl. zu diesen Plausibilitätsüberlegungen hinsichtlich des ökonomisch richtigen Werts von 1) Grossekettler [1995a], S. 503-505. 24 Vgl. zu den Problemen der Straßennutzung vor dem Hintergrund der Kollektivgütertheorie Rodi [1994], S. 205-223. Tangible Kosten sind hier die vom Autobahnbenutzer zu zahlenden Straßennutzungsbeiträge oder Steuern, die zur Finanzierung der Autobahnen erhoben werden. Auf die Frage nach der optimalen Tarifstruktur ftir unterschiedliche Güterarten soll hier nicht ausftihrlich eingegangen werden. Es ergibt sich aber aus den angeftihrten Teilelastizitäten, daß bei einem rein öffentliche Gut die Finanzierung über Beiträge erfolgen soll, während bei einem Rivalitätsgrad von 0 < p < I ein gespaltener Tarif sinnvoll ist, der einen festen Beitrag ftir die Grundnutzung und eine Gebühr, die die Überftillungskosten abgilt, umfaßt. Bei rein privaten Gütern (p = 1) sollte die marktübliche Preissetzung gemäß der Grenzkosten erfolgen. Vgl. dazu ausführlich Grossekettler [1985] und [1991], S. 75f. 4 Sauerland
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Der exemplarische Verlauf des Rivalitätsgrades in Abhängigkeit von der Nutzerzahl ist in Abbildung 3 rür ein fiktives Gut dargestellt. 25
Kosten rein ; Kluböffentliches I kollektivgut I Gut
p=o
O SB für die individuelle Versorgung mit öffentlichen Leistungen in den betrachteten Gemeinden. Sind die Nutzenniveaus, die von der Versorgung mit öffentlichen und privaten Leistungen abhängen, in beiden Gemeinden ausgeglichen und die Präferenzen homogen, dann gilt gleichzeitig, daß PA < PB ist; d.h. die Versorgung mit dem öffentlichen Gut ist in Gemeinde A höher, die mit dem privaten Gut geringer als in Gemeinde B. Wann ist nun
32 Es reicht daher im folgenden aus, allein die Produktion eines Gutes zu betrachten. 33 Vgl. Wellisch [1995], S. 32. 34 Entsprechende Überlegungen geIten auch, wenn man größere Gebietskörperschaften, also beispielsweise Regionen oder Bundesländer betrachtet. 35 Wenn die Nutzenniveaus ungleich wären, würde bei der unterstellten vollkommenen Mobilität und homogenen Präferenzen der Bevölkerung sofort eine Nutzenarbitrage in Form von Wanderungen einsetzen. 5*
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
unter diesen Voraussetzungen die Verteilung der Bevölkerung im Raum optimal? Anders formuliert: Wann ist es sinnvoll bzw. effizient, daß eine gegebene Ausgangsverteilung der Bevölkerung durch Wanderung der Bürger zwischen den Gemeinden verändert wird? Wenn die individuelle Versorgung mit dem privaten Gut in Gemeinde A geringer ist als in Gemeinde B hat eine Abwanderung aus B zur Folge, daß sich die aggregierte Nachfrage nach dem privaten Gut P im Gesamtgebiet verringert: Da in Gemeinde A mehr öffentliche Leistungen bereitgestellt werden als in B, bleibt ein Einwohner dann auf dem gleichen Nutzenniveau wie in Gemeinde B, wenn er in Gemeinde A weniger private Güter konsumiert als vorher in Gemeinde B. Betrachtet man die Effekte einer solchen Wanderung in den einzelnen Gemeinden im Detail, so lassen sich die regionalen Kosten und Nutzen folgendermaßen gegenüberstellen: 36 In Gemeinde A erhöht sich durch die Zuwanderung das Arbeitskräftepotential, das für die Produktion der privaten Güter genutzt werden kann. Die zusätzliche Produktion stellt hier den regionalen Nutzen der Zuwanderung dar. Die Kosten der Zuwanderung bestehen im höheren Verzehr von öffentlichen Leistungen SA und dem privaten Gut PA' Diese Kosten lassen sich nun differenzieren: Handelt es sich bei der bereitgestellten Leistung um ein reines öffentliches Gut, so sind mit zusätzlichen Nutzem keine zusätzlichen Kosten verbunden, da dKldn=O ist. Damit sind allein der zusätzliche Konsum und die zusätzliche Produktion des privaten Gutes relevant, um zu beurteilen, ob die Zuwanderung die Wohlfahrt der Zuwanderungsregion erhöht. 37 Immer dann, wenn die zusätzliche Nachfrage nach dem privaten Gut P geringer ist als die zusätzliche Produktion dPROD/dn, ist eine Zuwanderung aus Sicht der Gemeinde A erwünscht. 38 Dort steigt die Wohlfahrt aller Einwohner, da per Saldo mehr private Güter pro Kopf zur Verfügung stehen. Für den Fall des nicht reinen öffentlichen Gutes muß die Ausweitung der Produktion, die aus dem gestiegenen Arbeitskräftepotential resultiert, größer sein als der zusätzliche Konsum des öffentlichen und des privaten Gutes, den die neuen Einwohner hervorrufen. Grundsätzlich ist der Umfang effizienter Wanderungen in diesem Fall geringer als im ersten.
36 So auch Wellisch [1995], S. 33. 37 Vgl. MansoorianlMyers [1993], S. 124. 38 Es sei angenommen, daß jeder Einwohner bzw. Haushalt (n) genau über eine Einheit Arbeit (L) verfügt, die in der Produktion von Gut P eingesetzt werden kann. Es gilt somit dPROD/dL = dPROD/dn.
C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus
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Ähnliche Überlegungen ergeben sich hinsichtlich der Situation in Gemeinde B. Auch dort steht den Kosten der Abwanderung - hier: eine geringere Produktion aufgrund des gesunkenen Arbeitskräftepotentials - der Nutzen der Abwanderung gegenüber. Dieser besteht aus einer gesunkenen Nachfrage nach privaten und öffentlichen Gütern. 39 Sind auch hier rein öffentliche Leistungen vorhanden, läßt sich der Nettonutzen allein aus der Differenz zwischen gesunkener Nachfrage und gesunkener Produktion des privaten Gutes bestimmen. Im Fall nicht rein öffentlicher Leistungen besteht ein höherer Nettonutzen: Hier muß die Einsparung an öffentlichen Gütern mitberücksichtigt werden. Damit ist in letzterem Fall der Umfang der effIzienten Abwanderung größer als im Fall rein öffentlicher Güter. Besteht in beiden Gemeinden ein sozialer Überschuß aus der Wanderung, so ist diese Wanderung per definitionem efflZienzsteigernd. Mit der Existenz von lokalen öffentlichen Gütern, die auf unterschiedlichen Versorgungsniveaus bereitgestellt werden, ist damit nicht mehr der Ausgleich des Grenzprodukts der Arbeit das Kriterium für eine effIziente Verteilung der Bevölkerung im Raum. Vielmehr ist es dann der Abbau des sozialen Überschusses, der als Differenz des Arbeitsgrenzprodukts und des zusätzlichen Konsums von P und S bzw. den daraus resultierenden Kosten definiert ist. 40 Im Fall rein öffentlicher regionaler Leistungen führt eine Zuwanderung solange zu einer Nutzensteigerung in der Zuwanderungsregion, wie der Produktionszuwachs, der durch die zusätzliche Arbeitskraft verursacht wird, größer ist als die zusätzliche Nachfrage. Eine efflZiente Verteilung der Bevölkerung im Raum ist entsprechend dann erreicht, wenn zusätzliche Produktion und zusätzliche Nachfrage sich entsprechen. Das Grenzprodukt der Arbeit kann also bei einer dezentraler Bereitstellung regionaler öffentlicher Leistungen durchaus unterschiedlich sein. 41 Anband der so hergeleiteten Verteilung der Bevölkerung im Raum ist es möglich, daß a) die Präferenzen der Bevölkerung über Wanderungsbewegungen offenbart werden und b) die Güterversorgung der Bevölkerung über Umsiedlungen verbessert werden kann. 42
39 Man beachte, daß der Rückgang der Nachfrage nach dem privaten Gut in Gemeinde B größer ist als die Zunahme der Nachfrage nach diesem Gut in Gemeinde A. 40 Vgl. Welfisch [1994], S. 173. 41 Vgl. Welfisch [1995], S. 33. 42 Vgl. ähnlich Mansoorian/Myers [1993], S. 121. Im Gleichgewicht gilt, daß die Nutzenniveaus gleich hoch sind. Beim Ausgleich der Nutzenniveaus ist Pareto-Effizienz gegeben, weil durch weitere Wanderungen niemand bessergestellt werden kann, ohne mindestens einen anderen schlechter zu stellen.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Im nächsten Abschnitt soll nunmehr untersucht werden, welche Ursachen für Wanderungen der Bevölkerung im Raum vorliegen können und ob die effiziente Verteilung auch bei Störungen des Systems erhalten bleibt. Wie bisher gezeigt wurde, kann man unter den engen Prämissen des Tiebout-Modells eine (Anfangs-) Verteilung der Bevölkerung auf die bestehenden lurisdiktionen herleiten. In einem erweiterten Modell ergab sich, daß durch die Wanderung generell eine effiziente Allokation der Bürger im Raum sichergestellt werden kann. Betrachtet man dieses Ergebnis wiederum in Analogie zum Marktgeschehen, so stellt sich allerdings nicht nur die Frage nach der effizienten Allokation in der "ersten Runde". 2. Die Wirkung in der dynamischen Betrachtung
Die bisher betrachteten Gemeinden waren durch ein fix gegebenes Angebot an öffentlichen Leistungen gekennzeichnet; die Entscheidungsträger dieser Gemeinden haben keine Möglichkeit, aktive Politik zu betreiben, sondern sind an ein festes Aufgabenschema gebunden. 43 Sie sind daher auch nicht in der Lage, ihren Bürgern in einer dynamischen Perspektive ein anderes, besseres Leistungsangebot zur Verfiigung zu stellen. Den Bürgern bleibt somit in diesem Modell zunächst nur die Wahl zwischen den bereits existierenden Gemeinden und deren entsprechenden Leistungen. 44 Führt man die Analogie zwischen der Bereitstellung öffentlicher und privater Leistungen weiter, so kann es im hier betrachteten Modell nicht ausreichen, eine einmalige, statisch effiziente Allokation der Bevölkerung bzw. der öffentlichen Leistungen zu gewährleisten. Zu prüfen ist also, ob der Wanderungsmechanismus unter den genannten Modellprämissen auch in dynamischer Hinsicht effiziente Ergebnisse hervorbringt. So wie der Wettbewerbsmechanismus dafiir sorgt, daß innovative private Anbieter, die ein verbessertes Leistungsangebot auf den Markt bringen, durch Vorsprungs gewinne belohnt werden, sollte auch 43 Unter aktiver Politikgestaltungsmöglichkeit wird hier nicht die Fähigkeit der Gemeinden subsumiert, Zuzugsbeschränkungen oder Subventionen für NeueiIiwohner zu gestalten. Die Fähigkeit zu aktiver Politikgestaltung bezieht sich allein auf die Art und Weise der Bereitstellung der gewünschten öffentlichen Güter. Diese Bereitstellung war in den bisherigen Überlegungen als konstant angenommen worden. 44 An dieser Stelle muß eine Präzisierung getroffen werden hinsichtlich der Homogenitätsannahme der Bevölkerung: Trotz der postulierten Homogenität der Präferenzen in den einzelnen Gemeinden muß sinnvoll differenziert werden zwischen Haushalten und Unternehmen, die eine Standortentscheidung treffen. Die Ansprüche hinsichtlich der bereitzustellenden Güter sind dann zwischen den beiden Aggregaten heterogen, innerhalb dieser aber homogen.
C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus
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die mögliche Wanderung der Bevölkerung einen Wettbewerb zwischen den Bereitstellern öffentlicher Leistungen auslösen, der dazu führt, daß die Versorgungssituation der Nachfrager-Bürger - beispielsweise über Erfolge beim Produkt- und/oder Verfahrensfortschritt45 - verbessert wird. Dazu ist es notwendig, daß der Wanderungsmechanismus den Gemeinden bzw. ihren Entscheidungsträgern Ameize vermittelt, auf die Innovation einer Gemeinde mit Imitation und/oder anderen Innovationen zu reagieren, um ihre "Marktstellung" zu erhalten. Umgekehrt muß für die ursprünglichen innovativen Gemeinden die Möglichkeit bestehen, von dieser ihrer Innovation zu profitieren. Entsprechend sollte der Wanderungsmechanismus "schlechte" Gemeinden, die in ihrem Bereitstellungsverhalten hinter die Präferenzen ihrer Bürger zurückfallen, negativ sanktionieren und zumindest dazu veranlassen, das alte, präferierte Leistungs-, niveau wiederherzustellen. 46 Um die Wirkungen des Wanderungsmechanismus in dynamischer Hinsicht zu untersuchen, soll im folgenden davon ausgegangen werden, daß sich zunächst eine statisch effIziente Anfangsverteilung der Bevölkerung auf die vorhandenen Gemeinden ergeben hat. In dieser Situation werden in den jeweiligen Gemeinden genau die Präferenzen der Bevölkerung erfüllt. 47 Dieses Gleichgewicht soll dann in einer einzelnen Gemeinde durch eine Abweichung der Bereitstellung von den Präferenzen der Bürger gestört werden. Wanderungen werden gemäß den Ausführungen im vorigen Abschnitt dann ausgelöst, wenn ein Ungleichgewicht zwischen dem Nutzen besteht, der den Haushalten in unterschiedlichen Gemeinden aus der Versorgung mit öffentlichen und privaten Gütern zufließt. Geht man wieder davon aus, daß zunächst eine effIziente Verteilung der Bevölkerung im Raum zustandekommt, entstehen Ungleichgewichte dann, wenn sich die Versorgungssituation in einer Gemeinde verändert: Verändert sie sich positiv, d.h. wächst das Nutzenniveau in einer Gemeinde, tritt dort annahmegemäß eine Zuwanderung auf. Verschlechtert sich die Versorgung hingegen, so ist mit Abwanderungen zu rechnen, wenn das Nutzenniveau in der anderen Gemeinde jeweils konstant bleibt.
45 Zu den Begriffen Produkt- und Verfahrensfortschritt sowie deren Messung vgl. Sebbel-Leschke [1996]. 46 Vgl. zu diesen Überlegungen ähnlich Foldvary [1984], S. 71f. mit Verweis auf den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren nach Hayek [1969b]. Auch Grossekettler [I990], S. 79f. weist darauf hin, daß ein Ziel der Anbieter-Gemeinden z.B. darin bestehen sollte, präferenzgemäße Standortbedingungen für Unternehmen zu schaffen, um Abwanderungszwänge zu vermeiden. 47 Das bedeutet, daß die - aus Sicht der Bürger - richtige Menge in der richtigen Qualität zum richtigen Preis offeriert wird.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Es wird weiterhin von einer gegebenen Gliederung eines Staates in Gemeinden und von einer konstanten Einwohnerzahl im betrachteten Staat ausgegangen. Die Wirkungen der Abweichungen, die durch exogene Störungen verursacht werden, werden ceteris paribus betrachtet, d.h. die jeweils nicht variierten Parameter werden zunächst als konstant angenommen. 48 Bei der folgenden Analyse dürfen nicht nur die direkten Effekte, die den einzelnen Bürger zu einer Abwanderung veranlassen, berücksichtigt werden. Durch die Abwanderung, die wegen der Aussicht auf ein höheres Nutzenniveau in einer anderen Gemeinde stattfindet, ändert sich nämlich nicht nur die Versorgungssituation der abwandernden Person. Vielmehr werden im gegebenen Modellrahmen durch Migration externe Effekte sowohl in der Abwanderungsals auch in der Zuwanderungsgemeinde verursacht: 49 In der Abwanderungsgemeinde sinkt die Einwohnerzahl und damit steigt - bei konstanter Versorgung mit öffentlichen Leistungen - die Beitrags- oder Steuerbelastung pro Kopf, die von den verbliebenen Einwohnern zu tragen ist. Auch in der Zuzugsgemeinde ergeben sich negative Effekte auf die Alteinwohner. Wenn die Verbesserung der Versorgung aus Qualitätsverbesserungen und/oder Preissenkungen resultiert, wird dort durch den Zuzug die optimale Einwohnerzahl überschritten. 50 Handelt es sich bei den öffentlich bereitgestellten Leistungen nicht um reine öffentliche Güter, so treten wegen der existierenden Rivalität im Konsum Überftillungs- oder Verdrängungskosten auf. Wie sich diese Folgeprobleme unter der Annahme vollkommener Mobilität der Bevölkerung auswirken, soll nun analysiert werden. SI 48 Aufgrund der Parametervariation kann es allerdings zu einem späteren Zeitpunkt zu Rückwirkungen auf diese Parameter kommen. Diese Rückwirkungen sind damit endogen. 49 Man kann die auftretenden externen Effekte unterscheiden in Beitrags- oder Steuer- und in Nutzungsexternalitäten. Während Steuerexternalitäten in der Abwanderungsgemeinde durch notwendige Steuererhöhungen auftreten, sind die Nutzungsexternalitäten die Folge von auftretenden Überfüllungen in der Zuwanderungsgemeinde. Vgl. BuchananlGoetz [1972]. Beide Arten von Externalitäten induzieren wieder Folgewirkungen im Migrationsmechanismus. 50 Resultiert die Verbesserung der Versorgungssituation hingegen aus einer beispielsweise durch Verfahrensfortschritte verursachten Mengenerhöhung, tritt durch Zuwanderung zunächst keine Überfü1\ung auf. Vielmehr existiert dann eine neue, optimale Einwohnerzahl, die - wieder unter Annahme einer konstanten Pro-Kopf-Nachfrage nach der betreffenden Leistung - von der neuen, größeren Versorgungsmenge determiniert ist. 51 Wenn die Veränderung der Einwohnerzahl zu Beitrags- oder Steuerexternalitäten führt, so ändern sich die Preise der Güter. Anders als in der Literatur häufig beschrieben (z.B. FlatterslHendersonlMieszkowski [1974]), sind diese Beitrags- oder Steuerexterna-
C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus
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Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist das bisher benutzte Modell mit zwei Jurisdiktionen und zwei Gütern. Die Versorgung mit dem öffentlichen Gut S erfolgt wie bisher auf unterschiedlichem Niveau, so daß gilt SA > SB' Das Versorgungsniveau wird als konstant angenommen. Da der Nutzen der Individuen vom Konsum beider Güter abhängt, d.h. U = U (p, s), kann untersucht werden, welche Reaktionen der Bevölkerung sich ergeben, wenn zum einen der Teilnutzen aus dem Konsum des privaten Gutes und zum anderen der aus dem Konsum der öffentlichen Leistung sinkt. Aufgrund des Zusammenhangs zwischen privatem und öffentlichem Gut reicht es für die Beurteilung der Wirkung der Wanderung weiterhin aus, nur Variationen eines Gutes zu betrachten. Es sei davon ausgegangen, daß der Nutzen aus dem Konsum des privaten Gutes in Jurisdiktion A aufgrund einer exogenen Störung sinkt, während der, den das öffentliche Gut stiftet, gleichbleibt: Es gilt damit UA = UA(PA, SA) mit SA = constant. Die Nutzeneinbuße beim privaten Gut kann drei mögliche Gründe haben: erstens kann die produzierte, verfügbare Menge sinken, zweitens kann es zu Qualitätsminderungen kommen und drittens kann c.p. der Preis des Gutes steigen. Alle drei Verschlechterungen können ursächlich beispielsweise durch X-Ineffizienzen bei der Produktion entstehen. 52 Tritt mindestens eine dieser Verschlechterungen auf, so sinkt der Nutzen der Einwohner in Gemeinde A unter das Niveau in Gemeinde B. Da nunmehr UA(PA, SA) < UB(PB, SB) ist, erfolgt eine Abwanderung aus Gemeinde A. In der Zuwanderungsregion B steigt daraufhin das Arbeitskräftepotential, was zu einer erhöhten Produktion von PB führt. Gleichzeitig steigt aber - wegen der Zuwanderer - sowohl die Nachfrage nach diesem Gut als auch nach der öffentlichen Leistung SB' Da die Pro-Kopf-Nachfrage nach dem privaten Gut in Gemeinde A im Ausgangsgleichgewicht niedriger war als die in Gemeinde B, steigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach P durch die Wanderung an. Fraglich ist nun, wie sich die Nutzen der Zuwanderung im Vergleich zu den Kosten der Zuwanderung in Gemeinde B verhalten. Das im vorhergehenden Abschnitt hergeleitete Ausgangsgleichgewicht war dadurch gekennzeichnet, daß der letzte Zuwanderer gerade noch eine solche Produktionsausweitung verursacht, wie er selbst an zusätzlicher Nachfrage in der betreffenden Zuzugsregion äußert. Die nun auftretende Störung ruft ineffi-
litäten aber nicht internalisierungsbedürftig. Da sie sich in den Preisen niederschlagen, handelt es sich um pekuniäre Extemalitäten. Internalisierungsbedürftig, d.h. in das Preissystem zu integrieren, sind aber nur technologische Extemalitäten, die im vorliegenden Fall als Nutzungsextemalitäten auftreten. Vgl. dazu auch Mansoorian/Myers [1993],S.117f. 52 Zu Ineffizienzen in der Produktion vgl. grundlegend Leihenstein [! 966].
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ziente Wanderungsbewegungen hervor: Eine zusätzliche Zuwanderung in Gemeinde B bedeutet eine stärkere Ausweitung der Nachfrage nach PB als durch die zusätzliche Produktion gedeckt werden kann. Der soziale Überschuß aus der Zuwanderung - als Differenz zwischen Grenzprodukt der Arbeit und zusätzlicher Nachfrage - wird negativ, das Nutzenniveau in Jurisdiktion B sinkt. Dieser Prozeß wird dann noch verstärkt, wenn auch der Teilnutzen aus dem Konsum der öffentlichen Leistung in dieser Gemeinde sinkt. Das ist der Fall, wenn die zusätzlich nachgefragten Leistungen nicht zu Grenznutzungskosten von Null bereitgestellt werden können. Liegt keine Rivalität im Konsum vor, wird das Nutzenniveau der Einwohner bei den öffentlichen Leistungen nicht beeinträchtigt. Gibt es hingegen Rivalität im Konsum, so sinkt aufgrund der auftretenden Überfüllung auch der Teilnutzen aus dem Konsum der öffentlichen Leistungen. Der negative soziale Überschuß wird dadurch noch größer. Insgesamt also sinkt das Nutzenniveau in Gemeinde B durch die Zuwanderung aus Gemeinde A. In Gemeinde A ergeben sich ebenfalls Kosten und Nutzen der Abwanderung. Durch die Abwanderung sinkt zunächst die Nachfrage nach PA und SA. Ist SA ein reines öffentliches Gut, so ergibt sich aus dem Nachfragerückgang keine Nutzensteigerung für die verbliebenen Einwohner. Ist hingegen Rivalität gegeben, so kommt die gesunkene Nachfrage den verbliebenen Einwohnern zugute. Ähnliches gilt für den Teilnutzen, den das private Gut PA stiftet. Die Abwanderung führt über ein gesunkenes Arbeitskräftepotential zu einer geringeren Produktion. Gleichzeitig geht auch die Nachfrage zurück. Da im Ausgangsgleichgewicht der soziale Überschuß des letzten Zuwanderers gleich Null war, vorher aber einen positiven Wert hatte, ist auch beim privaten Gut P der Produktionsrückgang größer als der Rückgang der Nachfrage. Somit bewirkt die Abwanderung aus Gemeinde A, daß dort die Versorgung der verbliebenen Einwohner mit dem privaten Gut schlechter wird, d.h. der soziale Überschuß durch die Abwanderung negativ wird. Das Nutzenniveau in Gemeinde A geht damit noch unter das Niveau, das durch die ursprüngliche Störung erreicht wurde, zurück. Daraus folgt, daß der Umfang der Abwanderung aus Gemeinde A nochmals zunimmt - mit den entsprechenden Folgen für die Zuwanderungs- und die Abwanderungsregion. Die hier unterstellte exogene Störung des Ursprungs gleichgewichts bewirkt, daß sowohl das Nutzenniveau in Gemeinde A als auch das in Gemeinde B absinken kann. Unter der Bedingung, daß auch ein neues Gleichgewicht wieder durch die Identität der Nutzenniveaus in beiden Gemeinden gekennzeichnet ist, ergibt sich dieses neue Gleichgewicht auf einem niedrigeren Niveau als vorher. Bisher war allerdings davon ausgegangen worden, daß die Gemeinden auf die Abwanderung bzw. die Verschlechterung der Situation für ihre Einwohner nicht reagieren. Gegen dieses passive Verhalten spricht die Annahme, daß die
C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus
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Zielfunktion der Entscheidungsträger in den Gemeinden auf die Nutzenmaximierung ihrer Einwohner ausgerichtet ist. 53 Das bedeutet, daß das Management der Gemeinde A bestrebt sein wird, das Nutzenniveau ihrer Einwohner zu erhalten. Ebenso haben die Entscheidungsträger der Gemeinde B diesen Ameiz in bezug auf die Versorgung ihrer Einwohner. Da die Optimalitätsbedingung einen Ausgleich der Nutzenniveaus zwischen den Gemeinden erfordert, folgt aus der autonomen Optimierung des Nutzenniveaus in Gemeinde A automatisch die Optimierung des Nutzens in Gemeinde Bund vice versa. Welche Möglichkeiten bieten sich den Gemeinden bzw. ihren Entscheidungsträgern aber konkret, um die negativen Folgen der angeführten Störung zu vermeiden? Um diese Frage beantworten zu können, sollen innerhalb der bisher benutzten Modellstruktur einige weitere Annahmen getroffen werden. Bisher war lediglich der Faktor Arbeit bei der Produktion betrachtet worden. Zusätzlich zu diesem Faktor soll bei der Produktion des privaten und des öffentlichen Gutes aber auch der Faktor Boden benötigt werden. Der Produktionsfaktor Boden wird ebenfalls gemäß seinem Wertgrenzprodukt entlohnt. Als zusätzliche Annahme soll nun das Eigentum am Faktor Boden den jeweiligen Jurisdiktionen zugeordnet werden. Den Gebietskörperschaften fließt somit auch die Bodemente zu. Die Bodemente steht als disponible Haushaltsmasse zur Verfügung, denn die mit der Bereitstellung der öffentlichen Leistungen verbundenen Kosten werden annahmegemäß über einen Zwangsbeitrag gedeckt. 54 Weiterhin werden keine Transaktionskosten betrachtet, die aus dem Betreiben der Jurisdiktionen als Organisation entstehen. 55 Die Bodemente steht somit vollständig als Verteilungsmasse zur Verfügung und fließt zunächst den Einwohnern der einzelnen Gemeinden zu .. Sie ermöglicht es der Jurisdiktion aber auch, über Transferzahlungen Einwohner aus anderen Jurisdiktionen an-
53 Neben den oben angeführten unintendierten Ursachen für Wanderungen gibt es auch solche, die von den Gemeinden aktiv hervorgerufen werden. Kennen nämlich die Entscheidungsträger einer Gemeinde ein Potential für Nutzensteigerungen in ihrer Gemeinde, das durch Zuwanderungen - also ein höheres Arbeitsangebot - realisiert werden kann, so werden sie versuchen, den entsprechenden Zuzug von Einwohnern in ihre Jurisdiktion zu veranlassen. Der damit geschaffene soziale Überschuß führt zur Verbesserung der Nutzensituation in der betreffenden Gemeinde. Um zu einer Pareto Verbesserung zu gelangen, muß wiederum sichergestellt werden, daß das Nutzenniveau in den anderen Gemeinden zumindest nicht absinkt. 54 Im Falle des gleichen Nutzens für alle Einwohner entspricht dem wiederum eine Kopfsteuer. 55 Zur Analyse dieser Kosten vgl. Punkt F, Abschnitt 11.
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zuziehen oder diese zum Verbleib in ihrer ursprünglichen Jurisdiktion zu veranlassen. 56 Geht man zurück zu dem oben angeführten Beispiel, so hat dort die Gemeinde B einen Anreiz, Zuwanderungen zu unterbinden. Sie kann das erreichen, indem sie Transfers an Gemeinde A gibt. Diese Transfers erhöhen das Nutzenniveau in A, so daß eine Abwanderung unterbleibt. Gleichzeitig hat auch die Gemeinde A einen Anreiz, die Transfers so zu verwenden, daß das Nutzenniveau ihrer Bevölkerung erhalten bleibt: Wie gesehen erfolgt sonst eine Abwanderung, die die Situation für die Zurückgebliebenen weiter verschlechtert und somit weitere Abwanderungen induziert. Die Transferzahlungen erfolgen in diesem Fall, um die Externalitäten, die durch die Wanderung entstehen, zu internalisieren. Wichtig ist dabei, daß die Höhe der Transfers zwischen den beiden beteiligten Gemeinden unstrittig ist. 57 Beide Gemeinden sind über die Optimalitätsbedingung U A = U B untrennbar miteinander verbunden und weisen daher eine Zielidentität auf. 58 Die typischerweise bei Internalisierungen auftretenden Verhandlungsprobleme über die richtige Höhe der Kompensation entstehen durch die Zielidentität der Beteiligten bzw. ihre Reaktionsverbundenheit nicht. Ebensowenig ist im beschriebenen Kontext die Einbeziehung einer Schiedsrichterinstanz - üblicherweise eine zentrale Ebene - notwendig. Vielmehr sichert im beschriebenen Modellrahrnen eine dezentrale Staats gliederung aufgrund der vollkommenen Mobilität der Bürger eine effiziente Bereitstellung lokaler öffentlicher Leistungen, inclusive der Kompensation auftretender Externalitäten. 59 Für rational handelnde Gemeinderegierungen besteht daher grundsätzlich ein Anreiz, das Ausmaß der möglichen Wanderungen zu steuern und so die Anzahl der Gemeindemitglieder zu optimieren. Um das zu erreichen, können sie, wie gezeigt, das Ausmaß der Wandernden über Subventionen beeinflussen oder die Zahl der Zu- bzw. Abwanderungen direkt beschränken, indem sie im Falle einer drohenden Überfüllung Zuzugsbeschränkungen erlassen60 oder bei drohender Abwanderung von Einwohnern die Grenzen schließen. 61
56 Vgl. Mansoorian/Myers [1993], S. 125. 57 Vgl. Mansoorian/Myers [1993], S. 125.
58 So auch Wellisch [1994], S. 169. 59 Vgl. auch Myers [1990], Mansoorian/Myers [1993] sowie Wellisch [1994], S.169. 60 Vgl. Oales [1977], S. 7. Die Auswirkungen solcher Zuzugsregulierungen wurden von Hamillon [1975] untersucht. Auch mit solchen Regulierungen führt der Tiebout-
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Durch den zweiten Mechanismus - die Kontingentierung der Wanderung würde allerdings der Sanktionsmechanismus außer Kraft gesetzt und der Zwang zur Anpassung der Jurisdiktionen an die Präferenzen ihrer Einwohner entfiele. 62 11. Folgerungen
Die Analyse der Wanderung hat gezeigt, daß über eine unbegrenzte Mobilität der Bevölkerung eine pareto-effiziente Verteilung der Bevölkerung im Raum zustandekommt. 63 Das gilt sowohl ftir eine einmalige, statische Betrachtung wie im ursprünglichen Tiebout-Modell - als auch fur die erweiterte dynamische Betrachtung. Die unbeschränkte Mobilität eröffnet den Bürgern die Möglichkeit, bei Abweichungen des tatsächlichen Versorgungsniveaus von dem von ihnen präferierten, durch Wanderung Nutzenarbitragepotentiale auszunutzen. Dieser Arbitrageprozeß sorgt ftir den Ausgleich des Nutzenniveaus der Bevölkerung im Raum; er kommt bei gleich hohem Nutzenniveau in den beteiligten Gemeinden zum Erliegen. Über die Annahme, daß die Entscheidungsträger der Gemeinden versuchen, den Nutzen ihrer Einwohner zu maximieren bzw. ihre Präferenzen zu erftillen, kommt es zu 'einem "Handel" von Einwohnern zwischen den Gemeinden: Dieser Handel ist - wie gezeigt - effizienzsteigernd und kommt ohne den Eingriff einer zentralen Instanz zustande. Die aus den Erweiterungen des Tiebout-Modells abgeleiteten Überlegungen können die im vorhergehenden Kapitel entwickelte Gliederung eines Staatsgebiets auf Basis der Kollektivgütertheorie sinnvoll ergänzen. Während die Kollektivgütertheorie die Frage, wie die einzelnen Bürger sich ihren jeweiligen Bereitsteller von öffentlichen Leistungen auswählen, nur am Rande betrachtet, Mechanismus zu einer effizienten Allokation öffentlicher Güter, jedoch mit einem trade off zwischen Allokation und Distribution. 61 Die Errichtung von Austrittsbarrieren seitens der potentiellen Abwanderungsjurisdiktionen erinnert an die Abschottung der Staaten des früheren Ostblocks gegenüber dem Westen. Wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat, führte die Ausschaltung der Wanderungsmöglichkeiten dort dauerhaft zu Unzufriedenheit. In demokratisch verfaßten Staaten steht hingegen als zusätzliche Sanktionsmöglichkeit die Meinungsäußerung über Wahlen zur Verfügung. Vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel E. 62 Im Tiebout-Modell herrscht für die Gemeinden kein direkter Zwang zur Anpassung. Vielmehr sind es zunächst die Bürger, die sich dem gegebenen Angebot durch ihre Migration anpassen. Vgl. Tiebout [1956], S. 420 sowie Scully [1991], S. 51 und Mieszkowskil Zodrow [1989], S. 1098. 63 Vgl. hingegen zur Relativierung der Bedeutung des Wanderungsmechanismus in bezug auf die allokative Effizienz Oates [1969], S. 957ff.
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rückt dieses Problem in den Mittelpunkt der Analyse des Wanderungs modells. 64 Auch bietet das Modell den Bürgern eine zusätzliche Möglichkeit, ihre Präferenzen zu offenbaren und Abweichungen der tatsächlichen Versorgung von ihren Präferenzen zu sanktionieren, womit das Kriterium der Konsumentensouveränität umfassender erfüllt ist. Unter den Prämissen bezüglich der Produktionsfunktion, sorgt das erweiterte Tiebout-Modell auch für eine effiziente Produktion der öffentlichen Leistungen. Allerdings führt die mögliche Sanktionierung der Entscheidungsträger durch den Wanderungsmechanismus nicht notwendigerweise zu einem Wettbewerb der lurisdiktionen: 65 Wie gezeigt, bestehen auf Seiten der Zuzugsgemeinde Anreize, den Zuzug zu beschränken und den Einwohnern der anderen Gemeinde Bleibesubventionen zu zahlen. Diese Bleibesubventionen sind aus Sicht der zahlenden Gemeinde notwendig, um a) die optimale Einwohnerzahl in der eigenen Gemeinde zu erreichen und b) entsprechend den Nutzen der eigenen Einwohner zu maximieren. Durch die Gleichgewichtsbedingung (Ausgleich der Nutzenniveaus) sind die innovativen Gemeinden gezwungen; die "schlechteren" Gemeinden über Transferzahlungen zu subventionieren. 66 Es ist also nicht 64 Da Tiebout quasi jegliche räumliche Komponente seiner Gemeinden - wie z.B. Wohnraum und Arbeitsplätze sowie Wanderungskosten - aus der Analyse ausklammert, erinnern die derart ausgestalteten Jurisdiktionen eher an funktional gegliederte Kollektive der Art, wie sie in der Kollektivgütertheorie beschrieben werden. Vgl. ähnlich BuchananlGoetz [1972]. 65 Die These, daß ein dezentraler Staatsaufbau auch einen Wettbewerb der Jurisdiktionen bedingt, vertreten z.B. BrennaniBuchanan [1980], S. 175ff. und Vanbergl Buchanan [1991], S. 70ff., Frenkel [1984], S. 146ff. sowie Dye [1990a], S. 175ff. 66 Gilt die Gleichgewichtsbedingung nicht, so kann es zur strategischen Verlagerung von Lasten kommen, ohne daß eine Transferzahlung der entlasteten Gemeinde an die belastete erfolgt. Dieses Problem entsteht insbesondere dann, wenn aufgrund von Innovationen in einer Gemeinde bestimmte sozial benachteiligte Gruppen dorthin wandern, weil sich ihr spezifisches Nutzenniveau dort erhöht. Dazu ein Beispiel: Geht eine Gemeinde zur kontrollierten Abgabe von Methadon an Heroinsüchtige über und erläßt keine Zuzugsbeschränkungen, so steht zu vermuten, daß die - sehr mobilen - Süchtigen aus anderen Gemeinden zuwandern werden, um die verbesserten Leistungen zu nutzen. Die Anreize der anderen Gemeinden, diese Innovation, die eine subjektive Verbesserung der Versorgungssituation eines Teils der Bevölkerung darstellt, zu imitieren, dürfte gering sein. Durch die Abwanderung fallen dort nämlich Probleme weg, der Nutzen der Restbevölkerung steigt. Bei einer Äquivalenzfinanzierung steigt nun durch den Zuzug in der innovativen Gemeinde die Belastung der Bevölkerung, was insgesamt den Anreiz zur Innovation nimmt. Ähnliche Überlegungen haben dazu geführt, daß im Februar 1995 die offene Drogenszene in Zürich unterbunden wurde. Vgl. Mrusek [1995]. Die Gründe dafür, daß die Gleichgewichtsbedingung (Ausgleich der Nutzenniveaus) nicht gilt, werden in Punkt F.I. erläutert. Den Hinweis darauf, daß unbeschränkte Mobilität
C. Die Abwanderung als Sanktionsmechanismus
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so, daß durch die Wanderung die schlechtere Gemeinde gezwungen ist, beispielsweise über Imitation die eigenen Leistungen zu verbessern und so ihre Einwohner zum Verbleib zu animieren. Vielmehr kann sie darauf vertrauen, daß entsprechende Transferzahlungen an sie fließen werden, um das Nutzenniveau zu erhalten. 67 Die Transferzahlungen erfolgen freiwillig und sind in ihrer Höhe unbestritten. Im Modell vollkommen freier Wanderung ist damit allein aus Gründen der effIzienten Allokation kein Finanzausgleich über eine zentrale Instanz notwendig. Vielmehr werden die auftretenden Steuer- und Nutzungsexternalitäten in bilateralen Verhandlungen internalisiert - auch das Einschalten einer Schiedsrichterinstanz ist überflüssig. Daher bleibt es zunächst auch bei den Allokationsaufgaben, die den unterschiedlichen großen Jurisdiktionen aufgrund der Kollektivgütertheorie zugeordnet worden waren. Lediglich aufgrund von Distributionsfragen könnte die Notwendigkeit eines Finanzausgleichs über eine zentrale Instanz begründet werden. 68 Wichtig aber ist der Hinweis auf die Prämissen, unter denen das obige Ergebnis abgeleitet wurde. So haben die Bürger beispielsweise nur Präferenzen für die bereitgestellten Güter; sie wählen ihren Standort nicht aus, weil sie mit bestimmten anderen Bürgern in einem Kollektiv zusammenleben wollen, sondern nur, weil sie eine möglichst gute Güterversorgung wünschen. Hätten sie Präferenzen für bestimmte Wohnorte, so würde das die Wirksamkeit der Wanderung und auch die Möglichkeit, die Transferzahlungen unstrittig auszuhandeln, verändern.6 9 Damit ist zwar die Niederlassungsfreiheit gesichert, das zwangsweise Zusammenleben mit "unerwünschten Nachbarn" aufgrund der Versorgungssituation kann aber nicht ausgeschlossen werden. Weiterhin blieb die Existenz von Nutzenspillovers, die aus der Bereitstellung öffentlicher Güter resultieren, bei der bisherigen Analyse ausgeklammert. Auch diese Extemalitäten gilt es aber bei der Analyse der dezentralen Gliederung zu berücksichtigen. Den Bürgern wird in dem angeführten Wanderungsmodell vollkommene Rationalität ebenso unterstellt, wie die Fähigkeit, unter vollkommener Information auch optimale Entscheidungen fallen zu können. der Bürger im Tiebout-Modell nicht zu einer effizienten Allokation führt, findet man z.B. auch bei BuchananlWagner (1970], S. 151 sowie BuchananlGoetz [1972]. 67 Dieses Ergebnis weicht von den Schlußfolgerungen in denjenigen Arbeiten ab, die den Wettbewerb der lurisdiktionen als ähnlich effizient ansehen, wie den Wettbewerb von Unternehmen. Zu einer solchen Ansicht vgl. zum Beispiel Foldvary [1994], S.
72.
68 Vgl.z.B.MansoorianiMyers[1993],S.131. 69 Vgl. dazu Wellisch [1994] sowie die Ausführungen im Kapitel F., Abschnitt \.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Ebenso bleiben in dem Wanderungsmodell, das ein rein neoklassisches Gleichgewichtsmodell ist, institutionelle Aspekte der dezentralen Gliederung ausgeklammert. In dieser Hinsicht ist es daher weniger aussage- und leistungsfähig als die Kollektivgütertheorie. Schließlich wird im Wanderungsmodell - ebenso wie in der Kollektivgütertheorie - davon ausgegangen, daß die politischen Entscheidungsträger innerhalb der Gemeinden nur die Maximierung des Gemeinwohls als Ziel verfolgen. Eigeninteressen der Politiker werden systematisch vernachlässigt. Was das Wanderungsmodell leisten kann, läßt sich damit folgendermaßen zusammenfassen: Es kann die Bedingungen auflisten, unter denen eine dezentrale Bereitstellung bzw. Produktion öffentlicher und privater Güter effizient ist. Es kann aber keine Aussage darüber machen, wie ein dezentraler Staatsaufbau zustandekommt. Ebensowenig enthält es andere Mechanismen, die dazu führen könnten, den Wettbewerb der Gemeinden zu fördern oder die Externalitäten, die aufgrund von Wanderungen auftreten, zu vermeiden. Durch die Begründung der effizienten Bereitstellung in einem dezentralen System liefert das Modell jedoch wichtige Hinweise darauf, welche Aufgaben in einem föderalen Staat auf den einzelnen Ebenen angeordnet werden sollten: Das Wanderungsmodell zeigt, daß bei hoher Mobilität der Bevölkerung zumindest keine zentralen Eingriffe zur Erreichung einer effizienten Allokation notwendig sind. Dieser Logik folgend, sollte die Mobilität der Bevölkerung möglichst nicht begrenzt, sondern gefördert werden. Wird nämlich der Wanderungsmechanismus außer Kraft gesetzt, so sind zentralstaatliche Eingriffe notwendig, um eine effiziente Allokation der Bevölkerung im Raum zu gewährleisten. Solche Eingriffe - z. B. in Form von Finanzausgleichsregelungen - führen aber zu zusätzlichen Problemen und lassen sich, wenn eben eine hohe Mobilität der Bürger vorhanden ist, vermeiden bzw. minimieren. Jedoch sind alle diese Ergebnisse an relativ enge Prämissen geknüpft: Um beurteilen zu können, ob und gegebenenfalls wie die Beurteilung des Modells sich ändert, wenn einige der von Tiebout gesetzten Prämissen aufgehoben werden, wird im nächsten Kapitel das bisher benutzte Modell um die Existenz externer Effekte erweitert: Nutzenspillovers zwischen den Gemeinden werden zugelassen und ihre Auswirkungen auf die Allokation bzw. den Wanderungsmechanismus werden im bestehenden Modellrahmen untersucht.
D. Die Wirkung von Spillovers Das bisher vorgestellte, erweiterte Tiebout-Modell war unter anderem auf der Prämisse aufgebaut, daß keine Spillovers bei der Bereitstellung öffentlicher Güter auftreten: Die öffentlichen Leistungen wurden in einem perfekten Mapping bereitgestellt, so daß die räumliche Wirkung dieser Leistungen an den Grenzen der bereitstellenden Jurisdiktion endete und kein Nutzen in Form externer Effekte in angrenzenden Gemeinden überging. Die Exklusion anderer' Nutzer als der jeweiligen Gemeindemitglieder war damit sichergestellt. In der Realität ist diese totale Exklusion externer Dritter bei der Bereitstellung jurisdiktioneller öffentlicher Leistungen oftmals nicht möglich: Die räumlichen Grenzen der Jurisdiktionen und des Nutzens der bereitgestellten Leistungen sind nicht identisch, Spillovers damit nicht vermeidbar. 1 Die Existenz von Externalitäten zwischen Gebietskörperschaften beispielsweise im Bereich von Umweltschutzmaßnahmen ist in der Literatur ebenso unbestritten wie die Tatsache, daß sie die Versorgung der Bevölkerung beeinflussen. Umstritten ist jedoch, ob die Existenz von Spillovers zu einer Unter- oder zu einer Überversorgung mit öffentlichen Leistungen führt. 2 Ebenso umstritten ist die Wirkung
1 Externe Effekte zwischen lurisdiktionen treten immer dann auf, wenn die Grenzen der räumlich gegliederten Kollektive nicht mit denen der funktional gegliederten übereinstimmen und damit gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen wird. Vgl. Cornes/ Sandler [1986], S. 24. Somit können rein öffentliche Güter als Spezialfall externer Effekte aufgefaßt werden, bei denen die Gruppen der Nutzer und der Finanzierer vollständig auseinanderfallen. Ähnlich Frey/Kirchgässner [I994], S. 92. Da räumlich gegliederte Jurisdiktionen in der Regel mehr als eine öffentliche Leistung bereitstellen, wäre die Identität der Grenzen dieser funktionalen Kollektive mit der Grenze des räumlichen Kollektivs eher zufällig. Aber auch wenn nur ein Gut bereitgestellt wird, kann es zu Externalitäten kommen, wenn zwischen zwei funktional und räumlich unterschiedlichen Kollektiven unterschiedliche Versorgungsniveaus dieser Leistung präferiert werden. Auf diese Möglichkeit, die insbesondere bei gleichbleibender Wirkung der Leistungen im Raum auftritt, wird im folgenden näher eingegangen. Vgl. zu den Ursachen von Spillovers auch Wust [1981], S. 79-84. 2 Zur generellen Analyse von Externalitäten und ihren Wirkungen vgl. Cornes/ Sandler [1986], S. 29-66. Speziell mit den Problemen, die durch Externalitäten zwischen Gemeinden in einem föderativen Staat hervorgerufen werden, beschäftigt sich Pawlowsky [1972]. 6 Sauerland
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
von Externalitäten auf die Wanderung als Sanktionsmechanismus. In diesem Kapitel soll daher gezeigt werden, wie Nutzenspillovers wirken, wie sie die Versorgungssituation in den betroffenen Gebietskörperschaften verändern und welche Möglichkeiten sich den beteiligten Körperschaften bzw. deren Entscheidungsträgern im entsprechenden Modellkontext bieten, um auf das Auftreten von Spillovers zu reagieren. Dazu werden sowohl Überlegungen der traditionellen Wohlfahrtsökonomik angeführt als auch eine Modellierung aus der Preistheorie auf das Spilloverproblem übertragen. Wieder steht die Frage im Hintergrund, welchen Beitrag die ökonomische Theorie bei der Analyse der in dezentralen Gliederungen entstehenden Probleme leisten kann. Problematisch werden Spillovers dann, wenn nicht unmittelbar eine Internalisierung der Nutzen erfolgt, d.h. von den Nutzern der Spillovers kein nutzenäquivalenter Beitrag zur Finanzierung der betreffenden Leistung geleistet werden muß. Ein praktisches Beispiel für eine solche Situation läßt sich im Bereich der Umweltschutzpolitik finden. Beschließt beispielsweise eine Gebietskörperschaft, zum Wohl der eigenen Bevölkerung die Schadstoffemissionen und damit auch die -immissionen zu senken, so entstehen in den angrenzenden Körperschaften ebenfalls Immissionsreduktionen, die positive Spillovers darstellen. 3 Aufgrund der fehlenden Exkludierbarkeit tritt nun wieder die bekannte Trittbrettfahrerproblematik auf: Die einzelnen Jurisdiktionen bzw. ihre Entscheidungsträger vertrauen darauf, daß andere Körperschaften die jeweilige Leistung bereitstellen und sie selbst von den Externalitäten profitieren. Da sie ihre wahre Zahlungsbereitschaft nicht offenbaren und die Spillovers beim Produzenten nicht abgegolten werden, fällt die Höhe der Spillovers, damit auch die Bereitstellung der Leistungen in den betrachteten Jurisdiktionen, zu gering aus. Während einige Autoren die Meinung vertreten, diese Unterversorgung sei der Normalfall beim Auftreten von Spillovers,4 kommen andere zu dem Ergebnis, daß durchaus auch Überversorgungssituationen auftreten können. 5
3 Möglicherweise entstehen nicht nur regional begrenzte Spillovers, sondern - wie im Fall einer CO2-Reduktion - sogar eine weltweite Verbesserung der Umweltsituation. 4 Vgl. z.B. Williams [1966]. Zum gleichen Ergebnis kommt Weisbrod [1964], der jedoch annimmt, daß die empfangene Jurisdiktion die Spillovers nicht in ihr Produktionskalkül aufnimmt. Williams [1966] unterstellt hingegen, daß die Spillins in die jeweilige Produktionsplanung eingehen und leitet darauf aufbauend eine stärkere Unterversorgung her als Weisbrod. Zum Vergleich der bei den Positionen vgl. Wust [1981], S. 86-90. 5 So kann z.B. beim Fehlen der öffentlichen Leistung "Polizeischutz" das Gut "Sicherheit" durch Selbstschutzmaßnahmen der einzelnen Bürger produziert werden. Der dabei verursachte Ressourcenverzehr kann höher sein, als bei öffentlicher Leistungs-
D. Die Wirkung von Spillovers
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Eine Über- und Unterversorgung wird in den betreffenden Arbeiten üblicherweise defmiert als Differenz zwischen der bereitgestellten - und letztlich auch genutzten - und der in der jeweiligen Jurisdiktion intern produzierten Menge öffentlicher Leistungen. Abweichend davon sollen Abweichungen der gewünschten Versorgung im folgenden als Differenz zwischen der von der Bevölkerung präferierten Menge und der letztendlich zu nutzenden Menge definiert werden. Relevant ist somit die Versorgungsmenge, die im folgenden als Summe der jeweiligen internen Bereitstellungsmenge plus der empfangenen Spillovers defmiert ist: Denn nicht nur die von der jeweiligen Körperschaft bereitgestellte Menge, sondern eben jene gesamte Versorgungsmenge kann letztendlich von den Einwohnern einer Jurisdiktion konsumiert bzw. genutzt6 werden und entscheidet damit über das Versorgungsniveau. 7 Im folgenden werden erst anhand wohlfahrtsökonomischer Überlegungen die Effekte aufgezeigt, die im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung aus dem Auftreten von Spillovers resultieren. Unter dem Begriff Spillovers werden hier Spillins und Spillouts subsumiert: Spillouts stellen den Teil der öffentlich bereitgestellten Leistungen beziehungsweise des daraus resultierenden Nutzens dar, der von der jeweils betrachteten Jurisdiktion emittiert wird, während Spillins die Nutzen-Immissionen in einer Jurisdiktion repräsentieren. 8 Bei der Anaerstellung. BuchananiKafoglis [1963] leiten aus dem höheren Ressourceninput auch einen höheren Güteroutput als bei öffentlicher Produktion ab. Daß ein höherer Input allerdings nicht zwangsläufig dazu führt, daß auch ein höherer Output zustandekommt, haben Olson/Zeckhauser [1970] gezeigt. 6 Die in der Literatur übliche Formulierung, daß die Produktion vollständig konsumiert werden muß, ist im vorliegenden Kontext irreführend, da Kollektivgüter typischerweise langlebige Gebrauchsgüter sind und daher eben nicht unmittelbar vollständig konsumiert werden. Daher wird im folgenden die Formulierung konsumieren im Sinne von nutzen verwendet. Vollständige Nutzung bedeutet dann die Ausschöpfung der gesamten Nutzungspotentials. 7 Die Präferenzen der Bevölkerung werden im folgenden als gegebene, bekannte Größe angenommen. Nicht betrachtet wird hier das Problem, wie die Einwohner dazu veranlaßt werden, ihre wahren Präferenzen und Zahlungsbereitschaften für die öffentlichen Leistungen offenzulegen. Zu Besteuerungsverfahren, die das Trittbrettfahren zu einer nicht lohnenden Strategie machen und damit zur Offenlegung der Präferenzen führen, vgl. beispielsweise Boadway/Wildasin [1984], S. 161ff. sowie Groves/Ledyard [1977]. Einen Überblick über diese Verfahren vermittelt RichteriWiegard [1993], S. 200-205. 8 Diese Formulierung bezieht sich auf positive externe Effekte beziehungsweise Spillovers, die in der betroffenen Jurisdiktion das Nutzenniveau erhöhen. Analog kann die Argumentation auch für negative Spillovers geführt werden. Treten positive Spillovers beispielsweise dann auf, wenn in zwei lurisdiktionen eine identische Leistung in unterschiedlichen Mengen präferiert werden, so ergeben sich negative Spillouts 6·
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
lyse wird der Fall einseitig wirkender Spillovers, in der nur die Versorgungs situation in der empfangenden Jurisdiktion betrachtet wird, von einern Szenario unterschieden werden, in der auch Rückwirkungen auftreten. Letzteres Szenario wird in einern preistheoretischen Analyserahmen modelliert. Dabei wird sowohl die Situation in der emittierenden als auch in der empfangenden Jurisdiktion betrachtet. Um die Wirkung von Spillovers analysieren zu können, sind Annahmen darüber notwendig, wie die Bereitsteller auf diese "Störgrößen" reagieren. Anbieter-Jurisdiktionen, die von Spillins betroffen sind, können diese beispielsweise ignorieren. Die empfangenen Spillins gehen dann nicht in das Bereitstellungskalkül dieser Jurisdiktionen beziehungsweise ihrer Entscheidungsträger ein. Die Spillins können aber auch in die Bereitstellungsentscheidung mit einbezogen werden. Bei einer Einbeziehung kann wiederum differenziert werden zwischen der Berücksichtigung von Spillovers als exogener Größe, die nicht von der eigenen Entscheidung beeinflußt wird, und von Spillovers als endogener Größe. Durch die Endogenisierung wird im anzuführenden preistheoretischen Modell berücksichtigt, daß eigene Bereitstellungsentscheidungen über entsprechende Spillouts die Entscheidungen der anderen betrachteten Jurisdiktionen mit beeinflussen und umgekehrt die Bereitstellungsentscheidungen der anderen Jurisdiktionen - beziehungsweise die daraus resultierenden Spillouts - wiederum auf die eigene Situation zurückwirken. Bei der Modellierung einer endogenen Berücksichtigung von Spillovers müssen die beteiligten Entscheidungsträger die Wirkungsweise ihrer eigenen Entscheidungen abschätzen können. Das dazu notwendige Wissen ist größer als es bei exogen vorgegebenen Spillovers sein muß. Die nachfolgende Argumentation geht daher explizit auf die Verhaltens- und Wissensannahmen bezüglich der beteiligten Entscheidungsträger ein. Die Wirkung unterschiedlicher Annahmen werden im Fall der Spillovers mit Rückwirkungen in einern einfachen Dyopolmodell diskutiert. Zunächst aber wird kurz die Wirkung von Spillovers ohne Rückwirkung dargestellt.
beziehungsweise Spill ins, wenn in einer Gemeinde ein Gut bereitgestellt wird, das in der anderen Gemeinde als Übel empfunden wird. Spillovers beeinträchtigen dann das Nutzenniveau der empfangenden Jurisdiktion. Eine spieltheoretische Konstellation, unter der die Individuen einen Anreiz haben, ihre wahren Präferenzen offenzulegen, entwickeln CremeriRiordan [1985]. Sie entwerfen ein Umfeld, in dem ein Individuum als Stackelberg-Führer auftritt und die anderen den Anreiz haben, ebenfalls mit der Offenlegung ihrer echten Präferenzen nachzuziehen.
D. Die Wirkung von Spillovers
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I. Eine wohlfahrtsökonomische Analyse von Spillovers
Die Wirkung exogen gegebener Spillovers läßt sich fonnal am einfachsten mit Hilfe des traditionellen wohlfahrtsökonomischen Instrumentariums darstellen. Ausgehend von einer Situation, in der innerhalb einer Jurisdiktion eine paretooptimale Allokation realisiert wird, soll untersucht werden, wie sich die Versorgungssituation in dieser Gemeinde beim Auftreten positiver Spillins verändert. 9 Bei der Argumentation wird wie bisher unterstellt, daß in der betrachteten Gemeinde A zwei Güter produziert werden, und zwar das private Gut P und das lokale öffentliche Gut S. Das lokale öffentliche Gut S wird von der Gemeinde bereitgestellt. Ob die Gemeinde das Gut selbst produziert oder von einem externen Produzenten bezieht, ist zunächst unerheblich. I 0 Hier wird lediglich davon ausgegangen, daß die Produktion und auch die Bereitstellung effIzient ist, d.h. im jeweiligen Kostenminimum durchgefiihrt wird. 11 Beide Güter werden ausschließlich mit den privaten Produktions faktoren Arbeit und Boden hergestellt. Die Produktion sei jeweils durch eine linear homogene Produktionsfunktion mit unterschiedlichen Faktorintensitäten gekennzeichnet; die Produktionsfunktionen des privaten und des öffentlichen Gutes seien nicht identisch. Aufgrund dieser Prämissen läßt sich fiir die Jurisdiktion A eine konkave Transfonnationskurve T (S, P) darstellen, die die Produktionsmöglichkeiten von SA und PA bei voll ausgelasteten Kapazitäten darstellt; die Transfonnationskurve zeigt, daß eine Mehrproduktion des öffentlichen Gutes immer mit einer Minderproduktion des privaten Gutes "erkauft" werden muß - und vice versa. Um zum wohlfahrtstheoretischen Paretooptimum zu gelangen, ist die Einbeziehung der Nachfrage nach den produzierten Gütern notwendig. Es sei davon ausgegangen, daß in jeder Jurisdiktion nur zwei Personen leben, die sowohl das private als auch das öffentliche Gut konsumieren bzw. nutzen.J2 Annahmegemäß soll die Produktion vollständig genutzt bzw. konsumiert werden, so daß in jeder Gemeinde gilt S = SI = S2 sowie P = pI + p2 mit SI und pI als konsumierte
Vgl. ähnlich Breton [1970], S. 889ff. und Williams [1966]. Auf die Frage, ob es für die bereitstellenden Gemeinden vorteilhafter ist, die jeweilige Leistung selbst zu produzieren oder von externen Produzenten zu beziehen, wird ausführlich im Punkt F.lI. eingegangen. 11 Da hier noch keine expliziten Kosten der Bereitstellung in Form von Transaktionskosten berücksichtigt werden, ist eine effiziente Produktion auch gleichzeitig eine effiziente Bereitstellung. 12 Die Annahme zweier Personengruppen mit jeweils homogenen Präferenzen ist ebenso möglich. 9
10
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Menge des Individuums 1 und analog S2 und p2 für Individuum 2. 13 Unterstellt man, daß allein der Konsum der betrachteten Güter nutzenstiftend wirkt, erhält man als Nutzenfunktion der Individuen Ul(s\ pi) und U 2(S2, p2).14 Aus diesen individuellen Nutzenfunktionen erhält man eine aggregierte jurisdiktionelle Wohlfahrtsfunktion. 15 Diese ergibt sich zu W = UIU I (SI,pl)+U 2 U 2 (S2,p2). Wird diese Wohlfahrts funktion mit Hilfe eines Lagrange-Ansatzes maximiert, müssen als zu berücksichtigende Nebenbedingungen die Produktionsfunktion und die vollständige Nutzung der Produktion beachtet werden. 16 Der zu optimierende Lagrange-Ansatz lautet dementsprechend
Optimiert man diesen Ansatz, so erhält man als Bedingung für eine paretooptimale Allokation, bei der die Produktions faktoren voll ausgelastet sind, die Präferenzen der Nachfrager-Bürger erfüllt sind und somit die Produktion den Präferenzen entspricht:
bzw.
Öpl Öp2 öP -+--=ös l ös2 öS
\3 Diese Fonnulierung zeigt an, daß es sich bei dem betrachteten um ein rein öffentliches Gut handelt, bei dem Nicht-Rivalität im Konsum herrscht. Somit steht die gesamte Menge des Gutes S allen Nutzem ohne Einschränkung zur Verfligung. 14 Der Einfachheit halber sei unterstellt, daß die Nutzenfunktionen in Fonn von Cobb-Douglas-Funktionen vorliegen. Die hier vorgestellte Fonnulierung gilt flir den allgemeinen Fall nicht homogener Präferenzen. Unterstellt man, daß die Präferenzen der Einwohner homogen sind, weil die betrachteten Jurisdiktionen beispielsweise solche sind, die sich nach einer ersten Verteilung der Bevölkerung durch Wanderung ergeben haben, so stellt sich das Aggregationsproblem nicht. 15 Da aufgrund der allenfalls ordinalen Meßbarkeit des Nutzens kein interpersoneller Nutzenvergleich möglich ist, und daher auch keine Aggregation von individuellen Nutzenfunktionen, wird im folgenden auf den Negishi [1960] zurückgehenden "Kunstgriff' der Einführung von Gewichtungsfaktoren flir den individuellen Nutzen zurückgegriffen. Diese Alpha-Faktoren sind flir die weitere Analyse unwesentlich, ennöglichen aber die Aggregation in theoretisch sauberer Fonn. 16 Eine vollständige Nutzung der produzierten Güter bedeutet, daß die Bedingungen pi + p2 = P und Si = S2 = S erflillt sein muß. Aus diesen Bedingungen werden die Nebenbedingungen der Lagrange-Funktion gebildet.
D. Die Wirkung von Spillovers
87
Das bedeutet, daß im Optimum die Summe der Grenzraten der Substitution des Konsums der beiden Individuen gleich der technischen Grenzrate der Transformation bei der Produktion sein muß: GRS 1 + GRS 2 = GRT.l7 Das wohlfahrtsökonomische Optimum ist in Abbildung 5 anhand des Tangentialpunkts der Transformationskurve mit einer jurisdiktionellen Indifferenzkurve dargestellt. Im Punkt D sind die genannten Marginalbedingungen erfüllt. Gemeinde A
pAmax
p. A
smax A
Abbildung 5: Transformationskurve im 2-Güter-Fall
Durch die Bereitstellung des Gutes SB durch die Gemeinde B sollen nun positive Spillins in Gemeinde A auftreten, da der Nutzen des Gutes SB über die Gemeindegrenzen von B hinweg diffundiert. Weiterhin soll angenommen werden, daß die Nachfrager in A nicht zwischen dem Nutzen aus dem in A bereitgestellten Gut SA und dem Nutzen aus den Spillins von SB unterscheiden, d.h., es existieren keine Präferenzen für SA' Die Nutzenfunktion der Individuen in Gemeinde A beinhaltet daher auch die öffentlichen Leistungen aus Gemeinde B: VA = VA(SA, PA, SB)'
17 Vgl. z.B. Sohmen [1976], Kapitel 8, insbesondere S. 287f. Eine sehr ausflihrliche Herleitung des allgemeinen Optimums mit öffentlichen Gütern findet sich bei Liedtke [1972], S. 48-76. Liedtke leitet zusätzlich zu den Optimalitätsbedingungen flir Produktion und Konsum auch die allokationsoptimalen Steuern beziehungsweise Preise her und erweitert die Analyse um die Einbeziehung von unvollständigen Kollektivgütern, deren Rivalitätsgrad zwischen Null und eins liegt. Vgl. Liedtke [1972], S. 64ff.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Grundsätzlich verschiebt das Auftreten von Spillins aus der Nachbargemeinde die Transformationskurve in Gemeinde A nach außen und macht sie zur Konsum- bzw. Nutzungsmöglichkeitenkurve. Wie verändert sich die Transformationskurve bei der Umwandlung in eine Konsummöglichkeitenkurve aber konkret? Da sich die maximal mögliche Produktion des privaten Gutes PA nicht verändert, bleibt der Punkt P~Iax erhalten. Je nach Stärke der Spillins verschiebt sich aber die maximal nutzbare Menge
S ~ax - und damit die Transfor-
mationskurve - parallel zum Ursprung weiter nach außen. 18 Dieser Effekt ist in Abbildung 6 dargestellt. Gemeinde A
p.
A
S·A Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Breton [1970], S. 890.
Abbildung 6: Die Wirkung von Spill ins auf die Allokation
Durch die Spillins verändert sich nun die Bereitstellungs- und Produktionssituation in Jurisdiktion A: Zunächst kann man feststellen, daß die Produktions-
18 Die Transformationskurve wird parallel verschoben, weil die Menge der eintreffenden Spillins unabhängig von der Produktion in Gemeinde A ist. D.h. zu jeder produzierten Menge von SA wird eine konstante Menge an Spillins zugeschlagen. Da die empfangenden Spillins annahmegemäß kostenlos in Gemeinde A anfallen, verändert sich auch das Preisverhältnis zwischen privatem und öffentlichem Gut in A nicht. Die Krümmung der Transformationskurve bleibt so wie in der Situation ohne Spillins. Vgl. zu einer ähnlichen Darstellung Breton [1970], S. 890.
D. Die Wirkung von Spillovers
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möglichkeiten in A nicht verändert werden. Beim Übergang von der alten auf die neue Transformationskurve fallen Konsum- und Produktionspunkt auseinander: Es kann jetzt mehr von SA und PA genutzt bzw. konsumiert werden als vorher. Im neuen Optimalpunkt haben sich aber auch die Marginalbedingungen fiir eine paretooptimale Allokation verändert. Unter der Annahme, daß die Präferenzen der Nachfrager unverändert geblieben sind, gilt nun GRS, + GRS 2 = GRT + Spillins. Das hat zur Folge, daß entsprechend die Mengen pf und S~ konsumiert bzw. genutzt werden, während die Mengen
pr
und S~ pro-
duziert werden. Im Vergleich dazu waren im Ausgangspunkt die Mengen P~
S:
und sowohl produziert als auch genutzt worden. Aufgrund des Auftretens von Spillins ändert sich also die Produktionsstruktur in Gemeinde A: Die Progestiegen, die des öffentlichen duktion des privaten Gutes ist von P~ auf
pr
Gutes ist von S: auf S~ gesunken. Insgesamt aber hat sich das Nutzenniveau in Gemeinde A durch die kostenlosen Spillins verbessert: Bei verbesserter Versorgung mit öffentlichen Leistungen stehen nun auch mehr private Güter zur Verfiigung. Die alten und die neuen Produktions- und Konsumpunkte sind in Abbildung 6 dargestellt. Anband dieser Darstellung kann man weiterhin erkennen, daß sich mit dem Auftreten von Spillins der Optimalpunkt, der die Bedingungen des wohlfahrtsökonomischen Pareto-Optimums repräsentiert, verändert. Aufgrund der neuen Lage der Transformations- beziehungsweise Konsummöglichkeitenkurve gibt jetzt der Punkt E das Pareto-Optimum an, und nicht mehr, wie im Ausgangsgleichgewicht, der Punkt D. Da das Ausmaß der Verlagerung der Transformationskurve vom Ausmaß der auftretenden Spillins abhängig ist, kann analog zur Konstruktion des Punktes E fiir jedes Spillin-Niveau ein Optimalpunkt hergeleitet werden. Die Verbindung dieser Optimalpunkte bei alternativ hohen Spillins ist in der Grafik als Reaktionsgerade R eingezeichnet; sie ist hier aus den Punkten D, Fund E konstruiert. Entsprechend der Herleitung von E gibt jeder dieser Punkte auf der Reaktionsgerade eine optimale Aufteilung der Produktion und des Konsums in Gemeinde A unter Einbeziehung der auftretenden Spillins an. 19
19 Interpretiert man die Reaktionsgerade nur hinsichtlich der Produktion des öffentlichen Gutes, so gibt sie an, mit welcher Binnenproduktion die Gemeinde A auf alternativ hohe Spill ins aus Gemeinde B reagiert. Diese Sichtweise der Reaktionsgerade, die letztendlich die eigene Produktion in Abhängigkeit von der Produktion der anderen Jurisdiktion formuliert, wird in der folgenden Darstellung der beidseitigen Spillins wieder aufgenommen und fortgeflihrt.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
11. Eine preistheoretische Analyse von Spillovers Durch die Spillovers ergeben sich aber nicht nur Wirkungen für die Gemeinde A. Vielmehr gibt es auch Rückwirkungen auf die Gemeinde Bund damit werden die Spillovers modelltheoretisch endogenisiert. 20 Beide Gemeinden werden durch Spillouts und Spillins tangiert und werden ihre Bereitstellung entsprechend verändern. 21 Um die Wirkung der beidseitigen Spillovers abschätzen zu können, seien folgende Annahmen getroffen: Es existieren weiterhin zwei Jurisdiktionen A und B, in denen jeweils ein identisches öffentliches Gut nachgefragt wird. Das Gut wird von den beiden Gemeinden bereitgestellt. Die Produktion erfolgt im jeweiligen Kostenrninimum, wobei wiederum entweder Fremdbezug oder eigene Produktion bei den Gemeinden möglich ist. Ein konstanter Anteil der Bereitstellungsmenge geht als Spillins in die Nachbargemeinde ein, weil die räumliche Wirkung der öffentlichen Güter über die Grenzen der Jurisdiktionen hinausreicht. Beispielhaft kann hier wieder der Umweltschutz, insbesondere im Bereich der Emissionsreduktion, genannt werden. Die Einwohner in A und B präferieren jeweils unterschiedliche Versorgungsniveaus; sie haben jedoch keine Präferenzen für die in der Heimatgemeinde bereitgestellte Leistung. Die Einwohner sind damit weiterhin indifferent bezüglich des Ursprungs der Leistungen. Die Präferenzen der Bürger sind den bereitstellenden Gemeinden bekannt, intrajurisdiktionell homogen und im Zeitablauf konstant. Die Zielfunktion der Gemeindemanager beinhaltet allein die Nutzenmaximierung der Gemeindemitglieder über die präferenzgemäße Bereitstellung der öffentlichen Leistungen. 1. Neutrales Verhalten der Anbieter
In der folgenden Analyse werden unterschiedliche Verhaltensweisen der bereitstellenden Gemeinden betrachtet. Zunächst wird angenommen, daß die Gemeinden völlig unabhängig voneinander agieren: Sie treffen keine Abspra-
20 In der folgenden Darstellung wird zunächst nur die Bereitstellung der öffentlichen Leistungen isoliert betrachtet. Auf die Wirkungen fUr die Produktion privater Güter im oben skizzierten Analyserahmen wird am Ende der folgenden Analyse eingegangen. 21 Die Jurisdiktionen haben verschiedene Möglichkeiten, auf das Auftreten von Spillins zu reagieren. Die hier gesetzte Annahme, daß die auftretenden Spillins zu einer Anpassung der eigenen Produktionsplanung fUhren, ist in der älteren Literatur üblich und wird von Breton [1970], S. 883f. als Neutralitätsannahme bezeichnet. Diese Neutralitätsannahme wird hier zunächst aus Darstellungszwecken verwandt, um dann anschließend auf andere Reaktionsmöglichkeiten bezüglich auftretender Spill ins einzugehen.
D. Die Wirkung von Spillovers
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chen bezüglich einer gemeinsamen oder koordinierten Bereitstellung. In einer solchen Situation werden sie quasi von dem Auftreten von Spillovers "überrascht". Diese unvorhergesehene Störung wird, wenn sie häufiger auftritt, zu Lemeffekten bei den Beteiligten fUhren. Beide betrachteten Gemeinden erkennen zum einen, daß Spillins auftreten; zum anderen werden sie aufgrund ihrer Erfahrungen im Laufe der Zeit Erwartungen darüber bilden, in welchem Ausmaß diese Spillins auftreten und welche Faktoren die Höhe der Spillins beeinflussen. Beide Gemeinden handeln zwar weiterhin völlig autonom, berücksichtigen bei ihren Bereitstellungsentscheidungen aber das im Laufe der Zeit erworbene Wissen. 22 Um diesen Lernprozeß hinsichtlich des Verhaltens der Beteiligten modellieren zu können, sei davon ausgegangen, daß beide Gemeinden bzw. deren Entscheidungsträger parallel lernen. Die Reaktionen bzw. Wissensstände der Gemeinden sind mithin symmetrisch. In Analogie zur evolutorischen Oligopoltheorie nach Heuss werden nun verschiedene Lemphasen unterstellt. 23 Während die Nachfrager-Bürger weiterhin als rational handelnd und vollständig informiert bezüglich des Angebots der Gemeinden modelliert werden, werden auf Seiten der Anbieter-Gemeinden in der ersten Phase explizit unvollständige Informationen berücksichtigt. Dabei bleiben die Gemeinden beziehungsweise ihre Entscheidungsträger weiter rational handelnde Homines oe conomici. In der zweiten betrachteten Phase erfolgt dann der Übergang zu einer quasi vollständigen Information der Gemeindemanager. Wie sieht das Verhalten der Gemeindemanager konkret aus? Zunächst planen die Gemeinden eine Bereitstellungsmenge genau in Höhe der offenbarten Präferenzen ihrer Bevölkerung. 24 Die Gemeinden verhalten sich mithin als Mengenanpasser. Sie wissen noch nichts über die Existenz von Spillovers, die durch ihre Bereitstellungsentscheidung entstehen. Die Gemeindemanager werden nun - nach erstmaliger Bereitstellung in t = 1 - generell feststellen, daß die von der Bevölkerung zu nutzende, d.h. die effektive Ver-
22 Absprachen bleiben weiter ausgeschlossen. In moderner ökonomischer Diktion handelt es sich bei den dargestellten Szenarien um ein nicht-kooperatives Spiel, bei dem beide Spieler - Gemeinde A und B - in jeder betrachteten Periode simultan ihre Spielzüge machen. Das Spiel wird unendlich oft wiederholt, die Spieler werden nicht ausgetauscht. Innerhalb dieses Spiels werden dann in den Fällen 1 und 2 unterschiedliche Spielstrategien betrachtet, die auf Erfahrungen in diesem Spiel basieren. Zur Terminologie der Spieltheorie vgl. beispielsweise Kreps [1990], Kapitel 2. 23 Vgl. Heuss [1965], S. 95f. sowie zur Bedeutung der Zeit für den Erwerb von Wissen über die Verhaltensweise der "Markt"-Partner das Kapitel 6, ebenda. 24 Im Beispiel des Umweltschutzes läßt sich die Bereitstellungsmenge übersetzen als Menge an reiner Luft oder als Menge der vermiedenen Schadstoffemissionen.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
sorgungsmenge an öffentlichen Leistungen, nicht mit der präferierten und auch nicht mit der ursprunglich bereitgestellten Menge übereinstimmt. Konkret ergibt sich eine Versorgungsmenge, die größer ist als die präferierte. Der Überschuß besteht in den empfangenden Spillins. 25 Zu untersuchen ist, wie die Anbieter-Jurisdiktionen auf diese Soll-Ist-Abweichung reagieren. Im anschließend dargestellten Fall 1 werden sie bei der Bereitstellungsentscheidung in t = 2 diese in t = 1 konstatierte Abweichung berucksichtigen und ihre geplante Bereitstellung genau um die festgestellte Abweichung verändern, d.h. senken. In den folgenden Perioden verfahren sie analog; die festgestellte Abweichung zwischen tatsächlicher Versorgung und eigener Bereitstellung der vorhergehenden Periode wird als Korrekturgröße in die laufende Bereitstellungsplanung aufgenommen. Im Laufe der Zeit ergibt sich ein Erwartungsgleichgewicht: 26 Durch die beidseitige Anpassung der Bereitstellungspläne entsteht eine Situation, in der die erwarteten Größen in beiden Gemeinden mit den tatsächlichen Größen übereinstimmen. Dieses Gleichgewicht ist stabil, so lange das genannte Kalkül bei der Bereitstellungsplanung erhalten bleibt. 27 Nun erscheint es aber plausibel anzunehmen, daß die Gemeinden bzw. ihre Manager nicht in dem beschriebenen Wissenszustand verharren. In einem nachfolgenden Fall 2 sollen die Akteure daher lernen, daß fremdbestimmte Spillins die eigene Versorgungsmenge beeinflussen. 28 Auch hier sollen wieder die tatsächlich festgestellten Größen der Vorperiode als Erwartungsgrößen in den Bereitstellungsplanungsprozeß der laufenden Periode eingehen. Als Resultat wiederholter Planungen ergibt sich auch hier wieder ein stabiles Erwartungsgleichgewicht.
25 Hier läßt sich noch einmal exemplarisch der Unterschied zwischen der Bereitstellung und der Produktion von Gütern aufzeigen: Während die Produktion als direkt von der Gemeinde zu beeinflussende Größe existiert, ist im obigen Beispiel die Bereitstellungsmenge auch von Spillins und Spillouts detenniniert. Die Produktionsplanung orientiert sich an den Präferenzen der Bevölkerung, die effektiv bereitgestellte Menge weicht von der Produktionsmenge ab. In Abbildung 6 ist diese Situation durch den Punkt D (als geplante Produktion und Bereitstellung) und den Punkt G (als tatsächlich realisierte Bereitstellung) charakterisiert. Hier weichen die Präferenzen und die Bereitstellung voneinander ab, da die gesellschaftliche Indifferenzkurve die Konsummöglichkeitenkurve in Punkt E und nicht in G tangiert. 26 Zum Begriff des Erwartungsgleichgewichts vgl. z.B. Wessling [1991], S. 132ff. 27 Diese Erwartungsgleichgewichte zeichnen sich fonnal dadurch aus, daß zur Lösung bzw. zur Bestimmung des Gleichgewichts von einem Differential- auf ein Simultangleichungssystem übergegangen werden kann. 28 Die Gemeindemanager wissen also nicht mehr nur daß ihre Bereitstellungsmenge beeinflußt wird, sondern sie lernen, wodurch und wie sie beeinflußt wird.
D. Die Wirkung von Spillovers
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Der Unterschied in den beiden beschriebenen Verhaltensannahmen liegt in der ModelIierung der Erwartungen, die die Gemeinden bzw. deren Manager bilden. 29 Das erste Szenario basiert auf adaptiven Erwartungen, da lediglich aus den in der Vergangenheit beobachteten Größen eine "Fehlerkorrektur" für die laufende Bereitstellungsplanung durchgeführt wird. Das zweite Szenario ist dagegen auf der Basis quasi-rationaler Erwartungen modelliert; hier werden bei der Planung der internen Bereitstellung alle Determinanten des Versorgungsniveaus, also die eigene Bereitstellungsmenge und die Spillins, berücksichtigt wenn auch mit einer Zeitverzögerung einer Periode bei den Spillin-Größen. Die Analyse der beiden vorgestellten Lern- bzw. Erwartungsszenarien ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst werden die Erwartungs- und Planungsgrößen als Differentialgleichungen formuliert. Die gleichgewichtige Lösung wird dann aus einem Simultangleichungssystem hergeleitet. Danach wird die Optimalität der resultierenden Ergebnisse im Hinblick auf Abweichungen der präferierten von der tatsächlich zu nutzenden und der ursprünglich bereitgestellten Menge untersucht. Als Optimalitätskriterium wird dabei die Identität von tatsächlich zu nutzenden, bereitgestellten und präferierten Mengen herangezogen. Sind nämlich Bereitstellung und präferierte Menge identisch, so ist das Kriterium der Äquivalenzfinanzierung erfüllt; stimmen hingegen Präferenzen und Versorgungsmenge überein, so ist den Wünschen der Nachfrager entsprochen. Weichen demgegenüber die interne Bereitstellung und Präferenzen voneinander ab, so wird - aus Sicht der Nachfrager-Bürger - ein falscher Preis für die Güter gefordert, während bei Abweichungen von Versorgungsmenge und Präferenzen aus Sicht der Nachfrager die falsche Menge zur Verfügung 29 Grundsätzlich werden in der Literatur zwei Wissenskomponenten unterschieden, die in die Erwartungsbildung eingehen: Wenn Wirtschaftssubjekte Erwartungen hinsichtlich einer bestimmten Größe bilden, können sie die historische Entwicklung der Größe berücksichtigen; sie können aber auch die der Entwicklung zugrundeliegenden Determinanten kennen und in die Erwartungsbildung einbeziehen. Kennen sie nur den Verlauf der zu prognostizierenden Größe aus der Vergangenheit, so bilden sie adaptive Erwartungen, wenn sie gleichzeitig aus den Prognosefehlern, die sie im Laufe der Zeit gemacht haben, lernen und eine Fehlerkorrektur durchfUhren. Werden hingegen auch die Determinanten der historischen Entwicklung erkannt und mit in die Prognose einbezogen, so handelt es sich um eine rationale Erwartungsbildung. Als anwendungsbezogenes Beispiel lassen sich adaptive Erwartungen bei der Wechselkursprognose in Form von Chartanalysen durchfUhren, während die Form der Fundamentaldatenanalyse eher der rationalen Erwartungsbildung entspricht. Für die hier vorgeschlagenen Szenarien läßt sich eine analoge Zuordnung finden. Vgl. zu den Erwartungen im Überblick FeldereriHomburg [1994], S. 258ff. oder Jarchow [1990], S. 278ff. Für eine umfassende, detaillierte Darstellung vgl. beispielsweise Windsperger [1988], insbesondere Kapitel 1, 2, 4 und 5. Zu rationalen Erwartungen vgl. grundlegend Lucas [1975] sowie zu den wirtschaftspolitischen Implikationen als Übersicht Fischer [Hrsg.l1980].
94
Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
steht. Diese Abweichungen werden zum einen allgemein für die aggregierten Größen des gesamten Systems, d.h. beider Gemeinden gemeinsam, und für die einzelnen Gemeinden analysiert; zusätzlich erfolgt eine Modellsimulation anhand eines konkreten Zahlenbeispiels. Die aus der Analyse gewonnenen Ergebnisse werden abschließend im Rahmen des bekannten erweiterten Wanderungsmodells untersucht, um daraus wiederum Folgerungen für die Wirkungsweise des Wanderungsmechanismus ziehen zu können. Für die Darstellung werden folgende Variablen verwandt: BER
in der jeweiligen Gemeinde intern bereitgestellte Menge
VM
letztendlich zu nutzende Versorgungsmenge
PRÄF
von den Nachfrager-Bürgern präferierte Menge (gegeben und im Zeitablaufkonstant)
EQ
Emissionsquote (gegeben und im Zeitablaufkonstant)
SI
Menge an Spillins
SO
Menge an Spillouts
i, j
jeweilige Gemeinde
e
erwartete Größe und Zeitindex
Aus dem bisher dargestellten Zusammenhängen ergeben sich folgende funktionale Beziehungen: 30 Die Spillouts sind als konstanter Anteil der Binnen-Bereitstellungsmenge definiert. Die jeweilige Emissionsquote soll annahme gemäß einen Wert zwischen Null und eins annehmen, d.h. 0 < EQi < 1. 31 Da die Spillouts der einen Ge-
30 Eine ähnliche ModelIierung findet man bei Bell [1989], der jedoch allein die Wirkungen von solchen Extemalitäten untersucht, die durch Wanderungsaktivitäten auf den Wohnungsmarkt verursacht werden. 31 Die Emissionsquote läßt sich wie folgt interpretieren: Eine Quote von eins zeigt die Eigenschaft der produzierten und bereitgestellten Leistung als rein öffentliches Gut an. Der Nutzen der Leistungen steht ohne Einbuße beziehungsweise Rivalität auch den Einwohnern der empfangenden Gemeinde zur Verfügung. Hingegen gilt bei EQ = 0, daß entweder eine effiziente Exklusion über die Wahl des optimalen bereitstellenden Kollektivs erfolgt (perfektes Mapping) oder daß es sich bei der bereitgestellten Leistung um ein privates Gut handelt, bei dessen Konsum kein Nutzen ausstrahlt. Die Annahme einer Emissionsquote zwischen Null und eins dürfte daher für die meisten auf Gemeindeebene bereitgestellten Güter realistisch sein. Allerdings gibt es bei bestimmten Um-
D. Die Wirkung von Spillovers
95
meinde annahmegemäß den Spillins der anderen Gemeinde entsprechen, gilt SOj = BERj . EQj = SI j . Die tatsächlich bereitgestellte, zu konsumierende Menge an öffentlichen Leistungen ergibt sich aus der Binnenproduktion zuzüglich der Spillins aus der Nachbargemeinde: VM j = BERj + SIj ,d.h. VMj = BERj + BER j . EQj . Den Produktionsplanern bzw. Gemeindemanagern sei als alleiniges Ziel die Erfüllung der Bürgerwünsche unterstellt. 32 Letztendlich versuchen die Gemeindemanager ihre Bereitstellungsentscheidung so zu treffen, daß das Versorgungsniveau den Präferenzen der Einwohner entspricht, mithin gilt als Ziel: VM = PRÄF. Da die Gemeindemanager im Ausgangspunkt nicht um die Existenz von Spillovers wissen, werden sie zunächst genau so viel bereitstellen, wie präferiert wird. D.h. fiir die erste Periode gilt BER = PRÄF. Da die Bereitstellungsmenge die einzige von den Gemeinden zu beeinflussende Variable darstellt, folgt fiir die anschließenden Perioden eine Bereitstellungsplanung, in der das Wissen um die Präferenzen und die unterstellten Kenntnisse über Spillins berücksichtigt wird. Dabei wird im zweiten Szenario die Höhe der in der laufenden Periode erwarteten und in der Bereitstellungsplanung berücksichtigten Spillovers aus den tatsächlichen Werten der V orperiode übernommen. Somit gilt SI~ = SIt_1 .33 Im ersten Szenario geht hingegen die in der Vorperiode tatsächlich aufgetretene Differenz zwischen Präferenzen und Versor-
weItschutzmaßnahmen auch stark unterschiedliche Emissionsquoten. Im Fall der Wasserqualität, die durch Umweltschutzmaßnahmen entlang eines Flusses verbessert werden soll, tragen Maßnahmen von Jurisdiktionen, die am' oberen Flußlauf liegen, mit einem EQ> 0 zur Verbesserung der Qualität in den nachfolgenden Gebieten bei. Umgekehrt gilt das nicht, so daß bei zwei betrachteten Anlieger-Jurisdiktionen die Emissionsquoten der flußaufwärts gelegenen positiv, die der flußabwärts gelegenen gleich Null ist. Daraus folgt unmittelbar, daß zwar die stromabwärts gelegene Gemeinde von den Wasserschutzmaßnahmen der stromaufwärts gelegenen Gemeinde - d.h. von deren Spillovers profitiert, dies umgekehrt aber nicht der Fall ist. Auch die Wirkung dieser ungleichen Quoten auf die Allokation läßt sich anhand des im folgenden dargestellten Modells analysieren. 32 Vgl. ähnlich Liedtke [1972], S. 17. 33 Bei dieser Annahme wird unterstellt, daß die Wirkung der Bereitstellung in der angrenzenden Gemeinde ohne Verzögerung z.B. aufgrund einer hohen Ausbreitungsgeschwindigkeit fühlbar wird. Der zeitliche Ablauf ist dann folgender: Bereitstellung und Emission in Gemeinde A zum Zeitpunkt to, Niederschlag und Messung in Gemeinde B ebenfalls in 10, Erwartungsbildung aufgrund der festgestellten Immission in Gemeinde B in t,.
96
Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
gungsmenge, d.h. die Differenz, (PRÄF - VM)t_1 in die Bereitstellungsentscheidung der laufenden Periode ein. In Abhängigkeit vom unterstellten Wissen lautet die Zielfunktion dann im ersten Szenario BER t = PRÄF + (PRÄF - VM)t_1 34 Analog lautet die Zielfunktion im zweiten Szenario BER t = PRÄF - SI~, wobei die Emissionsquoten und die Präferenzen für die Gemeinden A und B als gegeben angenommen werden.
a) Anpassung bei adaptiven Erwartungen Um die Versorgungs situation in den betrachteten Gemeinden beurteilen zu können, werden im folgenden die Versorgungs- und Bereitstellungskonstellationen betrachtet, die sich im Erwartungsgleichgewicht, d.h. nach Ablauf eines zeitlichen Anpassungsprozesses ergeben. Aus der oben angeführten Zielfunktion des Gemeindemanagements abgeleitet ergibt sich als Simultangleichung ftir die Bereitstellungsplanung in Gemeinde A BERA = 2PRÄF A - VM A mit VM A = BERA + SI A als tatsächliche Größen. 35 Durch Einsetzen und Umformen ergibt sich für die bereitgestellte Menge in GemeindeA
Für Gemeinde B gilt analog
Durch Auflösen der Gleichung nach der Bereitstellung von Gemeinde Bund Gleichsetzen der so erhaltenen Größen ergibt sich als Gleichgewichtslösung
34 Wie vorher erläutert, ist dadurch die Bereitstellung in t niedriger als die Präferenzen wenn in t - I die tatsächliche Versorgungsmenge die präferierte überschritten hat und vice versa. 35 Im folgenden wird der 2-Gemeinden-Fall durchgespielt, mit den Gemeinden A und B. Die Herleitung der Lösung erfolgt in einem Simultangleichungssystem. Auf die aus Parametervariationen resultierenden Probleme wird an den entsprechenden Stellen eingegangen.
D. Die Wirkung von Spillovers
97
Für die gleichgewichtige Lösung in Gemeinde B folgt durch Einsetzen analog
Diese Ergebnisse sollen nun hinsichtlich ihrer Optimalität in bezug auf die Befriedigung der Präferenzen sowohl in aggregierter Form - also für beide Gemeinden zusammen - wie auch für jede Gemeinde individuell untersucht werden. Addiert man die gleichgewichtigen Werte für BERA und BERB, so ergibt sich
Da sowohl EQA als auch EQB einen Wert zwischen Null und eins annehmen, ist der Zähler beider Brüche jeweils kleiner als der Nenner. Das bedeutet, daß heide Brüche kleiner als eins sind. Damit ist die Summe der bereitgestellten Mengen kleiner als die Summe der präferierten Mengen: LBER < LPRÄF. Hinsichtlich des ersten Kriteriums, der Identität von Bereitstellung und Präferenzen, ist damit die Optimalität für das Gesamtsystem nicht gegeben. Wie verhält es sich aber mit der Versorgungs- und Bereitstellungssituation in den einzelnen Gemeinden? Um zu einer äquivalenten Bereitstellung bei der Erfüllung der Präferenzen zu gelangen, muß gelten, daß die Bereitstellung in den einzelnen Gemeinden der jeweils dort präferierten Menge entspricht, somit gilt, daß BERA = PRÄF A und BERB = PRÄF Bsind. Für die Gemeinde A wird diese Bedingung unter den gegebenen Prämissen nur unter sehr beschränkten Voraussetzungen erfüllt. Als Bedingung erhält man .. .. 2 PRAF A = PRAF B EQA .
Da EQA < I, muß die präferierte Menge in A größer sein als die in B, damit die Bedingung BERA = PRÄF A erfüllt ist. Untersucht man die gleiche Bedingung für Gemeinde B, ergibt sich als Gleichgewichtsbedingung analog .. .. 2 PRAF B = PRAF A EQB .
Da auch EQB < I ist, muß hier die präferierte Menge in Gemeinde B größer sein als die in A. Damit ist eine gleichzeitige Erfiillung des Optimalitätskriteri7 Sauerland
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
ums in beiden Gemeinden ausgeschlossen. Es bleibt die Frage nach dem Verhältnis von letztlich zu nutzender und präferierter Menge. Auf aggregierter Ebene ergibt sich unter Verwendung der Gleichgewichtsbedingungen VMA+VM B = 4-2EQA EQB +2EQA PRÄF A + 4-2EQA EQB +2EQB PRÄF A 4 - EQAEQB 4 - EQAEQB Die Differenz zwischen Zähler und Nenner beträgt beim ersten Bruch der rechten Seite 2EQA - EQA EQB und beim zweiten Bruch 2EQB - EQA EQB. Da wiederum gilt, daß 0 < EQA' EQB < 1 ist, liegen die Werte für beide Differenzen ebenfalls zwischen Null und eins. Das bedeutet, daß der Zähler bei beiden Brüchen größer ist als der Nenner. Mithin gilt für die Summe auf der rechten Seite der Gleichung, daß sie immer größer ist als die auf der linken Seite; d.h.: LVM < LPRÄF. Wie sieht nun die Situation in den einzelnen Gemeinden aus? Untersucht man die Bedingung für eine Identität von Präferenzen und Versorgungsmenge in Gemeinde A, ergibt sich als Gleichgewichtsbedingung wiederum ..
..
2
PRAF A = PRAFB EQA . Analog gilt als Voraussetzung in Gemeinde B: ..
..
2
PRAFB = PRAFA EQA . Hier ergeben sich also dieselben Bedingungen wie für die Identität von Bereitstellung und Präferenzen. Wieder müssen in beiden Fällen jeweils die Präferenzen in der betrachteten Jurisdiktion größer sein als in der anderen, damit eine Identität gegeben ist. Wieder sind beide Bedingungen nicht gleichzeitig zu erfüllen.
b) Anpassung bei rationalen Erwartungen Auch hier sollen wieder die Werte betrachtet werden, die sich im Erwartungsgleichgewicht ergeben. Die Gleichung für die Produktion in den beiden Gemeinden bestimmt sich aus den Bedingungen BERA = PRÄF A - SI A und BERB = PRÄFB - SIB • Daraus folgt für die innergemeindliche Produktion unter Berücksichtigung der jeweils außergemeindlichen Produktion
D. Die Wirkung von Spillovers
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BERA = PRÄF A - BERBEQB sowie BERB=PRÄFB-BERAEQA· Das Erwartungsgleichgewicht stellt sich ein, wenn gilt, daß BERA = PRÄF A -PRÄFBEQB l-EQ AEQB
und
BERB = PRÄF B -PRÄF AEQA l-EQAEQB die Bereitstellungsmengen der jeweiligen Gemeinde repräsentiert. Fragt man nun nach der Optimalität hinsichtlich der Summe der jeweils internen Bereitstellungsmengen in der aggregierten Betrachtung ergibt sich
Da 0 < EQA' EQB < 1 gilt, nehmen die beiden Brüche jeweils einen Wert an, der kleiner als eins ist; der Nenner der Brüche ist jeweils größer als der Zähler. Das bedeutet, daß die Summe der bereitgestellten Mengen wiederum kleiner ist als die Summe der präferierten Mengen: ~BER < ~pRÄF.36 Fraglich ist nun noch, wie die Situation in den einzelnen Iurisdiktionen aussieht. Hier ergibt sich eine Identität der bereitgestellten mit der präferierten Menge in Gemeinde A unter der Voraussetzung, daß gilt: PRÄF A = PRÄF B / EQA . Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die präferierte Menge in Gemeinde A größer ist als diejenige in B. Analog muß für eine Identität von bereitgestellter Menge und Präferenzen in Gemeinde B gelten, daß PRÄF B = PRÄF A / EQB ist. Damit muß die präferierte Menge in B größer sein als die in A. Es ergibt sich wie im vorher diskutierten Fall, daß beide Bedingungen nicht gleichzeitig erfüllt sein können. 37
36 Dasselbe Ergebnis erhält man unmittelbar aus der Tatsache, daß bei Berücksichtigung positiver Spillins die Binnenbereitstellung in jeder Gemeinde jeweils kleiner ist als die präferierte Menge, da gilt BER = PRÄF - SI. Entsprechend fällt dann auch die Summe der bereitgestellten Güter kleiner aus als die Summe der präferierten. 37 Eine Identität von bereitgestellter und präferierter Menge in den jeweiligen Gemeinden ergibt sich natürlich auch, wenn keine Spillins auftreten. Diese Voraussetzung ist wiederum gegeben, wenn die Produktionsmenge und/oder die Emissionsquote in der jeweils anderen Gemeinde den Wert Null annimmt. Für den Fall der Existenz von 7"
100
Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Vergleicht man die präferierten und effektiv zu nutzenden Mengen, so ergibt sich auf der aggregierten Ebene VMA+ VM B = PRÄFA+ PRÄF B. Die Versorgungssituation ist mithin - gemessen an diesem Kriterium - optimal. Betrachtet man die einzelnen Gemeinden, so ergibt sich für die Gemeinde A ebenfalls eine Identität von präferierter und letztlich zu nutzender Menge: VMA = PRÄFA. Daraus folgt unmittelbar, daß diese Bedingung auch in Jurisdiktion B erfüllt ist.
c) Eine Simulation der Ergebnisse Die Ergebnisse der beiden vorgestellten Szenarien soll nun noch kurz anhand eines Zahlenbeispiels dargestellt werden. Hierbei wird unterstellt, daß die Einwohner der Gemeinden A und B unterschiedlich hohe Präferenzen für die bereitzustellende Leistung haben. Die Emissionsquoten in beiden Gemeinden sind hingegen identisch. Die Ausgangswerte sehen wie folgt aus: PRÄF A= 1000, PRÄFB = 1100 und EQA = EQB = 0,2. Dargestellt wird für beide Wissens- beziehungsweise Verhaltens annahmen, wie die einzelnen Gemeinden im Laufe der Zeit ihre Bereitstellungsplanung gestalten. Das Gleichgewicht, in dem beide Gemeinden ihre Pläne nicht mehr anpassen müssen, wir~ anhand von Reaktionsgeraden hergeleitet. Hinter diesen Funktionen steht die Frage, wie die Gemeinden beziehungsweise deren Entscheidungsträger mit ihrer Bereitstellungsentscheidung auf die Bereitstellungsentscheidung der jeweils anderen Jurisdiktion reagieren. Die Reaktionsgeraden werden durch folgende allgemeine Funktionalbeziehung abgebildet: BERA= f(PRÄF A, BERB) und BERB = f(PRÄF B, BERA) sowie VM A= f(BERA> BERB) und VMB = f(BERB, BERA). Für die unterstellten Verhaltensweisen ergibt sich daraus im Fall 1: IRak· . de A un d BERA -- PRA" FA - BER2B EQB ase tlOnsgerade der Gemem . de B . BERB -- PRA··F B - BERA2 EQA aIs Reak·nonsgerade der Gemem Im Fall 2 gilt entsprechend als Reaktionsgerade für Gemeinde A BER A = PRÄF A -BERBEQB Spillovers ist eine Identität von Präferenzen und "Binnenbereitstellung" jedoch nur unter den genannten Bedingungen gegeben.
101
D. Die Wirkung von Spillovers
und die Reaktionsgerade der Gemeinde Bist BER B = PRÄF B -BERAEQA' Für das oben angeführte Zahlenbeispiel ergeben sich die in Abbildung 7 und 8 dargestellten Reaktionsgeraden.
Bereitstellung in A 1300
PRAFB
1200 1000 1100 900
I
t~""",o===============j=r~-=-
pRAF"
-1---
800
- BERA _VMA - BERB _VMB
700 600 500 400 300 200 100
o
g g g-.
°of\)~~g~c;~~o~
o
g
0
0
0
0
0
0
0
g
Bereitstellung inB
Abbildung 7: Reaktionsgeraden bei adaptiven Erwartungen
Bereitstellung in A 1300
pRAFB
1200 1100 1000
+--......,,-_________---;,__-+___ PRAF A
900 800 700 600 500
- BERA _VMA - BERB _VMB
400 300 200 100 O+-~_+--~+_~~--~~~~--~~~
Bereitstellung in B
Abbildung 8: Reaktionsgeraden bei rationalen Erwartungen
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Wie man sieht, sind im dargestellten Beispiel die bereitgestellten Mengen sowohl in A als auch in B im Fall adaptiver Erwartungen höher als bei rationalen Erwartungen: Der Schnittpunkt der Reaktionsgeraden liegt im ersten Fall weiter nordöstlich als der im zweiten. Das bedeutet, daß bei adaptiven Erwartungen die aggregierte Bereitstellung niedriger ist als im Fall rationaler Erwartungsbildung. Hinsichtlich der Versorgungssituation ergibt sich im Fall 1 - wie oben allgemein hergeleitet - eine Überversorgung mit dem öffentlichen Gut, da in der aggregierten Betrachtung die letztlich zu nutzende Menge die präferierte übersteigt und auch bei der Analyse der Situation in den einzelnen Gemeinden die Versorgungsmenge größer ist als die präferierte Menge. Die Ergebnisse für die Versorgung und Bereitstellung sehen mit den oben verwendeten Ausgangsparametem wie folgt aus: Fall I: adaptive Erwartungen
Fall 2: rationale Erwartungen
BERA
898,99
812,50
BERB
1.010,10
937,50
~BER
1.909,09
1.750,00
VMA
1.101,01
1.000,00
VMB
1.189,90
1.100,00
~VM
2.290,91
2.100,00
Abbildung 9: Ergebnisse der Modellrechnung Beurteilt man beide Situationen anband der eingangs aufgestellten Kriterien, so ist der Fall der rationalen Erwartungen effIzienter im Hinblick auf die Allokation: Zwar wird hier das erste Kriterium der Äquivalenz von Bereitstellungsmenge und Präferenzen (BER = PRÄF) verletzt, jedoch die zweite Bedingung, die präferenzgemäße Versorgung (VM = PRÄF), erfüllt. Im Fall der adaptiven Erwartungsbildung wird hingegen keines der beiden Kriterien erfüllt. Das bedeutet, daß mit besserer Kenntnis der beteiligten Gemeinde hinsichtlich des Verhaltens der jeweils anderen Gemeinde eine Verbesserung der Allokation festgestellt werden kann. Anders als bei Williarns führt hier eine Einbeziehung der Spillins zu einer adäquaten Versorgung der Bevölkerung und nicht zu einer Unterversorgung. 38
38 Man beachte allerdings die unterschiedlichen Definitionen des Begriffs "Unterversorgung". In der Terminologie von Williams [1966] wären beide dargestellten Fälle Unterversorgungssituationen, da die konsumiertelbereitgestellte Menge jeweils kleiner ist als die selbst produzierte.
D. Die Wirkung von Spillovers
103
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die Gemeinde B in beiden Fällen mehr Spillouts produziert als sie an Spillins empfangt. Sie ist damit Netto-Emittent von Nutzen, fiir den sie zunächst nicht kompensiert wird. Gemeinde A hingegen, deren Einwohner im Ausgangspunkt niedrigere Präferenzen hinsichtlich des betrachteten Gutes haben, ist Netto-Gewinner. Sie profitiert von der Existenz von Spillovers, da sie mehr Spillins erhält, als sie an Spillouts emittiert. Allgemein gilt unter den hier getroffenen Annahmen, daß bei gleichen Emissionsquoten diejenige Gemeinde mit der niedrigeren Präferenzen als Gewinner hervorgeht. Diese direkten Wirkungen auf das Versorgungsniveau an öffentlichen Gütern sind jedoch nicht die einzigen Effekte, die sich in den beteiligten Gemeinden ergeben. Da unterstellt wurde, sowohl öffentliche als auch private Güter wür-. den mit privaten Produktionsfaktoren produziert, haben die auftretenden Spillovers auch Wirkungen auf die Produktion der privaten Güter: In einer Gemeinde, in der die Binnenbereitstellung und damit die Produktion öffentlicher Güter aufgrund von Spillins sinkt, stehen gleichzeitig mehr Produktionsfaktoren fiir die Produktion privater Güter zur Verfiigung. Die Menge P wird C.p. steigen und daher tritt eine doppelte Verbesserung in der betroffenen Jurisdiktion auf: eine bessere Güterversorgung mit öffentlichen und mit privaten Gütern. 39 Diese Aussage gilt sowohl fiir Gemeinde A als auch für Gemeinde B: Bei einer Produktion, die jeweils geringer ausfällt als die präferierte Menge, ergibt es sich, daß mit der Existenz wechselseitiger Spillovers eine Verbesserung der Versorgungssituation in beiden Gemeinden auftritt. In beiden Gemeinden werden Ressourcen bei der Produktion der öffentlichen Leistung eingespart, die dann bei der Produktion privater Güter eingesetzt werden können; damit verbessert sich das Versorgungsniveau im Gesamtgebiet. 40
39 Wie stark die Verbesserung in den einzelnen Gemeinden ist, hängt zum einen von den Spill ins ab, zum anderen von der zugrundeliegenden Produktionsfunktion bei privaten Gütern. Je höher die empfangenen Spill ins und je intensiver die durch eine geringere Produktion von öffentlichen Leistungen freiwerdenden Ressourcen bei der Produktion privater Güter eingesetzt werden, um so stärker ist die Verbesserung. Daß die aus externen Effekten bei öffentlichen Gütern resultierenden Preisunterschiede bei privaten Gütern in den betrachteten Gemeinden auch zur Aufnahme von "Außenhandel" zwischen den Gemeinden fUhren kann, sie hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 40 Diese Effekte sind sehr ähnlich denen in der reinen Außenwirtschaftstheorie hergeleiteten Phänomenen der Verbesserung der Versorgungssituation durch Aufnahme von Außenhandel. Während dabei in der Außenwirtschaftslehre eine Verbesserung aus dem Austausch unterschiedlicher Güter resultiert, kommt die Verbesserung im hier betrachteten Zusammenhang allein durch den wechselseitigen Austausch eines Gutes zustande.
104
Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Untersucht man schließlich die Wirkungen, die sich aus Spillovers auf die Produktions- und auf die Versorgungssituation im Tiebout-Modell ergeben, kann man wieder zwei Effekte unterscheiden: Stimmen bereitgestellte Menge und Präferenzen nicht überein, ergibt sich aus Sicht der Nachfrager-Bürger eine Abweichung vom gewünschten Preis. Sind hingegen die präferierte Menge und die tatsächlich zu nutzende unterschiedlich groß, gibt es aus Sicht der Bürger Abweichungen bei der Menge. Die aus diesen Abweichungen resultierenden Wanderungsbewegungen sind bereits analysiert worden. 41 Vor dem Hintergrund der Existenz von Spillovers sind hier aber noch einige zusätzliche Erläuterungen notwendig. Aufgrund der unterstellten Kosten- bzw. Produktionsfunktion fUhrt jede Abweichung von der optimalen, präferierten Bereitstellungsmenge, die ja gleichzeitig auch die Produktionsmenge ist, zu einem Verlassen der Minimalkostenkombination. Damit steigen die Stückkosten über die optimale beziehungsweise präferierte Höhe hinaus. Das Ausmaß bzw. die Wirkung dieser Kostenbzw. Steuerabweichung vom Optimum muß aber vor dem Hintergrund der tatsächlichen Versorgungssituation gesehen werden: Unterstellt man die Finanzierung der öffentlichen Leistungen über einen Pro-Kopf-Beitrag, so bestimmen sich die Gesamtkosten der Produktion zu K = k . PROD, mit kais Stückkosten. Diese Gesamtkosten werden auf n Einwohner verteilt, so daß sich als Beitrag pro Kopf T = KIn ergibt. Der Effekt einer sinkenden Produktion aufgrund von Spillovers ist nun folgender: Da die Produktion sinkt, steigen die Stückkosten, weil annahmegemäß gilt, daß im Ausgangspunkt das Durchschnittskostenminimum realisiert war. Ist nun die relative Produktionsänderung kleiner als die relative Stückkostenänderung, mithin die Elastizität der Stückkosten bezogen auf die Produktionsmenge größer als eins, steigen auch die Gesamtkosten. Wenn sich die Einwohnerzahl der betrachteten Gemeinde nicht ändert, bedeutet das gleichzeitig ein Ansteigen des Pro-Kopf-Beitrags zur Finanzierung der öffentlichen Leistung. Aus Sicht der Nachfrager ist aber nicht die Höhe der Bereitstellungsmenge relevant, sondern die Versorgungsmenge, die sie letztendlich nutzen können. Als tatsächliche Belastung der Bürger gilt damit nicht der Beitrag pro bereitgestellter Einheit TIBER, sondern die Belastung pro tatsächlich zu nutzender Einheit TNM.42 Das kann zur Folge haben, daß der effektive Beitrag pro Kopf und Stück sinkt, wenn durch Spillins eine entsprechende Ausweitung des Versorgungsniveaus auftritt, wie es z.B. im oben dargestellten Fall 1 geschehen
41 Vgl. dazu Kapitel CII. 42 Wenn BER + SI = VM und TNM < K sinkt die Belastung pro Stück für den einzelnen Bürger aufTNM·n, wobei n wieder die Anzahl der Bürger repräsentiert.
D. Die Wirkung von Spillovers
105
kann. 43 Damit ergibt sich das scheinbar widersprüchliche Ergebnis, daß trotz gestiegener Gesamtkosten die Bevölkerung per saldo bessergestellt wird. Hier kann also der Fall auftreten, daß eine mögliche negative Abweichung beim Preis - der Preis ist höher als der gewünschte - durch eine positive Mengenabweichung bei der Versorgung teil- oder sogar überkompensiert wird. Das oben hergeleitete Ergebnis im Fall rationaler Erwartungen läßt sich nicht nur in der typischen preistheoretischen Argumentation herleiten. Vielmehr kann man es auch erreichen, wenn man eine spieltheoretische Formulierung der Entscheidungslogik wählt. 44 Die im Szenario rationaler Erwartungen dargestellte Verhaltensweise kam dadurch zustande, daß die Anbieter-Jurisdiktionen über einen sehr hohen Informationsstand hinsichtlich der Aktionen bzw. Reaktionen der übrigen Beteiligten verfügen. Dadurch können sie deren Verhalten weitgehend antizipieren. Die Annahme bezüglich der Antizipationsfähigkeiten der Akteure fmdet sich ähnlich auch in den entsprechenden ModelIierungen der Spieltheorie wieder. Wesentliches Merkmal einer spieltheoretischen Modellierung der oben skizzierten Spielsituation ist die Annahme vollständiger und perfekter Information der beteiligten Entscheidungsträger. Das bedeutet, daß die Akteure in den beteiligten Gemeinden über alle für die Bereitstellungsentscheidung relevanten Informationen verfügen und diese auch perfekt verarbeiten können. 45 Dadurch sind sie in der Lage, alle Aktionen der jeweils anderen Anbieter-Jurisdiktionen perfekt zu antizipieren. Wo liegt nun der Unterschied zwischen der erstgenannten Lösung und der spieltheoretisch formulierten? Mit Hilfe der preistheoretisch abgeleiteten Reaktionsgeraden kann das Erreichen eines Gleichgewichts in einer Simulation als Entwicklung im Zeitablauf dargestellt werden. Wie man in Abbildung 10 sieht, kommt das Gleichgewicht
43 Hierbei ist zunächst weiter unterstellt, daß die Spillins kostenlos bereitgestellt werden, also keine Abgeltung der Leistungen durch die empfangende Gemeinde an die emittierende Gemeinde erfolgt. 44 Diese Übersetzung preistheoretischer Modelle in spieltheoretische Darstellungsformen ist relativ häufig zu finden. Zu einer spieltheoretischen Umformulierung des aus der Preistheorie bekannten Stackelberg-Verhaltens vgl. beispielsweise Gibbons [1992], S.61-64. 45 Vgl. zu dieser Annahme beispielsweise Gibbons [1992], S. 121 f. oder Morrow [1994], S. 63ff. Zur Kritik an dieser Annahme bei dem aufgrund vollständiger und perfekter Information von jedem Spieler jeder Zug des jeweils anderen Spielers als Reaktion auf den eigenen Zug richtig antizipiert werden kann, vgl. die Ausführungen in Kapitel E., Abschnitt LI.
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Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
in einem Anpassungsprozeß zustande; die gleichgewichtigen Produktionswerte pendeln sich nach wenigen Perioden ein.
Bereitstellung 1200 1000 800
BER B = 937.5
~-_.
-
BER A = 812,5
600 400 200 0
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Periode
Abbildung 10: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung
In der spieltheoretischen Modellierung fällt dieser zeitliche Anpassungsprozeß unter den genannten Prämissen weg. Aufgrund der Annahme vollständiger Information und perfekter Antizipationsfähigkeit der übrigen Bereitstellungsentscheidungen auf Seiten der Anbieter-Jurisdiktionen ist es fiir beide Gemeinden möglich, ex ante den Nash-Gleichgewichtspunkt zu ermitteln und dann direkt im ersten Zug zu diesem Gleichgewicht zu kommen. 46 2. Aktives Verhalten der Anbieter: Ausbeutung oder Kooperation
Im vorangegangenen Abschnitt ist gezeigt worden, daß und wie das Auftreten von Spillovers die Versorgungssituation in den Gemeinden beeinflußt. Die dabei verwendeten preistheoretischen Überlegungen sollen nun dadurch erweitert werden, daß noch mögliche andere Strategien der Gemeinden Berücksichtigung fmden.
46 Zur Relevanz des Wissens für die Erreichung eines Ex-ante-Gleichgewichts ohne spieltheoretische Formulierung vgl. Wessling [1991], S. 132ff. mit Verweis auf Windsperger [1983], S. 234ff.
D. Die Wirkung von SpilIovers
107
Die bisher gemachten Ausführungen gelten für den Fall, daß - wie oben angenommen - die beteiligten Jurisdiktionen die von der jeweils anderen Jurisdiktion verursachten Entscheidungen neutral hinnimmt und auf die Aktionen friedlich mit einer Anpassung der eigenen Bereitstellung reagiert. Führt man die Überlegungen weiter, so sind zwischen den beiden Gemeinden neben der bisher beschriebenen Neutralitätsannahme auch andere Strategien möglich, die hier wieder anband preistheoretischer Überlegungen skizziert werden sollen.
In dem oben angeführten Zahlenbeispiel war die Gemeinde A Nettogewinner, da der Umfang der empfangenen Spillins dort größer war als die Menge der emittierten Spillouts. Aber auch Gemeinde B profitierte - wie gezeigt aufgrund des verbesserten Güterangebots von den Spillins. Geht man nun davon aus, daß die Verbesserung des Versorgungsniveaus in Gemeinde A größer ist als in Gemeinde B, so könnte Gemeinde A aktiv versuchen, diesen Vorteil für ihre Einwohner aus den empfangenen Spillovers weiter zu steigern. Diese Beggar my neighbour-Strategie kann dann auftreten, wenn zumindest eine der bereitstellenden Gebietskörperschaften die Wirkungsweise der Spillovers insbesondere die Wirkung bei unterschiedlich hohen Präferenzen - durchschaut und die Reaktion der anderen Körperschaft richtig antizipiert. Vorstellbar erscheint eine solche Verhaltensweise beispielsweise auf der Ebene des internationalen Umweltschutzes - wenn es darum geht, individuelle Aktionen durchzuführen, um gemeinsame Interessen, z.B. in Form einer weltweiten Reduktion von CO2-Emissionen, zu verfolgen. Geht man zurück zum Beispiel der bereitstellenden Gemeinden, so stellt sich das Kalkül der Gemeindemanager folgendermaßen dar: Die Entscheidungsträger in A wissen, daß in der anderen Geme~de B mehr bereitgestellt wird, wenn A weniger bereitstellt. Dann nämlich sinken in B die Spillins, und zur Erhaltung des Versorgungsniveaus muß dort dieser Spillin-Ausfall durch die Ausweitung der eigenen Binnenbereitstellung kompensiert werden. Die Erhöhung der Bereitstellungsmenge führt in B zu einem Anstieg der Spillouts, d.h. bei A entsprechend zu einem Ansteigen der Spillins, da die Emissionsquote annahmegemäß konstant bleibt. Gemeinde A kann dann - über die gestiegenen Spillins - ihre Versorgungssituation bei verminderter eigener Bereitstellung aufrechterhalten. Also könnte A die Binnenbereitstellung senken und diese auf Kosten der Nachbargemeinde durch Spillins substituieren. Nun sind aber die Emissionsquoten bekanntlich kleiner als eins. D.h. die zusätzlichen Spillins fallen immer geringer aus als die von A selbst durchgeführte Bereitstellungsreduktion. Wenn A also seine Bereitstellung tatsächlich senkt, verschlechtert sich die Versorgungssituation direkt um ~BER, während sie sich über zusätzliche Spillins nur um ~BER· EQA . EQB verbessert. 47
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Über eine Verringerung der eigenen Bereitstellungsmenge ist mithin keine Ausbeutung der anderen Gemeinde möglich. Anders verhält es sich, wenn es einer Gemeinde gelingt, der anderen Gemeinde nur zu suggerieren, daß sie die eigene Bereitstellung senkt, ohne daß sie das im angekündigten Umfang tatsächlich beabsichtigt. Ein solcher Täuschungsversuch kann im Rahmen von multilateralen Verhandlungen - im Beispiel des globalen Umweltschutzes etwa bei Klimakonferenzen - unternommen werden, in denen glaubhafte Versprechen über das zukünftige Handeln abgegeben werden. Wenn in Gemeinde B aufgrund einer solchen Ankündigung von Gemeinde A die Binnenbereitstellung in Erwartung niedrigerer Spillins erhöht wird, profitiert Gemeinde A von höheren Spillins und kann dann - bei der in Fall 2 unterstellten Bereitstellungsplanung mit Antizipation der Spillins - die eigene Versorgungssituation halten, jetzt aber mit einer geringeren eigenen Binnenbereitstellung als im Ausgangszustand. 48 Die positive Auswirkung dieses Täuschungsmanövers auf die notwendige Bereitstellungsmenge von Gemeinde A ist in Abbildung 11 dargestellt. 49 Dagegen hat sich, wie in Abbildung 12 zu sehen, die Bereitstellung in Gemeinde B aufgrund der gelungenen Suggestion von A im Vergleich zum Ausgangswert erhöht. 50
47 Diese Werte gelten für die Periode 2. Bei einer Reduktion der eigenen Bereitstellung erhöhen sich die Spillins im Laufe der Zeit insgesamt um
-~BER( EQA EQB + (EQA EQB)2 +...+(EQA EQB)" ) = -~BERt (EQA EQB)' . ,-,
48 Vorstellbar ist diese Strategie z.B. dann, wenn Meßprobleme bei der Bestimm~ng der Spill ins auftreten und die empfangende Gemeinde auf Informationen der emittierenden Gemeinde über die zu erwartende Höhe der Produktion bzw. Spillouts angewiesen ist. Die Argumentation ist hier ähnlich der in der neuen Außenwirtschaftslehre beziehungsweise strategischen Handelspolitik verwandten. Wenn man dem Gegenüber bestimmte eigene Aktionen suggeriert, die dann realiter gar nicht durchgeführt werden, verbessert man die eigene Position. Das Ergebnis entspricht im wesentlichen dem, das ein Dyopolist in der Stackelbergschen Unabhängigkeitssituation bei Mengenstrategie erzielt. Vgl. dazu Horchert [1994]. 49 Bei der Simulation wurde wieder von der Konstellation im oben angeführten Zahlenbeispiel ausgegangen. Jedoch wurde unterstellt, daß die Gemeinde B jeweils 10 Prozent mehr produziert als das nach dem normalen Kalkül notwendig wäre. Es gilt also: BERB= (PRÄF B- SI,_!)·I, 1. 50 Offensichtlich ist diese ModelIierung nicht in eine spieltheoretische Formulierung zu übertragen, denn die oben erwähnte Annahme vollständiger und perfekter Information machte die Täuschungsstrategie undurchführbar. Auch in der preistheoretischen Darstellung ist eine solche dauerhafte Ausbeutung nur schwer vorstellbar, wenn den Akteuren eine gewisse Lemfähigkeit unterstellt wird. Gleichwohl sind solche Ausbeu-
109
D. Die Wirkung von Spillovers
Bereitstellung 1200 1000
Ausbeutungsstrategie
/~
BER B = 1035,6 BER B = 937,5
800
neutrale Strategie
600 400 200 0 2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Periode
Abbildung 11: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung in Gemeinde A
Bereitstellung 1200 1000 800
r--'\.
neutrale Strategie
BER A = 812,5
BERA =792,9
Ausbeutungsstrategie
600 400 200 0
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Periode
Abbildung 12: Sequentielle Entwicklung der Bereitstellung in Gemeinde B Läßt sich eine Gemeinde auf dieses Kalkül ein, kann sie eine gezielte Ausbeutung der anderen Gemeinde versuchen,51 Unter welchen Voraussetzungen
tungs- bzw. Überwälzungsstrategien kurzfristig vorstellbar, insbesondere unter der Annahme unvollständiger Information. 51 Die oben skizzierten Folgen verändern sich grundlegend, wenn beide Gemeinden versuchen, diese Ausbeutungsstrategie zu verfolgen: Dann nämlich ist der Versuch, auf Kosten der anderen Gemeinde die Versorgung der eigenen Einwohner zu sichern, zum
110
Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
aber macht diese Strategie einen Sinn? Diese Frage soll zunächst im Rahmen der bisherigen Argumentation beantwortet werden. Wie im Kapitel C. gezeigt worden war, gilt bei unbeschränkter Mobilität der Bevölkerung das Gleichgewichtskriterium des Nutzenausgleichs zwischen den Gemeinden. Unter dieser Bedingung verändern sich die Anreize der Gemeindemanager und die geschilderte Ausbeutungsstrategie macht keinen Sinn. Denn falls es tatsächlich so ist, daß durch die Täuschung das Nutzenniveau in A über das in B steigt, so werden Wanderungsbewegungen der Bevölkerung einsetzen. Für die ausbeutende Gemeinde ergibt sich zunächst der Effekt, daß das Versorgungsniveau gleichbleibt und die Belastung sinkt, mithin das Nutzenniveau steigt. 52 In der ausgebeuteten Gemeinde steigen hingegen die Belastungen allerdings verbessert sich auch dort die Versorgung. Per saldo aber ist das Versorgungs- und Nutzenniveau in der ausgebeuteten Gemeinde niedriger als in der ausbeutenden. Entsprechend wandern Bürger von dort ab und ziehen in die
Scheitern verurteilt. Die Gemeinden bzw. ihre Entscheidungsträger befinden sich damit zunächst in einer Situation, die dem Gefangenendilemma ähnelt. Es ist für beide Beteiligten individuell vorteilhaft, die Ausbeutungsstrategie zu wählen, wenn beispielsweise die folgende Auszahlungsmatrix bei identischen präferierten Mengen in beiden Gemeinden unterstellt wird. B neutral ausbeuten neutral
I, 1
-1,2
ausbeuten
2, -I
-2, -2
A
Die in der Matrix angegebenen Werte mögen die Vorteile bzw. Nachteile für die Bevölkerung beider Gemeinden in Form von Mengen und Steuerbelastungen repräsentieren. Die Anwendung der Ausbeutungsstrategie führt somit zu einem gesamtwirtschaftlich unerwünschten Ergebnis: Die Bevölkerung in bei den Gemeinden wird schlechtergesteIlt. Vgl. Cornes/Sandler [1986], S. 137ff. Das Gefangenendilemma bildet die Entscheidungssituation der Jurisdiktionsmanager aber nur vordergründig richtig ab. Denn während das Gefangenendilemma ein einmaliges Spiel darstellt, in dem keine Lerneffekte auftreten können, befinden sich die Entscheidungsberechtigten in Gemeinden und anderen Jurisdiktionen in einem wiederholt stattfindenden Spiel. Dort kann dann - aus Lerneffekten - durchaus eine kooperative Strategie vorteilhaft sein, wie beispielsweise Axelrod [1984] für die Tit-for-tat-Strategie gezeigt hat. Vgl. ähnlich auch Cornes/ Sandler [1986], S. 141-144. 52 Es sei angenommen, daß die Ausbeutungsstrategie nur auf einen Erhalt der präferierten Menge gerichtet ist.
D. Die Wirkung von Spillovers
111
Gemeinde A mit dem höheren Nutzenniveau. 53 Diese Migration verursacht in B die bereits geschilderten Kosten und Nutzen der Zuwanderung. Versucht also eine Gemeinde auf Kosten der anderen Gemeinde autonom das Nutzenniveau ihrer Bevölkerung zu steigern, tritt eine durch Wanderung verursachte ÜberflUlung bei privaten und bei öffentlichen Gütern auf, und die Situation in A verschlechtert sich. Da offensichtlich die unfreundliche Ausbeutungsstrategie beim Vorliegen vollkommener Mobilität der Bevölkerung nicht funktioniert, wird eher ein kooperatives Verhalten der Gemeinden festzustellen sein. 54 Diese Folgerung wird durch die These unterstützt, daß eine Strategie in der oben beschriebenen Form auch ohne eine Sanktionierung durch Wanderungen nicht dauerhaft erfolgreich sein wird. Zum einen werden die übrigen lurisdiktionen nicht langfristig zu täuschen sein, wenn man ihnen nur ein Mindestmaß an Lernfahigkeit unterstellt. Wenn die anderen lurisdiktionen aber den Ankündigungen keinen Glauben mehr schenken, werden Täuschungsversuche überflüssig. Darüber hinaus kann die fortgesetzte Täuschung von Vertragspartnern dazu führen, daß die betreffende Körperschaft auch in anderen Politikbereichen ihre Glaubwürdigkeit verliert und sich damit langfristig selbst schädigt. Es erscheint also sinnvoller, die eigene Reputation zu erhalten und zu einer fairen Kooperation überzugehen. Mit dieser aktiven Strategie im Umgang mit den Folgen von Spillovers ließen sich auch die Probleme, die aus der ungleichen Lastenverteilung in Verbindung mit den dadurch ausgelösten Wanderungsbewegungen der Bevölkerung entstehen, vermindern bzw. beseitigen. Eine solche Kooperation könnte darin bestehen, daß die Produktion ex ante abgestimmt wird und/oder ein finanzieller Ausgleich rur empfangene Spillins geschaffen wird. 55 Diese Ausgleichszahlungen werden wieder - wie im Kapitel C. gezeigt - freiwillig zustande kommen und in ihrer Höhe unbestritten sein,' da durch die Bedingung
53 Hat nun die ausbeutende Gemeinde ein niedrigeres gewünschtes Versorgungsniveau, wie es beispielsweise in Szenario I für Gemeinde A unterstellt wird, müssen die Bewohner von B abwägen, ob die Nutzeneinbuße durch höhere Kopfsteuem - bei Verbleib in B - oder durch ein niedrigeres Versorgungsniveau in A für sie größer ist. Sollte die ausbeutende Gemeinde ein höheres Versorgungsniveau bieten, stellt sich dieses Problem nicht. 54 Auf eine solche Möglichkeit weist auch Breton [1970], S. 899ff. hin. Jedoch ist die dortige Begründung eine andere. 55 Dieser finanzielle Ausgleich könnte im Rahmen eines Finanzausgleichssystems institutionalisiert werden. Vgl. Z.B. Pawlowsky [1972], S. 1134-120 sowie Liedtke [1972], S. 107f.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
der Nutzengleichheit eine Zielidentität der Gemeinden bzw. der Gemeindernanager besteht. 56 Aufgrund der vorgestellten Szenarien läßt sich festhalten, daß die Wirkung von Spillovers auf die Mengen- und die Preiskomponente stark abhängig ist vom unterstellten Verhalten und dem unterstellten Wissen der einzelnen Akteure. Selbst für den Fall einer vollständigen Antizipation, die - wie oben modelliert - lediglich mit einer Zeitverzögerung von einer Periode vorausgesetzt wird, erhält man hinsichtlich des Kriteriums der Kostenäquivalenz eine Abweichung vom Optimalzustand. Solange kein Mechanismus zur (Wieder-) Herstellung der Äquivalenz eingerichtet wird, "gewinnt" - innerhalb der o.g. Bedingungen - die Gemeinde mit den niedrigeren Präferenzen auf Kosten der Gemeinde mit den höheren Präferenzen. IH. Folgerungen
In der angeführten Argumentation ist die Bedeutung von Spillovers für die Allokation deutlich geworden. Anhand der in den Modellen gewonnenen Ergebnisse kann auch eine Antwort auf die Frage nach einer Über- oder Unterversorgung beim Auftreten von Spillovers gegeben werden: Unabhängig von Verhalten und Wissensstand sind auf der Ebene der einzelnen Gemeinden Überversorgungssituationen darstellbar, wenn die letztlich zu nutzende und die präferierte Menge in Relation gesetzt werden. In der aggregierten Betrachtung können sowohl Unterversorgung als auch eine angemessene, präferenzgemäße Versorgung festgestellt werden. In diesem Kontext ist das Ergebnis abhängig von den Verhaltensannahmen, die bezüglich der Beteiligten getroffen werden. Unzweifelhaft führt die Existenz von Spillovers zu Inefflzienzen in der Allokation, wenn eine einzelgemeindliche Überversorgung vorliegt. Auch die oben beschriebene Ausbeutungsstrategie führt zu negativen Abweichungen von der Allokationsnorm. Um die AllokationsefflZienz wiederherzustellen, ist daher die Internalisierung der Spillovers notwendig. Diese Internalisierung der Spillovers kann auf verschiedene Arten erfolgen. Dabei lassen sich "klassische" wohlfahrts ökonomische Lösungen von institutionellen Lösungen unterscheiden.57 Unterstellt man ein kooperatives Verhal-
56 Vgl. z. B. Mansoorian/Myers [1993], S. 129 sowie Wellisch [1994], S. 169.
57 Zu den gängigen Möglichkeiten der Internalisierung externer Effekte zwischen lurisdiktionen vgl. als Überblick beispielsweise Pawlowsky [1972], S. 113-131. Dort wird in erster Linie auf finanzielle Kompensationsmöglichkeiten im Wege eines horizontalen und/oder vertikalen Finanzausgleichs hingewiesen, aber auch die Möglichkeit
D. Die Wirkung von Spillovers
113
ten der Beteiligten, so entspricht diese Strategie der von Co ase zur Internalisierung vorgeschlagenen Verhandlungslösung. 58 Am Ende dieser Verhandlungen könnte eine Vereinbarung über einen horizontalen Finanzausgleich stehen, in dem die Gemeinde, die mehr Spillins empfangt, die andere Gemeinde für deren zusätzliche Bereitstellung entschädigt. 59 Fraglich ist nur, ob eine solche Verhandlungslösung wahrscheinlich ist: Wie Co ase gezeigt hat, ist eine solche Lösung vorstellbar, wenn die Zahl der Beteiligten relativ gering ist. 60 Im vorgestellten Beispiel eines 2-Iurisdiktionen-Falls sind diese Voraussetzungen wohl gegeben. Realitätsnäher ist aber die Annahme, daß die Zahl der von Spillins und Spillouts betroffenen Gemeinden relativ hoch sein dürfte. Legt man die aus der Kollektivgütertheorie abgeleitete Gliederung eines Staates in räumlich unterschiedlich große Kollektive zugrunde, so treten nicht nur zwischen den, Gemeinden, sondern zum Beispiel auch zwischen den Kreisen oder Ländern solche internalisierungsbedürftigen Spillovers auf. Auch zwischen Nationalstaaten sind solche Effekte zu erwarten. Die Vielzahl der Beteiligten macht eine friedliche Einigung im Rahmen einer Verhandlungslösung aufgrund der damit verbundenen Transaktionskosten unwahrscheinlich. 61 Wie aber können dann Iurisdiktionen zu friedlichen Kompensationslösungen, die das Äquivalenzprinzip wiederherstellen, gelangen? Es erscheint möglich, daß bei gravierenden Verhandlungsproblemen eine höhere Instanz als Schiedsrichter angerufen wird. In einem föderalen System kann diese Funktion von der nächsthöheren Iurisdiktionsebene übernommen werden. So kann zum Beispiel beim Scheitern der Verhandlungen zwischen Gemeinden der übergeordnete Kreis einspringen. Können sich verschiedene Kreise nicht einigen, tritt das Land als Schiedsrichter auf. Diese Logik läßt sich
der Änderung der Staatsgliederung durch Zusammenlegung von Gebietskörperschaften wird erwähnt. 58 Vgl. Coase [1960). Die von Coase entwickelte Verhandlungslösung führt unabhängig von der Verteilung der zugrundeliegenden Eigentumsrechte zu einer effizienten Allokation. Jedoch werden dabei keine Distributionsprobleme, die aus einer unterschiedlichen Verteilung der Ausgangsvermögen resultieren, betrachtet. Die Kompensationszahlungen haben wiederum ihrerseits einen Einfluß auf die Verteilungspositionen und beeinflussen so das Verhandlungsergebnis. Vgl. Coase [1960], S. 8 sowie Demsetz [1967], S. 347ff. 59 So auch die Ergebnisse von Wellisch [1994], S. 169. 60 Vgl. zum Coase-Theorem und seiner Diskussion in der Literatur u.a. Sohmen [1976], S. 244f. 61 Vgl. z.B. Wust [1981], S. 107 oder Buchanan [1984a], S. 160f. Aufdie Koordinationskosten, die aus solchen Internalisierungsverhandlungen resultieren, wird im Punkt F.II.2. ausführlich eingegangen. 8 Sauerland
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
bis auf die höchste Kollektivebene der Nationalstaaten fortsetzen. Der Vorschlag eines solchen gestuften Vorgehens entspricht wieder dem Subsidiaritätsprinzip.6 2 Nicht nur aufgrund der Wirkung von Spillovers kann dieses Prinzip als allgemeines Strukturprinzip von Föderationen postuliert werden. 63 Den höheren lurisdiktionen werden dadurch - neben der Aufgabe der Bereitstellung öffentlicher Leistungen, die ihnen nach der Kollektivgütertheorie übertragen wurde - auch Koordinationsaufgaben zugeordnet; diese Aufgaben haben sie aber nur, wenn eine Einigung in bezug auf die Höhe der Kompensationszahlungen im Wege der multilateralen Verhandlungen zwischen den direkt betroffenen lurisdiktionen nicht möglich ist. 64 Die Kompensation der emittierenden Gemeinde durch die empfangende Gemeinde kann beispielsweise über die Festlegung einer Pigou-Subvention geschehen. 65 Bei positiven Nutzen-Spillovers wird die Bereitstellung von Spillovers mit einer Subvention gefOrdert, die den Emittenten veranlassen, seine Bereitstellungsmenge - und damit die Spillovers - zu erhöhen. Entsprechend steigt die Kompensationszahlung in Form der Subvention mit der Erhöhung der Bereitstellungsmenge. 66 Auch hier hat dann eine übergeordnete Instanz für die adäquate Festlegung der Subventionshöhe zu sorgen wenn sonst keine Einigung möglich ist.
62 Hier zeigt sich Subsidiarität wieder in dem unter Punkt B.n. angefUhrten Sinn als Unterstützung durch höhere Ebenen. Die höhere Ebene soll eben nicht die Bereitstellung der Güter direkt an sich ziehen oder die Internalisierungszahlungen von oben festsetzen. Sie soll vielmehr den Beteiligten zunächst helfen, ihre Verhandlungen untereinander zu lösen und damit eine Entscheidungsfindung unterstützen. 63 Vgl. ähnlich Utz [1953], S. 9: "Das Subsidiaritätsprinzip ist also ein Grundgesetz der Dezentralisierung in vollem Sinne ... ". Explizit zu Subsidiarität und Föderalismus äußert sich Utz [1953a], S. 115. 64 Auf die Zuordnung einer solchen Überwachungs- und Schiedsrichterfunktion auf spezielle Institutionen wird im Kapitel H. dieser Arbeit näher eingegangen, wenn auf die Bedeutung von Regeln fUr ein Gemeinwesen verwiesen wird. 65 Bei negativen Extemalitäten, die hier nicht betrachtet werden, wäre eine Internalisierung über die Erhebung einer Pigou-Steuer in der ernittierenden Gemeinde möglich. Bei positiven Nutzen-Spillovers ergibt sich analog die Möglichkeit, eine Pigou-Subvention zu gewähren. Diese wohlfahrtsökonomischen Überlegungen gehen zurück auf Pigou [1920]. Eine kritische Diskussion dieser Besteuerung bzw. Subventionierung als Internalisierungsmöglichkeit findet man z.B. bei Comes/ Sandler [1986], S. 49-66 und auch bei Sohmen [1976], S. 231-242 sowie S. 271-278. 66 Vgl. dazu Oates [1972], S. 100ff. sowie die zusammenfassende Darstellung bei Wust [1981], S. 111-117, der in seiner Analyse das hier benutzte Grundmodell um die Annahme erweitert, daß Spillouts zu einer Minderung des Nutzens in der emittierenden Jurisdiktion fUhren.
D. Die Wirkung von Spillovers
115
Neben diesen klassischen, wohlfahrtsökonomischen Möglichkeiten der Internalisierung von Spillovers besteht auch die institutionelle Lösung in Form einer Änderung der Staatsgliederung: Auch über eine Zusammenlegung der betroffenen Regionen lassen sich die Spillovers internalisieren.6 7 Diese Möglichkeit bietet sich insbesondere an, wenn - wie bisher - unterstellt wird, daß die Bürger ihren Nutzen allein aus der präferenzgemäßen Versorgung mit Gütern ziehen und damit keine Präferenzen für eine bestimmte regionale Gliederung haben, die ihnen Nutzen stiftet. In diesem Fall ist z.B. eine Kommunalreform unproblematisch. Existieren hingegen Präferenzen für einen bestimmten Standort, so entstehen durch Zusammenlegung von Gebieten Nutzeneinbußen, die eine solche Internalisierung unvorteilhaft erscheinen lassen. 68 Die Ausführungen in diesem Kapitel haben gezeigt, daß Spillovers bei der Bereitstellung die Versorgungssituation beeinflussen. Daher ist das Kriterium der EffIzienz bei der Produktion bzw. der Bereitstellung auch dann nicht notwendigerweise erfüllt, wenn die Zielfunktion der Anbieter-Jurisdiktionen allein den Nutzen bzw. die Präferenzen der jeweiligen Bevölkerung beinhaltet. Ebenso konnte gezeigt werden, daß das Ausmaß der internalisierungsbedürftigen Spillovers abhängig ist vom Wissensstand, den die Akteure über das Verhalten der jeweils anderen Beteiligten haben. Die weitere Analyse hat ergeben, daß die Existenz von Spillovers bei dezentraler Bereitstellung unter der Annahme vollkommener Mobilität der Bürger und bei Abwesenheit von Transaktionskosten zu einer freiwilligen Internalisierung führt. Diese erfolgt über Transferzahlungen, die über eine Verhandlungslösung bestimmt werden. Jedoch hat sich hier auch gezeigt, daß allein die Existenz von Verhandlungskosten dieses Ergebnis verändern können. Offen bleibt bisher die Frage, ob tatsächlich immer ein Ausgleich der Nutzenniveaus zwischen den Regionen zustande kommen muß. Die positive Wirkung der Wanderung leitet sich bekanntlich aus der perfekten Ausnutzung von Arbitragemöglichkeiten ab: Eine Abwanderung erfolgt immer dann, wenn die Differenz zwischen dem Nutzenniveau am neuen Wohnort und dem am alten
67 Vgl. z.B. Pawlowsky [1972], S. 121-123. Hier ergibt sich jedoch wieder eine ähnliche Argumentation wie bei der Herleitung einer optimalen Gliederung auf Basis der Kollektivgütertheorie: Hätte die so ennittelte Gliederung schon zu einem perfekten Mapping geführt, wäre die Frage der Internalisierung nicht entstanden. Da aber - wie gezeigt - funktionale Kollektive de facto häufig zu räumlich gegliederten Kollektiven zusammengefaßt werden, entsteht das Problem der Externalitäten. 68 Ähnliches gilt für die Verlagerung von Kompetenzen auf höhere Ebenen. Auch diese sollten nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden. Vgl. ähnlich Bell [1989], S. 220. Auf diese Kosten, die aus der Aufgabe der jurisdiktionellen Eigenständigkeit entstehen, wird im Punkt F.lI. näher eingegangen. 8'
116
Teil 1: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Wohnort positiv ist. Ob diese Bedingung für die Auslösung einer tatsächlichen Wanderung hinreichend ist, wird in den folgenden Punkten untersucht. Zeigt sich dabei, daß die Mobilität der Bevölkerung nicht vollkommen ist, so hat das gravierende Folgen: Die Nutzenarbitrage würde nicht vollkommen funktionieren, und der Ausgleich der Nutzenniveaus würde nicht als Nebenbedingung in die Zielfunktion der Anbieter eingehen. Das bedeutet, daß die oben angeftihrte Ausbeutungsstrategie unter Vernachlässigung der negativen Reputationseffekte lohnend werden könnte, weil Lasten überwälzt werden können, ohne durch Wanderungen sanktioniert zu werden. Fällt der Wanderungsmechanismus dann als Sanktionsmechanismus aus oder ist seine Wirksamkeit eingeschränkt, stellt sich auch die im folgenden noch zu beantwortende Frage nach Alternativen, um wieder eine effIziente dezentrale Bereitstellung öffentlicher Leistungen sicherzustellen.
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative Bei der Analyse der Wirkung von Spillovers waren im vorangegangenen Abschnitt das Verhalten der Anbieter-Gemeinden untersucht worden, indem explizite Annahmen über den Informationsstand der jeweiligen Akteure getroffen wurden.) Entsprechend soll im folgenden Abschnitt das Verhalten der Nachfrager-Bürger genauer betrachtet werden. Darüber hinaus wird das bisher benutzte Modell erweitert, indem andere Standortdeterminanten, die bei der bisherigen Analyse ausgeklammert waren, in die Nutzenfunktion der Bürger mit einbezogen werden. Aus den Ergebnissen, die sich aus diesen Modellerweiterungen für die Wirksamkeit des Wanderungsmechanismus ableiten lassen, wird die weitere Betrachtung von Wahlen als Alternative zum Sanktionsmechanismus Wanderung begründet. I. Die Grenzen der Abwanderung als Sanktionsmechanismus
Aus den Folgerungen des letzten Kapitels war deutlich geworden, daß die Wirksamkeit der Wanderung als Sanktionsmechanismus insbesondere davon abhängt, ob die Bürger sich ihnen bietende Arbitragemöglichkeiten zur Verbesserung ihrer Versorgungssituation tatsächlich nutzen. Um diese Frage beantworten zu können, ist es hilfreich, sich nochmals kurz die Prämissen der bisherigen Argumentation zu vergegenwärtigen. Diese Prämissen enthielten neben den Annahmen über die Produktions- bzw. Bereitstellungssituation sowie der Annahme, daß die Wanderung nicht mit Kosten für die Wandernden verbunden ist, unter anderem auch die vollständige Informiertheit und Rationalität der Bürger. Darüber hinaus war das Angebot an öffentlichen und privaten Gütern die alleinige Determinanten der Standortwahl der Nachfrager-Bürger. Um die Grenzen und Schwächen des Wanderungsmechanismus ermitteln zu können, sollen im folgenden zwei Fragen beantwortet werden. Zum einen ist fraglich, wie der Wanderungsmechanismus wirkt, wenn die Bürger ihr Nutzenniveau nicht vollständig optimieren. Zum anderen muß geklärt werden, wie sich andere Standortdeterminanten auf die Wirksamkeit der Wanderung aus-
) V gl. insbesondere Kapitel D., Abschnitt 11.1.
118
Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
wirken. Diese zweite Teilfrage wird für die Standortwahl von Haushalten und Unternehmern getrennt beantwortet werden. 1. Abwanderung und Imperfect Choice
Die von Tiebout modellierte - und auch in den anderen bisher verwandten Modellen unterstellte - Entscheidungssituation, in der die Bürger ihren optimalen Standort bestimmen, kann als Perfect-choice-Situation beschrieben werden. 2 Kennzeichnend dafür ist zum einen der Informationsstand der Bürger: Sie sind vollständig über den Ist-Zustand in ihrer jeweiligen Wohngemeinde informiert, insbesondere über die dort herrschende Bereitstellungssituation und die entsprechende Steuerbelastung. Ebenso haben die Bürger eine Soll-Vorstellung in bezug auf die von ihnen präferierte Versorgungssituation. Weiterhin kennen die Nachfrager-Bürger alle Möglichkeiten, die ihnen im Fall von SollIst-Abweichungen zur Verfügung stehen, um ihre Präferenzen erfüllt zu sehen: Sie kennen die Möglichkeit abzuwandern ebenso, wie ihnen alle möglichen Standortalternativen und die dort herrschenden Bereitstellungssituationen und die entsprechenden Steuerbelastungen bekannt sind. Daraus folgt, daß die Bürger in den bisherigen Modellen bei Abweichungen der Bereitstellung von ihren Präferenzen eine Entscheidung unter Sicherheit treffen und in eine andere Gemeinde als Standort abwandern werden. Um diesen Effekt zu gewährleisten, müssen die Bürger aber noch eine zweite Voraussetzung erfüllen. Sie müssen nicht nur alle notwendigen Informationen für eine Entscheidung besitzen, sondern auch in der Lage sein, diese Informationen verläßlich und richtig zu nutzen und in eine entsprechende Entscheidung umzusetzen. Nur dann sind die Entscheidungsträger in der Lage, eine optimale Entscheidung zu fallen;3 nur dann funktioniert der Abwanderungsmechanismus auch schon bei marginalen Verfehlungen der bereitstellenden Gemeinde. Ist es aber tatsächlich so, daß man realiter davon ausgehen kann, daß die Problemlösungskompetenz der Bürger ausreicht, um die Komplexität bzw. Schwierigkeit der Abwanderungsentscheidung zu bewältigen? Unterstellt man, daß die Standortentscheidung allein von der Versorgung mit einem einzigen bereitzustellenden Gut abhängig ist, kann diese Frage wahrscheinlich positiv beantwortet werden. Die Entscheidungssituation ist dann relativ einfach strukturiert, die Menge an notwendigen Informationen begrenzt. Sind hingegen - realistischer mehrere Faktoren bzw. bereitzustellende Güter für die Standortwahl ausschlag2 Zu den Determinanten einer Perfect-choice-Situation vgl. z.8. Heiner [1990b], S.19. 3 Vgl. Heiner [1983], S. 560.
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
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gebend, verändert sich die Entscheidungssituation: Zum einen wird die Menge der notwendigen Informationen über das Güterbündel stark anwachsen; zum anderen ist die Problemstellung auch aufgrund der unübersichtlichen Informationsmenge deutlich komplexer. Derartig strukturierte Entscheidungssituationen erfordern beim Entscheidungsträger eine hohe Problemlösungskompetenz. Die Erreichung eines Optimum optimorum in der jeweiligen Entscheidungssituation wird damit unrealistisch. Unabhängig von der konkreten Abwanderungsentscheidung lassen sich generell zwei Grenzen der Optimierung bzw. der flexiblen Anpassung von Entscheidungen an geänderte Umweltzustände unterscheiden. Zum einen kann man bei einer Entscheidung nicht davon ausgehen, daß die Entscheidenden tatsächlich über alle handlungsrelevanten Informationen verfügen. Wie oben. exemplarisch angeführt, ist bei komplexen Problemen eine große Menge an Einzelinformationen notwendig, um a) die Soll-Ist-Abweichung festzustellen und b) eine bessere bzw. die optimale Alternative ausfindig zu machen. Anders als bisher unterstellt, sind Informationen aber nicht kostenlos zu haben: Das Sammeln von Informationen verursacht für jeden Entscheidungsträger Kosten. 4 Diese bestehen in erster Linie aus den Opportunitätskosten der Zeit, die für die Informationssuche aufgewendet werden muß. Alternativ kann auf Informationsmittler zurückgegriffen werden, deren Einsatz ebenfalls Kosten verursacht. Die Kosten, um tatsächlich den Stand einer vollständigen Information zu erreichen, sind in der Regel prohibitiv hoch. Da Entscheidungen zudem meistens innerhalb einer knappen Entscheidungszeit gefällt werden müssen, bildet auch diese Restriktion eine Grenze des Informiertseins. Es ist für den Entscheidenden daher durchaus rational, vom Ideal der vollständigen Information abzuweichen und sich mit einem unvollkommenen, für die Entscheidung aber adäquaten Informationsstand zufriedenzugeben. Das Ergebnis ist ein Zustand "rationaler Ignoranz". 5 Ein mögliches Kalkül, um einen adäquaten Informationsstand zu erreichen, ist die Abschätzung des Grenznutzens und der Grenzkosten aus einer zusätzlichen entscheidungsrelevanten Information. Solange der Grenznutzen über den Grenzkosten liegt, werden zusätzliche Informationen gesammelt; eine relativ optimale Informationsmenge ist dann vorhanden, wenn sich die beiden Grenzgrößen entsprechen. 6 Mit der Akzeptanz
4 Vgl. zu diesen Informationskosten schon Downs [1968], S. 205.
5 Zum Begriff der "rationalen Ignoranz" vgl. Downs [1968], S. 239ff. 6 In bezug auf die Rolle der Informationen in der ökonomischen Theorie gibt es verschiedene Forschungsansätze. Auch die Frage des optimalen Informationsstrandes ist vielfach problematisiert worden. Während der neoklassische Suchansatz davon ausgeht, daß solange zusätzliche Informationen gesammelt werden, bis der Grenznutzen der
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
von unvollständiger Information als Grundlage rationaler Entscheidungen verändert sich die Entscheidungssituation: Während bei vollständiger Information sichere Entscheidungen gefällt werden können, ergibt sich nunmehr eine Entscheidung unter Unsicherheit. Diese Unsicherheit wird durch eine zweite Komponente verstärkt, die eine absolute Optimierung verhindert: Neben den exogenen Informationen und ihrer Verfugbarkeit, die die Komplexität des zu lösenden Problems charakterisieren, ist die endogene Problemlösungskompetenz des einzelnen Entscheidenden fur die Wahlsituation relevant. Selbst wenn man von vollständiger Information der Entscheidenden ausgehen könnte, bedeutet das Vorhandensein dieser Informationen nicht, daß sie auch so ausgewertet und verarbeitet werden können, daß eine richtige Entscheidung - im Sinne eines objektiven Nutzenmaximums erreicht wird. Hier zeigt sich die "Begrenztheit menschlicher Verstandeskräfte",7 die auch unter dem Begriff der "bounded rationality" in der Ökonomik problematisiert wird. 8 Hinter diesen Begriffen verbirgt sich die Einsicht, daß Menschen nur über eine begrenzte Problemerfassungs- und Problemlösungsfähigkeit verfugen. Diese intellektuellen Grenzen der Entscheidungsträger verstärken die Unsicherheit der Entscheidung. 9 Beide Faktoren - die Komplexität der Entscheidungssituation und die begrenzte Problemlösungskompetenz der Akteure - fuhren dazu, daß eine Optimierung im Sinne eines absoluten Nutzenmaximums i.d.R. nicht möglich ist. I0 Beide Faktoren lassen sich analytisch mit Hilfe der sogenannten C-D-Lücke zusammenfuhren, die den Unterschied zwischen der tatsächlichen Problemlösungskompetenz des Entscheidenden (C) und der aufgrund der Komplexität des
nächsten Information den durch ihre Gewinnung verursachten Kosten entspricht, gibt es andere Ansätze, die - realistisch - darauf verweisen, daß der Nutzen der nächsten Information ungewiß ist und daher das beschriebene Maximierungskalkül modifiziert werden muß. Zur Information in der ökonomischen Theorie vgl. umfassend Wessling [1991], zur Informationssuche insbesondere S. 63-108. 7 Hayek [1969a], S. 109. 8 Vgl. Simon [1957], S. 196-206. Auch Coase [1937], S. 341, hatte implizit schon auf dieses Phänomen hingewiesen, wenn er "diminishing returns on management" bei komplexeren Entscheidungssituationen anführt. Vgl. z.B. auch Kirchgässner [1991], S. 27-38 zum Problem der bounded rationality und zu möglichen Verfahren, um dieses Problem zu umgehen. 9 Vgl. auch Selten [1990]. 10 Vgl. dazu auch Vanberg [1993a], der verschiedene theoretische Ansätze anführt, die sich mit der fallweisen, individuellen Maximierung in Entscheidungssituationen beschäftigen.
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
121
Problems (D) notwendigen Fähigkeit angibt. I I Das Vorhandensein dieser Lücke führt zu der Einsicht, daß es nicht sinnvoll ist, a) alle Informationen in die Entscheidung einzubeziehen und b) alle möglichen Lösungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Vielmehr kann mit Hilfe des Konzepts der C-D-Lücke begründet werden, warum es sinnvoll ist, beispielsweise nicht nach dem Optimum optimorum bei einer Entscheidung zu suchen, sondern mit einem gewissen Anspruchsniveau zufrieden zu sein. 12 Ebenso erscheint es vor dem Hintergrund dieser Lücke für den jeweiligen Entscheidungsträger sinnvoll, den eigenen Entscheidungsraum selbst zu begrenzen und bestimmte Verhaltensmuster zu entwickeln, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine angemessene - wenn auch nicht optimale - Problemlösung sicherstellen. 13 Eine solche Selbstbeschränkung kann auf der Basis adaptiven Verhaltens erklärt werden: 14 Wird in einer gegebenen Entscheidungssituation eine Fehlentscheidung gefällt, so ist dies mit Kosten - in Form entgangenen Nutzens - verbunden. Rational handelnde Individuen werden bei einer wiederholten Entscheidung in der gleichen Situation eine andere Lösung wählen. Während so negative Strategien ausscheiden, bleiben solche, die in der Vergangenheit zu positiven Ergebnissen geführt haben, im Strategierepertoire des Akteurs enthalten. 15 Ein Set an lohnenden Strategien, die relativ sicher zu befriedigenden Ergebnissen führen, bildet sich heraus. 16 Diese relative Entscheidungssicherheit führt dazu, daß bewußt auf potentiell mögliche, allerdings mit dem Risiko von Fehlentscheidungen verbundene Alternativen aus dem eigenen Entscheidungsraum verzichtet wird. Das adaptive Lernen bzw. Verhalten führt somit zur Herausbildung von Handlungs- bzw. Verhaltensmustern, die die Unsicher-
11 Vgl. grundlegend Reiner [1983], S. 562ff. sowie [1990b], S. 24f. 12 Die Erreichung eines solchen Anspruchsniveaus entspricht dem "Satisficing" von Simon. Vgl. Simon [1959], S. 262ff. Vgl. auch Williamson [1984], S. 148, der auf die für die neoklassische Theorie typische - Annahme eines jeweils eindeutigen Optimierungskalküls hinweist. \3 Vgl. auch Schotter [1986], S. 119. Eine anschauliche Beschreibung der Selbstbeschränkung des Entscheidungsraumes und der relativen Optimalität von Entscheidungen bietet Reiner [1990b], S. 20-24. 14 Vgl. auch Vanberg [1993]. 15 Die Bedeutung des adaptiven Lernens aus der Vergangenheit für die Handlungsmuster der Gegenwart und der Zukunft betont auch Vanberg [1993a], insbesondere S. 185-187. 16 Die Durchsetzung "guter" Verhaltensmuster ist nicht zwangsläufig, sondern hängt von der Höhe des Nutzenentgangs ab, mit dem ein "schlechtes" Verhaltensmuster sanktioniert wird. Vgl. dazu Reiner [1983], S. 569f. sowie Vannini [1987], S. 159f.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
heit der Entscheidung reduzieren und Fehlentscheidungen weitgehend vermeiden helfen. 17 Die Vorteilhaftigkeit einer Selbstbindung an derartige Handlungs- bzw. Verhaltensmuster wiederum ist abhängig von zwei Faktoren. Zum einen ist eine Selbstbindung nur sinnvoll bei häufig wiederkehrenden, ähnlichen Entscheidungssituationen. 18 Zum anderen ist die Selbstbindung um so sinnvoller, je größer die C-D-Lücke des Entscheidungsträgers ist, denn mit wachsender Lücke steigt die Wahrscheinlichkeit, schmerzhafte Fehlentscheidungen zu treffen, und eine Selbstbindung an erfolgreiche Strategien wird sinnvoller. 19 Was bedeutet nun das Vorhandensein von C-D-Lücken und die daraus resultierende Existenz von Imperfect-choice-Situationen für die Wirksamkeit der "Abstimmung mit den Füßen"? Zum einen zeigt sich, daß die Bürger nicht auf jede marginale Abweichung der Bereitstellung von den Präferenzen mit Sanktionen reagieren werden. Das Vorhandensein eines "angemessenen Versorgungsniveaus" ist in der Regel ausreichend, um die Abwanderung zu verhindern. 20 Daraus folgt, daß für die politischen Entscheidungsträger der AnbieterGemeinden monopolistische Spielräume bei der Bereitstellung von öffentlichen Leistungen vorhanden sind, innerhalb derer sie nicht mit Sanktionen durch Abwanderung zu rechnen haben. Erst wenn die Abweichungen der Präferenzen und der tatsächlichen Bereitstellung einen kritischen Wert übersteigen, kommt es zur Abwanderung. Dann erst werden die Kosten der Präferenznichterfüllung untolerierbar hoch. 21 Der monopolistische Spielraum einer Anbieter-Jurisdiktion ist abhängig von der Größe der C-D-Lücke der Nachfrager-Bürger. Betrachtet man die Determinanten der Lücke, so ist die Problemlösungskompetenz der Bürger - unabhängig von der jurisdiktionellen Ebene, auf der eine Entscheidung zu fällen ist - als gegeben anzunehmen. Hingegen ist die Komplexität der zu lösenden Probleme unter anderem von der Ebene abhängig, auf der eine Abwanderungsentschei17 Vgl. Heiner [1990b], S. 35f. Zu Lernprozessen - nicht nur in ihrer spieltheoretischen ModelIierung - vgl. sehr ausführlich Selten [1991]. 18 Vgl. Heiner [1983], S. 567 sowie Vanberg [1993a], S. 175f. 19 Vgl. Heiner [1983], S. 570. 20 Dieses satisfizierende Verhalten mag auch ein Grund für die von Hirschman angeführte Loyalität von Nachfragern gegenüber Anbieter sein, die als Verhaltensweise zwischen Exit und Voice interpretiert wird. Vgl. Hirschman [1970], S. 76-105. 21 In der Simon-Argumentation ist auch eine Senkung des Anspruchsniveaus möglich. Es erscheint aber plausibel anzunehmen, daß eine solche Senkung ebenfalls nur in Grenzen vorkommen wird und bei einem Unterschreiten des abgesenkten Niveaus andere Maßnahmen ergriffen werden.
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dung getroffen wird. Es erscheint plausibel, daß beispielsweise zur Entscheidung über die Abwanderung aus einer Gemeinde in eine andere weniger Informationen notwendig sind als bei einer Abwanderung aus einem Nationalstaat in einen anderen. Entsprechend kann man davon ausgehen, daß die C-DLücke bei der ersten Entscheidung kleiner ist als bei letzerer. 22 Unterstellt man weiterhin, daß die Flexibilität der Entscheidung bzw. die Menge der im Handlungsrepertoire befindlichen Handlungsmuster um so größer ist, je kleiner die C-D-Lücke ist, so spricht einiges dafur, daß die monopolistischen Spielräume der Anbieter auf der Gemeindeebene geringer sind als die auf der nationalen Ebene weil auf letzterer seltener mit einer Sanktionierung durch Wanderungsbewegungen zu rechnen ist. 23 Hebt man die Prämisse der vollständigen Information bzw. Rationalität auf, so hat das also gravierende Folgen fur die Wirksamkeit desWanderungsmechanismus hinsichtlich der effizienten Bereitstellung öffentlicher Leistungen. Allein die Berücksichtigung der Unsicherheit, unter der eine Entscheidung zu fallen ist, macht deutlich, daß der Wanderungsmechanismus nicht schon bei marginalen Abweichungen der Ist-Politik von den Soll-Präferenzen genutzt werden wird. 24 Aber auch die Aufhebung anderer Prämissen des erweiterten Tiebout-Modells fuhrt zu einer eingescltränkten Wirksamkeit des Sanktionsmechanismus Wanderung. 2. Die räumliche Wirkung der Abwanderung
Durch die Annahme, die Bürger bezögen ihr Einkommen allein aus Dividenden, gelingt Tiebout zweierlei: Zum eineri kann er das Angebot öffentlicher Leistungen als alleinige Determinante der Standortwahl analysieren, zum andem vermeidet er so eine Differenzierung zwischen Haushalten und Unternehmen als Nachfrager von öffentlichen Leistungen.
22 Daraus folgt, daß die Unsicherheit der letzteren Situation größer ist, und mithin ein Verharren im jeweiligen Land wahrscheinlicher wird. Vgl. ähnlich Heiner [1983], S.
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23 Wie im Punkt F.I.\. noch zu zeigen sein wird, wird dieses Argument durch die Kosten der Wanderung, die hier noch nicht betrachtet wurden, verstärkt. 24 Migrationskosten, in Form von Kosten der Raumüberwindung, sind in diesen Überlegungen ausdrücklich noch nicht berücksichtigt. Sie werden erst im Kapitel F. explizit eingeführt. Die räumliche Starrheit der Bevölkerung resultiert hier also zunächst nicht daraus, daß der Nutzen aus einer Abwanderung geringer ist als die Kosten der Abwanderung. Vielmehr ist es die Unsicherheit der Nutzensteigerung am neuen Standort, die die Mobilität begrenzt.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditione\le Ökonomik
Durch die Isolierung der öffentlichen Leistungen als alleiniger Standortdeterminante klammert Tiebout wichtige Effekte, die durch Zu- und Abwanderung verursacht werden, systematisch aus seinem Modell aus. Wie BuchananJ Goetz [1972] schon festgestellt hatten, analysiert Tiebout damit Wanderungen im Raum bzw. in einem Staatsgebiet, ohne die tatsächliche räumliche Komponente dieser Wanderungsbewegungen zu berücksichtigen. Die räumlich gegliederten lurisdiktionen werden in seinem Modell so analysiert, als seien sie funktional gegliederte Klubs; daher treten bei Tiebout durch die Wanderung allenfalls Überfüllungskosten bei den öffentlichen Gütern auf. Überfüllungssituationen in anderen Bereichen bzw. bei anderen Gütern, die durch die Zuwanderung in Gemeinden mit exogen vorgegebener Größe verursacht werden, werden hingegen nicht betrachtet. Dieses Problem konnte zumindest teilweise durch die Modellerweiterungen im Punkt C.I. beseitigt werden. Durch die Annahme, daß die Bürger Arbeitsanbieter sind und ihr Einkommen aus diesem Faktor beziehen, wird auch die Arbeitsnachfrage der Unternehmen zu einem Faktor, der das Nutzenniveau der Bürger am jeweiligen Standort determiniert. Im folgenden sollen die Effekte der Wanderung auf den Markt des Faktors Arbeit genauer untersucht werden. Dabei wird der Arbeitsmarkt sowohl aus Sicht der Anbieter als auch aus Nachfragersicht betrachtet. Zusätzlich wird noch der Faktor Boden in die Analyse mit einbezogen. Zunächst jedoch werden kurz die Determinanten einer Standortwahl - differenziert nach Haushalten und Unternehmen - dargestellt. 25 Unter Vernachlässigung von Transaktions- bzw. Migrationskosten gilt im bisher benutzten Kontext, daß eine Abwanderung immer dann erfolgt, wenn der - erwartete - Nutzen in einer anderen Gemeinde größer ist als derjenige, der am bisherigen Standort erreicht werden kann. Unterschiede bestehen hinsichtlich der Komponenten, die das Nutzenniveau von Haushalten und Unternehmen bestimmen. Auslösendes Moment der Migration von Haushalten ist generell der Versuch, die eigenen Lebensumstände zu verbessern. 26 In den bisherigen Ausftihrungen war das Nutzenniveau der Haushalte allein aus der Versorgung mit öffentlichen Leistungen und mit privaten Gütern abgeleitet worden. Um aber überhaupt an der Güterversorgung partizipieren zu können, ist beispielsweise ein Arbeits-
25 Tiebout analysiert lediglich das Verhalten von Haushalten, klammert also Unternehmen aus seinen Betrachtungen aus. Zu einer Analyse der Migration von Unternehmen in einer Tiebout-Welt vgl. Richter [1994]. 26 Vgl. Böltken [1992], S. 755. Einen Überblick über die Determinanten der Migration liefert Straubhaar [1995].
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
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platz27 und auch Wohnraum am entsprechenden Standort notwendig. Als zusätzliche Nutzenquelle kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde bzw. das Gefühl der Verbundenheit mit den übrigen Einwohnern hinzukommen. Der Nutzen, der Unternehmen einen bestimmten Standort auswählen läßt, kann näherungsweise mit den Gewinnchancen übersetzt werden, die der entsprechende Standort bietet. 28 Sind diese Chancen C.p. an einem anderen Standort größer als an dem bisherigen, ist eine Abwanderung aus Sicht des Unternehmens sinnvoll. Zu den Standortdeterminanten gehören aus ihrer Sicht damit das Angebot an öffentlichen Leistungen, wie z.B. eine gute Infrastruktur, günstige Steuer- und/oder Subventionsverordnungen, ebenso wie das Angebot an günstigen Gewerbeflächen und an günstigen und qualifizierten Arbeitskräften sowie die Entfernung zum Absatzmarkt. 29 Betrachtet man nun die Standortdeterminanten beider Gruppen, so finden sich als gemeinsame Faktoren sowohl das Angebot an öffentlichen Leistungen als auch das Angebot bzw. die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sowie das Angebot auf dem Wohnraum- bzw. Grundstücksmarkt. Damit ist nochmals gezeigt, daß öffentliche Leistungen nicht als alleinige Determinante der Standortwahl betrachtet werden können. Fraglich ist aber, ob die genannten "Märkte" für öffentliche Güter, Arbeitsplätze und Grundstücke miteinander in Verbindung stehen und wennja, wie diese Verbindung aussieht. 30 Um diese Frage beantworten zu können, sei zunächst davon ausgegangen, daß sich nach einer effizienten Wanderung der "ersten Runde" eine Ausgangsverteilung von Haushalten und Unternehmen auf die jeweiligen Gemeinden ergeben hat. 3l Öffentliche Leistungen habe~ nun in diesem Rahmen zwei Wirkungen: Einmal stehen sie den Nachfragern direkt zur Verfügung und erhöhen so ihr Nutzenniveau. Zum anderen wirken sie indirekt auf den Arbeits- und Grundstücksmarkt. Ein gutes Angebot an öffentlichen Leistungen führt z.B. aus Sicht der Nachfrager zu einer hohen Attraktivität des Standortes. Diese Attraktivität schlägt sich in den Bodenpreisen nieder. Eine gute Versorgung der
27 Zum Arbeitsplatz als Determinante der Standortwahl vgl. z.B. Bailey [1993], S. 316. Zu den Problemen, die mit der Migration aufgrund von Arbeitsplätzen verbunden sind, vgl. beispielsweise DelbrückiRaffelhübschen [1993). 28 V gl. dazu Wust [1981], S. 179 sowie die dort angegebene Literatur. 29 Vgl. Siebert [1991], S. 20ff. 30 Vgl. zu einer Analyse dieser Märkte auch Grossekettler [1990], insbes. S. 79-93. 3l Unterstellt wird hier ftir die Haushalte, daß ihr Arbeitsplatz und ihr Wohnort in derselben Jurisdiktion liegen.
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Haushalte und Unternehmen mit öffentlichen Leistungen führt zu einer höheren Wertschätzung des Standortes. 32 Ebenso führt ein attraktiver Standort für Haushalte und Unternehmungen zu einem guten Angebot an Arbeitskräften und Arbeitsplätzen. Betrachtet man die Effekte der "zweiten Runde", in der das ursprüngliche Gleichgewicht durch Wanderungsbewegungen gestört wird, ergeben sich in einem neoklassischen Modellrahmen die folgenden theoretischen Wirkungen: Angenommen die Migration sei wieder auf eine Veränderung des Angebots an öffentlichen Leistungen zurückzuführen, so führen Leistungsverbesserungen zu Immigrationen in die betrachtete Gemeinde, während Verschlechterungen der öffentlichen Leistungen dort zu einer Emigration fuhren. 33 Diese Wanderung verändert nun nicht nur die Qualität und den Preis der öffentlichen Leistungen,34 sondern auch die Preise auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. 35 Wandem Unternehmen ab, so steigt C.p. das Angebot an freien Gewerbeflächen damit sinkt theoretisch der Preis dieser Flächen; gleichzeitig sinkt wegen der Abwanderung die Nachfrage nach Arbeitskräften. Theoretisch wird in der Folge der Bodenpreis für Industrieflächen ebenso sinken wie der nominale Lohnsatz für Arbeit. 36 Wandern hingegen Haushalte ab, so sinkt - wiederum c.p. - der Wohnungspreis aufgrund gesunkener Nachfrage, und der Nominallohnsatz steigt aufgrund des gesunkenen Angebots an Arbeitskräften. Die jeweils umgekehrten Effekte ergeben sich bei Neuansiedlungen in einer Ge32 Vgl. z.B. Oates [1969]. 33 Vgl. hier wieder die Ergebnisse im Kapitel C., Abschnitt 1. 34 Auf die aus der Wanderung resultierenden Steuer- und Nutzungsexternalitäten,
die von BuchananlGoetz [1972] in die Diskussion eingeflihrt wurden, ist bereits im Punkt C.l1. hingewiesen worden. 35 Vgl. zu den Wirkungen auf den Wohnungsmärkten z.B. Bell [1989]. Zum Zusammenhang von Migration und Lohnhöhe vgl. z.B. Gordon [1983], S. 570 oder Horn [1993]. Hier sei unterstellt, daß Löhne auch nach unten hin flexibel sind. Geht man hingegen von Lohnstarrheiten nach unten aus, wie es beispielsweise in der neokeynesianischen Theorie üblich - und auch flir die Realität wahrscheinlich - ist, kommt es in der betroffenen Gemeinde zu Arbeitslosigkeit, wenn nicht gleichzeitig entsprechend viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden, was im erstgenannten Fall der Abwanderung von Unternehmen mehr als unwahrscheinlich sein dürfte. Zur neokeynesianischen Theorie vgl. beispielsweise Rothschild [1981] sowie Er/ei [1991]. 36 Diese Argumente gelten nur in der theoretischen Analyse. Wie Grossekettler [1990], S. 81 ff. gezeigt hat, funktioniert der "Markt" flir Unternehmensstandorte in der Realität nicht idealtypisch .. Vielmehr lassen sich Tatbestände des Marktversagens feststellen, weil beispielsweise - wie erwähnt - die Löhne i.d.R. nach unten starr sind, aber auch die von den Gemeinden direkt zu beeinflussenden Abgabensätze und Preise flir Gewerbeflächen nicht die notwendige Flexibilität nach unten aufweisen.
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meinde: Wandern Unternehmen zu, steigen die Preise fUr Gewerbeflächen und die Löhne (höhere Arbeitsnachfrage ); ebenso steigen bei Zuwanderung von Haushalten die Wohnungspreise, und die Löhne sinken durch ein höheres Arbeitsangebot. Von den derart geänderten Preisen auf dem Boden- bzw. Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt gehen nun neue Anreize fUr Unternehmen und Haushalte aus. In der neoklassischen Argumentation kommt es zu Neuansiedlungen von Unternehmen an Standorten mit niedrigem Lohnniveau und niedrigen Grundpreisen sowie zum Zuzug von Haushalten in Standorte mit hohem nominellen Lohnniveau und niedrigen Wohnraumpreisen.37 Offensichtlich können negative Abweichungen beim Angebot öffentlicher Güter und die dadurch verursachte Abwanderung auf den Märkten fUr Boden und Arbeit zu Preisen fUhren, die Neuansiedler anlocken und damit die Abwanderungstendenz aufgrund der ursprünglichen Verschlechterung teil- oder überkompensieren. Wenn Unternehmen und/oder Haushalte abwandern, kann es auch zu anderen Reaktionen der Gemeindemanager kommen, wenn diese versuchen, aktiv den Einwohnerschwund zu stoppen. Geht man beispielsweise davon aus, daß die Löhne nach unten starr sind, so hätte die Abwanderung von Unternehmen nicht sinkende Löhne, sondern Arbeitslosigkeit zur Folge. Eine Maßnahme, um die dann drohende Abwanderung von Haushalten zu verhindern, ist beispielsweise das Anlocken von neuen Unternehmen in der betrachteten Gemeinde. Möglich wäre dies über die Gewährung von Subventionen an Unternehmen oder eine günstige Überlassung von Gewerbeflächen. Die so angelockten Unternehmen wandern jedoch - wenn es sich nicht um Unternehmensneugründungen handelt - aus anderen Jurisdiktionen ab, in denen sich dann' analoge Überlegungen hinsichtlich der Neuansiedlung ergeben. Im Ergebnis kann daraus ein Standortwettbewerb der Jurisdiktionen um Neuansiedlungen von Unternehmen entstehen. 38
37 Dies gilt wieder nur bei vollkommen flexiblen Löhnen und Preisen. 38 Der Anreiz der Jurisdiktionen liegt darin, langfristig über gestiegene Steuereinnahmen die Subventionen kompensieren zu können. Wenn der Gegenwartswert aller Subventionen größer ist als der Gegenwartswert der Steuereinnahmen aufgrund der Neuansiedlungen, fUhrt dieses Werben um neue Ansiedlungen zu einer ruinösen Konkurrenz, da die Gemeinden mehr ausgeben als sie einnehmen; die Kosten einer zusätzlichen Neuansiedlung sind dann größer als der Nutzen aus dieser. Dieses Verhalten widerspräche dem von Buchanan [1965] angestellten Überlegungen zur Ermittlung der optimalen Mitgliederzahl einer Jurisdiktion (vgl. Kapitel S.), ist aber beispielsweise im internationalen Standortwettbewerb bei der Konkurrenz um Neuansiedlungen von Unternehmen nicht von vornherein auszuschließen.
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Treten hingegen positive Abweichungen beim Angebot an öffentlichen Gütern auf, so werden Unternehmen und Haushalte in die betreffende Gemeinde zuwandern. Das hat zur Folge, daß der Preis fUr Gewerbeflächen - ebenso wie die Höhe der Löhne - weiter steigen wird, wenn durch neue Ansiedlungen von Unternehmen zusätzliche Arbeitskräfte nachgefragt werden. Auch die Preise fUr Wohnraum und Grundstücke werden durch den Zuzug neuer Haushalte ansteigen; gleichzeitig wird das Arbeitskräfteangebot zunehmen und damit werden die Lohnsätze wieder sinken. Diese hohen Grundstückspreise können nun dazu fUhren, daß eventuell auch wieder Unternehmen und Haushalte abwandern, da sich in den übrigen Gemeinden ein niedrigeres Preisniveau ergibt. Das niedrigere Preisniveau steigert das Realeinkommen in den übrigen Gemeinden ebenso, wie das höhere Preisniveau in den durch Zuzug entstandenen Ballungsgebieten das Realeinkommen senkt. Aber auch hier können politische Aktivitäten - z.B. in Form von Subventionsgewäbrungen - dazu fUhren, daß der automatische Anpassungsmechanismus über eine Wanderung der Produktionsfaktoren verhindert wird. Wie im Fall der negativen Abweichungen kann auch hier wieder Standortwettbewerb zu einer ruinösen Konkurrenz der Gebietskörperschaften fUhren. Betrachtet man nun Verbesserungen und Verschlechterungen beim Angebot an öffentlichen Leistungen, so wirken sich beide Abweichungen insbesondere auf den Markt fUr Bauland und Wohnraum aus: Die Bodenpreise und Mieten in einer Jurisdiktion zeigen die Wertschätzung der Unternehmen und Haushalte fUr die am Standort bereitgestellten öffentlichen Leistungen an. Damit profitieren in erster Linie die Grundeigentümer von öffentlichen Leistungen, denn diese Leistungen verursachen fUr die Eigentümer des Faktors Boden eine höhere Bodenrente. Folgerichtig gibt es Vorschläge, das Angebot an öffentlichen Gütern allein über Grundsteuern zu finanzieren, um dem Äquivalenzprinzip zu genügen. 39 Damit soll zumindest ein Teil der durch öffentliche Leistungen hervorgerufenen Bodenrente abgeschöpft werden. Finanziert man lokale Leistungen demgegenüber durch Erhebung eines Pro-Kopf-Beitrags, würde diese Finanzierungsart die Grundeigentümer ent- und die übrigen Haushalte belasten. Die Nicht-Grundeigentümer zahlen quasi doppelt: einmal direkt fUr die öffentlichen Leistungen und ein zweites mal indirekt über die - durch öffentliche Leistungen verursachten - hohen Mieten bzw. Grundpreise. 40 39 Dieser Vorschlag geht auf Henry George [1879] zurück. In der neueren Literatur beschäftigen sich beispielsweise Stiglitz [1977] und Tideman [1985] mit der Anwendbarkeit des sogenannten Henry-George-Theorems und dessen Folgen. Zu einer kritischen Diskussion dieses Theorems vgl. Foldvary [1994], S. 35. 40 Innerhalb des Tiebout-Modells kann eine effiziente Allokation der öffentlichen Leistungen auch über Kopfsteuem erreicht werden, allerdings nur, wenn die Gemeinden
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Weiterhin läßt sich anband der obigen Erläuterungen darstellen, daß öffentliche Leistungen auch einen Einfluß auf die Lohnhöhe haben. Geht man jedoch von - in beiden Richtungen - flexiblen Löhnen aus, so laufen die Effekte, die sich aus dem Zuzug von Unternehmen und Haushalten ergeben, in unterschiedliche Richtungen: Während die Neuansiedlung von Unternehmen die Löhne C.p. steigen läßt, führt der Zuzug von Haushalten zu einem Rückgang der Löhne. Analoges gilt für die Abwanderung, die in den betrachteten Jurisdiktionen zu den umgekehrten Effekten führen. Durch die Analyse der Effekte auf dem Wohnungs- bzw. Grundstücksmarkt läßt sich aber auch zeigen, daß dort eine wichtige Determinante des Realeinkommens liegt. Aus den bisherigen Erläuterungen ist deutlich geworden, daß der Mechanismus "Abwanderung" in der dezentralen Organisation eines Staates zu erhebli-. chen Nebenwirkungen führen kann. Auch hier ist wieder ein Ausgleich dieser Effekte notwendig, der über Transfers zwischen den Gemeinden geregelt werden kann. Im Fall vollkommen mobiler Haushalte kommt diese Lösung automatisch zustande. Ist die Mobilität hingegen nicht vollkommen ist, kann es zu inefftzienten Wanderungen kommen. Eine weitere Einschränkung der Wirksamkeit der Abwanderung als Sanktionsmechanismus ist dann gegeben, wenn keine äquivalente Finanzierung der lokalen Leistungen erfolgt. Das kann Z.B. der Fall sein, wenn ein Finanz(ierungs)ausgleichssystem dafür sorgt, daß lokale Defizite über Zuweisungen höherer föderaler Ebenen ausgeglichen werden. Wenn diese Zuweisungen unabhängig von der Einwohnerzahl erfolgen, besteht in den Gemeinden kein Zusammenhang zwischen Abwanderung und Einnahmerückgang. Damit fehlen dann für die Gemeindemanager die Anreize für eine efftziente Bereitstellung öffentlicher Leistungen. 41 Wenn aber die Migration - anders als in den bisher die gleiche Größe haben. Vgl. MieszkowskilZodrow [1989], S. 1134. Aufgrund der Gesamtheit der Überlegungen hat sich in der neueren Literatur die Ansicht durchgesetzt, eine adäquate Finanzierung öffentlicher Leistungen sei durch eine Kombination von Grundsteuern und Gebühren zu realisieren. Dabei dienen die Gebühren dazu, die Überflillungskosten zu monetarisieren, die durch Wanderungsbewegungen ausgelöst werden können. Vgl. dazu Foldvary [1994], S. 75 sowie die dort angegebene Literatur. Diese Finanzierungsart läßt sich unter dem Vorschlag von Grossekettler subsumieren, Kollektivgüter generell über einen Grundbeitrag, der sich aus den Fixkosten der Leistungen dividiert durch die Nutzerzahl ergibt, plus einer Gebühr, die die gegebenenfalls anfallenden Überflillungskosten abdeckt, zu finanzieren. Vgl. dazu Grossekettler [1985], insbesondere S. 238-249. 41 Ähnlich auch Meisterling [1985], S. 47, der die Relevanz der Finanzierungsbedingungen flir die Ergebnisse von Tiebout herausstellt. Vgl. auch King [1992], S. 33, der darauf hinweist, daß bei einer festen Zuweisung von Finanzmitteln durch höhere Ebenen die Anpassungsfähigkeit der Gemeinden auf geänderte Wünsche der Bürger 9 Sauerland
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vorgestellten Modellen der traditionellen Ökonomik - nicht sicherstellt, daß die Präferenzen der Nachfrager-Bürger korrekt angezeigt werden und die Anbieterlurisdiktionen bei nicht-präferenzgemäßer Bereitstellung sanktioniert werden, stellt sich die Frage nach Alternativen zum Sanktionsmechanismus Abwanderung.
11. Wahlen als Alternative zur Abwanderung Spätestens seit Hirschman [1970] ist in der Literatur unumstritten, daß es neben dem Parameter "Exit" auch den Aktionsparameter "Voice" auf Seiten der Nachfrager-Bürger gibt, um den Anbietern ihre Präferenzen bezüglich der bereitzustellenden Leistungen zu offenbaren und auch um (Un)Zufriedenheit mit der bereitgestellten Qualität, Quantität und dem verlangten Preis zu signalisieren. 42 Im hier betrachteten Kontext soll keine generelle Diskussion von Wahlen, Wahlverfahren und damit verbundenen Problemen wie z.B. dem generellen (Un-)Möglichkeitentheorem von Arrow angeführt werden. 43 Es geht vielmehr um die Analyse der Wirkung von Wahlen als Alternative zur Wanderung in einem dezentralen Staatsaufbau. Dazu sollen zunächst zwei Fragen beantwortet werden, nämlich a) wer wählt und b) worüber wird abgestimmt? In demokratisch verfaßten Marktwirtschaften steht das aktive Wahlrecht i.d.R. nur einem Teil der Gesamtbevölkerung zu. 44 Der Einfachheit halber wird daher im folgenden angenommen, die Präferenzen der Wahlberechtigten seien identisch mit denen der Nicht-Wahlberechtigten, so daß das Abstimmungsresultat repräsentativ für die Gesamtbevölkerung und nicht nur für die Wahlbevölkerung ist. Die zweite Teilfrage läßt generell zwei Antworten zu. In demokratischen Gesellschaften können sowohl direkte Abstimmungen über Einzelfragen in Form von Plebisziten stattfinden, als auch Wahlen von politischen Repräsentanten. Einmal trifft damit das Wahlvolk eine unmittelbare Entscheidung (direkte Desinkt. Somit können Finanzmittelzuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs nicht nur das Müssen, sondern auch das Können der präferenzgemäßen Bereitstellung öffentlicher Güter beeinflussen. 42 Auch Musgrave [1939] und Samuelson [1954] hatten bereits die Wirkung der Wahlen als Allokationsmechanismus bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen auf nationaler Ebene untersucht. 43 Vgl. zu diesen grundlegenden Problemen im Original Arrow [1963] und als Übersicht Frey/Kirchgässner [1994], S. 144ff. oder Muel/er [1989], S. 27-37. 44 Typischerweise führen Altersgrenzen zum Ausschluß von Bevölkerungsteilen vom aktiven und auch passiven Wahlrecht.
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mokratie), zum anderen werden nur mittelbare Entscheidungen (indirekte Demokratie) in bezug auf die jeweils präferierte Politik genmt. 45 Das Gemeindemanagement als Entscheidungsträger im Tiebout-Modell wird über Wahlen im Rahmen einer repräsentativen Demokratie bestellt. 46 Tiebout ging davon aus, daß die gewählten Volksvertreter die Interessen ihrer Wähler vertreten. Die Repräsentanten verfolgen in der Ausübung ihres Amtes keine eigenen Interessen. 47 Legt man das Demokratiemodell von Downs zugrunde, orientieren sich die Politiker letztendlich an den Präferenzen des Medianwählers. 48 Da bei Tiebout allerdings die Verteilung der Bevölkerung auf die Gemeinden so ist, daß sich in den einzelnen Gemeinden Menschen mit weitgehend homogenen Präferenzen zusammenfmden, ist der Medianwähler im Tiebout-Modell gleichzeitig ein repräsentativer Durchschnittswähler. 49 Für diesen Durchschnittswähler gelten dieselben Überlegungen hinsichtlich der begrenzten Rationalität wie in seiner Rolle als potentieller Abwanderer: Auch als Wähler kann ein Mensch nicht alle Informationen verarbeiten und auch in diesem Kontext ist es nicht sinnvoll, vollständige Information anzustreben. Aus eben diesen Gründen treten im "politischen Markt" Parteien als Informationsintermediäre auf: Sie vermitteln Informationen und repräsentieren eine - aus Sicht der Wähler - kostengünstig zu erfassende Ideologie. 50 Der rational ignorante Wähler wählt daher zwischen Parteien aus, die rur ihn einfache politische Grundsätze repräsentieren. Wie aber wirken nun indirekte Wahlen in einer dezentralen Ordnung? Um die Wirkung des Wahlmechanismus in dezentralen Strukturen analysieren zu können, sei von folgenden Annahmen ausgegangen: Der Wahlmechanismus zur Erreichung einer präferenzgemäßen Bereitstellung öffentlicher Güter wird implementiert, nachdem sich in einer effizienten Wanderung der ersten Runde eine Verteilung der Bevölkerung auf verschiedene Gebietskörper-
45 Vgl. zu dieser Unterscheidung sowie neueren Entwicklungen der Analyse von Entscheidungen durch direkte und indirekte Abstimmungen EnelowlHinich [1990] sowie McKelveylOrdeshook [1990]. 46 Auf die Wirkung direkter Demokratie - auch im Vergleich zu der repräsentativen - wird hier daher nicht weiter eingegangen. Vgl. zu diesem Thema beispielsweise die Studie von Santerre [1986] und den Kommentar von DellerlChicoine [1988] sowie Santerre [1988] und [1993]. 47 Auf die Problematik dieser Annahme wird ausführlich im Kapitel G. eingegangen. 48 Vgl. CaporasolLevine [1992], S. 138-141. 49 Vgl. z.B. PogodzinskilSjoquist [1985], S. 32-38. 50 Vgl. Thöni [1986], S. 87. 9·
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schaften ergeben hat. Diese Ausgangsverteilung zeichnet sich durch eine weitgehende Homogenität der Präferenzen der Bevölkerung in den einzelnen Jurisdiktionen aus. Um die Unterschiede zwischen Wahlen in einem zentral regierten System und einem dezentral regierten aufzeigen zu können, sei ferner unterstellt, daß Entscheidungen jeweils mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Die so gewählten Gemeindevertreter setzen dann als Exekutive die Politikum, die sie in ihren Wahlprogrammen formuliert hatten und die von den Wählern präferiert wird. Das folgende Argument unterstützt die These, daß in dezentralen Strukturen mehr Informationen in den Planungsprozeß eingehen als in zentralen: Nimmt man den Staats aufbau als Möglichkeit, demokratische Elemente zu verankern, und unterstellt man weiter, daß ein Staat keine Veranstaltung ist, um die Wohlfahrt eines Monarchen oder einer Regierung zu fördern, sondern die der Bürger, tritt wieder der Aspekt der Präferenz- bzw. Bedürfnisbefriedigung hervor. Bevor die Präferenzen aber erfüllt werden können, muß man sie evaluieren. Das geschieht in der Regel über Wahlen. Wahlen in unitären Staaten betreffen immer das gesamte Staatsvolk. Wahlen in Föderationen oder anderen dezentralisierten politischen Systemen können hingegen auch die Präferenzen in Teilgebieten erheben. Hier gibt es für die Bürger bzw. Wähler mehr Möglichkeiten, sich politisch zu betätigen und auch differenziert auf Probleme, die sie mehr oder weniger stark betreffen, einzugehen. 51 Dadurch wird - in Verbindung mit der dezentralisierten ~ompetenzverteilung - eine bessere Berücksichtigung der Wählerinteressen möglich. 52 Eng mit diesem Vorteil verbunden ist die Möglichkeit der jeweiligen Regierung, die Präferenzen der Bürger dezentral besser
51 Die Auswirkungen einer solch differenzierten Wahlbeteiligung werden z.B. von Pennock [1959], S. 151 f. beschrieben. In einem solchen Fall ist möglicherweise ein Nachteil für den Föderalismus zu konstatieren, wenn nämlich die Zahl der frustrierten Wähler in einer föderalen Struktur die der Frustrierten in einem unitären Staat übersteigt. Das kann in dem von Pennock angenommenen Szenario dann der Fall sein, wenn die Beteiligung an Landeswahlen größer ist als die an Bundeswahlen und gleichzeitig die Zahl der unterlegenen Wähler auf Länderebene größer ist als die der Unterlegenen auf Bundesebene. Siehe dazu Pennock [1959], S. 152. Dieser Fall ist theoretisch möglich, erscheint praktisch aber eher unwahrscheinlich. So ist z.B. in Deutschland die Beteiligung an den Bundestagswahlen bisher stets höher gewesen als an den Landtagswahlen. Vgl. dazu Fischer [Hrsg./1990]. 52 Vgl. beispielsweise Breton/Scott [1980], S. 15ff. sowie King [1992], S. 28. Das Argument der besseren Präferenzerfassung gilt natürlich nur, wenn zwei Staaten gleicher Größe verglichen werden. Eine Alternative in Form von vielen kleinen unitären Staaten, die aus einem großen, unitären Staat hervorgehen und dann quasi die Größe der föderalen Teileinheiten haben, sei hier ausgeschlossen. Vgl. dazu auch den Hinweis von Breton/Scott [1980], S. 12.
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zu erheben. Regional begrenzte Interessen werden in dezentralen Wahlen besser vertreten als wenn sie in zentralen Wahlen entweder a) gar nicht oder b) stark nivelliert zur Disposition stehen. 53 Die positiven Folgen für das Gemeinwesen sind mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten, größere Entscheidungsfreiheit und mehr Eigenverantwortung des einzelnen. Zur Unterlegung dieses Arguments läßt sich zeigen, daß die Anzahl der Bürger, die bei der Mehrheitswahl unterliegen, in einem dezentralen System kleiner ist als in einem zentral gegliederten. 54 Angenommen, die Gesamtbevölkerung sei 99 Einwohner groß, von denen 50 eine bereitzustellende Leistung in einer gewissen Höhe präferieren, während die übrigen 49 ein anderes Bereitstellungsniveau anstreben oder gar eine andere Leistung präferieren. Beide Versorgungsniveaus sollen jeweils von einer zu wählenden Partei repräsentiert werden. Bei der Abstimmung in einem zentral gegliederten System unterliegt die Minderheit von 49 Einwohnern, während die Mehrheit mit 50 Stimmen ihre Präferenzen durchsetzen kann. Läßt man nun zu, daß sich diese beiden homogenen Gruppen in jeweils einer Jurisdiktion ansiedeln, könnten alle Präferenzen allein durch die Dezentralisierung erfüllt werden. Die Entscheidung in beiden Jurisdiktionen würde dann einstimmig erfolgen, d.h. die unterlegene Minderheit im Extremfall auf Null zurückgehen. Hebt man die extreme Annahme der vollkommenen Homogenität beider Teilgruppen auf und läßt ein gewisses Maß an Heterogenität zu, so ist die Einstimmigkeit bei Abstimmungen in den beiden Jurisdiktionen eher die Ausnahme. Bei einer echten Kampfabstimmung würden sich aber immer Mehrheiten fmden, die in der Gesamtbetrachtung größer sind als bei zentraler Abstimmung, während die unterlegenen Minderheiten immer kleiner sind. Teilt man die Bevölkerung wieder in zwei Jurisdiktion mit 49 und 50 Einwohnern auf, so ergibt sich in der Jurisdiktion mit 50 Einwohnern eine einfache Mehrheit bei einem Stimmenverhältnis von 26:24, während in der anderen Jurisdiktion eine Mehrheit von 25:24 ausreicht. Damit werden bei einer dezentralen Entscheidung mit einfacher Mehrheitregel die Präferenzen von 51 Einwohnern berücksichtigt, während 48 Einwohner unterliegen. Ein Problem, das bei Wahlen immer auftritt, so lange nicht eine einstimmige Entscheidung gefällt werden muß, ist das der Ausbeutung der unterliegenden Minderheit durch die Mehrheit. Geht man der Einfachheit halber davon aus, daß die Finanzierung der durch Wahlen beschlossenen Maßnahmen über einen Zwangsbeitrag geschieht, so zahlen die Unterlegenen die von der Mehrheit gewünschte Maßnahme mit. Für die Mehrheit ergibt sich nun der Anreiz, die 53 Vgl. z.B. Pennock [1959], S. 149. 54 Vgl. ähnlich Pennock [1959], S. 149ff. sowie Breton/Scott [1978], S. 56f.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Menge bzw. das Niveau der gewünschten Leistung höher anzusetzen als bei einer Nutzenbesteuerung, denn die so erhöhte Leistung wird von der ausgebeuteten Minderheit subventioniert. 55 Das Ausbeutungsproblem tritt sowohl bei zentralen wie auch bei dezentralen Abstimmungen auf; bei letzteren ist - wie gezeigt - die auszubeutende Minderheit kleiner. Das Maß der Ausbeutung kann aber für den einzelnen in einer kleinen Minderheit größer sein als in einer großen, da die überwälzte Belastung auf weniger Köpfe verteilt wird. Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß mit dezentralen Wahlen sich a) die Mehrheit, die ihre Präferenzen durchsetzen kann, vergrößert, b) die Minderheit, die unterliegt und ausgebeutet werden kann, kleiner wird und c) die Präferenzen der Bevölkerung insgesamt besser befriedigt werden können. Das gilt insbesondere dann, wenn von einer homogenen Einwohnerschaft gemäß einer Tiebout-Wanderung der ersten Runde ausgegangen wird. 56 Will man dieselben positiven Ergebnisse, wie sie unter a) bis c) genannt wurden, auch bei Wahlen auf zentraler Ebene erreichen, so ist das beispielsweise durch eine Veränderung des Abstimmungsmodus möglich. Wenn für die Wahl bzw. Entscheidung eine qualifizierte Mehrheit notwendig würde, ließe sich auch bei Wahlen auf zentraler Ebene die Zahl derjenigen, deren Präferenzen erfüllt werden, vergrößern und die unterlegene Minderheit verkleinern. 57 Ob mit der Veränderung des Quorums allerdings auch eine bessere, d.h. präferenzgemäßere Politik erreicht wird, erscheint zweifelhaft. Um eine qualifizierte Mehrheit für eine Entscheidung zu gewinnen, ist in der Regel über Verhandlungen erst ein Kompromiß zu fmden, der dann zur Abstimmung gestellt wird und mehrheitsfähig ist. Kompromisse zeichnen sich aber gerade dadurch aus, daß die Beteiligten wechselseitige Zugeständnisse machen, d.h. von ihrer eigentlichen Position abweichen. Kompromisse werden daher die Präferenzen verwässern, um einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. 58 Wenn die Bereitstellung öffentlicher Leistungen nicht den Präferenzen der Einwohner entspricht, werden die Entscheidungsträger der jeweiligen Jurisdik-
55 Im Extrem wird die bereitzustellende Menge so weit ausgedehnt, bis die Kopfsteuer der marginalen Zahlungsbereitschaft der Minderheit für die betreffende Leistung entspricht. 56 Es scheint aber plausibel, davon auszugehen, daß kleinere Einheiten sich tendenziell durch homogenere Mitglieder auszeichnen, so daß die obige Aussage - in abgeschwächter Form - immer gilt. Vgl. z.B. Breton/Scott [1978]. 57 Die Veränderung des Wahlmodus würde auch die mit der Entscheidungsfindung verbundenen Kosten verändern. Vgl. dazu die Ausführungen im Punkt F.I.2. 58 Die Regel einer qualifizierten Mehrheit schützt wiederum die unterlegene Minderheit nicht vor Ausbeutung.
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
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tion im Tiebout-Modell über die Abwanderung der Bürger sanktioniert. Welche Voraussetzungen müssen nun gegeben sein, damit Wahlen ähnliche Ergebnisse hervorrufen bzw. worin unterschieden sich die Mechanismen Wahlen und Wanderung? Die Möglichkeit, Wahlen als Alternative zur Abwanderung zu betrachten,ist im wesentlichen abhängig von den Eigenarten der Güter und Leistungen, die effIzient und präferenzgemäß bereitgestellt werden sollen. Wahlen können insbesondere dann keine Alternative zur Wanderung sein, wenn die bereitzustellenden Leistungen räumlich gebunden sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die gewünschten Leistungen mit Faktoren produziert werden, die am alten Standort nicht vorhanden sind. 59 Bei anderen Leistungen kann aber der Wahlmechanismus - unter Vernachlässigung der angeführten Informations-. probleme - durchaus eine Alternative zur Wanderung darstellen. So ist es z.B. nicht notwendig, in ein anderes Land zu ziehen, um ein anderes Sozialversicherungssystem als das am Wohnort bestehende zu nutzen. Eine Verbesserung der eigenen Situation in dieser Hinsicht läßt sich auch dadurch erreichen, daß die eigene Regierung durch politische Aktivitäten dazu veranlaßt werden kann, ein entsprechendes System im eigenen Land bereitzustellen. Unabhängig vom Verhalten der Politik im jeweiligen Standort können die Bürger ihre Situation bzw. ihr Versorgungsniveau dann verbessern, wenn sie z.B. zwischen den bereits angeführten Versicherungssystemen unterschiedlicher Iurisdiktionen frei wählen können. Sie müssen dann nicht mehr die Regierung im eigenen Land abwählen, sondern sie sanktionieren Teile der öffentlichen Leistung durch Abwanderung, ohne jedoch den Standort zu verlassen. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Alternative ist wiederum wettbewerbliches Verhalten: hier der Versicherungsträger. Aber auch das ist zunächst nicht notwendig: Kann die Regierung über Wahlen dazu veranlaßt werden, beispielsweise mit dem anderen Land eine Beitrittsmöglichkeit für Gebietsfremde auszuhandeln, so reicht der offene Zugang bzw. die freie Wahl zwischen verschiedenen Sozialversicherungssystemen aus, um den Wettbewerb der Systeme bzw. der Länder zu initiieren.6° Dazu ist dann weder die physische Abwanderung der Bevölkerung noch eine Abwahl der bestehenden Regierung notwendig. 59 Um zum Tiebout-Modell zurückzukommen: Es ist z.B. unmöglich, über Wahlen die Bereitstellung öffentlicher Strände in einer Bergregion zu erreichen und vice versa. Hier gibt es keine Alternative zur Abwanderung, um in den Genuß der jeweiligen Leistung zu kommen. Anders stellt sich natürlich die Lage dar, wenn es um die Bereitstellung von Hallenbädern geht. 60 Vgl. zu solchen Vorschlägen z.B. Elazar [1985] sowie Vanberg/Buchanan [1990], S. 23ff.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
So wie im Fall der Sozialversicherung ist es bei der Mehrzahl der bereitgestellten öffentlichen Leistungen möglich, diese in verschiedenen Regionen anzubieten, da i.d.R. keine ortsspezifischen Faktoren zur Versorgung benötigt werden. 61 Allerdings muß wieder berücksichtigt werden, daß fUr eine wirksame Nutzung des Mechanismus Wahlen ähnliche Anforderungen an den Informationsstand der Nachfrager-Bürger gestellt werden wie bei der Wanderung. Um zu erkeIl1len, daß die Situation am eigenen Standort verbessert werden kann, muß man wissen, daß das Nutzenniveau an einem anderen Standort höher ist als am eigenen. Zusätzlich muß man - um eine Verbesserung über Wahlen erreichen zu können - die politischen Alternativen zur aktuellen Politik der amtierenden Regierung kennen. Die Beschaffung dieser Informationen ist auch bei Einschaltung von Informationsmittlern - mit Kosten verbunden und fUhrt dazu, daß auch bei Wahlen Entscheidungen unter rationaler Ignoranz gefällt werden. 62 Sowohl beim Sanktionsmechanismus Wahlen als auch bei der Wanderung geht es letztendlich darum, die Politik der Entscheidungsträger im jeweiligen Standort zu sanktionieren bzw. die Unzufriedenheit mit der Politik zu zeigen und die eigene Situation zu verbessern. Die Entscheidung, Druck auszuüben bzw. durch Wahlen oder Wanderungen politisch aktiv zu werden, fällt aufgrund des Vergleichs von zwei - oder mehr - alternativen Politikangeboten: Während bei der Wanderung das Angebot von zwei amtierenden Regierungen stammt, deren Politik erkennbar ist, tritt als zweiter Anbieter bei Wahlen i.d.R. die Opposition zur amtierenden Regierung auf. Sie bietet ein politisches Programm an, das eine Verbesserung des Versorgungsniveaus verspricht. Zur Auswahl stehen immer zwei oder mehr Alternativen: Während bei der Wanderung eine alternative Politik ausgewählt wird, indem man den Standort wechselt, wird bei Wahlen eine andere Politik ausgewählt, ohne den Standort zu verlassen. Auch fUhrt die Nutzung der Abwanderungsoption unter der Annahme der Entscheidungssicherheit immer dazu, die eigene Situation zu verbessern, während das bei Wahlen nicht zwangsläufig der Fall ist. 63 Voraussetzung dafUr, daß bei Wahlen echte Alternativen zur Abstimmung stehen, ist das Funktionieren des politischen Wettbewerbs. Dieser fUhrt dazu, daß bei Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Leistungen der amtierenden
61 Diese Art der konkurrierenden Bereitstellung zwischen nicht räumlich definierten Kollektiven wird in der Literatur unter dem Begriff "consociationalism" diskutiert. Vgl. dazu - auch in Abgrenzung zum räumlich definierten Föderalismus - insbesondere Elazar [1987], S. 18-26. 62 Vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt E.II. 63 Zur Begründung dieser These vgl. Kapitel F., Abschnitt 11.
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
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Regierung die Opposition tatsächlich als Anbieter von Politikalternativen auftritt. Orientieren sich die Parteien am Medianwähler, so wird auch die Regierungspartei ihr Handeln ändern, um an der Regierung zu bleiben. Immer dann also, wenn der politische Wettbewerb funktioniert, d.h. keine politische Kartellbildung oder ähnliches vorliegt, kann unter den oben genannten Bedingungen über Wahlen ein ähnliches Ergebnis in bezug auf das eigene Nutzenniveau erreicht werden wie durch einen Standortwechsel. 64 Aufgrund der angeführten Überlegungen ist deutlich geworden, daß bei wettbewerblichem Verhalten der Parteien innerhalb einer Region auch Wahlen dazu führen können, daß die Versorgungssituation der Bevölkerung verbessert wird. Liegen die notwendigen physischen Voraussetzungen der bereitzustellenden öffentlichen Leistungen vor - was bei der Mehrzahl der bereitgestellten Leistungen der Fall sein dürfte -, so bilden Wahlen durchaus eine Alternative zum Sanktionsmechanismus Abwanderung und müssen in den nachfolgenden Überlegungen zur dezentralen Staatsgliederung mit berücksichtigt werden.
III. Folgerungen Es hat sich gezeigt, daß der Wanderungsmechanismus bei Einführung der Bounded-rationality-Hypothese und unter Berücksichtigung unvollständiger Information der Nachfrager-Bürger nicht so wirksam ist, wie beispielsweise im Tiebout-Modell mit seinen restriktiven Prämissen unterstellt wurde. Die Einbeziehung der räumlichen Wirkung der Wanderung zeigte weitere Grenzen der "Abstimmung mit den Füßen" zur Realisierung einer effIzienten Bereitstellung von öffentlichen Leistungen bzw. einer effIzienten Allokation der Bevölkerung im Raum. Damit wird - wie gezeigt - die "Abstimmung mit den Händen" eine Alternative zur Abstimmung mit den Füßen. Auch dieser Mechanismus funktioniert jedoch nicht perfekt; mit ihm lassen sich aber insbesondere bei dezentral gegliederten politischen Systemen gute Ergebnisse in Form einer präferenzgemäßen Bereitstellung öffentlicher Leistungen erzielen.
64 Auf die möglicherweise vorhandenen Anreize der politischen Akteure, auch den Wettbewerb der Regierung mit der Opposition zu beschränken, wird im Kapitel G. eingegangen. Ähnliche Überlegungen gelten allerdings auch für die Wanderung: Nur wenn zwischen den Regionen Wettbewerb herrscht, bieten sich Alternativen; finden sich hingegen die verschiedenen Regionen zu einem Kartell zusammen, fallen auch dort die möglichen alternativen Politikangebote weg. Allerdings treten bei der Verbesserung des Nutzenniveaus allein über Wahlen nicht die externen Effekte auf, die die Wanderung auslöst bzw. verursacht.
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Teil I: Dezentralisierte politische Systeme und traditionelle Ökonomik
Wenn aber nun zwei Mechanismen zur Erreichung dieser Ergebnisse existieren, stellt sich unmittelbar die Frage, welcher Mechanismus "besser" ist und auch ob sich die Mechanismen möglicherweise ergänzen. Wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird, ist diese Frage nicht generell zu beantworten. Die zu beantwortende Frage lautet vielmehr: Wann ist welcher Mechanismus angemessen einzusetzen? Wie diese Formulierung schon andeutet, erfolgt im nächsten Kapitel der Übergang zur Analyse des dezentralen Staats aufbaus aus der Sicht der Neuen Institutionenökonomik. Ihr typischer Focus liegt in der Analyse der Vorteilhaftigkeit unterschiedlicher institutioneller Arrangements. Dazu gehört die Staatsgliederung als Aufbauorganistion ebenso wie die unterschiedlichen Mechanismen, die - wie oben gezeigt - alternativ zur Verfügung stehen, um die (Un-) Zufriedenheit der Bürger mit den Leistungen der jeweiligen politischen Entscheidungsträger zu offenbaren. Gradmesser zur Beantwortung nach der jeweiligen Vorteilhaftigkeit von Wahlen oder Wanderung ist dabei zum einen die Eignung des jeweiligen Mechanismus und zum anderen seine EffIzienz, im Sinne von Wirtschaftlichkeit. Sind beide Mechanismen in einer gegebenen Situation gleichermaßen geeignet, die präferenzgemäße Bereitstellung öffentlicher Leistungen sicherzustellen, so sollte derjenige Mechanismus gewählt werden, der die geringeren Kosten verursacht. Gleichzeitig muß aber wieder berücksichtigt werden, daß auch die Kosten, die mit seinem Einsatz verbunden sind, die Eignung eines Mechanismus determinieren: Sind die Kosten der Anwendung unverhältnismäßig hoch, so ist - trotz eventuell guter Wirksamkeit - gegebenenfalls ein anderer Mechanismus zu wählen, der dann ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist. Vergleicht man Wanderung und Wahlen, so unterscheiden sie sich hinsichtlich der Intensität der Sanktionierung: Die Abwanderung ist das direktere, deutlichere Instrument und gibt der Regierung nicht die Chance, die Nutzensituation der abwandernden Nachfrager-Bürger zu verbessern. Allenfalls diejenigen, die nicht unmittelbar abwandern, profitieren von Verbesserungen der Versorgungs situation, die möglicherweise durch die Abwanderung anderer Bürger induziert werden. Im Markt für private Güter wird der entsprechende Anbieter bei einer Abwanderung von Nachfragern durch Umsatz- und/oder Gewinneinbußen bestraft. Analoges gilt für Jurisdiktionen, aus denen Einwohner abwandern. Wie gezeigt, induzieren Abwanderungen Folgeprobleme, wenn von einer Äquivalenzfinanzierung der öffentlichen Leistungen ausgegangen wird. Die Steuerlast pro Kopf steigt und damit entsteht ein neuer Abwanderungsschub, der durch Transferzahlungen anderer Gebietskörperschaften verhindert werden muß.65
E. Grenzen der Abwanderung und Wahlen als Alternative
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Hingegen hat die Meinungsäußerung im Sinne des "Voice" eine geringere Eingriffsintensität. Hier drohen die Nachfrager zunächst nur damit, Umsatz beziehungsweise Gewinneinbußen zu erzeugen. Auch fällt der Nutzen, den eine Verbesserung der Bereitstellungsleistungen verursacht, denjenigen zu, die die schlechte Versorgungs situation sanktioniert hatten: den Bürgern. Aufgrund der unterschiedlichen Intensität kann die Option des Voice der Option des Exit vorgelagert sein; erst dann, wenn man keine Möglichkeit mehr sieht, über Meinungsäußerung zum Erfolg zu kommen, wird die Abwanderung das Mittel der Wahl. Hirschman fuhrt die Wahl der Mittel aus Sicht der Nachfrager auf den Grad der Verbundenheit mit dem jeweiligen Anbieter zurück. Diese emotionale Verbundenheit läßt sich - wie zu zeigen sein wird - mit Hilfe von Überlegungen der Transaktionskostenökonomik in ökonomische Kosten- beziehungsweise Nutzengrößen übersetzen. 66 Die Untersuchung der Kosten, die bei der Nutzung der Sanktionsmechanismen Wahlen und Wanderung sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich entstehen, ist daher Gegenstand des nächsten Kapitels.
65 Auf die Schwierigkeiten, die mit dieser Argumentation verbunden sind, war bereits weiter oben im Kapitel C. hingewiesen werden.
66 Hirschman [1970] unterscheidet nicht nur zwischen "exit" und "voice", sondern auch in "loyalty". Der Bereich Loyalität ist in dieser Terminologie gekennzeichnet durch Unzufriedenheit, die allerdings nicht so groß ist, als daß sie irgendeine Aktion lohnend erscheinen ließe. Dieses Verhalten kann auch mit der Annahme des Satisficing umschrieben werden.
Teil 2
Dezentralisierte politische Systeme und Neue Institutionenökonomik
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung Im ersten Teil dieser Arbeit konnte mit Hilfe der traditionellen ökonomischen Ansätze zur Analyse dezentralisierter Staatsgliederungen gezeigt werden, daß bei einer dezentralen Bereitstellung öffentlicher Leistungen effiziente Ergebnisse erreicht werden können, ohne daß eine zentrale Instanz ausgleichend oder moderierend eingreifen muß. Dieses Ergebnis kam unter anderem deswegen zustande, weil die notwendigen Verhan4lungen über die Höhe der Transferzahlungen zwischen den beteiligten lurisdiktionen unproblematisch waren. Aufgrund der Nebenbedingung, daß eine Optimierung der Versorgung mit öffentlichen Leistungen bei freier Wanderung der Bürger nur dann erreicht werden kann, wenn die Nutzenniveaus in den verschiedenen Gemeinden bzw. Regionen ausgeglichen sind, bestand eine Zielidentität der einzelnen Gebietskörperschaften auf einer jurisdiktionalen Ebene. Neuere Arbeiten unterstreichen, daß die effizienten Versorgungs ergebnisse im· wesentlichen davon abhängen, ob tatsächlich von vollständiger Mobilität der Bevölkerung ausgegangen werden kann. l Bei Annahme von unvollkommener Mobilität kommen die betreffenden Autoren zu dem Schluß, daß durchaus Bedarf fiir die Einschaltung einer zentralen Stelle besteht. Alle Arbeiten gehen davon aus, daß unvollständige Mobilität vorliegen kann, wenn in die Nutzenfunktion der Individuen auch eine Nutzenkomponente aus dem Wohnen an einem bestimmten Standort eingeht. Dieser Nutzen wird nicht näher spezifIziert, seine Determinanten bleiben offen. Im folgenden Abschnitt wird eine transaktionskostenökonomische Begründung fiir
1 Vgl. dazu beispielsweise MansoorianlMyers [1993] sowie Wellisch [1993], [1994] und [1995].
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
diesen Nutzen geliefert und seine Determinanten werden herausgearbeitet. Wie zu zeigen sein wird, läßt sich dieser Nutzen, an einem bestimmten Standort zu leben, in Kosten der Abwanderung umdefmieren. Diese Kosten schränken die Mobilität der Bevölkerung ein. Neben den Kosten der Abwanderung werden auch die Kosten des Wählens analysiert, um die am Ende des letzten Abschnitts aufgeworfene Frage nach der sinnvollen Anwendung beider Mechanismen beantworten zu können. Gleichzeitig erfolgt damit der Übergang von der Analyse einer rein dezentralen Staatsgliederung zu einer föderalen Gliederung, denn die Kosten auf Seiten der Nachfrager werden fiir unterschiedliche jurisdiktionelle bzw. föderale Ebenen betrachtet. Aber nicht nur die Kosten, die auf Seiten der Nachfrager-Bürger durch ihre politischen Aktivitäten entstehen, sind bisher vernachlässigt worden. So wurde beispielsweise bei der Analyse der Verhandlungen zwischen den Jurisdiktionen, in denen die Höhe der notwendigen Transferzahlungen bestimmt werden, angenommen, daß diese Verhandlungen keine Kosten verursachen. Daß diese Annahme unrealistisch ist, wird deutlich, wenn die Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen aufgezeigt werden. Auch diese Kosten, die aus der jeweiligen Staatsgliederung und dem aus ihr resultierenden Koordinationsbedarf zwischen den Jurisdiktionen entstehen, werden wiederum mit Hilfe des Instrumentariums der Transaktionskostenökonomik betrachtet. Bevor aber diese Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen untersucht werden, soll zunächst auf die Kosten eingegangen werden, die fiir die Bürger mit der Nutzung der Mechanismen Voice und Exit verbunden sind.
I. Die Nachfragerseite: Kosten der politischen Beteiligung
Die Logik, die zur Wirksamkeit der Wanderung als Sanktionsmechanismus führt, liegt in der Ausnutzung von Arbitragemöglichkeiten durch die Bevölkerung. Diese Arbitrage, die immer dann durchgefiihrt wird, wenn beispielsweise das Nutzenniveau eines Bürgers in Jurisdiktion B höher ist als das vergleichbare Niveau in A, verursacht die Zielidentität bzw. Verbundenheit der Entscheidungsträger in den verschiedenen Jurisdiktionen. Gibt es aber Fälle, in denen diese Nebenbedingung, d.h. der interjurisdiktionelle Ausgleich der Nutzenniveaus, fiir die optimale Bereitstellung bzw. die Versorgung der Bevölkerung nicht gilt? Diese Frage läßt sich beantworten, wenn man sich die Kosten der politischen Aktivitäten der Bürger vergegenwärtigt. Das Kriterium fiir eine vorteilhafte politische Betätigung der Bürger beim Vorliegen von Abweichungen der aktuellen Politik bzw. Versorgung von den Präferenzen der Nachfrager-Bürger lautet bisher: Ergreife Sanktionsmaßnahmen, wenn beispielsweise gilt, daß der Nutzen in Gemeinde B höher ist als der
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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in A (U B > U A) oder anders formuliert, daß die Differenz zwischen dem Nutzenniveau in B und dem in A positiv ist (UB - U A > 0). Ist diese Bedingung erfüllt, lohnt die politische Aktivität für den einzelnen Bürger, weil seine Situation bzw. sein Nutzenniveau sich verbessert. Wenn nun aber die politische Aktivität nicht - wie bisher unterstellt - kostenlos ist, sondern die Nutzung bzw. Ausübung der Voice- oder Exit-Option selbst Kosten verursacht, wird der Umfang der möglichen Arbitragepotentiale eingeschränkt. Unter Berücksichtigung dieser Kosten lautet das individuelle Kalkül für einen Bürger: ergreife entsprechende Sanktionsmaßnahmen erst dann, wenn gilt: U B > U A + TK bzw. U B - UA - TK > 0. 2 Die Gültigkeit des neuen Kriteriums hat Z.B. Auswirkungen auf die Fähigkeit des Wanderungsmechanismus, eine effiziente Bereitstellung bzw. Versorgungssituation zu gewährleisten. Da nun das Gleichgewichtskriterium, bei dem keine effiziente Wanderung mehr möglich ist, nicht mehr im Ausgleich des Nutzenniveaus liegt, besteht auch keine Zielidentität der Entscheidungsträger. Hier tun sich für die einzelnen Regierungen Möglichkeiten auf, z.B. Ausbeutungspotentiale zu nutzen und den Nutzen der eigenen Bevölkerung auf Kosten anderer Jurisdiktionen zu maximieren. Es gilt daher im folgenden zu ermitteln, ob solche Kosten der politischen Betätigung bestehen und wie hoch sie sind, denn aus der Höhe der Kosten ergeben sich die Autarkie-Spielräume der jeweiligen Jurisdiktion. Daß die Nutzung von Allokations- und Sanktionsmechanismen nicht mit Kosten verbunden ist, gilt in der Literatur spätestens seit Coase [1937] als widerlegt. 3 Coase zeigte, daß es auf Märkten für private Güter "a cost of using the price mechanism"4 gibt, die dafür verantwortlich sind, daß es neben der Allokation von Produktions faktoren und Marktgütern über den Marktpreis auch eine Allokation von Faktoren und Gütern innerhalb von Unternehmen gibt und zwar über den Allokationsmechanismus "Anordnung". Dieser Mechanismus kann nämlich in vielen Fällen kostengünstiger eingesetzt werden als der Preismechanismus. Solche Transaktionskosten gibt es aber nicht nur bei der Nutzung des Preismechanismus. Vielmehr gibt es generelle "costs of running the economic system"5; d.h. mit dem Einsatz jedes Allokations- oder Sanktionsmechanismus sind Kosten verbunden. 6
2 Die Variable TK steht flir die Transaktionskosten der politischen Betätigung. 3 Vgl. Coase [1937].
Coase [1993], S. 21. 5 Diese Definition von Transaktionskosten findet sich bei Arrow [1969], S. 48. 6 Zur Transaktionskostenökonomik vgl. grundlegend Williamson [1993a].
4
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
1. Die Kosten der Abwanderung
So wie durch die Nutzung des Preismechanismus im Markt Kosten verursacht werden, ist auch jede Migration7 mit Kosten verbunden. 8 Zu diesen Kosten zählen im wesentlichen Suchkosten, Raumüberwindungskosten und solche Kosten, die aus der Entwertung spezifischer Investitionen in soziale Beziehungen resultieren. Wenn die Versorgungssituation in einer Jurisdiktion so schlecht wird, daß der betroffene Einwohner9 an eine Abwanderung denkt, muß er zunächst eine gute Alternative zum aktuellen Standort finden. Um die Güte einer anderen Jurisdiktion einschätzen zu können, muß der potentielle Abwanderer Suchkosten aufwenden. \0 Abhängig vom Ziel der Bürger, ihre Präferenzen punktgenau oder nur auf einem befriedigenden Anspruchsniveau erfüllt zu bekommen, sind diese Such- und Informationskosten im ersten Fall höher als im letzteren. Die Höhe der Suchkosten hängt aber nicht nur vom Anspruchsniveau ab. Auch der gesuchte Faktor hat Einfluß auf die Aufwendungen, die für entsprechende Informationen notwendig sind. Die Höhe der Informationskosten in bezug auf die Eigenschaften eines Gutes sind davon abhängig, ob es sich um ein Inspektions-, ein Erfahrungs- oder ein Vertrauensgut handelt. So ist es beispielsweise leichter, Informationen über die Qualität der Hallenbäder in einer Gemeinde zu bekommen, als über die Qualität der Schulen oder der medizinischen Versorgung. I I Zudem sind die Informationskosten höher, je weiter
7 Im folgenden werden - wie bisher - die Begriffe Exit, Migration, Wanderung und Abwanderung synonym verwandt. 8 Vgl. BretoniScott [1978] und [1980]. 9 Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf das Abwanderungskalkül von BürgernlHaushalten. Auf entsprechende Analogien/Abweichungen bei der Migration von Unternehmen wird an den jeweiligen Stel1en verwiesen. 10 Hier sei die bereits oben gemachte Annahme getroffen, daß keine vol1ständige beziehungsweise vol1ständig kostenlose Information der Wirtschaftssubjekte existiert. Vgl. die Ausführungen zur Bounded rationality unter Punkt E.I.l. 11 Während bei Inspektionsgütern die Qualität durch einfache und kostengünstige Betrachtung erkennbar wird, ist bei Erfahrungsgütern die tatsächliche Nutzung notwendig, die mit dem Kauf oder zumindest einer leihweisen Nutzung verbunden ist. Diese Qualitätserhebung ist i.d.R. mit Kosten verbunden. Bei Vertrauensgütern ist hingegen aufgrund z.B. der Langlebigkeit solcher Güter ein nur einmaliger Kauf während der Lebenszeit eines Individuums wahrscheinlich, so daß keine eigene Erfahrung aufgebaut werden kann. Hier muß der potentiel1e Käufer sich auf die Informationen verlassen, die ihm ein Berater gibt. Dieser wird - wegen seines Wissens um die Notwendigkeit der Beratung - seine Leistungen ebenfal1s nicht unentgeltlich erbringen. Zur
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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der potentielle neue Wohnort vom alten entfernt liegt: Kann man bei direkt an den aktuellen Standort angrenzenden Gemeinden noch relativ leicht und günstig an Informationen gelangen, ist dies bei weiter entfernten nur schwerer und aufwendiger möglich. 12 Die Such- und Informationskosten steigen somit c.p. mit wachsender Entfernung zwischen dem alten und neuen Wohnort an. Zu diesen Kosten kommen die reinen Raumüberwindungskosten hinzu. 13 Sie umfassen beispielsweise die Transportkosten des Hausrats von einer Gemeinde in die andere. Es erscheint plausibel anzunehmen, daß diese Kosten um so höher sind, je weiter der Transportweg ist. Mithin sind auch die Raumüberwindungskosten eine Funktion der Entfernung zum neuen Standort. Eine dritte wichtige Kostenkomponente besteht in jenen sozialen Kosten, die aus dem Verlassen des gewohnten sozialen Umfelds resultieren. Im Gegensatz" zu den beiden erstgenannten Komponenten fehlen die sozialen Kosten üblicherweise in den Modellen des ökonomischen Föderalismus. 14 Sie sind naturgemäß weit weniger gut zu quantifizieren als die anderen, lassen sich aber mit Hilfe von Überlegungen der Transaktionskostenökonomik zumindest grob bestimmen. Wie aber lassen sich die sozialen Kosten der Abwanderung in ökonomische Größen übersetzen? Durch das Leben in einer Gemeinde wird jeder Bürger Teil eines sozialen Umfelds, das aus vielfältigen sozialen Kontakten besteht. 15 Neuansiedler müssen sich erst in dem bereits bestehenden Netzwerk aus Kontakten und Verbindungen zurechtfinden, und dieses Einleben in einer neuen Umgebung braucht Zeit. So muß ein Neuansiedler im einfachsten Fall zunächst erlernen bzw. erfahren, wo z.B. günstige und gute Einkaufsmöglichkeiten vorhanden sind, wo
Unterscheidung von Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern vgl. Nelson [1970]. 12 Als Beispiel aus dem Bereich der privaten Güter kann die Wohnungssuche bei Standortwechseln gelten: Kann man in nahegelegenen Gemeinden noch Wohnungen tatsächlich in Augenschein nehmen, so ist die Wohnungssuche in weiter entfernt gelegenen Orten allein deshalb teurer, weil man Raumüberwindungskosten für eine optische Inspektion in Kauf nehmen muß, oder - alternativ - teUTe Makler einschaltet. 13 Vgl. Breton/Scott [1978], S. 32. 14 Sie werden z.B. in den Werken von Breton und Scott nicht berücksichtigt. 15 Dieses soziale Netzwerk wird von Coleman [1990], S. 30 I ff. mit Bezug auf Loury [1977] und [1987] als Social capital definiert. In Colemans Definition ist dieses Kapital produktiv, weil es dem jeweiligen Nutzer Erwartungssicherheit über das Verhalten der anderen Gemeinschaftsmitglieder gibt. Der hier verwendete Ansatz ist ähnlich, betrachtet aber den Aufbau und die Erhaltung dieses Kapitals als individuelle Investitionsentscheidung. \0 Sauerland
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
eine angenehme Gastronomie zu fmden ist und wo gute Ärzte niedergelassen sind. Diese Dinge herauszufmden kostet Zeit; dieser Zeiteinsatz verursacht zunächst Kosten, stiftet aber in der Zukunft weiterhin Nutzen. Mit anderen Worten: Man investiert in Kenntnisse der spezifischen Gegebenheiten eines Wohnortes. Bleibt man nämlich lange genug an einem Ort, so zahlen sich diese Kenntnisse aus, da man langfristig Suchkosten einsparen kann. Diese Kenntnisse sind allerdings nur im jeweiligen Wohnort wertvoll. Verläßt man diesen Ort, um in einem anderen zu ziehen, so werden die getätigten Investitionen entwertet: Das gute Verhältnis zu den Nachbarn, die Kenntnis guter Einkaufsmöglichkeiten und anderes Wissen um Besonderheiten am alten Wohnort sind in der neuen Umgebung wertlos. In der Terminologie der Transaktionskostenökonomik werden durch Abwanderung spezifische Investitionen entwertet. 16 Während aber die bisher genannten Investitionen relativ niedrig sind, sind andere soziale Kontakte in der Regel weitaus wertvoller. So kann z.B. auch der Aufbau eines Bekannten- und/oder Freundeskreises als spezifische Investition in soziale Kontakte aufgefaßt werden. Allerdings wird eine Abwanderung gerade in dieser Hinsicht höhere Kosten verursachen, da der Aufbau eines solchen Netzes deutlich höhere Kosten - durch höheren Zeiteinsatz - verursacht. Auch diese Kontakte werden mit steigendem Abstand stärker entwertet. Da sie jedoch in der Regel aus Sicht des Abwanderers wertvoller sind, werden solche Kontakte oft auch über weite Entfernungen hinweg gepflegt - unter Umständen recht kostspielig. Im Gegensatz zu den erstgenannten Ortskenntnissen lassen sich soziale Kontakte über die heute zur Verfügung stehenden Kornmunikationstechnologien relativ gut erhalten. Festzuhalten bleibt damit, daß die Entwertung spezifischer Ortskenntnisse und sozialer Kontakte am alten Wohnort eine zwar intangible, aber erhebliche Kostenkomponente darstellt. 17 Die mit der weiteren Nutzung dieser Investitio-
16 Vgl. Williamson [1979], S. 238-244 oder kürzer (1993], S. 13 für die Definition der Spezifität in der Transaktionskostenökonomik. Spezifische Investitionen sind generell dadurch gekennzeichnet, daß sie allein in der ex ante geplanten Verwendung den maximalen Nutzen stiften. Mit anderen Worten werden solche Investitionen in anderen, zweckfremden Verwendungen einen deutlich geringeren Nutzen stiften. Diese Kosten aufgrund der Entwertung spezifischen Sozialkapitals werden von Breton und Scott nicht berücksichtigt. Die Rolle spezifischer Investitionen in interpersonelle Beziehungen wird aber teilweise im Rahmen der Theorie der Firma untersucht. Vgl. beispielsweise MajumdarlRamaswamy [1994], S. 376 sowie die dort in Fußnote 3 angegebene Literatur. 17 Diese Aussage gilt nicht nur für Haushalte. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch für den Standortwechsel von Unternehmen anstellen. So können hohe Neuinvestitionen beispielsweise dann notwendig werden, wenn das Rechtssystem, in dem bisher
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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nen verbundenen Kosten, die im wesentlichen aus Raumüberwindungskosten bestehen, verändern sich insbesondere durch Innovationen auf dem Gebiet der Verkehrsmittel und der Kommunikationstechnologie. Sinken die daraus resultierenden Kosten, so sinkt auch die Entwertung der spezifischen Kontakte und eine Abwanderung wird dadurch kostengünstiger. 18 Noch höhere Kosten entstehen, wenn die Abwanderung nicht innerhalb eines Staates bzw. eines Kulturkreises stattfindet. Nun werden eventuell noch größere Investitionen entwertet, wenn erlernte Verhaltensregeln nicht mehr mit den Verhaltensregeln in der neuen Gemeinde kompatibel sind. 19 Augenscheinlich treten bei der Abwanderung von Individuen beispielsweise enorme Probleme - sprich Kosten - auf, wenn die alte Muttersprache nicht mehr mit der neuen Landessprache übereinstimmt. 20 Es erscheint wiederum plausibel anzunehmen, daß die Entwertung der beschriebenen Kenntnisse um so stärker ist, je weiter der neue Standort vom alten Standort entfernt ist: Bei einem Umzug in eine Nachbargemeinde lassen sich die Einkaufs- und Gastronomiekenntnisse am alten Wohnort zumindest teilweise weiterhin nutzen. Beim Umzug in eine weiter entfernte Gemeinde werden sie in der Regel vollständig entwertet, weil die Kosten der Raumüberwindung im Verhältnis zum Nutzen aus den spezifischen Investitionen dominieren. Aber auch der Grad der Homogenität der Regeln in beiden Orten ist - wie gezeigt - relevant für die Höhe der Abwanderungskosten. Somit steigen die Kooperiert wurde, nicht mehr gültig ist und das neue System keine oder wenig Ähnlichkeit mit dem alten hat. Auch die Entwertung regionaler Netzwerke, so z.B. von Zuliefererbeziehungen, die am neuen Standort erst wieder aufgebaut werden müssen, fallen unter diese Rubrik. Üblicherweise ist es aber aufgrund des unter Punkt E.1.2. beschriebenen Standortwettbewerbs bei der Ansiedlung von Unternehmen so, daß diese Kosten am neuen Standort durch entsprechende Subventionen gemindert werden. Herrscht am "neuen Standort" ein Arbeitskräftemangel, so sind auch Umzugsbeihilfen und Subventionen flir die Neuansiedlungen von Arbeitnehmern vorstellbar. 18 So dürfte die weite Verbreitung privater PKW und Telefone die Möglichkeit der Aufrechterhaltung solcher Kontakte stark verbessert haben, weil sie insgesamt die Migrationskosten senkten und damit die Mobilität der Bevölkerung erhöhten. 19 Vgl. dazu ausflihrIich die Ausflihrungen im Kapitel H. 20 Die Auswirkungen unterschiedlicher Sprachen auf wirtschaftliche Beziehungen untersuchen z.B. BretonlMieszkowski [1977]. Insbesondere auch die geringere Mobilität der Bürger innerhalb des Wirtschaftsraums der Europäischen Union im Vergleich zu gewachsenen bestehenden Föderationen wie die USA oder Deutschland, auf die z.B. Wellisch [1994] S. 169 verweist, können auf Sprachbarrieren bzw. hohe notwendige Neuinvestitionen in Sozialkapital zurückgeflihrt werden. Ähnlich z.B. NijkamplSpiess [1993], S. 238. Vgl. auch die Schätzung von PenninxlMuus [1991] flir die Entwicklung der Wanderungsströme in der EU nach dem Errichten des Binnenmarktes. 10'
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
sten aus der Entwertung spezifischer Investitionen am alten Wohnort sowohl mit steigender Entfernung des neuen Wohnorts als auch mit steigender Heterogenität der Regeln zwischen den beiden Standorten an. 21 Die absolute Höhe der potentiell zu entwertenden Investitionen läßt sich im wesentlichen auf zwei Teilaspekte zurückfuhren: Zunächst ist das Lebensalter der Betroffenen entscheidend, daneben auch deren Verweildauer am zu verlassenden Standort. Ist diese Verweildauer kurz, so bestehen i.d.R. weniger soziale Kontakte, die bei einer Abwanderung entwertet werden. Mit längerer Verweildauer an einem Ort werden die potentiell zu entwertenden spezifischen Investitionen immer größer. Das bedeutet, daß insbesondere bei älteren Menschen, die lange an einem Ort gewohnt haben, die Abwanderungskosten sehr hoch - wenn nicht gar prohibitiv - sein werden. Im Gegensatz dazu werden allein aus diesem Grund junge Leute einen höheren Mobilitätsgrad aufweisen;22 das gilt insbesondere dann, wenn sie nicht zum ersten mal abwandern. Jüngere Menschen sind auch deshalb mobiler, weil sie - nach einer Abwanderung - die am neuen Standort getätigten Investitionen in ein soziales Umfeld noch über einen längeren Zeitraum nutzen können als ältere. Somit sinken die sozialen Kosten der Abwanderung, während gleichzeitig der ab diskontierte Nutzen der Neuinvestitionen in Abhängigkeit vom Lebensalter steigt. Menschen, die schon mehr als einmal abgewandert sind, haben wiederum Erfahrungen mit der Abwanderung, somit spezifische Investitionen in Abwanderungsaktivitäten gebildet. Für diese Personen ist eine Abwanderung leichter als fur solche, die erstmalig abwandern, da sie gelernt haben, soziale Kontakte neu aufzubauen. Im Extremfall haben "Häufigwechsler" sogar den Ameiz, weiterhin umzuziehen, da ansonsten ihre spezifischen Investitionen in Abwanderungs-know-How entwertet würden. 23 Aggregiert man die angefuhrten einzelnen Kostenkomponenten zu den gesamten Kosten der Nutzung des Allokationsmechanismus Migration, so steigen diese mit der räumlichen Größe der betrachteten Jurisdiktion. Geht man weiter
21 Mit dem Konzept der sozialen Kosten kann die These von Mansoorian/Myers [1993] und Wellisch [1995] begründet werden, daß neben dem Nutzen aus der Güterversorgung auch ein Teilnutzen daraus entspringt, an einem bestimmten Standort zu leben. Dieser Teilnutzen entsteht aus der Nutzung der spezifischen sozialen Investitionen; der Verlust bzw. die Entwertung dieser Investitionen trägt neben den anderen Kosten der Abwanderung dazu bei, daß die Bevölkerung nicht vollkommen mobil ist. 22 Vgl. z.B. die Untersuchung dieses Zusammenhangs für Deutschland bei Bältken [1992], S. 746ff. 23 Es bestehen also Lerneffekte bei der Abwanderung. Vgl. z.B. Bailey [1993], S. 315ff.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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von einem gegebenen Staatsgebiet aus, das in dezentrale Einheiten gegliedert wird, so ist der Grad der Dezentralisierung ausschlaggebend für die Höhe der Migrationskosten: 24 Je stärker die Zentralisierung und damit je größer die räumliche Ausdehnung der Jurisdiktionen ist, um so höher sind die Kosten der Abwanderung. Die gerade skizzierten Transaktionskosten, die mit der Nutzung des Abwanderungsmechanismus verbunden sind, führen dazu, daß der Tiebout-Mechanismus nicht vollkommen funktioniert. Durch die spezifischen Investitionen der Nachfrager-Bürger in soziale Kontakte entstehen für die Anbieter-Gemeinden öffentlicher Leistungen ausbeutbare Renten25 : Da die Bürger nicht ohne Verluste abwandern können, existieren für die Jurisdiktionen bzw. ihre Manager monopolistische Spielräume, innerhalb derer sie mit ihrem Angebot von den Präferenzen der Bürger abweichen können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Eine Differenzierung ist notwendig: Eine Abwanderung ist - wie gezeigt um so kostengünstiger, je kleiner die jurisdiktionelle Ebene, aus der man sich entfernt. Die Migration über Gemeindegrenzen hinweg ist leichter als die über Landes- oder Bundesgrenzen. 26 D.h. die monopolistischen Spielräume, die sich den Gemeindemanagern bieten und innerhalb derer sie nicht mit Sanktionen durch Abwanderung zu rechnen haben, sind auf lokaler Ebene kleiner als auf nationaler: 27 Um eine Abwanderung aus einem Nationalstaat zu initiieren, muß die Abweichung der öffentlichen Leistungen von den Präferenzen schon ein erhebliches Ausmaß annehmen. Entsprechend ist der Wettbewerb zwischen Gemeinden potentiell intensiver als der zwischen Staaten. 28 Wenn aber der 24 Hier wird angenommen, daß in einem gegebenen Gebiet die Anzahl der Jurisdiktionen mit steigender Zentralisierung sinkt, mithin ihre Größe wächst. 25 Vgl. KleiniCrawfordlAlchian [1978]. 26 So läßt sich beispielsweise für die USA eine deutlich höhere Mobilität zwischen Bezirken feststellen, als zwischen Bundesstaaten. Die Mobilität zwischen Bundesstaaten ist wiederum deutlich höher als die zwischen den USA und Drittländern. Vgl. Dye [1990a], S. 178f. 27 Diese Ergebnisse bestätigen wieder die bereits im Kapitel E. abgeleiteten Thesen bezüglich der Größe monopolistischer Spielräume auf verschiedenen jurisdiktionellen Ebenen. Vgl. auch Zax [1989], S. 561. 28 Der durch Wanderung initiierte Wettbewerb der Jurisdiktionen tritt nur bei standortgebundenen öffentlichen Leistungen auf, die ihren Nutzen nicht über die Grenzen der bereitstellenden Jurisdiktion hinaus streuen und bei denen eine Exklusion möglich ist. So ist es beispielsweise notwendig, sich an einem bestimmten Ort anzusiedeln, um in den dauerhaften Genuß einer öffentlichen Parkanlage zu kommen. Es ist jedoch theoretisch nicht notwendig, den Standort zu verlagern, um beispielsweise ein anderes Sozial-
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Abwanderungsmechanismus auf höheren jurisdiktionellen bzw. foderalen Ebenen seine Grenzen fmdet, stellt sich automatisch die Frage nach den Kosten alternativer Sanktionsmechanismen. 2. Die Kosten des Wählens
Auch mit der Nutzung des Allokationsmechanismus Voice sind Kosten verbunden, deren Determinanten es zu ermitteln gilt,29 wenn eine Gegenüberstellung von "Exit" und "Voice" ihre adäquaten Anwendungsgebiete offenlegen soll.30 Kosten entstehen beim Mechanismus "Voice" in Form von Informations-, Beteiligungs- und Überzeugungskosten sowie als Kosten des potentiellen Überstimmtwerdens. 31 Betrachtet man die Informationskosten, die im Vorfeld von Wahlen entstehen, um sich über die zur Abstimmung stehenden Alternativen ein Bild zu machen,32 so hängen diese mit dem Gegenstand der Wahlen zusammen. 33 Auch hier spielt wieder die Eigenschaft des zur Abstimmung stehenden Gutes als Inspektions-, Erfahrungs- oder Vertrauens gut eine Rolle. Während es bei einfachen Abstimmungsgegenständen wie zum Beispiel der oben erwähnten
versicherungssystem zu. nutzen, wenn dieses nicht exklusiv für die jeweiligen Staatsbürger bereitgestellt wird. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Punkt E. 11. 29 Eine gelungene Analyse der Kosten und Nutzen von Wahlen findet man bei RikeriOrdeshook [1968]. Der Nutzen aus dem Wahlergebnis besteht hier darin, daß die Präferenzen des Wahlbürgers in der Politik der Regierung Berücksichtigung finden. Daneben gibt es noch andere Nutzenkomponenten, die eine Teilnahme an Wahlen für den einzelnen attraktiv machen. Dazu gehört beispielsweise ein Verantwortungsgefühl als "bewußter Demokrat". Vgl. zu diesen Komponenten auch RikerlOrdeshook [1968], S. 28. Da es im vorliegenden Kontext aber hauptsächlich um Wahlen als Sanktionsmechanismus geht, stehen die direkten Nutzen aus dem Wahlergebnis hier im Vordergrund. 30 Vgl. Breton/Scott [1978], S. 7. Das "Signalling" bei BretoniScott entspricht dem "Voice" bei Hirschman. 31 BretoniScott subsumieren ferner unter den Signallingkosten solche, die aus der Einflußnahme von Interessengruppen direkt auf Politiker entstehen, solche aus der Organisation der privaten Bereitstellung von Kollektivgütern (Klubgründungen etc.) und die der Teilnahme an Bürgerbewegungen sowie aus der Beschränkung des eigenen (privat-)wirtschaftlichen Verhaltens. Vgl. BretonlScott [1978], S. 32. 32 Vgl. ähnlich BarzellSass [1990], S. 750 sowie Thöni [1986], S. \07f. und 116. 33 Hier werden explizit nur die Kosten einer Abstimmung über Sachfragen betrachtet (direkte Demokratie). Für die Kosten der Wahlen in der indirekten Demokratie geiten analoge Überlegungen.
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Qualität öffentlicher Hallenbäder relativ leicht ist, sich einen angemessenen Informationsstand zu verschaffen, wird dieser Informationsstand bei komplexeren Problemen - wie zum Beispiel Finanzierungsfragen oder auch nur komplexeren Bereitstellungsleistungen - schwieriger und also teurer zu erreichen. Der Grad der Komplexität von Entscheidungen ist vielfach abhängig von der Größe des bereitstellenden Kollektivs. In Gemeinden werden tendenziell einfachere Entscheidungen getroffen, auf nationaler Ebene eher komplexere. 34 Das bedeutet, daß auf Gemeindeebene a) die Informationen einfacher zu erhalten sind und b) wegen der direkten Betroffenheit der Bürger vor Ort unter Umständen auch die Anreize zu einer Wahlbeteiligung oder Informationsbeschaffung höher sind. 35 Beide Komponenten deuten darauf hin, daß die Erlangung eines vergleichbaren Informationsniveaus auf Gemeindeebene mit geringeren Informationskosten verbunden ist als beispielsweise auf nationaler Ebene. Die In-' formationskosten steigen damit mit wachsender Kollektivgröße an. Auch mit der Teilnahme an Wahlen oder Abstimmungen sind Kosten verbunden. Diese Beteiligungskosten bestehen in erster Linie aus Zeitopportunitäten und dürften als Kosten des Wahlgangs für den einzelnen Bürger unabhängig von der Kollektivgröße sein. Sowohl die Informations- als auch die Beteiligungskosten sind ausschlaggebend dafür, daß Wahlen in der Regel nur periodisch stattfmden, wobei eine typische Wahlperiode relativ lang ist. Würden hingegen aktuelle Fragen ständig per Wahlen entschieden, müßte die Wahlperiode wesentlich kürzer sein. Entsprechend hoch wären die aggregierten Kosten der Information und der Beteiligung an allen Wahlen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Wahlen auch vom Mechanismus "Exit": Während Wahlen in der Regel nur zu bestimmten Terminen genutzt werden können, um die politischen Entscheidungsträger zu sanktionieren, ist eine Sanktionierung durch Abwanderung zu jedem Zeitpunkt möglich. Ein weiterer wichtiger Kostenfaktor von Wahlen entsteht aus der Tatsache, daß Wahlen immer im Kollektiv stattfinden. Bei Nutzung des Abwanderungsmechanismus kann jeder einzelne Bürger für sich entscheiden, ob er abwandern möchte oder nicht. Diese individuelle Entscheidung ist bei Wahlen nicht ausreichend. 36 Wirksam wird eine einzelne Stimme erst dann, wenn sie im Rah34 Die Komplexität hat wiederum Einfluß auf die C-D-Lücke, die bei den Entscheidungen auftritt. Vgl. wiederum die Ausführungen in Punkt E.I.I. 35 Vgl. Barzet/Sass [1990], S. 749f. 36 An dieser Stelle ist wieder ein Hinweis auf das Verhalten der Unternehmen notwendig: Unternehmen selbst haben kein Wahlrecht; allenfalls können ihre Inhaber wählen. Daraus folgt, daß die Teilnahme an Wahlen zur Veränderung der Versorgungssituation mit öffentlichen Leistungen für Unternehmen wenig aussichtsreich ist. Aus diesem Grund müssen sie andere Formen der Einflußnahme auf den politischen Prozeß
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
men einer Mehrheit für oder gegen eine Entscheidung bzw. eine Partei abgegeben wird. D.h. um die Zufriedenheit mit der Bereitstellung öffentlicher Leistungen zu dokumentieren, kann eine individuelle Stimme abgegeben werden; um tatsächlich eine Änderung der Bereitstellung gemäß der Präferenzen zu erreichen, ist der einzelne aber auf andere Bürger angewiesen, die seine Präferenzen beziehungsweise seine Unzufriedenheit teilen. 37 So entstehen Abhängigkeiten jedes einzelnen von den anderen Kollektivmitgliedern. Diese Interdependenzen lassen sich anhand von zwei Kostenarten abbilden: den Entscheidungsfindungs- und den externen Kosten. 38 Will ein Bürger eine Mehrheit für eine Abstimmung gewinnen, d.h. will er die Zustimmung anderer für seine Präferenzen erhalten, so muß er Überzeugungsarbeit leisten, wenn nicht die Mißstände schon von einer Mehrheit der Bevölkerung als Belastung empfunden werden. Diese Überzeugungsarbeit ist mit Entscheidungsjindungskosten verbunden: Zeitkosten und gegebenenfalls Kosten zur Erstellung von Informationsmaterialien sowie zur Durchführung von Informationsveranstaltungen sind hierbei die dominierenden Komponenten. 39 Möglich erscheint aber auch die Gewinnung von Zustimmung über Seitenzahlungen, die dann auch Kosten der Entscheidungsfindung darstellen. 40 Gelingt es - trotz Einsatzes von Überzeugungsarbeit - nicht, eine Mehrheit für die eigene Meinung zu finden, so gehört der betreffende Bürger zur bei der Abstimmung unterlegenen Minderheit. Aus dieser Niederlage entstehen für den Betroffenen Kosten in Form von Nutzenverzicht, da die Abstimmung nicht zur Durchsetzung seiner Präferenzen geführt hat. Diese Kosten kann man als externe Kosten der Entscheidungsfindung charakterisieren, da sie von der jeweils unterlegenen Gruppe getragen werden müssen. Beide Kostenkomponenten sind abhängig von der Anzahl der Abstimmungsberechtigten und der zur Entscheidungsfindung notwendigen Mehrheit. Typischerweise werden beide Kostenkomponenten in der Literatur herangezogen, um die optimale Zustimmung beziehungsweise Mehrheit zu ermitteln, nutzen, wenn sie nicht direkt die Exit-Option wählen wollen. Vgl. dazu auch die AusfUhrungen in Punkt G.1.2. 37 Vgl. mit einem ähnlichen Argument Coleman [1988], S. 368. 38 Zu den folgenden AusfUhrungen vgl. grundlegend BuchananlTullock [I 971], S. 45ff. sowie - als Überblick, aber auch verallgemeinernde Analyse - Kirsch/Theiler [1976], S. 36ff. 39 Hier lassen sich als Beispiel die typischen Wahlkampfaktivitäten von Parteien anfUhren, die versuchen, eine Mehrheit bei Wahlen zu erringen. 40 Diese Seitenzahlungen können die zu Überzeugenden dazu veranlassen, die Überzeuger auszubeuten. Die dadurch entstehenden Kosten gehen ebenfalls in die Entscheidungsfindungskosten ein. Vgl. dazu Kiesling [1968] oder auch Homann [1988].
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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die aufgrund von Kostenüberlegungen für eine jeweils gegebene Entscheidungssituation erforderlich sein sollte. 41 Für diese Überlegungen ergibt sich eine graphische Darstellung der gesamtwirtschaftlichen kollektiven Entscheidungsfmdungs- und externen Kosten in Abhängigkeit von der relativen Zustimmung, wie sie in Abbildung 13 zu sehen ist.
Kosten
ot.
100% Grad der Zustimmung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an FreylKirchgässner [1994], S. 50.
Abbildung 13: Gesamte Kosten des Wählens in Abhängigkeit vom Zustimmungsgrad Üblicherweise verlaufen die kollektiven externen Kosten - wie in Abbildung 13 dargestellt - fallend: Bei einem Abstimmungsmodus, in dem ein einzelner Bürger für alle anderen entscheidet, sind die externen Kosten dieser Entscheidung maximal; sie sind bei einer hundertprozentigen Zustimmung gleich Null, da in einer Konsenssituation niemand überstimmt wird, die Präferenzen aller Abstimmungsbeteiligten mithin erfüllt sind. Hingegen sind bei einem erforderlichen Konsens in der Regel die Entscheidungsfindungskosten prohibitiv hoch; diese sind wiederum bei einer Entscheidungssituation, in der "einer für alle" entscheidet, minimal, so daß sich ein steigender Verlauf der Kurve der Entscheidungsfindungskosten ergibt. 42 Beide Kostenkurven verlaufen nicht linear. Die Begründung hierfür liegt in der Heterogenitätsannahme der Bevölkerung: So ist es bei der Beschreibung der Entscheidungsfmdungskosten sinnvoll, anzunehmen, daß beispielsweise die ersten 10 Prozent der Befürworter einer Entscheidung relativ günstig zu finden
41 42
Vgl. beispielsweise FreylKirchgässner [1994], S. 48-51. Vgl. BuchananlTuliock [1971], S. 45ff.
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sind, weil sie auch ähnliche Präferenzen in bezug auf die Entscheidung haben. Hingegen müssen für eine konsensuale Zustimmung auch diejenigen Abstimmungsberechtigten überzeugt werden, die eher andere Lösungen präferieren. Deren Zustimmung wird entsprechend nur unter Aufwendung höherer Kosten zu erreichen sein. Weiterhin erscheint die Annahme plausibel, daß die Entscheidungsfmdungskosten um so höher werden, je weiter die Präferenzen der zu "Überzeugenden" von der herbeizuführenden Entscheidung abweichen. Die dann aufzuwendenden Kosten lassen sich als Kompensationszahlungen für diejenigen interpretieren, die durch die eigentliche Zustimmung sonst eine Nutzeneinbuße erleiden würden. Entsprechend verlaufen die Entscheidungsfmdungskosten nicht linear. Analoge Überlegungen gelten auch für den nichtlinearen Verlauf der externen Kosten. Aus der Aggregation beider Kostenkurven ergeben sich die Gesamtkosten, deren Minimum die - für eine gegebene Entscheidung - optimale, notwendige Mehrheit determiniert. Anband der so hergeleiteten Kostenverläufe kann man aber auch die Frage beantworten, wie sich die Kosten von Wahlen in Abhängigkeit von der Jurisdiktionsgröße beziehungsweise der foderalen Entscheidungsebene entwickeln. 43 Im folgenden soll exemplarisch gezeigt werden, wie hoch die beiden Kostenarten in unterschiedlich großen Jurisdiktionen sind, wenn eine einfache Mehrheit der Wahlberechtigten für eine Entscheidung notwendig ist. Die Analyse der Kosten des Wählens - in Abhängigkeit von der Jurisdiktionsgröße - ist dabei wie folgt strukturiert: Zunächst werden die Entscheidungsfmdungskosten und die externen Kosten getrennt dargestellt. Diese Kostenkurven werden jeweils für eine große Jurisdiktion mit N Einwohnern und für eine kleine Jurisdiktion mit N/2 Einwohnern grafisch hergeleitet. 44 Die Zahl der jeweils zustimmungspflichtigen Wahlberechtigten wird mit z bezeichnet. 45 Die Kosten einer einfachen Mehrheit werden dementsprechend im Schnittpunkt der z/2-Gerade bzw. der zl4-Gerade mit den Kostenkurven ermittelt und als Punkte K(zl2) bzw. K(zl4) auf der Ordinate abgetragen. Anschließend werden analog die gesamten Wahlkosten ermittelt und diese Kosten einer einfachen Mehrheit in Abhängigkeit von der Anzahl der Wahlberechtigten dargestellt. Wie sehen also diese Kosten im einzelnen aus? Betrachten wir
43 Die nachfolgenden Ausflihrungen beziehen sich zunächst wieder auf die aggregierten kollektiven Kosten. Die Übertragung der Ergebnisse auf ein individuelles Entscheidungskalkül erfolgt in Punkt F.I.3. 44 Die Zahl der Einwohner ist annahmegemäß identisch mit der Zahl der Wahlberechtigten. 45 Die notwendige Mehrheit wird im Fall der großen Jurisdiktion mit zEinwohnern durch die zJ2-Gerade, im Fall der kleinen Jurisdiktion, die zJ2 Einwohner hat, durch die z/4-Gerade dargestellt.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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zunächst wieder die Extrempunkte möglicher Abstimmungsregeln, die Regel "einer rur alle" und die konsensuale Entscheidung. Für den Fall, daß eine Entscheidung von einem Bürger rur alle anderen mit getroffen wird, sind die Entscheidungsfmdungskosten - wie gezeigt - minimal und auch unabhängig von der Kollektivgröße. Der Anfangspunkt der Entscheidungsfmdungskostenkurve ist daher rur das große und rur das kleine Kollektiv identisch. Wird hingegen eine konsensuale Abstimmung notwendig, so unterscheiden sich die Entscheidungsfindungskosten in großen und kleinen Kollektiven. Wie oben angefiihrt, steigt die Höhe der Kosten mit dem Grad der Heterogenität der Bevölkerung an.
Kosten
N/2 Einwohner K(zI2J-t------+-------=--~r
K(zl4)+--_ _ _ _~::;_~
zJ2
Anzahl der Zustimmungspflichtigen
z
Abbildung 14: Entscheidungsfindungskosten in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen
Unterstellt man also, daß die Einwohner kleiner Gebietskörperschaften tendenziell homogenere Präferenzen haben als die großer Körperschaften, sind auch die Kosten der Entscheidungsfmdung bei einer notwendigen Zustimmung aller Wahlberechtigten in großen Kollektiven höher als in kleinen. Um wieviel höher sie sind, ist abhängig davon, wie sehr der Heterogenitätsgrad zwischen den betrachteten Kollektiven differiert. Steigt die Heterogenität überproportional an, so liegt die Kostenkurve rur die große Gebietskörperschaft über der der kleinen;46 kommen hingegen Einwohner mit ähnlichen Präferenzen hinzu, liegt die Kostenkurve der großen - wie in Abbildung 14 dargestellt - unter der der 46 Das mag beispielsweise dann der Fall sein, wenn zwei Grenzgemeinden aus unterschiedlichen Nationalstaaten mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund zu einer Gemeinde zusammengefaßt werden.
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kleinen Gebietskörperschaft. 47 Immer jedoch sind die Entscheidungsfindungskosten bei konsensualen Entscheidungen in der großen Körperschaft höher als in der kleinen. Wie man in Abbildung 14 ebenfalls sieht, sind die Entscheidungsfindungskosten rur ein gegebenes Quorum - hier eine einfache Mehrheit - in kleinen Jurisdiktionen mit wenigen Wahlberechtigten niedriger - nämlich K(z/4) - als in großen Jurisdiktionen, wo sie K(z/2) betragen. 48
Kosten
N Einwohner
z12
z
Anzahl der Zustimmungspflichtigen
Abbildung 15: Externe Kosten in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen Wie verhalten sich nun die externen Kosten des Wählens? Auch hier lassen sich die Extrempunkte der Funktionen in Abhängigkeit von der Anzahl der Zustimmungspflichtigen leicht bestimmen: Sie sind bei einer konsensualen Entscheidung jeweils gleich Null, bei einer Entscheidung durch einen Einzelnen hingegen jeweils maximal hoch. Geht man davon aus, daß mit steigender Anzahl der Wahlberechtigten N auch der Grad der Homogenität der Präferenzen in der Bevölkerung abnimmt, sind in großen Kollektiven die externen Kosten bei einer Entscheidung, die durch einen einzelnen herbeigeruhrt wird, deutlich höher als in kleinen Kollektiven. Das bedeutet, daß die Funktion der
47 Dieser eher übliche Fall tritt z.B. bei Kommunalreformen innerhalb eines Bundeslandes auf. 48 Vgl. auch Bernholz/Breyer [1994], S. 41 f., die jedoch nicht auf die Abhängigkeit der externen Kosten des Wählens von der Kollektiv- bzw. Jurisdiktionsgröße eingehen.
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externen Kosten, die in Abbildung 15 gezeigt wird, in größeren Kollektiven über der in kleinen Kollektiven liegt. 49 Betrachtet man nun die Höhe der externen Kosten bei einer gegebenen, zu erreichenden Mehrheit, so ergibt sich folgender Zusammenhang zwischen der Höhe dieser Kosten und der Größe der Jurisdiktion: Während der einzelne in kleinen Kollektiven ein höheres (Stimm-)Gewicht hat, verliert er in Großkollektiven an Einfluß. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, zu den Abstimmungsverlierern zu gehören, wenn die Streuung der Präferenzen im großen Kollektiv deutlich höher ist als im kleinen. Entsprechend variieren die externen Kosten - bei gleichem Abstimmungsmodus - mit steigendem Heterogenitätsgrad der Bevölkerung bzw. näherungsweise mit der Größe der Jurisdiktion: Im hier gewählten Beispiel betragen sie im Fall des kleinen Kollektivs K(z/4), während sie im großen Kollektiv K(zl2) betragen. 50 Auch dieser Zusammenhang ist in Abbildung 15 zu erkennen. Damit erhält man auch bei den externen Kosten der Wahlen dieselbe Abhängigkeit von der Anzahl der Wahlberechtigten wie vorher schon bei den Entscheidungsfmdungskosten. Derselbe Zusammenhang ergibt sich auch bei der Betrachtung der gesamten Kosten des Wählens, die in Abbildung 16 dargestellt sind. Unterstellt man nun weiterhin, daß eine große Zahl von Abstirnrnungsberechtigten eher einer räumlich großen Jurisdiktion entspricht, eine geringe Anzahl Abstirnrnungsberechtigter hingegen eher eine kleine Jurisdiktion repräsentiert, so steigen - bei gegebener erforderlicher Zustirnrnungsquote - die kollektiven Wahlkosten mit der Jurisdiktionsgröße an, wie in Abbildung 17 zu sehen ist.
49 Um wieviel höher diese Kosten bei der unterstellten Abstimmungsregel sind, ist wieder abhängig vom Grad der Heterogenität der Präferenzen. In Abbildung 15 ist analog zu Abbildung 14 der Fall unterstellt, daß eine Verdoppelung der Einwohnerzahl von N/2 auf N nicht zu einer Verdoppelung der Kosten bei der Abstimmungsregel "einer für alle" führt. Vielmehr ist die Kostensteigerung geringer. Die Anzahl der Wahlberechtigten N wird somit auch zum Lageparameter der Funktion der externen Wahlkosten. 50 Auch die Höhe dieser Kosten ist in unterschiedlichen Kollektivgrößen abhängig von der Verteilung der Präferenzen der Wähler. Vgl. dazu anschaulich RikeriOrdeshook [1968], S. 29-34. Der geringere Unterschied zwischen den externen Kosten im großen und denen im kleinen Kollektiv resultiert aus der oben angeführten Annahme, daß der Heterogenitätsgrad der Präferenzen im vorliegenden Fall nur unterproportional zunimmt.
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Kosten
-
---
,,,,
z14
z12
z
Anzahl der Zustimmungspflichtigen
Abbildung 16: Gesamte Kosten des Wählens in Abhängigkeit der Zustimmungspflichtigen
Kosten K(N) t - - - - - - - - - - - - + - - - - - - - - - - - - - - - : 7 1
K(NI2)t-----------~
N/2 Anzahl der Wahlberechtigten
N
Abbildung 17: Gesamte Kosten des Wählens bei einfacher Mehrheitsregel
Auch bei den aggregierten Kosten der Wahlen ist damit der bereits für die individuellen Migrationskosten aufgezeigte Zusammenhang mit der Größe der Jurisdiktionen beziehungsweise mit dem Dezentralisierungsgrad festzustellen. Die Wahlkosten steigen mit einer stärkeren Zentralisierung des Staatsgebiets an; im dargestellten Fall allerdings - aufgrund der unterstellten unterproportionalen Zunahme des Heterogenitätsgrad - nehmen die Wahlkosten auch nur unterproportional zu. Wie aber sehen die Mechanismen Exit und Voice jeweils in einem individuellen Entscheidungskalkül der Bürger aus?
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3. Implikationenfür die Wahl zwischen Abwanderung und Wahlen
Faßt man die Überlegungen zu den Kosten zusammen, die aus der Nutzung von "Voice" und "Exit" resultieren, stellt man fest, daß die Hauptdeterminante aller Kosten bei Wahlen die Kollektivgröße, bei Abwanderung hingegen die Entfernung zwischen altem und neuem Standort ist. Akzeptiert man, daß die Entfernung zwischen den Standorten ebenso von der räumlichen Ausdehnung der betrachteten Jurisdiktionen abhängig ist wie die Kollektivgröße, so lassen sich beide Kostenarten beispielsweise in Abhängigkeit von der Kollektivgröße darstellen: die Kosten der Abwanderung und der Wahlen steigen dann mit wachsender Kollektivgröße. Hieraus läßt sich zunächst die Folgerung ableiten, daß zum effizienten Einsatz beider Mechanismen eine möglichst kleine Kollektivgröße notwendig ist. Offen bleibt die Frage, welcher Mechanismus bei größeren Kollektiven besser geeignet ist, um eine präferenzgemäße Bereitstellung öffentlicher Leistungen sicherzustellen. Wie gezeigt steigen die sozialen Kosten der Abwanderung mit zunehmender Größe an. Gleiches läßt sich auch für Wahlen konstatieren, wenn man die oben hergeleiteten Funktionalverläufe unterstellt. Jedoch ist für die Wahlkosten aus Sicht eines einzelnen Individuums wieder auf die Tatsache hinzuweisen, daß Wahlen eine kollektive Entscheidung sind. Das Ergebnis von Wahlen hat Eigenschaften eines Kollektivguts: auch diejenigen, die nicht aktiv an einer Wahl teilgenommen haben, profitieren von dem Wahlergebnis - wenn es ihren Vorstellungen entspricht. 51 Für den einzelnen Bürger bieten sich daher Ameize, als Trittbrettfahrer aufzutreten. Ist der Ausgang einer Wahl sicher vorauszusehen und ist der Wahlberechtigte mit dem voraussichtlichen Ergebnis zufrieden, so ist es aus seiner Sicht vorteilhaft, auf die Wahlteilnahme zu verzichten. Er hat dann den Nutzen aus dem Wahlergebnis, ohne daß er individuelle Kosten zu tragen hätte. Ist hingegen das Wahlergebnis unsicher, so besteht für jeden Wahlberechtigten die Gefahr, zu den Verlierern zu gehören und die externen Kosten der Wahlentscheidung tragen zu müssen. Hier hat jeder Wahlberechtigte einen individuellen Ameiz, an den Wahlen teilzunehmen und möglichst auch andere von seiner Meinung zu überzeugen, um die Wahl zu "gewinnen" und nicht mit externen Kosten belastet zu werden. 52 Der Ameiz, aktiv an Wahlen teilzunehmen, ist abhängig von der Höhe der zu erwartenden externen Kosten: sind diese hoch, besteht ein starker Ameiz zur Wahlteilnahme und zur Übernahme von Über-
51 Vgl. ähnlich RikeriOrdeshook [1968], S. 29. 52 So ebenfalls RikeriOrdeshook [1968], S. 35.
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zeugungsaktivitäten. Sind hingegen die erwarteten externen Kosten niedrig, so sinken auch die Anreize zur Wahlteilnahme. 53 Gänzlich verschwinden die individuellen Anreize, an Wahlen teilzunehmen, wenn der Wahlausgang sicher ist und darüber hinaus der betrachtete Wahlberechtigte sicher bei den "Verlierern" der Wahl ist. Hier ergibt sich folgendes Kalkül: Der Bürger hat die voraussichtlichen externen Kosten, die er aus seiner Minderheitenrolle tragen muß, abzuwägen gegen die Kosten des Exit. Die Konsensfindungskosten werden ftir "sichere" Minderheiten bei Wahlen irrelevant. Es ist rational, auf eine Wahlteilnahme zu verzichten, um nicht mit Wahlteilnahmekosten und externen Kosten belastet zu werden. Als Alternative zum Verbleib am Standort und dem Tragen der externen Kosten bleibt dem Bürger dann die Exit-Option. Auch hier hängt die tatsächliche Ausübung der Option von den andernfalls zu tragenden externen Kosten ab. Sind diese externen Kosten hoch, so ist eine Abwanderung vorteilhaft, sind die externen Kosten hingegen niedrig, bestehen weniger Anreize zur Abwanderung. Aus dieser Argumentation lassen sich nun Anhaltspunkte daftir fmden, wann die Teilnahme an Wahlen und wann die Nutzung der Exit-Option aus Sicht eines einzelnen Nachfrager-Bürgers sinnvoll ist. In Abhängigkeit von der Jurisdiktionsgröße stellt sich das individuelle Kalkül wie folgt dar: In einer
53 Eine weitere Folgerung läßt sich aus diesem Zusammenhang ableiten: Greift man auf die früher hergeleitete Gliederung des Staatsgebietes anhand der Kollektivgütertheorie zurück, so ergab sich dort, daß jeder Bürger Mitglied in einer Vielzahl von funktional gegliederten Kollektiven und gleichzeitig Bürger unterschiedlicher Jurisdiktionen ist. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß eine Beteiligung an Wahlentscheidungen in all diesen Kollektiven für den einzelnen mit prohibitiv hohen Kosten verbunden wäre. Rational handelnde Bürger werden daher ihre Wahlaktivitäten auf solche Abstimmungen beschränken, die aus ihrer Sicht die größte Relevanz haben. Die Relevanz einer Abstimmung läßt sich übersetzen in potentiell hohe externe Kosten, die aus einem Überstimmtwerden resultieren. In Deutschland mag diese selektive Wahlteilnahme ein Grund dafür sein, daß die Wahlbeteiligung bei den - wohl für relevanter gehaltenen Bundestagswahlen in der Regel höher ausfällt, als bei Landtagswahlen. Diese haben für die Wähler offensichtlich weniger Gewicht. Die Kosten des Wählens erklären auch, warum in der Realität häufig eine gleichzeitige Terminierung unterschiedlicher Wahlen - z.B. Kommunalwahlen zeitgleich mit Landtagswahlen - zu finden ist: Durch die Wahl der Termine können die jeweiligen Regierungen die Wahlkosten senken. Auch läßt sich mit den angeführten Kostenkomponenten eine höhere Wahlbeteiligung bei Wahlkämpfen mit stark polarisierenden Programmen begründen. Sind die Wahlprogramme sehr stark polarisierend, so steigen die potentiellen Kosten des Überstimmtwerdens und der Anreiz, an der Wahl teilzunehmen wird aufgrund der drohenden Opportunitätskosten größer. Zur tatsächlichen Wahlbeteiligung in Deutschland vgl. Fischer [Hrsg./1990] sowie Woyke [1994].
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Tiebout-Welt, in der die Mitglieder einer Gemeinde homogene Präferenzen aufweisen, sind Entscheidungen unstrittig. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Bürger zur wahlgewinnenden Mehrheit gehört, ist groß. Mithin ist der Anreiz, selbst zur Wahl zu gehen, gering. 54 Da mit steigender Größe der Jurisdiktionen auch die Heterogenität der Bevölkerung und somit ihrer Präferenzen zunimmt, wird die Wahrscheinlichkeit, zu den Gewinnern zu gehören, geringer. Damit werden die möglicherweise zu tragenden externen Kosten entscheidungsrelevant. Der Anreiz, sich an Wahlen aktiv zu beteiligen, steigt daher mit der Größe der Jurisdiktion an. Gleichzeitig steigen die individuellen Kosten der Wahlbeteiligung ebenso an, wie die externen Kosten der Wahlunterlegenen. Trotz dieser steigenden Kosten der politischen Beteiligung via Wahlen ist der Wahlgang in der Regel günstiger als die. Abwanderung. Während aber die Abwanderung aus einer Gemeinde relativ günstig ist, mithin auch schon bei relativ geringen externen Kosten relevant wird,55 ist für eine Abwanderung aus einem Nationalstaat schon ein erhebliches Maß an Präferenzabweichungen der Politik notwendig, um die Bürger tatsächlich zur Abwanderung zu veranlassen. 56 Daraus läßt sich folgern, daß bei kleinen Jurisdiktionen eher glaubhafter Druck auf die Entscheidungsberechtigten ausgeübt werden kann, indem man mit Abwanderung droht, als das bei großen Jurisdiktionen der Fall ist. 57 Es läßt sich mithin feststellen, daß die Abwanderung quasi
54 Die potentielle Mehrheit der Wähler befindet sich allerdings wieder in einem Gefangenendilemma. Wenn sich tatsächlich alle Wähler für die individuell beste Alternative - das bewußte Nichtwählen - entscheiden, schwindet die sicher geglaubte Mehrheit und das Wahlergebnis wird unsicher. 55 Vgl. ähnlich Oales [1989], S. 580. 56 Die 1989 einsetzende massive Abwanderung aus der DDR in die Bundesrepublik kann vor diesem Hintergrund zum einen auf die extrem hohe Unzufriedenheit zurückgeführt werden, zum anderen auf niedrig erscheinende soziale Abwanderungskosten, da beispielsweise der deutsche Sprachraum nicht verlassen wurde. So gesehen spricht dieses Beispiel nicht generell für die Wirksamkeit des Abwanderungsmechanismus, wie es bei Eichenberger/Frey [1994], S. 781 suggeriert wird. Auch kann vermutet werden, daß die Abwanderung nicht so massiv ausgefallen wäre, wenn allen Beteiligten die tatsächliche Höhe des entwerteten Sozialkapitals bewußt gewesen wäre. Die Nichtberücksichtigung dieser Größe führte ex post zu teilweise großer Enttäuschung über die Verhältnisse im "goldenen Westen". 57 Glaubhaft wird die Drohung mit Abwanderung aus Gemeinden auch deshalb, weil die Zahl der möglichen Alternativen deutlich größer ist, als bei der Wahl zwischen verschiedenen Ländern. Generell gilt, daß die Anzahl der Alternativen sinkt, je höher die Ebene der lurisdiktionen und je größer die Jurisdiktionen sind. 11 Sauerland
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als "letztes Mittel" gewählt wird - und zwar dann, wenn eine Verbesserung der eigenen Situation über Wahlen auf lange Sicht unmöglich erscheint. 58 Damit läßt sich ein weiterer Zusammenhang fonnulieren: Je stärker die Abweichungen der bereitgestellten Leistungen von den Präferenzen der Bürger dargestellt beispielsweise durch die Differenz UB - UA - sind, um so eher werden von Seiten der Nachfrager-Bürger kostenintensive Maßnahmen ergriffen, um ihre Unzufriedenheit zu dokumentieren und um Verbesserung zu erreichen. Auch steigen die Kosten der politischen Betätigung der Bürger mit der Ebene der betrachteten Jurisdiktion an. Erst wenn in großen Jurisdiktionen das kostengünstigere Instrument "Voice" nicht hilft, werden die Bürger die entsprechende Jurisdiktion verlassen. Unter Berücksichtigung der Kosten, die mit seiner Nutzung verbunden sind, reicht der Abwanderungsmechanismus in einem föderal gegliederten Staat allein nicht mehr aus, um eine marktanaloge effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter sicherzustellen. 59 Vielmehr bieten sich den Gemeindemanagern monopolistische Spielräume, innerhalb derer sie keine Sanktionen durch Abwanderung befürchten müssen. 60 Erst wenn beispielsweise die Steuerschraube - im Verhältnis zur erbrachten öffentlichen Leistung - überzogen ist, werden die Bürger abwandern - sofern sie keine Möglichkeit sehen, die Regierungspolitik über Wahlen zu ändern und sie eine bessere Standortalternative finden. 61 Auch die Höhe der monopolistischen Spielräume ist damit wieder abhängig von der Kollektivebene beziehungsweise der Kollektivgröße: Die zentrale
58 Stellt man die externen Kosten und die Exit-Kosten gegenüber, so muß man den Gegenwartswert der externen Kosten heranziehen, der natürlich abhängig ist von der Dauer der auftretenden Unzufriedenheit. Ist beispielsweise absehbar, daß sich die politische Situation bei der nächsten Wahl verändert, so besteht - trotz vorhandener externer Kosten in der laufenden Legislaturperiode - ein Anreiz, nicht abzuwandern. Besteht die Aussicht auf positive Veränderung nicht, steigen die Kosten des Verbleibens und eine Abwanderung wird lohnend. 59 Vgl. auch die Ergebnisse von Wellisch [1994], S. 181, der die eingeschränkte Wirksamkeit der Wanderung allerdings nur für den Fall der Bereitstellung mit Spillovers konstatiert. 60 Vgl. ähnlich Breton [1978], S. 63 sowie Per/mann [1976], S. 74f. Die Argumentation ähnelt hier der aus der Preistheorie bekannten doppelt-geknickten Preis-AbsatzFunktion, in deren monopolistischen Bereich die Präferenzen der Nachfrager, anders: die Treue zum Produzenten, den Preiseffekt dominieren. Vgl. Gutenberg [1976], S. 251-276. In der Terminologie von Hirschman wäre dieses Verhalten Loyalität zu nennen. 61 So ähnlich auch Tiebout [1956], S. 422.
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Ebene hat - im angeführten Kontext - einen größeren Spielraum als eine nachgeordnete, kleinere Ebene. Ein weiterer Einwand, der die Funktionsweise des Wanderungsmechanismus relativiert, kann wie folgt formuliert werden: In der Tiebout-Welt ohne Kosten der Migration erscheint die Annahme einer polypolistischen Anbieterstruktur plausibel. Akzeptiert man die Existenz von Migrationskosten, führt eine problemorientierte "Marktabgrenzung" zu einem anderen Ergebnis. Realitätsnäher und damit angemessener erscheint dann die Annahme, daß Gemeinden eher in der Marktform des Oligopols agieren. Geht man davon aus, daß die Abwanderungskosten mit zunehmender Entfernung vom alten Wohnort zunehmen, dann kommt bei kleineren Abweichungen vom gewünschten Preis-Leistungs-Verhältnis eher ein Umzug in eine naheliegende Gemeinde in Frage. Dann aber ist die Anbieterseite eben nicht mehr polypolistisch, sondern oligopolistisch strukturiert. In dieser Marktform kann es dann wiederum leichter zu wettbewerbsbeschränkendem Verhalten kommen, Z.B. durch Kartellbildung von Gemeinden oder durch Tacit agreements. 62 Mit diesen Mitteln wäre es für die Gemeinden möglich, ihren monopolistischen Spielraum zu erweitern und damit den Abwanderungsmechanismus weiter zu schwächen. 63 Verläßt man die Gemeindeebene und betrachtet höhere Ebenen, so wird die "Marktmacht" der einzelnen Jurisdiktionen auf höheren fOderalen Ebenen noch stärker: Allein aufgrund der typischerweise relativ kleinen Zahl von Ländern in einem Bundesstaat bieten sich hier größere monopolistische Spielräume als auf der Ebene der Gemeinden. 64 Der Bund, bzw. ein Nationalstaat, der darüber hinaus noch eine andere Landessprache als die angrenzenden Staaten aufweist, befmdet sich dementsprechend in einer annähernden Monopolposition. 65 Im Endergebnis führt die Existenz von Transaktionskosten bei politischer Beteiligung der Bürger dazu, daß der Wanderungsmechanismus, der auch im erweiterten Tiebout-Modell noch zu einer effIzienten Allokation der Bürger im Raum geführt hatte, nur sehr eingeschränkt funktioniert. Aufgrund des Ver-
62 Zu den Tacit agreements, insbesondere in der Marktform des heterogenen Oligopols vgl. Heuss [1965], S. 90 ff. sowie Borchert [1985], S. 84-88. 63 Hier soll noch nicht auf die im Rahmen des "design by politicians" zu erörternde Nutzenfunktion der Politiker in den Jurisdiktionen eingegangen werden. Lediglich die Variation der Marktform auf der Anbieterseite wird diskutiert. Dabei wird eine unbestimmte, aber als von der Marktform unabhängige Nutzen- bzw. Zie\funktion der Politiker unterstellt. 64 Zu den Auswirkungen von Voice- und Exit-Aktivitäten auf die Intensität des Wettbewerbs zwischen Regierungen vgl. auch Marlow [1992]. 65 Vgl. dazu nochmals anschaulich Abbildung 2 im Kapitel A, Abschnitt Il. 11·
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
gleichs der Kosten, die mit dem Einsatz der Instrumente Wahlen und Wanderung verbunden sind, läßt sich begründen, daß Wahlen aus Sicht der Nachfrager bei geringen Abweichungen der Politik von ihren Präferenzen eher das geeignete Mittel sind, um die eigene Situation zu verbessern. Nachdem nun die Kosten fiir die Nutzung der Mechanismen Exit und Voice beleuchtet worden sind, soll im nächsten Abschnitt der Frage nachgegangen werden, ob man auch auf der Anbieterseite Kosten feststellen kann, die bei der Analyse dezentralisierter politischer Systeme berücksichtigt werden müssen. 11. Die Anbieterseite: Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen Bei der Erläuterung des Gangs der Untersuchung war bereits kurz auf die Unterscheidung zwischen Bereitstellung und Produktion eingegangen worden. 66 Tiebout hatte, wie gezeigt, sein Grundmodell zunächst nur fiir eine effiziente Produktion öffentlicher Leistungen entwickelt. 67 Bei der Untersuchung der Wirkung von Spillovers war das Problem der Produktion dadurch ausgeklammert worden, daß nur die Bereitstellung betrachtet wurde, ohne auf die Frage nach Eigenproduktion oder Fremdbezug der bereitzustellenden Leistungen durch die Gemeinde einzugehen. An dieser Stelle soll daher detailliert herausgearbeitet werden, welcher Unterschied zwischen Bereitstellung und Produktion besteht, w:ie die Transaktionskosten der Bereitstellung aussehen und welche Implikationen sich fiir den Ordnungs entwurf ergeben, wenn auf die Zielgröße "effiziente Bereitstellung" abgestellt wird. Schon bei der Diskussion des Rivalitätsgrades war auf mögliche Größenvorteile bei der Produktion hingewiesen worden. 68 Unterscheidet man nicht explizit zwischen Bereitstellung und Produktion, impliziert die Existenz solcher Größenvorteile, daß die produzierende - und damit auch bereitstellende - Gebietskörperschaft so gewählt wird, daß jene Vorteile bei der Produktion auch realisiert werden können. Bei einer analytischen Trennung von Bereitstellung und Produktion läßt sich diese Folgerung allerdings nicht zwangsläufig aufrechterhalten, denn die Frage der effizienten Produktion ist der Frage der effizienten Bereitstellung logisch nachgelagert. 69 Erst wenn die Berdtstellung
66 Vgl. Punkt A.lV. 67 Vgl. die Ausführungen im Kapitel C. 68 Vgl. Punkt B.I.1. 69 Vgl. ähnlich Foldvary [1994], S. 44: "Provision refers to the selection of goods, methods offunding and arrangements for production."
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
165
tatsächlich erfolgen soll und über die bereitzustellende Menge entschieden worden ist, tritt das Produktionsproblem auf. Für die bereitstellende Jurisdiktion besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die bereitzustellende Leistung selbst zu produzieren (make-Option) oder bei externen Stellen einzukaufen (buy-Option).70 Im Sinne der Bereitstellungsefftzienz sollte die jeweils günstigste Produktions form gewählt werden. Entschließt sich die Bereitstellungskörperschaft zum Kauf der Leistungen, so kann sie diese von privaten71 oder anderen öffentlichen Anbietern beziehen. Zur Realisierung von economies of scale bei der Produktion kann es dann beispielsweise sinnvoll sein, daß sich verschiedene Bereitstellungsgemeinden zu einer Einkaufsgenossenschaft (EKG) zusamrnenschließen.12 Die derart gebündelte Nachfrage stärkt dabei die Stellung der Nachfrager-Gemeinden gegenüber dem Produzenten bei Verhandlungen hinsichtlich der Konditionengestaltung.1 3 Damit lassen sich aus einer solchen Organisation der Nachfrager Kostenvorteile bei der Produktion realisieren.1 4 Wie aber sieht es bei den Transaktionskosten der Bereitstellung aus? Zunächst läßt sich feststellen, daß die Kosten des Vertragsabschlusses sinken: Während vorher jede einzelne Gemeinde mit dem externen Produzenten verhandeln mußte, um einen Vertrag abzuschließen, so ist jetzt nur noch eine Verhandlung und ein Vertrag zwischen dem jeweiligen
70 Zur Möglichkeit, die Bereitstellung öffentlicher Leistungen über verschiedene institutionelle Arrangements zu organisieren, vgJ. z.B. Ostrom/Ostrom [1977] sowie F erris/Graddy [1994]. 71 Ein einfaches und gängiges Beispiel ist die private Müllabfuhr. Hierbei übernimmt die bereitstellende Jurisdiktion die Lösung des Exklusionsproblems, während das private Entsorgungsunternehmen das Produktionsproblem übernimmt. 72 Der Zusammen schluß der Jurisdiktionen kann auch erfolgen, um die bereitzustellenden Leistung im Kollektiv selbst zu produzieren. Das kann beispielsweise durch das gemeinsame Betreiben einer Mülldeponie geschehen, wenn die optimale Betriebsgröße einer solchen Deponie über der von einer einzigen Gemeinde benötigten Größe liegt. Entsprechend wäre dann keine Einkaufsgenossenschaft, sondern eine Betreibergesellschaft (BG) zu bilden. 73 Solche Kooperationen von Gemeinden können auch länder- oder staatenübergreifend sein. Die Zusammenarbeit ist also nicht beschränkt auf die Gemeinden eines Landes oder eines Nationalstaates. Ein Beispiel für die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Gemeinden ist der Versuch der Städte Maastricht, Hasselt, Aachen und Lüttich ein gemeinsames Verkehrskonzept für die sogenannte MHAL-Region zu entwickeln. VgJ. dazu Backhaus et al. [1994]. 74 VgJ. Liedtke [1972], S. 99f.
166
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Produzenten und der Einkaufsgenossenschaft notwendig. 75 Gleichzeitig entstehen aber neue Kosten, wenn die einzelnen Gemeinden ihre Wünsche innerhalb einer Genossenschaft aufeinander abstimmen müssen, bevor der Vertrag mit dem Produzenten verhandelt wird. Es ist offensichtlich, daß diese Ex-ante-Abstimmung um so schwieriger und damit kostenintensiver ist, je mehr Gemeinden beteiligt sind und je heterogener die von den Gemeinden bzw. ihren Bürger gewünschten Leistungen sind.7 6 Transaktionskosten der Bereitstellung treten hier also in zwei Dimensionen auf: einmal als interne Kosten, hervorgerufen durch administrative Aktivitäten, zum anderen als externe Kosten, die durch Koordinierungsaktivitäten verursacht werden.
unkoordinierte Beschaffung
koordinierte Beschaffung
~-----~ / /
I , I
'
/
~~ @. ~~
LR = Lokale Regierung EKG = Einkaufsgenossenschaft P = Produzent
/ = Vertragsbeziehung
Abbildung 18: Aufbauorganisation der Bereitstellung bei externer Beschaffung
Durch die Einbeziehung solcher Kooperationen zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften verändert sich der institutionelle Aufbau des Staates. So ergeben sich beispielsweise für die lokale Ebene die in den Abbildungen 18
75 Insbesondere sinken die Koordinationskosten in der aggregierten Betrachtung. Waren vorher x Individualverträge zwischen den x Gemeinden und dem Produzenten notwendig, so wird nun nur noch ein Vertrag zwischen dem Mittler und dem Produzenten geschlossen. Die Kostenreduktion ist evident. 76 Die internen Administrationskosten der Genossenschaft lassen sich auch als externe Koordinationskosten der Jurisdiktionen untereinander interpretieren. Sie entstehen unabhängig von der Form der konkreten Ausgestaltung des Nachfragemittlers und sind um so höher, je heterogener die Präferenzen der einzelnen Jurisdiktionen bzw. ihrer Einwohner sind.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
167
und 19 dargestellten Möglichkeiten der Kooperation - sowohl bei eigener Produktion (make) als auch bei Fremdbezug (buy).
unkoordinierte Produktion
LR = Lokale Regierung BG = Betreibergesellschaft
koordinierte Produktion
-
= Vertragsbeziehung
Abbildung 19: Aufbauorganisation der Bereitstellung bei eigener Produktion
Aber nicht nur in diesem speziellen Fall der Nachfrageorganisation über eine Einkaufsgenossenschaft treten externe und interne Transaktionskosten beim Betreiben von Jurisdiktionen auf. Diese Transaktionskosten resultieren vielmehr generell aus der Existenz unterschiedlicher Jurisdiktionen. Wird nämlich die räumliche Gliederung eines Gebietes so vorgenommen, daß zum einen die erwähnten Kriterien der Kollektivgütertheorie zugrundegelegt werden und zum anderen das Äquivalenzprinzip bei der Finanzierung der bereitgestellten Leistungen seine Anwendung findet, wird die Gliederung sehr fein differenziert. Im Extremfall sind unendlich viele Jurisdiktionen notwendig, um Nutzenoder Kostenspillovers zu vermeiden. 77 Den so sichergestellten EfflZienzgewinnen stehen aber wieder entsprechende Kosten gegenüber, die aus dem Betreiben dieser Vielzahl von Kollektiven resultieren. 78
77 Im Extremfall kommt es zu sogenannten "Ein-Mann-Kollektiven" wenn die Kollektivgütertheorie als Abgrenzungskriterium für Bereitstellungskollektive herangezogen wird. Vgl. Meisterling [1986], S. 64. 78 Auf die Relevanz der Transaktionskosten bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen weist beispielsweise Schuppert [1994], S. 668 hin. Die Arbeit von Ferris/ Graddy stellt explizit auf die gesamten Bereitstellungskosten, d.h. auf Transaktionskosten und Produktionskosten ab und kommt anhand von Schätzungen zu dem Ergebnis, daß beide Kostengrößen mit in die Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger eingehen. Vgl. Ferris/Graddy [1994], S. 140.
168
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Diese Kosten lassen sich generell in die internen Kosten der Administration und die externen Kosten der Koordination unterteilen. 79 Interne Administrationskosten beinhalten z.B. die Kosten der Präferenzerhebung bei den Bürgern sowie die reinen Verwaltungskosten. Hingegen umfassen die externen Koordinationskosten beispielsweise die Kosten des Aushandelns von Verträgen mit externen Produzenten. 80 Auch Verhandlungskosten zur Internalisierung bestehender Spillovers gehören in diese Kostenkategorie. Wie nun sehen die einzelnen Kostenkomponenten im Detail aus? 1. Die Kosten der Administration
Unter die internen Administrationskosten fallen die Kosten der Präferenzerhebung, die Durchführungs- sowie die allgemeinen Verwaltungskosten. Die Kosten der PräJerenzerhebung sind in Jurisdiktionen mit einer homogenen Bevölkerung geringer als in Gebieten mit heterogener Bevölkerung. Nimmt man - wie bisher - an, daß die Heterogenität der Einwohner mit wachsender Größe der Jurisdiktion zunimmt, so sind die Präferenzerhebungskosten in kleinen Jurisdiktionen tendenziell geringer als in großen. Jedoch resultieren aus der besseren Präferenzerhebung Folgekosten. Die so festgestellten Wünsche der Bevölkerung werden in kleinen Kollektiven differenzierter erhoben als in großen. Diese genauere Erhebung der Präferenzen verursacht nun Kosten in der Form, daß aufgrund der Erhebung gegebenenfalls mehr Leistungen bereitgestellt werden. Die Durchfohrungskosten bei der Bereitstellung steigen dann mit sinkender Jurisdiktionsgröße. Immer aber werden bei kleineren Jurisdiktionen die absoluten reinen Verwaltungskosten, also jene, die aus dem Betreiben einer einzelnen Verwaltung resultieren, niedriger sein, als dies bei großen Jurisdiktionen und Verwaltungen der Fall ist. Betrachtet man diese Größen hingegen nicht für eine einzelne kleine Jurisdiktion, sondern für die Gesamtheit aller Gebietskörperschaften, so gehen aufgrund einer starken Dezentralisierung die Gesamtkosten der Verwaltung möglicherweise über die optimale Höhe hinaus, da Verwaltungsverbund-
79 Vgl. ähnlich BretonlScott [1978], S. 32f. Zur Veranschaulichung: Führt man sich wiederum die Abbildung 2 im Punkt A.II. vor Augen, so entstehen die Administrationskosten quasi innerhalb der öffentlichen Körperschaften, während die Koordinationskosten zwischen diesen Knotenpunkten entstehen. 80 Die internen Kosten der Organisation in der beispielhaft angeführten Einkaufsgenossenschaft können auch als externe Koordinationskosten der Gemeinden aufgefaßt werden, die in der Genossenschaft institutionell effizient gehandhabt werden.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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vorteile gegebenenfalls nicht realisiert werden können,sl Hier treten für die Verwaltung ähnliche Probleme auf, wie sie oben schon bei den Größen "Bereitstellung" und "Produktion" behandelt worden waren. Auch hier kann es sinnvoll sein, bestimmte Verwaltungs aktivitäten zu bündeln und innerhalb einer gemeinsamen Organisation abzuwickeln82 In der weiteren Argumentation soll davon ausgegangen werden, daß die aggregierten internen Administrationskosten mit steigender Anzahl an Jurisdiktionen sinken. 83 2. Die Kosten der Koordination
Zu den eben beschriebenen internen Administrationskosten kommen in einer dezentralisierten Staatsgliederung externe Koordinationskosten hinzu. Diese bestehen in erster Linie aus den Kosten, die durch Verhandlungen zwischen den einzelnen Jurisdiktionen entstehen - beispielsweise um Spillovers zu internalisieren oder, wie gezeigt, um eine gemeinsame Produktion, Beschaffung oder Verwaltung abzustimmen und so Größenvorteile zu realisieren. Die Höhe der Kosten, die aus Koordinationsaktivitäten resultieren, wird im wesentlichen 81 Wichtig für das Gesamtdesign eines dezentral organisierten Staates ist nicht nur die Betrachtung der Kostenentwicklung bei den einzelnen Gemeinden beziehungsweise Jurisdiktionen. Eine Gliederung des Gemeinwesens ist erst dann transaktionskostenoptimal, wenn für die Summe aller Gemeinwesen die aggregierten Kosten den O.g. Verlauf nehmen. Das wiederum bedingt, daß die Reduktion der Administrationskosten (~AK) in der einzelnen Gemeinde nicht überkompensiert wird durch das Anwachsen der Gemeindezahl (~g). Anders formuliert: die Elastizität der Kosten in bezug auf die Anzahl der Jurisdiktionen (~AKJ~g) muß bei den Administrationskosten kleiner als eins sein. Bei den Koordinationskosten taucht dieses analytische Problem nicht auf. 82 Aufgrund dieser Überlegungen lassen sich auch Gründe dafür ableiten, daß die Steuererhebung auf einer anderen jurisdiktionellen Ebene erfolgen kann als die Steuerverwendung. D.h. es kann aus Gründen der Erhebungseffizienz sinnvoll sein, daß beispielsweise die Gemeinden die Länder oder den Bund mit der Erhebung der ihnen zustehenden Steuern beauftragen. 83 Da keine empirischen Daten über das Verhältnis der Kostenkomponenten zueinander existieren, kann alternativ angenommen werden, daß a) die Präferenzerhebungskosten stärker sinken als die durch zusätzliche Bereitstellungsakte entstehenden Kosten steigen, oder daß b) beide Kostenkomponenten symmetrisch gegeneinander laufen. Das bedeutet im ersten Fall, daß die Administrationskosten mit steigender Anzahl von Jurisdiktionen sinken, während diese Kosten im zweiten Fall konstant bleiben. Im Gegensatz zur hier getroffenen Annahme gehen Breton/Scott [1978], S. 60f. und [1980], S. 24 von konstanten Administrationskosten aus. Der Unterschied in den Annahmen führt aber zu keinen gravierenden Unterschieden in den weiteren Ergebnissen.
170
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
von zwei Faktoren determiniert. Zum einen steigen die Koordinationskosten bei einer wachsenden Anzahl der zu koordinierenden lurisdiktionen. Hier ergibt sich wieder dieselbe Argumentation wie bei den bereits angefiihrten Entscheidungsfindungskosten. 84 Die zweite Determinante ist der Grad der Homogenität der beteiligten lurisdiktionen bezüglich der Präferenzen ihrer Bürger. Auch hier gelten wieder analog die Überlegungen zu den Kosten von Wahlen bzw. von Abstimmungen. Bei den Ausfiihrongen zu den Wirkungen von Spillovers war hergeleitet worden, daß das Ausmaß der internalisierungsbedürftigen Spillovers um so höher ist, je heterogener die Präferenzen der Bevölkerungen in den beteiligten Gebietskörperschaften sind und je geringer die Kenntnis der Entscheidungsträger in den lurisdiktionen um die Aktion bzw. Reaktion der jeweils übrigen Beteiligten ist. Das bedeutet umgekehrt, daß bei relativ homogenen Präferenzen und einer guten Antizipationsfähigkeit der Akteure nur wenig Spillovers entstehen, die internalisierungsbedürftig sind. 85 Damit sinken gleichzeitig die zur Internalisierung notwendigen Koordinierungsaktivitäten und die mit ihnen verbundenen Kosten. Überträgt man diese Gedanken auf die Wirkung einer Staatsgliederung, so senkt eine feine Gliederung in viele Gemeinden zunächst das Koordinationspotential zwischen den einzelnen Gemeinden, wenn unterstellt wird, daß Nachbargemeinden die genannten Homogenitätsanforderung erfiillen. Gleichzeitig steigt aber der über die gesamte Gesellschaft bestehende Koordinationsbedarf. Denn die in einer Gesellschaft existierenden Unterschiede bezüglich der Präferenzen werden durch die feine gemeindliche Gliederung ja nicht ausgeräumt, sondern nur verlagert. In dem Maß wie die Homogenität der Präferenzen innerhalb der jeweiligen Gemeinde zunimmt, steigt die Heterogenität der Präferenzen zwischen den Gemeinden und damit - bei entsprechender räumlicher Wirkung der öffentlichen Leistungen - auch der Koordinationsbedarf. 86 Durch die Verlagerung des Konfliktpotentials von der intrakollektiven auf die interkollektive Ebene87 steigen somit die Koordinationskosten mit steigender Anzahl der lurisdiktionen bzw. mit sinkender Größe dieser lurisdiktionen an. Letztlich entwickeln sich die Koordinations- und Administrationskosten der lurisdiktionen entgegengesetzt. Im weiteren Verlauf wird aber angenommen, 84 VgJ. Punkt F.1.2. 85 VgJ. dazu die Ergebnisse unter Punkt 0.11.1. 86 Zur Annahme, daß die Präferenzen der Einwohner in kleinen lurisdiktionen eher homogen, hingegen der in großen lurisdiktionen eher heterogen sind vgJ. z.B. Bretonl Scott [1978], S. 56 mit Verweis auf Stigler [1957], Pennock [1959] sowie Oates [1972]. 87 VgJ. dazu Kirsch [1978] und [1980].
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
171
daß die Steigerung der Koordinationskosten bei zunehmender Dezentralisierung größer ist als das Sinken der Administrationskosten. Damit steigen die gesamten Kosten aus der Nutzung von Jurisdiktionen mit höherer Dezentralisierung an.
3. Implikationenfii.r die Wahl zwischen Administration und Koordination Anhand der vorstehenden Überlegungen lassen sich drei Dinge zeigen: Zum einen ist eine Trennung von Bereitstellung und Produktion nicht nur analytisch sinnvoll; sie kann auch aus Efftzienzgründen lohnend sein. Zum anderen kann die Einrichtung von Gemeinschaftsorganen auf den Gebieten Bereitstellung, Beschaffung und/oder Verwaltung für mehrere Gebietskörperschaften sinnvoll sein, um Kostenvorteile zu realisieren. Diese neuen Formen der Zusammenarbeit von Jurisdiktionen verändern jedoch den institutionellen Aufbau eines Staates, da sie quasi zu neuen Ebenen innerhalb der Staats gliederung führen. Drittens ist die Relevanz von Transaktionskosten für den Staatsaufbau exemplarisch deutlich geworden. Die Transaktionskosten in Form externer Koordinations- und interner Administrationskosten sind bei allen Überlegungen zur institutionellen Ausgestaltung einer Staatsgliederung Zll berücksichtigen: Denn genauso, wie das Betreiben der oben erwähnten Einkaufsgenossenschaft nicht kostenlos erfolgen kann, ist jedes Betreiben von Jurisdiktionen mit Kosten verbunden. Daher ist es auch sinnvoll, diese Kosten bei der Beurteilung der Sanktionsmechanismen Exit und V oice mit einzubeziehen. Während im Tiebout-Modell der Wanderungsmechanismus auf der Nachfragerseite entscheidend für eine efftziente Allokation ist, hat auf Seiten der Anbieter die dezentrale Struktur eine herausragende Bedeutung. Sie stellt überhaupt erst die Möglichkeit zur Wanderung der Bevölkerung sicher; sie erst läßt wettbewerbliches Verhalten der einzelnen Gebietskörperschaften entstehen und sorgt damit letztlich für die efftziente und präferenzgemäße Bereitstellung lokaler und/oder regionaler öffentlicher Leistungen. Die Begründung dieser dezentralen Struktur wurde im wesentlichen auf der Grundlage der Kollektivgütertheorie geliefert: Das zur efftzienten Bereitstellung erforderliche perfekte Mapping erforderte in Verbindung mit dem Äquivalenzprinzip eine Vielzahl sowohl funktional als auch räumlich gegliederter Kollektive. 88 Da auch diese Kollektive nicht kostenlos zu errichten und zu betreiben sind, sollen im folgenden weiterhin die internen Kosten der Administration innerhalb einer Jurisdiktion und die externen Kosten der Koordination zwischen verschiedenen Juris88 Vgl. Tullock [1977], S. 32.
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
diktionen unterschieden werden. 89 Mit der Errichtung einer neuen Jurisdiktion und/oder einer neuen jurisdiktionalen Ebene entsteht gleichzeitig eine neue Verwaltung, die jeweils bestimmte interne Administrationskosten hervorruft. 90 Andererseits ftihrt eine feinere Untergliederung dazu, daß ein erhöhter Abstimmungsbedarf zwischen den einzelnen Jurisdiktionen und/oder Ebenen entsteht. Hieraus resultieren dann externe Koordinationskosten.9 1
NR
=Nationale Regierung
RR
=Regionale Regierung
LR = Lokale Regierung
Abbildung 20: Administrations- und Koordinationsbedarf im föderalen Staatsaufbau
Die Koordinations- und Administrationsnotwendigkeiten, die aus einern föderalen Staats aufbau resultieren, sind in Abbildung 20 dargestellt. Dabei zeigt
89 Allgemein kann man auch intra- und interkollektive Transaktionskosten unterscheiden. Im Prinzip verwenden Breton/Scott hierbei das Werkzeug der Transaktionskostenökonomik. Sie halten allerdings den Begriff "Organisationskosten" für den öffentlichen Sektor für angebrachter und schlagen vor, den Terminus "Transaktionskosten" für reine Markttransaktionen zu reservieren. Vgl. Bretonl Scott [1978], S. 7. Eine ähnliche terminologische Unterscheidung schlägt auch Bössmann [1982], S. 665 vor. 90 Diese internen Administrationskosten heißen bei Breton/Scott Administration costs. Sie umfassen z.B. die Kosten der richtigen Präferenzerhebung der Bürger sowie Kosten für das Finden und Umsetzen von entsprecheriden politischen Maßnahmen. VgJ. BretonlScott [1978], S. 32. 91 Die externen Administrationskosten - bei Breton/Scott Co-ordination costs - entstehen primär aus der Notwendigkeit interjurisdiktionelle externe Effekte zu internalisieren. Die durchzuführenden Verhandlungen verursachen Kosten. VgJ. BretonlScott [1978], S. 33 sowie - bereits erwähnt - Coase [1961].
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
\73
die Länge der Verbindung zwischen den einzelnen Knotenpunkten die Höhe der Koordinationskosten an, während die Größe bzw. Fläche der Knotenpunkte selbst die Höhe der jeweiligen Adrninistrationskosten repräsentiert. Erkennbar wird auch die Auswirkung unterschiedlicher Fonnen der Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften auf die genannten Kostenkomponenten. Werden beispielsweise zwei. Jurisdiktionen zu einer neuen, größeren integriert, so sinken die externen Koordinationskosten und steigen die internen Adrninistrationskosten. Vereinbaren diese Jurisdiktionen eine Kooperation, ohne zu integrieren, so sind die Koordinationskosten höher, die Adrninistrationskosten hingegen niedriger. Die Höhe der Koordinationskosten wird dabei wieder durch den Heterogenitätsgrad der Jurisdiktion determiniert. Wie bei der Diskussion der Wirkung von Spillovers gezeigt wurde, sinken die internalisierungsbedürftigen Netto-Spillovers mit steigender Homogenität der Präferenzen und mit dem größeren Wissen um das Verhalten der Emittenten. Das bedeutet, die Koordinationskosten werden bei Jurisdiktionen, die sich "aneinander gewöhnt haben", geringer ausfallen, als bei solchen, die sich fremd sind. Mithin dürfte die Kooperation bei Jurisdiktionen mit "gewachsenen" Beziehungen leichter und erfolgversprechender sein. 92 Kosten
oordinationskosten K mini----'''c----=='''''---r--;:~-'-
....
_--------------_. Administrationskosten
Zentralisierung
opt.
Dezentralisierung
Abbildung 2\: Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen in Abhängigkeit vom Zentralisierungsgrad
Stellt man allein die oben hergeleiteten Koordinations- und Adrninistrationskosten gegenüber, so ergibt sich aufgrund dieser institutionellen Kosten ein
92 Vgl. zu diesen Aspekten der interjurisdiktionellen Zusammenarbeit ausführlich auch Kapitel H.
174
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
optimaler Zentralisierungsgrad. Die Herleitung dieses Zentralisierungsoptimums ist in Abbildung 21 dargestellt. 93 Dabei läßt sich ein trade off zwischen Freiheitsziel und Effizienzziel konstatieren: Das Freiheitsziel würde eine möglichst große Dezentralisierung des Staatsgebiets postulieren,94 die Existenz von Koordinationskosten zeigt die Grenzen der Dezentralisierung auf. 95 Da interne und externe Transaktionskosten der lurisdiktionen den Bürgern über Steuern angelastet werden, offenbaren sie mit ihrer Zahlungsbereitschaft den Wert, den sie ihrer jurisdiktionellen Unabhängigkeit zumessen. 111. Interdependenzen der Kosten auf Seiten der Nachfrager und Anbieter
Allein die Betrachtung der Kosten, die auf einer Seite des "Marktes fiir öffentliche Leistungen" entstehen, d.h. auf Seiten der Nachfrager-Bürger oder der Anbieter-lurisdiktionen, ist nicht ausreichend: Vielmehr müssen bei der Opti93 Vgl. BretonlScott [1978], S. 69-77. Dieser "optimale" Zentralisierungsgrad, den man auch in eine optimale Gemeindegröße transformieren kann, ist abhängig von den Lageparametern der einzelnen Kostenkurven. Diese wiederum werden z.B. determiniert durch die Größe des Gesamtgebiets, die politische Struktur, den Homogenitätsgrad der Bevölkerung und die Gestaltung der Sanktionsmechanismen. Das bedeutet, daß die optimale Größe in verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich sein kann. Die Ermittlung eines solchen theoretischen Optimums wird in der Realität auch dadurch erschwert, daß - wie bereits erwähnt - typische Phänomene des realen laufenden Politikprozesses, wie beispielsweise Rent-seeking-Aktivitäten, in den Modellprämissen ausgeklammert werden. 94 So argumentiert auch Brennan [1979], der zu recht darauf hinweist, daß die von BretoniScott [1978] entwickelte Gliederung aufgrund der Betonung der Koordinationskosten dazu tendiert, größere Verwaltungseinheiten zu bilden. Diese wenigen großen Einheiten führen zu einer Anbieterstruktur, die nicht nur die Koordination im Interesse der Nachfrager-Bürger erleichtert, sondern auch eine leichtere Kollusion der Anbieterlurisdiktionen gegen die Nachfrager ermöglicht. 95 Damit entfallen endgültig die in der orthodoxen Darstellung theoretisch möglichen Ein-Personen-lurisdiktionen. Die externen Koordinationskosten in einem derartig fein gegliederten Staatsgebiet sind prohibitiv hoch. Auf diesen Umstand wies als erster Tullock [1977] S. 32f. hin. Aufgrund dieser Tatsache läßt sich auch postulieren, daß verschiedene Klubs, die nach der funktionellen Gliederung aufgrund der Kollektivgütertheorie als optimale Kollektivgröße hergeleitet werden können, zu Gebietskörperschaften integriert werden. Damit lassen sich dann nicht Produktionskosten- sondern Verwaltungskostenvorteile realisieren. Relevant sind mithin wieder die eingangs definierten Bereitstellungskosten, die die Transaktionskosten beinhalten.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
175
mierung der Staatsgliederung unter Transaktionskostengesichtspunkten die Kosten beider "Markt" -Seiten berücksichtigt werden: diese sind letztendlich von den steuerzahlenden Bürgern zu finanzieren. Fraglich ist nun noch, ob es einen Zusammenhang zwischen den Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen und den Kosten der politischen Betätigung der Bürger gibt. Unterstellt man, daß die Bürgeraktivitäten erfolgreich sind, mithin zu einer präferenzgemäßen Politik führen, so ist dieser Zusammenhang zu bejahen. Die Aufwendungen der Bürger für politische Aktivitäten lassen sich als Investitionen interpretieren, die in der Zukunft ein angestrebtes Nutzenniveau sicherstellen sollen. Wenn man - wie bisher - davon ausgeht, daß die Regierungen Aktivitäten entwickeln, um öffentliche Leistungen gemäß den Präferenzen der Bevölkerung bereitzustellen, so lassen sich auch die Administrations- und Koordinationsaktivitäten der Regierung als Investitionen in die Zufriedenheit der Bürger interpretieren. Beide Investitionsarten, die letztlich auf den Zweck abzielen, die Präferenzen der Bürger zu erfüllen, sind interdependent.
Kosten der Regierungen
o
Kosten der Bürger
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an BretonlScott [1978). S. 72f.
Abbildung 22: Reaktionsgeraden der Bürger und der Regierungen
Der Grundzusammenhang dabei ist folgender: Sind die Bürger nicht mit den Leistungen der Regierung zufrieden, so zeigen sie ihre Unzufriedenheit über Voice- und/oder Exit-Aktivitäten. Diese Aktivitäten verursachen die entsprechenden, oben angeführten Kosten. Da die Jurisdiktionen beziehungsweise deren Entscheidungsträger96 das Ziel haben, die Präferenzen der Bürger zu erfül-
96 Im folgenden soll der Einfachheit halber von Regierungen gesprochen werden. wenn auf das gesamte politisch-administrative System verwiesen wird.
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
len, reagieren sie auf Bürgeraktivitäten mit politischen Aktivitäten, um die Versorgung auf ein präferenzgemäßes Niveau zu bringen. Auch diese Aktivitäten verursachen - wie gezeigt - Kosten. Unter der Annahme, daß den Bürgern die Mechanismen Exit und Voice zur Verfügung stehen, und daß diese Mechanismen auf Seiten der Jurisdiktionen beziehungsweise deren Verwaltung die gewünschten Reaktionen hervorrufen, lassen sich dann die optimalen politischen Aktivitäten der Bürger und der Regierungen als neoklassisches Gleichgewicht modellieren. Dieses Gleichgewicht ist in Abbildung 22 anhand von Reaktionsgeraden der Bürger und Regierungen dargestellt. Dabei wird unterstellt, daß aufgrund einer "natürlichen Abweichung" der Versorgung von den Präferenzen immer ein gewisses Maß an politischen Aktivitäten seitens der Bürger notwendig ist, um die Regierung zu einer adäquaten Bereitstellung zu motivieren. Die Darstellung geht von folgenden funktionalen Zusammenhängen aus: (1) Die Kosten der Bürger für politische Aktivitäten (RB) setzen sich aus Kosten der Migration (RM ) und Kosten der Wahlen (Rw) zusammen. (2) Die Güte der Regierungspolitik steigt mit höheren Investitionen der Regierung in politische Aktivitäten. (3) Die Bürger investieren um so mehr in politische Aktivitäten, d.h. in die Offenlegung ihrer Präferenzen für öffentliche Leistungen bzw. in das Signalisieren ihrer Unzufriedenheit mit den Leistungen der Regierung, je schlechter aus ihrer Sicht die Politik der Regierungen ausfällt. (4) Je mehr die Bürger in politische Aktivitäten investieren, um so stärker investieren Politiker in Koordinationsaktivitäten (Rd und in Adrninistrationsaktivitäten (RA), um ihre Politik zu verbessern. Daraus folgt, daß es sowohl für die Anbieter- also auch für die Nachfragerseite eine optimale Investitionshöhe in politische Aktivitäten gibt. Die Regierungen werden so lange in Koordinations- und Administrationsaufgaben investieren, bis ihre Politik ein Niveau erreicht hat, das bei den Bürgern keine weiteren Sanktionen bzw. Unmuts äußerungen hervorruft. Gleichzeitig werden die Bürger genauso lange politisch aktiv sein, bis eben dieser Punkt erreicht ist. Aktivitäten der Bürger und Regierungen, die über diesen Punkt hinausgehen, sind ineffizient. Im Gleichgewichtspunkt A gilt dann nämlich, daß der Grenznutzen der Bürger aus den politischen Aktivitäten genau den Grenzkosten dieser Aktivitäten entspricht. Gleiches gilt für den Grenznutzen, den die Politiker aus ihren Aktivitäten ziehen und die Grenzkosten aus der entsprechenden Politik. 97 Die gesellschaftlichen Gesamtkosten für ein solchermaßen optimales Politikgeschehen addieren sich aus OB plus OR .98
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
177
Mit diesen Überlegungen ist zunächst noch nichts über die konkrete Gliederung eines Staatsgebietes ausgesagt. Deutlich wird nur, daß a) bestimmte politische Handlungen Kosten verursachen, daß b) diese Kosten der Benutzung bestimmter Mechanismen beim Design von Föderationen am "Reißbrett" mit einbezogen werden müssen und daß c) diese Kosten abhängig sind von der Größe der Jurisdiktionen beziehungsweise dem Grad der Dezentralisierung. Allerdings muß auch bei diesen Überlegungen wieder auf die idealtypischen Annahmen hingewiesen werden, die implizit enthalten sind: Wiederum sind die rational handelnden Bürger im Modell vollständig informiert über die Politik der Regierungen. Sie reagieren daher unmittelbar mit ihren Aktionsparametern auf Soll-Ist-Abweichungen bezüglich ihrer Politikpräferenzen. In der Realität wird man diese Annahme dahingehend modifizieren müssen, daß a) die Bürger. nicht vollständig informiert sind und es b) flir sie daher durchaus rational ist, innerhalb gewisser Abweichungsgrenzen auf eine unbefriedigende Politik nicht zu reagieren. Entsprechend ergeben sich wieder monopolistische Aktivitätsbereiche flir die Regierungen.9 9 Betrachtet man die eben hergeleiteten RB_ und RR-Funktionen näher, so lassen sich aus den Ausflihrungen zu den Kosten auf Seiten der Bürger und auf Seiten der Regierungen weitere Folgerungen in bezug auf die Lage dieser Funktionen ziehen. Geht man zunächst davon aus, daß die Investitionen der Regierung in Koordinations- und Administrationsaktivitäten gering sind, so bedeutet das aus Sicht der Bürger eine schlechte PräferenzerflillUng und ruft entsprechende Aktivitäten hervor. Da - wie gezeigt - in großen Jurisdiktionen aufgrund der Exit- und Voice-Kosten größere monopolistische Spielräume existieren als in kleinen, ist es plausibel, anzunehmen, daß die Investitionen der Bürger in kleinen Jurisdiktionen höher ausfallen als in großen Jurisdiktionen.
97 Beide Aussagen gelten nur unter den Prämissen dieses Minimalkostenmodells; zu diesen Prämissen gehört beispielsweise der Ausschluß von Rent-seeking-Aktivitäten durch organisierte Interessengruppen und anderes eigennutzorientiertes Verhalten, das zu einer Verfolgung von Partikularinteressen im politischen Prozeß führt. Auf die Auswirkungen solcher Verhaltensweisen auf die Politikergebnisse wird in Kapitel 8 detailliert eingegangen. 98 Die Kosten der Bürger in Höhe von OB setzen sich zusammen aus Kosten in Höhe von RE für Migrationsaktivitäten und in Höhe von RD durch Signalling. Auf Seiten der Regierungen fallen Administrationskosten in Höhe von BG an sowie Koordinationskosten in Höhe von BF an. 99 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen unter Punkt E.I.I. t2 Sauertand
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Dabei ist vorausgesetzt, daß die Abweichung von den Präferenzen jeweils gleich groß ist. Die Reaktionsgerade der Bürgeraktivitäten liegt damit in kleinen lurisdiktionen weiter außen als bei großen. Fragt man umgekehrt, wie die Reaktion der Regierungen auf geringe Investitionen der Bürger ist, so sind auch hier die monopolistischen Spielräume zu betrachten. Die Regierungen großer lurisdiktionen werden erst bei einem höheren Aktivitätsniveau der Bürger auf Präferenzabweichungen reagieren als die Entscheidungsträger kleinerer Körperschaften. Damit gilt auch hier, daß die Reaktionsgerade der Regierungen in kleinen lurisdiktionen über der in großen liegt. Der Verlauf der unterstellten Funktion ist somit abhängig von der Größe der lurisdiktion. IOO Betrachtet man nun noch die einzelnen Teilfunktionen, so verläuft beispielsweise die Rw-Funktion - und damit die RB-Funktion - in kleinen lurisdiktionen relativ flach. Ist hingegen die lurisdiktion groß - und sind damit die Präferenzen der Bevölkerung heterogener - so verläuft auch die RB_ Funktion wegen der steileren Rw-Funktion steiler: Es wird für den einzelnen teurer, durch politische Aktivitäten eine ihm genehme Ausgestaltung der Politik zu erreichen. Diese Erhöhung der "Überzeugungskosten" könnte vermieden werden, wenn die Größe der lurisdiktionen entsprechend angepaßt wird. Der Leitsatz für eine solche Aufteilung könnte lauten: Bilde lurisdiktionen so klein, daß ihre Bewohner relativ homogen bezüglich ihrer Präferenzen sind. Damit sinken die Kosten der Politikbeteiligung der Bürger: Mehrheiten sind einfacher zu finden, Abstimmungen fallen leichter. Dieser Kunstgriff der feineren Gliederung verschleiert aber nur das Problem: es wird nicht gelöst sondern verlagert, weil zwar die Konflikte auf der intrakollektiven Ebene gemindert, die auf der interkollektiven Ebene jedoch verstärkt werden. 10 1 Verfolgt innerhalb dieser feien räumlichen Gliederung beispielsweise die Gemeinde A eine Politik, die in den Gemeinden A und B zusammen nicht durchzusetzen gewesen wäre, und treten bei der Bereitstellung der fraglichen Leistung negative Spillovers nach B auf, so entsteht ein neuer Koordinationsbedarf. Dieser Regelungsbedarf ist zwischen heterogenen lurisdiktionen schwieriger, mithin teurer zu befriedigen als bei Verhandlungen zwischen homogenen lurisdiktionen. So wie die Kosten der politischen Betätigung für die Bürger sinken, steigen die externen Koordinationskosten der Regierungen, da die interkollektiven Koordinationskosten in Form von Konsensfindungsko-
100 Diese Erweiterung wird von Breton/Scott nicht untersucht. Sie erfolgt hier in Anlehnung an die Vorgehensweise von Tiebout [1961], um die Unterschiede zwischen den Überlegungen deutlicher darstellen zu können. 101 Zur Unterscheidung zwischen intra- und interkollektiven Konflikten vgl. Kirsch [1980].
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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sten zwar sinken, gleichzeitig aber die interkollektiven Koordinationskosten steigen. Die gesellschaftlichen Gesamtkosten, die - über Steuern - von den Gesellschaftsmitgliedern getragen werden, bleiben im Extremfall gleich oder steigen gar. Die Homogenisierung der Gebietskörperschaften gerät unter diesen Voraussetzungen zum gesellschaftlichen Nullsummenspiel.
Kosten
Gesamtkosten
Kosten der Regierungen
Kosten der Bürger Zentralisierung
opt.
Dezentralisierung
Abbildung 23: Transaktionskosten in Abhängigkeit vom Zentralisierungsgrad
Damit ist auch gezeigt, daß der Versuch, eine Kostenart isoliert zu minimieren, aufgrund der Interdependenzen dieser Kostenkomponenten scheitert. Es ist folglich notwendig, sowohl die Kosten, die den Bürgern aus einer politischen Betätigung entstehen, als auch die Kosten der Regierungen in die Überlegungen zu einer transaktionskostenoptimalen Gliederung mit einzubeziehen. Diese Überlegungen werden durch Abbildung 23 illustriert. Und noch eine weitere Relativierung ist notwendig: Ebensowenig, wie in den im ersten Teil dargestellten, traditionellen Modellen die Existenz der gerade eingeführten Transaktionskosten berücksichtigt wurde, wird beim Transaktionskostenmodell explizit auf die Produktionskosten eingegangen. Hier wird lediglich eine transaktionskostenoptimale Gliederung des Staatsgebietes angemahnt. Weiterhin sind es aber die gesamten Bereitstellungskosten - also Produktions- und Transaktionskosten -, die optimiert werden müssen. 102 Da jedoch - wie im Kapitel B gezeigt - die Gliederung der lurisdiktionen unabhängig von der Realisierung von Kostendegressionsvorteilen geschehen kann, bietet die transaktionskostenoptimale Gliederung einen guten Ausgangspunkt für die Überlegungen, ob Produktions- und Verwaltungsaktivitäten hinsichtlich öf102 Vgl. auch Ferris/Graddy [1994], S. 127. 12'
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
fentlich bereitzustellender Leistungen selbst übernommen oder auf Dritte verlagert werden sollen. 103
IV. Folgerungen In den vorangegangenen Ausftihrungen wurde die Bedeutung der institutionellen Ausgestaltung einer Staatsgliederung untersucht. Aufgrund der Analyse der mit einer Wanderung verbundenen Kosten konnte gezeigt werden, daß die Mobilität der Bevölkerung im Raum in der Regel nicht vollkommen ist. Vielmehr ist sie nicht zuletzt wegen der Entwertung von spezifischen sozialen Investitionen eingeschränkt. Das Ausmaß der Immobilität hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab: einmal ist die Größe der Jurisdiktionen, aus denen eine Abwanderung erfolgen soll, eine wichtige Determinante; zum anderen ist der Grad der Homogenität bzw. der Kompatibilität von sozialen Interaktionsmustern zwischen den alternativen Regionen ausschlaggebend. Je heterogener bzw. weniger kompatibel die notwendigen sozialen Investitionen in den verschiedenen Jurisdiktionen sind, um so höher sind die Mobilitätshemmnisse. 104 Aufgrund der eingeschränkten Mobilität wird a) das Kriterium des Ausgleichs der Nutzenniveaus hinfällig und b) die Analyse des Sanktionsmechanismus Wahlen notwendig. Auch hier zeigt sich, daß mit der Nutzung von Wahlen Kosten verbunden sind. Auch diese hängen ab von der Größe der betrachteten Jurisdiktion und damit von der Homogenität der Präferenzen ihrer Einwohner. Im Vergleich zu den Kosten der Wanderung sind die Kosten des Wählens niedriger; allerdings sind die Erfolgsaussichten von Wahlen hinsichtlich der Verbesserung des Versorgungsniveaus geringer. Dies folgt aus der Tatsache, daß Wahlen im Kollektiv stattfinden, während die Abwanderung eine individuelle Entscheidung darstellt. Versucht man nun, die Immobilität der Bevölkerung und die eingeschränkte Wirksamkeit von Wahlen zu vermindern, bietet sich die Verkleinerung der jeweiligen Jurisdiktionen bzw. eine feine, dezentrale Gliederung des Staates an. Damit lassen sich möglicherweise sogar die Verwaltungs- bzw. Administrationskosten senken, die mit dem Betreiben von Jurisdiktionen verbunden sind. Durch den Wegfall der Nebenbedingung jurisdiktionellen Handelns - des Ausgleichs der Nutzenniveaus - werden auch die Verhandlungen über die Höhe der zur Internalisierung von externen Effekten notwendigen Transfers schwieriger. Das bedeutet ein Ansteigen der Koordinationskosten. Hier wird nun auch die
103 Vgl. dazu wieder Kapitel B. 104 Dieser Gedanke wird im Kapitel H. vertieft, wenn es um die Rolle der Regeln in einer Gesellschaft geht.
F. Die Kosten der dezentralisierten Staatsgliederung
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Einschaltung einer zentralen Instanz als Schiedsrichter oder Vermittler notwendig, was zwar insgesamt die Transaktionskosten minimiert, gleichwohl aber auch nicht kostenlos durchzufUhren ist. Die aus diesen Problemen resultierenden Koordinationskosten müssen ebenfalls in die Überlegungen bezüglich der Optimierung der institutionellen Ausgestaltung des Staatsaufbaus einbezogen werden. Die Berücksichtigung der Transaktionskosten fiihrt dazu, daß nicht allein die Produktion der öffentlichen Leistungen effIzient gestaltet werden kann. Durch die explizite Einbeziehung der Transaktionskosten in die Überlegungen der Kollektivgütertheorie läßt sich eine effIziente Bereitstellung der öffentlichen Leistungen innerhalb einer gegebenen institutionellen Gliederung realisieren. Darüber hinaus kann auch die Gliederung selbst - unter Berücksichtigung der aus ihr resultierenden Kosten - optimiert werden. Somit wird das EffIzienzkriterium auch auf der Gliederungsebene erfiillt. Um die Kosten auf Seiten der Nachfrager und der Anbieter zu minimieren, die letztendlich alle von den Bürgern getragen werden müssen, gibt es im wesentlichen zwei Ansatzpunkte: Über eine Erhöhung der Mobilität können die Probleme bei der Aushandlung eines Finanzausgleichs vermindert werden. 105 Alternativ ist eine Sanktionierung der Regierung und die damit verbundene Begrenzung ihrer monopolistischen Spielräume über die Förderung des politischen Wettbewerbs möglich. Wenn sich nämlich tatsächlich politische Konkurrenz zwischen Regierung und Opposition um den Medianwähler entwickelt, wird die Wahl zu einer echten Alternative der Abwanderung. 106 Eine notwendige Voraussetzung fiir das Funktionieren des politischen Wettbewerbs ist das Ziel der Politiker, den Nutzen der Einwohner zu maximieren. Dieses Ziel ist bisher als alleiniger Antrieb des Handelns der Politiker unterstellt worden. Obwohl die Integration der Transaktionskosten in das optimale Design einer Föderation eine entscheidende Verbesserung des fiskalföderalen Ansatzes darstellt, fehlt es doch an der Heilung eines wichtigen Mangels: Auch unter Berücksichtigung von Transaktionskosten bleibt das Modell rein ökonomisch effIzienzorientiert. Die Politiker, die innerhalb der hergeleiteten Gliederung die Bereitstellung der öffentlichen Leistungen organisieren, sind ebenso wohlwollende Diktatoren wie die Designer der Gliederung. Daß diese Annahme nicht realistisch ist, zeigen die Arbeiten der Neuen Politischen Ökonomik. I 07 Bei den lOS Die Frage, welche Voraussetzungen zwischen den Regionen gegeben sein müssen, um eine hohe Mobilität der Bevölkerung zu erreichen, wird im Kapitel H behandelt. 106 Zum Medianwählerrnodell vgl. Punkt E.II. \07 Vgl. z.B. als Überblick BernholzlBreyer [1994].
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
bisher angefiihrten Überlegungen handelt es sich - in der Tenninologie von BretonJScott - um ein "design by machine". 108 Wie sich die Ergebnisse der Bereitstellung innerhalb einer gegebenen Ordnung ändern und wie sich der Ordnungsentwurf selbst ändert, wenn "echte" Menschen agieren, soll daher im folgenden Punkt untersucht werden. 109
108 So weist z.B. Tiebout [1961], S. 79 ausdrücklich darauf hin, daß die Wirkung des politischen Sektors in seinem Modell nicht untersucht werden soll. Vielmehr wird dieser fiskalfdderalistische Ansatz rein auf der Basis ökonomischer Effizienzüberiegungen entwickelt. 109 Der Ordnungsentwurf entspringt damit einem "design by politicians". Vgl. zum "design by machine" beziehungsweise "design by politicians" die entsprechenden Überschriften bei Bretonl Scott [1980], Kapitel 2 und 3.
G. Das Verhalten der politischen Akteure "Wie können wir politische Institutionen so organisieren, daß es schlechten oder inkompetenten Herrschern unmöglich ist, allzu großen Schaden anzurichten?"
K.R. Popper.[1957], S. 170. In den vorausgegangenen Kapiteln waren Gebietskörperschaften bzw. ihre' Regierungen und Bürger - in Analogie zum Marktgeschehen - als Anbieter und Nachfrager öffentlicher Leistungen modelliert worden. Beiden Akteursgruppen wurden bestimmte Zielfunktionen unterstellt, aus denen sich ein entsprechendes Verhalten der Akteure ableiten ließ. Die Nachfrager-Bürger versuchten in den jeweiligen Modellen, ihre Versorgung mit öffentlichen Leistungen zu optimieren, d.h. eine präferenzgemäße Versorgung zu erhalten um so ihren Nutzen zu maximieren. Demgegenüber waren die politischen Entscheidungsträger dadurch charakterisiert, daß ihr alleiniges Ziel darin bestand, eine optimale Güterversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, um so den Nutzen der Einwohner zu maximieren. Die politischen Entscheidungsträger wurden damit zur reinen Exekutive des Bürgerwillens. Obwohl aufgrund dieser Modellierung eine Zielidentität von Anbieter-Iurisdiktionen und Nachfrager-Bürgern unterstellt wurde, gab es rur die Entscheidungsträger aufgrund der unvollkommenen Sanktionsmechanismen monopolistische Spielräume bei der Bereitstellung. Innerhalb dieser Spielräume mußten sie nicht mit Sanktionen rechnen, wenn sich z.B. aufgrund von X-IneffIzienzen das Versorgungsniveau verschlechtert.! Gleichwohl galt annahme gemäß , daß die Entscheidungsträger diese Spielräume nicht bewußt zu ihren eigenen Gunsten mißbrauchten, weil sie weiterhin ihren Nutzen nur aus der präferenzgemäßen Bereitstellung rur die Bürger ziehen. Im folgenden Kapitel sollen diese Modellierungen in zweifacher Hinsicht erweitert werden. Zunächst wird die Anbieter- und Nachfragerseite differenzierter betrachtet. Dabei lassen sich zunächst Politiker und Bürokraten als Anbieter von politischen Programmen bzw. politischen Maßnahmen rur die Bürger unterscheiden. Beide Gruppen zusammen bilden das politisch-administrative System, wobei bei den Politikern wiederum zwischen der Regierung und der Opposition unterschieden werden kann. Aber auch die Nachfragerseite ist
! Vgl. die Ausftihrungen im Kapitel
c., Abschnitt I.
184
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
nicht monolithisch aufgebaut. Hier lassen sich analytisch die organisierten Interessengruppen von den unorganisierten Bürgern trennen. Aufbauend auf dieser Differenzierung werden die Ameize der einzelnen politischen Akteure bzw. Akteursgruppen ebenso betrachtet wie ihr daraus resultierendes Verhalten. Durch die Analyse der Ameize wird zum einen die Annahme aufgegeben, die politischen Entscheidungsträger verhielten sich wie wohlwollende Diktatoren bzw. sie fungierten als reine Werkzeuge des Bürgerwillens. Ebenfalls wird erkennbar, daß auch dieser Bürgerwille durchaus nicht einheitlich sein muß. Abschließend wird im folgenden Kapitel gezeigt, welche Auswirkungen das ameizorientierte Handeln der politischen Akteure auf die Versorgungssituation in einer dezentralen Staatsgliederung hat und wie die Besonderheiten aussehen, die sich aufgrund dieses Verhaltens in einer nicht nur horizontal, sondern auch vertikal verflochtenen Föderalstruktur ergeben.
I. Die Akteure im politischen Prozeß Um das Handeln politischer Akteure zu analysieren übernimmt die Publicchoice-Theorie das Menschenbild des Homo oeconomicus, das in der traditionellen Ökonomik zunächst nur für die Untersuchung wirtschaftlicher Akteure entwickelt wurde. Die Verwendung des Homo oeconornicus als Heuristik im politischen Sektor führt in Verbindung mit der Rationalitätsannahme zu neuen Hypothesen über das Verhalten von Politikern. Gemäß den Ergebnissen der Public-choice-Theorie versuchen auch Politiker, innerhalb der ihnen durch ihr Amt auferlegten Restriktionen ihren eigenen Nutzen zu maximieren. 2 Aufgrund dieses eigennutzorientierten Verhaltens kann die Beziehung zwischen Wählern und Politikern problematisch werden: Politiker agieren dann nämlich nicht notwendigerweise im Sinne der Bürger oder tragen zur Förderung des Gemeinwohls bei. Das Verhältnis zwischen Wählern und Politikern ist vielmehr charakterisiert durch eine Principal-agent-Beziehung: 3 Die Bürger als Prinzipale beauftragen die Politiker als Agenten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Die Einhaltung des durch Wahlen erteilten Auftrags kann von den Bürgern aber nur schwer überprüft werden. Die Politiker-Agenten nutzen den Informationsvorsprung, den sie in ihrer Position haben, zu ihrem individuellen Vorteil. Die Kontrolle der Politiker durch die Bürger-Prinzipale wird wegen der 2 Zur Entwicklung der Public-choice-Theorie vgl. Buchanan [1978]. Einen Überblick über die Public-choice-Theorie sowie die dort behandelten Fragestellungen findet man bei BuchananlToliison [1984] sowie bei Mueller [1989]. 3 Vgl. zum Problem der Principal-agent-Beziehungen grundlegend Ross [1973] sowie JensenlMeckling [1976].
G. Das Verhalten der politischen Akteure
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im vorigen Kapitel beschriebenen Kosten, die mit dem Einsatz der jeweiligen Sanktionsmechanismen verbunden sind, erschwert. Aufgrund dieser Informationsasymmetrie haben die Politiker in der Regierung nicht nur die Möglichkeit, sondern auch den Anreiz, ihre monopolistischen Spielräume aktiv fUr ihre Zwecke zu nutzen und - wenn möglich - sogar zu erweitern. Betrachtet man den "real existierenden" politischen Sektor genauer, so handeln dort nicht nur Politiker und Wähler. Im Rahmen der Public-choice-Theorie wird insbesondere auch das Verhalten von Bürokraten und organisierten Interessengruppen analysiert. Definiert man den politisch-administrativen Bereich als Gesamtheit von Regierung, Opposition und Bürokratie, so fmdet man auch hier eine Principal-agent-Beziehung. Hier sind es allerdings die Regierungspolitiker, die als Prinzipale die Bürokraten als Agenten mit der administrativen Umsetzung der Entscheidungen aus dem politischen Sektor betrauen. In dieser Beziehung besitzen nun die Bürokraten einen Informationsvorsprung gegenüber den Politikern, den sie zu ihrem Vorteil nutzen können. Vielfach erhalten die Bürokraten auch wichtige, entscheidungsrelevante Informationen von organisierten Interessenverbänden, die diese Informationen gezielt in den politischen Prozeß einbringen, um den Vorteil ihrer Verbandsmitglieder zu stärken. Auch zwischen Verbänden und politisch-administrativem Bereich gibt es Informationsasymmetrien; jedoch findet sich hier keine Principal-agentBeziehung. Welche Rolle nun die einzelnen Gruppen im politischen Prozeß genau spielen, soll im folgenden gezeigt werden. Dazu werden die Anreize analysiert, die Politiker, die Bürokraten und Interessenvertreter sowie unorganisierte Wähler hinsichtlich des Handeins in einer gegebenen Staatsgliederung mit einer vorgegebenen Kompetenzverteilung haben. Die vorgegebene Struktur soll zunächst so beschaffen sein, daß sie den Anforderungen eines optimalen "design by machine" entspricht. 1. Die Anbieterseite: Politiker und Bürokraten
Bisher war argumentiert worden, daß eine einfache Mehrheit der Wähler bei einer Abstimmung den Ausschlag gibt und die Jurisdiktionsmanager den Willen dieser Mehrheit ausfUhren. Diese ModelIierung kann etwas realitätsnäher gestaltet werden, wenn man unterstellt, daß unterschiedliche Parteien darum wetteifern, das Jurisdiktionsmanagement zu stellen.
186
Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Politiker beziehungsweise die Parteien, die sie vertreten, können dazu beitragen, das Problem der rationalen Ignoranz auf Seiten der Bürger zu mildem. 4 Sie treten als Informationsmittler auf und stehen rur feste Ideologien ein, die in ihren Parteiprogrammen verankert sind. Dadurch muß sich der einzelne Wähler nur noch für eine Ideologie beziehungsweise eine Partei entscheiden, ohne daß er sich über jede einzelne Sachfrage informieren muß.5 Wie sich nun Politiker verhalten bzw. wie Parteien ihr Programm entwickeln zeigte erstmals Downs in einem 1956 entwickelten Modell. 6 Downs ging davon aus, daß Politiker eigennutzorientiert handeln, sich also ökonomisch rational verhalten. Ihr Ziel ist es nicht nur, das Wohl der Bürger, die sie repräsentieren, zu verfolgen. Vielmehr geht es ihnen auch darum, mit der Macht, dem Prestige und dem Einkommen, die mit einer politischen Position in der Regierung verbunden sind, den eigenen, persönlichen Nutzen zu maximieren. Um überhaupt diese Regierungsposition zu erreichen, muß eine Partei Wahlen gewinnen. Dazu wiederum bedarf es einer Stimmenmehrheit. Unter der Annahme, daß die Präferenzen der Wähler eingipflig und konsistent sind,7 orientiert sich eine Partei dann an den Präferenzen des Medianwählers. Dieser Medianwähler ist der zur einfachen Stimmenmehrheit notwendige Grenzwähler. An diesem Wähler orientieren die Parteien ihr Programm - um ihn werben sieß Wenn eine Partei den Wahlsieg errungen hat und die Regierung stellt, so hat sie in der jeweiligen Legislaturperiode die Möglichkeit, die aktuelle Politik aufgrund ihrer eigenen Ziele zu gestalten. Hier treten weitere monopolistische Spielräume rur die Regierung auf. Durch die Festlegung einer Legislaturperiode werden zwar die Wahlkosten der Bürger gesenkt,9 jedoch auch ihre Möglichkeiten zur direkten Einflußnahme auf die aktuelle Politik vermindert. Dennoch gilt als Restriktion rur das Regierungshandeln die Machterhaltung über eine Wiederwahl. Empirische Untersuchungen zeigen, daß das Verhalten der Regierung von der Einschätzung der eigenen Wiederwahlchancen abhängig ist. Wird die Wiederwahl als sicher angesehen, so neigen Regierungen dazu, eine Politik gemäß
4 Vgl. Thöni [1986], S. 87. 5 Diese Eigenschaft wirkt transaktionskostenmindemd. 6 Vgl. Downs [1968] - in der deutschen Übersetzung. 7 Vgl. zu dieser Annahme Black [1968]. 8 Letztendlich determiniert dann dieser Medianwähler des Politikergebnis und die Parteien werden, da sie seine Präferenzen erfüllen, zum reinen ausführenden Organ. 9 Vgl. dazu die Ausführungen im Punkt F.I.2.
G. Das Verhalten der politischen Akteure
187
der eigenen Ideologie zu verfolgen. I 0 Ist die Wiederwahl hingegen unsicher, so greift die Machterhaltungsrestriktion: Die Regierung wird nun versuchen, mit einer entsprechenden Politik so viele Wählerstimmen zu gewinnen, daß ein Wahlerfolg erreicht werden kann. I I Um diese Wählerstimmen zu gewinnen, ist es aus Sicht der Regierungen lohnend, Wählergruppen, die über einen hohen Organisationsgrad verfügen, gezielt über "Wahlgeschenke" zu begünstigen. Die Kosten, die ein solches Verhalten verursacht, werden - möglichst wenig spürbar - auf alle SteuerzahlerlBürger überwälzt. Beim Versuch, Wählerstimmen zu gewinnen, konkurriert die Regierungspartei mit der Opposition; auch diese ist auf eine Mehrheit angewiesen, um die Regierung abzulösen und damit die Macht übernehmen zu können. 12 Im Wettstreit um die notwendigen Stimmen hat die Opposition einen Nachteil: Sie verfügt - anders als die Regierung - nicht über eine disponible Haushaltsmasse, um Wahlgeschenke zu machen. Vielmehr ist ihr Einflußpotential darauf beschränkt, Versprechungen für die Zeit nach einer potentiellen Machtübernahme zu geben.\3 Aus diesen Überlegungen läßt sich das Verhalten von Politikern bzw. Regierungen in einem gegebenen Staatsaufbau ableiten. Generell haben Regierungen ein Interesse daran, möglichst viele Kompetenzen zu haben, die ihnen möglichst hohe Haushaltsmittel als Gestaltungsmasse für eine aktive Politik bieten. Diese Kompetenz- bzw. Aufgabenverlagerung erfolgt i.d.R. zu Lasten des privaten Sektors; d.h. der öffentliche Sektor übernimmt tendenziell auch Aufgaben, die durchaus auf privatwirtschaftlicher Ebene erfüllt werden könnten. 14 10 Vgl. z.B. NelsonlSilberberg [1987], die das Abstimmungsverhalten im amerikanischen Senat bei Rüstungsausgaben analysieren. 11 Vgl. FreylSchneider [1978], [1978a], [1979] sowie PommerehnelSchneider [1983]. 12 Der politische Wettstreit ist somit ein weiteres Mittel, monopolistische Spielräume der Regierung für eine nichtpräferenzgemäße Politik einzuengen. Der Wettbewerb führt, wie von Downs gezeigt, dazu, daß sich - zumindest in einem 2-ParteienSystem - die Programme der Parteien annähern und die Präferenzen des Medianwählers berücksichtigt werden. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Abschnitt E.II. 13 Die Einschätzung der Verläßlichkeit solcher Versprechungen aus Sicht der potentiell Begünstigten wird damit zu einer wesentlichen Determinante der Chancen der Opposition. 14 Vgl. zu dieser Sicht des Staates kritisch Breton [1989], S. 720f., der die Möglichkeiten untersucht, "öffentliche" Leistungen nicht nur durch öffentliche Haushalte, sondern beispielsweise auch durch Familien bereitzustellen. Breton führt den Anstieg der staatlichen Tätigkeiten nicht nur auf ein Leviathan-Verhalten des Staates zurück, sondern auch darauf, daß sich Bereitstellungsmöglichkeiten verändern. So ist z.B. die so-
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Die politische Gestaltungsmasse kann von der Regierung nicht nur rür die Verfolgung der eigenen Ideologie, sondern - wie gezeigt - auch für die Wiederwahlsicherung eingesetzt werden. 15 Aus dieser Feststellung läßt sich wiederum folgern, daß die Opposition möglicherweise nur ein begrenztes Interesse daran hat, Ausweitungen der Kompetenzen zu begrenzen. Denn für den Fall einer Machtübernahme stehen eben diese Möglichkeiten, politische Aktivitäten zu entfalten, der - dann ehemaligen - Opposition zur Verfügung. Damit ergibt sich, daß der politische Wettbewerb auf horizontaler Ebene zumindest nicht vollständig in der Lage ist, das Verhalten der amtierenden Regierungspolitiker so zu beschränken, daß die Veränderungen der Kompetenzstruktur möglichst gering ausfallen. Vielmehr besteht ein Interesse von Regierung und Opposition, zumindest in Teilgebieten zu kolludieren. Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten von Politikern beziehungsweise Regierungen zu sehen, die in einer Staatsgliederung agieren, die aufgrund eines "design by machine" entstanden ist. Welche Wirkungen gehen nun von diesen Ameizen der Politiker auf den Grad der Zentralisierung oder Dezentralisierung einer Staatsgliederung aus? Wenn die Wiederwahl nicht gesichert ist, mithin die Stimmenmaximierung das Ziel der Regierung darstellt, bietet es sich an, gut organisierte Interessengruppen für sich zu gewinnen. Dabei kann es sich um solche Gruppen handeln, die eine ausgeprägte Präferenz für eine Zentralisierung oder eine Dezentralisierung haben. 16 Möglich ist aber auch die Gewinnung solcher Wählergruppen, die durch eine stärkere Dezentralisierung oder Zentralisierung der Staatsgliederung direkt profitieren, indem sie Lasten, die ihnen aus politischen Aktivitäten entstehen, auf andere Bürger überwälzen können. Für den Fall, daß die Wiederwahl gesichert erscheint, ist es der Regierung möglich, ihre eigene Ideologie zu verfolgen. Auch die Ideologie einer Partei kann Präferenzen für eine stärkere Zentralisierung oder aber eine Dezentralisierung des Gebiets und der Kompetenzen beinhalten. Eine andere Motivation ist
ziale Sicherung, die früher über die Institution "Großfamilie" erfolgte, heute besser bzw. nur noch - über den Staat möglich. Vgl. dazu insbesondere Breton [1989], S. 738ff. 15 Die aus der Umsetzung der Anreize entstehende Tendenz zur Ausweitung der Staatstätigkeit und damit auch der Staatsausgaben wird in der Finanzwissenschaft als "Wagnersches Gesetz" bezeichnet. Vgl. z.B. Timm [1961] sowie die Beiträge in Gemmel [Hrsg./1993]. Allerdings läßt sich empirisch feststellen, daß eine solche Gesetzmäßigkeit in vielen Ländern heute nicht mehr beobachtbar ist. Zu dieser Feststellung und möglichen Erklärungen für eine Umkehrung des Wagnerschen Gesetzes vgl. Hood [1994]. 16 Vgl. BretonlScott [1978], S. 93f. Auf die möglichen Anreize der Interessengrup-
pen hinsichtlich der Staatsgliederung wird in Punkt G.I.2. genauer eingegangen.
G. Das Verhalten der politischen Akteure
189
die Ausdehnung des Einflußbereichs der PolitikerlRegierung, der ihren Vertretern mehr Einkommen, Prestige und Macht verspricht. Hier läge die mit einem Machtzuwachs verbundene stärkere Zentralisierung im direkten Interesse der Regierungspartei. In jedem Fall aber ergibt sich aus den geschilderten Ameizen eine Tendenz dazu, die Kompetenzverteilung des Minimalkostenmodells zu verlassen, um eigene Interessen zu verfolgen. Auch Bürokraten lassen sich als Homines oeconomici modellieren. 17 Während Politiker eher den politischen Unternehmern entsprechen, sind Bürokraten quasi die Angestellten in diesen politischen Unternehmen. 18 Sie werden nicht direkt über die Wiederwahl kontrolliert, tragen jedoch mit ihren Leistungen dazu bei, daß die Wiederwahlchancen der Regierungen sich verbessern oder verschlechtern. Die Politiker haben also ein Interesse an guten Leistungen der Bürokraten. Diese Leistungen können aber aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den Politikern als Prinzipalen und den Bürokraten als Agenten nur schlecht kontrolliert werden. Im Rahmen der Public-choice-Theorie wird den Bürokraten üblicherweise unterstellt, sie maximierten - ähnlich wie die Politiker - ihren Nutzen über ihr persönliches Einkommen, ihren Einfluß und ihre Verfügungsrnacht hinsichtlich bestimmter Aufgabenbereiche. 19 Näherungsweise lassen sich diese Nutzenkomponenten aus der Höhe des Budgets, das den jeweiligen Abteilungen zur Verfügung steht, ableiten'.20 Verkürzt formuliert ist es daher das Ziel der Bürokraten, ihr eigenverantwortetes Budget zu maximieren. 21 Wie kann dies nun innerhalb eines gegebenen Staatsautbaus geschehen? Geht man davon aus, daß die Kosten der reinen Produktion der bereitzustellenden Leistungen für die Bürokraten exogen determiniert sind, so kann eine Maximierung des Bürokraten-Budgets über die Maximierung der Verwaltungskosten geschehen. Diese bestehen - wie oben gezeigt - aus Administrations- und Koordinationskosten. Durch das Eigennutzstreben der Bürokraten kommt allerdings zu den bisher diskutierten Transaktionskosten beim Betreiben von lurisdiktionen noch eine
17 18 19 20 21
Die ökonomische Theorie der Bürokratie geht zurück auf Tullock [1965J. Vgl. Kirchgässner [1991], S. 117. Vgl. dazu grundlegend Niskanen [1968] und [1971 J. Vgl. Thöni [1986], S. 94. Während Niskanen [1971], S. 80ff. annimmt, daß die absolute Größe des Budgets die Zielvariable der Bürokraten sei, geht Breton [1974], S. 162 davon aus, daß die Zielvariable die relative Größe des Budgets einer Abteilung im Vergleich zum Gesamtbudget ist. Die nachfolgenden Ausführungen unterstützen die Breton-Hypothese.
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
weitere Komponente der Administrationskosten hinzu: die sogenannten Beeinflussungskosten. 22 Wenn eine zentrale Stelle innerhalb einer Organisation existiert, die ein gewisses Machtpotential hat, besteht unter der Annahme des eigennützigen Verhaltens der einzelnen Akteure ein Ameiz für diese Stelle bzw. die entsprechenden Amtsinhaber, diese Macht auch für eigene Zwecke zu nutzen. 23 Genauso besteht aber die Gefahr, daß die Machtzentrale von nachgeordneten Stellen dazu veranlaßt wird, diese Macht zum Vorteil jener nachgelagerten Stellen einzusetzen. Die indirekte Nutzung von Macht für fremde Zwecke wird über Beeinflussungsaktivitäten initiiert, die mit Beeinflussungskosten verbunden sind. Diese bestehen zum einen aus den direkten Aufwendungen für die Einflußnahme, zum anderen aus den indirekten Wirkungen der Einflußnahme, d.h. den daraus resultierenden IneffIzienzen. 24 Beeinflussungsaktivitäten bzw. -kosten entstehen zum einen zwischen der Bürokratie als Einheit und der Politik. 25 Sie entstehen aber auch innerhalb der Bürokratie, wenn verschiedene Abteilungen einer Verwaltung um die knappen zur Verfügung stehenden Mittel konkurrieren. 26 Da das Prestige der einzelnen Abteilung bzw. des Abteilungsleiters vom jeweils zu verwaltenden Budget abhängt, versuchen diese, ein möglichst großes Budget im Verhältnis zu anderen Abteilungen bzw. zum Gesamtbudget zu erhalten. Dazu muß sich die Abteilung der mittelverteilenden Zentralstelle als möglichst gut und wichtig präsentieren. Um Fehler zu vermeiden, unterbleiben daher tendenziell risikoreiche Aktivitäten. Da die einzelnen Abteilungen auch eher über entscheidungsrelevante Informationen verfügen als die übergeordneten Abteilungen, die typi-
22 Diese Kostenkomponente wurde von Breton und Scott nicht berücksichtigt. Sie geht zurück auf Analysen von Milgrom und Roberts im Bereich der Theorie der Unternehmung. Vgl. dazu grundlegend MilgromiRoberts [1990], S. 79ff. Die Einbeziehung der Beeinflussungskosten in die Darstellung der Abbildung 22 hat eine Verschiebung der RR-Funktion nach außen zur Folge, da sich die RR -Funktion ebenfalls verlagert. A
23 So nutzen Politiker - wie oben gezeigt - ihre Macht eben auch zur Verfolgung eigener Interessen. 24 Während der beschriebene Sachverhalt gleichgelagert ist, unterscheidet sich hier die Terminologie der Transaktionskostenökonomik und der Public-choice-Theorie. Während erstere - wie hier angeflihrt - Beeinflussungsaktivitäten und -kosten untersucht, stellt letztere auf sogenannte Rent-seeking-Prozesse ab. Vgl. zum Rent seeking beispielsweise Tullock [1988] oder Brooks/Heijdra [1988]. 25 So ähnlich auch Thöni [1986], S. 95. 26 Auf die positiven Folgen eines solchen Wettbewerbs um knappe Mittel zwischen verschiedenen "Bürokratien" weist beispielsweise Niskanen [1978] hin.
G. Das Verhalten der politischen Akteure
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scherweise die Mittel verteilen, können einzelne Abteilungen auch durch die selektive Weitergabe solcher Infonnationen versuchen, sich in ein positives Licht zu setzen. All diese Aktivitäten verursachen im Endeffekt zwar Vorteile für den einzelnen Bürokraten bzw. die einzelne Abteilung, jedoch treten im Gesamtsystem IneffIzienzen auf, die zu einem suboptimalen Ergebnis führen.27 Für die verantwortlichen Entscheidungsträger in der Politik sowie in der Verwaltung bestehen Anreize, diese IneffIzienzen zu verhindern und also die Beeinflussungsaktivitäten zu sanktionieren. In bezug auf die institutionelle Gliederung erscheint es plausibel, anzunehmen, daß das Ausmaß der Beeinflussungsaktivitäten abhängig ist a) vom zu verteilenden Gesamtbudget und b) von der Anzahl der konkurrierenden Abteilungen. Das bedeutet, daß Beeinflussungsaktivitäten und die mit ihnen verbundenen Kosten um so geringer ausgeprägt sind, je kleiner eine Jurisdiktion und damit ihre Verwaltung ist. 28 Geht man davon aus, daß eine Verwaltung eine gegebene Menge an Aufgaben verantwortet, so bestehen aus Sicht der Bürokratie Anreize, diejenigen Kompetenzen, die bei einer Zentralisierung hohe Administrationskosten aufweisen, zu zentralisieren. Hingegen ist es aus Sicht der Verwaltung vorteilhaft, solche Kompetenzen, die bei einer dezentralen Anordnung zu hohen Koordinationskosten führen, zu dezentralisieren. 29 Auf diesem Weg gelingt der Verwaltung eine Maximierung der Transaktionskosten der Bereitstellung und mithin eine Maximierung des eigenen Budgets und des eignen Nutzens. Für die Politiker besteht wiederum ein Anreiz, diesen "Wünschen" der Bürokratie nachzukommen: Bürokraten zeichnen sich in der Regel durch einen hohen Organisationsgrad aus. Sie stellen in vielen Gesellschaften ein hohes Wählerpotential dar und sind damit für die Politiker eine gut organisierte Interessengruppe. In Phasen unsicherer Wiederwahlchancen ist daher nicht damit zu rechnen, daß die Wünsche der Bürokratie und die davon ausgehenden Kosten von Seiten der Regierung nicht akzeptiert werden. Auch hier stellt sich das 27 Die einzelnen Akteure befinden sich hier wiederum in einem Gefangenendilemma. Vgl. ähnlich Homann [1988). 28 Beeinflussungskosten müssen ebenso sanktioniert werden, wie beispielsweise das Shirking bei Team-Produktion. In Analogie zur Argumentation von AlchianlDemsetz [1972], S. 779ff. sind Beeinflussungsaktivitäten in kleineren Verwaltungen mit wenigen Abteilungen besser zu erkennen. Aufgrund der Interdependenz der Abteilungen beim Ziel der Präferenzbefriedigung wird in solch kleinen Verwaltungen eher ein Gruppendruck auf die Beeinflusser ausgeübt. Damit sind die Beeinflussungsaktivitäten in kleinen Verwaltungen auch aufgrund der besseren internen Kontrollmäglichkeiten geringer als in großen, weniger überschaubaren Verwaltungen. 29 Vgl. BretoniScott [1978], S. 94f.
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Teil 2: Dezentralisierte politische Systeme und Institutionenökonomik
Ergebnis ein, daß die Bürokraten starke Anreize haben, von einer Kompetenzverteilung, die dem Minimalkostenmodell entspricht, abzuweichen und damit IneffIzienzen zu verursachen. 30 2. Die Nachfragerseite: Organisierte und unorganisierte Interessen
Wie unter Punkt F.1.2. bereits erwähnt, sind die Möglichkeiten für Unternehmen, direkt über die Teilnahme an Wahlen Einfluß auf den politischen Bereich zu nehmen, gering. Sie können aber versuchen, ihre Interessen zu organisieren und auf andere Art und Weise in den politischen Prozeß einzubringen. Eine solche Interessenorganisation kann durch die Gründung von Verbänden erfolgen. 31 Verbände werden nicht nur von Unternehmen gebildet, sondern sind generell dort zu finden, wo relativ homogene Interessen dazu führen, daß sich ein Klub bildet, der diese Interessen gezielt verfolgt. 32 Wie Olson [1992] gezeigt hat, muß ein gewisses Maß an Homogenität der Interessen sowie eine relativ übersichtliche Zahl potentieller Mitglieder gegeben sein, damit eine freiwillige Kollektivgründung gelingt. Daraus folgt zunächst, daß die Organisation von Interessen in kleinen lurisdiktionen - mithin bei stärkerer Dezentralisierung des Staatsgebiets - einfacher und günstiger möglich ist als in großen, weil die Kollektivmitglieder in kleinen Gruppen tendenziell homogenere Präferenzen haben als in großen Kollektiven. Bei großen Gruppen kann über das Setzen selektiver Anreize versucht werden, potentielle Mitglieder zum Beitritt zu motivieren. Über welche Einflußmöglichkeiten verfiigen aber diese Verbände im politischen Prozeß? Zum einen sind sie in der Lage, kostengünstige Informationen für die politischen Entscheidungsträger zu liefern. 33 Während diese Funktion grundsätzlich als positiv zu beurteilen ist, weil Verbände als Informationsmittler transaktionskostensenkend wirken, haben sie andererseits ein Interesse daran, diese
30 Ähnlich auch Breton/Scott [1978], S. 96. 31 Vgl. zur These, daß die Organisation von Interessen in Verbänden als Substitut für die Beteiligung an Wahlen angesehen werden kann MuellerlMurrell [1986], S. 140. 32 Gleichwohl läßt sich beispielsweise für die Europäische Gemeinschaft feststellen, daß ein Großteil der existierenden Verbände die Interessen der Industrie vertritt. Vgl. z.B. FreylKirchgässner [1994], S. 204. Ähnlich auch MurreIl [1984], S. 152f., der Verbände anhand eines gegebenen Zwecks definiert, der meistens in der Vertretung von Interessen eines Wirtschaftszweigs besteht. 33 Vgl. z.B. Bernholz [1969], S. 282-284.
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Informationen zu filtern. Die selektive Weitergabe hilft ihnen, die Interessen ihrer Verbandsmitglieder besser zu präsentieren. Damit entstehen auch Kosten durch die Nutzung von Verbänden als Informations(ver)mittler. 34 Eine weitere Möglichkeit der Einflußnahme auf den politischen Prozeß besteht in der Fähigkeit, ein Wählerpotential zu mobilisieren, das sich aus den Mitgliedern der eigenen Organisation und aus Akteuren auf vor- und/oder nachgelagerten Märkten zusammensetzt, die von den jeweiligen Verbänden beeinflußt werden können. Da Unternehmen - wie oben gezeigt - tendenziell mobiler sind als Haushalte,35 verfUgen sie, wenn sie sich in Verbänden organisieren, über ein beträchtliches Drohpotential gegenüber der Regierung. Allein die Drohung abzuwandern, verleiht ihren politischen Forderungen aus zwei Gründen ein großes Gewicht: Zum einen schmälerte die Abwanderung direkt· die Steuereinnahmen der jeweiligen Regierung. 36 Auf der anderen Seite bedeutete eine Abwanderung den Verlust von Arbeitsplätzen; damit wären fUr die Regierung wiederum Steuereinbußen verbunden. Aber auch die so gefährdeten Arbeitnehmer würden bei Wahlen oder über andere Signalling-Aktivitäten versuchen, Vorteile ftir ihre Arbeitgeber - und damit sich selbst - zu erzielen. Über die Mobilisierung eines Wählerpotentials kann damit der Unternehmenssektor, bzw. die jeweilige Branche, politischen Druck auf die Regierungen ausüben. 37 Generell hängt dieses Einflußpotential vom Organisationsgrad, von der Mitgliederzahl und von der Marktrnacht des jeweiligen Verbandes ab. 38 Darüber hinaus können Interessengruppen die politischen Akteure über die ZurverfUgung stellung finanzieller Mittel, z.B. in Form von Parteispenden, beeinflussen. 39 Zusammenfassen lassen sich die beiden letztgenannten Anknüpfungs-
34 Diese Kosten resultieren aus Ineffizienzen, die aufgrund der Beeinflussungsaktivitäten von Verbänden auftreten. Vgl. auch die Ausflihrungen zu den Beeinflussungskosten in Punkt G.I.2. 35 Vgl. dazu Punkt F.I.I. 36 Unterstellt sei weiterhin eine räumliche Äquivalenz bei den Steuereinnahmen. 37 Bei großen Konzernen ist die Organisation der Interessen in Verbänden gar nicht notwendig, wie aktuell das Beispiel der Deutschen Aerospace AG zeigt. Hier kann ein Unternehmen allein Druck auf den politischen Sektor ausüben. Vgl. z.B. o. V. [1995a] und [1995b]. 38 Vgl. Bernholz [1969], S. 284. 39 Vgl. MuelleriMurrell [1986], S. 126. Bernholz [1969], S. 285 verweist zu recht darauf, daß diese Möglichkeit in den USA stärker genutzt werden kann, da dort z.B. der Präsidentschaftswahlkampf hauptsächlich über Spenden finanziert wird. Demgegenüber 13 Sauerland
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punkte unter der Mobilisierung von Wählerstimmen. Verbände können somit in einen Handel mit den Regierenden eintreten, der den Tausch von Wählerstimmen gegen Vergünstigungen für die jeweiligen Verbandsmitglieder umfaßt. Diese Vergünstigungen verursachen in der Regel Kosten: Kosten der Bereitstellung dieser Vergünstigungen. 40 Da hiervon auch wiederum die Kosten des Betreibens von Jurisdiktionen beeinflußt werden, ergibt sich ein Zusammenhang zwischen der Staatsgliederung und der Existenz von Interessengruppen. Wenn Verbände also die Interessen ihrer Mitglieder verfolgen, bevorzugen sie eine Staatsgliederung, die sie ihre Aufgabe möglichst kostengünstig erfüllen läßt und ihnen möglichst gute "Angriffspunkte" bietet. 41 Wie empirische Untersuchungen gezeigt haben, steigt die Fähigkeit der Verbände, Einfluß zu nehmen, mit dem Grad der Dezentralisierung einer Staatsordnung an. 42 Die Dezentralisierung fuhrt zu kleineren Jurisdiktionsgrößen und damit zu einer geringeren Anzahl an potentiellen Verbandsmitgliedem in der jeweiligen Jurisdiktion. Mithin läßt sich in kleineren Jurisdiktionen die Gründungsproblematik von Verbänden leichter überwinden bzw. lassen sich Interessenverbände besser organisieren als auf zentraler Ebene in einem stärker zentralisierten Staatsgebiet. Auch ist es wahrscheinlich, daß beim Vorhandensein von unterschiedlichen regionalen Interessen, diese auf regionaler Ebene besser vertreten werden können als auf der zentralen Ebene: Dort konkurrieren alle regionalen Interessenverbände um Vergünstigungen der Zentralregierung, dort ist ihr jeweiliges Wähler- bzw. Drohpotential entsprechend kleiner - wenn es nicht zu einem Log rolling kommt. 43 Aus diesen Überlegungen folgt, daß Verbände eher ein Interesse an einer Dezentralisierung des Staatsautbaus haben als an einer Zentralisierung. 44 Sie erfolgt die Parteienfinanzierung in Deutschland zumindest teilweise aus Steuern. Vgl. dazu kritisch Arnim [1993]. 40 Vgl. dazuMlleller/Murrell[1986], S. 126f. 41 Vgl. auch Folkers [1994]. 42 So z.B. Salisbury [1975], S. 200, MurreIl [1984], S. 166 sowie MuelieriMurrell [1986], S. 139. 43 Das ist ein Grund dafür, daß die deutsche Bundesregierung resistenter gegen die Wünsche des Steinkohlebergbaus ist als die Regierungen der kohlefördernden Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland. 44 Aus den Anreizen der Verbände, ihre Interessen besser dezentral zu vertreten, kann auch geschlossen werden, daß es eben nicht - wie früher angenommen - zu einem Konkurrenzgleichgewicht der Partialinteressen im politischen Bereich kommt. Vgl. z.B. Bernholz [1969], S. 276-278 sowie die dort angegebenen Quellen. Dieses Gleichgewicht bzw. diese Konkurrenz würde allenfalls dann erreicht, wenn tatsächlich alle Interessengruppen auf einer Ebene um politischen Einfluß konkurrierten und es dort auch
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haben damit tendenziell Anreize, auch diese stärkere Dezentralisierung im politischen Prozeß zu unterstützen und damit eine Abweichung der tatsächlichen von der kostenrninimalen Gliederung zu verursachen. 45 Anders als bei den beschriebenen Interessengruppen sind beispielsweise die Interessen der Steuerzahler und Bürger schlecht zu organisieren, weil diese Gruppen sehr groß und ihre Präferenzen entsprechend heterogen sind. Sie üben daher im politischen Prozeß keinen adäquaten Einfluß als Interessengruppe aus. 46 Gleichzeitig sind es aber die Steuerzahler, die mit der Gesamtheit der aus der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistung resultierenden Kosten belastet werden. 47 Offensichtlich tritt hier ein Interessenkonflikt zwischen den Bürgern als Steuerzahler und den Bürgern als Politiker, Bürokraten und Interessenvertreter von organisierten Partialinteressen auf. Auch diese politischen Akteure sind in ihrer Rolle als Staatsbürger mit den Kosten, die aus ihrem Tun entstehen, belastet. 48 Der Interessenkonflikt zwischen beiden Rollen läßt sich aber einfach auflösen, wenn man - wohl realistisch - annimmt, daß der Nutzen, den die in den genannten Gruppen tätigen Bürger aus ihrer dortigen Funktion ziehen, größer ist als die Kosten, die sie in ihrer Funktion als Steuerzahler zu tragen haben. Welchen Anspruch hat nun die Gesamtheit der unorganisierten Bürger ohne politische Funktionen an eine Staatsgliederung? Es erscheint plausibel zu unterstellen, daß die eingangs aufgestellten Forderung nach "Freiheit" und "Effizienz" von den Staatsbürgern auch an ihr jurisdiktionelles System gestellt werden. D.h., die Staatsbürger haben zum einen ein Interesse daran, daß innerhalb einer gegebenen Staatsgliederung ihre Präferen-
nicht zu einer Kollusion der Interessengruppen und dem damit verbundenen Log rolling käme. Zur Vorteilhaftigkeit eines solchen Wettbewerbs der Interessengruppen vgl. Becker [1983], S. 384. 45 Vorausgesetzt wird hier, daß die kleineren lurisdiktionen bzw. Regierungen über ausreichende Mittel verfUgen, um die Verbandsinteressen zu befriedigen. Das kann auch über eine mögliche Intervention der kleineren bei den übergeordneten Jurisdiktionen ermöglicht werden. Wenn allerdings der Staatsaufbau so ausgestaltet ist, daß die zentrale Ebene die Kompetenz-Kompetenz innehat, so wird diese Ebene ihren Einflußbereich zu Lasten der unteren Ebenen ausweiten. In diesem Fall werden die Interessenvertreter auch die zentrale Ebene "bearbeiten". 46 Zwar gibt es beispielsweise in Deutschland auch einen Bund der Steuerzahler, sein Einfluß ist aber im Vergleich zu dem anderer, kleinerer Interessengruppen unverhältnismäßig gering. 47 Vgl. BretonlScott [1980], S. 32. 48 Ähnlich BretonlScott [1980], S. 27. 13'
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zen in bezug auf die bereitzustellenden öffentlichen Leistungen befriedigt werden. Diese Präferenzerfiillung soll darüber hinaus zu minimalen Kosten, mithin effizient, geschehen. Daraus folgt, daß die Bürger in Abwesenheit von Präferenzen für eine spezielle Staatsgliederung eine solche Gliederung wünschen, die der ökonomisch effizienzorientierten Gliederung entspricht. Jene wurde anhand von Überlegungen zu den Produktions- und den Transaktionskosten der Bereitstellung hergeleitet. Demgegenüber wirken im politisch-administrativen Bereich die beschriebenen Kräfte in Richtung einer Abweichung von der Minimalkostengliederung. Durch die Mängel der existierenden Kontroll- und Sanktionsmechanismen bieten sich aus Sicht der Bürokraten, Interessengruppen und Regierungen auch durchaus Möglichkeiten, diese Abweichungen durchzusetzen. Bevor nun im weiteren Verlauf auf Möglichkeiten eingegangen wird, die vorhandenen Spielräume zu begrenzen, sollen noch die konkreten Anreize der politischen Akteure innerhalb einer föderale Staatsgliederung sowie die daraus resultierenden Folgen für die Kompetenzverteilung zwischen den jurisdiktionellen Ebenen betrachtet werden. 49 11. Besonderheiten einer föderalen Struktur
Während bisher die Anreize der politischen Akteure bezüglich der Gestaltung einer rein dezentralen Staatsgliederung angefiihrt worden waren, ist im Bereich des föderalen Staatsaufbaus eine weitere Differenzierung notwendig: Hier kann nicht mehr von den Interessen der Politiker, der Bürokraten und der Verbandsvertreter gesprochen werden. Vielmehr müssen im Rahmen der vertikalen Gewaltenteilung die Interessen der politischen Akteure auf der jeweiligen foderalen Ebene unterschieden werden. So haben die Akteure in den Ländern und Gemeinden möglicherweise andere Interessen als die Akteure auf der Bundesebene. Weiterhin ist innerhalb einer horizontalen, foderalen Ebene zu differenzieren nach den Interessen z.B. einzelner regionaler oder lokaler Regierungen. 50 Aus diesen zusätzlichen Unterscheidungen ergibt sich ein komplexes Geflecht von horizontalen und vertikalen Ansprüchen an die Staatsgliederung und an die damit verbundene Kompetenzverteilung. Diese Ansprüche, die miteinander zu konkurrieren scheinen, fiihren dazu, daß einem dezentralen Staatsautbau eine positive Wirkung bei der Zähmung des Staates in seiner
49 Auf die Notwendigkeit, föderale Strukturen auch aus dem Blickwinkel der Public-choice-Theorie zu betrachten, weist beispielsweise Wiseman [1989] und [1990] hin. 50 Vgl. zu dieser Forderung auch Thöni [1986], S. 107 und 115.
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Rolle als einnahmemaximierender Leviathan zugeschrieben wird. 51 Ob der Staat tatsächlich als Leviathan auftritt, ist in der Literatur umstritten. 52 Hinzu kommt, daß die positive Wirkung der Dezentralisierung nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist. 53 Um theoretische Argumente für und gegen die Dezentralisierungsthese anführen zu können, sei im folgenden unterschieden zwischen einer Betrachtung des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen einer Ebene (horizontale Komponente) und der des Wettbewerbs zwischen unterschiedlichen fOderalen Ebenen (vertikale Komponente).54 Während die erste Frage wieder auf die Wirksamkeit der Sanktionsmechanismen Wahlen und Wanderung abstellt, wird in der zweiten Dimension die Möglichkeit offenbar, innerhalb einer föderalen Staatsgliederung Countervailing powers gegen die Macht der Zentralregierung zu implementieren. Wie stellen sich nun diese vertikalen und horizontalen Beziehungen innerhalb von Föderationen aus dem Blickwinkel der Publicchoice-Theorie dar? Ziel einer jeden Partei bzw. der in ihr organisierten Politiker ist es, die jeweiligen Wahlen zu gewinnen, um dann die Regierung zu stellen und das Regierungsamt auch zum eigenen Vorteil nutzen zu können. Wahlen werden aber auf jeder fOderalen Ebene abgehalten, entsprechend muß eine Partei auf jeder Ebene versuchen, die Macht zu erlangen. Um eine Wahl zu gewinnen, müssen Wählerstimmen gewonnen werden. Das läßt sich aus Sicht der Politiker - wie gezeigt - beispielsweise über die gezielte Mobilisierung organisierter Interessengruppen erreichen. Jede Regierung, die der Wiederwahlrestriktion unterliegt, hat somit ein Interesse daran, unpopuläre Entscheidungen, die starke, für die Wiederwahl wichtige Interessengruppen treffen, mit Blick auf die gefährdeten Wählerstimmen zu vermeiden. 55 Entsprechend besteht für die Regierung ein Anreiz, die Kompetenzen für Politikfelder, die innerhalb der eigenen Juris-
51 So z.B. BrennanlBuchanan [1980], S. 185: "Total govemment intrusion into the economy should be smaller, ceteris paribus, the greater the extent to which tax es and expenditures are decentralized ... " (Hervorhebung im Original). 52 Vgl. wieder Breton [1989], S. 725ff. sowie Dates [1985). 53 Vgl. z.B. Dates [1972], S. 209-213 sowie Dates [1989). 54 Eine ähnliche Unterscheidung trifft Zax [1989], S. 560. Er unterscheidet zwischen den Dimensionen "centralism" und "fragmentation" der Dezentralisierung. Während erstere auf das Verhältnis von über- und nachgeordneten Ebenen abstellt, ist die letztere Dimension eine Kennziffer für den horizontalen Wettbewerb auf einer Ebene. 55 Die folgende Argumentation in bezug auf das Gewinnen von Wählerstimmen, d.h. auf das Verhindern der Abwahl, kann analog auf das Gewinnen von Einwohnern bzw. das Verhindern von Abwanderungen übertragen werden.
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diktion kontrovers und/oder unpopulär sind, auf andere Jurisdiktionen bzw. deren Entscheidungsträger abzuwälzen. Andererseits hat jede Regierung ein Interesse daran, solche Politikbereiche bzw. Kompetenzen an sich zu ziehen, die in der eigenen Jurisdiktion unumstritten sind und deren politische Behandlung jeweils Popularität und damit Wählerstimmen verspricht. 56 Damit besteht tendenziell der Anreiz, komplizierte, wenig publikumswirksame Politikbereiche abzugeben, leicht handhabbare - bei denen sich mit geringem Aufwand publikumswirksame Erfolge erzielen lassen - hingegen anzuziehen. 57 Die unterschiedliche Struktur der Bevölkerung in Jurisdiktionen unterschiedlicher Ebenen - also z.B. in Bund und Ländern -, kann dazu führen, daß Politikbereiche, die auf Landesebene durchaus umstritten sind, auf Bundesebene zumindest neutral in bezug auf das mit ihnen verbundene Unruhepotential sind. Aus einer solchen Konstellation ergeben sich Anreize, die Kompetenzen für eben diese Politikbereiche zwischen den Ebenen auszutauschen, um damit das intrakollektive Konfliktpotential zu verringern. 58 Da beide beteiligten Jurisdiktionen bzw. Regierungen von einem solchen Kompetenzentausch profitieren, braucht die abgebende Ebene für den Verzicht auf die jeweilige Kompetenz nicht fmanziell kompensiert zu werden. 59 Ein solcher Handel kann nicht nur in der gerade beschriebenen Richtung, also von den Ländern zum Bund hin, stattfmden. Durchaus möglich erscheint auch eine für beide Seiten vorteilhafte, freiwillige Verlagerung von Bundeskompetenzen in die homogeneren Länder. Theoretisch führt dieser bargaining-Prozeß zu einem Gleichgewicht, in dem eine - aus Sicht der beteiligten Regierungen - optimale Kompetenzanordnung erreicht wird. Gleichwohl läßt sich empirisch feststellen, daß der Etat der Zentralebene in vielen Föderationen immer größer wird, insbesondere auch im Verhältnis zu
56 Anders als im Wagnerschen Gesetz erfolgt hier nicht eine Verlagerung von Aufgaben vom privaten in den öffentlichen Sektor, sondern eine Verlagerung der Aufgaben zwischen verschiedenen Ebenen des öffentlichen Sektors. 57 Ein anschauliches Beispiel für diesen Vorgang bietet die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland von 14 auf 15 Prozent. Diese wurde mit der von der EU initiierten Angleichung der Mehrwertsteuersätze innerhalb der Gemeinschaft begründet. Damit konnte die zentrale Ebene - hier die EU - als offensichtlicher Kompetenzträger und damit als "Sündenbock" für die Steuererhöhung von der deutschen Bundesregierung "benutzt" werden. Weitgehend unbeachtet blieb die Tatsache, daß die Angleichung der Steuersätze auf EU-Ebene einstimmig verabschiedet wurde, d.h. mit Zustimmung der Bundesregierung. 58 Vgl. im folgenden zu den Auswirkungen der intra- und interkollektiven Konflikte Kirsch [I978] und [1980]. 59 Siehe auch BretoniScott [1980], S. 28f.
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den Haushalten der nachgeordneten Ebenen. Dieser Zusammenhang, der unter dem Begriff des "Gesetzes von der Anziehungskraft des größten Etats" in der Finanzwissenschaft bekannt ist,60 kann auch anhand von Überlegungen der Public-choice-Theorie erklärt werden. Vor dem Hintergrund der angeführten Gleichgewichtsüberlegungen stellt sich allerdings die Frage, wie die Zentrale, Z.B. der Bund, mehr Kompetenzen und entsprechend mehr fmanzielle Mittel an sich ziehen kann. Oder anders formuliert: Wieso tritt die obere Ebene einer Föderation eher als Nachfrager von Kompetenzen auf, während die nachgelagerten Ebenen eher in der Rolle von Kompetenzanbietern zu finden sind? Neben dem angeführten bargaining-Argument, bei dem beide Seiten - unabhängig von fmanziellen Kompensationen - einen Anreiz hatten, Kompetenzen zu verlagern, ist auch der Fall vorstellbar, daß Kompetenzen verlagert werden. und diese Verlagerung zunächst nur der übernehmenden Seite Vorteile bringt. Sind nämlich Politikbereiche sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene unumstritten, jedoch zunächst bei den Ländern angesiedelt, so hat der Bund Anreize, diese Kompetenz zu erlangen. Gleichwohl haben die Länderregierungen keinen Anreiz, diese aufzugeben. Um doch noch einen Austausch begründen zu können, muß also ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden. Die Überlegungen zur adäquaten Zuordnung von Kompetenzen zu unterschiedlichen Gebietskörperschaften bzw. föderalen Ebenen und die Ausführung zu den Transaktionskosten bei der Entscheidung "make or buy" hatten gezeigt, daß es durchaus sinnvoll sein kann, die Funktionen Gesetzgebung, Finanzierungserhebung und Durchführung politischer Maßnahmen zu trennen. So kann es z.B. vorteilhaft sein, von der direkten Äquivalenzfmanzierung, bei der die jeweilige Gebietskörperschaft direkt die Finanzierungsbeiträge von den Nutzern erhebt, zu einer indirekten Finanzierung von Aufgaben überzugehen, wenn das kostengünstiger ist. Infolgedessen kann eine übergeordnete Ebene die Kompetenz zur Erhebung der Finanzierungsbeiträge erhalten, um Verbundvorteile bei der Finanzverwaltung zu realisieren und mögliche Ausweichreaktionen zwischen den nachgeordneten Körperschaften zu vermeiden. Dann erhebt z.B. der Bund die Steuern und verteilt sie erst im Rahmen eines Finanzausgleichs an die bereitstellenden Länder und/oder Gemeinden. Aus einer andern Perspektive stellt sich diese zentrale Finanzierungserhebung als Dienstleistung für die entsprechenden nachgeordneten Iurisdiktionen dar. In der Regel muß eine solche Dienstleistung der zentralen Ebene finanziell abgegolten werden. 61 Damit stehen sich die Kosten der Dienstleistung und die Kostenersparnis aus
60 V gl. Popitz [1927). 61 Vgl. zu einer solchen, konkret auf Kanada bezogenen Argumentation Grossmanl West [1994], S. 22ff.
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Verbundvorteilen bei der Finanzierungserhebung gegenüber. Wenn der Preis für die Dienstleistung einerseits kleiner ist als die tatsächlich aus Verbundvorteilen resultierende Kostenersparnis, andererseits aber größer als die tatsächlich auf der durchführenden Ebene entstehenden Erhebungskosten, verursacht die Dienstleistung einen Gewinn auf der höheren Ebene. Dieser finanzielle Spielraum versetzt die Politiker der Zentralregierung in die Lage, ihre eigene Einflußsphäre auszuweiten, weil sie auch als Nachfrager von solchen Kompetenzen auftreten können, die auf beiden beteiligten Föderalismusebenen unumstritten sind. 62 Da hier zunächst für die beteiligten Akteure nur Ameize zum Kauf, nicht aber zur Abgabe bestehen, muß eine finanzielle Kompensation der abgebenden Stelle erfolgen, die beispielsweise im Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs abgewickelt werden kann. 63 Aufgrund dieser theoretischen Überlegungen ließe sich die oben angeführte überproportionale Ausdehnung des Zentraletats durch die Tendenz zur Zentralisierung von Kompetenzen begründen. Schreitet diese Zentralisierung nun - im Sinne des Popitzschen Gesetzes - immer weiter fort oder gibt es eine "natürliche Grenze" der Zentralisierung? Auf der Basis der bisher angeführten Argumente kann diese Frage mit verschiedenen Begründungen beantwortet werden. In einem neoklassischen Argumentationsstrang läßt sich zunächst feststellen, daß der finanzielle Spielraum der Zentralregierung begrenzt ist, so daß sie nicht unbegrenzt als Nachfrager auftreten kann. Weiterhin gilt wohl auch beim Kauf zusätzlicher Kompetenzen das erste Gossensche Gesetz: Der Grenznutzen der nachfragenden Regierung - in Form von Macht- und Prestigegewinnen - nimmt mit jeder weiteren erworbenen Kompetenz ab. Da die Zahl der neutralen Kompetenzen nicht unendlich hoch ist, wird gleichzeitig aus Sicht der abgebenden 62 BretonlScott [1978], S. 97 gehen hingegen ohne weitere Begründung davon aus, daß die größte Finanzkraft aufgrund von Steuererhebungskompetenzen immer bei der Zentralregierung liegt. Diese Annahme kann durch die angeführte Begründung plausibel gemacht werden. 63 Mit der zentralen Erhebung von Steuern und der Einführung eines Finanzausgleichs ist ein weiterer Nachteil verbunden: Die Finanzierung weicht dadurch i.d.R. vom Äquivalenzprinzip ab. Das hat für die regionalen Regierungen den Vorteil, daß Politiken möglich werden, deren Kosten im gesamten Staatsgebiet "sozialisiert" werden, deren Nutzen aber regional anfällt und damit die Wiederwahlchancen der Regionalregierungen stärkt. Gleichzeitig bedeutet eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip, daß die monopolistischen Spielräume der Regierungen anwachsen. Die Kosten sind - aus Sicht der Nachfrager-Bürger - nicht mehr spürbar einer Maßnahme oder der Entscheidung einer Jurisdiktion zuzuordnen. Damit fehlt ein wichtiges Element, das zu einer wirksamen Sanktionierung von Regierungstätigkeit über Exit- und Voice-Aktivitäten notwendig ist: die Transparenz. Vgl. zu diesen Argumenten Folkers [1983], S. 33ff. sowie KirchgässneriPommerehne [1994], S. 153ff.
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Regierung jede noch vorhandene Kompetenz wertvoller: auch diese stiften Macht und Prestige. Mit sinkender Zahl verfügbarer Kompetenzen wird mithin die Kompensationsforderung der abgebenden Stelle steigen, die Zahlungsbereitschaft der nachfragenden Stelle jedoch sinken. 64 Der Preis, der sich letztendlich für eine Kompetenz im politischen Markt ergibt, ist abhängig davon, ob die einzelnen Jurisdiktionen der unteren Ebenen also Z.B. die Länder - in den Verhandlungen mit der höheren Ebene als Kartell auftreten oder nicht. Treten sie als Kartell auf, ergibt sich eine Verhandlung quasi in der Marktform eines bilateralen Monopols - die Zentralregierung hat also einen starken Gegenspieler.6 5 Sind die Interessen der unteren Jurisdiktionen hingegen ungebündelt, so verbessert sich die Position der Zentralebene: Aufgrund der schwächeren Position der einzelnen Teilgebiete wird der Preis, den die Zentrale für eine zu übernehmende Kompetenz aufbieten muß, tendenziell geringer sein. Im Endeffekt ergibt sich jedoch immer ein Gleichgewicht. Das zweite Argument stammt aus der Transaktionskostenökonomik. Das Kaufen zusätzlicher Kompetenzen durch die Zentralregierung kann als Analogon aufgefaßt werden zur Integration zusätzlicher Transaktionen unter dem Dach einer Unternehmung. Hierbei gilt seit Co ase [1937], daß die Integration zusätzlicher Aktivitäten mit zusätzlichen Kosten verbunden sind. Diese Kosten wiederum nehmen mit steigender Anzahl bereits integrierter Aktivitäten nicht zuletzt aufgrund von "diminishing returns on management" überproportional zu. 66 Aus dieser Überlegung leitet Coase die Feststellung ab, daß es eine optimale Größe von Unternehmen gibt. Wird dieses Optimum überschritten, arbeitet das Unternehmen unwirtschaftlich, da der alternative Fremdbezug der Aktivitäten über den Markt kostengünstiger wäre. Überträgt man diesen Gedankengang auf Regierungen, so spricht nichts dagegen, auch "diminishing returns on govemment" zu unterstellen. Wird also die optirriale Größe von Regierungen durch übermäßige Kompetenzanhäufung überschritten, wird die Regierung ineffizient. Unterstellt man weiterhin, daß zwar monopolistische Spielräume in bezug auf die Politikgestaltung einer Regierung existieren, diese jedoch nicht unendlich groß sind, wird die Regierung bei einer entsprechend negativen Performance über die oben besprochenen Mechanismen sanktioniert werden. 67
Vgl. BretonlScott [1980], S. 38f. Vgl. BretonlScott [1980], S. 34. 66 Vgl. Coase [1937], S. 341. 67 Vgl. Kirchgässner [1991], S. 119, der den Druck auf Politiker allerdings allein auf Wahlen zurückführt. Über den Druck auf die Politiker haben diese dann auch Anreize, den Wünschen der Bürokraten nach einer Ausweitung des Budgets zu widerstehen. 64 65
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Auch hier ergäbe sich wiederum ein Gleichgewicht, über den die Zentralisierungstendenz nicht hinausgeht. Das dritte Argument folgt aus der oben beschriebenen Public-choice-Theorie. Wie gezeigt, haben einige Interessengruppen ein starkes Interesse daran, die Staatsgliederung und die damit verbundene Kompetenzverteilung dezentral zu halten. Durch die Dezentralisierung der Macht sind diese Verbände besser in der Lage, Einfluß im politischen Prozeß auszuüben. Nutzen sie ihren Einfluß, so werden sie auch Z.B. den Landesregierungen zu verstehen geben, daß eine Abgabe von Kompetenzen an den Bund zu einer negativen Wählermobilisierung führen wird. Auch über dieses Drohpotential kann die Zentralisierungstendenz ein Ende finden. 68 Die bisher angeführten Argumente zeigen, daß aufgrund der Anreize von Politikern und Interessengruppen der Wettbewerb zwischen den Ebenen zumindest eingeschränkt funktioniert. Wie aber verhalten sich die Bürokraten im bargaining-Prozeß um Kompetenzen? Bürokraten sind die von Kompetenzverlagerungen direkt Betroffenen: Wandem Kompetenzen von der Landes- zur Bundesebene, so gewinnen die Bundesbürokraten an Budgetvolumen, während die Landesbürokraten Budgetrnittel einbüßen. Der Wettbewerb der einzelnen Ebenen um Steuermittel und Kompetenzen bedroht mithin die Zielgröße der Bürokraten, was annahmegemäß nicht in deren Interesse sein kann. Aber auch der horizontale Wettbewerb zwischen Iurisdiktionen einer Ebene bedroht die Zielgröße der Bürokraten - ihr Budget. Kommt es tatsächlich zu dem oben angeführten Standortwettbewerb69 , so sind die Abwanderungsjurisdiktionen die Verlierer dieses Wettbewerbs. Sie verlieren Steuerzahler und mithin Einnahmen. Bei einer Äquivalenzfmanzierung bedingt die Abwanderung gleichzeitig eine Verringerung des Budgets der Bürokratie in der Abwanderungsregion. Es war bereits darauf hingewiesen worden, daß das von Tiebout modellierte Konkurrenzgleichgewicht bei Einbeziehung von Migrationskosten in ein Oligopolgleichgewicht überführt werden muß. Auch war auf die bessere Möglichkeit der Kollusion in der Marktform des Oligopols hingewiesen worden. 70 Anband der Überlegungen zu den Anreizen der Bürokraten kann eine solche
68 Allerdings gibt es auch andere Interessengruppen, die eine Zentralisierung von Kompetenzen beflirworten. Ein Beispiel daflir ist die häufig geforderte Verlagerung von Kompetenzen der Wettbewerbsaufsicht - insbesondere der Fusionskontrolle - von der nationalstaatlichen Ebene auf die Europäische Union. 69 Vgl. dazu Punkt E.1.2. 70 Vgl. die Herleitung im Punkt F.I.3.
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Kollusion der Gebietskörperschaften nun genauer begründet werden. Da Wettbewerb nicht nur fUr Unternehmen anstrengend ist und nicht nur bei Unternehmen die Gewinne und Arbeitsplätze schwacher Anbieter durch den Wettbewerb bedroht sind, haben insbesondere die Bürokraten Anreize, den Standortwettbewerb einzuschränken.?1 Aus ihrer Sicht ist ein gleichgerichtetes Verhalten der einzelnen Bürokratien auf einer föderalen Ebene vorteilhaft. Daraus folgt, daß Bürokraten beispielsweise daran interessiert sind, die Mobilität der Bevölkerung zu verringern, um so den Wettbewerbsdruck zu mildem. Das kann beispielsweise über eine Angleichung der Steuers ätze und/oder Sozialleistungen geschehen, denn dadurch fallen aus Sicht der Nachfrager-Bürger Potentiale zur Nutzenarbitrage weg.1 2 Eine Angleichung der Steuersätze fUhrt wiederum dazu, daß eine zentrale Finanzierungserhebung noch stärker transaktionskostensenkend wirkt als vorher. Damit ist eine solche Beschränkung der Mobilität nicht nur im Interesse der Bürokraten auf der jeweils nachgeordneten Ebene, sondern durchaus auch im Interesse der Bürokraten auf der jeweils übergeordneten Ebene, denen das mit der Finanzierungserhebung verbundenen Budget zufällt. Mithin bestehen Anreize, ein Kartell aller Bürokraten zu schaffen, das zum Vorteil dieser Gruppe auf allen jurisdiktionalen Ebenen funktioniert. Dies fUhrt dann im Ergebnis auch zur Einschränkung des Wettbewerbs in vertikaler Hinsicht, wenn - wie in Punkt G.!.1. erläutert - weiter davon ausgegangen wird, daß Bürokraten einen starken Einfluß auf die politische Entscheidungsfmdung haben.?3
IH. Folgerungen "Indeed, can one imagine a group of constituent assemblymen making rules for themselves that would force them to rubber-stamp the recommendations of a computer, and prevent them from exercising the very function for which they would have been selected?" Breton/Scott [1980], S. 26
Wie die vorangegangenen Ausfiihrungen gezeigt haben, kann es aufgrund der Anreize, denen die am politischen Prozeß beteiligten Personen und Gruppen ausgesetzt sind, dazu kommen, daß der von BrennanlBuchanan propagierte Dezentralisierungsvorteil seine Wirkung auf den zu lähmenden Leviathan nicht
71 Vgl. auch Dorn [1990], S. 10f. 72 Vgl. Grossman/West [1994], S. 22. 73 Zum Einfluß der Bürokraten auf politische Entscheidungen vgl. auch Santerre [1993].
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voll entfalten kann. Empirische Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, daß eine Dezentralisierung des Staatssektors generell positiv wirkt. Dabei zeigt sich, daß die Konkurrenz zwischen den föderalen Ebenen (vertikale Wettbewerbskomponente ) zu einem sinkenden Staats anteil führt, was der These von BrennanlBuchanan [1980] entspricht.7 4 Ebenso führt der Wettbewerb von gleichartigen lurisdiktionen untereinander (horizontale Wettbewerbskomponente ) dazu, daß auch die Größe des politisch-administrativen Bereichs in diesen lurisdiktionen zurückgeht.7 5 Allerdings zeigen andere Arbeiten auch, daß die Gefahr einer Kollusion nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch feststellbar ist. In dem Maße, in dem es den Bürokraten gelingt, über eine Vereinheitlichung der Steuersätze den Standortwettbewerb bzw. die Wanderung auf horizontaler Ebene zu verhindern, verfehlt die Dezentralisierung ihre positive Wirkung.7 6 Das Ausmaß möglicher Kollusion ist abhängig von der betrachteten föderalen Ebene: Eine KartelIierung ist - wegen der geringen Teilnehmerzahl - auf Landesebene sicherlich leichter zu organisieren als auf Gemeindeebene. Somit ergeben sich auch hier wieder größere monopolistische Spielräume für Regierungen und Bürokraten höherer Ebenen, da dort der horizontale Wettbewerb tendenziell schwächer ist. 77 Generell läßt sich damit feststellen, daß die Erfüllung der Ziele Freiheit und EffIzienz - sowohl auf der Bereitstellungs- als auch auf der Gliederungsebene - durch das Verhalten der politischen Akteure bedroht ist. Fragt man nach den normativen Implikationen, die sich aus den theoretischen Überlegungen und den Ergebnissen der empirischen Arbeiten für einen Ordnungsentwurf ableiten lassen, so erscheint es wichtig, den Wettbewerb sowohl auf horizontaler wie auch auf vertikaler Ebene zu schützen und zu stärken. 78
74 Vgl. zu den Wirkungen des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen Dye [1990]. Für eine empirische Untersuchung kanadischer Daten vgl. Grossman/West [1994], S. 31. 75 Vgl. z.B. Nelson [1987], der Daten aus US-amerikanischen Bundesstaaten und Gemeinden untersucht. 76 Vgl. wiederum Grossman/West [1994] für Kanada sowie Marlow [1988] für die USA. Kritisch zur Aussagefähigkeit dieser Studien vgl. KirchgässneriPommerehne [1994], S. 156. 77 Vgl. ähnlich Oates [1989], S. 580. Daraus kann gefolgert werden, daß eine möglichst große Anzahl an Jurisdiktionen, mithin also eine starke Dezentralisierung - dazu führt, die monopolistischen Spielräume der Regierungen zu beschränken. Daß allerdings keine vollständige Beschränkung des Politikerhandelns allein über den Wettbewerb der Jurisdiktionen zustandekommt, haben beispielsweise Epple/Zelenitz [1981] gezeigt. 78 Vgl. dazu auch Breton [1991].
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Damit wird der Focus der Analyse wieder zurück auf die Ameize der Beteiligten gelenkt: Will man nämlich eine Kollusion verhindern oder zumindest erschweren, so müssen den Akteuren Ameize gegeben werden, diese Kollusion zu unterlassen. Die Rahmemegeln müssen - analog zum Marktprozeß - so gesetzt werden, daß sie wie eine "unsichtbare Hand" fur die Kanalisierung des Eigennutzstrebens der einzelnen Beteiligten sorgen, daß das Ergebnis des eigennutzorientierten Handeins zur Wohlfahrt aller beiträgt. 79 Im vorliegenden Kontext kann ein solches Ergebnis gleichgesetzt werden mit der Einhaltung der Normen Freiheit und EffIzienz, sowohl auf der Ebene der Bereitstellung innerhalb einer Staatsgliederung als auch bei der Wahl eben dieser Gliederung. Die Staatsgliederung und die damit verbundene Kompetenzanordnung zwischen den Ebenen und Jurisdiktionen wird üblicherweise in einer Verfassung fixiert. Die Verfassung gibt als höchstes Gesetz eines Staates die Spielregeln fur das Handeln der politischen Akteure vor. Geht man zunächst wieder davon aus, daß im Ausgangspunkt der Überlegung eine Verfassung existierte, die die Kompetenzverteilung und räumliche Gliederung gemäß den Normen Freiheit und EffIzienz fixiert hatte, haben die Akteure unter den genannte Verhaltensannahmen einen Ameiz, eben diese Spielregeln zu ändern. Analytisch erfolgt hier der Übergang der Untersuchung von einer "choice within constraints" zu einer "choice among constraints".80 Es geht also hier nicht mehr darum, unter einem gegebenen Regelrahmen nutzenmaximierende Handlungen zu analysieren, sondern eben jenen Regelrahmen auszuwählen. In konkret existierenden Verfassungsversammlungen ist das Ergebnis abhängig davon, welche Ebenen der föderalen Gliederung am Verfassungsentwurf beteiligt werden. 81 Diese Frage soll zunächst vor dem Hintergrund einer Verfassungsversammlung erörtert werden, in der "echte" Politiker, deren Ameize bereits beschrieben wurden, eine Änderung der bestehenden Verfassung durchfuhren können. Damit ist die Verfassung nicht vollständig - im Sinne einer Urvertragssituation bei einer Staatsgründung - neu zu entwerfen. Vielmehr geht es um die Anpassung einer existierenden Verfassung.8 2 Der Einfachheit halber sei weiterhin angenommen, die existierende Verfassung beinhalte eine Kompetenzanordnung, die dem Minimalkostenmodell entspricht. Für die weitere Erörterung müssen Annahmen darüber getroffen werden, aus welchen Mitgliedern beziehungsweise aus den Mitgliedern welcher föderalen Ebenen sich die Verfas-
79 Oder - in der Formulierung von BretonlScott [1980], S. 39: "It is true to recognize that, as in all markets, trade is govemed by rules." 80 Vgl. zu dieser Unterscheidung beispielsweise Buchanan [1990], S. 2f. 81 Vgl. z.B. BretonlScott [1978], S. 90ff. 82 Vgl. Thöni [1986], S. 100.
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sungsversammlung zusammensetzt. Grundsätzlich kann man zwischen Versammlungen mit Beteiligung einer Ebene und mit Beteiligung mehrerer Ebenen unterscheiden. 83 Geht man von einer Ein-Ebenen- Versammlung aus, so ergibt sich aufgrund der oben genannten Anreize der Politiker eine Verschiebung der Kompetenzen zugunsten der konstituierenden Ebene. Die Verschiebung der Kompetenzen wird hier lediglich begrenzt durch die Erhöhung der Bereitstellungskosten bzw. die "diminishing returns on government" und die daraus zu erwartenden Aktivitäten der Bürger,s4 Bei Mehr-Ebenen-Versammlungen besteht ebenfalls eine Tendenz, von der Minimalkostenlösung abzuweichen; jedoch ist hier eine weitere Schranke der Umverteilung von Kompetenzen durch die Interessen der anderen beteiligten Ebenen gegeben. Hier tritt der oben geschilderte Handel von Kompetenzen ein, der dazu führt, daß die Minimalkostenkombination der Kompetenzanordnung verlassen wird. Aufgrund der Countervailing powers, die von den anderen Ebenen zur Zentralebene gebildet werden, ist diese Abweichung aber tendenziell geringer als bei Ein-Ebenen-Versammlungen,s5 Auch ist das Verhandlungsergebnis - wie gezeigt - davon abhängig, ob die nachgeordneten Jurisdiktionen als Kartell auftreten oder nicht: Eine kleine Zahl gleichrangiger Gebietskörperschaften ist tendenziell leichter zu einem Gegengewicht zur Zentrale zusammenzufassen. Aufgrund dieser Überlegungen scheint es so zu sein, daß eine Erweiterung der Verfassungsversammlung auf mehrere beteiligte Ebenen zu einer Verbesserung der Verfassungsreformen führt, da die Abweichungen von der Minimalkostenkompetenzanordnung geringer werden. 86 Allerdings ist dieser Vorteil nur scheinbar gegeben; durch die Ausweitung der Mitgliederzahl der Verfassungsversammlung steigen die Koordinationskosten zwischen den Beteiligten zwar extrem stark an, was die Mehrheitsbildung, die üblicherweise für Verfassungsänderungen notwendig ist, erschwert. Gleichzeitig wird aber auch die Bildung einer Countervailing power über ein gemeinsames Auftreten der kleineren Jurisdiktionen gegenüber den größeren erschwert. Damit wird eine Aus-
83 Diese Unterscheidung folgt der bei Breton/Scott [1978], S. 90-101 und [1980], S. 27-40. Bei der Beteiligung nur einer Ebene sei zur Vereinfachung angenommen, daß die Zentralebene die Mitglieder stellt, während bei Mehr-Ebenen-Versammlungen auch untere Ebenen, also z.B. die Länder, mitbeteiligt sind. 84 Vgl. BretoniScott [1980], S. 33. 85 Vgl. Breton/Scott [1978], S. 100. 86 Entsprechend schlagen Breton/Scott [1980], S. 43-57 auch eine Vergrößerung der Verfassungsversammlungen als Lösung bestehender institutioneller Probleme vor.
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weitung der Mitgliederzahl der Verfassungsversammlung kontraproduktiv.8 7 Im Ergebnis wird daher eine real existierende Verfassungsversammlung, in der eigennutzorientierte Politiker verschiedener jurisdiktioneller Ebenen teilnehmen, ebenso zu einer Abweichung der tatsächlichen Kompetenzanordnung von der ökonomisch-effzienten fiihren, wie eine Versammlung unter Beteiligung der Politiker allein einer Ebene. Die Einbeziehung der Public-choice-Theorie in die ökonomische Analyse des Föderalismus stellt eine deutliche Verbesserung dieser Ansätze dar. Es kann realiter nicht darum gehen, eine Ordnung am Reißbrett zu entwerfen, ohne die Ameize der politischen Akteure, die zur Umsetzung dieser Vorschläge notwendig sind, zu berücksichtigen. Die Public-choice-Theorie zeigt, daß Politiker und Bürokraten - ebenso wie die Bürger - nicht selbstlose Menschen sind, die nur das Wohl ihrer Mitbürger oder Wähler fördern wollen. Vielmehr sind auch die politischen Akteure durchaus daran interessiert, ihren eigenen Nutzen zu maximieren. Im Endeffekt kann das zu erheblichen Abweichungen von dem früher hergeleiteten Minimalkostenmodell führen; diese Abweichungen sind nicht im Sinne der Allgemeinheit, weil sie die Effizienz der Staatsordnung und der Staatstätigkeit mindern und auch die Freiheitsnorm verletzen. Im politischen Prozeß treten damit ähnliche Probleme auf wie im Marktgeschehen. Dort sorgt die "unsichtbare Hand" dafür, daß Eigeninteresse und Gemeinwohl in Einklang gebracht werden. Voraussetzung für die entsprechende Lenkung der Eigeninteressen ist aber auch dort eine Ordnung, die den Akteuren adäquate Rahmemegeln auferlegt. In Analogie zu der Ordnung des Marktes brauchen auch die politischen Akteure eine Ordnung des Staates, in der ihnen Spielregeln vorgegeben werden. Es reicht damit nicht aus, allein in einer positiven Analyse festzustellen, daß Ameize für politische Akteure bestehen, vom Minimalkostenmodell abzuweichen. Vielmehr ist es notwendig zu analysieren, wie die Ameize gesetzt werden können, damit diese politischen Akteure in Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl handeln. Die Regeln des Handelns für politische Akteure werden in demokratisch verfaßten Staaten typischerweise in den entsprechenden Verfassungen festgelegt. Damit wird der Inhalt der Verfassung zum Gegenstand des Interesses. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß einige Inhalte zwingend in einer Verfassung enthalten sein sollten. Auch war deutlich geworden, daß nicht die Verfassung betrachtet werden muß, sondern die jeweilige Verfassung einer
87 Vgl. dazu die gleichlautende Kritik von Kirsch [1981], S. 543 sowie Thöni [1986], S. 104.
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Jurisdiktion bzw. einer föderalen Ebene,s8 Unabhängig von der Jurisdiktion müssen Verfassungen Regeln enthalten, die es den Bürgern ermöglichen, ihre Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit der jeweiligen Politik und der damit verbundenen Bereitstellung öffentlicher Leistungen zu dokumentieren. Wie gezeigt, spielt dabei die Exit-Option eine wichtige Rolle. Abhängig von der Größe der jeweiligen Gebietskörperschaft kann die Abwanderung eine adäquate und auch relativ günstig einzusetzende Sanktionsmöglichkeit sein. Sie sollte daher in jeder Verfassung - insbesondere aber in den Verfassungen auf niedrigen Jusidiktionsebenen - enthalten sein. Ebenso sind entsprechende Wahlverfahren in Abhängigkeit von der Größe der Jurisdiktion zu gestalten, die sicherstellen, daß eine Sanktionierung der Regierung über Wahlen möglich wird. 89 Neben diesen indirekten Beschränkungen über Sanktionsmechanismen der Bürger sollte eine Verfassung direkte Beschränkungen des Staats- bzw. Regierungshandelns enthalten. Dazu gehören beispielsweise Elemente einer Finanzverfassung 90 , die eine weitgehende Einhaltung des Äquivalenzprinzips sicherstellen.9 1 Neben diesen Inhalten sollten Regelungen enthalten sein, die den Wettbewerb zwischen den Jurisdiktionen sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene stärken. Dazu gehört wiederum eine adäquate Gestaltung der Finanzierungsregeln für den horizontalen Wettbewerb. Dazu gehören aber auch
88 Die Rolle der Verfassung in föderalen Systemen unterstreicht auch Elazar [1987], S. 157-168. 89 Dabei bieten sich in kleineren Jurisdiktionen insbesondere aufgrund der geringen Informationskosten des Wählens plebiszitäre Elemente eher an als auf höheren Ebenen. Die Vorteilhaftigkeit von direkten Abstimmungen im Vergleich zur repräsentativen Demokratie auf der Ebene der Gemeinden und Staaten in den USA zeigt Matsusaka [1995]. Bei direkter Beteiligung ist das Gesamtbudget der Gemeinden und des Staates signifikant geringer und das Äquivalenzprinzip wird bei der Finanzierung stärker berücksichtigt. Vgl. Matsusaka [1995], S. 620f. 90 Die Einsicht, speziell eine Finanzverfassung zur Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten zu entwerfen, wird im Bereich der konstitutionellen Finanzwissenschaft verfolgt. Zu den Grundlegungen dieses Forschungsprogramms vgl. Folkers [1996] sowie Neumärker [1995]. 91 Vgl. dazu die Vorschläge von Buchanan [1979], BrennanlBuchanan [1979] und [1980] sowie Brennan [1984], die sich im wesentlichen darauf beziehen, die Steuerbasis für die jeweilige Körperschaft möglichst klein zu halten. Damit bieten sich den Steuerzahlern mehr Möglichkeiten zu Ausweichreaktionen, wenn die Höhe der Steuer aus ihrer Sicht inakzeptabel wird. Eine Analyse praktischer Umsetzungen solcher und anderer Vorschläge in den USA liefert Folkers [1983].
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Wettbewerbsregeln, die eine Kollusion von Jurisdiktionen ebenso verhindern wie eine möglicherweise ruinöse Konkurrenz in Form eines Subventionswettlaufs, der letztendlich zu Lasten der Steuerzahler-Bürger geht. 92 Offensichtlich sind solche Rahrnemegeln rür das Verhalten von Regierungen in der Verfassung der jeweils nächsthöheren umfassenden Gebietskörperschaft zu verankern. Der vertikale Wettbewerb kann durch eine operationalisierbare Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in der Verfassung ebenso gestärkt werden wie durch die Beteiligung der unteren Ebenen bei Entscheidungen der übergeordneten Ebenen, wenn dadurch beispielsweise ein Gegengewicht der Regionen zur Zentrale geschaffen wird. Solche Regeln führen dazu, daß das Staatshandeln effizienter wird und die Präferenzen der Bevölkerung besser berücksichtigt werden. Sie erscheinen. allerdings vor dem Hintergrund, daß "echte Politiker" und nicht wohlwollende Diktatoren an einem Verfassungsentwurf beteiligt sind, als schwer umsetzbar. Denn selbst wenn solche Spielregeln in einer Verfassung enthalten sind, bestehen für die politischen Entscheidungsträger Ameize, eben diese Spielregeln zu ändern. 93 Dieses zu vermeiden sollte ebenfalls Ziel einer Verfassung sein. Der Ameiz der politischen Akteure die in der Verfassung festgelegten Spielregeln zu ihren Gunsten zu verändern, kann über eine Erhöhung der Kosten, die rür die Durchführung einer Verfassungsänderung aufzuwenden sind, gebremst werden. 94 So kann beispielsweise in der Verfassung selbst festgelegt werden, daß Verfassungsänderungen nur von einer qualifIzierten Mehrheit der Verfassungsversammlung beschlossen werden können. 95 Bisher ist allein dargestellt worden, welchen Ameizen Politiker im laufenden politischen Prozeß unterworfen sind. Die. Änderungen an der Struktur der Minimalkostengliederung der Staatsordnung waren dem laufenden politischen Prozeß entsprungen und rührten zu Änderungen der Verfassung. Damit bleiben
92 Vgl. dazu wiederum die Ausführungen unter Punkt E.1.2. 93 Neben diesen eher statischen Problemen existieren für den Inhalt einer Verfassung auch dynamische Schwierigkeiten, die aus dem Auftreten neuer, bisher nicht berücksichtigter Fragestellungen resultieren. Dazu gehört konkret das Beispiel der wachsenden Bedeutung von Umweltfragen oder die Entstehung neuer Interessengruppen und neuer Einflußmöglichkeiten. Vgl. zu diesen und andern Herausforderungen an den Inhalt von Verfassungen Grimm [1994], insbesondere S. 621-638. 94 In der Terminologie von Breton/Scott [1978], S. 65f. handelt es sich um die Kosten der Nutzung von "reassignment instruments". 95 Die aus einer solchen qualifizierten Mehrheit resultierenden Kosten waren im Punkt F.1.2. analysiert worden. 14 Sauerland
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aber zwei wichtige Fragen weiter offen: Wie kommt es überhaupt zu einer Verfassung bzw. einer Staatsgründung, und wie kann das Zustandekommen eines föderalen Staates begründet werden? Um die Frage nach der Entstehung föderal gegliederter Staaten beantworten zu können, soll im folgenden zunächst dargestellt werden, wie auf der Basis ökonomischer Überlegungen die generelle Gründung von Staaten hergeleitet werden kann.
H. Enstehung und Stabilität dezentralisierter Systeme "Institutionen werden nicht unbedingt, nicht einmal üblicherweise, geschaffen, um sozial effizient zu sein; vielmehr werden sie, oder zumindest die formalen Regeln, geschaffen, um den Interessen derjenigen zu dienen, die die Verhandlungsmacht haben, neue Regeln aufzusteHen."
D.C. North [1992], S. 19. Wenn Menschen miteinander arbeiten, tun sie das regelmäßig innerhalb bestimmter Strukturen. Diese Strukturen sind abhängig von der Größe der zu koordinierenden Gruppe. Während kleine Gruppen beispielsweise in Form von Teams zentral organisiert werden können, läßt sich bei größeren Gruppen, z.B. in Form von Konzernen, eher eine dezentrale Anordnung der Weisungs- und Entscheidungskompetenzen feststellen. Welche Organisationsform für eine gegebene Gruppengröße und einen gegebenen zu erreichenden Zweck adäquat ist, ist ebenso eine Fragestellung der Neuen Institutionenökonomik wie die Begründung der Emergenz solcher Strukturen. Ähnliches wie für das Zusammen-Arbeiten gilt auch für das Zusammen-Leben von Menschen in Gemeinschaften. Auch hier bilden sich regelmäßig Strukturen heraus, innerhalb derer das Zusammenleben organisiert wird. Auch diese Strukturen variieren mit der Größe der Gruppe: Eine sehr kleine Gruppenstruktur ist die der Familie, größere Strukturen umfassen Stämme, Städte, Regionen und Nationen. Die zur Zeit größte, umfassendste Gruppe ist die Weltbevölkerung. Offensichtlich gilt auch bei menschlichen Gemeinschaften, daß sie mit zunehmender Größe eher dezentral organisiert werden. In den vorangegangenen Kapiteln ist dargestellt worden, wie dezentrale Staatsgliederungen funktionieren und welche Wirkungsmechanismen innerhalb solcher Gliederungen zu beachten sind. Dabei ist stets unterstellt worden, daß die Grundsatzentscheidung zur Implementierung solcher Strukturen innerhalb eines Staatsgebiets bereits gefallen war. Diese grundsätzliche Entscheidung wurde bisher nicht weiter begründet. Ein Grund dafür ist die Tatsache, daß diese Frage, warum und wie dezentrale Strukturen innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebietes entstehen und welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um die Stabilität solcher Gebilde sicherzustellen, in ökonomischen Untersuchungen derartiger Strukturen bisher unbeantwortet geblieben ist. Diese Lücke in der ökonomischen Analyse dezentraler Staatsgliederungen soll im fol14'
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genden Kapitel geschlossen werden. Dabei lassen sich wieder die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik nutzen. Insbesondere das Forschungsprogramm der Constitutional Economics bietet eine Grundlage zur Lösung der oben aufgeworfenen Fragen. Dieses Forschungsprogramm ist in sich zweiteilig angelegt. Während der positive Zweig hypothetische Kriterien für die Gründung eines Staates aus einem Rationalkalkül der beteiligten Individuen herleitet, werden im normativen Teil des Programms die Verfassungsregeln eines Staates legitimiert. Gradmesser für die Güte dieser Regeln ist der Konsens der beteiligten Individuen. Beide Teile des konstitutionenökonomischen Forschungsprogramms lassen sich für die Analyse dezentraler Staatsgliederungen fruchtbar nutzen: Einerseits läßt sich in Erweiterung der hypothetischen Herleitung einer Staatsgründung auch die Entstehung eines dezentral gegliederten Staates begründen. Andereseits kann man anhand der normativen Überlegungen des Forschungsprogramms Hinweise darauf ableiten, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein dezentral organisiertes politisches System - insbesondere eine Föderation - als stabiles Gebilde existieren kann. Bevor aber die Konstitutionenökonomik herangezogen wird, soll zunächst die Bedeutung von Regeln innerhalb von Kollektiven dargestellt werden.
I. Di~ Bedeutung von Regeln in Kollektiven Regeln sind notwendig, um das Zusammenleben verschiedener Menschen zu erleichtern. Denn im Gegensatz zur Robinson-Gesellschaft, in der die individuelle Freiheit des einzigen Mitglieds allenfalls durch exogen vorgegebene Restriktionen, wie z.B. Umwelteinflüsse, begrenzt wird, zeichnen sich Gemeinschaften verschiedener Menschen durch vielfältige, komplexe soziale Interaktionen aus, die ein Zusammenleben nicht immer erleichtern. Hier wird die Freiheit des einzelnen Individuums auch durch die Freiheit der anderen Individuen begrenzt. Für ein friedliches Miteinander ist es sinnvoll, Regeln des Zusammenlebens zu haben und befolgen. Um diese Regeln analysieren zu können, ist es notwendig, zunächst einige Begriffe zu klären. Grundsätzlich soll im folgenden unterschieden werden zwischen Verhaltensmustern, internen bzw. selbst auferlegten Regeln und externen Regeln. Interne Regeln schreiben Verhaltensmuster fest, die sich für ein Individuum als erfolgreiche Strategien herausgestellt haben. Wie bereits gezeigt, bilden und verändern sich Verhaltensmuster und mithin interne Regeln nur langsam. Begründet wurde diese relative Starrheit mit den Charakteristika, die eine Imperfect-choice-Situation kennzeichnen. l
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Im Gegensatz zu den internen Regeln, die sich ein Individuum selbst auferlegt, um die Unsicherheit bei wiederholt auftretenden Entscheidungssituationen zu reduzieren, werden externe Regeln von Kollektiven verwendet. 2 Die externen Regeln lassen sich weiter differenzieren in formelle und informelle: Während formelle Regeln stets schriftlich fixiert sind, werden informelle Regeln auch ohne Festschreibung angewandt. 3 Beide Arten von Regeln schränken wie im folgenden zu zeigen sein wird - das Handeln der Individuen ein. 1. Verhaltensmuster und interne Regeln
Das Verhalten eines Individuums gegenüber einem anderen stellt ebenso ein Entscheidungsproblem dar wie die Frage der Abwanderung aus einer Jurisdiktion. Wie in anderen Entscheidungssituationen ist es auch hier aufgrund der Lücke zwischen der Problemlösungsfahigkeit des Individuums und der Komplexität der Entscheidungssituation sinnvoll, von einer fallweisen totalen Optimierung abzusehen und den eigenen Handlungsraum auf sinnvolle Handlungsmuster zu beschränken, wenn die Entscheidungssituation ähnlich und wiederholt auftritt. Ein Set an sinnvollen Handlungsmustern bzw. Verhaltensregelmäßigkeiten bildet sich wiederum aufgrund adaptiven Lernens aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus. 4 Auch Entscheidungen in sozialen Interaktionen können ex post als richtig oder falsch beurteilt werden. Stellen sie sich als richtig heraus, d.h. verbessern sie die eigene Position, so werden diese Entscheidungen in vergleichbaren Situationen aufgrund der positiven Erfahrungen in der Vergangenheit wiederholt. Stellen sich die Entscheidungen jedoch als falsch heraus, da sie zu einer Nutzeneinbuße fUhren, so bewirken die resultierenden Kosten, daß diese Entscheidung nicht - dauerhaft - wiederholt wird, wenn ähnliche Entscheidungssituationen wiederkehren. Der Prozeß des adaptiven Lernens fUhrt dazu, daß sich (wahrscheinlich) nützliche Strategien herausbilden. Es ist somit auch in sozialen Interaktionen individuell rational, sich auf bestimmte Handlungs- bzw.
1 V gl. dazu die Ausführungen im Punkt E.I.2. 2 Die Formulierung externer Regeln geht letztendlich auch auf die Entscheidung von Individuen zurück. Externe Regeln geIten aber - anders als die internen Regeln - nicht nur für jeweils ein Individuum, sondern für eine Gruppe von Individuen. 3 Vgl. zu dieser Unterscheidung z.B. North [1992], insbesondere KapitelS und 6. 4 Einen Überblick über Ansätze, die auf Hayek und Simon zurückgehen und diesen adaptiven Lernprozeß beschreiben, bietet Vanberg [1993a], insbesondere S. 178-182.
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Verhaltensmuster zu beschränken, die sich in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen haben. 5 Zur Herausbildung individueller Handlungsmuster ist es nicht unbedingt notwendig, eigene Erfahrungen mit guten und weniger guten Strategien in der Vergangenheit gemacht zu haben. Auch die Imitation von Verhaltensweisen, die bei anderen Individuen beobachtet werden, und die erkennbar nützlich sind, kann zur Übernahme dieser Handlungsmuster führen. 6 Dieser Prozeß läßt sich insbesondere bei jungen Menschen fmden, die durch Erziehung Handlungsrnuster von ihren Eltern übernehmen, aber auch eigene Erfahrungen mit "innovativen" Strategien machen. Durch den Prozeß der Imitation kommt es dann zum Rückgriff auf bereits bestehende Erfahrungen - das Wissen vieler Menschen wird somit nutzbar. Der Imitationsprozeß kann zusammen mit eigenen Erfahrungen dazu führen, daß sich bestimmte Verhaltensmuster in Kollektiven durchsetzen und innerhalb eines Kollektivs verbreiten. Tritt dieser Fall ein, bietet das Handeln gemäß dieser Verhaltensmuster nicht nur individuelle Vorteile. Weist das Handeln einzelner Individuen bestimmte Regelmäßigkeiten auf, so werden die Handlungen dieses Individuums für die übrigen Kollektivmitglieder antizipierbar.7 Für das Gesamtkollektiv bedeutet das, daß die sozialen Interaktionen der Individuen vorhersehbar und damit stabiler werden. 8 Es ist möglich, eine gewisse Erwartungssicherheit in bezug auf mögliche Verhaltensweisen des jeweiligen Gegenübers zu erreichen. 9 Die kollektiven Regeln, die den Handlungsraum der Individuen begrenzen, bilden sich auf zwei Arten evolutorisch heraus. Zum einen ergeben sie sich in einem "natürlichen" Selektionsprozeß als gesellschaftlich unintendiertes Ergebnis individuell intendierter Handlungen. lO Zum
5 Zur Bedeutung der Erfahrungen aus der Vergangenheit rur die Handlungen der Gegenwart vgl. auch Becker [1992]. 6 Vgl. ähnlich Hayek [1971], S. 74 sowie Vanberg [1993a], insbesondere S. 187. 7 Vgl. ähnlich Boyd/Richerson [1994], S. 73. 8 Die Bedeutung von Normen rur die Stabilität von sozialen Interaktionen betont auch Schofleld [1985], S. 218. 9 Vgl. auch North [1992], S. 30, der darauf hinweist, daß Institutionen generell dazu beitragen, die Unsicherheit des eigenen HandeIns und des HandeIns anderer zu reduzieren. lO Diese Sicht der Entstehung von Regeln ähnelt der von Hayek vertretenen Richtung. Vgl. z.B. Hayek [1980], S. 34f. sowie ähnlich Schotter [1986], S. 119. Zur Position von Hayek in bezug auf die evolutorische Entwicklung von Normen und ihrer Vorteilhaftigkeit vgl. u.a. im Überblick Sudgen [1993] sowie Leschke [1993], S. 33ff.
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anderen können die Regeln in einem künstlichen Selektionsprozeß bewußt geplant werden. I I Sie sind aber nicht notwendigerweise auch langfristig effizienzsteigernd; vielmehr können sie im Rahmen von Pfadabhängigkeiten auch in Enwicklungssackgassen führen. 12 Über Imitationsprozesse werden diese allgemein verbreiteten Verhaltensweisen stabiler, da sie wechselseitig antizipierbar sind und damit als nützlich anerkannt werden. Das bedeutet aber nicht, daß das Verhaltensrepertoire der einzelnen Individuen dauerhaft stabil bzw. unveränderbar ist. Die Beschränkung des individuellen Handlungsraums auf lohnende Strategien bringt nicht nur Vorteile mit sich: Genauso, wie wahrscheinliche Fehlentscheidungen vermieden werden, bleiben auch mögliche Verbesserungen durch Strategien, die nicht im Handlungsraum liegen, ungenutzt. 13 Rationale Akteure werden sich dieses· Dilemmas bewußt werden - mit entsprechenden Folgen für ihr Handeln. Die Erkenntnis, daß es lohnende Abweichungen von den gewohnten Verhaltensmustern gibt, führt dazu, daß die Experimentierfreude der Akteure steigt. 14 Sie versuchen, neue Strategien zu entwickeln, um ihre Position zu verbessern und zu vermeiden, daß Möglichkeiten zur vorteilhaften Abweichung von den üblichen Verhaltensmustern nicht genutzt werden. Damit werden die selbst auferlegten Regeln bzw. die daraus resultierenden Handlungsmuster zunächst destabilisiert. Allerdings setzt nun erneut ein adaptiver Lernprozeß ein. Sind die neu "ausprobierten" Strategien erfolgreich, führt das zu einer Ausweitung der Alternativen, die im individuellen Handlungsrepertoire bzw. Handlungsraum zur Verfügung stehen. Führen die neuen Strategien hingegen zu spürbaren Kosten, ist eine Rückkehr zu den alten Verhaltensmustern rational. 15 Durch dieses adaptive Anpassen der Strategien im eigenen Handlungsrepertoire bilden sich evolutorisch immer wieder nutzbrin-
11 Vgl. zur Unterscheidung von natürlicher und künstlicher Selektion, die auf Commons zurückgeht, Grossekettler [1991 a], S. 104f. 12 Vgl. dazu North [1992], S. 90 mit Verweis auf David [1985] und Arthur [1989]. I3 Heiner unterscheidet zwei Typen von Fehlern, die aus der Einhaltung von Handlungsmustem resultieren können. Zum einen ist es möglich, daß das Verhaltensmuster beibehalten wird, obwohl ein Abweichen davon zu einer Verbesserung der Situation des Handelnden führen würde. Dieser Nutzenentgang wird als Fehler des Typs I bezeichnet. Hingegen liegt ein Typ 2-Fehler dann vor, wenn von einem Verhaltensmuster abgewichen wird und diese Abweichung von der Norm zu einer Verschlechterung der Situation des Handelnden - im Vergleich zu Regeleinhaltung führt. Vgl. dazu Heiner [1990a], S.721. 14 Vgl. Heiner [1990a] sowie [1990b], S. 37f. 15 Vgl. Heiner [1989], S. 26-28.
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gende Handlungsmuster heraus, die sich durch Imitation in einem Kollektiv durchsetzen können. Neben diesen Regeln, die bestimmte Verhaltensmuster in sozialen Interaktionen festschreiben, gibt es - wie bereits erwähnt - auch externe Regeln in formellen und informellen Ausprägungen. Eine Verfassung, auf deren notwendige Bestandteile bzw. Inhalte schon kurz am Ende des letzten Kapitels hingewiesen worden war, zählt dementsprechend zu den formellen Regeln. Formelle und informelle Regeln bilden den Rahmen für das menschliche Zusammenleben bzw. für soziale Interaktionen. 16 Wann aber sind informelle und wann sind formelle Regeln zur Stabilisierung sozialer Interaktionen notwendig? 2. Verhaltensmuster, Regelverstöße und Regeldurchsetzung
Wie bereits erwähnt, sind die Kosten, die durch Fehlentscheidungen verursacht werden, mit dafür verantwortlich, ob sich effIziente Handlungsstrategien durchsetzen. Diese Kosten des Fehlverhaltens können in ganz unterschiedlichen Formen auftreten und aus unterschiedlichen Arten von Sanktionen resultieren. Sanktionierungen, die zu Kosten führen, können entweder extern oder auch intern auferlegt werden. Eine interne Sanktionierung ist z.B. dann gegeben, wenn bei einem Regelverstoß ein "schlechtes Gewissen" Kosten verursacht. Diese interne Sanktionierung tritt auf, wenn die verletzte Handlungsregel sehr stark verinnerlicht ist. Bei diesen Handlungsregeln kann es sich insbesondere um moralische Grundwerte handeln, die somit auch ohne eine Sanktionierung durch Dritte eingehalten werden. 17 Externe Sanktionen werden durch außenstehende Personen auferlegt. Die dabei entstehenden Kosten des Fehlverhaltens können monetärer Natur sein, oder - wie bei den internen Sanktionen - aus intangiblen Kostenkomponenten bestehen. Am einfachsten lassen sich monetäre Kosten darstellen, die z.B. bei Fehlentscheidungen an Aktien- und/oder Devisenbörsen entstehen. Kosten bzw. Verluste treten in diesen Bereichen Z.B. dann auf, wenn Anleger von alten, ihnen bekannten Strategien zur Geldanlage abweichen. Im Bewußtsein, daß ein Festhalten an den gewohnten Strategien dazu führt, daß potentielle Gewinnchancen nicht genutzt werden, kommt es möglicherweise zur Wahl neuer, unbekannter Strategien oder Produkte, die im normalen, bekannten Handlungs16 Eine empirische Untersuchung von Regeln und den daraus resultierenden Ergebnissen findet man bei GardnerlOstrom [1991], insbesondere S. 125-127. 17 Zur Rolle der Moral als Stabilisierungsfaktor sozialer Interaktionen und der Stabilität von moralischem Handeln in diesem Kontext vgl. beispielsweise Frank [1988] und Leschke [1995].
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repertoire bis dato nicht enthalten waren. Damit steigt aber auch das Risiko der Fehlentscheidung bei der Geldanlage. Ist die neue Strategie erfolgreich, wird sie weiterverfolgt. Ist sie hingegen erfolglos, so führen die Verluste aus risikoreichen, komplexen und unbekannten Anlagestrategien häufig zur Rückbesinnung auf bekannte risikoärmere Anlageformen, die zwar nicht eine maximale Rendite, dafür aber einen "ruhigen Schlaf' versprechen. Die Sanktionierung des falschen Verhaltens durch die Zuweisung von monetären Verlusten erfolgt an der Börse - an der naturgemäß sehr viele Individuen agieren - über anonyme Dritte. Diese sind sich der Sanktionierung anderer Börsenteilnehmer möglicherweise nicht bewußt, ziehen aber gleichwohl einen eigenen Nutzen aus deren Fehlentscheidungen. Neben dieser anonymen Sanktionierung, die in polypolistisch strukturierten Märkten mit vielen Akteuren üblich ist, gibt es sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen Bereich Sanktionen, die bewußt durch dritte Personen extern auferlegt werden. Generell kann man die benutzten Sanktionen bei Regelverstößen und die entsprechend notwendigen Sanktionsmechanismen nach der Größe des Kollektivs differenzieren. Exemplarisch läßt sich dieser Zusammenhang an der - aus der Transaktionskostenökonomik bekannten - Teamproduktion darstellen. 18 Ein Team besteht aus mehreren Individuen, die zusammenarbeiten, um eine bestimmte Leistung zu erbringen. Dabei ist die Leistung des Teams größer als die Summe der Einzelleistungen der isolierten Teammitglieder, d.h., es lassen sich Vorteile der Zusammenarbeit realisieren. Unterstellt man den einzelnen Mitgliedern das Ziel der individuellen Nutzenmaximierung, so kann dieses Ziel über eine gute Güterversorgung erreicht werden. Diese Güterversorgung läßt sich wiederum in der Größe des Einkommens approximieren. Anders als in der neoklassischen Theorie üblich, kann bei der Teamproduktion der Faktor Arbeit, d.h. das einzelne Teammitglied, nicht gemäß seiner Leistung bzw. seines Wertgrenzprodukts entlohnt werden, weil die Leistung des Teams nur als Ganzes erkennbar ist. 19 Die Zurechnung der individuellen Anteile an der Gesamtleistung ist mit Meßkosten verbunden, deren Aufwendung unter Umständen kontraproduktiv ist. 20 Ist aber keine individuelle Leistungszurechnung möglich 18 Vgl. grundlegend AlchianiDemsetz (1972]. 19 Vgl. AlchianiDemsetz [1972], S. 779-781. 20 Der Teil der Transaktionskostenäkonomik, der sich mit Problemen der Messung bestimmter Eigenschaften von Leistungen bzw. Leistungsbestandteilen auseinandersetzt, ist die sogenannte "Measurement"-Richtung. Sie wurde von A\chian und seinen Co-Autoren begründet und stand zeitweilig in Konkurrenz zu dem insbesondere von Williamson propagierten "Governance Structure"-Ansatz. A\chian näherte später seine Argumentation dem Governance-Ansatz an. Vgl. Alchian [1984], S. 38-40. Meßkosten treten aber nicht nur in der von Alchian und Co-Autoren analysierten Teamproduktion
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und erfolgt die Entlohnung daher beispielsweise nach dem Durchschnittsprinzip, so treten bei der Teamproduktion Probleme auf, weil bei der Entlohnung gegen das Leistungs- bzw. das Äquivalenzprinzip verstoßen wird. 21 Das Ausmaß der auftretenden Probleme und die Möglichkeiten zur Lösung dieser Probleme sind abhängig von der Größe des Teams. In kleinen Teams ist rur das einzelne Mitglied unmittelbar einsichtig und auch spürbar, daß der eigene Erfolg vom Einsatz der anderen Teammitglieder abhängig ist und vice versa. 22 Die Interdependenzen des individuellen Handelns und des kollektiven Ergebnisses sind erkennbar. Mithin ergibt sich rur die Mitglieder des Teams ein gemeinsames Ziel, nämlich die Maximierung der Teamleistung. Nur so ist es rur den einzelnen möglich, sein Individualziel (Nutzenmaximierung) zu erreichen: Kollektivziel (Maximierung der Tearnleistung) und Individualziele sind mithin im Fall der engen, spürbaren Reaktionsverbundenheit komplementär. Zur Erreichung dieses Ziels ist es rur alle Beteiligten sinnvoll, sich an bewährte Verhaltensmuster zu halten, die siCh adaptiv unter der Restriktion herausbilden, das gemeinsame und auch individuelle Ziel zu erreichen. Diese Handlungsmuster zielen auf einen hohen Leistungsinput, um die Teamleistung zu optimieren, und ergeben den informellen Regelrahmen fiir eine Teamproduktion in kleinen Gruppen. Gleichwohl reichen diese impliziten bzw. informellen Handlungsregeln allein nicht aus, um den Zusammenhalt des Teams als Kollektiv zu sichern. Denn neben der Erkenntnis, daß das Festhalten an den Verhaltensmustern lohnend ist, gibt es bei den Teammitgliedern auch die Wahrnehmung einer vorteilhaften Außenseiterposition. Da der Anteil des einzelnen an der Teamleistung nicht direkt zu identifIzieren ist, kann es individuell sinnvoll sein, die Position des vorteilhaften Außenseiters einzunehmen, d.h. an der Durchschnittsentlohnung voll zu partizipieren, sich an der Leistungserbringung aber nur unterdurchschnittlich zu beteiligen. 23 Wird das Einbringen maximaler individueller Leistung in die Teamproduktion
auf. Zu anderen Arten von Meßkosten, die besondere institutionelle Regelungen hervorrufen, vgl. Barzel [1982] sowie Kenney/Klein [1983]. Beide Richtungen findet man im Überblick bei Eggertsson [1992], S. 157-244. 21 Vgl. zu einer ähnlichen Argumentation in bezug auf die Gewinnverteilung in einer Personengesellschaft Olson [1992], S. 53f. 22 Zur Spürbarkeit der individuellen Handlungen in kleinen Gruppen vgl. auch Olson [1992], S. 44, insbesondere Fußnote 67. 23 Das aus der Kollektivgütertheorie bekannte Problem tritt auf, daß nämlich der Nutzen individuell gebündelt anfällt, während die Kosten des Shirking im gesamten Team sozialisiert werden.
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als nicht-lohnend wahrgenommen, besteht der individuelle Anreiz, von den allgemein gültigen infonnellen Handlungsregeln abzurücken und den individuellen Vorteil über neue Handlungsstrategien zu maximieren. Dieses Shirking24 ist dann vorteilhaft, wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit und die Gefahr einer daraus resultierenden Sanktionierung gering ist. 25 Diese Wahrscheinlichkeit wiederum ist abhängig von der Gruppengröße. In kleinen Gruppen, in denen die Interdependenzen zwischen den einzelnen Akteuren für die Beteiligten unmittelbar spürbar sind, ist die Entdeckungswahrscheinlichkeit hoch. Aufgrund der leichten Erkennbarkeit des Shirking, die aus der engen Verbundenheit der Individuen resultiert, sind hier keine besonderen institutionellen Vorkehrungen notwendig, um ein mögliches Fehlverhalten zu erkennen: Die nonnale Beobachtung des Arbeitsablaufs der einzelnen Teammitglieder untereinander ist dafür ausreichend. Die Kosten der Regelüberwachung sind gering, weil die Gruppe überschaubar ist. Relativ gering sind auch die Kosten der Sanktionierung, die hier direkt über persönliche Einflußnahme der anderen Kollektivmitglieder erfolgt, im Vergleich zu den Kosten, die den Kollektivmitgliedern aus einer Regelverletzung entstehen. Daraus folgt, daß das Fehlverhalten einzelner Individuen - im Sinne des Abweichens von den "nonnalen" Regeln - für diese wenig. erfolgversprechend sind, da die Entdeckungswahrscheinlichkeit der Regelverletzer ebenso hoch ist wie der individuelle Anreiz aller anderen Akteure zur Sanktionierung des Regelverletzers. Mithin sind die infonnellen Regeln in kleinen Teams - trotz des Bewußtseins möglicher lohnender Regelabweichungen - selbststabilisierend. 26 Diese Situation verändert sich grundlegend, wenn man große Teams betrachtet, in denen viele Personen interagieren. Während in kleinen Gruppen sowohl kollektive als auch individuelle Anreize vorliegen, sich an die infonnellen Handlungsregeln zu halten, die die Teamleistung sicherstellen, dominiert in größeren Gruppen bei den Individuen das Bewußtsein, daß das Festhalten an den alten Verhaltensmustern, die in kleinen Teams lohnend waren, zu Nutzeneinbußen führt. Hier ist die Interdependenz der individuellen Handlungen 24 Vgl. zum Begriff des Shirking AlchianlDemsetz [1972], S. 780. 25 Die einzelnen Teammitglieder befinden sich dann in einer Situation, die dem Gefangenendilemma entspricht: Die individuell vorteilhafte Strategie - Shirking - fUhrt zu einem fUr das gesamte Kollektiv negativen Ergebnis. Um dieses Ergebnis zu verhindern, sind nunmehr Regeln notwendig, die dafUr sorgen, daß das individuelle Verhalten im Einklang mit dem Kollektivinteresse steht. Konkret formuliert sind institutionelle Arrangements zu finden, die das zunächst individuell lohnende Shirking erfolgreich sanktionieren und damit zu einer nicht lohnenden Strategie werden lassen. 26 Vgl. Heiner [1989], S. 26 ff. Vgl. zum höheren Zusammenhalt kleiner Gruppen auch Olson [1992], S. 52ff.
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für die einzelnen Teammitglieder nicht mehr direkt spür- bzw. erfahrbar. Daraus folgt eine schlechtere Erkennbarkeit der Trittbrettfahrer, die wiederum zu einer geringeren Entdeckungswahrscheinlichkeit führt. Beim Vorliegen dieser Konstellation läßt sich das Ziel des Kollektivs nicht mehr so einfach wie in kleinen Gruppen mit den Zielen der Individuen in Übereinstimmung bringen. Löst sich der Zusammenhang zwischen kollektiven und individuellen Zielen auf, so tritt die Verfolgung von Individual- oder Partikularinteressen in den Vordergrund. Nun entstehen bei der Teamproduktion größere Probleme, die den Zusammenhalt des Teams gefährden.27 Da es für jedes einzelne Teammitglied individuell lohnend ist, von den informellen Handelnsregeln abzuweichen und die vorteilhafte Außenseiterposition einzunehmen, wird der Zusammenhalt des Kollektivs aufgelöst. Die vorher allgemein anerkannten Regeln werden ausgehöhlt und das Kollektiv wird destabilisiert - im Extrem bis zum Zusammenbruch der Gemeinschaft. Um diese Auflösungserscheinungen zu stoppen, ist es sinnvoll, explizite bzw. formelle Regeln einzuführen, deren Befolgung das Kollektiv wieder stabilisiert und die die Individualinteressen so kanalisieren, daß ihre eigennützige Verfolgung wieder dazu beiträgt, die Kollektivinteressen wahrzunehmen. Ergänzt werden müssen diese formellen Regeln durch Institutionen, die auf die Einhaltung der Regeln achten, Verstöße gegen die Regeln erkennen und entsprechend sanktionieren. Diese Umstände führen bei einer Teamproduktion in großen Teams dazu, daß die Überwachung und die Sanktionierung auf externe Instanzen ausgelagert wird. Ein Monitor sorgt dafür, daß der Anreiz zum Shirking sinkt und damit die Leistung des Teams steigt. 28 Gleichzeitig verursacht die Einrichtung einer solchen Instanz Kosten; im Fall des Monitors bestehen sie aus seiner Entlohnung, die als Residualgröße der Tearnleistung zustandekommt. Diese Kosten sind zwar absolut höher als die Überwachungskosten im Fall kleiner Kollektive; jedoch sind sie deutlich niedriger, als die Kosten, die in großen Teams aus der intensiven wechselseitigen Beobachtung der Kollektivmitglieder untereinander - also der Übernahme der institutionellen Ausgestaltung dieser Kontrollfunktion aus kleinen Teams - entstehen würden. Somit ist in großen Kollektiven eine Arbeitsteilung zwischen Produktions- auf der einen und Überwachungsaktivitäten auf der anderen Seite sowie eine entsprechende Spezialisierung der Akteure auf diese Tätigkeitsbereiche effizient.
27 Auch hier ist das Agieren der Individuen im Team durch eine Dilemmastruktur gekennzeichnet, die sich nun aber nicht mehr wie in kleinen Gruppen überwinden läßt. 28 Zur Begründung der Notwendigkeit eines Monitors als produktionsexternem Überwacher vgl. AlchianlDemsetz [1972], S. 781-783.
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Während also in kleinen Gruppen aufgrund der hohen Reaktionsverbundenheit und der geringen individuellen Kosten der Sanktionierung informelle Regeln ausreichend sind, um das Interagieren zu stabilisieren, sind in großen Gruppen besondere institutionelle Vorkehrungen in Form von formellen Regeln und externen Sanktionsinstanzen notwendig, um Regelverstöße zu entdecken, zu sanktionieren und so den Zusammenhalt des Kollektivs zu sichern. Denn auch die Kosten der Durchführung von Sanktionen sind für das einzelne Kollektivmitglied im Vergleich zu den Kosten, die ihm aus einem Regelverletzer entstehen, hoch; somit sind in großen Teams auch die individuellen Ameize der Teamrnitglieder zur Bestrafung gering. 29 Wie am Beispiel der Teamproduktion deutlich wird, lassen sich durch den Übergang von informellen, impliziten Regeln auf formelle, explizite Regeln Kollektive, die aufgrund ihrer Größe instabil zu werden drohen, wieder stabilisieren, um die Interessen der Individuen effIzient zu unterstützen. Aber auch mit der Einführung expliziter Regeln können gravierende Problem verbunden sein. Dabei spielt die Art und Weise, wie diese Regeln entstehen, eine wichtige Rolle. Informelle bzw. implizite Regeln entstehen durch die oben beschriebenen Lernprozesse evolutorisch: Unter einer gegebenen Restriktion - im obigen Beispiel das Ziel der Leistungsmaximierung im Team - bilden sich allmählich lohnende Verhaltensmuster heraus, die sich dann in informellen Regeln niederschlagen. Diese Verhaltensmuster werden eine gewisse Beharrungstendenz aufweisen, denn auch das Bewußtsein, daß durch strenge Regelbefolgung möglicherweise ein Nutzenverzicht entsteht, ist nicht unmittelbar vorhanden. Gibt es neue, lohnende Strategien, weil sicp die Restriktionen geändert haben, so werden diese aufgrund der Beharrungstendenz der alten Verhaltensmuster nicht unmittelbar wahrgenommen. 30 D.h., zur Herausbildung eines sinnvollen Handlungs- bzw. Verhaltensrepertoires ist ein Lernprozeß notwendig, und dieser Prozeß erfordert Zeit. Mithin ändern sich implizite, informelle Regeln des HandeIns bzw. die resultierenden Handlungsmuster nur langsam. Anders ist es bei formellen Regeln: Diese enstehen im Gegensatz zu den informellen Regeln nicht notwendigerweise evolutorisch. Vielmehr können sie auch konstruktivistisch gesetzt werden; eine Veränderung dieser Regeln ist damit relativ schnell möglich. 31 Dieses bewußte Setzen von Regeln ist dann 29 Die Sanktionierung von Regelverletzern hat in großen Kollektiven den Charakter eines öffentlichen Gutes. 30 Vgl. Heiner [1983], S. 577. 31 Dietl [1993], S. 7lff. verwendet eine ähnliche Unterscheidung, wenn er fundamentale Institutionen, die sich evolutorisch entwickeln und nur langsam ändern, gegen
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unproblematisch, wenn - wie im Beispiel der Teamproduktion - die formellen Regeln nur an die Stelle der vorher vorhandenen informellen Regeln treten, der Inhalt der Regeln hingegen nicht verändert wird. Erfolgt lediglich eine solche Transformation des Regelinhalts in eine formell fixierte Form, so werden die alten Verhaltensmuster, die sich in der Vergangenheit unter Befolgung der informellen Regeln herausgebildet hatten, nicht entwertet. Vielmehr wird ihre Nutzung nun wieder wertvoller, da bei fortgesetzter Regeleinhaltung keine externen Sanktionen drohen. Probleme treten dann auf, wenn die gesetzten formellen Regeln nicht die geronnenen informellen Regeln beinhalten, sondern der Inhalt dieser Regeln neu definiert wird. Dann wird aufgrund der Beharrungstendenz der erlernten Verhaltensmuster eine Lücke zwischen der Intention, die den formellen Regeln zugrundeliegt, und den Aktionen der Individuen unter diesen neuen Regeln auftreten. 32 Die Folge werden temporär gehäufte Regelverstöße sein, die entsprechend sanktioniert werden müssen, um die gewünschte Regeleinhaltung zu gewährleisten. Die Sanktionierung bewirkt dann einen schmerzhaften Lernprozeß, in dessen Verlauf sich langsam neue Strategien im Handlungsrepertoire der Akteure herausbilden. Zumindest für eine Übergangszeit sind die neuen Regeln nur leere Hüllen, die nicht intentionsgemäß durch entsprechende Handlungen ausgefUllt werden. 33 Werden solche formellen Regeln bewußt gesetzt, ohne die Anpassungszeit zu berücksichtigen, so fUhrt das zu Frustrationskosten bei allen Beteiligten. Während die Regelsetzer keinen Erfolg aus der Regeländerung erkennen können, werden auf Seiten der Regelunterworfenen spezifisches Wissen in Form eingeübter Verhaltensweisen entwertet und darüber hinaus das Handeln gemäß eingeübter, gewohnter Verhaltensmuster bestraft. Die Regelunterworfenen sind somit gezwungen, neues "Humankapital" in Form neuer, an die geänderten Restriktionen angepaßter Verhaltensweisen zu bilden. 34 sekundäre Institutionen abgrenzt. Letztere können bewußt gesetzt und entsprechend schnell verändert werden. 32 Ähnlich Vanberg [1993a], S. 186: "Therefore, what appears to be 'inefficient' in today's environment may only be the carrying forth of traits and strategies which were functional in yesterday's environment." 33 Vgl. dazu auch North [1988], S. 47f., der auf die Relevanz von erlernten Verhaltensweisen für das Funktionieren von - nicht nur niarktwirtschaftlichen - Ordnungen hinweist. 34 Zur Überlegung, daß die Entwicklung neuer Handlungsstrategien unter geänderten Regeln einen zeitlich aufwendigen Prozeß darstellt, vgl. auch Binmore/Samuelson [1994], S. 51-53, die explizit verschiedene zeitliche Phasen der Anpassung unterscheiden.
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Trotz der Reibungsverluste bei einer konstruktivistischen Einführung neuer formeller Regeln kann eine solche Setzung von Regeln durchaus sinnvoll sein: z.B. in den Fällen, in denen die evolutorische Entwicklung von Regeln in eine entwicklungshemmende Sackgasse geführt hat. Solche evolutorischen Fehlentwicklungen können - wie bereits erwähnt - aufgrund von Pfadabhängigkeiten entstehen. 35 In solchen Fällen sind zwar durch die Regeländerung kurzund mittelfristig Friktionskosten in beachtlichem Umfang zu erwarten, langfristig allerdings können die Kosten des Verharrens in den alten Strukturen deutlich höher sein. Anpassungsprobleme dieser Art, bei denen kurz- und langfristige Auswirkungen von Regeländerungen unterschieden werden können, lassen sich in Kollektiven unterschiedlicher Größe beobachten. So fmdet man im Bereich der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre die Diskussion um Akkulturationsprobleme, die auftreten, wenn ein Unternehmen von einem anderen übernommen wird bzw. neue Teile in ein bestehendes Unternehmen eingegliedert werden. 36 Die aus Sicht des übernehmenden Unternehmens verlockenden Synergieeffekte werden häufig durch die Anpassungsprobleme, die entstehen, weil unterschiedliche Unternehmenskulturen37 aufeinanderprallen, kompensiert, so daß die Vorteile aus einer solchen Integration - wenn überhaupt - erst sehr spät realisiert werden können. 38 Ein anderes Beispiel für die langfristig positive Wirkung gesetzter formeller Regeln liefert der Transjormationsprozeß der mittel- und osteuropäischen Planwirtschaften in Marktwirtschaften westlicher Prägung. Hier wurden zu Beginn der Transformation die institutionellen Rahmenregeln konstruktivistisch gesetzt - oft in Anlehnung an die von der ordoliberalen Schule entwickelten marktwirtschaftlichen Grundprinzipien. 39 Dennoch zeigte sich der Erfolg der Transformation nicht unmittelbar. Vielmehr ließ sich feststellen, daß viele Unternehmen - trotz expliziter, geänderter Rahmenbedingungen - an alten, in Planwirtschaften eingeübten und dort erfolgreichen Strategien festhielten. 40 Ein Teil der in den 35 Vgl. dazu grundlegend North [1992], S. 109-124. 36 Vgl. z.B. BackhauslHilker [1992], S. 19ff. 37 Einen Überblick über Unternehmenskulturen und die zugrunde1iegenden betriebswirtschaftlichen Organisationsprinzipien findet man beispielsweise bei Schreyögg [1993]. 38 So auch MaderlStaehle [1991], S. 141-145. 39 Zu den ordoliberalen Grundlagen eines Transformationsprogramrns - insbesondere für Polen - vgl. LeschkelSauerland [1993], S. 5-20 sowie 45-69. 40 Vgl. z.B. Sachs [1992],S. 44, der auf das Vorhandensein sogenannter "ZombieUnternehmen" in Polen hinweist. Diese Unternehmen wußten zwar um die Einführung harter Budgetrestriktionen im Rahmen der Transformation, verhielten sich aber zunächst weiterhin - wie zu Zeiten der Planwirtschaft - so, als existierten noch weiche
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Transformationsländern zu beobachtenden Frustrationen der Bevölkerung im Hinblick auf die "Segnungen" der Marktwirtschaft sind auf die systematische Unterschätzung der Notwendigkeit des langsamen Herausbildens einer marktwirtschaftlichen "Kultur" zurückzufiihren. 41 Mit Hilfe der bisherigen Unterscheidungen läßt sich eine zweistufige Beschränkung des individuellen Handlungsraums beschreiben, wie sie in Abbildung 24 dargestellt ist:
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externe Regeln formell