Föderalismus und Integrationsgewalt: Die Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und Belgien als dezentralisierte Staaten in der EG [1 ed.] 9783428471133, 9783428071135


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German Pages 448 Year 1991

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Föderalismus und Integrationsgewalt: Die Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und Belgien als dezentralisierte Staaten in der EG [1 ed.]
 9783428471133, 9783428071135

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HERMANN-JOSEF BLANKE

Föderalismus und Integrationsgewalt

Schriften zum Europäischen Recht llerausgegeben von Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 7

Föderalismus und Integrationsgewalt Die Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und Belgien als dezentralisierte Staaten in der EG

Von

Hermann-Josef Blanke

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Blanke, Hermann-Josef:

Föderalismus und Integrationsgewalt die Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und Belgien als dezentralisierte Staaten in der EG I von Hermann-Josef Blanke. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Europäischen Recht; Bd. 7) Zugl.: Osnabrück, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07113-1 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Peinted in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-07113-1

amicis - parentibus - magistris

,,Nicht die Zentralstaatsnation, sondern der föderale Gedanke prägt unseren Staat. Er ist es, der uns auch den Weg zu den Zielen unserer Verfassung ebnet. Wir wissen aus der Erfahrung unseres Volkes, daß die Eigenart seiner selbstbewußten föderalen Glieder nicht wegintegriert, sondern um der Heimatwurzeln der Menschen willen stärker werden kann, wenn das Land aus eigener Einsicht in neue Notwendigkeiten Befugnisse an höhere Ebenen abgibt. Wir werden es deshalb leichter haben als andere, wenn nach einem ähnlichen Modell eine neue politische Architektur in Europa entsteht ..."•

• Richard von Weizsäcker, Ansprache des Bundespräsidenten: Vierzig Jahre Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland, Staatsakt arn 24. 5. 1989, Bulletin der Bundesregierung Nr. 51 v. 25.5.1989, S. 445 (452).

Vorwort Die Idee zu einer Untersuchung föderativer Staatsstrukturen Westeuropas entstand anläßlich eines rechtsvergleichenden Seminars an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer im Sommersemester 1984. Eine Ergänzung erfuhr dieses Projekt durch die mir von meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Albrecht Weber, angesichtsder Entwicklungen in Spanien und Belgien nahegelegte Analyse der Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf föderative Staatsstrukturen. Seinem steten Zuspruch und seinen Anregungen verdanke ich den zügigen Abschluß der Arbeit, die im Wintersemester 1989/90 dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation vorgelegt wurde. Die vorliegende Veröffentlichung berücksichtigt den Stand der Literatur und Rechtsprechung vom Frühjahr 1991. Die am 15. Dezember 1990 eröffnete Regierungskonferenz zur Politischen Union, in deren Rahmen die deutschen Länder die Einführung einer dritten- regionalen- Ebene in die Verträge anstreben, wurde hinsichtlich ihrer regionalen Bezugspunkte berücksichtigt. Eingang fanden zudem die im Vorfeld der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren über die Rundfunkrichtlinie im Schrifttum abgegebenen Stellungnahmen. Zu danken habe ich Herrn Dr. Karl-Peter Sommermann für seinen fachkundigen Rat und seine bereitwillige Unterstützung. Den Damen und Herren Sabine Epperlein, Susanne Martens, Christoph Leibenath und Christian Merten sei für die wertvolle Hilfe bei der Beschaffung der Literatur und der Korrektur des Manuskripts gedankt. Frau Bosse-Lüken und Frau Miethe möchte ich für die Fertigstellung des maschinenschriftlichen Manuskripts danken. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Detlef Merten bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Europäischen Recht", dem Bundesminister des Ionern für den gewährten Druckkostenzuschuß zu Dank verpflichtet. Bonn, im Juli 1991

Hermann-Josef Blanke

Inhaltsverzeichnis Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Erster Teil

(Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und Belgien I. Kapitel Das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland I. Grundzüge der Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland . . . . .

39

1. Die Staatsqualität von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2. Der Grundsatz der Bundestreue .. ... . . . . . . . . . .. . .. . .. .. . . . . . . .. . .. . . . . .. .

41

3. Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

b) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

c) Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

d) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

4. Das Homogenitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

5. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

a) Die Bundesaufsicht . . . . ...... . . ... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... ..

47

b) Der Bundeszwang . . . . .. . .. . . . . ... .. . .. . ... . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . ... . .

48

c) ,,Bundesrecht bricht Landesrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

49

6. Mitwirkung der Länder bei der Bundeswillensbildung . . . . . . . . . . . . . .. ..

49

7. Das Bundesverfassungsgericht als Garant des Bundesstaates . . . . . . . . . .

51

Il. Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unitarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52

2. Der kooperative Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

II. Kapitel Der spanische Autonomiestaat I. Die historische Entwicklung der spanischen Autonomiestaatlichkeit . . . . . .

57

II. Allgemeine Kennzeichnung des spanischen Autonomiestaates nach der Verfassung von 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

12

Inhaltsverzeichnis III. Typen und Wege der Autonomie .. . . . .. .. . . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . .. .

63

IV. Organisation der Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . .

66

V. Verbindliche Prinzipien für die autonome Kompetenzausübung . . . . . . . . . .

67

1. Das Kompetenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

2. Das Solidaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

3. Das Prinzip der "Verfassungstreue" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

4. Das Gleichheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

5. Das Prinzip der Freizügigkeit und des freien Warenverkehrs . . . . . .. . . .

72

VI. Die territoriale Verfassung des Staates in formeller Hinsicht . . . . . . . . . . . . . .

73

VII. Die territoriale Verfassung des spanischen Staates in materieller Hinsicht . . .

74

1. Staatliche Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

a) Der Senat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

b) Das Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

2. Das System der legislativen Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

a) Die Regelung des Art. 148 CE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

b) Die Regelung des Art. 149 CE . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . ... . . . . . . . . . . . . . .. .

76

c) Der Kompetenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

d) Die Regelung des Art. 149 Abs. 3 CE . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .

85

aa) Die Residualklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

bb) Die Ergänzungs- und Kollisionsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

3. Die Verteilung der administrativen Vollzugskompetenzen zwischen Zentralstaat und AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

VIII. Das System der Beziehungen zwischen der zentralstaatlichen Rechtsordnung und den Rechtsordnungen der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

1. Das Trennungs- oder Kompetenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

89

2. Die Prinzipien der Kooperation, Interferenz und Integration . . . . . . . . . . .

90

a) Das Prinzip der Kooperation zwischen der zentralstaatlichen und der autonomen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

aa) Die konkurrierende Gesetzgebung zwischen Staat und AG: Basisgesetzgebung und Ausführungsgesetzgebung . . . . .... . . . . .

91

(1) Qualität und Rang der "grundlegenden Gesetze" . . . . . . . . . .

94

(2) Die Struktur der Grundlagengesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

(3) Das Verhältnis von grundlegenden Gesetzen und Durchführungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

bb) Die administrative Durchführung der staatlichen Gesetzgebung durch die AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

(I) Eigene staatliche Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

(2) Administrative Durchführungszuständigkeit des Zentralstaates in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

cc) Die Aufsichtszuständigkeit des Staates über die legislative und administrative Durchführung staatlicher Normen durch die AG

102

Inhaltsverzeichnis (1) Allgemeine Bedeutung und Notwendigkeit .. .. . . .. . . . . ... . . (2) Verfassungsrechtliche Grundlagen und Reichweite . . . . . . . . (3) Die Instrumente der unmittelbaren und mittelbaren Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorbeugende Maßnahmen zur Gewährleistung einer grundlegenden Einheitlichkeit der Ausführung staatlicher Gesetzgebung . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Interferenzbeziehungen zwischen beiden Rechtsordnungen . . . . aa) Staatliche Delegationen zugunsten der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die staatliche Harrnonisierungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der staatliche Zwang (Art. 155 CE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Integrationsbeziehungen zwischen staatlicher und autonomer Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vorrangklausel des staatlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die allgemeine Bedeutung der Vorrang- bzw. Kollisionsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Anwendungsbereich der Vorrangklausel .. . . . . . . . . . . . . . (3) Auswirkungen der Vorrangklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Ergänzungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Einordnung der Territorialstruktur des spanischen Staatssystems

13 102 103 105 110 111 111 112 113 114 114 114 115 116 117 117

III. Kapitel Die regionale Staatsorganisationsstruktur der italienischen Republik I. Die Entwicklung des italienischen Regionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Funktion der Regionalstatute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regionale Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Regionalparlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regionalregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Regionalpräsident . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aufgaben der Regionen . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . . 1. Beteiligung an den Aufgaben des Gesamtstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelung interner Regionalangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Kennzeichnung der regionalen Gesetzgebungstätigkeit . . b) Die primäre und "sub-primäre" Gesetzgebungskompetenz (Gesetzgebungskompetenz ersten Grades) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzgebungszuständigkeiten der Regionen mit Sonderstatut . . . . . d) Gesetzgebungszuständigkeiten der Regionen mit Normalstatut . . . . . e) Die Schranken regionaler Gesetzgebungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die verfassungsgerichtlich überprüfbaren Begrenzungen jeglicher regionaler Gesetzgebungstätigkeit auf dem Gebiet ausschließlicher wie auch konkurrierender Kompetenz (limiti di legittimita) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (l) Das Territorialitätsprinzip (Iimite territoriale) . . . . . . . . . . . . . . (2) Prinzip der abschließend aufgezählten Kriterien (Iimite materiale) . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 127 128 128 129 129 130 130 131 131 132 132 133 134

134 134 134

Inhaltsverzeichnis

14

(3) Weitere ungeschriebene Schranken bb) Die verfassungsgerichtlich überprtitbaren Schranken der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Regionen mit Sonderstatut (limiti di legittimita) . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . (1) Die Begrenzung durch die Verfassung . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . (2) Die Begrenzung durch die "allgemeinen Grundsätze der Rechtsordnung des Staates" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Begrenzung durch die "Grundsatznormen über die wirtschaftlich-sozialen Reformen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Begrenzung aufgrund der internationalen Verpflichtungen (Iimite degli obblighi intemazionali) . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die durch das staatliche Parlament überprtitbare Begrenzung der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen mit Sonderstatut (Iimite di merito) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Schranken der Gesetzgebungskompetenzen der Regionen mit Normalstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Die staatliche Grundsatzgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

(2) Das Wohl des Staates unddas Interesse anderer Regionen . . . (3) Die Koordinierungsfunktion des Staates gemäß Art. 17 des Regionalfinanzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die regionalen Gesetzgebungskompetenzen aufgrund staatlicher Delegation (Gesetzgebungskompetenzen zweiten Grades) . . . . . . .. . . aa) bb) g) Die aa) bb)

135 135 136 136 137 138 138 139 139 141 142 143

Regionen mit Sonderstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . Regionen mit Normalstatut . ... . .. . . . . . ..... .... ..... .. . . . . . . . .. . Verwaltungskompetenzen der Regionen . .. .. .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . Regionen mit Sonderstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regionen mit Normalstatut . . . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .

143 144 144 144 144

V. Die Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

VI. Die verfassungsrechtliche Kontrolle des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Regionen .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . .......... .. . . .. . . . . . . . . ... ....... . . . . . . VII. Wertende Gesamtbetrachtung . . . .... .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. ... .. . . . . . . . . . . . .. .

147 149

IV. Kapitel

Der belgisehe Bundesstaat I. Die Entwicklung der belgiseben Bundesstaatlichkeil . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .

150

II. Die territoriale Struktur des belgiseben Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rechtsordnung der dezentralisierten Einheiten Belgiens . . . . . . . . . . . . . .

152 154

1. Die "dekretierende" und die "anordnende" Gewalt . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 154 2. Die Zuerkennung von Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . .. ............ . . . . .. . . 155

a) Natur der Kompetenzen .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . 155 b) Die Zuständigkeitsbereiche der Gemeinschaften und Regionen . . . . 158 aa) Die ausschließlichen Gemeinschaftsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Die ausschließlichen Regionalbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis

IV. V.

VI. VII.

15

3. Die Exekutivgewalt . . .. . . ... .. . . . . . . .. . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4. Die Organstruktur . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5. Die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Instrumente des kooperativen Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Die Regelung von Kompetenzkonflikten . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . ... . 163 1. Natur der Kompetenzkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Präventive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Die richterliche Konfliktbeilegung durch den Schiedshof . . . . . . . . . . . . . . 164 Die Aufsicht des Staates über die Gemeinschaften und Regionen . . . . . .. . 165 Einordnung der Territorialstruktur des belgischen Staatssystems . . . . . . . . . . 166

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Normierungen über auswärtige Angelegenheiten und Einschaltung der Regionen beim Abschluß und bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge V. Kapitel Bundesrepublik Deutschland I. Der Handlungsbereich des Art. 32 Abs. 1 GG . .. .. .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . . II. Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern . .. . . . . . .. .. . 1. Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich der Abschlußkompetenz . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitsverteilung bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge a) Die Ausführung völkerrechtlicher Verträge in föderalen Staatswesen b) Die Ausführung völkerrechtlicher Verträge in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 170 170 173 173 175

VI. Kapitel Spanien I. Handlungsbereich des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE . . . .. .. .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . II. Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Durchführung völkerrechtlicher Verträge in Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Normierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bestimmungen der Autonomiestatute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 184 187 187 190

VII. Kapitel Italien I. Verfassungsrechtliche Normierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Regionale Beteiligung beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . 198 III. Transformation und Vollzug völkerrechtlicher Verträge nach der italienischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Ratifikationsgesetz und Erteilung des Anwendungsbefehls . . . . . . . . . . . . . 203 2. Der innerstaatliche Vollzug nicht unmittelbar anwendbarer völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

16

Inhaltsverzeichnis a) Die zentralistische These . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 205 b) Die Rechtsprechung des Corte Costituzionale zur Durchführung internationaler Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Die regionalistische These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Vlli. Kapitel Belgien I. Verfassungsrechtliche Normierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Kompetenz der belgischen Gemeinschaften zum Vertragsabschluß bzw. zur Zustimmungserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 lli. Die Beteiligung der Gemeinschaften bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . 221 IV. "Transformation" völkerrechtlicher Verträge in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 V. Die innerstaatliche Durchführung völkerrechtlicher Verträge in Belgien . 226

Dritter Teil Ingerenz und Kompensation IX. Kapitel Die lngerenz nationaler Verfassungsentscheidungen für eine internationale Zusammenarbeit auf den regionalen Kompetenzbereich I. Bundesrepublik Deutschland (Art. 24 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

II. Spanien (Art. 93 S. 1 CE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Italien (Art. 11 S. 2 Cl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Belgien (Art. 25 bis CB) . . . . . . . . . . . . ........ . . .. . .. . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . .. . . . 236 X. Kapitel Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf den regionalen Kompetenzbereich I. Das System der Kompetenzverteilung und -abschichtung zwischen EG und Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Differenzierung nach dem Normtyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

2. Differenzierung nach dem Intensitätsgrad des Gemeinschaftsrechts . . . 238 3. Differenzierung nach dem Spezialitätsgrad des primären Gemeinschaftsrechts . .. . . . . . . ... . .... . . . . . . . . .. .. . . . . . .. . .. . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . 239 II. Die Bereiche regionaler Kompetenzeinbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Konkrete Kompetenzbeeinträchtigungen der Bundesländer . . . . . . . . . . . . 242 a) Der Kultur- und Medienbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Weitere Eingriffsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Kompetenzbeeinträchtigungen der Länder im Bereich der Rechtsprechung und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Inhaltsverzeichnis

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2. Kompetenzbeeinträchtigungen der spanischen AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Kompetenzbeeinträchtigungen der italienischen Regionen . . . . . . . . . . . . . 251 4. Kompetenzbeeinträchtigungen der belgiseben Gemeinschaften und Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 XI. Kapitel Kompensation regionaler Kompetenzverluste

Vierter Teil Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase Xll. Kapitel Die Beteiligung der Bundesländer I. Innerstaatliche Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Beteiligung des Bundesrates an der europäischen Integration . . . . . . . . III. Direkte EG-Kontakte der Länder . . . . . .. .. . . .. . . . ... . .. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilnahme an EG-Verhandlungen . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . 2. Der Länderbeobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Brüsseler Länderbüros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263 268 272 272 273 274

XIII. Kapitel Die Beteiligung der AG I. Die staatliche Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Teilnahme der Autonomien an Gemeinschaftsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorschläge für eine indirekte Beteiligung der Autonomien an Gemeinschaftsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die direkte Beteiligung der Autonomien am Gemeinschaftsentscheidungsprozeß .................... . .. . ......... ... .............. ..................... .. 1. Direkte Beziehungen der AG mit Gemeinschaftsorganen . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beobachter der Autonomen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Chancen der Realisierung einer Beteiligung der AG . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. .

277 277 280 281 282 282 283

XIV. Kapitel Die Beteiligung der italienischen Regionen I. Die innerstaatliche Beteiligung der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 ll. Direkte Beziehungen zwischen Regionen und EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Ausbau regionaler Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 XV. Kapitel Die Beteiligung der belgiseben Regionen und Gemeinschaften I. Innerstaatliche Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 ll. Unmittelbare Kontaktaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 2 Blanke

18

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil Die dezentralisierte Durchführung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Bereich XVI. Kapitel

Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten I. Die innerstaatliche Geltung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte . . . . . . . . . 291 ll. Vollzugstypen .. . .. . .. . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 292

xvn. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die deutschen Länder I. Die Bedeutung des Bundesstaatsprinzips .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 1. Verteilung der legislativen Ausführungskompetenzen .. ...... .... .. .... a) Zuständigkeit des Bundes aus Art. 24 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundeskompetenz im Bereich "auswärtiger Beziehungen"? . . . . . . . . c) Durchführungskompetenz aus Art. 32 Abs. 1 GG? .. .. .... .. .. .. .. . d) Ungeschriebene Bundeskompetenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Binnenstaatliche Kompetenzverteilung für den Verwaltungsvollzug . . . 3. Direkte oder analoge Anwendung der Art. 83 ff. GG? .. .. .... .. .. .... . ll. Rechtsstaatliche Anforderungen . . . .. . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . .. . . .. . . . . . .. .. . .. .. 1. Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes

293 293 293 294 295 296 296 297 299 300 300 300

xvm. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die AG I. Zuständigkeit des Zentralstaats aus Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 oder 93 CE? . . . . . . . ll. Generelle Durchführungskompetenz der AG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ill. Möglichkeiten einer innerstaatlichen Harmonisierung der dezentralisierten Durchführungszuständigkeit . . .. .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . 1. Die staatliche Kompetenzdelegation gern. Art. 150 Abs. 2 CE .. .. .. .. 2. Der Entwurf über ein Abkommen zwischen der Zentralregierung und den AG .......................... . ......... ....... .. ... .. . . .. . ............. IV. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts in der spanischen Rechtsordnung . . . . V. Die normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts .... .. .. .. .... .. .... 1. Normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts bei ausschließlichen Kompetenzen der AG ....... ................ . .. .. ......................... 2. Normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts bei geteilter Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . .... . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . VI. Die administrative Durchführung des Gemeinschaftsrechts .. .. .. .... .. .. .. Vll. Der Vorbehalt des Gesetzes .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

301 307 308 309 309 311 311 312 312 315 317

Inhaltsverzeichnis

19

XIX. Kapitel Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die italienischen Regionen I. Die Entwicklung einer Regionalbeteiligung in der deszendierenden Phase 319 II. Kritik der "Regionalisten" 326 XX. Kapitel Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die belgiseben Gemeinschaften und Regionen I. Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Sechster Teil

Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung des Gemeinschaftsrechts XXI. Kapitel Die gemeinschaftsrechtliche und innerstaatliche Kontrolltätigkeit I. Die innerstaatliche Kontrolltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 II. Die Kontrolle durch die Gemeinschaftsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 XXII. Kapitel Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in der Bundesrepublik Deutschland I. Verpflichtung der Bundesländer zur Ausführung des Gemeinschaftsrechts? II. Durchsetzungsmechanismen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legislative Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungsvollzug . . . . . . . . . . ..... . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . ... . . .. . . . . .. . . . .

338 340 340 342

XXIII. Kapitel Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in Spanien I. Verpflichtung der AG zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts? . . .. . . . . . . . II. Zentralstaatliche Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbeugende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbeugende Kontrolle durch Einschaltung des Staatsrates . . . . . . . . b) Die Ergänzungswirkung des staatlichen Rechts . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . 2. Die nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit der Rechtsetzungsakte der AG (Art. 153 CE) . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . .. . . b) Die Harmonisierungsgesetzgebung (Art. 150 Abs. 3 CE) . . . . . . . . . . c) Der "Bundeszwang" (Art. 155 CE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ..

343 345 345 345 345 348 348 349 351

Inhaltsverzeichnis

20

XXIV. Kapitel Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in Italien I. Verpflichtung der Regionen zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts? . . . 353 II. Die staatliche Ersatzgesetzgebungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

111. Kritik

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354

XXV. Kapitel Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in Belgien I. Regionale Vollzugsverpflichtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 356

II. Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten des Zentralstaates . . . . . . . . . . . .

Siebter Teil

Rechtsvergleichende Bewertung XXVI. Kapitel Der föderative Befund I. Kriterien der Bundesstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 II. Föderativer Strukturvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 361 XXVII. Kapitel Föderative Staatsstrukturen und Europäisches Gemeinschaftsrecht I. Prinzipien der Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 II. J?~ Problem der Kompetenzabgrenzung am Beispiel der Rundfunkrichthme .. .. . . . . ................. . .. ...................... . .. ........... . .... . ... . . . 384 III. Operativer Föderalismusschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 XXVIII. Kapitel Regionale Partizipation im gemeinschaftsrechtlichen Kontext I. Nationale Außenkompetenz und gemeinschaftsrechtsbezogene Regionalbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll. Die innerstaatlichen Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beteiligung in der aszendierenden Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beteiligung in der deszendierenden Phase und die innerstaatliche Durchführungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Direkte Kontakte der Regionen mit der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kompensation durch Partizipation? . . . .. . . . . . . . . . .. .. .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . V. Stellung der Regionen in einer zukünftigen Gemeinschaftsverfassung . . . . 1. Entflechtung statt Verflechtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 2. Institutionelle Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

392 393 393 398 402 403 408 408 410 412

Inhaltsverzeichnis

21

Anhang

I. Gesetz zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft . . TI. Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986 . . . .. . III. Bund-Länder-Vereinbarung . .. . . . . .... .. .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . IV. Abkommen über den Beobachter der Länder bei den Europäischen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413 413 414 418 421

Abkürzungsverzeichnis a. A. abgedr. Abs. ABlEG Abschn. AG AK amerik. Anm. AöR AP

Art. AVR BayVBl. Bd. Bde.

BFH

betr. BGBI. BJC BK BR Bsp. bspw. BOE

BT

BV BVerfG BVerfGE BVerfGG B-VG bzgl. bzw.

andere(r) Ansicht abgedruckt Absatz Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Abschnitt Autonome Gemeinschaft(en) Kommentar zum Grundgesetz f"ür die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Altemativkommentare) amerikanisch Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Administration Publique Artikel Archiv für Völkerrecht Bayerische Verwaltungsblätter Band Bände Bundesfmanzhof betreffend Bundesgesetzblatt Boletin de Jurisprudencia Constitucional (hrsg. vom Studiendienst der Cortes Generales) Bonner Kommentar Bundesrat Beispiel beispielsweise Boletin Oficial del Estado (Spanisches Amtsblatt) Bundestag Bundesverfassung Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundes-Verfassungsgesetz bezüglich beziehungsweise

Abkürzungsverzeichnis CA CB

cc

CDE CE CI CMLR DA

ders. d. h. dies. Diss. D. L. P. Doc. Dok. DÖV D.P.R. Drs. DtGVR DVBI. E EA EAGV ebd. EEA EEAG EG e. g. EGKSV endg. Est. and. Est. arag. Est. ast. Est. cant. Est. cat.

23

Cour d'arbitrage Constitution Belge Corte Costituzionale (der italienische Verfassungsgerichtshof) Cahiers de Droit Europeen Constituci6n Espaiiola (Spanische Verfassung) Costituzione Italiana (Italienische Verfassung) Cornrnon Market Law Review Documentaci6n Administrativa derselbe das heißt dieselbe(n) Dissertation Decreto Legge del Presidente Document Dokument Die Öffentliche Verwaltung Decreto del Presidente della Repubblica Drucksache Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung Europa-Archiv Vertrag zur Griindung der Europäischen Atomgemeinschaft v. 25. März 1957 ebenda Einheitliche Europäische Akte Gesetz v. 19. Dezember 1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte v. 28. Februar 1986 Europäische Gemeinschaften exempli gratia Vertrag über die Griindung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl v. 18. April 1951 endgültig Estatuto de Autonomfa para Andalucfa (Autonomiestatut für Andalusien) Estatuto de Autonornfa de Arag6n (Autonorniestatut von Aragon) Estatuto de Autonomfa para Asturias (Autonomiestatut für Asturien) Estatuto de Autonornfa para Cantabria (Autonorniestatut für Kantabrien) Estatuto de Autonomfa de Cataluiia (Autonomiestatut von Katalonien)

24

Est. C. L. Est. C.-L. M. Est. Ex. Est. gall. Est. I. B. Est. I. C. Est. L. R. Est. madr. Est. mure. Est. nav. Est. P. V. Est. val. EuGH EuR evtl. EWGV f.

FAZ ff. FI Fn. gern. GeschO GG ggf. GGO GI Giur. cost. GMBI. GU hrsg. Hrsg. ICLQ i. d. F.

Abkürzungsverzeichnis Estatuto de Autonomia de Castilla y Le6n (Autonomiestatut von Kastilien-Le6n) Estatuto de Autonomia de Castilla-La Mancha (Autonomiestatut von Kastilien-Mancha) Estatuto de Autonomia de Extremadura (Autonomiestatut von Extremadura) Estatuto de Autonomia para Galicia (Autonomiestatut für Galizien) Estatuto de Autonomia para las Islas Haieares (Autonomiestatut für die Balearen) Estatuto de Autonomfa de Canarias (Autonomiestatut der Kanarischen Inseln) Estatuto de Autonomia de La Rioja (Autonomiestatut von Rioja) Estatuto de Autonomia de Ia Comunidad de Madrid (Autonomiestatut der Gemeinschaft von Madrid) Estatuto de Autonomia para Ia Regi6n de Murcia (Autonomiestatut für die Region Murcia) Estatuto de Autonornia de Navarra (Autonomiestatut von Navarra) Estatuto de Autonomia para el Pais Vasco (Autonomiestatut für das Baskenland) Estatuto de Autonomia de Ia Comunidad Valenciana (Autonomiestatut der Gemeinschaft Valencia) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europarecht eventuell Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25. März 1957 folgende Seite Frankfurter Allgemeine fortfolgende (Seiten) Foro Italiano Fußnote gemäß Geschäftsordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung Giurisprudenza Italiana Giurisprudenza costituzionale Gemeinsames Ministerialblatt Gazzetta Ufficiale (Italienisches Amtsblatt) herausgegeben Herausgeber International and Comparative Law Quarterly in der Fassung

AbkürzWlgsverzeichnis

i. d. s. ILC insbes. i. s. i.V.m. IYIL JA JöR JöR N. F.

IT

JZ Kap. KSE lit. LO LOTC MBI.NW m.w.N. MittHV NJW Nr. NRW NVwZ NWVBL OGDG OGRI ÖZöRV Pari. PD

P. P. I.

PSOE PVS Racc. Uff. RAP RBDI RDI RDIPP RDP RDPSP REA REDA

25

in diesem Sinne International Law Commission insbesondere im Sinne in Verbindung mit The ltalian Y earbook of International Law Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (Neue Folge) Journal des Tribunaux Juristenzeitung Kapitel Kölner Schriften zum Europarecht littera Ley Organica (Organgesetz) Ley Organica del Tribunal Constitucional vom 3. Oktober 1979 Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen mit weiteren Nachweisen Mitteilungen des Hochschulverbandes Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Gesetz v. 31. Dezember 1983 über die institutionellen Reformen der deutschen Gemeinschaft Ordentliches Gesetz v. 9. August 1980 zur Reform der Institutionen Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht Parlament Politica del Diritto Partito Popolare ltaliano Partido Socialista Obrero Espafiol Politische Vierteljahresschrift Raccolta Ufficiale Revista de Administraci6n PUblica Revue beige de droit international Rivista di diritto internazianale Rivista di Diritto Internazianale Privato e Processuale Revista de Derecho Politico Revue du droit public et de Ia science politique en France et a l'etranger Revista de Estudios Andaluces Revista Espafiola de Derecho Administrativo

26

Abkürzungsverzeichnis

REDC REDI REI REP (N. E.) R. Fac. Dcho. U. Complutense RFSP RISA RIW/AWD

RMC

Rn. Rs. RTDP

s.

sec. SGB SOCA SGRI Slg. sog. Sp. STC Sten. Prot. St. F. V. G. St. piemont. St. sard. St. sie. St. T. A. A. St. V. A. St. venez. Supl. Suppl. Suppl. ord. u. u. a.

u. s.

u.

u.

v. VerfG vgl. Vorb. VR

Revista Espafiola de Derecho Constitucional Revista Espafiola de Derecho Internacional Revista des Estudios Internadonales Revista de Estudios Polfticos (Nueva Epoca) Revista de Ia Facultad de Derecho de Ia Universidad Complutense Revue fran~aise de science politique Revue Internationale des Seiences Administratives Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst Revue du Marche Commun Randnummer(n) Rechtsache Rivista Trimestrale di Diritto Pubblico Satz; Seite section Sondergesetz v. 12. Januar 1989 über die Brüsseler Institutionen Sondergesetz v. 7. Januar 1988 über den Schiedshof Sondergesetz v. 8. August 1980 zur Reform der Institutionen (i. d. F. v. 8. August 1988) Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften sogenannt(e-er-es-en) Spalte Sentencia del Tribunal Constitucional (Urteil des spanischen Verfassungsgerichts) Stenographisches Protokoll Statuto Friuli-Venezia-Giulia (Statut von Friaul-Julisch-Venetien) Statuto piemontese (Statut von Piemont) Statuto sardo (Statut von Sardinien) Statuto siciliano (Statut von Sizilien) Statuto Trentino Alto Adigio (Statut von Trient-Oberetsch) Statuto V alle d' Aosta (Statut des Aostatals) Statuto veneziano (Statut von Venetien) Suplemento Supplemento Supplemento ordinario und und andere; unter anderem United States (of America) unter Umständen von; vom Verfassungsgericht vergleiche Vorbemerkung Verwaltungsrundschau

Abkürzungsverzeichnis VVDStRL w.N. WRV YILC ZaöRV ZAR z. B. ZDF ZE Ziff. ZParl.

ZRP

ZUM

zvs

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Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer weitere Nachweise Weimarer Reichsverfassung Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht zum Beispiel Zweites Deutsches Fernsehen zwischenstaatliche Einrichtung Ziffer Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, Film und Recht Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen

Problemstellung Föderalismus im nationalen Raum und Integrationsprozesse auf supranationaler Ebene werfen schon seit den Anfängen der Europäischen Gemeinschaften (EG) die Frage der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Kompatibilität dieser beiden scheinbar dichotomen Vorgänge auf!. Bereits 1951 sah der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Kar/ Arnold die Gefahr, daß die Länder von der Mitwirkung an europäischen Angelegenheiten ausgeschlossen und zu "reinen Verwaltungseinheiten herabgedrückt" werden 2 • Konnte insofern aber bis vor einem Jahrzehnt noch von einem singulär deutschen Problem gesprochen werden, kommt diesem heute bereits angesichts der Föderalisierungstendenzen in verschiedenen Mitgliedsländern der Zwölfergemeinschaft eine weit über den nationalen Bereich hinausragende Bedeutung zu 3, die sich in nationalen Verfassungsentscheidungen für eine "offene Staatlichkeit" 4 einerseits und für eine innerstaatliche politische Dezentralisierung andererseits widerspiegelt. An Brisanz gewinnt es noch dadurch, daß das Phänomen der zunehmenden Ausweitung dezentralisierter mitgliedstaatlicher Territorialstrukturen Auswirkungen auf die mögliche Fortentwicklung der Gemeinschaft zu einer Europäischen Union haben kann. Selbst wenn man davon ausgeht, daß das klassische Begriffsschema Staatenbund oder Bundesstaat die notwendige Besonderheit eines sich entwickelnden Verbandes aus derzeit zwölf europäischen Staaten nicht hinreichend zu erfassen vermag 5 , ist die Existenz dezentralisierter 1 Vgl. Hrbek, Politikverflechtung macht an den Grenzen nicht halt, S. 38-43. z BR, 61. Sitzungsbericht v. 27. 6. 1951, S. 445 (D). 3 Vgl. Everling, BuR 23 (1988), S. 343; Stammen, S. 175; Die zunehmende Bedeutung des Problems spiegelt sich auch in einer Vielzahl von Tagungen mit einer entsprechenden Themenstellung, vgl. etwa: ,,La inserci6n de las regiones en la Buropa de mafiana", Barcelona, 10.-12.3.1987; "Bundesländer und Europäische Gemeinschaft", Speyer, 30. 9.- 2. 10. 1987; 28. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung "Öffentliches Recht", Themenkreis 1: ,,Bundesstaatliche Ordnung und europäische Integration", Trier, 15. -18. 3.1988; "Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Spanien 1992 - Die Rolle der Länder und Comunidades Aut6nomas im Europäischen lntegrationsprozeß", München, 8./9.6.1989; "Rechtsfragen des Gemeinsamen Marktes: Die Betroffenheit der deutschen Bundesländer durch den europäischen Integrationsprozeß", Universidad Pelayo de Santander, 19.-21. 7.1989; ,,Föderalismus und Regionalismus in Europa", Bonn, 14.-6.9.1989 (vgl. hierzu Di Fabio, DVBl. 1989, S. 1238 ff.); ,,Föderalismus und Europäische Gemeinschaften - unter besonderer Beriicksichtigung von Umwelt und Gesundheit, Kultur und Bildung". Deutsch-österreichisches-spanisches Symposion, Speyer, 19. -21.3.1990. 4 Vgl. K . Vogel, S. 42. 5 Vgl. Bieber, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, 17.4 (S. 559); ähnlich lpsen, EuR 22 (1987), S. 212 f. Für Stern, Staatsrecht I,§ 19 I 3 (S. 650), ist ein vereinigtes Buropa hingegen nur in föderativer Form denkbar.

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Problemstellung

mitgliedstaatlicher Einheiten als Faktor für die "wahrscheinliche Entwicklungstendenz der EG zu einem Gebilde von geographisch und sektoriell unterschiedlicher Integrationsdichte, in dem integrierende und koordinierende Faktoren sich verzahnen" 6 , hierbei in Rechnung zu stellen. Zugleich wird aber die sich auf Gemeinschaftsebene momentan vollziehende "stille Revolution", in deren Folge nach den Worten Jacques Delors 7 im Jahre "1993 mindestens 80 Prozent der Wirtschafts-, Finanz- und vielleicht Sozialgesetzgebung" von Brüssel aus erfolgt, erhebliche Auswirkungen auf die innerstaatlichen Normsetzungs- und Anwendungsverfahren und damit auf die Kompetenzen regionaler Gebietskörperschaften haben 8 • Deutliche Dezentralisierungs- und Föderalisierungstendenzen lassen sich in einigen Mitgliedstaaten der EG schon seit etlichen Jahren ausmachen 9 • So sind in Spanienaufgrund der Verfassung vom 29.Dezember 1978 siebzehn Autonome Gemeinschaften entstanden, die entsprechend dem in Art. 2 i.V. m. Art. 137 CE garantierten Recht auf Autonomie eigene Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen besitzen. In Italien hat die Konstituante in einem der ausführlichsten Abschnitte der Verfassung (Art. 114 bis 133 Cl) eine Regionalisierung Italiens beschlossen, welche als Mittelweg zwischen Einheits- und Bundesstaat angesehen wird 10• Die Verfassung verordnete hier die Errichtung von fünf Regionen mit Sonderstatut, d. h. mit erheblich erweiterten Kompetenzen gegenüber den anderen fünfzehn Regionen mit einem bloßen Normalstatut. Schließlich hat Belgien durch die drei Verfassungsreformen von 1970, 1980 und 1988 eine Neugestaltung des Staates vollzogen, wobei den (Sprach)Gemeinschaften einerseits sowie den Landesteilen (Regionen) Flandern undWallonienund der besonderen Region Brüssel andererseits im Rahmen eines Föderalisierungsprozesses Kompetenzen übertragen wurden, die bisher vom Zentralstaat wahrgenommen wurden. Gemeinsam ist allen diesen dezentralisierten Einheiten, daß sie - wie zu zeigen sein wird - keine Staaten bilden und mithin nicht das Recht besitzen, sich aus einem eigenständigen "pouvoir constituant" eine Verfassung zu geben. Im Gegensatz dazu steht die jeweilige Staatlichkeil von Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, die im Kreis der zwölf Mitgliedstaaten der EG weiterhin der einzige Staat ist, der in der Verfassung als Bundesstaat definiert wird. Damit ist die Bundesstaatlichkeil als verfassungsrechtliches Struktur- und Organisationsprinzip grundgesetzlich festgelegt. Zugleich erfährt diese verfassungsrechtliche Normierung durch Art. 79 Abs. 3 GG eine Bestands- und Unantastbarkeitsgarantie. Bieber, ebd. Vor dem Europäischen Parlament am 15.6.1988, Verhandlungen des EP, Anhang 2, Nr. 2-366/172. s Auf die geringe öffentliche Resonanz dieses Prozesses verweisen zu Recht Oschatz I Risse, DÖV 1989, S. 509. 9 Vgl. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus, S. 130 f. Keating I Jones, Regions in the European Communities; Stammen, Das Phänomen des europäischen Regionalismus, 163 ff. 10 Vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 169 6

7

Problemstellung

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Ungeachtet dieses Unterschieds weisen die territorialen Einheiten der genannten EG-Mitgliedstaaten jedoch erhebliche Gemeinsamkeiten auf, die Anlaß zu der Frage nach ihrer Rolle und ihren Aufgaben im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses geben: zum einen können sie alle- gleich ob im nationalen Verfassungstext als Länder, Autonome Gemeinschaften oder Regionen definiert - aufgrund ihrer jeweiligen geographischen Gegebenheiten, ihrer ethnischen, sprachlichen oder religiösen Gemeinsamkeit, ihrer gemeinsamen historischen Vergangenheit, aber auch ihrer wirtschaftlichen, das jeweilige Territorium prägenden Struktur als Regionen in einem umfassenden Sinn defmiert werden 11 , wobei oftmals mehrere Merkmale bei einer bestimmten Region zusammenfallen. Zum anderen verfügen sie alle - wie darzustellen - über ein gewisses Maß an legislativer Autonomie, was ihnen einen Raum eigenständiger Gestaltungsbefugnis und-fähigkeiteröffnet und sie damit als politisch dezentralisierte Einheiten ausweist 12• Im Hinblick auf diese rechtliche und funktionale Qualität heben sich die Regionen der hier zu behandelnden vier EG-Mitgliedsländer von bloßen Verwaltungseinheiten ab, wie sie in der Gemeinschaft in Frankreich und Großbritannien anzutreffen sind. Verwaltungsregionen werden zum Zweck von primär wirtschaftlicher und politischer Planung und Verwaltung als - künstliche Konstruktionen geschaffen. Solche Regionen, die als dezentrale Verwaltungseinheiten an anderer Stelle getroffene Entscheidungen vollziehen, sind Objekt von und Rahmen für Planung und Verwaltung n. In Großbritannien wie in Frankreich trägt diese verwaltungsmäßige Dezentralisierung der Forderung nach größerer Unabhängigkeit und größerer Berücksichtigung der Landesteile Schottland und Wales 14 bzw. der 1972 geschaffenen regionalen französischen Gebietskörperschaften 15 Rechnung. Dieses qualitative Minus an Autonomie der Verwaltungsregionen läßt sie für eine Rechtsvergleichung, die die Rolle präföderativ bzw. föderativ organisierter Einheiten im europäischen Integrationsprozeß zum Gegenstand hat, als ungeeignet erscheinen. Eine vergleichende Analyse der kompetenziellen Betroffenheit dieser Einheiten durch Internationalisierung und Supranationalisierung, die ihren Ausgangspunkt in der Bundesrepublik Deutschland nimmt, setzt ebenso wie die Frage des Ausgleichs von Kompetenzverlusten ein zumindest annähernd vergleichbares Maß an legislativer, also politischer und nicht nur verwaltungsmäßiger Autonomie voraus, die mithin eine gewisse Verselbständi11 Hrbek, ebd., S. 136; Stammen, S. 170 f. Vgl. auch die Definition der Regionen in Art. 2 der vom Europäischen Parlament vorgelegten Gemeinschaftscharta der Regionali-

sierung, ABlEG 1988 C 326/296. 12 Vgl. hierzu Molinadel Pozo, REP 43 (1985), S. 95. 13 Hrbek, ebd., S. 136. 14 Vgl. Gowan, S. 50 ff.; Johnson, S. 314; Malanczuk, ZaöRV 41 (1981), S. 133 ff., 140 ff.; Smith, S. 55 ff.; Stammen, S. 179 f.; ferner Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 29, der darauf hinweist, daß die Autonomie von Schottland und Wales (devolution) jederzeit durch das Parlament widerrufbar ist. 15 Vgl. Constantinesco, S. 204 ff.; Miller, DÖV 1986, S. 143 ff. (144). Eine vollständige Liste aller Dezentralisierungsgesetze findet sich bei Fromont, DÖV 1983, S. 397 ff.; aktualisiert in: ders., DVBI. 1985, S. 421 ff.

Problemstellung

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gung gegenüber den zentralstaatlichen Organen im Rahmen des jeweiligen territorialen Hoheitsbereichs der Region beinhaltet 16• Nur gleichartige oder zumindest vergleichbare Strukturen können gleichgelagerte Rechts- und Sachfragen aufwerfen, die bei Anlegung eines vergleichbaren Parameters zu übertragbaren oder gar modellhaften Lösungen führen können 17• Unschädlich ist für diesen Vergleich hingegen, daß sich die Länder der Bundesrepublik gegenüber anderen politisch dezentralisierten Gebilden neben ihrer Staatlichkeit durch ein "verfassungsfestes" Mindestmaß an eigenen Kompetenzen (Art. 79 Abs. 3 GG) auszeichnen. Insoweit handelt es sich eher um graduelle als um qualitative Unterschiede im Hinblick auf das Maß politischer Autonomie, die - wie zu zeigen sein wird - einer rechtsvergleichenden Analyse im Grundsatz nicht entgegenstehen 18• Parallel zu diesem (Re-)Föderalisierungs- und Regionalisierungsverlauf hat der europäische Integrationsprozeß zur Herausbildung einer komplexen Beziehungsstruktur geführt, die als "Mehrebenensystem" 19 sowie als "dreipolige Verflechtung" 20 beschrieben wird. Die Komplexität dieses Beziehungssystems ist durch ein vier Ebenen umfassendes interdependentes Aktionssystem bedingt: neben die von den EG-Mitgliedstaaten gebildete nationale Ebene treten die supranationale Ebene (auf der die Gemeinschaftsinstitutionen angesiedelt sind), die transnationale Ebene (auf der sich die transnationale Kommunikation nicht gouvernementaler Art abspielt) und schließlich die subnationale Ebene 21 , bezüglich derer hier insbesondere die regionalen Einheiten interessieren. Dabei ist zwischen den vier "gouvernementalen" Ebenen - nämlich der zentralstaatlichen und der regionalen einerseits sowie der mitgliedstaatliehen und der gemeinschaftlichen andererseits - eine jeweils parallele Entwicklung zur BündeJung von Kompetenzen und Instrumenten sowie zur Beteiligung an der Willensbildung und am Vollzug der jeweils anderen Ebene mit einer Vermischung der Zuständigkeiten festzustellen 22• Dieses Phänomen Vgl. Molinadel Pozo, REP 43 (1985), S. 95, 98. Rechtsvergleichende Hinweise, die sich auf eben diese vier EG-Mitgliedsländer beziehen, befinden sich bei der Erörterung föderativer Strukturen dementsprechend bei Bassanini I Caretti, DA 191 (1981), S. 243; Häberle, JöR 32 (1983), S. 12, Fn. 18; Mangas Martfn, S. 218; Molina del Pozo, ebd., S. 91; Mufwz Machado, S. 68-81; d'Onofrio, DA 198 (1983), S. 5; Ress, EuGRZ 1986, S. 551; Rib6, S. 515; unter Außerachtlassung Belgiens Ruiloba Santana, Repercusiones, S. 27, der allerdings auch Großbritannien auf dem Weg zu einem föderativen Staatsaufbau sieht; Schröder, JöR 35 (1986), S. 84 f.; Weber, DVBL 1986, S. 800. 18 Vgl. Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 10, wonach die Einordnung unter die von ihm dort gegebene und im folgenden weitgehend übernommene bundesstaatliche Definition eine "question of degree" ist, deren Grenze fließend erscheint. Bzgl. der Unerheblichkeit einer Unterscheidung zwischen "Bundesstaat" und ,,Autonomiestaat" vgl. Bafw Le6n, Las Autonomlas Territoriales, S. 154 ff. 19 Vgl. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus, S. 127. 20 Vgl. Wessels, Die deutschen Länder in der EG-Politik, S. 192. 21 Vgl. Hrbek, ebd., S. 127. 22 Wessels, ebd., S. 192. 16 11

Problernstellung

33

kann mit dem Begriff der "doppelten Politikverflechtung" 23 oder des "eurokooperativen Föderalismus" charakterisiert werden. Als wichtigster Grund für die insoweit zunehmenden Aktivitäten auf subnationaler Ebene ist dabei die Ausweitung des Funktionsbereiches der Gemeinschaften anzusehen. Sie kann entweder das Ergebnis förmlicher Vertragsänderungen bzw. -ergänzungen oder der Anwendung der in Art. 235 EWGV enthaltenen Generalermächtigung (sogenannte "sweeping-clause") des Gemeinschaftsrechts bzw. der zur Rechtsvereinheitlichung ermächtigenden Art. 100/100 a EWGV wie auch von außervertragli~ eben Regierungsabsprachen zwischen den Mitgliedstaaten sein und dabei sektoraleoder regionale Implikationen aufweisen 24 • Soweit es dabei zu einer Ingerenz auf den regionalen Kompetenzbereich kommt, ist dies eine Auswirkung der in der Autonomie der Gemeinschaftsordnung begründeten unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts 25 im innerstaatlichen Bereich. Die Ausweitung des gemeinschaftlichen Funktionsbereichs ist gleichbedeutend mit einer Zunahme der gegenseitigen Verflechtung und Abhängigkeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Die Betroffenheit der Regionen, die von Fall zu Fall besonders stark ausgeprägt sein kann, bewirkt, daß die Gemeinschaft ihrerseits verstärkt zum Adressaten von Erwartungen und Forderungen, aber auch von Kritik wird 26 • Die zuletzt durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) 27 bestätigte und verstärkte Verflechtung zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten findet in der Reaktion der Regionen auf Beteiligungsanspruch in dem "magischen Dreieck" Regionen-Zentralstaat-Europäische Gemeinschaften ihre Ergänzung und Steigerung 28 • Das Problem liegt darin, wie man sowohl der föderativen bzw. präföderativen Struktur und der entsprechenden innerstaatlichen Kompetenzverteilung der hier zum Vergleich anstehenden Mitgliedsländer als auch den funktionalen und politischen Erfordernissen der EG-Integration gerecht werden und beide Faktoren in eine angemessene Balance bringen kann 29• Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil bei dem Trend zur Interdependenz der westeuropäischen Staaten mit gleichzeitiger (Re-)Aktivierung sowohl der regionalen als auch der EG-Ebene die dreipolige Verflechtung an Umfang und Variationsbreite zunehmen wird 30• Wie schwierig es ist, den konfligierenden Erfordernissen und Interessen Rechnung zu tragen, zeigte sich in der Bundesrepublik Deutschland anläßlich der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zur ,,Einheitlichen Europäischen Akte" 31 , wo die Forderung der Länder nach BeteiliVgl. Hrbek, Doppelte Politikverflechtung, S. 17 ff. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus, S. 128 f. 25 Vgl. dazu EuGH v. 15.7.1964, Rs. 6164 (CostaiE.N.E.L.), Slg. 1964, S. 1251 ff.; hierzu Beutler, in: Beutler I Bieber I Piepkorn I Streil, 3.3.3, S. 89 ff. 26 Vgl. Hrbek, ebd., S. 129. 27 ABlEG 1987, L 169; Text: Bulletin EG-Beilage 2186 sowie in EuR 21 (1986), s. 175 ff. 28 Vgl. Wessels, ebd., S. 193. 29 Vgl. Hrbek, Doppelte Politikverflechtung, S. 19 f. 30 Vgl. Wessels, ebd. 23

24

3 Blanke

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Problemstellung

gung in Fragen der EG als Ausdruck von ,,Nebenaußenpolitik, Kleinstaaterei und Kirchtumspolitik" 32 gebrandmarkt wurde, auf Länderseite dagegen von einem "vom Zentralismus infizierten Denken" 33 die Rede war und davor gewarnt wurde, "die Lösung von essentiellen Fragen nur noch anonymen bürokratischen Machtapparaten [zu] überlassen, [ ... statt] möglichst viel bürgernah vor Ort zu entscheiden" 34. Gleichsam als Anwalt aller in der EG versammelten Regionen forderte der Bundesrat in seinem Beschluß vom 31. Januar 1986, daß die Europäische Union neben der verfassungsrechtlichen Stellung der Länder auch "die Rechte der Regionen als gesicherten Bestandteil einer europäischen Staatsordnung" wahren müsse 35 • Neue Schritte zur Regionalisierung der Mitgliedsländer der Gemeinschaft, aber auch der Gemeinschaftsstruktur selbst, verlangte alsdann das Europäische Parlament anläßlich seiner Entschließung zur Regionalpolitik der Gemeinschaft und zur Rolle der Regionen 36• Damit ist die Frage aufgeworfen, ob Regionalisierung mit dem Anliegen der EG-Integration vereinbar ist, wie weit also regionale Belange und "Sonder"-lnteressen im Rahmen der Gemeinschaft bereits de lege lata Berücksichtigung finden können und dürfen. Daß Regionalisierung und Europäisierung sich nicht grundsätzlich ausschließen, zeigt ein Blick auf die Präambel des EG-Vertrages, die ausdrücklich vom Bestreben der Vertragsgründer spricht, "ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen den einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern". Neben dieser regionalpolitischen "Gemeinschaftszielbestimmung" enthalten die Verträge allerdings keinen weiteren Hinweis auf die Regionen, insbesondere werden diese von ihnen nicht als Akteure im Integrationsprozeß anerkannt 37 • Ganz im Sinne der klassischen Völkerrechtslehre, die die Staaten als geschlossene Einheiten ansieht 38, sind aus den Verträgen allein die Mitgliedstaaten unmittelbar berechtigt und verpflichtet, 31 Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) v. 28. Februar 1986, v. 19.12.1986, BGBI. II, S. 1102. 32 Vgl. die Wiedergabe entsprechender Äußerungen bei Min. Einert I NRW in der 564. Sitzung des BR v. 16.5.1986, BR-Drs. 150/86, Stenographischer Bericht, S. 103. Der Vorwurf der ,,Nebenaußenpolitik" bezog sich dabei auf die Eröffnung von Länderbüros in Brüssel (vgl. XII. Kap. III. 3.), die von den FDP-Bundestagsabgeordneten Wolfgramm und Rümpf als "in höchstem Maße politisch bedenklich" bezeichnet wurde (vgl. Protokoll über die 264. Sitzung des Deutschen BT v. 13.11.1986, S. 18985 (A) bzw. Protokoll über die 253. Sitzung des Deutschen BT v. 4.12. 1986, S. 19722 (A)). 33 Min. Schmidhuber I Bayern, 561. Sitzung des BR v. 21.2. 1986, Stenographischer Bericht, S. 108. 34 Vgl. Min. Schmidhuber I Bayern, 564. Sitzung des BR v. 16.5.1986, Stenographischer Bericht, S. 306. 35 BR-Drs. 31186, Ziff. I 4. 36 Entschließung v. 19.12. 1988, ABlEG 1988 C 3261389 ff. (Ziff. 19-32). 37 Vgl. Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 357 f.; Zumschlinge, Die Verwaltung 22 (1989), s. 217. 38 Vgl. F astenrath, Kompetenzverteilung, S. 11.

Problemstellung

35

durch die die Regionen gleichsam mediatisiert werden. Bis zu einer grundlegenden Revision der Verträge stellt sich mithin die Frage der Einbeziehung und Beteiligung der Regionen im Sinne einer aktiven, zumindest indirekt gestaltenden Einflußnahme auf nationaler Ebene, wobei allerdings die dort gefundenen Partizipationsmodelle mit dem Gebot der Gemeinschaftstreue (Art. 5 EWGV) harmonieren müssen. Ein ,,Szenarium bürokratischer Selbstblockade", welches sich aus der "explosiven Eigendynamik verfehlter Beteiligungsregeln" 39 entwickeln könnte, verstieße nicht nur gegen diesen überragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, sondern wäre darüber hinaus ein Rückfall in partikularistische Eigenbrötelei. Zu entwickeln ist daher ein regionales Beteiligungsverfahren, das den Regionen eine an Realitäts- und Bürgernähe orientierte Einflußnahme auf die jeweilige zentralstaatliche europapolitische Option ermöglicht 40• Diese Beteiligung im Entstehungsprozeß des Gemeinschaftsrechts ("aszendierende Phase") setzt ihrerseits eine ,,Europafähigkeit" 41 der Regionen voraus, die im Rahmen der Ausübung der ihnen eingeräumten Beteiligungsrechte alles zu unterlassen haben, was sich als Hemmnis für den europäischen Integrationsprozeß darstellt; stattdessen haben sie jede ihnen eingeräumte Mitwirkungsmöglichkeit im Geiste einvernehmlicher Kooperation mit dem Zentralstaat und zum Zwecke einer engagierten Beteiligung bei der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts zu praktizieren 42 • Damit ist die Regionalbeteiligung letztlich für die EG selbst ein dynamischer Faktor, da sie die Buropapolitik ihrer dezentralisierten Mitgliedstaaten offener werden läßt 43 • Eine regionale "Mitbestimmung durch Beteiligung" ist dabei auf den gesetzlichen und administrativen Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Region beschränkt, was den Nachweis eines unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten relevanten Eingriffs der Gemeinschaft in den regionalen Kompetenzbereich der zur Diskussion stehenden Mitgliedsländer erforderlich macht. Andernfalls wäre die Forderung nach regionaler Mitbestimmung als Schritt zu einem pluralistischen "Föderalismus" in der EG ein bloß verfassungspolitisches Postulat, verfassungsrechtlich aber kaum begründbar. Dies lenkt den Blick zugleich auf die sich mit zunehmender Dringlichkeit stellende Frage nach der Existenz eines unberührbaren, gleichsam integrationsresistenten Kernbereichs regionaler Zuständigkeiten sowie eines eventuellen Eingriffs in diesen kompetenziellen Kernbereich im Rahmen der fortschreitenden "Kommünitarisierung" mit der Folge der Notwendigkeit eines Ausgleichs auf höherer Ebene zwecks Aufrechterhaltung des Systems vertikaler Gewaltenteilung im nationalen Raum. Für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland kommt diesem Aspekt im Hinblick auf die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG noch erhöhte Bedeutung zu. Wessels, ebd., S. 183 Vgl. E. Schneider, S. 68; Wesse/s, ebd., S. 168 f.; Molinadel Pozo, REP 43 (1985), s. 97. 41 Vgl. Wessels, ebd., S. 187. 42 Blanke, S. 80. 43 Vgl. Wessels, ebd. 39

40

3*

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Problemstellung

Eine Möglichkeit der Stärkung ihrer "europäischen Kompetenz" 44 sehen die Regionen in einer rechtlichen Absicherung ihrer Mitwirkung an innerstaatlichen Entscheidungen in EG-Angelegenheiten, die sich- abgesehen von der Bundesrepublik Deutschland- bisher auf rein informellen Wegen vollzog. Dabei verfolgen sie nicht nur eine Verankerung eines Rechtes auf Information und Konsultation in den sie betreffenden EG-Angelegenheiten zwecks Herstellung gemeinschaftsrechtlicher und gemeinschaftspolitischer Transparenz, sondern darüber hinaus eine Bindung der nationalen Organe an die jeweilige regionale Stellungnahme bei der supranationalen Entscheidungsfindung. Diese Forderung macht ebenso wie die von den Regionen teils bereits praktizierte, teils nur avisierte Aufnahme direkter Kontakte mit den Organen der EG das Problem der Zuständigkeit des Zentralstaates für die auswärtigen Angelegenheiten virulent: die definitorische Beschreibung dieser Kompetenz präjudiziert die rechtliche Lösung der europäischen Partizipationsansprüche der Regionen 45 • Die Anerkennung der Freiheit der internen staatlichen Selbstorganisation als Ausfluß des völkerrechtlichen Grundsatzes der Souveränität und Nichteinmischung führt dabei zu der Frage der Auswirkung der nationalen Verfassungsentscheidung für eine dezentralisierte Staatsstruktur auf die Kompetenzordnung im Bereich der auswärtigen Gewalt, die zunächst-angesichtsmöglicher Parallelen und Unterschiede- unter dem umfassenderen Blickwinkel des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge untersucht werden soll 46 • Soweit die unmittelbare Gestaltung der auswärtigen Beziehungen - hier im Hinblick auf die von den Organen des Zentralstaates im Rat der EG einzubringende Stellungnahme - als zulässiger Gegenstand eines internen Kompromisses zwischen Zentral- und Regionalgewalt angesehen werden kann 47 , entschärft sich der anfangs beschriebene Widerspruch zwischen den Verfassungsentscheidungen des "Supranationalismus" einerseits und des "Subnationalismus" in Form politisch dezentralisierter Staatsstrukturen andererseits im Wege der Einführung eines rechtlich formalisierten Kooperationsinstrumentariums, das die Dimension auswärtiger Kooperation um ein innerstaatliches Pendant ergänzt 48 • Die von der ganz überwiegenden Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur der zu untersuchenden Mitgliedstaaten vertretene Ansicht einer umfassenden Kompetenz des Zentralstaates auf dem Gebiet der "auswärtigen Gewalt" und der "lntegrationsgewalt" gibt demgegenüber bereits unter rein dogmatischen Gesichtspunkten Anlaß zur Prüfung der verfassungsrechtlichen Haltbarkeit einer derartigen "Dezentralisierung" und "Föderalisierung" dieser Materie; dies insbesondere im Hinblick auf die Justitiabilität eines vom regionalen, im innerstaatlichen Bereich herbeigeführten Votum abweichenden Verhaltens 44

45

46 47

Rib6, S. 519. Vgl. Bassanini I Caretti, DA 191 (1981), S. 242. Vgl. zu dieser Vorgehensweise Mangas Martfn, S. 219.

Befürwortend bezüglich der Ausübung der auswärtigen Gewalt im allgemeinen

Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 9. 48 Vgl. zu diesem Gedanken Perez Gonuilez I Pueyo Losa, S. 159.

Problemstellung

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der Zentralregierungen bei der intergouvernementalen Entscheidungsfindung im Rat der Gemeinschaft, aber auch bezüglich der Aufnahme unmittelbarer Kontakte der Regionen zu den Organen der EG. Präjudiziell ist die kompetenzielle Definition des Handlungsbereichs des Zentralstaates in Außenangelegenheiten schließlich auch für den von den Regionen der verschiedenen Mitgliedsländer geltend gemachten "Anspruch" auf die legislative und administrative Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Normen im innerstaatlichen Bereich im Rahmen der sogenannten "deszendierenden Phase". Die gemeinschaftsrechtliche Durchführungskompetenz stellt dabei allerdings ebenfalls nur einen Aspekt des allgemeineren und daher vorab zu behandelnden Problems der Durchführung nicht unmittelbar anwendbarer völkerrechtlicher Verträge in bundesstaatliehen Ordnungen dar. Soweit diese innerstaatliche Durchführung nicht als Manifestation der den zentralen Staatsorganen zugewiesenen Kompetenz für die auswärtige Gewalt zu qualifizieren ist, kann das dezentralisierte Kompetenzverteilungssystem im innerstaatlichen Bereich unter Umständen als Zuordnungsmaßstab für die Aufgaben des unmittelbaren und mittelbaren mitgliedstaatliehen Vollzugs dienen. In engem Zusammenhang mit der Annahme eines solchen für die innerstaatliche Implementation des Gemeinschaftsrechts geltenden Grundsatzes des legislativen und administrativen "Vollzugsföderalismus" steht die Frage einer Überwachungsmöglichkeit der dezentralisierten Umsetzung und Anwendung der Gemeinschaftsnormen durch die zentralen Organe des Mitgliedstaates: Auch wenn das nach Gemeinschaftsrecht (Art. 169 ff. EWGV) bzw. nach allgemeinem Völkerrecht zu beurteilende mitgliedstaatliche "Haftungsrisiko" im Fall einer gemeinschaftswidrigen Umsetzung durch die Regionen eine dezentrale Ausführung nicht a priori ausschließt, so könnte doch zur Vermeidung einer derartigen Verantwortlichkeit zumindest eine zentralstaatliche Substitution regionaler Vollzugskompetenzen in Anwendung des "Bundeszwangs" sowie die Anrufung des nationalen Verfassungsgerichts im Rahmen einer föderativen Streitigkeit - soweit vorgesehen - zu erwägen sein. Die dreipolige Verflechtung im Entscheidungs- und Vollzugssystem der EG birgt die Gefahr eines schwerfalligen und nur begrenzt effizienten Problembearbeitungsprozesses, erweist sich aber zugleich auch als Chance einer auf dem Konsensprinzip beruhenden Lösungssuche, die daher zur Zustimmung aller beteiligten Akteure und mithin zu Stabilität führen kann. Die Handlungskapazität des EG-Systems insgesamt kann damit langfristig höher sein als in einem System, das sich in ständigen Kompetenzabgrenzungskonflikten verschleißt 49 • Bei einer vermehrten Berücksichtigung regionaler Belange kann ihm zudem aus der steigenden Akzeptanz auf subnationaler Ebene zugleich eine höhere Legitimität erwachsen, die eine unerläßliche Voraussetzung für lntegrationsfortschritt, also die Weiterentwicklung der EG zu einer Europäischen Union darstellt 50 • Dement49

Vgl. zum Meinungsstand Wessels, ebd., S. 193 f.

38

Problemstellung

sprechend hat auch das Europäische Parlament in der Präambel seines ansonsten überwiegend als "zentralistisch" kritisierten 51 Vertragsentwurfes über die Errichtung einer Europäischen Union vom 14. Februar 1984 52 der Überzeugung von der Notwendigkeit einer Beteiligung lokaler und regionaler Gebietskörperschaften am europäischen Einigungsprozeß Ausdruck verliehen. Die verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Implikationen einer hierfür notwendigen subnationalen Beteiligung näher auszuloten, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit.

50 Vgl. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus, S. 149; Rib6, S. 522/523; Molina del Pozo, REP 43 (1985), S. 96 f.; Magiera, Als Bundesstaat in der Europäischen Gemeinschaft, S. 14. 51 Vgl. Grabitz, Anhörung von Sachverständigen zu den mit der europäischen Integration verbundenen Rechtsfragen durch den Ständigen Beirat des BR am 6.11.1985, auszugsweise abgedr. in Hrbek/Thaysen, Dok. 11 a), S. 247 (250); Wessels, EA 1984, s. 242 f. 52 ABlEG 1984 C 77/36. Unter Spiegelstrich Nr. 7 der Präambel heißt es:"- Überzeugt von der Notwendigkeit, die Mitwirkung der kommunalen und regionalen Körperschaften am europäischen Aufbauwerk in hierfür geeigneten Formen zu ermöglichen".

Erster Teil

(Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und B_elgien I. Kapitel

Das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland I. Grundzüge der Bundesstaatlichkeil der Bundesrepublik Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundesstaat. So bestimmt es Art. 20 Abs. 1 GG, der die Bundesstaatlichkeil als verfassungsrechtliches Struktur- und Organisationsprinzip grundgesetzlich festlegt. Das Bundesstaatsprinzip wird durch die Ewigkeilsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG vor jeglichen Änderungsbestimmungen geschützt, weshalb ihm das "Attribut des höherrangigen Verfassungsrechts" 1 anhaftet: Durch diese Garantie wird der Bundesstaat zu einem Essentiale der verfassungsrechtlichen und politischen Ordnung der Bundesrepublik erhoben 2 • Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Bundesstaatsprinzips wird die horizontale Gewaltenteilung um eine vertikale Komponente ergänzt\ womit eine Mäßigung der Staatsgewalt im Sinne einer Gewährleistung freiheitlicher Formen des staatlichen Lebens und eine erweiterte Partizipation des Bürgers an der politischen Gestaltung des Gemeinwesens erreicht werden soll 4 • Die Option des Verfassungsgebers für den Föderalismus wird durch eine Reihe von Verfassungsnormen, Grundsätzen und Institutionen 5 konkretisiert, die durch die RechtsI Tomuschat, Bundesstaats- und lntegrationsprinzip, S. 24; vgl. auch Merten, Schlußwort, S. 261, der Art. 79 Abs. 3 GG einen ,,Föderalismusanker" nennt; ders., Die Beteiligung der Bundesländer, S. 38. 2 Laufer, Der Föderalismus, S. 31. 3 Stern, Staatsrecht I, § 19 III I (S. 666). 4 Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 64; ders., Föderalismus, S. I46; Hesse, AöR 98

(1973),

s. 45.

s Vgl. Stern, Staatsrecht I, § I9 III I (S. 667).

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I. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

fortbildung des Bundesverfassungsgerichts ergänzt werden 6 • Zu den Wesensmerkmalen gehören 7: -

die jeweilige Staatlichkeil von Bund und Ländern

-

die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern

-

der Grundsatz der Bundestreue

-

das Homogenitätsprinzip

-

die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Gliedstaaten

-

der Vorrang des Bundesrechts vor Landesrecht

-

die Mitwirkung der Länder bei der Bundeswillensbildung.

1. Die Staatsqualität von Bund und Ländern Zu einem der wesentlichen Elemente der Bundesstaatlichkeil der Bundesrepublik Deutschland zählt die jeweilige Staatlichkeil von Bund und Ländern. Die Staatsqualität der Länder ist nach dem Grundgesetz unstreitig 8 • Das Bundesverfassungsgericht hat sie bereits früh festgestellt und später bestätigt 9 • Dabei ist die Staatsqualität der Gliedstaaten originär, d. h. eben nicht vom Gesamtstaat abgeleitet, sondern von ihm nur anerkannt. Hieraus ergibt sich der Anspruch auf den eigenen Verfassungsraum der Gliedstaaten im Sinne eines eigenständigen pouvoir constituant, eine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit und auf einen unentziehbaren Kernbereich eigener Aufgaben als "Hausgut" 10, wozu jedenfalls die freie Bestimmung über die Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen, die Wahrnehmung der die Bundesländer als Zentren demokratisch legitimer politischer Entscheidungen ausweisenden Leitungsfunktionen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat gehören 11 • Da sich in den rechtsetzenden, exekutiven, planensehen und finanziellen Entscheidungskompetenzen sowie in den organisatorischen Befugnissen die Staatlichkeil der Länder ausprägt, Vgl. AK-Bothe, Art. 20 I, Rn. 21 ff. Vgl. zu dieser Auflistung Stern, Staatsrecht I, § 19 III 1 (S. 667). s AK-Bothe, Art. 20 Abs. 1 - 3 I, Rn. 20; Kimminich, Der Bundesstaat,§ 26, Rn. 40; Stern, Staatsrecht I, § 19 III 1 (S. 667 ff.); H.-J. Vogel, Die bundesstaatliche Ordnung, 5. Kap., II 1 b (S. 817 ff.). 9 BVerfGE 1, 14 (34); 36, 342 (360 ff.). 10 BVerfGE 34, 9 (20). 11 Zur diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerfG, ebd., S. 19 f., vgl. Hesse, AöR 98 (1973), S. 1, 14 ff.; E. Klein, Föderalistische Strukturen, S. 3; Stern, Staatsrecht I, § 19 III 2 (S. 667 ff.); H.-J. Vogel, ebd., 5.Kap., II 1 b; in diesem Sinne auch die Entschließung der Präsidenten der Deutschen Landesparlamente v. 14.1.1983, abgedr. in: Hrbek/Thaysen, Dok. 8 (S. 242ff.). 6

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I. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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ist ein Eingriff in diesen substantiellen Gehalt der Staatlichkeit in Form einer Reduzierung der Länderzuständigkeiten auf bloße Verwaltungsbefugnisse unzulässig 12.

2. Der Grundsatz der Bundestreue Ein zentraler ungeschriebener Verfassungssatz 13 , der die Beziehungen zwischen den bundesstaatliehen Wirkungseinheiten bestimmt, ist das Prinzip der Bundestreue, des bundesfreundlichen Verhaltens. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mißt der Bundestreue fundamentale Bedeutung bei. Schon in der ersten Formulierung dieses Prinzips zeigt das Bundesverfassungsgericht die doppelte Zielrichtung dieses Grundsatzes auf: "Alle an dem verfassungsrechtlichen Bündnis Beteiligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen"l4. Verdeutlichend meint das Gericht, daß dieser Grundsatz auch "der Übermacht des Gesamtstaates im Interesse der Glieder feste Schranken zieht" 15 . Entscheidendes Charakteristikum der Bundesstaatlichkeit ist somit das stete Zusammenführen, das Miteinander, nicht das Gegeneinander der Partner. Hierfür bedarf es eines die Mitglieder des Bundesstaates integrierenden Prinzips, soll die Kompetenzordnung nicht separierend, unitarisierend oder partikularistisch gehandhabt werden 16. Einschränkend wirkt, daß der Grundsatz der Bundestreue akzessorischer Natur ist und für sich weder Rechte noch Pflichten begründet, sondern diese allein innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses modifiziert oder begrenzt 17 • Als konfliktausgleichender und systemstabilisierender Auslegungsgrundsatz spezifiziert er den allgemeinen Grundsatz des Verbots mißbräuchlicher Rechtsausübung für den Bereich des Bund-Länder- und Länder-Länder-Verhältnisses 18 • Der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens begründet nicht nur Unterlassungs-19, sondern auch Tätigkeitspflichten in Gestalt von Hilfs-und Mitwirkungs12 Das BVerfG, ebd., S. 19, spricht von einer durch Art. 79 Abs. 3 GG verbotenen Änderung, durch welche die Länder zu ,,höchstpotenzierten Gebietskörperschaften am Rande der Staatlichkeit herabsinken"; vgl. hierzu Stern, Staatsrecht I, § 19 Ili 2 (S. 668). 13 Vgl. BVerfGE 12, 205 (254); 43, 291 (348). 14 BVerfGE 1, 299 (315); 3, 52 (57); 6, 309 (361). 15 BVerfGE 1, 299 (315). 16 Stern, Staatsrecht I, § 19 1II 4 (S. 701). 17 Stern, Staatsrecht I,§ 19 III 4 (S. 701 f.); Laufer, Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 424. 18 Vgl. Herzog, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 20 IV, Rn. 63, unter Bezugnahme auf BVerfGE 1, 299 (315) und 4, 115 (141 f.). 19 Vgl. BVerfGE 1, 299 (315 f.).

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

pflichten 20, bspw. auch zur Beachtung völkerrechtlicher Verträge des Bundes durch die Länder 21 , eine Pflicht, der im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung des Gemeinschaftsrechts besondere Bedeutung zukommt. Die größte Bedeutung hat der Grundsatz aber als Kompetenzausübungsschranke erhalten 22 . Auch eine durch eine Kompetenzvorschrift gedeckte Maßnahme darf mithin nicht "mißbräuchlich", d. h. ohne Rücksicht auf die Interessen des Gesamtstaates oder die Belange der Länder getroffen werden 23 .

3. Kompetenzverteilung a) Grundsatz

Entscheidend für die Ausgestaltung einer bundesstaatliehen Ordnung ist die Verteilung der Kompetenzen zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten (Verbandskompetenzen). Von der Ausgewogenheit des Verteilungsprinzips hängt nachhaltig die Funktionstauglichkeit des Bundesstaates ab 24• Die meisten föderalistischen Verfassungen verfolgen dabei das Konzept, enumerativ die gesamtstaatlichen Zuständigkeiten aufzuführen und die von dieser Aufzählung nicht erfaßten Kompetenzen als Residualkompetenzen den Gliedstaaten zuzuweisen 2~. Art. 30 GG, der eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder aufstellt, bestätigt dies für die Bundesrepublik Deutschland. Die Vorschrift ist Konsequenz der Staatlichkeil der Länder und ihrer vom Bund nicht abgeleiteten Staatsgewalt 26. Bemerkenswert ist schließlich, daß dem Grundgesetz ein spezifisches System der Aufgabenverteilung zugrundeliegt. Eine Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern findet nicht nach Sachgebieten statt, sondern nach Staatsfunktionen27, also Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung.

2o Vgl. BVerfGE 8, 122 (138); 56, 296 (322). 21 Vgl. BVerfGE 6, 309 (328, 361 f.); 32, 199 (219). 22 Vgl. BVerfGE 12, 205 (239); 14, 197 (215); 43, 291 (348); vgl. Stern, Staatsrecht

I, § 19 III 4 (S. 703). 23 Vgl. BVerfGE 12, 205 (239 ff.); 14, 197 (215); 34, 216 (232). 24 Stern, Staatsrecht I, § 19 III 3 (S. 670); vgl. auch E. Klein, S. 4. ~ E. Klein, ebd., S. 4; Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 137. Vgl. insofern das 10. Amendment zur amerikanischen Verfassung; Art. 3 der schweizerischen BV; sec. 107

der australischen Verfassung. 26 Stern, Staatsrecht I, § 19 lii 3 (S. 675). 27 Vgl. Ossenbühl, DVBL 1989, S. 1232.

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b) Gesetzgebung

Der in Art. 30 GG i. V. m. Art. 70 GG enthaltene Grundsatz von der Präponderanz der Länder im Gesetzgebungsbereich wird - ganz im Sinne deutscher Verfassungstradition 28 -durch eine Reihe anderer Bestimmungen des Grundgesetzes selbst stark relativiert. Dies zeigen primär die in Art. 73 bis 75 GG enthaltenen Gesetzgebungskataloge, die Zuständigkeiten des Bundes begründen, aber auch viele andere im Grundgesetz verstreute Einzellegislativkompetenzen des Bundes, wie etwa Art. 21 Abs. 3 GG, 24 Abs. 1 GG, 29 Abs. 1 GG, 105 Abs. 1 und 2 GG und 134 Abs. 4 GG 29• Kennzeichnend für die grundgesetzliche Kompetenzverteilung ist damit, daß das faktische Schwergewicht der Gesetzgebungszuständigkeit im Gegensatz zur Verwaltungszuständigkeit beim Bund liegt 30• Hinzu kommt, daß der Bund seine Gesetzgebungsbefugnisse nahezu uneingeschränkt ausgeschöpft hat: Dies zeigt sich in allen Bereichen seiner Kompetenzen: aa) Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis des Bundes in Art. 73 GG in einer kurzen Liste von Materien aufgeführt, die ihrer Natur nach einer einheitlichen Behandlung und Regelung bedürfen - hat dieser fast nie von der in Art. 71 GG vorgesehenen Möglichkeit einer Ermächtigung der Länder zur Gesetzgebung Gebrauch gemacht 31 • bb) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 74 GG), der der Gedanke der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder zugrundeliegt, hat der Bund seine Gesetzgebungszuständigkeiten fast nahezu ausgeschöpft 32• Diese Entwicklung ist zum einen darauf zurückzuführen, daß die Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG ihre ursprüngliche limitierende Funktion infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 33 verloren hat, die 28 Vgl. bereits die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 (Bismarcksche Reichsverfassung): vgl. hierzu Stern, Staatsrecht I, § 19 ill 3 (S. 672), und E. Klein, ebd., S. 5. 29 E. Klein, ebd., S. 5. 3o Stern, Staatsrecht I,§ 19m3 (S. 672); E. Klein, ebd., S. 5 u. 9; AK-Bothe, Art. 20 Abs. 1 - 3 I, Rn. 30; ders., Föderalismus, S. 135. 31 E. Klein, ebd., S. 5. 32 In dem vom Bund nicht in Anspruch genommenen Raum der konkurrierenden Kompetenzen verbleiben den Ländern drei wesentliche Bereiche: einmal das allgemeine Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - eingeschränkt durch einige Spezialkompetenzen des Bundes bspw. gemäß Art. 73 Ziff. 10 und 74 Ziff. 4 a -,Teilbereiche des Rechts der Kommunikationsmittel, Rundfunk und Fernsehen (vgl. BVerfGE 12, 205) sowie der größte Teil des Staatskirchenrechts: vgl. Tomerius, S. 20 ff. , 71 ff.; Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 219. 33 Vgl. BVerfGE 2, 213 (224 f.); 4, 115 (127); 10, 234 (245); 33, 224 (229); 39, 96 (114 f.); hierzu E. Klein, ebd., S. 5; Laufer, Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 427, der für eine Ausdehnung der Bundeskompetenzen darüber hinaus die Anerkennung einer Bundeszuständigkeit "aus der Natur der Sache" durch das BVerfG (E 3, 407, 427 f. [Baurechtsgutachten]) verantwortlich macht; hiergegen Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 215 f., der ebenso wie Laufer die Ablehnung der Nachprüfung der Bedürfnisfrage für die Bundesgesetzgebung als ein "wichtiges Element" in der Rechtsprechung

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

das Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung mit dem Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung praktisch gleichgesetzt und die Entscheidung hierüber in das Ermessen des Bundesgesetzgebers gestellt hat. Zum anderen hat hierzu die extensive Interpretation der in Art. 74 GG aufgezählten Sachmaterien, insbesondere hinsichtlich des "Rechts der Wirtschaft" beigetragen 34• cc) Auch im Bereich der Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG), für die ebenfalls durch Bezugnahme die Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gilt, ist eine deutliche Neigung des Bundes festzustellen, den von ihm zu regelnden Rahmen für die Länder möglichst eng zu ziehen 35 • Dies widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bezüglich der Frage der Grenzziehung zwischen der (Voll-) Kompetenz, d.h. der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung, einerseits und der Rahmengesetzgebung andererseits den Grundsatz entwikkelt hat, Rahmenvorschriften des Bundes müßten, wenn auch nicht in allen einzelnen Bestimmungen, so doch als Ganzes durch die Landesgesetzgebung ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig angelegt sein und dem Landesgesetzgeber Raum in der Rechtsgestaltung übriglassen. Der Regelungsbereich der Länder müsse mithin von substantiellem Gewicht bleiben 36 • "Vollregelungen" dürften vom Bund bezüglich der Rahmengesetzgebung nur dann erlassen werden, wenn an der einheitlichen Regelung einer Frage ein besonders starkes und legitimes Interesse bestehe, wobei das Gesetzeswerk als Ganzes dem Landesgesetzgeber stets noch Spielraum für die Ausfüllung der übrigen Vorschriften lassen müsse 37• Gravierender noch als dieser Umstand wirkte sich allerdings die gegenständliche Erweiterung der Rahmengesetzgebung, insbesondere im Bereich des Hochschulwesens, aus; die insoweit erfolgte Gesetzgebung ("Hochschulrahmengesetz") wird als ein vom Bundesrat abgesegneter "gesamtstaatliche[r] Einbruch" in die Domäne der Kulturhoheit der Länder gewertet 38 • Die den Ländern verbliebenen Regelungsmaterien sind gleichwohl keine quantite negligeable: Sie erstrecken sich hauptsächlich auf die Organisation des staatlichen Bereiches, das Kommunalwesen, das Polizei- und Ordnungswesen, den des BVerfG wertet, im Gegensatz zu Laufer aber von einer "großen Zurückhaltung" des BVerfG bezüglich der Anerkennung einer Bundeszuständigkeit ,,kraft Sachzusammenhang" (vgl. E 22, 180, 212 f.) und "aus der Natur der Sache" spricht. Das Anliegen der Rechtsprechung des BVerfG sei vielfach eher der Schutz der den Ländern verbleibenden Aufgaben als die Entwicklung der Bundeskompetenzen gewesen; vgl. auch die Analyse beiBullinger, AöR 96 (1971), S. 241 ff., sowie Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1233; zu den unitarisierenden Tendenzen der Bundesstaatlichkeil vgl. unten S. 52 ff. 34 Vgl. im einzelnen E. Klein, ebd., S. 5 f. 35 Vgl. E. Klein, ebd., S. 6, zum Beamtenrechtsrahmengesetz. 36 BVerfGE 4, 115 (129 ff.). 37 Vgl. BVerfGE 43, 291 (343), unter Hinweis auf BVerfGE 4, IIS (128 f.); 7, 29 (41 f.) und weitere Urteile. 38 Vgl. E. Klein, ebd., S. 6.

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kulturellen Bereich (Schul- und Hochschulwesen), den Bereich der Planung der eigenen Aufgaben 39, sowie das Staatskirchenrecht und Teilbereiche des Rechts der Kommunikationsmittel sowie von Rundfunk und Fernsehen40. c) Verwaltung Art. 83 GG konkretisiert die Zuständigkeitsvermutung des Art. 30 GG zugunsten der Länder dahin, daß die Verwaltungstätigkeit, die Ausführung der Bundesgesetze darstellt, den Ländern obliegt, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Gleichsam als Ausgleich für den legislativen Gewichtsverlust liegt somit der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit bei den Ländern. Auch die Kompetenzverteilung im Verwaltungsbereich ist nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts "eine wichtige Ausformung des bundesstaatliehen Prinzips im Grundgesetz und ebenso wie die Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten ein Element zusätzlicher funktionaler Gewaltenteilung" 41 • Dieses System der Zentralisierung auf dem Gebiete der Gesetzgebung und Dezentralisierung auf dem Gebiet der Verwaltung hat man zutreffend als Vollzugsföderalismus bezeichnet. Es unterscheidet den deutschen ebenso wie den schweizerischen Föderalismus vom Föderalismus der USA, Kanadas und Australiens. Allerdings hängt das politische Gewicht, das dieser Vollzugsföderalismus den Ländern gewährt, zum Teil von dem Freiheitsraum ab, den der Bundesgesetzgeber dem administrativen und planensehen Ermessen beläßt 42 • Der Vollzug der Bundesgesetze wie auch die ebenfalls von Art. 83 ff. GG umfaßte nichtgesetzesauführende Bundesverwaltung 43 durch die Länder ist bundesweisungsfrei; allerdings besteht ein im einzelnen genau geregeltes Aufsichtsverfahren, in das auch der Bundesrat und gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet sind. Einzelweisungen des Bundes an die Länder können nur im Sonderfall des Art. 84 Abs. 5 GG oder im Fall der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) ergehen. In nur seltenen, vom Grundgesetz abschließend genannten Fällen (z. B. Art. 87 b und d GG) werden Bundesgesetze vom Bund selbst (bundeseigene Verwaltung) vollzogen. Ausgeschlossen ist die Möglichkeit einer Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehörden; hierfür sind ausschließlich die Landesbehörden zuständig. Auch auf dem Gebiet der Verwaltung sind die Kompetenzen des Bundes im Vorrücken begriffen, wofür etwa die Bereiche der Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG), der Gemeinschaftsaufgaben und der Investitionsfinanzierung 39 Vgl. Stern, Staatsrecht I,§ 19 III 3 (S. 675); Miller, DöV 86, 142; Herzog, Wandel des Föderalismus, S. 43. 40 Vgl. hierzu Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 219. 41 BVerfGE 55, 274 (318 f .). 42 Vgl. Bothe, Föderalismus, S. 136. 43 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 19 III 3 (S. 684).

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1.

Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

(Art. 91 a Abs. 1 GG, 91 b GG, 104a Abs. 4 GG) und der inneren Sicherheit (Art. 87 Abs. I S. 2 GG) deutliche Beispiele liefern 44 • d) Rechtsprechung

Die Verteilung der Zuständigkeiten im Bereich der Rechtsprechung gestaltet sich unkompliziert. Art. 92 GG weist zwar die mit dem Begriff ,,rechtsprechende Gewalt" bezeichnete Staatsfunktion den Richtern zu, nimmt aber dann auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern Bezug. Die Einrichtung der Gerichte, denen gemäß Art. 92 GG die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt obliegt, erfolgt aufgrund der in Art. 30 GG normierten grundsätzlichen ,,Allzuständigkeit" der Länder nach Maßgabe des Rechts der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens, für das der Bund nach Art. 74 Nr. 1 GG konkurrierend zuständig ist. Bundeszuständigkeiten auf dem Gebiet der Rechtsprechung sind in Art. 95 GG festgelegt. Hiernach werden für die dort genannten Zweige der Gerichtsbarkeit oberste Gerichtshöfe als Bundesgerichte errichtet. Als Revisionsgerichten kommt ihnen die Aufgabe zu, zwecks Wahrung der Rechtssicherheit und der - unter bundesstaatliehen Gesichtspunkten geforderten - Einheit der Rechtsordnung die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren 45 • Die Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit, die nicht eine zusätzliche Revisionsinstanz konstituiert, besteht allein in der Wahrung spezifischen Verfassungsrechts. Diese wird auf Bundesebene durch das Bundesverfassungsgericht (Art. 93, 94 GG), auf Landesebene durch die Landesverfassungsgerichte wahrgenommen.

4. Das Homogenitätsprinzip Im Bundesstaat der Bundesrepublik Deutschland gilt die Regelung der verfassungsmäßigen Homogenität von Zentralstaat und Gliedstaaten. Dadurch soll der Gefahr von verselbständigenden Tendenzen und der Entwicklung von zentrifugalen Kräften, die das Phänomen einer Mehrzahl selbständiger Kompetenzräume in sich trägt, entgegengewirkt werden 46 • Zur Wahrung eines materiellen und strukturellen Mindestmaßes an Übereinstimmung 47 bestimmt Art. 28 Abs. 1 GG 48 44 Vgl. Stern, Staatsrecht I,§ 19 III 3 (S. 685 f.), unter Aufzählung weiterer Gebiete; vgl. auch Bothe, Föderalismus, S. 136, der von einer Tendenz zur Beschränkung des Vollzugsföderalismus zu einer dichten und vollständigen gesetzgebensehen Reglementierung durch den Bund spricht. 45 Degenhart, Gerichtsorganisation, § 75, Rn. 5 (S. 862 f.). 46 Vgl. Ley, VR 1985, S. 313. 47 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 19 III 5 (S. 705). 48 Über Art. 28 Abs. 1 GG hinaus bewirken auch noch andere Verfassungsnormen eine Homogenität: bspw. Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 21, 25, 31, 33 und 34 GG; Stern, Staatsrecht I, § 19 III 5 (S. 704), spricht diesbezüglich sogar von "Uniformität".

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daher, daß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muß.Das Volk muß in den Ländern eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Art. 28 Abs. 1 GG, der der Verfassungsautonomie der Bundesländer Schranken zieht, fällt so die Funktion zu, "generalisierbare, typische bundesstaatliche Konfliktlagen im Wege der Prävention durch Richtlinien positiv zu vermeiden" 49 • Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts 50 und der herrschenden Lehre 51 ist die Vorschrift des Art. 28 Abs. 1 GG unmittelbar geltendes Landesrecht. Der Bund hat nach Art. 28 Abs. 3 GG die Pflicht, ggf. in die Verfassungsordnung der Länder einzugreifen, um die dem Art. 28 Abs. 1 GG widersprechenden landesinternen Regelungen zu beseitigen oder beseitigen zu lassen und für die Wiederherstellung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in dem betreffenden Land zu sorgen. Denn nach Art. 28 Abs. 3 GG gewährleistet der Bund, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den angeführten Bestimmungen entspricht.

5. Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Länder Neben Art. 28 Abs. 3 GG, der die Homogenität "effektiv" 52 macht, räumt das Grundgesetz dem Bund noch andere spezifische Einwirkungskompetenzen auf die Länder ein, wovon insbesondere die Bundesaufsicht, der Bundeszwang, das Zustimmungsrecht zu Verträgen der Länder mit auswärtigen Staaten und der Vorrang des Bundesrechts vor dem Landesrecht hervorzuheben sind 53 •

a) Die Bundesaufsicht

Das Grundgesetz normiert in Art. 84 und 85 GG eine unselbständige Bundesaufsicht, d. h. eine Aufsicht des Bundes über die Länder insoweit, als diese Bundesgesetze ausführen (Ausnahme in Art. 108 Abs. 3 GG). Damit ist mangels einer selbständigen Bundesaufsicht der nicht durch Bundesgesetz geregelte Bereich der Bundesaufsicht nicht zugänglich. "Der Satz: Wo Bundesgesetze, da 49

V. Münch-Roters, Art. 28, Rn. 4.

so BVerfGE 1, 208 (236).

SI V. Münch-Roters, Art. 28, Rn. 12; Stern, Staatsrecht I, § 19 m 5 (S. 705); Ley, VR 1985. S. 314. sz Vgl. die Entstehungsgeschichte des Art. 28 GG in: JöR 1 (1951), S. 257 ff. 53 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 19 m 6 (S. 710), der auch die Bundesintervention

behandelt, die mangels einer Relevanz im Rahmen dieser Untersuchung hier unerörtert bleiben soll.

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1. Teil: (Prä- )Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Bundesaufsicht, ist auch der Umkehrung fahig: Wo keine Bundesgesetze, da keine Bundesaufsicht" 54 • Maßstab und Mittel der Bundesaufsicht sind ebenfalls in den Art. 84 und 85 GG normiert. Zu aufsehenerregenden Konflikten ist es bislang nicht gekommen, was auch auf die in der Bundesrepublik Deutschland in voller Blüte stehende Verwaltungsgerichtsbarkeit zurückzuführen sein dürfte, die die Bundesaufsicht weithin entbehrlich macht 55•

b) Der Bundeszwang

Art. 37 Abs. 1 GG gewährt den Bundeszwang, "wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetz obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt". Art. 37 GG will jedoch nicht nur den Bundeswillen durchsetzen, sondern ist auch ein Institut des Verfassungsschutzes im Bundesstaat 56• Bundespflichten, gegen die das Land verstoßen haben muß, müssen im Grundgesetz oder im (materiellen oder formellen) Bundesrecht (einschließlich des transformierten Völkervertragsrechts) statuiert sein bzw. sich aus diesen ergeben, so daß insbesondere auch die Pflicht zur Bundestreue in Betracht kommt 57 • Auch eine Nichtbeachtung bindender Urteile des Bundesverfassungsgerichts stellt einen Verstoß gegen Bundesgesetze dar(§ 31 BVerfGG). Als notwendige Maßnahme, die im Rahmen des Bundeszwangs ergriffen werden können, werden "alle tatsächlich und rechtlich zur Verfügung stehenden Machtmittel" 58, die zur Durchsetzung der Pflichterfüllung geeignet und erforderlich sind, angesehen 59• Selbst eine Ersatzvomahme einschließlich des Erlasses von Gesetzen wird als ein zulässiges Instrumentarium erachtet 60 • Da von Art. 37 GG jedoch bisher noch nicht Gebrauch gemacht wurde, fehlt es an einer diesbezüglichen Staatspraxis und einer verfassungsrechtlichen Rechtsprechung. Der Bundeszwang gilt als das stärkste Eingriffsrecht des Bundes gegenüber seinen Gliedstaaten, das aber zur Aufrechterhaltung und Sicherung des Bundesstaats für notwendig gehalten wird 61 •

54 Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 84, Rn. 43; vgl. ferner BVerfGE 8, 122 (131). 55 Vgl. Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1233. 56 Stern, Staatsrecht I, § 19 III 6 (S. 714). 57 Stern, ebd., § 19 III 6 (S. 715). 58 Maunz, in: Maunz I Diirig I Herzog I Scholz, Art. 37, Rn. 47. 59 Vgl. Stern, ebd., § 19 II1 6 (S. 716 f.). 60 Vgl. Stern, ebd., § 19 III 6 (S. 717). 6t Vgl. Stern, ebd., § 19 III 6 (S. 715); Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 37, Rn. 9. ·

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c) "Bundesrecht bricht Landesrecht"

Da das Zustimmungsrecht des Bundes zu Verträgen der Länder im Zusammenhang mit der Regelung der auswärtigen Kompetenz in der Bundesrepublik Deutschland zu behandeln ist 62, soll hier nur noch der in Art. 31 GG verankerte Vorrang des Bundesrechts vor dem Landesrecht erörtert werden. Das Bundesverfassungsgericht63 betont im Gegensatz zu einem Teil der Lehre 64 den Charakter dieser Bestimmung als Kollisionsnorm in einer stufenartig aufgebauten Rechtsordnung, nicht aber als Kompetenznorm. Sie hat zur Folge, daß immer dann, wenn für einen Lebensbereich oder Sachverhalt eine bundesstaatliche Regelung vorliegt, sie einer landesrechtliehen Regelung, die denselben Gegenstand betrifft, vorgeht und bei Widersprüchen die landesrechtliche Regelung außer Kraft setzt ("Autbebung" 65 ) bzw. die Entstehung neuen Landesrechts zu diesem Gegenstand ausschließt ("Sperre" 66). Autbebungswirkung besitztjedoch nur gültiges Bundesrecht; dieses muß verfassungsmäßig zustande gekommen sein und darf auch inhaltlich dem Verfassungsrecht nicht widersprechen. Insbesondere muß der Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem entsprechenden Gebiet besitzen67.

6. Mitwirkung der Länder bei der Bundeswillensbildung Ein wichtiges Element im Gleichgewicht des bundesstaatliehen Systems ist die Beteiligung der Länder an der Willensbildung des Bundes. Diese Beteiligung stellt einen weiteren Ausgleich für die relative Ohnmacht der Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung dar 68 • Die Institution, die vor allem diese Beteiligung garantiert und in der sich diese Beteiligung verwirklicht, ist der Bundesrat 69. Durch dieses föderative Verfassungsorgan werden die Gliedstaaten "gleichsam organschaftlieh in den Bund hineingebaut" 70. Entsprechend der deutschen Verfassungstradition hat sich das Grundgesetz für das Bundesratsprinzip entschieden, wonach das bündische Element durch ein Organ auf der Gesamtstaatsebene 62 Vgl. V. Kap. II. 63 BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363). 64 v. Mangoldt-Klein, Art.3l, Anm.III 4ff.; a.A. ist Maunz, in: Maunz/Dürig/ Herzog I Scholz, Art. 31, Rn. 22. 65 Anschütz, Art. 13 WRV, Anm. 3. 66 Ders., ebd. 67 Vgl. Stern, Staatsrecht I,§ 19 III 7 (S. 721); Karpen, S. 211. 68 Vgl. Bothe, Föderalismus, S. 137; ders., AK, Art. 20 I, Rn. 35; Hesse, AöR 98 (1973), s. 18 ff. 69 Vgl. Art. 50-53 GG; zur Verfassungstradition: Art. 6 - 9 der Reichsverfassung 1871 sowie Art. 60-67 WRV; aus der Literatur: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft. 10 Stern, ebd., § 19 III 8 (S. 726). 4 Blanke

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

vertreten ist, das aus weisungsgebundenen Mitgliedern der Regierungen der Gliedstaaten besteht (Art. 51 GG). In der Regierungsorientierung des föderativen Organs liegt eine Besonderheit der deutschen Bundesstaatlichkeit1 1• Die Zahl der Stimmen, über die ein Land verfügt und die nur einheitlich abgegeben werden können, beträgt mindestens drei und richtet sich im übrigen nach dessen Einwohnerzahl, so daß das Gewicht der Länder im Bundesrat variiert. Der Bundesrat spielt eine erhebliche Rolle bei der Gesetzgebung zum einen durch sein Initiativrecht (Art. 76 Abs. 1 GG), zum anderen durch seine Möglichkeit, auf einen Gesetzesbeschluß der Bundesregierung einzuwirken, insbesondere durch sein Einspruchsrecht bei sog. Einspruchsgesetzen (Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG) und sein Zustimmungsrecht bei Zustimmungsgesetzen (Art. 78, 77 Abs. 1 GG). Durch seine Einschaltung in die Gesetzgebung wird der Bundestag als unitarischdemokratisches Organ mit einem föderativ-demokratischen Organ, nämlich dem Bundesrat, zum Zweck einer "funktionellen Verdoppelung" bei der Erzeugung der Gesetze "zusammengekoppelt" 72 • Nach der Konzeption des Grundgesetzes besitzt er grundsätzlich ein suspensives Vetorecht gegen die vom Bundestag beschlossenen Gesetze; in der Staatspraxis ist die Zahl der ursprünglich mit etwa 10% vorgestellten zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze allerdings auf 60% angewachsen 73 • In zahlreichen Fällen der Bundesgesetzgebung, bei dem das administrative oder fiskalische Interesse der Länder berührt ist 74 , ist aufgrund entsprechender enumerativer Regelungen des Grundgesetzes sogar die Zustimmung des Bundesrates erforderlich 75 • Das Zustimmungserfordernis soll die Grundentscheidung der Verfassung zugunsten des föderalistischen Staatsaufbaus mitabsichern und verhindern, daß "Systemverschiebungen" im bundesstaatliehen Gefüge im Wege der einfachen Gesetzgebung herbeigeführt werden 76 • Das B undesverfassungsgericht hat die Zustimmungsbedürftigkeit dahin ausgelegt, daß dann, wenn nur eine Bestimmung eines Gesetzes eine Zustimmungsbedürftigkeit begründet, das ganze Gesetz zustimmungsbedürftig ist 77 • Diese Auslegung gibt dem Bundesrat ein erhebliches gesetzespolitisches Gewicht 78 • Ein ZustimmungsVgl. Stern, ebd., § 19 I1I 8 (S. 729). n Stern, ebd., § 19 III 8 (S. 744); vgl. auch Herzog, Stellung des Bundesrates, § 44, Rn. l. 11

73 Das Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen ist damit regelungstechnischer, nicht statistischer Natur. In der Staatspraxis ist die Zahl der Zustimmungsgesetze längst höher als die der Einspruchsgesetze: vgl. J. lpsen, § 6, S. 93 (insbes.Fn. 9) mit einer Statistik über den Anteil der Zustimmungs- und Einspruchsgesetze; Ossenbühl, DVBI.1989, S. 1235. 74 Vgl. Bothe, Föderalismus, S. 138. 75 Art. 29 Abs. 7; 74 a; 79 Abs. 2; 84 Abs. 1 und 5; 85 Abs. 1; 87 Abs. 3; 87 b Abs. 1 und 2; 87 c; 87 d; 91 a Abs. 2; 104 a Abs. 3-5; 105 Abs. 3; 106 Abs. 3-6; 107 Abs. 1; 108 Abs. 2, 4 und 5; 109 Abs. 3 und 4; 115 c Abs. 1 und 3; 120 a; 134 Abs. 4; 135 Abs. 5 GG. 76 BVerfGE 55, 274 (319) unter Bezugnahme auf BVerfGE 37, 363 (379 ff.). 77 Seit BVerfGE 8, 274 (294) ständige Rspr.. ; zur Änderung von zustimmungsbedürftigen Gesetzen vgl. BVerfGE 37, 363 ff.

I. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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erfordernisergibt sich auch in zahlreichen Fällen von Verordnungen der Bundesregierung79. Hervorzuheben ist schließlich die Notwendigkeit der Zustimmung des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit im Falle von Verfassungsänderungen (Art. 79 Abs. 2 GG). Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung unterliegt der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3, womit das Mitbestimmungsrecht der Länder an der Willensbildung des Bundes zu einem Hauptcharakteristikum des bundesstaatliehen Prinzips erklärt worden ist 80• Der Bundesrat ist aber auch an der Verwaltung des Bundes beteiligt. Bei Maßnahmen der Aufsicht des Bundes über die Länder im Rahmen des Gesetzesvollzuges oder des Bundeszwangs (Art. 37 GG) ist der Bundesrat zum Schutz der Länder obligatorisch eingeschaltet. Zu erwähnen ist ferner sein Recht, von der Bundesregierung über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden gehalten zu werden (Art. 53 S. 3 GG).

7. Das Bundesverfassungsgericht als Garant des Bundesstaates Ein geordnetes Funktionieren der föderativen Organisation sowie der Bestand der föderativen Struktur der Bundesrepublik macht eine Institution notwendig, die die einem solchen Staatstypus immanenten Reibungen und Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten über Kompetenzen und Mitwirkungsbefugnisse entscheidet. Eine echte föderative Lösung von Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern- insbesondere in Fragen der Kompetenzverteilung -kann nur durch eine unabhängige richterliche Instanz erreicht werden, die ausgleichend, friedstiftend, stabilisierend und erhaltend in der bundesstaatliehen Ordnung wirkt 81 . Historisch gesehen ist es ganz offenkundig, daß die Konzeption der Verfassungsgerichtsbarkeit in föderalistischen und "quasiföderativen" Systemen ihre ersten Anstöße von der Funktion gerichtlicher Instanzen erhalten hat, die Streitigkeiten zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten oder den Gliedstaaten untereinander zu schlichten hatten 82 . Hier liegt der Kern der eigentlichen Staatsgerichtsbarkeit, die sich später zu einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit entwickelt hat 83. Der bundesrepublikanische Verfassungsgesetzgeber hat u. a. aus diesem Grund das Bundesverfassungsgericht geschaffen, dessen Aufgabe es ist, Verfassungs78 Vgl. Bothe, Föderalismus, S. 138; Laufer, Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 432. 79 Vgl. Art. 80 Abs. 2 Satz 1, 119 Satz 1 und 129 Abs. l; vgl. ferner die Zustimmungsbedürftigkeit von Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 S. 1 und Art. 108 Abs. 7 GG. 80 Vgl. Stern, ebd., § 19 III 8 (S. 728). 81 Laujer, Der Föderalismus, S. 32. 82 Vgl. E. Klein, ebd., S. 15, unter Hinweis auf Art. III sec. 2 cl. 1 und 2 der amerik. Verfassung; Weber, Generalbericht, S. 63, 79 ff. 83 Vgl. E. Klein, ebd., S. 15. 4*

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeil von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) 84 bzw. über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG), zu entscheiden sowie Zuständigkeiten zwischen Bundesrat einerseits und Verfassungsorganen des Bundes andererseits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) zu klären, das aber auch über andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern oder zwischen verschiedenen Ländern zu urteilen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG) und über die Vereinbarkeil von Landesrecht mit Bundesrecht 85 im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle (Art. 100 GG) zu befinden hat. So soll das Bundesverfassungsgericht ein Garant der bundesstaatliehen Ordnung sein und diese gegen Aushöhlungen durch die Zentralgewalt sichern, ohne die Wirksamkeit des Bundes zu schmälern oder die Eigenständigkeil der Länder zu beeinträchtigen, und so die fruchtbare Spannung zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten aufrechterhalten 86•

II. Aktuelle Probleme des deutschen Föderalismus Wie bereits im Rahmen der Darstellung der legislativen Kompetenzverteilung angesprochen, ist die Entwicklung des föderativen Systems der Bundesrepublik durch integrative Tendenzen gekennzeichnet, die im Wege einer Kompetenzverlagerung auf den Bund zu einer Vereinheitlichung (Unitarisierung) sowie in Verbindung mit einer zunehmenden Verschränkung der verschiedenen staatlichen Hoheitsbereiche zu einem größeren Bedarf an konzertiertem und gemeinsamem Handeln der bundesstaatliehen Wirkungseinheiten (kooperativer Föderalimus) geführt haben.

1. Unitarisierung Die Vorschriften des Grundgesetzes über Gesetzgebungskompetenzen haben seit 1949 zahlreiche Änderungen erfahren 87 • Durch die Erweiterung des Katalogs des Art. 74 GG wurden den Ländern Kompetenzen entzogen und dem Bund zugänglich gemacht 88 • Sie betreffen namentlich das Atomrecht, das VerkehrsweVgl. hierzu Benda, S. 131 f. Zu den Bund-Länder-Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG vgl. Benda, s. 133 f. 86 Vgl. Laufer, Der Föderalismus, S. 32. 87 Vgl. H.P. Schneider, S. 103, wonach inzwischen 35 Grundgesetzänderungen stattgefunden haben, von denen allein 24 eine Kompetenzerweiterung von Bundesorganen auf Kosten der Länder zum Gegenstand hatten. 88 Zu den wenigen Domänen ausschließlicher Landeszuständigkeit vgl. oben S. 44/45. 84 85

I. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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sen, den öffentlichen Dienst, die Föderung der wissenschaftlichen Forschung, das Hochschulrecht und den Umweltschutz. Weitaus die meisten Sachgebiete wurden von der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 GG erlaßt. Im Rahmen der Sachgebiete aus Art. 74 GG ist der Bund beauftragt, eine einheitliche Regelung zu treffen, wenn "die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" über das Gebiet eines Landes hinaus dies erfordert. Die unbestimmte Formulierung des Art. 72 Abs. 2 Ziff. 3 GG eröffnet dem Bund die Möglichkeit, fast jedes Bundesgesetz über die Gegenstände des Art. 74 GG zu verabschiedens9, zumal ihm dabei ein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 Ziff. 3 GG zusteht, der nicht justitiabei sein soll 90 • Unitarisierung bedeutet dabei das ,,Zurücktreten regionaler Besonderheiten zugunsten fortschreitender Angleichung des Rechtszustandes und der Lebensverhältnisse innerhalb des Bundesgebietes" 91 . Eng verbunden mit diesem Aspekt ist die Verwirklichung des Sozialstaatsgebotes. Der Sozialstaat zielt auf Normalität; Gleichheit ist sein wesentliches Kriterium und Ziel. Vereinheitlichung liegt in der Schwerkraft dieses Verfassungsprinzips 92, das sich zu einem Maßstab "sachlicher Unitarisierung" 93 entwickelt hat. Die mit dem Hinweis auf die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gerechtfertigte innerstaatliche Kompetenzverschiebung, die zugleich eine Schwächung der Landesparlamente mit sich brachte 94, hat allerdings inzwischen bei zusätzlicher Inrechnungstellung der weiten Interpretation der Rahmengesetzgebung durch das Bundesverfassungsgericht 95 ein Maß an Zentralisierung erreicht, das keine weitere Entwicklung in diesem Sinne zuläßt, ohne die Rolle des Föderalismus als einem Element politischer Mäßigung und damit das Gleichgewicht des bundesstaatliehen Systems zu gefahrden 96. Begleitet wurde diese Stärkung des Bundes im Gesetzgebungsbereich durch eine Anreicherung seiner Verwaltungsmacht, insbesondere im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a GG) und der Investitionshilfe (Art. 104 a Abs. 4 GG). Diese Grundgesetzänderungen haben zu einer intensiven Verflechtung der Verwaltungsräume von Bund und Ländern geführt 97, womit zugleich das Phänomen des ,,kooperativen Föderalismus" angesprochen ist. Die skizzierte Entwicklung läßt es geboten erscheinen, die Notwendigkeit einer territorial übergreifenden Problemlösung verschiedener Sachbereiche 89 Vgl. Laufer, Der Föderalismus, S. 40; Miller, DÖV 1986, S. 142. 90 BVerfGE 2, 213 (224 f.). 91 Hesse, Aspekte, S. 143. 92 Vgl. Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1234. 93 Böckenförde, Sozialer Bundesstaat, S. 101 ff. 94 Lemke, S. 203 ff.; Miller, DöV 1986, S. 142. 95 Vgl. BVerfGE 4, 115 (130); 43, 291 (343). 96 Vgl. Bothe, Föderalismus, S. 144 f., der den erreichten Grad an Unitarisierung jedoch für gerechtfertigt hält; Herzog, Wandel des Föderalismus, S. 41 f. 97 Vgl. Ossenbühl, ebd., S. 1233 f.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

(bspw. die Ordnung des Wirtschaftslebens sowie den Umweltschutz) mit dem Grundsatz einer weitgehenden Respektierung der Zuständigkeit der Länder in Einklang zu bringen, was sowohl in Fragen von nationaler als auch supranationaler bzw. internationaler Relevanz nur durch eine Optimierung der Länderbeteiligung an überregionalen bzw. "supranationalen" Entscheidungsprozessen möglich ist 98 •

2. Der kooperative Föderalismus Seit mehr als einem Jahrzehnt "durchzieht" die ,,Zauberformel" vom ,,kooperativen Föderalismus" die öffentliche Debatte in Bundesangelegenheiten 99 • Damit wird das Phänomen eines alle Bereiche der Staatstätigkeit umfassenden konzertierten Handeins bezeichnet, das dazu geführt hat, daß man heute kaum noch von klar abgrenzbaren Entscheidungsprozessen des Bundes oder der Länder sprechen kann. Konzertiert wird zum einen die Regierungstätigkeit im Sinne staatsleitender Tätigkeit, etwa die Abstimmung der mittelfristigen Finanzplanung zwischen Bund und Ländern 100• Als Beispielsfall konzertierter Gesetzgebung kann das einheitliche Verwaltungsverfahrensgesetz genannt werden; konzertiertes Verwaltungshandeln manifestiert sich aber auch in einer Fülle bundeseinheitlicher Richtlinien, etwa den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz. Diese auch als "Politikverflechtung" 101 bezeichnete konzertierte staatliche Handlungsweise zeigt sich am deutlichsten in einem gemeinsamen Handeln der bundesstaatliehen Wirkungseinheiten, von dem dann gesprochen werden kann, wenn als Ergebnis eines Konzertierungsvorgangs ein einheitlicher Akt ergeht. Dabei kann dieses gemeinsame Handeln sehr verschiedene Formen annehmen, die unterschiedliche rechtliche Probleme stellen, je nachdem, welcher Wirkungseinheit dieser Akt zuzurechnen und damit die jeweilige Trägerschaft zu definieren ist 102•

Erster Schritt in die Richtung einer Kooperation war die freiwillige Selbstkoordinierung der Länder 103 , wie etwa durch Ministerkonferenzen ("Kultusministerkonferenz") oder durch die Errichtung von Gemeinschaftseinrichtungen wie des ZDF und der ZVS (Kooperation der sog. "Dritten Ebene"). Dem folgte auf der nächsten Stufe eine Kooperation der Länder mit dem Bund durch Gemeinschaftseinrichtungen wie dem Wissenschafts- und Bildungsrat, aber auch durch in der Verfassung nicht vorgesehene Mischfinanzierungen (Kooperation der sog. "Vier98 Vgl. in diesem Sinne für den innerstaatichen Bereich Bothe, Föderalismus, S. 144: ,,Zentralisierung, die durch Partizipation gemäßigt ist"; Hesse, AöR 98 (1973), S. 46. 99 Laufer, Der Föderalismus, S. 41. 100 Vgl. hierzu Hesse, Aspekte, S. 151 f. 101 Vgl. Scharpfl Reissert I Schnabel, Politikverflechtung; umfangreicher Schrifttumsnachweis bei Stern, Staatsrecht I, § 19 IV 1 (S. 748), Fn. 637. 102 Vgl. AK-Bothe, Art. 20 Abs. 1 - 3 I, Rn. 43 f. 103 Die Selbstkoordinierung der Länder stellt eine besondere Form der Unitarisierung dar: vgl. Miller, DöV 1986, S. 143 (Fn. 29); ferner H.P. Schneider, S. 106 f.

I. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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ten Ebene") 104• Dabei bedeutet "das Prinzip Zusammenarbeit, daß Weisung, Aufsicht und isolierte Aufgabenerledigung verdrängt werden durch Einvernehmen, Beteiligung und kooperative Aufgabenerledigung" 105 • Hand in Hand mit dieser kompetenziellen Verschränkung, die mitunter bei unklarer Kompetenzlage auch zu einer Verschiebung von Hoheitsbereichen führte 106, ging im Rahmen der Verfassungsnovelle von 1969 eine finanzielle V erquikkung der verschiedenen staatlichen Haushaltsebenen, wobei an die Stelle eindeutiger finanzieller Zuordnungen ein System der Mischfinanzierung trat und den Grundsatz der getrennten Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durchlöcherte (Art. 104 a Abs. 4 GG) 107 • Damit war der Übergang vom dualistischen Föderalismus, der für ein effektives Krisenmanagement als hinderlich angesehen wurde, zum kooperativen Föderalismus auch verfassungsrechtlich sanktioniert 108 • Der Nutzen dieser Politikverflechtung wird in der Durchsetzung oder Abweisung politischer Forderungen gesehen. Ihr Problemlösungspotential ist allerdings begrenzt, da ein hoher Konsensbedarf entsteht. Die Folge ist eine Selbstblokkierung des Systems oder eine systematische Vermeidung von Konflikten. Lösungen, die eine Gleichbehandlung aller Länder oder die Wahrung etablierter Besitzstände verletzen, sind ausgeschlossen 109• Kritiker des kooperativen Föderalismus behaupten sogar, dieser habe Kernelemente des demokratischen Regierungssystems wie Transparenz, Zuordnungsmöglichkeit, Meßbarkeit, Kontrollierbarkeit, Verantwortung sowie Revidierbarkeit minimalisiert 110 und drohe in eine "alternativenlose Konkordanzdemokratie" einzumünden 111 • Unbestritten hat er die Stellung der Exekutive gegenüber dem Parlament gestärkt und bei gleichzeitiger Schwächung der gesetzgebenden Gewalt negativ die horizontale Gewaltenteilung und das demokratische Prinzip beeinflußt 112• Dies findet seinen Grund in der bürokratischen Prägung des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, die sich dadurch auszeichnet, daß die Prozesse der Zusammenarbeit, der Partizipation und gegenseitigen Beeinflussung in die Exekutiven verlagert wurden 1u. Die Parlamente, die rechtlich durchaus befugt sind, die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit zurückzuMiller, ebd., S. 143. Ritter, S. 151. 106 Vgl. AK-Bothe, Art. 20Abs. 1-3 I, Rn. 42, derhierfürals Beispiel dasAbkommen über grenzüberschreitende Polizeitätigkeit nennt. 107 Vgl. Miller, DÖV 1986, S. 142; Herzog, Wandel des Föderalismus, S. 43, 49 f.; H.P. Schneider, S. 107 f. 108 Vgl. Grimm, NJW 1989, S. 1307. 109 Miller, ebd., 142; Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1235. 11o Laufer, Der Föderalismus, S. 41; positiv -wenn auch kritisch- hingegen H.P. Schneider, S. 109: .. . . . der relativ beste Weg einer Fortentwicklung der bundesstaatliehen Ordnung". 111 Schenke, JZ 1989, S. 662. 112 Bothe, Föderalismus, S. 146. 1n Bothe, ebd., S. 146; Ossenbühl, ebd., S. 1234 f. 104

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

weisen, sind dazu im allgemeinen politisch nicht in der Lage. Sie geraten damit in die Rolle von "staatsnotariellen Ratifikationsämtern" 114• Allerdings verändern sich überall dort, wo Parteipolitik in das föderative Gefüge einbricht oder es sogar überformt, die Problemlösungsmechanismen in der Weise, daß eine Zurückverwandlung des "unitarischen Konkordanzföderalismus" in einen parteienstaatlichen Konkurrenzföderalismus feststellbar ist. Der Bundesstaat moderner Prägung wird insoweit als "Polyarchie" mit einer Pluralität von Entscheidungszentren und -ebenen beschrieben, deren Zusammenspiel eher durch parteipolitische Differenzen und Konflikte bestimmt ist als durch sachbezogene Kooperation 115. Die auch durch den kooperativen Föderalismus bedingte Entmachtung der Länderparlamente führte im Wege eines entsprechenden Machtzuwachs der Landesregierungen gleichzeitig zu einer Aufwertung des Bundesrates 116• Parallel zur teilweisen Neutralisierung und Botpolitisierung der Länderparlamente vollzog sich so ein Machtgewinn des Bundesrates. Bereits die schrittweise Verankerung von Bundeskompetenzen im Grundgesetz im Rahmen des beschriebenen Unitarisierungsprozesses, der mit der Entwicklung des kooperativen Föderalismus aufs engste verbunden ist und an der Ausformung des "unitarischen Bundesstaates" 117 Anteil hat, war nur über eine Vermehrung der Zustimmungsrechte durch den Bundesrat möglich 118• Die Rolle des Bundesrates als Medium der Partizipation der Länder am Entscheidungsprozeß des Bundes wurde durch den kooperativen Föderalismus noch verstärkt, der dieses Organ - ohne es im Regelfall in die kooperativen Verfahren selbst einzubeziehen 119 - von seiner ehemaligen Randlage stärker in das Zentrum des politischen Machtprozesses gerückt hat 120• Abermals bestätigt wurde diese Entwicklung durch die Zuweisung von Beteiligungsrechten im Rahmen der· Entstehung des europäischen Gemeinschaftsrechts, die aber zugleich zu einem "Systembruch" 121 im Hinblick auf die kooperationsneutrale Rolle dieses Bundesorgans geführt hat 122• Lenz, DÖV 1977, S. 157 ff. Vgl. H. P. Schneider, S. 117 f., 122 f. 116 Lemke, S. 203 f. ll7 Hesse, Der unitarische Bundesstaat. 11s Vgl. Oetting, S. 95; kritisch hierzuHerzog, Wandel des Föderalismus, S. 4 7; Hesse, AöR 98 (1973), S. 36 ff., 50, der die Möglichkeit eines Ausgleichs für die Einengung autonomer Gestaltungsmöglichkeiten der Länder durch eine noch weitergehendere Einräumung von Mitwirkungsrechten bei der Bundesgesetzgebung in Form eines Zustimmungserfordernisses grundsätzlich verneint. Die Zustimmung des föderativen Organs habe im geltenden Verfassungsrecht die Funktion, Einschränkungen der Länder im Bereich ihrer Verwaltungsbefugnisse zu kompensieren (Art. 84 Abs. 1 und 85 Abs. 1 GG); vgl. bereits oben Fn. 73. 119 Vgl. Herzog, Stellung des Bundesrates, § 44, Rn. 13; Stern, Die föderative Ordnung, S. 27. 120 Vgl. Laufer, Der Föderalismus, S. 41. 121 Vgl. Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 365. 122 Vgl. hierzu XII. Kap. II. 114 115

II. Kap.: Spanien

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II. Kapitel

Der spanische Autonomiestaat I. Die historische Entwicklung der spanischen Autonomiestaatlichkeit Gemäß den Grundsatzartikeln 1 und 2 der spanischen Verfassung von 1978 (im folgenden: CE 1) sowie den Ausführungsartikeln 137-158 CE im Titel VIII ("Über die territoriale Organisation des Staates") konstituiert sich Spanien als sozialer und demokratischer Rechtsstaat in der Form der parlamentarischen Monarchie, beruhend auf der unteilbaren Einheit der spanischen Nation bei Anerkennung des Rechts seiner Nationalitäten und Regionenauf Autonomie und gegenseitige Solidarität. Territorial gliedert sich der Staat in Gemeinden (Art. 140 CE), Provinzen (Art. 141 CE) und die Autonomen Gemeinschaften (im folgenden: AG; Art. 143 CE). Mit diesen Bestimmungen reagierte der spanische Verfassungsgeber auf den Demokratisierungs- und Dezentralisierungswillen der die Nach-Franko-Ära bestimmenden politischen Kräfte, die- wie bereits der demokratische antifranquistische Widerstand - neben den Forderungen nach politischen Freiheiten und der Amnestie politischer Häftlinge den Anspruch auf Selbstregierung und Selbstverwaltung insbesondere für die peripheren Regionen Spaniens als drittes zentrales Ziel auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Im Slogan "Libertad - Amnestfa - Autonomfa" kam diese Trias sinnfällig zum Ausdruck 2 • Die Umgestaltung derterritorialen Gliederung des Staates, d. h. die Ersetzung der alten Struktur des zentralistischen Staates durch eine neue politische Ordnung, die eine wirkliche Dezentralisierung der Staatsgewalt erlaubt, war wahrscheinlich die heikelste Aufgabe, vor die der Verfassungsgeber gestellt war, und auch heute noch- über zehn Jahre nach Verkündung der spanischen Verfassung von 1978ist sie das Hauptproblem bei der Konsolidierung des demokratischen Systems 3 • Seit Jahrhunderten war die Organisation des spanischen Staatt:s von einer starken Zentralisierung nach dem jakobinischen Modell Frankreichs geprägt. Der spanische Zentralismus hat eine säkulare, geistesgeschichtlich und philosophisch untermauerte Tradition 4 : Der bis 1978 gültige Staatsaufbau Spaniens ging letztendlich auf die Vereinheitlichung der spanischen Monarchie durch die Bourbonen nach dem Erbfolgekrieg zurück. 1833 fand unter dem frankophilen Minister I 2

3

Constituci6n espaiiola.

R. Schütz, Der Staat 22 (1983), S. 187; Frohn, ÖZöRV 34 (1983), S. 54. TrujilloFernandez, S. 116; Weber, JöR 29 (1980), S. 240; vgl. auch Garda Canales,

REDC 23 (1988), S. 157 ff. 4 Vgl. R. Schütz, Dezentralisierung in Spanien, S. 136.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Javier de Burgas eine territorial-administrative Staatsgliederung statt, die dann knapp 150 Jahre ihre Gültigkeit behalten sollte. Dabei wurde Spanien in 49 Provinzen geteilt (durch die Zweiteilung der kanarischen Inseln im Jahre 1927 sind es 50 geworden), die mit Ausnahme der fünf Jahre (1931-1936) der zweiten Republik ( 1931- 1939) außer den Gemeinden die einzige Verwaltungseinheit darstellten 5•

Bereits im 19. Jahrhundert hatte es allerdings einen weitreichenden Dezentralisierungsversuch gegeben, der letztendlichjedoch eine bloße theoretische Konzeption blieb. Das Dezentralisierungsmodell im Rahmen des Verfassungsprojekts vom 17. Juli 1873 6 sah die Gründung eines föderalistischen Staates mit siebzehn autonomen Gliedstaaten vor. Neben Katalonien waren dies Ober- und Unterandalusien, Aragonien, Asturien, die Balearen, die Kanarischen Inseln, Neu- und Altkastilien, Kuba, Extremadura, Galicien, Murcia, Navarra, Puerto Rico, Valencia und das Baskenland. Hinzu kam die Möglichkeit ftir eine Reihe überseeischer Gebiete, den Status eines Gliedstaates zukünftig zu erwerben (Titel I, Art. 1 u. 2 des Verfassungsprojekts von 1873). Die Einzelstaaten sollten danach u. a. vollkommene politische und wirtschaftliche Autonomie, das Recht zum Erlaß einer eigenen Verfassung und zur Errichtung eigener Regierungs- und Legislativorgane sowie weitreichende Finanzhoheit besitzen (Titel XIII, Art. 92 bis 105 des Verfassungsprojekts von 1873). Dieses auf die beiden führenden spanischen Theoretiker des Föderalismus, Pi y Margal/ und Almirall, aus der zweiten Hälfte des 19. Jhds. zurückgehende System einer politischen Zentralisierung von oben 7 fand keine Verwirklichung mehr, da der Staatsstreich General Pavias, der Karlistenaufstand und die Auflösung der Nationalversammlung am 8. Januar 1874 zu einem raschen Ende der ersten Spanischen Republik führten 8• Die Verfassung der zweiten Republik vom 9. Dezember 193!9 erlaubte allen Regionen, historischen wie geographischen, soweit sie dies beantragen sollten, sich im Rahmen des mit dem Begriff des "lntegralstaates" (Estada integral) bezeichneten Staates (Art. 1 Abs. 3) als "autonome Regionen" zu konstituieren. Von Anbeginn hatten die "Cortes Constituyentes" (Verfassungsgebende Versammlung) bei den Verfassungsberatungen für ein regionalistisches Modell unter Einschluß einer weiten Autonomie anstau einer föderalistischen Staatsgliederung optiert 10. Die Verfassung II lehnte die Anerkennung eigenstaatlicher Souveränität für Gliedstaaten eindeutig ab. Die Durchbrechung des strengen EinheitsstaatsprinR. Schütz, Der Staat 22 (1983), S. 188. Abgedr. bei Farias, S. 293-315. 7 Boucsein, JöR 27 (1978), S. 53; Cruz Villa/on, JöR 34 (1985), S. 198; vgl. weiterhin Torfie Jimenez I Lopez Marquez Granada, S. 204. s Vgl. Boucsein, ebd., S. 53 f. 9 Abgedr. bei Farias, S. 335-370. 10 Jimenez Asua, ZaöRV Bd. III, Teil 1 (1933), S. 261; Tarne Jimenez I Lopez Marquez Granada, S. 207 f.; Tomas Villarraya, S. 125 f . II Vgl. hierzu Tomas Villarroya, S. 121 ff. 5

6

II. Kap.: Spanien

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zips 12 war zudem durch die Voraussetzung des Art. 11 und das vorgeschriebene Verfahren zur Erlangung eines Autonomiestatuts (Art. 12: Ausarbeitung, Volksabstimmung und Verabschiedung durch die Cortes) nicht unwesentlich relativiert worden 13 • Die Regionen, deren Bildung fakultativ war (Art. 11 Abs. 1), erhielten einen Katalog von ausschließlich ihnen vorbehaltenen Materien zugestanden. Dies war ein Teil der dreistufig gegliederten Kompetenzregelung mit der Unterscheidung in Materien mit ausschließlicher Zuständigkeit des Staates (Art. 14), Materien mit Gesetzgebungskompetenz des Staates und Ausführungsbefugnis der Region (Art. 15) sowie Materien mit ausschließlicher Gesetzgebungs- und Ausführungsbefugnis der Region entsprechend den Bestimmungen des Statuts (Art. 16). In die ausschließliche Kompetenz des Staates fielen u. a. die Materien mit Bezug zur Außenpolitik (Art. 14 Nr. 3). Bezug zur inneren Staatstätigkeit hatten die Kompetenzen auf den Gebieten der Staatsangehörigkeit, des allgemeinen Verkehrswesens, der Post und Telegrafie, sodann hinsichtlich der Sicherheit und Ordnung, soweit überregionale ~ezüge vorlagen (Art. 14 Nr. 1,4 und 13). Auf dem Gebiet der Finanzverwaltung blieben dem Staat die Befugnisse über die allgemeinen Staatsfinanzen, auf dem der Rechtspflege bezüglich der Gerichtsbarkeit des Obersten Gerichtshofes ("Tribunal Supremo"; Art. 14 Nr. 11, 12). Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Staates mit einer möglichen Ausführungsbefugnis der Region war gemäß Art. 15 u. a. auf den wichtigsten Rechtsgebieten wie Strafrecht, Sozialrecht, Handels- und Prozeßrecht und Teile des Zivilrechts (Art. 15 Nr. 1) gegeben. Von Bedeutung war sodann die Gesetzgebung in den Bereichen Presse, Vereine und Versammlungen, Enteignung und Sozialisierung (Art. 15 Nr. 10-12). Die in Art. 14 und 15 nicht genannten Materien konnte die Region entweder aufgrund gesetzlicher Delegation oder eines Statuts als Gesetzgebungsbefugnis beanspruchen. Doch unterlagen auch diese Kompetenzen noch gewissen Einschränkungen: einmal durch die sog. "Grundsatzgesetze" (bases) des Staates (Art. 19) zum anderen durch das Verbot einer unterschiedlichen Behandlung von Bürgern der Region und den übrigen Spaniern (Art. 17) 14• Während der zweiten republikanischen Regierungsperiode wurden die Autonomien des Baskenlandes und von Katalonien errichtet, die jeweiligen Statute 15 durch ein Plebiszit bekräftigt und im Parlament verabschiedet. Die Autonomie von Galizien wurde 1936 auch noch einer Volksabstimmung unterzogen, jedoch konnte die Verabschiedung durch das Parlament nicht mehr vorgenommen wer12 Art. 1 Abs. 3: "Die Republik ist ein integraler Staat, der mit der Autonomie der Gemeinden und Regionen vereinbar ist". 13 Boucsein, JöR 27 (1978), S. 65. 14 Vgl. hierzu Boucsein, ebd., S. 62; Gmelin, JöR 21 (1933134), S. 396 ff. 15 Vgl. hierzu Albert(, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Alberti, S. 72 ff. m. w.N. (S. 79).

1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

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den. Als historische Vorbilder beeinflußten diese Autonomien die Redaktion der spanischen Verfassung von 1978 hinsichtlich der Zuweisung von Kompetenzen an die Autonomen Gemeinschaften und deren Konstituierung 16• Der Prozeß der territorialen Neuorganisation des spanischen Staates wurde in der nachfranquistischen Epoche jedoch nicht nur durch die Autonomieforderungen des Baskenlandes, Kataloniens und Galiziens, historische Nationalitäten mit langer autonomistischer Tradition 17 , sondern auch durch das wachsende demokratische und auf Dezentralisierung gerichtete Bewußtsein anderer Regionen ausgelöst 18. Für letztere waren allerdings nicht nur kulturelle und historische Momente ausschlaggebend, sondern vielmehr- wie der andalusische Regionalismus deutlich zeigt - sozioökonomische Gegebenheiten, insbesondere die klassenmäßige Machtverteilung infolge der Konzentration des ,,regionalen" Kapitals in der Hand weniger Großgrundbesitzer und das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Regionen 19. Angesichts dieses Umstandes hat sich die Verfassung von 1978 darauf beschränkt, einen bezüglich des Verfahrens als auch der Möglichkeiten und Grenzen weit gesteckten verfassungsrechtlichen Rahmen für ein flexibles und bis zu einem gewissen Grad gewagtes Vorhaben der Dezentralisierung des Staates vorzugeben, weshalb die endgültige Territorialstruktur des spanischen Staates erst aus dem Zusammenwirkenzweier Elemente entstehen sollte: der Verfassungsnorm selbst und dem auf ihrer Grundlage verlaufenden Prozeß politischer und institutioneller Dezentralisierung 2o.

II. Allgemeine Kennzeichnung des spanischen Autonomiestaates nach der Verfassung von 1978 In formaler Hinsicht ist auffällig, daß der spanische Verfassungsgeber von 1978 keine bestimmte und genau definierte Staatsform verbindlich festgelegt hat. Die Verfassung garantiert einerseits die Einheit des Staates und beinhaltet andererseits detaillierte Regelungen über die vorgesehene Dezentralisierung, die ihrerseits aber keinen eigentlichen Verfassungsauftrag bildet. Trotz der Anerkennung des Autonomieprinzips ("principio auton6mico") in der Verfassung als eines der grundlegenden strukturellen Prinzipien des Staates unterliegt dessen Verwirklichung dem sog. dispositiven Prinzip 21 • Die vorgesehene Dezentralisierung des 16

11

Montoro Chiner, DöV 1987, S. 85. Frohn, ÖZöRV 34 (1983), S. 48, spricht im Hinblick auf diese drei Regionen von

einer "Autonomie kraft Verfassungstradition".

Gonuilez Casanova, S. 151; Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 198. Vgl. hierzu Frohn, ebd., S. 48 ff.; Gonuilez Casanova, S. 151; H.-P. Schneider, S. 92, der die Autonomiesierung Spaniens auf die Förderung eines "gewaltfreien Ausgleich[s] tiefgreifender sozialer und ökonomischer Gegensätze" zurückführt. 20 Vgl. Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 196. 18 19

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Staates hängt danach- in Anlehnung an die Verfassung von 1931 - vom aktiven Willen der Territorien ab, sich autonom innerhalb eines einzigen Staates zu organisieren: Dieses dispositive Prinzip folgt seinerseits aus der verfassungsrechtlichen Festlegung des Autonomieprinzips als einem Recht - nicht aber einer Pflicht-, das sich aus Art. 2 CE, einem Novum in der spanischen Verfassungsgeschichte, ergibt22. Das Autonomieprinzip bedeutet zugleich Einheit und Autonomie 23 • Die Staatsgewalt wird infolge der Autonomisierung von zwei Instanzen ausgeübt, nämlich von der staatlichen und von der autonomen Regierung. Autonomie führt damit zur vertikalen Verteilung der Staatsgewalt 24• Das Autonomieprinzip hat eine weite und komplexe Konzeption, da es sich auf verschiedene Gebietskörperschaften bezieht und dabei einenjeweils unterschiedlichen Grad an Intensität besitzt 25 . Es wird insofern durch das jeweilige Gesetz konkretisiert, das die Reichweite des jeweiligen ,,Interesses" in einem materiellen Bereich, nämlich bzgl. der jeweiligen Sachbereichskompetenz, umschreibt. Die Gebietskörperschaften, die Autonomie besitzen, sind mit Kompetenzen ausgestattet, die infolge des Grundsatzes der Einheit des Staates und der Vorrangstellung des Zentralstaates allerdings begrenzt sind. Gleichwohl besitzen die autonomen Gebietskörperschaften einen breiten Handlungsspielraum für die Verfolgung der eigenen "Interessen", was durch die Kompetenzausübung im Bereich der Gesetzgebung, Verordnungsgebung und Verwaltung gemäß dem dispositiven Prinzip geschieht. Die eigenen "Interessen" interpretiert das Verfassungsgericht als denjenigen Interessenumfang, der durch das Gesetz konkretisiert und durch die jeweilige Kompetenzreichweite definiert wird 26• Deshalb ist es nicht das "Interesse", das die Kompetenzen bestimmt, sondern die gesetzlich übertragenen Kompetenzen bestimmen, welche Interessen wahrgenommen werden dürfen 27 • So ergibt sich aus dem Autonomieprinzip zum einen das Erfordernis der Ausstattung der AG mit eigenen ausschließlichen Kompetenzen zur Verfolgung ihrer "Interessen". Im Hinblick auf die staatliche Ordnung nimmt das Recht der AG keine hierarchisch-untergeordnete Stellung ein, sondern es gilt vielmehr der Grundsatz des Vorrangs kraft des Kompetenzprinzips 28 • Schließlich findet das Recht auf Autonomie, welches mittels Übernahme von Kompetenzen durch die 21

Vgl. Cruz Villa/on, ebd., S. 197.

22 Vgl. Cruz Villal6n, ebd., S. 197 f., 228, der von einer "Entkonstitutionalisierung"

der Staatsform spricht; Montaro Chiner, DöV 1987, S. 86; Albert{, in: AjaiTomosl Font I Perulies I Albert!, S. 92. 23 STC (= Sentencia del Tribunal Constitucional =Urteil des spanischen Verfassungsgerichts) 76/1983 v. 5.8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1162f. (II 3 b). 24 Montoro Chiner, DöV 1987, S. 87. 25 Torne Jimenez I Lopez Marquez Granada, S. 203. 26 STC 37/1981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S. 491, 499 f. (II 1). 27 Albert{, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Albert!, S. 82. 28 Vgl. Albert{, ebd.; Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 82.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Autonomiestatute ausgeübt wird, einen verfassungsrechtlichen Schutz, der die Anwendung des Kompetenzprinzips unmittelbar sicherstellt, und zwar nicht nur bezüglich der Ausübung zugewiesener Kompetenzen, die nur aufgrund von Ausnahmevorschriften durchbrachen werden können (Art. 150 Abs. 3 und 155 CE), sondern auch bezüglich des Rechts auf Zugang zur Autonomie (Art. 143, 144, 151 Abs. 1 und 2 CE) und die Festlegung des Inhalts der Statute (Art. 153 CE). Das Autonomieprinzip ist in erster Linie durch das Zusammenspiel mit anderen Verfassungsgrundsätzen beschränkt. Hier ist zunächst das Prinzip der Einheit zu erwähnen. Dieses Prinzip ist für die Verfassung von fundamentaler Bedeutung und stellt im Hinblick auf das Autonomieprinzip eine notwendige Voraussetzung für dessen Existenz, gleichzeitig aber auch eine Beschränkung für dessen Anwendung dar. Es rechtfertigt nämlich die Zuweisung von speziellen Kompetenzen an den Staat, da durch die Bindung der Ausübung des Autonomieprinzips an die diesbezüglichen Interessen (Art. 137 CE) dem Zentralstaat implizit die Verteidigung der allgemeinen Interessen vorbehalten ist 29 • Das Gleichheitsprinzip entfaltet bereits auf verfassungsrechtlicher Ebene seine vollständige Wirkung und bedarf keiner einfach-gesetzlichen Umsetzung, um als bestimmendes Kriterium für die gesamte Rechtsordnung zu gelten. Die in Art. 2 CE zum Ausdruck kommende Unterscheidung zwischen Regionen einerseits und Nationalitäten (nacionalidades) andererseits hat keine Bedeutung für die inhaltliche Qualität der Autonomie, da die Nationalitäten und Regionen in der Verfassung eine Gleichbehandlung erfahren 30• Die in der Verfassung vollzogene Anerkennung verschiedener Nationalitäten bedeutet aber gleichzeitig die Anerkennung der Existenz verschiedener Volksgruppen innerhalb ein und desselben Staates, eines Pluralismus also, der sich in einer Vielfalt von Kulturen und Sprachen ausdrückt, von denen keine die Berechtigung besitzt, das Erscheinungsbild Spaniens allein zu bestimmen ("plurinacionalidad")3 1• Als den Termini Region und Nationalität übergeordneten Begriff hat der Verfassungsgeber den AusdruckAutonome Gemeinschaften (Comunidades Aut6nomas) gewählt, der gegenüber früheren Begriffen den Vorteil besitzt, sich unmittelbar auf die öffentlich-rechtliche Organisationsstruktur des Gemeinwesens zu beziehen, das über ein System beschränkter Selbstregierung verfügt. Die in den Art. 143 ff. CE enthaltene terminologische Gegenüberstellung von AG einerseits und Staat andererseits hat das spanische Verfassungsgericht zu der Feststellung veranlaßt, daß die Autonomien als öffentlich-rechtliche Körperschaften auf territorialer Grundlage ihrer politischen Natur nach auch "Staat" sind 32 • Folglich 29 30 31

Albert{, ebd., S. 83 f. Truji/lo Fernandez, S. 122; Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 198 f. Cruz Villal6n , ebd., S. 198 f.; Frohn, ÖZöRV 34 (1983), S. 52, 55.

STC 25/1981 v. 14. 7. 1981, BJC 1981, S. 324, 329 f. (II 3); STC 32/1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 512 (II 1). 32

Il. Kap.: Spanien

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stelle der spanische Staat einen zusammengesetzten Staat ("Estado compuesto") dar 33 . Dementsprechend ambivalent ist der Begriff des Staates im Hinblick auf seine Verwendung in der spanischen Verfassung: Teilweise bezeichnet er die gesamte rechtlich-politische Organisation der spanischen Nation einschließlich der Regionen, Nationalitäten und anderen autonomen Gebietskörperschaften (bspw. in Art. 1, 56, 137 CE sowie in der Überschrift des Titels VIII der Verfassung), teilweise nimmt dieser Terminus nur auf die Gesamtheit der zentralen und peripheren Institutionen und Organe des Zentralstaates im Gegensatz zu den autonomen Gebietskörperschaften Bezug (bspw. in Art. 3 Abs. 1, 149, 150 CE) 34 •

111. Typen und Wege der Autonomie Die Verfassung von 1978 sieht zwei Typen von AG und vier verschiedene Wege zur Autonomie vor3s. Der allgemeine oder gewöhnliche Typ der AG ist insgesamt durch eine grundlegende Unbestimmtheit 36 gekennzeichnet, da der Verfassungsgeber die ausdrückliehe Anerkennung des politischen Charakters dieser Gebietseinheiten stets vermeiden wollte. Die Bestimmungen der Verfassung sind so abgefaßt, daß auf ihrer Grundlage sowohl administrativ als auch politisch dezentralisierte Gebietseinheiten geschaffen werden konnten. Die diesbezügliche Unbestimmtheit ergibt sich zum einen aus der Kompetenzabgrenzung: Die AG können Befugnisse innerhalb einer Reihe von Materien übernehmen, die in der Verfassung enumerativ aufgeführt sind. Diese schweigt sich allerdings darüber aus, ob diese Kompetenzen ausschließlich administrativer Natur sind oder auch die gesetzgebende Gewalt einschließen, weshalb die AG Bezugseinheiten sowohl einer administrativen wie auch einer politischen Dezentralisierung sein könnten. Zudem läßt die Verfassung die Organisationsstruktur dieser AG völlig offen, so daß erst durch die jeweiligen Autonomiestatute bestimmt werden konnte, ob es sich um die Organstruktur einer politischen Gebietseinheit, also mit Parlament und Regierung, oder um eine typisch administrative Struktur handelt. Ursache für die Unbestimmtheit dieses Typs von AG ist schließlich der Umstand, daß die Autonomiestatute - und damit auch die Konkretisierung all dieser Elemente - im wesentlichen dem staatlichen Gesetzgeber anver33 STC 1/1982 v. 28. 1. 1982, BJC 1982, S. 117, 124 (II 1): " ... eine innerstaatliche Struktur, die nicht uniform, sondern pluralistisch oder unter dem Gesichtspunkt seiner territorialen Organisation zusammengesetzt ist"; STC 4/1981 v. 2. 2. 1981, BJC 1981, S. 7, 14 (II 3): " ... eine weite und komplexe Konzeption des Staates, der aus einer Vielzahl von Organisationen territorialen Charakters, die mit Autonomie ausgestattet sind, zusammengesetzt ist". 34 Vgl. STC v. 28. 7.1981, BJC 1981, S. 415,423 (li 5); hierzu Aurrecoechea. ICLQ 38 (1989), s. 83 f. 35 Vgl. hierzu Cruz Villal6n, ebd., 201 ff.; Trujillo Fernandez, S. 122. 36 Cruz Villal6n, ebd., S. 202; Trujillo Fernandez, S. 119, 123.

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

traut ist (vgl. Art. 146 und 147 CE). Die Entscheidung, ob das Modell einer administrativen oder einer politischen Dezentralisierung in Spanien vorherrschen werde, hat der Verfassungsgeber damit weitgehend dem staatlichen Gesetzgeber überlassen. Eine politische Dezentralisierung ist nach Art. 148 Abs. 2 CE fünf Jahre nach Entstehung einer AG möglich, ausnahmsweise auch ohne Einhaltung dieses Zeitraumes gemäß Art. 151 CE unter den dort näher beschriebenen Bedingungen bzw. gemäß der Übergangsbestimmung II der Verfassung, wonach Gebiete, in denen in der Vergangenheit Autonomiestatutenentwürfe durch eine Volksabstimmung gebilligt wurden und die zum Zeitpunkt der Verkündigung der spanischen Verfassung von 1978 einen provisorischen Autonomiestatus hatten, unverzüglich in der durch Art. 148 Abs. 2 CE festgelegten Form verfahren können. Der spezifisch politische Charakter dieser AG ergibt sich zum einen aus der Kompetenzverteilung: Anstelle einer begrenzten Anzahl von Befugnissen, die von den AG des gewöhnlichen Typs übernommen werden können, legt dieses System eine Reihe von Kompetenzen fest, die dem Staat vorbehalten sind; alle restlichen Befugnisse aber können von den AG kraft ihrer Autonomiestatute übernommen werden, wobei diese teilweise nur die Kompetenz zu einer Ausführungsgesetzgebung aufgrund einer vorgegebenen staatlichen Rahmengesetzgebung haben. Folgerichtig verlangt der Verfassungsgeber (Art. 152 Abs. 1 CE) in diesen Fällen eine ähnliche Organstruktur wie sie für den Zentralstaat besteht, also eine gesetzgebende Versammlung, die nach allgemeinem und den Kriterien der proportionalen Repräsentation entsprechendem Wahlrecht gewählt wird, ein,en "Regierenden Rat" (Consejo de Gobierno) mit exekutiven und administrativen Funktionen, einen Präsidenten, den die Versammlung aus ihren Mitgliedern wählt, und ein Obergericht. Diese durch eine politische Dezentralisierung gekennzeichneten Autonomiestatute sind anders als der Normaltyp eines Autonomiestatuts das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen der jeweiligen AG und dem Staat. Der Dualismus der Modelle der AG spiegelt sich wider und erfährt seine Fortsetzung in den verschiedenen Verfahren, in denen sich jede einzelne AG konstituiert 37 • Hierfür stellt die Verfassung im wesentlichen vier Wege zur Verfügung, und zwar 1. für die Konstituierung von AG ersten Grades (politische und administrative Dezentralisierung): a) den privilegierenden Zugang über die Übergangsbestimmung II der Verfassung, auf die sich Katalonien, das Baskenland und Galizien berufen konnten 38 •

37

38

Vgl. hierzu Trujillo Fernandez, S. 124 f. Vgl. Montaro Chiner, DÖV 1987, S. 86.

II. Kap.: Spanien

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b) den in Art. 151 CE ausnahmsweise vorgesehenen Weg, der nur von Andalusien beschritten wurde 39; 2. die Konstituierung von AG zweiten Grades (potentielle Beschränkung auf eine bloße administrative Dezentralisierung) a) auf dem Weg nach Art. 143 Abs. 1 CE, der den Regelfall bildete 40, sowie b) auf dem in Art. 144 CE vorgesehenen Weg4t. Inzwischen haben sich in Spanien siebzehn AG gebildet 42, die alle, ungeachtet der verfassungsrechtlichen Unbestimmtheit über das Ziel einer nur administrativen oder auch politischen Dezentralisierung, politische Entscheidungs- sowie Regierungsorgane mit der Befugnis darstellen, die Gebietskörperschaften politisch zu führen. Um ihr Anliegen der eigenen Interessenwahrnehmung zu verfolgen, wurde den AG unmittelbare gesetzgebende und vollziehende Gewalt verliehen43. Dabei variieren die Kompetenzen der AG allerdings in hohem Maße bezüglich ihrer Dichte, wobei die Unterschiede weniger in den Materien bestehen, in denen sie Kompetenzen übernommen haben, als vielmehr in deren jeweiligen Intensität 44 : Insofern kann eine "minimale" Autonomie, die sich auf den Umfang der in Art. 148 CE festgelegten Materien beschränkt, von einer "vollen" Autonomie unterschieden werden, die sich auf alle Kompetenzen bezieht, die nicht ausdrücklich dem Staat vorbehalten sind 45 . 39 Cruz Villa/on, JöR 34 (1985), S. 206 f., 217 ff. (221); Montaro Chiner, ebd., S. 86. Vgl. Cruz Villa/on, ebd., S. 205 f.; Montaro Chiner, ebd., S. 86. 4t Zur lückenschließenden Funktion des Art. 144 lit. c CE vgl. Cruz Villa/on, ebd., s. 208. 42 Baskenland (Estatuto de Autonomfa para el Pais Vasco - i.folg.: Est.P.V. - , L.O. 3!1979, vom 18.12.1979); Katalonien (Estatuto de Autonomfa de Calalufiai.folg.: Est.cat.- L.O. 4!1979, v. 18. 12.1979); Galizien (Estatuto de Autonomfa para Galicia- i.folg. Est.gall. - . L.O. 1!1981, v. 6.4.1981); Andalusien (Estatuto de Autonomfa para Andalucfa- i.folg.: Est.and. -L.O. 6/1981, v. 30. 12.1981); Asturien (Estatuto de Autonomfa paraAsturias-i.folg.: Est.ast. -L.O. 7/1981, v. 30.12. 1981); Kantabrien (Estatuto de Autonomfa para Cantabria- i.folg.: Est.cant. - L.O. 8 I 1981, v. 30.12.1981); La Rioja (Estatuto de Autonomfade La Rioja- i.fo1g.: Est.L.R. L.O. 3/1982, v. 9.6.1982); Murcia (Estatuto de Autonomfa para Ia Regi6n de Murcia - i.folg.: Est.murc.- L.O. 4/1982, v. 9.6.1982); Valencia (Estatuto de Autonomfa de Ia Comunidad Valenciana- i.folg.: Est. val.- L.O. 5 !1982, v. 1. 7. 1982); Aragonien (Estatuto de Autonomfade Arag6n- i.folg.: Est.arag.- L.O. 8/1982, v. 10.8.1982); Kastilien-Mancha (Estatuto de Autonomfade Castilla-La Mancha- i.folg.: Est.C.-L.M. - L.O. 9/1982, v. 10. 8. 1982); Kanarische Inseln (Estatuto derAutonomfade Canarias - i.folg.: Est.l.C.- L.O. 10/1982, v. 10. 8. 1982); Navarra (Ley Organica de Reintegraci6n y Amejoramiento del Regimen Foral de Navarra- i. folg.: Est.nav. - L.O. 13/ 1982, v. 10.8. 1982); Extremadura (Estatuto de Autonomfade Extremadura- i. folg.: Est.Ex.- L.O. 1/1983, v. 25. 2. 1983); Balearen (Estatuto de Autonomfa paralas lslas Baleares- i.folg.: Est.I.B. - L.O. 2/1983, v. 25.2.1983); Madrid (Estatuto de Autonomfade Ia Comunidad de Madrid- i.folg.: Est.madr.- L.O. 3/1983, v. 25.2.1983); Kastilien-Le6n (Estatuto de Autonomfa de Castilla y Le6n - i.folg.: Est.C.L. - L.O. 4/1983, V. 25.2.1983). 43 Vgl. Garcfa de Enterria, S. 286. 44 Vgl. Cruz Villa/on, ebd., S. 200. 40

5 Blanke

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1. Teil:

(Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Zur Zeit lassen sich folgende Kompetenzniveaus unterscheiden: Den höchsten Standard weisen Katalonien und das Baskenland auf. Es schließen sich in etwa Galizien, Andalusien und Valencia an. Dann folgen die übrigen AG, wobei das kanarische Statut Sonderzuständigkeiten aufweist, die es solange in eine Zwischenposition rücken, bis diese Kompetenzen auch von den Regionen mit noch reduzierter Autonomie ergriffen werden 46 • Dieser sich seit 1978 in Spanien vollziehende Autonomieprozeß besitzt irreversiblen Charakter. Im Unterschied zur Verfassung von 1931 enthält die geltende Verfassung nämlich keinen Mechanismus, der den Territorien, die bereits ein System der Selbstregierung erreicht haben, eine Rückkehr zum zentralistischen Staat erlaubt. Die Nationalitäten und Regionen besitzen zwar das verfassungsmäßig garantierte Recht, ein System der Selbstregierung zu erlangen, aber sie haben kein Recht, dieses zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal angenommene System wiederaufzugeben 47.

IV. Organisation der Autonomen Gemeinschaften Gemäß Art. 152 CE und den entsprechenden Bestimmungen der Statute besitzen die AG eine gesetzgebende Versammlung, eine Regierung, einen Präsidenten und ein Obergericht, womit ihre Organisation zumindest in den Grundzügen dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie entspricht 48 • Die gesetzgebende Versammlung, die in den einzelnen AG unterschiedlich bezeichnet wird, ist jeweils das höchste gewählte Vertretungsorgan. Sie stellt das Legislativorgan dar, das die Regierung wählt, die ihrerseits den Präsidenten wählt. Ihre Abgeordneten, denen parlamentarische Immunität und Indemnität zugesichert sind, gehen aus einer allgemeinen Wahl hervor 49. An der Spitze jeder autonomen Regierung steht der Präsident. Er ernennt die Regierung, die über exekutive und admiministrative Funktionen verfügt. In seiner Eigenschaft als höchster Vertreter der AG wie auch als höchster Vertreter der Zentralregierung in der AG übt er eine Doppelfunktion aus. Das Regierungskollegium der AG (Consejo de Gobiemo) 50 trifft unter der Leitung des Präsidenten alle grundsätzlichen politischen und administrativen 45 46

Vgl. Trujillo Fernandez, S. 122 ff. Vgl. Busch, S. 365; zu den Hintergründen vgl. Cruz Villa/on, ebd., S. 212 ff., 221 ff.

(224).

Cruz Villa/on, ebd., S. 200, 230. Vgl. Weber, JöR 29 (1980), S. 259; Gonzalez Casanova, S. 159. 49 Die Zahl der Abgeordneten bewegt sich zwischen 109 (Katalonien) und 35 (Kantabrien I La Rioja). so Der Consejo de Gobierno heißt in Katalonien "Consejo Ejecutivo", im Baskenland, auf den Kanarischen Inseln, Balearen und in Valencia "Gobiemo", in Galizien, Extremadura, Kastilien und Le6n ,)unta", in Aragonien "Deputaci6n General" und in Navarra "Deputaci6n Foral". 47 48

li. Kap.: Spanien

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Entscheidungen und leitet nach dem Ressortprinzip die Verwaltung jeder AG. Der Präsident und die Mitglieder der Regierung sind der Versammlung politisch verantwortlich. Die grundlegende Bestimmung über das Gerichtswesen der AG enthält Art. 152 Abs. 1 CE. Unbeschadet der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs auf nationaler Ebene bildet ein Obergericht (Tribunal Superior de Justicia) die Spitze der Justizpyramide auf dem Gebiet der jeweiligen Gemeinschaft 51 • Die tatsächliche Errichtung der Obergerichte in jeder AG wurde erst durch die Verabschiedung der ausführenden "Ley de Planta y Demarcaci6n Judicial" ermöglicht 52 •

V. Verbindliche Prinzipien für die autonome Kompetenzausübung Die Verfassung nennt als Prinzipien, die den Bestand der einheitlichen verfassungsrechtlichen Ordnung gewährleisten sollen, das Kompetenz-, Solidaritätsund Gleichheitsprinzip 53• Die Verfassungsrechtsprechung hat darüber hinaus das Prinzip der "Treue gegenüber der Verfassung" entwickelt. 1. Das Kompetenzprinzip

Das Kompetenzprinzip, das die Verteilung der Kompetenzen zwischen den Instanzen des Zentralstaates und den AG bestimmt und sich aus Art. 147 Abs. 2 lit. d sowie Art. 148, 149 CE entnehmen läßt, kann, jedenfalls soweit es um die verfassungsrechtliche Festlegung bestimmter Kompetenzen des Zentralstaates und damit um die Abgrenzung der beiden Kompetenzsphären geht, als ein Ausfluß des Prinzips der Einheit und der Unteilbarkeit der nationalen Souveränität (Art. 2 CE) angesehen werden. Die Verfassungsnormen weisen dem Zentralstaat die Aufgabe zu, die Verteidigung der Gesamtinteressen zu übernehmen 54• Das diesbe51 Vgl. hierzu das Organgesetz über die rechtsprechende Gewalt (LO 6/1985 v. 1. 7.1985, in: BOE Nr. 157, v. 2. 7.1985; auszugsweise abgedr. bei E. Aja/ E. Albertf, Leyes polfticas del Estado, Madrid 1987, S. 703 ff. Auch die Autonomiestatute enthalten Regelungen über die Einrichtung dieser Gerichte in den AG: vgl. etwa Art. 34 Est.P.V. sowie Art. 19 Est.cat. Nur das Autonomiestatut von La Rioja enthält keine entsprechende Bestimmung. Zur Organisation der Gerichtsbarkeit nach den Autonomiestatuten vgl. Serrera Contreras, S. 3011 ff. 52 Vgl. Sommermann, Der richterliche Schutz, S. 32 f. 53 Vgl. hierzu Alvarez Conde, S. 23 ff.; Montoro Chiner, DöV 1987, S. 87 ff. 54 STC 4/1981 V. 2. 2. 1981, BJC 1981, s. 7, 14 f. (li 3); STC 25 I 1981 V . 14. 7. 1981, BJC 1981, S. 324, 330 (li 3); STC 37/1981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S. 491, 499 f. (li 1): "Die politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Einheit Spaniens macht seine Einteilung in Einzelgebilde unmöglich; infolgedessen käme notwendigerweise eine ,Enteignung' der Autonomen Gemeinschaften im Hinblick auf ihre Handlungsmöglichkeiten, soweit diese Folgen haben, die über ihre territorialen Grenzen hinausreichen, schlicht und einfach einer Enteignung ihrer gesamten Handlungsfähigkeit gleich".

s•

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1.

Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

züglich bestehende allgemeine Interesse (inten!s general) an einer Regelung des Zentralstaates stellt jedoch keine absolute Beschränkung für die Kompetenzen der AG dar, die diese vollkommen aushöhlen könnte. Dies ergibt sich bereits daraus, daß das allgemeine Interesse nicht mit Bestimmtheit eruiert werden kann, denn zumeist kann nur ein überwiegendes Interesse festgestellt werden, welches die Existenz anderer Interessen nicht ausschließt. Die Erfordernisse des allgemeinen Interesses, das stets das Gesamtinteresse des spanischen Staates zum Bezugspunkt hat, sind in ihren Grundzügen verfassungsrechtlich festgelegt, wobei darüber hinausgehende Konkretisierungen mittels der Statute oder staatlicher Normen möglich sind 55 • Dem Zentralstaat sind damit die wesentlichen Zuständigkeiten im Hinblick auf die gesetzliche Ausgestaltung, Zielsetzung sowie die einheitliche Behandlung und Bestimmung der grundsätzlichen Angelegenheiten überantwortet. Diese Vorrangstellung des Zentralstaates konkretisiert sich in dessen ausschließlicher Zuständigkeit für die Übernahme völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, im Vorrang der zentralstaatlichen Normen bei einem Konflikt mit den Normen der AG, soweit diese nicht im Rahmen der ausschließlichen autonomen Kompetenzen liegen, sowie schließlich in der ergänzenden Anwendbarkeit des zentralstaatlichen Rechts in den AG (Art. 149 Abs. 3 CE) 56• Bezüglich der Kompetenzverteilung ergibt sich aus dieser Vorrangstellung, daß die Zuständigkeiten des Staates nicht auf einer bloßen "Zuweisung" beruhen, sondern auf dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des "gemeinsamen Rechts" (derecho comun) 57 • Unabhängig von der Existenz vertikaler Kompetenzen der AG behält sich der Staat die wichtigsten horizontalen Kompetenzen bei der Rahmengesetzgebung- zumeist wirtschaftliche Materien betreffend - vor. Die staatlichen Kompetenzen werden in den Fällen, in denen zwischen Zentralstaat und AG eine geteilte Gesetzgebungskompetenz besteht, noch verstärkt, da der staatliche Gesetzgeber im Rahmen einer Basisgesetzgebungsbefugnis mit den notwendigen Instrumenten und Mitteln zwecks Sicherstellung einer einheitlichen Behandlung der grundsätzlichen Angelegenheiten von der Verfassung ausgestattet wird. Dies ist Ausdruck eines Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Territorialsphären des Staates in der Form, daß gewisse Grenzen für die autonomen Gesetzgebungsbefugnisse bestehen, andererseits aber gleichzeitig ausreichende Garantien eine mißbräuchliche Anwendung des die Autonomie einschränkenden staatlichen Gesetzgebungsprimats verhindern. Die Schranken unterliegen somit ihrerseits wiederum anderen Schranken, eben Schranken-Schranken 58 • 55 STC 4/1981, ebd., S. 15 (II 3): "Diese Kompetenz «zur Wahrnehmung ihrer jeweiligen Interessen » wird [ ... ] im Rahmen der ~_onkretisierung durch das Autonomieprinzip für jede Art von Gebietskörperschaften in Obereinstimmung mit der Verfassung ausgeübt."; STC 37/1981, ebd., S. 500 (II 1); STC 25/1981, ebd., S. 330 (113). 56 Olivares Mart{nez, DA 201 (1984), S. 268. 57 Vgl. Olivares Mart{nez, DA 201 (1984), S. 268, der auch die Ergänzungsbefugnis des Staates gemäß Art. 149 Abs. 3 CE als Ausfluß des Gedankens ansieht, daß das staatliche Recht "gemeinsames Recht" darstellt.

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Obwohl der Zentralstaat kein Monopol hinsichtlich derWahrungder Gesamtinteressen besitzt, erteilt die Verfassung ihm eine "Ausnahmegenehmigung" zum Eingriff in die autonome Kompetenzsphäre, falls dieWahrungdes Gesamtinteresses dies erforderlich macht. Entsprechende Ausnahmeregelungen sind in Art. 150 Abs. 3 CE und Art. 155 CE enthalten. Art. 150 Abs. 3 CE gestattet dem Staat zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit, Gesetze zu erlassen, die den Rahmen für eine gleichmäßige Ausübung der normativen Befugnisse selbst in Bereichen festlegen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der AG fallen. Art. 155 CE besagt, daß die Regierung - gestützt auf eine absolute Mehrheit des Senats Maßnahmen ergreifen kann, um eine AG zur Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtungen oder zum Schutz der allgemeinen Interessen Spaniens zu zwingen, wenn diese die ihr von der Verfassung oder durch ein anderes Gesetz auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder in schwerwiegender Form gegen die allgemeinen Interessen verstößt.

2. Das Solidaritätsprinzip Das in Art. 2 CE verankerte Solidaritätsprinzip wirkt im spanischen Verfassungssystem als ein verbindendes Element zwischen den unterschiedlichen autonomen Interessen und den Gesamtinteressen, deren Vereinbarkeil es sicherstellen soll. Es ist eine Folge des Autonomieprinzips, das sich bzgl. einiger Regelungen als eine Zielbestimmung 59 und hinsichtlich anderer Regelungen als Rechtfertigung für eine Zuweisung von Kompetenzen an den Zentralstaat (Art. 138 CE) zwecks Erreichung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts darstellt. Insofern stellt das Solidaritätsprinzip auch als allgemeines kompetenzbeschränkendes Kriterium eine Schranke für das Autonomieprinzip dar, indem es als Garant der Einheit der Nation und des guten Funktionierens des Wirtschaftssystems (Art. 2, 40, 128 etc. CE) dient 60 • Darüber hinaus bildet es eines der Maßgaben für die finanzielle Autonomie der AG (Art. 156 CE) und rechtfertigt unter dem Aspekt der Herstellung eines wirtschaftichen Gleichgewichts die Existenz des Kompensationsfonds für Investitionen gemäß Art. 158 Abs. 2 CE. Die Solidarität erweist sich somit als ein für alle staatlichen Instanzen verbindliches Prinzip: Zentralstaat und AG müssen ihr wirtschaftliches bzw. rechtlich-politisches Handeln zur Vermeidung 58 So hat das Verfassungsgericht bzgl. der in Art. 139 Abs. 2 und 157 Abs. 2 CE genannten, auch die autonome Handlungsfreiheit beschränkenden Verbote festgestellt, es sei notwendig, daß die Hindernisse sich als schwerwiegend oder unverhältnismäßig im Hinblick auf den von der Norm verfolgten Zweck erwiesen: vgl. STC 37 I 1981, ebd., S. 503 (II 2): " ... no toda incidencia es necesariamente un obstaculo"; vgl. Olivares Mart(nez, DA 201 (1984), S. 270. 59 Vgl. Art. 131 Abs. 1 und 138 Abs. 1 CE: Ausgleich regionaler Ungleichheiten verbunden mit einer entsprechenden Planung. 60 Vgl. Olivares Mart(nez, DA 201 (1984), S. 267 f., 269; Cosculluela Montaner, RAP 89 (1979), S. 32; vgl. auch STC 64/1982 v. 4.11.1982, BJC 1982, S . 993, 999 f. (II 4/5).

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

von Ungleichgewichten oder einseitigen Vergünstigungen aufeinander abstimmen. Dies verpflichtet nicht allein die AG untereinander zur Zusammenarbeit, sondern auch den Staat zu einer ausgewogenen Kooperation mit allen AG, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Insoweit beschreibt das Solidaritätsprinzip die Position der staatlichen Organe auf den verschiedenen territorialen Ebenen, die in einer konkreten Situation imstande sein müssen, ihre Zuständigkeiten, Rechte und Verpflichtungen ungehindert gegenüber den jeweiligen Rechtspartnern wahrzunehmen. Alle Beteiligten haben sich dabei gemäß dem Grundsatz von Treu und Glauben in Wahrnehmung ihrer Interessen und Rechteam Gesamtwohl des Staates zu orientieren 61.

3. Das Prinzip der "Verfassungstreue" Eine Verpflichtung zu einem verfassungskonformen Verhalten und damit zur Beachtung der jeweils anderen Kompetenzsphäre wurde von der spanischen Lehre bis zu einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung im Jahre 1986 allgemein aus dem Prinzip der Solidarität im Hinblick auf die polyzentrische Struktur des spanischen Staatswesen abgeleitet. Erst in diesem Urteil vom 28. Januar 1986 62 leitete das Verfassungsgericht eine konkrete Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Staat und AG aus der in diesem Verhältnis bestehenden Pflicht zur "Treue gegenüber der Verfassung" (fidelidad a la Constituci6n) ab, welche im spanischen Schrifttum mit dem Grundsatz der "Bundestreue" verglichen wird 63 • Das "als Konkretisierung einer allgemeinen Treuepflicht gegenüber der Verfassung" und für die autonome Kompetenzwahrnehmung verpflichtende Kooperationsgebot ist nach dieser Rechtsprechung in den "Block der Verfassungsmäßigkeit" integriert und daher sowohl "vom Staat als auch von den AG als Mittel zur Erleichterung und besseren Ausübung" der Kompetenzen der jeweils anderen Hoheitssphäre einklagbar. In Übereinstimmung mit dem Urteil des Verfassungsgerichts muß die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den AG oder diesen untereinander durch eine am Gesamtwohl orientierte, von einer gegenseitigen Respektierung der Kompetenzen des jeweils anderen gekennzeichneten Handlungsweise gefördert werden, die zugleich sicherstellt, daß die Ausübung staatlicher bzw. autonomer Entschei61 Vgl. Montaro Chiner, Convenios, S. 20 ff.; Albert(, in: Aja I Tornos I Font I PerulIes I Albert!, S. 85 f. 62 STC 1111986, BJC 1986, S. 186, 192 f. (ll 5): Die ,,Zusammenarbeit, die als Konkretisierung einer allgemeinen Pflicht zur Treue gegenüber der Verfassung und als spezifisches Gebot für eine statutarische Norm in den Verfassungsblock integriert ist, kann sowohl vom Staat als auch von der Gemeinschaft als Mittel zur Ermöglichung und Erleichterung der Kompetenzausübung oder der besseren Verwirklichung der jeweils anderen Kompetenzsphäre verlangt werden". 63 Montoro Chiner, ebd., S. 28 ff., insbesondere S. 47: " ... ein Grundsatz der Treue gegenüber der Verfassung, dessen Auslegung Ähnlichkeiten und Parallelen mit der Bundestreue aufweist."

II. Kap.: Spanien

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dungsgewalt in Übereinstimmung mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung geschieht 64 •

4. Das Gleichheitsprinzip Das in Art. 1 CE normierte Gleichheitsprinzip 65 verlangt keine Uniformität oder Homogenität der AG. Dessen ungeachtet haben aber alle AG die gleiche subjektive Rechtsstellung vor der Verfassung. In tatsächlicher Hinsicht besitzen sie alle gesetzgebende und vollziehende Gewalt, wenn auch die Verfassungwie dargestellt - die Übertragung gesetzgebender Gewalt nicht für alle AG ausdrücklich fordert. Die Unterschiedlichkeil der verschiedenen Statute der AG darf in keinem Fall zu wirtschaftlichen und sozialen Vorrechten führen (Art. 138 Abs. 2 CE). Das Verfassungsgericht 66 hat das Gleichheitsprinzip in der Weise interpretiert, daß die Autonomien nicht notwendigerweise in der gleichen Form organisiert sein müssen. Auch sieht die Verfassung nicht für sie alle die gleichen Kompetenzbeschränkungen vor. Das Wesen der AG wird mithin von zwei unterschiedlichen Aspekten geprägt, nämlich der Homogenität einerseits und der Verschiedenheit andererseits. Ohne den ersten Aspekt gäbe es keine Einheit und keine staatliche Integration, ohne den zweiten weder Pluralismus noch Selbstverwaltung 67 • Dem Bürger soll aus dem Kriterium der Verschiedenheit kein Nachteil erwachsen. Die unterschiedlichen Rechtspositionen der AG haben nur solche Beschränkungen zur Folge, die nicht die Grundrechte der Bürger beeinträchtigen. Folglich sind nach Art. 139 Abs. 1 CE alle Spanier gleichberechtigt und unterliegen den gleichen Pflichten in jedem Teil des spanischen Staatsgebietes. Dieses Prinzip kann jedoch nicht so ausgelegt werden, daß Rechte und Pflichten für alle Bürger gleich sind, oder in dem Sinne, daß alle AG bei gleichen Voraussetzungen dieselben Maßnahmen zu treffen haben. Es bedeutet vielmehr, daß dem Staat die ausschließliche Kompetenz zur Regelung jener Basisvoraussetzungen obliegt, die die Gleichheit aller Spanier in der Ausübung ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Rechte und der Erfüllung ihrer korrespondierenden Verpflichtungen sicherstellt (Art. 53 CE und 149 Abs. 1 Satz 1 CE) 68 • 64 65 66

67

68

Montaro Chiner, ebd., S. 29 f., 46 ff.; dies., Die Beteiligung der AG, S. 171 f. Albert[, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Albert!, S. 87. STC 76/1983 v. 5.8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1162 (II 2). Vgl. STC 76/1983, ebd. Vgl. STC 76/1983, ebd.: " ... Es ist mit Gewißheit nicht die Gleichheit der Rechte

der Gemeinschaften, die den Grundsatz der Rechtsgleichheit der Bürger sicherstellt [ ...; ] allein durch die Notwendigkeit, die Gleichheit in der Ausübung solcher Rechte mittels der Festlegung einiger gemeinsamer Grundsatzbedingungen zu gewährleisten, wird die Verschiedenheit der rechtlichen Positionen der Autonomen Gemeinschaften begrenzt"; vgl. weiter STC 37 I 1987 v. 26. 3. 1987, BJC 1987, S. 431, 459 f. (II 10); STC 3711981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S. 491, 502 (II 2); STC v. 22.12. 1981, BJC 1982, S. 14, 20 (II 4).

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1.

Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Den Staat verpflichtet es zum einen, Bedingungen der Freiheit und Gleichheit für den Einzelnen und seine sozialen Gruppen zu schaffen, zum anderen, die Hindernisse zu beseitigen, die ihre volle Entfaltung unmöglich machen oder erschweren (Art. 9 Abs. 2 CE). Aus dem Gleichheitsprinzip ergibt sich ferner das Verbot der Willkür der Staatsgewalt (Art. 9 Abs. 3 CE) 69 , die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 14 CE), das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Funktionen und Ämtern (Art. 23 Abs. 2 CE) sowie das Erfordernis eines Steuersystems, das u. a. am Grundsatz der Gleichheit ausgerichtet ist (Art. 31 Abs. 1 CE).

5. Das Prinzip der Freizügigkeit und des freien Warenverkehrs Als weiteres verbindliches Prinzip wird schließlich teilweise das der Freizügigkeit und der Freiheit des Warenverkehrs genannt, welches sich als ein Ausfluß der Grundsätze von Einheit und Gleichheit darstellt. Insofern es sich auf die territoriale Gliederung des Staates bezieht, konkretisiert sich dieses Prinzip in der Bestimmung des Art. 139 Abs. 2 CE, wonach keine Behörde Maßnahmen ergreifen darf, die direkt oder indirekt zu einer Behinderung der Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit von Personen und des freien Güterverkehrs im gesamten spanischen Staatsgebiet führen; ferner in dem an die AG gerichteten Verbot des Art. 157 Abs. 2 CE, Besteuerungsmaßnahmen zu ergreifen, die sich auf außerhalb ihres Territoriums befindliches Vermögen beziehen oder den freien Verkehr von Waren oder Dienstleistungen behindern. Hiermit soll die Einheit des Marktes und des Wirtschaftssystems im allgemeinen sichergestellt werden, zwei Aspekte, die auch von der spanischen Verfassungsrechtsprechung mehrfach erörtert wurden. Das Verfassungsgericht 70 bejaht die Existenz einiger grundlegender Prinzipien für das Wirtschaftssystem, die gemäß der Verfassung einheitliche Anwendung finden müssen, deren Präambel eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung fordert und deren Art. 2 das Prinzip der Einheit normiert. Das letztgenannte Prinzip konkretisiert sich im wirtschaftlichen Bereich mittels verschiedener verfassungsrechtlicher Bestimmungen, wie u. a. durch Art. 128, 131 Abs. 1, 139 Abs. 2 und 138 Abs. 2 CE. Andererseits legt die V:erfassung eine Reihe von Zielen wirtschaftlicher Art fest, die wirtschaftspolitische Maßnahmen allgemeiner und für das gesamte Staatsgebiet gültiger Art erfordern (Art. 40 Abs. 1, 130 Abs. 1, 131 Abs. 1, 138 Abs. 1 CE).

69 10

STC v. 22.12. 1981, BJC 1982, S. 14, 20 (II 5). STC 1/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 224 (II 1).

li. Kap.: Spanien

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VI. Die territoriale Verfassung des Staates in formeller Hinsicht In formeller Hinsicht ist die heutige territoriale Struktur des Staates das Ergebnis des Zusammenwirkens der drei folgenden Elemente: der Verfassung vom 29. Dezember 1978, der siebzehn Autonomiestatute und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Die Statutsnonnen beinhalten eine unentbehrliche Ergänzung des in der Verfassung normierten Staatsorganisationsrechts. Sie bilden zusammen mit der Verfassung den sog. "Block der Verfassungsmäßigkeit" (bloque de constitucionalidad). Mit diesem Begriff, der durch die Rechtsprechung des Verfassunggsgerichts eingeführt wurde 71 , soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die Lösung eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Staat und einer AG sich immer aus dem Zusammenwirken der Verfassungsnorm und der Statutsnorm ergibt 72 • Beide zusammen bilden den Maßstab für die Kontrolle des Verfassungsgerichts 73. Was den Rang der Autonomiestatute innerhalb der gesamten Rechtsordnung des Staates angeht, so bilden diese selbst heute eine völlig eigenständige Kategorie, die für die spanische Rechtsordnung ebenso kennzeichnend ist wie die Verfassung oder das Gesetz 74• Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bildet seit den ersten Entscheidungen im Jahre 1981 ohne Z weifet das dritte und letzte Element der territorialen Verfassung des Staates. Die aus der Verfassung und den Autonomiestatuten bestehende Ordnung ist durch seine Rechtsprechung mit entscheidender Wirkung vervollständigt worden 75.

Vgl. STC 10!1982 v. 23.3.1982, BJC 1982, S. 261 f.(II 2). n Vgl. Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 229; Montaro Chiner, DÖV 1987, S. 87; Albert{, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Alberti, S. 104. 73 Vgl. etwa STC 7611983 v. 5.8. 1983, BJC 1983, S. 1095, 1163 f. (li 4); STC 711 1983, BJC 1983, S. 1035, 1038 (li 2, 4); STC 25/1983 v. 7.4. 1983, BJC 1983, S. 392, 399 (II 2). 74 Vgl. Cruz Villal6n, ebd., S. 231. 75 Vgl. die volle Bestätigung des Ranges der Autonomiestatute, bzgl. derer staatliche Gesetze nur eine Bestimmung über die Reichweite der jeweiligen Kompetenzen, nicht aber über das "Ob" einer autonomen Kompetenz vornehmen können, in der Entscheidung des Verfassungsgerichts über das Projekt eines Organgesetzes betreffend die Harmonisierung des Autonomieprozesses (Ley Organica de Armonizaci6n del Proceso Auton6mico = LOAPA), STC 7611983 v. 5.8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1164 (II 4) und zum anderen die Formulierung des materiellen Begriffs der Grundlagen- oder der Rahmengesetze, die den AG die Ausübung ihrer bedeutendsten Gesetzgebungskompetenzen erlaubt hat (STC 3211981 v. 28. 7.1981 , BJC 1981, S. 415,424 (II 6)); vgl. weiter STC 111982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 124 (II 1): vgl. hierzu unten S. 94 ff. 71

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

VII. Die territoriale Verfassung des spanischen Staates in materieller Hinsicht 1. Staatliche Organe Es soll hier lediglich auf zwei Organe des Staates eingegangen werden, die im Zusammenhang mit dem zu erörternden Problem der Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die AG von Interesse sind: den Senat und das Verfassungsgericht a) Der Senat

Art. 69 Abs. 1 CE definiert den Senat, die zweite Kammer der Cortes Generales, als die Kammer der territorialen Repräsentation, womit das Zweikammersystem auf dem vorgesehenen dezentralisierten Charakter des Staates zu wurzeln scheint. Der Rest dieser Vorschrift (Art. 69 Abs. 2-6 CE) aber macht den Senat zu einem "seltsam hybriden Gebilde, das ihn zu dem mißlungensten unter den spanischen Verfassungsorganen" 76 werden läßt. Er besteht zum größten Teil aus in allgemeiner und direkter Wahl gewählten Senatoren, wobei unabhängig von der jeweiligen Bevölkerungszahl auf jede der 50 Provinzen vier Senatoren entfallen. Zu dieser Mehrheitsgruppe von 208 Senatoren tritt eine kleine Vertretung der AG 77 , die sich in den Senat nach der Konstituierung der Parlamente der AG im Verlauf der ersten und zweiten Legislaturperiode eingliedern konnten. Jedes autonome Parlament entsendet grundsätzlich einen Senator und zusätzlich einen weiteren für jede Million an Einwohnern (Art. 69 Abs. 5 CE). Ursächlich für die schwache verfassungsrechtliche Stellung des Senats ist zudem, daß dieser nach Art. 90 Abs. 2 CE bei einfachen Gesetzen sowie bei Organgesetzen lediglich ein Einspruchs-, aber kein Zustimmungsrecht besitzt. Der einzige Grund, weshalb der Senat in seiner Struktur seit 1978 unverändert geblieben ist und nicht zu einer Vertretung der AG umgebaut wurde, wird in dem "Horror'' des Gesetzgebers vor einer Verfassungsreform gesehen 78 • b) Das Verfassungsgericht

Die Existenz eines Verfassungsgerichtes 79 erklärt sich zunächst aus dem Primat der richterlichen Rechtskontrolle, darüber hinaus aber auch aus der politischen 76

Cruz Villa/on, ebd., S. 232; vgl. weiter Aja I Arbos, REP 17 (1980), insb. S. 43 ff.

Drei Provinzen wählen eine höhere Zahl an Senatoren, nämlich Teneriffa 6, Gran Canaria 5 und die Balearen ebenfalls 5; hinzu kommen je 2 Senatoren aus den an der nordafrikanischen Küste liegenden Städte Ceuta und Melil/a. Die Zahl der von den AG entsandten Senatoren beträgt z.Z. 46, d. h. Einfünftel des Senats: vgl. Cruz Villa/on, JöR 37 (1988), s. 92. 78 Cruz Villa/on, JöR 37 (1988), S. 113. 79 Vgl. hierzu Art. 159-165 CE in Titel IX der Verfassung. 77

II. Kap.: Spanien

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Dezentralisierung des Staates. Die richterliche Entscheidung der Konflikte zwischen dem Staat und den AG stellt eine Hauptaufgabe des Gerichts dar. Eine eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeit der AG gibt es daneben mangels einer autonomen Verfassungsgewalt nicht, so daß die gesamte Verfassungsrechtsprechung des Staates, einschließlich der inneren Verfassungsgerichtsbarkeit der AG, bei einem einzigen Verfassungsgericht konzentriert ist. Die Orginalität des von der Verfassung von 1978 eingeführten territorialen Verteilungssystems der Macht und die Komplexität der ihr innewohnenden Techniken zur jeweiligen Abgrenzung der Kompetenzen zwischen dem Staat und den AG haben bewirkt, daß sich das Verfassungsgericht gezwungen sah, im Aufbau des Staates eine Verantwortung zu übernehmen, die als unvergleichlich größer gegenüber derjenigen anderer europäischer Einrichtungen dieser Art eingeschätzt wird 80• Dies hat zugleich zu einer völligen Überlastung des Gerichts geführt, was aber auch durch die mangelnde Funktionsfähigkeit der ihm vorgeschalteten Konfliktlösungsmechanismen bedingt ist. Die stärkere Beanspruchung des Gerichts rührt insbesondere aus der Fülle der hier ausgetragenen föderativen Streitigkeiten, insbesondere der positiven Kompetenzkonflikte 81 • Diese haben in verfassungsvergleichender Sicht weitaus größere Bedeutung erlangt als etwa die BundLänder-Streitigkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht, deren Funktion hier teilweise von der abstrakten Normenkontrolle übernommen wurde. Zugleich ist dieses Faktum Ausdruck für die in den beiden Ländern unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Dezentralisierungsstrukturen: Stellt sich in Spanien die territoriale Dezentralisierung als ein im Rahmen des dispositiven Prinzips zu verwirklichendes "Verfassungsziel" dar, so bildet der Grundsatz vertikaler Gewaltenteilung sowie seine konstitutionelle Ausgestaltung in der Bundesrepublik bereits eine gesicherte Basis für die Existenzweise der Bundesländer. Die Bedeutung der positiven Kompetenzkonflikte kann für die Machtverteilung zwischen Zentralstaat und AG im Rahmen des gesamtstaatlichen Gefüges nicht hoch genug eingeschätzt werden 82; sie unterstreicht aber zugleich deutlich die Dringlichkeit eines Umbaus des Senats zu einer "Kammer der Autonomen Gemeinschaften", um die Zahl der heute vor dem Verfassungsgericht ausgetragenen Konflikte zu verringern 83 •

Vgl. Rubio Llorente, S. 265. Von den bis zum 31.12.1987 erledigten 646 Verfahren betrafen allein 218 die positiven Kompetenzkonflikte, weitere 2 negative Kompetenzkonflikte und weitere 3 Anfechtungen nach Titel V LOTC: vgl. Weber, Richterliche Normenkontrolle, S. 79. 82 Weber, JöR 34 (1985), S. 267/269. 83 Vgl. Cruz Villa/on, JöR 34 (1985), S. 238. 80 81

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

2. Das System der legislativen Kompetenzverteilung Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Staat und AG stellt die zentrale Frage des spanischen Staatsorganisationsrechts dar, an der sich erweist, ob die AG als authentische autonome Gebilde oder bloße dezentralisierte Verwaltungseinheiten anzusehen sind. Die spanische Verfassung geht- zumindest ihrer äußeren Form nach- vom System der bilateralen Enumeration (Zwei-Listen-System) aus. Art. 148 CE beinhaltet die möglichen Minimalkompetenzen der AG, Art. 149 CE enthält die ausschließlichen Kompetenzen des Zentralstaates. Art. 149 Abs. 3 CE ergänzt dieses doppelte Listensystem um eine Residualklausel zwecks Regelung jener Bereiche, die in keiner der beiden Listen aufgeführt sind. a) Die Regelung des Art. 148 CE

Art. 148 Abs. 1 CE enthält einen 22 Punkte umfassenden Katalog, der die Gebiete aufzählt, auf denen diejenigen AG, die nicht auf dem privilegierten Weg der zweiten Übergangsbestimmung oder nach Art. 151 CE, sondern gemäß .Art. 143 Abs. 2 CE zur Autonomie gelangt sind, durch ihre Autonomiestatute Zuständigkeiten übernehmen können. Art. 148 CE präzisiert aber nicht, welcher Art diese Kompetenzen sind. Nur eine globale Interpretation des Titels VIII der Verfassung scheint nahezulegen, daß damit sowohllegislative als auch exekutive Kompetenzen gemeint sein können 84• Eine mögliche Erweiterung finden diese Zuständigkeiten durch Art. 150 Abs. 2 CE, wonach der Staat den AG durch ein Organgesetz Befugnisse aus der staatlichen Zuständigkeit übertragen kann, die ihrer Natur nach für die Übertragung geeignet sind. b) Die Regelung des Art. 149 CE Art. 149 Abs. 1 CE legt 32 Materien fest, bezüglich derer sich der Staat die ausschließliche Zuständigkeit (competencia exclusiva) vorbehält. Bei der Aufzählung der einzelnen Materien dieser Liste werden jedoch Bereiche genannt, bezüglich derer die Autonomiestatute gemäß Art. 148 Abs. 1 CE gewisse Kompetenzen für die AG übernehmen können 85 • Diegenaue Lektüre der Art. 148 und 149 CE zeigt zudem, daß die Kriterienkataloge, nach denen die Zuständigkeiten für die jeweiligen Materien verteilt werden, sich inhaltlich häufig überschneiden 86• Vgl. R. Schütz, Der Staat 22 (1983), S. 203. In der Regel wiedergegeben durch die Wendung "unbeschadet" (sin perjuicio de) mit Erwähnung der jeweiligen autonomen Zuständigkeit. 86 Vgl. hierzu R. Schütz, ebd., S. 204, Fn. 38, der einige Beispiele für inhaltliche Überschneidungen nennt: 84 85

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Art. 149 Abs. 3 CE spricht schließlich von den ausschließlichen Kompetenzen der AG, eine Beschreibung, die sich in dieser Deutlichkeit an keiner anderen Stelle der Verfassung wiederfindet. Das Kompetenzverteilungssystem ist daher im Schrifttum 87 sowohl bezüglich der Natur als auch des Umfanges der jeweils von einer AG übernehmbaren Kompetenzen als "ungenau", "unausgeglichen" und "vage" bezeichnet worden. Von einer unumstrittenen Verteilung könne weder bezüglich der ausschließlichen noch der "geteilten" Kompetenzen die Rede sein, da die Verfassung und die Statute den Begriff "ausschließlich" nicht eindeutig verwendeten 88 • Da die Verfassung den Regionen zudem gemäß Art. 149 Abs. 3 CE die Residualkompetenz 89 zugesteht, d. h. das Recht, alle nicht explizit dem Staat reservierten Materien selbst zu übernehmen, und das Bestreben der Basken und Katalanen das der maximalen Autonomie war, beinhalten die zuerst verabschiedeten Autonomiestatute Kataloniens und des Baskenlandes lange Materienlisten, die als "ausschließliche Kompetenzen" dieser Regionen bezeichnet werden, wobei der Regel-Ausnahme-Grundsatz staatlicher bzw. autonomer Kompetenz umgekehrt und die nach der Verfassung bestehende Konkurrenz 90 mißachtet wird 91 • Unumstritten ist hingegen, daß die Verfassung angesichts des für die AG geltenden dispositiven Prinzips die Existenz eines irreduzierbaren und unveränderbaren Kerns von Kompetenzen hat sicherstellen wollen, die dem Zentralstaat vorbehalten sind 92 • Der Kernbereich zentralstaatlicher Zuständigkeiten bleibt mithin durch das dispositive Prinzip unberührt und bildet dessen absolute Schranke. Die Qualifikation der "Ausschließlichkeit" einer Kompetenz setzt damit im Regionalkompetenz Staatskompetenz - Regionale Wirtschaftsförderung - Wirtschaftspolitische Planung und Koordination - Kultur- und Sprachpolitik - Rahmengesetzgebung zum Bildungswesen - Überregionales Verkehrswesen - Verkehrswesen - Rahmengesetzgebung zur - Sozial- und Gesundheitspolitik Sozialversicherung 87 R. Schütz, ebd., S. 204; ders., Dezentralisierung, S. 168; Gonuilez Casanom. S. 154. 88 Montaro Chiner, DÖV 1987, S. 89; vgl. auch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts: STC 37/1981 v. 16. 11. 1981 , BJC 1981, S. 491, 500 (II 1), wo von einer höchst doppeldeutigen Bedeutung des Adjektivs "ausschließlich" die Rede ist; STC 5 I ll)~Q v. 8.2.1982, BJC 1982, S. 95, 100 (II 1), wo eine Auslegung als "gewagt" (aventurado) bezeichnet wird, die eine Unterscheidung zwischen einer ausschließlichen Kompetenz vorbehaltlich der dem Zentralstaat zustehenden Basisgesetzgebung einerseits und einer Kompetenz zur Gesetzgebung und Verwaltung im Rahmen dieser Basisgesetzgebung des Staates und der dort verankerten Bestimmungen andererseits trifft. 89 Vgl. hierzu S. 85 ff. 90 Vgl. hierzu S. 91 ff. 91 Vgl. R. Schütz, Dezentralisierung, S. 168; Busch, S. 268 ff. 92 Vgl. Garrido Falla, RAP 100-102 (1983), S. 2002: Eine im gesamten Staatsgebiet einheitliche Gesetzgebung, eine Einheitlichkeit, die dadurch erreicht wird, daß ihre Formulierung dem Staat obliegt".

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Hinblick auf deren notwendigen, dauerhaften und unberührbaren Charakter eine Inhaberschaft des Zentralstaates voraus. Die Bedeutung dieses verfassungsrechtlichen, zugunsten des Zentralstaats wirkenden Vorbehalts eines bestimmten Kernbestands an Kompetenzen muß gerade wegen dessen Charakter als ius cogens im Sinne einer Absicherung der strukturellen Basiselemente verstanden werden, auf denen der Gesamtstaat beruht und die somit auch für die territorialen Gebietskörperschaften Geltung besitzen. Es geht bei der Definition der Ausschließlichkeit der zentralstaatlichen Kompetenzen mithin darum, den allgemeinen Rahmen festzulegen, innerhalb dessen die AG ihren eigenen Aufgabenbereich wahrnehmen können. Ziel ist die Absicherung des staatlichen Gesamtgefüges, welches auf dem Grundsatz der Souveränität des Gesamtstaats, also des spanischen Volkes, basiert, das durch die Cortes Generales repräsentiert wird (Art. 66 Abs. 1 CE), aus denen ihrerseits die Regierung hervorgeht (Art. 99, 101, 108, 113, 114 CE) 93 • Die Kompetenzen, die die Verfassung in Art. 149 Abs. 1 CE als notwendigerweise dem Zentralstaat vorbehalten ansieht, haben somit alle eine Höherwertigkeit in dem Sinne, daß sie sich auf die Souveränität des gesamten spanischen Volkes beziehen und diese sichern sollen 94 • In einigen der in Art. 149 Abs. 1 CE aufgezählten Kompetenzen manifestiert sich dieser Souveränitätsgedanke unmittelbar, wie etwa in Art. 149 Abs. 1 Nr. 2 (Staatsangehörigkeit, Ein- und Auswanderung, Ausländer- und Asylrecht), Nr. 3 (Internationale Beziehungen), Nr. 4 (Verteidigung und Streitkräfte). Bei einer Zuweisung solcher, einen Staat konstituierenden Aufgaben an die AG würden diese als (teil-)souveräne Einheiten anerkannt 95 • Bezüglich der meisten dem Zentralstaat gemäß Art. 149 Abs. 1 CE vorbehaltenen Kompetenzen zeigt sich der sie tragende Souveränitätsgedanke nicht so sehr in der Qualität bzw. Intensität der zentralstaatlichen Zuständigkeiten als vielmehr in der Art und Weise, wie diese die Gesamtstruktur des Systems bestimmen; sie stellen überterritoriale Integrationsfaktoren dar, die auf der Idee des Gesamtstaates beruhen: so bspw. die Kompetenzen bezüglich der Herstellung einer wirtschaftlichen Einheit, die einen nationalen Integrationsfaktor ersten Ranges bilden, sowie die in Art. 149 Abs. 1 Nr. 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 17, 19, 20, 21, 23, 25 enthaltenen Kompetenzen und die Vorschrift des Art. 139 Abs. 2 CE; darüber hinaus ist dieser Gedanke für alle Kompetenzen relevant, die auf zwischen- und supraregionalen Strukturen beruhen (Art. 149 Abs. 1 Nr. 15, 16, 21, 22, 29 CE) oder die eine gewisse grundlegende soziale Homogenität sicherstellen sollen (Art. 149 Abs. 1 Nr. 1, 5, 6, 8, 18, 27, 28, 30; 139 Abs. 1; 81 CE). Der Vorrang des Gesamtstaates drückt sich schließlich in der Kennzeichnung gewisser staatliVgl. Garcia de Enterria, S. 71 ff. Garda de Enterria, ebd., unter Verweis aufSTC 32/1981 v. 28. 7.1981, BJC 1981, S. 415, 423 (II 5). 95 Vgl. STC 4/1981 v. 2.2.1981, BJC 1981, S. 7, 14 (li 3), wonach Autonomie nicht Souveränität bedeutet. 93

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eher Kompetenzen als "Basis"-Kompetenzen für die Bereiche aus, in denen auch die AG tätig werden können, wobei der Begriff der "Basis" oder .,Grundlage" bzw . .,Grundlagengesetzgebung" (base bzw. legislaci6n basica) eine allgemeine Struktur bezeichnet, die den Staat in seiner Gesamtheit betrifft und von dieser übergeordneten Stellung aus das Autonomiesystem in seiner Gesamtheit miteinbezieht. Von dieser generellen Funktion aller exklusiven Kompetenzen des Zentralstaates als Strukturprinzipien für den Gesamtstaat und als überterritoriale Integrationsfaktoren, die die Funktionsfähigkeit des Systems sicherstellen, leitet sich unmittelbar der Grundsatz des Vorrangs des zentralstaatlichen Rechts vor dem autonomen Recht ab, den Art. 149 Abs. 3 CE zum Ausdruck bringt. Der Vorrang der Normen entspricht der Höherwertigkeit der Aufgabe, die sich in der jeweiligen Norm aktualisiert. Die Ausschließlichkeit der Kompetenzen des Zentralstaates geht somit letztendlich auf die verfassungsrechtliche Grundnorm des Art. 2 CE zurück, wonach die Verfassung sich auf die "unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, gründet". Diese Auslegung der in Art. 149 Abs. 1 CE formulierten ,,Ausschließlichkeit" der zentralstaatlichen Kompetenzen wird durch die Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts bestätigt. Hiernach besteht eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, daß sich der Zentralstaat als Konsequenz des Grundsatzes der Einheit und des Vorrangs des allgemeinen Interesses gegenüber den AG in einer übergeordneten Stellung befindet 96• An anderer Stelle spricht das Gericht von dem einheitlichen rechtlich-konstitutionellen Status aller Spanier ( .. status jurfdico-constitucional unitario ") und weist dem Zentralstaat die Sicherstellung dieses durch Einheitlichkeit gekennzeichneten Status zu. Der dem Zentralstaat nach Art. 149 Abs. 1 CE obliegende Erlaß von Grundlagengesetzen im Rahmen seiner ausschließlichen Kompetenz muß nach Auffassung des Verfassungsgerichtes zu einer einheitlichen rechtlichen Regelung mit Wirksamkeit für die Gesamtnation führen, mit der ein "gemeinsamer rechtlicher Nenner" ("comun denominadar normativo ") in den Bereichen allgemeiner und jeder einzelnen AG übergeordneter Interessen sichergestellt wird 97 • 96 STC 4/1981 v. 2.2.1981, BJC 1981, S. 7, 15 (II 3): " ... Die Verfassung sieht es - als eine Konsequenz des Grundsatzes der Einheit und der Überordnung ~~s Interesses der Nation- als notwendig an, daß der Staat sich in einer Position der Uberordnung befindet, so wie es verschiedene Vorschriften der Verfassung vorsehen, sowohl im Hinblick auf die Autonomen Gemeinschaften, die mit einer gegenüber der administrativen (Art. 150 Abs. 3 und 155) Autonomie qualitativ höherwertigen Autonomie ausgestattet sind, wie auch im Hinblick auf die lokalen Gebietskörperschaften (Art. 148 Abs. I Nr. 2)."; vgl. hierzu S. 89 ff. 97 STC I /1982 v. 28. 1. 1982, BJC 1982, S. 117, 125 (II 1): "Die Verfassung weist den allgemeinen Organen des Staates die ausschließliche Kompetenz zum Erlaß der Grundlagengesetze für die Regelung einer bestimmten Materie zu, [ ... ] weil diese

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Eine wichtige, vom Verfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 2. Februar 1981 angesprochene Kompetenz, auf der das gesamte System fußt und dieses letztendlich erklärt, griindet sich nicht auf Art. 149 Abs. 1 CE, gilt aber gleichwohl als Schlüssel für das Verständnis der Rolle, die die Verfassung dem Zentralstaat vorbehält und auf die bereits eingegangen wurde 98 • Es ist dies seine Rolle als Garant und Wahrer des allgemeinen Interesses bzw. des allgemeinen Interesses Spaniens, also des Gesamtwohls des Staates, gemäß Art. 150 Abs. 3, 155 CE. Angesichts dieses höherrangigen Interesses relativieren sich sogar die eigenen Kompetenzen der AG, so daßtrotzderen Existenz der Staat über eine allgemeine Zuständigkeit verfügt, die sich auf keine konkrete Materie bezieht, wie es für die in Art. 149 Abs. 1 CE genannten Zuständigkeiten typisch ist, sondern die potentiell jegliche Materie ergreifen kann. Eine autonome Kompetenz wird dann vom allgemeinen Interesse her definiert und unterliegt diesem mithin bei der jeweiligen Ausübung, wenn der Zentralstaat eine harmonisierende Gesetzgebung gemäß Art. 150 Abs. 3 CE erlassen hat oder die notwendigen Maßnahmen zum Schutz dieses allgemeinen Interesses gemäß Art. 155 Abs. 1 CE ergreift. Dem Begriff des "allgemeinen Interesses" kommt im Rahmen seines jeweiligen Zusammenhangs eine unterschiedliche Bedeutung zu 99: In Art. 149 CE dient er als Kriterium der Abgrenzung der Kompetenz bezüglich einer Materie zwischen dem Staat und den AG, indem er dem Zentralstaat die Zuständigkeit für jenen Teilbereich zuweist, bei dem die Verfassung ein nationales Interesse, d. h. ein allgemeines Interesse annimmt (z. B.: Art. 149 Abs. 1 Nr. 20, 24, 31 CE). Wie Luis Cosculluela Montaner 100 ausführt, kommt dem Begriff des allgemeinen Interesses in der spanischen Verfassung hingegen nicht die Bedeutung einer Begrenzung der den AG zugewiesenen Kompetenzen zu, wie dies ausdrücklich in Art. 117 der italienischen Verfassung im Hinblick auf die regionale Gesetzgebung der Fall ist, die eine Überprüfung durch die politischen Instanzen des Zentralstaates erlaubt 101 • Eine derartige legislative Kontrollfunktion steht in Spanien vielmehr dem Verfassungsgericht zu, das über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzgebungsakten der AG entscheidet. Insoweit ist es eine Aufgabe des Organgesetzes über die Verfassungsgerichtsbarkeit 102 festzulegen, in welchem Maß das nationale oder staatliche Interesse eine Grenze für die Gesetze der AG Grundlagengesetze eine einheitliche normative, in der gesamten Nation gültige Regelung enthalten, mit der in Bereichen allgemeiner, über die jeweilige AG hinausreichenden Interessen ein gemeinsamer rechtlicher Nenner sichergestellt wird, von dem aus jede Gemeinschaft in Verteidigung ihres jeweiligen eigenen allgemeinen Interesses die Einzelheiten regeln kann, die ihr im Rahmen der Kompetenzen, welche ihr die Verfassung und die Statute bezüglich einer bestimmten Materie zuweisen, angebracht erscheinen". 98 Vgl. bereits S. 67 ff. 99 Vgl. Cosculluela Montaner, RAP 89 (1979), S. 33 f. 100 Ebd., S. 34 f . 101 Vgl. hierzu III. Kap. IV. 2. e) dd). 102 Organgesetz 2/1979 über das Verfassungsgericht, BOE Nr. 239, v. 5.10.1979.

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darstellt; dies kann dann im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle bzw. eines föderativen Konflikts überprüft werden. In Art. 150 Abs. 3 und 155 CE erscheint das nationale Interesse in der Funktion einer allgemeinen Klausel, die dem Staat Ausnahmekompetenzen bezüglich der Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen bzw. ihrer politischen und administrativen Tätigkeit zuweist. Dabei zeigt Art. 150 Abs. 3 CE deutliche Parallelen zu Art. 72 GG und Art. 153 B-VG auf. Durch Art. 155 CE wird der Zentralstaat ermächtigt, die Erfüllung der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen seitens der AG zu überwachen sowie die Beachtung des nationalen Interesses sicherzustellen. Auf dieser Grundlage kann die Zentralregierung nicht nur Beschlüsse der AG aufheben oder annulieren, sondern auch zum Schutz des allgemeinen Interesses den "status quo ante" wiederherstellen (Art. 155 Abs. 2 CE). Damit verfügt die Zentralregierung über ein Substitutionsmittel im Hinblick auf politische Entscheidungen der Regionalorgane zum Schutze eines in erheblicher Weise bedrohten oder verletzten nationalen Interesses 103. c) Der Kompetenzbegriff

Streit herrscht in der spanischen Lehre über die Auslegung der Begriffe "Materien" und "Kompetenzen". aa) Teilweise wird hier im Schrifttum zwischen vertikalen und horizontalen Kompetenzen unterschieden, wobei die vertikale Kompetenz die jeweilige Materie und die horizontale Kompetenz die jeweils erforderliche Maßnahme (gesetzgeberischer oder verwaltungsmäßiger Art) bezeichnet 104 • Im Hinblick auf bestimmte, in Art. 149 CE "ausschließlich" dem Staat zugewiesene Materien sei es nicht die Materie selbst, die in die ausschließliche Verantwortung des Zentralstaates gelegt worden sei, sondern seien es vielmehr bestimmte funktionale Zuständigkeiten bezüglich dieser Materie (horizontale Kompetenz = Funktion). Der Irrtum der Redaktoren der Verfassung beruhe darauf, daß dieselbe Terminologie sowohl für die Bezeichnung der Materie als auch für die Beschreibung der jeweiligen Befugnisse zur legislativen bzw. administrativen Durchführung verwendet werde. Die Zuweisung der horizontalen Kompetenz erfolge immer in ausschließlicher Form. Die Materien, d. h. die vertikalen Kompetenzen, die Art. 149 CE aufzähle, seien hingegen nicht en bloque ausschließlich dem Zentralstaat zugewiesen. In der Regel obliege dem Zentralstaat der Erlaß der Basisgesetzgebung und den AG die legislative Ausführung bzw. dem Zentralstaat die bloße Gesetzgebung und der AG die administrative Durchführung. Bezüglich des spanischen Autonomiestaates könne daher von einem "Vollzugsföderalismus" die Rede sein. Mit Cosculluela Montaner, ebd., S. 35 f.; vgl. hierzu XXIII. Kap. II. 2. c). Garrido Falla, RAP 100-102 (1983), S. 2000 f.; Perez Gonzalez, Die Rolle der Comunidades Aut6nomas, S. 52 f.; Salas, RAP 100-102 (1983), S. 448. 103

104

6 Blanke

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der Zuweisung der Durchführung der zentralstaatlichen Gesetzgebung an die AG habe die Verfassung zwei politische Prinzipien zum Ausdruck bringen wollen: zum einen, daß die Gesetzgebung in dem jeweiligen Bereich im ganzen Staatsgebiet einheitlich sei, was dadurch erreicht werde, daß die Zuständigkeit hierfür dem Zentralstaat zustehe; zum anderen aber, daß die Ausführung dieser einheitlichen Gesetzgebung der jeweiligen AG zustehe, die in diesen Fällen als autonome Verwaltung und nicht als indirekte Staatsverwaltung tätig werde. Die Durchführung durch die AG sei dabei an die zentralstaatliche Gesetzgebung gebunden, weshalb dem Zentralstaat gewisse Möglichkeiten der Kontrolle bzgl. des Vollzugs durch die AG zustünden. bb) Eduardo Garda de Enterrfa 105 sieht die Unterscheidung zwischen Materien und Kompetenzen für die Klärung des Begriffs der Ausschließlichkeit hingegen als unbrauchbar an, da sie allein für die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der AG im Rahmen des Art. 149 Abs. 1 CE von Bedeutung sei. Statt dessen unterscheidet er im Hinblick auf die Ausschließlichkeit der in Art. 149 CE genannten Kompetenzen vier Kategorien: (1) Die absolut-ausschließlichen Kompetenzen, die sowohl eine Beteiligung der AG bezüglich der Art ihrer Wahrnehmung aber auch der Durchführung sowie jegliche Form der Übertragung oder Delegation dann ausschließen, wenn sie ihrer Natur nach nicht für eine Übertragung oder Delegation geeignet sind. Letzteres wird bspw. bezüglich der Regelung des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE (internationale Beziehungen) angenommen. (2) Die ausschließlichen Kompetenzen, die zum Zuständigkeitsbereich des Zentralstaates gehören, bezüglich derer er aber gewisse Vollzugsbefugnisse (facultades de gestion) an die AG im Rahmen des Art. 150 Abs. 2 CE übertragen oder delegieren kann. Die Übertragung oder Delegation, die sich niemals auf die Kompetenz selbst, sondern nur auf den Vollzug derselben bezieht, darf die allgemeine, von der Verfassung vorgegebene politische Struktur nicht verändern, sondern muß sich in diese in Form eines bloßen Vollzugs bzw. einer bloßen Durchführung einfügen. Deshalb ist es auch nicht möglich, eine Materie oder Kompetenz en bloque zu übertragen oder zu delegieren, sondern es können lediglich Befugnisse innerhalb einer Kompetenz "abgegeben" werden, wobei die staatliche Letztzuständigkeit ebenso sichergestellt sein muß wie eine evtl. Kontrolle auf der Grundlage der dem Zentralstaat verbleibenden Residualzuständigkeit über die Ausführung der übertragenen oder delegierten Befugnisse (Art. 153 lit. b CE). Angesichts der verfassungsrechtlichen Annahme einer Ausschließlichkeit muß zudem die Möglichkeit einer Rücknahme der Übertragung oder Delegation bzw. eine Rückholung der übertragenen Befugnisse möglich sein. Nur aufgrund von staatlichen Organgesetzen, die jederzeit rücknehmbar sind, kann die Übertragung staatlicher Kompetenzen zugunsten der AG vollzogen werden. 105

Garcfa de Enterria, S. 151 ff.

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(3) Jene ausschließlichen Kompetenzen des Zentralstaates, die aufgrund einer ausdrücklichen Bestimmung in Art. 149 Abs. 1 CE die Beteiligung der AG bei ihrer legislativen Ausführung und ihrer administrativen Durchführung zulassen (Art. 149 Abs. 1 Nr. 6, 7, 11, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 22, 23, 25, 27, 28,29 CE). Fraglich ist, ob durch diese Regionalbeteiligung bei der Regelung einer bestimmten Materie der Charakter der Ausschließlichkeit einer dem Zentralstaat zustehenden Kompetenz verlorengeht Diese Schlußfolgerung könnte aus den Ausführungen des spanischen Verfassungsgerichts gezogen werden, wo es heißt, daß der Gebrauch des Adjektivs "ausschließlich" im Verfassungstext wie in den Autonomiestatuten höchst "doppeldeutig" (equfvoco) 106 sei und die Kompetenzen bezüglich einer Materie, die sowohl nach der Verfassung als auch nach den Autonomiestatuten "ausschließlichen" Charakter hätten, "objektiver- und notwendigerweise" konkurrierend sein müßten, wobei aber ein vertikaler Vorrang ("prioridad « vertical » ") zugunsten des Zentralstaates bestehe 107 •

Die hieran im Schrifttum anknüpfende Unterscheidung von "vertikalen" und "horizontalen" Kompetenzen, bezüglich derer ein unterschiedliches Maß an Ausschießlichkeit bestehe 108 , wird von Garcfa de Enterrfa 109 auch im Hinblick auf diese dritte Kategorie ausschließlicher Kompetenzen abgelehnt: Der Qualifizierung einer zentralstaatlichen Kompetenz als "ausschließlich" durch die Verfassung dürfe von keiner anderen Norm der Rechtsordnung widersprochen werden. Mithin sei die Ausschließlichkeit der Kompetenzen dieser Kategorie in der Ausschließlichkeit der "Grundlagen" (bases), also der Grundlagengesetzgebung und der Grundlagennormen, zu sehen. Dementsprechend werde hier die Materie vom zentralstaatlichen Gesetzgeber nicht erschöpfend geregelt, sondern lediglich der jeweils grundlegende Inhalt, so daß eine Beteiligung der AG im Rahmen der Ausgestaltung möglich sei. Somit könne von einer "geteilten Kompetenz" gesprochen werden. Die Bezeichnung entsprechender Kompetenzen als "ausschließlich" im Rahmen der Autonomiestatute könne im Wege verfassungsskonformer Auslegung lediglich als eine vollständige Übernahme der Residualzuständigkeiten bezüglich einer Materie gewertet werden. Die Kompetenzteilung zeige sich in Art. 149 Abs. 1 CE in vier verschiedenen Formen: - als ausschließliche Kompetenz des Zentralstaates für die Grundlagen einer Regelung unter Beteiligung der AG im Wege der konkurrierenden Gesetzgebung bezüglich dessen, was nicht in den jeweiligen Grundlagen geregelt ist. STC 37/1981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S. 491, 500 (II 1). STC 1I 1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 127 (II 5): " ... Dervertikale Vorrang gebührt im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftsplanung im gesamten nationalen Bereich dem Staat, danach, mit der Verpflichtung der Beachtung dieser Koordination, den von den Statuten bestimmten Organen, soweit sich eine entsprechende Kompetenz in der autonomen Zuständigkeitssphäre befindet ... " 108 Vgl. Garrido Fa/la, ebd. t09 Garda de Enterrfa, S. 156 ff. 106 101

6*

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

- als ausschließliche Regelungszuständigkeit des Zentralstaates unter Beteiligung der AG in der administrativen Durchführungsphase. - als geteilte Kompetenzen, bei denen dem Zentralstaat eine Koordinierungsfunktion obliegt. - als nichtspezifische Kompetenz, deren Konkretisierung einer staatlichen Norm vorbehalten ist. (4) Im Hinblick auf eine vierte Kompetenzkategorie im Rahmen des Art. 149 Abs. 1 CE verweist Garcia de Enterria 110 schießlieh auf die Regelung des Art. 149 Abs. 1 Nr. 8 CE, die sich- mit einem Vorbehalt zugunsten der vorhandenen Fora!- und Sonderrechte der AG - auf die Zivilgesetzgebung bezieht, und darüber hinaus auf die in Art. 149 Abs. 1 CE erfolgte Kompetenzverteilung nach dem Kriterium des territorialen Bereiches, in dem die jeweiligen öffentlichen Dienstleistungen erbracht werden; dabei wird den AG die Kompetenz zur Regelung jener Leistungen überlassen, die ihr eigenes Gebiet nicht überschreiten, und dem Staat die Zuständigkeit für die inter- oder supraregionalen Dienste zugewiesen. Soweit Art. 149 Abs. 1 Nr. 8 CE den AG eine Gesetzgebungskompetenz vorbehält, handelt es sich insoweit nicht um eine bloße legislative Durchführung von staatlichen gesetzlichen "Grundlagen", sondern um einen materiellen Bereich, der von der Gesetzgebung des Staates abgesondert ist und diesem daher grundsätzlich mit Ausnahme der in der Zivilgesetzgebung bestehenden Regelungen mit Allgemeinverbindlichkeit nicht unterliegt (derecho comun). Deshalb stellt sich in diesem Fall die autonome Kompetenz nicht als eine Beteiligung an einer ausschließlichen Kompetenz des Staates, sondern als eine ausschließliche und ungeteilte Kompetenz der AG dar. Damit fügt sich die Regelung des Art. 149 Abs. 1 Nr. 8 CE nicht in die übliche Technik des Art. 149 Abs. 1 CE ein. Im Fall der Regelungen des Art. 149 Abs. 1 Nr. 20, 21, 22 und 24 CE gilt ein Kompetenzverteilungsprinzip, das ebenfalls nicht auf dem Schema "Grundlagen" einerseits und "Ergänzungsnorm" andererseits, sondern auf einem Verteilungskriterium beruht, das dem zuvor dargestellten Kriterium der territorialen Relevanz der jeweiligen öffentlichen Dienstleistungen entspricht. Aus dieser Interpretation des Art. 149 Abs. 1 CE kann geschlossen werden, daß den AG zwar die Ausübung ihrer Kompetenzen auf den in Art. 148 CE genannten Gebieten nicht genommen werden kann, sie aber auch nicht in den jeweiligen Bereichen über die Gesamtheit der Kompetenzen verfügen, da diese jedenfalls zumeist zwischen ihnen und dem Zentralstaat in der dargelegten Weise aufgeteilt sind. Desweiteren ergibt sich aus der Auslegung des Art. 149 Abs. I CE aber auch, daß die AG in den in Art. 148 CE genannten Bereichen nicht 110

Garcia de Enterria, S. 157 ff.

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allein über Kompetenzen für die Verordnungsgebung und Verwaltung, sondern vielmehr auch für die Gesetzgebung verfügen 111 • d) Die Regelung des Art.l49 Abs. 3 CE

Gemäß Art. 149 Abs. 3 CE können die dem Staat von der Verfassung nicht ausdrücklich übertragenen Aufgabenbereiche aufgrund der entsprechenden Statute von den AG übernommen werden. Die Zuständigkeit in Bereichen, die von den Autonomiestatuten nicht übernommen werden, liegt beim Staat, dessen Normen im Konfliktfall in allen Materien, die nicht zur ausschließlichen Kompetenz der AG gehören, den Vorrang haben. Das staatliche Recht ergänzt im jeden Fall das Recht der AG. Hieraus ergeben sich folgende Schlußfolgerungen: - Jene Residualkompetenzen, die weder in Art. 148 noch in Art. 149 CE enthalten sind, stehen den AG zu, soweit diese sie nach den jeweiligen Autonomiestatuten übernommen haben (Residualklausel). - Diejenigen Bereiche, die weder in Art. 148 noch in Art. 149 CE geregelt sind, unterstehen, soweit sie nicht von den Autonomiestatuten übernommen werden, der Regelungsbefugnis des Staates (Ergänzungsklausel). - Das Recht des Staates hat im Hinblick auf das von den AG gesetzte Recht eine ergänzende Funktion und damit im Konfliktfall bezüglich jener Materien Vorrang, die nicht zu den ausschließlichen Kompetenzen der AG gehören (Kollisionsklausel).

aa) Die Residualklausel Aufgrund der Residualklausel hat der Zentralstaat gemäß Art. 149 Abs. 3 S. 1 CE die Kompetenz für die in Art. 149 Abs. 1 CE seiner ausschließlichen Kompetenz zugewiesenen Bereiche, ferner aber auch für diejenigen Bereiche, für die eine ausschließliche Kompetenz der AG gegeben ist, die diese aber in ihren Autonomiestatuten nicht übernommen haben. Schließlich ist der Zentralstaat gemäß Art. 149 Abs. 3 S. 2 CE für die noch übrigbleibenden Bereiche zuständig, die nicht zu einer der beiden "ausschließlichen" Kompetenzbereiche des Zentralstaates bzw. der AG gehören und die von den Autonomiestatuten auch nicht übernommen worden sind 112• Die AG können also Kompetenzen nur in den Bereichen ausüben, die von ihnen in ihren jeweiligen Autonomiestatuten übernommen wurden. Dieses System der doppelten Residualklausel korrespondiert mit dem System des graduell abgestuften Zugangs zur Autonomie, weil diese Klausel unmittelbar 111

112

Alvarez Conde, S. 150 ff. (153). Vgl. Cruz Villa/on, JöR 34 (1985), 234, Fn. 82.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

nur den privilegierten AG sowie den AG ersten Grades, den übrigen AG hingegen gemäß Art. 148 Abs. 2 CE erst nach Ablauf von fünf Jahren durch eine Reform ihrer Statute ("innerhalb des im Art. 149 vorgesehenen Rahmens") zugute kommt 113 • Indem die spanische Verfassung die Residualkompetenzen den AG zuerkennt, soweit ihre Autonomiestatute die einschlägigen Materien übernehmen, anderenfalls die Kompetenzen in den fraglichen Bereichen aber als solche des Zentralstaates ansieht, schlägt sie einen Mittelweg zwischen der bereits für die USA, Australien und die Schweiz nachgewiesenen Lösung eines föderativen Modells 114 hier wären die Residualkompetenzen den Gliedstaaten zugewiesen - und eines Regionalstaats - etwa dem italienischen, wo die Residualkompetenzen von der Verfassung dem Zentralstaat zugewiesen werden 115- ein 116. Aus der Formulierung des Art. 149 Abs. 3 S. 1 ("die dem Staat nicht ausdrücklich übertragenen Aufgabenbereiche") werden jedoch im Hinblick auf die Klassifizierung des spanischen Kompetenzverteilungssystems noch weitergehendere Schlußfolgerungen gezogen. Als Residualkompetenzen sind danach nämlich alle Kompetenzen aufzufassen, die nicht ausdrücklich durch die Verfassung dem Zentralstaat zugewiesen sind. Damit erfüllt diese Residualklausel nicht die Funktion, die ihr in einem System der zweifachen Liste, wie es der spanischen Verfassung bei der Kompetenzverteilung in Art. 148 und 149 CE zugrunde zu liegen scheint, zukommt. In einem solchen System bezieht sich die Residualklausel nämlich auf die in keiner der beiden Listen aufgeführten Kompetenzen. Nach dem der spanischen Verfassung zugrundeliegenden Prinzip sind von den Residualkompetenzen dagegen jene Bereiche erfaßt, bezüglich derer der Staat nicht die Kompetenz in ihrer Gesamtheit besitzt, mithin eine Kompetenzverteilung zwischen Staat und AG bezüglich bestimmter Bereiche in der oben beschriebenen Weise vorliegt. Als Residualkompetenzen sind dann aber auchjene Zuständigkeiten aufzufassen, die nicht in einen der von Art. 149 Abs. 1 CE zugunsten der ausschließlichen Kompetenz des Staates geregelten Bereiche fallen. Folglich beziehen sich die Residualkompetenzen nicht nur auf diejenigen Bereiche, die von keiner der beiden Listen der Art. 148 und 149 CE umfaßt werden, sondern auch auf die in Art. 148 Abs. 1 CE aufgeführten Gebiete, weil diese nicht ausdrücklich dem Staat zugewiesen sind. Das führt zu der Schlußfolgerung, daß die AG eine Kompetenz nur für Residualbereiche ausüben können, d. h. für Bereiche, die dem Staat nicht ausdrücklich vorbehalten sind. Das System der doppelten Liste oder der zweifachen Aufzählung in der spanischen Verfassung hat damit Alvarez Conde, S. 155. Vgl. Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 137. m Vgl. III. Kap. IV. 2. e) aa) (2). 116 Vgl.Alvarez Conde, S. 156; Frohn, ÖZöRV 34 (1983), S. 61; Gonuilez Casanova, S. 153 f., 155, der von einer "dezentralistischen Vermutung" spricht, die besage, "daß alle Kompetenzen, die die Verfassung nicht ausdrücklich der Zentralgewalt zuweist, durch die AG übernommen werden können." 113

114

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nach einer Auffassung in der spanischen Literatur allein semantischen Wert. In Wirklichkeit existiere nur eine einheitliche Kompetenzliste - nämlich die des Art. 149 Abs. 1 CE-, womit die spanische Verfassung dem Vorbild der Enumeration zentralstaatlicher Kompetenzen folge, das für föderative Staatsordnungen typisch sei 117• Dieser Befund werde noch dadurch unterstrichen, daß die Residualkompetenzen nicht nur die in Art. 149 Abs. 1 CE nicht aufgeführten Bereiche, sondern auch alle diejenigen Bereiche umfaßten, die in den übrigen Bestimmungen der Verfassung dem Staat nicht ausdrücklich zugewiesen würden. Damit erweitere die Residualkompetenz des Art. 149 Abs. 3 CE ihren Anwendungsbereich über den üblichen Rahmen hinaus und umfasse alle die in keiner der beiden Bestimmungen des Art. 148 und 149 CE aufgezählten Materien. Demnach kämen der Residualkompetenz zwei Bedeutungen zu: Zum einen eine Bedeutung spezifischer Art im Hinblick auf Art. 148 Abs. 1 CE, der den AG 2. Grades einen "residualen" Kompetenzrahmen stecke; zum anderen eine allgemeine Bedeutung, wonach jene Materien, die nicht ausdrücklich dem Staat zugewiesen seien, den AG zustünden, soweit sie diese durch die jeweiligen Autonomiestatute übernommen hätten, anderenfalls aber dem Staat 118• So werde bei Nichtübernahme einer Kompetenz durch eine AG eine Kompetenzvermutung zugunsten des Zentralstaates geschaffen, der damit eine Kompetenz nicht durch einen ausdrücklichen Akt erst übernehmen müsse. Im Hinblick auf diese, durch die Untersuchung einer Reihe föderativer Systeme bestätigte 119 Vermutungswirkung folgt die spanische Verfassung dem Modell eines Regionalstaates 120• Zugleich verdeutlicht die Bestimmung über die Residualkompetenzen aber einen Tatbestand, der sich bereits aus der Analyse des Begriffs der Ausschließlichkeit der staatlichen Kompetenzen nach Art. 149 Abs. 1 S. 1 CE ergab: Lediglich die Liste der in Art. 149 Abs. 1 CE aufgezählten Kompetenzen hat für die Kompetenzverteilung zwischen Staat und AG Bedeutung, womit die Konzeption in dieser Hinsicht dem föderalistischen Modell folgt 121 •

111 Alvarez Conde, S. 177; Cosculluela Montaner, RAP 89 (1979), S. 7, 24; Bassals Coma I Serrano Alberca, RAP 97 (1982), S. 35 f., 69. 118 Vgl. auch das Urteil des Verfassungsgerichts v. 4.5.1982 (STC 18/1982, BJC 1982, S. 361, 366 [II 1]), wo es aber gleichsam relativierend auch heißt, daß nicht der Statutstext allein zur Interpretation der Kompetenzgrenzen herangezogen werden dürfe, sondern die Verfassung und ihr normativer Vorrang beachtet werden müßten, die für die Auslegung des Statuts bestimmend seien. 119 Vgl. hierzu Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 137, mit Nachweisen für Australien, die Schweiz und die USA. 120 Alvarez Conde, S. 177 f.; Frohn, ÖZöRV 34 (1983), 61. 121 Gonzalez Casanova, S. 154; Frohn, ebd., S. 61.

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bb) Die Ergänzungs- und Kollisionsklausel Der Bedeutungsgehalt der in Art. 149 Abs. 3 CE enthaltenen Kollisions- und Ergänzungsklausel wird im Zusammenhang mit der Darstellung des Systems der Beziehungen zwischen der zentralstaatlichen Rechtsordnung und den Rechtsordnungen der AG zu erörtern sein 122•

3. Die Verteilung der administrativen Vollzugskompetenzen zwischen Zentralstaat und AG Die Verfassung enthält keine nähere Regelung über die Verteilung der administrativen Vollzugskompetenzen zwischen Staat und AG, was neben der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten ebenfalls als unbefriedigend empfunden wird123.

Zwar besteht keine Verknüpfung zwischen Legislativ- und Exekutivkompetenz, weshalb die Verteilung der Vollzugskompetenzen unabhängig von der Zuteilung der Gesetzgebungskompetenzen erfolgen kann. Mithin ist es möglich, daß eine AG für ein Sachgebiet sowohl die Gesetzgebungs- als auch die administrative Durchführungskompetenz, bezüglich eines anderen Sachgebietes aber auch nur die administrative Durchführungskompetenz im Hinblick auf eine staatliche Gesetzgebung besitzt. Andererseits ist es nicht möglich, daß der Staat eine administrative Durchführungskompetenz bezüglich eines Gesetzes einer AG besitzt. Grundsätzlich kann man daher feststellen, daß eine AG dann, wenn ihr nach der Verfassung und dem jeweiligen Statut die Gesetzgebungskompetenz übertragen worden ist, sie auch die Vollzugskompetenz für diesen Bereich innehat. Soweit der Staat nach Art. 149 Abs. 1 CE sich allerdings die ausschließliche Kompetenz vorbehalten hat, obliegt ihm auch die Vollzugskompetenz für dieses Sachgebiet. In einigen Fällen hat sich der Staat die Gesetzgebungskompetenz vorbehalten, die Vollzugskompetenzjedoch an die AG übertragen (Bsp.: Art. 149 Abs. 1 Nr. 7, 17, 28 CE). Schließlich gibt es die sog. "geteilten Vollzugskompetenzen", die vom Staat und den AG gemeinsam ausgeübt werden (Bsp.: Art. 149 Abs. 1 Nr. 22 CE).

122 123

Vgl. S. 114 ff.

Vgl. Montoro Chiner, DöV 1987, S. 90.

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VIII. Das System der Beziehungen zwischen der zentralstaatlichen Rechtsordnung und den Rechtsordnungen der AG Die Existenz verschiedener Rechtsordnungen innerhalb eines Staates, nämlich derjenigen des Zentralstaates einerseits und denen der AG andererseits, macht verschiedene Grundsätze etforderlich, die das System der wechselseitigen Beziehungen dieser beiden Ordnungen untereinander regeln: Als maßgebliche Prinzipien, die die Grundstruktur des Gesamtstaates als Estado compuesto bestimmen, figurieren insoweit das bereits oben erörterte Trennungs- oder Kompetenzprinzip (principio de separaci6n o principio de Ia competencia), das Prinzip der Kooperation und Koordination (principio de cooperaci6n y coordinaci6n) sowie das Prinzip der Intetferenz (principio de inferencia y de integraci6n) 124 • 1. Das Trennungs- oder Kompetenzprinzip Das Prinzip der Gliederung des Gesamtstaates in einen autonomen Bereich einerseits und in einen zentralstaatlichen Bereich andererseits bei gleichzeitiger Zuweisung jeweils eigener Kompetenzbereiche wurde bereits an früherer Stelle erörtert, so daß hier nur noch einige Grundzüge dieses Prinzips hervorzuheben sind. Im Rahmen des Autonomiebereiches, so wie er vetfassungsrechtlich und gesetzlich festgelegt ist, stellen die Normen der AG die ranghöchste Regelung dar, die alle Normen einer anderen (innerstaatlichen) Rechtsordnung ausschließen und diese, soweit sie in den geschützten Kompetenzbereich der AG eindringen, grundsätzlich wegen Verletzung der Statutsnormen (vgl. Art. 28 Abs. 1 LOTC) ungültig machen. Die Gesetze der AG genügen nach der Rechtsprechung des Vetfassungsgerichts 125 dem vetfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes, womit ihre Identität bezüglich der Rechtsnatur mit derjenigen staatlicher Gesetze definitiv bestätigt wurde. Das staatliche Gesetz und das Gesetz der AG haben somit gleichen Wert und gleiche Bestandskraft. Die autonomen Normen stehen mithin nicht in einem Unterordnungsverhältnis zu den Normen des Zentralstaates; zur Erklärung des Verhältnisses zwischen autonomer Norm und zentralstaatlicher Norm kann folglich nicht auf das Rangprinzip, sondern es muß auf das Kompetenzprinzip rekurriert werden 126• Hieraus resultiert das bereits erörterte grundsätzliche Problem der Abgrenzung des autonomen Kompetenzbereiches vom zentralstaatlichen Kompetenzbereich.

124 125 126

Vgl. Garda de Enterr(a, S. 289 ff. STC 37/1981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S. 491, 501 f. (II 2). Garda de Enterr(a, S. 289 f.

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Im Verhältnis von Staat und AG ist das Verfassungsgericht das zur Überwachung der Einhaltung des jeweiligen Kompetenzbereiches berufene gerichtliche Organ 127 • Maßstab für dessen gerichtliche Überprüfung ist dabei die Verfassung als Rechtsordnung des Gesamtstaates, in deren Rahmen sich die staatliche Rechtsordnung im engeren Sinne, also alle unterverfassungsrechtlichen Rechtsnormen des Zentralstaates, als auch die Rechtsordnungen der AG als Subsysteme zu bewegen haben. Der Verfassung kommt ein Vorrang ("primacfa" 128) gegenüber beiden aus ihr "abgeleiteten" Rechtsordnungen zu. Mittels dieser Vorrangstellung entfaltet die Verfassung eine normative Bindungswirkung gegenüber der gesamten öffentlichen Gewalt (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 53 CE) und nicht nur gegenüber den Normen des Zentralstaats 129.

2. Die Prinzipien der Kooperation, Interferenz und Integration Zwar bewirkt das Trennungs- bzw. Kompetenzprinzip den Ausschluß eines wechselseitigen Kompetenzübergriffs in den Bereich der jeweiligen ausschließlichen Zuständigkeit des Zentralstaates bzw. der AG, jedoch wird das Verhältnis von Zentralstaat und AG auch von solchen Prinzipien bestimmt, die im Schrifttum als "positiv" typologisiert werden, weil sie einen gewissen Grad an Zusammenarbeit zwischen beiden Einheiten beinhalten 130• Keine der beiden Rechtsordnungen kann eine radikale und vollständige Trennung von der jeweils anderen für sich beanspruchen, weil sie sich beide aus der Verfassung ableiten und beide im Hinblick auf die Rechtsunterworfenen und die Anwendung im Gebiet einer AG nebeneinander bestehen. Beide Rechtsordnungen sind also gleichzeitig in demselben territorialen Raum des Staates anwendbar und richten sich - im Sinne zweier, sich teilweise überschneidender Kreise- an dieselben Rechtsunterworfenen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, das, wie oben bereits erörtert 131 , die Pflicht zur Zusammenarbeit dem Grundsatz der "Treue gegenüber der Verfassung" entnimmt, stellt diese einen unverzichtbaren Bestandteil eines guten Funktionierens des Autonomiestaates dar 132• Die den Zentralstaat und die AG treffende Verpflichtung zur Zusammenarbeit kann entsprechend ihrer Regelung in der Verfassung in drei Kategorien aufgeteilt werden, und zwar in Beziehungen der Kooperation (Art. 148 Abs. 1 und 149 Abs. 1 CE), Beziehungen der Interferenz (Art. 150 und 155 CE) und Beziehungen der Integration (Art. 149 Abs. 3 CE) 133 • 121 12s

Vgl. Gonzalez Casanova, S. 159. Vgl. Art. 27 Abs. 1 LOTC.

Garetade Enterr[a, S. 291 ff. Gareta de Enterr{a, S. 301. 131 Vgl. S. 70, Fn. 62. 132 Vgl. STC 64/1982 v. 4. 11.1982, BJC 1982, S. 993, 1001 (ll 8 in fine); STC 11/ 1986 V. 28.1.1986, BJC 1986, s. 186, 192 f. (II 5). 133 Gareta de Enterr[a, S. 302. 129

130

li. Kap.: Spanien

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a) Das Prinzip der Kooperation zwischen der zentralstaatlichen und der autonomen Rechtsordnung

Aus der spanischen Verfassung von 1978 ergeben sich drei eindeutige Formen einer institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den AG. Als solche sind nach Art. 148 Abs. 1 und 149 Abs. 1 CE zu nennen 134: -

die konkurrierende Regelungszuständigkeit des Staates und der AG bezüglich derselben Materie

-

die Durchführung der staatlichen Gesetzgebung durch die AG

-

die staatliche Koordinierung von Kompetenzen, die auf beiden staatlichen Ebenen bezüglich derselben Materie vorhanden sind.

aa) Die konkurrierende Gesetzgebung zwischen Staat und AG: Basisgesetzgebung und Ausführungsgesetzgebung Nach Art. 149 Abs. 1 Nr. 1 CE besitzt der Staat die ausschließliche Zuständigkeit für die "Regelung der Grundbedingungen" (regulaci6n de condiciones basicas), nach Nr. 8, 11, 13, 16, 18 und 25 desselben Artikels für die Formulierung der "Grundlagen" (bases), nach Nr. 17, 18 und 23 für die grundlegende Gesetzgebung (legislaci6n basica), nach Nr. 27 und 30 für die grundlegenden Normen (normas basicas) und schießlieh nach Nr. 21 für das "allgemeine ... -wesen" (regimen general) im Hinblick auf die dort jeweils geregelten Materien. Art. 148 Abs. 1 Nr. 7 und 13 liegt ohne Verwendung dieser spezifischen Terminologie dieselbe Regelungstechnik zugrunde. Es handelt sich hier um die Festlegung einer staatlichen Gesetzgebungskompetenz, die nicht auf eine umfassende nonnative Regelung einer bestimmten Materie abzielt, sondern eine nachfolgende Beteiligung der AG an einer solchen Gesetzgebung mittels Normen vorsieht, welche im Falle des Art. 149 Abs. 1 Nr. 27 CE beispielhaft als Durchführungsgesetze (normas de desarrollo) bezeichnet werden, ein Terminus, der sich auch in den Autonomiestatuten wiederfindet. Diese Gesetzgebungstechnik wird mit der konkurrierenden Gesetzgebung in föderativ strukturierten Staaten verglichen 135 , im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung der Bundesrepublik also mit Art. 72 GG. Dieser Vergleich erscheint problematisch, weil Art. 72 GG das Prinzip einer unechten Konkurrenz zugrunde liegt: Unecht ist diese Kompetenz, weil der Bund durch Ausübung seiner Gesetzgebungsbefugnis die Gesetzgebungsbefugnis der Länder unter den Bedingungen des Art. 72 GG verdrängen kann 136• Deshalb wird auch im bundesrepublikanischen Schrifttum 137 der Ausdruck "Vorranggesetzgebung 134 135 136

Garda de Enterrfa, S. 303. Garda de Enterrfa, S. 305, 313. v. Münch- v. Münch, Art. 72, Rn. 1.

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

des Bundes" 138 für treffender erachtet. Eine Sperrwirkung entsteht für die Länder dann, wenn der Bund eine Materie erschöpfend regelt. Soweit der Bundesgesetzgeber nur einzelne Fälle eines Sachgebietes regelt, bleibt es im übrigen bei der Gesetzgebungsbefugnis der Länder 139, Bei der Basisgesetzgebung der spanischen Verfassung handelt es sich hingegen nicht um eine Gesetzgebungstechnik, die dem Staat die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten Umständen eine die autonome Gesetzgebungskompetenz gänzlich verdrängende Gesetzgebung zu erlassen, sondern er bleibt aufgrund seiner materiell eingegrenzten Zuständigkeit zur Grundlagengesetzgebung immer auf die Regelung eines bestimmten, noch näher zu definierenden Kernbereiches beschränkt. Insofern besteht in typologischer Hinsicht eher eine Vergleichbarkeit der spanischen Grundlagengesetzgebung mit der Rahmengesetzgebung des Bundes nach Art. 75 GG, die auf die Voraussetzungen des Art. 72 GG verweist. Diese Rahmengesetzgebung, die von einem Teil der Lehre und von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als Unterart der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes angesehen wird 140, läßt die Gesetzgebungsbefugnis der Länder in den entsprechenden, in Art. 75 GG enumerativ aufgeführten Sachbereichen unberührt und erlaubt dem Bund nur, einen Rahmen zu setzen, der "als Ganzes durch Landesgesetzgebung ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig angelegt sein muß"141. Ob hinsichtlich der Reichweite dieser Ausfüllungsbedürftigkeit eine Vergleichbarkeit zwischen Rahmengesetzgebung und Grundlagengesetzgebung besteht, ist hier nicht zu klären; jedenfalls erscheint die Basisgesetzgebung im Hinblick auf die Setzung eines ausfüllungsbedürftigen Rahmens mit der Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG vergleichbar. Auf die Vergleichbarkeit mit dem italienischen !egge di cornice wird an späterer Stelle einzugehen sein 142. Wie das spanische Verfassungsgericht bereits festgestellt hat, ist der Begriff "Grundlagen" oder "grundlegende Gesetzgebung" nicht mit den "Basisgesetzen" der Art. 82 und 83 CE gleichzusetzen, auch nicht mit den in Art. 150 Abs. 1 CE angesprochenen "Grundlagen" 143. In den beiden letztgenannten, später zu analy137 v. Münch- v. Münch, Art. 72, Rn. l. 138 Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 72, Rn. 2; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt- Bleibtreu I Klein, Art. 72, Rn. l. 139 v. Münch- v. Münch, Art. 72, Rn. 7. 140 v. Münch - v. Münch, Art. 75, Rn. 2 m. w. N.; W . Weber, DÖV 1954, S. 418; BVerwGE 3, 339; anderer Ansicht sind Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 75, Rn. 3, sowie Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 75, Rn. 1. 141 Vgl. BVerfGE 4, 115, 129. 142 Vgl. hierzu III. Kap IV. 2. e) dd) (1) 143 STC l/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 124 (ll 1).

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sierenden Fällen geht es um eine Delegation zur Gesetzgebung, die eine Zuständigkeit zum Erlaß von Normen voraussetzt, welche die gesetzgebende Körperschaft einem anderen Organ überträgt. Im vorliegenden Fall geht es hingegen um eine unmittelbare Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen aufgrund der Verfassung und des jeweiligen Autonomiestatutes zugunsten der AG, die deshalb den Erlaß der grundlegenden Gesetzgebung durch den Staat nicht abwarten müssen, sondern unmittelbar ihre Zuständigkeiten zur Durchführungsgesetzgebung ausüben können 144 • Andererseits ist die grundlegende Gesetzgebung des Staates unmittelbar anwendbar und bedarf nicht - wie im Fall einer Delegation -der Durchführungsgesetzgebung, um eine vollständige normative Wirksamkeit zu entfalten 145 • Die Gesetzgebung in einer Materie, für die der Staat die grundlegende Gesetzgebungszuständigkeit und die AG die Zuständigkeit zur durchführenden Gesetzgebung besitzen, wird vom Verfassungsgericht als das ,,Resultat einer konkurrierenden Tätigkeit von Staat und Autonomen Gemeinschaften" charakterisiert, die einen "doppelgesichtigen Charakter" (caracter bifronte) 146 habe. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem einer Abgrenzungsmöglichkeit zwischen der "grundlegenden" Gesetzgebungszuständigkeit des Staates und der "durchführenden" Gesetzgebungszuständigkeit der AG. Die grundlegende Gesetzgebung soll den "Rahmen einer globalen Politik" (encuadramiento de una polftica global) 147 im Hinblick auf eine Gesetzgebungsmaterie abstecken, also eine einheitliche Konzeption bewirken, ohne dadurch einen strikten Uniformismus herbeizuführen. Innerhalb dieses Rahmens ist eine Bandbreite verschiedenartiger Regelungen verfassungsrechtlich zulässig, womit die jeweilige AG einen eigenen politischen Handlungsspielraum erhält (acci6n de gobierno en funci6n de una polftica propia) 148 • Die grundlegenden Gesetze des Staates stellen nach der Formulierung des Verfassungsgerichts in den Bereichen eines allgemeinen, den AG übergeordneten Interesses einen "gemeinsamen gesetzlichen Nenner dar, von dem aus jede Autonome Gemeinschaft unter Beachtung dieses allgemeinen Interesses die ihr angemessen erscheinenden Einzelbestimmungen erlassen kann" 149• Niemals darf die Festlegung von grundlegenden Normen nach Ansicht des Gerichtes einen derartigen Grad an Detailliertheit erreichen, daß die entsprechenden Kompetenzen der AG leerlaufen 150, zu deren Gunsten ein "verfassungsrechtlicher Vorbehalt" besteht. 144

Garda de Enterria, S. 310 ff.

STC 5!1982 v. 8.2.1982, BJC 1982, S. 95, 100 (II 1); vgl. Tornos, in: Ajal Tornos I Font I Perulies I Albert!, S. 151 ff. 146 STC 8411982 v. 23.12.1982, BJC 1983, S. 8, 16 (II 4). 147 STC 64 I 1982 v. 4. 11. 1982, BJC 1982, S. 993, 999 (II 4 ). 148 STC 35!1982 v. 14.6.1982, BJC 1982, S. 532, 537 (II 2). 149 STC 1/1982 v. 28. 1. 1982, BJC 1982, S. 117, 125 (II 1): vgl. hierzu bereits oben Fn. 107; vgl. weiter STC 3211983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 513 (II 2). 145

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l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Im Rahmen der Entwicklung der sich gegenseitig ergänzenden Gesetzgebungsordnungen der beiden staatlichen Ebenen muß ein umfassendes Normensystem für den betreffenden Bereich geschaffen werden, ohne daß dabei Widersprüchlichkeilen und Funktionsstörungen auftreten dürfen, die die Wirksamkeit des Gesamtsystems beeinträchtigen 15 1• Die vom spanischen Verfassungsgericht entwickelte Theorie der Schaffung eines politischen Gesamtrahmens durch den staatlichen Grundlagengesetzgeber weist deutliche Parallelen zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die Begrenzung der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 75 GG auf: Danach folgt - wie bereits ausgeführt m - aus der Rahmengesetzgebung, daß ein Bundesgesetz nicht für sich allein bestehen kann, sondern darauf angelegt sein muß, durch Landesgesetze ausgeführt zu werden. Das, was den Ländern zu regeln übrigbleibt, muß von substantiellem Gewicht sein, mithin müssen Rahmenvorschriften ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig sein 153 • Die Rahmenvorschriften des Bundes "müssen dem Landesgesetzgeber Raum für Willensentscheidung in der sachlichen Rechtsgestaltung übriglassen und dürfen ihn nicht darauf beschränken, nur zwischen vorgegebenen rechtlichen Möglichkeiten zu wählen". Bundesgesetze sind demnach nur dann Rahmengesetze gemäß Art. 75 GG, wenn sie nach Inhalt und Zweck der Ausfüllung durch die freie Willensentscheidung des Landesgesetzgebers fähig und bedürftig in dem Sinne sind, daß erst mit dieser Ausfüllung das Gesetzgebungswerk über "den zu ordnenden Gegenstand in sich geschlossen und vollziehbar wird" 154• Die spanische Grundlagengesetzgebung ist folglich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen mit Art. 72 Abs. 2 GG (konkurrierende Gesetzgebung des Bundes) und hinsichtlich ihres Regelungsumfangs mit Art. 75 GG (Rahmengesetzgebung) vergleichbar. (1) Qualität und Rang der "grundlegenden Gesetze"

Im Gegensatz zu einer im Schrifttum vertretenen Auffassung 155 hat das Verfassungsgericht 156 die materielle Bedeutung des Begriffs der grundlegenden Gesetze 150 STC 32/1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 514 (II 2): "Die Kompetenz zur allgemeinen Koordination setzt logischerweise voraus, daß etwas da ist, das koordiniert werden muß, d. h. sie setzt die Existenz von Kompetenzen der Gemeinschaften voraus [ ... ], Kompetenzen, die der Staat im Rahmen seiner Koordinierung offensichtlich beachten muß, da die Festlegung von Grundlagen und die allgemeine Koordinierung niemals einen derartigen Grad an Ausdifferenziertheil [.,desarol/o"] erreichen darf, daß der Inhalt der entsprechenden Kompetenzen der Gemeinschaften leerläuft". 151 STC 32/1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 514 (II 2). 152 Vgl. oben I. Kap. I. 3. b). 153 BVerfGE 4, 115, 129. 154 BVerfGE 4, 115, 130. 155 Salas Hernandez, S. 63 ff. (66).

II. Kap.: Spanien

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unterstrichen. Danach besitzen jene Gesetze des Staates nicht deshalb grundlegenden Charakter, weil sie in einem formellen Gesetz enthalten und als solche bezeichnet werden; bestimmend für den Charakter der "Grundlagen" (bases) ist vielmehr deren Inhalt. Dieser besteht im wesentlichen in der Regelung des "allgemeinen Interesses" bezüglich der jeweiligen Materie, so daß die Grundlagengesetzgebung eine nationale und supraautonome Gesetzgebung darstellt, die sich aber immer im Rahmen des "allgemeinen Interesses" halten muß. Die diesbezüglichen Regelungen bedürfen zwar stets einer formell-gesetzlichen Grundlage 157 , können darüber hinaus aber ihre Ausgestaltung in jeglichem Normentyp erhalten, also auch in Gesetzesverordnungen der Exekutive (normas reglamentarias). Ausnahmsweise kann die Kompetenz zur Grundlagengesetzgebung dabei auch die administrative Durchführung beinhalten 158 • Die AG können hingegen nur Durch156 STC 3211981 v. 28.7.1981, BJC 1981, S.415, 424 (II 6); STC 1/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 124 (II 1); STC 18/1982 v. 4.5.1982, BJC 1982, S. 361, 367 (II 5): " ... Wenn die Verfassung den Terminus« Arbeitsgesetzgebung »verwendet und diese der staatlichen Zuständigkeit unterstellt, bezieht sie in diesen Terminus auch die Verordnungen, die traditionellerweise als exekutive Verordnungen bezeichnet werden, mit ein, d. h. jene Verordnungen, die als eine Durchführung des Gesetzes und damit als eine Ergänzung desselben anzusehen sind, da anderenfalls der Zweck der verfassungsrechtlichen Bestimmung leerliefe, nämlich eine Einheitlichkeit der Rechtsordnung bezüglich der Materie aufrechtzuerhalten, die nur mittels eines Zusammenwirkens zwischen Gesetz und Verordnung [ . . . ] erreicht werden kann. Hingegen sind von dem Begriff der Gesetzgebung nicht notwendigerweise die Verordnungen mitumfaßt, die unter dem genannten Gesichtspunkt ohne Bedeutung sind, weil sie sich auf organisatorische Aspekte beziehen; hierzu gehören schließlich auch jene Verordnungen, die die bloße interne Struktur der administrativen Organisation betreffen."; STC 35/1982 v. 14.6.1982, BJC 1982, S. 522, 536 (II 2); STC 39/1982 v. 30.6.1982, BJC 1982, S. 668, 675 (II 7): "Bei der Ermittlung der Bedeutung des Begriffs «Gesetzgebung>> in Art. 149 Abs. 1 der Verfassung als Bezugsbegriff, der dazu dient, dem Staat die gesamte Gesetzgebung oder lediglich die Basisgesetzgebung vorzubehalten, überwiegt im Hinblick auf die Begrenzung der Gesetze der materielle und nicht der formelle Begriff beim Normerlaß durch jene, die die legislative Gewalt besitzen oder ausnahmsweise oder aufgrundeiner Delegation Nonnen mit Gesetzesrang erlassen können. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs « Gesetzgebung >> entspricht somit dem von der einschlägigen Literatur argumentativ entwickelten Begriffsinhalt."; STC 4411982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 677, 682 (II 2); STC 57/1982 v. 27. 7.1982, BJC 1982, S. 821, 823 (Il 11); STC 25/1983 v. 7.4.1983, BJC 1983, S. 392,400 (II 4). Vgl. zu dieser Rechtsprechung Tornos Mas, Competencias, s. 293 ff. 157 Vgl. hierzu unten Fn. 161. 158 Vgl. das Sondervotum Rubio Llorentes im Urteil des Verfassungsgerichts v. 7.4.1983 (STC 25/1983, BJC 1983, S. 392, 401 f.), wo die Ausnahmefälle aufgeführt werden: "Dies ist dann möglich, wenn die Durchführungsmaßnahme unmittelbar die Interessen verschiedener AG betrifft (Urteile Nr. 1I 1982 und 44 /1982) oder sich im Rahmen der Durchführung aufgrund einer aus der fraglichen Grundlagenmaterie resultierenden Notwendigkeit so weite Ermessensspielräume ergeben, daß diese allein von Instanzen ausgefüllt werden können, die keinerlei Sonderinteressen verfolgen, welche sich von den bloß allgemeinen Interessen unterscheiden (Urteil 1I 1982, 8 I 1982 und 44/1982) oder auch dann, wenn eine dringende Situation die öffentliche Gewalt, die davon Kenntnis erhält, zum unmittelbaren Handeln zwecks Vermeidung irreparabler Schäden zwingt (Urteil 1611982)".

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

führungsnormen unter Beachtung dieser materiellen Regelung im Hinblick auf ihr "jeweiliges Interesse" erlassen (Art. 137 CE). Es handelt sich mithin in dem Verhältnis der beiden Pole "Grundlagen- Durchführung" nicht um ein Verhältnis von Abstraktion und Konkretisierung, sondern um eine Abgrenzung zwischen grundlegenden Angelegenheiten im materiellen Sinne und den übrigen Angelegenheiten, mithin in Anlehnung an die italienische Verfassungsrechtsprechung um die Aufteilung eines Regelungsbereiches 159 • Das Verhältnis zwischen den Grundlagengesetzen und deren Ausgestaltung durch die AG wird unter Rückgriff auf die Theorie der "negativen Bindungswirkung" (vinculaci6n negativa) erklärt, d.h. Grundlagengesetze sollen für die AG Schranken bilden, die sie zu beachten haben, nicht aber Grundsätze, die sie auszuführen haben 1 ~. Obwohl das Verfassungsgericht davon ausgeht, daß es sich bei der "Gesetzgebung" im Sinne des Art. 149 Abs. 1 CE nicht um eine bloße Gesetzgebung im formellen, sondern vielmehr um eine Gesetzgebung im materiellen Sinn handelt, ist es zu dem Schluß gekommen, daß die Grundlagengesetzgebung prinzipiell im Rahmen eines Gesetzes im formellen Sinne (norma con rango de ley) zu erfolgen hat 161 • Diese im Schrifttum 162 auf Kritik gestoßene Auffassung gründet sich auf dem Wesen und der Funktion der Grundlagennormen, die die staatliche und die autonome Kompetenzsphäre voneinande~ abgrenzen. Angesichts der Bedeutung dieser Normen erscheint aber ein Tätigwerden der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich, insbesondere der zweiten Kammer im Hinblick auf ihre Aufgabe als "Kammer der territorialen Repräsentation" gemäß Art. 69 Abs. 1 CE. Das Verfassungsgericht sieht die Ergänzung der Grundlagennormen durch staatliche Gesetzesverordnungen als möglich an 163 • Die DurchführungsgesetzgeGarda de Enterr{a, S. 309. Tornos Mas, Competencias, S. 297. 161 STC 32/1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 513 (II 2); STC 38/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718,723 (II 3); vgl. aber auch das Urteil9111984 v. 9. 10. 1984 (BJC 1984, S. 1253, 1258 [II 5]), wo bloße Gesetzesverordnungen zur allgemeinen Kompetenzaufteilung zwischen Staat und AG nicht zugelassen werden, aber Gesetzesverordnungen dann der Charakter einer grundlegenden Gesetzgebung zuerkannt wird, wenn sie ohne eine derartige Absicht Regelungen über den materiellen Kern des allgemeinen Interesses und u. U. auch über die Rahmengesetzgebung enthalten. Vgl. hierzu Tornos, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Alberti, S. 148. 162 Vgl. Garda de Enterrfa, S. 321 ff. 163 STC 1/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 125 (II I); STC 32!1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 513 (II 2); STC 38/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 723 (II 3): " . . . Nach der Verfassung hat die Bestimmung der Grundlagen für eine bestimmte Materie im allgemeinen durch Gesetz zu erfolgen, weil es darum geht, die staatliche Kompetenz festzulegen und gleichzeitig den Ausgangspunkt und die Grenze zu definieren, von der aus die AG die in ihrem Statut übernommene Kompetenz ausüben kann, ohne damit auszuschließen, daß dieser Kernaspekt mit Hilfe von Verordnungen in jenen Fällen vervollständigt werden kann, in denen die normative Ausgestaltung mit Wirkung für die ganze Nation im Hinblick auf die effektive Geltung der durch Gesetz 159

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II. Kap.: Spanien

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bung der AG kann hingegen sowohl in Form einer formellen als auch einer materiellen Gesetzgebung erfolgen 164• (2) Die Struktur der Grundlagengesetzgebung

Bezüglich der grundlegenden Gesetzgebung werden drei Elemente unterschieden, die sich in Form von drei aufeinander folgenden konzentrischen Kreisen, von einem inneren bis zu einem äußeren, darstellen lassen 165 : Dieses Bild zugrundegelegt, stellt der innere Kreis den materiellen Kern des allgemeinen Interesses dar, dessen Regelungskompetenz allein der Staat besitzt. Der folgende (mittlere) Kreis wird als Rahmen (encuadramiento) beschrieben, dessen Aufgabe darin besteht, im Zusammenhang mit der Definition des materiellen Kerns des allgemeinen Interesses (1. Kreis) die Gesetzgebungskompetenz der AG festzulegen. Der äußere Kreis ist zwar normalerweise fakultativer Art, aber gesetzestechnisch gleichwohl notwendig. Er stellt einen Ergänzungskreis dar, dessen Aufgabe darin besteht, eine Minimalregelung für den Fall eines teilweisen oder vollständigenFehlenseiner entsprechenden autonomen Regelung sicherzustellen. Der innere Kreis, der den materiellen Kern des allgemeinen Interesses beinhaltet, hat eine vollständige Regelung bezüglich des allgemeinen Interesses, sei es nationaler oder supraautonomer Art, im Hinblick auf die jeweilige Materie sicherzustellen 166• Diesbezüglich kommt die gesamte Verfassungsrechtsprechung über den materiellen Begriff der Grundlagen zum Tragen. In diesem Bereich obliegt dem Staat die erschöpfende Regelung der Materie, ohne daß dem autonomen Gesetzgeber ein Spielraum verbleiben müßte. Auch wenn die Erfordernisse dieses allgemeinen Interesses im materiellen Sinn eine detaillierte Regelung erforderlich machen, obliegt die Regelung dieser Details dem Zentralstaat - sei es durch die Grundlagengesetzgebung selbst oder durch die nachfolgenden Ergänzungsbestimmungen - , weil dieser allein zur Bestimmung des allgemeinen Interesses im materiellen Sinne berufen ist. Dabei kommt nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 167 allein dem staatlichen Gesetzgeber die Festlegung dessen zu, erlassenen Grundlagen dies erforderlich macht."; STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 677, 682 (II 2). 164 Garcia de Enterrfa, S. 326. 165 Vgl. Garcfa de Enterrfa, S. 310 ff. 166

Garcfa de Enterrfa, S. 310.

STC 32/1981 v. 28.7.1981, BJC 1981, S.415, 423 (II 5): "Gewiß wird die Bestimmung dessen, was unter der Regelung der grundlegenden Bedingungen oder der Festlegung von Grundlagen des jeweiligen rechtlichen Regimes zu verstehen ist, nicht immer leicht sein, so daß die genaueund apriorische Definition dieses Konzeptes unmöglich erscheint. Die Cortes werden festlegen müssen, was unter « grundsätzlich » zu verstehen ist .. . "; STC 1/1982 v. 28. l. 1982, BJC 1982, S. 117, 124 f. (II I); STC 58 I 1982 v. 27. 7. 1982, BJC 1982, S. 757, 768 (II 2): " ... der staatliche Gesetzgeber kann in dem von der Verfassung und von den Statuten festgesetzten Rahmen Normen erlassen, 167

7 Blanke

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

was im jeweiligen Zeitpunkt unter allgemeinem Interesse im Hinblick auf dessen Regelung in einem Grundlagengesetz zu verstehen ist. Die Festlegungen sind veränderlich, was sich aus der Unterschiedlichkeit der politischen Optionen entsprechend dem verfassungsrechtlich garantierten politischen Pluralismus (Art. 1 Abs. 1 CE), aber bspw. auch aus der Notwendigkeit eines flexiblen Handeins des staatlichen Gesetzgebers in unterschiedlichen konjunkturellen Situationen ergibt 168 • Jede dieser Änderungen führt notwendigerweise zu einer Verschiebung der Grenzziehung zwischen dem Regelungsinhalt der durch den inneren und mittleren Kreis umschriebenen Regelungssphären 169 . Die Regelungsfreiheit des staatlichen Gesetzgebers hat dabei die verfassungsrechtliche Wertordnung zu berücksichtigen 170• Die grundlegende staatliche Gesetzgebung darf nicht unter dem Deckmantel des allgemeinen Interesses die Gesamtregelung der Materie an sich ziehen, soweit dabei in die im Kreis zwei und drei figurierenden Regelungssphären eingegriffen wird; für die Gesetzgebung der AG muß mithin ein substantieller Bereich übrigbleiben 171 • Zutreffend wird im spanischen Schrifttum bezüglich des Kernbereichs der Grundlagengesetzgebung auf die in Art. 72 Abs. 2 GG normierten Voraussetzungen der Bedürfnisklausel 172 verwiesen, auf Kriterien also, die auch für die Festlegung der Inhalte des "allgemeinen Interesses" für den nationalstaatliehen spanischen Gesetzgeber von Bedeutung sind 173 • Der zweite Bereich der staatlichen Grundlagengesetzgebung umfaßt jene Normen, die die ergänzende Gesetzgebung durch die AG betreffen und eine Verbindung zu dem im Kernbereich definierten "Allgemeininteresse" herstellen. Er ergibt sich somit aus der Notwendigkeit einer Koordinierung zwischen den Normen der staatlichen Sphäre (grundlegende Gesetzgebung) und den auf einer eigenen und ursprünglichen Gesetzgebungsgewalt basierenden Durchführungsregelungen der AG. Daher erfolgt in diesem Bereich nicht allein eine negative die er für angemessen hält ... "; STC 25/1983 v. 7.4. 1983, BJC 1983, S. 392, 400 (II

4).

Garcia de Enterr{a, S. 312. Garcia de Enterr{a, S. 318. 110 STC 32/1981 v. 28. 7.1981 , BJC 1981, S. 415,424 (li 6): "Die Grundsätze bzw. Grundlagen, die sich aus diesen Gesetzen ableiten, können in der Mehrzahl der Fälle in Übereinstimmung mit der Verfassung ausgelegt und mithin als notwendiger Rahmen für die Ausübung der legislativen, den Autonomen Gemeinschaften zustehenden Gewalt akzeptiert werden."; STC 1/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, 117, 125 (li 1); STC 37/ 1981 V. 16.11.1981, BJC 1981, s. 491, 499 (li 1). 171 Vgl. bereits oben S. 91 ff.; STC 32/1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 514 168

169

(li 2).

m Art. 72 Abs. 2 Nr. I GG: Eine Angelegenheit kann durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden; Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 GG: die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz könnte die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen; Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG: zur Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. 173 Garda de Enterr{a, S. 313 f.

li. Kap.: Spanien

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staatliche Kompetenzabgrenzung, sondern vielmehr auch eine Festlegung materieller Grundsätze 174, die die Gesetzgebungskompetenz des autonomen Gesetzgebers zu berücksichtigen hat, um zu einer Koordinierung mit dem System der allgemeinen Interessen des Staates zu gelangen. Die insoweit im Rahmen der Grundlagengesetzgebung getroffenen Regelungen sind bei Zugrundelegung der Konzeption dieser Gesetzgebung nicht unbedingt notwendig. Sie sind erst dann von Bedeutung, wenn der beschriebene zweite Regelungskreis, der der gesetzlichen Verfügungsgewalt der AG unterliegt, von diesen oder von einigen unter ihnen überhaupt nicht oder nur mit Verzögerung durch den Erlaß entsprechender Normen "ausgefüllt" wird. Diese mögliche Lücke veranlaßt den Staat, in seine Grundlagengesetzgebung ein inhaltliches Minimum an Regelungen zu inkorporieren, das im Zusammenhang mit der Defmiton des allgemeinen Interesses und der Rahmenregelungen zu einer Gesamtregelung führt. Solche Ausfüllungsregelungen kommen aber gemäß Art. 149 Abs. 3 CE nur im Falle des Fehlens entsprechender autonomer Regelungen zur Anwendung. In jedem Fall ist dieser Bereich ergänzender Gesetzgebung für die AG von Bedeutung, die auf dem entsprechenden Gebiet keine Kompetenzen in ihren Autonomiestatuten übernommen haben. (3) Das Verhältnis von grundlegenden Gesetzen und Durchführungsgesetzen Zu klären bleibt die Frage des Verhältnisses zwischen staatlicher Grundlagengesetzgebung und den Durchführungsnormen der AG. Die von den AG bezüglich jener Materien erlassenen Normen, die - etwa aufgrund einer Änderung der Festlegung des Inhalts des allgemeinen Interesses -in die staatliche Gesetzgebungskompetenz übergehen, verlieren ihre Wirksamkeit, was mit dem Tatbestand einer "Verdrängung" der ehemaligen Norm der AG durch die staatliche Norm umschrieben wird. Dem staatlichen Gesetz kommt damit ein Vorrang (primacia oder prevalencia) gegenüber der Norm der AG gemäß Art. 149 Abs. 3 CE zu 175 • Die bindende Wirkung der "Rahmenregelungen" eines grundlegenden Gesetzes gegenüber den Durchführungsnormen der AG wird damit erklärt, daß die legale Ausübung der Durchführungskompetenz an die Einhaltung der staatlichen 174 Garcfa de Enterr(a, S. 315; vgl. auch den Begriff der ,,Ziele" (objetivos) in Art. 148 Abs. 1 Nr. 13: Hierzu STC 25/1983 v. 7.4.1983, BJC 1983, S. 392,400 (li 4), wo das Verfassungsgericht im Rahmen einer Definition der ,,Ziele" von "allgemeinen Zielen, Zwecken und Zielbestimmungen ftir den Gesarntstaat" spricht, "die sich aus dem Erfordernis der Einheit desselben und der substantiellen Gleichheit aller seiner Angehörigen ergeben". Hierdurch werde der Begriff der "Grundsätze" und "Grundlagen" positiv definiert. 175 Garcfa de Enterr(a, S. 319; vgl. auch STC 1I 1982 v. 28.1. 1982, BJC 1982, S. 117, 127 (II 5).

7*

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Grundlagengesetze geknüpft ist. Der im Grundlagengesetz festgelegte ausfüllungsbedürftige "Rahmen" ist damit vom autonomen Gesetzgeber gleichsam als Bedingung für die Gültigkeit seiner Gesetzgebung zu beachten 116• bb) Die administrative Durchführung der staatlichen Gesetzgebung durch die AG

Der zweite Komplex der Zusammenarbeit zwischen den beiden Rechtssystemen bezieht sich auf die administrative Durchführung der ausschließlichen staatlichen Gesetzgebung bzw. der Basisgesetzgebung des Staates und der Durchführungsgesetzgebung der AG seitens der autonomen Verwaltung. Die Zuständigkeit für eine solche administrative Durchführung, die in der Verfassung nur teilweise eine Regelung findet (Art. 149 Abs. 1 Nr. 17 und 27 CE), wird den AG durch ihre jeweiligen Statute zugewiesen. Dieses in Anlehnung an den deutschen ,,Vollzugsföderalismus" entwickelte System fand seinen Ausdruck bereits in Art. 15 der spanischen Verfassung von 1931 177, liegt aber auch der spanischen Verfassung von 1978 zugrunde 178 • Es basiert auf dem Gedanken einer gemeinsamen und einheitlichen Gesetzgebung - sei es in ihrer Gesamtheit oder nur bezüglich der Basiselemente für das ganze nationale Territorium einerseits sowie einer Durchführung durch die Organe der AG andererseits. Durch dte autonome Durchführung sollen die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung berücksichtigt und eine größere Effizienz bei der Anwendung der Gesetze erreicht werden 179 • Die Zuweisung der Durchführungskompetenz an die autonome Verwaltung manifestiert sich in einer politischen Kontrolle der administrativen Durchführung durch die Repräsentativorgane der AG sowie in deren vollständigen administrativen Organisationsgewalt 180. (1) Eigene staatliche Verwaltung

Der Zentralverwaltung obliegt zwar nicht die direkte Durchführung, jedoch der Bereich der Planung, der Vorbereitung der Gesetzgebung, der Überwachung der Auswirkungen und der Effizienz dieser Gesetzgebung sowie der Ausarbeitung evtl. Reformvorhaben 181. Darüber hinaus verfügt der Staat nach der Verfassung über eine eigene periphere Verwaltung, so gemäß Art. 154 CE in Form des von der Regierung ernannten Delegierten, der die Verwaltung des Staates im Gebiet der AG leitet und sie mit Garda de Enterrfa, S. 320. Wiedergegeben bei Farias, S. 339 ff.: "[ ... ] y podra corresponder a las regiones aut6nomas Ia ejecuci6n." 178 Garda de Enterr{a, S. 327 f. 179 Garda de Enterr{a, S. 328 f. 180 STC 35/1982 v. 14.6.1982, BJC 1982, S. 532, 537 (II 2). 181 Garda de Enterr{a, S. 330. 176

111

II. Kap.: Spanien

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der Verwaltung der AG koordiniert 182, und gemäß Art. 141 CE durch die Provinzialverwaltung, die zur Erfüllung der Staatsgeschäfte tätig wird. Diese periphere Verwaltung wird nicht im Ralunen der administrativen Durchführungsphase selbst tätig, wie es bis zur Implementation der AG der Fall war, sondern ist für die Koordination der Beziehungen der staatlichen Verwaltung mit der Verwaltung der AG zuständig, insbesondere im Bereich der Kontrolle der autonomen Durchführung. Auch obliegen ihr ausnahmsweise gewisse, zugleich zu erörternde Durchführungszuständigkeiten. (2) Administrative Durchführungszuständigkeit des Zentralstaates in Ausnahmefallen Ungeachtet der grundsätzlichen Durchführungszuständigkeit der AG obliegt dem Staat die Durchführung nach der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts in drei Ausnahmefallen 183: - Soweit die Durchführung sich auf Angelegenheiten bezieht, die inter- oder supraauatonomer Art sind 184, was aus dem Umstand herrührt, daß die Bewertung supraautonomer Interessen dem Zentralstaat anvertraut ist 185 • - Im Fall einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, ohne daß ein Ausnahmezustand nach Art. 116 CE vorliegen muß. Dieses Tätigwerden aus Gründen der Eilbedürftigkeit unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Verpflichtung, die Angelegenheit unverzüglich der jeweiligen AG zu unterbreiten 186 . - Im Fall von Durchführungsmaßnalunen, die sich im Hinblick auf ihre untrennbare Verbundenheit mit dem legislatorischen Akt an nationalen Bewertungskriterien zu orientieren haben (Bsp.: Interesse und Ziele der allgemeinen Wirtschaftspolitik 187). Im Fall einer staatlichen Grundlagensetzgebung erfolgt eine administrative Durchführung durch den Zentralstaat dann, wenn es aufgrund der Natur der Sache und der notwendigen Wahrung der supraautonomen Interessen geboten ist 188.

182 Vgl. hierzu Busch, S. 321 f. Die Institution des "Delegierten der Regierung" geht auf Art. 124 CI zurück. 183 Vgl. bereits oben Fn. 158. 184 STC 1/1982 v. 28. 1.1982, BJC 1982, S. 117 127 f. (II 6); STC 44/1982 v. 8.7.1982, BJC 1982, S. 677, 682 (II 2); STC 84/1982 v. 23.12.1982, BJC 1983, S. 8, 16 (II 4). 185 STC 1/1982 v. 28.1.1982, ebd.; STC 42/1982 v. 22.12.1982, BJC 1983, S. 14, 19 (II 2). 186 Vgl. STC 33/1982 v. 8.6. 1982, S. 560, 565 (II 7). 187 Vgl. STC 1/1982 v. 28.1. 1982, ebd. 188 STC 42/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 723 (II 2 in fine).

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

cc) Die Aufsichtszuständigkeit des Staates über die legislative und administrative Durchführung staatlicher Normen durch die AG (1) Allgemeine Bedeutung und Notwendigkeit Das Problem der Aufsicht des Staates über die Durchführung seiner Gesetzgebung durch die AG ist in der spanischen Verfassung nicht durch eine dem Art. 84 GG vergleichbare Regelung über die "Bundesaufsicht" geregelt, die die Aufsichtskompetenz an das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz knüpft. Art. 153 CE, der die möglichen Kontrollmaßnahmen seitens des Staates über die AG enthält, scheint neben den in Art. 150 Abs. 2 CE geregelten staatlichen Kontrollen im Fall delegierter Zuständigkeiten keinen Raum für eine solche allgemeine Aufsicht des Staates zu lassen. Die Autonomiestatute begrenzen die Aufsichtsmöglichkeiten des Staates auf bestimmte Bereiche und unterstreichen den "ausschließlichen" Charakter der allgemeinen autonomen Durchführungszuständigkeiten bezüglich der staatlichen Gesetzgebung. Es stellt sich daher die Frage nach einer Ermächtigungsgrundlage des Staates. Angesichts des Umstandes, daß die staatliche Gesetzgebung - wie ausgeführt - aus einem "allgemeinen Interesse" resultiert, ist zwangsläufig auch das Ergebnis der Durchführung dieser Gesetzgebung von allgemeinem Interesse. Die Einschaltung der AG zwischen diese beiden Pole des allgemeinen Interesses darf den Konnex zwischen Gesetzgebungs- und Kontrollphase nicht auseinanderreißen. Deshalb darf die AG im Rahmen der Durchführung den Charakter der allgemeinen Gesetzgebung nicht mißachten, was zudem der Gesetzes- und Rechtsgebundenheit der öffentlichen Verwaltung gemäß Art. 103 Abs. 1 CE und dem Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 14 CE) widerspräche 189, zwei Grundsätze, die hinsichtlich der territorialen Organisationsstruktur ausdrücklich in Art. 139 Abs. 1 und 149 Abs. 1 Nr. 1 CE normiert sind. Dem Staat kann andererseits das Ergebnis der legislativen und administrativen Durchführung, auch wenn sie von ihm nicht selbst vorgenommen wird, nicht gleichgültig sein: Zur effektiven Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz ist er- gleichsam in Form eines Feedback- auf ständige Informationen über die Durchführung dieser Gesetzgebung im Hinblick auf mögliche Gesetzesnovellierungen bzw. -reformen angewiesen. Dieses Interesse des Staates findet seinen Ausdruck in der staatlichen Aufsichtszuständigkeit, wobei sich allerdings angesichts des von der Verfassung sanktionierten Prinzips der autonomen Durchführung die Frage nach den zu beachtenden Grenzen stellt 190.

189 190

Garda de Enterr(a, S. 334. Vgl. Garda de Enterr(a, S. 334.

ll. Kap.: Spanien

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(2) Verfassungsrechtliche Grundlagen und Reichweite

Die gemäß Art. 149 Abs. 1 Nr. 1 CE dem Staat zugewiesene ,,Regelung der Grundbedingungen, die die Gleichheit aller Spanier bei der Ausübung der verfassungsmäßigen Rechte und Erfüllung der verfassungsmäßigen Pflichten gewährleisten", bezieht sich im Hinblick auf dieses verfassungsrechtliche Gleichheitspostulat nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht nur auf die Ausübung der Grundrechte und auf die in Titel I, Kapitel III der Verfassung gewährleisteten Rechte (Leitprinzipien der Sozial- und Wirtschaftspolitik), sondern auf alle "rechtlichen Grundpositionen" (posiciones juridicas fundamentales) 191 . Als eine solche rechtliche Grundposition ist die durch Art. 14, 139 Abs. 1 CE garantierte Gleichheit der Normadressaten einer staatlichen Gesetzgebung bei autonomer Durchführung anzusehen. Im Schrifttum wird dementsprechend aus der Ermächtigung des Staates, gemäß Art. 149 Abs. I Nr. 1 CE "die Gleichheit aller Spanier[... ] zu gewährleisten", die Rechtfertigung für eine Aufsichtszuständigkeit des Gesamtstaates über die autonome Durchführung von staatlichen Gesetzen hergeleitet, und zwar in Anlehnung an die Konzeption des "Vollzugsföderalismus"192. Eine zweite Grundlage findet die staatliche Aufsichtszuständigkeit in Art. 155 CE. Danach kann die Regierung, wenn eine autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt, nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der AG und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen. Die hier verankerte Kompetenz des Staates zur staatlichen Durchführung setzt dessen vorherige Aufsichtszuständigkeit voraus, die es der Zentralregierung erlaubt, sich in dauerhafter und allgemeiner Weise über den Prozeß der autonomen Durchführung zu informieren193. Das Verfassungsgericht geht dementsprechend von einer Oberaufsicht des Staates im Hinblick auf Art. 149 Abs. 1 Nr. 1 CE im Bereich der staatlichen Gesetzgebung aus, die allerdings nicht zu einer Weisungsabhängigkeit der AG von der Staatsverwaltung führen darf 194. Teilweise wird in diesem Begründungs191 STC 37/1981 v. 16.11.1981, BJC 1981, S.491, 501 (II 2); vgl. auch STC 32/ 1983 V. 28.4.1983, BJC 1983, s. 499, 513 (II 2). t92 Garda de Enterr{a, S. 335. 193 Garda de Enterria, S. 336. 194 STC 6/1982 v. 22.2.1982, BJC 1982, S. 206, 215 (II 7): " ... mit dem Grundsatz der Autonomie ist die Einrichtung von generellen und unbeschränkten Kontrollen, die zu einer hierarchischen Abhängigkeit der Autonomen Gemeinschaften von der Verwaltung des Staates führen, nicht vereinbar."; ebenso STC 32/1983 v. 28.4. 1983, BJC

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

zusammenbang auf die Natur der Sache abgestellt 195 • Die Aufsicht soll die Erfüllung der staatlichen Kompetenzen gewährleisten und nachprüfbar machen 196• Im Urteil des Verfassungsgerichts vom 5. August 1983 wurde eine allgemeine Aufsichtskompetenzdes Staates in allen Fällen der autonomen Durchführung staatlicher Gesetze ausdrücklich anerkannt, um bei der Durchführung und beim Vollzug dieser Gesetzgebung Abweichungen zu vermeiden 197 • Die staatliche Aufsicht erstreckt sich lediglich auf Rechtsfragen, nicht aber auf Gesichtspunkte bloßer Zweckmäßigkeit bezüglich der Ausführung und des Vollzuges oder derjenigen Modalitäten oder Umstände, die in keinem Zusammenhang mit der Durchführung stehen. Anderenfalls würde die staatliche Aufsichtskompetenz den Kern der autonomen Durchführungskompetenz berühren 198 • Die vom Staat auszuübende Rechtsaufsicht beschränkt sich dabei auf allgemeine Kriterien der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, nicht aber auf Einzelfälle. Dabei erfolgt die Aufsicht unter dem Aspekt des Schutzes des allgemeinen Interesses, also der Einheitlichkeit der Anwendung der Gesetze im gesamten Staatsgebiet sowie der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz (Art. 9 Abs. 2, 14, 139 Abs. 1, 149 Abs. 1 Nr. 1 CE). Die staatliche Aufsicht sichert somit die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Gesamtsystems, das dann gefahrdet wäre, wenn eine AG nicht die durch Art. 139 Abs. 1, 149 Abs. 1 Nr. 1 CE gezogene Grenze beachten und die grundlegende Einheit des Rechtssystems dadurch gefahrden würde. Mithin bildet Sinn, Zweck und Ziel der staatlichen Aufsichtskompetenz letztendlich die Aufrechterhaltung eines funktionierenden polyzentrischen politischen Systems 199. 1983, S. 499, 514 (II 2) und STC 42/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 724 (II 3

in fme).

195 So -wenn auch nicht ausdrücklich- das Verfassungsgericht im Urteil STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, 677, 684 (li 7) über die Vergabe von Radiosendern: " . .. dem Staat obliegt die Überwachung und Kontrolle der Erfüllung der technischen Sendebedingungen, da ihm letztendlich die Ausführung von internationalen Verträgen und Abkommen als auf völkerrechtlicher Ebene allein Verantwortlichem obliegt." 196 Vgl. STC 32!1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499, 514 (II 2): "Die Oberaufsicht bezüglich des Unterrichtswesens ist dem Staat im Hinblick auf die «Erfüllung und Gewährleistung>> seiner eigenen Kompetenzen vorbehalten [ ... ]. Die Oberaufsicht stellt eine staatliche Aufsichtskompetenz dar [ ... ], ein Instrument der Überwachung und Kontrolle, das auch zum Einsatz von verfassungsrechtlichen Kontrollmechanismen führen kann, wie sie im Hinblick auf die AG bestehen, jedoch nicht zu deren Substituierung, wodurch die besagte Oberaufsicht in einen neuen und selbständigen direkten Kontrollmechanismus umgewandelt würde"; STC 42/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 724 (li 3 in fine). 197 STC 76/1983 v. 5. 8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1165 f. (II 12). 198 Vgl. STC 4/1981 v. 2.2.1981, BJC 1981, S. 7, 15 (II 3): " ... Das Prinzip der Autonomie ist vereinbar mit der Existenz einer Rechtrnäßigkeitskontrolle bezüglich der Ausübung der Kompetenzen ( ... ]. Hingegen würde die von der Verfassung garantierte Autonomie in denjenigen Fällen verletzt, in denen die entsprechende Entscheidung über die »Wahrnehmung der jeweiligen Interessen« Gegenstand einer Zweckmäßigkeitskontrolle in der Weise wäre, daß die Entscheidungsfindung mit einer anderen Behörde geteilt werden müßte."

li. Kap.: Spanien

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(3) Die Instrumente der unmittelbaren und mittelbaren Staatsaufsicht

Seit Triepe/ 200 werden zwei Phasen innerhalb der Staatsaufsicht unterschieden: Zum einen die Informationsphase, zum anderen die Korrekturphase. Die Informationseinholung vollzieht sich dabei über die periphere staatliche Verwaltung, aber auch über besondere Beauftragte. Maßnahmen im Rahmen dieses Rechtes auf Information umfassen auch einen Auskunftsanspruch gegenüber den zu beaufsichtigenden autonomen Verwaltungen. Das Verfassungsgericht hat insoweit eine allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Amtshilfe als ein sich aus den Beziehungen zwischen Staat und AG ergebendes Prinzip festgestellt, das die Behörden beider Ebenen des Staates bindet201. Im Rahmen der Korrekturphase sind die beobachteten Mißstände der zuständigen autonomen Regierung mitzuteilen, um ihr Gelegenheit zu geben, diese durch eigenes Tätigwerden abzustellen 2o2. Dem Staat stehen bei Nichtabhilfe durch die AG vier Möglichkeiten zur unmittelbaren Korrektur von autonomen Durchführungsmaßnahmen zur Verfügung: gesetzgebensehe Maßnahmen, eigene staatliche Durchführungsmaßnahmen, entsprechende Aufforderungen an die AG und Maßnahmen der ,,Ersatzvornahme"203. Durch gesetzgebensehe Maßnahmen kann der Staat die von den autonomen Organen unzureichend durchgeführten Bestimmungen neu regeln, um so deren Auslegungsmöglichkeit im Rahmen der Ausführung und des Vollzuges einzugrenzen bzw. zu erleichtern. Die Möglichkeit selbständiger staatlicher Durchführung im Hinblick auf supraautonome Belange wurde bereits beschrieben 204 •

199 Garcia de Enterr(a, S. 338. 200 Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 108 ff. 201 STC 18/1982 v. 4.5.1982, BJC 1982, S. 361, 370 (li 14): Die "sich aus der generellen Pflicht gegenseitiger Hilfe zwischen den staatlichen und den autonomen Behörden ergebende Pflicht zur Zusammenarbeit [ ... ], die sich nicht unbedingt in konkreten Vorschriften niederschlagen muß, ergibt sich implizit bereits aus dem Wesen der territorialen Organisationsform des Staates, die in der Verfassung verankert ist, wobei daran zu erinnern ist, daß der Grundsatz der Koordination im Hinblick auf die Autonomen Gemeinschaften aus der grundlegenden Norm über die Handlungsgrundsätze (Art. 103 Abs. 1 und 152) folgt."; STC 76/1983 v. 5.8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1165 (II 11); STC 123/1984 v. 18.12. 1984, BJC 1985, S. 48, 54 (II 3 -7). Vgl. auch Art. 2 des Gesetzes über den Autonomieprozeß v. 14.10.1983, BOE v. 15. und 20.10.1983,

s. 603 ff.

202 STC 6/1982 v. 22.2.1982, BJC 1982, S. 206,216 (li 9); vgl. auch STC 32!1983 v. 28.4.1983, BJC 1983, S. 499,514 (II 2) und STC 42/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 724 (II 3). 203 Garcfa de Enterr(a, S. 340. 204 Vgl. oben S. 101.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Bevor die in Art. 155 CE vorgesehenen Verfahren der ,,Aufforderung" und der Einleitung der erforderlichen Maßnahmen zur zwangsweisen Erfüllung der Verpflichtungen zur Anwendung gelangen, können die staatlichen Organe nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts 205 gleichsam in einem Vorverfahren außerhalb der Modalitäten des Art. 155 CE eine formlose Aufforderung an die AG richten, die unrichtige Vorgehensweise bei der Durchführung zu korrigieren. Art. 155 CE stellt nach einer Ansicht im spanischen Schrifttum keine bloße Übernahme des Instituts des "Bundeszwanges" und der "Bundesexekution" dar, so daß keine Vergleichbarkeit mit Art. 37 GG bestehe. Ein maßgeblicher Unterschied wird darin gesehen, daß die Zwangsmittel nach Art. 155 CE erst dann angewendet werden können, wenn die vorherige Aufforderung an den Präsidenten der AG ergebnislos geblieben ist. Diese "deklaratorische Phase" (fase declarativa) finde vielmehr eine Parallele in Art. 84 GG 206 • Angesichts dieser Einleitungsphase wird das Instrumentarium des Art. 155 CE als ein ordentliches und reguläres Mittel staatlicher Aufsicht angesehen, nicht aber als ein außergewöhnliches Mittel, das auf die Ausnahmesituation einer schweren politischen Krise im Verhältnis zwischen AG und Staat beschränkt ist 207 • Die überwiegende Meinung im spanischen Schrifttum 208 läßt hingegen die Anwendung des Art. 155 CE nur in ganz außergewöhnlichen Fällen als "ultima ratio" zu. Die an den Präsidenten der AG zu richtende Aufforderung gibt dieser die Möglichkeit zur Selbstkorrektur. Diese Aufforderung erfolgt in einem förmlichen Verfahren, weshalb ihre Nichtbeachtung entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Die staatliche Aufforderung kann von der betroffenen AG im Rahmen einer Organklage gemäß Art. 161 Abs. 1 lit. c CE in Verbindung mit Art. 60 ff. LOTC209 vor dem Verfassungsgericht angefochten werden und löst gemäß Art. 64 Abs. 3 LOTC auf Antrag der AG nur bei Darlegung eines nicht mehr oder nur schwer wiederherzustellenden Schadens einen Suspensiveffekt aus 210 • Folgt die AG der Aufforderung nicht, unterbreitet die Regierung die Angelegenheit dem Senat, der hier in seiner Funktion als Kammer der territorialen Repräsentation tätig wird. Dieser führt eine grundlegende Überprüfung gemäß Art. 189 seiner Geschäftsordnung 211 unter Anhörung der betroffenen AG durch. 2os Vgl. Fn. 202; vgl. auch Art. 3 des Gesetzes über den Autonomieprozeß v. 14.10. 1983 (Fn. 201). 206 Vgl. Art. 84 Abs. 4 GG: "Werden Mängel [ .. . ]festgestellt . .. " ; vgl. insoweit Garda de Enterrfa, S. 341. 207 Garda de Enterrfa, S. 341. 208 Vgl. Mangas Martfn, S. 302; Bafw Lefm, S. 105; Albert[, in: Aja/Tomos I Font/ Perulies I Albertf, S. 471 ff. 209 Organgesetz 2/1979 über das Verfassungsgericht (Ley Organica del Tribunal Constitucional), BOE Nr. 139, v. 5.10.1979. Zum Aufbau des Gerichts und seinen Funktionen vgl. Sommermann, Der Schutz der Grundrechte, S. 304-330. 210 Bislang hat das Verfassungsgericht nur einer Eingabe dieser Art entsprochen: vgl. Rubio Llorente, S. 264, Fn. 38. Zu der verfahrensmäßigen Benachteiligung der AG gegenüber der Zentralregierung vgl. Weber, JöR 34 (1985), S. 268 f.

II. Kap.: Spanien

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Hält er die Anwendung einer Zwangsmaßnahme im Rahmen des Art. 155 CE für erforderlich, trifft er eine Auswahl unter den von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen. Zur Durchführung der festgesetzten Maßnahme, die sich im Rahmen der Verfassung zu halten hat, kann die Regierung allen Behörden der AG gemäß Art. 155 Abs. 2 CE Weisungen erteilen. Diese Weisungsbefugnis wird mit der Technik der Ersatzdurchführungsbefugnis gemäß Art. 37 Abs. 2 GG verglichen 212. Neben dem Instrument unmittelbarer Kontrolle und direkten "staatlichen Zugriffs" gemäß Art. 155 CE besitzen die staatlichen Organe darüber hinausgehende Möglichkeiten einer mittelbaren Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der autonomen Gesetzgebung sowie der autonomen Ausführung bzw. des autonomen Vollzugs staatlicher Gesetzgebung 213 • Ein wichtiges Mittel stellt insoweit die abstrakte Normenkontrollklage gemäß Art. 161 Abs. 1lit. a CE i.V. m. 153lit. aCEsowie der positive Kompetenzkonflikt dar; von nur untergeordneter Bedeutung sind die Anfechtungsmöglichkeit der Regierung vor dem Verfassungsgericht sowie der negative Kompetenzkonflikt gemäß Art. 161 Abs. 1 lit. c CE. Die abstrakte Normenkontrollklage 214 gegen Gesetze und Rechtsnormen mit Gesetzesrang (Art. 161 Abs. 1 lit. a CE i.V. m. Art. 27 bis 40 LOTC) ermöglicht es den in Art. 162 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 lit. a bis d LOTC genannten Organen des Zentralstaates 215 , Gesetze und Rechtsnormen mit Gesetzesrang einer AG 216 auch im Fall von Zuständigkeitsmängeln217 vom Verfassungsgerlebt überprüfen zu lassen. Den Prüfungsmaßstab bietet hierfür gemäß Art. 28 Abs. 1 LOTC der Verfassungsblock (bloque de constitucionalidad), der sich aus der Verfassung, den Autonomiestatuten und den die Kompetenzsphären des Staates und der AG umschreibenden Gesetzen zusammensetzt, die insoweit Verfassung und Autonomiestatute ausfüllen 21 s. 211 Reglamento del Senado, v. 26. Mai 1982, BOE Nr. 155, v. 30. Juni; abgedr. bei Aja I Tornos Mas, Leyes politicas del Estado, S. 565 ff. 212 Vgl. Garcfa de Enterr(a, S. 343, wonach sich die Regierung "in loco et in ius", also an die Stelle und in die Rechtsstellung der AG begibt. 213 Eine Auflistung von Kontrollmöglichkeiten außerhalb des Art. 155 CE befmdet sich im Urteil des Verfassungsgerichts v. 22.2.1982 (STC 611982, BJC 1982, S. 206, 215 [II 7]); vgl. hierzu auch Busch, S. 321-333. 214 Vgl. hierzu Weber, Richterliche Normenkontrolle, S. 59 ff. 21s Eine Anfechtung der Gesetze einer AG durch Organe der Gemeinschaft selbst ist im Wege der Normenkontrollklage nach den Bestimmungen des LOTC nicht möglich: vgl. Aja, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Albertf, S. 470 f. 216 Vgl. Art. 27 Abs. 2 lit. e LOTC. 211 Vgl. Rubio Llorente, S. 263. 21s Vgl. STC 66/1985 v. 23.5.1985, BJC 1985, S. 635,642 (II 1); Aja, ebd., S. 468 f. Umgekehrt steht auch den AG die Möglichkeit der Einlegung einer Normenkontrollklage gemäß Art. 161 Abs. llit. a i.V. m. Art. 27 ff. LOTC zu, da Art. 162 Abs. llit. a i.V. m. Art. 32 Abs. 1 LOTC den ausführenden Kollegialorganen der AG und ggf. deren Versammlungen die Antragsberechtigung verleiht. Art. 32 Abs. 2 LOTC verlangt hierfür eine mögliche Betroffenheit des eigenen Selbstverwaltungsbereiches (leyes "que puedan

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Unter den Kompetenzkonflikten ragen die "föderativen Konflikte" zwischen dem Zentralstaat und den AG hervor, die wiederum von den positiven Kompetenzkonflikten eindeutig beherrscht werden 219. Ein positiver Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn Streit über die Frage entsteht, ob der Zentralstaat oder eine AG eine Bestimmung (ohne Gesetzesrang 220), eine Entscheidung oder einen Akt unter Verletzung der von der Verfassung, den Autonomiestatuten oder Organgesetzen errichteten Kompetenzordnung erlassen hat (Art. 161 Abs. 1lit. d i.V. m. Art. 62 LOTC). Die Zentralregierung kann entweder innerhalb von zwei Monaten ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht anhängig machen (Art. 62 LOTC) oder innerhalb derselben Frist die Aufhebung oder Änderung der für kompetenzwidrig gehaltenen Vorschrift von dem jeweiligen Exekutivorgan der AG verlangen, das dann innerhalb eines Monats über das Begehren entscheiden muß (Art. 62 i.V. m. Art. 63 Abs. 4 LOTC). Innerhalb eines weiteren Monats kann dann die Regierung Kompetenzklage vor dem Verfassungsgericht erheben, soweit ihrem Verlangen nicht entsprochen wurde (Art. 63 Abs. 5 LOTC). Eine AG kann sich mit der Behauptung der Beeinträchtigung ihrer Kompetenzen demgegenüber nicht direkt an das Verfassungsgericht wenden, sondern muß zunächst den Staat oder die streitverursachende AG um entsprechende Abänderung der Bestimmung oder Aufhebung des betreffenden Beschlusses, der für kompetenzwidrig gehalten wird, ersuchen (Art. 63 Abs. 1 LOTC). Weigert sich eine AG trotz diesbezüglicher Aufforderung durch den Staat, ihre eigenen Kompetenzen - etwa im Bereich der Durchführungsgesetzgebung oder des administrativen Vollzuges- wahrzunehmen, kann der Staat im Rahmen eines negativen Kompetenzkonfliktes gemäß Art. 161 Abs. 1 lit. c CE in Verbindung mit Art. 71 f. LOTC hiergegen vorgehen. In diesem Fall wird die Untätigkeit mit der Unzuständigkeitserklärung im Sinne des Art. 71 LOTC gleichgesetzt. In der Praxis des Verfassungsgerichts spielen die negativen Kompetenzkonflikte dieser Art keine Rolle221 . afectar a su propio ambito de autonomfa"). Zunächst wurde diese Bestimmung vom Verfassungsgericht (vgl. STC 25/1981 v. 24. 7.1981, BJC 1981, S. 324, 329 ff. [II 2], mit einem Sondervotum von Rubio Llorente; ders., S. 255) so ausgelegt, daß ein "eigenes Interesse" der AG bestehen muß, das nur im Rahmen der von der jeweiligen AG übernommenen Kompetenzen vorhanden sei. Dieses Kriterium ist aber mit dem objektiven und abstrakten Verfahren der Normenkontrolle unvereinbar. Später hat das Gericht zwischen Berechtigung und Kompetenzinhaberschaft unterschieden und den .,eigenen Selbstverwaltungsbereich" der AG so definiert, daß dieser sich .,objektiv auf den Bereich ihrer besonderen Interessen erstreckt", die offensichtlich dann durch eine staatliche Regelung materiell berührt seien, wenn die AG eigene, vom Staat zu unterscheidende Kompetenzen besitze (STC 84/1982 v. 23. 12.1982, BJC 1983, S. 5, 14 [II 1]). Die Kompetenz der jeweiligen AG ist somit bloßer Verknüpfungspunkt zwischen ihrem Interesse und der Normenkontrollklage (Aja, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Alberti,

.s. 469 f.).

219 Vgl. hierzu Weber, JöR 34 (1985), S. 267 ff. 22o Anderenfalls greift die Verfahrensart der abstrakten Normenkontrolle ein. 221 Hinsichtlich dieser Art von negativen Kompetenzkonflikten fehlt es bis zum heutigen Tag an einem entsprechenden Verfahren vor dem Verfassungsgericht: Die vier bei

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Art. 161 Abs. 2 CE statuiert, daß die Regierung Bestimmungen und Entscheidungen der Organe der AG vor dem Verfassungsgericht anfechten kann und daß die Anfechtung Suspensiveffekt hat. Der Gesetzgeber hat in dem ausführenden Organgesetz über die Einrichtung und die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts vom 3. Oktober 1979 (LOTC) Art. 161 Abs. 2 CE zur Grundlage einer eigenständigen Verfahrensart gemacht (Art. 76 und 77 LOTC) 222, durch die die Regierung -unabhängig vom Bestehen einer Kompetenzstreitigkeit- "die Bestimmungen ohne Gesetzeskraft und die von irgendeinem Organ der Autonomen Gemeinschaft gefaßten Beschlüsse" anfechten kann 223 . Eine Anfechtung der von den Organen der AG verabschiedeten "Bestimmungen und Beschlüsse" führt zu deren vorübergehenden Aufhebung, wobei das Gericht aber innerhalb von fünf Monaten die mit der Anfechtung verbundene automatische Aufhebung durch Urteil bestätigen oder endgültig aufheben muß. Nach der Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts 224 beschränkt sich die Überprüfung ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit von untergesetzlichen Bestimmungen und Beschlüssen, so daß eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit nicht stattfindet, die durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit gemäß Art. 153lit. c CE in Verbindung mit Art. 3 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit225 durchzuführen ist. Der seltene Gebrauch, den die Regierung von dem Verfahren des Art. 161 Abs. 2 CE bislang gemacht hat 226, ist Beweis für seine begrenzte Tauglichkeit und sein "verwaschenes rechtliches Profil" 227 . Durch Art. 30, 64 Abs. 2 LOTC wird die Aufhebungswirkung, die Art. 161 Abs. 2 CE auf die dort normierte Anfechtung von Bestimmungen und Beschlüssen seitens der Regierung beschränkt, auf die Normenkontrollklage und die Kompetenzkonflikte (Art. 161 Abs. 1 lit. a und c CE) ausgeweitet, was im spanischen Schrifttum auf Kritik gestoßen ist 228 . Weber, Richterliche Normenkontrolle, S. 32, als eingegangen angegebenen negativen Kompetenzkonflikte (Stand: 31.12.1987) beziehen sich aufnegative Kompetenzkonflikte i.S. der Art. 68 ff. LOTC, also Konflikte, bei denen eine Zuständigkeit von einer territorialen Einheit im Hinblick auf eine andere verneint wird. Rubio Llorente, S. 263, Fn. 36, weist aber darauf hin, daß Konflikte dieser Art (Art. 71 LOTC) mit der Eingliederung Spaniens in die EWG zunehmen können. 222 Zu den hierüber im spanischen Schrifttum ausgetragenen Kontroversen vgl. Sommermann, Der Schutz der Grundrechte, S. 326. 223 Wegen des Verfahrensgangs verweist Art. 77 S. 1 LOTC allerdings auf die Vorschriften über die positiven Kompetenzkonflikte (Art. 62-67 LOTC). 224 STC 54/1982 v. 26. 7.1982, BJC 1982, S. 813, 820 (li 7). 225 Vgl. Gesetz 34/1981 v. 5. 10. 1981. 226 Bis zum 31.12.1987 sind lediglich fünf Anfechtungen dieser Art beim spanischen Verfassungsgericht eingegangen, wovon bis dahin drei erledigt wurden: vgl. Weber, Richterliche Normenkontrolle, S. 79. 227 Vgl. Rubio Llorente, S. 267. Nach diesem Autor handelt es sich bei dem Verfahren des Art. 161 Abs. 2 CE "eigentlich um das, was man als banale oder schlecht vorbereitete Kompetenzstreitigkeit bezeichnen könnte"; ebd., Fn. 45.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

dd) Vorbeugende Maßnahmen zur Gewährleistung einer grundlegenden Einheitlichkeit der Ausführung staatlicher Gesetzgebung Um die Einleitung der beschriebenen direkten und indirekten Aufsichtsmaßnahmen zu vermeiden, wird auch in Spanien der Weg des kooperativen Föderalismus diskutiert und beschritten, der hier noch nicht wie in der Bundesrepublik Deutschland 229 durch Tendenzen zum "Konkurrenz-Föderalismus" und zur "ReFöderalisierung" als Faktor vertikaler Koordinierung an Wert verloren hat 230, von den regionalen Nationalismen in Katalonien und im Baskenland allerdings kritisch beargwöhnt wird 231. In drei Fällen verpflichtet die Verfassung den Zentralstaat ausdrücklich zu einer Zusammenarbeit im Wege der Koordinierung der Regelungszuständigkeiten des Zentralstaates und der AG. Hierzu besitzt er die ausschließliche Kompetenz gemäß 149 Abs. 1 Nr. 13 (Wirtschaft), Nr. 15 (wissenschaftliche Forschung und Technik) und Nr. 16 CE (Gesundheitswesen). Indem die Verfassung Maßnahmen nicht-legislativer Art im Hinblick auf die Ausübung koordinierungsbedürftiger Kompetenzen vorsieht, geht sie insoweit über die Festlegung einer bloßen Grundlagengesetzgebungskompetenz des Staates hinaus 232 • Diese nicht-legislativen Maßnahmen bestehen entweder in einer bloßen förmlichen Koordination zwischen den Verwaltungsträgem auf der Grundlage gegenseitiger Information mit dem Ziel der Selbstkoordinierung oder in einer inhaltlich-materiellen Koordination bezüglich der betreffenden Gesetzgebungsmaterien, die gewisse Lenkungsfunktionen des Nationalstaates im Rahmen einer vertikalen Koordination notwendig machen 233• Die Palette der darüber hinaus möglichen Präventivmaßnahmen zwecks Vermeidung substantieller Differenzen bei der dezentralisierten Durchführung staatlieher Gesetzgebung reicht von persönlichen Kontakten über gemeinsame Beratungen der autonomen Verwaltungsträger, Ministerkonferenzen, die Zuleitung von Empfehlungen und technische Hilfeleistung bis zur Gewährung von projektgebundenen Subventionen sowie zu konzertierten Aktionen des Staates mit den AG 234• Diese Maßnahmen lassen sich alle auf das von der spanischen Verfas22s Aja, in: Tornos I Font I Perulies I Alberti, S. 466; Rubio Llorente, S. 266, spricht von einer "eindeutig [ ... ] extensive[n] Auslegung des Regelungsgehaltes von Art. 161 Abs. 2 der Verfassung". 229 Vgl. I. Kap. II. 2. 230 Vgl. Albert[, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Alberti, S. 410 ff.; Fernandez Farreres, S. 999 ff. 231 Vgl. zu der kritischen Haltung dieser ,,Protagonisten" unter den spanischen AG gegenüber der auf dem letzten Kongreß der PSOE verabschiedeten Resolution, die eine weitere Übernahme der Techniken des kooperativen Föderalismus vorsieht, Cruz Villa16n, JöR 37 (1988), S. 111. 232 STC 3211983 v. 28.4. 1983, BJC 1983, S.499, 514 (II 2); STC 4211983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 723 f. (II 3). 233 Vgl. Garda de Enterrfa, S. 345; Albert[, ebd., S. 400 ff.

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sungsrechtsprechung entwickelte Prinzip der Zusammenarbeit als Konkretisierung des Grundsatzes der "Treue gegenüber der Verfassung" herleiten 235 •

b) Die Interferenzbeziehungen zwischen beiden Rechtsordnungen

Die Interferenzbeziehungen zwischen Staat und AG zeichnen sich durch vereinzelte, extrastatutarische Ausnahmen bzw. Modifikationen hinsichtlich des regulären Systems der Kompetenzverteilung aus. Dies geschieht entweder durch eine Delegation staatlicher Kompetenzen an eine oder mehrere AG oder durch eine staatliche Intervention in Form einer die autonome Gesetzgebung harmonisierenden staatlichen Gesetzgebung aufgrund einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung. Die letztgenannte Maßnahme stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz der Trennung beider Rechtsordnungen dar. Eine Durchbrechung der üblichen Kompetenzverteilung erfolgt schließlich auch durch eine staatliche Zwangsintervention im Rahmen des bereits erörterten Art. 155 CE.

aa) Staatliche Delegationen zugunsten der AG Die einschlägigen Regelungen beftnden sich in Art. 150 Abs. 1 und 2 CE. Art. 150 Abs. 1 CE gestattet den Cortes Generales, in Angelegenheiten gesamtstaatlicher Kompetenz allen oder einer der AG die Befugnis zu übertragen, sich selbst im Rahmen der Prinzipien, Grundlagen und Leitlinien eines Organgesetzes Rechtsnormen zu geben. Damit erlaubt die Regelung Delegationen im Bereich der Gesetzgebung, die den Delegationsempfänger zum Normerlaß ermächtigen. Die Vorschrift begrenzt weder die Art noch den Inhalt der Delegation, weshalb es möglich erscheint, daß die die Delegation beinhaltenden Rahmengesetze auch wenn sie einen darüber hinausgehenden rechtlichen Inhalt ausweisen Ermächtigungsnormen bzw. Rahmenregelungen mit einem rechtlichen Mindestgehalt darstellen, die unmittelbar anwendbar sind und innerhalb derer die autonomen Vorschriften erlassen werden können. Dem jeweiligen Delegationsgesetz bleibt auch die Regelung vorbehalten, ob die von den AG im Rahmen der Delegationsermächtigung erlassenen Gesetze solche im formellen Sinne sein müssen oder auch Gesetze im materiellen Sinne ausreichen. Regelungsbereich, -inhalt und -Voraussetzungen sowie der Normrang dieser autonomen Gesetze 234 Das Verfassungsgericht hat im Urteil v. 18.12.1984 (STC 123/1984, BJC 1985, S. 48, 55 [II 6]) eine solche im Rahmen einer Übereinkunft (convenio) oder konzertierten Aktion zwischen Zentralstaat und AG vereinbarte Zusammenarbeit ausdrücklich anerkannt: ,,Natürlich werfen jene Fälle keine besondere Frage auf, in denen [ ... ] die Zusammenarbeit im Wege einer Übereinkunft über die Zusammenarbeit odes eines konzertierten Handeins erfolgt, solange diejenigen, die die Übereinkunft schließen oder die konzertierte Zusammenarbeit durchführen, über ausreichende Zuständigkeiten hierzu verfügen und dies im Rahmen ihrer Kompetenzen verwirklichen können." 235 Vgl. hierzu S. 70 f.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den BQ-Mitgliedstaaten

werden mithin vom Delegationsgesetz festgelegt. Die ,.Kompetenz-Kompetenz" verbleibt somit beim Staat, der die Delegation durch actus contrarius jederzeit rückgängig machen kann 236. Art. 150 Abs. 2 CE wird von der herrschenden Meinung 237 in der Weise interpretiert, daß materielle Kompetenzbereiche en bloque auf die AG übertragen werden können, wobei der jeweilige Kompetenzbereich legislative wie administrative Zuständigkeiten beinhalten kann. Die Delegationsbefugnis des Staates betrifft zum einen alle staatlichen Kompetenzen, die nicht ausschließlicher Art sind, also nicht in Art. 149 Abs. 1 CE enthalten sind und nicht von der Residualklausel des Art. 149 Abs. 3 CE erfaßt werden. Aber auch im Bereich der ausschließlichen Kompetenzen des Staates ist eine Delegation möglich, wobei die ,.Kompetenz-Kompetenz" des Staates sowie seine Letztverantwortlichkeitjedoch unberührt bleiben müssen. Die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit des Staates mit den AG durch Kompetenzübertragung sind damit grundsätzlich unbegrenzt, wobei jedoch die verfassungsrechtliche Schranke der dem Staat verbleibenden Kompetenzinhaberschaft wie auch seiner Letztentscheidungszuständigkeit und Verantwortlichkeit zu beachten ist. Ähnlich wie dem Bund gemäß Art. 85 Abs. 4 GG die Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit im Rahmen der Auftragsverwaltung obliegt, besitzt die spanische Regierung im Fall des Art. 150 Abs. 2 CE gemäß Art. 153 lit. b CE ein Kontrollrecht nach Einholung eines Gutachtens des Staatsrates. Die staatlichen Delegationsgesetze sind Organgesetze, so daß die Übertragung nicht in den Autonomiestatuten erfolgen kann23s.

bb) Die staatliche Harmonisierungsgesetzgebung In Art. 150 Abs. 3 CE ist den Organen des Zentralstaates mittels Gesetzgebung eine exzeptionelle Einwirkungsmöglichkeit auf die autonome Gesetzgebung gestattet, die den autonomen Kompetenzbereich im Gegensatz zu Art. 150 Abs. 1 und 2 CE einengt. Es handelt sich um die Harmonisierungsgesetze, also diejenigen Gesetze, ,.die die notwendigen Grundsätze für eine Angleichung der normativen Bestimmungen der Autonomen Gemeinschaften enthalten" (Art. 150 Abs. 3 CE), durch die der Staat in den Kernbereich der autonomen Regelungskompetenz eingreifen kann. Durch die Harmonisierungsgesetze wird lediglich eine Angleichung der autonomen Gesetzgebungskompetenzen, wie sie im jeweiligen Statut definiert werden, ermöglicht, nicht aber eine Anpassung der Autonomiestatute. Diese Notwendigkeit ergibt sich- entgegen dem insoweit unklaren Wortlaut des Art. 150 Abs. 3 CE- gerade im Bereich der autonomen Gesetzgebungszu236 Vgl. Garcfa de Enterr(a, S. 347 f.; Aja, in: Aja I Tornos I Font I Perulies I Albertf,

s. 173 ff.

237 Aja, ebd., S. 178 f. m. w.N. 238 Garcia de Enterrfa, S. 349 f.; Aja, ebd., S. 177m. w.N.

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ständigkeit. Soweit ein Harmonisierungsbedarf aufgrund eines objektiven und evidenten Interesses der Allgemeinheit zu bejahen ist - ein bloßes Mißtrauen gegenüber dem autonomen Gesetzgeber genügt also nicht - , hat der Staat nach einer Ansicht im spanischen Schrifttum 239 auch die Befugnis zu einer präventiven Harmonisierungsgesetzgebung: Sie habe also keine rein korrektive, sondern auch eine ordnende Funktion. Nach anderer Ansicht 240 wird lediglich eine Harmonisierung ex post als verfassungsrechtlich zulässig angesehen, was die Existenz harmonisierungsbedürftiger Normen der AG voraussetze. Seinem Inhalt nach ist das Harmonisierungsgesetz ein Grundsatzgesetz, daß den betreffenden Bereich nicht erschöpfend regeln darf. Für die autonome Gesetzgebung muß innerhalb eines allgemeinen Rahmens somit noch genügend Spielraum verbleiben. Obwohl die Grundlagengesetzgebung sich nach ihrer Natur und ihren Voraussetzungen von der Harmonisierungsgesetzgebung unterscheidet, ist sie im Hinblick auf ihre inhaltliche Ausgestaltung mit jener vergleichbar. Da das Bestehen eines allgemeinen (Regelungs-) Interesses tatbestandliehe Voraussetzung für den Erlaß einer Harmonisierungsgesetzgebung ist, kann diese nicht nur für einzelne AG erlassen werden, sondern nur mit Geltungskraft für die gesamte autonome Gesetzgebungsgewalt Was die begrenzende Funktion dieser Gesetzgebung für die autonome Legislativbefugnis angeht, kann auf die bei der Grundlagengesetzgebung erörterten Techniken der Sperrwirkung, der Verdrängung und der Integration verwiesen werden 241 • cc) Der staatliche Zwang (Art. 155 CE)

Art. 155 CE beinhaltet die letzte der staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf den autonomen Hoheitsbereich. Da diese Regelung bereits erörtert wurde 242 , bleibt nur noch zu erwähnen, daß im Gegensatz zu Art. 37 CE der Einsatz des spanischen ,,Bundeszwangs" nicht nur die Nichterfüllung einer von Verfassungs oder Gesetzes wegen der AG obliegenden Verpflichtung betrifft, sondern auch auf den Fall "eines schweren Verstoßes gegen die allgemeinen Interessen Spaniens" umfaßt. Die Auslegung dieser Voraussetzung bereitet Schwierigkeiten: Teilweise werden diese in Art. 155 CE alternativ ("oder") genannten Voraussetzungen von der Lehre im Sinne eines kumulativen Zusammentreffens beider Umstände umgedeutet 243 • Nach anderer Ansicht ist kein kumulatives Vorliegen 239 Munoz Machado, S. 110, unter Hinweis auf das LOAPA-Urteil, STC 76/1983 v. 5. 8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1162 f. (II 3), in dem eine solche vorherige Harrnonisierung nicht ausdrücklich untersagt worden sei; Garda de Enterrfa, S. 353; Aja, ebd., S. 182.

240 Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vila i Costa, S. 244; Lorente Hurtado, S. 1715. 241 Garda de Enterrfa, S. 353; Aja, ebd., S. 183 f. 242 Vgl. oben S. 106 f. 243 Mangas Martfn, S. 302; Entrena Cuesta, in: Garrido Falla, Comentarios, S. 2311,

2314.

8 Blanke

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

beider Umstände, sondern- unter Hinweis auf den Wortlaut der Regelungnur ein alternatives Vorliegen erforderlich, weshalb ein Einschreiten auf der Grundlage des Art. 155 CE nicht nur aus Rechtmäßigkeits-, sondern auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen möglich sein solJ244 • Eine Ausdehnung des "Bundeszwanges" auf Fragen bloßer Zweckmäßigkeit erscheint jedoch im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in den Bereich autonomer Entscheidungshoheit äußerst fragwürdig 245.

c) Die Integrationsbeziehungen zwischen staatlicher und autonomer Rechtsordnung aa) Die Vorrangklausel des staatlichen Rechts

Das System der Beziehungen zwischen Staat und AG wird über die Grundsätze der Trennung, Kooperation und Koordination sowie der Interferenz hinaus schließlich noch durch ein viertes Prinzip geordnet, das als Integrationsgrundsatz bezeichnet wird. Seinen Ausdruck findet es in Art. 149 Abs. 3 CE, der neben der bereits erörterten Residualklausel 246 die verfassungsrechtlichen Normierungen der Vorrang- bzw. Kollisionsklausel sowie der Ergänzungsklausel enthält. Beide Klauseln erfüllen innerhalb des Beziehungssystems zwischen Oberstaat und AG eine abschließende Integrationsfunktion247. (1) Die allgemeine Bedeutung der Vorrang- bzw. Kollisionsklausel Der Ursprung dieser Vorrangs- und Kollisionsklausel des Art. 149 Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz CE liegt in Art. 21 der spanischen Verfassung von 1931248 • Einfluß hierauf hatte aber neben Art. VI Abs. 2 der amerikanischen Verfassung 249 auch 244 Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifwl i Rull I Vita i Costa, S. 248; Mufwz Machado, Derecho publico I, S. 457, weist demgegenüber zutreffend daraufhin, daß der Begriff des "allgemeinen Interesses" den staatlichen Organen keinen Ermessensspielraum eröffne, sondern in hohem Maße durch die Verfassung festgelegt sei, zumindest in seinen Grundzügen, so daß im allgemeinen nicht von einer Verletzung des allgemeinen Interesses ohne gleichzeitige Verletzung der Verfassung und der sich auf sie gründenden Gesetze ausgegangen werden könne. 245 Vgl. bereits oben S. 106. 246 Vgl. oben S. 85 ff. 247 Vgl. Garda de Enterrfa, S. 355 ff. 248 Wiedergeben bei Farias, S. 335, 341: ,,EI derecho del Estado espafiol prevalece sobre el de las regiones aut6nomas en todo lo que no este atribuido a la exclusiva competencia de estas en sus respectivos Estatutos." ·· 249 Wiedergegeben bei Tribe, S. lxxi: .,This Constitution, and the Laws of the United States which shall be made in Pursuance thereof; and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the United States, shall be the supreme Law of the land; and the Judges in every state shall be bound thereby, any Thing in the Constitution or Laws of any State to the Contrary notwithstanding."

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die in der Paniskirchenverfassung von 1849 (§ 66) statuierte und in die Weimarer Verfassung übernommene Regel "Reichsrecht bricht Landesrecht" (Art. 13 WV). Diese Regelungen des amerikanischen wie deutschen Verfassungsföderalismus enthalten keine Aussage über die Kompetenzverteilung zwischen Staat und Gliedstaaten in dem Sinne, daß es dem Bund ermöglicht würde, sich Kompetenzen anzueignen, die über seinen verfassungsrechtlich festgelegten Zuständigkeitsbereich hinausgehen. Die Vorrangklausel enthält vielmehr eine Kollisionsregelung in dem Sinn, daß bei einem Nebeneinander von Normen, die innerhalb der jeweiligen Kompetenzsphäre bezüglich derselben Materie erlassen werden, die bundesstaatliche Norm Vorrang hat 250• Dieselbe Bedeutung besitzt die Kollisionsregel des Art. 149 Abs. 3 CE. Im Falle des Zusammentreffens zweierkompetenzmäßig erlassener Regelungen, d. h. einer staatlichen Regelung einerseits und einer Regelung durch die AG andererseits, wird der staatlichen Regelung gegenüber der autonomen ein Vorrang eingeräumt. (2) Der Anwendungsbereich der Vorrangklausel

Der Fall eines Zusammentreffens zweier, von Legislativorganen verschiedener staatlicher Ebenen kompetenzmäßig erlassener Normen bezüglich desselben Regelungsbereiches ergibt sich zum einen im Rahmen der Kooperation und Interferenz beider Rechtsordnungen, zum anderen bei einer Überschneidung eines staatlichen mit einem autonomen Kompetenztitel bezüglich desselben Regelungsbereiches. In den Fällen der Koordination zwischen beiden Rechtsordnungen entsteht im Rahmen einer konkurrierenden Gesetzgebung bei jeweils eigenen Regelungszuständigkeiten der Gesetzgebungsorgane derverschiedenen Ebenen des Staates eine Gesamtregelung. In diesem Zusammenhang besagt die Vorrangklausel, daß der staatlichen Grundlagengesetzgebung Vorrang vor den autonomen Regelungen zukommt 251 ; die staatliche Regelung besitzt somit im Hinblick aufdie Gesamtregelung eine richtungsweisende Funktion. Für die autonome administrative Durchführung der staatlichen Gesetzgebung bedeutet dieser Vorrang eine entsprechende Bindung der Verwaltung an die staatlichen Gesetze und schließt eine eigenständige autonome Regelung in einem Bereich außerhalb der eigenen Organisationsgewalt aus 252 • Auch im Bereich der Interferenzbeziehungen kommt der staatlichen Rechtsordnung eine Vorrangstellung gegenüber dem autonomen Rechtssystem zu. Bei einer Delegation bestimmt das staatliche Delegationsgesetz Wirkung und Reichweite der delegierten Zuständigkeit; der Staat kontrolliert die im Rahmen der delegierten Zuständigkeiten erlassenen autonomen Maßnahmen gesetzgebenscher und administrativer Art. Durch die Harmonisierungsgesetzgebung wird 250 251 252

s•

Vgl. v. Münch- Gubelt, Art. 31, Rn. 1; BVerfGE 26, 116 (135); 36, 342 (363). Vgl. STC 76/1983 v. 5.8.1983, BJC 1983, S. 1095, 1164 (II 4).

Garda de Enterrfa, S. 358.

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irrfolge des staatlichen Gesetzgebungsvorrangs die gesetzgebensehe Ausgestaltung der Gesamtregelung beeinflußt; schließlich konkretisiert sich diese Klausel bei der staatlichen ,,Ersatzvomahrne" im Rahmen des "Bundeszwanges", wo dem Willen des staatlichen Gesetzgebers eine vorrangige Bedeutung zugemessen wird253. Mithin hat überall dort, wo ein Zusammenwirken zwischen beiden staatlichen Ebenen von der Verfassung gefordert wird, das staatliche Handeln Vorrang vor dem jeweiligen autonomen Tätigwerden, weil es für die Gesamtmaßnahme von richtungsweisender Bedeutung ist. Bedeutung hatdie Vorrangklausel auch bei einem Zusammentreffen von Normen des Zentralstaates mit solchen der AG aufgrundeiner Überschneidung von Kompetenztiteln bezüglich desselben Regelungsbereiches. Dieses Problem der Überschneidung von Kompetenztiteln ergibt sich aus dem Umstand, daß die Kriterien für die Kompetenzverteilung nach der spanischen Verfassung nicht homogen, sondern heterogen sind, so daß sie sich teilweise überschneiden, was zu Kompetenzkonflikten Anlaß geben kann. Im Verhältnis zwischen Staat und AG bedeutet dies, daß sich jede staatliche Ebene auf einen anderen Kompetenztitel zur Begründung ihrer Zuständigkeit berufen kann. Relevanz kommt der dann auftauchenden Frage des Verhältnisses zwischen den beiden, unterschiedliche Aspekte bezüglich ein und desselben Regelungsgegenstandes betreffenden Kompetenztiteln insbesondere in den Fällen zu, in denen der Staat über eine ausschließliche Regelungszuständigkeit für eine umfassende Materie verfügt. So kann es bspw. zu einem Konflikt zwisehen der Zuständigkeit des Staates für die Verteidigung und die Streitkräfte gemäß Art. 149 Abs. 1 Nr. 4 CE einerseits und der Zuständigkeit der AG für die Raumordnung gemäß Art. 148 Nr. 3 CE andererseits beim Bau von Verteidigungsanlagen an einen bestimmten Ort des Staatsgebietes und damit innerhalb einer AG kommen. Hier entscheidet die Vorrangklausel einen derartigen Konflikt zugunsten der ausschließlichen Kompetenz des Staates aufgrund von deren höherrangigen verfassungsrechtlichen Wertigkeit, um so das Gleichgewicht des Gesamtsystems zu wahren254. (3) Auswirkungen der Vorrangklausel Die durch die Vorrangklausel sichergestellte Höherwertigkeit des staatlichen Rechts führt nicht zu einer rangmäßigen Überordnung der staatlichen Normen im Hinblick auf die autonomen Rechtsordnungen, was einen Widerspruch zu der "pluralistischen", sich aus Rechtsordnungen verschiedener staatlicher Ebenen zusammensetzenden Struktur des spanischen Systems bedeuten würde. Der Vorrang des staatlichen Rechts führt in Anlehnung an die amerikanische Theorie 255 zu einer entsprechenden Bindung der Richter, und zwar unabhängig von den Bestimmun253 Garda de Enterr(a, S. 358 f. 254 Vgl. Garda de Enterrfa, S. 362. 255 Vgl. Tschäni, S. 8, 202 ff.

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gen der Autonomiestatute und der autonomen Gesetze. Die staatliche Norm hat unmittelbare Wirkung und besitzt vorrangige Anwendbarkeit, bewirkt damit andererseits eine Verdrängung aller übrigen Normen, die infolge der Existenz dieser staatlichen Norm nicht zur Anwendung gelangen können 256. Dabei wird der Sinn einer Vorrangklausel in der abschließenden Einbettung eines Rechtssystems in eine umfassende einheitliche Rechtsordnung erblickt. bb) Die Ergänzungsklausel

Die Ergänzungsklausel gemäß Art. 149 Abs. 3 S. 3 CE ist Ausdruck des Gedankens, daß das staatliche Recht das gemeinsame und damit allgemein verbindliche Recht darstellt, welches seiner organischen Struktur nach auf Vollständigkeit hin angelegt ist, wohingegen das autonome Recht eine Art von Sonderrecht bildet, das notwendigerweise fragmentarisch und unvollständig ist und zu seiner Anwendung der Ergänzung durch das staatliche Recht bedarf. Dieses hat gegenüber dem autonomen Recht somit nicht lediglich eine lückenfüllende Funktion, sondern bietet vielmehr die einzige Grundlage, auf der die autonome Rechtsordnung als systematische Rechtsordnung zur Anwendung gelangen kann 257. Das staatliche Recht wird dabei nicht nur von der staatlichen Gesetzgebung gebildet; hierzu gehören vielmehr sämtliche Rechtsquellen im Sinne des Art. 1 des spanischen Zivilgesetzbuches25s. Durch die Ergänzungsklausel wird mithin die einheitliche Verfassung eines nationalen Rechtssystems sichergestellt, unabhängig von seiner Aufspaltung in autonome Territorialrechtsordnungen, wobei der staatlichen Rechtsordnung die Aufgabe der Herstellung einer Sinn- und Funktionseinheit im Hinblick auf die Gesamtrechtsordnung obliegt.

IX. Einordnung der Territorialstruktur des spanischen Staatssystems Mangels einerverfassungsrechtlichen Definition der spanischen Staatsorganisationsstruktur sind unterschiedliche Bezeichnungen zumZwecke seiner Charakterisierung vorgeschlagen worden wie "Estado plural, Estado auton6mico, Estado regional, Estado de las Autonomfas, Estado federal unitario, Estado unitario-federal, Estado unitario-regional, Estado semifederal, semiregional o semicentralizado, Estado federo-regional, Estado auton6mico con matices federalistas, Estado unitario con espfritu federalista" sowie "Estado integral" 259. 256 Vgl. Garcfa de Enterrfa, S. 363. 257 Vgl. Garcfa de Enterrfa, S. 368. 258 Art. 1 Abs. 1 des C6digo Civil bestimmt: "Die Quellen der spanischen Rechtsord-

nung sind das Gesetz, das Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze." 259 Vgl. hierzu L6pez Rod6, S. 863 f. m. w.N.; Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 239, unter Hinweis auf L6pez Rod6; Gonzalez Encinar, S. 51 ff.

118

1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Die Verschiedenheit der Kennzeichnungen macht deutlich, wie unterschiedlich die Dezentralisationsstrukturen im Hinblick auf die Annahme eines eher regionalistisch bzw. eher föderalistisch organisierten Staates gewertet werden. Für die jeweilige Bewertung ist entscheidend, ob diese in erster Linie auf der Grundlage der recht vagen verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie deren Entstehungsgeschichte 260 oder aberprimär in Anbetracht dererst durch das dispositive Prinzip ermöglichten Entwicklungen erfolgt. Letztgenannte Betrachtungsweise hat neben dem Verfassungsrecht auch der Verfassungswirklichkeit Rechnung zu tragen, wie sie sich heute als Ergebnis einer in der Verfassung zwar angelegten, aberpolitischen Einflüssenebenso stark unterliegenden Dynamik darstellt 261• Erst auf Betreiben der Vertreter einer föderalistischen Konzeption fanden gewisse Elemente des Föderalismus Eingang im Titel VIII der Verfassung von 1978, der zuvor in enger Anlehnung an die regionalistische Option der Verfassung von 1931 entworfen worden war. So wurde das Kompetenzniveau aus dem Bereich des Unwesentlichen herausgehoben und die zukünftige Entwicklung der Dezentralisierung insgesamt offengehalten (dispositives Prinzip). Im Verlaufe dieser Entwicklung hat sich Spanien durch die teilweise umgesetzten "Autonomie-Vereinbarungen" (Acuerdos Auton6micos) vom 31. Juli 1981262 von dem der Verfassung zugrundeliegenden Dezentralisierungsmodell in vielfältiger Hinsicht entfernt. Neben der dort getroffenen Vereinbarung über eine allgemeine, koordinierte und homogene Autonomisierung des gesamten Staatsgebietes, der Anerkennung des Grundsatzes der Gleichheit aller AG sowie der Konzeption eines identischen Kompetenzkataloges für alle AG unterstützten weitere Faktoren die föderalisierende Tendenz des nachkonstitutionellen Autonomisierungsprozesses263: So die Etablierung eines parlamentarisch-demokratisch geprägten Regierungssystems in allen AG, die Zuerkennung gewichtiger autonomer Kompetenzen264, die zwischen den verschiedenen AG weniger hinsichtlich der Materien als vielmehr der jeweiligen Intensität variieren 265 , die Anerkennung einer Legisla260 Eine Wertung, die u. a. auf dieser Grundlage beruht, vollziehen L6pez Rod6, S. 866 ff. und Moderne I Bon, S. 49 f., die so zur Annahme eines Regionalstaates eigener rechtlicher Prägung gelangen. 261 Dieser Wertungsansatz findet sich bei Busch, S. 361 ff.; Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 239, der von einem "politischen Dezentralisierungsprozeß" spricht; nach Trujillo Fernandez, S. 119, muß jeder Typologisierungsversuch eine "dynamische Perspektive" enthalten; vgl. weiter Moderne I Bon, S. 48, die- im Jahre 1981 -darauf hinweisen, der Entwicklungsprozeß müsse abgewartet werden. 262 Acuerdos Auton6micosfirmados por el Gobierno de la Naci6n y el Partido Socialista Obrero Espanol, v. 31. 7.1981; vgl. hierzu Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 223. 263 Vgl. Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), 235 ff. 264 Molina del Pozo, Manual, S. 555; Moderne I Bon, S. 51 f.; Trujillo Fernandez, S. 121: Diesen Autoren zufolge stellen die gesetzgeberischen, administrativen und richterlichen Befugnisse der AG eine "echte politische Gewalt" (Trujillo Fernandez, ebd.) dar. Für Moderne I Bon sind die Komptenzen der Rechtsprechungsorgane der AG allerdings nur von untergeordneter Bedeutung und sprechen mehr für die Annahme eines Regionalstaates. 265 Vgl. Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 237.

II. Kap.: Spanien

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tivgewalt aller AG, die Ebenbürtigkeit der autonomen und der staatlichen Rechtsquellen sowie schließlich die Entfaltung des Homogenitätsprinzips 266 • Gleichwohl wird für Spanien im Hinblick auf die fehlende Staatlichkeit der AG und mangels eines eigenständigen autonomen pouvoir constituant eine bundesstaatliche Organisationsstruktur vemeint 267 • Nicht zu verkennen ist allerdings, daß die Autonomiestatute eine Position einnehmen, die mit einer gliedstaatliehen Verfassung zumindest vergleichbar ist. Angesichts ihrer Qualität als höchste autonome Rechtsquelle und ihrer Bestandskraft wird den Statuten faktisch die Funktion und die Bedeutung einer Verfassung zuerkannt 268 • Als weitere Argumente gegen die Annahme einer föderativen Staatsstruktur werden schließlich Art. 145 Abs. 1 CE (Verbot des Zusammenschlusses Autonomer Gemeinschaften) 269 sowie die Residualklausel (Art. 149 Abs. 3 CE) 270 angeführt. Konsensfähig erscheint aber die Charakterisierung Spaniens als politisch dezentralisierter Staat, der "dazu neigt, wie die bisherigen Bundesstaaten zu funktionieren" und damit eine präföderale Struktur besitzt 27 1• Um diese Struktur auszubauen, werden die weitere Vereinheitlichung der Zuständigkeiten der AG durch Statutsreformen auf dem Wege des Art. 148 Abs. 2 CE, aber auch durch das Mittel der Kompetenzdelegation gemäß Art. 150 Abs. 2 CE 272 sowie eine schrittweise Aufwertung des Senats 273 für erforderlich gehalten. 266 Zur Anwendbarkeit dieses Grundsatzes im spanischen Verfassungsrecht vgl. Busch, S. 354 f., der von der faktischen Entfaltung des Homogentitätsprinzips in der spanischen Verfassungswirklichkeit ausgeht. 267 Vgl. Lopez Rodo, S. 867; Moderne I Bon, S. 50, 53; R. Schütz, Der Staat 22 (1983), S. 195, 197 /198; Rudolf, Bundesländer, S. 121; Trujillo Fernandez, S. 115; a.A. ist Busch, S. 367, Fn. 3, der das Fehlen von Souveränität und Staatlichkeil nicht als entscheidend ansieht, da es sich insoweit um "verzichtbare bundesstaatliche Merkmale" handele: vgl. hierzu unten XXVI. Kap. I. 268 Vgl. Busch, S. 367, Trujillo Fernandez, S. 121. 269 Zu dieser Argumentation vgl. Moderne I Bon, S. 51 ; Posada, RDPSP 49 (1932), 366, kommt u. a. im Hinblick auf den entsprechenden Artikel 13 der spanischen Verfassung von 1931 zu dem Ergebnis, daß diese nicht föderalistisch geprägt sei. 210 Eine föderalistische Struktur wird unter diesem Aspekt im Hinblick auf die Verfassung von 1931 von Posada, ebd., verneint. 211 Cruz Villa/on, ebd .. S. 240; Sommermann, DVBl. 1987, S. 937; ähnlich: Busch, S. 361 f.; Gonzalez Casanova, S. 160; Trujillo Fernandez, S. 120 f., der die Qualifizierung "föderativ-regional" vorschlägt und die nahe Verwandtschaft zu dem föderalistischen Staatsmodell als evident bezeichnet; R. Schütz, Der Staat 22 (1983), S. 197, spricht von nicht zu verkennenden "Essentiae" des Föderalismus, will das "spanische System aber nicht ohne weiteres als Föderalismus" bezeichnen; Moderne I Bon, S. 51 I 52 ff., sprechen zwar von "gewissen Ähnlichkeiten zwischen dem « Staat der Autonomien » und dem klassischen föderativen Staat, gehen aber von einem Regionalstaat aus, der an der italienischen Verfassung v. 27. 12.1947 orientiert sei; Guaita, RISA XLV (1979), S. 152: ,,Ein hybrides System, das im Grundsatz leicht zum föderalistischen tendiert, aber schließlich in einem Regionalsystem münden kann"; unentschieden hingegen Frohn, ÖZöRV 34 (1983), S. 61. Gegen die Annahme jeglicher föderativer Kennzeichnung plädiert Lopez Rodo, S. 870: vgl. hierzu unten XXVI. Kap. I. m Vgl. auch den diesbezüglichen, auf dem Kongreß der PSOE im Jahre 1988 verabschiedeten Vorschlag: hierzu Cruz Villa/on, JöR 37 (1988), S. 111.

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1.

Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Letzteres kann nur durch eine Verfassungsreform geschehen, die eine Einräumung eines echten Mitspracherechts zugunsten der AG in solchen Gesetzgebungsverfahren ermöglicht, welche die Kompetenzen der autonomen Gebietskörperschaften berühren 274 • Erst dann werden die AG in der Lage sein, sich an der Willensbildung des Gesamtstaates in maßgeblicher Weise zu beteiligen.

III. Kapitel

Die regionale Staatsorganisationstruktur der italienischen Republik I. Die Entwicklung des italienischen Regionalismus Nach Art. 5 der italienischen Verfassung vom 27. Dezember 1947 (im folgenden: CI 1) ist Italien eine Republik, die eine "Einheit" darstellt und "unteilbar" ist ("una e indivisibile"); sie anerkennt und fördert die lokalen Autonomien, sorgt für weitestgehende Dezentralisierung der dem Staate unterstellten Bereiche der Verwaltung und paßt die Grundsätze und Methoden der Gesetzgebung den Bedürfnissen nach Autonomie und Dezentralisierung an. Die Bestimmung, die Vorbild für Art. 2 der spanischen Verfassung von 1978 war, geht damit vom Verfassungsrang der Regionen aus, die sich nicht erst aufgrundeiner Entscheidung des Zentralstaats konstituieren, sondern ihm bereits vorgegeben sind als verfassungsrechtlich anerkannte Gebietskörperschaften mit eigenen Interessen, Rechten, Pflichten, Befugnissen und Zuständigkeiten, wie sie im 5. Titel (,,Regionen, Provinzen und Gemeinden") des zweiten Teils der Verfassung ("Der Aufbau der Republik") in Art. 114-133 CI im einzelnen ausgestaltet sind 2 • Daraus ergibt sich zugleich, daß die Regionen als Verfassungsinstitutionen verwaltungsmäßig nicht von Organen des Staates abhängig sind und die Befugnisse des Staates gegenüber den Regionen sich nicht von denjenigen unterscheiden, die ihm anderen Verfassungsorganen gegenüber zustehen 3 •

Vgl. hierzu S. 74. Vgl. Busch, S. 368; nach Cruz Villal6n, ebd., würde nur eine Verfassungsreform gern. Art. 167 CE es erlauben, "tabula rasa" zu machen. Die Unzulänglichkeiten des "Staates der Autonomen Gemeinschaften" wurden unlängst in einem Bericht dargelegt, der durch fünf der Universität Barcelona angehörende Professoren ausgearbeitet wurde: Tornos I Aja I Font I Perulies I Albert[, Informe sobre las Autonomias, 1987. 1 Costituzione ltaliana. 2 Mortati, S. 822; Guillermet I Ryngaert, RFSP XXXI (1981), S. 702; Sciascia, JöR 8 (1959), s. 166. 3 Sciascia, ebd., S. 166. 273 274

III. Kap.: Italien

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Die Geschichte des italienischen Regionalgedankens ist aufs engste mit der Entstehung und dem Werden des italienischen Staates verknüpft 4 • Historisch gesehen wurzelt er in der Tradition des "Risorgimento", der italienischen Einheitsund Freiheitsbewegung zwischen 1850 und 1860, insbesondere dem Gedankengut Carlo Cattaneos 5 sowie Giuseppe Mazzinis 6; politisch basiert er auf dem antifaschistischen Widerstand, vor allem der Widerstandsgruppe "Giustizia e Liberta" unter Carlo Rosseli 7 sowie der Italienischen Volkspartei (Partito Popolare ltaliano) unter Luigi Sturzo 8 und später der Democrazia Cristiana, rechtlich auf der Verfassung der spanischen Republik von 1931. Nachdem das Jahr 1861 die Vollendung des italienischen Nationalstaates gebracht hatte 9 , in der Folge aber die Furcht vor einem Auseinanderbrechen des 4 Vgl. hierzu Tomuschat, Die Verwaltung, 6 (1973), S. 167 ff.; eine kurze Darstellung der Geschichte der italienischen Regionalbewegung geben Giannini, S. 19 ff. m. w.N. (S. 24), und Piiiar Maiias, S. 27 ff. s Geb. 15.6.1801, gest. 6.2.1869; italienischer Sozialwissenschaftler und Politiker; Verfechter eines politischen Reformkurses, der zur Unabhängigkeit des 1815 Österreich angegliederten Königreichs Lombardo-Venetien im Rahmen eines auf föderativer Basis geeinten Italiens führen sollte. 1948 fand dieses Konzept Eingang in die umfassendere Formel von den "Vereinigten Staaten von Europa" (vgl. A. Monti, L'Idea federalista nel Risorgimento italiano). 6 Geb. 22.6.1805, gest. 10.3.1872; italienischer Freiheitskämpfer, der sich 1827 den Karbonari anschloß und 1831 in Marseille die "Giovane Italia", das ,,Junge Italien", gründete, die er 1834 mit deutschen und polnischen Parallelgründungen zum ,,Jungen Europa" vereinte. 1849leitete er mit Garibaldi die Verteidigung der Republik Rom und lebte nach dem Zusammenbruch im Exil. Die von Cavour geführte, auf die Zusammenarbeit von Krone und Nationalbewegung gestützte Einigung Italiens nach 1859 lehnte er ab. Mazzini wie auch Cattaneo stellten sich die geeinte italienische Republik als ein Konglomerat von Regionen vor, die zur Sicherung ihres kulturellen Erbes über weitgehende legislative wie administrative Befugnisse verfügen sollten: vgl. Procacci, S. 248251 und 263 ff. sowie Giannini, S. 20. 7 Geb. 1899; ermordet am 9.6.1937; Führer dieser u. a. von E. Lussu, F. Nitti und F. Parry gegründeten Bewegung, die mit einem explizit revolutionären Programm einen freiheitlichen Sozialismus anstrebte. Im Juli 1942 mündete sie in die Gründung der Aktionspartei (Partito d'Azione) ein: vgl. zum Konzept des "Sozialistischen Föderalismus" bei "Giustizia e Liberta" Modena-Burkhardt, S. 152 f. s Geb. 26. 11. 1871; 1894 Priester, 1919 Begründer und bis 1923 Generalsekretär der Partito Popo/are ltaliano (P.P.I.). Die P.P.I. war eine politische Organisation der italienischen Katholiken, die von der Idee einer christlichen Demokratie ausging, wie sie Giuseppe Toniolo (1845-1918), Mitarbeiter an der Enzyklika "Rerum novarum" Leos XIII, in seinem Werk "Trattato di economia sociale" formuliert hatte; dabei vertrat sie eine Politik der Völkerverständigung und forderte neben Unterrichts- und Kirchenfreiheit vor allem Regionalismus und die Einführung des Verhältniswahlrechts. Als stärkste Partei ( 1922: 100, 1921: 107 Abgeordnete) neben den Sozialisten war sie in den parlamentarischen Kabinetten von 1922/23 unter Mussolini vertreten. Nach der faschistischen Wahlreform 1923 errang sie noch 49 Sitze, nach der Ermordung des sozialistischen Parlamentsabgeordneten Giacomo Matteotti (1924) wurde sie aufgelöst. Sie basierte auf einer antistaatlichen politischen Haltung und befürwortete einen Ausbau starker lokaler Zentren, die ihr als Machtbasis dienen sollten (vgl. Giannini, S. 22); mit der 1923 gegründeten Zeitschrift "11 Popolo" bekämpfte Sturzo den Faschismus. Die "Democrazia Cristiana", 1942 unter der Führung von Alcidie de Gasperi im Widerstand gegen den Faschismus gegründet, ist die unmittelbare Nachfolgetin der P.P.I.

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I. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Staates gegenüber der Einsicht in die Zweckmäßigkeit eines regionalen Eigenlebens überwog, entschloß man sich, das bisherige piemontesische Kommunalund Provinzialgesetz, welches auf belgisehern und teilweise auf französischem Vorbild beruhte und von einer zentralistischen Konzeption der Regierungsgewalt ausging, auf ganz Italien auszudehnen 10• Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Regionalgedanke mit besonderem Nachdruck von der Volkspartei unter Luigi Sturzo verfochten, einer VorläufeTin der heutigen christlich-demokratischen Partei. Auf dem im Oktober 1921 in Venedig abgehaltenen Kongreß seiner Partei hielt Sturzo ein als richtungsweisend angesehenes programmatisches Referat, wo er seine Auffassung darlegte, daß das Staatswesen aus einer Delegation der keiner einheitlichen Lösung bedürftigen Verwaltungsaufgaben (öffentliche Einrichtungen, Schulen, Industrie, Handwerk, Landwirtschaft, Arbeit) an Regionen als territoriale Untergliederungen infolge einer Freisetzung von "Kraft und Mitteln" zur Bewältigung der großen nationalen Probleme gestärkt hervorgehen könne 11 . Der aufkommende Faschismus machte indes alle diese Bestrebungen schon im Ansatz zunichte. Nach dem Ende des Faschismus trat vor allem die Democrazia Cristiana dafür ein, den Regionalgedanken in die Tat umzusetzen, wobei sie unter dem Einfluß der päpstlichen Soziallehre stand, die in den beiden Enzykliken "Rerum novarum" von 1891 und "Quadragesimo anno" von 1931 einen korporativistischen Staatsaufbau befürwortet hatte 12. Das sodann ausgearbeitete Modell, das sich in Titel V des Verfassungsentwurfs über die territoriale Gliederung des Staates niederschlug, fand schließlich auch die Zustimmung der italienischen Kommunisten 13 . Daneben ist für die territoriale Konzeption der italienischen Verfassung, die am 22. Dezember 1947 abschließend beraten und am 1. Januar 1948 in Kraft trat, die spanische Verfassung von 1931 14 von maßgeblicher Bedeutung gewesen15. Durch die regionale Dezentralisierung sollte nicht nur den geographischen, historischen, ethnischen, ökonomischen und sozialen Unterschieden der verschieVgl. hierzu Procacci, S. 266 ff. Ein als "piemontesizzazione" bezeichneter Vorgang, der seinen Niederschlag fand im Gesetz v. 20.3.1865, Nr. 2248 (All. F. Testo delle leggi sui lavori pubblici), abgedr. bei E.Spagna Musso, Codice di diritto regionale comune, Bologna 1981, S. 1671; vgl. hierzu Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 168, Fn. 4 m. w.N. 11 Vgl. Tomuschat, ebd., S. 168 m.w.N. 12 Vgl. Bassanini, RISA XLTII (1977), S. 52, der das Modell der Territorialgliederung der italienischen Nachkriegsverfassung als Synthese des Prinzips der Subsidiarität der katholischen Soziallehre und des Systems der Volksräte der sozialistischen Verfassungen ansieht; Tomuschat, ebd., S. 168. 13 Näheres bei Tomuschat, ebd., S. 168 f. m. w.N. 14 Vgl. hierzu Sommermann, Der Schutz der Grundrechte, S. 42 ff. 15 Vgl. Garcfa de Enterr(a, S. 295; Esteban I Lopez Guerra, S. 46; Chiti-Batelli, s. 166. 9

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III. Kap.: Italien

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denen Regionen Italiens Rechnung getragen, sondern auch das Interesse des Bürgers am Staat und die Ausbildung eines politischen Pluralismus gestärkt werden 16• Die Kernbestimmung des Titels V der Verfassung bildet Art. 114 CI, der in knapper Diktion wie folgt lautet: "Die Republik gliedert sich in Regionen, Provinzen und Gemeinden". Während die Regionen nach Art. 115 CI als "autonome Verbandseinheiten" (enti autonomi) mit eigenen Befugnissen und Aufgaben gemäß den in der Verfassung festgelegten Grundsätzen "errichtet werden", wird den Provinzen und Gemeinden in Art. 128 CI lediglich der Charakter von autonomen Verbandseinheiten zugesprochen, ohne daß ihnen von der Verfassung gleichzeitig ein eigener Kompetenzbereich zugestanden wird. Das Verfahren zur Konstituierung der Regionen ist nicht einheitlich, da die Verfassung für die in Art. 131 CJ1 7 aufgezählten Regionen mit sog. "Normalstatut" in Art. 123 Abs. 2 CI bezüglich der Annahme des Statuts einen Beschluß durch die absolute Mehrheit der Mitglieder des Regionalrates und die Billigung durch ein Gesetz der Republik voraussetzt, wohingegen fünf Regionen, denen Art. 116 CI besondere Formen und Bedingungen der Autonomie zugesteht, "Sonderstatute" aufgrundvon Verfassungsgesetzen verliehen werden. Bei den letztgenannten Regionen handelt es sich um die Gebiete Sizilien, Sardinien, Trient-Oberetsch, das Aosta-Tal sowie Friaul-Julisch-Venetien. Für die beiden Inseln sowie für die Regionen Aosta-Tal und Trient-Oberetsch hat der Verfassungsgeber im Februar 1948 die Sonderstatute erlassen 18 , während für die Region Friaul-Julisch-Venetien das Statut erst mit einiger Verzögerung im Jahre 1963 zustandekam 19• Den Regionen mit Sonderstatut sind aufgrund einer Änderung des Statuts der Region Trient-Oberetsch durch ein Verfassungsgesetz vom 10. 11. 1971 20 die Provinzen Trient und Bozen gleichgestellt. Jede der beiden Provinzen verfügtinfolge der territorialen Ausgliederung aus der Region TrientOberetsch über einen eigenständigen, autonomierechtlich abgesicherten Kompetenzbereich. Die Regionen mit Sonderstatut gehören seit den Anfängen des neuen 16 Mortati, S. 878; Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 51, 54, der von einem "territorialhorizontalen Pluralismus" spricht. 11 Geändert durch Verfassungsgesetz Nr. 3 v. 27. 12. 1963, G.U. v. 4.1.1964, Nr. 3. 18 Statut Sizilien (im folgenden: St.sic.): Verfassungsgesetz v. 26.2.1948, Nr. 2, abgedr. bei Guiseppe Guarino, Codice Costituzionale della Repubblica Italiana, 2. Bd. (Libri IV -IX), Mailand 1974, § 509, S. 2880 ff. (Erhebung des bereits im Jahre 1946 erlassenen Regionalstatuts in den förmlichen Rang des Verfassungsgesetzes); Statut Sardinien (im folgenden: St.sard.): Verfassungsgesetz v. 26. 2. 1948, Nr. 3, abgedr. ebd., § 548, S. 3002 ff.; Statut Aosta-Tal (im folgenden: St.V.A.): Verfassungsgesetz v. 26. 2.1948, Nr. 4, abgedr. ebd., § 575, S. 3131 ff.; Statut Trient-Oberetsch (im folgenden: St.T.A.A.): Verfassungsgesetz v. 10. 11.1971, Nr. 1, abgedr. ebd., § 586, S. 3197 ff. 19 Statut Friaul-Julisch-Venetien (im folgenden: St.F.V.G.): Verfassungsgesetz v. 31.1.1963, Nr. 1, G.U. v. 1.2.1963, Nr. 29, abgedr. bei Guarino (Fn. 18), § 626, s. 3456 ff. 2o Verfassungsgesetz Nr. 1, G.U. v. 5. 1.1972, Nr. 3.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

demokratischen Italiens zur Verlassungswirklichkeit und sind teilweise sogar vor der Ausarbeitung des Verlassungswerkes zur Abwehr von Separationsbewegungen entstanden 21 . Art. 131 CI führt- neben den dort nochmals genannten Regionen mit Sonderstatut- die durch Verlassungsgesetz vom 27. Dezember 1963 22 auf fünfzehn erhöhten Regionen mit Normalstatut namentlich auf (Piemont, Lombardei, Venetien, Ligurien, Emilia Romagna, Toscana, Umbrien, Marken, Latium, Abruzzen, Molise, Kampanien, Apulien, Basilikata, Kalabrien) 23 . Die Übergangsbestimmung des Art. VIII Abs. 1 CI sah vor, daß binnen eines Jahres nach lokrafttreten der Verlassung Wahlen zu den Regionalparlamenten auszuschreiben seien. Nach der Vorstellung des Verlassungsgebers sollten die Regionen mit Normalstatut nach ihrer kurzfristigen Errichtung von sich aus politische und legislatorische Initiativen entwickeln und so die bis dahin herrschenden territorialen Staatsstrukturen an die der Verlassung zugrundeliegende Konzeption eines territorialen Pluralismus anpassen. Aus diesem Grund verzichtete der Verfassungsgeber auf eine umfassende und präzise gesetzliche Normierung bezüglich der diesen Regionen obliegenden Kompetenzen im Legislativ-, vor allem aber im Administrativbereich sowie ihrer finanziellen Ausstattung und Strukturen. Jedoch nahm die Entwicklung der Regionen in der Verfassungswirklichkeit einen gänzlich anderen Lauf24 • Die Frist des Art. VIII Abs. 1 der Übergangsbestimmung wurde nämlich zunächst durch förmlichen Gesetzgebungsakt bis zum 31. Dezember 1950 hinausgeschoben; nachdem auch diese Frist untätig verstrichen war, wurde diese Bestimmung "schlicht der Vergessenheit überantwortet"25. Erst im Jahre 1953 wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 62 über "Verfassung und Funktionieren der Regionalorgane" 26 (sog. "See/ba-Ge21 Das Ziel, eine Loslösung vom Mutterland zu verhindern, war zunächst für die Gewährung der Autonomie an Sizilien im Mai 1946 ausschlaggebend und hat später auch die gleiche Entscheidung zugunsten des Aosta-Tals motiviert, das möglicherweise an Frankreich hätte verloren gehen können, welches sich im Friedensvertrag mit Italien zum Schutz der französischsprachigen Minderheit den Erlaß eines Statuts für diese Region zusichern ließ. Ähnlich waren die Motive für den Erlaß der Sonderstatute für die Regionen Trient-Oberetsch und Friaul-Julisch-Venetien, die ebenfalls Grenzregionen bilden. Der Erlaß eines Sonderstatuts für Trient-Oberetsch erfolgte aufgrund einer Übereinkunft zwischen de Gasperi und Gruber zum Schutz der deutschsprachigen Minderheit in Bozen; das Sonderstatut für Friaul-Julisch-Venetien verfolgte den Schutz der slowenischen Minderheiten, insbesondere der Friauler und ihrer Sprache bzw. ihres Dialekts: vgl. Giannini, S. 30 ff.; Piiiar Maiias, S. 35 ff.; Ritterspach, ]öR 37 (1988), S. 79; Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 170 m. w.N. 22 Nr. 3, G.U. v. 4.1.1964: die bis dahin vorgesehene Region Abruzzen-Molise wurde in die beiden selbständigen Regionen Abruzzen und Molise zertrennt. 23 Zu der teilweisen konzeptlosen geographischen Einteilung vgl. Mortati, S. 890 ff.; Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 170 f. 24 Vgl. Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 53. 25 Tomuschat, ebd., S. 171. 26 Gesetz v. 10.2.1953, Nr. 62 (Costituzione e funzionamento degli organi regionali), G.U. v. 3.3.1953, Nr. 52.

III. Kap.: Italien

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setz") ein Schritt zur Verwirklichung der Regionen mit Normalstatut getan, das

seiner Grundhaltung nach jedoch im Schrifttum als autonomiefeindlich charakterisiert wird 27 . Nach erneuter jahrelanger Untätigkeit 28 wurde die festgefahrene Situation dann wieder im Jahre 1967 mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes der Regierung über die Regionalwahlen in Bewegung gebracht. Das daraufhin im Februar 1968 verabschiedete Gesetz 29 ging von dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahlen zu den Regionalparlamenten aus (Art. 1 Abs. 1) und ermöglichte es den Regionen so, in den am 7. Juni 1970 zum ersten Mal stattfindenden Regionalwahlen infolge der Unmittelbarkeit der demokratischen Legitimation an politischem Gewicht zu gewinnen 30. Zuvor war im Mai 1970 das Regionalfinanzgesetz31 verabschiedet worden 32, das- neben anderen bedeutsamen Bestimmungen auf die später noch zurückzukommen sein wird - eine Ermächtigung an die Regierung enthielt, innerhalb von zwei Jahren die Überleitung der Verwaltungsfunktionen auf die Regionen sowie die Überführung der in der Staatsverwaltung freigesetzten öffentlichen Bediensteten gemäß Art. VIII Abs. 2 und 3 der Übergangsbestimmungen der Verfassung durch Dekret mit Gesetzeskraft zu regeln (Art. 17). Eines der ersten Projekte, welche die neugewählten Regionalparlamente in Angriff zu nehmen hatten, war die Ausarbeitung des jeweiligen- durch Art. 123 Abs. 1 CI bindend vorgeschriebenen - Regionalstatuts. Die staatlichen Genehmigungsgesetze gemäß Art. 123 Abs. 2 CI 33wurden für dreizehn Regionalstatute verhältnismäßig rasch bereits am 22. Mai 1971 erlassen 34, während die Statute der Regionen Abruzzen und Kalabrien, wo die Wahl der jeweiligen Regionalhauptstadt zu harten und zeitraubenden Auseinandersetzungen führte, ihre Billigung erst im Juli 1971 erhielten 35 . 27 Rodr(guez-Zapata y Nrez, REDC 3 (1981), S. 250 f.

Bassanini, RISA XLIII (1987), S. 53 f., bezeichnet diese Untätigkeit als "Obstruktion der Mehrheit" gegen die Verwirklichung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen. 29 Gesetz v. 17. 2. 1968, Nr. 108 (Norme per la elezione dei Consigli regionali delle Regioni a statuto normale), G.U. v. 6. 3.1968, Nr. 61, abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), s. 215. 30 Vgl. Tomuschat, ebd., S. 172. 31 Gesetz v. 16. 5. 1970, Nr. 281 (Provvedimenti finanziari per 1'attuazione delle Regioni a statuto ordinario), G.U. v. 22.5.1970, Nr. 127, abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), s. 1878. 32 Damit war Art. 22 Abs. 2 des Wahlgesetzes genüge getan, wonach die Wahlen erst nach der Regelung des finanziellen Status der Regionen abgehalten werden durften. 33 Verfahrensmäßig präzisiert durch Art. 6 Abs. 1, 2 und 3 des Gesetzes Nr. 62 von 1953 (Fn. 26). Abs. 2 modifiziert durch Änderungsgesetz v. 23.12.1970, Nr. 1084, G.U. v. 8.1.1971, Nr. 5, abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 244 ff., wonach nur noch zu prüfen war, ob ein Verstoß gegen die Verfassung und die Gesetze einerseits und gegen das nationale Interesse oder die Interessen anderer Regionen andererseits vorlag. Damit fand keine Prüfung der Zweckmäßigkeit statt. 34 Gesetz 383-350, in: G.U. v. 14.6.1971, Nr. 148 Suppl.; abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 33-47 und S. 61-210. 28

126

1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Die Aufnahme der Tätigkeit der Regionen hing nun noch von dem Erlaß der Überleitungsdekrete gemäß Art. 17 des Regionalfinanzgesetzes ab. Unmittelbarer Gegenstand der Überleitungsdekrete sind lediglich die Verwaltungsfunktionen, während der Region die Gesetzgebungshoheit unmittelbar kraft Verfassung zusteht und lediglich bis zu dem Zeitpunkt des lnkrafttretens der Dekrete gehemmt war 36• Diese wurden in zwei Schüben vom Ministerrat durch Beschlüsse vom 7. Dezember und 28. Dezember 1971 verabschiedet und in der Zeit vom 15. Januar bis 19. Februar 1972 in der Gazzetta Ufficiale verkündet 37 • Damit waren die Regionen handlungsfähig geworden. Ihre Gesetzgebungsaufgaben konnten sie vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Dekrete an wahrnehmen. Lediglich für die Aufnahme ihrer Verwaltungstätigkeit hatten sie den 1. April 1972 abzuwarten38. Durch Gesetz vom 22. 7. 1975 39 wurde die Regierung ermächtigt, für die Regionen mit Normalstatut die notwendigen Dekrete mit Gesetzeskraft zwecks Vervollständigung der Übertragung der Verwaltungszuständigkeiten zur Ausübung der in Art. 117 CI genannten Kompetenzen binnen zwölf Monaten zu erlassen, womit die Grundlagen für die zweite Phase des Kompetenzübergangs auf die Regionen geschaffen worden waren. Erst am 24.7.1977 wurde nach erheblichen Bemühungen der Regionen das Dekret über den Übergang dieser weiteren Verwaltungsfunktionen erlassen 40 , wobei diese Übertragung nicht bezüglich einzelner Mate35 Abruzzen: Gesetz v. 22. 7. 1971, Nr. 480, G.U. v. 28. 7.1971, Nr. 190; Kalabrien: Gesetz v. 28. 7. 1971, Nr. 519, G.U. v. 28. 7. 1971, Nr. 190, abgedr. bei: Spagna Musso (Fn. 10), S. 2-33 und S. 48-60. 36 Tomuschat, ebd., S. 186; ähnlichBassanini, RISA, XLlll (1977), S. 52, nachdessen Auffassung die Überleitungsdekrete in den Augen der Konstituante nicht einmal eine suspendierende Bedingung für die Aufnahme der Tätigkeit der Regionen mit Normalstatut darstellen; La Pergola, REDC 13 (1985), S. 11. 37 Dekrete Nr. 1 und 2 v. 14.1.1972, G.U. v. 15.1.1972, Nr. 12, Suppl. ord.; Dekrete Nr. 3 und 4 v. 14.1.1972, G.U. v. 19.1.1972, Nr. 15, Suppl. ord.; Dekrete Nr. 5 und 6 v. 14.1.1972, G.U. v. 22.1.1972, Nr. 19, Suppl. ord.; Dekret Nr. 7 v. 15.1.1972, G.U. v. 27.1.1972, Nr. 24, Suppl. ord.; Dekret Nr. 8 v. 15.1.1972, G.U. v. 29.1.1972, Nr. 26, Suppl. ord.; Dekret Nr. 9 v. 15.1.1972, G.U. v. 2.2. 1972, Nr. 30, Suppl. ord.; Dekret Nr. 10 v. 15.1.1972, G.U. v. 14.2.1972, Nr. 41, Suppl. ord.; DekretNr. 11 v. 15.1.1972, G.U. v. 19.2.1972, Nr. 46, Suppl. ord.; alle abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 254364. Zu dem Umstand, daß die Bestimmung der regionalen Autonomie in der Form des ,.decreto-legge", einer Verordnung mit Gesetzeskraft, nicht aber aufgrundeines ordentlichen Gesetzes erfolgte sowie zum Rang derselben vgl. Sepe, DA Nr. 198 (1983), S. 21 f.; weiterhin La Pergola, REDC 13, S. 37. Die Überleitungsdekrete sind vom Verfassungsgericht als Kriterium der Verfassungsmäßigkeit der nationalen und regionalen Gesetzgebung gewertet worden, weshalb sie auch nur mittels einer ausdrücklichen Änderung modifizierbar sind. 38 Gern. Gesetzesdekret Nr. 1121 v. 28.12.1971, ohne Änderung umgewandelt in ein GesetzdurchGesetzNr. 15 v. 25.2.1972,G.U. v. 27.2.1972,Nr. 54; abgedr. beiSpagna Musso (Fn. 10), S. 252. 39 Gesetz Nr. 382, G.U. v. 20.8.1975, Nr. 220; abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), s. 365 ff.

III. Kap.: Italien

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rien, sondern in Form von verschiedenen Gruppierungen von Materien, sog. "organischen Abschnitten", erfolgte.

II. Die Funktion der Regionalstatute Die Normalstatute stellen in der staatlichen Rechtsordnung eine Rechtsquelle dar, über deren Qualifizierung - als staatliche oder als regionale Rechtsnorm in der italienischen Literatur Uneinigkeit besteht 41 • Unzweifelhaft ist hingegen, daß die Sonderstatute staatliche Gesetze im Rang von Verfassungsgesetzen darstellen, auch wenn sie von informellen Vertretern der Regionen mit Vertretern des Staates ausgehandelt wurden 42 • Nach heute überwiegender Ansicht stellen auch die Normalstatute staatliche Rechtsnormen dar, da sie als Akte der regionalen Autonomie einer Billigung durch ein Gesetz der Republik bedurften (Art. 123 Abs. 2 Cl) 43. Gemäß Art. 123 Abs. 1 CI enthalten die Statute im Einklang mit der Verfassung und den Gesetzen der Republik die Bestimmungen über die innere Organisation der Region und regeln die Ausübung des Rechts zur Gesetzesinitiative und des Volksentscheids über Gesetze und Verwaltungsanordnungen der Region sowie die Veröffentlichung der regionalen Gesetze und Verordnungen. Die Regelungen der Statute beziehen sich im einzelnen auf die regionale Beteiligung an Gesetzgebung und Verwaltung, die regionale Verwaltung, die Organisation der regionalen Tätigkeit gemäß den Vorgaben der staatlichen Planung auf wirtschaftlichem Gebiete und für andere Sektoren, die Kollegialität und die Einheit des gesamten öffentlichen Verwaltungshandelns, die Delegation regionaler Aufgaben auf lokale Einheiten, das Verhältnis von Regionen, Provinzen und Gemeinden, die regionale Parlaments- und Regionalstruktur, die Zuweisung von politisch-administrativen Leitungsfunktionen an den Regionalrat sowie auf die effektive Kontrolle der Regionalverwaltung durch den Regionalrat, dessen Ausschüsse und seiner Abgeordneten. Der den Statuten zur Regelung überlassene Bereich wird insgesamt als "eher bescheiden" 44 gewertet. Die Regelungen konzentrieren sich im wesentlichen auf organisatorisch-administrative Belange, aber auch hier sind die generellen Leitlinien bereits durch Verfassungsnormen vorgegeben 4 S, die ihrerseits zur näheren 40 Dekret des Präsidenten der Republik (im folgenden: D.P.R.) Nr. 616, G.U. v. 29.8.1977, Suppl.ord.; abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 369 ff. 41 Vgl. Crisafulli, Lezioni, II, 1, S. 107 ff. 42 Giannini, S. 42; Crisafulli, ebd., S. 107. 43 Giannini, S. 44; Crisqfulli, ebd., S. 108. 44 Vgl. Crisafulli, ebd., S. 105; Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 56, gelangt hingegen zu einer positiveren Wertung der Regionalstatute. 45 Detaillierte Vorgaben macht die Verfassung in Art. 121 CI bzgl. der Organe der Region und in Art. 122 CI für die Wahlgesetze.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Regelung auf staatliche Gesetze verweisen (Art. 119, 122, 130 Cl). Im Hinblick auf diese durch die Regelung in Verfassungsnonnen und Gesetzen der Republik bedingte Vorenthaltung bedeutender Regelungsmaterien sind die Regionalstatute in der Form der Nonnalstatute als ,,Pseudostatute" bezeichnet worden, die nicht die regionale Autonomie definierten, sondern eine bloße Beschreibung der verwaltungsmäßigen Zuständigkeiten der Regionen enthielten 46 • Deshalb stelle sich auch nicht mehr die Frage, ob die Statute im Verhältnis zu den Regionalgesetzen eine übergeordnete Stellung einnährnen 47 • Die in Art. 123 Abs. 1 CI geforderte Übereinstimmung des Regionalstatuts mit der Verfassung und den Gesetzen der Republik wird durch die im Gesetz 1084 vom 23. Dezember 1970 48 erfolgte Neufassung des Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Februar 1953 49 dahingehend umschrieben, daß eine "Übereinstimmung der Statute mit der Verfassung und den allgemeinen Grundsätzen der staatlichen Rechtsordnung" vorliegen muß. Das Erfordernis der Übereinstimmung mit den staatlichen Gesetzen beinhaltet nicht allein die Notwendigkeit einer Beachtung der ausdrücklichen staatlichen Gesetzesvorgaben für die Regelung regionaler Belange (bspw. Art. 122 Abs. 1 Cl), sondern auch anderer Gesetze, soweit diese als Ausdruck allgemeiner Grundsätze angesehen werden können, die im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung durch die regionale Autonomie nicht verletzt werden dürfen. Eine weitergehende Limitierung der statutarischen Autonomie der Regionen ist unzulässig, weil sie einer konkurrierenden staatlichen Gesetzgebung gleichkäme, die es erlauben würde, eine staatliche Grundsatzgesetzgebung in Form von Rahmengesetzen (leggi-cornice) zu erlassen 50 •

111. Regionale Organisationsstruktur Nach Art. 121 Abs. 1 CI bilden das Regionalparlament (consiglio regionale), die Regionalregierung (giunta regionale) und deren Präsident (presidente regionale) die Organe der Region. 1. Das Regionalparlament

Das Regionalparlament 5 1 ist das Hauptberatungsorgan, das aus direkten Wahlen hervorgeht und dem somit ein repräsentativer Charakter zukommt. Art. 121 Giannini, S. 44. Giannini, S. 44. 48 Vgl. oben. Fn. 33. 49 Vgl. oben Fn. 26; vgl. auch das Urteil des Verfassungsgerichts Nr. 40/1972, Racc.Uff. XXXV, S. 235 ff. 50 Vgl. Mortati, S. 918. 51 In Sizilien trägt es den Namen "assembla regionale"; zu diesen Organen vgl. Mortati, S. 868 ff. 46

47

III. Kap.: Italien

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Abs. 2 CI weist ihm die Ausübung der der Region zustehenden Rechtsetzungskompetenzen sowie der ihr sonst durch Gesetz übertragenen Funktionen zu. Im Hinblick auf die Knappheit der der Region obliegenden Gesetzgebungszuständigkeiten nehmen die Regionalparlamente regelmäßig nicht nur legiferierende Aufgaben, sondern auch solche Kompetenzen wahr, die im klassischen System der Gewaltenteilung als Regierungsprärogative angesehen werden 52• Zudem sind in sämtlichen Regionalstatuten sehr weitgehende Untersuchungsrechte des Regionalparlaments zusammen mit entsprechenden Auskunftspflichten der Regionalverwaltung vorgesehen 53 • In manchen Statuten wird das Regionalparlament generell für zuständig erklärt, soweit nicht eine spezielle Zuständigkeit anderer Regionalorgane begründet ist 54•

2. Die Regionalregierung Die Regionalregierung 55 ist gemäß Art. 121 CI das Exekutivorgan der Region und setzt sich aus dem Präsidenten und sechs bis zwölf Mitgliedern - je nach der Bevölkerungszahl - zusammen, wobei sowohl Präsident als auch Regierungsmitglieder gemäß Art. 122 Abs. 5 CI direkt vom Parlament zu wählen sind. Der Kompetenzschwerpunkt der Regionalregierung liegt auf administrativem Gebiet, wohingegen dem Parlament der Primat für die politischen Leitentscheidungen zusteht 56• Im Außenverhältnis ist lediglich die Regionalregierung als Kollegialorgan, nicht aber ein Mitglied der Regionalregierung zu verbindlichem Rechtshandeln befugt 57 •

3. Der Regionalpräsident Die Stellung des Regionalpräsidenten wird in Art. 121 Abs. 4 CI dahingehend definiert, daß er "die Region vertritt", die regionalen Gesetze und Verordnungen verkündet und die vom Staat der Region übertragenen Verwaltungsaufgaben 52 So z. B. die Billigung von Sektorenplänen über wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen im Kompetenzbereich der Region etc. gemäß Art. 16 lit. m St.piemont.; vgl. Tomuschat, ebd., S. 177. 53 Vgl. bspw. Art. 12 Abs. 3 St. piemont. 54 Vgl. bspw. Art. 8 St.venez. 55 Vgl. hierzu Mortati, S. 900 ff. 56 V gl. bspw. Art. 39 Abs. 1 St. piemont: "Bei der Regionalregierung liegt die Initiative für die der Region zugewiesenen Verwaltungsfunktionen; sie sorgt für die Ausführung der Gesetze und der Beschlüsse des Regionalparlaments; sie verwaltet das Vermögen der Region; sie überwacht die Erledigung der Verwaltungsaufgaben der Region, soweit diese an der Region unterstehende Verwaltungsträger, an besondere Anstalten oder an Gesellschaften mit Beteiligung der Region delegiert worden sind"; vgl. Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 56. 57 Vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 178m. w.N.

9 Blanke

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

gemäß "den Weisungen der Zentralregierung leitet". Der Aufgabenbereich des Präsidenten weist damit eine komplexe Struktur auf58 , wobei ihm allerdings was in der Verfassung unerwähnt bleibt - in erster Linie die Leitung der Regionalregierung obliegt. Darüber hinaus fungiert der Präsident der Regionalregierung als Präsident der Region dann, wenn er, wie die Verfassung es bestimmt, die Gesetze und Verordnungen der Region verkündet oder die in den Statuten geregelte Prozeßvertretung für die Region wahrnimmt. Was schließlich die an die Region delegierten staatlichen Verwaltungsaufgaben angeht, tritt der Präsident in den Dienst der Zentralregierung, nach deren Anweisung er zu handeln hat, wobei er aber nicht die Eigenschaft eines Regionalorgans verliert 59 •

IV. Aufgaben der Regionen Die Aufgaben der Regionen lassen sich in zwei große Kategorien einteilen, je nachdem, ob sich ihre Tätigkeit auf eine Beteiligung an den Aktivitäten des Gesamtstaates oder auf ihre internen Angelegenheiten bezieht 60•

1. Beteiligung an den Aufgaben des Gesamtstaates Die Regionen besitzen Beteiligungsrechte an staatlichen Aktivitäten, die vom Gesetzesinitiativrecht der Regionalräte (Art. 121 Abs. 2 Cl) über das Recht zur Benennung von Delegierten für die Wahl des Präsidenten der Republik (Art. 83 Abs. 2 CI) bis hin zur Einschaltung der Präsidenten der Regionen mit Sonderstatut im Ministerrat (consiglio dei ministri) mit beratender Stimme im Fall der Beratung von Angelegenheiten mit spezifischem Regionalbezug reichen 61 • Nach Art. 57 Cl wird der Senat "auf regionaler Basis" gewählt, wobei keine Region weniger als sieben Senatoren haben darf. Der mißverständliche Wortlaut dieser Bestimmung bedeutet nicht, daß die Wahl den Selbstverwaltungsorganen der Regionen obliegt, sondern ist lediglich maßgebend für die Abgrenzung der Wahlbezirke und die (relativ) gleichmäßige Verteilung der Parlamentssitze auf die Regionen. Die völlig gleichen Zuständigkeiten beider Kammern des italienischen Parlaments, der gleiche Wahlmodus sowie die hohe Mitgliederzahl des Senats lassen jedoch insbesondere die kleineren Regionen bei der staatlichen Gesetzgebung kaum zu Gehör kommen, so daß sich die Frage nach der DaseinsbeVgl. Mortati, S. 901: "una figura complessa"; Tomuschat, ebd., S. 178. Mortati, S. 902. 60 Vgl. zu dieser Unterscheidung Mortati, S. 913. 61 Die Übergangsbestimmung XVI des sizilianischen Statuts, die eine .,Teilnahme" im Ministerrat .,im Rang eines Ministers" und mit "beschließender Stimme" vorsieht, ist stillschweigend dahingehend abgeändert worden, daß auch Sizilien nur mit beratender Stimme im Ministerrat vertreten ist. Vgl. Mortati, S. 913 (Fn. 2); vgl. hierzu weiter VII. Kap. II. 58

59

III. Kap.: Italien

131

rechtigung dieser zweiten Kammer in der italienischen Verfassungsordnung stellt 62•

2. Die Regelung interner Regionalangelegenheiten Die Regelung der regionalen Angelegenheiten geschieht in der Form der Normsetzung, durch Verwaltungsentscheidungen sowie schließlich durch die verwaltungsmäßige Kontrolle. Da die Gesetzgebungstätigkeit der Regionen nach dem jeweiligen Statut ihr primäres und wichtigstes Aufgabengebiet darstellt, soll zunächst hierauf eingegangen werden. a) Allgemeine Kennzeichnung der regionalen Gesetzgebungstätigkeit

Die regionalen Gesetzgebungsbefugnisse lassen sich danach unterscheiden, ob es sich um eine primäre oder "subprimäre" Legislativbefugnis handelt (sog. Gesetzgebungskompetenzen ersten Grades), darüber hinaus danach, ob es sich um eigene oder delegierte (letztgenannte Kompetenzen werden als Gesetzgebungskompetenzen zweiten Grades bezeichnet) Gesetzgebungsbefugnisse handelt. Das Charakteristikum der regionalen Autonomie, welches diese von der Autonomie anderer territorialer Gebietskörperschaften in der italienischen Rechtsordnung unterscheidet, besteht in der Zuerkennung einer auf bestimmte Bereiche beschränkten Gesetzgebungsbefugnis, insbesondere soweit diese eine ausschließliche Kompetenz 63 darstellt, die den Regionen aufgrund der Verfassung eingeräumt ist und die sie im Falle einer Primärkompetenz, d. h. einer ausschließlichen Zuständigkeit, dazu ermächtigt, im Rahmen der Verfassung eigene Gesetze zu erlassen und damit bestehende Gesetze des staatlichen Parlaments abzuändern. Davon zu unterscheiden ist die ,,konkurrierende" oder "geteilte" Gesetzgebungszuständigkeit64, die hier ebenso wie in der spanischen Verfassung 65 eine Kompetenz zur Regionalgesetzgebung im Rahmen staatlicher Grundsatzgesetzgebung ("leggi comice" = Rahmengesetzgebung) darstellt. Mithin sind bezüglich der Gesetzgebungskompetenz der Regionen drei verschiedene Typen zu unterscheiden, wobei die Kompetenz zum Erlaß eines Statuts und die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz als "primär" und die konkurrierende Gesetzgebung als "sub-primär" (subprimario) charakterisiert werden. Eine weitere normative Kompetenz stellt schließlich das Recht der Regionen zum Erlaß von Verordnungen dar, die Ausführungsregelungen hinsichtlich der regionalen sowie ausnahmsweise der staatlichen Gesetzgebung beinhalten (sog. "sekundäre" Kompetenzen) 66 • Ritterspach, JöR 37 (1988), S. 75, 79 f . ,,Potesta legislativa primaria" oder "piena" genannt. 64 ,,Potesta legislativa concorrente" oder "bipartita" genannt. 65 Vgl. hierzu II Kap. VIII. 2. a) aa). 62 63

9•

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

b) Die primäre und ,,sub-primäre" Gesetzgebungskompetenz (Gesetzgebungskompetenz ersten Grades)

Die primäre Gesetzgebungskompetenz der Regionen bezeichnet jenen Bereich, in dem die Legislativbefugnisse in toto den Regionen vorbehalten sind, so daß in den einschlägigen Materien jeglicher staatlicher Eingriff, der zu einer horizontalen Aufteilung führen könnte, ausgeschlossen ist. Bei einer bloß konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit steht dem Staat die gesetzliche Regelung der "Grundsatzgesetzgebung" und den Regionen die normative Durchführung dieser Grundsätze unter Ausrichtung an den lokalen Erfordernissen zu, was zu einer vertikalen Kompetenzverteilung führt 67 • Staatliche Gesetze, die im ausschließlichen Kompetenzbereich der Regionen erlassen worden sind, gelten provisorisch so lange, bis regionale Gesetze auf dem entsprechenden Gebiet erlassen werden 68. Die Bestimmung der ausschließlichen wie auch der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen erfolgt durch eine abschließende Aufzählung der betreffenden Materien, wobei im Gegensatz zu dem Kompetenzverteilungssystem in föderalistischen Staaten bzgl. aller nicht ausdrücklich den Regionen zugewiesenen Kompetenzen (Residualkompetenzen) eine allgemeine Kompetenzvermutung zugunsten des Staates besteht 69 • c) Gesetzgebungszuständigkeiten der Regionen mit Sonderstatut

Für die Regionen mit Sonderstatut, die neben den Provinzen Trient und Bozen 70 als einzige über ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen verfügen, ist die Aufzählung der ausschließlichen Gesetzgebungsmaterien in den Sonderstatuten enthalten 71 • Danach obliegt den Regionen mit Sonderstatut u. a. die Regelung der Land- und Forstwirtschaft, der städtischen Einrichtungen, des Fischfangs, Vgl. Mortati, S. 915 f. Vgl. Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 111 ff. 68 Vgl. Art. 92 St.T.T.A.; Art. 51 St.V.A.; Art. 64 St.F.V.G.; Sizilien, in dessen Statut eine diesbezügliche Bestimmung fehlt, anerkennt diesen Grundsatz durch Gesetz 3 I 1947; vgl. Mortati, S. 957, insbes. Fn. 1. Für die Region mit Normalstatut ergibt sich der Grundsatz aus der Logik des Art. 17 des Gesetzes Nr. 281: vgl. Mortati, S. 958. 69 Vgl. Mortati, S. 926, insb. Fn. 1; Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 52; vgl. hierzu bereits II. Kap. VII. 2. d) aa). 70 Während die Region Trient-Oberetsch über eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz auf bloß regional-organisatorischem Gebiet verfügt (Krankenversicherung, Enteignungen, Kooperationen etc.), verfügen die beiden Provinzen Trient und Bozen über substantielle rechtliche Kompetenzen wie etwa für den Bereich der Landwirtschaft, des Tourismus, der Bodenschätze etc. und damit über ein höheres und für das Leben der Bürger bestimmenderes Maß an Zuständigkeiten als die Region selbst. V gl. Giannini, s. 32 f. 71 So in Art. 14 St.sic., Art. 3 St.sard., Art. 2 St.V.A., Art. 4 St.F.V.G. sowie Art. 1 St.trent. 66 67

III. Kap.: Italien

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des Bergwesens, des Städtebauwesens, der Wasserwirtschaft sowie des Transportwesens72. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ist für die Regionen mit Sonderstatut sowie die Provinzen Trient und Bozen ebenfalls in den Statuten selbst geregelt 7\ wobei ähnlich wie bei den ausschließlichen Kompetenzen zwischen den einzelnen Sonderstatuten eine erhebliche Heterogenität besteht74 • d) Gesetzgebungszuständigkeiten der Regionen mit Normalstatut Für die Regionen mit Normalstatut erfolgt die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen unmittelbar in der Verfassung, und zwar in Art. 117 Cl. Hiernach dürfen die Regionen jedoch u. a. nur in den Grenzen der von den Staatsgesetzen festgelegten Grundsätze legiferieren, so daß eine ausschließliche Kompetenz der Regionen mit Normalstatut nur ausnahmsweise gegeben ist, nämlich dann, wenn der Staat auf eine Grundsatzgesetzgebung verzichtet 75 . Die in Art. 117 CI aufgeführten Kompetenzen können in drei Gruppen regionaler Gesetzgebungstätigkeit zusammengefaßt werden 76: - Soziale Dienstleistungen (öffentliche Wohlfahrt und Gesundheitswesen, lokales Transportwesen, Schulwesen, Berufsausbildung, Museen und Bibliotheken lokaler Körperschaften); - regionale Planung und Verwaltung (Städtebau, Forstwirtschaft, Straßenbau, öffentliche Arbeiten von regionalem Interesse) sowie - diejenigen Materien, die die wirtschaftlich-produktiven Tätigkeiten mit Bezug zum regionalen Territorium und zur örtlichen Bevölkerung betreffen (Landwirtschaft, Tourismus, Steinbrüche und Torfmoore, Mineral- und Thermalquellen, Messen und Märkte, Handwerk, Jagdwesen, Fischerei). Ausgenommen sind die Regionen mit Normalstatut hiernach von jeglicher Zuständigkeit für den industriellen Sektor. Es ist daher festgestellt worden, daß der Abfassung des Art. 117 CI ein eher antiquiertes, dem vorindustriellen Zeitalter entstammendes Bild der Region als agrarische Wirtschaftseinheit zugrunde liegt77. Die Ausklammerung der Sachprobleme der industriell-technischen Umn Vgl. Mortati, S. 926 f . 73 Art. 17 St.sic., Art. 4 St.sar., Art. 5 St.T.A.A., Art. 3 St.V.A. sowie Art. 5 St.F.V.G. 74

Mortati, S. 928.

75 Vgl. Bartole, in: Branca, Art. 117, S. 118, Fn. 6, unter Bezugnahme auf Art. 9 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 62 v. 10.2.1953 (Fn. 26). Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Regionen mit Normalstaat besteht auf diesem Hintergrund etwa für Regelungen im Hinblick auf Messen und Märkte, das Handwerk sowie Museen und Bibliotheken etc. 76 Vgl. zu dieser Kategorisierung Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 52 f.; ähnlich Mortati, S. 928. 11

Zu den Hintergründen vgl. Mortati, S. 928; Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973),

s. 179.

134

l. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

weit lege den Eindruck nahe, daß die Regionen von vornherein als ein Gebilde konstruiert worden seien, das geradezu zwangsläufig an den Problemen der Gegenwart vorbeileben müsse. Der Kompetenzkatalog lasse insgesamt eine kohärente Gesamtkonzeption vermissen; bei der Lektüre dränge sich der Verdacht auf, daß für seine Redaktion nur ein Gedanke maßgeblich gewesen sei, nämlich Sachgebiete auszuwählen, die den Regionalorganen möglichst wenig Entfaltungsmöglichkeiten für ein die allgemeine Staatspolitik beeinflussendes Handeln böten 78 • e) Die Schranken regionaler Gesetzgebungstätigkeit

aa) Die verfassungsgerichtlich überprüfbaren Begrenzungen jeglicher regionaler Gesetzgebungstätigkeit auf dem Gebiet ausschließlicher wie auch konkurrierender Kompetenz (limiti di legittimita) (1) Das Territorialitätsprinzip (Iimite territoriale) Eine für jede Regionalzuständigkeit gültige Schranke ergibt sich aus dem Territorialitätsgrundsatz 79 , wonach es einer Region verboten ist, legislative, aber auch administrative Verfügungen im Hinblick auf Sachverhalte zu treffen, die sich außerhalb ihres eigenen Territoriums abspielen 80 bzw. ihrer Natur nach Wirkungen für andere Regionen oder den Gesamtstaat entfalten 81 • (2) Prinzip der abschließend aufgezählten Kriterien (Iimite materiale) Im Gegensatz zu den dezentralisierten Gebietskörperschaften in föderalistischen Staatsgebilden, die gegenüber der enumerativ oder sachgebietsweise geregelten Kompetenzsphäre des Zentralstaates eine Allgemein- oder Residualzuständigkeit besitzen, verfügen die italienischen Regionen allein über die Kompetenz, in den ihnen in der Verfassung bzw. in den jeweiligen Sonderstatuten zugewiesenen Materien Gesetze zu erlassen 82• Somit hat hier der Zentralstaat die Allgemeinbzw. Residualzuständigkeit inne 83 • Die vom Verfassungsgeber vorgenommene 78 Tomuschat, ebd., S. 180; vgl. auch Ritterspach, JöR 37 (1988), S. 79, der im Hinblick auf diese Kompetenzen von "technischen Fragen" oder "lokalen Interessen" spricht. 79 Ausdrücklich verankert in Art. 14 St.sic.; vgl. zu dieser Begrenzung Giannini, S. 48. 80 Vgl. das Urteil des Verfassungsgerichts Nr. 82/1958 v. 8.4.1958, Racc.Uff. VI, S. 291 ff., sowie das Urteil Nr. 37/1972, Racc.Uff. XXXV. S. 213 ff. 81 Vgl. CC Urteil Nr. 154/1974, Racc.Uff. XXXVI, S. 449 ff. 82 Vgl. zu diesem Prinzip Giannini, S. 48. 83 Bartole, in: Branca, Commentario, Art. 117, S. 125; La Pergola, REDC 13 (1985), s. 12.

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Aufzählung von Materien wird für eine Definition der Kompetenzbereiche der Regionen auf den verschiedenen Regelungsgebieten als unzureichend betrachtet, weshalb sich eine interessante Verfassungsrechtsprechung auf der Grundlage der einschlägigen unterverfassungsrechtlichen Gesetzgebung, insbesondere den Durchführungsnormen im Rahmen der Sonderstatute, entwickelt hat 84 • (3) Weitere ungeschriebene Schranken Weitere Schranken jeglicher regionaler Gesetzgebungszuständigkeit bilden darüber hinaus die Verfassungsgesetze, insbesondere Art. 120 CJBS, aber auch die ursprünglich nur für die Regionen mit Sonderstatut konzipierten Begrenzungen durch die "internationalen Verpflichtungen des Staates" 86 und durch die "Grundsatznormen der wirtschaftlich-sozialen Reformen" 87 •

bb) Die veifassungsgerichtlich überprüfbaren Schranken der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Regionen mit Sonderstatut (limiti di legittimita) Mit Ausnahme Siziliens 88 unterliegen die Regionen mit Sonderstatut im Hinblick auf ihre Gesetzgebungsgewalt den folgenden vier Schranken, und zwar 84 Die Durchführungsgesetze, die in Anwendung der VIII. Übergangsvorschrift CI den Übergang der vom Staat den Regionen zugewiesenen Aufgaben regeln (decreti di attuazione statutaria), waren für die Bestimmung des Umfangs des regionalen Kompetenzbereiches legislativer wie administrativer Art fast ausschließlich entscheidend, so daß die praktische Bedeutung der Verfassungs- und der Sonderstatutsbestimmungen immer mehr abnahm. Erst seit 1970 änderte das Verfassungsgericht seine diesbezügliche Haltung. Vgl. Barto/e, in: Branca, Art. 117, S. 126 ff. Bezüglich der Durchführungsnormen ist behauptet worden, sie hätten zu einem vorbeugenden Ausschluß der Ausübung der regionalen Gesetzgebungsgewalt durch den Staat geführt, der sich so die Regelungsbefugnis für Gesetze vorbehalten habe, die nach den Sonderstatuten in die Kompetenz der Regionen falle. Dies sei ein Ausdruck für den Versuch, die Region auf untergeordnete verwaltungsmäßige Funktionen zu verweisen: vgl. Mortati, S. 945, 947. 85 Diese Bestimmung gilt auch für die Regionen mit Sonderstatut Vgl. Crisafulli, Lezioni n, 1, s. 110. 86 Im Hinblick auf die "internationalen Verpflichtungen" hat dies das Verfassungsgericht in seinem Urteil Nr. 49/1963 v. 9.4.1963, Racc.Uff. XVI, S. 325 ff., festgestellt, wo es nach der Geltung dieses Grundsatzes für alle Regionen mit Sonderstatut (vgl. unten Fn. 99) mit Hilfe eines "argumentum a fortiori" diesen auch für die Regionen mit Normalstatut für anwendbar erklärt. 87 Vgl. Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 116; Giannini, S. 51, aufgrundeines "argumentum a fortiori". 88 Nach überwiegender Ansicht und nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts sind aber zumindest die sich aus den "allgemeinen Grundsätzen der Rechtsordnung", den "internationalen Verpflichtungen des Staates" (vgl. bereits Fn. 86) sowie den "Grundsatznormen über die wirtschaftlich-sozialen Reformen" (vgl. hierzu unten Fn. 98) ergebenden Schranken - letztere unter Bejahung einer Konkurrenz dieser Grundsatznormen mit den sich aus den agrarischen und industriellen Reformen ergebenden Bindungen gemäß Art. 14 St.sic.- auch auf die sizilianische Gesetzgebung anwendbar; vgl. Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 112 f.

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1.

Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

durch die Verfassung, die "allgemeinen Grundsätze der Rechtsordnung des Staates", die "Grundsatznormen über die wirtschaftlich-sozialen Reformen" und durch die "internationalen Verpflichtungen des Staates". (1) Die Begrenzung durch die Verfassung Die Verpflichtung zur Beachtung der Verfassung gilt für die gesamte legislatorische Tätigkeit des Regionalgesetzgebers 89, wohingegen die übrigen drei Schranken zumindest bis zur Entstehung der Regionen mit Normalstatut als kennzeichnend für die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Regionen mit Sonderstatut angesehen wurden. (2) Die Begrenzung durch die "allgemeinen Grundsätze

der Rechtsordnung des Staates"

Viele der Sonderstatute nehmen ausdrücklich Bezug auf die Grundsätze der Rechtsordnung des Staates: Art. 3 St.sard., Art. 4 St.T.A.A., Art. 2 St.V.A. und Art. 4 St.F.V.G. Das sizilianische Statut, das keine derartige Bestimmung enthält, wird von der herrschenden Meinung 90 durch Analogieschluß erweiternd interpretiert. Das italienische Verfassungsgericht definiert diese Grundsätze als diejenigen "Bestimmungen mit grundsätzlicher Bedeutung, die sich aus der systematischen Verknüpfung, der Koordinierung und der inneren Rationalität der Normen entnehmen lassen, die in ihrer Gesamtheit betrachtet zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gewebe der Rechtsordnung bilden" 91 • Besondere Bedeutung kommt vor allem drei Grundsätzen im Hinblick auf ihren allgemeingültigen Charakter zu, nämlich dem der Demokratie, der Dezentralisierung und der "Typisierung der Formen". Der letztgenannte Grundsatz hat beispielsweise im Hinblick auf die für die Regionen maßgeblichen Vorschriften des Art. 81 Abs. 3 und 4 Cl Bedeutung. Andere Grundsätze können entweder als Interpretationskriterien für die in den Sonderstatuten verwendeten Formeln der Bestimmung und Begrenzung der materiellen Zuständigkeitsbereiche ("limiti delle materie") oder zur Wahrung des Erfordernisses einer einheitlichen Rechtsordnung für bestimmte Regelungsbereiche im Gesamtstaat dienen. In dieser Hinsicht sind insbesondere der Gleichheitsgrundsatz und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung. Die Begrenzung der ausschließlichen Gesetzgebungsgewalt der Regionen mit Sonderstatut durch die "allgemeinen Grundsätze der Rechtsordnung des Staates" wird als eine im hohen Maße relative Konzeption angesehen, die der subjektiven Mortati, S. 929 ff. Vgl. Mortati, S. 931, Fn. 1 m.w.N.; Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 113; vgl. bereits oben Fn. 88. 91 CC Urteil Nr. 6/1957 v. 26.6. 1957, Racc.Uff. II, S. 59 ff. =Giur.cost. 1957, S. 586. 89

90

III. Kap.: Italien

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Auslegung des jeweiligen Interpreten offensteht 92. Kritischen Stimmen in der italienischen Literatur zufolge wird damit die konkrete Interpretation der autonomen Kompetenzsphäre den Verfassungsrichtern sowie denjenigen Kontrollorganen überantwortet, die über die Einhaltung dieser Schranke zu wachen haben 93 . (3) Die Begrenzung durch die "Grundsatznormen

über die wirtschaftlich-sozialen Reformen"

Zum einen kommt den in den Sonderstatuten enthaltenen Bestimmungen über die Beachtung der Grundsatznormen bezüglich der wirtschaftlich-sozialen Reformen 94 eine ähnliche Bedeutung wie den allgemeinen Grundsatznormen zu, indem auch jene dazu bestimmt sind, die nachfolgende regionale Gesetzgebung zu beeinflussen 95. Die politische Funktion dieser Begrenzung der regionalen Gesetzgebungsgewalt besteht in der Ermöglichung einer wirtschaftlich-sozialen Reform des Gesamtstaates durch die staatlichen Organe 96 • Dabei sollte diese Schranke jedoch nicht den Umfang der regionalen Kompetenzsphäre in Frage stellen, sondern die Ausübung dieser Kompetenzen beeinflussen. Eine Neuaufteilung dieses regionalen Kompetenzbereiches fand insoweit statt, als eine staatliche Grundsatzgesetzgebung für bestimmte Materien eingeführt wurde, die anderenfalls in die ausschließliche und unbegrenzte Zuständigkeit der Regionen gefallen wären97• So hat auch das Verfassungsgericht einen allgemeinen Kompetenzvorbehalt zugunsten des Staates für den Erlaß von Gesetzen formuliert, die die Erstellung von Programmen und Plänen für die Wirtschafts- und Sozialplanung zum Inhalt haben, wobei es gleichzeitig feststellt, daß diese staatliche Kompetenz nicht zu einer gänzlichen Absorption und Eliminierung der regionalen Kompetenzen führen dürfe 98 •

92 Vgl. Bartole, in: Branca, Art. 117, S. 108. 93 Vgl. Bartole, ebd., S. 109. 94 Vgl. Art. 4 St.F.V.G., Art. 3 St.sard., Art. 4 St.T.A.A., Art. 2 St.V.A.; Art. 14 St. sie. begrenzt die Bindungswirkung auf die agrarischen und industriellen Reformen, die von der verfassungsgebenden Versammlung beschlossen werden; vgl. hierzu aber bereits oben Fn. 88. 95 Vgl. Giannini, S. 51.

Giannini, S. 51. Vgl. Bartole, in: Branca, Art. 117, S. 112. 98 Vgl. CC Urteil Nr. 92/1968 v. 10. 7.1968, Giur.cost. 1968, S. 150 ff.; weitergehend jedoch CC Urteil Nr. 13/1964 v. 7.3.1964, Giur.cost. 1964, S. 90 ff. und CC Urteil Nr. 37/1966 v. 14.5.1966, Giur.cost. 1966, S. 679 ff. Nach der herrschenden Meinung 96 97

in der Literatur ergibt sich dies bereits daraus, daß die Grundsatznormen über die wirtschaftlich-sozialen Reformen, die in Art. 117 CI nicht ausdrücklich genannt werden, nur eine Ausprägung der von den Staatsgesetzen festgelegten Grundsätze darstellen; vgl. Crisafu/li, Lezioni II, 1, S. 117 f.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

(4) Die Begrenzung aufgrundder internationalen Verpflichtungen (Iimite degli obblighi internazionali) Die Sonderstatute unterwerfen die regionale Gesetzgebung dem Gebot der "Beachtung der internationalen Verpflichtungen", die vom Staat eingegangen worden sind 99• Diese Begrenzung resultiert aus der ausschließlichen Kompetenz des Staates für die Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten. Bei einer Ingerenz des Regionalgesetzgebers im Wege der Regionalgesetzgebung auf diesen Bereich der ausschließlichen Kompetenz des Staates für auswärtige Beziehungen hat er sich an den Grundsätzen auszurichten, die der staatlichen Gesetzgebung über die Ausführung völkerrechtlicher Verträge zugrundeliegen. Diese verfassungsrechtliche Schranke wird für den Regionalgesetzgeber erst im Moment des Erlasses der entsprechenden staatlichen Gesetze bzw. der Transformation des völkerrechtlichen Vertrages relevant 100• Über die Auswirkungen dieser hier in ihren Grundzügen skizzierten Schranke wird im Zusammenhang mit der Darstellung der Beteiligung der Regionen im Rahmen der auswärtigen Beziehungen ausführlich einzugehen sein 101.

cc) Die durch das staatliche Parlament überprüfbare Begrenzung der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen mit Sonderstatut ( Iimite di merito) Neben dieser Bindung an die Rechtmäßigkeitsschranken für regionale Legislativakte ist der Gesetzgeber in einer Region mit Sonderstatut zur Beachtung des 99 Art. 3 St.sard., Art. 2 St.V.A., Art. 4 St.T.A.A., Art. 4 F.V.G.; das sizilianische Statut enthält keine derartige Bestimmung, was jedoch als unbeachtlich angesehen wird; vgl. Mortati, S. 940; Bartole, in: Branca, Art. 117, S. 115, Fn. 1. Bereits im Urteil Nr. 49 I 1963 v. 9.4.1963, Racc.Uff. XVI, S. 325 ff., entschied das Verfassungsgericht, daß auch Sizilien die durch den Staat eingegangenen internationalen Verpflichtungen einzuhalten habe. Es verwies in diesem Urteil vor allem darauf, daß es unzulässig sei, wenn ein Organ des Staates sich die Freiheit nehme, auf eine Weise zu handeln, aus der dem Staat eine völkerrechtliche Verantwortung wegen vertragswidrigen Verhaltens erwachse. Das Gericht formulierte in dem genannten Urteil im wesentlichen drei Grundsätze: 1. Die sich aus völkerrechtlichen Verträgen ergebenden Verpflichtungen binden nach ihrer Transformation den Staat ebenso wie die Regionen. 2. Mißachtungen solcher Verträge durch die Regionalorgane stellen eine Verletzung der von den Regionen im Rahmen ihrer Gesetzgebungsgewalt zu beachtenden Schranke dar, die sich aus den "internationalen Verpflichtungen" des Staates ergibt. 3. Nach der italienischen Rechtsordnung besitzt der Staat in seiner Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt die Zuständigkeit für den - bei fehlendem auswärtigen Bezug ansonsten in die Gesetzgebungszuständigkeit der Regionalorgane fallenden - Erlaß der im Zusammenhang mit der Durchführung völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Bereich notwendigen Gesetzgebungsakte, wobei er die sich aus den genannten Verpflichtungen ergebenden Besonderheiten zu interpretieren und zu defmieren hat. Zu dem Jetztgenannten Grundsatz vgl. die Ausführungen im VII. Kap. III. 2. b) und c). 100 Vgl. Mortati, S. 940. to1 Vgl. hierzu VII. Kap. ill. 2. b) und c).

III. Kap.: Italien

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"Wohles des Staates" ("interessi nazionali") sowie der Interessen anderer Regionen verpflichtet 102• Im Gegensatz zu den zuvor erörterten Schranken der Gesetzgebungsgewalt der Regionen mit Sonderstatut, deren Beachtung einer verfassungsgerichtlichen Prüfung unterworfen ist, obliegt die Kontrolle der Respektierung dieser Interessen primär dem nationalen Parlament, das bei der Beurteilung eines Interessenwiderspruchs zwischen dem Staat und einer Region über einen politischen Beurteilungsspielraum ("Iimite di merito") verfügt. Nur im Zweifelsfall soll dem Verfassungsgericht die Kontrollbefugnis zustehen. In der bisherigen italienischen Staatspraxis hat das Parlament allerdings noch nie von diesem Prüfungsrecht Gebrauch gemacht 103.

dd) Die Schranken der Gesetzgebungskompetenzen der Regionen mit Normalstatut Gemäß Art. II7 CI besteht die Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen mit Normalstatut "in den Grenzen der von den Staatsgesetzen festgelegten Grundsätze und unter der Voraussetzung, daß sie nicht im Widerspruch zum Wohle der Nation und dem Interesse anderer Regionen stehen". (1) Die staatliche Grundsatzgesetzgebung

Durch Art. I7 des Gesetzes Nr. 28I (Regionalfinanzgesetz) 104 wurde Art. 9 Abs. I des Gesetzes Scelba 105 reformiert. Art. 9 Abs. I dieses Gesetzes hatte die konkrete Ausübung der regionalen Gesetzgebungsgewalt vom vorherigen Erlaß von staatlichen Gesetzen abhängig gemacht, die mit wenigen Ausnahmen für jedes Gebiet die "Grundprinzipien" enthielten, an der sich die regionale Gesetzgebung auszurichten hatte. Diese staatlichen Gesetze bildeten die sog. "leggi cornice", die in der italienischen Literatur mit den deutschen Rahmengesetzen verglichen werden 106• Einerseits, so erklärt der neue Absatz des Art. 9, könnten die "Grundprinzipien" des Art. II7 Abs. I CI ausdrücklich für einzelne Sachmaterien festgelegt werden; anderenfalls habe der Regionalgesetzgeber die sich "aus den geltenden Gesetzen" ergebenden Grundprinzipien zu beachten. Die Folgerungen aus diesem Verzicht auf eine vorgängige Rahmengesetzgebung werden dann in Abs. 2 des Art. 9 des genannten Gesetzes gezogen. Die Region darf legiferieren, 102 Vgl. Art. 3 St.sard., Art. 4 St.T.A.A., Art. 2 St.V.A.; für Sizilien fehlt eine entsprechende Bestimmung, jedoch wird insoweit eine Verpflichtung aus Art. 17 St.sic. entnommen, wonach bereits für die konkurrierende Gesetzgebung das Erfordernis der Konformität mit dem "Wohl des Staates" statuiert ist; vgl. Mortati, S. 945. Eine solche Lösung wird auch von Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 113, im Hinblick auf den Grundsatz der ,,Einheit der Republik" gemäß Art. 5 CI befürwortet. 103 Vgl. Crisafulli, Lezioni ll, I , S. 112; Giannini, S. 52. 104 Vgl. Fn. 31. 105 Gesetz Nr. 62 v. 10. 2.1953, vgl. Fn. 26. 106 Vgl. Mortati, S. 950.

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I. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

sobald die Regierung die in ihre Verantwortung verwiesenen Überleitungsdekrete erlassen hat, spätestens aber binnen zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Regionalfinanzgesetzes 107 • Damit war eine Automatik in Gang gesetzt, die 1972 zur Verwirklichung der Regionen mit Normalstatut führte 108• Bereits in einem Urteil aus dem Jahre 1971 109 stellte das Verfassungsgericht fest, daß diese neue Regelung im Falle eines passiven Verhaltens der nationalen Legislativkörperschaften den Regionalgesetzgeber dazu verpflichtet, selbständig die unter allen Umständen einzuhaltenden verfassungsgemäßen Grundprinzipien zu ermitteln. Das Verfassungsgericht hat zur Festlegung der Grundprinzipien zunächst ein förmliches Gesetz verlangt 110, später aber auch Verordnungen ausreichen lassen, soweit diese auf einem förmlichen Gesetz beruhen 111 • Mehr und mehr haben sich die Rahmengesetze zu Normen entwickelt, die die Gesamtbeziehungen zwischen Staat und Regionen regeln und sich daher nicht allein darauf beschränken, das Verhältnis zwischen nationaler und regionaler Gesetzgebung zu regeln, sondern vielmehr auch Vorschriften über das Tätigwerden der zentralstaatlichen Verwaltung, die Formen der Koordination und der Kooperation sowie eine Aufeinanderabstimmung von Legislativ- und Administrativverfahren beinhalten. Die staatliche Grundsatzgesetzgebung stellt sich somit teilweise als eine Gesetzgebung dar, die Ziel und Richtung regionaler Gesetzgebungstätigkeit vorgibt, teilweise als eine solche, die detaillierte Angaben enthält 112• Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts bleibt es den Regionen jedoch unbenommen, die notwendigen Bestimmungen zu erlassen, um die staatlichen Gesetze den Besonderheiten ihres jeweiligen Regionalgebietes anzupassen 113, wobei es aber ungewiß ist, ob dieses Kriterium zur Bestimmung des typischen und notwendigen Inhalts der Rahmengesetzgebung ausreicht 114• Insgesamt gesehen geht der Verfassungsgerichtshof von einer "elastischen Konzeption" der Grundsatzgesetzgebung aus, die den Regionalgesetzgeber zum Schutz bestimmter Interessen zwar bindet, der andererseits aber keine ausschließliche Tragweite und Bedeutung zukommt, da das Regionalgesetz andersartige Interes101

Vgl. zu dieser Entwicklung Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 115.

1os Vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 173.

109 CC Urteil Nr. 39!1971 v. 4.3.1971, Giur.cost. 1971, S. 182; skeptisch hierzu Bassanini, RISA XLill (1977), S. 55 f., derangesichtsder Verpflichtung der Regionen, auch die vom Verfassungsgericht aus der Gesetzgebung abgeleiteten Grundsätze zu beachten, die Gefahr eines Absinkens der regionalen Gesetzgebungszuständigkeit zur Bedeutungslosigkeit infolge der zeitlichen Verzögerungen sieht; skeptisch auch G iannini, S. 50 f.; vgl. weiter Caretti, S. 269 f. 110 CC Urteil Nr. 100/1980 v. 25.6.1980, Giur.cost. 1980, S. 771 ff. 111 CC Urteil Nr. 150/1982 v. 29.1.1982, Giur.cost. 1982, S. 1392 ff.; vgl. hierzu Bartole, in: Branca, S. 149 ff. 112 Bartole, ebd., Art. 117, S. 152/154. 113 CC Urteil Nr. 96/1974 v. 18.4. 1974, Giur.cost. 1974, S. 727 ff. 114 Vgl. Bartole, ebd., Art. 117, S. 154.

III. Kap.: Italien

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sen berücksichtigen kann. Diese dürfen dabei aber nicht mit den in den Grundsatznormen enthaltenen Werten kollidieren 115 • So lehnt es das Verfassungsgericht ab, den Bindungen und Verboten, die der staatliche Gesetzgeber im Hinblick auf die konkurrierende Regionalgesetzgebung erlassen hat, eine größere Bedeutung beizumessen als dieser selbst und hat stattdessen versucht, Gestaltungsfreiräume für den regionalen Gesetzgeber zu schaffen. (2) Das Wohl des Staates und das Interesse anderer Regionen Die Bedeutung des Kriteriums des .,Wohles des Staates" (interessi nazionali) und des Interesses anderer Regionen, das bereits im Zusammenhang mit der Begrenzung der Kompetenzen der Regionen mit Sonderstatut erwähnt wurde, hat für die Regionen mit Normalstatut durch die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. a des Regionalfinanzgesetzes erneut an Bedeutung gewonnen, da die dort erwähnten Erfordernisse der Einheitlichkeit im italienischen Schrifttum teilweise mit dem .,Wohl des Staates" gleichgesetzt wurden. Diesem müsse der Zentralstaat nicht etwa durch eine Teilung der Kompetenzen mit der regionalen Ebene, sondern durch Koordination und planende Lenkung entsprechen 116• Einer solchen Interpretation ist der staatliche Gesetzgeber beim Erlaß der Überleitungsdekrete nicht gefolgt, sondern hat sich vielmehr jene Kompetenzen vorbehalten, für die er das Bestehen eines nationalen Interesses bejahtem. Das Verfassungsgericht, das mit dieser Angelegenheit befaßt wurde 118, hat die Aufteilung von Zuständigkeiten innerhalb einzelner Kompetenzbereiche für zulässig erklärt, nachdem es sich zuvor der Einordnung der Lenkungs- und Koordinierungsfunktion als Ausfluß des nationalen Interesses angeschlossen und die Verfassungsmäßigkeit von Art. 17 des Regionalfmanzgesetzes bestätigt hatte 119• Diese Interpretation wurde von der Lehre mit dem Hinweis bekräftigt, daß im Falle einer Wahrung der Belange des nationalen Wohls allein in Form der Mittel der planenden Lenkung und der Koordinierung die zentralstaatlichen Organe bei einem Verhalten der Regionen, das den staatlichen Vorschriften widerspreche, insbesondere aber bei einer Untätigkeit, keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten besäßen. Diese Gefahr wiege insbesondere angesichts der möglichen regionalen Nichterfüllung von Verpflichtungen des Staates gegenüber der Europäischen Gemeinschaft schwer 120, ein Argument, auf das an späterer Stelle zurückzukommen sein wird 121 • 11s CC Urteile Nr. 88 v. 19.6.1973, Giur.cost. 1973, S. 918 ff. und Nr. 75/1974 v. 20.3.1974, Giur.cost. 1974, S. 294 ff. 116 So wiedergegeben bei Mortati, S. 951; vgl. in diesem Sinne auch Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 58; so auch die Haltung des italienischen Senats, vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 182. ll7 Vgl. Mortati, S. 951; Tomuschat, ebd., S. 182 f.; Bassanini, ebd., S. 58 f. 11s CC Urteil Nr. 138/1972 v. 24. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1385 ff. 119 CC Urteil Nr. 39/1971 v. 4.3.1971, Giur.cost. 1971, S. 182.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Die vom Verfassungsgerichtshof bestätigte Lösung, wonach die fehlende verfassungsrechtliche Substitutionsbefugnis des Staates im Fall der Untätigkeit der Regionen zu einem Ausschluß regionaler Kompetenzen führen kann, erscheint fragwürdig, da das Parlament in den entsprechenden Überleitungsdekreten solche Substitutionsbefugnisse, soweit sie zur Sicherstellung der Ausübung der übertragenen Kompetenzen notwendig erscheinen, hätte normieren können. Zweifelhaft erscheint die Auffassung des Gerichts auch vor dem Hintergrund des Art. 17 des Regionalfinanzgesetzes, wonach durch eine staatliche planende Lenkung den Erfordernissen der Einheitlichkeit Rechnung getragen werden soll, um so die unterschiedlichen nationalen Interessen- die staatlichen einerseits und die regionalen andererseits - auszugleichen, wie sie im Wirtschaftsbereich, aber auch im Hinblick auf die Erfüllung der sich aus den internationalen Verpflichtungen ergebenden Aufgaben vorkommen. Die Bedeutung der von Art. 17 des Regionaifinanzgesetzes geschützten Interessen ist daher unbestreitbar; ob aber die elf Präsidialverordnungen vom Januar 1972, die in Ausführung des Art. 17 die Überleitung aller den Regionen zustehenden Materien geregelt und dabei einen staatlichen Kompetenzvorbehalt zu Lasten einer Reihe originärer regionaler Zuständigkeiten 122 geschaffen haben, ein geeignetes Mittel zum Schutz dieser Interessen darstellen, bleibt äußerst zweifelhaft 123 • (3) Die Koordinierungsfunktion des Staates gemäß Art. 17 des Regionalfinanzgesetzes Neben der planenden Lenkung weist Art. 17 des Regionalfmanzgesetzes dem Staat die Aufgabe der Koordinierung zu, womit zwar einerseits der regionale Kompetenzbereich eine weitere Begrenzung findet, andererseits aber auch die Notwendigkeit zum Ausdruck kommt, die Erfordernisse der Einheit mit dem in Art. 5 CI verankerten Grundsatz der Autonomie in Einklang zu bringen 124• Die Aufgabe der Koordinierung umfaßt in diesem Sinne auch die verschiedenen Formen der staatlichen Kontrolle über regionale Gesetzgebungs- und Administrativakte. In seiner spezifischen Bedeutung bezieht sich der Begriff der KoordinieVgl. i. d. S. Carbone, GI 1971, S. 188. Vgl. hierzu XIX. Kap. 122 Vgl. insbes. Art. 4 des Dekrets des Sachgebietes ,,Landwirtschaft und Forsten", Dekret Nr. 11 v. 15.1.1972, G.U. v. 19.2.1972, Nr. 46, Suppl. ord., wonach u. a. die internationalen Beziehungen und die Beziehungen mit der EWG sowie die Anwendung der Verordnungen, Richtlinien und anderer Rechtsakte der EWG über die Preis- und Marktpolitik weiterhin in die staatliche Zuständigkeit fielen. Zur Änderung des staatlichen Kompetenzvorbehalts bezüglich gemeinschaftsrechtlicher Angelegenheiten durch das Gesetz v. 22.7.1975 und das Dekret v. 24.7.1977 vgl. XIX. Kap. I. 123 Vgl. Mortati, S. 952 f.; Bassanini, RISA XLIII (1977), S. 58 f.; Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 184: Was die Anwendung des EWG-Rechts angehe, so stelle diese verwaltungsmäßigen Vollzug dar und sei damit qualitativ verschieden von der Ausübung einer Lenkungs- und Koordinierungsfunktion. 124 Vgl. Mortati, S. 955. 120 121

III. Kap.: Italien

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rung auf organisatorische Akte verschiedener Art, die alle mehr oder weniger eine Einbeziehung der Regionen in den Prozeß der Ausarbeitung staatlicher Gesetze bezwecken. Damit soll nicht auf die regionale Kompetenzsphäre eingewirkt oder die staatliche Verantwortlichkeit für die Formung dieser Gesetze in Frage gestellt werden, sondern eine vorherige Kenntnis der jeweiligen regionalen Bedürfnisse - auch in Form einer vorherigen, nicht bindenden regionalen Anhörung 125 oder durch die Bildung besonderer Organe unter Beteiligung von Regionalvertretern - sichergestellt werden 126• Ob ein Zusammenwirken des Staates und der Regionen beim Erlaß staatlicher Richtlinien zulässig ist, ist danach zu unterscheiden, ob eine Verknüpfung zwischen einem an die Regionen übertragenen Kompetenzbereich und staatlichen Interessen besteht oder ob unterschiedliche Interessen vorliegen, die nicht unmittelbar in die staatliche Regelung einfließen. Zur letztgenannten Kategorie gehören die staatlichen Rahmengesetze, für die dem Staat als Wahrer der Interessen der Einheit die Gesetzgebungsgewalt zusteht und damit jede Beteiligung der Regionen ausgeschlossen ist. Gleiches gilt für sämtliche Verwaltungsbestimmungen des Staates im Rahmen der administrativen Aufsicht 127 • f) Die regionalen Gesetzgebungskompetenzen aufgrund staatlicher Delegation (Gesetzgebungskompetenzen zweiten Grades) 12s

aa) Regionen mit Sonderstatut Für drei der Regionen mit Sonderstatut sehen die Statute eine regionale Zuständigkeit zum Erlaß von "Ergänzungs- und Ausführungsbestimmungen" (norme di integrazione e di attuazione) im Hinblick auf staatliche Gesetze vor. Bei der Zuweisung einer solchen Kompetenz besteht keine jederzeitige Rückholbarkeit durch den Staat; vielmehr ersetzen die regionalen Durch- und Ausführungsgesetze die entsprechenden staatlichen Bestimmungen im Zeitpunkt ihres Erlasses. Zudem ist die Reichweite dieser regionalen Delegationsgesetzgebung insoweit größer, als nicht nur eine Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen, sondern auch zum Erlaß einer ergänzenden Gesetzgebung (norme di integrazione) besteht 129• Soweit die Spezialstatute keine derartigen Bestimmungen enthalten, gilt für sie die Regelung des Art. 117 Abs. 3 CI 13o.

125 Vgl.Art. 11,13,17 Abs. 3 desGesetzesv.16.5.1970,Nr. 281,abgedr. beiSpagna Musso (Fn. 10), S. 1878 ff. 126 Vgl. Mortati, S. 955. 121 Vgl. Mortati, S. 956. 12s Vgl. hierzu Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 118 ff. 129 Vgl. Mortati, S. 962. Bo Vgl. Mortati, S. 962. Dies ist für Sizilien der Fall.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

bb) Regionen mit Normalstatut Gemäß Art. 117 Abs. 3 CI können Gesetze der Republik die Region zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen ermächtigen. Die Ausübung dieser als "integrativ-fakultativ" 131 bezeichneten Kompetenz ist somit im Gegensatz zu Art. 117 Abs. 1 CI von einer vorherigen Ermächtigung durch die staatlichen Organe abhängig, die die Reichweite der abgeleiteten regionalen Gesetzgebungsbefugnis durch staatliche Gesetze bestimmen. Die Ermächtigung kannjederzeit widerrufen werden. g) Die Verwaltungskompetenzen der Regionen

aa) Regionen mit Sonderstatut Die administrativen Kompetenzen der Regionen mit Sonderstatut beziehen sich - ebenso wie bei den übrigen Regionen - auf diejenigen Bereiche, für die sie über Gesetzgebungszuständigkeiten ausschließlicher oder konkurrierender Art verfügen. Die entsprechenden Zuständigkeitslisten der Sonderstatute sind oft äußerst minuziös und präzise 132, wobei sich insgesamt betrachtet ein umfangreicherer administrativer Aufgabenbereich auf dem Gebiet der industriellen Entwicklung, des Bergbaus, der öffentlichen Wasserwirtschaft, des Zivilschutzes, des Kredit- und Kulturwesens und der Meeresschiffahrt ergibt, als dies bei den Regionen mit Normalstatut der Fall ist 133• bb) Regionen mit Normalstatut Die Verwaltungskompetenzen der übrigen Regionen haben ebenfalls keine eigene sachliche Umschreibung erfahren, sondern folgen der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. Der Grundsatz ist auch hier die Parallelität 134 zwischen Gesetzgebung und Verwaltung, so daß die Region ihre eigenen Gesetze ausführt (Art. 118 Abs. 1 S. 1 Cl). Bei der Wahrnehmung der Verwaltungszuständigkeiten unterliegt die Region den bereits erörterten Schranken, die sie auch im Hinblick auf ihre Gesetzgebungskompetenzen zu beachten hat 135 • Für die Tragweite des Vorbehalts der Lenkungs- und Koordinierungsfunktion spielt es im Hinblick auf die regionalen Verwaltungszuständigkeiten eine große m Vgl. Mortati, S. 961. Nach Escuin Palop, DA 198 (1983), S. 65, handelt es sich bei den delegierten Gesetzgebungskompetenzen ebenso wie bei den delegierten Verwaltungskompetenzen um Instrumente der Kooperation, was jedoch fragwürdig erscheint. m Vgl. in dieser Hinsicht insbes. St. F.V.G. 133 Vgl. hierzu Giannini, S. 34. 134 Vgl. Falcon, in: Branca, Art. 118, S. 225 ff.; Mortati, S. 970. ns Vgl. Mortati, S. 970.

III. Kap.: Italien

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Rolle, in welcher Rechtsform die Einwirkung auf die Regionen stattfinden darf. Zur Wahrung der regionalen Autonomie wäre es angebracht gewesen, wenn man die Ausübung der staatlichen Richtlinienkompetenz nur durch Gesetz oder Kollegialbeschluß der Regierung zugelassen hätte. Die Übertragungsdekrete sehen hingegen vor, daß der Ministerrat eine Delegation auch an den interministeriellen Ausschuß für die Wirtschaftsplanung (CIPE) oder in Einzelfällen sogar an den Ministerpräsidenten und den zuständigen Fachminister vornehmen kann 136• Im praktischen Ergebnis bedeutet dies im Grunde genommen, daß die Verwaltungstätigkeit der Region der Weisung des jeweiligen Fachministers unterliegt 137 • Gemäß Art. 118 Abs. 2 CI soll die Region ihre Verwaltungsaufgaben nicht mit Hilfe eigener Behörden erfüllen, sondern sie "normalerweise" an die Provinzen und Gemeinden delegieren. Auch für diese Entscheidung des Verfassungsgebers sind wie bei Art. VIII Abs. 3 der Übergangsbestimmung der Verfassung in erster Linie Gründe der Verwaltungsökonomie maßgebend gewesen. Die Region bleibt im Besitze der Lenkungs- und Koordinierungsfunktion gegenüber den Delegationsempfängern und darf eine Aufgabe wie diejenige des Art. 130 CI, nämlich die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Provinzen und Gemeinden, der Natur der Sache wegen nicht an die Kontrollunterworfenen abgeben 138 •

V. Die Staatsaufsicht Die dem Staat obliegenden Kontrollfunktionen sind danach zu unterscheiden, ob es sich um eine Kontrolle über die regionale Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeit (controllo sugli atti) oder über die Regionalorgane (controllo sulle persone) handelt. Die regionale Gesetzgebung unterliegt einer Präventivkontrolle. Jedes vom Regionalparlament beschlossene Gesetz ist zunächst an den für jede Region bestellten Staatskommissar zu senden, der dem Gesetz binnen dreißig Tagen seinen ,,Sichtvermerk" zu erteilen hat, falls nicht die Regierung Widerspruch erhebt (Art. 127 Abs. 1 CI; entsprechende Vorschriften enthalten auch die Sonderstatute). Der Einspruch kann auf die Behauptung einer Kompetenzverletzung oder einer Verletzung der staatlichen Interessen oder der Interessen anderer Regionen (Art. 127 Abs. 1 S. 4 CI) gestützt werden und hat die Zurückverweisung an das Regionalparlament zur Folge 139• Falls dieses seinen Gesetzesbeschluß mit 136 Vgl. auch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, Urteil Nr. 39/1971 v. 4.3.1971, Giur.cost. 1971, S. 182, wonach den Erfordernissen der Einheitlichkeit auch in anderer Form als durch den Erlaß einer Grundsatzgesetzgebung entsprochen werden kann. 137 Vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 186; Mortati, S. 972. 138 Mortati, S. 976; Tomuschat, ebd., S. 188. 139 Vgl. Mortati, S. 983. Art. 28 und 29 des St.sic. schließen eine nochmalige Befassung des Regionalrats mit einem verabschiedeten Gesetz aus und sehen eine Frist von

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

absoluter Mehrheit bekräftigt, kann die nationale Regierung entweder den Verfassungsgerichtshof um eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit ersuchen oder das nationale Parlament im Hinblick auf das Vorliegen einer Interessenverletzung anrufen. Es ist offensichtlich, daß diese Einschaltung des Parlaments zwangsläufig die Entscheidung für einen Prüfungsmaßstab in sich schließt, der schon wegen der Eigenart des parlamentarischen Willensbildungsprozesses nicht streng rechtlich determiniert sein kann 140• Auch das gesamte regionale Verwaltungshandeln unterliegt nach Art. 125 CI in Verbindung mit Art. 41-49 des Gesetzes Nr. 62 von 1953 141 der präventiven Staatsaufsicht. In jeder Region besteht ein Kontrollausschuß, der sich aus dem Regierungskommissar, einem Richter des Rechnungshofes, drei Staatsbeamten sowie zwei vom Regionalparlament gewählten Sachverständigen zusammensetzt. Geprüft wird in erster Linie, ob Rechtmäßigkeitsmängel vorliegen. Alle Beschlüsse der Regionalorgane sind zunächst dem Kontrollausschuß zuzuleiten und werden nur rechtskräftig, falls nicht der Ausschuß innerhalb einer Frist von zwanzig Tagen Beanstandungen erhebt (Art. 45 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 62 von 1953). Dem Kontrollausschuß ist ferner hinsichtlich bestimmter Handlungen- bspw. wichtige Entscheidungen im Haushalts-, Finanz- und Vermögensbereich- eine Zweckmäßigkeitsprüfung gestattet, wobei die Beanstandung über das Regionalparlament zu erneuter Beschlußfassung zwingt (Art. 48 des Gesetzes Nr. 62 von 1953). Für die Regionen mit Sonderstatut ist ein vergleichbares Verfahren der Kontrolle des regionalen Verwaltungshandeins nur in Art. 46 St. V.A. vorgesehen. Drei weitere Regionen mit Sonderstatut haben diese gerichtliche Kontrolle- insoweit einem impliziten verfassungsrechtlichen Prinzip folgend, das sich aus der Rechtseinheit des Staates ergibt - durch Gesetz dem Rechnungshof übertragen 142• Die Kontrolle über die Regionalorgane ist in Art. 126 CI bzw. für die Regionen mit Sonderstatut in Art. 50 St.sard., Art. 48 St.V.A., Art. 27 St.T.A.A. und Art. 22 St.F.V.G. verankert. Danach kann das Regionalparlament von der Zentralregierung aufgefordert werden, die Regionalregierung oder deren Präsidenten abzusetzen, falls diese einen Verfassungsbruch oder schwere Rechtsverletzungen begangen haben (Art. 126 Abs. 1 Cl, Art. 50 des Gesetzes Nr. 62 von 1953). Sofern das Regionalparlament selbst solche rechtswidrigen Handlungen begeht oder nur fünfTagen für eine Einspruchserhebung seitens der Regierung vor. Eine Besonderheit gilt auch für die Region Aosta-Tal, deren Statut in Art. 31 einen Vertreter des Innenministeriums als Präsdidenten der Koordinierungskommission für die Rückverweisung eines Gesetzesvorhabens an den Regionalrat für zuständig erklärt. 140 Vgl. Tomuschat, ebd., S. 191. 141 Vgl. oben Fn. 26. 142 Sizilien: D.L.P. v. 6.5.1948, Nr. 655; Sardinien: D.P.R. v. 19.5.1949, Nr. 250; Trient- Oberetsch: D.P.R. v. 30.6.1951, Nr. 547, nunmehr D.P.R. Nr. 49 von 1973. Friaul-Julisch Venetien hat eine entsprechende Regelung in Art. 58 seines Statuts getroffen.

III. Kap.: Italien

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funktionsunfähig ist, kann es seinerseits aufgelöst werden (Art. 126 CI, Art. 51 des Gesetzes Nr. 62 von 1953).

VI. Die verfassungsrechtliche Kontrolle des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Regionen Die Verfassung trifft in nur vier Artikeln (Art. 134-137 CI) grundsätzliche Anordnungen über Organisation und Verfahren des Verfassungsgerichts 143• Diese Bestimmungen befinden sich im Titel VI ("Verfassungsrechtliche Garantien"), wo Vorkehrungen zum Schutz der Verfassung normiert sind. Damit ist deutlich gemacht, daß der Verfassungsgerichtshof nicht zur rechtsprechenden Gewalt im herkömmlichen Sinn (Art. 101-113 CI) gehört, sondern vielmehr ein Verfassungsorgan und ein Gericht eigener Art zum Schutz der Verfassung darstellt 144• Zu den Zuständigkeiten des Gerichts gehört in dem hier interessierenden Zusammenhang u. a. zum einen gemäß Art. 127 Abs. 2 CI die Entscheidung über Beanstandungen eines Regionalgesetzes durch die Staatsregierung (präventive Normenkontrolle), wobei festzustellen ist, ob die Region die Grenzen ihrer Gesetzgebungszuständigkeit überschritten hat. Zum anderen ist das Verfassungsgericht gemäß Art. 134 CI für die Inzidentnormenkontrolle von staatlichen und regionalen Gesetzen und gesetzkräftigen Akten zuständig (Art. 134 Abs. 1 CI) und urteilt über Zuständigkeitskonflikte zwischen den Organen der Staatsgewalt ("tra poteri dello Stato") sowie zwischen dem Staat und den Regionen und zwischen den Regionen (Art. 134 Abs. 2 CI). Zwischen Staat und Regionen (in begrenztem Umfang auch zwischen Regionen) können sich Zuständigkeitskonflikte sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung wie im administrativen Bereich ergeben. Von beiden Seiten kann das Verfassungsgericht zur Entscheidung der Zuständigkeitsfrage angerufen werden. Gemäß Art. 127 Abs. 2, 134 Abs. 2 CI in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 9. Februar 1948 145 und Art. 39 Abs. 1 S. 1, Art. 40, 41 des Gesetzes vom 11. März 1953 146 kann der Staat die Frage der Rechtmäßigkeit eines vom 143 Vgl. dazu Crisafulli, Lezioni ll, 2; Ritterspach, S. 224 ff.; Bisearetri di Ruffia, S. 621 ff.; vgl. hierzu die Verfassungsgesetze v. 9.2.1948, Nr. 1, G.U. v. 20. 2.1948, Nr. 43; v. 11. 3. 1953, Nr. 1, abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 2064 ff.; v. 22. 11.1967, Nr. 2, G.U. v. 25. 11.1967, Nr. 294, sowie das Gesetz v. 11.3. 1953, Nr. 87, geändert durch Gesetz v. 18.3.1958, Nr. 265, G.U. v. 9.4.1958, Nr. 85, und das Gesetz v. 25. 1.1962, Nr. 20, G.U. v. 13.2.1962, Nr. 39, geändert durch Gesetz v. 10.5.1978, Nr. 170, G.U. v. 13.5.1978, Nr. 131. 144 Vgl. Ritterspach, S. 224. 145 Norme sui giudizi di legittimita costituzionale e sulle garanzie d'indipendenza della Corte costituzionale, G.U. v. 20.2.1948, Nr. 43, abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 2062: "oltre nei casi e con 1e forme del'art. 127 della Costituzione". 146 Gesetz Nr. 87: ,,Norme sulla costituzione e su1 funzionamento della Corte costituzionale", in der geltenden Fassung abgedr. bei Spagna Musso (Fn. 10), S. 2064 ff.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Regionalrat verabschiedeten Gesetzes überprüfen lassen, wenn dieser der Ansicht ist, daß das Gesetz die Zuständigkeit der Region überschreitet oder zu den Interessen der Nation oder anderer Regionen 147 im Widerspruch steht. Die Region ihrerseits kann gegen staatliche Gesetze wie gegen sonstige staatliche Akte, die sie als einen Einbruch in ihren Kompetenzbereich betrachtet, gemäß Art. 134 Abs. 2 CI in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Verfassungsgesetzes vom 9. Februar 1948 - soweit es sich um ein Gesetz handelt - bzw. gemäß Art. 39 Abs. 1 S. 2, Art. 40, 41 des Gesetzes vom 11. März 1953 -soweit die Verletzung von einem Akt (atto) herrührt, der kein Gesetz darstellt 148 - Klage vor dem Verfassungsgericht erheben. Gemäß Art. 134 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes vom 9. Februar 1948 kann schließlich eine Region gegen eine andere Region vor dem Verfassungsgericht mit der Behauptung Klage erheben, durch ein Gesetz einer anderen Region in ihrem eigenen Kompetenzbereich verletzt zu sein; nach Art. 134 Abs. 2 CI in Verbindung mit Art. 39 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes vom 11. März 1953 kann sie mit dieser Behauptung darüber hinaus jegliche Handlung einer anderen Region vom Verfassungsgericht überprüfen lassen. Ziel dieser als "negative Kompetenzkonflikte" zu charakterisierenden Verfahren ist der Anspruch der jeweiligen Territorialkörperschaft auf die Integrität des eigenen Kompetenzbereiches 149• Unter die in Art. 134 Abs. 2 CI genannten Zuständigkeitskonflikte fallen alle Streitigkeiten, die aus einer möglichen Beeinträchtigung eines subjektiven, verfassungsrechtlich verbürgten Vorteils, auch eines Rechts oder einer Möglichkeit resultieren 150• Zur Bejahung einer "Handlung" im Sinne des Art. 39 des Gesetzes vom 11. März 1953 ist nach der Praxis keine Verursachung des Konflikts durch einen rechtlichen Akt erforderlich; vielmehr genügt jedes "signifikante Verhalten" des Staates oder der Region, worunter neben verwaltungs- und justizförmigem Handeln auch ein Unterlassen fällt m. Bei den genannten Streitigkeiten zwischen Staat und Regionen bzw. zwischen den Regionen untereinander handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren, in dem beide Streitparteien durch ihre Regierungschefs vertreten werden (Art. 39 Abs. 3 des Gesetzes vom 11. März 1953). Für das Verfahren gelten im wesentlichen die allgemeinen Vorschriften. Der Verfassungsgerichtshof stellt in seiner Entscheidung fest, wem die umstrittenen Befugnisse zustehen; die von einem nichtzuständigen Organ erlassenen Verwaltungsakte hebt er auf, erklärt eine entsprechende Unterlassung für rechtswidrig oder annuliert die angefochtene Handlung 152• 14 7

Zu diesen Schranken der regionalen Legislativgewalt vgl. oben III. Kap. IV. 2.

e) dd) (2).

Vgl. Crisafulli, Lezioni II, 2, S. 443. Crisafulli, Lezioni li, 2, S. 439. t5o Crisafulli, ebd., S. 443. Ausgenommen sind danach von Art. 39 des Gesetzes v. 11. 3. 1953, Nr. 87, lediglich Gesetze im formellen und materiellen Sinne. 151 Crisafulli, ebd., S. 447. 148 149

III. Kap.: Italien

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VII. Wertende Gesamtbetrachtung Obgleich sich die Regionen mit Sonderstatut einschließlich der Provinzen Trient und Bozen durch eine größere legislative wie administrative Kompetenzdichte auszeichnen und nur sie über ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen verfügen, kann im Hinblick auf die Zuständigkeitsmaterien in Folge der Überleitungsdekrete aus dem Jahre 1977 von einer gewissen kompetenzmäßigen Annäherung zwischen den Regionen mit Sonderstatut und denen mit Normalstatut ausgegangen werden, ein Umstand, der eine generalisierende Gesamtbetrachtung des italienischen Regionalsystems erlaubt. Als die italienischen Verfassungsväter über die Regionalisierung Italiens berieten, stimmten sie darin überein, daß die Regionen sich als "autonome" Gebietskörperschaften mit eigener- vom Staat unabhängiger- politischer Entscheidungsgewalt konstituieren und dabei einem für alle gemeinsamen Corpus staatlicher Normen unterliegen sollten, die die Grundsätze der Rechtsordnung definieren und darüber hinaus unter Umständen weitere Begrenzungen enthalten. Hingegen wollte man den Regionen nicht eine Form der Selbstregierung verleihen, d. h. die Qualität von Staatsorganen mit einem beschränkten Zuständigkeitsbereich. Die eigentlichen staatlichen Aufgaben, deren Wahrnehmung eine größere Kompetenzausstattung der regionalen Organe erforderlich gemacht hätte, verblieben beim Zentralstaat Der Region kommt daher unabhängig davon, ob sie mit einem Sonderstatut oder einem Normalstatut ausgestattet ist, nur die Qualität einer Gebietskörperschaft zu, die- ganz in der Tradition europäischer Regionalstrukturen- gewisse identitätsbildende ethnische, sprachliche oder kulturelle Gemeinsamkeiten der. in dem jeweiligen Territorium lebenden Bevölkerung repräsentiert 153• Dieser Gebietskörperschaft ist vom staatlichen Gesetzgeber ein begrenzter Bereich "politischer Selbstbestimmung" 154 "garantiert" worden, der sich von der Qualität einer Selbstregierung, wie sie Gliedstaaten in föderativ strukturierten Systemen, aber auch den politisch autonomen Regionen zustehtl 5S, wesensmäßig unterscheidet 156: Die Autonomie der Regionen hat nämlich keinen politischen Inhalt, der über die Wahrnehmung lokaler Interessen hinausgeht. Thre wesentliche Aufgabe besteht in der Organisation der jeweiligen Gemeinschaft 157 • In dieser Hinsicht Vgl. Ritterspach, S. 236; Crisafulli, ebd., S. 448 ff. (450 f.). Zu dieser Definition einer territorialen Einheit als Region vgl. Hrbek, Bundesländer und Regionalismus, S. 136. 154 Dieser Terminus geht auf Paladin, Diritto regionale, zurück. 1ss Vgl. zu dieser Differenzierung Hrbek, ebd., S. 136. 156 Vgl. Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 28; Giannini, S. 40 f.; Mortati, S. 991, spricht diesbezüglich von "soggetti di decentramento autarchico". 157 Vgl. Mortati, S. 991. So haben die Regionen keine eigene Rechtsprechungsgewalt, keine eigenen Polizeikräfte, keine Kompetenz für die Schaffung eines Polizei- und Ordnungsrechts etc. 152 153

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

unterscheidet sich die Region mit Sonderstatut von derjenigen mit Normalstatut kompetenzmäßig auch nur in quantitativer, nicht aber in qualitativer Hinsicht 158• Somit bildet die Region einen Brennpunkt aller lokalen Interessen, der sie allerdings auf dieser Ebene als Dezentralisierungsfaktor 159 zu einem nicht zu übersehenden Entscheidungsträger und einer effektiven Wirkungseinheit werden läßt 160• Die Übertragung des Systems des in der Bundesrepublik bereits in das Koordinatenkreuz der Länderkritik geratenen ,,kooperativen Föderalismus" auf die italienische Territorialordnung wäre gleichwohl nicht möglich, weil die italienischen Regionen im eigentlichen Sinne keine "staatlichen" Aufgaben wahrnehmen. Bis zu einer im jetzigen Zeitpunkt nicht erkennbaren Umwandlung des italienischen Senats in eine "echte Regionalvertretung" 161 werden die Regionen zwar Gebietskörperschaften mit verfassungsrechtlicher Bedeutung bleiben, von Entscheidungen in Verfassungsfragen sind sie- anders als die deutschen Bundesländeraber weithin ausgeschlossen 162. IV. Kapitel

Der belgisehe Bundesstaat I. Die Entwicklung der belgiseben Bundesstaatlichkeil Die heutige Staatsordnung Belgiens ist das Ergebnis dreier Staatsreformen in den Jahren 1970, 1980 und 1988, wobei die damit verfolgte Umformung der auf die Annexion der "be1gischen" Provinzen durch Frankreich im Jahre 1795 zurückgehenden zentralstaatlichen Strukturen 1 in ein föderatives Staatswesen bis zur Stunde noch nicht zu einem endgültigen Abschluß gelangt ist. 158 Im Ergebnis ebenso Mortati, S. 992, der damit eine Qualifizierung ablehnt, die die Regionen mit Sonderstatut als Gebietskörperschaften mit einem Beteiligungsrecht an der politischen Leitung des Staates ansieht, welches eine Mittelstellung zwischen einer autarkischen Gebietskörperschaft und dem Gliedstaat eines Bundesstaates begründen würde. 159 Diese regionale Dezentralisierungsstruktur verleiht Italien eine Mittelstellung zwischen einem Bundesstaat und einem Zentralstaat; vgl. Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 169; Mortati, S. 993, rätjedoch bezüglich solcher Kategorisierungen im Hinblick auf mögliche Veränderungen im Verhältnis zwischen Staat und Regionen zur Vorsicht. 160 Giannini, S. 41 f., S. 79 ff. 161 Vgl. Ritterspach, JöR 37 (1988), S. 80. 162 Giannini, S. 94. I Die Provinzen des heutigen Belgien bildeten seit 1384 als "burgundische Niederlande" zunächst unter den Herzögen von Burgund, dann ab 1482 unter den Habsburgem (ab 1555 der spanischen Linie des Hauses Habsburg) mit den nördlichen Niederlanden bis zu deren Lossagung von Spanien in der "Akte van Afzwering" (1581) eine politische Staatseinheit, die in konstitutioneller Hinsicht als "föderatives Staatssystem" beschrieben

IV. Kap.: Belgien

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Das Kernstück der Neugestaltung Belgiens in den Jahren 1970/71 bildete die Einführung von Kulturgemeinschaften und Regionen. Nach Art. 107 quater der belgiseben Verfassung (im folgenden: CB 2) umfaßt Belgien infolge der im Rahmen der dritten Verfassungsreform von 1970 durchgeführten ersten Staatsreform drei Regionen: die flämische, die wallonische und die Brüsseler Region. In Art. 3 ter CB werden eine niederländische, eine französische und eine deutsche Kulturgemeinschaft verfassungsrechlieh anerkannt. Während die Kulturautonomie für die beiden großen Kulturgemeinschaften, die niederländische und die französische, und in beschränktem Maße auch für die deutsche eine Realität wurde, blieb die Regionalisierung des Staates auf der Strecke. Der Ruf nach einer zweiten, föderalistisch geprägten Staatsreform wurde immer deutlicher 3• Sie gelang unter der Regierung Martens im Juli I August 1980 durch einige weitere Verfassungsänderungen, insbesondere aber durch die Verabschiedung des Sondergesetzes 4 vom 8. August 1980 bzw. des ordentlichen Gesetzes vom 9. August 1980 zur Reform der Institutionen, die mit der Schaffung von Parlamenten und Exkutiven auf Gemeinschaftsebene und regionaler Ebene die Anwendung des geänderten Art. 59 bis CB 5 sowie die Ausführung des unverändert gebliebenen Art. 107 quater CB regeln. Auch diese Staatsreform erwies sich aber noch immer als unvollendet, da einige nicht unwichtige "Bausteine im bundesstaaltichen Gebäude" 6 fehlten. wird (vgl. Senelle, JöR 36 [1987], S. 122). Als "Spanische (katholische) Niederlande" fielen sie infolge des spanischen Erbfolgekrieges ( 1701 - 13 I 14) nach den Friedensschlüssen von Utrecht (1713) und Rastatt (1714) an die Österreichischen Habsburger (Osterreichische Niederlande). Auch in der Österreichischen Zeit waren die einzelnen Provinzen P.raktisch autonome Länder. Am 1. 10. 1795 wurde das Gebiet - nach der Niederlage Osterreichs in der Schlacht von Fleurus ( 1794)-Frankreich einverleibt, in neun Departements aufgeteilt und in der Folge französischen Rechts- und Verwaltungsnormen unterworfen. Durch den Wiener Kongress wurden die nördlichen und südlichen Niederlande mit dem Fürstbistum Lüttich zu einem Königreich unter dem Haus Oranien-Nassau zusammengeiaßt (1815 -1830). Nach der Septemberrevolution von 1830 rissen sich die südniederländischen Gebiete vom Königreich los. 2 Constitution Beige. 3 Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 516f. 4 Die Sondergesetze bilden einen Bestandteil des belgiseben "Verfassungsb1ocks". Dieser besteht, in seiner Gesamtheit und Dreiteiligkeil betrachtet, aus: a) einer ,,rigiden" mehrfach novellierten ,,Kemverfassung" ( 1831 ), b) einer "etwas weniger rigiden" Verfassungssondergesetzgebung, die in der Normenhirarchie auf der Ebene der Verfassung "im formellen Sinne steht" und auch verfassungsändernd sein kann, sowie c) einer flexiblen, ordentlichen (verfassungsausfüllenden bzw. -ergänzenden) Gesetzgebung, der ebenfalls zumindest teilweise bezüglich der die Verfassung ergänzenden Normen Ranggleichheit mit der Verfassung zuerkannt wird. Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 573, 575, Fn. 221. s Art. 59 bis, § 1 S. 1 CB in der Fassung v. 17.7.1980 (Moniteur beige v. 18. 7. 1980) behielt es einer einfachgesetzlichen Regelung vor, die Zusammensetzung der Gemeinschaftsräte zu bestimmen. Zusätzlich wurde für die Gemeinschaften die Möglichkeit der eigenen Verwaltung geschaffen, indem Art. 59 bis, § 1 S. 1 CB anordnet, daß den Legislativorganen eine eigene vollziehende Gewalt ("executif') zugeordnet wird: vgl. hierzu Mütter, JöR 34 (1985), S. 163/164.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Offen blieben vor allem die Fragen der Neugestaltung des nationalstaatliehen Bikameralismus und die Rolle des Senats einschließlich der Direktwahl der Ratsmitglieder als auch der Eingliederung der Brüsseler Region in die neue staatliche Organisationsstruktur. So war es der dritten, seit 1988 durchgeführten Staatsreform vorbehalten, den Umbau Belgiens zu einem als "föderativ" bezeichneten Staatssystem in drei Phasen abzuschließen 7 • Im Mittelpunkt der ersten Phase stand 1988 die Überarbeitung des Art. 17 CB und 59 bis CB, durch welche u. a. die Übertragung der gesamten Zuständigkeit für das Unterrichtswesen auf die Gemeinschaften realisiert wurde 8 • Die Region Brüssel-Hauptstadt, die von der zweiten Staatsreform ausgeklammert worden war, wurde durch die Novellierung des Art. 108 ter, §§ 2, 3 CB 9 als Region konstituiert. Die zweite Phase, die während der parlamentarischen Sitzungsperiode 1988/ 1989 stattfand, führte durch Erlaß des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 10 im wesentlichen zu einer Erweiterung der Befugnisse des Schiedshofes, zum Erlaß des Spezialstatuts für die Region Brüssel-Hauptstadt durch das Sondergesetz vom 12. Januar 1989 11 sowie zur Regelung der Finanzierung der Gemeinschaften und Regionen durch das Sondergesetz vom 16. Januar 1989 12• Die dritte Phase schließlich, die erst im Laufe der kommenden Jahre abgeschlossen wird, soll vor allem der Aufwertung des Senats zu einer Vertretung der Regionen, der verfassungsrechliehen Definition der den nationalen Organen ausschließlich zustehenden Kompetenzen, dem Ausbau des Instrumentariums des ,,kooperativen Föderalismus" sowie der Regelung der internationalen Zuständigkeiten der Gemeinschaften und Regionen dienen.

II. Die territoriale Struktur des belgiseben Staates Das belgisehe Staatsgebiet ist asymmetrisch strukturiert. Es ist in neun Provinzen 13 aufgeteilt (Art. 1 Abs. 1 und 2 CB) und umfaßt vier Sprachgebiete (Art. 3 bis Abs. 1 CB)l 4 , drei Gemeinschaften (Art. 3 ter CB) 15 und drei Regionen V an de Craen, ebd., S. 576. Vgl. FAZ v. 1.11.1989, S. 5. s Verfassungsänderungsgesetz v. 15. 9.1988, Moniteur beige v. 19. 7.1988, s. 1283 ff. 9 Verfassungsänderungsgesetz v. 7. 7.1988, Moniteur beige v. 9. 7. 1988, S. 1006 f. 10 Moniteur beige v. 7. 1.1989, S. 315 ff. 11 Moniteur beige v. 14. 1.1989, S. 667 ff. 12 Moniteur beige v. 17.1.1989, S. 850 ff.; vgl. hierzu FAZ v. 1. 9.1988, S. 12; FAZ V. 1.11.1989, S. 5. 13 Antwerpen, Brabant, Westflandem, Ostflandern, der Hennegau, Lüttich, Limburg, Luxemburg, Namur. 14 Franzöisisches Sprachgebiet; niederländisches Sprachgebiet; zweisprachiges Gebiet Brüssel- Hauptstadt; deutsches Sprachgebiet. Der relative Anteil jeder Sprachregion an der Gesamtbevölkerung von 9 858 895 Einheiten stellte sich am 1. 1. 1986 folgendermaßen dar: 57,6 % für die niederländische Sprachregion, 81 % für die französische Sprachre6

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IV. Kap.: Belgien

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(Art. 107 quater) 16• Diese verschiedenen Substrukturen überschneiden sich jedoch teilweise. So gehört die Provinz Brabant drei Sprachgebieten (dem niederländischen, dem französischen und dem zweisprachigen Gebiet Brüssei-Hauptstadt) und die Provinz Lüttich zwei Sprachgebieten (dem französischen und dem deutschen) an. Andererseits bildet das zweisprachige Gebiet Brüssei-Hauptstadt zwar eine Region aber keine Gemeinschaft, weshalb die Gemeinschaftsangelegenheiten von der flämischen und der französischen Gemeinschaft wahrgenommen werden, soweit sie sich auf die Mitglieder ihrer Gemeinschaft beziehen. Das deutsche Sprachgebiet bildet zwar eine Gemeinschaft, aber keine Region. Die regionalen Angelegenheiten dieses Gebietes werden von der wallonischen Region wahrgenommen. Die Regionen bilden "gebietskörperschaftliche Einheiten" 17, während die Gemeinschaften bloße Bevölkerungsgliederungen darstellen 18 , die aber im Hinblick auf die örtlich beschränkte Tragweite ihrer Dekrete lokalisierbar sind. Durch Art. 59 bis, § 1 Abs. 2 CB wurde entgegen den hiergegen geäußerten Bedenken des belgiseben Staatsrates 19 den Gemeinschaftsräten und -exekutiven die Möglichkeit eingeräumt, ggf. die den Regionalorganen übertragenen Befugnisse mitauszuüben, wovon flämischerseits im Sondergesetz vom 8. August 1980 (im folgenden: SGRI 20) Gebrauch gemacht wurde (Art. 1, § 1) während§§ 2 und 3 des Art. 1 SGRI für die französische Gemeinschaft und die wallonische Region getrennte Organe vorsehen. Der Rat der deutschsprachigen Gemeinschaft und der wallonische Regionalrat haben von der in Art. 59 ter, § 3 vorgesehenen Möglichkeit einer Ausübung der Befugnisse der wallonischen Region durch den Rat und die Exekutive der deutschsprachigen Gemeinschaft noch keinen Gebrauch gemacht. Diese weiteren Faktoren vertikaler Asymmetrie erlauben es gleichwohl - wenn auch bedingt 21 - im Fall Belgiens von einer doppelten substaatlichen Einteilung bzw. einer "doppelten Regionalstruktur" 22 zu sprechen: auf der ersten Ebene befindet sich der Nationalstaat, auf der zweiten Ebene die flämische Gemeinschaft bzw. Region in organschaftlieber Union (zweigliedrige Komponente), auf der dritten Ebene schließlich die französische Gemeinschaft, die wallonische Region sowie die Region Brüssel-Hauptstadt und die deutsche Gemeinschaft (dreigliedrige Komponente). gion; 9,9% für die zweisprachige Region Brüssei-Hauptstadt und 0,7% für die deutsche Sprachregion: vgl. Senelle, JöR 36 (1987), S. 128. 15 Französische Gemeinschaft; Flämische Gemeinschaft; Deutsche Gemeinschaft 16 Wallonische Region, Flämische Region, Region Brüssel-Hauptstadt. l1 Vgl. Mütter, JöR 34 (1985), S. 147 18 Eine entsprechende gesetzliche Definition fehlt allerdings; vgl. Delperee, S. 344352. 19 Vgl. Mütter, ebd., S. 171 f. 2o Sondergesetz v. 8. 8. 1980 zur Reform der Institutionen in der Fassung v. 8. 8. 1988, Moniteur beige v. 13. 8.1988, S. 11367 ff. 21 Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 522 f. 22 Vgl. Suetens, S. 272.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

111. Die Rechtsordnung der dezentralisierten Einheiten Belgiens Bei den Zuständigkeiten der dezentralisierten Einheiten wird zwischen Gemeinschaften und Regionen unterschieden. Die Gemeinschaften verfügen über Kompetenzen in Kultur-, Sprach- und Unterrichtsangelegenheiten sowie im Gesundheits- und Sozialwesen, wohingegen sich die Aktivitäten der Regionen eher auf einem sozio-ökonomischen Betätigungsfeld bewegen. Alle dezentralisierten Einheiten sind bei im einzelnen unterschiedlichen Zuständigkeitskatalogen mit einem gesetzgebenden Organ (dem Rat) und einem ausführenden Organ (der Exekutive) ausgestattet.

1. Die "dekretierende" und die "anordnende" Gewalt Die Gemeinschaften und Regionen - mit Ausnahme von Brüssel-Hauptstadt- verfügen über eine gesetzgebende Gewalt, die als "dekretierende Gewalt" bezeichnet wird 23 • Die Dekretierungsbefugnis ist eine gesetzgebende Befugnis. Die Verfassung sieht dies ausdrücklich vor (Art. 59 bis, §§ 4, 4 bis CB; Art. 26 bis Abs. 2 CB) und der Gesetzgeber hat dies noch bekräftigt, indem er normiert, daß im Kompetenzbereich der Gemeinschaften und der Regionen Dekrete bestehende Gesetze aufheben, ergänzen, abändern und ersetzen können, die dem nationalen Gesetzgeber früher zur Regelung offenstanden (Art. 19, § 2 SGRI) 24• Danach gibt es eine einheitlich dekretierende Gewalt für alle Angelegenheiten in den Kompetenzbereichen der Gemeinschaften und Regionen. Die Gleichheit zwischen Dekret und Gesetz wird überdies noch durch Art. 28 Abs. 2 CB unterstrichen, wonach nur dem Dekretgeber die bindende Auslegung der Dekrete zusteht 25. Für die Region Brüssel-Hauptstadt wurde eine besondere, sich von den übrigen Regionen unterscheidende Gewaltenstruktur geschaffen. Damit sollte der besonderen Stellung dieser Region Rechnung getragen werden, die von Mitgliedern der flämischen sowie französischen Gemeinschaft bewohnt wird, die Hauptstadt eines Landes bildet und damit zugleich internationale Funktionen zu erfüllen hat. Die Dekrete der flämischen und der französischen Gemeinschaft haben hier nur in Ansehung derjenigen Einrichtungen Gültigkeit, die ausschließlich der 23 Vgl. Art. 59 bis, §§ 2, 2 bis, 3, 4, 4 bis CB; Art. 59 ter, § 2 CB, Art. 107 quater CB i.V. m. Art. 26 bis CB i.V. m. Art. 19, § 1 Abs. 1 und § 2 SGRI und Art. 4 des Ausführungsgesetzes über die Deutsche Gemeinschaft v. 31.12. 1983 (Moniteur belge v. 18. 1. 1984, s. 611 ff.). 24 Art. 5, 6 Abs. 2, Art. 7, 10, 44 Abs. 1, Art. 51 u. 54 des Ausführungesetzes über die Deutsche Gemeinschaft (im folgenden: OGDG) erklärt verschiedene Bestimmungen des SGRI für entsprechend abwendbar. 2s Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 529 ff.

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einen oder anderen Gemeinschaft zugehören. Mit ihrer Durchführung und Anwendung sind die "Flämische Gemeinschaftskommission" und die "Französische Gemeinschaftskommission" beauftragt 26 • Im übrigen besitzt Brüssel als Region zwar dieselben Zuständigkeiten wie die flämische und die wallonische Region (Art. 4 SGB), jedoch hat der Rat keine dekretierende, sondern nur eine anordnende Gewalt (Art. 6, 7 SGB). Die Anordnung unterscheidet sich von einem Dekret in erster Linie dadurch, daß sie vom einfachen Richter auf ihre Verfassungsmäßigkeil (mit Ausnahme derjenigen Verfassungsbestimmungen, die dem Schiedsgerichtshof vorbehalten sind 27) und ihre Vereinbarkeil mit dem Sondergesetz vom 12. Januar 1989 über die Errichtung der Brüsseler Institutionen (SGB) überprüft werden kann. Zudem hat der Senat bei Anordnungen in den Bereichen der Raumordnung, des Städtebaus, des öffentlichen Dienstes und des Verkehrs die Möglichkeit einer Nichtigkeitserklärung, wobei diese Annulierung einer Zustimmung durch die Mehrheit beider Sprachengruppen bedarf. Schließlich verfügt der Senat bei einer "legislatorischen" Säumigkeit des Rates der Region BrüsselHauptstadt auf den genannten Gebieten über das Recht der Substitution. 2. Die Zuerkennung von Kompetenzen a) Natur der Kompetenzen Die Kompetenzen, die die Verfassung- oder aufgrundder Verfassung der Gesetzgeber- den Gemeinschaften und Regionen erteilt hat 28 , sind exklusive Kompetenzen. Die exklusive Kompetenzzuweisung bedeutet, daß beide Zuständigkeitsbereiche, der des Zentralstaates einerseits und der der dezentralisierten Einheiten andererseits, klar voneinander getrennt sind. Mithin verfügen die Gemeinschaften bzw. Regionen und der Nationalstaat von einigen Ausnahmen abgesehen (Steuerwesen, Umweltschutz, wissenschaftliche Forschung) grundsätzlich nicht über konkurrierende Befugnisse 29." Jedes konkrete Verhältnis und jede konkrete Situation kann nur von einem einzigen Normgeber geregelt werden" 30 (,,Exklusivitätsdogma"). Nur auf diese Weise glaubte der belgisehe Gesetzgeber, die Autonomie der Gemeinschaften und Regionen sicherstellen zu können31. Wenn es für die Erfüllung ihrer Aufgaben unerläßlich ist, Dekrete auf Gebieten außerhalb des jeweiligen gemeinschaftlichen b:Zw. regionalen ZustänZu weiteren Einzelheiten vgl. Suetens, S. 285. Vgl. dazu S. 164 f. 2s Vgl. Art. 59 bis, §§ 2, 2 bis, 3 CB i.V. m. Art. 4 und 5 SGRI; Art. 59 ter, § 2 CB i.V. m. Art. 4 OGDG i.V. m. Art. 4 und 5 SGRl; Art. 107 quater i.V. m. Art. 6 SGRI; Art.4 SGB. 29 Paques, AP 11 (1987), S. 250; Entscheidungdes CA v. 20.12.1985, Nr. ?, Moniteur beige v. 2.1.1985, S. 694 (6 B 2). 30 Urteile des Schiedshofs v. 30.1.1986, Nr. 9 u. 10, Moniteur beige v. 12.2.1986. 31 Vgl. Suetens, S. 275 f. 26 21

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I. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

digkeitsbereiches zu erlassen, wird den dezentralisierten Einheiten gemäß Art. 10 SGRI bzw. Art. 4 SGB eine implizite Kompetenz zugestanden. Die Einführung von Art. 10 SGRI diente der Festschreibung der Theorie der "implied powers" 32 im Gesetz. Dabei soll jedoch der Bereich der allgemeinen Gesetzgebung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts, des Strafrechts und des Bürgerlichen Rechts unangetastet dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben 33 • Zudem ist diese den Räten übertragene Zuständigkeit nur subsidiärer Art 34• Eine Kompetenzzuweisung an die dezentralisierten Einheiten bedeutet gleichzeitig, daß die Zentrale alle übrigen, nicht abgetretenen Kompetenzen behält. Das "Residuum" der Kompetenzen bleibt einstweilen bis zu einer verfassungsrechtlichen Normierung der dem Zentralstaat zustehenden Kompetenzen diesem zugeordnet 35 , während die dezentralisierten Einheiten nicht über Residualkompetenzen verfügen 36• Jedoch sind ihnen in bestimmten Bereichen die allgemeinen und dem Zentralstaat die speziellen Befugnisse zugeteilt worden 37 • Der nationale Gesetzgeber bleibt für alle Angelegenheiten zuständig, deren Regelung nur in Form eines förmlichen Gesetzes erfolgen kann, insbesondere für alle Fragen, die die Ausübung der Grundfreiheiten betreffen. Daneben besitzt er die ,,klassischen" Kompetenzen, bspw. auf dem Gebiet der Außenpolitik mit Ausnahme der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kultur und der personengebundenen Angelegenheiten 38, in den Bereichen der nationalen 32 Die Lehre von den implied powers hat ihre Grundlage in Art. I sec. 8 cl. 18 der amerikanischen Verfassung: "The Congress shall have Power . . . To make all Laws which shall be nessessary and proper for carrying into Execution the Foregoing Powers, and all other Powers vested by this Constitution in the Government of the United States, or in any Department or Offleer thereof." Die weite Auslegung dieser Klausel ist seit der berühmten Entscheidung Marshall's in McCulloch v. Maryland aus dem Jahre 1819 Allgemeingut der amerikanische Rechtsprechung (vgl. Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 144 f.). 33 Nach dem Urteil des Schiedshofs Nr. 44, v. 23.12. 1987, Moniteur beige v. 27.1.1988, kann Art. 10 keine Anwendung finden auf die Angelegenheiten, die die Verfassung dem nationalen Gesetzgeber vorbehält. 34 Vgl. Mütter, JöR 34 (1985), S. 181/182. 35 Vgl. Paques, AP 11 (1987), S. 249. Insofern steht das belgisehe System der Kompe-· tenzverteilung noch im Gegensatz zu der im Zusammenhang mit der Untersuchung des Systems der bundesdeutschen und der spanischen Verfassung für viele bundesstaatliche Ordnungen festgestellten Kompetenzaufteilung: vgl. I. Kap. I. 3. a) sowie 11. Kap. VII. 2. d) aa). 36 Die belgisehe Rechtslehre unterscheidet drei Kategorien der sog. Restkompetenzen: a) die Angelegenheiten, die die Verfassung selbst dem nationalen Gesetzgeber vorbehält (die sog. "vorbehaltenen" Zuständigkeiten); b) die in den Sondergesetzen v. 8.8.1980 und 8.8. 1988 ausdrücklich erwähnten ,,Ausnahmen" von den den Gemeinschaften und Regionen zugewiesenen Zuständigkeiten; c) die Restkompetenzen im engeren Sinne, d. h. der nicht bezeichnete nationale Zuständigkeitsbereich. 37 Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 532 f.

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Verteidigungspolitik, des Justizwesens, der Finanzen, des öffentlichen Dienstleistungs- und Kommunikationswesens, der Sozialpolitik und des Sozialversicherungswesens sowie der nationalen Gesundheitspolitik 39• Soweit auf den Feldern der Innen- und Wirtschaftspolitik Zuständigkeiten zugunsten der dezentralisierten Einheiten geschaffen bzw. - im Rahmen der dritten Staatsreform - noch erweitert wurden, obliegt dem Nationalstaat vielfach die Regelung der Grundbedingungen, was vor allem bezüglich der Wirtschaftspolitik deutlich wird: Hierfür besitzen nunmehr die Regionen umfangreiche Zuständigkeiten, die gemäß Art. 6, § l, VI Abs. 3, Nr. 2 SGRI durch das Gebot der Beachtung des freien Personenund Wahrenverkehrs, der Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, der Handels- und Gewerbefreiheit sowie durch den allgemeinen gesetzlichen und Völkervertragsrechtlichen Rahmen zwecks Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit auf ökonomischem und monetärem Gebiet beschränkt werden 40 • Zwischen dem nationalen Gesetz und dem von den Gemeinschafts- bzw. Nationalräten erlassenen Dekret besteht kein hierarchisches Verhältnis; vielmehr besitzen beide die gleiche Rechtskraft. Das einzig ausschlaggebende Kriterium in einem Zuständigkeitskonflikt zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Staates ist die materielle Zuständigkeit des erlassenen Organs. Ebenso wie das Gesetz ist auch das Dekret nur im Hinblick auf die Achtung der verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantie (Art. 6 und 6 bis CB), die Unterrichtsfreiheit (Art. 17 CB) und die Schlichtung eines Zuständigkeitskonflikts der gerichtlichen Kontrolle durch den Schiedshof unterworfen 41 • Anders ist dies jedoch bezüglich der dem Rat der Region Brüssel-Hauptstadt eingeräumten Anordnungszuständigkeit, die teilweise einer Kontrolle durch die nationale Regierung bzw. den nationalen Gesetzgeber unterliegt (Art. 45 SGB). Ansonsten aber besteht mangels einer Normenhirarchie im Verhältnis von Gesetz und Dekret eine Parallelzuständigkeit des Zentralstaats einerseits und der Gemeinschaften und Regionen andererseits, die auf der Grundlage der Gleichheit und im Rahmen des verfassungsrechtlich und gesetzlich festgelegten jeweiligen materiellen Kompetenzbereichs ausgeübt wird 42 • Dabei ist der jeweilige Hoheitsträger für die Gesamtheit einer Materie verantwortlich, also auch für die administrative Durchführung ("Vertikalitätsgrundsatz") 43 • Vgl. dazu VIII. Kap. I. Vgl. De Meyer, JöR 27 (1978), S. 11. 40 Die zu diesem Zweck normierten Zuständigkeiten des Zentralstaates sind in Art. 6, § 1 VI, Abs. 4 Nr. 1 - 4 sowie Abs. 5 Nr. 1-12 aufgelistet. Zur Wirtschafts- und Währungsunion vgl. Alen, ZaöRV 50 (1990), S. 525 f. 41 Vgl. unten IV. Kap. V.3. 42 Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 266. 43 Vgl. Stellungnahme des Staatsrats (Gesetzgebungsabteilung) v. 20.11.1986, Parl. Dok., Abgeordnetenkammer, 1985-1986, Nr. 287/2: ,,Der für die Normsetzung zuständige Hoheitsträger ist auch für die Durchführung zuständig [ ... ] und umgekehrt, d. h. [ ... ] in der Regel ist ein und derselbe Hoheitsträger für die Gesamtheit der Angelegenheit zuständig [ ... ], es sei denn, die Verfassung oder das kraft derselben verabschiedete Sondergesetz schreibt ausdrücklich etwas anderes vor." 38

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

b) Die Zuständigkeitsbereiche der Gemeinschaften und Regionen

Die Zuständigkeitsbereiche der dezentralisierten Einheiten beziehen sich auf die Gemeinschafts- bzw. Regionalangelegenheiten, wobei der Zuständigkeitsbereich der flämischen Gemeinschaft infolge der organschaftliehen Kongruenz mit der flämischen Region auch die regionalen Angelegenheiten Flanderns umfaßt. Auffällig ist im Hinblick auf die Kompetenzverteilung die außerordentlich detaillierte Aufzählung der Befugnisse durch den Gesetzgeber, wobei diese- zwecks Vermeidung von Zuständigkeitskonkurrenzen- in Form von Kompetenzblöcken erfolgt ist. In vielen Fällen werden die an die Gemeinschaften bzw. Regionen zugewiesenen Kompetenzen durch negative Ausgrenzungen beschränkt. aa) Die ausschließlichen Gemeinschaftsbefugnisse Zu den ausschließlichen Gemeinschaftsbefugnissen gehören hinsichtlich der französischen und der flämischen Gemeinschaft schon seit der Staatsreform von 1970 die kulturellen Angelegenheiten (Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. I CB; Art. 4 SGRI), das Unterrichtswesen (Art. 59 bis, § 2 Abs. I Nr. 2 CB mit einer durch die Staatsreform von 1988 stark eingeschränkten negativen Ausgrenzung 44) und die zwischengemeinschaftliche und internationale kulturelle Zusammenarbeit (Art. 59 bis, § 2 Abs. I Nr. 3 CB; Art. 4 und 5 des Gesetzes über die Kulturräte vom 21.7. 1971 4\ Art. 92, 16, 81 SGRI). Die Deutsche Gemeinschaft verfügt aufgrund von §59 ter, § 2 Nr. 1, 3, 4 i.V. m. Art. 4 OGDG über dieselben Zuständigkeiten, die jedoch mit Einschränkungen im Hinblick auf den Bereich des Sprachgebrauchs versehen sind. Hinzu kommen seit der Staatsreform von 1980 Zuständigkeiten der Gemeinschaften für die sog. personengebundenen Angelegenheiten (Art. 59 bis, § 2 bis CB i.V. m. Art. 5 SGRI; Art. 59 ter, § 2 Nr. 2 und 4 i.V. m. Art. 4 OGDG). Hier hat der Gesetzgeber drei Kompetenzblöcke unterschieden: erstens für die Gesundheitspolitik (Art. 5, § 1 I SGRI), die Betreuungspolitik und die Gesundheitserziehung (mit Ausnahmen); zweitens die Unterstützung von Personen (Art. 5, § 1 II SGRI), die Familienpolitik, Bereiche der Sozialhilfe, Ausländer-, Behinderten-, Betagten-, Jugend- und Strafvollzugspolitik 46 (mit Ausnahmen) nebst Zuweisung der Verwaltungsaufsichtskompetenz in diesen Angelegenheiten über Provinzen, Gemeinden und Gemeindezusammenschlüsse (Art. 108 Abs. 3 CB; Art. 7 Abs. 1 lit. b SGRI) 47 ; drittens die angewandte wissenschaftliche Forschung und seit der . 44 Die Beschränkungen beziehen sich nunmehr nur noch auf die Festlegung des Anfangs und des Endes der Schulpflicht und der Mindestvoraussetzungen für die Erteilung von Zeugnissen sowie auf die Regelung der Altersversorgung des Lehrpersonals. 45 Moniteur beige v. 23.7.1971. 46 Letztgenannte Zuständigkeit wurde im Rahmen der dritten Staatsreform auf den Bereich der Resozialisierung von Straftätern erweitert. 47 Bzgl. der noch darzustellenden regionalen Zuständigkeiten wird diese Kompetenz den Regionen übertragen.

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Staatsreform von 1988 die grundlegende wissenschaftliche Forschung sowie schließlich die zwischengemeinschaftliche und internationale Zusammenarbeit auf diesen Gebieten (Art. 59 bis, § 2 bis CB i.V. m. Art. 5, § 3 und Art. 16, 81 SGRI; Art. 59 ter, § 2 Nr. 4 48 i.V. m. Art. 5 und 51 OGDG).

bb) Die ausschließlichen Regionalbefugnisse Gemäß Art. 107 quater Abs. 2 CB zählen Art. 6, § 1 SGRI und Art. 4 SGB zehn Kompetenzblöcke auf, für welche die Regionen zuständig erklärt werden: (1) Raumordnung und Städtebau

(2) Umweltschutz (unter Beachtung der generellen und sektoriellen Normen

des Zentralstaates)

(3) Flurbereinigung und Naturschutz (4) Wohnungswesen (beschränkte Befugnis)

(5) Wasserpolitik (mit Ausnahmen) (6) Wirtschaftspolitik (mit Ausnahmen)

(7) Regionale Energiepolitik (eingeschränkt; keine Zuständigkeit für die Kernenergie) (8) Organisation und Aufsicht über die untergeordneten Behörden (9) Beschäftigungspolitik (einschließlich der Ausführung von nationalen Maß-

nahmen)

(10) Öffentliche Dienste und Verkehr Die Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Zuständigkeiten der Regionen sind trotzder Residualzuständigkeit des Staates restriktiv zu interpretieren 49 •

3. Die Exekutivgewalt Als zweiter Zweig der Legislativgewalt steht den Exekutiven neben den Mitgliedern des Rates das Initiativrecht zu (Art. 18 SGRI); zudem sanktionieren und verkünden sie die Dekrete (Art. 21 SGRI), die nur verbindlich sind, wenn sie in der vorgesehenen Form veröffentlicht werden (Art. 129 CB). Darüber hinaus besitzen sie im Rahmen ihrer Ausführungszuständigkeiten die Verordnungsbefugnis, d. h. sie verabschieden die zur Ausführung der Dekrete notwendigen Verordnungen und Erlasse (Art. 20 SGRI), wobei die Verordnungsbefugnis der Dekretierungsbefugnis untergeordnet ist. Die Exekutiven haben keine anderen In der Fassung v. 20.6.1989, Moniteur beige v. 20. 7.1989, S. 12713 f. Vgl. Urteil des CA v. 22. 1.1986, Nr. 9, JT 1986, S. 496 f., sowie die Stellungnahme des Staatsrates v. 31.05. und 6.6. 1979, L. 13.334/l//2, S. 22; hierzu Paques, AP 11 (1987), S. 250 ff.: "Innerhalb eines Kompetenzblocks wird das Residualprinzip umgekehrt". 48

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Befugnisse als diejenigen, die ihnen die Verfassung, die Ausführungsgesetze und die aufgrunddieser "Verfassungstexte" 50 ergangenen Dekrete ausdrücklich übertragen. Die allgemeine Zuständigkeit der Exekutiven für die Ausarbeitung und die Koordinierung der Politik der Gemeinschaft oder der Region sowie die Beratungsfunktion des "Exekutivrates" ist in Art. 83 SGRI ausdrücklich festgeschrieben worden 51 •

4. Die Organstruktur Die territoriale Asymmetrie der belgiseben Gemeinschaften und Regionen wird durch deren organische Asymmetrie noch verstärkt. Im Norden des Landes gibt es aufgrundder organschaftliehen Zusammenlegung der flämischen Gemeinschaft und der flämischen Region nur einen flämischen Rat als dekretierendes Organ und eine flämische Exekutive als ausführendes Organ für die flämischen Gemeinschafts- und Regionalangelegenheiten. Im Süden des Landes verfügen die Gemeinschaften und Regionen hingegen aufgrund der Trennung ihrer Organe über jeweils einen Rat und eine Exekutive. Nur der Rat der deutschsprachigen Gemeinschaft (Art. 8 und 15 OGDG) und der Rat der Region Brüssel-Hauptstadt (Art. 10 ff.)5 2 sind direkt gewählte Organe. Der Flämische Rat, der Rat der französischen Gemeinschaft sowie der Wallonische Regionalrat setzen sich in einer Übergangsphase, d. h. bis zur anstehenden Senatsreform, gemäß Art. 29 SGRI aus Mitgliedern der jeweiligen Sprachgruppe des Senats sowie Mitgliedern der jeweiligen Sprachgruppe der Abgeordnetenkammer zusammen. Die Exekutiven werden nach Erreichung der Schlußphase der Staatsreform von den Räten auf die durch Art. 59 und 60 SGRI bestimmte Weise aus der Mitte des Rates selbst gewählt 53. Es bestehen somit in organschaftlieber Hinsicht: - ein Flämischer Rat und eine Flämische Exekutive für die flämischen Gemeinschafts- und Regionalangelegenheiten: der "Vlaamse Raad" besteht aus den Mitgliedern der niederländischen Sprachengruppe der Abgeordnetenkammer und aus den direkt gewählten Senatoren der niederländischen Sprachengruppe. Zur Zeit zählt er 186 Mitglieder und hat seinen Sitz in Brüssel. Die Flämische Exekutive setzt sich aus höchstens elf vom Rat gewählten Mitgliedern zusammen (Art. 63, § 1 SGRI). - ein Französischer Gemeinschaftsrat und eine Französische Gemeinschaftsexekutive für die französischen Gemeinschaftsangelegenheiten: im "Conseil de Vgl. Fn. 4. Vgl. Van de Craen, ZAÖRV 41 (1981), S. 531 f . 52 Vgl. das SGB i.V. m. dem Gesetz v. 12.1.1989 zur Regelung der Wahlmodalitäten des Rats der Region Brüssel-Hauptstadt, abgeändert durch das Gesetz v. 23.5.1989 und das Ergänzungsgesetz v. 9.5.1989. 53 Vgl. Mütter, JÖR 34 (1985), S. 173 ff. 5o 51

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la Cornrnunaute franr.:aise" sind die Mitglieder der französischen Sprachgruppe der Abgeordnetenkammer und die direkt gewählten Senatoren der französischen Sprachgruppe- zur Zeit insgesamt 132 Mitglieder- vertreten; die Französische Gemeinschaftsexekutive hat höchstens vier Mitglieder (Art. 63, § 2 SGRI). - ein Rat und eine Exekutive der deutschsprachigen Gerneinschaft für die Angelegenheiten der deutschsprachigen Gemeinschaft: gemäß Art. 59 ter, § 1 CB soll sich der Rat der deutschsprachigen Gerneinschaft aus gewählten, im nationalen Parlament nicht vertretenen Mitgliedern zusammensetzen, die gemäß Art. 45 CB parlamentarische Immunität besitzen. Die Wahlmodalitäten zum Rat werden im Ausführungsgesetz in Art. 8 und 15 OGDG geregelt, wo ein Gremium aus 25 Vertretern vorgesehen ist; die Exekutive der deutschsprachigen Gemeinschaft ist aus drei Mitgliedern zusammengesetzt, die mit der absoluten Mehrheit gewählt werden (Art. 49 Abs. 1 SGDG i.V. rn. Art. 60 SGRI). - ein Wallonischer Regionalrat und eine Wallonische Regionalexekutive für die wallonischen Regionalangelegenheiten: der "Conseil regional wallon" setzt sich bis zur anstehenden Senatsreform aus den direkt in den Provinzen Hennegau, Lüttich, Luxernburg und Namur und im Verwaltungsbezirk Nivelles gewählten Senatoren - zur Zeit 104 Mitglieder - zusammen (Art. 29, § 3 SGRI); die Exekutive der wallonischen Region zählt höchstens sieben Mitglieder (Art. 63, § 3 SGRI), die mit absoluter Mehrheit vom Rat gewählt werden. - ein Rat sowie eine Exekutive für die Region Brüssel-Hauptstadt. Der Rat der Hauptstadt Brüssel, der alle fünf Jahre neu gewählt wird, besteht aus 75 direkt gewählten, im nationalen Parlament nicht vertretenen Mitgliedern (Art. 10 SGB) 54• Die Mitglieder bilden gemäß ihrer Sprachenzugehörigkeit eine niederländische und eine französische Ratsgruppe 55• Die Exekutive besteht aus fünf Mitgliedern (Art. 34 SGB); neben dem Vorsitzenden ist sie (quasi-) paritätisch aus zwei Mitgliedern der niederländischen und zwei Mitgliedern der .französischen Sprachgruppe zusammengesetzt und kann- wie die anderen Exekutiven (Art. 71 und 74 Abs. 4 SGRI; Art. 36 SGB) - nur durch ein konstruktives Mißtrauensvotum des Rates abgesetzt werden (Art. 36 Abs. 2-7 SGB).

5. Die Judikative Eine Föderalisierung der rechtsprechenden Gewalt hat während der gesamten Staatsreform nicht zur Diskussion gestanden 56 • Die Judikative bleibt somit vollkommen zentralstaatlich organisiert und strukturiert, wobei allerdings die Einteilung in Sprachgebiete zu berücksichtigen ist. So besteht seit 1988 ein erstinstanzliebes deutschsprachiges Gericht in Eupen. 54 55

56

Die erste Wahl dieses Rates fand gemäß Art. 11 SGB am 18.6.1989 statt. Vgl. die in Fn. 52 genannten Regelungen. Zu entsprechenden Vorstellungen vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 532.

II Blanke

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IV. Instrumente des kooperativen Föderalismus Der Gesetzgeber hat im Föderalisierungspaket der zweiten und dritten Staatsreform einige sehr interessante - in vielen Fällen auch bindende Bestimmungen hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaften untereinander sowie zwischen den Gemeinschaften und dem Nationalstaat festgeschrieben. Als Kooperationsorgane sind die "gemeinsamen versammelten Ausschüsse" des Flämischen Rats und des Französischen Gemeinschaftsrats (Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 2 bis Abs. 1 CB; Art. 4, § 1 Kulturrätegesetz 57 , Art. 93 SGRI) wie auch des Deutschen Gemeinschaftsrats (Art. 55, § 2 OGDG) zu nennen. Ihre Funktion beschränkt sich im wesentlichen auf Konsultation und Informationsaustausch. Die darüber hinausgehenden Formen der Zusammenarbeit reichen von einer Informationspflicht bis hin zu einem gemeinsamen Auftreten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich 58 • In Art. 42 ff. SGB wurde im Hinblick auf die internationale Bedeutung Brüssels ein Kooperationskomitee geschaffen, das sich aus staatlichen Vertretern sowie Vertretern der Region Brüssel zusammensetzt. Die Staatsreform von 1988 brachte den Regionen und Gemeinschaften die Möglichkeit, aufbestimmten Gebieten Kooperationsabkommen zu schließen. Die Konflikte, die durch die als obligatorisch vorgesehenen Kooperationsabkommen entstehen können, werden durch ein Richterkollegium (Kooperationsgericht) geschlichtet (Art. 92 bis SGRI I Art. 55 Abs. 1 OGDG). Weiterhin sieht das SGRI Konsultationsverfahren vor, die bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten die nationale Administration verpflichten, Beratungen mit den Regionalexekutiven zu führen bzw. den Regionalexekutiven eine gegenseitige Konsultationspflicht auferlegen. Gegenstand dieser Konsultationsverfahren bildet u. a. neben Fragen der nationalen Energie-, Verkehrsinfrastruktur- und Luftverkehrspolitik die Vorbereitung der Verhandlungen sowie die Durchführung der Rechtsetzungsakte und Übereinkünfte der EG auf den Gebieten der Landwirtschaftspolitik sowie in allen, den Kompetenzbereich der Regionen bzw. Gemeinschaften betreffenden Angelegenheiten (Art. 6, § 3 Nr. 7 SGRI). Um schließlich eine gegenseitige, ohne Kompetenzüberschreitung sich ergebende Interessenverletzung zu verhindem bzw. zu regeln, hat der Gesetzgeber ein spezialisiertes Organ, den Konsultationsausschuß, ins Leben gerufen. Dieses Organ setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Vertretern der Zentralregierung und der Exekutiven zusammen und umfaßt ebensoviele niederländisch- wie französischsprachige Mitglieder. Der Ausschuß hat vielfach innerhalb von 60 Tagen, auf jeden Fall nach dem Konsensverfahren zu entscheiden 59 •

57

58 59

Moniteur beige v. 23. 7.1971, S. 8910 ff. Vgl. hierzu im einzelnen Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 554 ff. Vgl. hierzu Suetens, S. 295 f.

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V. Die Regelung von Kompetenzkonflikten 1. Natur der Kompetenzkonflikte Zum Zweck der Einführung eines Schlichtungsverfahrens für die politische Lösung von Interessenkonflikten zwischen Gemeinschaften, Regionen und Nationalstaat (Art. 32 des ordentlichen Gesetzes vom 9. August 1980 zur Reform der Institutionen, im folgenden: OGRI) 60 wurde eine Regelung für Kompetenzkonflikte zwischen Gesetzen und Dekreten sowie zwischen Dekreten (Art. 107 ter CB; Art. 17 Staatsratsgesetz 61 ) eingeführt. Ein solcher Konflikt entsteht aus einer Kompetenzüberschreitung durch den Gemeinschafts-, den Regional- oder den nationalen Dekret- bzw. Gesetzgeber. Ein Kompetenzkonflikt zwischen Dekreten der Gemeinschaften und Regionen ist wegen der territorialen Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Kompetenzbereichen eigentlich schwer denkbar, trotzdem nicht unmöglich. Anders sieht es hinsichtlich der Konfliktmöglichkeit zwischen Gesetzen und Dekreten aus. Hier werden die weitaus meisten Normenkollisionen ratione materiae auftreten können, gerade wegen der nationalen Kornpelenzverteilung einerseits und der Gemeinschafts- oder regionalen Dimension andererseits, namentlich im Hinblick auf den Verdacht einer konkurrierenden Gesetzgebungstätigkeit der jeweils anderen Ebene in einem Bereich, in dem das Prinzip der Ausschließlichkeit gilt 62 • In diesem Rahmen ist auch eine Legalitätskontrolle der den dezentralisierten Einheiten eingeräumten "implied powers" möglich 63 •

2. Präventive Verfahren Eine zentrale Rolle bei der Verhinderung von Kompetenzkonflikten fällt der Abteilung für Gesetzgebung des Staatsrates sowie dem "Comite de concertation" (Art. 3, § 4 Staatsratsgesetz) zu. Schon seit dem lokrafttreten der Kulturautonomie besteht eine, im Rahmen der zweiten Staatsreform deutlich erweiterte, obligatorische Normenkontrolle präventiver Art im belgiseben Verfassungsrecht, d.h. eine Kontrolle der Vereinbarkeit mit der Kompetenzverteilung im Hinblick auf alle Vorentwürfe von Dekreten, Gesetzen und alle Entwürfe von Erlassen mit Verordnungscharakter (Art. 3, §§ 1-3 Staatsratsgesetz). Daneben gibt es eine fakultative vorbeugende Normenkontrolle: Die Präsidenten der Kammern und der Räte können Gesetzes- und Dekretsentwürfe, Gesetzes- und Dekretsvorschläge sowie entsprechende Ergänzungen der Abteilung für Gesetzgebung zum Zwecke einer Stellungnahme unterbreiten. Die Präsidenten der Kammern sind zu einer solchen Vgl. dazu Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 557 f. Gesetz über den Staatsrat v. 10.7.1973 (Moniteur beige v. 14. 7. 1973) i. d. F. v. 16. 6. 1989 (Moniteur beige v. 17. 6. 1989) u. v. 4. 7. 1989 (Moniteur beige v. 25. 7. 1989). 60 61

62 63

11*

Vgl. Van de Craen, ebd., S. 559 f.; vgl. Paques, AP 11 (1987), S. 250. Vgl. Mütter, JÖR 34 (1985), S. 182.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Vorlage verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder es beantragt. Sofern die Mehrheit einer Sprachengruppe dies fordert, ist der Präsident der jeweiligen Kammer in gleicher Weise zur Vorlage verpflichtet, aber nur hinsichtlich der Gesetzesentwürfe, Gesetzesvorlagen und Ergänzungen (Art. 2 Staatsratsgesetz). Schließlich sind auch die Mitglieder der Gemeinschafts- und der Regionalexekutiven berechtigt, eine Stellungnahme des Staatsrats zu erbitten bezüglich der Dekretsvorschläge, Abänderungsentwürfe oder Abänderungsvorschläge zu diesen und zu Dekretsentwürfen. Die Minister selbst können dies nur für Gesetzesvorlagen und Abänderungsentwürfe oder Abänderungsvorschläge bzw. bei Gesetzesentwürfen (Art. 4 Staatsratsgesetz). Letztendlich ist es aber im Rahmen eines Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahrens sowie aufgrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Legislativ- und Exekutivgewalt nicht möglich, eine obligatorische Regelung zur Verhinderung von Kompetenzkonflikten zu finden, die in jedem Fall in eine endgültige und verbindliche Entscheidung mündet. Zudem stellt sich die Frage, ob solche Mechanismen nicht "von einem zu großen Eifer für den Schutz der föderativen Strukturen" geprägt sind 64 •

3. Die richterliche Konfliktbeilegung durch den Schiedshof Sind die zuvor beschriebenen Versuche, Konflikte rechtlicher Art zu vermeiden oder beizulegen, nicht erfolgreich, so soll, gemäß Art. 107 ter, § 2 CB der Schiedshof (Cour d'arbitrage) angerufen werden können, der Konflikte zwischen Gesetz und Gemeinschafts- wie Regionaldekret sowie den Dekreten untereinander (Art. 107 ter, § 1 CB) regelt und damit a posteriori u. a. Unvereinbarkeiten mit der Verfassung zu sanktionieren, nicht aber über administrative Akte zu befinden hat 65 • Dem 1983 ins Leben gerufenen Gericht 66 wurden im Rahmen der dritten Staatsreform wesentlich erweiterte Zuständigkeiten eingeräumt 67 • Der Hof entscheidet über Nichtigkeitsklagen (Art. 1-26 des Sondergesetzes vom 6. 1. 1989 über den Schiedshof; im folgenden: SGCA) sowie über präjudizielle Streitfragen. Nichtigkeitsklagen können gern. Art. 1 SGCA gegen Gesetze, Dekrete und Anordnungen erhoben werden, die im Widerspruch stehen zu - der Zuständigkeitsverteilung zwischen Staat, Region und Gemeinschaften, wie sie von der Verfassung und den Gesetzen festgelegt ist; Vgl. Van de Craen, ebd., S. 563. Vgl. Paques, AP 11 (1987), S. 250, Fn. 52. 66 Zur Entstehungsgeschichte des belgischen Schiedshofs vgl. Mütter, JöR 34 (1985), S. 183; Alen, ZaöRV 50 (1990), S. 523 ff. 67 Vgl. Art. 107 ter, § 2 CB i. d. F. v. 15. 7.1988, Moniteur belge v. 19. 7.1988, S. 10286, und das aufgrunddieser Vorschrift am 6.1.1989 erlassene Sondergesetz über den Schiedshof (Moniteur be1ge v. 7.1.1989, S. 315 ff.). 64

65

IV. Kap.: Belgien

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- dem in Art. 6 und 6 bis CB verfaßten Grundsätzen der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung sowie dem in Art. 17 CB normierten Grundsatz der Unterrichtsfreiheit. Sie können vom Ministerrat bzw. von der Exekutive einer Gemeinschaft oder Region, jeder natürlichen oder juristischen Person, die ein rechtliches Interesse geltend macht, bzw. den Präsidenten der gesetzgebenden Versammlungen auf Antrag von zwei Dritteln ihrer Mitglieder erhoben werden. Die vom Schiedshof gefällten Nichtigkeitsurteile haben absolute Rechtskraft ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im belgiseben Staatsblatt Entscheidungen, die die Zurückweisung einer Nichtigkeitsklage beinhalten, sind für die Gerichte insoweit bindend, als sie Rechtsfragen betreffen, die in diesen Entscheidungen behandelt werden (Art. 9, §§ 1 und 2 SGCA). Über vorgreifliehe Rechtsfragen, sog. präjudizielle Streitfragen, kann der Schiedshof insoweit entscheiden, als eine Nichtigkeitsklage möglich wäre (Art. 26, § 1 Nr. 1 und 3 SGCA) oder eine Normenkollision zwischen einzelnen Dekreten der Regionen und Gemeinschaften oder zwischen Dekreten und Anordnungen vorliegt. Es geht hier um Konflikte, bei denen nicht ein ultra-viresHandeln eines Rates vorliegt, sondern die Streitigkeit allein aus territorial unterschiedlichen Anknüpfungspunkten resultiert (Art. 26, § 1 Nr. 2 SGCA). Ein Gericht, bei dem sich eine solche Frage ergibt, ist - von im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen abgesehen - verpflichtet, den Hof zur Entscheidung der Frage anzurufen (Art. 26, § 2 SGCA 68). Die Urteile des Hofes sind definitiv und nicht rechtsmittelfähig (Art. 116 SGCA). Der Hof besteht aus sechs niederländischen und sechs französischsprachigen Richtern. Sie werden vom Königaufgrund eines Zweidrittelvorschlags des Senats auf Lebenszeit ernannt. Jede Sprachgruppe wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden. Alle Richter verfügen über dieselben Befugnisse. Eines der Mitglieder der beiden Sprachgruppen muß den Nachweis erbringen, daß er die deutsche Sprache ausreichend beherrscht (Art. 31 - 34 SGCA).

VI. Die Aufsicht des Staates über die Gemeinschaften und Regionen Abgesehen von der Möglichkeit einer vom Zentralstaat initiierten Überprüfung einer Kompetenzüberschreitung seitens der Organe der Gemeinschaften und Regionen durch den Schiedshof im Fall einer legislatorischen Aktes bzw. durch den Staatsrat im Fall einer administrativen Kompetenzüberschreitung (Art. 14 des Gesetzes über den Staatsrat), verfügen die zentralen Organe des Staates über keinerlei politische oder rechtliche Kontrollmöglichkeiten im Hinblick auf die Dekretierungs-, Verwaltungs- und Budgetzuständigkeiten der dezentralisierten Einheiten. Geringfügig anders gestaltet sich diese Situation nur für die Region 68 Die jeweiligen Ausnahmen sind in Art. 26, § 2 Abs. 2 und 3 SGCA genannt.

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1. Teil: (Prä-)Föderative Staatsstrukturen in den EG-Mitgliedstaaten

Brüssel-Hauptstadt 69 • Dementsprechend sieht die belgisehe Rechtsordnung auch nur für diese Region gewisse Substitutions- und Ergänzungsbefugnisse bei einer dezentralisierten Aufgabenerfüllung vor 7o.

VII. Einordnung der Territorialstruktur des belgiseben Staatssystems Die heutige Staatsorganisation Belgiens wird im Schrifttum als "föderative Monarchie" 71 gekennzeichnet. Sehr unterschiedlich wird dabei der Umstand bewertet, daß es sich um einen "von oben verordneten" Zentrifugalföderalismus handelt 72 • Verzichtet man mit einem Teil der Lehre auf das Erfordernis der Staatlichkeil der Untergliederungen 73, so kann man im Hinblick auf das Gewicht politischer und administrativer Autonomie, deren verfassungsmäßige Garantie sowie die im Rahmen der dritten Staatsreform noch weitergeführte Institutionalisierung einer richterlichen Kontrolle föderativer Streitigkeiten bereits heute einen Übergang vom strengen jakobinischen Zentralismus zu einer quasi-föderativen Staatsordnung konstatieren 74 • Von einem belgiseben Bundesstaat wird man definitiv allerdings erst dann sprechen können, wenn im Rahmen der Schlußphase der dritten Staatsreform eine Neugestaltung des nationalstaatliehen Bikameralismus unter Ausschaltung der bisher praktizierten Doppelmandatschaft erfolgt sein wird und dabei der Senat als "Kammer der Regionen und Gemeinschaften" aufgewertet wird 75 • Hierfür ergeben sich zwei Möglichkeiten: entweder wird der Senat zu einer Emanation der Gemeinschafts- und Regionalräte mit beschränkter zentraler Gesetzgebungskompetenz oder zu einem "Bindeglied" zwischen der zentralen Abgeordnetenkammer und den Räten, mit beschränkter Zusammensetzung und Weiterreichenderen Kompetenzen als in der ersten Option 76 • Eine föderative Staatsstruktur, unter Bewahrung der politischen Einheit des Landes, ist als die einzige dauerhafte Lösung für die weitere Koexistenz von Flamen, Wallonen und deutschsprachigen Belgiern in ein und demselben Staat anzusehen 77 • 69

Vgl. oben S. 157.

1o Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 267; Lejeune, RBDI XVI (1981-1982), S. 71,

Fn. 82. 11 Vgl. Senelle, JöR 36 (1987), S. 134. n Vgl. Vanhu/le, EA 1989, S. 464; Alen, ZaöRV 50 (1990), S. 515 f. 73 So Bothe, Die Kompetenzstruktur, S. 8 f. 74 Vgl. Dehousse, JT 1989, S. 284; Sene/le, JöR 36 (1987), S. 128; Lejeune, RBDI XIV (1978/79), S. 15, bezeichnete die belgisehe Staatsstruktur schon nach der Reform von 1970 als präföderativ; Van de Craen, ZAÖRV 41 (1981), S. 576, sprach im Hinblick auf die zweite Staatsreform von einem ,,neu erworbene[n] Föderalismus"; Vanhulle, ebd., S. 457, spricht vom ,,Anfang eines Föderalismus, der dem Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland sehr ähnlich ist"; noch weitergehend Alen, ebd., S. 530, 535. 75 Alen, ebd., S. 528 f., 536 f. Zu diesem bundesstaatliehen Erfordernis im allgemeinen vgl. Bothe, ebd., S. 10. 76 Vgl. Suetens, S. 302. 77 Vgl. Sene/le, ebd., S. 134.

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Normierungen über auswärtige Angelegenheiten und Einschaltung der Regionen beim Abschluß und bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge Artikel 32 Abs. 1 GG, Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE sowie Art. 68 CB regeln als materiell-verfassungsrechtliche Grundnormen die Zuständigkeiten des Gesamtstaates für die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten. In der italienischen Verfassung (Cl) befindet sich hingegen keine Bestimmung, die in allgemeiner Form eine Zuständigkeitsverteilung für den Bereich der auswärtigen Gewalt beinhaltet. V. Kapitel

Bundesrepublik Deutschland Die Bestimmungen des Grundgesetzes mit auswärtigem Bezug sind nicht in einem eigenen Abschnitt zusammengefaßt, sondern finden sich verstreut an mehreren Stellen, woraus geschlossen wird, daß es sich bei der auswärtigen Gewalt weder um ein geschlossenes Sachgebiet noch um eine eigene Staatsfunktion handelt 1• Diesbezüglich wird zwischen Kompetenztiteln 2 , organisatorischen 3 und materiellen 4 Regelungen unterschieden, wobei für die in diesem Zusammenhang interessierende Zuständigkeitsverteilung im Bund-Länder-Verhältnis insbesondere Art. 32 GG von Bedeutung ist.

I. Der Handlungsbereich des Art. 32 Abs. 1 GG Gemäß Art. 32 Abs. 1 GG ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes. Aus Art. 24 GG wie auch aus Art. 87 Abs. 1 GG wird von der herrschenden Meinung geschlossen, daß der Begriff der "Staaten" Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 81. Vgl. Art. 32 Abs. 1-3 GG; Art. 73 Nr. 1, 3, 5, 10 GG; Art. 87 Abs. 1 GG; Art. 123 Abs. 2 GG; Art. 59 Abs. 1 u. 2 GG; Art. 24 Abs. 1 GG; Art. 115 l Abs. 3 GG; Art. 115 a Abs. 5 S. 1 GG. 3 Vgl. Art. 45a Abs. 1 GG; Art. 65 GG. 4 Vgl. die Präambel; Art. 24 Abs. 2 GG; Art. 24 Abs. 3 GG; Art. 26 Abs. 1 GG. I

2

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

auch auf Beziehungen zu Staatenverbindungen, insbesondere zu internationalen Organisationen oder zu staatsähnlichen Gebilden 5 zu erstrecken ist, wobei Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG allein dem Bund die Führung des auswärtigen Dienstes und damit auch die Vertretung bei den internationalen Organisationen zuweise 6 • Entscheidend sei im Rahmen des Art. 32 Abs. 1 GG, daß es sich bei den "Beziehungen" um solche zu Völkerrechtssubjekten handle 7 • Umstritten ist im Schrifttum hingegen, welche Handlungsweisen dem Art. 32 Abs. 1 GG unterfallen. Nach überwiegender Auffassung wird durch Art. 32 Abs. 1 GG eine Bundeszuständigkeit für "alle Akte, die die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten betreffen" 8, begründet. Danach bezieht sich also diese Regelung nicht lediglich auf völkerrechtsförmliches Handeln, sondern daneben auch auf sämtliche Akte reiner Außenpolitik 9, so etwa auf Regierungserklärungen, Staatsbesuche sowie Freundschaftsbesuche und den Empfang ausländischer Staatsbesucher im Inland 10• Im Umkehrschluß wird daraus gefolgert, daß andere als vertragliche Beziehungen zum Ausland das Grundgesetz den Ländern nicht gestatte 11 • Diese Ansicht stützt sich insbesondere auf den Wortlaut des Art. 32 Abs. 1 GG, aus dessen umfassender Formulierung sich ergebe, daß der Bund auch zur Wahrnehmung nichtvertraglicher Auslandsbeziehungen zuständig sei. Da Art. 32 Abs. 1 GG nicht durch Art. 32 Abs. 3 GG - wie bezüglich der Vertragsgewalt- modifiziert werde, gelte er uneingeschränkt. Die Gegenmeinung weist zum einen darauf hin, daß sich aus der Eingrenzung des Kreises der von Art. 32 Abs. 1 GG umfaßten Partner auf die Völkerrechtssubjekte bereits ergebe, daß es dieser Norm auch nur um die völkerrechtlichen Beziehungen gehe. Eine Ausdehnung dieser Norm auf jegliches Handeln im Rahmen der Völkerrechtsordnung führe zwangsläufig dazu, daß es dann eigene Landeskompetenzen, wie sie in Art. 30 GG und an anderen Stellen des Grundgesetzes vorgesehen seien, neben der Kompetenz des Bundes für die völkerrechtlichen Beziehungen nach Art. 32 Abs. 1 GG gar nicht mehr geben könne. Eine derart weite Auslegung sei deshalb offensichtlich verfehlt 12• Hinzu komme, daß das Grundgesetz an den klassischen Gewaltenteilungslehren ausgerichtet sei und deshalb den Staat auf Rechtsfunktionen reduziere 13 • Dements Vgl. Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 59, Rn. 2; BVerfGE 1, 351, 366; 2, 347, 374. 6 Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 84; BK-Menzel, Art. 32, Erl. II 2. 7 Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 32, Rn. 5; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 203; Fastenrath, ebd., S. 84. s Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 32, Rn. 3; Bleckmann, ebd., S. 203. 9 v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn. 22. 10 v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn. 23. 11 v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn. 19; Rudolf, AVR 13 (1966167), S. 72 f.; Kölble, DÖV 1965, S. 146 ff. 12 Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 85; Tomuschat, ZaöRV 33 (1973), S. 190 ff. 13 Stern, Staatsrecht II, § 36 II 1b (S. 524); Fastenrath, ebd., S. 86 f.

V. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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sprechend spielten politische Auswirkungen staatlichen Handeins im Rahmen der Zuständigkeitsregelung keine Rolle. Erstaunlich wäre es deshalb, wenn das Grundgesetz gerade bei den zwischenstaatlichen Beziehungen eine Ausnahme mache und sie als geschlossenen Politikbereich dem Bund überantworte 14• Die Verfassungssystematik spreche aber nicht nur für eine Begrenzung des Regelungsbereichsdes Art. 32 Abs. I aufvölkerrechtliche Rechtsfunktionen; vielmehr lege der Zusammenhang mit anderen Bestimmungen die Eingrenzung auf bloßes völkerrechtliches Handeln nahe. Die Art. 32 Abs. 2 und 3, aber auch Art. 24 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 87 Abs. 1 GG wiesen den verschiedenen Bundesorganen nur Zuständigkeiten für völkerrechtsförmliche Akte zu, woraus zu schließen sei, daß auch die grundlegende Bestimmung für das Bund-Länder-Verhältnis im auswärtigen Bereich, nämlich der Art. 32 Abs. 1 GG, sich nur hierauf beziehe 15• Gegen diese einschränkende Definition der "auswärtigen Gewalt" ist der Einwand erhoben worden, sie sei zu eng und werde der Fülle der transnationalen Tätigkeiten von Amtsträgern wie von Privatpersonen nicht gerecht 16• Jedoch verkennt diese Kritik den Zweck, der zur Unterscheidung der auswärtigen Gewalt von der Staatsgewalt im übrigen geführt hat. Sie vermengt die innerstaatliche Kompetenz zu einem bestimmten Handeln auf völkerrechtlicher Ebene mit dem etwa zu regelnden "grenzüberschreitenden" Lebenssachverhalt Eine derartige Ausweitung, wie sie die herrschende Meinung vornimmt, macht aber den Begriff der auswärtigen Gewalt wertlos, weil transnationale Aktionen und grenzüberschreitende Kommunikation jenseits oder unterhalb der völkerrechtlichen Ebene nicht auf spezifischen außengerichteten Kompetenzen beruhen, sondern vielmehr auf Vorschriften, die das Handeln der Amtsträger wie der Bürger im Binnenraum des Staates betreffen 17 • Eventuelle Auswirkungen- politischer oder faktischer Natur - auf das Gebiet der auswärtigen Beziehungen schaden der diesbezüglichen Handlungskompetenz des Staates dabei nicht, es sei denn, es läge eine mißbräuchliche Ausnutzung vor. Die herrschende Lehre verkennt zudem, daß die Änderungen der nationalen Verfassungslage in Form einer Wendung zur "offenen Staatlichkeit" 18 und einer "Auffacherung des Außenprofils" 19 infolge der in Demokratien wechselnden Regierungen sowie die Änderungen der internationalen Lage durch eine wachsende Verflechtung der Staaten untereinander eine Neubestimmung des Begriffs der auswärtigen Gewalt erforderlich machen. Dieser ist in seiner historischen Dimension ganz der Tradition der überkommenen abendländischen Staatsauffassung und der daran ausgerichteten Vorstellung über die internationalen Beziehungen verhaftet 20• Die notwendige Neubestimmung hat 14

15 16 11

18

19

Fastenrath, ebd., S. 86. Fastenrath, ebd., S. 86 ff.

Zu dieser Kritik vgl. im einzelnen Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 142.. Vgl. Geiger, ebd., S. 142. K. Vogel, S. 42. Tomuschat, VVDStRl 36 (1978), S. 23.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

insbesondere die vielschichtigen Wechselwirkungen und Verzahnungen zwischen den internationalen und nationalen Ordnungen und Gegebenheiten sowie den Wandel des Völkerrechts vom Recht der Koexistenz zum Recht der Kooperation in Rechnung zu stellen 21 • Umstritten ist unter den Befürwortern einer einengenden Auslegung des Begriffs der auswärtigen Gewalt jedoch, ob Art. 32 Abs. 1 GG die interne Willensbildung, also den Bereich der sogenannten internen auswärtigen Gewalt betrifft 22. Die Begrenzung des Art. 32 Abs. 1 GG auf die Kompetenz zur Setzung völkerrechtsförmlicher Akte muß zu einer Verneinung dieser Frage führen. Der interne Willensbildungsprozeß ist - sofern er im Grundgesetz überhaupt eine Regelung gefunden hat- nur im Bezug auf das parlamentarische Zustimmungserfordernis geregelt (Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2 S. 1, 115 a Abs. 2 S. 1, 115 Abs. 1 und 3 GG). Der Normbereich des Art. 32 Abs. 1 GG beschränkt sich somit auf die Abgabe völkerrechtlicher Willenserklärungen, den diplomatischen Verkehr und die förmliche Ausübung von Mitgliedschaftsrechten in internationalen Organisationen23. Hingegen fallen u. a. alle auslandsbezogenen- auch hoheitlichen- Staatstätigkeiten, soweit sie nicht völkerrechtsförmlich sind, insbesondere auch sog. "informelle Handlungsweisen" 24 nicht in den Normbereich. Hier sind die allgemeinen Kompetenzregeln anzuwenden 25 , was für die Tätigkeit der Länder auf europäischer Gemeinschaftsebene - wie zu zeigen sein wird -von erheblicher Bedeutung ist.

II. Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern 1. Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich der Abschlußkompetenz Die auswärtige Gewalt wird in Art. 32 Abs. 1 GG en bloque dem Bund zugewiesen, jedoch sieht das Grundgesetz eine Ausnahme hinsichtlich des Vertragsschlußrechtes der Länder vor. Es schließt damit die Länder nicht völlig vom völkerrechtlichen Verkehr aus, trägt jedoch dem Gedanken der einheitlichen Vgl. Fastenrath, Auswärtige Gewalt, S. 7. Vgl. Fastenrath, ebd., S. 15/ 18; ebenso v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn. 36; kritisch hingegen Grewe, Auswärtige Gewalt, § 77, Rn. 82 f. (S. 960 f.). 22 Bejahend Geiger, ebd., S. 142/ 145; verneinend Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 101. 23 Vgl. Fastenrath, ebd., S. 101. 24 Fastenrath, ebd., S. 99. 25 Fastenrath, ebd., S. 114; vgl. BVerfGE 2, 347, 375 ff. für das Bund-Länderverhältnis. 2o

21

V. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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Repräsentation nach außen insofern Rechnung, als es das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme in bezugauf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für den auswärtigen Bereich umkehrt. Während nach Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt, gilt für die ,,Regel der auswärtigen Beziehungen" hingegen gern. Art. 32 GG der Grundsatz der Bundeskompetenz 26• Die Zuständigkeiten zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge werden in Art. 32 Abs. 1 und 3 GG auf Bund und Länder verteilt. Umstritten ist dabei, ob die Kompetenz des Bundes nach Art. 32 Abs. 1 GG durch das eigene Vertragsschlußrecht der Länder im Bereich ihrer Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 32 Abs. 3 GG eingeschränkt wird oder nicht, wobei sich diese Kontroverse jedoch nur auf Verträge bezieht, welche die Gesetzgebung und Verwaltung betreffen. Nur insoweit haben die Länder gern. Art. 32 Abs. 3 GG ein Vertragsschlußrecht 27 • Die Antwort hierauf hängt davon ab, ob die Vertragskompetenz der Länder nach Art. 32 Abs. 3 GG in jedem Fall nur konkurrierender Natur ist, also auch dann, wenn die Durchführung des Vetrages in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder liegt. Die Auffassungen, die sich bezüglich dieser Streitfrage, aber auch zum Umfang der Transformationskompetenz des Bundes entwickelt haben, sollen hier zumindest kurz Erwähnung finden, da sie im Rahmen der rechtsvergleichenden Diskussion über die Beteiligung dezentralisierter Einheiten am völkerrechtlichen Verkehr von großer Bedeutung sind 28 • Nach der zentralistischen Ansicht 29 steht dem Bund neben der aus Art. 32 Abs. 1 GG zu entnehmenden umfassenden Abschlußkompetenz auch eine umfassende Transformationskompetenz zu, die entweder aus Art. 73 Nr. 1 GG oder unmittelbar aus Art. 32 Abs. 1 GG bzw. aus einer behaupteten Untrennbarkeit von gesetzförmiger parlamentarischer Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG und Transformation des Vertragsinhalts abgeleitet wird. Schließlich wird der Wortlaut des Art. 32 Abs. 3 GG angeführt: Wenn die Länder in diesen Angelegenheiten Verträge abschließen ,,können", so sei damit lediglich gesagt, daß den Ländern diese Möglichkeit nicht grundsätzlich verwehrt sei, nicht aber, daß allein die Länder befugt seien, diese Aufgabe wahrzunehmen. Das Vertragsschließungsrecht der Länder nach Abs. 3 erstrecke sich auf den gesamten Bereich der Landesgesetzgebung, also auf den Bereich, der zugleich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes unterliege. Es könne nicht unterstellt werden, daß durch Art. 32 Abs. 3 GG das Vertragsschließungsrecht des Bundes auch für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung habe ausgeschlossen werden sollen. Wenn aber 26 21

2s 29

Vgl. Geiger, ebd., S. 145; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 204. Vgl. Bleckmann, ebd., S. 205. Vgl. hierzu Reiche/, S. 184 ff.; Rudolf, Völkerrechtliche Verträge, S. 63 ff. Grewe, VVDStRL 12 (1954), S. 167 ff.; Menzel, VVDStRL 12 (1954), S. 206.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

das Vertragsschließungsrecht des Bundes in diesem Bereich durch Abs. 3 unberührt bleibe, so müsse das gleiche auch für den Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder gelten, denn die Kann-Vorschrift des Abs. 3 habe für beide Fälle die gleiche Bedeutung 30• Auch eine historische, systematische und teleologische Auslegung biete keine Hinweise auf eine beschränkte Abschlußkompetenz des Bundes 31 • Demgegenüber beschränkt die föderalistische Ansicht32 die Abschlußkompetenz des Bundes auf die ihm in Art. 70 ff. GG zugewiesenen Gesetzgebungsmaterien, wobei Art. 73 Nr. 1 GG restriktiv 33 interpretiert wird. Angesichts einer schnell fortschreitenden Verdichtung der internationalen Beziehungen, die einen immer weiteren Kreis von bislang der ausschließlich staatlichen Regelungszuständigkeit unterliegenden Angelegenheiten in den Bereich des "international concern" hebe und sie zum möglichen Gegenstand völkervertraglicher Regelungen mache, könne eine uneingesschränkte Vertragskompetenz des Bundes- wie sie die zentralistische Ansicht annehme - die Grundlagen der Eigenständigkeit der Länder und damit das bundesstaatliche Prinzip überhaupt "von außen her" aushöhlen 34 • Auch nach dieser Ansicht werden Abschluß- und Transformationskompetenz zur Deckung gebracht. Die Verteilung der Rechtsetzungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern schlägt damit über Art. 32 Abs. 3 GG auf die Vertragskompetenz durch. Wegen der prinzipiellen Bundeszuständigkeit auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen (Art. 32 Abs. 1 GG) soll die ausschließliche Vertragszuständigkeit der Länder allerdings auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt bleiben. Das Vorliegen einer Länderzuständigkeit sei daher nicht bereits dann zu bejahen, wenn der Vertrag einen Sachbereich betreffe, für den keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorhanden sei. Die ausschließliche Vertragsiuständigkeit der Länder setze vielmehr weiter voraus, daß der unmittelbare Vollzug des konkreten Vertrages landesrechtlicher Gesetzgebung bedürfe. Nur in diesem Fall stelle sich das Problem des Gleichlaufs von Abschluß- und Durchführungskompetenz 35 •

Heckt, DÖV 1958, S. 445. Vgl. hierzu im einzelnen Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 120 ff., insbes. s. 131 f. 32 Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 32, Rn. 29 ff.; Rudolf, A VR 13 (1966167), S. 60 f.; Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 93 ff.; Bernhardt, S. 154 ff.; v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn. 38 ff.; Geiger, ebd., s. 149. 33 Vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 108: Der Zusammenhang mit den anderen Kompetenzvorschriften lege es nahe, Art. 73 Nr. 1 GG weder auf transnationale Sachverhalte noch auf die Zustimmungsbefugnisse zu einzelnen völkerrechtlichen Akten zu beziehen, sondern auf die Angelegenheiten, die im Verhältnis zu fremden politischen Systemen für eine einseitige generelle Regelung offenstünden. 34 Geiger, ebd., S. 149. 35 Geiger, ebd., S. 149. 3o Vgl. 3t

V. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

173

Die norddeutsche Lösung 36 geht hingegen von einem Auseinanderfallen von Abschluß- und Transformationskompetenz aus: der Bund hat ein unbeschränktes Abschlußrecht, die Umsetzung in innerstaatliches Recht ist aber allein Sache der Länder im Bereich ihrer ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit 37 • In der verfassungspolitischen Praxis ist der Streit über den Umfang der Vertragskompetenzendes Bundes durch das Lindauer Abkommen vom 14. November 1957 38 im Wege einer "pragmatischen Lösung" 39 entschärft worden. Bund und Länder haben darin zu einem ,,modus vivendi" 40 gefunden. Unter Beibehaltung ihrer Rechtsauffassungen einigten sie sich zusammenfassend wie folgt 41 : Der Bund ist berechtigt, in Verträge, die im wesentlichen in den Bereich seiner Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 73 Nr. 1 und 5 GG sowie Art. 74 Nr. 4 GG fallen, auch Bestimmungen aufzunehmen, für die seine Gesetzgebungskompetenz zweifelhaft ist, sofern solche Bestimmungen in derartigen Verträgen typisch und international üblich sind, oder wenn sie einen untergeordneten Bestandteil des Vertrages bilden. Der Bund darf Verträge im ausschließlichen Gesetzgebungsbereich der Länder, insbesonder Kulturabkommen, abschließen. Vor Eintritt der völkerrechtlichen Bindung soll er jedoch die Zustimmung der Länder einholen. Ungelöst blieb durch dieses Abkommen die Streitfrage über den Umfang der Transformationskompetenz des Bundes.

2. Zuständigkeitsverteilung bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge a) Die Ausführung völkerrechtlicher Verträge in föderalen Staatswesen In den föderalen Staatswesen lassen sich bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge zwei große Systeme unterscheiden, wobei unter "Ausführung" hier sowohl die Verbindlichmachung anwendungsfähigen Völkerrechts (sog. selfexecuting-Normen) wie auch die Durchführung nicht unmittelbar anwendbarer Normen (sog. non-self-executing-Normen) verstanden wird 42 , unabhängig davon, 36 Bleckmann, Grun~gesetz und Völkerrecht, S. ~~5 ff.; v. Mangoldt I Klein, Art. 32, Anm. V 2a; Böning, DOV 1957, S. 818; Kölble, DOV 1965, S. 147. 37 Zu den in diesem Zusammenhang auftretenden Problemen vgl. Blumenwitz, Der

Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 302 ff. 38 Der Text des Abkommens ist wiedergegeben bei Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 32, Rn. 45, sowie bei Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 207 f., Stern, Staatsrecht!,§ 19 lli 3e (S. 696 f.) undSchweitzer, Staatsrechtiii, Rn. 87. 39 Geiger, ebd., S. 150; Schweitzer, ebd., Rn. 87. 40 Menzel, DÖV 1971, S. 530. 41 Vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 119.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

ob es sich - wie im ersten Fall - um eine transformierende oder - wie im zweiten Fall- rein normtechnische Umgestaltung von völkerrechtlichen Regeln und Pflichten handelt 43 • Zum einen können Abschluß und Ausführung völkerrechtlicher Verträge kongruent, das heißt Aufgabe von Organen ein und derselben Teilordnung im föderalen Staat sein. Dies kann dadurch erreicht werden, daß (1) das Vertrags- oder Abschlußrecht sich nach der innerstaatlichen Gesetzgebungsbefugnis richtet (Bsp.: Art. 32 Abs. 3 GG nach der föderalistischen Auslegung) (2) die Verfassung der Zentrale - unabhängig von der Gesetzgebungsbefugnis - ein umfassendes Vertragsschlußrecht einräumt, wobei die Kongruenz von Abschluß- und Ausführungsbefugnis durch eine spezielle, auf alle auswärtigen Angelegenheiten gerichtete Gesetzgebungskompetenz gewährleistet wird (Bsp.: "sweeping clause" der Verfassung der Vereinigten Staaten, Art. I sec. 8, und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung) (3) die Verfassung der Zentrale das Recht einräumt, die Gliedstaaten ungeachtet deren ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeit zu veranlassen, das völkervertraglich gebotene Partikularrecht zu beschließen, widrigenfalls die Ausführungskompetenz an die Zentrale selbst fällt (Bsp.: Art. 16 B-VG) 44 • Zum anderen können Abschluß und Ausführung völkerrechtlicher Verträge auseinanderfallen und sich in der Weise auf verschiedene Rechtsträger verteilen, daß innerstaatliche Rechtsgemeinschaften bei der Ausführung der von der Zentrale geschlossenen Verträge mitwirken. Die Notwendigkeit dieser Mitwirkung kann sich aus dem Umstand ergeben, daß trotz grundsätzlicher Zuständigkeit der Zentrale zur Ausführung völkerrechtlicher Verträge eine innerstaatliche Umsetzung im Hinblick auf die Betroffenheit einer Gliedstaatenzuständigkeit durch den Vertrag nur mit deren Zustimmung möglich ist 45 • Dabei kann sich die Mitwirkung der innerstaatlichen Rechtsgemeinschaft bei der Ausführung völkerrechtlicher Verträge zu einer völlig eigenständigen Ausführungskompetenz im Rahmen der eigenen Gesetzgebungsbefugnis steigem 46 •

42 Das Begriffspaar self-executing treaty- non-self-executing treaty ist in der Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten entwickelt worden: vgl. Verdross I Simma, § 864, Fn. 30; vgl. zu dieser Unterscheidung weiter Bernhardt, S. 25 f. 43 Vgl. Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 297. 44 Vgl. hierzu Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, s. 297 f. 45 Vgl. Blumenwitz, ebd., S. 298. 46 Vgl. zu der diesbezüglichen kanadischen Rechtslage Blumenwitz, ebd., S. 329 ff.

V. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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b) Die Ausführung völkerrechtlicher Verträge in der Bundesrepublik Deutschland Die in der Bundesrepublik Deutschland herrschende Lehre und Rechtsprechung verstehen die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verfassungsnorm als eine Voraussetzung ihrer innerstaatlichen Geltung in dem Sinne, daß überhaupt nur die unmittelbar anwendbaren Vertragsbestimmungen, also die self-executing-Normen, einer Transformation bzw. eines Vollzuges fähig sein sollen 47 • Nicht unmittelbar anwendbare Vertragsbestimmungen (non-self-executing-Normen) bedürfen hiernach besonderer staatlicher Durchführungsvorschriften, in der Regel eines Gesetzes (Vollzugsgesetzgebung) 48 • Die Transformationskompetenz des Bundes für auswärtige Verträge wird im Grundgesetz in Art. 59 Abs. 1 S. 1 angesprochen. Die danach notwendige Zustimmung der zuständigen Gesetzgebungsorgane bei bestimmten auswärtigen Verträgen des Bundes stellt nicht nur einen Mitwirkungsakt am Zustandekommen dieser Verträge dar, sondern löst zugleich auch den innerstaatlich bedeutsamen Transformationseffekt aus 49 • Durch das Vertragsgesetz wird die nach Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG erforderliche Zustimmung erteilt und der Vertrag im Rang eines Gesetzes in das Bundesrecht inkorporiert (Transformationslehre) bzw. der Vollzug des Vertrags unter diesen Rang angeordnet (Vollzugstheorie) 50• Es kommt nicht zu einer Verdoppelung gesetzgebenscher Tätigkeit. Das Vertragsgesetz ist sowohl formelles Gesetz, soweit es die Zustimmung zum Regelungsakt des Vertragsschlusses betrifft, wie auch materielles Gesetz 51 • 47 Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 327 f.; Hüchting , S. 107 ff., 127 ff. ; Bernhardt, S. 30 f.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 174, 207 ; Partsch, S. 20, 106 f. Ein Teil der Lehre unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Geltung und Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm. Danach wird die völkerrechtliche Norm transformiert bzw. vollzogen, mit der Folge, daß sie innerstaatlich gilt. Erst dann wird entschieden, ob sie als self-executing-Norm anwendbar ist oder nicht: vgl. Verdross I Simma, § 865, Fn. 34; Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 62 ff.; weitere Nachweise bei v .Münch-Rojahn, Art. 59. Rn. 41. 48 Schweitzer, ebd., Rn. 328; Hüchting, S. 127 f.; Bernhardt, S. 27. 49 Vgl. BVerfGE 1, 396, 410 f.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 205 ff.; Maunz, in: Maunz/ Dürig/Herzog I Scholz, Art. 59, Rn. 25; Böning, DÖV 1957, S. 820; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 134; Schweitzer, ebd., Rn. 334. Anderer Ansicht hingegen Heckt, DÖV 1958, S. 446: ,,Eine Ergänzung des Vertragsabschlußverfahrens, in deren Rahmen die gesetzgebenden Organe des Bundes dem Vertragsabschluß in der Form eines Bundesgesetzes zustimmen, durch ein besonderes Transformationsverfahren [sei] im Grundgesetz nicht vorgesehen". 5o Die Transformations- und die Vollzugslehre führen bzgl. des hier interessierenden Fragenkreises nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen: vgl. Hirsch, Kulturhoheit, S. 155 ff.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 167 ff. Zur Verteidigung der auf Heinrich Triepel zurückgehenden Transformationslehre vgl. Rudolf, ebd., S. 158 ff.; zur Verteidigung der Vollzugslehre vgl. Partsch, S. 19 ff., 44 ff., 143 ff. Eine "deutliche Abkehr von der Transformations- und Hinwendung zur Vollzugslehre" konstatiert Wolfrum, EuGRZ 1988, S. 297, Fn. 26, bzgl. der C-Waffen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (E 77, 170 ff.). 51 Vgl. BVerfGE 1, 396, 410 f. ; Geiger, ebd., S. 154.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

Unbestritten besteht keine Transformationskompetenz des Bundes fur alle Verträge, die seine politischen Beziehungen zu auswärtigen Staaten regeln 52, selbst in den Fällen, in denen der Vertragsgegenstand nicht der Bundesgesetzgebung, sondern der ausschließlichen Landesgesetzgebung unterliegt 53 • Dies wird aus der Alternativfassung des Art. 59 Abs. 2 S. 1 ("Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen") geschlossen, die andernfalls nicht verständlich wäre. Die Ermächtigung hierzu ist dem Bund allerdings in Art. 32 Abs. 1 GG erteilt worden, wozu Art. 59 Abs. 2 GG keinen Ergänzungsrechtssatz darstellt 54• Umstritten ist hingegen, auf welche Weise auswärtige Verträge des Bundes, welche dem Gegenstand nach in die ausschließliche Gesetzgebungshoheit der Länder fallen, in innerstaatliches Recht überzuleiten sind. Zum Teil wird die Transformationskompetenz hierfür ausschließlich dem Bund mit der Begründung zugewiesen, Abschluß- und Transformationskompetenz seien voneinander nicht zu trennen. Auch die Transformationskompetenz gehöre zur Pflege der auswärtigen Beziehungen im Sinne des Art. 32 Abs. 1 GG 55 • Jedenfalls aber erhebe der Bund durch den Vertragsabschluß den Vertragsgegenstand zu einer auswärtigen Angelegenheit, so daß sich die Transformationsgewalt wenigstens aus Art. 73 Ziff. 1 GG ergebe 56• In Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG gehe es demgegenüber nur um den Gegensatz zwischen Gesetzgebung und Verwaltung, nicht aber um die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern; der Wortbestandteil "Bundes" sei mithin zu vernachlässigen, so daß es sich dort nicht um den Gegensatz von Bundes- und Landesgesetzgebung, also die inter governmental division of powers, sondern um die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Gesetzgebungsorganen und den Regierungsorganen des Bundes, die sogenannte intra governmental division of powers handle 57 • Dieses Ergebnis wird 52 Zu diesen Verträgen vgl. BVerfGE 1, 372, 381; v. Münch-Rojahn, Art. 59, Rn. 23; v.Mangoldt I Klein, Art. 59, Anm. IV b; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 59, Rn. 14 f. 53 Zum Teil wird allerdings angenommen, daß das Vertragsgesetz bei politischen Verträgen nur die Funktion einer informatorischen Mitteilung des Vertragsgesetzes erfülle, weshalb ihm keine Transformationswirkung zukomme: vgl. v. Mangoldt I Klein, Art. 59, Anm. IV 7 c. 54 Vgl. Böning, DÖV 1957, S. 818; so auch Mosler, ZaöRV 16 (1955), S. 28 f. 55 Vgl. Heckt, DÖV 1958, 446, mit der Begründung, daß nur der Vertragsabschluß als solcher, wofür der Bund in umfassender Weise in Art. 32 Abs. I GG für zuständig erklärt werde, die Transformation bewirken könne. 56 Scheuner, Bd. 2, S. 153; Grewe, VVDStRL 12 (1954), S. 60 ff. 57 BVerfGE 1, 372, 388 ff.; Friehe, JA 1983, S. 120; Grewe, ebd., S. 163; Kölble, DÖV 1965, S. 148; BK-Menzel, Art. 59 Anm. II 6; v. Münch-Rojahn, Art. 59, Rn. 26; AK-Zuleeg, Art. 59, Rn. 58 f.; Hüchting, S. 118 ff., im Wege einer Interpretation des Zusammenhangs der Abs. 1 und 2 des Art. 59 GG und des Verhältnisses der beiden Sätze seines Abs. 2 zueinander. Die Erwähnung der Verwaltungsabkommen in Art. 59 Abs. 2 S. 2 wird als Indiz für die vom Verfassungsgeber gewollte Regelung einer Abgrenzung zwischen den Gesetzgebungsorganen und den Regierungsorganen des Bun-

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mitunter auch auf eine redaktionelle Unachtsamkeit 58 oder die Umdeutung des Begriffes "Bundesgesetzgebung" in "Gesetzgebung in der Bundesrepublik" 59 gestützt. Eine andere Ansicht geht vom Fehlen einer entsprechenden Bundeskompetenz zur Transformation bzw. zum Vollzug von völkerrechtlichen Verträgen aus, deren Inhalt in die ausschließliche Landeskompetenz fallt 60 • Ein Auseinanderfallen der Abschluß- und Transformationsgewalt derart, daß Verträge, die der Bund mit auswärtigen Staaten eingegangen sei, von den Ländern und nicht vom Bund in innerstaatliches Recht überzuleiten seien, liege durchaus im Rahmen staatsrechtlicher Möglichkeiten. Ob eine solche Lösung vom Völkerrechtsverkehr her gesehen nicht zweckmäßig oder nicht wünschenswert erscheine, müsse für die Prüfung der Frage ohne Bedeutung bleiben. Das Transformationsproblem sei ein staatsrechtliches und könne daher nur aus der jeweils geltenden Verfassung gelöst werden, zumal es keine allgemeine Regel des Völkerrechts i. S. des Art. 25 GG gebe, nach der internationale Verträge eines Bundesstaates von dem Bundesstaat selbst transformiert werden müßten. Die Transformationskompetenz werde als eine nach innen gerichtete Tätigkeit des Staates, nämlich als staatsrechtlicher Vollzug der im auswärtigen Bereich in völkerrechtserheblicher Weise erklärten Entschließungen des Staates von Art. 32 Abs. I S. 1 GG nicht erfaßt. Diese Vorschrift handle von der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, also von der allein nach außen gerichteten Tätigkeit des Bundes. Auch in Art. 32 Abs. 3 GG sei lediglich der Abschluß von Verträgen und nicht deren Überleitung in innerstaatliches Recht erwähnt. Art. 73 Ziff. 1 GG verleihe dem Bund keine umfassende Transformationskompetenz, da hier nur die Gesetzgebungskompetenz des Bundes behandelt werde. Beides sei zu unterscheiden, denn der Transformationsakt bedürfe nicht stets eines Gesetzes. Zudem sei der im auswärtigen Bereich geschlossene Vertrag auch nicht immer eine auswärtige Angelegenheit; er könne seinem Gegenstand nach vielmehr eine auswärtige oder eine inländische Angelegenheit betreffen 6 1. Die entscheidende Frage, in welcher Weise andere als politische Verträge des Bundes, die gegenständlich der ausschließlichen Gesetzgebungshoheit der Länder des angesehen. Zu dieser Auffassung ist anzumerken, daß sie sich angesichts der Reichweite ihrer Ergebnisse als viel zu spekulativ erweist. ss Grewe, ebd., S. 163. 59 Vgl. Reiche/, S. 108; Zuleeg, JA 1983, S. 2. 60 Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 59, Rn. 17, der allerdings auch als Gegensatz zur "Bundesgesetzgebung" i. S. des Art. 59 Abs. 2 GG nicht die "Landesgesetzgebung", sondern die "Bundesverwaltung" definiert; ders., in: ebd., Art. 32, Rn. 31 ff.; vgl. ferner V. Mangoldt I Klein, Art. 59, Anm. n Sb; Kaiser, ZaöRV 18 (1957 I 58), s. 548 ff. 61 Vgl. Böning, DÖV 1957, S. 819; ders., DÖV 1958, S. 448 f. ; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 205; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 32, Rn. 32-34, der dieses Ergebnis auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 32 Abs. 3 GG und Art. 73 Nr. 1 GG ableitet. 12 Blanke

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

angehören, in innerstaatliches Recht überzuleiten seien, habe im Grundgesetz mithin gar keine Regelung erfahren. Diese Gesetzeslücke könne nur mit Hilfe des in Art. 59 Abs. 2 GG ausgesprochenen Gedankens ausgefüllt werden, so daß völkerrechtliche Verträge des Bundes, welche keine politischen Beziehungen zu auswärtigen Staaten regelten und die der ausschließlichen Gesetzgebungshoheit der Länder zuzurechnen seien, der Transformation durch die jeweils für die Landesgesetzgebung zuständigen Körperschaften bedürften 62. Von einigen Vertretern in der Literatur, die eine solche grundsätzliche Zuständigkeit der Länder für die Transformation völkerrechtlicher Verträge im Bereich der Landesgesetzgebung bejahen, wird allerdings dann eine Durchführungskompetenz des Bundes angenommen, wenn Gründe zwingender außenpolitischer Notwendigkeit die einheitliche Durchführung durch den Bund fordern. Unter dieser Voraussetzung könne der Bund zum Zwecke und innerhalb der Grenzen außenpolitischer Notwendigkeiten durch legislatives und exekutives Handeln in den Bereich der Länderhoheit eingreifen. Diese Befugnis des Bundes wird als "Reflex seines außenpolitischen ius eminens" gerechtfertigt und auf Art. 32 Abs. 1 GG gestützt. Jene Bundeskompetenz sei latent immer vorhanden und werde erst in einer abnormen Lage aktuell, für die auf seiten der Länder die Tatsache des NichtErfüllen-Könnens oder Nicht-Erfüllen-Wollens konstituiv sein könne 63 . Der länderfreundlichen Auffassung zufolge ist bei einer Transformation völkerrechtlicher Verträge im Bereich der Ländergesetzgebung von einer Nichtigkeit des Vertragsgesetzes auszugehen, sofern man nicht die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaft gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG nur auf den Vertragsabschluß bezieht, nicht jedoch auf den Vertragstext, der im Hinblick auf das Vertragsgesetz nur informatorisch mitgeteilt wird. Bei Annahme der letztgenannten Alternative kommt dem veröffentlichten Vertragstext als selbständigem Teil des Vertragsgesetzes eine transformierende Wirkung nur dann zu, wenn und soweit der Bund über entsprechende Gesetzgebungskompetenzen verfügt, wobei die Geltung des Vertragsinhalts bedingt ist durch das Inkrafttreten und -bleiben des Vertrages 64• Aus dem Schweigen des Lindauer Abkommens über die Zuständigkeiten zur innerstaatlichen Einführung völkerrechtlicher Verträge durch Gesetz im Bereich der Landesgesetzgebung wird heute von der überwiegenden Auffassung geschlossen, daß ein Zustimmungsgesetz des Bundes zu Verträgen im Bereich des Art. 32 Abs. 3 GG nicht die Transformation des Vertragsinhalts zur Wirkung habe65 • 62 Vgl. Böning, ebd., S. 820; Maunz, ebd., Art. 32, Rn. 36, 41, lehnt das Vorliegen einer "Verfassungslücke" ab, da er im Gegensatz zu Böning eine ausschließliche Vertragsabschlußkompetenz der Länder über Materien der Landesgesetzgebung annimmt. Dieser ausschließlichen Vertragsabschlußkompetenz entspreche eine ausschließliche Transformationskompetenz. 63 Vgl. Kaiser, ZaöRV 18 (1957 /58), S. 549. 64 Zu diesen Alternativen vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 135, unter Bezugnahme auf BVerfGE I, 396, 411; 63, 343, 354. 65 Vgl. Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 205, 209; im Ergebnis ebenso Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 173, Stern, Staatsrecht I, § 19 III 3 e (S. 697 f.), Schweitzer,

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Der danach erforderliche Transformationsakt seitens des Landes enthält jedoch nicht die nach Art. 59 Abs. 2 GG zugleich erforderliche Zustimmung des Landes zum Vertragsabschluß des Bundes. Diese ist wegen Art. 32 GG nicht geboten. Denn hiernach ist in der Ausübung der auswärtigen Vertragsgewalt lediglich das Land durch die Zustimmungserklärung der Bundesregierung beschränkt, nicht aber umgekehrt der Bund durch eine Zustimmungserklärung des betroffenen Landes 66 • Bei Verträgen mit non-self-executing-Normen im Bereich der Landesgesetzgebung, die die Ausführung des nicht unmittelbar anwendungsfähigen Vertragsinhalts durch den Erlaß entsprechender Landesvorschriften erforderlich machen (Vollzugsgesetzgebung), stellt sich ebenso wie bei der Transformation unmittelbar anwendungsfähiger völkerrechtlicher Verpflichtungen die Frage, ob eine innerstaatliche Verpflichtung der Länder zum gesetzlichen Vollzug ~zw. zur Transformation besteht 67 und diese danach das Verfügungsrecht über das implementierte bzw. transformierte Völkervertragsrecht in Form des Erlasses widersprechender Normen verlieren. Bezüglich der ausführungsbedürftigen völkerStaatsrecht lll, Rn. 340, die von einer Transformationszuständigkeit des Landes ausgehen; vgl. ferner Friehe, JA 1983, S. 123 f.; Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 306: ,,Erscheint schon die Übertragung des Vertragsrechts auf den Bund problematisch und nur durch die "Kann"-Bestimmung des Art. 32 Abs. 3 GG und die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes bei der unmittelbaren Gestaltung der auswärtigen Angelegenheiten gerechtfertigt, so spricht für eine Delegation der Gesetzgebungsbefugnis im Verfassungssystem der Bundesrepublik weder ein Regel- Ausnahmeverhältnis zugunsten des Bundes noch die Gefahr eines Gesetzgebungsvakuums". Zugleich sieht Blumenwitz, ebd. , S. 303 f., jedoch eine solche Aufspaltung in einen Zustimmungsakt einerseits und einen Transformations- bzw. Vollzugsakt andererseits als äußerst problematisch an; er kommt zu dem Ergebnis, daß eine ,,Einverständniserklärung eines Landes zum Vertragsschluß nach Ziff. 3 der Lindauer Vereinbarung die Zustimmung zur Ratifikation wie auch die Verbindlicherklärung des urunittelbar anwendungsfähigen Völkervertragsrechts für den Fall [enthalte], daß der Vertrag vom Bund ratifiziert [werde]". Damit lasse sich eine gewisse Symmetrie von Abschluß und Ausführung völkerrechtlicher Verträge auch bei den nach der Lindauer Vereinbarung geschlossenen Verträgen erreichen. Auch das BVerfG (E 6, 309, 340 ff.) geht im Konkordatsurteil v. 26. 3. 1957 -also noch vor Abschluß des Lindauer Abkommens- von einer beschränkten Transformationsgesetzgebungskompetenz des Bundes aus. Abzulehnen ist hingegen die Ansicht von Riegel, DVBI. 1979, S. 249, der behauptet, gern. Ziff. 3 des Lindauer Abkommens würden die Länder zur Transformation der in ihren innerstaatlichen Kompetenzbereich fallenden Verträge verpflichtet. Unklar auch Rudolf, Federal States, S. 173, der im Zusammenhang mit der Erwähnung des Lindauer Abkommens ausführt: "In accordance with the federation the states accept the tacit obligation, if neccessary, to take all measures for the treaty's internal implementation"; vgl. aber ders., Mitwirkung der Landtage, s. 766. 66 Vgl. Böning, DÖV 1957, S. 820. 67 Völkerrechtliche Verträge nehmen nach herrschender Meinung nicht an der generellen Transformation und der Vorrangerklärung des Art. 25 GG teil. Der Grundsatz "pacta sunt servanda" führt- sofern er sich als völkerrechtliche Rechtsregel überhaupt bezeichnen läßt - lediglich zur Verbindlichkeit der Verträge im Außenverhältnis, hat aber nicht den Vorrang nach innerstaatlichem Recht zum Inhalt: vgl. BVerfGE 6, S. 309, 362 f.; Partsch, S. 72 ff. (79). 12*

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

rechtlichen Verträge ergibt sich darüber hinaus noch das Problem der föderalen Auffächerung einer seitens des Bundes einheitlich konzipierten völkerrechtlichen Verpflichtungaufgrund des den Länderparlamenten im Rahmen der gesetzlichen lmplementation zustehenden eigenen Entscheidungsbereiches, welches sich nur dadurch beheben läßt, daß der Bund bei der Ausübung der ihm übertragenen Vertragskompetenz nur unmittelbar anwendungsfähige völkerrechtliche Verpflichtungen eingeht 6s. Soweit die Transformations- bzw. Vollzugskompetenz den Ländern zusteht, werden diese aufgrund ihres Einverständnisses mit der Ausübung durch den Bund entsprechend dem Grundsatz der Bundestreue zum Vollzug der nach dem Lindauer Abkommen abgeschlossenen Verträge als verpflichtet angesehen, da ein dem vorherigen Einverständnis widersprechendes Handeln als treuwidrig (venire contrafactum proprium) angesehen werden müßte 69 • Eine entsprechende Pflichtverletzung durch ein Bundesland könnte der Bund im Rahmen eines BundLänder-Streits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG) feststellen lassen. Eine rechtliche Lösung eines etwaigen Konflikts mit dem Instrumentarium des Bundeszwangs erscheint hingegen nicht möglich, da sich eine an die Lindauer Vereinbarung anknüpfende, wenn auch nicht aus ihr unmittelbar resultierende Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern auf der Ebene der interföderalen Kooperation und damit in der Sphäre der Gleichordnung zu vollziehen hat 70 • Eine "Selbstbindung" der Länder im Hinblick auf das transformierte bzw. innerstaatlich vollzogene Völkervertragsrecht läßt sich abertrotzihrer Verpflichtung zur Bundestreue und des Verbots treuwidrigen Verhaltens rechtlich kaum überzeugend begründen. Der Rang des transformierten Völkervertragsrechts richtet sich grundsätzlich nach dem Rang des transformierenden innerstaatlichen Rechts, der normative Vollzug ausführungsbedürftiger völkerrechtlicher Normen erfolgt durch Gesetze formeller und materieller Art. Damit hat das in Ausführung eines vom Bund nach Ziff. 3 der Lindauer Vereinbarung geschlossenen Vertrages ergangene Recht landesrechtlichen, nicht bundesrechtlichen Charakter. Da im allgemeinen mit der ,,Zustimmung" des Parlaments zum völkerrechtlichen Vertrag keinerlei Garantiefunktion verbunden wird 7 1, gilt auch für das in LandesVgl. Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 307. V gl. Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 209; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 32, Rn. 43; vgl. auch Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 172 f., für den allein die Einverständiserklärung den Ansatzpunkt für die Annahme rechtlicher Bindungen aus dem Gebot der Bundestreue bietet. 10 Vgl. Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 308; Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 132; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 32, Rn. 35; ablehnend wohl auch Reichet, S. 232, 234 f.; Rudolf, Völkerrechtliche Verträge, S. 64; vgl. auch BVerfGE 6, 309, 353. Anderer Ansicht ist hingegen Böning, DÖV 1957, 820. 71 Vgl. Blumenwitz, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften, S. 307; eine Ausnahme macht hier wohl nur Hessen aufgrund Art. 67 S. 2 seiner Verfassung v. 68 69

VI. Kap.: Spanien

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recht transformierte Völkervertragsrecht der Grundsatz "Lex posterior derogat legi priori". Erst recht gilt dieser Grundsatz, wo nicht durch einen Transformations-, sondern durch einen bloßen Implementationsakt im Rahmen eines gesetzlichen Vollzuges nicht unmittelbar anwendbares Völkervertragsrecht innerstaatlich seitens der Länder durchgeführt wird. Somit können sich die Länder durch ein einfaches Gesetz von der in Landesrecht transformierten oder implementierten völkerrechtlichen Verpflichtung lossagen. Eine rechtliche Selbstbindung des Gesetzgebers aufgrund eines rechtlich wirksam erteilten Einverständnisses nach dem Lindauer Abkommen ist zumindest über die jeweilige Legislaturperiode hinaus nicht möglich 72 • Auf rechtlichem Weg läßt sich die aus dem Auseinanderfallen von Vertragsabschlußkompetenz einerseits und Transformations- bzw. lmplementationskompetenz andererseits resultierende Gefahr einer völkerrechtlichen Haftung des Bundes für ein vertragswidriges Verhalten der Länder 73 mithin kaum ausschließen. Gleichwohl betont das Bundesverfassungsgericht 74 zu Recht, daß sich die völkerrechtliche Einheit "Bundesrepublik Deutschland" aus verfassungsrechtlicher Sicht aus Bund und Ländern zusammensetzt und daß entsprechend der innerstaatlichen Kompetenzordnung völkerrechtliche Pflichten mitunter nur von den Ländern als einem Bestandteil der umfassenden Einheit erfüllt werden können.

VI. Kapitel

Spanien I. Handlungsbereich des Art. 149 Abs.l Nr. 3 CE Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE weist dem Staat die ausschließliche Kompetenz für die Regelung der internationalen Beziehungen zu. Konkretisiert wird diese Bestimmung durch Art. 97 CE, der u. a. der Regierung die Organkompetenz für die Außenpolitik zuweist. 1. 12. 1946, wonach kein Gesetz gültig ist, das "mit einem Staatsvertrag in Widerspruch steht". Zur Notwendigkeit einer Beteiligung der Länderparlamente im Rahmen der Zustimmung eines Landes zur Ausübung des Vertragsschließungsrechts über Gegenstände der Landesgesetzgebung durch den Bund vgl. Rudolf, Völkerrechtliche Verträge, S. 67 ff., und Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 173. 72 Vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 213 f., mit entsprechenden Ausführungen zu einer derogierenden Bundesgesetzgebung; Hüchting, S. 124, der allerdings auch im Hinblick auf diesen Umstand eine Transformationskompetenz des Bundes im Bereich der ausschließlichen Landesgesetzgebung annimmt. 73 Vgl. Dahm, Völkerrecht, Bd 3, S. 203 ff., insbes. S. 204 f.; Verdross I Simma, § 1275. 74 BVerfGE 6, 309, 340.

2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

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Auch im spanischen Schrifttum wird angesichts der großen Bandbreite des Systems dieser Beziehungen und seiner verschiedenen Manifestationen die der spanischen Verfassung zugrundeliegende Konzeption einer scharfen Trennung zwischen Kompetenzen mit innerstaatlichem und solchen mit auswärtigem Bezug als "archaisch" 1 bezeichnet. Soweit Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE von einer Unterscheidbarkeit der "internationalen Beziehungen" von den übrigen Zuständigkeiten des Staates bzw. der AG ausgehe, basiere er auf der im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts üblichen ,,koexistentiellen" Konzeption des Völkerrechts, die der Wandlung zum kooperativen Völkerrechtsverkehr nicht mehr gerecht werde 2 • In der heutigen Welt beziehe sich die auswärtige Gewalt des Staates nicht allein auf die herkömmlichen Inhalte, sondern besitze eine darüber hinausgehende Ingerenz auf eine Vielzahl innerstaatlicher Aktivitäten. Nur wenige Angelegenheiten, die Gegenstand der innerstaatlichen Politik und Verwaltung seien, blieben mithin von Fragen der auswärtigen Beziehungen unberührt 3 • Deshalb sei es ein Anachronismus, in föderativ organisierten bzw. dezentralisierten Staaten ein staatliches Monopol für internationale Angelegenheiten anzunehmen, welches so umfassend sei, daß es nicht nur jede unmittelbare Tätigkeit mit Außenwirkung seitens der dezentralisierten Einheiten, sondern darüber hinaus auchjegliche Teilnahme dieser Einheiten am Zustandekommen und an der Durchführung auswärtiger, vom Staat geschlossener Verträge unmöglich mache 4 • Der Kompetenztitel "internationale Beziehungen" als staatlich monopolisierte Verantwortung bezieht sich nach dieser Ansicht, die eine gewisse Parallele zur Diskussion im bundesrepublikanischen Schrifttum aufweist, auf einen bc~Limm ­ ten Kernbereich von Aufgaben, nämlich die Kompetenz zur Aushandlung, Unterzeichnung und Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, also die treaty making power, sowie daneben auf das ius repraesentationis. Die Zuständigkeit für den erstgenannten Bereich ergebe sich aus einer wertenden Gesamtschau der Art. 63 Abs. 2, 93, 94 und 97 CE in Verbindung mit Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE; für den zweitgenannten Bereich aus Art. 56 Abs. 1 und 97 CES. Gleichzeitig weist die Lehre daraufhin, daß selbst die Annahme einer umfassenden und konkurrierenden Kompetenz des Staates zum Vertragsabschluß in föderalistischen Staaten nicht zu einem Ausschluß jeglicher Betätigung dezentralisierter Einheiten geführt habe, die direkt oder indirekt einen Außenbezug aufweise 42 • Ein solcher Ausschluß entbehre auch jeglicher Rechtfertigung 43 • Es sei daher eine Abgrenzung zwischen I 2

Remiro Brotons, La actividad exterior, S. 355; ebenso: Mufzoz Machado, S. 55. Remiro Brotons, ebd., S. 361, der zutreffend von einer "visi6n « decimon6nica »"

spricht.

3 Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 86; Mangas Martin, S. 222 f.; Remiro Brotons, La acci6n exterior, S. 234 ff. 4

5 6 7

Mufzoz Machado, S. 56. Vgl. Mangas Martin, S. 222 f.; ihr folgend Aurrecoechea, ebd., S. 86 f. Mufzoz Machado, S. 59, unter Hinweis auf das Lindauer Abkommen. Mufzoz Machado, S. 60, unter Verweis auf Strozzi, Regioni, S. 31 f.

VI. Kap.: Spanien

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den internationalen Beziehungen im eigentlichen Sinne erforderlich, bei denen der Staat als Völkerrechtssubjekt mit anderen Völkerrechtssubjekten in Beziehung trete, und solchen Aktivitäten, die in den materiellen Kompetenzbereich der dezentralisierten Einheiten fielen (Gesetzgebung, Verwaltung); diesen könne eine auswärtige Relevanz im Einzelfall zukommen 8 , jedoch stets mit einer auf die Wahrnehmung der jeweiligen regionalen Interessen gebotenen Begrenzung, die die Ausübung der auswärtigen Gewalt durch den Staat nicht verhindere und für ihn keine Folgen bzw. Verpflichtungen nach sich ziehe. Die primäre Frage, die sich angesichts dieser behaupteten Interferenz von innerstaatlicher Kompetenzverteilung und auswärtigem Handlungsspielraum stellt, ist die, ob Art. 149 Abs. I Nr. 3 CE trotzseiner umfassenden Zuschreibung der auswärtigen Zuständigkeit an den Staat für ein Vertragsabschlußrecht der AG Raum läßt 9 • Insofern läßt sich feststellen, daß kein einziges Autonomiestatut ein - wenn auch nur begrenztes - ius ad tractatum zugunsten einer AG aufweist, wie dies in Art. 32 Abs. 3 GG für die Länder in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist 10• Ein entsprechender, anläßlich der Erörterung des Verfassungsentwurfs von der baskischen Parlamentariergruppe eingebrachter Antrag, den AG das Recht zuzuerkennen, mit Einwilligung des Staates Abkommen in den Bereichen zu schließen, die in den Bereich der Legislativkompetenzen der AG fallen, wurde abgelehnt 11 • So bleibt es bei der umfassenden treaty making power des Staates gern. Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE 12• Der aufgezeigten Interferenz wird nach geltendem spanischen Recht daher nur - wie zu zeigen sein wird in Form einer Beteiligung der AG im Rahmen der Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge sowie durch die Einräumung eines Initiativrechtes zu ihren Gunsten Rechnung getragen 13• s Munoz Machado, S. 62, nennt als Beispiele das Gesundheitswesen, die Umwelt, Fragen der Einwanderung sowie Auswanderung, den Fischfang etc. 9 Ders., S. 64. 10 Dieser Befund bestätigt die Feststellung von Rudolf, AVR 27 I 1989, S. 8, wonach die Bundesrepublik zu den wenigen Bundesstaaten gehört, die ihren Gliedern die Möglichkeit eröffnen, in beschränktem Umfang völkerrechtliche Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen. 11 Antrag Nr. 659, in: Constituci6n Espa.iiola, Trabajos parlamentarios, Bd. I, S. 383. 12 Vgl. STC 137/1989 v. 20.07.1989, BJC 1989, S.1380, 1384f. (II 4, 5), unter Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE und Art. 93, 94 und 97 CE. 13 Vgl. hierzu STC 137/1989 v. 20.07.1989, S. 1380, 1384 (II 4): "Unsere Verfassung enthält keinerlei Vorbehalt oder Ausnahme in dieser Hinsicht zugunsten der Autonomen Gemeinschaften, auch nicht bzgl. der einen oder anderen Materie, wobei dies natürlich kein Hindernis dafür darstellt, daß die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften sich auch in diesem Bereich in angemessenen Formen vollzieht, hinsichtlich derer sowohl die eigene Verfassung (Art. 150 Abs. 2) sowie die Rechtsvergleichung (Rahmenverträge etc.) weite Möglichkeiten bieten."; Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 72 ff. Kennzeichnend für diese restriktive Haltung des Zentralstaates ist, daß dieser unter Verweis auf seine Zuständigkeit für die internationalen Beziehungen gern. Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE auch den Bereich des Tourismus, der nach verschiedenen

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II. Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge Die Statute räumen den AG ein Initiativrecht für bestimmte Angelegenheiten ratione materiae ein, wobei der Schutz des Kulturgutes sowie der wirtschaftlichen und sozialen Interessen überwiegt. Primär geht es um die Ermöglichung einer Zusammenarbeit mit Gemeinschaften außerhalb Spaniens, deren Herkunft auf die entsprechenden spanischen Regionen und Nationalitäten zurückzuführen ist, um diesen die Möglichkeit einer Beteiligung am sozialen Leben der jeweiligen AG zu ermöglichen 14• Im Hinblick auf die Beteiligung der AG im Rahmen von Vertragsabschlüssen wird acht Gemeinschaften entgegen den von ihnen eingebrachten Statutsentwürfen 15 kein Recht auf Anhörung (audiencia), sondern ein bloßes Recht auf Unterrichtung gewährt. So ist vorgesehen, daß im Falle des Abschlusses eines Vertrages durch den Staat in Bereichen, die von besonderem Interesse für eine AG sind, diese hiervon informiert wird 16• Nur in einigen dieser Regelungen ist dabei ausdrücklich sichergestellt, daß eine solche Unterrichtung während des VerhandStatuten eine ausschließliche autonome Kompetenz darstellt (vgl. bspw. Art. 10 Nr. 36 Est.P.V.), für seine Regelungsbefugnis in Anspruch nimmt; vgl. Cruz Villal6n, JöR 34 (1985), S. 234, Fn. 80. Die Möglichkeit einer gewissen Vertragsabschlußkompetenz eröffnet sich für einige AG allerdings im Rahmen der Zusammenarbeit der Grenzregionen u. a. aufgrundder Konvention des Europarates über grenzüberschreitende Zusammenarbeit von territorialen Gebietskörperschaften und Gemeinden. Diese ist in Spanien am 22.12.1981 in Kraft getreten: vgl. Pelaez Mar6n, En torno a Ia facultad de iniciativa, s. 384 f. 14 Vgl. Art. 8 Est.ast.; Art. 6 Est.cant.; Art. 6 Est.C.L.; Art. 7 Abs. 1 Est.C.-L.M.; Art. 40 Abs. 3 Est.C.-L.M. im Hinblick auf die Unterstützung von Auswanderern; Art. 40 Abs. 1 Est.arag.; Art. 72 Abs. 5 Est.and.; Art. 23 Abs. 3 Est.and. im Hinblick auf die Unterstützung von andalusischen Auswanderern; Art. 27 Abs. 4 Est.cat.; Art. 6 Abs. 5 Est.P.V.; Art. 35 Abs. 3 Est.gall.; Art. 7 Est.gall. im Hinblick auf die Unterstützung galizischer Auswanderer; weniger deutlich Art. 6 Abs. 2 lit. j Est.ex.; vgl. außerdem: Art. 7 Abs. 2 Est.gall.; Art. 7 Abs. 2 Est.C.-L.M.; Art. 8 Abs. 2 Est.ast.; Art. 6 Abs. 2 Est.cant.; Art. 3 Abs. 3 Est.ex.; Art. 8 Abs. 2 Est.I.B. und - ähnlich - Art. 6 Abs. 2 Est.C.-L. im Hinblick auf den Schutz der sozialen und kulturellen Identität von im Ausland lebenden Bürgern einer AG; Art. 23 Abs. 3 Est.and. und Art. 40 Abs. 3 Est.C.L.M. im Hinblick auf die Initiative zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge zum Schutz von Emigranten, die aus diesen AG stammen; ohne sachliche Begrenzung hingegen Art. 40 Abs. 1 Est.arag., wobei allerdings insbesondere die sich aus der geographischen Grenzlage der Gemeinschaft ergebenden Belange maßgeblich sind: vgl. zum Initiativrecht Mangas Martin, S. 239 f . 15 Zu den diesbezüglichen Vorschriften der Statutsentwürfe des Baskenlandes, Andalusiens, der Kanarischen Inseln, Asturiens und Murcias vgl. Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 73, Fn. 9; zu entsprechenden Anträgen im Rahmen der Ausarbeitung der Verfassung vgl. Mangas Martfn, S. 241. 16 Art. 20 Abs. 5 Est.P.V.; Art. 27 Abs. 5 Est.cat.; Art. 23 Abs. I Est.and.; Art. 34 Abs. 3 Est.ast.; Art. 37 Abs. 1 Est.LC.; Art. 12 Abs. 2, S. 2 Est.murc.; Art. 68 Est.nav.; Art. 33 Abs. 1 Est.madr.: vgl. hierzu Mangas Martin, S. 240 ff.; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeil dieser nicht in der Verfassung vorgesehenen Informationsrechte vgl. Lorente Hurtado, S. 1701 ff.

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lungsprozesses erfolgen muß und nicht erst nachträglich 17• Das Vorliegen eines besonderen Interesses soll nicht nur im Fall der Betroffenheit einer materiellen Kompetenz einer AG, sondern bspw. auch im Fall einer besonderen politischen Betroffenheit zu bejahen sein 18• Durch die Einräumung eines bloßen, auf wenige Gemeinschaften beschränkten Rechtes auf Unterrichtung, unter Ablehnung eines Rechtes auf Anhörung, wurde die Kompetenz des Staates für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge nochmals bekräftigt 19• Allein Art. 37 Abs. 1 Est.I.C. sieht nach erfolgter Unterrichtung ein Recht zur Stellungnahme durch die hinsichtlich eines besonderen Interesses betroffene AG vor, wobeijedoch die Einholung dieser Stellungnahme keine Voraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen des Vertrages ist 20 • Gemäß Art. 45 Abs. 2 desselben Statuts sind "für den Fall eines zukünftigen Beitritts Spaniens zu supranationalen wirtschaftlichen Organisationen oder Gemeinschaften die Besonderheiten der Kanarischen Inseln innerhalb der nationalen Gemeinschaft zu berücksichtigen". Dieses ausnahmsweise normierte Recht auf Berücksichtigung der besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse, das allein den Kanarischen Inseln gewährt wurde, macht erneut die ansonsten mangelnden Möglichkeiten der AG deutlich, im Rahmen der Aushandlung völkerrechtlicher Verträge ihre konkreten Interessen einzubringen 21 • Das den übrigen Gemeinschaften lediglich eingeräumte Recht auf Unterrichtung bleibt im Fall der Verletzung ohne jede Auswirkung auf die Gültigkeit des abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrages, so daß an der Wirksamkeit einer Einbeziehung der AG im Sinne der Ermöglichung einer aktiven Beteiligung bei der Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge gezweifelt wird 22 • Eine diesbezügliche Stärkung der Stellung der AG hätte nach dieser Kritik nur durch die Einräumung eines Anhörungsrechtes sichergestellt werden können, das den zentralen Organen die Möglichkeit einer Kenntnisnahme der etwaigen Interessen und Anliegen der AG verschaffen könnte. Auch wenn das Ergebnis einer solchen Anhörung im Hinblick auf den Vertragsschluß nicht verbindlich wäre, hätte die Normierung einer Anhörung ein Erfordernis darstellen können, dessen Nichtbeachtung eine mangelnde innerstaatliche Ordnungsmäßigkeit im Rahmen des Abschlusses von Verträgen bedingt hätte. Allein eine Anhörung hätte darüber hinaus ein Beteiligung der AG bei der Entscheidungsfindung in Angelegenheiten sichergestellt, die ihr jeweiliges Interesse berühren 23 • Sowohl das Initiativ- also auch das Informationsrecht der AG werden hingegen de lege lata als schwache Formen ihrer Beteiligung im Rahmen des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge gewertet. Die AG können 11 Vgl. Art. 27 Abs. 5 Est.cat.; Art. 20 Abs. 5 Est.P.V.; Art. 23 Abs. 1 Est.and.; Art. 37 Abs. 1 Est.I.C.; Art. 68 Est.nav.; Art. 34 Abs. 3 Est.ast.; Art. 12 Abs. 2, S. 2 Est.murc.; Art. 33 Abs. 1 Est.madr.: vgl. Mangas Mart[n, S. 242 f. 18 Peltlez Mar6n, REA 2/1984, S. 108f. 19 Peltlez Mar6n , RDP 98 (1985), S. 74. 20 Ders., ebd. 21 Ders., ebd., S. 75. 22 Ders., ebd. 23 Ders., ebd., S. 76.

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den Staat erst recht in keiner Weise zwingen, einen völkerrechtlichen Vertrag im Sinne ihrer Vorstellungen abzuschließen. Das uneingeschränkte Recht des Staates, unabhängig von der innerstaatlichen Kompetenzverteilung Verträge völkerrechtlicher Art zu schließen, sowie seine mangelnde Verpflichtung zur Berücksichtigung der erklärten Interessen der AG können nach einer kritischen Ansicht im Schrifttum deren möglichen Widerstand bei der Durchführung eines Vertrages zur Folge haben 24 • Im Hinblick hierauf ist der Vorschlag gemacht worden, der Staat solle durch Organgesetz entsprechende staatliche Zuständigkeiten an die AG übertragen oder delegieren, um so zu deren Gunsten zu einer konkurrierenden Zuständigkeit bezüglich der entsprechenden Regelung der vertraglichen Außenbeziehungen zu gelangen 25 • Bitter schlägt stattdessen eine Beteiligung der AG im Rahmen des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge vor, die im Zeitraum zwischen der Eröffnung der Verhandlungen und der Erteilung der Zustimmung stattfinden soll, etwa in Form der Schaffung einer gemischten Kommission von Vertretern der Regierung und der AG zur Überprüfung der Auswirkungen völkerrechtlicher Verträge auf die subnationalen Einheiten 26• Auch Remiro Brotons 27 hält ebenso wie Peltiez Mar6n 28 die Gewährung eines ius ad tractatum zugunsten der AG für entbehrlich; sie fordern stattdessen eine

regionale Repräsentanz im Rahmen der Aushandlung von Verträgen und von Sekundärrecht internationaler und supranationaler Organisationen mit regionaler Ingerenz und wollen den Vertragsabschluß bzw. die Verabschiedung des Sekundärrechtes in diesen Fällen von der Zustimmung der AG abhängig machen.

24 Remiro Brotons, La actividad exterior, S. 375; Bitter, R.Fac.Dcho.U.Complutense 4 (1981), S. 199; Perez Gonzalez I Pueyo Losa, S. 61; Petaez Mar6n, Las Comunidades, S. 94; ders., RDP 98 (1985), S. 77. 25 Perez Gonzalez I Pueyo Losa, S. 34; hiergegen Olivares Martinez, DA 201 (1984), S. 303 f., der in den Vorschriften der Statute nur einen Anwendungsfall des Grundsatzes der institutionellen Zusammenarbeit sieht. 26 Bitter, R.Fac.Dcho.U.Complutense 4 (1981), S. 174. 27 Remiro Brotons, La actividad exterior, S. 375. 28 Pelaez Mar6n, En torno a la facultad de iniciativa, S. 358 f., stimmt den Vorschlägen Bitters und Remiro Brotons zu, unterstreicht jedoch zugleich die primäre Bedeutung des Initiativrechts, das die AG auf dem Weg des Art. 87 Abs. 2 CE oder qua Petiton gemäß Art. 77 Abs. 2 CE ausüben sollen.

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111. Die Durchführung völkerrechtlicher Verträge in Spanien 1. Verfassungsrechtliche Normierungen Gemäß Art. 96 CE, der in der gemäßigt monistischen Tradition des spanischen Rechtssystems steht 29 , werden gültig abgeschlossene Verträge nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung. Unmittelbar anwendbare Vorschriften internationaler Verträge entfalten mithin nach der von dieser Vorschrift geforderten Veröffentlichung 30, die im spanischen Amtsblatt (Boletin Oficial del Estado) geschieht, ohne weiteren Transformationsakt unmittelbare Wirkung in der spanischen Rechtsordnung 31 • Im Hinblick auf die innerstaatliche Durchführung nicht unmittelbar anwendbarer internationaler Verträge durch den nationalen Gesetzgeber ist die rechtliche Situation nach der spanischen Verfassung weniger eindeutig. Abgesehen von Art. 93 CE, wo den Cortes Generales bzw. der Regierung die Gewährleistung für die Erfüllung von Verträgen i.S. des Art. 93 S. 1 CE und der Beschlüsse internationaler oder supranationaler Organisation zugewiesen wird, beinhaltet die Verfassung keinerlei Vorschriften über die Durchführung dieser Verträge 32• Allein in Art. 93 CE wird den Cortes Generales oder der Regierung die Gewährlei29 Vgl. Bitter, R.Fac.Dcho.U.Comp1utense 4 (1981), S. 172 f., m. w.N. und dem Hinweis auf Art. 1.5. der Einleitung zum spanischen Zivilgesetzbuch: "Gültig abgeschlossene internationale Verträge werden nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung."; ebenso Truyol y Serra, Völkerrecht, S. 1014. 30 Für Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 84 f., stellt die Notwendigkeit der Veröffentlichung ein Kriterium dar, das die spanische Praxis von dem Modell der automatischen Rezeption der unterzeichneten internationalen Verträge unterscheidet, wie sie Diez de Velasco, S. 169, aber auch Bitter, ebd., S. 168, im Hinblick auf Spanien vertreten; wie PeLaez Mar6n auch Gonzalez Campos I Sanchez Rodrlguez I Andres Saez de Santa Mar(a, S. 232. Auch die primären und sekundären Rechtsakte der internationalen und supranationalen Organisationen bedürfen nach der ratio essendi des Art. 96 CE, der zur Rechtssicherheit im innerstaatlichen Bereich führen soll, einer innerstaatlichen Veröffentlichung. Da dies aber im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht (Verordnungen) im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stünde (vgl. EuGH v. 7.2.1973, Rs. 39/72, Slg. 1973, S. 101/113), muß die Kompetenz zur Veröffentlichung von gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen als auf die Gemeinschaft gemäß Art. 93 CE übertragen angesehen werden: vgl. Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 85 f. 31 Das Zustimmungsverfahren durch die Cortes Generales ist in Art. 94 CE geregelt. Keine Aussage enthält die spanische Verfassung über die Rangordnung der Verträge in der spanischen Rechtsordnung. Implizit wird der Primat des Völkerrechts im zweiten Satz des Art. 96 Abs. 1 festgeschrieben, demzufolge die Bestimmungen der gültig abgeschlossenen Verträge, die Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung sind, ,,nur in der von den Verträgen selbst vorgesehenen Form oder gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufgehoben, geändert oder suspendiert werden" können. Mithin können Vertragsbestimmungen nicht durch ein später entstandenes Gesetz aufgehoben, geändert oder suspendiert werden: vgl. Truyol y Serra, ebd., S. 1015 32 Vgl. Remiro Brotons, La activadad exterior, S. 367 f.

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stung für die Erfüllung von Verträgen im Sinne des Art. 93 S. 2 CE und der o.g. Beschlüsse zugewiesen. Teilweise wird im spanischen Schrifttum dem Staat die Durchführung völkerrechtlicher Verträge und der Beschlüsse internationaler und supranationaler Organisationen aufgrund seiner ausschließlichen Zuständigkeit für die internationalen Beziehungen gern. Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE vorbehalten, mit der Folge, daß entsprechende Vorschriften in den Autonomiestatuten als eine Kompetenzdelegation gern. Art. 150 CE angesehen werden 33 • Zur Stützung dieser These wird meist auf die Urteile des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 1982 verwiesen. In den Urteilen vom 24. Mai34 und 8. Juli 1982 35 stellt das Verfassungsgericht fest, daß sich bei der Einwirkung einer völkerrechtlichen Norm auf eine innerstaatliche Gesetzgebungsmaterie - in den dortigen Fällen bei der Verteilung der Radiofrequenzen- ein "ausdrücklicher staatlicher Vorbehalt bezüglich der Bestimmung der Frequenzen und Ausgangsleistungen ergibt". Danach ist es verfassungsrechtlich möglich, daß der Staat sich Zuständigkeiten zur innerstaatlichen Durchführung eines völkerrechtlichen Vertrages vorbehält. Dabei soll die "Einheitlichkeit der Auslegung der Vereinbarung" ("unidad de interpretaci6n") im innerstaatlichen Bereich nach Auffassung des Gerichts stets dazu führen, daß die Durchführungsaufgaben zumindest einen Basisaspekt beinhalten, der ein staatliches Tätigwerden erforderlich macht. In seinem Urteil vom 27. Juli 1982 36 geht das Verfassungsgericht dann scheinbar "noch einen Schritt weiter" 37, wenn es ausführt, daß es sich bei den Zuständigkeiten, die die Statute den AG zur Ausführung völkerrechtlicher Verträge und Vereinbarungen zuweisen, um eine "Verpflichtung", nicht aber um eine "Kompetenz" handelt, woraus von der zentralstaatsfreundlichen Auffassung geschlossen wird, die Durchführungskompetenz obliege dem Staat.

De Miguel Zaragoza, Las competencias, S. 378. STC 26/1982 v.24.5.1982, BJC 1982, S. 458, 465 (II 6). 35 STC44/1982 v.8. 7.1982, BJC 1982, S. 677,683 (114): "Es genügt darauf hinzuweisen, daß in der Verfassung die « internationalen Beziehungen >> Bestandteil der der ausschließlichen Kompetenz des Staates vorbehaltenen Materien ohne jegliche Einschränkung bilden, weshalb die Bestimmung über die Durchführung der Verträge durch die AG, wie sie sich [ .. . ] in entsprechender Weise in [einigen] Statuten befindet, eine logische Konsequenz der Territorialorganisation des Staates darstellt, ohne daß die Einheit der Auslegung gefährdet werden darf, die dem Staat als für die Durchführung der Verträge völkerrechtlich allein verantwortlichem Vertragspartner obliegt"; vgl. weiter STC 154/1985 v. 12.11.1985, BJC 1985, S.1374, 1377f. (II 5). 36 STC 58 I 1982 v. 27.7. 1982, BJC 1982, S. 757, 769 (II 4): "[ ... ] un instrumtento, entre otros, destinado a facilitar el ejercicio de la obligaci6n, que no competencia, que impone a la Generalidad el artfculo 27.3. de su Estatuto de adoptar «las medidas necesarias para Ia ejecuci6n de los tratados y convenios internacionales en lo que afecten a materlas atribuidas a su competencia >>" (Hervorhebungen durch den Verfasser). 37 Vgl. Mufwz Machado, S. 84, Fn. 76. 33

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Von der überwiegenden Ansicht wird hingegen- wie bereits bei den Ausführungen über den Handlungsbereich des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE hervorgehoben 38- eine einschränkende Interpretation des Begriffs der "internationalen Beziehungen" gefordert, der die innerstaatliche Durchführung völkerrechtlicher Normen und des supranationalen Sekundärrechts nicht umfasse 39• Natürlich gehe die Verfassung nicht von einer rein formellen Konzeption der "internationalen Beziehungen" aus, die sich nur auf die durch das Völkerrecht geregelten Beziehungen beschränke. So liege Art. 97 CE, der der Regierung die Leitung der Außenpolitik zuweise, notwendigerweise ein umfassender Begriff zugrunde, da bereits die Eingebung bloßer politischer, nicht-vertraglicher Verpflichtungen einen außenpolitischen Akt darstellen könne. Andererseits werde der "Aktionsbereich" 40 der "internationalen Beziehungen" im Verfassungstext keinerlei Schranken unterworfen. Aus einer systematischen Interpretation des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE und des Begriffs der "internationalen Beziehungen" , die auch andere Kompetenztitel der Verfassung berücksichtige, bei denen ein auswärtiger Bezug zu bejahen sei und die dennoch nicht in die alleinige ausschließliche Kompetenz des Staats fielen, ergebe sich, daß dem Staat und den staatlichen Organen in Ausübung der Souveränität des Gesamtstaates allein die Regelung der Beziehungen mit anderen Staaten und mit internationalen Organisationen vorbehalten sei 41 • Diese Argumentation finde ihre Stütze zum einen in der Regelung des Art. 97 CE, die der Regierung gegenüber den Cortes die Hauptrolle in außenpolitischen Angelegenheiten zuweise, zum anderen in den Vorschriften der Autonomiestatute über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge. Infolgedessen beziehe sich Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE nicht auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung bezüglich der Durchführung völkerrechtlicher Verträge oder des supranationalen Sekundärrechtes. Er begründe mithin keinen Rückholeffekt der Kompetenzen der AG zugunsten des Staates 42 • Die diesbezüglichen Vorschriften der Autonomiestatute entsprächen der in dezentralisierten Staatsgebilden üblichen Unterscheidung zwischen " treaty making power" und "treaty applying power", wobei die letztgenannte Kompetenz den dezentralisierten Einheiten im Rahmen ihres materiellen Kompetenzbereiches Vgl. hierzu oben S. 83. Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 85 ff.; Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vila i Costa, S. 207; Remiro Brotons, La acci6n exterior, S. 234; Pelaez Mar6n, Las Comunidades, S. 101; Olivares Martfnez, DA 201 (1984), S. 308; Lorente Hurtado, s. 1706 ff. 40 Remiro Brotons, ebd. 41 Bano Le6n, S. 74; Mangas Martfn, S. 232 ff.; Lorente Hurtado, S. 1706. 42 Vgl. Montoro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 167; i. d. S. auch STC 153/89 v. 5. 10. 1989, BJC 1989, S. 1638, 1644 (II 8); Aurrecoechea, ebd. S. 85, spricht von einem "Bumerangeffekt" zugunsten der Organe des Zentralstaates bei einer gegenteiligen Interpretation dieser Verfassungsvorschriften: dieser besäße dann dieselben Kompetenzen wie vor der Verabschiedung der spanischen Verfassung von 1978. 38 J9

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zustehe 43 • Die Annahme einer Durchführungskompetenz des Staates aufgrund des bloßen Umstandes des Vertragsabschlusses wird auch unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichts 44 nur ausnahmsweise und in ganz besonders gelagerten Fällen für zulässig erachtet 45 • Da die Durchführung völkerrechtlicher Verträge nicht von der Kompetenz des Zentralstaates nach Art. 149 Abs. l Nr. 3 CE umfaßt werde, sei zudem eine diesbezügliche Delegation gern. Art. 150 CE an die AG, die über keine entsprechende statutarische Durchführungskompetenz verfügten, möglich 46 • Von einer Mindermeinung wird aus Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE- nicht aber aus Art. 93 S. 2 CE, dem insoweit ein bloß pragmatischer Charakter zugemessen wird - eine Ermächtigung des Staates zur Sicherstellung der innerstaatlichen Beachtung und Anwendung völkerrechtlicher Verträge und des Sekundärrechts internationaler bzw. supranationaler Organisationen abge1eitet 47 • 2. Die Bestimmungen der Autonomiestatute In vier der siebzehn Autonomiestatute 48 , nämlich in jenen von Galizien, Kantabrien, Valencia und La Rioja fehlt es an einer ausdrücklichen Vorschrift über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge. Dies könnte bedeuten, daß insoweit der Zentralstaat zur legislativen, gesetzesverordnenden sowie verwaltungsmäßigen Durchführung jener Verträge zuständig ist, auch wenn Kompetenzen der AG betroffen sind. In weiteren sechs Autonomiestatuten - Asturien, Murcia, Navarra, Extremadura, Balearen und Kastilien-Le6n 49 - wurde die Zuständigkeit zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge ausdrücklich aufgenommen, jedoch nur in eingeschränkter Form, nämlich bloß im Hinblick auf die administrative Durchführung, was sich daraus ergibt, daß die Kompetenz nur im Rahmen der staatlichen Gesetzund Verordnungsgebung ausgeübt werden kann, selbst wenn ausschließliche Kompetenzen dieser Regionen betroffen sind. 43 Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rulll Vila i Costa, S. 208; im Ergebnis ebenso Montoro Chiner, Consecuencias, S. 6; vgl. auch Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 89 f., der allerdings unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE nicht die Erfüllung völkervertraglicher Verpflichtungen als solche, sondern allein die Aufgabe der Kontrolle der Erfüllung dieser Verpflichtungen der ausschließlichen Kompetenz des Staates unterwirft; Lorente Hurtado, S. 1706 ff. 44 V gl. oben Fn. 34 bis 36. 45 Munoz Machado, S. 84, Fn. 76 in fme. 46 Peltiez Mar6n, Las Comunidades, S. 101 f., der dies auch aus der Unterscheidung in Art. 93 CE zwischen ,,Erfüllung" und "Garantie der Erfüllung" ableitet. 47 Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rulll Vila i Costa, S. 231 f. 48 Vgl. hierzu Santoalalla Gadea, S. 480 ff.; Mangas Martfn, S. 254 f. 49 Art. 121it. b Est.ast.; Art. 12 Abs. 2 Est.murc.; Art. 58 Abs. 2 i.V. m. Art. 42 Abs. 1 Est.nav.; Art. 9 Nr. 1 Est.ex.; Art. 12 Nr. 1 Est.I.B.; Art. 28 Nr. 7 Est.C.-L.

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In sieben Autonomiestatuten - Baskenland, Katalonien, Andalusien, Aragonien, Kastilien-Mancha, Kanarische Inseln undMadrid 50 -ist die umfassende Kompetenz dieser Gemeinschaften für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge verankert, soweit entsprechende Gesetzgebungskompetenzen dieser Gemeinschaften betroffen sind. Was die Durchführung völkerrechtlicher Verträge durch jene AG angeht, die keinerlei einschlägige Bestimmungen in ihrem Autonomiestatuten aufgenommen haben, stellt sich die Frage, ob eine ausdrückliche Aufnahme einer derartigen Regelung Voraussetzung für ein entsprechendes Tätigwerden ist, oder ob eine implizite Kompetenz jeder AG zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge besteht, soweit nur der materielle Kompetenzbereich dieser Gemeinschaften betroffen ist. Für die Notwendigkeit einer ausdrücklichen, in den Statuten übernommenen Kompetenz zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge spricht nach einer im spanischen Schrifttum vertretenen Ansicht der verfassungsrechtlich-autonomiestatutarische Kontext: die Autonomiestatute werden unter Hinweis auf Art. 147 Abs. 1 und Abs. 2lit. d CE als Kompetenzrahmen betrachtet, der die Zuständigkeiten der AG ausdrücklich festlegt. Soweit eine Kompetenzübernahme seitens der AG nicht erfolgt ist, steht diese Zuständigkeit gern. Art. 149 Abs. 3 CE dem Zentralstaat zu. Faßt man die in den Statuten normierten Zuständigkeiten hinge.e:en nicht als Kompetenzrahmen für die AG auf, sondern als Regelungen zur bloßen Zuständigkeitsbegrenzung, so führt dies zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß der Kompetenzbereich eines Statuts, welches bezüglich bestimmter Bereiche keine Kompetenzregelungen enthält, als weitreichender ausgelegt wird als ein in einem anderen Statut normierter Kompetenzbereich, der durch ausdrückliche Vorschriften abgegrenzt ist. Die Notwendigkeit für eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung ergibt sich mithin aus der verfassungsrechtlich- autonomiestatutarischen Systematik (Verfassungsblock) sowie aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit Für die Bestimmung der Kompetenzen der AG sind mithin die jeweiligen Autonomiestatute, nicht aber die Vorschriften des Art. 148 bzw. 149 CE maßgeblich, da Art. 148 CE den AG jede Möglichkeit eröffnet, Kompetenzen zu übernehmen, die dem Staat nicht gern. Art. 149 CE vorbehalten sind. Das Ergebnis ihrer diesbezüglichen Option und ihres politischen Handlungsgeschicks im Zeitpunkt der Ausarbeitung des Statuts schlägt sich in dem unterschiedlichen Maß an Kompetenzen der verschiedenen AG nieder, weshalb auch die Kompetenzen im Hinblick auf die auswärtigen Angelegenheiten in den Statuten sehr unterschied-

so Art. 20 Abs. 3 Est.P.V.; Art. 27 Abs. 3 Est.cat.; Art. 23 Abs. 2 Est.and.; Art. 40 Abs. 2 Est.arag.; Art. 34 Est.C.-L.M.; Art. 37 Abs. 2 Est.I.C.; Art. 33 Abs. 2 Est.mad.; vgl. zu dieser Aufzählung Mangas Martfn, S. 254 f.; ebenso Santoalalla Gadea, S. 481; Montoro Chiner, Rechtliche Konsequenzen, S. 7; anders hingegen Bano Le6n, S. 78 f., Fn. 116, der Murcia und Navarra zu den AG mit voller Durchführungskompetenz zählt.

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lieh geregelt sind oder eine Regelung gänzlich fehlt, wie im Falle von La Rioja, Valencia, Galizien und Kantabrien. Der unterschiedliche Kompetenzstandard ist nicht die Folge einer staatlichen Delegation im einen Fall und einer fehlenden Delegation im anderen Fall, sondern allein das Ergebnis einer positiven oder negativen Option, die die AG im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Angebot in Form ihrer Statute getroffen haben. Wenn eine AG ohne entsprechende Kompetenz im Hinblick auf die Durchführung völkerrechtlicher Verträge oder die Unterrichtung über die Ausarbeitung völkerrechtlicher Vereinbarungen in Zukunft eine Kompetenz ausüben will, so ist dies allerdings nur im Wege einer Delegation gern. Art. 150 Abs. 2 CE oder mittels Statutsreform möglich 51 • Teilweise wird demgegenüber eine implizite Kompetenz der AG zur Durchführung völkerrechtlicher Vereinbarungen im spanischen Schrifttum 52 bejaht. Es gebe keinen überzeugenden Grund dafür, daß Galizien und andere AG, die in ihren Statuten ein relativ niedriges Kompetenzniveau aufwiesen, über eine entsprechende Kompetenz zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge verfügten, andere Autonomien aber, in deren Statuten entsprechende ausdrückliche Regelungen fehlten, die aber ansonsten eine hohe Kompetenzausstattung aufwiesen, hierzu als unzuständig angesehen würden. Diese Unterschiedlichkeil dem Ergebnis der jeweiligen Verhandlungen einer AG mit dem Staat zuzuschreiben, sei eine unbefriedigende Erklärung. Der grundlegende Irrtum der abweichenden Meinung, die eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung an die AG verlange, bestehe darin, daß sie in der Ausführung völkerrechtlicher Verträge eine Kompetenz sehe, die von der Kompetenz zur Ausübung der innerstaatlichen materiellen Kompetenzen unterscheidbar sei. Die Vertreter einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung könnten nur schwer erklären, woraus sich diese Durchführungskompetenz - wenn nicht aus den materiellen Gesetzgebungskompetenzen - ergebe. Sie könne dann eigentlich nur aus der treaty making power des Staates erwachsen und ihren Ursprung somit in der Unterzeichnung eines Vertrages finden. Dann aber handle es sich um eine ausschließliche staatliche Kompetenz, weshalb die entsprechenden Vorschriften in den Autonomiestatuten entweder verfassungswidrig sein müßten oder- da insoweit nur eine Delegation gern. Art. 150 Abs. 2 CE rechtlich möglich sei - als eine Form indirekter Delegation angesehen werden könnten, was aber einmütig 53 abgelehnt werden müsse. 51 Vgl. Mangas Martfn, S. 255 ff., die ihre Ansicht auch auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichts v. 28.7. 1981 (STC 32/1981, BJC 1981, S. 415, 424, II 6) und v. 28. I. 1982 (STC I /1982, BJC 1982, S. 106, 125, II I) stützt, wonach die AG zur Ausübung einer bestimmten Kompetenz eines Kompetenztitels in ihrem jeweiligen Statut bedürfen; ebenso La Pergola, REDC 13 (1985), S. 33. 52 Vgl. Santoalalla Gadea, S. 482; Bano Leon, S. 76. 53 Anderer Auffassung ist insofern nur de Miguel Zaragoza, Problemas constitucionales, S. 11 ff.; hiergegen: Garzon Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vita i Costa, s. 208.

VI. Kap.: Spanien

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Die in der Mehrzahl der Autonomiestatute anzutreffenden Bestimmungen über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge seien infolgedessen nicht als Kompetenzvorschriften zu interpretieren, sondern als ausdrückliche Erklärungen einer insoweit bestehenden Verpflichtung 54 • Bei der normativen und administrativen Durchführung eines völkerrechtlichen Vertrages seien allein die Kriterien der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Zentralstaat und AG entscheidend, die nach materiellen Kriterien erfolgten, d. h. nach dem jeweiligen Inhalt des betreffenden Vertrages, und vollkommen unabhängig von dem rechtlichen Instrumentarium, das zur Durchsetzung der Verpflichtung bereitstehe. Die Verpflichtung zur Durchführung obliege jedoch allen Organen des Staates und allen Gewalten, der Legislative ebenso wie der Exekutive und der Judikative, den AG aber als Institutionen des Staates, der allein Völkerrechtssubjektivität besitze. Alle AG treffe mithin die Aufgabe, die völkerrechtlichen Übereinkünfte normativ und administrativ im Bereich ihrer Kompetenzen umzusetzen, unabhängig von dem Umstand, daß nur in einigen Autonomiestatuten dies ausdrücklich festgelegt werde, da es insoweit nicht um eine spezielle Kompetenz, sondern um eine Verpflichtung zur Ausübung materieller Kompetenzen gehe 55 • Auf diese Weise löse sich auch ein Problem, das in der deutschen Doktrin bisher ohne befriedigende Lösung geblieben sei, nämlich die Frage, ob die subnationalen Einheiten zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge verpflichtet seien. Indem zwischen der sich aus den materiellen Kompetenzen ergebenden impliziten Zuständigkeit für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge einerseits und der sich aus den jeweiligen speziellen Statutsnormen über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge ergebenden Verpflichtung hierzu andererseits unterschieden werde, könne auf den von der herrschenden deutschen Lehre befürworteten, jedoch keinesfalls unproblematischen Rückgriff auf das Prinzip der Bundestreue (lealtad federal) zwecks Feststellung einer derartigen Verpflichtung der AG verzichtet werden 56• Die Befürwortereiner impliziten Kompetenz der AG zur Durchführung völkerrechtlicher Übereinkommen verkennen, daß die Ablehnung einer Herleitung aus der jeweiligen materiellen Kompetenz der AG nicht zwangsläufig dazu führt, eine entsprechende Kompetenz aus der "treaty making power" des Staates mit der Folge einer nationalen Annexkompetenz für jegliche Durchführung ableiten zu müssen. Da Vertragsabschlußkompetenz und Durchführungskompetenz durchaus nicht kongruent zu sein brauchen, stellt sich allein die auch logisch vorrangige Frage, ob die ausdrücklichen Bestimmungen, die die Autonomiestatute enthalten, Vgl. Fn. 36. Santoalalla Gadea, S. 482 unter Hinweis auf die Urteile des Verfassungsgerichts STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 677, 683 (II 4) sowie STC 58/1982 v. 27. 7.1982, BJC 1982, S. 757, 769 (II 4). Zum letztgenannten Urteil vgl. bereits oben Fn. 36. 56 Vgl. Baiio Leon, S. 77 f. 54 55

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

nicht als entsprechende Ermächtigungen und damit als Kompetenzen zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge anzusehen sind, oder ob es sich in diesen Fällen lediglich um die Normierung einer entsprechenden Verpflichtung handelt. Insofern räumen die Vertreter der impliziten Durchführungskompetenz jedoch ein, daß der Wortlaut der betreffenden Bestimmungen sowohl als Anerkennung einer entsprechenden Kompetenz wie auch als Ausdruck einer Verpflichtung interpretiert werden kann 57 • Die diesbezügliche Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, die von einer "Verpflichtung, nicht aber einer Kompetenz" der AG zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge spricht 58, wird von ihnen als "schwer deutbar" qualifiziert 59• Das Verfassungsgericht kann mit seiner verkürzenden und daher mißverständlichen Formulierung auch dahingehend verstanden werden, daß diejenigen AG, die eine entsprechende Kompetenz in ihren Statuten übernommen haben, verpflichtet sind, diese Kompetenz wahrzunehmen, wobei der Verpflichtungsgrundjedoch ungenannt bleibt. Die Aussage des Verfassungsgerichts wäre mithin dahingehend auszulegen, daß es sich bei den entsprechenden Statutsbestimmungen - und allein über diese hatte das Gericht bisher zu befinden, nicht aber über eine allgemeine Verpflichtung der AG zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge 60 - um eine Zuständigkeit handelt, zu deren Wahrnehmung die AG verpflichtet sind, deren Ausübung also- nach einmal erfolgter Übernahme- nicht mehr in ihrem Belieben steht 61 • Wenn Bafzo Le6n nach Einräumung der genannten Interpretationsschwierigkeiten fast lapidar feststellt, daß die Qualifizierung der entsprechenden Statutsbestimmungen als "Verpflichtung", nicht aber als Kompetenz "im Einklang mit der Natur der Durchführung völkerrechtlicher Verträge stehe" 62, verkennt er, daß gern. Art. 26 der Wiener Konvention 57 Vgl. ders., S. 76; ders., REDA 1989, S. 261, unter Verweis auf das Urteil des TC 252/1989 v. 20.12.1988, BOE 11 v. 13.1.1989, S. 39, 43 (II 2). 58 Vgl. STC 58!1982 v. 27. 7. 1982, BJC 1982, S. 757, 769 (II 4). 59 Bano Le6n, S. 77. 60 Zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichts über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts vgl. XVIII. Kap. I, Fn. 10. 61 In diesem Sinne auch Munoz Machado, S. 84, Fn. 76, der darüber hinaus davon ausgeht, daß das Verfassungsgericht die Durchführung als eine dem Staat zustehende Kompetenz ansieht, weshalb dieser auch Inhalt und Schranken der Verpflichtung konkretisieren könne. Der Autor selbst hält die Annahme einer Durchführungskompetenz des Staates aufgrund des bloßen Umstandes des Vertragsabschlusses durch den Staat nur ausnahmsweise ("en casos muy concretos") für zulässig (S. 84, Fn. 76 in fine), wendet sich aber zugleich gegen das Erfordernis einer ausdrücklichen Bestimmung im jeweiligen Autonomiestatut, ohne auf die Theorie einer impliziten Durchführungskompetenz der AG einzugehen. Die teilweise fehlende ausdrückliche Übernahme hält er gleichwohl für "erstaunlich", da eine entsprechende Bestimmung keine Übernahme von Kompetenzen im Bereich der völkerrechtlichen Beziehungen i.S. des Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE bedeute, die AG vielmehr ohnehin "auf den Gebieten zuständig [seien], die ihnen als eigene zugewiesen [seien]", auch wenn sie dabei die Beschränkungen und Bedingungen zu beachten hätten, die die völkerrechtlichen Übereinkünfte enthielten (S. 65). Munoz Machado geht damit von einer Kompetenzaufgrund der materiellen innerstaatlichen Kompetenzverteilung aus. 62 Vgl. Bano Le6n, S. 77.

VI. Kap.: Spanien

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über das Recht der Verträge zwar eine Verpflichtung der jeweiligen Vertragsparteien zur Erfüllung und damit zur Anwendung des Vertrages besteht, dem Staat aber das volle Bestimmungsrecht darüber verbleibt, auf welcher staatlichen Ebene und durch welche staatlichen Organe die eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden 63 • Aus einer solchen völkerrechtlichen Norm, die zudem dem Staat die vollständige innerstaatliche Organisationszuständigkeit im Hinblick auf die Erfüllung der Verträge überläßt, kann sich jedoch keinerlei Rückschluß für die Auslegung innerstaatlicher Bestimmungen ergeben, die den fraglichen Bereich regeln. Die Theorie von der impliziten Durchführungskompetenz der AG stößt schließlich auch im Hinblick auf die Konsequenzen, die diese für die Auslegung der Autonomiestatute hat, auf Bedenken. Wenn die Durchführungskompetenz einer AG "in toto" von der Intensität ihrer jeweiligen materiell-statutarischen Kompetenzen abhängt 64 , dann werden AG, die keinerlei Bestimmung über die Durchführung internationaler Verträge getroffen haben (Galizien, Kantabrien, Valencia, La Rioja), gleichwohl insoweit für zuständig erklärt. Das Bedenken, daß diese Autonomien - ihren entsprechenden politischen Willen unterstellt - trotz FehJens einer ausdrücklichen Regelung theoretisch letztendlich ein höheres Maß an Kompetenzen zur Durchführung besitzen könnten als jene Autonomien, die zumindest eine Regelung über die administrative Durchführung in ihrem Statut aufgenommen haben, wird mit dem Hinweis ausgeräumt, daß die AG beider Gruppen materielle, gemeinschaftsrechtsrelevante Kompetenzen jeweils nur im Rahmen bestehender staatlicher Gesetze übernommen hätten (so bei einem Vergleich der vier AG mit beschränkter Durchführungskompetenz einerseits mit Kantabrien oder La Rioja andererseits) bzw.- im Fall von Galizien und Valencia- die Unterschiede allein von dem höheren Kompetenzniveau dieser beiden Autonomien im Vergleich zu den Gemeinschaften mit beschränkter Durchführungskompetenz herrührten. Abgesehen davon, daß es sich hier um eine rein pragmatische Argumentation handelt, die auf die zufällige Kongruenz von materiell-rechtlicher Kompetenz und normierter "Durchführungsbereitschaft" bzw. "-fähigkeit" abstellt und deren Gültigkeit mithin schon in Form einer Statutsreform gern. Art. 147 Abs. 3 CE in Frage gestellt werden kann, vermag die zur Diskussion stehende Theorie nicht darzulegen, woraus sie für jene Statute, die keinerlei Regelungen über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge enthalten, eine diesbezügliche Verpflichtung ableiten will. So trifft ihr Argument, infolge der Unterscheidung zwischen impliziter Kompetenz nach Maßgabe der materiellen Kompetenzen des jeweiligen Statuts einerseits und Durchführungsverpflichtung kraft spezieller Statutsbestimmung andererseits erübrige sich zur Begründung einer DuchführungsverpflichVgl. Mangas Martin, S. 249. Vgl. Bano Le6n, S. 79, der sich dabei "zumindest" auf die Durchführung des Gemeinschaftsrechts bezieht. Aus dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen (S. 78 f.) wird jedoch deutlich, daß das Kriterium der materiellen Kompetenz für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge seiner Auffassung nach schlechthin gelten soll. 63

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

tung ein Rückgriff auf das Prinzip der Bundestreue, doch nur für solche Autonomiestatute zu, die eine spezielle Durchführungsbestimmung beinhalten. Zumindest bei den vier Statuten, in denen keine derartigen Regelungen enthalten sind, bleibt das Problem der Begründung einer Durchführungsverpflichtung virulent. Zusammenfassend betrachtet erscheint die Theorie von der impliziten Durchführung somit als ein fragwürdiger und kaum nachvollziehbarer Versuch, die im Rahmen der Aushandlung der Autonomiestatute entstandenen materiellen Kompetenzunterschiede bezüglich des Durchführungsproblems völkerrechtlicher Verträge durch eine Argumentation zu glätten, die nicht nur dem Wortlaut, sondern auch der verfassungsrechtlich-autonomiestatutarischen Systematik Zwang antut65. Zumindest was die Durchführung völkerrechtlicher Verträge angeht 66 , ist somit eine Zuständigkeit der AG nur insoweit zu bejahen, als entsprechende Vorschriften in den Autonomiestatuten sie hierzu ermächtigen. Dies hat zur Folge, daß sieben der siebzehn AG 67die Kompetenz zur legislativen und verordnungsgebenden sowie administrativen Durchführung völkerrechtlicher Verträge besitzen, wobei die materiellen Kompetenzen der Statute den Bereich begrenzen, auf dem sie in dieser Weise tätig werden dürfen. Weitere sechs AG 68 sind lediglich zur administrativen Durchführung völkerrechtlicher Verträge im Rahmen ihrer Kompetenzen befugt, die AG Galizien, Kantabrien, Valencia und La Rioja besitzen hingegen keinerlei Kompetenz zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge 69. Die autonome Durchführungskompetenz besteht jedoch selbst bei solchen Verträgen, die die jeweiligen ausschließlichen Kompetenzen der erstgenannten sieben AG berühren, nicht uneingeschränkt. Das Verfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, daß zwecks einer einheitlichen Interpretation eines völkerrechtlichen Vertrages ein staatliches Tätigwerden dann erlaubt ist, wenn dies im Hinblick auf die Entwicklung eines "Basisaspekts" erforderlich erscheint70. Die Durchführungskompetenz stellt sich in diesem Fall auch dann, "s Ablehnend auch La Pergola, REDC 13 (1985), S. 33.

66 Ob bezüglich der Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Sekundärakte noch andere Kriterien zu berücksichtigen sind, vgl. unten XVIII. Kap. I. und II. 67 Vgl. Art. 20 Abs. 3 Est.P.V.; Art. 27 Abs. 3 Est.cat.; Art. 23 Abs. 2 Est.and.; Art. 40 Abs. 2 Est.arag.; Art. 34 Est.C.-L.M.; Art 37 Abs. 2 Est.I.C.; Art. 33 Abs. 2 Est.madr.; vgl. hierzu Mangas Martfn, S. 264. 68 Vgl. Art. 12 lit. b Est.ast.; Art. 12 Abs. 2 Est.murc.; Art. 58 Abs. 2 i.V. m. Art. 42 Abs. 1 Est.nav.; Art. 9 Nr. 1 Est.ex.; Art. 12 Nr. 1 Est.I.B.; Art. 28 Nr. 7 Est.C.-L.; vgl. hierzu Mangas Martfn, S. 264; zu Murcia, ebd., insbes. S. 264 f. 69 Vgl. Mangas Mart[n, S. 258 f. Die Autorio wendet sich auch gegen eine generalisierende Auslegung der dreizehn Statute mit Ausführungsbestimmungen in dem Sinne, daß diese entweder alle nur zu administrativen oder alle zu legislativen, verordnungsgebenden und administrativen Durchführung berechtigen sollen (S. 264); ebenso Ruiloba Santana, s. 27. 70 Vgl. STC 26/1982 v. 24.5.1982, BJC 1982, S. 458, 465 (II 6) sowie STC 44/ 1982 V. 8. 7.1982, BJC 1982, s. 677, 684 f. (II 4 u. 7).

VII. Kap.: Italien

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wenn eine ausschließliche Kompetenz der AG betroffen ist, stets als eine "geteilte" Kompetenz dar. Daraus ergibt sich, daß der Staat, obwohl er nicht über einen gegenüber Art. 149 Abs. 3 CE speziellen Kompetenztitel verfügt, sich in die Durchführung einer völkerrechtlichen Vereinbarung im innerstaatlichen Bereich einschalten darf. Eine bloße Einwirkung des Völkervertragsrechts auf die Durchführungsmaßnahmen modifiziert mithin die ausschließliche Natur einer autonomen Kompetenz bezüglich einer bestimmten Materie und macht sie im Hinblick auf das erforderliche Tätigwerden des Staates zu einer bloß konkurrierenden Kompetenz 71 •

VII. Kapitel

Italien I. Verfassungsrechtliche Normierungen Die italienische Verfassung beinhaltet keine Norm, die in allgemeiner und umfassender Weise eine Aussage im Hinblick auf die Zuständigkeit des Zentralstaates für die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten trifft, was sich auch im Hinblick auf das Kompetenzverteilungssystem dieser Verfassung zu erübrigen scheint. Dies beruht auf der Vermutungswirkung einer zentralstaatlichen Allzuständigkeit, soweit nicht die in Art 117 CI ausdrücklich genannten Materien betroffen sind. Die Verfassung enthält allein zwei Bestimmungen über den Abschluß völkerrechtlicher Verträge, nämlich Art. 87 Abs. 8 CI sowie Art. 80 Cl, die dem Präsidenten der Republik die Zuständigkeit für die Ratifizierung 1 internationaler Verträge verleihen und die Zuständigkeit der Kammern regeln, durch Gesetz die Ermächtigung zur Ratifizierung internationaler Verträge verschiedenster Art zu erteilen. Hieraus kann entnommen werden, daß der italienische Verfassungsgeber von einer umfassenden Zuständigkeit des Zentralstaates für die Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten ausging, ein Befund, der im Rahmen der Analyse der regionalen Beteiligung bei Entstehung und Durchführung völkerrechtlicher Verträge bestätigt wird. Unstreitig haben die italienischen Regionen damit mangels Völkerrechtssubjektivität keine Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, die _eine rechtliche und politische Verantwortung des Staates nach sich ziehen 2 • Allein die Frage einer Beteiligung der Regionen bei der Ausarbeitung der nationalen außenpolitischen Leitlinien im Rahmen 11 Vgl. hierzu Mufioz Machado, S. 83, Fn. 76, der nur ausnahmsweise ein staatliches Tätigwerden zulassen will. I Zu diesem nach der italienischen Doktrin weit auszulegenden Begriff vgl. D onnarumma, S. 17, Fn. 10.

z Carbone, S. 46.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

einer Kooperation zwischen Staat und Regionen im Falle der Betroffenheit regionaler Interessen sowie bei der Durchführung völkerrechtlicher Verträge bildet daher einen Erörterungsgegenstand in der italienischen Verfassungsrechtsprechung und Literatur.

II. Regionale Beteiligung beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge Die italienische Verfassung sieht keinerlei Ausnahmen von der Zuständigkeit des Zentralstaates zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge vor noch beeinhaltet sie Formen der Einbeziehung der Regionen in den Verhandlungsprozeß. Eine Regionalkammer, die einen gewissen regionalen Einfluß auf die auswärtigen Angelegenheiten hätte nehmen können, wurde von der italienischen Konstituante nicht geschaffen. Die verfassungsrechtlichen Vorschriften, die den Regionen ein gesetzliches Initiativrecht (Art. 121 Abs. 2 Cl) bzw. ein Initiativrecht für einen Volksentscheid (Art. 75 Abs. 1 i.V. m. Art. 138 Abs. 2 Cl) verleihen, können ebensowenig wie die Teilnahme der Regionen an der Wahl des Staatspräsidenten eine wirksame und dauerhafte Einwirkung auf die nationale Außenpolitik sicherstellen. Aus diesen Vorschriften kann daher kein allgemeiner, in der Verfassung enthaltener und auch für die Materie der auswärtigen Angelegenheiten geltender Grundsatz einer Zusammenarbeit zwischen der Zentralgewalt und den regionalen Einheiten entnommen werden 3 • Dies ist auch nicht unter Hinweis auf Art. 5 CI möglich, da diese Vorschrift zu allgemein gehalten ist, um ein Kooperationsprinzip zwischen Staat und Regionen hieraus abzuleiten. Vielmehr läßt Art. 5 CI hinsichtlich dieser Beziehungen mehrere Interpretationsmöglichkeiten angesichts des insoweit höchst lückenhaften Verfassungstextes zu 4 • Die durch die insoweit bestehende Lückenhaftigkeit des italienischen Verfassungstextes verursachten Hindernisse einer Beteiligung der italienischen Regionen im Wege der Kooperation können auch nicht durch einen Rückgriff auf die in einigen Spezialstatuten enthaltenen Bestimmungen über Kooperationsformen zwischen dem Staat und diesen Regionen beseitigt werden. Weder Art. 52 Abs. 1 St. sard. noch Art. 74 St. T.A.A. noch Art. 47 Abs. 2 St. F.V.G. stellen das zugunsten des Zentralstaates wirkende Prinzip des konzentrierten treaty makinR process oder dessen treaty making power in Frage, da diese Normen im Rahmen von Verfassungsgesetzen - entgegen einer Ansicht im italienischen Schrifttum 5 - nicht im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes interpretiert werden können, der im Wege der Analogie allen italienischen Regionen das Recht auf 3 4

Vgl. Salerno, RDI LXV (1982), S. 510. Vgl. Salerno, ebd., S. 510 f.; d'Atena, S. 118 f .; a.A. vertritt Caretti, S. 173,340 f.

VII. Kap.: Italien

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Beteiligung in auswärtigen Angelegenheiten bei einer Tangierung von Regionalinteressen gewährt. Für eine solche Interpretation, die sich auf eine sehr zweifelhafte Interpretation des Art. 5 CI stützen würde, findet sich keinerlei Anhaltspunkt im Willen des Verfassungsgebers, der eine Regionalbeteiligung allein auf Fragen der Handelspolitik mit dem Ausland beschränkt wissen wollte, und zwar allein für solche Regionen, die hinsichtlich ihrer geographisch- ökonomischen Situation wie auch ihrer Stellung im Verfassungsrechtssystem eine Sonderposition einnehmen 6 • Die zum Zeitpunkt des Erlasses der Sonderstatute herrschenden rückständigen Regionalstrukturen begünstigten nicht die Ausbildung einer modernen Regionalkultur, die die Verbindungen zwischen der regionalen und der internationalen Wirklichkeit hätte berücksichtigen können. Zudem war die Einwirkung der internationalen Gesetzgebung auf die staatliche Ordnung und vor allem auf die regionalen Kompetenzen weit weniger ausgeprägt, so daß für das Erfordernis einer Regionalbeteiligung bei der Ausarbeitung dieser Normen kein derartiges Bedürfnis bestand. Schließlich wollten die in der Konstituante vorherrschenden politischen Kräfte die überkommenen zentralstaatlichen Mechanismen beibehalten und zwecks Wahrung der Stabilität die Institutionalisierung der "Region mit Normalstatut" nicht noch begünstigen 7• So ist mit der Zeit die "zentralistische Option" zu einer Verfassungsgewohnheit8 geworden, wonach die Zentralgewalt eine ausschließliche Kompetenz in auswärtigen Angelegenheiten besitzt, die nur teilweise- und zwar in Randbereichen- durch eine Regionalbeteiligung bei der Führung der Außenpolitik durchbrochen wurde. Dieses sich herausbildende Verfassungsgewohnheitsrecht, das das Verhältnis des Zentralstaates zu den Regionen in Fragen auswärtiger Angelegenheiten bestimmte, fand Rückhalt in der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes (Corte Costituzionale). Bereits 1960 unterstrich der Gerichtshof die Existenz eines staatlichen Vorbehalts für die internationalen Beziehungen, wobei er darlegte, daß die Regionen in diesem Bereich keinerlei Einflußmöglichkeiten hätten 9 • In den Urteilen aus den Jahren 1963 10 und 1967 11 wurde vom Verfassungsgerichtshof jegliche Zuständigkeit der Regionen für die völkerrechtlichen Beziehungen im Hinblick auf die Einheit des italienischen Staates sowie die Gefahr eines möglichen rechtswidrigen Handeins innerhalb oder außerhalb der s Carbone, RDIPP 1974, S. 62 ff.; ders., Le regioni, S. 32; Sapienza, RDI 1981, S. 598; Scerni, S. 271. Vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen d' Atena, S. 113 ff.; Caretti, S. 329 f. 6 D'Atena, S. 114ff.; Salerno, RDI LXV (1982), S. 513 f.; Strozzi, Regioni, S. 172,

Fn. 55. 7 Salerno, ebd., S. 514, 516. s Salerno, ebd., S. 517, Fn. 43, mit weiterführenden Literaturhinweisen. 9 CC Urteil Nr. 32/1960, Giur.cost. 1960, S. 556. 10 CC Urteil Nr. 49/1963, Giur.cost. 1963, S. 219. II CC Urteil Nr. 44/1967, Giur.cost. 1967, S. 264, 269.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

regionalen Rechtsordnung ausgeschlossen. Hingegen unterließ es der Gerichtshof, in irgendeiner Form eine Regionalbeteiligung im Fall einer Ingerenz der Außengewalt auf die Regionalkompetenzen anzumahnen. Da es für die die innerstaatliche Kompetenzverteilung außerachtlassende Judikatur des Verfassungsgerichtshofes außer dem Schweigen der Verfassung keinerlei Anhaltspunkte gab, stützte sie sich auf eine Wertung der sog. "nationalen Interessen" 12, ein Kriterium, das in der italienischen Verfassungsordnung sowie in allen Sonderstatuten (mit Ausnahme des sizilianischen) als Begrenzung für die regionalen Kompetenzen angegeben wird 13 • Dem Gerichtshof ist insoweit der Vorwurf gemacht worden, unkritisch die diesbezügliche Argumentation der zentralen staatlichen Organe übernommen zu haben, für die ein staatliches Tätigwerden zur Wahrung angeblicher ,,nationaler Interessen" immer schon ausgereicht habe, um eine "Enteignung" der Regionen bzgl. ihrer eigenen Kompetenzen zu rechtfertigen. Damit habe der Verfassungsgerichtshof die ursprüngliche Konzeption der Begrenzung durch das "nationale Interesse" pervertiert. Dieses sei von der Verfassung nämlich nicht als autoritative Vorherbestimmung staatlicher Zuständigkeiten, sondern vielmehr als Maßstab für eine ex post-Beurteilung des Vollzugs durch die Regionen in Ausübung ihrer eigenen Kompetenzen gedacht gewesen 14• Die Rechtsprechung 15 gründete ihre restriktive Haltung gegenüber den regionalen Autonomien des weiteren auf das Kriterium der territorialen Begrenzung der Regionalgewalt, welches in Art. 14 St.sic. ausdrücklich anerkannt wird, darüber hinaus aber für alle Regionen von allgemeiner Bedeutung ist 16• Aufgrund der Beschränkung der Regionen im legislativen wie auch im administrativen Bereich auf ihr jeweiliges Territorium sind die zentralen staatlichen Organe damit in jenen Angelegenheiten handlungsbefugt, welche über das Gebiet einer Region hinausreichen. Auch bei diesem Kriterium besteht die Gefahr, mit der bloßen Behauptung eines - wenn auch vermeintlichen - nationalen Interesses, die Notwendigkeit einer einheitlichen Lösung für die gesamte innerstaatliche Rechtsordnung unter Umgehung der regionalen Kompetenzen zu begründen. Diese Gefahr ist insbesondere im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten gegeben, wo eine Vermengung der Kriterien des "nationalen Interesses" und der "territorialen Begrenzung" zur Bejahung einer staatlichen Zuständigkeit in Bereichen führen kann, die andernfalls den Regionen vorbehalten sind 17 • Eine gewisse Beteiligung der italienischen Regionen in Form einer Zusammenarbeit mit dem Zentralstaat im Rahmen der auswärtigen Angelegenheiten ist Vgl. hierzu insbesondere Bartholini, Interesse nazionale. Vgl. bereits III. Kap. IV.2.e)cc). 14 Vgl. Condorelli, PD 1973, S. 230 f.; Salerno, RDI LXV (1982), S. 520; 15 CC Urteil Nr. 28 v. 8.4.1958, Giur.cost. 1958, S. 118 (123); CC Urteil Nr. 21 v. 17.4.1968, Giur.cost. 1968, S.396 (411); CC Urteil Nr.170 v. 3.7.1975, Giur.cost. 1975, s. 1448 (1451). 16 Vgl. bereits III. Kap. IV.2.e)aa) (1). 17 Salerno, RDI LXV (1982), S. 521. 12

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VII. Kap.: Italien

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bisher, wie zu zeigen sein wird, abgesehen vom Bereich der Ausarbeitung des europäischen Gemeinschaftsrechts, nur sehr marginal erfolgt: Den Regionalpräsidenten wurde im Rahmen der Sonderstatute das Recht eingeräumt, an den Sitzungen des Ministerrates teilzunehmen, soweit die jeweiligen Interessen der Regionen berührt sind, und zwar im Fall Siziliens mit beschließender - faktisch aber ebenfalls nur mit beratender - Stimme und im Rang eines Ministers (Art. 3 St.sic.), im übrigen mit beratender Stimme (Art. 44 Abs. 2 St.V.A.; Art. 34 Abs. 1 St.T.A.A.; Art. 47 Abs. 2 St.sard.; Art. 44 St. F.V.G.) 18 • Nichts hindert daran, daß die Regionen dieses Recht auch im Hinblick auf das Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge geltend machen, soweit hierdurch Materien betroffen sind, die der Zuständigkeit der jeweiligen Region vorbehalten sind, insbesondere wenn eine normative Ausgestaltung durch den Vertragsstaat erforderlich ist 19• Jedoch kann eine Verpflichtung des Staates zu einer Kooperation mit den Regionen hieraus nicht abgeleitet werden 20 • Was den Anspruch der italienischen Regionen auf ein unmittelbares Tätigwerden auf internationaler Ebene angeht, so haben sie Eigeninitiativen entwickeln können, soweit die zentralen Organe vorbereitend die Leitlinien bzw. den Rahmen der entsprechenden außenpolitischen Aktionen festgelegt haben. Infolge dieser flexibleren Konzeption des staatlichen Vorbehalts für internationale Beziehungen konnten einige Formen der "Dezentralisierung" der auswärtigen Politik verwirklicht werden, ohne daß die Vorrangstellung des Staates in diesem Bereich und der Grundsatz der Einheit der Rechts- und Staatsordnung nach Art. 5 CI beeinträchtigt worden wären 21 • Da diese Konzeption noch keinerlei Niederschlag in einer gesetzlichen Regelung findet, kann sie die traditionelle verfassungsrechtliche Ordnung im Hinblick auf die auswärtigen Beziehungen nicht modifizieren 22 • So wurde in der ersten Phase der Übertragung administrativer Funktionen auf die Regionen mit Normalstatut das zuvor verfassungsrechtlich gefestigte "Gewohnheitsrecht" des Staates bestätigt, indem die ausschließliche Kompetenz der staatlichen Exekutive für die internationalen Beziehungen festgestellt und eine Vgl. hierzu aber bereits III. Kap. IV.l. Vgl. La Pergola, REDC 13 (1985), S. 11; Morviducci, IYIL 1976, S. 206 f.; Strozzi, Regioni, S. 181 ff., der eine solche Beteiligung unter dem Aspekt "innerstaatlicher Legitimität" im Hinblick auf alle Regionen für erforderlich hält. 2o In "institutioneller'' Hinsicht kann noch auf die Einrichtung eines Büros beim Außenministerium hingewiesen werden, das mit der Pflege der Konktate zu den Regionen betraut ist. Zudem sind einige Regionalvertreter im Verwaltungsrat des Instituts für den Außenhandel vertreten gern. Art. 7 des D.P.R. Nr. 818/1978; vgl. Carbone, S. 46; Salerno, RDI/LXV (1982), S. 526; aus der Praxis ist im Rahmen dieser Beteiligungsphänomene die Beteiligung der Region Friau1-Julisch-Venetien beim Abschluß des Vertrages von Osimo zwischen Italien und Jugoslawien auf dem Gebiet der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit v. 10. 11. 1975 zu nennen, wo Regionalvertreter in der italienischen Verhandlungsdelegation beteiligt waren. Vgl. hierzu Conetti, RDI LX (1977), S. 455 ff. ; Salerno, RDI LXV (1979), S. 622 ff. 21 Vgl. Salerno, ebd., S. 530 ff. 22 Salerno, ebd., S. 535 18

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

äußerst begrenzte Ausnahme lediglich für Förderungsmaßnahmen der Regionen im Ausland im Bereich des Tourismus anerkannt wurde 23 . Anläßlich der Regionalreform bekräftigte das Verfassungsgericht seine Auffassung, wonach die Regionalkompetenzen, die von den auswärtigen Beziehungen des Staates berührt werden, beschränkt werden dürfen, und der Staat die ausschließliche Kompetenz bei einem Tätigwerden gegenüber anderen Staaten und internationalen Organisationen besitzt 24 • Dieser Rechtsprechung ist aber darüber hinaus zu entnehmen, daß eine entsprechende Aktivität der Regionen mit völkerrechtlicher Relevanz so lange nicht als eine Beeinträchtigung der Einheit des Staates im völkerrechtlichen Bereich angesehenwerden kann, als sie keine rechtlich bedeutsamen Tatsachen schafft, sondern sich die Kontakte im Rahmen eines Informations- und Erfahrungsaustausches bewegen 25 . Durch eine Verordnung des Präsidenten des Ministerrates vom 11. März 1980 wird die Möglichkeit eines gültigen Abschlusses von Abkommen, Vereinbarungen oder anderen förmlichen Akten zwischen den Regionen und ausländischen Staaten ausdrücklich ausgeschlossen, wodurch jene Pflichten übernehmen oder Erklärungen abgeben, die sich auf die nationale Politik beziehen. In keinem Fall dürfen sich aus den regionalen Aktivitäten mit auswärtigem Bezug Verpflichtungen, Verbindlichkeiten oder Lasten für den Staat ergeben26, Unter dem Aspekt innerstaatlicher Legitimität ist jedoch eine über diese Praxis deutlich hinausgehende Beteiligung der Regionen im Rahmen der Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge zu fordern, soweit deren Kompetenzen aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung betroffen sind und eine normative Ausgestaltung durch den Vertragsstaat notwendig ist. 23 Vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a des Regionalfinanzgesetzes Nr. 281/1970 v. 16.5.1970 (G.U. Nr. 127 v. 22.5.1970), wonach dem Staat bzgl. der auf die Regionen übertragenen Sachgebiete die "Funktion der Lenkung und Koordinierung" für die entsprechenden regionalen Tätigkeiten vorbehalten bleibt, "auch im Hinblick [ ... ] auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen"; vgl. desweiteren die auf dieser Grundlage erfolgten Erlasse: Art. 3 und 4-des D.P.R. 6/1972 v. 14.1.1972 bzw. Art.. 4 Abs. 2 des D.P.R. 616/1977 v. 24. 7.1977; hierzu Strozzi, Le Regioni 1978, S. 933 f. 24 CC Urteil Nr. 37 I 1972, Giur.cost. 1972, S. 164; CC Urteil Nr. 138/1972, Giur.cost. 1972, S. 1393 ff.; CC Urteil Nr. 139/1972 v. 6. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1407 ; CC Urteil Nr. 203/1974, Giur.cost. 1974, S. 1706; vgl. schießlieh auch das Urteil Nr. 179/ 1987, Giur.cost. 1987, S. 1288 (1296). 25 Vgl. CC Urteil Nr. 170/1975, Giur.cost. 1975, S. 1451, bzgl. eines zwar bereits unterzeichneten, vom Regionalrat aber noch nicht gebilligten "Freundschafts- und Zusammenarbeitsvertrages" zwischen der Region Umbrien und dem Land Potsdam; vgl. hierzu Condorelli, IYIL 1976, S. 309 ff.; Salerno, RDI LXV (1982), S. 536 f.; Morviducci, IYIL 1976, S. 221, gelangt zu dem Ergebnis, durch die Entscheidung sei die Position des Zentralstaates in internationalen Angelegenheiten untergraben worden; die den Regionen bzgl. ihrer außenpolitischen Aktivitäten auferlegten Grenzen seien weniger weitreichend, als dies zunächst scheine. Vgl. zu diesem regionalen Handlungsbereich jüngst das Urteil des Verfassungsgerichts v. 22.5.1987, Giur.cost. 1987, S. 1288 (1298), wo allerdings eine vorherige Einwilligung der nationalen Regierung verlangt wird. 26 Vgl. Art. 1 lit. f. dieser Verordnung, G.U. v. 17.4.1980, Nr. 106, S. 3419.

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111. Transformation und Vollzug völkerrechtlicher Verträge nach der italienischen Rechtsordnung Die italienische Verfassung beschränkt sich auf die Regelung des Verfahrens der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge, trifft jedoch keine Aussage über das Verfahren der innerstaatlichen Verbindlichrnachung 27 und Implementation.

1. Ratifikationsgesetz und Erteilung des Anwendungsbefehls Das Ratifikationsgesetz kommt in der Weise zustande, daß gemäß Art. 72 Abs. 4 CI bei Gesetzesentwürfen über die Ermächtigung zur Ratifizierung internationaler Verträge das "normale Verfahren der Prüfung und Annahme durch die Kammer selbst" (Art. 72 Abs. 4 i.V. m. Art. 72 Abs. 1 Cl) angewandt wird. Ein Volksentscheid über die Ermächtigung zur Ratifizierung ist gemäß Art. 75 Abs. 2 CI nicht möglich 28 • Die Ermächtigung muß gemäß Art. 80 CI durch Gesetz erteilt werden, sofern es sich um internationale Verträge handelt, die politischer Natur sind. Der Begriff "Gesetz" ist hier im formellen und materiellen Sinn zu verstehen 29 • Aus Art. 80 CI i. V. m. Art. 87 Abs. 8 CI wird geschlossen, daß die Ermächtigung zur Ratifizierung vom Parlament vor Abschluß des Vertrages erteilt werden muß 30• Hiermit komme nicht nur die Bedeutung der parlamentarischen Ermächtigung im Rahmen des staatlichen Willensbildungsprozesses zum Ausdruck, sondern es werde damit auch eine Mindestgewährleistung für die Beachtung der Regionalautonomie sichergestellt. Ohne vorherige Ermächtigung könne keine Einschränkung der Regionalautonomie durch einen völkerrechtlichen Vertrag erfolgen, da die Regionen an die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen nicht gebunden seien. Ein bloß nachträgliches Zustimmungsgesetz reiche mithin allenfalls aus, um den Staat auf völkerrechtlicher Ebene zu binden, nicht aber, um innerstaatlich eine Änderung der verfassungsrechtlich geordneten institutionellen Kompetenzverteilung zu rechtferigen. Allein durch die vorherige Ermächtigung werde das Parlament gezwungen, im Sinne des nationalen Interesses 27 Die These Quadris, S. 46 f., von einer automatischen Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen aufgrund des Art. 10 Abs. 1 CI wird von der h. M. abgelehnt. Vgl. hierzu unten Fn. 50. 28 Nach der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichts gilt dies auch für das Durchführungsgesetz: vgl. CC Urteil Nr. 16/1978, Racc.Uff. LI, S. 127 ff.; CC Urteil Nr. 30/1981, Racc.Uff. LVII, S. 245 ff.; CC Urteil Nr. 31/1981, Racc.Uff. LVII, s. 255 ff. 29 Vgl. Donnarumma, S. 19, Fn. 12; soweit Art 80 Cl einschlägig ist, genügt ein Gesetz im materiellen Sinne, wenn nach der innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung für eine völkerrechtlich geregelte Materie eine Zuständigkeit der Exekutive besteht: vgl. Donnarumma, S. 37, Fn. 52. 30 Strozzi, Regioni, S. 191.

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die sich aus einem Vertrag ergebenden Verpflichtungen und seine Konsequenzen abzuschätzen. Das Ratifikationsgesetz verleiht dem internationalen Vertrag zugleich Wirkung im innerstaatlichen Bereich, so daß ihm der Effekt eines Anwendungsbefehls (ordine di esecuzione)3 1 zukommt 32 • Die fast einhellige Meinung im italienischen Schrifttum 33 und in der Rechtsprechung 34 geht bezüglich völkerrechtlicher Verträge und Übereinkommen, die der italienische Staat geschlossen hat, von der Notwendigkeit eines solchen Anwendungsbefehls aus. Damit soll im Rahmen einer Primärdurchführung als ad-hoc-Maßnahme die Anordnung der Durchführung des jeweiligen Vertrages erteilt werden, um ihm so Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung zu verschaffen und diese dem Vertrag zumindest im Bereich der intersubjektiven Rechtsbeziehungen anzupassen. Im Falle des Fehlens einer solchen Anordnung fehle andernfalls eine Verpflichtung der Richter und anderer Rechtsanwender, die völkerrechtliche Übereinkunft anzuwenden. Ein Anwendungsbefehl wird dabei unter Berufung auf die von der Verfassungsrechtsprechung35 gebilligte Staatspraxis von einem Teil der Lehre 36 sowohl für die Verträge, die self-executing sind als auch für solche, die nicht self-executing sind, als notwendig erachtet, wobei im letzteren Fall eine unverzügliche Anwen31 Ebenso wie (noch) die deutsche Staatspraxis beruht auch die Staatspraxis Italiens auf der von der deutschen (vgl. H. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht) und italienischen (vgl. D . Anzilotti, 11 diritto internazionale nei giuridici interni) Rechtswissenschaft entwikkelten Transformationslehre. Danach können Völkerrechtsnormen als solche in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht angewandt werden, sondern bedürfen zuvor einer Umgießung in staatliches Recht, wobei ihr Geltungsgrund abgeändert, sie auf neue Adressaten erstreckt und schließlich auch ihr Inhalt infolge der Einfügung in ein anderes Rechtssystem verändert wird; vgl. Partsch, S. 18. Die Vollzugslehre wurde in ihrer modernen Form ebenfalls von Anzilotti, a.a.O., begründet, beherrschte aber bereits vorher die Gerichtspraxis zahlreicher Staaten. 32 Vgl. La Pergola, REDC 13 (1985), S. 21. 33 Vgl. Biscottini, RDI 1974, S. 204 ff.; La Pergola , Costituzione, S. 109 ff.; Monaco, s. 229 ff. 34 CC Urteil Nr. 28/1982, Racc.Uff. LIX, S. 293 ff. 35 Zu den Hintergründen vgl. unten Fn. 54 ff. 36 Strozzi, ebd., S. 48, 154:" . . . nella prassi, l'ordine di esecuzione viene usato pressoche per tutti i trattati, indipendentemente dal loro contenuto e dal loro effettivo carettere self-executing". Der italienische Gesetzgeber ordnet jedem zustimmungsbedürftigen Vertrag ohne Rücksicht auf dessen Inhalt die "Vollstreckungsklausel" zu. Dementsprechend sieht auch die italienische Rechtsprechung im Anwendungsbefehl nur den Transformator des Vertragsrechts in innerstaatliches Recht und prüft die unmittelbare Anwendbarkeit völlig unabhängig von diesem Befehl. Die herrschende Ansicht im italienischen Schrifttum differenziert hingegen zwischen Vertragsnormen mit unmittelbarer Anwendbarkeit und solchen, die einer innerstaatlichen Durchführung bedürfen. Ein Anwendungsbefehl soll danach nur ergehen, wenn der Vertrag internationale Normen enthält, deren Inhalt unmittelbar in innerstaatliches Recht übernommen werden kann oder wenn er internationale Normen enthält, aus denen der Inhalt entsprechender innerstaatlicher Normen abgeleitet werden kann. Das soll nicht der Fall sein, wenn es sich nur um eine staatliche Verpflichtung zur Gesetzgebung oder um internationale Normen handelt, die unvollständig geblieben sind; vgl. Bleckmann, Begriffund Kriterien, S. 24 ff. m.w.N.

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dung im innerstaatlichen Bereich sichergestellt werden soll. Im Fall von Normen, die self-executing sind, fallen die Primärdurchführung in Form der Erteilung des Anwendungsbefehls und die Sekundärdurchführung hiernach regelmäßig zusammen. Der Anwendungsbefehl bewirkt eine endgültige, vollständige und einheitliche Angleichung der innerstaatlichen Rechtsordnung an die Völkerrechtsnorm 37 • Die Gegenansicht verweist hingegen darauf, daß es in der italienischen Verfassungsordnung keine ausdrückliche Vorschrift gebe, die einen derartigen Anwendungsbefehl verlange, und sich insoweit auch kein Verfassungsgewohnheitsrecht entwickelt habe, da mehr als 60 Prozent aller von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verträge ohne einen vorherigen Anwendungsbefehl von den innerstaatlichen Rechtsanwendern beachtet würden 38 • Eine völkerrechtliche Vereinbarung sei mithin, sofern sie unter Beteiligung der zuständigen Verfassungsorgane eingegangen worden sei, nach ihrer Veröffentlichung auch innerstaatlich geltendes und wirksames Recht, ohne daß hierfür irgendeine weitere Maßnahme erforderlich sei. Der für eine prozentual geringfügige Anzahl von Übereinkünften im Rahmen des Ratifikationsgesetzes erteilte Anwendungsbefehl stelle sich mithin als bloßer Überrest einer Theorie bzw. Praxis dar, die der historischen Vergangenheit angehöre 39 • Die Untersuchung der Kompetenzverteilung zwischen Zentralstaat und Regionen im Hinblick auf die Anwendung des völkerrechtlichen Primär- oder Sekundärrechts habe sich daher auf das Problem der Zuständigkeit für den Erlaß der hierfür erforderlichen Ergänzungsnormen (adattamento secondario 40) zu beschränken 41 •

2. Der innerstaatliche Vollzug nicht unmittelbar anwendbarer völkerrechtlicher Verträge a) Die zentralistische These

Hinsichtlich der Kompetenverteilung zwischen Staat und Regionen bei der Ausarbeitung der innerstaatlichen Ausführungsgesetzgebung, die zur innerstaatlichen Anwendung des völkerrechtlichen Primär- und Sekundärrechtes notwendig ist, haben sich im italienischen Schrifttum und in der Verfassungsrechtsprechung mehrere "zentralistische Theorien" herausgebildet, die alle in unterschiedlichem Maße eine Kompetenz des Staates zur legislativen und administrativen AusfühStrozzi, Regioni, S. 153. Donnarumma, S. 39 f. 39 Donnarumma, S. 42; auch für Strozzi, ebd., S. 50, hat der Vollzugsbefehl einen bloß formalen Inhalt und ist kein Akt von substantieller Natur. 40 Als "adattamento primario" wird demgegenüber der "Anwendungsbefehl" bzw. die "Transformation" ohne die jeweilige Durchführungsgesetzgebung bzgl. nicht unmittelbar anwendbarer Normen bezeichnet. Vgl. Strozzi, Regioni, S. 7 41 Donnarumma, S. 53 ff. 37

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rung des internationalen Rechts annehmen. Unter Hinweis auf Art. 5 CI wird die Zuständigkeit des Staates zur innerstaatlichen Ausführung des völkerrechtlichen Vertragsrechts aus dem Grundsatz der Einheit und Unteilbarkeit der Republik42 bzw. aus der Notwendigkeit einer einheitlichen Umsetzung 43 oder aus Art. 80 CI hergeleitet. Im Schrifttum dominieren vor allem die These von Antonio La Pergola bezüglich der Existenz einer ausschließlichen staatlichen Gesetzgebungsmaterie, die die auswärtigen Beziehungen betreffe, sowie die These von Livio Paladin über eine Konnexkompetenz des Staates für Angelegenheiten der Durchführung völkerrechtlichen Primär- und Sekundärrechtes. La Pergola 44 geht von einer Materie der "auswärtigen Angelegenheiten" aus, die einen Gesetzgebungsbereich darstelle, für den die Regionen keine Kompetenzen besäßen und der daher implizit gemäß Art. 70 CI dem Staat zustehe. Es handele sich insoweit um eine "diffuse-Materie" (materia acefala), deren Inhalt nicht abstrakt festgelegt werden könne. Ihr Inhalt müsse nach dem jeweiligen Inhalt der völkerrechtlichen Vertragsnormen bestimmt werden. Daraus ergebe sich, daß sich der Kompetenzbereich der für die auswärtigen Angelegenheiten zuständigen Gesetzgebungsorgane ausdehne oder verenge, und zwar je nach den Veränderungen und Verschiebungen, die sich im Bereich der Außenbeziehungen des Staates infolge der Setzung, Änderung oder der Außerkraftsetzung von völkerrechtlichen Vertragsnormen ergäben. Somit komme es zu einer Einwirkung auf die Kompetenzsphäre anderer Organe, wenn die völkerrechtlichen Normen einen Regelungsbereich zum Inhalt hätten, derangesichtsder ansonsten anzuwendenden Kriterien der legislativen Kompetenzverteilung den typischen Inhalt verschiedener staatlicher sowie regionaler Materien bilde 45. Im Falle einer Überschneidung der ausschließlichen Kompetenz des Staates für auswärtige Angelegenheiten mit Kompetenzen der Regionen begrenze die außenpolitische Kompetenz des Staates die Regionalkompetenz. Voraussetzung hierfür sei jedoch die konkrete Ausübung dieser Kompetenz durch den Staat, wodurch diese den Charakter einer konkurrierenden Kompetenz erlange. Soweit der Staat tätig werde, führe dies zum Ausschluß einer nachfolgenden Handlungsmöglichkeit der Regionen46.

Die Konnextheorie Paladins 41 setzt die Existenz eines Residualbereiches von nicht ausdrücklich in der Verfassung genannten Kompetenzen voraus, der sich bei einer rationalen Auslegung darauf gründe, daß notwendigerweise an die ausdrücklichen Kompetenzen auf der Grundlage einer logisch-systematischen 42 Vgl. Pierandrei, GI 1949, S. 285. 43 Mortati, S. 941. 44 La Pergola, Note, S. 1050 ff. 45 La Pergola, ebd., S. 1073. 46 La Pergola, ebd., S. 1074 ff. 47 Paladin, RTDP 1959, S. 431 ff.

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Interpretation der positiven Verfassungsordnung angeknüpft werden müsse. Dies spreche zunächst für eine Vermutung zugunsten des Bestehens einer Regionalkompetenz zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge auf allen Gebieten, die in die Kompetenzen der Regionen fielen. Anders sei dies aber im Fall eines Konnexes zu beurteilen, also dann, wenn die Zuweisung einer Kompetenz an den Staat oder an die Regionen nicht nur sachgemäß, sondern darüber hinaus rechtlich unabdingbar sei, und zwar im Hinblick auf die Ausübung der ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen 48 • Diese werde andernfalls zwar nicht unmöglich, aber vollkommen ineffektiv gemacht. Eine so definierte Verknüpfung von geschriebenen und ungeschriebenen Kompetenzen bestehe in der italienischen Verfassungsrechtsordnung zwischen der Zuständigkeit zum Abschluß und jener zur Ausführung völkerrechtlicher Verträge. Der Staat könne im Bereich der ausschließlichen oder gar konkurrierenden Regionalkompetenzen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nur dann gerecht werden, wenn er die in den Verträgen verankerten Anweisungen im Rahmen der Durchführung in innerstaatliches Recht durchsetze und dabei - insoweit vertritt Paladin nur eine gemäßigtzentralistische These- den regionalen Gebietskörperschaften allein jenen Regelungshereich überlasse, der eine Ermessensausübung bei der Anwendung des Rechts erfordere 49 • Die Verknüpfung von Vertragsabschluß und -ausführung ergebe sich aus folgenden Umständen: wenn bei der Ausführung von völkerrechtlichen Verträgen, die Materien mit regionalem Bezug beträfen, eine Zuständigkeit der zentralen staatlichen Organe verneint werde, werde dadurch notwendigerweise die treaty making power auf den Bereich der materiell-staatlichen Kompetenzen (Gesetzgebungskompetenzen) beschränkt. So werde ein Vakuum geschaffen, in dem weder der Zentralstaat noch die Regionen - letztere mangels einer Vertragsabschlußkompetenz- sich völkerrechtlich auf vertraglichem Weg binden könnten. Darüber hinaus folge aus dem Fehlen einer eigenen treaty making power der Regionen die fehlende Kompetenz zur Ausführung der Verträge. Schließlich gebe es in der italienischen Rechtsordnung kein geeignetes Mittel, um die Durchführung der völkerrechtlichen Verträge durch die Regionalorgane zu gewährleisten, was jedoch nicht mit Art. 10 CI vereinbart werden könne, wonach den Staat die Verpflichtung zur Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen treffe 50• Paladin, ebd., S. 433. Paladin, ebd., S. 460, Fn. 60. so Zwar bezieht sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts (CC Urteil Nr. 32 v. 18.5. 1960, Giur.cost. 1960, S. 537 ff.) Art. 10 CI nur auf die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, nicht hingegen auf einzelne, vom Staat vertraglich übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen; ihm folgt die herrschende Meinung: vgl. etwa Panzera, RDI 1972, S. 256; Donnarumma, S. 34 ff., wonach im Hinblick auf das Problem der Durchführung völkerrechtlicher Verträge ein argumentatorischer Rückgriff auf Art. 10 Abs. 1 CI unzulässig ist, da der Grundsatz pacta sunt servanda kein Bezugsobjekt für diese Bestimmung darstellt und diesem Grundsatz zudem keine Aussage über eine automatische Anpassung des innerstaatlichen Rechts an das völkerrechtliche 48

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Die erst über zwei Dekaden nach Verabschiedung der Verfassung erlassenen Gesetze über die Übertragung von Legislativ- und Administrativfunktionen an die Regionen im Rahmen einer Delegation haben im Sinne der zentralistischen These die Aufgabe der Lenkung und Koordinierung der regionalen Aktivitäten, die einschließlich der sich aus den völkerrechtlichen Vereinbarungen ergebenen Verpflichtungen einheitlicher Regelungen bedürfen, dem Staat zugewiesen 51 • Demzufolge hat der delegierende Gesetzgeber an der Kompetenz des Staates für die völkerrechtlichen Beziehungen festgehalten. Erst im Delegierungsgesetz 616/ 1977, das nochmals im Hinblick auf die Erfordernisse der Einheitlichkeit die Lenkungs- und Koordinierungsfunktion auch bzgl. der Materien der völkerrechliehen Beziehungen und des Gemeinsamen Marktes dem Staat zuweist (Art. 4 ), ist für den letztgenannten Bereich eine gewisse Durchbrechung des staatlichen Ausführungsmonopols erfolgt 52 , dem jedoch ein Umschwung in der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes vorausging 53 •

b) Die Rechtsprechung des Corte Costituzionale zur Durchführung internationaler Verträge

Der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge, die maßgeblich von Antonio La P ergo/a beeinflußt wurde, liegen im wesentlichen zwei Kriterien zugrunde: zum einen führt die Verantwortlichkeit des Staates für die Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Auffassung des Gerichts zu einem Vorbehalt zugunsten des Staates für die normative Durchführung des Primär- und des Sekundärrechtes 54. Zum anderen wird die den Regionen in den Statuten auferlegte VerpflichVertragsrecht entommen werden kann; vgl. i.d.S. auch Caretti, S. 152; vgl. aus deutscher Sicht (Art. 25 GG) Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 59, Rn. 24; ausdrücklich anderer Ansicht ist hingegen Quadri (vgl. bereits oben Fn. 27), S. 59 ff., insbes. S. 64 ff.; jedoch liegt zumindest unausgesprochen die Prämisse der Anwendbarkeit des Art. 10 CI auf völkervertragliche Verpflichtungen auch denjenigen Stellungnahmen in der italienischen Literatur zugrunde, die- wie Paladin- von einer verfassungsrechtlichen Obliegenheit der innerstaatlichen Organe zur vertragsgerechten und unmittelbaren Durchführung der völkerrechtlichen Verpflichtungen ausgehen (vgl. etwa Biscottini, JUS 1951, S. 213; Mortati, S. 941; Sorrentino, S. 70 ff.) oder im Durchführungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag eine untypische Rechtsquelle sehen, d. h., die diesem Gesetz eine gesteigerte Wirkung gegenüber allen ihm folgenden "einfachen" Gesetzen, welche das Durchführungsgesetz selbst nicht abändern können, zuschreiben (vgl. bspw. Barile, S. 705; La Pergola, Costituzione, S. 339 ff.; hierzu Bassanini I Caretti, DA 1981, S. 249). Zu den verschiedenen Ansichten bei der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 CI vgl. Cassese, in: Branca, Art. 10, S. 492 ff. 51 Vgl. Art. 17 Abs. 1 lit. a des Regionalfmanzgesetzes Nr. 28111970 v. 16.5. 1970, G.U. v. 22.5.1970, Nr. 127. 52 Vgl. Art. 6 und 11 des D.P.R. 61611977 v. 24. 7.1977, abgedr. bei E. Spagna Musso, Codice di diritto regionale comune, Bologna 1981, S. 369 (370). 53 CC Urteil Nr. 142 v. 24. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1432 ff.; vgl. unten bei Fn. 59. 54 CC Urteil Nr. 139 v. 6. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1397 ff.

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tung zur Beachtung der internationalen Übereinkünfte (obblighi internazionali) als Rechtfertigung für ihren Ausschluß von der innerstaatlichen Durchführung, nicht aber als eine Bedingung hinsichtlich der Ausübung einer solchen Kompetenz gewertet. 55 In einem Urteil aus dem Jahre 1963 56 führt das Gericht aus, daß die Region nur mit einem mehr oder weniger weiten Autonomiebereich ausgestattet sei, niemals aber Souveränität besitze, woraus folge, daß sie kein verantwortliches Subjekt im Fall einer Verletzung des völkerrechtlichen Vertragsrechts darstelle. Auf dem Gebiet des Völkerrechts sei mithin der Staat als einziges Völkerrechtssubjekt in der italienischen Verfassungsordnung für die normativen, ansonsten in die Kompetenz der Regionen fallenden Rechtsakte zuständig. Der den Regionen in den Statuten auferlegten Verpflichtung zur Beachtung der völkerrechtlichen Verträge wird zudem ein weitergehender Sinn beigemessen, als ihr vom Wortlaut zukommt, nämlich eine Ermächtigung an den staatlichen Gesetzgeber, die Normen in Ausführung der Verträge und Übereinkünfte anstelle des Regionalgesetzgebers erlassen zu können, der andernfalls für die Regelung dieser Materie zuständig wäre 57• Die Zuständigkeit für die Anpassung des innerstaatlichen Vgl. hierzu oben III. Kap. IV. 2. e) bb) (4). CC Urteil Nr. 49 v. 9.4.1963, Giur.cost. 1963, S. 219. 57 So ausdrücklich, La Pergola, REDC 13 (1985), S. 20, der allerdings zugibt, daß man über die Korrektur dieses Gedankenganges diskutieren könne. -Zur Vieldeutigkeit des Begriffs der "Begrenzung durch die völkerrechtlichen Verpflichtungen" und zu dessen Untauglichkeit für eine Kompetenzabgrenzung vgl. Panzera, RDI LV (1972), S. 255. Das Verfassungsgericht greift bei seiner extensiven Auslegung des Begriffs der "völkerrechtlichen Verpflichtungen" auf die These von Maziotti, S. 235 ff., zurück. Nach dieser Konzeption sind völkerrechtliche Vertragsnormen zu transformieren. Die diesbezügliche Kompetenz wird aufgrundeiner parlamentarischen Ermächtigung, des Ratiflkationsgesetzes, ausgeübt und deshalb vor dem Inkrafttreten des Vertrages (vgl. oben bei Fn. 31). Diese Kompetenz ist eigentlich nur für den Fall vorgesehen, daß die Normen des Vertrages self-executing sind, und das Parlamenten bloque deren Einführung in die staatliche Rechtsordnung verfügen kann. Diese den zentralen Organen des Staates vorbehaltene Legislativzuständigkeit steht jedoch in einer logischen Verbindung zu denjenigen Kompetenzen, die sich nach der Auffassung des Verfassungsgerichts aus der "völkerrechtlichen Begrenzung" der regionalen Gesetzgebungszuständigkeit ergeben, so daß zwecks innerstaatlicher Durchführung auch eine Zuständigkeit des staatlichen Gesetzgebers im Fall eines Vertrages mit nicht unmittelbar anwendbaren Normen besteht. Es sind stets dieselben verfassungsrechtlichen Staatsorganisationsnormen, die es dem staatlichen Gesetzgeber erlauben, anstelle des Regionalgesetzgebers tätig zu werden, ob er nun legiferiert oder die Ratifikation eines Vertrages genehmigt. Damit soll sich ein einheitliches System der Anpassung der innerstaatlichen Rechtsordnung an den Vertrag ergeben. Das Parlament erläßt den Anwendungsbefehl bzgl. der Vertragsnormen, die zuvor durch die Organe der Exekutive ausgehandelt werden. Eine Einschaltung des regionalen Gesetzgebers wird dadurch ausgeschlossen. Im Fall eines nicht unmittelbar anwendbaren Vertrages erfolgt die Transformation nicht durch einen bloßen Verweis auf den Inhalt des Vertrages, wie dies bei der Erteilung des Anwendungsbefehls der Fall ist, sondern durch eine detaillierte Anpassung der innerstaatlichen Rechtsordnung an die jeweiligen Vertragsbestimmungen. Die Kompetenz hierfür soll sich aus dem Umstand ergeben, daß die Zuständigkeit zur Erteilung der Ratifikationsermächtigung als ein Akt der Billigung eines Vertrages die Kompetenz zur innerstaatlichen Durchfüh55

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Rechts an die Verträge wird nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht vom autonomen Handlungsspielraum der Regionen umfaßt, weshalb es auch nicht erforderlich sei, daß eine Verfassungsnorm ausdrücklich die Regionen von einer entsprechenden Kompetenz ausnehme, um hierauf eine staatliche Zuständigkeit zu stützen 58. Dieses argumentatorische ,,Leitmotiv" der italienischen Verfassungsrechtsprechung erfuhr erst im Jahre 1972 mit einer Entscheidung über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts eine teilweise Durchbrechung: in diesem Zusammenhang entwickelte die Rechtsprechung die Auffassung, daß nur im Fall einer Kompetenz des Staates zum ersatzweisen Tätigwerden bei einer Untätigkeit der Regionen und einer Schaffung entsprechender diesbezüglicher Mechanismen die verfassungsrechtlich verankerte Kompetenzverteilung auch auf dem Gebiet der Durchführung völkerrechtlicher Verträge gewahrt werden könne 59 • Auf diese Rechtsprechung zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Italien wird im folgenden noch ausführlich einzugehen sein60. In der Sicht des Gerichts nimmt die Lösung der Frage der Durchführung des Gemeinschaftsrechts nämlich eine Sonderstellung ein, die keine generelle Ausdehnung auf die innerstaatliche Durchführung des Völkerrechts erlaubt, so daß die aufzuzeigende zaghafte Öffnung hinsichtlich der Einräumung einer regionalen Durchführungskompetenz auf das Gebiet des Gemeinschaftsrechts beschränkt blieb. So hat das Gericht in einer im italienischen Schrifttum viel diskutierten Entscheidung vom 17. Juli 198061 die grundsätzliche Zuständigkeit des Staates zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge bestätigt: Der Gerichtshof hatte einen Kompetenzkonflikt (Art. 134 Abs. 2 Cl) zwischen der Region Sardinien und dem Staat zu entscheiden, wobei der Staat mittels einer Verfügung des Ministers für Landwirtschaft und Forsten eine Feuchtzone im Gebiet Sardiniens in Erfüllung der Konvention von Ramsar vom 2. Februar 1971 festgelegt hatte. Sardinien behauptete einen Eingriff in seine ausschließliche Kompetenzen nach Art. 3 litt. f, i, 1, m ebenso wie in seine konkurrierende Kompetenz nach Art. 4 lit. a und bestritt den zentralen Staatsorganen jegliche Zuständigkeit auf diesem Gebiet. Zumindest ging die klagende Region von der Notwendigkeit einer zwischen ihr und dem Staat abzuschließenden Vereinbarung aus.

rung, also zum Erlaß von Durchführungsnormen, auch für Materien der regionalen Gesetzgebungszuständigkeit voraussetze oder zumindest doch kraft Sachzusammenhanges impliziere. Vgl. insoweit auch Cansacchi, GI 1960, S. 1075; La Pergola, REDC 13 (1985), s. 21 f . 58 Vgl. CC Urteil Nr. 46 v. 3. 7.1961, Racc.Uff. XII, S. 107 ff.; CC Urteil Nr. 21 v. 3.4.1968, Giur.cost. 1968, S. 411. 59 CC Urteil Nr. 142 v. 24. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1432 ff. 60 Vgl. unten XIX. Kap. I. 61 CC Urteil Nr. 123, Giur.cost 1980, S. 1085 ff.

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Der Gerichtshof erklärte die Klage für unbegründet. Die Festlegung einer Feuchtzone sei in Erfüllung einer völkerrechtlichen Vertragsverpflichtung erfolgt, die allein der Staat gegenüber den anderen Völkerrechtssubjekten habe eingehen können. Es handele sich mithin um die Kompetenz zum Abschluß von oder zum Beitritt zu Verträgen, die in der italienischen Verfassungsrechtsordnung eine notwendige und ausschließliche Zuständigkeit des Staates darstelle, der allein souverän sei und die alleinige Verantwortung für evtl. völkerrechtliche Vertragsverletzungen trage, auch wenn die völkerrechtliche Vereinbarung regionale Kompetenzen berühre. Der der Regionalautonomie vorbehaltene verfassungsrechtliche Bereich bleibe mithin per defmitionem von dem Bereich der Abwicklung der auswärtigen Beziehungen des Staates ausgenommen 62 • Im italienischen Schrifttum herrscht Uneinigkeit darüber, ob sich die zitierte Entscheidung wirklich auf die Frage der Durchführung des völkerrechtlichen Vertragsrechts bezieht 63 oder ob sie das Problem des völkerrechtlichen Vertragsabschlusses behandelt 64 • Jedoch ist nach letztgenannter Auffassung zumindest implizit im Urteil auch eine Aussage zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge gemacht worden 65 • Eine Beteiligung der Regionen in der Phase der staatlichen Willensbildung bzgl. der Entwicklung außenpolitischer Positionen in einer völkerrechtlichen Frage wird nach der Interpretation des Urteils im italienischen Schrifttum gleichwohl als erlaubt, eine Kooperationsverpflichtung zwischen Staat und Regionen im Ergebnis aber als "praktisch ungeeignet" angesehen 66 •

62 CC Urteil Nr. 123, ebd., S. 1085 ff.: ,,Es besteht jedenfalls kein Zweifel, daß die Festlegung zumindest einer Feuchtzone aufgrund der Bestimmung der Konvention, ohne die keinerlei vertragliche Bindung oder Beziehung zwischen der beitretenden Partei und den übrigen Parteien der Vereinbarung entstehen kann, den Organen obliegt, die dazu berufen sind, den Staat gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten zu verpflichten. Es handelt sich mithin um die Kompetenz zum Vertragsschluß oder zum Beitritt; in unserer Verfassungsordnung fallt diese Kompetenz in die notwendige und ausschließliche Zuständigkeit des Staates, der allein Souveränität besitzt und einziger Verantwortlicher für evtl. völkerrechtliche Verletzungshandlungen ist, auch wenn, was bereits in einem anderen Urteil klargestellt wurde, die völkerrechtliche Übereinkunft Materien betrifft, die den Regionen zugewiesen sind (Urteil Nr. 170 von 1975). Anderenfalls müßte man davon ausgehen, daß der der Regionalautonomie vorbehaltene verfassungsrechtliche Zuständigkeitsbereich per defmitionem nicht von den auswärtigen Beziehungen des Staates berührt werden darf: mit der unhaltbaren Konsequenz, daß, wie der Supreme Court der Vereinigten Staaten in einem Fall, der in vielerlei Hinsicht dem unsrigen entspricht (Missouri v. Holland, U.S. Supreme Court 1920, 252 U.S. 416), zutreffend feststellt, ein Freiraum geschaffen würde, wo eigentlich eine «Zuständigkeit von höchster Bedeutung» bestehen muß - nämlich genau jene, Verträge abzuschließen, die in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen nationalen Regierung fallen". Vgl. hierzu Donnarumma, S. 61 ff. 63 So Strozzi, RDI LXVIII (1985), S. 509; ders., Regioni, S. 183 f., 185, Fn. 73, rügt hier aber auch die mangelnde regionale Beteiligung vor Unterzeichnung der Konvention. 64 So ausdrücklich Salerno, RDI LXV (1982), S. 543, Fn. 147. 65 Salerno, ebd., S. 547. 66 Salerno, ebd., S. 550 f.

14*

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten c) Die regionalistische These

Dem Gericht ist von der regionalfreundlichen Auffassung im italienischen Schrifttum vorgeworfen worden, bei seiner Entscheidung die treaty making power, eine unbestreitbare Zuständigkeit der zentralen Organe des Staates, mit der innerstaatlichen Durchführung eines völkerrechtlichen Rechtsaktes verwechselt zu haben 67 • So unterschiedlich sich die Argumentation der Vertreter der regionalistischen These darstellt, gehen sie doch alle von der Feststellung aus, daß im Hinblick auf die Umsetzung die innerstaatliche Kompetenzverteilung unbedingt beachtet werden müsse, auch wenn - wie im Fall der Konvention von Ramsar- die Art der Durchführungstätigkeit von dem völkerrechtlichen Vertrag in gewisser Weise "präjudiziert" werde 68 • Die Umsetzung im innerstaatlichen Bereich könne die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative ebensowenig ändern wie diejenige zwischen Staat und Regionen. Die zentralistische These beeinhalte eine Verschiebung der Kompetenzen zugunsten des Staates, die keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Stütze finde 69 • Eine Materie der "auswärtigen Beziehungen" schlechthin könne nicht anerkannt werden, weil sie alle möglichen anderen Materien des staatlichen Rechts mitumfasse. Eine solche diffuse und elastische Materie führe zu einer "Enteignung" (espropiazione) der regionalen Kompetenzen durch den Staat. Anerkenne man eine derartige "Supermaterie", dann verliere das System der regionalen Gesetzgebungszuständigkeiten jegliche Stabilität und es werde den dem Staat untergeordneten territorialen Gebietskörperschaften die Möglichkeit der Schaffung einer harmonischen regionalen Rechtsordnung genommen 70. Der Rückgriff auf den Grundsatz der Einheit und Unteilbarkeit der Republik zur Begründung einer Durchführungszuständigkeit des Staates entbehre jeglicher Grundlage. Verfassung und Sonderstatute hätten den Regionen die Gesetzgebungskompetenz für die aufgezählten Gebiete deshalb zugewiesen, weil diese Donnarumma, S. 62; Strozzi, RDI LXVIII (1985), S. 509. Salerno, ebd., S. 549; Strozzi, ebd.; ders., Regioni, S. 185 69 Diese Argumentation greift auf die dualistische Theorie bei der Durchführung völkerrechtlicher Verträge zurück. Der Dualismus- hier nicht im Sinne des Verhältnisses von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht verstanden - geht von der Souveränität des Parlaments aus, mit der Folge, daß ein geschlossener und ratifizierter Vertrag im innerstaatlichen Bereich nur dann Wirkung entfalten soll, wenn die in ihm enthaltenen Regelungen durch einen Akt des Gesetzgebers in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Die Theorie des Dualismus stammt aus Großbritannien, wo sie eine lange und ununterbrochene Tradition hat. In ihrer ursprünglichen Bedeutung besagt sie, daß die Vertragsabschlußkompetenz als ein Vorrecht der Krone und später der Regierung weder in den Bereich des dem Parlament vorbehaltenem Gesetzgebungsrechts eindringen noch über dieses hinausgehen darf und damit wie auch jede andere Regierungstätigkeit der Kontrolle des Parlaments unterworfen bleibt; vgl. hierzu Caretti, S. 17 ff.; La Pergola, REDC 13 (1985), S. 17 f. 10 Bassanini, Le Regioni, S. 123 ff. 67

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Materie vorwiegend von lokalen Erfordernissen bestimmt würden und nicht die Lebensinteressen des Staates berührten. Wenn die übliche Ausübung einer solchen Gesetzgebungskompetenz keinen Schaden für den Staat nach sich ziehe, sei es unverständlich, weshalb dann die Einheit und Unteilbarkeit der Republik durch die gleiche gesetzgebensehe Tätigkeit gefahrdet werden könne, die im Zusammenhang mit der Implementation stehe. Selbst wenn eine Region aber die völkerrechtlichen Vereinbarungen nicht in innerstaatliches Recht umsetze, komme es allenfalls zu einer völkerrechtlichen Vertragsverletzung durch den Staat, niemals aber gerate die Einheit und Unteilbarkeit der Republik in Gefahr. Allerdings könne die Norm, die die Anpassung im Einzelfall vollziehe, von Region zu Region differieren. Der Einheitlichkeit des Vertrages stehe dann die Verschiedenheit der einzelnen regionalen Rechtsordnungen gegenüber, deren Normen im Hinblick auf die Anpassung an das völkerrechtliche Vertragsrecht variierten 71 • Aus der Abschlußkompetenz des Staates für völkerrechtliche Verträge gemäß Art. 80/ Art. 87 Nr. 8 CI könne sich ebenfalls kein Argument für ein staatliches Durchführungsmonopol herleiten lassen, da diese Normen eine allzu spezielle Regelung des Abschlußverfahrens bezüglich der Beziehungen zwischen Legislative und Exekutive enthielten, jedoch keine weitergehende Aussage träfen. Auch eine auf Art. 70 CI gestützte Kompetenzzuweisung für die "auswärtigen Angelegenheiten" zugunsten des Staates vermöge nicht zu überzeugen. Zwar enthalte Art. 70 CI eine Kompetenzvermutung zugunsten des staatlichen Gesetzgebers in allen nicht ausdrücklich dem Regionalgesetzgeber zugewiesenen Angelegenheiten. Jedoch sei hiervon nicht die Ausführung von Verträgen unabhängig von ihrem jeweiligen Inhalt erfaßt. Das für die Festlegung einer dem Staat vorbehaltenen Materie angeführte Kriterium, wonach diese inhaltlich mit der Änderung einer völkerrechtlichen Norm modifiziert werde, sei ungeeignet, um die Existenz einer solchen Materie zu begründen. Logisch geboten sei es, den Inhalt der einzelnen Materie im vorhinein bestimmen zu können, wobei darauf verwiesen wird, daß der Verfassungsgerichtshof selbst die Bestimmung einer Gesetzgebungsmaterie aufgrund eines objektiven Kriteriums, welches sich aus der Norm und nicht aus dem Zweck ergebe, gefordert habe. Es sei auch nicht die diffuse Materie der "auswärtigen Angelegenheiten", sondern vielmehr die unzweifelhaft den Zentralorganen zukommende treaty making power, die im Grunde für La Pergola ausschlaggebend bei der Einräumung einer Durchführungskompetenz zugunsten des Zentralstaates sei. Damit stellt sich aber die Frage nach der Notwendigkeit einer Kongruenz zwischen Vertragsabschluß- und Vertragsdurchführungskompetenz, wie sie die Konnextheorie behauptet. Indem die Anhänger dieser Theorie das Bestehen einer notwendigen Verbindung zwischen der Vertragsabschlußkompetenz und der 71 Bernardini, Giur.cost. 1963, S. 457 ff. ; Strozzi, Regioni, S. 176: " .. . 1e Regioni non constituiscono un insieme unitario, retto da un unico orientamento, per cui possono aversi posizioni anche contraddittorie".

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

Durchführungskompetenz als zu beweisende Voraussetzung einer staatlichen Durchführungskompetenz zum Beweis selbst machen, stellen diese in den Augen ihrer Kritiker eine petitio principii auf. In Wirklichkeit folge die Argumentation einem rein politischen Kriterium, welches aus Zweckmäßigkeitserwägungen von einer Übereinstimmung von Vertragsabschlußkompetenz und Vertragsdurchführungskompetenz ausgehe. Eine diesbezügliche rechtliche Notwendigkeit könne aber mit Hilfe dieser Theorie nicht dargelegt werden 72 • Selbst im Verhältnis der zentralen Organe des Staates untereinander gelte im Sinne der dualistischen Theorie der Grundsatz einer strikten Trennung zwischen der Vertragsabschlußkompetenzvon Regierung bzw. Präsident einerseits und der Durchführungskompetenz des Parlaments andererseits 73 • Keine Verfassungsnorm könne mithin den Regionen die diesen in Art. 117 CI bzw. in den Spezialstatuten verfassungsrechtlich vorbehaltenen Gesetzgebungszuständigkeiten entziehen, soweit solche im Rahmen der Durchführung völkerrechtlicher Verträge betroffen seien. Mangels einer derartigen Norm bleibe die verfassungsrechtliche Regelung der Gesetzgebungszuständigkeiten unverändert, so daß die Regionen für die Durchführung der Verträge, soweit diese ihren Kompetenzbereich beträfen, zuständig seien 74• Eine Verpflichtung zur Durchführung der Verträge ergebe sich aus einer zutreffenden Interpretation der Statutsbestimmungen, wonach die Regionen die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu beachten hätten. Diese Bestimmungen stellten eine bloße inhaltliche Begrenzung der Gesetzgebungskompetenzen der Regionen vom Zeitpunkt der Transformation einer völkerrechtlichen Vereinbarung in das innerstaatliche Recht dar, jedoch könnten sie zu keinem formellen Ausschluß einer Gesetzgebungszuständigkeit der Regionen auf dem Gebiet der Durchführung völkerrechtlicher Verträge führen 75 • Die einschlägigen Bestimmungen setzten eine Kompetenz der Regionen geradezu voraus 76• Soweit die Regionen untätig

n Bernardini, Giur.cost. 1963, S. 457 ff. Vgl. zum Dualismus oben Fn. 69. 74 Andreu i Forn6s, S. 110. Gegen diese "Typisierung" von Kompetenzen spricht sich La Pergola, REDC 13 ( 1985), S. 20, 23 f., in Ubereinstimmung mit dem italienischen Verfassungsgericht aus. Da vom regionalen Kompetenzbereich die Durchführung völkerrechtlicher Verträge nicht ausdrücklich umfaßt sei, erscheine es für die Bejahung einer Durchführungszuständigkeit des Staates im Hinblick auf dessen grundsätzliche Residualkompetenz nicht erforderlich, daß die italienische Verfassung die Regionen von dieser Zuständigkeit ausdrücklich ausnehme. Wolle man eine regionale Zuständigkeit annehmen, so müsse diese ex novo geschaffen werden, indem man sie als in den materiellen Gesetzgebungskompetenzen der Regionen implizit enthalten ansehe. Dies sei aber nur dann möglich, wenn man die regionale Gesetzgebungsbegrenzung, die aus den "internationalen Verpflichtungen" des Staates resultiere, nicht als eine Ermächtigung des Staates zur innerstaatlichen Durchführung völkerrechtlicher Verträge auffasse. 75 Andreu i Forn6s, S. 111 f.; Bassanini!Caretti, DA 191 (1981), S. 250; Caretti, S. 156, vgl. auch S. 145; Condorelli, PD 1973, S. 235; Sperduti, RDIPP 1979, S. 248; Strozzi, Regioni, S. 45. 73

VII. Kap.: Italien

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blieben oder eine dem Vertrag widersprechende Gesetzgebung beibehielten oder erließen, habe der Verfassungsgerichtshof die entsprechende Gesetzgebung für rechtswidrig zu erklären. Äußerstenfalls könne der Staat zudem eine Ausführungsgesetzgebung mit Hilfe einer Verfassungsänderung gemäß Art. 138 CI erlassen. Eine ausschließliche Zuständigkeit des Staates für die Erfüllung völkerrechlieber Verpflichtungen bedeute zudem keine sichere Gewährleistung für einen entsprechendes Tätigwerden, weil kein Grund ersichtlich sei, weshalb die Regionen die völkerrechtlichen Verpflichtungen weniger respektieren sollten als der Zentralstaat. Ein Verweis auf den Umstand, die Regionen seien an der Aushandlung dieser Verpflichtungen nicht beteiligt gewesen, könne nicht zu ihrem Ausschluß von der Umsetzung führen, sondern müsse vielmehr dazu Anlaß geben, Formen der Beteiligung der Regionen in der aszendierenden Phase zu entwikkeln 77 • Der innerstaatlichen Ordnung könne keinerlei Grundsatz entnommen werden, wonach die Durchführungskompetenz mit der Abschlußkompetenz zwingend übereinstimmen müsse 78• Von den Vertretern der regionalfreundlichen Auffassung wird mithin im Rahmen einer rein theoretischen, im Gegensatz zur Staatspraxis stehenden Konzeption bei Verträgen, die nicht self-executing sind, eine Kompetenz zur normativen Ergänzung und Detaillierung im Rahmen einer zweiten Durchführungsstufe ("adattamento secondario") angenommen, die sich an den durch den staatlichen Gesetzgeber erteilten Anwendungsbefehl (adattamento primario) anschließt. Diese Kompetenz sei jedoch bei völkerrechtlichen Verträgen und Übereinkommen, die im hohen Maße self-executing sind, ihrer Natur nach auf ein Minimum begrenzt. Auch in diesem Fall aber hätten die Regionen - insbesondere im Wege der administrativen Durchführung- nicht nur eine konkrete und effektive, sondern außerdem auch eine gesetzes- und verfassungsmäßige Anwendung des Vertrages sicherzustellen. Dies geschehe mittels einer Berücksichtigung der regionalen Erfordernisse sowie der jeweiligen regionalen Rechtsordnung, in der der betreffende Vertrag zur Anwendung gelange. Soweit der Vertrag dem Staat einen gewissen Handlungs- und Ermessensspielraum im Rahmen des Vollzugs belasse, stehe den Regionen im Rahmen ihrer Kompetenzen die diesbezügliche Entscheidung zu. 76 Andreu i Fornos, S. 109; Bernardini, Giur.cost. 1962, S. 476; Caretli, S. 105; La Pergola, Note, S. 1051; Paladin, RTDP 1959, S. 444; Sperduti, RDIPP 1979, S. 448; Strozzi, Le Regioni, 1978, S. 937. 11 Andreu i Fornos, S. 111. 78 Strozzi, Regioni, S. 173; eine andere Ansicht vertritt Bernardini, Formazione, S. 173 f., 201 f., der eine effektive Umsetzung von völkerrechtlichen Verträge durch die Regionen im Rahmen ihrer Kompetenzen nur bei einem regionalen Abschluß dieser Verträge für möglich hält. Dabei geht er von einer Abschlußkompetenz der Regionen im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches aus, wofür sich aber keine verfassungsrechtliche Grundlage ermitteln läßt. Vgl. Strozzi, Regioni, S. 172.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

Auch ein Vertrag, der self-executing sei, schließe die Möglichkeit nicht aus, daß die Regionen weitere normative und administrative Maßnahmen träfen, um Normen, die den regionalen Kompetenzbereich berühren, durchführbar zu machen, insbesondere in Form der Außerkraftsetzung entgegenstehender Vorschriften oder im Hinblick auf den Erlaß von detaillierten Durchführungsvorschriften, die den jeweiligen regionalen Erfordernissen einer umfassenderen Harmonisierung der regionalen Rechtsordnung mit dem völkerrechtlichen Vertrag Rechnung trügen 79 • Im übrigen dürfe durch den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages die Regionalautonomie zwar beschränkt, nicht aber gänzlich ausgehöhlt werden, eine Gefahr, die sich insbesondere im Hinblick auf vertragliche self-executingNormen ergebe. Insoweit sei die treaty making power des Staates verfassungsrechtlich durch das Autonomieprinzip zugunsten der Regionen beschränkt 80. Ein völkerrechtlicher Vertrag, der hingegen zu einer Außerkraftsetzung regionaler Kompetenzen führe, bedürfe zu seiner Ratifizierung eines verfassungsändernden Gesetzes, welches die Einführung verfassungsändernder Bestimmungen vorsehe und legitimiere 81 . Notwendig sei im Hinblick auf solche Verträge eine konkrete Beteiligung der regionalen Organe im Rahmen eines kooperativen Regionalismus (regionalismo cooperativo), womit zudem eine korrekte und unverzügliche Durchführung der völkerrechtlichen Vertragsverpflichtungen sichergestellt werde82. Soweit es sich um völkerrechtliche Verträge oder Vereinbarungen handelt, die nicht self-executing sind, wird dem staatlichen Gesetzgeber von dieser Auffassung83 die Verpflichtung auferlegt, im Rahmen der Primärdurchführung nur solcherlei Vorschriften zu erlassen, die als allgemeine Grundsätze für die korrekte und einheitliche Ausführung des Vertrags unbedingt erforderlich sind. Diese sollen dann die "allgemeinen Grundsätze" im Sinne des Art. 117 CI darstellen. Die ausführende Gesetzgebung (normativa di dettaglio e integrativa) sowie die gesamte administrative Durchführung sollen hingegen ausschließlich den Regionalorganen obliegen. Dem Transformationsgesetz kommt mithin - soweit es sich um regionale Gesetzgebungskompetenzen handelt - allein eine "programmatische Bedeutung" zu. Soweit dort Detailregelungen getroffen werden, sollen diese rein dispostiven Charakter haben und nur im Fall eines Fehlens der entsprechenden regionalen Ergänzungsnormen zur Anwendungen gelangen 84. Bei man79 Strozzi, ebd., S. 154 ff. 80 Strozzi, ebd., S. 191. 81 Vgl. Barile, S. 20 ff.; Bernardini, Formazione, S. 174, Fn. 143; Strozzi, ebd., S. 189 f., 192, 195 f., der dieses vor allem im Hinblick auf die EG-Verträge, die durch einfaches Gesetz ratifiziert wurden, für erforderlich hält. Vgl. aber zu der diesbezüglichen Problematik des Art. 11 CI IX. Kap. III., Fn. 43; vgl. weiter Maziotti, S. 249; Sorrentino,

s. 121.

82 Strozzi, ebd., S. 197. 83 Strozzi, ebd., S. 163 ff. 84 Strozzi, ebd., S. 188: ..... solo un valore supplementivo (dispositivo)".

VIII. Kap.: Belgien

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geloder regionaler Durchführung auf administrativer Ebene soll das Transformationsgesetz gewisse Mechanismen zwecks Sicherstellung der Durchführung enthalten, wie etwa das Recht zur Ersatzdurchführung seitens der nationalen Organe. Diese Vorschläge lehnen sich an Art. 6 des Dekrets Nr. 616 vom 24. Juli 1977 85 an und wollen für den Bereich der völkerrechtlichen Verträge eine ähnliche Durchführungsordnung erreichen, wie es der Gesetzgeber dort bereits für die Gemeinschaftsgesetzgebung geregelt hat 86• Dies aber steht im Gegensatz zu der verbreiteten Interpretation 87 des Art. 4 dieses Dekrets, der die Durchführung von völkerrechtlichen Verträgen allein dem Staat vorbehält.

VIII. Kapitel

Belgien I. Verfassungsrechtliche Normierungen Gemäß Art. 68 Abs. 1 CB fällt in den Zuständigkeitsbereich des belgiseben Königs u. a. der Abschluß der Friedens-, Bündnis- und Handelsverträge. Art. 66 CB verleiht ihm darüber hinaus im Regelfall die Befugnis, neben den Beamten der allgemeinen Verwaltung auch die Beamten des auswärtigen Dienstes zu ernennen. Nach herkömmlicher Auffassung wird dem König aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Bestimmungen eine umfassende Zuständigkeit für die auswärtigen Beziehungen eingeräumt, die den Abschluß völkerrechtlicher Verträge ebenso umfaßt wie die - ohne Zustimmung des Parlaments - mögliche Aufkündigung derselben, die Ratifikation von Verträgen unter Abgabe von Vorbehalten sowie Auslegungserklärungen und die Rücknahme dieser Erklärungen, aber auch die Anerkennung von Staaten und Regierungen oder der Abbruch diplomatischer Beziehungen zu fremden Staaten 1• Diese umfassende Kompetenz des Königs in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt hat im Zuge der dritten belgiseben Staatsreform eine Einschränkung erfahren. Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. 3, § 2 bis Abs. 1 CB sowie Art. 59 ter, § 2 Nr. 4 CB erklären die französische sowie die flämische und deutsche Gemeinschaft zur Regelung der internationalen Zusammenarbeit für zuständig, und zwar - dies ist eine der entscheidenden Neuerungen infolge der dritten belgiseben StaatsreG.U. v. 29.8.1977, Nr. 234. Vgl. Strozzi, ebd., S. 152, dereine Ausdehnung des Art. 6 des D.P.R. Nr. 616 durch Analogie fordert. 87 Condorelli, PD 1973, S. 223. 1 Vgl. de Visscher, RBDI Vol. XIX (1986), S. 22 f. 85

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

form- einschließlich des Abschlusses internationaler Verträge auf den ihnen zugewiesenen Gebieten, d. h. auf dem Gebiet der kulturellen und der personenbezogenen Angelegenheiten 2 • In Ausführung dieser Verfassungsbestimmungen bestimmt Art. 16, § 1 SGRI, daß zu allen Verträgen oder Abkommen über die Zusammenarbeit in den Angelegenheiten, auf die sich Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. 1 u. 2, Art. 59 bis, § 2 bis bzw. Art. 59 ter, § 2 Nr. 1 und 2 CB sowie die Art. 4 u. 5 des Sondergesetzes (Auflistung der Materien der kulturellen und personengebundenen Angelegenheiten) beziehen, der Rat der jeweiligen Gemeinschaft sein Einverständnis erklärt oder aber alle Räte, soweit sie betroffen sind. Gemäß Art. 16, § 2 des Sondergesetzes werden die in § I dieses Artikels genannten Verträge dem zuständigen Rat durch die Exekutive der Gemeinschaft vorgelegt.

II. Kompetenz der belgiseben Gemeinschaften zum Vertragsabschluß bzw. zur Zustimmungserteilung Art. 16 SGRI geht auf das Reformgesetz vom 20. Januar 1978 zurück, wonach die Kulturverträge im Dekretierungsbereich der Gemeinschaften der Zustimmung der Kulturräte bedurften 3• Verfassungsgeber und Sondergesetzgeber haben diesen Rechtsstatus in der zweiten Staatsreform noch nicht wesentlich geändert und es damals bei einer bloßen Form der Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge belassen, die allerdings auf die personenbezogenen Angelegenheiten ausgeweitet wurde. Eine weitreichende Änderung brachte für die französische und flämische Gemeinschaft insofern das Verfassungsänderungsgesetz vom 15. Juli 1988 4 , für die deutsche Gemeinschaft das Verfassungsänderungsgesetz vom 20. Juni 19895, das diesen drei Gemeinschaften zum ersten Mal ein ius tractati im Hinblick auf ihre kulturellen und personenbezogenen Angelegenheiten überträgt. Damit hat der belgisehe Verfassungsgesetzgeber eine partielle Völkerrechtspersönlichkeit der drei Gemeinschaften anerkannt 6 •

2 Vgl. Moniteur beige v. 19. 7. 1988, S. 10285 (Französische und Flämische Gemeinschaft); Moniteur beige v. 20. 7.1989, S. 12713 f. (Deutsche Gemeinschaft). 3 Vgl. hierzuLejeune, RBDIXIV (1978/ 1979), S. 168 ff.; nach Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 545, Fn. 101, hat bereits dieses Vorläufergesetz implizit die Verfassungsbestimmung des Art. 68 Abs. 2 CB geändert und erweitert. Darüber hinaus sei auch die Ausführungsbefugnis durch diese Bestimmung eindeutig den Kulturgemeinschaften zugefallen. 4 Vgl. Moniteur beige v. 19. 7.1988, S. 10284 f. s Moniteur beige v. 20. 7. 1989, S. 12713 f. 6 Gleichwohl sieht Art. 6 bis, § 3 SRGI ein Initiativrecht des Zentralstaates auf den Zuständigkeitsgebieten der Regionen und Gemeinschaften vor, die den Gegenstand von völkerrechtlichen oder supranationalen Vereinbarungen oder Verträgen bilden, denen Belgien beigetreten ist. Zu dieser Widersprüchlichkeil vgl. Dehousse, JT 1989, S. 284.

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Diese im belgiseben Schrifttum bereits seit langem prognostizierte Entwicklung 7 entspricht dem von den Exekutiven der französischen und flämischen Gemeinschaft bereits auf der alten gesetzlichen Grundlage eingenommenen Standpunkt, wonach Art. 68 CB bereits durch Art. 59 bis, §§ 2 und 2 bis CB alte Fassung als derogiert betrachtet wurde. 8 Aus diesen Bestimmungen ergebe sich, daß Art. 16 des Sondergesetzes der Gemeinschaftsexekutive im Wege einer impliziten Verfassungsänderung des Art. 68 CB die Befugnis verleihe, für ihre eigene Gemeinschaft in Bezug auf Gemeinschaftsangelegenheiten Verträge zu schließen 9 • Diese den Gesetzeswortlaut mißachtende Interpretation setzte sich jedoch weder im Schrifttum 10 noch - soweit ersichtlich - in der belgiseben Staatspraxis durch, so daß es im Rahmen der dritten Staatsreform einer Verfassungsänderung bedurfte, um - nunmehr im Rahmen einer impliziten Änderung des Art. 68 CB 11 - die Gemeinschaften mit einer beschränkten Völkerrechtsfähigkeit auszustatten. Damit wird den Gemeinschaften im Gegensatz zu den Regionen, die weiterhin ohne Kompetenzen auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen bleiben 12, ein direkter, allerdings materiell beschränkter Zugang zu dem Bereich der internationalen Zusammenarbeit eröffnet. In personengebundenen Angelegenheiten sowie im Bereich der kulturellen Angelegenheiten können die Gemeinschaften in Zukunft im Rahmen ihres Dekretierungsbereiches eigene völkerrechtliche Verträge 1 Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 546, insbes. Fn. 105, der bereits zum damaligen Zeitpunkt ausführte, für die Zukunft sei die Einräumung einer Völkerrechtspersönlichkeit der belgiseben Gliedstaaten nicht auszuschließen. Mit der gleichen ratio constitutionis, mit der der Gesetzgeber Art. 68 Abs. 2 CB hinsichtlich des Zustimmungsbedürfnisses der Räte interpretiert habe, könne er nunmehr auch die ganze auswärtige Gewalt des Nationalstaates auslegen und den Gliedstaaten ein bestimmtes ius tractati, ja selbst ein ius legationis zuerkennen; vgl. weiterhin DonnarumrruJ, S. 191. 8 Vgl. hienu de Visscher, RBDI XIX (1986), S. 38. Zu der sich bereits im Rahmen der ersten Staatsreform stellenden Frage einer ausdrücklichen vorherigen verfassungsrechtlichen Änderung des Art. 68 CB sowie zur diesbezüglichen Stellungnahme des Staatsrats vgl. Waleffe, RBDI XIII (1977), S. 336 f. 9 Vgl. zu der diesbezüglichen Haltung der französischen und flämischen Gemeinschaft de Visscher, ebd., S. 34 f., 38 f.; anders hingegen die Stellungnahme des Staatsrates (Doc. Pari. Chambre, 878 [S.O. 1975 - 76] Nr. 1, S. 5): ,,Si le Constituant a bien eu l 'intention de conferer aux Conseils culturels le pouvoir d 'intervenir dans l 'assentiment des accords culturels intemationaux, il a toujours entendu que l'attribution de ce pouvoir soit subordonne a une revision en ce sens de l'article 68 de Ia Constitution" . 10 Vgl. Donnarumma, S. 191; Senelle, Die Reform, Bd. III, Rn. 124, Fn.; de Visscher, ebd., S. 35, 38 f. 11 Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist nicht der von verschiedenen politischen Repräsentanten, aber auch vom Staatsrat (Conseil d' Etat) in seiner Stellungnahme v. 9. 2.1976 (Doc. Pari., 1975-1976, Nr. 878-1) (vgl. Fn. 9) und in der Lehre vertretenen Auffassung gefolgt, wonach zur Einräumung einer treaty making power zugunsten der Gemeinschaften eine Revision des Art. 68 CB notwendig ist. Vgl. zu dieser Auffassung de Visscher, ebd., S. 35; Dehousse, JT 1989, S. 284: Die "Modemisierung" des Art. 68 CB werde noch etwas auf sich warten lassen. 12 Vgl. DonnarumrruJ, S. 197, Fn. 87.

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

abschließen, die - wie seit 1978 gesetzlich normiert - der Zustimmung der lokalen Gesetzgebungsorgane, sprich des jeweiligen Rates der Gemeinschaften bedürfen. Die Begrenzung der dem Staat in Art. 68 CB bisher in ausschließlicher Weise vorbehaltenen Vertragsabschlußkompetenz durch die Erweiterung der entsprechenden Zuständigkeiten der Gemeinschaften in Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. 3, Art. 59 bis, § 2 bis und Art. 59 ter, § 2 Nr. 4 der geänderten Verfassung führt dazu, daß in den einschlägigen Materien die Abschlußkompetenz sowie die Erklärung der innerstaatlichen Anwendbarkeit 13 bei den Gemeinschaften konzentriert sind und damit die Zustimmung des nationalen Gesetzgebungsorgans nicht mehr wie bisher durch die Zustimmung der lokalen Gesetzgebungsorgane als ersetzt anzusehen ist. Allerdings ist im Hinblick auf Art. 59 bis, § 2 Abs. 2 (in fine) sowie Art. 59 ter, § 2 Nr. 4 (in fine) CB fraglich, ob die geänderten Verfassungsbestimmungen unmittelbar anwendbares Recht darstellen oder einer gesetzlichen Ausführung im Rahmen des Sondergesetzes über die Reform der Institutionen (Art. 16 SGRl) bedürfen 14• Davon abgesehen wurde bereits bisher die direkte und exklusive Zustimmungsbefugnis der Gemeinschaftsparlamente ohne jegliche Beteiligung des nationalen Parlaments mit der Folge einer souveränen Legislativgewalt der dezentralisierten Einheiten in diesem Bereich in der rechtsvergleichenden Föderalismusforschung als "einmalig" angesehen 15• Eine zusätzliche Zustimmungsbedürftigkeit durch die nationalen gesetzgebenden Körperschaften ist neben der Zustimmung durch die Räte aber auch in Zukunft dann erforderlich, 1. wenn es sich um Verträge handelt, die nicht nur in der französischen, flämischen oder deutschsprachigen Gemeinschaft anwendbar sind, sondern auch in der zweisprachigen Region Brüssel-Hauptstadt, zumindest soweit es sich um Verträge i. S. d. Art. 68 Abs. 2 CB handelt.

2. bei Verträgen, die in ganz Belgien anwendbar sind, ungeachtet einer Gemeinschaft oder einer Region. Die Eingebung einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch die Gemeinschaften im Rahmen von Abkommen über kulturelle bzw. personengebundene Angelegenheiten löst an sich hingegen noch keine Zustimmungsbedürftigkeit der nationalen Legislativorgane aus, da dies als Ausfluß der partiellen treaty making power der Gemeinschaften anzusehen ist, die nunmehr in der Verfassung ausVgl. hierzu S. 224 ff. Die Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen Ausgestaltung der Vertragsabschlußmodalitätenbejahen Alen, ZaöRV 50 (1990), S. 517, Fn. 94, und Dehousse, IT 1989, S. 284. In der Regierungserklärung von Ministerpräsident Martens v. 10.5.1988 ist allerdings ausdrücklich vorgesehen, daß die Gemeinschaften wie auch die Regionen in Zukunft ,,nach vorheriger Verständigung der Zentralregierung" internationale Verträge abschließen können. 15 Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 547; ähnlich Donnarurnrna, S. 198. 13

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VIII. Kap.: Belgien

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drücklieh anerkannt wird. Anders dürfte nur zu verfahren sein, wenn die entsprechenden Verträge nicht nur Bindungen für die jeweilige Gemeinschaft beinhalten, sondern gleichzeitig auch den Gesamtstaat verpflichten. Im Hinblick auf die Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen über personengebundene Angelegenheiten durch die Räte dieser Gemeinschaften können sich jedoch Probleme ergeben: Bisher gibt es kein Beispiel für einen Vertrag, dessen Inhalt ausschließlich die Regelung solcher Angelegenheiten betrifft. Die unter die personengebundenen Angelegenheiten zu subsumierenden Materien der Gesundheitspolitik, der Sozialhilfe und der Familienpolitik stellen im Unterschied zum Bereich der kulturellen Angelegenheiten keine eindeutig abgrenzbare Kompetenz dar, weshalb künftige Verträge des Staates, die derartige Angelegenheiten mitbehinhalten, neben der Zustimmung der nationalen gesetzgebenden Körperschaften auch jener der Räte bedürfen. Dieser Umstand wird die internationale Zusammenarbeit auf diesen Gebieten nach einer Einschätzung im belgiseben Schrifttum 16 nicht erleichtern. Die nähere Ausgestaltung der Vertragsabschlußkompetenz wurde in Art. 59 bis,§ 2 Abs. 2 sowie Art. 59 bis,§ 2 bis CB einer "einfach"-gesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten, die bisher jedoch nicht erfolgt ist 17• Sollte der König weiterhin auf internationaler Ebene die völkerrechtlichen Verträge im Dekretierungsbereich der Gemeinschaften abschließen, so wird er dies allerdings nicht mehr wie bislang im Schrifttum 18 nahezu unbestritten angenommen - als Organ des Staates, sondern vielmehr als Organ der betroffenen Gemeinschaft tun müssen 19• Auch dies ist eine Konsequenz aus der nunmehr verfassungsrechtlich anerkannten partiellen Völkerrechtsfähigkeit der Gemeinschaften. Gleichwohl ist aufgrund von Art. 64 CB davon auszugehen, daß der König weiterhin einer Gegenzeichnung eines nationalen Ministers bedarf.

111. Die Beteiligung der Gemeinschaften bei Vertragsverhandlungen Gemäß einer weiteren im Sondergesetz vom 8. August 1980 enthaltenen und durch die Gesetzänderung vom 8. August 1988 unverändert gebliebenen Regelung ist die Exekutive eines Rates an den Verhandlungen über internationale Abkommen zu beteiligen, wobei der König aber entsprechend Art. 68 CB der einzige Gesprächspartner auf internationaler Ebene bleibt (Art. 81 SGRI). Vgl. Lejeune, RBDI XVI (1981-1982), S. 69. Das Sondergesetz v. 8. 8.1980 zur Reform der Institutionen, geändert durch Gesetz v. 8. 8. 1988 (Moniteur beige v. 13. 8.1988, S. 11367 ff.), enthält insoweit keinerlei Bestimmungen. 18 Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 546; Lejeune, RBDI XIV (1978/79), S. 192 f.; Waleffe, RBDI XIII (1977), S. 325. 19 So bereits nach der alten Gesetzeslage Charlier, RISA XLVIII (1982), S. 302. 16

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

Bisher war im belgiseben Schrifttum umstritten, ob dieses "Beteiligungsrecht" nur für die Regionalexekutiven 20 oder aber auch - entsprechend der Staatspraxis- für die Gemeinschaftsexekutiven 21 gilt. Die Staatsregierung hat den Anwendungsbereich des Art. 81 des Sondergesetzes auf die Regionalexekutiven beschränken wollen 22 • Angesichts der ausdrücklichen Anerkennung einer partiellen Völkerrechtsfähigkeit von zwei Gemeinschaften hat dieser Streit jedoch für diese an Relevanz verloren. Sinnvoll erscheint eine Beteiligung dieser Gemeinschaften beim Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen durch den Staat, soweit es hierdurch zu mittelbaren Auswirkungen auf ihren Dekretierungsbereich kommt, ohne daß diese Angelegenheiten einen unmittelbaren Vertragsgegenstand bilden; im letzteren Fall besteht ohnehin ein eigenständiges Vertragsschließungsrecht der Gemeinschaften. Hieraus ist zu schließen, daß der Staat, soweit er beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge auch Gegenstände aus dem Dekretierungsbereich der beiden Gemeinschaften (mit)regeln will, deren Exekutiven bereits in der aszendierenden Phase insoweit zu beteiligen hätte. Zugleich unterläge ein entsprechender Vertrag auch der Zustimmungsbedürftigkeit der beiden Gemeinschaftsräte. Art. 81 SGRI wird vom Gesetzgeber als eine Beteiligungsform bezüglich der Ausübung einer nationalen Kompetenz angesehen 23 • Das Beteiligungsverfahren hat noch an Bedeutung gewonnen, seitdem die autonom gewordenen Exekutiven nicht mehr aus Mitgliedern der belgiseben Regierung zusammengesetzt sind 24 • Fraglich ist aber, worin diese Beteiligung der Gemeinschaften besteht. Der Staatsrat (Conseil d 'Etat) interpretierte den Art. 81 SGRI bisher im Sinne einer bloßen "Vorbereitung von Instruktionen" ("preparation des instructions"), die für die Vertragsunterhändler bestimmt sind. Es handelt sich danach um eine bloße vorbereitende Konsultation, wobei keine rechtliche Bindung der zentralen Staatsorgane an die ,,Empfehlungen" der Exekutiven eintritt 25 • Die Konsultierung findet allerdings nicht nur anläßlich von Vertragsverhandlungen statt, sondern auch zur Vorbereitung von internationalen Zusammenkünften. 2o So Senelle, Die Reform, Bd. 111, Rn. 189, mit dem Hinweis, Art. 16 des Sondergesetzes sei für die Gemeinschaften gegenüber Art. 81 SRGI lex specialis. 21 So Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 54, der sogar von einer primären Geltung für die Gemeinschaftsexekutiven ausgeht. 22 Donnarumma, S. 193m. w.N. 23 Vgl. Lejeune, RBDI XVI (1981-1982), S. 62; nach einer Verlautbarung der Staatsregierung v. 6.5. 1983 handelt es sich um ein bloßes Recht auf Anhörung bei der innerstaatlichen Willensbildung im Hinblick auf die Wahrung der innerstaatlichen Kornpelenzbeteiligung sowie- bzgl. der Gemeinschaften- die Notwendigkeit der Erteilung der Zustimmung der Gemeinschaftsräte zwecks innerstaatlicher Wirksamkeit von Verträgen in deren Dekretierungsbereich. Vgl. de Visscher, RBDI XIX (1986), S. 39. 24 Lejeune, ebd., S. 66. 25 Vgl. die Auffassung des Staatsrates (Gesetzgebungssektion, 1. und 2. Kammer), Nr. L 1334/l/2 v. 31.05.- 6.6. 1979, in: Doc. parl. Senat, S.E., Nr. 261/1, Annex 1 e, sowie (Gesetzgebungssektion, Vereinigte Kammern), Nr. L 13622/V.R. v. 6.6.1980, in: Doc. parl. Senat, S.E. 1989, Nr. 434/1, Annex S. 14; vgl. hierzu Donnarumma, S.l92f.

VIII. Kap.: Belgien

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Die restriktive Interpretation, die hierin kein Beteiligungsrecht, sondern einen bloßen Konsultationsmechanismus sieht, womitder Krone keinerlei rechtliche Bindung bei der Ausübung der völkerrechtlichen Zuständigkeiten auferlegt werde, entspricht den anläßlich der Debatte über dieVorentwürfe geäußerten Befürchtungen, eine regionale Beteiligung der Exekutiven mit rechtsverbindlichem Charakter widerspreche dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt, den Art. 68 CB zugunsten des Königs und der gesetzgebenden Körperschaften auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen beinhalte. Die Kritiker dieser Auffassung räumen zwar ein, daß eine rechtliche Bindung des Königs im Sinne einer unbedingten Konformität seines außenpolitischen Vorgehens mit der Stellungnahme der Regionen zu einer lähmenden Wirkung bei der Ausübung der Kompetenz führen könne, jedoch habe das Verfahren gleichwohl keine rein beratende Funktion. Selbst eine Beteiligung der Mitglieder der Exekutiven an einer belgiseben Verhandlungsdelegation sei nicht verfassungswidrig, sofern nur die Delegationsleitung nicht einem Repräsentanten einer Region obliege. Die Wahrnehmung der internationalen Angelegenheiten bleibe im Zuständigkeitsbereich des Zentralstaates gern. Art. 68 CB dem König vorbehalten. Dieser sei nach wie vor insofern einziger Verhandlungspartner auf internationaler Ebene unabhängig von einer Einbeziehung von Gemeinschafts- bzw. Regionalvertretern in die Verhandlungsdelegation. Die Vertragskompetenz werde deshalb auch im künftigen belgiseben Bundesstaat bei der Zentrale liegen 26 , soweit nicht Angelegenheiten im Bereich der kulturellen und personengebundenen Dekretierungsbefugnis der französischen, flämischen und deutschen Gemeinschaft betroffen seien. Für diesen Fall - d. h. bei der Regelung einer Gemeinschaftsangelegenheit im Rahmen eines umfassenden völkerrechtlichen Vertrages - muß nunmehr allerdings eine diesbezügliche Riodungswirkung der staatlichen Organe an die Positionen der Gemeinschaften angenommen werden, sofern man den Art. 81 SGRI auf diese überhaupt für anwendbar hält. Die rechtliche Bindungswirkung folgt aus der diesbezüglichen eigenständigen Vertragsabschlußkompetenz der Gemeinschaften im Wege eines Erst-recht-Schlusses 27 • In der Praxis wird die regionale Repräsentanz in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen in pragmatischer Weise geregelt. Dabei spielt die jeweilige Struktur der internationalen Organisation eine maßgebliche Rolle. Teilweise handeln die Gemeinschaften, aber auch die Regionen selbständig und vertreten somit den belgiseben Staat, teilweise sind sie mit Stimmberechtigung oder als bloße Beobachter Teil der belgiseben Delegation; manchmal können Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 546. Insofern wird die belgisehe Staatsregierung ihre Verlautbarung v. 6.5.1983 (s.o. Fn. 23) bzgl. der französischen und flämischen Gemeinschaft bei Verhandlungsgegenständen in deren Dekretierungsbereich nunmehr neu formulieren müssen. Dementsprechend sieht die Regierungserklärung von Ministerpräsident Martens v. 10.5.1988 vor, daß "die Zentralregierung im Einvernehmen mit den Teilgebieten die Vertretung bei bestimmten internationalen Institutionen regeln wird". 26

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

sie der belgiseben Vertretung Weisungen erteilen, manchmal werden sie nur zu Rate gezogen. Entsprechend diesen diversen Modalitäten nehmen die Gemeinschaften wie auch die Regionen u. a. an den Arbeiten der EG, der WHO, der UNESCO, des Europarats etc. teiF8 •

IV. "Transformation" völkerrechtlicher Verträge in Belgien Die belgisehe Verfassungsordnung kennt zwei Formen der parlamentarischen Einschaltung auf dem Gebiet internationaler Vereinbarungen: die Zustimmung gemäß Art. 68 Abs. 2 CB bei Handelsverträgen und Verträgen, die dem Staat Lasten auferlegen oder belgisehe Staatsbürger persönlich verpflichten können, sowie die Ermächtigung aufgrund eines Gesetzes gemäß Art. 68 Abs. 3 CB bei einer Gebietsabtretung, einem Gebietstausch bzw. einer Gebietsetweiterung oder gern. Art. 121 CB. Während die Ermächtigung vor Abschluß des Vertrages erfolgen muß, kann die Zustimmung nach Art. 68 Abs. 2 CB auch nach Abschluß des Vertrages eingeholt werden, für dessen innerstaatliche Wirksamkeit sie allein maßgeblich ist. Die Erteilung der Zustimmung muß nicht in Form eines Gesetzes erfolgen 29 • Nach einer von Masquelin begründeten und im belgiseben Schrifttum allgemein anerkannten Theorie 30 hat das Zustimmungsgesetz in Belgien nicht die Wirkung einer Transformation; es verleiht vielmehr dem Vertrag nur eine "gesetzesähnliche" Wirkung. Diese Wirkung kann nach Masquelin niemals bei rein rechtsgeschäftliehen Verträgen, sondern nur bei den sog. "traites-lois" eintreten, die einen "caractere materiellement legislatif' besitzen. Soweit diese normsetzenden Verträge eine innerstaatliche Anwendbarkeit vorsehen, hat die gesetzliche Zustimmung als ein "Akt der Oberaufsicht" 31 die Wirkung, diesen auf die Anwendung gerichteten Vertragswillen zu vetwirklichen. Enthält der Vertrag aber nur eine entsprechende Pflicht zur Gesetzgebung, ist der Vertrag hiernach nicht unmittelbar anwendbar. Der belgisehe Conseil d' Etat hat in seiner Entscheidung vom 13. März 1964 eine ähnliche Auffassung vertreten 32• Suetens, S. 300. Vgl. Donnarumma, S. 195, unter Hinweis auf das Urteil des Cour de cassation im Fall Belgien I S.A. Fromagerie Franeo - Suisse Le Ski (,,Le Ski"), Urteil v. 27. 5. 1971, JT 1971, S. 460 ff. 30 Masque/in, Nr. 289 ff.; vgl. hierzu Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. 17 ff. 31 Ganshof van der Meersch, Bd. I, S. 886: "acte de baute tutelle"; hiergegen aber Masquelin, Nr. 188. 32 Pas. 1964 IV 127 bzgl. des Übereinkommens v. 18. 10.1950 über den Vogelschutz: "Considerant que l'article 2 de la convention, invoque par Je requerant, n'enonce pas de prohibition formelle, mais porte, [...] doivent etre proteges: a) au moins pendant Ia periode de reproduction, tous les oiseaux [...]; qu'il resulte dc: ces termes que l'article 2 n'enonce pas une regle de droit positif, mais constitue un engagement souscrit par 2s

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VIII. Kap.: Belgien

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Das Zustimmungsverfahren seitens der belgiseben Gemeinschaftsräte stellt angesichts der dem Monismus anhängenden Rechtsprechung Belgiens 33 ebensowenig ein Verfahren der Transformation in das innerstaatliche Recht dar 34• Diese bewegt sich nach der Anerkennung der partiellen Völkerrechtsfahigkeit der Gemeinschaften allerdings auch nicht, wie bislang teilweise angenommen, im Rahmen eines bloßen gesetzlich geregelten und als Ausfluß des kooperativen Föderalismus gewerteten Konsultationsverfahrens 35 • Die Zustimmungspflichtigkeit durch die Räte ist zutreffend dahingehend auszulegen, daß die jeweiligen völkerrechtlichen Verträge ihre innerstaatliche Wirksamkeit im Territorialbereich der jeweiligen Gemeinschaft erst mit der Zustimmung erhalten sollen, so daß diese als ein "Introduktionsmechanismus" (mecanisme d'introduction) für einen derartigen völkerrechtlichen Vertrag in das belgisehe Recht bezeichnet werden kann 36• Soweit es sich um einen Vertrag mit self-executing-Normen handelt, stellt die Zustimmung des Rates eine conditio sine qua non für die Anwendbarkeit des Vertrages in der Rechtsordnung der Gemeinschaft dar. Soweit der Vertrag nicht unmittelbar anwendbare Normen enthält, ist in der Zustimmung eine conditio sine qua non für seine Gültigkeit in den engen Grenzen des Art. 46 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23.5. 1969 gesehen worden 37• In jedem Fall ist die Einholung dieser Zustimmung für die jeweilige Exekutive der Gemeinschaften verpflichtend, und zwar über die in Art. 68 Abs. 2 CB genannten Bedingungen hinaus, da diese Verfassungsbestimmung durch Art. 16 SGRI implizit abgeändert und erweitert wurde 38 • les parties contractantes de prendre, chacune en ce qui Ia conceme, s'il y echet, les mesures legislatives ou reglementaires propres a assurer l'execution; que pareil engagement ne saurait, par lui-meme, deroger aux lois et aux reglements; qu'il n 'a d'autre portee que de Zier l'Etat beige aux autres parties contractantes; que l'article 2 ne cree aucun droit ni aucune obligation pour !es individus." "Considerant que I' absence de caractere normatif de Ia convention apparait d 'ailleurs a l'article 5, aux termes duquel les Hautes Parties contractantes s'engagent a prohiber les procedes ci-dessous enumeres . . ... "Considerant que vainement Je requerant fait valoir que Ia convention de Paris a ete publiee au Moniteur beige et que son entree en vigueur a ete annoncee par Ia meme voie; que ces publications n'ont pu conferer a Ia convention unevaleurnormative ... " (Hervorhebungen vom Verfasser). 33 Allein auf die monistische Theorie, nicht aber auf Art. 25 bis CB wird in der belgiseben Rechtsprechung auch der Vorrang des Gemeinschaftsrecht vor dem innerstaatlichen Recht gestützt: vgl die in Fn. 29 zitierte Rechtsprechung des belgiseben Cour de cassation sowie Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 255/256. 34 Vgl. Donnarumma, S. 196; Van de Craen, ZAÖRV 41 (1981), S. 547, Fn. 107. 35 Zu den verschiedenen Auffassungen vgl. Wale/fe, RBDI XIII (1977), S. 339 ff. 36 Vgl. Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 547, Fn. 107, wonach die fehlende Zustimmung eines Rates ein ,,rotes Licht für die nationale Exekutivgewalt" bedeutet, da der Vertrag dann in der "gliedstaatlichen" Rechtsordnung nicht anwendbar sei; i.d.S. auch de Visscher, RBDI XIX (1986), S. 39. 37 Vgl. de Visscher, ebd., S. 37. 38 Vgl. de Visscher, ebd., S. 39; Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 545, Fn. 101. 15 Blanke

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2. Teil: Regionen und auswärtige Angelegenheiten

V. Die innerstaatliche Durchführung völkerrechtlicher Verträge in Belgien Die Zuständigkeit der Regionen sowie der Gemeinschaften zur Durchführung der nicht unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Verträge in ihrem gesamten Dekretierungsbereich wird vom belgiseben Schrifttum sowohl bezüglich der Ausübung des jeweiligen gesetzgebefischen Ermessens wie auch in administrativer und budgetärer Hinsicht apodiktisch bejaht39. Eine Zuständigkeit der Gemeinschaften ergibt sich insofern aus Art. 59 bis, § 2 CB und Art. 59,§ 2 bis CB ("Die Gemeinschaftsräte regeln durch Verordnungen die kulturellen Angelegenheiten [ ... ] und "die personenbezogenen Angelegenheiten"), als sich diese - allerdings in der Formulierung mißglückte Bestimmung - auch auf die innerstaatliche Durchführung völkerrechtlicher Verträge und Vereinbarungen beziehen kann, die zuvor abgeschlossen worden sind 40• Für die Regionen läßt sich eine entsprechende Zuständigkeit mangels derartiger Verfassungsbestimmungen nicht ohne weiteres begründen. Jedoch wird diese teilweise 41 aus Art. 6, § 1 VI Abs. 3 SGRI hergeleitet, wonach die Regionen im Bereich der Wirtschaftspolitik ihre Kompetenzen unter Beachtung der internationalen Verträge oder der aufgrunddieser Verträge erlassenen Rechtsnormen auszuüben haben.

39 Vgl. Bitter, R.Fac.D.Univ.Complutense Nr. 4 (1981), S. 172: Leje~ne, RBDI XVI (1981-1982), S. 71, Fn. 82; Van de Craen, ZaöRV 41 (1981), S. 546, Fn. 104. 40 Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 274. 41 Donnarumma, S. 199. Einen genau gegenteiligen Schluß zieht Lenaerts, ebd., S. 271, aus dieser Bestimmung; vgl. dazu unten XX. Kap. II., Fn. 192.

Dritter Teil

Ingerenz und Kompensation IX. Kapitel

Die Ingerenz nationaler Verfassungsentscheidungen für eine internationale Zusammenarbeit auf den regionalen Kompetenzbereich Art. 24 Abs. 1 GG, Art. 93 S. 1 CE, Art. 11 S. 2 CI sowie Art. 25 bis CB ermöglichen eine Übertragung von Kompetenzen bzw. - zutreffender - von "Hoheitsrechten" auf eine internationale oder supranationale Organisation 1 bzw. eine "Souveränitätsbeschränkung" zur Förderung und Begünstigung internationaler Organisationen 2 • Aufgrund dieser Bestimmungen sind sowohl Kompetenzen des Staates als auch der regionalen Gebietskörperschaften auf die EG übertragen worden.

I. Bundesrepublik Deutschland (Art. 24 Abs. 1 GG) In Konkretisierung des in der Präambel des Grundgesetzes beschriebenen Verfassungsziels3, wonach das deutsche Volk als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen soll, kann gemäß Art. 24 Abs. 1 GG der Bund durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. In dieser Bestimmung wie auch in Art. 24 Abs. 2 und 3 GG manifestiert sich die Entscheidung des Verfassungsgebers für eine offene Staatlichkeit 4 • Durch Art. 24 Abs. 1 GG wird nach gängigen Formulierungen I Ähnlich lautende Vorschriften bspw. in Art. 92 der niederländischen Verfassung, Art. 49 bis der Iuxemburgischen Verfassung, § 20 der dänischen Verfassung sowie Art. 28 Abs. 2 der griechischen Verfassung. 2 Art. 93 S. I CE spricht nur von internationalen Organisationen, S. 2 hingegen außerdem von supranationalen Organisationen. Die Fassung des Art. 93 CE gilt insoweit als wenig geglückt; vgl. Molina del Pozo, Manual, S. 535 f. 3 Vgl. hierzu Hesse, Grundzüge, Rn. ll5, 116; lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 50, 52; Ress, EuGRZ 1986, S. 555 f.; Scheuner, S. 138; Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 24. 4 Vgl. zudiesemKonzeptGrabitz,AöR 111 (1986), S. 5; lpsen, EuropäischesGemeinschaftsrecht, S. 52 f.; Ruppert, S. 242; Vogel, S. 42 ff.

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

eine Öffnung des "Souveränitätspanzers" 5 bewirkt und damit ein Integrationshebel für den "Gesamtakt staatlicher lntegrationsgewalt" 6 geschaffen. Die überwiegende Ansicht im Schrifttum 7 räumt dem Übertragungsgesetz den Rang eines verfassungsändernden Gesetzes im materiellen Sinn ein, für das nur das Verfahren des Art. 79 Abs. 1 und 2 GG nicht gelte; teilweise wird demgegenüber in Art. 24 Abs. 1 GG bereits eine vom Verfassungsgeber gewollte antizipierende Billigung der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einheit 8 bzw. eine antizipierende, sich erst im Übertragungsakt konkretisierende Ermächtigung zur Verfasungsänderung 9 gesehen. Fast unbestritten und entsprechende Staatspraxis ist es aber, daß der zum Vertragsabschluß ermächtigte Bund dabei nicht nur Hoheitsrechte seines eigenen Kompetenzbereiches, sondern auch solche der Länder (Rechtsetzungs- wie Vollzugskompetenzen) übertragen darf 10• Dies wird aus der ratio essendi des Art. 24 Abs. 1 GG geschlossen, nämlich eine von den Hindernissen binnenstaatlicher Föderalstruktur befreite Integration zu erreichen 11 • Der Eingriff in Länderkompetenzen durch eine Übertragung von Hoheitsrechten, die nach innerstaatlicher Kompetenzverteilung staatswesentlichen Charakter haben, erscheint daher zwecks effektiver Ausstattung der begünstigten BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 102. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 58. 7 Grabitz, Die deutschen Länder in der EG-Politik, S. 179; lpsen, ebd., S. 57 f.; v. Münch-Rojahn, Art. 24, Rn. 20; Ruppert, S. 227, 238; kritisch H. J. Schütz, Der Staat 28 (1989), s. 212 ff. 8 BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 24; Stern, Staatsrecht I, § 15 II 7 (S. 533). 9 Weber, DVBI. 1986, S. 802, unter Verweis auf Tomuschat, ebd. 10 Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 6; lpsen, ebd., S. 55; Kössinger, S. 72 f.; Riegel, DVBl. 1979, S. 246; v. Münch-Rojahn, Art. 24, Rn. 39; E. Schneider, S. 65; H. Schröder, S. 50; Stern, Staatsrecht I, § 15 II 8 (S. 535); Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 25; ders., in: BK, Art. 24, Rn. 25. Im Ergebnis ebenso Spelten, S. 16, 26, mit der fragwürdigen Begründung, die Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf den ihnen noch verbliebenen Gebieten stellten keinen essentiellen Bestandteil der bundesstaatlichen Ordnung dar, weshalb eine Übertragung dieser Gesetzgebungsbefugnisse durch den Bund die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik nicht beeinträchtige und dem Sinn und der Zielsetzung des Art. 24 GG entspreche. Die Möglichkeit einer Übertragung von Länderkompetenzen bejaht auch der Schlußbericht der Enquete-Kommission für die Verfassungsreform, BT-Drs. 715924, S. 230. A. A. sind Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 24, Rn. 18; ders., Verfügung des Bundes, S. 291 ff., sowie Bernhardt, S. 188, und zuletzt H.-J. Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 220. Wenn K. H. Klein, S. 46 ff. , seine ablehnende Auffassung damit begründet, Art. 24 Abs. 1 GG könne sich nur auf die Hoheitsrechte des Bundes beziehen, weil der Bundesstaat mit der Eingliederung in eine supranationale Staatengemeinschaft seinen Charakter als nach außen abgeschlossener Gesamtstaat verliere und deshalb der Bundesgesetzgeber in Art. 24 Abs. 1 GG nicht als Organ des Gesamtstaates, sondern nur als Organ des Zentralstaates zur Übertragung ermächtigt sein könne, so ist dem entgegenzuhalten, daß bis zu dem Übertragungsakt die bundesstaatliche Einheit noch besteht, der Bundesgesetzgeber bis zu dessen Vollzug (ein Zeitpunkt, der in jedem Fall nach dem Tätigwerden des Bundesgesetzgebers liegen muß) also noch als Organ des Gesamtstaates tätig werden kann; vgl. Hüchting, S. 65 f., sowie Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 149 f., Fn. 712. 11 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 15 II 8 (S. 534); kritisch zu dieser teleologischen Interpretation äußert sich H. J. Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 205 ff. 5

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IX. Kap.: Die lngerenz nationaler Verfassungsentscheidungen

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Einrichtung unumgänglich 12. Nach den bekannten Worten Hans-Peter Ipsens 13 hat somit die Eingebung der Integrationsverträge die föderale Kompetenzverteilung "mutiert", soweit der Vertragsvollzug auf die Ausübung von Landeskompetenzen angewiesen ist. Eine der großen verfassungsrechtlichen Fragen des Grundgesetzes ist die Ermittlung der verfassungsrechtlichen Schranken des Übertragungsaktes und seiner Rechtsfolgen. Diese Problematik gewinnt noch dadurch an Brisanz, daß Art. 24 Abs. 1 GG eine Hoheitsübertragung ohne Zustimmung des Bundesrates ermöglicht. Nach anfanglieber Begrenzung auf den Aspekt des nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtschutzes stellt sich dieses Problem angesichts fortschreitender "Kommünitarisierung" von Länderkompetenzen 14 mit zunehmender Dringlichkeit auch im Hinblick auf das durch die Ewigkeilsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG vor jeglichen Änderungsbestimmungen geschützte Bundesstaatsprinzip15. Die dem Verfassungsänderungsgesetzgeber in Art. 79 Abs. 3 GG auferlegten Grenzen sollen erst recht auch für den einfachen, aufgrund des Art. 24 Abs. 1 GG tätig werdenden Gesetzgeber gelten. Gerade diejenigen, die den Übertragungsgesetzgeber des Art. 24 Abs. 1 GG qualitativ als Verfassungsänderungsgesetzgeber ansehen, können der für jede (materielle) Verfassungsänderung relevanten Grenzziehung des Art. 79 Abs. 3 GG nicht ausweichen 16 oder müssen diese Bestimmung zumindest ihrem Grundgedanken nach anwenden 17 . So herrscht denn auch Einigkeit darüber, daß infolge der " Wesensgehaltssperre" des Grundgesetzes die föderative Struktur der Bundesrepublik geschützt ist 18 . 12 Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 5 f.; als unrealistisch ist daher der Vorschlag von Min. Schmidhuber, EG-Magazin 3/1986, S. 5, zu werten, die EG-Kornrnission sei "gut beraten, dem Ministerrat keine Vorschläge zu unterbreiten, die in der Bundesrepublik in die Hoheitsrechte der Länder eingreifen". 13 lpsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 264; ders. , Europäisches Gerneinschaftsrecht, S. 58. 14 Vgl. dazu X. Kap. 11.1. ts Vgl. Weber, Rechtsfragen, S. 27; Everling, EuR 22 (1987), S. 221. 16 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 15 II 9 (S. 535 f.). n Vgl. Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 24, Rn. 16; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 50. 18 BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 68; Everling, EuR 22 (1987), S. 221; Schmidt-Bieibtreu, in: Schrnidt-Bleibtreu I Klein, Art. 79, Rn. 15; Streinz, Die Auswirkungen, S. 19; nach H.-J. Vogel, Verfassungspolitische Probleme, S. 1066, finden die Hoheitsrechtsübertragungen nach Art. 24 I GG wie auch eine Kompetenzwahrnehmung der Gerneinschaften ihre Grenze arn "Hausgut der Länder". Das BVerfG stellt in der EurocontrolEntscheidung (E 58, 1, 40) fest, daß Art. 24 GG nicht den Weg eröffnet, "das Grundgefüge der Verfassung anzutasten". Schon im "Solange !"-Beschluß (E 37, 271, 279) hatte das Gericht ausgeführt, daß Art. 24 GG nicht den Weg eröffne, "die Grundstruktur der Verfassung, auf der ihre Identität beruht, ohne Verfassungsänderung zu ändern". Art. 24 Abs. 1 GG erteile keinen Vollzugsbefehl für Vertragsbestimmungen oder für eine Regelung des sekundären Gerneinschaftsrechts, "die die Identität der geltenden Verfassung durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufheben"; vgl. hierzu Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 40 II. (S. 204).

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

Zugleich sehen sich aber weder Wissenschaft noch Staatspraxis in der Lage, den Verlauf unüberschreitbarer Grenzlinien zu bestimmen 19, was die vorherige nicht nur abstrakte 20 - Definition des Kernbestandes ländereigener Kompetenzen erforderlich machen würde. Ähnlich wie es Konrad Hesse 21 in Anbetracht der zunehmenden innerstaatlichen Unitarisierungstendenzen bezüglich der durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen einer Verfassungsänderung bereits beschrieben hat, muß auch bei einer Bewertung der Vergemeinschaftung ländereigener Kompetenzen "der Gesamtbestand bundesstaatlicher Ordnung mit seinen vielfältigen Interdependenzen, namentlich von Planung, Gesetzgebung, Finanzierung und Verwaltung ins Auge gefaßt [und] nach seinen Aktiv- und Passivseiten [ ... ] saldiert werden". Nach Hesse lassen die sich durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen immer nur in Annäherungswerten bestimmen. Eine allgemeine quantitativ-exakte Bestimmung sei nicht möglich, weshalb eine sichere Antwort nur dann gegeben werden könne, wenn es sich um eindeutige Überschreitungen handle. Ein ähnlich abstraktes Fazit ist auch bei einer Analyse der Reichweite der Ingerenz des Art. 24 GG auf die Länderkompetenzen zu ziehen 22 • Obwohl Art. 24 GG eine Schleuse für einen Einbruch in Länderkompetenzen eröffnet 23 , darf er dennoch nicht zu einem ,,Freibrief zur Liquidation" des Föderalismus werden 24 • Die "Grenzmarkierungen" des Art. 79 Abs. 3 GG können allerdings nur als letzter "rocherde bronze" 25 für den Fall einer offensichtlichen Aushöhlung des Iändereigenen Zuständigkeitsbereichs dienen, stellen aber keinen exakten Maßstab für die Bestimmung einer gerade noch zulässigen bzw. einer bereits unzulässigen Übertragung von Hoheitsrechten dar.

II. Spanien (Art. 93 S. 1 CE) Art. 93 S. I CE wird im spanischen Schrifttum ebenso wie von einem Teil des deutschen Schrifttums nicht als verfassungsänderndes Gesetz im materiellen Sinn, sondern als eine antizipierende, sich erst im Übertragungsakt konkretisierende Ermächtigung zur entsprechenden Verfassungsänderung gesehen 26 • Durch Vgl. Haas, DÖV 1988, S. 615. So das BVerfG in seiner Entscheidung v. 26.07.1972 (E 34, 9120). 21 Hesse, AöR 98 (1973), S. 42. 22 Im Ergebnis ebenso Beutler, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, Kap. 2.3.3 (S. 58 f.). Ohne auf Art. 79 Abs. 3 GG Bezug zu nehmen, führt er aus, daß es entscheidend sei, in welchem Umfang die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die Gemeinschaft entsprechende Hoheitsrechte der Länder als wesentlichen Bestandteil ihrer Staatsqualität einschränke. Die Übertragung einzelner Zuständigkeiten für sich genommen sei nicht verfassungswidrig. 23 Vgl. Riegel, DVBI. 1979, S. 246. 24 Vgl. Riegel, ebd., S. 245. 2s Stern, Staatsrecht I, § 15 II 9 (S. 540). 26 De Miguel Zaragoza, Las competencias, S. 369, jedoch mit der abwegigen Schlußfolgerung einer Alleinzuständigkeit des Staates für die Durchführung des Gemeinschafts19

20

IX. Kap.: Die Ingerenz nationaler Verfassungsentscheidungen

231

Organgesetz wird damit auch eine Modifikation der Autonomiestatute bewirkt, und zwar insoweit, als diese Statute Bereiche regeln, die nunmehr dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Denn ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland der zum Vertragsabschluß ermächtigte Bund nicht nur Hoheitsrechte seines eigenen Kompetenzbereiches, sondern auch solche der Länder übertragen darf, wird aus der Formulierung des Art. 93 CE (Übertragung "von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen") geschlossen, daß auch Kompetenzen der AG auf die EG übertragen werden dürfen, da die Formulierung Kompetenzen umfaßt, die das Staatsganze betreffen, also auch solche der AG, die einen integrativen Teil des Staates darstellen und deren Kompetenzbereich abstrakt in Art. 148 bis 150 CE definiert wird 27 • So bewirkt die Übertragung einen zumindest quantitativen Verlust des autonomen Kompetenzbereiches 28 , und zwar entweder bzgl. der den AG in Art. 148 und 149 Abs. 1 und 3 CE eingeräumten oder bzgl. der nach Art. 150 Abs. 1 und 2 CE delegierten Kompetenzen, die infolge des entsprechenden Verlustes der Verfügungsbefugnis des Staatesaufgrund des Beitritts zu den Gemeinschaften gleichsam "zurückgenommen" werden. Art. 93 CE erlaubt somit, die Anwendung der Art. 167 und 168 CE (Verfassungsreform) auszuschalten 29 • Damit erweist er sich als eine Ausnahme von der Regel des Art. 95 Abs. 1 CE, wonach die Verabschiedung eines völkerrechtlichen Vertrages, der verfassungswidrige Bestimmungen enthält, einer vorherigen Verfassungsänderung bedarf30• Insoweit nämlich durch die Übertragung in den Kompetenzbereich der AG eingegriffen wird, ist diese "Verfassungswidrigkeit" durch Art. 93 CE "gerechtfertigt". Gleichzeitig wirkt Art. 93 CE als Ausnahme von der Anwendung des in Art. 152 Abs. 2 CE festgelegten Verfahrens der Änderung der Autonomiestatute durch Volksabstimmung. Durch die Autonomiestatute können nämlich nach der Regelung des Art. 93 CE nur solche in der Verfassung vorgesehenen Kompetenzen übernommen werden, die der Staat nicht bereits an supranationale Organisationen abgegeben hat; erfolgte die Übernahme der Kompetenzen bereits vor einer entsprechenden Übertragung gleichartiger Kompetenzen durch den Staat auf supranationale Einrichtungen, ist nach der ratio essendi rechts, die dieser nur im Wege der Delegation für den Bereich der legislativen Durchführung auf die AG übertragen könne; Montaro Chiner, Rechtliche Konsequenzen, S. 52: "ein schon vorhergesehene[r] verfassungsmäßige[r] Effekt" (efecto constitucional ya previsto); Lorente Hurtado, S. 1699 f. ; OlivaresMartinez, DA201 (1984), S. 304; Rodrfguez-Zapata, Los tratados, S. 2378: "autoruptura de Ia rigidez constitucional". 27 Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 87 f.; Casanovasy La Rosa, S. 80; wpez Guerra, S. 476; Lorente Hurtado, S. 1700; Mangas Martin, S. 225; Muiioz Machado, S. 27; Ruiloba Santana, Repercusiones, S. 25; Sainz de Vicuiia y Barroso, S. 2761; Montaro Chiner, ebd., S. 54, spricht im Hinblick auf Art. 93 CE von einer ,,modifizierenden Wirkung außerhalb der Statuten" (extra estatuaria). 28 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 52. 29 De Miguel Zaragoza, ebd., S. 369; Olivares Martinez, DA 201 (1984), S. 304; Rodriguez-Zapata, Los tratados, S. 2378. 30 Aurrecoechea, ICLQ 36 (1987), S. 22; Muiioz Machado, S. 218; Olivares Martinez, ebd., S. 304.

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

des Art. 93 CE dementsprechend eine Änderung der Autonomiestatute ohne das üblicherweise hierfür von der Verfassung bereitgestellte Verfahren nach allgemeiner Ansicht möglich 31 • Der Übergang der betroffenen Kompetenzen der AG auf die EG vollzieht sich dabei ohne vorherige Rückübertragung auf den Staat, da anderenfalls ein vollständiger Kompetenzverlust der AG in dem jeweiligen Zuständigkeitsbereich einträte und damit auch jene Regelungsaspekte, die nicht vom Gemeinschaftsrecht absorbiert werden, in die Zuständigkeit des Staates zurückfielen 32• Art. 93 CE erweist sich somit als die rechtliche Grundlage für den Beitritt Spaniens zur EG 33. Unerörtert bleibt im spanischen Schrifttum die Frage, ob der staatliche Gesetzgeber bei der Übertragung von Hoheitsrechten regionaler Provenienz wegen der Entscheidung der spanischen Verfassung für eine autonomiestaatliche Gliederung bestimmten, näher defmierbaren Einschränkungen unterworfen ist. Klarheit besteht aber insoweit, als die Beitrittsentscheidung zur EG die organisatorischen und kompetenziellen Grundsätze zu berücksichtigen hat, die in der Verfassung im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und AG definiert werden 34 • Obgleich mit dieser Feststellung primär der Anspruch der AG auf Mitwirkung bei der Entstehung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts begründet werden soll 35 , kann aus der verfassungsrechtlichen Entscheidung für eine politische und administrative Dezentralisierung, wie sie sich im Verfassungsblock konkretisiert, auch gefolgert werden, daß die Übertragung von Hoheitsrechten die autonomiestaatliche Struktur Spaniens, die zwar nicht durch den verfassungsrechtlichen "Anker" einer Ewigkeitsgarantie, aber durch die "praktisch unerfüllbaren Voraussetzungen der Revisionsbestimmung des Art. 168 CE gesichert wird 36, zumindest in ihrem Wesensgehalt zu respektieren hat und durch- noch zu erörternde- innerstaatli31 Molina del Pozo, Manual, S. 550; Olivares Mart[nez, ebd., S. 305. Nach Art. 20 Abs. 3 S. 2 des Est.P.V. darf ,,kein Vertrag oder Abkommen die Zuständigkeiten und Kompetenzen des Baskenlandes berühren, wenn dies nicht mittels des Verfahrens des Art. 152 Abs. 2 der Verfassung geschieht, mit Ausnahme der Regelung in Art. 93 CE". Einer derartigen Anerkennung des Ausnahmecharakters des Art. 93 CE und damit gleichzeitig des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (Art. 93 S. 2 CE) bedarf es jedoch nicht: vgl. Lorente Hurtado, S. 1700 f.; Mufwz Machado, S. 64, wonach die treaty making power allein dem Zentralstaat zusteht, ohne daß sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Anerkennung durch die AG ergibt; Olivares Mart[nez, ebd., S. 305; Aurrecoechea, ebd., S. 100 ff. (102), betont die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung, räumt aber zugleich ihre Überflüssigkeit "bei einer korrekten Interpretation der Verfassung sowie der Statute" bezüglich der Vorschriften über den Abschluß völkerrechtlicher Verträge durch das Verfassungsgericht ein. 32 Vgl. Olivares Martfnez, ebd., S. 306. 33 Aurrecoechea, ICLQ 36 (1987), S. 20; Molinadel Pozo, Manual, S. 535 f.; Montaro Chiner, Rechtliche Folgen, S. 50/51. 34 Lorente Huardado, S. 1699. 35 Vgl. hierzu XIII. Kap. u. XVIII. Kap. 36 Truyol y Serra, Das Bonner Grundgesetz, S. 240. 37 Vgl. hierzu XI. Kap.

IX. Kap.: Die lngerenz nationaler Verfassungsentscheidungen

233

ehe Kompensationsmaßnahmen 37 versucht werden muß, die konfligierenden verfassungsrechtlichen Grundsätze der "offenen Staatlichkeit" 38 einerseits und der Autonomiestaatlichkeil andererseits zum Ausgleich zu bringen 39•

111. Italien (Art. 11 S. 2 Cl) In Art. 11, S. 2 und 3 CI hat der italienische Verfassungsgeber die Möglichkeit einer Souveränitätsbeschränkung zum Zweck der Schaffung einer internationalen Ordnung normiert, welche sich durch die Wesensmerkmale "Gleichberechtigung", "Friedlichkeit" und "Gerechtigkeit" 40 auszeichnet. Er definiert sich ferner alsFördererund Befürworter entsprechender, auf dieses Ziel ausgerichteter internationaler Organisationen, d. h. er ist bereit, seine Souveränität auf der völkerrechtlichen Ebene unter Beachtung der drei angegebenen Ziele auszuüben 41 • Die Funktion des Art. 11 CI als Grundnorm für die Stellung Italiens in der europäischen Integrationsgemeinschaft ist heute von der italienischen Lehre 42 und Rechtsprechung 43 weitgehend anerkannt. Dabei beinhaltet diese Bestimmung nach überwiegender Ansicht 44 eine Ermächtigung des Verfassungsgebers zu einer impliziten Verfassungsänderung, aufgrund derer diejenigen Souveränitätsbeschränkungen vollzogen werden können, die zur Stärkung der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der EG, erforderlich sind. In diesem Sinn beinhaltet Vgl. K. Vogel, S. 42. Vgl. Munoz Machado, S. 82 ff. 40 Vgl. zu diesen Erfordernissen Cassese, in: Branca, Art. 11 (S. 581 ff.). 41 Vgl. Panebianco, S. 104. 42 Vgl. Cassese, ebd., S. 577 ff. 43 CC Urteile Nr. 98 v. 16.12.1965, Giur.cost. 1965, S. 1322 ff. = EuR I (1966), S. 146 ff. (deutsche Übersetzung mit Anm. v. Glaesner, S. 149 ff.) und Nr. 183 v. 27. 12. 1973, Giur.cost. 1973, S. 2402 (2414 f.) =EuR 9 (1974), S. 255 (deutsche Übersetzung mit Anm. v. Feustel, S. 262 ff.); vgl. hierzu BK-Tomuschat, Art. 24 (III. Rechtsvergleichende Hinweise zu Italien). 44 Vgl. CC Urteile Nr. 98 v. 27. 12.1965, Giur.cost. 1965, S. 1322 ff.; insbesondere Nr. 183 v. 27.12.1973, Giur.cost. 1973, S. 2402 (2414 f.): "In der Tat ermöglicht es die Bestimmung des Art. 11 der Verfassung [ ... ] bei Vorliegen seiner Voraussetzungen Verträge abzuschließen, die Souveränitätsbeschränkungen mit sich bringen, und erlaubt es, diese durch einfaches Gesetz auszuführen. Die Bestimmung wäre ihres spezifischen normativen Inhalts beraubt, wollte man annehmen, daß man für jede Beschränkung der Souveränität, die durch Art. 11 vorgesehen ist, zu einem Verfassungsgesetz greifen müßte. Es ist vielmehr offensichtlich, daß diese Vorschrift nicht nur einen substantiellen, sondern auch einen verfahrensmäßigen Wert hat, und zwar in dem Sinne, daß sie jene Beschränkungen der Souveränität unter den dort festgelegten Bedingungen und Zielsetzungen zuläßt, wobei sie das Parlament der Notwendigkeit enthebt, auf die Ausübung der Befugnis zur Verfassungsänderung zurückzugreifen"; Nr. 81 v. 26.07.1979, Giur.cost. 1979, S. 622 (630); Nr. 176 v. 26.10.1981, Giur.cost. 1981, S. 1543; vgl. zu den Urteilen Caretti, S. 78 ff.; Catalano, FI 1964, S. 466: ,,Auf der Grundlage des Art. 11 konnten implizite Verfassungsänderungen durchgeführt werden, ohne daß dabei auf das durch die Verfassungsgesetze vorgesehene besondere Verfahren zurückgegriffen werden mußte"; Mortati, S. 1497 ff.; Panebianco, S. 117 f.; Pocar, Lezioni, S. 243 ff. und 258 ff.; Sorrentino, S. 87 ff.; Treves, RTDP 1973, S. 564 f. 38 39

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

die Bestimmung die Entscheidung für eine verfassungsrechtliche "Öffnung" 45 , die "den Weg für einen Fortschritt der Idee der europäischen Einheit" freirnacht 46• Art. 11 CI wird als eine "Kompetenznorm" angesehen, da die Bestimmung durch die Festlegung und Verteilung von Kompetenzen einerseits als eine die italienische Souveränität einschränkende Norm fungiert und sie andererseits die Öffnung hin zu den internationalen Organisationen zuläßt 47 • Souveränitätsbeschränkungen infolge einer Kompetenzübertragung gemäß Art. 11 CI können sich, wie dies auch bei völkerrechtlichen Vertragsnormen möglich ist, nach allgemeiner Meinung auf den Zuständigkeitsbereich der regionalen Autonomie erstrecken, und zwar insoweit, als sie aus den aufgrunddes Art. 11 CI eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen resultieren 48 • Umstritten ist jedoch, inwieweit die mögliche Souveränitätsbeschränkung ihrerseits durch die Verfassungsrechtsordnung im Hinblick auf die Wahrung der regionalen Autonomie bestimmten quantitativen bzw. qualitativen Begrenzungen unterliegt. Wenn Art. 11 CI als antizipierende, implizite Verfassungsänderung verstanden wird, so stellt sich diese Frage hier wie auch schon für die spanischen AG in besonderer Schärfe, da die Regionalautonomie Italiens mangels einer dem Art. 79 Abs. 3 GG entsprechenden Bestimmung keinen "erhöhten Bestandsschutz" genießt. Nach Federico Sorrentino 49 darf eine Kompetenzübertragung auf eine internationale oder supranationale Organisation gemäß Art. 11 CI zu einer vollständigen Eliminierung ("soppressione") einer materiellen Regionalzuständigkeit führen. Die Souveränitätsbeschränkung nach Art. 11 CI beziehe sich nicht nur auf den Staat als Staatssubjekt, sondern auf die gesamte Staatsgemeinschaft, weshalb der vollständige Entzug der regionalen Zuständigkeit für die Regelung einer Einzelmaterie im Wege eines entsprechenden, in die Zuständigkeit des Zentralstaates fallenden Vertragsschlusses möglich sei. Dies ergebe sich ferner daraus, daß die Regionalautonomie keinen Umstand darstelle, der der verfassungsrechtlichen Staatsorganisation vorgegeben sei, sondern von der Verfassung nur in den dort vorgesehenen Grenzen eingeräumt, geschützt und garantiert werde. Zu den der Regionalautonomie von der Verfassung gezogenen Schranken gehöre aber unzweifelhaft auch die Souveränitätsbeschränkung im Sinne des Art. 11 Cl. Im Hinblick auf die enge Verknüpfung zwischen der Volkssouveränität und der im Rahmen der Regionalautonomie möglichen politischen Partizipation des Volkes 45

Vgl. CC Urteil Nr. 183 v. 27. 12.1973, Giur.cost. 1973, S. 2412; Strozzi, Regioni,

s. 200f.

Vgl. Treves, RTDP 1973, S. 565. Vgl. Panebianco, S. 105; präzisierend Strozzi, Regioni, S. 204: Die Funktion des Art. 11 CI bestehe in einer Zustimmung zur Wirksamkeit und Anwendung von Normen mit einem Ursprung außerhalb der staatlichen Rechtsordnung, die sich auf jene Materien und Bereiche erstreckten, bzgl. derer der Staat zuvor einer Einschränkung der ausschließlichen normativen Kompetenzausübung zugunsten der fraglichen Rechtsordnung zugestimmt habe. 48 Caretti, S. 73. 49 Vgl. Sorrentino, S. 121 ff.; ihm folgend Mazziotti, S. 249. 46 47

IX. Kap.: Die lngerenz nationaler Verfassungsentscheidungen

235

sei es jedoch dem staatlichen Gesetzgeber untersagt, das Institut der Regionalautonomie in Ausübung des Art. 11 CI gänzlich zu beseitigen. Bei einer Kompetenzübertragung müsse das materielle Verfassungsprinzip der Autonomie vom staatlichen Gesetzgeber somit stets respektiert werden, um eine Umwandlung der dezentralisierten und autonomen Staatsorganisationsstruktur Italiens in einen Zentralstaat zu verhindern.

Aldo Bernardini 50 vertritt demgegenüber die Auffassung, Art. 11 CI dürfe für die nationale Exekutive nicht als Einfallstor dienen, um die Verfassung und insbesondere die Sphäre der regionalen Autonomie zu ändern. Hieraus folgert er, aufgrund des Art. 11 CI dürfe eine einzelne regionale Zuständigkeit nur eingeengt ("comprimere"), nicht aber gänzlich beseitigt werden. Die These Bernardinis, die- auch im Rahmen einer supranationalen Integration- von einem unantastbaren Wesenskern regionaler Zuständigkeiten ausgeht, erscheint auf dem Hintergrund der in der deutschen föderalistischen Literatur entwickelten und auf den Prozeß der fortschreitenden Vergemeinschaftung entsprechend anwendbaren Kriterien hinsichtlich der Sicherung der gliedstaatliehen Kompetenzen äußerst fragwürdig. Bei der Beantwortung der Frage, ob nationale Verfassungsänderungen im Hinblick auf die "Bundesstaatlichkeit" zulässig sind oder nicht, ist danach- wie bereits ausgeführt 51 -der "Gesamtbestand" bundesstaatlicher Ordnung ins Auge zu fassen und nach seiner Aktiv- und Passivseite zu analysieren. Wenn eine allgemeine quantitativ-exakte Bestimmung einer unüberschreitbaren bundesstaatliehen Grenze aber nicht einmal in einer Rechtsordnung möglich ist, deren Verfassung das Bundesstaatsprinzip unter den Schutz der Ewigkeitsgarantie stellt, muß dies erst recht für eine Rechtsordnung gelten, die für den Grundsatz politischer Dezentralisierung keinen derart weitgehenden verfassungsrechtlichen Schutzmechanismus bereitstellt. Folglich sind auch nach der italienischen Verfassungsordnung nur eindeutige Überschreitungen im Rahmen einer supranationalen Kompetenzübertragung verfassungswidrig, die einen Eingriff in den Grundbestand der Regionalautonomie darstellen würden. Dieses Ergebnis steht auch mit der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes52 im Einklang, wonach die Souveränitätsbeschränkungen u. a. 50 Bernardini, Formazione, S. 176; in diesem Sinne wohl auch Paladin, RDP 1959, S. 620, jedoch ohne ausdrücklich auf Art. 11 CI Bezug zu nehmen. 51 Vgl. Hesse, AöR 98 (1973), S. 42; vgl. hierzu bereits IX. Kap. I. 52 Vgl. CC Urteil Nr. 183 v. 27.12.1973, Giur.cost. 1973, S. 2420: "Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß auf der Grundlage des Art. 11 der Verfassung Souveränitätsbeschränkungen nur zur Verfolgung der dort angegebenen Ziele zugestanden wurden; daher ist auszuschließen, daß derartige Beschränkungen, konkret Punkt für Punkt im Vertrag von Rom festgelegt- der von Staaten unterzeichnet wurde, deren Rechtsordnungen sich am Prinzip des Rechtsstaates ausrichten und die die grundlegenden Freiheiten der Bürger garantieren -, irgendwie eine inakzeptable Befugnis der Organe der EWG zur Verletzung der "Grundprinzipien" unserer verfassungsrechtlichen Ordnung oder der unveräußerlichen Rechte der menschlichen Person zulassen könnten"; ähnlich bereits im Urteil Nr. 98 v. 27.12. 1965, Giur.cost. 1965, S. 1322 ff.; vgl. schließlich das Urteil

236

3. Teil: lngerenz und Kompensation

nicht zu einer unzulässigen Ermächtigung der Organe der EG führen dürfen, die "Grundprinzipien" der italienischen Verfassungsordnung zu verletzen. Diese Grundsätze, zu denen neben materiell-rechtlichen Gewährleistungen auch organisatorische Inhalte gehören, sind aber im Hinblick auf die Regionalautonomie erst dann als verletzt anzusehen, wenn ein eindeutiger Eingriff in die Grundsubstanz regionaler Autonomie festgestellt werden kann.

IV. Belgien (Art. 25 bis CB) Art. 25 bis CB wurde im Jahre 1970 in die belgisehe Verfassung eingefügt, um Bedenken gegen die Vereinbarkeil des belgischen Beitritts zu den europäischen Gemeinschaften mit dem Grundsatz unbeschränkter nationaler Souveränität auszuräumen 53 • Zugleich stellt er die unmittelbare Anwendbarkeit des Rechts supranationaler Gemeinschaften in Belgien sicher 54• Aus diesem Umstand einer erst nachträglichen Sanktionierung sowie dem Fehlen eines relevanten regionalen Zuständigkeitsbereiches im Zeitpunkt der tatsächlichen Hoheitsübertragung ergibt sich, daß sich die Frage der Zulässigkeil eines Eingriffs in die regionale Kompetenzsphäre jedenfalls im Hinblick auf die bereits übertragenen Hoheitsrechte nicht in der Form stellt, wie es in der Bundesrepublik, Spanien oder Italien der Fall ist. Die belgiseben Gemeinschaften und Regionen konstituierten sich im Gegensatz zu ihren europäischen Nachbarregionen als dezentralisierte Einheiten in einem aufgrund der staatlichen Übertragungsakte nationaler Hoheitsrechte auf die EG bereits beschnittenen nationalen Zuständigkeitsbereich. Die Frage einer lngerenz des Art. 25 bis CB auf den regionalen Kompetenzbereich stellt sich daher auch nur im Hinblick auf nachträgliche Übertragungsakte - wie etwa anläßlich der EEA - und dürfte dann angesichts einer fortschreitenden Föderalisierung des belgiseben Staates in ähnlicher Weise wie für die bereits untersuchten europäischen Regionen mit politischer Entscheidungsgewalt zu beantworten sein. Nr. 182 v. 22.07.1976, Giur. cost. 1976, S. 1138 (1145), wo der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Begrenzung des regionalen Zuständigkeitsbereiches infolge von gemeinschaftsrechtlichen Normen und Richtlinien feststellt: "Im Bereich des Gemeinschaftsrechts unterliegen die primären bzw. ausschließlichen Kompetenzen der Regionalautonomie ebenso wie jene spezifischen, sich aus der nationalen Souveränität ergebenden Zuständigkeiten bestimmten Veränderungen, die sich notwendigerweise in den [ .. . ] Bestimmungen über die Anpassung der innerstaatlichen Rechtsordnung widerspiegeln"; vgl. indiesemSinneauchFeustel,EuR 9 (1974), S. 270,derunterVerweis aufSorrentino, S. 123 ff., zu den "Grundprinzipien" der italienischen Verfassungsordnung auch das "Bekenntnis der italienischen Verfassung zu einer bestimmten Organisation der Hoheitsgewalt" zählt; Treves, RTDP 1973, S. 565; Strozzi, Regioni, S. 196, Fn. 95, der einen unzulässigen Eingriff in die regionale Autonomie jedoch bereits unterhalb der von Sorrentino (vgl. Fn. 48) definierten Schwelle annimmt, ohne diese genauer zu definieren. 53 Vgl. BK-Tomuschat, Art. 24, III. (S. 139); Louis, RMC 1970, S. 411. 54 Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 260.

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

237

X. Kapitel

Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf den regionalen Kompetenzbereich I. Das System der Kompetenzverteilung und -abschichtung zwischen EG und Mitgliedstaaten Zur Erfassung der regionalen Kompetenzbeeinträchtigungen durch das Gemeinschaftsrecht, die nur einen Teilaspekt der Gesamtproblematik der supranationalen lngerenz auf die mitgliedstaatliche Kompetenzsphäre insgesamt darstellen, ist eine zumindest ansatzweise Systematisierung der Kompetenzabschichtung zwischen EG und Mitgliedstaaten erforderlich. In diesem Zusammenhang wird im Schrifttum zum einen hinsichtlich einer Kompetenzbeeinträchtigung durch gemeinschaftsrechtliche Kompetenz- und Sachnormen, zum anderen nach den dem bundesstaatliehen Kompetenzverteilungsmodell entlehnten Kompetenzverteilungskriterien "Ausschließlichkeit", "Konkurrenz" bzw. "Rahmenkompetenz" differenziert 1• Bei dem alsdann ermittelten abstrakten gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsrahmen können schließlich noch ausdrückliche, subsidiäre und implizite Kompetenzen der Gemeinschaft unterschieden werden 2 • Gemeinsam ist allen diesen Differenzierungsversuchen, daß sie an den EWG-Vertrag anknüpfen, der die Kompetenzgrenze zwischen dem Kompetenzraum der Gemeinschaft und der nationalen Zuständigkeit zieht 3 • 1. Differenzierung nach dem Normtyp Ein erstes Differenzierungskriterium unterscheidet danach, ob es sich bei dem EG-Rechtssatz um eine Kompetenz- oder eine Sachnorm handelt. Als Kompetenznormen werden diejenigen Rechtssätze definiert, die bestimmte Aufgabenbereiche einem Träger zuweisen, wobei im Zusammenhang dieser Untersuchung allein die Kompetenznormen von Interesse sind, die bezüglich verschiedener Herrschaftsverbände (z. B. EG, Bund, Länder) Verbandskompetenzen begründen, nicht hingegen die die Zuständigkeiten einzelner Organe innerhalb eines Herrschaftsverbandes begründenden Organkompetenzen 4 • I Vgl. Schweitzer, Rechtsetzung, S. 28 ff.; Streinz, Die Auswirkungen, S. 26 ff.; auf die Vergleichbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung mit föderalistischen Modellen verweist Lasagabaster Herrarte, S. 50. 2 So die übliche Perspektive, die der Untersuchung der Ingerenz des Gemeinschaftsrechts auf die mitgliedstaatliehen und damit auch regionalen Kompetenzen zugrundeliegt: vgl. Lasagabaster Herrarte, S. 49 ff.; Olivares Mart{nez, DA 201 (1984), S. 278 ff. 3 Vgl. Tomuschat, EuR 20 (1985), S. 352, gegen die abweichende Auffassung des BFH, EuR 20 (1985), S. 191-198.

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3. Teil: lngerenz und Kompensation

Kompetenzen, die der EG eine Zuständigkeit zuweisen, schließen in ihrer Reichweite und Intensität die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und damit, soweit innerstaatlich eine Zuständigkeit der Regionen besteht, die regionale Zuständigkeit aus. Der Ausschließungsgrad richtet sich danach, ob es sich um eine ausschließliche, konkurrierende oder rahmengesetzgebende Gemeinschaftskompetenz handelt 5. Sachnormen wirken dadurch kompetenzbeeinträchtigend, daß sie als gemeinschaftsrechtliche Vorgaben dem Tätigwerden der Mitgliedstaaten und damit in den entsprechenden Bereichen dem regionalen Handlungsbereich Schranken setzen. Als Beispiele können hier das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung im Handel zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 30 bis 34 EWGV), das Beihilfeverbot (Art. 92 EWGV), die materiellen Vorgaben der gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 39 bis 46 EWGV), das EWG-Wettbewerbsrecht und das Gleichbehandlungsgebot des Art. 119 EWGV genannt werden 6•

2. Differenzierung nach dem Intensitätsgrad des Gemeinschaftsrechts Die Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten ist in den Gründungsverträgen im Gegensatz zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz weder nach Kompetenztypen noch nach Kompetenzkatalogen differenziert. Auf der Suche nach typengeeigneten Kategorien werden in der Literatur7 im Hinblick auf die Ähnlichkeit der kompetenziellen Problemlagen im Rahmen des grundgesetzliehen Bund-Länder-Verhältnisses einerseits und des Verhältnisses von EG und Mitgliedstaaten andererseits die nach "Ausschließlichkeit", "Konkurrenz" und "Rahmen- bzw. Grundsatzgesetzgebung" differenzierenden Kompetenztypen des Grundgesetzes zu Systematisierungszwecken auf das Verhältnis der EG zu den Mitgliedstaaten übertragen. Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine Systematisierung "von außen", die als bloßer "Erkenntnisbehelf' dienen soll 8 • Bei Zugrundelegung dieses Modells können unter die ausschließliche Gemeinschaftskompetenz die Materien der Zollunion und der Handelspolitik (Art. 113 EWGV) subsumiert werden. Die meisten "vergemeinschafteten" Materienwie die Agrarpolitik 9 , die Rechtsangleichung 10 sowie der Umweltschutz 11 , die Vgl. Streinz, Die Auswirkungen, S. 27. Vgl. Streinz, Die Auswirkungen, S. 27. 6 Vgl. Schweitzer, ebd., S. 38; Streinz, ebd., S. 27 f. 7 Vgl. Pechstein, S. 51 ff., S. 60 ff.; Streinz, ebd., S. 28 ff. s Vgl. Streinz, ebd., S. 29. 4

5

Art. 39-46 EWGV. Art. 100, Art. 100 a EWGV. 11 Art. 130 r - t EWGV.

9

10

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts Verkehrs- 12, Wettbewerbs- 13 und die Konjunkturpolitik 14 konkurrierende Kompetenz von EG und Mitgliedstaaten 15•

-

239

fallen unter die

Einen Sonderfall bildet die Zuständigkeit der EG zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge in Materien, die die Gemeinschaft im Inneren geregelt hat. Die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft tritt nach der Rechtsprechung des EuGH 16 erst, aber immerhin schon mit dem Gebrauchmachen der Innenkompetenz ein (Außenkompetenz als Annex realisierter Innenkomptenz) 17 • Für die Rahmenkompetenz 18 verbleiben diejenigen Materien, in denen die Verträge selbst allein Koordinations- und Kooperationsbefugnisse vorsehen, die sich in der Aufstellung von Rahmenbestimmungen und Programmen erschöpfen. Dazu gehören Teilbereiche der Grundfreiheiten Freizügigkeit, Dienstleistungsund Kapitalverkehr 19, die Sozialpolitik 20 sowie Forschung und technologische Entwicklung 21 • Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß die Gemeinschaftsverträge bei der Kompetenzzuweisung bezüglich einer bestimmten Materie nicht von dem Materienbegriff ausgehen, der förderalistischen Verfassungen zugrunde liegt. NichtSachbereiche sind zur Regelung übertragen, sondern bestimmte Aufgaben mit den dazu gehörigen Kompetenzen, was dann zu Tätigkeiten in den verschiedensten Politikbereichen führen kann 22.

3. Differenzierung nach dem Spezialitätsgrad des primären Gemeinschaftsrechts Ein letztes Differenzierungskriterium zur Abschichtung der Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten stellt auf den unterschiedlichen Spezialitätsgrad der primären Gemeinschaftsrechtsnorm ab und unterscheidet danach zwischen ausdrücklichen, subsidiären und impliziten Kompetenzen. Aus dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung, das dem EWG-Vertrag zugrunde liegt, ergibt sich, daß die Organe der Gemeinschaft nur in den Fällen rechtsetzend tätig werden dürfen, die die Verträge ausdrücklich vorsehen 23 • So12 13 14 15

Art. 74-84 EWGV. Art. 85-94 EWGV. Art. 103 EWGV. Vgl. Streinz, ebd., S. 31 f. m. w.N.

Urteil des EuGH v. 31. 3.1971, Rs. 22/70 (AETR), Slg. 1971, Leitsatz 1 und S. 274 f. Vgl. Schweitzer, Rechtsetzung, S. 23; Streinz, ebd., S. 31. 18 Vgl. dazu Streinz, ebd., S. 33. 19 Vgl. Art. 49 lit. a; Art. 54 Abs. I; Art. 63 Abs. I; Art. 70 Abs. 1 EWGV. zo Vgl. Art. II8 a Abs. 2 EWGV. 21 Vgl. Art. I30 f. 130 q EWGV. 22 Vgl. d'Atena, S. I7 ff.; Everling, Zur föderalen Struktur der EG, S. 184. 16

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

wohl Reichweite als auch Intensität der ausdrücklichen Gemeinschaftskompetenzen sind - wie oben gezeigt -höchst unterschiedlich 24 • Teilweise verfügen die Gemeinschaftsorgane aufgrund dieser Kompetenztitel nur über äußerst begrenzte Handlungsmöglichkeiten, teilweise werden ihnen umfassende Kompetenzen ohne irgendeine Begrenzung der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage zur Verfügung gestellt. So ermächtigen Art. 100/100 a EWGV den Rat, auf Vorschlag der Kommission Richtlinien bzw. Verordnungen für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes bzw. des Binnenmarktes (Art. 100 a Abs. 1 i.V. m. Art. 8 a EWGV) auswirken, wobei in Art. 100 EWGV keine Beschränkung auf eine bestimmte Materie genannt wird 25 • In den Vertragslückenschließungsverfahren gemäß Art. 235 EWGV 26 wird der Rat in den Fällen, in denen ein Tätigwerden der Gemeinschaften erforderlich erscheint, um eines ihrer Ziele zu verwirklichen, dies aber nicht möglich ist, da aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung die notwendigen Befugnisse hierzu fehlen, zum Erlaß der geeigneten Vorschriften ermächtigt. Ohne auf diese umstrittene Vorschrift 27 im einzelnen einzugehen, ist hervorzuheben, daß in Anwendung von Art. 235 EWGV im Einzelfall von Vertragsvorschriften abweichende Maßnahmen erlassen werden, wenn die vorgesehenen Maßnahmen materiell und formell nicht ausreichen. Diese vom Gerichtshof gebilligte Praxis 28 darf aber nicht dahin mißverstanden werden, daß nach Art. 235 EWGV in Abweichung von Art. 236 EWGV formelle Vertragsänderungen zulässig wären. Art. 235 EWGV begründet also keine Kompetenz-Kompetenz 29 • Gleichwohl wird er als ein entscheidendes Korrekturmittel im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gesehen, der als "sweeping-clause" des Gemeinschaftsrechts den Organen ein Tätigwerden in den lebenswichtigen Bereichen der Fortentwicklung der Gemeinschaft erlaubt 30• Dies führt aber zugleich dazu, daß der Gemein23 Vgl. Beutler, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 3.2.1.2 (S. 75); Schweitzerl Hummer, § 3 I (S. 94). 24 Vgl. Olivares Mart{nez, DA 201 (1984), S. 285. 25 Vgl. hierzu Everling, EuR 22 (1987), S. 224 f . 26 V gl. auch die ähnlich lautenden Bestimmungen in Art. 203 EAGV und Art. 95 EGKSV. 27 Vgl. dazu Bleckmann, Europarecht, § 4, Kap. XIII (S. 159 ff.); Schwartz, in: v. d. Groebenlv. Boekh1Thiesing1Eh1ermann, Art. 235, Rn. 13-56 sowie 190- 214. 2s Vgl. EuGH v. 12. 7.1973, Rs. 8/73 (Massey I Ferguson), Slg. 1973, S. 897 (907). 29 Streitig: vgl. Beutler, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 3.2.1.3. (S. 77). Das BVerfG (E 75, 223, 242) verneint jegliche Kompetenz-Kompetenz der Gemeinschaft: "Die Gemeinschaft ist kein souveräner Staat im Sinne des Völkerrechts [ . .. ], dem eine Kompetenz-Kompetenz über innere Angelegenheiten zukäme."; ebenso Lecheler, Die Verwaltung 22 (1989), S. 149; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 20m. w.N. 30 Vgl. Olivares Mart{nez, DA 201 (1984), S. 285; vgl. weiterhin d'Atena, S. 12 ff. (15); Everling, EuR 22 (1987), S. 218 f.

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

schaft mit Hilfe dieser "Kompetenzreserve" - zumindest potentiell lich nur schwer eingrenzbares Aufgabenfeld eröffnet wird 31 .

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ein sach-

Der EuGH32 hat neben Art. 235 die Berufung auf die implied-powers-Doktrin zugelassen. Die Ausübung dieser Zuständigkeit zur Abrundung bestehender Zuständigkeiten ist nur an deren verfahrensrechtliche Voraussetzungen gebunden 33 . Die subsidiäre Kompetenz gemäß Art. 235 EWGV wie auch die impliziten Gemeinschaftskompetenzen und die Rechtsangleichungskompetenz gemäß Art. 100/100 a EWGV offenbaren in besonderer Weise den Prozeßcharakter der Integration 34, der auch zu einer Ingerenz auf die regionalen Kompetenzen führt 35 . Die insoweit ergangene Rechtsprechung des EuGH entspricht dem Bedürfnis, die drei Gemeinschaftsverträge, die- materiell betrachtet- Verfassungscharakter besitzen, als Verfassungsinstrument neuen politischen und rechtlichen Gegebenheiten anzupassen 36. Dabei zeigen sich manche Wirkungen des Gemeinschaftsrechts erst in seiner Auslegung durch den EuGH, die oft sehr weit geht und überraschende Ergebnisse zeitigt 37 . Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß auch die Begriffe "Gemeinsamer Markt" und "Binnenmarkt" einen dynamischen Aspekt besitzen und damit am jeweiligen Integrationsstand ausgerichtet zu interpretieren sind. Diese dynamische Konzeption wird so lange als unproblematisch angesehen, wie der Ablauf des Integrationsprozesses im Gründungsinstrument "himeichend bestimmbar" normiert ist 38 .

31 Vgl. Magiera, Als Bundesstaat in der Europäischen Gemeinschaft, S. 18.

32 EuGH v. 29. 11.1956, Rs. 8155 (Fedechar), Slg. 1956, S. 299 (312); EuGH v. 15. 7.1960, Rs. 20159, Slg. 1960, 681 (708); EuGH v. 15. 7. 1960, Rs. 25159, S1g. 1960, s. 743 (781). 33 Vgl. hierzu Beutler, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 3.2.1.3 (S. 78); Schwartz, in: v. d. Groebenlv. BoekhiThiesingiEhlermann, Art. 235, Rn. 26 - 29. 34 Vgl. Olivares Martfnez, DA 201 (1984), S. 294; Tomuschat, EuR 20 (1985), S. 349. 35 Vgl. Hrbek, Doppelte Politikverflechtung, S. 19; Grabitz, in: ders., Kommentar, Art. 235, Rn. 1 f.; Morawitz, S. 10 f. 36 Vgl. Tomuschat, ebd., S. 348 f . 37 Vgl. Streinz, Die Auswirkungen, S. 35, Fn. p3, unter Verweis auf das Urteil des EuGH v. 13. 2. 1985, Rs. 293183 (Gravier I Stadt Lüttich), Slg. 1985, S. 593; Everling, EuR 22 (1987), S. 219. 38 BVerfGE 58, 1 (37) (Eurocontrol-Beschluß); vgl. aber auch BVerfGE 75, 223 (242): "Der Gemeinschaft ist durch den EWG-Vertrag nicht eine Rechtsprechungsgewalt zur unbegrenzten Kompetenzerweiterung übertragen worden [. ..]. Zulässig und von den Auslegungsregeln für die Gemeinschaftsverträge her nachgerade geboten ist es indessen, vorhandene Kompetenzen der Gemeinschaft im Lichte und im Einklang mit den Vertragszielen auszulegen und zu konkretisieren." Vgl. hierzu XXVII. Kap. 11.

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Blanke

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

II. Die Bereiche regionaler Kompetenzeinbußen 1. Konkrete Kompetenzbeeinträchtigungen der Bundesländer Gefahren für die Bundesstaatlichkeit ergeben sich zum einen daraus, daß infolge der Verlagerung der Entscheidungsfindung auf den Rat der Europäischen Gemeinschaften bezüglich all jener Materien, für die nach den Verträgen zur Gründung der Gemeinschaften eine gemeinschaftsrechtliche Regelungszuständigkeit besteht, der Bundesrat seines Rechtes nach Art. 50 GG zur Mitwirkung an der Gesetzgebung des Bundes, sei es im Wege des Einspruchs oder der Zustimmung bzw. der Verweigerung der Zustimmung, verlustig gegangen ist. So ist die Europäisierung von Bundeskompetenzen mit einer Schwächung des föderalen als auch des demokratisch-parlamentarischen Elements und mit einer Stärkung der im Rat vertretenen Exekutivgewalten einhergegangen. Im Hinblick auf den Prozeß der "Entparlamentarisierung" befindet sich der Bundesrat in derselben Lage wie der Bundestag. Insofern bilden die Einbußen an Organkompetenz die Folgen des vorangegangenen Verlustes an Verbandskompetenz. Die Bundesrepublik hat ihr souveränes Selbstentscheidungsrecht bei den übertragenen Kompetenzen eingetauscht gegen ein Recht auf Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung und Rechtsetzung im Rat 39• Gravierender als dieser nur mittelbare Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Mitwirkungsrecht des Bundesrates infolge einer horizontalen Gewaltenverschiebung40 wiegt jedoch im Hinblick auf die Gefahr eines Verlustes der Eigenstaatlichkeit der Länder im Zuge der europäischen Integration die Vergemeiosehaftung von Länderkompetenzen. Insofern wurden die Bundesländer bereits durch die Römischen Verträge vom 17. April 1957 in verschiedenen Kompetenzbereichen betroffen 41 • Ausmaß und Folgen des Kompetenzübergangs wurden aber im vollen Maße wohl erst anläßlich der Debatte über das Gesetz zur "Einheitlichen Europäischen Akte" (EEA) 42

39 Vgl. Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 28; Schwan, S. 23; vgl. auch die Stellungnahme des BR zum Entwurf eines Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte (Beschluß), BR-Drs. 150/86, A.l. 40 Vgl. Rudolf, Bundesländer, S. 128; Schmidt-Meinecke, S. 5. 41 Vgl. hierzu Blanke, S. 57 ff.; Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 144; Grabitz, AöR 111 (1986), S. 2 f.; ders., Die deutschen Länder in der EG-Politik, S. 311 ff.; Schwan, S. 15 ff.; Tomuschat, Bundesstaats- und lntegrationsprinzip, S. 29 f.; Streinz, Die Auswirkungen, S. 33 ff. 42 Gesetz v. 19.12.1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte v. 28.2. 1986, BGBI. II S. 1102 f.; Text (EEA): BGBI. II, S. 1104 ff.; Bulletin EG Beilage 2/86; ferner abgedruckt in: EuR 21 (1986), S. 175 ff. Zur EEA vgl. im Schrifttum: Bieber, ÖZöRV 39 (1988), S. 211 ff.; Borchmann, AöR 112 (1987), S. 598 ff.; Editorial Comments, CMLR 1986, S. 249 ff.; Erhardt, Außenpolitik 1987, S. 103 ff.; Glaesner, EuR 21 (1986), S. 119 ff.; ders., Die EEA, S. 9 ff.; Hrbek I Läufer, EA 1986, S. 173 ff.; /psen, Vier

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

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bewußt, deren Zielsetzung es ist, die Verwirklichung des Binnenmarktes bis zum Jahre 1992 sicherzustellen. Sie erschien den Ländern wie ein "Kulminationspunkt [im] Erosionsprozeß der Bundesstaatlichkeit" 43 , obwohl in ihr bei nüchterner Betrachtung eine gravierende Verminderung der materiellen Länderkompetenzen kaum gesehen werden kann 44, da die neu in den Vertrag aufgenommenen Kompetenzen nämlich bereits weitgehend unter Berufung auf Art. 235 EWGV von der EG wahrgenommen wurden. a) Der Kultur· und Medienbereich Eine lngerenz ist zunächst in der Länderdomäne der Bildungs- und Kulturpolitik sowie des Hochschulbereichs 45 festzustellen, und zwar auf der gemeinschaftsrechtlichen Grundlage der Art. 41lit. a/ 43 Abs. 2 EWGV, die eine Koordinierung auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Berufsausbildung vorsehen, sowie des Art. 57 Abs. 1 und 2 EWGV, der zu einer Erleichterung der Freiheit der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten führen soll. So gibt Art. 57 Abs. 1 EWGV ausdrücklich dem Rat die Kompetenz, Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung von Zeugnissen und Diplomen zu erlassen, soweit dadurch die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erleichtert wird 46 • Andere Bereiche der Bildungspolitik, die nach der Rechtsprechung des EuGH als solche in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt, können ungeachtet dieses Umstandes durch materielle Vorgaben der Grundfreiheiten des EWG-Vertrages eingeschränkt werden. Solche mittelbaren Zuständigkeiten leiten sich in erheblichem Umfang aus den Bestimmungen über die Freizügigkeit, die Sozialpolitik, die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit her 47 • So folgt bspw. aus der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ein Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Ausbildungsförderung für ihre Kinder. Bereits in der von den Bundesländern bis heute als Eingriff in ihr "heiliges Reservat" der Bildungs- und Kulturpolitik heftig kritisierten Verordnung Nr. 1612/68 48 ist vor mehr als zwanzig Jahren Glossen, S. 327 ff.; Pescatore, EuR 21 (1986), S. 153 ff.; de Ruyt, L'Acte unique europeen; Weidenfeld, Außenpolitik 1986, S. 375 ff.; de Zwaan, CMLR 1986, S. 747 ff. 43 Vgl. Schröder, JöR 35 (1986), S. 86. 44 Vgl. Bruha, Diskussionsbei trag, in: Hrbek I Thaysen, S. 69; Ress, EuGRZ 1986, S. 550; Streinz, Die Auswirkungen, S. 16 f. 45 Vgl. Avenarius, NVwZ 1988, S. 385; Hochbaum, BayVBl. 1987, S. 481; Oppermann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und deutsche Bildungsordnung; Sieveking, ZAR 1987, S. 99 f.; Stoiber, EA 1987, S . 546 f.; Wägenbaur, EuR 22 (1987), S. 113 ff. 46 Vgl. die Richtlinie des Rates über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, v. 21.12. 1988, ABlEG 1988 L 19/16 ff., die auf Art. 49 und 57 Abs. 1 sowie 66 EWGV gestützt ist. 47 Vgl. Sieveking, ZAR 1987, S. 99 f.; Streinz, Die Auswirkungen, S. 40 f. 48 Vgl. Art. 12 der auf Art. 49 EWGV gestützten Verordnung des Rates v. 15.10.1968 (ABlEG 1968 L 257, S. 2) und dessen Auslegung durch das Urteil des EuGH v. 3. 7.1974, 16*

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3. Teil: lngerenz und Kompensation

zutage getreten, daß die Freizügigkeit Ausstrahlungswirkungen in den Bildungsbereich zeitigt. Noch weitergehend ist die ebenfalls auf Art. 49 EWGV gestützte Richtlinie Nr. 77/486 vom 25. Juli 1977 über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern 49 • Darin ist insbesondere die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorgesehen, Kindern von Wanderarbeitnehmern kostenlosen Einführungsunterricht anzubieten, die entsprechenden Lehrkräfte aus- und weiterzubilden sowie den Unterricht der Kinder in der Muttersprache und der heimatlichen Landeskunde zu fördern. Auch der durch die Freizügigkeit begründete Anspruch eines EG-Ausländers auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst für Studienreferendare 5° hat Auswirkungen auf die Bildungspolitik. Durch das Gravier-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Februar 1985 51 haben diese zunächst eher marginal erscheinenden Einbrüche an Gewicht und Bedeutung gewonnen. Der EuGH sieht hier eine Abgabe, Einschreibe- oder Studiengebühr für den Zugang zum berufsbildenden Unterricht als eine gegen Art. 7 EWGV verstoßende Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit an, wenn sie von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber von inländischen Studenten erhoben wird. Diese Diskriminierung vollzieht sich nach Ansicht des EuGH im Anwendungsbereich des Vertrages, da der Begriff "Berufsausbildung" i. S. d. Art. 128 EWGV über die berufliche Bildung hinaus auf die allgemeine Bildung zu erstrecken sei und zum anderen die gemeinsame Politik im Bereich der Berufsausbildung durch die Beschlüsse der im Rat vereinigten Minister für Bildungswesen als "schrittweise" fortentwickelt anzusehen seien 52• Im Urteil Blaizot vom 2. Februar 1988 53 bezog der Gerichtshof auch ein Universitätsstudium in diese Formel ein. Die gemeinsame Politik der Berufsausbildung - so führte er aus - festige sich in wachsendem Maße. Hierzu verwies Rs. 9/74 (Casagrande I Landeshauptstadt München), Slg. 1974, S. 773, im Hinblick auf das den Inländern gleichgestellte Zugangsrecht der Kinder eines EG-Ausländers zum allgemeinen Unterricht sowie zur Lehrlings- und Berufsausbildung. Außerdem regelt Art. 7 Abs. 3 der VO das Recht der Wanderarbeitnehmer auf gleichberechtigte Inanspruchnahme von Berufsschulen und Umschulungszentren, spezifiziert also in diesem Bereich das Inländergleichbehandlungsgebot. Im Urteil v. 13. 7.1983, Rs. 152/82 (Forcheri I Belgien), Slg. 1983, S. 2323 (2335 f.), leitete der EuGH für die Ehefrau eines EG-Ausländers die gleiche Rechtsstellung unmittelbar aus Art. 48 EWGV ab. 49 ABlEG 1977, L 199/32. 50 EuGH v. 3. 7.1986, Rs. 66/85 (Deborah Lawrie-Blum/ Baden-Württemberg), Slg. 1986, s. 2121 ff. 51 EuGH, Rs. 293/83 (Gravier), Slg. 1985, S. 593 ff. 52 EuGH, ebd., S. 612 ff., insbes. S. 613 (Entscheidungsgrund 23); kritisch Geiger, Die Stellung der Bundesländer, S. 53 ff.; Streinz, Die Auswirkungen, S. 41 f.; vgl. diesbezüglich auch die sog. "Studentenrichtlinie" (Richtlinie des Rates über das Aufenthaltsrecht der Studenten- ABlEG 1990 L 180/30 v. 13. 7.1990). Die Kommission stützte sich bei ihrem Vorschlag (ABlEG 1989 C 191/2; geändert in ABlEG 1990 C 26!15)auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach die Art. 128 und 7 EWGV jede unterschiedliche Behandlung zwischen EG-Bürgem hinsichtlich des Zugangs zur beruflichen Bildung verbieten. 53 EuGH, Rs. 24/86, Slg. 1988, S. 397 ff.

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

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er auf Entscheidungen des Rats und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen aus den Jahren 1976 und 1983. Diese Entschließungen waren nicht bindend. Sie dienten dem Gerichtshof jedoch zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Erstaufgrund dieser Entwicklung ist es möglich geworden, Universitätsstudien zur Vorbereitung auf die Ausübung eines Berufs dem Begriff der Berufsausbildung im Sinne des Gemeinschaftsrechts zuzuordnen. Berufsausbildung umfaßt nunmehr alle Bildungsgänge, die zu einer Berufsausübung gleich welcher Art berechtigen. Die in Art. 128 EWGV der Gemeinschaft im Rahmen ihrer Sozialpolitik eingeräumte Kompetenz zur Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Berufsausbildung hatte der Rat bereits 1963 aktiviert 54• Anläßlich seiner Urteile in den Fällen Erasmus 55 und Petra 56 machte der EuGH noch einen weiteren Schritt, indem er zu den "allgemeinen Grundsätzen" lediglich feststellte, daß diese rechtsverbindlich seien und seit 1963 ständig fortentwickelt würden 57• Stattdessen konzentrierte er sich auf den Begriff der "gemeinsamen Politik" in Art. 128 EWGV, dem er nicht im Sinne einer Kompetenzaufteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, sondern als Kooperationsformel definierte. Danach obliegt die an den allgemeinen Grundsätzen orientierte gemeinsame Politik sowohl den Mitgliedstaaten als auch den Gemeinschaftsorganen im Rahmen einer gegenseitigen Kooperationsverpflichtung. Der Gerichtshof folgert daraus, daß der Rat tatsächlich befugt sei, Rechtsakte über Gemeinschaftsmaßnahmen auf dem Gebiet der Berufsausbildung zu erlassen, die den Mitgliedstaaten entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegen. Das Vorrecht einer solchen Maßnahmeinitiative liegt demnach beim Rat und nicht, wie bisher angenommen, bei den Mitgliedstaaten. Zuerst- so ist lakonisch festgestellt worden- wird also vom Rat Sekundärrecht erlassen, das über das Primärrecht hinausgeht, und dann wird das Primärrecht vom EuGH unter Berufung auf das Sekundärrecht weit ausgelegt, um noch weitergehendes Sekundärrecht kompetenzmäßig zu rechtfertigen 58• 54 Vgl. den Beschluß des Rates 63/266 v. 2.4.1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung, ABlEG 1963 L 63/1338 ff. Auch der Beschluß des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (ERASMUS), ABlEG 1987 L 166/20 ff., stützt sich auf Art. 128 EWGV sowie Art. 235 EWGV. Daneben existieren weitere Bildungs- und Austauschprogramme wie Comett (ABlEG 1986 L 122/17; Comett li, ABlEG 1989 L 13/28), Lingua (ABlEG 1989 L 50/29), Science (ABlEG L 50/29), Spes (ABlEG 1989 L 44/43), Jean Mannet (ABlEG 1989 C 308/13) u. a. 55 EuGH v. 30.5.1989, Rs. 242/87 (Kommission/Rat), NJW 1989, S. 3091. 56 EuGH v. 30.5.1989, Rs. 56/88 (Großbritannien /Rat), NJW 1989, S. 3090. 57 Am deutlichsten kommt die Ansicht des EuGH dann imBrown-Urteil v. 21.6.1988 (Rs. 197/86, Brown I Secretary of State for Scotland, Slg. 1988, S. 3205 ff.) zum Ausdruck, wonach Art. 128 EWGV auch die Befugnis zur Aufstellung allgemeiner Grundsätze für den Hochschulbereich umfaßt, soweit die Studiengänge auf einen bestimmten Beruf, eine bestimmte Tätigkeit oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereiten oder die besondere Fähigkeit vermitteln, einen solchen Beruf, eine solche Tätigkeit oder Beschäftigung auszuüben.

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

Der EuGH 59 machte außerdem deutlich, daß die Zielsetzung für die gemeinsame Politik in Art. 128 EWGV bereits enthalten und in Folge ihrer gebotenen weiten Auslegung, die auch Beschlüsse des Europäischen Rates mitumfasse, eine Hinzuziehung des Art. 235 EWGV entbehrlich sei 60• Insoweit verwies er auf seine Ausführungen im Gravier-Urteil, wonach zwischen der "gemeinsamen Politik" und der Verwirklichung der Freizügigkeit ein enger Zusammenhang besteht. Wie schon im Casagrande-Fall 61 ausgesprochen, können "die der Gemeinschaft übertragenen Befugnisse" nicht für den Fall eingeschränkt werden, daß sie sich auf Maßnahmen der Bildungspolitik auswirken. Insbesondere das Erasmus-Urteil gibt dem EWG-Vertrag eine völlig neue Dimension, indem es den Gemeinschaftsorganen weitgehende Regelungsbefugnisse im gesamten Bereich der Bildung und Ausbildung zugesteht, soweit diese mit den allgemeinen Zielsetzungen der Gemeinschaft in Einklang zu bringen sind. Hierbei haben die Gemeinschaftsorgane Rahmenbefugnisse und Koordinierungs- und Kontrollrechte für die Durchführung der den Mitgliedstaaten auferlegten Maßnahmen. Die den Mitgliedsländern verbliebenen Souveränitätsbereiche werden damit unter den Vorbehalt des Gemeinschaftsrechts und der Gemeinschaftspolitik gestellt und sind zugleich - auch dieses ist eine Folge des Urteils- dem einfachen Mehrheitsvotum im Rat "ausgeliefert"62. Ebenfalls im Bereich der Sozialpolitik sind nach Art. 119 EWGV Richtlinien erlassen worden, die die Gleichbehandlung auch bei der Berufsausbildung betreffen und damit Länderbefugnisse tangieren können 63 . Bei der in Art. 130 f bis q EWGV angestrebten "Technologiegemeinschaft" 64 ist nicht auszuschließen, daß sie in die zum Landesbereich gehörende Hochschulautonomie und wohl auch in landesrechtliche Entscheidungsrechte nach Art. 91 b GG eingreifen kann, wenn auch nach Art. 130 g EWGV diese BQZuständigkeiten nur ergänzend in Anspruch genommen werden sollen (sog. "Subsidiaritätsvorhalt").

ss Schweitzer, EG-Kompetenzen, S. 153 59 EuGH, Rs. 242/87, NJW 1989, S. 3091. 60 Der Beschluß des Rates v. 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (Erasmus), ABlEG 1987, L 166/20 ff., stützte sich neben Art. 128 EWGV auf Art. 235 EWGV. Dies war der Grund für die Anfechtung durch die Kommission. 61 Vgl. Fn. 48. 62 Hochbaum, MittHV 4/89, S. 176. 63 Richtlinie v. 10.2. 1975, ABlEG 1975 L 45/75; Richtlinie v. 9.2.1976, ABlEG 1976 L 38/76. 64 Einschlägige Bestimmungen dazu enthält das vom Rat beschlossene gemeinschaftliche Rahmenprogramm im Bereich der Forschung und der technologischen Entwicklung für die Jahre 1987 bis 1991 v. 28.9.1987, ABlEG 1987 L 302/1, geändert in ABlEG 1988 L 89/35.

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

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Aufgeschreckt hat die Länder schließlich die Aktivitäten der Gemeinschaft im Bereich der Medienpolitik, in der sich seit einer Reihe von Jahren ganz offen der Grundsatzkonflikt zugespitzt hat, ob Rundfunk und Fernsehen eher als Erscheinungen der Kultur oder solche des Wirtschaftslebens aufzufassen sind. Die auf dem "Grünbuch" der Kommission über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel ("Fernsehen ohne Grenzen") 65 basierende Richtlinie des Rates 66 verfolgt das Ziel, Rundfunk und Fernsehsendungen, die den Vorschriften der Richtlinie entsprechen, frei in allen Mitgliedstaaten zirkulieren, empfangen und weiterverbreiten zu lassen. Die Kommission betrachtet die Rundfunktätigkeit als Dienstleistung und stützt sich daher auf Art. 57 Abs. 2 i.V. m. Art. 66 EWGV 67, nimmt aber auch auf Art. 10 der Europäischen Konvention zumSchutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 68 Bezug 69 • Die deutschen Bundesländer bestreiten die Kompetenz der EG zum Erlaß einer solchen Richtlinie und sehen in ihm einen "nicht hinnehmbare[n] Eingriff in den Kernbereich [ihrer] Rundfunkhoheit" (Art. 30 i.V. m. Art. 83 ff. GG) 7o.

65 Dok. KOM (84) 300 endg.; Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit v. 30.4.1986, KOM (86) 146 endg., ABlEG C 179/4. 66 Richtlinie 89/552 v. 3.10.1989, ABlEG 1989 L 298/23 ff. 67 Dok. KOM (86) 146 endg., S. 8 ff. 68 V. 4.11.1950, BGBI. 1952 II, S. 668, 953; 1968 li, S. 1116, 1120. 69 Dok. KOM (86) 146 endg., S. 5, Nr. 10. 10 Beschluß des BR v. 20.2.1987, BR-Drs. 259/86, Ziff. I. Vgl. des weiteren die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz v. I.- 3.10. 1986, Media Perspektiven, Dokumentation 1/87, S. 78 f. Der Antrag der bayerischen Staatsregierung auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die grundsätzliche - im Rahmen eines Kabinettsbeschlusses erteilte- Zustimmung der Bundesregierung v. 8.3.1989 zum Erlaß einer ,,Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit" (EG- Rundfunkrichtlinie) wegen Verletzung des Art. 30 GG wurde durch Urteil des BVerfG v. 11.4.1989 (NJW 1990, S. 974 f.) zurückgewiesen. Dies begründete das BVerfG im Rahmen seiner Abwägung insbesondere damit, daß im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung infolge der Einschränkung des Einschätzungsspielraums und des politischen Gestaltungsspielraums der Bundesregierung die Gefahr der Entwicklung eines mit deutschem Verfassungsrecht unvereinbaren sekundären Gemeinschaftsrechts bei späterer Unbegründetheil der Hauptsache gegeben sei. "Der sich daraus ergebende Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist ein derart schwerwiegender Nachteil, daß schon aus diesem Grund die begehrte einstweilige Anordnung unterbleiben muß". Zu den kompetenzrechtlichen Bedenken vgl. Börner, ZUM 1985, S. 577 ff.; Bullinger, Werbung, S. 87 ff.; Delbrück, Die Rundfunkhoheit der deutschen Bundesländer; Geiger, Die Stellung der Bundesländer, S. 55 ff.; Jarass, EuR 22 (1986), S. 92 ff.; Jooss I Scheurle, EuR 3/1989, S. 230 ff.; Magiera, Rechtliche Grundfragen, S. 67 ff.; Memminger, DÖV 1989, S. 846 ff.; Ossenbühl, Rundfunk zwischen nationalem Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht; E. Schneider, S. 63; kritisch auch Eise/stein, NVwZ 1989, S. 328 f. Vgl. XXVII. Kap. li.

248

3. Teil: Ingerenz und Kompensation

b) Weitere Eingriffsbereiche

Erwähnenswert sind unter dem Aspekt der gemeinschaftsrechtlichen lngerenz schließlich noch die teilweise oder ganz in die Kompetenzen der Länder fallenden Bereiche des Finanzwesens, des Umweltschutzes sowie der regionalen Wirtschaftsförderung. Einen Eingriff in die Steuerhoheit der Länder stellt bspw. die auf der Grundlage von Art. 99 EWGV erfolgte Einführung eines harmonisierten Verbrauchssteuersystems u. a. für Bier 71 dar, womit die nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG den Ländern zustehende Biersteuer tangiert wird. Betroffen ist die Länderfinanzhoheit auch durch die den Ländern anteilig als Einnahmequelle zufallende Umsatzsteuer durch Abführung eines bestimmten Prozentsatzes an die Gemeinschaft 72 • Gestützt auf Art. 103 EWGV sind im Rahmen der Konjunkturpolitik Rechtsakte ergangen 73 , die zu einem Eingriff in die Haushaltsrechte der Länder führen können. In die Aufgabenverantwortung der Länder wird ferner durch Art. 92 EWGV eingegriffen, der staatliche Subventionen verbietet und damit auch Länderbeihilfen betrifft. Gemeinschaftsrechtliche Eingriffe in umweltrechtliche Länderkompetenzen werden sich mangels einer diesbezüglichen Alleinzuständigkeit des Bundes 74 aus der- ebensfalls unter einem Subsidiaritätsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten75- erfolgten Verankerung der Umweltkompetenz der EG in Titel VII des dritten Teils des geänderten EWG-Vertrages ergeben, ein Sektor, auf dem die Gemeinschaft allerdings auch schon zuvor auf der Grundlage von Art. 100 und 235 EWGV tätig geworden ist 76. Die nach Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 GG weitgehend in die Länderverantwortung fallende regionale Wirtschaftsförderung wird durch die im Titel V des dritten Teils des geänderten EWG-Vertrages ausgebauten Instrumentarien der Regionalpolitik tangiert. Die Konsolidierung des Regionalfonds durch den neu eingeführten Art. 130 c EWGV kann zu dem Schluß verleiten, daßkünftig die Regionalpolitik als eine ausschließlich der Gemeinschaft vorbehaltene Angelegenheit dienen soll 77 • Vgl. Richtlinie 78/1032 v. 19.12. 1978, ABlEG 1978 L 366128 ff. n Vgl. Beschluß des Rates v. 21.4. 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften, ABlEG 1970 L 94119 ff. 73 Vgl. Richtlinie 74/121 v. 18.2.1974, ABlEG 1974 L 63/19 f. 74 Vgl. Art. 74 Nr. 24 GG; Art. 75 Nr. 3, 4 GG. 1s Art. 130 r Abs. 4 EWGV. 76 Vgl. die vier seit dem Jahr 1973 verabschiedeten Aktionsprogramme für den Umweltschutz: ABlEG 1973 C 112/l; ABlEG 1977 C 13911; ABlEG 1983 C 4611; zuletzt die Entschließung des Rates v. 16.12. 1986 zur Verstärkung der gemeinschaftlichen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, ABlEG 1987 C 3 I 3; Entwurf einer Entschließung des Rates zur Fortschreibung und Durchführung einer Umweltpolitik und eines Aktionsprogammes der Europäischen Gemeinschaften für den Umweltschutz (1987 -1992), ABlEG 1987 C 7013; vgl. aus dem Schrifttum Geiger, ebd., S. 56 f. ; Montag, RIW I AWD 1987, s. 935 ff. 11

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

249

c) Kompetenzbeeinträchtigungen der Länder im Bereich der Rechtsprechung und Verwaltung

Auch die Gerichte der Länder unterliegen dem Auslegungsmonopol des EuGH für Rechtsfragen des Gemeinschaftsrechts 78 • Die obligatorische Vorlage gemäß Art. 177 Abs. 3 EWGV trifft zwar als letztinstanzliehe Gerichte in erster Linie die obersten Gerichtshöfe des Bundes 79 , jedoch können dies in bestimmten Fällen auch Gerichte der Länder sein 80 • Die Anerkennung des EuGH als gesetzlicher Richter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG8 1 kann in Verbindung mit dem vom Bundesverfassungsgericht dem EuGH anvertrauten Grundrechtsschutz 82 die Instanzgerichte der Länder verfassungsrechtlich zur Vorlage gemäß Art. 177 Abs. 2 EWGV verpflichten 83 . Betroffen fühlen sich die Länder schließlich aufgrund der durch Art. 10 EEA erweiterten Kompetenz der Kommission zum Erlaß gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsakte (Art. 145 i.V. m. 155 EWGV), die sie eine Entmachtung in ihren administrativen Befugnissen 84 befürchten läßt, worauf später noch ausführlicher eingezugehen sein wird.

2. Kompetenzbeeinträchtigungen der spanischen AG Einer Analyse der Kompetenzbeeinträchtigungen der spanischen AG ist angesichtsdes sehr unterschiedlichen Kompetenzniveaus der verschiedenen AG 85 nur in Form einer generalisierenden Betrachtungsweise möglich: Eine Kompetenzbeeinträchtigung autonomer Kompetenzbereiche ist danach insbesondere auf folgenden Gebieten festzustellen 86: 77 Vgl. Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 30; Streinz, Die Auswirkungen, S. 37; Stoiber, EA 1987, S. 547, spricht von einem "Kreuzzug der EG-Kommission gegen die Regionalförderung in der Bundesrepublik Deutschland". Zur regionalen Strukturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland vgl. Neupert, insbes. S. 343 ff. 78 Art. 164, 177 EWGV. 79 Vgl. Art. 95 Abs. 1 GG. so Vgl. Birke, S. 30. Nach der zutreffenden konkreten Theorie kommt es darauf an, ob das betreffende Gericht im Einzelfall zur Ietztinstanzlichen Entscheidung berufen ist: vgl. Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, 7.3.3.2 (S. 238). Nach dem Urteil des EuGH v. 22.10.1987, Rs. 314/85 (Foto Frost/ Hauptzollamt Lübeck-Ost), Slg. 1987, S. 4199 f. (Leitsatz 1), sind nationale Gerichte nicht befugt, selbst die Ungültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane festzustellen. Da sie nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit solche Handlungen aber auch nicht anwenden dürfen, ergibt sich damit mittelbar eine Vorlagepflicht für alle Gerichte über Art. 177 Abs. 3 EWGV hinaus; vgl. Streinz, Die Auswirkungen, S. 47, Fn. 230. 8t Vgl. BVerfGE 73, 339, 366 f.; BVerfGE 75, 223, 233 f. 82 Vgl. BVerfGE 73, 339, 376 ff. 83 Vgl. Streinz, Die Auswirkungen, S. 47 f. 84 Zur möglichen Einschränkung von Verwaltungskompetenzen der Länder nach den EWG-Verträgen bis zum Zeitpunkt der EEA vgl. Birke, S. 26 ff.; Schwan, S. 22. 85 Vgl. oben II. Kap. m.

250

3. Teil: lngerenz und Kompensation

a) im landwirtschaftlichen Bereich, wo die Mehrheit der AG in umfassendster Weise Zuständigkeiten besitzt 87 ; hier sind die AG zum einen durch die "Marktpolitik" der Gemeinschaft (Art. 40 Abs. 2 EWGV) 88 , zum anderen durch deren Strukturpolitik (Art. 39 EWGV) 89 in ihren Zuständigkeiten betroffen 90 • b) im Fischfang 91 . c) in geringerem Maße im Transportwesen 92. d) in beschränktem Maße in der Energiepolitik 93, bezüglich derer die staatliche Rahmengesetzgebung (Art. 149 Abs. 1 Nr. 1, 25 und 22 CE) durch das Gemeinschaftsrecht94 substituiert und den AG damit die Möglichkeit einer Zuständig86 Vgl. Lasagabaster Herrarte, S. 54 ff.; Ruiloba Santana, Las competencias econ6micas, S. 432 ff. 87 Bsp.: Art. 10 Nr. 9 Est.P.V.; Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 Est.cat; Art. 30 Abs. I Nr. 3 Est.gall. 88 Vgl. Verordnung 234/68 v. 27.2.196!5 über die Erril:htung einer ~enh: lll~amen Marktorganisation für lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels, ABlEG 1968 L 55/l ff.; Verordnung 120/67 v. 13.6. 1967 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide, ABlEG 1967 L 117/2269; Verordnung 136/66 v. 22.9.1966 über die Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Fette, ABlEG 1966 L 172/3025; im Bereich der Marktpolitik werden die AG damit weitgehend zu bloßen "Vollstreckern" von auf Gemeinschaftsebene getroffenen Entscheidungen. 89 Vgl. die Richtlinie des Rates v. 17.4.1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe, ABlEG 1972 L 96/l ff. 90 Vgl. Ruiloba Santana, Las competencias econ6micas, S. 460. 91 Bsp.: Art. 10 Nr. 10 Est.P.V.; Art. 10 Abs. 1 Nr. 7 Est.cat.; Art. 27 Nr. 15 Est.gall.; auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene vgl. die Verordnung des Rates 101/76 v. 19.1.1976 über die Einführung einer gemeinsamen Strukturpolitik für die Fischwirtschaft, ABlEG 1976 L 20/19 ff. n Bsp.: Art. 10 Nr. 32 Est.P.V.; Art. 11 Nr. 9 Est.cat.; Art. 27 Nr. 8 Est.gall.; auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene vgl. die Entscheidung des Rates v. 21.3.1962 über die Einführung eines Verfahrens zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs, ABlEG 1962 L 23/720, geändert durch Entscheidung des Rates 73 I 402 v. 22. 11. 1973, ABlEG 1973 L 347 /48; Verordnung 1174/68 v. 30.7.1968 überdie Einführung eines Margentarifsystems im Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABlEG 1968 L 194/ 1 ff.; vgl. hierzu Ruiloba Santana, ebd., S. 473 f. 93 Bsp.: Art. 10 Nr. 11 Est.P.V.; Art. 9 Nr. 16 Est.cat.; Art. 28 Nr. 3 Est.gall. 94 Vgl. über den freien Verkehr von Energiequellen: Verordnung des Rates 293/74 v. 30. I. 1974 betr. die für die Aufstellung umfassender Energiebilanzen für die Gemeinschaft bestimmte Information, ABlEG 1974 L 32/1 ff.; Entschließung des Rates v. 17.9.1974 über eine ,,neue Strategie in der Energiepolitik", ABlEG 1975 C 153/1 ff.; Entschließung des Rates v. 13.2.1975 betr. Maßnahmen zur Errichtung der vom Rat am 17. 11. 1974 festgelegten Ziele der gemeinschaftlichen Energiepolitik, ABlEG 1975 C 153/6 ff.; über den Gebrauch eigener Energiequellen vgl. Richtlinie des Rates 339/ 75 v. 20. 5. 1975 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mindestvorräte an fossilen Brennstoffen bei den Wärmekraftwerken zu halten, ABlEG 1975 L 153/35; Richtlinie des Rates 405/75 v. 14. 4. 1975 über die Einschränkung des Einsatzes von Erdölerzeugnissen in Kraftwerken, ABlEG 1975 L 178/26 ff., sowie die Richtlinie des Rates 404/75 v. 13.2.1975 über die Einschränkung des Einsatzes von Erdgas in Kraftwerken, ABlEG 1975 L 178/24ff.

X. Kap.: Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts

251

keitsausübung kraftinnerstaatlicher Delegation (Art. 150 Abs. 1 und 2 CE) genommen wird. e) in der

Industriepolitik 9 ~.

f) in der Berufsausbildung 96•

g) in der Umwe1tpolitik 97 • h) im Hinblick auf das Beihilfeverbot, welches Auswirkungen auf die regionale Industriepolitik sowie die regionale Wirtschaftspolitik im allgemeinen hat 98 • i) in der Finanz- 99 und Steuerpolitik im Hinblick auf das Steuerfindungsrecht der AG 100 bzw. ihres Rechtes, Zuschläge auf staatliche Steuern zu erheben 101 •

3. Kompetenzbeeinträchtigungen der italienischen Regionen Auch eine Eruierung der Kompetenzverluste der italienischen Regionen kann aufgrundder unterschiedlichen Kompetenzstandards dieser Gebietskörperschaften nur in einer generalisierenden Betrachtungsweise erfolgen, die die Hauptdomänen gemeinschaftsrechtlicher lngerenz bezeichnet 102• Hier ist zum einen eine Betroffenheit regionaler Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Umweltschutzes festzustellen, das im innerstaatlichen Bereich infolge des D.P.R. 616 in die Zuständigkeit der Regionen gelangt ist 103 • Auch im Bereich der den Regionen in Art. 117 Abs. 2 CI zugewiesenen Kompetenzen für die öffentliche Wohlfahrt, die durch das D.P.R. 616 ebenfalls auf die Regionen

95 Bsp.: Art. 10 Nr. 30 Est.P.V.; Art. 12 Abs. 1 Nr. 2, 3 Est.cat.; Art. 30 Abs. 1 Nr. 2 und 7 Est.gall. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene vgl. hierzu Entschließung des Rates v. 17.2.1973 über die lndustriepolitik, ABlEG 1973 C 117/1 ff.; Richtlinie des Rates 71/304 v. 26.7. 1971 zur Aufbebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, ABlEG 1971 L 185/1 ff.; Richtlinie des Rates 71/305 v. 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABlEG 1971 L 185/ 5 ff.; Entschließung des Rates 71/306 v. 26. 7.1971, ABlEG 1971, 185/15 ff. 96 Bsp.: Art. 16 Est.P.V.; Art. 15 Est.cat.; Art. 31 Est.gall.; vgl. hierzu die oben in Fn. 99 angegebenen Rechtsakte der Gemeinschaft. 97 Bsp.: Art. 11 Nr. 1 lit. a Est.P.V.; Art. 10 Abs. 1 Nr. 6 Est.cat.; Art. 27 Nr. 30 Est.gall.; vgl. hierzu die oben in Fn. 54 angegebenen Rechtsakte der Gemeinschaft. 98 Vgl. Art. 92 EWGV. 99 Bsp.: Art. 44 Est.P.V.; Art. 49 Est.cat.; Art. 53 Nr. 1 Est.gall.; vgl. hierzu die oben in Fn. 73 angegebenen Rechtsakte der Gemeinschaft. too Bsp.: Art. 42 lit. b Est.P.V.; Art. 44 Abs. 1 Est.gall. tot Bsp.: Art. 157 Abs. 1 lit. a CE i.V. m. Art. 44 Nr. 6 Est.gall.; vgl. hierzu die oben in Fn. 71/72 angegebenen Rechtsakte der Gemeinschaft. 102 Vgl. hierzu d' Atena, S. 28 ff. to3 Zu den gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten vgl. oben Fn. 76.

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3. Teil: lngerenz und Kompensation

transferiert wurden, kommt es infolge der Sozialpolitik der Gemeinschaft 104 zu - allerdings nur marginalen - kompetenziellen Eingriffen. Gleiches gilt für den Bereich des Verkaufs landwirtschaftlicher Produkte 105 , der von Art. 66 des D.P.R. 616 im innerstaatlichen Bereich den Regionen zugewiesen wurde. Hervorzuheben ist darüber hinaus die Ingerenz der Gemeinschaftspolitik durch Rechtsakte auf den Gebieten der Berufsausbildung 106, vor allem auch im Bereich der Landwirtschaft 107, die "Sonderaktion" zugunsten des Handwerks und des Tourismus auf dem Lande 108 sowie die Maßnahmen zum Schutz der wildlebenden Vogelwelt 109• Nicht zuletzt haben auch Gemeinschaftsmaßnahmen im Rahmen der Regionalpolitik 110 Auswirkungen auf den regionalen Zuständigkeitsbereich, wobei sich die EG jedoch zunehmend um ein partnerschaftliebes Verhältnis zu den Regionen bemüht, deren Beteiligung im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Umsetzung der Regionalpolitik der Gemeinschaft unter Beachtung der innerstaatlichen Verfassungsstrukturen gestärkt werden soll 111 •

104 Vgl. den Beschluß des Rates 751459 v. 22.7.1975 über die Beteiligung des Europäischen Sozialfonds an Maßnahmen zugunsten von Personen, die von der schwierigen Arbeitsmarktlage betroffen sind, ABlEG 1975 L 199136. 105 Vgl. die Verordnung 355177 v. 15.2.1977 über eine gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Vermarktungsbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, ABlEG 1977 L 51/1 ff. 106 Vgl. den Beschluß des Rates 631266 v. 2.4.1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung, ABlEG 1963 L 6311338163 ff. 101 Vgl. die Richtlinie des Rates 751268 v. 28.4.1975 über die sozio-ökonomische Information und die berufliche Qualifikation der in der Landwirtschaft tätigen Personen, ABlEG 1972 L 96/15 ff.; bezüglich der lngerenz des Gemeinschaftsrechts im übrigen landwirtschaftlichen Bereich vgl. die Richtlinie des Rates 751268 v. 28.4.1975 über die Landwirtschaft in Berggebieten und bestimmten benachteiligten Gebieten, ABlEG 1975 L 12811 ff. 108 Vgl. bspw. Art. 4 Nr. 3 und 4 der Verordnung 2615180 des Rates v. 7.10.1980 zur Einführung einer spezifischen Gemeinschaftsmaßnahme zur regionalen Entwicklung bestimmter französischer und italienischer Gebiete im Zusammenhang mit der Erweiterung der Gemeinschaft, ABlEG 1980 L 271 I l ff. 109 Vgl. die Richtlinie des Rates 79 I 409 v. 2. 4. 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABlEG 1979 L 10311 ff. 110 Vgl. im Hinblick auf die italienischen Südregionen bspw. die Verordnung 26151 80 v. 7.10. 1970 (Fn. 108); im Hinblick auf andere italienische Regionen vgl. bspw. die Entscheidung des Rates Nr. 741517 v. 21.10.1974 über die Liste der benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete im Sinne der Richtlinie 72/160 EWG in Italien, ABlEG 1974 L 290/7. 111 Vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 8 Abs. 5 etc. der Verordnung des Rates v. 24.6. 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und den anderen vorhandenen Finanzinstrumenten, ABlEG 1988 L 18519 ff.; hierzu auch M. Besehe/, Struktur- und Regionalpolitik der Gemeinschaftangesichts der Süderweiterung, unveröffentlichter Vortrag anläßlich der Tagung des Arbeitskreises Europäische Integration über "Die Süderweiterung der Europäischen Gemeinschaft - eine kritische Bestandsaufnahme": vgl. hierzu Blanke I Wellmann, DVBl. 1989, S. 914.

XI. Kap.: Kompensation regionaler Kompetenzverluste

253

4. Kompetenzbeeinträchtigungen der belgiseben Gemeinschaften und Regionen Infolge der Beschränkung des Zuständigkeitsbereiches der belgiseben Gemeinschaften auf soziokulturelle Angelegenheiten trifft sie die ,,Europäisierung des Rechts" vor allem in ihren kulturellen Kompetenzen, wobei insbesondere im Hinblick auf das ihnen nunmehr fast gänzlich obliegende Unterrichts- und Hochschulwesen, die Berufsausbildung sowie die Zuständigkeiten für Rundfunk und Fernsehen (Art. 4 Nr. 6, 12, 14, 16 SGRI) gewisse Parallelen zu den im Zusammenhang mit der Betroffenheit der deutschen Bundesländer dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Entwicklungen in diesen Bereichen gezogen werden können. Einem noch stärkeren Einfluß unterliegen aber die Zuständigkeiten der belgischen Regionen auf den Gebieten der Wirtschaftspolitik (Art. 6, § 1 VI Nr. 1 SGRI) einschließlich der regionalen Wirtschaftsförderung und der Landwirtschaftspolitik (Art. 6, § 1 III und VI Nr. 4 SGRI) sowie schließlich der Umweltpolitik, bezüglich derer eine Verpflichtung zur Beachtung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts durch die Regionen nunmehr ausdrücklich normiert ist (Art. 6, § 1 II Nr. 1 SGRI), und der Energiepolitik (Art. 6, § 1 VII SGRI) 112• Auch insofern kann auf die bei der Behandlung der übrigen Mitgliedsländer zitierten Rechtsakte der EG verwiesen werden.

XI. Kapitel

Kompensation regionaler Kompetenzverluste Die Gründe für den so eingetretenen bzw. noch drohenden Kompetenzverlust der Regionen werden ebenso wie dessen Rechtfertigung zum einen im Ziel und Zweck der Gemeinschaft gesehen, nämlich Aufgaben und Probleme nicht mehr im engen nationalstaatliehen Rahmen, sondern auf europäischer Ebene zu bewältigen, was auch im Hinblick auf deren internationale Dimension - bspw. im Umweltbereich - erforderlich erscheine. Insofern entspreche die Entwicklung in der Gemeinschaft den im gesamten internationalen Raum festzustellenden Rechtsvereinheitlichungsbemühungen, die sich aus den Sachzwängen der grenzüberschreitenden Agenden ergebe 1• Die Existenz des Gemeinsamen Marktes, in dem Güter, Menschen und Kapital frei zirkulieren sollen, bringe eine Fülle notwendiger Konsequenzen mit sich: Dieser müsse durch vielfaltige regelnde Eingriffe gesichert und gewährleistet 112 Vgl. Colinet, CDE 1980, S. 75/76; Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 268; Paques, DA 11 (1987), S. 249. 1 Vgl. Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 30 f.

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3. Teil: lngerenz und Kompensation

werden. Der Charakter der EG als Integrationsgemeinschaft zeige sich gerade darin, daß es zur Verwirklichung eines ihrer Ziele erforderlich sei, Bereiche (mit) zu regeln, die aufgrund der innerstaatlichen Aufgabenverteilung eine exklusive Zuordnung aufwiesen 2 • Schließlich dränge das in Art. 7 EWGV verankerte Prinzip der Gleichbehandlung, auch wenn dieses nicht die gleiche Breiten- und Tiefenwirkung äußere wie sein innerstaatliches Pendant, neben dem Sozialstaatsgebot auf eine Einebnung regionaler Differenzierungen hin 3 • Die deutschen Bundesländer haben schon früh die Befürchtung geäußert, zu "reinen" von Bonn und Brüssel abhängigen "Verwaltungseinheiten"4, zu "farblosen Oberprovinzen ohne jegliches Eigenleben" 5 zu degenerieren. So ist es im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland insbesondere die Staatlichkeit der Länder, die angesichts des fortschreitenden Vergemeinschaftungsprozesses die Frage nach einem möglichen, bzw. unter bundesstaatliehen Auspizien gebotenen Ausgleich für bereits erlittene Kompetenzverluste aufwirft. Aber auch bezüglich der AG Spaniens und der Regionen Italiens und Belgiens, die keine Staatsqualität besitzen, ergeben sich aufgrund des in der jeweiligen innerstaatlichen Verfassungsordnung normierten Grundsatzes der Autonomiestaatlichkeit bzw. der Regionalstaatlichkeit gleichlautende Fragen. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht besteht mangels einschlägiger Bestimmungen in den Verträgen weder eine ausdrückliche Pflicht zur Berücksichtigung von föderalen bzw. regionalen Strukturen, noch kann aus ungeschriebenem Gemeinschaftsrecht, etwa dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue, nach herrschender Meinung 6 eine unmittelbare Bindung der Gemeinschaftsorgane an nationale Verfassungsprinzipiell abgeleitet werden. Da auch ein allgemeiner, die Gemeinschaftsorganebindender Rechtsgrundsatz des Föderalismus, Regionalismus bzw. der Autonomiestaatlichkeit angesichts der noch überwiegend zentralstaatlich organisierten Mitgliedstaaten sich nicht aus deren Verfassungsordnungen ableiten läßt 7 , ist die Gemeinschaftsordnung für die Lösung der Frage eines möglichen Ausgleiches des Kompetenzverlustes der Regionen durch die Einräumung von Mitwirkungsrechten unergiebig: Die Europäischen Gemeinschaften sind nach einer anschaulichen Formulierung Hans Peter Ipsens mit ,,Landesblindheit" 8 geschlagen. Dieses Diktum ist im europäischen Kontext erweiternd als "Dezentralisationsblindheit" zu verstehen.

2 3

4

5

Munoz Machado, S. 29; Schmidt-Meinecke, S. 78. Tomuschat, ebd., S. 31. Vgl. K. Arnold, BR, 61. Sitzungsbericht v. 27.6.1951, S. 445 (D). Vgl. Min. E. Stoiber, wiedergeben in: Hrbek/Thaysen, S. 262 (264); ders., EA

1987, s. 549. 6 Vgl. Ress, EuGRZ 1986, S. 550, Schwan, S. 48. 1 Vgl. Schwan, S. 50. s Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 256.

XL Kap.: Kompensation regionaler Kompetenzverluste

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Auch wenn der nach Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Kernbereich der Bundesstaatlichkeil nach überwiegender Auffassung noch nicht tangiert ist 9 , wird gleichwohl in der Bundesrepublik Deutschland die Berechtigung eines Lösungsmodells anerkannt, wonach der Kompetenzverlust der Länder, dessen Brisanz vor allem auf der Entwicklung des sekundären Gemeinschaftsrechts beruht 10, einen Ausgleich in Form von Mitwirkungsrechten bei der innerstaatlichen Willensbildung, aber auch im Entscheidungsprozeß auf europäischer Ebene finden soll 11 • Diese unter dem Topos "Kompensation" beschriebene partielle Ablösung der "Eigenstaatlichkeit im Sinne verbürgter Alleinentscheidungsmacht" durch die Möglichkeit der Einbringung "eigener Entscheidungsanteile" 12 durch die Länder in den Entscheidungsprozeß über integrationspolitische Angelegenheiten wird verfassungsrechtlich teilweise mit Hilfe einer "binnenpolitischen Folgeinterpretation" des Art. 24 Abs. 1 GG gerechtfertigt 1\ teilweise aus dem Bundesstaatsprinzip selbst abgeleitet 14• Auch aber im spanischen 15 und italienischen 16 Schrifttum wird im Hinblick auf den zunehmenden Kompetenzverlust der dortigen unterstaatlichen Einheiten ein Ausgleich zum einen in Form einer regionalen Beteiligung im Rahmen der Beziehungen zwischen dem Zentralstaat und den Organen der EG bei der Ausarbeitung des Gemeinschaftsrechtes (aszendierende Phase), zum anderen dort aber auch im Hinblick auf die innerstaatliche Durchführung von Gemeinschaftsrechtsakten (deszendierende Phase) gefordert. Dies wird in erster Linie damit begründet, daß die Akzeptanz der mit der Integration dieser Staaten in die EG einhergehenden Beschränkungen des regionalen Kompetenzbereiches bei gleichzeitiger Einbeziehung der betroffenen Regionen in den Entscheidungs- und Durchführungsprozeß in Gemeinschaftsangelegenheiten erhöht werden könne 17 • Ist dieses Argument wohl eher rechtspolitischer Natur, so stellt eine zweite Begründung auf das im innerstaatlichen Verfassungsrecht angelegte Konfliktverhältnis zwischen der In9 Vgl. Bethge, Die Rolle der Länder, S. 38; Birke, S. 101; Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 147; Haas, DÖV 1988, S. 615; Ress, EuGRZ 1986, S. 555; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 68 a; Weber, DVBI. 1986, S. 802; anderer Ansicht ist E. Schneider, S. 62 f., der durch die EEA die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG als erreicht ansieht. 10 Vgl. Schmidhuber in der 564. Sitzung des BR am 16.5.1986, Sten.Prot. 305 D; Schröder, JöR 35 (1986), S. 86 und 95; Riegel, DVBl. 1979, S. 246. II Vgl. Malanczuk, CMLR 22 (1985), S. 253, 270; Ress, EuGRZ 1986, S. 550 u. 555; Schröder, ebd., S. 90 u. 97 ff.; Schwan, S. 106 ff.; so auch Tomuschat, Bundesstaatsund lntegrationsprinzip, S. 42 f. 12 Vgl. Schröder, ebd., S. 90. 13 Vgl. Ress, EuGRZ 1986, S. 555, der allerdings auch die Begründung einer Kompensation mit Hilfe des Bundesstaatsprinzips in seine Erwägungen miteinbezieht (S. 556 f.). 14 Schröder, ebd., S. 99; eine Kompensationspflicht aus dem Gesichtspunkt der Bundestreue nimmt Min. Einert (NRW) in der 570. Sitzung des BRam 7.1.1987, Sten.Prot. 581 D, an. 15 Vgl. Bano Le6n, S. 57; Lasagabaster Herrarte, S. 72; Mangas Martfn, S. 226. 16 V gl. Caretti, S. 329 ff.; zurückhaltend dagegen d' Atena, S. 110 f. 17 Ruiloba Santana, Las competencias econ6micas, S. 417.

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3. Teil: lngerenz und Kompensation

tegrationsfreundlichkeit, also den supranationalen Optionen der dezentralisierten Mitgliedstaaten, sowie der Realisierung dieser Integrationsoptionen durch den Zentralstaat aufgrund seiner Zuständigkeit für den Bereich der auswärtigen Gewalt einerseits und dem verfassungsrechtlich ebenfalls normierten Grundsatz der Autonomiestaatlichkeit (Art. 2 CE) bzw. der Regionalstaatlichkeit (Art. 5 CI, Art. 1-3 ter CB) andererseits ab. Der Kompetenzübergang auf die EG dürfe nicht dazu dienen, eine "neue Runde der Zentralisierung" 18 im innerstaatlichen Bereich einzuläuten, da die verfassungsrechtlichen Normierungen der Staatsoffenheit (Art. 24 GG; Art. 93 CE; Art. 11 Cl, Art. 25 bis CB) hierzu keine Berechtigung gäben. Die nationalen Verfassungen gingen insoweit vielmehr von einem Gleichgewicht zwischen dem Grundsatz der Einheit- in dessen Konkretisierung dem Zentralstaat die Ausübung der auswärtigen Zuständigkeiten und damit der Beitritt zu supranationalen Organisationen obliege - und dem Grundsatz der politisch-administrativen Dezentralisierung aus 19• Der dieser Forderung nach inner- aber auch außerstaatlicher Beteiligung der Regionen zugrundeliegende Kompensationsgedanke wird teilweise jedoch in seinen Konturen als unscharf und in seinen verfassungsrechtlichen Konsequenzen als schwer abschätzbar qualifiziert. Gleichwohl ist seine Berechtigung angesichts des dargestellten Widerstreits zwischen den supranationalen Optionen der Verfassungen der in Frage stehenden Mitgliedstaaten und dem Grundsatz der Bundesstaatlichkeit bzw. den verfassungsrechtlichen Entscheidungen für eine politisch dezentralisierte Staatsstruktur unbestreitbar 20 • Den Gedanken "einer verfassungsorganisatorischen Kompensation für den Vorgang einer Internationalisierung, die die nationalen Funktionsträger mit unterschiedlichen Einbußen belastet", hat Hermann Mosler 21 im Anschluß an das Zustimmungsverfahren zum Montan-Vertrag in das bundesrepublikanische Schrifttum eingeführt, stand ihm aber im Hinblick auf die den Ländern zugunsten der Montan-Union entzogenen Kompetenzen im wesentlichen noch ablebend gegenüber. Der Länderspielraum sei hier durch die Bundeskompetenz nur potentiell bedroht gewesen. Die Aktualisierung dieser Gefahr ändere das tatsächliche, nicht das verfassungsrechtliche Kräfteverhältnis. Solange dies nicht gestört werde, sei die Durchsetzung des Kompensationsverlangens eine verfassungspolitische Frage. Anders verhalte es sich nur in dem "extremen Fall", wo die Länder als staatsähnliche Verbände mit begrenzter Konstitutionsgewalt, eigener Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gefährdet seien. Die absolute, der Verfassungsänderung entzogene Garantie der bundesstaatliehen Gliederung in Art. 79 Abs. 3 GG werde unter dieser Voraussetzung die Kompensation durch Mufzoz Machado, S. 28. Vgl. Mufzoz Machado, S. 28, mit Bezugnahme auf Spanien, jedoch mit rechtsvergleichenden Parallelen zur Bundesrepublik Deutschland und Italien (S. 68 ff.). 20 Vgl. Mufzoz Machado, S. 51 ff.; Oschatz I Risse, EA 1988, S. 14/16; Schwan, s. 106f. 21 Mosler, Internationale Organisation, S. 298 f. 18 19

XI. Kap.: Kompensation regionaler Kompetenzverluste

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Beteiligung der Länder an der Ausübung der nationalen Mitgliedschaftsrechte zu einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit machen. Auch Birke 22 sieht unter Bezugnahme auf Mosler eine Kompensation nur im Bereich der absoluten Garantie der bundesstaatliehen Gliederung als verfassungsrechtliche Notwendigkeit an. Allein der Grundsatz der Bundestreue sei die geeignete generelle Grundlage für eine Länderbeteiligung, womit er Beteiligungsformen aufgrund der Bundestreue nicht als Kompensation betrachtet. Nahe steht dieser Ansicht Bleckmann 23 : Er will dem Kompensationsverlangen in Abwägung zwischen Bundesstaatlichkeit und offener Staatlichkeit im wesentlichen nur Raum geben, wenn der Kernbereich der eigenen Angelegenheiten der Länder ausgehöhlt wird. Das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit verlange, "unter Hintansetzung des Bundesstaatsgedankens eine gewisse Zentralisierung des Entscheidungsprozesses in internationalen Organisationen". Der Grund dafür, daß über eine innerstaatliche Ausgleichspflicht für regionale Kompetenzverluste im Prozeß der europäischen Integration bislang wenig nachgedacht worden ist, dürfte vor allem darin liegen, daß in der Betrachtung der Art. 24 GG, 93 CE, 11 CI, 25 bis CB die Außenperspektive vorherrschte 24: Die Frage, welche Hoheitsrechte übertragen werden dürfen und welche Homogenitätsanforderungen dabei zu beachten sind, verdrängte die Kompensationsfrage, die auch im allgemeinen bundesstaatliehen Schrifttum vergleichsweise wenig thematisiert wird 25 • Es waren aber gerade bundesstaatliche Unitarisierungsprozesse, die durch eine vermehrte Teilhabe der Bundesländer an der Bundesgewalt ausgeglichen zu werden pflegten 26 • So bezeichnet Rudolf Smend 27 im Hinblick auf die Weimarer Reichsverfassung die Beteiligung der Länder an der Reichsgewalt als einen "Ersatz" für die ihnen selbst verlorenengegangene Staatsgewalt; in dieser Beteiligung - so Smend - führten sie ein weiteres Stück politischen Lebens, auch hier verwirklichten sie ihre Staatsnatur. Die im Kompetensationswege bereitgestellten ,,Ersatzbefugnisse" sind mithin auch im gemeinschaftsrechtlichen Kontext nicht als das Ergebnis eines bloßen verfassungspolitischen Postulats zu bezeichnen 28 , sondern als Ausfluß des Grundsatzes zu werten, daß Verfassungsrechtssätze, die im Spannungsverhältnis stehen, harmonisiert und in Konkordanz zueinander gebracht werden müssen 29, um auf diese Weise einen Zustand des Gleichgewichts zu wahren oder wiederherzustellen. Eine Verpflichtung zur ErhalBirke, S. 114. Bleckmann, RlW I AWD 1978, S. 144. 24 Vgl. Schröder, JöR 35 (1986), S. 98. 25 Ansatzweise bei Hesse, AöR 98 (1973), S. 1 ff.; E. Klein, DVBl. 1981, S. 663 f. 26 Vgl. Oetting, S. 95; Schröder, ebd., S. 98. 21 Smend, S. 270. 2s So aber Tomuschat, Bundesstaats- und lntegrationsprinzip, S. 37; ähnlich Bethge, Die Rolle der Länder, S. 46, der von einem verfassungspolitischen "Desiderat" spricht. 29 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 (S. 133); ähnlich Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 22

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17 Blanke

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3. Teil: Ingerenz und Kompensation

tung einer solchen Balance ergibt sich aber nicht erst dann, wenn der Kernbereich eines Verfassungsgrundsatzes- hier der Bundesstaatlichkeit bzw. der Autonomie- bzw. Regionalstaatlichkeit- berührt ist 30, wobei es ohnehin schwierig ist, den Verlauf unüberschreitbarer föderaler bzw. regionaler Grenzlinien zu bestimmen31. Vielmehr ist ein Ausgleich in Form einer Gewährung von Beteiligungsrechten zugunsten der Regionen bereits dort verfassungsrechtlich geboten, wo eine Verschiebung von Entscheidungsbefugnissen in einem gewissen substantiellen Ausmaß stattgefunden hat, die mit der politisch dezentralisierten Kompetenzordnung der innerstaatlichen Verfassungssysteme nicht in Einklang steht. Dies leuchtet für die Verfassungsordnung der Bundesrepublik unmittelbar ein 32, muß aber-jedenfalls im Grundsatz- auch für solche Verfassungsordnungen gelten, die wie Spanien, Italien und Belgien die "Bundesstaatlichkeit" nicht zum Inhalt einer rechtlich unabänderbaren "Staatsfundamentalnorm" gemacht haben, eine politische Dezentralisierung des Staates jedoch verfassungsrechtlich normiert haben 33 . Die fehlende Staatsqualität jener Regionen sowie der Mangel einer Ewigkeitsgarantie für die dortigen Dezentralisationsstrukturen können allenfalls zu graduellen, aber nicht zu prinzipiellen Unterschieden im Rahmen des kompensatorischen Beteiligungsverfahrens führen. Hier wie dort darf die Realisierung der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit nicht zu einer Änderung der innerstaatlichen Kompetenzordnung führen. Für die Bundesrepublik Deutschland stellt sich allerdings die Frage, ob der im Vergleich zu den anderen hier untersuchten Mitgliedstaaten singuläre Art. 79 Abs. 1, S. 1 GG dazu zwingt, ein derartiges ,,kompensatorisches Instrumentarium" im Wege der verfassungsändernden Gesetzgebung zu schaffen, um es so bezüglich seiner Beschaffenheit und Reichweite mit dem Prinzip der Offenheit der Staatsverfassung in Einklang bringen zu können 34 . Eine solche verfassungs30 So aber Bethge, Die Rolle der Länder, S. 46, wonach keine "Kompensationspflicht' besteht; ebenso Birke, S. 114, sowie Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 147. 31 Vgl. Jaspert, Die Beteiligung des Bundesrates, S. 88, wonach die Bestandsgarantie des förderativen Systems gemäß Art. 79 Abs. 3 GG "langfristig in kleinen Schritten ausgehöhlt zu werden droht, die für sich allein und auch zunächst in geringer Summierung" noch keine Verletzung darstellen. EbensoJooss I Scheurle, EuR 24 (1989), S. 234; Memminger, DÖV 1989, S. 848. 32 Vgl. zu diesem Gedanken Beutler, in: ~.eutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 2.3.3 (S. 58 f.), der die Verfassungsmäßigkeit der Ubertragung von Hoheitsrechten der Länder davon abhängig macht, in welchem Umfang in dem überstaatlichen Entscheidungsverfahren die Beteiligung und Mitwirkung der Länder grundsätzlich gewahrt bleibt; Oetting, S. 95 f.; Schröder, JöR 35 (1986), S. 97 ff.; H.-J. Vogel, Aktuelle verfassungspolitische Probleme, S. 1071. 33 Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der dezentralisierten Staatsstrukturen Spaniens vertritt diesen Gedanken des Kompetenzerhalts durch Beteiligung neben Munoz Machado, S. 28, und den in Fn. 15 und 16 genannten Autoren insbes. Montoro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 172. Im Hinblick auf Italien vgl. neben den in Fn. 16 genannten Autoren Bassanini I Caretti, DA 191 (1981), S. 243. 34 Vgl. Bethge, Die Rolle der Länder, S. 43.

XI. Kap.: Kompensation regionaler Kompetenzverluste

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rechtliche Absicherung genießen bisher allein die Formen der Mitbeteiligung der Länder durch Information und Konsultation, welche auf dem Grundsatz der Bundestreue beruhen, der seinerseits eine Konkretisierung des bundesstaatliehen Prinzips darstellt 35 • Darüber hinausgehende Kompensationsformen, die nicht auf diese unmittelbare Weise aus der Verfassung abgeleitet werden können, sondern sich vielmehr als eine Ausformung des Bundesstaatsprinzips auf einfach-gesetzlicher Ebene darstellen, sind jedenfalls dann als unbedenklich anzusehen, wenn sie einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sind und einem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit entsprechen 36• Einzuräumen ist allerdings, daß der aus einer harmonisierenden Interpretation widerstreitender Verfassungsgrundsätze gewonnene Maßstab für die Reichweite gebotener oder gerade noch möglicher Kompensation weit weniger exakt und objektivierbar ist als jener der Bundestreue, den die Verfassungsrechtsprechung durch die Formulierung von Rechtssätzen bereits im hohen Maße konkretisiert hat 37• Der in einigen Mitgliedstaaten gegen die Notwendigkeit einer Kompetenzerhaltung im Wege der regionalen Beteiligung in der aszendierenden Phase vorgebrachte Einwand, die keiner regionalen Einflußnahme unterliegende Mitbestimmung der nationalen Zentralregierungen im Rat der EG als dem wesentlichen gesetzgebenden Beschlußorgan sei - auch wenn sie sich auf Angelegenheiten beziehe, die nach innerstaatlichem Verfassungsrecht in die Regionalkompetenzen fielen -lediglich als ein auf zentralstaatlicher wie auf regionaler Ebene gleichermaßen zu verzeichnender Verlust an Parlamentarismus, nicht aber als ein Übergang von originär regionalen Kompetenzen auf den Zentralstaat anzusehen 38 , greift gegenüber der hier vertretenen Position zu kurz und mutet sophistisch an. Zwar hat unstreitig eine Entmachtung der nationalen Parlamente in Angelegenheiten der EG auf beiden staatlichen Ebenen stattgefunden, ohne daß bislang an 3S Für eine am Maßstab des Grundsatzes der Bundestreue orientierte Beteiligungsmöglichkeit der Länder bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber weitergehenden Kompensationsbzw. Beteiligungsformen treten ein: Birke, S. 102; Bleckmann, RIW I ADW 1978, S. 147; Grabitz, EuR 22 (1987}, S. 316: Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Formen und den zulässigen Grad der Mitwirkung der Bundesländer ließen sich ,,nur dem Grundsatz der Bundestreue entnehmen". Dabei stellt dieser Grundsatz für Grabitz eine Konkretisierung des in Art. 50 GG prinzipiell bestehenden Rechts und der prinzipiell bestehenden Pflicht zur Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten derEG dar. Gegen einen Rekurs auf Art. 50 GG wenden sichRess, EuGRZ 1987, S. 367, sowie Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 27 f., und Zuleeg, DÖV 1977, S. 466. Nach Schröder, JöR 35 (1986), S. 97, hat hingegen die Beteiligung der Länder in Form bloßer Information und Konsultation mit einer Kompetenzkompensation ,,kaum etwas zu tun", da diese nicht an die bundesstaatliche Kompetenzordnung anknüpfe. 36 Im Ergebnis ebenso Ziller, S. 99. Für eine verfassungsändernde Gesetzgebung plädieren hingegen Kaiser, Anhörung in der Sitzung des Ständigen Beirats des BR v. 6.11.1985, Sten.Prot., S. 10; Ress, EuGRZ 1987, S. 367; Schröder, JöR 35 (1986), S. 101; Tomuschat, ebd., S. 37. 37 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 19 III 4 (S. 702 ff.). 38 Vgl. insofern Bethge, Die Rolle der Länder, S. 46 f.

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260

3. Teil: lngerenz und Kompensation

ihre Stelle ein mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattetes Europäisches Parlament getreten ist 39• Gleichzeitig ist aber durch einen Akt vertikaler und horizontaler Gewaltenverschiebung 40 die zentralstaatliche Exekutive - allein sie - gestärkt worden, die nunmehr infolge der intergouvernementalen Struktur des Ministerrates 41 durch ihren Ratsvertreter auf europäischer Ebene nicht nur ein Mitentscheidungsrecht auf Gebieten erhalten hat, die vor der Integration in die Zuständigkeit des zentralstaatlichen Gesetzgebers fielen, sondern auch für solche Bereiche, die nach der innerstaatlichen Kompetenzordnung zuvor zur Entscheidungssphäre des Regionalgesetzgebers gehörten oder für die zumindest - so in der Bundesrepublik Deutschland- eine Zustimmung durch den Bundesrat erforderlich war 42• Diese durch die Kompetenz des Zentralstaates für auswärtige Angelegenheiten bedingte innerstaatliche Verschiebung von Entscheidungsbefugnissen auf die zentralstaatliche Exekutive rechtfertigt die Entwicklung von Instrumentarien, die zwecks Harmonisierung zweier konfligierender verfassungsrechtlicher Grundsätze eine Stärkung der beeinträchtigten Bundes-, Autonomie- bzw. Regionalstaatlichkeil durch die Einräumung gestaltender Mitwirkungsbefugnisse zugunsten der Regionen ermöglichen. Auf Dauer kann anderenfalls die kompensationslose Summierung punktueller Eingriffe in Regionalzuständigkeiten im Rahmen des Kommünitarisierungsprozesses, der im innerstaatlichen Bereich teil weise durch einen nationalen Unitarisierungsprozeß begleitet wird 43, zu einer Veränderung der betroffenen dezentralisierten Staatsstrukturen, sprich der Bundes- bzw. Autonomie- oder Regionalstaatlichkeit, führen 44• Akzeptiert man dem Grunde nach eine aus dem Bundes-, Autonomie- bzw. Regionalstaatsprinzip abgeleitete Ausgleichspflicht für regionale Kompetenzverluste, muß sich die erforderliche Kompensation an der jeweiligen innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung ausrichten 45 • Sie ist dementsprechend abgestuft: Beim Verlust ausschließlicher Kompetenzen reicht sie am weitesten, da hier der Eingriff in die dezentralisierte Staatsorganisationstruktur durch Mediatisierung der Regionalgewalt am stärksten wiegt. Die Regionalparlamente erhalten bei einer bloßen Beteiligung der regionalen Exekutivorgane allerdings keinerlei Mitwirkungsrechte als Äquivalent oder Sur39 Rudolf, Bundesländer und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 124; ders., Mitwirkung der Landtage, S. 772. 40 Vgl. Schmidt-Meinecke, S. 5 f. 41 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 15 II (S. 536); BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 55. 42 Im Ergebnis ebenso Malanczuk, CLMR 22 (1985), S. 269; Oschatz I Risse, EA 1988, S. 10; Rudolf, Bundesländer und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 123 f., 127 f.; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 84. 43 Vgl. I. Kap. 11.1. 44 Bzgl. der Situation der deutschen Bundesländer vgl. insoweit H.-1. Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 209. 45 Vgl. Schröder, JöR 35 (1986), S. 99.

XI. Kap.: Kompensation regionaler Kompetenzverluste

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rogat für die verlorengegangenen Gesetzgebungsbefugnisse, was auch im Hinblick auf die Praktikabilität des Beteiligungsverfahrens, wie es - wie noch darzustellen- für die Bundesrepublik in Art. 2 EEAG normiert ist und von den Regionen Spaniens, Italiens und Belgiens angestrebt wird, kaum durchführbar erscheint 46 • Das Votum der Regionalregierungen, das diese im Rahmen des Beteiligungsverfahrens auf zentralstaatlicher Ebene bei der nationalen Entscheidungsvorbereitung für supranationale Angelegenheiten einbringen, kann zwar im Regionalparlament zum Gegenstand parlamentarischer Behandlung sowie einer rechtlich nicht verbindlichen Empfehlung gemacht werden 47 , ist aber der Natur der Entscheidung nach 48 ebensowenig wie die von einem Regionalvertreter im Rahmen einer nationalen Verhandlungsdelegation eingenommene Position einem parlamentarischen Entscheidungsverfahren auf regionaler Ebene unterworfen. Dieser Umstand läßt die trotz aller Kompensationsbemühungen ohnehin mangelnde Gleichwertigkeit von dezentralisierter Alleinentscheidung auf regionaler Ebene und indirekter Mitwirkung an supranationalen Entscheidungen nur noch deutlicher werden 49 •

46 Vgl. Borchmann, AöR 112 (1987), S. 621; Oschatz I Risse, EA 1988, S. 14; Rudolf, Mitwirkung der Landtage, S. 770 ff.; E. Schneider, S. 65 f. 47 Vgl. für die Bundesrepublik Deutschland: Stern, Staatsrecht li, § 27 III 2 (S. 138 f.). 48 Diese gehört zum Kernbereich der Regierungsfunktion, der für die regionalen Legislativorgane unantastbar ist, was sich für die Parlamente der deutschen Bundesländer aus Art. 28 Abs. 1 GO ausdrücklich ergibt. Vgl. hierzu Haas, DÖV 1988, S. 620 ff., wonach die in Anlehnung an Art. 2 EEAG formulierten Forderungen der Landtagspräsidenten nach Konsultation der Landtage in EG-Angelegenheiten (vgl. Entschließung v. 14.1. 1983: "Standortbestimrnung und Perspektiven der Landesparlamente", auszugsweise abgedr. bei Hrbek I Thaysen, Dok. 8, S. 242 ff.) ein verfassungsrechtlich bedenkliches "Hinübergreifen der Landesparlamente in die Zuständigkeit von Bundesorganen bei der Regelung von Bundesangelegenheiten" darstellt. Hierdurch werde der Primat der Landesregierungen bei der Mitwirkung auf Bundesebene unterlaufen. Die dem Parlament verfassungsrechtlich zustehende Kontrollbefugnis ermächtige die Volksvertretung zu bindenden oder bindend wirkenden Entschließungen in bezug auf die Landesregierung. Es liege im Wesen jeder Kontrolle, daß sie nur eine nachträgliche beurteilende Würdigung des Verhaltens der Regierung sein könne; vgl. in diesem Sinne auch Borchmann, DÖV 1988, S. 628 f.; ablehnend auch Kruis, S. 177. Nach Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung, S. 661, wäre hingegen die Bindung der deutschen Ratsvertreter an Beschlüsse des Bundesrates nur bei einer Vorab-Bindung der Länderregierungsvertreter an entsprechende Beschlüsse der Länderparlamente konsequent. Auch H.-J.Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 222/223, zieht die Entschließung der Landtagspräsidenten als verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösungsmöglichkeit in Betracht; ebenso Merten, Die Beteiligung der Bundesländer, S. 49. 49 Bzgl. der Länder der Bundesrepublik vgl. insoweit Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 375; Schröder, JöR 35 (1986), S. 99; Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 32 f.

Vierter Teil

Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase XII. Kapitel

Die Beteiligung der Bundesländer Die Beteiligung der deutschen Länder im Rahmen der Entstehung des Gemeinschaftsrechts wurde mangels einer realistischen Chance, ein Zustimmungserfordernis der Länder im Wege einer Verfassungsänderung des Art. 24 Abs. 1 GG festzuschreiben 1, in eher pragmatischer Weise durch Art. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 19.12.1986 zur EEA (EEAG) 2 geregelt. Diese Regelung löst das durch den Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz vom September 1979 vereinbarte Koordinierungsverfahren ab 3 und stellt einen gewissen Endpunkt in der Entwicklung der seit den Gründungstagen der Gemeinschaften von den Ländern geforderten Beteiligungsverfahren dar 4 • I Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat eine solche Änderung des Grundgesetzes angeregt (Schlußbericht, BT-Drs. 7 I 5924, Kap. 14, Abschn. 2.3). Thr Vorschlag lautet: ,.Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, solche der Länder jedoch nur durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates"; zustimmend BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 31; H.-J.Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 221/222. Der BR hat in seiner 610. Sitzung am 16.3.1990 die Einbringung eines Gesetzesentwurfes beschlossen, wonach Art. 24 Abs. I, S. I GG folgende Fassung erhalten soll: ,.Der Bund kann durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen ..." (BR-Drs. 703189, Beschluß). 2 Vgl. BGBl. Il, 1986, S. 1102. 3 Wiedergabe des Schreibens des Bundeskanzlers v. 29.9.1979 sowie der Antwort des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau als Vorsitzendem der Ministerpräsidentenkonferenz bei Morawitz, S. 102, 105, sowie in Hrbek I Thaysen, Dok. 5 (S. 237 I 238). Vgl. zu dem Koordinierungsverfahren Blumenwitz, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 223- 227; Borchmann, AöR 112 (1987), S. 588 ff.; Hrbek, Die Beteiligung der deutschen Länder, S. 4 f.; Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/1982, S. 27; Malanczuk, CMLR 22 (1985), S. 248-254; Morawitz, S. 57 -77; Nass, Staaten oder Regionen?, S. 289 f.; Oschatz I Risse, EA 1988, S. 11 f.; Rudolf, Bundesländer, S. 131134; ders., Mitwirkung der Landtage, S. 769; Schmidt-Meinecke, S. 20-28; Schwan, s. 112-123. 4 Die Entwicklung des Beteiligungsverfahrens ist dokumentiert bei Borchmann, ebd., S. 588; Hrbek, ebd., S. 2 ff.; Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 358 ff.; H.-J. Vogel, Aktuelle verfassungspolitische Probleme, S. 1059 ff., sowie bei Zumschlinge, Die Verwaltung 22 (1989), S. 218-222.

XII. Kap.: Die Beteiligung der Bundesländer

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I. Innerstaatliche Beteiligung In Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes wird das bereits in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen vorgesehene Unterrichtungsverfahren seitens der Bundesregierung gegenüber Bundestag und Bundesrat gleichsam in erweiternder Form "bekräftigt" 5 • Die Bundesregierung unterrichtet den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die für die Länder von Interesse sein können. Bezüglich einer derartigen umfassenden Unterrichtung bestehen keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken: die Pflicht zur rechtzeitigen Information der Länder bei allen bevorstehenden Beratungen und Verhandlungen im Rat ergibt sich bereits aus Art. 53 S. 3 GG 6 , kann aber auch dem Prinzip der Bundestreue entnommen werden 7• Sie besteht in besonderem Maße, wenn eine Beschlußfassung im Rat Materien betrifft, die die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder berühren 8• Damit wird die bisherige, als unbefriedigend empfundene Unterrichtungspraxis 9 , die die Länder mit einer Flut von EG-Dokumenten konfrontierte, ohne eine Vorauswahl nach ihren spezifischen Interessen zu treffen, ersetzt durch ein Verfahren, bei dem - zumindest der gesetzlichen Konzeption, wenn auch nicht der tatsächlichen Praxis nach- die Bundesregierung "die Last einer sinnvollen Akzentsetzung" 10 trifft: sie hat nunmehr abzuschätzen, ob das jeweilige Vorhaben Länderbelange berühren könnte. Bei einer allzu extensiven Ausschöpfung des Anspruchs des Bundesrats auf Information über regierungsund ressortinterne Ausarbeitungen zu EG-Angelegenheiten wird infolge der damit einhergehenden weiten Öffnung des Regierungshandeins für die Länder allerdings teilweise die Gefahr einer einseitigen Verschiebung der in der föderativen Struktur liegenden Balance zwischen Bund und Ländern gesehen 11 • Auch das in Art. 2 Abs. 2 EEAG vorgesehene Konsultationsverfahren ist ein Ausfluß des Grundsatzes der Bundestreue 12• Dem Bundesrat wird "Gelegenheit s Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 32. Bzgl. der genauen Ausgestaltung dieses Verfahrens vgl. die "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Unterrichtung und Beteiligung des Bundesrates und der Länder bei Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften in Ausführung von Art. 2 des Gesetzes v. 19. Dezember 1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte v. 28. Februar 1986 (BGBI. II, S. 1102 f.)", Ziff. 1., abgedr. bei Schmidt-Meinecke, s. 99 f. 6 Vgl. Bethge, Die Rolle der Länder, S. 41; Grabitz, EuR 22 (1987), S. 317; Tomuschat, ebd., S. 32; Ziller, S. 92 f. 7 Vgl. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 254; Ress, EuGRZ 1986,5. 556. s Vgl. Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 147; Grabitz, ebd., S. 316; Schwan, S. 147. 9 Vgl. Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/1982, S. 20 f.; Morawitz, S. 2731; Schmidt-Meinecke, S. 11-19; Schwan, S. 108 -112; Ziller, S. 92-94. 10 Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 32. II Vgl. Hrbek, Die Beteiligung der deutschen Länder, S. 10. 12 Ress, EuGRZ 1986, S. 556; Tomuschat, ebd., S. 33. So bereits nach der alten Rechtsgrundlage Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 144, 147; H.-J. Vogel, S. 852.

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

zur Stellungnahme" vor der Zustimmung der Bundesregierung bei Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft eingeräumt, und zwar unter zwei Bedingungen: die Gemeinschaftsvorhaben müssen entweder ausschließliche Gesetzgebungsmaterien der Länder betreffen oder deren wesentliche Interessen berühren. Ein derartiger Konsultationsvorgang wird im Hinblick auf die doppelte Betroffenheit der Länder, nämlich hinsichtlich ihrer Legislativgewalt wie auch ihrer sonstigen Belange - letztere sind vor allem durch finanzwirksame EG-Bestimmungen berührt 13 - als sachgerecht angesehen 14. Auch erscheint dies für die spätere Durchsetzung des sekundären Gemeinschaftsrechts durch die Bundesländer sinnvoll15. Als zumindest problematisch wird hingegen die Regelung des Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG gewertet 16. Zwar wird eine Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates durch die Bundesregierung bei den EG-Verhandlungen nach Art. 2 Abs. 3 S. 1 EEAG selbst unter dem Aspekt der Pflicht der Mitgliedstaaten zum gemeinschaftsfreundlichen Verhalten als zulässig erachtet, da es insoweit an einem faktischen oder rechtlichen Zwang bzw. an einer Bindung der Bundesregierung durch den Bundesrat fehlt. Der Umstand jedoch, daß die Bundesregierung von dessen Stellungnahme bei "ausschließliche(n) Gesetzgebungsmaterien der Länder 17 [ ••• ] nur aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen darf', stößt auf Bedenken: zum einen wird der Verdacht geäußert, es sei hier der Versuch gemacht worden, durch ein einfaches Gesetz ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Verfassungsorganen näher auszugestalten und zu Lasten der Bundesregierung "ein Element der cheques and balances" 18 einzuführen, von dem jedenfalls ausdrücklich an keiner Stelle des Grundgesetzes die Rede sei. Die Regelung "des heiklen Gleichgewichts" 19 zwischen den obersten Bundesorganen sei dem Verfassungsrecht vorbehalten, wo speziell für diese Interorganbeziehungen eine abschließende Normierung getroffen worden sei, in die der einfache Gesetzgeber mangels eigener Unparteilichkeit nicht eingreifen dürfe. Zum anderen werde der Bundesregierung durch den Begriff der "zwingenden Gründe" eine verschärfte Rechenschaftspflicht auferlegt. Sie könne zu einer so maßgeblichen Hemmung der Entschließungsfreiheit der Bundesregierung und damit des deutschen Ratsvertreters führen, daß eine Ausrichtung an den gesamteu13 14 1s 16

Vgl. Morawitz, S. 74. Vgl. Tomuschat, ebd., S. 33. Vgl. Ress, EuGRZ 1986, S. 553. Unproblematisch ist diese Regelung hingegen für Schröder, JöR 35 (1986), S. 96. 17 Ungeklärt bleibt durch diese Regelung, ob der Fall eines Abweichens von der Stellungnahme des Bundesrates erfaßt wird, wenn durch Gemeinschaftsangelegenheiten "wesentliche Interessen" der Länder berührt werden. Bezweifelt wird dies von Schröder, ebd., S. 99. Vgl. auch Ziff. ll 4 der "Vereinbarung" (Fn. 5), wo nur der Fall des Abweichens von einer Stellungnahme des Bundesrates "zu einer ausschließlichen Gesetzgebungsmaterie der Länder" geregelt ist. 1s Tomuschat, ebd., S. 34. 19 Tomuschat, ebd., S. 35.

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ropäischen Gemeinwohlbelangen zumindest erheblich erschwert werde 20. Mit dieser Befürchtung wird nicht nur die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zu einem gemeinschaftsfreundlichen Verhalten gemäß Art. 5 EWGV ("in dubio pro communitate" 21 ) angemahnt, sondern auch das Problem einer möglichen Unvereinbarkeit der erweiterten Beteiligungsrechte der Bundesländer mit der Kompetenz des Bundes für die Pflege der auswärtigen Beziehungen (Art. 32 Abs. 1 GG) in die Diskussion eingebracht 32. Die Wahrnehmung der Befugnisse in den Organen der EG fällt nämlich, wie oben bereits ausgeführt 23 , nach herrschender Meinung in den Bereich der dem Bund vorbehaltenen Außenvertretungsbefugnis24. Politisch bedeutsame Organisationen sind den Ländern hiernach verschlossen 25 . Dies ist auch nach der Meinung derjenigen der Fall, die von der Außenvertretungsbefugnis des Bundes lediglich völkerrechtsförmliches Handeln erlaßt ansehen 26, da es sich insofern um vertragsakzessorische Rechte handle, die unter Art. 32 Abs. 1 GG fielen. Es komme dabei nicht auf das politische Gewicht und die Bedeutung einer internationalen oder supranationalen Organisation an, sondern allein auf deren Aufgaben. Insoweit sei allerdings festzustellen, daß diese bei politisch bedeutsamen Organisationen regelmäßig über die Materie der Ländergesetzgebung hinausreichten 27. Demzufolge dürften die Länder ihre Interessen nicht gegenüber der Gemeinschaft, sondern nur als Teil eines Mitgliedsstaates in der Gemeinschaft, in die sie integriert seien, vertreten 28 . Die Tatsache einer Außenvertretungsbefugnis des Bundes kann hiernach auch nicht durch die Argumentation entkräftet werden, Art. 32 Abs. 1 GG habe die Folgen von Art. 24 Abs. 1 GG bundesstaatlich nicht aufgearbeitet. Aus Ländersicht muß die Annahme dieser Zuständigkeit allerdings in dem Augenblick zum Kompetenzproblem werden, in dem eine zwischenstaatliche 20 Vgl. z. Hausen, EuR 22 (1987), S. 329; Hellwig, EA 1987, S. 300 f.; Morawitz, S. 22, Ress, EuGRZ 1986, S. 553, 556; ders., EuGRZ 1987, S. 364. 21 Vgl. Riegel, DVBI. 1979, S. 247. 22 Vgl. Frowein, S. 294: Unter Verweis auf die Entscheidung des BVerfG (E 68, 1, 86) stellt er fest, das Grundgesetz ziehe der Beurteilungsmacht der Bundesregierung in außen- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten nur die Grenze offensichtlicher Willkür. 23 Vgl. V. Kap. I. 24 Birke, S. 124, Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 146 f. ; F. Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Art.32, Rn.6; Ress, EuGRZ 1986, S. 554f.; ders., EuGRZ 1987, S. 366; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 100. Nach Riegel, DVBI. 1979, S. 246, ergibt sich die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte durch den Bund aus Art. 24 GO, wonach jener auch Träger der ,,Folgelasten" der Integrationsgemeinschaft sei; dieses Ergebnis könne daneben nur auf eine Analogie des Art. 32 Abs. 1 GO gestützt werden, weil es bei der Ausführungsgesetzgebung zu EG-Verträgen eben nicht um auswärtige Beziehungen gehe, unter denen i. S. d. Art. 32 Abs. 1 GO gerade die klassischen völkerrechtlichen Beziehungen zu verstehen seien. 25 Vgl. v. Mangoldt I Klein, Art. 32, Anm. VI Sb. 26 Vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 88; hierzu bereits V. Kap. I. 21 Vgl. Fastenrath, ebd., S. 153, 169. 28 Vgl. Fastenrath, ebd., S. 160.

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Organisation wie die Europäische Gemeinschaft innerstaatlich anwendbares Recht setzt. Die für die Bundeskompetenz in auswärtigen Angelegenheiten wesentliche Unterscheidung zwischen innen- und außenwirksamen Akten des Staates wird- so die Befürchtungen der Länder- in Frage gestellt 29 • Die Bundesrepublik ist nach den Worten Walter Rudolfs 30 in der Gefahr, sich zum "gouvernementalen Einheitsstaat" zu entwickeln. Dieser Gefahr kann auch nicht mit einer analogen Anwendung des Art. 32 Abs. 3 GG begegnet werden, der den Ländern eine Abschlußkompetenz in den in ihre Gesetzgebungszuständigkeit fallenden Bereichen zuerkennt. Diese Bestimmung ist nach zutreffender Ansicht als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und bezieht sich nur auf den Abschluß von Verträgen mit auswärtigen Staaten. Zudem kann die Beschlußfassung in internationalen Organisationen nicht mit dem Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages gleichgesetzt werden31. Auf dem Hintergrund dieses auf Verfassungsebene ungelösten Problems der Beteiligung der Bundesländer bei der Ausübung der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen einschließlich supranationaler Gemeinschaften ist die umstrittene einfachgesetzliche Vorschrift des Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG zu sehen. Soweit die Bedenken gegen die Regelung aus dem Umstand herrühren, daß dort ein genuin verfassungsrechtliches Problem- nämlich das Verhältnis von Bundesregierung und Bundesrat in einem bestimmten Bereich- geregelt ist, wird man diese mit dem Hinweis auf das objektiv feststellbare Bedürfnis nach Rechtsklarheit und -Sicherheit in einer Frage, die verfassungsrechtlich nicht mit einem hinreichenden Grad an Präzision lösbar ist, ausräumen können. Der Gesetzgeber wird jedenfalls dort rein deklaratorische Rechtsaussagen formulieren dürfen, wo sich diese bei genauer Analyse bereits aus dem Grundgesetz selbst ergeben. Insofern werden von Tomuschat 32 als Rechtfertigung für Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG Vgl. Schröder, JÖR 35 (1986), S. 93; Vgl. Rudolf, Bundesländer, S. 126. Als Ausgleich für diese Entwicklung fordert er, daß dem BR bei der Instruktion des deutschen Ratsvertreters die gleiche Position eingeräumt wird, die er hinsichtlich der Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen besitzt. Vgl. auch Schröder, ebd., S. 93. 31 Vgl.Bleckmann, RIW I AWD 1976, S. 146-147; Ress EuGRZ 1986, S. 555; Riegel, DVBI. 197_9, S. 246; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 101; Weber, Rechtsfragen, S. 208; Zuleeg, DÖV 1977, S. 465 f. Anderer Ansicht ist hingegen Schwan, S. 103 f., der auf dem Hintergrund der Entscheidung für eine offene Staatlichkeit in Art. 24, Abs. 1 GG von einer konkurrierenden Befugnis des Bundes zur Mitwirkung bei Rechtsctzungsakten der Gemeinschaften ausgeht, die Länderinteressen berühren. Für ihn ist die Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Gemeinschaften auf Gebieten der Ländergesetzgebungskompetenzen mit der Beteiligung am Abschluß völkerrechtlicher Verträge vergleichbar. Vgl. insofern auch Min. Schmidhuber, 564. Sitzung des BRam 16.5.1986, Sten.Prot. 307 C, der bemängelt, der Bund habe unter Verstoß gegen die Lindauer Absprache nicht das vorherige Einverständnis der Länder zur Akte eingeholt. 32 Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 36. Im Ergebnis ebenso Grabitz, Die deutschen Länder in der EG-Politik, S. 179, der in Fällen, in denen sich aus der Begründung von Hoheitsgewalt bei einerZE zwingende verfassungsrechtliche Konsequenzen nach innen ergeben, diese in einem Gesetz nach Art. 24 Abs. 1 GG als regelbar 29

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zutreffend der Gedanke der Kompensation wie auch das Prinzip der Bundestreue angeführt. Gravierender sind die erwähnten Einwände gegen die mandatorische Aussage des Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG hinsichtlich einer möglichen Einengung des außenpolitischen Handlungsspielraums der Bundesregierung in Gemeinschaftsangelegenheiten mit Länderbezug. Weder das Prinzip der Bundestreue noch der in seinen Folgewirkungen für die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen der Staatsoffenheit und Völkerrechtsfreundlichkeit schwer abschätzbare Gesichtspunkt der Kompensation vermögen nach der Meinung der Kritiker 33 einen Zwang gegenüber einem Staatsorgan - hier der Bundesregierung - zu rechtfertigen, sich den Auffassungen eines potentiell betroffenen anderen Beteiligten - dem Bundesrat- zu unterwerfen. Dies insbesondereangesichtsdes Umstandes nicht, daß nach der klaren Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes in Art. 32 Abs. 1 GG zugunsten des Bundes föderale Vielfalt in der Pflege der auswärtigen Beziehungen- und damit auch zu internationalen Organisationen einschließlich supranationaler Gemeinschaften - keinen Platz habe 34 • Als verfassungsrechtlich haltbar ist die besagte Vorschrift daher nur dann anzusehen, wenn sie keine de-jure-Bindung der Bundesregierung an die Stellungnahme des Bundesrates erzeugt, die über eine Koiucretisierung des Grundsatzes der Bundestreue hinausgeht, wonach der Bund die auswärtige Gewalt nicht mißbräuchlich, d. h. nicht ohne Rücksicht auf die Belange der Länder, ausüben darf35 • Darüber hinaus muß die Bundesregierung in der Frage, ob zwingende Gründe für eine Abweichung von der Stellungnahme des Bundesrates vorliegen, über eine verfassungsgerichtsfeste ,,Einschätzungsprärogative" verfügen 36 • Die ansieht. Grundsätzlich sei für Regelungen verfassungsrechtlicher Fragen zwischen Organen bzw. Ebenen des Bundesstaates aber der Staatsvertrag die geeignete Staatsform. 33 Vgl. Bethge, Die Rolle der Länder, S. 45 ; Tomuschat, ebd., S. 39. 34 Vgl. Birke, S. 115; Grabitz, ebd., S. 173; Ress, EuGRZ 1986, S. 556; Tomuschat, ebd., S. 40; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 100; vgl. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des BR v. 16.5.1986, Drs. 10/6418, S. 2 (Ziff. II). Anders wohl Schröder, JöR 35 (1986), S. 96, der dem Recht der Bundesregierung, nach außen als Vertreterio des Gesamtstaates zu wirken, nicht zwangsläufig die Befugnis entnimmt, den Inhalt dieses Handeins in jedem Fall selbst zu bestimmen. 35 Vgl. Grabitz, ebd., S. 178; ders., EuR 1987, S. 319; ihm folgend Bethge, ebd., S. 45 f., der allerdings darauf hinweist, daß die Annahme eines bloßen kompetenzmoderierenden Charakters des Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG mit dem Wortlaut der Vorschrift nur schwerlich in Übereinstimmung zu bringen sei. Kruis, S. 164 ff., sieht - abgesehen vom Fall der gemeinschaftsrechtlichen Sonderbetroffenheit eines Landes- die "Bundesratsmitsprache" als "Kristallisierung der Bundestreue in einem abgegrenzten Teilbereich" an. Dem Votum selbst bescheinigt er eine ,,hinreichende Verbindlichkeit", die sich in einer Berücksichtigungs- und Abwägungspflicht erschöpfen soll (S. 167). Anderer Ansicht bezüglich dieser Bindungswirkung ist Schröder, JöR 35 (1986), S. 99, der bei Art. 2 Abs. 3 EEAG von einer "verbindlichen Einflußnahme der Länder auf die Bundeswillensbildung" im Bereich ihrer ausschließlichen Kompetenzen ausgeht; ebenso Hailbronner, JZ 1990, S. 156, der von einer Justitiabilität der unbestimmten Rechtsbegriffe "unabweisweise Gründe" ausgeht.

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Regelung ist somit verfassungskonform dahingehend zu interpretieren, daß eine "Aufforderung an die Adresse der Bundesregierung" ausgesprochen wird, "wenn irgend möglich im Einklang mit den Wünschen des Bundesrates zu handeln"37 • So gesehen erscheint Art. 2 Abs. 3 S. 2 EEAG als eine Art "Vorstufe" 38 zu der in Art. 2 Abs. 4 EEAG verankerten Mitteilungspflicht seitens der Bundesregierung im AbweichungsfalL Diese verfassungskonforme Interpretation wird durch die aufgrund Art. 2 Abs. 6 EEAG getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder vom 17. Dezember 1987 bestätigt, die insoweit (Ziff. II 4) den Inhalt des Art. 2 Abs. 4 EEAG fast wortgleich wiedergibt, ohne der Bundesregierung eine im Rahmen einer Bund-Länder-Streitigkeit rechtlich nachprüfbare Rechtfertigungspflicht aufzuerlegen 39 . Zugleich wird der Geltungsbereich der Vereinbarung auch auf Vorhaben erstreckt, die sich auf Beschlüsse des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten beziehen, so daß der nicht-integrierte Bereich mitumfaßt ist 40•

II. Die Beteiligung des Bundesrates an der europäischen Integration Der Verlust an nationaler Regelungszuständigkeit geht im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland mit einer Veränderung des Wertes der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder an der politischen Willensbildung des Bundes einher. Die infolge des Integrationsprozesses voranschreitende Schmälerung des Kompetenzbereiches des Bundesgesetzgebers führt zu einem gleichzeitigen Verlust der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder über den Bundesrat nach Art. 50 GG 41 • Seit der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen 42 versuchen die Länder, den Bundesrat als Forum zur Koordinierung 36 Vgl. Schröder, ebd., S. 96, der damit aber zu dem Ergebnis kommt, daßtrotzeiner verbindlichen Einflußnahme durch den BR gleichwohl die Abweichungsgründe einer Verfassungskontrolle nicht zugänglich sind. Oschatz I Risse, EA 1988, S. 13{16, bejahen ebenfalls eine Einschätzungsprärogative der Bundesregierung, zugleich aber auch die "verpflichtende Wirkung" der Stellungnahme des Bundesrates. 37 Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 39; anderer Ansicht ist hingegen Schröder, ebd. 38 Tomuschat, ebd., S. 39 f. 39 Vgl. "Vereinbarung" (Fn. 5). Die Bedenken von Ress, EuGRZ 1986, S. 550/553, ergeben sich vor allem aus der Befürchtung, mit dem Abschluß eines Bund-LänderAbkommens werde die rechtliche Bindung der Bundesregierung an eine Stellungnahme des BR sowie die Justitiabilität einer vom Bundesratsvotum abweichenden Entscheidung der Bundesregierung avisiert. 40 Zu den diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Kruis, S. 175, wonach die uneigentlichen Ratsbeschlüsse der Lindauer Vereinbarung (Ziff. 3) unterliegen. Deshalb dürfe die Bundesratsmitsprache nach Art. 2 Abs. 2 bis 4 EEAG nicht auf solche Vorhaben erstreckt werden; vgl. desweiteren Memminger, S. 67 f. 41 Vgl. X. Kap. II.l.

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ihrer politischen Willensbildung in EG-Angelegenheiten zu installieren 43 • Durch die Bestimmung des Bundesrates zum Träger der in Art. 2 EEAG statuierten Mitwirkungsrechte, wird diese Tendenz noch verstärkt. Sie unterstreicht zugleich die bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der Phänomene der Unitarisierung und des kooperativen Föderalismus festgestellte Tendenz eines Machtzuwachses des Bundesrates infolge seiner Entwicklung zu einem Medium der umfassenden - mithin von der Konzeption des Grundgesetzes abweichenden- Partizipation der Länder am Entscheidungsprozeß des Bundes 44 • Anders als sonst 45 werden dem Bundesrat aber nunmehr Aufgaben im Rahmen des kooperativen Föderalismus übertragen, was einen gewissen "Systembruch" 46 darstellt. Institutionell manifestiert sich der Bedeutungszuwachs dieses Organs in der - im Rahmen der Einfügung eines Abschnitts IV a (§§ 45 a - k) in die GeschOBR- erfolgten Einsetzung einer "Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften" (kurz: EG-Kammer), deren Zweck die "Behandlung und Beschlußfassung über eilbedürftige oder vertrauliche Vorlagen, die Vorhaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften betreffen", ist 47 • Durch die starke Ausgestaltung der europapolitischen Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundesrates sollen der deutsche Föderalismus und die europäische Integration in Einklang gebracht werden 48 • Verfassungsrechtlich unbedenklich erscheint diese Lösung allerdings nicht, da sie die Länder, die im Hinblick auf ihre schwindenden Gesetzgebungsbefugnisse jedenfalls die in erster Linie Kompensationsberechtigten wären, vollkommen unberücksichtigt läßt. Die Zuweisung einer Sachwalterrolle an den Bundesrat widerspricht seiner Stellung im Verfassungsgefüge als oberstem Bundesorgan, das nicht als eine Einrichtung der Länder zur Koordinierung im Bereich ihrer 42 Gesetz zu den Verträgen v. 25. 3. 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft v. 27.7.1957 (BGBI. II S. 753). 43 Vgl. Ziller, S. 98 f. 44 Vgl. I. Kap. I. 6. sowie 11.2. 45 Vgl. I. Kap. 11.2. 46 Vgl. Rudolf, ebd., S. 365 f. 47 Vgl. hierzu Risse, NJW 1988, S. 2780 f.; Rudolf, ebd., S. 369 f., mit Ausführungen zum ebenfalls neu eingeführten "Umfrageverfahren", das für eilbedürftige Beschlußfassungen vorgesehen ist, soweit kein Beratungsbedarf durch die EG-Kammer besteht. Oschatz I Risse, DÖV 1989, S. 513: Die EG-Kammer beschließt nur in Ausnahmesituationen anstelle des Bundesratsplenums. Zum einen wäre es nicht zweckmäßig, die Beschlußfassung zu den EG-Vorlagen aus den routinemäßigen Bundesratssitzungen herauszunehmen, zum anderen hat der Rechtsausschuß des Bundesrates die Delegation der Plenarfunktionen auf die EG-Kammer an das Vorliegen eines sachlichen Grundes hierfür geknüpft. Die Beschlüsse der Kammer haben die Wirkung von Beschlüssen des BR (§ 45 b Abs. 2 GeschOBR), weshalb sie zutreffend als "Bundesrat en miniature" charakterisiert wird (vgl. Haas, DÖV 1988, S. 619). Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich im Hinblick auf die Errichtung dieser Kammeraufgrund eines bloßen Geschäftsordnungsbeschlusses des Bundesrates ergeben, vgl. Merten, Die Beteiligung der Bundesländer, S. 47 ff.: "gesetzeswidrig"; H.-J. Schütz, NJW 1989, S. 2164 ff. 48 Ziller, S. 99.

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ausschließlichen Gesetzgebung bzw. ihrer wesentlichen Interessen angelegt ist 49• Die beabsichtigte ,,kooperative Koordination" 50 läßt sich wohl kaum als eine Mitwirkungsform des Bundesrates an der Verwaltung des Bundes gern. Art. 50 GG rechtfertigen 51 • Die Länder können nicht ein Bundesorgan als Instrument des kooperativen Föderalismus zur Koordination auf Gebieten ausschließlicher Landesgesetzgebungskompetenzen in Anspruch nehmen, weil dies die Verfassung nicht vorsieht 52• Bedenken ergeben sich auch daraus, daß im Bundesrat bei Abstimmungen grundsätzlich die Mehrheitsregel zur Anwendung kommen kann, die Länder aber im Hinblick auf die hier zur Debatte stehenden Sachbereiche der ausschließlichen Länderkompetenz autonom und niemand anderem unterworfen sind, insoweit zueinander in einem Gleichheits- und Unabhängigkeitsverhältnis stehen und folglich eine Majorisierung unstatthaft ist. Vielmehr wäre deshalb bei Abstimmungen das Einstimmigkeitsprinzip angebracht 53 • Die Attraktivität dieser Lösung besteht jedoch in der Möglichkeit, den Bundeswillensbildungsprozeß mit einer einheitlichen, auf dem Mehrheitsprinzip fußenden Stimmme beeinflussen zu können, ohne einem Einigungszwang zu unterliegen, worunter das zuvor seit 1980 praktizierte Länderbeteiligungsverfahren litt 54• 49 Vgl. Bethge, Die Rolle der Länder, S. 47; Haas, DÖV 1988, S. 619 ; Schröder, JöR 35 (1986), S. 100 f.; Stöger, S. 108 f.; Ress, EuGRZ 1986, S. 557 ff.; Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 38; H.-1. Schütz, Der Staat 28 (1989), S. 222, der als Alternative ein eigenes, sich ausdrücklich als solches begreifendes Länderorgan -etwa analog der Vertragskommission der Länder gern. dem ,,Lindauer Abkommen" vorschlägt. Auch die Länder hatten bei der Installierung des neuen Länderbeteiligungsverfahrens im Jahre 1979 eine Bundesratslösung mit dem Argument abgelehnt, "die Willensbildung zu EG-Maßnahmen auf dem Gebiet der Länderkompetenzen [sei] außerhalb des BR verfassungsrechtlich geboten" (vgl. Beschluß der Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder v. 5. 7.1979, unveröffentlicht). so Vgl. Rudolf, ebd., S. 368. 51 Oschatz I Risse, EA 1988, S. 14 f., bejahen eine funktionale Zuständigkeit des BR gemäß Art. 50 GG im Anschluß an Grabitz (EuR 22/1987, S. 316) sowie sein Recht, zu europäischen Vorhaben Stellung zu nehmen, welches sich aus Art. 53 S. 3 GG ableite; einer besonderen Kompetenzvorschrift bedürfe es daher hierfür nicht; ihnen folgend Kössinger, S. 116; Kruis, S. 170, wonach die Regelung des Art. 2 Abs. 1 bis 4 EEAG im "Binnenbereich des Bundes" verbleibt, ohne den Fall der Sonderbetroffenheit eines einzelnen Landes zu berühren, weshalb das Einstimmigkeitsprinzip keine Geltung beansprucht; ähnlich H.-1. Vogel, Aktuelle verfassungspolitische Probleme, S. 1071 f., wonach sich die Art. 50 und 53 S. 3 GG insoweit im Lichte der Auswirkungen des Art. 24 Abs. 1 GG in einem neuen, erweiterten Verständnis erschließen. Hiergegen Bethge, Die Rolle der Länder, S. 44: Art. 50 GG enthalte nur die grundsätzliche Aufgabenzuweisung an den Bundesrat. Im Grundgesetz sei jeweils genau festgelegt, wo und in welchem Umfang dieser konkrete HandlungsbefUgnisse besitze. Die durch Bundesgesetz erfolgende Übertragung zusätzlicher Befugnisse habe im Rahmen der grundgesetzliehen Kompetenzordnung zu bleiben. 52 Vgl. Rudolf, ebd., S. 367. 53 Vgl. H.-1. Schütz, NJW 1989, S. 2161; Zumschlinge, Die Verwaltung 22 (1989), s. 221. 54 Vgl. zu beiden Verfahren Hannaleck! Schumann, ZParl. 14 (1983), S. 362 ff.; Einert, S. 45, stellt bzgl. des Länderbeteiligungsverfahrens folgende Bilanz auf: In den

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Mit der Bestimmung des Bundesrates zu einem Koordinierungsmedium der Länder haben diese auf die W ahmehmung ihres jeweils eigenen, aus der ausschließlichen Landeskompetenz fließenden Standpunktes verzichtet. Dies ist im Hinblick auf ihre gleichmäßige integrationspolitische Betroffenheit möglich, bei der es nur noch um eine generelle Abwägung zwischen den Länderinteressen einerseits und den Gemeinschaftsinteressen andererseits geht 55 • Letztendlich folgt die gefundene Lösung einem Gebot praktischer Vernunft 56• Die Behandlung der EG-Vorlagen im Bundesrat findet im Schrifttum 57 eine auffallend positive Würdigung 58• Herausgestellt werden insbesondere die Fähigkeit des Bundesrates, die Verwaltungserfahrung der Länder zur Geltung zu bringen 59, die Genauigkeit der Beratungen 60 und das Vermögen, Alternativen zu entwickeln 61 • Als ein weiteres Indiz für die Effektivität des Bundesratsverfahrens wird die Tatsache angesehen, daß der Bundestag sich in zahlreichen Fällen der Jahren 1980-1986 seien 1000 EG-Vorlagen dem Länderbeobachter übermittelt worden. Davon seien 300 Vorlagen an die für eine Koordinierung der Länder zuständigen Stellen weitergeleitet worden. Nur in 37 Fällen sei eine Stellungnahme der Länder erarbeitet worden. In keinem einzigen Fall sei es zur Weiterleitung einer Stellungnahme an die Bundesregierung und damit überhaupt zur Einleitung eines gemeinsamen Meinungsbildungsprozesses gekommen. 55 Tomuschat, ebd., S. 38 f.; Ziller, S. 100, rechtfertigt die "Bundesratslösung" damit, daß die Befugnis zur Regelung des jeweiligen Bereiches, in der eine Stellungnahme des BR erfolge, zuvor auf die EG übertragen worden sei; sobald und soweit die Kommission und der Rat eine Regelung in Angriff nähmen, sei die Sache Angelegenheit des Bundes geworden. Dann dürfe auch der BR als Bundesorgan eine Stellungnahme abgeben, ohne unzulässigerweise in der Sphäre der Länder zu operieren. 56 Borchmann, AöR 112 (1987), S. 609; Rudo/f, ebd., S. 375. Nach Bethge, S. 47 f., ist dies allerdings kein Kriterium, welches die genannten verfassungsrechtlichen Bedenken ausräumen könnte. 57 S. hierzu Sasse, S. 333 f., m. w.N. 58 Der in der 186. Sitzung v. 20. 12.1957 vom BR durch Beschluß eingesetzte (vgl. Sitzungsbericht, S. 855 [B] f.) und am 26.11.1965 umbenannte ,,Ausschuß" für Fragen der Europäischen Gemeinschaften (289. Sitzung des BR, Sitzungsbericht, S. 242 [B]), der für die Beratung aller EG-Vorlagen federführend ist, hat insbesondere folgende Aufgaben: - EG-Vorlagen auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten zu beraten, um auf diese Weise zu erreichen, daß neben den deutschen Belangen auch die Möglichkeiten eines Kompromisses bei den Verhandlungen in Brüssel und somit das politische Ziel der europäischen Integration beachtet wird. - die Koordinierung aller Ausschußempfehlungen für das Bundesratsplenum vorzubereiten, um die Beratungen und Abstimmungen in den Kabinetten der Länder sowie im Plenum des Bundesrates zu erleichtern. -Informationen der Bundesregierung über die aktuelle Entwicklung der Integration entgegenzunehmen und ein Forum für den sich anschließenden politischen Meinungsaustausch zu bilden. Vgl. hierzu Jaspert, Die Beteiligung des Bundesrates, S. 91 ff.; Oschatz I Risse, DÖV 1989, s. 510 ff. 59 Birke, S. 44. 60 Morawitz,S. 27 f. 61 Oetting, S. 64.

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Stellungnahme des Bundesrates anschließt 62 • Diese gewinnt dadurch erheblich an politischem Gewicht 63 •

111. Direkte EG-Kontakte der Länder 1. Teilnahme an EG-Verhandlungen Über die geschilderte Beteiligung der Länder im innerstaatlichen Willensbildungsprozeß hinaus sieht Art. 2 Abs. 5 EEAG in Anknüpfung an eine entsprechende Regelung im Schreiben des Bundeskanzlers vom 19. September 1979 und die Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung(§ 85 a GGO II) auf Verlangen eine Hinzuziehung von Landesvertretern zu den Verhandlungen in den Beratungsgremien der Kommission und des Rates vor, soweit der Bundesregierung dies möglich ist 64 • Die Mitwirkung von Ländervertretern in internationalen Gremien war bereits durch die sog. Kramer I HeubiAbsprache von 1968 praktikabel geregelt worden 65 • Ländervertreter sollen hinzugezogen werden, wenn der Bund wegen der innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung keine eigenen Fachkräfte besitzt, wenn zur Erreichung eines optimalen Handlungsergebnisses eine Ergänzung der Fachkunde notwendig erscheint oder wenn der Verhandlungsgegenstand wesentliche Belange der betroffenen Länder berührt. Schon bisher stellten die Länder u. a. ein ordentliches Mitglied der deutschen Delegation im ständigen Agrarstrukturausschuß und im beratenden Ausschuß für Berufsbildung. Im Ausschuß für Regionalpolitik benennen sie ein stellvertretendes Mitglied der deutschen Delegation und im Verwaltungsausschuß des europäischen Sozialfonds wird ein Vertreter des Landes hinzugezogen, das von dem behandelten Projekt betroffen ist. Im Rat der Europäischen Gemeinschaften ist die Teilnahme von Ländervertretern jedoch selten geblieben 66 • Ob allerdings eine rechtliche Verpflichtung des Bundes für eine derartige Beteiligung besteht, ist umstritten. Während Birke 67 dies mit dem Hinweis verneint, es gehe bei der Mitwirkung in den Ausschüssen allein um die W ahmehmung des Gesamtinteresses der Bundesrepublik, um einen Bereich also, den die Länder Vgl. Birke, S. 46; Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/82, S. 26. Vgl. Ziller, S. 94. 64 Schreiben abgedr. bei Morawitz, S. 103; GGO II abgedr. in GMBI. 1980, S. 471. 65 Absprache über die "Gemeinsamen Regelungen zur personellen Beteiligung der Länder an den auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik", die durch Beschluß der Regierungschefs der Länder am 5. 7.1968 und durch Beschluß der Bundesregierung v. 26.7.1968 gebilligt wurde. Vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, S. 163 f.; Hrbek, Doppelte Politikverflechtung, S. 27 f.; Schmidt-Meinecke, S. 75 f. 66 Vgl. zu näheren Einzelheiten Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 372; SchmidtMeinecke, S. 39 ff., 75 f., 106 ff. sowie Schwan, S. 124. 67 Birke, S. 116. 62 63

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wegen ihrer Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten dem Bund zu überlassen hätten, sieht Schwan 68 eine unmittelbare Beteiligung der Länder an der Beschlußvorbereitung der Gemeinschaften aufgrund des Gesichtspunktes der Kompensation zur Erhaltung des im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Gleichgewichts zwischen Völkerrechtsfreundlichkeit und Bundesstaatlichkeil als gerechtfertigt an. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesichtspunkt der Kompensation oder der Grundsatz der Bundestreue einen derartigen Anspruch der Länder zu tragen vermag 69 • Denn eine justitiable Verpflichtung des Bundes zu einer solchen Beteiligung der Länder in Erfüllung eines entsprechenden Anspruchs kann Art. 2 Abs. 5 EEAG jedenfalls nicht entnommen werden. Vielmehr verfügt die Bundesregierung auch hier, wie sich aus dem Wortlaut klar ergibt, über eine Einschätzungsprärogative: sie soll "soweit möglich" Ländervertreter in Angelegenheiten des Art. 2 Abs. 2 EEAG hinzuziehen. Damit wird auch dem Umstand Rechnung getragen, daß eine Hinzuziehung der Ländervertreter im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über Kommission und Rat auch von Vertretern anderer Mitgliedstaaten abhängt 70 • Im Rahmen ihrer Möglichkeit wird die Bundesregierung in der Regel dem Verlangen auf Hinzuziehung mindestens eines Ländervertreters, bei ausschließlichen Landesgesetzgebungsmaterien von zwei Ländervertretern entsprechen 71 • Die Mitglieder der Delegation handeln in jedem Fall, auch soweit sie Ländervertreter sind, nach außen als Vertreter des Bundes 72 •

2. Der Länderbeobachter In der Praxis nehmen die Bundesländer in der Person des "Beobachters der Länder bei den Europäischen Gemeinschaften" bzw. seines Brtisseler Vertreters an allen Tagungen des Rates teil. Der "Länderbeobachter" ist eine nicht-offizielle Institution 73 oder, wie Sasse 14 es ausgedrückt hat, "eine pragmatische Kooperationsform in einer unbefriedigend geregelten Überschneidungszone des bundesstaatlichen Gefüges". Seine Tätigkeit grtindet sich auf eine Verabredung zwischen Schwan, S. 124 ff. Ablehnend Birke, S. 116; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 106. 70 Vgl. Ehlermann, S. 139 ff.; Ress, EuGRZ 1987, S. 364. Unzutreffend istdie Ansicht von z.Hausen, EuR 22 (1987), S. 322, die im Gesetz formulierte Einschränkung bringe im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck. 11 Vgl. Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 371. 72 Vgl. Ziff. III, Abs. 4 der "Vereinbarung". Aus dem Schrifttum vgl. hierzu Eh/ermann, S. 142; Grabitz, EuR 22 (1987), S. 320; Schwan, S. 126. Nach § 45 j, S. 1 GeSchOBR sind die Vertreter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben an Stellungnahmen und Weisungen des BR gebunden. Diese Bindung kann freilich nur innerhalb der Delegation von Bedeutung sein; vgl. Rudolf, ebd., S. 372. 73 Vgl. Stöger, S. 101. 74 Sasse, S. 342. 68

69

18 Blanke

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

dem Bundesaußenminister und den Ministerpräsidenten von Bayern und BadenWürttemberg aus dem Jahre 1956 75 • Als Teil der deutschen Ratsdelegation hat er grundsätzlich Zugang zu den Beratungen im Ministerrat sowie das Recht im Ausschuß der Ständigen Vertreter- selbst in Arbeitsgruppen des Rats- teilzunehmen. Seine Bedeutung liegt weiterhin darin, daß er den Ländern ausreichende Informationen über die Tätigkeiten der Gemeinschaften verschafft, und zwar durch Weiterleitung der jeweiligen Informationen an die je nach Federführung zuständigen Fachministerien der Länder. Soweit er als Kontaktperson des Bundesrates agiert, soll er den Ländern die Befassung mit den von diesem Organ routinemäßig zugeleiteten Dokumenten nach Möglichkeit und Erforderlichkeil dadurch erleichtern, daß er sie aufbereitet, kommentiert und in den Gesamtzusammenhang einordnet. Wie schon an den Sitzungen des EG-Ausschusses des Bundesrates nimmt der Länderbeobachter auch an den Sitzungen des aufgrund von Art. 2Abs. 6EEAGi.V. m. Ziff. IINr. 3der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder" neu eingesetzten Beschlußgremiums des Bundesrates ("Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften") 76 teil und erstattet dort ggf. Bericht. Schließlich hat er die Tätigkeit der Vertreter der Länder in den Beratungsgremien der Kommission und des Rates gern. Art. 2 Abs. 5 EEAG zu unterstützen und dort subsidiär, d.h. wenn kein benannter Ländervertreter teilnimmt, selbst als Länder-"Vertreter" zur Verfügung zu stehen 77 • In der Literatur 78 wird er als eine "der effizientesten Einrichtungen des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik" gepriesen.

3. Die Brüsseler Länderbüros Ebenso wie der Länderbeobachter sollen auch die Länderbüros in Brüssel dazu beitragen, die "Europafähigkeit" 79 der Länder zu steigern und ihre "offene (europäische) Flanke" 80 kontrollierbarer zu machen. Die Verbindungsbüros der Länder, die die Tätigkeiten des Länderbeobachters ergänzen, haben - im Gegensatz zu diesem - länderspezifische Informations-, "Lobby"- und "Public-Relations"75 Zu dieser Institution vgl. im Schrifttum Birke, S. 53 ff.; Borchmann, AöR 112 (1987), S. 590 ff., 619 f.; Jaspert, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/82, S. 21; Malanczuk, CMLR 22 (1985), S. 254 ff.; Oberthür, Integration 1978, S. 62; Oetting, S. 95 ff.; Sasse, S. 341; Schmidt-Meinecke, S. 35 ff., 67 ff.; Schwan, S. 126 f.; Stöger, S. 101 ff.; Strohmeier, DÖV 1988, S. 635; Ziller, S. 91. Bzgl. der Aufgaben des Länderbeobachters sowie seiner sachlichen und personellen Ausstattung vgl. das "Abkommen über den Beobachter der Länder bei den Europäischen Gemeinschaften" v. 19. 11.1988, MBI.NW Nr. 85 v. 23.12.1988, S. 1884 f. 76 Vgl.hierzu oben bei Fn. 47. 77 Vgl. Ziff. Ill., Nr. 3 Abs. 4 der gemäß Art. 2 Abs. 6 EEAG getroffenen "Vereinbarung" i.V. m. Art. 2, Nr. 2 c des ,,Abkommens über den Beobachter der Länder". 78 Rudolf, Die deutschen Bundesländer, S. 361. 79 Wessels, Die deutschen Länder in der EG-Politik, S. 187. 80 Ziller, S. 99.

XII. Kap.: Die Beteiligung der Bundesländer

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Funktionen, d. h. sie sind informationsbeschaffend, kontaktvermittelnd, "einflußnehmend" und "darstellend" nur für ihr jeweiliges Bundesland tätig 81 • Ebenso wie der Länderbeobachter sind die Länderbüros "Akquisiteure" von Infonilationen und keine "Akteure" im Sinne einer Einflußnahrne 82• Die Tätigkeit dieser Vertretungen ist im Hinblick auf Art. 32 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit die Länder den Gemeinschaftsinstanzen gegenüber lediglich ihre spezifischen Interessen vertreten und so einen positiv verstandenen "Lobbyismus" 83 auf europäischer Ebene betreiben, der sich unterhalb der Schwelle der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben bewegt. Zwar wird den Bundesländern überwiegend die Kontaktaufnahme mit fremden Staaten untersagt, soweit sie hierzu nicht vom Bund ermächtigt sind oder es sich nicht um Vertragsverhandlungen im Rahmen des Art. 32 Abs. 3 GG handelt 84• Was immer von dieser rigorosen Interpretation des Art. 32 Abs. 1 GG zu halten ist, dem Phänomen der Europäischen Gemeinschaft als einer supranationalen Einrichtung wird sie jedenfalls nicht gerecht. Der Umstand, daß Supranationalität mehr darstellt als einen Verband von Völkerrechtssubjekten, indem sie u. a. nämlich unmittelbare Rechtswirkungen im nationalen Bereich erzeugt, rechtfertigt im Hinblick auf die direkte Betroffenheit der Bundesländer diese Art eines unmittelbaren Verkehrs der Bundesländer mit den Gemeinschaftsorganen 85 • Freilich dürfen jene trotz gewisser Schwierigkeiten einer scharfen Abgrenzung zwischen Politik und Interessenvertretung 86 den außenpolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung auf EG-Ebene nicht zuwiderhandeln und damit die von manchem Bundespolitiker befürchtete "Nebenaußenpolitik" betreiben 87 •

st Vgl. Stöger, S. 113. s2 Vgl. Stöger, S. 114/115 83 Vgl. Hahn, S. 105, 110. 84 Vgl. V. Kap. 11.1. 85 I. d. S. auchBorchmann, NVwZ 1988, S. 219 f.; ders. VR 1987, S. 3 ff.;Fastenrath, Kompetenzve~.eilung, S. 161; ders., DÖV 1990, S. 128 ff. (133); E. Schneider, S. 66 ff.; Strohmeier, DOV 1988, S. 635 f.; ders. noch ablehndend in BayVBl. 1982, S. 207 /208; Tomuschat, Bundesstaats- und Integrationsprinzip, S. 40 f.; Zumschlinge, Die Verwaltung 22 ( 1989), S. 231. J.H. Kaiser hat bei der Anhörung des Bundesrates im November 1985 im Gegensatz hierzu dezidiert festgestellt: "[Die] Repräsentanz der Länder durch Vertreter bei den europäischen Organen nach Art von Lobbyisten steht nicht im Einklang mit dem Charakter und dem Verantwortungsbereich der Länder als Staaten." Vgl. Anhörung von Sachverständigen zu den mit der europäischen Integration verbundenen Rechtsfragen durch den Ständigen Beirat des BRam 6.11.1985, Leitsätze von Prof. Dr. J.H . Kaiser, Ziff. 16, veröffentlicht in Hrbek I Thaysen, Dok. 11 b), S. 252 (253). 86 Vgl. hierzu Schmidt-Meinecke, S. 47. 87 Vgl. hierzu Borchmann, VR 1987, S. I; Hellwig, EA 1987, S. 302; Hrbek, Die Beteiligung der deutschen Länder, S. 22 f.; Nass, EA 1986, S. 623 ff.; Westerwelle, ZRP 1989, s. 123 f. 18*

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

XIII. Kapitel

Die Beteiligung der AG Die Erörterung einer - in der spanischen Staatspraxis bisher nur teilweise institutionalisierten - Beteiligung der AG bei der innerstaatlichen Willensbildung und der Entscheidungsfindung auf Gemeinschaftsebene in europäischen Angelegenheiten sieht sich mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen sehen - wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben 1 - nur acht von siebzehn Autonomiestatuten, nämlich die des Baskenlandes, von Katalonien, Andalusien, Asturien, Murcia, den Kanarischen Inseln, Navarra und Madrid, die Pflicht des Staates zur Information über den Abschluß internationaler Vereinbarungen vor, die ihre Kompetenzen oder besondere Interessen der jeweiligen Region berühren könnten. Diesen Bestimmungen wird ein Recht der AG auf Information zumindest bzgl. der Beitrittsverträge, also des primären Gemeinschaftsrechts, entnommen 2 • Zudem könnte die bestehende Ungleichheit zwischen den AG im Hinblick auf ihre kompetenzielle Ausstattung sowie die besondere historische und politische Bedeutung der AG des Baskenlandes und Kataloniens den staatlichen Gesetzgeber dazu veranlassen, die informationellenund konsultativen Kontakte in europäischen Fragen auf diese Autonomien zu beschränken, um so entsprechendes politisches Konfliktpotential auszuschalten 3 • Angesichts solcher Unterschiede in den Statuten gilt es im spanischen Schrifttum als sicher, daß der Weg einer gleichmäßigen Einbeziehung aller AG in die innerstaatliche Willensbildung bei Fragen mit EG-Bezug "sehr steinig" sein wird 4 • Dabei ist das Problem der Beteiligung der AG nach herrschender Ansicht aber unter verfassungsrechtlichen Aspekten, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers für eine polyzentrische Staatsorganisationsstruktur und die sich hieraus ergebende innerstaatliche Kompetenzverteilung, unter Absehung von den Unterschieden der einzelnen Statute bezüglich ihrer Rechte und Kompetenzen zu lösen 5 • Vgl. VI. Kap. II. Lorente Hurtado, S. 1703 f. 3 Vgl. Bafw Le6n, S. 55. 4 Vgl. Montoro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 166. s Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 166; Bafio Le6n, S. 44, weist auf drei Umstände hin, aus denen sich Zweifel bezüglich einer EG-Beteiligung der AG auf der Grundlage der Statutsbestimmungen ergeben: I. Das in den Statuten vorgesehene Informationsrecht beziehe sich auf den Abschluß von Verträgen, lasse jedoch das Recht auf fortlaufende Unterrichtung, wie es im Hinblick auf die Verpflichtungen im Rahmen einer supranationalen Gemeinschaft notwendig sei, unberücksichtigt. 2. Das Informationsrecht beziehe sich nicht auf Fragen der Anwendung der Verträge, insbesondere des Sekundärrechts. 3. Das Informationsrecht beinhalte keinerlei Bindungswirkung für den staatlichen Gesetzgeber. 1

2

XIII. Kap.: Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften

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I. Die staatliche Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten Die Verantwortlichkeit des Staates für die internationalen Beziehungen steht auch nach der spanischen Verfassungsrechtsordnung einer Beteiligung der AG nicht entgegen. Diese bezieht sich neben der noch zu erörternden Einstandspflicht des Staates für die Beachtung und Anwendung der völkerrechtlichen Verträge im innerstaatlichen Bereich- wie dargelegt 6 - auf die Außenvertretungsbefugnis der staatlichen Organe sowie auf die Kompetenz zum Vertragsabschluß. Der innerstaatliche Willensbildungsprozeß wird hingegen in keiner verfassungsrechtlichen Vorschrift den zentralen Organen des Staates vorbehalten 7 • Auch im Hinblick auf die Beteiligung der AG in der aszendierenden Phase enthält Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE keinen "Rückholeffekt" der autonomen Kompetenzen zugunsten des Staates. Vielmehr muß die innerstaatliche Rechtsordnung dem Umstand, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung mit ihrem wachsenden Normbestand ihre Legitimation zunehmend aus der "Übertragung regionaler Kompetenzen" ableitet, Rechnung tragen und darf eine "Harmonisierung" oder "Vereinheitlichung" nicht über die sich aus den Gemeinschaftsnormen ergebenden Anforderungen hinaus betreiben 8 • Dementsprechend wird den AG von der spanischen Doktrin ein eigenständiges Recht auf Beteiligung bei der innerstaatlichen Willensbildung sowie bei der Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene eingeräumt9, ein Ergebnis, um dessen positiv-rechtliche Herleitung aus der Verfassung die spanische Lehre unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichts bemüht ist.

II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Teilnahme der Autonomien an Gemeinschaftsentscheidungen Ein "Interventionsrecht der AG bei Beschlüssen der EG" wird teilweise unter Rückgriff auf die Prinzipien der Einheit der Nation, der Autonomie, der Solidarität und Verfassungstreue aller Organe des Staates sowie aus einer Konkretisierung der allgemeinen Kooperationspflicht zwischen den verschiedenen Ebenen des Staates hergeleitet 10• Ziel dieser Argumentation ist es, die verfassungsrechtliche Bipolarität des Grundsatzes der Einheit des Staates einerseits und des Autonomiegrundsatzes andererseits, die sich auch im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten widerspiegelt, mit Hilfe der Prinzipien der Solidarität, der Verfassungstreue und der Kooperation zu einem gewissen Ausgleich zu bringen. Dabei resultiert aus dem Grundsatz der Einheit die Kompetenz der zentralen Exekutivorgane des Vgl. VI. Kap. I. Vgl. Mangas Martfn, S. 232; Montaro Chiner, ebd., S. 167. 8 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 167. 9 Vgl. Mangas Martfn, S. 234. 10 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 168 ff. 6 7

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

Staates zur Führung der Außenpolitik (Art. 93, 97 CE), die es diesem erlaubt, im Rahmen eines internationalen Abkommens die "Exklusivität" der Kompetenzen der AG zu verändern, indem er gewisse autonome Zuständigkeiten an sich zieht, um sie sodann zwecks Gestaltung einer effizienten Rechtsordnung auf die supranationale Ebene zu übertragen 11 • Die Verbindung des Prinzips der Einheit mit dem der Autonomie führt zwangsläufig zu der Frage, ob die AG nicht wenigstens an den Gemeinschaftsentscheidungen, die sie betreffen, beteiligt werden müssen, damit der Kernbereich ihrer Kompetenzen erhalten bleibt. Andernfalls würde im Wege einer innerstaatlichen Umverteilung von Kompetenzen, die dem Staat die alleinige Verfügungsberechtigung über Kompetenzen der Autonomien einräumt, eine Zentralisierungstendenz ausgelöst, die bedenklich wäre 12• Der Versuch der nationalen Organe, unter gänzlichem Ausschluß der AG die alleinige Entscheidungsgewalt in auswärtigen Angelegenheiten für sich zu beanspruchen, würde zu einem Dauerkonflikt zwischen Staat und AG über die Reichweite der autonomen Kompetenzen vor dem Verfassungsgericht führen, der sich ohnedies angesichts der inzwischen acht beim Verfassungsgericht anhängigen bzw. von diesem bereits entschiedenen Kompetenzkonflikte über die Verteilung der Zuständigkeiten für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts schon jetzt abzuzeichnen beginnt 13 • Da die Verfassung für das Problem dieser Dichotomie von Einheit und Autonomie keine ausdrücklichen Lösungen anbietet, erscheint - auch mangels der Rolle des Senats als Kammer der Repräsentation der AG 14 - die Frage einer Beteilung der AG nur unter Rückgriff auf die Grundsätze der Verfassungstreue, der Kooperation sowie der Solidarität lösbar. Aus dem Grundsatz der Treue gegenüber der Verfassung hat das spanische Verfassungsgericht in seiner bereits erörterten Entscheidung vom 28. Januar 1986 15 eine Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen Staat und AG hergeleitet. Nach dem Urteil erfolgt diese Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den AG oder diesen untereinander im Interesse des Gesamtstaates und unter gegenseitiger Respektierung der verfassungsmäßigen Kompetenzen der jeweils anderen Ebene des Gesamtstaates. Die Heranziehung dieses Grundsatzes in der Frage der Beteiligung der AG in Gemeinschaftsangelegenheiten führt dazu, daß das Handeln des Staates auf Gemeinschaftsebene unter Beachtung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung zu erfolgen hat. Der quantitative Verlust beider Ebenen des Staates infolge des Übergangs von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft darf nicht mit einer qualitativen Veränderung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung einher-

14

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

15

Vgl. STC 11/1986, BJC 1986, S. 186, 192 f. (li 5); vgl. II. Kap. V. 3.

11 12 13

dies. , ebd., S. 169. dies. , ebd., S. 169 f.; Lasagabaster Herrarte, S. 62.

XVIII. Kap. I. hierzu in diesem Zusammenhang Mufloz Machado, S. 89; Montaro Chiner,

ebd., S. 170; Lasagabaster Herrarte, S. 74.

XIII. Kap.: Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften

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gehen. Um dies zu vermeiden, muß eine Beteiligung der Autonomien an der staatlichen Willensbildung im Wege der Zusammenarbeit sichergestellt werden 16• Bei der gebotenen Kooperation ist zugleich dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Solidarität (Art. 2 CE) Rechnung zu tragen. Im Hinblick auf supranationale Entscheidungen wird das Prinzip der Solidarität im Sinne eines Fehlens von Privilegien für die eine oder andere AG bei der Beteiligung an staatlichen Entscheidungen interpretiert. Bei dieser Beteiligung müssen danach alle AG in solidarischer Weise ungeachtet ihrer unterschiedlichen historischen Bedeutung und ihres verschiedenen politischen Gewichts zusammenwirken und zu einer Stellungnahme gelangen, die sich auf den Positionen aller als gleichgewichtig definierten AG gründet 17 • Nur eine einheitliche, aufgrund einer Mehrheitsentscheidung gefundene Stellungnahme vermag auf die nationale Entscheidung einzuwirken. Individuelle Interessen einer einzelnen AG können mithin keine Beachtung finden 18 , jedenfalls solange eine AG keinen konkreten wirtschaftlichen Nachteil erleidet, der ohnehin gegen das Solidaritätsprinzip verstieße. Zur Förderung der Solidarität zwischen den einzelnen AG ist ein Informationsaustausch zwischen Staat und AQ notwendig, um so zugleich eine horizontale Zusammenarbeit zwischen den AG untereinander zu ermöglichen 19• Zum Teil wird in der spanischen Lehre ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den Grundsatz der Verfassungstreue und Zusammenarbeit zwecks Aufrechterhaltung eines verfassungsrechtlichen Gleichgewichts zwischen den Grundsätzen der Einheit und der Autonomie eine Beteiligung der AG mit dem Hinweis gefordert, der Rechtsgehalt einer ausschließlichen autonomen Kompetenz habe sich infolge der Integration Spaniens in die EG in ein Recht auf Teilnahme bei der innerstaatlichen Willensbildung "verwandelt" 20 • Das folge bereits aus den Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf die innerstaatliche Rechtsordnung. Supranationale Organisationen seien ihrem Wesen nach von den klassischen internationalen Organisationen zu unterscheiden, da sie über legislative, administrative und richterliche Zuständigkeiten mit unmittelbarer Wirkung auf die Bürger der Mitgliedstaaten verfügten. Der supranationale Charakter der Gemeinschaften verlangt nach dieser Auffassung somit eine Beteiligung der nationalen sowie der autonomen Organe nach Maßgabe ihrer Kompetenzen 21 •

Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 172. dies., ebd., S. 170; Mufioz Machado, S. 89 f. 18 Montoro Chiner, ebd., S. 179; Mangas Mart(n, S. 248; Mufioz Machado, S. 90. 19 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 171. 2o Vgl. Mufioz Machado, S. 85 f.; ihm folgend Bafio Le6n, S. 45; Lasagabasler Herrarte, S. 62. 21 Vgl. Lasagabasler Herrarte, S. 71. 16 17

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

111. Vorschläge für eine indirekte Beteiligung der Autonomien an Gemeinschaftsentscheidungen Bei der Diskussion der Vorschläge einer aktiven Beteiligung der AG im Rahmen der Entscheidungsfindung der EG sind Formen direkter Beteiligung von solchen einer nur indirekten Beteiligung zu unterscheiden. Bei der indirekten Beteiligung geht es um die bereits mehrfach erwähnte Einschaltung der AG in den innerstaatlichen Entscheidungsprozeß bei Fragen mit Gemeinschaftsrelevanz, die die AG in ihren Interessen bzw. Kompetenzen berühren. In diesem Zusammenhang werden Modelle der Information und der Konsultation erörtert, die aber bisher noch keinerlei gesetzliche Normierung gefunden haben. In einem im Dezember 1986 vom damaligen Ministerium für territoriale Verwaltung- inzwischen umgewandelt in das Ministerium für öffentliche Verwaltungen- vorgelegten Entwurf eines "Abkommens zwischen der nationalen Regierung und den AG über die Zusammenarbeit in Fragen der EG" 22 , der Anfang 1987 modifiziert und am 3. Februar 1987 dem Parlamentsausschuß für die Europäischen Gemeinschaften bekanntgemacht wurde, werden im Hinblick auf die Beteiligung der AG am staatlichen Willensbildungsprozeß folgende Vorschläge unterbreitet 23: - Die Regierung gibt alle von den Europäischen Gemeinschaften stammenden Dokumente, die die Kompetenzen der Autonomien betreffen, an diese weiter; diese können über das Ministerium für territoriale Verwaltung ihre Stellungnahmen einbringen. - Das Ministerium für territoriale Verwaltung wird im Rahmen der interministeriellen Kommission für Wirtschaftsfragen, die die EG betreffen, der ständige Ansprechpartner für alle Angelegenheiten der AG sein; aus diesem Grunde wird es auch als Koordinator der Sektorlaikonferenzen fungieren und die Weiterleitung der Informationen zwischen Staat und AG übernehmen. - Die Regierung wird sich bemühen, die Anmerkungen der AG in die Regierungsvorschläge aufzunehmen, die-sie bei den Gemeinschaftsorganen vorbringt. Dazu wird die Regierung Zusammenkünfte mit den betroffenen Autonomien durchführen, und zwar über Kooperationsorgane, die hierfür besonders geschaffen werden. - Im Rahmen einer loyalen Zusammenarbeit wird die Regierung sich bemühen, die Ansichten und Positionen der AG insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den allgemeinen Interessen des Staates und mit den Zielen der EG vereinbar sind. 22 Wiedergegeben bei Aurrecoechea, Legal issues, S. 196 ff.(Anhang 4); diesem Entwurf folgte im April 1986 ein zweiter Entwurf: wiedergegeben bei Aurrecoechea, Legal issues, S. 198 ff. (Anhang 5). 23 Diario de las sesiones (Protokoll der Parlamentsitzungen) v. 3.2.1987, Nr. 58, S. 227; inhaltlich wiedergegeben bei Montaro Chiner, ebd., S. 175 f., vgl. hierzu auch Aurrecoechea, ebd., S. 170 ff.

XIII. Kap.: Die Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften

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Bei der Ausarbeitung dieses Entwurfs wie auch bei der Diskussion ähnlicher Beteiligungsmodelle im spanischen Schrifttum nahm die Beteiligungspraxis der Bundesrepublik Deutschland eine unübersehbare Vorbildfunktion ein 24 • Keinen Eingang in den Entwurf fand die in dem Gegenvorschlag der Regierung Kataloniens aufgenommene Regelung einer für den Ratsvertreter bindenden oder gleichsam bindenden Wirkung der im innerstaatlichen Willensbildungsprozeß von den Autonomien eingebrachten Positionen 25 , welche im Schrifttum vereinzelt noch um den Gesichtspunkt der Begründungspflicht seitens des Staates bezüglich der im Rat getroffenen Entscheidungen gegenüber der AG erweitert wurde 26. Überwiegend wird eine Bindungswirkung im Hinblick auf den sich aus Art. 98 Abs. 2 CE ergebenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum der nationalen Exekutive abgelehnt, der auch und gerade im Bereich der auswärtigen Gewalt nicht unzulässig eingeengt werden dürfe 27 • Jedoch bedarf eine Abweichung von der im innerstaatlichen Willensbildungsprozeß vereinbarten Verhandlungsposition auch nach dieser Ansicht einer Rechtfertigung gegenüber den AG in Form einer Begründung, die nur auf integrationspolitischen Umständen beruhen darf 28 • Der Regierungsentwurf hat sich demgegenüber auf ein bloßes "Bemühen" um die Berücksichtigung der autonomen Positionen im supranationalen Entscheidungsprozeß beschränkt. Die in diesem Abkommensentwurf genannten Sektorlaikonferenzen haben bereits jetzt eine gesetzliche Normierung gefunden, sollen aber mit Hilfe des Abkommens ihre volle Funktionsbreite entwickeln können, um so den AG den Weg zu eröffnen, neben der Einbringung ihrer gemeinsamen, aufgrund eines Mehrheitsentscheids entwickelten Stellungnahme auch Probleme der Anwendung, Umsetzung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts zu diskutieren 29 •

IV. Die direkte Beteiligung der Autonomien am Gemeinschaftsentscheidungsprozeß Im Hinblick auf eine Beteiligung der AG am Entscheidungsprozeß auf EGEbene geht der besagte Entwurf von der ausschließlichen Vertretungszuständigkeit der nationalen Regierung gegenüber der EG aus 30• Jede Kontaktaufnahme Vgl. Muiioz Machado, S. 87; Bano Le6n, S. 58 ff. Zu dem diesbezüglichen, die historischen AG des Baskenlandes, Kataloniens und Galiziens privilegierenden Gegenvorschlag der Regierung Kataloniens vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 176. 26 Vgl. Mufwz Machado, S. 88, der allerdings anders interpretiert wird durch Bano Le6n, S. 59, Fn. 85. 21 Vgl. Baiio Le6n, S. 59; Lasagabasler Herrarte, S. 66 f. 2s Vgl. Lasagabasler Herrarte, S. 67. 29 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 177; Aurrecoechea, ebd., S. 173 f. Vgl. zu den jüngsten Entwicklungen XXVIII. Kap. 11.1. 30 Vgl. Ziff. II Nr. 9 des Entwurfs vom Dezember 1985. 24

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mit den Institutionen der Gemeinschaft soll im Rahmen der der nationalen Exekutive vorbehaltenen außenpolitischen Aktivitäten erfolgen. Dieses Alleinvertretungsrecht, das sich aus dem "ius legationis" des Gesamtstaates als Bestandteil seiner Zuständigkeit für die internationalen Beziehungen ergibt, ist unbestritten, jedoch wird es im Schrifttum 31 als unbedenklich bezeichnet, einen Vertreter einer durch eine EG-Entscheidung in besonderem Maße betroffenen AG in die Verhandlungsdelegation aufzunehmen, der nach außen allerdings als Repräsentant des spanischen Staates auftreten müsse 32 • Von einer solchen Beteiligung wird ein besseres Verständis der AG für Gemeinschaftsangelegenheiten sowie eine indirekte Förderung der Zusammenarbeit zwischen den AG erwartet 33 . 1. Direkte Beziehungen der AG mit Gemeinschaftsorganen Im spanischen Schrifttum werden über diese Beteiligungsformen hinaus auch direkte Kontakte der AG mit Organen der EG, insbesondere mit der Kommission für zulässig gehalten, soweit sie sich auf rein informeller Ebene bewegen und dadurch die Vertretungsbefugnis des Staates im Rahmen des völkerrechtsförmlichen Handeins sowie dessen Vertragsabschlußkompetenzen nicht beeinträchtigt werden. Die Zulässigkeil solcher Kontakte ergibt sich damit aus der oben bereits auch in der spanischen Doktrin nachgewiesenen restriktiven Definition der Kompetenz für die "internationalen Angelegenheiten" 34 . Darüber hinaus wird eine implizite Kompetenz zut; Pflege informeller Kontakte angenommen, die sich daraus ergebe, daß die AG ihre innerstaatlichen, einer lngerenz durch das Gemeinschaftsrecht und die Gemeinschaftspolitik unterliegenden Zuständigkeiten nur unter dieser Bedingung sinnvoll ausüben könnten 35 . Einigkeit besteht darüber, daß die diesbezüglichen Aktivitäten der AG nicht zu einer Konterkarierung der staatlichen Außenpolitik führen dürfen36.

2. Der Beobachter der Autonomen Gemeinschaften Der Anfang 1987 vom Minister für öffentliche Verwaltungen vorgelegte geänderte Abkommensentwurf, der sich neben der Behandlung der Sektorlaikonferenzen auf die Frage der Beteiligung am staatlichen Willensbildungsprozeß beVgl. Mangas Marlin, S. 244.; Lasagabasler Herrarle, S. 75. So ausdrücklich Lasagabasler Herrarle, S. 72; nicht ganz deutlich hingegen Mangas Martfn, ebd. Vgl. hierzu auch XXVIII. Kap. III. 33 V gl. Baiio Le6n, S. 63. 34 Vgl. Lasagabasler Herrarte, S. 78; vgl. zum ganzen oben VI. Kap. I. 35 Vgl. Baiio Le6n, S. 37 f., unter Verweis auf die implied-powers-Lehre. 36 Vgl. Baiio Le6n, S. 38 f., der die informellen Kontakte der AG nur im Rahmen einer staatlichen Koordinierung für zulässig erachtet, damit die Position Spaniens gegenüber der Gemeinschaft nicht geschwächt werde. 31

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schränkt 37 , soll den AG eine weitere, ebenfalls deutlich am bundesrepublikanischen Modell orientierte Kontaktmöglichkeit eröffnen: Nach den vom Minister vor der Gemeinsamen Kommission des Parlaments für die EG getroffenen Feststellungen 38 regelt die Neufassung des Abkommens unter anderem die Schaffung der Stelle eines Beobachters der AG. Es handelt sich um ein von den AG gewähltes Ein-Personen-Organ, das die AG bei den Organen der Gemeinschaft repräsentieren soll. Allein die AG sollen darüber entscheiden, wie der Beobachter ihre jeweiligen Interessen vertritt. Das Abkommen sieht vor, daß der Beobachter in die Ständige Vertretung Spaniens bei den EG aufgenommen wird, um den Informationsfluß in beide Richtungen zu organisieren und gleichzeitig die "Kommunikation der AG mit [den] ständigen Vertretern" Spaniens zu koordinieren 39• Um zu einer praktikablen Übereinkunft über die Abstimmung der vom Beobachter zu vertretenden Interessen seitens der AG zu gelangen, werden die Autonomien mit historisch-nationalistischem Charakter allerdings ihr auf "autonome Hegemonie" ausgerichtetes Bewußtsein ändern müssen und die formale Gleicheit der anderen AG und damit das Mehrheitsprinzip akzeptieren müssen 40 •

V. Chancen der Realisierung einer Beteiligung der AG Die in der Bundesrepublik genutzte Möglichkeit der Regelung einer nationalen Beteiligung der Bundesländer in gemeinschaftsrechtlichen Angelegenheiten im Rahmen des Zustimmungsgesetzes zur EEA ist vom spanischen Gesetzgeber bei Erlaß des Organgesetzes gern. Art. 93 CE, welches die Zustimmung des Parlaments zum Beitritt in die EG erteilte, vertan worden 41 • Die nunmehr als notwendig empfundene nachträgliche Regelung eines Beteiligungsverfahrens kann in der Form eines Gesetzes oder eines Abkommens erfolgen, wobei in der spanischen Lehre die Vor- und Nachteile der jeweiligen Lösung diskutiert werden. Insbesondere von Verwaltungsrechtlern wird die Auffassung vertreten, solcherlei Regelungen seien vorzugsweise in der Form eines Gesetzes zu treffen, da dieses den Vorteil der Klarheit für sich habe und es so in geeigneter Weise für eine Harmonisierung der erwähnten disfunktionalen Aspekte bei der Beteiligung der verschiedenen AG, aber auch im Rahmen der autonomen Durchführung des Gemeinschaftsrechts sorge 42• Gegen eine entsprechende Lösung wird angeführt, daß es sich hierbei um ein imperatives statt kooperatives Instrument handle, welches zudem nach der" Laune" wechselnder Parlamentsmehrheiten veränderbar sei 43 • Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 176 f. Vgl. Diario de las sesiones, 3.2. 1987, Nr. 58, S. 227. 39 Vgl. Diario de las sesiones, ebd., S. 228. 40 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 178; kritisch zur Institution des Beobachters Aurrecoechea, Legal issues, S. 174, 181. 41 Vgl. zu dieser Möglichkeit Argullol Murgadas, S. 228; Lasagabasler Herrarte, S.66. 42 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 189. 37

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

Zu bedenken ist allerdings, daß nicht nur ein entsprechendes Gesetz, sondern - wie im Entwurf von 1986 bereits vorgesehen - auch ein Abkommen, das von den jeweiligen Exekutivspitzen ausgearbeitet wird, einer teilweisen oder vollständigen Änderung nach Ablauf der Fristen unterworfen werden kann. Solche Änderungsbegehren gehen letztendlich ebenfalls auf entsprechende Willensbildungen im Parlament zurück, in deren Vollzug die Exekutive nur noch tätig wird 44 • Wichtiger als diese formalen Fragen erscheint der Inhalt der Beteiligungsregelung. Die in dem geänderten Abkommensentwurf zum Ausdruck kommende Tendenz, Einzelaspekte einer Beteiligung unberücksichtigt zu lassen und sich stattdessen auf die fundamentalen Fragen der Einschaltung der AG in die Willensbildung und die Durchführung des Gemeinschaftsrechts zu beschränken, ist zu begrüßen 45 • Eine Kooperation zwischen den AG in der aszendierenden Phase wird sich infolge der verstärkten Einbeziehung vor allem auch bei der noch zu bahandelnden Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die AG 46 positiv auswirken und dem Staat den Einsatz von Zwangsmitteln bei der Überwachung der gemeinschaftskonformen Umsetzung des Gemeinschaftsrechts 47 ersparen 48 •

XIV. Kapitel

Die Beteiligung der italienischen Regionen I. Die innerstaatliche Beteiligung der Regionen Ein Recht auf innerstaatliche Beteiligung der italienischen Regionen im Rahmen der Ausarbeitung des europäischen Gemeinschaftsrechts ergibt sich nach allgemeiner Meinung im Schrifttum dieses Mitgliedstaates nicht nur aus den auch im Bereich des Gemeinschaftsrechts mit Regionalbezug geltenden - völkervertragsrechtlich indizierten regionalen Gesetzgebungsschranken, die die Existenz einer entsprechenden Kompetenz logisch voraussetzen; ein solches Recht erscheint zudem zur Lösung zahlreicher Komplikationen im Zusammenhang mit der noch darzustellenden innerstaatlichen Ausführung des Gemeinschaftsrechts zwingend erforderlich. Die Regionen selbst haben aber sonderbarerweise erst zu 43 Vgl. Mangas Martfn, S. 262; für die Regelung in Form eines "convenio" spricht sich auch Tornos Mas, Zusammenarbeit, S. 45 f., aus. 44 Vgl. Montaro Chiner, ebd., S. 178. 45 Vgl. M ontaro Chiner, ebd., S. 177. 46 Vgl. hierzu XVIII. Kap. 47 Vgl. hierzu XXIII. Kap. 48 Vgl. Mufzoz Machado, S. 86 f.

XIV. Kap.: Die Beteiligung der italienischen Regionen

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einem späten Zeitpunkt die Bedeutung dieses Aspekts für die Ausführungsphase erkannt 1 • Die gegenwärtige Gesetzeslage läßt allerdings trotz der nunmehr deutlich erhobenen Ansprüche der Regionen den staatlichen Zuständigkeitsbereich in der Phase der Ausarbeitung des Gemeinschaftsrechts unangetastet 2 • Art. 4 Abs. 1 des bereits im Zusammenhang mit der Partizipation der Regionen an den internationalen Beziehungen behandelten Dekrets Nr. 616 vom 24. Juli 1977 3 stellt fest, daß "der Staat die Lenkungs- und Koordinierungsfunktionen auch in den der regionalen Zuständigkeit unterliegenden Sachgebieten bezüglich der internationalen Beziehungen und derjenigen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [ ... ] ausübt". Diese Haltung des staatlichen Gesetzgebers wird erneut durch den Erlaß des Ministerpräsidenten vom 11. März 1980 4 wie folgt bestätigt: "Die Beziehungen zu den Organen der Gemeinschaft, die sich aus der Behandlung der zum Zuständigkeitsbereich der Regionen gehörenden Fragen ergeben, werden unter Vorbehalt des Art. 4 des [ ... ] Dekrets Nr. 616 von den Regionen durch die jeweils beteiligten Ministerien, die sich mit Hilfe des Außenministeriums koordinieren, hergestellt". Die Einrichtung einer Beratungskommission beim Präsidenten des Ministerrates unter Beteiligung des Regionalministers wie auch der Regionalpräsidenten zwecks Beratung und - für die Regierung allerdings unverbindlichen - Entscheidungsfindung bzgl. aller die Ausarbeitung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts betreffenden Fragen, wie sie auch von der Kommission Giannini anläßtich der Überleitung von Verwaltungsbefugnissen des Staates an die Regionen durch Gesetz 382/1975 vorgeschlagen worden war, wurde erst im Jahre 1989 durch Art. 10 des Gesetzes Nr. 86 I 1989 5 angeordnet. Bereits zuvor war eine "Konferenz der Präsidenten" der verschiedenen Regionalregierungen von den Regionen selbst ins Leben gerufen worden, die seit Januar 1981 in regelmäßigen Abständen beim Präsidenten des Ministerrats mit einigen Regierungsvertretern, insbesondere dem Minister für EG-Beziehungen und dem Minister für die Regionen tagte. Bereits hier wurde versucht, eine Einigung zwischen dem Staat und den Regionen über die von der staatlichen Exekutive zu führenden Verhandlungen in Angelegenheiten der Gemeinschaft herbeizuführen 6 • Das neue GrePocar, Die Beziehungen, S. 163. Vgl. Carbone, S. 33; Pocar, ebd., S. 163. 3 G.U. v. 29.8.1977, Nr. 234, Suppl.ord. 4 G.U. Nr. 106 v. 17.4.1980. 5 Gesetz v. 9.3.1989 (Norme generali sulla partecipazione dell'Italia al processo norrnativo comunitario e sulle procedure di esecuzione degli obblighi comunitari), Gazzetta Ufficiale Nr. 58!l989. Art. 4 des Gesetzes Nr. 183 v. 16.4.1987 (Coordinamento delle politiche riguardanti l'appartenenza dell'ltalia alle Comunita europee ed adeguamento dell'ordinamento intemo agli atti norrnativi comunitari), Gazzetta Ufficiale Nr. I 09 I 1987, sieht ein solches Konsultativorgan auf nationanler Ebene - ohne Beteiligung der Regionen - vor. 6 Vgl. Strozzi, Regioni, S. 222 f., Fn. 55; Salerno, RDI LXV (1982), S. 525. 1

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

mium hat sowohl im Hinblick auf die Ausarbeitung als auch die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ein Stellungnahmerecht (Art. 2 Abs. 2). Art. 9 und 10 des Gesetzes 183/1987 7 geben den Regionen schließlich ein Informationsrecht über die Vorhaben von gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakten (Art. 9 Abs. 1) bzw. den Erlaß von solchen Rechtsakten, die in den Zuständigkeitshereich der Regionen fallen (Art. 10 Abs. 1). Nach Art. 9 Abs. 2 dieses Gesetzes können die Regionen der nationalen Regierung zu Gemeinschaftsvorhaben eine Stellungnahme zuleiten.

II. Direkte Beziehungen zwischen Regionen und EG Direkte Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und den Regionen scheinen hingegen durch den unmißverständlichen Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 des Dekrets 616 gänzlich untersagt zu sein. Um diese allerdings nicht vollkommen von einer Beteiligung an den Entscheidungsprozessen der Gemeinschaftsorgane auszuschließen, ist versucht worden, die genannte Bestimmung dahingehend zu interpretieren, daß den Regionen nur ein "Initiativrecht" und ein Anspruch auf direkte und aktive Beteiligung im Rahmen des Gemeinschaftssystems - etwa durch die Aufnahme direkter Beziehungen zu EG-Organen oder ihre Einschaltung bei der Ausarbeitung des Gemeinschaftsrechts - habe versagt werden sollen.

111. Ausbau regionaler Beteiligungsformen Was den Anspruch der Regionen auf innerstaatliche Beteiligung bei der Festlegung der im EG-Ministerrat seitens der Exekutivorgane des Zentralstaates einzunehmenden politischen Standpunkte angeht, wird eine Formalisierung der Konsultationspraxis zwischen dem Zentralstaat und den Regionen zum einen unter Hinweis auf den bereits angesprochenen Art. 52 Abs. 1 St. sard. gefordert 8 , wonach die Region Sardinien bei der Ausarbeitung von Handelsverträgen, die die Regierung mit dritten Staaten abzuschließen beabsichtigt, zu beteiligen ist, soweit spezifische Interessen Sardiniens betroffen sind. Es handele sich insoweit nicht um ein Sonderrecht (ius singolare). Der Grundsatz der Gleichheit der Regionen lasse es nämlich nicht zu, daß einer Region eine privilegierte Position gegenüber allen anderen bei der Zusammenarbeit mit dem Staat im Rahmen der auswärtigen Gewalt eingeräumt werde. So, wie sich bestimmte Verpflichtungen der Regionen feststellen ließen, die ausdrücklich nur in einigen Statuten, aber nicht unmittelbar in der Verfassung oder anderen Statuten genannt seien- wie die Beschränkung der regionalen Gesetzgebungskompetenz infolge der Notwen7 Vgl. Fn. 5. s Vgl. Carbone, S. 32; vgl. bereits VII. Kap. II.

XIV. Kap.: Die Beteiligung der italienischen Regionen

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digkeit der Beachtung der internationalen Verpflichtungen - und die gleichwohl auf alle Regionen erstreckt würden, so müsse es auch umittelbar zugunsten aller Regionen wirkende Rechte geben, selbst wenn diese nur in einigen Statuten genannt seien. Für die Verpflichtung zur Konsultation der Regionen im Rahmen eines förmlichen Verfahrens spreche auch die Notwendigkeit einer Parallelität zwischen normativer und administrativer Tätigkeit einerseits und den internationalen Aktivitäten andererseits, ein Argument, auf das die Regionen- wie bereits gezeigt - auch zur Begründung eines Beteiligungsanspruchs im Rahmen der sonstigen internationalen Beziehungen verweisen. Die aufgezeigte Argumentation stößt allerdings auf Bedenken: Die Herleitung eines rechtlichen Anspruchs der Regionen auf Fonnalisierung des Beteiligungsverfahrens aus Art. 52 Abs. 1 St. sard. ist kaum mit der rechtlichen Natur der Sonderstatute zu vereinbaren, die sich als spezielle, insbesondere im Hinblick auf die Regionen mit Normalstatut nicht verallgemeinerungsfähige Rechtsregime mit einem vergleichsweise höheren Kompetenzniveau und einem entsprechend geringerem Maß staatlicher lngerenz - etwa im Bereich der Begrenzung der Regionalgesetzgebungsgewalt- darstellen 9 • Aber auch das Argument der innerstaatlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen erscheint fragwürdig. Bei Zugrundelegung dieses Kriteriums käme im Rahmen internationaler Verträge eine Einschaltung der Regionen überhaupt nur dann in Betracht, soweit es eines Ratifikationsgesetzes im Sinne des Art. 80 CI bedarf bzw. - auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene transponiert - soweit eine Gemeinschaftsnorm im Rahmen des regionalen Zuständigkeitsbereiches berührt und von den Regionalorganen nonnativ ausgeführt bzw. administrativ durchgeführt werden muß. Selbst in diesem Fall kann aber aus der engen Begrenzung des ausdrücklichen Anwendungsbereichs des auch in diesem Kontext erkenntnisfördernden Art. 52 Abs. 1 St. sard. auf die Ausarbeitung von Handelsverträgen mittels einer Argumentation a contrariogefolgert werden, daß bei einer Ausarbeitung anderer Verträge keine Region zu beteiligen ist, weil nicht einmal die durch eine Sonderstatutsbestimmung privilegierte Region Sardinien dieses Recht besitzt 10• Ein Anspruch auf Beteiligung kann daher nach der gegenwärtigen italienischen Rechtsordnung weder verfassungsrechtlich noch einfach-rechtlich begründet werden. Auch das der Verfassung evtl. implizit zu entnehmende Prinzip einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Regionen reicht hierfür nicht aus, da dieses durch die dem verfassungsrechtlichen Gesamtsystem zugrundeliegende Logik der Trennung beider Kompetenzebenen zumindest stark relativiert wird 11 • Eine fehlende rechtliche Verpflichtung hindert den Staat allerdings nicht, im Rahmen seines politischen Ermessens gleichwohl die Regionen in den Prozeß der Ausarbeitung der supranationalen Rechtsakte mit regionaler lngerenz einzubeziehen. Die ausVgl. d' Atena, S. 113 f. Vgl. ders. , S. 117. 11 Vgl. ders., S. 118 f.

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

schließliehe Zuständigkeit des Staates für die Regelung auswärtiger Angelegenheiten schließt nach überwiegender Ansicht 12 eine innerstaatliche Einflußnahme seitens der Regionen auf die Ausarbeitung derjenigen Positionen, die von den Vertretern des Staates in den Gemeinschaftsorganen vertreten werden, nicht aus. Eine derartige regionale Beteiligung muß jedoch als eine Form freiwilliger Kooperation des Staates mit den Regionen angesehen werden, die mangels rechtlicher Normierungen zu keinerlei Verpflichtung im Hinblick auf eine vorherige Anhörung regionaler Belange oder einer institutionalisierten Einschaltung eines Regionalvertreters in die Verhandlungsdeligation führt 13 • Erst recht verfolgt keine der praktizierten bzw. vorgeschlagenen Kooperationsformen den Zweck, eine effektive Einwirkung auf die innerstaatliche Willensbildung oder deren Kontrolle durch die einzelnen Regionen sicherzustellen. Vielmehr sollen die Kooperationsgremien die Regionen in die Lage versetzen, ihre gemeinsamen, von einer Mehrheit getragenen Forderungen gegenüber dem Staat zu formulieren 14 • Damit sollen zum einen die italienischen Vertreter in den Gemeinschaftsorganen auf bestimmte Einschätzungen bzgl. der regionalen Auswirkungen der Gemeinschaftspolitik aufmerksam gemacht und zum anderen die Regionen rechtzeitig über die Initiativen der Gemeinschaft unterrichtet werden, die sich auf den regionalen Kompetenzbereich auswirken können 15 • Im praktizierten italienischen Beteiligungsmodell, das eher als effizienzsteigerndes Informationsverfahren denn als Konsultationsverfahren zu charakterisieren ist, liegt mithin nicht der Gedanke einer irgendwie gearteten Kompensation für etwaige "Machtverluste" im Zusammenhang mit der Übertragung von ursprünglich regionalen Zuständigkeiten auf die Gemeinschaftsebene zugrunde 16• Von einem Recht auf echte Partizipation, das sich durch Elemente der Beratung und Einflußnahme auf die in den Gemeinschaftsorganen zu vertretenden politischen Positionen Italiens auszeichnen müßte, ist dieses Land nach allgemeiner Einschätzung heute noch weit entfernt. Hierfür bedürfte es eines entsprechenden gesetzgebensehen Tätigwerdens der nationalen Organe, die für die Notwendigkeit einer Ausdehnung der Regionalbeteiligung bei der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts durch entsprechende Initiativen der Regionalorgane politisch sensibilisiert werden müßten 17. Auf einen Gesinnungswandel des Staates müssen die Regionen aber auch im Hinblick auf die von ihnen geforderte Möglichkeit einer direkten KontaktaufnahVgl. Carbone, S. 29 f. So aber Carbone, S. 31 ff., unter Hinweis auf Art. 52 Abs. 1 St. sard. und den Grundsatz der Parallelität. 14 D'Atena, S. 123 f. 15 Vgl. ders. , S. 126; anders hingegen Carbone, S. 33, 37, derdie Aufgabe der Konsultationsgremien in einer Fokussierung aller im nationalen Raum vertretenen Interessen sieht. 16 Vgl. d'Atena, S. 124. 11 Vgl. Strozzi, Regioni, S. 223. 12

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XV. Kap.: Die Beteiligung der belgiseben Regionen

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me mit Gemeinschaftsorganen drängen, soweit sich solche Beziehungen auf eine rein informelle Zusammenarbeit zum Zweck der besseren Unterrichtung dieser Organe über die sich aus den verschiedenen regionalen Realitäten ergebenden Erfordernisse erstrecken 18• Auch solche, sich unterhalb der Schwelle der Außenpolitik bewegenden Kontakte werden den Regionen- soweit sie keine ausdrückliche Genehmigung der Zentralregierung eingeholt haben - durch ministerielle Runderlasse bisher untersagt 19, ohne dabei den Umstand zu berücksichtigen, daß die dem europäischen Gemeinschaftsrecht eigene Erzeugung unmittelbarer Rechtswirkungen im nationalen Bereich einen direkten Kontakt der Regionen mit den Gemeinschaftsorganen rechtfertigt 20 • Dabei können die Regionen auf das Urteil des Verfassungsgerichts vom 3. Juli 1975 21 verweisen, aus dem zu entnehmen ist, daß den Regionen solcherlei Kontakte und Aktivitäten nicht verboten sind, die sich außerhalb des völkerrechtsförmlichen Handeins bewegen und keine Beeinträchtigung der Außenpolitik des Staates darstellen.

XV. Kapitel

Die Beteiligung der belgiseben Regionen und Gemeinschaften I. Innerstaatliche Beteiligung Im Gegensatz zu der (noch) recht schimärenhaften Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Nationalstaat und den belgiseben Gemeinschaften auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten hat der Sondergesetzgeber anläßlich der dritten Staatsreform in Art. 6, § 3 Nr. 7 SGRI den insoweit ansonsten ohne rechtliche Handlungsbefugnisse gebliebenen belgiseben Regionen ein unzweideutiges Beteiligungsrecht im Hinblick auf die innerstaatliche Vorbereitung von Verhandlungen und Entscheidungsfindungen sowie für die Durchführung der Rechtsakte der EG eingeräumt. Dieses auf der - gegenüber den belgiseben Gemeinschaften - stärkeren supranationalen Betroffenheit der Regionen beruhende nationale Partizipationsverfahren führt zur Einbeziehung der Exekutiven dieser dezentralisierten Einheiten in alle EG-Angelegenheiten, die ihre von der nationalen Rechtsordnung normierten Zuständigkeiten berühren bzw. im Bereich der nach innerVgl. Carbone, S. 47; Strozzi, Regioni, S. 217 f. Vgl Carbone, S. 43 ff. 2o Vgl. i. d. S. d'Onofrio, DA 198 (1983), S. 17. 21 CC Urteil Nr. 170, Giur.cost. 1975, S. 1448 (1451); vgl. bereits oben VII.Kap. II., Fn. 25 und die dort wiedergegebene Interpretation von Morviducci. 18

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19 Blanke

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4. Teil: Die regionale Beteiligung in der aszendierenden Phase

staatlichem Recht überwiegend in die Kompetenz des Zentralstaates fallenden Landwirtschaftspolitik ressortieren 1• Dabei hat der Gesetzgeber sich für ein konzertiertes Handeln entschieden ("concertation"), so daß in Zukunft auch in diesem Bereich die Abstimmung zwischen dem Gesamtstaat und seinen Untergliederungen im Wege des kooperativen Föderalismus 2 erfolgt: Da diesem per definitionem jegliches Element des Zwanges fremd ist, ist eine rechtliche Bindung des Zentralstaats an die Stellungnahmen der Regionen ausgeschlossen; umgekehrt werden sich die zentralen Organe infolge des institutionalisierten Konsens- und Kompromißfindungsprozesses allerdings über das Votum der Regionen nicht ohne weiteres hinwegsetzen können, wobei sie überdies in den Fällen divergierender regionaler Optionen Koordinierungsfunktionen wahrzunehmen und zugleich das Interesse des Gesamtstaates zu beachten haben.

II. Unmittelbare Kontaktaufnahme Ohne rechtliche Normierung blieb hingegen der Bereich der unmittelbaren Kontaktaufnahme der Regionen und Gemeinschaften zu den EG-Organen 3, sei es in Form einer Einbindung von Repräsentanten der dezentralisierten Einheiten in die nationalen Verhandlungsdelegationen oder durch die Einräumung eines Beobachterstatus bei der Vertretung Belgiens bei der EG. Da sich aus Art. 81 SGRI wegen dessen Beschränkung auf die Ausarbeitung internationaler Verträge kein Recht der subnationalen Einheiten auf eine supranationale Beteiligung bei der Entwicklung des Sekundärrechtes oder anderer Entscheidungen entnehmen läßt, wird sich jede diesbezügliche Praxis weiterhin im "informellen" und bereits dargestellten pragmatischen Rahmen 4 bewegen müssen, innerhalb dessen bereits heute eine Gleichbehandlung der Regionen mit den Gemeinschaften festzustellen ist 5• Für die drei belgiseben Gemeinschaften ergibt sich allerdings schon jetzt trotz Fehlens einer ausdrücklichen Normierung ein entsprechender Anspruch auf Einbeziehung in den intergouvernementalen, ihre nationale Kompetenzsphäre berührenden Entscheidungsprozeß im Wege eines argurnenturn a fortiori aus ihrer verfassungsrechtlich anerkannten völkerrechtlichen Vertragsabschlußkompetenz. Die in der Bundesrepublik entwickelten Beteiligungsmodalitäten können hierbei u. U. eine zukünftige normative Ausgestaltung dieses Aspektes beeinflussen.

Dehousse, JT 1989, S. 284. Vgl. dazu im Hinblick auf Belgien IV. Kap. IV. 3 Vgl. hierzu Melchior, Etudes et Expansion 1979, S. 608 f. 4 V gl. VIII. Kap. ill. s Dehousse, JT 1989, S. 284; vgl. bereits VIII. Kap. ill. I

2

Fünfter Teil

Die dezentralisierte Durchführung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Bereich XVI. Kapitel

Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten I. Die innerstaatliche Geltung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte Ein innerstaatlicher Vollzugsakt, wie er für völkerrechtliche Verträge in Form einer Transformation (Bundesrepublik Deutschland) bzw. der Erteilung eines Anwendungsbefehls (Italien), der gesetzlichen Erteilung der Zustimmung (Belgien) oder einer offiziellen Veröffentlichung in einem innerstaatlichen Amtsblatt (Spanien) von der jeweiligen nationalen Verfassungsordnung verlangt wird, ist für die innerstaatliche Geltung von Rechtsakten der EG nicht erforderlich. Diese gelten mit ihrem Wirksamwerden nach Gemeinschaftsrecht auch innerstaatlich, ohne daß es einer interpositio auctoritatis eines EG-Mitgliedstaates bedarf 1• Diese rechtliche Wirkung folgt aus dem Umstand, daß Rechtsakte der EG Emanationen und Bestandteile einer autonomen Rechtsordnung, der Gemeinschaftsrechtsordnung, sind. Durch die mit der Gründung der Gemeinschaften vollzogene Öffnung der Staatsgewalt haben die Mitgliedstaaten auf die Ausschließlichkeit ihrer nationalen Staatsgewalt verzichtet. Für Gemeinschaftsrechtsakte wird die Transformation mithin durch die Öffnung des staatlichen "Souveränitätspanzers" 2 bewirkt, die - für die hier untersuchten Rechtsordnungen - gemäß Art. 24 Abs. I GG, Art. 93 S. 1 CE, Art. 11 S. 2 CI sowie Art. 25 bis CB erfolgt ist 3• Die Rechtsakte der EG werden deshalb nicht wie transformiertes Völkerrecht Bestandteil der (jeweiligen) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Sie gelten vielmehr im "Durchgriff' durch die Staatsgewalt neben diesen Rechtsordnungen 4 • I 2 3

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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Grabitz, AöR 111 (1986), S. 8. Grabitz, ebd. IX. Kap.

lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 120 ff.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Im Unterschied zum Völkerrecht zeitigen Rechtsakte der EG ihre Rechtswirkungen nicht gegenüber den Mitgliedstaaten insgesamt, sondern gegenüber den Staatsorganen und - soweit die Rechtsakte Individualwirksamkeit haben gegenüber dem einzelnen Marktbürger. Dementsprechend überlassen Art. 189 Abs. 3 EWGV und Art. 161 Abs. 3 EAGV die Wahl der Form und der Mittel bei einer Durchführung der Richtlinie den "innerstaatlichen Stellen", womit zugleich der Grundsatz der institutionellen Autonomie der Staaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts zum Ausdruck kornrnt 5 •

II. Vollzugstypen Im Hinblick auf die Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte lassen sich verschiedene Arten der Verwaltung, des Vollzugs oder der Aktualisierung von Gemeinschaftsrecht unterscheiden. Die Konstruktion wird im Schriftturn 6 mit der bundesstaatliehen Gewaltenteilung des Grundgesetzes im Bereich der Vollziehung verglichen. Der bundeseigenen, Bundesauftrags- und landeseigenen Vollziehung von nationalem Recht entsprechen im Gemeinschaftsrecht in etwa folgende Vollzugstypen 7 :

Gemeinschaftsunmittelbare Vollziehung: bei diesem Vollzugstyp, der den Ausnahmefall darstellt, wird das (primäre und sekundäre) Gemeinschaftsrecht von den Gemeinschaftsorganen selbst vollzogen. Sie kommt infolge des Grundsatzes der "begrenzten Ermächtigung" nur dann zur Anwendung, wenn das primäre Gemeinschaftsrecht dies ausdrücklich vorsieht. Als wichtigste Beispiele im Bereich der EWG können insofern der interne Bereich der Gemeinschaften, das Wettbewerbsrecht (Art. 85 ff. EWGV), Teile des Agrarrechts (Art. 38 ff. EWGV), Teile des Verkehrsrechts (Art. 74 ff. EWGV) sowie die Sozialpolitik hinsichtlich der Verwaltung des Sozialfonds (Art. 123 ff.) genannt werden. Unmittelbare mitgliedstaatliche Vollziehung: Hier wird das primäre oder sekundäre Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten vollzogen. Voraussetzung dafür ist, daß das Gemeinschaftsrecht unmittelbar Anwendung findet. Mittelbare mitgliedstaatliche Vollziehung: Dieser Vollzugstyp kommt dann zur Anwendung, wenn kein unmittelbar anwendbares primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht existiert, sondern der nationale Gesetz- oder Verordnungsges Zu diesem Grundsatz vgl. EuGH v. 15.12. 1971,Verb. Rs. 51-54171 (International Fruit Company), S1g. 1971, S. 1107 ff. (Leitsatz 1):"In welcher Weise die Mitgliedstaaten die Ausübung beziehungsweise Erfüllung der sich für sie aus Vertrags- oder Verordnungsvorschriften ergebenden Befugnisse oder Pflichten zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts bestimmten innerstaatlichen Organen übertragen können, bestimmt sich ausschließlich nach dem Verfassungssystem der einzelnen Mitgliedstaaten." Vgl. ferner Grabitz, AöR 111 (1986), S. 10; Vorwerk, S. 275; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 315. 6 Vgl. Schweitzer, Die Verwaltung, 17 (1984), S. 139. 7 Vgl. Kössinger, S. 18 ff.; Schweitzer, ebd., S. 140 ff.

XVII. Kap.: Die Durchführung durch die deutschen Länder

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ber Gemeinschaftsrecht mittels Durchführungsvorschriften umzusetzen hat. Der Regelfall ist die Umsetzung einer Richtlinie bzw. Empfehlung gemäß Art. 189 Abs. 3 EWGV, Art. 161 Abs. 3 EAGV bzw. Art. 14 Abs. 3 EGKSV 8 • Im Rahmen der unmittelbaren und mittelbaren mitgliedstaatliehen Vollziehung stellt sich die Frage der Einschaltung der dezentralisierten mitgliedstaatliehen Einheiten in den nationalen Vollzugsprozeß.

XVII. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die deutschen Länder I. Die Bedeutung des Bundesstaatsprinzips Das Bundesstaatsprinzip stellt nach dem Rechtsstaatsprinzip das für die Ausführung des Gemeinschaftsrechts wichtigste Strukturprinzip dar 1• Von Bedeutung ist es vor allem für die Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich der Durchführungskompetenzen sowie der Aufsicht über die legislative Ausführung und für die hier nicht untersuchte - Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern 2 •

1. Verteilung der legislativen Ausführungskompetenzen a) Zuständigkeit des Bundes aus Art. 24 Abs. 1 GG

Mangels gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen über die innerstaatliche Ausführung von Gemeinschaftsrecht verteilen sich die legislativen Ausführungskompetenzen gemäß Art. 70 GG zwischen Bund und Ländern, soweit sich nicht aus der Verfassung etwas anderes ergibt 3• Nur eine Mindermeinung folgert aus dem Umstand, daß der Bund gemäß Art. 24 Abs. 1 GG nicht nur Hoheitsrechte seines Kompetenzbereiches, sondern auch solche der Länder übertragen kann, die Ausführungskompetenz des Bundes für das Gemeinschaftsrecht 4 • Hiernach wird der mit der Übertragung i.S. von s Vgl. 1 Vgl. 2 Vgl. 3 Vgl. 4 Vgl.

hierzu Rengeling, DVBI. 1986, S. 308 ff. Weber, Rechtsfragen, S. 27. hierzu Weber, ebd., S. 32 f . Lerche, in: Maunz /Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83, Rn. 51, Fn. 191. Birke, S. 121 (124 f.).

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Art. 24 Abs. l GG grundsätzlich ermöglichte Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die Ausschließlichkeit ihrer Staatsgewalt erst durch die Durchführungsvorschriften zu den gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen konkretisiert. Schon der Ausgangspunkt dieser Argumentation kann nicht überzeugen: die "Übertragung" nach Art. 24 Abs. 1 GG bedeutet keine Beseitigung staatlicher Hoheitsrechte, sondern nur eine Öffnung der Staatsgewalt. Diese hat sich aber mit dem Vollzug der Maßnahmen nach Art. 24 Abs. 1 GG erschöpft. Es liegt ausschließlich in der Entscheidung der Gemeinschaftsorgane, inwieweit diese die den Gemeinschaften zugewiesenen Gemeinschaftsrechte tatsächlich mit innerstaatlicher Wirkung wahrnehmen. Sofern sie dies tun, bedarf es keiner weiteren innerstaatlichen Maßnahme mehr zum Ausschließlichkeitsverzicht. Eine Konkretisierung des Ausschließlichkeitsverzichts wird allein durch einen Rechtsakt der Gemeinschaft bewirkt, nicht aber durch eine innerstaatliche Maßnahme zur Durchführung eines Rechtsetzungsaktes der Gemeinschaft. Seinem Wortlaut und seinem Zweck nach trifft Art. 24 Abs. 1 GG über die staatsinterne Ausübung von Hoheitsrechten keine Regelung 5 •

b) Bundeskompetenz im Bereich "auswärtiger Beziehungen"?

Eine Bundeskompetenz zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts läßt sich auch nicht aus der- hier ohnehin nicht maßgeblichen- Vertragskompetenz nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG herleiten. Die Vorschrift regelt nach zutreffender Ansicht nur die Kompetenzverteilung zum Abschluß bzw. zur Transformation völkerrechtlicher Verträge, sagt indes über die innerstaatliche Kompetenzverteilung zur Durchführung nichts aus 6• Selbst wenn man der Ansicht von der Doppelgleisigkeit des Vertragsschlusses nach Art. 24 Abs. l GG und Art. 59 Abs. 2 S. l GO uno actu folgt 7 , kann die Übernahme- (oder Transformations-) Funktion des Art. 59 Abs. 2 GG nicht die innerstaatliche Kompetenzverteilung hinsichtlich der Durchführung präjudizieren, da diese über den völkerrechtlichen Vertragstext hinausreicht 8 • Eine andere Auffassung würde überdies den einheitlichen Vorgang des Integrationsaktes nach Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2 GG aufspalten und dem Art. 59 Abs. 2 GG eine weitergehendere Wirkung zuschreiben, als der maßgeblichen Ermächtigungsgrundlage des Art. 24 Abs. l GO zukommt 9 •

s Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 24; Schwan, S. 147; Weber, Rechtsfragen, S. 27 f. Vgl. Grabitz, ebd., S. 20; Weber, ebd., S. 28 f. 7 Vgl.Birke, S. 98; v. Münch-Rojahn, Art. 24, Rn 21; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 28. s Vgl. Weber, Rechtsfragen, S. 29; Grabitz, ebd., S. 21. 9 Vgl. Weber, ebd., S. 29. 6

XVll. Kap.: Die Durchführung durch die deutschen Länder

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c) Durchführungskompetenz aus Art. 32 Abs.l GG?

Die Herleitung einer entsprechenden Bundeskompetenz aus Art. 32 Abs. 1 GG zwecks Sicherung einer vertragsgerechten Durchführung der vom Bund in völkerrechtlichen Verträgen übernommenen Verpflichtungen 10 oder aus der Mitwirkung des Bundes bei der Beschlußfassung des Gemeinschaftsrechts 11 vermag ebensowenig zu überzeugen. Selbst wenn man Art. 32 Abs. 1 GG in einem weiten Sinne auslegt und dazu auch die Abschlußkompetenzen bei Gründungsverträgen mit Organisationen als neuen Völkerrechtssubjekten rechnet 12, schließt dies nicht notwendigerweise auch die "Beschlußfassung" oder Sekundärrechtsetzung mit ein 13• Die Durchführung völkerrechtlicher Verträge wie auch des Gemeinschaftsrechts stellt einen Akt innerstaatlicher Gesetzgebung dar, der in der Eingebung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch den Bund im Rahmen seiner auswärtigen Gewalt lediglich seinen äußeren Anlaß findet 14• Schon eine Ausdehnung des Art. 32 Abs. 1 GG auf den Bereich der Transformation wäre fehlerhaft, da dieser hierfür keine - auch nicht aus Art. 59 Abs. 2 GG ableitbare - Aussage bereithält. Es ist dies ein ausschließlich nach innen gerichteter Akt, der im Wege der Gesetzgebung vollzogen wird und deshalb den Normen über die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit unterliegt 15• Die Durchführung völkerrechtlicher Verträge oder des Gemeinschaftsrechts ist aber gegenüber der bloßen Transformation noch weiter von dem Handeln der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Völkerrechtsordnung entfernt 16• Zudem enthält Art. 32 Abs. 1 GG- ähnlich wie auch Abs. 2 und 3 - keine die Durchführungskompetenz präzisierenden Aussagen. Art. 24 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 59 Abs. 2 GG regelt die Übertragungsbzw. Transformationskompetenz des Bundes für die Gründungsverträge, läßt aber die Kompetenzverteilung für die Ausführung des sekundären Gemeinschaftsrechts offen. Diese ,,Lücke" kann jedoch durch die Anwendung der Art. 70 ff. GG geschlossen werden, so daß ein Rückgriff auf Art. 32 Abs. 1 bis 3 GG nicht notwendig erscheint 17• Die bloße Gefahr, daß völkerrechtlich übernommene Verpflichtungen aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern u. U. nicht vertragsgerecht erfüllt werden, rechtfertigt keine Änderung der staatlichen Zuständigkeitsordnung 18 , zumal - wie noch zu zeigen - die Ausführung unter Bundesaufsicht sichergestellt werden kann 19. 10 Vgl. Kaiser, ZaöRV 18 (1957 -1958), S. 549: Bundeskompetenz als Reflex des "außenpolitischen ius eminens". 11 Vgl. Glaesner, Landesbericht, S. 8 (zit. nach Birke, S. 120, Fn66); w.N. bei Schwan, S. 149 (Fn 62). 12 Vgl. Bleckmann, R1W I AWD 1978, S. 146. 13 Vgl. Weber, ebd., S. 129, gegen Bleckmann, ebd. 14 Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 21 ff.; v. Mangoldt! Klein, Art. 32, Anm. 5 I; v. Münch-Rojahn, Art. 32, Rn 40; im Ergebnis wohl ebenso Reiche!, S. 218. 15 Vgl H. Schroeder, S. 54 f. 16 Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 22; zustimmend Weber, Rechtsfragen, S. 29. 11 Vgl. Weber, ebd., S. 30.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung d) Ungeschriebene Bundeskompetenzen?

Geht man davon aus, daß ungeschriebene Bundeskompetenzen zulässig sind 20, käme eine Kompetenzzuweisungkraft "Natur der Sache" oder kraft "Sachzusammenhangs" in Betracht. Da normative Durchführungsakte von den Ländern entsprechend der grundgesetzliehen Kompetenzverteilung vorgenommen werden können, läßt sich eine generelle Bundeskompetenz aus der Natur der Sache nicht damit begründen, daß normative Durchführungsakte allein vom Bund wahrgenommen werden können 21 • Aber auch eine Bundeskompetenz ,,kraft Sachzusammenhangs" erscheint nicht erforderlich, um den Rechtsakten der EG zu innerstaatlieber Durchführung zu verhelfen. Die dem Bund ausdrücklich zugewiesene Übertragungskompetenz nach Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2 GG kann durchaus sinnvoll auch ohne ausdrückliche (verfassungsrechtliche) Zuweisung der Durchführungskompetenz ausgeübt werden, denn die Länder sind - wie zu zeigen innerstaatlich berechtigt und ggf. verpflichtet, die normativen Rechtsakte der Gemeinschaft auszuführen 22• Der Gefahr einer Vertragsverletzung infolge einer mangelhaften bzw. fehlenden Durchführung durch die Länder kann auch nicht durch die Annahme einer generellen Bundeskompetenz zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge oder gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften begegnet werden. Ebenso wie die Länder können auch die zur Regelung der Durchführungsmaßnahmen zuständigen Bundesorgane eine Implementation trotz bestehender Verpflichtung des Gesamtstaats verweigern 23 • Gegen eine Überbewertung dieses föderativen Risikos spricht aber die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit des Wollensund Handeins der Länder 24 • e) Ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes?

Schließlich läßt sich eine generelle Bundeskompetenz nicht auf ausschließliche oder konkurrierende Kompetenztitel des Bundes stützen 25 • Art. 73 Nr. 1 GG, der dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die auswärtigen Angelegenheiten zuweist, ist eng auszulegen: auswärtige Angelegenheiten sind nur solche, die sich direkt aus den Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten ergeben und die nicht in irgendeiner Form in den innerstaatlichen Bereich hineinVgl. Grabitz, ebd., S. 23. Vgl. Weber, ebd., S. 29. 20 Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 19 III 3 (S. 676). 21 Vgl. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 318; Grabitz, ebd., S. 27; Weber, ebd., S. 30. 22 Vgl. Weber, ebd., S. 30, im Anschluß an Grabitz, ebd., S. 27; Schwan, S. 153; Reiche/, S. 229, 231. 23 Vgl. Grabitz, ebd., S. 28. 24 Vgl. Vorwerk, S. 290 f. 25 Vgl. hierzu Grabitz, ebd., S. 14 ff.; zustimmend Weber, Rechtsfragen, S. 30. 18 19

XVII. Kap.: Die Durchführung durch die deutschen Länder

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ragen. Art. 73 Nr. 1 GG stellt keine Generalklausel zum Erlaß aller Normen dar, die für die Beziehungen zum Ausland bedeutsam sind 26 • Aus dieser Norm kann sich eine Kompetenz des Bundes zur Durchführung von Rechtsakten der EG mithin nicht ergeben. Auch Art. 73 Nr. 5 GG (Handels- und Schiffahrtsverträge, Waren- und Zahlungsverkehr) vermag eine generelle Durchführungskompetenz des Bundes für gemeinschaftsrechtliche Regelungen nicht zu stützen: nicht alle gemeinschaftsrechtlichen Normen sind auf den Warenverkehr bezogen; folglich ist dies ebenso für die nationalen Durchführungsmaßnahmen zu gemeinschaftsrechtlichen Normen zu verneinen 27 • Die Frage, ob eine Durchführungsregelung zu einem Rechtsakt der Kompetenz nach Art. 74 Nr. 11 GG unterfallt, muß schließlich jeweils im konkreten Fall überprüft und kann somit nicht generell bejaht werden 28 • Als Ergebnis ist mithin festzuhalten, daß sich die legislative Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien bzw. Entscheidungen mangels spezieller verfassungsrechtlicher Bestimmungen nach den Regeln des Grundgesetzes über die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten richtet 29 •

2. Binnenstaatliche Kompetenzverteilung für den Verwaltungsvollzug Unstreitig sind die Länder gemäß Art. 83 ff. GG für den Verwaltungsvollzug des Gemeinschaftsrechts zuständig 30.In der Staatspraxis hat sich entgegen dieser hier beschriebenen grundgesetzliehen Kompetenzverteilung, die den Verwaltungsvollzug in Form eines Vollzugs von Bundesrecht (Art. 83 GG), einer Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) oder eines Vollzugs von Landesrecht aufgrund einer unmittelbaren oder analogen Anwendung der Art. 83 ff. GG den Ländern zuweist, eine Verlagerung der Ausführungszuständigkeit auf den Bund ergeben 31 • Um sich einen möglichst hohen Anteil an der verwaltungsmäßigen Ausführung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, hat der Bund nach Art. 87 Abs. 3 26 Bleckmann, RIW I AWD 1978, S. 147; Grabitz, ebd., S. 14 ff.; Kölble, DÖV 1965, S. 145, 147 (Fn 20). v.Mangoldt I Klein, Art. 73, Anm. III 2 a; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 73, Rn. 9; Mosler, Die auswärtige Gewalt, S. 266; v. Münchv.Münch, Art. 73, Rn. 10. 27 Vgl. Grabitz, ebd., S. 17 ff.; Maunz, ebd., Art. 73, Rn. 77. 28 Vgl. Grabitz, ebd., S. 18 f.; Schwan, S. 154; Spelten, S. 72; Vorwerk, S. 302 ff.; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 315 f. 29 Vgl. Götz, JZ 1963, S. 266; Grabitz, AöR 111 (1986), S. 13; Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, S. 264; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu I Klein, Vorb. vor Art. 83, Rn. 17; Kössinger, S. 39 ff. (46); Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 83, Fn. 191; Schwan, S. 154; Zuleeg, ebd., S. 315-318. 30 Vgl. Birke, S. 125; lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 220; Kössinger, S. 46; Malanczuk, CMLR 22 (1985), S. 246; Ötting, S. 21; Riegel, DVBl. 1979, S. 246; Rudolf, Bundesländer, S. 126; Schwan, S. 174 f. 31 Vgl. Weber, ebd., S. 48.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

GG eine ganze Reihe von Bundesoberbehörden und -anstalten geschaffen 32. So hat der Bund etwa im Agrarbereich die Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM) als selbständige Bundesoberbehörde (Art. 87 Abs. 3, S. 1 GG) eingerichtet. Die Bundesfinanzbehörden verwalten überdies neben den Zöllen die sonstigen "Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften" (Art. 108 Abs. 1, S. 1 GG), wobei nach der Staatspraxis auch die von der Abgabenerhebung unabhängig gewährten Vergünstigungen wie Währungsausgleich, Prämien und Beihilfen von den Finanzbehörden verwaltet werden, eine Praxis, die unter Hinweis auf Art. 87 Abs. 3, S. 2 GG gerechtfertigt werden könnte 33• Für die Länder verbleiben in diesem Bereich nur noch geringe Vollzugskömpetenzen, etwa aufgrund der Durchführungsverordnungen zum Marktorganisationsgesetz34, die als landeseigener Vollzug von Bundesrecht eingestuft werden 35 . Angesichts dieser zunehmenden Vollzugskonzentration beim Bund kommt dem Vorschlag der Enquetekommission "Verfassungsreform", die gemeinschaftsrechtsausführende Länderverwaltung als Bundesauftragsverwaltung mit entsprechenden Weisungs- und Fachaufsichtsrechten des Bundes auszugestalten 36, hier nur wenig Relevanz zu. Allerdings würden dem Bund bei einem Ländervollzug im Rahmen einer Bundesauftragsverwaltung leichtere Aufsichtsmöglichkeiten hinsichtlich einer effektiven Durchführung des Gemeinschaftsrechts eröffnet. Gleichwohl wird eine solche Verdrängung der Länder aus ihrer Domäne der gemeinschaftsrechtlichen Durchführungszuständigkeit nur für den Fall erwogen, daß diese anders - etwa durch Empfehlungen und "Richtlinien für die Verabschiedung von Länderverwaltungserlassen"- nicht zu einer zügigen und gemeinschaftskonformen Anwendung des Gemeinschaftsrechts angehalten werden können 37. Auch die den Bundesländern noch verbliebenen administrativen Befugnisse sehen diese durch Art. 10 EEA (Art. 145, 3. Spiegelstrich EWGV) bedroht, der eine erweiterte Kompetenz der Kommission zum Erlaß gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsakte (Art. 155, 4. Spiegelstrich EWGV) vorsieht 38 . Die Befürch32 Vgl. Grabitz, AöR 111 (186), S. 311; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 86. 33 Vgl. Weber, ebd., S. 48; zweifelnd Voss, RIW I AWD 1979, S. 660 ff. 34 Vgl. Barnstedt, S. 263 ff., 269 f. 35 Abwegig ist angesichts dieser Entwicklung die bei Lerche, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scho1z, Art. 83, Rn. 51, erörterte Frage, ob "angesichts der stattlichen Vollzugsaufgaben der Länder der Bund mit zunehmender Verdichtung des Gemeinschaftsrechts in die Gefahr gerate, «von der nationalen Steuerung des supranationalen Normengefüges ausgesperrt zu werden»". 36 Vgl. Schlußbericht, BT-Drs. 715924, Kap. 9, Abschn. 4.1: Durch zustimmungsbedürftiges Gesetz soll die Ausführung dieser Rechtsnormen im Auftrag des Bundes bestimmt werden können. 37 Vgl. Weber, ebd., S. 48 f.; gegen eine weitere Zentralisierung des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts auf Bundesebene wendet sich auch Magiera, Bundesstaat, S. 643 f. 38 Vgl. Bruha I Münch, NJW 1987, S. 543; Engholm, EA 1989, S. 390 f.; Strohmeier, DÖV 1988, S. 633 f.

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tung beruht jedoch auf dem Mißverständnis, daß die neue Regelung zur Verschiebung des Kompetenzverhältnisses zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ermächtigt 39• Bei Art. 145 EWGV handelt es sich aber nicht um eine zuständigkeitsbegründende Bestimmung, sondern vielmehr um eine Regelung der Aufteilung vorhandener Befugnisse zwischen Rat und Kommission. Art. 145 EWGV bezweckt mithin allein einen internen Entlastungseffekt, der den Umfang des- die Ausnahme bildenden- gemeinschaftsunmittelbaren Vollzugs, wie er in den Gründungsverträgen definiert wird, unberührt läßt 40 •

3. Direkte oder analoge Anwendung der Art. 83 fT. GG? Die Vollzugskompetenzen zwischen Bund und Ländern sollen sich nach einer differenzierenden Ansicht im Schrifttum danach richten, ob es sich um eine unmittelbare oder eine mittelbare mitgliedstaatliche Vollziehungsmaßnahme von Gemeinschaftsrecht handelt. Da beim mittelbaren Vollzug von EG-Rechtsakten die innerstaatlichen Stellen deutsches Ausführungsrecht durchführen, handele es sich um den Vollzug von Bundes- oder Landesrecht, je nachdem, ob die Materie in die Bundes- oder Landeszuständigkeit falle. Die Art. 83 ff. GG seien daher unmittelbar anwendbar. Bei unmittelbar anwendbarem (nicht umsetzungsbedürftigem) Gemeinschaftsrecht komme hingegen nur eine analoge Anwendung der Art. 83 ff. GG in Betracht, unabhängig davon, ob auf Landes- oder Bundesebene vollzogen werde; die Gemeinschaftsrechtsakte blieben insoweit im innerstaatlichen Recht Akte einer eigenen Rechtsordnung, auf die die innerstaatlichen Kornpelenzvorschriften nur entsprechend übertragbar seien 41 • Teilweise werden demgegenüber die Art. 83 ff. GG auf den gesamten verwaltungsmäßigen Vollzug stets direkt 42 oder mit der Begründung, das sekundäre Gemeinschaftsrecht könne nicht als Bundesrecht angesehen werden, stets analog 43 angewandt. Zustimmung verdient die differenzierende Lösung. 39 Vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zur EEA, BR-Drs. 150/86 v. 4.4.1986, S. 19 ff., 23; Bruha I Münch, ebd., S. 544. 40 Vgl. Bruha I Münch, ebd., S. 544 f. Durch Ratsbeschluß v. 13. 7.1987 (ABlEG 1987 L 197 v. 18. 7. 1987) wurden die Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse restriktiv geregelt. 41 Vgl. Weber, ebd., S. 47 f.; teilweise ebenso Scheuing, EuR(20) 1985, S. 249, der aber zwischen Landes- und Bundesvollzug bei unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht differenziert. Die Enquete-Kommission "Verfassungsreform" hat sogar eine dahingehende Klarstellung im Grundgesetz vorgeschlagen. In einem neuen Art. 90 a GG soll für unmittelbar verbindliche zwischenstaatliche Rechtsnormen die entsprechende Anwendung der für innerstaatliches Recht geltenden Kompetenznormen angeordnet werden (vgl. Schlußbericht BT-Drs. 7/5924, Kap. 9, Abschn. 4.1). 42 So Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 212; lpsen, EUropäisches Gemeinschaftrecht, S. 220; Riegel, DVBl. 1979, S. 251. 43 Vgl . Birke, S. 125; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 86; Schwan, S. 174 f.; AK-Bull, vor Art. 83, Rn. 71; Riegel, DVBl. 1979, S. 251; Rudolf, Bundesländer, S. 126; Malanc-

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

II. Rechtsstaatliche Anforderungen 1. Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes Der Vorrang des Gesetzes, der für die Länder kraft Art. 28 GG verbindlich ist ("Rechtsstaatsprinzip"), bedeutet für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts, daß die staatlichen Durchführungsakte niedrigeren Ranges (Verwaltungsakt, Verwaltungsvorschriften bzw. Rechtsverordnungen) nicht gegen höherrangige Normen verstoßen dürfen. Diese Gesetzesbindung gilt nicht nur hinsichtlich der deutschen Aus- und Durchführungsgesetze, sondern in gewisser Weise auch in bezug auf die ranghöheren Gemeinschaftsverordnungen, die- ohne förmliche Gesetze zu sein - doch eine gewisse Parallele hinsichtlich ihrer Struktur, nicht ihres Legitimationsgrundes und ihres Kompetenzgrundes aufweisen 44 • Die deutschen Aus- und Durchführungsgesetze dürfen daher nicht gegen die gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage verstoßen, gleich ob es sich um ausführungsbedürftige Verordnungen, Richtlinien oder Entscheidungen handelt. Der Gesetzesvorrang wird so vom "gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsvorgang" 45 überlagert.

2. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Der rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt in seiner ursprünglichen Form als Eingriffsvorbehalt im grundrechtlich geschützten Bereich ist auch bei der Ausführung des Gemeinschaftsrechts beachtlich. Wenn das Rechtsstaatsprinzip gebietet, daß der Gesetzgeber die der staatlichen Eingriffsmöglichkeit offenliegende Rechtssphäre selbst abgrenzt und dies nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörden überläßt 46, so bedeutet dies, daß die deutsche Verwaltung- Bundes- wie Landesverwaltung - beim unmittelbaren wie mittelbaren Vollzug an den Gesetzesvorbehalt gebunden ist. Beim unmittelbaren Vollzug des Gemeinschaftsrechts, d. h. bei unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht, ergibt sich der Gesetzesvorbehalt bereits aus der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung, Entscheidung oder Richtlinie, soweit ihr ganz oder teilweise nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirkung eignet. Die Verordnungen des Gemeinschaftsrechts genügen als abstrakt-generelle Eingriffsermächtigungen für die nationale Verwaltung den Erfordernissen des innerstaatlichen Gesetzesvorbehalts 47 • Beim unmittelbaren Vollzug bildet der zuk, CMLR 22 (1985), S. 246; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 83, Rn. 51; Ötting, S. 21; Vorwerk, S. 302. 44 Vgl. Weber, ebd., S. 19; Zuleeg, ebd., S. 233. 45 Vgl. Weber, ebd., S. 19. 46 Vgl. BVerfGE 8, 71 (76). 47 Vgl. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 213.

XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrechtsakt den umfassenden Vorbehalt für die Eingriffs- wie Leistungsverwaltung. Daher bedarf es auf innerstaatlicher Seite keiner weiteren normativen Absicherung, um den Gesetzesvorbehalt zu erfüllen 48 •

XVIII. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die AG I. Zuständigkeit des Zentralstaats aus Art. 149 Abs.l Nr. 3 oder 93 CE? Zunächst ist zu untersuchen, ob mangels einer Spezialvorschrift über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts in der spanischen Verfassung bzw. in den Autonomiestatuten das in Kapitel VI gefundene Ergebnis, wonach die AG zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge einschließlich der nicht unmittelbar anwendbaren Normen zuständig sind, auch für das Gemeinschaftsrecht als einer besonderen Rechtsordnung 1 Gültigkeit hat, oder ob diesbezüglich von einer anderen Zuständigkeitsverteilung zwischen Zentralstaat und AG auszugehen ist. Aus Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE ergeben sich im Hinblick auf die Durchführung des Gemeinschaftsrechts keinerlei Besonderheiten, die zu einer Durchführungskompetenz des Staates führen könnten. Die einengende Interpretation dieser Vorschrift, wie sie oben vorgenommen wurde 2 , gebietet es, nicht nur die Durchführung völkerrechtlicher Verträge, sondern auch die Durchführung des Sekundärrechts supranationaler Organisationen hiervon als nicht erlaßt anzusehen 3 • Einzugehen ist aber darauf, ob Art. 93 CE eine Zuständigkeit des Zentralstaates für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts enthält. In Art. 93 S. 2 CE wird den Cortes Generales oder der Regierung die Gewährleistung für die Erfüllung von Verträgen im Sinne des Art. 93 S. 1 CE und der Beschlüsse internationaler oder supranationaler Organisationen, denen Hoheitsrechte übertragen wurden, zugewiesen. Art. 93 S. 2 CE stellt weder klar, welches der genannten Organe in welchem Fall eine Zuständigkeit besitzt, noch wird aus der Vorschrift deutlich, ob diesen Organen eine unmittelbare DurchfühVgl. zur gesamten Problematik Weber, ebd., S. 19 f . Vgl. EuGH v. 20.2.1964, Rs. 6/64 (Costa I E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 ff. (1256), Leitsatz 3. 2 Vgl. VI. Kap. III.l. 3 Vgl. Pe/dez Mar6n, Las Comunidades, S. 102 ff. 48 I

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

rungskompetenz bezüglich der Beschlüsse oder lediglich eine Kontrolle bezüglich der Durchführung zugewiesen wird 4 • Der doppeldeutige Gehalt dieser Vorschrift wird von einer Mindermeinung im spanischen Schrifttum 5 dahingehend interpretiert, die Zuweisung der Garantiefunktion beinhalte die Aufgabe einer "normativen Durchführung" ("desarrollo normativo") des Sekundärrechts supranationaler Organisationen. Die Nichterwähnung der AG in diesem Zusammenhang sei eine bewußte "Aussparung", nicht aber ein Versehen oder ein Irrtum, was sich daraus ergebe, daß die Problematik im Rahmen der Ausarbeitung der Verfassung angesprochen worden sei 6• Die völkerrechtlichen Vereinbarungen des Staates stellten einen Rechtfertigungsgrund dar, um die gesetzgebende Gewalt der AG einzugrenzen, da deren Intensität und Reichweite notwendigerweise nach den jeweils eingegangenen Vereinbarungen variierten. Die überwiegende Ansicht hingegen möchte die Vorschrift des Art. 93 S. 2 CE im systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften der Autonomiestatute über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge auslegen. Angesichts der Gefahr eines Eingriffs in die autonomiestaatliche Struktur Spaniens bei einer extensiven Auslegung des Art. 93 S. 2 CE zugunsten des Staates halten sie eine entsprechende Absicht des Verfassungsgebers für unwahrscheinlich und gewagt 7 • Art. 93 S. 2 CE beziehe sich allein auf die Gewährleistung völkerrechtlicher Verträge sowie von Beschlüssen internationaler und supranationaler Organisationen im Sinne einer überwachenden und kontrollierenden Tätigkeit 8 , wobei teilweise dieser Bestimmung nur eine Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung entnommen wird 9 • Nur auf diesem Hintergrund seien die Bestimmungen der Autonomiestatute über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge zu verstehen. 4 Pelilez Mar6n, RDP 98 (1985) S. 87, 92; ders., Las Comunidades, S. 100; Escribano Collado, S. 225. s De Miguel Zaragoza, S. 372. 6 De Miguel Zaragoza, S. 377; hiergegen Bano Le6n, S. 72, unter Verweis auf die Entstehung des Art. 93 CE. 7 Bano Le6n, S. 72 f.; Pelaez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 92 f.; ders., Las Comunidades, s. 101. s Argullol Murgadas, S. 224; Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 87 ff. (89, 91); Bano Le6n, S. 73; Santoalalla Gadea, S. 480; Lorente Hurtado, S. 1705 f.; Montoro Chiner, Rechtliche Konsequenzen, S. ; Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vila i Costa, S. 212 f., 231, unterstreichen den programmatischen Charakter dieser Vorschrift und sehen hierin nur eine "feierliche Prograrnmerklärung" (declaraci6n programatica solemne); Molinadel Pozo, Manual, S. 550; Munoz Machado, S. 98; Ruiloba Santana, Repercusiones, S. 29 f. 9 Lasagabaster Herrarte, S. 32; Mangas Mart{n, S. 181 f., die im Rahmen einer historischen Interpretation dieser Bestimmung darauf hinweist, daß die Normierung einer Notwendigkeit der Durchführung des Sekundärrechts internationaler Organisationen mittels eines parlamentsförmigen Gesetzes vom Senat zurückgewiesen worden sei; damit habe aber auch eine Durchführung allein durch die Exekutive sichergestellt werden sollen, wobei gleichzeitig die Garanten für die Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeiten im nationalen Recht ausdrücklich erwähnt werden sollten; dies., La recepci6n, S. 267, Fn. 10.

XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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Gestützt wird diese regionalfreundliche Interpretation nunmehr auch durch die jüngst ergangene Leitentscheidung des spanischen Verfassungsgerichts 10 über die innerstaatliche Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Spanien, in der das Gericht bei Betroffenheit einer autonomen Kompetenz nur für künftige - von ihm zu entscheidende - Ausnahmefalle eine Durchführungszuständigkeit des Staates in Abweichung vom Regelfall der autonomen Durchführungszuständigkeit angenommen hat. Obwohl das Gericht seine Ausführungen auf die Frage der administrativen Durchführung begrenzt, sollen seine Erwägungen auch auf die normative Durchführungstätigkeit anwendbar sein 11 • Da die Verfassung keinerlei Vorschriften über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts enthält, stellt sich die Frage, ob die Bestimmungen der Autonomiestatute über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge auf das Gemeinschaftsrecht anwendbar sind. Allein in zwei von dreizehn Statuten, die eine Bestimmung über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge und Abkommen durch die AG enthalten, nämlich in den Statuten von Murcia und Aragonien 12, wird auf die Durchführung von Rechtsakten der internationalen Organisationen Bezug genommen. Nach Molina del Pozo 13 kann auf der Grundlage dieser Regelungen in den Autonomiestatuten keine Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die AG erfolgen. Zum einen scheitere dies daran, daß nicht alle Autonomiestatute eine einschlägige Regelung über die Durchführung von völkerrechtlichen Verträgen enthielten. Bejahendenfalls gelange man nämlich bezüglich der vier AG ohne entsprechende Regelungen zu einer Zuständigkeit des Zentralstaates gern. Art. 149 Abs. 3 CE. Alsdann ergebe sich ein Problem aus dem unterschiedlich weiten Kompetenzgehalt der dreizehn statutarischen Regelungen. Schwerwiegender sei aber, daß die Statutsbestimmungenn nur für den klassischen Fall der Durchführung völkerrechtlicher Verträge konzipiert seien, deren Normen nach Abschluß und Ratifikation nicht mehr geändert würden, weshalb ihre Durchführung nur zum geringen Teil normativer Art sei. Auch soweit durch solche Verträge internationale Organisationen geschaffen würden, komme es im Hinblick auf deren beschränkte Kompetenzen nicht zu einer erheblichen Einwirkung in den innerstaatlichen Kompetenzbereich. Solche Verträge berührten Angelegenheiten der zwischenstaatlichen Kooperation, die in den Zuständigkeitsbereich der zentralen staatlichen Organe fielen. Dementsprechend werde von der spanischen Verfassung auch zwischen diesen klassischen völkerrechtlichen Verträgen und jenen anderen unterschieden, durch die aus der Verfassung abgeleitete Hoheitsrechte auf supranationale Organisationen übertragen würden. Diese anderen Verträge 10 STC 252/1989 v. 20. 12.1988, BOE Nr.11 v. 13.1.1989, S.39, 43 (II 2); vgl. hierzu Bano Leon, REDA 1989, S. 261 f. 11 Vgl. Bano Leon, ebd., S. 262 12 Art. 12 Abs. 2 Est.murc.; Art. 40 Abs. 2 Est.arag. 13 Molina del Pozo, Manual, S. 552 f.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

- zu denen auch der Vertrag über den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften gehöre - zeichneten sich im Gegensatz zu den klassischen Verträgen durch ihre Dynamik, ihre inhaltliche Reichweite und ihre Eigenschaft aus, Verpflichtungen zu erzeugen, die die Staaten selbst sowie die Individuen bänden. Deshalb sei eine entsprechende Anwendung der statutarischen Regelungen über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge auf diese Art von Verträgen, durch die Organisationen mit eigenen, unmittelbar bindenden Rechtsetzungszuständigkeiten gegründet würden, sachlich unzulässig. Ganz überwiegend werden dementgegen die statutarischen Vorschriften über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge selbst dann, wenn auf die Durchführung von Rechtsakten der internationalen Organisationen nicht ausdrücklich Bezug genommen wird, auch im Hinblick auf die Durchführung des Gemeinschaftsrechts für anwendbar gehalten. Dies wird von einem Teil des Schrifttums mit Hilfe eines Analogieschlusses begründet, wobei darauf hingewiesen wird, daß auch Art. 96 CE sich nur auf völkerrechtliches Primärrecht beziehe, von der Vorschrift aber gleichwohl das Sekundärrecht internationaler Organisationen mitumfaßt sei. Folglich könne auch eine AG, die nach ihrem Statut zur Durchführung einer völkerrechtlichen Vereinbarung zuständig sei, Sekundärrecht ausführen, das von jenen Organen gesetzt werde, die aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages und einer hierin erfolgten Übertragung von Hoheitsrechten konstituiert worden seien 14 • Teilweise wird die Erstreckung der statutarischen Bestimmungen auf die Durchführung des Gemeinschaftsrechts mit dem Hinweis auf die innerstaatliche Gleichstellung des in Art. 93 CE erwähnten derivativen Rechts mit der Geltung von völkerrechtlichen Verträgen gern. Art. 96 CE gerechtfertigt. Diese Parallelität reiche in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsätzen über die territoriale Gliederung des spanischen Staates aus, um eine Zuständigkeit der AG für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts insoweit zu bejahen, als jene auch für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge zuständig seien 15• Die Negierung einer Durchführungszuständigkeit der AG im Hinblick auf das Sekundärrecht supranationaler Organisationen vermag nicht zu überzeugen: Der unterschiedliche Kompetenzgehalt der Autonomiestatute bzgl. der Durchführung völkerrechtlicher Normen im allgemeinen sowie des Umfangs der Durchführungszuständigkeit im besonderen (legislative und admiministrative oder nur administrative Durchführung) stellt zwar ein Problem für die Einheitlichkeit der spanischen Rechtsordnung dar; die insoweit bestehende ergänzende Regelungs14 Mangas Mart(n, S. 263 (bzgl. der Rechtsakte internationaler Organisationen); Lasagabaster Herrarte, S. 30 ff.; Peltiez Mar6n, Las Comunidades, S. 100 ff.; Peltiez Mar6n, RDP 98 (1985), S. 100; Nrez Gonzalez, REDI 6 (1985), S. 655 ff. 1s Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifwl i Rull I Vila i Costa, S. 212, 215, insbes. S. 216 ff.; bzgl. des Gemeinschaftsrechts ihnen folgend Mangas Mart(n, S. 258, vgl. aber auch Fn. 14. Die Argumentation von Mangas Mart(n erscheint insoweit nicht ganz stringent.

XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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zuständigkeitdes Staates nach Art. 149 Abs. 3 CE stelltjedoch keinen sachlichen Grund dar, um jene AG, die allein die Durchführung völkerrechtlicher Verträge geregelt haben, von einer Durchführung der Gemeinschaftsverträgeapriori auszuschließen 16• Schwerer wiegt der Einwand, eine Gleichsetzung der Durchführung völkerrechtlicher Verträge durch eine AG mit der von Rechtsakten internationaler Organisationen verbiete sich im Hinblick auf den unterschiedlichen Umsetzungsbedarf in quantitativer sowie qualitativer Hinsicht. Diese Differenzierung ist an sich zutreffend, jedoch ist kein Grund ersichtlich, weshalb die dezentralisierten Einheiten zu einer Implementation, die den Erfordernissen der Rechtsakte internationaler und supranationaler Organisationen genügt, nicht imstande sein sollten. Das Bedenken, welches insoweit allein geltend gemacht werden kann, ist die staatliche Verantwortlichkeit für die ordnungsgemäße Erfüllung von supranationalen Verpflichtungen, der gegenüber den klassischen völkerrechtlichen Verträgen im Hinblick auf den Umsetzungsbedarf zumindest potentiell eine erhöhte Bedeutung zukommt. Dieser Umstand kann jedoch, wie bereits im Zusammenhang mit Art. 93 CE dargelegt, nicht zu einem Ausschluß der AG von der Zuständigkeit zur Durchführung des Sekundärrechts einer supranationalen Organisation führen 11. Gegen den Ausschluß der AG von der Durchführung sprechen auch die Vorschriften des Organgesetzes über den Staatsrat 18, wonach eine "Stellungnahme des Staatsrates" für den Staat sowie für die AG unter anderem im Hinblick auf "rechtliche Probleme" zwingend ist, die sich im Zusammenhang mit der "Auslegung oder dem Vollzug der Regelungen und Beschlüsse internationaler oder supranationaler Organisationen" ergeben bzw. dann, wenn es sich um "Verordnungen" handelt, "die in Vollziehung, Erfüllung und Durchführung von völkerrechtlichen Verträgen, Übereinkünften oder Abkommen ergehen" (Art. 23 Abs. 2 i.V. m. Art. 21 Nr. 4 bzw. Art. 22 Nr. 2 des Organgesetzes über den Staatsrat). Damit wird ein Recht der AG zur Durchführung von Rechtsakten internationaler und supranationaler Organisationen offenbar bereits von einem staatlichen Gesetz vorausgesetzt, soweit die AG die "entsprechenden Kompetenzen übernommen 16 Molinadel Pozo, Manual, S. 552 ff., spricht allerdings allen AG auch bei Bestehen einer statutarischen Durchführungsvorschrift bzgl. der Rechtsakte internationaler Organisationen (Murcia, Aragonien) eine Kompetenz zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts insoweit unterschiedslos ab. 17 Zu diesem Ergebnis gelangt Molinadel Pozo allerdings auch nicht, wobei er aber nach Ablehnung einer Durchführungskompetenz der AG auf der Grundlage der Statutsbestimmungen allein im Hinblick auf die Wahrung der dezentralisierten Staatsstruktur Spaniens nach dem Beitritt zur EG und einer vertragsgemäßen Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Anlehnung an die Lösung, die die italienische Rechtsordnung für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts entwickelt hat, trotz einer seiner Meinung nach fehlenden ausdrücklichen rechtlichen Grundlage eine Durchführungskompetenz der AG im Rahmen ihrer jeweiligen materiellen Kompetenzen bejaht (ebd., S. 553 ff., insbes. s. 556). 18 LO 3/1980 v. 22.4.1980 über den Staatsrat, BOE Nr. 100 v. 25.4.1980.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

haben" (Art. 23 Abs. 2). Schließlich haben die zentralstaatlichen Gesetzgebungsorgane die Kompetenzen der AG im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts stillschweigend insofern anerkannt, als dort die Delegation an die Regierung zur Gesetzgebung gemäß Art. 82 CE auf die Bereiche der staatlichen Kompetenzen beschränkt wird 19• Auch das Organgesetz 10/1985 20, durch das dem Beitritt Spaniens zu den EG zugestimmt wurde, kann keinesfalls so ausgelegt werden, daß dadurch die Autonomiestatute modifiziert worden sind 21 • Die Annahme einer Durchführungskompetenz von dreizehn AG, soweit diese im vollen oder beschränkten Maß in ihren Statuten Kompetenzen für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge übernommen haben, gilt somit im jeweils gleichen Maße auch für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts nach einer überwiegenden Ansicht im spanischen Schrifttum als gesichert 22 • Auch dieses Ergebnis wird durch das bereits genannte grundlegende Urteil des Verfassungsgerichtes vom 20. Dezember 1988 bestätigt, wonach sich bei einer statutarischen Implementationskompetenz für völkerrechtliche Verträge 23 die Durchführung des Gemeinschaftsrechts nach dem Grundsatz der innerstaatlichen Kompetenzverteilung richtet. ,,Es sind mithin jedenfalls" - so führt das Gericht aus - "die innerstaatlichen Kompetenzabgrenzungsvorschriften, die die Grundlage für die Lösung der Kompetenzkonflikte zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften bilden" 24 • Wenn es die Verteilung der Zuständigkeiten in der innerstaatlichen Rechtsordnung bisweilen nicht erlaubt, die von einer gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie, Verordnung oder Entscheidung betroffene Materie mit Gewißheit dem Zuständigkeitsbereich der AG bzw. dem des Staates zuzuordnen - im Hinblick auf die im konkreten Fall streitige Zuständigkeit für die Durchführung verschiedener Gemeinschaftsrichtlinien über die Kontrolle des für den Handel mit EG-Mitgliedstaaten bestimmten Frischfleisches geht das Verfassungsgericht von einer administrativen Durchführungszuständigkeit des Staates aufgrund der Betroffenheit der Zuständigkeitstitel "Sanitärkontrollen an den Grenzen" (Art. 149 Abs. 1 Nr. 16 CE) und "Außenhandel" (Art. 149 Abs. 1 Nr. 10 CE) aus- wird man gleichwohl der Entscheidung ein rationales Prinzip bei der Verteilung der Zuständigkeiten zur Harmonisierung der widerstreitenden Interessen entnehmen können. So votiert das Gericht in einem obiter dieturn zwecks Gewährleistung einer effizienten Verwaltungsorganisation für eine Zu19 Vgl. Ley 47/1985 v. 27.12.1985. über die Grundlagen der Delegation an die Regierung für die Anwendung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, BOE Nr. 312 v. 30.12.1985. 20 BOE V. 8.8.1985. 21 Vgl. Montoro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 168. 22 Im Ergebnis ebenso Lasagabaster Herrarte, S. 86 f. 23 Der Entscheidung lag ein vom Exekutivrat der katalanischen Regierung anhängig gemachter Kompetenzkonflikt zugrunde, so daß das Gericht auf Art. 27 Abs. 3 Est. cat. rekurrierte. 24 STC 252/1989 v. 20.12.1988, BOE Nr. 11 v. 13.1.1989, S. 39, 43 (II 2).

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sammenarbeit zwischen dem Zentralstaat und den AG 25, was als Hinweis auf den Gedanken der Bundestreue verstanden wird 26. Eine solche Lösung verlangt es aber, daß man - wie in der spanischen Lehre vielfach betont 27 - die verwaltungsmäßige Durchführungszuständigkeit für die Gemeinschaftsnormen mit etwaigen Ausnahmen den AG überläßt, dem Staat hingegen überwiegend die legislative Durchführung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Bereich zuweist. Dieses Vorgehen ist zumindest in allen jenen Bereichen geboten, in denen die Autonomien über administrative Zuständigkeiten verfügen, wie bspw. in der Landwirtschaft, im Verbraucher- und Gesundheitswesen sowie im Umweltschutz.

II. Generelle Durchführungskompetenz der AG? Darüber hinaus wird jedoch die Frage diskutiert, ob unter Absehung von diesen Vorschriften der Autonomiestatute eine generelle Kompetenz der AG zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts angenommen werden kann, so daß ungeachtet der Verschiedenheit der Autonomiestatute eine diesbezügliche Kompetenz aller AG im Rahmen ihres jeweiligen materiellen Kompetenzbereiches zu bejahen wäre. Die Befürworter einer solchen Lösung gehen von einer Zuständigkeit zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch eine AG aus, soweit deren Interesse berührt ist, wofür die Kriterien der materiellen Zuständigkeit für den jeweiligen Bereich aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung ausschlaggebend sein sollen (Zuständigkeit ratione materiae) 28 • Teilweise wird bei der Erfüllung dieser Voraussetzungen eine entsprechende implizite Kompetenz der AG angenommen29. Damit soll das "Gleichgewicht" der innerstaatlichen Kompetenzverteilung auch im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts erhalten bleiben 30. Als Beschreibung der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung de lege lata erscheint diese Position jedoch äußerst fragwürdig 31 . Wie das Verfassungsgericht 32 2s Ebd., S. 44 (II 3).

26 Bano Leon, REDA 1989, S. 265.

Vgl. Bano Leon, ebd., S. 265 f. Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 95 ff., mit dem Hinweis, die entgegengesetzte Auffassung bedeute einen verfassungswidrigen Einbruch in das dezentralisierte Kompetenzverteilungssystem; Bafio Le6n, REDA 1989, S. 260 f., mit einem- allerdings sehr fragwürdigen - Verweis auf das Urteil des TC v. 20.12. 1988 (Fn. 24), S. 43 (II 2); Munoz Machado, S. 97 f.; Perez Gonzalez, Die Rolle der Comunidades Aut6nomas, S. 56 f., insbes. Fn. 10m. w.N.; Rodrfguez lglesias, S. 232 f., derdamitnicht ein "formelles", sondern ein materielles Kriterium als ausschlaggebend betrachten will. 29 So wohl Rodr{guez lglesias, S. 232 f. 30 Vgl. Munoz Machado, S. 86, 98. 31 Garzon Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rulll Vila i Costa, S. 218 f.; Mangas Mart{n, S. 258 f. 21

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festgestellt hat, sind die statutarischen Vorschriften über die Durchführung die "logische Konsequenz der territorialen Organisation des Staates"; der hier in Frage stehende Aspekt der staatlichen Organisationsstruktur ergibt sich hingegen nicht umgekehrt aus einer Durchführungskompetenz, die nicht ausdrücklich in den Statuten verankert ist. Der Grad der Dezentralisierung ist damit auch von dem Umfang abhängig, in dem AG Kompetenzen übernommen haben bzw. übernehmen können. Da außerdem die einschlägigen Statutsbestimmungen wie bereits ausgeführt - als Kompetenzvorschriften anzusehen sind 33 , die folglich wegen ihrer Spezialität den übrigen materiellen Kompetenzbestimmungen vorgehen, erscheint diese Ansicht erst recht zweifelhaft. Das Spezialitätsprinzip ist nämlich nicht nur bei der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Zentralstaat und AG, sondern auch bei der Bestimmung der einschlägigen Kompetenz im Rahmen des jeweiligen Kompetenzkatalogs einer AG zur Anwendung gelangt. Diese Gesichtspunkte führen zur Unzulässigkeil der Annahme einer Durchführungskompetenz aufgrund einer bloßen Betroffenheit einer materiellen Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenz durch das Gemeinschaftsrecht, da die mangelnde statutarische Durchführungsregelung den Kompetenzrahmen einer AG verengt, nicht aber erweitert 34. De lege lata verfügen somit allein dreizehn AG auch über eine Kompetenz zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts, wobei- entsprechend der Regelung für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge, Abkommen und Übereinkünfte - sieben Gemeinschaften (Baskenland, Katalonien, Andalusien, Aragonien, Kastilien Mancha, Kanarische Inseln und Madrid) eine umfassende Kompetenz zur legislativen, verordnungsgebenden und administrativen Durchführung des Gemeinschaftsrechts besitzen und sechs weitere Gemeinschaften (Asturien, Murcia, Navarra, Extremadura, die Balearen und Kastilien-Le6n) eine bloße administrative Durchführungskompetenz bezüglich des Gemeinschaftsrechts innehaben35.

111. Möglichkeiten einer innerstaatlichen Harmonisierung der dezentralisierten Durchführungszuständigkeit Zwecks Harmomisierung der dargestellten Unterschiede bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts werden unterschiedliche Möglichkeiten einer gleichgearteten Einbeziehung aller AG in den lmplementationsprozeß erwogen: zum einen könnte dies durch ein Abkommen zwischen dem Zentralstaat und allen 32 STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 677, 683 (li 4). 33 STC 44/1982, ebd. 34 Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifwl i Ru/1 I Vita i Costa, S. 218 f. 35 Ruiloba Santana, Repercusiones, S. 27; im Ergebnis ebenso - allerdings ohne weitere Differenzierung- Olivares Martfnez, DA 201 (1984), S. 308/313; Montaro Chiner, Rechtliche Konsequenzen, S. 54.

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AG, zum anderen durch eine Kompetenzdelegation gern. Art. 150 Abs. 2 CE erreicht werden. 1. Die staatliche Kompetenzdelegation gern. Art. 150 Abs. 2 CE Anläßtich der parlamentarischen Debatte über das Organgesetz über den Beitritt Spaniens zur EG im Juli 1985 machte die Regierung deutlich, daß sie angesichts des unterschiedlichen Kompetenzniveaus der Autonomiestatute bezüglich der Durchführung völkerrechtlicher Verträge von einer Kompetenz zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts nur für diejenigen AG ausgeht, deren Statute eine ausdrückliche Regelung über den Vollzug völkerrechtlicher Verträge beinhalten. Eine Lösung im Sinne einer Gleichstellung aller AG wurde zunächst in der Ausarbeitung und Verabschiedung eines Delegationsgesetzes durch die Cortes Generales gern. Art. 150 Abs. 2 CE gesehen 36• Die mit Hilfe eines Delegationsgesetzes beabsichtigte Harmonisierungslösung stieß jedoch alsdann auf politische Bedenken: Angesichts des Umstandes, daß zehn Gemeinschaften überhaupt keine oder nur äußerst begrenzte Vollzugszuständigkeiten auf völkerrechtlichem Gebiet in ihren Statuten aufweisen, hätte eine Kompetenzdelegation zur vollständigen Gleichstellung aller Gemeinschaften auf dem Gebiet des Vollzugs völkerrechtlicher Verträge geführt. Gleichzeitig wäre damit eine Diskussion über die "völkerrechtlichen" Kompetenzen der AG im allgemeinen ausgelöst worden. Zudem wäre infolge einer solchen Delegation mit weiteren "Delegationsansprüchen" bezüglich anderer staatlicher Zuständigkeitshereiche durch die AG mit minimaler Autonomie zu rechnen gewesen, womit diese nicht nur eine Gleichstellung bei dem Umfang der völkerrechtlichen Durchführungstätigkeit, sondern auch im Hinblick auf die materiellen Regelungsbereiche angestrebt hätten. Anläßtich der Harmonisierung der statutarischen Durchführungskompetenzen für völkerrechtliche Verträge und sekundäre Rechtsakte internationaler und supranationaler Organisationen wäre es damit zur Ausweitung der materiellen Kompetenzkataloge einer Reihe von AG gekommen. 2. Der Entwurf über ein Abkommen zwischen der Zentralregierung und den AG37 Aufgrund dieser und zahlreicher anderer, politisch relevanter Umstände neigte die spanische Regierung im weiteren Verlauf einer mehr pragmatischen Lösung zu und ging von einer impliziten Zuständigkeit der AG zur Durchführung des 36

Befürwortet von Garz6n C/ariana I Albiol Biosca I Pifwl i Rul/1 Vila

s. 223 f.

37 Vgl. hierzu Mangas Martfn, S. 260.

Costa,

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Gemeinschaftsrechts im Falle der Betroffenheit einer ihrer materiellen Kompetenzen aus, ohne daß hierfür eine ausdrückliche Zuständigkeit für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge in den jeweiligen Autonomiestatuten normiert sein muß, wie es das Verfassungsgericht fordert 38 • Dieser Meinungsumschwung findet in dem "Entwurf eines Abkommens zwischen der nationalen Regierung und den AG über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften" 39 vom Dezember 1985 seinen Ausdruck, der vom damaligen Ministerium für territoriale Verwaltung vorgelegt wurde. Dieser Entwurf wurde nach Einholung der Stellungnahmen der AG überarbeitet und daraufhin im April 1986 als "neuer Abkommensentwurf' abermals den AG unterbreitet 40 • Dieser letzte Entwurf sah eine für die Dauer von fünf Jahren zwischen der Zentralregierung und den AG zu treffende Vereinbarung vor, die sich stillschweigend um den gleichen Zeitraum verlängern sollte, es sei denn, einer der Beteiligten würde ihre vollständige oder teilweise Änderung verlangen. Im ersten Teil der Vereinbarung über die "normative und administrative Durchfühung des Gemeinschaftsrechts" wird die beiderseitige Verpflichtung anerkannt, die Durchführung in einem Geist gegenseitiger Zusammenarbeit zu vollziehen. Die jeweiligen Gemeinschaftsakte sollen gemäß der materiellen Kompetenzverteilung, wie sie sich nach Umfang und Reichweite aus dem Verfassungsblock ergibt, durchgeführt werden. Auch der verwaltungsmäßige Vollzug der Gemeinschaftsverordnungen und -richtlinien wird hiernach von der Verwaltung des Staates und den autonomen Verwaltungen in Übereinstimmung mit der verfassungsmäßigen Verteilung der Kompetenzen wahrgenommen. Zu diesem Zweck wird von beiden Seiten eine rechtzeitige und gegenseitige Unterrichtung sowie eine Zusammenarbeit und Unterstützung zwecks angemessener Erfüllung der gegenseitigen Verpflichtungen zugesagt. Der Entwurf wurde zu Beginn des Jahres 1987 durch einen dritten, bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der aszendierenden Beteiligung der AG 41 erörterten Entwurf ersetzt, der in Form einer Rahmenvereinbarung abermals von der Regierung den AG unterbreitet wurde, jedoch bis heute noch nicht zu einem definitiven Abkommen gereift ist 42• Der Inhalt dieses dritten Entwurfs bezieht sich neben der Festlegung der Informationswege für die Durchführung von Gemeinschaftsakten nahezu ausschließlich auf das Problem der Lösung der Beteiligungsfrage der AG am staatlichen Willensbildungsprozeß in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften 43, auf die bereits eingegangen wurde 44 • STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 677, 683 (II 4). "Convenio entre el Gobiemo de Ia Naci6n y las CC.AA. sobre cooperaci6n en los asuntos relacionados con las Comunidades Europeas": abgedr. bei Aurrecoechea, Legal issues, S. 196 f. (Anhang 4). 40 Abgedruckt bei Aurrecoechea, ebd., S. 198 ff. (Anhang 5). 41 Vgl. XIII. Kap. III. 42 Diario de las sesiones (Protokoll der Parlamentssitzungen) v. 3. 2. 1987, Nr. 58, S. 227; wiedergegeben bei Montaro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 176 f. 38

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XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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IV. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts in der spanischen Rechtsordnung Der Primat des Gemeinschaftsrechts in der innerstaatlichen spanischen Rechtsordnung führt zur Unanwendbarkeit entgegenstehender innerstaatlicher Vorschriften, ohne daß es hierzu eines formellen Änderungsaktes bedürfte. In diesem Sinne ist auch die Kollisionsregel des Art. 149 Abs. 3 CE bei der Durchführung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die AG auszulegen: Bei einer ,,konkurrierenden" Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Staat und AG hat sich die legislative Durchführung (Gesetze I Verordnungen) zunächst arn Gemeinschaftsrechtsakt auszurichten und erst in zweiter Linie an den Grundsätzen, Richtlinien und Vorschriften, die der Zentralstaat auf dem jeweils betroffenen Kompetenzsektor erläßt 45 • Ungeachtet der Nichtanwendbarkeit des entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts wird die "Bereinigung" der nationalen Rechtsordnung und die Anpassung an die rechtlichen Erfordernisse als wichtigste Aufgabe bei der innerstaatlichen Durchführung angesehen, allerdings angesichts der Vielzahl der einzuschaltenden lmplementatoren auch als eine diffizile Obliegenheit gewertet. Wie dargestellt, werden die AG innerhalb ihres jeweiligen materiellen Kompetenzbereiches bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts tätig, soweit die Autonomiestatute sie zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge oder ausdrücklich zur Durchführung der Akte supranationaler Organisationen ermächtigen. Zu untersuchen bleibt, wie sich eine derartige Durchführung angesichts des oben 46 dargestellten Systems der innerstaatlichen Kompetenzverteilung im einzelnen gestaltet.

V. Die normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts Bei der Untersuchung der innerstaatlichen Implementationsmechanismen für das Gemeinschaftsrecht sind zwei Besonderheiten des spanischen Systems der Kompetenzverteilung zu beachten, die bereits im Rahmen der Darstellung des spanischen Autonomiesystems 47 hervorgehoben wurden: zum einen unterscheiden sich die verschiedenen Autonomiestatute beträchtlich hinsichtlich der jeweiligen Kompetenzkataloge. Die zur legislativen Durchführung zuständigen sieben AG- die weiteren sechs zur Durchführung berechtigten AG sind auf das Gebiet der administrativen Durchführung beschränkt - können mithin nur insoweit tätig werden, als das Gemeinschaftsrecht eine Materie betrifft, für die eine mate43 44 45 46 47

Vgl. Montoro Chiner, Die Beteiligung der AG, S. 178. Vgl. XIII. Kap. V gl. Bano Le6n, S. 87 f. Vgl. II. Kap. VII.2. u. 3. Vgl. ebd. sowie II. Kap. m. u. VIII. 2. a) aa).

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

rielle, im Statut verankerte Kompetenz der AG besteht. Soweit die AG über keine einschlägige Kompetenz verfügen, besteht gern. Art. 149 Abs. 3 CE eine ausschließliche Kompetenz des Staates, es sei denn er delegiert solcherlei materielle Kompetenzen gern. Art. 150 Abs. 2 CE an die dezentralisierten Einheiten. Zum anderen handelt es sich bei den Kompetenzen der AG mehrheitlich um geteilte, nicht aber um ausschließliche Kompetenzen, was auch für das Gemeinschaftsrecht von Bedeutung ist.

1. Normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts bei ausschließlichen Kompetenzen der AG Die Gesetzgebungsorgane des Baskenlandes, Kataloniens, Andalusiens, von Kastilien Mancha, der Kanarischen Inseln, Madrids und Aragoniens sind unter Beachtung der Grundsätze und Ziele der Gemeinschaftsrechtsakte für deren legislative Durchführung, insbesondere für die normative Umsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien zuständig, und zwar in Form des Erlasses von Durchführungsgesetzen und -Verordnungen, soweit einer ihrer ausschließlichen Kompetenzen durch das Gemeinschaftsrecht betroffen ist 48 • In solchen Bereichen wird die Gesetzgebungs- und Verordnungskompetenz einer AG weder durch staatliche Rahmengesetze noch durch andere Vorschriften (Gesetzesverordnungen) eingeschränkt; diese hat allein für die übrigen zehn Gemeinschaften Gültigkeit, die entweder lediglich über administrative Durchführungsbefugnisse verfügen (Asturien, Murcia, Navarra, Extremadura, die Balearen und Kastilien-Le6n) oder keinerlei Durchfühungszuständigkeiten besitzen (Galizien, Kantabrien, La Rioja, Valencia) bzw. keinerlei materielle Gesetzgebungskompetenzen auf dem entsprechenden Gebiet übernommen haben 49 • Dabei geht das spanische Schrifttum 50 davon aus, daß angesichts der Bereiche, in denen die AG über eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz verfügen, die Zuständigkeit für eine ausschließliche legislative Durchführung minimal ist, jedoch im Hinblick auf die wachsende Regelungsbefugnis der europäischen Gemeinschaften ausgebaut werden kann.

2. Normative Durchführung des Gemeinschaftsrechts bei geteilter Gesetzgebungskompetenz Bei nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsakten in Bereichen einer geteilten innerstaatlichen Zuständigkeit zwischen Staat und AG 51 erfolgt 48 Vgl. Mangas Martin, S. 251 ff. zu den Materien, bzgl. derer eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach der Verfasssung begründet werden kann und teilweise auch für alle AG aufgrund ihrer Gemeinschaftsstatute tatsächlich besteht. 49 Vgl. Mangas Martin, S. 268 f. so Vgl. Bafw Le6n, S. 90. st Vgl. hierzu II. Kap. VII.2. u. VIII. 2. a) aa).

XVill. Kap.: Die Durchftihrung durch die Autonomen Gemeinschaften

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eine legislative Durchführung (Gesetze I Gesetzesverordnungen) durch die genannten sieben AG, während die übrigen Gemeinschaften im Hinblick auf ihre bloße administrative bzw. gänzlich fehlende Durchführungskompetenz auch diesbezüglich keinerlei Zuständigkeiten besitzen. Im spanischen Schrifttum werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob im Falle einer geteilten Gesetzgebungskompetenz an die Stelle der Grundlagengesetzgebung des Staates der Inhalt des Gemeinschaftsrechtsaktes tritt, mit der Folge, daß sich eine innerstaatliche Grundlagengesetzgebung erübrigt52, oder ob in jedem Fall der Gemeinschaftsrechtsakt bei einer innerstaatlichen Teilung der Gesetzgebungskompetenz eine Grundlagengesetzgebung des Staates erforderlich macht53. Die BefürworteT einer Substitution der innerstaatlichen Grundlagengesetzgebung durch den Gemeinschaftsrechtsakt gehen davon aus, daß der Staat die entsprechende Kompetenz gern. Art. 93 CE auf die EG übergeleitet habe. Die Substitution rechtfertigt sich damit zum einen aus verfassungsrechtlich-systematischen Gründen, nämlich im Hinblick auf Art. 93 CE, zum anderen aus pragmatischen Gründen einer Verringerung der Implementationsschritte im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Durchführung. Wenn also die in einer Richtlinie genannten Grundsätze und Ziele ein Pendant zu der diesbezüglichen staatlichen Grundlagengesetzgebung bildeten, werde die staatliche Grundlagengesetzgebungskompetenz durch die Gemeinschaftsrichtlinie "absorbiert". Die jeweilige AG könne eine legislative Durchführung dieser Richtlinie - oder ausnahmsweise der Verordnung - allein auf deren Grundlagen und unter deren Beachtung vornehmen, soweit der Bereich einer ,,konkurrierenden" Kompetenz dieser AG betroffen sei. Die Substitutionswirkung des Gemeinschaftsrechtsakts soll bezüglich der staatlichen Grundlagengesetzgebung allerdings nur insoweit Wirkung entfalten, als der Inhalt dieses Aktes mit dem potentiellen Inhalt der innerstaatlichen Regelung übereinstimmt 54 . Demgegenüber wird von einem Teil des Schrifttums die staatliche Grundlagengesetzgebung, soweit für diese nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung 52 Vgl. Argullol Murgadas, S. 230; Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piflol i Rull I Vila i Costa, S. 222 f.; Mangas Martfn, S. 270 f.; Ruiloba Santana, Repercusiones, S. 27; Santaola/la Gadea, S. 462, der allerdings von einer grundsätzlichen Rezeptionszuständig-

keit des Staates bzgl. aller Richtlinien unabhängig von der innerstaatlichen Kompetenzverteilung ausgeht (S. 461). 53 Baflo Le6n, S. 87 ff.; Mufloz Machado, S. 102 ff. 54 So Mangas Martfn, S. 270 f., weshalb nach Baflo Le6n, S. 88, Fn. 142, insofern im Ergebnis keine wesentlichen Unterschiede zwischen ihrer These und der im folgenden darzustellenden Gegenansicht bestehen dürften; in diesem Sinne auch Olivares Martinez, DA 201 (1984), S. 314 f., der allerdings bzgl. der Basisgesetzgebung zwischen gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien differenziert. Bei ausfüllungsbedürftigen Verordnungen sei eine Grundlagengesetzgebung des Staates möglich, im Falle eines Widerspruchs zum Gemeinschaftsrecht sei allerdings letzteres für die Durchführung durch die AG maßgeblich. Bei gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien geht er hingegen zumindest grundsätzlich von einer Substitutionswirkung aus.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

eine Zuständigkeit besteht, auch bei der Implementation des Gemeinschaftsrechts für unverzichtbar gehalten. Die Ersetzung des Beziehungssystems zwischen staatlicher Grundlagengesetzgebung einerseits und autonomer Durchführungsgesetzgebung andererseits durch ein System der Kompetenzteilung zwischen Gemeinschaftsrechtsakt (Richtlinie) und autonomer Durchführungsgesetzgebung sei verfassungsrechtlich unhaltbar. Eine Einschaltung des Zentralstaates im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechtsakts hänge bei innerstaatlich konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen ausschließlich davon ab, ob ein Bereich der Grundlagengesetzgebung betroffen sei, nicht aber vom Grad der Detailliertheit des Gemeinschaftsrechtsaktes. Allerdings bestehe im Hinblick auf den Grad der Detailliertheit des sekundären Gemeinschaftsrechtsaktes oft nicht mehr die Möglichkeit einer normativen Durchführung im eigentlichen Sinne. Gleichwohl sei aber auch für das Gemeinschaftsrecht an dem Grundsatz des innerstaatlichen Verfassungsrechts festzuhalten, so daß grundlegende legislative Aspekte der Durchführung bei einer konkurrierenden Gesetzgebung in die Zuständigkeit des Zentralstaates fielen und im übrigen eine legislative Zuständigkeit der AG gegeben sei. Die Gefahr einer Vervielfliltigung der Implementationsschritte durch zentrale und dezentralisierte staatliche Einheiten bestehe dabei nicht in dem Maße, wie dies die Gegenansicht behaupte: Angesichts des Umstandes, daß die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien zwecks Herstellung einer normativen Homogenität im Bereich der EG einen zunehmend detaillierten Charakter aufwiesen 55, ergebe sich insoweit nur noch die Notwendigkeit einer innerstaatlichen "Transplantation"56. Diese Aufgabe falle aber zumeist in die Zuständigkeit des Zentralstaates, da deren Aufteilung wenig Sinn habe und unberücksichtigt lasse, daß die Gemeinschaftsrichtlinie und die innerstaatliche Grundlagengesetzgebung im Hinblick auf die Herstellung eines gemeinsamen, für alle verbindlichen "Nenners" gleichartige Funktionen erfüllten. Aber auch dann, wenn die Gemeinschaftsrechtsnorm dem nationalen Gesetzgeber einen ausfüllungsbedürftigen Regelungsbereich überlasse, sei es angesichts des materiellen Begriffs der Basisgesetzgebung, von dem das spanische Verfassungsgericht ausgehe 57, schwierig, eine effektive normative Durchführungsmöglichkeit der AG anzunehmen 58. Mag sich dieser den AG verbleibende "Spielraum" einer Durchführungsmöglichkeit im Hinblick auf die jeweilige Richtlinie auch unterschiedlich gestalten, so ist gleichwohl der Hinweis auf den möglichen Umfang der innerstaatlichen Basisgesetzgebung zutreffend. Da in diesem Rahmen neben einer Normsetzung durch die Exekutive auch- ausnahmsweise- eine administrative Durchführung 55 Vgl. hierzu Muiioz Machado, S. 30 (Fn. 2), S. 95; Louis, L'ordre juridique, S. 50 ff., sowie Cape/li, S. 175, die in der Richtlinie heute eher ein Instrument zur Vereinheitlichung als zur Anpassung sehen. 56 Muiioz Machado, S. 95: "operaci6n automatica de trasposici6n". 51 Vgl. II. Kap. VIII.2.a.aa) (1). 58 Vgl. Baiio Le6n, S. 88 ff.

XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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zur Regelung des allgemeinen Interesses möglich ist, kann die staatliche Grundlagengesetzgebungskompetenz im Einzelfall Maßnahmen umfassen, die über eine bloße inhaltsgleiche Wiedergabe der Richtlinie hinausgehen 59 • Die Entscheidung der Frage, welche Maßnahmen im Rahmen einer Grundlagengesetzgebung notwendig sind, muß dem staatlichen Gesetzgeber auch bei gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien überlassen bleiben 60 • Der autonome Gesetzgeber ist allerdings auch bei der Durchführung einer Richtlinie nicht gehalten, zunächst die Grundlagen der Gesetzgebung des Staates in dem betreffenden Bereich abzuwarten 61 •

VI. Die administrative Durchführung des Gemeinschaftsrechts Die administrative Durchführung des Gemeinschaftsrechts besteht in der Beachtung der direkt anwendbaren Vorschriften, die sich in den Verträgen befinden und die öffentliche Verwaltung der Mitgliedstaaten betreffen (z. B. Art. 92, 93 EWGV) sowie in der Umsetzung der konkreten Normen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, unabhängig davon, ob letztere einer innerstaatlichen normativen Durchführung bedürfen oder nicht. Zur administrativen Durchführung sind im Fall der Betroffenheit einer administrativen statutarischen Durchführungskompetenz bzw. einer konkurrierenden Kompetenz die AG des Baskenlandes, Kataloniens, Andalusiens, von KastilienMancha, der Kanarischen Inseln und Madrids, die die volle Durchführungskompetenz bzgl. völkerrechtlicher Verträge in ihren Statuten verankert haben, wie aber auch die auf eine bloße administrative Durchführungszuständigkeit völkerrechtlicher Verträge beschränkten AG Asturien, Murcia, Navarra, Extremadura, die Balearen und Kastilien-Le6n berufen; letztere haben im Falle einer konkurrierenden Kompetenz, die durch das Gemeinschaftsrecht betroffen ist, infolge dieser Beschränkung nicht nur die staatliche Rahmengesetzgebung, sondern auch die staatliche Durchführungsgesetzgebung zu beachten. Alle dreizehn AG haben im Fall der Betroffenheit einer bloßen administrativen Durchführungskompetenz 62

Tornos Mas, Competencias, S. 300 f., bejaht diesen Fall bspw. für das Umweltrecht. Bafzo Leon, S. 90, insbes. Fn. 146. 61 Mufloz Machado, S. 104, unter Verweis auf die Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts (STC 32!1981 v. 28.7.1981, BJC 1981, S. 415,424 [II 6 in fme]), wobei die AG jedoch bei ihrer formellen und materiellen Gesetzgebung in jedem Fall nicht nur die unmittelbar aus der Verfassung ableitbaren Grundsätze, sondern auch die in den vorverfassungsrechtlichen Gesetzen enthaltenen Grundlagen- in einem materiellen Sinne defmiert- zu beachten haben. Vgl. weiter STC 1/1982 v. 28.1.1982, BJC 1982, S. 117, 125 (II 1). 62 Rein administrative Zuständigkeiten sind in den Statuten insbes. in folgenden Art. normiert: Art. 12, Art. 18 Abs. 2 lit. b, Abs. 3, 4 Est. PV.; Art. 11, Art. 17 Abs. 2 lit. b, Abs. 3, 4 Est. cat.; Art. 17, Art. 20 Abs. 2 lit. b, Abs. 3 und 4 Est. and.; Art. 36 Abs. 2 Est. arag.; Art. 33 Est. C.-L.M.; Art. 33 Est. I.C.; Art. 49 Abs. 2, Art. 54 Abs. 1 59

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im Rahmen des Erlasses von Verwaltungsvorschriften etc. die Gesetze und Gesetzesverordnungen zu beachten, die in Durchführung des Gemeinschaftsrechts vom Zentralstaat erlassen werden. Neben der verwaltungsmäßigen Durchführung sind diese dreizehn AG auch für die verwaltungsmäßige Kontrolle und Überprüfung sowie für den Erlaß von organisatorischen Verwaltungsvorschriften zuständig 63 • Im spanischen Schrifttum wird prognostiziert, daß auch ein überwiegender Teil der administrativen Durchführungstätigkeit nicht den AG, sondern vielmehr dem Zentralstaat obliegen wird. Dies wird zum einen mit der im Gegensatz zu Art. 83 ff. GG bloß auf einzelne Bereiche bezogenen Durchführungskompetenz der AG begründet, welche sich aus dem der spanischen Verfassung zugrundeliegenden System der Kompetenzverteilung ergebe, und dem Zentralstaat einen weiten Spielraum ausschließlicher administrativer Durchführungskompetenzen überlasse, wie auch mit dem Umstand, daß das spanische Verfassungsgericht 64 von einer weiten administrativen Kompetenz des Zentralstaats insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung der Einheitlichkeit der Rechtsstellung der Bürger hinsichtlich der grundlegenden Aspekte ausgehe 65 • Gleichwohl ist eine gewisse administrative Durchführungszuständigkeit in der innerstaatlichen spanischen Rechtsordnung und damit auch für das Gemeinschaftsrecht zu bejahen, die sich angesichts der expandierenden Kompetenzen der Gemeinschaften in der Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik 66, also Gebieten, auf denen die AG wichtige Kompetenzen besitzen, noch erweitern wird 67 • Allerdings führt die vom Verfassungsgericht in seinem bereits zitierten Urteil vom 20.Dezember 1988 68 getroffene Feststellung einer Vollzugsbefugnis des Staates allein infolge seiner Zuständigkeit für den Außenhandel bzw. die staatliche Grundlagengesetzgebung über die wirtschaftliche Planung zu der Frage, ob bei lit. b und Abs. 2, Art. 58 L.O.Nav.; Art. 12 Est. ast.; Art. 12 Est. mure.; Art. 9 Est. ex.; Art. 12 Est. I.B.; Art. 28 Est. madr.; Art. 28 Est. C.L. 63 Vgl. Mangas Martin, S. 270 ff.; abweichend diejenigen Autoren, die aufgrundeiner impliziten Kompetenz die AG neben der legislativen auch zur administrativen Durchführung des Gemeinschaftsrechts als zuständig ansehen, soweit eine ihrer materiellen Kompetenzen durch das Gemeinschaftsrecht inhaltlich betroffen ist: vgl. Bano Le6n, S. 92. 64 Vgl. STC 1/1982 v. 28. 1.1982, BJC 1982, S. 117, 127f. (li 6); STC 42/1983 v. 20.5.1983, BJC 1983, S. 718, 723 (II 2 in fine). 65 Vgl. Bano Le6n, S. 93 66 Indirekt enthalten Art. 12 lit. b Est. ast., Art. 12 Abs. 2 Est. mure., Art. 41 Est. L.O.Nav., Art. 9 Nr. 1 Est. ex., Art. 12 Nr. 1 Est. I.B. sowie Art. 28 Nr. 7 Est. C.L. eine Ermächtigung der Exekutive, indem diese für die bloße Anwendung und Kontrolle sowie für den Erlaß organisatorischer Verwaltungsvorschriften zuständig erklärt wird. Die Durchführung erfolgt in diesen, auf eine rein administrative Durchführungszuständigkeit beschränkten AG im Rahmen der staatlichen Durchführungsgesetze und Gesetzesverordnungen. 67 Bano Le6n, S. 93 68 STC 252/1988 v. 20.12.1988, BOE Nr. 11 (Supl.), S. 39, 43 ff. (II 2 u. 3).

XVIII. Kap.: Die Durchführung durch die Autonomen Gemeinschaften

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Zugrundelegung eines derartig weiten teleologischen Kriteriums eine Gemeinschaftsnorm überhaupt von den AG ausgeführt werden kann. Wenn man der Argumentation des Verfassungsgerichts folgt, wird man nämlich zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß sich eine autonome Kompetenz bspw. bezüglich Landwirtschaft, Gesundheit oder Binnenhandel fast immer mit der Zuständigkeit des Zentralstaates für den Außenhandel bzw. die Grundlagengesetzgebung über die wirtschaftliche Planung überschneidet. Bei einer entsprechenden Anwendung dieser Kriterien im Bereich der legislativen Kompetenzverteilung würde zudem die ohnehin begrenzte einschlägige autonome Implementationskompetenz leerlaufen. Das Gericht hat allerdings den Staat und die AG auf die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwecks besserer Umsetzung der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Verpflichtungen hingewiesen. Man kann jedoch dem Gericht vorwerfen, mit seiner extensiven Auslegung der einschlägigen staatlichen Kornpelenztitel nicht zur Herstellung einer solchen einvernehmlichen Kooperation beigetragen zu haben 69 •

VII. Der Vorbehalt des Gesetzes Ebenso wie für den Zentralstaat stellt sich auch für die AG die Frage, auf welcher Stufe der innerstaatlichen Normenherarchie die innerstaatliche Umsetzung zu erfolgen hat, womit gleichzeitig das jeweils zuständige Organ für den Erlaß der Umsetzungsregelungen zu bestimmen ist. Diejenigen Statute, in denen sich eine Regelung über die Durchführung und Anwentlung der Verträge und Akte internationaler Organisationen befindet, regeln zumeist nur in allgemeiner Weise die Zuständigkeit der AG für diese Aufgabe, ohne eine Zuständigkeit des im Einzelfall berufenen Organs, also des Parlaments oder der Exekutive, festzulegen 70• Mithin ist nur eine Regelung über die Verbandskompetenz, nicht aber über die Organkompetenz getroffen worden. Die Bestimmung des normativen Ranges der innerstaatlichen Durchführungsvorschriften und damit des in den AG zuständigen Organs hat in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Normen zu erfolgen. Zwar anerkennt die Verfassung mit dem Eintritt Spaniens in die EG die volle Gültigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung sowie die Wirkungen der gemeinschaftsrechtli69 Baflo Le6n, Das Gemeinschaftsrecht in der spanischen Rechtsordnung (unveröffentlichter Vortrag anläßlich der Tagung des AEI über "Die Süderweiterung der Gemeinschaft - eine kritische Bestandsaufnahme"), vgl. hierzu den Tagungsbericht von Blanke I Wellmann, DVBI. 1989, S. 916. 10 Ohne jede diesbezügliche Regelung sind damit die Statute des Baskenlandes, Kataloniens, Andalusiens, von Kastilien-Mancha, der Kanarischen Inseln und Madrids.

318

5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

eben Rechtsakte im innerstaatlichen Bereich. Wenn die Gemeinschaftsrechtsordnung ein normatives Tätigwerden des Staates bzw. der AG erforderlich macht, kann dies aber nur unter Beachtung der innerstaatlichen Organisationsvorschriften geschehen. Damit ist im Rahmen der Implementation des Gemeinschaftsrechts der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes zu beachten: Soweit das Gemeinschaftsrecht Materien betrifft, die dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, ist ein innerstaatliches Gesetz zur Durchführung des Gemeinschaftsrechtsaktes notwendig, so daß auch im Bereich der diesbezüglichen Zuständigkeiten der AG ein gesetzgeberisches Tätigwerden der autonomen Parlamente gefordert ist 71 • Wenn hingegen die Durchführung des Gemeinschaftsrechts den Erlaß bloß ergänzender, bspw. die verwaltungsmäßige Durchführung betreffende Regelungen erfordert, die nicht dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, können die notwendigen Regelungen von der Exekutive erlassen werden 72 • Die lmplementation des Gemeinschafts71 Die Geltung dieses Grundsatzes für die AG hat das VerfG (STC 37/1981 v. 16. 11. 1981, BJC 1981 S. 491, 502 [li 2]) für den Fall einer Kompetenzaufteilung bzgl. einer Materie zwischen Staat und AG (Grundlagengesetzgebung- Ausführungsgesetzgebung) ausdrücklich festgestellt:" Die Interpretation des Art. 53 der Verfassung ist im Gesamtzusammenhang dieser Verpflichtung dahingehend vorzunehmen [ . .. ], daßobwohl die Regelung der im zweiten Kapitel des ersten Titels der Verfassung anerkannten Rechte und Freiheiten immer eine Norm mit Gesetzesrang verlangt - diese Norm nur von den Cortes Generales erlassen werden kann, soweit sie die Grundbedingungen betrifft, die die Gleichheit aller Spanier bei der Ausübung ihrer Rechte berühren und die in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Verpflichtungen ergehen. Sofern die gesetzliche Norm, auch wenn sie Auswirkung auf die Ausübung dieser Rechte hat, die grundlegenden Bedingungen dieser Ausübung nicht betrifft, kann sie von den Autonomen Gemeinschaften, deren Statute eine gesetzliche Zuständigkeit bzgl. einer Materie vorsehen, erlassen werden, selbst wenn die Regelung notwendigerweise mehr oder weniger die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte betrifft". Bzgl. des Vorbehalts des Gesetzes in der spanischen Rechtsordnung hat das Verfassungsgericht (STC 83/1984 v. 24. 7. 1984, BJC 1984 S. 1096 [li 4]) ausgeführt, dessen letzter Sinn bestehe darin sicherzustellen, daß die Regelung der Freiheitsbereiche der Bürger ausschließlich vom Willen ihrer Repräsentanten abhänge, weshalb solche Bereiche einem Zugriff der Exekutive und folglich einem entsprechenden Normerlaß in Form von Gesetzesverordnungen (normas con rango de ley) verschlossen seien. Dieser Grundsatz schließe selbstverständlich nicht die Möglichkeit aus, daß die Gesetze Verweise auf ausführende Verordnungen enthielten, wobei sich diese aber stets im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten müßten. Zur Bedeutung des "Vorbehalts des Gesetzes" in der deutschen und spanischen Grundrechtsdogmatik vgl. einerseits Denninger, REDC 16 (1986), S. 12 ff., und andererseits Sommermann, Der Schutz der Grundrechte, s. 144 ff. 72 Vgl. Bano Le6n, S. 83 f., inbes. Fn. 129; Santoallala Gadea, S. 482 ff.; im Ergebnis ebenso Molinadel Pozo, Manual, S. 563 f. Zwar können gemeinschaftsrechtliche Regelungen, soweit sie unmittelbar anwendbar sind, dem Vorbehalt des Gesetzes genügen, jedoch enthalten sie keine Ermächtigung an die nationale Exekutive, die innerstaatliche Durchführung mit Hilfe von Gesetzesverordnungen im Sinne des Art. 82 CE (Normen mit Gesetzesrang = normas con rango de ley) vorzunehmen, soweit die betreffende Materie nach der innerstaatlichen Rechtsordnung dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt: vgl. Munoz Machado, S. 94, Fn. 86, S. 228; Santoallala Gadea, S. 484 ff., insbes. S. 486490.

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

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rechts ist damit grundsätzlich- d. h. unabhängig von den innerstaatlichen Durchführungszuständigkeiten- dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes unterworfen, der nicht nur in der Verfassung, sondern auch in den Autonomiestatuten normiert ist. Eine Ausnahme wird nur dann zugelassen, wenn die Beachtung dieses innerstaatlichen Grundsatzes die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechtsaktes verhindert: in diesem Fall soll die Gemeinschaftsrechtsordnung Vorrang vor dem innerstaatlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genießen 73 • Der Gefahr einer ineffektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts wegen der Notwendigkeit einer formell-gesetzlichen Regelung kann mit Hilfe von Gesetzesermächtigungen begegnet werden, die, ohne materielle Regelungen oder "Grundlagenregelungen" zu enthalten, in Form einer bloßen Bezugnahme auf den Inhalt des Gemeinschaftsrechts die Exekutive zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts mit Hilfe von Gesetzesverordnungen bzw. anderen exekutiven Normen autorisieren 74 • Eine solche Ermächtigung durch die Parlamente der AG wird nur für diejenigen Statute als notwendig angesehen, die keinerlei Bestimmungen über das zuständige Organ für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts beinhalten, da insoweit ansonsten eine statutarische Ermächtigung an die Exekutive bereits ergangen ist. Die diesbezüglichen Bestimmungen der Statute Asturiens, Murcias, Navarras, Extremaduras, der Balearen, sowie Kastilien-Le6ns werden dementsprechend mit Art. 82 bis 84 CE als vereinbar angesehen 75 •

XIX. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die italienischen Regionen I. Die Entwicklung einer Regionalbeteiligung in der deszendierenden Phase Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Italien gab im Zusammenhang mit der Regionalisierungsphase zu Beginn der siebziger Jahre Anlaß zu der Frage, ob es den Regionen auf den Sachgebieten ihrer gesetzgebensehen Zuständigkeit zusteht, Durchführungsbestimmungen bezüglich der völkerrechtlichen Verträge des Staates zu erlassen, oder ob diese Tätigkeit den zentralen Organen des Staates vorbehalten ist.

74

Vgl. Bafio Leon, S. 84. Vgl. Mufioz Machado, S. 94, Fn 86; im Ergebnis ebenso Molinadel Pozo, Manual,

75

Mangas Mart[n, S.

73

s. 564.

266.

320

5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Art. 17 lit. a des Regionalfinanzgesetzes vom 16. Mai 1970 1, in dem die Regierung mit der Übertragung der Befugnisse auf die Regionen beauftragt wird, sieht vor, daß dem Staat auf den übertragenen Sachgebieten die ,,Funktion der Lenkung und Koordinierung jener Tätigkeiten der Regionen vorbehalten bleibt, soweit dies die Einheitlichkeit der Rechtsordnung erfordert, vor allem im Hinblick auf die Zielsetzungen des staatlichen Wirtschaftsprogramms und die völkerrechtlichen Verpflichtungen". Zudem bestimmt das Überleitungsdekret Nr. 11 vom 15. Januar 1972 2 , daß die Zuständigkeiten der nationalen Organe für die völkerrechtlichen Beziehungen und diejenigen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Art. 4lit. ades Dekrets Nr. 11) sowie fürdie Durchführungder Verordnungen, Richtlinien und sonstigen Erlasse der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hinsichtlich der Preise und der Märkte, des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und der Agrarstruktur (Art. 4 lit. b des Dekrets Nr. 11) unberührt bleiben. Diese Ausgrenzungen sind in der Lehre kritisiert worden, da sie "in eindeutigem Widerspruch" zu Art. 117 CI stünden 3, bzw. "dem Sinn und Zweck" des Art. 17 lit. a des Regionalfinanzgesetzes nur "wenig gerecht" 4 würden. Denn die Anwendung des Gemeinschaftsrechts bedeute verwaltungsmäßigen Vollzug und sei damit qualitativ verschieden von der Ausübung einer Lenkungs- und Koordinierungsfunktion. Das italienische Verfassungsgericht hat hingegen die Verfassungswidrigkeit von Art. 17 lit. a des Regionalfinanzgesetzes unter Berufung auf die Erfordernisse der Einheitlichkeit ebenso vemeint 5 wie die Verfassungswidrigkeit der Überleitungsdekrete6. Im zuletzt zitierten Urteil führt das Gericht aus, zur Begründung Gesetz Nr. 281 v. 16.5.1970, G. U. v. 22.5.1970, Nr. 127. G. U. v. 19.2.1972, Nr. 46: Übertragung der Zuständigkeiten für Landwirtschaft und Forsten auf die Regionen. 3 Vgl. Pocar, Die Beziehungen, S. 155. 4 Tomuschat, Die Verwaltung 6 (1973), S. 184. s Urteil Nr. 39 v. 4.3.1971, in: Giur.cost. 1971, S. 182; vgl. Carretti, S. 269 f. 6 Urteil Nr. 142 v. 24. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1432 f.: ,,Jede Kompetenzverteilung bzgl. der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Normen, die zugunsten anderer Körperschaften als dem Vertragsstaat (der die Verantwortlichkeit für die Erfüllung gegenüber der Gemeinschaft übernimmt) erfolgt, setzt zu dessen Gunsten die Existenz von geeigneten Instrumenten zwecks Verwirklichung dieser Erfüllung auch angesichts der Untätigkeit einer insoweit für zuständig erklärten Region voraus. An Instrumenten solcher Art fehlt es in unserer Rechtsordnung; an ihre Stelle kann auch nicht die Lenkungszuständigkeit nach Art. 17 des Delegationsgesetzes treten, auf die im Fall einer Nichtbeachtung in keiner Weise zurückgegriffen werden könnte, da sie dem Staat keine Substitution bei der Ausübufl:g der Kompetenz nach einmal erfolgter Übertragung erlaubt. Deshalb besteht bis zu einer Anderung dieser Situation das einzige brauchbare Instrument zur Anhaltung der Regionen bei der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen in der Zuständigkeitsdelegation, die dem delegierenden Staat im Fall einer Nichterfüllung durch den Delegationsempfänger die Möglichkeit der Substituierung eröffnet". Vgl. hierzu Bassanini, Le Regioni, S. 148 f.; Gaja, RDIPP 1975, S. 218; Crisafulli, PD 1972, S. 687 ff. 1

2

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

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der Verfassungswidrigkeit der Dekrete genüge nicht der Hinweis auf Art. 189 Abs. 3 EWGV mit seinem Verweis auf die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten bezüglich der Wahl der Form und Mittel bei der Umsetzung der Richtlinien. Zur Begründung wird angeführt, daß die Zuweisung einer Kompetenz für die innerstaatliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zugunsten anderer Territorialkörperschaften als dem vertragsschließenden Staat die Existenz geeigneter staatlicher Maßnahmen voraussetze. Dies vor allem wegen der Verantwortlichkeit der nationalen Organe für die Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsnormen gegenüber der EG, weshalb eine vertragsgerechte Erfüllung auch im Fall regionaler Untätigkeit gewährleistet werden müsse. An entsprechenden Mitteln fehle es jedoch in der italienischen Rechtsordnung. Die Koordinierungsund Lenkungsfunktionen gern. Art. 17 lit. a des Regionalfinanzgesetzes seien dafür unzureichend, denn gegen die Nichtbeachtung der sich hieraus ergebenden Anweisungen gebe es keinerlei Abhilfe; der Staat könne nämlich, wenn er einmal Zuständigkeiten übertragen habe, diese nicht mehr anstelle einer anderen Körperschaft - hier der Regionen - ausüben. Solange diese Rechtslage sich nicht ändere, bestehe der einzig gangbare Weg für eine regionale Beteiligung bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in einer Delegation entsprecher Befugnisse durch den Zentralstaat, die regelmäßig mit einem Substitutionsrecht im Fall regionaler Durchführungssäumigkeit verbunden sei. Diese Argumentation des Verfassungsgerichts, die vom Gedankengut M ortatis stark geprägt ist 7 , verlagert damit ihren ursprünglichen Schwerpunkt von der Frage der materiellen Zuständigkeit des Staates für die völkerrechtlichen Beziehungen und damit auch der innerstaatlichen Durchführung der in diesem Rahmen entstandenen Verpflichtungen hin zu dem Problem der Funktionen der nationalen Organe bei der innerstaatlichen Durchführung. Das Verfassungsgericht erwähnt ausdrücklich die Lenkungs- und Koordinierungsfunktion des Staates und hält deren Ergänzung um einen weiteren Mechanismus zwecks Sicherstellung der Durchführung für erforderlich. Die Vorrangstellung des Staates für die völkerrechtlichen Beziehungen und die innerstaatliche Durchführung soll damit unberührt bleiben, jedoch wird eine Änderung der Art und Weise seiner diesbezüglichen Aktivitäten im innerstaatlichen Bereich erwogen 8 • Damit wollte das Verfassungsgericht einen Ausweg 9 aus dem in der italienischen Verfassung angelegten Mißstand weisen, daß diese zwar eine beachtliche Zahl geeigneter Instrumentarien angibt, um die Beachtung der in ihr enthaltenen regionalen Kompetenzausübungsschranken sicherzustellen, sie aber kein Mittel zur Behebung einer etwaigen regionalen Untätigkeit bereithält. Dies war sowohl für die Konnextheorie als auch für die auf ihr beruhenden Delegationsgesetze von 1972 der eigentliche 1 Mortati, S. 941: ,,La situazione di conflitto dovrebbe risolversi a favore dello Stato per Ia supremazia ehe ad esso proviene dall' essere esponente delle esigenze unitarie". s Vgl. La Pergola, REDC 13 (1985), S. 27. 9 Urteil Nr. 142 v. 24. 7.1972, Giur.cost. 1972, S. 1432 ff.: " ... fino a quando tale situazione non venga modificata con il ricorso alle forme a cio necessarie . .." .

21 Blanke

322

5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Grund, dem Staat die innerstaatliche Durchführung von völkerrechtlichen Verträgen vorzubehalten 10• Das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts wird im Schrifttum als wenig überzeugend kritisiert. Es sei kaum möglich, der italienischen Verfassungsordnung Argumente zu entnehmen, die zu einer den Zentralstaat begünstigenden Änderung der Kompetenzverteilung allein zum Zwecke der Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen im allgemeinen- und damit auch solche gegenüber der EG im besonderen - führen könnten. Zwar seien die Regionen in dieser Hinsicht zur Beachtung der sich aus den völkerrechtlichen und damit auch gemeinschaftsrechtlichen Obliegenheiten ergebenden Begrenzung ihrer Zuständigkeiten verpflichtet, was jedoch nicht zwangsläufig die vollkommene Unzuständigkeit des regionalen Gesetzgebers auf den ihm überantworteten Gebieten nach sich ziehe. Auch die Ausführungen des Gerichts zur Unerheblichkeit des Art. 189 Abs. 3 EWGV für die nationale Kompetenzverteilungsordnung erschienen alles andere als überzeugend, da Art. 189 EWGV Ausdruck der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts sei. Dies gelte umso mehr, als ein bedeutender Teil der innerstaatlichen Durchführungsakte gemeinschaftsrechtliche Richtlinien betreffe, bei deren Zielverwirklichung die Mitgliedstaaten über eine Freiheit der "Form und der Mittel" verfügten11. Kritisiert wird darüber hinaus, daß die Argumentation des Gerichts fast ausschließlich auf der Hypothese einer evtl. regionalen Durchführungssäumigkeit beruht 12, ein Einwand, auf den im Rahmen der Bewertung der nachfolgenden einschlägigen Gesetzesänderungen noch zurückzukommen ist. Unstreitig ist auch unter den Kritikern dieser Rechtsprechung, daß die zuletzt referierte Entscheidung des Verfassungsgerichts eine Aufforderung an den Gesetzgeber darstellte, nach Lösungen zu suchen, die eine unnötige Beschränkung der Regionalautonomie - wie infolge der Überleitungsdekrete- vermeiden 13, wobei teilweise sogar die Ansicht geäußert wird, das Verfassungsgericht habe bei seinem Diktum über die Verfassungsmäßigkeit der Dekrete im Grunde Zweifel im Hinblick auf deren Vereinbarkeil mit der innerstaatlichen Kompetenzverteilung gehegt 14 . In der Tat ist dann auch eine gewisse Erweiterung der regionalen Zuständigkeit in den nachfolgenden Gesetzen zu finden, in denen legislative Befugnisse auf die Regionen mit Normalstatut übertragen wurden, beginnend mit dem Gesetz Nr. 153 vom 9. Mai 1975 15 über die Anwendung der Richtlinien des Rates der EG zur Reform der Landwirtschaft. Bassanini I Caretti, DA 191 (1981), S. 247 f. Pocar, Die Beziehungen, S. 156. 12 Bassanini I Caretti, ebd., S. 247 f. 13 Bassanini I Caretti, ebd., S. 248; La Pergola, ebd., S. 28; Pocar, ebd., S. 159. 14 Bassanini I Caretti, DA Nr. 191 (1981), S. 248. 15 G. u. V. 26.5.1975, Nr. 137. 10 11

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

323

Beschränkte sich dieses Gesetz noch auf die Ermächtigung der Regionen mit Normalstatut zur gesetzlichen Durchführung einzelner enumerativ aufgezählter Richtlinien 16 unter Einhaltung der vom Staat zuvor aufgestellten Grundsatzgesetze 17, so wurde in dem darauffolgenden Gesetz Nr. 382 vom 22. Juli 1975 18 diese bisherige sektorale Lösung auf sämtliche in die Zuständigkeit der Regionen fallenden Gebiete mit Gemeinschaftsrechtsbezug ausgedehnt. Zugleich wurde die Regierung ermächtigt, neue Dekrete zur Vervollständigung der Übertragung von Befugnissen an die Regionen mit Normalstatut zu erlassen, darunter auch Befugnisse, welche die Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte betreffen. Gemäß Art. 1 Abs. 3 Nr. 5 dieses Gesetzes sollen die Regionen zur "Durchführung"19 von Verordnungen in umfassender Weise ermächtigt werden, während hinsichtlich der Durchführung von Richtlinien das Erfordernis einer vorherigen Rezeption durch ein nationales Gesetz formuliert wurde, das die Grundsatzgesetze enthält 20. Die Regionen werden insoweit nicht aufgrund einer primären und ungeteilten Kompetenz, sondern lediglich im Rahmen einer innerstaatlichen Kompetenzverteilung bzgl. der Durchführung des Gemeinschaftsrechts mit regionaler Ingerenz für zuständig erklärt, wobei den nationalen Organen die Verabschiedung eines Rezeptionsgesetzes im Hinblick auf EG-Richtlinien obliegt. Dieses enthält sowohl Grundsatznormen als auch Ergänzungsnormen; die die Details regelnden Ergänzungsnormen können von der Region in einem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren durch eigene regionale Gesetze unter Beachtung der Grundsatznormen ersetzt werden 21 . Beim Erlaß der staatlichen Grundsatznormen soll es sich jedoch nicht um eine Grundsatzgesetzgebung im eigentlichen Sinne handeln, da abweichend hiervon eine strikte Bindung des Staates an den Inhalt der Gemein16 Betreffend Richtlinien Nr. 159, 160, 161 v. 17.4. 1972. 11

Diese werden in Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 153 ausdrücklich angegeben.

18 G. U. v. 20.8.1975, Nr. 220. 19 Das Gesetz spricht von der gesetzlichen "Durchführung" (attuazione) von Verord-

nungen, obwohl diese im Normalfall einer solchen Durchführung nicht bedürfen: vgl. Crisafulli, Lezioni II, 1, S. 117. 2o Art. 1 Abs. 3 Nr. 5 des Gesetzes Nr. 382 sieht vor: "[ ... ] Auf den Gebieten, die Art. 117 der Verfassung aufführt, sind den Regionen Verwaltungsfunktionen im Hinblick auf die Durchführung von Verordnungen der EWG und ihrer Richtlinien zu übertragen, die sich der Staat durch ein Gesetz zu eigen gemacht hat, in dem die Grundsatzgesetze angegeben sind und in denen überdies vorzusehen ist, daß in Ermangelung des Regionalgesetzes die staatliche Norm bzgl. sämtlicher Bestimmungen einzuhalten ist. Der Ministerrat besitzt bzgl. der jeweiligen Materie die Möglichkeit, nach vorheriger Beratung mit der Parlamentskommission für regionale Fragen sowie nach Anhörung der beteiligten Region im Fall einer festgestellten Untätigkeit der regionalen Organe, die zu einer Nichterfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen führt, dieser eine Frist für den Erlaß der erforderlichen Normen zu setzen sowie nach Verstreichen dieser Frist die diesbezüglichen Vorschriften anstelle der Regionalverwaltung zu erlassen." 21 Vgl. hierzu Bassanini I Caretti, ebd., S. 244: "konkurrierende regionale Gesetzgebungskompetenz"; La Pergola, ebd., S. 14 f., der allerdings vom Fortbestehen einer vorrangigen Kompetenz des Staates ausgeht.

21•

324

5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Schaftsrichtlinie besteht. Ihre Aufgabe wird in der Sicherstellung einer einheitlichen Ausführung der EG-Richtlinien durch die regionalen Organe infolge einer entsprechenden Konzentrationswirkung durch das Handeln der staatlichen Organe gesehen 22 • Die Evaluierung des Erfordernisses der Einheitlichkeit obliegt dabei nach der dauernden Rechtsprechung des Verfassungsgerichts den Organen des Zentralstaates 23. In Art. 1 Abs. 3 Nr. 5 desselben Gesetzes wird zum ersten Mal geregelt, daß den Regionen bei Betroffenheit einer ihrer Kompetenzen i. S. d. Art. 117 CI durch das Gemeinschaftsrecht auch die entsprechenden Verwaltungsaufgaben hinsichtlich der Ausführung des Gemeinschaftsrechts zu übertragen sind. Schließlich ist ein Substitutionsverfahren des Staates bei Untätigkeit der regionalen Verwaltungsorgane vorgesehen. Diese Substitutionsbefugnis darf nur bei vorheriger Konsultation der Parlamentarischen Kornmission für Regionalfragen und nach vorheriger Anhörung der betroffenen Region ausgeübt werden. Unter vollinhaltlicher Wiederholung des Wortlauts des Delegationsgesetzes, also ohne weitere Präzisierung 24, beschreibt Art. 6 des D.P.R. Nr. 616 vorn 24. Juli 1977 25 , der wegen seiner Bedeutung hier wörtlich zitiert werden soll, die Befugnisse der Regionen im Rahmen der Umsetzung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts wie folgt: "Auf jedem in diesem Dekret bezeichneten Sachgebiet werden den Regionen auch die Verwaltungsbefugnisse bezüglich der Verordnungen der EWG sowie die Durchführung ihrer Richtlinien übertragen, die sich der Staat durch ein Gesetz zu eigen gemacht hat, in dem ausdrücklich die Grundsatzgesetze angegeben sind. In Ermangelung des Regionalgesetzes ist dasjenige des Staates mit seinen sämtlichen Bestimmungen einzuhalten. Bei festgestellter Untätigkeit der regionalen Organe, die eine Nichterfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zur Folge hat, kann die Regierung der Republik mit einem Beschluß des Ministerrats und auf ein entsprechendes Gutachten der Parlamentskommission für regionale Fragen hin nach Anhörung der betreffenden Region eine angemessene Frist für die Erledigung vorschreiben. Wenn die Untätigkeit der regionalen Stellen nach Ablauf dieser Frist anhält, kann der Ministerrat die erforderlichen Maßnahmen anstelle der Regionalverwaltung treffen." Ähnliche Lösungen zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien wurden in anderen gesetzlichen Bestimmungen im Hinblick auf die Regionen mit Sonderstatut und die Provinzen Trient und Bozen getroffen: zu erwähnen sind hier insbesondere das Gesetz Nr. 153 vorn 9. Mai 1975 26, das Gesetz Nr. 352 22 La Pergola, ebd., S. 16, 38, 39, der von einer "alternativen" konkurrierenden Gesetzgebung des Staates bzgl. der staatlichen Grundsatznorm spricht. Vgl. diesbzgl. auch Art. 9 Abs. 5 des Gesetzes 86/1989 v. 9.3.1989, Gazzetta Ufficiale Nr. 58!1989. 23 Vgl. Urteil Nr. 39 v. 4.3. 1971, Giur.cost. 1971, S. 182 ff. 24 Die Kommission Giannini hatte nahegelegt, zumindest eine Frist zu setzen, innerhalb deren der Staat verpflichtet sein sollte, die Grundsatzbestimmungen für die Durchführung einer jeden Richtlinie zu erlassen: vgl. Pocar, ebd., S. 157. 25 G. U. v. 29.8.1977, Nr. 234 (Anhang).

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

325

vom 10. Mai 1976 27 und das Gesetz Nr. 584 vom 8. August 1977 28 • In jeder dieser Bestimmungen ist auch für die Regionen mit Sonderstatut ein Substitutionsrecht des Staates im Fall der Nichtdurchführung aufgrundeiner Untätigkeit der regionalen Verwaltungsorgane sowie der vorherige Erlaß eines staatlichen Rezeptionsgesetzes vorgesehen, in dessen Rahmen die regionalen Gesetzgeber die EGRichtlinie durchzuführen haben. Die durch diese Gesetze teilweise erfolgte Gleichbehandlung des Gesetzgebers einer Region mit Sonderstatut mit dem Gesetzgeber einer Region mit Normalstatut stieß wegen der diesbezüglichen Undifferenziertheit der Ausgestaltung der regionalen Kompetenzsphäre im Schrifttum auf Bedenken. Die Gesetze 153/ 1975 und 584/1977 beinhalten nämlich Umsetzungsmodalitäten, die den Bestimmungen des Art. 6 des D .P.R. 616 I 1977 entsprechen. Mithin enthält das staatliche Rezeptionsgesetz auch in diesen Fällen sowohl Grundsatzbestimmungen als auch die detaillierten Ausführungsbestimmungen, wobei bezüglich der letzteren eine Ersetzungsbefugnis im Rahmen der von den Sonderstatuten festgelegten Schranken 29 bzw. im Rahmen der sich aus Art. 117 CI ergebenden Schranken 30 besteht. Schließlich wurden dann jedoch die Regionen mit Sonderstatut sowie die autonomen Provinzen Trient und Bozen durch Art. 13 des Gesetzes Nr. 183 vom 16. Apri11987 generell ermächtigt, im Bereich ihrer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen die Richtlinien ebenso wie bereits zuvor die Verordnungen unmittelbar- d.h. ohne Zwischenschaltung eines staatlichen Rezeptionsgesetzesumzusetzen, wobei sie die Schranken der nationalen Gesetze, wie sie sich aus der Verfassung und den Sonderstatuten ergeben, zu beachten haben. Eine Ersetzungsbefugnis ist nur für den Fall vorgesehen, daß eine Region mit Sonderstatut 26 G. U. v. 26.5.1975, Nr. 137, betreffend die Durchführung der Richtlinie Nr. 159, 160 und 161 v. 17.4.1972. 27 G. U. v. 4. 6.1976, Nr. 146, betreffend die Durchführung der Gemeinschaftsrichtli-

nien über die Landwirtschaft im Gebirge und in einigen benachteiligten Gegenden (Richtlinie Nr. 268 v. 28.4. 1975). 28 G. U. v. 26.8.1977, Nr. 232, betreffend die Durchführung der Richtlinie der Gemeinschaft über die Vergabeverfahren von öffentlichen Unternehmen. 29 Vgl. Art. 2 des Gesetzes 153/1975. 30 Vgl. Art. I des Gesetzes 584/1977.lm Urteil Nr. 86 v. 26. 7.1979, Giur.cost. 1979, S. 646 ff., hat das VerfG die Beschwerde der Regionen Friaul-Julisch Venetien und Sizilien, die die Rechtmäßigkeit der durch Art. I erfolgten Gleichstellung mit den Regionen mit Normalstatut bestritten, für begründet und diese Regelung insoweit für rechtswidrig erklärt, als die Regionen mit Sonderstatut bei der Durchführung der betreffenden Gemeinschaftsrichtlinien verpflichtet werden, "im Sinne von Art. 117 Abs. 1 CI vorzugehen". Der Hinweis auf diesen Artikel sei nur bei den Regionen mit Normalstatut zulässig; vgl. zu diesem Urteil Bardusco, S. 75 ff., u. Bassanini I Caretti, DA 191 (1981), S. 246, die jedochtrotzdieses Erfolges der Regionen mit Sonderstatut davon sprechen, daß eine fortschreitende Assimilierung der ausschließlichen Kompetenzen der Regionen mit Sonderstatut an die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz der Regionen mit Normalstatut stattfinde, wobei das Gericht sich auf die formale Feststellung beschränke, daß durch die Notwendigkeit der Beachtung des die Richtlinie reproduzierenden Rezeptionsgesetzes keinerlei neue Beschränkung auferlegt werde; vgl. auch Pocar, Die Beziehungen, S. 158 f.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

kein regionales Umsetzungsgesetz erläßt. Im Gegensatz zu den vorherigen staatlichen Normen über die Durchführung von Gemeinschaftsrichtlinien durch Regionen mit Sonderstatut berücksichtigt somit diese Regelung die bestehenden qualitativen Unterschiede zwischen den beiden Regionaltypen 31• Im Falle einer fehlenden legislativen Durchführung oder administrativen Anwendung durch die Regionen werden die staatlichen Organe stets im Wege der Substitution tätig 32• Die Ermächtigung der Regionen zur unmittelbaren Anwendung der Gemein-

schaftsverordnungen impliziert, soweit diese ausführungsbedürftig sind, auch die

Befugnisse zum Erlaß der notwendigen normativen Regelungen 33 •

II. Kritik der "Regionalisten" Die beschriebene Entwicklung einer regionalen Beteiligung in der deszendierenden Phase macht den Versuch der staatlichen Legislativorgane deutlich, die Anerkennung der Regionalautonomie mit der Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen 34 • Die geltende Konzeption der Durchführung des Gemeinschaftsrechts ist auf dem Hintergrund des Bestrebens zu deuten, den Staat vor dem Risiko einer völkerrechtlichen Haftung zu schützen. Deshalb wird den Regionen eine umfassende Kompetenz auch nur für diejenigen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte eingeräumt, die- wie die Verordnungeneine direkte Anwendung erfahren 35 • Was das nicht unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht - insbesondere die Richtlinien - angeht, so findet sich in den gesetzgebensehen Lösungen immer wieder die Feststellung der Zuständigkeit des Staates für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts. Zwar ist im Dekret 616/1977 ausdrücklich von einer "Übertragung" auch der Aufgaben betreffend die Durchführung des nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts die Rede, jedoch verschleiert diese Formulierungangesichts der gleichzeitigen Statuierung einer im Rahmen der Durchführung bestehenden Rechtspflicht der Regio31 Vgl. Art. 13 des Gesetzes 183/1987, Gazzetta Ufficiale Nr. 109/1987, bestätigt durch Art.9 Abs.1, 3 und 4 des Gesetzes 86/1989 v. 9. 3.1989, Gazzetta Ufficiale Nr. 58/1989; in diesem Sinne bereits zuvor das Gesetz Nr. 352/1976 (Fn. 27). Der Verfassungsgerichtshof hat im Urteil 81/1979, Giur.cost. 1979, S. 662, betreffend das Gesetz Nr. 352/1976, die Tatsache, daß allein die Regionen mit Normalstatut die EGRichtlinie auch unter Beachtung des staatlichen, über den Inhalt der Gemeinschaftsrichtlinie hinausreichenden Rezeptionsgesetzes auszuführen haben, die Regionen mit Sonderstatut hingegen nur an die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der Richtlinie gebunden sind, als verfassungsmäßig anerkannt. Diesbezüglich besteht jedoch eine gewisse Divergenz zum Urteil 86/1979, a. a.O.; vgl. Bassanini I Caretti, ebd., S. 246 f. 32 Vgl. Art. 9 Abs. 4 sowie- unter Bezugnahme auf DPR Nr. 616 v. 24.7. 1977Art. 11 des Gesetzes Nr. 86/1989 v. 9.3. 1989 (Fn. 31). 33 Caretti, S. 307. 34 Pocar, ebd., S. 159; La Pergola, REDC 13 (1985), S. 28 f. 35 Dies ergibt sich im Gegensatz zu den Bestimmungen des Gesetzes 382/1975 eindeutig aus Art. 6 des D.P.R. 616/1977.

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

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neo zur Beachtung der zuvor erlassenen nationalen Grundsatznormen nur den Umstand, daß die zentralstaatliche Zuständigkeit für die Grundsatzgesetzgebung auch auf diesem Gebiet aufrechterhalten und neuerlich behauptet werden sollte 36 • Dementsprechend gelangen die Verfechter der beschriebenen gesetzlichen Regelungen auch nur deshalb zu einer Verfassungskonformität, weil eine regionale gesetzgebensehe Tätigkeit - selbst im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Regionen mit Sonderstatut- in jedem Fall der nationalen, an den Erfordernissen der Einheitlichkeit ausgerichteten Gesetzgebung untergeordnet sei. Dies ergibt sich aus der regionalen Zuständigkeitsbegrenzung infolge der Verpflichtung zur Wahrung des Wohls des Staates 37 • Um eine der staatlichen Einschätzungsprärogative entsprechende Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, wird den Organen des Zentralstaates aber nicht nur diese Zuständigkeit vorbehalten, sondern auch eine Kompetenz zum Erlaß der Detailregelungen eingeräumt, von denen die Regionen zwar abweichen können, die aber gleichwohl das Ziel verfolgen, sie bei ihrer legislativen Durchführungstätigkeit zu beeinflussen 38 • Die Vertreter einer regionalfreundlichen Haltung im italienischen Schrifttum räumen ein, daß durch die numehr gefundene gesetzliche Lösung ein sachgerechtes und ausbalanciertes Verhältnis zwischen staatlichen und regionalen Kompetenzen gefunden worden sei, monieren aber zugleich verschiedene Prämissen, die den getroffenen gesetzgebensehen Entscheidungen zugrunde liegen. Nur schwerlich könne der italienischen Verfassungsordnung ein Argument dafür entnommen werden, daß eine verfassungsrechtliche Verpflichtung für eine Anpassung des nationalen Rechts an eine völkerrechtliche Vertragsverpflichtung bzw. eine sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Verpflichtung bestehe, von der der nationale Gesetzgeber ausgehe 39• Eine entsprechende Herleitung aus Art. 10 CI 40 stoße bereits wegen der tiefgreifenden Auswirkungen, die die Anerkennung einer solchen Verpflichtung für die allgemeinen Grundsätze der Verfassungsordnung bedeute, auf Bedenken. Diese Ausgangsthese erscheint allerdings aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive fragwürdig, da insoweit eine Verpflichtung für die staatlichen Organe aus Art. 5 EWGV, für die regionalen Organe aus derselben Vorschrift unter Zwischenschaltung des Art. 11 CI herleitbar ist 41 • 36 37

38

39 40

Vgl. Pocar, ebd., S. 160. La Pergola, ebd., S. 16 Vgl. hierzu Caretti, S. 305; Pocar, ebd.,S. 160. Vgl. Bassanini I Caretti, DA Nr. 191 (1981), S. 251. Vgl. zur diesbezüglichen Unergiebigkeit des Art. 10 CI bereits VII. Kap. 111.2.a)

bei Fn. 50. Die Behauptung der Existenz einer solchen bereits nach innerstaatlichem Recht bestehenden Verpflichtung beruht auf der dualistischen Tradition in der italienischen Rechtsordnung; denknotwendig ergibt sich aus ihr, daß die staatlichen Organe verpflichtet sind, eine Verletzung dieser Verpflichtung infolge Untätigkeit oder Säumigkeit zu verhindern: vgl. Bassanini I Caretti, ebd., S. 248 f. 41 Vgl. XXIV. Kap. I.

328

5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Auch unter dem Blickwinkel der innerstaatlichen Rechtsordnung erscheint eine Vollzugsverpflichtung der italienischen Regionen ohne weiteres mit Hilfe der Kompetenzausübungsschranke der "Verpflichtung zur Beachtung der völkerrechtlichen Verträge" begründbar42. Weiterhin argumentieren die "Regionalisten" im italienischen Schrifttum, das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Vorschrift über das Verhältnis von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht sowie die Beschränkung des nationalen Verfassungsrechts auf die Regelung von Vertragsabschlüssen entsprächen der traditionellen Trennung zwischen dem Abschluß einer völkerrechtlichen Vereinbarung auf intematioanler Ebene und deren innerstaatlichen Durchführung. Das Schweigen der Verfassung müsse aus verfassungshistorischer Sicht und dem verfassungsrechtlichen Kontext als Indiz dafür gewertet werden, daß insoweit das System der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung für die innerstaatliche Durchführungszuständigkeit maßgeblich sei und darüber hinaus alle mit der Ausübung der auswärtigen Gewalt in Zusammenhang stehenden Aspekte mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen über die Staatsorganisation in Einklang zu bringen seien 43. Die Kompetenz zur Erfüllung einer völkerrechtlichen bzw. gemeinschaftsrechtliehen Verpflichtung- einschließlich ihrer Modalitäten, insbesondere der Frage der Unverzüglichkeil und der Gemeinschaftskonformität der Durchführung richte sich nach der Logik des verfassungsrechtlichen Gesamtsystems, in das die Beziehungen zwischen den verschiedenen, im innerstaatlichen Bereich betroffenen Organe eingebettet seien, mithin nach den insoweit geltenden Verfassungsrechtsnormen. Daraus ergebe sich, daß alle innerstaatlichen Organe, ob nationaler oder regionaler Art, die durch eine völkerrechtliche oder gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung betroffen seien, diese im Rahmen ihres jeweiligen verfassungsrechtlich gewährleisteten Kompetenzbereiches zu beachten und die Erfüllung dieser Verpflichtung nach den allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten hätten. Was das Handeln der nationalen Organe angehe, so sei die Gewährleistung für die Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen durch die politische Verantwortung derselben sichergestellt; im Hinblick auf die Regionalautonomie ergebe sie sich zudem aus dem komplexen staatlichen Kontrollsystem über die Regionalautonomien. In diesem Sinne sei auch die Begrenzung der Regionalkompetenzen zu interpretieren, die dieseinfolge der Verpflichtung zur Beachtung völkerrechtlicher Verträ42 Vgl. ebd. 43 Bassanini I Caretti, ebd., S. 252: insbesondere sei die Beachtung des Grundsatzes

der Volkssouveränität bei Fragen zu berücksichtigen, die das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht berührten. Folglich gebe es kein Durchführungsmonopol der zentralstaatlichen Exekutive, sondern es sei auch auf nationaler Ebene die Legislative zu beteiligen.

XIX. Kap.: Die Durchführung durch die italienischen Regionen

329

ge des Staates erführen: sie dürfe nicht zu einer nachträglichen "Enteignung" der jeweiligen Regionalkompetenz aufgrund einer behaupteten Besonderheit der völker- oder gemeinschaftsrechtsrelevanten Materie führen, sondern nur eine Schranke bei der Ausübung der betroffenen Kompetenz darstellen, aus der sich ergebe, daß die völkerrechtliche Verpflichtung oder gemeinschaftsrechtliche Regelung zu beachten sei 44 • Im Gegensatz zu dieser verfassungsrechtlich gebotenen Kompetenzverteilung zwischen Staat und Regionen bei der innerstaatlichen Durchführung des Gemeinschaftrechts sehe das vom Gesetzgeber eingeführte System von einer vollständigen Übertragung von Aufgaben auf die Regionen bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts und damit von einer vollen Anerkennung der Autonomie sowohl der Regionen mit Normalstatut als auch derjenigen mit Sonderstatut ab. Die Frage, wie sich die Regionalautnomie mit dem Erfordernis vereinbaren lasse, die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen des Staates zu gewährleisten, sei also in einer Weise beantwortet worden, die keine volle Wahrung der Regionalautonomie bedeute 45 • Die Kritik richtet sich aber nicht nur gegen die Prämissen, die der gesetzlichen Konzeption zugrundeliegen, sondern auch gegen die den staatlichen Organen zur Sicherstellung der Einheitlichkeit zugewiesenen Funktionen. So stellt das die Grundsatz-, aber auch die Detailbestimmungen enthaltende Rezeptionsgesetz im Grunde nur einen legislativen Substitutionsmechanismus präventiver Art dar, der dazu geeignet ist, die regionalen Legislativkompetenzen auszuhöhlen, und zudem durch die Verdoppelung der innerstaatlichen legislativen Umsetzungsakte zu einer Verzögerung der Durchführung führt; damit erreicht man genau das, was gerade verhindert werden sollte. Der Erlaß eines staatlichen Rezeptionsgesetzes erweist sich zudem im Hinblick auf die zunehmende Detailliertheit der Richtlinien als überflüssig, da letztendlich in vielen Fällen nur eine Wiedergabe der Gemeinschaftsregelungen in einem nationalen Gesetz erfolgt 46 • Die Gemeinschaftsrichtlinie kann daher ohne weiteres an die Stelle der staatlichen Grundsatzgesetzgebung treten, mit der Folge, daß der autonome Gesetzgeber allein hieran bei der Umsetzung auf regionaler Ebene gebunden ist 47 • Ferner entbehrt die eingeführte präventive Substitution jeglicher verfassungsrechtlichen Grundlage 48 • Die sich hinter dem Instrument der ergänzenden Durchführung verbergende Annahme einer möglichen Untätigkeit der Regionen kann sich auf keine sie rechtfertigenden Anhaltspunkte stützen 49 • 44 Vgl. Bassanini I Caretti, ebd., S. 251 f. Zur Begrenzung der Regionalautonomie durch die sich aus den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Staates ergebende Schranke vgl. bereits die Ausführungen im VII. Kap. III. 2. c) im Zusammenhang mit der Darstellung der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in Italien. 45 Pocar, Die Beziehungen, S. 162. 46 Bassanini I Caretti, DA Nr. 191 (1981), S. 256. 47 D'Onofrio, DA Nr. 198 (1983), S. 14. 48 Caretti, S. 323 f.; D'Onofrio, ebd., S. 16.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

Schließlich widerspricht die Schaffung eines solchen Rezeptionsgesetzes, das in gewisser Weise mit derErteilungeines Ausführungsbefehls vergleichbar ist 5°, dem Art. 189 EWGV und dessen Auslegung durch den EuGH. Da die EGRichtlinien stets für die Mitgliedsländer verbindlich sind - und ausnahmsweise sogar für den Einzelnen unmittelbar verbindlich sein können- ist ein Rezeptionsgesetz schon deshalb unzulässig, weil weder den staatlichen noch den regionalen Organen eine Entscheidungs- und Einschätzungsbefugnis über das "Ob" und das "Wann" der Umsetzung zusteht. Die Verwirklichung des in einer Richtlinie vorgegebenen Ziels unter eigenständiger Auswahl der hierfür geeigneten Mittel kann aber ohne die Einschaltung des staatlichen Gesetzgebers den Regionen überlassen werden 5 1• Statt dessen reduziert die getroffene gesetzliche Regelung die legislative Entscheidungszuständigkeit der Regionen durch die Einführung einer Kompetenz der staatlichen Organe zum Erlaß der - im nachhinein ersetzbaren Detailregelungen auf ein Minimum. Deshalb stellt sich die staatliche Rezeptionsgesetzgebung gern. Art. 6 des D.P.R. 616/1977 auch nur formal als eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dar; im Grunde gleicht sie vielmehr der integrativ-fakultativen Gesetzgebungskompetenz i. S. d. Art. 117 Abs. 2 CJ52 • Das Verfassungsgericht, das sowohl mit einem Teil der Delegierungsgesetze von 1975 53 als auch mit einigen nachfolgenden Gesetzesdekreten 54 befaßt wurde, hat die Verfassungsmäßigkeit der getroffenen Regelungen gleichwohl bejaht. Dabei geht es weiterhin davon aus, daß die Kompetenz zur Durchführung von Gemeinschaftsnormen und völkerrechtlichen Verpflichtungen stets dem Staat obliegt. Dem Primat des Staates auf diesem Gebiet entsprächen die gesetzlichen Bestimmungen, die durch die Mechanismen der staatlichen Lenkung und Koordinierung in Form einer konkurrierenden Gesetzgebung sowie der staatlichen Substitution im Falle der regionalen Untätigkeit die Erfüllug der eingegangenen Verpflichtungen seitens des Staates sicherstellen könnten 55 • Aussichten, die geltende Gesetzeslage zu verändern, bestehen nur dann, wenn die Organe des Zentralstaates sich entschließen, den Ausgangspunkt dieser RegeBassanini I Caretti, ebd., S. 257. Caretti, S. 324: "qualcosa di analogo ad un ordine di esecuzione". 51 Bassanini I Caretti, ebd., S. 255 ff.; Caretti, S. 310 ff. Zur Kritik an der adminstrativen Substitutionsbefugnis des Staates vgl. XXIV. Kap. III. 52 Bassanini I Caretti, ebd., S. 257. 53 Urteil Nr.182 v. 22.7.1976 betr. Gesetz Nr. 153 v. 9. 5. 1975, Giur.cost. 1976, s. 1138 ff. 54 Urteile Nr. 81 v. 12. 7.1979, Giur.cost. 1979, S. 622; Nr. 86 v. 26. 7.1979, Giur.cost. 1979, s. 646. 55 Das Verfassungsgericht hat noch nicht dazu Stellung genommen, ob eine ähnliche Lösung auch bzgl. der Durchführung anderer völkerrechtlicher Verpflichtungen zulässig wäre, hatte hierzu allerdings aufgrund der recht eindeutigen Gesetzeslage (Art. 4 des D.P.R. Nr. 616/ 1977), die diesbezüglich einen Vorbehalt zugunsten des Staates normiert, auch noch keinen Anlaß - vgl. bereits VII. Kap. III.2.a); ferner Caretti, S. 326 f. 49

50

XX. Kap.: Die Durchführung durch die be1gischen Regionen

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lungen zu überdenken. Kleinere Änderungen, wie die Ermächtigung der Regionen zum unmittelbaren Erlaß der Durchführungsbestimmungen ohne Bindung an die zuvor erlassenen staatlichen Grundsatzbestimmungen, können das Problem einer stärkeren regionalen Beteiligung und einer umfassenderen Anerkennung ihres diesbezüglichen materiell-rechtlichen Kompetenzbereiches nicht lösen. Die offenkundige Verletzung der von der Verfassung garantierten Regionalautonomie ist nämlich nicht so sehr in der Beschränkung der regionalen Durchführungsbefugnis zu sehen, sondern in der bereits erörterten mangelhaften Beteiligung der Regionen an Entscheidungen, die der Staat auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts trifft 56•

XX. Kapitel

Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die belgiseben Gemeinschaften und Regionen I. Staatspraxis In allen Fällen mangelnder unmittelbarer Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts stellt sich auch für Belgien infolge des Föderalisierungsprozesses dieses Landes die Frage, welche staatlichen Organe für die Implementation der betreffenden Rechtsakte der EG in das nationale Recht zuständig sind. Da auch in der belgiseben Rechtsordnung keine explizite Normierung über die Zuständigkeit zur legislativen und administrativen Ausführung des Gemeinschaftsrechts vorhanden ist, kommt hier ebenfalls eine an der nationalen Kompetenzordnung orientierte Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Zentralstaat und den unterstaatlichen Einheiten in Betracht. Dabei liegt im Rahmen der dezentralisierten Durchführung der Schwerpunkt bei den belgiseben Regionen wegen der für diese festgestellten stärkeren gemeinschaftsrechtlichen Ingerenz.

II. Kritik Diese in der belgiseben Verfassungswirklichkeit auch praktizierte Lösung wird im Schrifttum teilweise befürwortet 1, teilweise aber auch im Hinblick auf die normative Durchführung einer kritischen Betrachtung unterzogen, die darauf 56

Pocar, Die Beziehungen, S. 163; vgl. auch Bassanini I Caretti, DA Nr. 191 (1981),

s. 159.

I Vgl. Hoebaer, CDE 19 (1983), S. 460 (passim); Colinet, CDE 16 (1980), S. 93; Melchior, Etudes et Expansion 1977, S. 609 f.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

hinausläuft, zwecks Vermeidung einer Verantwortlichkeit des belgiseben Staates wegen fehlerhafter oder nicht fristgerechter Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, für alle umsetzungsbedürftigen Rechtsakte der EG, soweit diese nicht in die Durchführungszuständigkeit der belgis~hen Gemeinschaften fallen, eine zentralstaatliche "Rahmengesetzgebung" einzuführen 2 • Eine Unterwerfung der Gemeinschaften unter eine solche "Rahmengesetzgebung" scheitert de lege lata daran, daß die Gemeinschaften im Gegensatz zu den belgiseben Regionen in Art. 59 bis, § 2 Abs. 1 Nr. 3 und § 2 bis Abs. 1 sowie in Art. 59 ter, § 2 Nr. 4 CB die Dekretierungsbefugnis auch für den Bereich der internationalen Zusammenarbeit auf den Gebieten ihrer materiellen Kompetenz besitzen, worunter auch die Durchführung des Gemeinschaftsrechts subsumiert wird 3 • Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich insofern nicht privilegierten Regionen wird die Zulässigkeil einer derartigen staatlichen "Generalimplementation" aus Art. 6 § 1, VI Abs. 3 SGRI 4 entnommen, wonach die Regionen im Rahmen ihrer Umwelt- und Wirtschaftspolitik die Regelungen der Verträge zur Gründung derEGoder die auf der Grundlage dieser Verträge erlassenen Regelungen zu beachten haben 5 • Darüber hinaus wird eine solche Zuständigkeit des Zentralstaates auch auf die entsprechende Anwendbarkeit des vom amerikanischen Supreme Court in der Rechtssache Missouri v. Holland entwickelten Rechsgedankens gestützt 6 , wonach eine Zuständigkeit des Staates zur Eingebung völkerrechtlicher Verbindlichkeiten auch in den Fällen zu bejahen ist, die außerhalb der Reichweite der Kompetenzen des Zentralstaates nach der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung liegen, sofern das Wohl der Gesamtnation dies unbedingt erforderlich macht 7 • Gleichwohl soll den Regionen damit nicht jegliche Durchführungszuständigkeit für das Gemeinschaftsrecht genommen werden. Den Organen des Zentralstaates wird in Anlehnung an die bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in der italienischen Rechtsordnung diskutierten Vorschläge8 eine Zuständigkeit nämlich nur für die "Minimalimplementation" des umsetzungsbedürftigen Gemeinschaftsrechts eingeräumt. Soweit der umsetzungsbedürftige Gemeinschaftsrechtsakt die regionale Kompetenzsphäre betrifft und im Rahmen der Umsetzung einen politischen Ermes.sensspielraum eröffnet, der von der staatlichen Primärumsetzungsmaßnahme noch nicht ausgeschöpft Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 272. Vgl. Lenaerts, ebd., S. 273/274. 4 Bis zur Reform des SGRI v. 8.8.1980 durch Änderungsgesetz v. 8.8. 1988 aus Art. 6 § 1, II Nr. 1 SGRI. 5 Vgl. Lenaerts, ebd., S. 271 f., 274. 6 Vgl. Lenaerts, ebd., S. 274 f. 1 252 U. S. Supreme Court 1920, 252 U. S. 416: "It ist obvious, that there may be matters of the sharpest exigency for the national wellbeing that an act of Congress could not deal with butthat a treaty followed by such an act could". Zu einer entsprechenden Bezugnahme des italienischen Verfassungsgerichts auf dieses Urteil vgl. VII. Kap. 111.2.b), Fn. 62; hierzu Donnarumma, S. 61 ff. s Vgl. VII. Kap. 111.2.c) bei Fn. 83. 2

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XX. Kap.: Die Durchführung durch die belgiseben Regionen

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ist, wird insoweit eine regionale Zuständigkeit bejaht. In deren "Genuß" sollen die Regionen aber nur dann kommen, wenn sie den jeweiligen Gemeinschaftsrechtsakt fristgerecht unter Beachtung aller gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse durchführen 9 • Dadurch werde bei einer evtl. Untätigkeit der Regionen in jedem Fall ein gesamtstaatlicher Mindeststandard im Hinblick auf den jeweiligen Umsetzungsbedarf gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte gewährleistet 10• Obgleich nicht zu verkennen ist, daß der Mangel einer unmittelbaren Kontrollund Einwirkungsmöglichkeit des Staates die fristgerechte und gemeinschaftsrechtskonforme Umsetzung der entsprechenden Rechtsakte gefährden kann und damit das Risiko einer Verantwortlichkeit des belgiseben Staates gegenüber der Gemeinschaft begründet, kann dem Vorschlag einer primären Durchführungszuständigkeit des Zentralstaates bezüglich aller, den regionalen Zuständigkeitsbereich betreffenden Gemeinschaftsrechtsnormen nicht gefolgt werden. Zum einen erscheint es wenig plausibel, allein die belgiseben Regionen einer solchen staatlichen "Rahmendurchführung" zu unterwerfen, die belgiseben Gemeinschaften aber unter Verweis auf ihre internationalen, vom Gesetzgeber jedoch nicht für die innerstaatliche Durchführung supranationalen Rechts konzipierten Zuständigkeiten hiervon auszunehmen. Auf welcher unsicheren Grundlage sich die Einführung derartiger staatlicher Implementationsmechanismen de lege lata bewegt, zeigt sich darüber hinaus daran, daß der in Bezug genommene Art. 6 § 1, VI Abs. 3 SGRI von einem Teil der Lehre in einem umgekehrten Sinne gerade dahingehend interpretiert wird, daß die Regionen in jedem Fall für die legislative Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte, wenn nicht außerdem sogar für vollzugsbedürftige völkerrechtliche Vertragsnormen zuständig seien 11 • Auf der Grundlage der gegenwärtigen belgiseben Gesetzeslage läßt sich mithin kaum die Einführung der beschriebenen Vollzugsmodalitäten begründen. Schließlich geht auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court 12 fehl. Dort ging es um die Begründung einer zentralstaatlichen Zuständigkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, die Materien betreffen, für welche nach der innerstaatlichen Kornpelenzordnung keine Zuständigkeiten der zentralen Gesetzgebungsorgane vorhanden sind. Die Durchführung des sekundären Gemeinschaftsrechts erfolgt hingegen in Belgien irrfolge von Verträgen, zu deren Eingebung der Zentralstaat die notwendige Zuständigkeit besaß bzw. für welche die notwendige verfassungsrechtliche Grundlage in Form des Art. 25 bis CB 13 nachträglich geschaffen wurde. Ein Abweichen von der nationalen legislativen Kompetenzordnung irrfolge des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrages, der im Zuständigkeitsbereich des Lenaerts, ebd., S. 276 f. Lenaerts, ebd., S. 278. 11 Vgl. Donnarumma, S. 199; hierzu VIII. Kap. V., Fn. 41. 12 Missouri v. Holland, U. S. Supreme Court 1920, 252 U. S. 416. 13 Vgl. IX. Kap. IV.

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5. Teil: Die dezentralisierte Durchführung

nationalen Abschlußorgans liegt, wird von der Rechtsprechung des Supreme Court aber gerade nicht gebilligt. Als "tertium comparationis" bleibt damit nur noch das Interesse des Gesamtstaates. Insofern muß aber bezweifelt werden, ob der bloße Verdacht einer gemeinschaftswidrigen Untätigkeit oder einer gemeinschaftswidrigen Umsetzung seitens der belgiseben Regionen, auch wenn dieser aufgrundmehrerer diesbezüglicher Verfahren vor dem EuGH in gewisser Weise bestätigt wurde 14, die teilweise Außerkraftsetzung der nationalen Kompetenzverteilungsordnung erlaubt 15 •

Vgl. XXV. Kap. II., Fn. 8. Ablehnend Paques, AP 11 (1987), S. 270, unter Hinweis auf den Bericht von de Gucht über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Belgien (Doc. Pari., Chambre, 1986-1987, 20-736/1-86-87 V. 21.1.1987, S. 34). 14

15

Sechster Teil

Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung des Gemeinschaftsrechts Einer der am ausführlichsten analysierten Aspekte der Beteiligung der dezentralisierten Einheiten an der Durchführung des Gemeinschaftsrechts betrifft die Folgen einer mangelnden oder fehlerhaften Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen in der deszendierenden Phase. Mit der Gefahr einer möglicherweise vertragswidrigen Durchführung wird - wie gezeigt- bisweilen sogar der vollkommene Ausschluß der Länder, Regionen und Autonomen Gemeinschaften vom nationalen Umsetzungsprozeß begründet 1• In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, daß der ohnehin bereits durch die Einschaltung der Mitgliedstaaten - auf ihrer zentralstaatlichen Ebene - bestehende Risikofaktor einer vertragswidrigen Umsetzung infolge des Tätigwerdens einer Vielzahl von dezentralen Einheiten noch zusätzlich multipliziert werde. Im Schrifttum der Mitgliedstaaten mit dezentralisierten Staatsstrukturen hat daher eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage stattgefunden, wie die beschriebene Gefahr ausgeschaltet oder zumindest verringert werden kann.

XXI. Kapitel

Die gemeinschaftsrechtliche und innerstaatliche Kontrolltätigkeit Die Durchführung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten und - in gewissem Umfang durch die Gemeinschaftsorgane 1 erfordert Kontroll- und Überwachungsmittel, die es ermöglichen, ein fehlendes bzw. fehlerhaftes Umsetzungs- und Anwendungsverfahren gegebenenfalls zu sanktionieren, um so eine korrekte Implementation sicherzustellen. Die Gemeinschaftsverträge und zahlreiche Rechtsvorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts haben den Gemeinschaftsorganen, vor allem der Kommission und dem EuGH, die Aufgabe der Sicherstellung und Kontrolle der gemeinschaftsrechtskonformen Durchführung zugewiesen. Zu diesem Zweck erfolgte die BeI I

Vgl. XVI. Kap. II. Vgl. Lenaerts, CMLR 23 (1986), S. 269, 274 11.

336

6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

reitstellung präventiver wie auch repressiver Mittel für den Fall der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts seitens eines Mitgliedstaates oder eines Einzelnen und die Einrichtung gerichtlicher Verfahren vor dem EuGH. Aufgabe des Gerichtshofes ist es, die Beachtung des Gemeinschaftsrechts bei der Interpretation und Anwendung der Verträge sicherzustellen. Ihm obliegt das Monopol bei der Auslegung der Gemeinschaftsverträge (Art. 177 EWGV) 2 •

I. Die innerstaatliche Kontrolltätigkeit Die Mitgliedstaaten haben auf zentralstaatlicher Ebene ebenso wie auf dezentraler Ebene im Rahmen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts über dessen korrekte Beachtung zu wachen und verfügen insofern über eine Reihe von Instrumentarien. In dezentralisierten Staatsgebilden wird dem Staat das diesbezügliche Verhalten der dezentralisierten Einheiten, obwohl sie keine Organe des Staates im engeren Sinne bilden, zugerechnet, mit der Folge, daß dieser völkerrechtlich für deren vertragswidriges Tun oder Unterlassen unmittelbar verantwortlich ist 3• Dieser Grundsatz der Verantwortlichkeit des Staates für die Handlungen und Unterlassungen der dezentralisierten Einheiten, verstanden als eine Verantwortlichkeit für eigenes Handeln, nicht für ein Handeln eines anderen Staates, ergibt sich aus der Zuständigkeit des Zentralstaates für die internationalen Beziehungen 4 und ist von der internationalen Rechtsprechung und der Praxis der Staaten anerkannt. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht die "Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaates nach Art. 169 EWGV unabhängig davon, welches Staatsorgan durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsmäßig unabhängiges Organ handelt" 5 • Darüber hinaus kann sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein Mitgliedstaat auch nicht " auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um damit die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die im Gemeinschaftsrecht festgelegt sind" 6• Vgl. statt vieler Bieber, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 4.5 (S. 137 ff.). Vgl. Art. 7 des Entwurfs der ILC über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten, YILC 1980, Band Il, 2. Teil, S. 30. 4 Vgl. Mangas Martfn, S. 231, 234. s EuGH v. 5.5.1970, Rs. 77/69 (Kommission/ Belgien), Slg. 1970, 237 (243); vgl. weiterhin EuGH v. 2.2.1982, Rs. 68/81 (Kommission /Belgien), Slg. 1982, S. 153 (157), sowie die Schlußanträge des Generalanwalts Capotorti v. 2.12.1981 (ebd.), S. 159 (162): "Allgemein ist zu bemerken, daß die Durchführung von Richtlinien mittels regionaler Rechtsetzungsakte vom Gemeinschaftsstandpunkt aus zweifellos zulässig ist, da jeder Staat die Gesetzgebungsbefugnisse auf interner Ebene so verteilen kann, wie er es für zweckmäßig hält; doch ist der Mitgliedstaat unabhängig von seinem Aufbau der Gemeinschaft gegenüber verantwortlich, wenn die Durchführung nur für einen Teil seines Hoheitsgebietes erfolgt." Vgl. hierzu Rodrfguez lglesias, S. 236. 6 EuGH v. 10. 12. 1980, Rs. 140/78 (Kommission I Italien), Slg. 1980, 3687 (3699). 2

3

XXI. Kap.: Die Kontrolltätigkeit

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Um den Mitgliedstaat vor einer aus dem gemeinschaftsrechtswidrigen Handeln oder Unterlassen der dezentralen Organe resultierenden Verantwortlichkeit gegenüber der Gemeinschaft zu schützen, verfügt er über Kontrollmechanismen, die ihm mittels Substitution oder sogar zwangsweise ein Einschreiten gegen die sich gemeinschaftsrechtswidrig verhaltende dezentrale Einheit erlauben, ohne daß freilich aus völkerrechtlicher Sicht eine Verpflichtung der Staaten zur Einrichtung solcher Mechanismen bestünde. Vielmehr verfügt der Staat insofern über eine Wahlfreiheit 7• Ein besonderes Problem ergibt sich dabei allerdings aus dem Umstand, daß das Vorliegen eines derartigen gemeinschaftswidrigen Verhaltens zwar bei einer vollkommenen Untätigkeit der regionalen Organe zumeist offensichtlich ist; im Fall einer vom Zentralstaat als "fehlerhaft" gerügten Anwendung, die unter Umständen auf einer - von dessen Ansicht abweichenden - eigenständigen Interpretation des sich zunehmend komplexer gestaltenden Gemeinschaftsrechts durch eine Region beruht, ist es aber weit schwieriger eine Devianz festzustellen s, so daß sich hier die Frage des "quis judicabit" stellt.

II. Die Kontrolle durch die Gemeinschaftsorgane Diese hier nicht näher zu erörternde Kontrolle der mitgliedstaatliehen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und damit indirekt auch der dezentralen Implementation erfolgt in den durch Art. 169, 170 und 177 EWGV festgelegten Formen. Dabei betrifft Art. 169 EWG V die - nach Anhörung des Mitgliedstaates beim EuGH einzuleitende Aufsichtsklage 9, Art. 170 EWGV die von einem Mitgliedstaat eingeleitete Klage gegen einen anderen Mitgliedstaat 10 und Art. 177 EWGV das Vorabentscheidungsverfahren, "das den Gerichten der Mitgliedstaaten ermöglicht, die Auslegung von Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu beantragen, die auf vor ihnen anhängige Streitsachen anzuwenden sind" 11 • Art. 177 EWGV, der für den staatlichen Richter "zwingendes Recht" 12 darstellt, sieht ein "besonderes Verfahren [der] Zusammenarbeit des Gerichtshofs mit den staatlichen Gerichten" 13 vor, wobei "staatliches Gericht und Gerichtshof -je7

So zutreffend Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piflol i Rull I Vila i Costa, S. 228.

s Baflo Le6n, S. 100.

9 Vgl. hierzu Daig, in: v. der Groeben/v. Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Art. 169, Rn. 4 ff. 10 Vgl. hierzu Daig, ebd., Art. 170, Rn. 6 ff. 11 Vgl. EuGH v. 3.6.1964, Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, S. 1251 (1309); EuGH v. 6.10. 1982, Rs. 283/81 (C.I.L.F.l.T.), S1g. 1982, S. 3415 ff.; vgl. hierzu auch EuGH v. 22.10. 1987, Rs. 314/85 (Foto-Frost), Slg. 1987, S. 4199 ff.; aus dem Schrifttum vgl. hierzu: Daig, ebd., Art. 177, Rn. 3 ff.; Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung. 12 EuGH v. 16.1.1974, Rs. 166/73 (Rheinmühlen I Einfuhr- und Vorratsstelle), Slg. 1974, s. 33 (38). 13 EuGH v. 20.2.1964, Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, S. 1251 (1309).

22 Blanke

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

weils in den Grenzen der eigenen Zuständigkeit - gemeinsam und unmittelbar zur Rechtsfindung beizutragen haben" 14• Insofern kommt dem innerstaatlichen Richter bei seiner Entscheidung über die vom einzelnen Gemeinschaftsbürger auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts geltend gemachten Rechte, aber auch über die Reichweite einer gemeinschaftsrechtlichen Norm oder über die Vereinbarkeit bzw. die Unvereinbarkeit von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht eine Schlüsselrolle im Hinblick auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu 15 • Im Zusammenhang dieser Untersuchung ist dabei von besonderer Bedeutung, daß der nationale Richter nicht allein über die Vereinbarkeil von nationalem Recht mit Gemeinschaftsrecht, sondern auch über die entsprechende Vereinbarkeil des von den Legislativorganen der dezentralisierten Einheiten gesetzten Rechts zu entscheiden und dabei unter Umständen gemäß Art. 177 EWGV entsprechende Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen hat. Die nationalen Gerichte bilden insofern auch im Hinblick auf die von den Regionen in Durchführung des Gemeinschaftsrechts erlassenen Normen "Garanten des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts" 16.

XXII. Kapitel

Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in der Bundesrepublik Deutschland I. Verpflichtung der Bundesländer zur Ausführung des Gemeinschaftsrechts? Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Bundesländer zur legislativen Durchführung des EG-Rechts wird mangels direkter Anwendbarkeit der Art. 5 und 189 EWGV, die sich nur an die Mitgliedstaaten wenden 1, aus dem Übertra14 Vgl. EuGH v. 1.12.1965, Rs. 16165 (Schwarze/Einfuhr- und Vorratsstelle), Slg. 1965, s. 1151 (1165). 15 Vgl. Mangas Martfn, S. 281. 16 R. Kovar, Voies de Droit ouverts aux individus devant !es instances nationales en cas de violation de norrnes et decisions du Droit Communautaire, in: Les recours des individus devant !es instances nationales en cas de violation du Droit europeen, Brüssel 1978, S. 245, zit. bei Mangas Martfn, S. 281, Fn. 5. 1 Anderer Ansicht ist Daig, in: v. d. Groeben I v. Boeck:h I Thiesing I Ehlerrnann, Art. 189, Rn. 29, wonach die Richtlinie nicht nur an die Mitgliedstaaten adressiert ist und damit eine unmittelbare Verpflichtung aus Art. 5 EWGV auch für dezentralisierte staatliche Einheiten in Betracht kommt; unentschieden Schwan, S. 154 ff., der das Problem letztendlich in den innerstaatlichen Raum verweist, da nicht durch gemeinschaftsrechtliche, sondern nur durch Zwangsmittel des Bundes auf die Länder eingewirkt werden könne, um sie zur Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen zu veranlassen.

XXII. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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gungsak:t nach Art. 24 Abs. 1 GG i.V. m. der Pflicht zur Befolgung des Gemeinschaftsrechts nach Art. 5 EWGV entnommen. Danach haben sie infolge ihrer Zustimmung zum Übertragungsakt in Form eines Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 GG die nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung obliegende Durchführungspflicht übernommen 2 • Eine innerstaatliche Verpflichtung wird für den Bereich der normativen Durchführung überwiegend aus dem Grundsatz der Bundestreue und Art. 24 Abs. 1 GG3, für jenen der administrativen Durchführung unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts aus Art. 83 ff. GG analog, Art. 24 Abs. 1 GG sowie dem Prinzip der Bundestreue 4 oder aus Art. 83 ff. GG analog allein i.V. m. Art. 24 GG 5 entnommen. Eine Mindermeinung im Schrifttum bestreitet eine innerstaatliche Ausfilhrungsverpflichtung: Art. 24 Abs. 1 GG ermächtige den Bund nicht dazu, eine neue verfassungsrechtliche Verpflichtung zu begründen, sondern er erlaube nur, die Organe des Zentralstaates wie die der Länder der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zu unterstellen 6 . Auch der Grundsatz der Bundestreue sei zur Begründung einer derartigen Verpflichtung ungeeignet. Dieser entfalte nur innerhalb bereits bestehender Rechtsverhältnisse Rechtswirkungen, setze also bereits bestehende Kompetenzen voraus und könne daher keine selbständigen Rechte und Pflichten im Bund-Länder-Verhältnis erzeugen 7• Die Behauptung eines unzulässigen Rekurses auf die Bundestreue erscheint jedoch sehr zweifelhaft. Es soll nämlich nicht aus dem Grundsatz der Bundestreue eine generelle Kompetenz des Bundes zur Durchführung von Rechtsakten der EG abgeleitet werden, sondern es geht allein darum, dem Bund das Recht zuzugestehen, gern. Art. 37 Abs. 1 GG im Wege des Bundeszwangs Gesetze zu erlassen, Vgl. Weber, Rechtsfragen, S. 31. Grabitz, AöR lii (I986), S. 30; Kössinger, S. 75 ff. ; Malanczuk, CMLR 22 (I985), S. 263, BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 85; Weber, ebd., S. 68, der eine Pflicht der Länder gemeinschaftsrechtlich aus Art. 24 Abs. I GG, Art. 5 EWGV, Art. 59 Abs. 2 GG, verfassungsrechtlich aus dem Prinzip der Bundestreue in Verbindung mit Art. 24 Abs. I GG ableitet; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 320: "Die Pflicht der Länder ist im Verfassungsrecht, nicht im Völkerrecht verwurzelt; vgl. hierzu bereits V. Kap. 11.2.b); ders. DÖV I977, S. 466; im Ergebnis ebenso /psen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 264: "Kraft der Vergemeinschaftung des Gesamtstaates [ . . . ] sind die Länder gehalten, ihre Kompetenzen gemeinschaftsgemäß wahrzunehmen". Für eine Verpflichtung der Bundesländer unmittelbar aus Art. 24 Abs. 1 GG ohne Rückgriff auf den Grundsatz der Bundestreue plädiert Scheuing, EuR 20 (1985), S. 242. Gegen die Annahme einer entsprechenden Verpflichtung der Bundesländer wenden sich Schwan, S. 160 f., sowie Spelten, S. 58. 4 Weber, Rechtsfragen, S. 68. s Hierfür wohl Lerche, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 83, Rn. 54, Fn. 210, der jedenfalls für die Ausführung der Bundesgesetze einen Rückgriff auf die Bundestreue ablehnt. 6 Schwan, S. I58, insbesondere gegen Spelten, S. II2, I20. 7 Vgl. Schwan, S. 161. 2

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

wenn der Grundsatz der Bundestreue verletzt ist 8 • Da die Länder im Bereich der ihnen innerstaatlich zugewiesenen Kompetenzen auch zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge und von Rechtsakten der EG zuständig sind, würde die Vertragsschlußkompetenz des Bundes und seine Kompetenz zur Ausstattung zwischenstaatlicher Einrichtungen mit Hoheitsbefugnissen bedeutungslos, wenn die Länder die Erfüllung dieser den Gesamtstaat treffenden und ihn der Gefahr von Vertragsverletzungsverfahren aussetzenden Verpflichtungen verweigern könnten 9 • Die Weigerung eines Landes, diese Verpflichtungen zu erfüllen, würde deshalb eine unzulässige Kompetenzausübung gegenüber dem Bund darstellen 10•

II. Durchsetzungsmechanismen des Bundes 1. Legislative Durchführung Da sowohl aus gemeinschaftsrechtlicher wie verfassungsrechtlicher Sicht eine Ausführungspflicht der Länder begründbar ist, ergibt sich für den Bund eine Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung entweder im Wege des BundLänder-Streits vor dem Bundesverfassungsgericht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) oder nach einer im Schrifttum vorherrschenden Meinung 11 im Wege des Bundeszwangs nach Art. 37 GG. Die "notwendigen Mittel" im Sinne des Art. 37 Abs. 1 GG erstrecken sich hiernach auch auf die Ersatzvornahme; Art. 37 Abs. 1 GG gibt dem Bund bei Vorliegen der Voraussetzungen auch die Möglichkeit zur Ersatzvornahme der eigentlich dem Land obliegenden Verpflichtungen einschließlich des Erlasses von Gesetzen 12• Wenn das Land der ihm obliegenden Verpflichtung zur Durchführung von Rechtsakten nicht nachkommt, kann somit dem Bund im Wege des Bundeszwangs aus Art. 37 GG eine eigene Durchführungskompetenz zukommen. Ein Ersatzgesetzgebungsrecht aus Art. 24 Abs. 1 GG wird angesichts dieser speziellen Durchsetzungsmöglichkeit für entbehrlich gehalten 13 •

s Vgl. Grabitz, AöR 111 (1986), S. 32. Vgl. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 320; Grabitz, ebd.,

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s. 31.

Vgl. Mosler, ZaöRV 16 (1955/56), S. 33; Grabitz, ebd. Vgl. Grabitz ebd., S. 31 ff.; v. Münch-Rojahn Art. 32, Rn. 45; Kaiser, ZaöRV 18 (1957 /58), S. 544 f.; Spelten, S. 94 ff.; BK-Tomuschat, Art. 24, Rn. 85; Schwan, S. 164 ff., verneint generell eine Rechtspflicht der Länder zur Ausführung des Gemeinschaftsrechts, so daß es auch keine Möglichkeit gebe, die Ausführung des Gemeinschaftsrechts durch die Bundesländer über eine Norm des Gemeinschaftsrechts oder eine Norm des Verfassungsrechts sicherzustellen. 12 V gl. Kössinger, S. 154 f.; Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 37, Rn. 55; Stern, Staatsrecht I,§ 19 III 6 (S. 717, Fn. 447). 13 Vgl. Scheuing, EuR 20 (1985), S. 242; zustimmend Weber, Rechtsfragen, S. 32. 10 11

XXII. Kap.: Bundesrepublik Deutschland

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Wenn die geforderten Ausführungsvorschriften bis zu dem von den Gemeinschaften gesetzten Termin oder nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht vorhanden sind, soll einer Ansicht im Schrifttum zufolge 14 , die eine generelle Ersatzgesetzgebungskompetenz präventiver Art allerdings in Übereinstimmung mit anderen Vertretern des Schrifttums ablehnt, der Erlaß einer bundesrechtlichen Ersatzregelung möglich sein, wofür als Rechtsgrundlage Art. 32 Abs. 1 GG i.V. m. mit Art. 24 GG angegeben wird. Die "scharfe Waffe" des Bundeszwangs sei in einem solchen Fallangesichts der nachteiligen Folgen für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ungeeignet. Da für eine solche "Ersatzzuständigkeit des Bundes", die für die Sicherung seiner Abschlußkompetenz für völkerrechtliche Verträge auf den Gebieten der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder als notwendig angesehen wird 15 und eine interessante Parallele zu seiner bereits im Rahmen der Transformation völkerrechtlicher Verträge erörterten ausnahmsweisen Durchführungszuständigkeit im Fall eines "Nicht-Erfüllen-Könnens" oder "Nicht-Erfüllen-Wollens" 16 darstellt, außerhalb des Bundeszwangs keine verfassungsrechtliche Grundlage besteht, ist diese Ansicht abzulehnen. Im deutschen Schrifttum bleibt die Frage weitgehend unerörtert, ob ein Eingreifen des Bundes im Wege des Bundeszwangs auch dann möglich ist, wenn kein Fall eines evidenten Umsetzungsdefizits vorliegt, sondern das betreffende Land in einem Zweifelsfall davon ausgeht, es bestehe kein weitergehender innerstaatlicher Umsetzungsbedarf. Fraglich erscheint, ob dem Bund in einem solchen Fall die Entscheidungsbefugnis über das Vorliegen einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts mit der Folge des Bundeszwangs zukommt oder ob hierfür nicht eine Entscheidung des EuGH gemäß Art. 177 EWGV oder zumindest die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 169 EWGV notwendig ist. Das gleiche Problem ergibt sich im Hinblick auf die Beurteilung der GerneiDschaftswidrigkeit bei einem aus der Sicht des Bundes infolge der Landesbestimmung gegebenen Verstoß gegen verbindliche Gemeinschaftsrechtssätze. Auch in diesem Fall erscheint eine Absicherung des Bundes "gegen die eventuelle Verfassungswidrigkeit eines von ihm erlassenen Gesetzes" in der Form, daß er sich "vom Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG (BundLänder-Streit) sein Recht zur Gesetzgebung bescheinigen läßt" 17 , angesichtsdes 14 Vgl. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 321: " .. . wenn sich herausstellt, daß ein Land nicht gewillt oder aus politischen Gründen nicht in der Lage ist, seine Pflicht zu erfüllen"; ähnlich Riegel, EuR 11 (1976), S. 87, unter Hinweis auf Art. 24 Abs. 1 GG. Im Gegensatz zu Zuleeg hält er ein aufgrund der Ersatzkompetenz erlassenes Bundesgesetz nicht durch spätere Landesgesetzgebung für abänderbar bzw. ersetzbar; ders., DVBI. 1979, S. 250. 15 Vgl. Zuleeg, ebd. 16 Vgl. Kaiser, ZaöRV 18 (1957 /58), S. 549; vgl. V. Kap. II. 2. b). 11 So Zuleeg, ebd.; ähnlich Riegel EuR 11 (1976), S. 87: "Daß der Streit um einen Organakt der EG geht, stünde dem nicht entgegen."

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

Auslegungsmonopols des EuGH gemäß Art. 177 EWGV nicht möglich. Zur Entscheidung über die Gemeinschaftskonformität des innerstaatlichen Ausführungsrechts ist allein der EuGH berufen, so daß auch im Rahmen eines BundLänder-Streits der Bund ein Land lediglich auf die Vomahme der Ausführung bei evidenter Untätigkeit und einem offensichtlich bestehenden Umsetzungsdefizit- etwa aufgrundvon Unklarheiten über die Implementationszuständigkeitverklagen kann, jedoch nicht Zweifelsfalle bezüglich des Bestehens eines Umsetzungsdefizits oder gar Fragen der Gemeinschaftskonformität einer Länderregelung dem Bundesverfassungsgericht zur Beurteilung vorlegen darf. Jede andere Lösung würde das durch die innerstaatliche Verfassungsrechtsprechung 18 nunmehr ausnahmslos anerkannte Auslegungsmonopol des EuGH auf dem Wege des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG - im Hinblick auf die (Zweifels-)Frage eines innerstaatlichen Umsetzungsbedarfs bzw. der Gemeinschaftskonformität einer Ausführungsregelung - untergraben 19• 2. Verwaltungsvollzug Im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsvollzugs bestimmt sich die Aufsicht des Bundes nach den Verwaltungskompetenzen. Soweit es sich um Landesvollzug von Gemeinschaftsrecht handelt, das in Parallele zur innerstaatlichen Kompetenzverteilung einen Gegenstand der Bundeskompetenz betrifft, hat die Bundesregierung die Ingerenzmöglichkeiten der Bundesaufsicht nach Art. 84 Abs. 2 bis 5 GG, z. B. durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, Mängelrügen oder Einzelweisungen 20 • Sofern die Länder hingegen Gemeinschaftsrecht vollziehen, das nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung in die Länderkompetenz fallt, besitzt der Bund keine direkten Eingriffsmöglichkeiten. Gelingt es ihm nicht, unter Umständen mit Hilfe von Verwaltungsempfehlungen und Mitteln des kooperativen Föderalismus einen gemeinschaftskonformen Verwaltungsvoll18 Von diesem Grundsatz ist das BVerfG (E 37, 271, 279 f . - "Solange I") abgewichen, als es sich für zuständig erklärte, auch nach Einholung der Entscheidung des EuGH über eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu entscheiden, wenn das vorlegende Gericht eine für das Ausgangsverfahren entscheidungserhebliche Norm des sekundären Gemeinschaftsrechts (also nicht die Vertragswerke selbst) in der vom EuGH gegebenen Auslegung wegen Verstoßes gegen die Grundrechte des Grundgesetzes für unanwendbar hielt. Dies sollte jedenfalls solange gelten, bis auch das Gemeinschaftsrecht eine dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes entsprechenden Grundrechtskatalog enthält. Das Gericht hat seine Entscheidung im Jahre 1986 (BVerfGE 73, 393, 378, 387- "Solange II" -) korrigiert. Es erachtet nunmehr den Schutz der Grundrechte durch die EG ,,nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleich" und will, solange dies so bleibt, seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen. 19 Vgl. zu dieser Problematik die Diskussion im spanischen Schrifttum: XXIII. Kap. II. 2. a). 2o Vgl. Weber, Rechtsfragen, S. 67 f.

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zug sicherzustellen, wird er gegenüber der Gemeinschaft in die Situation der Vertragsverletzung gedrängt. Als "ultima ratio" wird dem Bund aber auch in diesem Fall die Möglichkeit des Bundeszwangs in Form einer WeisungseTteilung gegenüber den Landesbehörden (Art. 37 Abs. 2 GG) eingeräumt 21 • Letztendlich ist aber allein eine frühzeitige Einschaltung der Länder bei Gemeinschaftsvorhaben mit föderativen Auswirkungen die beste Garantie für eine Minimierung der sich aus dem "Vollzugsföderalismus" ergebenden Schwierigkeiten und so für einen effektiven, hinreichend einheitlichen und gemeinschaftskonformen Vollzug auf der zweiten staatlichen Ebene der Bundesrepublik 22 •

XXIII. Kapitel

Die innerstaatliche Durchführungskontrolle in Spanien I. Verpflichtung der AG zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts ? Die Zulässigkeit staatlicher Aufsichtsmaßnahmen über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts setzt auch in Spanien die Verpflichtung der AG zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts voraus. Zwar kann eine Verpflichtung der AG zur Durchführung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht - ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland - aus Art. 93 S. 1 CE i.V. m. Art. 5 EWGV hergeleitet werden 1, jedoch ist im spanischen Schrifttum streitig, ob und wie eine entsprechende Verpflichtung der innerstaatlichen Verfassungsordnung zu entnehmen ist. Unzweifelhaft besteht keine unmittelbare völkerrechtliche Verpflichtung der AG zu einem entsprechenden Handeln. Autonomie bedeutet nicht Souveränität 2, weshalb die AG nicht Inhaber völkerrechtlicher Positionen oder Adressaten völkerrechtlicher Verpflichtungen sind, selbst dann nicht, wenn eine völkerrechtliche Regelung sich unmittelbar auf ihr Verhalten bezieht. Die spanische Verfassung verpflichtet die AG nicht ausdrücklich zur Beachtung und zum Vollzug nicht unmittelbar anwendbarer völkerrechtlicher Verträge Vgl. Weber, ebd., S. 68. Vgl. Blanke, S. 80 f. ; zur Hausen, EuR 22 (1987), S. 329; Malanczuk, CMLR 22 (1985), S. 271 ; Weber, Rechtsfragen, S. 68 f. 1 Gegen die Annahme jeglicher gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtung sprechen sich Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifwl i Rulll Vila i Costa, S. 229, aus. 2 Vgl. STC 4/1981 v. 2.2.1982, BJC 1981, S. 7, 14 (II 3). 21

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

bzw. zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts 3 und auch die Autonomiestatute enthalten keine einschlägigen Bestimmungen 4 • Auch unter Hinweis auf diesen Umstand wird von einem Teil des spanischen Schrifttums 5 das Bestehen einer Durchführungsverpflichtung der AG kraftinnerstaatlichen Verfassungsrechts abgelehnt. Zum einen würden nicht alle völkerrechtlichen Verpflichtungen mangels einer verfassungsrechtlichen Vorschrift über die automatische Rezeption Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung, zum anderen sei eine entsprechende Bindungswirkung für die Autonomien aus der Sicht der innerstaatlichen Rechtsordnung- etwa im Fall verfassungswidriger Verträge und bei fehlender Vertragserfüllung durch die andere Vertragspartei- auch nicht wünschenswert 6• Im Gegensatz zu dieser wenig überzeugenden Begründung bejaht der überwiegende Teil der spanischen Lehre 7 hingegen das Bestehen einer derartigen innerstaatlichen, aus dem Verfassungsrecht resultierenden Obliegenheit der AG. Verpflichtungsgrund sei der völkerrechtliche Vertrag, der gemäß Art. 96 CE nach seiner offiziellen Veröffentlichung "Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung" werde. Die Verletzung eines Vertrages durch eine AG stelle eine Verfassungswidrigkeit dar, weil gemäß Art. 96 Abs. 1 S. 2 CE völkervertragsrechtliche Bestimmungen "nur in der von den Verträgen selbst vorgesehenen Form oder gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufgehoben, abgeändert oder suspendiert" werden könnten. Eine Verpflichtung kann auch aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der "Verfassungstreue" 8 i.V. m. Art. 93 S. 1 CE hergeleitet werden 9 , woraus sich das Verbot eines Rechtsmißbrauchs bei der Ausübung der Kompetenzen gegenüber der jeweils anderen Hoheitssphäre ergibt 10, um so die jeweilige 3 Eine entsprechende Bestimmung in Art. 53 Abs. 3 des Vorentwurfs ("ponencia") v. 5. 1.1978 besagte: "Todas las normas y acuerdos de Ia asamblea (de Ia Comunidad Aut6noma) deberan respetar Ia Constituci6n, el Estatuto y los compromisos intemacionales del Estado" . Diese wurde vom Vorbereitungsausschuß ohne weitere Erklärung gestrichen; vgl. Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piflol i Rull I Vila i Costa, S. 229; Mangas Mart[n, S. 294 f. 4 Abgelehnt wurde bereits die These von Baflo Le6n, S. 76 f., 97, wonach die statutarischen Bestimmungen über die Durchführung völkerrechtlicher Verträge bzw. des Sekundärrechtes internationaler und supranationaler Organisationen im Sinne einer derartigen Verpflichtung zu interpretieren sind. Baflo Le6n, der auf diese Weise zu einer Lösung eines Problems beitragen will, "das bis jetzt keine befriedigende Lösung in der deutschen Lehre gefunden" habe, vermag auch nicht zu erklären, woher sich eine "Verpflichtung" für diejenigen AG ergeben soll, deren Statute keinerlei Durchführungsregelung enthalten, die er aber gleichwohl aufgrund einer impliziten Kompetenz für zuständig erachtet: vgl. bereits VI. Kap. 111.2. s Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piflol i Rull I Vila i Costa, S. 228 ff. 6 Vgl. dies., S. 229 f. 1 Vgl. Mangas Martfn, S. 295 m. w.N. s Vgl. hierzu Il. Kap. V.3. 9 Vgl. insoweit Lopez Castillo, REDC 26 (1989), S. 237. 10 Vgl. Montoro Chiner, Convenios, S. 29.

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Zuständigkeitswahrnehmung- hier die Zuständigkeit des Staates für ein Tätigwerden im Rahmen des Art. 93 S. 1 CE- nicht zu beeinträchtigen. Die Annahme des Bestehens einer Umsetzungsverpflichtung der AG kraft innerstaatlichen Verfassungsrechts wird schließlich trotz des FehJens einer ausdrücklichen Regelung auch durch die Rechtsprechung des spanischen Verfassungsgerichts gestützt, wonach "die territoriale Staatsstruktur Spaniens die Einheitlichkeit der Auslegung eines Vertrages, die dem Staat als dem alleinigen völkerrechtlich verantwortlichen Vertragspartner obliegt, nicht gefährden darf' 11 •

II. Zentralstaatliche Aufsicht 1. Vorbeugende Maßnahmen a) Vorbeugende Kontrolle durch Einschaltung des Staatsrates

Eine vorbeugende staatliche Kontrollmöglichkeit besteht aufgrund der im Organgesetz über den Staatsrat 12 (Art. 23 Abs. 2 i.V. m. Art. 21 Nr. 4 bzw. Art. 22 Nr. 2) normierten Verpflichtung der AG, im Hinblick auf die autonomen Vorschriften über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts "die vorgcs.:hriebene Stellungnahme des Plenums des Staatsrates" (Art. 21) "oder der ständigen Kommission des Staatsrates einzuholen" (Art. 22) 13 • Dieses Konsultativorgan kann in einem Gutachten eine AG bezüglich ihrer legislativen Ausführung oder administrativen Anwendung auf evtl. Mängel und Widersprüche zum Gemeinschaftsrecht hinweisen. Obwohl diese Stellungnahme für die jeweilige AG nicht bindend ist, setzt es die Organe des Zentralstaates über die Haltung einer Autonomie in Fragen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts in Kenntnis und kann so zur Einleitung entsprechender Schritte seitens des Staates führen, um eine gemeinschaftswidrige autonome Durchführung zu verhindern 14• b) Die Ergänzungswirkung des staatlichen Rechts

Ein weiteres präventives Instrument zur Gewährleistung einer Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in allen AG wird in der Ergänzungswirkung gesehen, die dem staatlichen Recht gemäß Art. 149 Abs. 3 S. 3 CE gegenüber dem Recht der AG zukommt. Diese Ergänzungsgesetzgebung steht, wie zu zeigen ist, an der Schwelle zwischen einer staatlichen Kontrolle "a priori" und einer Kontrolle "a 11 12 13 14

Vgl. STC 44/1982 v. 8. 7.1982, BJC 1982, S. 667, 683 (II 4). LO 3/1980 v. 22.4.1980, BOE Nr. 100, v. 25.4.1980. Vgl. bereits XVIII. Kap. I. Vgl. Mangas Martin, S. 296 f.

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

posteriori". Angesichts der unterschiedlichen materiellen Kompetenzausstattung der AG sowie der divergierenden Zuständigkeitsregelungen für die Durchführung völkerrechtlicher Verträge und des Sekundärrechts supranationaler Organisationen, ist es dem Staat nicht möglich, für jeden einzelnen Gemeinschaftsrechtsakt ergänzende Umsetzungsnormen unter Beachtung des jeweiligen autonomen Kompetenzstandards zu erlassen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der Zentralstaat hinsichtlich der nicht unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechtsregelungen zum Erlaß der notwendigen Implementationsnormen für alle diejenigen AG zuständig ist, die mangels einer materiellen Kompetenz oder mangels einer Durchführungskompetenz für völkerrechtliche Verträge generell an die Gesamtheit der staatlichen Umsetzungsregelungen gebunden sind. Daraus ergibt sich ein Bedarf an zentralstaatlichen Durchführungsnormen, ohne daß diese die insoweit bestehenden Kompetenzen einzelner AG beeinträchtigen dürfen. Autonomien, die im Einzelfall eine umfassende Kompetenz besitzen, unterliegen im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechtsaktes mithin nicht den staatlichen Umsetzungsregelungen; andere Gemeinschaften wiederum haben sich nur an der einschlägigen staatlichen Basisgesetzgebung zu orientieren und für eine dritte Gruppe von AG ist der Gesamtakt staatlicher Implementation verbindlich. Nach überwiegender Auffassung im spanischen Schrifttum 15 kann die sich aus den unterschiedlichen autonomen Kompetenzstandards ergebende staatliche Durchführungsgesetzgebung im Wege der Ergänzung auch für die zur Durchführung supranationaler Rechtsnormen befugten AG zur Anwendung gelangen, soweit diesetrotzentsprechender materieller Kompetenzen säumig sind bzw. gänzlich oder teilweise untätig bleiben. Dabei soll es sich im Hinblick auf den Ergänzungscharakter der staatlichen Implementationsakte, die bestehende autonome Zuständigkeiten unberührt lassen 16, nicht um eine Substitution a priori handeln. Soweit die zentralstaatliche Durchführung auf zur Umsetzung berufene, aber gleichwohl säumige oder untätige AG erstreckt werde, handele es sich weniger um eine Substitution als vielmehr um den Erlaß einer Ergänzungsgesetzgebung "zweiten Grades", die auf den Zeitraum des Fehlens einer korrespondierenden autonomen Regelung beschränkt sei 17 • Eine apriorische Substitution wird vor allem deshalb abgelehnt, weil diese auf der Annahme einer gemeinschaftswidrigen Grundeinstellung der AG basiere, für die es aber keinerlei objektive Rechtfertigung gebe, auch nicht bei Berücksichtigung der Umsetzungserfahrungen anderer pqlitisch dezentralisierter Staaten 18 • Vielmehr müsse ebenso wie den 15 Mangas Martin, S. 298; Bafw Le6n, S. 108 f.; Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piiiol i Rull I Vita i Costa, S. 242 f. 16 Vgl. STC 95/1984 v. 8.10.1984, BJC 1984/42, S. 1267 f. (II 3). 11 Vgl. Mangas Martin, S. 298; in diesem restriktiven Sinn befürworten eine Ergänzungsgesetzgebung auch Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piiiol i Rull I Vita i Costa, s. 242 f. 18 Vgl. Bafio Le6n, S. 109, der hervorhebt, daß die staatlichen Organe keine Kompetenz besäßen, Normen mit präventivem Charakter zu erlassen; i. d. S. auch Mufioz Macha-

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staatlichen Organen auch den dezentralisierten Einheiten im Rahmen der Umsetzung die Vermutungswirkung eines Handeins nach Treu und Glauben zugute kommen 19• Die rechtliche Grundlage für diese Gesetzgebungskompetenz des Staates im Falle einer mangelnden autonomen Durchführungsgesetzgebung, die in einigen Statuten im Bereich der ausschließlichen autonomen Gesetzgebungskompetenz sogar ausdrücklich normiert ist 20 , wird in der den staatlichen Organen zugewiesenen Pflicht zur Gewährleistung der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen (Art. 93 S. 2 i.V. m. Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE; Art. 149 Abs. 3 S. 3 CE) gesehen 21 • Ergänzungswirkung soll dem staatlichen Recht erst dann zukommen, wenn die für die innerstaatliche Umsetzung in der jeweiligen Gemeinschaftsnorm vorgesehene Frist verstrichen ist; zudem entfaltet sie nur im Hinblick auf einen fehlenden oder lückenhaften normativen Umsetzungsbestand einer AG bis zu dessen Beseitigung Wirksamkeit. Damit wird zugleich die Möglichkeit einer Ergänzung der autonomen Gesetzgebung im Fall einer unangemessenen oder fehlerhaften Umsetzung im spanischen Schrifttum ausgeschlossen 22 • Ein eventueller Konflikt zwischen einer autonomen Durchführungsnorm und der Gemeinschaftsrege1ung soll hingegen nur durch richterliches Urteil festgestellt werden können, wobei dann die gemeinschaftswidrige autonome Norm unangewendet bleibt. Die staatlichen Organe, denen in diesem Fall jegliche Kompetenz zur ergänzenden Gesetzgebung abgesprochen wird, können folglich eine ihrer Auffassung nach gemeinschaftswidrige autonome Umsetzungsnorm nur vor dem Verfassungsgericht gemäß Art. 153 lit. a CE anfechten oder - in einem besonders schweren Fall - den Weg des Art. 155 CE beschreiten 23 • do, S. llO f., im Hinblick auf die ausschließlichen Kompetenzen der AG. Die beiden letztgenannten Autoren halten wohl auch eine Ergänzungsgesetzgebung 2. Grades für unzulässig. Munoz Machado, S. 109, hält es aber für zulässig, die AG gemäß Art. 93, 97, 149 Abs. 1 Nr. 3 CE zur Vorlage der Ausführungsbestimmungen vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu verpflichten, damit der Staat seine Verpflichtungen gegenüber der EG rechtzeitig erfüllen kann. 19 Bano Leon, S. 99, 109. 20 Vgl. Art. 21 Est. P. V.; Art. 26 Abs. 2 Est. cat.; Art. 10 Est. and.; Art. 15 Abs. 3 Est. ast.; Art. 15 Abs. 4 Est. mure.; Art. 42 Abs. 2 Est. arag., Art. 42 Est. I. C.; Art. 40 Abs. 3 Est. nav.; Art. 47 Abs. 3 Est. I. B., Art. 34 Est. madr.; für die übrigen AG, deren Statute keinen entsprechenden Grundsatz enthalten, gilt dieser gleichwohl gern. Art. 149 Abs. 3 CE. 21 Aurrecoechea, ICLQ 38 (1989), S. 89 f.; Munoz Machado, S. 111; Mangas Martfn, S. 299; Garzon Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vita i Costa, S. 29, allein unter Hinweis auf Art. 149 Abs. 1 Nr. 3 CE. Lopez Castillo, REDC 26 (1989), S. 238, allein unter Hinweis auf Art. 93 CE, wobei er auf Ortega Alvarez, REDA 55 (1987), S. 364, verweist. 22 Mangas Martfn, S. 298; so auch Bano Le6n, S. 108, der Mangas Martfn zu Unrecht unterstellt, diese billige dem Staat eine umfassende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz vorbeugender Art zu; Garzon Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vita i Costa, S. 239; Rodrfguez lglesias, S. 238 f . 23 Mangas Martfn, S. 299.

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

2. Die nachträgliche Kontrolle Instrumente nachträglicher Kontrolle bilden - ohne auf das spezifische Problem der staatlichen Überwachung der autonomen Durchführung des Gemeinschaftsrechts zugeschnitten zu sein- die Normenkontrollklage gemäß Art. 153 lit. a CE i.V. m. Art. 161 Abs. 1 lit. a CE bzw. die verwaltungsgerichtliche Kontrolle gemäß Art. 153 lit. c CE, die Harmonisierungsgesetzgebung gemäß Art. 150 Abs. 3 CE sowie der "Bundeszwang" gemäß Art. 155 CE.

a) Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit der Rechtsetzungsakte der AG (Art. 153 CE)

Ein Gesetz oder eine Gesetzesverordnung einer AG, die eine Gemeinschaftsvorschrift verletzt, kann je nach Fall vor dem Verfassungsgericht oder dem Verwaltungsgericht angefochten werden. Im Hinblick auf die Dauer dieser Verfahren wird diese Anfechtungsmöglichkeit jedoch für eine effektive Gewährleistung des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts auf innerstaatlicher Ebene als ungeeignet angesehen 24 • Bei einer Normenkontrolle gemäß Art. 161 lit. aCEergibt sich zudem das Problem, daß eine gemeinschaftsrechtswidrige gesetzliche Durchführungsnorm einer Autonomie nicht unbedingt verfassungswidrig sein muß, es sei denn, man wertet den Erlaß einer gemeinschaftswidrigen autonomen Norm als einen verfassungsrechtlichen Verstoß gegen Art. 96 CE 25 • Lehnt man die Herleitung einer solchen Verpflichtung zur gemeinschaftskonformen Umsetzung aus innerstaatlichem Verfassungsrecht ab, so fehlt es an einem geeigneten Parameter zur Bestimmung der Verfassungsmäßigkeit von Durchführungsnormen, da das Gemeinschaftsrecht für die Prüfung des Verfassungsgerichts keinen Maßstab darstellt 26 • Deshalb können keine Normenkontrollanträge gegen autonome Gesetze mit der Begründung ihrer Gemeinschaftswidrigkeit gestellt werden 27 • Dies wäre nur ausnahmsweise dann möglich, wenn solche autonomen Durchführungsgesetze gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen verstoßen, beispielsweise bei einer Unzuständigkeit der AG mangels Gesetzgebungskompetenz. Dieses Ergebnis erscheint im Hinblick auf das Monopol des EuGH für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts sachgerecht. Da für die Entscheidung über die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit durch einen nationalen Richter die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 177 EWGV notwendig ist, könnte das Vgl. Mufwz Machado, S. 112. So wohl Mangas Martin, S. 299. 26 Vgl. Munoz Machado, S. 112, der auch den Versuch ablehnt, aus dem in Art. 28 LOTC definierten "Verfassungsblock" im Wege einer extensiven Auslegung eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der AG abzuleiten. 27 Garzon Clariana I Albiol Biosca I Pinol i Rull I Vita i Costa, S. 236 f., mit dem Hinweis, dieselbe Frage stelle sich auch bezüglich völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen; unentschieden auch Rodriguez lglesias, S. 215 -218, 237. 24 25

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Verfassungsgericht ohnehin nur die Frage der Vorlagebedürftigkeit prüfen, wofür ihm aber eine Prüfungskompetenz bezüglich der Gemeinschaftskonformität von Durchführungsnormen mit Gesetzesrang durch eine vorherige Änderung des Organgesetzes über die Verfasssungsgerichtsbarkeit (LOTC) eingeräumt werden müßte. Diese Frage kann jedoch auch von einem ordentlichen Gericht überprüft werden, so daß kein Bedarf für eine Änderung der gesetzlichen Zuständigkeiten des spanischen Verfassungsgerichts besteht 28 • Da nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts 29 im Rahmen der zu einer vorübergehenden automatischen Aufhebung führenden Anfechtung von autonomen Bestimmungen und Beschlüssen durch die Regierung gemäß Art. 161 Abs. 2 CE nur eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit, nicht aber der Gesetzmäßigkeit stattfindet, ist auch bezüglich untergesetzlicher autonomer Rechtsakte eine Überprüfung der Gemeinschaftskonformitätdurch das Verfassungsgericht abzulehnen. Aber auch soweit der ordentliche Richter im Verfahren des Art. 153 lit. c eine autonome Norm mangels Gemeinschaftskonformität unangewendet läßtJo bzw. diese vom Verfassungsgericht etwa wegen mangelnder Beachtung einer eventuellen staatlichen Basisgesetzgebung oder Rahmengesetzgebung nach Vorlage gemäß Art. 163 CE kassiert wird, oder der ordentliche Richter untergesetzliche Durchführungsnormern kassiert bzw. nach Durchführung des Verfahrens gemäß Art. 177 EWGV ebenfalls unangewendet läßt, kann bei fehlender unmittelbarer Wirkung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm - d. h. auch bei Fehlen des "effet utile"-Effekts 31 - der Fall der Unanwendbarkeit der betreffenden Gemeinschaftsnorm mangels gültiger autonomer Umsetzungsregelungen eintreten. In diesem Zusammenhang wird im spanischen Schrifttum die Auffassung vertreten, der Richter könne auf die staatlichen Durchführungsnormen insoweit zurückgreifen, als er autonome Durchführungsbestimmungen mangels Gemeinschaftskonformität unangewendet lasse 32•

b) Die Harmonisierungsgesetzgebung (Art. 150 Abs. 3 CE)

Soweit in Ausübung der autonomen Kompetenzen derart stark divergierende Durchführungsregelungen der einzelnen Autonomien im innerstaatlichen Bereich ergehen, daß dadurch eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Frage gestellt ist, soll der nationale Gesetzgeber nach einer im spanischen SchriftVgl. Muiioz Machado, S. 113 f. Vgl. STC 54/1982 v. 26. 7.1982, BJC 1982, S. 813, 820 (Il 7). Vgl. hierzu II. Kap. VIII. 2. a) cc) (3). 30 Vgl. EuGH v. 9.3.1978, Rs. 106/77 (Simmenthalll), Slg. 1978, S. 629, 643 f. 31 Vgl. bspw. hierzu EuGH v. 14.12.1971, Rs. 43/71 (Politi), Slg. 1971, S. 1039 für Verordnungen sowie v. 19.1.1982, Rs. 8181 (Becker), Slg. 1982, S. 53 für Richtlinien. Vgl. hierzu Streit in Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Kap. 7.2.5.3 (S. 229 ff.). 32 Mangas Martfn, S. 300. 28

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

tum 33 vertretenen Ansicht befugt sein, gemäß Art. 150 Abs. 3 CE Harmonisierungsgesetze in bezug auf die bestehenden autonomen Durchführungsregelungen zu erlassen. Dies ist sowohl im Hinblick auf diejenigen Materien möglich, die der ausschließlichen Kompetenz der AG unterliegen als auch bezüglich der Materien, für die eine geteilte Gesetzgebungskompetenz besteht, und zwar jeweils soweit es das Interesse der Allgemeinheit (interes general) erfordert. Die Anhänger dieser Auffassung rechtfertigen dies mit dem Hinweis auf die Ausführungen des Verfassungsgerichts im Urteil über das "Gesetz zur Harmonisierung des Autonomieprozesses" (LOAPA) 34, wonach "die Harmonisierungsgesetzgebung, auch wenn sie normalerweise ausschließliche Kompetenzen der AG betrifft, nicht der Verfassung widerspricht, soweit sich im Fall der geteilten Gesetzgebungskompetenzen das System der Kompetenzverteilung als unzureichend herausstellt, um eine normative, dem allgemeinen Interesse der Nation ("interes general de Ia naci6n") widersprechende "Disharmonie" zu verhindern. Als verfassungsrechtlich zulässig wird dabei zum Teil nur eine Harmonisierung ex post angesehen, was voraussetze, daß harmonisierungsbedürftige Normen der AG vorlägen 35 ; zum Teil wird aber auch eine präventive Harmonisierungsgesetzgebung ex ante befürwortet, wodurch eine entsprechende Gesetzgebung des Staates noch vor Ablauf der Umsetzungsfristen der jeweiligen Gemeinschaftsakte ermöglicht werden soll 36 • Als weitere Voraussetzung für den Einsatz dieses Instruments wird gemäß Art. 155 Abs. 1 S. 3 CE das Vorliegen eines Interesses der Allgemeinheit verlangt, welches dann bejaht wird, wenn schwerwiegende Beeinträchtigungen in der Rechtsausübung des Einzelnen vorliegen. Damit wird die Zulässigkeit des Erlasses einer Harmonisierungsgesetzgebung auf Situationen beschränkt, in denen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Bereich gefahrdet ist und dadurch das besagte Interesse auf dem Spiel steht. Von anderen Autoren 37 wird demgegenüber das Mittel der Harmonisierungsgesetzgebung als ungeeignet bezeichnet, um eine mangelhafte Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die AG zu verhindern. Zum einen erschienen die Voraussetzungen, unter denen der Erlaß eines Harmonisierungsgesetzes ratsam sei, im Hinblick auf eine innerstaatliche Angleichung der autonomen Durchführungsvorschriften unklar: wenn man eine autonome Kompetenz zum gemeinschaftsrechtlichen Vollzug bejahe, dürfe das Gebot der einheitlichen Durchführung des Gemeinschaftsrechts die Tatsache der unterschiedlichen kompetenzmäßigen Ausstattung der verschiedenen Autonomien nicht unberücksichtigt lassen. 33 34

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Mangas Martfn, S. 300 f.

STC 76/1983 v. 5.8., BJC 1983, S. 1095, 1162f. (II 3).

Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifi.ol i Rulll Vita i Costa, S. 244; Lorente Hurta-

do, S. 1715. 36 Mufi.oz M achado, S. 110, unter Hinweis auf das LOAPA-Urteil, STC 76/1983 v. 5. 8. 1983, BJC 1983, S. 1095, 1162 f. (II 3), in dem eine solche vorherige Harmonisierung

nicht ausdrücklich untersagt worden sei. 37 Bafi.o Le6n, S. 107.

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Eine gemeinschaftsrechtliche Richtlinie, die zumeist den Anlaß für Befürchtungen einer fehlenden homogenen Umsetzung biete, überlasse den Mitgliedstaaten eine Wahlfreiheit bezüglich der Mittel und Wege zur Erreichung des in ihr vorgegebenen Ziels. Angesichts dessen könne bei einer autonomen Durchführung eine mangelnde Gleichförmigkeit der Umsetzung schon deshalb nicht als Begründung für eine staatliche Harmonisierungsgesetzgebung angeführt werden, weil etwaige Unterschiede nur Ausdruck jener Wahlfreiheit seien. Entscheidend sei lediglich, daß das von der Richtlinie formulierte Ziel erreicht und der Inhalt der Richtlinie insoweit beachtet werde. Diese Ansicht sieht mithin den aus der Dezentralisierung resultierenden innerstaatlichen Multiplikationseffekt bei der Art und Weise der Durchführung einer Richtlinie von dem Grundsatz der Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bezüglich der Umsetzungsmodalitäten als gedeckt an. Für diejenigen, die nur eine Harmonisierung ex post für zulässig erachten, erweist sich die Harmonisierungsgesetzgebung als ungeeignetes Korrekturmittel38. Schließlich wird auf den vom Verfassungsgericht festgestellten Ausnahmecharakter der Harmonisierungsgesetzgebung verwiesen, weshalb sie nicht als reguläres Instrument im Rahmen der staatlichen Gewährleistung der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts eingesetzt werden dürfe 39.

c) Der "Bundeszwang" (Art. 155 CE) Der Einsatz des "Bundeszwangs", dessen Regelung in Art. 155 CE bereits oben 40 erläutert wurde, wird für die Sicherstellung eines gemeinschaftskonformen innerstaatlichen Vollzugs- ebenso wie dies von einem Teil des Schrifttums 41 im Hinblick auf die den AG obliegende Erfüllung innerstaatlicher Verpflichtungen vertreten wird - nur in ganz außergewöhnlichen Fällen als "ultima ratio" zugelassen (Art. 93 S. 2 i.V. m . Art. 155 CE) 42 • Daraus folgt, daß eventuelle einzelfallbezogene Gemeinschaftsrechtswidrigkeiten im Handeln einer AG mit Hilfe der zuvor beschriebenen Verfahren (Art. 149 Abs. 3, Art. 153, Art. 150 Abs. 3 CE) behoben werden müssen. Allein dann, wenn "wiederholt und beharrlich" die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Rechtsverpflichtungen von einer AG mißachtet werden und dadurch das allgemeine Interesse Spaniens nicht nur gefahrdet, sondern tatsächlich verletzt wird, soll es den zentralen Organen des Staates gestattet sein, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifwl i Rull I Vita i Costa, S. 244. Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Pifzol i Rull I Vita i Costa, S. 244; Bafzo Le6n, S. 107, Mufzoz Machado, S. 110 f. 38

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Vgl. II. Kap. VIII. 2. a) cc) (3). Vgl. ebd. 42 So zutreffend Mufzoz Machado, S. 107, wonach das Verfahren des Art. 155 CE bei Anwendung im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts eine Maßnahme der Gewährleistung i. S. des Art. 93 S. 2 CE darstellt. 40

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6. Teil: Die Überwachung der dezentralisierten Durchführung

die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung der von ihr mißachteten Verpflichtungen anzuhalten 43 • Damit werden die in Art. 155 CE alternativ ("oder") genannten Voraussetzungen von der Lehre im Sinne eines kumulativen Zusammentreffens beider Umstände umgedeutet 44 . Interessant erscheint die Frage, wann die staatlichen Organe von einer Verletzung einer die jeweilige AG treffenden Vollzugsverpflichtung ausgehen können. Baiio Le6n 45 fordert insofern eine vorherige Feststellung einer entsprechenden Verletzung durch den EuGH. Dem Staat fehle die Kompetenz für eine derartige Feststellung. Dementsprechend müsse auch das Verfassungsgericht bei seiner Anrufung durch eine AG im Rahmen des mit der Begründung der Passivität einer AG eingeleiteten Verfahrens des "Bundeszwangs" die Frage einer gemeinschaftswidrigen (autonomen) Umsetzung dem EuGH vorliegen, dem das Auslegungsmonopol für die Gemeinschaftsverträge zustehe. Nur teilweise wird in der spanischen Literatur eine entsprechende Erklärung der Kommission der EG als ausreichender Rechtfertigungsgrund für die Durchführung des "Bundeszwangs" angesehen. Selbst im Fall einer offensichtlichen Nichterfüllung wird von einer restriktiven Meinung eine diesbezügliche staatliche Einschätzungsprärogative verneint und eine vorherige gerichtliche Feststellung des Vorliegens einer Nichterfüllungunter Umständen nach Durchführung eines Vorlageverfahrens nach Art. 177 EWGV- verlangt 40 •

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Mangas Martin, S. 302. In diesem Sinne auch Entrena Cuesta, in: Garrido Falla, S. 2311, 2314. Der Verfas-

sungstext verlangt aber kein kumulatives Vorliegen beider Umstände, sondern nur ein alternatives Vorliegen, weshalb ein Einschreiten auf der Grundlage des Art. 155 CE auch aus Zweckmäßigkeits-, und nicht nur aus Rechtmäßigkeilserwägungen heraus möglich ist; vgl. hierzu Garz6n Clariana I Albiol Biosca I PUiol i Rul/ 1 Vila i Costa, S. 248. 45 Baiio Le6n, S. 105; Garz6n Clariana I Albiol Biosca I Piiiol i Rulll Vila i Costa, S. 248/249; so wohl auch Mangas Martin, S. 302.