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German Pages 319 [320] Year 2022
Malena Ratzke Erzählte Oratorik
Trends in Medieval Philology
Edited by Ingrid Kasten, Niklaus Largier and Mireille Schnyder Editorial Board Ingrid Bennewitz, John Greenfield, Christian Kiening, Theo Kobusch, Peter von Moos, Uta Störmer-Caysa
Volume 42
Malena Ratzke
Erzählte Oratorik
Politische Rede in der deutschsprachigen Literatur des Spätmittelalters
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch das Exzellenzcluster 2176 Understanding Written Artefacts: Material, Interaction and Transmission in Manuscript Cultures.
ISBN 978-3-11-075324-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-075471-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-075474-2 ISSN 1612-443X Library of Congress Control Number: 2022931200 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Dieses Buch basiert auf meiner Dissertation, die 2020 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg verteidigt wurde. Das Exzellenzcluster 2176 Understanding Written Artefacts: Material, Interaction and Transmission in Manuscript Cultures unterstützte die Publikation durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss.¹ Dem Vorstand sei dafür herzlich gedankt; ebenso Ingrid Kasten, Niklaus Largier und Mireille Schnyder für die Aufnahme in die Reihe Trends in Medieval Philology sowie Elisabeth Kempf, Eva Locher, Myrto Aspioti und Lydia White für die verlagsseitige Betreuung. Viele Menschen haben die wissenschaftliche und persönliche Entwicklung begleitet, aus der diese Publikation hervorgeht. Ihnen allen möchte ich danken und einige hervorheben: Martin Baisch und Bernhard Jahn haben mich schon in unterschiedlichen Phasen des Studiums unterstützt und die Begeisterung für historische Literatur und ihre wissenschaftliche Erforschung gefördert. Christoph Dartmann war wichtiger Gesprächspartner und drittes Kommissionsmitglied, Julia Weitbrecht schrieb das Drittgutachten. Den Kolleg:innen und Teilnehmenden der Veranstaltungen in Frankfurt, an der FU und der HU Berlin, in Karlsruhe bzw. Lichtenthal, Trier, Cambridge und Portland bin ich dankbar für die Möglichkeit, meine Beobachtungen vorzustellen und zu diskutieren. Meinen Freund:innen, Kolleg:innen und meiner Familie danke ich herzlich für Austausch und Rückhalt, besonders Christian Schmidt, Melanie Andresen, Britta Wittchow, der Promowendlandgruppe, Ramia Dimiati, Jürgen Harms, Martin Schneider und Hanna Wimmer. Meine Eltern unterstützen meine Neugier wahrscheinlich länger als ich erinnern kann: Mein Vater Volker brachte mir bei, dass es für fast jedes Thema Menschen gibt, denen man Fragen stellen kann, und von meiner Mutter Ursula habe ich gelernt, dass der Griff zu Büchern immer lohnt; sie hat zudem die Arbeit vollständig und akribisch korrekturgelesen. Hamburg, im April 2022
Malena Ratzke
Die Drucklegung für dieses Buch wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder – EXC 2176 Understanding Written Artefacts: Material, Interaction and Transmission in Manuscript Cultures, Projektnr. 390893796. Die Vorbereitung der Drucklegung fand am Centre for the Study of Manuscript Cultures (CSMC) an der Universität Hamburg statt. https://doi.org/10.1515/9783110754711-001
Inhalt . .
daz die rede sîn muge sînen worten eben. Einleitung 1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung Politische Kultur und Italien. Zur Textauswahl 19
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Historische politische Rede 25 Politik und das Politische 25 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne 35 Bedingungen politischer Redekultur 46 Darstellung, Repräsentation und Praxis. Untersuchungs61 dimensionen erzählter Oratorik
Herrschaft durch Überzeugung. Politische Rede im 80 Alexander und Alexander-Anhang Ulrichs von Etzenbach Eloquenzmarker 87 94 Zur Rhetorizität und Ritualität der Redeszenen Rede im Ritual. Alexanders Unterwerfungsgebot 94 Die Freiheitsrede der Trîtônier 100 104 Alexanders Brief an die Trîtônier Überzeugende Freiheit? Das Ritual der Herrschaftsübergabe 114 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander 120 sô sî wir von den goten frî (UvEA, V. 3243). Die Provokation 121 Thebens Freiheit durch Gleichheit mit dem Anspruchsteller. Alexanders Rede gegenüber Medêamanz 129
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Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik 138 Latein und Deutsch auf dem Augsburger Hoftag von 1275 143 tugentlicher soldan und verwâzen kristen. Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon der Steirischen Reimchronik 155 Das kluge Angebot des tugendhaften Herrschers. Die zweite Gesandtschaft des Sultans 166 Scheiternde Kommunikation – scheiternde Herrschaft. Der Konflikt 182 des Kardinallegaten mit den Bewohnern von Akkon Gelingende Herrschaft. Ideale Oratorik auf dem Hoftag des Sultans 195
VIII
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Inhalt
Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring 213 217 Reden über Rede in der Ehedebatte Die Prügelei als Kriegsanlass. Zum Politischen im Ring 232 Konstruktion und Destruktion politischer Ordnung im bäuerlichen Rat 242 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im 249 Städtekongress 263 Kommunikationskulturen Zur Untersuchung und Wirkung erzählter Oratorik 267 ‚Uebrigens bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß‘. Wirkungsgeschichtliche Dimensionen dargestellter 267 Oratorik Erzählte Oratorik zwischen Praxis, Repräsentation und 274 Darstellung
Literaturverzeichnis
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Autoren- und Werkregister English Abstract
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1 daz die rede sîn muge sînen worten eben. Einleitung Alexander der Große wird im Anhang zu Ulrichs von Etzenbach Antikenroman auf ungewöhnliche Weise dazu gezwungen, seine Herrscherkompetenzen zu beweisen: Weil die Stadt Trîtôniâ im Land Bractanâ problemlos allen Belagerungsversuchen standhält, muss Alexander seine Gegner oratorisch davon überzeugen, ihn als Herrscher zu akzeptieren.¹ Er demonstriert, dass er nicht nur gewaltsam, sondern klug und weise zu regieren versteht, indem er eine argumentativ und sprachlich anspruchsvolle Allegorie des Staatskörpers verfasst. Darin bringt er sein Selbstverständnis als gottgewollter Herrscher in Einklang mit der Freiheit der Trîtônier und entwirft ein politisches Gemeinwesen, das auf dem freiwilligen Dienst der Untertanen an ihrer Herrscherin, der personifizierten Weisheit, beruht.² Alexanders Rede, die dem trîtônischen Rat von einem angesehenen Gesandten präsentiert wird, imponiert den Stadtbewohnern. Dies artikuliert sich in einer weiteren Rede, die ein alter Ratsherr vorträgt und die die Entscheidung für Alexander herbeiführt: ‚wir haben lange wîs ervunden daz in astrîs, des die ganzheit dâ genomen, daz ein keiser sulle komen, der in allen rîchen nâch reht gewaldeclîchen gar der werlde dieten sol vorderlich gebieten: der mac dirre hêrre sîn. wir haben starc beswæret in. wanne merket ir in nuo, wie bescheiden er dâ tuo, sô starc er doch gebâret, noch er arclich uns vâret:
Vgl. Ulrich von Etzenbach: Alexander-Anhang, V. 134 f. Zitiert nach der Ausgabe: Ulrich von Eschenbach [d. i. Etzenbach]: Alexander. Hrsg. von Wendelin Toischer, Tübingen 1888 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 183), S. 747– 802. Künftig: UvEAA (Alexander-Anhang) bzw. UvEA (für den ‚Haupt‘-Alexander). Neuhochdeutsche Übersetzungen zu diesen Texten stammen von mir, M. R. Vgl. UvEAA, V. 1495; 1555 – 1564. https://doi.org/10.1515/9783110754711-002
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Einleitung
mit gedult wil erz überkomen. er ist uns guot în genomen und loben in: daz rât ich.‘ (UvEAA, V. 1667– 1683) Wir haben schon lange in den Sternen erkannt – und davon leiten wir Rechtswirksamkeit ab –, dass ein Kaiser kommen soll, der in allen Reichen rechtmäßig und mächtig, über die Menschen in aller Welt, ausgezeichnet herrschen soll: Das könnte dieser Herr sein.Wir haben ihn sehr betrübt.Wenn ihr ihn jetzt beobachtet, wie klug er sich verhält – wiewohl er gewaltig auftritt, benimmt er sich uns gegenüber dennoch nicht übel: Mit Geduld will er verhandeln. Er ist uns wohlgesonnen – und ihn zu loben, dazu rate ich.
Alexanders rhetorisch demonstrierte Klugheit (bescheidenheit) ist die zentrale Eigenschaft, die die Bürger überzeugt. Für die Trîtônier drückt sich diese Klugheit in entscheidender Weise in der Gestaltung der Rede aus, wie sich an der Forderung erkennen lässt, die Antwort der Trîtônier müsse sich mit Alexanders rhetorischem Niveau messen können, ‚seinen Worten ebenbürtig‘ sein. dô rief daz volc gemeinlich ‚ez ist unser wille wol, unser hêrre er wesen sol.‘ dô die comûne an in jach, der alde wîse aber sprach ‚râtet wie wir diz an in bringen, daz die rede sîn muge sînen worten eben und wir im antwurte geben nâch sîner bescheidenheit und keiserlîcher wirdekeit.‘ (UvEAA, V. 1684– 1694) Da rief das Volk einstimmig: „Es ist durchaus unser Wille, er soll unser Herr sein.“ Als die Kommune sich zu ihm bekannte, sprach der alte Weise noch einmal: „Ratet dazu, wie wir ihm dies übermitteln, sodass die Ansprache seinen Worten ebenbürtig sein kann und wir ihm eine Antwort entsprechend seiner Klugheit und kaiserlichen Würde geben.“
Immer wieder kommt die Verbindung von bescheidenheit und Rede im AlexanderAnhang zur Sprache. Klugheit manifestiert sich in der Oratorik, d. h. in der rednerischen Performanz der Figuren. Die handlungstragenden Figuren erweisen sich durch ihre Rede- und Argumentationsfähigkeit als klug und kompetent, angefangen beim Fürsten Alexander und den Stadtbewohnern Trîtôniâs, über die Gesandten der beiden Parteien, bis zum Gelehrten Aristoteles. Die beschriebene Szene illustriert, dass dieses Ideal sich nicht auf Herrscherfiguren beschränkt. Das Konzept der Herrschaftstugenden erstreckt sich auf alle Beteiligten und die Tugenden werden als politische Tugenden präsentiert.
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Wie das Eingangsbeispiel und der weitere Verlauf der Handlung im Alexander-Anhang zeigen, können Alexander und die Trîtônier eine Gemeinschaft bilden, weil beide Seiten die Rhetorik als gemeinsamen Wert anerkennen. Diese rhetorische Gemeinschaft ist Voraussetzung für die politische Gemeinschaft, in die die freien Stadtbürger und der monarchische Herrscher gleichermaßen integriert werden. Herrschaftlich-politische und rhetorische Kompetenz verbinden sich so zu einem Ideal politischer Oratorik. Im Zentrum dieser Studien steht ‚erzählte Oratorik‘, d. h. die narrative Darstellung politischer Rede, die in Texten aus dem 13. bis frühen 15. Jahrhundert in den Blick genommen wird. Als Gegenstück zum theoretischen System der ‚Rhetorik‘ bezieht sich der Begriff ‚Oratorik‘ auf die praktizierte Rede, die in enger Auseinandersetzung mit der rhetorischen Lehre entstehen und umgesetzt werden kann, aber vielfach auch eigene Wege geht.³ Die folgenden Studien gehen aus von der Beobachtung, dass deutschsprachige narrative Texte wie der Alexander-Anhang ein verstärktes Interesse daran zeigen, Herrschafts- und Ordnungsvorstellungen mit der Darstellung rednerischer Kompetenz zu verbinden. Der AlexanderAnhang steht in dieser Hinsicht nicht allein, denn auch in anderen Erzähltraditionen des Mittelalters sowie in didaktischen Texten lässt sich beobachten, dass politischer Beredsamkeit eine wichtige Funktion zugesprochen wird. Unter Rekurs auf einen verbreiteten Merksatz betont Thomasin von Zerklaere zu Beginn des 13. Jahrhunderts in seiner Erziehungslehre Der Welsche Gast nicht nur, dass es wichtig ist, gut sprechen zu können, sondern auch, dass diese Fähigkeit reflektiert einzusetzen ist: ich wil iu sagen, swelich man mit sinne niht erahten kan von wem, ze wem, waz, wie und wenne er rede, ez schadet im etwenne. ⁴ Ich will euch sagen: Wenn ein Mann nicht mit Verstand erwägen kann, von wem, mit wem, was, wie und wann er spricht, schadet ihm das mitunter.
Erziehungslehren wie der Welsche Gast dienen der Einübung in einen höfischadligen Habitus, Thomasins Aussage bezieht sich somit allgemein auf jedes
Zu Begriff und Konzept vgl. Kapitel 1.1 (Abschnitt Oratorik). Thomasin von Zerklaere: Der welsche Gast,V. 553 – 556. Zitiert nach der Ausgabe [Thomasin von Zerklaere]: Der wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria. Hrsg. von Heinrich Rückert, Quedlinburg u. a. 1852 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 30). Schaft-s der Edition wird mit rundem s wiedergegeben. Neuhochdeutsche Übersetzung: M. R.
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Einleitung
Sprechen am Hof. Indem diese Erziehungslehren sich an Angehörige der Elite richten, die als zukünftige Machthaberinnen und Machthaber auf ihre Aufgaben vorbereitet werden, lassen sie sich zugleich als Programme politischer Bildung verstehen. Eine korrespondierende Aussage findet sich in Johannes’ von Viterbo Liber de regimine civitatum, der im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts und etwas weiter südlich von Thomasins Wirkungsregion Friuli entstand.⁵ Johannes erhebt Beredsamkeit zur zentralen Kompetenz für die Inhaber des Podestà-Amtes, des Stadtvorstehers in italienischen Kommunen,⁶ die sich seit dem 12. Jahrhundert zu „Zentren politischer Beredsamkeit“⁷ entwickelten und mit der Ars dictaminis ein eigenes Genre von Rhetorikhandbüchern begründeten:⁸ „Die Eloquenz der Amtsträger, insbesondere des Podestà, erhielt hier eine entscheidende Funktion für die Legitimierung der kommunalen Ordnung sowie für das Selbstverständnis der städtischen Eliten.“⁹ Dieses Selbstverständnis artikulierte sich u. a. in regelmäßig einberufenen Bürgerversammlungen, in denen die Amtsträger ihre orato-
Zu Datierung und Kontextualisierung vgl. Anton, Hans Hubert: Einleitung. In: Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters. Hrsg. von Hans Hubert Anton, Darmstadt 2006 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 45), S. 3 – 37, hier S. 26 – 28 mit weiterer Literatur. Vgl. einführend Chittolini, Giorgio: Podestà. In: Lexikon des Mittelalters Online 7 (2020), Sp. 30 – 32, http://apps.brepolis.net/lexiema/test/Default2.aspx (13. Dezember 2021). Chittolini spricht von der „neuartigen Figur“ des Podestà – „neuartig, weil es sich um einen einzigen Amtsträger handelte, der das Kollegium der Konsuln ersetzte, und v. a. weil sich ein Berufspodestat herausbildete, dessen Träger in der Regel nicht der Führungsschicht der Stadt seines künftigen Wirkungskreises entstammte […]. Die Amtszeit betrug höchstens zwei Jahre, seit der Mitte des 13. Jh. gewöhnl. sechs Monate […]. Der P. war das höchste Exekutivorgan der Kommune in Verbindung mit den Ratsversammlungen, die er einberufen mußte und deren Arbeit er leitete.“ Ratzke, Malena / Schmidt, Christian: Politische Rhetorik in Mittelalter und Frührenaissance. In: Handbuch Politische Rhetorik. Hrsg. von Armin Burkhardt, Berlin u. a. 2019 (Handbücher Rhetorik 10), S. 97– 116, hier S. 100. Zur Ars dictaminis vgl. einführend die Lexikon- und Handbuchbeiträge Camargo, Martin: Ars dictandi, dictaminis. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), Sp. 1040 – 1046; Worstbrock, Franz Josef: Ars dictaminis, Ars dictandi. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 1 (2007), S. 138 – 141; Knape, Joachim: Rhetorik und Stilistik des Mittelalters. In: Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Hrsg. von Ulla Fix / Andreas Gardt / Joachim Knape, Berlin u. a. 2008 (HSK 31,1), S. 55 – 72; Ratzke / Schmidt: Politische Rhetorik, S. 107– 109; ausführlich das Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre. Hrsg. von Florian Hartmann / Benoît Grévin, Stuttgart 2019 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 65). Zu den Arbeiten Florian Hartmanns, die sich besonders mit der Relation der Ars dictaminis zur zeitgenössischen politischen Kultur beschäftigen, vgl. Kapitel 1.1, Abschnitt Oratorik. Ratzke / Schmidt: Politische Rhetorik, S. 100.
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rische Kunst demonstrierten.¹⁰ Entsprechend hält Johannes von Viterbo ein leidenschaftliches Plädoyer für die Beredsamkeit: Sit eloquentissimus et bonus orator: Magna [et varia] res [est] eloquentia nec adhuc alicui sic indulsit, ut tota contingeret; satis felix est, qui in aliquam partem eius receptus est. Decet enim civitatis presides bene et ornate loqui: Oratio enim benigna multitudinis animos ad benevolentiam allicit; magna est enim ammiratio copiose sapienterque dicentis, quem qui audiunt et intelligere et sapere plus quam ceteros arbitrantur. Si vero inest in oratione mixta modestie gravitas, nil ammirabilius fieri potest, eoque magis, si ea sit in adolescente. Der Vorsteher des Gemeinwesens sei im höchsten Maß redebegabt und ein guter Redner: Eine große [und vielgestaltige] Sache [ist] die Beredsamkeit, und sie war noch keinem so gewogen, dass sie ihm ganz zugefallen wäre; in hohem Maß glücklich ist, wer in irgendeinen Teil von ihr aufgenommen ist. Es ist in der Tat eine Notwendigkeit für die Leiter eines Stadtstaates, gut und kunstvoll sprechen zu können: Eine leutselige und gewogene Rede nämlich bewegt die Menge zu Wohlwollen; denn groß ist die Bewunderung für jemanden, der aus vollem Fundus und weise redet; die einen solchen hören, sind überzeugt, er erkenne und wisse mehr als die Übrigen.Wenn dann in einer mit gemischten Bestandteilen versetzten Rede Bescheidung und Würde enthalten sind, kann es nichts Bewundernswerteres geben, dies umso mehr, wenn es die Rede eines jungen Mannes ist.¹¹
Wie der Alexander-Anhang, so interessieren sich auch andere narrative Texte dieser Zeit für Fragen der Rhetorik und der politischen Rede. Sprachliche Kompetenz ist auch in die Erziehungsprogramme literarischer Figuren integriert.¹² Zur Ausbildung Alexanders des Großen gehört häufig explizit die Rhetorik. Bei Rudolf von Ems wird Alexander von den prominentesten Lehrmeistern der Antike unterrichtet, zu denen auch der Rhetoriker Anaximenes zählt.
Dies sind mit Peter Koch „die gewählten Amtsinhaber (die ‚consoli‘, dann vor allem der ‚podestà‘, später auch der ‚capitano del popolo‘);“ außerdem müssen „Gesandte (‚ambasciatori‘) […] Verhandlungen zwischen den Städten führen usw. Im kommunikativen Haushalt dieser kommunalen Gesellschaft besteht also neuerdings wieder ein Bedarf an öffentlicher Rede“ (Koch, Peter: Urkunde, Brief und öffentliche Rede. Eine diskurstraditionelle Filiation im Medienwechsel. In: Das Mittelalter 3/1 [1998], S. 13 – 44, hier S. 32). Koch bezieht sich auf einen Zeitraum ab dem 11., besonders aber ab dem 12. und 13. Jahrhundert. Johannes von Viterbo: Liber de regimine civitatum. Werk über die Regierung und Lenkung der Stadtstaaten. In: Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters. Hrsg. von Hans Hubert Anton, Darmstadt 2006 (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 45), S. 230 – 283, hier S. 242/244; Übersetzung ebd., S. 243/245. Die Ergänzungen in eckigen Klammern stammen aus der Edition. Vgl. dazu Nine Miedemas Beobachtung, dass höfisches Sprechen häufig in Bezug auf junge Figuren thematisiert wird: Miedema, Nine: Gesprächsnormen. Höfische Kommunikation in didaktischen und erzählenden Texten des Hochmittelalters. In: Text und Normativität im deutschen Mittelalter. XX. Anglo-German Colloquium. Hrsg. von Elke Brüggen u. a., Berlin u. a. 2012, S. 251– 278, hier S. 277. Vgl. auch Kapitel 1.1, Anm. 26.
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Einleitung
der redewîsheit wîsiu wort und den rîchesten hort an widerrede, an worten sin wol erkennen, daz lêrt in der wîs Anaximenes. ¹³ Der Redelehre weise Worte und den reichsten Schatz an Antworten, die Bedeutung der Worte erkennen – das lehrte ihn der weise Anaximenes.
Spätmittelalterliche Erzähltexte führen Rede auch in der politischen Praxis vor. Einschlägige Beispiele bietet die tierepische Tradition, die politische Ordnungsvorstellungen und die Legitimität von Herrschaft anhand eines tierischen Figurenpersonals verhandelt.¹⁴ Insbesondere die Figur des Fuchses tut sich durch listige Klugheit und listiges Sprechen hervor, was in einer Reihe von Texten genutzt wird, um die manipulative Kraft der Sprache auszuloten.¹⁵ Im Reynke de Vos
Rudolf von Ems: Alexander,V. 1373 – 1377. Zitiert nach der Ausgabe: Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. Hrsg. von Victor Junk. Unveränd. reprograf. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1928/1929, Darmstadt 1970. Neuhochdeutsche Übersetzung: M. R. Vgl. exemplarisch Jahn, Bernhard / Neudeck, Otto: Einleitung. In: Tierepik und Tierallegorese. Studien zur Poetologie und historischen Anthropologie vormoderner Literatur. Hrsg. von Bernhard Jahn / Otto Neudeck, Frankfurt a. M. u. a. 2004 (Mikrokosmos 71), S. 7– 14, hier S. 10 f.; Waltenberger, Michael: Die Legitimität des Löwen. Zum politischen Diskurs der frühneuzeitlichen Tierfabel und Tierepik. In: Die Frühe Neuzeit. Revisionen einer Epoche. Hrsg. von Andreas Höfele / Jan-Dirk Müller / Wulf Oesterreicher, Berlin u. a. 2013 (Pluralisierung & Autorität 40), S. 203 – 228, hier S. 211 f. zur Ordnungbegründung im Fuchsepos Reynke de Vos; jüngst die Monografien Glück, Jan: Animal homificans. Normativität von Natur und Autorisierung des Politischen in der europäischen Tierepik des Mittelalters, Heidelberg 2021 (Germanisch-Romanische Monatsschrift. Beihefte 104); Rieger, Hannah: Die Kunst der ‚schönen Worte‘. Füchsische Redeund Erzählstrategien im Reynke de Vos (1498), Tübingen 2021 (Bibliotheca Germanica 74). Vgl. Rieger, Hannah: Füchsische Poetologie. Zur Spiegelfiktion im Reynke de Vos (1498). In: Poetica 50/3 – 4 (2020), S. 193 – 218, hier S. 197– 200. Auch die politische Theorie seit der Antike bedient sich der Fuchsfigur als Verkörperung der Klugheit; vgl. ebd., S. 207. Ebenfalls mit Fokus auf die füchsische Rede vgl. Schlusemann, Rita: Scone tael. Zur Wirkmacht der Rede männlicher und weiblicher Figuren in deutschen und niederländischen Reynaert-Epen. In: Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Franz Hundsnurscher / Nine Miedema / Monika Unzeitig, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1), S. 293 – 310, hier S. 296. Schlusemann macht darauf aufmerksam, dass in den von ihr untersuchten niederländischen Fuchsepen die weiblichen Figuren einen hohen Redeanteil haben: „Zu den Dialogpartnern des Fuchses gehören nicht nur die Boten (der Bär Bruun, der Kater Tibaert und der Dachs Grimbaert), sein wichtigster Gegner (der Wolf) und der König, sondern auch die Königin, die Wölfin und nicht zuletzt Reynaerts Ehefrau“ (ebd.). Vgl. auch Schlusemann, Rita: „Was kostete Reynaert schöne Sprache?“ Van den vos Reynaerde (12./13. Jh.). In: Grundkurs Literatur aus Flandern und den Niederlanden. Hrsg. von Johanna Bundschuh-van Duikeren / Lut Missine /
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aus dem 15. Jahrhundert steigt der Fuchs im politischen System der Tiergesellschaft auf, indem er elaborierte Reden vor dem Hofgericht des Löwenkönigs hält und so nicht nur seine Bestrafung verhindert, sondern zum Kanzler ernannt wird. Hannah Rieger hebt hervor, dass der Fuchs als Figur konstruiert ist, die „mit listiger Klugheit Rede- und Erzähltechniken als politisches Handeln einsetzen kann. Nicht nur implizit, sondern durch den Handlungsfortgang selbst bestätigt, wird damit ein Schaustück politisch kluger Rede- und Erzählweise entworfen.“¹⁶ Eines der Felder, auf denen Figuren ihre oratorischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, ist das eng mit der politischen Kultur verflochtene Boten- und Diplomatenwesen. So hebt Konrad von Würzburg im Trojanerkrieg den Trojaner Antenor, der als Gesandter zu den Griechen reist, als unmâzen redehaft hervor. geheizen was Antênor der selbe ritter ûzgenomen und was ein herre vollekomen an lîbe und an geslehte, er hete von lantrehte gelernet an der schrifte gnuoc, sîn zunge ein edel sprâche truoc und was unmâzen redehaft, ouch hete er eine grâfeschaft und was des lîbes gar ein helt. ze boten wart er ûz gewelt ¹⁷ Ernannt wurde Antenor, der vortreffliche Ritter; er war ein vollkommener Herr an Körper und Herkunft, er hatte vom Landrecht genug aus den Schriften gelernt, seine Zunge verfasste edle Rede und war unermesslich beredt. Auch besaß er eine Grafschaft und war selbst ein Held. Zum Gesandten wurde er ausgewählt.
Insbesondere Odysseus preist Konrad als wîs unde redebaere,¹⁸ weshalb er sich besonders für die Gesandtschaft eignet, auf der er mit Diomedes nach Achill suchen soll: Jan Konst, Bd. 1, Münster 2014 (Studienbücher zu Sprache, Literatur und Kultur in Flandern und den Niederlanden 1), S. 21– 44, hier S. 38 – 43. Rieger: Füchsische Poetologie, S. 217. Vgl. auch Rieger: Die Kunst der ‚schönen Worte‘, S. 36 – 38 u. ö. Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg, V. 17970 – 17980. Zitiert nach der Ausgabe Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg und die anonym überlieferte Fortsetzung. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Bianca Häberlein / Heinz Thoelen, Wiesbaden 2015 (Wissensliteratur im Mittelalter 51). Neuhochdeutsche Übersetzung: M. R. Ebd.,V. 27469; „klug und beredt“. Zur Beredsamkeit von Boten und Gesandten sowie zu deren literarischer Darstellung vgl. ausführlicher Kapitel 3.1. Als redebære werden Gesandte auch in der Steirischen Reimchronik Ottokars von Steiermark bezeichnet; vgl. OStR, V. 66420. Die Verschronik
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Einleitung
daz man si kôs beide unde las ze boten ûz besunder, des neme iuch lützel wunder, wan si des wirdic wâren. manheite kunde fâren der künic Dîomêdes, sô was der helt Ulixes wîs unde redebaere: daz er gespraeche waere, daz wart vil ofte erzeiget. ¹⁹ Dass man sie wählte und besonders als Boten aussuchte, das sollte euch wenig wundern, denn sie waren dessen würdig. Männliche Tapferkeiten konnte Dîomêdes vollbringen, während der Held Ulixes klug und beredt war: Dass er eloquent war, das erwies sich sehr oft.
Wie die Beispiele zeigen, ist Eloquenz im politischen Kontext in einer ganzen Reihe von Texten aus verschiedenen Traditionen präsent. Sie thematisieren die Notwendigkeit, gut sprechen zu können, um in politischen Situationen erfolgreich zu sein.²⁰ Ausgehend von diesem Befund gehen die folgenden Kapitel der Frage nach, wie Oratorik in spätmittelalterlichen erzählenden Texten dargestellt wird, wie diese mit anderen Kommunikationsformen zusammenwirkt und welche Funktion sie im Erzählzusammenhang erfüllt. Die vorliegende Studie verbindet Ansätze aus der germanistischen und der historischen Forschung. Wichtige Impulse bezieht sie aus der historischen Oratorikforschung sowie aus der germanistisch-mediävistischen Forschung zu höfischer Rede und Redeszenen. Zunächst sei mit diesen Ansätzen der Hintergrund für die folgenden Untersuchungen skizziert (1.1) und die Textauswahl erläutert (1.2). Kapitel 2 ordnet die genannten Ansätze in den umfassenderen Kontext der Kulturgeschichte des Politischen ein, bevor grundlegende Bedingungen vormoderner Redekultur dargestellt werden. Auf dieser Basis ist es möglich, ein Untersuchungsmodell für die Analyse erzählter Oratorik zu entwickeln. Drei Fallstudien nehmen in den Kapiteln 3 bis 5 anschließend eine Auswahl von Texten in Augenschein, die zwischen dem späten 13. und dem frühen 15. Jahrhundert entstanden: Die erste Fallstudie ist dem Alexander-Anhang Ulrichs von Etzenbach gewidmet, der um 1300 in Böhmen verfasst wurde; zum Vergleich werden zwei Episoden aus dem schon vor 1285 entstandenen Alexander-Hauptteil
schildert historische Ereignisse des 13. Jahrhunderts und arbeitet dafür intensiv mit Figurenrede, die in einer Fallstudie dieser Untersuchung genauer betrachtet werden; vgl. Kapitel 4. Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg, V. 27462– 27471. Zum hier verwendeten Verständnis von Politik bzw. einer Qualität des Politischen vgl. Kapitel 2.1.
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herangezogen.²¹ Ungefähr zeitgleich mit dem Alexander-Anhang, auf der anderen Seite der böhmisch-österreichischen Kontaktzone, entstand zwischen 1300 und 1319 die Steirische Reimchronik des Ottokar von Steiermark.²² Die dritte Fallstudie beschäftigt sich mit Heinrich Wittenwilers Ring,²³ dessen Datierung je nach Forschungsposition zwischen 1360 und 1420 schwankt.²⁴ Anhand ausge-
Zur Datierung vgl. Finckh, Ruth: ‚Natur‘ als politische Parole in Ulrichs von Etzenbach Alexander-Anhang. In: Natur im Mittelalter. Konzepte – Erfahrungen – Wirkungen. Hrsg. von Peter Dilg, Berlin 2003, S. 386 – 407, hier S. 388; Finckh, Ruth: Vom Sinn der Freiheit. Ulrichs von Etzenbach Alexander-Anhang und der zeitgenössische Macht-Diskurs. In: Herrschaft, Ideologie und Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters. In Zusammenarbeit mit Kerstin Börst, Ruth Finckh, Ilja Kuschke und Almut Schneider. Hrsg. von Ulrich Mölk, Göttingen 2002 (Veröffentlichung aus dem Göttinger Sonderforschungsbereich 529 ‚Internationalität Nationaler Literaturen‘. Serie A 2), S. 358 – 411, hier S. 359 f. Herweg datiert die Werke Ulrichs in der neuen Ausgabe des Wilhalm von Wenden, geht aber nicht eigens auf das Entstehungsdatum des Alexander-Anhangs ein: Der Hauptteil des Alexander, als dessen Anhang sich der hier untersuchte Text präsentiert, entstand mit Herweg ab 1275 und „wohl bis 1285“, der Wilhalm von Wenden „nach dem Alexander zwischen 1287 und 1297“ (Herweg, Mathias: Nachwort. In: Ulrich von Etzenbach: Wilhalm von Wenden. Text, Übersetzung, Kommentar. Hrsg. & übers. von Mathias Herweg, Berlin u. a. 2017 [De Gruyter Texte], S. 215 – 230, hier S. 219). Zitiert nach der zweibändigen Ausgabe [Ottokar von Steiermark]: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. 2 Bde. Hrsg. von Joseph Seemüller, Hannover 1890/1893 (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters 5,1/2). Künftig: OStR. Soweit nicht anders gekennzeichnet, wird die neuhochdeutsche Übersetzung zu dem Teil der Steirischen Reimchronik, der als das sog. Buch von Akkon bekannt ist, zitiert nach Hatheyer, Bettina: Das Buch von Akkon. Das Thema Kreuzzug in der Steirischen Reimchronik des Ottokar aus der Gaal. Untersuchungen, Übersetzung und Kommentar, Göppingen 2005 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 709). Die Übersetzung zu anderen Teilen der Chronik stammt von mir, M. R. – Die verwendeten Namensund Titelformen folgen der Konvention des Verfasserlexikons; vgl. Weinacht, Helmut: Ottokar von Steiermark. In: Verfasserlexikon via Verfasser-Datenbank 7 [Nachtrag in 11] (2012), Sp. 238 – 245, https://www.degruyter.com/document/database/VDBO/entry/vdbo.vlma.3245/html (13. Dezember 2021). Zu Titelkonventionen,Verfassername und Datierung vgl. auch Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 10; 26. Vgl. Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Text, Übersetzung, Kommentar. Nach der Münchener Handschrift. Mit einem Abdruck des Textes nach Edmund Wießner. Unter Mitarb. von Annika Goldenbaum. Hrsg. von Werner Röcke, Berlin u. a. 2012 (De Gruyter Texte). Künftig: Ring. Soweit nicht anders angegeben, stammt die im Folgenden zitierte neuhochdeutsche Übersetzung aus dieser Ausgabe. Vgl. Zapf, Volker: Wittenwiler, Heinrich. In: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter 5 (2013), Sp. 1302– 1312, hier Sp. 1302 f. Frank Fürbeth argumentierte zuletzt auf der Basis einer kodikologischen Untersuchung dafür, unterschiedliche Entstehungsdaten für den Hauptteil des Rings und den Prolog anzunehmen. Der Prolog und die Farbmarkierungen seien spätere Nachträge, die nicht auf um 1410, sondern auf die Jahre um 1414/1418 zu datieren seien. Den Konsens der Forschung, der Hauptteil des Rings sei vor dem Konstanzer Konzil entstanden, stellt er dabei
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Einleitung
wählter Rezeptionszeugnisse zu berühmten historischen Rednerinnen und Rednern bietet das Schlusskapitel 6 einen Ausblick auf die Wirkung politischer Redeszenen und führt die Beobachtungen zur erzählten Oratorik zwischen Praxis, Repräsentation und Darstellung zusammen.
1.1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung In der germanistischen Mediävistik begegnen Begriffe wie ‚Politik‘ oder ‚politische Rede‘ eher selten. Entsprechende Themenbereiche werden zum Teil innerhalb des Forschungsdiskurses zu höfischer Literatur und Kultur verhandelt. In diesem Rahmen beschäftigt sich die Forschung auch mit dem adäquaten Sprechen am Hof: Höfische Rede wird von Horst Wenzel „als ein charakteristischer Bestandteil der höfischen Lebensform“²⁵ bezeichnet und Joachim Bumke geht in seiner Einschätzung noch weiter und formuliert, „daß höfische Kultur von den Betroffenen selbst in erster Linie als Sprachkultur begriffen wurde.“²⁶ Als höfische Rede gilt dabei vor allem ein sprachliches Ideal, das in didaktischen und narrativen Texten des 12. und frühen 13. Jahrhunderts entwickelt wird. nicht infrage. Vgl. Fürbeth, Frank: ‚unter den Augen des Dichters‘? Überlegungen zur Rekonstruktion der Urfassung von Heinrich Wittenwilers Ring anhand seiner verlorenen Überlieferung. In: ZfdA 146/2 (2017), S. 198 – 249, hier S. 219, 242, 246. Vgl. auch Kapitel 5.1, Anm. 45. Wenzel, Horst: Die Zunge der Brangäne oder die Sprache des Hofes. In: Wenzel, Horst: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005, S. 85 – 96, hier S. 87 in Bezug auf Heinrichs von Melk Von des Todes gehugde. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme. In: PBB 114/3 (1992), S. 414– 492, hier S. 478. Miedema ist in dieser Hinsicht zurückhaltender, teilt aber grundsätzlich Bumkes Einschätzung: „Möglicherweise wird der Stellenwert der angemessenen Sprache für die höfische Kultur damit allzu stark in den Vordergrund gerückt, kaum zu leugnen ist jedoch, dass die Entwicklung eines gehobenen Sprachcodes als einer der wichtigeren Faktoren im höfischen Kontext zu interpretieren ist“ (Miedema: Gesprächsnormen, S. 262). Sie verweist u. a. darauf, dass sich im Rahmen höfischer Erziehungsprogramme ein Interesse an Beredsamkeit feststellen lässt; vgl. ebd., S. 277. Als einschlägig kann das bekannte Beispiel Tristans und Isoldes gelten, deren höfische Erziehung Sprecherziehung und eine Ausbildung in Fremdsprachen umfasst: In der Obhut von Rûal und seiner Frau eignet sich Tristan sowohl passive als auch aktive Sprachkompetenz an: Er lernt wol rede und ouch gebâr | vernemen (Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 2058 f.; „Sprache und auch Benehmen […] verstehen“), vremede sprâche (hier V. 2063; „Fremdsprachen“) und zwei[] lernunge[] | der buoche unde der zungen (hier V. 2093 f.; „Studium der Bücher und der Sprachen“). Die junge Isolde beherrscht neben höfischen Musikinstrumenten bereits die Sprachen Irisch, Französisch und Latein, bevor sie von Tristan unterrichtet wird; vgl. ebd., V. 7985 f. Zitate und Übersetzung nach der Ausgabe: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke. Hrsg. & übers. von Rüdiger Krohn, Bd. 1, Stuttgart 112006 (Reclams Universal-Bibliothek 4471).
1.1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung
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Nine Miedema nennt in einem Beitrag zu ‚Gesprächsnormen‘ in der höfischen Kommunikation die folgenden formalen und stilistischen Merkmale, die im Vergleich zur früheren Literatur charakteristisch für literarische Redeszenen um 1200 sind: die Etablierung einer bestimmten Lexik, eine komplexere Syntax und die verstärkte Verwendung bildhafter Rede.²⁷ Dazu treten Formen verbaler Höflichkeit wie das Formulieren höflicher Bitten statt direkter Befehle und die Ankündigung der friedlichen Absichten der Sprechenden.²⁸ Diese Merkmale nennt auch Bumke, der zusätzlich auf die Häufung französischer Lehnwörter sowie ritualisierte Anrede- und Umgangsformen hinweist.²⁹ Bumke hebt besonders das höfische Sprechen im Umgang mit Frauen hervor, das nicht zuletzt in den Idealen der höfischen Minne seinen Ausdruck findet.³⁰ Daran ist zu erkennen, dass ‚höfische Rede‘ einen Teil der ‚höfischen Kultur‘ bildet, womit ein umfassendes Konzept kultureller Selbstvergewisserung oder Identitätsbildung gemeint ist, das verschiedene Lebensbereiche des Adels umfasst.³¹ Nine Miedemas Beitrag zu Gesprächsnormen ist der historischen Dialogforschung zuzuordnen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten u. a. in der Germanistik als Forschungszweig etabliert hat und sich der Gestaltung von Redeszenen in Texten des europäischen Mittelalters widmet.³² Dabei hat sich eine Vgl. Miedema: Gesprächsnormen, S. 268. Vgl. ebd., S. 268 f. Vgl. Bumke: Bestandsaufnahme, S. 479 f.; vgl. auch ebd., S. 481. Vgl. Bumke: Bestandsaufnahme, S. 481. Vgl. den Abschnitt Was heißt „höfisch“? Ebd., S. 422– 434. Vgl. außerdem Bumkes Standardwerk: Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 122008 (dtv 30170), hier S. 12– 14; 381– 446 und öfter (bes. Kapitel V: Das höfische Gesellschaftsideal). Zuerst vorgestellt bei Miedema, Nine: Die Gestaltung der Redeszenen im ersten Teil des Nibelungenliedes. Ein Vergleich der Fassungen *A/*B und *C. In: Ze Lorse bi dem münster. Das Nibelungenlied (Handschrift C). Literarische Innovation und politische Zeitgeschichte. Hrsg. von Jürgen Breuer, München u. a. 2006, S. 45 – 84, hier S. 46 – 49; Miedema, Nine / Hundsnurscher, Franz: Einleitung. In: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Hrsg. von Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung 36), S. 1– 18, hier S. 4– 8. Einen Ausgangspunkt für einen gemeinsamen methodischen Bezugsrahmen bietet Jörg Kilians linguistische Einführung in die historische Dialogforschung, die aus der Breite linguistischer Teildisziplinen schöpft, dabei selbst aber für einen transdisziplinären Methodenpluralismus eintritt. Vgl. Kilian, Jörg: Historische Dialogforschung. Eine Einführung, Tübingen 2005 (Germanistische Arbeitshefte 41), hier S. 88; ebd., S. 109. Der Ansatz wurde anschließend fortentwickelt; die Ergebnisse liegen vor in den Sammelbänden: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Hrsg. von Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung 36); Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Monika Unzeitig / Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1); Sprechen
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Dialogforschung entwickelt, die Perspektiven aus der Linguistik mit solchen aus den Kommunikations-, Literatur- und Kulturwissenschaften verbindet und es möglich macht, ältere Forschungsansätze etwa zum höfischen Sprechen oder zur Figurenrede zu integrieren.³³ Untersucht wird die Darstellung von Redeszenen in der Erzählliteratur und in Sachtexten, wobei bewusst ein weiter Begriff von ‚Redeszene‘ gebraucht wird, der sich nicht auf Szenen direkter Rede beschränkt, sondern indirekte Rede und Redebericht sowie die Kopplung mit nonverbaler Kommunikation einbegreift. Auch die Rede des Erzählers und dessen Kommunikation mit den Rezipientinnen und Rezipienten wird betrachtet.³⁴ Bereits früh zeigte sich dabei die Produktivität eines komparatistischen Ansatzes: Insbesondere die Tagung von 2007 machte darauf aufmerksam, dass die Gestaltung der Redeszenen durchaus vom kulturellen und sozialen Umfeld der Texte abhängig ist und Faktoren wie Sprache, Gender oder Stand eine Rolle spielen können.³⁵
mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende. Hrsg. von Nine Miedema / Monika Unzeitig / Angela Schrott, Berlin 2012 (Historische Dialogforschung 2); Stimme und Performanz in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. von Nine Miedema / Monika Unzeitig / Angela Schrott, Berlin u. a. 2017 (Historische Dialogforschung 3); Gelungene Gespräche als Praxis der Gemeinschaftsbildung. Literaturwissenschaftliche und linguistische Perspektiven. Hrsg. von Christoph Strosetzki / Angela Schrott, Berlin u. a. 2020 (Historische Dialogforschung 5). Vgl. Unzeitig, Monika / Miedema, Nine / Hundsnurscher, Franz: Einleitung. In: Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Monika Unzeitig / Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1), S. 1– 14, hier S. 2. Mit Redeszenen als Mittel der Figurencharakterisierung beschäftigt sich die Dissertation von Teresa Cordes, die in der gleichen Publikationsreihe wie die Tagungsbände erschien. Sie verbindet den Ansatz der historischen Dialogforschung mit historischer Narratologie und Sprachpragmatik und erprobt diese an französischen und deutschsprachigen Lanzeletromanen; vgl. Cordes, Teresa: Die Redeszenen in Chrétiens Chevalier de la Charrette, in Ulrichs Lanzelet und im Prosalancelot. Eine narratologische und sprachpragmatische Untersuchung, Berlin u. a. 2016 (Historische Dialogforschung 4), hier S. 12 f. Vgl. Unzeitig / Miedema / Hundsnurscher: Einleitung (Komparatistische Perspektiven), S. 2– 4. Vgl. Neuendorff, Dagmar / Raitaniemi, Mia: Über die Schwierigkeiten, sich zu streiten. Dialoganalyse einer Streitszene aus dem Nibelungenlied und dem Kalevala. In: Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Nine Miedema / Monika Unzeitig / Franz Hundsnurscher, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1), S. 35 – 62; Jones, Martin H.: Zum Gebrauch der Figurenrede in drei Versionen des Karl-Roland-Stoffes. Die Chanson de Roland, das Rolandslied des Pfaffen Konrad und Karl der Große des Strickers. In: Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Franz Hundsnurscher / Nine Miedema / Monika Unzeitig, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1), S. 63 – 84; Schlusemann: Scone tael; vgl. aber auch bereits im ersten Tagungsband Schuhmann, Martin: Li Orgueilleus de la Lande und das Fräulein im Zelt, Orilus und Jeschute. Figurenrede bei Chrétien und Wolfram im Vergleich. In: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeut-
1.1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung
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Verschiedentlich werden dabei auch Szenen politischer Rede untersucht, jedoch ohne dass diese als eigenständiges Thema betrachtet würden. So gehen Unzeitig, Miedema und Hundsnurscher etwa auf mögliche Funktionen persuasiver Redeszenen ein. Diese Überlegungen sind auch für politisches Reden relevant: Redeszenen bilden sprachliche Gepflogenheiten des Mittelalters nicht naiv ab, sondern demonstrieren die Möglichkeiten der Persuasion durch Rede (monologisch oder im Gespräch; autoritativ, persuasiv oder sogar dialektisch). Redeszenen zeigen dabei allerdings auch die Gefahren, die das Sprechen in sich birgt […]. Die Redeszenen erhalten dadurch, ob im positiven oder negativen Sinne, Vorbildfunktion für den extradiegetischen Rezipienten.³⁶
Gesine Mierke hat in ihrer Habilitationsschrift Redeszenen in der Weltchronik des Jans von Wien und in der Kaiserchronik statistisch ausgewertet und exemplarische Szenen analysiert. Dabei stellt sie fest, dass die chronikalen Redeszenen genutzt werden, um Wissen über herrschaftliches und adliges Handeln zu vermitteln; im Sinne der rhetorischen amplificatio tragen die untersuchten Redeszenen dazu bei, Abwechslung in die Erzählung zu bringen oder diese zu dramatisieren.³⁷ Sie geht
schen Großepik. Hrsg. von Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung 36). Unzeitig / Miedema / Hundsnurscher: Einleitung (Komparatistische Perspektiven), S. 13. Neben den nachfolgend angesprochenen Beiträgen sind unter den Fallstudien ebenfalls diejenigen von Harald Weydt und Karin Cieslik zu nennen. Weydt analysiert die politische Metaphorik von Falken und Tauben für die friedensliebenden und kriegstreibenden Kräfte im Nibelungenlied; vgl. Weydt, Harald: Falken und Tauben im Nibelungenlied. Wie lässt man es zum Kampf kommen, wenn man keine Macht hat? In: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Hrsg. von Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung 36), S. 223 – 246. Karin Cieslik untersucht Beratungsszenen im Guoten Gerhart Rudolfs von Ems, u. a. mit Bezug auf Gerd Althoff und Peter von Moos; vgl. Cieslik, Karin: so bitt ich dich / daz dû geruochest hoeren mich (V. 449 f.). Rede- und Figurengestaltung im Guoten Gerhart des Rudolf von Ems. In: Sprechen mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende. Hrsg. von Nine Miedema, Berlin 2012 (Historische Dialogforschung 2), S. 169 – 190, hier S. 172 m. Anm. 18. Außerhalb der Dialogforschung hat sich Britta Wittchow konkret mit der politischen Wirksamkeit von Reden im Guoten Gerhart beschäftigt. Sie macht auf die Wirksamkeit subtilen Sprechens aufmerksam und kann zeigen, dass es nicht immer das dominant-raumgreifende Auftreten ist, das zu politischem Erfolg führt; vgl.Wittchow, Britta: Rhetorik der Zurückhaltung. Der Guote Gêrhart des Rudolf von Ems. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 243 – 272, hier S. 271. Vgl. Mierke, Gesine: Riskante Ordnungen.Von der Kaiserchronik zu Jans von Wien, Berlin u. a. 2014 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 18), hier S. 216 – 226, 230, 242– 244.
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insbesondere auf die Rolle von ratgebenden Figuren ein und zeigt an der Kaiserchronik, dass diese unterschiedliche Typen verkörpern.³⁸ Gert Hübner macht auf die herausragende Position aufmerksam, die Konrad von Würzburg in Bezug auf eine Programmatik der Redekompetenz zukommt. Am Beispiel von Partonopier und Meliur arbeitet er heraus, dass Konrad gegenüber seiner französischen Vorlage gerade solche Szenen erweitert, in denen die Figuren ihre rednerischen Fähigkeiten demonstrieren.³⁹ Zu den zentralen Redeformaten zählen dabei der Kriegsrat, die Bittrede vor dem König und die Predigtrede. Wie deutlich werden wird, überschneiden sich diese Kategorien mit den Standardsituationen politischer Rede, die von der Forschung zur historischen Oratorik als grundlegend herausgearbeitet wurden.⁴⁰ Die Beobachtungen und die konzeptuellen Überlegungen der Forschung zur höfischen Rede und zu historischen Redeszenen fließen in diese Studie ein. Die folgenden Untersuchungen legen den Fokus dabei auf Szenen, in denen gesellschaftliche Ordnung konstruiert und reflektiert, über Entscheidungen verhandelt oder die Gemeinschaft thematisiert wird – Szenen also, in denen Rede eine politische Funktion erfüllt.⁴¹ Durch die Akzentsetzung auf politische Rede geraten andere Wissenstraditionen und historische Kontexte in den Blick als in der Forschung bisher der Fall war. Konkret sei die Orientierung an italienischer Redekultur genannt, die in den hier untersuchten Texten präsent ist.⁴² Die Forschung zur höfischen Rede und zu Redeszenen hat sich bei mittelhochdeutscher Epik bisher häufig auf den Einfluss der französischen Hofkultur konzentriert, da diese in Form der adaptation courtoise häufig einen zentralen Bezugspunkt für die Vgl. ebd., S. 233 zu Adelger als Ratgeber des Severus, zur Kaiserin der Lucretia-Episode und Crescentia. Vgl. Hübner, Gert: wol gespraechiu zunge. Meisterredner in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. In: Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven. Hrsg. von Monika Unzeitig / Nine Miedema / Franz Hundsnurscher, Berlin 2011 (Historische Dialogforschung 1), S. 215 – 234, hier S. 226. Vgl. dazu Kapitel 2.3. Zum Begriff des Politischen und der politischen Differenz von ‚Politik‘ und ‚dem Politischen‘ vgl. Kapitel 2.1. Eine politische Dimension besitzt bereits der frühe Gebrauch des mittelhochdeutschen Wortes hovesprache: Wie Bumke anführt, wird im König Rother damit ein Hoftag bezeichnet – höfisches und politisches Sprechen gehören hier zusammen. Für Bumke scheint diese Konnotation eher bedauerlich zu sein: „Das Wort hovesprache ist bereits im 12. Jh. belegt (Kg. Rother 640; vgl. Lexer I,1369), allerdings nur in der Bedeutung ‚Hoftag‘; hoverede in der Bedeutung ‚Hofsprache‘ kommt im Wilhelm von Orlens von Rudolf von Ems vor“ (Bumke: Bestandsaufnahme, S. 479, Anm. 232). Im Ansatz ist eine politische Dimension mittelhochdeutscher Rede auch bei Nine Miedema angelegt, ohne jedoch ins Zentrum gestellt zu werden, vgl. Miedema: Gesprächsnormen, S. 262. Vgl. dazu Kapitel 1.2.
1.1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung
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Poetik der deutschsprachigen Literatur darstellt.⁴³ Ebenfalls im Blick der Forschung ist der Transfer aus ursprünglich lateinischsprachigen Traditionen in die mittelhochdeutsche Volkssprache; dabei wird jedoch mitunter strenger zwischen lateinischen Redelehren und volkssprachiger Literatur sowie zwischen einem klerikalen und einem laikalen Diskurs unterschieden, als mit Blick auf die politische Redekultur hilfreich erscheint.⁴⁴ Die Untersuchungen der Kapitel 3–5 zur Oratorik im Alexander, der Steirischen Reimchronik und zu Wittenwilers Ring zeigen, dass die Kultur der norditalienischen Stadtrepubliken mitsamt der dort gepflegten Literatur der Ars dictaminis und Ars arengandi auch für die dargestellte Beredsamkeit in spätmittelalterlichen Erzähltexten ein einflussreiches Vorbild darstellt. Eine Verbindung der Ansätze zur höfischen Rede und zur historischen Dialogforschung mit der historischen Oratorik kann das Verständnis von mittelalterlicher Redekultur in mehrfacher Hinsicht befördern.
Oratorik Johannes Helmrath und Jörg Feuchter entwickelten den Ansatz der Oratorikforschung im Teilprojekt Oratorik auf europäischen Reichs- und Ständeversammlungen des Sonderforschungsbereiches 640 an der Humboldt-Universität zu Berlin.⁴⁵ Die Begriffsprägung ‚Oratorik‘ bezieht sich dabei auf die Praxis der Rede und
Dies lässt sich etwa an dem komparatistisch ausgerichteten Tagungsband der Reihe Historische Dialogforschung zeigen, in dem der überwiegende Teil der Beiträge deutschsprachige Romane und ihre französischen Vorlagen untersucht; vgl. Miedema / Hundsnurscher: Einleitung (Formen). Vgl. etwa Miedema: Gesprächsnormen, S. 260 f. zu Ars praedicandi, Ars dictaminis und Ars arengandi. Die strenge Trennung zwischen einem klerikalen und einem laikalen Diskurs ist angesichts des Entstehungskontextes der Ars dictaminis und Ars arengandi zu überdenken. Artes dictandi entstanden zwar zunächst im Umfeld der päpstlichen Kurie, gewannen aber besonders in der städtischen Elite italienischer Kommunen an Bedeutung und wurden dort durch die Ars arengandi beerbt. Zudem ist die spätmittelalterliche politische Kultur gerade dadurch geprägt, dass sich die politischen Akteure sowohl aus klerikalen als auch aus laikalen Kreisen rekrutierten. Zu beiden Aspekten vgl. Kapitel 2.3. Vgl. die Sammelbände Feuchter, Jörg / Helmrath, Johannes: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik. In: Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Johannes Helmrath / Jörg Feuchter, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 9), S. 9 – 22; Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Düsseldorf 2013 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe Parlamente in Europa 164,2); vgl. auch die englischsprachige Projektvorstellung Feuchter, Jörg / Helmrath, Johannes: Oratory and representation. The rhetorical culture of political assemblies, 1300 – 1600. In: Par-
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ihre Position im Kontext politischer Kommunikation.⁴⁶ Neben inhaltlichen oder sprachlich-stilistischen Aspekten einzelner Reden wird zum einen die Funktion von Reden als Sprechakte in der Auseinandersetzung um Macht und Einfluss untersucht, zum anderen ihre Einbettung in zeremonielle Abläufe und ihre Relation zu nonverbalen Formen symbolischer Kommunikation.⁴⁷
liaments, Estates and Representation 29/1 (2009), S. 53 – 66. Der SFB 640 trug den Titel Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel. Konzept und Begriff der ‚Repräsentationen‘ stellt der erste Sammelband der SFB-eigenen Publikationsreihe Eigene und Fremde Welten vor, vgl. Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel. Hrsg. von Jörg Baberowski / Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Eigene und fremde Welten 1). Helmrath und Feuchter lehnen die begriffliche Entscheidung an die englische Differenzierung von ‚oratory‘ und ‚rhetoric‘ an, vgl. Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 12. Das Begriffspaar lässt sich auch aus dem Lateinischen herleiten, vgl. Haye, Thomas: Oratio. Mittelalterliche Redekunst in lateinischer Sprache, Leiden u. a. 1999 (Mittellateinische Studien und Texte 27), hier S. 7 sowie unten, Kapitel 2.4, Anm. 171. Vgl. programmatisch Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 12. Johannes Helmrath entwickelte den Begriff bereits in den 1990er Jahren, vgl. Helmrath, Johannes: Rhetorik und ‚Akademisierung‘ auf den deutschen Reichstagen im 15. und 16. Jahrhundert. In: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Heinz Duchhardt / Gert Melville, Köln u. a. 1997 (Norm und Struktur 7), S. 423 – 446, hier S. 425. Die Arbeit daran setzte sich im neuen Jahrtausend fort, vgl. etwa Helmrath, Johannes: Der europäische Humanismus und die Funktionen der Rhetorik. In: Funktionen des Humanismus. Studien zum Nutzen des Neuen in der humanistischen Kultur. Hrsg. von Thomas Maissen / Gerrit Walther, Göttingen 2006, S. 18 – 49; erneut als Helmrath, Johannes: Der europäische Humanismus und die Funktionen der Rhetorik. In: Helmrath, Johannes: Wege des Humanismus. Studien zu Praxis und Diffusion der Antikeleidenschaft im 15. Jahrhundert. Ausgewählte Aufsätze, Tübingen 2013 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 72), S. 159 – 188, vgl. dort S. 162 f. Im Projektkontext vgl. Feuchter / Helmrath: Oratory and representation, S. 58; spätere Beiträge beziehen sich auf diese Publikationen zurück. Vgl. Feuchter, Jörg: Deliberation, rituelle Persuasion und symbolische Repräsentation. Zugänge zur Redekultur auf vormodernen französischen Generalständen. In: Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse. Hrsg. von Jörg Peltzer / Gerald Schwedler / Paul Töbelmann, Ostfildern 2009 (Mittelalter-Forschungen 27), S. 207– 218, hier S. 209 f.; Feuchter, Jörg: Oratorik und Öffentlichkeit spätmittelalterlicher Repräsentativversammlungen. In: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. Hrsg. von Martin Kintzinger / Bernd Schneidmüller, Ostfildern 2011 (Vorträge und Forschungen 75), S. 183 – 202, hier S. 186 f.; Feuchter, Jörg / Helmrath, Johannes: Einführung. In: Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Düsseldorf 2013 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe Parlamente in Europa 164,2), S. 9 – 31, hier S. 12 f.; Helmrath, Johannes: Das IV. Lateranum von 1215 in Rom im konzilsgeschichtlichen Vergleich. Überlegungen zu Organisation, Oratorik und Procedere. In: „Et l’homme dans tout cela?“ Von Menschen, Mächten und Motiven. FS Heribert Müller. Hrsg. von Gabriele Annas / Jessika Nowak, Stuttgart 2017 (Frankfurter Historische
1.1 Höfische Rede, Redeszenen und Oratorik in der Forschung
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Gegenstandsbereich des Berliner Forschungsprojektes waren vormoderne europäische Ständeversammlungen; zwei Tagungen und assoziierte Arbeiten erweiterten diesen Fokus auf andere Versammlungsformen und Quellensorten.⁴⁸ In den 2000er und 2010er Jahren hat sich der Kreis erweitert und andere Autor:innen haben den Oratorik-Ansatz aufgenommen. Anknüpfend an die Oratorikforschung untersucht Georg Strack etwa tatsächlich gehaltene und fingierte Reden mittelalterlicher Päpste.⁴⁹ Abhandlungen 48), S. 19 – 46, hier S. 24; zuletzt Helmrath, Johannes: Political-Assembly Speeches, German Diets, and Aeneas Sylvius Piccolomini. In: Beyond Reception. Renaissance Humanism and the Transformation of Classical Antiquity. Hrsg. von Patrick Baker / Johannes Helmrath / Craig Kallendorf. Übers. von Patrick Baker, Berlin u. a. 2019 (Transformationen der Antike 62), S. 71– 94, hier S. 71 f. Vorausgegangen war bereits Helmraths Habilitationsschrift zu Reden Enea Silvio Piccolominis; vgl. Helmrath, Johannes: Studien zu Reichstag und Rhetorik. Die Reichstagsreden des Enea Silvio Piccolomini 1454/55. 2 Teile, Habil. (masch.) Köln 1994. Die Studie blieb unveröffentlicht, Helmrath hat an ihre Ergebnisse aber in Aufsätzen und mit der Arbeit am Band 19,2 der Deutschen Reichstagsakten (RTA) angeknüpft, der die Reichsversammlung zu Frankfurt 1454 dokumentiert und die Rede Constantinopolitana Clades des Enea Silvio Piccolomini mit ausführlichem Kommentar ediert.Vgl. Helmrath, Johannes: Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien. In: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. von Hans Pohl, Stuttgart 1989 (VSWG Sonderband 87), S. 116 – 172; Helmrath: Rhetorik und Akademisierung; Helmrath, Johannes: Reden auf Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert. In: Licet preter solitum. FS Ludwig Falkenstein. Hrsg. von Lotte Kéry / Dietrich Lohrmann / Harald Müller, Aachen 1998, S. 265 – 286; zum RTA-Band vgl. die Einleitung Helmrath, Johannes: Allgemeine Einleitung. In: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Abt. 5,2. Reichsversammlung zu Frankfurt 1454. Unter Mitarb. von Gabriele Annas. Hrsg. von Johannes Helmrath, München 2013 (Deutsche Reichstagsakten 19,2), S. 35 – 62. Anna-Maria Blank etwa arbeitete zu bildlichen Repräsentationen des englischen Parlaments, vgl. Blank, Anna-Maria: Neue Bilder für eine neue Ordnung? Bilder vom Parlament als Repräsentationen der politischen Ordnung in England im 16. und 17. Jahrhundert. In: Bild, Macht, UnOrdnung. Visuelle Repräsentationen zwischen Stabilität und Konflikt. Hrsg. von Anna-Maria Blank / Vera Isaiasz / Nadine Lehmann, Frankfurt a. M. 2011 (Eigene und fremde Welten 24), S. 219 – 252; Blank, Anna-Maria: Das Parlament der Herolde. Bildliche Repräsentationen des englischen Parlaments im 16. Jahrhundert. In: Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Düsseldorf 2013 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe Parlamente in Europa 164,2), S. 215 – 244. Vgl. Strack, Georg: Oratorik im Zeitalter der Kirchenreform. Reden und Predigten Papst Gregors VII. In: Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte – Praxis – Diversität. Hrsg. von Georg Strack / Julia Knödler, München 2011 (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 6), S. 121– 144; Strack, Georg: Perzeption und Imagination politischer Redekultur im Mittelalter. Predigten und Reden der Päpste (11.–14. Jahrhundert). In: Mittelalter (2014), https://mittelalter.hy potheses.org/3980 (13. Dezember 2021). Neben Georg Strack und den im Folgenden besprochenen Arbeiten Florian Hartmanns ist zudem die Dissertation von Katharina Graupe zu nennen; vgl. Graupe, Katharina: Oratio historica – Reden über Geschichte. Untersuchungen zur
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Einleitung
Für die bereits angesprochene Rezeption italienischer Redekultur von besonderem Interesse sind die Arbeiten Florian Hartmanns, der sich in seiner Habilitationsschrift zur italienischen Ars dictaminis ausdrücklich auf das Oratorik-Projekt bezieht.⁵⁰ Mit der Ars dictaminis erweitert Hartmann den Untersuchungsbereich um normative Schriften wie Rhetorik- und Brieflehren. Artes dictandi ⁵¹ sind auf die Praxis bezogen, aber rhetorische Schriften mit deutlich präskriptivem Anspruch und als solche gerade das Material, das Helmrath und Feuchter zwar berücksichtigen, aber nicht ins Zentrum der Untersuchung stellen. Die von Hartmann untersuchte Literatur ist jedoch so stark auf die Brief- und Redepraxis italienischer Kommunen ausgerichtet, dass sie zwischen Theorie und Praxis vermittelt und sich als fruchtbare Quelle für die Erforschung politischer Redekultur erweist.⁵² Die Verschränkung von Ars dictaminis und Chronistik stellt einen weiteren Zweig seines Forschungsinteresses dar.⁵³
praktischen Rhetorik während des spanisch-niederländischen Konfliktes im 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin u. a. 2012, hier S. 6 mit Bezug auf den Oratorikansatz. Vgl. außerdem Woelki, Thomas: Lodovico Pontano (ca. 1409 – 1439). Eine Juristenkarriere an Universität, Fürstenhof, Kurie und Konzil, Leiden 2011 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 38); Daniels, Tobias: Diplomatie, politische Rede und juristische Praxis im 15. Jahrhundert. Der gelehrte Rat Johannes Hofmann von Lieser, Göttingen 2013 (Schriften zur politischen Kommunikation 11). Vgl. Hartmann, Florian: Ars dictaminis. Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013 (Mittelalter-Forschungen 44), hier S. 324. Auch in dem von Hartmann herausgegebenen Sammelband zu Italiens Kommunen ist der Ansatz präsent; vgl. Hartmann, Florian: Funktionen der Beredsamkeit im kommunalen Italien. Befunde und Probleme. In: Cum verbis ut Italici solent suavibus atque ornatissimis. Funktionen der Beredsamkeit im kommunalen Italien. Funzioni dell’eloquenza nell’Italia comunale. Hrsg. von Florian Hartmann, Göttingen 2011, S. 9 – 26, hier S. 18. Im Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre wird der Begriff ‚Oratorik‘ ganz selbstverständlich für die Redepraxis im Umfeld des Ars-dictaminis-Schrifttums gebraucht, ohne dass dezidiert auf das Berliner Projekt Bezug genommen wird. Vgl. etwa Delle Donne, Fulvio / Della Schiava, Fabia: Der italienische Humanismus und die ars dictaminis. In: Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre. Hrsg. von Florian Hartmann / Benoît Grévin, Stuttgart 2019 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 65), S. 279 – 291, hier S. 280, 287, 290. Ich danke Florian Hartmann für die Einsicht in das Manuskript vor der Veröffentlichung. In der Forschung wird in Anlehnung an den historischen Begriffsgebrauch differenziert: „Man bevorzugte ars dictaminis als Terminus für die Disziplin und ars dictandi (Plural: artes dictandi) für das Lehrbuch, und diese Unterscheidung soll hier beibehalten werden. Theoretisch bezeichnete dictamen die Komposition im Allgemeinen“ (Camargo: Ars dictandi, dictaminis, Sp. 1040). Zur Bedeutung der Ars dictaminis für die politische Kommunikation vgl. auch Ratzke / Schmidt: Politische Rhetorik, S. 107– 109. Vgl. Hartmann: Ars dictaminis, S. 317– 325.
1.2 Politische Kultur und Italien. Zur Textauswahl
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Erste Ansätze für einen vom Oratorikansatz geprägten Zugriff auf erzählende Quellen vormoderner Redekultur bietet der Band Oratorik und Literatur, der das Ergebnis eines Austausches zwischen Vertreter:innen verschiedener Literaturwissenschaften und der historischen Mediävistik ist.⁵⁴ Untersucht werden literarische Gattungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als „Reflexionsmedien politischer Redekultur“;⁵⁵ es wurde nach den Bereichen gefragt, „in denen sich literarisch-fiktionale Textsorten und solche mit historiographischem Anspruch überschneiden.“⁵⁶ Der Band verdeutlicht die transkulturelle und die intertextuelle Dimension vormoderner Oratorik: Fallstudien zu volkssprachigen und lateinischen Texten zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert und zu einer großen Bandbreite von Textsorten geben einen Eindruck davon, welches Potenzial der Untersuchungsbereich besitzt: Epik und Chronistik, Urkunden, das ereignisbezogene Lied, das Drama und die politische Publizistik werden ebenso betrachtet wie die Rhetorik-, Rede- und Brieflehre.⁵⁷
1.2 Politische Kultur und Italien. Zur Textauswahl Die vorliegende Studie lotet die Frage nach erzählter Oratorik erstmals in einer monografischen Untersuchung aus. Sie konzentriert sich auf drei Fallstudien zu Texten, die im Überschneidungsbereich von fiktionalem und historiografischem Erzählen stehen. Alexanderromane werden im Mittelalter als historische Dar-
Vgl. Hartmann, Florian: Politische Rede in der Geschichtsschreibung italienischer Kommunen. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 17– 34, hier S. 29; vgl. bereits Hartmann: Ars dictaminis, S. 248 – 250. Dieser Band versammelt die Ergebnisse einer Hamburger Tagung, zu der Britta Wittchow, Christian Schmidt und ich im Jahr 2016 einluden. Vgl. Ratzke, Malena / Schmidt, Christian / Wittchow, Britta: Einleitung. Dargestellte und praktizierte Oratorik. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 7– 15, hier S. 8. So die Formulierung in der Tagungsankündigung: Wittchow, Britta: KONF: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Hamburg (3.–5.11. 2016). In: H-Germanistik (2016), https://networks.h-net.org/ node/79435/discussions/150739/konf-oratorik-und-literatur-politische-rede-fiktionalen-und (13. Dezember 2021). Ebd. Vgl. Ratzke / Schmidt / Wittchow: Einleitung, S. 8.
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Einleitung
stellungen von den Taten Alexanders des Großen gelesen;⁵⁸ Ulrichs von Etzenbach Umsetzung dieses Stoffes gilt als einer der Texte, die intensiv mediävalisiert und höfisiert, d. h. in eine dargestellte Welt mit mittelalterlichen, höfischen Zügen versetzt werden.⁵⁹ Der Anhang zu Ulrichs Alexander legt dabei großen Wert auf die Einhaltung von Sprach‐ und Verhaltensnormen, die intradiegetisch verhandelt werden. Die Steirische Reimchronik schildert Ereignisse der Reichsgeschichte in Szenen, die eine große Zahl fingierter Reden enthalten.⁶⁰ Wittenwilers Ring präsentiert sich einerseits bis in die Selbstbezeichnung ‚Ring‘ hinein als Text mit allegorischen Zügen und stellt seine Literarizität bewusst aus, andererseits enthält er so viele Anspielungen auf die zeitgenössische politische Kultur, dass er von einigen Forscher:innen als eine Art Schlüsselroman gelesen wurde.⁶¹ Auch im Ring spielen Redeszenen mit politischer Implikation eine zentrale Rolle.
Timo Felber beschreibt Antikenromane wie den Alexanderroman als eine der „Gattungen, die sowohl der Tatsachenkonvention als auch fiktionalen Erzählregistern verpflichtet sind […], die in ihrer Poetik und Darstellungstechnik z. T. deutliche Überschneidungen mit den Artusromanen aufweisen, während sie stofflich dem Geschichtswissen der Klerikerkultur Rechnung tragen. Hier sind Reales und Fiktives so kombiniert, dass die Aussetzung der Ungläubigkeit sowohl auf Produzenten- als auch auf Rezipientenseite nicht gänzlich erreicht werden soll/kann. Fiktionalität ist in diesem Bereich eine skalierbare Größe, die keine scharfe Grenze zu nichtfiktionalen Texten zu ziehen erlaubt“ (publiziert als Reuvekamp-Felber, Timo: Zur gegenwärtigen Situation mediävistischer Fiktionalitätsforschung. Eine kritische Bestandsaufnahme. In: ZfdPh 132/3 [2013], S. 417– 444, hier S. 437). Zur Höfisierung bei Ulrich von Etzenbach vgl. Ehlert, Trude: Deutschsprachige Alexanderdichtung des Mittelalters. Zum Verhältnis von Literatur und Geschichte, Frankfurt a. M. u. a. 1989 (Europäische Hochschulschriften 1174), hier S. 186 – 198; Medert, Claudia: Der Alexander Ulrichs von Etzenbach. Studien zur Erzählstruktur und Gattungsproblematik, Göttingen 1989 (Palaestra 287), hier S. 223 – 231. Medert weist dabei auch auf Ulrichs Orientierung an anderen Traditionen hin; vgl. ebd., S. 237. Mit Blick auf die Paradoxien höfischer Machtkommunikation vgl. Schlechtweg-Jahn, Ralf: Macht und Gewalt im deutschsprachigen Alexanderroman, Trier 2006 (Literatur, Imagination, Realität 37), hier S. 235 – 237. Vgl. Kapitel 4. Zum vielfältig deutbaren Motiv des Rings vgl. jüngst Kellner, Beate: Chaos in komischer Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Chaos from the Ancient World to Early Modernity. Formations of the Formless. Hrsg. von Andreas Höfele u. a., Berlin 2020, S. 81– 109, hier S. 84– 87. Beide der genannten Perspektiven integriert die einflussreiche und gleichzeitig umstrittene Studie von Eckart Conrad Lutz; vgl. Lutz, Eckart Conrad: Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein Ring, Sigmaringen 1990 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 32), hier S. 173 – 214, 297– 350. Zur Kritik vgl. Fürbeth, Frank: Die Forschung zu Heinrich Wittenwilers Ring seit 1988. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 245 (2008), S. 350 – 390, hier S. 377 f.
1.2 Politische Kultur und Italien. Zur Textauswahl
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In der germanistischen Mediävistik wird die Kategorie der Fiktionalität seit längerem intensiv diskutiert.⁶² Ausgehend von der angestellten Beobachtung zum Überschneidungsbereich, in dem sich die drei zu untersuchenden Texte bewegen, könnte auch diese Studie eine Fragestellung zur Fiktionalität oder Faktualität der Redeszenen verfolgen. Im Fluchtpunkt dieser Untersuchung steht jedoch die Frage nach den Darstellungsweisen politischer Rede und ihrer Funktionalisierung. Diese Frage berührt sich mitunter mit derjenigen nach dem Fiktionalitätsstatus, ohne mit ihr identisch zu sein. Im Fall der Ehedebatte im Ring etwa drängen sich Beobachtungen zur Fiktionalität durch die Gestaltungsmittel der Figurenreden stark auf, etwa wenn die Figuren darauf reflektieren, in Reimen zu sprechen.⁶³ Die Steirische Reimchronik kann für die Schilderung des historischen Falls der Stadt Akkon intensiv auf Darstellungsweisen des höfischen Romans zurückgreifen und intertextuelle Bezüge auf diese Erzähltradition herstellen,⁶⁴ ohne dass diese als Signale für die Fiktionalität der gesamten Reimchronik zu werten sind oder die ‚Tatsachenkonvention‘⁶⁵ der Historiografie damit völlig ausgehebelt wäre. Die drei untersuchten Texte teilen ein gemeinsames kulturelles Wissen: An ihnen lassen sich aufschlussreiche Beobachtungen zu erzählter Oratorik machen, weil sie alle unter ihren je eigenen Bedingungen die politische Redekultur Italiens rezipieren. Diese hatte sich im 12. und 13. Jahrhundert so ausdifferenziert und professionalisiert, dass ihr Ruf bis nördlich der Alpen reichte und lange anhielt.⁶⁶ Anhand der drei Fallstudien lässt sich zeigen, dass die italienische Kultur im nordalpinen Raum als politisch-rhetorisch avancierte Kultur wahrgenommen und als solche in narrativen Texten reflektiert wurde. Die italienische Oratorik wurde zu einem Leitmodell, mit dem sich politische Redner, Historiografen und Verfasser fiktionaler Literatur auseinandersetzten und an dem sie sich für ihre eigene Darstellung orientierten.⁶⁷
Eine kritische Bestandsaufnahme bietet Felber, publiziert als Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 5.1. Vgl. die Untersuchung in Kapitel 5.1. Vgl. die Untersuchung in Kapitel 4.2. Vgl. Felber, publiziert als Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation, S. 437. Vgl. Hartmann: Politische Rede, S. 17– 19; Ähnliches schon bei Görich, Knut: Sprechen vor dem Kaiser. Gesandte aus italienischen Kommunen am Hof Friedrich Barbarossas. In: Cum verbis ut Italici solent suavibus atque ornatissimis. Funktionen der Beredsamkeit im kommunalen Italien. Funzioni dell’eloquenza nell’Italia comunale. Hrsg. von Florian Hartmann, Göttingen 2011 (Super alta perennis. Studien zur Wirkung der Klassischen Antike 9), S. 135– 152, hier S. 135– 137. Deutsch-italienischer Kulturtransfer in der mittelhochdeutschen Literatur ist bereits vereinzelt untersucht worden; vgl. Classen, Albrecht: Zur Rezeption norditalienischer Kultur des Trecento im Werk Oswalds von Wolkenstein (1376/77– 1445), Göppingen 1987 (Göppinger Arbeiten zur
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Einleitung
Bei Ulrichs Alexander-Anhang ist diese Orientierung an der Redekultur nach italienischem Vorbild so maßgeblich, dass sie die gesamte Anlage des Textes prägt. Dies wird schon weit vor der einleitend zitierten Passage deutlich, denn in der ersten Redeszene zwischen Alexanders Boten und einer Gesandtschaft Trîtôniâs ist auch der Podestà selbst anwesend.⁶⁸ Ottokars Steirische Reimchronik enthält wie der Alexander-Anhang viele Belege für das Wort potestat in der Bedeutung ‚Stadtvorsteher, Podestà‘, häufig in Verbindung mit comûn als ‚Stadtgemeinde‘.⁶⁹ Zusammen mit langen Redeszenen finden sich diese u. a. im sogenannten Buch von Akkon, das einen eigenständigen Teil innerhalb der Steirischen Reimchronik bildet und den bereits erwähnten Fall der Stadt Akkon im Heiligen Land schildert. Diese Stadt wird durch einen Rat, die gemeine und einen potestaten selbstverwaltet,⁷⁰ auch wenn die Geschehnisse von Vertretern der Kreuzritterorden und den exilierten Königen von Zypern und Ar-
Germanistik 471); Noe, Alfred: Der Einfluß des italienischen Humanismus auf die deutsche Literatur vor 1600. Ergebnisse jüngerer Forschung und ihre Perspektiven, Tübingen 1993 (IASL Sonderheft 5); Wenzel, Horst: Text und Bild im Welschen Gast des Thomasin von Zerclaere. Italienisch-deutsche Literaturbeziehungen im Mittelalter. In: Schriftkultur zwischen Donau und Adria bis zum 13. Jahrhundert, Akten der Akademie Friesach Stadt und Kultur im Mittelalter. Friesach (Kärnten), 11.–15. September 2002. Hrsg. von Reinhard Härtel / Christian Domenig, Klagenfurt 2008 (Schriftenreihe der Akademie Friesach 8), S. 213 – 234. Weder in den genannten Beiträgen noch in der Ulrich-Forschung wurde aber die Auseinandersetzung mit der Oratorik betrachtet, die in italienischen Städten insbesondere Oberitaliens praktiziert wurde. Vgl. UvEAA, V. 221– 223. Für Ulrich von Etzenbach arbeitete die Forschung Bezüge zum politischen System der norditalienischen Städte heraus, vgl. dazu Kapitel 3. Vgl. OStR, V. 34079 f., wie hier häufiger vorkommend, als Maskulinum (der comûn dô sande | und von Triest der potestât […]). Ausgehend von Ulrichs Alexander-Anhang hat Ruth Finckh Belege für die Rezeption kommunaler Terminologie zusammengestellt, unter denen neben Heinrichs von Freiberg Tristan auch dieser Beleg aus der Steirischen Reimchronik vorkommt; vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 375 – 378. Die Belegsammlung kann folgendermaßen erweitert werden: OStR,V. 58503 (von Kolne der comûn), 76430 (der comûn über al), 91407 f. (dem rihtær und dem potestat | und dem oberisten rât), 91769 f. (von den hôhsten und dem potestât, | die dâ phlâgen ieglicher stat), 97154 (von Venedi der comûn) sowie die Belege in Anm. 70 dieses Kapitels. Für potestat geben Lexer und BMZ explizit die Herkunft aus dem Italienischen an; vgl. Potestât, potestâte. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 (2021), Sp. 288, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid= P01292 (13. Dezember 2021); Potestât. In: Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarncke. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2,1 (2021), Sp. 526, https:// www.woerterbuchnetz.de/BMZ?lemid=P00687 (13. Dezember 2021). Vgl. auch Comûne, comûn. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 1 (2021), Sp. 1672, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=K02513 (13. Dezember 2021). Vgl. OStR,V. 45929 (von Akers der potestat), 46309 f. (der potestat und diu gemeine | von Akers).
1.2 Politische Kultur und Italien. Zur Textauswahl
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menien dominiert werden.⁷¹ Italienische Kultur spielt in der Reimchronik insgesamt auch inhaltlich immer wieder eine Rolle, weil diese Chronik auf die Geschichte Österreichs und des Römischen Reiches im 13. Jahrhunderts ausgerichtet ist. Außerhalb der Szenen, in denen Begriffe wie potestat oder comûn fallen, lässt sich die Vorstellung von Italien als fortschrittliche Intellektuellenkultur greifen, wenn etwa am böhmischen Gesandten Wernhart (Wernhard) von Seckau hervorgehoben wird, dass dieser an einer italienischen Universität ausgebildet wurde.⁷² Wittenwilers Ring schließlich schildert in einer langen Episode eine Versammlung der europäischen Städte, in der die führenden Amtsträger von Paris, Konstanz und Florenz zu Wortführern erkoren werden.⁷³ Die übrigen Stadtvertreter begründen die Wahl mit der Weisheit, Klugheit und Gelehrtheit dieser drei Politiker. Nach dem bereits Skizzierten überrascht es wenig, dass sich unter den Versammlungsteilnehmern auch der Podestà von Padua befindet. Dass die italienische Oratorik nicht für jede denkbare Redesituation, sondern vor allem für politische Kontexte vorbildlich wirkt, kann am Schluss dieser Einleitung der bereits angesprochene Thomasin von Zerklaere veranschaulichen: Der Welsche Gast, der zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert breit überliefert ist,⁷⁴ bringt den Ruf der italienischen Redekultur in einer Textstelle auf den Punkt, die den italienischen Podestà zur Personifikation kluger Kommunikation stilisiert. Der Abschnitt thematisiert den prekären Status, der dem Verstand (den sinnen) junger Frauen zugeschrieben wird, und fordert dabei sowohl zum bewussten Einsatz der nonverbalen gebærde als auch der schoenen rede auf. Kurz darauf werden verbale Kommunikation, nonverbale Kommunikation und Verstand im Bild des italienischen Podestà enggeführt, an dem sich adlige Frauen jedoch gerade nicht orientieren sollen: Ein vrouwe hât an dem sinne genuoc daz si sî hüfsch unde gevuoc, und habe ouch die gebærde guot mit schœner rede, mit kiuschem muot.
Vgl. Kapitel 4.2. Vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Kapitel 5.4. Zur Überlieferung, den Gebrauchskontexten der Handschriften und zu sekundären Rezeptionszeugnissen vgl. Schanze, Christoph: Tugendlehre und Wissensvermittlung. Studien zum Welschen Gast Thomasins von Zerklære, Wiesbaden 2018 (Wissensliteratur im Mittelalter 53), hier S. 55 – 66; vgl. auch Huber, Christoph / Schanze, Christoph: Thomasin von Zerklaere. In: Killy Literaturlexikon via Verfasser-Datenbank 11 (2012), https://www.degruyter.com/view/VDBO/ vdbo.killy.6709 (13. Dezember 2021).
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Einleitung
ob si dan hât sinnes mêre, sô hab die zuht und die lêre, erzeig niht waz si sinnes hât: man engert ir niht ze potestât. ⁷⁵ Eine Dame hat genug an Verstand, wenn sie höfisch und schicklich ist und zudem angemessenes Benehmen mit feiner Rede, mit reiner Gesinnung besitzt. Sollte sie über mehr Verstand verfügen, so soll sie die Erziehung und Bildung besitzen, nicht zu zeigen, wie klug sie ist: Man möchte sie nicht zum Podestà haben.
Diese Verse bringen nicht nur die Perspektive des Welschen Gastes zum Ausdruck, dass für – höfisch erzogene – Frauen eine politische Karriere vom Typ eines Podestàs ausgeschlossen ist – obwohl die mittelhochdeutsche Literatur durchaus über starke und wortgewaltige Frauenfiguren verfügt.⁷⁶ Sie sind auch ein Beleg dafür, dass Verstand und Beredsamkeit mit politischer Kultur assoziiert werden und die italienischen Städte für vorbildliche politische Redekultur stehen.
[Thomasin von Zerklaere]: Der wälsche Gast, V. 837– 844. Vgl. Kapitel 2.3. Christoph Schanze warnt davor, dem Welschen Gast vorschnell eine misogyne Perspektive zu unterstellen. Während der erste Teil mit Erziehungslehren für junge Adlige geschlechterspezifische Verhaltensvorgaben mache, zielten die übrigen Teile „darauf, die höfische Gesellschaft als Ganzes (gerade ohne genderspezifische Unterschiede) durch die Vermittlung eines entsprechenden Sozialverhaltens und von hövescheit im weitesten Sinne von nicht-höfischen Gesellschaftsgruppen abzuheben“ (Schanze: Tugendlehre und Wissensvermittlung, S. 68, Anm. 475).
2 Historische politische Rede Welche Handlungen sich in deutschsprachigen Texten des Spätmittelalters als politisches Handeln und welche Rede sich als politische Rede beschreiben lässt, hängt stark davon ab, mit welchem Begriff von ‚politisch‘ man an diese Texte herantritt. Das folgende Teilkapitel 2.1 nähert sich dieser Frage aus zwei Richtungen und stellt die Wort- und Begriffsgeschichte des Adjektivs ‚politisch‘ und seiner Derivate im Lateinischen und Deutschen dar, bevor Begriffsbestimmungen und Konzepte diskutiert werden, die in der gegenwärtigen Forschungsdiskussion in der Geschichtswissenschaft, der politischen Theorie bzw. Philosophie und in der Germanistik eine Rolle spielen. Kapitel 2.2 stellt das Paradigma der ‚Kulturgeschichte des Politischen‘, den Ansatz der Oratorikforschung und die jeweiligen Verbindungslinien zum Vorhaben dieser Untersuchung vor, bevor in Kapitel 2.3 charakteristische Parameter politischer Rede systematisch betrachtet werden. Kapitel 2.4 schließlich schlägt ein Modell zur Analyse erzählter Oratorik vor, das verschiedene Untersuchungsdimensionen heuristisch unterscheidet. Es nimmt die Fragestellungen der historischen Oratorikforschung auf, benennt diese als Interesse an ‚praktizierter Oratorik‘ und ‚Oratorik als symbolische Repräsentation‘ und fügt diesen als dritte Untersuchungsdimension die ‚dargestellte Oratorik‘ hinzu. Auf diese Weise lassen sich die symbolisch-repräsentative Funktion von Rede und ihre mediale Darstellung differenziert beschreiben und für die interdisziplinäre Untersuchung politischer Redeszenen fruchtbar machen.
2.1 Politik und das Politische Wort- und Begriffsgeschichte Der Blick auf die Forschung zur Wort- und Begriffsgeschichte in Antike und Mittelalter offenbart ein unterschiedlich deutliches Bild: Darstellungen zur Geschichte des Adjektivs politicus und der substantivierten Form politica in lateinischen Quellen gehen häufig detailliert auf die Antike, Spätantike und auf das Spätmittelalter ein; für die Zeit zwischen Augustinus im fünften Jahrhundert und der Aristotelesrezeption im 13. Jahrhundert sind die Informationen dagegen spärlich.¹
Vgl. den vielzitierten Beitrag Dolf Sternbergers zum Begriffspaar Politik/das Politische, der auf einem Festvortrag beruht, und den Eintrag Politik im Historischen Wörterbuch der Philosophie; vgl. Sternberger, Dolf: Das Wort ‚Politik‘ und der Begriff des Politischen. In: PVS 24/1 (1983), S. 6 – 14, hier S. 9 f.; Meier, Christian / Vollrath, Ernst / Weinacht, Paul Ludwig: Politik. In: https://doi.org/10.1515/9783110754711-003
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2 Historische politische Rede
Es scheint, als bestehe hier eine Forschungslücke, die sich schließen ließe. Dies legt bereits eine Bemerkung Volker Sellins nahe, dessen Beitrag zu Politik in den Geschichtlichen Grundbegriffen die ausführlichste Darstellung unter den begriffsgeschichtlichen Wörterbüchern enthält.² Nach Augustinus erfolgt bei Sellin ein Sprung in das 13. Jahrhundert, in dem Wilhelm von Moerbeke die aristotelischen Schriften übersetzt und mit Thomas von Aquin eine Welle der Aristotelesrezeption einsetzt.³ Auf die Zwischenzeit verweist aber die Bemerkung, dass das Adjektiv politicus „auch vor dem 13. Jahrhundert schon gebraucht wurde“.⁴ Dies „belegt der Policraticus des Johann von Salisbury (1159), wo von iustitia politica, constitutio politica, politica res (das ‚öffentliche Wesen‘) usw. gesprochen wird“.⁵ Eine Recherche nach politic* in der Volltextdatenbank des Corpus Corporum ⁶ ergibt 627 Ergebnisse aus der Zeit zwischen 450 und 1300, unter denen Thomas von Aquin tatsächlich den weitaus größten Anteil hat.⁷ 90 Ergebnisse aus der Zeit vor Thomas von Aquin ergeben jedoch ein Korpus, dessen Auswertung lohnend
Historisches Wörterbuch der Philosophie 7 (1989), Sp. 1038 – 1072, hier Sp. 1046 f. Die gleiche Forschungslücke beobachtet Hasebrink in Vollraths Monografie über das Politische; vgl. Hasebrink, Burkhard: Prudentiales Wissen. Eine Studie zur ethischen Reflexion und narrativen Konstruktion politischer Klugheit im 12. Jahrhundert, Habil. (masch.) Göttingen 2000, hier S. 5, Anm. 16; mit Verweis auf Vollrath, Ernst: Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, Würzburg 1987. Vollrath hat in seinem Beitrag zum Politischen im Historischen Wörterbuch der Philosophie zumindest nach früheren Belegen gesucht: „Erst die Wiederentdeckung und Übersetzung des ‚politischen‘ Aristoteles im 13. Jh. verschafft dem Vokabular des P[olitischen] seine europäische Geltung. […] Eine frühere Überlieferung von politicum bei Hrabanus Maurus (9. Jh.) scheint wegen ihrer unsicheren Herkunft verdächtig“ (Vollrath, Ernst: Politisch, das Politische. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie 7 [1989], Sp. 1072– 1075, hier Sp. 1073). Zur Wort- und Begriffsgeschichte im Griechischen Meier / Vollrath / Weinacht: Politik, Sp. 1038. Ich danke B. Hasebrink für den Einblick in das vormals unpublizierte Manuskript. Vgl. Sellin, Volker: Politik. In: Geschichtliche Grundbegriffe 4 (1978), S. 789 – 874. Vgl. ebd., S. 802– 806. Ebd., S. 802. Ebd. Vgl. Roelli, Philipp / Bänzinger, Max / Ctibor, Jan: Corpus Corporum – a database of latin texts (2019), http://www.mlat.uzh.ch/MLS/index.php?lang=0 (13. Dezember 2021). Vgl. Roelli, Philipp / Bänzinger, Max / Ctibor, Jan: Corpus Corporum. „politic*“. Search in All Authors from Year 450 to Year 1300, in Chronological Order (2019), http://www.mlat.uzh.ch/ MLS/advsuchergebnis.php?suchbegriff=politic*&table=&level2_name=&from_year=450&to_ year=1300&mode=SPH_MATCH_EXTENDED2&lang=0&corpus=all&verses=&lemmatised=&su chenin=alle (13. Dezember 2021). Thomas Aquinas (=Thomas von Aquin), diverse Texte: 527 Ergebnisse (Nr. 91– 617).
2.1 Politik und das Politische
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erscheint.⁸ Neben dem bereits genannten Policraticus des Johannes von Salisbury⁹ findet sich das Wort u. a. in einem Cicero-Kommentar des Grillius,¹⁰ einer Beda zugeschriebenen Sentenzsammlung aus Aristoteles- und Cicero-Texten,¹¹ im Didascalicon Hugos von St. Viktor,¹² bei Innozenz III.¹³ und Vinzenz von Beauvais.¹⁴ Während sich eine Wortgeschichte für lateinische Texte also nachverfolgen lässt, existieren im Mittelhochdeutschen keine Lehnwörter als Äquivalent zu politicus oder politica und auch im Frühneuhochdeutschen sind sie zunächst selten. Eine Suche im Referenzkorpus Mittelhochdeutsch ergibt keine passenden Treffer.¹⁵ Das Handwörterbuch Matthias Lexers enthält einen Eintrag zu polizî, gibt allerdings nur Belege aus dem 15. und 16. Jahrhundert an, die nicht mehr dem Mittelhochdeutschen zugerechnet werden können.¹⁶ Ebenfalls ins 16. Jahrhundert datieren die Belege zu ‚politisch‘ im Deutschen Wörterbuch der Grimms und im Deutschen Rechtswörterbuch. Der älteste Beleg stammt in beiden Einträgen aus der Fabel Vom Fuchs und dem Habicht im Esopus des Burkhard Waldis von 1548,
Vgl. ebd., Ergebnisse Nr. 1– 90. Vgl. ebd. Ioannes Saresberiensis (=Johannes von Salisbury), Metalogicus und ders., Polycraticus: 14 Ergebnisse (Nr. 42– 55). Vgl. ebd. Grillius, Commentum in Ciceronis rhetorica: 9 Ergebnisse (Nr. 1– 9). Vgl. ebd. Beda Incertus (=Beda Venerabilis zugeschrieben), Sententiae philosophicae collectae ex Aristotele atque Cicerone: 11 Ergebnisse (Nr. 11– 21). Vgl. ebd. Hugo de S Victore (=Hugo von St. Viktor), Eruditio didascalica: 4 Ergebnisse (Nr. 28 – 31). Vgl. ebd. Innocentius III (=Innozenz III.), Mysteria evangelicae legis et sacramenti eucharistiae und Sermones communes: 4 Ergebnisse (Nr. 63 – 66). Vgl. ebd. Vincentius Bellovacensis (=Vincenz von Beauvais), Speculum doctrinale: 19 Ergebnisse (Nr. 72– 90). Die Suche im Referenzkorpus Mittelhochdeutsch (REM) nach „politic*“ ergibt 0 Treffer; vgl. Klein, Thomas u. a.: ANNIS Corpus Search ‚tok_anno=/politic.*‘. In: Referenzkorpus Mittelhochdeutsch (1050 – 1350),Version 3.6.0 (2019), https://www.linguistics.ruhr-uni-bochum.de/rem (13. Dezember 2021). Bei weiterer Trunkierung zu „polit*“ werden drei Textstellen angezeigt, unter denen zwei in Herborts von Fritzlar Liet von Troye jedoch auf den König Politet verweisen und eine dritte im Halberstädter Makkabäer auf eine Stelle mit lateinischem Zitat im 1. Makkabäer-Buch (1. Makk 13, 27) verweist, wo Simon ein Denkmal aus glattbehauenen Steinen (cū lapide polito) errichten lässt; vgl. Klein, Thomas u. a.: ANNIS Corpus Search ‚tok_anno=/polit.*/‘. In: Referenzkorpus Mittelhochdeutsch (1050 – 1350), Version 3.6.0 (2019), https://www.linguistics.ruhruni-bochum.de/rem (13. Dezember 2021). Vgl. Polizî. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21, Sp. 284, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=P01223 (13. Dezember 2021): „aufrechterhaltung der öffentl. ordnung u. sicherheit. gute polizey und regiment Np. 56 (15. jh.), pollicey ib. 48. vgl. Rotw. 1,60a. Zimr. chr. 4,523a. aus mlat. politia, policia (Dfg. 445a) Weig. 2,400“. Die angegebene Wortform polizî ist demnach eine Rückübersetzung aus dem frühneuhochdeutschen polizey.
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in deren Moralisatio die Politisch Gesetz mit Spinnweben und Fliegennetzen verglichen werden.¹⁷ Dieser Befund mag dazu beigetragen haben, dass Henning Ottmann im Mittelalterband seiner Geschichte des politischen Denkens nicht auf die Wortgeschichte von ‚Politik‘ oder ‚politisch‘ und deren Derivate eingeht.¹⁸ Stattdessen erläutert Ottmann Begriffe, die aus heutiger Perspektive zum politischen Diskurs gerechnet werden können: In eigenen Unterkapiteln werden ethische Tugenden (Kapitel 2.2: Dienst, Treue, Ehre, Maß) genauso behandelt wie die Begriffe der Ständeordnung (Kapitel 2.3: Beter, Kämpfer, Arbeiter) und politische Institutionen (Kapitel 2.4: Regnum, sacerdotium, imperium, civitas).¹⁹ Als signifikante und gegenüber der Antike neue Bedingung von Politik im Mittelalter betont Ottmann die enge Kopplung der Politik an Fragen der Religion. Diese Kopplung verwandele auch die politischen Begriffe: „Welche Konstellationen von Politik und Religion sich auch immer ergeben haben mögen, im Mittelalter hat das Christentum alle politischen Begriffe der Antike verändert.“²⁰ Ein Beispiel für die Veränderung politischer Begriffe im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache bietet Wernher von Elmendorf im 12. Jahrhundert: An
Vgl. Politisch. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 13 (2021), Sp. 1979, www.woerterbuchnetz.de/DWB?le mid=P06185 (13. Dezember 2021); Politisch. In: Deutsches Rechtswörterbuch 10 (2001), Sp. 1107– 1110. Angegeben wird Waldis, Burkhard: Esopus. Hrsg. von Heinrich Kurz, Bd. 2, Leipzig 1862 (Deutsche Bibliothek 2), S. 109 – 111, hier S. 111 (Buch 4, Fabel Nr. 44: Vom Fuchs und dem Habicht). Zum Lemma ‚Politik‘ geben beide Wörterbücher Belegstellen aus dem 17. Jahrhundert an; vgl. Politik. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 13 (2021), Sp. 1979, www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid= P06182 (13. Dezember 2021); Politik. In: Deutsches Rechtswörterbuch 10 (2001), Sp. 1107. Auch das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch verzeichnet zu den Lemmata ‚Politik‘ und ‚politisch‘ jeweils ausschließlich Belege aus dem 17. Jahrhundert; vgl. Politik. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Online (2021), http://fwb-online.de/go/politik.s.1f_1619690576 (13. Dezember 2021); Politisch. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Online (2021), http://fwb-online.de/go/politisch.s. 4adj_1619665525 (13. Dezember 2021). Vgl. Ottmann, Henning: Das Mittelalter, Stuttgart u. a. 2004 (Geschichte des politischen Denkens 2,2). Auf die etymologische Herleitung von ‚Politik‘ und die Begriffsgeschichte ab dem 13. Jahrhundert, die den ersten Band der Geschichte des politischen Denkens einleitet, wird nicht zurückverwiesen; vgl. Ottmann, Henning: Die Griechen. Von Homer bis Sokrates, Stuttgart u. a. 2001 (Geschichte des politischen Denkens 1,1), hier S. 7. Vgl. Ottmann: Das Mittelalter, S. 3 – 10. Zu ergänzen wären Begriffe, die bereits in der lateinischen Antike als Äquivalente zu πολιτικός [politikόs] und seinen Derivaten aufkamen, wie etwa publicus (dazu res publica) oder civile; vgl. etwa zu Ciceros Begriffsgebrauch Sellin: Politik, S. 798 – 800. Ottmann: Das Mittelalter, S. 4.
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seiner Rezeption des Begriffes prudentia politica (‚politische Klugheit‘) im Moralium dogma philosophorum lässt sich beobachten, wie Begriffe nicht nur auf den christlichen Kontext, sondern auf den spezifischen Rezeptionszusammenhang des mittelalterlichen Adels angepasst werden. Wie Burkhard Hasebrink in seiner Habilitationsschrift zu Prudentialem Wissen aufgearbeitet hat, gestaltet Wernher den Abschnitt zur prudentia politica gegenüber seiner lateinischen Vorlage stark um. Die volkssprachige Adaption bietet eine Lehre über gute und schlechte Ratgeber, für die Wernher fast nur Elemente aus dem Abschnitt über die providentia entnahm […]. Aus der ethischen Erörterung der Klugheit und ihrer Teile ist eine konkrete Lehre wahrscheinlich an einen Adligen geworden, sich mit guten Ratgebern zu umgeben.²¹
Diese inhaltliche Verschiebung ist nach Hasebrink nicht auf Übersetzungsschwierigkeiten zurückzuführen, denn im Verlauf des Textes „kann Wernher durchaus das lateinische prudentia mit rehtiu list übersetzen und es von dem als übergeordnetem Begriff verwendeten wisheite absetzen“.²² Wenn im Folgenden Formen politischer Rede im Spätmittelalter untersucht werden, gilt es also, für die Geschichte politischer Begriffe im Mittelalter und für entsprechende, aber auch neuentstehende volkssprachige Begriffe sensibel zu sein.
Die politische Differenz Im Rahmen dieser Untersuchung wird darüber hinaus von ‚Politik‘ und ‚politisch‘ sowie von ‚dem Politischen‘ die Rede sein. Mit dieser begrifflichen Entscheidung verbinde ich Impulse aus zwei Forschungsrichtungen: Zum einen knüpfe ich an eine verbreitete Begriffsbestimmung an, mit der Forschungsansätze zur Kulturgeschichte des Politischen arbeiten.²³ Zum anderen nehme ich zur Erklärung des Begriffspaars von ‚Politik‘ und ‚dem Politischen‘ Überlegungen zur ‚politischen Differenz‘ auf, die der Philosoph Oliver Marchart für postfundamentalistische Gesellschaften angestellt hat und die in der Literaturwissenschaft durch Jan Glück, Kathrin Lukaschek und Michael Waltenberger für die politische Anthropologie vormoderner Texte weiterentwickelt wurden.²⁴ Um die Implikationen
Hasebrink: Prudentiales Wissen, S. 48. Ebd. Vgl. auch Kapitel 2.2. Vgl. Glück, Jan / Lukaschek, Kathrin / Waltenberger, Michael: Einleitung. In: Reflexionen des Politischen in der europäischen Tierepik. Hrsg. von Jan Glück / Kathrin Lukaschek / Michael
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dieser Ansätze für die Beschäftigung mit spätmittelalterlicher politischer Rede soll es nun gehen. Die Geschichtswissenschaft betont bei der Beschäftigung mit politischen Phänomenen die grundlegende Historizität der untersuchten Gegenstände.²⁵ Dies gilt auch für vormoderne Gesellschaften, deren vielfach geringerer Institutionalisierungsgrad es erschwert, eine eigenständige, von anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen getrennte politische Sphäre zu isolieren.²⁶ Versuche einer Begriffsbestimmung setzen vielfach bei der Zusammenstellung eines Bündels von Merkmalen an; vielen Vorschlägen gemeinsam sind dabei die Faktoren der Öffentlichkeit, Kollektivität und Entscheidungsfindung, mitunter ergänzt durch die Verhandlung inhaltlicher Fragen von Herrschaft und Staatstheorie. Barbara Stollberg-Rilinger etwa formuliert zusammenfassend in einem programmatischen Beitrag zur Kulturgeschichte des Politischen: Als hinreichend formale, weithin konsensfähige und heuristisch nützliche Definition kann diejenige gelten, wonach Politik es zum einen stets mit dem Ganzen und zum anderen mit Entscheidungen zu tun hat: Das Politische ist danach der Handlungsraum, in dem es um die Herstellung und Durchführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen geht.²⁷
Stollberg-Rilinger unterscheidet hier sprachlich zunächst zwischen ‚der Politik‘ und ‚dem Politischen‘; man könnte also meinen, eine abstrakte Dimension werde von einer Ebene der Praxis geschieden.²⁸ Stollberg-Rilinger geht es jeWaltenberger, Berlin u. a. 2016, S. 1– 9, hier S. 4 f., mit Bezug auf Marchart, Oliver: Die politische Differenz, Berlin 2010 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1956). Vgl. auch Waltenberger: Die Legitimität des Löwen, der u. a. eine Fassung der Fabel vom Löwen und den Hasen (Nr. 96) in der Esopus-Sammlung von Burkhard Waldis untersucht. In Fabel Nr. 44 dieser Sammlung findet sich der bislang erste Beleg für das Wort politisch im Frühneuhochdeutschen, vgl. Anm. 17 dieses Kapitels. Vgl. etwa die Einleitung zum propädeutischen Standardwerk von Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte. Mittelalter. 4., aktualisierte und erweiterte Aufl., Stuttgart 2014 (UTB 1719), hier S. 17– 28. Vgl. etwa Stollberg-Rilinger, Barbara: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung. In: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2005 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 35), S. 9 – 24, hier S. 14, Anm. 11; Dartmann, Christoph: Zwischen demonstrativem Konsens und kanalisiertem Konflikt. Ein Essay über öffentliche Kommunikation in der italienischen Stadtkommune. In: Cum verbis ut Italici solent suavibus atque ornatissimis. Funktionen der Beredsamkeit im kommunalen Italien. Funzioni dell’eloquenza nell’Italia comunale. Hrsg. von Florian Hartmann, Göttingen 2011 (Super alta perennis 9), S. 27– 40, hier S. 28. Vgl. auch Kapitel 2.2. Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 13 f. Herv. im Original. Diese Aufteilung wäre der politischen Differenz entgegengesetzt, wie sie in Politikwissenschaft und politischer Philosophie etabliert ist.
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doch stärker um den Aspekt der kollektiven Entscheidung als um die Differenzierung der beiden Begriffe; „die Bezeichnung ‚das Politische‘ wird lediglich deswegen bevorzugt, weil sie nicht die Existenz eines ausdifferenzierten Funktionssystems ‚Politik‘ suggeriert, das erst mit dem modernen Staat gegeben ist“.²⁹ Mit der genannten Unterscheidung zwischen dem Substantiv ‚Politik‘ und dem substantivierten Adjektiv ‚das Politische‘ thematisiert Stollberg-Rilinger eine Differenz, mit der vor allem in der politikwissenschaftlichen und philosophischen Forschung zwei Dimensionen unterschieden werden. Nach einer für die Diskussion typischen Formulierung von Münkler und Straßenberger „steht ‚Politik‘ für den routinierten Betrieb der Bewirtschaftung von Politikfeldern wie der institutionell gehegten Kämpfe um Macht und Einfluss, während ‚das Politische‘ die Konstituierungskonstellationen dieses Betriebs bezeichnet“; das Politische stellt somit „die Frage nach den Rahmenbedingungen des Politikbetriebs“.³⁰ Während Stollberg-Rilinger die Unterscheidung für nachrangig hält und ‚das Politische‘ synonym zu ‚der Politik‘ gebraucht, weicht Thomas Mergel von diesem Begriffsgebrauch bewusst ab.³¹ Mergel plädiert dafür, den Ausdruck ‚Politik‘ beizubehalten, weil er historisch gesehen bereits die Breite besessen habe, die mit dem neuen Begriff ‚des Politischen‘ angestrebt wird, zumal der Begriff ‚Politik‘ selbst historisch und älter als der ‚des Politischen‘ sei.³² Dabei betont er die Notwendigkeit zur konsequenten Historisierung; er strebt eine Definition von Politik an, „die flexibel genug ist, um auch die historischen Wandlungen und die kulturellen Verschiebungen des Begriffs der Politik abzudecken“ und beschreibt Politik mit Verweis auf Andreas Dörner und Karl Rohe als Di Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 14, Anm. 11. Münkler, Herfried / Straßenberger, Grit: Politische Theorie und Ideengeschichte. Eine Einführung. Unter Mitarb. von Vincent Rzepka und Felix Wassermann, München 2016 (C. H. Beck Paperback 1817), hier S. 29 f. (Herv. im Original).Vgl. auch ebd., S. 26 – 55; Meyer, Thomas: Was ist Politik? 3., aktualisierte und erg. Aufl., Wiesbaden 2010, hier S. 37– 39; den Sammelband Das Politische und die Politik. Hrsg. von Thomas Bedorf / Kurt Röttgers, Berlin 2010 (stw 1957); monografisch Marchart: Die politische Differenz. Der Beitrag von Stollberg-Rilinger erschien 2005 als Einleitung zu einem Themenheft, Thomas Mergels bewusst provokanter Gegenentwurf im gleichen Heft; vgl. Mergel, Thomas: Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte. Konzeptionelle Überlegungen und empirische Beispiele. In: Was ist Kulturgeschichte des Politischen? Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2005 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 35), S. 355 – 376. Er bekräftigte seine Position erneut in einem Beitrag von 2012, der die Diskussion aufgreift; vgl. Mergel, Thomas: Kulturgeschichte der Politik. Version 2.0. Zitiert nach der Archiv-Version im PDF-Format. DokServer des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, archiviert 21.03. 2014. In: DocupediaZeitgeschichte (2012), http://zeitgeschichte-digital.de/doks/267 (13. Dezember 2021). Vgl. Mergel: Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte, S. 362.
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2 Historische politische Rede
mension, „in der die fundamentale Ordnungsproblematik verhandelt wird, die allen sozialen Verbänden zu eigen ist“.³³ Die Bezeichnung ‚Kulturgeschichte der Politik‘ ermöglicht es laut Mergel, gegenüber älteren Ansätzen der Institutionen- und Verfassungsgeschichte den methodischen Zugriff der Kulturgeschichte zu betonen. Die Konzentration auf die ‚Politik‘ verhindert laut Mergel eine Ausweitung ins Beliebige: Nach seinem Entwurf hat die Kulturgeschichte der Politik „eher hergebrachtes politisches Handeln und politische Institutionen vor Augen und möchte diese mit kulturhistorischen Fragen in neuem Licht erscheinen lassen.“³⁴ Mergels Entwurf führt dabei zugleich vor, wie diffizil sich die kulturhistorische Arbeit mit politischer Kultur gestaltet. Die Vorstellung von ‚Hergebrachtem‘ führt nämlich Annahmen mit, die bei einer konsequenten Historisierung der Begriffe hinterfragt werden müssten. Im Beitrag von 2012 konstatiert Mergel, dass diejenigen Ansätze, die mit dem Begriff ‚der Politik‘ operieren, in der Regel mit einem unhistorischen Politikbegriff arbeiten, rechtfertigt dies jedoch damit, dass dies forschungspraktisch irrelevant sei.³⁵ Mit Blick auf Mergels Forschungsschwerpunkt im 19. und 20. Jahrhundert mag die an der Neuzeit entwickelte, mit ahistorischem bzw. überhistorischem Anspruch vertretene Terminologie benutzbar sein, ohne dass größere Reibungen auftreten. Wenn in kulturgeschichtlicher Tradition konsequent historisiert werden soll, widerspricht dieses Vorgehen aber den proklamierten Zielen. Es erschwert zudem den Austausch mit der Forschung zu anderen Epochen und Kulturen. Ein weiteres Argument Mergels gegen den Begriff des ‚Politischen‘ ist ein wissenschaftshistorisches: Der Begriff sei durch Carl Schmitt besetzt und ‚kontaminiert‘, dessen agonales Verständnis im Begriff unweigerlich mitgeführt werde.³⁶ Dieses Schmitt-kritische Argument lässt sich mit dem Philosophen Oliver Marchart perspektivieren, der das Begriffspaar als ‚politische Differenz‘ konzeptualisiert.³⁷ Marchart diskutiert mehrere Vorschläge der politischen Philo-
Ebd., S. 358. Im Beitrag von 2012 betont Mergel analog dazu, dass eine transhistorische Definition des Begriffes ‚Politik‘ nur durch maximale Allgemeinheit möglich sei; vgl. Mergel: Kulturgeschichte, S. 6 mit Anm. 28. Mergel: Kulturgeschichte, S. 7. Ebd. Mergel: Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte, S. 361 f.; vgl. Mergel: Kulturgeschichte, S. 6 mit Anm. 28. Vgl. Marchart: Die politische Differenz. Carl Schmitt spielt auch in der theoretischen Auseinandersetzung um Konzepte wie ‚Öffentlichkeit‘ und ‚Repräsentation‘ eine große Rolle, u. a. weil er von Habermas rezipiert wurde; vgl. dazu den Abschnitt Die Betonung des Verbalen in Kapitel 2.2.
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sophie zur politischen Differenz und stellt diese gleichwertig nebeneinander.³⁸ Pierre Rosanvallon zitierend, beschreibt Marchart das Politische als Diskurs, der sich um Kerngegenstände wie etwa Macht, Gesetz, Staat, Nation, Gleichheit, Gerechtigkeit oder Identität formiert. Das Politische betreffe all das, „was ein Gemeinwesen jenseits unmittelbarer parteilicher Konkurrenz um die Ausübung von Macht, tagtäglichen Regierungshandelns und des gewöhnlichen Lebens von Institutionen konstituiert“.³⁹ Als ‚politische Differenz‘ wird die Unterscheidung ‚der Politik‘ und ‚des Politischen‘ vor allem in Deutschland und Frankreich im Übergangsbereich von Politikwissenschaft und politischer Philosophie zur Leitdifferenz neuerer Theoriebildung erhoben.⁴⁰ Dabei liegen unterschiedliche Konzeptionen vor, je nachdem, ob die Begriffe als einander ausschließende oder sich überlagernde Konzepte begriffen werden.⁴¹ Marcharts Konzeption der politischen Differenz zielt auf ein sogenanntes postfundamentalistisches Denken, in dem politische Ordnung nicht aus transzendenten Gegebenheiten (z. B. eine göttliche Instanz oder die Natur des Menschen) begründet wird, sondern der Paradoxie unterliegt, dass jede politische Ordnung als kontingent aufgefasst wird und zugleich die Notwendigkeit besteht, vorläufige Begründungsfiguren für politische Ordnung zu finden:⁴² Das Spiel der politischen Differenz, changierend zwischen begrifflichen Momenten der Entgründung (Kontingenz) und solchen der Gründung (Institution), kann als Symptom des abwesenden Grundes von Gesellschaft (oder mit Heidegger: des Grundes in seinem An-/Abwesen) verstanden werden. Doch obwohl Gesellschaft nicht ultimativ zu gründen ist, so die postfundamentalistische Pointe, muss sie dennoch provisorisch gegründet werden.⁴³
Nach einem Kapitel, das die begriffsgeschichtlichen Grundlagen zu Postfundamentalismus, Politik und dem Politischen erläutert und vor allem auf Hannah Arendt, Carl Schmitt und die französische Heidegger-Rezeption eingeht, sind folgenden Autoren eigene Lektüren gewidmet: Jean-Luc Nancy, Claude Lefort, Alain Badiou, Jacques Rancière, Ernesto Laclau, Giorgio Agamben; vgl. ebd., S. 85 – 241 (Kapitel II). Ebd., S. 13. Zitiert wird Rosanvallon, Pierre: Pour une histoire conceptuelle du politique. Leçon inaugurale au Collège de France faite le jeudi 28 mars 2002, Paris 2003, hier S. 14 (Übers. Marchart). Vgl. neben der Monografie von Marchart etwa den Sammelband von Bedorf / Röttgers: Das Politische und die Politik. Beide Bände arbeiten die v. a. französisch geprägte Begriffsbildung der letzten Jahrzehnte auf und befragen die ‚politische Differenz‘ auf ihre Brauchbarkeit für die Analyse der Gegenwart. Vgl. Bedorf, Thomas / Röttgers, Kurt: Vorwort. In: Das Politische und die Politik. Hrsg. von Thomas Bedorf / Kurt Röttgers, Berlin 2010 (stw 1957), S. 7– 10, hier S. 8 f. Marchart: Die politische Differenz, S. 13 – 18, 59 – 81. Ebd., S. 245 f.
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2 Historische politische Rede
Marchart entwickelt daraus ein Plädoyer für eine demokratische Ethik, die sich der Paradoxie bewusst ist und die „Abwesenheit des Grundes in ihr institutionelles und symbolisches Arrangement einzubauen“⁴⁴ versteht. Im Anschluss an Marchart haben Jan Glück, Kathrin Lukaschek und Michael Waltenberger vorgeschlagen, auch bei der Untersuchung vormoderner Literatur den Akzent auf die diskursive Verhandlung von Begründungsfiguren politischer Ordnung zu legen und dabei besonders die Paradoxien und Kontingenzen der Ordnungsbegründung zu beachten. Diese seien zwar in der zeitgenössischen politischen Theorie üblicherweise durch Berufung auf transzendente oder natürliche Instanzen verdeckt; in narrativen Entwürfen – d. h. hier: in der Tierepik – würden diese jedoch durchaus sichtbar: Unter Rekurs auf diese ‚politische Differenz‘ kann auch für die vormoderne Kultur eine Beobachtungsposition eingenommen werden, von der aus insbesondere auch in narrativen Modellierungen eine Reflexion der politischen Ordnung zu erkennen ist, wie sie den einschlägigen theologischen und philosophischen Theoriediskursen kaum möglich gewesen sein dürfte. Hier nämlich mussten immanente Begründungsparadoxien politischer Ordnung tendenziell invisibilisiert werden.⁴⁵
Zwischen den Ansätzen zeigen sich Berührungspunkte. Dies ist etwa der Fall, wenn Stollberg-Rilinger und Marchart die Einheit des Kollektivs (‚das Ganze‘ bzw. ‚das Gemeinwesen‘) zur Grundeinheit ihrer Begriffsbestimmung machen. Auch mit der Konzeption Mergels bestehen Überschneidungen in Bezug auf die Verhandlung von Ordnung. Für die vorliegende Untersuchung lassen sich die Ansätze zusammenführen: Die Begriffsbestimmung Stollberg-Rilingers kann für Situationen der Entscheidungsfindung sensibilisieren, die für die Analyse
Ebd., S. 248. Glück / Lukaschek / Waltenberger: Einleitung, S. 4 f. Zur Verfügbarkeit von Kontingenz und den „Paradoxa der (Selbst‐)Gründung“ auch in vormodernen Gesellschaften vgl. Marchart: Die politische Differenz, S. 74– 84, Zitat S. 75. Jan Glück nimmt in seiner Monografie Impulse aus Marcharts Theoriebildung auf, um mittelalterliche fuchsepische Texte auf ihre Reflexion politischer Ordnung zu untersuchen. In Auseinandersetzung mit den historischen Entwürfen beschreibt er Varianten der ‚Normativität von Natur‘, von ‚Aporien des Politischen‘ und der ‚Autorisierung des Politischen‘; vgl. zusammenfassend Glück: Animal homificans, S. 158 – 160, 234 f., 237– 242. In einem weiteren Aufsatz analysiert Glück zudem die Rolle von Redekultur im Hinblick auf die Begründung politischer Ordnung im Werk Ramon Lulls; vgl. Glück, Jan: Die Institutionalisierung der Rede in Ramon Lulls politischer Philosophie: Arbor imperialis, Liber de consilio, Llibre de les bèsties. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 273 – 301, hier S. 287– 301.
2.2 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne
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politischer Rede prädestiniert sind. Mergels Diskussionsbeiträge machen nicht nur darauf aufmerksam, dass auch innerhalb der Kulturgeschichte des Politischen bzw. der Politik divergierende Begriffsbestimmungen existieren. Sie machen außerdem die grundlegende Historizität sowohl der politischen Kultur als auch der Forschungsperspektiven bewusst. Der mediävistisch gewendete Vorschlag zur politischen Differenz schließlich kann dazu anregen, Paradoxien der Ordnungsbegründung zu beachten, die möglicherweise gerade in erzählenden Texten sichtbar werden. Ein Vorhaben der folgenden Untersuchungen besteht deshalb darin, die Unterscheidung zwischen institutionalisierter Politik und der diskursiv-reflexiven Dimension des Politischen⁴⁶ für die Analyse politischer Oratorik in Szenen zu nutzen, in denen Entscheidungsfindung, diplomatische Kommunikation oder die Verhandlung politischer Ordnung im Zentrum stehen. Wie produktiv diese Perspektive sein kann, lässt sich exemplarisch an Wittenwilers Ring zeigen:⁴⁷ Die Kollektivität der Gemeinschaft im Ring besteht nicht von vornherein, sondern muss erst aufgerufen und performativ hergestellt werden. Es ist die Bildung einer rhetorischen Gemeinschaft, die zur Bildung der politischen Gemeinschaft führt.
2.2 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne Die Oratorikforschung verortet sich selbst innerhalb des Paradigmas der Kulturgeschichte des Politischen.⁴⁸ Wie der Begriff bereits impliziert, zielen die Vertreter:innen einer ‚Kulturgeschichte des Politischen‘ auf eine Aufhebung des Gegensatzes von Kulturgeschichte und Politikgeschichte, die in den deutschen Geschichtswissenschaften traditionell voneinander abgegrenzt oder sogar gegeneinander ausgespielt werden.⁴⁹ Laut Thomas Mergel wurde der Ansatz vor-
Der Ausdruck ‚institutionalisierte Politik‘ zielt dabei auf einen historisierenden Begriff von Institutionalität ab, ohne dass damit Institutionen wie Verfassung oder Staat gemeint sein müssen. Die dritte Teilstudie dieser Untersuchung (Kapitel 5) behandelt die Konstruktion, Destruktion und die diskursive Verhandlung politischer Ordnung in zentralen Redeszenen des Rings im Detail. Vgl. Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 25; Feuchter / Helmrath: Einführung, S. 18 – 20; Feuchter: Oratorik und Öffentlichkeit, S. 199 f.; Feuchter: Deliberation, S. 210; Feuchter / Helmrath: Oratory and representation, S. 60. Vgl. zusammenfassend Weidner, Tobias: Die Geschichte des Politischen in der Diskussion, Göttingen 2012 (Das Politische als Kommunikation 11), hier S. 78 – 114; Mergel: Kulturgeschichte, S. 2 f.; Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 10, 15 – 21. Kulturgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Ansätze werden trotz ihrer breiten Akzeptanz und der Rede von einem cultural turn auch außerhalb der Politik- und Verfassungsgeschichte weiterhin
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2 Historische politische Rede
wiegend in Arbeiten zur Frühen Neuzeit und zum 19. bzw. 20. Jahrhundert aufgegriffen.⁵⁰ Inzwischen kann festgehalten werden, dass der Ansatz auch einen Bezugspunkt für die Forschung zu anderen Epochen bildet und über die einschlägigen Sammelbände hinaus rezipiert wurde.⁵¹ Mergel selbst stellt fest, dass bereits „zusammenfassende Darstellungen erschienen sind, die sowohl die Diskussion nachzeichnen wie auch kompendienartige Einführungen darstellen“.⁵² Der folgende Abschnitt konzentriert sich deshalb auf diejenigen Grundbegriffe reflektiert und kritisch befragt. In einem aktuellen Tagungsband fordern zum Beispiel Maximilian Benz und Gideon Stiening dazu auf, die bisherigen Ansätze zu hinterfragen. Statt einer vollständigen Abkehr schlagen sie jedoch eine Neuperspektivierung vor einem dezidiert literaturwissenschaftlichen Hintergrund vor; vgl. Benz, Maximilian / Stiening, Gideon: Nach der Kulturgeschichte. Einleitende Perspektiven. In: Nach der Kulturgeschichte. Perspektiven einer neuen Ideen- und Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Hrsg. von Maximilian Benz / Gideon Stiening, Berlin u. a. 2022, S. 1– 19. Vgl. Mergel: Kulturgeschichte, S. 2. Gerd Schwerhoff stellt in einer Rezension unter den Beiträgen des bekannten Themenheftes die gleiche Schwerpunktbildung fest: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2005 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 35); vgl. Schwerhoff, Gerd: Rezension zu: Asch, Ronald G./Freist, Dagmar: Staatsbildung als kultureller Prozess; Brakensiek, Stefan: Wunder, Heide, Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa; Stollberg-Rilinger, Barbara: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? In: H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews (2006), hier S. 3, http:// www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=19828 (13. Dezember 2021). Die entwickelten Grundannahmen sollen nach dem Entwurf der Kulturgeschichte des Politischen jedoch flexibel genug sein, um für die Beschäftigung mit jeder Epoche und Kultur fruchtbar gemacht zu werden; vgl. etwa Mergel: Wahlkampfgeschichte als Kulturgeschichte, S. 365 f. In der historischen Mediävistik sind hier neben Johannes Helmrath und Jörg Feuchter etwa Georg Strack, Klaus Oschema und Christoph Dartmann zu nennen, zudem knüpft das transkulturell und globalgeschichtlich ausgerichtete DFG-Netzwerk Vormoderne monarchische Herrschaftsformen im transkulturellen Vergleich an den Begriff des Politischen an; vgl. Strack, Georg: Solo sermone. Überlieferung und Deutung politischer Ansprachen der Päpste im Mittelalter. Habil. (masch.) München 2017, hier S. 1 f. (ich danke Georg Strack für die Einsicht in das Manuskript); Dartmann, Christoph / Flüchter, Antje / Oesterle, Jenny Rahel: Eliten in transkultureller Perspektive. In: Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive. Hrsg. von Wolfram Drews u. a., Berlin u. a. 2015 (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 26), S. 33 – 173, hier S. 38 f.; Oschema, Klaus: Die Öffentlichkeit des Politischen. In: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. Hrsg. von Martin Kintzinger / Bernd Schneidmüller, Ostfildern 2011 (Vorträge und Forschungen 75), S. 41– 86, hier S. 84– 86; Dartmann: Konsens, S. 28.Vgl. außerdem Dorestal, Philipp: Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943 – 1975, Bielefeld 2014. Mergel: Kulturgeschichte, S. 2; mit Verweis auf Schorn-Schütte, Luise: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006; und Weidner: Die Geschichte des Politischen. Ebenfalls den Rang einer Standardreferenz hat der auf das 19. und 20. Jahrhundert bezogene Sammelband Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung. Hrsg. von Ute Frevert / Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt a. M. u. a. 2005 (Historische Politikforschung 1).
2.2 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne
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und Prämissen, die für die Erforschung politischer Redekultur in Mittelalter und Früher Neuzeit zentral sind und die auch den Untersuchungen der Kapitel 3–5 zugrundeliegen: Das Verständnis von Kultur, symbolischer Kommunikation, Politik bzw. dem Politischen sowie deren historischer Wandelbarkeit. Vor diesem Hintergrund lassen sich anschließend das Erkenntnisinteresse der Oratorikforschung und der spezifische Zugriff auf erzählte Oratorik vorstellen.
Kulturgeschichte des Politischen Kultur wird in den programmatischen Beiträgen von Thomas Mergel und Barbara Stollberg-Rilinger übereinstimmend aufgefasst. Wie Stollberg-Rilinger formuliert, besteht eine gemeinsame Prämisse in einem „weiten, sozialanthropologischen Kulturbegriff,“ wonach Kultur über die fundamentale Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung definiert wird und die Gesamtheit der symbolischen Hervorbringungen – von der Sprache über die Institutionen und Alltagspraktiken bis zur Wissenschaft – umfaßt.⁵³
Symbole werden vom Menschen sowohl erzeugt als auch gedeutet. Der in Anschlag gebrachte Symbolbegriff ist grundsätzlich weit gefasst und bezeichnet zunächst jede Form von Zeichen unter der Annahme, dass der Mensch auf die Welt Bezug nimmt, indem er das deutet, was er wahrnimmt.⁵⁴ Dies beinhaltet die Kommunikation, verbunden mit der Beobachtung, dass Kommunikation konstitutiv mehrdeutig und deshalb deutungsbedürftig ist.⁵⁵ Als Untersuchungsinstrument politischer Kultur werden diese Konzepte handhabbar durch eine Begriffsbestimmung von symbolischer Kommunikation als Handeln, die auch politisches Handeln als symbolisches Handeln auffasst: Die Kulturgeschichte untersucht Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 10 f.; vgl. auch Mergel: Kulturgeschichte, S. 4. Die theoretische Basis des Folgenden wurde erarbeitet im Münsteraner Sonderforschungsbereich 496: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution. Vgl. die Abschlusspublikation Stollberg-Rilinger, Barbara / Neu, Tim: Einleitung. In: Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommunikation. Hrsg. von Barbara Stollberg-Rilinger / Tim Neu / Christina Brauner, Köln u. a. 2013 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 11– 31; der bilanzierende Beitrag von 2013 ist in Teilen eine Überarbeitung von Stollberg-Rilinger, Barbara: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Themen – Forschungsperspektiven. In: ZHF 31/4 (2004), S. 489 – 527; vgl. auch die Einführung Stollberg-Rilinger, Barbara: Rituale, Frankfurt a. M. 2013 (campus Historische Einführungen), hier S. 37. Vgl. Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 11. Vgl. Mergel: Kulturgeschichte, S. 4; Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 20; Stollberg-Rilinger / Neu: Einleitung, S. 16 f.
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nach Mergel „politisches Handeln demzufolge vor allem dahingehend, ob und wie es als symbolisches Handeln Ordnungen produziert, sie verändert, erhält oder umstürzt.“⁵⁶ Die Vertreter:innen einer Kulturgeschichte des Politischen grenzen sich ab von der Auffassung, man könne einen Bereich ‚eigentlicher‘ Politik von ‚bloß symbolischen‘ Inszenierungen trennen.⁵⁷ Stattdessen werden Politik, Macht und Herrschaft als Phänomene verstanden, die performativ entstehen und stets aufs Neue bestätigt werden müssen. Ein zentrales Anliegen ist es daher, zu zeigen, „welch fundamentale Rolle symbolische Praktiken und diskursive Strukturen schon bei der Konstitution von politischen Institutionen, Ordnungskategorien, Geltungs- und nicht zuletzt Herrschaftsansprüchen spielen.“⁵⁸ Diese Konzeption geht u. a. auf die Unterscheidung von symbolisch-expressivem und instrumentellem Handeln zurück, die Niklas Luhmann vorgenommen hat.⁵⁹ Politische Ordnung existiert aus dieser Perspektive nicht statisch, sondern wird performativ hervorgebracht. Dies gilt auch für vormoderne Gesellschaften, deren Institutionalisierungsgrad im Vergleich zu modernen Gesellschaften relativ gering ist: Die persönliche Anwesenheit bei Versammlungen, die Interaktion der Teilnehmenden und rituelle Akte tragen zur Aushandlung der politischen Ordnung bei, stellen sie als legitime Ordnung aus und symbolisieren sie zugleich.⁶⁰
Mergel: Kulturgeschichte, S. 4. Nach der Darstellung von Mergel und Stollberg-Rilinger dominieren in der Rhetorik der Kritiker:innen Unterscheidungen, die Eigentliches von Uneigentlichem trennen, harte von weichen Inhalten scheiden und Gegenstandsbereiche streng definieren wollen, statt sie in vermeintliche Beliebigkeit ‚aufzulösen‘. Diesen Vorwürfen versuchte man zu begegnen, indem man die Kritikpunkte auf Missverständnisse zurückführte. So greifen sowohl Stollberg-Rilinger als auch Mergel zu der Strategie, Vorwürfe und Missverständnisse zu schildern und Richtigstellungen zu verfassen. Vgl. Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 15 – 21; Mergel: Kulturgeschichte, S. 7. Wie Tobias Weidner feststellt, wurde im Zuge der Rechtfertigung und Abgrenzung mitunter auch die Position der Gegenseite verkürzt dargestellt. Vgl. die Analyse bei Weidner: Die Geschichte des Politischen, S. 81– 85. Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 16, Herv. im Original. Vgl. analog dazu Mergel: Kulturgeschichte, S. 2 f. Vgl. Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 497 f. Aus dieser konstruktivistischen, nicht-essenzialistischen Perspektive ergibt sich auch, dass alle untersuchten Phänomene und Begriffe konsequent historisiert werden. Vgl. Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 13; Mergel: Kulturgeschichte, S. 6. Vgl. dazu Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 514 f. mit weiterer Literatur. Vom dynamisch gedachten Begriff der ‚Institutionalität‘ aus beschreibt Strohschneider etwas Vergleichbares: „Auch die festesten ‚Institutionen‘ sind dynamische Prozesse der Institutionalisierung und De-Institutionalisierung“ (Strohschneider, Peter: Institutionalität. Zum Verhältnis von literarischer Kommunikation und sozialer Interaktion in mit-
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Dass diese Ordnung stets einen vorläufigen, fragilen Charakter hat, zeigen Berichte und Darstellungen von politischen Ereignissen, bei denen Rituale scheitern oder absichtlich nicht befolgt werden. Ein inzwischen klassisches Beispiel sind die Streitigkeiten um Sitzordnungen auf Ständeversammlungen.⁶¹ In der vormodernen politischen Kultur liegen Macht und Herrschaft häufig nicht in der Übernahme eines Amtes, sondern in der Person oder Familie des Herrschers begründet.⁶² Viele europäische Herrschaftsgebiete waren im Mittel-
telalterlicher Literatur. Eine Einleitung. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner / Ludger Lieb / Peter Strohschneider, Frankfurt a. M. u. a. 2001 [Mikrokosmos 64], S. 1– 26, hier S. 5). Strohschneiders Nähe zu Prämissen der symbolischen Kommunikationsforschung zeigt sich u. a. in der Auffassung, „das Institutionelle an einer Ordnung“ sei „die symbolische Darstellung ihrer Prinzipien und Geltungsansprüche“ (ebd., S. 7). Vgl. Dartmann / Flüchter / Oesterle: Eliten, S. 109 – 127, Kapitel 3.2: Festmähler und Sitzordnungen als Beispiele für Eliteninszenierungen im transkulturellen Vergleich; für das 15. Jahrhundert vgl. Helmrath, Johannes: Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhunderts. In: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. FS Odilo Engels. Hrsg. von Hanna Vollrath / Stefan Weinfurter, Köln u. a. 1993 (Kölner historische Abhandlungen 39), S. 719 – 760; für Beispiele aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Zeremoniell als politisches Verfahren. In: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Hrsg. von Johannes Kunisch, Berlin 1997 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 19), S. 91– 132, hier S. 99 – 102 u.ö.; vgl. auch Schütte, Merle Marie: Sitzen – Stehen – Schweigen – Sprechen. Hochmittelalterliche Beratungen im Spannungsfeld von Narration und Herrschaftspraxis. In: Zwischen Fakten und Fiktionen. Literatur und Geschichtsschreibung in der Vormoderne. Hrsg. von Merle Marie Schütte / Kristina Rzehak / Daniel Lizius, Würzburg 2014 (Religion und Politik 10), S. 115 – 142, hier S. 123, Anm. 29 f. mit Beispielen aus historiografischer und fiktionaler, volkssprachiger Literatur. Zu Personalität und Transpersonalität im Kontext der Erforschung von Herrschaft, mit Bezug auf Webers Herrschaftsmodell, vgl. Becher, Matthias: Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive. In: Macht und Herrschaft transkulturell.Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Matthias Becher / Stephan Conermann / Linda Dohmen, Göttingen 2018, S. 11– 41, hier S. 14– 28, der die entsprechende Forschungsdiskussion sowohl europäisch-mediävistisch als auch transkulturell skizziert. In der Auseinandersetzung mit Max Weber entwickelte Bernd Schneidmüller das Konzept der ‚konsensualen Herrschaft‘; vgl. dazu die Bestandsaufnahme inklusive Vorschlägen zur Fortentwicklung im gleichen Band: Schneidmüller, Bernd: Verklärte Macht und verschränkte Herrschaft. Vom Charme vormoderner Andersartigkeit. In: Macht und Herrschaft transkulturell. Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Matthias Becher / Stephan Conermann / Linda Dohmen, Göttingen 2018 (Macht und Herrschaft 1), S. 91– 122, hier S. 109 – 112. Eine transkulturelle Perspektivierung bietet auch Flüchter, Antje: Einleitung. In: Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive. Hrsg. von Wolfram Drews u. a., Berlin u. a. 2015 (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 26), S. 1– 31, hier S. 26 f.
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alter zudem in einem feudalen Lehenssystem organisiert, in dem die Herrschaft über einzelne Gebiete oder in einzelnen Funktionen an Vasallen übertragen wird. Bei der Untersuchung politischer Ordnung ist deshalb das Zusammenwirken von monarchischer Herrschaft und herrschaftsnahen Eliten zu betrachten.⁶³ Wo Macht und Herrschaft an die Person gebunden sind, hängen politische Entscheidungen davon ab, ob sie die Ehre und das Ansehen der Akteure wahren.⁶⁴ Ein etabliertes Verfahren politischer Entscheidungsfindung war deshalb ein abgestuftes Verfahren von vertraulicher Beratung und öffentlicher Beglaubigung. Anhand historiografischer Quellen aus dem Frühmittelalter hat Gerd Althoff zwei Formen der Beratung unterschieden, die sich auch in späterer Zeit und auch in der höfischen Epik beobachten lassen: Den geheimen Rat (colloquium familiare oder colloquium secretum), der den vertraulichen Rahmen schafft, in dem Meinungen eingeholt und Entscheidungen vorbereitet werden, und die anschließende öffentliche Ratssituation (colloquium publicum), in der die Entscheidung öffentlich präsentiert, kollektiv beglaubigt und als Konsensentscheidung demonstriert wird.⁶⁵ Althoff spricht in diesem Zusammenhang auch von ‚Konsensfiktionen‘ und vom ‚Veröffentlichen‘ der Entscheidung, „wenn in vertraulichen Vorgesprächen die Fronten hinreichend geklärt waren“.⁶⁶ Dieses Modell von Rat und Beratung ist von Jan-Dirk Müller in einem einflussreichen Aufsatz zu ‚Ratgebern und Wissenden‘ aufgenommen worden; er stellt dem Begriffspaar colloquium secretum und colloquium publicum den mittelhochdeutschen Begriff der sundersprâche an die Seite, der als äquivalenter Terminus gelten kann.⁶⁷
Vgl. Flüchter: Einleitung, S. 28 f.; Dartmann / Flüchter / Oesterle: Eliten, S. 33 – 35; Becher: Macht und Herrschaft, S. 25 f. Vgl. etwa Görich, Knut: Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). Vgl. Althoff, Gerd: Colloquium familiare – Colloquium secretum – Colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters. In: FMSt 24 (1990), S. 145 – 167. Zur lateinischen Begrifflichkeit vgl. ebd., S. 158. Althoff: Colloquium familiare, S. 153; zu Freiwilligkeits- und Konsensfiktionen vgl. bes. Althoff, Gerd: Freiwilligkeit und Konsensfassaden. Emotionale Ausdrucksformen in der Politik des Mittelalters. In: Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten. Hrsg. von Klaus Herding / Bernhard Stumpfhaus, Berlin u. a. 2004, S. 145 – 161, hier S. 150 – 153. Vgl. Müller, Jan-Dirk: Ratgeber und Wissende in heroischer Epik. In: FMSt 27 (1993), S. 124– 146, hier S. 138 – 142. Zum Konsensprinzip und der dabei zentralen Einstimmigkeit – unanimitas – vgl. Müller, Jan-Dirk: Landesherrin per compromissum. Zum Wahlmodus in Ulrichs von Etzenbach Wilhelm von Wenden v. 4095 – 4401. In: Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. FS Ruth Schmidt-Wiegand. Hrsg. von Karl Hauck u. a., Bd. 1, Berlin u. a. 1986, S. 490 – 514, hier S. 497– 499. Antje Sablotny macht besonders auf Szenen dargestellter sundersprâche aufmerksam, deren Literarizität ausgestellt wird: „Sundersprâche wird hier als lite-
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Seitdem haben sich Ratsszenen als Untersuchungsgegenstand in der germanistischen Mediävistik etabliert. Die Forschung wurde so für die Institution der Beratung und die Symbolisierung von Herrschaft in Ratssituationen sensibilisiert und hat festgestellt, dass fiktionale Texte gegenüber den traditionellen Quellen der Geschichtswissenschaft ein besonderes Potenzial besitzen: Zeitgenössische Chroniken und Urkunden dokumentieren vor allem den öffentlichen Rat; geheime Beratungsgespräche finden selten Eingang in die Berichterstattung.⁶⁸ Texte des literarischen Diskurses hingegen schildern häufig beide Komponenten des mittelalterlichen Beratungssystems und stellen die Differenz besonders aus.⁶⁹
Die Betonung des Verbalen Während die nonverbalen Formen symbolischer Kommunikation somit in Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft verbreitet beachtet werden und die Beratung als politische Institution untersucht wird, blieb die Rede als verbale Form symbolischer Kommunikation lange im Hintergrund. An der Hervorbringung und Symbolisierung politischer Ordnung ist jedoch auch die öffentliche Rede beteiligt.⁷⁰ Die Vertreter:innen der Oratorikforschung betonen in den prorarischer Diskurs markiert – implementiert in eine politische Entscheidungsszene in der epischen Welt“ (Sablotny, Antje: Politische Beratung und Erzählen im achten Buch von Wolframs Parzival. Zum Streitdialog zwischen Kingrimursel und Liddamus. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 [Hamburger Beiträge zur Germanistik 60], S. 213 – 242, hier S. 239). Vgl. Althoff: Colloquium familiare, S. 166. Vgl. Zimmermann, Tobias: Den Mörder des Gatten heiraten? Wie ein unmöglicher Vorschlag zur einzig möglichen Lösung wird. Der Argumentationsverlauf im Dialog zwischen Lunete und Laudine in Hartmanns Iwein. In: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik. Hrsg. von Nine Miedema / Franz Hundsnurscher / Monika Unzeitig, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung 36), S. 203 – 222; mit Betonung auf ‚private‘ Beratungen zweier Figuren vgl. Sullivan, Joseph Martin: Counsel in Middle High German Arthurian Romance, Göppingen 2001 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 690), hier S. 13; vgl. auch Peeters, Joachim Marie Jozef: Rat und Hilfe in der deutschen Heldenepik. Untersuchungen zu Kompositionsmustern und Interpretation individueller Gestaltungen, Nijmegen 1981. In den Augen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gehören oratorische Auftritte sogar zu den zentralen Ereignissen bei politischen Zusammenkünften. So bestehen überlieferte Berichte von vormodernen Versammlungen häufig zu großen Teilen daraus, dass Redeauftritte geschildert werden; vgl. Feuchter, Jörg: Zur Oratorik der französischen Generalstände im späten Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit (1302– 1561). In: Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 9), S. 189 – 218, hier S. 189 in Bezug auf französische États Ge-
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grammatischen Publikationen deshalb besonders, dass verbale und nonverbale Kommunikation reziprok aufeinander einwirken und deshalb als Formen politischer Kommunikation gemeinsam untersucht werden müssen. Diese Programmatik ist zum Teil in der Motivation begründet, eine Akzentverschiebung gegenüber der frühen Ritualforschung zu bewirken, deren Tendenz zur Betonung nonverbalen Zeremonialhandelns als vereinseitigend empfunden wird.⁷¹ Diese Betonung des Verbalen ist das Ergebnis einer Kette von Abgrenzungsgesten gegenüber anderen Forschungsansätzen, mit denen der jeweils eigene Untersuchungsgegenstand konstruiert wird. Am Beginn stehen Habermasʼ einflussreiche Thesen zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, die der Vormoderne im Unterschied zur Neuzeit eine politische Öffentlichkeit absprechen.⁷² Habermas schließt an Carl Schmitts Repräsentationsbegriff ⁷³ an und nimmt Thesen Otto Brunners zur Alterität der vormodernen Öffentlichkeit auf, kehrt aber Brunners Mittelalter-Idealisierung um.⁷⁴ Auf diese Weise grenzt Habermas eine kritischdeliberative, bürgerliche Öffentlichkeit von der ‚bloß‘ repräsentativen Öffentlichkeit der Vormoderne ab.⁷⁵
neraux; resümierend Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 25. Auch ist die Inszenierung politischer Eloquenz in der Darstellungstradition mittelalterlicher Päpste und weltlicher Monarchen verankert; vgl. etwa Strack: Solo sermone, S. 34 zu Papst Leo IX. Strack: Perzeption und Imagination. Zu weltlichen Herrschern vgl. Helmrath: Der europäische Humanismus, S. 33; Helmrath, Johannes: Parlamentsrede, Mittelalter. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), Sp. 589 – 597, hier Sp. 590 f.; Mertens, Dieter: Die Rede als institutionalisierte Kommunikation im Zeitalter des Humanismus. In: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Heinz Duchhardt / Gert Melville, Köln u. a. 1997 (Norm und Struktur 7), S. 401– 421, hier S. 409. Vgl. Feuchter: Deliberation, S. 209; erneut in Feuchter: Oratorik und Öffentlichkeit, S. 186. In beiden Aufsätzen ist explizit von einem ‚Defizit‘ die Rede, das durch eine Perspektive beseitigt werden soll, die verbale und nonverbale Kommunikation im Zusammenspiel untersucht; vgl. dazu auch Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 11. Habermas’ Ansatz ist in verschiedenen Disziplinen intensiv diskutiert worden, die Beiträge zu seiner Wirkung sind daher zahlreich. Die folgende Darstellung konzentriert sich darauf, auf welche Weise Habermas’ Thesen in der deutschen Geschichtswissenschaft und insbesondere der Forschung zur symbolischen Kommunikation rezipiert und kritisiert wurden. Diese Diskussion hat Jörg Feuchter in einem grundlegenden Aufsatz mit Fokus auf die politische Redekultur aufgearbeitet; vgl. Feuchter: Oratorik und Öffentlichkeit. Vgl. ebd., S. 189 f. Vgl. ebd., S. 191– 196. Jörg Feuchter resümiert polemisch: „Der anhaltende Einfluss des Meistermediävisten und seine wertungsumkehrende Rezeption durch den ebenfalls höchst wirkmächtigen Meisterphilosophen der bundesdeutschen Nachkriegszeit verschränken sich zu einer Denksperre“ (ebd., S. 196).
2.2 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne
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Insbesondere ältere Beiträge zur symbolischen Kommunikation argumentieren strategisch gegen Vorurteile dieser Art und für die politische Kultur der Vormoderne, indem sie nonverbale gegen verbale Kommunikationsformen ausspielen. Die Kritik der Oratorikforschung richtet sich deshalb vor allem gegen solche Positionen wie die von Gerd Althoff formulierte, wonach durchaus eine mittelalterliche Öffentlichkeit mit politischer Kommunikation existierte – „nur war sie nicht in erster Linie geprägt von Diskussionen, in denen öffentlich Meinungen aufeinanderprallten, Probleme durch die verbale Auseinandersetzung und das Gewicht der Argumente einer Lösung zugeführt wurden.“⁷⁶ Noch deutlicher stellt Althoff Zeigen und Reden bzw. Argumentieren gegenüber, wenn er sich mit der These von Habermas abgrenzt, in der mittelalterlichen Öffentlichkeit werde „mehr gezeigt als geredet und argumentiert“.⁷⁷ Diese Zuspitzung auf das nonverbale Zeigen wurde in der Forschung zur vormodernen Oratorik und darüber hinaus scharf kritisiert. Neben Feuchter und Helmrath wendet sich auch Florian Hartmann gegen die „überzogene[] Akzentuierung nonverbaler Kommunikation“:⁷⁸ Die Betonung des Non-Verbalen führte dann quasi zwangsläufig zu der These, die Menschen des Mittelalters seien deswegen auf Symbole und Rituale angewiesen gewesen, weil ihnen die Fähigkeit gefehlt habe, in Worten – persuasiv – zu Entscheidungen zu gelangen. Dahinter scheint die eigentümliche Vorstellung zu stehen, dass Rituale zwangsläufig nonverbal seien.⁷⁹
Dabei hat auch Althoff die verbale Dimension nicht vollständig ausgeschlossen, denn er erklärt u. a., „daß man mit guten Gründen auch die verbale Sprache als Form symbolischer Kommunikation auffassen kann“.⁸⁰ In jüngerer Zeit lässt sich
Althoff, Gerd: Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit. In: FMSt 27 (1993), S. 27– 50, hier S. 28. Andernorts unterscheidet Althoff zwischen verbaler, schriftlicher und symbolischer Kommunikation und betont deutlich den nonverbalen Charakter der symbolischen Kommunikation, wenn er formuliert, dass diese „zumeist nonverbal durch Zeichen aller Art Nachrichten und Informationen vermittelt“ (Althoff, Gerd: Zur Bedeutung symbolischer Kommunikation für das Verständnis des Mittelalters. In: FMSt 31 [2010], S. 370 – 389, hier S. 373). Auch wenn sich in der Praxis alle Bereiche überschnitten, dürfe die symbolische Kommunikation „als die im Mittelalter dominante Form angesehen werden – zumindest in der Öffentlichkeit“ (ebd.). Der Aufsatz beruht auf Althoffs Antrittsvorlesung von 1997, die Überlegungen fallen also in eine ähnliche Zeit wie der zitierte Beitrag Althoff: Demonstration. Althoff: Zur Bedeutung, S. 373. Hartmann: Ars dictaminis, S. 324. Ebd. Althoff: Zur Bedeutung, S. 373.
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2 Historische politische Rede
ohnehin ein Wandel beobachten: Mit der Etablierung der Ansätze, mit denen aus der Ritualforschung zunächst ‚symbolische Kommunikation‘ und schließlich die ‚Kulturgeschichte des Politischen‘ entsteht, wird die Annahme konsensfähig, auch in der Vormoderne gebe es eine politische Öffentlichkeit, und mit abnehmendem Legitimationsdruck nimmt auch die Schärfe der Auseinandersetzung ab. So bestimmt Barbara Stollberg-Rilinger in einem Beitrag von 2004 symbolische Kommunikation im Unterschied zu „begrifflich-abstrakter, diskursiver Kommunikation“,⁸¹ macht dazu aber sogleich deutlich: „Diese Gegenüberstellung ist nicht zu verwechseln mit derjenigen zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation“,⁸² denn sprachliche Kommunikation besitze immer sowohl eine begrifflich-abstrakte als auch eine symbolische Dimension. In den späteren 2000er und den 2010er Jahren fand zudem ein Austausch unter den Forschungsprojekten statt, sodass Konzepte gemeinsam weiterentwickelt wurden.⁸³ In der Diskussion um symbolische Kommunikation relativ wenig beachtet, aber von der Oratorikforschung konzeptionell aufgegriffen worden ist ein Beitrag von Thomas N. Bisson, der schon 1982 eine anders ausgerichtete Perspektive vorgeschlagen hat. In einem maßgeblichen Aufsatz untersucht er Versammlungen im englischen und romanischen Raum ab dem 10. Jahrhundert und mit besonderem Schwerpunkt auf dem 12. bis 14. Jahrhundert.⁸⁴ Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Versammlungen durchaus als Repräsentativversammlungen bezeichnet werden können, wenngleich nicht als deliberative Versammlungen in dem
Stollberg-Rilinger: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 498. Ebd. Beispielhaft zu nennen ist der Beitrag von Barbara Stollberg-Rilinger im Tagungsband des Oratorik-Projektes: Stollberg-Rilinger, Barbara: Symbol und Diskurs. Das Beispiel des Reichstags in Augsburg 1530. In: Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Johannes Helmrath / Jörg Feuchter, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 9), S. 85 – 103. Zu den gemeinsamen Interessen des Oratorik-Projektes und des Münsteraner SFBs zu symbolischer Kommunikation vgl. ebd., S. 86 f. Ein Beispiel aus der weiteren Rezeption des Oratorik-Ansatzes im Austausch zwischen Geschichtswissenschaft und Literaturwissenschaft ist der Aufsatz von Christoph Dartmann im Band Oratorik und Literatur: Dartmann, Christoph: Oratorik und öffentliche Interaktion in italienischen Stadtkommunen des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 35 – 57. Zur Begründung des Untersuchungsgegenstandes, aus dem Versammlungen im römischdeutschen Reich und Osteuropa aus pragmatischen Gründen ausgeschlossen werden, vgl. Bisson, Thomas N.: Celebration and Persuasion. Reflections on the Cultural Evolution of Medieval Consultation. In: Legislative Studies Quarterly 7/2 (1982), S. 181– 204, hier S. 183.
2.2 Oratorik in der politischen Kultur der Vormoderne
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Sinne, dass in ihnen die ergebnisoffene Debatte im Zentrum steht.⁸⁵ Insofern scheint es zunächst, als stimme er mit der Einschätzung Althoffs überein, die mittelalterliche Öffentlichkeit sei ‚nicht in erster Linie von Diskussionen geprägt‘.⁸⁶ Bisson warnt jedoch davor, historisch differenzierte Phänomene vorschnell zu vereinheitlichen und in teleologische Modelle zu zwingen, denn „deliberation, however concealed by forms of record to which it was irrelevant, is found much earlier in plenary assemblies of western Europe, and undebated consultation much later“.⁸⁷ Bisson beschreibt zeremonielle Versammlungen als spezifische Form der Kommunikation und Entscheidungsfindung in der mittelalterlichen politischen Kultur: Up to the fifteenth century and beyond, assemblies of lordly festivity, whatever their immediate purpose, functioned as a mode of persuasion in themselves, and were often the scene of a political rhetoric consistent with the ceremony and designed to elicit undebated assent.⁸⁸
An dieses Konzept knüpft die Oratorikforschung mit dem Begriff der ‚rituellen Persuasion‘ an. Politische Versammlungen setzen in diesem Sinne eine spezifisch vormoderne Form der Persuasion um, die als „implizit diskursiv-agonal und zeremoniell-konsensuell zugleich“⁸⁹ beschrieben werden kann; es handelt sich nicht um belanglose Vorführungen ohne Einfluss auf die politische Wirklichkeit. Vormoderne Oratorik lässt sich im Einklang damit als Redekultur beschreiben, bei der es sich „immer zugleich um rituelle bzw. zeremonielle Persuasion wie auch um Deliberation und Argumentation“⁹⁰ handelt. Dies beinhaltet zugleich die Möglichkeit der Störung, die schnell zur Gefährdung der gesamten Ordnung führen kann. Anschaulich wird dies in der Fallstudie zum Buch von Akkon der Steirischen Reimchronik, in dem zunächst ein misslingender Versuch ritueller Persuasion auf der Seite der Christen geschildert wird, dem später das gelingende, vorbildliche Modell eines Hoftags entgegengesetzt wird, den der Sultan einberuft.⁹¹
Vgl. ebd., S. 199 mit Bezug auf die Unterscheidung zwischen (noch) konsultativen und (schon) deliberativen Versammlungen; vgl. dazu ebd., S. 182. Vgl. Althoff: Demonstration, S. 28. Vgl. oben, Anm. 76 in diesem Kapitel. Bisson: Celebration and Persuasion, S. 199. Ebd., S. 183. Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 10. Ebd., S. 11, dazu ausführlich Feuchter: Deliberation. Vgl. Kapitel 4.2.
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2 Historische politische Rede
2.3 Bedingungen politischer Redekultur Anhand der Orte politischer Rede, der Akteurinnen und Akteure, der sprachlichen Kompetenzen und Redeanlässe lässt sich die entsprechende Kultur der Vormoderne etwas systematischer charakterisieren. Die Frage nach der Form der Reden lässt sich weniger eindeutig beschreiben, weshalb anschließend Typologisierungsvorschläge der Forschung diskutiert werden.⁹²
Orte politischer Rede, Akteure und ihr sprachliches Profil Politisch geredet wurde, wie bereits erkennbar, auf Versammlungen, im Kontext der städtischen Selbstverwaltung und am Hof weltlicher und geistlicher Herrscher, darunter auch die päpstliche Kurie. Zu den Orten politischer Oratorik zählen geistliche und weltliche Treffen – Synoden, Konzilien, Ständeversammlungen, Hoftage, Reichsversammlungen und andere Versammlungen mit politischer Ausrichtung.⁹³ In ganz Europa gibt es im Spätmittelalter Versammlungen, die sich als vormoderne Parlamente bezeichnen lassen, weil in ihnen das Reden verankert ist.⁹⁴ Vormoderne Städte von der autonomen Stadtrepublik über freie Reichsstädte bis zur Territorialstadt verfügen mit Institutionen wie dem Stadtrat und der Bürgerversammlung über Formen der kommunalen Selbstverwaltung, in denen ebenfalls geredet wird.⁹⁵ Als Akteure politischer Redepraxis treten diverse Personengruppen in Erscheinung: Laikale Adlige ebenso wie Geistliche, Gelehrte oder Mitglieder der städtischen Führungsschichten. Herrscher – ob nun Könige, Kaiser oder Päpste –
Die Ausführungen in diesem Abschnitt basieren auf den Teilen 1, 2.1 und 2.2 des Handbuchbeitrags Ratzke / Schmidt: Politische Rhetorik, S. 97– 102. Sie wurden für die folgende Darstellung überarbeitet und erweitert. Vgl. Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 22 f. Vgl. ebd., S. 24 f.; Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 9; Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 425. Zur Terminologie vgl. Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150 – 1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Wien u. a. 2012, hier S. 295 – 315. Die Entscheidungsgewalt im Stadtrat reichte dabei unterschiedlich weit, wie Isenmann für eine Reihe deutschsprachiger Städte differenziert darlegt; vgl. ebd., S. 373 – 386. Eine europäische Perspektive, u. a. zum Transfer kommunaler Ratsmodelle von Italien in den deutschsprachigen Raum, nimmt Gerhard Dilcher ein; vgl. Dilcher, Gerhard: Die kommunale Stadtverfassung des Mittelalters als europäisches Modell. In: Kulturelle Vernetzung in Europa. Das Magdeburger Recht und seine Städte. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung Faszination Stadt. Hrsg. von Gabriele Köster / Christina Link / Heiner Lück, Dresden 2018, S. 215 – 234; bes. ebd., S. 217– 221.
2.3 Bedingungen politischer Redekultur
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eröffnen und strukturieren Sitzungen durch Ansprachen, halten Reden und predigen.⁹⁶ Auch Herrscherinnen und andere Frauen treten als Rednerinnen auf.⁹⁷ Gesandte reisen zwischen Höfen, Städten und Versammlungsorten hin und her und vermitteln für ihre Auftraggeber. Adlige und geistliche Ratgeber gehören seit dem Frühmittelalter zum Kreis politisch einflussreicher Akteure und sind durch das Ideal der ‚Herrschaft als Beratung‘⁹⁸ fest in den politischen Vorstellungen des Mittelalters verankert. Spätestens im Spätmittelalter entstehen in verschiedenen Kontexten ‚Funktionseliten‘⁹⁹ mit spezifischen Ausbildungswegen und Tätigkeitsprofilen, die sich als Berufspolitiker bezeichnen lassen. An den Podestà der italienischen Stadtkommunen ist dabei ebenso zu denken wie an die sog. ‚gelehrten Räte‘, die u. a. als Gesandte tätig waren. Sie verfügten über bestimmte Formen des Wissens, zu denen auch das Halten von Reden gehört, und konnten in den diffizilen politischen Verhältnissen beraten: Vgl. Kapitel 2.2, Anm. 70. Eines der berühmtesten Beispiele aus der höfischen Literatur ist die sogenannte Toleranzrede Gyburcs in Wolframs Willehalm; vgl. Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Hrsg. von Joachim Heinzle, Frankfurt a. M. 2009 (Deutscher Klassiker-Verlag im Taschenbuch 39), hier V. 306,1– 310,30. Mittelhochdeutsche Willehalm-Zitate im Folgenden aus dieser Ausgabe; neuhochdeutsche Übersetzung: M. R. – Dem Themenfeld der ‚redenden Frauen‘ wäre gesondert nachzugehen; erste Beobachtungen lassen sich bereits hier zusammentragen: In der Einleitung wurde bereits angedeutet, dass Redeauftritte von Frauen je nach Diskurs oder Textsorte unterschiedlich bewertet werden. Nine Miedema hat in diesem Sinne darauf aufmerksam gemacht, dass didaktische Texte ein restriktiveres Bild zeichnen als dies in narrativen Texten der Fall ist; vgl. Miedema: Gesprächsnormen, S. 274. In den zum Untersuchungskorpus dieser Studie gehörenden Texten erhalten etwa Laichdenman im Ring (vgl. Kapitel 5.1) oder die böhmische Königin Kunigunde in der Steirischen Reimchronik (OStR, V. 14770 – 14790) lange Redepassagen – auch in Situationen politischer Rede. Die sog. ‚Strafrede‘ Kunigundes machte in der Folgezeit sogar Karriere und wurde u. a. von Enea Silvio Piccolomini aufgenommen; vgl. dazu Kapitel 6 zur Wirkung erzählter Oratorik. Zu eloquenten Helferinnen bei Konrad von Würzburg vgl. auch Hübner: wol gespraechiu zunge, S. 232. Auch historische Redeauftritte lassen sich nachweisen: Nach der Rekonstruktion Jörg Feuchters tritt die englische Königin Katharina von Aragón 1529 im Eheprozess Heinrichs VIII. als Rednerin in eigener Sache und in politisch hochbrisantem Kontext auf; vgl. Feuchter, Jörg: Wer hielt am 21. Juni 1529 eine Rede? Die Oratorik des Londoner Eheprozesses Heinrichs VIII. und ihre verzerrte Repräsentation in der Chronik des Edward Hall. In: Eleganz und Performanz. Von Rednern, Humanisten und Konzilsvätern. FS Johannes Helmrath. Hrsg. von Christian Jaser / Harald Müller / Thomas Woelki,Wien u. a. 2018, S. 321– 340, hier S. 323 f. Der Eheprozess ging in das ‚Good Parliament‘ über, das zur Gründung der anglikanischen Kirche führte. So der Titel eines Aufsatzes von Verena Epp (publiziert als Verena Postel) zu „Trägern, Prozessen und Funktionen von Politikberatung im früheren Mittelalter“; vgl. Postel, Verena: Communiter inito consilio. Herrschaft als Beratung. In: Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters. FS Jürgen Miethke. Hrsg. von Martin Kaufhold, Leiden u. a. 2004 (Studies in medieval and Reformation traditions 103), S. 1– 25, hier S. 1. Vgl. Dartmann / Flüchter / Oesterle: Eliten, S. 38 f.
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Zum weitgesteckten Aufgabenfeld eines gelehrten Rats gehörte die Tätigkeit als Gesandter, als Vertreter bei Prozessen,Versammlungen und Reichstagen, die Erstellung von juristischen Gutachten, der Beisitz in der Ausübung von Rechtssprechung, Beurkundungen und Notariatsgeschäfte [sowie die] Kurientätigkeit.¹⁰⁰
Stellvertretend für andere historische Figuren kann das Beispiel Lodovico Pontanos veranschaulichen, wie breit die Tätigkeitsgebiete und Wirkungsorte eines gelehrten Rates gestreut sein können. Thomas Woelki, der das Leben Pontanos monografisch untersucht hat, vollzieht insbesondere auch dessen Karriere als politischer Redner und Diplomat nach.¹⁰¹ Pontano, „der in seiner Zeit als einer der begehrtesten Legisten galt und Rekordgehälter bezog“,¹⁰² lebte von 1409 bis 1439 und war in Norditalien, an der Kurie sowie für den König Alfons V. von Aragón tätig. Lodovico Pontano trat außerdem als Gesandter auf dem Basler Konzil auf und reiste in Gesandtenfunktion in mehrere europäische Städte, an Universitäten und Fürstenhöfe.¹⁰³ Das von Woelki erstellte Werkverzeichnis enthält neben juristischen Kommentaren, Stellungnahmen (Consilia) und Traktaten mehrere bekannte Reden Pontanos.¹⁰⁴ Einen Großteil dieses Korpus zählt Woelki zur sog. ‚Traktatrede‘, auf die im Abschnitt zu Redetypen des Mittelalters noch einzugehen ist.¹⁰⁵ Die Reden gelehrter Räte konnten hochkomplexe Argumentationen enthalten, die von vergleichbar ausgebildeten Gelehrten, aber nicht unbedingt von laikalen Fürsten verstanden werden konnten – die Wahl des Lateinischen statt einer Volkssprache trägt zu dieser Situation bei.¹⁰⁶ Dennoch ist auch bei langen lateinischen Reden die begeisterte Zustimmung laikaler Adliger überliefert, wie
Daniels: Diplomatie, S. 16. Vgl. ebd., S. 15 – 21; bes. ebd., S. 317– 321 zu gelehrten Räten als Rednern. Vgl. Woelki: Lodovico Pontano; vgl. auch die Rezension von Strack, Georg: Rezension zu: Thomas Woelki: Lodovico Pontano (ca. 1409 – 1439). Eine Juristenkarriere an Universität, Fürstenhof, Kurie und Konzil. In: sehepunkte (2013), http://www.sehepunkte.de/2013/01/20962.html (13. Dezember 2021). Woelki: Lodovico Pontano, S. 17. Vgl. ebd., S. 511 zusammenfassend zu den Stationen seines Wirkens. Ebd., S. 802– 806. Eine Auswahl von zehn Reden ist zudem in einem Editionsteil verfügbar; vgl. ebd., S. 519 – 788. Vgl. Woelki: Lodovico Pontano, S. 184– 187, 194. Zur Traktatrede als Typus oder Genre vormoderner politischer Rede vgl. unten, Abschnitt Anlässe und Typen politischer Reden. Zu Latein und Volkssprache, besonders bei Gesandtschaftsreden, vgl. Haye, Thomas: Lateinische Oralität. Gelehrte Sprache in der mündlichen Kommunikation des hohen und späten Mittelalters, Berlin u. a. 2005, hier S. 55 – 68.
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Helmrath zeigt.¹⁰⁷ Selbst wenn das Publikum den Inhalt einer Rede nicht versteht, kann politische Oratorik also eine intensive Wirkung entfalten. „Nicht jeder Zuhörer muss alles verstehen“, gibt auch Thomas Haye zu bedenken: „Die persuasive Macht eines begabten und erfahrenen lateinischen Redners erreicht ihre Zuhörer selbst dann, wenn diese nur über geringe oder keine Kenntnisse des Lateinischen verfügen, den Inhalt des Gesagten aber zumindest ungefähr erahnen können.“¹⁰⁸ Während Helmrath sich über die humanistisch geprägte Redekultur des 15. und 16. Jahrhunderts um und nach Enea Silvio Piccolomini äußert, nimmt Thomas Haye die lateinische Redekultur des gesamten Mittelalters, wenigstens seit dem 10. Jahrhundert, in den Blick.¹⁰⁹ Haye geht von einem Nebeneinander von Latein und Volkssprache aus, deren jeweiliger Gebrauch u. a. vom situativen Rahmen, vom Grad der Öffentlichkeit und vom Hintergrund der jeweiligen Sprechenden abhängt.¹¹⁰ Demnach kann Latein durchaus als Verkehrssprache gel-
Johannes Helmrath beschreibt dies für Reichstagsreden des 15. Jahrhunderts, konkret etwa für Nikolaus von Kues; vgl. Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 432. Vgl. abstrakter und resümierend ebd., S. 436 f. Zitiert bei Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 18 f. Der Latinist Thomas Haye setzte mit zwei Monografien und mehreren Aufsätzen einen neuen Standard zur ‚lateinischen Oralität‘ im Mittelalter: Vgl. Haye: Lateinische Oralität; Haye: Oratio; Haye, Thomas: Die lateinische Sprache als Medium mündlicher Diplomatie. In: Gesandtschaftsund Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa. Hrsg. von Rainer Christoph Schwinges / Klaus Wriedt, Stuttgart 2003 (Vorträge und Forschungen 60); Haye, Thomas: Mündliche und schriftliche Rede. Ein Beitrag zur rhetorischen Kompetenz des Abbo von Fleury. In: FMSt 35 (2001), S. 273 – 292; Haye, Thomas: Rhetorische Lehrbücher und oratorische Praxis. Einige Bemerkungen zu den lateinischen Reden des hohen Mittelalters. In: Das Mittelalter 3/1 (1998), S. 45 – 54; vgl. auch den Wörterbucheintrag Haye, Thomas: Rede (Lateinisches Mittelalter). In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7 (2005), Sp. 713 – 718. – Er war während der Laufzeit des geschichtswissenschaftlichen Oratorik-Forschungsprojektes ein wichtiger Gesprächspartner aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass Johannes Helmrath und Jörg Feuchter sich in der Einleitung zum Tagungsband von 2008 intensiv auf die Thesen aus Hayes unveröffentlicht gebliebenem Vortrag stützen; vgl. Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 15 – 19. In seinen Arbeiten benutzt Haye selbst den Begriff der ‚Oratorik‘ als deutsches Äquivalent zum lateinischen oratio, ohne sich allerdings explizit an den Ansatz von Helmrath, Feuchter und anderen anzuschließen. Vgl. etwa Haye: Rhetorische Lehrbücher; vgl. Haye: Oratio, S. 1: „Die rhetorische Theorie und ihre Umsetzung in die oratorische Praxis bilden in der Antike eine festgefügte Einheit“; vgl. auch ebd., S. 2, Anm. 4 zu den blinden Flecken der Rhetorikforschung in Bezug auf die oratorische Praxis des Mittelalters. Methodisch ist anzumerken, dass Hayes Argumentation sich mangels früherer Quellen auf Gesandtschaftstraktate des 15. und 16. Jahrhunderts stützt, die „grundsätzliche Positionen und Probleme offenbaren, die sich – mit der gebotenen Vorsicht – auch auf das hohe und späte Mittelalter übertragen lassen“ (Haye: Lateinische Oralität, S. 57).
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ten,¹¹¹ die Beherrschung mehrerer Sprachen stellt aber eine übliche Voraussetzung für Diplomaten dar. Seit dem Spätmittelalter sind auch bestimmte ‚ritualisierte Sprachwechsel‘¹¹² zwischen Latein und Volkssprachen möglich: „Während die öffentliche Kommunikation den Vorhang prachtvoller Latinität präsentiert, kann in den Geheimverhandlungen eine Volkssprache benutzt werden.“¹¹³ Dadurch können die sprachlichen Kompetenzen politischer Redner unterschiedlich ausfallen.¹¹⁴ An adlige Gesandte wurden durchaus andere Anforderungen gestellt als an gelehrte Räte: Ihre Kompetenz [d. h. die der Adligen] gründet nicht in einem Studium, sondern in Praxis, Erfahrung und gesundem Menschenverstand (usu & experientia sowie sensus communis). Sie stehen nicht in der Pflicht, lateinische Begrüßungsreden zu halten, können jedoch im Gespräch hinter verschlossenen Türen auf dem Wege einer volkssprachlichen Kommunikation weitaus größeren Einfluss ausüben als die latinistischen Routiniers.¹¹⁵
Aktive und passive Sprachkompetenz müssen zudem nicht identisch sein: Die zentrale Rolle ritualisierter Kommunikation bei politischen Zusammenkünften birgt den Vorteil, dass Reden und kleinere Beiträge auch bei schwächerer Sprachkompetenz eingeübt werden können. So ist das Sprechen im Umfeld der päpstlichen Kurie derart ritualisiert und vorab berechenbar, dass sich Formeln auswendig lernen lassen.¹¹⁶ Es ist in verschiedenen Kontexten denkbar, dass das Publikum einer lateinischen Rede ausreichende Lateinkenntnisse besitzt, um deren Kernaussagen zu verstehen, auch wenn den Zuhörenden ein eigenes Auftreten als lateinische Oratoren verwehrt bleibt.¹¹⁷ Dies scheint besonders bei Personen mit Italienischkenntnissen möglich zu sein, denn im Spätmittelalter ist „die linguistische Schere zwischen dem italienischen Volgare und dem italianisierten Mittellatein nicht allzu weit geöffnet“.¹¹⁸ Aus dem Beispiel des Oculus pastoralis aus dem
Vgl. auch Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 26 zu Konzilien des Hochmittelalters. Vgl. Haye: Lateinische Oralität, S. 59. Ebd., S. 60. Vgl. ebd., S. 63. Ebd. Die lateinischen Begriffe stammen aus einem Gesandtschaftstraktat Hermann Kirchners aus dem Jahr 1604. Vgl. ebd., S. 39 zur Tradition des Ordo Romanus, der das „Drehbuch für die Regie der Handlungen und Wortbeiträge“ in der Liturgie und darüber hinaus bereitstellt und dessen früheste Fassungen ins 8. und 9. Jahrhundert zurückreichen; vgl. auch ebd., S. 52 zu Synoden; ebd., S. 55 zu Konzilien. Vgl. ähnlich bereits Haye: Rhetorische Lehrbücher, S. 48 f. Vgl. Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 26 zu Konzilien des 13. Jahrhunderts: „Hier ging es für die meisten Anwesenden mehr um Zuhören und Verstehen als um selber Reden.“ Haye: Oratio, S. 258.
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13. Jahrhundert leitet Haye ab, dass die Berufspolitiker der italienischen Kommunen genug Latein beherrschen, um lateinische Modellreden in Rhetorikhandbüchern zu lesen, aber nicht unbedingt, um virtuose Reden abzufassen. Da italienische Volksversammlungen und andere Redeanlässe im Podestàsystem ohnehin die italienische Volkssprache vorsehen, besteht dafür auch keine Notwendigkeit.¹¹⁹ Abseits Italiens oder italienischer Ausbildung ist von größeren Verständnisschwierigkeiten auszugehen: Wenn Arnulf von Lisieux in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert ein programmatisch einfaches Latein wählt, antizipiert er damit nach Einschätzung Hayes nicht nur akustische, sondern auch sprachliche Verständnisschwierigkeiten, weil „auch höhere Geistliche nicht selten Probleme beim Verstehen lateinischer Texte hatten.“¹²⁰ Politische Rede im Mittelalter ist „nicht nur lateinische Gelehrtenrede, sondern wesentlich auch Laienrede und als solche volkssprachlich“.¹²¹ Mertens geht davon aus, dass volkssprachliche Reden tendenziell weniger verschriftlicht wurden als lateinische.¹²² Dazu passt, dass Boncompagno deutlich zwischen der lateinischen Gelehrtenrede und der volksprachigen italienischen Rede unterscheidet: „Die Kunst der contio kann man nach Boncompagnos Auffassung nicht aus Büchern lernen, sie ist ein reines Erfahrungswissen.“¹²³ Konsequenterweise beschränkt sich Boncompagno in der Rhetorica novissima auf wenige Bemerkungen zur volkssprachigen Rede. Der bereits genannte, etwa zeitgleich entstandene Oculus pastoralis jedoch gibt Hilfen und lateinische Modellreden, die für die Rede in der Volksversammlung ins Italienische gebracht werden konnten, und die reiche Literatur volkssprachiger Ars dictaminis bzw. Ars arengandi zeugt vom Bedarf in diesem Bereich.¹²⁴ Zur Sprachenvielfalt bei politischen Versammlungen passt, dass Reden mehr oder weniger ausführlich übersetzt werden, um den Inhalt für die gesamte Zuhörerschaft zugänglich zu machen.¹²⁵ Georg Strack wertet in seiner Habilitati-
Vgl. ebd. Ebd., S. 163 in Bezug auf eine 1166 niedergeschriebene, aber nach Selbstaussage Arnulfs von Lisieux schon 1163 auf dem Konzil von Tours gehaltene Rede. Das Publikum bestand vorwiegend aus englischen, französischen und italienischen Klerikern; vgl. ebd., S. 144. Zu Problemen mit der Akustik vgl. ebd., S. 161 f. Mertens: Die Rede, S. 408. Ebd. Haye: Oratio, S. 117. Vgl. ebd., S. 255 f. Dabei sind es gerade die gelehrten Räte, die hier aktiv sind. Der Humanismusforscher und Enea-Silvio-Piccolomini-Experte Helmrath beschreibt dies, etwas wertend, folgendermaßen: „Ein Wort zu den Personen der Reichstagsredner bis 1455: Insgesamt fällt das Überwiegen von Italienern, allen voran des Senesen Enea Silvio, ins Auge. […] Die vielzitierten (deutschen) ‚ge-
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onsschrift mehrere Berichte zu Ereignissen im 12. und 13. Jahrhundert aus, bei denen lateinische Ansprachen ganz oder teilweise übersetzt wurden. Von Friedrich Barbarossa etwa ist bekannt, dass er wenig Latein beherrschte und sich Lateinisches von Dolmetschern übersetzen ließ.¹²⁶ Anschauliche Beispiele bietet das politische Geschehen um den ‚Frieden von Venedig‘ im Jahr 1177, durch den der Konflikt zwischen Papst Alexander III. und Barbarossa beigelegt wurde. Auf Grundlage des Chronicon Romualds von Salerno, der als Erzbischof von Salerno und einer der Verhandlungsführer des Friedensschlusses persönlich am Prozess beteiligt war, beschreibt Strack die wechselseitige Übersetzungspraxis:¹²⁷ Schon im Rahmen eines feierlichen Hochamts am 25. Juli 1177 soll der Kaiser während der Predigt näher an den Papst herangetreten sein, um dessen Worte, die eigens ins Deutsche übersetzt wurden, besser verstehen zu können.¹²⁸
Übersetzt wird in Venedig zwischen gleich drei Sprachen, denn nach dem historiografischen Bericht hält der Papst wenige Tage später eine programmatische Ansprache in Form einer (lateinischen) Predigt, auf die „der Kaiser in einer Rede [antwortete], die Christian von Mainz in die italienische Volkssprache übersetzte.“¹²⁹ Ein weiteres Beispiel für vielsprachige Übersetzungen im Umfeld Barbarossas schildert Strack für das von Viktor IV., einem Gegenpapst zu Alexander III., einberufene Konzil von St. Jean de Losne im Jahr 1162, also 15 Jahre zuvor: Nach dem Konzilsbericht des Saxo Grammaticus in den Gesta Danorum gibt der Kanzler Rainald von Dassel seine Ansprache auf Lateinisch, Französisch und Deutsch.¹³⁰ Als ein Jahrhundert später, im Jahr 1274, eine byzantinische Delegation auf dem
lehrten Räte‘ traten interessanterweise selber oratorisch meist nur als Übersetzer lateinischer Redner auf (Ulrich Riederer, Ulrich Sonnenberger, Johann Hinderbach, Hans Pirckheimer)! Einen deutschen Enea Silvio gab es eben unter ihnen noch nicht“ (Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 437). Vgl. Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 151. Die untersuchten Genueser Annalen dokumentieren allerdings keine Übersetzungstätigkeiten, sodass Görich anmerkt, dass unklar bleibt, in welcher Sprache bzw. welchen Sprachen kommuniziert wird: „Ein Blick hinter die Latinität der Quellen ist in den geschilderten Fällen nicht möglich.“ Vgl. ähnlich Schütte: Sitzen – Stehen, S. 137; wiederum mit Verweis auf Görich, Knut: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011, hier S. 207. Vgl. Strack: Solo sermone, S. 179 – 184. Ebd., S. 179. Ebd., S. 181. Dass Italienisch eine weitere Möglichkeit neben dem Lateinischen ist, gibt auch Görich an. Er hält dies jedoch vor allem in informellen Gesprächen für möglich; vgl. Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 151. Vgl. Strack: Solo sermone, S. 167 f.
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zweiten Konzil von Lyon auftritt, werden die griechischen Beiträge ins Lateinische übersetzt und verlesen.¹³¹ Auch Helmrath berichtet von der Möglichkeit, „dass Laien, wenn sie vor einem Konzilsgremium sprechen durften […], dies in der Volkssprache taten, sodass ins Lateinische übersetzt wurde. Bei Reichstagen sind Übersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen oder Französischen ins Deutsche häufig.“¹³² Mitunter paraphrasieren Übersetzungen die Kernpunkte einer Argumentation – über die Vollständigkeit oder stilistische Nähe von Übersetzungen zum jeweiligen Original ist also keine generelle Aussage zu treffen. Für das Konzil von Reims 1119 etwa, auf dem ein Konflikt zwischen Papst Calixt II. und Heinrich V. verhandelt wird, ist eine Staffelung dreier Redebeiträge überliefert. Demnach folgt auf eine päpstliche Ansprache und eine Zusammenfassung der Verhandlungspunkte in lateinischer Sprache die Übersetzung, die ausdrücklich für mehrere Zuhörergruppen erfolgt: „Bischof Wilhelm von Champeaux übersetzte sie zum besseren Verständnis für Klerus und Laien in die Volkssprache – eine Praxis, die hier erstmals erwähnt wird.“¹³³ In der Geschichte der Kreuzzugspredigten, die ebenfalls als politische Reden gelten können, lässt sich sogar ein programmatischer Wandel im Profil der Redner beobachten, der mit einem Wechsel der Sprache einhergehen könnte. Claudia Zey formuliert entsprechende Thesen im Hinblick auf Veränderungen, die unter Papst Innozenz III. zur Regierungszeit Friedrichs II. festzustellen sind. Während im 12. Jahrhundert hochrangige, lateingelehrte Diplomaten zur Kreuzzugswerbung ins Reich entsandt wurden, sind es im 13. Jahrhundert „Repräsentanten der lokalen Kirchen- und Klosterhierarchie aus allen Rang- und Weihestufen“.¹³⁴ Dies Vgl. ebd., S. 227. Textgrundlage ist hier die Ordinatio concilii, die „protokollartige Aufzeichnungen [beinhaltet], die von einem Angehörigen der Kurie verfasst wurden, der besonderes Augenmerk auf Fragen von Liturgie und Zeremoniell legte“ (ebd., S. 224). Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 26. Auch die berühmte Rede Constantinopolitana Clades des Enea Silvio Piccolomini wurde übersetzt, vgl. Helmrath, Johannes: Reden zum Türkenkrieg auf dem Frankfurter Tag. In: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Abt. 5,2. Reichsversammlung zu Frankfurt 1454. Unter Mitarb. von Gabriele Annas. Hrsg. von Johannes Helmrath, München 2013 (Deutsche Reichstagsakten 19,2), S. 461– 493, hier S. 462, 467. Im direkten Vergleich mit Redeauftritten von Enea Silvio Piccolomini hat Tobias Daniels für den gelehrten Rat Johannes Lieser gezeigt, wie dieser ein Modell politischer Rede praktiziert, das dezidiert auf ein volkssprachiges Publikum von Ständevertretern ausgerichtet ist. Daniels widmet der politischen Oratorik gelehrter Räte im 15. Jahrhundert einen der drei Abschnitte seiner Dissertation; vgl. zusammenfassend Daniels: Diplomatie, S. 488 f. Strack: Solo sermone, S. 152 nach Hesso Scholasticus. Zey, Claudia: Die päpstlichen Legaten als Kreuzzugswerber im Reich. In: Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.–13. Jahrhundert). Hrsg. von Nikolas Jaspert / Stefan Tebruck, Ostfildern 2016, S. 207– 233, hier S. 232.
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steigerte möglicherweise die „Intensität durch die ständige Anwesenheit der Kreuzzugsprediger vor Ort und durch deren Kompetenz, auch in der Volkssprache zu kommunizieren.“¹³⁵ Auch wenn angesichts der lateinischsprachigen Quellen nichts Gesichertes über die Sprachwahl bekannt ist, spreche der große Erfolg der deutschen Kreuzzugswerber für volkssprachige Predigten – „ob ausschließlich oder als Übersetzung einer zuvor lateinisch gehaltenen Rede, muss offen bleiben.“¹³⁶ Dass auch die volkssprachige Verschronistik und die höfische Epik sprachliche und interkulturelle Fähigkeiten in Szene setzen, zeigen Beispiele, in denen Figuren auftreten, die mit den ‚Heiden‘¹³⁷ sprechen können. Für die Figur des Ratgebers Walther von Spelten in der Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs des Frommen hat Gesine Mierke gezeigt, dass dieser gerade deshalb eine privilegierte Stellung innehat, weil er sprachlich und kulturell gebildet ist: „Walther kann die Sprache der Heiden verstehen und beherrscht auch in diesem Kontext der Verständigung mit den Fremden die Regeln der Kommunikation. Somit fungiert er als Vermittler und Deuter des Geschehens.“¹³⁸ Beispiele aus dem höfischen Roman finden sich ebenfalls leicht. So hilft es Wolframs von Eschenbach Willehalm in mehreren Situationen, dass er kaldeis und heidensch ¹³⁹ spricht, und Alexander weist sich bei Ulrich von Etzenbach nicht zuletzt dadurch als fähiger Politiker und würdiger
Ebd. Ebd., S. 230, Anm. 97. Begriffe wie ‚Heiden‘ und ‚heidnisch‘ werden im Rahmen dieser Studie wie ihre mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Äquivalente für diejenigen Gruppen, Figuren und Figurentypen gebraucht, die in den untersuchten Texten als solche bezeichnet werden. Die Semantik der Begriffe ist dabei nicht pauschal zu bestimmen; festzuhalten ist, dass sie nicht als statisch zu denken, sondern je nach Darstellungskontext und Funktion wandelbar sind, wie sich u. a. am Buch von Akkon der Steirischen Reimchronik (Kapitel 4.2) beobachten lässt. Mierke, Gesine: lustsam und redebære. Politische Rhetorik in der Steirischen Reimchronik und der Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs des Frommen. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 141– 166, hier S. 163. Wolfram von Eschenbach: Willehalm, V. 192, 23; „Chaldäisch und Heidnisch“. Willehalm versucht hier mit Rennewart ins Gespräch zu kommen, der so tut, als verstünde er kein Französisch. Es handelt sich also nicht um eine diplomatische Situation im eigentlichen Sinne, politische Bedeutung kommt ihr dennoch zu. Kurz davor wird berichtet: dô der marcgrâve in prisûne | gevangen lac dâ ze Arâbî, | kaldeis und kôatî | lernet er dâ ze sprechen (ebd., V. 192, 6 – 9; „als der Markgraf im Gefängnis saß, dort in Arabien, lernte er Chaldäisch und Koatisch zu sprechen“).
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Herrscher aus, dass er den persischen Gesandten Medêamanz in dessen Sprache begrüßt.¹⁴⁰
Anlässe und Typen politischer Reden Redeanlässe für längere Ansprachen ergeben sich durch die strukturelle Verankerung von Reden in den Veranstaltungsformen der politischen Kultur: Reden fungieren als ‚Basisakte‘ politischer Zeremonien, die eine elementare Funktion für die erfolgreiche Durchführung der Veranstaltung besitzen. Der Begriff des Basisakts wurde von Georg Braungart am Hofzeremoniell des 17. Jahrhunderts entwickelt. Er unterscheidet sieben wiederkehrende Basisakte, zu denen weitere Akte treten, die auf spezifische Anlässe ausgerichtet sind: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
„Begrüßungs- und Abschieds-Akte“,¹⁴¹ „Notifikations-Akte“,¹⁴² „Bitt-Akte“ sowie die auf Bitten reagierenden „Zu- bzw. Absagen“, „Dank-Akte[]“, „Bezeugung der Anteilnahme“, z. B. „Gratulation“ und „Kondolenzerklärung“ und der „Wunsch, bzw. die guten Wünsche für die Zukunft“.¹⁴³
Das Konzept der Basisakte wurde in der Oratorikforschung weiterentwickelt und mit wiederkehrenden ‚Standardsituationen‘ politischer Rede enggeführt, die sich auf vormodernen Versammlungen und zu anderen Anlässen politischer Kommunikation beobachten lassen. Dazu zählen die „Eröffnungsansprache, Gesandtenrede, Responsion auf die Gesandtenrede, Reden zum Abschluß des Tages, ggf. ‚Hearings‘ von Fachleuten“ und die „Herrscheranrede (Panegyricus)“.¹⁴⁴ Diese
heidenisch het in der guote | Aristotiles der gehêret | die sprâche wol gelêret. | nû enwart daz niht verdagt, | im wurde dankes vil gesagt (UvEA,V. 4102– 4106; „Die heidnische Sprache hatte ihn der gute, der ausgezeichnete Aristoteles gut gelehrt. Nun wurde es nicht verhehlt, ihm wurde viel Dank gesagt“). Vgl. zu dieser Szene ausführlich Kapitel 3.4.2. Braungart, Georg: Die höfische Rede im zeremoniellen Ablauf. Fremdkörper oder Kern? In: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn, Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 25), S. 198 – 208, hier S. 204. Ebd., S. 205. „Notifikations-Akte informieren den Partner über freudige oder traurige Ereignisse, die meist der Anlaß für Feierlichkeiten sind; sie bereiten häufig […] Bitt-Akte vor“ (ebd.). Braungart: Die höfische Rede, S. 205; mit Verweis auf Braungart, Georg: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus, Tübingen 1988 (Studien zur deutschen Literatur 96), hier S. 155. Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 427; ähnlich Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 589 f.
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Reihe wurde von Johannes Helmrath zunächst für Reichsversammlungen des 15. Jahrhunderts zusammengestellt; als „Sonderform“ nennt er zusätzlich die „Predigt in der Heilig-Geist-Messe, mit der traditionell ein Reichstag eröffnet wurde“.¹⁴⁵ Vergleichbares kann für Versammlungen und Zeremonien des 13. bis 17. Jahrhunderts formuliert und um die Predigt in anderen Messen, den Amtsantritt des italienischen Podestà,¹⁴⁶ die Antrittsrede monarchischer Herrscher sowie Heeresansprachen ergänzt werden,¹⁴⁷ ohne dass die Aufzählung damit abschließend ist. Die Zusammenstellung macht deutlich: Reden lassen sich vor allem durch ihre Funktion im zeremoniellen Zusammenhang charakterisieren, ihre Form und auch ihr Inhalt sind flexibel. Überlieferte Reden lassen sich häufig nicht einem einzelnen Redegenus der klassischen Rhetorik zuordnen, sondern übernehmen Funktionen des genus deliberativum und des genus demonstrativum gleichermaßen. Dabei ist grundsätzlich zu bedenken, dass sich die rednerische Praxis keineswegs nach den Systematiken der Theorie richten muss: Bereits Quintilian weist am Beispiel zeitgenössischer Panegyrici darauf hin, dass tatsächlich gehaltene Reden Merkmale mehrerer Genera aufweisen können, obwohl er theoretisch klar zwischen Beratungs-, Gerichts- und Lobrede trennt. In einer Passage führt er anhand der Zuordnung der Panegyrici zur Tradition des έπιδεικτικóν [epideiktikon] aus: nam ut continet laudativum in se genus, ita non intra hoc solum consistit. an quisquam negaverit panegyricos ἐπιδεικτικούς [epideiktikous] esse? atqui formam suadendi habent et plerumque de utilitatibus Graeciae loquuntur: ut causarum quidem genera tria sint, sed ea tum in negotiis, tum in ostentatione posita. [Das epideiktikon] enthält zwar die Gattung der Lobrede in sich, beschränkt sich aber keineswegs nur auf sie. Oder wollte jemand bestreiten, die panegyrici (Festreden) seien ἐπιδεικτικοί [epideiktikoi]? Und doch haben sie die Form der Beratungsrede und sprechen meist von dem, was Griechenland nützlich ist. So mögen es zwar drei Redegattungen sein, doch beruhen sie bald auf wirklichen Vorgängen, bald nur auf der Scheinwirkung solcher Vorgänge (zur Unterhaltung).¹⁴⁸
Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 427. Zur Predigt als Form politischer Kommunikation vgl. Anm. 152 dieses Kapitels. Diesen erwähnt auch Helmrath bereits; vgl. ebd. Vgl. Helmrath: Das IV. Lateranum, zum IV. Lateranischen Konzil 1215. Der Begriff der ‚Standardsituation‘ wurde zuerst in einem Aufsatz zu ‚Rhetorik und Akademisierung‘ im Reichstag des 15. und 16. Jahrhunderts eingeführt (Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 426 f.; 444). Vgl. auch Haye: Lateinische Oralität, S. 250 zu „kommunikative[n] Standardsituationen“ der italienischen Redekultur, auf die der Oculus pastoralis im 13. Jahrhundert antwortet. Quintilian: Institutionis oratoriae, III 4, 13 f. Zitiert nach der Ausgabe Quintilianus, Marcus Fabius: Institutionis oratoriae libri XII. Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Hrsg. von Helmut
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Die Rhetorica ad Herennium thematisiert nicht explizit die Mischung mehrerer Genera, erwähnt aber in Bezug auf die Lobrede die Möglichkeit, die Funktionen von Lob und Tadel in Reden anderer Genera zu importieren: et si separatim haec causa minus saepe tractatur, at in iudicialibus et in deliberativis causis saepe magnae partes versantur laudis aut vituperationis. Quare in hoc quoque causae genere nonnihil industriae consumendum putavimus. und wenn auch diese Rede für sich getrennt weniger oft gehalten wird, kommen doch in Gerichts- und beratenden Reden oft große Abschnitte von Lob und Tadel vor. Deshalb muß man, wie ich glaube, auch für diese Redegattung nicht unerheblichen Fleiß aufbringen.¹⁴⁹
Die Forschung hat auf diese potenzielle Formenvielfalt mit verschiedenen Vorschlägen zur Systematisierung politischer Reden reagiert. Bereits die jeweiligen Verfasser weisen dabei auf die Schwierigkeiten hin, die sich bei ihren klassifikatorischen Bemühungen ergeben. Übereinstimmend mit anderen konstatiert Johannes Helmrath ein Problem bei der „Bestimmung eines spezifischen Genres einer P[arlamentsrede]“¹⁵⁰ und nennt drei wichtige interferierende Bereiche, wenn er auf die Abgrenzungsproblematik „der häufig genannten arenga (harangue; Beratungsrede), etwa im Vergleich zur Gesandtschaftsrede und zur Predigt“¹⁵¹ hinweist. Die Ansätze bieten daher keine eindeutige Typologie zur Klassifikation
Rahn, Bd. 1. Buch I–VI. 3., ggü. d. 2. unveränd. Aufl., Darmstadt 1995 (Texte zur Forschung 2), hier S. 298; Übers. ebd., S. 299. Vgl. ebenfalls Mertens: Die Rede, S. 420; Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 589; Haye: Lateinische Oralität, S. 137; Knape: Rhetorik und Stilistik, S. 59. Thomas Haye stellt andererseits fest, dass „insbesondere im Verlaufe des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts […] rhetorische Theorie und oratorische Praxis auf dem Feld der Latinität deutlich enger zusammen[wachsen], weil die rhetorische Ausbildung besser auf die forensische, kirchenpolitische und universitäre Kommunikation zugeschnitten wird“ (Haye: Rhetorische Lehrbücher, S. 49). Rhetorica ad Herennium, III,15. Zitiert nach der Ausgabe Rhetorica ad Herennium. Lateinisch – Deutsch. Hrsg. & übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf u. a. 22011 (Sammlung Tusculum), hier S. 146 f. Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 590. Ebd. Vgl. bereits Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 425. Im programmatischen ersten Oratorik-Tagungsband stellen Feuchter und Helmrath die Frage: „Bildet die Parlamentsrede der Vormoderne überhaupt ein eigenes Genre?“ und verweisen darauf, dass Thomas Haye sich skeptisch geäußert habe (Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 15). Abschließend bestehen sie jedoch darauf, dass die Frage, „ob und inwiefern es auch genuin ‚parlamentarische‘ Entstehungsbedingungen eines Genres ‚Parlamentsrede‘“ gibt, offenbleibe (ebd., S. 17). Zu terminologischen und Genre-Schwierigkeiten bei Reden des 15. Jahrhunderts vgl. auch Woelki: Lodovico Pontano, S. 184– 187; 194; bereits Mertens: Die Rede, S. 420 bemerkte mit Bezug auf die antike Genuslehre: „Es geht eher darum, ein Feld zwischen deliberativer und epideiktischer Rede zu öffnen oder den Bereich der epideiktischen Rede zu erweitern.“
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2 Historische politische Rede
von Reden und lassen sich auch nicht zu einer solchen zusammenführen. In der Zusammenschau der Ansätze ergibt sich vielmehr ein Raster von Kategorien mit offenen Rändern. Im Untersuchungsteil (Kapitel 3 bis 5) lässt sich dieses Raster daher vor allem als Ausgangspunkt für erste Einordnungen nutzen, die im Zuge der Untersuchung differenziert werden. Auf einige der Ansätze sei nun ausführlicher eingegangen – auch, weil dabei zugleich ein Eindruck von dem intensiven Austausch der politischen Oratorik mit älteren und anderen zeitgenössischen Traditionen gewonnen werden kann. Thomas Haye betont die Verankerung mittelalterlicher Oratorik in der antiken Rhetorik und zählt auf dieser Basis vier mittelalterliche Ausprägungen zu den politisch-oratorisch relevanten Redetypen in lateinischer Sprache: Die Predigt,¹⁵² die Gerichtsrede, die Synodalrede und die Gesandtschaftsrede.¹⁵³ Zugrunde liegen hier neben formalen auch funktionale Kriterien, die sich unterschiedlich stark aus spezifischen Anlässen ergeben und sich deshalb mit der Aufzählung der ‚Standardsituationen‘¹⁵⁴ bei Helmrath überschneiden: Während die Synodal- und die Gesandtschaftsrede sich auf politische Zusammenkünfte beziehen, sind Predigten und Gerichtsreden nicht auf politische Kontexte beschränkt und lassen sich flexibel einsetzen. Dieter Mertens beschreibt für das 13. und 14. Jahrhundert zwei Typen: Die formal nach dem Muster der Themapredigt gestaltete Rede, bei der ein Bibelzitat (das ‚Thema‘) mit politischen Argumenten verbunden wird, bildet den ersten Typus.¹⁵⁵ Die Themapredigt als solche nimmt ebenfalls ein biblisches Zitat zum Ausgangspunkt, das ausgelegt und anhand dessen die Predigt gestaltet wird: Nach Ankündigung des Themas forderte der Prediger seine Zuhörer auf, mit ihm zu beten. Der folgende Redeteil, das Prothema (oder genauer: exordium) diente als Einleitung zum
„Im Mittelalter sind sermo und oratio der Form nach nicht trennscharf voneinander abzugrenzen“ (Ratzke / Schmidt: Politische Rhetorik, S. 99). Auch die Predigt ist daher als politisch einsetzbare Redeform zu betrachten. Vgl. auch Haye: Rhetorische Lehrbücher, S. 47; Bezner, Frank: Rhetorische und stilistische Praxis des lateinischen Mittelalters. In: Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Hrsg. von Ulla Fix / Andreas Gardt / Joachim Knape, Bd. 1, Berlin u. a. 2008 (HSK 31), S. 326 – 348, hier S. 331 f., 335; Strack: Oratorik im Zeitalter der Kirchenreform; monografisch die Habilitationsschrift Strack: Solo sermone. Unveröffentlichter Vortrag auf der ersten Tagung des Oratorik-Projektes, referiert bei Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 15 – 17. Vgl. den Abschnitt zu den Redeanlässen zu Beginn dieses Kapitels. Vgl. Mertens: Die Rede, S. 409, auch zum politischen Einsatz solcher Predigtreden am Hof Friedrichs II. Zu Form und Entwicklung der Themapredigt vgl. Roberts, Phyllis B.: Ars praedicandi. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), Sp. 1064– 1071, hier Sp. 1068 f.
2.3 Bedingungen politischer Redekultur
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[darauffolgenden, M. R.] Gebet […]. Dann wurde das Thema wieder aufgenommen und anhand von Beispielen und Gleichnissen entfaltet.¹⁵⁶
Den zweiten Typus stellt die fünfteilige Rede nach dem Vorbild der Ars dictaminis bzw. Ars arengandi dar. Dabei handelt es sich um Rhetorikhandbücher, die im 11. Jahrhundert im Umfeld der päpstlichen Kurie und ab dem 12. Jahrhundert verstärkt in den italienischen Stadtkommunen entwickelt wurden.¹⁵⁷ Die Rede, die von der Brieflehre der ars dictaminis her konzipiert wird, soll wie der Brief dem fünfteiligen Schema folgen und salutatio, exordium, narratio, petitio und conclusio aufweisen. Damit war grundsätzlich eine von der biblischen Thema-Predigt unabhängige Form der Rede bestimmt und wirklich weltliche Rede wurde möglich.¹⁵⁸
Zu Mertens’ Typologie von Themapredigtrede und fünfteiliger Rede nach der Ars dictaminis lässt sich zunächst festhalten, dass er nach formalen Kriterien unterscheidet. Allerdings basiert das Schema der Ars dictaminis und Ars arengandi trotz seiner ‚Innovation‘¹⁵⁹ stark auf der Redeteile-Lehre der antiken Rhetorik, wie Mertens selbst angibt.¹⁶⁰ Diese Lehre schlägt sich neben der Briefproduktion u. a. auch in der Form mittelalterlicher Urkunden nieder. Dadurch ist mitunter schwer zu unterscheiden, an welchen Gliederungsprinzipien sich eine dargestellte Rede orientiert. In diesem Sinne formuliert Peter Koch: „[D]ie Exponenten der Ars dictandi [beliefern] die immer dringender benötigten Verfasser offizieller Schreiben mit Briefmodellen und mit expliziten diskurstraditionellen Regeln, kodifizieren und kanonisieren dabei aber in vielen Punkten nur die längst gängige […] diskurstraditionelle Praxis.“¹⁶¹ Im Untersuchungsteil dieser Studie lässt sich
Roberts: Ars praedicandi, Sp. 1068. Mertens betont zusätzlich, dass die Themapredigt „bewußt auf die soziale und geistige Welt der Zuhörer Bezug nimmt“ (Mertens: Die Rede, S. 407). Vgl. Mertens: Die Rede, S. 409 f. Ebd., S. 410. Vgl. Hartmann, Florian: Norditalienische Kommunen im 12. Jahrhundert. In: Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre. Hrsg. von Florian Hartmann / Benoît Grévin, Stuttgart 2019 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 65), S. 74– 93, hier S. 81. Bernhard von Bologna etablierte dieses Schema im 12. Jahrhundert erstmals als fünfteiliges, indem er die salutatio zum Bestandteil des Briefes machte. Vgl. Mertens: Die Rede, S. 410. Koch: Urkunde, S. 29; für eine Übersicht, die die Redeteile der verschiedenen Traditionen in Analogie zueinander bringt, vgl. den Anhang: Ebd., S. 44. Zum Verhältnis von normativen Schriften und Redepraxis bzw. ihrer Darstellung in der Literatur vgl. exemplarisch für mittelalterliche Papstreden Strack: Solo sermone, S. 2 f. sowie zusammenfassend für die italienische Historiografie: Hartmann: Politische Rede, S. 33. Die jüngere Forschung zur Ars dictaminis betont dabei die Notwendigkeit, zeitlich und räumlich zu differenzieren. Benoît Grévin mahnt insbe-
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2 Historische politische Rede
dies mehrfach beobachten; anschaulich macht es etwa die Rede eines Gesandten Alexanders des Großen, die in Kapitel 3.2.1 besprochen wird. Johannes Helmrath schließlich unterscheidet für Reichstagsreden im 15. und 16. Jahrhundert zwei größere Phasen, deren Gliederung er u. a. am Aufkommen neuer Redeformen im Zuge des Humanismus festmacht:¹⁶² Erstens die scholastisch geprägte Traktatrede, die sich formal an Disputation und Gerichtsrede orientiert und ausufernde Argumentationsketten enthalten kann.¹⁶³ Zweitens die humanistische Aktionsrede,¹⁶⁴ deren herausragendes Beispiel nach Helmrath die Rede Constantinopolitana Clades des Enea Silvio Piccolomini von 1454 darstellt.¹⁶⁵ Für diese Rede hebt Helmrath jedoch gerade hervor, dass sie Genres, Traditionen und Formen vermischt, sodass sich die Frage stellt, inwieweit sie sich zur Abgrenzung eines Typus eignet: Der Funktion nach sowohl Eröffnungs- als auch Gesandtenrede, orientiert sie sich formal an der antiken Beratungsrede und übernimmt gleichzeitig Motive aus der mittelalterlichen Kreuzzugspredigt.¹⁶⁶
sondere bezüglich Verallgemeinerungen zwischen den verschiedenen Artes zur Vorsicht. Er verweist auf „die noch nicht abgeschlossene Beschäftigung mit den Verbindungen zwischen der ars dictaminis und den neuen Kommunikationskünsten, die im 12. und 13. Jahrhundert entstanden: die ars praedicandi, ars poetriae und ars arengandi. Während die ars poetriae und die ars arengandi so eng mit dem dictamen verbunden scheinen, dass es sich vielleicht lohnen würde, sie gemeinsam als Lehrdisziplinen und Kompositionskünste zu untersuchen, stellt die ars praedicandi ein gesondertes Problem dar“ (Grévin, Benoît: Die ars dictaminis und andere Disziplinen. In: Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre. Hrsg. von Florian Hartmann / Benoît Grévin, Stuttgart 2019 [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 65], S. 566 – 612, hier S. 611). Vgl. Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 431– 433; die folgende Systematik erscheint erneut in Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 591 f. Dort wird von ‚Genres‘ gesprochen. Vgl. Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 431 f.; zu Form, Genremischung und Vorbildern vgl. Woelki: Lodovico Pontano, S. 186 f.; 194. Bei Helmrath als sog. ‚Türkenrede‘; vgl. Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 433 – 437. Die Rede ist ediert in den Deutschen Reichstagsakten: [Piccolomini, Enea Silvio]: Die Rede des Enea Silvio Piccolomini Constantinopolitana clades. Text mit Kommentar. In: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Abt. 5,2. Reichsversammlung zu Frankfurt 1454. Unter Mitarb. von Gabriele Annas. Hrsg. von Johannes Helmrath, München 2013 (Deutsche Reichstagsakten 19,2), S. 494– 564. Vgl. Helmrath: Reden zum Türkenkrieg, S. 474 f. – Nach einer Pause im späten 15. Jahrhundert beginnt nach Helmrath eine weitere Phase humanistischer Rede unter Maximilian I., der selbst als Redner in Erscheinung tritt und von Helmrath als „der wohl redegewandteste deutsche König überhaupt“ bezeichnet wird (Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 440 – 442, Zitat S. 440). Diese Phase zeichnet sich weniger durch neue Redegenres als vor allem dadurch aus, dass Reden gleich nach ihrer actio gedruckt werden und somit ein noch größeres Publikum erreichen; vgl. ebd., S. 442.
2.4 Darstellung, Repräsentation und Praxis
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An den drei beschriebenen Modellen lässt sich beobachten, dass unterschiedliche Kategorien von Kriterien genutzt und zum Teil miteinander kombiniert werden; so stehen formale neben funktionalen Kriterien und der Zuordnung zu antiken, geistlichen oder weltlichen Traditionen. Die Typologien überschneiden sich an manchen Stellen, sodass Redetypen wie die Predigt oder die Gesandtschaftsrede bei mehreren Verfassern wiederkehren. In unterschiedlichem Maße wird zudem die mediale Situation thematisiert, die bei dargestellter Oratorik zu beachten ist: Redeszenen in erzählten Texten – dies gilt sowohl für fiktionale als auch für historiografische Darstellungen – sind mit ihrem narrativen Umfeld verschränkt und stehen in engem Bezug zu den formalen Gestaltungsprinzipien des übergeordneten Textes.¹⁶⁷ Wie bereits eingangs formuliert, ergeben die Ansätze keine trennscharfe Typologie. Sie zeugen allerdings von einem Bedürfnis nach terminologischer Prägnanz und übersichtlicher Darstellung, das bereits in den antiken Rhetoriken beobachtbar ist. Methodisch lässt sich daraus die Konsequenz ableiten, die Typologien und die darin aufgehobenen Redetypen behutsam zu nutzen und stets am konkreten Gegenstand auf ihren analytischen Mehrwert zu überprüfen.
2.4 Darstellung, Repräsentation und Praxis. Untersuchungsdimensionen erzählter Oratorik Mit erzählter Oratorik ist im Rahmen dieser Studie solche Oratorik gemeint, die eine diegetische Rahmung besitzt. Die hier untersuchten Texte gestalten und reflektieren politische Redekultur in erzählender Form; rein deskriptive oder protokollarische Überlieferungen historischer Redekultur sind nicht Gegenstand der Analysen, zumal diese, wie die Oratorikforschung betont hat, für den Untersuchungszeitraum ohnehin kaum greifbar und in ihrem Status eigens zu reflektieren sind.¹⁶⁸
Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 2.4. Eine Protokollpraxis im heutigen Sinne gibt es im Mittelalter nicht: „Auch wenn Ergebnisse in Form von Verträgen u. ä. schriftlich fixiert werden, so fehlt im Mittelalter jedwede Protokollierung politischer Beratungen und Verhandlungen“ (Klein, Josef: Politische Rede. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 [2003], Sp. 1465 – 1520, hier Sp. 1480). Johannes Helmrath beschreibt den Regelfall: „Oft ist nur die Tatsache einer actio, aber kein Text überliefert: liegt ein Text vor[,] so ist der Prozeß – vorhergehender oder nachträglicher – Verschriftlichung durch den Orator oder durch Dritte oft nicht nachvollziehbar […]. Bis in das 13. Jh., vor der Entstehung deliberativer Ständeversammlungen, ist auch P[arlamentsrede] in der Regel nur als erinnerte, in der Geschichtsschreibung nachstilisierte Rede faßbar“ (Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 590). Erst im
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2 Historische politische Rede
Bei der Untersuchung erzählter politischer Rede ist es sinnvoll, dargestellte Oratorik von praktizierter Oratorik einerseits und von Oratorik als symbolische Repräsentation andererseits zu unterscheiden, um damit verschiedene Perspektiven auf vormoderne Redekultur zu beschreiben.¹⁶⁹ Die drei genannten Kategorien werden im Rahmen dieser Untersuchung als Perspektiven in einem Spektrum von Untersuchungsinteressen verstanden, die sich ergänzen und überschneiden können. Die jeweilige Akzentsetzung wirkt sich auf die Bestimmung des Untersuchungsgegenstands und die methodische Herangehensweise aus. Der Ausdruck ‚praktizierte Rhetorik‘ existiert bereits vereinzelt, ohne dass er terminologisch etabliert ist – so gebraucht etwa Heinrich F. Plett „praktizierte Rhetorik“ als Entsprechung für rhetorica utens (die ‚ausübende‘ Redekunst) im Unterschied zu rhetorica docens (die ‚lehrende‘ Redekunst).¹⁷⁰ Ähnlich grenzt Thorsten Burkard „die Theorie des Redens“ als ‚Rhetorik‘ von der „praktizierte[n] Rhetorik“ ab, womit „das Reden selbst, die sogenannte Oratorik“ gemeint ist.¹⁷¹ Burkard setzt hinzu: „sei sie auf reale, sei sie auf fiktive Verhältnisse (wie die Deklamation) bezogen“ – diese Ergänzung macht bereits deutlich, dass hier verschiedene Aspekte der Rede zusammengefasst werden. Für die vorliegende Studie zu politischer Rede in fiktionalen und historiografischen Texten reicht diese Unterscheidung von Theorie und Praxis nicht aus. Es lassen sich zwar alle hier untersuchten Redeszenen darauf befragen, inwiefern sie rhetorische Lehre in die Praxis umsetzen. Eine differenzierte Betrachtung der Bedingungen, denen eine historische Redesituation, ihre chronikalen Darstellungen oder fiktionale Reden unterliegen, ist auf dieser Grundlage allerdings nicht möglich. Die drei späteren Mittelalter, vor allem ab dem 15. Jahrhundert, beginnt eine dichtere Überlieferung zu politischen Reden, die als „Reichstagsakten“ gelten können; vgl. ebd., Sp. 591. Die Unterscheidung von ‚dargestellter‘ und ‚praktizierter Oratorik‘ greift einen Vorschlag auf, der in der Einleitung zum Tagungsband der Tagung Oratorik und Literatur formuliert wurde; vgl. Ratzke / Schmidt / Wittchow: Einleitung, S. 9 – 15. Die Ausführungen des vorliegenden Kapitels erweitern die dort skizzierte Unterscheidung und nehmen gegenüber dem ersten Entwurf eine Differenzierung vor. Vgl. Plett, Heinrich F.: Vorwort. In: Die Aktualität der Rhetorik. Hrsg. von Heinrich F. Plett, München 1996 (Figuren 5), S. 5 f., hier S. 5. Zum Begriffspaar und seiner Tradition seit der Antike vgl. Czapla, Beate: Rhetorica docens, Rhetorica utens. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7 (2005), Sp. 1407– 1412, hier Sp. 1407. Zu den Gefahren der ‚praktizierten Rhetorik‘ als Machtmittel in der politischen Theorie Thomas Hobbesʼ vgl. Wagner, Jochen / Zenkert, Georg: Rhetorik als Gefährdung der politischen Ordnung. Z. B. Thomas Hobbes. In: Politik und Rhetorik. Funktionsmodelle politischer Rede. Hrsg. von Josef Kopperschmidt, Wiesbaden 1995, S. 126 – 145, hier S. 136. Burkard, Thorsten: Rhetorik im Mittelalter und im Humanismus. In: Handbuch Antike Rhetorik. Hrsg. von Michael Erler / Christian Tornau, Bd. 1, Berlin u. a. 2019, S. 697– 760, hier S. 697, u. a. mit Hinweis auf Haye: Oratio.
2.4 Darstellung, Repräsentation und Praxis
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vorgeschlagenen Perspektiven – dargestellte Oratorik, praktizierte Oratorik und symbolische Repräsentation – sollen diese Differenzierung ermöglichen und dazu dienen, politische Rede in erzählenden Texten des Mittelalters in möglichst vielen Facetten zu erfassen. Im Folgenden sollen die drei Kategorien in der Auseinandersetzung mit jüngeren Publikationen aus der Oratorikforschung entwickelt werden. Die Beiträge stammen von Johannes Helmrath¹⁷² und Jörg Feuchter¹⁷³ und haben resümierenden Charakter. Da sie die Ansätze der historischen Oratorikforschung in kompakter Form vorstellen, lassen sich an ihnen die verschiedenen Perspektiven gut herausarbeiten. Helmrath verfolgt dabei ein Interesse an der Rekonstruktion historischer Oratorik, das ich als Interesse an praktizierter Oratorik bezeichnen möchte. Feuchter legt den Akzent auf Repräsentationen in der vormodernen Redekultur. Er integriert damit Phänomene symbolischer Kommunikation in die Untersuchung, weshalb diese Perspektive im Folgenden mit dem Begriff der Oratorik als symbolische Repräsentation bezeichnet wird. Beide Verfasser gehen dabei auch auf die Überlieferung und Vermitteltheit der untersuchten Reden ein, ohne jedoch immer zwischen den verschiedenen Ebenen medialer Darstellung und symbolischer Repräsentation zu unterscheiden. Wie zu zeigen sein wird, lohnt es sich, den spezifischen Bedingungen medialer Darstellung Beachtung zu schenken, will man vormoderne Redekultur in ihrer Vielfalt erfassen. Dies wird mit der Kategorie der dargestellten Oratorik angestrebt. Das vorgeschlagene Modell versteht sich nicht als Alternative, sondern vielmehr als Ergänzung zu den bisherigen Ansätzen, die ein besonderes Augenmerk auf die Darstellungsebene und den narrativen Kontext politischer Redeszenen legt. Die Untersuchung dargestellter Oratorik lässt sich gewinnbringend im Zusammenspiel mit der Betrachtung praktizierter Oratorik und mit einer Sensibilität für Phänomene der Repräsentation umsetzen. Die Untersuchungen der Kapitel 3 bis 5 werben in diesem Sinne für eine heuristische Trennung, aber praktische Zusammenführung der Perspektiven.
Vgl. Helmrath, Johannes: (Humanisten) Edieren in den Deutschen Reichstagsakten. In: Humanisten edieren. Gelehrte Praxis im Südwesten in Renaissance und Gegenwart. Hrsg. von Sabine Holtz / Albert Schirrmeister / Stefan Schlelein, Stuttgart 2014 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 196), S. 209 – 244. Vgl. Feuchter, Jörg: Rednerische ‚Performanz des Mächtigen‘ auf politischen Versammlungen (England und Frankreich, vom 14. bis ins 16. Jahrhundert). In: Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters. Hrsg. von Klaus Oschema u. a., Ostfildern 2015 (Rank. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 5), S. 103 – 120.
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2 Historische politische Rede
Dargestellte und praktizierte Oratorik Das Interesse an praktizierter Oratorik, die für historische Ereignisse überliefert ist, steht auf einer Seite des Spektrums von Untersuchungsinteressen. Über die Untersuchung der erhaltenen Quellen soll auf indirektem Weg die Rede und ihre Einbettung in die politische Redekultur rekonstruiert werden. Mit diesem Begriff der praktizierten Oratorik lässt sich das Vorhaben bezeichnen, das Johannes Helmrath in seinem Aufsatz von 2014 beschreibt. Helmrath reflektiert darin seine Tätigkeit als Bearbeiter der Reichstagsakten zum Reichstag von 1454/55, er denkt und schreibt also aus der Perspektive des Editors „zwischen Schöpfer und Knecht, aber auch zwischen Konstrukteur und Fälscher“¹⁷⁴ und bezeichnet mit Fuhrmann die „Sorge um den rechten Text“¹⁷⁵ als seine Hauptaufgabe. Die Arbeit am Editionsvorhaben vollzog sich über weite Strecken parallel zur Laufzeit des Oratorik-Projektes; die Ausführungen fassen deshalb zugleich das Programm der Oratorikforschung zusammen und dienen in jüngeren Beiträgen von Jörg Feuchter als Referenzpunkt.¹⁷⁶ Helmrath versteht die Editionen der Reichstagsakten „als editorische Repräsentationen von politischen Versammlungen“;¹⁷⁷ sein erklärtes Ziel ist es deshalb, „so weit wie möglich [zu] versuchen, das Authentische, das prozesshaft genetische, die versammlungsspezifischen, oft performativen […] Entstehungskontexte der Vorlagen durchscheinen […] zu lassen.“¹⁷⁸ Der Begriff des ‚Authentischen‘ offenbart den Fluchtpunkt des Interesses an praktizierter Oratorik: Helmrath zielt auf die Rekonstruktion historischer, ‚tatsächlich‘ umgesetzter Redeakte.
Helmrath: (Humanisten) Edieren, S. 214. Ebd. Helmraths Darstellung der Überlieferungsproblematik dient Jörg Feuchter in zwei der jüngeren Aufsätze zur Redekultur politischer Versammlungen als Referenz für das Projekt der Oratorikforschung insgesamt. Feuchter gibt die unten zitierte Formulierung zum ‚heißen Atem der Actio‘ wörtlich und Weiteres teils paraphrasiert wieder, vgl. Feuchter: Die Oratorik des Londoner Eheprozesses, S. 321; Feuchter: Rednerische Performanz, S. 106. Im Aufsatz von 2015 folgt anschließend eine zusammenfassende Darstellung des Ansatzes mit einer Übersicht über die im Projektkontext entstandenen Publikationen, vgl. ebd., S. 106 – 108. Helmrath: (Humanisten) Edieren, S. 217. Im Gebrauch der Oratorikforschung reicht der Begriff der Repräsentation von der Wiedergabe historischer Ereignisse bis zur symbolischen Inszenierung politisch-rhetorischer Ideen; auf die Mehrschichtigkeit dieses Begriffes ist noch zurückzukommen. Ebd.
2.4 Darstellung, Repräsentation und Praxis
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Dennoch grenzt sich Helmrath von einem rein positivistischen Auswerten der Quellen ab;¹⁷⁹ dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Überlieferungssituation keinen direkten Zugang zur historischen Redesituation bietet: Der verschriftete Text einer Rede ist, mehr noch als es jeder Text ohnehin ist, Surrogat des Sprechens, des physischen Redeakts (lat. actio). Die strukturelle Paradoxie der Reden- und Predigtforschung besteht ja darin, dass sie Mündliches nur über seine Verschriftung analysieren kann, unter Absehung von allem, was das Mündliche eigentlich ausmacht. Natürlich kann keine Edition das Authentische einer Rede, das Situative, die Gestik, den Klang der Stimme, die Reaktionen der Zuhörer, quasi den heißen Atem der Actio einfangen.¹⁸⁰
Vor dem Hintergrund der Reichstagsakten-Edition bildet die Textkritik den theoretischen Ausgangspunkt, der auch für die Untersuchung praktizierter Oratorik maßgeblich ist. Die Prinzipien der Textkritik stehen im Einklang mit dem beschriebenen Bemühen um Authentizität; aus ihr speist sich das methodische Programm, das Helmrath entwirft: Was man tun kann, ist Folgendes: Man kann zum einen sämtliche Äußerungen des Redners oder von Personen, die die Rede erlebt haben, sammeln, um so die Umstände der Actio, des Sprechakts und seiner Wirkung auf das Publikum[] indirekt zu fassen. Man kann zum anderen diejenige Textfassung aus der Überlieferung eruieren, die vermutlich am nächsten (auch im zeitlichen Abstand) an die Actio heranreicht.¹⁸¹
Das beschriebene Verfahren ist erkennbar an dem der Lachmannschen Methode von Recensio und Examinatio orientiert: Durch die sichtende Sammlung und Bewertung möglichst vieler Daten zu einem historischen Redeereignis soll eine möglichst actio-nahe Fassung (in Analogie zur autornahen Fassung), ein Archetyp, erstellt werden.¹⁸² Die Untersuchung praktizierter Oratorik zielt somit darauf ab, sich der ursprünglichen Redesituation anzunähern. Am anderen Ende des Spektrums steht das Interesse an dargestellter Oratorik. Dieses ist dem Interesse an Repräsentationen, auf die noch einzugehen sein wird, benachbart: In beiden Fällen geht es um Redekultur als textlich bzw. medial ge-
Vgl. ebd., S. 232: Texte in den Reichstagsakten „werden nicht nur als Informationsträger beziehungsweise ‚Quellen‘ zu den Versammlungen verstanden, sondern die Editoren versuchen zumindest, die Textgenese und ihre Erzeuger stärker als bisher in die Kontexte des politischen Rede- und Verhandlungsgeschehens […] einzubinden.“ Ebd., S. 235. Ebd.; zitiert von Feuchter: Rednerische Performanz, S. 106. Zur Textkritik im Kontext mittelalterlicher Textualität vgl. Baisch, Martin: Textkritik als Problem der Kulturwissenschaft. Tristan-Lektüren, Berlin u. a. 2006 (Trends in Medieval Philology 9), hier S. 1– 98.
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staltete Redekultur; die Frage nach dargestellter Oratorik lässt sich aber eigens profilieren. Der Begriff der dargestellten Oratorik legt den Akzent auf die Art und Weise der Darstellung selbst, ausgehend von der Annahme, dass der Modus der Darstellung einen konstitutiven Einfluss auf die Sinnstiftung hat und als Faktor mitbedacht werden muss. Mit dem Begriff dargestellte Oratorik lassen sich die textlich, visuell oder in anderen Medien existierenden Darstellungen politischer Redekultur als Untersuchungsgegenstand von eigenem Wert auffassen.¹⁸³ Nicht primär eine hinter den Texten liegende, zu rekonstruierende ‚Realität‘ oder die unabhängig von ihrer medialen Verfasstheit gedachten Vorstellungen der Zeitgenossen sind hier zu untersuchen, sondern die im Text als Text bzw. mit den spezifischen Mitteln des jeweiligen Mediums erzeugte dargestellte Welt.¹⁸⁴ Eine dargestellte Welt kann durchaus Bezüge auf eine außerliterarische Welt enthalten und Ideale oder Werte verhandeln, die auch in anderen Kontexten zu beobachten sind. Dargestellte Oratorik erschöpft sich aber nicht in der mimetischen oder verisimilistischen Bezugnahme. Dargestellte Oratorik ist selbst darstellbar. Sie kann im Zuge einer Aufführung oder eines Vortrags performiert werden und lässt sich insofern als Oratorik zweiter Ordnung beschreiben.¹⁸⁵ Dabei ist im Unterschied zum herkömmlichen Modell des Redevortrags zu beachten, dass es sich „weniger um eine oratorische actio als vielmehr um die actio einer actio, also um die Aufführung der Darstellung eines oratorischen Aktes“¹⁸⁶ handelt, die nicht als sekundär oder defizitär verstanden werden sollte, sondern deren mediale und kommunikative Funktion untersucht werden muss. Auf Vergleichbares haben Dirk Niefanger¹⁸⁷ für Lese-
Karina Kellermann hat die Kategorie aufgenommen und als den Bereich der Oratorik hervorgehoben, „der für Literaturwissenschaft und narratologische Forschung gemeinhin das einzige Untersuchungsfeld darstellt“ (Kellermann, Karina: Politische Reden allegorischer Gestalten in der deutschsprachigen Publizistik des Spätmittelalters. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 [Hamburger Beiträge zur Germanistik 60], S. 323 – 344, hier S. 325). Zum Konzept der dargestellten Welt in der mediävistischen (historischen) Narratologie vgl. Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Hrsg. von Manuel Braun / Alexandra Dunkel / Jan-Dirk Müller, Berlin u. a. 2012, hier S. 159 – 161. Vgl. Ratzke / Schmidt / Wittchow: Einleitung, S. 11. Konsequent rezeptionsästhetisch gedacht ist dieser Performanzcharakter bereits beim stillen Lesen eines Textes gegeben: Die Redeszene entsteht in diesem Sinne erst in der Wahrnehmung der Lesenden. Ebd. Niefanger argumentiert dafür, dass „gedruckte Dramentexte schon seit der Renaissance als selbstständige Medien […] mit spezifischen Dispositiven“ fungieren und prägt für die von ihm
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dramen der Frühen Neuzeit und Ann-Kristin Badel für die Rezeption von Predigtliteratur hingewiesen.¹⁸⁸ Der Vortrag dargestellter Oratorik kann mit den Bedingungen von Rede spielen und diese sichtbar machen. Dargestellte Oratorik ist somit latent selbstreflexiv. Ein solches selbstreflexives Spiel ist nicht ausschließlich bei dargestellter Oratorik möglich; es ist auch bei historisch gehaltenen Reden im Sinne der praktizierten Oratorik denkbar und im System der klassischen Rhetorik als Option der Redegestaltung vorhanden. In der gehaltenen Rede sind es jedoch spezifische Redeteile, die für ein selbstreflexives Moment besonders geeignet scheinen – so etwa die Captatio benevolentiae am Anfang der Rede oder das Brevitas-Gebot, das gern zu Beginn und Ende einzelner Abschnitte zitiert wird. Das Konzept der dargestellten Oratorik kann den Blick besonders für diese Art von Selbstreflexivität schärfen. An die Beobachtung zur Performanz dargestellter Oratorik lässt sich ein weiterer Aspekt anknüpfen: Bei der Untersuchung dargestellter Oratorik liegt eine andere Kommunikationssituation vor als bei der Untersuchung praktizierter Oratorik. Zur Veranschaulichung seien kontrastierende Szenarien gewählt: Es macht einen Unterschied, ob eine Rede in einer politischen Versammlung gehalten, als Teil einer Romanlesung vorgetragen oder in stiller Lektüre rezipiert wird. Die Rede in der Versammlung ist auf Ort und Zeit der Versammlung ausgerichtet, sie entfaltet ihre Wirkung in Bezug auf ein konkretes Anliegen der Entscheidungsfindung oder einen anderen Anlass, aus dem die Versammlung einberufen wurde – ganz gleich, ob diese Wirkung nun symbolisch-repräsentativer oder instrumenteller Art sein mag. Die vorgetragene, dargestellte Rede im untersuchten gedruckten Dramen den Begriff der „Druckperformanz“: „Denn sie zeigt eine spezifische historisch verortbare Ästhetik der in Schrift gesetzten Theaterszene“ (Niefanger, Dirk: Frühneuzeitliche Lesedramen als Medien der Theatergeschichte. Zu Paul Rebhuns Hochzeit zu Cana Gallileae (1538) und Johan Narhamers Historia Jobs (1546). In: Medien der Theatergeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Hermann Korte / Hans-Joachim Jakob / Bastian Dewenter, Heidelberg 2015 [Proszenium 3], S. 9 – 27, hier S. 10, Anm. 6). Das Untersuchungsmaterial gedruckter Lesedramen enthält demnach „Hinweise auf eine Bühnendiegese, die naturgemäß nie für die Aufführung bindend war, aber unzweifelhaft einen hohen kulturgeschichtlichen Wert für die Theatergeschichte aufweist. Denn es liefert unersetzliche Bausteine einer historischen Ideengeschichte des Theaters“ (ebd., S. 11). Vgl. zusammenfassend Badel, Ann-Kristin: Medienwechsel und Medienwandel in der Überlieferung der Taulerpredigten, Berlin u. a. 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 61), hier S. 369 – 391.Vgl. besonders ebd., S. 373: „Jedes Predigtmanuskript bleibt auf das performative Ereignis, den kommunikativ und situativ geprägten Akt des Predigens, der öffentlich und mündlich erfolgt, bezogen, sei es anteskriptiv, postskriptiv oder rhetorisch, indem eine dem Vortrag vergleichbare Situation fingiert wird.“ Badel unterscheidet u. a. zwischen primärmedialer und sekundärmedialer Kommunikationssituation.
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Verlauf einer literarischen Lesung kann eine Rede vor einer solchen Versammlung darstellen, sie ist aber nicht unmittelbar in einen politischen Entscheidungsprozess eingebunden, sondern grundsätzlich anders gerahmt. Diese dargestellte Rede ist als Rede weder räumlich noch zeitlich auf die konkret vorliegende Rezeptionssituation bezogen, sie adressiert nicht primär das anwesende Publikum, sondern ein ebenfalls dargestelltes, intradiegetisches Publikum. Gleichwohl kann sie das anwesende oder lesende Publikum zur Reflexion über das Rezipierte anregen, auch eine persuasive Wirkung entfalten. Sie kann Handlungsmodelle vorführen, politische Ideen reflektieren und damit auf eigene Weise am politischliterarischen Diskurs teilhaben. Auch ist es möglich, mit den genannten Ebenen zu spielen und die interne mit der externen Rezeptionssituation zu überblenden, wie dies insbesondere, aber nicht ausschließlich, in der Dramenaufführung möglich ist.¹⁸⁹ Bei der Untersuchung dargestellter Oratorik erhalten die medialen und narrativen Bedingungen politischer Rede in erzählenden Texten besondere Aufmerksamkeit. Die Gestaltung von Oratorik ist immer kontextabhängig; das gilt für praktizierte und für dargestellte Oratorik gleichermaßen, denn auch die praktizierte Rede ist idealerweise auf den Vortragsanlass, das Publikum, vorangehende und nachfolgende Kommunikationsakte, kurz: den Veranstaltungsrahmen abgestimmt.¹⁹⁰ Die Frage nach dargestellter Oratorik macht darüber hinaus bewusst, dass die untersuchte Redeszene in einer textuellen Umgebung mit anderen Texten steht. Intertextuelle Bezüge rufen spezifische Einzeltexte als Prätexte auf, textsorten- oder gattungsspezifische Charakteristika legen die Befolgung von Darstellungskonventionen nahe, auch Erzählstoffe bringen ihre eigene Tradition mit sich. All diese Faktoren haben potenziell einen Einfluss auf die Darstellung. Einen Modellfall der Berücksichtigung textsortenspezifischer Erfordernisse bieten Notariatsinstrumente, die üblicherweise dem dokumentarischen Urkundenwesen zugerechnet werden, deren Inhalte aber durchaus narrativ gestaltet
Angelika Kemper spricht von „Schnittstellen zwischen der Bühnenfiktion und einer realen Adressierung“ (Kemper, Angelika: Dramatische Rede und politische Redekultur. Ein jesuitisches Konstantindrama des 16. Jahrhunderts. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 [Hamburger Beiträge zur Germanistik 60], S. 345 – 363, hier S. 345). Für die von ihr untersuchten Jesuitendramen des 16. Jahrhunderts stellt sie fest: „[D]ie Durchlässigkeit der Fiktion ist in manchen Auftritten durchaus beabsichtigt“ (ebd., S. 346). In der Rhetoriklehre fallen diese Aspekte unter den Begriff des aptums oder decorums. Vgl. Asmuth, Bernhard: Angemessenheit. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), Sp. 579 – 604, hier Sp. 579 – 582, 586.
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sein können. Am Beispiel der Rolle von Notariatsinstrumenten in der italienischen Kommune, in denen politische Entscheidungen der Bürgerversammlung dokumentiert und rechtskräftig bestätigt werden, hat Christoph Dartmann darauf aufmerksam gemacht, wie notwendig und interpretationsrelevant es ist, das jeweilige Darstellungsinteresse der Dokumente zu berücksichtigen.¹⁹¹ Die Darstellung politischer Redekultur in den von ihm untersuchten Dokumenten ist an dem Ziel ausgerichtet, rechtsgültige Dokumente zu erstellen. In einem System wie dem der italienischen Städte, in dem Rechtsgültigkeit maßgeblich auf der Dokumentation von Konsens beruht, muss der Konsens der Beteiligten ausgestellt werden. Mitunter führt dies zu Akzentsetzungen, die sich so nicht in anderen, etwa historiografischen Darstellungen der Ereignisse finden, die wiederum ihren eigenen Darstellungsbedingungen unterliegen.¹⁹² Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass intertextuelle Vorgaben und Potenziale unrealisiert bleiben oder neben gattungstypischen auch gattungsübergreifende Einflüsse festzustellen sind. So zeigt die Untersuchung der Steirischen Reimchronik in Kapitel 4 etwa, dass die historiografische Ausrichtung des Textes für den Verfasser in keinem Widerspruch dazu steht, Motive und Darstellungsprinzipien aus den Romanen Wolframs von Eschenbach aufzugreifen. Redeszenen befinden sich nicht nur in einem textuellen Umfeld anderer Texte, sondern in einem Gefüge mit anderen Szenen desselben Textes. Es ist davon auszugehen, dass Szenen innerhalb einer Erzählung in einem reziproken Verhältnis zu anderen Teilen dieser Erzählung stehen. Sie dürfen deshalb in der Analyse nicht isoliert betrachtet werden. Gesine Mierke hat darauf hingewiesen, dass Redeszenen einen Eindruck von Unmittelbarkeit vermitteln können – dabei „bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass die Unmittelbarkeit von der Erzählinstanz abhängt und auch durch die (nur teilweise) in direkter Rede wiedergegebenen Figurenreden immer vermittelt ist.“¹⁹³ In der Steirischen Reimchronik nehmen die Ansprachen verschiedener Figuren Motive auf, die in den umliegenden Passagen in der Rede anderer Figuren oder des Erzählers vorkommen. So ist der ganze Abschnitt über die Verhandlungen im Buch von Akkon darauf ausgerichtet, die Tugend des Sultans zu preisen, mit dem sich der zentrale Konflikt entwickelt. Die Erzählerrede eröffnet mit einem Lob auf die tugende grôz, | diu von dem soldan flôz (OStR, V. 45305; „große[] Tugend, […] die von dem Sultan ausging“) den Rahmen für die folgende Ansprache seiner Gesandten vor den Christen in Akkon. Deren Gesandtschaftsrede setzt den moralischen Abstand zwischen dem Sultan und den
Vgl. Dartmann: Öffentliche Interaktion, S. 51– 57; vgl. auch Dartmann: Konsens, S. 35 f. Vgl. Dartmann: Öffentliche Interaktion, S. 55 f. Mierke: lustsam und redebære, S. 144.
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Christen durch die Kontrastfigur von Tugend und Laster in Szene.¹⁹⁴ Schließlich wird dieser Motivkontrast für die Reden der Ritterordensmeister aufgenommen, als diese dem Kardinallegaten gegenübertreten.¹⁹⁵ Die Reden mehrerer Figuren und des Erzählers bieten somit eine Spielart von Panegyrik aus drei Perspektiven, die sich jedoch sämtlich in die Konstruktion des Textes einfügen. Redepassagen in erzählenden Texten sind in das jeweilige textliche Umfeld auch formal integriert. Häufig ist zu beobachten, dass Reden nicht alle der aus der Rhetorik bekannten Redeteile enthalten: Ausführliche Begrüßungsformeln fehlen meist, sodass die Reden gegenüber der Rhetoriklehre abbreviiert erscheinen. Sie konzentrieren sich vielfach auf die Schilderung des Vorfalls (narratio) und die jeweils relevante Botschaft (petitio, argumentatio oder exhortatio) – mit Peter Koch kann man von einer Konzentration auf das ‚pragmatische Zentrum‘ sprechen.¹⁹⁶ Passagen direkter Rede wechseln sich mit indirekter Rede ab, was sich nicht selten in Erzählerkommentaren als fingierte Paraphrase der ‚eigentlichen‘ Rede niederschlägt. Tendenzen zur stilistischen Variation, die Gesine Mierke als ‚Dramatisierung‘ beschrieben hat,¹⁹⁷ lassen sich mit der Einpassung der Reden in den Erzählzusammenhang erklären. Karina Kellermann beschreibt dies als eine Art ‚Heimvorteil‘ der dargestellten Oratorik: Die als Redner auftretenden fiktionalen Gestalten sind den praktizierenden Oratoren in einem Punkt klar überlegen: Sie müssen nicht um das Wort ringen, nicht um Gehör betteln, nicht um das Rederecht kämpfen, und auch ihre Position in einer Kontroverse ist ihnen vom Dichter eingeschrieben; sie müssen sie nur in die actio überführen. Ist die Figur als redende vom Autor etabliert, kann sie direkt und ohne Umwege in die Argumentation eintreten.¹⁹⁸
OStR, V. 45358 – 45477. Vgl. etwa OStR, V. 45530 – 45537; vgl. dazu ausführlich Kapitel 4.2.1. Vgl. Koch: Urkunde, S. 21– 24 u. ö. Schon die mittelalterlichen Artes dictandi thematisieren Fragen dieser Art, wie Michele Campopiano erwähnt: „Latini diskutiert Ciceros Eingliederung der oratio (‚diceria‘) auch in Verbindung mit der ‚pistola‘. Er erklärt, dass Cicero die salutatio weggelassen hat, denn er spricht über ‚dicerie che ssi fanno in presenzia, nelle quali non bisogna contare il nome dei parlieri nè l’ uditore. Ma nella pistola bisogna di mettere le nomore del mandante e del ricevente‘“ (Campopiano, Michele: Oratorik in Übersetzung. Dialoge, Briefe und Orationen in den italienischen Versionen der Historia de preliis. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 [Hamburger Beiträge zur Germanistik 60], S. 59 – 72, hier S. 63, zitiert wird aus der Rettorica des Brunetto Latini; Übersetzung ebd., Anm. 13: „Orationen, die man vor anderen Menschen hält, in denen man weder die Namen der Sprecher noch die der Zuhörer nennen muss. Aber im Brief muss man die Namen des Absenders und des Empfängers schreiben“). Vgl. Mierke: lustsam und redebære, S. 145 f. Kellermann: Politische Reden, S. 325.
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In anderen Fällen kann gerade der ostentative Vortrag einer langen Salutatio eingesetzt werden, um in der Darstellung einer Rede Pointen zu erzielen, wenn etwa in einem frühneuzeitlichen Drama des 16. Jahrhunderts eine historische Predigt von 1415 eingefügt wird, wie dies Christian Schmidt für Johann Agricolas Tragedia Johannis Huss gezeigt hat.¹⁹⁹ Zu den medialen Bedingungen dargestellter Oratorik zählt nicht zuletzt die Form der Texte, innerhalb derer die Redeszenen überliefert sind. Entsprechend der üblichen Form mittelalterlichen Erzählens in deutscher Sprache sind die hier untersuchten Erzählungen in mittel- bzw. frühneuhochdeutschen, rhythmisierten Reimpaarversen abgefasst und die meisten der untersuchten Redeszenen entsprechen der Versform ihres übergeordneten Textzusammenhangs, während historische, praktizierte Reden in ungereimter Prosa gehalten worden sein würden. Die Forschung zu lateinischer Oratorik beschäftigt sich bereits mit Fragen des Rhythmus. Thomas Haye und Florian Hartmann gehen in ihren Analysen in der Regel auch auf den Cursus der Redetexte ein.²⁰⁰ Mit dem Begriff Cursus wird in mittelalterlichen Stillehren der Rhythmus der Wortbetonungen am Satzende (mitunter auch am Satzanfang) bezeichnet: Verschiedene Formen, einen Satz melodisch zu gestalten, werden so systematisiert.²⁰¹ Aus germanistisch-literaturwissenschaftlicher Perspektive bietet die angesprochene Tragedia Johannis Huss ein anschauliches Beispiel für den effektvollen Einsatz von Vers- und Prosawechsel, denn die genannte inserierte Predigt des Bischofs von Lodi ist in Prosaform in den ansonsten in gereimten Knittelversen gehaltenen Dramentext ein-
Vgl. Schmidt, Christian: Unheilige Oratorik auf dem Konstanzer Konzil. Johann Agricolas Tragedia Johannis Huss. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 365 – 384, hier S. 380: „Für Zuschauer und Leser, die Agricolas Perspektive folgen und die Predigt ironisch gebrochen rezipieren, steht bereits nach dieser salutatio fest: Die heiligste Versammlung, die der Bischof adressiert, ist tatsächlich die unheiligste Versammlung und die Rede, die der Bischof in seinem Gemüt empfangen haben will, ist unheilige Rede, also rhetorisch verbrämtes Teufelszeug.“ Vgl. etwa Haye: Oratio, S. 12 im Rahmen von Ausführungen zu fingierter Mündlichkeit und konzeptioneller Schriftlichkeit lateinischer Reden. Hayes Analysen im Hauptteil des Buches gehen routinemäßig auf den Cursus der Reden ein; vgl. ebd., S. 37 zu Gerbert von Reims; ebd., S. 61 zu Anselm von Besate und öfter. Vgl. Hartmann: Ars dictaminis, S. 19 f. Das von Hartmann mitherausgegebene Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre enthält ein ausführliches Kapitel zur Sach- und Forschungsgeschichte des Cursus: Vgl. Turcan-Verkerk, Anne Marie / Grévin, Benoît: Der cursus. Ausbildung und Theoretisierung zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert. In: Handbuch der mittelalterlichen Briefstillehre. Hrsg. von Florian Hartmann / Benoît Grévin, Stuttgart 2019 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 65), S. 395 – 448. Vgl. Bezner: Praxis des lateinischen Mittelalters, S. 340.
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gefügt.²⁰² Auch Wittenwilers Ring nutzt die Unterschiede von Vers und Prosa im Bereich dargestellter Oratorik, unter anderem, um in der sogenannten Ehedebatte das dort dargestellte Entscheidungsverfahren zu ironisieren.²⁰³
Darstellung und symbolische Repräsentation In einem mittleren Bereich zwischen praktizierter und dargestellter Oratorik stehen Fragen nach den ‚Repräsentationen‘ von Redegeschehen. Die Feststellung Helmraths, dass der ‚heiße Atem der Actio‘ für die gegenwärtige Forschung unerreichbar bleibt, kann nämlich für die Frage sensibilisieren, auf welche Weise historische Redekultur in den Überlieferungszeugen wiedergegeben und inszeniert werden. Im Rahmen der Oratorikforschung sind Fragen dieser Art besonders von Jörg Feuchter untersucht worden. Er weist darauf hin, dass die Unhintergehbarkeit der Quellen, d. h. die Beobachtung, dass historische Oratorik stets in Texten oder anderen Medien überliefert ist, dazu führen kann, den Fokus auf die Quellen selbst zu verschieben.²⁰⁴ Dies gilt sowohl für die Redetexte als auch deren Vortrags- und Rezeptionssituation: Angaben zur Performanz von Versammlungsreden [sind uns] alles andere als systematisch überliefert worden, sondern vielmehr nur punktuell und in auf ihre Art jeweils singulären, schwer vergleichbaren Quellen. Zudem besteht ein Vorbehalt der Subjektivität gegen die Zeugenberichte. […] Allerdings ist diese Unhintergehbarkeit kein Grund zur Verzweiflung, denn noch die subjektivste und vielleicht sogar absichtlich verzerrte Beschreibung birgt Informationen über zeitgenössische Vorstellungen von gelungener oder mißlungener Performanz. Weil sich durch sie allgemeine Normen und Praktiken erschließen lassen, sind die ‚Repräsentationen‘ der Performanz für die an Versammlungsreden interessierte Forschung bedeutsam und entschädigen sie in gewissem Maße für die unmöglich nachzuvollziehende tatsächliche Actio. Diese Überlegung gilt im Übrigen nicht nur für Fragen der Performanz, sondern allgemein für die Beschäftigung mit der Oratorik vormoderner Versammlungen.²⁰⁵
In Bezug auf divergierende Berichte zu historischen Rede-Ereignissen führt Feuchter das Untersuchungsinteresse ähnlich aus: [E]s birgt reiche Informationen über zeitgenössische Vorstellungen von vormoderner Oratorik, wie eine Rede verschieden wahrgenommen wurde oder absichtlich anders dargestellt
Vgl. Schmidt: Unheilige Oratorik, S. 379. Vgl. Kapitel 5.1. Thomas Woelki führt die Überlegungen des Oratorik-Projektes zum Quellenstatus und den Genres politischer Rede in einem methodischen Exkurs seiner Dissertation fort; vgl. Woelki: Lodovico Pontano, S. 179 – 204. Feuchter: Rednerische Performanz, S. 106.
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wurde. Die Repräsentationen eines Redegeschehens in ihrer Bedingtheit zu verstehen, kann für die Forschung genauso bedeutsam sein wie der Nachvollzug des wirklichen Redegeschehens.²⁰⁶
Wenn Feuchter hier vom ‚wirklichen Redegeschehen‘ und im ersten Zitat von ‚Entschädigung‘ spricht, verraten diese Formulierungen eine Höherbewertung der ‚tatsächlichen‘ Rede vor ihrer subjektiv gefärbten und latent defizitären Beschreibung. Gegenüber der Frage nach praktizierter Oratorik erhält der einzelne Überlieferungszeuge jedoch eine deutliche Aufwertung. Die Frage nach Repräsentationen von Rede zielt darauf ab, zeitgenössische Normen und Vorstellungen von historischer Redekultur, etwa politische Ideen von Herrschaft oder Gemeinschaft, zu erschließen und auch ihre Darstellungsintentionen in den Blick zu nehmen. Auch hier motiviert ein rekonstruktives Anliegen die Untersuchung. Georg Strack führt die Frage nach Repräsentationen weiter, die bereits das Berliner Projekt beschäftigte.²⁰⁷ Er reagiert damit ähnlich wie Feuchter auf die methodische Schwierigkeit, dass sich praktizierte Oratorik nur schwer rekon Feuchter, Jörg: Täter des Wortes. Das Redegeschehen auf dem Good Parliament (1376). In: Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Düsseldorf 2013 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe Parlamente in Europa 164,2), S. 271– 312, hier S. 273. Feuchter betrachtet in dieser Untersuchung des englischen Good Parliament des Jahres 1376 neben Chroniken und der aktenartigen Parliament Roll auch eine überlieferte Predigt und mit dem Piers Plowman einen literarischen Text. Feuchter dokumentiert dabei teilweise auch die Darstellung von direkter und indirekter Rede in den Texten; vgl. ebd., S. 275 f., 284. Vgl. die Habilitationsschrift Strack: Solo sermone. Außerdem die Aufsätze Strack, Georg: Schlachtrufe auf freiem Feld? Die Kreuzzugspredigt Urbans II. nach der Historia Iherosolimitana und ihren frühneuhochdeutschen Bearbeitungen. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 187– 211; Strack, Georg: Antagonistische Positionen zur politischen Redekultur im 11. Jahrhundert. Benzo von Alba und Rangerius von Lucca. In: Brief und Kommunikation im Wandel. Medien, Autoren und Kontexte in den Debatten des Investiturstreits. Unter Mitarb. von Anja-Lisa Schroll und Eugenio Riversi. Hrsg. von Florian Hartmann, Köln u. a. 2016 (Papsttum im mittelalterlichen Europa 5), S. 243 – 260; Strack, Georg: Doppelzüngige Phrasendrescherei? Die Konsistorialansprachen Papst Clemens’ VI. gegen Ludwig den Bayern. In: Ludwig der Bayer (1314– 1347). Reich und Herrschaft im Wandel. Hrsg. von Hubertus Seibert, Regensburg 2014, S. 413 – 436; Strack: Perzeption und Imagination; Strack: Woelki; Strack: Oratorik im Zeitalter der Kirchenreform; Knödler, Julia / Strack, Georg: Einleitung. In: Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte – Praxis – Diversität. Hrsg. von Julia Knödler / Georg Strack, München 2011 (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 6), S. 9 – 16. Auch Stracks Dissertation zu dem gelehrten Rat Thomas Pirckheimer enthält bereits ein Kapitel zur ‚rhetorischen Praxis‘: Strack, Georg: Thomas Pirckheimer (1418 – 1473). Gelehrter Rat und Frühhumanist, Husum 2010 (Historische Studien 496), hier S. 238 – 250.
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struieren und noch schwerer verifizieren lässt und zielt „auf eine Erweiterung des Konzepts ‚Oratorikforschung‘ um Fragen von ‚Perzeption‘ und ‚Imagination‘ politischer Redekultur des Hoch- und Spätmittelalters“.²⁰⁸ Strack untersucht die Inszenierung mittelalterlicher Päpste als Redner und bezieht bewusst auch ‚fingierte Reden‘ in die Untersuchung ein.²⁰⁹ Mit fingierten Papstreden widmet sich Strack einem Gegenstand, der über den Zuschnitt des Berliner Oratorik-Projektes hinausgeht – waren es dort weltliche Repräsentativversammlungen, sind es hier vorwiegend geistliche Konzilien, die als politische Versammlungen betrachtet werden.²¹⁰ Das Interesse an dargestellter Oratorik überschneidet sich insofern mit den von Feuchter und Strack formulierten Untersuchungszielen, als es auch bei dargestellter Oratorik um politische Redekultur unter den Bedingungen ihrer Medialisierung in Texten, Bildern und ggf. weiteren Medien geht.²¹¹ Es ließe sich dafür argumentieren, dass der Begriff der Repräsentation ausreicht, um die fraglichen Phänomene zu erfassen. Der Gegenstandsbereich lässt sich jedoch noch besser greifen, wenn mehrere Dimensionen von Rede unterschieden werden, die, wie zu zeigen sein wird, in der Forschung zu symbolischer Kommunikation und Oratorik nicht immer auseinandergehalten werden. Anstelle des Repräsentationsbegriffes wähle ich daher den der Darstellung, um die mediale Dimension gesondert zu betrachten und Phänomene symboli-
Strack: Perzeption und Imagination, o. S. ‚Fingierte Rede‘ wird dabei von Strack analog zum Konzept der sermocinatio im System der antiken Rhetorik gebraucht, „die Fingierung von direkten Aussprüchen, Gesprächen, Selbstgesprächen oder gedanklichen Reflexionen, sermones, die der Charakterisierung von Personen dienen soll“ (Erchinger, Philipp C.: Sermo. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 8 [2007], Sp. 879 – 886, hier Sp. 882 f.). Der Begriff dient bei Strack zur Kategorisierung von Reden; die deutlichste Formulierung methodischer Art findet sich in der Einleitung, wo Strack konstatiert, dass „Reden in der Historiographie meist relativ frei und nach dem Prinzip rhetorischer Amplificatio fingiert“ wurden. Sie „zielten also stets auf die Erweiterung und Dramatisierung der Erzählung – auch wenn es um die konziliare Beschlussfassung ging“ (Strack: Solo sermone, S. 7; mit Verweis auf huiusmodi-Reden bei Haye: Oratio, S. 12 f.). Zu Abgrenzbarkeit und politischer Qualität der betreffenden Versammlungen vgl. Helmrath: Das IV. Lateranum, S. 22: Konzile sind geistliche Institutionen, haben aber dabei eine wichtige politische Funktion und sind daher „mit ‚weltlichen‘ Versammlungen, mit Reichstagen, États, Parliaments und Cortes, zumindest in ihren Verfahren vergleichbar“; „Konzile sind Teil der europäischen Versammlungskultur.“ Vergleichbar sind weltliche und geistliche Versammlungen u. a. durch Parallelen in „Frequenz, Teilnehmer[n], Sitz- und Geschäftsordnung, Rede und Beschlussverfahren, Schriftproduktion, Oratorik etc.“ (ebd., S. 22 f.). In diesem Sinne der Erweiterbarkeit des Untersuchungsgegenstandes haben Feuchter und Helmrath auch die Raumgestaltung und -konstruktion von Parlamentsversammlungen ins Spiel gebracht und Ansätze dazu diskutiert; Feuchter / Helmrath: Einführung, S. 20 f.
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scher Repräsentation davon separat beschreibbar zu machen. Die folgenden begriffsgeschichtlichen Ausführungen sollen diese Entscheidung begründen. Dabei wird insbesondere die Begriffsverwendung derjenigen Forschungstraditionen nachgezeichnet, an die die vorliegende Studie anknüpft und die für die Beschäftigung mit politischer Redekultur gewinnbringend zu sein versprechen. ‚Repräsentation‘ hat mehrere Bedeutungsdimensionen; über diesen Aspekt besteht in den einschlägigen Begriffsbestimmungen Konsens. Wiederkehrend wird betont, dass Überschneidungen zu verwandten Begriffen bestehen.²¹² Der Begriff wird regelmäßig in seiner Mehrfachcodierung oder Mehrstelligkeit hervorgehoben, wiederholt wird dabei eine Formulierung W. J. Thomas Mitchells zitiert: „Repräsentation ist stets von etwas oder jemand, durch etwas oder jemand und für jemand“, und sie hat eine vierte Stelle im „Urheber der Darstellungsintention“.²¹³ In der Regel lassen sich mindestens drei Dimensionen benennen:²¹⁴ 1. Vertretung – einer Person oder einer Gruppe durch jemand Anderen, z. B. ein Vertreter in einem Parlament; 2. Symbolisierung einer Person oder Gruppe in ihrem Selbstbild, ihrem Machtanspruch, ihrer Position in einem Gesellschaftsgefüge –
Vgl. exemplarisch etwa Goeller, Daniela: Repräsentation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 7 (2005), Sp. 1177– 1198, hier Sp. 1177: „Die Abstraktheit der R[epräsentation] erschwert die Abgrenzung des Begriffes gegenüber einer Reihe verwandter oder synonymer Begriffe, wie z. B. ‚Darstellung‘, ‚Vorstellung‘, ‚Ausdruck‘ und anderen relationalen Begriffen, wie z. B. ‚Symbol‘, ‚Metapher‘ und ‚Allegorie‘.“ Vgl. auch Wenzel, Horst: Ritual und Repräsentation. In: Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole. Hrsg. von Christoph Wulf / Jörg Zirfas, München 2004, S. 91– 109, hier S. 91; Scheerer, Eckart u. a.: Repräsentation. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie 8 (1992), Sp. 790 – 853 (Vorbemerkung). Mitchell, W. J. Thomas: Repräsentation. In: Was heißt „Darstellen“? Hrsg. von Christiaan L. Hart Nibbrig, Frankfurt a. M. 1994 (Edition Suhrkamp 696), S. 17– 33, hier S. 18. Herv. im Original. Vgl. auch Wagner, Hans-Peter: Repräsentation. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013), S. 649 f., hier S. 649, der Repräsentation und Darstellung synonym verwendet: „R. ist jeweils eine Darstellung von etwas/jemand durch etwas/jemand für etwas/jemand.“ Vgl. auch Goeller im Historischen Wörterbuch der Rhetorik: Repräsentation sei „im juristischen, staatlichen und politischen Kontext immer doppelt bzw. dreifach kodiert: als Prinzip 1. zur Regelung von Verhältnissen innerhalb dieser Bereiche (Vertretung) und 2. zu deren Darstellung nach außen und kann als solches 3. zu einem unabhängigen Symbol (für 1.) werden“ (Goeller: Repräsentation, Sp. 1180). Vgl. neben dem bereits Zitierten Deupmann, Christoph: Repräsentation. In: Metzler Lexikon Literatur (2007), S. 647 f., hier S. 647, der zwei Kategorien von „Stellvertretung“ und „Vergegenwärtigung von etwas Abwesendem“ unterscheidet, die zweite aber erneut in „öffentliche Darstellung“ und „Darstellung außerliterar[ischer] bzw. außertextueller Wirklichkeit“ unterteilt. Wenzel unterscheidet fünf Bedeutungsdimensionen: „Realpräsenz“, „Herrschaftsrepräsentation“, „Stellvertretung“, „würdiges Auftreten“, „Vorstellung“; vgl. Wenzel: Ritual und Repräsentation, S. 91, Anm. 1.
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in vormodernen Kontexten häufig verbunden mit dem Thema der Rangordnung; 3. Darstellung von etwas in Medien, wobei die Eigenschaften dieser Begriffsdimension von widerspiegelnder Abbildung über bewusste Idealisierung oder Formung bis hin zur relativ autonomen kreativen – schöpferischen – Gestaltung reicht. Die Auswahl und Gruppierung der Kategorien variiert. In der Forschung zur symbolischen Kommunikation und zur Kulturgeschichte des Politischen entwickelte sich ‚Repräsentation‘ in der zweiten oben skizzierten Bedeutungsdimension zu einem theoretischen Zentralbegriff. Christoph Dartmann beschreibt diesen Prozess in einer begriffshistorischen Einleitung zu einem Aufsatz über ‚Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt‘, wonach ‚Repräsentation‘ in den 1990er und 2000er Jahren in einer Bedeutung populär wurde, mit der „symbolisch verdichtete Darstellungen von […] Gruppen und den ihnen gemeinsamen Werten und Selbstbildern“²¹⁵ bzw. „Gruppenidentitäten“²¹⁶ gemeint sind. Diese Begriffsbestimmung wird dezidiert als Abweichung vom bisherigen Gebrauch in verfassungsgeschichtlicher und politikwissenschaftlicher Perspektive verstanden, wo Repräsentation als Stellvertretung gefasst werde.²¹⁷ In Abgrenzung von Habermas und mit Barbara Stollberg-Rilinger unterscheidet Dartmann zwei „Grundtypen“: „Repräsentation als Symbolisierung und Repräsentation als Mandat“.²¹⁸ Texte und andere Medien werden dabei in ihrem Status zwischen Untersuchungsquelle und Darstellungsmedium in die Reflexion einbezogen: Dartmann spricht von „Medien“ der Repräsentation, um „[l]iterarische Werke, Bilder, das Stadtbild selbst, die Figur des Stadtheiligen und vieles mehr“²¹⁹ einzubeziehen, „in denen Identitäten gleichermaßen zum Ausdruck gebracht wie neu formuliert wurden.“²²⁰
Dartmann, Christoph: Die Repräsentation der Stadtgemeinde in der Bürgerversammlung der italienischen Kommune. In: Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt. Hrsg. von Jörg Oberste, Regensburg 2008 (Forum Mittelalter. Studien 4), S. 95 – 108, hier S. 96. Ebd., S. 95. Vgl. ebd., S. 96. Ebd., S. 97; mit Verweis auf Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 14. Dartmann: Die Repräsentation der Stadtgemeinde, S. 95. Ebd. Carqué spricht in einer Sammelanmerkung zum Konzept der symbolischen Repräsentation von „visuellen (und monumentalen) Medien der Repräsentation“ (Carqué, Bernd: Non erat homo, nec bestia, sed imago.Vollplastische Bildwerke am Hof Philipps IV. von Frankreich und die Medialität der Gattung. In: Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit. Byzanz, Okzident, Rußland. Hrsg. von Otto Gerhard Oexle / Michail A. Bojcov, Göttingen 2007, S. 187– 242, hier S. 188, Anm. 1).
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Die Forschung zu historischer Oratorik setzt einen doppelten Begriff politischer und symbolischer Repräsentation an: Studying speeches in pre-modern assemblies means drawing on a dual concept of representation. On the one hand, the assemblies as a whole and/or their constituent parts (chambers, curia, brazos etc.) stood for social groups, which represented themselves through individuals (princes and electors at the Reichstag) or were represented by elected deputies (such as the third estate in the Etats Généraux). On the other hand, it is the social representation through the speeches, through the verbal ceremonial speech act and its dramaturgy, that constituted this social order and made it communicable in political space.²²¹
Andere Bedeutungsdimensionen spielen dabei in die Konzepte der Oratorikforschung hinein, sodass das Konzept eines doppelten Begriffes unter der Hand um zusätzliche Aspekte erweitert wird. Im gleichen Beitrag von 2009 etwa wird der Repräsentationsbegriff von den Autoren auch für bildliche Darstellungen gebraucht, wenn „parliamentary representations as a specific form of the configured group portrait“²²² beschrieben werden. Im oben diskutierten Aufsatz zur Reichstagsakten-Edition spricht Johannes Helmrath von Editionen als Repräsentationen von Vorlagen, aber auch als Repräsentationen von Geschichte: „pluralistische Editionen wie die Reichstagsakten [scheinen,] mehr als jede Monographie, die Geschichte selbst[] zu repräsentieren“ – deshalb müsse man, wie bereits zitiert, „versuchen, das Authentische […] der Vorlagen durchscheinen“²²³ zu lassen. Nun lässt sich einwenden, dass auch der Begriff der ‚Darstellung‘ ein mehrfach codierter Begriff ist. Schlenstedt hält in den Ästhetischen Grundbegriffen in diesem Sinne fest: „Das heutige Bedeutungsspektrum von Darstellen/Darstellung ist das Ergebnis eines Prozesses von metaphorischer Verschiebung, aufspaltender Ausweitung und verändernder Gegensatzbildung“.²²⁴ Er betont jedoch auch: „Bezüge auf die Künste spielen dabei eine beträchtliche Rolle“²²⁵ – diese Affinität zur Ästhetik kann sich das Konzept der dargestellten Oratorik zunutze machen. Ein weiterer möglicher Einwand gegen die Unterscheidung von Repräsentation und Darstellung ist der synonyme Gebrauch der beiden Begriffe. Nicht selten kommt es vor, dass Definitionsvorschläge den einen Terminus quasi-tautologisch mit dem anderen zu erklären versuchen, so etwa Oschmann im Metzler Lexikon
Feuchter / Helmrath: Oratory and representation, S. 62. Ebd., S. 65. Helmrath: (Humanisten) Edieren, S. 217. Schlenstedt, Dieter: Darstellung. In: Ästhetische Grundbegriffe 1 (2000), S. 831– 875, hier S. 839. Ebd.
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2 Historische politische Rede
Literatur, der Darstellung als „allg[emeinen] Oberbegriff für zeichenhaftes Repräsentieren“²²⁶ einführt. So kommt es mitunter zu einem gleichmäßigen Abwechseln der Begriffe: Die oben wiedergegebene Formulierung W. J. Thomas Mitchells zum Begriff der Repräsentation wird von Schlenstedt in einem Wörterbucheintrag zu Darstellung wiedergegeben: Die Passage stammt aus einem Essay mit dem Titel Repräsentation, der wiederum in einem Sammelband mit der Leitfrage Was heißt Darstellen? erschien.²²⁷ Dabei plädiert Schlenstedt an anderer Stelle selbst für eine Unterscheidung von Darstellung und Repräsentation und führt Beispiele für misslungene Definitionsversuche an, in denen beide Termini auf zirkuläre Weise zusammengebracht werden.²²⁸ Diese Auswechselbarkeit ist zum Teil darin begründet, dass sowohl Repräsentation als auch Darstellung relationale Begriffe sind, die, wie Goeller es für Repräsentation formuliert, „selbst keinen Gegenstand“ haben, „sondern Bezüge zwischen Ideen, Dingen oder Personen bezeichne[n]“.²²⁹ Das Problem, auf das ich mit diesen Ausführungen hinweisen möchte, lässt sich folgendermaßen zuspitzen: Für die Untersuchung vormoderner politischer Redekultur besteht die Gefahr einer Überstrapazierung des Repräsentationsbegriffes, bei der die angestrebte Differenziertheit bei der Beschreibung oratorischer Phänomene verloren zu gehen droht. Um diese Gefahr zu mildern, nehme ich eine terminologische Setzung vor und unterscheide symbolische Repräsentation von medialer Darstellung. Meine Entscheidung stellt die Anknüpfbarkeit an Ansätze sicher, die sich im Bereich der literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Formen nonverbaler symbolischer Kommunikation bewegen. Exemplarisch sei Horst Wenzels Eintrag zu Repräsentation (2) im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft angeführt. Wenzel verbindet beide Aspekte, behält aber die Unterscheidung von medialer Darstellung und symbolischer Repräsentation bei, indem er von der „Darstellung von […] Repräsentationsverhältnissen“²³⁰ spricht.
Oschmann, Dirk: Darstellung. In: Metzler Lexikon Literatur (2007), S. 140. Vgl. Schlenstedt: Darstellung, S. 836, zitiert wird Mitchell: Repräsentation, S. 18. Vgl. Schlenstedt: Darstellung, S. 846: „Solche Definitionen bleiben vage oder zirkulär, solange das Wort Repräsentation nicht näher bestimmt ist: Es eignet sich nicht zum schlichten Definitionsmittel, weil es selbst mehrdeutig ist.“ Goeller: Repräsentation, Sp. 1177; vgl. auch Schlenstedt: Darstellung, S. 836 (im Abschnitt zum semiotischen Darstellungsbegriff). Wenzel, Horst: Repräsentation (2). In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 3 (2007), S. 268 – 271, hier S. 269. Vgl. auch Wenzel, Horst: Repräsentation und schöner Schein am Hof und in der höfischen Literatur. In: Wenzel, Horst: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005, S. 22– 59, hier S. 56: „In der Literatur, die als Medium der Repräsentation zugleich die Darstellung von Repräsentation leistet,
2.4 Darstellung, Repräsentation und Praxis
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Abschließend sei betont: Die vorgeschlagene Unterscheidung von praktizierter Oratorik, dargestellter Oratorik und symbolischer Repräsentation ist keine Differenzierung von Quellenbegriffen, sondern eine Differenzierung aus heutiger methodischer Perspektive. Sie soll nicht historische Konzepte rekonstruieren, sondern die Beschreibung erleichtern.
manifestiert sich eine Metasphäre, die Repräsentation nicht nur abbildet, sondern auch reflektiert.“
3 Herrschaft durch Überzeugung. Politische Rede im Alexander und Alexander-Anhang Ulrichs von Etzenbach Der Anhang zu Ulrichs von Etzenbach Alexander, der im Einleitungskapitel bereits zur Sprache kam, ist in drei Handschriften überliefert.¹ Die darin geschilderte Episode ist für die Alexandertradition außergewöhnlich, denn Alexander wird zugemutet, mehrfach bei der Eroberung einer Stadt zu scheitern. Der ‚Normalfall‘ entsprechender Begegnungen im Alexanderroman besteht eher in der selbstverständlichen Einnahme neuer Gebiete; eventueller Widerstand wird meistens nach
Eine erste Fassung von Teilen dieses Kapitels ist in einem Aufsatz publiziert worden; vgl. Ratzke, Malena: Herrschaft durch Überzeugung. Politische Rede im Alexander und im Alexander-Anhang Ulrichs von Etzenbach. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 60), S. 121– 139. – Der Alexander-Anhang ist überliefert in drei Handschriften in Heidelberg, Stuttgart und Wolfenbüttel:Vgl. Heidelberg, Universitätsbibliothek, cod. pal. germ. 333. Ulrich von Etzenbach: Alexander, AlexanderAnhang (H) (1. Hälfte 14. Jahrhundert), https://doi.org/10.11588/diglit.144 (13. Dezember 2021). Die Heidelberger Handschrift unterscheidet nicht zwischen Alexander und Anhang, sondern enthält in beiden Teilen die gleiche visuelle Organisation mit Initialengliederung. – Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. poet. et phil. 2° 34. Ulrich von Etzenbach: Alexander (2.Viertel 14. Jahrhundert), http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:bsz:24-digibib-bsz4089227888 (13. Dezember 2021). Das Manuskript verfügt über gliedernde Fleuronnée-Initialen im Alexander, der Anhang ist durch eine rubrizierte Schlangenlinie auf Bl. 169v abgesetzt. – Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. 2.1 Aug. 2°. Ulrich von Etzenbach: Alexander, Alexander-Anhang (W), Aristotelis heimlichkeit (B) (2. Viertel 14. Jahrhundert). Gliederung in elf bzw. zwölf Bücher: Das elfte Buch ist der Anhang (Fleuronnée-Initiale und Rubrum Bl. 173ra: Hie hebit sich daz eilfte buch | Got mvz vnser haben ruch), unmittelbar anschließend eine Übersetzung des pseudo-aristotelischen Secretum secretorum (Bl. 185va: ohne Rubrum, aber mit gleicher Deckfarbeninitiale wie ansonsten zur Gliederung der Bücher verwendet).Vgl. die Einträge im Handschriftencensus: Miller, Matthias u. a.: Ulrich von Etzenbach: Alexander-Anhang. In: Handschriftencensus, http://www.handschriftencensus.de/werke/1524 (13. Dezember 2021); vgl. auch Thierry, Christophe: La fabrique d’une fiction sur Alexandre le Grand. Citations du Secretum secretorum dans l’Annexe de l’Alexander d’Ulrich von Etzenbach (Alexander-Anhang, fin XIIIe – début XIVe siècle). In: Trajectoires européennes du Secret des secrets du Pseudo-Aristote (XIIIe–XVIe siècles). Hrsg.von Catherine Gaullier-Bougassas / Margaret Bridges / Jean-Yves Tilliette, Turnhout 2015 (Alexander redivivus 6), S. 387– 426, hier S. 392, Anm. 15 und öfter, der in seinem Beitrag die Varianzen der Überlieferung berücksichtigt. Thierry bereitet eine Neuedition des Alexander samt Anhang vor; vgl. den Editionsbericht Thierry, Christophe: Ulrich von Etzenbach: Alexander und Alexander-Anhang. Neuedition nach allen Handschriften. In: Handschriftencensus. Editionsbericht. Editionsvorhaben zu mittelalterlichen deutschen Texten (2015), http://www.handschriftencensus. de/editionsbericht/E_Thierry1.html (13. Dezember 2021). https://doi.org/10.1515/9783110754711-004
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kurzer Zeit und durch militärische Stärke niedergeschlagen.² Auch der AlexanderAnhang beginnt mit der Erwähnung von Alexanders Sieg über Darius. Bei seiner Verfolgung machen die Makedonen vor der Stadt Trîtôniâ halt, die Alexander für relativ leichte Beute hält.³ Dieses Mal stößt er jedoch auf Schwierigkeiten: Mit ostentativer Nonchalance verweigert sich Trîtôniâ Alexanders Unterwerfungsbefehlen, trotzt seiner militärischen Stärke und begründet dies mit einem Naturrecht auf Freiheit.⁴ Erst der Einsatz politischer Rhetorik führt Alexander zum Erfolg, denn er entscheidet sich schließlich, seinen Gegnern nicht mit der herablassenden Geste eines Eroberers, sondern als souveräner, in der – verbalen wie nonverbalen – Sprache der Diplomatie versierter Politiker gegenüberzutreten. Die entscheidende Wende führt ein Brief herbei, in dem Alexander sich auf die Position der Trîtônier einlässt, diese aber geschickt für seine eigenen Zwecke adaptiert und die Stadt so argumentativ von der Rechtmäßigkeit seines Anspruches überzeugt. Nicht Unterwerfung, sondern Überzeugung durch persuasive Rede ist das Mittel der Wahl, das Alexanders Herrschaftsübernahme ermöglicht. Die Forschung hat den Alexander-Anhang bislang vor allem unter sozial- und überlieferungsgeschichtlichen Gesichtspunkten behandelt; dies liegt zum einen an der lange Zeit umstrittenen Verfasserschaft Ulrichs von Etzenbach, zum anderen daran, dass die Episode gegenüber dem ‚Haupt‘-Alexander einige Unterschiede in Handlung und Alexanderbild aufweist.⁵
Zur Reihe der Städte-Eroberungen in Ulrichs von Etzenbach ‚Haupt‘-Alexander vgl. zuletzt Solomon, Kristýna: Konfliktlösung und Machtlegitimation im späthöfischen Roman. Am Beispiel der Städte-Episoden im Alexander-Roman Ulrichs von Etzenbach. In: Ottokar II. redivivus. Der Přemyslidenfürst in Literatur und Geschichte. Hrsg. von Sabine Voda Eschgfäller / Milan Horňáček, Dresden 2020, S. 97– 111. Vgl. UvEA, V. 133 f., 141–146. Zum Naturbegriff und zum trîtônischen „Bund[] mit der Natur“ vgl. Finckh: Natur, Zitat S. 392. Vgl. den Überblick bei Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 359 – 362; Finckh: Natur, S. 388. In Behrs Untersuchung zur Funktionalisierung von ‚Literatur als Machtlegitimation‘ am Prager Königshof wird der Alexander-Anhang aufgrund seiner Widmung an einen nichtköniglichen Adligen nur mit einem Seitenblick bedacht (vgl. Behr, Hans-Joachim: Literatur als Machtlegitimation. Studien zur Funktion der deutschsprachigen Dichtung am böhmischen Königshof im 13. Jahrhundert, München 1989 [Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 9], hier S. 225 – 229). Der Gönnerwechsel ermögliche eine Radikalisierung des Diskurses um die Legitimation von Macht, indem deren Grundlagen infrage gestellt werden. Dabei bleibe jedoch das „Volk in seiner Gesamtheit von der Regierung ausgeschlossen“, sodass „letztlich eine Form adeliger Mitregentschaft“ präsentiert werde, die Parallelen zur zeitgenössischen Entwicklung der Landstände in Böhmen habe (ebd., S. 228). Behr entgeht dabei, dass weniger die ständische Kategorie des Adels als die comûne und das italienische Modell für die Konstruktion Trîtôniâs prägend sind.
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Viele stoffgeschichtlich orientierte Arbeiten schließen den Text aus ihrem Untersuchungskorpus mit der Begründung aus, die Episode habe kein Vorbild in der Tradition der Alexanderromane.⁶ Dabei lassen sich durchaus aufschlussreiche Vergleiche mit einzelnen Episoden des ‚Haupt‘-Alexander anstellen, wie HansJoachim Behr und Ruth Finckh demonstriert haben und dieses Kapitel ebenfalls zeigen wird.⁷ Trotz einiger Unterschiede variiert der Alexander-Anhang das Schema der Stadteroberung, das u. a. auch den Episoden um Athen und Theben zugrunde liegt.⁸ Die Freiheitsthematik, die in der Rede der Stadtbürger und im
Vgl. Medert: Der Alexander, S. 150; 243 m. Anm. 65; Ehlert: Alexanderdichtung, S. 144– 146. Angelika Zacher setzt in ihrer Dissertation zu Raumstruktur und Wissensorganisation in Ulrichs Alexander eine Gliederung in zehn Bücher voraus (vgl. Zacher, Angelika: Grenzwissen – Wissensgrenzen. Raumstruktur und Wissensorganisation im Alexanderroman Ulrichs von Etzenbach, Stuttgart 2009 [Literaturen und Künste der Vormoderne], hier S. 16). Der Alexander-Anhang, der in einer der Handschriften explizit als elftes Buch markiert ist (vgl. Anm. 1 dieses Kapitels), wird nirgends erwähnt. Vgl. Behr: Literatur als Machtlegitimation, S. 226, 228; Finckh, Ruth: Ulrichs von Etzenbach Alexander. Ein böhmisches Lehr-Stück. In: Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Hrsg. von Jan Cölln, Göttingen 2000 (Veröffentlichung aus dem Göttinger Sonderforschungsbereich 529 ‚Internationalität Nationaler Literaturen‘ A 1), S. 355 – 406, hier S. 387– 395. Zu diesem Schema vgl. Finckh: Ulrichs von Etzenbach Alexander, S. 389. Obwohl der Konflikt mit Athen, in dem der Rhetor Demosthenes als Wortführer agiert, historisch gesehen ein immenses Potenzial für die Ausgestaltung politischer Redeszenen bietet, wird diese Möglichkeit von Ulrich wie auch den meisten anderen Alexanderroman-Verfassern nicht genutzt, vgl. Schlechtweg-Jahn: Macht und Gewalt, S. 348 m. Anm. 150; vgl. aber zur Rolle diplomatischer Verhandlungen in der Athen-Episode des UvEA Solomon: Konfliktlösung, S. 102– 104. Rudolf von Ems setzt zumindest einen Fokus auf die Gelehrsamkeit der Athener, indem er Alexander die Auslieferung der Gelehrten fordern lässt, um sie in den Kreis seiner Berater zu integrieren und von ihrem Wissen zu profitieren; dabei wird explizit das rhetorische Können der Athener hervorgehoben: sendet zehen meister wîs | die an kunst den hœhsten prîs | habent und an râtes kraft | von retoricâ an meisterschaft, | daz sie mînes râtes phlegn | und mir an wîser lêre wegn (Rudolf von Ems: Alexander,V. 3629 – 3634; „Schickt zehn gelehrte Meister, die höchste Anerkennung bekommen für ihr Können, die Kraft ihres Ratschlags und ihre Meisterschaft durch Rhetorik, damit sie mir Rat geben und mit kluger Kenntnis beistehen“). Alexanders Lehrer Anaximenes kann ihn überlisten, ohne seinen Zorn zu erregen, sodass die Episode mit einer versöhnlichen Szene endet, in der Alexander eine Disputation besucht und sich von den Gelehrten der Stadt beraten lässt, ohne diese dazu zu zwingen, sich ihm anzuschließen (vgl. ebd., V. 3799 – 3834). Schlechtweg-Jahn nennt Johannes Hartlieb als denjenigen, der „die Ratsversammlung der Athener als erster als politisches Alternativmodell ernst nimmt. Dabei macht er aus dieser Versammlung keine feudalhöfische Ratsversammlung von Vasallen, sondern läßt den bürgerlich-gelehrten Rat einer Stadt tagen, der eine offene Diskussion über die Frage führt, wie man sich Alexanders Unterwerfungsforderung gegenüber verhalten soll“ (Schlechtweg-Jahn: Macht und Gewalt, S. 349). Dass bereits der Alexander-Anhang das Modell einer kommunalen Verfassung mit Ratsver-
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Brief Alexanders verhandelt wird, findet Parallelen in der Handlung des Hauptteils von Ulrichs Alexander. Dies lässt sich in Kapitel 3.4 an der Belagerung Thebens und dem Besuch des persischen Gesandten Medêamanz zeigen. Christophe Thierry arbeitet in einem der jüngsten Beiträge zum AlexanderAnhang die Verbindungen zum pseudo-aristotelischen Secretum secretorum heraus.⁹ Dabei handelt es sich um einen Traktat mit Fürstenspiegel-Charakter, der im 10. Jahrhundert im arabischen Raum entstand und im 12./13. Jahrhundert ins Lateinische übertragen sowie in der Folge in die Volkssprache übersetzt wurde. Der Traktat inszeniert eine briefliche Unterweisung Alexanders des Großen durch Aristoteles, der das ideale herrscherliche Verhalten beschreibt, u. a. aber auch diätetisches und astrologisches Wissen vermittelt.¹⁰ In der Wolfenbütteler Handschrift des Alexander, die den Alexander-Anhang überliefert, ist – gewissermaßen als zweiter Anhang – eine mitteldeutsche Übersetzung des Secretum secretorum überliefert.¹¹ Thierry sieht in der Handlung des Alexander-Anhangs eine Parodie auf Friedrich II.,¹² die Anleihen am Secretum secretorum macht, aber dessen Herrschaftsverständnis umkehrt, weil Alexander als nicht besonders klug dargestellt werde:
sammlung durchspielt, wird von Schlechtweg-Jahn nicht beachtet, sein Kapitel zu Ulrich von Etzenbach beschränkt sich auf den ‚Haupt‘-Alexander. Vgl. Thierry: La fabrique d’une fiction, S. 424. Vgl. schon Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 393 – 397, die allerdings nicht auf die Mitüberlieferung des Secretum secretorum in der Wolfenbütteler Alexander-Handschrift eingeht. Zum arabischen Text und seinen Übersetzungen vgl. Forster, Regula: Das Geheimnis der Geheimnisse. Die arabischen und deutschen Fassungen des pseudo-aristotelischen Sirr al-asrār, Secretum secretorum, Wiesbaden 2006 (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt 43). Zur Fassung in der Wolfenbütteler Handschrift vgl. ebd., S. 184– 188. Die Überlieferungstraditionen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit behandeln die Beiträge im Sammelband Trajectoires européennes du Secretum secretorum du Pseudo-Aristote (XIIIe–XVIe siècle). Hrsg. von Catherine Gaullier-Bougassas / Margaret Bridges / JeanYves Tilliette, Turnhout 2015. Darin die Ergebnisse von Forsters Dissertation, zur Fassung in der Wolfenbütteler Handschrift vgl. bes. Forster, Regula: The German Secret of Secrets. Between Dietary Handbook and Mirror for Princes. In: Trajectoires européennes du Secretum secretorum du Pseudo-Aristote (XIIIe–XVIe siècle). Hrsg. von Catherine Gaullier-Bougassas / Margaret Bridges / Jean-Yves Tilliette, Turnhout 2015 (Alexander redivivus 6), S. 359 – 385, hier S. 371 f.; sowie Thierry: La fabrique d’une fiction. Vgl. Anm. 1 dieses Kapitels. „[E]n citant le Secretum, lʼauteur de lʼAnnexe sʼest très probablement fixé pour objectif de persifler Frédéric II, son goût pour les sciences occultes et son intérêt bien connu pour les traités aristotéliciens, tout autant que sa politique autoritaire en Italie et au sein de lʼEmpire en général, une politique dont avaient eu à souffrir les ascendants dʼOtakar II“ (Thierry: La fabrique d’une fiction, S. 409).
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LʼAnnexe recompose avec efficacité, à partir des éléments puisés dans le Secretum, une figure royale autre, et reconstruit un idéal politique en contradiction avec l’image du pouvoir royal que propage le Secretum: Alexandre, selon l’auteur de lʼAnnexe, nʼeut accès qu’aux degrés inférieurs de la sagesse.¹³
Wie das Eingangsbeispiel in Kapitel 1 gezeigt hat und wie auch im Folgenden deutlich werden wird, lässt sich für die Alexanderfigur des Alexander-Anhangs mehr als ein geringer Grad an Klugheit konstatieren, wenn man die Darstellung der Oratorik in dieser Episode genauer betrachtet. Die prominente Rolle politischer Rede ist bereits in der Gestaltung der Stadt Trîtôniâ angelegt, denn diese ist nach dem Vorbild norditalienischer Stadtkommunen gestaltet, die seit dem 12. Jahrhundert eine besondere Kultur politischer Beredsamkeit pflegten. Wie bereits in der Einleitung und in Kapitel 2.2 angesprochen, entwickelten diese Städte ein Regierungssystem mit autonomer Selbstverwaltung, in dem die Eloquenz der Amtsträger der Legitimität der politischen Ordnung diente und zum Selbstverständnis der städtischen Elite zählte. Jan-Dirk Müller hat darauf hingewiesen, dass die Verfassung der Stadt Trîtôniâ bis ins Detail derjenigen der Kommunen nachempfunden ist.¹⁴ Den entsprechenden Hintergrund hat Finckh in einem Aufsatz von 2002 aufgearbeitet; in diesem prüft sie u. a. die Rezeption einschlägiger Begriffe wie comûn und potestât in der mittelhochdeutschen Literatur sowie Parallelen im Wilhalm von Wenden. ¹⁵ Finckh weist ebenso wie Müller auf eine Stelle im Prolog des Wilhalm von Wenden hin, wonach meister Heinrîch der Walch die Textvorlage beschafft habe; in diesem wird der Protonotar Henricus Italicus oder Heinrich von Isernia gesehen, der als Vermittlungsinstanz zur italienischen Kultur fungiert haben könnte.¹⁶ In der Forschung ist umstritten, inwiefern die Namen Heinrîch der Walch, Henricus Italicus und Heinrich von Isernia auf dieselbe Person verweisen.¹⁷ Doch auch
Ebd., S. 424 f. Vgl. Müller: Landesherrin per compromissum, S. 502, Anm. 25; 507, Anm. 41; 511, Anm. 51. Vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 373 – 382. Ulrich von Etzenbach: Wilhalm von Wenden. Text, Übersetzung, Kommentar. Hrsg. von Mathias Herweg, Berlin 2017 (De Gruyter Texte), hier V. 85.Vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 381; Müller: Landesherrin per compromissum, S. 511– 514. Vgl. Nechutová, Jana: Die lateinische Literatur des Mittelalters in Böhmen. Übers. von Hildegard Boková / Václav Bok, Köln u. a. 2007, hier S. 129 – 134; Worstbrock, Franz Josef: Heinrich von Isernia. In: Verfasserlexikon via Verfasser-Datenbank 11 (2012), Sp. 625 – 631, hier Sp. 625, https://www.degruyter.com/document/database/VDBO/entry/vdbo.vlma.5248/html (13. Dezember 2021); Schaller, Brigitte: Der Traktat des Heinrich von Isernia De coloribus rethoricis. In: DAEM 49 (1993), S. 113 – 153, hier S. 114; im Zusammenhang mit Ulrich von Etzenbach vgl. Müller: Landesherrin per compromissum, S. 512 m. Anm. 53.
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wenn es sich bei diesen um mehrere Personen handeln sollte, belegt die Anwesenheit italienischer oder in Italien geschulter Gelehrter am Prager Hof ein Interesse der böhmischen Elite an der politischen – und rhetorischen – Kultur des südalpinen Raums. Ihre Tätigkeit könnte dabei nicht nur für die Bekanntheit italienischer Verfassungsstrukturen gesorgt haben: Mit dem Namen Heinrich von Isernia, den Worstbrock als „Leitfigur einer ersten rhetorisch-literarischen Kultur in Böhmen“¹⁸ beschreibt, sind ein an der Rhetorica ad Herennium orientierter Traktat über rhetorische Figuren, eine Briefsammlung und eine Briefrhetorik im Stil der norditalienischen Artes dictaminis verbunden.¹⁹ Zwar müssen diese lateinischen Schriften für den Verwaltungsgebrauch nicht als direkte Vorlagen für Ulrichs deutschsprachigen Alexander fungiert haben; ihre Entstehung am Prager Hof zeugt jedoch von einem Bedarf und einem Interesse an der italienischen Kultur. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass diese Orientierung auch für die Gestaltung der Redeszenen im Alexander-Anhang maßgeblich ist und dass diese ein Ideal politischer Beredsamkeit propagieren, das dem italienischen Modell sehr nahekommt. Wie Florian Hartmann betont, erregte die italienische Redekultur auch nördlich der Alpen Aufmerksamkeit, wenngleich Kommentare bei Otto von Freising oder Friedrich II. zunächst weniger Bewunderung als Irritation ausdrücken.²⁰ Mit Ulrichs Alexander-Anhang liegt ein Rezeptionsbeleg vor, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem rhetorischen Ideal und ein anhaltendes Interesse bis in die Zeit um 1300 dokumentiert. Rede im Kontext italienischer Podestà-Kultur dient dabei nicht primär der ergebnisoffenen, kontroversen Diskussion mit offenem Ausgang, sondern kann häufig als rituelle Persuasion beschrieben werden.²¹ Sie ist gemeinsam mit nonverbalen Kommunikationsformen an der Symbolisierung der politischen Ordnung beteiligt. Insbesondere die deutliche Artikulation des Konsenses aller Beteiligten, die in der praktizierten und historiografisch dargestellten Oratorik wie
Worstbrock: Heinrich von Isernia, Sp. 626. Henricus de Isernia steht in der Tradition antik-römischer und italienischer Rhetorik, vgl. Tríška, Josef: Prague rhetoric and the Epistolare dictamen of Henricus de Isernia. In: Rhetorica 3 (1985), S. 183 – 200, hier S. 186; Worstbrock: Heinrich von Isernia, Sp. 628. Im 14. Jahrhundert werden die Verbindungen nach Italien weiter institutionalisiert: „Later rhetoricians created their compositions and instruments in the Bohemian-Italian tradition introduced by Henricus: Nicolaus Sortes, dictator of the foundation charter of the University of Prague; Iohannes Noviforensis, renowned for his relationship with Italian writers; Broda’s Quadripartitus with words borrowed from Italian; and Prague University Statutes, using some articles of the Bologna University Statutes“ (Tríška: Prague rhetoric, S. 188). Vgl. Hartmann: Funktionen, S. 9, 11 f. Zur rituellen Persuasion und zum theoretischen Hintergrund des Folgenden vgl. auch Kapitel 2.2.
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auch in Lehrschriften beobachtbar ist und die auch im Rahmen des AlexanderAnhangs betont wird, demonstriert die Gültigkeit eines gemeinsamen Wertehorizonts und die Einigkeit der Akteure. Die Begegnungen zwischen Alexander und den Stadtbürgern lassen sich in diese Perspektive einordnen, sie verdeutlichen aber auch, wie prekär die politische Ordnung ist: Die Kommunikationsverweigerung der Trîtônier zeigt sich als ebenso sorgfältig inszeniert wie die Anhörung des Boten oder die schließliche Annahme Alexanders als Herrscher; die Wahrung zeremonieller Formen und die Befolgung diplomatischer Konventionen signalisiert dabei in zunehmendem Maße die Anerkennung, die Alexander seinem Gegenüber entgegenbringt. Der Alexander-Anhang lässt sich als Abfolge von Kommunikationsversuchen lesen, die Alexander unternimmt, um die Trîtônier von der Rechtmäßigkeit seines Herrschaftsanspruches zu überzeugen.²² Sein Erfolg hängt in wesentlichem Maße davon ab, inwieweit die Gepflogenheiten diplomatischer Kommunikation eingehalten werden: Je mehr Anerkennung den Stadtbewohnern und ihrem Anspruch auf Souveränität entgegengebracht wird, desto mehr Gehör findet Alexanders Anliegen, bis er schließlich als legitimer Herrscher begrüßt wird. Gegenüber anderen Formen der Machtdemonstration (wie dem militärischen Angriff oder der
Die Forschung hat verschiedene Vorschläge zur formalen Gliederung des Anhangs gemacht: Stock geht in Anlehnung an Kohlmayer von einer formalen Fünfgliederung aus; vgl. Stock, Markus: Paradoxer Gewinn. Raumpoetik und utopische Anschaulichkeit in Ulrichs von Etzenbach Alexander-Anhang. In: Utopie im Mittelalter. Begriff – Formen – Funktionen. Hrsg. von Heiko Hartmann / Werner Röcke, Berlin 2013 (Das Mittelalter 18,2), S. 113 – 128, hier S. 121; mit Verweis auf Kohlmayer, Rainer: Formkunst und Politik in den Werken Ulrichs von Etzenbach. Zahlenkomposition und politische Thematik in der Alexandreis, im Herzog Ernst D, im Wilhelm von Wenden und im Anhang der Alexandreis. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980), S. 355 – 384, hier S. 379, der allerdings nach der numerischen „Formkunst“ im Anhang sucht und auf Basis der Initialen der Handschriften eine Gliederung in „Prolog und 28 Abschnitte“ vorschlägt, die er wiederum zu drei Teilen gruppiert. Finckh sieht in der Konzeption des Anhangs ein Disputationsmodell nach scholastischem Vorbild: „These und Gegenthese werden in diesem Fall von Alexander bzw. den Stadtbewohnern vorgetragen; die Determinatio ist ersetzt durch den Brief des gelehrten Aristoteles“ (Finckh: Natur, S. 391). Dabei muss sie einräumen, dass dieses Modell dem Fortgang der Handlung und der zentralen Rolle des Alexanderbriefes nicht gerecht werden kann. Dies mache deutlich, „daß es Ulrich um mehr geht als um das theoretische Abhandeln eines akademischen Streitpunktes“, nämlich um die „Grundlagen des Herrschens“ (ebd.). Wie die folgenden Ausführungen zeigen, spielt hier die politisch-rhetorische Komponente eine entscheidende Rolle. Eine Strukturierung nach bilateralen Kommunikationsversuchen kann dabei auch das Ergebnis der Auseinandersetzung, die Herrscherübergabe und Alexanders Adventus, in die Untersuchung integrieren.
3.1 Eloquenzmarker
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nonverbalen Herrscherrepräsentation in Form der Falkenjagd²³) wird dabei der politischen Rhetorik der Vorzug gegeben. Dies wird nicht nur darin augenfällig, dass der oben erwähnte Brief über Alexanders Durchsetzung als Herrscher von Trîtôniâ entscheidet,²⁴ sondern auch darin, dass der Text rednerische Fähigkeiten im Verlauf der Episode wiederkehrend thematisiert und kommentiert. Der Text setzt somit Markierungen, die den Einsatz politischer Rhetorik hervorheben und die ich als ‚Eloquenzmarker‘ bezeichnen möchte. Zunächst soll deshalb diese Gruppe von Eloquenzmarkern betrachtet werden, mit denen die rhetorische Qualifikation der Figuren sowohl intradiegetisch als auch von der Erzählerfigur gewürdigt und diese als kompetente Redner inszeniert werden. Anschließend rücken die Reden und Briefe des Alexander-Anhangs in ihrer politisch-rhetorischen Funktion in den Fokus. Dabei lässt sich zeigen, dass die meisten Szenen öffentlicher Rede innerhalb der Koordinaten ritueller Kommunikation verbleiben und dem Formeninventar entsprechen, das für diplomatische Begegnungen bereitsteht. Die beiden längeren Redeakte hingegen, die Freiheitsrede der Trîtônier und Alexanders Antwort darauf, überschreiten diesen Rahmen und bieten anspruchsvolle Beispiele persuasiver Rede, die nach allen Regeln der klassisch-rhetorischen Kunst gestaltet sind. Alexanders schœne rede (UvEAA, V. 1413), die Formvollendung seiner Argumentation, gibt schließlich den Ausschlag für die Entscheidung der Trîtônier: Alexander wird Herrscher – nicht durch gewaltsame Durchsetzung seines Machtanspruchs, sondern durch Demonstration seiner geistigen und sprachlichen Größe, durch Überzeugung der Trîtônier.
3.1 Eloquenzmarker Dass der Alexander-Anhang ein besonderes Interesse für Beredsamkeit im politischen Kontext zeigt, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass rhetorische Fähigkeiten an verschiedenen, häufig handlungsentscheidenden Stellen, auf der Ebene der Erzähler- und Figurenrede thematisch werden. Eloquenz tritt immer wieder als eines der Kriterien auf, die zur Bewertung von Figuren herangezogen werden. Dazu gehören neben den verschiedenen Boten und Gesandten auch die Bürger der
Zur Rolle der Falkenjagd vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 368 f.; vgl. auch Stock, Markus: Vielfache Erinnerung. Universaler Stoff und partikulare Bindung in Ulrichs von Etzenbach Alexander. In: Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Hrsg. von Jan Cölln, Göttingen 2000, S. 407– 448, hier S. 414, der auf Parallelen zu Eneas’ Falkenjagd vor Laurentes und zur Minneentstehung bei Lavinia hinweist. Vgl. Finckh: Natur, S. 407.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
Stadt und Alexander selbst: Im diplomatischen Geschehen um Trîtôniâ hängt die Legitimität und Glaubwürdigkeit der Akteure unmittelbar von ihren rhetorischen Fähigkeiten ab.
Eloquente Gesandte Alexanders Vorhaben, den Trîtôniern seine Herrschaftsabsichten mitzuteilen, schlägt zunächst fehl. Er lässt seinen Boten in die Stadt reiten, der die Bürger auffordert, in Alexanders Heerlager zu erscheinen; dieser erhält jedoch weder eine affirmative noch eine ablehnende Reaktion, sondern wird ignoriert und muss unverrichteter Dinge zurückkehren.²⁵ Alexander ist irritiert, lässt sich nach Rücksprache mit seinen Vasallen jedoch auf einen zweiten Versuch ein. Der nun ausgewählte Vertreter der Griechen ist ein Gesandter aus dem Kreis der griechischen Ratgeber. An diesem vürsten hebt der Text ausdrücklich dessen Klugheit und Redefähigkeit hervor, denn er ist wîse und fähig zu hübscher rede: als im die vürsten rieten, nuo sant er ûz in der einen dar wîsen und hübscher rede gar. (UvEAA, V. 184– 186) So wie ihm die Fürsten rieten, sandte er einen von ihnen dorthin, der klug und zu höfischer Rede fähig war.
Bei der Umsetzung seines Auftrags ist dieser fürstliche Bote erfolgreicher als sein Vorgänger: Die Vertreter Trîtôniâs empfangen ihn und erteilen ihm die Erlaubnis, sein Anliegen vorzubringen, was der Bote in angemessener Weise – gezogenlich (UvEAA, V. 237) – auszuführen weiß. Die anschließende Antwort der Trîtônier besteht zunächst in der Bitte um Aufschub; immerhin jedoch ist das diplomatische Gespräch nun in Gang gekommen und der Bote kann mit neuen Informationen zu Alexander zurückkehren. Sein kluges, höfisches Auftreten und seine Redekompetenz scheinen ihm den Weg geebnet zu haben. Im Vergleich der beiden Botenfiguren wird ein Unterschied hinsichtlich ihrer diplomatischen Kompetenz erkennbar: Während der erste Botengang von einer einfachen, nicht weiter charakterisierten Figur ausgeführt wird, betreiben die Griechen im zweiten Fall größeren Aufwand und beauftragen einen adligen Ver-
den er sande dar, | an alle antwurte gar | von der stat er wider reit (UvEAA,V. 171– 173; „Der, den er dorthin sandte, ritt ohne jede Antwort aus der Stadt zurück“).
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treter aus dem Kreis der Ratgeber Alexanders.²⁶ Die Auswahl eines Gesandten von hohem Stand lässt sich als Teil einer kommunikativen Strategie lesen, denn indem die Trîtônier mit einem entsprechend angesehenen Unterhändler geehrt werden, wird ihnen signalisiert, dass sie als würdiger Gesprächspartner anerkannt sind.²⁷ Die Stelle legt nahe – und der weitere Verlauf der Handlung bestätigt dies –, dass wîsheit und hübsche rede zentrale Anforderungen an einen Diplomaten darstellen.²⁸ Der Gesandte verfügt damit über Kompetenzen, die auf der Bühne politischer Öffentlichkeit und in Verhandlungen sein souveränes Auftreten und die würdige Vertretung seines Herrn sichern; sie weisen ihn als geeigneten Gesandten für eine Unterredung mit den Bürgern von Trîtôniâ aus. Beredsamkeit wird als Diplomatentugend markiert. Die zweite Szene, in der sich Figuren durch Redekompetenz hervortun und dadurch eine positive Bewertung erfahren, ist das Verhör zweier trîtônischer Boten, die auf dem Weg zum Perserkönig Darius von Alexanders Vasallen Zênôs abgefangen werden. Die Boten müssen die mitgeführten Briefe an Darius aushändigen und Alexander Rede und Antwort über Trîtôniâ stehen. Während einer der Boten schweigt, berichtet der andere ausführlich von der (dem italienischen Podestà-System nachgebildeten) Verfassung und von den Wissenschaften, die in der Stadt betrieben werden. Diese sichern den Bewohnern nicht nur umfangreiches Wissen und Gelehrsamkeit, sondern auch wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit.²⁹ Vor Angriffen geschützt sind sie vor allem durch ihre Kenntnis der Zauberei (nigromancîe), die auch als Grund dafür angeführt wird, dass Alexanders militärische Anstrengungen scheiterten: Zu diesem Steigerungsmotiv vgl. auch Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 362, 370; Stock: Paradoxer Gewinn, S. 122. Die gehobene Stellung des Gesandten drückt sich u. a. auch darin aus, dass dieser stets als vürste und nicht als bote bezeichnet wird, vgl. etwa UvEAA, V. 209, 226, 235 und öfter. Der erste Gesandte bleibt in der ohnehin sehr knappen Textpassage uncharakterisiert; über ihn wird, wie erwähnt, lediglich als jemand gesprochen, den er sande dar (UvEAA, V. 171). Formeln und Begriffspaare wie diese finden sich häufig zur Beschreibung von Boten und Gesandten, so werden etwa Ulixes und Diomedes im Trojanerkrieg als wîs unde redebaere, als klug und beredt bezeichnet (Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg, V. 27469). Vgl. Kapitel 1 dieser Studien. Einen Stellenüberblick bietet Stengl, Britta Karin: Die literarische Botendarstellung in der mittelhochdeutschen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, Tübingen 1995, hier S. 157– 159. „Die Formel wis unde redebaere zeichnet die wahre Rhetorik als Kunst des angemessenen Redens aus. Konrads Boten sind in der Lage, je nach Situation zu reden oder zu schweigen, was für die vielen Verhandlungen eine große Rolle spielt“ (ebd., S. 51, Anm. 76). „Es handelt sich bei Trîtôniâ um eine Art stadtgewordener Universität mit ‚naturkundlichem‘ Schwerpunkt. Außer der zentralen Fächertrias Alchemie, Astronomie und Zauberei werden Rhetorik, Logik, Musik, Metaphysik, Philosophie, Jura und Sprachen betrieben, und auch die Auslegung des Alten Testaments kommt nicht zu kurz“ (Finckh: Natur, S. 390).
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ein kunst sie dâ vür haben, al ir velt und ir graben âne strît sie dâ mit wern, wie verre sie wellen, allen hern (UvEAA, V. 869 – 872)³⁰ Dagegen haben sie eine Kunst; all ihr Land und ihren Stadtgraben verteidigen sie so ohne Kampf gegen alle Kriegsheere, so lange sie wollen.
Die Passage umfasst insgesamt fast 150 Verse.³¹ Auf der Ebene der Erzählung bietet dieser Umfang zum einen den Vorteil, die Struktur der Stadtgesellschaft mit großer Detailfülle und aus Figurenperspektive schildern zu können, ohne einen die Handlung unterbrechenden Exkurs einfügen zu müssen. Aus einem an Oratorik interessierten Blickwinkel ermöglicht die Szene zum anderen zugleich, dem trîtônischen Gesandten ausführliches Rederecht zu geben, was ausdrücklich mit der Tatsache begründet wird, dass er als besonders guter Redner wahrgenommen wird. Alexander bekundet nämlich seine Geneigtheit und fordert den Boten auf, in der Darstellung fortzufahren:³² Der künec in gerne hôrte, im gezam wol sîner worte. er bat in reden vürbaz. (UvEAA, V. 941– 943) Der König hörte ihn gern, ihm gefielen seine Worte. Er bat ihn, weiter zu reden.
In der daran anschließenden Inquitformel wird der Bote explizit als der redehafte wîse (UvEAA, V. 948) und somit als eloquenter Redner gekennzeichnet. Auch wenn der trîtônische Bote vor Alexander als Gefangener und nicht als Unterhändler spricht, wird doch deutlich, dass Eloquenz auch hier zu den Eigenschaften gehört, die einen Boten auszeichnen und zu seiner Aufgabe befähigen.
Zur narrativen Funktion des nigromancîe-Motivs vgl. Kapitel 3.2.2. Den Details der nigromantischen Kenntnisse sowie den Parallelen zum Secretum secretorum ist Ruth Finckh nachgegangen; vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 393 – 397. Vgl. auch Thierry: La fabrique d’une fiction, S. 394; 402– 406. Thierry geht dabei auch darauf ein, dass die Wolfenbütteler Handschrift des Alexander neben dem Anhang auch eine deutschsprachige Fassung des Secretum secretorum enthält, was Finckh nicht tut.Vgl. Thierry: Ulrich von Etzenbach: Alexander, S. 391– 393.Vgl. zur Handschrift auch Anm. 1 dieses Kapitels. Vgl. UvEAA, V. 855 – 996, unterbrochen von kurzen Einwürfen Alexanders. Markus Stock interpretiert die Stelle dahingehend, „dass Alexander die Ordnung [der Stadtgesellschaft] gut gefalle“ (Stock: Paradoxer Gewinn, S. 126). Die Betonung der worte und die Bezeichnung des Boten als redehafter wîser scheint mir jedoch gerade auf die rhetorische Gestaltung des Berichts abzuzielen.
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Alexanders Brief in der Bewertung der Trîtônier und des Erzählers Dass nicht nur Boten und Gesandte auf Redefähigkeiten angewiesen sind und für diese anerkannt werden, zeigt sich in der Phase der Verhandlung mit den Trîtôniern, die schließlich dazu führt, dass Alexander als Herrscher akzeptiert wird. Nachdem Aristoteles brieflich zur Besonnenheit aufgerufen hat, vollzieht Alexander in seiner Haltung gegenüber der Stadt einen vollständigen Wandel: al sîner [Aristoteles’] rede nach sîn gemüete er nider brach und wart grôzlich ervult sîn herze sü ezer gedult in allen wîs zuo der stat (UvEAA, V. 1389 – 1393) Nach dieser Nachricht löste er sich von seinem Ansinnen und sein Herz wurde völlig und auf gänzliche Weise von süßer Geduld gegenüber der Stadt erfüllt.
Vor allen anderen Eigenschaften hatte Aristoteles zu semftmüetikeit und geduldikeit als angemessenen Charakterzügen geraten, durch die sich die Herrschertugend der bescheidenheit ausdrücke.³³ Alexander setzt diesen Ratschlag um, indem er zum einen Nachsicht gegenüber den Gefangenen übt und zum anderen einen weiteren Versuch der Kontaktaufnahme mit der Stadtregierung unternimmt. Alexander verfasst einen Brief, der ihn als gottgesandten Herrscher darstellt und auf der Rechtmäßigkeit seines Anspruchs insistiert. Der ausführlichen Wiedergabe des Briefinhalts wird eine Passage vorgeschaltet, die seine kommunikative Einbettung schildert und die eine Atmosphäre glanzvoller Herrscherkommunikation schafft. Als Überbringer der Botschaft wird derselbe fürstliche Bote ausgewählt, der sich zuvor als angemessener und eloquenter Gesandter ausgewiesen hatte; dessen vollkommenes Auftreten³⁴ sorgt bei den Trîtôniern für eine geneigte Aufnahme der Nachricht. Dem Brief selbst und seinem Verfasser wird ein hohes stilistisches Niveau bescheinigt, denn es heißt über die Schreibsituation Alexanders:
Vgl. V. 1295 f. Zur bescheidenheit vgl. insbesondere UvEAA, V. 243, 994, 1658, 1678, 1693, 1753 sowie V. 1208, 1216, 1321, 1324 in der brieflichen Unterweisung, die Alexander von Aristoteles erhält und V. 1496, 1505, 1588 in Alexanders Staatsallegorie. Dazu kommen weitere Stellen, die einem politischen Kontext zuzuordnen sind, die aber nicht ausdrücklich mit Beredsamkeit assoziiert sind. Zum Brief des Aristoteles vgl. auch Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 388 – 398; Finckh: Natur, S. 394 f., 400 – 402. Vgl. auch Kapitel 1. Er besitzt hêrliche[] zuht und weiß sich hübischlich zu präsentieren, vgl. UvEAA, V. 1416; 1419.
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der edele Alexander schœne rede vander, als er ein sinnic herze hat; die schreip der hêrre der stat. (UvEAA, V. 1412– 1414) Der edle Alexander fand angemessene Worte, weil er ein kluges Herz besitzt; diese [Worte] schrieb der Herr an die Stadt.
Im Vergleich zu den bisherigen Begegnungen Alexanders mit Trîtôniâ nutzt der Erzähler diesen Brief, um den Makedonen als fähigen und würdevollen Herrscher zu inszenieren. Indem die schœne rede Alexanders als seinem sinnic herze entspringend beschrieben wird, verknüpft der Text rhetorisches Niveau mit der Besonnenheit und der taktischen Klugheit des Herrschers.³⁵ Der umfangreiche Brief argumentiert ausführlich zugunsten Alexanders Naturrecht auf Herrschaft. Seine Qualität wird betont, als er von Alexanders fürstlichem Gesandten vorgetragen wird.³⁶ Die Trîtônier ihrerseits halten das Niveau bei der anschließenden Präsentation der Botschaft vor der comûne: Dô der rât von der stat des wîsen rede vernomen hat, vürbaz wîser worte sie an die comûne brâhten die; und sie der heten ûz geleit der rede bescheidenheit, dar nâch sprâchen sie zuo in, waz sie wolden, daz solde sîn. (UvEAA, V. 1653 – 1600) Als der Stadtrat die Rede des Weisen gehört hatte, gaben sie [die Ratsherren, M. R.] diese mit umso weiseren Worten an die Kommune weiter. Und als sie die Klugheit der Rede erläutert hatten, sprachen sie zu ihnen, was sie wollten, das sollte geschehen.
Die Trîtônier nehmen die schœne rede Alexanders als eloquent wahr und können die Botschaft des Gesandten mit ebenso hohem Anspruch weitergeben. Zudem erfordert die persuasive Rede des Makedonen augenscheinlich einen anderen
Auch im Brief an Aristoteles, dem anderen Brief, den Alexander im Rahmen des Anhangs schreibt, finden sich Anspielungen darauf, dass Alexander den korrekten Formen der Korrespondenz zu entsprechen weiß. Der Erzähler kommentiert den Briefaufbau: sîme meister er brieve sande, | dô er in woste ze lande. | er schreip im lieplîchen gruoz, | daz an der stat wol wesen muoz (UvEAA,V. 1027– 1030; „Seinem Lehrer schickte er Briefe dorthin, wo er wusste, dass er sich aufhielt. Er schrieb ihm einen freundlichen Gruß, das muss an der Stelle so sein“). Zum Briefinhalt vgl. Kapitel 3.2.3.
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hermeneutischen Zugriff als die bislang vorgebrachte rituelle Kommunikation, denn der Brief wird von den Ratsherren ûz geleit, also mit einer Deutung versehen, bevor in den Regierungsgremien der Prozess der Entscheidungsfindung beginnt. Im Verlauf der Beratung zwischen dem rât und der comûne ³⁷ kommt es zu dem Beschluss, Alexander als Herrscher anzuerkennen.³⁸ Nun steht die Stadt vor der Aufgabe, das Beratungsergebnis nach außen zu kommunizieren. Genaugenommen handelt es sich dabei um eine Unterwerfungsbotschaft; den Trîtôniern kommt es jedoch offensichtlich darauf an, in dieser Situation vor dem neuen Herrscher das Gesicht zu wahren. Der Punkt, an dem man ansetzt, ist die politisch-rhetorische Qualität der Nachricht. Als einer der Ratsherren die comûne zum weiteren Vorgehen befragt, verweist er darauf, dass die Botschaft an die Rhetorik Alexanders heranreichen müsse, wie bereits in Kapitel 1 dargestellt wurde: râtet wie wir diz an in | bringen, daz die rede sîn | muge sînen worten eben (UvEAA, V. 1689 – 1691; „wie wir ihm dies übermitteln, sodass die Ansprache seinen Worten ebenbürtig sein kann“). Indem der Ratsherr Alexander als bescheiden und wirdec, als klug und würdig charakterisiert, schreibt er ihm klassische Herrscherattribute zu; die Würde Alexanders kommt jedoch ebenso sehr in der Würde und im rhetorischen Niveau des Briefes zum Ausdruck. Die Anfrage des Ratsherrn macht deutlich, dass die Gestaltung des Briefes als Form symbolischer Kommunikation wahrgenommen wird: Wenn es den Trîtôniern gelingt, dem Niveau Alexanders in ihrer Antwort zu entsprechen oder es sogar zu übertreffen, kommunizieren sie mit der Unterwerfungsbotschaft zugleich ihr ungebrochenes Selbstbewusstsein. Die Rhetorik des Briefes ermöglicht es ihnen, ihre Würde zu bewahren – auf nachhaltige Weise, denn beim anschließenden Ritual der Herrschaftsübergabe heben beide Seiten wiederholt die Freiwilligkeit der Entscheidung hervor. Dabei wird betont, dass die Abgesandten der Stadt grôze bescheidenheit, | zuht unde wîsheit besitzen und sie
In der comûne entscheidet explizit das volc, vgl. etwa UvEAA, V. 1661 f. zur Kommunikation zwischen den Gremien: dô sprach daz volc eingemuot | ‚waz das beste sî daz tuot[‘]. Vgl. auch UvEAA, V. 1666, 1684 u. ö. Wortführer in dieser Szene ist ein Ratsherr, der als Astronom mit einer Sternenkonstellation argumentiert, die einen Kaiser ankündigt und mit der Alexanders Ankunft vor den Toren Trîtôniâs übereinstimmen könnte. Das herrscherliche Auftreten Alexanders und die Klugheit seiner Botschaft bestätigen nach Meinung des Astronomen gerade aufgrund bestimmter Eigenschaften Alexanders mögliche Identität mit dem prophezeiten Kaiser; vgl. UvEAA, V. 1678 – 1681. Kurz darauf ist von der bescheidenheit | und keiserliche[n] wirdekeit Alexanders die Rede (UvEAA, V. 1693 f.). Zur bescheidenheit im Sinne politischer Klugheit als Herrschertugend vgl. Kapitel 1 dieser Studien. Zur ‚maßvollen Haltung‘ Alexanders vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 410 f.; Finckh: Natur, S. 407.
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ihre Nachricht schœner worte redehaft vortragen;³⁹ politische Klugheit und politische Beredsamkeit gehen Hand in Hand.
3.2 Zur Rhetorizität und Ritualität der Redeszenen Auf Ebene der Erzählerkommentare und der Figurenrede wird Redekompetenz also durchaus beachtet und positiv bewertet. Um zu ermitteln, welches die Eigenschaften sind, die dazu führen, dass eine Rede als eloquent gilt, sollen nun die Reden selbst in den Blick genommen und darauf befragt werden, inwiefern sich die intratextuell betonte Qualität auch in ihrer rhetorischen Gestaltung niederschlägt. Im Zentrum der Untersuchung stehen die direkten Begegnungen der Trîtônier mit Alexander bzw. seinem Gesandten, da es sich hierbei um Szenen offizieller, bilateraler Diplomatie handelt. An diesen lässt sich die Funktion politischer Rede ebenso betrachten wie ihr Zusammenwirken mit anderen Formen symbolischer Kommunikation.
3.2.1 Rede im Ritual. Alexanders Unterwerfungsgebot Die erste Sequenz von Begegnungen zwischen den beiden Parteien steht im Zeichen von Alexanders selbstgewisser Aufforderung, die Stadt in seine Hand zu überantworten.Während der erste in dieser Richtung unternommene Versuch, wie bereits skizziert, an der Kommunikationsverweigerung der Trîtônier scheitert, kann der zweite Gesandte wenigstens insofern einen Fortschritt bewirken, als er angehört und mit einer Antwort bedacht wird. Der Text macht deutlich, dass er dies vornehmlich dadurch erreicht, dass er die Spielregeln diplomatischer Kommunikation einhält und so den Repräsentationsanspruch Alexanders mit dem Anspruch der Trîtônier verbindet, als vollwertige Verhandlungspartner adressiert zu werden. Im Unterschied zum ersten Boten erhält der vürst den Auftrag, sich an die geeigneten Instanzen der Stadtverwaltung zu wenden:⁴⁰
UvEAA, V. 1753 – 1755. Zur Freiheitsrhetorik und zur symbolischen Kommunikation in dieser Szene vgl. Kapitel 3.3. Bevor die eigentliche, offizielle Begegnung stattfindet, gibt es dabei eine Art Vorverhandlung, in der die Modalitäten des Zusammentreffens geklärt werden: der die rede brâhte an die | burger, dem sagten sie | gerne sie in sehen solden | und vür die stat sie wolden | in hœren (UvEAA, V. 197– 200; „Dem, der den Bürgern die Nachricht überbrachte, dem sagten sie, dass sie ihn gern empfangen und für die Stadt anhören wollten“). Von einer solchen Vorverhandlung ist bezüglich des
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alsô sîn rede was dar nâch, er solt besprechen den rât von der stat und den potestât (UvEAA, V. 190 – 192) So sagte er [Alexander, M. R.] danach, er solle den Rat der Stadt und den Podestà ansprechen.
Die Ansprache wird zudem von Handlungen begleitet, die traditionell zum Begrüßungszeremoniell gehören und eine friedliche, aufgeschlossene Haltung kommunizieren, gleichzeitig aber effektive Mittel darstellen, Macht und Ansehen der Parteien zu demonstrieren:⁴¹ Der Bote sitzt vom Pferd ab und nähert sich den Stadtherren zu Fuß; bereits bevor das erste Wort gesprochen ist, bereitet der Gesandte so den Boden für eine geneigte Aufnahme seiner Nachricht. Die vier Ratsherren und der Podestà gehen ihrem Gast ebenfalls entgegen,⁴² begrüßen ihn und erteilen ihm die Redeerlaubnis.⁴³ Wie der Erzähler betont, zeigen beide Seiten vorbildliches Verhalten. Insbesondere das Verhalten des Boten wird mit Exkursen über die hübischeit (UvEAA, V. 220) und wîsheit (UvEAA, V. 244) erläutert, die sowohl den Boten als auch den Herren auszeichnen, in dessen Auftrag der Bote reitet. an des boten bescheidenheit | merket man des hêrren wîsheit (UvEAA, V. 243 f.; „An der Klugheit des Boten erkennt man die Weisheit des Herren“), heißt es in einer Zwischenbemerkung zur Rede des Gesandten.⁴⁴
ersten Boten keine Rede, sodass man vermuten kann, die Kenntnis und angemessene Befolgung der Regeln durch den zweiten Boten sei verantwortlich für dessen Erfolg. Vgl. etwa die umfangreiche, wenngleich essayistische Sammlung aus universitären, gerichtlichen, politischen und anderen Kontexten bei Fuhrmann, Horst: „Willkommen und Abschied“. Über Begrüßungs- und Abschiedsrituale im Mittelalter. In: Fuhrmann, Horst: Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit, München 1993, S. 111– 139; vgl. ebd., S. 31: „Stratordienst, Entgegenschreiten, Fuß- und Friedenskuß, geleistet oder nicht geleistet, sind selbstverständlich nur Ausschnitte jener ständigen Auseinandersetzung zwischen den Herrschern, vor allem aber zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, zwischen Papst und Kaiser, die auf anderen Feldern mit nicht minderer Empfindlichkeit und Heftigkeit geführt wurde“. Dass diese Begegnung im Zeichen der Repräsentation steht, wird nicht zuletzt darin deutlich, dass die Ratsherren kostbare Kleidung anlegen (rîche[] wât, UvEAA, V. 204) und in Bezug auf den Podestà gesagt wird, dieser geselle sich den Ratsherren mit grôzer maht (UvEAA, V. 223) zu. Zur Bedeutung der Redeerlaubnis, hier am Beispiel italienischer Gesandter vor Friedrich Barbarossa, vgl. Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 148 f. Die dort besprochenen Szenen schildern allerdings die Entsendung kommunaler Boten an den Kaiser. Die Handlung des Alexander-Anhangs findet demgegenüber unter umgekehrten Vorzeichen statt, indem der Kaiserbote als Gesandter vor der Kommune erscheint. Vgl. auch UvEAA, V. 212– 220.
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Auch die Rede, die Alexanders Gesandter hält, ist in diesem Kontext ritueller Kommunikation zu sehen. Sie zeigt Übereinstimmungen mit dem Muster einer Rede, wie es etwa im Traktat De arte loquendi et tacendi des Albertanus von Brescia, einer 1245 entstandenen Ars arengandi, für eine Gesandtenrede empfohlen wird. Das Musterschema, das andernorts häufig fünfteilig ist, enthält bei Albertanus sechs Redeteile, die sich der Übersichtlichkeit halber mit Koch folgendermaßen zusammenfassen lassen: 1. salutatio; 2. commendatio […] (Lob sowohl der Adressaten als auch der Begleiter des Gesandten) oder stattdessen: narratio; 3. „exhortatio“ (= petitio); 4. Angabe des „modus, quo id, quod postulatur, fieri valeat“ (Art und Weise der Realisierung des Anliegens); 5. „exempla“ vergleichbarer Fälle; 6. Angabe einer „sufficiens ratio“ (ausreichende Begründung)⁴⁵
Im Traktat gibt Albertanus die angesprochenen Teile der Gesandtenrede als eigene Form neben der fünfteiligen Gliederung des Briefes an und führt sie bezeichnenderweise an einem biblischen Beispiel aus, indem er die Verkündigungsszene zitiert. 2. Si vero de epistolis tractes, primo loco pone salutationem, secundo exordium, tertio narrationem, quarto petitionem et quinto conclusionem. 3. Si autem de contionando in ambaciatis faciendis studeas, primo loco et tempore salutationem dicas, secundo vero commendationem tam illorum, ad quos ambaciata dirigitur, quam sociorum tecum ambaciatam portantium, sive narrationem ejus, quod tibi impositum fuerit. Tertio facies exhortationem dicendo suasoria verba ad consequendum id, quod postulatur, quarto in omni postulatione allegando modum, quo id, quod postulatur, fieri valeat. Quinto induces exempla de rebus in similibus negotiis factis et observatis. Sexto denique assignabis sufficientem rationem ad prædicta omnia. Et hoc facias ad exemplum Gabrielis archangeli, qui, quum missus esset a Deo ad beatam virginem Mariam, primo posuit salutationem dicens: Ave gratia plena: Dominus tecum: Benedicta tu etc.
Koch, Peter: Ars arengandi. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 1 (1992), Sp. 1033 – 1040, hier Sp. 1037. Der Traktat des Albertanus Brixiensis wird im deutschen Raum intensiv rezipiert; das Interesse hält bis ins 15./16. Jahrhundert an und führt neben mehr als 30 lateinischsprachigen Druckausgaben auch zu Übersetzungen ins Deutsche; vgl. Rhetorica deutsch. Rhetorikschriften des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Joachim Knape / Bernhard Roll, Wiesbaden 2002 (Gratia. Tübinger Schriften zur Renaissanceforschung und Kulturwissenschaft 40), hier S. 235 f. Zur Tradition der Ars dictaminis, der Ars arengandi und ihren jeweiligen Brief- und Redeschemata vgl. Kapitel 2.3.
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2. Wenn Du nun Briefe behandelst, setze an erste Stelle die Begrüßung, als zweites die Einleitung, als drittes die Darstellung des Sachverhalts, als viertes die Bitte und als fünftes den Schluss. 3. Wenn Du Dich aber damit beschäftigst, Versammlungsreden zu verfassen, sprichst Du als erstes den Gruß, zweitens dann die Empfehlung sowohl derjenigen, an die die Rede gerichtet wird als auch der Begleiter, die mit Dir die Botschaft überbringen, oder die Darstellung dessen, was Dir aufgegeben ist. Drittens erteilst du die Mahnung, beratende Worte sprechend, um das zu erlangen, was gefordert wird, und machst viertens für jede Forderung die Art und Weise geltend, durch die das, was gefordert wird, geschehen können soll. Fünftens führst Du Beispiele an von Dingen, die in ähnlichen Angelegenheiten getan und befolgt wurden. Sechstens schließlich gibst Du eine ausreichende Begründung für alles oben Gesagte. Und dies tust Du nach dem Beispiel des Erzengels Gabriel, der, als er von Gott zur heiligen Jungfrau Maria gesandt wurde, zuerst den Gruß äußerte, indem er sagte: Gegrüßet seist Du, Gnadenreiche, der Herr ist mit Dir. Du bist gesegnet.⁴⁶
In der Ansprache des griechischen Gesandten vor Trîtôniâ lassen sich die wesentlichen Redeteile als Funktionen ausmachen, sie erscheinen aber nicht streng in derselben Reihenfolge. ‚der künic Alexander mich hât gesant, mîn hêrre, her, von iu wil daz haben er, daz mit der stat ir im huldet und sîn gebieten duldet.‘ an des boten bescheidenheit merket man des hêrren wîsheit. er sprach ‚ir habts vernomen mê, wie vor iu all stê ⁴⁷ in disem rîche sich hân ze sîme gebote getân:
commendatio/narratio exhortatio
[Erzählerkommentar mit commendatio-Funktion]
exemplum
Albertanus von Brescia: Tractatus de arte loquendi et tacendi, VI. Zitiert nach der Ausgabe [Albertanus Brixiensis]: Albertani, causidici Brixiensis, Tractatus de arte loquendi et tacendi. In: Della vita e delle opere di Brunetto Latini. Hrsg. von Thor Sundby, Florenz 1884, S. 475 – 509, hier S. 504. Übersetzung: M. R. Als erstes Format nennt Albertanus die Predigt, zu der er allerdings keine Redeteile, sondern ein Vorgehen nach dem vierfachen Schriftsinn angibt. An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die Überlieferungsvarianten: Während die Stelle in der Stuttgarter Handschrift (S) stê und in Heidelberg (H) stete lautet, hat die Wolfenbütteler Handschrift (W) ich hie vor uch allen ste; der Vers fügt sich damit zwar weniger bruchlos in seine Umgebung ein, die Variante betont jedoch den öffentlichen Charakter der Rede.Vgl. S, Bl. 171ra; H, Bl. 149va; W, Bl. 174ra. Zur Auflösung der Handschriftensiglen vgl. Anm. 1 dieses Kapitels. Vgl. auch den Lesartenapparat: Toischer, Wendelin: Lesarten. In: Ulrich von Eschenbach [d. i. Etzenbach]: Alexander. Hrsg. von Wendelin Toischer, Tübingen 1888 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 183), S. 803 – 852, hier S. 850.
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ervü llet sîn gebot, er ist guot und sô rehter gemuot, wie ir welt, sô ist ouch er, niht wan daz reht ist sîn begêr. setzet iuch mit im ze kriege niht noch ze strîtlîcher phlicht. wizzet, genzlich er hât guoten willen der stat. iur antwurte ich gern vernim des, und wil die bringen im: doch ob daz wellet ir, ir kumt dar schiere mit mir. er hæte iuch gester lieber gesehen, waz des ist des niht geschehen, noch vor arc er daz hât.‘ (UvEAA, V. – )
exhortatio – wiederholt und verbunden mit sufficiens ratio
modus
„Der König Alexander hat mich hergesandt, mein Herr, von Euch erwartet er, dass Ihr samt der Stadt ihm huldigt und seine Herrschaft duldet.“ An der Klugheit des Boten erkennt man die Weisheit des Herren. Er sagte: „Ihr habt außerdem mitbekommen, wie sich vor Euch alle Orte in diesem Reich seinem Befehl unterworfen haben: Erfüllt sein Gebot, er ist gut und rechtgesinnt – wie Ihr wollt, so ist auch er, nichts außer das Recht ist sein Wunsch. Begebt Euch mit ihm nicht in einen Krieg oder eine kämpferische Auseinandersetzung.Wisset, er hat vollkommen gute Absichten gegenüber der Stadt. Eure Antwort dazu nehme ich gern entgegen und werde sie ihm bringen. Doch wenn Ihr das wollt, kommt Ihr gleich mit mir. Er hätte euch lieber schon gestern gesehen; wenngleich das nicht geschehen ist, nimmt er es nicht übel.“
Abweichungen von dem Schema des Albertanus bestehen insofern, als bereits vor dem Appell zur Erfüllung der Forderungen ein Beispielteil eingeschoben wird; Ratschläge zur Umsetzung bzw. Warnungen vor kriegerischen Handlungen verbinden sich anschließend mit Gründen für die Rechtmäßigkeit von Alexanders Anliegen. Versucht man, Albertanusʼ Entwurf auf die Teile der Ansprache zu übertragen, stellt man fest, dass sie nicht mit einer Salutatio beginnt, diese ist funktional bereits mit dem umfangreichen Begrüßungsritual erledigt. Der tatsächliche Anfang der Rede lässt sich als narratio bezeichnen (Nr. 2 nach Albertanusʼ Anordnung), gegebenenfalls auch als commendatio, da Albertanus empfiehlt, in diesem Teil darauf einzugehen, von wem die Nachricht stammt. Außerdem finden sich die exhortatio (3.), Hinweise zur Umsetzung des Geforderten und Warnungen vor abweichendem Verhalten (4.), das Beispiel anderer Städte, die sich Alexander schon ergeben haben (5.), sowie Gründe für die Rechtmäßigkeit des Anspruchs (6.). Nach Abschluss des skizzierten Schemas folgen Ausführungen, die über die konkreten Modalitäten und die Antwortmöglichkeiten der Trîtônier informieren.
3.2 Zur Rhetorizität und Ritualität der Redeszenen
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Die Rede deckt somit die wesentlichen Teile einer Gesandtenrede ab; bei diesem Minimalschema bleibt es allerdings auch – keiner der Teile wird sonderlich ausgeschmückt oder enthält mehr Informationen als notwendig. Ähnlich fällt die Reaktion der Trîtônier aus, die sich darauf beschränken, ihr bisheriges abweisendes Verhalten zu erläutern und eine Fristverlängerung zu erbitten. Zur Begründung für beide Fälle verweisen sie auf die städtischen Verfahren zur Entscheidungsfindung; ohne Rücksprache mit den Gremien von Rat und Kommune sei es unmöglich, eine Antwort zu formulieren: wir wizzen selbe niht wie iu iuwer rede hie antwurt geben ân den rât noch ân die comûn der stat (UvEAA, V. 269 – 272) Wir wissen selbst nicht, wie wir Euch antworten sollen ohne den Rat oder die Kommune der Stadt.
Die Reaktion der Trîtônier besteht also zunächst erneut darin, dass die Antwort verweigert wird. Diesmal jedoch findet Kommunikation statt, und diese verläuft in den geordneten Bahnen diplomatischer Konventionen. Die Redebeiträge haben vor allem repräsentativ-symbolischen Charakter und führen Modelle vor, wie Gesandte und Adressaten sich bei ihrem Aufeinandertreffen verhalten können. Als sich die Parteien das nächste Mal begegnen, präsentieren die Stadtvertreter eine umfangreiche Rede, in der die Trîtônier Alexanders Anspruch abweisen und sich darauf berufen, ein Naturrecht auf Freiheit zu besitzen. Diese ‚Freiheitsrede‘ und die Entgegnung, die Alexander daraufhin verfasst, verlassen den Rahmen des Zeremoniellen und operieren auf der Ebene persuasiver Argumentation. Sie weisen eine andere, weniger streng an den rhetorischen partes orationes orientierte Struktur auf. In der Gegenüberstellung zeigt sich, dass die Gestaltung der Reden unterschiedlichen Darstellungsinteressen entspricht: Der Auftritt des Boten und die Form seiner Rede betonen die Konventionen der Diplomatie und der politischen Repräsentation, auf die die beiden später gehaltenen Reden über die Freiheit offenbar nicht angewiesen sind. Diese Staffelung kann so gedeutet werden, dass eine im Einklang mit den Normen stehende Präsentation imstande ist, der inhaltlichen Auseinandersetzung den Weg zu bereiten.
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3.2.2 Die Freiheitsrede der Trîtônier Die Freiheitsrede der Trîtônier wird vorbereitet durch das erneute Aufeinandertreffen des fürstlichen Boten und der Stadtvertreter. In einem kurzen Wortwechsel zwischen den Parteien wird der Grund der Begegnung aktualisiert, wobei der Bote die Forderungen um zusätzliche Zinszahlungen erhöht und ein persönliches Erscheinen vor Alexander anmahnt.⁴⁸ Anschließend tritt ein Weiser aus Trîtôniâ als Sprecher hervor und beginnt eine umfangreiche Ansprache. In Bezug auf die Redeteile erscheint diese gegenüber der behandelten Gesandtenansprache rudimentär; trotzdem ist sie deutlich länger. Der Redner setzt unmittelbar mit einer Argumentation zugunsten der städtischen Freiheit ein und legt in mehreren Schritten die Entscheidung der Stadt dar, Alexanders Herrschaftsanspruch zu verweigern. Ein erkennbares Exordium ist nicht vorhanden.⁴⁹ Die Rede beschränkt sich auf den für die Handlung des Alexander-Anhangs entscheidenden Argumentationsteil. Der trîtônische Redner führt im Wesentlichen drei Argumente an: Erstens wird mit dem Gewohnheitsrecht argumentiert – 3000 Jahre lang habe kein Herrscher Anspruch auf die Stadt erhoben: sich haben des driu tûsent jâr an irm loufe ergangen gar, daz man satzte die stat, daz keiser noch künic niht enhât dirre rede gemuotet her. (UvEAA, V. 325 – 329) Es sind 3000 Jahre vorübergezogen, seitdem man die Stadt belagerte und seitdem hat kein Kaiser oder König so etwas verlangt.
In diesem Sinne heißt es weiter, die heute lebenden Trîtônier seien genauso wie ihre Vorfahren frei geboren. Schließlich wird die Rechtmäßigkeit von Alexanders Anliegen in Zweifel gezogen, indem man sich auf das Recht beruft und Beweise fordert. Es werden also juristische Verfahren aufgerufen: unser vordern vrî geborn sint, alsô wese ouch wir, ir kint. unser veter ir knie haben vor sînen vordern nie geneiget ze dienstlîcher tât.
Vgl. UvEAA, V. 318 – 322. Vgl. UvEAA, V. 323 f.
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ist daz er reht zuo uns hât, war umb bewîset daz niht er[] und lâze ervüllen sîn ger[?] wil er uns undertân ân reht von gewalde hân? daz enmac mit nihte wesen. (UvEAA, V. 333 – 343)⁵⁰ Unsere Vorfahren sind frei geboren, also sind es auch wir, ihre Nachfahren. Unsere Väter haben vor seinen Ahnen nie das Knie zu einem Dienst gebeugt. Wenn es so ist, dass er ein Recht auf uns hat, warum beweist er das nicht und lässt seinen Wunsch erfüllen? Will er uns unrechtmäßig durch Gewalt unterwerfen? Das kann auf keinen Fall sein.
Während diese Passage auf verbürgte Gewohnheiten der Trîtônier abzielt, setzt das zweite Argument bei Naturrechtsvorstellungen an. Das ‚Buch der Natur‘⁵¹ spreche allen Menschen ein Naturrecht auf Freiheit zu: in dem buoche der natûre wir lesen von der natûre rehte, daz al menschlich geslehte ist von rehte der natûre vrî (UvEAA, V. 344– 347) Im Buch der Natur lesen wir vom Naturrecht, dass alle menschlichen Geschlechter vom Recht der Natur her frei sind.
Zudem sei Alexander ebenso sterblich wie die Stadtbürger. Die Schlussfolgerung: Es besteht kein Grund, sich Alexander zu unterwerfen – wes sul wir uns im ze dienste geben, | der tôtlich ist als wir? (UvEAA, V. 362 f.).
Interpunktion in V. 339 f. gegenüber der Edition von Toischer verändert: Semantisch und syntaktisch, nicht zuletzt durch die Konjunktion und, lässt sich V. 339 an die vorangehende Frage anschließen; V. 340 f. bildet dagegen eine separate semantische Einheit. Mit dem buoch der natûre könnte einfach das metaphorische Buch der Natur gemeint sein, hier klingt es aber auch sehr nach einem tatsächlich existierenden Buch oder Traktat; bislang ließ sich jedoch keine plausible Vorlage für diese Vorstellung ermitteln. Zur naturrechtlichen Begründung von Freiheit vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 382– 385. Zum Begriff der ‚Natur als politische Parole‘ vgl. Finckh: Natur, S. 392– 404, zu dieser Textstelle ebd., S. 389; 398. Eine im Vergleich dazu sehr aufschlussreiche, weil auf die Legitimation sozialer Ungleichheit ausgerichtete Naturargumentation beschreibt Jill Mann am Piers Plowman, in dem der mittelenglische Begriff Commune aufscheint, womit aber der dritte Stand der Bauern (die commons oder plowmen) gemeint ist; vgl. Mann, Jill: Nature, God, and Human Society in Piers Plowman. In: Natur in politischen Ordnungsentwürfen der Vormoderne. Hrsg. von Andreas Höfele / Beate Kellner, Paderborn 2018, S. 51– 72, hier S. 52 f.
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Das dritte Argument bekräftigt diese Einschätzung zusätzlich und transferiert sie in eine religiöse Dimension: Der einzige legitime Herr Trîtôniâs sei Gott, der die Welt geschaffen und in ihr die Freiheit eingerichtet habe. Alexander sei deshalb überhaupt nicht befugt, über die Freiheit der Städter zu entscheiden: unser vrîheit hab wir von got, | niht von iuwerm künge sie (UvEAA, V. 376 f.). Alexanders Forderung wird also nicht nur abgewiesen, sondern ganz grundsätzlich infrage gestellt. Aus der Rede des trîtônischen Weisen lassen sich Anklänge eines Argumentierens mit anerkannten Gemeinplätzen heraushören, wie es im diplomatischen Verkehr des Hochmittelalters praktiziert wurde. Knut Görich etwa konstatiert in Bezug auf die Gesandtenkommunikation italienischer Kommunen, dass ein Charakteristikum der Narratio der dort verwendeten Reden und Briefe im „Argumentieren mit Handlungsgrundsätzen [besteht], die auf beiden Seiten bekannt und gültig waren.“⁵² Auch der Verweis der Trîtônier auf die lang anhaltende Tradition ihrer Freiheit findet hier Parallelen: Görich schildert einen in den Genueser Annalen (Annales Ianuenses) dokumentierten Auftritt der Gesandten Genuas vor Friedrich Barbarossa, bei dem diese den Versuch des Kaisers zurückweisen, zuvor gewährte Privilegien zurückzunehmen. Die Gesandten machen von einer „ausgreifenden historischen Argumentation“⁵³ Gebrauch, in der sie demonstrieren, dass die Freiheit Genuas schon immer von den römischen Kaisern anerkannt wurde und die Stadt deshalb nur einer begrenzten Anzahl von Verpflichtungen nachkommen müsse.⁵⁴ In einer Auseinandersetzung beim Hoftag von Lodi 1162 bringen die Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 152. Ebd., S. 142. Vgl. ebd., S. 142 f. m. Anm. 28. Auch Finckh betont, die Argumentation der Trîtônier entspreche „einer Argumentationslinie, die im 12. und 13. Jahrhundert von den oberitalienischen Städten, vor allem von Florenz, angewandt wurde, um sich unter Berufung auf die römische Freiheitstradition gegen kaiserliche Ansprüche zur Wehr zu setzen“ (Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 382). Sie verweist dabei u. a. auf Hagen Kellers Beitrag zum Diskurs um Leibeigenschaft in Florenz und Bologna, in dessen Rahmen allen Menschen ein Naturrecht auf Freiheit zugesprochen wird. Wie Keller im gleichen Aufsatz gezeigt hat, steht die ‚Freiheitsrhetorik‘ der Städte trotz aller idealistischer Anklänge auch im Dienst der städtischen Machtpolitik, insofern beide Städte mit der Freilassung der Hörigen eine Vergrößerung der Gruppe steuerpflichtiger Bürger bezwecken; vgl. Keller, Hagen: Die Aufhebung der Hörigkeit und die Idee menschlicher Freiheit in italienischen Kommunen des 13. Jahrhunderts. In: Die abendländische Freiheit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. Hrsg. von Johannes Fried, Sigmaringen 1991, S. 389 – 407, hier S. 397 f. Zur Begriffsgeschichte von ‚Freiheit‘ im Spiegel mittelalterlicher Urkunden vgl. Grundmann, Herbert: Freiheit als religiöses, politisches und persönliches Postulat im Mittelalter. In: HZ 183 (1957), S. 23 – 53, in Bezug auf Naturrechtsvorstellungen ebd., S. 30 f. Zum Freiheitsbegriff in Auseinan-
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Konsuln Barbarossa mithilfe der geschickten Berufung auf Recht und Geschichte so sehr in Bedrängnis, dass er eine bereits getroffene Entscheidung zurücknehmen und das Recht der Stadt öffentlich anerkennen muss.⁵⁵ Wenn die Trîtônier ihre Argumente aus der Geschichte der Stadt und ihres Rechts gewinnen, wenden sie also eine Strategie an, die durchaus mit der oratorischen Praxis der italienischen Städte übereinstimmt: Solche Exkurse über die eigene Geschichte und Rechtsauffassung dürften charakteristisch für die relationes gewesen sein, mit denen die Gesandten der Kommunen ihre jeweilige Position begründeten. Bei solchen Gelegenheiten bewährte sich die Beredsamkeit der kommunalem Beamten, hatten die Reden doch nicht nur in der weitgehend auf Mündlichkeit beruhenden Kommunikation am Hof ihren Ort, sondern auch im diplomatischen Zeremoniell.⁵⁶
Ein zentraler Unterschied besteht jedoch in der Intention der Gesandten: Das entscheidende Element in der Redearchitektur der Vertreter Genuas ist die ostentative und wiederkehrend vorgetragene Beteuerung, dass die Stadt dem Kaiser stets ergeben gewesen sei und alle Dienste zufriedenstellend ausgeführt habe.⁵⁷ Eben diese Demonstration von Ergebenheit verweigern die Trîtônier; sie wählen den Weg der offenen Konfrontation.⁵⁸ Diese ungefilterte Artikulation von
dersetzungen der Kaiser mit italienischen Kommunen vgl. ebd., S. 39. Grundmann gibt dort eine in den Gesta Friderici (III, 46) enthaltene Ansprache aus dem Umfeld des Konflikts zwischen Mailand und Barbarossa (1158) wieder: „Auch dem göttlichen Gebot widersteht, wer der Gewalt widersteht. Man mü ßte also fü rchten, nicht nur dem Kaiser sondern auch Gott zu widerstehen“. Vgl. Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 146 – 148. Ebd., S. 143. Vgl. ebd., S. 142 f. Auch der Schlussteil der Freiheitsrede verweigert sich im Vergleich mit der Genueser Gesandtschaftsrede dem Protokoll. Sie enthält keine freundliche Geste mit dem Angebot zur Fortführung der Kommunikation, wie dies unter den Bedingungen gelingender politischer Kommunikation erwartbar wäre, sondern eine Provokation. Der Trîtônier kündigt an, dass die Stadttore geöffnet bleiben, die Makedonen also nicht als Bedrohung empfunden werden, und macht auf dem Absatz kehrt (vgl. UvEAA, V. 379 – 385; vgl. auch Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 363). Die Stadttore stehen auch in anderen Episoden metonymisch für die Verteidigungsstrategie der Städte, sie symbolisieren aber gleichzeitig die Haltung gegenüber dem neuen Herrscher: Theben etwa verschließt seine Tore ostentativ vor den Makedonen, sodass Alexanders Gesandter nur rufend mit einem Vertreter Thebens kommunizieren kann, der auf den Zinnen der Stadtmauer steht.Vgl. unten Kapitel 3.4.1. Thierry sieht im Offenlassen der Tore eine ironische Anspielung auf die erfolglose Belagerung Parmas durch Friedrich II. Obwohl Parma militärisch unterlegen war, wurde die Niederlage Friedrichs dadurch besiegelt, dass am Tag der Entscheidung im Lager Friedrichs versäumt wurde, die eigens gebauten Zugbrücken hochzuziehen: Vgl. Thierry: La fabrique d’une fiction, S. 417 f.
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Dissens muss Alexander als Beleidigung und schweren Angriff auf seine Ehre auffassen.⁵⁹ Entsprechend reagiert er mit voller Härte und weist seine Truppen an, die Stadt zu stürmen.⁶⁰ Mit Alexanders klassischen militärischen Mitteln lässt sich die Stadt jedoch nicht einnehmen, denn die Trîtônier setzen zur Verteidigung ihre Kenntnisse der nigromancî ein. Über Nacht erscheint ein Fluss vor den Stadtmauern, der ebenso schnell wieder verschwindet, als Alexanders Soldaten mit Schiffen übersetzen wollen; anschließend zwingt ein betäubender Nebel die Truppen zur Umkehr.⁶¹ Gegen diese Zauberkünste vermögen weder Alexanders Soldaten noch seine strategischen Fähigkeiten etwas auszurichten. Innerhalb der Erzählung wird dieses Problem sogar explizit verhandelt, als einer der abgefangenen trîtônischen Boten die Fähigkeiten der Stadtbewohner schildert: von der wârn nigromancîen | vor vînden sint sie die vrîen (UvEAA,V. 911 f.; „Durch die echte schwarze Kunst sind sie vor Feinden geschützt“). Der Bote bestätigt auch, dass Alexander ein Opfer dieser Künste wurde: daz an iu ist geschehen | und ir, herre, daz habt gesehen (UvEAA, V. 933 f.). Auf erzählstrategischer Ebene des Alexander-Anhangs stellt das Motiv der Zauberkünste ein wirksames Mittel bereit, um deutlich zu machen, dass Gewalt in diesem Text nicht die präferierte Option ist. Im Fokus des ‚Experiments‘⁶² steht die dargestellte Oratorik, die zur Lösung des Problems eingesetzt wird. Auf der Ebene der Handlung führt dies dazu, dass Alexander sich, nach mehrfachen Versuchen und nach Rücksprache mit Aristoteles, seinem Lehrer und Berater, zu einem Strategiewechsel entscheidet. – Er schreibt einen Brief.
3.2.3 Alexanders Brief an die Trîtônier Wie bereits erwähnt, wird Alexanders Gemütswandel gegenüber Trîtôniâ zu einem guten Teil von den Ratschlägen Aristoteles’ ausgelöst. Dessen Brief enthält gegen Ende eine Stelle, die sich in Bezug auf Alexanders Strategiewechsel als
Vgl. dazu Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 146, Anm. 41 u. ö. Vgl. etwa zu Alexanders Horn – er setzt es nur ein, wenn keine Gefangenen gemacht und alle Feinde getötet werden sollen: sîn was ouch alsô erdaht, | niht manz erschellen solde, | niur sô der künic wolde | die vînde keiner geschiht | ze genâden nehmen niht. | der burger rede im swaere lac (UvEAA,V. 407– 411; „Es war so vorgesehen, dass man es nicht erklingen lassen sollte, außer wenn der König gegen die Gegner keine Gnade walten lassen wollte. Die Nachricht der Bürger machte ihm zu schaffen“). Zum Motiv des Horns als Wunderhorn, das auch im Secretum secretorum vorkommt, vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 363, 395. Vgl. UvEAA, V. 595 – 759. Vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 361.
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zentrale Lehre bezeichnen lässt und die zudem im Kern mit der Haltung der Trîtônier übereinstimmt. Sie operiert, ebenso wie die Rede des städtischen Gesandten, mit der Unterscheidung von gewaltsamer Unterwerfung einerseits und freiwilligem Dienst andererseits. Begrifflich manifest wird diese Unterscheidung in der Gegenüberstellung von erwerben und betwingen: waz ir gü etlich unerstriten erwerben muget, wol baz ist iu ze nutze daz dan daz ir betwinget mit strîte und erringet. (UvEAA, V. 1366 – 1370) Was Ihr gütlich ohne Kampf erwerben könnt, ist Euch viel nützlicher als das, was Ihr mit Kampf bezwingt und erringt.
Aristoteles votiert für die Nachhaltigkeit einer gewaltlosen Herrschaftsübernahme und empfiehlt, den Dienst der Trîtônier güetlich zu erlangen: dar ûf habt, hêrre, sin: | kunst wil unbetwungen sîn (UvEAA, V. 1375 f.; „Herr, macht Euch das klar: kunst will ohne Zwang bleiben“).⁶³ Was Alexander nun tut, folgt der aristotelischen Unterscheidung und lässt sich als ein Werben um Legitimation bei den Trîtôniern bezeichnen, denn anstatt wie bisher auf Gewalt zu setzen, steigt er nun auf das Mittel der Rede – genauer: auf die Persuasionsrede – um.Wie in Kapitel 3.1 erarbeitet, wird der Brief als rhetorisch versiert wahrgenommen und sowohl seitens des Erzählers als auch der Trîtônier mit Eloquenzmarkern versehen; der Brief wird z. B. als schœne rede bezeichnet.⁶⁴ Aber auch über die stilistische Qualität hinaus inszeniert der Text das oratorische Talent Alexanders; dies zeigt sich insbesondere in der von ihm verwendeten Argumentationsstrategie. Dass Alexander einen Brief schreibt und damit auf eine schriftbasierte Kommunikationspraxis zurückgreift, schließt seine Untersuchung als Medium oratorischer Praxis keineswegs aus. Die Botschaft wird zwar explizit schriftlich verfasst, vor den trîtônischen Bürgern wird sie aber vom Boten mündlich vorgetragen und ebenso als rede bezeichnet wie die übrigen, rein mündlichen Ansprachen – hier wird also intradiegetisch kein Unterschied gemacht.⁶⁵
Zum Brief des Aristoteles und dessen intertextuellen Bezügen vgl. Finckh: Natur, S. 394– 396, 400 – 402. Vgl. UvEAA, V. 1413. Analog dazu spricht Koch von ‚öffentlichen‘ Briefen am Beispiel eines Papstbriefes aus dem 11. Jahrhundert: „Die Rezeption der Texte erfolgte als Verlautlichung in einer distanzgeprägten, quasi rituellen Kommunikationssituation […]. Sowohl Brief als auch Urkunde hatten damit Anteil an ritualisierten phonischen Kommunikationsvollzügen in einer repräsentativen Öffentlichkeit im
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Ulrichs Alexander, dem die Ereignisse in Trîtôniâ als Anhang beigegeben sind, ist andernorts gegenüber den medialen Bedingungen der Briefkommunikation durchaus sensibel: Beim Briefwechsel mit Darius vor der Schlacht am Granikon werden die Botschaften nicht in Form eines Vortrags, sondern in stiller Lektüre empfangen.⁶⁶ Die Szenen im Alexander nutzen die Differenz von lauter Rede und stiller Lektüre, um die Unterscheidung von öffentlicher und nichtöffentlicher Rede und die Bedingungen politischer Kommunikation vorzuführen. Dies beginnt damit, dass die Boten den Dariusbrief an Alexander übergeben, anstatt ihn vorzutragen: den brief gâben sie im in die hant (UvEA, V. 5509). Nach Wiedergabe der Nachricht in wörtlicher, d. h. schriftlicher, Rede – Darius verhöhnt Alexander als naives Kind und legt dem Brief Kinderspielzeug als Geschenke bei – wird der Brief zusätzlich in seiner Schriftlichkeit hervorgehoben: Dô Alexander gesach | die schrift, der im der brief verjach, | der drô er lützel erkam (UvEA, V. 5547– 5549; „Als Alexander das Schriftstück sah – vor der Drohung, von der der Brief erzählte, erschreckte er kaum“). Anschließend wird betont, dass Alexander seine Reaktion auf den Brief vor den Gesandten verbirgt, weil er den Text stumm oder wenigstens leise liest: guot gemüete er im des nam, doch was er niht zornes vrî: der wonet im verborgen bî in sîn herze er heimlich las die rede, als im enboten was (UvEA, V. 5550 – 5554)
Sinne Habermasʼ“ (Koch: Urkunde, S. 27 f.). Auch für spätere Zeiten und die Entwicklung der Ars dictandi geht Koch von dieser Rezeptionssituation aus und zieht Parallelen zur öffentlichen Rede: „[S]o gilt, daß sowohl bei der Rede als auch beim Brief die phonische ‚Inszenierung‘ eines konzeptionell stark auf kommunikative Distanz ausgerichteten komplexen Sprechaktes erfolgt“ (ebd., S. 30). Zur Inszenierung und medialen Dimension von Boten und Briefen in literarischen Texten vgl. jüngst Wittchow, Britta: Erzählte mediale Prozesse. Medientheoretische Perspektiven auf den Reinfried von Braunschweig und den Apollonius von Tyrland, Berlin u. a. 2020 (Trends in Medieval Philology 37); bes. ebd., S. 286 – 291. Zur Bedeutung der wächsernen Briefsiegel in dieser Szene vgl. Schindler, Andrea: Mit brief und insigel. Reflexe von Beglaubigungsstrategien in mittelhochdeutschen Romanen. In: Die Urkunde. Text – Bild – Objekt. Hrsg. von Andrea Stieldorf, Berlin 2019 (Das Mittelalter. Beihefte 12), S. 99 – 124, hier S. 113 f. Allgemeiner zur Interpretation der Briefwechsel zwischen Alexander und Darius, exemplarisch am Straßburger Alexander ausgeführt, vgl. Schlechtweg-Jahn: Macht und Gewalt, S. 68 – 72. Für spätere Alexanderromane vgl. ebd., S. 242 (Seifrit), 299, 350 (Hartlieb). Vgl. auch Campopiano: Oratorik in Übersetzung, S. 68 f. für Beispiele aus italienischen Bearbeitungen der Historia de preliis.
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In guter Stimmung entnahm er ihm das. Doch war er nicht frei von Zorn: Der wohnte ihm verborgen bei; in seinem Herzen las er vertraulich die Nachricht, als er begrüßt worden war.
Er dankt den Boten, konsultiert seine Berater und reagiert mit einer brieflichen Umdeutung der Geschenke zu seinen Gunsten, an die er eine Drohung an Darius anschließt. Sein Antwortbrief erfolgt aber ebenfalls ohne öffentliche Präsentation: einen brief er hin wider schreip (UvEA, V. 5568). Die Boten erhalten keinen Einblick; der Text berichtet, dass die Boten mit dem sorgfältig versiegelten Brief zurückgesandt werden.⁶⁷ Bei ihrer Ankunft am Hof des Darius schildern die Boten die craft Alexanders (UvEA,V. 5610), übergeben aber wiederum den Brief, ohne vom Inhalt zu erfahren: Die boten brâhten Darîô mære welich craft des fürsten wære, des brief dem keiser was gesant. die schrift nam er in die hant, die im die rede brâhte, die im sêre versmâhte (UvEA, V. 5609 – 5614). Die Boten überbrachten Darius Nachricht davon, welche Gewalt der Fürst hatte, dessen Brief dem Kaiser gesandt worden war. Das Schriftstück nahm er in die Hand, das ihm die Botschaft brachte, die ihm sehr missfiel.
Der Inhalt des Antwortbriefes Alexanders bleibt den Boten also unbekannt; es handelt sich nachdrücklich nicht um öffentliche Rede. Das Motiv der stillen Lektüre ermöglicht eine Spaltung der Adressateninstanz, die Szene wird zum Exempel eines Kommunikationsmodells: Alexander unterscheidet zwischen der Nachricht und dem Medium, zwischen der Aggression durch Darius und den Überbringern der Nachricht und verhält sich den Boten gegenüber anders als gegenüber dem Absender der Botschaft. Öffentlich entspricht er dem Protokoll und dankt ihrem Herren für die großzügigen Geschenke.⁶⁸ Brieflich hingegen übermittelt er Darius seine Verachtung und demonstriert sein uneingeschränktes Selbstbewusstsein. Betrachtet man nun den als rede bezeichneten und mündlich präsentierten Brief Alexanders, fällt ins Auge, dass sich dieser Brief formal ähnlich knapp präsentiert und auf die argumentatio reduziert erscheint wie dies bei der Freiheitsrede der Trîtônier zu beobachten war. Zunächst stellt Alexander sein Projekt
Vgl. UvEA, V. 5599 – 5603. Vgl. UvEA, V. 5555 – 5567.
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der Welteroberung als göttlichen Auftrag dar: Er habe eine Vision gehabt, in der Gott ihm das Gebot erteilt habe, alle Reiche – von sînen gnâden (UvEAA, V. 1433) – in Besitz zu nehmen: Ich Alexander Macedô, Altissimus der hôste, des craft ich mich trôste, als ich in sînen gnâden var: ich weiz in sîner worte wâr, sie werden ganz an mir ervult: vür wâr ir daz haben sult, ich var als er gewaldic got mir zuo sprach und gebôt von sînen gnâden alsô ‚egredere ô Macedô, var ûz (sprach er ze mir), al die werlt ich neige dir, gar ir rîche und ir lant.‘ (UvEAA, V. 1424– 1437) Ich, Alexander von Mazedonien – Altissimus der Höchste, auf dessen Kraft verlasse ich mich, weil ich in seiner Gunst stehe; ich weiß dass seine Worte wahr sind, sie werden sämtlich an mir erfüllt, als Tatsache sollt Ihr das erkennen – ich handle wie er, der mächtige Gott, zu mir sprach und von seinen Gnaden befahl: „Egredere o Macedo, geh hin“, sagte er zu mir, „die ganze Welt unterwerfe ich Dir, all ihre Reiche und ihre Länder.“
Wie die Trîtônier, so thematisiert auch Alexander Gott als Herrscher und Dienstherr über die Schöpfung. Die Schöpfung wird dabei als Reichs- oder Staatsstruktur imaginiert, in der Gott als himelkeiser (UvEAA, V. 1610) regiert und die Engel als Boten fungieren. An diesen Entwurf schließt sich die zweite These an, wonach Gott neben den Engeln auch den Menschen geschaffen hat, der einerseits als sein Diener eingesetzt sei, andererseits aber selbst als König über den Mikrokosmos des menschlichen Körpers herrsche. Der ze himel die wunder begêt, den himeln under den menschen hât geformet er, daz im ze dienste wese der, und hât in im selben în gemachet einen künic sîn gewaldegen vü mf rîche (UvEAA, V. 1473 – 1479)
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Der, der im Himmel die Wunder bewirkt, hat unter den Himmeln den Menschen gestaltet, dass derjenige ihm zu Diensten sei, und hat ihn in ihm selbst seinerseits zum König gemacht, fünf Reiche [d. i. die fünf Sinne] beherrschend.
Analog zu Gott als Herrscher über die Schöpfung regiert der Mensch also über den als Staat organisierten Körper. In einer langen Passage wird die zentralistische Organisation dieses Körperstaates beschrieben, die von seiner Hauptstadt, dem Herzen, ausgeht.⁶⁹ Diese Stadt sei vollkommen und verfüge über alle Tugenden, die der Mensch zur Kontrolle seiner Sinne braucht – mit dem Zweck, Gott zu dienen.⁷⁰ Hier residiert die Weisheit in einer Doppelfunktion, als gebieterîn der Stadt und keiserîn des gesamten Reiches (UvEAA, V. 1493 f.); hier sitzt auch die Regierung: Senat, Rat, Potestat, Bürgermeister, das Gericht und weitere Posten werden von den Tugenden besetzt.⁷¹ Hinweise auf die Verfassung Trîtôniâs und der norditalienischen Kommunen sind kaum zu übersehen, womit spätestens in diesem Abschnitt augenfällig wird, dass Alexanders Rede nicht nur die Schöpfung, den Menschenkörper und den Staat in Analogie bringt, wie dies etwa zeitgenössische Fürstenspiegel wie der des Thomas von Aquin tun.⁷² Er arbeitet vielmehr konkret auf die vorliegende Situation hin und komponiert eine Allegorie auf sein eigenes Verhältnis zu den Trîtôniern.⁷³ Von zentraler Bedeutung für Alexanders Überzeugungsarbeit in dieser Richtung ist das idealtypische Verhältnis zwischen der Kaiserin Weisheit und den Stadtbewohnern, denn die Bürger, die dezidiert als vrî von natûre bezeichnet werden und somit eindeutig als Entsprechung zu den Trîtôniern konstruiert sind, dienen dieser Kaiserin aus freien Stücken: Alein sie gar rîche sî, starc die stat, dar inne vrî von natûre und ahtbære die edelen burgære; sô wil sie doch der keiserîn, der wîsheit, und ir gebieterîn
Vgl. V. 1478 – 1602. Vgl. V. 1541– 1554. Darunter ist auch die Scham, die für angemessene Rede sorgt: sie ist der tugent ein wirkerîn, | der reinekeit ein minnerîn, | swester der kiuscheit, | ein behalderin der sælikeit. | scham die wert wilden blic, | der zungen ein menstric, | sie tempert wîse spæhe wort, | sie ist ein hêrlîcher hort (UvEAA, V. 1525 – 1532; „Sie ist Hervorbringerin der Tugend, eine Geliebte der Reinheit, Schwester der Keuschheit, eine Bewahrerin der Seligkeit. Scham, die verhindert wilde Blicke, ein Zügel der Zunge, sie mildert auf kluge Weise übermütige Worte, sie ist ein herrlicher Schatz“). Vgl. Anm. 77 dieses Kapitels. Vgl. Finckh: Natur, S. 404.
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gern und unbetwungenlich mit der gehôrsam neigen sich, zins, den sie sol, ir geben und in ir gebiete leben. (UvEAA, V. 1555 – 1564) Obwohl sie, die Stadt, sehr reich ist, gewaltig, die edlen Bürger darin frei von Natur und angesehen, so möchte sie sich doch vor der Kaiserin, der Weisheit, ihrer Herrscherin, gern und ohne Zwang mit Gehorsam verneigen, den Zins, zu dem sie ihr verpflichtet ist, geben, und unter ihrem Befehl leben.
Ein Erzählereinschub bricht die umfassende Ausdeutung der Stadtorganisation unter Verweis auf das Brevitas-Gebot ab und formuliert den Zweck der bisherigen Ausführungen: Alexander habe auf diese Weise zu der entscheidenden Schlussfolgerung kommen können, genauso wie Gott die Weisheit als Gebieterin über den Körper eingerichtet habe, so habe er jemanden – Alexander – gesandt, um über die Reiche der Erde zu herrschen. Der Erzähler bezeichnet diesen Vergleich als billîchen bejac (UvEAA, V. 1606), als Gewinn oder Errungenschaft, markiert das Vorgehen also als geschickten Schachzug. Der dritte Schritt in Alexanders Argumentation knüpft als Folgeargument an das Bisherige an und schafft gleichzeitig eine Synthese der beiden Aspekte: Unter der Voraussetzung, dass das bereits Gesagte stimme – 1. die Korrespondenz von Mikrokosmos und Makrokosmos in der Herrschaft von Gott und Mensch, 2. die Korrespondenz von Herzenshauptstadt und Trîtôniâ in ihrem Verhältnis zu einem gottgewollten Herrscher,⁷⁴ sei die Unterwerfung unter Alexander gleichbedeutend mit dem Dienst an Gott, den die Trîtônier geloben. des habe ich genzlîchen muot, wer sich dem rîche under tuot und zuo neiget sîme gebote, daz sich der neige gote. (UvEAA, V. 1624– 1626) Ich bin deshalb vollkommen der Ansicht, dass derjenige, der sich dem Reich unterstellt und sich seinen Befehlen unterwirft, dass sich der Gott unterwirft.
Damit ist aus Alexanders Sicht der Beweis erbracht; der Rest seiner Rede besteht aus einem Schlussteil, der auf der Evidenz seiner These aufbaut und die Überzeugung seiner Adressaten dadurch zu sichern sucht, dass er die vorgeschlagene Lösung zur idealen Situation für Trîtôniâ stilisiert. Zum einen bleibe die indivi Das Abhängigkeitsverhältnis wird durch die Konjunktion des (deshalb, daher) angezeigt, vgl. UvEAA, V. 1623: des habe ich genzlichen muot.
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duelle Freiheit der Bürger vollständig unangetastet, zum anderen sei Widerstand sowohl gottlos als auch unnatürlich, und mit ihm sei zugleich die beschworene Freiheit verwirkt. So heißt es über diejenigen, […] die dem rehten und dem rîche widerstên: gotes gebot sie übergên, die wirken der natûre wider und brechen ir vrîheit nider. (UvEAA, V. 1632– 1636) Die dem Recht und dem Reich entgegenstehen: Sie übergehen Gottes Gebot, die handeln gegen die Natur und zerstören ihre Freiheit.
Die Rede gipfelt in dem Versprechen, dass der Gehorsam gegenüber Alexander auch diesen zum Dienst an seinen Untertanen verpflichtet – konträr zur Ansicht der Trîtônier sei somit eigentlich Alexander der Bezwungene, denn die Verpflichtung zum Schutz seiner Untertanen bedeute für ihn arbeit (UvEAA, V. 1642; „Mühsal“). wer sich uns neiget, der neiget uns im (UvEAA, V. 1638; „wer sich uns zuwendet, der bewirkt, dass wir uns ihm zuwenden“), heißt es. also bindet er uns und vrîet sich und hât uns mêr betwungenlich: seht, der wirt unser lôn, den wir nemen dâ von. (UvEAA, V. 1645 – 1648) So bindet er uns und befreit sich und übt noch dazu Zwang auf uns aus: Seht, das ist der Lohn, den wir davon haben.
Alexanders Taktik erinnert an das Vorgehen, das von Cicero und dem Auctor ad Herennium empfohlen wird, um ein Publikum trotz zweifelhafter Ausgangslage für die eigene Sache einzunehmen. Eine Möglichkeit besteht dabei darin, mit der Ansicht des Gegners über die Verwerflichkeit einer Sache zunächst übereinzustimmen, anschließend aber zu demonstrieren, dass die Kritik am vorliegenden Fall vorbeigehe und die eigene Partei somit überhaupt nicht betreffe. Man beginnt entweder mit dem Hauptargument des Gegners oder mit dem letzten von ihm genannten Aspekt.⁷⁵ Im Fall der trîtônischen Argumentation fällt beides zusammen.
de eo, quod adversarii firmissimum sibi adiumentum putarint, primum nos dicturos pollicebimur; aut ab adversarii dicto exordiemur, et ab eo maxime, quod ille nuperrime dixerit (Rhetorica ad Herennium, S. 18 [I, 10]; „Wir werden ankü ndigen, daß wir zunächst ü ber den Punkt sprechen
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Ruth Finckh hat gezeigt, dass der Brief wesentliche Impulse aus der gelehrten Kultur des 13. Jahrhunderts und der zeitgenössischen politischen Theorie bezieht: Der lateinische egredere-Einschub ist ein wörtliches Zitat aus der Alexandreis Walters von Châtillon,⁷⁶ das Bild der menschlichen Tugenden als Herrscherinnen und Bewohnerinnen einer allegorischen Stadt findet sich bei Alanus ab Insulis und das organologische Staatsmodell lässt sich ähnlich bei Johannes von Salisbury und Thomas von Aquin beobachten.⁷⁷ Ebenso wie im Brief des Aristoteles wendet Ulrich eine „Collage-Technik“⁷⁸ an, die Alexanders Brief an zeitgenössische Diskurse anbindet, ohne jedoch bei einer mechanischen Kombination von Versatzstücken stehenzubleiben. Der Brief dient vielmehr der differenzierten Auseinandersetzung mit dem Freiheitsanspruch der Trîtônier. Alexander geht genau auf die Argumentation der Städter ein und schenkt ihnen damit die Aufmerksamkeit, die sie von Anfang an erwarten. Er erkennt Gott und die von ihm geschaffene Natur als gemeinsamen Bezugsrahmen an, der für ihn in gleichem Maße Gültigkeit besitzt wie für die Stadtbürger.⁷⁹
werden, den die Gegenpartei fü r ihren stärksten Beweis hält; oder wir werden mit einem Ausspruch der Gegenpartei beginnen, und zwar vorzü glich mit einem, den sie ganz am Schluß getan hat“, ebd., S. 19). Vgl. auch ebd., S. 16 – 18 (I, 9); Cicero, Marcus Tullius: De inventione. Über die Auffindung des Stoffes. In: Marcus Tullius Cicero: De inventione. Über die Auffindung des Stoffes. De optimo genere oratorum. Über die beste Gattung von Rednern. Lateinisch – Deutsch. Hrsg. & übers. von Theodor Nüßlein. Lizenzausg., Düsseldorf u. a. 1998 (Sammlung Tusculum), S. 8 – 337, hier S. 52 (I, 25). Dort im Rahmen einer Vision am Grab Achills, in der Alexander von einer bischöflich wirkenden Erscheinung angesprochen wird, den er später im Patriarchen Jerusalems wiedererkennt: Egredere, o Macedo fortissime, finibus […] | A patriis, omnem que tibi pessundabo gentem ([Walter von Châtillon]: Galteri de Castellione Alexandreis. Hrsg. von Marvin L. Colker, Padua 1978 [Thesaurus mundi. Bibliotheca scriptorum Latinorum mediae et recentioris aetatis 17], hier B. I,V. 532 f.; „Verlaß dein Heimatland, o kühnster Makedone, und ich will alle Völker vor dir niederwerfen“. Übersetzung nach Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 399). Vgl. Johannes von Salisbury: Policraticus. Eine Textauswahl. Lateinisch-Deutsch. Hrsg. & übers. von Stefan Seit, Freiburg i. Br. u. a. 2008 (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 14), Kapitel VI; VIII; Ottmann: Das Mittelalter, S. 109 – 111. Zu Thomas von Aquin und anderen Modellen vgl. Finckh: Natur, S. 405. Finckh: Natur, S. 402. Vgl. dazu ebd., S. 387. Auch andere Auseinandersetzungen Alexanders haben das Potenzial, über die Anerkennung einer solchen höheren Macht eine gemeinsame Basis zu schaffen. Diese wird jedoch nicht in gleicher Weise genutzt; vgl. unten Kapitel 3.4.1. Zur Funktionalisierung des Naturbegriffs zur Aushandlung und Legitimation politischer Ordnung vgl. auch Höfele, Andreas / Kellner, Beate: Einleitung. In: Natur in politischen Ordnungsentwürfen der Vormoderne. Hrsg. von Andreas Höfele / Beate Kellner, Paderborn 2018, S. 7– 16; bes. ebd., S. 8 f., 11.
3.2 Zur Rhetorizität und Ritualität der Redeszenen
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Im Rahmen dieser Lektüre ist bereits mehrfach davon die Rede gewesen, dass Alexander und die Bewohner Trîtôniâs sich gegenseitig anerkennen. Diese Beobachtungen lassen sich mit einem Konzept von Anerkennung zusammenbringen, das in der Politikwissenschaft, der Philosophie und in jüngerer Zeit auch in der Literaturwissenschaft diskutiert wird.⁸⁰ Am Beispiel höfischer Romane hat Martin Baisch angeregt, mithilfe des Konzeptes der Anerkennung auch mittelalterliche Literatur zu untersuchen, die Dynamiken sozialer Interaktionen verhandelt.⁸¹ Im Anerkennen liegt im Gegensatz zum Erkennen eine praktische Dimension, durch welche das Verhältnis zweier oder mehrerer Personen zueinander determiniert wird. Während Erkennen darauf abzielt, die Identität des Anderen zu erkennen, ist die Anerkennung darauf aus, den Anderen in einer bestimmten Rolle, in einem bestimmten Aspekt und so weiter, das heißt als jemanden anzuerkennen. Anerkennung besitzt, wie Thomas Bedorf betont, damit eine dreistellige Struktur, die sich mit der folgenden Formel veranschaulichen lässt: x erkennt y als z an. Die Variable z lässt sich daher vielleicht als das Medium der/von Anerkennung begreifen.⁸²
Die Auseinandersetzung zwischen Alexander und den Trîtôniern lässt sich vor diesem Hintergrund als Deutungskonflikt um die Frage verstehen, in welcher Rolle die Beteiligten ihr Gegenüber jeweils anerkennen. Das anspruchsvolle Niveau der trîtônischen Freiheitsrede beinhaltet eine provokante Vorgabe: Der Opponent Alexander wird zunächst nicht als Herrscher anerkannt; stattdessen stellen die Trîtônier ihn vor die Herausforderung, sich als Redner zu messen und dem argumentativen Niveau zu entsprechen oder als (rhetorisch) Besiegter umzukehren. Die Kampagne zur militärischen Eroberung der Stadt zeigt insofern, dass Alexander die Botschaft der Trîtônier zunächst missversteht. Der Brief demonstriert zum einen seine Lernfähigkeit; zum anderen zeigt er, dass Alexander die Herausforderung annimmt und den Trîtôniern – in ihrem Medium der Aner-
Vgl. Baisch, Martin: Erkennen und/als Anerkennen im höfischen Roman. In: Literatur und Anerkennung. Wechselwirkungen und Perspektiven. Hrsg. von Andrea Albrecht / Moritz Schramm / Tilman Venzl, Münster 2017 (Folies 9), S. 231– 256, hier S. 239 – 247 zu „Anerkennen“ als Begriff und als Kategorie, auch im Unterschied zum Begriff des Erkennens, und den Möglichkeiten, das Konzept der Anerkennung zu historisieren. Der Beitrag lotet die Potenziale anschließend am Prozess des Erkennens und Anerkennens im Tristan Gottfrieds von Straßburg aus. Vgl. Baisch, Martin: Anerkennung und Vertrauen. Günstlingsdiskurse in der Vormoderne. In: Transkulturalität und Translation. Deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext. Hrsg. von Ingrid Kasten / Laura Auteri, Berlin u. a. 2017, S. 145 – 160, hier S. 145 f. Ebd., S. 146; vgl. auch Baisch: Erkennen, S. 241.
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kennung – auf Augenhöhe begegnet.⁸³ Er hat Erfolg: Die komplexe und mehrfach gesicherte Beweisführung lässt den Bürgern keine andere Wahl, als der Rechtmäßigkeit der Forderung zuzustimmen und Alexander als Herrscher anzuerkennen, wie die in der Einleitung diskutierte Ratsversammlung der Trîtônier zeigt.⁸⁴ In dieser deutet ein gelehrter Ratgeber Alexanders Beredsamkeit als Zeichen seiner bescheidenheit und seiner Eignung als trîtônischer Herrscher, wodurch beobachtbar wird, wie eine rhetorische Gemeinschaft zur Voraussetzung für die politische Gemeinschaft gemacht wird.
3.3 Überzeugende Freiheit? Das Ritual der Herrschaftsübergabe Welcher Seite ist in der Auseinandersetzung nun der Sieg zuzusprechen? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Perspektive ab, aus der sie gestellt wird. Im Hinblick auf das Ergebnis des Herrschaftswechsels in Trîtôniâ scheint Alexander als Gewinner hervorzugehen: Er wird als Kaiser gefeiert und die Trîtônier müssen ihre politische Autonomie aufgeben. Allerdings geschieht dies um den Preis einer grundlegenden Infragestellung des üblichen Herrschaftsmodells. So resümiert Ruth Finckh in ihrem Aufsatz zum Naturdiskurs, Alexander müsse sich darauf einlassen, seinen Machtanspruch rational zu begründen. „So erscheint er letztlich weniger als sieg- oder gar listenreicher Eroberer denn als gelehriger Schüler des weisen Aristoteles und der naturkundigen Einwohner der Gelehrtenrepublik Trîtôniâ.“⁸⁵ In ihrem ein Jahr zuvor erschienenen Beitrag zur Freiheitsthematik hatte sie für Differenzierung plädiert, hinsichtlich der Trîtônier aber eine ähnliche Position vertreten: Was für das Publikum vielmehr übrigbleibt, ist eine Differenzierung beider Standpunkte, vor allem aber eine Relativierung des monarchischen Machtanspruches. In einem Gedankenexperiment von bemerkenswerter Kühnheit wird die Legitimität der Königsherrschaft auf den ethischen Prüfstand gestellt, um die Fundamente ihrer Daseinsberechtigung offenzulegen. Dies allein ist ein Akt der geistigen Emanzipation, und so können auch innerhalb des Textes die Trîtônier, nachdem Alexander sich erst einmal auf eine Rechtfertigung seiner
Mit Blick auf die intertextuellen Anspielungen des Briefes formuliert Finckh, Alexander zeige „nun auch gelehrte Kenntnisse, die allein schon durch ihren Bildungsstatus geeignet sind, ihm die Türen des akademischen Widerstandsnestes zu öffnen“ (Finckh: Natur, S. 402). Vgl. Kapitel 1. Finckh: Natur, S. 407.
3.3 Überzeugende Freiheit? Das Ritual der Herrschaftsübergabe
115
Ansprüche eingelassen hat, in heiterer Souveränität den Einzug des Usurpators als prunkvolle Schau städtischen Selbstbewußtseins gestalten.⁸⁶
Im Gegensatz zu Stock, der den umfangreichen Herrschereinzug (Adventus) am Schluss des Textes als Zeichen der Unterwerfung Trîtôniâs interpretiert,⁸⁷ deutet Finckh die Zeremonie also im Horizont städtischer Repräsentation und sieht den Erfolg auf Seiten der Trîtônier. Thierry geht sogar noch weiter und sieht hinter der Fassade des Herrschereinzugs die Kapitulation Alexanders vor den Trîtôniern, die als ‚große Sieger‘⁸⁸ aus der Auseinandersetzung hervorgingen. Stock, Finckh und Thierry fragen also nach dem Sieger und suchen die Antwort im Triumphzug, wobei die gleiche Zeremonie einmal als Beweis für den Triumph Alexanders, das andere Mal für den Triumph der Städter angeführt wird. Der Blick auf das Zusammenspiel nonverbaler und verbaler Kommunikation im Schlussteil des Alexander-Anhangs legt ein anderes Vorgehen nahe. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der jüngeren Ritualforschung muss die Unterscheidung von Gewinner und Verlierer nicht als Leitdifferenz dienen. Herrschereinzüge sind immer „ein reziprokes Geschehen“:⁸⁹ Die Monarcheneinzüge des Spätmittelalters und der Renaissance waren keineswegs allein auf den Herrscher zentriert und standen auch nicht allein unter seiner Regie. Sie waren vielmehr feierliche Anlässe, bei denen sich auch die Stadtkommune mit ihren Autonomierechten darstellte und in ihrer korporativen Gliederung inszenierte[.]⁹⁰
Bevor der Adventus im Alexander-Anhang jedoch überhaupt durchgeführt werden kann, bedarf es weiterer Verhandlungen, in deren Rahmen erneut das Motiv der Freiheit prominent ist. Die Klärung von Einzelheiten des Ablaufs gehört zu den typischen Vorbereitungsschritten des Einzugs vormoderner Herrscher in eine Stadt;⁹¹ in diesem Kontext ist auch die Szene des Alexander-Anhangs zu sehen.
Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 410 f. Das Verhandlungsergebnis ermögliche es Alexander, „als letztlich triumphierender kaiserlicher Herrscher“ die Macht zu übernehmen (Stock: Paradoxer Gewinn, S. 126). Beim Adventus am Ende sehe man „die Stadt nicht im Modus der utopisch-freien Gelehrtenrepublik, sondern im Modus von Herrschereinzug und Huldigung“ (ebd., S. 127). „[L]a ‚victoire‘ d’Alexandre est en fait une capitulation, à laquelle le maître Aristote apporte sa caution“; den Trîtôniern spricht er „une complète victoire idéologique sur Alexandre“ zu, sodass diese als die „grands vainqueurs de la confrontation avec Alexandre“ hervorgehen (Thierry: La fabrique d’une fiction, S. 425). Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 109. Ebd., S. 109 f. Vgl. ebd., S. 110.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
Der Text arbeitet an dieser Stelle zudem mit einem weiteren Baustein aus dem Inventar politischer Kommunikationsformen, denn er verbindet die Besprechung des Organisatorischen mit Elementen eines Einsetzungs- und Huldigungsrituals, das Alexander die Herrschaft über Trîtôniâ überträgt.⁹² Durch symbolische Handlungen wird dabei die neue Ordnung performativ hergestellt und öffentlich beglaubigt. Wie sich zeigt, ist diese Ordnung jedoch weiterhin fragil und birgt ein Spannungspotenzial, dem mit demonstrativen Besänftigungsgesten begegnet werden muss. So wird das Zeremoniell indirekt zum Schauplatz weiterer Verhandlungen um die Souveränität Trîtôniâs. Oben wurde bereits angesprochen, dass die Trîtônier in ihrer Reaktion auf Alexanders Brief um eine angemessene Antwort bemüht sind, die es ihnen ermöglicht, das Gesicht zu wahren. Die Bedeutung der Form wird dadurch unterstrichen, dass sie sich von einem erfahrenen Diplomaten beraten lassen.⁹³ Dieser empfiehlt die Ehrung Alexanders durch das persönliche Auftreten der städtischen Würdenträger. Bei der – nun erstmalig von Angesicht zu Angesicht stattfindenden – Begegnung mit dem zukünftigen Herrscher hält der Podestà im Namen der Gesandtschaft eine Ansprache: ‚wir sîn des boten von der stat. die comûne und der rât
Dabei handelt es sich trotz aller Unterwerfungsforderungen im Alexander-Anhang gerade nicht um das Unterwerfungsritual der deditio, das „im Kern aus der Demonstration von Reue und Genugtuungsleistung (satisfactio) auf der einen Seite [bestand], worauf die Verzeihung und Versöhnung (reconciliatio) der anderen Seite folgte“ (ebd., S. 142). Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Dörrich, Corinna: Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur, Darmstadt 2002 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne) zum Versöhnungsritual im Herzog Ernst; abwägend dazu die Rezension von Hasebrink, Burkhard: Rezension zu: Corinna Dörrich, Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur. In: Arbitrium 21/1 (2003), S. 28 – 31, hier S. 31. Von den Formen der deditio macht Ulrichs von Etzenbach Alexander durchaus Gebrauch, wie der Auftritt des Demosthenes in der Athen-Episode zeigt (vgl. UvEA, V. 2665–2736). Demosthenes, der hier als Herzog von Athen geführt wird, erscheint zwar nicht in Büßerkleidung vor Alexander, er bekennt aber seinen Irrtum, zeigt tiefe Reue und bittet um Vergebung, worin er von der Athener Bevölkerung unterstützt wird. Dabei wird die kollektive Demonstration der Reue betont (Daz volc man in riuwen sach, UvEA, V. 2713), woraufhin Alexander sich gnädig zeigt und gegen die Übergabe von Geiseln der Versöhnung zustimmt. Im Alexander-Anhang wird an keiner Stelle die Dynamik von satisfactio und reconciliatio angedeutet; im Zentrum steht die Demonstration von Konsens. In ritualtheoretischer Hinsicht handelt es sich somit im Alexander-Anhang nicht um die Symbolsprache der Unterwerfung, sondern der Herrschaftsübergabe. Zur Herrschaftsübergabe, besonders zum Herrschereinzug (Adventus), vgl. Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 107– 113. Vgl. UvEAA, V. 1695 – 1708.
3.3 Überzeugende Freiheit? Das Ritual der Herrschaftsübergabe
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haben uns, hêrre, iu gesant. sie setzen sich ze iuwer hant, des sie gevrîet waren ie, daz sie keiser noch künge nie wolden des erbieten sich. sie wellen unbetwungenlich sich mit der stat iu, hêrre, geben und iu nâch willen leben: daz mit in selbe lobe wir. wenn ir gebietet, sô muget ir, hêrre, rîten zuo der stat.‘ (UvEAA, V. 1733 – 1745) „Wir sind Gesandte der Stadt. Die Kommune und der Rat haben uns, Herr, zu euch gesandt. Sie geben sich in Eure Hand; zuvor waren sie davon befreit, sich jemals Kaisern oder Königen anzubieten. Sie wollen sich ohne Zwang mit der Stadt an Euch, Herr, übergeben und nach eurem Willen leben. Das geloben wir selbst mit ihnen.Wenn Ihr es befehlt, so könnt Ihr, Herr, zu der Stadt reiten.“
Wie bereits in der Freiheitsrede wird auch hier erneut betont, dass Trîtôniâ bislang frei und ohne fremden Herrscher gewesen sei. Die Formulierung des sie gevrîet waren ie (UvEAA, V. 1737) deutet an, dass der bisherige Zustand der Freiheit durchaus eine Einschränkung erfährt. Doch dies wird nicht als Unterwerfung betrachtet, sondern mit großem Nachdruck als freiwillige Entscheidung – unbetwungenlich – präsentiert.⁹⁴ Dem Podestà gelingt das rhetorische Kunststück, eine Unterwerfungsrede zu halten, in der die Bereitschaft zur Aufgabe von Freiheit an die Freiwilligkeit der Entscheidung gekoppelt wird. Diese Leistung wird gewürdigt: Der êrlich Alexander, an den boten vander grôze bescheidenheit, zuht unde wîsheit. schœner worte redehaft vür brâhten sie ir botschaft (UvEAA, V. 1751– 1756)⁹⁵ Der ehrenhafte Alexander beobachtete an den Gesandten große Klugheit, Anstand und Weisheit. Mit schönen Worten brachten sie beredt ihre Botschaft vor.
Das passt zur Freiwilligkeitsfiktion bei Ritualen und in den Kontext des Herrscheradventus, bei dem Privilegien bestätigt oder neu vergeben wurden, vgl. etwa Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 110. Zur „Praxis der Freiwilligkeits- und Konsensfiktionen“ vgl. Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003, hier S. 190 u. ö. Vgl. Kapitel 3.1 zu den Eloquenzmarkern.
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Die Rede wird begleitet von zeremoniellen Handlungen, beginnend mit dem Einzug der Gesandten, gefolgt von einem Kniefall, der Aufhebung durch Alexander und dem Austausch von Gastgeschenken. Nach Abschluss seiner Ansprache überreicht der Podestà ein goldenes Zepter, das ausdrücklich als Zeichen der Beglaubigung eingesetzt wird, sîner rede ein gewisheit | und ein volle ganzheit (UvEAA, V. 1749 f.; „zur Bürgschaft und Rechtswirksamkeit seiner Rede“).⁹⁶ Alexander entspricht seiner Rolle im Ritual und verhält sich großzügig, erwidert die Gaben mit eigenen Geschenken und lässt auch den in der Stadt verbliebenen Ratsleuten Präsente liefern.⁹⁷ Mit der Übergabe des Herrschaftszeichens geht auf nonverbaler Ebene die Herrschaft an Alexander über. Auf verbaler Ebene jedoch bleibt auch bei Alexander weiterhin die Freiheitsthematik bestimmend. Alexander hält eine Ansprache, in der er die Freiheit der Stadt betont, seine briefliche Position bestätigt und die entscheidenden argumentativen Operationen wiederholt: ‚ir enput uns, vrî wæret ir: daz ez sô sî, sô welle wir wol. wir quâmen sô her noch ez was unser ger, daz wir an keinen dingen iuch dar abe wolden twingen. mit dem gelübde, daz ir tuot, dâ mit gedanke unde muot und unsern willen eigenlich ir ziehet an iuch getwungenlich: sît ir unser, sô sî wir iur.‘ (UvEAA, V. 1769 – 1779) „Ihr eröffnet uns, Ihr seiet frei: Dass es so sei, das wollen auch wir gern. So [mit dieser Absicht, M. R.] kamen wir her; es war keinesfalls unser Wunsch, Euch dies mit irgendwelchen Sachen durch Zwang abzuringen. Mit dem Gelübde, das Ihr tut, damit nehmt Ihr unser Denken, Wollen und unseren Willen mit Zwang in Euren Besitz. Seid Ihr unser, so sind wir Euer.“
Zum Einsatz dieser Elemente im Adventus, aber auch als „Bestandteile einer allgemeinen Ritualkultur“ vgl. Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 110 – 113, Zitat S. 113. Vgl. UvEAA, V. 1760 – 1766. Zur Rolle von Geschenken und/oder Gaben und ihrer Relation zu Anerkennungskonzepten vgl. Baisch, Martin: Einleitung. In: Anerkennung und die Möglichkeiten der Gabe. Literaturwissenschaftliche Beiträge. Unter Mitarb. von Malena Ratzke und Britta Wittchow. Hrsg. von Martin Baisch, Frankfurt a. M. 2017 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 58), S. 9 – 17, hier S. 11– 14 und die Beiträge im entsprechenden Tagungsband. In Bezug auf den Alexander Ulrichs von Etzenbach vgl. die Analyse zur Medêamanz-Episode in Kapitel 3.4.2 dieser Studie.
3.3 Überzeugende Freiheit? Das Ritual der Herrschaftsübergabe
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Alexander beteuert in Anwesenheit der offiziellen Vertreter Trîtôniâs, dass es ihm nie um eine gewaltsame Freiheitsberaubung gegangen sei – die Freiheit der Stadt bleibe unangetastet. Stattdessen hebt er umgekehrt den Zwang hervor, den das gelübde der Stadt auf ihn ausübe: unsern willen […] | ir ziehet an iuch getwungenlich, womit eine kontrastive Korrespondenz zum Gebrauch des ungetwungenlich in der Rede des Podestà hergestellt wird. Der Schlusssatz bringt dies als Formel auf den Punkt: sît ir unser, sô sî wir iur. Während der Redebeitrag des Stadtvertreters auf zwei Ebenen gleichzeitig operiert, vermeidet Alexanders Ansprache jede Missverständlichkeit und geht gezielt auf den Aspekt ein, der für das Selbstverständnis der Trîtônier entscheidend ist; er führt die Integrierbarkeit beider Anliegen vor. Natürlich büßen die Trîtônier auf instrumenteller⁹⁸ Ebene an Freiheit ein: An die Stelle autonomer Selbstverwaltung tritt die Subordination unter den Willen eines Monarchen. In der Symbolsprache wird die Logik von Gewinn und Niederlage jedoch ausgehebelt; im Zentrum steht stattdessen der Konsens über die Aufrechterhaltung der Freiheit, und mit ihr die Aufrechterhaltung des traditionellen Selbstbildes der Stadt. Dies ist der entscheidende Schachzug, der das Gelingen des Einzugs in Trîtôniâ sichert.⁹⁹ Der nun folgende Adventus feiert nicht nur sowohl die Ankunft des neuen Herrschers als auch das Selbstbewusstsein der Bürger, er dient gleichzeitig dazu, die neugewonnene Harmonie zur Schau zu stellen und für die Zukunft verbindlich zu machen.¹⁰⁰ Die Voraussetzung für Alexanders Erfolg liegt somit in der Anerkennung der städtischen Identität und in
Zur Unterscheidung von instrumenteller und symbolischer Ebene vgl. Kapitel 2.2, Anm. 59. Eine Passage von 34 Versen legt zunächst eine neue Aufteilung der Stadtverteidigung – den Städtern werden die Türme, den Makedonen die Stadttore zugewiesen– und das Datum des Adventus fest (vgl. UvEAA, V. 1780 – 1814). Auch hier lässt sich eine instrumentelle von einer symbolischen Perspektive unterscheiden, insofern die ‚bloße‘ Regelung organisatorischer Konsequenzen aus dem Herrscherwechsel zugleich eine erste Machtdemonstration Alexanders darstellt. Auch hier wird jedoch Wert auf ein harmonisches Verhältnis gelegt, indem die Makedonen dazu angehalten werden, gezogen aufzutreten, sich also nicht als Eroberer, sondern als tugendhafte Ritter zu präsentieren (vgl. UvEAA, V. 1810 – 1814, Zitat V. 1813). Vgl. UvEAA, V. 1815 – 2100. Vgl. Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 13 zur „sozial strukturbildende[n] Wirkung“ von Ritualen: „Sie erinnern an vergangenes und verpflichten zu zukünftigem Handeln“. Der Einzug in die Stadt enthält keine weiteren Reden oder Ansprachen, die einzige Form verbaler Kommunikation besteht in Lobgesängen, die von den verschiedenen Gruppen der trîtônischen Bevölkerung – darunter die Jungen und Frauen, aber auch die comûne und die Gremien der Selbstverwaltung – vorgetragen werden. Interessanterweise wird im Gesang der letzteren, der von einem Rechtsgelehrten (legum dominus) angeleitet wird, die Naturrechts- und Prophezeiungsargumentation wieder aufgenommen, die den Ausschlag für das Einverständnis der Trîtônier gegeben hatte (vgl. UvEAA,V. 1904– 1927); die Legitimierungsfunktion des Rituals ist also selbst in den Details seiner Umsetzung sichtbar.
120
3 Herrschaft durch Überzeugung
der Wahl der entsprechenden Symbolsprache für den Umgang miteinander. Politische Rede ist das Mittel, mit dem diese Anerkennung kommunizierbar ist.
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander Freiheit dient auch im Hauptteil des Alexander Ulrichs von Etzenbach als Begründung, um fremde Herrschaftsabsichten abzuweisen. In der Episode zur Eroberung Thebens widersetzt sich die Stadt Alexanders Anspruch ebenso demonstrativ wie Trîtôniâ im Alexander-Anhang, wählt dabei aber eine andere Strategie und schmettert Alexanders Gesandtem eine Spott- und Schmährede entgegen, die in deutlichem Kontrast zur Wohlgesetztheit der trîtônischen Freiheitsrede steht.¹⁰¹ Die Berufung auf die eigene Freiheit ist jedoch keineswegs auf die Gegner beschränkt, sondern wird auch von Alexander selbst eingesetzt, wie bereits beim ersten Hoftag Alexanders und noch vor seiner Krönung zu beobachten ist. Schon in der ersten Rede vor den Vasallen seines Vaters ruft der junge neue Herrscher sein politisches Ziel aus, sich von der Zinspflicht gegenüber Persien loszusagen: Her Darîus uns hât vür eigen ich wil im daz erzeigen daz wir vrî wellen leben und vürbaz deheinen zins geben. (UvEA, V. 2189 – 2192) Herr Darius betrachtet uns als Hörige, ich werde ihm das zeigen, dass wir frei leben wollen und fortan keinen Zins zahlen.
Nach der Krönung und der ersten Zahlungsaufforderung des Perserherrschers wiederholt Alexander seine Position in einer erneuten Rede, wiederum unter Bezug auf den Wert der Freiheit.¹⁰² Während diese beiden Ansprachen Freiheit
Eine weitere Parallele zwischen den Episoden besteht in der repräsentativen Falkenjagd, die Alexander in beiden Fällen abhält, um sein adliges Selbstverständnis und seine Macht zu demonstrieren. Zum Motiv der Falkenjagd vgl. Finckh: Vom Sinn der Freiheit, S. 368 f.; Finckh: Natur, S. 400. ich wil wesen vor im frî. | Ich will dar nâch trahten | wie ich daz müge geahten | und mit welhen sachen | ich müge iuch frî machen (UvEA, V. 2262– 2266; „Ich will frei von ihm sein. Ich werde darüber nachdenken, wie ich dafür sorgen und mit welchen Sachen ich Euch frei machen kann“). Auch in der Feldherrnrede vor der zweiten Schlacht am Isson beruft sich Alexander auf die Freiheit der Makedonen, vgl. UvEA, V. 7497– 7600; diese hat Ulrich aber weitgehend von Walter von Châtillon übernommen, vgl. Paul, Hans: Ulrich von Eschenbach und seine Alexandreis,
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander
121
bzw. die Befreiung aus der Abhängigkeit eher knapp behandeln, wird das Motiv in Alexanders Antwort auf die Gesandtschaftsrede des Medêamanz breiter entfaltet. Die Begegnung mit diesem hochrangigen persischen Gesandten findet nach der Eroberung Thebens statt und steht unter deren Einfluss. Zudem kommt dem korrekten Ablauf des Gesandtenbesuchs große Bedeutung zu, sodass erneut die Verschränkung politischer Rede mit nonverbalen Formen der Kommunikation beobachtbar ist.
3.4.1 sô sî wir von den goten frî (UvEA, V. 3243). Die Provokation Thebens In der Alexandreis Walters von Châtillon nimmt die Theben-Episode 64 Hexameter ein,¹⁰³ die von Ulrich als Gerüst für eine auf 1189 Verse ausgebaute Erzählung mit mehreren Binnen-Episoden genutzt werden.¹⁰⁴ Eine der Erweiterungen besteht in einer Szene diplomatischer Interaktion zwischen dem Gesandten Alexanders und einem Vertreter der Stadt. Die Argumentation des thebanischen Sprechers, der
Berlin 1914; zur Rede als Teil des Lehenskonfliktes mit Darius vgl. Behr: Literatur als Machtlegitimation, S. 162 f. Dass diese Episode in der europäischen Alexandertradition als bedeutende Redeszene wahrgenommen wurde, belegen mehrere Miniaturen in Handschriften mit französischen Übersetzungen der Historia de preliis: Verschiedentlich wird Alexander als Redner vor seinen Soldaten dargestellt; vgl. etwa London, British Library, Royal MS 19 D I (1333/1340), http:// www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=royal_ms_19_d_i_fs001r (13. Dezember 2021), fol. 15r; Katalogbeschreibung: British Library: London, British Library, Royal MS 19 D I. In: British Library Digitized Manuscripts (o. D.), http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Roy al_MS_19_D_I (13. Dezember 2021). Eine Handschrift des 15. Jahrhunderts allerdings interpretiert die Stelle als politische Redeszene, indem sie Alexander auf einem Podest inmitten seiner Vasallen darstellt, die Redegesten zeigen. Vgl. London, British Library, Royal MS 20 B XX: Vraye histoire du bon roy Alexandre (1420/1425), http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=royal_ ms_20_b_xx_fs001ar (13. Dezember 2021), hier fol. 29v; Katalogbeschreibung in der Datenbank Digitized Manuscripts: British Library: London, British Library, Royal MS 20 B XX. In: British Library Digitized Manuscripts (o. D.), http://www.bl.uk/manuscripts/FullDisplay.aspx?ref=Roy al_MS_20_B_XX (13. Dezember 2021). Vgl. [Walter von Châtillon]: Alexandreis, V. 284– 348 (Buch I). Vgl.UvEA, V. 2761– 3950. Claudia Medert untergliedert die Episode in die Abschnitte „‚Geschichte‘ der Stadt“ (UvEA, V. 2761– 3173), „Belagerung und Eroberung“ (UvEA, V. 3174– 3720), „Zerstörung“ (UvEA, V. 3721– 3818) und „Nachspiel“ (UvEA, V. 3819 – 3950), vgl. Medert: Der Alexander, S. 302. Markus Stock bezeichnet Ulrichs Erweiterung als „einigermaßen spektakulär“ und arbeitet die Bezüge auf die höfische Kultur und Literatur heraus; vgl. Stock: Vielfache Erinnerung, S. 409 – 419, Zitat S. 409. Jeweils Teile der Theben-Episode betrachten Medert: Der Alexander, S. 42– 45; Behr: Literatur als Machtlegitimation, S. 165 f.; Ehlert: Alexanderdichtung, S. 175, 190 f. u. ö.; Finckh: Ulrichs von Etzenbach Alexander, S. 390 – 394. Vgl. zuletzt Solomon: Konfliktlösung, S. 104 f.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
sich auf die gottgegebene Freiheit der Stadtbewohner beruft, weckt Assoziationen an die Freiheitsrede der Trîtônier – mit dem Unterschied allerdings, dass die Stadt in dieser Episode alles daran setzt, die Normen diplomatischer Interaktion zu durchbrechen.¹⁰⁵ Bereits die Ausgangssituation demonstriert einen Gegensatz von Anerkennung und Respektlosigkeit gegenüber dem Gesprächspartner, denn die beiden Parteien lassen höchst unterschiedliche Repräsentanten auftreten: Alexander sendet Hector, den jüngsten Sohn seines Vertrauten Permênion.¹⁰⁶ Anders als in der Trîtôniâ-Episode, in der Alexander zunächst einen namenlosen Boten sendet, schickt er hier von Anfang an einen angesehenen und in seinem persönlichen Vertrauen stehenden Gesandten zu den Thebanern. Alexander drückt der Stadt gegenüber seine Anerkennung aus, die allerdings von Seiten der Stadt keine Würdigung durch einen komplementären Gesandten erfährt, denn Hectors Gesprächspartner ist ein nicht weiter charakterisierter Thebaner, der von der Stadtmauer herunterruft und die Position der Stadt vertritt, ohne als offizieller Gesandter markiert worden zu sein.¹⁰⁷ Die Verhandlungen zur Übergabe der Stadt finden zunächst in Form eines Gesprächs mit relativ kurzen, schnell wechselnden turns statt, bevor der Vertreter Thebens schließlich zu einer 32 Verse umfassenden Stellungnahme ansetzt.¹⁰⁸ Diese Stellungnahme schlägt von vornherein einen unmissverständlich beleidigenden Tonfall an und macht deutlich, dass die Thebaner Alexanders Anspruch nicht nur verneinen, sondern verachten. Bereits die erste Hälfte disqualifiziert Hectors Begrüßung als claffen, als unnütze Rede: uns verdriuzet iuwer worte, die ir tâlanc gegen uns tuot. iuwer claffen uns sêre muot. ir müezt im dienst erzeigen, ir Kriechen sît sîn eigen: sô sî wir von den goten frî. halt uns niht ze lange bî und tuot zuo den vlans. zwâr wann wæret ir niht ein gans, ir möhtet wol zeimâl hœren. solt ir uns gar zerstœren?
Im Hinblick auf Stellen wie diese stellt Finckh fest, dass es „mitunter durchaus vor[kommt], daß die Feinde des Makedonenkönigs vor ihrer endgültigen Niederwerfung noch renitente Reden führen“; nur im Alexander-Anhang finde sich jedoch eine „grundsätzliche Infragestellung von Alexanders Recht, zu herrschen und zu erobern“ (Finckh: Natur, S. 386). Vgl. UvEA, V. 3191– 3196. einer her abe wider in sprach (UvEA,V. 3197; „Einer sprach [von der Mauer] zu ihm herunter“). Vgl. UvEA, V. 3238 – 3270.
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander
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daz von im nimmer wirt getân. cleine sorge wir des hân; wir werden im nimmer dienesthaft. (UvEA, V. 3238 – 3251) Uns verdrießen Eure Worte, die Ihr tagelang an uns richtet. Eure unnütze Rede stört uns sehr. Ihr müsst ihm Dienst erweisen, Ihr Griechen seid ihm hörig: Wir aber sind den Göttern nach frei. Bleibt nicht zu lange bei uns und haltet das Maul. Wahrhaftig, wenn Ihr nicht eine Gans wärt, würdet Ihr wohl einmal hören. Wollt Ihr uns etwa zerstören? Das wird von ihm niemals erreicht. Davor haben wir wenig Furcht; wir werden ihm niemals untertan.
Hectors im Vorfeld wiederholt getätigte Versuche, Theben durch Drohung und Ratschlag zur Unterwerfung zu bewegen, seien reine Zeitverschwendung, er solle besser schweigen und umkehren. Da auch ein Angriff der Griechen aussichtslos sei, stehe die Entscheidung fest: Theben werde sich niemals unterwerfen.Vor dem Hintergrund der Trîtôniâ-Episode fällt die Legitimation dieser Haltung ins Auge, denn es geht um die Begründung der Freiheit Thebens. Der Sprecher reklamiert eine Sonderstellung für die Stadt, die sich aus einer transzendenten Ordnung speist: So seien zwar die übrigen Griechen, als deren Vertreter Hector auftritt, Alexander zu Dienst verpflichtet, denn sie sind ihm eigen. Die Thebaner jedoch seien kraft eines göttlichen Privilegs davon ausgenommen, denn sie seien von den goten frî (UvEA, V. 3243). Sie führen damit eine Instanz ins Feld, die Alexanders Status vorausgeht. Theoretisch eröffnet sich damit die Möglichkeit für einen gemeinsamen Bezugsrahmen, dessen Gültigkeit von beiden Seiten akzeptiert wird.¹⁰⁹ Wie die Trîtôniâ-Episode zeigt, ist eine solche Wendung textlogisch durchaus denkbar, denn dort löst Alexander den Konflikt gerade dadurch, dass er sich auf die göttlich fundierte Freiheitsargumentation einlässt.¹¹⁰ Anders als bei den Trîtôniern, deren Gottesbezug nur einen Baustein in einer groß angelegten Redearchitektur bildet, bleibt es in Theben jedoch bei der relativ knappen Begründung. Anstatt in eine gelehrte Beweisführung ist diese in eine umfangreiche Schmährede eingebettet, wie sich bereits in den zitierten Beschimpfungen (claffen, vlans, wæret ir niht ein gans usw.) zeigt. Der zweite Teil des Redebeitrags geht sogar noch weiter und argumentiert ad hominem gegen die Person Alexanders: heizent in varn die eiger zern dâ heime mit den kinden solde man in noch vinden
Schlechtweg-Jahn beschreibt Vorgänge wie diese als „Praxis der Kompromißbildung, in der Machthaber und Machtunterworfene sich gemeinsam als der göttlichen Welt Unterworfene ansehen können und müssen“ (Schlechtweg-Jahn: Macht und Gewalt, S. 27). Vgl. Kapitel 3.2.3.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
den tophe umbe trîben. wil er mit gemache blîben, er sol von hinnen gâhen. ob er niht wil enphâhen laster unde schande, sô heb sich wider ze lande: ob daz niht gâhes geschiht, sînen schaden er gesiht: wir beginnen des geruochen daz wir in dâ ûze suochen, den ir dâ füerent als einen gouch; sô möht er lieber graben louch in sînes vater garten und dâ heime der gense warten. (UvEA, V. 3254– 3270) Sagt ihm, er soll zuhause Eier essen; mit den Kindern sollte man ihn mit dem Kreisel spielen finden.Will er in Ruhe bleiben, muss er von hier verschwinden.Wenn er nicht Kränkung und Schande empfangen will, so soll er sich zurück nach Hause aufmachen. Wenn das nicht schnell passiert, ist sein Schaden für ihn absehbar: Wir fangen dann an, uns vorzubehalten, dass wir ihn, den Narren, den Ihr dabei habt, dann draußen aufsuchen; Deshalb sollte er lieber Lauch im Garten seines Vaters ernten und zuhause auf die Gänse aufpassen.
Der Redeabschluss setzt auf maximale Erniedrigung und verhöhnt den jungen, höfischen Herrscher als grobes Bauernkind, das besser zuhause Eier essen und mit dem Kreisel spielen oder auf dem Hof seines Vaters Gartenarbeit leisten oder die Gänse hüten solle.¹¹¹ Darüber hinaus scheint der Thebaner Alexanders Herkunft infrage zu stellen und auf die Verbindung zu Neptanabus/Nectanabus anzuspielen, indem er Alexander als gouch bezeichnet – ein Begriff, dessen Semantik zwischen Narr, Kuckuck und Kuckuckskind, und somit Bastard, schwankt.¹¹² Die Motive von
Vgl. Finckh: Ulrichs von Etzenbach Alexander, S. 391. Vgl. Gouch. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 1 (2021), Sp. 1057, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?le mid=G05227 (13. Dezember 2021). Alexanders angebliche außereheliche Zeugung und die Problematik, die daraus für mittelalterliche Bearbeiter des Stoffes entsteht, hat Jan-Dirk Müller untersucht: „Göttliche Zeugung, die den Heros zum Halbgott erhebt, würde ihn im Mittelalter zum Dämon stempeln. Und ein anderer Vater, und sei er noch so mächtig, würde Alexanders genealogische Legitimität in Frage stellen. An diesem Problem arbeiten sich die Erzählungen von Alexander ab“ (Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, hier S. 81). An der Fassung von Ulrich von Etzenbach beobachtet Müller die Verwendung verschiedener Handlungsmuster, die die Brüche glätten. Dadurch, dass König Philipp sich über Alexander als seinen Erben freut, sei das Problem auf der Textoberfläche gelöst. Im
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander
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Alexanders Kindheit und unehelicher Abkunft begegnen ebenfalls im berühmten und in Kapitel 3.2.3 schon angesprochenen Briefwechsel mit Darius, der seiner Botschaft Kinderspielzeug beigibt, mit der Begründung, Spielzeug sei Alexander angemessener als der Krieg gegen den persischen Herrscher.¹¹³ Der Inhalt von Darius’ Brief bleibt jedoch der Öffentlichkeit verborgen, denn es heißt ausdrücklich, dass der Brief von Boten übergeben wird und Alexander ihn selbst liest.¹¹⁴ Der Thebaner geht in seinem Verletzungspotenzial einen Schritt weiter, indem er seinen Redebeitrag von den Zinnen der Stadtmauer herunterschreit. Was er sagt, erreicht maximale Öffentlichkeit. Mehr noch: Eine tatsächliche Begegnung zwischen Hector und dem Thebaner, in der beide Seiten ungehindert miteinander sprechen, findet nur in eingeschränktem Sinne statt; sie entspricht nicht der üblichen Form diplomatischer Verhandlungen. Dennoch ist die Episode sorgfältig komponiert, sie spielt mit Versatzstücken der etablierten Rituale. Deshalb sei nun ein Blick auf die Einbettung der Rede in ihren kommunikativen Kontext – und damit auf den Beginn der Episode – geworfen. Hector bittet um den üblichen Frieden zur Unterredung, den ihm der Thebaner auch gewährt; die Erteilung des Rederechts wird von diesem aber zugleich dazu genutzt, die aggressive Haltung der Städter deutlich zu machen, indem er die Unterredung als nutzlose Zeitverschwendung darstellt.¹¹⁵ Hectors anschließende Aufforderung zur Übergabe der Stadt fällt knapp aus; trotz ihrer Kürze ist sie jedoch rhetorisch effektiv und zielt darauf ab, die Thebaner vor vollendete Tatsachen zu stellen. Alexander wird von vornherein als iuwer herre, als bereits amtierender Herrscher Thebens, bezeichnet. Aus der Perspektive Thebens ist dies eine Anmaßung, jedenfalls reagiert der Thebaner mit einer Reihe von Drohungen:
Verlauf des Textes werde Alexanders Herkunft nur punktuell, durch Zorcas, infrage gestellt und schnell gelöst; vgl. ebd., S. 91. Die Rede des Thebaners und den Darius-Brief erwähnt Müller nicht. Vgl. UvEA, V. 5534– 5538. Der Brief umfasst die Verse UvEA, V. 5520 – 5546; vgl. bes. eine Passage, in der Olimpias verhöhnt wird: lege dich in dîner muoter schôz, | die êren und kiusche nie verdrôz: | dâ soldest du haben noch gemach. | (mit valschem munde er daz sprach, | der frowen untât er ruocte) (UvEA,V. 5529 – 5533; Lege dich in den Schoß deiner Mutter, die Ehre und Keuschheit nie kümmerte: Da wirst du es noch bequem haben. (Mit falschem Munde sagte er das, das Vergehen der Dame tadelte er)“. Vgl. Kapitel 3.2.3. ‚welt ir witze walten, | sô sult ir niht lange halten. | redent bî der zît waz ir welt | und schaffent iuch wider ûf daz velt, | habt niht ze lange hie vor‘ (UvEA, V. 3201– 3205; „Wenn Ihr bei Verstand seid, so bleibt nicht zu lange. Sagt schnell was Ihr wollt und verzieht Euch wieder auf das Feld, bleibt nicht zu lange hier“).
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3 Herrschaft durch Überzeugung
dô sprach der starke Hector ‚iuwer hêrre von dem lande mich her zuo iu sande, daz ir im die stat ûf tuot.‘ er sprach ‚des habt deheinen muot warumb ir sult im dienen, ir erlâzent uns iuwers vienen. welt ir niht anders sagen, ir muget der rede wol gedagen. die wîle ir uns sô nâhe sît, ir muget gewinnen übel zît. iuwer munt ze hêrren uns des giht, des wir ze hêrren wellen niht.‘ (UvEA, V. 3206 – 3218) Da sprach der starke Hector: „Euer Landesherr sandte mich zu Euch, dass Ihr ihm die Stadt öffnet“. Er [der Thebaner] sprach: „Das könnt Ihr vergessen. Warum? Sollt Ihr ihm dienen – uns lasst mit Euren Betrügereien in Ruhe.Wenn Ihr nichts anderes vortragen wollt, könnt Ihr genausogut schweigen. Solange Ihr uns so nah seid, kann Euch Unangenehmes geschehen. Euer Mund heißt uns den zum Herren zu machen, den wir nicht zum Herren machen wollen.“
Der Redeeinstieg des Thebaners ist nicht klar zu deuten; in der Gegenüberstellung von ir sult im dienen und erlâzent uns iuwers vienen operiert er jedoch mit einem Kontrast, der den Dienst der Makedonen an Alexander als legitim darzustellen scheint, während dies für die Thebaner infrage gestellt wird. Hectors Forderung wird als Täuschungs- oder Betrugsversuch (vienen ¹¹⁶) an der Stadt gewertet, woraufhin mit dem Entzug des gerade gewährten Rederechts gedroht wird. Eine weitere Drohung folgt – weiteres Drängen werde schlecht für die Makedonen ausgehen –, bevor am Ende die zentrale, rebellische Botschaft bekräftigt wird: Die Stadt lehnt Alexanders Herrschaftsanspruch ab.Vergleicht man diesen ersten Teil der Auseinandersetzung mit der oben besprochenen längeren, fällt die Ähnlichkeit der Argumente ins Auge: 1. Klage über die Zeitverschwendung (UvEA, V. 3201– 3205; 3238 f.) 2. Theben ist nicht wie andere Griechen zum Dienst verpflichtet (UvEA, V. 3210 – 13; 3241– 43) 3. Schweigegebot (UvEA, V. 3213 f.; 3244 f.) 4. Androhung des Widerstands (UvEA, V. 3215 f.; 3248 – 50) 5. Resümee: Ablehnung Alexanders (UvEA, V. 3217 f.; 3251)
Vgl. Vienen. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 3 (2021), Sp. 337, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?le mid=V03488 (13. Dezember 2021).
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Zwischen den kürzeren Redebeiträgen des Thebaners im ersten Teil der Szene und seiner längeren Rede im zweiten Teil bestehen deutliche Parallelen, die in einer Art Reprise-Struktur die Argumentation und Provokation Thebens wiederholen.¹¹⁷ Durch den schmähungsreichen Schlussteil wird der Effekt in der längeren Rede sogar noch gesteigert. Die Abweichung vom diplomatischen Protokoll vermittelt nur auf den ersten Blick einen Eindruck von Strukturlosigkeit; bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Redebeiträge der Szene durchkomponiert sind und eine eigene Ordnung aufweisen. Die Provokationen sind wohlkalkuliert eingesetzt. Nun wäre zu fragen, wie Alexander auf diese Schmähungen reagiert. In vergleichbaren Fällen hebt der Text seinen zorn hervor, der Alexander mitunter seine herrscherliche milte vergessen lässt und zu grausamen Racheaktionen führt.¹¹⁸ Hier jedoch reagiert Alexander gelassen auf Hectors Bericht: [Hector] sprach ‚ich hân engolten der botschaft, ich bin bescholten, bœser worte man mir verjach.‘ mit guotem siten der künic sprach ‚sol uns die êre geschehen daz wir sie mugen hie ûze sehen, als sie sich vermezzen hân; wirt daz sô von in getân, wir sullen in die rede gelten mit slegen sunder schelten. (UvEA, V. 3275 – 3284) Hector sagte: „Für diese Botschaft habe ich bezahlt: Ich bin beschimpft worden, schlimme Worte sagte man mir.“ Mit sanftem Anstand sagte der König: „Wenn uns die Ehre geschehen
Vgl. auch die reprisenhaft strukturierte Rede der Sultansgesandten in Akkon, Kapitel 4.2.1. So etwa bei der Eroberung Tyrons; vgl. UvEA, V. 5265 – 5285, zum zorn vgl. V. 5284. Finckh verweist auch auf die Erwähnung des zorns in der Tyrus-Episode; vgl. Finckh: Ulrichs von Etzenbach Alexander, S. 394. Zum Motiv des Zorns zwischen Kampfzorn und Herrscherzorn und darüber hinaus vgl. Baisch, Martin / Freienhofer, Evamaria / Lieberich, Eva: Einleitung. In: Rache – Zorn – Neid. Zur Faszination negativer Emotionen. Hrsg. von Martin Baisch / Evamaria Freienhofer / Eva Lieberich, Göttingen 2014 (Aventiuren 8), S. 9 – 26, hier S. 12 f. Evamaria Freienhofer hat sich eingehender mit zorn als politischer Emotion in theoretischen, fiktionalen und historiografischen Texten des 12. Jahrhunderts befasst; sie beobachtet ein Spektrum an Funktionen, die dem Zorn des Herrschers, aber auch anderen Figuren zugeschrieben wird.Wie sie am Rahewin-Teil der Gesta Friderici zeigt, können diese Funktionalisierungen und ihre Deutung auch innerhalb eines Textes vielschichtig sein; vgl. Freienhofer, Evamaria: Verkörperungen von Herrschaft. Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts, Berlin u. a. 2016 (Trends in Medieval Philology 32), hier S. 155 – 163.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
sollte, dass wir sie hier draußen sehen, wie sie geprahlt haben – wenn sie das so umsetzen, werden wir ihnen die Rede mit Schlägen, ohne Beschimpfung zurückzahlen.“
Den bœsen worten setzt Alexander seinen guoten sit entgegen; anstatt jedoch nun zu einem Gegenbeispiel vorbildlicher oratorischer Formkunst anzusetzen, beschließt er, der mit Schimpfworten gespickten rede im Kampf mit slegen zu begegnen. Alexander vertraut also auf seine militärische Stärke, so wie er es auch im Alexander-Anhang zunächst tut. Anders als Trîtôniâ verfügt Theben zu seiner Verteidigung jedoch nicht über alchemistische Zauberkünste, sondern wird nach einer qualvollen, vierzigtägigen Belagerung eingenommen und dem Erdboden gleichgemacht. Auch ein Besänftigungsversuch durch den Sänger Clyades, der ein Loblied zu Ehren Alexanders singt, kann die Zerstörung nicht verhindern – zwar stimmt das Lied den Herrscher gewogen und er überlegt, mehr Gnade walten zu lassen, die Eigendynamik der Eroberung kann zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr aufgehalten werden.¹¹⁹ Angesichts des verbalen und physischen Widerstands der Stadt wird die Zerstörung Thebens vom Erzähler als angemessene und folgerichtige Reaktion bewertet.¹²⁰ Ulrich von Etzenbach nutzt im Unterschied zur Vorlage Walters von Châtillon allerdings die Chance, in Alexanders Verhalten auch Zeichen von Gnade oder politischer Umsicht aufscheinen zu lassen. Er lässt die Stadt neu besiedeln – zwar mit Soldaten seiner eigenen Armee, aber er sorgt dabei zugleich für personelle Kontinuität. Die Frau des ehemaligen Herzogs Orestes bleibt verschont und wird in einem großangelegten Fest, das Hochzeit und Friedensfeier zugleich ist, mit einem Vasallen Alexanders verheiratet.¹²¹ Im Vergleich mit Trîtôniâ lässt sich festhalten, dass eine in ihren Grundzügen insofern ähnliche Ausgangssituation beschrieben wird, als Alexander beide Male auf eine Stadt trifft, die zunächst weder vor Alexanders verbal geäußertem An-
swaz in Clyades gebat | des küneges gebôt was überhôrt, | man wîp kint wurden ermort, | sunder die dâ frouwe was: | selb vierde die genas. | die hiez der werde wîsen abe. | er liez sie ouch bî sollicher habe, | die sie nam vür guot (UvEA, V. 3788 – 3795; „Der Befehl des Königs zu dem, worum ihn Clyades gebeten hatte, wurde überhört. Mann, Frau und Kind wurden ermordet, mit Ausnahme derer, die dort die Herrin war: Zusammen mit drei anderen wurde sie verschont. Die befahl der Würdige wegzuführen. Er ließ ihr auch soviel Besitz, wie ihr passend erschien“). hæten die von Thêbas im sam verjehen, | sô wær des mordes dâ niht geschehen. | wer dem rehten wider ist, | daz enwert niht ze stæter frist: | dar umbe sol ein ieslich man | gerne an daz reht sich lân (UvEA, V. 3945 – 3950; „Hätten die aus Theben ihm besser geantwortet, so wäre das Gemetzel dort nicht passiert. Wenn sich wer gegen das Recht stellt, das hält nicht lange: Darum soll ein jeder Mann sich bereitwillig nach dem Recht richten“). Die Verbindung der beiden wird mit der üblichen Topik als höfische Minne beschrieben; vgl. dazu Medert: Der Alexander, S. 71– 73.
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spruch noch vor seiner militärischen Stärke zurückschreckt. Beide Städte berufen sich auf ihre angestammte Freiheit, deren Gültigkeit göttlich legitimiert wird. Im Bezug auf eine transzendente Ordnung liegt die Möglichkeit, sich in der Verhandlung mit Alexander auf gemeinsamem Grund zu treffen. Allerdings zeigt sich hier der fundamentale Unterschied in der Konstruktion der beiden Episoden, denn gerade vor dem Hintergrund des Alexander-Anhangs wird deutlich, wie sehr gelingende Kommunikation vom Mitspielen beider Seiten abhängt.¹²² Die Redebeiträge des thebanischen Sprechers sind planvoll konstruiert, sie verstoßen aber ostentativ gegen die Normen diplomatischer Begegnungen und bereiten so den Boden für den Untergang Thebens in seiner bestehenden Form.
3.4.2 Freiheit durch Gleichheit mit dem Anspruchsteller. Alexanders Rede gegenüber Medêamanz Unmittelbar an die Siegesfeiern in Theben und einen resümierenden Erzählerkommentar, der die gewaltsame Einnahme der Stadt als rechtmäßige Handlung bewertet, schließt sich die Ankunft einer persischen Gesandtschaft unter der Führung des Medêamanz von Samargône an, die Alexander zum wiederholten Mal zur Zinszahlung auffordern soll.¹²³ Die Episode bietet Raum für die detaillierte Darstellung eines Gesandtschaftsbesuches und demonstriert gleichzeitig, welche Möglichkeiten dem Gastgeber zur Verfügung stehen, um seine eigenen Interessen durchzusetzen, indem er den Gesandten gegen seinen Herrn ausspielt. Alexander verschiebt immer wieder die Gesandtschaftsrede des Medêamanz, um dessen Position zu schwächen, und hält schließlich eine eigene Rede, in der er seine Freiheit gegen die persischen Ansprüche verteidigt. Zunächst zum Vorfeld der Reden: Die Gesandtschaft des Darius erscheint mit dem Ziel, Alexander zum Gehorsam zu rufen. Sie trifft ihn aber ausgerechnet im frisch unterworfenen Theben an. Alexander hat sich gerade als mächtiger Herrscher erwiesen, das Kräfteverhältnis zwischen Medêamanz bzw. Darius und Alexander ist also denkbar ungünstig: daz ez der junge von Kriechen was, | der dâ lac vor Thêbas, | ez hete sie unbillîche (UvEA,V. 3969 – 3971; „dass es der Junge aus
Dabei ist natürlich zu bedenken, dass der Grund für den Untergang Thebens nicht nur im Verhalten des Sprechers, sondern in erster Linie in der anhaltenden Weigerung besteht, die Stadttore zu öffnen. Die Belagerung der Stadt ist zudem stofflich durch die Tradition der Alexanderromane vor Ulrich von Etzenbach vorgegeben. Vgl. UvEA, V. 3945 – 3956; Nennung des Medêamanz als künc von Samargône in V. 3976, namentlich dann in V. 4025.
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Griechenland war, der da vor Theben lag, war ihnen unrecht“). Im makedonischen Heerlager wird Medêamanz von Permêniô begrüßt, der fortan als Gästebeauftragter und als Kontakt zu Alexander fungiert.¹²⁴ Im Rahmen der Ankunftsszene wird in einer ausführlichen descriptio das Aussehen des mitgebrachten Zeltes geschildert, das vom Reichtum und der Pracht der persischen Gesandtschaft zeugt. Diese Beschreibung korrespondiert mit der descriptio von Alexanders Zelt zu Beginn der Theben-Episode und gibt gleichzeitig Anlass für einen Exkurs zu Medêamanz’ Frau Dulcâmûr, die den Gesandten als vollendeten Minneritter ausweist.¹²⁵ Die Audienz selbst steht ganz im Zeichen der Gastfreundschaft und Ehrung der Besucher. Alexander geht den Gesandten entgegen und begrüßt sie in ihrer eigenen Sprache – er inszeniert sich also nicht als unnahbarer Herrscher, sondern als eleganter Diplomat, der über die nötigen Fremdsprachenkenntnisse verfügt.¹²⁶ Auch sonst lässt Alexander seinen Gästen eine Behandlung nâch friunde site (UvEA, V. 4127) zukommen und verwöhnt sie nach Kräften. Die zuvorkommende Behandlung, so zeigt sich im Verlauf der Szene, dient aber nicht allein der Demonstration von Güte und hövescheit des Alexanderhofes, sondern ist eingebunden in eine durchdachte Verzögerungstaktik: Als Medêamanz Anstalten macht, sein Anliegen vorzutragen, winkt Alexander ab und bittet ihn, sich erst einmal zu setzen und von den Strapazen der Reise zu erholen. Weitere Versuche werden abgewiegelt und weitere Annehmlichkeiten angeordnet, sodass Medêamanz erst nach dreitägiger Verzögerung seine Botschaft überbringen kann. Mittlerweile weiß er sich angesichts der erhaltenen Wohltaten schon tief in Alexanders Schuld, was die Aufgabe, Darius’ Zahlungsaufforderung zu verkünden, sichtlich erschwert. Der Anfang seiner Ansprache – die übrigens explizit in ihrer Angemessenheit hervorgehoben wird¹²⁷ – zeugt davon, in welchem Zwiespalt er sich befindet: ob ich ez gegen iu werben muoz: der keiser enbiut iu sînen gruoz
Er nimmt das Anliegen der Gesandtschaft entgegen, fragt nach dem Namen des Gesandten und kündigt ihn bei Alexander an, mit der Bitte, ihn seiner Würde entsprechend zu behandeln; vgl. UvEA, V. 3989 – 3992; 4045 – 4062. Vgl. UvEA,V. 4021– 4044. Die Minnebeziehung steht meist im Fokus der Beiträge, die sich der Medêamanz-Gesandtschaft widmen, vgl. Medert: Der Alexander, S. 45 f.; Behr: Literatur als Machtlegitimation, S. 166; Ehlert: Alexanderdichtung, S. 192. Weitere Repräsentationssignale sendet die prächtige Kleidung der Gesandten, vgl. UvEA, V. 4063 – 4076. Zu Medêamanz als Gesandtem vgl. Stengl: Die literarische Botendarstellung, S. 40. Vgl. UvEA, V. 4102– 4104 und Kapitel 2.3, Anm. 140. mit zühten er sprechen kunde (UvEA, V. 4138; „er konnte mit feinem Anstand sprechen“).
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und hât mich ze iu her gesant, daz ir verzinsent iuwer lant, als Philippus, der werde man, iuwer vater hât getân (UvEA, V. 4139 – 4144) Wenn ich es Euch schon überbringen muss: Der Kaiser richtet Euch seinen Gruß aus und hat mich zu Euch hergesandt, dass für Ihr Euer Land genauso Zins zahlt, wie Philipp, der ehrenwerte Mann, Euer Vater, es getan hat.
Nach der zitierten Grußformel und der Nennung des Anliegens folgt das Angebot, Alexander mit Makedonien zu belehnen, das man als Angebot zur gütlichen Einigung lesen könnte, von Alexander aber später als Anmaßung gedeutet wird: ouch heizet er iuch des gâhen, | daz lant von im enphâhen (UvEA, V. 4145 f.; „auch befiehlt er Euch, Euch zu beeilen, um das Land von ihm zu empfangen“). Medêamanz unterstreicht die Legitimität von Darius’ Forderung, betont dessen ungetrübte hulde (UvEA, V. 4152) und schmeichelt Alexander durch Hervorhebung seiner Tugenden. Er schließt mit einer Bemerkung zu seiner eigenen Beziehung zu Alexander: ir habt umb mich verdient ouch daz, daz ich immer vürbaz mit den friunden mînen mit gunst iu muoz erschînen. daz iu der keiser êre tuo, dâ wil ich immer râten zuo: ez ist wol daz iu êre geschiht, daz red ich durch kein lôsen niht (UvEA, V. 4157– 4164) Ihr habt Euch um mich so verdient gemacht, dass ich Euch für immer, mitsamt meinen Freunden, mit Gewogenheit gegenübertrete. Zu dem, was der Kaiser Euch an Ehre erweist, dazu will ich Euch stets raten: Es ist gut so, dass Euch Ehre zuteil wird, das sage ich keineswegs aus Heuchelei.
Strukturell und sprachlich kommt Medêamanz’ Rede relativ pragmatisch daher und beschränkt sich auf die Übermittlung der Botschaft, aber Beginn und Ende stehen im Zeichen seiner Verpflichtung gegenüber Alexander, die ihn in einen Treuekonflikt gegenüber seinem eigentlichen Herrn bringt.¹²⁸ Medêamanz befindet sich in einer denkbar schlechten Verhandlungsposition.
In ihrer Untersuchung mittelhochdeutscher Botendarstellungen betrachtet Britta Karin Stengl neben Hectors Problemen vor Theben u. a. auch die Medêamanz-Episode und beobachtet,
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Alexander nutzt dies für seine Rede aus. Er nimmt den Aspekt des guten Verhältnisses zu Medêamanz auf und skizziert ein Bild von Dienst und Gegendienst: ‚Ir bietent mir iuwer dienste vil. daz ich vil gerne dienen wil, ob mich heil niht fliuhet; swâ sich daz geziuhet, daz ir daz gegen mir suochet und mînes dienstes ruochet, ob iu touc mîn dienest iht. (UvEA, V. 4165 – 4171) Ihr bietet mir viel von Euren Diensten an. Das will ich sehr gern entgelten, wenn mich das Glück nicht verlässt, falls es sich ergibt, dass Ihr mich bittet und meinen Dienst wünscht, wenn Euch mein Dienst etwas nützt.
Das Angebot, Medêamanz abzuwerben, spielt bewusst mit dem Risiko, als Anmaßung gegenüber dem König von Samargône und dem persischen Kaiser gedeutet zu werden. Die Betonung der Eintracht eröffnet aber zugleich die Möglichkeit für einen scharfen Kontrast, denn damit ist eine Situation konstruiert, vor deren Hintergrund sich wiederum Darius’ Zinsforderung leicht als anmaßend darstellen lässt. Während er Medêamanz seinen Dienst – als Dienstherr – anbietet, weist er den Gedanken, als Lehnsmann in ein Dienstverhältnis zu Darius zu treten, entschieden zurück: ich hab von dem keiser niht, weder huobe noch daz lêhen, dar umbe ich in iht welle vlêhen oder im dienst erzeigen. ich bin doch niemans eigen. ich enwil von im niht hân. (UvEA, V. 4172–4177)
dass hier zeitgenössische Konventionen beachtet werden. Sie resümiert: „Die Alexanderfigur wird im Umgang mit Boten nicht besonders hervorgehoben, vielmehr sind es die Boten, die durch Formeln aller Art Unbehagen bekunden. Obwohl keiner der Boten bei Ulrich über seine Funktion reflektiert, beteuern sie doch immer wieder, daß sie die Nachricht korrekt und vollständig übermittelt haben und für deren Inhalt nicht bestraft werden dürfen“ (Stengl: Die literarische Botendarstellung, S. 42). Wie die Analysen dieses Kapitels zeigen, lässt sich an Alexanders Umgang mit Gesandten und Boten sowohl im Alexander als auch im Alexander-Anhang einiges mehr über Alexanders Herrschaftsverständnis im Umgang mit Boten und die Rolle von Rede herausarbeiten.
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Ich habe nichts vom Kaiser, weder Land noch Lehen, deshalb will ich ihn weder bitten noch ihm dienstbar sein. Ich bin doch niemandes Besitz. Von ihm will ich nichts haben.
Auch von seinem Vater grenzt Alexander sich ab: Dessen Handeln sei tôrlich gewesen und werde von ihm selbst nicht fortgeführt werden. hât mîn vater tôrlich getân, des wil ich mich überheben, ich wil im keinen zins geben. er hât doch gnuoc verterbet. ich bin des vater enterbet (UvEA, V. 4178–4182) Hat mein Vater unklug gehandelt, will ich mich davon befreien, ich werde ihm keinen Zins zahlen. Er hat doch genug zerstört. Ich bin des Vaters beraubt.
Im folgenden Teil der Rede demonstriert Alexander sein Selbstbewusstsein und verspottet Darius mit sarkastischen Bemerkungen. Alexander sei leider die – sprichwörtliche – goldene Eier legende Ente gestorben,¹²⁹ er habe also gar kein Geld zur Verfügung. Zudem sei es wahrscheinlicher, dass Darius den schwersten Stein der Welt bewegte, als dass Alexander Zinsen zahlte.¹³⁰ Der an das Bild und den Vergleich anschließende zweite Teil der Rede besteht zu großen Teilen aus
ouch ist diz mîn ander nôt, | mir ist der antvogel tôt, | der die guldîn eiger legte (UvEA,V. 4183 – 4185; „Außerdem ist das mein zweites Problem: Mir ist die Ente gestorben, die die goldenen Eier legte“). Margot Hühne vermutet bzgl. der Erwähnung des Eiermotivs, dass Ulrich eine entsprechende Glosse in seiner Vorlage umgesetzt haben könnte, vgl. Hühne, Margot: Die Alexanderepen Rudolfs von Ems und Ulrichs von Eschenbach, Würzburg-Aumühle 1938, hier S. 30 f.; mit Verweis auf Paul: Ulrich von Eschenbach. Paul verglich sachliche Erläuterungen Ulrichs von Etzenbach mit einer kommentierten Wiener Handschrift der Alexandreis Walters von Châtillon, vgl. ebd., S. 70 – 94; vgl. auch die Übersicht ebd., S. 12– 21. Zu UvEA, V. 3951– 4262 gibt Paul jedoch an: „3. Dariusgesandtschaft unter Medeamanz: Selbständig“ (ebd., S. 13). Die Enzyklopädie des Märchens verzeichnet Texte, in denen goldene Enteneier als Schatz versteckt sind, der aber nicht gehoben werden kann, vgl. Grätz, Manfred: Ente. In: Enzyklopädie des Märchens 4 (1984), Sp. 1– 6, Sp. 4. Passender erscheint das bei Anton Dietrich wiedergegebene russische Märchen von der Ente mit goldnen Eiern, in dem eine Ente jeden Tag ein goldenes Ei legt und den Reichtum eines Kaufmanns begründet, bis sie geschlachtet wird und ihr Verzehr seinen Sohn zum Zaren macht: Vgl. Dietrich, Anton: Russische Volksmärchen. In den Urschriften gesammelt und ins Deutsche übersetzt. Mit einem Vorwort von Jacob Grimm. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1831, Hamburg 2011, hier S. 101– 104 (Nr. 9). Michele Campopiano verweist für eine Parallelstelle in der Alexander-Tradition (eine italienische Übersetzung der Historia de preliis) auf eine Avian-Fabel, die in der Folge sprichwörtlich geworden sei. Dort ist es ein Huhn, das die goldenen Eier legt; vgl. Campopiano: Oratorik in Übersetzung, S. 66, Anm. 26. Vgl. UvEA, V. 4186 – 4190.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
offenen Drohungen gegenüber Darius. Dessen Verhalten sei hôchvart (UvEA, V. 4192), Alexander werde sich wehren und ihn unterwerfen und schwört sogar, ihn zu töten.¹³¹ In die Drohungen flicht Alexander allerdings weitere Aspekte ein, die dem Eindruck entgegenwirken, dass es sich bei seiner Rede um eine ungezügelte Schimpftirade handelt. So spricht er Medêamanz direkt an und bittet ihn, ihm seine freche rede (UvEA, V. 4200) zu verzeihen. Außerdem führt er hier eine Legitimation seiner Position an – und diese liegt bezeichnenderweise in seiner Freiheit. Er leitet sie aus der Ebenbürtigkeit mit Darius ab: nû sendet er nâch zinse her: ich bin doch frî alsam er. ob man in under crône siht, der selben wirde man mir ouch giht. jâ wær ich niht mannes wert, waz tohte mir schilt und swert, solt ich mich sîn niht erwern und vor sîme gewalt ernern? (UvEA, V. 4203 – 4210) Jetzt lässt er Zinsen eintreiben: Ich bin doch genauso frei wie er. So, wie man ihn unter einer Krone sieht, dieselbe Würde erweist man auch mir. Ja, wäre ich kein ganzer Mann, was nützten mir Schild und Schwert, wenn ich mich nicht gegen ihn wehren und vor seiner Gewalt retten sollte?
Anders als die Thebaner und Trîtônier eröffnet Alexander hier keinen transzendenten Bezugsrahmen, der als Grundlage für einen Kompromiss dienen könnte. In Bezug auf den jeweiligen Herrschaftsanspruch wird jedoch insofern ähnlich argumentiert, als in beiden Fällen auf die Ebenbürtigkeit mit dem Herausforderer abgehoben wird, um dessen Anspruch zu negieren. Die Trîtônier argumentieren ontologisch mit der Gleichheit aller Menschen aufgrund ihrer Sterblichkeit, von der auch Alexander betroffen ist. In der Auseinandersetzung mit Darius ist Alexander in der gleichen Position, sich verteidigen zu müssen, und argumentiert ebenfalls mit einer Gleichheit, bewegt sich jedoch in einem engeren, standespolitischen Rahmen und führt seinen Status als Gekrönter, also seinen Herrscherstatus an. Im Vergleich der ‚Freiheitsreden‘ Trîtôniâs und Alexanders wird deutlich: In beiden Fällen legitimiert sich Herrschaft im aufgerufenen Modell durch Überlegenheit; wo sie fehlt, besteht auch kein Grund zum Gehorsam, geschweige denn zur Unterwerfung.
Vgl. UvEA,V. 4191– 4218, bes. markant in den folgenden Versen: er muoz mîn undertân wesen (UvEA, V. 4197); ich wil in suochen mit her (UvEA, V. 4213); alhie swer ich sînen tôt (UvEA, V. 4218).
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander
135
Medêamanz, der von Alexander dazu aufgefordert wird, die Rede bei Darius getreu wiederzugeben,¹³² zeigt sich über die Provokation entsetzt.¹³³ Dies bewirkt aber erwartungsgemäß kein Einlenken bei Alexander – im Gegenteil: Medêamanz’ Klage über die erfahrenen Wohltaten wird von diesem ironisch kommentiert und durch noch größere Geschenke beantwortet, die Medêamanz nicht ablehnen kann, sondern widerstrebend annehmen muss.¹³⁴ Um nicht noch mehr als Begünstigter Alexanders dazustehen und das Gesicht zu wahren, geschieht dies ûf widergelt (UvEA, V. 4253; „gegen Rückerstattung“). Für die Deutung von Alexanders Verhalten gegenüber Medêamanz lassen sich Überlegungen zum Verhältnis von Gabe und Anerkennung heranziehen, die in der Literaturwissenschaft und darüber hinaus geführt wurden. Für Gaben in der höfischen Literatur des Mittelalters hat Martin Baisch in diesem Kontext einen Wandel von einer ökonomischen zu einer „Anerkennungsinteraktion“¹³⁵ beschrieben. „Die Logik des Verschenkens materieller Güter wird in dieser Phase des Umbaus in die Logik eines (eher) immateriellen Interaktionsmediums verwandelt.“¹³⁶ Mit Bezug auf Harald Haferland beschreibt Baisch das Konzept der höfischen Gabe, an dem diese Texte arbeiten. Sowohl die höfische als auch die zeremonielle und die archaische Gabe sind demnach grundsätzlich reziprok angelegt. Während aber „Gaben in archaischen Gesellschaftsformen […] oft in eine Pflichtordnung eingebunden“¹³⁷ sind, zeichne sich die höfische ‚Ehrengabe‘ dadurch aus, dass sie „sich von solchen Kontexten und Funktio-
ich wil daz ir im alsô sagt | und im der worte niht verdagt (UvEA,V. 4219 f.; „Ich will, dass Ihr es ihm genau so sagt und keins der Worte verschweigt“); vgl. dazu auch Stengl: Die literarische Botendarstellung, S. 40. Vgl. UvEA, V. 4221 f. Vgl. wenig später Medêamanzʼ Klage darüber, Alexanders Antwort an Darius überbringen zu müssen: bî hern Jovem ich daz swer | daz ez mir ist von herzen leit, | daz ich diese reise ie gereit. | wie mac daz mînen triwen behagen, | sol ich die rede ûf iuch sagen, | dâ von ir gewinnet zorn? (UvEA, V. 4238 – 4243; „Bei Herrn Jupiter schwöre ich, es ist mir von Herzen leid, dass ich diese Reise je gemacht habe. Wie kann das mit meiner Treue zusammengehen, soll ich Euch die Worte sagen, von denen Ihr zornig werdet?“). Vgl. UvEA, V. 4244– 4254. Baisch, Martin: man sol hunde umbe ebers houbet gebn. (Parzival, V. 386). Gabe, zorn und Anerkennung bei Wolfram von Eschenbach. In: Anerkennung und die Möglichkeiten der Gabe. Literaturwissenschaftliche Beiträge. Unter Mitarb. von Malena Ratzke und Britta Wittchow. Hrsg. von Martin Baisch, Frankfurt a. M. 2017 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 58), S. 263 – 285, hier S. 272. Vgl. auch die Anmerkungen zum Konzept der Anerkennung in Kapitel 3.2.3. Ebd. Ebd., S. 274 f.; mit Bezug auf Haferland, Harald: Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, München 1989 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 10), hier S. 151 f.
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3 Herrschaft durch Überzeugung
nalisierungen zu lösen versteht“,¹³⁸ etwa indem sie die Freiwilligkeit der Gaben betont. Der Empfänger ist dem Geber dennoch und automatisch verpflichtet. Sich aus dieser Verpflichtung mithilfe einer Gegengabe zu befreien, wäre allerdings zu berechnend, zu kalkuliert und würde zudem die höfische Gabe (die dann Teil einer Gabenkette ist) abwerten. Angebracht wäre es vielmehr Dankbarkeit zu zeigen, in der Verpflichtung zu verweilen, die Verpflichtung auszuhalten und den Schenkenden hierbei nicht zu meiden. Die Last der Verpflichtung tragen zu können, ist eine Tugend[.]¹³⁹
In diesem Sinne lässt sich in der Medêamanz-Episode beobachten, wie mit den Variationen der Gabe gespielt wird, um Alexanders Machtkampf mit Darius und Medêamanzʼ Treueverhältnis zu Darius engzuführen. Die Gesandtschaft des Medêamanz ist ein Exempel in Sachen Deutungshoheit über soziale Rollen: Medêamanzʼ ‚eigentliche‘ Rolle – diejenige, mit der der Text ihn einführt – ist die Rolle eines Gesandten des persischen Herrschers.¹⁴⁰ Als persischer Gesandter soll er den ausstehenden Tribut von Alexander eintreiben. Alexander ignoriert diese Rolle jedoch aus taktischen Gründen: Alexanders ehrenvolle Behandlung droht Medêamanz in ein Dienstverhältnis zu ihm zu bringen. Überschüttet mit Alexanders Gaben ist Medêamanz gewissermaßen gezwungen, in einer unhöfischen Handlung zur Deutung der Gaben als materielle Güter zurückzukehren. Sein einziger Ausweg besteht darin, sich von der Last der Verpflichtung, die Alexander ihm auferlegt, freizukaufen. Indem Alexander als Gönner auftritt, vermeidet er es hingegen, die Rolle des Schuldners spielen zu müssen und verkörpert stattdessen diejenige des souveränen, tugendhaften Herrschers. Er lässt den Vertreter seines Feindes wie einen guten Freund behandeln und verwöhnen. Der entscheidende Schritt, die Performanz der Gesandtenrede mit der Zinsforderung, wird auf diese Weise so lange hinausgezögert, bis Medêamanz aufgrund der freundlichen Behandlung in einem Treuekonflikt steht. Von vornherein befindet sich die gegnerische Partei aufgrund der äußeren Umstände – die Begegnung findet im Heerlager vor dem gerade besiegten Theben statt – in einer schlechten Verhandlungsposition. Alexander verschärft diese Bedingungen und nutzt sie für seine Rede aus: Er betont das harmonische Verhältnis zum Gesandten seines Gegners, vor
Baisch: Gabe, zorn und Anerkennung, S. 275. Ebd., S. 276 f. mit Bezug auf Haferlands Analyse des Gabe-Konzeptes im Welschen Gast; vgl. Haferland: Höfische Interaktion, S. 155. Zur Konzeptualisierung von ‚eigentlich‘ Anzuerkennendem und ‚tatsächlich‘ Anerkanntem in der Forschungsdiskussion um Anerkennung vgl. Baisch: Anerkennung und Vertrauen, S. 145 f.; vgl. auch Baisch: Erkennen, S. 241– 243.
3.4 Freiheitsrhetorik im Hauptteil des Alexander
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dessen Hintergrund die Forderung zur Zinszahlung anmaßend erscheint, und negiert mit Verweis auf seine Ebenbürtigkeit jeden Herrschaftsanspruch des persischen Kaisers.
4 Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik Eine äußerst ergiebige Quelle für die Untersuchung politischer Redekultur mit historiografischem Anspruch ist die Steirische Reimchronik Ottokars von Steiermark.¹ Die Chronik ist zwischen 1300 und 1321 in Österreich bzw. der Steiermark entstanden und berichtet über den Zeitraum zwischen 1250 und 1309, der abgesteckt ist durch das Sterbedatum Friedrichs II. 1250 und einen Aufstand niederösterreichischer Adliger gegen Herzog Friedrich I., bei dessen Schilderung die Chronik abbricht.² Der Verfasser Ottokar entstammt der Familie der Herren von Strettweg (Strettwich) aus dem niederen Adel in der Steiermark, die in Lehensund mäzenatischer Verbindung zu den Bischöfen von Seckau und den Herren von Liechtenstein steht.³ Diese Konstellation prägt auch Ottokars steirisch-adlige Perspektive in der Steirischen Reimchronik, wobei die Forschung stets betont, dass Beobachtungen Ottokars, die seiner steirischen Perspektive entgegenlaufen, darüber nicht verdrängt werden.⁴ Inhaltlich liegt der Fokus auf der Geschichte
Zur Namens- und Titelform vgl. Kapitel 1, Anm. 22. Vgl. einführend die Datenbank- und Lexikonbeiträge: Repertorium Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters: Otacher oûz der Geul: Steirische Reimchronik. In: Repertorium Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters (2021), http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_ 03768.html (13. Dezember 2021); Hintz, E. R.: Ottokar von Steiermark. In: The encyclopedia of the medieval chronicle 2 (2010), S. 1176 f.; Weinacht: Ottokar von Steiermark; Liebertz-Grün, Ursula: Ottokar v. Steiermark. In: Lexikon des Mittelalters Online 6 (2020), Sp. 1587 f., http://apps.bre polis.net/lexiema/test/Default2.aspx (13. Dezember 2021). Der Verfasser berichtet von Ulrich von Liechtenstein und seinem Sohn Otto, vgl. OStR,V. 5944 f.; Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 29 – 31. Bischöfe von Seckau treten ebenfalls mehrmals auf, u. a. in der Gestalt des Bischofs und Gesandten Wernhart von Seckau, vgl. dazu Kapitel 4.1. Zu Seckau und seiner Geschichte vgl. Stary, Othmar: Seckau. In: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Österreich und Südtirol. Hrsg. von Ulrich Faust / Waltraud Krassnig, Bd. 3, St. Ottilien 2002 (Germania Benedictina 3), S. 485 – 521; vgl. ebd., S. 484 die Bemerkung, dass Wernhard von Seckau eine als Grablege für Ulrich von Liechtenstein gedachte Kapelle weihte, nachdem Ulrich schon 1275 gestorben war. Zu den biographischen Zeugnissen zu Ottokar und den Verbindungen seiner Familie vgl. Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 9 – 26. Zur Weihe der UlrichKapelle vgl. auch Allmer, Norbert: Seckau, 1140 – 1782. In: Die ehemaligen Stifte der AugustinerChorherren in Österreich und Südtirol. Hrsg. von Floridus Röhrig, Klosterneuburg 2005 (Österreichisches Chorherrenbuch. Die Klöster der Augustiner-Chorherren in der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie 3), S. 503 – 558, hier S. 514; 539. So etwa Liebertz-Grün, Ursula: Ottokar von Steiermark. Ein Klassiker der deutschsprachigen Geschichtsschreibung des europäischen Mittelalters. In: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark. Akten des internationalen Symposiums, Schloß Seggau bei Leibnitz 1984. Hrsg. von Fritz Peter Knapp / Anton Schwob / Alfred Ebenbauer, Graz 1988 (Jahrbuch für internationale https://doi.org/10.1515/9783110754711-005
4 Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik
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Österreichs und der Steiermark sowie den für diese relevanten Gebieten, wozu neben Frankreich und Italien vor allem Böhmen zählt.⁵ Der Regierungszeit Rudolfs von Habsburg⁶ sowie der Politik Wenzels I. und Ottokars II. von Böhmen in den Jahren 1251– 1278 wird daher große Aufmerksamkeit geschenkt.⁷ Ein größerer Teil der Reimchronik, der noch Thema sein wird, schildert den Fall der Stadt Akkon, die 1291 als letzte Stadt des Königreichs Jerusalem von den Mamluken erobert wurde.⁸ Bereits bei einer kursorischen Durchsicht der Steirischen Reimchronik fallen viele Szenen ins Auge, in denen politische Rede eine zentrale Rolle spielt. So reist im Zuge der Brautwerbung Ottokars II. von Böhmen eine Gesandtschaft zu der schon älteren Margarethe von Österreich⁹ und versucht die zunächst zögerliche
Germanistik. Reihe A. Kongressberichte 23), S. 165 – 180, hier S. 168 – 176; ausführlicher LiebertzGrün, Ursula: Das andere Mittelalter. Erzählte Geschichte und Geschichtserkenntnis um 1300. Studien zu Ottokar von Steiermark, Jans Enikel, Seifried Helbling, München 1984 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 5); Wenzel, Horst: Höfische Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters, Bern u. a. 1980 (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte 5), hier S. 162. Vgl. den Überblick bei Weinacht: Ottokar von Steiermark, Sp. 240; sowie das ausführliche Inhaltsverzeichnis der Edition: Inhaltsverzeichnis. In: [Ottokar von Steiermark]: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. Zweiter Halbband. Hrsg. von Joseph Seemüller, Hannover 1893 (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters 5,2), S. 1417– 1437; zur Struktur vgl. außerdem Liebertz-Grün: Das andere Mittelalter; eine detaillierte Fallstudie zur Perspektive auf die französische Kultur bietet Jostkleigrewe, Georg: Das Bild des Anderen. Entstehung und Wirkung deutsch-französischer Fremdbilder in der volkssprachlichen Literatur und Historiographie des 12. bis 14. Jahrhunderts, Berlin 2008 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 9), hier S. 125 – 136, 230 – 239, 243 – 275 und öfter. Der erste Teil der Steirischen Reimchronik bis zum Tod Rudolfs von Habsburg umfasst etwa die ersten 45000 Verse,vgl.Weinacht: Ottokar von Steiermark, Sp. 240. Zur Darstellung Rudolfs I. vgl. außerdem Kleinschmidt, Erich: Herrscherdarstellung. Zur Disposition mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an Texten über Rudolf I. von Habsburg. Mit einem Editionsanhang, Bern u. a. 1974 (Bibliotheca Germanica 17). Vgl. OStR,V. 1458 – 17075; vgl. Bok,Václav: Zum Bild des böhmischen Königs Přemysl Otakars II. in der Steirischen Reimchronik. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hochund Spätmittelalters. FS Volker Mertens. Hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 33 – 54, hier S. 34, Anm. 5; Liebertz-Grün: Das andere Mittelalter, S. 115 – 123; Graus, František: Přemysl Otakar II. – sein Ruhm und sein Nachleben. In: MIÖG 79/1– 2 (1971), S. 57– 110. Vgl. dazu Kapitel 4.2. Zu Margarethe von Österreich, die zuvor mit König Heinrich (VII.) verheiratet war, vgl. Dienst, Heide: Margarethe von Österreich. In: Neue Deutsche Biographie. Online-Version 16 (1990), Sp. 152– 154, https://www.deutsche-biographie.de/pnd129199494.html#ndbcontent (13. Dezember 2021).
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4 Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik
Witwe mit ausführlichen Reden von der Heirat zu überzeugen. Diese sind mit biblischen Exempeln für spätes Eheglück gespickt.¹⁰ Wenig später inszeniert die Chronik eine ‚Strafrede‘ Kunigundes, der zweiten Ehefrau Ottokars II., die diesen zum erneuten Bruch mit Rudolf I. von Habsburg anstiftet, nachdem gerade eine Verständigung erreicht worden ist.¹¹ Kunigunde wird deutlich negativ dargestellt, bietet aber ein anschauliches Beispiel für die Darstellung des politisch-rhetorischen Einflusses von Frauen, das in der Rezeption der Reimchronik einige Popularität erlangte.¹² Auch liest man Reizreden schwäbischer Adliger in einer Beratung darüber, ob man gegen Ungarn in den Krieg ziehen soll.¹³ Die Schilderung von Hoftagen wird in der Reimchronik mitunter dazu genutzt, die Relation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu problematisieren, wenn etwa Herzog Albrecht eine bereits ausgestellte Urkunde zerreißt, nachdem er erkennt, dass sein vorab gegebenes Blankoversprechen zur Befolgung eines Schiedsspruchs zu seiner Benachteiligung geführt hat.¹⁴ Schon Joseph Seemüller, der Herausgeber der Edition, betont, dass sich Ottokar besonders mit anschaulichen, fingierten Reden hervortut, die er in seine Darstellung inseriert: Die mittel seines erzählenden stiles sind die eigentliche erzählungsform; schilderungen, reden, den handelnden personen in den mund gelegt; eigene reflexionen. Die erste und zweite form sind die häufigsten, die zweite [d. i. Schilderungen und Reden, M. R.] handhabt er am besten.¹⁵
Vgl. OStR, V. 1781–1913, bes. V. 1835 – 1924. Vgl. OStR, V. 14761– 14909. Vgl. Witthöft, Christiane: Ritual und Text. Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, Darmstadt 2004 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), hier S. 125 – 131. Zur negativen Darstellung Kunigundes und intertextuellen Bezügen auf die höfische Klassik vgl. jetzt auch Bok, Václav: Literary Reminiscences in the Characterization of the Bohemian King Wenceslas II. (1283 – 1305) and his Contemporaries in Ottokar from the Geul’s Styrian Rhymed Chronicle. In: Historiography and Identity VI. Competing Narratives of the Past in Central and Eastern Europe, c. 1200–c. 1600. Hrsg. von David Kalhous / Pavlína Rychterová, Turnhout 2021 (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 32), S. 207– 223, hier S. 213 f. Vgl. Kapitel 2.3, Anm. 97 und Kapitel 6.1. Vgl. OStR, V. 25166 – 25460. Zu dieser Passage vgl. Wenzel: Höfische Geschichte, S. 148 – 150, allerdings ohne Berücksichtigung der oratorischen Dimension. Vgl. OStR, V. 35800 – 36177. Seemüller, Joseph: Einleitung. In: Ottokars Österreichische Reimchronik. Nach den Abschriften Franz Lichtensteins. Erster Halbband. Hrsg. von Joseph Seemüller, Hannover 1890 (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters 5,1), S. VII–CXXV, hier S. LIII; vgl. auch ebd., S. CIV–CVI.
4 Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik
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Insbesondere komplizierte politische Verhältnisse würden durch ausführliche Redeszenen nachvollziehbar. So sei etwa „der ganze zusammenhang von reden“ um Hertnit von Ort¹⁶ „ein beispiel für die geschicklichkeit, mit welcher Ottokar ziemlich verwickelte rechtsansprüche […] in redenform darzustellen weiß.“¹⁷ Auch Mohr und Kohlschmidt weisen im Artikel zur politischen Dichtung aus dem Reallexikon zur deutschen Literaturgeschichte darauf hin, dass diese Chronik besonders viele politische Redeszenen enthält.¹⁸ Horst Wenzel spricht die Redeszenen unter dem Gesichtspunkt des Quellenstatus der Steirischen Reimchronik an. Während die Reimchronik bei Historikern des 19. Jahrhunderts als vertrauenswürdige Quelle galt, sehe die Forschung des 20. Jahrhunderts dies differenzierter.¹⁹ Wenzel geht demgegenüber auf die Selbstaussagen Ottokars von Steiermark ein und stellt sie in den Kontext vormoderner Geschichtsschreibung: Ottokar dagegen nimmt für sich in Anspruch, daß er die verlorene Weltchronik sunder liugen […] verfaßt habe, und die Ö. R. versteht er als Fortsetzung jener Arbeit: Er will res gestae erzählen und dabei jede Lüge vermeiden. Damit hält er sich an die klassische Abgrenzung des historiografus von den poetae, deren Erzeugnisse nicht Geschichte (res visa, res gesta), sondern Dichtung sind (fabula ficta res est, non facta). Zur Veranschaulichung für sein Publikum bringt er das historische Geschehen allerdings mit Vorliebe szenisch zur Darstellung, er versucht durch typisierende Gespräche und Reden Wahrheit bildhaft zu machen, er verarbeitet traditionelle Motive und übernimmt ganz legitim auch mündliche Traditionen, die lediglich durch Konsens gesichert sind.²⁰
Einige der politischen Redeszenen wurden in jüngerer Zeit aus literaturwissenschaftlicher Perspektive untersucht: Christiane Witthöft nimmt die fingierte Reizrede der Königin Kunigunde in ihrer ritualtheoretischen Dissertation zum Anlass für einen Exkurs über die Rolle von Reden in der Steirischen Reimchronik. Sie kommt zu einer ähnlichen Einschätzung wie Seemüller, wenn sie festhält,
Im Vorfeld einer Fehde des Jahres 1286 zwischen Erzbischof Rudolf von Salzburg und dem Habsburger Albrecht, zu der Zeit Herzog von Österreich, vgl. OStR,V. 26581– 29781; Hertnit von Ort spielt eine Rolle in der Passage OStR, V. 26862– 27121. Seemüller: Einleitung, S. LIV. Vgl. Mohr, Wolfgang / Kohlschmidt, Werner: Politische Dichtung. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 3 (1977), S. 157– 220, hier S. 179 f. Vgl. Wenzel: Höfische Geschichte, S. 141. Zum Verhältnis von literarischer Form und historiografischem Gehalt der OStR im Kontext der zeitgenössischen Chronistik vgl. Sellin, Jonas: Dan das man in kainer Geschrifft findet. Wissenstransfer und Intertextualität in der spätmittelalterlichen volksprachlichen Regionalchronistik Österreichs, Kärntens und der Steiermark. In: Wissen und Geltung. Hrsg. von Ronny Kaiser u. a., Göttingen 2019 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 24), S. 279 – 300, hier S. 287, 300 u. ö. Wenzel: Höfische Geschichte, S. 141.
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die Reden decken „durch ihre Argumentationsmuster historisch strukturelle Zusammenhänge auf und gewähren tiefen Einblick in die Wege politischer Entscheidungsfindungen“.²¹ Gesine Mierke zeigt anhand einer Episode auf dem Augsburger Hoftag von 1275, wie gerade die oratorischen Kompetenzen Rudolfs I. dem Beweis seiner Herrscherqualitäten dienen.²² Die folgenden Kapitel widmen sich ausgewählten politischen Redeszenen aus zwei zentralen Handlungskomplexen in der Steirischen Reimchronik. Kapitel 4.1 nimmt den Augsburger Hoftag Kaiser Rudolfs I. wieder auf, der während des Machtkampfes mit Ottokar II. von Böhmen stattfindet. Die Szene illustriert zum einen die Möglichkeiten des oratorisch kompetenten Herrschers, per Redevermeidung bzw. Themenvermeidung zu deeskalieren. Zugleich führt der Auftritt Wernharts von Seckau das eskalative Potenzial politischer Rede bei einem geschulten Diplomaten vor, der mit seiner kunstvollen Rede maximal zu provozieren weiß. Kapitel 4.2 konzentriert sich auf die Darstellung des Falls von Akkon 1291, der in den Handschriften der Steirischen Reimchronik häufig als eigenständig geschlossener Erzählzusammenhang überliefert ist und auch als Buch von Akkon bezeichnet wird. Dieser von Seemüller als Teil II der Reimchronik deklarierte Abschnitt umfasst etwas mehr als 9000 Verse.²³ In Kapitel 4.2 werden insbesondere drei größere Szenenkomplexe im ersten Teil der Handlung betrachtet, in denen christliche und ‚heidnische‘ Figuren Ansprachen in Versammlungsszenen halten.²⁴ Den Anfang macht eine Rede, die Gesandte des Sultans vor den Meistern der Johanniter, der Templer und des Deutschen Ordens halten, um auf diplomatischem Weg den drohenden Krieg abzuwenden, der später zur Zerstörung Akkons führen wird. Darauf folgen Analysen zur Verhandlung der Akkonenser mit dem Kardinallegaten, der den Konflikt ausgelöst hatte, sowie der Hoftag des Sultans, auf dem die Vernichtung Akkons beschlossen wird. Wie zu zeigen sein wird,
Witthöft: Ritual und Text, S. 125 f. Zur Szene insgesamt vgl. ebd., S. 125 – 131. Auch Fritz-Peter Knapp geht in seiner Überblicksdarstellung zur Geschichte der Literatur in Österreich auf diese Rede ein; vgl. Knapp, Fritz Peter: Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358, Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich 2,1), hier S. 374– 376.Vgl. auch Graus: Přemysl Otakar II., S. 67 f. Vgl. Mierke: lustsam und redebære, S. 141 f.; 147– 152. Vgl. OStR, V. 44579 – 53866. Zu Seemüllers Gliederung: „Wir können, wenn wir bloß die art der überlieferung ins auge fassen, vier theile unterscheiden: I vom anfang bis zur erzählung vom fall Accons (1– 44578), II diese erzählung selbst (44579 – 53866), III was auf sie folgt, bis zur erzählung vom tode abt Heinrichs von Admont (53867– 69002), IV der schlusstheil (69003 – 98595)“ (Seemüller: Einleitung, S. XXV). OStR, V. 44579 – 47995, endend mit dem Abschluss des heidnischen Hoftages.
4.1 Latein und Deutsch auf dem Augsburger Hoftag von 1275
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spielen diese Szenen Konstellationen gelingender und scheiternder Herrschaft durch, bei denen oratorische Fähigkeiten eine zentrale Rolle spielen.
4.1 Latein und Deutsch auf dem Augsburger Hoftag von 1275 Großes Gewicht legt die Steirische Reimchronik auf den Machtkampf zwischen Ottokar II. von Böhmen und Rudolf I. von Habsburg. In oratorischer Hinsicht erreicht diese Auseinandersetzung einen vorläufigen Höhepunkt auf dem bereits erwähnten Augsburger Hoftag 1275. Ottokar erscheint nicht persönlich, sondern sendet einen Gesandten; dieser nutzt bei seinem Auftritt die Spannung von Latein und Volkssprache, um politische Effekte zu erzielen. Die Auseinandersetzung zwischen Ottokar II. und Rudolf I. gehört zu den intensiver beforschten Abschnitten der Steirischen Reimchronik. ²⁵ Die literaturwissenschaftliche Forschung schwankt dabei in der Frage, wie der Verfasser der Reimchronik die Figur Ottokars II. bewertet. František Graus und Ursula Liebertz-Grün kommen zu dem Schluss, dass Ottokar von Steiermark den böhmischen König insgesamt negativ darstellt.²⁶ Václav Bok stimmt dieser Einschätzung im Wesentlichen zu, weist aber darauf hin, dass der Text Ottokar II. in mehreren Passagen äußerst positiv zeichnet und geradezu als idealen Ritter inszeniert. Insbesondere als Feldherr und Kämpfender in seiner letzten Schlacht auf dem Marchfeld werde Ottokar II. gerühmt. Graus resümiert, „daß Ottokar aus der Geul den böhmischen König zwar wohl zutiefst haßt, ihm aber doch eine gewisse Größe nicht absprechen mag“.²⁷ Die historische Forschung zieht zum böhmisch-habsburgischen Machtkampf auch die Steirische Reimchronik heran und stellt zwar mitunter die Korrektheit der Angaben in Frage, sie behandelt sie insgesamt aber als Quelle mit relativ ver-
Vgl. neben dem nachfolgend Besprochenen Witthöft: Ritual und Text, S. 118 – 132 mit besonderem Augenmerk auf den verweigerten Mundschenkendienst Ottokars II. und die sog. Strafrede der böhmischen Königin Kunigunde. Auch Haubrichs beschäftigt sich mit einer Episode aus diesem Teil der Steirischen Reimchronik, ihm geht es jedoch nicht um den Konflikt, sondern um die Stilisierung des Künstlers und Autors beim Tod Rudolfs I.; vgl. Haubrichs, Wolfgang: Authentische Memoria. Zur Rolle des Künstlers in Ottokars Österreichischer (Steirischer) Reimchronik. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. FS Volker Mertens. Hrsg. von Matthias Meyer / Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 231– 243. Vgl. Graus: Přemysl Otakar II., S. 97– 101 u. ö. Liebertz-Grün gibt an, Ottokar II. werde zwar gelobt, „[d]ieses Lob ist jedoch mit scharfer Kritik vermischt“ (Liebertz-Grün: Das andere Mittelalter, S. 115); vgl. auch ebd., S. 115 – 123. Bok: Zum Bild, S. 35. Vgl. ähnlich Knapp: Die Literatur, S. 377 f.
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4 Erzählte historiografische Oratorik in der Steirischen Reimchronik
lässlichem Gehalt. Einflussreich scheint dabei das Regest zum Augsburger Hoftag in den Regesta Imperii gewesen zu sein, das auf einer Urkunde beruht, für weite Teile der Darstellung aber auf mehrere Chroniken verweist, besonders auf die Steirische Reimchronik: [von den kurfürsten war einzig pfalzgraf Ludwig da, was auch die fortsetzung des Martin v. Troppau in den Annales Sancti Rudberti Salisburgensis, SS. 9, 801 und Annales Aldersbacenses, SS. 17, 535 hervorhebt]; doch setzt sie irrig sonnenwende als zeitpunct des reichstags. [Dies hat die oesterr. Reimchronik 172 übernommen, welche im übrigen hier und für die nächsten ereignisse sich zwar auch an die Annales Otakariani, SS. 9, 190 und die Continuatio Altahensis, SS. 17, 410 anlehnt, aber doch auch selbständige, glaubhafte und wichtige nachrichten bringt; Johann v. Victring hat die Reimchr. ausgenützt (…).] König Ottokar von Böhmen und Heinrich erschienen nicht persönlich, sondern sandten machtboten: an der spitze der böhmischen gesandtschaft stand bischof Wernhard von Seckau, an der der bairischen propst Heinrich von Oetting (n. 374). [König Rudolf „sprach“ in der feierlichen versammlung am 15. mai wegen des vergehens der undienstbarkeit wider des reiches schenken (Ottokar von Böhmen) und wider herzog Heinrich, Reimchr. 172.] Da hielt Wernhard von Seckau eine lateinische rede, in welcher er Rudolfs wahl und Wähler angriff (mit rede macht er enwiht die wal und die welaere, Reimchr. 173).²⁸
Gerd Althoff verweist in einem Aufsatz zum Konflikt zwischen Ottokar II. und Rudolf I. für den Augsburger Hoftag und die lateinische Rede des böhmischen Gesandten Wernhart von Seckau auf dieses Regest und die Steirische Reimchronik als wichtige Darstellung, ohne ihre eventuelle Fingiertheit zu thematisieren.²⁹
RI VI, 1 n. 372a: Redlich, Oswald: RI VI,1 n. 372a, Rudolf, 1275 mai, Auguste. In: Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1273 – 1313. Hrsg. von Oswald Redlich, Innsbruck 1898 (Regesta Imperii VI,1), S. 105 f., hier S. 105. Abkürzungen von Literaturangaben wurden stillschweigend aufgelöst und beziehen sich i. d. R. auf Bände der MGH-Editionsreihe; die Angaben zur OStR beziehen sich auf die Seemüller-Edition. Redlich markiert im Verlauf des Regestentextes die Vermitteltheit der Informationen, indem er in indirekter Rede mit ‚sollen‘ formuliert: „Bischof Wernhard soll nach der oest. Reimchronik von den erzürnten laien ernstlich bedroht worden sein, so dass ihn der könig schützen und ihm besonderes geleite geben musste“ (ebd., S. 106). Im zeitlichen Umfeld veröffentlichte Redlich auch einen Aufsatz und eine Monografie zu Rudolf I. von Habsburg, die auf seiner Arbeit an den Regesta Imperii aufbauen; zum Augsburger Hoftag und seinem Nachspiel vgl. Redlich, Oswald: Die Anfänge König Rudolfs I. In: MIÖG 10 (1889), S. 341– 418, hier S. 396 – 399; Redlich, Oswald: Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums, Innsbruck 1903, hier S. 239 – 242. Althoff, Gerd: Rudolf von Habsburg und Ottokar von Böhmen. Formen der Konfliktaustragung und -beilegung im 13. Jahrhundert. In: Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. 2., um ein Nachw. erg. Aufl., Darmstadt 2014, S. 85 – 98, hier S. 89, Anm. 15: „Vgl. zu den Einzelheiten Redlich, Rudolf von Habsburg, S. 239 f.; zu vergleichen ist zu allen Details auch RI VI, 1, Nr. 372a; wichtig vor allem die Darstellung in Ottokars Oesterreichischer Reimchronik, S. 172 ff.“
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Gerald Schwedler geht auf die Reimchronik ein, ohne ihren Quellenstatus zu diskutieren, wenn er angibt, dort finde sich eine „Beschreibung der Rede Wernhards von Seckau sowie der Reaktion der Adligen“.³⁰ Vermutlich auf derselben Basis berichtet Schwedler von „tumultartigen Umständen nach Wernharts lateinischer Ansprache“.³¹ Auch Krieger beruft sich in seiner Rudolf-Biografie für den Auftritt Wernharts auf dem Augsburger Hoftag auf die Reimchronik. ³² Es ist anzunehmen, dass Historiker sich nicht zuletzt deshalb in dieser Weise auf die Steirische Reimchronik beziehen, weil Wernharts Rede anderweitig nicht belegt ist.³³ Johannes Helmrath hingegen nennt die Rede als Rede in „dichterischer Fassung“ unter mehreren Beispielen für parlamentsartige Reden des Früh- und Hochmittelalters „als erinnerte, in der Geschichtsschreibung nachstilisierte Rede“, bei der „meist keine Möglichkeit [besteht], einen authentischen Wortlaut zu gewinnen“.³⁴
Schwedler, Gerald: Formen und Inhalte. Entscheidungsfindung und Konsensprinzip auf Hoftagen im späten Mittelalter. In: Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse. Hrsg. von Jörg Henning Peltzer / Gerald Schwedler / Paul Töbelmann, Ostfildern 2009 (Mittelalter-Forschungen 27), S. 151– 180, hier S. 157, Anm. 31. Ebd. Vgl. ähnlich Kronthaler, Michaela: Wernhard (Wernhart, Wernher, Bernhard) von Marsbach († 1283). In: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. Ein biographisches Lexikon. 1198 bis 1448. Unter Mitw. von Clemens Brodkorb. Hrsg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 717 f., hier S. 718. Laut Stelzer ist die Identifikation von Wernhard von Seckau mit Wernhard von Marsbach allerdings falsch; vgl. Stelzer, Winfried: Steirische Bildungsverhältnisse und schriftliche Kultur im späten Mittelalter. In: Die Steiermark im Spätmittelalter. Hrsg. von Gerhard Pferschy/Historische Landeskommission für Steiermark,Wien u. a. 2018 (Geschichte der Steiermark 4), S. 485–520, hier S. 504 mit weiterer Literatur. Vgl. Krieger, Karl-Friedrich: Rudolf von Habsburg, Darmstadt 2003 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), hier S. 129 f., Anm. 58. Redlich jedenfalls, auf den sich viele der späteren Beiträge beziehen, beruft sich zum „Auftreten Wernhards von Seckau“ auf den „steirische[n] Reimchronist[en], der allein uns diesen Vorgang überliefert hat“ (Redlich: Die Anfänge, S. 396). Zwar ist eine Abschlussurkunde erhalten, aber Redlich betont, es bringe „kein Actenstück Kunde von der unmittelbaren Folge dieser Vorgänge“ (ebd.). In der genannten Abschlussurkunde ist lediglich abstrakt von einer Auseinandersetzung (questio, also wörtlich ‚Frage‘) zwischen den Gesandten die Rede: subortaque inter eos questione super quasipossessione iuris eligendi Romanorum regem (Nr. 28. Das Kurrecht des Bayernherzogs. 15. Mai 1275. In: Quellen zur Verfassungsgeschichte des RömischDeutschen Reiches im Spätmittelalter (1250 – 1500). Hrsg. & übers. von Lorenz Weinrich, Darmstadt 1983 [Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 33], S. 114– 119, hier S. 116 f., entspricht MGH Const. III 83 S. 71 f.; „und unter diesen [entstand] ein Streit über die Ausübung des Rechts auf Wahl des Römischen Königs“). Zur Einschätzung der historischen Forschung zu diesem Hoftag und zum Konflikt zwischen Rudolf I. und Ottokar II. vgl. Schwedler: Formen und Inhalte, S. 157– 160; Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 127– 138. Helmrath: Parlamentsrede, Sp. 590.
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Für die Untersuchung der Redeszene auf dem Augsburger Hoftag sei nun die Einbettung der Szene in die Darstellung der Reimchronik skizziert: Ottokar von Böhmen hatte eigentlich selbst auf den Kaisertitel gehofft und bereits in den Jahren zuvor sein Möglichstes getan, um die Kaiserwahl zu seinen Gunsten ausgehen zu lassen. Genaugenommen beginnt schon Ottokars Vater, König Wenzel von Böhmen damit, diesen Aufstieg vorzubereiten. Die Chronik setzt mehrere dieser Schachzüge ebenfalls in aufschlussreichen Redeszenen um.³⁵ Alle Bemühungen nutzen jedoch nichts, denn die Wahl wird nach Darstellung der Reimchronik im entscheidenden Moment vereitelt, weil nämlich Ottokars Gesandter Wernhart von Seckau durch eine Intrige des Mainzer Erzbischofs und Ludwigs, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Baiern, getäuscht wird.³⁶ Wernhart und Ottokar sind – jeder auf seine Weise – bloßgestellt; besonders für Wernhart beschreibt die Reimchronik dies als Kränkung.³⁷ In der Darstellung der Chronik bietet der Hoftag in Augsburg die Gelegenheit für Ottokar und Wernhart, sich für die Schmach zu rächen – oder dies zumindest zu versuchen. Ottokar selbst ist wie schon vorher nicht selbst anwesend, sondern schickt Wernhart als Gesandten und vorsprechen (OStR, V. 13057; „Vertreter, Verteidiger“) zum Hoftag. Ebenfalls hervorgehoben wird Heinrich von Ötting als Vertreter des Wittelbachers Heinrich von Niederbayern, der zeitweilig mit Ottokar gegen Rudolf I. vorging. Der Text leitet dies folgendermaßen ein: nû sach man dort her zogen | zwêne phaffen lîse, | die wârn kunstic und wîse (OStR, V. 13052– 13054; „Nun sah man zwei anständige Priester dorthin ziehen, die waren verständig und gelehrt“).³⁸ Beide Gesandte werden schon hier als Redner eingeführt: Vgl. OStR, V. 1445 – 1685. Vgl. OStR, V. 12535 – 12545; 12495 – 12589, bes. die Klage Wernharts: bî dem hâre ob den ôrn | nam sich der bischolf Wernhart: | ‚ach, daz ich ie geboren wart! | her von Meinze, wie habt ir | alsô gevarn an mir, | daz ich hân boten für gesant | dem kunig ûz Bêheimlant, | im sî daz rîch gegeben. | die wîl er mac geleben, | sô hindert er mîn goteshûs‘ (OStR, V. 12578 – 12587; „Bischof Wernhart raufte sich das Haar über den Ohren: ‚Ach, dass ich jemals geboren wurde! Herr von Mainz, wie habt ihr so gegen mich gehandelt, dass ich dem König von Böhmen Boten sandte, ihm sei das Reich gegeben worden. Solange ich leben mag, wird er mein Gotteshaus behindern“). Historisch verfolgte Ludwig in dieser Sache offenbar eigene Interessen und hatte selbst Mühe, diese durchzusetzen; vgl. Schwedler: Formen und Inhalte, S. 158 – 160. Aktualisiert wird dies an einer Stelle, an der von der Rache am Mainzer Bischof gesprochen wird, der aber gar nicht auf dem Hoftag in Augsburg anwesend ist: dô begund er sich rechen | an dem von Meinze mit worten (OStR,V. 13074 f.; „da begann er sich mit Worten an dem von Mainz zu rächen“).Vgl. auch OStR,V. 13146 – 13151. Der Mainzer Erzbischof erscheint jedenfalls weder in der Darstellung der Reimchronik noch unter den Zeugen der Abschlussurkunde; vgl. Nr. 28. Das Kurrecht des Bayernherzogs, S. 118 f. in der Ausgabe von Weinrich. Dies bemerkt auch Gesine Mierke: „Im Text wird Wernhart zunächst als kunstic und wîse (StRC, V. 13.054) – klug und gelehrt – eingeführt; bereits die Attribute machen klar, dass der Bi-
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dâ der kunic saz, ir rede mit der mâz dise zwêne man huoben vor den fursten an. (OStR, V. 13063 – 13066) Dort, wo der König saß, begannen diese zwei Männer maßvoll ihre Rede vor den Fürsten.
Aus dieser Markierung ergibt sich eine Rahmung für die gesamte Szene, denn die nachfolgende Darstellung, die den Fokus auf Wernhart verengt, inszeniert den Hoftag deutlich als Bühne für erlesene politische Oratorik.³⁹ Der Text ist mit Inquitformeln und direkter wie indirekter Figurenrede, aber auch mit sonstigen Referenzen auf Rede gespickt.⁴⁰ Die Passage lässt sich in drei Abschnitte gliedern: 1. Wernharts Bitte um Rederecht und seine Ansprache (OStR, V. 13067– 13097), 2. Kaiser Rudolfs Reaktion darauf (OStR, V. 13098 – 13143), und 3. die Strategien der beiden, mit der Empörung der anderen Hoftagsteilnehmer umzugehen, um zu verhindern, dass Wernhart an Ort und Stelle getötet wird (OStR, V. 13144– 13186). Alle drei Abschnitte legen Nachdruck auf die mündliche Kommunikation, wobei der größte Anteil an direkter Rede auf die Antwort Rudolfs entfällt, weil diese als einzige als zusammenhängender Redeakt erzählt wird.⁴¹ Wernhart bringt es in seiner Rede fertig, sein Publikum zu beleidigen, die Kaiserwahl als illegal und die Kurfürsten als Verbrechensgehilfen darzustellen, ohne dass sein Publikum dies versteht. Er hält die Rede nämlich auf Latein: manic rede er dâ tet, mohten sîn die leien hân vernomen,
schof ein geübter Redner ist. Entsprechend selbstbewusst tritt er vor den König“ (Mierke: lustsam und redebære, S. 149). Dies scheint durchaus mit dem Bild des historischen Wernhard von Seckau überein zu stimmen. Stelzer jedenfalls beschreibt ihn als „gewandten Diplomaten“, der juridische Bildung und „völlige Vertrautheit mit dem römisch-kanonischen Prozessverfahren“ besaß und in Prozessen wie Disputationen „die Kenntnis und die Verbreitung des neuen gelehrten Rechts“ förderte (Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse, S. 504). Vgl. auch Kronthaler: Wernhard, S. 717. Vgl. OStR,V. 13057 (ze vorsprechen); 13064 (ir rede mit der mâz); 13068 f. (den kunic er urloubes bat | sîne rede für ze legen); weitere Belege für „rede“ im Sinne von ‚Ansprache‘: OStR, V. 13076; 13076; 13081; 13084; 13088; 13094; 13163; vgl. außerdem OStR,V. 13160 (manic umbrede), 13079 (ein zunge, diu wær snel); 13090 (jach); 13100 (sprach); 13140 (riefen); 13173 – 13176 (gerte – gewerte – frâgt – gerte). Vgl. OStR, V. 13101– 13139.
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ez wær im harte übel komen; dô verstuonden si sîn niht. mit rede macht er enwiht die wal und die welære und jach, der kunic gewesen wære zuo der zît in dem ban, dô im daz rîch wart undertân, und ouch, dô er die wîh enphie. latîne manic red ergie, het er si tiutsche getân, im wære zuo slagen der ban (OStR, V. 13084– 13096) Viel sagte er da – hätten die Laien ihn verstanden, wäre es ihm deswegen übel ergangen, aber sie verstanden ihn nicht. Rhetorisch machte er die Wahl und die Kurfürsten zunichte und sagte, der König sei zu der Zeit, als ihm das Reich untertan wurde und auch als er die Königsweihe empfing, im Bann gewesen. Auf Latein wurde viel angesprochen; wenn er dasselbe auf Deutsch gesagt hätte, wäre ihm selbst der Bann zuteilgeworden.
Weil die weltlichen Fürsten aber kein Latein verstehen, gibt es zunächst keinen Tumult wegen der Vorwürfe. Kaiser Rudolf, von dem nicht deutlich wird, wieviel er selbst verstanden hat, geht auf die Vorwürfe denn auch mit keinem Wort ein, sondern weist Wernhart wegen des Lateins zurecht. Latein könne der Bischof mit seinen Geistlichen reden; wenn er aber etwas mit Rudolf oder dem Reich zu schaffen habe, dann solle er die Volkssprache wählen. der vil wol geborn, von Rôm der kunic Ruodolf, sprach ze dem bischolf: ‚habt ir iht ze schaffen mit deheinem phaffen, dâ latîne zuo gehôre, daz sparet ûf die kôre ze Meinze oder ze Trier; habt aber ir gegen mir oder gegen dem rîche iht ze suochen, des mac ich iu ûz den buochen mit worten niht gevolgen[.‘] (OStR, V. 13098 – 13109) Der hochwohlgeborene König Rudolf sagte zu dem Bischof: „Wenn Ihr etwas mit irgendeinem Priester zu schaffen habt, zu dem Latein dazugehört, dann spart Euch das für die Chorherren in Mainz oder Trier auf; habt Ihr aber etwas mit mir oder mit dem Reich zu klären, dann kann ich es Euch den Büchern nach mit Worten nicht gleichtun.
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Rudolf begründet seine Anweisung nicht nur damit, dass es ihm selbst gegenüber unangemessen sei, Latein zu sprechen. Es sind vielmehr die laikalen Adligen, des rîches leienfursten, die damit beleidigt werden: mir wærn darumb erbolgen die herren alle, die ir hie seht, ob ich iu gæbe daz reht: daz ich durch iwern geniez des rîches leienfursten liez iu teidingen mit nâch dem pheflichen sit, und daz dis herren algelîch sæzen vor dem rîch als tôren unde stumben, swie vil ir kunt des krumben mit iwer kunst machen sleht. ir sît verzigen solher reht: wand ich weiz des die wârheit, daz der bâbst des niht vertreit, daz iemen vor im für bringe kunic Karles reht mit teidinge: swaz leien oder phaffen vor im hânt ze schaffen, daz sol latîne geschehen. wer möht iu hie gejehen iwer meisterschefte danc? diu zal der phaffen ist kranc gegen den leien, die hie sitzen; doch vindet ir bî solhen witzen manigen leien, der hie ist, erdenket welhen list, den ir tiutsch erzeigen welt, und swaz iu heiles dran gevelt, daz habt iu alterseine. (OStR, V. 13110 – 13139) Mir zürnten darum all die Herren, die Ihr hier seht, wenn ich Euch das Recht gäbe, dass ich zu Eurem Vorteil die Laienfürsten des Reiches nach geistlicher Sitte verhandeln ließe, und dass diese Herren allesamt vor dem Reich säßen als Narren und Stumme. Egal, wie sehr Ihr mit Eurer Kunst auch Krummes gerade machen könnt, dieses Recht sei Euch versagt: Denn ich weiß von der Tatsache, dass der Papst es auch nicht duldet, dass jemand ihm das Recht König Karls [d. i. weltliches Recht, M. R.] zur Verhandlung vorlege: Was immer Laien oder Geistliche vor ihm zu schaffen haben, das muss auf Latein passieren.Wer soll Euch hier Dank sagen für Eure Meisterschaft? Die Zahl der Geistlichen ist klein gegenüber den Laien, die hier sitzen; doch findet Ihr hier manchen Laien mit ebensolchem Verstand sitzen. Denkt Euch eine Schlauheit aus, die Ihr auf Deutsch demonstriert; was Euch an Heil daran fehlt, das könnt Ihr ganz allein haben.
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In Rudolfs Behandlung der Sprachwahl fließen mehrere Aspekte zusammen, die sich symbolisch in dem Bild verdichten, die anwesenden Laien würden durch Wernharts Verhalten ‚wie Narren und Stumme‘ von ihrer Teilhabe am Reich ausgeschlossen. Rudolf nutzt die Differenz von lateinkundigen Klerikern und volkssprachigen Laien und behauptet, Kleriker würden gewohnheitsmäßig die Wahrheit manipulieren (des krumben […] machen sleht), weil sie die Möglichkeit haben, mit der lateinischen kunst und meisterschefte zu täuschen. In dieser Gegenüberstellung scheint die Kritik an der Ambivalenz der Rhetorik auf, die bereits seit der Antike etabliert ist und häufig mit dem Begriff der Sophistik verbunden wird.⁴² Indem Rudolf den Papst und das weltliche Recht ‚König Karls‘ in Gegensatz bringt, thematisiert er zudem die juristischen Konventionen an der Kurie und am Königs- bzw. Kaiserhof. Dabei sind die Laien nach Rudolfs Darstellung durchaus klug genug, um sich aktiv in die Auseinandersetzung einzubringen.⁴³ Dass der argumentative Inhalt von Wernharts Rede ebenfalls Anlass zur Empörung bietet, bleibt von Rudolf dabei unerwähnt. Die Laien bekommen später jedoch den Inhalt mitgeteilt; nun sind sie äußerst empört und der Pfalzgraf Ludwig fordert sogar Wernharts Tod: nû wart den leien ouch geseit, daz er die wal het gescholten. der phalzgrâf sprach: ‚daz muoz vergolten werden mit sîn selbes bluot, ob mich der helle gluot immer solde brennen! sol mich ein solher nennen, swie sô im gelust?‘ ûf sînes lîbs verlust wart gerâten manigen ende. (OStR, V. 13144– 13153) Inzwischen war den Laien auch mitgeteilt worden, dass er die Wahl verunglimpft hatte. Der Pfalzgraf sagte: „Das muss mit seinem eigenen Blut vergolten werden, und wenn mich für immer die Höllenglut verbrennen sollte! Soll mich so einer so nennen wie es ihm gefällt?“ Über seinen Tod wurde an so manchem Ort beraten.
Vgl. Tordesillas, Alonso: Sophistik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 8 (2007), Sp. 990 – 1027, hier Sp. 990 – 993. Zum Verhältnis von Sophistik und Rhetorik vgl. ebd., Sp. 1005 – 1013. Vgl. OStR, V. 13134.
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Bevor das geschehen kann, greift Kaiser Rudolf jedoch ein und beendet kurzerhand die Verhandlungen.⁴⁴ Hier lässt sich beobachten: In einer Situation politischer Rede, die aus dem Ruder zu laufen droht, kann der Herrscher gerade das Nicht-Reden geschickt einsetzen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Er leert den Schauplatz der Auseinandersetzung und sorgt dafür, dass Wernhart unbeschadet abreisen kann.⁴⁵ Dieser wiederum erhält noch einmal eine Gelegenheit zur Demonstration seiner strategischen Künste, indem er sich genau diejenigen Gefolgsleute des Kaisers als Geleit aussucht, die ihm am feindseligsten gesinnt sind. Weil er aber weiß, dass die Treue gegenüber Rudolf über allem steht, kann er sich sicher sein, dass er von diesen nicht getötet werden wird.⁴⁶ Wie lässt sich dieser Abschnitt mit Blick auf die Darstellung von Oratorik deuten? Gesine Mierke untersucht die Stelle im Hinblick auf die Darstellung Rudolfs von Habsburg;⁴⁷ sie liest die Stelle als Teil der Verherrlichung Rudolfs und legt den Akzent u. a. darauf, dass er selbst als Figur mit eigener Figurenrede auftritt. Der Kaiser stellt demnach seinen Gegner bloß, indem er zwar anerkennt, wie kunstvoll die Rede des Bischofs ist, aber gleichzeitig deutlich macht, dass diese Rede vor den Laien völlig unangemessen ist. Rudolf erinnert so erneut an die aptum-Forderung und macht klar, dass Wernhart zwar stilistisch perfekt gesprochen habe und sein Handwerk beherrsche, aber die Regeln verletzt und sich somit dem Gegenstand, dem Ort und dem Publikum gegenüber nicht angemessen verhalten habe. Es ist nämlich für den Redner auch wichtig, vor wem er spricht und wo er spricht.Vor diesem Hintergrund fällt Wernhart aus der Rolle und wird als Störer der Ordnung vom Hoftag gejagt. Rudolf hingegen erweist sich als klug und scharfsinnig.⁴⁸
In diesem letzten Aspekt ist Gesine Mierke zuzustimmen; Rudolf wird als kluger Herrscher, geschickter Taktiker und obendrein als guter Redner gezeigt.⁴⁹ Auch
manic umbrede wart getân | diu umb anders niht ergie, | wan daz der kunic undervie | die rede mit den andern sachen. | er begunde daz guot machen, | daz im selp ze vâr geschach (OStR, V. 13160 – 13165; „Manche Streitrede wurde da gehalten, die nicht anders beendet wurde, als dass der König diese Reden und die anderen Angelegenheiten unterbrach. Er fing an, das wieder ins Reine zu bringen, was ihm selbst gefährlich wurde“). Vgl. OStR, V. 13168 – 13173. Vgl. OStR, V. 13174– 13186. Vgl. Mierke: lustsam und redebære, S. 148 f. Ebd., S. 151 f. Vgl. ebd., S. 152. Mierke macht zudem deutlich, dass Rudolf in der Steirischen Reimchronik keineswegs als Rhetorikfeind gezeichnet wird, wenn er auf der Volkssprache besteht. Es gehe ihm um die Verständlichkeit der Rede; vgl. ebd.
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verstößt Wernhart gegen das Angemessenheitsgebot.⁵⁰ Dem Bischof wird in der Darstellung der Steirischen Reimchronik jedoch ebenfalls Anerkennung zuteil. Der Hoftag ist nicht nur Bewährungsmöglichkeit für Rudolf, der Kaiser und der Bischof erweisen sich vielmehr als ebenbürtige Gegner. Die Passage zeigt bei beiden Parteien politische Kommunikation auf einem hohen Niveau: Sowohl Wernhart als auch Rudolf werden vom Erzähler positiv dargestellt. Es wäre eine Vereinseitigung, nur das Lob auf Rudolf zu betonen. Die positive Darstellung Wernharts zeigt sich bereits in der Paraphrase seiner Ansprache. Zwar wird Wernharts Rede nicht wörtlich wiedergegeben, allerdings verwendet der Text eine Reihe von Versen darauf, den Inhalt zu paraphrasieren und dabei die Fertigkeiten des Bischofs zu rühmen.⁵¹ Wernhart werden Klugheit und große Redefähigkeiten attestiert: alle die sîn rede hôrten, die jâhen, er het von gotes gunst ze grôzen witzen unde kunst ein zunge, diu wær snel. (OStR, V. 13076 – 13079) Alle, die seine Rede hörten, die sagten, dass er von Gottes Gnaden zu großer Klugheit und Kunstfertigkeit eine schnelle Zunge habe.
Die Passage zeichnet ein positives Bild von der Redekunst des Bischofs, die insbesondere durch den Verweis auf Gott hervorgehoben wird. Unmittelbar anschließend folgt die Aussage, reid und sinewel | muoste sîn rede wesen (OStR, V. 13080 f.)⁵² – diese Attribute verdienen eigene Aufmerksamkeit: Sinewel lässt sich mit ‚rund‘ übersetzen, z. B. in sprichwörtlichen Formulierungen wie daz gelücke ist sinewel. ⁵³ Reid ist im Mittelhochdeutschen u. a. üblich als Attribut von Haaren, etwa bei der Beschreibung von besonders schön gekräuselten Locken.⁵⁴
Vgl. dazu auch Kapitel 2.4, Anm. 190. Vgl. zusätzlich zu dem oben Zitierten OStR, V. 13067– 13083. Gesine Mierke deutet diese Formulierung als Hinweis auf die Geschlossenheit der Rede: „Zudem sei die Rede kunstfertig gestaltet, rhetorisch ausgeschmückt und in sich geschlossen – reid und sinewel – gewesen, so der Erzähler“ (Mierke: lustsam und redebære, S. 150). Vgl. Sinwel. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 (2021), Sp. 936 f., www.woerterbuchnetz.de/Lexer? lemid=S04402 (13. Dezember 2021). Der Beleg stammt aus der Crône: „daʒ gelückes rat ist vertic unde s.“ Vgl. Reide. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 (2021), Sp. 385, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid= R00648 (13. Dezember 2021): „das gedrehte, gelockte. ir hâr mit reide geblenket“.
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Wernharts Rede lässt sich somit als kunstvoll verziert verstehen – ob das anerkennend oder abwertend gemeint ist, lässt der Text offen und es ist in Erwägung zu ziehen, ob dies absichtlich geschieht und hier bereits die Ambivalenz der Rede aufscheint, die Rudolf später in seiner Ansprache thematisiert. Anders als in Rudolfs Ansprache wird diese Ambivalenz in den hier zitierten Versen jedoch nicht voll zur Geltung gebracht. Kunstfertig ist Wernhart ebenfalls auf einem weiteren Feld, denn er hat in Italien, in Padua, eine juristische Ausbildung erhalten: er hete datz Padou gelesen | daz decretal und daz decret (OStR, V. 13082 f.; „Er hatte damals in Padua Kirchenrecht studiert“).⁵⁵ Wernharts Rede ist nicht nur rhetorisch beeindruckend, sondern die geschliffene Rhetorik verbindet sich mit juristischem Sachverstand und juristischer Argumentation. Damit liegt ein weiterer Beleg dafür vor, dass Italien in der deutschsprachigen Literatur als Ort der Bildung und Redekultur wahrgenommen wird. Dieser Befund fügt sich in das Bild der italienischen Redekultur ein, das sich in der lateinischen Chronistik beobachten lässt: Knut Görich hat gezeigt, dass die Redefähigkeiten italienischer Gesandter gerade nördlich der Alpen registriert, kommentiert und mitunter auch kritisiert wurden.⁵⁶ Florian Hartmann spricht in diesem Zusammenhang von einem neuen ‚Stereotyp‘ in der Chronistik ab dem 12. Jahrhundert: „Der redebegabte oder geschwätzige Norditaliener.“⁵⁷ Für die Figur des Bischofs Wernhart kann die Steirische
Winfried Stelzer interpretiert die Formulierung gelesen dahingehend, dass Wernhard Professor in Padua gewesen sei; vgl. Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse, S. 504. Zur Ausbildung und internationalen Tätigkeit des historischen Wernhard von Seckau vgl. ebd.; auch Kronthaler: Wernhard, S. 717, die allerdings davon ausgeht, dass Wernhard von Seckau mit Wernhard von Morsbach identisch sei. Dies ist laut Stelzer eine Fehlidentifikation. Zum Studium deutscher Rechtsstudenten in Italien vgl. auch Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse, S. 503, u. a. mit Erwähnung Ottokars von Steiermark als Student in Bologna; schon Ott, Norbert H.: Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zu Überlieferung, Ikonographie und Gebrauchssituation des deutschen Belial, München 1983 (Münchener Texte und Untersuchungen 80), hier S. 30 f. „Der deutsche Bischof Otto von Freising bezeichnete es bekanntlich als mos italicus, sehr wortreich und sehr lange in vielfach gegliederten Perioden vor dem Kaiser über Rechte des Staates und des Reiches zu sprechen“ (Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 135). An weiteren Beispielen nennt Görich die Darstellung Rahewins zu italienischen Gesandten auf dem Hoftag von Roncaglia 1158, die Darstellung Salimbenes von Parma zum Spott Friedrichs II. über Cremoneser Gesandte, das Lob der Genueser Annalen für Barbarossas Kanzler Rainald von Dassel sowie eine Anekdote bei Johannes von Salisbury über Gesandte bei Papst Hadrian IV.; vgl. ebd., S. 135– 137. Vgl. auch Kapitel 1.2. Hartmann: Politische Rede, S. 17. Es wäre zu prüfen, ob dieser Stereotyp auch eine weitere Episode der Steirischen Reimchronik beeinflusst hat, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann: Im Rahmen der Verhandlungen zwischen Andreas von Ungarn und Albrecht von Österreich wird die Eloquenz und die Sprachwahl der Gesandten thematisiert, die für die beiden
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Reimchronik somit an bereits etablierte Darstellungsmuster anknüpfen. In den lateinischen Chroniken kann, je nach der Perspektive des Verfassers und abhängig von den jeweiligen Darstellungsinteressen, Anerkennung oder Abwehr überwiegen, gemeinsam ist den Belegen dabei aber eine Faszination für die oratorischen Künste. Diese Faszination, die nicht zuletzt aus der Ambivalenz des Redeauftritts resultieren könnte, scheint auch in der Steirischen Reimchronik zu bestehen. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass Wernhart aus Versehen die kommunikativen Regeln von Latein und Volkssprache, das aptum, verletzt. Stattdessen liegt es näher, Wernharts Sprachwahl als bewussten Affront gegenüber den Laienfürsten zu werten. Mit der lateinischen Rede auf juristischer Basis kann Wernhart die Laien gleich doppelt als ungebildet beleidigen: Sie können weder kunstvoll sprechen noch ordnungsgemäße Wahlen abhalten – und sie sind nicht einmal in der Lage, diese Vorwürfe zu verstehen.⁵⁸ Das Nebeneinander von Latein und Volkssprache kommt in den Quellen zur vormodernen Oratorik durchaus häufiger zur Sprache, wie in Kapitel 2.2 bereits ausgeführt wurde. Die Hoftags-Episode der Steirischen Reimchronik gestaltet dieses Nebeneinander als
Seiten miteinander verhandeln. Als Sohn einer Italienerin wurde Andreas von Ungarn in Venedig erzogen und könnte weiterhin Kontakte nach Italien gepflegt haben, die italienische Redekultur nach Ungarn brachten; vgl. Bak, János M.: Andreas III. In: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Onlineausgabe 1 (1974), S. 71, https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexView view.php?ID=454 (13. Dezember 2021). In der Reimchronik wird gesagt, dass die Begrüßung auf Latein stattfindet und nonverbale Gesten an diejenigen gerichtet werden, die weder Deutsch noch Latein beherrschen; vgl. OStR,V. 43528 – 43536. Im weiteren Verlauf beklagt sich der Erzähler über die unnötig langen Reden der ungarischen Gesandten, die unendlich lange sprechen, ê si zieglichen dingen | ir gelîchnus für bringen | mit geflôrierten worten (OStR, V. 43817– 43819; „bevor sie zu allen Sachen mit geblümten Worten ihre Gleichnisse anbringen“). Der Herzog von Österreich und der König von Ungarn lösen schließlich ihren Konflikt durch demonstrative Freundlichkeit und höfliche Worte, nachdem ihre Gesandtschaften die Friedensbedingungen vorverhandelt haben: der ret wol, diser baz, | sus was zergangen der haz (OStR, V. 43993 f.; „jener sprach gut, dieser noch besser, so verging die Feindschaft“). Vgl. auch OStR, V. 44495 – 44523, wo sich die Ratgeber der zuvor verfeindeten Seiten in Gesprächen und kôsred ergehen. Mit Bezug auf die Darstellung des Hoftags bei Johann von Viktring kommt Stelzer zu einem ähnlichen Schluss; er bringt zusätzlich noch eine weitere Deutungsmöglichkeit ins Spiel: „Bischof Wernhard […] wollte offenkundig nicht deutsch argumentieren. Möglicherweise wollte er die Laienfürsten und den König, die Latein nicht verstanden, mit seinem inszenierten Auftritt bewusst provozieren. Vielleicht sah er aber gar keine andere Möglichkeit, als die rechtswissenschaftlichen Argumente seines Plädoyers in der für einen Juristen einzig adäquaten Weise, nämlich in lateinischer Sprache, vorzubringen“ (Stelzer: Steirische Bildungsverhältnisse, S. 492 f.). Aus der Steirischen Reimchronik sind für diese These keine Indizien zu gewinnen; sie erscheint jedoch reizvoll, weil sie auf eine funktionale Verschiedenheit der Sprachen im gelehrten Kontext verweist, die im politischen Bereich zu Problemen führen kann.
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intensive Spannung aus, die von den Akteuren auf der großen reichspolitischen Bühne gezielt eingesetzt werden kann, um die Auseinandersetzung um Macht und Einfluss zu führen. Der Augsburger Hoftag hat historisch gesehen nicht zu einer Verbesserung von Ottokars II. Position geführt, denn im entsprechenden gerichtlichen Verfahren wurden diesem alle Lehen aberkannt und wenig später wurde wahrscheinlich die Reichsacht über Ottokar II. verhängt.⁵⁹ Die Steirische Reimchronik inszeniert diesen Hoftag jedoch als dramatische Auseinandersetzung, in der sowohl Rudolf von Habsburg als auch Wernhart von Seckau als kluge und eloquente Redner gezeigt werden. Gerade ihre Inszenierung als Figurenpaar führt unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten von Oratorik vor.
4.2 tugentlicher soldan und verwâzen kristen. Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon der Steirischen Reimchronik Ein großer Teil der Steirischen Reimchronik schildert den Fall der Stadt Akkon, die 1291 von den Mamluken erobert wurde, womit der letzte größere Stützpunkt der europäischen Christen im Heiligen Land verloren ging. Die Steirische Reimchronik inszeniert diesen symbolisch hochaufgeladenen Verlust und übt dabei starke Kritik an der Politik des Papstes und der europäischen Fürsten. Sie stellt den Fall von Akkon als Folge der Gier und der Blindheit des Papstes dar: Nach langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der kristenheit und dem Sultan bzw. dem admirat der heiden (OStR, V. 44613; 44615), die mit einem Friedensvertrag beendet wurden, prosperiert Akkon unter der Führung der verschiedenen Ritterorden als christliche Stadt im Heiligen Land. Akkon wird durch die städtische Gemeinde und einen Potestaten selbstverwaltet.⁶⁰ Der Fall Akkons erscheint in der Steirischen Reimchronik als besonders schwerer Verlust, weil die Stadt zuvor ein äußerst harmonisches Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen genießen konnte: Die Ritterorden, die Vertreter der Handelsstädte Venedig und Genua sowie die Verwaltung der nichtchristlichen Nachbargebiete tragen jeweils ihren Anteil zu Wohlstand und Frieden bei, sodass der Erzähler die Stadt rühmt, man könne ein Stück Gold auf der Straße liegen lassen, ohne dass es verlorenginge.⁶¹ Über das paradiesische Miteinander von Christen und Heiden ist der Teufel jedoch unzufrieden und er sucht nach einer Dazu und zur diffizilen Quellenlage vgl. Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 129 f. Vgl. die bereits in Kapitel 1.2, Anm. 70 genannten Textstellen sowie OStR,V. 46366 (diu gemein der Akersære); 46567 (von Akers der gemein). Vgl. OStR, V. 44833 – 44862, zum Goldstück bes. OStR, V. 44850 – 44855.
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Möglichkeit, daz er den wec ab grüebe, | der dâ der kristenheit | hinz himel was sô breit (OStR, V. 44876 – 44878; „dass er jenen Weg hin zum Himmel abgraben könnte, der für die Christenheit so breit war“). Auch den Papst stört die geselleschaft (OStR, V. 44942, „Gemeinschaft“) in Akkon: Die Kurie befiehlt, sämtliche ‚heidnischen‘ Händler aus der Stadt auszuweisen, was die alten Spannungen wiederaufleben lässt.⁶² Der aus Rom gesandte Kardinallegat bringt die Situation zum Eskalieren, indem er eine fremde Handelsgesellschaft überfallen und eine Gesandtschaft des Sultans verstümmeln lässt.⁶³ An diesem Vorfall ist die Handlung im ersten Teil des Buchs von Akkon ausgerichtet, in dem umfangreiche Redeszenen die Verhandlungen zwischen den Parteien schildern. Dieser Verhandlungsteil steht im Zentrum dieser Fallstudie: Der Sultan zeigt sich als talentierter Politiker, denn er versucht die Gefahr eines erneuten Krieges, der auch für ihn mit hohen Verlusten verbunden wäre, durch diplomatische Mittel abzuwenden. Er schickt eine Gesandtschaft hochrangiger Fürsten nach Akkon und lässt den Ordensrittern anbieten, den Vorfall gegen eine Wiedergutmachungsleistung von dreißig Geiseln auf sich beruhen zu lassen.⁶⁴ Die Akkonenser, die ohnehin den Frieden wahren möchten, wollen dieses Angebot annehmen und suchen gemeinsam den Kardinallegaten auf, um mit ihm das weitere Vorgehen zu beraten. Dies wird in einer großangelegten Redeszene geschildert, die jedoch im absoluten Dissens endet. Der Kardinallegat spricht schließlich ein Machtwort und verbietet unter Androhung des Kirchenbanns jede Kooperation mit den Heiden.⁶⁵ Das wiederum bringt den Sultan so sehr auf, dass er vor Zorn sterbenskrank wird. Um trotzdem den Schaden zu rächen, verpflichtet er auf einem Hoftag sämtliche Könige und Würdenträger, seine Rache auszu-
Für die Wahrnehmung des Papstes wird ein Einwirken des Teufels dezidiert nicht behauptet, aber insinuiert: ob im zuo flôz | in guotem fürsaz der muot, | oder ob der tiuvel unguot | sîn frum alsô wolt heben an, | daran ich niht enhân | die wârheit noch erfunden (OStR,V. 44946 – 44951; „Darüber, ob ihm in gutem Vorsatz der Gedanke kam, oder ob der schlechte Teufel seinen Gewinn daraus ziehen wollte, habe ich bisher nicht die Wahrheit herausgefunden“). Vgl. OStR, V. 45026 – 45179. Während die Misshandlung der Gesandten sich eindeutig gegen den Sultan richtet, ist dies für die Handelsreisenden weniger deutlich: Der Kardinal plant explizit, koufliut zu schikanieren, die den heiden zuo gehôrten (OStR, V. 45020 f.), bei den überfallenen Händlern handelt es sich jedoch um Kaufleute aus Ethyopiâ (OStR, 45027). In der Logik des Textes müssten diese eigentlich Christen sein, da der später prominente König von Äthiopien als christlicher Wohltäter auftritt (vgl. Anm. 79f. in diesem Kapitel). In der Darstellung der Reimchronik wird an dieser Stelle somit kein Unterschied zwischen den Herrschaftsgebieten oder Religionszugehörigkeiten gemacht; sämtliche Gebiete, die nicht den europäischen Christen unterstehen, werden als ‚heidnisch‘ präsentiert. Vgl. OStR, V. 45192– 45488. Vgl. OStR, V. 45488 – 46608.
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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führen.⁶⁶ Die darauffolgende Belagerung und Zerstörung Akkons wird noch ausführlicher als die Verhandlungen im Vorfeld des Kriegszuges geschildert;⁶⁷ da sie weniger umfangreiche Redeszenen mit häufig auch kürzeren Redebeiträgen enthält, wird sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht ausführlich betrachtet. Die Untersuchungen dieses Teilkapitels münden in die folgenden Thesen zur Oratorik im Buch von Akkon, die am entsprechenden Ort differenzierter ausgeführt werden: Die Gesandtschaftsrede der Vertreter des Sultans (Kapitel 4.2.1) übermittelt auf der instrumentellen Ebene ein Angebot, das den Frieden zwischen Christen und Heiden wahren soll. Auf der symbolischen Ebene dient sie zugleich dazu, den Sultan als idealen Herrscher zu stilisieren, dessen Machtanspruch sich auch auf die Christen in Akkon erstreckt. Vor diesem Hintergrund lassen sich die beiden großen Versammlungen im ersten Teil des Buchs von Akkon als miteinander kontrastierende Szenen lesen, in denen Modelle gelingender und scheiternder Herrschaft inszeniert werden. Dies zeigt sich an der ritualisierten Kommunikation, den jeweiligen Redegegenständen und an den Mitteln zur Durchsetzung der jeweiligen Ziele. Die Ansprache der Akkonenser vor dem Kardinallegaten (Kapitel 4.2.2) läuft ins Leere, die Verhandlung gerät außer Kontrolle und der Legat muss den Kirchenbann androhen, um den vorgeschlagenen Geiselaustausch zu verhindern. Gerade weil die Oratorik der akkonitischen Christen in der Darstellung der Steirischen Reimchronik scheitert, tritt die ideale Oratorik der Heiden umso strahlender hervor. Am Hoftag des Sultans (Kapitel 4.2.3) lassen sich Bausteine für das oratorische Ideal der Steirischen Reimchronik zusammentragen, in dem es dem starken, rhetorisch versierten Herrscher gelingt, seinen Vasallen seine Notlage zu schildern, diese durch rituelle Redeakte in den politischen Entscheidungsprozess einzubinden und einen reibungslosen Übergang zu seinem Nachfolger zu schaffen. Es ist ein oratorisches Ideal für eindeutige Herrschaftsverhältnisse: Ein Herrscher tritt mit seinen Vasallen zusammen, es herrscht Konsens, die Ordnung wird nicht nur gewahrt, sondern zelebriert. Das Buch von Akkon ist mehrheitlich als in sich abgeschlossene Erzählung überliefert – es ist in acht der elf Reimchronik-Handschriften enthalten, davon
Vgl. OStR, V. 46609 – 47995. Während die Konfliktentstehung und die diplomatischen Verhandlungen mit ca. 3400 Versen etwas mehr als ein Drittel des Textes umfassen (vgl. OStR,V. 44579 – 47995), nimmt die Belagerung etwa die Hälfte des Textes, ca. 4830 Verse, ein: Die Kriegsvorbereitungen beginnen ab V. 47996, die Schilderung der Niederlage endet OStR, V. 52832, danach folgt die Episode zum König von Äthiopien (OStR, V. 52833 – 53866).
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aber sechs Mal als einziger der Reimchronik-Teile.⁶⁸ Eine Handschrift und einige Fragmente überliefern das Buch von Akkon zusammen mit anderen Teilen der Steirischen Reimchronik. Wie Bernd Bastert bemerkt, besteht ein Ungleichgewicht zwischen diesem Überlieferungsbefund und der Akzentsetzung der bisherigen Forschung: Während die historischen und germanistischen Bemühungen um die Steirische Reimchronik sich bislang meist auf die landesgeschichtlichen Partien konzentriert haben, stand für die mittelalterliche Hörer- und Leserschaft ganz eindeutig der im deutschen Sprachraum einzigartige und oft genug augenscheinlich auch als eigenständiges Werk über den Verlust des Heiligen Landes rezipierte und tradierte Bericht im Zentrum des Interesses.⁶⁹
Gänzlich unerforscht geblieben ist das Buch von Akkon nicht,⁷⁰ aber es ist tatsächlich festzustellen, dass es häufig eher mit einem Seitenblick im Rahmen von Arbeiten bedacht wird, die sich vorwiegend mit anderen Texten oder Themen beschäftigen.⁷¹ Redeszenen, Figurenrede oder Oratorik im Buch von Akkon sind
Die Darstellung folgt der Übersicht der Textzeugen bei Bastert, Bernd: enhalp dem mer – Kreuzzüge ins Heilige Land. Das Buch von Akkon im Kontext der deutschen Kreuzzugsliteratur des 12. bis 14. Jahrhunderts. In: Die Kreuzzugsbewegung im römisch-deutschen Reich (11.–13. Jahrhundert). Hrsg. von Nikolas Jaspert / Stefan Tebruck, Ostfildern 2016, S. 249 – 268, hier S. 267 auf Basis einer Abfrage im Handschriftencensus mit Stand 2014. Dieser Stand ist auch 2021 noch aktuell, vgl. Bauer, Manuel u. a.: Ottokar von Steiermark: Steirische Reimchronik. In: Handschriftencensus (2021), http://handschriftencensus.de/werke/602 (13. Dezember 2021). Das Buch von Akkon (Teil II der OStR) als einziger Teil der OStR findet sich in den Handschriften in Berlin, Jena, Lüneburg, München, St. Gallen, Wien und Wolfenbüttel (=Nr. 2, 3, 5, 6, 7, 10, 11 nach Basterts Systematik). Die Liste der Überlieferungszeugen im Handschriftencensus enthält zusätzlich das Historienbuch von Jörg Stuler, das Bastert als Prosaauflösung ausgliedert (s. Handschriftencensus für die Signaturen). Bastert: Kreuzzüge, S. 257 f. Das stellt auch Bastert nicht in Abrede, vielmehr gibt er eine Zusammenstellung der Forschungsbeiträge in zwei Kategorien. Vgl. ebd., S. 258, Anm. 23 zu Beiträgen, die sich speziell mit dem Buch von Akkon beschäftigen. Zu Beiträgen, „die das Buch von Akkon jedoch höchstens streifen“, vgl. ebd., S. 257, Anm. 22. Vgl. außerdem das Desiderat am Schluss des Aufsatzes: „Wirklich gut erschlossen ist es, trotz seiner unstreitigen Bedeutung, allerdings bislang weder aus germanistischer noch aus historischer Perspektive. Es wäre eine lohnende Aufgabe für beide Seiten“ (ebd., S. 266). So etwa bei Classen, Albrecht: Toleration and Tolerance in Medieval European Literature, New York u. a. 2018 (Routledge studies in medieval literature and culture 8); Sabel, Barbara: Toleranzdenken in mittelhochdeutscher Literatur, Wiesbaden 2003 (Imagines medii aevi 14), hier S. 313 – 317; Knapp: Die Literatur, S. 379; vgl. auch die Verweise bei Bastert: Kreuzzüge, S. 258, Anm. 23. In der Dissertation von Hirt gehört das Buch von Akkon zum Textkorpus, die Untersuchung ist aber systematisch aufgebaut. Ein Unterkapitel stellt das Buch von Akkon und die Reimchronik allgemein vor; vgl. Hirt, Jens: Literarisch-politische Funktionalisierungen. Eine
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bislang nicht untersucht worden.⁷² Neben Lexikonbeiträgen existieren nur einzelne Publikationen, in denen das Buch von Akkon zum Hauptgegenstand gemacht wird oder eine eigene Fallstudie erhält: Mit Bettina Hatheyers Dissertation liegt seit 2005 eine neuhochdeutsche Übersetzung mit Kommentar und Untersuchung vor;⁷³ Christoph Pretzer untersuchte insbesondere die Konstruktion der heidnischen Figuren.⁷⁴ Außerdem sind einige weitere Buchkapitel und Aufsätze aus germanistischer⁷⁵ und aus historischer Perspektive zu verzeichnen.⁷⁶ Untersuchung mittelhochdeutscher Kreuzzugsdarstellungen. Wilhelm von Wenden, Die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Frommen von Thüringen, Wilhelm von Österreich und Das Buch von Akkon, Göppingen 2012 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 766), hier S. 131– 147. Bei Hatheyer finden sich beiläufige Bemerkungen wie diejenige, „über die Reden der Ordensmeister und Könige“ werde thematisiert, dass der Papst „mit den Maßnahmen des Kardinals nicht einverstanden wäre“ (Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 493). Vgl. ebd., S. 9 – 38 zum Hintergrund des Verfassers, hier in der Namensform „Ottokar aus der Gaal“. Text mit Stellenkommentar ebd., S. 40 – 489; Untersuchung ebd., S. 490 – 508. Albrecht Classen stellt in einer Rezension einige formale Schwächen fest, die neben Flüchtigkeitsfehlern auch fehlerhafte Verszählungen und Jahresangaben betreffen. Historische Angaben im Kommentar seien deshalb mit Vorsicht zu genießen. Insgesamt rühmt er jedoch das Verdienst Hatheyers, endlich eine kommentierte Ausgabe vorgelegt zu haben; vgl. Classen, Albrecht: Rezension zu: Bettina Hatheyer, Das Buch von Akkon. In: Mediaevistik 21 (2008), S. 525 – 527, hier S. 526 f. Vgl. Pretzer, Christoph: Die heiden in Ottokars aus der Gaal Buch von Akkon. In: Germanistik in der Schweiz 15 (2018), S. 83 – 120; vgl. auch die Qualifikationsschrift Pretzer, Christoph: Funktionale Fiktionalisierung. Narrative Organisations- und Plausibilitätsstrategien historischen Erzählens in Ottokars von Steiermark Buch von Akkon aus der Steirischen Reimchronik, Masterarbeit (masch.) Bamberg 2013. Ich danke Christoph Pretzer für die Einsicht in das unveröffentlichte Manuskript der Masterarbeit. Zu Basterts Aufsatz von 2016 siehe unten. Christoph März bespricht OStR, V. 45305 – 45327 als Beispiel für die ‚Literarizität‘ der Texte Wolframs von Eschenbach in der Wahrnehmung Ottokars; vgl. März, Christoph: Geborgte Helden, geliehene Gefühle. Heldenepos und höfischer Roman in Ottokars Österreichischer Reimchronik. In: 4. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Heldendichtung in Österreich – Österreich in der Heldendichtung. Hrsg. von Klaus Zatloukal, Wien 1997, S. 123 – 136, hier S. 134– 136. Mary Fischer vertritt die These, die Steirische Reimchronik gebe eine Spätphase der öffentlichen Meinung über die Kreuzzüge wieder, in der die Kreuzzugspropaganda früherer Generationen als eindimensional oder unpassend wahrgenommen wurde; vgl. etwa Fischer, Mary: Criticism of church and crusade in Ottokar’s Österreichische Reimchronik. In: Forum for Modern Language Studies XXII/2 (1986), S. 157– 171, hier S. 161; 163. Hans Eberhard Meyer sichtet und bewertet die Quellen zum Fall von Akkon, darunter auch die Steirische Reimchronik, mit besonderem Fokus auf die Deutschordensritter. Er kommt zu dem Schluss, dass der Deutsche Orden beim Fall von Akkon keinen Hochmeister hatte und dass auch sonst unklar ist, wer die kämpfenden Deutschritter befehligte; die Figur des meisters in der Steirischen Reimchronik wäre demnach frei gestaltet. Die Reimchronik wird mehrfach einbezogen und bewertet; vgl. Mayer, Hans Eberhard: Der Deutsche Orden im Endkampf um Akkon. In: DAEM 70 (2014), S. 595 – 610, hier S. 602; 609; vgl. außerdem ebd., S. 599. Marie-Luise Favreau-
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Zwei Themenbereiche, die auch die hier verfolgte Fragestellung nach politischer Rede berühren, lassen sich hervorheben: Die Genrezuordnung des Buchs von Akkon zwischen Historiografie und Literatur, die sich oft mit Fragen nach Fiktionalität, Faktualität und Literarizität überschneidet, sowie die Darstellung der Figuren. Oft mit diesem Aspekt verknüpft ist die Untersuchung intertextueller Bezüge, die im Buch von Akkon vor allem als Bezüge auf den Willehalm Wolframs von Eschenbach zu beobachten sind.
Historiografische und literarische Darstellungs- und Erzählmuster Bernd Basterts bereits zitierter Aufsatz gehört zu den jüngeren Publikationen, die sich ausführlicher dem Buch von Akkon widmen. Er ordnet es, wie die Steirische Reimchronik insgesamt, dem Genre der Geschichtsdichtung zu, die sich nach einer Bestimmung Christoph Fasbenders durch die „Verschriftung geschichtlicher […] Ereignisse unter signifikantem Einsatz spezifischer formaler und ästhetischer Mittel der gleich- oder nachzeitigen Dichtung“ auszeichnet – keine historische, aber eine pragmatische Bestimmung.⁷⁷ Aufgrund der spät datierenden Überlieferung und einiger Rezeptionszeugnisse vertritt Bastert die These, dass erst nach dem Ende der christlichen Präsenz im Heiligen Land „erzählende deutschsprachige Kreuzzugsliteratur, die sich auf historisch verifizierbare Auseinandersetzungen im Heiligen Land bezieht, […] auf verstärkte Resonanz stieß“.⁷⁸
Lilie untersucht die Möglichkeiten der Ritterorden, beim Fall von Akkon die ärmere christliche Bevölkerung der Stadt zu evakuieren, und zeichnet ein Bild tragischer Fehleinschätzung bei den Ordensrittern. Grundlage ihrer Analyse sind Berichte zum Fall von Akkon und Quellen zur Flottensituation der Ritterorden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass niemand den Fall Akkons antizipierte und außer den Templern niemand Vorbereitungen traf. Alle Beteiligten trafen die Entscheidung zur Evakuierung allerdings gleichermaßen zu spät (Favreau-Lilie, Marie-Luise: The military orders and the escape of the Christian population from the Holy Land in 1291. In: JMedH 19 [1993], S. 201– 227, hier S. 227). Nach dem Fall von Akkon, als viele der Bewohner – auf unterschiedlichen Wegen – als Geflüchtete auf Zypern lebten, machten sich die Malteser und Templer hingegen um deren Versorgung verdient.Vgl. ebd., S. 219 – 227. Die Steirische Reimchronik wird von Favreau-Lilie verschiedentlich als Bericht zur Verteidigung und Flucht der Ordensritter herangezogen, mit „[a]ccording to ‚Ottokar‘“ aber als Text mit Verfasserperspektive gekennzeichnet (ebd., S. 207, Anm. 12; vgl. auch ebd., S. 209, Anm. 23 u. ö.). Fasbender, Christoph: Geschichtsdichtung. In: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. Hrsg. von Wolfgang Achnitz, Bd. 3, Berlin u. a. 2011, S. XXIX–XLIII, hier S. XXIX; zitiert bei Bastert: Kreuzzüge, S. 253. Fasbender unterscheidet im Verlauf seines Beitrags noch weiter heuristisch zwischen den Formen „Chronik, Annalen,Vita und Gesta“, die in der mittelalterlichen Überlieferung oft gemischt auftreten; vgl. Fasbender: Geschichtsdichtung, S. XXXII. Bastert: Kreuzzüge, S. 265.
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Ein zentraler Teil des Aufsatzes untersucht die Verbindung von literarischen und historiografischen Erzählmustern im Buch von Akkon und geht dabei besonders auf die am Ende eingesetzte Figur des Königs von Äthiopien ein.⁷⁹ Dieser König erfüllt eine Deus-ex-machina-Funktion, indem er den – nach Afrika verlegten – Euphrat abzweigt und dem Sultan sowohl sachlich als auch symbolisch das Wasser abgräbt. Bastert sieht in diesem König, wie schon Hatheyer,⁸⁰ einen Reflex auf den sagenumwobenen Priesterkönig Johannes und deutet ihn zusammen mit weiteren religiös-heilsgeschichtlichen Elementen als Indiz für das ‚gängige Erzählmuster‘, „dass Niederlagen gegen Sarazenen und andere Ungläubige in einen Sieg verwandelt und so die Geschichte nachträglich gleichsam korrigiert wird“.⁸¹ Er geht auch auf Bezüge zu historischen Personen aus dem arabischen, europäischen und mongolischen Herrschaftsraum ein,⁸² betont jedoch: „Wichtiger und erfolgversprechender ist es sicherlich, genereller, mit weiterem Blick auf die literarische Faktur, auf die spezifische Machart des Buchs von Akkon zu schauen.“⁸³ Eben diese Perspektive nimmt Christoph Pretzer ein; er vertritt die These, dass fiktionale Elemente im Buch von Akkon, insbesondere die Konstruktion der zentralen Figuren, in die Darstellung historischer Ereignisse integriert werden, um diese Ereignisse mit den Rezeptionserwartungen des Publikums zu vereinbaren und mögliche Irritationen angesichts des historischen Verlustes im Heiligen Land durch „plausibilisierende[] Fiktionen“ aufzulösen.⁸⁴ Eine gerade im Kontrast zum Sultan plausibilisierende Funktion schreibt Pretzer der Figur des Kardinallegaten zu, in der verschiedene historische Per Vgl. ebd., S. 258 – 263; vgl. zum König von Äthiopien ebd., S. 259 – 261. Im Buch von Akkon umfasst, wie in Anm. 67 dieses Kapitels genannt, die Episode zum König von Äthiopien die Verse OStR, V. 52833 – 53866. Hatheyer wertet die Passagen zum König von Äthiopien als Kontrastfolie für eine Papstkritik; vgl. Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 502– 504. Bastert: Kreuzzüge, S. 262 mit Verweis auf das Rolandslied. Vgl. ebd., S. 259 – 261. Ebd., S. 261. Pretzer: Die heiden, S. 86. Vgl. auch Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 88. Pretzer geht auch auf Kritik an der historischen Korrektheit des Buchs von Akkon ein und betont, dass eine Suche nach Fehlern gegenüber den historischen Tatsachen allein schon deshalb müßig ist, weil auch die prüfbaren historischen Quellen stets eine bestimmte Perspektive wiedergeben – die Quellen erweisen sich auch hier als unhintergehbar; vgl. ebd., S. 45. Er hält jedoch fest: „Vergleicht man nun die Version der Ereignisse, welche das Buch von Akkon anbietet, mit dem Quellenquerschnitt, so fällt doch auf, dass der grundsätzliche Verlauf auch dort insgesamt dem in den anderen Quellen entspricht: Die Kernsequenz der Ereignisse […], welche etwa der Templer von Tyrus vorgibt, wird auch im Buch von Akkon eingehalten“ (ebd., S. 51). Vgl. ähnlich Bastert: Kreuzzüge, S. 260.
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sonen und deren schlechter Ruf verschmelzen.⁸⁵ Auch Hatheyer und Bastert gehen davon aus, der Kardinal sei nach dem Vorbild des Kardinallegaten Pelagius von St. Lucia (auch Pelagius von Albano bzw. Galvani) beim fünften Kreuzzug und der Belagerung von Damiette gestaltet.⁸⁶ Bernd Bastert spricht in Bezug auf die Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs von Thüringen von einer ‚Amalgamierung‘ bzw. „Synchronisierung“⁸⁷ historischer Personen mit literarischen Figuren, die in der zeitgenössischen Geschichtsdichtung, aber auch in der Heldenepik üblich sei. Im Unterschied zur Praxis in der französischen Kreuzzugsliteratur schreibe sich in der Kreuzfahrt „der deutsche Text aber gerade nicht in überkommene und geschichtliche Wahrheit garantierende Traditionen heroischen Erzählens ein, sondern reklamiert Glaubwürdigkeit, indem er gelehrte historiographische Schreibtraditionen aufruft.“⁸⁸ Ähnliche Beobachtungen macht Pretzer zum Buch von Akkon: Erfundene Elemente werden nicht als fiktional markiert, sondern sogar verschleiert – Ottokar setze eine „simulative Berufungstopik“ ein.⁸⁹
Die Darstellung der heiden und das Vorbild Wolfram von Eschenbach Eine detaillierte Untersuchung zu Konzepten des Heidnischen und zur Konstruktion heidnischer Figuren wurde für die Steirische Reimchronik als Ganzes bislang nicht durchgeführt, Christoph Pretzers Analyse zum Buch von Akkon ist
Vgl. Pretzer: Die heiden, S. 89 – 92; Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 84– 87. Hatheyer verweist auf Parallelen zum Kardinallegaten Pelagius von St. Lucia und zum historischen Übergang von Sultan Qalawun zu seinem Sohn, der die Fortsetzung des Kriegs versprechen muss; vgl. Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 490, 496. Der historische Sultan Qalawun allerdings „zeichnete sich nicht durch Zurückhaltung aus“ (ebd., S. 496). Vgl. auch Bastert: Kreuzzüge, S. 260. Bastert: Kreuzzüge, S. 254. Ebd. Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 131. Diese Beobachtungen ließen sich mit dem Vorschlag Timo Felbers engführen, der „rhetorische Prinzipien“ ausmacht, „die entweder eher einer historiographischen oder einer fiktionalen Erzählgrammatik zugeschrieben werden“ (publiziert als Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation, S. 432). Er führt dies an der „DeRhetorisierung“ (ebd., S. 433) von Passagen höfischer Romane aus, die in die Weltchronikkompilation Heinrichs von München integriert werden. „Durch eine modifizierte Form der Darstellung und die damit verbundenen ‚Wirklichkeitssignale‘ können Texte, denen historische Stoffe zugrunde liegen, in Geschichtsschreibung verwandelt werden: Der historiographische erweist sich hier vom literarischen Diskurs durch die Formen und Funktionen der erzählerischen Vermittlung geschieden“ (ebd.). Wie die Untersuchung der umfangreichen Redeszenen in Kapitel 4.2.1–4.2.3 zeigt, kann der Gebrauch dieser ‚Erzählgrammatiken‘ allerdings innerhalb ein- und desselben Textes schwanken – dort muss umgekehrt eher von einer ‚Rhetorisierung‘ der Darstellung gesprochen werden.
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die ausführlichste und vorerst jüngste Auseinandersetzung mit dem Thema.⁹⁰ Angesichts der Vielfalt historiografischer und literarischer Muster, die in der Reimchronik zum Tragen kommen, verspricht ein solches Vorhaben durchaus aufschlussreich zu sein, insbesondere unter Rückbindung an die jüngere Forschung zur Vielschichtigkeit entsprechender Konzepte in der mittelalterlichen Literatur.⁹¹ Die Forschung zum Buch von Akkon stellt bezüglich der Konstruktion heidnischer und christlicher Figuren ebenfalls Mehrschichtigkeiten und semantische Verschiebungen fest. Dabei werden verschiedene Perspektiven eingenommen, die im Hinblick auf die Darstellungsdimension, die auch bei der Untersuchung der Redeszenen betrachtet werden wird, unterschiedlich produktiv gemacht werden können. Laut Pretzer stehen neben dem Figurentypus des grausamen Heiden bei der Eroberung Akkons die Heiden „als literarisch geformtes, idealisiertes Gegenbild zu den zerstrittenen Christen“.⁹² Ihre Darstellung sei ganz auf die Wirkung beim christlichen, deutschsprachigen Publikum der Steirischen Reimchronik abgestimmt und knüpfe deshalb auch an literarische Traditionen an.⁹³ Bettina Hatheyer macht analog dazu die Beobachtung, dass der alte Sultan als Gegenmodell zum Kardinallegaten konstruiert ist. Der alte Sultan sei „lange die einzige positive Herrscherfigur“,⁹⁴ die nur mit dem König von Äthiopien einigermaßen vergleichbar sei.⁹⁵ Sie hält fest, die „Grundeinstellung
Vgl. Pretzer: Die heiden. Aufschlussreich erscheint neben dem Vergleich mit einschlägigen Texten wie dem Rolandslied und dem Willehalm eine Erweiterung um andere Traditionen, die etwa von Seidl und Zimmermann (zum Alexander Rudolfs von Ems und zur Weltchronik des Jans von Wien) oder von Prautzsch (zu Legenden) untersucht wurden; vgl. Seidl, Stephanie / Zimmermann, Julia: Jenseits des Kategorischen. Konzeptionen des ,Heidnischen‘ in volkssprachigen literarischen und chronikalischen Texten des 13. Jahrhunderts. In: Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. Hrsg. von Michael Borgolte, Berlin u. a. 2011 (Europa im Mittelalter 18), S. 325 – 384; zusammenfassend ebd., S. 373 – 375; Prautzsch, Felix: Heilige und Heiden im legendarischen Erzählen des 13. Jahrhunderts. Formen und Funktionen der Aushandlung des religiösen Gegensatzes zum Heidentum, Berlin u. a. 2021 (Literatur – Theorie – Geschichte 20). Pretzer: Die heiden, S. 119. Vgl. ebd. Mit diesem Fokus auf die Literarizität der Figurenkonzeption liegt Pretzer auf einer Linie mit Ansätzen wie dem von Ricarda Bauschke-Hartung, die in Bezug auf den Willehalm betont, „dass Wolfram literarische Traditionen und Konventionen des Sprechens über Heiden und Diffamierens von Nicht-Christen aktualisiert“ (Bauschke-Hartung, Ricarda: Der Umgang mit dem Islam als Verfahren christlicher Sinnstiftung in Chanson de Roland – Rolandslied und Aliscans – Willehalm. In: Das Potenzial des Epos. Die altfranzösische Chanson de geste im europäischen Kontext. Hrsg. von Susanne Friede / Dorothea Kullmann, Heidelberg 2012 [Germanischromanische Monatsschrift. Beiheft 44], S. 191– 215, hier S. 210). Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 496. Vgl. ebd., S. 460 – 462; ebd., S. 496 f. mit Vermutungen zu Wolfram und weiteren Einflüssen.
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Ottokars den Sarazenen gegenüber ist, beginnend mit den Schilderungen über das Verfahren des alten Sultans einen Krieg zu verhindern, betont positiv und wandelt sich erst im Laufe des Kampfes.“⁹⁶ Eine wichtige Rolle spielt der Einfluss Wolframs von Eschenbach, dessen heidnische Figuren dem Erzähler der Reimchronik als Vergleichsmöglichkeit und Vorbild dienen.⁹⁷ Hatheyer stellt Wolfram-Bezüge zusammen, die gerade im Umfeld der diplomatischen Verhandlungen, in denen sich die großen Redeszenen finden, so zahlreich sind, dass Hatheyer diese als „Wolfram-Passage“⁹⁸ bezeichnet. Zwölf der zwanzig beim Hoftag des Sultans genannten heidnischen Königsnamen stammen aus dem Willehalm,⁹⁹ dazu kommen prominente Figuren wie Terramer und Thesereiz, die bei der Einführung des alten Sultans vom Erzähler genannt werden.¹⁰⁰ Trotz aller aus dem Willehalm entnommenen Ideali-
Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 495. Vgl. OStR, V. 45305 – 45314 und öfter, vgl. die Analyse in Kapitel 4.2.1. Fritz-Peter Knapp, der nicht ausführlich auf das Buch von Akkon eingeht, hält die Darstellung der Heiden für eine Wolframkopie: „Den Verfehlungen der Christen steht das aus dem Willehalm Wolframs von Eschenbach ohne Abstriche übernommene Ideal des edlen Heiden gegenüber“ (Knapp: Die Literatur, S. 379). Zuspitzungen wie das Schlagwort vom ‚edlen Heiden‘ wurden in der mediävistischen Forschung problematisiert, auch dichotomische Thesen von ,religiöser Toleranz‘ im Gegensatz zur ,religiösen Unversöhnbarkeit‘ von Christen und Heiden sind hinterfragt worden. Vgl. dazu etwa Seidl / Zimmermann: Jenseits des Kategorischen, S. 326 – 329; vgl. auch ebd., S. 374 f. – Ebenfalls auf Wolfram-Bezüge, außerhalb des Buchs von Akkon, geht Wenzel ein, der Ottokars Umgang mit der literarischen höfischen Kultur untersucht; vgl.Wenzel: Höfische Geschichte, S. 3; 143 f. Explizite Nennungen Wolframs als literarisches Vorbild finden sich außerhalb des Buchs von Akkon etwa in OStR, V. 39196 in Verbindung mit dem Unfähigkeitstopos, kein angemessenes Epitaph für Rudolf I. von Habsburg schreiben zu können; zu dieser Stelle vgl. Haubrichs: Authentische Memoria. Wolfram wird zudem zusammen mit Hartmann von Aue im Rahmen einer hyperbolischen Preisung der vollkommenen Liebe eines adligen Paares genannt; vgl. OStR, V. 94897 f. Zu diesen und anderen Anspielungen und Bezugnahmen auf Wolframs Werke und die höfische Literatur vgl. Seemüller: Einleitung, S. CXVI–CXVII; jüngst Bok: Literary Reminiscences, S. 208 f. u.ö. Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 460. Vgl. ebd., S. 497. Vgl. ebd., S. 461 f., Kommentar zu OStR,V. 45312– 45327. Hatheyer vergleicht die Darstellung der heidnischen Figuren dabei mitunter mit einer historischen Wirklichkeit, bei der nicht immer deutlich wird, woher sie stammt. Unter Verweis auf die Dissertation Alfred Raucheisens zum Parzival und Willehalm kommt sie zu dem Schluss, Ottokar bleibe „seinem Vorbild Wolfram von Eschenbach in der falschen Darstellung des muslimischen Glaubens als Polytheismus treu […]. Dabei geben beide Dichter die klerikale Lehrmeinung wieder, die als Ausdruck zeitgemäßer Ignoranz zu sehen ist“ (ebd., S. 495; mit Verweis auf Raucheisen, Alfred: Orient und Abendland. Ethisch-moralische Aspekte in Wolframs Epen Parzival und Willehalm, Frankfurt a. M. u. a. 1997 [Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte 17], hier S. 62– 82).
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sierungen im Anfangsteil verändere sich die Heidendarstellung Hatheyer zufolge bei der Belagerung Akkons: Im Gegensatz zur Gyburc aus Wolframs Willehalm (306 – 311), die gegen die Auffassung antritt, dass alle Heiden bestimmt seien in die Hölle zu kommen, verfolgt Ottokar wieder die traditionelle Auffassung der Kirche und richtet seine Aussage nach der volkssprachlichen Literatur und der Propaganda zu den Kreuzzügen.¹⁰¹
Diese Aussage bezieht Hatheyer allerdings ausgerechnet auf eine Textstelle aus der leidenschaftlichen Klage des Erzählers, mit der dieser sich aus Trauer über das Leid und die unbeschreiblichen Verluste an Gott wendet. Dabei wird zwar, wie Hatheyer beobachtet, die „eindeutige Aussage [getroffen], dass heiden in die Hölle kommen“;¹⁰² der Erzähler drückt darüber jedoch, wie Hatheyer selbst bemerkt,¹⁰³ ebenso eindeutig sein Bedauern aus: mir eiset unde grûset, swie wol ez heiden sint, daz sô manigez menschenkint die helle sol bouwen und got nimmer beschouwen wan an dem lesten tag (OStR, V. 52432– 52437) Mir graut und graust, obwohl es Ungläubige sind, dass so manches Menschenkind die Hölle bewohnen soll und Gott nicht mehr bis zum jüngsten Tag sehen darf[.]
Die Klage des Erzählers endet sogar mit einer Klage über die toten Heiden: owê diser êre, diu dem tiuvel dô geschach, daz er sîner freude sô vil sach an menschlicher creatiwer! daz klag ich got vil tiwer, wand ich der helle niemen gan. (OStR, V. 52446 – 52451) Ach welche Ehre[] wurde da dem Teufel zuteil, dass er zu seiner Freude so viele menschliche Kreaturen sah! Dafür klage ich Gott besonders an, weil ich der Hölle niemanden vergönne.
Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 498. Ebd. mit Verweis auf OStR, V. 52415 – 52438. Vgl. ebd.: Ottokar „bedauert, dass der Teufel derartigen Zulauf erhalten sollte.“
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Die theologisch motivierte Vorstellung, nach der Ungläubigen der Zugang zum Himmel verwehrt bleibt,¹⁰⁴ stellt also offenbar für den Erzähler keinen Widerspruch dazu dar, sowohl Christen als auch Heiden in die Trauer über den Verlust Akkons einzuschließen. Pretzer setzt einen stärker narratologischen Fokus. Er behält die Konstruktion des Textes im Blick, beschreibt die Funktion der Motive für die Erzählung und deutet die Heiden als Realisierung von Figurentypen, die „eine Funktion als literarische Fiktion“¹⁰⁵ erfüllen und unabhängig vom anderweitig verfügbaren Wissen über den Islam oder Muslime wirken. Auch Pretzer geht auf die intertextuellen Bezüge zu Wolframs Willehalm ein und deutet sie als Mittel, um die heidnischen Figuren an die literarische Tradition anzubinden und für das Publikum einen Wiedererkennungseffekt zu stiften.¹⁰⁶ In der narrativen Konstruktion des Buchs von Akkon fungieren die Heiden laut Pretzer vor allem als „Metabilder“¹⁰⁷ in Bezug auf die Christen – sowohl innerhalb der erzählten Welt als auch beim Publikum der Steirischen Reimchronik. Die folgenden Untersuchungen der politischen Redeszenen, die im Vorfeld der Belagerung Akkons geschildert werden, stellen nicht die Konstruktion oder Funktion der heidnischen Figuren als solche ins Zentrum, sondern gehen der Frage nach, wie die politische Oratorik in den jeweiligen Versammlungen gestaltet ist. Die Forschung ist sich darüber einig, dass die Figur des Kardinallegaten und die des alten Sultans spiegelbildlich zueinander konstruiert sind. Darüber hinausgehend besteht sowohl zwischen den christlichen und den heidnischen Figuren als auch zwischen den jeweiligen Episoden genug Vergleichbarkeit, um die heidnische Gesandtschaftsrede, den Besuch der Akkonenser beim Kardinal und den Hoftag der Heiden als aufeinander bezogene Szenen zu lesen.
4.2.1 Das kluge Angebot des tugendhaften Herrschers. Die zweite Gesandtschaft des Sultans Nachdem zu Beginn des Buchs von Akkon die historischen Hintergründe zur Situation im Heiligen Land eingeführt wurden, beginnt die eigentliche Handlung mit der eingangs bereits geschilderten Aggression des Kardinallegaten gegenüber
Vgl. Hödl, Ludwig: Heiden, -ntum. In: Lexikon des Mittelalters Online 4 (2020), Sp. 2011– 2013, http://apps.brepolis.net/lexiema/test/Default2.aspx (13. Dezember 2021). Pretzer: Die heiden, S. 97. Vgl. auch Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 103. Vgl. Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 94– 96; Pretzer: Die heiden, passim. Vgl. die Kapitelüberschrift: Pretzer: Die heiden, S. 103 – 111.
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fremden Kaufleuten.¹⁰⁸ Als der Sultan von den Vorfällen erfährt, reagiert er als ein biderman (OStR, V. 45106; „wie ein Ehrenmann“), besänftigt den Zorn seiner Untertanen und sendet eine erste Gesandtschaft nach Akkon, die vom Kardinal – trotz des Protests der Akkonenser – brutal zugerichtet wird.¹⁰⁹ Wie zu erwarten, bringt dies die Heiden noch mehr gegen die Christen auf. Erneut zeigt sich der Sultan aber besonnen. Sein Handeln wird als politisch klug dargestellt. Er kann verschiedene Interessen abwägen, wie der Erzähler besonders würdigt: Hier beginnt die von Hatheyer so genannte ‚Wolfram-Passage‘ mit einer Laudatio des Erzählers auf den Sultan als Exponent der Heiden, wie sie im Parzival und im Willehalm dargestellt werden. Dabei werden bereits zentrale Elemente wie das Motiv der Tugend verwendet, das später in der Rede der Gesandten und in den Beratungen der Akkonenser aufgegriffen wird. Am Umgang des Sultans mit der brisanten Situation, in der er auf die Forderungen seiner Untertanen und die Konfliktlage mit den Christen eingehen muss, wird sein politisch-oratorisches Können erkennbar, das ihn als vorbildlicher Herrscher auszeichnet. Die Vorbildlichkeit des Sultans zeigt sich dadurch, dass er Rede taktisch einsetzt und unterschiedliche Strategien nutzt, die seinen jeweiligen Adressaten angepasst sind.¹¹⁰ Gegenüber den Heiden, die sich für das erlittene Unrecht rächen wollen, gibt er sich wütend, weil er so seine Herrschaft stärken kann. Gegenüber den Akkonensern hingegen lässt er sich durch seine Gesandten als mild und nachsichtig präsentieren, weil er merkt, dass diese über den Vorfall genauso bestürzt sind wie er selbst.¹¹¹ Als Verstellung wird aber ausschließlich der Zorn gekennzeichnet, den er vor seinen eigenen Vasallen an den Tag legt:
Vgl. OStR, V. 45013 – 45087. die liute des cardinales | erzugen si des mâles | bî dem hâre für daz tor | unde sluogens in dem hor | mit stecken, daz ir sturben siben | und die dâ lebentic beliben, | den wær für daz genesen | der tôt lieber gewesen, | sô übel man si handelt (OStR, V. 45165 – 45173; „Die Leute des Kardinals zogen sie mehrmals an den Haaren vor das Tor und schlugen sie im Schmutz mit Stöcken, sodass sieben von ihnen starben; und die dort am Leben blieben, denen wäre statt des Überlebens der Tod lieber gewesen, so übel richtete man sie zu“). Streckenweise entsteht der Eindruck, in der Darstellung des Sultans werde ein Ideal beschrieben, das die politische Kunst der Verstellung als Herrschertugend empfiehlt. Über die Vorgänge in Akkon wird ihm von Informanten berichtet: diu rede, diu dâ geschach, | diu wart kurzlich darnâch | alliu kunt getân | von Babilon dem soldan. | dâbî er erkande, | daz sîn beswærn tet ande | datz Akers der geselleschaft | der geistlichen brüederschaft. | dâvon er sîn gemüete | zôch von ungüete (OStR, V. 45271– 45280; „Das ganze Gespräch, das da geführt wurde, wurde kurz darauf in voller Länge dem Sultan von Babylon wiedergegeben. Dabei erkannte er, dass seine Beschwerde der Gesandtschaft der geistlichen Bruderschaft Sorgen machte. Deshalb wandte er seien Sinn wieder von der Strenge ab“).
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daz tet er niur ze hôren sînen hôhen heiden […]. den zorn und den unwillen wolt der soldan gestillen, daz er den kristen drôt alsô. des wâren si alle frô und lâgen im an mit reizen, ob si in möhten erheizen ûf die kristen mit râch. (OStR, V. 45290 f.; 45297– 45303) Das ließ er nur seine hohen [Vasallen, M. R.] hören […]. Den Zorn und den Unwillen wollte der Sultan stillen, indem er den Christen derartig drohte. Darüber waren sie alle froh und setzten ihm zu, indem sie ihn reizten, damit sie ihn zur Rache gegen die Christen anfeuern könnten.
An dieser Stelle wird die Handlung zunächst unterbrochen, um einen Exkurs über die Tugend des Sultans einzufügen, der einen Bezug auf Wolframs von Eschenbach Heidendarstellung herstellt. bî der tugende grôz, diu von dem soldan flôz, und doch gerlich, die der tugentrîch ze diser stunt begie, erkenne ich wol hie, ez sî allez wâr geseit, swaz tugend unde wirdikeit von den heiden sprach her Wolfram von Eschenbach. (OStR, V. 45305 – 45314) An der großen [und gänzlichen, M. R.] Tugend […], die von dem Sultan ausging, die der Tugendreiche damals erwies, erkenne ich gut, dass alles richtig dargestellt war, was von der Tugend und Würde der Ungläubigen Herr Wolfram von Eschenbach sagte.
Anschließend werden Figuren aus dem Willehalm und dem Parzival genannt: Terramer, Thesereiz, Arofel, Akarîn, und der baruc von Bagdad als Herr von Parzivals Vater Gahmuret.¹¹²
Vgl. OStR, V. 45315 – 45324. Implizite Bezüge auf die Heiden des Willehalm finden sich vereinzelt auch andernorts, so wird die Kampfeslust Heinrichs von Narbonne, also Willehalms Vater, in OStR, V. 33075 mit derjenigen Terramers verglichen; in OStR, V. 48298 wird Terramer erneut im Zusammenhang mit Akkon als Vergleich genutzt.
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wand ich fürwâr wol weiz, het Terramer oder Thesereiz, Arofel oder Akarîn, der in hôher tugende schîn ob allen kunigen swebte, die wîle und er lebte, ob der selbe man niht mêr tugende het getân, wan die der baruc tet an dem werden Gahmuret, ir wær genuoc zwâr gewesen gen diser tugent, die wir lesen von dem soldane zier; und heten die kunig alle vier ein solhe tugent begangen, si wær in wol vervangen. (OStR, V. 45315 – 45330) Denn ich weiß wirklich genau, hätte Terramer oder Thesereiz, Arofel oder Akarin, der im Glanz höherer Vortrefflichkeit über allen Königen schwebte, so lange er lebte, [– hätte ebendieser Mann nicht mehr Tugend gezeigt, M. R.] als die der Kalif an dem edlen Gahmuret zeigte, sie wäre freilich im Vergleich zu dieser herrlichen Vortrefflichkeit genug gewesen, die wir vom Sultan erwähnen; und hätten die Könige alle vier eine solche [tugendhafte Handlung vollzogen, M. R.], sie wäre ihnen hoch angerechnet worden.
In der Forschung werden diese Wolframbezüge meist als Vergleich gewertet, der die Heiden der Steirischen Reimchronik aufwertet.¹¹³ Tatsächlich ist es so, dass der Erzähler das Wolfram zugeschriebene Heidenbild am Sultan bestätigt (ez sî allez wâr geseit, OStR, V. 45311). Die Stelle lässt sich aber auch so deuten, dass beide Vergleichsglieder sich wechselseitig nobilitieren. Insbesondere die vervielfachende Akkumulation der Referenz auf fünf Figuren ist signifikant; so scheint der Sultan die Figuren Wolframs noch zu übertreffen. Mit der Bemerkung nû merket und sît lusenære, | waz diu tugent wære | die der soldan tet den kristen (OStR, V. 45331– 45333; „Nun gebt Acht und horcht, was der Sultan den Christen an Vorteilhaftem […] erwies“) führt der Erzähler die Aufmerksamkeit wieder zurück zur Handlung. Der Text arbeitet mit dem Unterschied von Öffentlichkeit und Nicht-Öffentlichkeit und setzt dies für die politische Kommunikation des Sultans ein, denn nun beauftragt dieser die zweite Gesandtschaft, die ausdrücklich als geheime Mission inszeniert und durch die For-
Vgl. die Darstellung in Kapitel 4.2.
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mulierung mit witzen und mit listen (OStR, V. 45334)¹¹⁴ als kluge Handlung ausgezeichnet wird. Sie wird einerseits vor den heidnischen Vasallen verheimlicht, andererseits nur zu ausgewählten Akkonensern geschickt, nämlich zu den Meistern der drei Kreuzritter-Orden:¹¹⁵ mit witzen und mit listen, daz sîn die heiden niht enwisten: zwelf fursten der besten, die sînes hoves phlâgen, an den grôz êre lâgen, die hiez er heimelichen gegen Akers strîchen zuo den meistern allen drîn, die der orden phlegunde sîn, ich meine der Tempelære und von sant Johans der Spitalære und der Tiutschen herren […] – zuo der geselleschaft die heidenischen fursten kâmen (OStR, V. 45334– 45345; 45354 f.) mit solcher Klugheit und Weisheit […], dass die Ungläubigen davon nichts wussten: Zwölf seiner besten Fürsten, die über seinen Hof Aufsicht hatten, auf denen große Ehre lastete, ließ er heimlich nach Akkon zu allen drei Meistern eilen, die der Orden Verwalter sind, ich meine der Templer und derer vom Spital des Sankt Johannes und der Deutschherren […]; zu der Gemeinschaft kamen die Fürsten der Ungläubigen.
Nachdem in den bisher geschilderten Passagen nur kurze Wortbeiträge in direkter Rede gehalten waren, enthält der Auftritt der Gesandten bei den drei Ordensmeistern eine lange Ansprache von fast 120 Versen, die ausführlich in direkter Rede gehalten und, abgesehen von einzelnen Inquitformeln, zusammenhängend gestaltet ist.¹¹⁶ Die Kommunikationssituation der Gesandtschaftsrede ermöglicht eine Darstellung des Sultans aus mehreren Blickwinkeln: Die Gesandten übermitteln die Botschaft des Sultans und können diesen aus einer vermeintlichen Außenperspektive charakterisieren, zugleich sprechen sie im Namen des Sultans und geben Aufschluss über dessen Herrschaftsverständnis. Dieses setzt auf Ora-
Diese Formel wird im Buch von Akkon mehrfach verwendet, vgl. unten, Anm. 146 dieses Kapitels. Zum historischen Hintergrund der Orden vgl. die in Kapitel 4.2, Anm. 76 zitierten Forschungsbeiträge und Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 457, Kommentar zu V. 44811– 44814. Vgl. OStR, V. 45358 – 45477 mit eingeschobenen Inquitformeln in V. 45439 und V. 45461.
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torik zur Durchsetzung des Herrscherwillens, wie sich auch in der Analyse seiner Ansprache auf dem später einberufenen Hoftag bestätigt.¹¹⁷ Die Rede wird ohne Zuweisung an einen konkreten Sprecher mal einem anonymen Redner, mal allen Gesandten gemeinsam zugeschrieben.¹¹⁸ Dabei enthält sie, wie schon für die Reden im Alexander-Anhang beobachtet werden konnte, keine eigene Salutatio, denn die Meister der drei Orden werden als Adressaten ja bereits in der Erzählerrede im obigen Zitat vorgestellt. Allerdings findet sich in der Ansprache und ihrer Vorbereitung durch den Erzähler mehrfach die Bitte um Gehör oder Aufmerksamkeit, die von Peter Koch als typischer Bestandteil der spätmittelalterlichen Redepraxis identifiziert und als Element beschrieben wurde, das der Salutatio gleichkommt.¹¹⁹ Wie oben zitiert, fordert bereits der Erzähler das Publikum zum genauen Zuhören auf: nû merket und sît lusenære (OStR, V. 45331). Innerhalb der Rede finden sich solche attentum-Formeln insbesondere an den Übergängen zwischen Redeteilen, wo sie die Forderungen des Sultans ankündigen. Ein Einschub wie ich sag iu wie (OStR, V. 45438) entspricht funktional der Aufforderung nû hôrt, waz wir mêr wellen (OStR, V. 45460; „Nun hört, was wir außerdem wollen“).¹²⁰ Die intradiegetischen Adressaten und das Publikum der Steirischen Reimchronik werden somit deutlich auf die Relevanz des Vorschlags hingewiesen, den der Sultan unterbreitet. Für den Aufbau der Rede lassen sich in Anlehnung an die etablierten mittelalterlichen Schemata verschiedene funktionale Teile beschreiben,¹²¹ allerdings wäre damit das Wirkungsprinzip dieser Ansprache nicht ausreichend erfasst. Der Effekt der Rede nämlich resultiert weniger aus der Orientierung an den rhetorischen partes orationis als daraus, dass die Gesandten ihre Botschaft selbst erläutern. Alle wesentlichen Elemente der Botschaft finden sich bereits im ersten Satz der Ansprache und werden anschließend reprisenhaft aufgenommen und ausgeführt. Der Eingangsteil der Gesandtschaftsrede besteht aus einem einzigen Satz mit einem langen Einschub. Mit den Kernpunkten der Botschaft in Kurzform werden
Vgl. die Analyse der Ansprache in Kapitel 4.2.3. Sie wird von Inquitformeln im Singular und Plural begleitet; vgl. OStR,V. 45358, 45439, 45461. Vgl. Koch: Urkunde, S. 36. Vgl. auch Kapitel 2.4, Anm. 196. Auch V. 45373 (ir mugt erkennen hie bi) lässt sich als entsprechende attentum-Markierung einordnen, hier aber ohne die Verknüpfung mit der Forderung, sondern vor einer Stelle, die die Bestürzung des Sultans beschreibt. Es lassen sich ein Exordium (OStR, V. 45358 – 45369) und eine Narratio (OStR, V. 45370 – 45396) beschreiben sowie eine Exhortatio (OStR, V. 45397– 45438), die das Angebot des Sultans nennt. Auf diese folgt eine Passage mit Modus/Ratio, in der die konkreten Bedingungen seiner Forderung ausgeführt werden (OStR, V. 45440 – 45477).
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zugleich Hinweise auf das politische Selbstverständnis des Sultans übermittelt. Die Botschaft lässt sich in vier Kernpunkten zusammenfassen: Eine Klage über den Rechtsbruch, die Konstruktion einer Gemeinschaft mit den Akkonensern, die Selbstinszenierung des Sultans als kluger, nachsichtiger Herrscher sowie das Angebot zur Wiedergutmachung. Der Redebeginn sei deshalb ausführlich zitiert: iu heizet klagen unser herre, der soldan, der schade, der im ist getân und daz laster grôz – darumb in sîn genôz die heiden strâfent sêre, daz er niht tuot kêre ûf iwern schaden mit her, sît ir von über mer iezuo helfe habt dehein – von dem phaffen unrein, der dâ heizet cardinal des wil mîn herre haben twâl, unz daz er besiht, ob ir iuch noch verdenket iht. (OStR, V. – )
Klage über den Rechtsbruch
Gemeinsamkeit durch Abgrenzung von den heidnischen Fürsten
Gemeinsamkeit durch Abgrenzung vom Kardinal Rolle des klugen, nachsichtigen Herrschers Angebot bzw. Forderung
Gegenüber Euch befiehlt uns unser Herr, der Sultan, über den Schaden, der ihm angetan wurde und über die große Schande zu klagen. Deswegen tadeln ihn seine Gefährten, die Ungläubigen, sehr, weil er sich nicht gegen Euch zu Eurem Schaden mit einem Heer wendet. [Doch da Ihr, M. R.] von ‚Outre-Mer‘ durch den unreinen Priester, der Kardinal genannt wird, keine Hilfe habt, will mein Herr warten, bis er erkennt, ob Ihr Euch die Sache etwa noch überlegt.
Die Ansprache gibt erstens die Deutung des Vorfalls als Rechtsbruch vor. Dies ist bereits in den ersten Versen durch das Motiv der Klage über den erlittenen Schaden vorbereitet und wird im Verlauf der Rede ausgeführt. Diese Deutung wird später von den Akkonensern übernommen.¹²² Die Ansprache betont zweitens die Gemeinsamkeiten mit den Akkonensern mithilfe von Abgrenzungsfiguren – Abgrenzung von den heidnischen Fürsten einerseits und vom Kardinal andererseits. Die Schuldzuweisung an den Kardinal erfüllt implizit die Funktion einer Captatio benevolentiae, denn sie stellt klar, dass der Vorwurf des Sultans nicht die Adressaten der Rede trifft. Ein Vergeltungsschlag stellt durchaus eine Handlungsoption
Vgl. dazu den Abschnitt Die Gesandtschaftsrede im Kontext in diesem Kapitel sowie Kapitel 4.2.2.
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dar; dies wird mit einem Hysteron-Proteron eingeführt – zuerst geht es um den Zorn der Heiden auf den Sultan, dann um die Kriegsoption – sodass gewissermaßen durch die Hintertür die Information eingeführt wird, dass hier eigentlich eine Drohung vorliegt. Der entscheidende Schritt der Sultansgesandten liegt jedoch darin, die Schuld für die Krise auf eine dritte Partei auszulagern: Nicht gegen die Bewohner der Stadt, sondern gegen den Kardinal richtet sich die Klage. Der Kardinal wird als gemeinsamer Gegner konstruiert. Diese gemeinsame Gegnerschaft erscheint aufgrund der weiterhin betonten religiösen Unterschiede zunächst ungewöhnlich, sie erweist sich aber als geschickte rhetorische Strategie, die Innen und Außen, Eigenes und Fremdes so konstruiert, dass der Sultan und die Akkonenser auf derselben Seite stehen. Auf diese Weise können die Gesandten den Sultan drittens als klugen Herrscher in der Rolle eines nachsichtigen Vaters inszenieren, dem die Eintracht mit den Christen am Herzen liegt und der deshalb noch abwartet. Viertens weiß der Sultan seine Forderungen als unabweisbares Angebot zu gestalten. Weil er nämlich weiß, dass der Rechtsbruch auch gegen die Werte der Akkonenser geht, kommt er ihnen so sehr entgegen, dass sie gezwungen sein müssten, seine Forderungen zu erfüllen. Auf diesen Fluchtpunkt laufen sowohl der Aufbau als auch die Emotionalisierungsstrategie zu, wie sich nun an den übrigen Passagen der Rede zeigen lässt, denn nun folgt ein zweiter Durchgang, in dem die Gesandten das Gesagte detailliert ausführen. Sie markieren diese Scharnierstelle selbst, indem sie die Erläuterung mit ir mugt erkennen hie bî (OStR, V. 45373) ankündigen. Die Gesandten knüpfen an das Motiv des Rechtsbruchs an und greifen das im ersten Satz der Rede eingeführte Klage-Motiv wieder auf. Es macht die Ausrichtung der Rede deutlich und kann nicht nur die emotionale Reaktion, die ‚Wehklage‘ des Sultans evozieren, sondern die juristische Anklage im Rechtsverfahren: daz ist mînes herren klag (OStR, V. 45394).¹²³ Diese Passage enthält eine Vielzahl von Rechtsbegriffen: Sie deutet den eingangs beklagten Vorfall mit einigem Pathos als schweren Verstoß gegen die rechtlichen Normen aus, die durch Brief und Siegel – wörtlich: hantveste[] (OStR, V. 45381) und insigel (OStR, V. 45383) – juristisch abgesichert worden waren.¹²⁴ Viel mehr als unter dem Mord an seinen Untertanen leide der Sultan am Wortbruch der Christen:
Vgl. OStR, V. 45358. Zu diesen Begriffen in der mittelhochdeutschen Rechts- und Urkundensprache und ihrer Rolle in fiktionalen Texten vgl. Schindler: Mit brief und insigel; bes. ebd., S. 100 – 102.
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ir mugt erkennen hie bî, daz mînem herren leider sî denn disiu verlust der gelubde brust, die ir habet übergangen. wie sol nû werden an gevangen dehein bestætigunge, sît den heiden ist misselunge an den êrbæren hantvesten, an den der aller besten insigel sint? (OStR, V. 45373 – 45383) Ihr sollt daran erkennen, dass meinem Herrn der Bruch der Gelübde, den Ihr begangen habt, mehr als der Verlust leid tut. Wie soll nun irgendeine [Bestätigung, M. R.] gegeben werden, seitdem für uns, die Ungläubigen, die ehrenhaften [urkundlichen, M. R.] Abmachungen gescheitert sind, an denen die Siegel der Allerbesten hängen?
Des Weiteren ist vom zerbrochenen Frieden und von der Unmöglichkeit die Rede, die bisherige triwe zu erneuern und zu stabilisieren.¹²⁵ Diese Bezüge auf den juristischen Diskurs sind – sowohl innerhalb der erzählten Welt als auch narrativ – wohlkalkuliert, denn gerade die Adressaten der Ansprache, die Ordensrittermeister, werden am Beginn des Buchs von Akkon nachdrücklich als juristisch versierte Akteure eingeführt, die vom Erzähler ebenfalls mit zahlreichen Rechtsbegriffen verbunden werden.¹²⁶ Die Rechtsdimension und ihr Vokabular werden später erneut aufgegriffen, als die Bedingungen zur Wiedergutmachung genannt werden. Wie dabei zu erwarten, stellen die Gesandten dort Variationen von bezzerunge ins Zentrum, womit ein Rechtsbegriff genannt ist, der die Wiedergutmachungsleistung bezeichnet.¹²⁷
Vgl. OStR, V. 45387– 45393. von Akers die helde balt | und die geistlichen herren | die dorfte niemen lêren, | wie si frid solden machen: | mit sô getânen sachen | hetens gewandelt sô vil, | daz siz unz an daz zil | ir ietweder wol weste, | welich hantveste | si darüber solden dô nemen (OStR,V. 44782– 44791; „Die kühnen Helden und die geistlichen Herren von Akkon brauchte niemand zu belehren, wie sie den Frieden machen sollten: Derartige Streitsachen hatten sie so viele verhandelt, dass sie bis zum Schluss alle genau wussten, wie sie den Vertrag formulieren sollten“). Vgl. darüber hinaus OStR, V. 44763 – 44825. Zur rechtlichen Semantik vgl. Besserung. In: Deutsches Rechtswörterbuch 2 (1998), Sp. 160 – 163, hier Sp. 161 f.: „II Wiedergutmachung, Straf(zahlung) – II 1 Genugtuung, Schadenersatz […] – II 2 Strafe, Strafzahlung […] – II 3 Strafgeld, Gerichtsgefälle“; vgl. auch: Bezzerunge. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 1 (2021), Sp. 261, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=B02403 (13. Dezember 2021): „besserung, bes. entschädigung, busse“.Vgl. OStR,V. 45418 – 45443, bes. 45419 (bezzert, daz hie ist getân), 45432 (bezzerunge nehmen), 45438 (bezzert uns). Vgl. auch die Rechtssemantik der
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Bevor die Gesandten auf die Bedingungen zur bezzerunge eingehen, bahnen sie diesen gewissermaßen den Weg, denn sie beschwören in einem eigenen Abschnitt das gute Verhältnis des Sultans zu den Bewohnern von Akkon und hier wird das Motiv der Gemeinsamkeit durch Abgrenzung wieder aufgenommen. Dieser Redeteil arbeitet zum einen mit dem Gegensatz von tugent des Sultans und laster der Christen.¹²⁸ Zum anderen nimmt er das Motiv der gemeinschaftsstiftenden Abgrenzung nach außen auf, der im ersten Satz der Ansprache prominent war. Die heidnischen Vasallen (sîne genôz) stehen auf der Außenseite dieser Unterscheidung, während sich der Sultan und die Akkonenser auf der Innenseite befinden: darumb wold er sich noch neigen unde iu erzeigen eine tugent alsô grôz, und westen ez sîne genôz, daz im ist sô leit daz laster der kristenheit, si tæten im den tôt oder sô getâne nôt, die er nimmer überwunde, daz er iu herren gunde sô vil êrn und guotes. nû ist mîn her des muotes, daz er iu wil erzeigen daz, daz ein heide nie sô lutzel haz der kristenheit getruoc. (OStR, V. 45397– 45411) Darum wollte er sich [dennoch, M. R.] geneigt zeigen und [an Euch eine so große Tugendhaftigkeit beweisen, M. R.]. Falls es seine Gefährten wüssten, dass er über den Fehler des Christentums so betrübt ist, würden sie ihn töten oder eine ähnliche Not antun, die er nicht mehr überwinden würde, weil er Euch Herrn so viel Ehre und Gutes vergönnt. Nun ist mein Herr der Ansicht, dass er Euch deutlich machen möchte, dass ein Ungläubiger nie so wenig Hass gegenüber der Christenheit hegte.
Das Motiv des Sultans als nachsichtiger Herrscher wird ebenfalls erneut verwendet, denn die rhetorische Gestaltung der Rede stellt das angesprochene Näheverhältnis zwischen dem Sultan und den Akkonensern immer wieder in den
Begriffe in V. 45428 (unbillich), V. 4542 f. (im sîn hie erslagen | in dem fride zehen) sowie 45434 (daz varunde guot), die die Schuld der Christen verdeutlichen. Vgl. OStR, V. 45399 (tugent des Sultans); 45402 (daz laster der kristenheit). Vgl. schon OStR, V. 45361 (laster) zu Beginn des Exordiums.
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Vordergrund.¹²⁹ Die Herrscherrolle des Sultans, die von den Gesandten ausgestaltet wird, ist die des klugen Landesvaters, der selbst stark unter dem Konflikt leidet. Anders als gegenüber seinen eigenen Vasallen zeigt der Herrscher sich aber nicht zornig, sondern nachsichtig. Diese Verse zelebrieren die Gunst des Sultans gegenüber den Christen (darumb wold er sich noch neigen, OStR,V. 45397; daz er iu herren gunde, OStR, V. 45406), die den Sultan gegenüber seinen Untertanen in Gefahr bringt. Der Ornat der Rede unterstützt diese inhaltliche Affektregie auf der stilistischen Ebene, denn es häufen sich Assonanzen und verstärkende Adjektive: Die tugent alsô grôz kontrastiert mit den heidnischen genôz (OStR,V. 45399 f.), kurz darauf folgen sô leit (OStR, V. 45401) und das Reimpaar tôt | sô getâne nôt (OStR, V. 45403 f.), die dem Sultan drohen, weil er den Akkonensern sô vil êrn und guotes (OStR, V. 45407) gönne. Eine Klimax bildet die Bekundung größtmöglicher Hinwendung zu den Christen: ein heide nie sô lutzel haz | der kristenheit getruoc (OStR, V. 45410 f.). Mit dieser aufwändigen Evokation der ‚Christenfreundschaft‘ des Sultans ist der Weg für die Demonstration seiner Herrscherklugheit gebahnt: einen funt kluoc mîn herre hât erfunden, den wir ze disen stunden wellen für legen;
Die rhetorische Gestaltung ist bereits ab dem Beginn der Rede darauf ausgerichtet: Zwei rhetorische Fragen artikulieren tiefe Zweifel daran, dass dieser Bruch jemals wieder gut gemacht werden könne. Der Gesandte fragt: wie sol nû werden an gevangen | dehein bestætigunge[?] (OStR, V. 45378 f.; „Wie soll nun irgendeine [Bekräftigung, M. R.] gegeben werden“?), gefolgt von: welher hande list | sol nû werden niwe, | dâmit man die triwe | bestætigen mac? (OStR, V. 45390 – 45393; „Was soll nun Neues getan werden, damit man die Treue bestätigen kann?“). Zwischen diesen Fragen verstärkt ein Adynaton den Eindruck emotionaler Qual durch den Verweis auf den Willen des Sultans, selbst größte Opfer zu bringen. Um die ostentative Opferbereitschaft zu demonstrieren, wird sogar die engste Familie des Sultans bemüht: der soldan wîp und kint | lîeze ê ersterben | und sîniu lant verderben | ê daz er hiet zebrochen | den fride (OStR, V. 45384– 45388; „Der Sultan ließe eher Frau und Kind töten und sein Land zugrunde gehen, ehe er den Waffenstillstand gebrochen hätte“). Diese Art der Rhetorik ist in politischen Zusammenhängen des Mittelalters nicht unbekannt: Gerd Althoff nennt Vergleichbares als Beispiel für rituelle Sprechakte, die der jeweiligen Aussage Nachdruck verleihen; vgl. Althoff: Demonstration, S. 48: „Lieber wolle man zehn Söhne verlieren, als etwas Bestimmtes zu tun; man würde sich den Bart nicht mehr rasieren, bevor etwas geschehen sei, diese und ähnliche Äußerungen zeigen an, wie ernst es der Betreffende in einer bestimmten Situation meinte“. In einem älteren Aufsatz nennt er das Beispiel Tassilos von Bayern: Dieser soll gegenüber Karl dem Großen „geäußert haben, lieber würde er zehn Söhne verlieren, als sich an seinen dem Herrscher gegebenen Eid zu halten“ (Althoff, Gerd: Konfliktverhalten und Rechtsbewußtsein. Die Welfen in der Mitte des 12. Jahrhunderts. In: FMSt 26 [1992], S. 331– 352, hier S. 339).
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mac iuch der niht erwegen noch iwern cardinal, daz ir ze disem mâl bezzert, daz hie ist getân den heiden und dem soldan, swaz denne fürbaz geschiht, sô hât mîn her dann dhein schuld niht. (OStR, V. 45412– 45422) Einen unerhört klugen Kniff hat mein Herr gefunden, den wir jetzt vorlegen wollen. Vermag der weder Euch noch Euren Kardinal dazu zu bewegen, dass Ihr für dieses Mal wieder gut macht, was hier den Ungläubigen und dem Sultan angetan ist, trifft meinen Herrn keine Schuld, wenn das wieder geschieht.
Die kluge Idee des Sultans, die hier angekündigt wird, entbindet den Sultan nach der Darstellung der Gesandten zudem von jeglicher Schuld, falls die Verhandlungen scheitern. Die Entscheidung über Krieg oder Frieden wird so den Christen übertragen.
Ein Angebot, das sie nicht ablehnen können Vor diesem Hintergrund spricht der Sprecher eine Kompensationsforderung an, die dem Schaden angemessen und zugleich leicht erfüllbar sein soll: Der Sultan will lediglich für die getöteten Heiden entschädigt werden.¹³⁰ Damit ist das vierte Motiv aus dem Eingangssatz der Rede aufgegriffen. Noch einmal rufen die Gesandten die Schwere des Vergehens in Erinnerung, das die Christen begangen haben;¹³¹ dadurch lässt sich noch einmal die Nachsicht des klugen Sultans betonen. und doch, swie grôz diu sache ist, sô wil mîn herr an diser frist sich lâzen gezemen und bezzerunge nemen, die ir lîhte tuot (OStR, V. 45429 – 45433) [U]nd doch, wie groß die Sache auch ist, so will mein Herr sich jetzt besänftigen lassen und ein Entschädigung annehmen, die Ihr leicht leistet[.]
Vgl. OStR, V. 45434– 45438. Vgl. OStR, V. 45423 – 45431.
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Ein längerer Schlussteil¹³² konkretisiert die zunächst abstrakt bleibende Entschädigungsforderung und nennt die genauen Bedingungen, wie der erlittene Schaden wieder gut gemacht werden könne: Für die getöteten Heiden sollen die Akkonenser zehn Christen ausliefern. Dabei stelle der Sultan keine Ansprüche an den Stand oder das Können der Männer, man nehme den Ärmsten genauso wie den Reichsten.¹³³ Im letzten Abschnitt versuchen die Sultansgesandten, die Adressaten zu beruhigen. Sie führen Argumente dafür an, dass der Vorschlag ein günstiger Handel ohne Nachteile für die Ordensrittermeister ist: Sie legen großen Nachdruck darauf, dass die Christen nur temporär im Dienst der Heiden stehen sollen und für ihr Wohlergehen gesorgt ist. Die Gesandten kündigen sogar an, sich selbst als Geiseln zu stellen. dâfür welle wir uns geben in iwer gewalt, daz ir uns behalt in vancnusse phrange ze gîsel alsô lange, unz daz die iwern komen wider frôlich und gesunder lider. und wizzet daz fürwâr, ob ir sandet dar der aller tiuristen von Akers hundert kristen, wir wærn wol für si phant, sô vil liut und lant sint uns undertân. (OStR, V. 45464– 45477) Dafür […] wollen wir uns in Eure Gewalt begeben, damit Ihr uns als Geiseln in der Bedrängnis der Gefangenschaft so lange haltet, bis die Euren fröhlich und mit gesunden Gliedern wiederkommen. Und seid versichert, wenn Ihr hundert von den allerteuersten Christen aus Akkon fortsenden würdet, wären wir auch für sie das Pfand, so viele Leute und Land sind uns untertan.
Die Klanglichkeit der Passage wirkt an der Versicherungsstrategie mit, denn Doppelfiguren von Assonanzen auf ‚w‘ knüpfen ein Band zwischen versichernden und beschwichtigenden Beteuerungen: welle wir uns geben | in iwer gewalt (OStR, V. 45464 f.) steht so in einer Reihe mit die iwern komen wider (OStR, V. 45469) und wizzet daz fürwar (OStR,V. 45471).Wie der weitere Verlauf der Handlung zeigt, geht
Vgl. OStR, V. 45434– 45477. Strukturell kommt ihm eine Funktion zu, die den Redeteilen von modus und ratio analog ist. Vgl. OStR, V. 45446 – 45455; desweiteren werden Gefängnisinsassen und Knappen genannt.
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diese Strategie auf, denn unmittelbar nach Abschluss der Rede bestätigen einige der Ordensritter, dass die heidnischen Gesandten tatsächlich ein angemessenes Pfand darstellen, da sie mächtige Fürsten sind.¹³⁴ Blickt man vom Ende her noch einmal auf die Gesandtschaftsrede insgesamt zurück, ist offenkundig, dass dieses Angebot nicht darauf ausgelegt ist, abgelehnt zu werden. Den Akkonensern wird nicht wirklich eine Wahl gelassen.¹³⁵ Diese Botschaft fügt sich ein in das Bild, das die Rede zeichnet: Der Herrscher bittet nicht darum, dass seine Forderung erfüllt werde, sondern gibt konkret an, wie seinem Wunsch nachzukommen ist. Die historische Oratorikforschung beschreibt Vergleichbares als eine Form der Befehlsrhetorik („rhetoric of command“¹³⁶), die, wie Feuchter mit Bezug auf Bisson formuliert, imperativ zur Einwilligung in die königlichen Wünsche aufforderte. Ihrem Appell habe prinzipiell nicht widersprochen werden können, denn die Delegierten seien rituell in eine Zustimmungshaltung gebracht worden („thrust ritually into a posture of acquiescence“), die das theoretisch bestehende Recht zur Verweigerung obsolet gemacht habe.¹³⁷
In den französischen Generalständen sei in diesem Sinne „gewöhnlich nicht debattiert worden, ob man dem König Zahlungen leisten sollte, sondern lediglich wie hohe.“¹³⁸ Eine solche Befehlsrhetorik ist in der zweiten Gesandtschaftsrede im Buch von Akkon zu beobachten. Sie tritt in Gestalt einer Rhetorik des Friedens und der Freundschaft auf: Die heidnischen Gesandten, die übrigens vom Erzähler selbst als herren kluoc (OStR, V. 45488) ausgewiesen werden, deuten die Forderung rhetorisch als Gunstbeweis zum Vorteil der potenziellen Gegner um. Es scheint so beinahe, als bestehe der Konflikt zwischen den heidnischen Untertanen und dem Kardinal, in deren Auseinandersetzung der Sultan und die Akkonenser unbeabsichtigt hineingeraten sind. In dieser Konstellation übermittelt die Rede der Gesandten den Machtanspruch des Sultans gegenüber den Akkonensern. Sie dient
Vgl. OStR, V. 45478 – 45487. Wie schon angedeutet, sind in die Ansprache auch subtile Hinweise darauf eingearbeitet, was den Akkonensern droht, wenn sie sich widersetzen: Es fehlt nicht viel bis zum Vergeltungsschlag der Heiden, der auf wenig Gegenwehr treffen würde; vgl. etwa OStR, V. 45367– 45367. Der Sultan kann für nichts garantieren, wenn er dem Rachedurst der Heiden stattgibt; vgl. OStR, V. 45421 f., 45403 – 45405. Auch, dass in V. 45410 nicht wörtlich von minne, sondern von lutzel haz die Rede ist, lässt sich in dieser Richtung deuten, denn so erscheint immerhin der haz am Horizont, der möglich und – in der Darstellung der Gesandten – verständlich wäre. Bisson: Celebration and Persuasion, S. 196. Feuchter: Deliberation, S. 212. Zitiert wird Bisson: Celebration and Persuasion, S. 196. Feuchter: Deliberation, S. 212.
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der performativen Selbstinszenierung des Sultans als De-facto-Herrscher der Christen in Akkon.
Die Gesandtschaftsrede im Kontext. Dargestellte Oratorik und die Dynamik von Tugend und Laster Die Argumentation der heidnischen Gesandten hat auf die Akkonenser eine durchschlagende Wirkung und wirkt diskursbegründend in dem Sinne, dass ihre Argumente akzeptiert und weiterverwendet werden. Die Akkonenser behandeln die Situation in der Folge ebenfalls als Rechtsfall und wollen die Forderung des Sultans erfüllen.¹³⁹ Der Kardinallegat aber sperrt sich gegen alle Vorschläge. Daraus entwickelt sich ein langer Streit, der im Tumult endet. Mit der Analyse dieses Szenenkomplexes befasst sich das folgende Teilkapitel 4.2.2. An dieser Stelle seien zunächst die Parallelen zur Rede der heidnischen Gesandten zusammengetragen, die sich dort in den Reden der Ordensritter und anderer führender Figuren aus der Stadt Akkon finden, um anschaulich zu machen, in welcher Weise die Interpretation der heidnischen Gesandten den Diskurs der Akkonenser beim Kardinal bestimmt. In den Redebeiträgen der Akkonenser werden zum einen Rechtsbegriffe übernommen; so erkennen sie den schaden (OStR, V. 45535) an, für den dem Sultan Wiedergutmachung zustehe. Die Redner sind außerdem dankbar, dass der Sultan zu Ehren des Christentums handele und Mitgefühl habe.¹⁴⁰ Der Kardinal wird durch den König von Zypern eindeutig als Schuldiger benannt: daz lâz ich gegen gote ligen | ûf den rehte schuldigen. | geistlicher vater, daz sît ir! (OStR, V. 45603 – 45605; „da überlasse ich es Gott den Schuldigen zu richten. Geistlicher Vater, das seid Ihr!“). Im Zentrum steht der Wert der triwe, auch zum eigenen Wort, weshalb die Ordensritter die Nichteinhaltung der Verträge als besonders schmachvoll empfinden und als erzwungenen Eidbruch, sogar als Meineid beklagen – etwa im Redebeitrag eines Deutschritters: sulle wir für hiute werden von den heiden gezelt ze meineiden und ze untriuwe? (OStR, V. 45678 – 45681) Sollen wir ab heute von den Ungläubigen zu den Meineidigen und Untreuen gezählt werden?
Vgl. OStR, V. 45491– 45509. Vgl. OStR, V. 45539, vgl. auch V. 45658; OStR, V. 45594.
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Die Akkonenser übernehmen ebenfalls die Figur von Tugend und Laster, um zu charakterisieren, wie positiv sich der Sultan angesichts des christlichen Affronts verhält. Preisen die Gesandten die Tugend des Sultans,¹⁴¹ so bestätigen die Ordensritter gegenüber dem Kardinal, wie tugentlich der soldan | gegen in het getân (OStR, V. 45533 f.).¹⁴² Das Laster der Christen wird von den Gesandten¹⁴³ zweimal beklagt und in den Beratungen der Ordensritter fünfmal aufgenommen,¹⁴⁴ bis hin zur Rede, in der der Meister des Johannesspitals, d. h. des späteren Malteserordens, sich dem Sultan persönlich als Geisel für das laster, daz im ist getân (OStR, V. 45906), anbieten will.¹⁴⁵ Es sind aber nicht nur die Figurenreden, die über die Motive von Tugend und Laster miteinander verknüpft werden. Wie bereits angesprochen, setzt der Erzähler die Vorzüge des Sultans zu Beginn des Buchs von Akkon mit denen prominenter heidnischer Figuren bei Wolfram von Eschenbach in Beziehung. Es ist kein Zufall, dass die Tugend hier als Leitmotiv dient und in den folgenden Episoden wieder aufgerufen wird. In diesem Erzählerkommentar treten weitere Motive auf, die in der späteren wörtlichen Rede der Gesandten und der Akkonenser eine zentrale Rolle spielen. So rühmt der Erzähler die Klugheit des Sultans damit, dass dieser seinen Vorschlag, wie oben bereits zitiert, mit witzen und mit listen (OStR, V. 45334) heimlich an die Akkonenser überbringen lässt. Diese Formel kehrt später in der Rede des Deutschordensmeisters wieder.¹⁴⁶ Die vom Erzähler gepriesene êre (OStR,
Vgl. OStR, V. 45399. Vgl. auch die Paraphrase der Eröffnungsrede des Templermeisters: der meister der Templære | sagte im von orte | mit worte ze worte, | wie tugentlich der soldan | gegen in het getân | über den schaden lasterbære, | der im datz Akers geschehen wære | in fridebærem suon (OStR, V. 45530 – 45537; „Der Meister der Templer sagte ihm von Anfang an Wort für Wort, wie gut der Sultan an ihnen gehandelt hatte, trotz des tadelnswerten Schadens, der ihm dort in Friedenszeiten in Akkon widerfahren sei“). Vgl. OStR, V. 45361, 45402. Vgl. OStR, V. 45535 (schaden lasterbære), 45672 (lasterbær und schemelich, Deutschordensmeister an den Kardinal), 46185 (daz laster und diu smæhe). Selbst der Kardinal nimmt das Stichwort auf, begründet damit aber im Gegensatz zu den anderen Sprechern die Unmöglichkeit, christliche Geiseln in heidnische Gefangenschaft auszuliefern, vgl. OStR, V. 45554. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Wort sich ebenfalls in OStR, V. 45869 findet, dort aber in einem anderen Zusammenhang. Auch in der später folgenden Szene des heidnischen Fürstenrats dient das Stichwort des Lasters als Leitmotiv; vgl. OStR, V. 46760, 46778, 46783 (Rede des Sultans an die Heiden), 46783 (Racheschwur der Heiden, Erzählerrede), 47425 (Rede eines heidnischen Königs). swâ wir mit dem swert | und mit vehtunder hant | den heiden daz lant | niht mugen ab ertwingen, | sô sul wirz zuo bringen | mit witzen und mit listen (OStR, V. 45874– 45879; „Wenn wir mit dem Schwert und mit fechtender Hand den Ungläubigen das Land nicht abringen können, so
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V. 45338) der hochrangigen Gesandten korrespondiert sowohl mit der Aussage der Gesandten, dass die êre der geforderten christlichen Geiseln gewahrt bleiben soll als auch mit der Einschätzung der Ordensritter, der Sultan handele insgesamt zu Ehren des Christentums.¹⁴⁷ Die Rezeption und Interpretation der zweiten Gesandtschaftsrede wird so intensiv gelenkt durch eine vorgelagerte Passage, in der der Erzähler sich direkt an sein Publikum wendet und seine Deutung der diplomatischen Gesten des Sultans präsentiert.
4.2.2 Scheiternde Kommunikation – scheiternde Herrschaft. Der Konflikt des Kardinallegaten mit den Bewohnern von Akkon Durch die Erzählerkommentare und den Auftritt der heidnischen Gesandten ist somit schon eine interpretative Rahmung hergestellt, bevor die großen Versammlungsszenen der Christen beim Kardinal und der Heiden beim Sultan geschildert werden. Wie bereits in der Kapiteleinleitung skizziert, sind die beiden Versammlungen als gegensätzliche Szenenkomplexe konstruiert, die Modellfälle scheiternder und gelingender Herrschaft einander gegenüberstellen. An der misslingenden Begegnung der Akkonenser mit dem Kardinallegaten lassen sich drei Aspekte hervorheben, die bei der Analyse des heidnischen Hoftags wieder aufgegriffen werden können und die kontrastive Anlage auf verschiedenen Ebenen anschaulich machen.
sollen wir es mit Verstand und Schlauheit an uns bringen“). In der Ansprache des Herrn von Salaterre bekommt die Formel eine ambige Bedeutung, als dieser die Missionserfolge des ersten Papstes Petrus schildert – für den Sultan ist dies ein Verlust, für das christliche Publikum der Steirischen Reimchronik natürlich ein Erfolg: mit witzen und mit listen | machet er si kristen (OStR, V. 47807 f.). Vgl. auch Varianten der Formel in OStR, V. 46375 (mit witzen und mit sinnen, die Deutschritter über eine mögliche Romgesandtschaft) und OStR, V. 47082 (mit manheit und mit witzen, der König von Marokko). Zur Bewertung von mhd. list als Indikator für gelingende oder misslingende Kommunikation vgl. Miedema, Nine: redewîsheit? Möglichkeiten des Gelingens von Gesprächen. list in deutschsprachigen literarischen Dialogen des Mittelalters. In: Gelungene Gespräche als Praxis der Gemeinschaftsbildung. Literaturwissenschaftliche und linguistische Perspektiven. Hrsg. von Christoph Strosetzki / Angela Schrott, Berlin u. a. 2020 (Historische Dialogforschung 5). In einer Zusammenstellung mittelhochdeutscher Äquivalente für ‚gelingen‘ nennt Miedema auch einen Beleg aus der Steirischen Reimchronik; vgl. ebd., S. 237. Die Belege für list in der OStR untersucht sie aufgrund des Zuschnitts ihrer Studie jedoch nicht. daz in an guote und an êren | niht gewerr noch an dem leben (OStR, V. 45462 f.; „Dafür, dass ihnen [den Geiseln, M. R.] weder an Besitz und Ehre noch am Leben geschadet wird“); und waz er noch wolt tuon | zêren dem kristentum (OStR, V. 45538 f.; „und was er noch tun wolle, um das Christentum zu ehren“), vgl. auch OStR, V. 45659.
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Der erste Kontrast betrifft die ritualisierte Kommunikation in den beiden Szenen: Die Akkonenser leiten ein Bittritual ein, dessen Redeakte zur Lösung des Konfliktes führen und die politische Ordnung stabilisieren könnten; der Kardinal lässt jedoch alle Versuche scheitern. Demgegenüber beruft der Sultan einen Hoftag ein, auf dem die Regeln ritualisierter Kommunikation befolgt werden. Es ist der Sultan selbst, der seine Vasallen zur Versammlung bittet und damit die Konventionen der ‚Herrschaft als Beratung‘¹⁴⁸ befolgt. Der zweite Kontrast ergibt sich aus dem Umgang mit den jeweiligen Gegenständen der Verhandlung: Der Kardinal lässt sich nicht auf die Argumentation der Akkonenser ein und wechselt das zu verhandelnde Thema, sodass die beiden Parteien keinen gemeinsamen Redegegenstand finden. Auf dem heidnischen Hoftag gibt der Sultan mit einer langen Ansprache den Redegegenstand vor, der von den teilnehmenden Fürsten übernommen und beibehalten wird. Schließlich zeigt sich ein Unterschied in den verwendeten Mitteln, mit denen die jeweiligen Machthaber ihre Ziele durchsetzen: Der Kardinal greift auf ein Mittel zurück, das außerhalb der Verhandlungsregeln liegt: Er droht allen Dissidenten den Kirchenbann und damit den Abbruch jeglicher Kommunikation an. Der Szenenkomplex beim Sultan hingegen bietet ein Paradebeispiel für ein Herrschaftskonzept, das Beratung und rituelle Persuasion miteinander verbindet.
Das Scheitern des Bittrituals Die Akkonenser bereiten alles für einen ritualisierten Kommunikationsablauf vor, der zur Symbolisierung gelingender Herrschaft führen könnte.¹⁴⁹ Schon vor der Auseinandersetzung mit dem Kardinallegaten handeln die christlichen Bewohner
Formulierung nach einem Aufsatz-Untertitel von Verena Epp, publiziert als Verena Postel: Communiter inito consilio, S. 7; vgl. auch ebd., S. 25. Nach Abschluss der Arbeiten an diesem Kapitel erschien ein Sammelband zum Gelingen als Kategorie historischer Dialogforschung. Angela Schrott untersucht darin u. a. anhand des spanischen Libro de Apolonio aus dem 13. Jahrhundert ‚Redeszenen des Ratsuchens‘ und Ratgebens, in denen das Anbieten von Handlungsoptionen dazu dient,Vertrauen und Wertschätzung unter den Beteiligten zu stärken. In der dort besprochenen Ratsszene geht es ebenfalls darum, einen drohenden feindlichen Angriff auf eine Stadt abzuwenden. Anders als im Buch von Akkon nimmt König Apolonio den als vorteilhafte Handlungsoption präsentierten Rat jedoch an; vgl. Schrott, Angela: Regeln, Traditionen, Urteile. Verbale Höflichkeit und wie sie gelingt. In: Gelungene Gespräche als Praxis der Gemeinschaftsbildung. Literatur, Sprache, Gesellschaft. Hrsg. von Angela Schrott / Christoph Strosetzki, Berlin u. a. 2020 (Historische Dialogforschung 5), S. 23 – 54, hier S. 39 – 41; bes. ebd., S. 41.
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der Stadt als politische Gemeinschaft und nutzen entsprechende Rituale der politischen Kultur wie die Ratsversammlung, die im weiteren Verlauf um kollektive Bittgesten in der Versammlung und weitere formalisierte Handlungen ergänzt werden. Die Grundlage für das gemeinsame Agieren legen die Ritterorden. Die Gesandten des Sultans hatten nämlich ihre Forderungen zunächst nur an diese gerichtet.¹⁵⁰ Anstatt im Alleingang zu handeln und über das weitere Vorgehen zu entscheiden, tragen die Ordensvertreter die Frage jedoch in die Organe der städtischen Selbstverwaltung. Sie berufen eine Ratsversammlung ein, an der neben den Ordensvertretern auch der Stadtrat Akkons und die beiden Könige von Armenien und Zypern beteiligt sind.¹⁵¹ Diese Vorberatung wird mit dem für Beratungen üblichen Begriff sprâch (OStR, V. 45492) benannt.¹⁵² Die Versammelten beschließen einstimmig,¹⁵³ den Forderungen des Sultans zu entsprechen; dieser Beschluss wird als rât[] (OStR, V. 45498; 45510) bezeichnet. dô dise herren kluoc von dem soldan ir botschaft heten getân, über al die red, diu dô geschach, gerten einer sprâch dem kunige von Cipper zêren die Spitalær und die Tiutschen herren und dem kunic von Armeni: die zwêne besprâchen si und die hôhsten von der stat, die gehullen alle an den rât (OStR, V. 45488 – 45498)¹⁵⁴
Vgl. OStR, V. 45334– 45355, besprochen in Kapitel 4.2.1. Vgl. OStR, V. 45491– 45509. Vgl. Sprâche. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 (2021), Sp. 1109, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?le mid=S06584 (13. Dezember 2021). Dort werden neben der weiten Bedeutungsdimension ‚Sprechvermögen‘, ‚Sprache‘ u. a. die Bedeutungen „gespräch, besprechung (auch rechtlich ordnende), beratung, zieml. allgem.“ sowie „rede u. gegenrede vor gericht, gerichtl. verhandlung“ angegeben. Vgl. die Verbform gehullen in OStR,V. 45498, die auf den Infinitiv gehellen mit der Bedeutung ‚übereinstimmen‘ zurückzuführen ist; vgl. Gehellen. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 1 (2021), Sp. 788, www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=G01091 (13. Dezember 2021); vgl. auch Gehellen. In: Deutsches Rechtswörterbuch 3 (1998), Sp. 1488 f. Mit besonderem Nachdruck werden allen, die von der Entscheidung abweichen, harte Strafen angedroht: swer ditz dinc irren wolde, | den selben man solde | für einen ketzer brennen, |
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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Als diese klugen Herren ihre Botschaft vom Sultan ausgerichtet hatten, [verlangten sie, die Johanniter und Deutschherren, eine Beratung zu all dem, was dort gesprochen worden war, zu Ehren des Königs von Zypern und des Königs von Armenien: Mit diesen beiden und den Höchsten der Stadt berieten sie, und alle stimmten dem Rat zu. – M. R.]
Beim anschließenden Gang zum Kardinallegaten treten die Akkonenser weiterhin als Kollektiv auf. Der Meister des Templerordens wird als Wortführer für die Gruppe ausgewählt,¹⁵⁵ weil er der eloquenteste Redner ist: der allerbeste reden kunde, der bat, daz er im gunde ze reden einer stille: daz was der andern wille, swaz dâ wart geret. (OStR, V. 45515 – 45519) Der am allerbesten reden konnte, bat, dass er ihm im Stillen mit ihm zu reden erlaubte: Das, was dort gesprochen wurde, war der Wunsch der anderen.
Der Templermeister bittet um eine Besprechung ‚im Stillen‘. Dies lässt sich als Form der sundersprâche deuten, die das Format des colloquium familiare aufruft, der Beratung im Geheimen oder Privaten.¹⁵⁶
wand man möht an im erkennen, | daz er kunftigez leit | wolt prüeven der kristenheit (OStR,V. 45499 – 45504; „Wer diese Sache verhindern wollte, den sollte man als Ketzer verbrennen, weil man an ihm erkennen könnte, dass er der Christenheit künftiges Leid zufügen wollte“). Die drastische Todesstrafe in V. 45501 scheint nicht allen Rezipierenden gefallen zu haben – Handschrift 7 nach der Nomenklatur Seemüllers enthält stattdessen die Drohung, Abtrünnige solle man vor den kaiser bringen; vgl. den Apparat zu OStR, V. 45500 – 46519 in Seemüllers Edition. Die Akkonenser greifen also auf eine Form politischer Repräsentation zurück. In einem Erzählzusammenhang wie dem hier vorliegenden hat dies natürlich auch den darstellungstechnischen Grund, nur eine Figur sprechen lassen zu müssen. Es wird jedoch gleichzeitig häufig betont, dass der Eloquenteste und Klügste für die Gruppe spricht.Vgl. etwa OStR,V. 96546 – 96557: Im Konflikt zwischen böhmischen Städten, Adligen und Heinrich von Kärnten, im Jahr 1309 König von Böhmen, spricht ein herre der wol reden kunde (OStR,V. 96546) im Namen der Städte. Beispiele außerhalb der Reimchronik bieten zum einen Ulrichs Alexander (vgl. UvEA, 2286 – 2300: Parmenion spricht für die Vasallen und wird als eloquent hervogehoben) und zum anderen bereits das Rolandslied (vgl. Rolandslied, V. 1249: der greise, weise Bischof Johannes wird als uor redenaere, als Wortführer für die Vasallen gewählt; zu dieser Stelle vgl. Müller: Ratgeber und Wissende, S. 134 f.). Vgl. dazu oben, Kapitel 2.2. Ein Beispiel von sundersprâche in heikler Situation, ebenfalls in der volkssprachigen Geschichtsdichtung, beschreibt Elke Brüggen in der Adelger-Episode der Kaiserchronik: „Der Text hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass [Adelger] seine Gefolgsmänner einzeln vor sich treten lässt und sie in Einzelgesprächen auf eine uneingeschränkte Unterstützung zu verpflichten sucht. Die prekäre Situation und der nicht weniger prekäre Ausweg
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Die folgenden Handlungen der Akkonenser geben der Szene das Gepräge einer Bittszene und initiieren damit ein politisches Ritual: mit einer grôzen bet der sache man began; dâ was nindert ein man, der sich des habte wider, er viele für sîn füeze nider. dô si der bet begunnen, die zeher in runnen von den ougen ze tal. (OStR, V. 45520 – 45527) [Mit einer großen Bittgeste, M. R.] begann man die Sache; da gab es keinen Mann, der sich dagegen wehrte[,] dass er vor ihm auf die Knie fiel. Als sie [die Bitte, M. R.] begannen, rannen ihnen die Tränen aus den Augen herab.
Die Akkonenser nutzen in dieser Szene das Repertoire nonverbaler und verbaler politischer Kommunikation. Die Vorberatung mit Konsensentscheidung, ein eloquenter Sprecher als Wortführer für die Gruppe, die Bitte um sundersprâche, kollektives Auftreten, Weinen und demütiges Zu-Füßen-Werfen: All diese Handlungen gehören zum Inventar der ‚Bitte um eine Gunst‘ des Herrschers.¹⁵⁷ Sie sind darauf ausgerichtet, das Problem zwischen den Christen und den Heiden zu entschärfen, das der Kardinal verursacht hat. Die Szene endet jedoch nicht mit den beschriebenen nonverbalen Gesten, sondern findet im Redebeitrag des Templermeisters einen oratorischen Fluchtpunkt, wobei sich die nonverbalen Gesten als vorbereitende captationes benevo-
einer kollektiven Übernahme der Strafmaßnahmen, welche die Voraussetzung für deren gegen ihre ureigene Intention gewendete Anverwandlung darstellt, eignen sich offensichtlich nicht für eine öffentliche Beratung, sondern verlangen die suntersprâche (V. 6731), das Gespräch unter vier Augen“ (Brüggen, Elke: Politische Rede in der Kaiserchronik. In: Oratorik und Literatur. Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Malena Ratzke / Christian Schmidt / Britta Wittchow, Berlin 2019 [Hamburger Beiträge zur Germanistik 60], S. 167– 186, hier S. 182 f.).Vgl. ebenfalls Brüggen, Elke: Political Speech in the Kaiserchronik. In: Transkulturelle Annäherungen an Phänomene von Macht und Herrschaft. Spannungsfelder und Geschlechterdimensionen. Hrsg. von Matthias Becher / Achim Fischelmann / Katharina Gahbler, Göttingen 2019, S. 123 – 143. Vgl. in ähnlicher Formulierung Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 139. Görich unterscheidet zwischen zwei Formen, je nachdem, ob die Beziehung ‚von Konflikten ungestört‘ oder ‚gestört‘ ist – letztere macht das Unterwerfungsritual der deditio nötig. Im Buch von Akkon ist schwer zu entscheiden, welche der beiden Formen als Vorlage gedeutet werden kann, was nicht zuletzt damit zusammenhängen könnte, dass die Beziehung zwischen dem Kardinal und den Bewohnern von Akkon angeschlagen ist, ohne dass es bereits zur Eskalation gekommen ist.
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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lentiae deuten lassen. Diese Einleitung des Bittrituals ist auch erfolgreich, denn der Kardinal fragt nach dem Anlass des Besuchs und gewährt das Rederecht.¹⁵⁸ Der Templermeister paraphrasiert die Forderungen des Sultans und übernimmt dabei die Argumentation der Gesandten; er betont die Tugend und die zuvorkommende Haltung des Sultans. Eine konkrete Bitte wird nicht verbalisiert, aber die ganze Darstellung macht deutlich, dass die Bitte darin besteht, den Bedingungen für die Wiedergutmachung zuzustimmen.¹⁵⁹ Knut Görich hat am Beispiel von Bittritualen italienischer Städte bei Friedrich Barbarossa deren fundamentale ordnungskonstitutive Bedeutung herausgestellt: Die Bitte um eine Gunst, die im Rahmen einer von Konflikten ungestörten Beziehung zum Herrscher erhoben wurde, führte im Einlösen wechselseitiger Erwartungen das ideale Funktionieren der politischen Ordnung vor.¹⁶⁰
Dem Kardinal in Akkon käme nach den ‚Spielregeln‘ eines funktionierenden Ritualablaufs nun die Aufgabe zu, die Bitte der Akkonenser aufzunehmen und bedacht auf sie zu reagieren. Wie Gerd Althoff formuliert, bringt die „Verbindlichkeit der Zeichen […] Sicherheit in die Interaktionen. Bestimmte Zeichen forderten bestimmte Reaktionen, so daß es schon ein gewaltiges Aus-der-RolleFallen bedeutete, wenn man diesen Konventionen nicht folgte.“¹⁶¹ Er schildert das Beispiel Kaiser Heinrichs II., der auf einer Synodalversammlung zu Beginn des 11. Jahrhunderts durch ostentative Selbstdemütigung seinen Wunsch durchsetzte, das Bistum Bamberg zu gründen. Einem fußfällig bittenden König kann man die Bitte nicht abschlagen, so lautete die Konvention. Mit der Erniedrigung legte der Herrscher sein ganzes Prestige in die Waagschale, die sich deshalb zu seinen Gunsten neigen mußte. Auf diesem Klavier wußten auch andere Große durchaus zu spielen, wenn sie etwas erreichen wollten – sehr zum Zorn der anderen, die dann gute Miene zum bösen Spiel mit den Konventionen machen mußten.¹⁶²
Vgl. OStR, V. 45528 f.; vgl. dazu den Abschnitt zum Redegegenstand weiter unten. Vgl. OStR, V. 45530 – 45545. Görich: Sprechen vor dem Kaiser, S. 139. Er fährt fort: „Im Falle einer durch Konflikte gestörten Beziehung zum Kaiser musste die gestische Vergegenwärtigung von Ergebenheit und Unterordnung vor dem Herrscher ungleich eindrucksvoller ausfallen – erinnert sei nur an die Unterwerfungen von Tortona 1155 oder Mailand 1158 und 1162 mit ihren ausgefeilten Inszenierungen der Selbstdemütigung in verbalen und nonverbalen Akten“ (ebd., S. 139 f.). Althoff: Demonstration, S. 47. Ebd.
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Althoff gibt mit dem Fußfall Barbarossas vor Heinrich dem Löwen auch ein Beispiel für den gegenteiligen Fall an, in dem der Verstoß gegen die Spielregeln als aufsehenerregendes politisches Mittel eingesetzt wird.¹⁶³ Nun handelt es sich bei den Akkonensern nicht sämtlich um Könige, wenngleich nach der Darstellung der Reimchronik die beiden Könige von Armenien und Zypern ebenfalls zur Gruppe gehören. Auch abgesehen von diesen sieht sich der Kardinal aber der politischen Elite Akkons gegenüber. Angesichts dieses Aufgebots wäre eine umfangreiche Rede erwartbar, die seine Entscheidung begründet und den Akkonensern verständlich macht. Auf diese Weise könnte er sich bzw. seinen päpstlichen Auftraggeber als klugen Herrscher erweisen und gelingende Herrschaft demonstrieren. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn der Kardinal spricht zwar am häufigsten, weil er auf jeden Redebeitrag der übrigen Sprecher mit einem eigenen Redebeitrag reagiert.¹⁶⁴ Er hält allerdings, anders als der Sultan in der folgenden Szene, keine eigene längere Ansprache. Anstatt zum Gelingen des Rituals beizutragen und auf den oratorischen Vorstoß der Akkonenser mit einer Antwortrede zu reagieren, lässt der Kardinallegat das Ritual grandios scheitern. Er geht bereits in seiner ersten Replik auf Konfrontationskurs und beleidigt die Bittenden aufs Schwerste. Dabei stellt er nicht nur die Führungskompetenz des Templermeisters infrage, sondern äußert harsche Kritik an der Haltung der Ritterorden: phlegestû mit lêre eines ordens brüederschaft? darzuo bistû ze tôrhaft; daz hôr ich an dir wol. (OStR, V. 45546 – 45549) [Führst du mit Kenntnis eine Ordensgemeinschaft? M. R.] Dazu bist du zu töricht; das höre ich an dir genau.
Dieses Redeverhalten des Kardinals bildet eine erste Stufe der Eskalation. Die Vorwürfe des Kardinals provozieren den Templer zu einer nicht minder deutlichen Antwort.¹⁶⁵ Dann meldet sich aufgebracht der König von Zypern zu Wort, gefolgt Vgl. ebd., S. 47 f. Vgl. OStR, V. 45528 f., 4554– 45559, 45614– 45636, 45701– 45719, 45775 – 45817, sowie OStR, V. 45974– 45987 (gegenüber den Vertretern der Stadt, nachdem die Ordensherren den Saal verlassen haben). Vgl. OStR,V. 45560 – 45584, bes. die Verse: sul wir von iu phaffen | solhez strâfen dulden stæte, | daz der bâbst selp ungerne tæte? (OStR, V. 45568 – 45570; „Sollen wir von Euch Priestern andauernd solche Vorwürfe erdulden, die der Papst selbst ungern machen würde?“) sowie: ir welt mêre wizzen eine | denn alle, die hie sîn, | die manigen herten pîn | in strîten hânt enphangen, | die gen den
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von weiteren Ordensvertretern, womit der in der Logik des Rituals angelegte Austausch von Reden lediglich zweier Sprecher durchbrochen ist.¹⁶⁶ Die Form des Bittrituals ist aufgelöst und die Situation läuft aus dem Ruder.
dô frâgt der cardinal, | waz diu sache wære (OStR, V. 45528 f.). Unklarheit des Redegegenstands Einleitend wurde die These formuliert, sowohl das Gelingen als auch das Scheitern der politischen Vorgänge im Buch von Akkon zeige sich im Umgang mit dem jeweiligen Redegegenstand. Im Konflikt des Kardinals mit den Akkonensern kommt dies darin zum Ausdruck, dass die Stadtbewohner vor dem Hintergrund des Rechtsdiskurses deuten, der Kardinal ihn hingegen als rein religiöse Angelegenheit behandelt. Die Parteien wechseln mehrfach den Gegenstand und kommen nicht überein; sie reden in weiten Teilen der Passage aneinander vorbei. Der Kardinal verweigert sich der Argumentation der Akkonenser und stellt die Forderung als indiskutabel dar. Es ist auffällig, dass er den Diskussionsgegenstand ganz anders interpretiert als die Ordensritter: Während diese darauf pochen, dass die geschlossenen Verträge eingehalten werden müssen,¹⁶⁷ konzenheiden sint ergangen, | und noch müezen enphâhen (OStR,V. 45576 – 45581; „Ihr glaubt als Einzelner mehr zu wissen als alle zusammen, die hier sind, die manch schweres Leid in Kämpfen erlitten haben, die gegen die Ungläubigen geführt wurden und die es noch auf sich nehmen müssen“). Anschließend beteiligen sich auch der Meister des Deutschen Ordens und der Maltesermeister; diese übernehmen beinahe die Diskussion für den Rest der Szene: Sie sprechen zweimal und halten im Vergleich zum König von Zypern und zum Templermeister lange Ansprachen. Ordnung und Länge der Redebeiträge entsprechen somit nicht der erwartbaren Redeordnung bei einer solchen Versammlung. Obwohl der Templermeister als Sprecher der Akkonenser agieren soll, schalten sich alle anderen Ordensmeister, der König von Zypern und die Stadtvertreter ein. Der Templermeister spricht für 41 Verse (davon 16 indirekte Rede, vgl. OStR, V. 45530 – 45545; 45560 – 45584), während die längsten Redebeiträge vom Deutschordensmeister (120 Verse in zwei Beiträgen, vgl. OStR,V. 45638 – 45696; 45862– 45922) und dem Meister der Malteser bzw. Johanniter (90 Verse in zwei Beiträgen, vgl. OStR, V. 45723 – 45772; 45818 – 45858) stammen. Der Kardinal, der auf alle Beiträge und fast ausschließlich in direkter Rede antwortet, hat 115 Sprechverse, davon zwei in indirekter Rede, vgl. Anm. 164 dieses Kapitels. Übrig bleiben der König von Zypern mit 26 Versen (vgl. OStR, V. 45586 – 45611) und die Vertreter der Stadt, denen auch der Podestà angehört, mit 49 Versen (davon 21 Verse indirekte Rede und ein Inquitvers,vgl. OStR,V. 45932– 45951; 45952– 45972; 45988 – 45996). So protestiert etwa der Deutschordensmeister: wand diu sach ist sô niwe | und ist geschehen sô untougen, | ob wir sîn gerne wolden lougen, | si bewærent ez ze leste | mit unser selbes hantveste, | die heiden und ir baruch | gegen uns der triwen bruch (OStR, V. 45682– 45688; „Denn die Sache ist eben erst und so offen geschehen, dass, wenn wir das auch gerne leugnen wollten, sie, die Ungläubigen und ihr Kalif, mit unserem eigenen Vertrag schließlich unseren Treuebruch beweisen würden“); vgl. auch die Untersuchung des juristischen Vokabulars in Kapitel 4.2.1. Zum Rechts-
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triert der Kardinal sich darauf, dass keine Christen für einen – aus seiner Sicht falschen – Frieden geopfert werden dürfen. Dass er überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass die Übergabe von Geiseln als Wiedergutmachung notwendig ist, ignoriert er dabei. Rhetorisch gesehen lässt sich das Vorgehen der Redner als taktisch eingesetzter Statuswechsel beschreiben. Die rhetorische Statuslehre systematisiert Frageweisen zur Findung des eigenen Standpunktes in einer Auseinandersetzung bzw. zur Festlegung dessen, was eigentlich verhandelt werden soll.¹⁶⁸ Daraus folgen Strategien zur Durchsetzung dieses Standpunktes, in der Rede vor Gericht geht es also etwa darum, den oder die Richtenden von der Richtigkeit der eigenen Perspektive zu überzeugen. Gegenüber dem Anliegen der Akkonenser wechselt der Kardinallegat den rhetorischen Status und macht den Fall von einem Rechtsfall zu einer Frage nach der Definition christlicher êre und dem Selbstverständnis der Christen im Heiligen Land. Die Frage nach dem Gegenstand wird sogar explizit, wenn der Kardinal fragt, waz diu sache wære (OStR, V. 45529). Der Templermeister wählt die Rechtsfrage (‚Hat man das, was getan wurde, zu Recht getan?‘).¹⁶⁹ Er verneint dies und bezeichnet das Vorgefallene als schändliche Tat, denn er klagt über den schaden lasterbære (OStR, V. 45535), der dem Sultan angetan worden sei.
grundsatz pacta sunt servanda vgl. Weimar, Peter: Vertrag. A.I. Römisches und gemeines Recht. In: Lexikon des Mittelalters Online 8 (2020), Sp. 1587 f., http://apps.brepolis.net/lexiema/test/De fault2.aspx (13. Dezember 2021); zu politischen Verträgen im Mittelalter vgl. Heinig, Paul-Joachim: Vertrag. A.III. Staatsrechtlich. In: Lexikon des Mittelalters Online 8 (2020), Sp. 1590 – 1592, http:// apps.brepolis.net/lexiema/test/Default2.aspx (13. Dezember 2021). Vgl. einführend Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption. 4., überarb. Aufl., Stuttgart 2009 (UTB 1599), hier S. 23 – 25; quellenkritisch Schirren, Thomas: Redesachverhaltsfeststellung (Statuslehre). In: Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Hrsg. von Ulla Fix / Andreas Gardt / Joachim Knape, Bd. 1, Berlin u. a. 2008 (HSK 31), S. 610 – 620; sowie ausführlich mit Bezug auf antike und spätmittelalterliche Autoren Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 42008, hier S. 64– 85 (§79 – 138, zusammenfassend bes. §91). Möglich wäre auch die Beschreibung der Strategiewechsel unter dem Begriff der quaestiones, wie dies die Ehedebatte in Wittenwilers Ring am Beispiel der topisch behandelten, infiniten Frage vorführt, ‚ob ein Mann eine Frau nehmen solle‘ (an uxor ducenda); vgl. Kapitel 5.1 und die dort angegebene Forschungsliteratur, besonders Roth, Detlef: Von der dissuasio zur quaestio. Die Transformation des Topos An vir sapiens ducat uxorem in Wittenwilers ‚Ehedebatte‘. In: Euphorion 91 (1997), S. 377– 396. Vgl. in übersichtlicher Zusammenstellung Göttert: Einführung in die Rhetorik, S. 23: „Hat der Angeklagte die Tat wirklich getan (Vermutungsfrage)? Was genau hat er eigentlich getan (Definitionsfrage)? Hat er die Tat womöglich zu Recht getan (Rechtsfrage)? Ist das Verfahren überhaupt zulässig (Verfahrensfrage)?“
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Der Kardinal nimmt das Stichwort lasterbaere auf und scheint somit auch die Rechtsfrage aufzunehmen. Er bezieht das Stichwort aber auf die vorgeschlagene Wiedergutmachung und stellt sein Handeln als rechtmäßig dar: Nicht der Anschlag auf die heidnischen Händler, sondern die Wiedergutmachung wäre als schändlich – lasterbaere – einzustufen. ez wær ein lasterbære tât, bræht uns der soldan mit listen darzuo, daz wir im kristen sanden in die marter, dâmit si dester harter wurden ûf uns gesterket. (OStR, V. 45554– 45559) Es wäre eine tadelnswerte Handlungsweise, wenn uns der Sultan mit dieser Hinterlist dazu bringen würde, dass wir zu ihm Christen zur Marter senden würden, damit er dadurch an Kraft gewinne.
Die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens stellt der Kardinal als unbestreitbare Tatsache dar. Er bestreitet dagegen entschieden die Perspektive der Akkonenser auf die Definition des Vorfalls. In Anlehnung an Frageweisen im Bereich der Statuslehre lautet seine Frage also weniger: ‚Hat man das, was getan wurde, zu Recht getan?‘,¹⁷⁰ sondern vielmehr: ‚Was genau ist eigentlich passiert?‘ Was seinen Redebeiträgen nach vorgefallen ist, war ein notwendiger Schlag gegen die Heiden. Er schließt eine weitere Definitionsfrage an, die sich mit ‚Was sollte stattdessen eigentlich passieren?‘ umschreiben ließe, denn der Schlag gegen die Heiden hätte nach der Darstellung des Kardinals eigentlich zu den Aufgaben der Ordensritter gehört, er musste aber nun von ihm übernommen werden. Die Pflicht der Ritter bestehe darin, daz si mit aller irer kraft | dructen die heidenschaft. | alsô ir orden sint gestift (OStR, V. 45811– 45813; „dass sie mit all ihrer Kraft die Ungläubigen verfolgen. So sind ihre Orden gestiftet worden“).¹⁷¹ Dieser Statusvorgabe können sich die Ordensritter nicht entziehen, zumal der Kardinal damit zugleich die Legitimation der Orden infrage stellt. Sie versuchen sich dennoch zu rechtfertigen und greifen wiederum den Kardinal und die pauschal als phaffen bezeichnete Kurie an.¹⁷² Es entspinnt sich eine Diskussion um das Selbstverständnis
Vgl. ebd. Ähnlich ist die Aufgabe der Orden bereits vom Erzähler definiert worden, dort aber unmittelbar vor der Rede der Sultansgesandschaft; vgl. OStR, V. 45346– 45353. Vgl. etwa den Vorwurf: ir und ander phaffen liezen | die heiden hinze Rôme rîten, | ê man iuch sæhe mit in strîten (OStR, V. 45844– 45846; „Ihr und die anderen Priester würdet die Ungläubigen hin nach Rom reiten lassen, ehe man Euch mit ihnen kämpfen sähe“).
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der Christen im Heiligen Land, die fundamentale Differenzen zwischen den Parteien sichtbar macht.¹⁷³ Die beiden Parteien finden weiterhin keinen gemeinsamen Redegegenstand: Weder der Kardinal noch die Ordensmeister rücken im Verlauf des Streits von ihrem Standpunkt ab, sodass die Versammlung mit dem Abbruch der Kommunikation endet. Der Meister des Deutschen Ordens besteht in seinem letzten Redebeitrag noch einmal darauf, dass die Christen dem Sultan ein laster angetan haben, das den offiziellen, urkundlich festgehaltenen und besiegelten Frieden bricht. Im Namen aller Ritterorden verbittet er sich, den Eidbruch mit ansehen zu müssen: daz belîbet verborn von mir und mîner geselleschaft und aller der brüederschaft, die daz kriuze tragen. niht mêre wil ich sagen. (OStR, V. 45918 – 45922)
Die Parteien streiten um die Deutung christlicher Werte und das eigene Selbstverständnis. Wiederholt berufen sich die Sprecher auf êre, triwe, wârheit, list, staete, sunde bzw. laster. Diese Tugendbegriffe werden dabei zum Teil diametral unterschiedlich gedeutet; das betrifft staete und list, besonders deutlich wird dies aber bei der Behandlung der êre: Das Wort taucht üblicherweise als Bestandteil zweier Begriffspaare auf. In deren Unterschiedlichkeit kristallisieren sich die Gegensätze der beiden Parteien aufs Deutlichste: Während die Akkonenser von êre in Verbindung mit triwe sprechen, gebraucht der Kardinal es an diversen Stellen in Verbindung mit gewalt. So mahnt der Kardinal, dem Papst und dem Klerus seien diu êr und der gewalt [gegeben], | daz die leien schullen | unser gebot erfullen (OStR, V. 45616 – 45618; „die Ehre und die Macht gegeben und aufgetragen, dass die Laien unser Gebot erfüllen sollen“). Wenig später konkretisiert er den Vorwurf gegenüber den Ordensrittern: dem gewalte welt ir widerstreben | und welt under mînen danc | der kristen êre machen kranc (OStR, V. 45712– 45714: „Dieser Gewalt wollt Ihr zuwider handeln und wollt gegen meinen Willen die Ehre der Christen beflecken“). Der Deutschordensmeister hingegen hebt hervor, welche êre das Angebot des Sultans angesichts des Treuebruchs der Christen bedeutet; vgl. OStR, V. 45658 – 45663. Der Machtkampf um Deutungshoheit zeigt sich auch auf dem Feld der argumentativen Anbindung an den gelehrten Diskurs. Die Redner streiten um die korrekte Auslegung von Autoritäten, darunter ungenannte phaffen, Kirchenväter wie Augustinus und die christliche Legitimationsgrundlage schlechthin – die Bibel. Sowohl der Kardinallegat als auch der Johannitermeister und der Deutschordensmeister führen Autoritäten an, um ihre Position zu legitimieren. So nimmt der Johannitermeister das Evangelienzitat Mt 25,40 wieder auf, das der Kardinal bemüht, um den Geiselaustausch zu verbieten; vgl. etwa: got an dem evangelii sprach: | ‚swaz ir dem minnisten tuot | ze übel oder ze guot, | der mich gehôret an, | daz habt ir mir getân‘ (OStR, V. 45628 – 45632; „Gott sprach im Evangelium: ‚Was Ihr dem Geringsten an Schlechtem oder Gutem tut, der mir angehört, das habt Ihr mir getan.‘“); er präsentiert aber eine konkurrierende Deutung, widerspricht der Interpretation des Kardinals und bietet sich selbst als Geisel an (vgl. OStR, V. 45745 – 45761).
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Das wird von mir und meiner Gemeinschaft und den gesamten Bruderschaften, die das Kreuz tragen, [unterlassen, M. R.]. Mehr werde ich nicht sagen.
Mit diesen Worten verlässt der Deutschordensmeister in Begleitung aller Ordensritter den Schauplatz der Auseinandersetzung.
Trugschluss: Die Scheinniederlage des Kardinals und der Kirchenbann als Machtmittel Damit scheint die Situation entschieden: Der Kardinal wurde in seine Schranken verwiesen, die Akkonenser sind sich einig und haben sogar die Bevölkerung auf ihrer Seite, denn der povel (OStR,V. 46002) ist so aufgebracht gegen den Kardinal, dass ein Mob dessen Herberge belagert. Nur durch das Eingreifen der Könige von Armenien und Zypern kann seine sofortige Vertreibung verhindert werden. dô der stat rât von im kam und der povel vernam des cardinals ungüete, tobsuht und ungemüete in daz herz in schôz. mit einer storî grôz kômen si des mâles an des cardinales herberge gedrungen. si wolden in hân betwungen, daz er in volgte nâch. dem kunic von Cipper wart gâch und dem kunic von Armeni; und wæren niht komen si, er wær gehandelt alsô, daz er riwic und unfrô diu mære hiet hinz Rôme brâht. (OStR, V. 46001– 46017) Als der Rat der Stadt von ihm zurückkam und das Volk von der Unfreundlichkeit des Kardinals hörte, schoss ihnen Wut und Zorn ins Herz. Mit einer großen Schar kamen sie damals bis zum Quartier des Kardinals herangedrängt. Sie wollten ihn dazu zwingen, dass er tat, was sie wollten. Der König von Zypern und ebenso der König von Armenien eilten herbei; und wären sie nicht gekommen, er wäre so behandelt worden, dass er die Nachricht [bekümmert und freudelos, M. R.] nach Rom gebracht hätte.
Als sich die Akkonenser daran machen, auf eigene Faust Geiseln für die Übergabe an den Sultan zusammenzubringen, greift der Kardinal zum höchsten Machtmittel, das ihm bleibt. Er beruft die Meister der Orden zu sich und droht – nun
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wiederum stark ritualisiert – jedem den päpstlichen Bann an, der mit den Heiden kooperieren will: swer sich fürbaz strouft den heiden ze hulden ûz der tât und ûz den schulden, diu hie den heiden ist getân, den kund ich in sant Peters ban (OStR, V. 46212– 46216) Wer sich weiter [dadurch schädigt, M. R.] den Ungläubigen wegen der Tat und der Schuld zu huldigen, die hier den Ungläubigen angetan wurde, dem verkünde ich in Sankt Petrusʼ Namen den Bann[.]
Anschließend verlässt der Kardinal das Heilige Land und reist zurück nach Rom.¹⁷⁴ Er unterstreicht also die Endgültigkeit seiner Entscheidung damit, dass er jede weitere Verhandlung vor Ort unmöglich macht. Die Aussicht auf Exkommunikation zerstört die zuvor gefundene Einigkeit der Akkonenser – allen voran der Deutsche Orden sieht sich in seiner Existenzgrundlage bedroht und lenkt ein.¹⁷⁵ Ihm folgen die anderen Ritterorden nach, sodass am Ende die Stadtregierung isoliert dasteht.
Vgl. etwa: nû het er geschaffen, | der selbe wüeterich, | daz im heimelich | ein schef was bereit (OStR, V. 46258 – 46261; „Nun hatte derselbe Übeltäter es eingerichtet, dass für ihn heimlich ein Schiff vorbereitet worden war“); der huop sich vil drât | mit sînem gesinde | und gâht ûf mer swinde. | gegen Rôme hin | stuont aller sîn sin (OStR, V. 46274– 46278; „Er brach sehr schnell mit seinem Gefolge auf und eilte aufs Meer. Auf Rom waren all seine Gedanken gerichtet“). Vgl. OStR, V. 46279 – 46608. Dabei kommt es sowohl zur kontroversen Diskussion als auch zur Anwendung eines Verfahrens, das eine Entscheidung herbeiführen soll, indem aus der Gesamtheit der Diskutierenden eine kleinere Anzahl von Ratgebern bzw. Entscheidern ausgewählt wird. Diese führen eine geheime Umfrage durch und treffen dann die Entscheidung, dem Legaten Folge zu leisten: ze jungist si erfunden, | ob si den sachen | ein ende wolden machen, | daz müest geschehen mit dem sin, | daz si welten viere under in | der witzigisten und der besten, | die si inder westen, | und daz die selben viere | die brüeder alle schiere | hôrten heimelich (OStR, V. 46438 – 46447; „Zuletzt befanden sie, dass sie vielleicht der Sache ein Ende setzen könnten; das müsste mit dem Gedanken geschehen, dass sie unter sich vier der Weisesten und Besten auswählten, die sie in ihrem Kreis kannten, und dass dieselben vier alle Brüder einen jeden einzeln in kurzer Zeit heimlich hörten“). Das Verfahren erinnert in Vielem an das Wahlverfahren in Ulrichs von Etzenbach Wilhalm von Wenden, das Jan-Dirk Müller mit dem Verfahren der electio per compromissum in Verbindung gebracht und historisch kontextualisiert hat; vgl. Müller: Landesherrin per compromissum, S. 500 – 504. Müller hält fest: „Einstimmigkeit bleibt Bedingung, doch soll sie nicht mehr durch Zustimmung jedes einzelnen hergestellt werden“ (ebd., S. 501). Im Buch von Akkon ist diese Einstimmigkeit allerdings erzwungen, denn wer widerspricht, wird verhaftet; vgl. OStR, V. 46551– 46557.
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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Hier setzt die dritte einleitend vorgestellte These zu den jeweils gewählten Mitteln an, die die Repräsentanten der Herrschaft wählen, um ihren Willen durchzusetzen. Schon früh zeigt der Kardinal, dass sein Herrschaftskonzept nicht auf Beratung, sondern auf der Machtfülle seines Amtes gründet, die er zudem als göttlich legitimiert ansieht.¹⁷⁶ Die Androhung des Kirchenbanns ist letztlich ein autoritäres, auf einer transzendenten Letztbegründung gründendes Mittel. Gegen dieses können weder politische Ideale noch politische Verfahren etwas ausrichten, und so beschließen die Ordensritter wider besseres Wissen, Gehorsam zu leisten.¹⁷⁷ Der Kirchenbann steht vollkommen autonom neben den Handlungen, die in der Versammlung aller Akteure möglich sind und eingesetzt werden. Der Bann weicht ab vom Ideal der Beratung, das ansonsten in der Literatur des Mittelalters präsent ist. Eine typische Erscheinungsform dieses Ideals ist der Fürstenrat, in dem der Herrscher sich mit seinen Vasallen und weisen Beratern umgibt und in Abstimmung mit diesen seine Vorhaben durchführt. Der Hoftag des Sultans bietet eine Variante eines solchen Fürstenrats.
4.2.3 Gelingende Herrschaft. Ideale Oratorik auf dem Hoftag des Sultans Nachdem die Boten aus Akkon abgereist sind und dem Sultan über die Vorfälle berichtet haben, erzürnt dieser so sehr, dass er sterbenskrank wird.¹⁷⁸ Um vor
Vgl. OStR, V. 45614– 45618. Vgl. OStR, V. 46480 – 46486. Vgl. OStR, V. 46653. Seemüller bemerkt zum historischen Sultan und zu vergleichbaren historiografischen Darstellungen: „Es ist auffallend, dass die Rchr. sich die mehrfach (z. b. auch in dem ihr verwandten Chron[icon] Samp[etrinum]) überlieferte Nachricht von einer vergiftung Kelauns entgehen ließ. Dass er an einer krankheit verstarb, berichtet auch der Anon[ymus] de excidio [urbis Acconis] s[p]. 767. – Man vgl. mit der hiesigen erzählung die nachricht, dass Malek al Adel, als er von der eroberung des kettenturmes bei Damiette hört, aus betrübnis erkrankt und stirbt, Wilken VI, 205“ (OStR, Kommentar zu V. 46653). Zum Chronicon Sampetrinum, der Neuen Chronik des Klosters St. Peter in Erfurt mit Berichtszeitraum von 1072 bis 1335, mit Fortsetzungen bis 1355, vgl. Repertorium Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters: Cronica S. Petri Erfordensis moderna (Neue Chronik von St. Peter in Erfurt). In: Repertorium Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters (2021), https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_01054.html (13. Dezember 2021). Zum anonymen Bericht De excidio urbis Acconis gibt Seemüller eine Edition von 1724 an (zugänglich im Reprint Veterum scriptorum et monumentorum historicorum, dogmaticorum, moralium, amplissima collectio. Tom. 5: Complectens plures scriptores historicos de rebus praesertim gallicis, anglicis, italicis, constantinopolitanis et terrae-sanctae. Hrsg. von Edmond Martène / Ursin Durand. Nachdr. d. Ausg. Paris 1724, New York 1968 [Burt Franklin research and source works series 276], hier Sp. 757– 784). Vgl. auch Hatheyer: Das Buch von Akkon, S. 496.
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seinem Tod seine Vasallen darauf einzustimmen, das Heidentum zu schützen und zu entschädigen, beruft er einen Hoftag ein. Wie schon der Konflikt mit dem Kardinal besteht auch dieser Szenenkomplex über weite Strecken aus unmittelbar aufeinanderfolgenden Redebeiträgen. Betrachtet werden soll nun vor allem die Rahmung und die erste Ansprache des Sultans, die mit 254 Versen, davon 208 in direkter Rede, zu den längsten Reden der Steirischen Reimchronik überhaupt gehört.¹⁷⁹ Der Szenenkomplex um den Hoftag verkettet mehrere ritualisierte Redeszenen. Er lässt sich in vier Abschnitte gliedern, die in Anlehnung an Rituale des Thronwechsels und der Herrschereinsetzung gestaltet sind:¹⁸⁰ 1. Die Ansprache des Sultans mit anschließendem Schwur der heidnischen Könige, den Sultan zu rächen und deren Bitte, die Nachfolge des Sultans zu regeln (OStR, V. 46716 – 47005). 2. Am Folgetag die Krönung des Sultansohnes zum neuen, jungen Sultan mit Huldigung und Lehensvergabe, die Antrittsrede des jungen Sultans sowie eine Prozession zum alten Sultan (OStR, V. 47006 – 47059). 3. Eine umfangreiche Redeszene, in der jeder einzelne heidnische Fürst gebeten wird, seine Beteiligung am Kriegszug zu konkretisieren (OStR, V. 47060 – 47942).¹⁸¹ Funktional hat diese Szene die gleiche Funktion wie die Huldigung, allerdings treten Vater und Sohn hier gemeinsam auf und werden vom Baruch, dem religiösen Haupt der Heiden, unterstützt. 17 Sprecher treten hervor, mehrere Redner begründen dabei teils ausführlich die Motivation für ihre Teilnahme. 4. Nach dem Tod des alten Sultans beruft der junge Sultan einen Kriegsrat der heidnischen Könige ein, in dem der Racheplan konkretisiert wird (OStR, V. 47943 – 47986). Eingeleitet wird dieser Abschnitt von einer in direkter Rede
Die Rede des Sultans reicht von OStR, V. 46718 – 46972, davon eine Inquitformel (OStR, V. 46754), indirekte Rede in den Versen OStR, V. 46763 – 46772 sowie V. 46970 – 46972. Zum Vergleich: Die Rede der heidnischen Gesandten enthält 117 Verse direkte Rede (OStR,V. 45358 – 45477, abzuziehen sind die Inquitformeln in V. 45439 und 45461), die Strafrede der Königin Kunigunde von Böhmen umfasst 140 Verse direkter Rede (OStR,V. 14769 – 14909). In den Hoftag der Heiden ist eine weitere sehr lange Rede eingebettet, in der der Herr von Salaterre weitere Argumente gegen die Christen bringt. Diese enthält 155 Verse direkte Rede; vgl. OStR, V. 47753 – 47909 (V. 47905 ist eine eingeschobene Inquitformel). Vgl. Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 90 – 114. Der langen Redeszene folgt ein geraffter Bericht über den Tod und die Beerdigung des alten Sultans. Pretzer fasst diesen und die folgenden Abschnitte zusammen als „Heerschau der heiden, Tod des alten und Wahl des jungen Sultans“ (Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 64). Die eigentliche Wahl und Einsetzung des jungen Sultans geschieht jedoch schon zuvor.
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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gestalteten Ratsbitte des jungen Sultans, während der Großteil der Beratungsszene paraphrasiert ist.
Gelingende ritualisierte Kommunikation Wie in Kapitel 4.2.2 angekündigt, lässt sich am Szenenkomplex des heidnischen Hoftags anhand von drei Aspekten herausarbeiten, inwiefern der Hoftag als Gegenstück zur Versammlung der Christen in Akkon angelegt ist: Dies betrifft die ritualisierte Kommunikation mit den Vertretern der Elite, die Behandlung des Redegegenstands und die Mittel, mit denen der Sultan seinen Willen als Herrscher durchsetzt. Der Sultan trägt nämlich maßgeblich zum Gelingen der rituellen Handlungen bei, indem er den Hoftag (tac, OStR, V. 46706) einberuft und Ladungsschreiben an alle heidnischen Könige senden lässt.¹⁸² Zudem gebraucht er ritualisierte Formen der Herrscheransprache, indem er den ersten Teil seiner Rede als Klage bezeichnet und anschließend eine Bitte und Mahnung um Wiedergutmachung an die Zuhörenden richtet, die er auch als Begehren bezeichnet: daz lât iu geklaget sîn, ir lieben friunde mîn. ich bitt iuch alle unde man, ob ich ie verdienet hân umbe iuch dehein guot, daz ir dem gelîche tuot und gewert mich, des ich ger (OStR, V. 46837– 46843) Das lasst Euch geklagt sein, meine lieben Freunde. Ich bitte und ermahne Euch alle, wenn ich jemals etwas Gutes für Euch getan habe, dass ihr das ebenso für mich tut und mir das gewährt, was ich verlange[.]
Die Darstellung der Hoftagabläufe zielt darauf ab, alle heidnischen Würdenträger gemäß den Spielregeln des Hoftags agieren zu lassen. Dies lässt sich schon vor der Eröffnungsrede des Sultans zum einen daran ablesen, dass sie sich sofort auf die Reise begeben,¹⁸³ und zum anderen daran, dass der Ansprache eine Passage Vgl. OStR, V. 46673 – 46675. Dabei fällt auf, dass anders als bei den Christen in Akkon die weltlichen und geistlichen Machthaber gemeinsam agieren, wenn nebenbei die Information eingeführt wird, dass die Ladung zum Hoftag auch vom Baruch ausgeht (dieser Aspekt wird noch ausführlicher aufgegriffen): daz gebot sô vesticlich | den kunigen allen wart getân | von dem baruc unde dem soldan, | daz si ez ungern vermiten, | si kômen alle geriten | darnâch vil schiere (OStR, V. 46678 – 46683; „Das Gebot wurde allen Königen vom Kalifen und dem Sultan so deutlich verkündet, dass sie [ihm schwer ausweichen konnten, M. R.]; sie kamen alle sehr rasch dorthin geritten“). Im Text werden die Zahl
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vorangeht, die die Einigkeit und enge Verbundenheit der Untertanen zu ihrem Herrscher durch die kollektive Klage aller Anwesenden ausdrückt. Die enge Bindung wird damit begründet, dass der Sultan sich bereits als guter Herrscher erwiesen hat, der seine Macht ehrenvoll ausübt: diu klage het niht mâz, der die kunige begunden, dô si dâ kranc funden den soldan iren herren, wand er mit grôzen êren des gewaltes het gephlegen, der an im was gelegen, darumbe wâren si im holt. dô der tac wesen solt, daz er si wolde sehen, dô moht man wunder spehen von jæmerlicher klag, der ieglicher dô phlac, dô man an im sach sô getânen ungemach, den er niht moht überwinden. von alten und von kinden wart dô grôzez klagen. (OStR, V. 46698 – 46715) Die Klage, die die Könige begannen, war über alle Maße groß, als sie dort den Sultan, ihren Herren, krank fanden; weil er mit großen Ehren die Macht ausgeübt hatte, die ihm übertragen worden war, waren sie ihm gewogen. Als der Tag sein sollte, an dem er sie sehen wollte, konnte man Unvorstellbares an jämmerlichen Klagen sehen, die jeder dort anstimmte, als man an ihm derartiges Übelbefinden sah, das er nicht überstehen konnte. Von Alten und Kindern wurde da ein großes Klagen angestimmt.
Die Rede selbst beginnt in klassischer Eingangstopik mit einer formelhaften invocatio (‚Anrufung‘),¹⁸⁴ die hier heidnisch ‚übersetzt‘ wird, denn die Religion der
von über 300 Personen und Reisezeiten von vier Monaten betont, die nicht zuletzt die Funktion erfüllen, den Herrschaftsbereich des Sultans als riesiges Gebiet darzustellen; vgl. OStR, V. 46682– 46697. Zur invocatio in der Tradition der politischen Rede vgl. Koch: Urkunde, S. 40 – 44, passim, mit Beispielen aus der italienischen Ars arengandi. Als Teil der Exordialtopik finden sich Anrufungen schon früh in den Prologen mittelhochdeutscher Literatur, die eine der mündlichen Rede vergleichbare Kommunikationssituation fingieren; vgl. Haug, Walter: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. 2., überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 1992, hier S. 75 – 91 zur invocatio im Rahmen einer „geistliche[n] Umformulierung profaner Typen“, wie die Abschnittsüberschrift lautet; vgl. ebd., S. 75 – 78 speziell zum Rolands-
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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Heiden in der Reimchronik ist polytheistisch konzipiert. Der Sultan ruft die heidnischen Götter als Zeugen für seine Wahrhaftigkeit an: dô si des verphlâgen, dô sprach der soldan: ‚ich wil iuch wizzen lân, warumbe ich iuch hân besant: Machmeten unde Tervagant unde unsern got Apollen, der gebot ich immer wil ervollen, die nim ich des geziuge, daz ich iu niht liuge, und bit si mir genædic wesen, mac ich des lîbes niht genesen, daz si der sêle walten, wand ich hân behalten ir gebot und unser ê unz an des tôdes rê. des sol ich geniezen. nû wil ich iu entsliezen den zorn und daz leit, daz mich in dise krankeit mînes lîbs hât brâht. (OStR, V. 46716 – 46735) Als sie damit aufgehört hatten, sprach der Sultan: „Ich will Euch wissen lassen, warum ich nach Euch gesandt habe: Muhammad und Tervagant und unseren Gott Apollo, deren Gebot ich immer erfüllen will, nehme ich als Zeugen, dass ich Euch nicht belüge, und bitte sie, mir gnädig zu sein, wenn ich nicht genesen sollte, dass sie die Seele schützen, wenn ich ihre Gebote und unsere Ehre bis zum Tod eingehalten habe. Dafür werde ich belohnt werden. Nun will ich Euch eröffnen, welcher Zorn und welches Leid mich in diese Krankheit meines Körpers gestürzt hat […].“
Die rhetorische Struktur der Sultansrede wird im Zusammenhang mit der Frage, wie der Sultan mit dem Redegegenstand umgeht, im folgenden Abschnitt näher betrachtet. In Bezug auf das Gelingen der Ritualkommunikation lässt sich auf das Ende der Rede vorgreifen. Nach der Ansprache des Sultans wird nämlich weder abgewogen noch diskutiert: Die Vasallen stimmen zu und schwören ihren Ge-
lied. Vgl. auch Hasebrink, der den Prolog des Rolandsliedes mit dem dort anschließend geschilderten Hoftag Karls des Großen und dem komplementären Rat der Heiden zusammen liest. Karl werde „als ideale[r] Herrscher“ inszeniert, „dessen Ratsuche seine Tugendhaftigkeit (und Politikfähigkeit) unter Beweis stellt“ (Hasebrink: Prudentiales Wissen, S. 91).
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horsam.¹⁸⁵ Hierin besteht ein deutlicher Unterschied zum eskalierenden Streit zwischen den Akkonenser und dem Kardinal. Doch damit nicht genug: Die Vasallen schließen eine Bitte an, die mit der Bitte des Sultans korrespondiert und sie zugleich übertrifft. Sie schlagen vor, den Sohn zum Nachfolger zu krönen, wodurch eine genealogische Kontinuität hergestellt ist, die das Rachemotiv zur Blutrache werden lässt. In der Rede des Sultans selbst finden sich keine Hinweise darauf, dass dieser auf eine solche Entwicklung hingearbeitet hätte. Indem die Vasallen die Idee vortragen, wird ein Steigerungsmotiv daraus. Es dient dazu, den Gehorsam der Heiden und die vorbildliche Eintracht zwischen Herrscher und Beherrschten zu inszenieren. Der Sultan muss nur noch zustimmen: noch erbuten si mêre dem soldan wird und êre, die kunig und kuniges genôz. einer bet vil grôz gerten si an in: sît er doch müest dâhin und niht möht genesen, daz daz sîn will müest wesen, daz sîn sun ze admirat gekrônet wurd an sîner stat. der selben bete wart er frô. ‚nû tuot dâmit‘, sprach er dô, ‚swaz iu gevalle und behag‘. (OStR, V. 46993 – 47005) Noch weitere [Würdigung und, M. R.] Ehre bezeugten die Könige und deren Standesgenossen dem Sultan. Eine sehr große Bitte richteten sie an ihn; dass wenn er doch dahinscheiden müsste und nicht genesen könnte, es nach seinem Wille[n] sein müsste, dass sein Sohn an seiner Stelle zum Admirat gekrönt würde. Über diese Bitte war er froh. „Nun tut“, sprach er da, „wie es Euch gefällt und behagt.“
Kontinuität im Redegegenstand – oratorische Analyse von Rede und Herrscherbild Während im Streitgespräch des Kardinals mit den Akkonensern kein gleichbleibender Redegegenstand gefunden werden kann, muss bei den Heiden nicht lange diskutiert werden. Der Sultan wechselt also nicht den Redegegenstand, sondern gibt ihn vor und bleibt bei der Sache: Er hält selbst eine lange Ansprache und tritt, anders als der Kardinal, als eloquenter Herrscher auf. Er gibt zunächst den Vorfall Vgl. OStR, V. 46973 – 46975; 46992.
4.2 Oratorik und Herrschaft im Buch von Akkon
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sowie seine diplomatischen Bemühungen wieder und klagt über das erlittene Unrecht, bevor er in einem ausführlichen Exkurs den Klerus, den Papst und die christlichen Glaubensinhalte diffamiert, um seine Vasallen gegen die Christen aufzuwiegeln.¹⁸⁶ Dies bereitet die abschließende Bitte des Sultans an seine Vasallen vor, ihm Gehorsam zu schwören und ihn in seiner Rache zu unterstützen.¹⁸⁷ Die Rede verfolgt eine Argumentation mit klarem Ziel: Der alte Sultan präsentiert sich selbst als politisch kluger Herrscher, dessen Ehrverletzung eine Gefahr für das Heidentum als solches darstellt, und leitet daraus das Ziel ab, das erlittene Unrecht an den Christen zu rächen. Dass ein einzelner Redner konsequent bei einem Gegenstand bleibt, ist zunächst nicht unbedingt verwunderlich. Doch auch das Zusammenspiel mit den anderen Teilnehmern des Hoftags ist vollständig auf Konsens und Einstimmigkeit ausgerichtet.¹⁸⁸ Wenn nach der Ansprache des Sultans keine anderen Reden gehalten werden, ist dies als Zeichen dafür zu deuten, dass es keinen Diskussionsbedarf gibt, bevor die Vasallen ihren Gehorsam schwören. Die anschließenden Schritte auf dem Hoftag fügen sich ebenfalls in dieses Bild, das im Vergleich mit der gescheiterten Bitte der Akkonenser noch deutlicher wird: Während dort die Ordensritter einen Rechtsfall verhandeln wollen, der Kardinal aber ausschließlich religiös bzw. religionspolitisch argumentiert und eine Diskussion um die Definition christlicher Werte anstößt, gehen in den Redebeiträgen des Sultans und der heidnischen Könige juristische und religiöse Argumentationen zusammen. Der Sohn des Sultans etwa mahnt dazu, den Angriff auf Akkon möglichst schnell umzusetzen, damit sein Vater nach seinem Tod bei den heidnischen Göttern wohl aufgenommen werden kann. In der Szene, in der alle heidnischen Könige angeben, welche Truppenkontingente sie für den Heerzug bereitstellen, werden die Motive der Sultansrede wieder aufgenommen und weiter ausgestaltet. Ein re-
Vgl. OStR, V. 46848 – 46965, eingeleitet durch sît die kristen ervollen | müezen, swaz mit in schaffen | ein volc, heizet phaffen. | die selben trugenære | unsern gotern sint unmære, | wand si habent mit ir listen | erblendet die kristen (OStR, V. 46848 – 46854; „weil die Christen ausführen müssen, was ihnen diese Leute, Priester genannt, befehlen“). Christoph Pretzer weist darauf hin, dass auch diese Rede in ihrem Bezug auf die intradiegetischen Christen und das Publikum der Reimchronik zu sehen ist: „Die Hörigkeit der Christen dem Klerus gegenüber ist so gross, dass sie nicht mehr fähig sind, ihr eigenes Ansehen als Handlungsmaxime zu nutzen. Dies muss nunmehr ein Aussenstehender übernehmen“ (Pretzer: Die heiden, S. 92 f.; analog Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 98). Im Hinblick auf die Verse OStR, V. 46955 – 46965, in denen der Sultan Friedrich II. als positiven Herrscher mit Beziehungen zu heidnischen Beratern darstellt, betont Pretzer, dass dieser Exkurs nicht zuletzt eine Form des Feindeslobs enthält, der das pro-staufische Publikum der Reimchronik ansprechen soll; vgl. Pretzer: Die heiden, S. 108 f. Vgl. OStR, V. 46966 – 46972. Zum Konsens als beherrschendes politisches Konzept vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.2.
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präsentatives und zugleich aufgrund seiner Länge exponiertes Beispiel ist die Rede des Herrn von Salaterre, der „eine Art transpagane Universalität und Kontinuität“¹⁸⁹ römischer und ‚islamischer‘ Götter entwirft, die durch die christliche Religion in den Orient vertrieben wurden.¹⁹⁰ Es lohnt sich an dieser Stelle, die Ansprache des Sultans genauer in den Blick zu nehmen und nachzuvollziehen, wie er sein Anliegen rhetorisch umsetzt. Schon aufgrund der Länge der Ansprache liegt es nahe, diese Rede als oratorisches Musterbeispiel für einen princeps eloquens,¹⁹¹ einen beredten Herrscher zu deuten. Dem Aufbau der Rede folgend, lassen sich dabei sowohl die Selbstinszenierung des Sultans als auch seine Rachebitte nachvollziehen. Nach dem bereits zitierten Exordium der Rede folgt eine Narratio, die vom Anschlag des Kardinals auf die heidnische Handelsgruppe und den erfolglosen diplomatischen Bemühungen des Sultans berichtet. In diesem Teil der Rede präsentiert sich der Sultan selbst als kluger und bedächtiger Herrscher.¹⁹² Er bezeichnet sein Vorgehen als bescheidenheit,¹⁹³ als er von seinen Botschaften an die Akkonenser erzählt, die beinahe erfolgreich gewesen wären, aber am päpstlichen Legaten scheiterten. ich enwil iu niht gar bescheiden unde machen blôz die bescheidenheit grôz, die ich gegen in hiez suochen, ob si noch wolden geruochen bezzerung mir tuon, sô wær ich gern in suon mit in beliben ûf die zît,
Pretzer: Die heiden, S. 100. Vgl. OStR, V. 47753 – 47909, zur Vertreibung der Götter bes. V. 47768 – 47787, 47862– 47892. Dazu hält er ein Referat zur Geschichte der Päpste seit Petrus, das dem religionsgeschichtlichen Referat des alten Sultans (vgl. Anm. 195 dieses Kapitels) funktional sehr ähnlich ist. Vgl. OStR, V. 47789 – 47889, vorläufig endend mit der Christianisierung Roms durch Konstantin und Silvester und fortgeführt bis in die Gegenwart der Erzählung, in der die heidnischen Götter nun auch aus dem Orient vertrieben zu werden drohen. Den Begriff des princeps eloquens gebraucht Helmrath für das oratorische Ideal, das Enea Silvio Piccolomini im Pentalogus entwirft; vgl. Helmrath: Der europäische Humanismus, S. 173 f. Der Begriff scheint eine Neuschöpfung Helmraths und kein Quellenbegriff zu sein, er fasst den entworfenen Herrschertypus jedoch treffend zusammen. Das Bild ist schon von der Gesandtenrede vorgezeichnet. Vgl. Kapitel 4.2.1. Wollte man beim Schema der Redeteile bleiben, könnte dieser Abschnitt als kreative Variation auf die commendatio gewertet werden. Diese dient üblicherweise dem Lob des Adressaten oder der Begleiter des Gesandten, vgl. oben, Kapitel 3.2.1 zu Albertanus von Brescia. Statt andere Menschen zu loben, bezieht der Sultan dieses auf sich selbst.
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alsô der fride lît. daz heten si lîht getân. dô kom der eine man, der was verwesær und bot von irem irdischen got, der dâ bâbst ist genant, der hât daz erwant, daz uns von in niht dhein bezzerung geschiht. (OStR, V. 46796 – 46812) Ich will Euch nicht in allen Einzelheiten die kluge diplomatische Verständigung darlegen, die ich ihnen gegenüber zu erzielen suchte, dass ich nämlich gerne bereit wäre, mit ihnen in Frieden bis zum vereinbarten Zeitpunkt zu bleiben, falls sie mir noch Abfindung leisten wollen. Das hätten sie vielleicht auch getan. Da kam der eine Mann, der war Verwalter und Bote ihres irdischen Gotes, Papst wird er genannt, der hat verhindert, dass uns von ihnen eine Entschädigung zuteil wird.
Seine Klugheit glänzt umso mehr, als er sie nun von der Stumpfheit der Christen absetzen kann, die als willenlose, korrumpierte Masse erscheinen, die dem nutzlosen Papst und dem Betrüger Christus folge. Jesus müsse sich schämen, dass er auf Erden durch einen lahmen, krummen Papst vertreten werde – eine anachronistische Referenz auf Papst Honorius (gestorben 1287), dessen Amtszeit hier in die Zeit des Falls von Akkon verlängert wird.¹⁹⁴ daz die selben kristen sîn tump, daz mac man kiesen daran, daz si den betent an, der sô lutzel witze hât und mit in umbe gât anders denn im wol an stêt. het Jesus von Nazareth niht mêr übels getân denn daz er eim solhen man sîn gescheft enpholhen hât, ez wær ein grôze missetât (OStR, V. 46878 – 46888) Dass dieselben Christen töricht sind, das kann man daran erkennen, dass sie den anbeten, der so wenig Verstand hat und sie anders behandelt, als es ihnen gut tut. Hätte Jesus von Nazareth nichts Schlimmeres getan, als dass er einem solchen Mann seine Geschäfte übergeben hat, es wäre ein großes Vergehen[.]
Vgl. OStR, V. 46872– 46877. Vgl. dazu Pretzer: Die heiden, S. 105 f.; Pretzer: Funktionale Fiktionalisierung, S. 112.
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Jesus wird mehrfach als Betrüger und Verführer dargestellt, der die Menschen durch Zauberei und list dazu bringt, den Papst anzubeten, der schon zuvor als irdischer got bezeichnet wurde, und somit dem Götzendienst zu verfallen.¹⁹⁵ Diese Diffamierung der Christen gibt dem Sultan unter anderem die Gelegenheit, seine Gelehrsamkeit vorzuführen, denn er demonstriert seine Kenntnis der christlichen Glaubensinhalte und beruft sich dafür auf sein Buchwissen.¹⁹⁶ Die negative Darstellung der verwâzen kristen (OStR, V. 46739; die „verwünschten Christen“) dient aber nicht nur der Selbstprofilierung, sondern dient dem großen Ziel des Sultans: Sie schürt die Gegnerschaft und soll die Vasallen zur Rache motivieren.¹⁹⁷ Zum Bild des klugen Herrschers gehört die Fähigkeit, Rat zu geben und zu empfangen. Diesem Bild entspricht der Sultan wenigstens zum Teil, denn zum einen sind bereits die Ladungsschreiben mit der Ankündigung von wîsunge und ouch lêre (OStR, V. 46673; „Weisung und Anleitung“) verbunden, zum anderen ist im Verlauf der Passage davon die Rede, dass der Sultan seinen Vasallen einen Rat geben wolle.¹⁹⁸ Der Sultan äußert somit keine Ratsbitte. Beide Seiten arbeiten dennoch zusammen, sodass die Deutung gerechtfertigt scheint, dass die Steiri-
Die Auferstehung Jesu wird gleich doppelt als Täuschung gebrandmarkt: In einer ersten Passage beteuert der Sultan, er habe gelesen, dass die Jünger den Leichnam Jesu aus dem Grab gestohlen haben und anschließend die Nachricht von der Auferstehung verbreitet haben sollen; vgl. OStR, V. 46906 – 46927. Unmittelbar darauf legt der Sultan gewissermaßen hilfsweise mit der Argumentation nach, die Auferstehung sei ein Werk der Zauberei; vgl. OStR, V. 46928 – 46931. Die Auferstehungslüge wird schon in der Kaiserchronik einem Nicht-Christen (hier einem jüdischen Gelehrten) in den Mund gelegt, der zur Disputation gegen Papst Silvester antritt: daz ich daz gehôret und gesehen hân, | daz in sîne jungeren nahtes stâlen | und des morgenes sâ jahen, | daz er von dem tôde wær erstanden (Kaiserchronik,V. 9923 – 9926, zitiert nach der Ausgabe: Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen. Hrsg. von Edward Schröder, Hannover 1895 [Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters 1,1]; „Das habe ich gehört und gesehen, dass ihn seine Jünger bei Nacht stahlen und am Morgen behaupteten, er wäre vom Tod auferstanden“; Übers. M. R.). Die Parallele bemerkte bereits Seemüller; vgl. OStR, Kommentar zu V. 46910 – 46927. Christiane Witthöft hat darauf hingewiesen, dass diese Stelle in der Kaiserchronik gerade den jüdischen Redner „mit rationalen Argumenten der Lüge überführt“ (Witthöft, Christiane: Zwischen Wahrheitssuche und Wunderglauben. Die christlich-jüdische Disputation der Silvesterlegende in der Kaiserchronik. In: Disputatio 1200 – 1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums. Hrsg. von Marion Gindhart / Ursula Kundert, Berlin u. a. 2010 [Trends in Medieval Philology 20], S. 291– 310, hier S. 305). Vgl. OStR, V. 46932– 46936. Für das christliche Publikum der Reimchronik kann das nicht gerade für den Sultan sprechen. Diese Passage lässt sich aber so deuten, dass sie die funktionierende politische Ordnung vorführt, obwohl die Heiden den falschen Glauben haben – so ähnlich, wie dies der Sultan über den Christen Friedrich II. ausdrückt; vgl. dazu Anm. 186 dieses Kapitels. Vgl. OStR, V. 46967– 46969.
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sche Reimchronik hier ein Ideal der Konkordanz zwischen dem Herrscher und der herrschernahen Elite ausgestaltet. Denn um Übereinstimmung geht es dem Sultan in dem wörtlichen Sinn, seinen Rachewunsch auch zum Wunsch seiner Vasallen zu machen. Die Rede zielt darauf ab, die heidnischen Könige davon zu überzeugen, seinen Racheplan auch nach seinem Tod auszuführen. Dazu geht der Sultan strategisch vor und erreicht es, die Sache von der Ebene einer individuellen Ehrverletzung auf die Ebene der Gemeinschaft zu heben: Der Konflikt mit Akkon wird spätestens hier als politischer Vorfall interpretiert. Diese Deutung wird von den Kontexten gestützt, in denen das Motiv der Rache in der Ansprache untergebracht ist. Die Bitte um Vergeltung erscheint nämlich doppelt und rahmt die Polemik gegen die papstgläubigen Christen: Das erste Mal nach der Darstellung des Vorfalls, das zweite Mal am Ende seiner Rede, unmittelbar vor dem Schwur seiner Vasallen, seinen Wunsch zu erfüllen. Die erste Stelle bildet den Übergang von der Narratio des Vorfalls zur Klage über das korrupte Christentum. Der Sultan verbindet dabei auf geschickte Weise die betroffenen Gruppen. Viele Heiden seien durch die Christen umgekommen, genauso müsse nun auch der Sultan sterben.¹⁹⁹ Nicht seinetwegen bittet der Sultan anschließend um Rache, sondern um der Ehre der heidnischen Götter willen: und gewert mich, des ich ger, daz unser goter êr wir beherten und behalten, ich mein Machmeten den alten, Tervaganden und Apollen (OStR, V. 46843 – 46847) und […] gewährt [mir das], was ich verlange, damit wir die Ehre unserer Götter stärken und erhalten; (ich meine den mächtigen Muhammad, Tervagant und Apollo)
Durch diese motivische Linie vereint der Sultan sich, seine Untertanen und die Götter im Bild eines kollektiv leidenden Heidentums, das es vor der christlichen Gefahr zu schützen gilt. Nachdem der Sultan seine Sicht auf die Glaubensinhalte des Christentums geschildert hat, wendet er sich abschließend erneut an sein Publikum. Er markiert die Funktion seiner Rede als Ratschlag (rât) und Bitte (bet) darum, das erlittene Unrecht zu rächen und Akkon zu zerstören.
Vgl. OStR, V. 46824– 46830.
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[‚]wær ich gesunder lider und hiet ich trôst zuo dem leben, den rât, den ich iu wil geben, den wold ich selbe volfüeren.‘ er bat si alle, daz si swüeren bî Apollen und Machmet, daz si leisten sîne bet. des er ze leisten wolde bitten, mit friuntlichen siten lobten si ze leisten daz. (OStR, V. 46966 – 46975) „Hätte ich gesunde Glieder und Hoffnung auf das Leben, würde ich den Rat, den ich Euch geben will, selbst ausführen.“ Er bat sie alle, dass sie bei Apollo und Muhammad schwüren, dass sie seiner Bitte Folge leisteten. Das, was er sie zu tun bitten wollte, gelobten sie in Freundschaft.
Der Inhalt der Bitte wird nicht mehr in direkter Figurenrede, sondern in der Erzählerrede nachgetragen und mit der Darstellung des Schwurrituals verbunden. In diesem Zusammenhang wird konkretisiert, worin sein Wunsch besteht, und hier kommt nun auch der Begriff ‚Rache‘ explizit vor: Alle Hoftagsteilnehmer treten einzeln vor den Sultan und schwören, daz Akers kæm ze hûf | und ûz dem grunde wurd zebrochen, | daz daz laster wurd gerochen (OStR, V. 46988 – 46990; „dass Akkon einstürze und von Grund auf zerstört würde, damit die Schande gerächt werde“). Dass diese Information erst nach der Ansprache nachgetragen wird, lässt sich als erzählstrategisches Mittel deuten, denn dadurch läuft die Passage auf eine Klimax zu: Den Abschluss der Sultansrede bildet somit die Demonstration des Konsenses zwischen Herrscher und Vasallen, der zugleich die intakte politische Ordnung symbolisiert.
Die rituelle Persuasion des kranken Herrschers Kapitel 4.2.2 hat gezeigt, wie sich das Scheitern der päpstlichen Herrschaft im Buch von Akkon in dem Motiv manifestiert, dass der Kardinal auf den Kirchenbann als Mittel zur Durchsetzung seines Willens zurückgreifen muss. Der alte Sultan ist nicht auf ein solches Machtmittel angewiesen: Es ist seine Ansprache, die die Versammlung eint. Diese gibt die Richtung für alle weiteren Handlungen vor. Der Szenenkomplex zum heidnischen Hoftag bietet auf diese Weise ein Paradebeispiel für die Wirkung ritueller Persuasion im Sinne Bissons, bei der die zeremonielle Anlage der Versammlung auf die Zustimmung der Untertanen ausge-
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richtet ist. Sämtliche Akte verbaler und nonverbaler Kommunikation wirken zusammen, um die Einheit zwischen Herrscher und Untertanen zu zelebrieren.²⁰⁰ An dieser Stelle lässt sich noch einmal auf die Krankheit des Sultans zurückkommen, die vor dem Hintergrund mittelalterlicher Herrscherideale und Ordnungsvorstellungen irritierend wirken kann.²⁰¹ Es ist auffällig, dass der Sultan seine Macht nicht durch körperliche Kraft oder Intaktheit demonstrieren muss. Zu Beginn des Hoftags wird vielmehr die Abweichung von dieser Erwartung in Szene gesetzt, als die Vasallen lautstark den Zustand ihres Herrschers beklagen, der im Widerspruch zu seiner einstigen Macht steht.²⁰² Wenn man in Betracht zieht, wie stark die Redeszenen in dieser Episode auf kluges Taktieren ausgerichtet sind, kann die prominente Platzierung dieses Motivs kein Zufall sein. Das Krankheitsmotiv lässt sich im Rahmen der oratorischen Strategie des heidnischen Herrschers lesen: Der Sultan bringt es fertig, seine Krankheit, d. h. seine körperliche Schwäche, als rhetorisches Mittel zu instrumentalisieren und in eine Stärke zu verwandeln.
Vgl. dazu auch Kapitel 2.2. Vgl. etwa Kapitel 3.2.3 zur organologischen Konstruktion des Herrscher- und Staatsideals in Ulrichs von Etzenbach Alexander. Die mittelalterliche Vorstellung vom Staatskörper, in dem der Kopf den König und die Organe die übrigen Teile der Gesellschaft repräsentieren, ist u. a. durch Johannes von Salisbury prominent geworden, dessen Policraticus breit rezipiert wurde; vgl. Johannes von Salisbury: Policraticus, Kapitel VI; VIII. Dem gesunden Staatskörper wird die Krankheit der Tyrannei entgegengestellt: „Daß in einem Körper alle Teile voneinander abhängen, zeigt John [of Salisbury] selbst am Beispiel des kranken Körpers. Wenn auch nur ein Teil des Körpers krank wird, sind alle anderen dadurch mitbetroffen“ (Ottmann: Das Mittelalter, S. 110); vgl. außerdem Freienhofer: Verkörperungen von Herrschaft, S. 48 – 55. In der Folge wurde die Krankheitsmetapher vielfach für politische Fehlentwicklungen verwendet. Im Einklang damit diskutiert Neudeck diese Motivik am literarischen Beispiel des mittelhochdeutschen Reinhart Fuchs, in dem der zunächst kranke, dann von Reinhart geheilte Löwenkönig von diesem vergiftet wird. Der Kopf und die Zunge des toten Königs werden anschließend in verschiedene Teile geteilt; diese Zerteilung deutet Neudeck „als Indiz für die Auflösung der Gesellschaftsordnung“ (Neudeck, Otto: Frevel und Vergeltung. Die Desintegration von Körper und Ordnung im Tierepos Reinhart Fuchs. In: Tierepik und Tierallegorese. Hrsg. von Bernhard Jahn / Otto Neudeck, Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 101– 120, hier S. 118 f.). Für die Darstellung von Herrscherkörpern sowohl weltlicher als auch geistlicher Herrschaft hebt Beate Kellner die Vielfalt der Konzeptionen hervor, die über pointierte, aber mitunter vereinfachende Modelle wie die seit Kantorowicz bekannte Zwei-Körper-Lehre hinausgehen; vgl. Kellner, Beate: Kaiser und Papst. Verkörperungen von Herrschaft im Übergang vom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit. In: Menschennatur und politische Ordnung. Unter Mitw. von Christian Kaiser. Hrsg. von Andreas Höfele / Beate Kellner, Paderborn 2016, S. 153 – 176, hier S. 172. Vgl. OStR, V. 46700 – 46704; vgl. dazu die Beobachtungen im Abschnitt Gelingende ritualisierte Kommunikation.
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Referenzen auf seine körperliche Erscheinung bestimmen schon von Anfang an die Symbolik des Herrscherauftritts.²⁰³ Innerhalb der Sultansrede erscheint das Motiv der Krankheit an signifikanten Scharnierstellen, die auf die bereits zitierten Redeabschnitte vorbereiten, in denen der Sultan seine Zuhörer um Rachehandlungen bittet.²⁰⁴ Die Aussage ich bin darzuo ze kranc (OStR, V. 46813) leitet eine Passage ein, in der die Krankheit explizit darauf zurückgeführt wird, dass die Akkonenser die Geiselforderung zurückgewiesen haben. Die Rachebitte folgt wenige Verse später.²⁰⁵ Die zweite Rachebitte beginnt, wie bereits zitiert, mit der konditionalen Formulierung wær ich gesunder lider | und hiet ich trôst zuo dem leben (OStR, V. 46966 f.). Der alte Sultan stellt zudem seine eigene Krankheit in eine Reihe mit anderen christlichen Angriffen auf Heiden, sodass sein drohender Tod als vorläufiger Höhepunkt im großen Kampf zwischen Christentum und Heidentum erscheint.²⁰⁶ Der rhetorische Körpereinsatz des alten Sultans bleibt nicht ohne Wirkung, und hierin zeigt sich schließlich die zentrale Fähigkeit des kompetenten Redners, das Publikum durch seine Ansprache zu bewegen und von seinem Anliegen zu überzeugen. Die Vasallen stimmen zu und schwören ihren Gehorsam, sie bitten von selbst darum, den Sohn als Thronfolger einzusetzen.²⁰⁷ In den anschließenden Szenen der Krönung und Huldigung ergreifen zum ersten Mal andere Figuren in direkter Rede das Wort.²⁰⁸ Diese Redebeiträge dienen jedoch erneut dazu, die Eintracht aller Beteiligten zu demonstrieren. So bestätigen die heidnischen Fürsten die Herrschaftsübergabe an den jungen Sultan, als dieser die Rückversicherungs-Frage stellt, bin ich nû worden soldan? (OStR, V. 47023), auf die seine neuen Vasallen in Kollektivrede antworten: ‚jâ, herre, dir ist undertân alliu heidenische diet, diu stêt in dîner gebiet‘, sprâchen die fursten alle,
Vgl. OStR, V. 46658, 46661. Eine analoge Funktion erfüllt eine weitere strategisch wichtige Stelle nach der Invocatio, zu Beginn der Vorfallsschilderung: nû wil ich iu entsliezen | den zorn und daz leit, | daz mich in dise krankeit | mînes lîbs hât brâht (OStR, V. 46732– 46735; „Nun will ich Euch eröffnen, welcher Zorn und welches Leid mich in diese Krankheit meines Körpers gestürzt hat“). OStR, V. 46839 – 46847. Vgl. OStR, V. 46824– 46836. Vgl. OStR, V. 46973 – 46975; 46992– 47002; vgl. dazu oben, Abschnitt Gelingende ritualisierte Kommunikation in diesem Kapitel. Für die Krönung des Nachfolgers zu Lebzeiten des alten Sultans verweist Seemüller auf parallele Darstellungen in der lateinischen Chronistik; vgl. OStR, Kommentar zu V. 47030. Vgl. OStR, V. 47013 – 47029.
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‚swaz dir nû wol gevalle, daz soll allez geschehen‘. (OStR, V. 47024– 47029) „Ja Herr, dir ist alles ungläubige Volk, das unter deinem Befehl steht, untertan“, sprachen alle Fürsten. „Woran du nun Gefallen hast, das soll alles geschehen.“
Die anschließende Antrittsrede des jungen Sultans führt ebenfalls Eintracht vor, denn dieser gibt explizit an, den Willen des Vaters erfüllen zu wollen. Da sie deutlich kürzer ausfällt als die Ansprache des alten Sultans, lässt sie sich hier vollständig zitieren. Sie enthält wesentliche Motive der langen Ansprache, sodass sie als Fortführung derselben Politik verstanden werden kann. er sprach: ‚sô wil ich iu verjehen, waz mich dunket guot: der hervart, der wir haben muot ûf die kristenheit, daz diu werd ûf geleit, dô mîn vater enkegen ist. ze solher zît unde frist, er danne sterben sol, sô enphâhent in harte wol unser goter, die herren, und dankent im der êren, die wir nû tuon an disen dingen, daz wir ze leide wellen bringen, die ze gote hânt erkorn Jesum, der dâ wart geborn in der stat ze Bethlehem. den gotern wirt genæm mîn vater immer mêre, daz diu wîsung und diu lêre von sînem munde ist gesprochen, dâvon si werdent gerochen‘. (OStR, V. 47030 – 47050) Er sprach: „So will ich Euch sagen, was ich für gut halten würde: Die Heerfahrt gegen die Christenheit, nach der uns der Sinn steht, werde aufgeboten, solange mein Vater noch lebt. Zu dem Zeitpunkt, wenn er dann sterben wird, empfangen ihn unsere Herren, die Götter, sehr freundlich und danken ihm für die Ehren, die wir nun in dieser Angelegenheit durchführen, dass wir jene in Leiden stürzen wollen, die sich Jesus zum Gott erkoren haben, der in der Stadt Bethlehem geboren worden war. Den Göttern wird mein Vater immer wohlgefälliger, wenn die Anweisung und der Befehl aus seinem Mund gekommen ist, durch die sie gerächt werden.“
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Im Vergleich mit dem Konflikt der Akkonenser fällt eine weitere Dimension der Eintracht ins Gewicht, die zur gelingenden politischen Kommunikation auf heidnischer Seite beiträgt. Wie bereits angesprochen, agieren bei den Heiden die weltliche und die geistliche Macht gemeinsam. Dieser Einklang wird in der Oratorik der beiden Sultane ausgestellt: Die Ladungsschreiben sind im Namen des alten Sultans und des Baruchs formuliert,²⁰⁹ außerdem bezieht sich der alte Sultan für seine Bemühungen gegenüber Akkon an einer Stelle auf den Baruch und stellt die Gesandtschaft als gemeinsames Vorhaben dar: ob si sich liezen riwen ires frides bruch, ich und der baruch versuochten daz selbe baz und sanden âne underlâz unser fursten zwelfe dar. (OStR, V. 46790 – 46795) [Für den Fall, dass] sie ihren Friedensbruch bereuen [wollten], so versuchten ich und der Kalif selbst das Beste und sandten sofort zwölf von unseren Fürsten dahin.
Nach der Antrittsrede des jungen Sultans, unmittelbar vor der langen Redeszene, in der die heidnischen Fürsten ihre Beteiligung am Krieg bekunden, spricht der Baruch einen Sündenerlass für alle Heiden aus, die gegen die Christen kämpfen. daz ein schedlicher druc und ein kreftigiu smæhe der kristenheit geschæhe, swer des flîzic wære, von aller sîner sunden swære der baruc den enpant. (OStR, V. 47063 – 47067) Den, der sich dabei als eifrig erweise, dass der Christenheit ein verderblicher Stoß und kräftige Schmach zugefügt würde, sprach der Kalif von all seinen schweren Sünden los.
Das ist das genaue Gegenteil des Kirchenbanns, den der Kardinal androht und lässt sich als diejenige Alternative ansehen, die stattdessen wünschenswert gewesen wäre. Der Baruch agiert hier wie der Papst oder ein Bischof vor einem Kreuzzug, was den Reden der beiden Sultane einen Akt religiösen Sprechens an die Seite stellt, der insofern politisch funktionalisiert wird, als die höchsten
Vgl. OStR, V. 46680.
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Würdenträger im Einklang miteinander agieren, um die Gemeinschaft der Heiden auf den Kampf gegen die Christen einzustimmen.²¹⁰ An der Spitze der politischen Ordnung der Heiden steht also ein Figurenpaar, das aus dem amtierenden Sultan und dem Baruch besteht.²¹¹ Bei der Aufzählung der Truppenkontingente durch die Vasallen treten der junge Sultan und der Baruch gemeinsam auf, deren Konkordanz sogar wörtlich als Sprechen mit gelîchem munde (OStR V. 47172) ausgedrückt wird.²¹² Die heidnischen Fürsten nehmen dieses Zweiergespann auch in ihre Kriegszusagen auf – gleich als erstes etwa gelobt der König von Marokko, dem baruc und dem soldan (OStR, V. 47071) 50.000 Soldaten zu schicken.²¹³ Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich das Buch von Akkon der Steirischen Reimchronik gewinnbringend erschließen lässt, wenn der Zugang über die Oratorik gesucht wird. Der Konflikt zwischen Heiden und Christen und die Auseinandersetzungen der christlichen Gruppen untereinander werden zu großen Teilen als rhetorische Auseinandersetzungen geführt. Schon die Rede der heidnischen Gesandten dient der symbolischen Inszenierung des Sultans: Er wird als idealer und mächtiger Herrscher dargestellt, der politisch klug zu agieren weiß; es gelingt den Gesandten rhetorisch, den Machtanspruch auf Akkon als Gunstbeweis zu präsentieren. Nach diesem Auftakt lassen sich die Verhandlung der Akkonenser mit dem Kardinal und der vom Sultan einberufene Hoftag als kontrastiv aufeinander bezogene Szenenkomplexe verstehen, die Modelle gelingender und scheiternder Herrschaft vorführen. Sie zeigen die Repräsentanten der Herrschaft in der Interaktion mit ihrem Umfeld: Während der Kardinal die Elite Akkons gegen sich aufbringt, weiß der Sultan sich auf seine Kommunikationspartner einzustellen. Die beiden Szenenkomplexe bilden Gegensätze im Hinblick auf die dargestellten Rituale, die Verhandlungs- oder Redegegenstände und die Mittel zur Durchsetzung des Herrscherwillens: Der Kirchenbann als außerhalb des Verhandlungsrahmens
Vgl. Strack: Solo sermone, S. 39 – 41 u. ö. zum Ablass im Kontext der bekannten Kreuzzugspredigt Urbans II., 1095 in Clermont. Vgl. Pretzer: Die heiden, S. 97: „Soldan und baruc entsprechen also für die Herrschaftsbereiche der heiden in etwa der dem steirischen Publikum vertrauten Doppelspitze der Christenheit aus Kaiser und Papst“, die Rollen sind i. W. unabhängig von der historischen Situation. Der alte Sultan ist weiter anwesend, tritt aber nicht mehr als Akteur in Erscheinung: den si gekrônet heten, | der zogte schône hin | gekrônet vor in […] | manigen kunic man dô sach | dâ der alt soldan saz. | vor freuden der vergaz, | swaz im von siechtum gewar. | nû was ouch komen dar | ir meister, der baruc (OStR, V. 47052– 47054, 47056 – 47061; „Der, den sie gekrönt hatten, zog mit seiner Krone prächtig vor ihnen her […]; manchen König sah man dort, wo der alte Sultan saß.Vor Freude vergaß der, wie es ihm durch seinen schlechten Gesundheitszustand ging“). Weitere Beispiele vgl. OStR, V. 47100; 47160; 47460.
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stehende Handlung korrespondiert motivisch mit der rituellen Persuasion des Sultans. Letzterer wird in der Darstellung des Textes eindeutig der Vorzug gegeben. Auf der Ebene der Darstellungstechnik lässt sich beobachten, wie eng die Redeszenen aufeinander bezogen sind: Wörtliche Wiederholungen und Motivkorrespondenzen in der Figuren- und Erzählerrede stiften einen Zusammenhang zwischen den Redebeiträgen. Die Oratorik im ersten Teil des Buchs von Akkon verbindet sich mit historiografischen und literarischen Mustern für eine detaillierte Ausgestaltung der politischen Verhältnisse, die historisch zur Niederlage der Christen und zum Sieg der Mamluken in Akkon geführt haben.
5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring Das Handlungsgerüst der Verserzählung Der Ring ¹ des Heinrich Wittenwiler, die um 1400 entstand, ließe sich stark verknappt etwa so beschreiben: Der junge Bauer Bertschi Triefnas aus dem Dorf Lappenhausen entbrennt in Liebe zu Mätzli Rüerenzumph,² bemüht sich um ihre Gunst und darf sie nach Rücksprache mit beiden betroffenen Familien heiraten, was in einer großangelegten Hochzeitsfeier zelebriert wird. Die Feier eskaliert jedoch, als ein Mädchen aus dem Nachbardorf Nissingen unabsichtlich verletzt wird und die Jugendlichen aus Nissingen und Lappenhausen aufeinander losgehen. Mag diese Konstellation noch als Familienzwist oder Nachbarschaftskonflikt verhandelbar sein, nimmt sie spätestens dann eine politische Dimension an, als der Gastgeber Bertschi die Sturmglocken läutet und damit die Gesamtheit der Lappenhauser zur Verteidigung ihres Dorfes ruft. Die Prügelei entwickelt sich zum politischen Konflikt, es kommt zum Krieg, bei dem Lappenhausen vollständig vernichtet wird. Einzig Bertschi Triefnas überlebt, betrachtet verzweifelt die Katastrophe und zieht sich in den Schwarzwald zurück. Was in dieser Handlungsskizze nicht sichtbar wird, ist die Vielzahl an Szenen, in denen Figurenrede dominiert, in denen Figuren über Entscheidungen beraten, Streitgespräche führen und lange Reden halten, in denen zeitgenössisches Wissen verschiedenster Diskurse eingebracht wird. Diese Passagen geraten mitunter so umfangreich, dass sie sich gegenüber der Handlung verselbständigen und den Eindruck hervorrufen, der Ring enthalte mehr Redeszenen als Handlungspassagen.³ Es ist davon auszugehen, dass sich solche wissensvermittelnden, rede-
Zum Ring und seinem Verfasser vgl. einführend Zapf: Wittenwiler; Händl, Claudia: Wittenwiler, Heinrich. In: Killy Literaturlexikon via Verfasser-Datenbank 12 (2012), https://www.degruyter. com/database/VDBO/entry/vdbo.killy.7410/html (13. Dezember 2021). Da sich in der Forschung die normalisierten Namensformen aus Wießners Edition etabliert haben, werden diese gegenüber denjenigen der handschriftennahen Transkription in der RöckeEdition (z. B. Bertſchi bzw. Pertsſchi Triefnaſz, Maͤ czli Ruͤ renzumph) beibehalten. Seit Bernward Plates entsprechender Bemerkung hatte sich die Einschätzung verfestigt, der Ring enthalte mit geschätzten 80 % einen überdurchschnittlich hohen Anteil an ‚Redetexten‘ (Plate, Bernward: Heinrich Wittenwiler, Darmstadt 1977 [Erträge der Forschung 76], hier S. 94 u.ö.; aufgenommen u. a. bei Riha, Ortrun: Die Forschung zu Heinrich Wittenwilers Ring, 1851– 1988, Würzburg 1990 [Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 4], hier S. 199 f.). Die vorwiegend quantitative Untersuchung Peter Wiehls zur Erzähler- und Figurenrede kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass der Ring zwar sehr redeintensive Szenen enthält, die den deutlich redearmen Handlungsteilen gegenüberstehen; insgesamt gesehen halten sich die Anteile jedoch die Waage. Vgl. Wiehl, Peter: Weiseu red – der gpauren gschrai. Untersuchung zur direkten Rede in https://doi.org/10.1515/9783110754711-006
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
intensiven Passagen an das Publikum des Rings wenden, das sich neues Wissen aneignen oder – vermutlich noch eher – mit bereits vorhandenem Wissen auseinandersetzen kann.⁴ Allerdings, die Namen der Figuren lassen es bereits vermuten: Der Ring porträtiert nicht das historische Bauernmilieu des spätmittelalterlichen Bodenseeraums, sondern ist eine Parodie auf dessen Elite und deren Kultur. Die Deutungen der Forschung zum Verhältnis von Lehre und Unterhaltung, Wissensvermittlung und -verspottung gehen weit auseinander; dies liegt nicht zuletzt daran, dass die einzige Handschrift mit Farblinien ausgestattet ist, deren Erläuterung im Prolog beide Kategorien aufzurufen scheint, aber keineswegs für Klarheit sorgt.⁵ Überhaupt wird vielfach suggeriert, der Ring sei anhaltend „rätselhaft“⁶ und verweigere sich dem Versuch einer einheitlichen Deutung.⁷ Konsens Heinrich Wittenwilers Ring. In: Dialog. FS Siegfried Grosse. Hrsg. von Gert Rickheit / Sigurd Wichter, Tübingen 1990, S. 91– 116, hier S. 94; Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 369 f. Zu dieser vieldiskutierten Frage vgl. aus der jüngeren Forschungsdiskussion Brülhart, Armin: Vexatio dat intellectum. Zur Funktion paradoxer Textstrukturen in Heinrich Wittenwilers Ring, Berlin u. a. 2014 (Scrinium Friburgense 33), hier S. 12 f.; vgl. die Rezension von Fürbeth, Frank: Rezension zu: Armin Brülhart: Vexatio dat intellectum. Zur Funktion paradoxer Textstrukturen in Heinrich Wittenwilers Ring. In: PBB 137/4 (2015), S. 666 – 732; Hübner, Gert: Erzählung und praktischer Sinn. Heinrich Wittenwilers Ring als Gegenstand einer praxeologischen Narratologie. In: Poetica 42 (2010), S. 215 – 242, hier S. 215 – 221, jeweils mit weiterer Literatur. Vgl. Ring, V. 36 – 41 und dazu jüngst Kellner: Chaos, S. 83 – 89, 100 f. Vgl. auch die Forschungsberichte von Riha: Die Forschung 1851– 1988, S. 207– 221 v. a. bzgl. der Farblinien in der Handschrift; Riha, Ortrun: Die Forschung zu Heinrich Wittenwilers Ring, 1988 – 1998. In: Vom Mittelalter zur Neuzeit. FS Horst Brunner. Hrsg. von Dorothea Klein / Elisabeth Lienert / Johannes Rettelbach,Wiesbaden 2000, S. 423 – 430, hier S. 425; Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 363 – 366. Riha: Die Forschung 1988 – 1998, S. 453. Kaum ein üblicher Parameter der Einordnung in die Literatur- und Kulturgeschichte, ob Entstehungszeit, Sprache, Verfasser, Gattung oder Textintention, lässt sich mit Sicherheit bestimmen. Die Sprache des Textes weist einige dialektale Mischungen auf (vgl. Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 357 f.). Die Entstehung des Textes wird üblicherweise mit Eckart Conrad Lutz um 1410 angenommen, diese Datierung ist allerdings nicht unumstritten und die Termini post und ante quem liegen mit 1360 (Datierung für den im Ring rezipierten Traktat Giovannis da Legnano) und 1418 (Konstanzer Konzil) weit auseinander; vgl. Zapf: Wittenwiler, Sp. 1302 f.; vgl. auch Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 358 f. Teils von urkundlichen Belegen gestützte Hypothesen zur historischen Person des Autors gibt es sowohl für einen adligen Heinrich Wittenwiler im ländlichen Lichtensteig als auch für einen Konstanzer Advokaten mit uneindeutiger Standeszuordnung. Die Forschung neigt inzwischen dazu, den Verfasser des Rings in letzterem zu sehen (vgl. ebd., S. 352 f.). In jüngster Zeit hat Fürbeth dafür argumentiert, ein eigenes Entstehungsdatum für den Ring-Prolog anzunehmen; zu diesen Thesen vgl. Kapitel 1, Anm. 24. Annika Goldenbaum sieht darin ein Charakteristikum des Rings und deutet die Irritation der Lesenden als erfolgreiches Resultat der Textstrategie: Die „Erwartungssicherheit“ des Publikums
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scheint in der Forschung vor allem darüber zu bestehen, dass man es mit einem überaus komplexen Text zu tun hat, der kulturelle Traditionen und Wissensbestände miteinander verwebt.⁸ Das Spektrum der betrachteten Kontexte reicht von der höfischen Literatur und dem höfischen Minnediskurs über die religiöse Laienunterweisung, Ökonomik, akademische Disputationspraxis und Kriegslehre bis hin zur politischen Theorie und Praxis.⁹ Die folgenden Kapitel fragen nach Szenen, in denen politische Redekultur reflektiert wird. Dabei sehe ich ausdrücklich davon ab, die gewählte Perspektive zu verabsolutieren, um nicht Gefahr zu laufen, die politische Kultur als einzige oder dominante Interpretationsfolie darzustellen. Es ist davon auszugehen, dass bei der Vielfalt der Wissensbestände, die insgesamt in den Ring eingeflossen sind, nicht nur ganze Szenen nach bestimmten Mustern gestaltet sind, sondern dass innerhalb der Szenen mehrere Referenzrahmen aufgerufen werden können. Monokontextuelle Interpretationen werden der Komplexität des Textes nicht gerecht. Zunächst möchte ich einen Blick auf die ‚Ehedebatte‘ werfen (Kapitel 5.1), an der sich zeigen lässt, dass dem Thema Rede ein eigener Stellenwert im Ring zukommt. Für diese Szene, in der Bertschi seine Familie und Freunde zusammenruft, um seine Heiratspläne zu besprechen, sind verschiedene außerliterarische Kontexte, darunter Varianten des Rats, des Gerichtsprozesses und der Disputation, als Interpretationsfolien ins Spiel gebracht worden. Auffällig in der Szene ist die Vielzahl von Referenzen auf die Form und Funktion des gesprochenen Worts: Die aufgerufenen Situationstypen beruhen auf dem Gebrauch der Rede, sodass auf engem Raum zentrale Redeformate der intellektuellen und politischen Kultur werde zunächst aufgebaut und dann „gezielt verunsichert“ (Goldenbaum, Annika: Heinrich Wittenwilers Ring als Krisenexperiment. Erwartung und Störung didaktischer Kommunikation, Berlin u. a. 2020, hier S. 10). Verschiedentlich wurde der Ring deshalb mit den didaktischen Summen des Spätmittelalters verglichen. Tobias Bulang untersucht ihn zusammen mit Hugos von Trimberg Renner und Fischarts Geschichtklitterung als Vertreter der ‚enzyklopädischen Dichtung‘, wobei der Ring enzyklopädisches Wissen in den Rahmen einer Schwankhandlung einfüge; vgl. Bulang, Tobias: Enzyklopädische Dichtungen. Fallstudien zu Wissen und Literatur in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Berlin 2011 (Deutsche Literatur. Studien und Quellen 2), hier S. 42– 53; 191– 194. Hübner betont, dass der Ring anders vorgehe als zeitgenössische didaktische Texte, denn Wittenwiler evoziere zwar „den Eindruck, daß die Diskurse, die der erzählten Handlung ihren Sinn liefern, im Text eigens aktualisiert sind. Allerdings läßt sich die Handlung dann offenbar doch nicht einfach als Affirmation oder Subversion des ausdrücklich eingespielten Wissens verstehen. Es ist, als ob geradezu vorgeführt werden sollte, daß diese Erzählung nicht so funktioniert, wie viele es zu Wittenwilers Zeit erwartet haben werden“ (Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 222). Ähnlich versteht Beate Kellner den Ring in einem jüngeren Beitrag „eher als Kommentar und Parodie auf Didaxe“ (Kellner: Chaos, S. 89). Vgl. für die Forschung bis 2008 Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 366 – 369.
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des Spätmittelalters versammelt sind. Der Aspekt der Rede ist nicht nur implizit in der Anlage des Gesprächs vorhanden, er ist auch in seinen Inhalten präsent und wird von den Figuren thematisiert. Parallel zur Diskussion um die Ehe entspinnt sich in metadiskursiven Passagen eine Diskussion über das richtige Sprechen. Diese kulminiert in zwei metaleptischen Bemerkungen der ältesten Rednerin und des Dorfschreibers, die den Ring als Buch und die Versform der Figurenrede ansprechen. Sie verlassen die Welt der Diegese und thematisieren den Ring als Text: Hier wird Rede als dargestellte Rede ganz offensiv ausgestellt. Die aufgeworfene Frage nach der politischen Rede erfordert eine Beschäftigung mit der Frage, welcher Begriff von ‚politisch‘ bzw. ‚dem Politischen‘ für den Ring entwickelt werden kann. Fragen der Heiratsplanung im adlig-höfischen Kontext haben durchaus politische Implikation, etwa bei der strategischen Verbindung von Herrschaftshäusern aus politischem Interesse. Hochzeiten können darüber hinaus politisch bedeutsame Feste sein, Anlässe der Repräsentation von Herrschaftsverhältnissen, zu denen Verbündete eingeladen werden.¹⁰ Im Ring bildet die Hochzeit von Bertschi und Mätzli den äußeren Anlass für die Eskalation der Feindseligkeiten zwischen Nissingen und Lappenhausen. Die Hochzeit und der darauffolgende Rat der Nissinger machen augenfällig, wie sehr die politische Dimension einer Handlung oder eines Ereignisses davon abhängt, in welchem Rahmen diese interpretiert werden – d. h. welche Bedeutung ihnen die beteiligten Akteure zuschreiben – und welche Mechanismen diese Interpretation steuern (Kapitel 5.2). Als persönlicher Streit begonnen, wird der Konflikt in dem Moment als politische Situation lesbar, als Bertschi ihn in die dörfliche Öffentlichkeit trägt und die Bürgerwehr erscheint bzw. der Rat einberufen wird, in denen die Figuren nicht mehr als Einzelpersonen, sondern als Vertreter des Kollektivs agieren. Im Nissinger Bauernrat schlägt sich dies deutlich in der Struktur und Semantik der Redebeiträge nieder. Im daran anschließenden Rat der Gegnerseite zeigt sich, welche wirklichkeitsstiftende und -verändernde Kraft Oratorik besitzt (Kapitel 5.3). An dem Punkt der Beratung, an dem deutlich wird, dass die Lappenhauser Ratsversammlung nach üblichen Maßstäben keine Legitimation zur Kriegsführung besitzt, wird mit einem Sprechakt kurzerhand die Legitimation hergestellt, indem man die bäu-
Vgl. Stollberg-Rilinger: Rituale, S. 55 – 73; Bumke: Höfische Kultur, S. 534– 540. Vgl. auch Sellert, Wolfgang: Soll man heiraten? Über den rechtshistorischen Gehalt der Ehedebatte im Ring des Heinrich Wittenwiler. In: Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. FS Christoph Link. Hrsg. von Heinrich De Wall / Michael Germann, Tübingen 2003, S. 827– 849, hier S. 827; Prevenier, Walter / de Hemptinne, Thérèse: Ehe, C. Ehe in der Gesellschaft des Mittelalters. In: Lexikon des Mittelalters Online 3 (2020), Sp. 1635 – 1640, http://apps.brepolis.net/lexi ema/test/Default2.aspx (13. Dezember 2021).
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte
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erliche Gemeinde zum Adelsverband erklärt. Die vom Sprechakt konstruierte Ordnung wird auf der Ebene der Erzählung durch den entstehenden grotesk-komischen Effekt sofort wieder destruiert, und auch innerhalb der Handlung erreicht sie keine Stabilität, sondern blitzt scheinbar unkontrolliert und verselbständigt als Motiv auf. Ein anderes Bild vermitteln die Beratungsreden im Städtekongress (Kapitel 5.4), der angesichts des Chaos der Bauernszenen wie ein wohlgeordnetes Gegenbeispiel erscheint. Von der Einberufung über den zeremoniellen Ablauf bis in die Details der verwendeten Argumentationsstrategien scheint in verbaler wie nonverbaler Hinsicht alles auf die Demonstration von Ordnung ausgerichtet zu sein. Abschließend lassen sich die Beobachtungen zu den untersuchten Ratsszenen im Hinblick auf die jeweils verhandelte politische Redekultur zusammenführen (Kapitel 5.5).
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte Für die Ehedebatte sind sowohl die politische Beratungsrede als auch die Gerichtsrede und die akademische Disputation als Interpretationsfolien in Anschlag gebracht worden.¹¹ Aus rhetorikgeschichtlicher Perspektive gehören Beratung, Gerichtsrede und Disputation verschiedenen Traditionen an. Während die ersteren bereits in der klassischen Rhetorik als eigene Redegenera behandelt werden, entwickelt sich die mittelalterliche Disputation als Diskussions- und Prüfungsformat der Universitäten gewissermaßen quer dazu, zumal die in der Ehedebatte verhandelte Fragestellung traditionell in den Zustän-
Vgl. zusammenfassend Bleumer, Hartmut / Emmelius, Caroline: Vergebliche Rationalität. Erzählen zwischen Kasus und Exempel in Wittenwilers Ring. In: Wolfram-Studien 20 (2008), S. 177– 204, hier S. 186, Anm. 31; zuletzt, wieder mit Einengung auf die Disputation, Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 225 f. Bisher ist außerdem vor allem der theoretische Diskurs zum Vergleich herangezogen worden. Dabei ist zu bedenken, dass auch die zeitgenössische Praxis, die keineswegs mit der Theorie übereinstimmen muss, Einfluss haben kann: So weist bereits Quintilian darauf hin, dass tatsächlich gehaltene Reden Merkmale mehrerer Genera aufweisen können, obwohl die Rhetoriklehre klar zwischen Beratungs-, Gerichts- und Lobrede trennt; vgl. Quintilianus: Institutionis oratoriae, III 4, 14; III 7. In Bezug auf die vormoderne politische Oratorik ist ebenfalls festzustellen, dass überlieferte oder rekonstruierbare Reden i. d. R. keiner formal eigenständigen Textgattung angehören, sondern Elemente aus verschiedenen zeitgenössischen Traditionen miteinander verbinden. Feuchter und Helmrath nennen hier, mit Bezug auf Thomas Haye, Predigt, Synodal-, Gesandtschafts- und Gerichtsrede; vgl. Feuchter / Helmrath: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, S. 15 – 17.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
digkeitsbereich der philosophischen Dialektik und nicht der Rhetorik fällt.¹² Unabhängig von diesen Fragen disziplinärer Verortung teilen die angesprochenen Bereiche eine Konzentration auf die Rede als zentrale Kommunikationsform. Wie in einer Collage ist die Szene zusammengesetzt aus Anspielungen auf konventionalisierte Redesituationen. Sie sind zudem alle auf die Funktion ausgerichtet, eine strittige Frage zu verhandeln; dies unterscheidet sie von der epideiktischen Rede.¹³
Vgl. Roth: Von der dissuasio zur quaestio, S. 380, Anm. 20; vgl. auch ebd., S. 383, Anm. 36. Zum Hintergrund und zur systematischen Verortung der Disputation im System der mittelalterlichen Disziplinen vgl. Murphy, James Jerome: Rhetoric in the Middle Ages. A History of Rhetorical Theory from Saint Augustine to the Renaissance, Berkeley 61990, hier S. 102– 106; Kasten, Ingrid: Studien zu Thematik und Form des mittelhochdeutschen Streitgedichts, Diss. Hamburg 1973, hier S. 14– 20. Dabei ist von einem Nebeneinander verschiedener Disputationsformen auszugehen. Olga Weijers betont auf der Basis von Untersuchungsmaterial des 13. und 14. Jahrhunderts aus der Artisten-, theologischen und juristischen Fakultät, „that in the Medieval universities various kinds of disputation coexisted and that it is not possible to speak of ‚the‘ Medieval disputatio“ (Weijers, Olga: The various kinds of disputation in the faculties of arts, theology and law (c.1200 – 1400). In: Disputatio 1200 – 1800. Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums. Hrsg. von Marion Gindhart / Ursula Kundert, Berlin u. a. 2009 [Trends in Medieval Philology 20], S. 21– 32, hier S. 21). In ihrer Grundstruktur entsprechen diese Redesituationen dem gleichen Schema: Zu Beginn wird eine Fragestellung formuliert, zu der ein einzelner oder verschiedene Sprecher Position beziehen und diese mithilfe von Argumenten zu sichern versuchen, bevor abschließend, ggf. nach Zusammenfassung der Argumente, eine Entscheidung über den Streitpunkt getroffen wird. Vgl. Murphy: Rhetoric in the Middle Ages, S. 39 zum antiken und spätantiken Gebrauch des Schemas sowie formalen Parallelen in der mittelalterlichen Universitätspraxis. Ausführlich im Hinblick auf die Redegenera wird die Rolle des Streitpunkts als Teil der Statuslehre bei Quintilian diskutiert: Vgl. Quintilian: Institutionis oratoriae Institutionis oratoriae, III 5, 3; III 7, 3 f., aber auch einschränkend III 7, 5 f. Vgl. auch Ottmers, Clemens: Rhetorik. 2., aktualis. und erw. Aufl., Stuttgart u. a. 2007 (Sammlung Metzler 283), hier S. 21– 24. Verfasser wie Isidor von Sevilla rezipieren, vermittelt durch Cassiodor, die Statuslehre Ciceros, der zwar die Anwendbarkeit auf alle drei Redegenera betont, seine Ausführungen jedoch auf die Gerichtsrede beschränkt; vgl. Hoppmann, Michael: Statuslehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 8 (2007), Sp. 1327– 1358, hier Sp. 1341 f., 1350 f. Das beschriebene Schema gilt zumindest für diejenigen Redesituationen, in denen eine kontroverse Auseinandersetzung geführt wird. Dass die Kontroverse gerade im politischen Kontext nicht die einzige denkbare Form ist, zeigt sich im Ring u. a. an den Beratungsszenen des dritten Teils; vgl. Kapitel 5.4. Für die mittelalterliche Disputation nimmt Fürbeth – ohne konkrete Referenz – einen Scheincharakter an, bei dem „eben nicht ‚Argumente aufeinanderprallen‘ […], sondern die vorgelegte Frage durch scheinbare Gegenargumente erst zu widerlegen, dann aber in der Entkräftung dieser Gegenargumente zu bestätigen“ sei (Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 373; zit. wird Roth: Von der dissuasio zur quaestio, S. 389).
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte
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Reden und Schweigen im Metadiskurs Anspielungen auf Redeformate erfolgen durch die thematische Ausrichtung und die Argumentationsstruktur der Redebeiträge,¹⁴ aber auch durch den Gebrauch entsprechender Terminologie, die vorwiegend in metadiskursiven Passagen verwendet wird. Bertschis Vertraute und auch der Erzähler verhandeln die Frage nach der Art des Gesprächs. Es lohnt sich, die Antwortvorschläge etwas genauer zu betrachten. Anders als die thematische Ausrichtung auf den Begriff ‚Ehe‘ vielleicht vermuten ließe, stammen die meisten Bezeichnungen aus dem Bereich der Beratung und der politischen Praxis. Gleich zu Beginn der Szene bezeichnet der Erzähler Bertschis Eingangsrede als parlament (Ring,V. 2655);¹⁵ Bertschi selbst bittet in einem förmlich beginnenden Ratsgesuch darum, ihm ràt ze geben (Ring, V. 2658) und mehrere Redner, in deren Beiträgen Varianten des Lexems rat dominieren, diskutieren daraufhin die Bedingungen des Beratens.¹⁶ Insgesamt finden sich 18 Belege für rat, (ge)raten oder rategeben in den Versen 2658 – 3500; die meisten davon – nämlich zehn – im Eingangsteil bis V. 2704, in dem man über Bertschis Ratsgesuch verhandelt. Auch später aber erscheint der Begriff wieder und wird sowohl in der Figuren- als auch in der Erzählerrede benutzt.¹⁷
Vgl. etwa Laude, Corinna: Daz in swindelt in den sinnen… Die Poetik der Perspektive bei Heinrich Wittenwiler und Giovanni Boccacio, Berlin 2002 (Philologische Studien und Quellen 173); Babendreier, Jürgen: Studien zur Erzählweise in Heinrich Wittenwilers Ring, Diss. Kiel 1973, hier S. 15 – 70. Die Röcke-Edition übersetzt parlament mit „Ansprache“ und stimmt hier mit dem Frühneuhochdeutschen Wörterbuch überein, das diesen Vers als eine der Belegstellen angibt. Im Frühneuhochdeutschen besitzt der Begriff laut FWB oft eine politische oder juristische Bedeutung und kann die einzelne Rede, aber auch den Ort einer politischen Versammlung anzeigen: „1. ‚Unterhandlung, Unterredung (oft zum Zwecke politischer oder rechtlicher Entscheidungen), (teils lebhafte, wirre) Diskussion; einzelne Rede innerhalb einer Unterhandlung, Ansprache‘, auch ‚Selbstgespräch‘; mehrfach metonymisch: ‚Versammlung‘; ‚schriftlich fixierter Text als Verhandlungsunterlage‘; offen zu 2. […] 2. ‚Parlament, Instanz mit bestimmter konstitutioneller und rechtlicher Funktion; Ratsregiment; Versammlung der königlichen Räte; oberste Gerichtsinstanz‘; metonymisch ‚Tagungsort einer parlamentsartigen Instanz‘“ (Parlament. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Online [2021], http://fwb-online.de/go/parlament.s.2n_1619687745 [13. Dezember 2021]). Auch im Lexer erscheint der Ring als Beleg, dort sind aber für das mittelhochdeutsche parlament verhältnismäßig knapp die Bedeutungen „besprechung, disputation, versammlung“ verzeichnet (vgl. Parlament. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 [2021], Sp. 207, www.woer terbuchnetz.de/Lexer?lemid=P00151 [13. Dezember 2021]). Ring, V. 2658, vgl. V. 2667: rát und hilff. Vgl. Ring,V. 2752: Snellagödili; 3032, 3035: Laichdenman; 3041: Erzähler; 3050: Bertschi, 3078: Colman; 3184: Laichdenman; 3500: Kollektivrede ohne Zuweisung an Einzelne. Es ist also keineswegs allein Laichdenman, die die Situation als Ratssituation behandelt und „den Wechsel der Diskursformen“ ignoriert, wie Bleumer und Emmelius meinen (Bleumer / Emmelius: Vergeb-
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Ein zweites Feld bilden Referenzen auf Theologie und Philosophie bzw. den akademischen Diskurs: Bemerkungen zur chluͦ gen logich (Ring, V. 2992), zur sophiſtrey (Ring, V. 3000), zu red vnd wider red (Ring, V. 3276) stehen neben glos und text (Ring, V. 3287 f.) sowie diſputyeren (Ring, V. 3521); der Bereich des Rechts wird durch Nabelreibers vrteil (Ring,V. 3525) und durch die mehrfache Verwendung von taͤ dinch (Ring, V. 3418, 3495) angeschnitten.¹⁸ Neben diesen in der Forschung bereits häufig betrachteten Begriffen gibt es eine weitere Gruppe von Anspielungen auf einen Bereich, der mit der Rede verwandt ist, zu dieser aber in einem umgekehrten Verhältnis steht: das Schweigen. Hinweise zum Schweigen spielen in der mittelalterlichen rhetorikinteressierten Literatur mitunter eine ebenso große Rolle wie die eigentliche Anleitung zur
liche Rationalität, S. 190). Vgl. auch die Belege bei Wiessner, Edmund: Der Wortschatz von Heinrich Wittenwilers Ring. Hrsg. von Bruno Boesch, Bern 1970, hier S. 70; 147 f. Die Zugehörigkeit zum akademischen Diskurs lässt sich exemplarisch an den Begriffen disputation und taiding ausführen, die hier ihren Ursprung haben: So gibt das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch zum Lemma disputation an: „‚Streit, Auseinandersetzung‘ (allgemein); überwiegend bezogen auf Formen institutionalisierter akademischer Interaktion: ‚Streitgespräch, (politische [!]) Debatte‘; speziell: ‚scholastische disputatio; (öffentliches) Colloquium; universitäres Lehrgespräch‘“; Synonyme sind gespräch, parlament [!] (Disputation. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Online [2021], http://fwb-online.de/go/disputation.s.1f_1619764582 [13. Dezember 2021]). Die Belege zu taiding unterstützen die juristische Lesart für juristische Textsorten („Gerichtsverhandlung“, „Rechtssache“), zeugen aber für andere Textsorten zugleich von einer übertragenen Bedeutung im Sinne von ‚Rede, Antwort‘, sodass der Begriff im Ring seine Eindeutigkeit verliert (vgl. Teiding. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch Online [2021], http://fwb-online.de/go/tei ding.s.2n_1619653358 [13. Dezember 2021]; Belege neben Stadtrechten u. a.: Pilgerfahrt des träumenden Mönchs, Heinrich von Mügeln, mit Verweis auf Wießner auch der Ring). Im 16. Jahrhundert erweitert sich die Bedeutung nochmals auf ‚leeres und nutzloses Gerede, Geschwätz‘.Vgl. für das Mittelhochdeutsche Tage-dinc, tege-dinc, teidinc. In: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz. Version 01/21 2 (2021), Sp. 1387 f., www.woerterbuchnetz.de/Lexer?lemid=T00044 (13. Dezember 2021); mit Beschränkung auf den Rechtskontext vgl. Werkmüller, Dieter: Taiding. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 5 (1998), Sp. 113 f. Fürbeth betont, die meisten der Ring-Belege für taͤ dinch wiesen auf den Rechtskontext; Fürbeth, Frank: nutz, tagalt oder mär. Das wissensorganisierende Paradigma der philosophia practica als literarisches Mittel der Sinnstiftung in Heinrich Wittenwilers Ring. In: DVjs 76 (2002), S. 497– 541, hier S. 522 f.; mit Verweis auf Werkmüller: Taiding; und Wiessner: Der Wortschatz, S. 185. Aus den bei Wießner angegebenen Belegstellen zitiert Fürbeth allerdings nur diejenigen, die vermeintlich seine These bestätigen – unter den bei Wießner genannten sind mehrere Fälle entweder unklar oder deutlich außerhalb des Rechtskontextes gesprochen (vgl. Ring, V. 54, 1788, 4219, 5928 [Gesang!]); zudem sind einige der Belege feste Wendungen wie er huob sein taiding an ze sagen (Ring,V. 54, 1788, 4219, 5928, 6813) und do ward die taiding chrumb (Ring, V. 1586, 3418, 9316).
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kunstfertigen Rede.¹⁹ Auch Regentenspiegel und Erziehungslehren wie diejenigen von Thomasin von Zerklaere, Johannes von Viterbo und Albertanus von Brescia widmen dem Thema eigene Abschnitte. Diese Texte werden z. T. breit rezipiert und thematisieren Reden und Schweigen im Verbund.²⁰ Es lässt sich plausibel machen, dass der Ring auf diese Literatur Bezug nimmt, die nicht zuletzt und teils ganz explizit der Vorbereitung auf eine oratorische Praxis dient. Es ist die Figur des weisen Alten, Colman, die das Thema ‚Schweigen‘ in zwei kürzeren Passagen mit Bertschi und Frau Laichdenman einbringt. Nachdem die zwischenzeitlich in Gewalt ausgeartete Debatte mit ſtangen vn̄ mit rechen (Ring, V. 3043; „mit Stangen und Rechen“) wieder beruhigt wurde, äußert Bertschi erneut eine Bitte um Beratung und fordert den bis dahin unbeteiligten Colman zur Stellungnahme auf. Dieser beteuert, er sei nicht zum Schwatzen, sondern zum Zuhören gekommen: Vgl. Mayer, Heike: Schweigen. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 8 (2007), Sp. 686 – 706, hier Sp. 693 – 695; im höfischen Roman Schnyder, Mireille: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 (Historische Semantik 3), zur Relation von Schweigen und Denken bzw.Weisheit besonders S. 133 – 147; zu Reden und Schweigen im Beratungsritual vgl. Schütte: Sitzen – Stehen, S. 126; 129 f.; 134– 136; in der Mærentradition Emmelius, Caroline: Gesellige Ordnung. Literarische Konzeptionen von geselliger Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin u. a. 2010 (Frühe Neuzeit 139), hier S. 57 f. Zum Thema der ‚Zungensünden‘ im mittelalterlichen Diskurs vgl. Miedema: Gesprächsnormen, S. 251, 261 u. ö. Zungensünden in ihrer Verbindung zum neidischen Sprechen thematisiert Lieberich, Eva: Neidische Ankläger und angeklagte Neider. Literarische Verhandlungen höfischer Ordnung im 12. und 13. Jahrhundert, Diss. masch. FU Berlin 2018, hier S. 30 – 32. Ich danke Eva Lieberich für die Einsicht in das Manuskript. Entsprechende Vorstellungen finden sich auch in der Innenausstattung von Rathäusern und damit in direktem Kontakt zur politischen Praxis. So hat sich im Germanischen Nationalmuseum ein Wandteppich erhalten, der vermutlich aus dem Nürnberger Rathaus stammt und den Betrachtenden die Regeln tugendhaften und lasterhaften Redens und Schweigens vor Augen führt. Exemplarisch seien drei Sprüche zitiert: (3) Pis · maister · deiner · zung · dez · ist · dir · not · | oder · si · werdint · dir · de(n) · ewigen · dot · […] (5) wer · sein · zung · wol · ferhuten · woll | der · bedecht · sich · waz · er · reden · schol · (6) In · ist · dik · misselunen · | die · niht · in · hut · hilten · ir · falsch · zungen · (Transkription nach Seelbach, Ulrich: Nürnberger Prophetenteppich. Nü7. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Gew3721. In: Repertorium deutschsprachiger Autoritäten [2013], https://wwwhomes.uni-bielefeld.de/useel bach/autoritaeten/Nue7.html [13. Dezember 2021]; „[3] Sei ein Meister Deiner Zunge, darauf bist Du angewiesen, sonst bringt sie Dir den ewigen Tod […]. [5] Wer seine Zunge bewahren will, der bedenke sich, was er sage. [6] Denen missglückte viel, die ihre falsche Zunge nicht unter Aufsicht behielten“; Übers. M. R.). „Der Behang entstand möglicherweise für die 1378 erneuerte Kleine Ratsstube als Mahnung an das Stadtregiment“ (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Bildteppich mit Weisen Männern (Nürnberger Prophetenteppich, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Gew3721). In: Objektkatalog [2021], http://objektkatalog.gnm.de/objekt/Gew3721 [13. Dezember 2021], mit Digitalisat). Vgl. zu diesen Texten auch die Ausführungen in Kapitel 1.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
Colman ſp˜ ch aus chlůgem ſin Wiſſt daz her chùmen pin Lùſens vn̄ nicht claffens wegen Won mir got gerůcht ze geben Oren zway vnd einen mund Da pey ſchol euch auch weſen kund Daz einer wenich reden ſchol Hoͤ ren vil ſo tůt er wol (Ring, V. 3055 – 3062) Nach reiflicher Überlegung sagte Colman: „Ihr müsst wissen, dass ich hierher gekommen bin, um zuzuhören und nicht um zu schwatzen, weil Gott in seiner Güte mir zwei Ohren, aber nur einen Mund gegeben hat. Daraus könnt ihr entnehmen, dass man wenig reden, aber viel zuhören soll: Nur dann handelt man richtig.“
Dass Colman die Rolle des Ratgebers verweigert oder gekünstelt ausweicht,²¹ ist damit nicht gesagt. Die Bemerkung fügt sich bruchlos in seine übrigen Redebeiträge ein; sie lässt sich ebenso als captatio-Formel und als Zeichen der Höflichkeit verstehen, um zu vermeiden, dass Bertschi, der eigentlich für die Durchsetzung der Redeordnung zuständig gewesen wäre, sein Versagen als Versammlungsleiter eingestehen muss. Außerdem ist es dadurch möglich, das Thema Schweigen als Versatzstück aus dem zeitgenössischen Diskurs um gute Rede im Ring unterzubringen:²² So empfiehlt Thomasin von Zerklaere: vil vernemen, lützel sagen. | hœren daz enschât uns niht: | von rede uns dicke leit geschiht. ²³ Albertanus von Brescia stellt Reden und Schweigen programmatisch gleich, indem er seinen Podestàspiegel als doctrina[] super dicendo atque tacendo bezeichnet.²⁴ Ein Hinweis darauf, dass Colmans
Vgl. Babendreier: Studien, S. 32, Anm. 6. Ähnlich zum Ausweichen Friedrich, Ralf: Erfolgreiche und gescheiterte Vermittlungsverfahren in Heinrich Wittenwilers Ring, Chemnitz 2013, hier S. 143, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:ch1-qucosa-119840 (13. Dezember 2021) zu den Versen 3198 – 3208. Auch Friedrich erwähnt in einer Nebenbemerkung, dass Colmans Redebeiträge zu Beginn nicht auf die Ehefrage eingehen, sondern „den Modus des Verhaltens der Debattenteilnehmer“ thematisieren; vgl. Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 140. [Thomasin von Zerklaere]: Der wälsche Gast, V. 582– 584. [Albertanus Brixiensis]: Tractatus de arte loquendi et tacendi, S. 479; vgl. auch ebd., S. 502. In der deutschen Versübertragung Meister Albertus lere, die in Handschriften aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist, heißt es ähnlich wie bei Thomasin: Wer den luden wol gevallen wil, | Der antwurt lutzel und hore vil | Und si mit worten nit zu swinde | Und si an der gehorde gar behende (Meister Albertus lere, V. 199 – 202. Zitiert nach [Albertanus Brixiensis]: Meister Albertus lere. In: Albertanus Brixiensis in Germany. Being an account of the Middle High German translations from his didactic treatises. Hrsg. von John Knight Bostock, London u. a. 1924, S. 79 – 106, hier S. 79 – 106; „Wer den Leuten gefallen will, der antworte wenig und höre viel zu; er sei mit Worten nicht zu
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Kommentar nicht ohne didaktischen Hintersinn eingefügt wurde, liegt in der Aufnahme des Themas durch andere Figuren, denn Bertschis Antwort führt die Thematik fort und operiert ebenfalls mit der Spannung von Reden und Schweigen: Hin wider ſayͤ t do Triefnas Wiſſ daz miͤ r geuellet bas Weyſeu red in gůter zùngen Dann ein sweigen von dem ſtumen Mas iſt gůt zů allen dingen Beſſers chan ich dir nicht ſingen (Ring, V. 3063 – 3078) Triefnas entgegnete: „Du sollst aber auch wissen, dass mir kluge Rede in gepflegter Sprache besser gefällt als das Schweigen eines Stummen. Das rechte Maß ist in allen Dingen nützlich: Besser kann ich es nicht ausdrücken.“
Analog dazu heißt es bei Thomasin, Schweigen könne manchmal ebenso viel Schaden anrichten wie übermäßiges Schwatzen. Entscheidend sei die Balance zwischen beiden, die von Bertschi angesprochene mâze: man sol die mâze wol ersehen | an allen dingen, daz ist guot: | ân mâze ist niht wol behuot. ²⁵ In der Auseinandersetzung mit Berchta Laichdenman spielen Reden und Schweigen eine so große Rolle, dass das Thema zum Nebenstrang der eigentlichen Diskussion um Ehe und Familiengründung wird. Als Laichdenman gegen Colmans Ratschlag polemisiert und ihn nach seinem (gespielten)²⁶ Hustenanfall auffordert, weiterzusprechen, reagiert Colman zunächst mit einer Bemerkung zur brevitas: Des aͤ ntwoͤ rt ſo her Colman Lengeu red ſtet vbel an Dar vmb ſo ſag ich anderſ nicht Dann kùrzeu woͤ rter die man ſpricht (Ring, V. 3197– 3200) Herr Colman antwortete folgendermaßen: „Langes Reden macht einen schlechten Eindruck. Darum beschränke ich mich auf knappe Sätze, die man eben so sagt.[“]
geschwind und mit dem Hören geschickt“; Übers. M. R.). Zur Übersetzung des Traktats im deutschen Sprachraum vgl. Koppitz, Hans-Joachim: Albertanus von Brescia. In: Verfasserlexikon via Verfasser-Datenbank 1 (2012), Sp. 151– 154, https://www.degruyter.com/document/database/ VDBO/entry/vdbo.vlma.0076/html (13. Dezember 2021). [Thomasin von Zerklaere]: Der wälsche Gast,V. 722– 724; „Man sollte bei allen Dingen das Maß beachten, das ist richtig: Ohne Maß lässt sich nicht gut umsichtig sein“; vgl. auch ebd.,V. 710 – 721. Vgl. Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 140.
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Es folgt ein Sprichwort, das Colman nicht als Einstieg zu längeren Erklärungen nutzt, sondern das ohne Auslegung stehenbleibt: Einiger vatter fuͤ ret bas | Syben kinder durch ein̅ gatter | Dann siben kinder eine̅ vatter (Ring, V. 3202– 3204; „Ein einziger Vater führt eher sieben Kinder durch ein vergittertes Tor als sieben Kinder einen Vater“). Stattdessen übergibt er das Wort wieder an Laichdenman – mit der spöttisch klingenden Beteuerung, von ihr lernen zu wollen und mit der Bitte, die Zuhörenden von ihrer Klugheit profitieren zu lassen.²⁷ Spöttisch wirkt die Beteuerung deshalb, weil Colman in das Register höfischen Sprechens wechselt und Laichdenman als fraw von hoher liſt (Ring, V. 3205; „Frau mit scharfem Verstand“) tituliert. Da Colman jedoch auch sonst durch rhetorisches Geschick glänzt und der Erzähler ihn bereits als jemanden einführt, der vil zùchtichleichen (Ring, V. 3070; „höchst formvollendet“)²⁸ spricht, kann die Stelle auch als Ironiesignal zu Lasten Colmans gelesen werden, da dieser eine inadäquate Stilhöhe wählt.²⁹ Die Alternativen müssen sich zudem nicht ausschließen. Laichdenman jedenfalls nimmt die ostentative Lernwilligkeit wörtlich und herrscht Colman an, in seinem Alter solle man nicht mehr lernen. Sie kommt kurz darauf ebenfalls auf die brevitas zu sprechen, allerdings um die Gültigkeit des Gebots infrage zu stellen. Viel zu reden sei nur dann schlecht, wenn das Gesagte tatsächlich schädlich und überflüssig ist.³⁰ Sie plädiert für Quantität mit Qualität: Auer iſt die zunge gůt Vnd nùcz ſey kaynen ſchaden tůt So mags auch nicht zlang geſein Daz leg dir i ̄ daz hercze dein Haſt di nie gehoͤ ret das Groſſes vich wil michel gras (Ring, V. 3239 – 3244) Ist die Rede aber brauchbar und nützlich, dann richtet sie keinen Schaden an. Und dann kann sie auch nicht zu lang sein. Das solltest du dir mal zu Herzen nehmen. Hast du nie das Sprichwort gehört: Großes Vieh braucht auch viel Gras?
Hie mit fraw von hoher liſt | Tuͦ t es durch den ſuͤ ſſen Criſt | Vnd zaigt vns ewer wiczichaͤ it | Ze lernen was ich ie berayt (Ring, V. 3205 – 3208; „Ihr seid doch eine Frau mit scharfem Verstand. Beweist uns also – um unseres lieben Heilands willen – Eure Klugheit! Zu lernen war ich schon immer bereit“). Vgl. auch Ring, V. 3271. Vgl. ähnlich Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 151. Vgl. Ring, V. 3233 – 3238.
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Wenn dies mit Blick auf die didaktische Literatur formuliert ist, legt Laichdenman die dort üblichen Ausführungen äußerst großzügig aus. Im Vergleich mit dem Welschen Gast entwickeln die Verse einige Komik. Im Umfeld der oben zitierten Passage zur mâze heißt es dort nämlich auch, wer zu viel rede, sei in den Augen kluger Menschen ein Rindvieh.³¹ Thomasin führt den Tiervergleich anschließend weiter aus, um anhand des topischen Verstandeskriteriums – der Mensch unterscheidet sich durch den Verstand vom Tier – zu einem angemessenen Gebrauch von Sinn und Verstand zu mahnen.³² Die folgenden Verse lesen sich beinahe wie ein Kommentar zu Laichdenman: dem vihe dunket niht ze vil ze tuon ſwaz ez tuon wil, wan ez des ſinnes niht enhât der im ze rehte gebe rât. ³³ Dem Vieh kommt es nicht zu viel vor, das zu tun was es tun will, denn es hat nicht den Verstand, der ihm zu dem, was recht ist, Rat geben kann.
Laichdenmans Programm des ‚viel hilft viel‘ erscheint angesichts einer Stelle wie dieser als Selbstentlarvung einer Möchtegern-Gelehrten, die sich zwar die Formen von Disputation und Debatte angeeignet hat, diese aber nicht angemessen mit Inhalten zu füllen vermag. Besonders gegenüber den subtileren rhetorischen Techniken der Ironie oder der höflichen Lüge ist sie unempfänglich. Dennoch schafft sie es in der Ehedebatte wiederholt, durch minutiöse Kritik an Colman und die schiere Masse der von ihr angeführten Exempel die Deutungshoheit zu gewinnen. Auf das hier diskutierte Spannungsverhältnis von Reden und Schweigen zugespitzt, gelingt es der Redenden, den bescheiden Schweigenden zu übertönen. In der Forschung ist ihr deshalb wiederholt der Sieg in der Debatte zugesprochen worden.³⁴ Je nach Auffassung über den Ironiecharakter mancher Stellen und vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Diskussion zu keinem Abschluss findet,³⁵ erscheint Laichdenmans Siegerrolle jedoch keineswegs eindeutig. Festzuhalten bleibt: In der Ehedebatte diskutieren die Figuren nicht nur über die Ehe, sondern auch über die Modalitäten des Redens. Der Vergleich mit Tho Swer vil gereit, der iſt ein kint, | wiſe liute hânt in vür ein rint ([Thomasin von Zerklaere]: Der wälsche Gast,V. 711 f.; „Wer viel redet, der ist ein Kind; weise Leute halten ihn für ein Rind“; Übers. M. R.). Vgl. ebd., V. 725 – 751. Ebd., V. 743 – 745. Vgl. etwa Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 144– 146; ältere Forschung bei Riha: Die Forschung 1851– 1988, S. 127– 129. Vgl. Ring, V. 3495 – 3506.
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masin und Albertanus zeigt, dass durch das Motiv des Schweigens eine Thematik Eingang findet, die auch in der politisch-rhetorischen Literatur zentral ist. Die dort als Anleitung zur Praxis gedachten Inhalte nimmt der Ring auf und perspektiviert sie literarisch, indem sie im Streitgespräch mit divergierenden Positionen konfrontiert werden. Der Text vermeidet die Privilegierung einer einzelnen Position – alle Positionen stehen nebeneinander und sind auf eine Weise präsentiert, die Distanz schafft.³⁶
Metalepse und dargestellte Rede Die beiden greisen Streitenden führen das Thema von Reden und Schweigen zunächst jedoch noch weiter fort. Auf einen Zwischeneinwurf Colmans reagiert Laichdenman mit dem Hinweis auf Colmans selbstgewählte Schülerrolle, die ihm schweigendes Zuhören gebiete.³⁷ Colman wiederum knüpft an seine vorherige Haltung an und stimmt ihr umständlich zu, bittet aber um Verständnis, denn er versuche nur, nach dem Modell von red vnd wider red (Ring,V. 3276) zu lernen, was sich durchaus als Hinweis auf die Form des Lehrdialogs oder der Disputation verstehen lässt.³⁸ Dieses Stichwort nimmt Laichdenman auf, denn es ermöglicht ihr, den längsten Redebeitrag der Ehedebatte zu liefern, der ein ehefreundliches Argument an das nächste reiht und mit Exempeln, Autoritäten und Bibelstellen belegt.³⁹ Colman gibt sich daraufhin in Bezug auf die allgemeine Ehefrage geschlagen und versucht stattdessen einen Strategiewechsel, indem er die Aufmerksamkeit auf Mätzli und damit von der abstrakten Ehefrage auf den konkret vorliegenden Fall lenkt.⁴⁰ Seine Strategie geht allerdings nicht auf, denn Laichdenman kann parieren und seine Argumentation demontieren. Sie schließt ihre Argumentation damit, ausgehend von Mätzlis Armut die generellen Vorzüge der Armut zu preisen: Daz recht wir ſehend armuͦ t haben | Von der noch vil ze ſagen waͤ r | Wurd daz puͤ chel nicht ze ſwaͤ r (Ring,V. 3482– 3484; „Wir wissen ja, dass Armut diesen Vorteil
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Detlef Roth in seiner Untersuchung zu den ehespezifischen Argumenten der Debatte, wenn er resümiert, dass der Ring „gerade auf die funktionale und kontextuelle Bedingtheit von Argumentation bzw. Lehre und dadurch auf ihre Relativität aufmerksam machen“ will (Roth: Von der dissuasio zur quaestio, S. 396). Vgl. Ring, V. 3261– 3270. Vgl. Kasten: Studien, S. 191. Vgl. Ring, V. 3279 – 3414. Vgl. Ring, V. 3421– 3438. Zum Wechsel zwischen abstrakter und konkreter Fragestellung als Strukturprinzip vgl. Babendreier: Studien, S. 24 f.; diskursgeschichtlich Roth: Von der dissuasio zur quaestio.
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte
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hat, worüber noch viel zu sagen wäre, wenn die Rede darüber nicht zu lang würde.“). Angesichts der insgesamt fast 300 Verse,⁴¹ die Laichdenman in der Ehedebatte spricht, ist dies eine reichlich ironische Bemerkung. Sie ist aber nicht einfach eine scherzhafte Variante des Brevitas-Topos, sondern erreicht viel mehr: Die Verse verlassen metaleptisch die Ebene der Handlung und referieren auf den Ring als literarischen Text in Buchform.⁴² Weiß Laichdenman „um ihre eigene Fiktionalität“?⁴³ Welche Konsequenzen hat dies für den Status ihrer Rede? Mit der Metalepse wird die Kategorie der dargestellten Rede ins Bewusstsein gehoben – der Status der Figurenrede als dargestellte Rede kommt zum Vorschein und im Fall des Rings lassen sich Argumente dafür finden, diesem speziellen Fall der dargestellten Rede einen Fiktionalitätscharakter zuzuschreiben. Ob fiktionstheoretische Ansätze auf mittelalterliche Texte übertragbar sind, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen in der mediävistischen Forschung. Unterscheidungen wie diejenige zwischen fiktionalem und faktualem Erzählen gehen nach Meinung einiger Forschender am Erzählen in vielen mittelalterlichen Texten vorbei;⁴⁴ auch der vorschnelle Schluss von metanarrativen Bemerkungen
Laichdenman spricht beinahe doppelt so viele Verse wie Colman, der wiederum in seinem Redeanteil weit vor den übrigen Figuren liegt. Vgl. die Statistik Peter Wiehls: „Frauen Leichdenman 282 V., Törelina 72 V., Fina 50 V., Völlibruoch 29 V., Scheissindpluomen 17 V., Erenfluoch 10 V., Snatterina 8 V.; Männer Colman 146 V., Nabelreiber 60 V., Rüerenmost 49 V., Ofenstek 39 V., Snellagödelin 32 V., Gumpost, Hafenschlek, Schlindenspek je 13 V., Farindkuo 12 V. und Nagenflek 8 V.“ (Wiehl: Weiseu red, S. 102). Zu ergänzen ist der Redeanteil Bertschis in der Ehedebatte, der 48 Verse beträgt: V. 2656 – 2667, 2680 – 2686, 2697, 2699 – 2704, 2719 – 2722, 3045 – 3047, 3049 – 3054, 3064– 3068, 3494, 3526 – 3528. Zur Metalepse vgl. Martínez, Matías / Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 9., erw. u. aktualis. Aufl., München 2012 (C. H. Beck Studium), hier S. 79 f. Vgl. Przybilski, Martin: Paradoxes Erzählen, oder: Wissen die Figuren des Artusromans um ihre eigene Fiktionalität? In: Orte, Ordnungen, Oszillationen. Raumerschaffung durch Wissen und räumliche Struktur von Wissen. Hrsg. von Martin Przybilski / Natalia Filatkina,Wiesbaden 2011 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschafte 4), S. 41– 55. Vgl. den Überblick bei Glauch, Sonja: Fiktionalität im Mittelalter. In: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe / Fotis Jannidis, Berlin u. a. 2014, S. 385 – 418, hier S. 385 – 393; erweitert in Glauch, Sonja: Fiktionalität im Mittelalter; revisited. In: Poetica 46 (2014), S. 85 – 139. Felber diskutiert verschiedene Positionen anhand der Beiträge von Fritz Peter Knapp, Harald Haferland, Sonja Glauch und Stefanie Schmitt; vgl. Felber, publiziert als Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation, S. 422– 429. Felber spricht sich dabei selbst für die Möglichkeit von Fiktionalität aus: „Da nun in den volkssprachigen Texten ganz unterschiedliche Ausprägungen und Formen von Fiktionalität begegnen, müssen wir folgerichtig von einem dezidierten Bewusstsein für den spielerischen Umgang mit diesen Formen bei Autoren und Rezipienten ausgehen“ (ebd., S. 421, Anm. 9).
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
auf das Vorhandensein eines Fiktionalitätsbewusstseins wurde kritisiert.⁴⁵ Konsens scheint höchstens darüber zu bestehen, dass Fiktionalität keine Eigenschaft von Texten ist,⁴⁶ sondern die Wahrnehmung eines Textes oder einer Textstelle als fiktional vielmehr durch Fiktionalitätssignale zustande kommt,⁴⁷ die rekonstruiert und für jeden Einzelfall plausibel gemacht werden müssen. Im Fall von Laichdenmans Referenz auf das puͤ chel möchte ich vorschlagen, die Häufung verschiedener selbstreflexiver Bedeutungsdimensionen als Zeichen für einen Textstatus zu sehen, der modernen Fiktionalitätsbegriffen recht nahe kommt. Laichdenman spricht explizit weder aus, dass sie eine fiktive Figur ist, noch, dass der Ring ein fiktionaler Text ist. Fiktionalität wird jedoch durch den metaleptischen Ebenenwechsel signalisiert.
Meincke etwa bezweifelt, dass überhaupt anhand rein textueller Merkmale über die Metafiktionalität eines Textes geurteilt werden könne, wenn außerhalb des Textes keine Informationen über Autor und Entstehungskontext vorliegen, wie dies im von ihr untersuchten Reinfried von Braunschweig der Fall ist; vgl. Meincke, Anne Sophie: Narrative Selbstreflexion als poetologischer Diskurs. In: ZfdA 136 (2007), S. 312– 351, hier S. 328. Bei vielen Texten des Mittelalters wäre mit diesem Argument allerdings jede Diskussion um die Möglichkeit von Fiktionalität im Keim erstickt. Der Komparatist Frank Zipfel plädiert dafür, eher nach Fiktionssignalen als nach Fiktionsmerkmalen zu suchen, wobei ersterer Begriff für historisch und kontextuell wandelbare Hinweise genutzt wird, einen Text als fiktional wahrzunehmen, und letzterer die Suche nach womöglich überzeitlich geltenden konkreten Merkmalen fiktionaler Texte; vgl. Zipfel, Frank: Fiktionssignale. In: Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Tobias Klauk / Tilmann Köppe, Berlin u. a. 2014 (Revisionen 4), S. 97– 124, hier S. 101 f. Auch wenn sich im RingProlog ein Ich als Heinrich Wittenwiler nennt und die Existenz historischer Personen mit diesem Namen belegbar ist, so existieren keine extratextuellen Belege dafür, dass eine dieser Personen mit dem Autor des Ring-Textes identisch ist. Die Diskussion hat zuletzt Fürbeth wieder aufgerollt; vgl. Fürbeth: ‚unter den Augen des Dichters‘, S. 213 – 219. Er vertritt die These, der Prolog stamme nicht vom Autor, sondern sei später, womöglich zur Zeit des Konstanzer Konzils, nachgetragen worden; vgl. ebd., S. 219; 242. Da der Verfassername nur im Prolog vorkomme, müsse die Verbindung mit Heinrich Wittenwiler gelockert werden. Fürbeths Argumentation bewegt sich auf mehreren Ebenen und reicht von kodikologischen und dialektologischen bis zu prosopografischen Argumenten, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann; vgl. knapp Kapitel 1, Anm. 24. Auffällig erscheint jedenfalls, dass sich die jüngere Ring-Forschung wieder intensiv der Autor- bzw. Verfasserfrage zuwendet. „Fiktionalität ist weder eine Eigenschaft von Texten noch beruht sie auf dem ontologischen Status der Dinge, von denen gesprochen wird, noch ist sie gleichbedeutend mit ‚freier‘ schöpferischer Erfindung des Erzählten“ (Glauch: Fiktionalität, S. 387, entspricht Glauch: Fiktionalität revisited, S. 89). Letztere Kriterien erhalten jedoch mitunter wieder Einzug in die Argumentationen, etwa wenn Glauch bezüglich der ‚Metafiktion‘ als Fiktionalitätssignal zu bedenken gibt, mittelalterliche Erzähler meinten bei Aussagen über potenzielles Anderserzählen „das artificium der Narration, nicht die freie Erfindung des Handlungsgerüsts“ (ebd., S. 118). Vgl. Glauch: Fiktionalität, S. 401, entspricht Glauch: Fiktionalität revisited, S. 113. Vgl. auch Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation, S. 424– 426; 434– 437.
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte
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Der Ring inszeniert einen Verfremdungseffekt: Die Figur Laichdenmanns ist sich darüber bewusst, als Handelnde Teil der erzählten Welt zu sein und bewirkt dadurch eine paradoxe, zeitlich-kausale Verschränkung. Laichdenmann spricht so, als verfasse sie ihren eigenen Redebeitrag nicht nur innerhalb der erzählten Welt, sondern als Teil des Erzählvorgangs und nehme Einfluss auf den Umfang des Buches. Diese metaisierenden Effekte lenken den Blick auf die literarische Konstruiertheit des Textes. In der Ehedebatte folgt mit der Rede des Dorfschreibers Nabelreiber wenig später eine zweite Metalepse. Weil nämlich keiner der Redebeiträge zu einer Einigung führt und der taͤ dinch weitergeht,⁴⁸ beschließt man in der Not, Nabelreiber um einen Schiedsspruch zu bitten.⁴⁹ Dieser äußert eine grundsätzliche Kritik: Jch ſich wol war vmb es geuaͤ lt Habt vn̅ ganczleich nichcz dertaiͤ lt Es ſeyt geſtanden ze den wiczen So man mit ruwen ſcholte ſiczen Jͤ r habt gereimet vnd geticht Chlugeu ſach wil reymens nicht Wer mag ein diſputyeren Mit gmeſſner red florieren Dar vmb ſo ſecz ich mich da hin Vn̅ ſag euch ſchlechleich mine̅ ſin (Ring, V. 3515 – 3524) Ich weiß schon, warum ihr bislang nichts erreicht und überhaupt noch nichts entschieden habt. Erstens habt ihr bei der Urteilsfindung gestanden, obwohl man dabei in aller Ruhe sitzen soll. Und zweitens habt ihr in Reimen gesprochen und somit gedichtet. Schwierige Dinge aber kann man nicht in Reimen ausdrücken. Und wer würde denn einen Disput mit Versen ausschmücken? Deshalb setze ich mich jetzt einfach da hin und sage euch meine Meinung in schlichter Prosa[.]
Anschließend fährt Nabelreiber in Prosa fort und formuliert sein Urteil.⁵⁰ Nabelreibers Kritik richtet sich zum einen gegen die rituellen Rahmenbedingungen des
Vgl. Ring, V. 3495 – 3500. Er wird zum gemainen man, zum „Schiedsmann“ bestellt (Ring,V. 3508); zu weiteren Signalen für das Schiedsgericht vgl. Friedrich, Ralf: Nabelreibers Schiedsspruch. Ein Ansatz zur literarischen Verarbeitung von Mediationen am Beispiel Heinrich Wittenwilers Ring. In: Mediaevistik 25 (2012), S. 131– 146; Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 147– 154; Mittler, Elmar: Das Recht in Heinrich Wittenwilers Ring, Freiburg i. Br. 1967 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 20), hier S. 36; Wiessner, Edmund: Kommentar zu Heinrich Wittenwilers Ring. Ergänzungsbd. Sonderausg. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1936, Darmstadt 1964 (Deutsche Literatur. Reihe Realistik des Spätmittelalters 3), hier S. 137. Vgl. Ring, V. 3524,1– 11.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
Sprechens (Stehen statt Sitzen), zum anderen gegen die Form der Rede. Indem Nabelreiber dabei die gereimte Versform der Figurenrede kommentiert, also als Figur der erzählten Welt über die Darstellungsform der erzählten Rede urteilt, findet auch hier ein metaleptischer Ebenenwechsel statt. Im Vergleich mit Laichdenmans Rede fallen Parallelen, aber auch Unterschiede ins Auge. In beiden Fällen bereiten die Sprechenden die Metalepse vor, indem sie zunächst eine Bemerkung über Ablauf und Form der Redeszene anbringen. Laichdenman betont, dass noch viel mehr gesagt werden könne, Nabelreiber hebt einen formalen Fehler hervor. Wie bei Laichdenman bleibt auch Nabelreibers Anmerkung zum Stehen zunächst auf der intradiegetischen Ebene und wirkt weder metaleptisch noch metafiktional. Doch das Motiv des Sitzens spielt auf die mittelalterliche Rechts- und Beratungspraxis und damit auf Elemente der außerliterarischen Welt an,⁵¹ was eine Sensibilität für die Referenzialität des Textes schafft. Metaleptisch und metafiktional wird die Textstelle erst durch die Thematisierung der Redeform. Reimen, tichten, gmeſſne red und florieren werden im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen häufig in poetologischem Zusammenhang gebraucht und sind Schlagworte in der Diskussion um Prosa und Vers im Verhältnis zu ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘.⁵² Nabelreiber setzt den Reimpaarversen eine Prosa-Passage als Musterbeispiel entgegen und begründet dies mit dem chluogen Gegenstand des Gesagten.⁵³ Seine Begriffsverwendung lässt sich als Anspielung verstehen, mit der die zeitgenössische theoretische Auseinandersetzung mit dem Wirklichkeitsstatus von Erzählungen bzw. Erzähltem anzitiert wird. Neben dem Anspielungscharakter ist die kontextuelle Einbettung der Begriffe von Belang. Der Vorwurf, man habe in gmeſſner red gesprochen, verschränkt auf paradoxe Weise die Ebenen von Handlung und Darstellung und macht auf den discours aufmerksam. Der Text inszeniert eine Figur, die Teil der fiktionalen Welt,
In Beratungs- und in Gerichtssituationen des Mittelalters ist das Sitzen der Amtsträger eine formale Notwendigkeit, die dafür sorgt, dass die getroffenen Entscheidungen gültig ist. Vgl. Erler, Adalbert: Sitzen. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4 (1990), Sp. 1679 – 1682, hier Sp. 1680 mit Belegen aus dem Sachsenspiegel. Zur Vers-Prosa-Diskussion im Ring vgl. Friedrich: Nabelsreibers Schiedsspruch, S. 139 zur „Prosa als Form der Didaxe“; Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 239 zur Diskussion um Vers vs. Prosa in Relation zur Wahrheit; Riha: Die Forschung 1851– 1988, S. 131 f.; Plate: Heinrich Wittenwiler, S. 93 der die Passage als „Kritik an der Rhetoriksucht (und Juristensprache?)“ sieht; Babendreier: Studien, S. 54– 62; Gaier, Ulrich: Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart, Tübingen 1967, hier S. 211. Vgl. Ring, V. 3520.
5.1 Reden über Rede in der Ehedebatte
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aber trotzdem in der Lage ist, die Form der dargestellten, den Figuren in den Mund gelegten Rede zu reflektieren. Situationen dieser Art zählt Timo Felber zu den Darstellungsmitteln, über die in mittelalterlichen Texten Fiktionalität signalisiert werden kann: über die Phantastik des Erzählten, sprechende Namen, Formen struktureller Intertextualität, Fokalisierungen, nicht-realistische Erzählsituationen (wenn z. B. in Dietrichs von der Glezze Der Borte der Gürtel selbst zum Erzähler wird, in Konrad Flecks Flore und Blanscheflur eine babylonische Prinzessin als Erzählerin der auf christlichen Grundlagen basierenden Liebesgeschichte der Protagonisten fungiert, in der Crône Heinrichs von dem Türlin sich Gawan auf der Schale der Amurfina als Streiter in einem Kampf wiedererkennt, den er erst im Fortgang des Geschehens führen wird)⁵⁴
Die von Felber unter den Erzählsituationen genannten Beispiele sind mit den metaleptischen Ebenenwechseln im Ring insofern vergleichbar, als auch diese die jeweils etablierten Erzählkonventionen durchbrechen und den Blick auf die Darstellung lenken. Da der Begriff der ‚nicht-realistischen‘ Erzählsituation die Frage nach der Relation von inner- und außerliterarischer Realität aufwirft, die ihre eigenen Kontroversen mit sich führt, erscheint diese Begriffsverwendung im Rahmen einer Fiktionalitätsdiskussion eher unglücklich. In der Sache lässt sich dennoch an Felber anknüpfen, wenn man stattdessen von einer ‚nicht-konventionellen‘ Erzählsituation spricht. Die Figuren des Rings sprechen in Reimpaarversen und demonstrieren normalerweise kein Bewusstsein von diesem formalen Merkmal; die Verschränkung von Handlung und Darstellung in Nabelreibers Rede macht, ähnlich wie bei Laichdenmans Rede, die ansonsten implizit bleibenden Regeln im Ring sichtbar. Indem Nabelreiber dieses Merkmal hervorhebt, macht er zugleich einen Unterschied von dargestellter und praktizierter Oratorik beobachtbar, der in diesem Fall auch auf den besonderen Wirklichkeitsbezug der dargestellten Rede verweist. Nabelreiber fordert ein, die Regeln praktizierter Oratorik zu befolgen, die eigentlich nicht für die dargestellte Oratorik im Ring gelten sollten. Anschließend formt er seinen Urteilsspruch gemäß dieser Regeln. Die Pointe besteht darin, dass dies funktioniert: Erst so kommt die Versammlung zu einer Entscheidung.⁵⁵ Anhand der Redebeiträge von Laichdenman und Nabelreiber schafft der Ring somit Strukturen, die eine Auseinandersetzung mit dem narrativen und medialen Status der Rede zwischen dargestellter und praktizierter Oratorik provozieren.
Felber, publiziert als Reuvekamp-Felber: Zur gegenwärtigen Situation, S. 426 f.; resümierend erneut ebd., S. 434; 437. Vgl. Ring, V. 3525 – 3534.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
5.2 Die Prügelei als Kriegsanlass. Zum Politischen im Ring Welches Handeln in Wittenwilers Ring lässt sich als politisches Handeln beschreiben? In Kapitel 2 wurde der Begriff des Politischen anhand von Begriffsvorschlägen verschiedener Disziplinen diskutiert. Vor dem Hintergrund dieser Ansätze soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, den Ring auf das Auftreten von Formen des Politischen zu befragen und diese zu beschreiben. Gegenstand der Untersuchung sind zunächst die Szenen der eigentlichen Konfliktentstehung zwischen den Dörfern Lappenhausen und Nissingen während und nach der Hochzeitsfeier, in denen sich, so meine These, das Umschlagen einer Situation ins Politische beobachten lässt. In Kapitel 5.3 geht es anschließend um den Rat der Lappenhauser, in dem sich die Diskussion um den legitimen Krieg dahingehend entwickelt, dass die Legitimität der politischen Ordnung zur Verhandlung kommt. Dabei wird sowohl die Kontingenz als auch die Notwendigkeit von Ordnungsgründung deutlich.
Die Prügelei als Kriegsanlass Die im dörflichen Bauernmilieu verortete Hochzeitsfeier Bertschis und Mätzlis besitzt nicht von vornherein politischen Charakter. Im Verlauf der Feier zeigt sich jedoch eine Dynamik der Abgrenzung, die Unterscheidungen einführt, aus der eine Politisierung der Situation resultiert. Das Fest dient zumindest oberflächlich der Gemeinschaftsstiftung: Neben den Familien der Brautleute und den Nachbarn ihres Heimatdorfes treffen Gäste aus der ganzen Region zusammen, um zu essen, zu tanzen und zu feiern; die Gäste überreichen mehr oder weniger passende Geschenke mit entsprechenden Segenswünschen.⁵⁶ Bereits während des Festmahls kommt es zu grobem, exzessivem Verhalten, dieses führt jedoch noch nicht zu nachhaltigen Störungen, denn das Fest geht weiter.⁵⁷ Zur Eskalation kommt es erst später, wie der Text durch einen Erzählerkommentar markiert. Gerade, als es am schönsten ist, kippt die Situation: Vnd do es an dem beſten was | Da ſàt der tiefel aſchen dreyn (Ring, V. 6447 f.; „und als es am schönsten war, da streute der Teufel Asche dazwischen“).
Vgl. Ring, V. 5299 – 5362 (Gästeliste); 5461– 5532 (Brautgeschenke). Der Erzähler kommentiert: Vnd hietin ſeu getru̅ken baſſ | Es waͤ r ze ſtoſſen komen das (Ring, V. 5625 f.; „Wenn sie mehr getrunken hätten, dann wäre es schon jetzt zu Rempeleien gekommen“). Zur Eskalation der Hochzeitsfeier vgl. etwa Classen, Albrecht: Wort und Gemeinschaft. Sprachliche Apokalypse in Heinrich Wittenwilers Ring. In: Jahrbuch der Oswald von WolkensteinGesellschaft 8 (1994), S. 141– 157, hier S. 153 f.
5.2 Die Prügelei als Kriegsanlass. Zum Politischen im Ring
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Eisengrein, ein ungeschickter Hochzeitsgast aus Lappenhausen, artikuliert sein Verlangen gegenüber einer Bewohnerin des Dorfes Nissingen, indem er diese an der Hand kratzt. Was als Zeichen der Verbundenheit gemeint ist, wird von einem Verwandten des verletzten Mädchens als Zeichen der Aggression gedeutet und so entbrennt ein Streit mit mehreren Redebeiträgen, die aufgrund ihres Eskalationspotenzials als Reizreden gedeutet werden können. Aus der Perspektive des Historikers hat Gerd Althoff die symbolische Dimension dieser Verletzung analysiert: Der Verwandte stellte nicht die Frage, warum die Nichte blutete, sondern die Tatsache, daß sie blutete, ließ ihn als Schützer der Verwandtenehre auf den Plan treten. Damit aber stellte der Autor eine allgemein praktizierte Verhaltensregel bloß. In der Tat war es im ganzen Mittelalter bei Streit und Konflikt eine äußerst wichtige Frage, ob Blut vergossen worden war oder nicht. Die Antwort auf diese Frage bestimmte ganz entscheidend die Möglichkeiten und Bedingungen der Beilegung solcher Konflikte, und zwar im Adel, in der Stadt und bei den Bauern.⁵⁸
Die Möglichkeit zur Beilegung des Konflikts ist im Ring nicht angelegt. Unweigerlich folgt darauf eine Prügelei, an der sich schnell Freunde und Verwandte der Männer beteiligen.⁵⁹ Es ist Bertschi, der den Transfer der Handlung ins Öffentliche vollbringt und dafür sorgt, dass die „private Schlägerei“ in eine „öffentliche[]
Althoff, Gerd: Wolfram von Eschenbach und die Spielregeln der mittelalterlichen Gesellschaft. In: Aspekte des 12. Jahrhunderts. Freisinger Kolloquium 1998. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs / Eckart Conrad Lutz / Gisela Vollmann-Profe, Berlin 2000 (Wolfram-Studien 16), S. 102– 120, hier S. 109. Althoff schildert den Streitdialog zwischen den Verwandten, geht aber nicht eigens auf die Rolle der Redepassagen ein; vgl. ebd., S. 108 – 110. Auch Werner Röcke betont die Bedeutung des Blutes und beschreibt den Vorfall als Missverständnis über Deutungsregeln: „Die Kunst der Interpretation, das wird aus dem Blut an Gredels Hand ersichtlich, geht von dem unmittelbar Sichtbaren, nicht dem ursprünglich Gemeinten aus. Sie schert sich nicht um das eigentlich Intendierte, sondern deutet das tatsächlich Wahrgenommene im Kontext gewohnter Deutungsmuster: Blut an der Hand verweist auf illegitime Gewalt, ja Schändung und schreit nach Rache“ (Röcke, Werner: Verfehlte Kommunikation. Konsens und Verwirrung in Heinrich Wittenwilers Ring und im Lalebuch. In: Zwischen Babel und Pfingsten. Sprachdifferenzen und Gesprächsverständigung in der Vormoderne. Hrsg. von Peter von Moos, Wien u. a. 2008 [Gesellschaft und individuelle Kommunikation in der Vormoderne 1], S. 611– 626, hier S. 618; mit wenigen Änderungen erneut in Röcke, Werner: Schiefe Dialoge. Die Inversion von Kommunikation und Sinn im komischen Roman des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Kannitverstan. Bausteine zu einer nachbabylonischen Herme(neu)tik. Akten einer germanistischen Tagung vom Oktober 2012. Hrsg. von André Schnyder, München 2013, S. 249 – 260, hier S. 256 f.).
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
Angelegenheit“ umschlägt.⁶⁰ Er läutet die Sturmglocken und nutzt damit ein Signal, das üblicherweise eine Gefährdung des Dorfes bekannt gibt und die Bürgerwehr zur Verteidigung ruft.⁶¹ Entsprechend reagieren die Lappenhauser und nehmen die Rollen ein, die ihnen als Verteidiger des Kollektivs zukommen. Der Ring inszeniert an dieser Stelle einen Modellfall der Konstruktion sozialer Identität und Alterität: Indem die Lappenhauser als Angehörige des Dorfes zur Verteidigung desselben auftreten, konsolidiert sich das Kollektiv nach innen und grenzt sich zugleich nach außen ab, sodass sich auf dem Festplatz der Hochzeitsgesellschaft nun zwei verfeindete Gruppen gegenüberstehen: Die Lappenhauser Bürgerwehr einerseits und die Nissinger andererseits. Letztere kennzeichnet der Ring durch die Bezeichnung als froͤ mde[] geſte (Ring, V. 6622; „Gäste[] von auswärts“) deutlich in ihrer Andersartigkeit. Mit Ortfried Schäffter lässt sich diese Art der Gruppenbildung als Modus des Fremderlebens beschreiben, der das Fremde als mit dem Eigenen unvereinbares Gegenbild konstruiert.⁶² Die Kon-
Brunner, Horst: Reden, Blut, Trauer. Der Krieg in Heinrich Wittenwilers Der Ring. In: Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Horst Brunner u. a., Wiesbaden 2002, S. 13 – 36, hier S. 23. Vgl. Ring, 6606 – 6609. Zum Sturmläuten vgl. Mittler: Das Recht, S. 99 f. Tobias Bulang geht davon aus, dass Wittenwiler hier eine signifikante Veränderung gegenüber der Vorlage des Bauernhochzeitsschwanks vornehme: Im Schwank markiere das Glockenläuten nicht die nächste Eskalationsstufe, sondern führe dazu, dass Schiedsleute eingeschaltet werden und den Konflikt schlichten; vgl. Bulang, Tobias: Gattungshybridität und enzyklopädische Textsortenrabulistik um 1400. In: Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400 – 1700). Hrsg. von Mathias Herweg / J. Klaus Kipf / Dirk Werle,Wiesbaden 2019 (Wolfenbütteler Forschungen 160), S. 95 – 111, hier S. 98; vgl. bereits Bulang: Enzyklopädische Dichtungen, S. 191 f. Die ‚Schiedsleute‘ in der Schwankfassung, die das Glockenläuten enthält, werden jedoch anschließend dabei beschrieben, wie sie sich selbst bewaffnen und in die Prügelei einsteigen, bis der Kampf ausgefochten ist; vgl. Meier Betz, V. 390 – 417, vgl. die Ausgabe Meier Betz. In: Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Frühneuhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Edmund Wießner. Hrsg. & übers. von Horst Brunner. Durchges. und bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 1991 (Reclams UniversalBibliothek 8749), S. 589 – 609. Bezüge auf ein Schiedsverfahren und die Tätigkeit des schaidens sind somit metaphorisch und als ironische Kommentare auf die aus dem Ruder gelaufene Hochzeitsfeier zu verstehen. Schäffter, Ortfried: Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit. In: Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Hrsg. von Ortfried Schäffter, Opladen 1991, S. 11– 42, hier S. 19 – 22. In der Systematik Schäffters bildet der hier beschriebene Modus den dritten von vier Modi neben der ‚Fremdheit als Resonanzboden des Eigenen‘, der ‚Fremdheit als Ergänzung‘ und der ‚Fremdheit als Komplementarität‘. Zur Rezeption Schäffters und anderer Ansätze der Fremdheitsforschung in der germanistischen Mediävistik vgl. Münkler, Marina: Alterität und Interkulturalität. Ältere deutsche Literatur. In: Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Hrsg. von Claudia Benthien / Hans Rudolf Velten, Hamburg 2002, S. 323 – 341. Zu Schäffter vgl. besonders ebd., S. 325 f.
5.2 Die Prügelei als Kriegsanlass. Zum Politischen im Ring
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struktion des Fremden dient zugleich der Konstruktion des Eigenen. Wesentlich für diesen Modus ist die „konflikthafte Gegensätzlichkeit […]. Das Fremde erscheint als der ‚natürliche Feind‘. Zumindest stellt es eine latente Bedrohung der eigenen Integrität dar, die letztlich nur durch eigene Stärke in Schach gehalten werden kann.“⁶³ Der Konflikt nach Gretels Verletzung durch Eisengrein entfaltet sich nach genau diesem Prinzip: Ein Lappenhauser Verwandter Gretels wirft Eisengrein aggressives Fehlverhalten vor und nimmt dieses als Bedrohung wahr, der er die eigene Stärke entgegenstellt.⁶⁴ Die Festgemeinschaft teilt sich in Lappenhauser und Nissinger, als identitätsstiftendes Merkmal dient die Dorfzugehörigkeit.⁶⁵ Im Folgenden betonen weitere Motive der Grenzziehung und Abgrenzung die Differenz: Die Lappenhauser verfolgen die flüchtenden Nissinger bis an das Tor ihres eigenen Dorfes, also an eine physische Manifestation der Ab- und Ausgrenzung des Anderen. In Nissingen wird seinerseits Sturm geläutet⁶⁶ und gekämpft, bis sich die Verfolger hinter die Gemeindegrenze – eine weitere Demarkationslinie – zurückziehen müssen.⁶⁷ Wieder in Lappenhausen statuiert man an den zurückgebliebenen Nissinger Mädchen ein Exempel und vergewaltigt sie, während die Mädchen der übrigen Dörfer bereits heimkehren konnten.⁶⁸ Nachdem die Prügelei beendet ist und die Nissinger Männer geflüchtet sind, wird die Grenzziehungsbewegung somit auf den Körper der gegnerischen Frauen ausgeweitet. Die ironisch-naive Sprache des Textes und die an dieser Stelle einge-
Schäffter: Modi des Fremderlebens, S. 19 f. Vgl. Ring, V. 6458 – 6474. Im Dialog zwischen Eisengrein und Schinddennak ist zunächst die Familienzugehörigkeit das dominante Identitätskriterium; dort drohen die Streitenden mit der gegenseitigen Schändung der Verwandten, vgl. Ring, V. 6461–6474. Während der Prügelei ist von freunde[n] (Ring, V. 6480) die Rede, bevor schließlich Bertschi durch das Glockenläuten die Lappenhauser zur Verteidigung gegen die Nissinger auf den Plan ruft und die Dorfidentität dominiert. Hochzeitsgäste aus anderen Dörfern halten sich heraus und beobachten die Prügelei schadenfroh aus der Ferne: Seurrenſtorffer Rùczinger | Sàhend zů von verrem her | Der andern ſchaden wàrens fro (Ring, V. 6520 – 6222). Damit wird zusätzlich eine Unterscheidung zwischen Beteiligten und Unbeteiligten eingeführt, die von der Freund-Feind-Dichotomie abweicht. Nur die letztere bewirkt in diesem Kontext eine politisch wirksame Opposition. Beziehungsweise man hätte gern Sturm geläutet, aber es ist keine Glocke vorhanden: Da mit man ſchlůg ze ſturme an | Mit ſchlegen vnuerdroſſen | Die glogg was noch nicht goſſen (Ring,V. 6661– 6663). Vgl. Mittler: Das Recht, S. 100. Vgl. Ring, V. 6666 – 6671. Vgl. Ring, V. 6672– 6679.
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schobene Tagelied-Parodie auf die Hochzeitsnacht Bertschis und Mätzlis betonen die Gewalt der Szene durch zynischen Kontrast.⁶⁹ Die beschriebene Szene demonstriert eindrücklich, welche Mechanismen bei der Konstruktion von Identität und Alterität sozialer Gruppen wirksam sind. Erst die Markierung eines Unterschieds lässt die Gruppen entstehen. Die Einheit der Festgemeinschaft zerfällt, sie wird durch die Unterscheidung von ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘ auseinandergerissen. Eine Binnendifferenzierung der Figuren innerhalb der Gruppen ist kaum möglich.⁷⁰ Identität und Differenz, Freund und Feind sind Unterscheidungen, die auch den Diskurs um das Politische prägen.⁷¹ Als politische Handlung lässt sich der Vorgang der Gruppenbildung zudem insofern beschreiben, als die handelnden Figuren im weiteren Verlauf sowohl in ihrer Selbstwahrnehmung als auch im Erzählerkommentar als Vertreter von Kollektiven dargestellt werden, die auf der Basis ihrer Kollektivität Entscheidungen über das gemeinsame Handeln treffen. In den entsprechenden Szenen tritt die Darstellung von körperlicher Gewalt oder anderer nonverbaler Handlung zurück und die Darstellung politischer Rede in den Vordergrund. Die Entstehung und Struktur dieser Gemeinwesen sowie die Prozesse der Entscheidungsfindung lassen sich auch im weiteren Verlauf der Erzählung beobachten, denn die Auseinandersetzung um den Vorfall wird zunehmend institutionalisiert und in die Gremien der dörflichen Selbstverwaltung
Vgl. Ring,V. 7088 – 7108. Zur sexuellen Gewalt der Massenvergewaltigung und der zeitgleichen Hochzeitsnacht vgl. Przybilski, Martin: Körper als Texte? Einige Überlegungen zur Gender-Debatte am Beispiel von Wittenwilers Ring. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 48 (2007), S. 45 – 68, hier S. 63. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Text die Figuren während der Verfolgungsjagd, in deutlichem Kontrast zum vorangehenden Teil der Prügelei, kaum noch mit Namen nennt. Einzig der vom Esel stürzende Fladenranft (Ring,V. 6630) wird hervorgehoben, die übrigen Kämpfenden verschwinden in den Gruppen, die generisch-verallgemeinernd als die von Niſſingen (Ring,V. 6616), ‚die einen‘ und ‚die andern‘ bezeichnet werden; vgl. Ring,V. 6634 f., 6640 u. ö. Diese Praxis ändert sich erst mit der Einberufung des Dorfrates in der folgenden Szene, die mit einem Namenskatalog der Ratsherren beginnt; vgl. Ring, V. 6690 – 6698. Besonders plakativ führt dies Pierre Rosanvallon im bereits erwähnten Zitat vor, in dem zentrale politische Ideen paarweise zusammengestellt werden: „Sich auf das Politische und nicht auf die Politik beziehen, d. h. von Macht und von Gesetz, vom Staat und der Nation, von der Gleichheit und der Gerechtigkeit, von der Identität und der Differenz, von der ‚citoyenneté‘ und Zivilität, kurzum: heißt von allem sprechen, was ein Gemeinwesen jenseits unmittelbarer parteilicher Konkurrenz um die Ausübung von Macht, tagtäglichen Regierungshandelns und des gewöhnlichen Lebens der Institutionen konstituiert“ (Rosanvallon: Pour une histoire conceptuelle du politique, S. 14; übers. zitiert nach: Marchart: Die politische Differenz, S. 13).
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getragen.⁷² Man betritt gewissermaßen die Bühne ‚der Politik‘ im Sinne der Diskussion um die politische Differenz. Das heißt jedoch nicht, dass man im Gegenzug die Bühne ‚des Politischen‘ verlässt, denn auch dort setzt sich die Verhandlung um Kerngegenstände des politischen Diskurses, um Fragen der Gruppenbildung und der Konstruktion feindlicher Fremdheit fort, wie die Ratsversammlung der Nissinger zeigt.
Von der individuellen Verletzung zur Verteidigung des Gemeinwesens Die Nissinger berufen ihren Rat ein, der – städtische Verfassungen parodierend – aus zwölf geſwornen und dem Bürgermeister Strudel besteht.⁷³ Hier wird deutlich, dass in die Prügelei am Vorabend keineswegs alle Nissinger, sondern vor allem Vertreter der jungen Generation verwickelt waren, denn im Rat lassen die Älteren die jungen Männer herbeiholen, die ihre Sicht der Dinge schildern sollen.⁷⁴ Weil dabei zutage tritt, dass enge Verwandte der Ratsherren ums Leben gekommen sind, löst der Bericht emotionale Reden der Betroffenen aus.⁷⁵ Eine Weile disku-
Es ist zu überlegen, ob diese Institutionalisierungsbewegung in einer Linie mit der Tendenz zur Steigerung und Eskalation zu sehen ist, die Werner Röcke für das ‚Wechselspiel von sprachlicher und körperlicher Gewalt‘ im Ring, u. a. auch in der Hochzeitsszene, hervorhebt; vgl. Röcke, Werner: Drohung und Eskalation. Das Wechselspiel von sprachlicher Gewalt und körperlicher violentia in Heinrich Wittenwilers Ring. In: Blutige Worte. Internationales und interdisziplinäres Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Jutta Eming / Claudia Jarzebowski, Göttingen 2008 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 4), S. 129 – 144, hier S. 614– 618. ‚Institutionalisierung‘ wäre dabei nicht mit Kanalisierung von Gewalt oder Konfliktbeilegung gleichzusetzen: Der Ratsbeschluss der Nissinger, Lappenhausen den Krieg zu erklären, trägt im Gegenteil maßgeblich zur Eskalation der Gewalt bei. Zum Begriff der Institutionalisierung vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.2. Vgl. Ring, V. 6682; 6686; zur Verfassung des Dorfes vgl. Röcke, Werner: Kommentar. In: Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Text, Übersetzung, Kommentar. Nach der Münchener Handschrift. Mit einem Abdruck des Textes nach Edmund Wießner. Unter Mitarb. von Annika Goldenbaum. Hrsg. von Werner Röcke, Berlin u. a. 2012 (De Gruyter Texte), S. 441– 481, hier S. 469 mit weiterer Literatur. Wir ſchùllen senden nach den knaben | Daz ſeu vns vil eben ſagen | Wie daz dinch ſey an geuangen | Dar zů wie es ſey der gangen (Ring, V. 6702– 6705; „Wir sollten unsere Jungs holen lassen, dass sie uns genau erzählen, wie die Sache angefangen und wie sie sich dann abgespielt hat“). Eggharts Klage um seinen erschlagenen Sohn inszeniert die väterliche Trauer und nutzt dazu eindeutig das in Rhetoriktheorie und -praxis etablierte Register der Klagerede; sie beginnt mit schmerzvollen Ausrufen (etwa owe du pitt’ tod | Du greuleichs end · du ſende not, Ring, V. 6716 f; „Wehe, du grausamer Tod, du schreckliches Ende, du schmerzliches Leid“) und endet in Eggharts Ohnmacht; vgl. Ring, V. 6711–6733. Zu möglichen Vorlagen in der Ars dictaminis vgl. Fürbeth:
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tieren die Versammelten, ob schnelle Rache oder behutsame Verhandlung um die gefangenen Mädchen als Taktik vorzuziehen sei, bevor sie einen Kompromiss beschließen, der eine diplomatische Auslieferungsforderung mit der Androhung einer Kriegserklärung verbindet. Als entscheidend ist hervorzuheben, dass sich der Rat die Sache der Geschädigten zu eigen macht und das Dorf als Ganzes beleidigt sieht, den Konflikt somit als politischen Konflikt behandelt. Die Kollektivität der Dorfgemeinschaft besteht dabei nicht von vornherein, sondern muss erst performativ hergestellt werden. Ihr prekärer Status tritt darin zutage, dass die Figuren innerhalb der Ratsszene darüber verhandeln, ob der Vorfall in eine individuelle oder eine kollektive Perspektive einzuordnen ist. Der Text inszeniert diese Verhandlung in einem Dreischritt von einer individuellen über eine schein-kollektive zur genuin kollektiven – und somit politischen – Dimension. Die Unterscheidung ‚Einzelner – Kollektiv‘ spiegelt sich in der Sprache der Redebeiträge wider, an der sich die Politisierung des Vorfalls im Verlauf der Diskussion ablesen lässt. Der vom Tod seines Vaters aufgebrachte Snegg beklagt seine persönliche Verletzung und brennt auf schnelle Rache; seine Rede ist bestimmt von Personalpronomen im Singular (ich, mich, min): Hat mich einer yecz verwnt | Vnd rich ich daz nicht ſozeſtůnd (Ring, V. 6750 f.; „Wenn mich einer verwundet hat und ich räche das nicht sofort“); Da mit ſo leyt min er da nider | Min plůt verrert daz flaͤ yſch gestochen (Ring, V. 6755 f.; „Damit aber wird meine Ehre beschädigt. Mein Blut, das vergossen, und mein Körper, der verletzt worden ist“).⁷⁶ Putreichs Gegenrede weist beinahe ausschließlich Pronomen im Plural auf (unser, uns, wir): Wayͤ ſt nicht daz geuangen ſeind | Vnſer tochtren (Ring, V. 6776 f.; „Weißt du etwa nicht, dass unsere Töchter gefangen sind?“); Laſſt vns e mit clůgen ſinnen | Vnſreu kinder wider gewinnen (Ring, V. 6780 f.; „Lasst uns lieber genau darüber nachdenken, wie wir unsere Töchter zurückbekommen!“); Daz iſt wir ſchùllen trachten eben | Den veinten ſuſſeu red ze geben (Ring,V. 6782 f.; „Das heißt, wir sollten genau abwägen, ob wir mit den Feinden nicht freundlich reden“). Putreich appelliert an die Gruppe, zuerst zu verhandeln und die Nissinger Mäd-
nutz, tagalt oder mär, S. 506 m. Anm. 45. Bei Snegg, der zweiten Figur mit persönlichen Verlusten, dominiert statt der Trauer ein anderer Affekt: Do zittert er von rechtem zorn (Ring, V. 6737). Caroline Emmelius beobachtet an anderer Stelle einen weiteren Fall, in dem sich eine soziale Perspektive im verwendeten Vokabular niederschlägt. Beim Hochzeitsmahl kommt es u. a. zum Konflikt, weil die als Diener auserkorenen Dorfbewohner sich gegen eine herablassende Behandlung durch den Gastgeber wehren: Keiner der Anwesenden will niedriger stehen als die anderen, alle wollen herren sein; vgl. Emmelius: Gesellige Ordnung, S. 68. Vgl. Ring, V. 5809 – 5843.
5.2 Die Prügelei als Kriegsanlass. Zum Politischen im Ring
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chen zu befreien und versucht damit, dem Problem kollektive Geltung zu verleihen. Der Text sät jedoch Zweifel an Putreichs Redlichkeit und markiert seine Darstellung als strategisch motiviert: Zum einen folgt auf den Vorschlag der Hinweis, man könne nach der Überstellung ja immer noch über Lappenhausen herfallen.⁷⁷ Zum anderen wird Putreichs Redebeitrag durch einen Erzählerkommentar eingeleitet, der klarstellt, dass er seine eigene Tochter vor Augen hat,⁷⁸ was den Eindruck erweckt, hinter dem Appell an das gemeinsame Interesse stehe vor allem seine individuelle väterliche Sorge. Auch auf Handlungsebene verfängt Putreichs Argumentation nicht, denn Wútreich weist den Vorschlag als ehrlos zurück und erhält dafür allgemeinen Zuspruch, ohne dass allerdings deutlich wird, welche Vorstellung von êre zugrunde liegt.⁷⁹ Die Diskussion kommt daraufhin kurzzeitig ins Stocken. Zum Abschluss gelangt sie dadurch, dass die Gruppe die Entscheidung an eine höhere Instanz verweist und den Bürgermeister anruft, der, wie es scheint, als Inhaber eines politischen Amtes für Entscheidungen von entsprechender Reichweite auserkoren ist. Der bislang moderierend tätige Bürgermeister Strudel wird von allen Anwesenden (gemaͤ yn) und unter Anrufung der ihm verliehenen Kompetenzen um einen Ratsspruch gebeten: Des antwurtent ſeu ym gemaͤ yn Vn̄ ſprachent herr jͤ r ſeyts der aͤ yn Der vber vns geſaczet iſt Ze rat vnd ſchirm ze aller friſt (Ring, V. 6806 – 6809) Darauf antworteten ihm alle zusammen und sagten: „Herr, Ihr als Einziger seid über uns für alle Zeit zu Rat und Schutz eingesetzt […].“
Als Gemeindevorsteher liefert Strudel folgerichtig einen Redebeitrag, der nicht mehr von individuellem Unrecht, sondern von kollektiver Betroffenheit handelt. Hier findet sich auch die Dichotomie von Freund und Feind wieder. Der Beitrag stärkt die kollektive Identität der Nissinger, stellt die gemeinsamen Verluste (vnſʼ leut) ins Zentrum und betont die Gegnerschaft zu Lappenhausen: Vgl. Kalning, Pamela: Kriegslehren in deutschsprachigen Texten um 1400. Seffner, Rothe, Wittenwiler, Münster u. a. 2006 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 9), hier S. 153. Vgl. auch den Vorschlag, die Gegner mit ſuſſeu red (Ring, V. 6783), in Sicherheit zu wiegen, die mit der Möglichkeit zu täuschender Rede einhergeht. Ring, V. 6771– 6773. Ring, V. 6793 – 6797. Zur Diskussion um êre und nutz vgl. Babendreier: Studien, S. 126 – 129. Dieser liest die Passage – auf der Basis von Lausbergs Rhetorikhandbuch – vor der Folie der Statuslehre.
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Nù dar ſo habts vernomen wol Des ich vil groſſen chumb’ dol Wie die Lappenhauſer heut Gemùrdet habent vnſ’ leut Geuangen gſchlagen gar vnleys Jn iͤ rem dorff nach ſchelcher weis Etleich gflohet vf der haͤ id Daz ſchol vns pilleich weſen layd (Ring, V. 6822– 6829) Nun zu uns: Ihr habt genau gehört, und auch mich erfüllt das mit großem Schmerz, dass die Lappenhausener sich heute in ihrem Dorf wie Verbrecher aufgeführt und unsere Leute ermordet, gefangengesetzt, unter lautem Geschrei verprügelt und manche übers Feld gejagt haben. Es wird jeder verstehen, dass uns das empört.
Die verwendete Begrifflichkeit und Strudels Ratschlag bestätigen den Eindruck, dass der Konflikt hier als politischer Konflikt inszeniert wird. Einleitend spricht Strudel vom Krieg (ſtreyt: Ring, V. 6814) als gerechtem Krieg und von seiner Legitimation als Mittel zur Friedenssicherung sowie zur Verteidigung.⁸⁰ An die zitierte Passage anschließend werden Sentenzen und biblische Exempel zur Kriegslegitimation herangezogen, außerdem sei im Kaiserrecht vorgesehen, dass ein volk (V. 6838) zur Selbstverteidigung Krieg führen dürfe. Die Argumentation ist nicht recht konsequent und vermischt verschiedene Legitimationsstrategien,⁸¹ das tut der kollektiven Implikation des Gesagten jedoch keinen Abbruch. Für die konkrete Reaktion der Nissinger schlägt Strudel den Rückgriff auf Konventionen der politischen Gesandtschaftskommunikation, der Diplomatie, vor: Er spricht sich zwar für Rache aus,⁸² tritt jedoch abwägend auf und plädiert für den von
Zum rechtshistorischen Horizont dieser Rede sowie der gesamten Ratsszene vgl. Kalning: Kriegslehren, S. 152– 157; Mittler: Das Recht, S. 79 – 86. Vgl. auch Röcke: Kommentar, S. 470 mit weiterer Literatur. Vgl. Kalning: Kriegslehren, S. 156 f., die jedoch gleichzeitig darauf hinweist, dass Inkohärenzen dieser Art bereits in zeitgenössischen Kriegslehren vorkommen und dort i. d. R. daraus resultieren, dass die Argumentationen anderer Traktate gekürzt – und dadurch mitunter verkürzt – wiedergegeben werden. Mittler liest die Szene aus rechtshistorischer Perspektive und unterscheidet die Aspekte von Blutrache und Fehde, denen ebenfalls die Unterscheidung von individueller und kollektiver Perspektive zugrunde liegt. Er sieht Blutrache und Fehde in der Szene miteinander vermengt. Beiden Konzepten sei ein Moment der Rache gemeinsam, sie unterschieden sich jedoch in der Reichweite der angestrebten Schädigung: „Die vorgeschlagene Art [mit Schlagen, Rauben und Brennen, also vollständiger Verwüstung, M. R.] gegen den Gegner vorzugehen, ist deutlich die Form der Fehde. Die Blutrache dagegen war nur gegen die Sippe des Totschlägers gerichtet […]. [Sie] zielte gegen das Leben der Personen des feindlichen Sippenverbandes“ (Mittler: Das Recht, S. 85). Dabei sei nicht ausgeschlossen, dass es in der Wahrnehmung der Beteiligten zur Verqui-
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Putreich vorgeschlagenen Weg, nicht sofort zuzuschlagen, sondern vorerst Wiedergutmachung zu fordern und erst bei Nichterfüllung der Forderung mit Krieg zu drohen. Vergleicht man die drei Vorschläge, ist festzuhalten, dass es Snegg und Putreich, die nach individuellen Motiven handeln, nicht gelingt, die Relevanz des Konfliktes für das Dorfkollektiv zu demonstrieren. Ihre Redebeiträge führen nicht dazu, dass der Konflikt auf einer politischen Ebene verhandelt wird. Strudel hingegen hat stets das Kollektiv im Blick und integriert damit nicht nur die gegenläufigen Positionen Sneggs und Putreichs, sondern passt diese an und transferiert sie in eine politische Dimension.⁸³ Strudels Perspektive ist anschlussfähig, denn der Rat des Bürgermeisters wird angenommen und man wählt Gesandte für den Gang nach Lappenhausen aus.⁸⁴ Die Ratsversammlung handelt im Namen des gesamten Dorfes: Die Entscheidung ist eine kollektiv im dafür bereitstehenden, offiziellen Rahmen getätigte Handlung, die die Zukunft der Gemeinschaft betrifft und für alle verbindlich ist, die dem Dorf angehören, denn im Kriegsfall ist potenziell jeder Bewohner gefährdet.⁸⁵
ckung von individueller und kollektiver Rachehandlung kommt, wie Mittler mit Verweis auf Kriegshandlungen in der Schweiz anmerkt; vgl. ebd., Anm. 24. Babendreier versucht an dieser wie auch an anderen Szenen des Rings Parallelen zum spätmittelalterlichen Nominalismus aufzuzeigen und konstatiert ein Auseinanderfallen von „Rechtsbegriff und Rechtswirklichkeit“, „von lex und factum, von Wort und Sache“ (Babendreier: Studien, S. 131). Deshalb beschreibt er Strudels Rede nicht als Synthese gegenläufiger Positionen, sondern als Teil einer Steigerungsstruktur, die der ganzen Szene zugrunde liege und die von „absoluter Begriffsbezogenheit zu situationsabhängiger Sachbezogenheit“ führe (ebd., S. 132). Vgl. Ring, V. 6860 – 6863. Zur Anschlussfähigkeit als Voraussetzung für eine persuasive Wirkung von Rede vgl. Kopperschmidt, Josef: Oratorik – ein erfolgversprechendes Forschungsprojekt? In: Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Jörg Feuchter / Johannes Helmrath, Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 9), S. 23 – 44, hier S. 29 f.; er prägte für diesen Zusammenhang den Begriff des „Anschlussparadigmas“ (ebd., S. 30). Vgl. auch ebd., S. 44: „Reden-Können als Anschließen-Können“. Die Kehrseite kollektiver Verbindlichkeit zeigt sich in einer späteren Ratsszene der Lappenhauser. Dort zieht sich Hoͤ seller aus der Versammlung zurück, nachdem diese entschieden hat, das Vermittlungsangebot der Städte abzulehnen und in den Krieg zu ziehen: Daz ward dem Hoͤ ſeller ze swaͤ r | Vnd gedàcht wie beſſer waͤ r | Ym auf froͤ mder erde leben | Dann da haym des todes phlegen | Des macht er haymleich ſich dar von | Sam noch die weiſen ſein gewon (Ring,V. 7873 – 7878; „Dem alten Hosenvoll wurde die Lage zu brenzlig und er dachte bei sich, dass es für ihn besser sei, in der Fremde zu leben als zu Hause zu sterben. Deshalb machte er sich heimlich aus dem Staub, wie es kluge Leute immer noch zu tun pflegen“). Die Handlung wird zwar ironisch kommentiert, sie zeigt jedoch auch, dass die Abweichung vom allgemeinen Beschluss dem Austritt aus der Gemeinschaft gleichkommt: Wer nicht mitmacht, muss das Dorf verlassen.
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Der politische Charakter des Konfliktes zwischen Lappenhausen und Nissingen, so lässt sich in Bezug auf die beiden Szenen resümieren, ist nicht von vornherein gegeben. An der Prügelei lässt sich beobachten, wie ein an sich unpolitischer Vorfall durch die Faktoren von Gruppen- bzw. Identitätskonstruktion und Öffentlichkeit zum Politikum wird. Dazu bedarf es nicht zwingend eines regulierten, administrativen Apparates ‚der Politik‘. Ein solcher Apparat kann allerdings durchaus dazu beitragen, den Konflikt als politische Auseinandersetzung fortzuführen und den politischen Charakter zu verstetigen.
5.3 Konstruktion und Destruktion politischer Ordnung im bäuerlichen Rat Wie nimmt nun die gegnerische Seite die Entscheidung des Nissinger Rates wahr? Erzähltechnisch nutzt der Ring die entsprechende Szene für die Inszenierung von Komik, denn der Nissinger Bote wird in Lappenhausen verspottet. Nachdem die Lappenhauser den Boten zuerst gar nicht bemerken, weil das Fest wieder in vollem Gange ist, gibt er Auskunft über seinen Auftrag, bevor er die eigentliche Nachricht wiedergibt. Er berichtet, ihn schickten Von Nyſſingen die herren mein | Der purgermayſter vn̅ d’ ràt (Ring, V. 6919 f.; „Die Oberen von Nissingen, der Bürgermeister und der Rat“). Der Lappenhauser Sprecher Rüefli verballhornt diese völlig einwandfreie Gesandtenformel, denn er verkündet, ihm sei ganz egal, was die herren von dem kàt und der pauren maͤ yſter wollen (Ring, V. 6936 f.; „deine ‚Herren vom Kack‘“, „Bauernmeister“). So jagt man den Boten fort, um weiter zu feiern.⁸⁶ Am nächsten Morgen konstatiert der Erzähler lapidar das Ende des verhängnisvollen Festes: Secht do was die hochzeit aus (Ring, V. 7138). Die Lappenhauser versammeln sich ihrerseits zu einer Ratssitzung.Während die Struktur des Nissinger Rats deutliche Übereinstimmungen zu zeitgenössischen Stadtverfassungen zeigt, ist die Situation in Lappenhausen unübersichtlicher, sodass verschiedentlich die These formuliert worden ist, Lappenhausen solle ein abhängi-
Dies geschieht allerdings nicht ohne Verweis auf diplomatische Konventionen, nach denen Bote und Botschaft auseinander gehalten werden müssen: Vn̅ war es nicht ſo gar ein ſchand | Botten fraͤ ueln ſo zehand | Sterben muͦ ſſiſt vmb dein ſpil | Des troſte dich doch nicht ze vil (Ring, V. 6942– 6945; „Wenn es nicht so besonders abscheulich wäre, sich an einem Boten zu vergreifen, müsstest du wegen deines Auftritts hier auf der Stelle sterben. Freu dich darüber, aber nicht zu doll“). Zum Umgang mit Boten und Gesandten vgl. u. a. das Kapitel 3.4.2 zu Medêamanz im Alexander Ulrichs von Etzenbach.
5.3 Konstruktion und Destruktion politischer Ordnung im bäuerlichen Rat
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ges Bauerndorf darstellen.⁸⁷ Auch in Lappenhausen wird jedoch zu Beginn offiziell zum Rat geläutet; außerdem tritt mit dem jungen Meier Rüefli ein Sprecher der Gruppe auf, der auch später noch Leitungsfunktionen ausübt, die Beratung der Lappenhauser weist also immerhin einige Merkmale auf, die den institutionellen Rahmen der politischen Versammlung aufrufen.⁸⁸ Im Verlauf der Versammlung präsentiert der Ring in umfangreichen Figurenreden zeitgenössische Kriegstheorie, die im Wesentlichen auf einem Traktat des Bologneser Juristen Giovanni da Legnano beruht: Dessen Systematik der verschiedenen Kriegsarten und Kriegsgründe wird ebenso thematisiert wie die Bedingungen für einen gerechten Krieg und (angebliche) formale Voraussetzungen für die Zusammensetzung des Heeres.⁸⁹ Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht jedoch weniger das vermittelte Kriegswissen als die Legitimation der politischen Ordnung im Zusammenspiel mit der Dramaturgie der Episode. Rüeflis Eingangsrede stellt die Versammlung von Anfang an in einen politisch-juristischen Kontext: Aus nichtigen Gründen habe das gegnerische Dorf einen Streit vom Zaun gebrochen und gleich zweifach eskalierend agiert, indem es nicht nur einen Boten zu ihnen gesandt hat – der Mit boͤ ſer taͤ ydinch vnd mit treuwē (Ring, V. 7183; „mit wüsten Anschuldigungen und Drohungen“) auftrat –, sondern auch, indem es bereits andere Dörfer um Kriegsunterstützung gebeten hat. Deshalb sei es das Beste, den Nissingern mit der formalen Kriegserklärung zuvor zu kommen und sie sofort anzugreifen. Nach dieser reißerischen Eingangsrede schaltet sich der alte Ryffian ein und meldet Widerspruch an. Nur Fürsten dürften Krieg führen, das habe er schon oft gehört und das schreibe auch das Kaiserrecht vor. Die Lappenhauser haben also kein Recht dazu.⁹⁰
Mittler leitet aus dem Aufbau der Nissinger und Lappenhauser Ratsversammlungen ab, „daß es sich bei dem einen Ort um eine Stadt – vielleicht eine freie Reichsstadt – handelt, bei dem anderen aber um ein abhängiges Bauerndorf“ (Mittler: Das Recht, S. 83, daran anknüpfend Kalning: Kriegslehren, S. 159 m. Anm. 696). Er gibt jedoch auch zu bedenken, dass „in der ganzen Szene Beziehungen zu städtischen Zuständen und Ereignissen“ (Mittler: Das Recht, S. 82) hergestellt werden. Dass die Lappenhauser trotz ihrer formalen Verfasstheit als Bauerndorf auf Verfahren zurückgreifen, die autonomen politischen Einheiten vorbehalten sind, passt zum Eindruck der Widersprüchlichkeit, den die Lappenhauser insgesamt bieten. Vgl. Ring, V. 7149, 7166 – 7198. Vgl. Ring, V. 7296 – 7441. Pamela Kalning hat die intertextuellen Bezüge in dieser Passage detailliert untersucht; vgl. Kalning: Kriegslehren, S. 161– 169. Sie kommt zu dem Schluss, dass Wittenwiler vieles, das er von anderen Autoren übernimmt, verändert. Einige dieser Änderungen ließen sich mit „Anpassungen an die lokalen Verhältnisse“ begründen, andere seien als bewusst abweichende Positionierungen zu deuten (ebd., S. 168). Vgl. Ring, V. 7207– 7217.
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Im Lappenhauser Rat diskutiert man also genauso wie in Nissingen darüber, unter welchen Umständen man einen Krieg gegen den Gegner legitimieren kann; die beiden Ratsszenen sind als korrespondierende Szenen angelegt. Die Diskussion wechselt aber schnell ihren Gegenstand und wandelt sich zu einer Diskussion um die Legitimation von Herrschaft. Denn Lienhart, ein Vertreter der Jungen, hält trotzig dagegen und stößt eine Diskussion um die Begründungen für die bestehende Feudalordnung an: War aus ſein die fùrſten gmacht Von wanen chùmpt die herſchaft Sein ſeu nicht alz wol ſam wir Adams kinder daz ſag miͤ r (Ring, V. 7220 – 7223) Woraus sind die Fürsten geschaffen? Woher stammt ihre Herrschaft? Sind sie nicht ebenso wie wir auch Adams Kinder? Antworte!
Wie ich zeigen möchte, lässt sich die Diskussion gewinnbringend vor dem Hintergrund eines postfundamentalistischen Denkens deuten, indem sie Letztbegründungen infragestellt, zugleich aber die Notwendigkeit vorläufiger Begründung von Ordnung demonstriert.⁹¹ Diese zunächst anachronistisch anmutende These wird im Folgenden ausgeführt und auf ihr Erkenntnispotenzial für die Beschreibung vormoderner politischer Diskurse befragt. Durch den Hinweis auf Adam führt Lienhart die Gleichheit aller Menschen an, ein Motiv, das in entsprechenden Theoriediskursen des Mittelalters häufig vorkommt.⁹² Ryffian gibt ihm Recht, relativiert aber die Geltung dieses Arguments: Ebenfalls bereits in biblischer Zeit bildete sich der Stand der Fürsten bzw. des Adels heraus, als die Nachkommen der ersten Menschen besonders tugendhafte unter ihnen zu Herrschern wählten. from (Ring, V. 7229; „tüchtig“) und tugenthaft
Vgl. Kapitel 2.1. Vgl. Wiessner: Kommentar, S. 250 f. mit zahlreichen Belegen. Mit dem Motiv in deutschsprachiger Literatur hat sich Grubmüller ausführlich beschäftigt. Er geht u. a. auf Hugos von Trimberg Renner ein, in dem – etwa 100 Jahre vor dem Ring – ebenfalls ein Bauer nach dem Sinn der Ungleichheit fragt. Zwar sei dieser Bauer eine fiktionale Figur; für Grubmüller ist es jedoch auffällig, dass hier „von den Betroffenen Auskunft verlangt [wird] über die Begründung eines gegenwärtigen Zustandes, in dem immer noch durch alle Stände- und Rangordnungen hindurch die kategoriale Unterscheidung von Freiheit und Unfreiheit wirksam ist“ (Grubmüller, Klaus: Nôes Fluch. Zur Begründung von Herrschaft und Unfreiheit im mittelalterlicher Literatur. In: Medium Aevum Deutsch. Beiträge zur deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. FS Kurt Ruh. Hrsg. von Dietrich Huschenbett, Tübingen 1979, S. 99 – 119, hier S. 111 f.). Anders als im Ring liegt der Szene im Renner jedoch keine ironische oder parodistische Inszenierung zugrunde.
5.3 Konstruktion und Destruktion politischer Ordnung im bäuerlichen Rat
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(Ring, V. 7232) sind die zentralen Eigenschaften, die Ryffian dabei nennt. Umgekehrt seien andere durch ihre Untugend dazu bestimmt, unfrei zu sein, wie am Verhalten des jüngsten Sohnes in der Geschichte von Noahs Trunkenheit zu sehen sei.⁹³ Daher rühre die Ungleichheit der Menschen: Alſo ſein wir nicht geleich Einr iſt arm der ander reich Einr ein gpaur der ander edel (Ring, V. 7242– 7244) Deshalb sind wir Menschen keineswegs gleich. Einer ist arm, der andere ist reich, einer ist Bauer, der andere ist Adliger.
Die implizite Schlussfolgerung, die sich aus Ryffians Schilderung ergibt, lautet natürlich, dass die Nachkommen der damaligen Herrscher bis heute das Herrschaftsprivileg besitzen. Ryffian verschweigt also, dass Adel sich nicht nur über Tugenden, sondern auch genealogisch, über Verwandtschaftsverhältnisse definiert. Sowohl Lienhart als auch Ryffian versuchen, mit dem Verweis auf die biblische Geschichte eine transzendente Letztbegründung einzubringen, die nicht hinterfragbar ist. Aus Ryffians Beitrag geht bereits hervor, dass der Verweis auf die Bibel nicht ohne weiteres als Letztbegründung taugt, denn er führt mit dem Tugendkriterium eine zusätzliche Begründung für die Herrschaft des Adels an. Damit öffnet er eine Flanke für Kritik, die prompt von Lienhart genutzt wird. Dieser erkennt nämlich nicht die angebliche Letztbegründung ‚biblische Ursprünge‘ an, sondern er nimmt die Begründung dieser Begründung auf: Er kann behaupten, die genannte Bedingung treffe auch auf die Lappenhauser zu, from und tugendhaft seien die Lappenhauser schließlich auch: Nu dar, daz fuͤ egt vns allen wol | Won wiͤ r ſein from vnd tugend vol (Ring, V. 7246 f.; „Na bitte, das passt doch wunderbar zu uns. Denn wir sind tüchtig und sehr tugendhaft“). Anstatt also der Richtung zu folgen, die Ryffian vorgibt, macht Lienhart das Tugendargument, das eigentlich nur der zusätzlichen Verdeutlichung dient, zum Hauptkriterium für Adel und schließlich zum Beweis der eigenen Adelswürdigkeit. Dass er kontrafaktisch argumentiert, steht der Wirksamkeit seines Beitrags nicht entgegen, sondern macht im Gegenteil sichtbar, wie kontingent jede Form der Ordnungs-
Vgl. Ring, V. 7233 – 7241. Auch dieses Argument ist topisch, vgl. neben den bereits Genannten Röcke: Kommentar, S. 472. Bei der Berufung auf die Söhne Noahs fehlt üblicherweise der Aspekt, wonach die Tüchtigsten von dem volk (Ring, V. 7230) zu Herrschern gewählt wurden. Damit wird der biblischen Vorzeit eine proto-demokratische Qualität zugeschrieben, die der Intention, eine biblische Letztbegründung für die Ständeordnung zu finden, zuwiderzulaufen scheint.
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begründung ist. Die gleiche Berufung auf biblische Autorität eignet sich zur Legitimation völlig unterschiedlicher Ordnungen. Auch Lienhart fügt aber noch eine zusätzliche Begründung an: Lappenhausen ähnele der Form von Adelssitzen, also sei Lappenhausen ebenso mächtig wie der Adel. Er zählt diverse Verteidigungsanlagen auf, die Lappenhausen als Festung erscheinen lassen und das Dorf de facto zum mächtigen Adelssitz stilisieren: Eine gemauerte Umgrenzung, zwei Gräben, zwei Tore und vier Türme.⁹⁴ Daraus leitet er das Recht ab, die Anwesenden zu Feudalherren zu erklären: Bis du Ruͤ fel Lechden Spiſſ Kayſer vber all gewiſſ Vnd du Walther Fleugen Schayſſ Kùnig i ̄ der Grauſner chraiſſ (Ring, V. 7260 – 7263) Du, Rüefel Leckdenspieß, sollst unser aller Kaiser sein. Und du, Walter Fliegenschiss, König im Grausener Bezirk.
So geht es weiter: Die Titel von Herzog, Markgraf, Graf ⁹⁵ und Freiherr werden ebenfalls vergeben, außerdem stellt Lienhart für jeden Kriegsfreiwilligen den Ritterschlag in Aussicht.⁹⁶ Weitere Einwände der Alten, seien sie auch noch so umfangreich,⁹⁷ werden brüsk als unnötige Formsache abgewehrt, sodass sich die Kriegsbegeisterung der Jungen, die bereits zu Beginn der Ratssitzung erkennbar ist, bis zum Ende hält, durchsetzt und schließlich in Vorbereitungen zur Kriegserklärung mündet.⁹⁸
Vgl. Ring, V. 7247– 7255. Lienhart schreibt Purkhart als einzigem zu, bereits vorher Adelsstatus besessen zu haben: Gràf Purkhart iſt geweſen vor | Ein gràf geporn von Nydrentor (Ring, V. 7274 f.; „Graf Burkhart ist bislang schon ein Graf gebürtig von Niedertor gewesen“). Allerdings wird der Wert dieses Prädikats sofort in Zweifel gezogen: Jn Vngern iſt ſein gràfſchaft | Da man vil der gràfen macht (Ring, V. 7276 f.; „Seine Grafschaft liegt in Ungarn, wo man schon rasch mal zum Grafen gemacht wird“). Vgl. Ring, V. 7264– 7281. Besonders die Kriegslehre Ruprechts und die Prophezeiung Laichdenmans, die sich als einzige Frau einschaltet und dafür wüste Beschimpfungen ertragen muss, sind mit 90 bzw. 63 Versen besonders ausführlich, vgl. Ring, V. 7297– 7387; 7446 – 7509. Vgl. dazu Kalning: Kriegslehren, S. 159 – 173. Der alte Colman stellt gegen Ende, hayſſe waynend (Ring, V. 7521), die Frage, wie es nun weitergehen solle. Die Erwähnung seiner Tränen könnte ein Anlass dafür sein, die Handlung in ritualtheoretischer Perspektive zu lesen: Weinen lässt sich in der mittelalterlichen Öffentlichkeit als Instrument einsetzen, um persönliche Betroffenheit zu demonstrieren und das Gegenüber dazu zu verpflichten, der eigenen Position besondere Beachtung zu schenken.Vgl. die klassischen Beiträge von Althoff, Gerd: Empörung, Tränen, Zerknirschung. ‚Emotionen‘ in der öffentlichen
5.3 Konstruktion und Destruktion politischer Ordnung im bäuerlichen Rat
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Anstatt also die bestehende Ordnung biblisch zu bestätigen, endet die Lappenhauser Beratung mit der Konstruktion einer neuen Ordnung, die auf einer speziellen Auslegung einer an sich üblichen Aussage fußt, die dem mittelalterlichen Tugendadel-Konzept entspricht: Legitime Herrscher sind tugendhaft – und außerdem, so würde Lienhart möglicherweise ergänzen, besitzen sie Burgen. Die neue politische Ordnung verwirklicht sich im Medium politischer Rede, ist von dieser nicht ablösbar: Sie entsteht durch Lienharts performativen Sprechakt und beansprucht zumindest vorläufig Geltung, weil sie vom Konsens der jungen Ratsteilnehmer getragen wird.
Postfundamentalistisches Denken im Ring? Der Lappenhauser Rat macht Paradoxien der Gründung politischer Ordnung beobachtbar. Gründung von Ordnung ist notwendig, es besteht offensichtlich ein Bedürfnis nach Legitimation, aber jede Letztbegründung für diese Ordnung ist kontingent. Ist daraus zu schließen, dass wir in Wittenwilers Ring ein Beispiel postfundamentalistischen Denkens vor uns haben? Das ist nicht die einzige Schlussfolgerung, die sich aus den Beobachtungen ziehen lässt. Vorsichtiger lässt sich formulieren, dass der Ring Züge postfundamentalistischen Denkens trägt.⁹⁹ Es ist gewissermaßen kurzzeitig möglich, die Unhinterfragbarkeit von Letztbegründungen auszusetzen und in der Störung, die dadurch entsteht, die Wirkungsweise von Letztbegründungen wahrzunehmen.
Kommunikation des Mittelalters. In: FMSt 30 (1996), S. 60 – 79; Althoff, Gerd: Gefühle in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hrsg. von Claudia Benthien / Anne Fleig / Ingrid Kasten, Köln 2000 (Literatur, Kultur, Geschlecht 16), S. 82– 99. Zum Weinen Willehalms als Ausdruck authentischer Trauer, die Willehalm als herren ausweisen, vgl. Koch, Elke: Trauer und Identität. Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin u. a. 2006 (Trends in Medieval Philology 8), hier S. 117 f. In dieser Hinsicht lassen sich Colmans Tränen als ein letzter Versuch werten, unter Aufbietung aller nonverbalen Mittel das Ruder herumzureißen und den Krieg abzuwenden.Voraussetzung dafür ist allerdings, dass seine Gesprächspartner die Zeichen zu lesen wissen. Dies ist offensichtlich nicht der Fall, denn sie bekunden gmayͤ n, also konsensual, dass sie allein schon deshalb kämpfen wollen, um dem unnützen Argumentieren der Alten ein Ende zu machen (Ring, V. 7524– 7529). Daraufhin bemüht sich Colman um Schadensbegrenzung und regt an, wenigstens Unterstützung zu holen und die Kriegserklärung formal korrekt umzusetzen; vgl. Ring, V. 7530 – 7557. Eine analoge Frage mit ebenfalls vorsichtiger Antwort formuliert Jan Glück für den Bereich der Tierepik, namentlich für den Couronnement de Renart und Ramon Lulls Llibre de les bèsties. Er hält aber fest: „Kein anderer tierepischer Entwurf des Politischen im Mittelalter aber kommt einem postfundamentalistischen Denken im Sinne Oliver Marcharts wohl so nahe wie Lulls Llibre de les bèsties“ (Glück: Animal homificans, S. 234 f., Zitat ebd., S. 235). Ich danke Jan Glück für die Diskussion eines ersten Entwurfes zum vorliegenden Kapitel.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
Auch Letztbegründungen funktionieren nur solange, wie sie unhinterfragt bleiben. Wie politische Ordnungen müssen auch sie performativ hervorgebracht und bestätigt werden, um wirksam zu sein. Damit ist nicht gesagt, dass die dargestellte Gesellschaft eine postfundamentalistische ist oder der Text gar einer postfundamentalistischen Gesellschaft entstammt. Er fängt die Infragestellung christlicher Letztbegründungen auf mehreren Ebenen wieder ein. Dies geschieht noch in der Ratsszene, indem Lienhart verlacht oder zumindest belächelt wird. Der ältere Ruoprecht stimmt der Selbstadelung vorläufig im Scherz zu; er quittiert sie jedoch mit Lachen und bezieht eine Gegenposition, die er kurz darauf mit Gedanken aus Giovanni da Legnanos Kriegslehre ausführlich begründet:¹⁰⁰ Ruͦ precht des ward lachent do Er ſprach nu hin dem ſey alſo Daz doch nicht geweſen mag Die weil du lebeſt einen tag (Ring, V. 7284– 7287) Darüber fing Ruprecht an zu lachen und sagte: „Meinetwegen, nehmen wir das mal an, obwohl es nicht einmal einen Tag deines Lebens Bestand haben kann […].“
Später blitzt die ausgerufene Ständeordnung stellenweise wieder auf. So etwa, wenn Kayſer Lechſpiſſ (Ring, V. 8623), also Rüefli, seine Ankündigung wahrmacht, alle Freiwilligen zu Rittern schlägt und eine Feldherrnrede hält.¹⁰¹ Trotzdem wird weiterhin auch Rüeflis ursprünglicher Titel des Meiers verwendet, sodass die politischen Funktionen sich überlappen und miteinander konfligieren: Der Meier als Kaiser regiert über ein Reich, das eigentlich ein abhängiges Dorf ist, sich aber die Befugnisse einer autonomen Gemeinde anmaßt. Dorf – Stadt – Reich: Hier werden drei Ordnungsmodelle zu einem Hybridmodell vermengt, das in dieser Form jeglicher Ordnung entbehrt. Später erweisen sich die Adelstitel sogar als tragisches Unglück für die Bauern, als der Riese Egghart aus Rache für seinen Sohn mehrere Lappenhauser erschlägt und sich dabei exakt nach der Hierarchie richtet, bevor er, als Krönung außer der Reihe, Rüefli tötet: Des was ym auch ze rechen gàch Vnd ſùnd’leichen an den beſten Er rant vom erſten bis ann leſten Das was der erſt der chùnig ſo
Vgl. Kalning: Kriegslehren, S. 160 – 169. Vgl. Ring, V. 8623 – 8646.
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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Der ander was iͤ r herrczog do Der drit der gràf & cetera Die vielend all vor ym alda (Ring, V. 9249 – 9255)¹⁰² Deshalb ging es auch ihm nur noch um Rache, und dies gerade an den Vornehmsten. Er griff sie alle vom ersten bis zum letzten an: zuerst den König, dann ihren Herzog, als dritten den Grafen usw. Sie alle stürzten vor ihm nieder.
Der Riese kämpft zwar für die Nissinger, also die gegnerische Seite, er steht aber selbst außerhalb der politischen Ordnung und so ist es besonders ironisch, dass ausgerechnet er als einziger der Gegner die ausgerufene, aber von vornherein zweifelhafte Ordnung beachtet. Schließlich endet die Handlung in der Katastrophe und legt somit eine Interpretation nahe, die das Erzählte negativ bewertet. Vom Ende her sichert der Ring somit die Deutung ab. Zuvor jedoch bezieht er nicht eindeutig Stellung, die eingenommenen Positionen bleiben vorläufig. Der Text nutzt stattdessen die Möglichkeiten, die durch die narrative Anlage entstehen, um verschiedene, teils brisante, Denkfiguren durchzuspielen.
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress Um Unterstützung für den Krieg gegen Nissingen zu gewinnen, richten die Lappenhauser ein Hilfegesuch an alle wichtigen europäischen Städte.¹⁰³ Diese Städte treten wenig später zu einer Beratung zusammen, die in der Forschung als Städtekongress oder Städterat bekannt ist.¹⁰⁴ Der Kongress folgt unmittelbar auf die Hochzeit, in deren Verlauf beide Bauerndörfer ihre Beratungen abhalten, und so bildet die geschilderte Beratung der Städte eine korrespondierende Szene.
Egghart stößt erst danach auf Ruflinn kayſer (Ring, V. 9256), nach einem kurzen retardierenden Moment tötet er aber auch diesen; vgl. Ring, V. 9256 – 9275. Sie werden in einem umfassenden Katalog aufgezählt; vgl. Ring,V. 7604– 7686. Die Funktion und ‚epische Isolation‘ des Städtekatalogs sowie dessen Bewertung in der Forschung bespricht ausführlich Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 226 – 231. Vgl. neben dem in Anm. 106 dieses Kapitels genannten Abschnitt bei Friedrich etwa Fürbeth, Frank: Lehrdialoge und Sprichwörter als Formen der Wissensvermittlung in Heinrich Wittenwilers Ring. In: Lehren, Lernen und Bilden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Henrike Lähnemann / Nicola McLelland / Nine Miedema, Tübingen 2017, S. 325 – 343, hier S. 329; Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 224.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
Nach einer ersten, ergebnislosen Beratungsphase spricht sich der römische Vertreter für die Wahl von drei geeigneten Ratgebern als Wortführer für die Entscheidungsfindung aus.¹⁰⁵ Diese drei tragen Stellungnahmen vor, die sämtlich davon abraten, Partei zu ergreifen, sodass die Städte beschließen, den Lappenhausern militärische Unterstützung zu versagen und sich stattdessen als Mediatoren anzubieten.¹⁰⁶ Im Kontrast zu den Beratungen der Bauern, die die Formen mittelalterlicher Beratung recht eigenwillig interpretieren, erscheint dieser Kongress geordnet und professionell. Er zeichnet das Bild eines ausdifferenzierten politischen Systems mit einer ausgebildeten, auf Professionalität und Formalisierung setzenden Kommunikationskultur. Der Kongress führt die politische Ordnung, der die Städtevertreter angehören, als legitime und funktionierende Ordnung vor. Dies lässt sich im Folgenden anhand der rhetorischen, argumentationslogischen und symbolischen Dimension der Reden zeigen. Die Wirksamkeit dieser Redekultur ist jedoch nicht unbeschränkt, denn sie ist darauf angewiesen, dass ihre Normen und Werte anerkannt werden. Im Fall der Bauern, die den Vorschlag der Städte kategorisch ablehnen, stößt sie an ihre Grenzen. Der Ring gibt keine Begründung dafür, warum die Städte, die historisch keineswegs alle über Autonomie verfügten,¹⁰⁷ überhaupt eine gemeinsame Entscheidung treffen sollten.¹⁰⁸ Auch fällt ins Auge, dass die Bauern weder Territo-
Vgl. Ring, V. 7694– 7702. Hermann Kamp unterscheidet heuristisch zwischen drei Formen der Konfliktbeilegung mithilfe Dritter: 1. Das Gerichtsurteil des Richters mit Kompetenz zum bindenden Urteil nach Recht und Gesetz, 2. Die Entscheidung des Schiedsmanns bzw. Schiedsrichters, der fallbezogen, nicht unbedingt strikt nach Gesetz und ohne bindende Urteilskraft entscheidet, Ziel dabei ist die gütliche Einigung, 3. das Engagement des Vermittlers, ohne zugeschriebene richterliche Kompetenz, ebenfalls mit dem Ziel der gütlichen Einigung (vgl. Kamp, Hermann: Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, Darmstadt 2001 [Symbolische Kommunikation in der Vormoderne], hier S. 8). Vermittlung und Schiedsverfahren als Formen außergerichtlicher Konfliktbeilegung waren laut Kamp gerade im spätmittelalterlichen römisch-deutschen Reich oft miteinander verbunden: „Die Aufgabe der Vermittler bestand nun vielfach […] darin, die Kontrahenten dazu zu bringen, ein Schiedsverfahren zu akzeptieren“ (ebd., S. 186). Die Situation im Ring lässt sich analog dazu so beschreiben, dass die Städte die Rolle der Vermittler einnehmen, um den Konfliktparteien ein Schiedsverfahren vorzuschlagen. Eine Lektüre vor der Folie eines Mediationsverfahrens bietet Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 231– 236. Beteiligt sind neben autonomen italienischen Stadtrepubliken (Florenz, Padua u. a.) etwa auch deutsche Reichsstädte unter der Herrschaft des Königs, zum Teil aber auch Territorialstädte. Zur Terminologie vgl. Isenmann: Die deutsche Stadt, S. 295 – 315. Wohl mag der schweizerische Städtebund ein Vorbild sein und ebenso kann die Zahl von 72 Städten den umfassenden Einbezug der gesamten ansprechbaren Welt demonstrieren, wie in der Forschung nahegelegt wurde; vgl. dazu Friedrich: Vermittlungsverfahren, S. 228 – 230 mit weiterer Literatur. Im ersten Fall erklärt dies jedoch nicht den gesamteuropäischen Einzugsbereich
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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rialfürsten noch den Kaiser um Hilfe bitten, die adlig-monarchischen Institutionen der Politik bleiben also ausgeblendet. Wichtig scheint die Verhandlung der spezifisch städtischen Interessen zu sein, die vom einberufenen Kongress diskutiert und gegenüber den Bauern geschlossen vertreten werden.¹⁰⁹ Die Städte stehen für eine politische Elite, die ihre Vertreter über ständische und geografische Grenzen hinweg rekrutiert.
Argumentationsstile und -strategien Auf der Ebene der histoire stehen die Redebeiträge, die den Hauptteil der Szene ausmachen, am Ende des Städtekongresses, denn man bittet die Redner erst um Rat, als man bereits diskutiert hat, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.¹¹⁰ Unter Leitung eines römischen Senators werden nun also drei geeignete Ratgeber als Wortführer für die Entscheidungsfindung ausgewählt: Der Prior von Florenz sei als Lombarde weise bzw. gebildet (auch wenn Florenz eigentlich nicht in der Lombardei liegt), der Hauptmann von Paris als Franzose besonders klug und der Amtmann von Konstanz als Deutscher bekanntlich ebenfalls ein gelehrter Mann.¹¹¹ Die drei Berater gehen in ihren Argumentationen unterschiedlich vor. Ihre Beiträge lesen sich wie Modellreden für verschiedene Argumentationsstrategien, die in einer Beratungssituation wie der vorliegenden verfügbar sind. Die Redner erzeugen Evidenz durch den Gebrauch von Sprichwörtern und durch die systematische Zergliederung des Falls aus juristisch-gelehrter Perspektive. Hinter allen Beiträgen steht die gemeinsame Strategie, eine aktive Kriegsbeteiligung der Städte zu verhindern. Es handelt sich somit um eine konvergente Argumentationssituation. Stilistisch zeichnen sich die Reden durch ausgesprochene Höflichkeit aus. Lobpreis wird zurückgewiesen und mit Demutsgesten beantwortet, sowohl der zweite als auch der dritte Redner beteuern, sie könnten dem zuvor Gesagten nichts hinzufügen. Dies hält sie allerdings nicht davon ab, doppelt so
der Versammlung, da zeitgenössische Schweizer Bündnisse lokal begrenzt sind und nicht die gesamte westliche Welt mit einbeziehen und im zweiten Fall bleibt unklar, warum dann ausschließlich europäische Städte und nicht etwa orientalische Reiche angesprochen werden, die in der mittelalterlichen Literatur durchaus als topisches Motiv üblich sind, wenn weltumspannende Ausmaße gemeint sind. Auch Fürbeth bemerkt in seinem Forschungsbericht, dass gerade der städtischen Perspektive besondere Bedeutung zukommen könnte, vgl. Fürbeth: Die Forschung seit 1988, S. 375, 381. Vgl. Ring, V. 7693. Vgl. Ring, V. 7695 – 7697.
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lange wie ihr jeweiliger Vorredner zu sprechen,¹¹² denn in einer Art Verkettungsstruktur bestätigen sie nicht nur die Position ihres Vorredners, sondern ergänzen weitere Aspekte. Den schlichtesten Redebeitrag, der zugleich das Bauprinzip eines Ratschlages am deutlichsten vorführt, macht der Prior von Florenz. Dieser beginnt mit der captatio, die ihm zugedachte Ehre sei unpassend und die Entscheidung solle nicht durch ihn, sondern durch die Versammlung gefällt werden. Er wolle allerdings ein passendes wortli, ein Sprichwort anführen: Beſſer iſt ze aller friſt | Ze riͤ chten zwùſchen veintten zwayͤ n | Danne zwùſchen freuntten gemaͤ in (Ring, V. 7708 – 7710; „Es ist allemal besser, zwischen zwei Feinden als zwischen zwei Freunden zu entscheiden“). In der antiken und mittelalterlichen Rhetorik und Poetik werden Sentenz und Sprichwort nicht immer eindeutig voneinander geschieden;¹¹³ weitgehende Einigkeit besteht jedoch darüber, dass eine ihrer Grundfunktionen in der Stiftung von Autorität und Konsens besteht:¹¹⁴ Sie treten als anerkannte, „unhinterfragbare Wahrheit“ auf und sind daher besonders geeignet, „an wichtigen Punkten der Argumentation Einigkeit zwischen Redner und Zuhörer herzustellen oder zu suggerieren“.¹¹⁵ Neben antiken und vormodernen Rhetoriklehren empfehlen etwa Prior von Florenz: Ring, V. 7703 – 7722 = 20 Verse, Hauptmann von Paris: V. 7725 – 7764 = 40 Verse, Amtmann von Konstanz: V. 7772– 7846 = 75 Verse. Wiehl und andere haben bereits auf diese Steigerungsfigur hingewiesen, vgl. Wiehl: Weiseu red, S. 113. Die lateinischen Begriffe sententia und proverbium werden z. T. sogar synonym verwendet, die entsprechenden mittelhochdeutschen Begriffe wie altsprochen wort, spruch oder wort(elin) umfassen weitere phraseologische Formen, die in der heutigen Forschung eigene Kategorien bilden würden. Vgl. Eikelmann, Manfred / Reuvekamp, Silvia: Einleitung. In: Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Unter Mitarb. von Agata Mazurek, Rebekka Nöcker, Arne Schumacher und Sandra Theiß. Hrsg. von Manfred Eikelmann / Tomas Tomasek, Bd. 1, Berlin u. a. 2012, S. 1*-83*, hier S. 48*–66*.Vgl. auch Hallik, Sibylle: Sententia und proverbium. Begriffsgeschichte und Texttheorie in Antike und Mittelalter, Köln u. a. 2007 (Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit 9), hier S. 461 u. ö., zur modernen Forschung S. 32– 36. Vgl. Reuvekamp, Silvia: Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext. Ein Beitrag zur Poetik des höfischen Romans, Berlin u. a. 2007, hier S. 70. In ihrer Untersuchung der Sprichwortund Sentenzverwendung in literarischen Texten kommt sie zu dem Ergebnis, dass diese die Leserinnen und Leser auch dazu „zwingen […], die Konsensfähigkeit jedes einzelnen Mikrotextes wie seine Anwendung auf die Handlung zu reflektieren und sich dabei immer wieder auch der suggestiven Leistung von Formulierungen zu entziehen, die allgemein Gültigkeit beanspruchen“ (ebd., S. 90). Reuvekamp: Sprichwort und Sentenz, S. 67, hier in Bezug auf antike Rhetoriken. Heute einschlägige Einführungen in die Rhetorik, die i. d. R. von den Lehrbüchern der Antike ausgehen, beschäftigen sich eher beiläufig mit der argumentativen Funktion von Sprichwörtern. Bei Clemens Ottmers etwa wird die Sentenz als eines der künstlichen, d. h. unter Anwendung rhetorischer
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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auch mittelalterliche Artes dictandi den Einsatz von Sprichwörtern als argumentative Mittel zur Begründung und Bestätigung des Briefanliegens; vielen dieser Lehrschriften werden sogar umfangreiche, teils thematisch geordnete Sprichwortsammlungen beigegeben.¹¹⁶ Der Prior macht sich diese Begründungsfunktion zunutze und bereitet seinen Ratschlag durch das Sprichwort vor, indem er dem besonderen Fall eine allgemeine Aussage voranstellt, bei der er davon ausgehen kann, dass seine Zuhörer ihre Gültigkeit anerkennen. Zunächst erläutert er das Sprichwort: Bei einer Entscheidung zwischen Freunden werde man im Allgemeinen einen der Freunde verlieren, bei einer Entscheidung zwischen Feinden könne hingegen eine der Parteien zum Freund werden.¹¹⁷ Anschließend verknüpft er das Gesagte mit einer Einschätzung zur konkret diskutierten Situation: Im vorliegenden Fall seien sowohl die Nissinger als auch die Lappenhauser mit den Städten befreundet. Deshalb solle man die Freundschaft zu einer Partei nicht durch die Begünstigung der anderen aufs Spiel setzen.¹¹⁸ Argumentationslogisch nutzt der Prior einen Syllogismus, bei dem zwei Prämissen mit einer Schlussregel zu einer Konklusion geführt werden: Das Sprichwort ist hier als erste Prämisse anzusehen,¹¹⁹ die nachfolgende Erläuterung als Schlussregel. Die zweite Prämisse besteht in der Feststellung, dass sowohl
Kunstfertigkeit einsetzbaren argumentativen Mittel angekündigt, beschrieben wird sie erst im Kapitel zu den rhetorischen Figuren – hier allerdings wiederum als Figur, die allgemeine Zustimmung hervorbringt; vgl. Ottmers: Rhetorik, S. 192. Vgl. zusammenfassend Hallik: Sententia und proverbium, S. 315 f.; ausgewertet wurden Schriften des 11.–14. Jahrhunderts. Hallik druckt umfangreiche Auszüge aus den Sprichwortsammlungen in einem Anhang ab; vgl. ebd., S. 464– 621. Vgl. etwa: Won der freunden ich verleur | Aiͤ nen des chùm ich ze teur | Der veintten mag ich gwin̄ē aͤ yn | Ze freunt daz iſt dz ich da maͤ yn (Ring, V. 7711– 7714; „Denn einen meiner beiden Freunde zu verlieren, wäre ein schlimmer Verlust für mich. Von den Feinden hingegen könnte ich einen sogar zum Freund gewinnen: Das ist es, was ich sagen will“). Alſo mag ich ſprechen hie | Yederman der wayſſ wol wie | Vnſer freund ſein Niſſinger | Als wol ſam Lappenhauſer | Die schol man nicht alſo verlieſen | Vnd den andern tayl der chyeſen (Ring, V. 7715 – 7720; „Für unseren Fall heißt das: Wir alle wissen sehr genau, dass sowohl die Nissinger als auch die Lappenhausener zu unseren Freunden zählen. Von denen soll man nicht die einen preisgeben und nur noch die anderen gelten lassen“). Zum Einsatz von Sprichwörtern in der Argumentation vgl. Wirrer, Jan: Phraseme in der Argumentation. In: Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Hrsg. von Harald Burger u. a., Bd. 1, Berlin u. a. 2007 (HSK 28), S. 175 – 187; Wirrer, Jan: Phraseologie und Rhetorik. In: Wörter in Bildern – Bilder in Wörtern. Beiträge zur Phraseologie und Sprichwortforschung aus dem Westfälischen Arbeitskreis. Hrsg. von Rupprecht S. Baur / Christoph Chlosta / Elisabeth Piirainen, Baltmannsweiler 1999 (Phraseologie und Parömiologie 1), S. 421– 455.
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Nissingen als auch Lappenhausen mit den Städten befreundet sind. Daraus ergibt sich die Konklusion mit dem Ratschlag, sich neutral zu verhalten. Der Prior setzt also nicht nur ein Sprichwort zur confirmatio seiner Position ein, er baut seine Argumentation auch nach einem klaren, klassisch-rhetorischen Prinzip auf. Mit der für Ratschläge typischen Formel Das dunket mich in meinem ſin (Ring, V. 7722; „wie mir scheint“) beendet der Prior seinen Redebeitrag, und der Hauptmann von Paris ist an der Reihe.¹²⁰ Der Hauptmann setzt mit der Beteuerung ein, er könne seinen Vorredner nicht übertreffen: her priol hat geredt | Also weysleich hie ze ſtett | Daz ich nicht beſſers han ze ſinne (Ring, V. 7725 – 7727; „Der Herr Prior hat sich so klug zu der Sache geäußert, wie ich es gar nicht besser könnte“). Er wolle aber dessen Ratschlag mit einem zweiten Sprichwort bekräftigen (beweren): Jſt ein man auf haͤ ylem eys Der ge vil gmach ſo iſt er weis ¹²¹ Vnd hab ſich auf entwedern taͤ yl So vert er ſeine ſtraͤ ſſ mit haͤ yl Alſo ràt ich ze der ſach Daz wir beleiben mit gemach (Ring, V. 7731– 7736) Wenn jemand auf glattem Eis geht, dann sollte er sich vorsichtig bewegen, wenn er klug ist, und dabei beide Seiten genau ausbalancieren, dann wird er seinen Weg ohne Sturz überstehen. Also rate ich in dieser Angelegenheit, dass wir uns abwartend verhalten.
Durch das Sprichwort knüpft der Hauptmann nicht nur im Hinblick auf den Ratschlag, sondern auch in der Wahl seiner rhetorischen Mittel an seinen Vorredner an. Die Bestätigungsfunktion von Sprichwörtern, von der bereits der Prior von Florenz Gebrauch macht, spricht er explizit an. Anders als der Prior argumentiert der Hauptmann nicht syllogistisch, sondern enthymemisch, indem er nur eine einzelne Prämisse, das Sprichwort, anführt. Liest man die Reden der drei Berater als Muster für mögliche Beratungsreden, finden sich hier zwei der Formen des Argumentationsaufbaus, die seit der Antike gelehrt werden.¹²² Die Rede vom Gehen auf glattem (bzw. dünnem) Eis gehört noch heute zu den gängigen Meta-
Offenbar gibt es eine Form von Redeleitung oder Moderation, denn es heißt: Der haubtmann auch gefraget ward (Ring,V. 7723) – ein weiterer Hinweis auf einen hohen Grad der Formalisierung und Institutionalisierung der Beratungssitzung. Vgl. den Kommentar zu V. 7731 f.: Röcke: Kommentar, S. 475. Vgl. exemplarisch Ottmers: Rhetorik, S. 73 – 79.
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phern des politischen Diskurses;¹²³ hier wird es durch das Motiv des Ausbalancierens ergänzt, das den Bezug zum Verhältnis der Städte zu den Bauerndörfern mitreflektiert. Gefragt ist ein vorsichtiges Balancieren zwischen den Interessen der beiden Konfliktparteien, das zugleich die Interessen der Städte wahrt. Die Argumentation stützt der Hauptmann mit einem weiteren Beleg für seine Position, wonach die Städte sogar jede Berechtigung zur Zurückhaltung hätten, weil damit kein geltendes Recht gebrochen werde und man sich beide Seiten gewogen halten könne.¹²⁴ Nun folgt ein weiteres Sprichwort, mit dem der Hauptmann dazu rät, den Lappenhauser Boten trotz des negativen Bescheids einen guten Empfang zu bereiten: Verfluͤ chet ſey die mayſt’ſchaft | Die chùpfer aus dem ſilber macht (Ring, V. 7745 f.; „Verflucht sei die Handwerkskunst, die aus Silber Kupfer macht!“).¹²⁵ Das Sprichwort dient auch hier dazu, Evidenz zu erzeugen. Es enthält aber auch eine Aussage über die Selbstwahrnehmung des Sprechers als Vertreter eines politischen Kollektivs. Das eigene Auftreten und Verhalten im diplomatischen Verkehr erscheint als mayſt’ſchaft, als eine Kunst oder ein Handwerk,¹²⁶ das sich erlernen lässt und in dem man günstigenfalls glänzen kann – dessen Berechtigung aber infrage steht, wenn das produzierte Ergebnis weniger wert ist als das Ausgangsmaterial. Der Sprecher legt eine Analogie zwischen den diplomatischen Fähigkeiten der Städte und dem hochwertigen Silber nahe, weshalb eine schlechte Behandlung der Boten eine unnötige Verschlechterung des bereits erreichten Niveaus bedeuten würde. Der Hauptmann zeigt sich also besorgt um den
Typisch ist der Ausdruck ‚sich auf [sehr/ganz] dünnem Eis bewegen‘. Die Kookurrenzdatenbank CCDB, die auf der Grundlage eines Korpus geschriebener Gegenwartssprache erstellt wurde, listet für die Kookurrenz ‚Eis‘ mit ‚dünnem‘ 641 Belege, von denen 80 in der Form ‚auf welch dünnem Eis [… sich …] bewegt‘ auftreten, 22 wiederum in der Form ‚ein Tanz auf dünnem Eis‘. Vgl. Belica, Cyril: Analysewort: Eis. In: Kookkurrenzdatenbank CCDB. V3.3 (2001), http://cor pora.ids-mannheim.de/ccdb/?preload=http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/db/4569/456973/ t45697300.html?src=elex (13. Dezember 2021). Zum vormodernen Gebrauch vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. v. Samuel Singer. Hrsg. von Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistesund Sozialwissenschaften, Bd. 4, Berlin u. a. 1997, hier S. 440. Vgl. Ring, V. 7737– 7742. Vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. v. Samuel Singer. Hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Bd. 5, Berlin u. a. 1997, hier S. 128 – 130 mit Belegen u. a. bei Thomasin von Zerklaere, Ottokar von Böhmen, Konrad von Würzburg. Allerdings gelten diese der Wertlosigkeit von Kupfer im Vergleich mit Gold. Analoge Vergleiche in Bezug auf Silber werden i. d. R. mit Zinn oder Blei angestellt, vgl. etwa ebd., S. 129. So die Übersetzung der Röcke-Edition, Ring, S. 355.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
kulturellen Fortschritt der Stadtbürger, der zu seinem Selbstbild zu gehören scheint. Mit diesem Sprichwort von der Meisterschaft bewegt sich der Hauptmann nicht mehr im Rahmen der bisher verhandelten Frage, welche Haltung die Städte im Konflikt der Bauern einnehmen sollen. Vielmehr führt er einen neuen Aspekt, eine neue quaestio ein, die den konkreten Umgang mit den Lappenhauser Boten betrifft, an die die Entscheidung übermittelt (und vermittelt) werden muss. Der Akzent verschiebt sich von der Entscheidung auf die Modalitäten der Entscheidungsverkündung. Auf diese ist auch der Vorschlag bezogen, der den letzten Teil der Rede ausmacht und die Mitteilung an die Lappenhauser vorbereitet. Da mit ſo [ſchùllen wiͤ r ¹²⁷] Lappenhauſer ſag Zùchticleichen ſagen ab Vnd ſprechen wie iͤ r alteu treuw Jn vnſern herczen iſt ſo neuw Daz wir taͤ tin an geuar Alles das / das billeich waͤ r So iſt der edeln leuten muͦ t So haͤ yſſ auf vnſer leib vn̅ guͦ t Daz wir von vnſern ſtetten nicht Varren muͦ gen ze der geſchicht Dar vmb wir bitten ire huld Daz ſeu vns halten ane ſchuld (Ring, V. 7753 – 7764) Zugleich aber sollten wir das Lappenhausener Ersuchen in aller Form ablehnen, allerdings auch darauf hinweisen, dass ihre altbewährte Treue uns nach wie vor so bewusst sei, dass wir unbesehen alles tun würden, was recht und billig wäre. Nun trachte uns aber der Adel so unerbittlich nach unserem Leben und unserem Besitz, dass wir uns wegen dieser Angelegenheit zur Zeit nicht von unseren Städten entfernen könnten. Dafür bäten wir um ihr Verständnis sowie darum, uns nichts weiter nachzutragen.
Um die Zurückhaltung der Städte gegenüber den Bauern zu rechtfertigen, rät der Hauptmann mit einem gängigen Topos dazu, mit der Absage zugleich die anhaltende Freundschaft der Städte und der Bauern zu beschwören und grundsätzlich vorbehaltlose Unterstützung anzukündigen, nur um das Angebot für den konkreten Fall sofort einzuschränken: Die Bedrohung durch den Adel lasse eine militärische Hilfeleistung leider nicht zu. Die unbequeme Entscheidung soll gleich doppelt abgefedert werden, indem man die Beziehung stärkt und anschließend einen Sachzwang anführt, der außerhalb dieser Beziehung steht. Dies könnte als Ausrede verstanden werden, Vgl. Ring, V. 7747, in dem der zitierte Satz beginnt.
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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zumal wenig später dasselbe Motiv unter umgekehrten Vorzeichen wiederkehrt, als eine Reihe von Rittern ihrerseits ihre Hilfe mit der Begründung verweigert, dass sie sich im anhaltenden Konflikt mit den Städten befänden.¹²⁸ Die Rede des Hauptmanns von Paris gibt allerdings – anders als der Beitrag des Amtmanns, auf den noch einzugehen ist – keine Hinweise darauf, dass er die Lappenhauser gering achtet oder vorhat, sie zu täuschen. Er schlägt im Gegenteil vor, die Positionen von Bittstellern und Adressaten rhetorisch zu vertauschen, indem die Städte ihre Hoffnung auf Verständnis ausdrücken sollen.¹²⁹ Die Entscheidung gegenüber den Bauern soll mit anderen Gründen als in der internen Beratung legitimiert werden. Hierin lässt sich ein kontextspezifischer Wechsel in der Strategie sehen: In der internen Beratung wird eine Auseinandersetzung geführt, die Wert auf Genauigkeit legt, wobei man darauf abzielt, die eigenen Interessen zu wahren.¹³⁰ In der Kommunikation nach außen kann ein solches politisch-strategisches Kalkül jedoch nicht offen angesprochen werden. Hier geht es darum, eine unangenehme Botschaft so zu übermitteln, dass die êre des Gesprächspartners gewahrt und eine Trübung des Verhältnisses vermieden werden kann. Der dritte Redner in der Beratung der Städte rät ebenfalls davon ab, sich militärisch in den Konflikt der Bauern einzuschalten, er wählt allerdings eine andere Strategie zur Begründung seiner Position. Der gelerte Amtmann von Konstanz erhält mit einem Beitrag von 75 Versen noch einmal deutlich mehr Redezeit als seine Vorredner.¹³¹ Auch er beginnt mit einer Demutsformel und beteuert, dass er nichts Besseres zu sagen habe, fügt dann aber einen spezifizierenden Aspekt hinzu: Die vorhin rieten zuͦ d’ ſach Seyn ſo gerechte an iͤ r ſag Daz ich es nicht verbeſſern mag Von nataur i ̅ meinem ſin
Die Parallele bemerkt auch Fürbeth, Frank: Bischofsstädte als Orte der Literaturproduktion und -rezeption. Am Beispiel von Würzburg (Michael de Leone) und Konstanz (Heinrich Wittenwiler). In: Das Mittelalter 7 (2002), S. 125 – 146, hier S. 144. Bezeichnenderweise handelt es sich bei den Rittern um Figuren der romanischen und deutschen höfischen Literatur: Gawein, Lanzelot, Tristan aus der Matière de Bretagne, Reinhold von Montalban sowie Astolf aus der Matière de France (vgl. Ring, V. 8025 – 8030 und den dazugehörigen Kommentar der Röcke-Ausgabe). Die Welt des Rings inkorporiert somit Elemente aus literarischen Traditionen mit unterschiedlichem Fiktionalitäts- bzw. Historizitätsgrad. Vgl. Ring, V. 7763 f. Neben rationalen sind also auch pragmatische bzw. strategische Beweggründe beobachtbar. Vgl. allgemein Ottmers: Rhetorik, S. 72. Vgl. Ring, V. 7772– 7846.
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Doch ſam ich geleret pin Von einem der was ein juriſt Sprich ich […] (Ring, V. 7772– 7778). Meine Vorredner haben diese Angelegenheit rechtlich so angemessen gewürdigt, dass ich es mit meinem naturgegebenen Verstand gar nicht besser ausdrücken könnte. Doch da ich von einem Rechtsgelehrten unterrichtet worden bin, stelle ich fest, […]
Unter den Bedingungen einer Argumentation von nataur, auf Basis des natürlichen Verstandes, habe der Amtmann nichts zu ergänzen, in der gelehrten Argumentation vor dem Hintergrund des juristischen Diskurses hingegen sehr wohl. Er bringt damit eine Unterscheidung in die Beratung ein, die verschiedene Wissensbereiche für die Gewinnung von Argumenten benennt und die der Unterscheidung von natur und kunst entspricht. Dazu passt, dass sein Argumentationsstil sich von dem seiner Vorredner unterscheidet. Seine Ausführungen setzen nicht auf die Evidenz von Sprichwörtern und Gemeinplätzen, sondern nehmen eine juristische Klassifizierung der denkbaren Fälle vor, in denen man Hilfe leisten kann. Als Szenarien behandelt er dabei die Hilfeleistung im Allgemeinen und die Hilfe im Streit unter Freunden. Der Amtmann beginnt damit, dass die hilfe iſt | Zwiualtich nach rechter chùnſt | Daz iſt der ſchiͤ rm vn̄ auch d’ gùnſt (Ring, V. 7778 – 7780; „es [gibt] zwei rechtmäßige Möglichkeiten […], Hilfe zu leisten: Schutz und Begünstigung). Schutz müsse man jedem Christen bieten. Die Begünstigung lasse sich in die drei Formen der Beratung (ràt), der Einflussnahme (gewalt) und der tatkräftigen Unterstützung (Mitworchen) untergliedern,¹³² die grundsätzlich jedem Hilfesuchenden zu gewähren seien. Allerdings gibt der Amtmann mehrere Einschränkungen und Ausnahmen an. Man dürfe als helfende Partei nicht zu viel aufs Spiel setzen und freundschaftliche Beziehungen zu weiteren Parteien gefährden, kurz: Die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt bleiben.¹³³ Der letzte Teil der Systematik widmet sich dem Streit unter Freunden und enthält damit die entscheidenden Informationen für den vorliegenden Fall: Für eine dritte, mit beiden Seiten befreundete Partei sei es notwendig, zwischen den Konfliktparteien zu ſchaiden (Ring,V. 7823), also ein Schiedsverfahren einzuleiten. Erst wenn keiner der Versuche fruchtet, sei der Kampf wohl unabwendbar: Seyn ſeu aber bayd geleich An iren willen gar ze reich So laſſen wir ſeu alſo ruͤ g
Vgl. Ring, V. 7791– 7793. Vgl. Ring, V. 7785 – 7820.
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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Bis ſeu ſelber werden muͤ d (Ring, V. 7829 – 7832) Wenn sie aber von ihrem Willen durch überhaupt nichts abzubringen sind, dann sollten wir sie so lange herumtoben lassen, bis sie von selbst müde werden.
Auf Basis dieser allgemeinen Darstellung formuliert der Amtmann seinen Ratschlag: Zwei Boten sollen vermitteln und versuchen, für ein Schiedsverfahren zu werben;¹³⁴ wenn sie nichts ausrichten können, solle man die Bauern kämpfen lassen. Die Bauern kämpfen zu lassen, bedeutet im Umkehrschluss, dass der Amtmann eine eigene Beteiligung am Kampf ausschließt. Betrachtet man ausgehend von dieser Beobachtung die Argumentationen aller drei Ratgeber im Zusammenhang, so wird deutlich, dass sämtliche Szenarien darauf abzielen, sich aus dem Krieg zwischen den Dörfern herauszuhalten. Augenscheinlich geht es weder darum, den Krieg um jeden Preis zu verhindern, noch darum, eine Lösung zu finden, die dem Wunsch der Bauern entspricht. Ziel der Ausführungen ist es vielmehr, ein militärisches Eingreifen der Städte zu vermeiden. Die Beiträge der drei Ratgeber nehmen dabei aber sukzessive an Subtilität zu. Die zunehmende Länge und die Verkettungsstruktur der Motive hängt damit zusammen: Der Prior von Florenz warnt davor, sich bei einem Konflikt zwischen Freunden auf eine Seite zu schlagen. Er rät dazu, sich zunächst bequem zurückzulehnen und den Bauern eine Absage zu schicken, fügt aber hinzu, dass man sich die Bauern durch eine diplomatische Antwort gewogen halten solle.¹³⁵ Auch der Amtmann rät davon ab, sich militärisch am Konflikt zu beteiligen. Seine Argumentationsführung ist jedoch noch komplexer,¹³⁶ denn die Frage, die er verhandelt, ist nicht die Frage nach militärischer Hilfe, sondern nach Hilfe überhaupt. Er schließt nicht von
Die Vorbereitung eines Schiedsverfahrens ließe erwarten, dass die dritte Partei mit beiden Parteien spricht. So weit kommt es jedoch nicht, denn die Boten der Städte stoßen bei den Lappenhausern auf Desinteresse und eine Kontaktaufnahme zu den Nissingern wird nicht berichtet; vgl. Ring, V. 7853 – 7872. Vgl. Ring, V. 7735 – 7764. Riha nimmt das zum Anlass, der Rede des Amtmanns die höchste Qualität zuzusprechen, wenn sie den Städtekongress als „Gelegenheit zu recht ausgefeilten, sich in Quantität und Qualität steigernden Reden auf internationaler Ebene“ bezeichnet (Riha: Die Forschung 1851– 1988, S. 169). Auch Wiehl verweist auf das „Anwachsen der Repliken, das mit einer Zunahme der Aussagenqualität übereinstimmt“ und sieht dies als Beleg für die „bewußte Handhabung der direkten Rede durch Wittenwiler“ (Wiehl: Weiseu red, S. 113). Nach der Analyse des Städtekongresses in diesem Kapitel sollte deutlich geworden sein, dass die besondere Dynamik der erzählten Oratorik gerade im Zusammenspiel der Reden entsteht, die rhetorische Qualität des einzelnen Beitrags also gar nicht das Entscheidende sein muss.
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vornherein jede Form der Beteiligung aus, sondern lässt weitere Optionen zu – und im vorliegenden Fall des Streits unter Freunden ist die Hilfe durch Vermittlung der militärischen Hilfe vorzuziehen.
Demonstration von Ordnung durch Rede Der Amtmann bezeichnet die Bauern spöttisch als ſpreuwerſek (Ring, V. 7844; „Strohsäcke“). Er nimmt sie also nicht als gleichwertige Verhandlungspartner wahr, und in der Tat reagieren die Bauern mit Unverständnis auf den Vorschlag der Städte. Sie lehnen das Angebot kategorisch ab: Wir haben ſeu vmb hilf gepetten | Vnd nicht vmb frid ze machn̅ (Ring, V. 7860 f.; „wir [haben] sie um Hilfe gebeten […], nicht aber darum, Frieden zu stiften“). Dieser Umstand könnte dazu verleiten, den betriebenen argumentativen Aufwand als unnötigen Exkurs zu deuten, der auf der Handlungsebene folgenlos bleibt. Die Beratung dient auch nicht dazu, gegensätzliche Positionen miteinander zu vereinen, denn auch wenn sich die Argumentationen in ihrer Komplexität unterscheiden, liegt im Wesentlichen eine konvergente Argumentationssituation vor, bei der die drei Ratgeber sich gegenseitig bestätigen. Doch worin besteht diese Bestätigung, und warum betreiben die Städte einen solch immensen Aufwand? Die juristische Argumentation des Amtmanns von Konstanz kann hier Aufschluss geben. Seine Rede ruft die Konventionen juristischer Argumentation auf und stellt sicher, dass der Kongress den vorliegenden Fall einer wohlüberlegten, kritischen Examinierung unterzieht. Der Amtmann achtet auf Professionalität und formale Korrektheit. Damit steht er nicht allein, denn wie nun gezeigt werden soll, legen die Figuren in der gesamten Szene des Städtekongresses großen Wert auf ein professionelles Vorgehen. Die Reden im Städtekongress haben neben der instrumentellen auch eine symbolische Funktion: Sie dienen der Selbstvergewisserung und Repräsentation. Die politische Ordnung der Städte – und mit ihr der Habitus ihrer Führungsschicht – wird dargestellt, als effizient vorgeführt, und in ihrer Legitimität bestätigt. Der Eindruck von Professionalität entsteht dadurch, dass man auf ein geregeltes Verfahren zur Entscheidungsfindung und auf die wasserdichte Absicherung der Entscheidung selbst setzt.Wie die einleitende Bemerkung, do der tayding vil geſchach (Ring, V. 7693; „[n]ach langen Verhandlungen“) nahelegt, bleibt die zunächst einsetzende, vermutlich als weniger streng geregelt zu denkende Beratungsrunde der Städte ergebnislos. Nun wird ein Verfahren zur Entscheidungsfindung angewendet: Der als Versammlungsleiter agierende Senator von Rom begründet die Eignung der drei Ratgeber, schlägt ihre Ernennung vor und verteilt
5.4 Demonstration von Ordnung. Beratungsrede im Städtekongress
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damit Verfahrensrollen.¹³⁷ Eine rituelle Rollenübernahme, etwa durch Einkleidung oder einen Ernennungsakt, erfolgt nicht. Der Prior von Florenz protestiert sogar mit einem Bescheidenheitsgestus gegen die ihm zugedachte Ehre. Dennoch nimmt er sie explizit an und stellt sich in den Dienst der Gemeinschaft – doch nicht ſam ich da wil | Sùnder was iͤ r wellt daz ſey (Ring,V. 7704 f.; „doch soll es nicht nach meinem, sondern nach Eurem Willen geschehen!“). Auch die anderen Männer sprechen als Ratgeber und füllen dementsprechend ihre Rollen aus. Nach den Redebeiträgen der Ratgeber stimmen die anwesenden, aber nicht selbst als Redner hervortretenden Versammlungsteilnehmer dem Ergebnis durch Redeformeln zu: Der herczog von Venedy ſprach Beſſer red noch nie geſchach Dar zuͦ ſagt der poteſtat Von Padaw daz iſt mein ràt Von Pràg der ſchepfer warend drey Die ſprachen all daz ſey daz ſey (Ring, V. 7847– 7852) Der Herzog von Venedig meinte dazu: „Eine bessere Rede hat man noch nie gehört.“ Und auch der Podestà von Padua stimmte zu: „Mein Rat ist ganz derselbe!“ Aus Prag waren drei Ratsherren da, die sagten übereinstimmend: „Ja, ja, so soll es sein!“
Diese Ausrufe sind typische Formeln der Zustimmung, der rituellen Akklamation, in politischen Versammlungen des Mittelalters. Sie sind ebenso in Urkunden und chronikalen Darstellungen historischer Ereignisse dokumentiert wie sie sich in Die Anwesenden erkennen nicht explizit vorab die Verbindlichkeit des Ergebnisses an, der Prior schlägt es aber vor und von den übrigen Teilnehmern werden zumindest auch keine Vorbehalte geäußert (Was der pol [lies: priol] von Florencz | Vnd der amman vo̅ Costencz | Von Pareys der haubtman | Sprechent daz ſey als getan“ (Ring, V. 7699 – 7703; „Was der Prior von Florenz, der Amtmann von Konstanz und der Hauptmann von Paris entscheiden, danach soll verfahren werden!“). – Als charakteristisch für den Ablauf vormoderner Verfahren beschreibt StollbergRilinger einen Wechsel von Formalisierung und Informalität, zu dem eine rituell markierte Rollenübernahme gehören kann. Auf einen relativ freien Verhandlungsteil folge ein stark formalisierter Entscheidungsteil, dessen Formalisierung bis in die Körperhaltung des Richters reicht; vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Einleitung. In: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Hrsg. von Barbara StollbergRilinger / André Krischer, Berlin 2010 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 44), S. 9 – 34, hier S. 17. Dabei bleiben Möglichkeiten zum Ausstieg aus dem Verfahren bestehen; Stollberg-Rilinger spricht von einer „Kultur der Entscheidungsvermeidung“ durch Verzicht auf das Urteil (ebd., S. 19). Die so gefundene Entscheidung wurde nicht immer konsequent umgesetzt, durch das Verfahren wird aber ein „Maßstab ‚rationaler‘ und ‚gerechter‘ Verfahren“ etabliert (ebd., S. 28).
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literarischen Rats- und Beratungsszenen finden.¹³⁸ Sie sind ein wichtiges Instrument der politischen Entscheidungsfindung, die wesentlich auf der öffentlichen Demonstration von Konsens beruht. Christoph Dartmann beschreibt für die Darstellung von Bürgerversammlungen italienischer Kommunen, die in Notariatsinstrumenten überliefert sind, dass dort mit Nachdruck die Einmütigkeit der Anwesenden betont wird: „Dies konnte durch schweigende Zustimmung erfolgen, oft aber werden konsentierende Rufe wie Fiat! oder Ita sit! referiert.“¹³⁹ Florian Hartmann zitiert den Rhetoriklehrer Boncompagno da Signa, der die Reden in seinem Bericht über die Belagerung Anconas mit Fiat-Rufen enden lässt.¹⁴⁰ Der Ausruf daz ſey daz ſey, der den Vertretern der Prager Bürgerschaft im Ring in den Mund gelegt wird, ist eine deutsche Entsprechung des lateinischen ita sit, und auch die anderen Aussprüche fungieren analog.¹⁴¹ Die Formeln sind performative Sprechakte, die entscheidend zum Gelingen der Beratung beitragen. Zudem sichern sie die formale Korrektheit und Verbindlichkeit der Ergebnisse, denn Konsens ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung und muss so auch in den offiziellen Dokumenten erkennbar sein: Zugleich aber musste das Notariatsinstrument wie auch das dadurch dokumentierte Rechtsgeschäft hohen formalen Anforderungen genügen. Diese formalen Anforderungen betrafen nicht nur die Gestalt wie den Wortlaut des Urkundentextes, sondern auch den darin dokumentierten ordnungsgemäßen Vertragsabschluss. Deswegen kann in einer den Vorgaben des Notariats folgenden Dokumentation der Konsens eines parlamentum gar nicht anders als freiwillig und einmütig zum Ausdruck gebracht werden – jede Artikulation von Dissens oder jeder Bericht über eine Zwangsmaßnahme hätte das Notariatsinstrument aus juristischen Gründen entwertet.¹⁴²
Zur geschichtswissenschaftlichen Forschung vgl. Dartmann: Konsens, S. 33 mit weiterer Literatur. Historisch ist zwischen verschiedenen Versammlungstypen zu unterscheiden, für Italien etwa die Ratsversammlung von der Bürgerversammlung; vgl. zusammenfassend Dartmann, Christoph: Politische Interaktion in der italienischen Stadtkommune (11.–14. Jahrhundert), Ostfildern 2012 (Mittelalter-Forschungen 36), hier S. 396 – 398. In literarischen Beratungsszenen wie im Ring sind solche Unterscheidungen weniger wirksam. Dartmann: Konsens, S. 33; vgl. auch Dartmann: Öffentliche Interaktion, S. 52. Vgl. Hartmann: Politische Rede, S. 26, ebenfalls in Bezug auf eine „allgemeine Volksversammlung“. Georg Strack hat in seiner Untersuchung zur Rezeption von Urbans II. Kreuzzugspredigt von 1095 festgestellt, dass gerade der Ruf Deus vult ikonisch geworden ist, mit dem die Zuhörer ihre begeisterte Zustimmung signalisiert haben sollen. Ort und Kontext des Rufes wechseln, aber der Ruf bleibt prominent; vgl. Strack: Schlachtrufe, S. 192, 194 f. u. ö. Dartmann: Konsens, S. 36.
5.5 Kommunikationskulturen
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Auch hier zeigt sich also, dass der Ring darauf bedacht ist, ein ordnungsgemäßes Verfahren zu schildern.¹⁴³ Die Beratung des Städtekongresses dient nicht primär der Repräsentation nach außen, zumindest nicht im Sinne einer Öffentlichkeit, der die Bauern angehören. Im Zentrum steht vielmehr die Repräsentation nach innen, die Selbstvergewisserung darüber, dass man imstande ist, die bestehende politische Ordnung zu wahren und sie dadurch, dass man ihre Verfahren der Entscheidungsfindung pflegt, als funktionierende Ordnung vorzuführen.
5.5 Kommunikationskulturen Der Amtmann von Konstanz lässt durchscheinen, dass er schon damit rechnet, dass die Mediation ergebnislos endet, wenn er die Bauern ‚Strohsäcke‘ nennt.¹⁴⁴ Seine Skepsis erweist sich wenig später als begründet, denn die Lappenhauser reagieren mit Unverständnis und beschweren sich gegenüber der städtischen Gesandtschaft, es gehe ihnen nicht um den Frieden, sondern um Kriegsbeistand. Damit scheitert das Schiedsverfahren, bevor es überhaupt begonnen hat. In einem Text, der auf fast 1800 Versen eine Kriegshandlung inszeniert, in der alles auf die vollständige Zerstörung der erzählten Welt hinausläuft, ist das natürlich im Sinne der Erzähllogik und final motiviert. Darüber hinaus erfüllt die Skepsis des Amtmanns noch eine zweite Funktion, denn auf diese Weise bietet sich die Möglichkeit, die Perspektiven der Städte und der Bauern direkt miteinander zu konfrontieren. Dadurch werden fundamentale Unterschiede in den politischen Kulturen der Parteien sichtbar. Gert Hübner hat diese Differenzen, in Anlehnung an Bourdieu, als Unterschied in der habituellen Umsetzung von elitärem Wissen beschrieben. Laut Hübner versuchen die Bauern den Habitus der Elite zu imitieren, den die Stadtvertreter verkörpern. Sie eignen sich theoretisches Wissen dieser Elite an, ohne aber das nötige praktische Wissen zu besitzen, um deren Habitus tatsächlich vertreten zu können. Praktisches Wissen wird dabei als gewachsenes, implizites Wissen verstanden, das sich nicht in Form von Anleitungen erlernen lasse, sondern durch Sozialisation erworben wird.¹⁴⁵ Erst wer in beiden Bereichen versiert
Vorgeschlagen wird zudem mit dem Schiedsverfahren ein weiteres geregeltes Verfahren. Das Vermittlungsangebot entspricht durchaus der historischen Praxis; vgl. dazu Anm. 106 dieses Kapitels. Vgl. Ring, V. 7844. Vgl. etwa Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 232– 234.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
ist, könne situationsgerecht handeln.¹⁴⁶ Hierin sieht Hübner die Hauptbotschaft des Rings: Seinen vornehmen und gelehrten Adressaten führt er damit, in der fastnächtlich verkehrten Form, eine als nicht aufhebbar ausgegebene Ordnung vor: Höfisches Wissen ist vom Habitus des Adeligen, gelehrtes Wissen vom Habitus des Gelehrten nur um den Preis seiner Praxistauglichkeit ablösbar.¹⁴⁷
Wie das Begriffspaar vom höfischen und gelehrten Wissen erkennen lässt, speist sich der so entworfene Elitehabitus aus dem Adel und dem Gelehrtentum – Kategorien, die historisch auf der mittelalterlichen Ständeordnung beruhen, sofern mit mittelalterlicher gelehrter Bildung vorwiegend klerikal geprägte Bildung verbunden ist.¹⁴⁸ Im Spätmittelalter verlieren diese Kategorien mehr und mehr an Bedeutung, sodass Adelige ebenso wie Nichtadelige als gelehrte Räte und Diplomaten einflussreich werden.¹⁴⁹ Zieht man die Konsequenz aus dieser Beobachtung, so lässt sich die folgende These zum Städtekongress formulieren: Die Elitekultur der RingStädte ist als Kultur zu denken, die ihre Vertreter über die Grenzen der Stände hinweg rekrutiert und an der sowohl Adelige als auch Nichtadelige partizipieren können.¹⁵⁰ Auch die Unterscheidung zwischen Städten und Bauern ist somit nicht diejenige zwischen Herrscherhof und Bauernhof oder die zwischen Stadt und Land. Die Grenze wird gezogen zwischen ‚kultiviert‘ und ‚unkultiviert‘,¹⁵¹ zwischen Elite und Nicht-Elite. Der Ring erzählt anhand seiner bäuerlichen Figuren davon, wie erfolglos der Versuch ist, sich den Habitus der Elite anzueignen, wenn man nicht die entsprechende Sozialisation erfahren hat.¹⁵² Der bei Hübner gemachte Unterschied von Elite und Nicht-Elite lässt sich in ein Kommunikationsproblem übersetzen. Hübners Beobachtungen beziehen
Vgl. ebd., S. 227. Ebd., S. 242. Vgl. ebd., S. 234, Anm. 48. Zur Gruppe der gelehrten Räte vgl. Kapitel 2.3. Hübner selbst geht in zwei Absätzen auf die Argumentationskunst im Städtekongress ein und bemerkt dabei, dass die Teilnehmer in ihrer Standeszugehörigkeit teilweise unklar bleiben, stattdessen aber „als Amtsträger und damit gewissermaßen als Angehörige eines Berufsstands“ gekennzeichnet würden (Hübner: Erzählung und praktischer Sinn, S. 224). Wie Hübner herausgearbeitet hat, evoziert der Ring selbst das Bild einer Kultivierung von Wissen analog zur Landwirtschaft: Mätzli klagt darüber, dass sie die bluͤ ndeu frucht (Ring, V. 1971; „blühende Frucht“) der chunst (Ring, V. 1969) nicht ernten könne, weil sie versäumt hat, den Samen zu säen und die Pflanze zu pflegen. Vgl. ebd., S. 223. Vgl. ebd., S. 227– 230, 239 u. ö.
5.5 Kommunikationskulturen
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sich auf den Habitus und das Wissen der Figuren; analog dazu bestehen Unterschiede im kommunikativen Verhalten.¹⁵³ Hier prallen zwei Kommunikationskulturen aufeinander, die gewisse Parallelen aufweisen, aber in entscheidenden Aspekten inkompatibel sind. Der Vergleich des Städtekongresses mit den besprochenen Ratsszenen der Nissinger und Lappenhauser kann dies deutlich machen. Zunächst lässt sich feststellen, dass, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, sowohl die Redebeiträge der Bauern als auch der Städtevertreter rhetorisch durchgeformt sind: Neben den Gesandten aus Florenz, Paris und Konstanz gliedern auch Rüefli, Laichdenman, Strudel und andere Bauern ihre Reden in unterscheidbare Redeteile, nutzen Anrede- und andere Formeln, auch traditionelle Redetypen wie die Klagerede kommen vor. Bauern wie Städtevertreter nutzen etablierte rhetorische Topoi, wenn mit Freund-Feind-Schemata und Ordnungsmodellen mit natürlichen, biblischen bzw. kosmologischen Letztbegründungen argumentiert wird oder die Reden im Lappenhauser Rat das Gegeneinander von Alten und Jungen aufnehmen, von dem die Szene insgesamt geprägt ist. Beide Gruppen verwenden mit Sprichwörtern und ostentativer Differenziertheit die gleichen rhetorischen Mittel zur Evidenzerzeugung und zur Legitimation ihrer Positionen. Auch die Wirkungsabsichten überschneiden sich: Die Reden setzen zum Teil auf affektive, zum Teil auf rationale Wirkung bei den Zuhörern und sind damit erfolgreich, wie die Akklamationsformeln und die anschließenden Handlungsvorbereitungen in allen drei Szenen zeigen. Neben der Tatsache, dass alle besprochenen Ratsszenen rhetorische Muster aufweisen, sind jedoch auch deutliche Unterschiede in der Gestaltung der Szenen zu beobachten, die auf Differenzen in den politischen Redekulturen hinweisen. Sie lassen sich als Gegensatz zwischen einer statischen und einer dynamischen Auffassung von politischer Ordnung beschreiben. Die Städte verfügen über eine ausdifferenzierte Kommunikationskultur, die etablierte, von allen Versammlungsteilnehmern anerkannte Verfahren nutzt, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Formal und inhaltlich inszenieren sich die Redner als Vertreter einer
Mit dieser Trennung ist nicht zwangsläufig ein völliges Unwissen über die Kommunikation der anderen Seite verbunden: Der Konstanzer Amtmann antizipiert das Unverständnis der Bauern, und auch diese haben bereits eine Erwartung formuliert: Mit dem Vorschlag der Städte bestätigt sich, was Snegg im Nissinger Kriegsrat befürchtet hatte, dass nämlich ausführliche Beratungsprozesse der schnellen Rache abträglich sind und ausschließlich auf Ratschläge zur Besonnenheit hinauslaufen (vgl. Ring,V. 6740–6769). Anders als die Städte wollen die Bauern nur den Krieg als Mittel der Auseinandersetzung zulassen, Friedenswahrung durch Kompromiss ist gar keine Option. Das zeigt sich auch darin, dass die Nissinger im Krieg selbst ein Mittel der Friedenssicherung sehen.
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5 Politische Rede in Heinrich Wittenwilers Ring
professionellen, diplomatischen Elite, die klug, subtil und umsichtig agieren können, um ihre Interessen zu vertreten. Die kommunikativen Regeln des Kongresses zielen in ihrer Gesamtheit darauf ab, die politische Ordnung beizubehalten und zu stärken. Demgegenüber symbolisieren die Versammlungen der Bauern eher die Instabilität politischer Ordnung.¹⁵⁴ Die barfüßigen Ratsteilnehmer karikieren den Habitus politischer Würdenträger und sind weit vom Eindruck elitärer Berufspolitiker entfernt. Ein Konsens über die diskursiven Prämissen und die grundsätzliche Ausrichtung der Versammlung ist nur vage vorhanden, und sowohl die Nissinger als auch die Lappenhauser Ratsversammlung muss mit deutlichem Dissens umgehen. Wo die Städte ostentativ höflich sind – etwa bei der Auswahl der Ratgeber oder der Demonstration von Bescheidenheit –, kommt es bei den Bauern zu deutlich grenzüberschreitendem Kommunikationsverhalten – offener Widerspruch zu den alten Ratsmitgliedern ist ebenso üblich wie Zwischenrufe, Beschimpfungen und Gewaltandrohung bis zur Vertreibung Laichdenmans aus dem Rat. Weit mehr als im Städtekongress ist der Diskussionsverlauf der bäuerlichen Ratsversammlungen von dynamischen Wechseln geprägt. Das geht so weit, dass die Lappenhauser Bauern einfach eine neue Ordnung ausrufen und sich eigenmächtig zu Feudalherren ernennen. An der Redekultur der Bauern lässt sich so das Aufblitzen und Untergehen, die Kontingenz von Ordnung beobachten, in dieser Kommunikationskultur verändert sich die Ordnung permanent. Die untersuchten Szenen des Rings arbeiten somit intensiv mit dem Redeverhalten des bäuerlichen und des städtischen Figurenpersonals, das dazu genutzt wird, um den Kontrast zwischen einer unprofessionellen und einer elitären Redekultur in Szene zu setzen. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Welt der Bauern als einfaches Negativbeispiel und die Welt der Städte als Positivbeispiel zu deuten: Im Fall gelingender Kommunikation bleiben Prinzipien ihres Funktionierens häufig unsichtbar – gerade das unprofessionelle ‚bäurische‘ Redeverhalten im Ring macht es möglich, die Bedingungen und Mechanismen politischer Ordnungskonstruktion im Detail zu beobachten.
Es beginnt im Grunde bereits bei der Frage nach der Einordnung der Situation in einen politischen Horizont: Während der politische Charakter des Städtekongresses von vornherein gegeben ist, muss er bei den Nissingern erst hergestellt werden, wie der Perspektivwechsel von individueller zu kollektiver Schädigung zeigt, der sich im Wandel des Pronominalgebrauchs auch auf mikrorhetorischer Ebene ausdrückt; vgl. Kapitel 5.2.
6 Zur Untersuchung und Wirkung erzählter Oratorik Die Fallstudien zum Alexander-Anhang, zur Steirischen Reimchronik und zu Wittenwilers Ring untersuchen politische Rede jeweils aus einer synchronen Perspektive. Der nun folgende Abschnitt (Kapitel 6.1) bringt eine diachrone Perspektive ein und bietet einen Ausblick auf die historische Wirkung erzählter Oratorik. Anhand einiger Rezeptionszeugnisse zu Reden aus der römischen und zur mittelalterlichen Geschichte zeigt sich: Die Wirkungsgeschichte vormoderner Oratorik ist immer auch die Geschichte ihrer Darstellung. Abschließend (Kapitel 6.2) lassen sich die Ergebnisse dieser Untersuchung resümieren, indem sie in Bezug auf die Kategorien von praktizierter Oratorik, Oratorik als symbolischer Repräsentation und dargestellter Oratorik systematisch zusammengeführt werden.
6.1 ‚Uebrigens bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß‘. Wirkungsgeschichtliche Dimensionen dargestellter Oratorik „Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam, d. h.: Uebrigens bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß“¹ – für diese Worte ist Marcus Porcius Cato berühmt. Er soll sie immer wieder am Ende seiner Reden im römischen Senat gesprochen haben, um für einen dritten Punischen Krieg gegen Karthago zu werben. Die Stadt Karthago war so reich und mächtig geworden, dass die Römer sie als gefährliche Konkurrentin wahrnahmen.² Der zitierte Ausspruch ist in der verkürzten Form Ceterum censeo als ikonischer Redeschluss fest im kulturellen Gedächtnis verankert – so fest, dass der deutschsprachige Duden den lateinischen Ausdruck als eigenes Lemma aufführt und als Bedeutungsbeschreibung angibt: „im Übrigen meine ich (als Einleitung einer immer wieder vorgebrachten Forderung, Ansicht)“.³ Peter, Carl: Geschichte Roms in drei Bänden, Bd. 1, Halle 1853, hier S. 535. Zitiert nach Thürlemann, Silvia: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. In: Gymnasium. Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung 81 (1974), S. 465 – 475, hier S. 474. Vgl. Docter, Roald: Die griechische und punische Welt. In: Stadt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Harald A. Mieg / Christoph Heyl, Stuttgart 2013, S. 164– 173, hier S. 167 f. Dudenredaktion: Ceterum censeo. In: Duden online (o. D.), https://www.duden.de/node/ 132911/revision/132947 (13. Dezember 2021). https://doi.org/10.1515/9783110754711-007
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6 Zur Untersuchung und Wirkung erzählter Oratorik
Allerdings: Cato hat vermutlich keinen dieser Sätze so formuliert. Stattdessen haben sich die Varianten in der späteren Rezeption herausgebildet.⁴ Cicero etwa lässt Cato im Dialog Cato maior de senectute aus der Perspektive des erfahrenen Alten sprechen, ohne eine vergleichbare Formel zu benutzen: Nisi forte ego vobis, qui et miles et tribunus et legatus et consul versatus sum in vario genere bellorum, cessare nunc videor, cum bella non gero. at senatui quae sint gerenda praescribo et quomodo, Carthagini male iam diu cogitanti bellum multo ante denuntio; de qua vereri non ante desinam, quam illam excisam esse cognovero. Es müsste denn sein, dass ich selbst, der ich als gemeiner Soldat, als Tribun, als Legat und als Konsul die verschiedensten Kriege mitmachte, jetzt, da ich keine Kriege mehr führe, in euren Augen Feierabend habe. Im Gegenteil: Ich schärfe dem Senat ein, welche Kriege es zu führen gilt und mit welcher Taktik, indem ich gegen Karthago, das schon lange auf unser Verderben sinnt, längst den Krieg propagiere; es wird mir so lange Sorgen machen, bis ich weiß, dass es zerstört ist.⁵
Michael Maaß formuliert prägnant: „Das Zitat ist gelungen, aber falsch“.⁶ Auf die Richtigkeit oder Falschheit des Zitates kommt es hinsichtlich seiner Wirkung jedoch gar nicht an, denn eine Wirkungsgeschichte von Oratorik lässt sich ohne ihre Darstellung nicht schreiben. Das Cato-Zitat lebt sowohl bei antiken als auch bei neuzeitlichen Autoren weiter, die durch ihre Formulierungen am Ruhm des Redners Cato mitwirken. Insbesondere das Ceterum censeo scheint eine deutsche Eigenschöpfung zu sein – im englischsprachigen Raum ist Cato für die Sentenz Carthago delenda est bekannt.⁷ Silvia Thürlemann ist der deutschen Geschichte des Ceterum censeo
Vgl. Suerbaum, Werner: §162. M. Porcius Cato (Censorius). In: Handbuch der lateinischen Literatur der Antike. Unter Mitarb. von Jürgen Blänsdorf u. a. Hrsg. von Werner Suerbaum, Bd. 1. Neubearb., München 2002 (Handbuch der Altertumswissenschaft 8,1), S. 380 – 418, hier S. 383; mit Verweis auf Thürlemann: Ceterum censeo. Cicero: Cato Maior, 18. Zitiert nach der Ausgabe Cicero, Marcus Tullius: Cato Maior über das Alter. In: Marcus Tullius Cicero: Cato Maior. Laelius. Lateinisch – Deutsch. Mit einem Register von Gerhard Fink. Hrsg. von Rainer Nickel. Übers. von Max Faltner. 5., kompl. überarb. Aufl., Berlin u. a. 2011 (Sammlung Tusculum), S. 37– 131, hier S. 56; Übers. ebd., S. 57. Maaß, Michael: Ceterum censeo… oder so. In: Hannibal ad portas. Macht und Reichtum Karthagos. Hrsg. vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe. Lizenzausg., Darmstadt 2004, S. 380 – 382, hier S. 382. Vgl. Little, Charles E.: The Authenticity and Form of Cato’s Saying Carthago Delenda Est. In: The Classical Journal 29/6 (1934), S. 429 – 435, hier S. 429. Charles E. Little hat die Wirkungsgeschichte für die Zitat-Fassung untersucht, die den angelsächsischen Sprachraum am meisten beeinflusst hat (Carthago delenda est) und sieht in einer Stelle in De viris illustribus (Aurelius Victor zugeschrieben) die entscheidende Formulierung: „The fourth century writer, Aurelius
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nachgegangen und konnte feststellen, dass die hier berühmt gewordene Formulierung sich zwar an die – auf Griechisch verfasste – Cato-Biografie Plutarchs anlehnt, im lateinischen Wortlaut aber erst im 19. Jahrhundert aufkommt. Sie ist u. a. in der Geschichte Roms von Carl Peter enthalten, aus der das Eingangszitat dieses Kapitels entnommen ist. Der Plutarch-Übersetzer Kaltwasser und der Philologe Doering – beide Lehrer am Gymnasium Gotha – sind es schließlich, die um 1800 mit ihrer deutschen Formulierung von Catos Votum eine potentielle Grundlage zur Bildung des lateinischen ceterum censeo schaffen. 1821 wird die Wendung in Fiedlers Geschichte des römischen Staates und Volkes erstmals expressis verbis aufgeführt, ohne aber endgültig fixiert zu sein […]. Erst gegen 1850 scheint sich ceterum – möglicherweise aus stilistischen Gründen (Alliteration!) – erfolgreich durchzusetzen; es tritt 1848 in Sintenisʼ Plutarch-Ausgabe und fünf Jahre später in Peters Geschichte Roms als feste Redewendung auf.⁸
Im Laufe ihrer Geschichte passt sich die Darstellung der Cato-Sentenz den Bedingungen ihrer Umgebung an. Als direkte Rede ist Catos Forderung nur bei Plutarch überliefert, dort allerdings auf Griechisch; lateinische Geschichtsschreiber nutzen die indirekte Rede.⁹ Wie Michael Maaß zeigt, beeinflusst dies die formalen Möglichkeiten, da censeo in der indirekten Rede der lateinischen Texte nicht vorkommen kann und andere Wörter an seiner Stelle stehen.¹⁰ Der Cato zugeschriebene Satz könnte außerdem so wirksam gewesen sein, weil er den Rezeptionsgewohnheiten des Publikums folgt; Maaß vermutet, dass die bekannt gewordene Fassung gerade für deutsche Ohren passend klang, weil der Rhythmus an das Versmaß erinnerte, mit dem deutschsprachige Autoren antike Verse imitierten.¹¹
Victor, in his De Viris Illustribus xLvII, 8, with more definite phrasing, says: Cato Carthaginem delendam censuit. It will be seen, therefore, that the phrasing represents a rhetorical and dramatic description of the scenes in the senate in Cato’s last days from about 151 to his death in 149; that it is found in its clearness only beginning in extant Latin authors with Pliny the Elder, was taken up by Plutarch and Appian, and later given precision and quotability by Florus and Aurelius Victor“ (ebd., S. 434). Maaß erwähnt diesen Unterschied im Englischen und gibt delenda (quoque) Carthago est als Variante des englischen Sprachraums an; vgl. Maaß: Ceterum censeo, S. 380. Thürlemann: Ceterum censeo, S. 475. Thürlemann untersuchte Übersetzungen, Lateinlehrbücher und Geschichtsdarstellungen. Vgl. Maaß: Ceterum censeo, S. 380. „Das Prädikat censeo der direkten Rede entfällt bei den Wiedergaben in indirekter Rede, die von Verben wie clamaret […] und pronuntiabat […] regiert wird“ (ebd.). „[D]och nur, weil unsere klassischen Dichter für ihren Gebrauch antiker Versmaße die Silben nicht nach Längen, sondern nach Betonung unterschieden haben. Im Lateinischen, wo die Verse durch verschiedene Längen der Silben gebildet wurden, würde einem solchen Zitat dieser Charakterzug fehlen“ (ebd., S. 381).
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Catos Zerstörungsforderung, die auf eine zweitausendjährige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte zurückblicken kann, macht auf anschauliche Weise deutlich, dass Oratorik gerade in der literarischen Darstellung zu ihrer Wirkung kommt. Der römische Staatsmann und Autor Cato setzte sich nach dem Stand der historischen Forschung tatsächlich mit Nachdruck für einen Krieg gegen Karthago ein.¹² Auch war Cato bereits in der Antike als guter Redner bekannt; dazu trug er zum einen selbst bei, indem er seine – heute größtenteils verlorenen – Reden veröffentlichte, insbesondere aber verfestigten spätere Autoren seinen Ruf als vorbildlicher, wenngleich kontroverser Politiker.¹³ Es sind biografische und historiografische Texte sowie ein Dialog Ciceros, die Cato berühmt machen. Wie die vorliegenden Studien zeigen, muss man nicht bis in das antike Rom zurückgehen, um die Rolle politischer Rede zu beobachten und auch für die erzählte Oratorik der hier untersuchten Texte lässt sich teilweise eine Wirkungsgeschichte schreiben. So nahm Johann von Viktring die in Kapitel 4.1 besprochene Redeszene auf dem Augsburger Hoftag auf und berichtete, Rudolf I. habe beschlossen, sich vom Latein als offizieller Sprache abzuwenden und einzig auf die Volkssprache zu setzen. Er habe „ein Dekret erlassen […], wonach Privilegien in der Volkssprache geschrieben werden sollten, da die Schwierigkeit der lateinischen Sprache in der Vergangenheit zu Irrtümern, Zweifeln und zu Täuschungen der Laien geführt habe“.¹⁴ Die Auseinandersetzung zwischen Rudolf I. und Wernhart von Seckau in der Steirischen Reimchronik hat Johann von Viktring offensichtlich beeindruckt, denn die Passage nimmt in der modernen Edition mehr
Es ist auch ein entsprechendes Redefragment De bello Carthaginiensi erhalten, das aber nicht den kolportierten Schlusssatz enthält; vgl. Suerbaum: M. Porcius Cato, S. 400. Vgl. ebd., S. 383 – 387; besonders ebd., S. 385 f. Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 129 f., Anm. 58.Vgl. dazu die Originalstelle: Decretum in hiis curiis fuit, ut privilegia vulgariter conscribantur, quia Latinitatis difficultas errores et dubia maxima pariebat et laycos decipiebat (Johann von Viktring: Liber certarum historiarum, II, Rec. A, IV. Zitiert nach der Ausgabe [Johann von Viktring]: Iohannis abbatis Victoriensis Liber certarum historiarum. Teil 1. Hrsg. von Fedorus Schneider, Bd. 1, Hannover u. a. 1909 [Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. SS rer. Germ. 36], hier S. 221). Wie Krieger weiter ausführt, ist diese Information zum Dekret entweder inkorrekt oder es konnte sich nicht durchsetzen, denn die Dokumente der königlichen Kanzlei wurden auch nach dem Augsburger Hoftag weiterhin in lateinischer Sprache verfasst; vgl. Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 130 f., Anm. 58. Zur Abhängigkeit des Liber von der OStR vgl. Sellin: Dan das man in kainer Geschrifft findet, S. 287. Zu weiteren Texten, die diese Nachricht überliefern, vgl. Treichler, Willi: Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, Bern u. a. 1971 (Geist und Werk der Zeiten 26), hier S. 102– 104, Nr. 34.
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als eine Seite ein, wovon die meisten Zeilen auf die nacherzählte Redeszene entfallen.¹⁵ Die sogenannte Strafrede Kunigundes, die in der Steirischen Reimchronik zum erneuten Krieg gegen Rudolf I. von Habsburg und zu Ottokars Tod führt,¹⁶ wurde ebenfalls in späteren Chroniken rezipiert. Christiane Witthöft bezeichnet sie als „dauerhaftes Motiv in der Geschichtsschreibung“,¹⁷ das sich etablierte, „um eine mehr oder weniger stichhaltige Begründung für das weitere Vorgehen des Böhmen gegen das Reich zu liefern.“¹⁸ Die Neue Chronik des Klosters St. Peter in Erfurt gibt ihr ebenso einen Platz wie Matthias von Neuenburg oder der bereits angesprochene Johann von Viktring.¹⁹ Auch Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., schildert die Episode in der 1458 abgeschlossenen Historia Bohemica,²⁰ in der er Kunigundes Ansprache in direkter Rede darstellt. Enea Silvio war erfahrener Gesandter in politischen Angelegenheiten und gilt der historischen Orato-
Vgl. [Johann von Viktring]: Liber certarum historiarum, S. 221– 223. Der Bericht über den Augsburger Hoftag orientiert sich deutlich an der Steirischen Reimchronik: Die Passage entspricht in vielen Details OStR, V. 13052– 13186. Vgl. OStR, V. 14761– 14909. Krieger erwähnt die Passage in der Reimchronik: „Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, inwieweit die Behauptung des steirischen Reimchronisten zutraf, wonach Ottokar vor allem von seiner ehrgeizigen Frau Kunigunde von Machov zum Entscheidungskampf aufgestachelt worden sei. Gründe für die Wiederaufnahme des Krieges gab es auf beiden Seiten“ (Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 144). Witthöft: Ritual und Text, S. 125. Ebd. Vgl. ebd., S. 125 – 131. Knapp führt die Strafrede Kunigundes als „besonders gelungenes Beispiel“ (Knapp: Die Literatur, S. 374) für die szenische Gestaltung des Erzählten durch Reden an. Vgl. Witthöft: Ritual und Text, S. 125, Anm. 402 f. mit weiterer Literatur. Vgl. [Johann von Viktring]: Liber certarum historiarum, S. 231, der für den Vorfall biblische und historische Parallelbeispiele anführt. Vgl. auch Bok: Zum Bild, S. 44, Anm. 28. Zur Erfurter Chronik vgl. auch Seemüllers Kommentar zu OStR, V. 14761– 14825. Vgl. auch Graus: Přemysl Otakar II., S. 68, Anm. 45 f. Ebd., S. 95 zu Person und Rede der Königin Kunigunde von Böhmen. Graus referiert zudem aus einer bayrischen Chronik des 14. Jahrhunderts, die nicht die Rede, sondern andere Informationen nutzt, um Kunigunde durch ihre Beziehung zum böhmischen Adligen Zawisch von Falkenstein (von Rosenberg) zu diskreditieren: „Eine andere Version der Tätigkeit der Königin kennt um das Jahr 1328 der sogenannte Monachus Fürstenfeldensis […]: Danach hätte Záviš durch Zauberkünste, noch zu Lebzeiten Otakars, die Liebe der Königin errungen; das habe schon damals ein grassus murmur in Prag behauptet, und auch zu wissen geglaubt, Kunigunde habe sogar versucht, ihren Sohn (Wenzel II.) zu vergiften. In der böhmischen Tradition fanden diese Erzählungen keinen Widerhall“ (ebd., S. 68, Anm. 46). Vgl. Hejnic, Joseph / Hans, Rothe: Einführung. In: Piccolomini, Aeneas Silvius: Historia Bohemica. Historisch-kritische Ausgabe des lateinischen Textes. Hrsg. von Joseph Hejnic / Hans Rothe. Übers. von Eugen Udolph, Köln u. a. 2005 (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe B, Editionen N.F., 20,1), S. 01– 0269, hier S. 0101. Etwa zeitgleich zur Fertigstellung der Historia Bohemica wurde er zum Papst gewählt; vgl. ebd., S. 02 f.
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rikforschung als glänzendes Beispiel humanistischer Redekunst, dessen CladesRede von 1454 nicht nur als Ereignis der Reichstagsgeschichte, sondern auch „als literarisches Kunstwerk […] vor allem im deutschen Humanismus als Musterrede breit rezipiert wurde“,²¹ das in dieser Form selbst „ganz erhebliche ‚Wirkung‘ zeitigte“.²² In der Steirischen Reimchronik wirft Kunigunde ihrem Ehemann vor, gegenüber Rudolf I. eingeknickt zu sein und seinen symbolischen Provokationen keine Taten, d. h. in diesem Fall keinen Krieg, folgen zu lassen. swie wol ich ein wîp bin, hiet ir gehabt mînen sin, sô hiet ir verlân manic drôred, diu getân wart vor dem von Nurenberc, dô ir darnâch diu werc gegen im niht haben wolt, diu man nâch drô haben solt (OStR, V. 14851– 14858) Wiewohl ich eine Frau bin, wenn Ihr meinen Verstand gehabt hättet, so hättet Ihr manche Drohrede sein lassen, die vor dem von Nürnberg gehalten wurde, da Ihr danach die Handlungen gegen ihn nicht habt ausführen wollen, die man nach einer Drohung umsetzen sollte.
Enea Silvio Piccolomini verstärkt die Schmach für Ottokar II. in der Historia Bohemica, indem er die Versöhnung zwischen Rudolf und Ottokar als öffentliche Beschämung inszeniert. Durch eine List wird Ottokars Kniefall, der im geschützten Rahmen eines Zeltes stattfinden soll, vor den versammelten kaiserlichen und böhmischen Truppen zur Schau gestellt, indem das Zelt sich plötzlich teilt, zu Boden fällt und den Blick freigibt.²³ Der ohnehin wütende Ottokar wird nach Enea Silvios Darstellung anschließend von Kunigunde mit der Strafrede begrüßt, die in einer langen Passage wörtlicher Rede ausgeführt ist.²⁴ Sie ist anders strukturiert als die Rede in der Steirischen Reimchronik, aber analog zur oben
Helmrath: Rhetorik und Akademisierung, S. 437. Ebd. Zu Enea Silvios Oratorik vgl. auch Kapitel 2.3. Vgl. Piccolomini, Aeneas Silvius: Historia Bohemica. Historisch-kritische Ausgabe des lateinischen Textes. Hrsg. von Joseph Hejnic / Hans Rothe. Übers. von Eugen Udolph, Köln u. a. 2005 (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Reihe B, Editionen N.F., 20,1), hier S. 170 – 174 (Buch II, Satz 56 – 66). Zu Ottokars Kniefall vor Rudolf und zu den Varianten seiner Darstellung vgl. Krieger: Rudolf von Habsburg, S. 142; Treichler: Mittelalterliche Erzählungen, S. 71– 74, Nr. 20. Piccolomini: Historia Bohemica, S. 174– 178 (Buch II, Satz 68 – 84).
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zitierten Passage enthält sie ebenfalls einen Feigheitsvorwurf. Auch hier bezeichnet Kunigunde sich selbst als den besseren König: Age, si tibi virilis animus deest neque gladios exertos intueri potes, sine me regem esse. […] Utinam aut tibi meus animus fuerit, aut mihi obedientia, quam te habere animadverto. Sentiret profecto Rudolfus neque vires adversus dominos valere neque dolos. Nun gut, wenn dir Mannesmut fehlt und du gezückte Schwerter nicht sehen kannst, dann laß mich König sein! […] Wenn du doch meinen Mut hättest oder mir gehorchen würdest! Daß du gehorchen kannst, weiß ich ja. Dann würde Rudolf in der Tat merken, daß gegen Könige weder Streitkräfte noch Listen etwas vermögen!²⁵
Die Reimchronik zeichnet ein entschieden negatives Bild von Kunigunde und lässt Ottokar nach ihrer Rede so wütend werden, dass Rauch aufsteigt.²⁶ Er geht sehenden Auges in sein Verderben: daz wil ich iu ze leide tuon | und mir selben ze schaden (OStR, V. 14924 f.; „das will ich Euch zuleide und zu meinem eigenen Schaden tun“).²⁷ Enea Silvio markiert Kunigundes Rede zwar als Grenzüberschreitung, stellt sie aber in der Sache als legitim dar. Ottokar stimmt mit ihrer Ansicht überein: Othokarus, qui uxoris caritate teneretur eamque vera loquutam animadverteret simulque animi magnitudine irrogatam contumeliam ferre non posset, accersitis regni primoribus collectisque novis copiis Rudolfo, qui dolo secum egisset, bellum indicit. Ottokar, der durch die Liebe zu seiner Frau sich verpflichtet fühlte, und der merkte, daß sie die Wahrheit gesprochen hatte, und der zugleich die durch ihren Hochmut ihm zugefügte Schmach nicht ertragen konnte, erklärte, nachdem er die Ersten des Reiches zu sich gerufen hatte und neue Truppen rekrutiert hatte, Rudolf, der hinterlistig an ihm gehandelt hätte, den Krieg.²⁸
Ob Enea Silvio Piccolomini die Steirische Reimchronik kannte, lässt sich beim derzeitigen Stand der Forschung nicht sicher feststellen.²⁹ Keiner der beiden
Ebd., S. 176/178 (Buch II, Satz 79; 83 f.). Übersetzung ebd., S. 177/179. Vgl. OStR, V. 14910 – 14912. Später wird im Verlauf der Marchfeldschlacht, in der Ottokar II. getötet wird, an Kunigundes Schuld erinnert: manic fluoch wart gegeben, | daz si den kunic niht liez leben | mit kunic Ruodolfen in suon (OStR,V. 15689 – 15691; „Manch ein Fluch wurde gesprochen, dass sie den König nicht mit König Rudolf in Frieden leben ließ“). Vgl. zu dieser Stelle Bok: Zum Bild, S. 44. Piccolomini: Historia Bohemica, S. 178 (Buch II, Satz 85). Übersetzung ebd., S. 179. Die Herausgeber der Edition haben zwar die Schriften italienischer und böhmischer Chronisten, aber offenbar nicht die Steirische Reimchronik ausgewertet. Der Apparat vermerkt: „Eneas Bericht ist in der böhmischen Chroniktradition nicht belegt“ (Piccolomini: Historia Bohemica, S. 173, Anm. zu Satz 59 – 84). Möglicherweise erfolgte eine indirekte Vermittlung über die latei-
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Verfasser ließ sich jedenfalls die Gelegenheit entgehen, die Ereignisse nach Ottokars Kniefall mit einer Redeszene Kunigundes auszugestalten. Ihr Auftritt bietet ein anschauliches Beispiel für den politisch-rhetorischen Einfluss einer Frau in der Wahrnehmung spätmittelalterlicher Autoren. Die breite Darstellung der Rede dürfte einen Teil ihrer Faszination ausgemacht haben.
6.2 Erzählte Oratorik zwischen Praxis, Repräsentation und Darstellung Nach diesem Blick auf die Rezeption und Wirkung erzählter Oratorik seien die Beobachtungen aus den Fallstudien anhand der in Kapitel 2 vorgeschlagenen Untersuchungsdimensionen perspektiviert. Über praktizierte Oratorik lässt sich, wie zu erwarten, aus den untersuchten Texten zunächst wenig rekonstruieren. Auch für die Reden der Steirischen Reimchronik, die als Geschichtsdichtung Ereignisse der Realgeschichte schildert, ist anzunehmen, dass sie in der vorhandenen Form fingiert sind; das gilt nicht nur für die untersuchten Reden Wernharts von Seckau und Rudolfs von Habsburg,³⁰ sondern auch für die Redeszenen im Buch von Akkon ³¹ sowie Kunigundes von Böhmen.³² Dies sagt jedoch nichts über ihren Status in der zeitgenössischen Wahrnehmung aus. Die Überlieferung einiger der Episoden in späteren Chroniken zeugt davon, dass ihr Wirkungsanspruch wahrgenommen wurde und die Redeszenen einen anhaltenden Erfolg hatten. Wittenwilers Ring hingegen erzielt einen paradoxen Effekt, indem er mit literarischen Mitteln für eine Verschränkung von dargestellter und praktizierter Oratorik sorgt: Die Figur des Dorfschreibers Nabelreiber in der Ehedebatte spielt in einer Weise mit den Darstellungsbedingungen der Figurenrede, die ein Fenster zur praktizierten Oratorik öffnet, das auf die Form und die kommunikativen Regeln der Rede außerhalb des Rings referiert und diese in die dargestellte Welt hereinholt.³³ Für eine Untersuchungsperspektive auf Oratorik als symbolische Repräsentation bieten die untersuchten Texte reiches Material: Die politischen Konflikte in diesen Texten werden zu großen Teilen als rhetorische Auseinandersetzungen geführt. Formen verbaler und nonverbaler Kommunikation wirken dabei zu-
nische Chronik Johanns von Viktring, der in Kärnten wirkte; vgl. Sellin: Dan das man in kainer Geschrifft findet, S. 287. Vgl. Kapitel 4.1. Vgl. Kapitel 4.2. Vgl. Kapitel 6.1. Vgl. Kapitel 5.1.
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sammen, die Redeszenen führen sowohl die Möglichkeiten der rituellen Persuasion als auch der persuasiven Argumentation vor.³⁴ Als fundamental erweist sich die Analyse der Redeszenen im Handlungskontext, denn die oratorischen Auftritte sind als verbale Kommunikation eingebettet in einen größeren Zusammenhang symbolischer Kommunikation.³⁵ Die drei Fallstudien haben darüber hinaus gezeigt, dass Oratorik von den Darstellungsbedingungen ihrer jeweiligen Umgebung abhängt, weshalb sie sich als dargestellte Oratorik untersuchen lässt. Die untersuchten erzählten Redeszenen sind eingebunden in die Logik der Erzählung: Die Kommunikationsversuche im Alexander-Anhang sind genauso aufeinander abgestimmt wie die Streitgespräche der Akkonenser mit dem Kardinallegaten und der Hoftag des Sultans oder die Ratsversammlungen des Rings – sie müssen deshalb im Bezug zueinander untersucht werden. Auch auf der Detailebene lässt sich feststellen, dass dargestellte Reden in den umgebenden textlichen Zusammenhang integriert sind. Gegenüber den von der Rhetorik gelehrten Schemata mit meist fünf Redeteilen erscheinen die untersuchten erzählten Reden in der Regel verkürzt. Dies erklärt sich u. a. damit, dass ihre Funktionen auch von anderen Passagen im Umfeld der Reden erfüllt werden können, wie sich besonders für die Salutatio zeigt. Auch werden einzelne Abschnitte dargestellter Reden in indirekter Rede wiedergegeben oder abgekürzt, was die Erzählinstanz mitunter durch einen Verweis auf das rhetorische Brevitas-Ideal legitimiert. Insgesamt lässt sich erzählte Oratorik am besten erschließen, wenn man die genannten Untersuchungsdimensionen, die in Kapitel 2.4 heuristisch getrennt erarbeitet wurden, in der Analyse flexibel handhabt. Als ein zentrales Ergebnis der Untersuchung lässt sich deshalb festhalten, dass die untersuchten Texte Redekulturen darstellen, in denen die Äußerungen der Figuren in einen übergreifenden Zusammenhang politischen Handelns und Sprechens integriert sind. Dabei bestätigt sich der Eindruck, dass die italienische Oratorik als Leitmodell rezipiert wird, an dem die untersuchten Texte mitunter bis in die Details der Darstellung ausgerichtet sind. Insbesondere im Alexander-Anhang wird die Bezugnahme der als Redner auftretenden Figuren – Herrscher, Gesandte und städtische Würdenträger – auf die italienische Kultur offensichtlich. Die Figur des böhmischen Gesandten Wernhart von Seckau in der Steirischen Reimchronik spielt ebenfalls auf Italien an. Auch die untersuchten Redeszenen im Ring enthalten Referenzen auf die italienische Kultur, von größerer Bedeutung sind dort jedoch
Besonders deutlich in Kapitel 3.2 zur persuasiven Argumentation Alexanders und Kapitel 4.2 zur rituellen Persuasion im Buch von Akkon. Vgl. besonders Kapitel 3.3, 4.2 und 5.4.
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die Unterschiede zwischen dem bäuerlichen und dem städtischen Figurenpersonal, die dazu dienen, den Kontrast zwischen einer ungeordneten und einer geordneten, elitären Redekultur in Szene zu setzen. Die untersuchten Texte thematisieren Eloquenz als Bedingung für erfolgreiche Herrschaft – nicht nur des Monarchen, sondern auch der herrschaftsnahen Eliten. Dabei verhandeln sie zentrale Begriffe des politischen Diskurses wie Klugheit, Freiheit und Tugend in Redeszenen.³⁶ Immer wieder lässt sich beobachten, dass die Bildung einer rhetorischen Gemeinschaft eine Voraussetzung für die Existenz der politischen Gemeinschaft bildet: Dies demonstriert sowohl der Alexander-Anhang als auch der Hoftag des Sultans in der Steirischen Reimchronik. Das Gegenstück, die Störung von Gemeinschaft, ist zu beobachten, wenn die Oratorik der Christen in Akkon misslingt oder die Königin Kunigunde von Böhmen durch ihre Rede als Kriegstreiberin auftritt. Der Bauernrat des Rings, in dem eine Gruppe von Bauernfiguren sich per Sprechakt in den Adelsstand erhebt, macht schließlich die Kontingenz jeder Ordnungsgründung beobachtbar. Die Untersuchung erzählter Oratorik lässt sich auf weitere Texte ausdehnen und mit anderer Akzentsetzung der Fragestellung fortführen. Denkbar sind Vergleiche innerhalb einer Erzähltradition, etwa durch Hinzunahme weiterer Alexanderromane oder Verschroniken. Nach Gert Hübners Studie zu Partonopier und Meliur ³⁷ erscheint es lohnenswert, die Darstellung politischer Rede im Werk Konrads von Würzburg zu untersuchen und so den Fokus auf einen einzelnen Autor zu verschieben. Auch lässt sich den jeweiligen Vorlagen unter einer komparatistischen Fragestellung intensiver nachgehen. Deutlich geworden ist, dass die Literatur des späten Mittelalters in vielfältiger Weise von politischer Redekultur erzählt.
Vgl. etwa Alexanders Klugheit in Kapitel 1, die Freiheitsthematik in Kapitel 3 und das Lob auf die Tugend des Sultans in Kapitel 4.2 oder die Legitimation von Herrschaft in Kapitel 5.3, für die u. a. das Konzept des Tugendadels aufgerufen wird. Vgl. Hübner: wol gespraechiu zunge. Vgl. dazu Kapitel 1.1, bei Anm. 39.
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Autoren- und Werkregister Agricola, Johannes (Johann) 71 – Tragedia Johannis Huss 71 Alanus ab Insulis 112 Albertanus von Brescia (Albertanus Brixiensis, Albertano da Brescia) 96 – 98, 202, 221 – 223, 226 – Meister Albertus lere 222 – Tractatus de arte loquendi et tacendi 96 f., 222 Annales Aldersbacenses 144 Annales Otakariani 144 Annales Sancti Rudberti Salisburgensis 144 Appian 269 Aristoteles 25 – 27, 105 Aristotelis heimlichkeit, s. Ps.-Aristoteles Arnulf von Lisieux 51 Auctor ad Herennium, s. Rhetorica ad Herennium Augustinus 25 f., 192 Avian (Avianus) 133 Bauernhochzeitsschwank, s. Meier Betz Beda Incertus (Beda Venerabilis zugeschrieben) 27 – Sententiae philosophicae collectae ex Aristotele atque Cicerone 27 Bernhard von Bologna 59 Boncompagno da Signa 51, 262 – Rhetorica novissima 51 Caffaro – Annales Ianuenses (Genueser Annalen) 52, 102 f., 153 Cassiodor (Cassiodorus Senator) 218 Cato, Marcus Porcius (Censorius) 267 – 270 – De bello Carthaginiensi 270 Chronicon Sampetrinum (Cronica S. Petri Erfordensis moderna, Neue Chronik des Klosters St. Peter) 195, 271 Cicero, Marcus Tullius 27 f., 70, 111 f., 218, 268, 270 – Cato maior de senectute 268
https://doi.org/10.1515/9783110754711-009
– De inventione 112 Continuatio Altahensis
144
De excidio urbis Acconis 195 Die Bauernhochzeit, s. Meier Betz Dietrich von der Glezze 231 – Der Borte 231 Fleck, Konrad 231 – Flore und Blanscheflur Florus 269
231
Genueser Annalen, s. Caffaro: Annales Ianuenses Giovanni da Legnano (Johannes von Legnano, Lignano) 214, 243, 248 – De bello, de repressaliis et de duello 214, 243, 248 Gottfried von Straßburg 10, 113 – Tristan 10, 113 Gregorius Broda (Gregorius de Hungaricali Broda) 85 – Quadripartitus 85 Grillius 27 – Commentum in Ciceronis rhetorica 27 Halberstädter Makkabäer 27 Hartlieb, Johannes 82, 106 – Alexander 82, 106 Hartmann von Aue 164 Heinrich von dem Türlin 152, 231 – Diu Crône 152, 231 Heinrich von Freiberg 22 – Tristan 22 Heinrich von Mügeln 220 Heinrich von München 162 – Weltchronik 162 Henricus Italicus (Heinrich von Isernia, Heinrîch der Walch) 84 f. – De coloribus rethoricis 84 Herbort von Fritzlar 27 – Liet von Troye 27 Historia de preliis 70, 106, 121, 133
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Autoren- und Werkregister
Hrabanus Maurus 26 Hugo von St. Viktor 27 – Didascalicon (Eruditio didascalica) Hugo von Trimberg 215, 244 – Der Renner 215, 244
27
Innozenz III. (Innocentius III) 27 – Mysteria evangelicae legis et sacramenti eucharistiae 27 – Sermones communes 27 Iohannes Noviforensis, s. Johann von Neumarkt Isidor von Sevilla 218 Jans von Wien (Jans Enikel) 13, 163 – Weltchronik 13, 163 Johannes von Salisbury (Ioannes Saresberiensis) 26 f., 112, 153, 207 – Metalogicus 27 – Policraticus 26 f., 112, 207 Johannes von Viterbo 4 f., 221 – Liber de regimine civitatum 4 f., 221 Johann von Neumarkt (Iohannes Noviforensis) 85 Johann von Viktring (Victring) 144, 154, 270 f., 274 – Liber certarum historiarum 154, 270 f., 274 Kaiserchronik 13 f., 185 f., 204 Kirchner, Hermann 50 König Rother 14 Konrad von Würzburg 7 f., 14, 89, 255, 276 – Partonopier und Meliur 14, 276 – Trojanerkrieg 7 f., 89 Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs des Frommen (K. L. Ludwigs III. von Thüringen) 54, 162 Latini, Brunetto 70 – Rettorica 70 Libro de Apolonio 183 Lull, Ramon (Raimund, Raimundus Lullus) 34, 247 Märchen von der Ente mit goldnen Eiern 133
Matthias von Neuenburg 271 Meier Betz (Bauernhochzeitsschwank, Die Bauernhochzeit) 234 Meister Albertus lere, s. Albertanus von Brescia Nürnberger Prophetenteppich
221
Oculus pastoralis 50 f., 56 Ordinatio concilii generalis Lugdunensis 53 Ottokar von Steiermark (O. aus der Gaal, aus der Geul, Otacher ouz der Geul) 7, 9, 138 – 141, 143, 153, 159 f., 162 – 165 – Buch von Akkon 9, 21 – 23, 45, 54, 69, 142, 155–212, 274 – 276 – Steirische Reimchronik (Österreichische Reimchronik) 7, 9, 15, 20–23, 45, 47, 54, 69 f., 138–212, 267, 270 – 276 – Weltchronik 141 Otto von Freising (Fortsetzer: Rahewin) 85, 153 – Gesta Friderici 103, 127 Piccolomini, Enea Silvio (Aeneas Silvius, Pius II.) 17, 47, 49, 51 f., 53, 202, 271 – 273 – Constantinopolitana Clades 53, 60, 272 – Historia Bohemica 271 – 273 – Pentalogus 202 Piers Plowman, s. William Langland Pilgerfahrt des träumenden Mönchs 220 Pius II., s. Piccolomini, Enea Silvio Plinius d. Ä. (Plinius maior) 269 Plutarch 269 Pontano, Lodovico 48 Ps.-Aristoteles 80, 83 f., 90, 104 – Aristotelis heimlichkeit 80 – Secretum secretorum 80, 83 f., 90, 104 Quintilianus, Marcus Fabius 56, 217 – Institutionis oratoriae 56, 217 f. Rahewin, s. unter Otto von Freising (Fortsetzer: Rahewin) Reinhart Fuchs 207 Reynke de Vos 6 f. Rhetorica ad Herennium 57, 85, 111 f.
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Autoren- und Werkregister
Rolandslied 163, 185, 199 Romuald von Salerno (Romualdus Salernitanus) 52 – Chronicon 52 Rudolf von Ems 5 f., 13 f., 82, 133, 163 – Alexander 5 f., 82, 163 – Der Guote Gerhart 13 Salimbene von Parma (Salimbene de Adam) 153 Saxo Grammaticus 52 – Gesta Danorum 52 Secretum secretorum, s. Ps.-Aristoteles Straßburger Alexander 106 Stuler, Jörg 158 – Historienbuch 158 Thomasin von Zerklaere (Zirclaria) 3 f., 23 f., 221 – 225, 255 – Der Welsche Gast 3 f., 23 f., 221 – 225, 255 Thomas von Aquin (Thomas Aquinas) 26, 109, 112 Ulrich von Etzenbach 1 – 3, 8 f., 9, 20, 22, 54, 81 f., 84 – 86, 112, 120 f., 124, 128 f., 133 – Alexander-Anhang 1 – 3, 5, 8 f., 15, 20 – 22, 60, 80 – 120, 122, 128 f., 132, 171, 267, 275 – 277
– Alexander 1, 5, 8 f., 15, 20 – 22, 54 f., 60, 80 – 83, 85, 87, 106 f., 116, 120 – 137, 185, 207, 276 – Wilhalm (Willehalm) von Wenden 9, 84, 194 Ulrich von Liechtenstein 138 Victor, Sextus Aurelius 268 f. – De viris illustribus 268 f. Vincenz von Beauvais (Vincentius Bellovacensis) 27 – Speculum doctrinale 27 Waldis, Burkhard 27 f., 30 – Esopus 27 f., 30 Walter von Châtillon (Galterus de Castellione) 112, 120 f., 128, 133 – Alexandreis 112, 120 f., 128, 133 Wernher von Elmendorf 28 f. – Moralium dogma philosophorum 28 f. Wilhelm von Moerbeke 26 William Langland 73, 101 – Piers Plowman 73, 101 Wittenwiler, Heinrich 9 f., 213 – 215, 228, 234, 243, 259 – Der Ring 9 f., 15, 20 f., 23, 35, 47, 72, 190, 213 – 266, 267, 274 – 276 Wolfram von Eschenbach 47, 54, 69, 159 f., 162 – 169, 181 – Parzival 164, 167 – 169 – Willehalm 47, 54, 160, 163 – 169, 247
English Abstract Medieval German narratives often link the problems associated with sovereignty and social order to the demonstration of rhetorical competence, presenting eloquence as a central condition of successful rule. This volume examines narrative stagings of political oratory using the example of Ulrich’s von Etzenbach Alexander Romance, Ottokar’s von Steiermark Steirische Reimchronik (Styrian Rhymed Chronicle), and Heinrich Wittenwiler’s Ring. Connecting scholarship in history and literary studies and drawing on concepts of oratory as well as dialogue analysis, philosophy and the area of cultural history of politics (Kulturgeschichte des Politischen), this monograph provides a new model for the analysis of political speech that distinguishes between three dimensions of oratory: depiction, practice, and symbolic representation. The appendix to Ulrich’s von Etzenbach Alexander Romance establishes eloquence as a prerequisite for successful rule and demonstrates detailed knowledge of the oratorical culture of Italian city-states. The narrative is staged as a conflict between Alexander and the city of Trîtôniâ, whose inhabitants use magic to defend themselves, forcing Alexander to use diplomatic means. It takes an elaborate letter, delivered as a speech, for him to be accepted as a ruler. Both the Alexander appendix and two episodes from the main part of the romance draw attention to the significance of verbal forms of symbolic communication for a ruler’s ability to establish himself, and their relation to nonverbal communication. The Styrian Rhymed Chronicle by Ottokar von Steiermark sheds light on successful, failing, and ambivalent models of political communication. In its account of the conflict between Bohemia and Habsburg, the chronicle employs the semantics of Latin and German, both of which were used at the Augsburg imperial diet (Reichstag) in 1275. Bishop Wernhart of Seckau – whose character is in part modeled after the stereotype of the eloquent, albeit annoyingly talkative, Italian – provokes the lay nobility, showing off his education with a Latin speech. The part of the chronicle known as the Book of Akkon is filled with non-Christian rulers, diplomats, and aristocrats who shine with eloquence and wisdom, whereas the Christian characters fail to appease with their political oratory and remove the imminent threat of war. On the contrary, it is the character of a Roman papal legate who sabotages all communication and ultimately escalates the conflict. Heinrich Wittenwiler’s Ring serves as an example of a narrated oratorical culture in which speech features as a constituent in building political order, against the parodistic backdrop of a rural village. An urban assembly of delehttps://doi.org/10.1515/9783110754711-010
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English Abstract
gates from various cities showcases the stabilizing effects of political speech, but it is the unsophisticated countryfolk and their behavior that demonstrate the workings of oratory and political order. These case studies are primarily concerned with practices of oratory as depicted in narrative texts; the speeches in question have been invented and stylized to fit their narrative purposes. In the perception of their historical readership, however, this does not necessarily interfere with their status. The final chapter, therefore, discusses documents from antiquity to modernity that testify to the reception of historical oratory. It deals with the reception of Cato, Rudolf of Habsburg, Wernhart of Seckau, and queen Kunigunde of Bohemia, each of whom became famous for their speeches. It is the depiction of their oratory that contributed to their fame.