Ernst Moritz Arndt (1769-1860): Deutscher Nationalismus - Europa - Transatlantische Perspektiven. German Nationalism - European Visions - American Interpretations 9783110928877, 9783484351127

Once feted as the bard of the wars of liberation, Ernst Moritz Arndt (1769-1860) has today been largely consigned to obl

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German Pages 310 [312] Year 2007

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Ernst Moritz Arndt (1769-1860): Deutscher Nationalismus - Europa - Transatlantische Perspektiven.  German Nationalism - European Visions - American Interpretations
 9783110928877, 9783484351127

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf H&binger

Band 112

Ernst Moritz Arndt (1769–1860) Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven

Herausgegeben von Walter Erhart und Arne Koch

Max Niemeyer Verlag T&bingen 2007

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Ernst Moritz Arndt (1769–1860) Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven

Herausgegeben von Walter Erhart und Arne Koch

Sonderdruck aus: Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ISBN 978-3-484-35112-7

Max Niemeyer Verlag T&bingen 2007

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Gedruckt mit Unterst&tzung der Alexander von Humboldt Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet &ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-35112-7

ISSN 0174-4410

@ Max Niemeyer Verlag, T&bingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch&tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulEssig und strafbar. Das gilt insbesondere f&r VervielfEltigungen, Fbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestEndigem Papier. Satz: Laupp & Gçbel GmbH, Nehren Druck und Einband: Laupp & Gçbel GmbH, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Walter Erhart / Arne Koch Eine Amnesie mit Folgen: Transnationale Wiederentdeckungen Ernst Moritz Arndts im Kontext von Werk- und Zeitgeschichte . . . . . . .

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I. Die deutsche Nation und die nationale Frage Thomas Stamm-Kuhlmann Arndts Beitrag zur Definition der »Nation« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolf D. Gruner Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen und ihre Instrumentalisierung für die historische Legitimierung des preußisch-kleindeutschen Kaiserreiches . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Brian Vick Arndt and German Ideas of Race: Between Kant and Social Darwinism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dirk Alvermann Arndt und Kosegarten – zwei rügische Dichter zwischen Gott, Napoleon und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Sprache, Identität, Literatur Arne Koch Parameters of Low German Identity: Ernst Moritz Arndt’s Other Fatherland

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jürgen Schiewe Nationalistische Instrumentalisierungen: Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache

. . . . . . . . . . . . . . . .

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VI

Inhaltsverzeichnis

Sigrid Nieberle »Und Gott im Himmel Lieder singt«: Zur prekären Rezeption von Ernst Moritz Arndts Des Deutschen Vaterland . . . . . . . . . . . . . .

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Heide Crawford »[M]it Märchen und mit Träumen / Erinn’rung zu mir schwebt!«: Regional Identity and the Concept of ›Heimat‹ in Ernst Moritz Arndt’s Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Europäische Horizonte Walter Erhart Reisen durch das alte Europa – Ernst Moritz Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs und die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rex Clark Politics or Prejudice – Cultural Evaluations in the Travel Narratives of Ernst Moritz Arndt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Paul Michael Lützeler Der Erste Konsul als Imperator Europae – Die Napoleonkritik von 1802 bei Arndt, Seume und Coleridge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

IV. Deutsch-amerikanische Beziehungen Lorie A. Vanchena The Americanization of Ernst Moritz Arndt’s Political Poetry in the Nineteenth Century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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William Keel Hartmuth Arndt: Traces of a German Immigrant in the American Heartland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Dokumente Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt Twenty-one unpublished letters from the Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies of the University of Kansas, Lawrence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

VII

Ernst Moritz Arndt Entwurf einer teutschen Gesellschaft (1814) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Beiträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister

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Eine Amnesie mit Folgen: Transnationale Wiederentdeckungen Ernst Moritz Arndts im Kontext von Werk- und Zeitgeschichte In der zwischen 1900 und 1910 in vier Auflagen erscheinenden Literaturgeschichte von Richard M. Meyer, Die deutsche Literatur des Neunzehnten Jahrhunderts, beginnt das 19. Jahrhundert mit zwei herausragenden intellektuellen Figuren: Alexander von Humboldt (1769 – 1859) und Ernst Moritz Arndt (1769–1860). »Da war es nötig, daß Männer kamen, die wieder in persönlicher Wirksamkeit, im Anteil an den großen Tagesfragen ihr Element fanden [. . .]. Zwei Naturen von beispielloser Lebenskraft, sind sie durch und durch auf öffentliche Tätigkeit, auf die Bemühung um greifbare Ziele angelegt.«1 Der eine dieser Autoren, Alexander von Humboldt, erlebte vor kurzem eine spektakuläre Renaissance. Seine auch von Richard M. Meyer hervorgehobenen Werke Kosmos (1845 – 1858) und Ansichten der Natur (1805) wurden als weithin zu entdeckende kulturwissenschaftliche und interdisziplinäre Standardwerke neu ediert,2 ihr Autor als einer der maßgeblichen Denker des noch bevorstehenden 21. Jahrhunderts gewürdigt.3 Ein deutsch-amerikanisches Internetprojekt, das Alexander von Humboldts Reiseliteratur digital aufbereitet, verwandelt Humboldts Universalgelehrtentum in ein weltweit operierendes mediales Netzwerk.4 Darüber hinaus hat die deutsche Gegenwartsliteratur in Alexander von Humboldt unlängst einen ihrer literarischen Helden gefunden: in Daniel Kehlmanns viel gerühmten Bestseller Die Vermessung der Welt.5 Im Falle Ernst Moritz Arndts wäre Ähnliches heute undenkbar. Kaum einer der vor hundert Jahren noch gefeierten Autoren ist heute so gründlich vergessen wie er. Bereits Richard M. Meyer musste bedauernd konstatieren, Arndt habe »mit 1

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Richard M. Meyer: Die deutsche Literatur des Neunzehnten Jahrhunderts. 2 Bände. Vierte umgearbeitete Auflage. Berlin: Georg Bondi 1910, Bd. 1, S. 19. Alexander von Humboldt: Kosmos. Versuch einer physischen Weltbeschreibung. Berlin: Eichborn 2004; Alexander von Humboldt: Ansichten der Natur. Berlin: Eichborn 2004. Ebenso wurden Humboldts südamerikanische Reiseberichte publiziert: Alexander von Humboldt: Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Berlin: Eichborn 2004. Vgl. Ottmar Ette: Weltbewußtsein. Alexander von Humboldt und das unvollendete Projekt einer anderen Moderne. Weilerswist: Velbrück 2002. Vgl. Alexander von Humboldt im Netz (HiN). International Review for Humboldtian Studies / Revista Internacional de Estudios Humboldtianos / Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (2001ff.). http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/ hin1.htm. Vgl. z. B. Rex Clark: If Humboldt had a Laptop. Moving Knowledge Networks from Print to Digital Media. In: HiN II, 3 (2001). Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Roman. Reinbek: Rowohlt 2005.

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seinen prachtvollen Prosaschriften den Nachhall nicht gefunden, den er verdiente« – und dies obwohl gerade Schriftstellern wie ihm andernorts ganz andere Aufmerksamkeit zuteil werden würde: »Besäße eine andere Nation ein Buch wie seinen ›Geist der Zeit‹ (1805), so voll eindringlicher Charakteristik der Völker, voll mahnender Schilderung der Stände, voll feuriger Vaterlandsliebe – es stände auf dem Bücherbrett jedes Patrioten, es fehlte nirgends, wo man Kraft der Rede ehrt.«6 Das Plädoyer des jüdischen Gelehrten und Germanisten Meyer für Ernst Moritz Arndt nimmt sich heute seltsam, fast gespenstisch aus; es mag gleichwohl signifikant sein für die wechselvolle Wirkungsgeschichte eines Ernst Moritz Arndt, die um 1900 noch keineswegs zu Ende war. Meyer, dem aufgrund seiner jüdischen Herkunft zeitlebens eine ordentliche Professur verwehrt blieb, konnte den in Deutschland schmalen Grat zwischen Patriotismus und Chauvinismus damals – um 1900 – offenbar nur unterschätzen. Eine »Nation«, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr schnell wieder auf ihre patriotischen und nationalistischen Leitfiguren berief, nahm die antifranzösische und deutschtümelnde »Rede« eines Ernst Moritz Arndt um 1914 ebenso wie um 1933 außerordentlich dankbar und begeistert zur Kenntnis; sie feierte die hasserfüllte Propaganda vieler Schriften Arndts und glorifizierte den auch von antisemitischen Regungen nicht freien Vaterlandsdichter Arndt, den ›Sänger der Befreiungskriege‹ und den ›Vorkämpfer‹ deutscher Einheit. Sie taufte zahlreiche Straßen und Gymnasien auf seinen Namen, ebenso seine Heimatuniversität Greifswald.7 Sie wusste die nationalistische Rhetorik seiner Bücher effektvoll zu nutzen und hob Arndt in die Ahnengalerie jener Helden, die man für die deutschnationalen und nationalsozialistischen Umtriebe der deutschen Politik zwischen Kaiserreich und Drittem Reich so dringend benötigte.8 Nach 1945 geriet Arndt aus all diesen Gründen in eine ebenso verdiente wie gründliche Vergessenheit. Seine Werke wurden nicht mehr gelesen, sein mit »feuriger Vaterlandsliebe« (Meyer) erworbener Ruf als patriotischer Dichter und Essayist verkehrte sich ins Gegenteil, sein Name und seine Bücher verschwanden nahezu spurlos aus dem öffentlichen Gedächtnis – nur sporadisch unterbrochen 6 7

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Meyer (Anm. 1), S. 20. Die Namensgebung der Universität Greifswald im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 geht nicht auf eine nationalsozialistische Initiative zurück, sondern auf Bestrebungen der deutschnationalen sog. ›Stahlhelm‹-Fraktion. Vgl. dazu ausführlich Dirk Alvermann: Zwischen Pranger und Breitem Stein. Die Namensgebung der Universität Greifswald und die aktuelle Situation. In: Karl Ludwig Tietz, Sven Wichert (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen. Neue Materialien zu einer alten Diskussion. (Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 8/2003). Ueckermünde: Offset Druck 2003, S. 23 – 40. Vgl. hierzu die Dokumentation: Arndt-Denkmale und Arndt-Ehrungen im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft (Hefte der Ernst-MoritzArndt-Gesellschaft 4/1996). Ueckermünde: Offset Druck 1996. Zu den antisemitischen Tendenzen bei Arndt vgl. Arno Herzig: Ernst Moritz Arndt und der Diskurs um die Emanzipationen der Juden. In: Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen (Anm. 7), S. 86 – 99.

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von Hinweisen auf politische unverdächtige Schriften und regionalistisch motivierten Wiederbelebungsversuchen,9 von konservativ-nostalgischen Reminiszenzen an versunkene Traditionen10 oder – nach 1989 – von einer feuilletonistisch und heftig geführten Debatte darüber, ob eine Universität weiterhin den bedenklich gewordenen Namen eines Ernst Moritz Arndt tragen sollte.11 Arndts Werke gehören heute zur Vorgeschichte des deutschen Nationalismus; der Verlust ihrer propagandistischen Bedeutung zählt zweifellos zu den großen republikanischen Errungenschaften der (west-)deutschen Geschichte und Politik nach 1945. In historischer Perspektive freilich bleibt Arndt weiterhin eine der bedeutsamsten Figuren der jüngeren deutschen Geschichte, dessen Resonanz sich auf Politik, Kultur und Literatur gleichermaßen erstreckte, auch auf die Wissenschaftsgeschichte der von ihm selbst mit beförderten Germanistik. Umso erstaunlicher ist Arndts fast spurloses Verschwinden in der wissenschaftlichen Forschung. Der Name Arndt dient zwar als gängige Münze in der Geschichtsschreibung über deutsche Sonder- und Irrwege, er bildet einen beliebten Registereintrag in allen geschichts- und literaturwissenschaftlichen Werken über die Befreiungskriege.12 Seine geradezu ikonische Präsenz vor 1945 führte nach 1945 jedoch nie zu einer näheren wissenschaftlichen Beschäftigung mit seiner Rolle und seiner Wirkung oder gar mit seinen gänzlich unbekannt gewordenen Werken. Die stichwortartige Nennung des Namens ›Arndt‹ in diesen Zusammenhängen steht demzufolge in auffallendem Gegensatz zu seiner historisch lange Zeit repräsentativen Funktion. Ein wichtiger Grund hierfür ist zweifellos in der arbeitsteilig organisierten Forschung der institutionalisierten Fachdisziplinen zu finden. Die Geschichtswissenschaft betrachtet Arndt heute eher als das literarisch-kulturelle Sprachrohr einer ›Bewegung‹, als eine Figur, die das Geschehen der Befreiungskriege und des frühen 19. Jahrhunderts zwar wortgewaltig begleitete, als lediglich symptomatische Figur jedoch kaum ›politisch‹ oder geschichtsmächtig werden konnte. Für die Literaturwissenschaft war Arndt umgekehrt eine bloß öffentlich-historische Figur: Seine tagespolitisch orientierten Werke verloren mit der Geschichtlichkeit der historischen Ereignisse ihre ästhetisch-literarische Bedeutung, die Verfallszeit seiner Essays und Gedichte entfernte den Autor Arndt aus dem litera9 10

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Gustav Sichelschmidt: Ernst Moritz Arndt (Preußische Köpfe). Stapp: Berlin 1981. Vgl. Hellmut Diwald: Ernst Moritz Arndt – Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins. München: Carl Friedrich von Siemens Stiftung 1970; Johannes Paul: Ernst Moritz Arndt. »Das ganze Teutschland soll es sein!« Göttingen u. a.: Musterschmidt 1971. Vgl. dazu die Dokumentation in: Ernst Moritz Arndt im Widerstreit der Meinungen. Materialien zu neueren Diskussionen. Hg. v. der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft (Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 7/2000). Ueckermünde: Offset Druck 2000. Vgl. z. B. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. München 1987, S. 523ff. Zu den wenigen aktuellen und gründlichen Forschungsarbeiten über die Befreiungskriege (mit gleichwohl marginalem Bezug zu Ernst Moritz Arndt) gehört Karen Hagemann: »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre.« Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn u. a.: Schöningh 2002.

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turgeschichtlichen Kanon, seine nach 1945 politisch eher stigmatisierte Bedeutung machte ihn für die sozialgeschichtlichen Sondierungen der germanistischen Literaturwissenschaft in den 1960er Jahren ebenso uninteressant wie untauglich.13 Für die Historiker war Arndt demnach zu literarisch, für die Germanisten zu historisch. Solange sich für Arndt allerdings keine historisch-philologische Wissenschaft zuständig erklärt, verbleibt seine historische Bedeutsamkeit im historischen Dunkel und wird infolgedessen schon fast wieder rätselhaft. Wer denn Ernst Moritz Arndt gewesen, wie sein umfängliches Werk und seine Wirkung heute einzuschätzen sei, entpuppt sich plötzlich als ein überraschend offenes Geheimnis. Aufgrund seiner frühen Schrift gegen die schwedisch-pommersche Leibeigenschaft14 und seines Eintretens für die nationale Freiheit und Einheit wurde Arndt zwischenzeitlich von durchaus unterschiedlichen politischen Gruppierungen vereinnahmt und konnte – wie zuletzt in der DDR – auch für höchst unterschiedliche gesellschaftliche Zwecke beansprucht und instrumentalisiert werden. Lassen sich Arndts Widersprüche auf seine verschiedenen Werke verteilen oder ist die Widersprüchlichkeit seines Werks selbst repräsentativ für die Gesellschaftsgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts? Beinhaltet die von Richard M. Meyer bei Arndt gerühmte, um 1900 offensichtlich noch reichlich unverdächtige »Kraft der Rede« eine bislang offene Frage über die Funktion (und den späteren Geltungsverlust) politischer und literarischer Rhetorik zu Zeiten der Romantik und des Vormärz? Wie erklären sich die im Falle Arndts wohl einmaligen Kontinuitätsbrüche einer literarischen und gesellschaftlichen Wirkungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert? Eine bis heute fehlende Geschichte der Arndt-Rezeption gäbe Aufschlüsse nicht nur über ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutscher Ideologie, sondern auch über die wechselhafte und nach 1989 wieder unmittelbar aktuell gewordene Geschichte nationaler Identität in Deutschland. Bleibt Arndt in diesem Zusammenhang ein bloß sekundäres Rezeptions- und Wirkungsphänomen – oder lassen sich seinen Werken heute auch Erkenntnisse entnehmen, die wie keine anderen zur Erforschung der Literatur- und Kulturgeschichte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts beitragen könnten? In der einseitig nationalistischen Wirkungsgeschichte seiner Schriften wurde selbst vehement interpretiert und selektiert: manches über Gebühr hervorgehoben, anderes verdrängt, manches allzu schnell kanonisiert, anderes überlesen, Standardwerke konserviert (Geist der Zeit, Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn [. . .] von Stein, die Gedichte), anderes bestenfalls erwähnt oder 13

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Vgl. auch die eher untergeordnete Rolle, die Arndt in einem bereits älteren literarhistorischen Standardwerk über die Lyrik der Befreiungskriege spielt: Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege (1812 – 1815). Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willensbildung durch Literatur. Stuttgart: Metzler 1991. Eine Ausnahme in Hinblick auf Arndts Wirkung auf die Dichtung im 19. Jahrhundert bildet Lorie A. Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in the Nineteenth Century. New York u. a.: Peter Lang 2000. Ernst Moritz Arndt: Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen. Berlin: Verlag der Realschulbuchhandlung 1803.

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als gefälliger Zitatenschatz verwertet (die Reiseberichte, die Autobiographie Erinnerungen aus dem äußeren Leben, die umfangreiche Korrespondenz). Nicht selten wurde Einförmigkeit dort konstruiert, wo Dissonantes vorherrscht, wurden Ideen und Ideologien beschworen, wo ein genauer Blick eher eine historische Gemengelage von durchaus widerstreitenden Traditionen erkennen würde. Fast immer etwa haben die Interpreten Arndts ›nationale Wende‹ im Kontext der Befreiungskriege auch in frühe Werke hinein projiziert, haben Entwicklungsstränge und Konsequenzen gesehen, wo sich Arndt selbst vielleicht überaus widersprüchlich und strategisch neu positioniert hat, haben sich einen Autor zurecht gelegt, dessen Bild und dessen Werke sich einer nationalistisch und ideologiekritisch unterstellten Homogenität immer auch entziehen. Arndts Nationalismus im Zuge der Befreiungskriege war der spektakuläre Auftakt einer folgenreichen Wirkungsgeschichte, verdeckt heute jedoch zahlreiche andere Aspekte seines Werkes – jene Vorgeschichte etwa, als sich Arndt, geboren 1769 auf der unter schwedischer Herrschaft stehenden Insel Rügen, als Gelehrter und Autor zu profilieren suchte. Der junge Arndt stand damals noch ganz in der aufklärerischen Tradition: mit seiner Schrift über die Leibeigenschaft, seiner Dissertation über Rousseaus Zivilisationstheorie,15 als Professor für Geschichte an der damals ebenfalls schwedischen Universität Greifswald, von der er wegen seiner antifranzösischen Ressentiments jedoch seinen Abschied nahm und ein unruhiges Wander- und Flüchtlingsleben begann, das ihn von Schweden bis nach Italien führte. Seine nationalistische Parteinahme brachte ihm zu gegebener Zeit jedoch (1818) schnell eine Professur in Bonn ein; Patriotismus war damals allerdings ein buchstäblich zweischneidiges Schwert: Bereits im Jahre 1820 wurde Arndt seines Amtes enthoben, weil er – zur Zeit der Restauration und des Deutschen Bundes – in den Verdacht patriotisch-freiheitlicher Umtriebe und in die Geschichte der so genannten Demagogenverfolgung geriet. Gerade noch gefeierter deutscher Sänger, sah sich Arndt nun bereits zu Lebzeiten in Acht und Bann geschlagen, beklagte sich bitter über seine Isolation und musste zwanzig Jahre warten, bis er 1840 wieder in sein Amt eingesetzt wurde, erlebte als 79-Jähriger einen späten Triumph als altehrwürdiges und noch einmal gefeiertes Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung – freilich in kritischer Distanz zu allen parlamentarischen Bestrebungen. Eine eigentümliche intellektuelle Biographie: Arndt wollte stets einem ›Zeitgeist‹ rhetorisch zu Diensten sein, stilisierte sich gern als wortgewaltigen ›Demagogen‹ im Wortsinn, erhielt kurzzeitig alle damit verbundenen Meriten – und stand dann doch oft auf der gleichsam ›falschen‹ Seite. Dass er so oft – zu Lebzeiten und später – ›gefeiert‹ wurde, lässt oftmals vergessen, dass er sich die weitaus meiste Zeit seines Lebens als ›verkannt‹, als Flüchtling und als des Amtes Enthobener 15

Ernst Moritz Arndt: Dissertatio historico-philosophica, sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russouii et aliorum commenta defendi posse videtur (1800). Dissertation wider Rousseau (lateinisch und deutsch). In: Gerettete Arndt-Schriften. Hg. v. Albrecht Dühr und Erich Gülzow. Arolsen: Weizacker-Verlag (Kassel: Karl Basch Verlag) 1953.

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begreifen musste. Seine Selbststilisierung als aufrechter und geradliniger Patriot, der ob aller Repressionen seinen Grundannahmen stets treu blieb, ließ jedoch ebenso schnell vergessen, dass über die Quellen und Motive, auch die strategischen und opportunistischen Bestrebungen des Ernst Moritz Arndt nach wie vor Unklarheit herrscht – eine eigentümliche intellektuelle deutsche Biographie, die noch nicht geschrieben ist. Niemandem dürfte heute daran gelegen sein, entgegen der selbst bereits verdrängten Wirkungsgeschichte einen ›anderen‹ oder nunmehr ›ganzen‹, gar einen endlich ›wahren‹ Arndt zu entdecken. Niemand sollte heute auch ein Interesse haben, das Bild eines Ernst Moritz Arndt ›gerade zu rücken‹ und die offensichtlichen nationalistischen, antifranzösischen und rassistischen Töne in seinem Werk zu verkennen oder zu verschleiern. Im Gegenteil. Gerade eine fällige Wiederentdeckung dieses Autors müsste zur Erklärung dieser in Deutschland überaus wirkungsmächtigen Phänomene beitragen und Arndts Position im Kontext seiner Werke sowie der deutschen und europäischen Geschichte rekonstruieren – auch über die quellenkritische Bestandsaufnahme hinaus. Die Abwesenheit eines Ernst Moritz Arndt in der Historiographie und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts verweist auf durchaus ›empfindlich‹ zu nennende Lücken im kulturellen Gedächtnis der Deutschen. Mit Ernst Moritz Arndt ist gegenwärtig eine kulturelle Leitfigur der deutschen Geschichte sowie ein wesentlicher Bestandteil der modernen deutschen Literaturgeschichte zwischen Romantik und Moderne schlichtweg vergessen – eine Amnesie mit Folgen: Wer Aufschluss über diesen wahrlich Epoche machenden Autor sucht, sieht sich auf zeitgenössische Quellen und auf die Dokumente einer ihrerseits längst überholten Wirkungsgeschichte verwiesen. Und wer sich über die Eigentümlichkeiten, die Ursachen, die Textgrundlagen und die kulturellen Energien nationalistischer Traditionen informieren möchte, blickt im Falle eines Ernst Moritz Arndt auf ein weithin unbestelltes Feld. Die hier vorliegenden geschichts- und literaturwissenschaftlichen Beiträge zu Ernst Moritz Arndt verdanken sich einem spektakulären Zufall. Ende des Jahres 2002 wurde dem Max Kade Center for German-American Studies an der University of Kansas in Lawrence / Kansas der seit fast 150 Jahren im Familienbesitz befindliche Nachlass einer um die Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA ausgewanderten deutschen Familie übergeben. Darunter: einundzwanzig Briefe Ernst Moritz Arndts an seinen Sohn Friedrich Hartmuth Arndt aus den Jahren 1843 bis 1852, die in diesem Band zum ersten Mal veröffentlicht werden.16 Es handelt sich um Arndts vierten Sohn aus zweiter Ehe, der sich in Pommern eher erfolglos als Bauer und Landwirt zu etablieren suchte und deshalb im Jahre 1855 nach Amerika auswanderte. Seine Spur hatte sich seitdem auch in der biographisch und genealogisch interessierten Arndt-Forschung verloren. Im Gepäck des Auswanderers Hartmuth Arndt befanden sich die an ihn adressierten Briefe seines Vaters, 16

Vgl. Walter Erhart: »Dein ältester Freund«. Einundzwanzig unbekannte Briefe von Ernst Moritz Arndt. In: Baltische Studien 2004, S. 129 – 136.

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Erinnerungsstücke aus der Heimat, die er im Laufe eines von Milwaukee über Florida bis nach Kansas führenden amerikanischen Lebens offenbar treulich aufbewahrt hat – darunter auch zwei Briefe seines Vaters aus dessen Zeit als Abgeordneter des Frankfurter Paulskirchenparlaments, neben anderen Andenken an seine Familie, z. B. Bildnissen, Porträts sowie persönlichen Gegenständen der Eltern. All dies blieb mit der umfangreichen späteren Korrespondenz einer deutschen Auswandererfamilie im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Familienbesitz, bis der gesamte Nachlass schließlich von den Nachfahren der Familie, Frank und Ira Louise Schultheis sowie Grant und Ellen Kelly, dem Max Kade Center for German-American Studies in Lawrence übergeben wurde. Aufgrund einer Max Kade Gastprofessur war das Department of Germanic Languages and Literatures der University of Kansas zu dieser Zeit institutionell und kollegial mit dem Institut für Deutsche Philologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität verbunden. Der amerikanische Nachlass der Arndt-Familie sowie die Briefe Ernst Moritz Arndts waren die Initialzündung für ein deutsch-amerikanisches Forschungsprojekt, das seinen Ausgang ebenfalls von der eigentümlichen Wirkungsgeschichte des Autors Ernst Moritz Arndt nahm. Auch in der amerikanischen Germanistik und den German Studies nahestehenden geschichtswissenschaftlichen Abteilungen amerikanischer Universitäten ist Arndt inzwischen eine fast vergessene, kaum dem Namen nach bekannte Figur. Gleichwohl ist das Interesse an der Geschichte des deutschen Nationalismus ungebrochen, und es bedurfte offenbar nur eines Anlasses, um dieses Interesse zuletzt auch auf den Fall Arndt zu lenken: auf die Doppelbödigkeit eines ›freiheitlichen‹ und aggressiv-chauvinistischen Nationalismus (auch im internationalen Vergleich), auf die verdrängte Rezeption des selbsternannten Sängers der Befreiungskriege, auf die Werke eines Autors, der einst auch in der amerikanischen Literatur und Forschung bekannt war,17 sowie auf die amerikanische (Teil-)Genealogie der Familie Arndt, die ein Kapitel der deutschen Amerikaauswanderung mit einer möglichen Spurensuche nach der amerikanischen Arndt-Rezeption verknüpft. Ein mit diesen Fragen befasstes Forschungsprojekt wurde von der Alexandervon-Humboldt-Stiftung im Rahmen ihres TransCoop-Programms für drei Jahre gefördert; Auftakt war eine deutsch-amerikanische Tagung mit Historikern und Germanisten im September 2005 in Lawrence / Kansas, The Problematic Legacies of Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860): German Nationalism, European Visions, and

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Vgl. etwa eine im 19. Jahrhundert in den USA erschienene Biographie, zusammengesetzt aus Übersetzungen der Arndtschen Autobiographie, Kommentaren und dem Versuch einer eher romanhaften biographischen Darstellung: The Life and Adventures of Ernst Moritz Arndt. The singer of the German Fatherland. Compiled from the German. With a preface by John Robert Seeley. Boston: Roberts 1877. Eine neuere, freilich wenig ergiebige Gesamtdarstellung stammt ebenfalls aus den USA: James Elstone Dow: A Good German Conscience. The Life and Time of Ernst Moritz Arndt. Lanham: The University Press of America 1995.

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his American Progeny, aus der die Beiträge des vorliegenden Buches hervorgegangen sind. Ernst Moritz Arndt ist in Deutschland zumeist ein unbekannter, bestenfalls ein umstrittener Autor. Seine immense Wirkungsgeschichte mag noch hier und da in Umrissen präsent sein, das Gedächtnis des Namens ›Arndt‹ freilich ist auf den nationalen, meist sogar regionalen Raum beschränkt. Immer schon hatte die ArndtRezeption eine Tendenz, sich zu provinzialisieren: mit der Aufmerksamkeit auf den ›Pommern‹ und ›Heimatdichter‹ Arndt, dessen nationalgeschichtlich zuletzt zweifelhafter Ruhm sich immerhin auf regionale Bedeutsamkeit verlagern konnte – ein Vorgang, der sich etwa in der Gründung einer Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft auf der Insel Rügen manifestierte, auf eine Dichterpflege, die sich auf die später deutsch-deutschen Wirkungsorte konzentrierte, auf Rügen und Greifswald einerseits, das Arndt-Museum in Bonn andererseits. Gerade auch im Hinblick auf die eben erst begonnene interdisziplinäre Erforschung des deutschen, europäischen und amerikanischen Nationalismus wäre jedoch nichts wichtiger, als die ArndtForschung konsequent zu internationalisieren. Die hier vorliegenden deutschen, amerikanischen und britischen Beiträge gehen auf die erste internationale Arndt-Tagung zurück, die erste Arndt-Konferenz außerhalb Deutschlands überhaupt: Sie stellte Arndt von vornherein in einen ebenso internationalen wie interdisziplinären Kontext und verfolgte im Wesentlichen drei Ziele. Zum einen sollte das publizistische Werk und die intellektuelle Figur Ernst Moritz Arndt erstmals in diesen größeren Kontext eingeordnet werden: in die Geschichte des deutschen, europäischen und möglicherweise auch amerikanischen Nationalismus. Darüber hinaus sollten Historiker, Sprach- und Literaturwissenschaftler gemeinsam die weithin unbekannt gebliebenen Aspekte seines Werks und seiner Wirkungsgeschichte untersuchen: die frühen Reiseberichte, Arndts Rhetorik und Sprachtheorien, das Verhältnis von Nationalismus und Regionalismus, die Konstruktion deutscher und regionaler Identität in und mittels seiner Schriften, die europageschichtlichen Perspektiven, die Rezeptionen und misreadings seiner literarischen Texte. Zuletzt lenkt die Geschichte des in die USA ausgewanderten Hartmuth Arndt den Blick auf deutsch-amerikanische Beziehungen: auf die Geschichte der amerikanischen Arndt-Familie ebenso wie die amerikanische Rezeption der Arndtschen Gedichte. Das Ergebnis der hier vorliegenden Beiträge ist keine Revision eines ohnehin seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr sichtbaren Arndt-Bildes. Es ist gleichwohl überraschend genug: Unter der Patina einer bekannten nationalen Wirkungsgeschichte kommt im Werk Arndts nunmehr eine neue Vielschichtigkeit zum Vorschein, die offensichtlich in die historische Zeit vor dieser Wirkungsgeschichte zurückführt. Erkennbar wird dabei die Teilhabe eines Ernst Moritz Arndt an zahlreichen Diskursen seiner Epoche, von denen der Nationalismus zweifellos der prominenteste sein dürfte – eine in Europa auf vielfältige Weise geformte nationale Idee (Thomas Stamm-Kuhlmann: Arndts Beitrag zur Definition der »Nation«), deren deutsche

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Ausprägung in der neueren Forschung heute, zumal im europäischen Kontext, weitaus differenzierter gesehen wird als etwa zur Zeit der bereits nationalen deutschen Arndt-Rezeption (Wolf Gruner: Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen und ihre Instrumentalisierung für die historische Legitimierung des preußisch-kleindeutschen Kaiserreiches). Arndt selbst verbindet höchst unterschiedliche Traditionen. Sein ebenso theologischer wie philosophischer Hintergrund, sein zwischen Aufklärungsemphase und religiös grundierter Skepsis schwankendes Geschichtsbild entbehrt dabei weitgehend einer dogmatisch oder theoretisch gefestigten Form. Ein im Frühwerk erkennbarer Eklektizismus findet gerade deshalb in der Idee des Nationalismus eine ›rettende‹ und vereinheitlichende, auch rhetorisch entsprechend exponierte Idee, lässt sich jedoch auch dort nicht auf einen theoretischen Nenner bringen. Es ist paradox genug: Arndt wollte sich ohne Frage als Stimme und Sänger einer imaginären deutschen Gemeinschaft18 etablieren, er wollte vereinnahmen und vereinseitigen, ist aber – ohne es zu wollen – durchaus doppelbödig und ambivalent geblieben. Sein Werk entspricht alles in allem keiner planen Propaganda, obwohl es diese zuhauf enthält, sondern eher einem ›chaotischen System‹ (Arne Koch), in dem sich die Diskurse und die – systemtheoretisch gesprochen – von ihm ins Spiel gebrachten ›Umwelten‹ seines Systems ›Arndt‹ zu keiner kohärenten Figuration ordnen. Arndt – so Brian Vick (Arndt and German Ideas of Race: Between Kant and Social Darwinism) – war zweifellos ein Rassist, zumindest in manchen seiner Werke; statt eines Theoretikers des Rassismus aber gibt sich hier eher ein Kompilator von Stimmen und Theoremen zu erkennen: ein melting pot, der die Theorien des 18. Jahrhunderts mit denen der Moderne vielleicht allzu eilfertig verschmilzt und notdürftig verfugt. Die Optionen und Anschlussstellen dieses Systems waren vielfältig. In der Frage des Nationalismus – so Dirk Alvermann über Arndt und dessen Zeitgenossen Gotthard Ludwig Kosegarten (Arndt und Kosegarten – zwei rügische Dichter zwischen Gott, Napoleon und Nation) – gab es in einem vergleichbaren, auch lokal und bildungsgeschichtlich begrenzten Kontext durchaus mehrere Möglichkeiten, das Erbe der Französischen Revolution und der Aufklärung mit der Idee der Nation zu verknüpfen. In dieser Frage herrschte eine heute oft überblendete Vielfalt, und Kosegarten ging bei vergleichbaren regionalen und bildungsgeschichtlichen Ausgangsbedingungen ganz andere Wege. Auf der anderen Seite lässt sich Arndts Napoleon-Kritik in ähnlicher Form bei ideengeschichtlich und politisch gegensätzlich orientierten Autoren sowie auf europäischer Ebene beobachten (Paul Michael Lützeler: Der Erste Konsul als Imperator Europae – Die Napoleonkritik von 1802 bei Arndt, Seume und Coleridge). Das europäische Zeitalter des Nationalismus entwarf zahlreiche Gründungsmythen der zum Teil neu gebildeten Staaten. Die Nationen selbst imaginierten sich nationale ›Meistererzählungen‹; Dichter wie Ernst Moritz Arndt und Gustav 18

Die Formulierung nimmt Bezug auf das einschlägige Buch von Benedict Anderson über die Geschichte des Nationalismus im 19. Jahrhundert: Imagined Communities. On the Origin and Spread of Nationalism. London: Verso 1983.

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Freytag (Die Ahnen) lieferten den poetischen Glanz, die heroisierten Figuren und Fiktionen sowie das kulturelle Kapital. Ebenso ungesichert und deutungsbedürftig wie die damals entstandenen Geschichtserzählungen19 ist freilich die Idee des nationalen Raumes, des Territoriums, das für nationale Vorgeschichten und für die nationale Zukunft beansprucht wird. Ernst Moritz Arndt hat es in fast emblematischer, aber zugleich wieder höchst prekärer Form unternommen, diesen nationalen Raum in einem seiner berühmtesten Gedichte zu entwerfen und zu propagieren: »Was ist des Deutschen Vaterland?« Die im Gedicht vielfach gestellte und beantwortete Frage verweist auf die Notwendigkeit, die nationalen Grenzen zu erweitern und festzulegen, sein Pathos und sein Drängen verdeutlichten zugleich allerdings den ungesicherten Status dieses Frage-und-Antwort-Spiels, den imaginären Überschuss einer räumlichen Sehnsucht, die weder auf Geschichte noch auf politische Tatsachen zurückgreifen kann: »Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? / Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? / Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht? / O nein, o nein! / Sein Vaterland muß größer seyn. / [. . .] / Ist’s Baierland, ist’s Steierland? / Ist’s, wo des Marsen Rind sich streckt? / Ist’s, wo der Märker Eisen reckt? / O nein! o nein! / Sein Vaterland muß größer seyn.«20 Dementsprechend ›poetisch‹ und auch gewaltsam ist die poetische Intonation, und dementsprechend wankelmütig scheinen Details des Gedichts zwischen nationaler Allgemeinheit und regionalen Details zu oszillieren. Darin liegt – auch dies zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes – ein weiteres doppelbödiges Element der Arndtschen Konstruktion nationaler Größe: Fast zwangsläufig verliert sich der Anspruch nationaler Konkretion in einem Agglomerat regionaler Teilidentitäten, fast ebenso konsequent wechselt Arndt im Laufe seines Werkes den jeweils gewählten Schwerpunkt zwischen nationaler ›Ganzheit‹ und regionaler Besonderheit. Arndt selbst nimmt Teil an einer Debatte, die in der Erforschung des 19. Jahrhunderts oftmals übersehen, heute jedoch unter dem Zeichen eines so genannten spatial turn oder auch topographical turn vielfach neu entdeckt wird:21 die Bedeutung des Raumes – auch und gerade in jenem 19. Jahrhundert, das den Zusammenhang zwischen imaginärer Nation und regionaler Bezogenheit wohl erst erfunden und demzufolge in seinen gesellschaftlichen Debatten, aber auch in seiner Literatur, seinen Imaginationen und Diskursen außerordentlich vielfältig repräsentiert hat.22 19

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Vgl. dazu etwa den einschlägigen Sammelband von Homi K. Bhabha (Hg.): Nation and Narration. London, New York: Routledge 1990. [E. M. Arndt:] Katechismus für den Teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehret wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll. Köln: H. Rommerskirchen, 1815, o. S. Vgl. dazu etwa Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München: Beck 2003; Jörg Döring: Raumdeutung. Vorläufiges zu einer »Spatialen Hermeneutik« des digitalen Medienumbruchs. In: Nicola Glaubnitz, Andreas Käuser (Hg.): Medieninnovationen und Medienkonzepte. Jg. 6. H. 1 (2006), S. 55–69. Arne Koch: Between National Fantasies and Regional Realities. The Paradox of Identity in Nineteenth-Century German Literature. (North American Studies in NineteenthCentury German Literature) Oxford u. a.: Peter Lang 2006.

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Das Zusammenspiel und der Widerstreit nationaler und regionaler Identität bilden einen übersehenen zentralen Bestandteil in Arndts Schriften, sei es im Hinblick auf eine sehr wechselvolle, aber stets präsente Bezugnahme Arndts auf die Residuen und das Potential einer ›niederdeutschen‹ Identität (Arne Koch: Parameters of Low German Identity: Ernst Moritz Arndt’s Other Fatherland), sei es die erstaunliche Präsenz des Niederdeutschen sowie der niederdeutschen Topographie und Mythologie in Arndts Märchen, einem entsprechend motivierten Konkurrenzunternehmen zu Grimms Hausmärchen (Heide Crawford: »[M]it Märchen und mit Träumen / Erinn’rung zu mir schwebt!«: Regional Identity and the Concept of ›Heimat‹ in Ernst Moritz Arndt’s »Märchen«). Die im Anhang dokumentierten und transkribierten, in den USA entdeckten Briefe Ernst Moritz Arndt lassen sich – so Arne Koch in seinem Beitrag – auch als Spiegel solch nationaler und regionaler Bezugnahmen lesen: Arndt ermahnt seinen Sohn stellenweise zu ebenso nationalem wie regionalem Bewusstsein, politisch wie kulturell; er erteilt ihm entsprechende Ratschläge und stilisiert sich selbst wechselweise als nationale oder regional-›pommersche‹ paternalistische Instanz.23 Auffallend an den Briefen wie an seinen nationalen Streitschriften ist Arndts Hervorhebung der Sprache als einer patriotischen Kardinaltugend. Ähnlich wie Johann Gottlieb Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation (1808) gilt ihm die deutsche Sprache als ein in höchstem Maße schützenswertes Gut, gar als zu verteidigende Festung und propagandistische ›Geheimwaffe‹ in den anstehenden nationalen Auseinandersetzungen (Jürgen Schiewe: Nationalistische Instrumentalisierungen: Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache). Zu diesem Zweck plant Arndt auch institutionelle Unternehmungen, etwa den ebenfalls im Anhang dokumentierten Entwurf einer teutschen Gesellschaft (1814). Davon unbeschadet bleibt freilich Arndts Aufmerksamkeit für die regionale Vielfalt einer Sprache, für linguistische Varietät, die zu der propagandistisch zentralen Kategorie der ›Einheit‹ wiederum in einem weithin unaufgedeckten Widerspruch steht. Arndt freilich war ein Poet, bei dem die rhetorische Verpflichtung auf Klarheit und Eindeutigkeit mit der literarischen Lizenz zur Doppeldeutigkeit nicht immer harmoniert. In sprachlich-poetische, dabei wohl ungewollte Zwischentöne begibt sich Arndt demzufolge in seinen Gedichten, von denen das bereits erwähnte und vielleicht berühmteste »Was ist des Deutschen Vaterland?« von Sigrid Nieberle einer minutiösen Interpretation unterzogen wird (»Und Gott im Himmel Lieder singt«: Zur prekären Rezeption von Ernst Moritz Arndts »Des Deutschen Vaterland«). Im Bestreben, gleichzeitig eindeutig und ›bewegend‹ zu sein (im Sinne der rhetorischen Kategorie des movere), wird gerade die deutsche Sprache doppelbödig und instabil – und dies besonders, wenn im Zuge der zahlreichen Vertonungen das Arndtsche Lied zu einem regelrechten ›Volks(lied)gut‹ zu mutieren beginnt. Vor unfreiwilliger Komik und Ironie sind die Arndtschen Texte – wie sich zeigt – 23

Vgl. dazu auch die eingehende Schilderung der Briefe in dem Beitrag von William Keel in vorliegendem Band (Hartmuth Arndt: Traces of a German Immigrant in the American Heartland).

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durchaus nicht gefeit, auch nicht vor philologisch maliziösen Umdeutungen, in denen ein Komma manchmal entscheidende Unterschiede setzt: in einer poetischmusikalischen Rezeptionsgeschichte, die zuletzt sogar einen derart feinsinnigen Sprachbeobachter wie Friedrich Nietzsche auf den Plan ruft. Die unfreiwillige Doppelbödigkeit, die Nietzsche später an dem deutschen Phänomen ›Arndt‹ und seiner Rezeptionsgeschichte so hinterlistig wie treffend diagnostiziert, bildet in dem durch dieselbe Rezeptionsgeschichte eher verdunkelten Arndtschen Frühwerk eine historisch bedingte Konstante. Wie insbesondere der Blick auf die frühen Reiseberichte zeigt, ist es die Abwesenheit jeglicher Eindeutigkeit, die diese Schriften kennzeichnet. Arndt vermeidet Festlegungen nicht aus Jugendlichkeit, Entscheidungsschwäche oder Toleranz, sondern aufgrund der Überfülle und Widersprüchlichkeit der ihn prägenden Traditionen und Einflüsse. In den Reiseberichten verbindet er die Schreibweisen und Stilarten zahlreicher reiseliterarischer Gattungen des 18. Jahrhunderts; zugleich bleibt er auch in seinem Blick auf das nachrevolutionäre Europa seltsam unentschlossen und unentschieden (Walter Erhart: Reisen durch das alte Europa. Ernst Moritz Arndts »Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs« und die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts). Er wechselt in seiner Aufmerksamkeit zwischen Politik, Geschichte und den Vorgaben einer ihn zutiefst prägenden und seinen Blick steuernden Reiseliteratur (Rex Clark: Politics or Prejudice. Cultural Evaluations in the Travel Narratives of Ernst Moritz Arndt). Er zeigt sich tief irritiert über eine europäische Umbruchszeit, deren Zeichen und Zukunft er nicht zu deuten weiß. Der junge Arndt befindet sich hier nicht nur auf der Höhe einer um 1800 an Umfang und Bedeutung geradezu ›explodierenden‹ Gattungsgeschichte der Reiseliteratur (und liefert ein bis heute kaum bekanntes Glanzstück dieser Gattung), sondern präsentiert mit seinen Reisen zugleich eine weithin unentdeckte Vorgeschichte des deutschen und europäischen Nationalismus. Die sich auf der Fahrt – und der ausgiebigen Fußreise – durch Europa allmählich einstellende Unzufriedenheit des Reisenden mit der buchstäblich ruinösen Geschichte der europäischen Zivilisation vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution, sein regelrechtes ›Unbehagen in der Zivilisation‹, das weder in der von Arndt zitierten rückwärts gewandeten Ruinenästhetik der Romantiker noch im Fortschrittsglauben der Aufklärer oder Revolutionäre einen Ausweg findet, der Schrecken Arndts angesichts eines die Ordnung der Stände, der Völker sowie des männlichen und weiblichen Geschlechts bedrohenden kulturellen Vakuums – diese tief greifende Zivilisationsskepsis wird hier keiner Lösung zugeführt, spiegelt deshalb in nuce den zivilisatorischen und historischen Ursprung, aus dem die nationalistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts ihre bald entfesselten Energien beziehen. Die Reisen des Ernst Moritz Arndt deuten diese Wendung allenfalls an ihrem Ende an, sie lokalisieren sich demnach selbst an der Schwelle zweier Zeitalter und präsentieren ein Europa, das mit der Figur Napoleons fast zur gleichen Zeit eine Projektionsfläche jener Hoffnungen und Ängste findet, auf der sich später die nationalistischen Exzesse auch eines Ernst Moritz Arndt abzeichnen.

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So sehr die nationalistische Rezeptionsgeschichte den Blick auf Ernst Moritz Arndt festgelegt und gleichzeitig überschattet hat, so ist sie damit noch nicht abschließend beschrieben und bei weitem noch nicht zu Ende. Gerade das hier präsentierte deutsch-amerikanische Forschungsprojekt war dazu angetan, einige andere Linien und Perspektiven des Arndtschen Werkes und seiner Rezeptionsgeschichte zu entdecken, beides gewissermaßen aus der Umklammerung eines nationalen und nationalistischen Blicks zu befreien. Die eher zufällige Entdeckung eines in die USA ausgewanderten Sohnes von Ernst Moritz Arndt bot die Möglichkeit, die ›ausgewanderte‹ Rezeption des Werkes in den USA exemplarisch zu verfolgen. Die von Lorie Vanchena erstmals zugänglich gemachten und im vorliegenden Band ebenfalls dokumentierten amerikanischen Übersetzungen des Gedichtes »Was ist des Deutschen Vaterland?« spiegeln in transatlantischer Verortung ein bekanntes Phänomen der Arndtschen Werke. Die deutschen USA-Immigranten des 19. Jahrhunderts benutzten dieses Gedicht nicht nur zur Traditionspflege, sondern zur (Rück-)Versicherung ihrer ›hybriden‹, deutschen, regionalen und (neu-)amerikanischen Identität (Lorie Vanchena: The Americanization of Ernst Moritz Arndt’s Political Poetry in the Nineteenth Century). Auf diese Weise ist das Werk Ernst Moritz Arndts wiederum mit der Geschichte der Auswanderung von Hartmuth Arndt eng verknüpft. William Keel hat es unternommen, diese Geschichte zu rekonstruieren (Hartmuth Arndt: Traces of a German Immigrant in the American Heartland), und er hat dabei nicht nur der deutschen Amerika-Auswanderung ein neues quellenreiches Kapitel hinzugefügt, sondern eine auch im vorliegenden Band thematisierte Frage neu gestellt: die nach regionaler und nationaler Identität. Die Familiengeschichte des Hartmuth Arndt erzählt das Zusammenspiel solcher (Teil-)Identitäten in transatlantischer Verschiebung und Übersetzung: die Transposition und Lokalisierung deutscher, regionaler (›pommerscher‹) und amerikanischer (Auswanderer-)Identitäten, die Spuren deutscher nationaler Traditionen in einem für die deutsche Einwanderung prädestinierten amerikanischen Bundesstaat,24 zuletzt auch das Gedächtnis der amerikanischen Auswandererfamilien im Hinblick auf ihre familiären, nationalen, sprachlichen und kulturellen Ursprünge – ein Umstand, der letztlich zu den bis heute erhaltenden Briefen der Familie Arndt und damit auch zum vorliegenden Band geführt hat. Die hier präsentierten Beiträge einer ›neuen‹ Arndt-Forschung verdanken sich nicht allein der Zusammenarbeit international tätiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern nähern sich dem Phänomen ›Ernst Moritz Arndt‹ aus interdisziplinärer, aber auch transnationaler Perspektive. Sie diskutieren Werk und Wirkungsgeschichte in deutscher, europäischer und amerikanischer Perspektive und deuten dadurch zugleich auf den möglichen Horizont ihrer eigenen wissenschaftlichen Verortung. Die Erforschung des Arndtschen Werkes und der Arndt24

Vgl. z. B. William D. Keel (Hg.): Unsere Leute. The Volga Germans of West Central Kansas. Aspects of their history, politics, culture and language. Lawrence: Max Kade Center for German-American Studies 2004.

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Rezeption stellt einen wesentlichen und lange Zeit übersehenen Beitrag zur Forschung über den deutschen Nationalismus dar: über seine verborgenen Ursprünge, seine kulturelle Formation, seine Exzesse und seine Nachwirkungen bis zur nach wie vor auch in ihrem Bezug auf die deutsche Geschichte gespaltenen deutschdeutschen Gegenwart. Nichts scheint derzeit forschungspolitisch und erkenntnispraktisch nötiger und wichtiger, als diese Forschung auch in ihren Gegenständen nicht auf Deutschland zu beschränken. Die vorliegenden Studien verstehen sich deshalb zugleich als Vorarbeiten zu einem interdisziplinär organisierten Vergleich von Nationalismen und nationalen Identitäten – in Deutschland, Europa und den USA. Die Herausgeber des vorliegenden Bandes danken allen Beiträgerinnen und Beiträgern für ihr Engagement, sich auf die Texte und das Werk Ernst Moritz Arndts einzulassen. Sie danken insbesondere der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für die Förderung des deutsch-amerikanischen Projekts The Problematic Legacies of Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860): German Nationalism, European Visions, and his American Progeny sowie den amerikanischen Institutionen, die diese Förderung durch ihre großzügige Unterstützung erst möglich gemacht haben: die Max Kade Foundation in New York sowie an der University of Kansas das Hall Center for the Humanities, das College of Liberal Arts and Sciences, das Office of International Programs, das Center for European Studies und das Department of Germanic Languages and Literatures. Ferner sei dem Gastgeber der im Rahmen dieses Projekts durchgeführten Tagung in Lawrence, Kansas zu danken: der University of Kansas sowie dem Direktor des Max Kade Centers for German-American Studies, Professor Frank Baron. Für die Mitarbeit an der Transkription der Arndtschen Briefe, die tatkräftige Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der Tagung sowie für die sorgfältige Hilfe bei der Korrektur und Drucklegung des Bandes danken die Herausgeber Scott Seeger, Julia Trumpold sowie Innokentij Kreknin.

I. Die deutsche Nation und die nationale Frage

Thomas Stamm-Kuhlmann

Arndts Beitrag zur Definition der »Nation«

I. Vom Patriotismus zum Nationalismus Ernst Moritz Arndt stand zur Zeit seines politischen Hervortretens an der Wende von der Spätaufklärung zur Romantik und seine Lebenszeit fällt mit dieser Ära zusammen, in der sich die Deutschen erst einmal klar werden mussten, was sie denn überhaupt unter einer Nation verstehen wollten und wie man sie definieren würde. Dieser Vorgang dauerte lange und war 1848 noch nicht abgeschlossen. Matthew Levinger hat in seinem Buch Enlightened Nationalism noch einmal darauf hingewiesen, wie lange es in Preußen die beiden konkurrierenden Nationalitäts-Entwürfe gab: Sollte in erster Linie Preußen die Nation sein, oder wollte man gleich nach Deutschland?1 Vor dieser Frage standen auch die Bewohner Neuvorpommerns, das 1815 von Schweden abgetreten wurde, aber eben nicht an das Deutsche Reich, denn das existierte 1815 nicht, sondern an das Königreich Preußen. Es gibt Indizien, dass sich die Neuvorpommern so lange schwer damit taten, Preußen zu werden, bis die Reichsgründung auf der Tagesordnung stand und man seine Unzufriedenheit mit bestimmten Elementen des Preußischen im Rausch der deutschen Einheit ertränken konnte.2 Arndts Lebensweg vom loyalen Untertanen des Königs von Schweden bis zum Mitautor der deutschen Reichsverfassung darf ich hier als bekannt voraussetzen. Fehlendes wird in anderen Beiträgen dieses Bandes nachgetragen. Arndts Jugend war jedenfalls durch die typische Situation des Alten Deutschen Reiches, das in Amerika gern Holy Roman Empire genannt wird, gekennzeichnet. Man hatte einen Souverän, aber dieser Souverän war nicht mit dem Reichsoberhaupt identisch, das zur Zeit von Arndts Geburt – 1769 – Kaiser Joseph II. war. Man unterlag teilweise lokalem Recht, teilweise dem gemeinen Recht, das so heißt, weil es im ganzen Deutschen Reich galt, sowie teilweise dem Landesrecht, das der Souverän oder Landesherr – in diesem Fall eben der König von Schweden – eingeführt hatte. Dadurch hatte man auch geteilte Loyalitäten. Dieses Leben mit den geteilten Zuständigkeiten änderte sich. Ziel des Prozesses in Richtung Nationalstaat war eine weitgehende Homogenisierung, so dass der

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Matthew Levinger: Enlightened Nationalism. The Transformation of Prussian Political Culture 1806–1848. Oxford u. a.: Oxford University Press 2000. Vgl. Kyra T. Inachin: Nationalstaat und regionale Selbstbehauptung. Die preußische Provinz Pommern 1815 – 1945 (Quellen und Studien aus den Landesarchiven MecklenburgVorpommerns 7). Bremen, Rostock 2005, S. 190, S. 199.

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Thomas Stamm-Kuhlmann

Anteil des innerhalb des ganzen Nationalstaates geltenden überall gleichen Rechtes stark zunehmen würde. Freizügigkeit innerhalb des Nationalstaats sollte entstehen. Überall, wo man sich niederließ, würde man die gleichen staatsbürgerlichen Rechte genießen. Dieser Prozess dauert bis in unsere Zeit an. Vollendet wurde er nie, und seit geraumer Zeit wünscht sich das auch niemand mehr.Aber der Abstand zwischen heute und 1815, ja schon der Abstand, der sich zwischen 1871 und 1815 ausmachen lässt, ist groß. Als Arndt jung war, in der Zeit der Aufklärung, diskutierte man in Deutschland verschiedene Formen der Bürgerschaft. Man konnte, sofern man Bürger einer freien Reichsstadt war, mochte das nun Rothenburg ob der Tauber oder auch Augsburg, Nürnberg, Köln oder Hamburg sein, das urtümliche Erleben einer Stadtrepublik haben. Christoph Martin Wieland, dem das Leben in der Reichsstadt Biberach an der Riss geläufig war, hatte es leicht, sich das Leben in einer antiken Polis auszumalen, mochte er sie dann auch Abdera nennen. Daneben haben wir natürlich das sprichwörtliche Duodezfürstentum als Heimatland, in dem man gegen 1800 vor allem empfinden musste, dass man in einer überlebten Regierungsform untergekommen war. Georg Büchner hat dies in Leonce und Lena lächerlich gemacht. Noch anders war die Lage, wenn man Untertan des Königs von Preußen war, also in einem der norddeutschen Flächenstaaten lebte. Da konnte man schon denken, dass man außer diesem König nichts brauchte. Schließlich hatte der König von Preußen im Siebenjährigen Krieg gerade bewiesen, dass er imstande war, einen Krieg gegen eine Welt von Feinden fast alleine zu bestehen. Gegen Friedrich den Großen war der Reichskrieg ausgerufen worden, Preußen also zum rebellischen Staat erklärt. Da aber die Reichstruppen zusammen mit den Franzosen in der Schlacht von Roßbach davon gelaufen waren, konnte man sich in Preußen sagen, dass man auf das Reich wohl gut verzichten konnte. Kein Wunder, dass der so genannte Reichspatriotismus, also der Gedanke, das Heilige Römische Reich sei nach wie vor erhaltenswert und müsse sogar gestärkt werden, vor allem in Südwestdeutschland lebendig war, wo die Reichsstädte ebenso zahlreich wie ohnmächtig waren und wo der Kaiser gern zum Schutz gegen anmaßende Fürsten, wie den Herzog von Württemberg, in Anspruch genommen wurde.3 Man konnte aber sich auch als Weltbürger fühlen – getreu der antiken Tradition, die seit der Stoa davon ausging, dass alle Menschen überall auf der Erde gleich und Brüder seien und eigentlich auch gleiche Rechte haben müssten. Immanuel Kant, der ja in einer Handelsstadt lebte und englische Kaufleute zu seinen Freunden zählte, hat das Weltbürgerrecht im zweiten Teil der Metaphysik der Sitten umrissen und festgestellt, dass es ein Recht des Erdenbürgers gab, »alle Gegenden der Erde zu besuchen« – zur »Ansiedelung auf dem Boden eines anderen Volks« war nach Kants Meinung noch ein besonderer Vertrag erforderlich. Freilich gehörte zu 3

Wie die Lebensläufe Johann Jakob Mosers und seines Sohnes Friedrich Carl zeigen. Vgl. auch Jörg Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840). Frankfurt, New York: Campus 1998, S. 83.

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seiner Vorstellungswelt nur, dass die Europäer nach Amerika und Afrika auswanderten, während er an eine afrikanische Einwanderung in Europa noch nicht gedacht zu haben scheint.4 Wie definierte sich in allem diesen die Nation? In Johann Christoph Adelungs Wörterbuch findet sich 1793 folgende Begriffsbestimmung: »Die eingebornen Einwohner eines Landes, so fern sie einen gemeinschaftlichen Ursprung haben, und eine gemeinschaftliche Sprache reden [. . .].« Adelung fügte hinzu: »[. . .] sie mögen übrigens einen einzigen Staat ausmachen oder in mehrere vertheilet seyn.«5 Das war eine von einem Deutschen gefundene Definition, die wunderbar auf die deutschen Verhältnisse passte. Die Streulage deutscher Siedlungs- und Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa, noch außerhalb der Reichsgrenzen, machte es einem anderen Denker, Johann Gottfried Herder, leicht, die Identität eines Volkes in seiner Literatur statt in seiner politischen Geschichte zu suchen. Der Gegenbegriff hierzu war in der Französischen Revolution entstanden und lautete, dass jedermann der Nation angehören könne, der ihre Verfassungsordnung unterstützte. Das war in dieser Zuspitzung auch eine Abstraktion, denn die Sansculotten hatten durchaus eine Vorliebe für das Gallische in ihrer Tradition und liebten es, die Aristokraten als die Nachkommen der Franken, das heißt germanischer Einwanderer, zu brandmarken. Aber die Begeisterung vieler Elsässer für diese neue Nation war echt, und auch die meisten der im 19. Jahrhundert annektierten Gebiete Italiens fühlten sich bald als Teile der einen und unteilbaren Nation Frankreich. Doch fiel das Nationalgefühl der 1790er Jahre nicht vom Himmel. Es baute auf Grundlagen auf, die bis in die Anfänge des menschlichen Zusammenlebens zurückreichen: Loyalitätsgefühle, die nach einem Punkt suchen, an den sie sich anbinden können, haben die Menschen wohl immer. So könnte man als ursprünglicheres Gefühl den Patriotismus benennen: ein Gefühl der Identifikation mit der Heimat, das das Wohlergehen dieser Heimat wünscht. Ob man selbst für die Heimat aktiv wird, hängt sehr von dem bürgerlichen Status ab, in dem man lebt, und von der Verfassung, unter der man lebt. Radikale Patrioten stellten 1792, also während der Zeit der Revolutionskriege, das Theorem auf, »daß in Fürstenstaaten gar kein Patriotismus statt finde.« Denn dort werde das Gemeinwohl dem Privatinteresse der Fürstenfamilie untergeordnet.6 Die Identifikation eines Bürgers mit dem Staatswesen sei aber nur möglich, wenn dieses am Gemeinen Besten orientiert sei. Auch die preußischen Reformer kamen wenig später zu dem Schluss, dass der Patriotismus in Preußen behindert wurde, weil seine Staatsbürger zur Passivität verdammt 4

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Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Des öffentlichen Rechts Dritter Abschnitt: Das Weltbürgerrecht. § 62. In: Kants Werke. Akademie-Textausgabe Bd. VI. Berlin: de Gruyter 1907/14, S. 205 – 493, hier: S. 353. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 4 Bde, Wien: Johann Gottlob Immanuel Breitkopf 1793–1801, bzw. Wien: Anton Pichler 1808; Bd. 3, Sp. 439. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 59.

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waren und keine Mitwirkungsmöglichkeiten hatten.7 An den Bürgerwehren der Reichsstädte oder der Schweizer Kantone ließ sich dagegen ablesen, dass der Patriotismus auch den Einsatz von Gut und Blut erfordern mochte. Der Nationalismus als eine Einstellung, die der Nation die Rolle zuweist, die wichtigste Handlung tragende Einheit zu sein, – in diesem Sinne sind wir wahrscheinlich alle Nationalisten – wächst nun aus dem Patriotismus heraus, indem eine bemerkenswerte Denkleistung vollbracht wird. Der Bürger, der seiner Nation den Vorrang vor allem anderen gibt, muss lernen, die gefühlsmäßige Bindung, die ihn bis dahin an die Lebenswelt seiner Heimat fesselte, auf eine abstrakte, nicht mehr anschauliche Einheit zu übertragen. Hierin besteht der Sinn des viel gebrauchten Zitats von den imagined communities.8 Dass der Bewohner eines Fischerdorfes auf der Insel Usedom glaubt, der schwäbische Metallarbeiter sei sein Bruder, und dass der Schwabe glaubt, der Pommer stehe ihm näher als der Zürcher, widerspricht dem Augenschein – und auch der Tatsache, dass es Gemeinsamkeiten des alemannischen Dialekts gibt. Im Nationalstaat Deutschland wird diese Annahme aber einfach vorausgesetzt. Die Voraussetzungen hierfür hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten mehrfach benannt: Dazu gehört die Kommunikationsrevolution des späten 18. Jahrhunderts ebenso wie die Beschleunigung des Staatsbildungsprozesses. Nur wenn ich in den verschiedenen Ecken eines Territoriums gleiche Maße und Gewichte, gleiche Währung,gleiches Wechselrecht und gleiche Orthographie habe,glaube ich,dass die verschiedenen Ecken zusammen gehören, und mögen sie auch noch so entlegen sein.9 In sofern war es wohl richtig, Europa heute auf Handelsnormen,Trinkwasserrichtlinien und den Euro zu bauen, denn solches wird sich langfristig auswirken. Am Ende des nation building steht dann die Nation, die von sich selbst sagt, sie sei schon immer da gewesen. Die Behauptung der Ursprünglichkeit wiederum steht sogar schon am Anfang des Nationsbildungsprozesses, sie sieht sich dann im Laufe dieses Prozesses immer mehr bestätigt.10 Andererseits ist es fast unmöglich, eine Nation da einpflanzen zu wollen, wo nicht eine bestimmte Disposition, an die Zusammengehörigkeit zu glauben, vorhanden war. Sie war auch in Deutschland zweifelsfrei mindestens seit dem Spätmittelalter gegeben.11 7

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Vgl. Bernd Sösemann (Hg.): Gemeingeist und Bürgersinn. Die preußischen Reformen. (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, Beiheft 2) Berlin: Duncker & Humblot 1993. Vgl. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. Revised and extended edition. London, New York: Verso 1993. Vgl. Karl Wolfgang Deutsch: Nationalism and Social Communication; an Inquiry into the Foundations of Nationality. Cambridge (Mass.), New York: M.I.T. and Wiley, 1953; Ders.: Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven. (Sozialwissenschaft in Theorie und Praxis, Bd. 6) 2. Aufl. Freiburg im Breisgau: Rombach 1970; Ders.:, Der Nationalismus und seine Alternativen. München: Piper 1972, S. 26 – 32. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 22. Vgl. ebd., S. 20f.; Reinhard Stauber: Nationalismus vor dem Nationalismus? Eine Bestandsaufnahme der Forschung zu »Nation« und »Nationalismus« in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996), S. 139–165, hier: S. 142–145.

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In der neueren Forschung wird herausgestellt, dass der Prozess der Bindung des Patriotismus an größere Einheiten, wie zum Beispiel an das Königreich Preußen, seit dem Siebenjährigen Krieg in vollem Gang war. Als »Vaterland« konnte nunmehr auch ein solcher Großstaat angenommen werden. Thomas Abbt veröffentlichte 1761 Vom Tod fürs Vaterland und meinte, dass das Vaterland sich in Friedrich dem Großen verkörpere. In Ulm geboren, also ein Reichsstädter, war Abbt längere Zeit preußischer Staatsdiener, ehe er einer Berufung in die Zwergresidenz Bückeburg der Grafen von Schaumburg-Lippe folgte. Erst in letzter Zeit haben wir auch beobachten gelernt, dass es bereits Propagandamechanismen gab, die diesen Patriotismus systematisch erzeugen halfen, und seien es nur Chodowieckis Radierungen vom Alten Fritz und den Heldentaten des Siebenjährigen Krieges, die erschwinglich genug waren, um in jedem Bauernhaus aufgehängt zu werden. Anders als im Frankreich Ludwigs XIV. war diese monarchistische Propaganda in Preußen nicht staatlich gelenkt, sondern ging auf die Initiative von Verlegern zurück, die sich aber immerhin ausrechneten, auf diese Weise Gewinn zu machen.12 Die staatliche Presselenkung begann in Preußen um 1790 und war anfangs wenig wirksam.13 Ihre erste wirksame Phase fiel mit der großen Zeit Arndts als Publizist, also mit den Befreiungskriegen, zusammen.14

II. Ernst Moritz Arndts Begegnung mit der Politik Als Zeitgenosse Herders und der Französischen Revolution konnte Arndt gewissermaßen zwischen verschiedenen Nationalismusangeboten wählen. Man muss dabei unterscheiden zwischen seinem praktischen Handeln und seinen politischen Forderungen einerseits und dem Begründungszusammenhang, den er sich wählte, andererseits. Ich beginne meine Musterung der Arndtschen Texte mit der Unterstellung, dass Arndt politisch der Französischen Revolution näher stand, als ihm zeitweilig lieb gewesen sein dürfte, da er sich in die Bewegung des deutschen Frühliberalismus einreihte und mit seiner Forderung nach Pressefreiheit und Repräsentation sich typische frühliberale Ziele zu eigen machte. Ich beginne sie zweitens unter der Voraussetzung, dass Arndt und seine Mitstreiter, wie Fichte, Jahn, Luden und so weiter, den deutschen Nationalismus nicht

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Vgl. Eckhart Hellmuth: Die »Wiedergeburt« Friedrichs des Großen und der »Tod fürs Vaterland«. Zum patriotischen Selbstverständnis in Preußen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Ders. und Reinhard Stauber (Hg.): Nationalismus vor dem Nationalismus? Aufklärung 10/2 (1998), S. 23 – 54, hier: S. 43. Vgl.Andrea Hofmeister-Hunger: Pressepolitik und Staatsreform. Die Institutionalisierung staatlicher Öffentlichkeitsarbeit bei Karl August von Hardenberg (1792–1822). (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Bd. 107) Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1994. Vgl. Karen Hagemann: »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre.« Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn u. a.: Schöningh 2002. S. 105–203.

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geschaffen haben. Wertneutral verstanden als eine Einstellung, die davon ausgeht, dass das wichtigste Gliederungsprinzip der Menschheit die Nationen sind, die Nationen Subjekte der Geschichte darstellen und der einzelne sich folglich für eine Nation entscheiden müsse, war der Nationalismus um 1800 eine fertig vorliegende Disposition im deutschen Bildungsbürgertum. Der Zusammenbruch des Alten Reiches und die Fremdherrschaft konnten nur noch eine krisenhafte Aktualisierung des Nationalismus bewirken.15 Mit seinem Text Germanien und Europa, den er am 22. November 1802 vollendete, gehörte Arndt zu den besonders frühen Autoren, die auf den Zerfall der alten Ordnung in Mitteleuropa antworteten. Noch war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eine völkerrechtliche Realität. Akuter Anlass für Arndts Empörung war die Tatsache, dass nach dem Frieden von Lunéville das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten worden war. Die dort begüterten Fürsten sollten auf dem rechten Rheinufer entschädigt werden. Diese Tatsache allein war aber gar nicht die Schande, auf die Arndt glaubte reagieren zu müssen. Vielmehr empörte es ihn, dass die Verteilung der Entschädigungen unter der Regie der auswärtigen Großmächte Frankreich und Russland stattfinden sollte, die damit Deutschland bevormundeten.16 Arndt war kein Politologe, der seinen Text mit Begriffsdefinitionen einleiten würde. Stattdessen ging er mit den Begriffen ›Volk‹, ›Vaterland‹ und ›Nation‹ recht unsystematisch um. Er stellte fest, dass es eine historische Entität gab, die man ›Teutschland‹ nennen konnte. Diese Entität hätte sehr wohl die Chance gehabt, eine politische Einheit zu werden, »wie Frankreich und Großbritannien.« Aber die Geschichte war anders verlaufen. Arndt fragte nun nach den »Naturgränzen« Deutschlands. Der physischen Geographie an die Seite stellte er von Anfang an die Sprache. Am eindeutigsten erschien die Grenzlage dort, wo Naturgrenzen und Sprachgrenzen zusammenfielen: Im Süden die Alpen und die Nordecke des adriatischen Meeres; geographisch und linguisch würde die Schweiz fast ganz in diese Gränze fallen; gegen Westen das Meer der französischen und batavischen Niederlande; diese Gränze ist seit dem sechszehnten Jahrhundert schon verletzt; das Nordmeer darf Teutschland ansprechen, weil fast der ganze Süden von Teutschland seiner Lage nach durch den Rhein sich dahin ziehen muß, Reichthümer und Kultur zu ärndten; im Norden hat es nach seiner rechten Gränze die Eider und die Ostsee, und im Osten ist die jetzige politische auch allenfalls die geographische, weil sie überdem glücklich auch meistens die linguische ist. Diese Gränzen müsste das Vaterland auch als eine Einheit haben; jetzt hat sie die, so wie sie wirklich hat, nur politisch; denn die Vielherrschaft behauptet auch ihr besonderes Recht der Lage auf das Meer zum großen Nachtheil der andern.17

Im Übrigen können wir unsererseits versuchen, aus Arndts Argumentation eine Theorie der Nation zu systematisieren. Dann würden wir feststellen, dass er sich Gedanken darüber gemacht hat, wie in einem Volk Herrschaft und Gesetze entste15 16 17

Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 163 – 165. Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. Altona: Bei J. F. Hammerich 1803, S. 417. Ebd., S. 410f.

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hen. Als Autor einer Dissertation über Jean Jacques Rousseau war Arndt mit dem Gedanken des Gesellschaftsvertrags und der Volkssouveränität vertraut. Doch streifte er ihn nur, ohne sich dazu zu bekennen: Ich mögte, wie die irdischen Dinge stehen, nicht eben sagen, daß ein Volk sich seine Gesetze eben geben solle, sondern daß es sie nur kennen und anerkennen solle, und daß vor diesen Gesetzen kein Unterschied der Person, keine Ausnahme sey, sondern daß sie Alle – die Großen wie die Kleinen – gleich milde und gleich strenge treffen.Aus diesem Bewusstsein keimt bürgerlicher Stolz, Freiheitssinn, weil der Mensch sich unter keinem andern Druck als unter dem Gesetze fühlt, den er sich leicht machen kann, wenn er gut zu seyn den Muth hat [. . .]18

Darüber hinaus bedurfte das Volk der Idee der Gemeinschaft und des Vaterlandes. In allen diesen Punkten litten Arndts deutsche Zeitgenossen an Unterversorgung: Wenn noch ein Funken von Teutschheit, von allgemeiner Liebe des gemeinen Vaterlandes war, so haben die letzten zehen Jahre ihn ausgelöscht. Die verständigeren und besseren Teutschen klagen um ein Gut, was nicht möglich zu machen ist; Viele schämen sich selbst des Namens Teutsch. Die meisten sind gleichgültig gegen alles, wobei andere Völker in Enthusiasmus gerathen. Vaterland, Freiheit, Gesetz, sind ihnen wunderliche Namen.19

Ein Vaterland zu lieben, das nicht frei ist, fällt schwer. Zu fragen ist, ob hier bloß äußere Freiheit – also Freiheit von französischer und russischer Vorherrschaft – gemeint ist, oder ob die innere Freiheit, die Freiheit des sich selbst Regierens, mit gedacht ist. Wie bemerkt, hat Arndt sich nirgendwo unumwunden zu dem Prinzip der Volkssouveränität bekannt. Dass Freiheit und Gesetz sich gegenseitig bedingen, sagt er, wenn es heißt: »Wer am meisten frei seyn will, muß den größten Gehorsam haben.«20 Dennoch ist auch für Arndt die naturrechtlich vorgegebene Kollektivität »Nation« undenkbar, wenn sie nicht auch »einen bestimmten Grad an Egalität und Selbstbestimmung ihrer Bewohner einschließt.«21

III. Arndt bezieht seine Position 1802 war die Rheingrenze eine Tatsache, gegen die zu protestieren zwecklos erscheinen musste. Das ist der Unterschied zur Situation im Jahr 1813, als die Politik wieder in Fluss geriet. Die Zaghaften im Lager der Alliierten, wie der König von Preußen, hätten sich auch damals am liebsten damit begnügt, Napoleon aus dem Innern Deutschlands hinaus zu werfen. Mit der Schlacht von Leipzig war dies erreicht; Napoleon zog sich im November 1813 mit seiner Armee hinter den Rhein zurück. Doch jetzt griff Arndt mit seiner Publizistik ein. Von Leipzig aus erhob er die Forderung, den Rhein nicht Grenze bleiben zu lassen, sondern ihn zu 18 19 20 21

Ebd., S. 318. Ebd., S. 415f. Ebd., S. 318. Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792 –1918 (Sprache und Geschichte Bd. 19). Stuttgart: Klett-Cotta 1992, S. 52f.

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»Deutschlands Strom« zu machen. Die Rheingegend, so argumentierte er, sei im Mittelalter das Machtzentrum Deutschlands gewesen. Das eigentlich Germanische sei in reinster Form in Schwaben, dem Rheinland und Westfalen zu finden.Wer den Rhein besitze, übe die kulturelle Vorherrschaft aus.22 Wenn Frankreich den Rhein behalte, werde Deutschland nach wenigen Generationen auch im Osten moralisch ausgehöhlt und kraftlos sein.23 1802 war Arndt ein politischer Neuling, der zum ersten Mal wagte, mit seinen Ansichten an die Öffentlichkeit zu treten. Im Herbst 1813 war er ein geübter Propagandist, der wusste, dass man den Kampf der Begriffe nur gewinnen kann, wenn man sich die Begriffe unterwirft. Dazu gehörte 1813, dass man den Anspruch der Franzosen, in so genannten »natürlichen Grenzen« zu leben, bestritt. Den französischen Anspruch auf die Rheingrenze erledigte Arndt, indem er ihn ironisch übertrieb: Da die Ideen über die Naturgrenzen Frankreichs sich bei den Franzosen und Napoleon jedes Jahr so sehr erweiterten, so konnte man voraussehen, daß die Elbe, die Oder, die Weichsel, ja, wenn die französischen Waffen den Beweis gehörig einleiteten, die Düna und der Dnjepr bald Frankreichs Naturgrenze heißen würden. Teutsche Schreibseligkeit und Vaterlandsvergessenheit halfen den Franzosen immer mit redlicher Geflissenheit den Beweis führen und betörten die Menge, welche bloß hört und liest.24

An die Stelle der physischen Markierungen auf der Erdoberfläche setzte Arndt ein anderes Abgrenzungsmerkmal: Ich sage: Die einzige gültigste Naturgrenze macht die Sprache. Die Verschiedenheit der Sprachen hat Gott gesetzt, damit nicht ein großer, fauler und nichtswürdiger Sklavenhaufe auf Erden wäre. Die verschiedenen Sprachen machen die natürliche Scheidewand der Völker und Länder, sie machen die großen innerlichen Verschiedenheiten der Völker, damit der Reiz und Kampf lebendiger Kräfte und Triebe entstehe, wodurch die Geister in Lebendigkeit erhalten werden; denn für die Übung der Geister ist das menschliche Geschlecht hier erschaffen. Nach den Sprachen haben sich auch die Völker und Länder gewöhnlich in ihre Bestandteile abgesetzt und geschieden und waren gegen den Ausgang des Mittelalters mit ihren Gebieten glücklich genug abgemarkt, bis seit drei Jahrhunderten Eroberungslust angefangen hat, Gottes Naturgang zu stören und alles Fremdeste und Ungleichste zusammenzuschütten und zu mischen.25

Bei dieser Auffassung ist Arndt geblieben. Ich möchte dies daran zeigen, dass Arndt seine Theorie im Jahr 1831 noch einmal statuiert hat, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf 1813. Hintergrund für Arndts Wortmeldung im Jahr 1831 war die belgische Krise, die daraus entstanden war, dass sich die südlichen Niederlande von dem auf dem Wiener Kongress geschaffenen Oranier-Staat abspalten wollten. Da dies auf dem Weg einer demokratischen Revolution geschah, war die Furcht in Europa

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Vgl.: Ernst Moritz Arndt: Der Rhein Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze. In: Arndts Werke. Elfter Teil. Hg. von Wilhelm Steffens. Berlin u. a.: Bong o. J. S. 68–74. Ebd., S. 74f. Ebd., S. 41. Ebd.

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verbreitet, die belgische Revolution könne mit der französischen Julirevolution von 1830 verschmelzen, und es würden sich die Ereignisse der Jahre 1792 bis 1795 wiederholen, als die vormals habsburgischen Niederlande durch Frankreich annektiert worden waren. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass auf dem Wiener Kongress zumindest die Idee zirkuliert war, man könnte den OranierStaat bis nach Aachen und Köln reichen lassen und den deutschen Niederrhein aus dem Deutschen Bund ausgliedern. Was aber einmal abgetrennt war, so lässt sich ergänzen, konnte dann auch schnell in falsche, das heißt eben französische Hände geraten. Die aktuellen Vorgänge und die wieder erweckte Erinnerung an Pläne aus den Jahren 1814 und 1815 veranlassten Arndt, noch einmal klarzustellen, was seiner Ansicht nach untrennbar zur deutschen Nation gehörte und deswegen nicht abgetrennt werden durfte. Seine Ausführungen hat er dabei teilweise in langen Abschnitten wortgetreu aus der Schrift von 1813 übernommen. Es ist hier jedoch nicht der Ort, einen detaillierten Textvergleich zwischen der Schrift Der Rhein Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze und der Schrift Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande vorzunehmen. Auf jeden Fall heißt es 1831 wie (fast genau so) schon 1813: Sehen wir auf unser Vaterland, auf Deutschland, wie glücklich stand vor dreihundert Jahren, zur Zeit Maximilians des Ersten und Luthers, unsere Gränze! Deutschland hieß nur das Land der deutschen Zunge, aber das war auch ganz deutsch. In Italien und Frankreich und auch in den östlichen Grenzländern beherrschte Deutschland unmittelbar damals nichts mehr; deutsche Fürsten besaßen keine italiänischen und französischen Landschaften; die sogenannte Reichsherrschaft über einzelne Lande dort war mehr Name als That. Die Sprache machte im Süden längs den Alpen und Ardennen die Naturgränze: so weit deutsch und flamländisch gesprochen ward, hieß dort Deutschland; die einzige Grafschaft Kleinburgund (Franche Comté) und einen Teil von Artois und Flandern hätte man undeutsch nennen können.26

Erst in zweiter Linie spielten auch natürliche Grenzen eine Rolle. Unter diese aber seien auf keinen Fall die Flüsse zu rechnen, also auch nicht der Rhein, sondern Grenzen anderer Art: Nächst der Sprache machen nach der Erfahrung der Zeiten, worauf man bei der Lösung unserer Frage am besten und sichersten fußet, Gebirge und Meere Naturgränzen, nicht an ihnen selbst, sondern weil sie Sprachgränzen sind, und also die Völker durch Verschiedenheit und Ungleichheit, ferner auch durch daraus entspringende Abneigung und Haß absondern. [. . .] Die Alpen sind Sprachgränzen der Italiäner und Deutschen und der Italiäner und Franzosen. [. . .] Durch das Meer ist die schwedische, dänische, norwegische und isländische Sprache viel verschiedener geworden, als sie seyn würde, wenn man aus Mecklenburg und Pommern zu Fuß nach Dänemark und Schweden gehen könnte. [. . .] Wie also Berge und Meere Naturgränzen werden, so werden es auch große Wüsten und Sümpfe, weil sie die Verbindung des einen Landes mit dem andern erschweren. [. . .]27

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Ernst Moritz Arndt: Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande. Leipzig: Weidmannsche Buchhandlung. Im März 1831, S. 37 – 39. Arndt: Die Frage über die Niederlande (Anm. 26), S. 41f.

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Auf diese sozusagen in Atlanten – es gibt ja auch den Sprachatlas – festgelegten Kriterien fundiert Arndt seine Argumentation in erster Linie. Doch scheinen sie mir vordergründig. Eine andere Argumentation geht von dem aus, was man als »Wesen« der »Teutschheit« fassen könnte. Sie ist sozusagen essentialistisch, und sagt: Alles ist deutsch, was sich so benimmt. Flandrer, Brabanter, Limburger und die Deutschen im Luxemburgischen und Lüttichischen, wer wird sich unterfangen, sie Bastarde und Halblinge wälschen Ursprungs oder wälscher Mischung zu nennen? Ich frage jeden, der unter ihnen lebte und verkehrte, sind sie – wahrscheinlich die Urenkel der gemischten Sachsen und Franken – sind sie nicht schwerer, ernster, grüblerischer, ungewandter, unbehülflicher, als irgend andere Deutsche? ich mögte fragen, sind sie nicht fast deutscher als Deutsche? [. . .]28

Um so argumentieren zu können, muss man natürlich einen Konsens darüber voraussetzen können, dass grüblerischer Ernst und Unbeholfenheit typisch deutsche Eigenschaften sind. Arndt konnte hier an lange Traditionen anknüpfen. Einige Auto- und Heterostereotype, etwa von der leichten Erregbarkeit der Franzosen und der Langsamkeit der Deutschen, aber eben auch von deutschem Ernst und deutscher Biederkeit, dürften mindestens bis in die Humanistenzeit, wenn nicht sogar weiter zurück reichen.Voraussetzung dafür, dass die Argumentation mit dem deutschen Wesen funktioniert, ist natürlich, dass man überhaupt von der Existenz eines »Nationalcharakters« überzeugt ist. Diesen Ausdruck können wir schon bei Johann Jakob Bodmer finden.29 Arndt hantiert damit in größter Unbefangenheit und vordergründig auch in einer Manier, die keineswegs eine Nation über die andere stellen soll. In Geist der Zeit, Teil IV, erschienen 1819, erwähnt Arndt den »Leichtsinn« der Franzosen und den »englische(n) Übermut«, die möglicherweise bei diesen Völkern sogar mit großen Tugenden zusammenhingen, »die mir und meinem Volke fehlen«.30 Ebenso wenig von Arndt erfunden ist der Selbstvorwurf, die Deutschen machten sich beständig zu »Affen der Welschen und Engländer«,31 zu Imitatoren des Auslands.32 Er begegnet uns häufig in der Publizistik der 1790er Jahre, aber er bildet natürlich auch schon früher den Hintergrund der Diskussionen um die Pflege der deutschen Sprache, um Nationalliteratur und Nationaltheater. Die Theorie vom Deutschen als einer »Ursprache«, die Arndt ebenfalls in Geist der Zeit IV vorträgt, hat ihre Wurzeln in Humanismus und Reformation. Arndt schreibt, dass das Deutsche eine Ursprache und keine zusammengeschwemmte Mischlingssprache [sei], daß die Deutschen sie vom Anfang ihrer Geschichte scheinen gehabt und nicht durch irgend eine Gewalt als ein fremdes Gut scheinen überkommen zu haben wie die Franken die gallo-

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Ebd., S. 13f. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 100. Ernst Moritz Arndt: Über deutsche Art und über das Welschtum bei uns. In: Arndts Werke, Neunter Teil. Geist der Zeit IV. Hg. von Wilhelm Steffens. Berlin u. a.: Bong o. J., S. 129– 157. Hier: S. 138. Vgl. ebd., S. 135. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 135.

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romanische, die Goten die romano-arabische Sprache. Sie scheint ihnen daher auch so recht zu passen und eigentümlich anzugehören und mit allen ihren Wurzeln in ihrem Gemüte und in ihren Trieben verwachsen zu sein, weil sie sich wahrscheinlich in ihren ersten Anfängen mit ihnen gebildet hat.33

Selbst Leibniz war der Meinung, dass das »Teutonische« mindestens so alt sei wie das Hebräische und von der Sprache Adams besonders viel zurück behalten habe. Schon im 17. Jahrhundert wies man auf die Tatsache hin, dass der größere Teil Germaniens von den Römern nie erobert worden sei und auch sonst keine dauerhafte Fremdherrschaft habe durchmachen müssen. Folglich sei das Ursprüngliche hier in besonderer Reinheit erhalten.34 Als heilige Sprachen galten anfangs das Hebräische, die Sprache des Alten, und das Griechische, die Sprache des Neuen Testaments, sowie das Deutsche als die Sprache der Reformation und die Sprache, in der der Gläubige zu seinem Gott sprach. Unter dem Einfluss der Griechenlandbegeisterung Winkelmanns und der Idee, dass die Deutschen die reinsten Fortsetzer des griechischen Humanitätsideals seien, säkularisierte sich das Bündel und reduzierte sich auf Griechen und Deutsche, die, wie Friedrich Ludwig Jahn formulierte, »der Menschheit heilige Völker« seien.35 Kontrovers ist, was diese Ursprünglichkeitsidee vor allem nach 1813 so aggressiv macht. Zwei Elemente scheinen mir hier entscheidend zu sein. Das erste ist das Element der Überwertigkeit, das notwendig damit verbunden ist, dass ein Volk das, was universell ist, nämlich die Humanität, besonders gut oder eben vorbildhaft zum Ausdruck bringt. Dann geht nämlich die ursprünglich – auch von Arndt – behauptete Gleichrangigkeit des Verschiedenen verloren.36 Das zweite Element ist die Vorstellung von der Notwendigkeit der Abgrenzung, in Arndts Ausdrucksweise »Volkshass« genannt, und von der Schädlichkeit der Vermischung. Wenn ein Volk vorbildlich ist, dann kann jede Vermischung die Vorbildlichkeit nur trüben. Hier zeigt sich das xenophobe Element, das freilich, wenn man denn will, auch noch gutwillig interpretiert werden kann. Geht man mit Herder davon aus, dass die Vielfalt der Völker in Gottes Weltplan angelegt ist und sich die Humanität nur in der Vielfalt vollständig darstellen kann,37 so würde eine Vermischung eine Verminderung der Vielfalt oder eine Nivellierung darstellen und wäre abzulehnen, so, wie wir uns heute wünschen, dass die Artenvielfalt in der Natur erhalten bleibt, ohne dass wir immer angeben können, wozu diese Artenvielfalt

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Ernst Moritz Arndt: Unsere Sprache und ihr Studium. In: Arndt: Geist der Zeit IV (Anm. 30), S. 169–191. Hier: S. 170. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 97. Friedrich Ludwig Jahn: Deutsches Volkstum. [1810] Hg. von Gerhard Fricke. Leipzig: Reclam 1936, S. 38. Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann: Überwertigkeitswahn und Humanitätsidee in der Entstehungsphase des deutschen Nationalismus. Auffällige Gemeinsamkeiten bei Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn. In: Historische Mitteilungen 4 (1991), S. 161– 171. Vgl. Echternkamp (Anm. 3), S. 103.

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denn gut ist. Ich halte freilich ein solches Argument nur für vorgeschoben; es erinnert mich an das Lob, das die Antisemiten für die Rassereinheit des jüdischen Volkes vorbringen. Man kommt nicht umhin, einen Nationenbegriff, der auf Abgrenzung beruht, auch als feindselig zu betrachten gegen die, die ausgeschlossen werden sollen. »Ein Vaterland ohne Feind«, so Michael Jeismann, gab es nicht.38 Auf jeden Fall ist die Furcht vor Vermischung oder, anders herum gesagt, das Reinheitsideal, schon 1803 in Germanien und Europa zu finden. In diesem Text, der ja eine umfassende Erzählung von der Urgeschichte bis auf das Jahr 1802 enthält, schildert Arndt die Folgen des Alexanderzuges im Altertum. Die Griechen seien durch die Überdehnung ihres Einflussbereichs in den Niedergang geführt worden: Sie hatten das Schicksal, das jede Nation gehabt hat, sich durch eine übermäßige oder gar ungerechte Verbindung mit fremden Völkern, wobei das Verhältniß der Gleichheit aufgehoben ist, zu verderben. Die Nation war endlich ein Gemisch aus Europäern, Asiaten, Afrikanern; fremde Sitten, Gesetze, Dialekte rissen ein; in Altgriechenland war nur noch die Herrlichkeit des Gedächtnisses und der alten Kunst; die Macht war bei den Macedoniern, Syrern und Aegyptern. [. . .]39

1831 heißt es, an die Franzosen gewandt, die die Nachkommen der aus Deutschland ausgewanderten Franken seien: Ihr dagegen waret in einigen Jahrhunderten ganz andere Menschen, ja ein ganz anderes Volk geworden; was sage ich? ihr waret Bastarde oder gar Wechselbälge, und von ganz anderen Vätern und Müttern entsprossen: indem ihr alle Franken, später Franzosen, genannt wurdet, waren gewiß Dreiviertel eurer Bestandtheile ganz andern Blutes und Stoffes als des germanischen.40

Die härtesten Attacken gegen die Vermischung aber finden wir in den Jahren nach der deutschen Erhebung. So heißt es in einem Aufsatz von 1815: Die Völker hat Gott gesetzt als Verschiedenheiten einander gegenüber, damit jedes in seiner Art und Anlage herrlich und ganz sey und durch Ausbildung und Entwickelung seiner Eigenthümlichkeit herrlicher und fester werde.41

Arndt nennt das Evangelium auch den rechte(n), scharfe(n )und strenge(n) Scheidekünstler, der mit dem unbarmherzigen Geist alle unreinen und eitlen und lügenhaften Zusammenmischungen sondert, damit er die gereinigten und wieder wahr und unschuldig gemachten Einzelheiten mit desto seligerer Liebe umfassen könne.42

Diese Unterscheidungen werden, wie gesagt, vorgenommen unter dem Anspruch der Gleichrangigkeit des Verschiedenartigen. Und tatsächlich finden wir in Germanien und Europa eine sehr bewegende Stelle, in der sich Arndt gegen die Unterdrückung der Farbigen durch Napoleon wendet.43 38 38 40 41

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Jeismann (Anm. 21), S. 375. Arndt: Germanien und Europa (Anm. 16), S. 16. Arndt: Die Frage über die Niederlande (Anm. 26), S. 51. Ernst Moritz Arndt: Der Wächter: Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften. Bd. 2. Köln 1815, S. 197. Ebd., S. 158f. Arndt: Germanien und Europa (Anm. 16), S. 402f.

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Wir können also als Elemente des Arndtschen Nationsbegriffs folgendes festhalten: 1. Die Nation wird durch die gemeinsame Sprache markiert, hilfsweise durch bestimmte natürliche Grenzen. 2. Die Nation weist einen bestimmten Nationalcharakter auf, der es erlaubt, abgetrennte Mitglieder wieder zu erkennen. 3. Das Beste an der Nation ist das Unwandelbare, das nur erhalten wird, wenn man Vermischungen vermeidet. Das erste Element ist ein praktisches. Notwendig zusammenhängend sind nur der zweite und der dritte Punkt, denn der Nationalcharakter ist als der Kern des Unwandelbaren zu benennen. Auf alle Fälle scheint mir hier bei Arndt sehr wohl das vorzuliegen, was man einen »objektiven Nationsbegriff« genannt hat. Ich widerspreche damit Michael Jeismann, der Arndt, ebenso wie dessen deutschen Zeitgenossen, dies abgesprochen hat.44 Nach dem eben Gesagten dürfte hingegen nicht überraschen, dass ich mit Jeismanns Urteil übereinstimme, wonach der deutsche Nationsbegriff auf Abgrenzung aufgebaut ist, während er sich in der Französischen Revolution gerade durch Entgrenzung gebildet hatte.45 Als Hypothek für die Zukunft sei genannt, was in allen vergleichbaren Fällen droht. Wenn ich auf den Unterschieden beharre, kann ich zwar von der Gleichwertigkeit des Unterschiedenen ausgehen. In aller Regel aber landet man bei der Höherwertigkeit des Eigenen gegenüber dem Fremden.

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Vgl. Jeismann (Anm. 21), S. 47. Vgl. ebd., S. 381.

Wolf D. Gruner

Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen und ihre Instrumentalisierung für die historische Legitimierung des preußisch-kleindeutschen Kaiserreiches 1. Vorüberlegungen Beim Einzug der Truppen in Berlin 1871, nach dem Ende des Krieges gegen Frankreich, erklärte Wilhelm I., der neue deutsche Kaiser und König von Preußen: »Wir müssen erkennen, dass wir nur auf den Grundlagen weitergebaut haben, welche 1813, 1814 und 1815 gelegt worden sind«.1 Für das historische Selbstverständnis der preußisch-kleindeutschen Reichsgründung und des deutschen Kaiserreiches ist diese, ungewollt vielschichtige Aussage bedeutsam. Sie beschwört eine vermeintlich historische Kontinuität, die charakteristisch für die »Reichshistoriographie« werden sollte. Der 1871 gegründete »halbfertige Nationalstaat« Preußen-Deutschland wird ebenfalls in eine historische Kontinuität gestellt, indem vom »Zweiten Reich« gesprochen wird. Es wird – das zeigen, mit wenigen Ausnahmen, alle zeitgenössischen Darstellungen – als die Wiederherstellung der durch Napoleon verloren gegangenen deutschen Einheit und des mächtigen mittelalterlichen Deutschen Reiches durch Wilhelm I. von Preußen verstanden. Nach dem Ende des »Ersten Reiches«, des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im Jahre 1806,2 war es Preußen in einer »Lebensfrage« der deutschen Nation verwehrt worden, die nationale deutsche Einheit herzustellen, denn vor allem Metternich und auch die Engländer wollten kein Deutsches Reich und »Deutschland darf nicht unter preußische Führung geraten«.3

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Zitiert nach Tim Klein:Die Befreiung.1813 – 1814 – 1815.Urkunden,Berichte,Briefe mit geschichtlichen Verbindungen.Ebenhausen b.München:Langewiesche-Brandt 1913 (Motto). Im Jubiläumsjahr 2006 zur Erinnerung an das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und zu dessen historischer Einordnung und Würdigung fanden zahlreiche nationale und regionale Ausstellungen mit unterschiedlicher Akzentsetzung statt. In der Forschung setzte sich in den letzten Dekaden ein neuer Blick auf das Alte Reich durch. Vgl. u. a. Peter Claus Hartmann: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation in der Neuzeit 1486–1806. Stuttgart: Reclam 2005; Brigitte Mazohl-Wallnig: Zeitenwende 1806. Das Heilige Römische Reich und die Geburt des modernen Europa. Wien u. a.: Böhlau 2005; Walter Demel: Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763–1806 (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 10. Auflage Bd. 10). Stuttgart: Klett-Cotta 2005; Dieter Albrecht, Karl Otmar Freiherr von Aretin, Winfried Schulze (Hg.): Europa im Umbruch 1750–1850. München: Oldenbourg 1995. Vgl. Heinrich von Sybel: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Leipzig 1889–1894, 7 Bde. Neudruck in 3 Bänden. Meersburg und Leipzig: F. W. Hendel Verlag 1930, Bd. 1, erstes Buch, »Rückblicke«. Zitat S. 29.

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Wolf D. Gruner

Die »Reichshistoriographie«4 oder die Generation der »Kleindeutschen Geschichtsbaumeister« (Ernst Schulin), beispielsweise ihre Exponenten Heinrich von Treitschke, Heinrich Ritter von Sybel und Johann Gustav Droysen, versuchte – dies wird noch exemplarisch zu zeigen sein – das neue »preußische Reich deutscher Nation« (Heinrich von Treitschke) historisch zu legitimieren. Diese Historiker wurden, wie es Thomas Stamm-Kuhlmann treffend formulierte, zu »Historiographen des preußischen Staates: sozusagen königliche Hoflieferanten in Sachen Geschichte«.5 Sie haben, wegen der internationalen Bedeutung und Wirkung der deutschen Geschichtswissenschaft, das Bild von der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert innerhalb und außerhalb Deutschlands – und auch im 20. Jahrhundert – nachhaltig beeinflusst und geprägt. Mit der Gründung des preußisch-kleindeutschen Nationalstaates auf französischem Boden, im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871, erfüllte Preußen seine »deutsche Mission«. Dabei ist es kein Zufall, dass der Tag der Proklamation des Kaiserreiches mit dem 170ten Jahrestag der Krönung des Kurfürsten von Brandenburg zum »König in Preußen« in Königsberg zusammenfällt.6 In den so genannten ›Befreiungskriegen‹ wurden Deutschland und Europa von der Fremdherrschaft Napoleons und Frankreichs mit großen Blutopfern befreit. 1814/15 gelang die Herstellung der nationalen Einheit nicht. Der Aufforderung Ernst Moritz Arndts an die Deutschen »Das ganze Deutschland soll es sein«7 und der »Rhein, Deutschlands Strom nicht Deutschlands Grenze«8 verhallte damals. Nach einem erneuten Feldzug gegen Frankreich wurden Wunsch und Hoffnung der Befreiungskriege im Jahre 1871 Wirklichkeit. Es spielte dabei keine Rolle, dass historische Phänomene nicht einfach in eine andere Zeit mit veränderten Rahmenbedingungen transponiert werden können. Vielmehr wird der emotional vom an Schweden orientierten Rügener zum Preußen mutierte Ernst Moritz Arndt, der erst 1860 in hohem Alter, wenige Wochen nach dem ihn physisch belastenden

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Vgl. Ernst Schulin: Am Ziel ihrer Geschichte. Die deutschen Historiker im Kaiserreich. In: Werner Freitag (Hg.): Halle und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2002, S. 11 – 24, bes. S. 12ff. sowie u. a. Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund und die europäische Friedensordnung. In: Helmut Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 – 1866. Wien, München: Verlag für Geschichte und Politik – Oldenbourg Verlag 1990, S. 235 – 263, bes. S. 236ff.; Ders.: Preußen in Europa 1701– 1860/1871. In: Jürgen Luh, Vinzenz Czech, Bert Becker (Hg.): Preußen, Deutschland und Europa 1701– 2001. Groningen: INOS 2003, S. 429 –460 und Ders.: Die deutsche Frage in Europa 1800– 1990. München: Piper 1993, S. 47ff. Thomas Stamm-Kuhlmann: Die Hohenzollern. Berlin: Siedler Verlag 2001 (1995), S. 11. Vgl. hierzu u. a. Luh, Czech, Becker: Preußen. Deutschland und Europa. (Anm. 4) Ernst Moritz Arndt: Des Deutschen Vaterland (1813), gedruckt in: Gustav Erdmann (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Ausgewählte Gedichte und Schriften. Berlin: Union Verlag 1969, S. 66–68. Flugschrift Ernst Moritz Arndts: Der Rhein Deutschlands Strom aber nicht Deutschlands Grenze (Dezember 1813), gedruckt in: Heinrich Meisner, Thomas Geerds (Hg.): Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechszehn Bänden. Bd. 13.1.: Kleine Schriften. Leipzig: Max Hesses Verlag 1848, S. 145 – 197.

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Höhepunkt des national und emotional ausgelebten Schillerjahres 1859 verstarb und auch Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 war, für die Schaffung eines Selbstbildes der Deutschen und das deutsche Frankreichbild instrumentalisiert. Sein langes Leben von 1769 bis 1860, seine kraftvolle, eingängige Sprache in Liedern und Gedichten, seine einfachen, emotionalisierenden »kernhaften und originellen Worte« – in ihrer Wirkung wie eine Predigt des studierten Theologen Arndt9 an seine ›nationale Gemeinde‹ – und sein Franzosenhass machten ihn vom Mannes- bis zum Greisenalter zur Verkörperung der Idee »eines einigen freien Deutschlands«. Nicht »Arndt hatte diese Idee, sondern diese Idee hatte ihn. Für sie hat er geschrieben, geredet, gesungen, gestritten und gelitten, ja sein Leben eingesetzt«, bemerkte 1869 sein Biograph Langenberg10 und ergänzte: Er habe als ein »geschworener Feind des Napoleonismus« den Ehrennamen »Vater« Deutschlands zu Recht erhalten, denn er sei »durch und durch ein ächt deutscher Mann, ein Repräsentant des deutschen Volkes, dem ›deutsche Freiheit, deutscher Gott, deutscher Glaube, deutsches Herz und deutscher Stahl allzumal vier Helden sind‹«.11 Ernst Moritz Arndt und sein tiefer Hass gegen alles »Welsche« werden zur Konstruktion eines preußisch-kleindeutschen Geschichtsbildes und zur Schaffung einer deutschen nationalen Identität der Deutschen missbraucht. Seine Gedichte, Schriften und Reden, beispielsweise über die kleinen deutschen Fürsten, über die Rheinbundreformen und die Rheinbundfürsten, über den Deutschen Bund und über Frankreich und die Franzosen, haben bis in die Gegenwart das Eigenbild und Fremdbild von der deutschen Geschichte nachhaltig beeinflusst. Erst seit den späten 1960er Jahren erarbeitete die historische Forschung ein differenzierteres Bild über die deutsche und europäische Geschichte in der Sattelzeit zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert und daran anschließend für das »lange neunzehnte Jahrhundert«. Dabei wird Preußen auf den Status zurückgeführt, der ihm in der Geschichte der »Deutschländer« als einem deutschen und europäischen wichtigen Mitspieler zusteht. Deutsche Geschichte=Geschichte Preußens, diese Gleichung wird heute nur noch von Exoten, deutschnationalen Phantasten und an historischen Zusammenhängen und den Rahmenbedingungen deutscher Geschichte als Teil der europäischen Uninteressierten verfochten. Aus heutiger Perspektive ist die Erkenntnis wichtig, dass wir einer deutschen Geschichte im Rahmen und als unauflöslicher Teil der europäischen Geschichte nur dann gerecht werden können, wenn wir zu einer »Föderalisierung« der deutschen Geschichte kommen und die zentrale Aussage des amerikanischen Historikers und Deutschlandexperten James Sheehan von 1981 nicht mehr in Frage gestellt wird, nämlich, dass die preußischkleindeutsche Reichsgründung aus einer breiteren Perspektive nicht im Mittel-

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Zum Bild in der Theologie vgl. Friedrich Wilhelm Bautz: Arndt. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hamm: Bautz 1990, Bd. I, Sp. 223–225. E. Langenberg: Ernst Moritz Arndt. Sein Leben und seine Schriften. Bonn: Eduard Webers’s Buchhandlung 1869, S. 1. Ebd. S. 2.

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punkt der deutschen und europäischen Geschichte im 19. Jahrhundert steht und sich die Reichseinigung historisch nicht auf ihre preußische Vorgeschichte reduzieren lasse. Es werde Zeit, so formulierte es James J. Sheehan 1981, »to acknowledge that the present period has a historical legitimacy of its own, a legitimacy which comes not from its relationship to the old Reich, but from its place within a broader and deeper historical tradition. The German present is not a postscript to the imperial past; it is a new chapter in a much older history«.12 Der Deutsche Bund und das Heilige Römische Reich deutscher Nation sind Teil dieser »much older story«. Hierzu gehört auch die Erkenntnis vom unauflöslichen Zusammenhang, dass deutsche Geschichte stets zugleich europäische Geschichte und europäische Geschichte immer auch deutsche Geschichte ist. Gerade in der hier im Mittelpunkt stehenden Epoche der europäischen Transformation, der europäischen Sattelzeit um 1800, die den Übergang von Alten Europa zum Europa der Moderne geprägt hat, sind die europäischen Nationalbewegungen und mit ihnen auch die deutsche nur ein, wenn auch wichtiger Aspekt. Es hatte sich im 18. Jahrhundert, auch beeinflusst durch die Aufklärung, ein neues europäisches Selbstverständnis entwickelt, vielfach verbunden mit dem Wunsch, eine Frieden und Sicherheit gewährleistende neue Organisationsform für die europäische Staatenwelt zu finden.13 Es war ein europäischer Kommunikationsraum entstanden (in dem sich auch der junge Ernst Moritz Arndt bewegte). In die historische Analyse einzubeziehen sind aber auch die von den Zeitgenossen diskutierten und von Immanuel Kant 1795 neu angestoßenen Überlegungen für eine »europäische Föderation« oder einen »europäischen Völkerbund«. Sie sind Teil des nationalen und europäischen Diskurses.14 Ziel der nachfolgenden Überlegungen soll es sein, zu zeigen, wie der Rügener Ernst Moritz Arndt, der mit seinen Gedichten und Schriften emotional vor allem auch die zeitgenössische Jugend angesprochen hat, von der Politik und der Geschichtswissenschaft missbraucht und zur Geschichtsklitterung benutzt wurde. Dies gilt insbesondere für die »Reichshistoriographie«, aber auch für die deutsche Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert, sei es die der Weimarer 12

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James J. Sheehan: What is German History? Journal of Modern History 53/1981, S. 1–23, S. 22f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wolf D. Gruner: Historical Dimensions of German Statehood. From the Old Reich to the New Germany. In: Arthur B. Gunlicks (Hg.): German Public Policy and Federalism. Current Debates on Political, Legal and Social Issues. New York, Oxford: Berghahn Books 2003, S. 15 – 46, S. 222 – 238. Vgl. hierzu u. a. Klaus Malettke (Hg.): Imaginer l’Europe. Bruxelles, Paris: Belin – de Boeck 1998, bes. Wolf D. Gruner: Les idées de l’Europe politique au XVIII siècle, S. 145–162. Vgl. hierzu u. a. Wolf D. Gruner: Europa-Vorstellungen und Europa-Pläne im Umfeld des Wiener Kongresses und in der Epoche der europäischen Transformation (1750–1820). In: Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec (Hg.): Deutsche und Polnische Föderationspläne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003, S. 1–35 mit weiterführender Literatur. Wichtig für diesen Zusammenhang neuerdings die anregende und kritische Studie von Peter Krüger: Das unberechenbare Europa. Epochen des Integrationsprozesses vom späten 18. Jahrhundert bis zur Europäischen Union. Stuttgart: Kohlhammer 2006, bes. S. 19ff.

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Republik,15 die des nationalsozialistischen Deutschlands vor dem Krieg16 und während des Krieges17 oder der beiden Staaten in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg,18 ein Aspekt auf den abschließend kurz noch exemplarisch eingegangen werden soll.Auf dieser Palette erscheint uns Arndt als hoffnungsloser Romantiker, Visionär, Nationalheld und Vorbild der Jugend, als Freiheitskämpfer, Demokrat und Vorkämpfer »im nationalen Kampf unseres Volkes und für die Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik«.19 Heute pflegt die Ernst-Moritz-ArndtGesellschaft in Groß Schoritz auf Rügen, dem Geburtsort Arndts, durch ein Archiv im Geburtshaus und durch eigene Publikationen in »kritischer« und »humanistischer Weise« unter Einbeziehung der Publikationen zum 100. Todestag, der 1985 erfolgten Neuauflage von Arndts Erinnerungen aus dem äußeren Leben 1769–1812 und Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein 1812–1815 das historische Erbe des »Freiheitssängers und Patrioten«, auch durch Internetpräsentationen seiner Werke und seines Lebensweges.20

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Vgl. z. B. die Arbeiten des Reichsarchivdirektors Ernst Müsebeck: Ernst Moritz Arndt. Staat und Vaterland. Eine Auswahl aus seinen politischen Schriften. München: Drei Maskenverlag 1921 oder Ernst Moritz Arndt: Der ewige Deutsche, erzählt von Hans Kern. Jena: Eugen Diederichs Verlag 1930 oder die Heidelberger Dissertation von Wolfgang von Eichborn: Ernst Moritz Arndt und das deutsche Nationalbewußtsein. Phil. Diss. Heidelberg 1932. Vgl. z. B. Carl Petersen, Paul Hermann Ruth (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Deutsche Volkswerdung. Sein politisches Vermächtnis an die deutsche Gegenwart. Kernstellen aus seinen Schriften und Briefen. Breslau: Ferdinand Hirt 1934. Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. Einleitung: Germanien und Europa. Ein Buch an der Schwelle unseres Zeitalters. System, Bedeutung, Einordnung in die Zeit. Von Ernst Anrich. Stuttgart: W. Kohlhammer o. J. [ca. 1937] und Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. (Kulturpolitische Reihe) Stuttgart: W. Kohlhammer o. J. [ca. 1940]. Hellmut Diwald: Ernst Moritz Arndt. Das Entstehen des deutschen Nationalbewusstseins. Vortrag gehalten bei der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. München: Siemensstiftung 1970 sowie seine umstrittene Geschichte der Deutschen: Hellmut Diwald: Geschichte der Deutschen. Frankfurt/M. u. a.: Ulstein Propyläen 1978, S. 397–408. Dr. Herbert Scurla: Ernst Moritz Arndt. Der Vorkämpfer für Einheit und Demokratie. Berlin: Kongress-Verlag der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands 1952; Ders. (Hg.): Ernst Moritz Arndt: Meine Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiherrn vom Stein.Ausgewählt und eingeleitet von Herbert Scurla. Berlin:Verlag der Nation 1953; sowie anlässlich des 100. Todestages 1960: Gustav Erdmann: Ernst Moritz Arndt. Freiheitssänger und Patriot. Zum 100. Todestag am 29. Januar 1960. Stralsund: Cummerow & Jokiel Putbus auf Rügen; Harald Raab: Ernst Moritz Arndt und die russische Befreiungsbewegung 1812. Festvortrag anlässlich des 100. Todestages von Ernst Moritz Arndt am 29. Januar 1960. Greifswalder Universitätsreden NF 11. Als Manuskript gedruckt; Ernst Moritz Arndt: Ausgewählte Gedichte und Schriften, hg. von Gustav Erdmann, Berlin 1969, S. 5f. (Zitat) sowie Ernst Moritz Arndt: Kurzer Katechismus für teutsche Soldaten. Eingeleitet von Karl-Heinz Hädicke. Berlin (Ost): Ministerium für Nationale Verteidigung 1956. Vgl. http://www.ernst-moritz-arndt-gesellschaft.de/ema0/ema02.htm (Startseite, besucht am 4. 6. 2006, mit eigenen Abschnitten zur »Person« und zum Lebenslauf Arndts, seiner Rolle als »Patriot und Dichter«, zum Komplex »Politische Schriften«, »Sagen und Märchen«, »Europareisen«, »Arndt als Dichter«, »Arndt als Christ«).

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2. Ernst Moritz Arndt, seine Rolle und sein Einfluss in der napoleonischen Zeit Ernst Moritz Arndt wurde im »Zeitenwandel« geliebt und gehasst, benutzt und verbannt. Er war eine der umstrittensten Persönlichkeiten unter den patriotischen Schriftstellern der Schlussphase der napoleonischen Herrschaft in und der Kontrolle über Deutschland. Trotz seines leidenschaftlichen Hasses gegen Franzosen, Fürsten und auch Juden, dem wir in seinen politischen Schriften, Liedern und Gedichten begegnen, brachen wichtige Persönlichkeiten seiner Zeit, mit denen er in intensivem Briefkontakt stand, die Verbindung zu ihm nicht ab. Unter ihnen waren neben dem Freiherrn von und zum Stein, dem Arndt als Privatsekretär und Pamphletist diente, unter anderem auch Gneisenau und Schleiermacher. Ernst Moritz Arndt war in der napoleonischen Zeit in Deutschland durch seine aufpeitschenden patriotischen Flugschriften und Gedichte mit ihren emotionalen, einprägsamen Formulierungen hervorgetreten und beförderte mit seinen massenhaft verbreiteten, leicht verständlichen und volkstümlichen Schriften, Liedern und Appellen im Dienst einer antinapoleonischen Bewegung und Propaganda die Ausbildung eines gesamtdeutschen, überregionalen Patriotismus. Als Beispiel genannt sei in diesem Zusammenhang Arndts im Februar 1813 veröffentlichter Aufruf an die Deutschen, den Kampf gegen die Franzosen gemeinschaftlich aufzunehmen. Dort lesen wir: Deutsche für Deutsche! Nicht Bayern, Nicht Braunschweiger, Nicht Hannoveraner, Nicht Hessen, Nicht Holsteiner, Nicht Mecklenburger, Nicht Österreicher, Nicht Pfälzer, Nicht Preußen, Nicht Sachsen, Nicht Schwaben, Nicht Westfälinger; Nicht Ihr, die Ihr sonst freie Reichsstädter hießet und waret. Alles, was sich Deutsche nennen darf – nicht gegeneinander, sondern: Deutsche für Deutsche!21

Arndts Sammlung von Kriegs- und Freiheitsliedern, 1813 als Lieder für Deutsche. Im Jahre der Freiheit 1813 veröffentlicht, enthielt volkstümliche Lieder, die sich tief in das historische Gedächtnis eingraben sollten, beispielsweise sein Vaterlandslied »Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte« oder »Deutsches Herz verzage nicht«. Hier, in seiner Zusammenarbeit mit dem Freiherrn vom Stein – als »Stimme Steins« – und nach 1815 als akademischer Lehrer der studentischen Generation der Befreiungskriege-Freiheitskriege ist das politische, ideologische und nationale Phänomen Arndt zu verorten. Anders als Fichte oder Theodor Körner und weitere patriotische Agitatoren seiner Zeit spielte Arndt im historischen Gedächtnis der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch seine physische und politische Schriften verfassende Präsenz bis in die Reichsgründungszeit eine gewichtige Rolle: In der preußischen Rheinprovinz als Bonner Professor nach den Karlsbader Beschlüssen beurlaubt, 1840 durch den neuen preußischen König wieder in sein Amt eingesetzt, 1848 Mitglied der deutschen Nationalversammlung in

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Zitiert nach: Klein: Die Befreiung, (Anm. 1) S. 121.

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der Paulskirche wurde er, ehe er seinen »lieben Deutschen«, die seinen 90. Geburtstag am 26. 12. 1859 noch wie einen »Nationalfeiertag« begangen hatten,22 Ende Januar 1860 durch den Tod entrissen wurde, zum »treuen Eckart« des deutschen Volkes, zum Verkünder der deutschen Einheit. Was machte die Wirkung des Rügeners Ernst Moritz Arndt aus? Warum eignete er sich später so sehr für die Legitimation von deutscher Staatlichkeit in der Form des deutschen Kaiserreiches? Ich möchte hierzu einige charakteristische Beispiele aus seinen politischen Schriften, seinen Gedichten und Liedern herausgreifen, die sich mit folgenden Themen befassen: – Die deutsche Nation – Preußen – Frankreich, Napoleon und Arndts Frankreichbild – der Deutsche Bund Von diesen Beispielen ausgehend soll dann die ›Verwertung‹ für die historische Legitimation und das nationale Selbstverständnis des deutschen Kaiserreiches diskutiert und in einen europäischen – auch zeitgenössischen – Kontext gestellt werden. 2.1 Arndt und die Ausbildung eines gesamtdeutschen Nationsverständnisses Ernst Moritz Arndt wird nationalpolitisch in einer Zeit aktiv, in den Jahren zwischen 1800 und 1806, die in der Forschung als »watershed in the history of German nationalism« angesehen wird.23 Er, dessen Essays und Reisebücher sich vornehmlich an eine allgemeine Leserschaft richteten, beklagte, dass eine wachsende Distanz zwischen dem Dichter und der Öffentlichkeit festzustellen sei.24 Die Kriege des Reiches gegen das revolutionäre Frankreich hatten in den Friedensverträgen von Campo Formio (1797) und Luneville (1801) verdeutlicht, dass das Alte Reich einer Konfrontation mit einem modernen Nationalstaat nicht gewachsen war. Eine tief greifende Reform der Reichsverfassung scheiterte an den widerstrebenden Interessen der nach Größe, Finanzkraft, Einfluss und politischem Gewicht unterschiedlichen Mitglieder des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Um 1800 war daher die nationalpolitische Zukunft des Alten Reiches ungewiss. In den Friedensverträgen von 1797 und 1801 mit Frankreich hatte das Reich seine linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgetreten müssen. Mit dem Reichsdeputationshausschluss von 1803 – der Mediatisierung und Säkularisierung der kleineren und mittleren Reichsstände – und dem Ende des Alten Reiches im Sommer 1806 stellte sich die Frage nach dem künftigen Band der deutschen Nation. Seit den Revolutionskrie-

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Arndt: Der ewige Deutsche, erzählt von Hans Kern, (Anm. 15) S. 79. Harro Segeberg: Germany. In: Otto Dann, John Dinwiddy (Hg.): Nationalism in the Age of the French Revolution. London: Palgrave Macmillan 1988, S. 137–156, hier S. 155f. Vgl. hierzu Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. Altona 1803; und ders.: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Italiens und Frankreichs. 6 Teile. Leipzig 1801–1803.

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gen hatte sich in Deutschland eine antifranzösische, antirevolutionäre nationale Bewegung ausgebildet, die anders als die nationale Reformbewegung nicht modernisierungsfreundlich und innovativ war, sondern zudem auch noch antimodernistisch, antiaufklärerisch und »religiös-fundamentalistisch« (Dann). Sie sollte neben der politisch-sozialen nationalen Emanzipationsbewegung einen der beiden Hauptstränge der deutschen Nationalbewegung bilden.25 Die stärker irrationale Komponente in der deutschen Nationalbewegung, die rückwärtsgewandt die eigene Geschichte und Kultur romantisierend, idealisierend und unreflektiert emotional verherrlichte, sollte an den Schnitt- und Wendepunkten deutscher Geschichte immer wieder auftauchen, so 1814/15 und 1870/71. Hier wird deutlich, dass diese Strömung innerhalb der äußerst heterogenen deutschen Nationalbewegung für die Reichsgründung und ihre preußisch-deutsche Legitimation die erwählte Traditionslinie werden sollte.26 Für unsere weitere Diskussion ist es wichtig, bereits an dieser Stelle hervorzuheben, dass das deutsche Mitteleuropa nie eine einheitliche Geschichtslandschaft gewesen ist, sondern sich aus unterschiedlichen Geschichtslandschaften mit Gemeinsamkeiten und spezifischen Unterschieden zusammensetzt, und dass sich, anders als in den westeuropäischen Nationalstaaten, der Prozess der Modernisierung nicht auf der Nationalstaatsebene, sondern auf der des landesherrlichen Territoriums vollzog. Mit dem Ende des Alten Reiches konnten sich die deutschen Kleinund Mittelstaaten, die die napoleonische Flurbereinigung überlebt hatten, aus der Zwangsjacke des Reiches befreien und zu souveränen Staaten werden. Die Zukunft schien nach dem Ende des »Reichspatriotismus« dem »Landespatriotismus« und der einzelstaatlichen Nations- und Identitätsbildung zu gehören, wie die Entwicklung der deutschen Staatenwelt zwischen 1806/1815 und der Reichsgründungszeit dokumentieren sollte.27 Die antinapoleonische Nationalbewegung entwickelte sich aus dem Landespatriotismus der Einzelstaaten, vor allem dem der deutschen Großmächte Österreich und Preußen, die nicht dem Rheinbund angehörten und die durch die Friedensschlüsse mit Napoleon in Pressburg 1805 (Österreich) und 1807 in Tilsit (Preußen) gedemütigt worden waren. Gerade Preußen hatte durch die Niederlage bei Jena und Auerstädt gegen Napoleon 1806 seinen Status als deutsche und europäische Großmacht eingebüßt. Später als die süddeutschen Rheinbundstaaten sah es sich zu Reformen, nicht nur der Militärverfassung, gezwungen. Ähnlich wie bei den süddeutschen Staaten waren diese zur Selbsterhaltung und Eigenständigkeit zwingend notwendig. Zugleich konnten sie auch als Ausdruck eines antinapoleonischen

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Vgl. hierzu u. a. Wolf D. Gruner: Die deutsche Frage in Europa 1800–1990. München: Piper Verlag 1993, S. 48ff.; Christian Graf von Krockow: Nationalismus als deutsches Problem. München: Piper 1974 sowie Otto Dann: Nation und Nationalismus in Deutschland 1770–1990. München: C. H. Beck 1996, S. 63ff. Vgl. hierzu Gruner: Die deutsche Frage in Europa. (Anm. 25) S. 49ff. Vgl. hierzu Otto Dann, Miroslav Hroch, Johannes Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches. Köln: SH-Verlag 2004.

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Widerstandes verstanden werden.28 »Nationales Engagement konnte sich«, wie Otto Dann treffend festgestellt hat, »unmittelbar aus dem landespatriotischen heraus entwickeln und von diesem stets neue Impulse bekommen. In beiden Staaten [d. h. in Österreich und Preußen] gelangten national orientierte Patrioten in die politische und militärische Führung [und . . .] stellten ihre Reformprojekte in einen nationalen Zusammenhang, wobei landespatriotische und nationalpatriotische Intentionen nebeneinander lagen und ineinander übergingen«.29 Der Volksaufstand in Spanien und auf der Iberischen Halbinsel gegen die napoleonische Fremdherrschaft 1808, seine europäische Wirkung und Rezeption sowie der Krieg Österreichs 1809 gegen Napoleon, verstanden als »nationaler Befreiungskrieg«, bedeuteten den ersten öffentlich sichtbaren Beginn einer nationalen Bewegung in Deutschland, die sich seit dem Beginn der Befreiungskriege 1812/13 verstärkt in verschiedenen Formen artikulieren sollte. Die Besatzungsherrschaft Napoleons in Mitteleuropa, die Annexion der deutschen Nord- und Ostseeküste bis Lübeck und ihre Inkorporation in das französische Empire 1810/11, die wirtschaftliche Benachteiligung der Deutschen, die finanziellen Folgen der zahlreichen Kriege und der Kontinentalsperre als auch die durch Bündnisverträge bedingte Verpflichtung der meisten deutschen Staaten, Kontingente für die »Grande Armée« abzustellen bzw. an den Feldzügen Napoleons teilzunehmen, sowie die unmittelbare Einmischung Frankreichs in die inneren Angelegenheiten der deutschen Staaten – unliebsame Persönlichkeiten wie Stein oder auch Ernst Moritz Arndt mussten aus ihren Funktionen entfernt werden, Stein als Minister, Arndt als Hochschullehrer – ließen den Widerstand gegen das bedrückende, als Fremdherrschaft empfundene Regime Napoleons wachsen. Die unmittelbaren Erfahrungen der »Franzosenherrschaft« veränderten nachhaltig die Idee von der Nation. Sie verlor ihren primär weltbürgerlichkulturellen Charakter. Die Vorstellung von der Kulturnation, die nicht einer politischen Einheit bedurfte und gerade deshalb weltbürgerlich bleiben konnte, wurde nun politisiert. Die Nation musste nach innen und außen befreit werden. Für die Nation musste eine zur nationalen und internationalen Existenzsicherung geeignete politisch-soziale Organisationsform gefunden werden. Über die Form gab es in der Nationalbewegung zwischen den emanzipatorischen und den konservativ-antiaufklärerischen Strömungen divergierende Vorstellungen. Gemeinsames

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Vgl. hierzu u. a. Wolf D. Gruner: Deutschland zwischen Revolution, Reform und Restauration 1770 – 1830. In: Tijdschrift voor geschiedenis, Sonderband: Revolutie en Contrarevolutie 102/3 (1989), S. 368 – 400; Eberhard Weis: Deutschland und Frankreich um 1800. Aufklärung, Revolution. München: C. H. Beck 1990; Walter Demel: Vom Aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus. München: Oldenbourg 1993; Eberhard Weis (Hg.): Reformen im Rheinbündischen Deutschland. München: Oldenbourg 1984; Roger Dufraisse (Hg.): Revolution und Gegenrevolution 1789 – 1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland. München: Oldenbourg 1991 und mehrere Beiträge in: Wilfried Speitkamp, Hans-Peter Ullmann (Hg.): Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1995. Dann: Nation und Nationalismus in Deutschland (Anm. 25), S. 70.

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Ziel war es jedoch, die französischen Eroberer von deutschem Boden zu vertreiben und die Fremdherrschaft zu beenden.30 Gerade diese Tatsache ermöglichte es den Wortführern einer hoch emotionalisierten und auf deutsche Werte bezogenen Publizistik und Kriegslyrik wie Johann Gottfried Fichte, Theodor Körner, Heinrich von Kleist, dem Freiherrn Karl vom Stein, oder dem politischen Prediger Friedrich Schleiermacher, verbunden mit einem Franzosenhass eine tragende und volkstümliche Rolle zu übernehmen. Sie eigneten sich dann später auch als Exponenten der romantisierend rückwärtsgewandten Richtung der Nationalbewegung für die historische Legitimation der Reichsgründung und eine nationale Mythenbildung missbraucht zu werden. Im ersten Teil seiner 1806 erschienen Schrift Geist der Zeit 31 hatte Arndt in einer von ihm so empfundenen Zeit des Niedergangs in kraftvoller Sprache »die furchtbare Erscheinung Napoleons« (Hans Kern) als den klugen und tatmächtigen »Nutznießer des Verfalls« gekennzeichnet, der als »Monarch Europas« diesem nicht Freiheit und Frieden bringen werde. In Napoleon sah er einen neuen Attila, eine Geißel der Völker. Dieser sei zum »Krieger«, zum »Zerstörer«, nicht zum Regenten geboren, und es sei notwendig, gegen ihn die lebendigen Gegenkräfte des Volkes zu aktivieren. In Arndts Schilderung Napoleons ist »auch die alte Teufelsvorstellung Luthers politisch geworden«.32 Mit diesen Auffassungen und seinen Angriffen auf Napoleon passte er nicht in eine 1806 noch napoleonfreundliche Zeit. So schrieb er im September 1806: Bonaparte will Deutschland unterjochen, er will auch Kaiser von Germanien heißen, er will dessen Länder und Fürsten nach seinem neuen Kaiserrecht von einer Grenze bis zur anderen beherrschen. Er wird es, wenn die lange Torheit und Faulheit der Fürsten sich nicht im Unglück tapfer und edelmütig mit dem Volke verbindet und ihn einmal fühlen lässt, was dreißig Millionen Menschen vermögen. Dahin geht sein Ehrgeiz und sein Glück [. . .] Deutschland zu einer Landschaft Frankreichs zu machen [. . .] Ich will dir sagen, was

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Zur Beurteilung Napoleons in der neueren historischen Forschung vgl. u. a. Natalie Petiteau: Napoléon. De la mythologie à l’histoire. Paris: Seuil 1999; Annie Jourdan: L’empire de Napoléon. Paris Flammarion Champs Université 2000; Jean-Clément Martin (Hg.): Napoléon et l’Europe. Rennes: Presses Universitaires 2002. Im Mittelpunkt stehen neben einer Einordnung der Forschungsliteratur und der europäischen Perspektive vor allem Deutschland, Italien und Spanien. Siehe auch Johannes Willms: Napoleon. Eine Biographie. München: C. H. Beck 2005; Volker Ulrich: Napoleon. Eine Biographie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2004 sowie Roger Dufraisse: Die Deutschen und Napoleon im 20. Jahrhundert. München: Oldenbourg 1991; Hans Schmidt: Napoleon I. 1799/1804–1814/15. In: Peter Claus Hartmann (Hg.): Französische Könige und Kaiser in der Neuzeit. München: C. H. Beck 1994, S. 308 – 366; Rudolf Vierhaus: Napoleon und die Deutschen. In: Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, hrsg. von Speitkamp und Ullmann, (Anm. 28) S. 80–98. Das zuverlässigste Internet-Portal zu Napoléon ist: http://www.napoleon.org (Fondation Napoléon in Englisch und Französisch, besucht am 15. 4. 2006). Ernst Moritz Arndt: Geist der Zeit. Theil 1. [Berlin] 1806, abgedruckt auch in: Arndts ausgewählte Werke. (Anm. 8) Bd. 9, Geist der Zeit. Erster Theil, S. 1–230. Paul Joachimsen:Vom Deutschen Volk zum Deutschen Staat. Göttingen:Vandenhoek und Ruprecht 1956, S. 49.

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du bist. Eine enge, treulose, geizige, blutige Seele bist du, die der ganzen Welt nur einen Nacken wünscht, um sie so leicht als deine Franzosen, zu bejochen.33

Die Rheinbundfürsten nannte er »Frankreichs Sklaven« und »offene Schildträger des Unrechts und der Tyrannei«, die »Germanien« an den Tyrannen verraten haben. Europa brauche Helden wie Luther, Hutten, Leonidas und Gustav Adolf, »denn der Mongole und Sarazene von Korsika droht mit einer schlimmeren Barbarei und Knechtschaft, als welche von ihnen bekämpft ward«.34 Arndt schuf sich mit seinen Schriften viele Gegner. Er nahm daher gerne einen Auftrag der schwedischen Regierung an, die schwedischen Reichstagsakten zu übersetzen. Aus Stockholm – Rügen und Vorpommern gehörten damals noch zu Schweden – schrieb er 1807 an eine Freundin, dass er wieder zurückkehren wolle: »[M]ein deutsches Vaterland und seine heilige Sache verlasse ich nicht, so lange noch ein Tropfen Blut in mir warm ist. Ich fühle jetzt inniger, als je, daß ich den Deutschen angehöre und keinem anderen Volke angehören könnte noch möchte«.35 In seiner schwedischen Zeit hatte er sich innerlich bereits Preußen angenähert. In Stockholm beteiligte sich Arndt aktiv durch Übersetzungen, Aufsätze und Schriften am Kampf gegen Napoleon. Darunter waren zahlreiche Aufrufe an die Deutschen, die 1808 im zweiten Band seines Geist der Zeit veröffentlicht wurden.36 Die Deutschen sollten sich als Nation verstehen und trotz des Partikularismus sich als Nation in der Zukunft definieren: Deutsches Volk! Der schlaue Verderber will euch auch durch die Religion entzweien; dahin spielt und wirkt er. O seid wach und lasst es ihm nicht gelingen. [. . .] Bedenkt, daß wir alle Christen, daß wir alle Deutsche, daß wir Söhne der Germanen sind, die am Rhein und an der Donau, am Pontus und am Nordmeer die Schmach der Welt an den Römern rächten. Ein Volk zu sein, ein Gefühl zu haben für eine Sache, mit dem blutigen Schwert der Rache zusammenzulaufen, das ist die Religion unserer Zeit; durch diesen Glauben müßt ihr einträchtig und stark sein, durch diesen den Teufel und die Hölle überwinden. Laßt alle die kleinen Religionen und tut die große Pflicht der einzig höchsten, und hoch über dem Papst und Luther vereinigt euch in ihr zu einem Glauben. Das ist die höchste Religion, zu siegen oder zu sterben für Gerechtigkeit und Wahrheit, zu siegen oder zu sterben für die heilige Sache der Menschheit, die durch alle Tyrannen in Lastern und Schanden untergeht; das ist die höchste Religion, das Vaterland lieber zu haben als Herren und Fürsten, als Väter und Mütter, als Weiber und Kinder [. . .] das ist die höchste Religion, mit dem teuersten Blute zu bewahren, was durch das teuerste, freieste Blut der Väter erworben ward. Dieses heilige Kreuz der Welterlösung, diese ewige Religion der Gemeinschaft und Herrlichkeit, die auch Christus gepredigt hat, macht zu eurem Banner und nach der Rache und Befreiung bringt unter grünen Eichen auf dem Altar des Vaterlandes dem schützenden Gotte die fröhlichen Opfer.37

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Ernst Moritz Arndt: Blick vor- und rückwärts (September 1806). In: Geist der Zeit Bd. II. Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 10, S. 6 – 34, hier S. 22f. Ebd. S. 8. Albrecht Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Briefe. 3 Bde. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972 – 1975, Bd. 1, S. 151: E. M. Arndt an Charlotte v. Kathen, Stockholm 4. 6. 1807. Ernst Moritz Arndt: Geist der Zeit. Theil 2 [Berlin] 1813 unveränderte Ausgabe, gedruckt auch in: Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 10. Ebd.: Blick vorwärts (Januar 1807), S. 84f.

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Diese Passagen verdeutlichen die direkte, die Ehre, die Vaterlandsliebe und das Gefühl ansprechende Sprache. Geschickt werden immer wieder historische aber auch religiöse Bezüge eingebaut, wenn er davon spricht, dass es die »höchste Religion« sei, das Vaterland lieber zu haben. In der Zeitschrift Der Nordische Kontrolleur veröffentlichte Arndt im Sommer 1807 seine flammende »Friedensrede eines Deutschen« in der er die Europäer und mit ihnen die Deutschen aufrief sich von Fremdherrschaft und Unterjochung zu befreien: Unser größtes Vaterland ist Himmel und Erde, unser großes Europa, unser kleines Deutschland. Wer sein Kleines nicht liebt und verteidigt, ist des Großen und Größeren nicht wert und wird es nimmer gewinnen [. . .]. Wir sind Deutsche, wir bewohnen ein schönes, großes, reiches Land, ein Land hoher Erinnerungen, unsterblicher Taten, vergesslicher Verdienste um die Welt alter und neuer Zeit. Wir sind der Nabel der europäischen Erde, der Mittelpunkt des Nordens und Südens.38

Mit moralischem und religiösem Pathos versuchte er seine Landsleute und die anderen Europäer aufzurütteln und appellierte an ihre Verantwortung für die nachwachsende Generation. Wenn sie ihnen kein freies Land übergeben können, o so übergebt ihnen die Lehren, die Beispiele, die heiligen Opfer, wodurch mächtige Brüste zu Heroismus entflammt werden können. Denkt es mit Stolz, sagt es mit Stolz vor ganz Europa, daß ihr das Volk seid, welches die Gewalt des Pfaffentums zerbrach, dass hohe Geistigkeit durch Euch über die Erde ausgegossen ist. Zwei Mal habt ihr die Welt vom Joche Roms befreit, befreiet sie zum dritten Mal in euch selbst. Ihr seid das Herz unseres Weltteils; wann das Herz ermattet, so erkranken alle Glieder. Wie ihr auch getrennt seid, wie man euch auch geteilt und verschieden genannt hat – wer darf sich jetzt deutschen nennen? – ihr seid Kinder einer Sprache, seid durch sie ungetrennt und werdet eins werden, wenn ihr euch nicht selbst aufgebt. Was vergangen und geschehen ist, werft es ruhig in den weiten Schoß der ewigen Notwendigkeit und seht auf das jüngere Geschlecht, erziehet, bildet und richtet es, daß Männer aus ihm werden.39

Die Europäer sieht Arndt als »Volk des Lichts«, das im Himmel und auf Erden in einem fürchterlichen Entscheidungskampf stehe. Die Europäer stünden »an der Grenze des Fegefeuers, wo erst gerichtet werden soll, ob wir als Verworfene tief zur Hölle hinuntergestoßen oder durch die feuriglustige Pein für den Himmel die letzten Reinigungen empfangen sollen«.40 Heil und Erlösung könne nur kommen, wenn die Flamme des Widerstandes lodere und den Tyrannen vernichte: Und endlich appelliere ich an euch, Europäer, für mein Volk, für das deutsche Volk. Seid ihr durch seine Arbeiten mit befreit, hat es mit den lichtvollsten von euch gleichen Schritt gehalten und hält ihn noch, so lasst nicht geschehen mit eurem Willen und eurem Beifall nicht geschehen, daß seine Freiheit da untergehe, wo ganz Europa den Untergang schrecklich fühlen müsste. Fremde Fäuste können ihm nicht helfen, wenn die eigenen schlaff sind; aber die Entscheidung des Zeitalters ruht mehr auf dem Worte und der Meinung als auf dem Befehl und dem Schwerte.41

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Ernst Moritz Arndt: Friedensrede eines Deutschen (gesprochen am 13. 7. 1807). In: Arndt: Geist der Zeit II. Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 10, S. 85–118, hier S. 87f. Ebd. S. 108. Ebd. S. 111. Ebd. S. 111f.

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Im Volk sah er die Grundlage jeder Staatsbildung, wie er bereits in seiner Schrift Germanien und Europa festhielt. Ähnlich wie Italien fehle den Deutschen als einem Volk, »das hundert Herren hat«, derzeit diese Grundlage.42 Die Deutschen könnten sich aber in der gemeinsamen Sprache, in der gemeinsamen Geschichte wieder erkennen. Diese Aspekte werden immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert. Arndt sprach viel mehr das Gefühl als den Verstand an. Er wurde so zum Volksschriftsteller und konnte zu einer Mobilisierung eines deutschen Nationalgefühls beitragen. Wie sehr ihm das »teutsche Volk« am Herzen lag, zeigt ein Brief, den er Anfang Dezember 1812 aus St. Petersburg an einen Freund schrieb: »Jetzt arbeite ich meine Chronik fürs teutsche Volk aus, wozu ich seit Jahren Stoff und Sinn gesammelt. Das – hoffe ich – soll ein Buch werden, das jeder Teutsche lesen mag und auch versteht«.43 Ende Februar 1813 hatte Arndt bereits Fortschritte in seiner Chronik gemacht und arbeitete am dritten Band von Geist der Zeit. Eine Wende des Krieges gegen Napoleon zeichnete sich bereits ab und Arndt schrieb rastlos »wie ein Käuzlein« von früh morgens bis spät abends: Ich wünsche, daß Euch die Bruchstücke der Volkschronik gefallen. Es wird kein tiefes Buch werden, aber hoffentlich so, daß die Geschichte ins Leben und Herz des Volkes geht. – Die Zeit hat mir zu gelehrten Arbeiten keine Zeit gelaßen. Vielleicht kömmt dies mal – dann wollen wir sehen [. . .] Meinen Soldaten-Kat.[echismus] habe ich umgearbeitet und vermehrt und laße ihn drucken; dann soll er als papiernes Geschütz über die Elbe geschickt werden.44

Als Historiker und Volksschriftsteller predigte er, wie beispielhaft gezeigt werden konnte, mit einem natürlichen Pathos eine »weltliche Religiosität«. In seinen Vaterlandsliedern, die ›in ihren gewaltigen Pfundnoten daherschreiten‹, werde die einfache Größe des alten Kirchenliedes wieder lebendig.45 Sein Vaterlandslied in sechs wuchtigen Strophen wurde in gewisser Weise zur ersten »deutschen Nationalhymne«: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, / der wollte keine Knechte, / drum gab er Säbel, Schwert und Spieß / dem Mann in seine Rechte, / drum gab er ihm den kühnen Mut, / den Zorn der freien Rede, / daß er bestände bis aufs Blut, / bis in den Tod die Fehde. So wollen wir, was Gott gewollt, / mit rechter Treue halten / und nimmer im Tyrannensold / die Menschenschädel spalten, / doch wer für Tand und Schande ficht, / den hauen wir zu Scherben, / der soll im deutschen Lande nicht / mir deutschen Männern erben. O Deutschland, heiliges Vaterland! / O deutsches Lied und Treue! / Du hohes Land! Du schönes Land! / Dir schwören wir aufs neue: / Dem Buben und dem Knecht die Acht! / Der füttre Krähn und Raben! / So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht / und wollen Rache haben. 42

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Arndt: Germanien und Europa. (Anm. 24) S. 410ff., auszugsweise gedruckt in: Peter Longerich (Hg.): ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹ Dokumente zur Frage der deutschen Einheit 1800–1990. München: Piper 1990, S. 41f. Dühr: Arndt Briefe. (Anm. 24) Bd. 1, S. 235: E. M. Arndt an Friedrich v. Horn, St. Petersburg 1. 12. 1812 (S. 233 – 235). Ebd. S. 244: E. M. Arndt an Karl Bernhard Trinius, Königsberg 27. 2. 1813 (S. 243f.). Vgl. hierzu Joachimsen: Vom Deutschen Volk zum deutschen Staat, (Anm. 32) S. 49.

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Wolf D. Gruner Laßt brausen, was nur brausen kann, / in hellen lichten Flammen, / ihr Deutschen alle Mann für Mann / fürs Vaterland zusammen! / Und hebt die Herzen himmelan! / Und himmelan die Hände! / Und rufet alle Mann für Mann: / Die Knechtschaft hat ein Ende! Laßt klingen, was nur klingen kann, / die Trommeln und die Flöten! / Wir wollen heute Mann für Mann / mit Blut das Eisen röten, / mit Henkerblut, Franzosenblut – / o süßer Tag der Rache! Das klinget allen Deutschen gut, / das ist die große Sache. Laßt wehen, was nur wehen kann, / Standarten wehn und Fahnen! / Wir wollen heut uns Mann für Mann / zum Heldentode mahnen: / Auf! fliege stolzes Siegspanier / voran den kühnen Reihen! / Wir siegen oder sterben hier / den süßen Tod der Freien.46

Arndts Antwort auf die Frage, wo des Deutschen Vaterland sei, lautete: Das deutsche Vaterland ist überall dort, wo die Menschen deutsch sprechen. Die politischgeographische Grenze sei nicht immer mit der linguistischen identisch.47 »Die deutsche Nation wurde also«, wie Hagen Schulze anmerkte, »als objektives Merkmal konstituiert, gemäß der Idee Johann Gottfried Herders von der fundamentalen Individualität des Volkstums, die ausschließlich durch die gemeinsame Sprache begründet sei. In diesem Sinne war also die Nation unabhängig vom Willen der Personen: Wer deutsch sprach mußte Deutscher sein [. . .] Da wo die Nation erst erkämpft und hergestellt werden mußte, da war es die Sprach- und Kulturgemeinschaft, die sich zur Nation erklärte«.48 Engagiert beteiligte sich Arndt nach seiner Schreibphase in Königberg an der publizistischen Arbeit für den erfolgreichen Kampf gegen Napoleon und die damit verbundene Hoffnung für eine Wiederauferstehung des deutschen Volkes aus Elend und Knechtschaft. Er setzte darauf und betete dafür, dass die »teutsche Gesinnung« der »besseren Köpfe« über die »Mattigkeit und Dummheit« der Mehrzahl der Deutschen »emporfliegen« möge. »Mir stehen hohe Bilder und Träume vor Augen«, so schreibt er, »woraus vieles wirklich werden kann, und ich fühle einen Gott, keinen geträumten, sondern einen teutschen Gott, durch welchen Gewaltiges geschehen wird«.49 Die sich abzeichnende Niederlage der Großen Armee und ihres Führers, des »Mongolen«, »Teufels« und »Sarazenen« Bonaparte flößte ihm Zuversicht ein und steigerte seinen Hass gegen den Korsen. In seinem Gedicht »Deutsches Herz verzage nicht« ermuntert er die Deutschen, erinnert sie an ihre Tugenden und warnt sie vor Lug und Trug: Deutsches Herz, verzage nicht, / tu, was dein Gewissen spricht, / dieser Strahl des Himmelslichts; / tue recht und fürchte nichts. / Baue nicht auf bunten Schein, / Lug und Trug ist dir zu fein, / schlecht gerät dir List und Kunst, / Feinheit wird dir eitel Dunst. / Doch die Treue, ehrenfest, / und die Liebe, die nicht lässt, / Einfalt, Demut, Redlichkeit, / stehn dir wohl, o Sohn von teut. / Wohl steht dir das grade Wort, / wohl der Speer, der grade bohrt, / wohl das Schwert, das offen ficht, / und von vorn die Brust durchsticht. / Deutsche Freiheit, 46 47

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Ernst Moritz Arndt:Vaterlandslied. Zitiert nach Klein: Die Befreiung (Anm. 1), S. 150–152. Vgl. hierzu ausführlich mit geographischen und historischen Exkursen Arndt: Germanien und Europa (Anm. 24). Hagen Schulze, Ina Ulrike Paul (Hg.): Europäische Geschichte. Quellen und Materialien. München: Bayerischer Schulbuchverlag 1994, S. 1090. Dühr: Arndt Briefe (Anm. 35), Bd. 1, S. 246: E. M. Arndt an Gneisenau, Königsberg 14. 3. 1813 (S. 245 – 247).

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deutscher Gott, / deutscher Glaube ohne Spott, / deutsches Herz und deutscher Stahl / sind vier Helden allzumal. / Diese stehn wie Felsenburg, / diese fechten alles durch; / diese halten tapfer aus / in Gefahr und Todesbraus. / Deutsches Herz, verzage nicht, / tu, was dein Gewissen spricht, / redlich folge seiner Spur, / redlich hält es seinen Schwur.50

Im Februar 1813 griff er erneut zur Feder, um in einem Aufruf an die Deutschen diese als Nation zum gemeinschaftlichen Kampf gegen Napoleon aufzurufen. Die Erfolge der sich ausbildenden Allianz gegen Napoleon bejubelte er in seinen Briefen und seinen Schriften, vor allem nach der Völkerschlacht bei Leipzig: »Mir geht es gut, weil Gott immer noch mit uns ist und auch ferner mit uns seyn wird« schrieb er am 8. November 1813 aus Leipzig,51 verfasste ein über Generationen beliebtes Siegeslied auf die Völkerschlacht von Leipzig und schlug den Bau eines »teutschen« Denkmals auf dem Schlachtfeld vor, um dieses nationale Ereignis zu würdigen.52 Ein Ehrenmal in Leipzig zu errichten klang schon in seiner »Leipziger Schlacht« an: O Leipzig, freundliche Lindenstadt, / Dir ward ein leuchtendes Ehrenmal: / Solange rollet der Säkeln [i. e. Jahrhunderte, vom lateinischen saeculum, WDG] Rad, / Solange scheinet der Sonnestrahl, / Solange die Ströme zum Meere reisen, / wird noch der späteste Enkel preisen / Die Leipziger Schlacht. O Leipzig, gastlich versammelst du, / Aus allen Enden der Völker Schaar; / Auf! ruf’s dem Osten und Westen zu, / Daß Gott der Helfer der Freiheit war, / Daß Gott des Tyrannen Gewalt zerstoben, / Damit sie im Osten und Westen loben / Die Leipziger Schlacht.53

Leipzig war für Arndt ein Feiertag: »Das deutsche Volk hat außer den durch die göttliche Offenbarung geheiligten Zeiten keine festlicheren Tage als die glücklichen Tage, an welchen den verflossenen Herbst die Leipziger Schlacht gefochten ward«.54 Er plädierte dafür den 19. Oktober, den Tag der endgültigen Befreiung »zu einem großen und stehenden Festtag« zu machen und auf dem Schlachtfeld ein Denkmal zu errichten. 2.2 Ernst Moritz Arndt und Preußen Wohl im Juli 1814, nach dem Frieden von Paris und im Vorfeld des Wiener Kongresses, schrieb Arndt an Gneisenau über sein Verhältnis zu Deutschland und Preußen, überzeugt, »daß bei der jetzigen Lage der Dinge Teutschlands Heil am meisten von Preußen ausgehen kann, wünsche ich natürlich diesem Staate anzuge50

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Ernst Moritz Arndt: Deutsches Herz verzage nicht. Zitiert nach: Klein: Die Befreiung (Anm. 1), S. 100f. Dühr: Arndt Briefe (Anm. 35) Bd. 1. S. 325: E. M. Arndt an Wilhelmine Reimer, Leipzig 8. 11. 1813. Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht. Frankfurt/M.: P. W. Eichenberg 1814. Im Anhang »Die Leipziger Schlacht«. Zitiert nach: Gerhard Graf (Bearb.): Die Völkerschlacht bei Leipzig in zeitgenössischen Berichten. Leipzig: Koehler und Anrelang 1988, S. 159 – 162, S. 160, S. 162. Ernst Moritz Arndt: Ein Wort über die Feier der Leipziger Schlacht (1814). Zitiert nach: Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 13, Politische Schriften I, S. 267 – 275, hier S. 267.

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hören«.55 Er habe schon mit Stein und Hardenberg gesprochen und es sei ihm versichert worden, »seiner zu gedenken, besonders bei der Einrichtung der künftigen Landschaften Preußens am Rhein, wo ich ausdrücklich begehrt habe gebraucht zu werden«.56 Er wolle an der »künftigen großen preußischen Universität am Rhein« Außerordentlicher Professor für vaterländische und politische Geschichte werden, »weil es dort vorzüglich noth thut, die Geister zu erfrischen und wieder zu verteutschen«.57 Es sollte aber noch bis 1818 dauern, ehe Arndt zum preußischen Professor an die Rheinische Wilhelms Universität Bonn berufen werden sollte. Immer wieder versuchte Arndt direkt und indirekt seine Berufung in das Rheinland zu erreichen und betonte, nachdem seine Heimat Rügen und Pommern preußisch geworden waren, er diesem Staate jetzt auch angehöre: »[E]r ist der einzige durch den Teutschland bestehen kann; ich wünsche in ihm zu leben und zu starben, aber nicht auch wie ein Faulenzer mein Brod in ihm zu essen«.58 Von der Politisierung der Öffentlichkeit in den Jahren nach 1806 war auch der Rügener Arndt erfasst worden, der an der Greifswalder Universität lehrte und 1803 erstmals nach Schweden, zu dem Schwedisch-Vorpommern, seine Heimat, gehörte, reiste, um dieses durch »eigene Anschauung und Mitlebung« näher kennen zu lernen, »jenes nordische Land, welches zum teutschen Volk und zur teutschen Geschichte so viele Beziehungen hat«.59 Für seine Schwedenreise gab es aber mehr als romantische Gefühle, auch wenn Arndt Zeit seines Lebens immer wieder sich in Schriften wie Skandinavien, Deutschlands Stammverwandter und Nachbar (1851) und Vom nordischen Hausbau und Hausgeist (1857) zu Schweden geäußert hatte. Arndt hoffte 1803/4 »durch eine politisch opportune Reisebeschreibung eine Empfehlung des schwedischen Königs zu bekommen«.60 Er bewarb sich zu diesem Zeitpunkt um eine Professur an der Universität Greifswald. Im Jahre 1803 hatte Arndt seine Schrift Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Rügen und Pommern vorgelegt, in der er sich für die Abschaffung der Leibeigenschaft aussprach. Nach dem Ende des Alten Reiches 1806 und der Übernahme der schwedischen Gesetzgebung in Schwedisch-Vorpommern hob der König Gustav IV. Adolf die Leibeigenschaft auf. Nach dem Sieg Napoleons bei Jena und Auerstädt gegen Preußen und dem Vormarsch der napoleonischen Truppen wurde die Situation Arndts, der sich in Wort und Schrift gegen Napoleon gewandt hatte, in Vorpommern kritisch. Um sich nicht »wie einen tollen Hund von den Wälschen totschießen zu lassen«,61 floh

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Dühr: Arndt Briefe (Anm. 35) Bd. 1, S. 407: E. M. Arndt an Gneisenau o. D. (Juli 1814). Ebd. Ebd. Ebd. S. 534: E. M. Arndt an Friedrich August von Stägemann, Puttbus 2. 12. 1816 (S. 533f.). Zit. nach Rolf Weber (Hg.): Ernst Moritz Arndt, Erinnerungen 1769–1815. Berlin: Verlag der Nation 1985, S. 122. Vgl. für den größeren Zusammenhang auch Johannes Weise: Die Integration Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staatsverband. Transformationsprozesse innerhalb von Staat und Gesellschaft. Phil. Diss. Rostock 2006, S. 25ff. Weise: Schwedisch-Vorpommern (Anm. 59), S. 29. Zitiert nach Erdmann: Arndt. Ausgewählte Gedichte und Schriften (Anm. 7), S. 21.

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er nach Schweden. Nach dem Sturz Gustav IV. Adolf 1809 kehrte er heimlich über preußisches Gebiet nach Vorpommern zurück und lebte inkognito. Den Winter 1808/10 verbrachte er bei seinem Freund und Verleger Georg Reimer in Berlin, der ihn mit Schleiermacher, Eichhorn und Gneisenau und anderen Protagonisten des antinapoleonischen Widerstandes bekannt machte. Nach dem Friedensschluss zwischen Schweden und Frankreich im Jahre 1810 kehrte Arndt kurzfristig auf seine Professur nach Greifswald zurück und traf dort auf einen Teil der franzosenfreundlichen Professorenschaft, zu der neben Kosegarten auch sein Schwiegervater Quistorp zählte. Sie verhinderten erfolgreich, dass er seine »Hoffnungsrede vom Jahre 1810« bei einer akademischen Feier halten konnte. 1811 legte er sein Amt nieder und folgte 1812 dem Wunsch des Freiherrn vom Stein, zu ihm nach St. Petersburg zu kommen und als Privatsekretär an seiner Seite für die Befreiung Deutschlands mit der Feder zu kämpfen. In dieser Zeit der Zusammenarbeit mit Stein publizierte Arndt den größten Teil seiner patriotischen Lieder und Gedichte. Dabei fiel Preußen, das als erster deutscher Staat sich gegen Napoleon gewandt hatte, eine besondere Rolle zu. Bereits 1806 war Preußen für Arndt der einzige deutsche Staat gewesen, in dem sein deutsches Nationalkonzept sich vielleicht umsetzen ließ, »an dem sich«, wie es Hellmut Diwald formulierte, »der Hebel politischen Handelns ansetzen ließ«.62 Arndts Verhältnis zu Preußen war zunächst durchaus ambivalent. Dies verdeutlichen seine Äußerungen zu Friedrich II. und zur preußischen Bürokratie im ersten Teil seines Geist der Zeit. So schreibt er in seinem Beitrag über »Die neuen Völker«: »Die Schweden haben den preußischen Staat gemacht [. . .] Der einzelne Mensch und das ganze Volk bedürfen oft eines Stoßes und Drucks von außen, ihre Kräfte zusammenzunehmen und sich fühlen zu lernen«.63 Arndt kritisierte auch das Verhalten Preußens im Reichskrieg gegen Frankreich: »Preußen, das vielleicht leichtsinnig hineingefahren war in diesen Krieg, ging ebenso leichtsinnig heraus, riß zwei Drittel der deutschen Kräfte mit sich in zugaffende Untätigkeit und überließ das Vaterland und Österreich ihrem Schicksal. Dadurch gewannen die Deutschen Preußen nicht lieber«.64 Dies änderte sich aus der Sicht Arndts 1813 nach der Leipziger Völkerschlacht, in der Preußen seine Ehre wieder gewonnen und zwischen 1808 und 1813 erfolgreich seine »Wiedergeburt« betrieben hatte. Zu Beginn des Jahres 1813 schrieb er einen Aufruf »An die Preußen«, dass Gott ein fürchterliches Gericht gehalten habe und mit denen »stehet und streitet, [. . .] die fest auf ihn bauen«.65 Arndt nennt sie »Wackere Preußen! Geliebte Landsleute!« und fordert sie auf, gegen das »blutige und unerbittliche Ungeheuer« Bonaparte zu kämpfen, dessen Ziel es sei »alle Länder zu bezwingen, alle Thronen zu schänden,

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Diwald: Ernst Moritz Arndt (Anm. 18), S. 17. Ernst Moritz Arndt: Die neuen Völker. Zitiert nach: Geist der Zeit, Teil I., Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 9, S. 100 – 180. S. 153. Ernst Moritz Arndt: Letztes Wort an die Deutschen. (Herbst 1808) Zitiert nach: Geist der Zeit, Teil II, Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 10, S. 118–189, S. 167. Ernst Moritz Arndt: An die Preußen (1813). Zitiert nach: Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 13 Kleine Schriften Teil I, S. 77 – 83, S. 77.

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alle Völker zu erniedrigen und endlich in satanischer Einsamkeit über einen verworfenen Haufen von Sklaven zu herrschen«.66 Als »Palladium deutscher Freiheit« müssten für »Germanien« sichere Grenzen geschaffen werden, die Schelde, die Ardennen und die Vogesen: Preußen! Das Zeitalter, das Vaterland, die Welt sieht auf euch: die ersten müssen die glänzendsten sein. Ihr werdet nicht kleiner sein wollen, als euer Beruf ist, ihr werdet nicht schlechter sein wollen, als euere Väter waren. Auf denn! Wackere Beginner der Freiheit und Ehre! Auf mit eueren Herzen zum deutschen Gott und zur deutscher Tugend! Auf zu jedem kühnsten Mut und zu jeder reinsten Hingebung! Und ihr werdet wieder in Ehren leben, und euere Kinder und Enkel in Freiheit wohnen. Gott hat Gericht gehalten, Gott hat die Bahn geöffnet, Gott will, wollet auch.67

In weiteren Schriften und Aufrufen feierte er das preußische Volk, den Landsturm und das preußische Heer, das wieder auferstandene Preußen als Befreier Deutschlands: Wer mag Germaniens Freude beschreiben über das gerettete Preußen, das zugleich ein rettendes ist? Dieses Jahr [1813, WDG] ist der Gipfel der preußischen Tugend; es gibt ihm eine Ehre und Geschichte, deren es vorher noch mangelte; es führt es unter die erhabenen Völker ein, welche die Freiheit der Welt gerettet haben, es führt es unter die Wohltäter der Menschheit ein.68

Helden auf diesem Weg zur Wiedergewinnung der preußischen Tugenden sind für ihn Gneisenau, den er verschiedentlich als Führer der deutschen Legion gewinnen wollte und mit dem er in intensivem Briefwechsel stand, sowie Scharnhorst und Blücher. Dem preußischen Militärreformer Scharnhorst und Feldmarschall Blücher widmete er 1813 ein Gedicht. Scharnhorst war für ihn der »Waffenschmied deutscher Freiheit«. In einem 1813 in Dresden verfassten Gedicht lesen wir: Wie heißt der Mann? / Deutscher Freiheit Waffenschmied? / Der nie wankend ab und an / Ging den festen Heldenschritt? / Der im stillen hat geschaffen / Ross’ und Männer, Krieg und Waffen? / Scharnhorst heißt der edle Mann, / Deutscher Freiheit Waffenschmied, / der auf Rettung rastlos sann, / Vieles tat und vieles litt, / Daß er könne deutsche Ehren / Für den heil’gen Krieg bewehren [. . .] Treuer, biedrer deutscher Held / Gott mit uns und Gott mit dir! / Der die Ehre oben hält, / Stehe bei dir für und für! / Nimm mit Vaterlandesrettern / Nimm den Kranz von Eichenblättern.69

Nach der Völkerschlacht von Leipzig lässt er den preußischen Feldmarschall aus Mecklenburg, Blücher, hochleben: Was blasen die Trompeten? Husaren heraus! / Er reitet der Feldmarschall in fliegendem Saus, / Er reitet so freudig sein mutiges Pferd, / Er schwinget so schneidig sein blitzendes Schwert. / O schauet, wie ihm leuchten die Augen so klar! / O schauet, wie ihm wallet sein schneeweißes Haar! / So frisch blüht sein Alter wie greisender Wein, / Drum kann er

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Ebd. Ebd., S. 83. Ernst Moritz Arndt: Preußisches Volk und Heer im Jahre 1813, Zitiert nach: Ebd., S. 116– 145, S. 117. Ähnlich: Ernst Moritz Arndt: Was bedeutet Landsturm und Landwehr? (1813), Zitiert nach: Ebd., S. 83 – 99. Ernst Moritz Arndt: Der Waffenschmied der deutschen Freiheit (Dresden 1813). Zitiert nach: Erdmann: Arndt. Ausgewählte Gedichte und Schriften (Anm. 7), S. 69–71, S. 70f.

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Verwalter des Schlachtfeldes sein. [. . .] Bei Leipzig auf dem Plane, o herrliche Schlacht! / Da brach er den Franzosen das Glück und die Macht, / Da lagen sie sicher nach blutigem Fall, / Da ward der Herr Blücher ein Feldmarschall. / Drum blaset, ihr Trompeten! Husaren heraus! / Du reite, Herr Feldmarschall, wie Winde im Saus! Dem Siege entgegen, zum Rhein! Obern Rhein! / Du tapferer Degen, in Frankreich hinein!70

Diese populären, eingängigen und einprägsamen Gedichte begründeten mit den Mythos der preußischen Militärs und Heerführer und trugen wichtige Elemente für die Sehweise bei, dass für den Sieg über Napoleon vor allem die preußischen Waffen verantwortlich gewesen sind, dass aber der Preis des Sieges, ein einiges, freies deutsches Vaterland unter preußischer Führung durch die europäische Neuordnung von 1814/15 in den Friedensverträgen von Paris und durch die Wiener Kongressakte, die für Deutschland den Deutschen Bund als Nachfolgeorganisation des Alten Reiches schuf, verhindert worden sei. 2.3 Ernst Moritz Arndts Frankreich- und Napoleonbild Arndts Frankreich- und Napoleonbild erhielt seine besondere Ausprägung, als er 1806 vor den Franzosen aus Stralsund nach Schweden fliehen mußte, wo er sich publizistisch gegen Napoleon wandte, sowie verstärkt nach 1811/12, als er als Privatsekretär für den Freiherrn vom Stein arbeitete und wortgewaltig mit Liedern, Gedichten und Flugschriften den Hass gegen den Usurpator, gegen seine fürstlichen deutschen Kollaborateure und gegen alles Französische schürte. Diese konsequente Grundhaltung sollte später zur Basis dafür werden, dass der von Ernst Moritz Arndt gepredigte Hass gegen den Unterdrücker Bonaparte und die Franzosen und Arndts Beitrag für die Ausbildung des nationalen Gedankens und die geistige, politische und sittliche Selbsterneuerung der Deutschen für die historische Legitimation des deutschen Kaiserreiches von 1871, erfolgreich entstanden im Kampf gegen Frankreich, benutzt und missbraucht wurde. Ernst Moritz Arndts Äußerungen zu Frankreich und Napoleon galten anfänglich aus seiner Sicht zunächst einmal der Abgrenzung und Selbstfindung der Deutschen in ihren von der Geographie vorgegebenen Grenzen, die, trotz ihrer Organisation in unterschiedliche »Stämme«, zu einer gemeinsamen Identität über die Sprache hinaus finden sollten. Hierzu gehörten neben der gemeinsamen Geschichte auch die natürlichen Sprachgrenzen, die meistens mit den natürlichen Grenzen übereinstimmten. Diese von der Natur vorgegebenen Grenzen waren den Deutschen durch die Friedensverträge von Campo Formio (1797) und Luneville (1801), die das linksrheinische, deutschsprachige Reichsgebiet an Frankreich abtraten, verloren gegangen. In seiner 1803 erschienen Schrift Germanien und Europa setzte er sich u. a. mit dem »Mäusefallensteller« und »Mäusefallenträger« Bonaparte auseinander, mit den Franzosen und mit der »Naturgränze« Deutschlands. In Germanien und Europa greift er ein Thema auf, das er im Dezember 1813 mit seiner Flugschrift Der Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze erneut 70

Ernst Moritz Arndt: Das Lied vom Feldmarschall (1813). Zitiert nach: Ebd., S. 74f.

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thematisierte und das danach große Popularität unter den Deutschen besaß: »Mit dem Rhein sieht es am weitläufigsten aus. Das Land, das jetzt Teutschland heißt, muß den Rhein allein besitzen, und das Meer zu beiden Seiten des Rheins als seine Naturgränze«.71 In Abhandlungen im ersten Teil seines Geist der Zeit befasste sich Arndt mit den alten und den neuen Völkern und beschrieb ihre Geschichte und ihre Fähigkeiten, aber auch ihre Schwächen und Charaktereigenschaften.72 Zu den Franzosen bemerkte er, dass sie »alle Zugänge und Wege der Geschichte so breit und übermütig [besetzen], daß man nicht einen Schritt tun kann, ohne auf sie zu stoßen. Und doch haben sie so viel Närrisches und Liebenswürdiges, daß es schwer ist, alles Schlimme von ihnen zu sagen, was sie durch ihre Torenstreiche über uns und unsere Enkel gebracht haben«.73 Er kritisierte die »Trunkenheit der Revolutionszeit« und hoffte, dass Besonnenheit wieder in den Köpfen einkehre. Dennoch, die Franzosen haben uns andere Europäer von jeher zum besten gehabt, und wir sind genug Kinder gewesen, uns von ihnen äffen zu lassen. Schimmer und Glanz und alle jene äußeren Scheine der Dinge, wodurch man täuscht und verwirrt, warf dieses Volk immer von sich, und ehe es selbst noch gebildet war, machte es den Nachbarn weiß, bei ihm sei alles besser, anmutiger und geschmackvoller als drüben. Diese Klagen führen Italiener und Deutsche des fünfzehnten, sechzehnten Jahrhunderts zu einer Zeit, als beide viel weiter waren als jene. Was ein Franzos hatte oder zu haben glaubte, wusste er von jeher geltend zu machen – der nächste und leichteste Weg zur Herrschaft [. . .] Was französischer Herrschaft durch die Waffen damals [d. h. zur Zeit Ludwig XIV., WDG] noch nicht gelang, das gelang ihr durch Geschmack und Mode, welche ihre Sprache und ihre Sitten zu den allgemeinen für alle gebildeten Europäer machten. Was an der Seine leicht, zart, liebenswürdig und natürlich hieß, sollte es auch an der Themse, Donau, Weichsel und Newa sein, und albern und närrisch genug machten die Nordländer die Kindereien und Torenspiele der ewigen Kinder nach und verdarben in einer Unnatur und Äfferei, die bei ihnen nie heimisch werden konnte, ihre alten Tugenden und ihre Sprachen, die aus alten Tugenden hätten gebildet werden sollen.74

Arndt spottete, die große Nation der Franzosen hätte die »herrlichen Worte Freiheit, Gleichheit, Republik« im Munde geführt, »selbst die tollsten Henkersknechte«. Ihr Franzosen seid also das würdige Volk, ihr, die ihr Europa um seine schönsten Hoffnungen betrogen habt, ihr wollt die Beglücker und die Herren anderer sein, ihr, die ihr wieder die kriechendsten und elendesten Sklaven eines einzigen geworden seid, der euch durch keine edleren Künste beherrscht als durch gemeine List und prunkende Äfferei [. . .] In der Mitte Europens seid ihr eine Art Mitteldinger geworden, und von jeher fehlte euch die volle südliche Naturkraft und die schwärmerische nordische Tiefe des Gemütes, ihr schwammet in einer

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Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. London 1803, zit. Nach Paul Michael Lützeler (Hg.): Hoffnung Europa. Deutsche Essays von Novalis bis Enzensberger. Frankfurt: S. Fischer 1994, S. 73 – 93/Schlusskapitel, S. 83. Vgl. auch den Beitrag von Paul Michael Lützeler zu Arndts Europavorstellungen in diesem Band. Ernst Moritz Arndt: Die neuen Völker. Zitiert nach: Geist der Zeit, Teil I, Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8) Bd. 9, S. 100 – 180. Ebd., S. 170. Ebd., S. 170f.

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kümmerlichen Mitte zwischen beiden und waret euch immer eures Mangels und eurer Nacktheit bewusst [. . .] Ein Volk, das alle Tugenden in bloße Worte überspielt, [. . .] ein so wunderbar betörtes und betörendes Volk als die Franzosen kann keinen frischen, freudigen Stock auf die Menschheit setzen.75

Haß und Verachtung gegen die Franzosen und Napoleon steigerten sich in den Jahren der napoleonischen Herrschaft über Deutschland. In seinem »Letzten Wort an die Deutschen« bekannte sich Arndt zu seinem Haß: »Ja, ich hasse, es ist meine Lust und mein Leben, daß ich noch hassen kann; ich hasse innig und heiß«.76 Die deutschen Männer forderte er nochmals, zum letzten Mal auf: daß ihr unserer bitteren Not gedenket und des schönen Hasses gedenket, der uns allein befreien kann. Jetzt ist die Zeit da für alle Deutschen, jeden Franzosen, der ihren entweihten Boden betritt als ein Scheusal zu vertilgen; denn das übermütige Volk will uns unterjochen. O wenn ein Gott alle Verräter und Buben, alle Helfer und Hehler der fremden Tyrannei nähme, sie zusammen in einen Sack steckte und versenkte im Meere, wo es am tiefsten ist, und wenn dann das Volk wie unsere Ahnen vormals zu Keulen und Spießen griffe – das Franzosenungeziefer, das bei uns ist, würde bald vertilgt sein, und neues würde nicht wiederkommen. So ist mein Haß.77

In seiner Flugschrift Die Glocke der Stunde von 1812 gab sich Arndt zuversichtlich, dass die »Würfel großer Entscheidungen« geworfen seien, aber sie werden nicht fallen, wie die Verruchtheit hoffet, Europa wird nicht untergehen, Rußland wird nicht niedergetreten werden, Bonaparte wird kein völkerverschlingendes Rom gründen: er wird mit seinen Verbrechen und Greueln vergehen. So klingt die Weissagung Gottes und der Geschichte, so klingt die Weissagung der Tapfern und Guten, so klingt selbst die Lehre dieses schwachen und wahnsinnigen Zeitalters [. . .] Alle Länder, alle Völker werden sich erheben und an dem eisernen Joche schütteln; nach den Stürmen werden glückliche und friedliche Zeiten wiederkehren, und die Herrscher auf den Thronen, die Edlen auf den Schlössern, die Bürger und Bauern in ihren Häusern und Hütten werden sicher wohnen und ihren Kindern und Kindeskindern die blutigen und ungeheuern Märchen dieser Tage erzählen.78

Mit seiner Agitation gegen Napoleon Bonaparte und die Franzosen folgte Arndt einem ähnlichen Muster, allerdings in anderen Formen, das die Briten im Kampf gegen die Revolution und Bonaparte erfolgreich eingesetzt hatten. Neben Flugschriften wurden in den 1790er Jahren vor allem Karikaturisten wie Gillray und in der napoleonischen Zeit neben Gillray auch George Cruikshank für die innere Stabilisierung und die Aufrechterhaltung der Kriegsbereitschaft eingesetzt. Nach dem Frieden von Amiens hatte Großbritannien seinen Frieden mit der Revolution gemacht. Nach Wiederaufleben des Krieges seit 1803 wurde »Little Boney« das neue Feindbild im gemeinsamen Kampf für die Befreiung Europas und vor allem für die

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77 78

Ebd., S. 179f. Ernst Moritz Arndt: Letztes Wort an die Deutschen (Herbst 1808). Zitiert nach: Geist der Zeit, Teil II, Arndts ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 10, S. 118–189, S. 187. Ebd., S. 188. Ernst Moritz Arndt: Die Glocke der Stunde in drei Zügen. St. Petersburg: M. E. Iversen 1812. Zitiert nach: Klein: Die Befreiung (Anm. 1), S. 12 sowie bei Erdmann: Arndt. Ausgewählte Gedichte und Schriften (Anm. 7), S. 107 – 118 (2. Zug), S. 117f.

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innere und äußere Absicherung der Stellung Großbritanniens.79 Neben der Karikatur, die in Deutschland von anderen im Kampf gegen Napoleon und die Franzosen eingesetzt werden, setzte Arndt vor allem auf das Wort und das in der Form choralmäßig aufgebaute und von der Melodie her eingängige und nachwirkende Lied. Am eindringlichsten war in diesem Zusammenhang das Rheinlied, das den Anspruch der Deutschen und die Konsequenzen einer Zugehörigkeit des Rheins zu Frankreich in einer Flugschrift formulierte: Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. Ich meine mit dieser Überschrift: die beiden Ufer des Rheins und die umliegenden Lande müssen deutsch sein, wie sie sonst waren, die entwendeten Lande und die Menschen müssen dem Vaterlande wieder erobert werden. Ohne den Rhein kann die deutsche Freiheit nicht bestehen. Diese Meinung gründet sich zunächst auf mein Herz, auf meine Liebe zum Vaterlande und zu meinem Volke.80

Mit dieser populären Formel agierten Preußen und andere deutsche Fürsten nach der endgültigen Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Waterloo und bei den Verhandlungen zum Zweiten Pariser Frieden von 1815. Im Friedensvertrag gelang es aus gesamteuropäischen und gleichgewichtspolitischen Überlegungen nicht, das Elsaß, Lothringen und weitere dem Reich verloren gegangene Gebiete ›zurückzugewinnen‹. Die Forderung, sichere Grenzen für Deutschland gegen Frankreich zu erhalten, wurde dann im Frankfurter Frieden von 1871 mit Frankreich umgesetzt. In seiner Flugschrift beklagte sich Arndt, dass die Franzosen seit Jahrhunderten geschrien hätten, der Rhein gehöre »natürlich zu Frankreich, ohne den Rhein hat Frankreich keine Ründung und Grundfeste der Macht«. Die Rheinstellung aber habe Frankreich missbraucht und sich in die Reichspolitik eingemischt und auch Verbündete aus dem Reich gegen das Reich gewonnen. Hieraus folgerte Arndt: Ich sage geradezu, wenn Frankreich den Rheinstrom mit seinen Landen behält, so behält es nicht nur sein, alles Gleichgewicht aufhebende Übergewicht über Deutschland, sondern auch über das übrige Europa [. . .] Wenn ihr jetzt nicht den Stolz und den Mut bekennet, das Ganze zu wollen und zu vollbringen, wann meinet ihr, daß ihr sie künftig haben werdet? Wann meinet ihr, daß die Zeit kommen soll, wo allen Deutschen noch ein größeres gemeinsames Ziel aufgesteckt ist? Jetzt oder nie, so muß die Ehre immer sprechen; ihre Stunde, ja ihre Minute ist immer da.81

Bleibe der Rhein in französischer Hand, dann bedeute dieses »die allmähliche Auslöschung und Ausrottung deutscher Art und Eigentümlichkeit«!82

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Vgl. hierzu u. a. Wolf D. Gruner: ›French Liberty and British Slavery‹? Aspekte des britischen Frankreichbildes zwischen Revolution und ›Reconstruction‹. In: Heiner Timmermann (Hg.): Die Französische Revolution und Europa. Saarbrücken: Dadder 1991, S. 455– 479. Ders.: L’image de l’autre. Das Deutschlandbild als zentrales Element der europäischen Dimension der deutschen Frage in Geschichte und Gegenwart. In: Günter Trautmann (Hg.): Die häßlichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991, S. 29–59. Ernst Moritz Arndt: Der Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze (Dezember 1813). Abgedruckt bei: Klein: Befreiung (Anm. 1), S. 343–346, S. 343. Ebd., S. 344. Ebd., S. 345.

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Immer wieder fordert Arndt in seinen Schriften Geist der Zeit und in seinen Flugschriften und Liedern auf, Bonaparte, den Unterdrücker Europas zu besiegen und zu beseitigen. Im Zweiten Zug von Die Glocke der Stunde mit dem Titel »Stunde der Wahrheit« charakterisiert er nach dem Leitgedicht – »Es ziehen die Dämonen, Schwanger mit Blut und Schmach; Doch die auf Sternen wohnen Senden die Rache nach« – Napoleon als den blutigen und unersättlichen Zerstörer, »der Europa von einem Ende bis zum andern verheert« und nicht aufhöre mit Gaukeleien und Lügen zu blenden und zu betören und die Feigheit und Elendigkeit, die ihm dient, dadurch womöglich noch feiger und elendiger zu machen. Aber gottlob! Es sind noch Fäuste, welche das Eisen, es sind noch Herzen, welche die Donnerkeile der Sprache zu schwingen wagen.Vernimm verruchter Unterdrücker! Vernimm es und zittre! Nicht die Nachwelt allein wird deine Tücken und Greuel richten, die Mitwelt richtet sie. In ihrem fürchterlichen Spiegel sollst du dich schwarz und düster schauen, wie du bist, und knirschen und verzweifeln, daß du schon von den Jetztlebenden zur Hölle der Schande verdammt bist.83

In seinen Ratschlägen für die Deutschen, »Was müssen die Deutschen jetzt tun?«,84 kritisierte Arndt die Deutschen, die Bonaparte aus »bewusster Ehrsucht und Eigennutz« loben und sein tyrannisches und grausames Tun entschuldigen, und fährt dann fort: Haben die deutschen Männer Napoleon Bonaparte, den hinterlistigsten, treulosesten, herrschsüchtigsten und grausamsten aller Tyrannen, die je die Geschichte gemeldet hat, den Weltbefreier und Weltbeglücker, den Stifter und Wiederhersteller deutscher Freiheit und Glorie, den Verjünger und Träger des Zeitalters, den Heiland der Erde, das Rüstzeug der Vorsehung, den Anführer und Ausführer neuer Herrlichkeiten genannt? Haben sie ihn nicht einen großen, gütigen und menschlichen Helden genannt? Dies ist nicht bloße Träumerei und leerer Wahn, dies ist nicht Lug und Trug des Herzens, Verkehrtheit und Erkaltung des ganzen Gemütes. Die solches tun konnten, hatten kein deutsches Gefühl in ihrer Brust, sie fühlten den heiligen Zorn für die Gerechtigkeit und Freiheit nicht mehr in ihren geizigen und verödeten Herzen. Denn wie konnten Deutsche dies? [. . .] Hätten Italiener und Griechen Bonaparten gelobt, ihnen könnte vielleicht verziehen werden – nimmer einem Deutschen, denn er wollte gerade die Tugend verderben, wodurch sein Volk allein herrlich sein kann: er hatte kein deutsches Herz und wollte die deutschen Herzen verführen. Darum sollte er nimmer leben unter Deutschen, die allein durch Redlichkeit und Treue etwas sein können.85

Arndt lehnte für das deutsche Volk diese »hellen Sterne« seiner Gedanken und diese »treuen Propheten« seines Willens ab. Arndt wetterte gegen die ›Überfremdung‹ der deutschen Sprache, Sitte und Kultur, die dem deutschen Volk auferlegt werde: Dir sind fremde Sitten, fremde Gesetze, fremde Rechte, ja fremde Sprachen aufgedrungen; Fremde sind in deinem Lande die Plager, Henker und Nachrichter; sie treiben deine Jugend wie das dumme und stumme Vieh in ihren Schlachtenort; sie verhaften, verweisen,

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Ernst Moritz Arndt: Die Glocke der Stunde in drei Zügen, Zug 2. Zitiert nach: Erdmann: Arndt. Gedichte und Schriften (Anm. 7), S. 108 – 118, S. 109. Ernst Moritz Arndt: Was müssen die Deutschen jetzt tun? Zitiert nach: Geist der Zeit, Teil III, Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 11, S. 158 – 195. Ebd., S. 171.

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Wolf D. Gruner brandmalen, ermorden dich ohne Scheu und Scham. Wo ist das deutsche Land, das von solcher Gewalt nicht befleckt wäre [. . .] wir sollen verlernen, daß wir Deutsch gesprochen und gedacht haben, in fremdartigen Tönen sollen wir unsern Treibern schmeicheln und unser Elend und unsre Schmach als neue Herrlichkeit preisen lernen; du, Deutscher, bist ein unglücklicher Sklav’, deine Kinder sollen gefühllose und bewusstlose Sklaven sein. Das ist die große Arbeit und das hohe Ziel des Mannes, der sich Beschützer von Germanien nennt.86

Die Deutschen müssten ihre deutsche Identität zurückgewinnen. Hierzu müssten sie sich nicht allein vom fremden Joch befreien, sondern statt des Fremden und Ausländischen wieder das »Eigene- und Vaterländische« bewundern lernen: Wahrlich, ich sage dir, zu lange, zu lange wandeltest du in diesem Irrtum und Unglück. Auf ermanne dich! [. . .] Gott hat Zorn und Rache geboten, wie er Freundlichkeit und Liebe geboten hat, und den Frevel zerschmettern und die Tyrannei vertilgen heißt keine Sünde. Darum hasse und liebe, belohne und strafe, oder du bleibst ein verächtliches Volk! Verfluche und verbanne aus dir die französischen Sitten und Moden und die lüsterne und leichtfertige Sprache, welche alle edelsten Keime deiner Tugenden seit Jahrhunderten verwüstet hat!87

Verschiedentlich forderte Arndt in seinen Schriften auch auf, dass zur Erhaltung der Reinheit der deutschen Sprache nicht mehr das Französische erlernt werden solle. Überhaupt müsse alles Französische aus den Köpfen und dem Gedächtnis entfernt werden, denn wenn nun dieses Brüderliche, Gemeinsame und Deutsche wieder in dir atmet und glühet, deutsches Volk, dann muß auch Zorn und Rache in dir atmen und glühen, dann musst du auch den heiligen von Gott und Natur gebotenen Haß gegen deine Unterdrücker walten lassen; der Name Franzos muß ein Abscheu werden in deinen Grenzen und ein Fluch, der von Kind auf Kindeskinder erbt. Hinweg mit dem mattherzigen Mitleid, mit der erbärmlichen und weinerlichen Halbheit, die sich den Teufel gefallen läßt und die Hölle anmutig findet! Geschieden werde das Fremde und Eigene auf ewige Zeit, geschieden werde das Französische und Deutsche, nicht durch Berge, nicht durch Ströme, nicht durch chinesische und kaukasische Mauern, nein durch die unübersteigliche Mauer, die ein brennender Haß zwischen beiden Völkern aufführt.88

Um diesen Haß zu bewahren, bedarf es des »heißen, blutigen, gemeinsamen« Krieges aller Deutschen gegen die »Überzieher«, denn »nur ihr Blut kann die Schande abwaschen, die euch befleckt, nur Blut kann die Ehre erwecken, die euch unterging; nur in einem solchen gemeinsamen Kriege können durch verbrüderten Stolz 86

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Ebd., S. 175. Zu Bonaparte hat sich Arndt sehr häufig und in unterschiedlichen Zusammenhängen geäußert. Es würde zu weit führen, diese ausführlich und exemplarisch darzustellen. Daher sei u. a. verwiesen auf: Ernst Moritz Arndt: Was wollte und was tat Bonaparte? Wie kam er nach Russland? Wie kam er aus Russland heraus? Zitiert nach: Geist der Zeit III.Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 11, S. 7–103: »ich will nicht, daß ihr die Menschen hasset, aber die Franzosen sollet ihr hassen, ihre dumme Eitelkeit, ihr schändlicher Geiz, ihre Verachtung deutscher Treue und deutschen Volkes, ihre ganze Verruchtheit und Nichtswürdigkeit soll eure Güte und Liebe nicht länger missbrauchen« (S. 99) und ebenda: »Was haben die großen Mächte jetzt zu tun«, S. 104–158, S. 116ff. Ernst Moritz Arndt: Was müssen die Deutschen jetzt tun? In: Geiste der Zeit III. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 11, S. 180. Ebd., S. 178.

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und Mut die Bande wieder geknüpft werden, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr gelöst und in unsern Tagen endlich völlig zerrissen wurden«.89 Die aus der Zeitsituation, dem Kampf gegen die napoleonische Herrschaft über Deutschland und Europa heraus entstandenen Schriften, Gedichte und Lieder Arndts, die in anderen europäischen Ländern über den Widerstand gegen die als Fremdherrschaft empfundene Hegemonie Frankreichs ebenfalls zur Ausbildung eines neuen kulturellen und eines politischen Nationalgefühl beigetragen haben, konnten in der Reichsgründungszeit, im erneuten Kampf gegen Frankreich, instrumentalisiert werden als nationaler Kitt für den zu gründenden deutschen Nationalstaat. Die »völlig zerrissenen« Bande konnten endlich 1871 wieder im 1814/15 noch verhinderten deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung verwirklicht werden. Der 1815 gegründete Deutsche Bund als Nachfolgeorganisation des Alten Reiches, der den Erfordernissen und Bedürfnissen der europäischen Neuordnung nach den langen Kriegsjahren seit 1792 am besten entsprach, fand nicht die Liebe und Zustimmung der Agitatoren für einen nationalen Staat der Deutschen. Zu ihnen zählte auch Arndt und damit konnte er auch als Zeuge für den »morschen« Deutschen Bund herangezogen und benutzt werden. 2.4 Der Deutsche Bund aus der Sicht Ernst Moritz Arndts In einer 1814 im Vorfeld des Wiener Kongresses entstandenen Schrift bemerkte Arndt nach Überlegungen zur Verfassung, zur Pressfreiheit, zu den Fürsten und anderen anstehenden Problemen zur Zukunft des deutschen Vaterlandes: »Gott segne und behüte die Kaiser und Könige, die jetzt über das Schicksal unserer Kinder und Enkel entscheiden sollen! Gott segne ihre Freunde und Räte! Gott segne jeden Biedermann, der ein Vaterland haben will!«90 Anders als von Arndt und anderen Zeitgenossen erhofft, wurde am Ende der Napoleonischen Kriege 1814/15 kein neues deutsches Reich gegründet. Der Frieden von Paris vom 30. Mai 1814 hatte festgelegt, dass die deutschen Staaten ein »föderatives Band« bilden werden. Auf dem Wiener Kongress wurden verschiedene Formen neuer Staatlichkeit für eine Nachfolgeorganisation des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation diskutiert, u. a. auch eine Wiederherstellung des Reiches mit einem Kaiser an der Spitze, dessen verfassungsrechtliche Stellung gestärkt werden sollte.91 Aus einer gesamteuropäischen Interessenlage heraus waren 89 90

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Ebd., S. 181. Ernst Moritz Arndt: Beherzigungen vor dem Wiener Kongress (1814). Zitiert nach: Erdmann: Arndt. Ausgewählte Gedichte und Schriften (Anm. 7), S. 147–190, S. 190. Vgl. hierzu u. a. Wolf D. Gruner: Die deutsche Frage in Europa 1800–1990. München: Piper 1993, S. 94ff.; Ders.: Der Deutsche Bund und die deutsche Verfassungsfrage 1815– 1820. In: Heiner Timmermann (Hg.): Repräsentation. Aspekte historischer Entwicklung in Deutschland und Polen. Saarbrücken: Dadder 1992, S. 79 –101; Michael Hundt (Hg.): Quellen zur kleinstaatlichen Verfassungspolitik auf dem Wiener Kongreß. Hamburg: Krämer 1996, bes. S. 37ff. und 129ff.; Ders.: Die Mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß. Mainz: Zabern 1996.

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weder die europäischen Großmächte und europäischen Mittelmächte noch die deutschen Staaten, die nach dem Ende des Reiches und der napoleonischen Flurbereinigung ihre staatliche Existenz und Selbständigkeit bewahren konnten, an einer Ersetzung der napoleonischen Hegemonie über Europa durch eine habsburgische – als Ergebnis einer Reichsreform mit gestärkter Spitze – interessiert.92 Dies galt gleichermaßen für die deutschen und europäischen Großmächte Österreich und Preußen. Es stellte sich daher schon in der Schlussphase der Napoleonischen Kriege die Frage, was unter Deutschland verstanden werden sollte, wenn dieser Terminus benutzt wurde.93 Wenn Arndt von Deutschland sprach, dann meinte er das gegenwärtige Deutschland mit »den Furchten und Hoffnungen dieses gegenwärtigen Deutschlands«. In einer Flugschrift aus dem Sommer 1815 Der deutsche Bund wider das deutsche Reich, bedauerte Arndt die Gründung eines Deutschen Bundes. Das lange befürchtete, »schon zum voraus verfluchte Los« sei gefallen: Du armes, treues, deutsches Volk! Du sollst keinen Kaiser haben. Sie, deine Fürsten wollen selbst den Kaiser spielen [. . .] Nicht ein Volk sollst du sein, nicht deutsch sollst du sprechen, denken und handeln; sondern österreichisch, preußisch, bayerisch und schwäbisch, sächsisch und hannoverisch, badisch und hessisch, und nach drei Generationen wie der Souverän von Krähwinkel und Widershausen, von Schöppenstedt und Schilda, von Deutschroda und Winkelsleben! Statt eines Herrn hast du ein paar Dutzend, die, wenn es die deutsche Sache betrifft, nie einig werden können, und die dich gegeneinander jagen, wenn sich einer den Anmaßungen des andern nicht fügen will. Ist der äußere Feind abgetrieben, so gebärt dein Inneres ein Nest voll Ungeziefer, das nur leben kann, indem es sich auffrißt.94

Arndt befürchtete, dass mit der Organisationsstruktur des Deutschen Bundes der Kampf um die »Oberherrschaft in Deutschland beginnen kann und wird und muß!« Er beklagte, dass die Sehnsucht des Volkes nach einem deutschen Kaiser, artikuliert in Gedichten und Liedern, von der Politik nicht erhört worden sei. Sind Fürsten und Minister »taub gegen die öffentliche Stimme in Deutschland? Verachten sie nicht die Wünsche des deutschen Volkes, während sie den ruh- und ehrlosen Franzosen eine Konstitution nach deren Wünschen zuwerfen?«95 Bei seiner Forderung nach einer deutschen Verfassung mit einem kaiserlichen Oberhaupt an der Spitze, die endlich »das deutsche Volk zu einem Volk« machen würde, spielen auch machtpolitische Überlegungen eine Rolle, wenn Arndt schreibt:

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Vgl. hierzu Wolf D. Gruner (Hg.): Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart. Hamburg: Krämer 1989 sowie Paul W. Schroeder: The Transformation of European Politics 1763– 1848. Oxford: Oxford UP 1994 und Peter Krüger, Paul W. Schroeder (Hg.): ›The Transformation of European Politics, 1763 – 1848‹: Episode or Model in Modern History? Hamburg, Münster: LIT 2003; Rumpler (Hg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1966 (Anm. 4). Vgl. Ernst Moritz Arndt: Deutschland. In: Geist der Zeit, Teil IV. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 12, S. 1 – 40. Ernst Moritz Arndt: Der deutsche Bund wider das deutsche Reich (Sommer 1815). Auszugsweise zitiert nach: Klein. Befreiung (Anm. 1), S. 504–505, S. 504. Ebd., S. 504.

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gebt [dem deutschen Volk . . .] eine Verfassung und ein Oberhaupt: dann braucht ihr nicht zu heucheln, braucht nicht zu ergrimmen, wenn ihr nur Engländer und Franzosen auf der Bühne der Welt, und euch hinter den Bühnenwänden hervorgucken seht; dann könnt ihr frei mit ins Turnier schreiten, ohne Erlaubnis bei jenen eingeholt zu haben, dann werdet ihr selbst Früchte pflücken, und euern Ruhm von einheimischen Dichtern singen hören können. Für Deutschland ist aber diese Zeit vorüber, der Nibelungen Lieder ertönen nicht wieder, unsere Helden sammeln sich in keinem Heldenbuche, weil sie nicht unsere Helden, sondern der Engländer oder Franzosen sind.96

Rückblickend beklagte Arndt 1818, inzwischen preußischer Professor in Bonn, die vertanen Chancen von 1813/14: Wir haben mit Gott und dem Eisen das Land wiedergewonnen, und die altgepriesene deutsche Treue und Tapferkeit hat sich wieder auf das glänzendste erwiesen. Wir hatten die alten Grenzen des Reichs wiedergewonnen und hätten sie nehmen können, wären wir bei den Unterhandlungen nicht hilflos und verlassen gewesen wie immer. Da sind wir von den alten listigen Reichsfeinden wieder wie die Betrogenen ausgelacht, und das wird leider auch künftig so sein. Reineke Fuchs hat seine Galgenbußpredigt wie ein Meister gehalten und den Königen nobel die Herzen entwendet. So ist das notwendige Verhängnis einer Eidgenossenschaft, und so ist es der deutschen Eidgenossenschaft schon manche Jahrhunderte ergangen.97

Arndt trauerte dem alten Reich nach und sah im Deutschen Bund nicht die erhoffte Lösung für des Deutschen Vaterland, denn wo »viele Herren sind, da macht die Anwendung der Regel des Tiberius und Machiavelli: Teile und herrsche, wenig Mühe«, den es wäre das »wunderbarste aller Wunder«, wenn es gelänge, »ein Herz nach einer Richtung« hin zu bringen: Wie Deutschland in den jüngsten vergangenen Jahren eingerichtet oder vielmehr größtenteils liegengeblieben ist, wie Napoleon es zugeschnitten hatte, das weiß jeder. Das alte Reich ist nun endlich ganz vergangen, sein letzter Schatten, sein heiliges Gespenst, ist nun tot. Eine Menge großer und kleiner Staaten, alle mit monarchischer Selbstgewalt, die sie Souveränität nennen, ausgerüstet, liegen in einem Kreise nebeneinander und sollen durch ein loses Band zusammengehalten werden, das bis jetzt in nichts weiter als Ideen besteht, welche unentwickelt und unerklärt in dem Deutschen Bunde [. . .] eine verkörperte Darstellung haben. Wird dieser Deutsche Bund dem Reiche und Volke die Kraft und Einheit geben können, die der Kaiser die letzten Jahrhunderte nicht mehr geben konnte? Wird dieser unmöglich machen, daß deutsche Schwerter künftig gegen Deutsche gezückt werden? Wir dieser die Liebe geben, daß, wenn einer angegriffen und verletzt ist, alle sich angegriffen und verletzt fühlen und in treuer Brüderlichkeit zusammeneilen, den Angriff und die Verletzung zu strafen? Wird dieser uns drinnen Gerechtigkeit, Sicherheit und Frieden, draußen Achtung und Furcht verschaffen können? Wird dieser das zu lange Getrennte und Zerrissene durch eine unsichtbare Gewalt der Gesinnung verbinden können?98

Arndt artikuliert aus der Zeit heraus und vor dem Hintergrund der langen Kriegsjahre, die über Mitteleuropa hinweg gegangen sind, und fürchtet, dass erneut Mitglieder des Bundes sich mit auswärtigen Mächten gegen den Bund verbünden könnten, dass die notwendig Solidarität fehlen werde. In der Bundesakte von 1815 96 97

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Ebd., S. 504f. Ernst Moritz Arndt: Deutschland. In: Geist der Zeit, Teil IV. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 12, S. 23. Ebd., S. 24.

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waren entsprechende Artikel aufgenommen worden, die ein Bündnis von Mitgliedern gegen den Deutschen Bund verboten. Sie enthielt auch Grundlagen für die Fortentwicklung deutscher Staatlichkeit zu einem Bundesstaat mit konstitutionellen Strukturen. Es war daher kein Zufall, dass 1848 die Bundesakte von 1815, deren Entwicklungspotential gesehen wurde, ursprünglich als Basis für die Ausarbeitung einer deutschen Gesamtverfassung angesehen und bewertet wurde.99 Arndt zweifelte daran, dass die meisten Männer, »welche die Deutsche Bundesversammlung leiblich darstellen« und aus seiner Sicht auch eine »vaterländische Gesinnung« offenbaren, »die Idee, welche das deutsche Volk von einem deutschen Bunde hat, werden entwickeln und erklären können und dürfen«.100 Nach seinem »Gefühle« und seinem »bißchen Kenntnis von Geschichte« und »nach meiner Erfahrung der Völker und des Menschenherzens« glaubte er, dass ein Deutscher Bund den politischen Zustand und die Zerrissenheit nicht beheben werde. Ich kann nicht begreifen, wie die Deutsche Bundesversammlung den deutschen Kaiser ersetzen kann, wie ein Staat vieler Staaten bestehen kann ohne eine mächtige zwingende Gewalt als die Gewalt der Idee – und dieser armen Idee vollends, worauf man, wie sie sich nur blicken läßt, als auf eine Brandstifterin, Thronräuberin und Volksverwirrerin laute Schalljagd macht.101

Beim Romantiker Arndt klingen hier, aus seiner Zeitgenossenschaft, Überlegungen an, die alle Hoffnungen auf einen mächtigen Staat der Deutschen setzen, damit Deutschland nicht wieder zum Schlachtfeld Europas werde. Daher seine Ablehnung einer, aus seiner Sicht, schwachen Föderativordnung, daher seine Haltung gegen den partikularen Staat und für einen Einheitsstaat mit einem Kaiser, der den Deutschen Schutz, Sicherheit und Wohlstand geben könnte. Diese Grundpositionen waren natürlich willkommene Argumente in der Reichsgründungszeit, als es erneut darum ging, ein Reich zu begründen.

3. Ernst Moritz Arndt, die Reichsgründung und Europa Im Oktober 1863, knapp drei Jahre nach dem Tode des nationalen Barden Ernst Moritz Arndt, jährte sich zum fünfzigsten Mal der Tag der siegreichen Schlacht von Leipzig, die zum nationalen Mythos stilisiert wurde, zum Entstehungsdatum für den deutschen Nationalismus.Arndt verstand den 18. Oktober 1813 als den Tag der Wiedergeburt des deutschen Volkes und forderte 1814 nicht allein die Schaffung eines Nationaldenkmals in der Form eines Völkerschlachtdenkmals, sondern auch, 99

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Vgl. hierzu: Wolf D. Gruner: Welches Deutschland soll es sein? Bayerns Weg von Frankfurt nach Frankfurt 1818 – 1850. In: Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln u. a.: Böhlau 2000, S. 165–198 und ders.: Die europäischen Mächte und die deutsche Frage 1848 – 1950. In: Ebd., S. 273–305 sowie die Beiträge in Rumpler: Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. (Anm. 4). Ernst Moritz Arndt: Deutschland. In: Geist der Zeit, Teil IV. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 12, S. 25. Ebd., S. 25.

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den 18. Oktober 1813 zum nationalen Feiertag der Deutschen, zum »Nationalfest der Teutschen« zu erklären. Mit seiner Agitation und Propaganda in Gedichten, Liedern, Abhandlungen und Flugschriften zwischen 1803 und 1815 kreierte Ernst Moritz Arndt »einen wirkungsvollen Mythos, den er mit seiner seltenen Beredsamkeit in den Köpfen zu verankern suchte: Die Deutschen hätten durch ihren gemeinsamen Sieg über den Gewaltherrscher Napoleon wieder zur Einheit und Freiheit gefunden«.102 Für Arndt war die Völkerschlacht ein Sieg des Volkes über den Tyrannen, nicht ein Sieg der Fürsten. Anders als Christoph Martin Wieland, der 1773 davon sprach, dass es eine deutsche Nation eigentlich nicht gebe, sondern diese vielmehr ein »Aggregat« mehrerer Nationen sei, sprachen Arndt und seine nationalen Mitstreiter von einer Wiedergeburt der deutschen Nation. Über ein im Oktober anzuhaltendes Nationalfest »sollte die Vision einiger Intellektueller von der Gemeinschaft und Eintracht zur Wirklichkeit werden«.103 Die Idee eines Nationalfestes, wie es von Arndt vorgeschlagen wurde, war sehr populär. Ein Nationalfest konnte »als volkstümliche Manifestation eines verbreiteten Willens zur Einheit« gewertet werden.104 Vor dem Hintergrund einer sich ausbildenden gesamtdeutschen, die Regionalismen überwindenden Öffentlichkeit, konnte das »Erbe des achtzehnten Oktober« 1813 vielfältig benutzt und für die jeweiligen politischideologischen Interessen und Ziele als »politisches Vermächtnis an die Gegenwart« eingesetzt werden: gleichermaßen für das Bürgertum, den Nationalliberalismus, die Fürsten und die Diktaturen, vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.105 Im Festlied zum 50. Jahrestag der Völkerschlacht, gefeiert als Freiheitskampf, hören wir: »Deutsche, singt im Jubelchor / die Freiheit ist erwacht, / sie stieg auf Leipzigs Fluren empor / und brach des Feindes Macht!«106 Die Feier diente als »Folie für das bürgerliche Einheitskonzept« (Nicklas) und wurde durch die Festansprache Heinrich von Treitschkes unterstrichen. Sein Grundanliegen als »Trommler der Reichsgründung« war es gewesen, den Leser auf dem Weg durch eineinhalb Jahrhunderte hin zur Verwirklichung des Traumes »vom preußischen Reich deutscher Nation« mitzunehmen und »die Freude am Vaterlande« in die Herzen einzupflanzen.107 Wichtig war für Treitschke und andere Zeitgenossen, dass die Idee eines »einigen freien Deutschlands« mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs unter preußischer Führung vollendet wurde. In diesem Zusammenhang spielte auch Arndt für Treitschke eine populistische Rolle. Seine Helden waren jedoch Stein und die preußischen Reformer. Sie schu102

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Thomas Nicklas: 18. Oktober 1813: Blutige Selbstfindung einer Nation. In: Eckart Conze, Thomas Nicklas (Hg.): Tage deutscher Geschichte. Von der Reformation zur Wiedervereinigung. München: DVA 2004, S. 99 – 118, S. 103. Ebd., S. 103. Ebd., S. 104. Vgl. hierzu die interessanten Überlegungen und Schlüsse bei Nicklas: 18. Oktober 1813 (Anm. 102), S. 99–118, bes. S. 109ff. Zit. nach ebenda, S. 108. Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Leipzig:Verlag S. Hirzel 1879, 5 Bde., Bd. 1, S. VII f.

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fen die Voraussetzung für »Preußens Erhebung« und den »norddeutschen Charakter« der Befreiungskriege. Arndt, der Bauernsohn aus Rügen, wird neben Fichte, Schleiermacher und Kleist zu einem der nationalen, pathetischen Prediger für die »Wiederaufrichtung des deutschen Staates« im Sinne des Freiherrn vom Stein: In gleichem Sinne [wie Schleiermacher, WDG] schrieb Arndt während und nach dem Kriege neue Bände seines Geistes der Zeit. Er zog zu Felde wider unsere Vielherrschaft, die zur Allknechtschaft geworden, wider die unpolitische Gerechtigkeit der Deutschen, die das Veraltete gewissenhaft verschonten bis die Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeistige, überzärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Festigkeit beschwerlich sei. Frischauf zum Rhein – so lautete sein Schluß.108

Arndts Haltung zur Frage der Einheit der deutschen Nation in einem Einheitsstaat entsprach den Wünschen und Vorstellungen Treitschkes für einen deutschen Nationalstaat. In seinem Hauptwerk, aber auch in den Preußischen Jahrbüchern, wetterte er immer wieder gegen die Kleinstaaterei und über den Partikularismus. Mit seinen verwandten Auffassungen bot sich Arndt als nützliche Traditionslinie an. Ein ähnliches Alter wie Arndt erreichte der Historiker Wolfgang Menzel, der persönlich »zu Anfang des Jahrhunderts die ganze Schmach [erlebte], die über Deutschland gekommen war«,109 und mit Görres und Arndt befreundet war. In seiner Darstellung des Krieges von 1866 vergleicht er 1813 mit 1866 und spricht vom »Geist von 1813«, der auch heute wichtig wäre: Die einfache Art, wie die Patrioten von 1813 die deutsche Frage angesehen haben, scheint mir heute noch die richtigste zu seyn [. . .] Es gibt nur ein Deutschland und die Parteiung, die sich um ein Groß- und Kleindeutschland riß, war unnatürlich. Ebenso soll man mäkeln, ob man durch die Freiheit zur Einheit, oder durch die Einheit zur Freiheit gelangen will? Zusammenhalten nach außen ist die Hauptsache. Wie kann man denn die Fragen der inneren Politik entscheiden, wenn man nicht Herr im eigenen Hause ist, wenn man nicht stark genug geworden ist, jeden fremden Angriff zurückzuschlagen, jeden fremden Einfluß sich verbitten zu können, jede fremde Intrige mit herculischem Instinct schon in der Wiege zu erwürgen! So einfach und natürlich sah man im Jahre 1813 die große deutsche Frage an. Die ganze deutsche Nation sollte zusammenstehen, um das Joch der Fremdherrschaft zu zerbrechen und um nie mehr ein zweites, so wenig wie im Innern noch ferner Verräther des großen Vaterlandes zu dulden. Das war der Geist von 1813!110

Der Deutsche Bund war gegründet worden, um den »Geist von 1813 zu ersticken«. Nach dem deutschen Krieg von 1866 lebe dieser Geist wieder durch Preußen, »der einfache und natürliche Patriotismus von 1813«. Sollten nun, nach dem Ende des Deutschen Bundes, »die großen Hoffnungen der deutschen Nation in Erfüllung gehen«, dann verdanke sie dieses dem »kriegerischen Geist des Volks in Waffen, dem Blut und Eisen, nicht dem Geschwätz liberaler Kammern«.111 Der Geist von 1813 hatte die Einheit der Nation angestrebt. Heute dränge der »Gang der Welt-

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110 111

Ebd., S. 306. Wolfgang Menzel: Der deutsche Krieg im Jahr 1866. 2 Bde. Stuttgart: Verlag von Adolf Krabbe 1867, Bd. I, S. V. Ebd. Ebd., S. VIIIf.

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geschichte [. . .] uns Deutsche zur Einheit. Fassen wir das Werk gemeinsam, entschlossen und freudig an, denn es eröffnet uns eine große Zukunft«.112 Nach 1813 haben die Deutschen eine zweite Chance zur Einheit erhalten, die Metternich mit dem Deutschen Bund verhindert hatte. Von den Hoffnungen für ganz Deutschland, die man in Preußen gehegt hatte, konnte nun [auf dem Wiener Kongress 1814/15, WDG] nichts mehr in Erfüllung gehen. Metternich schuf statt des einigen deutschen Reiches mit seinen wiederhergestellten alten Grenzen, wie es die Preußen mit Recht verlangt hatten – den s. g. deutschen Bund, das jämmerlichste politische Pfuschwerk, das die Weltgeschichte je gesehen hat.113

Das negative Bild, das wir bei Arndt über den Deutschen Bund finden, hat über Menzel, Treitschke und Heinrich von Sybel in das preußisch-deutsche Geschichtsbild Eingang gefunden. Mit dem Krieg von 1870/71 gegen Frankreich wurden auch Arndts Vorurteile über die Franzosen, die Reichsfeinde seit Jahrhunderten, wieder populär und sollten die Generationen im Kaiserreich in hohem Maße antifranzösisch prägen. Mit dem Sieg über Frankreich und der Proklamation des deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 in Spiegelsaal von Versailles kehrten auch ›alte deutsche Gebiete‹ wie das Elsaß und Lothringen in das Reich zurück. Im Jahr 1913, der Jahrhundertfeier der Leipziger Schlacht, wurde ein Quellenbändchen über die »Befreiung 1813–1814 – 1815« vorgelegt, das nochmals das preußisch-deutsche Selbstverständnis aus dem Erbe von 1813 verdeutlichte. Durch den Befreiungskrieg gegen Napoleon habe dieser »die Zusammenfassung der deutschen Völker in einem Nationalstaat vorbereitet«.114 Im Norden Deutschlands entstand, von Preußen ausgehend, getrieben durch den Haß gegen den Unterdrücker »aus einer großartigen sittlichen, geistigen und politischen Selbsterneuerung in vollkommener Klarheit der nationale Gedanke«.115 Die Befreiung vom fremden Joch ermöglichte auch eine tiefe, geistige Erneuerung »aus dem Geiste Kants, Goethes, Schillers, der Romantik« und beförderte im »Bewußtsein vom Wert des eigenen Wesens [. . .] die ungeheuere Macht des neurömischen Weltreichs zu brechen«.116 Die Befreiung Europas wurde von den Völkern erstritten und zur »Seele des Widerstandes« gegen Napoleon wurden in Deutschland »die besten Männer«. 1870/71 wurde »unter der Führung von Männern, die der Ahnen wert waren, das Deutsche Reich« geschaffen. Zur Seele des Widerstandes gehörte auch Ernst Moritz Arndt, der auch das Leitthema für den Band abgibt: »Es ziehen die Dämonen, / schwanger mit Blut und Schmach; / doch die auf Sternen wohnen, / senden die Rache nach«.117 Ernst Moritz Arndts Gedichte, Lieder und Flugschriften, die nachhaltige Wirkung auf die Menschen in der Endphase der Napoleonischen Kriege hatten, wurden, auch weil sie in ihrer Aussagekraft den Wünschen und Erwartungen der 112 113 114 115 116 117

Ebd., S. X. Ebd., S. 72. Klein: Befreiung (Anm. 1), S. 5f. Ebd., S. 6. Ebd., S. 6f. Ebd., S. 8.

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Generation der Reichsgründung entsprachen, zur Legitimierung der Reichsgründung der Schaffung der Einheit der deutschen Nation unter preußischer Führung eingesetzt. Dabei spielten sicherlich die Rahmenbedingungen der 1860er Jahre eine Rolle und später der machtpolitische Gegensatz zum westlichen Nachbarn, der zum »Erbfeind« stilisiert wurde. Es gibt aber auch noch einen anderen Ernst Moritz Arndt, der nicht für die Reichgründung und die deutsche Einheit instrumentalisiert wurde, nämlich der historisch und kulturgeschichtlich interessierte Hochschullehrer und Schriftsteller, der seine Überlegungen zur eigenen Nation und zu den anderen Völkern Europas und ihren Eigenschaften auch europäisch einbindet – vor dem Hintergrund eines erfolgreiches Kampfes gegen Napoleon – und damit auch Aussagen machen kann zur Wahrnehmung Europas in der Periode der europäischen Transformation, die eine wichtige Ergänzung zu den Europaplänen und Europavorstellungen der Zeit118 bieten und weit über »Germanien und Europa« hinausreichen.119 »Zeitalter und Zeitgenossen in rechter Bedeutung sind eins«,120 in diesem Spannungsverhältnis versuchte Arndt auch Europa und seine alten und neuen Völker zu sehen und zu analysieren und seine Schlüsse für den Europäer zu ziehen. In seinem Europabild finden sich zahlreiche traditionelle Elemente aus der Sicht des königlichen Kontinents Europa, der »Regina Europa«, wie er uns im Prozeß der Europäisierung und Durchdringung der Welt seit dem 16. Jahrhundert in Schriften, Skulpturen und Karten immer wieder begegnet. Abschließend seien sie kurz dargestellt und sollen anregen, diesen Aspekt der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit des Trommlers für die ›Einheit der wiedergeborenen deutschen Nation‹ einmal eingehender zu untersuchen: Der Europäer sind das denkende, der Orientale das genießende Wesen; der allgemeinste Unterschied des mäßigen und des heißen Himmelsstriches. Auch in der früheren Zeit, als die Griechen, Etrusker und Römer herrlich waren, als Mensch, Natur und Leben noch mehr in Einheit bestanden, herrschte in Europa das gedachte Gesetz und der wechselnde Wille in Sitten und Weisen für den ewig bestimmten Wahn und die bleibende Sitte der Orientalen; der Europäer hatte die bewegliche Kunst, welche die großen Wechsel und Spiele des Lebens auch in die Zukunft hineinspielt; die Kunst des Orientalen ist von jeher in ihren Bildern die erstarrte, in ihren Gedanken die schauende gewesen. Hier war also von Anfang an Bewegung und Mannigfaltigkeit Urtrieb, dort Erstarrung und Einförmigkeit.121

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121

Vgl. hierzu Wolf D. Gruner: Les idées de l’Europe politique au XVIIIe siècle; perceptions et conceptions de l’Europe au XIXe siècle. In: Malettke: Imaginer l’Europe (Anm. 13), S. 145–190 sowie Krüger: Das unberechenbare Europa (Anm. 14), Kap. 2 und Wolf D. Gruner: Europa-Vorstellungen und Europa-Pläne im Umfeld des Wiener Kongresses und in der Epoche der europäischen Transformation (1750–1820). In: Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec (Hg.):Vision Europa. Mainz 2003: Zabern, S. 1–35. Vgl. hierzu die Beiträge von Ernst Moritz Arndt in: Geist der Zeit, Teil I, die 1806 erschienen. Ernst Moritz Arndt: Das Zeitalter und die Zeitgenossen. In: Geist der Zeit I. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 9, S. 47 – 67, S. 47. Ebd., S. 55.

Ernst Moritz Arndt – die nationale Frage der Deutschen

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Arndt beklagt, dass den Europäern über die Jahrhunderte diese Fähigkeiten durch die Entwicklungen und sich verändernden Rahmenbedingungen verloren gegangen seien, zur Wiedergeburt Europas aber erforderlich seien. Derzeit seien »Erstarrung und Leerheit [. . .] die beiden Hauptzeichen der Gegenwart, und wo noch Bewegung ist, da ist doch keine Stetigkeit und Beständigkeit in ihr«.122 In seinen Überlegungen zu den »neuen Völkern« und zu den »alten Völkern« unternahm es Arndt dann, die Ursachen für die Misere der Gegenwart durch eine historisch-kulturelle Langzeitanalyse dazustellen, um Voraussetzungen und Einsichten zu schaffen, die für eine erfolgreiche Bewältigung der Gegenwart unerlässlich seien. In seiner Beschreibung der »alten Völker« geht Arndt daher auf die drei Völker ein, die weltherrschend waren, die Perser, die Griechen und die Römer. Seine Überlegungen brachte er mit moralischer Absicht zu Papier: Ich habe hier mit den Geschichten und Entwicklungen der alten Völker im allgemeinen nicht zu tun, nur mit einem Hauptgesichtspunkte gehe ich durch die weite Länge von Jahrtausenden zurück. Ich will den Neueren eine Ähnlichkeit zeigen, woran man selten gedacht und noch seltener geglaubt hat. Man hat die alten und die neuen Geschichten und Schicksale mehr getrennt voneinander, als recht ist, und sich in die törichte Sicherheit einwiegen lassen, als wenn in Europa nicht wieder geschehen könnte, was einmal geschah, Ich will einige Weltrevolutionen alter Zeit berühren, will versuchen zu zeigen, durch welche Begebenheiten und Künste Völker, deren Bildung mit der unsrigen Ähnlichkeit hatte, stiegen oder sanken, durch welche List und Tapferkeit auf der einen, durch welche Trägheit und Zwietracht auf der andern Seite Herrschaft und Knechtschaft verdient ward. Ich will zugleich das Streben und die Gesinnung der Menschen in solchen merkwürdigen Wechseln schildern. Wird dann kein Spiegel daraus, worin die Jetzigen wahre Bilder sehen können, so habe ich etwas Vergebliches getan.123

Arndts Rückgriff auf die Geschichte der alten und neuen Völker Europas und des Orients dient ihm somit als Folie, um zum Befreiungskampf Europas gegen Bonaparte zu motivieren und aufzurufen, für Freiheit gegen Despotie.

122 123

Ebd., S. 65. Ernst Moritz Arndt: Die alten Völker. In: Geist der Zeit, Teil I. Zitiert nach: Ausgewählte Werke (Anm. 8), Bd. 9, S. 67 – 100, S. 67.

Brian Vick

Arndt and German Ideas of Race: Between Kant and Social Darwinism

Ernst Moritz Arndt was a racist – a rather lapidary statement, and one that might not surprise many readers. My hope, however, is that in the course of this essay the statement will come to seem surprising, both when one examines the term ‘racism’ with greater nuance, and when one compares Arndt’s views with those of his contemporaries. Arndt was not necessarily a racist in some of the ways commonly attributed to him, and when he was, he departed from then-prevalent views of race in unusual and potentially significant ways.1 In order to frame discussion of Arndt, this essay will investigate German conceptions of race during his lifetime in connection with the more general issue of the mind-body problem, or the relationship between the spiritual and intellectual facets of humankind and the physical or natural ones (particularly the nature inside us). There is little doubt about the prevalence of belief in hierarchical racial differences, but their exact character and meaning is not so clear. The present essay will examine the question of whether these racial differences were seen as fixed and biologically determined, or rather as susceptible to the influences of education and environmental change. This aspect of the matter seems crucial to determining the cultural role of images of race, as well as the social and political implications of such racial beliefs. To explore this issue the essay will look first at two important figures in the idealist philosophical tradition, namely Kant and Hegel, and then turn to consider a broader range of more politicized voices from the Vormärz, particularly the radicals Gustav von Struve and Julius Fröbel. It was during this latter period that Arndt offered some of his most interesting and extended observations on human difference at the level of race, in the politically charged context of thinking about national identity. To give some brief historiographical orientation, there are two main schools of thought, each of which can be found in the literature on race itself and on antiSemitism. Some authors argue that the first half of the nineteenth century did not see a biologically determinist racism of the sort that would allow fixed racial hierarchies, not in the age before the development of Darwinian evolution and Mendelian genetics. Contemporary anthropology instead typically assumed common descent or ›monogenesis‹ for all human groups, if not necessarily following the Adam 1

I would like to thank the two conference convenors and volume editors Professor Walter Erhart and Professor Arne Koch for all their efforts, and to express my gratitude towards both Professor Thomas Stamm-Kuhlmann and Professor Frank Baron for helpful advice in the process of revising the original paper for publication.

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and Eve narrative, then still stressing the essential psychic unity of the human race.2 This view comports with the notion that in German idealist philosophy the spiritmatter dualism was resolved in favor of spirit, or mind, with intellectually-driven human freedom overcoming the limits of (physical) nature in the course of human progress. Biological racism would not seem to have much of a place in such a worldview. But there is a second viewpoint in the literature which argues that this era did see at least a proto-racism, in part biologically determinist. Some authors of this persuasion focus on the development of racial doctrines as such, and point to the emergence of scientific racial classifications in the first half of the nineteenth century, as seen in the work of scholars such as Johann Friedrich Blumenbach. Other students of race come at the question through research into the origins of antiSemitism and direct attention to possible early nineteenth-century precursors of the biology-based, racist anti-Semitism of the later nineteenth century. In that earlier period, it is claimed, group characteristics could still be seen as fixed in the blood in a more rudimentary idea of heredity.3 In looking at the social or cultural construction of difference through the lens of contemporary cultural studies, the general tendency is to focus on the ideological manipulation of images of an Other in narratives of exclusion made to serve the ends of identity politics. I too look at this functional aspect of the construction of race, but I want in addition to consider the possible constraints put on such manipulation by other narratives in the surrounding culture, as here with doctrines of progress or philosophical idealism. The need to fit narratives of racial identity into preexisting representational frameworks for socio-cultural identity must have exerted some shaping influence on them. Exploration of this added contextual or inter-textual dimension leads me to argue a middle of the road position. I do ultimately stress the distinctness of racial doctrines in the idealist era as compared to the age of post-Darwinian positivism and materialism, but I also claim that at least partly biologically determinist racial doctrines were a theoretical option in the decades from the 1780s to the 1840s. On the whole, however, even where hereditarian racial conceptions were accorded an important role in narratives and worldviews, they yielded to more fundamental narrative tropes of human freedom and free will over natural determinism, and of the progressive power of culture and education over natural and innate qualities. This was true above all by the 1830s and ’40s, when liberalism was becoming an increasingly strong and optimistic 2

3

Jacob Katz: From Prejudice to Destruction: Anti-Semitism, 1700–1933. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1980, pp. 309 – 310. For anthropology and monogenesis, see George Stocking: Victorian Anthropology. New York: Free Press 1987, chs. 1 and 2. Léon Poliakov would be the classic source here, both The Aryan Myth: A History of Racist and Nationalist Ideas in Europe. New York: Basic Books 1974 and The History of Anti-Semitism. Patrik von zur Mühlen: Rassenideologien: Geschichte und Hintergründe. Berlin et al. 1977, pp. 42 – 51, also sees precursors in the first half of the nineteenth century, including materialist ideas of heredity and of the unity of body and soul (pp. 43–44, p. 49).

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cultural and political force. As we shall see, Arndt’s relative uniqueness lay less in the specifics of his ideas about racial difference than in the ways that he situated himself with respect to these larger framing narratives.

1. Ideas of Race: Arndt’s Contemporaries This essay turns first to consider the philosophical trajectory of Kant and Hegel, where ideas of race, even of race as partly natural and material did play a role, but where they were ultimately submerged in a narrative of universal progress, of ‘Freiheit’, ‘Vernunft’, or ‘Geist’ over matter and nature. Racial identity in this way tended to remain subordinate to the needs of a bourgeois social and cultural identity that emphasized the primacy of human rationality and will over the animal passions and over the constraints of external nature. To begin with Kant, he is a difficult case. His anthropology stressed the pragmatic perspective over the physiological, or as he phrased it, what man has made of man as opposed to what nature has made of man. He was accordingly skeptical, for example, of the craze for Physiognomik, or reading character from facial features.4 Yet Kant also devised a system of racial classification that turned precisely on the almost unchanging inheritance of skin color. He did so in a way that supported the idea of human monogenesis, or common descent, but he also extended his ruminations on race beyond the criterion of skin pigmentation and included mental and cultural qualities. In asides and footnotes he cast doubt on whether Gypsies, Africans, or Native Americans ever did become industrious and cultivated, even when led to it in temperate and civilized environments such as Europe or the Americas. He thought their “Trieb zur Tätigkeit” connected to “Naturanlagen” or an “innere Anlage”, which, even in a new climate, “eben so wenig erlösche, als die äusserlich sichtbare.”5 One scholar has suggested that such racial thinking did play an important role for Kant in supporting his Eurocentric bourgeois-liberal narrative of progress based on hard work, with the laziness and ineducability of other racial groups providing the negative focus for the identity of whites, but on the whole Kant did not seem to activate racial imagery in his narrative to this extent. Kant’s acceptance of

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5

Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: I. K. Werke. edited by: Wilhelm Weischedel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1964. Vol. 12, pp. 399–690, here, p. 399 for the pragmatic/physiological distinction; pp. 638 – 647 on Physiognomik. Immanuel Kant: Ueber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie. In: Werke (footnote 4). Vol. 9, pp. 137 – 170, here p. 157, and footnote pp. 157–158, quote p. 158 on Gypsies and Africans; footnote p. 162 for monogenesis. And: Von den verschiedenen Racen der Menschen zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im Sommerhalbjahre 1775. In: Werke (footnote 4). Vol. 11, pp. 9–30, here pp. 22–23 for remarks on the character of Native Americans and Africans, passim for the system of racial classification according to skin color. Also see: Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse. In: Ibid., pp. 63 – 82, here, pp. 73 – 74 for monogenesis.

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prevalent stereotypes affected his theories and robbed them of universalist implications, but they were not highlighted to pursue an ideological goal, hence racist discourse did not feature prominently in his overall historical narrative of rational progress from Eden or savagery to European civilization. Kant was much too credulous and uncritical in his acceptance of racial prejudice, but it seems difficult to argue that doctrinaire racism performed central identity-political work in his philosophical program.6 Hegel was ultimately even more solidly mind over matter, or spirit over matter, even if here too race prejudices and naturally, in part biologically defined constructions of race played a clear role in his thought. And when I say racial ideas played a role, I mean that literally – more than in Kant, racial differences were invoked to illustrate the various historical phases of human progress, from a state of abject submission to nature, as in Africa, through the Asian races on up to the various Caucasian peoples who had since filled the mainline narrative of Hegelian world history. Yet climate and geography seem to have been more central to Hegel’s conception of the influence of nature on human populations than were inherited characteristics. Hence for all that they were excluded from world history so far, in the remote tropical interiors of the African continent, Hegel explicitly stated that Africans were capable of cultivation in other circumstances. With the example of the revolution in Haiti, Africans had even moved into the ranks of the statebuilders, and hence into the realm of history, already.7 6

7

For Kant’s racism, see esp. Wolf D. Hund: Rassismus: Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit. Münster: Westfälisches Dampfboot 1999, p. 41, pp. 87–88, pp. 119–126, where pp. 124– 125 provides the idea about the laziness-work-racial hierarchy connection as well as the quote from the footnote in “Ueber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie” cited above (footnote 5). Thomas Strack absolves Kant of biological determinism and concedes that his commitment to monogenesis was meant to resolve the ethical dilemmas involved in employing scientific criteria for racial differentiation, but still finds his systematic application of the latter to have been problematic and to have facilitated the development of later biological racist doctrines: Philosophical Anthropology on the Eve of Biological Determinism: Immanuel Kant and Georg Forster on the Moral Qualities and Biological Characteristics of the Human Race. In: Central European History 29 (1996): pp. 285 – 308, here esp. pp. 291, 298 – 299. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Hegel’s Philosophie des subjektiven Geistes. edited and translated by M. J. Petry. Dordrecht and Boston: Reidel 1978 [Engl. and German]. Vol. 2: Anthropologie. pp. 53 – 62 for the mirroring of the stages of the development of Spirit in the racial hierarchy, pp. 53 – 55 on the low cultural level but educability of Africans, and the Haitian state; pp. 45 – 47 for equal rights versus polygenist arguments. For Hegel vs. physiognomy and phrenology, see ibid. pp. 423 – 425, and Hegel: Phänomenologie des Geistes. In G. W. F. H.: Werke. Eva Moldenhauer, Klaus Markus Michel (eds.). Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970. Vol. 3, pp. 233 – 260. On Africa and the transitions from Africa to Asia to Europe in the world historical sequence, see Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. In: ibid. Vol. 12, pp. 120 – 133, esp. pp. 128–129 for the only gradual abolition of slavery. Geography trumps race as the main natural influence in this treatment. For a contrary view emphasizing Hegelian racism, see Darrel Moellendorf: Racism and Rationality in Hegel’s Philosophy of Subjective Spirit. In: History of Political Thought 13, 2 (1992), pp. 243–255.

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With Hegel, we come closer to the later period of the Vormärz, where I shall focus on two figures: the Badenese democrat Gustav von Struve, and the exiled republican Julius Fröbel. Struve is more famous as a radical leader in Badenese opposition politics and the 1848 revolution, but he was also one of the foremost phrenological popularizers in Germany and thought his craniometric interests key to his politics. For Struve, not only did the physical apparatus of the brain do much to determine character and intellect in individuals, it also did so in peoples and races. And just as it was heritable in families, so too was it in racial terms, leading to a fixed racial hierarchy. Africans and Native Americans were judged incapable of becoming fully civilized even in temperate climes in North America, and even in association with the immigrant whites there. On this basis Struve went on to draw the conclusion that Africans in America should be excluded from full political rights on grounds of insufficient “moralische Kraft und intellectuelle Befähigung.”8 Struve disclaimed being a materialist or a denier of free will, but he was more determinist than Hegel or even Kant. Struve did however certainly still believe in progress, precisely because he hoped to achieve it through the application of a new science of politics, founded in part upon his rather determinist cranial science (including its racial dimension). In addition to his activities as a republican political activist and publisher, Julius Fröbel was also a natural scientist of sorts, and he paid a great deal of attention to racial characteristics and to the material influences of nature in his ethnographic and political studies. Yet Fröbel at this stage of his career was also still operating in an idealist philosophical framework and pointed to a future of Bildung for other races.9 Fröbel followed Alexander von Humboldt in denying the existence of a fixed racial hierarchy, or even of a simplistic system of racial classification, and he quoted Alexander’s quotation of brother Wilhelm to the effect that the central thread running through human history was one of Bildung: [. . .] die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes, der freien Entwicklung innerlicher Kraft, bestehendes Ganzen zu behandlen.10

Here, racial ideas were not functional components of the grand historical narrative but were rather its core content, in the old enlightenment ideal of Humanität and universal progress. The caveats of Hegel or above all Kant were left behind, and as notions of race became more integral to the political and cultural discourse, so too did they aim more at inclusion rather than exclusion of non-European groups. Such

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Gustav von Struve: Handbuch der Phrenologie. Leipzig: F. A. Brockhaus 1845, pp. 10 and 32 on causal connections between mind and body generally; Struve: Grundzüge der Staatswissenschaft. Mannheim: Selbstverlag 1847. Vol. 2, pp. 191–192 (footnote) for exclusion (incl. quote), and pp. 5 – 9 for the ineradicability of such racial differences in political terms. Julius Fröbel: System der socialen Politik. Mannheim: J. P. Grohe 1847. Vol. 1, esp. pp. 14– 22 for the idealist argument, and pp. 44, 160 – 164 for positive human freedom over natural negativity. Ibid.: pp. 254–257 versus racial typologies, and pp. 257 – 259 for the quote.

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inclusion was normative rather than pluralist, but in that assimilatory or colonialist sense it was inclusive nevertheless. And this was, I would argue, the prevalent view in the 1830s and ’40s, at least among liberals.The Young Hegelian Wilhelm Jordan echoed the master’s reference to the Haitian revolution in welcoming Africans into the circles of those who independently made world history – the Haitian experience proved, he claimed, “dass alle Formen des Menschentypus gleichermassen befähigt sind, theilzunehmen an den höchsten Genüssen, mitzuwirken an den höchsten Leistungen unsers Geschlechts.”11 Or there was the Schelling-influenced, Brussels-based professor of jurisprudence Heinrich Ahrens, the foremost exponent of natural law in Germany in this period. Like Fröbel, Ahrens launched a powerful plea for recognition of the fact that despite an unequal degree of development, all races possessed the same rational capacities and could fulfill the same rational, civilized functions.12 These are all Saxon and North German-connected figures, but for a southwestern point of reference to counterbalance Struve, consider Georg Friedrich Kolb, mayor of Speyer and author of the entry »Races of Man« in that liberal compendium the Staats-Lexikon. Kolb too took the line that the races were unequal in their current state of development, but that under different conditions this could change.13 Kolb was unusual in taking normative notions of progress in a more pluralist direction, and only too typical in not questioning the racial hierarchy as it existed historically (if not naturally) in his own time. But at least among liberals of the Vormärz, he was also quite typical in his rejection of the option of materialist or biological racial determinism in favor of a narrative of freedom and progress that stood open, at least in theory, to all the races of humankind. It was not until the 1850s and 1860s and after that theories turning more on the notion of almost unchanging heredity and fixed racial hierarchy began to find ever-more adherents, including, it must be reported, the future Social Darwinist Julius Fröbel.14

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Wilhelm Jordan: Geschichte der Insel Hayti und ihres Negerstaats. Leipzig: Wilhelm Jurany 1846. Vol. 1, p. 3. Heinrich Ahrens: Das Naturrecht oder die Rechtsphilosophie nach dem gegenwärtigen Zustande dieser Wissenschaft in Deutschland. Translated by Adolph Wink. Braunschweig: George Westermann 1846, pp. 166 – 167. Georg Friedrich Kolb: Racen der Menschen. In: Carl Rotteck, Karl Welcker (eds.): Das Staats-Lexikon. Altona: Hammerich 1842. Vol. 13, pp. 389–408, esp. here p. 408 for the more pluralist approach. For Fröbel’s later turn to Social Darwinism, see Rainer Koch: Demokratie und Staat bei Julius Fröbel: 1805 – 1893: liberales Denken zwischen Naturrecht und Sozialdarwinismus. Wiesbaden: Steiner 1978. For further discussion of racial views in the Vormärz, see Brian Vick: Defining Germany: The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2002, pp. 34–39.

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2. Arndt, Race, and Framing Narratives Now comes the obviously paramount question for the present essay, namely, that of where Ernst Moritz Arndt fits into this spectrum of opinion. I remarked at the outset that he was a racist, and that he was so in ways that were somewhat unusual at the time; now I can be more precise and say that up to a point he was a biologically determinist racist, not just sharing the racial stereotypes of the day, but going against the prevailing trend of considering racial differences to be removable over the course of time through education. I say up to a point because Arndt was a rather conflicted racist when it came to the natural or biological dimension in defining human groups. In particular,Arndt’s views on religion and on historical progress came into play here as larger framing narratives that shaped his views on race. Importantly, his attitudes towards both religion and progress changed over time, a fact which goes some way to explain the increasing divergence of his opinions about race from those of his contemporaries. For Arndt’s ideas of race in the Vormärz this essay will concentrate on his popular 1843 work Versuch in vergleichenden Völkergeschichten. The book is primarily a comparative discussion of the various European nationalities, but the newlyreinstated Professor Arndt also set forth his views on supposed larger-scale groupings within the human race more generally. To a greater extent than probably anyone else of whom I am aware, Arndt put the differences between races into a biological, even incipiently eugenicist context, and insisted on the permanent, ineradicable nature of these differences. Arndt did explicitly commit himself to the monogenist interpretation of the human race as a single species, descended from a single original pair, but he also claimed that there was an original “character indelibilis” in human populations, one that would insure that the day of the “Entarteten” and the “Versunkenen” would never come, that the “Hottentots” would never be the equals of the English.15 Anything is possible to God, of course, he admitted, but “das Unmenschliche können wir nicht glauben, dass aus dem Hagedorn eine Eiche werden kann” (p. 12). Heredity, in other words, put limits to human development in the same way as for other natural species. The image of the oak in this respect seems significant. At the very least it recalls Aristotle’s reflections on the notion of entelechy, or the development of a natural entity from its origins to its full and final purpose, as with the acorn that becomes an oak. But the oak tree, as one of the primary symbols of German national identity, may also suggest the extent to which Arndt thought of white Europeans, and above all Germans, as the pinnacle of humankind. And given the purport of this quotation, that would mean not just a quantitative superiority to others, but a qualitative difference thought to be unbridgeable, according to a line of development pre-programmed by nature. Moreover, it was not just Africans who came off badly in Arndt’s appraisal of the various ostensible racial groups; he also extended such opinions to Native Americans and to Pacific islanders. With regard to the notion of human progress, he remarked 15

Ernst Moritz Arndt: Versuch in vergleichenden Völkergeschichten. Leipzig: Weidmannsche Buchhandlung 1843, p. 9 for monogenesis, pp. 11 – 12 for the quotes.

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in quite bleak and troubling terms: “Veredelung, Wildlinge, Christenthum, Aussterben. Diese unterstrichenen Wörter sind inhaltschwer. Man höre: Es ist ein eigenes Ding um die Veredelung [. . .] Man gehe hin zum Gärtner und lerne von ihm” (p. 13). What one learned from this eugenicist line of thought was that in creating hybrids the gardener did not use just anything to hand, but rather selected only the best materials for his efforts. Of the Tahitians and others Arndt concluded: “Er scheint wie jene Amerikaner aussterben und dauerhafteren und bildungsfähigeren Geschlechtern Platz machen zu wollen” (pp. 14–15). Such views seem to mirror those of Kant in their juxtaposition of racial hierarchies and human perfectibility, yet for Arndt the dire developmental consequences of racial difference and inferiority formed an integral part of the progressive process itself, as weaker groups yielded to stronger ones. Moreover, the limits set to the achievements of individual groups seem firmer and the overall notion of progress weaker and less central in Arndt’s account. It is in fact precisely in this context of a weaker notion of progress that the conflicted nature of Arndt’s views of historical and human development emerged most strongly. Unlike any of the figures mentioned so far, Arndt held at least partly to an older, declinist view of human history in which an originally perfect humanity had degenerated or become ‘entartet’ in an early phase of development, only to struggle back to the best of its ability in the long millennia since. In racial terms, however, this declinist view meant that Arndt saw Africans, Native Americans, and others as having been molded into indelibly different, and inferior, forms and characters during a period in which humans were apparently either more malleable or were subjected to natural forces greater than those of his own day. Having been set in such a period, these racial differences could therefore not be removed under current conditions (p. 10).16 Again, these views were not so different from those of Kant, but, also again, Arndt seemed to carry over the physical differences into the realm of the intellectual and cultural more fully than did Kant. Notions of decline and degeneration did not sit well in the framework of the liberal Kant, much less those of the other figures treated here (including Struve), and therefore mark Arndt out as distinct. While Arndt did not then go on to invoke racial mixing to explain a purported European cultural decadence, students of racial views later in the nineteenth century will recognize elements of the conservative racism of those following in the wake of the Comte de Gobineau. This similarity begins to raise once more some old questions about how far Arndt can be situated among the democratic radicals of the Vormärz, as opposed to placing him amongst the conservatives. Arndt’s conservative credentials look even better when one takes into account the other main source of his declinist view of human history, namely, his intense religious convictions. Strong religiosity by no means excluded one from the ranks of the radicals, as the examples of the “Giessener Schwarze” émigré Karl Follen or 16

Cf. ibid. p. 7, where Arndt claimed that nothing is certain about early human origins, including whether they sprang from animals or degenerated from an angelic beginning in accordance with the Biblical narrative; but later Arndt clearly seemed to accept the notion of “Entartung”.

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the Berlin theologian Wilhelm de Wette show. On balance, however, acceptance of religion as a primary component of one’s life and identity did tend to incline one towards a more backward-looking, nostalgic reform conservatism of a Stein, a Gerlach, or a Chateaubriand. Arndt’s post-Edenic, declinist view of humanity ultimately framed his whole approach to anthropology, and to the study of other races in particular, for he thought that one should not begin the study of humankind with the primitive and the physical but should rather start with the more perfect and spiritual and only then examine the others, or as he expressed it,“von den Gearteten abwärts die Entarteten betrachten” (p. 5). In part Arndt was clearly uncomfortable in thinking of Europeans as closely related to other groups, but this perspective also revealed his profound struggle to relate the study of humankind and human history to an overall divine plan or divine purpose, in which degeneration, like other seeming evils, required some explanation. Arndt’s anthropology, like his view of history, had in other words to confront the problem of constructing a theodicy. If in some ways declinist or degenerationist views deriving from Christian narratives reinforced Arndt’s racism, however, his religious convictions at the same time placed important limits on that racism, particularly on its biological dimension, which is why I have stated that Arndt was only racist up to a point, or was at most a conflicted racist. If Arndt was uncomfortable in juxtaposing Europeans with socalled aboriginal peoples, at a much more general level he was simply disinclined to analyze humans as purely physical creatures rather than as God’s creation, filled with spiritual qualities and spiritual purpose. Even the most “heruntergekommenen” or “versunkenen Völker” still bore the traces of their divine origin, and there was at least some hope of salvation for them (p. 6). From the standpoint of a Christian salvation narrative, in other words, putting the spiritual above the merely physical also blunted the otherwise bleakly determinist edge to Arndt’s account. Arndt’s contribution of 1843 did not represent his only extended treatment of the question of race. He had also dealt at some length with such matters in his Habilitationsschrift at the University of Greifswald, the Dissertatio wider Rousseau of 1800, written when he was still only thirty years of age. The piece offers an interesting baseline for diachronic comparison in the present discussion in several key respects. First of all, the racial prejudices and stereotypes invoked by the young Arndt matched those of his older self very closely. Once more Africans and Native Americans came off particularly badly, nor were the South Sea islanders admitted to be exceptions to the uncivilized rule.17 The principal alteration in the racial 17

Ernst Moritz Arndt: Historisch-Philosophische Erörterung, die einige Gründe aufstellt, mit denen die Zivilisation gegen die Einfälle Rousseaus und Anderer verteidigt werden könnte. In:Albrecht Dühr, Erich Gülzow (eds.): Gerettete Arndt-Schriften.Arolsen:WeizackerVerlag (Kassel: Karl Basch Verlag) 1953, pp. 1 – 51, here, pp. 15–17 for Africans and inhabitants of the tropics, pp. 23 – 25 and 27 – 31 for Native Americans, and p. 31 for inhabitants of the South Seas. I am greatly indebted to Professor Frank Baron of the University of Kansas not only for pointing to the existence of the German translation of Arndt’s dissertation but also for procuring a copy for me from the wonderful collections there in Lawrence.

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hierarchy involved Arndt’s placement of the inhabitants of the polar regions at the bottom, a position which shows how the younger Arndt was still quite tied to enlightenment notions of the primacy of climate among natural influences on humanity, as had been the case with Montesquieu, Herder, or, here, Hegel (pp. 13–15). As with his somewhat materialist emphasis on climatic determinism, the Arndt of 1800 did not reveal a religious orientation to his anthropology to anything like the same degree as the Arndt of 1843. He still highlighted the psychic unity of the human race, and the spiritual qualities of humankind over the physical, but spiritual here connoted more the intellectual powers of human reason, as seen in Kant or Hegel or secular enlightenment thought generally, rather than any specifically religious or Christian emphasis on the relationship to the divine. He expressed skepticism about certain religiously unorthodox views of nature, including pantheism, reincarnation, and soulless materialism, but this represented his nearest approach to an expression of traditional religious values in the piece (p. 11). Even his frequent references to notions of higher morality as a yardstick of civilization remind one more of the Aufklärung and Kant than anything ecclesiastical or Biblical. Another central difference between the younger and the older Arndt concerns the former’s more progressive historical orientation. Rousseau had notoriously and provocatively articulated a declinist narrative of history of his own, if from a nonChristian secular, or at least secularized Christian viewpoint, and it was precisely this critique of civilization by the anti-progressive Rousseau that Arndt wanted to combat in his polemical dissertation. Arndt did continue to make use of the term ‘entartet’ (cf. pp. 17, 25) but it seems clear that he did so in a more general derogatory sense, or in that of departure from a white European ideal, rather than adducing the doctrine of a decline from a higher form (and here certainly not in the religious context). The closest he came to the latter was in his explanation of why Native Americans, though inhabiting temperate climates, should still be among the least civilized peoples, where he cited Buffon’s theory that the New World was a late and insufficiently developed addition to the earth, both in its history and its natural history (p. 25). Interestingly given his future role as an awakener of German national identity and a national mythology, Arndt even tempered his admiration of the ancient Germanen in accordance with his progressive narrative; if not barbaric and uncivilized to the extent of Native Americans, they were still primitive, and no proof of the existence of a Rousseauan noble savage (pp. 19–21, 33). While the elder Arndt foregrounded a religious framework and allowed a declinist view of history to coexist uneasily with a continued adherence to notions of progress, the younger and more secular Arndt was unequivocally progressivist in his cultural commentary. Alongside the previous stances on issues of spirituality and the direction of history, it comes as no surprise to find Arndt still committed to a republican rather than a conservative agenda in his earlier work. In addition to their general state of knowledge and their capacity to sustain an industriously prosperous agricultural or commercial society, the various racial groups identified were also ranked according to their conceptions of politics and their ability to govern themselves in properly

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democratic fashion, in “gute und weise eingerichtete Freistaaten” (cf. pp. 13, 15, 17, 19, 39–41, quote p. 19). To this extent, while attacking Rousseau’s classical republican admiration for Sparta and the primitive virtues of simplicity, Arndt remained a republican and found ways to situate that commitment within the progressive historical narrative of emerging civil society (pp. 33 – 35, 45). It is certainly possible to see the introduction of the political and cultural yardsticks as buttresses to the young Arndt’s racial doctrines, but in the end it seems more likely that the racial ideas served the needs of his mixed republican and commercial bourgeois agenda (and they were certainly central there). Even the remarks on morality as a measure of civilization among the ostensible races tended to focus upon the treatment of women and the sanctity of monogamous marriage, an approach which accorded with the formative role of gender in emerging liberal doctrine (cf. pp. 11, 15, 17, 29, 41, 45).18 While the actual topoi of the racial stereotypes and prejudices remained rather stable across Arndt’s life, therefore, the rest of the explanatory apparatus changed quite dramatically to suit the altered outlook and agenda of his later years, in terms of his developing relationship to the framing narratives of religion, politics, and history. Scholars have come to rather divergent conclusions regarding the origins of nineteenth-century racism, and the relative acceptance of racism on the secular left and the conservative or religious right.19 In this context Arndt’s experience presents rather a salutary case that enjoins caution. Degeneration and lapsarian notions of humanity could instill a harsher view of racial difference that fit more easily into a religious than a secular progressive framework, yet strong religiosity also set boundaries to the willingness to analyze human groups from a solely biological or scientific point of view and encouraged the tendency to see all peoples as part of a larger, unified human race. Arndt has always been difficult to categorize politically as either a radical, a liberal, or a conservative. Similarly,Arndt remains rather unusual in his partial attachment to certain aspects of the secular liberal worldview alongside his conservative and religious rejection of other components of that doctrine of progress. Arndt’s experience becomes even more cautionary when one takes into account the elements of continuity and change in his views of race, religion, and historical progress in the period from 1800 to the 1840s. In conclusion and by way of stimulating discussion, I would like to point out a couple of other limits to Arndt’s racism, ones that again go against the grain of current scholarship on Arndt and on German nationalism of the first half of the nineteenth century. In the literature, particularly that focusing on anti-Semitism, Arndt 18

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On the connection between gender and liberalism in the German context, see Isabel V. Hull: Sexuality, State, and Civil Society in Germany, 1700 –1815. Ithaca, New York: Cornell University Press 1996. And Ursula Vogel: Patriarchale Herrschaft, bürgerliches Recht, bürgerliche Utopie: Eigentumsrechte der Frauen in Deutschland und England. In: Jürgen Kocka (ed.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. München: dtv 1988. Vol. 1, pp. 406 – 438, esp. here, pp. 434 – 435. Emphasizing the left and the importance of religious attitudes, Léon Poliakov: The Aryan Myth (footnote 3), the right, Patrik von zur Mühlen (footnote 3).

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figures as an early racist in the sense that his völkisch national identity was based on biological descent, glamorizing the noble Germanic warriors of the past and excluding Jews from the physical body of the German nation. Germans were said in Arndt’s view to have retained their original ethnic purity. And it is certainly true that Arndt valued notions of lineal descent, whether in talking of Germans or of the continuities between the ancient Greeks and those of his own day. Yet as I have argued elsewhere, Arndt did not in fact posit purity as a characteristic of modern Germans, nor for that matter of the Greeks.20 Similarly in the case of Arndt’s anti-Semitism – scholars still tend to portray it as in a way a modern form of anti-Semitism, including even a proto-racist dimension, but I am not convinced. I prefer to term his occasional outbursts rather anti-Jewish than anti-Semitic, and would stress that they were in fact more occasional than central to his propagandistic or scholarly output. In the context of the 1843 work under discussion here, it is significant that Arndt included the ancient Israelites among the progressive world-historical peoples feeding into modern culture and civilization.21 And in the context of the present investigation of biologically determinist racism, it is clearly significant that when addressing the Jewish Question in the 1840s, Arndt thought it sufficient for Jews to convert to Christianity to be accepted as members of the German nation.22 So this leaves us with a rather contradictory view of Arndt, as not particularly racist in his treatment of national identity or of German Jews, and even when he was racist in dealing with Africans and Native Americans, as rather conflicted, trying to negotiate the influences of older religious and newer scientific discourses in an age that tended to polarize toward either one or the other.

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For recent treatments of romantic nationalists as racist anti-Semites, see Matthew Levinger: Enlightened Nationalism: The Transformation of Prussian Political Culture, 1806– 1848. New York: Oxford University Press 2000, pp. 115–120; and with specific reference to Arndt, Liah Greenfeld: Nationalism: Five Roads to Modernity. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1992, pp. 382 – 385 generally, and for Arndt’s racist purist German identity, 368–369; and Karen Hagemann: “Männlicher Muth und teutsche Ehre”: Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preussens. Paderborn: Schöningh 2002, pp. 242 – 244, 248 – 250, and esp. 262 – 263, where Arndt feared “Entartung” if Jews were given equal rights after 1814, but where their conversion to Christianity is also seen as still solving the problem, a position which seems to cast doubt on the racial dimension of his anti-Jewish sentiments. For my contrary view regarding Arndt and German ethnic purity, see Brian Vick: The Origins of the German Volk: Cultural Purity and National Identity in Nineteenth-Century Germany. In: German Studies Review 26 (2003): pp. 241– 256, here pp. 245 – 246; and Vick (footnote 14), pp. 58–59, 243–244 (endnote n. 22). On the Greeks, Arndt (footnote 15), pp. 50 – 52. Arndt (footnote 15), pp. 18 – 21, where the Hebrews were even likened to the ancient Greeks. Vick (footnote 14), pp. 93, 255 endnote n. 25, citing letters of 1843 from Ernst Moritz Arndt: Briefe. Edited by Albrecht Dühr. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, pp. 97–98, 108– 109. And from Annegret Brammer: Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preussen 1812 bis 1847 mit einem Ausblick auf das Gleichberechtigungsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1869. Berlin: Schelzky & Jeep 1987, pp. 83 and 430 (endnote n. 45a).

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Arndt und Kosegarten – zwei rügische Dichter zwischen Gott, Napoleon und Nation

Arndt und Kosegarten drängen sich einem Vergleich förmlich auf, wenn man der immer wieder erhobenen Forderung, Arndt aus der Geschichte heraus zu begreifen – die ja eigentlich nach Alternativen fragt –, entsprechen will. Arndt den Geistesgrößen seiner Zeit wie Kant, Fichte, Schiller, Goethe gegenüberzustellen, hieße nicht nur Arndts geistige Klasse zu überschätzen, sondern auch Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die Biographien Arndts und Kosegartens weisen hingegen nicht nur zahlreiche Berührungspunkte auf, sondern sind auch vielfach gleichartigen Entwicklungsbedingungen unterworfen gewesen. Sie unterscheiden sich zwar nach ihrer Herkunft, doch weisen ihre Lebensläufe, ihr geistiges Umfeld und die geschichtliche Wirklichkeit, mit der sie sich auseinandersetzen mussten, auf den ersten Blick sehr viele Gemeinsamkeiten auf. Beide haben sich in jungen Jahren zur geistlichen Laufbahn berufen gefühlt und schließlich in Greifswald Theologie studiert. Als Dichter der Romantik sind sie aus der pommerschen Literaturgeschichte nicht fortzudenken. Sie haben pädagogische Ambitionen und Konzepte verfolgt und entwickelt. Das Leben auf Rügen und die tiefe Verbundenheit zu seinen ländlichen Bewohnern hat ihr Werk und Denken bis ans Lebensende beeinflusst. Schließlich haben sich beide, wenn auch an unterschiedlichen Wendepunkten ihres Lebens und aus unterschiedlichen Gründen zur Aufgabe der geistlichen Laufbahn entschlossen und akademische Ämter angestrebt. Beide sind durch das spezifische soziale, kulturelle und politische Umfeld SchwedischPommerns geprägt. Auch hinsichtlich des literarischen Erfolges sind sie in ihrer Zeit durchaus vergleichbar. Kosegartens Werke, insbesondere seine Dichtungen waren nicht weniger in Deutschland verbreitet als Arndts Schriften und erlebten zahlreiche und hohe Auflagen. Franz Schubert, Karl Friedrich Zelter und etliche andere Komponisten vertonten Kosegartens Lyrik, auch wenn die Lieder sich nicht einer ähnlich breiten Rezeption erfreuten wie Arndts vaterländische oder geistliche Lieder. Kosegarten beeinflusste Caspar David Friedrich, und Philip Otto Runge zählte zu seinen Schülern. Gottfried Keller hat Kosegartens Legenden in einem populären Buch verarbeitet und Heinrich von Kleist hat eine Reihe von Kosegartens Motiven seinem erzählerischen und dramatischen Werk einverleibt. Reizvoll ist der Vergleich insbesondere, da beide Männer, trotz dieser gleichartigen Prägung am bedeutendsten historischen Wendepunkt ihrer Generation, nämlich während der napoleonischen Besetzung und der Befreiungskriege 1806 –1813 zu ganz entgegengesetzten politischen Einsichten fanden. Das hat früher schon zu Vergleichen herausgefordert, die allerdings eher auf die politische Wirkungsgeschichte zielten und deren Ausgangspunkt stets ein durch die unmittelbaren

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historischen Gegebenheiten bestätigtes, fast immer ideologisch begründetes, positives Werturteil über Arndt bzw. ein ebenso abschätziges über Kosegarten war.1 Die folgende Darstellung will diese Perspektive einmal umkehren und die Wirkung der geistigen Strömungen der Zeit auf das Denken von Arndt und Kosegarten anhand dreier grundlegender Problemstellungen untersuchen, die den Intellektuellen des späten 18. Jahrhunderts umgaben: die Religion, das Verhältnis zur Romantik und die Vorstellung von der Nation. Natürlich verschwimmen diese Bereiche ineinander und lassen sich auch in der Darstellung nicht einwandfrei trennen. Die literarischen Quellen für die Beziehung zwischen den beiden bedeutendsten rügischen Dichtern ihrer Zeit sind auf den ersten Blick äußerst dürftig. Arndt erwähnt Kosegarten in seinen Erinnerungen aus dem äußeren Leben ganze zwei Mal namentlich, Kosegarten nennt Arndt in seinem Werk gar nicht. Dafür gibt es viele indirekte Anspielungen in Kosegartens und Arndts Schriften der Jahre 1812–1815, in denen die politischen Ansichten des jeweils Anderen eine Rolle spielen.2 Was die historischen Quellen betrifft, soll Gerüchten zufolge noch in den 50er Jahren ein Schrank in der Kirche von Altenkirchen einen Briefwechsel Arndts und Kosegartens enthalten haben, der aber – wenn er denn tatsächlich existiert hat – heute unauffindbar ist.3 Auch die Tagebücher Kosegartens, die seinen Biografen in der Mitte des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch vorlagen und einiges über das Verhältnis der beiden Männer enthalten könnten, sind heute verschollen. Dafür gibt es eine vergleichsweise große und bislang kaum ausgewertete amtliche Überlieferung, insbesondere im Zusammenhang mit den akademischen Karrieren Arndts und Kosegartens, die hier herangezogen werden können. Arndt, der 1769 als Sohn eines Freigelassenen in Groß Schoritz auf Rügen geboren wurde, hat das Bewusstsein der eigenen Herkunft nie mehr verlassen. Das Haus der Familie war gekennzeichnet von Bibelfrömmigkeit und einfacher Lebensweise, aber keineswegs kleinbäuerlich. Der Vater avancierte 1776 zum Verwalter der Schoritzer Güter des Grafen von Putbus und schließlich zum Pächter. Der junge Arndt verlebte seine Kindheit in Schoritz und später in Dumsewitz recht 1

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Vgl. Heinrich Ulmann: L. G. Kosegarten und E. M. Arndt als literarisch-politische Gegenfüßler i. J. 1813. In: Pommersche Jahrbücher 10 (1909), S. 3–23 und Bruno Markwardt: Greifswalder Dozenten als Dichter. Zur Würdigung E. M. Arndts und G. L. Kosegartens. In: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald, Bd. 1, 1956, S. 227–260. Eine Neubewertung Kosegartens forderte für die Literaturgeschichte der DDR interessanterweise 1989 Bernd Schattinger: Ludwig Gotthard Theobul Kosegarten – ganz sicher kein stiller Dorfprediger. In: Kiek in. Mecklenburgische Beiträge zum Literaturerbe. Schwerin 1989, S. 27–34. Vgl. Ulmann: L. G. Kosegarten und E. M. Arndt als literarisch-politische Gegenfüßler i. J. 1813. (Anm. 1). In dieser Tradition steht auch Lewis M. Holmes: Kosegarten – The turbulent life and times of a northern german poet, New York: Peter Lang 2004, v.a. S. 181ff. – allerdings mit dem wissenschaftsgeschichtlichen Abstand eines Jahrhunderts und einer politisch entgegengesetzten Perspektive. Katharina Koblenz: Arndt auf Rügen: Altenkirchen. In: Hefte der Ernst-Moritz-ArndtGesellschaft 1 (1992), S. 37.

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ungestört und verdankt dieser Zeit sein besonders inniges Verhältnis zur ihn überall umgebenden Natur. Als die Familie 1780 als Pächter nach Grabitz übersiedelte, erlangte der Vater einen ausreichenden Wohlstand, so dass auch für den jungen Arndt der Privatunterricht durch Hauslehrer beginnen konnte. Hier in Grabitz begegneten sich Arndt und Kosegarten zum ersten Mal. Kosegarten war elf Jahre älter als Arndt und wurde 1758 in Grevesmühlen in Mecklenburg als fünftes Kind einer angesehenen Pastorenfamilie geboren. Seine Mutter starb vier Jahre nach der Geburt. Er war wohl das, was wir heute als hochbegabt bezeichnen würden. Der Vater ließ ihn früh durch Hauslehrer unterrichten, so dass der Junge mit 14 Jahren bereits Latein, Französisch, Griechisch und Hebräisch beherrschte. Ein Jahr später begann der Vater seinen Sohn in der Theologie zu unterrichten und wiederum ein Jahr später legte der junge Kosegarten seine erste Sammlung lyrischer Gedichte an, die freilich ungedruckt blieb. Kaum 18jährig, bezog er 1775 die Universität Greifswald zum Studium der Theologie. Von seinen damaligen Kommilitonen blieb ihm Johann Gottfried Quistorp, der spätere akademische Zeichenmeister und Lehrer Caspar David Friedrichs, ein enger Freund bis ans Lebensende.Aus finanziellen Gründen musste Kosegarten schon zwei Jahre später die Universität wieder verlassen und verdingte sich nun als Hauslehrer. Zuerst 1777/78 in Bergen auf Rügen bei der Familie von Wolffradt, dann 1778/79 in Boldewitz bei Familie Wewetzer, danach 1779/81 in Zansebuhr bei Familie von Kantzow, 1781 bei den von Flotow auf Reez und schließlich 1782 – 85 bei den von Kathen in Götemitz. Kosegarten war zu dieser Zeit schon ein bekannter Mann auf Rügen. Er hatte in kurzer Folge zwei Gedichtbände und zwei Schauspiele veröffentlicht. Bekannter war er aber wegen der Skandale, die seine unglückliche Liebe zu Caroline von Wolffradt und später zu Dorothea von Hagenow auslöste und die ihm beim rügischen Adel den Ruf eines jugendlichen Unruhestifters eingebracht hatte. Als Hauslehrer in Götemitz kam Kosegarten schnell in Kontakt mit anderen jungen Gelehrten, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls als Hauslehrer verdienen mussten. Einer von ihnen war Gottfried Dankwardt, der die Arndtschen Kinder unterrichtete. Gemeinsam mit ihren Zöglingen unternahmen sie weite Spaziergänge in der Natur. Dabei war Kosegarten auch oft zu Gast in Grabitz. Ob Kosegarten den jungen Arndt schon wahrgenommen hat, wissen wir nicht. Jedenfalls erwähnt er ihn nicht in seinen Tagebüchern. Für den jungen Ernst Moritz hingegen war Kosegarten eine Lichtgestalt.Er erinnert sich später:»Das Leben wehte frisch anhauchend aus der Luft der Zeit und ward nicht bloß von himmelstürmenden Jünglingen, wie Kosegarten und Hagemeister, in unser Haus hineingeblasen.«4 Bald darauf (1785) verließ Kosegarten Rügen, um das Rektorat der Wolgaster Stadtschule zu übernehmen, während Arndt auf das Gymnasium nach Stralsund

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Dazu Hermann Franck: Gotthard Ludwig Kosegarten. Ein Lebensbild. Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1887, S. 121 und Ernst Moritz Arndt: Erinnerungen aus dem äußeren Leben, hg. v. Friedrich M. Kircheisen, München, Leipzig: Müller 1912, S. 46, auch ebenda S. 34: »Dieser [Hagemeister] und der überfliegende Kosegarten zündeten manches an und erregten das Leben [. . .]«

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geschickt wurde. Anders als Kosegarten, dem man nachsagte, schon im Alter von 16 Jahren 15 bis 17 Stunden am Tage mit dem Lesen und dem Studium verbracht zu haben und der sich als Student im Treiben der Universitätsstädte Rostock und Greifswald und deren Gesellschaften recht wohlgefühlt hatte, ertrug Arndt weder die Last der Bücher noch das kleinstädtische Leben, das ihm in Stralsund begegnete. Er brach förmlich darunter zusammen und lief davon. Als er auf seiner Irrfahrt südöstlich von Greifswald durch Zufall erkannt wurde, holte sein Vater ihn nach Hause zurück und gewährte ihm eine anderthalbjährige Besinnungspause. 1791 bezog Arndt – recht spät für sein Alter – die Universität Greifswald. Er fand sie gegenüber der Zeit Kosegartens relativ unverändert vor. Zu den gemeinsamen Lehrern beider Männer gehörte auch der Philosoph Muhrbeck, ein Schwede, eingefleischter Wolffianer und heftiger Gegner Kants.5 Arndt berichtet über ihn: dieser alte Schwede war von unendlicher Lebhaftigkeit und Heftigkeit; noch klingt mir’s in den Ohren, wie er wenn er meinte, Kant in den Temperamenten aller vier Winde zusammengehauen zu haben, im Feuer seines philosophischen Zorns im gebrochenen Schwedisch-Deutschen ausrief: ›Und nun? Was will du nu, Kant, Vir juvenis?‹6

Muhrbeck war ohne Zweifel der für Arndt anregendste Lehrer, wie er es auch für Kosegarten 16 Jahre zuvor gewesen ist. Dieser hatte ihn den »menschenfreundlichsten Weisen, der, wenn er den Verstand aufklärt, auch das Herz nimmer leer lässt«7 genannt. Die Wirkung dieses Unterrichts auf die Schüler war allerdings recht unterschiedlich. Kosegarten kam als theologisch gefestigter Pastorensohn nach Greifswald.8 Ihm konnte es kaum etwas anhaben, wenn er bei dem radikalen Wolffianer Ahlwardt, der sich fast völlig von der Kirche entfremdet hatte, oder bei Muhrbeck, der keinen Hehl aus seiner Vorliebe für eine natürliche, gegenüber der verfassten Kirche gleichgültige Theologie machte,9 studierte. Arndt hingegen war seiner tiefen Jugendkrise kaum entwachsen, ein Religionssucher, der der Kirche und dem Christentum, aus dem sie entwachsen war, skeptisch gegenüber stand.10 Arndt lernte bei Muhrbeck die Philosophie Kants verachten, die indes in Jena, wo er anschließend studierte, längst in die Theologie eingeführt war. Kant würde, so schrieb Arndt später, »durch seine neue Philosophie dem Menschen das Verlorene nicht wiederbringen, sondern im besten Falle eine neue Sekte begründen«.11

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Helmut Beug: Heinrich Ehrenfried Warnekros und die pommersche Geistesgeschichte in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Phil. Diss. Greifswald: Bamberg 1938, S. 42f. Arndt: Erinnerungen aus dem äußeren Leben (Anm. 4), S. 75f. Franck: Gotthard Ludwig Kosegarten. Ein Lebensbild (Anm. 4), S. 44. Zur theologischen Prägung Kosegartens vgl. Rudolf Ziel: Die Kosegartens. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Dritte Folge 57 (1938), S. 459 –522. Vgl. Günther Ott: Ernst Moritz Arndt. Religion, Christentum und Kirche in der Entwicklung des deutschen Publizisten und Patrioten, Düsseldorf: Presseverband der evangelischen Kirche im Rheinland 1966, S. 73. Ott: Ernst Moritz Arndt (Anm. 9), S. 120. Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa, Altona: J. F. Hammerich 1803, S. 135f.

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Kosegarten nahm Kants praktische Philosophie ganz anders auf. Sein Vater hatte Kant verehrt und ihn mit dessen Denken vertraut gemacht12 – auch der Student Kosegarten machte sich die Kantschen Gedanken bald zu Eigen. Er stellte seinen 1790 erschienenen Rhapsodien eine mehrere Seiten füllende Widmung voran, für den Mann, »der mein moralisches Selbst mich recht würdigen und dem Idol des wahrhaftig aufgeklärten und rechtschaffenen Menschen, Pflicht genannt, mich einzig huldigen lehrte« und dessen Kritik der praktischen Vernunft man nicht lesen könne, »ohne ihrem ebenso gefühlvollen wie tief denkenden Verfasser um den Hals zu fallen.«13 Im ein Jahr später erschienenen Roman Hainings Briefe an Emma betreibt Kosegarten eine »unauffällige Literaturpropaganda der Aufklärung«, insbesondere für die Werke Kants und Rousseaus.14 Es erscheint hier notwendig, so ausführlich auf Kant einzugehen, weil sich im Verhältnis zu ihm auch die Akzeptanz seines kategorischen Imperativs spiegelt. Danach sollten die eigenen Handlungen auf Prinzipien beruhen, von denen man sich selbst wünschte, sie wären allgemeine Gesetze. Die Vorstellung, dass das, was richtig und was falsch ist, abhängig von der Situation oder dem Zusammenhang sei, in dem man es tut, war damit irrelevant. Genau hier unterscheiden sich unsere Protagonisten in ihren späteren politischen Äußerungen erheblich. Von der Nagelprobe sind beide aber noch weit entfernt. Arndt verließ Jena 1794 und kehrte nach Löbnitz zu seiner Familie zurück, bevor er 1796 das theologische Examen in Greifswald ablegte. Hier erhielt er, vielleicht durch die Vermittlung seines Studienfreundes Karl Nernst, die Einladung Kosegartens, als Hauslehrer nach Altenkirchen zu kommen. Begegnet waren sich beide wohl schon 1795, als Kosegarten Arndt einen Ausspruch Zarathustras ins Stammbuch schrieb: »Suche Wissenschaft als wärest du ewig hieniden! Tugend als hielte der Tod dich schon an fliegendem Haar!«15 Kosegarten hatte, nachdem er zuvor die Wolgaster Stadtschule geleitet hatte, 1792 vom schwedischen König die reiche Pfarre Altenkirchen auf Rügen verliehen bekommen, wofür er einen gleichzeitigen Ruf an das kaiserliche Lyzeum in Riga abgelehnt hatte. Inzwischen hatte er auch die Tochter seines alten Freundes, des Pastors Linde in Kasnevitz auf Rügen, geheiratet. Sein geistliches Amt nahm er sehr ernst. Davon zeugen heute noch die Kapelle in Vitt und die gedruckten Uferpredigten, aber auch die warmherzige Schilderung des Lebens seiner Gemeinde in den Lebenserinnerungen.

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Ziel: Die Kosegartens (Anm. 8), S. 472. Vgl. auch Karl Vorländer: Immanuel Kant. Der Mann und das Werk. Wiesbaden: Fourier 1992 (3), S. 422f. Schattinger: Ludwig Gotthard Theobul Kosegarten – ganz sicher kein stiller Dorfprediger (Anm. 1), S. 28 Vgl. Stammbuch Ernst Moritz Arndts in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Kunstund Stadtgeschichtliche Sammlungen.

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Arndt hat in Altenkirchen viel von seinem Mentor gelernt. Kosegarten war ein sehr pragmatischer Prediger, der – bei allem intellektuellem Abstand – den Nerv seiner Gemeinde zu treffen versuchte. Er beschreibt das selbst recht anschaulich: »ich habe mich zerarbeitet zu predigen über Ökonomie, die Diätetik, und was sonst nicht alles [. . .] habe getrieben den Gesundheitskatechismus [. . .] wenig fehlte und ich hätte auch Brot backen und Bier brauen gelehrt.«.16 Auch Arndt gelangen einige schöne Predigten, aber gerade in dieser Zeit scheint ihm klar geworden zu sein, dass der Pastorenberuf nichts für ihn war. Sicher haben beide Männer häufiger über die Gemeinde gesprochen, und Kosegarten wird mit seiner Meinung zur Leibeigenschaft gegenüber dem Jüngeren, der zumal der Sohn eines Freigelassenen war, nicht hinterm Berg gehalten haben. Er meinte nämlich, es handle sich bei der Leibeigenschaft um ein »dem Staate nicht minder als den Individuen so schädliche[s] System«,17 und hat mehrfach versucht, das Legen von Bauernstellen zugunsten der Pachtgüter zu verhindern. Hier gab es sicher Berührungspunkte mit Arndt und einiges davon wird neben anderen Anregungen auch in den Arndtschen Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen eingeflossen sein. Leider wissen wir recht wenig über das, was sich in Altenkirchen abspielte. Beide haben diese gemeinsame Zeit in ihren Lebenserinnerungen nur mit dürren Worten erwähnt. Die wenigen zeitgenössische Briefe Arndts an seine Mutter und spätere Reflexionen stellen diese Zeit aber als eine Art Befreiung und hoffnungsvollen Aufbruch dar.18 Sicher wissen wir nur, dass man auch über Dichtung sprach. Denn Kosegarten ermöglichte es Arndt, wie später auch anderen, erste Arbeiten, nämlich eine kleine Sammlung von Gedichten, bei einem Düsseldorfer Verleger zu veröffentlichen.19 Der Tod zweier Kinder Kosegartens (Julie und Emil, 1797) warf einen Schatten auf Arndts Aufenthalt in Altenkirchen. Zugleich war seine alte Liebe zu Charlotte Quistorp hier neu entflammt und er nahm bald, da er nun entschlossen war keinesfalls Pfarrer zu werden, seinen Abschied. Was von diesem Jahr blieb, war die enge Verbundenheit Arndts mit Kosegartens ältester Tochter Allwina, mit der er noch im Greisenalter Briefe wechselte. Nachdem Arndt eine Bildungsreise durch West- und Südeuropa abgeschlossen hatte, entschied er sich für die akademische Laufbahn und legte in Greifswald seine Magisterprüfung ab. Sein Schwiegervater Prof. Quistorp ließ Arndt tatsächlich 1800 eine Dissertation verteidigen, die sich auf etwas platte Weise mit den Gesell-

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Ludwig Gotthard Kosegarten: Geschichte seines funfzigsten Lebensjahres. Leipzig: Weigand 1816, S. 22. Johann Gottfried Ludwig Kosegarten: Kosegartens Leben. In: Dichtungen von Ludwig Gotthard Kosegarten, hg. von J. G. L. Kosegarten, Bd. X., Greifswald: Universitätsbuchhandlung 1827, S. 167 Vgl. Heinrich Meisner, Robert Geerds: Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild in Briefen. Berlin: Reimer 1898, S. 21ff., S. 491. Bergisches Taschenbuch zur Belehrung und Unterhaltung. Jg. 1–2, Düsseldorf 1799–1800.

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schaftstheorien Rousseaus auseinandersetzte.20 Dies ist nach Kant ein zweiter geistiger Knotenpunkt, der uns gestattet, Arndt und Kosegarten zu vergleichen. Arndt polemisierte vor allem gegen Rousseaus Fortschritts- und Gleichheitskonzept, das er mit dem von Voltaire geprägten Slogan »zurück zur Natur!« verballhornte.21 Die Abneigung gegen Rousseau ist bei Arndt aber nicht erst hier zu spüren. Sie ist ebenso wie die Ablehnung Kants älter. Das Stammbuch Arndts bestätigt dies eindrucksvoll. Hier hatte sich 1793 auch Arndts Jugendfreund Ernst von Gagern mit folgendem Sinnspruch eingetragen: Sey getrost und achte nicht was der Thor und Heuchler spricht. Sie die uns im Finstern richten Lügen an die Wahrheit dichten. Was gehn einem freyen Man alle Splitterrichter an.

Bemerkenswerterweise wird dieser Eintrag von einem Schmuckblatt begleitet, welches Rousseaus Wohnhaus in Moutiers-Travers (Gft. Neufchatel) zeigt.22 Gegen wen sich die Polemik richtet, ist also klar. Arndt stand Rousseau in vielem, beispielsweise in dessen Erziehungstheorien sehr viel näher, als er selbst wahrhaben wollte. Was sie trennte, war Rousseaus Gesellschaftstheorie und, zumindest in Arndts Jugendjahren, um die es hier geht, ihr Verhältnis zur Religion. Anders als Arndt darf Kosegarten als Bewunderer Rousseaus gelten, und das sowohl in literarischer wie in philosophischer Hinsicht. Kosegartens Weg zu Rousseau wird von eher individuellen Bezügen geprägt. Als junger Mann musste er zweimal erleben, wie seine Liebesbeziehungen an den ständischen oder sozialen Schranken scheiterten. Insbesondere die gescheiterte Liebe zu seiner adligen Schülerin Caroline von Wolffradt während der Hauslehrerzeit in Bergen 1778 hat Kosegarten lange umgetrieben. Es ist interessant zu sehen, wie er später über diese Vorgänge reflektiert. In einem 1783 veröffentlichten Lebenslauf, der wahrscheinlich von ihm selbst stammt, schreibt er: »Karoline von W., eine zwote Juli d’Etange, machte den jungen, mutigen, in Idealen um sich her schwimmenden Jüngling zum zweiten St. Preéx«.23 Die Anspielung auf Rousseaus Briefroman La nouvelle Heloïse (1761), in der das Scheitern der Liebe des Hauslehrers St. Preux zu seiner adligen Schülerin Julie d’Etange an den gesellschaftlichen Konventionen geschildert wird, ist offensichtlich. Kosegarten hat also sein eigenes Schicksal durch 20

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Ernst Moritz Arndt: Dissertatio historico-philosophica, sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russovii et aliorum commenta defendi posse videtur. In: Albrecht Dühr, Erich Gülzow (Hg.): Gerettete Arndt-Schriften. Arolsen: Weizacker-Verlag (Kassel: Karl Basch Verlag) 1953, S. 1 – 51, insbesondere die Vorbemerkung, S. 1, die auf Arndts Verhältnis zu Rousseau kurz eingeht. Vgl. auch Reinhard Bach: Arndt und die Franzosen. In: Hefte der Ernst Moritz Arndt Gesellschaft 8 (2003), S. 66 – 85. Bach: Arndt und die Franzosen (Anm. 20), S. 67. Vgl. Stammbuch Ernst Moritz Arndts in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Kunstund Stadtgeschichtliche Sammlungen. Johann Christian Koppe: Jetztlebendes gelehrtes Mecklenburg, Stück 1. Rostock, Leipzig: Koppensche Buchhandlung 1783, S. 96 – 106, hier S. 102.

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die Brille des literarischen Vorbilds Rousseau gesehen. Doch es geht noch weiter. Schon 1781 begann Kosegarten damit, seine unglückliche Liebe zu Caroline von Wolffradt in einem ebensolchen Briefroman zu verarbeiten, der 1790 unter dem Titel Ewalds Rosenmonde erschien und sich ganz deutlich an Rousseaus Vorbild anlehnt. Hinsichtlich der Gesellschaftskritik und der literarischen Form sind hier also anders als bei Arndt enge Abhängigkeiten zu finden. Sicher spielten daneben auch andere Vorlagen eine Rolle, wie Samuel Richardsons Clarissa, die Kosegarten während seiner Arbeit an den Rosenmonden ins Deutsche übertragen hatte. Auch die radikaldemokratischen Lehren Rousseaus von der Volkssouveränität, gegen die Arndt so hart polemisierte, haben Kosegarten in dieser Zeit stark beeinflusst. In den Kommentaren zu seiner 1791 erschienen Übersetzung von Adam Smiths Theorie der sittlichen Gefühle äußert er sich über das Selbstbestimmungsrecht der Völker sehr deutlich: Nicht die Natur, sondern die Unnatürlichste aller Verschraubungen des Menschenverstandes und Naturgefühls ist es, welche Völker, die in Sklaverei geboren, und durch bürgerliche und kirchliche Verziehung sorgfältig in ihrem Sklavensinne groß gezogen wurden, ihre Herrscher als Wesen einer höhern Gattung betrachten lehrt. Unbefangene Vernunft und unersticktes Naturgefühl würden sie ganz andere Dinge lehren. Sie würden sie lehren, daß jedes einzelne Individuum [. . .] durchaus gleiche und unveräußerliche Rechte habe. Sie würden sie lehren, [. . .] daß jeder Fürst folglich nur Vollmachtsträger des Staates sey, nicht sein Gesetzgeber; [. . .] daß also die beleidigte Volksmajestät auch ihre Ursupatoren vor ihren einzigen obersten Richterstuhl fordern, sie abhören, aburteilen, und, erforderlichenfalls, die übergebne Vollmacht wieder zurücknehmen könne. Natur und Menschenverstand würden sie lehren, [. . .] daß die Dummheit und Kraftlosigkeit der Völker die einzigen Säulen seyen, die den Thron des Despotismus tragen, daß aber auch nur die Binde jener Dummheit gelüftet werden, jene Kraftlosigkeit nur zu einem einmaligen Aufraffen sich ermannen dürfte, um mit den fürchterlichsten Explosionen den Despoten mit samt seinem Throne in die Luft zu sprengen.24

Es darf vermutet werden, dass Kosegarten mit diesen Gedanken durch seinen Greifswalder Lehrer Peter Ahlwardt vertraut gemacht wurde, der 1777, also während Kosegarten dort studierte, eine Dissertation unter dem Titel De iure revolutionis Americanorum verteidigen ließ. Ebenso deutlich ist Kosegartens Nähe zu Rousseau, was das romantische Verhältnis zur Natur – man müßte schon sagen, den »Kult der Natur« – anbelangt. Kosegarten ist vom Geist her zur Naturverehrung gekommen. Das Naturerlebnis ist für ihn ein intellektuelles und emotionales Erlebnis. Das verbindet ihn – der wohl eher als Aufklärer gelten muss und dessen Verehrung den zeitgenössischen Vertretern der Klassik gilt25 – mit den meisten Romantikern und trennt ihn wiederum von Arndt. Auch Arndt ist durch und durch Romantiker, war aber nie wirklich Teil einer romantischen Bewegung. Im Gegensatz zu fast allen Romantikern seiner Zeit ist Arndt buchstäblich von der Erdscholle zum romantischen Geist 24

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Adam Smith: Theorie der sittlichen Gefühle, übersetzt, vorgeredet und hin und wieder kommentirt von Ludwig Theobul Kosegarten. Leipzig: Gräff 1791, S. 92f. Vgl. dazu zuletzt Regina Hartmann: Literarisches Leben in Schwedisch-Pommern im 18. Jahrhundert. Aachen: Shaker 1997, S. 133ff.

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gekommen, also den umgekehrten Weg gegangen. Das romantische Naturerlebnis ist für ihn kein geistiges, sondern ein soziales,26 wobei sein Begriff der »Natur« mit dem der »Heimat« verschwimmt. Streng genommen ist Arndts geistige Heimat nicht die musische sondern die politische Romantik, und zwar der harte Kern dieser Richtung, die man als gegenbonapartistische Fronde, als zugleich konservative und ultralinke Negativkoalition gegen Napoleon bezeichnen könnte.27 Doch kehren wir zu den Biographien zurück und suchen nach den Ereignissen und Wendungen, die solche Ideen zur Bewährungsprobe herausfordern. Arndt verfolgte eine typische Quereinsteigerkarriere an der neuzeitlichen Familienuniversität, die er selbst recht treffend beschreibt: Greifswald war eine Versorgungsanstalt für die Söhne und Töchter der Professoren und mancher angesehener Familien der Stadt. Ich heiratete die natürliche Tochter des Professors der Naturgeschichte, Dr. Quistorp, [. . .] und ward Privatdozent und das folgende Jahr, nicht ohne Einfluß der Familie Adjunkt der Philosophischen Fakultät [. . .] im Jahre 1805 außerordentlicher Professor.28

Am 5. Mai 1800 erhält Arndt die venia docendi und nimmt seine Lehrtätigkeit sofort auf, ein Jahr später wird er zum ordentlichen Adjunkten der Philosophischen Fakultät ernannt. Hier findet er in Thomas Thorild, dem bedeutendsten schwedischen Dichter und Philosophen seiner Zeit, der seit 1795 in Greifswald lehrte, ein besonderes Vorbild. Thorild entstammte wie Arndt dem echten Bauernmilieu, hatte mit der Kirche vollständig gebrochen und pflegte einen kritischen Abstand zur französisch geprägten Kultur der Oberschichten. Zudem gehörte er zu den heftigsten Gegnern Kants, auch wenn sein antikantianisches Hauptwerk Maximum seu Archimetria in Deutschland keine große Wirkung entfaltete. Nach dem Sturz Dantons wandte sich Thorild enttäuscht von der französischen Revolution ab, die er wie Arndt anfänglich begrüßt hatte. Er veröffentlichte jetzt seine konservative Gesellschaftstheorie Rätt eller alla samhällens eviga lag [Recht oder das ewige Gesetz aller Gesellschaften], die wohl einigen Einfluss auf Arndts gesellschaftspolitisches Denken genommen hat.29 Es wurde sogar die These formuliert, dass durch die Freundschaft zu Thorild die Grundlagen für Arndts politisches Denken, für seine vaterländische Begeisterung und seine nationalistischen Irrwege gelegt wurden.30 26

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Hellmut Diwald: Ernst Moritz Arndt – Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins. München 1970, S. 11. Vgl. auch Hans Frömbgen: Ernst Moritz Arndt und die deutsche Romantik, Phil. Diss. Münster. Essen: Senft 1926. Peter Hacks: Zur Romantik. Hamburg: Konkret Verlag 2001 und Ders.: Die Meineiddichter. In: Neue Deutsche Literatur 5 (1977), S. 8 – 19. Arndt: Erinnerungen aus dem äußeren Leben (Anm. 4), S. 107. Vgl. dazu Stellan Arvidson: Thomas Thorild in Greifswald. In: Nordeuropa. Studien 15 (1982), S. 75–84. Vgl. Ott: Ernst Moritz Arndt (Anm. 9), S. 125f. »Thorild [. . .] lehrte Arndt die grundsätzliche Verachtung des französischen Wesens, vermittelte ihm einen aus Antike und Germanentum gewonnenen Rechts- und Volksbegriff, das Bild einer neuen politischen Ordnung, in der die »Ehre« die Grundkraft des Staates sein soll und der Bauer zum Landesvater, der Soldat zum Landessohn und jeder Arbeiter zum Blutsfreund des Staates erhoben werden soll; er zeigte Arndt weiter die Missachtung demokratischer Formen und der modernen

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Während Arndts tiefe Bewunderung für Thorild durch Selbstaussagen belegt ist, fehlt hinsichtlich der gegenseitigen Inspirationen leider noch jede grundlegende Forschung, so dass dieser Aspekt einstweilen unausgeführt bleiben muss. Arndts Lehrtätigkeit wird 1803/04 von einer kurzen Studienreise durch Schweden unterbrochen. Im April 1806 schließlich wird er zum außerordentlichen Professor der Philosophischen Fakultät ernannt. Doch der Schwerpunkt seiner Interessen liegt spätestens seit Erscheinen seiner Schrift über die Leibeigenschaft auf politischem Gebiet. Diese Interessenverlagerung zeichnet sich allerdings schon früh in den Themen seiner Lehrveranstaltungen ab, in der die politische Staatenund Revolutionsgeschichte neben der Pädagogik seit 1803 einen zentralen Platz einnimmt. Arndt hat überaus erfolgreich als Lehrer gewirkt. Seine Vorlesungen waren überfüllt und die Zahl seiner Studenten – er war immerhin nur Extraordinarius – dürfte den Neid der Kollegen geweckt haben.31 Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation arbeitet er intensiv an der von Gustaf IV. Adolf geplanten verfassungsrechtlichen Eingliederung der pommerschen Landesteile in das schwedische Mutterland mit. Im November reist er, noch vor dem Einmarsch der Franzosen, nach Schweden. Dort arbeitet er mit seinem Freund und Greifswalder Kollegen Carl Schildener an einer Übersetzung der schwedischen Gesetze für Pommern.32

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Freiheitsbestrebungen [. . .]«. Zu Thorilds Einflüssen auf Arndt vgl. u a. Richard Wolfram: Ernst Moritz Arndt und Schweden. Zur Geschichte der deutschen Nordsehnsucht. (Forschungen zur neueren Literaturgeschichte LXV), Weimar 1933, S. 37–51. Arndts Vorlesungen nach den Labores (Fleißlisten der Professoren) im Universitätsarchiv Greifswald sind folgende: 1800 Ostern bis Michaelis (9 Hörer): 2 Vorlesungen Geschichte Italiens; Übung Lucian »Dialogi publice«; 1800/1801 (7 Hörer): Ältere Geschichte; Geschichte alter Republiken in ihrer Tendenz; Geschichte des europäischen Staatensystems; Geschichte Italiens; Übung Theokrit, Plutarch, Caesar; 1802 SS (42 Hörer): Geschichte der letzten drei Jahrhunderte; Ausgewählte Hymnen Pindars; Übung in der lateinischen Rede; Italienisch, Französisch; 1802/03 (56 Hörer): Geschichte der letzten drei Jahrhunderte; Geschichte von Italien oder Geschichte der Griechen und ihrer Kolonien; Aischylos gefesselter Prometheus; Politisch-humanistisches Konservatorium; Ästhetik; lateinische Übungen; SS 1803 (38 Hörer): Universalgeschichte; Geschichte der drei letzten Jahrhunderte; lateinische Übungen; Oden Pindars; Pädagogik; Geschichte der englischen und französischen Revolution; Abriß des Verhältnisses der europäischen Nationen gegeneinander und des Weltverstandes unserer Zeit; 1804/05 (10 Hörer): Staatengeschichte; Vorübungen zur Menschengeschichte; Vergleichung zwischen historischen Charakteren und Epochen; Geschichte der politischen und privaten Erziehungsmethoden unserer Zeitalter; SS 1805 (42 Hörer): Geschichte der englischen und französischen Revolution; Über große historische Charaktere; Geschichte der drei letzten Jahrhunderte;Aischylos Prometheus: SS 1806 (16 Hörer): Charakteristik des 18. Jahrhunderts; griechische Übungen; Alte Geschichte, der erste Teil der universalen Historie; lateinische Geschichtsschreiber; SS 1810 (56 Hörer): Entwicklung der Hauptrevolutionen Europas in den letzten Jahrhunderten; Über einen christlichen Staat und ein christliches Leben; 1810/11 (38 Hörer): Einleitung in die Kunde der Völker und Länder; Vorübung über geschichtliche Gegenstände; lateinische Übung; englische Sprache; SS 1811 (25 Hörer): Staatengeschichte; lateinische Übung. Vgl. dazu Norbert Böttger: Karl Schildener und die Übersetzung der schwedischen Gesetze im Jahre 1806 – ein Beitrag zu den deutsch-schwedischen Kulturbeziehungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Nordeuropa. Studien 27, 1990, S. 67–75.

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Das ist aber kein endgültiger Abschied von Greifswald und auch keine Flucht, wie es häufig falsch dargestellt wird.33 Der beste Beleg dafür ist, dass Arndt sich noch im Mai 1807 um die freigewordene ordentliche Geschichtsprofessur seines Lehrers Johann Georg Peter Möller in Greifswald bewarb.34 Kosegarten ist in dieser Zeit in einer völlig anderen Situation. 1807 wird Wittow von feindlichen Truppen besetzt und da diese Altenkirchen als eine Art Verwaltungszentrum ansehen, wird es Aufgabe des Pastors Kosegarten, die Einquartierungen und die Versorgung der Besatzungstruppen zu organisieren. Kosegarten beschreibt diesen Zustand in seinen Lebenserinnerungen recht eingängig: Es mochte diesen Fremdlingen bekannt geworden seyn, daß Personen von höchsten Range sich für mich interessirten. Es mochte ihnen verrathen worden seyn, daß ich eine Art von Celebrität mir erschrieben habe unter meinem Volk. Genug, sie fingen an mich für einen Stern erster Größe an dem literarischen Himmel unsers Vaterlandes anzusehn. Sie würden geglaubt haben der Achtung, die man dem Schriftsteller-Ruhme schuldig ist, zu ermangeln, wenn sie die Insel verlassen hätten, ohne meine persönliche Bekanntschaft zu machen. So sahe ich mich dann fast täglich genöthigt, meine berühmte Person preis zu geben und zur Schau zu stellen solchen Leuten, die keine Ahnung davon hatten, noch haben konnten, von dem, was eigentlich an mir seyn möge [. . .] Noch zwängender wurden mir diese von meiner Seite meißt stummen Gegenüber durch den Umstand, daß ich äußerst selten verstand, was die Leute sagten, theils weil sie ganz anders aussprachen und betonten, als ich es mich angewöhnt, theils auch in Folge der unglaublichen Behendigkeit, womit die Spule ihrer Redseligkeit ablief. In solchem Nothstande nun hätte zwar wohl mein Sohn mir zu Hülfe kommen können, der unlängst aus der Französischen Schweiz zurückgekehrt, und des Französichen vollkommen, des Italischen leidlich mächtig war. Allein auch ihm waren diese Eindränglinge in Tod zuwider. Selten nur konnte er es über sich erhalten, ihnen Rede zu stehn, und wenn sie sich gleichwohl seiner einmal bemächtigten, so fertigte er sie so kurz und einsylbig ab, daß sie lieber wieder von ihm abliessen. Auch hat er ihnen zu Trutz von den Zinnen der Thürme, die er aufgeführt zum Schutz seiner, auf dem Ozean unsers Hofteichs majestätisch umherkreuzenden Flotten, nach wie vor die Schwedischen Wimpel wehen lassen, und die gutmüthigen Fremden, durch des patriotischen Knaben unbeugsamen Sinn ergötzt, liessen ihn gewähren. [. . .] In eben dem Sinn, worin der Gottfried seine Wimpel wehen ließ unter ihren Nasen, habe auch ich fortgefahren vor ihrer aller Ohren für den König und sein Haus zu beten, als sein Name längst nicht mehr war gehöret worden auf allen übrigen Kanzeln des Landes.35

Unter diesen Umständen sehnte Kosegarten sich nach einem Ortswechsel. Er hatte bereits beschlossen, sich vom König beurlauben zu lassen und mit seiner Familie

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Werner Buchholz: Ernst Moritz Arndt und Schweden. In: Hefte der Ernst Moritz Arndt Gesellschaft 8 (2003), S. 50. Vgl. Bewerbungsschreiben Arndts aus Stockholm vom 20. Juni 1807 im Universitätsarchiv Greifswald Phil. Fak. I, 37 Bd. 1, Fol. 93ff. »Ich vernehme hier in meiner Abgelegenheit, meine verehrungswürdigen Herren, daß der Kammerrath Möller gestorben ist. Ich habe seit 7 Jahren in der Wissenschaft, worin er angestellt war,Vorlesungen gehalten und sowohl dadurch, als durch Schriften Beweise für mich abgelegt, über deren Richtigkeit oder Gültigkeit mir nicht zu entscheiden zusteht; Sie werden es also sehr natürlich finden, daß ich im Vertrauen sowohl darauf, als auf Ihre Freundschaft und Güte, wovon ich so viele Proben habe, mich zu des Verstorbenen Stelle melde, die ich, falls sie mir zufallen sollte, ungezweifelt annehmen werde.« Kosegarten: Geschichte seines funfzigsten Lebensjahres (Anm. 16), S. 86–89.

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entweder nach Schweden zu gehen oder in die mecklenburgische Heimat zurückzukehren, als er Marschall Soult, den französischen Oberbefehlshaber der Truppen in Pommern kennenlernte. Der Marschall bot Kosegarten, wie schon viele vor ihm, seine Dienste an – allein es lag etwas in dem Ton und in der Art, was anzudeuten scheine, es sey ihm Ernst um das, was er spräche. Er glaubt bemerkt zu haben, äußerte er, daß weder ich noch meine Kinder hier an ihrem rechten Platze wären; freuen werde ihn, einen Mann von Verdiensten hervorgezogen zu sehen aus der Dunkelheit; könne er dazu mitwirken, so lange er die Rechte des Souverains zu verwalten habe in der Provinz, mit Eifer werde er es thun, und er erwarte im geltenden Falle meine Briefe [. . .]36

Tatsächlich versuchte Kosegarten 1807 unter Umgehung des akademischen Senats sein Glück und bewarb sich direkt beim Marschall um die freigewordene Geschichts-Professur Johann Georg Peter Möllers, auf die sich auch Ernst Moritz Arndt beworben hatte. Man hat ihm dies immer wieder als eigentlichen Sündenfall vorgeworfen, besonders als er die Professur dann tatsächlich aus den Händen der französischen Obrigkeit empfing, während Arndt 1808 aus der Liste der Professoren gestrichen wurde. Dass die beiden Vorgänge ganz zu Unrecht direkt miteinander verknüpft werden, zeigen Aktenvorgänge, die die Berufung Kosegartens betreffen und sich bis heute im Reichsarchiv Stockholm erhalten haben. Danach hatte sich Friedrich Rühs schon am 9. Juni 1808 an die Pommersche Regierungskommission gewandt, weil er sich durch die Berufung Kosegartens zurückgesetzt fühlte. Am 12. Juni 1808 forderte er schließlich eine Entschädigung durch Ernennung zum Professor mit entsprechender Gehaltszulage und nannte gleich Roß und Reiter: Ich schmeichle mir, daß mein Gesuch um so eher bewilligt werden dürfte, da der Professor Arndt bereits seit mehr als 2 Jahren der Academie nicht mehr gedient hat und zu seiner Rückkehr gar keine Aussichten sind – das von ihm bezogene Gehalt ist daher als vacant anzusehen und ohnehin muß man befürchten, daß es einem andren dürfte zugewendet werden.37

Arndts Streichung aus der Liste der Professoren geht also eindeutig auf die Initiative seines Freundes Rühs zurück, der dann auch tatsächlich Arndts Stelle erhielt.38 1809 hielt Kosegarten schließlich eine akademische Festrede zum Geburtstag Kaiser Napoleons. Er begrüßte in Napoleon den Befreier und Reformer Europas und bejubelte den Rheinbund als das Staatengebilde, in dem allein die nationale Einheit Deutschlands Wirklichkeit werden könne.39 Das hat ihm zweifellos die dauerhafte Feindschaft der »Befreiungsbewegung« und den Ruf eines geistigen 36 37 38

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Ebd., S. 140. Reichsarchiv Stockholm, Pomeranica, Nr. 474. Im Artikel 2 der Verfügung Bremonds vom 22. Juni 1808 wurde der bisherige Vicebibliothekar Doctor Rühs ernannt zum »professeur extraordinaire, Section d’Histoire et de Philosophie, en remplacement de Monsieur Arndt;« Vgl. Roderich Schmidt, Karl-Heinz Spiess (Hg.): Die Matrikel der Universität Greifswald und die Dekanatsbücher der theologischen, der juristischen und der philosophischen Fakultät 1700–1821. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004. Bd. 2. S. 1054. Ludwig Gotthard Kosegarten: Rede gesprochen am Napoleons-Tage des Jahrs 1809 im grössern akademischen Hörsaale zu Greifswald. Greifswald: Eckhardt 1809.

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Kollaborateurs mit »welschelndem« Sinn eingetragen. Kosegarten hat den darin eingeschlossenen Vorwurf des »nationalen Verrats« später von sich gewiesen. Tatsächlich waren es ja die gesellschaftsverändernden Ideale der französischen Revolution, denen seine Sympathien gehörten, und zwar nicht aus einer irgendwie gearteten nationalen Vorliebe. Arndt, dessen Bestreben konkret auf die Befreiung von der Fremdherrschaft zielte, sah das natürlich anders. Nach dem Friedensschluss zwischen Frankreich und Schweden 1810 und seiner Rückkehr nach Pommern wurde Arndt wieder in seine außerordentliche Professur eingesetzt, während Rühs, der ja seinen Platz eingenommen hatte, nach Berlin wechselte. Zurück in Greifswald geriet Arndt in Konflikt mit dem franzosenfreundlichen »welschelnden« Teil der Professorenschaft. Er schreibt selbst dazu: Meine letzten Jahre in Greifswald waren mit vielen Dornen durchsäet, besonders durch die Flauheit und den welschelnden Sinn derjenigen, welche ich wegen alter freundlicher Erinnerungen und verwandtschaftlicher Verhälntisse hätte ehren sollen. Kosegarten war unterdes Professor in Greifswald geworden. Dieser und mein Schwiegervater Quistorp, waren so von der napoleonischen und französischen Bezauberung und von der Vergötterung der sogenannten liberalen Ideen der Franzosen befangen, daß dies die alte herzige Gemeinschaft unter uns störte. Die Geister sonderten sich jetzt und nahmen ihre verschiedenen Quartiere ein; und das mußte so sein.40

Als er 1810 gehindert wird, seine später bekannt gewordene Hoffnungsrede anlässlich einer akademischen Feier zu halten und die Philosophische Fakultät 1811 einige seiner Thesen für eine Magisterpromotion ablehnt, ersucht Arndt um seine Entlassung. Unmittelbarer Anlass für Arndts endgültigen Abschied von Greifswald war wohl die Ablehnung der von ihm verfassten Thesen. Da dies unter Kosegartens Dekanat geschah, hat man ihm einen Anteil daran zuschreiben wollen. Die Quellen zeigen dagegen, dass Kosegarten fast der einzige im Kreise der Philosophischen Fakultät war, der Arndt verteidigte und die Fahne der wissenschaftlichen Freiheit hochhielt.41 Die Hauptgegner Arndts waren sein ehemaliger Schwiegervater Quistorp und der Philosoph Overkamp. Ersterer lehnte die Thesen vorrangig aus politischen Erwägungen ab, war die Universität doch 1810 nur mit knapper Not ihrer Schließung entgangen, während die einstigen Feinde seit Anfang 1811 wieder als Bundesgenossen im Land standen. Der zweite machte wissenschaftliche Gründe geltend.Tatsächlich glichen die Thesen Arndts, die ja im Rahmen einer wissenschaftlichen Magisterpromotion verteidigt werden sollten, eher Aphorismen, die sich wie Kampfaufrufe oder politische Manifeste lasen. Sie waren vor allem gegen den Rheinbund und die schwedische Bündnispolitik gerichtet. Ich frage mich überhaupt, ob Arndt, der mit seiner Greifswalder Stellung und der neuen politischen Allianz zwischen Schweden und Frankreich ja ohnehin unzufrieden war, hier nicht seinen eigenen Abgang mit großer Szene vorbereitet hatte. Jedenfalls war ihm bewusst, dass seine Thesen eine politische Provokation darstellten. »Es ist unglaublich, wie weit die

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Arndt: Erinnerungen aus dem äußeren Leben (Anm. 4), S. 135. Universitätsarchiv Greifswald, Phil. Fak. I., Nr. 89, fol. 156ff.

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Furcht geht. Man soll ja wohl über sich und seine Mängel untersuchen dürfen?«42 ruft er seinen Kollegen entgegen. Neben den eigentlichen politischen Thesen gab es aber auch andere, von denen er ja nicht ernstlich erwarten konnte, dass die Fakultät sie für die öffentliche Verteidigung zuließ: Die alten Wahne, Sitten, Religionen, welche den Menschen unbewußt hielten und trugen, sind dahin; die Welt ist sich bewusst geworden, sie wird nicht mehr geleitet durch Gottes Hand oder durch einen dunklen Glauben, gleichsam durch eine halb geistige, halb leibliche Vegetation des Lebens. Nun ist die Zeit, wo der Mensch fragen muß, was war sonst, was soll jetzt sein? Das heißt, es kömmt die Zeit, wo er sein Leben geschichtlich einrichten muß; denn die Geschichte will wissen!43

Der Vorzug des Historischen, wie Arndt ihn hier formuliert, äußert sich vor allem im Hinblick auf seine nationalen Ideen. Seine Antwort auf die napoleonische Herausforderung ist ein immer mehr an Konturen gewinnendes deutsches Nationalkonzept,44 welches wir heute als Vorläufer des deutschen Nationalbewusstseins erkennen und dessen Berechtigung und Notwendigkeit unter den historischen Umständen wohl niemand ernsthaft bezweifelt.45 Auf dieser Ebene waren sich unsere Protagonisten wahrscheinlich sogar noch einig. Anders sieht es bei der Begründung dieses Nationalbewusstseins aus. Arndts Patriotismus hat seine geistige Heimat – anders als bei Kosegarten – nicht im Christentum. Seine religiöse Tendenz nährt sich aus anderen Wurzeln, und zwar aus den geschichtlichen Vorbildern der griechischen Mythologie, der nordischen Sagenmotive, der deutsch-germanischen Urgeschichte und aus ihrer aller Vermischung mit alttestamentlich-prophetischen Gedanken.46 Seine patriotischen Schriften und Vaterlandslieder leben von den Bildern und der politischen Unheilsprophetie des Alten Testaments sowie der kraftvollen Sprache Luthers.47 Mit ihr beginnt er bald darauf den »brennenden Haß« als volkspädagogisches Mittel zur Erlangung und Erhaltung dieses Nationalbewusstseins zu predigen. Dieser Zug nimmt mit dem Verlauf der Befreiungskriege in Arndts Werk immer mehr zu und gipfelt 1813 in dem Traktat Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache. Jenen Haß, [. . .] mögte ich einen äußerlichen Haß nennen; innerlich wird er, wenn ein Volk sich einmal des Frevels unterstanden hat, seine Nachbarn unterjochen zu wollen: dann brennt er bei edlen Völkern unauslöschlich. So muß bei den Teutschen jetzt der Haß brennen gegen die Franzosen [. . .] Dieser Haß wird uns wie ein heller Spiegel seyn, worin wir unsere Herrlichkeit wie unser Verderben werden sehen können; dieser Haß wird uns und 42 43

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Arndts Defensio seiner Thesen in Universitätsarchiv Greifswald Phil. Fak. I–10, fol. 105v. Vgl. Albert Hoefer: Ernst Moritz Arndt und die Universität Greifswald zu Anfang unseres Jahrhunderts. Berlin: Weidmann 1863, S. 75. Zur Entwicklung dieses Nationalkonzepts, seine partielle »Fremdsteuerung« und Arndts Rolle dabei vgl. auch Otto W. Johnston: The Myth of a Nation – Literature and Politics in Prussia under Napoleon. Columbia: Camden House 1989, S. 85ff. Vgl. auch Thomas Stamm-Kuhlmann: Der Begriff der Nation bei Ernst Moritz Arndt. In: Hefte der Ernst Moritz Arndt Gesellschaft 8 (2003), S. 100–110. Ott: Ernst Moritz Arndt (Anm. 9), S. 185. Thorsten Jacobi: Ernst Moritz Arndt als Christenmensch. Eine Studie zur religiösen Biographie Arndts nach seinen Briefen. In: Hefte der Ernst Moritz Arndt Gesellschaft 9 (2004), S. 8–32.

Arndt und Kosegarten

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unsern Enkeln und Urenkeln nach uns immer ein Aufschüttler seyn, daß wir im Glück und in der Sicherheit des Friedens nicht einschlafen können; dieser Haß wird uns grade durch die Verschiedenheit zeigen, was uns und unserem Gemüte gleich und gerecht ist.48

Hier spricht ein Volkstribun. Das hört sich heute übel an. Man mag einwenden, dass in der Zeit der deutschen Erhebung der Hass seine Funktion im inneren Gesamthaushalt gehabt habe. Es brauchte wohl auch diese Emotionen, um die Schlachten der Freiheitskriege gegen Napoleon einzuleiten. Dass Arndt dabei maßlos war, dass sein Hass kein Affekt ist, sondern kalkuliert und grundsätzlich, und vor allem, dass er zum dauernden Wesenszug des Nationalcharakters erhoben werden sollte, fand aber nicht erst heute seine Kritiker.49 Dieses Denkmuster, die Bildung nationaler Identität durch Feindbilder, ist andererseits nichts besonderes, sondern ein festes Element im Prozess der Nationenbildung überall in Europa. Kosegarten war einer der ersten systematischen und öffentlichen Kritiker des aufkommenden deutschen Nationalismus. Noch im März 1813 steht er der preußischen Erhebung sehr skeptisch gegenüber und richtet seine Kritik vor allem gegen Arndt und Jahn: A. und J. läuten die große Sturmglocke. – Die Sache, die sie führen, ist gut und heilig; aber sie wird Frevel und Frechheit durch die Art, wie sie sie führen. Denn so muß nicht gesprochen werden mit dem Volk der Deutschen. Es muß gesprochen werden mit uns, wie Demosthenes mit den Hellenen sprach, die Makkabäer mit den Juden, die Männer vom Rütli mit den Schweizern.50

Noch im gleichen Jahr lässt Kosegarten seine Vaterländischen Gesänge erscheinen. Ausdrücklich wendet er sich darin dagegen, »daß bleibender Haß und nie auszusöhnende Rachwut zu heiligen und religieusen Gefühlen geadelt werden.«51 Er fordert: Keine Kriegslieder denn, die zwar wohl für Huronen und Irokesen passen dürften, nicht aber für gesittete, geschweige für christgläubige Krieger! Keine Maratiaden mehr, welche die zwar leicht aufzuregende aber nicht so leicht zu zügelnde noch wieder zu begütigende Menge zur Menschenhatz aufrufen, wie zu einem Treibjagen!52

Kosegarten streitet die Notwendigkeit des Befreiungskrieges nicht ab, was er ablehnt, sind die Emotionen und deren Verquickung mit einem fast religiösen Fanatismus, mit denen Arndt seine Landsleute zum Widerstand aufruft. »Es gibt keinen heiligen Krieg in des Wortes rechtem Sinn. Jeder Krieg, auch der gerechteste, steht in einem nie auszugleichendem Gegensatz mit den Vorschriften des Evangelii« und »Liebe Brüder, der Krieg, den wir führen, ist sattsam gerechtfertigt vor dem Gerichtshof des Natur- und Völkerrechts, er mußte geführt werden, wollten wir anders unsere Deutschheit retten und unsern Rang unter den Natio48

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Ernst Moritz Arndt: Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache. Leipzig: Fleischer 1813. S. 14ff. Vgl. Stamm-Kuhlmann: Der Begriff der Nation bei Ernst Moritz Arndt (Anm. 45), S. 100. So in einem Brief an seinen Sohn vom Ende März 1813. In: Franck: Gotthard Ludwig Kosegarten (Anm. 4), S. 326. Ludwig Theobul Kosegarten: Vaterländische Gesänge. Berlin: Maurersche Buchhandlung 1813, S. V. Ebd. S. Vf.

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nen. Hüten wir uns Himmlisches zu verwirren mit Irdischem«53 Das Kosegarten mit diesen Ansichten nicht allein stand, zeigen die vier Auflagen, die das Buch binnen eines Jahres erlebte, die letzte davon in einer Höhe von immerhin 620 Stück.54 Bald setzte Arndt den Hass auch als Mittel der inneren Abgrenzung ein. Wir kennen dieses Phänomen aus der Geschichte vieler Befreiungskriege des 19. und 20. Jahrhunderts. Dem Sieg über den äußeren Gegner folgt fast notwendig die Abrechnung im Inneren und schließlich die Restauration. Sowohl Kosegarten als auch Arndt sind diesem Prozess zum Opfer gefallen, der eine früher, der andere später. Wie kommt es aber bei Arndt zu der Übertragung des Hasses auf die inneren Gegner? Rekapitulieren wir doch einmal Arndts Weg, der bis zur letzten siegreichen Schlacht gegen Napoleon eigentlich eine Serie von Niederlagen war. 1808 kapituliert Preußen vollständig. 1812 sind die Träger der Freiheitsidee als Flüchtlinge über ganz Europa verstreut, und das preußische Heer zieht unter Napoleons Fahnen gegen Russland. Auch das Jahr 1813 verwirklicht nur einen Bruchteil von dem, was Arndt sich erhofft hatte. Auf dem Wiener Kongress triumphieren die Vertreter der Restauration, die keinen Verdienst um die Befreiung Deutschlands haben und die vorrevolutionären Zustände, soweit es eben ging, wiederherstellen wollen. Der Sieg über Napoleon bei Belle Alliance vernichtet nicht nur Napoleon, sondern in gewisser Weise auch die deutsche Freiheitsbewegung. Arndt hatte 1815 also allen Grund verbittert zu sein. Er hat diese Verbitterung in einem Gedicht verarbeitet, dass besser als jede historische Erläuterung zeigt, wie es in seinem Inneren aussah. Es trägt den Titel Die Zeiten und stammt aus dem Jahre 1817, hier einige Strophen daraus: Die Zeiten

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Löwenzeit war, Fröhliche Zeit, Zornig und klar, Blitzte der Streit, Offne Gefechte, Dräute die Rechte, Sieg hatte Ehren, Tod hatte Zähren. Hin ist die Zeit.

Fuchszeit ist jetzt. Wedelnder Schwanz Wirbt sich zuletzt Streichelnd den Kranz, Schmeicheln und Heucheln Bübeln und Meucheln Mußt du verstehn, Wenn du willst stehn Vorderst im Tanz.

Aeffchen auch scherzt Spielend darein, Wenn es dich herzt, Trau nicht dem Schein; Schlänglein schillert, Lispelt und trillert Liebesgesäusel – Weh! Sein Gekreisel Mord kreist es ein.

Tigerzeit kam, Wölfische Wuth, Wuth ohne Scham, Durstig auf Blut: Laurende Tücke Bricht die Genicke, Und bei Hyänen Schwinden die Tränen, Schaudert dem Muth.

Füchschen befiehlt, Lüchschen ist mit, Lauschet und schielt Waidlichem Schritt Edlerer Hirsche, Daß es sie pirsche Meuchlicher Weise: Schleichend und leise Birgt es den Tritt.

Löwenzeit war, Fröhliche Zeit. Ist es denn wahr? Steht uns der Streit Nun nur mit Füchsen Affen und Lüchsen Ottern und Schlangen? Alles vergangen? Alles entweiht?55

Ulmann: L. G. Kosegarten und E. M. Arndt als literarisch-politische Gegenfüßler i. J. 1813 (Anm. 1), S. 12. Ebd., S. 21. Ernst Moritz Arndt: Gedichte. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1860, S. 348f.

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Seiner tiefen Enttäuschung entspringt Arndts Anklage gegen alle, die während der Besatzung den Kopf unten gehalten hatten oder, noch schlimmer, offen für Napoleon eingetreten waren. 1815 fordert er: Dies sei der furchtbare Galgen der Meinung, von welchem keine Gnade [. . .] das schwarze Verbrechen je herabnehmen kann: daran muß es hangen, bis es verfault: dies sei das heilige und fürchterliche Volksgericht [. . .] Denn das hündische und gebrandmalte Gezücht will sich mit schlangischer List und schweinischer Unverschämtheit immer wieder einschleichen und einschmeicheln: wie viele haben wir seit der Leipziger Schlacht sich wieder als Vaterlandsfreunde gebärden sehen, die doch Erzschufte und Erzschelme sind und bleiben werden.56

Dieses Diktum trifft auch Kosegarten. Seine politischen Gegner und persönliche Neider richteten sich danach, zogen die Napoleonrede und die Vaterländischen Gesänge hervor und entfesselten eine politische Hetzjagd gegen ihn. Die Geschichte heuchelte sich schnell ihr Kosegartenbild zurecht. Vergessen, dass auch Carl Asmund Rudolphi und Friedrich Rühs – Arndts Busenfreunde – von der napoleonischen Besatzungsbehörde ihre Greifswalder Lehrämter erhielten; vergessen, daß der akademische Senat in Greifswald 1807 dem Marschall Brune den philosophischen Ehrendoktor anbot und die Juristenfakultät den Generalintendanten Brémond zum Dr. jur. honoris causa promovierte; vergessen auch, dass im gleichen Jahr die Inschrift NAPOLEONI HERACLI MUSAGETAE am Hauptgebäude prangte, während alles, was an Schweden erinnerte, eilfertigst entfernt wurde. Arndt kommt die zweifelhafte Ehre zu, all dies übersehen und die Jagd auf seinen ehemaligen Freund eigenhändig eröffnet zu haben. Wahrscheinlich stammt der diffamierende Artikel »Bonaparte und seine Spießgesellen«, der im Mai 1815 im von Arndt herausgegebenen Tagesblatt der Geschichte57 erschien und Kosegarten direkt angriff, aus seiner Feder. Natürlich setzte sich Kosegarten zur Wehr und veröffentlichte noch 1816 seine als Verteidigungsschrift konzipierte Autobiographie mit dem Titel Die Geschichte seines funfzigsten Lebensjahres. Sie enthält sein politisches Glaubensbekenntnis, das nicht nur ein Stück seiner stärksten Prosa darstellt, sondern auch bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Es kümmert sie im Grunde nicht groß, wer ich vormals gewesen, oder wie ich es getrieben, wenn ich nur itzt mit ihnen es wollte halten. [. . .] ich hätte mögen prassen an den Tafeln der Ausländer [. . .] preisgeben ihrem Gelüste die eigenen Töchter und Mündel, und zum Lohn mir zuschlagen lassen Lieferungen und Commissariate, und des Landes fetteste Güter: in die Wette mit ihnen hätte ich mich mögen mästen von dem Mark der Dürftigen, und mich berauschen in den Thränen und dem Blute des ausgesognen Volks; das alles hätte ich thun mögen, und noch Schlimmeres; [. . .] wenn ich itzt nur, da die Windfahne sich gedreht, wollte heulen mit den Wölfen, und belfern mit den Rüden, und mit den Gänsen schnattern; wenn ich nur wollte, mit ihnen Chorus machend fluchen dem Franzosenthum, und niederfallend anbeten vor dem bleiernen Kalbe, das sie sich gegossen haben, vor ihrem dummen Götzen Teutschthum; dann wäre ich ein rechter Mann und Held [. . .] Weil ich aber solches weder kann noch mag; sintemalen die französische Volkseigen-

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Ernst Moritz Arndt: Entwurf einer teutschen Gesellschaft. Frankfurt/Main: Eichenberg 1814, S. 31. Nr. 106 vom 29. Mai 1815.

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Dirk Alvermann thümlichkeit sicherlich eben so achtungswürdig ist in ihrer Art, wie nur immer die der Britten und der Deutschen; weil ich das achte Gebot bedenkend schändlich finden würde, Böses nachzusagen solchen, von denen ich meines Theils nur Gutes erfahren, und in Erfahrung gebracht; so erfrechen sie sich, mich der Ausländerei zu zeihen und des Hochverraths am Vaterlande [. . .] Weil ich gewagt, die Mäßigung zu predigen in den Tagen des Unmaaßes, und die Sitte in Schutz zu nehmen gegen die Rohheit; weil mir gewidert ihr wüstes Gebrüll, und mir Bauchgrimmen erregt ihre huronischen Schlachtgesänge; weil ich geeifert gegen den neuen Terrorism [. . .] weil mein historisches Gewissen mir nicht erlaubt, ein verwandtes Nachbarvolk zu verläumden und zu verlästern, dem das Menschengeschlecht leichtlich eben so hoch verhaftet und verpflichtet seyn dürfte als dem Unsern; weil ihre gespielte Frömmigkeit mir ein Gräuel ist und die religiöse Schminke mich dünkt der Ruchlosigkeit Gipfel; weil mich widersinnig, um nicht zu sagen lästerlich bedünkt, das Kreutz zu paaren mit dem Schwerdt [. . .] weil es mir wehe thut, die eigenen Brüder das Evangelium der Liebe verzerren zu sehn zu dem Kakangelion des Hasses [. . .] weil mir widerstrebt doppeltes Recht anzuerkennen, das eine, welches gelte auf dem Trokkenen, das andere, was auf dem Meere, weil ich mich weigere, was in unserm Erdtheil schändlich und verabscheuungswürdig geachtet wird, löblich und preiswürdig zu finden in den drey oder vier übrigen; weil Italiens Entjochung und Polens Herstellung mir nicht minder Sache der Menschheit dünkt, als die Erlösung Deutschlands, weil das Menschenthum mir höher steht, als das Volksthum, und der Gattung gemeinsames Vaterland höher als des Einzelnen Heimath [. . .] Darum, nur darum ist es, daß sie mich hassen, darum wüten und toben sie wider mich [. . .] darum schelten sie mich einen Bonapartisten und Franzosenfreund und möchten die blinde Menge wider mich aufregen [. . .] dafür ist mir nicht bange [. . .] Es werden leben meine Gesänge mit denen des Haller, Kleist, Uz, Kreuz und Klopstock, wenn die Irrwische und Feuerbrände, die sie unter das Volk schleuderten, längst verdampft und verqualmt sind.58

Kosegarten entwickelt hier auch eine Alternative zum auf Abgrenzung gegründeten Nationalbewußtsein Arndts. Zu den »Eigenthümlichkeiten« des deutschen Volkes rechnet er Universalität, Humanität, die schöne Gabe, uns anzueignen das Gute und Schöne aller Zeit und jeder Zunge, jene gerechte Mitte, welche, wie den Cahrakter unsrer geographischen Lage also auch den unterscheidenden und achtbarsten Zug ausmacht in unserm geistigen und sittlichen Bilde.59

Dieser Gedanke ist natürlich auch Arndt nicht fremd, aber er ist komplementär, dem Volkshaß nachgeordnet: [. . .] was durch Tugend,Wissenschaft und Kunst bei dem einen Volke in seiner Art vortrefflich ist, das Große und Menschliche, was die erhabene Einheit und Göttlichkeit der Welt ausmacht, wird auch dem anderen Volke angehören und als Gemeingut der Menschheit angenommen werden. Die echten Franzosenhasser, die Engländer, kennen sie etwa nicht die Namen St. Bernhard, Ludwig der Heilige, Pascal, Montesquieu und beten sie sie nicht an? Auf dieser Höhe hört der Volkshaß auf; da beginnt die große Gemeinschaft der Völker, die allgemeine Menschheit, und wird die Menschlichkeit und Liebe nimmer fehlen, die uns alle zu Kindern Gottes und der Erde macht. Jede Tugend und Größe durchbricht von selbst die Schranken, welche zwischen Menschen und Völkern stehen; wer da noch hassen kann, der ist ein Barbar oder ein Tier. Das bin ich nicht, wenn sie auch sagen, daß ich es bin.60 58 59 60

Kosegarten: Geschichte seines funfzigsten Lebensjahres (Anm. 16), S. 180–184. Ebd., S. 185. Ernst Moritz Arndt: Geist der Zeit. Zweiter Theil, Stockholm 1809, 187f.

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Seine Verteidigung half Kosegarten natürlich nichts. Seine Gegner bliesen weiter ins Feuer. Tugendbündler und Teutonen schürten es; auf der Wartburg schlug es 1817 über seinen Schriften zusammen, als die studentischen Jünger Jahns die erste große Bücherverbrennung in Deutschland inszenierten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kosegarten sich schon weitgehend aus dem politischen Diskurs zurückgezogen. Bereits 1812 hatte er sich um eine freigewordene Theologische Professur in Greifswald beworben, eine Art Heimkehr, das Ende eines Irrtums, wie er es selbst ganz offen in seinem Bewerbungsschreiben darstellte: Obgleich ich vor nunmehr vier Jahren durch die beyspiellose Unglückseligkeit der zeiten nothgedrungen wurde, aus dem Heiligtum der Kirche für eine Weile in den Vorhof der Heiden zurückzutreten; so habe ich doch nie aufgehört, das Gebiet der Theologie als meine wahre Heimat zu betrachten.61

1818 starb Kosegarten in Greifswald. Das Urteil der Literaturgeschichte über ihn und seine Schriften wird bis heute von den Schmährufen des Wartburgfestes geprägt. Sein Werk hat nicht überdauert, wurde nicht weiter rezipiert wie er glaubte, es ist vergessen worden. Wenn seine Prophezeiungen sich für sein eigenes Werk auch nicht erfüllten, so könnte er sich doch heute zumindest im Hinblick auf Arndt bestätigt sehen. Arndt erging es nämlich nicht besser. Nach dem Ende der napoleonischen Bedrohung begann die Restauration in Deutschland und Preußen sich schnell der Idole und Trommler der Befreiungskriege zu entledigen, die mit ihrem Kampf sehr viel weiter gesteckte Ziele verfolgt hatten. Arndt fiel, wie viele andere, der sogenannten »Demagogenverfolgung« zum Opfer. 1818 – in Kosegartens Todesjahr – begannen die Untersuchungen der preußischen politischen Polizei gegen ihn. Das Vergessenwerden ist ihm erspart geblieben. Doch weniger sein Werk, als dessen Rezeption und die Folgen – eben ihr Einfluss auf die »zwar leicht aufzuregende aber nicht so leicht zu zügelnde noch wieder zu begütigende Menge«,62 vor dem Kosegarten so eindringlich gewarnt hatte – bestimmen heute die Debatte um seine Person.

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Bewerbungsschreiben Kosegartens vom 6. Mai 1812, in: Universitätsarchiv Greifswald, Theol. Fak. I–10. Wie Anmerkung 52.

II. Sprache, Identität, Literatur

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Parameters of Low German Identity: Ernst Moritz Arndt’s Other Fatherland

In light of Ernst Moritz Arndt’s notoriety as a historical and intellectual figure within the turbulent debates about German nationalism, chauvinism, and disregard for Otherness,1 it seems only appropriate to raise the somewhat confrontational question of how Arndt could possibly be considered as an exemplary case in a discussion of the complexities of regional consciousness. In spite of the risk of appearing reductive, if not one-dimensional, a simple response to this question provides a valid justification for a ‘regional’ investigation of Arndt. Drawing on the documented multiplicity of a sense of belonging all throughout the 1800s,2 the following descriptive answer provides at once insight about Arndt’s mental topography and various socio-historical topographies, including ‘regional’ ones, which he encountered during his lifetime: Ernst Moritz Arndt could be found all over the map! First,Arndt’s well-documented explorations of different portions of the European atlas around 1800 come to mind to exemplify this statement. From Sweden southward to Austria and Hungary, from Italy to France and onward to the Rhine region, Arndt traveled far beyond Germany’s borders not unlike many of his contemporaries. Whatever his incentives for and experiences during these travels may therefore have been – his curious representation of encounters with different cultures and traditions continues to be examined from a variety of angles3 – Arndt’s horizons clearly extended beyond the northeastern regional confines of his 1

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See for example: Otto W. Johnston: The Myth of a Nation: Literature and Politics in Prussia under Napoleon. Columbia, S. C.: Camden House 1989; Maria Muallem: Das Polenbild bei Ernst Moritz Arndt und die deutsche Publizistik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt/M.: Peter Lang 2001; Bernhard Giesen and Kay Junge: Vom Patriotismus zum Nationalismus. Zur Evolution der ‘Deutschen Kulturnation’. In: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit. Bernhard Giesen (ed.). Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, pp. 255–303 (here: p. 300). On the tensions between regional and national identity in nineteenth-century Germany, see among others: Andreas Schumann: Heimat denken. Regionales Bewußtsein in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1815 und 1914. Köln: Böhlau 2002, p. 24; Thomas Kühne: Imagined Regions: The Construction of Traditional, Democratic, and Other Identities. In: James Retallack (ed.): Saxony in German History. Culture, Society, and Politics, 1830–1933. Ann Arbor: University of Michigan Press 2000, pp. 51–62, here p. 58; Elizabeth Boa and Rachel Palfreyman: Heimat. A German Dream. Regional Loyalties and National Identity in German Culture. 1890 – 1990. (Oxford Studies in Modern European Culture.) Oxford: Oxford University Press 2000, p. 28. See among others: Hans-Georg Werner: Ernst Moritz Arndts “Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799”. In: Zeitschrift für Germanistik 11.5 (Fall 1990), pp. 557 – 564.

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birthplace, the provincial island of Rügen. In conjunction, with Arndt’s oft-discussed fervor for everything national, whether expressed in his fictional or essayistic writings or through his active participation in the Frankfurt Paulskirche in 1848, his significant experience with and subsequent speculation about the idea of ‘Europe’ simply seemed to eclipse the original ideological building block. Considering the governing role of German and/or European concerns in his ideas, it is only reasonable to speculate what may have befallen Arndt’s ‘Low German identity’.4 Did his ‘Other Fatherland’, in and around today’s Vorpommern, simply disappear from Arndt’s horizon? This question shall guide a simple but indispensable query for the following discussion of E. M. Arndt and his œuvre, which encompassed a broad map of writings ranging from personal letters to poetry, and from essays to fairy tales and beyond. As a question it is not important simply for the reason that Arndt’s national and transnational adventures have always received more attention. Rather, the search for Arndt’s regional identity is critical because even cursory explorations of his writings reveal that one of the many fictionalized maps in Arndt’s possession continued to exhibit distinctly regional configurations.

I. Avoidance and Denial: The Difficulties of Locating the Low German Arndt Despite the many traces of Arndt’s Pommeranian origins in his writings and correspondence, very little has been noted about the ‘Low German Arndt’. What stands out instead is the patriotic bard who is at once celebrated and loathed. To determine why this is the case, it is necessary to examine a curious chain of arguments. Aside from the impact of Arndt’s chauvinistic rhetoric, which, although it has been a practical entry point for scholars, has led many away from queries that do not fit this topic, less apparent but equally governing principles show why Arndt’s Low German foundation is – at best – acknowledged in passing before moving on quickly to more ‘important matters’.5 First, there is the expected barrier of language itself. Regardless of a text’s brevity, narratives and poetry composed in Low German dialect simply slow down most untrained readers. For many critics, this language barrier has presented thus a good rationale to bypass or demote a con4

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I realize that a unifying notion of a ‘Low German identity’ is rather problematical, given the marked regional differences between various Low German-speaking areas. Even as this parameter is in most instances further topographically classified – as in Arndt’s case by Rügen and Vorpommern – this term is nevertheless appropriate, without forcing Arndt into a role as a leader of a Pan-Low German movement. I would like to thank Wolf Gruner and Thomas Stamm-Kuhlmann for reminding me again of the importance to distinguish between culturally and historically different Low German areas. Most biographies discuss only in passing Arndt’s upbringing in a Low German-speaking family. See James Elstone Dow: A Good German Conscience: The Life and Time of Ernst Moritz Arndt. Lenham: University Press of America 1995, p. 2.

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siderable segment of Arndt’s writings, including his fairy tales. To make matters worse, many of Arndt’s Leuschen are not only composed in dialect, but also permeated by extensive historical, geographical, and social references which are often accessible only to readers equipped with local or “extraneous knowledge”.6 A second component that hinders the search for a sustained sense of a Low German belonging in Arndt’s writing is the fact that he spent the last 43 years of his life away from Pomerania. Indeed, this long time of spatial distance from northeastern Germany has convinced some to doubt that Arndt could possibly have had ›Pomerania on his mind‹. Gustav Sichelschmidt takes Arndt’s topographical and psychological remoteness from his Heimat to an extreme. Converting him into a cosmopolitan European, which, frankly, Arndt never became, Sichelschmidt wants to assure his readers, “[dass Arndt] sich jene Welterfahrung [verschafft], die ihn Zeit seines Lebens gegen jeden Rückfall in deutsche Provinzialität oder Krähwinkelei immun macht”.7 While any claim for Arndt’s Welterfahrung, or worldliness, must be viewed with a fair amount of suspicion, it is nevertheless firmly rooted in valid observations about Arndt’s repeatedly self-stated anti-provincialism. This negativity therefore sets up in nuce another argument presented against the possibility of a ‘Low German Arndt’. An apparently regressive idea such as regionality (or its evil Doppelgänger ‘provinciality’) simply could not improve the tenuous reception of Arndt’s work, which struggled since the beginning to shed the negative label of philistine life in the cultural backwaters of the German provinces. Taken en bloc, two primary sentiments consequently emerge and merge from the previous examples of (non-)approaches to Arndt’s Low German foundation. By and large, critics regard Arndt’s Low Germanness as either irrelevant or perilous. In the face of such widespread evasion and admonition, can one nonetheless ask how and why parameters of a Low German identity should still be considered? Yet, because this reading draws on accessible examples from Arndt’s works, readers should not expect (or perhaps fear) that the intention is to create a new or previously non-existent image of Arndt. The identification of a ‘Low German Arndt’ is neither novel, nor is it designed to replace other already familiar conceptions of Arndt – whether it is the Arndt identified as anti-Semitic or anti-French, etc. An examination of the parameters of Low German identity is meant to be far from an attempt to focus our attention on a topic previously avoided so that one may look at Arndt once again by skirting the sensitive subjects of nationalism and demagoguery. Instead, the recognition of prominent Low German elements may simply reinforce the extent to which his works are dominated by recurring contradictions and fissures that exist side by side with more dominant discourses.8 Some interpreters may continue to fill existing gaps arbitrarily with conclusive insights – catering to anyone who craves for definitive Either/Or solutions – but it appears more 6

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Lilian R. Furst: All is True: The Claims and Strategies of Realist Fiction. Durham: Duke University Press 1995, p. 129. Gustav Sichelschmidt: Ernst Moritz Arndt. Berlin: Stapp 1981, p. 27. On some of these fissures, see also Dirk Alvermann and Walter Erhart in this volume.

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judicious, if certainly more frustrating, to approach Arndt’s extensive writings with the receptive understanding that his system was, in the end, rather chaotic.

II. Regional Imagination and its National Significance Arndt’s different writings about Pomerania and the Low German language – he refers to the latter in his linguistic treatises as Sassisch – are largely unorganized. Despite the fact that his observations are spread throughout a number of minor contributions, Arndt nevertheless creates a regional “Imaginationsraum” that corresponds to conventional definitions of literary regionalism.9 Before and after Arndt’s departure from northeastern Germany in 1817, his imagined regional space surfaced on multiple occasions, and, within these fictional realms, real historical spaces frequently appeared as well.That these diverse regional “Strukturmomente” in his writings often materialized in very close proximity to markedly national and transnational ideas should only at first glance seem puzzling.As recent studies have reiterated, the proximity of outward antagonisms represents ultimately a fairly common phenomenon. The works of distinctive writers ranging from Novalis to Berthold Auerbach, and onward from Wilhelm Raabe to Marie von Ebner-Eschenbach demonstrate this tension.10 In Arndt’s case, one notes for example how at the height of his declaration of systematic differentiations between national characteristics in his 1843 Versuch in vergleichenden Völkergeschichten he simultaneously completed the outwardly innocent anthology of Mährchen und Jugenderinnerungen. What distinguishes this collection of tales and legends from Arndt’s treatise is not just a thematic and narrative divergence from a more involved, if pseudo-academic evaluation of different people and ethnicities. Neither does its significance hinge on whether the collection should be considered a great contribution to the celebrated German fairy tale tradition.11 More significant is to what extent the compilation presents valuable illustrations of an enduring northern German oral tradition12 – the tales’ predominant use of dialect is in this regard important on another level – while nevertheless providing a strident voice within a developing national discourse.

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Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman. Königsstein/Ts.: Athenäum 1982, p. 10; see also Schumann: Heimat denken (footnote 2). Mecklenburg, ibid., p. 11. See also Todd Kontje: German Orientalisms. Ann Arbor: University of Michigan Press 2004, pp. 83 – 101; Arne Koch: Between National Fantasies and Regional Realities. The Paradox of Identity in Nineteenth-Century German Literature. (North American Studies in Nineteenth-Century German Literature) Oxford: Peter Lang 2006. See Heinz Rölleke: E. M. Arndt. In: Kurt Ranke et al. (ed.): Enzyklopädie des Märchens. Vol. 1.3. Berlin: de Gruyter 1976, pp. 810 – 815. Paul Zumthor: Die orale Dichtung: Raum, Zeit, Periodisierungsproblem. In: Ulrich Gumbrecht, Ursula Linke-Heer (eds.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1985, pp. 359–375, here p. 359.

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Arndt’s first Leuschen volume from 1818 appears to have been written fundamentally in response to the success that the Brothers Grimm had enjoyed with their tales.13 Clearly, Arndt reacted first and foremost to the encouraging reception of the Kinder- und Hausmärchen – already in its second edition by 1819 – and Grimm’s Deutsche Sagen (1816/1818). As on several other occasions, Arndt essentially must have recognized an avenue for expanding his own eminence as a writer and public figure by following a trend successfully launched by others. While this kind of a patronizing assessment of Arndt’s recurring epigonal activities may be fully warranted, it should not cast aside the fact that both of his volumes in varying degrees underscore Arndt’s stated desire to contribute to a collective national identity via a different “Akt kultureller Zeichensetzung”.14 Conspicuously, Arndt chose the same medium as the Grimms and others to promote a quest for the “Geist des Volkes in dem Einzelnen”.15 Yet, Arndt’s first volume relied much more heavily on a regionally thematic and topical core, thereby stressing in many ways a true spirit of particularity. Several of the legends, such as the Geschichte von den sieben bunten Mäusen and Prinzessin Svanvithe, are situated exclusively on the island of Rügen.16 With the subsequent expansion of the usage of Low German dialect in the second volume, Arndt would call even more attention to his belief in a regional lens within the ideals of a natural and organically maturing German nation.17 Notwithstanding Arndt’s unique regional concentration, his Vorrede to the Jugenderinnerungen, at first glance, still draws heavily on a familiar tone and vocabulary. Arndt all but repeats a familiar process noted by the Grimms: “Wie diese Mährchen zur Welt kommen? Zufällig, wie so viele Dinge dieser Welt sind [sie] größtenteils in frühester Jugend aus dem lebendigen Munde älterer Menschen von mir gewonnen [. . .] worden”.18 Surely, Arndt’s reference to the process of collecting/inventing one’s tales and to the role of oral tradition does not significantly contradict established techniques. Yet, precisely because of these existing methodological similarities with the Grimms (sameness within a broad, nationally-ambitious project) Arndt is able to focus on the thematic diversity of his own version (difference of regional particularities).19 A previously unpublished letter to his son Hartmuth, from the Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the University of Kansas, reveals

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Sichelschmidt: Ernst Moritz Arndt (footnote 7), p. 79. Aleida Assmann: Kultur als Lebenswelt und Monument. In: A. A., Dietrich Harth (eds.): Kultur als Lebenswelt und Monument. Frankfurt/M.: Fischer 1991, pp. 11–25, here p. 14. Jacob and Wilhelm Grimm: Vorrede. In: J. G., W. G.: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe in zwei Bänden nach der Ausgabe letzter Hand von 1857. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1984, pp. 11 – 18, here p. 17. Sichelschmidt: Ernst Moritz Arndt (footnote 7), p. 10. Ernst Moritz Arndt:Vorrede. Märchen und Jugenderinnerungen I. In: Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, edited by Heinrich Meisner and Robert Geerds. Leipzig: Max Hesse 1908, vol. 5, pp. 10 – 11. Ibid. Boa and Palfreymann: Heimat (footnote 2), pp. 28 – 29.

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to what extent Arndt’s fatherly guidance focuses on the particularity and value of his own fairy tale versions.Arndt’s paternal plea to Hartmuth to concentrate on the enclosed Low German Leuschen goes beyond a mere desire, as some have suggested, to contribute to his son’s linguistic integration during a visit to Pomerania:20 Hier kommt auch ein Buch mit voll Mährchen und Leuschen, von welchen Du wohl schon einige erzählen gehört hast. Darin kannst Du lesen und Dir ein bischen Plattdeutsch heraus lesen, was Du von Trin und Hans noch nicht aufgeschnappt hast.21

Aside from providing an avenue for his son to improve his reading knowledge of Low German, this note reveals the familiar process of the authentification of fairy tales as culturally and historically grounded within an enduring presence of storytelling traditions – in the case of Pomerania and Mecklenburg, in Low German. On a different level, one that focuses for the most part on the uniqueness or regional specificity of Arndt’s Leuschen, his tales add something fresh that his son would not have been able to gain from reading previously published fairy tale collections by the Grimms or anyone else. On another level, this latter attribute of Arndt’s literature provides a curious addendum to Hartmuth’s educational encounter with Low German. Arndt employs his childhood dialect as a literary language in order to teach Hartmuth what he had not yet learned from “Trin und Hans”. But who exactly might these two characters, Trin und Hans, be? Are they relatives from the extensive Arndt family, friends, or just distant acquaintances? Available genealogical tables along with the existing editions of Arndt letters can only provide part of the answer to these questions. Neither name surfaces in either Ernst Moritz or Hartmuth’s biography. One must therefore read the father’s remark as a literary allusion to the Grimm Brothers’ Hausmärchen, since his letter also refers explicitly to the second volume of his own collection published in 1843 and thereby to his ‘improvement’ of the Grimm tales. The once popular fairy tale characters, Trin und Hans, are among the many figures from German fairy tale tradition that have been long forgotten. In a number of Grimm tales, including Der gescheite Hans or Der faule Heinz, readers had been repeatedly introduced to “die dicke Trine” and a variety of incarnations of Hans. By directing his son away from these renowned Grimm texts toward his own regionalized versions, such as Der starke Hans and Thrin Wulfen,22 Arndt clearly utilizes Plattdeutsch as more than simply a means to further the purpose of social integration. While the specifics of Arndt’s variation of the tales do not concern the present reading, at least with regard to character constellations and plot lines, the cultural-linguistic relocation to Rügen and surrounding areas – “nicht weit von Schoritz”, Arndt’s birthplace, as the first line of Thrin Wulfen reads – is

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Walter Erhart: “Dein ältester Freund”. Einundzwanzig unbekannte Briefe von Ernst Moritz Arndt. In: Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte 89 (2003/2004), pp. 129 – 136, here p. 132. Letter V (1843 December 12) see p. 257 in this volume. Ernst Moritz Arndt: Der starke Hans.Thrin Wulfen. In:Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (footnote 17), vol. 6, pp. 174 – 211 and 254–259.

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undoubtedly significant.23 This relocation reintroduced his son to a long oral tradition that constitutes a part of a regional historical foundation. Furthermore, it makes it possible to imagine a specific historio-topographical region in which his Leuschen add a particular perspective to already existing national projects, for example those represented by the Grimm Brothers and others.24 Despite Arndt’s premeditated adaptation and rewriting of popular fairy tales, his narratives were not always simply reinscribed or regionalized renderings of familiar fables. Even though he often merely copied existing tales, Arndt did not always just put a different “Märchenkleid”, as he described it, on obtainable versions.25 In fact, Arndt remarked on a number of occasions about his efforts of actively looking for ‘original’ Leuschen from his home-region. Whenever he could not locate texts himself, he knew how to act as a true fairy tale ‘collector’. Arndt simply employed others who then served as ‘qualified’ collaborators to seek out stories for him on and around Rügen. In an 1821 letter to his sister Dorothea, he revealed this systematic approach as part of a concerted effort to produce another collection of Leuschen. In an appeal to his sister, Arndt stops just short of begging Dorothea to write down a few of her own stories or, at least, to copy for him “einige plattdeutsche pommersche” if she came across any outside her home.26 As exploitative as this involvement of one’s relatives may appear to some readers today, such a procedure was virtually required to record what was otherwise maintained only as part of an oral tradition.27 Orality, Pomeranian traditions, and the survival of Low German all subsequently come together in Arndt’s Leuschen. As such, the exclusively regional anecdote, De Blagfoot, reads in essence as a storyteller’s reply to his own leading question. Stated at the outset of the tale, a farmhand responds in a one-sided dialogue to his inquiry, “Herr, wet he, wat de Blagfoot is?”28 A sober and above all ornithological clarification provided by the “Herr” in response to this question is quickly revised by the farmhand. Not only does he reveal the myth-inscribed definition of the blue hawk still held by the regional population, but he also gently, if ominously, makes his landowning superior aware of the weight held by the rural inhabitants: “Un nu, 23

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Arndt: Thrin Wulfen. Ibid., p. 254. There are many more examples of the historio-topographical specificity of Arndt’s Leuschen as in Die neun Berge bei Rambin, in Der große Jochen and in others. Michael Ewert: Theodor Fontanes Wanderungen durch die märkische Historiotopographie. In: Hanna Delf von Wolzogen et al. (ed.): “Geschichte und Geschichten aus Mark Brandenburg”. Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg im Kontext der europäischen Reiseliteratur. Würzburg: Königshausen und Neumann 2003, pp. 470–485, here p. 470. Arndt: Vorrede. Märchen und Jugenderinnerungen I. (footnote 17), p. 11. To his sister Charlotte Dorothea Rassow in Buchholz, 9 February 1821. In: Ernst Moritz Arndt: Unveröffentlichte Briefe aus den Stadtarchiven Bonn und Stralsund. HansJoachim Hacker, Dietrich Höroldt et al. (eds.). Bonn: Bouvier 1995, p. 62. See also Rölleke: E. M. Arndt (footnote 11), p. 811. Zumthor: Die orale Dichtung (footnote 12), p. 359. Arndt: De Blagfoot (footnote 22), p. 23.

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Herr, wet he, wat dat mit dem Blagfoot för ’ne Bewandnis hett, und kann’t den Junkers mal utleggen [. . .]”.29 In the end, Arndt’s innocent little sketch fulfills one special function, in addition to obvious didactic and entertaining elements. De Blagfoot restates, in less abrasive ways, previous political and social observations first articulated by Arndt in different contexts. The tale’s explicit condemnation of the Junkertum, for example, may at first glance loose some of its punch, since the Low German inner narrative is historically distanced from the reality of the framing dialogue between a “Bur” and a nobleman. Aside from this temporal dislodgment, the mythical representation of the villain within the realm of animals further softens the critique. Yet in contrast, recurring characterizations of the Junker as “Minschenplager”, “Schelm”, and “Minschenfiend” bluntly draw on a familiar vocabulary of the time. Moreover, this language almost literally reclaims the provocative pitch of Arndt’s earlier pamphlet, Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen, from 1803. Following the abolishment of servitude in Swedish-Pomerania by the King of Sweden in 1806, Arndt continued to provide commentary on the plight of farmers for decades thereafter. Through a number of essays, including his 1807 Der Bauernstand, politisch betrachtet and his 1840 commentary on the Preußische Agrargesetze, but also through exemplary tales, Arndt contributed to an ongoing discussion about social discrepancies in the rural areas of Pomerania and elsewhere.30 While his actual influence on the 1806 reform has been widely overstated – likely as a result of Arndt’s unsubstantiated claims in his biographical writings to have swayed the King of Sweden31 – he nonetheless was so immensely interested in this topic that he would later display it prominently in his Leuschen. Irrespective of any intent or involvement by Arndt with the reforms, the tale gains still broader significance. What appears on the surface as an isolated regional episode, now as legend also gains potentially superregional implications with its position in a larger context of related writings. What becomes clearer in some of Arndt’s Leuschen – as long as these cases are considered alongside his essays and linguistic treatises – is that the criticism of the foundations he believed to be necessary for the creation of a German nation – the liberation of farmhands, for instance – often appears a bit paradoxically alongside, or in close proximity, to his enduring belief in the monarchy and a god given order. In light of this enduring monarchical and hierarchical worldview, it was not a surprise that widely-publicized proclamations against the reactionary social politics of the Junkertum in his 1858 publication Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Freiherrn vom Stein generated a lot of frenzy. 29 30

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Ibid., p. 25. Joachim Krüger: Ernst Moritz Arndt und die Aufhebung der Leibeigenschaft in Schwedisch-Pommern. In: Fritz Reuter, Ernst Moritz Arndt, Alwine Wuthenow. Beiträge der Fritz Reuter Gesellschaft 14 (2004), pp. 19 – 28, here p. 26. Johannes Schildauer: Ernst Moritz Arndts Weg, Ziel und Vermächtnis. In: Ernst Moritz Arndt. 1769–1969. Feschrift zum 200. Geburtstag. Greifswald: Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 1969, pp. 7 – 19, here p. 7. See also Krüger: Ernst Moritz Arndt und die Aufhebung der Leibeigenschaft in Schwedisch-Pommern (footnote 30), p. 25.

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III. In deutscher Treue, E. M. Arndt, Mecklenburger Considering the national orientation and reception of Arndt’s Wanderungen, it might initially seem unexpected that such an account could also invigorate a sense of ‘regionality’ among its readers. In an 1858 letter to Arndt, the Mecklenburg dialect writer Fritz Reuter, however, clearly demonstrates how the descriptions of Arndt’s acquaintance with von Stein had inspired him and many others – “Tausende” as he claims.32 Reuter’s letter would have very little significance if it were simply an expression of respect like so many others that Arndt had received over the years both in writing and in person. Most of the letters of veneration which were kept by Arndt and subsequently included in the published collections primarily reveal his enduring broad national appeal up until his death. As the following letter highlights, Reuter’s reaction differed noticeably from the standard adulations: [N]ur das innigste Dankgefühl, welches Ihr wahres und wackeres Wort über den Jammer meines gequälten Vaterländchen in mir wachgerufen hat [nämlich die Wanderungen], gibt mir die Dreistigkeit, Sie in der ernsten Ruhe der alten Tage zu stören. – Sie, das Vorbild meiner Jugend in jeglichem ehrenwerten, vaterländischem Tun, haben mit gerechter Hand jedem das Seine gegeben [. . .] dafür dankt Ihnen mein ehrliches Herz, dafür danken Ihnen hier Tausende [. . .] auch ich in dem beiligenden Werkchen, vielleicht mit weniger Geschick als Ehrlichkeit, [habe ich] es gewagt [. . .] unseren Zwängern und Drängern die Wahrheit zu sagen, den Schimpf von dem Namen des geknechteten und geächteten Volkes zu nehmen und ihn denen ins Angesicht zurückzuschleudern [. . .]. Mein Büchlein ist plattdeutsch geschrieben, in der Sprache Ihrer Jugend, die Sie zuerst aus langem Schlummer wieder erweckt haben; Sie werden dieselbe noch verstehen. – Ich schließe mit einem Händedruck für den Ehrengreis meines Vaterlandes als Ihr Fritz Reuter, Mecklenburger.33

Instantaneously, Reuter’s message underscores that a ‘Low German Arndt’ had in fact been recognized for some time. From the 1850s onward,Arndt had indeed been highly regarded in Low German literary circles and among its readers.As Low German literature experienced a noteworthy resurgence, thanks to writers such as John Brinckmann, Klaus Groth, Alwine Wuthenow, and of course Reuter, there were other less celebrated writers who looked at Arndt’s Leuschen as exemplary illustrations of their literary language and heritage. Whether Arndt had, in fact, been the first to reintroduce Low German literature after a “langem Schlummer”, particularly if one recalls Johann Heinrich Voß’s admired idylls half a century earlier which had garnered even Goethe’s attention, is a separate concern.34 Of more significance is the extent to which Reuter’s observation points to the tales’ popularity, since it allegedly leads to a logical identification of Arndt as regionally defined.

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Letter to Ernst Moritz Arndt, undated letter from 1858. In: Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1966/1967. Vol. 8. Briefe. Edited by Kurt Batt. Rostock: Konrad Reich 1990, p. 330. Ibid. See Regina Hartmann: Literarisches Leben in Schwedisch-Pommern im 18. Jahrhundert. Aachen: Shaker 1997.

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Notwithstanding this distinctive regional definition of Arndt, Reuter’s comments also identify the degree to which one person’s writings could (or should) exhibit an intricate coexistence of regional and national identities. Whereas this duality of nation and region would become more visible in Arndt’s biography and writings toward the end of his life – when both geographic and temporal distance from his regional home had evolved into a permanent state – it was certainly already present before his departure from Pomerania, as some of his earlier poetry documents. One may, therefore, conclude with regard to Reuter’s important letter that this outwardly prototypical example of Arndt-worship rests not on one, but instead on three important interrelated features. First is Arndt’s supposed encouragement of a Low German revival. Second is the fact that Arndt provided the inspiration for someone like Reuter to write scathing attacks on the Junker and on Prussia. And third is a general acceptance, shared by sender and addressee, of the multivalent idea of “fatherland”, which as a concept would readily incorporate exclamations of regionality, as shown in the “Mecklenburger” example. By enclosing a copy of his own 1857 “Büchlein”, Kein Hüsung, which in many ways represented a literary adaptation of Arndt’s Geschichte der Leibeigenschaft, Reuter not only acknowledged and celebrated Arndt for his critical stance against the Junker, but he also reiterated the importance of maintaining one’s sense of belonging to multiple realms. As in later literary illustrations, for example, at the end of his novel Ut mine Stromtid (1864), Reuter felt inspired by Arndt to express a sense of inhabiting a German multiplicity, that is, to live “in unsern dütschen Vaderlan’n”.35 However, simply projecting onto Arndt the kind of doubleness articulated by Reuter is not immediately feasible. Just because Arndt was received positively, if not idealized, by someone who was known to have had a problematic relationship with whatever may have constituted the German nation at that time,36 does not automatically make Arndt’s personal bearing identical. For a long time, Arndt did take an outwardly unmistakable stance when he repeatedly proclaimed “Das ganze Deutschland soll es sein”. Does this all-encompassing patriotic line as part of Arndt’s enduring quasi-national hymn not suggest a need to subordinate diverse regions in a process of merging Preußen, Schwaben, Bayern, Mark Brandenburg, Steiermark, Westfalen etc. into one unified Germany? To some critics, the embedded integration expressed by the dictum e pluribus unum supposedly provides a vocal poetic mark for a desired process of unification.37 Whether Arndt could replace such homogenizing dynamics with what may be designated as hybrid identities 35 36

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Fritz Reuter: Ut mine Stromtid. Rostock: Hinstorff 1982, p. 728. See Arne Koch: Die Versuchswerkstatt zwischen Region und Nation. Fritz Reuters Unterhaltungsblatt und die Grenzen literarischer Bewußtseinsräume. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 28.2 (2003), pp. 39–74. For Arndt’s supposedly implicit recognition that Germany would be “simply” a sum total of its various regions, see Hinrich C. Seeba: “Soweit die deutsche Zunge klingt”. The Role of Language in German Identity Formation. In: Nicholas Vazsonyi (ed.): Searching for Common Ground. Diskurse zur deutschen Identität 1750–1871. Köln: Böhlau 2000, pp. 45–57, here p. 49.

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is difficult to assess, especially in light of the historical reality in a pre-national Germany. Nonetheless, Arndt’s blend of nationalism – no matter how fervent or simplistic it may have appeared during his lifetime and still today – certainly could at least have been permeated by other expressions of identities. Throughout his œuvre, recurring reflections including descriptive passages from Arndt’s Geist der Zeit from 1818 reinforce to what extent a regional “Eigentümlichkeit” time and again could provide a desirable counterpoint to the “Idee eines gemeinsamen deutschen Wesens und eines gemeinsamen deutschen Vaterlandes”.38 Even Arndt’s most confrontational observations about language and national (as well as natural) borders in this repeatedly discussed process of forging a German nation therefore possibly exhibit a degree of differentiation between positive and negative manifestations of regional multiplicity. Among the patently negative characteristics of German regional diversity,Arndt adds repeatedly force to a customary argument that had been widely established by the mid-eighteenth century. Indeed, Arndt shares the belief of many of his contemporaries that the absolutist and divisive structures of the German-speaking “Kleinstaaten” too often gravitated towards a subordination of the basic idea of ‘Germany’ to regional affiliations. Inherently arbitrary decision-making processes were but one of the manifestations of this supposedly negative side of Germany’s plurality.39 At the same time, Arndt’s view of culture in its broadest sense could differ considerably from his assessment of political and bureaucratic structures. For example, his repeatedly stated suggestion to create “eine Gesellschaft für die Sprache” underscores the aim to privilege regional differences over sameness. As much as it may initially sound like an effort to create a centralized institute to study, or even control, a national and standardized language, his proposal has to be noted for its broad approach. Arndt’s idea is noticeably at odds with such potentially centripetal dynamics. His desired ”Gesellschaft“ would, according to Arndt, neither regulate nor modulate the existing language or dialects, nor would it formulate specific standards or rules. On the contrary, it would simply aim to preserve “was vom

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Ernst Moritz Arndt: Deutschland. Geist der Zeit IV. In:Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (footnote 17), vol. 4, pp. 35 and 34. Arndt expands his earlier observations on the need to maintain regional differences within a process of creating sameness (i. e. a unified Germany) while avoiding a reversal of the process that views Germany as secondary vis-à-vis one’s region: “Man könnte es allenfalls verzeihen, wenn Preußen und Österreich ihre Namen neben dem Namen Deutschland noch als bedeutend nennen, aber soll man nicht lächeln, wenn Württemberger, Badener, Hannoveraner, Mecklenburger als eigene selbständige Völker sich brüsten und den Namen Deutsche unter sich setzen? Ja so weit sind die Kleinstaaten in der verblendeten monarchischen Torheit gegangen, daß, wer vom deutschen Volke und von deutscher Eigentümlichkeit und Herrlichkeit spricht, nicht bloß als ein altfränkischer Narr ausgelacht sondern hin und wieder fast als ein Empörer und Verbrecher verfolgt wird. Es ist so ein dunkles Gefühl in ihnen, daß Deutschland erst vergessen werden müsse, damit Nassau, Mecklenburg, Baden usw. genannt werden dürfe”. Ibid., p. 35.

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Sprachvorrat noch aufzulesen und zu erkunden ist”.40 Not unlike the already discussed process of collecting regionally-specific fairy tales, this idealized process for the maintenance and exploration of the German language would reinforce existing differences of language and history. It is noteworthy that Arndt’s argument reveals thereby that the by-product of the potentially nationalist function of language does not always have to be a nationalization or standardization of the language. In the end, by means of such pseudo-scientific excursions about German dialects and “die sassische Mundart”,41 Arndt concludes with some regret that the standard language during his time already suffers from a lack of “Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit”.42 Arndt’s thoughts in Geist der Zeit – which can once again be described as being all over the map – come surprisingly close to Berthold Auerbach’s plaintive regional-national theory in Volk und Schrift from 1842 – or vice versa. However, for Auerbach, linguistic multiplicity (“Mannigfaltigkeit”) represents a needed buffer against a feared national uniformity or unity, which Arndt, of course, fully supports despite its perils.43 No matter how idealistic and wishful Arndt’s ideas on language may be, his passing remarks do address at least the possibilities for the continued existence of regional identity, even if only defined by language and within a move toward an unyielding national formation.44

IV. Between Romantic Longing and Death Warrant Although Arndt articulated many of his thoughts on the quandary of German regionality in the early 1800s, it was primarily in his later years that he became more focused on his old Heimat. In many of his writings and throughout his correspondence during the last two decades of his life, Arndt consistently added regional reflections that demonstrated either his romantic homesickness or a realization of the approaching end of his life. One example from his poetry may serve to illustrate the

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Arndt: Unsere Sprache und ihr Studium. Geist der Zeit IV., Vol. 4. Ibid., p. 213. Ibid., p. 212. Ibid., p. 214. Standard language in this context does not imply that there even was such an entity during Arndt’s times. This term was not used in the way that it is commonly referred to today. Nevertheless, Arndt does repeatedly refer to an academic and centralized standardization of the language as a real and existing threat to regional differences in the German language. See also ibid., pp. 215 – 22. Berthold Auerbach: Vorreden spart Nachreden. In: B. A.: Gesammelte Schriften. Zweite Gesamtausgabe. Vol. 1. Schwarzwälder Dorfgeschichten. Stuttgart: Cottasche Buchhandlung 1863, p. vi. A notion of coexisting national and regional identities is important as it provides a clear example that contradicts the claimed metaphorical substitution of the regional Heimat for the German nation. See Alon Confino: The Nation as Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany, and National Memory, 1871 – 1918. Chapel Hill: University of North Carolina Press 1997. Despite the often clearly articulated multiplicity of belonging, this kind of homogenizing idea continues to guide many readings. See, for example, Crawford’s conclusion in this volume p. 145.

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close proximity of both of these elements. In his 1842 poem, “Heimweh nach Rügen”, Arndt reveals the reality of never again being able to return to his island: “Fern, fern vom Heimatlande / Liegt Haus und Grab am Rhein. / Nie werd’ an deinem Strande / Ich wieder Pilger sein”. One may hesitate to consider this kind of romantic longing for a return to his home beyond his reach as a valid illustration of regional literature, even though it satisfies some basic structural prerequisites. Apart from structural considerations, what is most relevant is the fact that something must have triggered Arndt’s more frequent affirmation of being from Rügen – not from Bonn, and not from Prussia. In 1858, in a manner which is unmistakably reminiscent of Fritz Reuter’s greeting, Arndt for the first time signed a letter with a distinct double marker, identifying both his Germanness and his Mecklenburg identity.45 As illustrated by the following letter to an anonymous recipient located on his “romantische [. . .] Heimatinsel” of Rügen that same year, this practice would become before long an almost common way for Arndt to conclude his correspondence: “In deutscher Treue [. . .] Ernst Moritz Arndt, aus Rügen”.46 In fact, almost half of Arndt’s signed letters during the last year of his life juxtapose these two distinct affiliations.47 This rate of recurrence may be nothing more than another manifestation of Arndt’s romantic yearning for a Heimat that is beyond his reach. Nonetheless, it is curiously present and quite passionate. While it may not answer all of the questions about Arndt, it should encourage readers to seek out more examples of the coexistence of regional and national identities in his work. This search would not be done to revise Arndt’s biography, but to further explain and describe Arndt’s unconventional, if not chaotic system.

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One might be tempted to suggest that Arndt’s new found sense of identifying himself as German and as Mecklenburger is but another instance of imitating already existing practices or following others. Reuter’s letter was written in 1858 – interestingly enough, the same year Arndt started this double marker in his correspondence. Reuter scholars may wish to point out this influential moment; however, it would collide as an argument with the fact that Arndt so openly identified himself as Mecklenburger in his poetry long before this letter. An eine Unbekannte aus Rügen, 12. August 1858. In: Ernst Moritz Arndt: Briefe. Vol. 3. Edited by Albrecht Dühr. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, p. 556. Ibid., pp. 596–609. Twenty-six of the twenty-eight letters from 1860 are signed by Arndt, of which twelve – mostly in the constellation noted above – refer to this dual bond.

Jürgen Schiewe

Nationalistische Instrumentalisierungen – Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache

1969, im Jahr des 200. Geburtstags Ernst Moritz Arndts, würdigte die Universität Greifswald ihren berühmten Studenten, Professor und Namenspatron1 mit einer Ausstellung. In der Einleitung zum Ausstellungskatalog heißt es: Arndts Bedeutung für den historischen Fortschritt liegt vor allem darin, daß er die soziale und die nationale Frage als die politischen Hauptfragen seiner Zeit in Deutschland erkannte. Mit seiner Schrift ›Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen‹ gab er in dem damals unter schwedischer Herrschaft stehenden deutschen Landesteil einen bedeutsamen Anstoß zur Befreiung der Bauern von den Fesseln des Feudalismus. In den Jahren 1812 – 1815 war er einer der konsequentesten Streiter für die deutsche Einheit und Freiheit – Ideale, die er auch in der Zeit der Demagogenverfolgung mit Entschlossenheit gegen die Reaktion verteidigte. Arndt leistete einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung eines deutschen Nationalbewußtseins bei den arbeitenden Klassen und Schichten. Seine Verbundenheit mit ihnen findet sichtbaren Ausdruck in der Forderung, die Rechte des Volkes verfassungsmäßig zu sichern. Als Hochschullehrer widmete er der Befreiung Deutschlands von der Napoleonischen Unterdrückung seine ganze Kraft und verkörperte in seinem Handeln die Einheit von Wissenschaftler und Politiker.2

Wie hier zu DDR-Zeiten wurden und werden immer noch gerade diese zwei Leistungen Arndts positiv hervorgehoben: sein Eintreten für die Bauernbefreiung und sein vehementes Engagement für die Schaffung eines Nationalbewusstseins. Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen ist dieser zweite Aspekt, wobei insbesondere Arndts Stellung zur Sprache, zur deutschen, aber auch zur französischen, kritisch beleuchtet werden soll. Es ist nämlich auffällig: Seine diesbezüglichen Schriften werden in den bio-bibliographischen Darstellungen Arndts, von denen es reichlich gibt, kaum erwähnt, geschweige denn besprochen. Auch der zitierte Katalog zum 200. Geburtstag Arndts verzichtet – vermutlich ganz bewusst – darauf, Arndts Sprachschriften anzuführen, obwohl es ein ausführliches Kapitel zum Thema »Ernst Moritz Arndt und die nationale Frage«3 gibt. Und selbst auf dem

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Die Universität hatte sich bereits 1933 und dann wieder 1954 den Namen Ernst-MoritzArndt Universität gegeben. Vgl. Dirk Alvermann: Zwischen Pranger und Breitem Stein. Die Namensgebung der Universität Greifswald und die aktuelle Diskussion. In: Karl Ludwig Tietz, Sven Wichert (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen. Neue Materialien zu einer alten Diskussion. (Hefte der Ernst-Moritz-ArndtGesellschaft 8–2003) Ueckermünde: Offset Druck 2003, S. 23–39. Manfred Herling, Horst-Diether Schroeder: Ernst Moritz Arndt 1769–1969. Katalog der Ausstellung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald zum 200. Geburtstag Ernst Moritz Arndts. Putbus: Cumerow & Jokiel o. J. [1969], S. 3. Vgl. ebd., S. 47–80.

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Greifswalder Kolloquium »Ernst Moritz Arndt – eine kritische Würdigung im Jahre 2001« sind die Sprachschriften nicht eigens zu einem Thema gemacht worden. Allerdings enthalten die Beiträge von Thomas Stamm-Kuhlmann4 und Reinhard Bach5 bereits wichtige Hinweise zu Arndts äußerst problematischer Instrumentalisierung der Sprache für nationalistische Zwecke. Auf zwei Schriften Ernst Moritz Arndts muss im Zusammenhang des Themas Bezug genommen werden: auf die Abhandlung Über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache aus dem Jahre 1813 und auf den 1814 publizierten Entwurf einer teutschen Gesellschaft. Beide Schriften trennt ein historisch bedeutsames Ereignis: die so genannte Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813, die für Napoleon mit einer Niederlage endete. Die unterschiedlichen historischen Gegebenheiten vor und nach der Völkerschlacht bedingen denn auch eine unterschiedliche Blickrichtung beider Schriften. In Über Volkshaß wendet sich Arndt explizit gegen Frankreich, das Französische, die französische Besetzung, der Entwurf einer teutschen Gesellschaft zielt nach dem Sieg in den so genannten »Befreiungskriegen« auf die Zukunft Deutschlands. Beide Schriften weisen dennoch Gemeinsamkeiten auf: Sie liegen in Arndts Frankreichbild, seiner Charakterisierung der deutschen Geschichte und seiner Sprachauffassung. Eine jede Sprache ist für Arndt, und das formuliert er schon lange vor 1813, ein Ausdruck der natürlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen der sie sprechenden Menschen. »In jeder Sprache«, schreibt er bereits 1804, stehe »das Karakteristische des Klima[s] und der Nation, wo sie herrscht, in näherer Verbindung [. . .], als man glauben mögte«.6 Und dann ruft er aus: »Welche innige Verbindung ferner zwischen der ganzen Lebensweise, zwischen den Sitten, dem innersten Gemüthe der Menschen und ihrer Sprache, die jedes Volk anerkennt!«7 Mit der Auffassung von einer Korrelation zwischen Sprache einerseits und den äußeren Lebensbedingungen, den inneren Gemütszuständen, den Vorstellungen und Normen, ja dem Denken überhaupt andererseits, steht Arndt nicht alleine. Wir finden ähnliche Konstruktionen im europäischen Denken seit Dante (1265–1321), in Deutschland bereits im Humanismus (14. – 16. Jh.), dann verstärkt in den sprachtheoretischen und sprachpraktischen Bemühungen des 17. Jahrhunderts, vor allem auch bei den Mitgliedern der Sprachgesellschaften des Barock. Sie setzten sich fort insbesondere im national geprägten 19. Jahrhundert und sie sind auch noch heute, beispielsweise in der populären Fremdwortkritik, anzutreffen. In den entsprechen4

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Thomas Stamm-Kuhlmann: Der Begriff der Nation bei Ernst Moritz Arndt. In: Tietz, Wichert (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen (Anm. 1), S. 100–109. Reinhard Bach: Ernst Moritz Arndt und die Franzosen. In: Tietz, Wichert (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen (Anm. 1), S. 66–85. Ernst Moritz Arndt: Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache, entwickelt in einer Rede, am hohen Geburtsfeste unsers allerdurchlauchtigsten, großmächtigsten Königs und Herrn Gustav IV. Adolphs, am 1sten November 1804. Greifswald: J. H. Eckhardt 1804, S. 18. Ebd. S. 19.

Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache

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den Diskursen wird die angenommene Korrelation zwischen Sprache und inneren wie äußeren Verhältnissen zumeist dazu benutzt, eine wie auch immer im Einzelnen geartete ›nationale‹ Zusammengehörigkeit der jeweiligen Sprachgemeinschaft zu postulieren und damit ein Identitätsgefühl je nach politischer Situation zu konstatieren, zu beschwören oder anzumahnen. Untermauert wird dieses Identitätsgefühl zusätzlich durch einen Verweis auf die gemeinsame Geschichte. Einher geht mit dieser Identitätskonstruktion in der Regel eine Emotionalisierung des Faktors ›Sprache‹: der »Liebe zur Muttersprache« wird nicht selten die Ablehnung anderer Sprachen gegenüber gestellt.8 Im aufklärerischen 18. Jahrhunderts werden in Deutschland das Eigene, die Muttersprache, und das Fremde, die anderen Sprachen, durchaus als Differenz gedacht – als Differenz jedoch, die produktiv zum Ausbau des Deutschen und, im Rahmen puristischer Bestrebungen wie beispielsweise bei Joachim Heinrich Campe, zur Schaffung von »Gemeinverständlichkeit« im Sinne der Aufhebung gesellschaftlicher Sprachbarrieren genutzt wird.9 Man reibt sich am Fremden, vor allem am Französischen, wertet es jedoch nicht ab, sondern nimmt es gar als Vorbild für das Deutsche, auch wenn man es aus Deutschland selbst verbannen will. Mit dem Eroberungszug Napoleons durch Europa ändert sich diese tolerante Haltung zur Differenz des sprachlich Eigenen zum Fremden grundlegend. Die Argumentation läuft zunächst jedoch noch vorrangig auf die Ablehnung des Fremden im eigenen Lande, in der eigenen Sprache hinaus. So schreibt 1806 Friedrich Ludwig Jahn, der so genannte »Turnvater« und Schüler Arndts in Greifswald, in seiner Schrift Bereicherung des Hochdeutschen Sprachschatzes: In seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk, in der Sprache Schatz ist die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt, hier waltet wie im Einzelnen das Sinnliche, Geistige, Sittliche. Ein Volk, das seine eigene Sprache verlernt, giebt sein Stimmrecht in der Menschheit auf, und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprachen begreifen, und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dollmetscher taugen, es ist kein Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen.10

Bei Jahn ist bereits die Vorstellung von der Sprache als Spiegel des Volksgeistes, wie es dann im 19. Jahrhundert heißen sollte, ausgedrückt, darüber hinaus aber auch der Gedanke, dass die Ausbildung und Ausübung der Muttersprache, jetzt vielleicht besser: Nationalsprache mit der (welt)politischen Bedeutung der Nation

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Vgl. Anja Stukenbrock: Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver Identitätsstiftung in Deutschland (1617 – 1945). (Studia Linguistica Germanica 74) Berlin, New York: de Gruyter 2005. Anja Stukenbrock: Aus Liebe zur Muttersprache? Der VDS und die fremdwortpuristische Diskurstradition. In:Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 3/2005, S. 220 – 247. Vgl. Jürgen Schiewe: Sprachpurismus als Emanzipation. Joachim Heinrich Campes Verdeutschungsprogramm als Voraussetzung für Gesellschaftsveränderungen. (Germanistische Linguistik 96–97) Hildesheim u. a.: Olms 1988. Friedrich Ludwig Jahn: Bereicherung des Hochdeutschen Sprachschatzes versucht im Gebiethe der Sinnverwandtschaft, ein Nachtrag zu Adelung’s und eine Nachlese zu Eberhart’s Wörterbuch. Leipzig: Böhme 1806, S. XII.

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in enger Verbindung stehe: Sprachverfall habe politische Bedeutungslosigkeit zur Folge, umgekehrt führe eine Reinerhaltung der Sprache zum Aufstieg der Nation. Johann Gottlieb Fichte dann begründet in seinen Reden an die deutsche Nation (1808), einem glühenden Plädoyer für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, den Zusammenhang zwischen Sprache und Nation zeichentheoretisch. Sprache ist für ihn keine bloße Ansammlung arbiträrer Zeichen.Vor allem der Bereich der Abstrakta und der Komposita sei so gestaltet, dass in ihm eine nationenspezifische Sichtweise der Welt darin zum Ausdruck komme. Bezogen auf diesen Teil des Wortschatzes einer Sprache, den abstrakten »übersinnlichen« Teil, schreibt Fichte: Dieser übersinnliche Teil ist in einer immerfort lebendig gebliebenen Sprache sinnbildlich, zusammenfassend bei jedem Schritte das Ganze des sinnlichen und geistigen, in der Sprache niedergelegten Lebens der Nation in vollendeter Einheit, um einen, ebenfalls nicht willkürlichen, sondern aus dem ganzen bisherigen Leben der Nation notwendig hervorgehenden Begriff zu bezeichnen, aus welchem, und seiner Bezeichnung, ein scharfes Auge die ganze Bildungsgeschichte der Nation rückwärtsschreitend wieder müßte herstellen können.11

Fichte sucht das Deutsche als eine Sprache zu zeichnen, die sich bis zu den Wurzeln zurückverfolgen lasse und seither lebendig geblieben sei. Diesen vermeintlichen Umstand betrachtet er als einen Vorzug, der das Deutsche vor allen übrigen germanischen Sprachen auszeichne und den es zu erhalten gelte, weil nur eine derart lebendige Sprache tätig in das eigentümliche Leben des Volks eingreifen könne. Ohne politische Selbständigkeit, so meint er, sei auch eine Sprache nicht am Leben zu erhalten. Ohne eine eigene Sprache aber verliere das Volk seine Geschichte, seine freie Denkart, seine Identität. Fichte entwickelt eine rückwärtsgewandte Utopie. Er versucht, die angeblich von Verfall und Tod bedrohte ursprüngliche Denkart des deutschen Volkes durch eine Rückbesinnung auf den Wert der Sprache zu bewahren. In den eingangs genannten Schriften von Ernst Moritz Arndt finden sich diese Gedanken wieder. Er gehört – das sollten die bisherigen Ausführungen andeuten – mit seiner Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Sprache und Nation einem größeren, in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert geführten Diskurs an. Er reiht sich aber darüber hinaus auch ein in den engeren, gleich nach der Französischen Revolution einsetzenden deutschen Begründungsdiskurs eines Nationalbewusstseins, der aus sprachgeschichtlicher Sicht zunächst die folgenden drei Komponenten umfasst: 1) Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Sprache und Nationalbewusstsein, 2) Klage über einen »Sprachverfall« des Deutschen und 3) Ablehnung von Fremdwörtern und fremden Sprachen, insbesondere des Französischen. Auch wenn vor allem diese Ablehnung von Fremdwörtern, der nationale Fremdwortpurismus also, bereits im 17. und 18. Jahrhundert zu konstatieren ist, kommt zu Beginn des 19. Jahrhunderts doch eine neue Qualität in den Diskurs hinein. War es

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Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation. Hg. von Fritz Medicus. Mit einer Einleitung von Alwin Diemer und einem Namen- und Sachverzeichnis. (Philosophische Bibliothek 204) Hamburg: Meiner 1955, S. 71f.

Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache

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bis dahin weitgehend ein ›Differenzdiskurs‹, so wird es nun ein ›Bewertungsdiskurs‹. Die Sprachen werden hinsichtlich bestimmter Eigenschaften charakterisiert und gegeneinander gewogen, und mit den Sprachen und über die Sprachen werden Nationen auf- oder abgewertet. Aufgrund dieses Moments, dass – angebliche – Defizite in anderen Sprachen gesucht und als Argument für deren Herabsetzung benutzt werden, lässt sich die damit verbundene Sprachauffassung als »nationalistisch« bezeichnen. Wir haben also als vierte Komponente: 4) Abwertung des Fremden, insbesondere der französischen Sprache und »Denkart«, damit zugleich Aufwertung des Eigenen. Ernst Moritz Arndt ist in der Zeit um 1813 einer der herausragenden Vertreter dieser nationalistischen Sprachauffassung. Ihm geht es nicht ausschließlich darum, lediglich Differenzen zwischen den Völkern und Nationen zu konstatieren, um das Eigene zur Hebung des Nationalbewusstseins deutlich herausstellen zu können. Er dynamisiert die Differenzen, indem er sie zum Gegenstand aktiv zu lebender Einstellungen macht. Arndt predigt Hass, den Hass zwischen den Völkern, »Volkshaß«. Bemerkenswert ist, dass er den Hass aus dem göttlichen Willen der Verschiedenheit der Völker und der Verschiedenheit ihrer Sprachen ableitet. Es ist dies der »edle«, der christliche Hass,12 der sich aus Gottes Eingriff beim Turmbau zu Babel – dieses biblische Kapitel druckt Arndt in seiner Schrift Ueber Volkshaß ab13 – als christliche Pflicht ergibt. Die gottgewollte Verschiedenheit der Völker werde nivelliert, wenn ein Volk eine fremde Sprache gebraucht oder aber Fremdwörter in die eigene Sprache aufnimmt. Die Völker würden dann – so Arndts Ausdruck – »neutralisiert«.14 Und weiter schreibt er: Sie verlieren alle Vorliebe für sich und allen Stolz auf sich als ein solches bestimmtes Volk; sie werden ein Allerweltsvolk, Allerweltsmenschen, was man mit einem prunkenden Namen Kosmopoliten genannt hat; sie sind aber bei einer solchen Verwirrung und Schwächung ihrer Eigentümlichkeit auf dem geradesten Wege, solche Allerweltsmenschen zu werden, die man Sklaven und Juden nennt.15

Es soll nicht auf den hier zum Ausdruck kommenden Antisemitismus eingegangen, sondern lediglich sein »Franzosenhaß« hervorgehoben werden. Am deutlichsten formuliert Arndt diesen Hass in der folgenden Passage: Ich will den Haß, festen und bleibenden Haß der Teutschen gegen die Wälschen und gegen ihr Wesen, weil mir die jämmerliche Aefferei und Zwitterei missfällt, wodurch unsere Herrlichkeit entartet und verstümpert und unsere Macht und Ehre den Fremden als Raub hingeworfen ward; ich will den Haß, brennenden und blutigen Haß, weil die Fremden laut ausrufen, sie seyen unsere Sieger und Herren von Rechtswegen, und weil wir das nicht leiden dürfen. Laß den Franzosen in Frankreich Franzosen sein, in Teutschland sollen sie es nicht seyn; da müssen sie und ihre Anhänger und Evangelisten geächtet seyn und als Hochverräther an dem Lande und Volke bestraft werden; da ist die einzige Menschlichkeit,

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Ernst Moritz Arndt: Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache. Leipzig: Fleischer 1813, S. 19. Ebd., S. 22f. Ebd., S. 25. Ebd.

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diejenigen zu vertilgen, welche das göttliche und menschliche Recht durchbrechen und sich frevelhafter Tyrannei anmaßen; da ist die einzige menschliche und christliche Pflicht, die Schande auszurotten, und den Frevel zu demüthigen [. . .]. Ich will den Haß gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer.16

Haß gegen andere Völker wird für Arndt zur Bedingungen der Möglichkeit, eine Identität der Deutschen, ein auf Kultur, Geschichte, Abstammung, Kognition und Wesensart gegründetes Nationalbewusstsein in einer Zeit drohender »Neutralisation« und Kosmopolitismus wieder herzustellen. Das Eigene, Deutschland und das Deutsche, sucht er dabei als das Überlegene auszuweisen: »Wir (Deutsche)«, schreibt er, »sind von Gott in den Mittelpunkt Europens gesetzt, wir sind das Herz unseres Welttheils, wir sind auch der Mittelpunkt der neuen Geschichte und der Kirche und des Christentums.«17 Die von Arndt postulierte geographische, historische und religiöse »Vormachtstellung« Deutschlands spiegelt sich seiner Ansicht nach in den Eigenschaften der deutschen Sprache. Er nennt die »teutsche« Sprache eine der reichsten Sprachen der Welt, tief und schwer an Sinn und Geist, in ihren Gestalten und Bildungen unendlich frei und beweglich, in ihren Färbungen und Beleuchtungen der inneren und äußeren Welt unendlich vielseitig und mannigfaltig. Sie hat Ton, Accent, Musik: der Teutsche ist ein musikalisches Volk. Vieles hängt der Sprache von nordischer Rauhigkeit und Sprödigkeit an; aber Klang, Wohllaut und Biegsamkeit gebricht ihr keineswegs.18

In den letzten Jahrzehnten jedoch, so Arndt, sei die deutsche Sprache allenthalben gering geschätzt worden: Die höhere Klasse des Volks, welche darstellen, regieren, sprechen, und leben soll, hatte für sich das Fremde beliebt; die untere Klasse, und das Volk überhaupt, ohne ständische Verfassung, ohne öffentliche Darstellung, ohne alle Gelegenheit, das Sprechen in ein Reden zu verwandeln, und also die Sprache mit Kraft und Verstand für einen höheren Zweck, als das gemeine Sprechen sein kann, zu gebrauchen, konnte sie auch nicht weiter führen; ja auch sie führte bergab, weil die Zeit mit allem Teutschen bergab ging.19

Aus diesem Befund zur gesellschaftspolitischen Lage in Deutschland zieht Arndt einen bedeutsamen Schluss: »Wir waren nichtig geworden, weil wir unsere Sprache verachtet hatten; die Sprache war nichtig geworden, weil wir aufgehört hatten, ein Volk zu seyn. Dies ist ein Zirkel, der sich nirgends öffnet, so sehr ist Sprache und Volk innerlich Eins.«20 Dennoch scheint Arndt zumindest zwei Öffnungen aus dem Zirkel darzulegen: zum einen den politischen Kampf gegen Frankreich, gegen Napoleon, also den Krieg, zum anderen aber, und dieses ist aus dem Blickwinkel der Sprache wichtig, den Hass auf alles Französische, insbesondere auf die französische Sprache. Ausdruck dieses Hasses ist die Verbannung des Französischen, und zwar als gesprochene Sprache, aus dem deutschen Sprachraum. Nach einer aus-

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Ebd., S. 18. Ebd., S. 28. Ebd., S. 71. Ebd., S. 76. Ebd., S. 77.

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führlichen Darlegung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Nationalcharakter schreibt er: Man sieht jetzt, wohin ich will. Ich will die Uebung und den Gebrauch der französischen Sprache in Teutschland abgeschafft wissen. Man mag die französische Sprache lesen und verstehen wie andere Sprachen, damit man der Bildung, Wissenschaft, Kunst und Art auch des französischen Lebens genießen könne; aber sprechen soll man sie nicht. Gleiches würde ich rathen, und, wenn ich befehlen könnte, befehlen, in Hinsicht der polnischen und italiänischen Sprache: sie dürfen in Teutschland nicht als sprechende Sprachen prangen, weil die Teutschen so wenig Polen und Italiäner als Franzosen werden sollen.21

Die Hinwendung zur gesprochenen Sprache als Einübung und Ausdruck nationaler Identität, die hier in negativer Abgrenzung als Vermeidung der fremden Sprache und Sprachen vollzogen wird, kommt ein Jahr später, nach dem Sieg über Napoleon, in positiver Hinsicht auch in Arndts Schrift Entwurf einer teutschen Gesellschaft zum Ausdruck. Eine solche Gesellschaft, die einzurichten ist »soweit der schirmende Reichsadler seine mächtigen Flügel ausspreitet« und gebildet wird für »alle Teutsche ohne Unterschied der Religion und Regierung«,22 hat vor allem folgende Aufgaben: Sie will nichts anders, als teutsche Tugend und Art beleben und fremdes Laster und fremde Unart vertilgen. Daher wacht sie an ihrem Ort über allem, was löblich, vaterländisch, tüchtig und männlich ist, züchtigt wälsche Zierlichkeit und Ueppigkeit, bezeichnet unteutsche Schanden und Weichlichkeiten, und sucht durch die Stattlichkeit und Würdigkeit, worin sie sich hält, eine öffentliche Meinung zu begründen, deren Gewalt über die meisten Menschen mächtiger ist, als die Gewalt aller Gesetze.23

Um diese Ziele zu erreichen, will Arndt eine Art Sprachgesetz für die »teutsche Gesellschaft«, die hier als Vorbild für die gesamte Gesellschaft zu denken ist, erlassen. Es lautet: Die einzige Sprache, die in der teutschen Gesellschaft gesprochen werden darf, ist die teutsche Sprache; denn auch dahin zielt sie vorzüglich, daß die unmittelbare Kraft des Lebens und die große Gewalt der Seele lebendig werde, daß die Menschen aus Schreibern Sprecher und aus Träumern Thäter werden, wer nicht sprechen kann, entbehrt eines der gewaltigsten Hülfsmittel, Menschen zu bewegen, und, wenn es seyn muß, zu beherrschen, die Zunge ist eine der mächtigsten Gewalten, die es giebt. Wer sich erfrecht in ihr französisch zu sprechen, wird als ein Frevler ausgestoßen; wer eine andere fremde Sprache spricht, wird einem eitlen Thoren gleich geachtet, und muß eine ansehnliche Geldstrafe erlegen. Denn genug haben wir erfahren, welche unselige Früchte uns die Versäumung und Verachtung unserer herrlichen Muttersprache getragen hat. Wer seine Sprache nicht achtet und liebt, kann auch sein Volk nicht achten und lieben; wer seine Sprache nicht versteht, versteht auch sein Volk nicht, und kann nie fühlen, was die rechte teutsche Tugend und Herrlichkeit ist; denn in den Tiefen der Sprache liegt alles innere Verständniß und alle eigenste Eigenthümlichkeit des Volkes verhüllt. Darum, teutsche Männer, sprechet teutsch, und recht gut und ächt teutsch, und ihr werdet durch eine stille geistige Verwandelung, die von selbst in euch vorgeht, bald ganz andere Männer seyn, als ihr jetzt seyd.24 21 22

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Ebd., S. 39. Ernst Moritz Arndt: Entwurf einer teutschen Gesellschaft. Frankfurt/M.: P. W. Eichenberg 1814, S. 29. Ebd., S. 31. Ebd., S. 33f.

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Hier instrumentalisiert Arndt die deutsche Sprache nicht mehr nur für nationalistische Zwecke, nutzt er sie nicht mehr nur zur Schaffung eines Nationalbewusstseins in Abgrenzung zum und in Erhebung über das Französische – er definiert sie nun als ein Mittel zur Schaffung und zum Ausdruck einer »öffentlichen Meinung«.25 Er greift zurück auf die Rhetorik, indem er das gesprochene Wort in den Mittelpunkt stellt. Doch Arndt reduziert die Rhetorik auf das Moment des »Bewegens«, des movere, ja, er fügt gar das »Beherrschen« hinzu. Nicht hinein in seine Argumentation nimmt er das rhetorische und dialektische Moment der »Ermittlung von Wahrheit«, das nur wenig später für die liberalen Theoretiker von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, Carl Theodor Welcker oder Carl von Rotteck beispielsweise, maßgeblich werden sollte. Arndt bleibt auch in dem geschichtlich wegweisenden Begriff der »öffentlichen Meinung« nationalistischen Zwecken verhaftet: im gemeinsamen, gar erzwungenen Sprechen einer Sprache, des Deutschen, bricht sich die »große Gewalt der« – hinzuzufügen wäre: deutschen – »Seele« ihre Bahn. Die öffentliche Meinung ist und bleibt auch 1814 nichts anderes als der ›Volksgeist‹, der das Denken im Sprechen beherrscht. Während die liberalen Denker des frühen 19. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit, insbesondere in der Pressefreiheit, eine Möglichkeit zur Kommunikation und zum Ausgleich unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen erkennen und sich damit einer neuen, zukunftsgerichteten Gestaltung der Gesellschaft öffnen,26 argumentiert Arndt weiterhin rückwärtsgewandt. Er will zwar die öffentliche Kommunikation, aber er will sie nicht frei, sondern zielgerichtet, hin auf ein in der Geschichte niedergelegtes Ideal eines »heiligen teutschen Vaterlandes«.27 Auch hierin liegt eine Instrumentalisierung zu nationalistischen Zwecken – nun nicht mehr nur der Sprache, sondern auch der Kommunikation.

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Vgl. ebd., S. 25f.: »Damit ein Volk werde, damit die öffentliche Meinung allmächtig wirke, damit alle vom Fürsten bis zum Bettler von dem großen Gefühl, das Vaterland gehört allen und alle gehören dem Vaterlande, durchdrungen werden, dafür müssen in Teutschland tugendliche, kräftige und einsichtige Männer geschlossen zusammentreten, und jeder in seinem Kreise und nach seinen Gaben wirken, dass das Kleinliche und Fremde vertilgt und das Großartige und Heimische belebt werde. Das ist die große Forderung, welche das Zeitalter an uns alle macht, dass wir das Eigenthümliche, Volksthümliche und Teutsche pflegen und entwickeln, und das Fremde, Wälsche und Unteutsche verbannen und vertilgen.« Vgl. Jürgen Schiewe: Öffentlichkeit. Entstehung und Wandel in Deutschland. (UTB 2440) Paderborn u. a.: Schöningh 2004, S. 55 – 58, 266 – 277. Arndt: Entwurf einer teutschen Gesellschaft (Anm. 22.) S. 37.

Sigrid Nieberle

»Und Gott im Himmel Lieder singt«: Zur prekären Rezeption von Ernst Moritz Arndts Des Deutschen Vaterland Ernst Moritz Arndt Des Teutschen Vaterland Was ist des Teutschen Vaterland? Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht? O nein, o nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Was ist des Teutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Ist’s, was der Fürsten Trug zerklaubt, Vom Kaiser und vom Reich geraubt? O nein! o nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Was ist des Teutschen Vaterland? Ist’s Baierland, ist’s Steierland? Ist’s, wo des Marsen Rind sich streckt? Ist’s, wo der Märker Eisen reckt? O nein! o nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Was ist des Teutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die teutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es seyn! Das, wackrer Teutscher, nenne dein!

Was ist des Teutschen Vaterland? Ist’s Pommerland? Westfalenland? Ist’s, wo der Sand der Dünen weht? Ist’s, wo die Donau brausend geht? O nein, o nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Das ist das teutsche Vaterland, Wo Eide schwört der Druck der Hand, Wo Treue hell vom Auge blitzt Und Liebe warm im Herzen sitzt – Das soll es seyn! Das, wackrer Teutscher, nenne dein!

Was ist des Teutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Ist’s Land der Schweitzer, ist’s Tyrol? Das Land und Volk gefiel mir wohl. Doch nein! doch nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Das ist das teutsche Vaterland, Wo Zorn vertilgt den franschen Tand, Wo jeder Franzmann heißet Feind, Wo jeder Teutsche heißet Freund, Das soll es seyn! Das ganze Teutschland soll es seyn!

Was ist des Teutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Gewiß, es ist das Oesterreich, An Ehren und an Siegen reich. O nein! o nein! Sein Vaterland muß größer seyn.

Das ganze Teutschland soll es seyn! O Gott vom Himmel sieh’ darein! Und gieb uns rechten deutschen Muth, Daß wir es lieben treu und gut. Das soll es seyn! Das ganze Teutschland soll es seyn!

aus: [E. M. Arndt:] Katechismus für den Teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehret wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll. Köln: H. Rommerskirchen, 1815.

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Sigrid Nieberle ›Nun denn: Mysia, Lydia, Karia, Lycia, Pisidia, Phrygia, Galatia, Lykaonia, Cilicia, Kappadocia, Armenia minor, das sind sie alle; denn Bithynien, Paphlagonien und Pontus habe ich dir schon genannt.‹ – ›Donnerwetter, Eduard, das ist ja grade, als ob du uns Deutsche in allen unsern Unterabteilungen aufzähltest! Es klingt bloß ’n bißchen hübscher und ausländischer.‹ Wilhelm Raabe, Stopfkuchen

I Ernst Moritz Arndt als Liederdichter galt bisweilen eher als der zeitlose, ›harmlose‹ Arndt, dessen Verse musikliebende Menschen noch heute erfreuen können, weil nach dieser Einschätzung, die auch Nietzsche in der Geburt der Tragödie formulierte, das musikalische und unterhaltende Moment anscheinend den politischen Gehalt überdecke und somit nur die leichte Muse angesprochen würde; der bloß ästhetische Wert des Liedes und das erhebende Moment kollektiver Gesangspraxis bleibe erhalten, auch wenn der Inhalt des Liedtextes längst überholt sei.1 Bereits mit der Forschung der 1970er Jahre rückte neben diese Wertung auch der »geschichtsgestaltende«,2 »meinungs- und willensbildende« Arndt in den Vordergrund, der mit seinen Vaterlandsgesängen einen sakralisierten Nationalismus und die demagogisch übersteigerte Xenophobie schüren konnte, die schließlich die Kampfbereitschaft tausender Soldaten stärkte, um sich in den Befreiungskriegen »auf dem Altar des Vaterlandes« zu opfern.3 Andere, jüngere Forschungsbeiträge zum Volks- und Kirchenlied heben besonders auf die Macht des gesungenen Wortes ab, denn wie kaum ein anderes Medium fungieren Lieder nicht nur als gesell-

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»Die Melodie ist also das Erste und Allgemeine, das deshalb auch mehrere Objectivationen, in mehreren Texten, an sich erleiden kann. Sie ist auch das bei weitem wichtigere und nothwendigere in der naiven Schätzung des Volkes.« Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. 1: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I–IV. Nachgelassene Schriften 1870– 1873. Kritische Studienausgabe hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München, Berlin: dtv/de Gruyter 1988, S. 48; vgl. z. B. noch Eckard Oberdörfer: »Sein Licht als Dichter strahlte wohl auch nur mäßig hell, auch wenn so manches Lied, wie ›Aus Feuer ward der Geist erschaffen‹ oder ›Sind wir vereint zur guten Stunde‹, noch heute gesungen wird, manches Märchen lesenswert blieb.« (Eckard Oberdörfer: Ein Mann für alle vier Jahreszeiten – der Streit um Ernst Moritz Arndt geht weiter. In: Karl Ludwig Tietz, Sven Wichert (Hg.): Ernst Moritz Arndt weiterhin im Widerstreit der Meinungen. Neue Materialien zu einer alten Diskussion. (Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 8–2003) Ueckermünde: Offset Druck 2003 S. 194 – 204, hier S. 197) Gustav Sichelschmidt: Ernst Moritz Arndt (Preußische Köpfe). Berlin: Stapp 1981, S. 108. Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege (1812–1815). Gesellschaftspolitische Meinungsund Willensbildung durch Literatur. Stuttgart: Metzler 1991, bes. S. 151–168; vgl. auch Birgit Aschmann: Arndt und die Ehre. Zur Konstruktion der Nation in Texten von Ernst Moritz Arndt. In: B. A., Jürgen Elvert, Jens Hohensee, Thomas Stamm-Kuhlmann (Hg.): Geschichtsbilder. Festschrift für Michael Salewski zum 65. Geburtstag. Stuttgart: Franz Steiner 2003, S. 347–368, S. 352, und Hasko Zimmer: Auf dem Altar des Vaterlandes. Religion und Patriotismus in der deutschen Kriegslyrik des 19. Jahrhunderts. Darmstadt: Thesen-Verlag 1971.

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schaftspolitische Spiegel ihres musizierenden Kollektivs.4 Vielmehr arbeite die profane wie sakrale Volksmusik der Konstitution und Rekonstitution von nationaler, religiöser und kultureller Identität kontinuierlich zu.5 Wenn berichtet wird, dass tausende Sänger auf den großen Sängerfesten in der Mitte des 19. Jahrhunderts Arndts berühmtestes patriotisches Lied »Was ist des Deutschen Vaterland?« mehrmals an einem Tag sangen,6 dann kann ein solcher Bericht als Beleg für die performative Potenz, die von diesem Lied ausgeht und durch seinen Abgesang immer wieder aufs Neue hergestellt wird, gedeutet werden. Denn wie das Lied autoreferentiell selbst verrät, ist ja nur das ein Vaterland, was als das eigene benannt wird: »Das, wackrer Teutscher, nenne dein!« Beide Arndt-Bilder – weder der ›harmlose‹ Liederdichter Arndt noch der »meinungs- und willensbildende«, pathetische Vaterlandsdichter Arndt – tragen der stellenweise unfreiwilligen Komik dieser Gesänge Rechnung. Komik und Arndtsches Pathos sind derart widerstrebende Elemente, dass es fast so scheint, als hielte sich die Forschung an die von Arndt abgesteckten Pfade des Pathetischen, das sich zum Witz wie ein Öl-Wasser-Gemisch verhält.Während Birgit Aschmann letzthin dazu ermunterte, das Augenmerk stärker auf die semantischen Widersprüche zu lenken und Arndts Texte über inhaltliche Analysen zu »dekonstruieren«,7 ist mir an der Doppeldeutigkeit gelegen, die sich sowohl grammatikalisch als auch semantisch in manchen seiner lyrischen Texte eröffnet. Oder anders formuliert:Wenn sich die appellative Lyrik der Befreiungskriege, wie schon des Öfteren formuliert,8 zumeist in schlichten Binäroppositionen des Guten und Bösen, Fremden und Eigenen, Tapferen und Feigen, der Ehre und der Schande, des Freund und Feind artikuliert und unter anderem dadurch ihre bildlich einprägsame und überaus propagandistische Wirksamkeit generiert, stellt sich die Frage nach dem Einsatz des Dritten, das im folgenden als Fehler, Irrtum, Witz zutage tritt und die Texte zwar in ihrer Intention aushebelt, ihnen aber damit eine neue und im Wortsinn ›merkwürdige‹ Qualität zuschreibt. Ein Lied wie zum Beispiel »Deutscher Trost« wurde 1922 vom Philologen Franz Harder deshalb noch behandelt, weil es einen eklatanten ›Rechenfehler‹ aufweise. Statt der aufgezählten fünf Tugenden »Deutsche Freiheit, deutscher Gott / deutscher Glaube ohne Spott, / Deutsches Herz und deutscher Stahl« summiert der letzte Vers dieser

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Vgl. z. B. Joachim Bauer: Student und Nation im Spiegel des »Landesvater«-Liedes. In: Dieter Langewiesche, Georg Schmidt (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München: Oldenbourg 2000, S. 135–155. Vgl. z. B. Otto Holzapfel: Religiöse Identität und Gesangbuch: Zur Ideologiegeschichte deutscher Einwanderer in den USA und die Auseinandersetzung um das »richtige« Gesangbuch. Bern u. a.: Peter Lang 1998. Richard Wagner: Entstehungsgeschichten deutscher Lieder. 1. Heft: Vaterlands-, Freiheits-, Soldatenlieder. Buchholz: Albert Handreka 1933 , S. 31f. Vgl. Aschmann: Arndt und die Ehre (Anm. 3), S. 366f. Vgl. besonders Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918. Stuttgart: Klett-Cotta 1992, S. 37f.

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Strophe nur: »sind vier Helden allzumal«.9 Aber auch Harder kann die Differenz nicht erklären und attestiert Arndt einen schlichten Rechenfehler. Ein weiteres Beispiel, das »Trinklied« (1817) mit der ersten Verszeile »Bringt mir Blut’ der edlen Reben«, scheint sich zunächst als Aufforderung zu körperlicher Gewalt anzubahnen, bevor es als figürliche Fortführung einer Metapher im Kontext eines burschenschaftlichen Saufliedes zutage tritt: »Bringt mir Wein!«10 Die anfängliche Buchstäblichkeit und ihre figurale Auflösung basiert auf einer zynischen Art von Humor, ihr Zusammenspiel kann aber durchaus auch als mnemotechnische Finesse gewertet werden. Das bekannteste und interessanteste Beispiel für die Desavouierung des nationalpathetischen Impetus ist jedoch das bereits genannte Lied »Des Deutschen Vaterland«. Anhand dieses Liedes lässt sich eine Rezeptionslinie des Doppelsinns nachzeichnen – obwohl oder gerade weil es Arndt doch mit zunehmender nationalistischer Radikalisierung um eine Vereindeutigung seiner Botschaften ging, um eine diskursive Ordnungsleistung im intellektuellen und politischen Gestrüpp, um die intendierte Simplifizierung komplexer sozialer und ethischer Polyvalenzen. Diese Autorintention, die sich in seiner vaterländischen Lyrik vor allem mit einem sogenannten volkstümlichen Stil (eingängige Strophenform und stereotype Wiederholungen) artikuliert, wird von einem ebenfalls breit rezipierten Sprachwitz unterlaufen, der aber m. E. gerade für die massenhafte Verbreitung des Liedes gesorgt hat. Diese Rezeptionsweise kann man relativ sicher in einigen literarischen und wissenschaftlichen Texten nachweisen. Die Frage jedoch, wer im Volkslied singenden Kollektiv einen Sprachwitz wie verstanden hat, lässt sich nur insoweit beantworten, als lediglich Liedtext und Notendruck auf schriftmaterialer Ebene analysiert werden können. Hierbei wird auch ein einzelnes Komma von Bedeutung sein.

II Bekanntlich entstand das Gedicht bzw. Lied »Des Deutschen Vaterland« 1813 in Königsberg, als Arndt für den Freiherrn vom Stein für eine nationale Erhebung der Ostpreußen gegen die französische Besatzung agitierte.11 Das Lied wurde umgehend in Flugschriften und an zahlreichen Druckorten vervielfältigt.12 Eine der frühesten Vertonungen, die des Jenenser Studenten und Burschen Johannes Cotta aus dem Jahr 1815, sorgte für die Aufnahme in die zahlreichen neu entstandenen 9

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Ernst Moritz Arndt: Werke, Erster Teil: Gedichte, hg. von August Lesson. Berlin: Bong & Co 1912, S. 133; vgl. Franz Harder: Dichter und Kopfrechnen. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 10/1922, S. 243 – 246. Arndt: Werke, Erster Teil: Gedichte (Anm. 9), S. 178. Vgl. Ernst Moritz Arndt: Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein. Mit einer Einleitung hg. von Robert Geerds. In: Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, hrsg. v. Heinrich Meisner und Robert Geerds. Leipzig: Max Hesse 1908, Bd. 8, S. 105. Alle Abdrucke zwischen 1813 und 1815 sind dokumentiert bei Weber: Lyrik der Befreiungskriege (Anm. 3), S. 166, Anm. 110.

»Und Gott im Himmel Lieder singt«

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Commersbücher und wurde auch auf dem Wartburgfest 1817 sowie auf dem Hambacher Fest 1832 gesungen;13 eine weitere Vertonung von Gustav Reichardt14 aus dem Jahr 1825 wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts ungleich populärer, weil sie mit ihrem vierstimmigen Satz vor allem der Praxis der Gesangvereine entgegenkam. Solche Vertonungen folgten später zahlreich, darunter von Conradin Kreutzer oder Franz Liszt, erstere 1840 zu Ehren Arndts anlässlich seiner Wahl als Bonner Universitätsrektor komponiert, letztere 1842 dem Kaiser Friedrich Wilhelm IV. »in tiefster Ehrfurcht und Dankbarkeit« gewidmet.15 Formal handelt es sich bei diesem Liedtext um eine Kirchenliedstrophe des 16. Jahrhunderts mit dem traditionsbildenden »Vater unser im Himmelreich« von Luther (Schumann’sches Gesangbuch, 1539) in jambischen Vierhebern, die zugleich in mehreren Volksballaden lebendig ist.Politisch einschlägig wurde vor allem das spätere Lied »Die Wacht am Rhein« von Max Schneckenburger (»Es braust ein Ruf wie Donnerhall«, 1840), das mit Arndts Vaterlandslied den strophischen und metrischen Aufbau teilt.16 Lediglich die Spondäen (»O nein! nein! nein!«) in der jeweils fünften Zeile des Sechszeilers bei Arndt unterscheiden sich vom Metrum bei Schneckenburger, der hier jeweils die betonte Kadenz um eine Silbe kürzt. Arndts Anlehnung an die Luthersche Choralstrophe affirmiert auch sein Zitat in der letzten Strophe: »Ach Gott, vom Himmel sieh darein« aus dem Luther-Text auf Psalm 12.17 Die ursprünglich zehnstrophige erste Fassung von »Des Deutschen Vaterland« folgt in der Struktur dem Topos der Aufzählung. Dieser Poetik des Enumerativen 13

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Vgl. Geschichte in Liedern. 22. Deutscher Volkskundekongreß (Programmheft). Kiel 1979, S. 18–24. Böhme beruft sich für das Wartburgfest 1817 auf die mündliche Erzählung von Cotta und auf die Schrift von Robert Keil: Die burschenschaftlichen Wartburgfeste 1817 und 1867 (Jena 1868); im Liederbuch zum Wartburgfest ist Arndts Lied allerdings nicht enthalten; vgl. Lieder von Deutschland’s Burschen zu singen auf der Wartburg. Jena 1817, und Franz Magnus Böhme (Hg.): Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert. Nach Wort und Weise aus alten Drucken und Handschriften sowie aus dem Volksmund zusammengebracht, mit kritisch-historischen Anmerkungen versehen. Leipzig: Breitkopf und Härtel 1895, S. 3. Die Musikgeschichte von Moser folgt ihrerseits noch dem enumerativen Prinzip der »deutschen Stämme«. Über Reichardt und Arndt heißt es dort: »Weit seltener sind die Beispiele, daß gebürtige pommersche Musiker in der Ferne sich den Lebenskreis schufen. [. . .] Der 1797 in Schmarsow bei Demmin geborene Gustav Reichardt sang später als Berliner Musikdirektor sein ›Was ist des deutschen Vaterland?‹ (Man denke auch, wie viele Texte der Pommer E. M. Arndt den deutschen Tonsetzern dargeboten hat.)« Hans Joachim Moser: Die Musik der deutschen Stämme. Wien, Stuttgart: Wancura 1957, S. 211. Conradin Kreutzer: Was ist des Deutschen Vaterland? Ernst Moritz Arndt, in Musik gesetzt für eine Singstimme mit Begleitung von Pianoforte oder Guitarre und dem vaterländischen Dichter am 18.ten October 1840, dem Tage der feierlichen Uebernahme des Rectorats der rhein. Fried.Wilh. Universitaet zu Bonn gewidmet. Coeln [1840]; Franz Liszt: Das Deutsche Vaterland. Volkslied von E. M. Arndt für vierstimmigen Männergesang componirt und Seiner Majestät dem Könige von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., in tiefster Ehrfurcht und Dankbarkeit gewidmet. Berlin: Schlesinger 1842. Vgl. Horst J. Frank: Handbuch der deutschen Strophenformen. 2. Aufl. Tübingen, Basel: Francke 1993, S. 484ff. Vgl. Zimmer: Auf dem Altar des Vaterlandes (Anm. 3), S. 28.

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ist auch noch das spätere »Lied der Deutschen« von Hoffmann von Fallersleben verpflichtet, denn es erinnert mit seinen Zeilen »von der Maas bis an die Memel, / von der Etsch bis an den Belt« an die bei Arndt vorherrschende topographische Accumulatio eines möglichen deutschen Reichsgebietes. Eine für die Rezeption interessante Spannung entsteht im Paradigma des Enumerativen dadurch, dass die Aufzählung zwischen der Distinktion der genannten Elemente und ihrer Egalisierung bedeutsam schwankt:18 »Preußenland«, »Schwabenland«, »am Rhein«, »am Belt«, »Baierland«, »Steierland«, »Pommerland«, »Westfalenland«. Gleiches gilt für die Integration und Desintegration der Elemente: Sind sie alle gleich, gleichviel wert, gleich unterschiedlich oder gerade in ihrer Unvergleichbarkeit vergleichbar? Ein solcher Vergleich der Elemente, der sie zueinander in Beziehung setzen würde, unterbleibt jedoch im Text.19 Ebenso unklar bleibt auch, ob es sich hierbei um eine endliche oder unendlich zu denkende Enumeratio handelt,20 obgleich ihr stets definitorische, mnemotechnische und/oder prospektive Qualitäten zugesprochen werden können.21 Darüber hinaus bringen die zahlreichen Aphäresen des Liedtextes und seine stereotyp wiederholten rhetorischen Fragen genau jene Leerstellen erst performativ hervor, die es militärisch oder diplomatisch zu schließen gilt. Nur aus diesem Grund war es möglich, dass die Leerstelle des deutschen Vaterlands in diesem Liedtext mit Vorschlägen gefüllt wurde, die jenseits eines nationalpolitischen Konzepts lagen bzw. dieses gerade kritisieren und karikieren: So bringt der Berliner Kladderadatsch von 1850 eine Karikatur von Wilhelm Scholz, die den »Ausgewiesenen« und politisch Verfolgten der 1848er Revolution »America« als neues Vaterland vorschlägt (vgl. Abb. 1),22 was mit der Flucht von Carl Schurz und vielen anderen dorthin auch eingelöst worden war. Noch Günter Grass knüpft an diesen Topos an und hält im Juli 1965 eine Wahlkampfrede für 18

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Vgl. hier grundlegend Sabine Mainberger: Die Kunst des Aufzählens. Elemente zu einer Poetik des Enumerativen. Berlin, New York: de Gruyter 2003. Die komparatistisch breit angelegte Studie berücksichtigt keine Texte von Arndt. Vgl. auch die Passage in Arndts anonymer Flugschrift »Kurzer Katechismus für teutsche Soldaten« (1812); zit. aus Jens Rybak (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Zeuge deutscher Geschichte 1789– 1860. Quellenheft. Osnabrück: Druck- und Verlags-Cooperative 1992, S. 68: »Du sollst das Einzelne ganz vergessen und nicht daran denken, ob du ein Sachse, Bayer, Oestreicher, Preuße, Pommer, Hesse, Hannoveraner heissest, sondern allein gedenken, daß du ein Teutscher heissest und bist und in teutscher Sprache redest.« Die Aufzählung folgt weder einer alphabetischen noch topographischen Ordnung. Insofern ist hier Stockinger zu widersprechen, die »eine klare Antwort auf die Frage nach dem ›Vaterland der Deutschen‹« in Arndts Lied ausmachen kann, indem sie auf die nationalsprachliche Konzeption des ›Vaterlandes‹ und auf Arndts ins Positive gewendete Anspielung auf den Eigenschaftskatalog in Tacitus’ Germania verweist; Claudia Stockinger: »Des Deutschen Vaterland«. Romantischer Patriotismus und die Literatur der Befreiungskriege. In: Der Deutschunterricht 3/2005, S. 24 – 32, hier S. 27f. Vgl. die entsprechenden Kapitel in Mainberger: Die Kunst des Aufzählens (Anm. 18), S. 73ff., S. 164ff., S. 204ff. Entnommen aus: Peter Mesenhöller (Hg.): Mundus Novus. Amerika oder Die Entdeckung des Bekannten. Das Bild der Neuen Welt im Spiegel der Druckmedien vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Essen: Klartext 1992, S. 86.

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Abb. 1: Wilhelm Scholz, »Was ist des Deutschen Vaterland«, Sammelblatt Alte Lieder – Neue Bilder (Ausschnitt) im Kladderadatsch, 1850 (Quelle: Anm. 22).

die SPD, in der er anfangs neun Strophen aus Arndts Lied rezitiert, um die amerikanische Emigration während des deutschen Faschismus als deutsches Vaterland zu reklamieren: »sie alle, die uns heute fehlen, bewohnen eine grenzenlose, weil weltweite Provinz, die schmerzhaft und oft wider Willen des Deutschen Vaterland ist«.23 Hier folgt Grass mit Arndt dem nationalsprachlichen Konzept Herderscher Prägung. Denn die rhetorischen Möglichkeiten zur Spekulation über die Ausweitung des Vaterlands werden insofern einschränkt, als es mit dem Fragen ein Ende nimmt und der von Dubitatio und Repetition dominierte Liedtext einen abrupten Wechsel des lyrischen Duktus aufweist: Nach sechs- bzw. siebenmaliger Wiederholung der Frage nach dem Vaterland und drei- bzw. viermaligem Imperativ »So nenne mir das Land«, scheint sich in der sechsten bzw., je nach Fassung, siebten Strophe eine Antwort zu formulieren. Es ließe sich darüber spekulieren, ob hier das lyrische Ich wechselt und seine fragende Rolle zugunsten einer antwortkompetenten Instanz

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Günter Grass: Was ist des Deutschen Vaterland? Rede im Bundestagswahlkampf [Juli 1965]. In: G. G.: Werke, Bd. IX: Essays, Reden Briefe, Kommentare. Darmstadt, Neuwied: Zweitausendeins 1987, S. 99 – 109, hier S. 107.

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aufgibt. Die Frage, wer jeweils spricht, lässt sich zwar kaum beantworten, aber der Tenorwechsel von der Frage zum Befehl steht zweifellos fest. Den kurzen Hinweis, dass Arndt sich bei seinem Frage- und Antwortkonzept womöglich am Philologen und Dichter Friedrich David Gräter orientiert hatte, gab bereits Paul von HofmannWellenhof im Jahr 1887.24 Bei Gräter findet sich in der Abteilung »Vaterlandsgesänge« folgender Vierzeiler von 1797: ›Wo ist das teutsche Vaterland?‹ Weißt Du das, Thor von Frager, nicht? Wo man die Sprache Hermanns spricht, Da ist das teutsche Vaterland!25

Bei Arndt dagegen findet sich zwar auch dieses Schema in derselben Tradition des sprachlich konzipierten Nationenbegriffs, aber einprägsamer im Paarreim formuliert: Was ist des Teutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die teutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es seyn! Das, wackrer Teutscher, nenne dein!

Das Enjambement zwischen drittem und viertem Vers als eine Figur der Überschreitung impliziert hier das Überschreiten territorialer Grenzkonzepte, die so weit wie die gemeinsame Sprache des Volkes reichen sollen. Nun setzt an dieser Stelle auch die Enumeratio aus, und womöglich wechselt zudem das lyrische Ich von fragenden zum antwortenden Gestus, was demzufolge ein lyrisches Wir als Kleinstkollektiv ergeben müsste. Darüber hinaus findet sich aber genau an dieser Stelle der Witz in diesem Lied.

III Bei Friedrich Nietzsche wird dieser zentrale Sprachwitz des Arndtschen Liedes an prominenter Stelle manifest – allerdings in verschlüsselter Form, die den Autornamen Arndt bereits aus dem literarischen Gedächtnis getilgt hat. In den »Sprüchen und Pfeilen« seiner Götzen-Dämmerung (1889) findet sich folgender Aphorismus: Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks. – Ohne Musik wäre das Leben ein Irrthum. Der Deutsche denkt sich selbst Gott liedersingend.26

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Paul von Hofmann-Wellenhof: Notiz zu E. M. Arndts »Des Deutschen Vaterland«. In: Archiv für Litteraturgeschichte 15/1887, S. 224. F[riedrich] D[avid] Gräter: Lyrische Gedichte nebst einigen vermischten. Heidelberg: Mohr und Zimmer 1809, S. 181. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 6: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt. Der Antichrist u. a., S. 64.

»Und Gott im Himmel Lieder singt«

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Mit dem letzten Satz spielt Nietzsche auf eben jene zwei Verszeilen in Arndts patriotischem Lied an, die sowohl lyrisch also auch musikalisch eine Zäsur setzen und gleichsam als des Rätsels Lösung präsentiert werden. Weniger das »Leben ohne Musik« wäre also ein »Irrthum« als vielmehr das Lesen ohne Musik. Denn ohne die Liedpraxis im Ohr zu haben, erweist sich die Lesart Nietzsches womöglich als Irrtum, wie der Nietzsche-Schüler Heinrich Köselitz (d. i. Peter Gast) argwöhnt. Er ist mit der Korrektur der Druckfahnen der GötzenDämmerung betraut und unterstellt seinem Lehrer einen Lesefehler.27 In einem Brief aus Hinterpommern am 20. September 1888 verdächtigt er Nietzsche einer Verwechslung des Kasus: Zu Nr. 33 auf S. 6. Ich glaube, dass das ›Gott‹ in soweit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt doch ein Dativ und kein Nominativ ist.28

Nietzsche freilich weiß genau, was er tut: Er hat Arndts Grab bereits 1864 besucht und auch Ende Juli 1865 an der ihm scheinbar sehr wichtigen Arndt-Feier mit der Errichtung des Denkmals von Afinger in Bonn teilgenommen, als er noch ein Verbindungsstudent der Franconia war und seine Mutter um Geld für diese Extratouren anschreiben musste.29 Bei Nietzsches Lesart der Verszeilen handelt es sich demnach sicherlich um keinen Irrtum – kannte er doch deren Autor und sein berühmtes Lied –,30 sondern um einen Sprachwitz. Er schreibt am 27. September 1888 an Köselitz zurück:

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Der Kopenhagener Philologe P. L. Ipsen macht auf die Lesart Nietzsches aufmerksam, kennt aber die Briefe noch nicht und vermutet wie Köselitz einen Lesefehler des Philosophen; vgl. P. L. Ipsen: Gott als liedersingend oder Nietzsche als Grammatiker u.s.w. In: Zeitschrift für deutsche Sprache 10/1893, S. 377 – 378. Auch Arnold Zweig zitiert in seinem Roman Das Beil von Wandsbek (1943/47) den vermeintlichen Fehler Nietzsches; vgl. Arnold Zweig: Das Beil von Wandsbek. Roman. Berlin: Aufbau 1996, S. 22, und hierzu Sigrid Nieberle: Lesen und zu lesen geben. Performanz in Arnold Zweigs »Das Beil von Wandsbek«. In: Adrian Hummel, S. N. (Hg.): weiter schreiben, wieder schreiben. Deutschsprachige Literatur der fünfziger Jahre. München: Iudicium 2004, S. 288–308. Friedrich Nietzsche: Briefe an Friedrich Nietzsche. Januar 1887 – Januar 1889 (Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. III/6). Berlin, New York: de Gruyter 1984, S. 309. Vgl. die Briefe an die Familie vom 24./25. 10. 1864 und 29. 5. 1865 sowie an Oskar Wunderlich vom Ende Juni 1865: »Dann in nächster Nähe die nationale Arndt-Feier. Ende des Semesters unser 20jähriger Stiftungscommers. Auf der Heimreise in Jena Jubiläum der deutschen Burschenschaft.« Im Brief an Carl von Gersdorff vom 4. 8. 1865 erwähnt er kurz: »Sodann das Arndtfest, über das Du das Genauere aus den Zeitungen wissen wirst. Das Beste daran war die Rede von Sybel am 2t.Tage.« Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe, Bd. 2: September 1864 – April 1869 (Kritische Studienausgabe in 8 Bänden hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari). München, Berlin: dtv/de Gruyter 1986, S. 15, 59, 69, 76. Auch mit einer Poetik des Volkslieds hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits beschäftigt; vgl. hierzu Luca Crescenzi: Nietzsches Idyllen aus Messina. Das Volkslied als Form des Philosophierens. In: Andreas Schirmer, Rüdiger Schmidt (Hg.): Entdecken und Verraten: Zu Leben und Werk Friedrich Nietzsches. Weimar: Böhlau 1999, S. 191–201.

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Alter Freund, Sie sind noch gar nicht auf meiner Höhe mit Ihrer Auseinandersetzung über Dativ und Nominativ beim Gottesbegriff. Der Nominativ ist ja der Witz der Stelle, ihr zureichender Grund zum Dasein . . .31

Während der Versanfang »Und Gott« bei Arndt durchaus öfter gebräuchlich ist, aber nur im Lied »Des Deutschen Vaterland« sowie in den Liedern »Des deutschen Knaben Robert Schwur«, »Wer ist ein Mann?« und »Frischauf« im Dativ bzw. Akkusativ,32 sonst regelmäßig im Nominativ erscheint, weist allein die von Nietzsche angespielte Versfolge eine Indifferenz zwischen Nominativ und Dativ im Wort »Gott« auf. Nietzsche liest somit die Unentscheidbarkeit zwischen Dativ und Nominativ mit, was Daniel Sanders ungefähr zur selben Zeit zu einem Schulbeispiel der Hauptschwierigkeiten in der deutschen Sprache machen wird. Sanders hält die mögliche »Mißdeutung« für ein Problem des Lyrikers Arndt, denn ein »Prosaiker [. . .] [würde] eine andre Wendung gewählt haben«.33 Nietzsche hingegen tendiert sogar ausdrücklich zu einer exklusiven Interpretation des Nominativs als den »zureichenden Grund [des] Daseins« dieser Stelle. Dieser »zureichende Grund« kann hier nicht nur im Sinne eines ›Genügens‹ gelesen werden, sondern zielt – den Philosophen Wolf und Schopenhauer folgend – auf die Ursache ab, aus der sich die Versfolge regelhaft erklären bzw. folgern lässt.34 Demzufolge liegt der Witz des Liedes sowohl in der genannten Homonymie des undeklinierten Gottesbegriffs als auch im Bruch mit der Isotopie der poetischen Enumeratio begründet, wird doch die aufzählende Struktur im ganzen Lied nur von zwei Enjambements unterbrochen (Strophen 7 und 8). Die Überschreitung des ersten Kolons, das den Subjektstatus der »deutsche[n] Zunge« für den ganzen Satz gewährleisten soll, könnte mit dem zweiten, schwächeren Enjambement der folgenden Strophe im Sinne einer enumerativen Lesart parallel geführt werden: »Wo Treue hell vom Auge blitzt / Und Liebe warm im Herzen sitzt«. Löst die Liebe an dieser Stelle die Treue in der Aufzählung deutscher Tugenden ab, so folgt an der prekären Stelle des ersten Enjambements ein vermeintlich ›liedersingender Gott‹ einer »deutschen Zunge«. Dies führt dann zu dieser komischen Vorstellung eines menschengleichen Gottes, der, wie das Sängerkollektiv auch, Lieder fürs Vaterland singen könnte: Denn nur böse Menschen – und böse Götter, wäre zu ergänzen – kennen keine Lieder.35 31 32

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Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe (Anm. 29), Bd. 8: Januar 1887 – Januar 1889, S. 443f. Vgl. die Verszeilen in Arndt:Werke, Erster Teil: Gedichte (Anm. 9): »Des deutschen Knaben Robert Schwur«: »Und zieh’ ich’s gegens Vaterland / Und Gott, dann welke hin, o Hand!« (S. 128); »Wer ist ein Mann? Wer beten kann«: »Und Gott dem Herrn vertraut« (S. 158); »Frischauf«: »Und hast so oft den Himmel offen / Und Gott die Finger recken sehn?« (S. 206). Daniel Sanders: Wörterbuch der Hauptschwierigkeiten in der deutschen Sprache. Berlin: Langenscheidt’sche Verlag-Buchhandlung 1880, S. 106. Vgl. die Formulierung des Satzes vom zureichenden Grund von Christian Wolf: »Nihil est sine ratio cur potius sit, quam non sit. Nichts ist ohne Grund warum es sey.« Vgl. Arthur Schopenhauer: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In: A. Sch.: Werke in fünf Bänden. Hg. von Ludger Lütkehaus. Bd. 3. Zürich: Haffmanns 1988, S. 7–167, hier S. 18, sowie zur historischen Darstellung dieses Prinzips, S. 19ff. Vgl. das Sprichwort »Wo man singt, da lass’ dich ruhig nieder; Böse Menschen haben keine Lieder«; volkstümlich abgewandeltes Zitat aus Seumes Gedicht »Die Gesänge« in der

»Und Gott im Himmel Lieder singt«

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IV Als nächstes könnte man fragen, ob nur Nietzsche allein auf diese Lesart eines kasusbasierten Sprachwitzes insistiert und ihn zum philosophischen Gegenstand erhebt? Oder lässt sich diese Variante bereits viel früher und öfter finden? In der umfangreichen Dialektsammlung von Johannes Matthias Firmenich, Germaniens Völkerstimmen (1846), ist sich der Herausgeber der Tücke des Lesefehlers, die Arndts Liedtext bereithält, scheinbar bewusst. So, wie er den prekären Dativ mit der Umdichtung »Gott zur Ehre Lieder singt« vermeiden möchte, so zergliedert er auch die repetitive und enumerative Anlage des Liedes. Er setzt seinem Opus eine anonyme und geklitterte Fassung des Liedes als Motto gleichsam aus dem ›Volksmund‹ vorneweg und signalisiert damit, dass er Arndts Konzept einer so genannten natürlichen sprachlichen Grenzziehung der deutschen Nation literarisch und dokumentarisch einlösen will. Damit versucht er zugleich, sowohl die lyrische Enumeratio als auch die Entgrenzung im Enjambement, nämlich in der grenzenlosen Überschreitung der ›teutschen Zunge‹ und ihrer Homonymien, einzudämmen. Das Motto kann deshalb auch als lyrisches mise en abyme seines eigenen Großprojekts der aufzählenden philologischen Wissenschaften gewertet werden: Was ist des Deutschen Vaterland? – – Das ganze Deutschland soll es sein, So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott zur Ehre Lieder singt! Das soll es sein, das muß es sein, Das ganze Deutschland soll es sein!36

Die Suche nach der erwähnten prekären Rezeption, die den Nominativ im Sinne Nietzsches favorisiert, wird hingegen von einer Schreibweise gestützt, die nicht den Dativ vereindeutigt, sondern schlicht das Enjambement am Versende begrenzt. Ein Komma an dieser Stelle könnte eine solche metrische und syntaktische Zäsur setzen und eine aufzählende Versfolge suggerieren. Damit wäre der Wechsel des Subjekts von der »Zunge« zu »Gott« zugleich in der Schrift materialisiert. Oder anders formuliert: Dort, wo das lyrische Ich keine Grenze setzen möchte – figural übertragen auf eine ›natürliche‹ sprachliche Grenzziehung zwischen den Nationen –, literalisiert

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Zeitschrift für die elegante Welt, 23/1804: »Wo man singet, lass Dich ruhig nieder, / Ohne Furcht, was man im Lande glaubt; / Wo man singet, wird kein Mensch beraubt, / Bösewichter haben keine Lieder.« Vgl. Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes. 19. Aufl. Berlin 1898, S. 222. Bei Nietzsche erscheint das Zitat in der Götzen-Dämmerung, »Sprüche und Pfeile« Nr. 22: »›Böse Menschen haben keine Lieder.‹ – Wie kommt es, dass die Russen Lieder haben?« Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 6: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt. Der Antichrist u. a., S. 62. Vgl. Johannes Matthias Firmenich (Hg.): Germaniens Völkerstimmen, Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Mährchen, Volksliedern u.s.w. Berlin: Schlesinger’sche Buch- und Musikhandlung 1846, Titelblatt.

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sich eine Grenze innerhalb des Enjambements, das mit dem Komma eine deutliche Trennung zwischen Unten und Oben, zwischen ›teutschen‹ und göttlichen Gefilden, zwischen Subjekt und Subjekt markiert. Damit wird zwar einerseits eine nationalsprachliche Kollektivierung über die Territorialgrenzen der Kleinstaaterei negiert, weil sich die christlich-deutsche Ausdehnung der Sprache eingedämmt zeigt; andererseits aber eröffnet sich mittels dieser Zäsur ein menschlich-göttliches Kollektiv, das im Paarreim des Singens und Klingens verklammert ist. Auf der Suche nach diesem Komma, das den Subjektwechsel in der Lesart anzeigt, ergibt sich folgender Befund: In Arndts zu Lebzeiten erschienenen Ausgaben des Gedichts – soweit überprüft (1815, 1818, 1850, 1860)37 – hat sich kein entsprechender Druckfehler eingeschlichen. Auch in der Diskussion mit Ferdinand Delbrück 1846, worin Arndt etliche Einwände gegen das Lied zu entkräften sucht (vor allem gegen die franzosenfeindlichen Textstellen in Strophe 8 bzw. 9), taucht das Problem des unbestimmten Kasus nicht auf. Delbrück bringt das Zitat beider Verszeilen zwar in der Schreibweise mit Komma, liest aber den Dativ bei »Gott«.38 In einer kleinen Stichprobe von 16 Commers- und Liederbüchern aus den Jahren zwischen 1815 und 1863 ist das Lied »Des Deutschen Vaterland« in zehn Fällen abgedruckt; lediglich die Commersbücher einiger Burschenschaften in Berlin, Breslau, Jena und Heidelberg nehmen das Lied nicht auf. In sieben von den zehn Fällen findet sich die zäsierte Variante mit einem Komma am Ende der Verszeile »Soweit die deutsche Zunge klingt«.39 Ein schöner Beleg für diese Lesart und Schreibweise ist auch ein handschriftlicher Anhang im Leipziger Commersbuch von 1815, wo vermutlich sein Besitzer Adolf Wilhelm Freiherr von Seckendorff das fragliche Komma in einer Teilumdichtung der siebten Strophe notierte:

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Ernst Moritz Arndt: Katechismus für den Teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehret wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll. Köln: H. Rommerskirchen 1815; Ernst Moritz Arndt: Gedichte. Zweither Theil. Frankfurt am Main: Eichenberg 1818; Ernst Moritz Arndt: Gedichte. Neue Auswahl. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung 1850; Ernst Moritz Arndt: Gedichte. Vollständige Sammlung. Mit der Handschrift des Dichters aus seinem neunzigsten Jahr. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1860. Ferdinand Delbrück: Das Volkslied Was ist des Deutschen Vaterland? Würdigung desselben, nebst Zuschrift an E. M. Arndt und Erwiederung [sic] von ihm. Bonn: Adolph Marcus 1846, S. 6. Gustav Schwab (Hg.): Neues deutsches allgemeines Commersbuch. Tübingen: Germania 1815; Neues Commersbuch. Germania (Göttingen): Vandenhoeck 1818; Carl Ferdinand Fiedler (Hg.): Neues allgemeines Leipziger Commers u. Liederbuch, mit Melodieen. Helmstädt, Leipzig: Fleckeisensche Buchhandlung 1822; Daniel Ewald Friedrich Runge (Hg.): Auswahl deutscher Lieder. Leipzig: Serig 1825; Albert Methfessel (Hg.): Allgemeines Lieder- und Commersbuch. 4., verm. und verb. Auflage (1. Aufl. Rudolstadt 1818). Hamburg: Schuberth und Niemeyer 1832; . . .schen Gesangverein (Hg.): Deutscher Odenwald. Ausgewählte Sammlung der besten deutschen Trink-, Jagd-, Kriegs-, Reise-, Commers- und Freiheitslieder und Opern-Arien. 3. Aufl. Leipzig: J. F. Glück 1843; Karl Simrock (Hg.): Lieder vom deutschen Vaterland. Frankfurt am Main: Brönner 1863.

»Und Gott im Himmel Lieder singt«

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O Vaterland, du Heldenland! Von einem bis zum andern Strand, Soweit die deutsche Zunge klingt, Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es seyn, das soll es seyn, Das, wackrer Deutscher, nenne dein!40

Eine das Enjambement überspielende Zäsur findet sich ebenfalls in den verschiedenen kompositorischen Liedfassungen. Aus dem Vergleich von fünf Vertonungen (vgl. Abb. 2 mit der Zusammenstellung der Melodien) ergibt sich folgendes disparates Bild: Die Liedfassung von K. T. Moritz von 1814 weist am Ende des Verses eine auftaktige Zwei-Achtelfigur auf (»und«), was keine deutliche Zäsur in der Phrasierung verlangt, aber die unbetonte Taktzeit besetzt.41 In Cottas Vertonung hingegen, die ein Jahr später entstand, steht zwischen den Verszeilen eine Viertelpause, die ein merkliches Innehalten zwischen den Phrasen verlangt;42 genauso verhält es sich in der Fassung von Kreutzer.43 Auch Liszt setzt in seinem pompösen Chorsatz an der besagten Stelle eine deutliche Zäsur, nämlich Viertel- und Achtelpause, um mit einem auftaktigen Achtel auf unbetonter Taktzeit fortzufahren.44 Das Enjambement im Liedtext wird somit durch den Rhythmus ausgesetzt und in seiner Reichweite begrenzt. Lediglich die Liedfassung von Gustav Reichardt macht hier die Ausnahme,45 denn Reichardt liefert eine Umsetzung, die der Aussage dieses Satzes musikalisch am deutlichsten gerecht zu werden versucht: Die Verszeile »So weit die deutsche Zunge klingt« wird auf einem Ton (es) rezitiert, wobei die Worte »weit die« in halben Noten gesetzt sind und somit die augmentierte Dauer und die gleich bleibende Tonhöhe topographische Weite suggerieren. Den Aufstieg in den »Himmel« signalisiert eine chromatische Tonleiter in der Melodie (es – e – f – fis – g), die rhythmisch gleichsam unbemerkt über das Ende der Phrase hinweg gleitet (es – e – f auf den Worten »klingt und Gott«). Melodieführung und halbe Noten auf den betonten Taktzeiten setzen das Enjambement adäquat um. Als diese Liedfassung von Reichardt allerdings im weit verbreiteten »Allgemeinen Commers- und Liederbuch« von Albert Methfessel in der vierten Auflage 1832 erscheint und damit auch die bis heute bekannte sechsstrophige Fassung etabliert,46 bringt die Textzeile unter den Noten Reichardts wieder das Komma, das es erlaubt, hier den ›liedersingenden Gott‹ zu lesen. Auf diesen und sicherlich vielen anderen Wegen gerät die zäsierte Fassung aus den Liederbüchern der Doktringesellschaften, den Commersbüchern, in das 40

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Karl Hinkel (Hg.): Leipziger Commersbuch. o. O. 1815, handschriftlicher Anhang im Exemplar der Universitätsbibliothek Jena. K. T. Moritz: Des Deutschen Vaterland. In: Allgemeine musikalische Zeitung Leipzig 22/1814, S. 1–2 (Beylage Nr. 3). Böhme (Hg.):Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert (Anm. 13). Kreutzer: Was ist des Deutschen Vaterland? (Anm. 15). Liszt: Das Deutsche Vaterland (Anm. 15). Zum überhaupt seltenen Fall des Enjambements im Volkslied vgl. Dietz-Rüdiger Moser: Enjambement im Volkslied. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 14/1969, S. 27–52. Strophen 1 bis 6 ohne »Fürstenstrophe«.

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Abb. 2: Vergleich der Melodien von fünf Vertonungen (Quellen in den Anm. 13, 15, 41). Nur bei Reichardt findet sich in der Rezitation keine Zäsur zwischen den beiden Verszeilen des Enjambements. Ungewöhnlich ist die bei Liszt absteigende Melodie für den als Aufstieg zu denkenden Topos des Himmels.

Liedrepertoire der Gebrauchsliederbücher. Das Freiburger Volksliedarchiv verzeichnet alleine über 150 Abdrucknachweise für dieses Lied von Arndt, die man alle noch sichten könnte.47 Jedoch kommt es ohnehin nicht auf eine statistisch vollständige Erfassung an, sondern – wie Nietzsche mit seiner Sichtweise nahe legt – auf die bloße Möglichkeit eines Witzes, zumal die doppelsinnige Lesart in jedem Fall potentiell gegeben ist: mit oder ohne Komma.

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Für die freundliche Unterstützung dort danke ich Frau Dr. Waltraud Linder-Beroud.

»Und Gott im Himmel Lieder singt«

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V Abschließend gilt es, die Funktion eines solchen Sprachwitzes zu überlegen, wie ihn Nietzsche in seiner prekären Lesart des Liedes behauptet hat. Im Feuilleton wurde zuletzt die generalisierende These aufgestellt, dass Volkslieder überhaupt nur zum Falschverstehen gemacht seien, weil diese Entstellungen die Phantasie der Rezipienten anregten.48 Um ein wenig zu differenzieren, kann man im Kontext der pathetischen Vaterlandslieder aber auch an Hardtwigs Thesen zur studentischen Mentalität anschließen. Neu gegründete studentische Orden und Landsmannschaften zwischen 1770 und 1790 sowie die ab 1814/15 gegründeten Burschenschaften etablieren eine – vor allem auch musikalische – Geselligkeit, die sich um »Selbsterziehung, die Einübung in die Soziabilität« bemüht; die jungen Männer kultivieren mit ihren Komments eine »Gesittungs- und Disziplinierungsbewegung«, die bewusst gemeinsam erlebte Emotionen zulässt, aber dabei zugleich unmoralische Affekte zu steuern und jugendlich ungestüme Impulse streng zu kontrollieren versucht.49 Obgleich auch die massenhaft gegründeten Gesangvereine die Kommunikation befördern und die politische Einheit auf der Grundlage sprachlicher und musikalischer Gemeinsamkeit stärken sollen,50 wird im Falle des überaus populären Arndt-Liedes die angestrebte Identifikation mit dem bürgerlich konzipierten »Vaterland« umgehend wieder unterlaufen. Denn an dieser Stelle suchen sich die Affekte einen alternativen Weg; sie unterwandern die teleologische Intention dieser Verse, der es um »ein Vaterland«, eine Nation, einen Gott und auch eine Lesart geht: »Wir wandeln einig Hand in Hand / Haben ja alle Ein Vaterland!«,51 oder: »Ein Land, Ein Volk, Ein Herz, Ein Herr«, wie Arndt formuliert.52 Die Einigkeit und Einheitlichkeit im Textverstehen sieht sich an besagter Stelle des Liedes sabotiert zugunsten eines zumindest unentscheidbaren Subjekt- und

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»Im Grunde versteht kaum ein Mensch je einen Liedtext richtig, ja, Liedtexte sind überhaupt nur dazu da, falsch verstanden zu werden.« (Axel Hacke / Michael Sowa: Der weisse Neger Wumbaba. Kleines Handbuch des Verhörens. München: Antje Kunstmann 2004, S. 42.) Wolfgang Hardtwig: Studentische Mentalität – Politische Jugendbewegung – Nationalismus. Die Anfänge der deutschen Burschenschaft. In: Historische Zeitschrift 242/1986, S. 581–628, S. 586ff., S. 594. Zur Entwicklung bis 1800 vgl. Horst Steinhilber: Von der Tugend zur Freiheit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740–1800. Hildesheim u. a.: Olms 1995. Zum Liedgut der Burschenschaften und einzelnen Quellenbeschreibungen vgl. auch Kurt Stephenson: Das Lied der studentischen Erneuerungsbewegung 1814–1819. In: K. St. (Hg.): Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert (DuQ), Bd. 5. Heidelberg: Winter 1965, S. 9 – 126. Vgl. Jörg Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840). Frankfurt/M., New York: Campus 1998, S. 418f. Fiedler (Hg.): Neues allgemeines Leipziger Commers u. Liederbuch, mit Melodieen (Anm. 39), S. 154. Ernst Moritz Arndt: Freudenklang, zitiert aus: Richard Weißenfels: Deutsche Kriegslieder und vaterländische Dichtung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1915, S. 40.

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Objektstatus des zugleich lächerlich gemachten Gottesbegriffs: Ein Mann, ein Wort – aber zwei mögliche Interpretationen. Anders als die zahlreichen Parodien auf dieses Lied, die im 19. Jahrhundert kursierten und die ebenfalls auf ein kollektives Verstehen ihrer Kritik – etwa im Sinne einer verschworenen Gemeinschaft oppositioneller Hermeneutik – setzten,53 provoziert der diskutierte Sprachwitz mit seiner spielerischen hermeneutischen Unentschlossenheit die nationalpolitisch Entschlossenen, ohne dabei seine Strategie poetisch offen zu legen. Nur im Witz ist eine Komik, wie Freud mit Theodor Lipps argumentiert, in »der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten«.54 Den Burschen, Soldaten oder Chorsängern gelingt es – über den Lustgewinn an der Technik des Wortspiels hinaus –, sich für ein kurzen Moment als lachendes Subjekt über ein »Gott«-Subjekt zu positionieren – anstatt sich perspektivisch als Geschöpf Gottes »auf dem Altar des Vaterlandes« zu opfern.

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Vgl. z. B. das reiche Material bei Lorie A. Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in the Nineteenth Century. (North American Studies in 19th-Century German Literature, Bd. 26) New York, Washington u. a.: Peter Lang 2000, CD-Rom-Beilage; und als besonders weit verbreitetes Beispiel die Parodie von Adolf Schults:Was ist des Michel Vaterland? Versuch zu einem neuen National- und Volkslied, den deutschen Männern Ernst Moritz Arndt und Ferdinand Delbrück in aufrichtiger Verehrung gewidmet. Leipzig: Jurany 1847. Theodor Lipps: Komik und Humor (1898), zit. aus Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905). In: Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey (Hg.): Sigmund Freud. Studienausgabe. Bd. IV: Psychologische Schriften. Frankfurt/M.: Fischer 2000, S. 9 – 219, hier S. 13.

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“[M]it Märchen und mit Träumen / Erinn’rung zu mir schwebt!”1 Regional Identity and the Concept of ‘Heimat’ in Ernst Moritz Arndt’s Märchen

I. Introduction Ernst Moritz Arndt is, of course, most famous for his political essays and his nationalist songs and poetry, but he also contributed in a unique way to the contemporary trend of collecting Märchen, for which Jacob and Wilhelm Grimm, Achim von Arnim and Clemens Brentano are most well-known. In fact, Arndt sent Achim von Arnim some folk songs for a continuation of Des Knaben Wunderhorn, a work that he admired deeply. Later, in 1818, he published these songs as folk songs from Rügen in the magazine Wünschelrute, a publication in which Brentano, Arnim, and Wilhelm Grimm had also published stories and folk songs.2 Arndt published the first volume of his Märchen, a total of 19 stories, in the autumn of 1818 with G. E. Reimer in Berlin who had also published Arnim’s works and the Kinder- und Hausmärchen by the Grimm brothers. In November 1820 Arndt wanted to publish a second volume of fairy tales, which also included some Low German stories, but the publisher rejected them “weil die ersten schlecht gingen.”3 Finally in 1842, G. E. Reimer agreed to publish a second edition of Arndt’s Märchen. Arndt’s Märchen, however, must be understood in the original sense of the term Märchen as short stories or reports, rather than as stories belonging to the genre of prose narrative with which we have come to associate the term since Jacob and Wilhelm Grimm published their Kinder- und Hausmärchen. Heinz Rölleke goes one step further to include “Dönken, Leuschen, Sage, Fabel, Geschichte, etc.”4 in Arndt’s Märchen concept.5 1

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Ernst Moritz Arndt: Heimweh nach Rügen (1842). In: Regina Hartmann (ed.): Pommersche Heimat in der Literatur vergangener Tage: Ein Lesebuch. Aachen: Shaker 1995, p. 70. Heinz Rölleke: Ernst Moritz Arndt. In: Enzyklopädie des Märchens. Vol. 1. Berlin, New York: de Gruyter 1977, p. 810. Ibid., p. 811. Ibid., p. 813. The term Märchen is a diminutive form of the Old High German mñri (n.) – news item, news, story, from around the 9th century, the Middle High German maere (n.) – news, news item, report, creative story, rumor, and – persisting into the 19th century – the Old High German mñrì (f.) – fame, glory, renown, rumor, from around the year 1000, the Middle High German maere (f.) – fame, speech, news, story, and the New High German maere, maer – news, story, which was common into the 19th century. These are abstracts of the Old High German verb mñren – to announce, to say, to tell, and the Middle High German verb maeren – to announce, to make known, to make famous (Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York: de Gruyter 1995).

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Though it is unclear who Arndt’s sources were, he does mention his mother, other relatives and especially his father’s squires as primary sources in his autobiography Erinnerungen aus dem äußeren Leben (1840). In fact, Arndt introduces several of these storytellers as narrators in his Märchen, most notably Balzer Tievs, Hinrich Vierk, Johann Geese and Klas Starkwolt, though it is not clear whether these storytellers were actual informants, fictional or fictionalized narrators.6 Arndt also asked his sister Dorothea in 1820 and again in 1822 to contribute stories to his collection, but apparently she did not add any.7 As the title of Arndt’s collection of stories, Märchen und Jugenderinnerungen, suggests, he characteristically shifts the focus on himself and his childhood memories, whereas the title Kinder- und Hausmärchen by the Grimm brothers focuses attention on the recipients, namely children as the intended audience for their stories.8 Though the Grimm brothers emphasize repeatedly in the preface to their collection and in other writings that their intent in writing down the fairy tales is to reproduce these collected stories in a manner that is faithful to the originals from oral tradition, their authorship cannot be ignored. In fact, scholars of the fairy tale genre, such as Max Lüthi, Volker Klotz and others remark extensively in their work that the style of narrative that is typical for the Grimm brothers and on which we have come to base our ideas of what a ‘typical fairy tale’ is, is due largely to the popularity of the Grimm brothers’ fairy tales. Folklorists and scholars of the fairy tale genre recognize many common elements among stories that identify them as fairy tales in the tradition set by the Grimm brothers, considering their influence in defining the fairy tale genre. These common elements include, but are not limited to, the use of magic and magical beings, nonspecific time and place in which the story takes place, character types or fairy tale names rather than proper names, extremes (rich/poor, good/bad, beautiful/ugly, etc.), simple linear narrative, obstacles that must be overcome as the main character travels on his or her journey, and so on.9 In a similar manner, the Märchen that Arndt wrote down demonstrate a personal style that is markedly different from the Grimm brothers’ fairy tales, which had been published only a few years earlier. Though Arndt did write several stories that qualify as Märchen in the manner of the Grimm brothers’ style, most of Arndt’s Märchen are stories in the original sense of the term, primarily of local heroes – some shorter, some longer, many of which were technically Sagen. Typically, Sagen differ from Märchen based on more detailed characteristics, such as character types, characteristics, restriction to a place or region, and contemporary relevance. The overwhelming occurrence of regional elements through place names, personal

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Karl-Ewald Tietz: ‘Zeugniß von dem Sagenreichtum Pommerns’ (Temme, 1840) Erzähler, Sammler und Gestalten einer Sagenlandschaft mit einem Exkurs zu Mecklenburg. In: Märchenspiegel. Zeitschrift für internationale Märchenforschung und Märchenkunde. November 1996. Vol. 7, No. 4, p. 83. Rölleke: Ernst Moritz Arndt (footnote 2), p. 811. Ibid., p. 811. Max Lüthi: Märchen. Stuttgart: Metzler 2004, pp. 25–32.

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names, and especially local language (Low German) in Arndt’s Märchen distinguishes them strikingly from the paradigm set by the Grimm brothers’ fairy tales, which do not typically demonstrate these features. In fact, Arndt’s Märchen represent more closely the qualities of the legend (“Sage”) according to Lutz Röhrich’s distinction of the two genres in his essay “Sage und Märchen” because they are more closely connected to specific locales, especially through personal names, place names and regional dialect, than the common contemporary fairy tale, which is universal in its representation of people and places.10 Röhrich also distinguishes the image of the individual in fairy tales as opposed to legends, such as Arndt’s. In his analysis he emphasizes that the polar differences of good/bad, rich/poor, beautiful/ugly, etc. do not usually occur in legends. Instead, the human being is not necessarily the focus of the plot, but rather the supernatural or unusual circumstances with which the individual is confronted. Furthermore, Röhrich extends the same principle to supernatural beings in fairy tales as opposed to legends. According to Röhrich, supernatural beings exist in fairy tales to help, guide or harm the protagonist. Conversely, in legends the human being also has an effect on supernatural beings (p. 2). This symbiotic relationship between humans and supernatural beings is characteristic of several of Arndt’s stories, but his story Die neun Berge bei Rambin provides a particularly solid example of this aspect of the legend as it is represented in Arndt’s fairy tales. In the first story of a series about the interactions between humans and the dwarfs of the nine mountains near Rambin a boy named Johann has always been intrigued by the stories he had heard about the dwarfs in the mountains and longs to explore their underground world. He uses his knowledge of their habits and traditions that were told to him in the stories and hides in the grass when the dwarfs come above ground to dance in the evening of Saint John the Baptist’s day. Johann knows that if he is able to catch a dwarf’s hat when the dwarf throws it into the air, he will be able to travel safely into the earth and the dwarfs, especially the one whose hat he catches, will have to serve him. Johann catches a hat and is thus able to secure this deal.While he is among the dwarfs he falls in love with a girl from his village who had been kidnapped by the dwarfs. When he commands the dwarfs to release him and to let her go with him before she has served them for the required 50 years, they refuse. He explains to them that they must reciprocate his fair treatment of them by making an exception to their rules: Ihr wißt alle [. . .] wie ich diese Jahre mit euch gelebt habe, nicht als ein Herr und Gebieter, sondern als ein Freund und Genosse. Und ich habe es wohl gewußt, wie ich hätte Herr sein und meine Herrschaft gegen euch gebrauchen können; und das habe ich nicht getan [. . .] Und ihr scheint mit mir zufrieden zu sein und mich lieb zu haben; wie es aber so weit gekommen ist, daß ich endlich eine einzige kleine Freundlichkeit von euch begehren mußte, habt ihr euch gebärdet, als forderte ich Leben und Reich von euch, und mir sie trotzig abgeschlagen.11 10

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Lutz Röhrich: Sage und Märchen. In: Märchenspiegel. Zeitschrift für internationale Märchenforschung und Märchenkunde. May 1996. Vol. 7, No. 2, p. 2. Ernst Moritz Arndt: Märchen. Bindlach: Gondrom 1995, pp. 128–129.

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In the end, Johann is able to secure his freedom and wealth, his bride’s freedom and the release of all the child-servants who would have reached the age of 20 or above among humankind by that time as a result of his interactions with the dwarfs and his ability to influence their laws through reason and fairness.According to Röhrich an additional distinguishing feature of the legend is that it has a clear connection to the present times. This characteristic of the legend is as conspicuous in Arndt’s fairy tales as the aforementioned reciprocal relationship between humans and supernatural beings. In Die neun Berge bei Rambin, Johann’s story ends with a historical account of the successful and generous life he proceeded to lead with his wife as a wealthy and noble count who funded the construction of churches in the region, and especially a specific church near Rambin. The combined elements of distinct place names, such as Rambin, personal names, such as the respected story-teller Hinrich Vierk who is featured in several of Arndt’s fairy tales and the connection to the present day are typical for a notable number of Arndt’s fairy tales and seem to have the purpose of re-enforcing the regional significance of these tales. Of particular relevance to the current study is the significance of region and regional identity in Arndt’s fairy tales. In the standard set by the Grimm brothers for what has come to be understood as the typical fairy tale, the regional setting of the story is of little or no importance and is not specified, unless it is particularly relevant to the plot.The characters in the stories exist in generalized places or spaces, such as small cottages, castles, forests, villages, a well in a village, a garden or on a path between any of these, but any unnecessary description is avoided. The nonspecific nature of the place in these fairy tales allows it, however small or large, to function as a microcosm for the world at large. Not so in most of Arndt’s fairy tales. As with all his writings, Arndt’s Märchen serve a larger purpose. His close emotional ties to the area of Germany in which he was raised, namely his Heimat on the island of Rügen, and his bond with the farming class, from which his family was able to free itself, is a repeated theme in a notable number of his Märchen. Three elements in particular distinguish many of Arndt’s fairy tales from the European standard and will be investigated more closely in the following. These distinguishing features include: 1) the naming of place or region; 2) individual characters’ names; and 3) the prominent and positive role of the farming class.Taken together, these three elements represent a larger concept of regional identity that is a striking feature in Arndt’s Märchen.

II. Arndt’s Märchen – the role of regional identity Until the mid-19th century the term Heimat as it applies to the farming class signified the actual ownership of land that could be bought, sold or bequeathed.12 Beate Mitzscherlich presents a concrete example of the use of the word Heimat in 12

Beate Mitzscherlich: Die psychologische Bedeutung von Heimat und der psychische Prozeß von Beheimatung – Theoretische und empirische Perspektiven. In: Zeitschrift für Kultur- und Bildungswissenschaften. Vol. 10: Heimat und regionale Identität. Wolfgang Aschauer, Günter Beck and Karl Haußer (eds.) 2000, p. 7.

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this context by Jeremias Gotthelf: “Die neue Heimat kostete ihm wohl 10.000 Gulden” (p. 7). Moreover, the right of domicile, Heimatrecht, was connected to one’s ownership of land or one’s birth in a particular community (p. 7). In the travel literature around 1800 landscape appears as the “Lebensraum” of the residents, and hence as an indispensable part of their “Heimatgefühl”.13 In the wake of the failed revolution of 1848 in Germany and as a result of the emerging Industrial Revolution, the concept of Heimat began to change from the physical space of the land that a person owned or the geographical region from which a person hailed to an inner psychological space of nostalgia for one’s origins (p. 8). According to Mitzscherlich the concept of Heimat after the mid-19th century became a romantic or romanticized landscape which one could call forth from one’s memory to reflect nostalgically on an earlier time when there was closeness to nature and the farming culture with which nature is often associated (p. 8). Arndt’s Märchen reflect this turning point in the meaning of the word Heimat because there is not only evidence of a connection to the geographical landscape of Rügen in his stories, but there is also an undeniable inner landscape of nostalgia that is reflected in Arndt’s Märchen. In his essay Kampfansage an die Junker from 1840, Arndt’s “Heimat” concept becomes clear when he reflects on a polemic he wrote in 1803, Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen, in which he takes issue with social injustices experienced in his native Pomerania. This written polemic was the first one he wrote that caused a sensation in Germany and Sweden. In his reflective essay Arndt refers to the historical injustices suffered by native farmers as an evil from the homeland (“heimatliches Übel”).14 In stark contrast to the nonspecific nature of place in standard European fairy tales, in most of Arndt’s fairy tales, region and regional identity are of central importance. For example, Arndt’s story Die neun Berge bei Rambin begins as follows: In der westlichen Spitze der Insel Rügen in der Ostsee an der Feldscheide der Dörfer Rodenkirchen und Götemitz, etwa eine Viertelmeile von dem Kirchdorf Rambin, liegen auf flachem Feld neun kleine Hügel oder Hünengräber, die gewöhnlich die neun Berge oder die neun Berge bei Rambin genannt werden und von denen das Volk allerlei Märchen erzählt.15

This is indeed a very specific location for this story. This type of exact description regarding place or region is a striking feature in Arndt’s fairy tales and it is more typical than not. In other stories he mentions specific towns and villages on Rügen or in the surrounding area, such as Puddemin, Garz, Putbus, “das stralsundische Dorf Altenkamp” (p. 211), the village Putgarten on the peninsula Wittow (p. 237), and so on. In the opening line of one story, Der große Jochen, the importance of place is indicated in the apparent apology by the narrator for not being able to remember the name of the village: “Der Bauer Hans Diebenkorn (ich 13 14 15

Hartmann: Pommersche Heimat in der Literatur vergangener Tage (footnote 1), p. 11. Ibid., p. 75. Arndt: Märchen (footnote 11), p. 95.

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weiß nicht mehr, in welchem Dorf er wohnte) hatte einen Sohn, der hieß Jochen” (p. 243). In the common contemporary fairy tale the characters usually have no names at all, or they have generic names, such as variations on ‘Hans’ or ‘Margarete’, or they have fairy tale names, such as Cinderella or Snow White. In contrast to this standard, which again has the purpose of making the fairy tale universally applicable, it is quite common to find characters with very specific local names in Arndt’s stories. Klas Avenstaken, Princess Svanvithe, Hinrich Vierk, Johann Dietrich, Klas Starkwolt, and Trine Pipers are a few of the names Arndt uses in his fairy tales. In some of these stories, the importance of a character’s name is, in fact, a central theme. For example, in the story Klas Avenstaken, the title character’s name is a family name that came about due to the extraordinary strength and courage exhibited by the original Klas, who had impaled a wolf with a stick he had received from a baker before he set out on his journeyman years; in German this stick is an Ofenstecken. When it comes time for the parents of the title character of this story to name their child, there is a very lengthy dispute between the father, who wants to name him Klas after his ancestor, and the mother, who wants to name him Johannes because he was born on “Johannisabend”, the evening of St. John the Baptist’s day. It is the belief of both parents that the name of the child will determine his character later in life. Though it is finally agreed upon that the child will be named Klas, the mother teases her husband throughout the story when the boy does not seem to live up to his namesake. In the end, Klas does live up to his namesake and even surpasses him, because he becomes king after having proven his strength, his courage, his loyalty, his humanity, and his faith in a series of adventures that liken him to a hero from a Medieval epic. Moreover, here and in other fairy tales by Arndt, a person’s name is connected closely to a specific region, reflecting a regional identity in the personal identity and vice versa. The story Klas Avenstaken ends with Klas’s return to his village, Dümmelshusen, “in dem Land Westfalen unweit der Stadt Minden” (p. 42) as a king. His connection to this region is emphasized in this act of returning home, to his roots, but also in a more permanent manner through his plans to purchase his father’s inherited land from his brothers for ten times the value and keep one of the sons on the land as a farmer: “Ich will einen meiner Söhne hinschicken, der soll ein Bauer werden, und seine Kinder und Kindeskinder sollen Bauern bleiben; denn Bauern sind älter und halten länger aus als Könige” (p. 76). The narrator informs us that this, in fact, comes to pass. The royal line of Klas Avenstaken’s family eventually dies out, but his son Konrad, the farmer, continues into the present day. In the last sentence, the reader is informed that all Avenstakens who live in Dümmelshusen and the surrounding area are descendants of Klas Avenstaken’s son, Konrad. In this story and in others, Arndt integrates the importance of personal identity with regional identity and the value of the farming class for the longevity of future generations, emphasizing the story’s relevance into the present day.This, in turn, reflects ideas about the virtue and nobility of the farming class that Arndt articulates

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in his essay Der Bauernstand, politisch betrachtet of 1807.16 In this essay, Arndt argues that a free farming class is a reflection of a strong and free nation: “Ich spreche: Wo ein freier Bauer ist, da ist ein tapferes Volk, ein freies Land.” Later in his essay, Arndt lists characteristics of the farmer, including his closeness to nature, his strength and health from working in nature and in the fresh air, his modest living, in a highly celebratory and idealized manner: In einem freien Lande gehe in die Hütten des Bauern, wenn du die stärksten und schönsten Männer sehen willst, wenn du Haltungen und Gebärden sehen willst, womit man vor Könige treten könnte, oder richtiger, womit Könige auftreten sollten [. . .].17

He could be describing Klas Avenstaken here. Comments such as these from his essay and the representation of truly virtuous nobility as it can be found in the farming class in the story Klas Avenstaken are further examples of Arndt’s criticism of nobility and his belief that the unifying foundation for a strong society can be found among the lower classes, specifically the farming class. In his essay, Arndt uses the analogy of a growing tree to explain this idea: Je mehr [das Menschengeschlecht] durch Geist und Kunst nach oben gerissen und verflüchtigt wird, desto mehr muß es durch Leib und Natur unten befestigt und geschweret werden, gleichwie nach einem schönen Gleichnisse der Baum die Wurzeln tiefer in die Erde hinabtreibt, je mehr das Licht ihm Gipfel und Zweige nach oben hinaufziehet (p. 47).

In a reference to his heritage among the Volk – particularly the lower classes that worked the land, Arndt remarks about himself in his autobiography Erinnerungen aus dem äußeren Leben: “Ich bin geboren aus dem kleinen Volke, dicht an der Erde, nicht edel, nicht hoch, aber wohlgeboren und glücklich geboren [. . .] Schicksal, Sinn und Gemüt haben mich nun zu dem kleinen Volke gestellt und unten an der Erde festgehalten”.18 He truly saw himself as a man of the people with a duty to educate and awaken the people to a national consciousness through the use of written language. In part II of Geist der Zeit he writes:“Mir ward eine Sprache gegeben, und diese Sprache gebrauche ich, ihre Donnerkeile schleudere ich zu heilen und zu zerschmettern. Und darin tue ich nur mein Amt.”19 Arndt wanted to effect change through his written work.20 When he was in Swedish exile in 1809 he wrote a letter to Karl Schildener in which he expressed that the final possibility of giving his life a purpose lay in the attempt he must undertake to become a man of the people by writing:“Der ich Vagabund geworden bin nicht durch mich, sondern durch das Zeit-

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Ernst Moritz Arndt: Der Bauernstand, politisch betrachtet. In: Arndts Werke: Auswahl in zwölf Teilen. August Leffson and Wilhelm Steffens (eds.). Leipzig: Deutsches Verlagshaus Bong & Co., 1912. Vol. 10, pp. 31 – 111. Ibid., p. 45. Here from Friedrich Timm: Nachwort. In: Arndt: Märchen (footnote 11), p. 389. Here from: Karl Heinz Schäfer: Ernst Moritz Arndt als politischer Publizist: Studien zu Publizistik, Pressepolitik, und kollektivem Bewußtsein im frühen 19. Jahrhundert. Bonn: Ludwig Röhrscheid Verlag 1974, p. 99. Helmut Diwald: Ernst Moritz Arndt – Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins. Miesbach: W. F. Mayr 1970, p. 30.

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alter, so kann ich wohl noch einen Versuch von ein paar Jahren machen, all mein Leben zusammenraffen und sehen, ob ich als Schriftsteller ein Mann des Volkes werden kann. Und dann nicht weiter, als ins Grab [. . .].”21 In his book Ernst Moritz Arndt als Politischer Publizist: Studien zur Publizistik, Pressepolitik und kollektivem Bewußtsein im frühen 19. Jahrhundert, Karl Heinz Schäfer remarks that the political and national education of the German people is the focus of Arndt’s collected writings from 1802 – 1819, during which time Arndt also wrote his fairy tales.22 In his book Erzählte Provinz: Regionalismus und Moderne im Roman, Norbert Mecklenburg identifies several forms of literary application of a region, two of which have particular relevance to a comparison between the accepted standard for European fairy tales, based on the stories by the brothers Grimm, and Arndt’s fairy tales.23 On the one hand, Mecklenburg claims that a region as it is represented in a literary text is a microcosm for the world: Ein Dorf, eine kleine Stadt, eine Region als Abbild der Welt, das ist ein in regionalistischer Literatur, in den Texten, bei den Autoren und ihren Interpreten, immer wiederkehrender Topos. [. . .] Provinz [enthält], in seiner Totalität oder zumindest in einem ‘hinreichenden’ Maß, alles Menschliche [. . .]. Die Region bietet dem Autor eine unausschöpfbare Fülle, sie repräsentiert nicht, sie ist Welt. (p. 38)

As such, the region has a universal application, which is particularly present in the Grimm brothers’ fairy tales. The second application of region in a literary text that Mecklenburg identifies is what he refers to as a model. Under Mecklenburg’s model concept, the region in a literary text represents a larger, more enclosed unit or space, such as a state or society, rather than a universal whole under the microcosm concept: In Form eines Modells, also einer auf exemplarische Züge und Grundstrukturen gerichteten Schematisierung in verkleinertem Maßstab, steht Provinz nicht für die ganze Welt, sondern für eine zwar größere, doch gleichfalls umgrenzbare Einheit wie einen Staat, eine Gesellschaft. (S. 41)

Moreover, Mecklenburg understands the concept of regionalism in German literature since the 19th century to be a collective term for not only literary trends, but also political trends. He concludes that literary regionalism reflects the pre-literary territoriality of humankind (p. 8). Regina Hartmann echoes this understanding of the concept of regionalism in her book Pommersche Heimat in der Literatur vergangener Tage: Ein Lesebuch when she explains that Pomeranian writers’ awareness of their identities is articulated in their literature as a nostalgic sentiment toward one’s homeland (“Heimatgefühl”; p. 1).24 This “Heimatgefühl” is evident in Arndt’s work, but not so much in the work of other writers who were born in

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Albrecht Dühr (ed.): Ernst Moritz Arndt: Briefe. Vol. 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972, Nr. 82, pp. 155 – 156. Schäfer: Ernst Moritz Arndt als politischer Publizist (footnote 19), p. 99. Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz: Regionalismus und Moderne im Roman. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag 1982. Hartmann: Pommersche Heimat in der Literatur vergangener Tage (footnote 1).

The Concept of ‘Heimat’ in Ernst Moritz Arndt’s Märchen

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Pomerania, such as Karl W. Ramler (1725 – 1798), Johann Timotheus Hermes (1738–1821), Karl Martin Plümicke (1749 – 1833), and Karl Friedrich Müchler (1764–1857) (p. 2). Hartmann also notes that Swedish-Pomeranian authors in particular, such as Arndt, were instrumental in developing a Pomeranian regional literature in the 18th century (p. 3). According to Hartmann, “Rügen-Poesie” is not provincial in the pejorative sense, but rather it represents provincialism in the sense of an obvious tie to this region, i. e. provincialism in a positive productive sense (p. 4). This distinction represents Arndt’s intent with his fairy tales. Arndt’s focus on region and regional identity in his stories and even in many of his political essays cannot be ignored. The very clearly identified German regions and German regional identities in his fairy tales, though mostly localized around the area of Rügen, function as models, to use Mecklenburg’s terminology, for the idea of a German nation, and by extension, a German national identity that Arndt hoped to shape with the written word as his chosen medium. Almost as if he had been in search of a new genre, other than his books, essays, pamphlets and songs, with which he might reach all the German people of all classes in an effort to educate them further, in his words as “Erzieher und Erwecker”, and with the purpose of instilling a sense of national identity, Arndt wrote down his fairy tales.

III. Europäische Horizonte

Walter Erhart

Reisen durch das alte Europa Ernst Moritz Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs und die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts

Als der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Jahre 2003 die europäische Landkarte neu vermessen wollte und vom ›alten‹ und ›neuen‹ Europa sprach,1 war dies nicht mehr als ein politisch-publizistischer und schnell parodierter Effekt. All dies kündete freilich durchaus vom Bewusstsein einer neuen topographischen Situation in Europa: von Verschiebungen im politischen Kräftegleichgewicht, von neu entstandenen regionalen Schwerpunkten und Nationalstaaten, von einer Überlagerung und Verschiebung des ›Alten‹ und des ›Neuen‹. Eine ähnliche Diffusion alter und neuer europäischer Landkarten steht auch im Mittelpunkt jener Reise, die der neunundzwanzigjährige Ernst Moritz Arndt in den Jahren 1798 und 1799 unternahm: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799, erschienen 1801 bis 1803 in vorläufigen Einzelausgaben, 1804 in einer veränderten und endgültigen vierbändigen Fassung.2 Die Überblendung des ›Alten‹ und ›Neuen‹ ist der erste interessante Aspekt dieses kaum gelesenen Textes. Der junge Arndt reiste zu einer Zeit, in der das damals ›alte‹ Europa gerade dabei war, von der Landkarte zu verschwinden, ein ›neues‹ Europa freilich noch nicht einmal in Ansätzen sichtbar war. Deutschlands Grenzen wurden im Gefolge der Revolutions- und Koalitionskriege fast überall neu gezogen, und Napoleon hatte erst 1797 damit begonnen, die politische Topographie der von Arndt bereisten Länder Österreich und Italien grundlegend zu verändern: Die Lombardei wurde französisch; Österreich tauschte Belgien und Mailand gegen Venedig; in Mailand wurde die Cisalpinische, in Genua die

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In einer Pressekonferenz im Rahmen des Irak-Krieges am 23. Januar 2003: »›Germany has been a problem, and France has been a problem,‹ said Rumsfeld, a former NATO ambassador. ›But you look at vast numbers of other countries in Europe. They’re not with France and Germany on this, they’re with the United States.‹ Germany and France represent ›old Europe’s‹ and NATO’s expansion in recent years means ›the center of gravity is shifting to the east,‹ Rumsfeld said.« (www.cnn.com/world/2003/WORLD/meast/01/22//sprj. irq.wrap am 28. 06. 2006). Ernst Moritz Arndt: Bruchstücke aus einer Reise von Baireuth bis Wien im Sommer 1798. Leipzig: Gräff 1801 [Teilausgabe als Faksimile-Nachdruck hg. v. Jakob Lehmann. Erlangen: Palm und Enke 1985]. Bruchstücke aus einer Reise durch einen Theil Italiens im Herbst und Winter 1798 und 1799. 2 Bände. Leipzig: Gräff 1802. Bruchstücke einer Reise durch Frankreich im Frühling und Sommer 1799. 3 Bände. Leipzig: Gräff 1802/1803. Ernst Moritz Arndt: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799. 2. verb. u. vermehrte Aufl. 4 Bände. Leipzig: Gräff 1804 (wenn nicht anders vermerkt, wird im fortlaufenden Text aus dieser Ausgabe zitiert, mit römischer Band- und arabischer Seitenzählung).

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Ligurische Republik gegründet. Arndt bewegte sich durch ein politisch unruhiges, von Flüchtlingsströmen und Soldaten durchwandertes Europa. Die politischen Wirren verhinderten seine eigentlich geplante Reise nach Rom und führten ihn von Wien aus nach Venedig, Florenz und Genua, weiter über Nizza und Marseille nach Paris, schließlich über die deutsch-französischen rheinischen Gebiete und zuletzt über Frankfurt und Regensburg nach Norddeutschland zurück. Was er dort erlebte, hat er in vier voluminösen Bänden aufgeschrieben; mit dem Schreiben und dem Bericht freilich verändert sich auch die ursprüngliche Erfahrung, und die literarischen Aspekte des Unternehmens treten hervor. Zugleich nämlich – als zweiter interessanter Aspekt – fällt Arndts Reisebericht in eine Zeit des tief greifenden Wandels der Gattung ›Reiseliteratur‹: einerseits in die Zeit ihrer Hochkonjunktur, in der sich zahlreiche Gattungsformen neu bilden und voneinander ablösen, andererseits auch in eine »Krisenphase des Reiseberichts«3, in der zum ersten Mal die Berechtigung der Gattung als Informations- und Wissensform in Frage gestellt war – und zwar aufgrund schierer Überfülle. Zwischen 1700 und 1810 erschienen schätzungsweise 10 000 Werke, die der Reiseliteratur zuzuordnen sind; zählbar sind allenfalls Teilgruppen, etwa deutschsprachige Reisen nach Italien: Es sind bereits im frühen 19. Jahrhundert mehrere Hundert.4 Die Vielzahl der Reiseberichte macht die einzelnen Texte nicht unterschiedslos. Im Gegenteil: Gerade am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte ein mittlerweile oft untersuchter Gattungswandel von der enzyklopädischen und aufklärerischen Gelehrtenreise zur ästhetischen Bildungsreise;5 daneben existierte eine unübersichtliche Menge zahlreicher reiseliterarischer Formen, mit und zwischen denen sich jeder um 1800 verfasste Reisebericht zunächst einmal positionieren musste, aus bereits werbestrategischen Gründen oder – wie im Falle Arndts – im Interesse eines jungen Autors, der sich in einer traditionsreichen und populären Gattung zu profilieren suchte.6 Neben den politisch-historischen und gattungsgeschichtlichen Aspekten sind Arndts Reisen schließlich – drittens – ein bedeutendes Dokument in Ernst Moritz 3

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Albert Meier: Textsorten-Dialektik. Überlegungen zur Gattungsgeschichte des Reiseberichts im späten 18. Jahrhundert. In: Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 237 – 245, hier S. 239. Die Zahlen hier nach einer neuen Schätzung und Darstellung: Tilman Fischer, Thorsten Fitzon: Von Bemerkungen und Nachrichten zu Skizzen und Cartons. Ein Titelvergleich deutschsprachiger Reiseberichte aus England und Italien 1770–1870. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 28 (2003), S. 75–115, S. 76 und S. 79. Vgl. hierzu Wolfgang Griep, Hans-Wolf Jäger (Hg.): Reisen im 18. Jahrhundert. Neue Untersuchungen. Heidelberg: Winter 1986. Hans-Wolf Jäger (Hg.): Europäisches Reisen im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg: Winter 1992. Zur Vielfalt der Reiseliteratur und zu den Leserinteressen vgl. Uwe Hentschel: Studien zur Reiseliteratur am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Autoren – Formen – Ziele. Frankfurt/M. u. a.: Peter Lang 1999. Zur Funktionsvielfalt der »Gebildetenreise« im 18. Jahrhundert vgl.Winfried Siebers: Bildung auf Reisen. Bemerkungen zur Peregrinatio academica, Gelehrten- und Gebildetenreise. In: Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung (Anm. 3), S. 177–188. Zur modernen Profilierung des Schreibens und des Literarischen in der Geschichte der Reiseliteratur vgl.Alfred Opitz: Reiseschreiber.Variationen einer literarischen Figur der Moderne vom 18.–20. Jahrhundert. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 1997.

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Arndts intellektueller Biographie, damit und darüber hinaus aber auch ein aufschlussreiches Zeugnis für die Ideen- und Diskursgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts. Arndts Reisen präsentieren einen anderen Autor als jenen berühmten und berüchtigten Ernst Moritz Arndt, der als gefeierter Sänger der Befreiungskriege in die folgenreiche deutsche Nationalgeschichte Eingang gefunden hat. In seinen Reisen ist der später glühende Patriot noch weitgehend unsichtbar: Zu Frankreich und den Franzosen findet der junge Arndt fast durchgängig lobende Worte;7 die Revolution beurteilt er vorurteilsfrei und abwägend; unterschiedliche Nationalitäten, Lebensformen und Sprachen werden – gut aufklärerisch – nebeneinander gestellt, relativiert und in ihren geographisch bedingten Eigenheiten anerkannt. Vielleicht deshalb sind Arndts für ihn selbst so untypischen Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs unbekannt geblieben; sie wurden nicht einmal nachgedruckt und sind nach 1804 lediglich in einigen wenigen verstümmelten Teilausgaben überliefert.8 Über das biographische Interesse an Arndt hinaus ergibt sich demnach eine doppelte Aufgabe. Auf der einen Seite markiert dieser Reisebericht ein wichtiges Kapitel innerhalb einer neu zu entdeckenden Gattungsgeschichte um 1800.9 Auf 7

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Einer der wenigen literaturwissenschaftliche Beiträge zu Arndts Reisetexten benennt deshalb bereits im Titel den erstaunlichen Befund: Johannes Weber: Aus der Jugendreise eines Franzosenfressers. Ernst Moritz Arndt in Paris (1799). In: Griep, Jäger: Reisen im 18. Jahrhundert (Anm. 5), S. 241–270. Informativ und anregend ferner lediglich: Hans-Georg Werner: Ernst Moritz Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799. In: Thomas Höhle (Hg.): Reiseliteratur im Umfeld der französischen Revolution. Halle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1987, S. 78–90. Ernst Moritz Arndt: Pariser Sommer 1799. Hg. v. Wolfgang Gerlach. München: Büchergilde Gutenberg 1982. Ernst Moritz Arndt: Sehnsucht nach der Ferne. Die Reise nach Wien und Venedig 1798. Hg. v. Eva Ptak-Wiesauer. Berlin: Verlag Neues Leben 1988. Die Reiseliteraturforschung hat Arndts Reisen – trotz ihrer prominenten Zielorte, trotz ihrer wichtigen Entstehungszeit – kaum berücksichtigt; offensichtlich haben die zumeist sozialhistorisch orientierten Reiseliteraturforscher seit den 1970er Jahren in einem Reisebericht des berüchtigten Arndt ganz Anderes – nämlich Nationalistisch-Konservatives – erwartet und seine Texte links bzw. ganz rechts liegen gelassen. Die zumeist volkstümelnde oder regionalistisch begrenzte Arndt-Forschung wiederum war dort mit einem nicht unbedingt ins gewohnte Bild passenden Arndt konfrontiert – zumal vor den 1960er Jahren. Eine der bis heute ausführlichsten Darstellungen der Reisen findet sich deshalb bereits bei Ernst Müsebeck: Ernst Moritz Arndt. Ein Lebensbild. Erstes Buch [mehr nicht erschienen]. Der junge Arndt 1769–1815. Gotha: F. A. Perthes 1914, S. 46 –66. Die Reiseliteraturforschung hat erst jüngst begonnen, sich von ihren eigenen großflächigen Thesen und Mythen zu lösen, den großen und bruchlosen Entwicklungslinien nicht länger zu vertrauen und mit der Vielfalt der Reiseliteratur am Ende des 18. Jahrhunderts auch deren unterschiedliche und ungleichzeitige Funktionen neu zu beschreiben: vgl. Peter Brenner: Der Mythos des Reisen. Idee und Wirklichkeit der europäischen Reisekultur in der Frühen Neuzeit. In: Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung (Anm. 3), S. 13–61. Maurer betont, dass zur Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts zwar eine Fülle von Arbeiten vorliegt, »doch scheint sich dieses Jahrhundert einer Integration in die älteren Zusammenhänge eher zu verweigern«. Michael Maurer: Reisen interdisziplinär – Ein Forschungsbericht in kulturgeschichtlicher Perspektive. In: M. M. (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung (Anm. 3), S. 287 – 410.

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der anderen Seite gibt der Text Aufschluss über die exemplarische Transformation eines jungen europäischen Intellektuellen um 1800. Das Erstaunen über biographische Kehrtwendungen ist das eine; die Reise des jungen Arndt aber lässt darüber hinaus erkennen, aus welch bislang verborgenen Dispositionen, Ursprüngen und Quellen der mit dem Namen Ernst Moritz Arndt mittlerweile prägnant identifizierte deutsche Nationalismus hervorgegangen ist. Mehr noch: Wie in einer Art Hohlform oder einem Relief zeichnen sich auf dieser Reise jene fast unmerklichen Vertiefungen und Leerstellen ab, in die kurz darauf die Energien des deutschen Patriotismus und auch des nationalen Chauvinismus einströmen konnten. Der nach 1945 schnell vergessene Arndt besitzt seine geradezu emblematische, historische wie literaturgeschichtliche Bedeutung in erster Linie als ein Bannerträger deutscher Ideologie,10 damit auch als ein Symptom derjenigen Codierungen, Werte und Symbolsysteme, die seither mit dieser deutschen Geschichte verbunden sind. Die (Literatur-)Geschichte des jungen Arndt enthüllt einen ihrer verborgenen Entstehungsprozesse. Die Funktionsvielfalt der Reiseliteratur um 1800 wiederum macht diese Gattung zu einem idealen seismographischen Instrument für eine solch archäologische Expedition in die Ur- und Vorgeschichte der nationalen Bewegung. Mit dem jungen Arndt lässt sich schließlich zugleich auch die Genealogie desjenigen nationalistischen Exzesses schreiben, der mit den Befreiungskriegen des frühen 19. Jahrhunderts ein neues und dabei erst jüngst erforschtes hegemoniales Leitbild deutscher Kultur erzeugt hat: die »patriotisch-wehrhafte Männlichkeit«.11

I. ›Zerstückelte Bruchstücke‹ – Arndts Reisen im Kontext der Gattungsgeschichte Der überraschende erste Befund nach einer Lektüre von Arndts Reisen ist die Vielfalt an reiseliterarischen Formen.12 Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs spiegeln die am Ende des 18. Jahrhunderts herrschende Pluralität neben einander existierender Gattungsmerkmale, reprodu10

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Diese Rolle spielt Arndt seit langem in den geschichtswissenschaftlichen und literaturgeschichtlichen Standardwerken. Vgl. etwa Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700 – 1815. München: C. H. Beck 1987, S. 523ff. Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. 1789–1830. 2 Bände. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration 1806–1830. München: C. H. Beck 1989, S. 29ff. Vgl. die jüngste wichtige Studie von Karen Hagemann: »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre.« Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn u. a.: Schöningh 2002. Vgl. dazu auch Werner: Arndts Reisen (Anm. 7), S. 81: »In Arndts Reisebeschreibungen sind daher verschiedene Modelle von Reisedarstellungen amalgamiert: Die Reise eines merkwürdigen Mannes, der Reiseführer durch interessante Gegenden, Reise als fiktive Komplementerfahrung für den Ansässigen und nicht zuletzt als Unternehmen zu sozialer Aufklärung.«

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zieren damit aber auch ein gravierendes zeitgenössisches Problem der Gattungsgeschichte: den Mangel an ästhetischer und literarischer Integration.13 Der Reisebericht beginnt mit einer romantischen und empfindsamen Fußwanderung durch die fränkische Schweiz, einem in den Fassungen von 1801 und 1804 zudem gravierend veränderten Kapitel. ›Romantisch‹ und ›empfindsam‹ sind diese fränkischen Wanderungen zunächst in einem recht präzisen Sinn. Nur wenige Jahre zuvor war die Gegend um Nürnberg von zwei Berliner Studenten entdeckt worden, deren gemeinsame Erfahrung zu einem Gründungsdokument der romantischen Bewegung führte: den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) von Wackenroder und Tieck.14 Arndt wiederholt diese romantische Erfahrung im doppelten Wortsinn. ›Romantisch‹ ist die mehrfach gebrauchte, bereits konventionelle Vokabel in seiner Beschreibung der ›wilden‹, ungeordneten Natur (I, S. 35, S. 76, S. 91). Der ›romantischen‹ Bewegung aber scheint sich der junge Arndt durchaus auch aufgrund seiner Begeisterung für alles ›Natürliche‹ und ›Vorgeschichtliche‹ zugehörig zu fühlen. ›Empfindsam‹ wiederum ist seine auf Rousseau und Herder zurückgehende Suche nach den ›tieferen‹ Quellen einer von der Verstandeskultur und Zivilisation offensichtlich verschütteten Gefühlskultur. Auf diese Weise liest sich die Reise durch die fränkische Felsen- und Höhlenlandschaft oftmals wie ein Amalgam aus rousseauistischer Kulturkritik, Goethes Werther, Theorien zur Volkspoesie sowie Herderscher Anthropologie und Sprachtheorie: O Natur wie wunderbar zeigst du dich und wie mannigfaltig! So war einst deine Sprache. Mir ist wohl unter euch Menschen aus niedrigem Volk. Da findet man doch bey aller Beschränktheit des Geistes noch oft Kraft und Selbstständigkeit. Und was ist unsere Aufklärung? Meistens äußerer Schimmer, kein inneres warmes Licht, kein glühender Feuerstrahl. Ach sind wir nicht Puppen, lernt nicht selbst die Empfindung, die heilige Zunge der Seele eine fremde Sprache? Und wird nicht auch sie durch Konvenienz und Drechseley eine widerliche Karikatur?15

Genau diese Passage hat Arndt in der überarbeiteten Fassung von 1804 wieder getilgt – ein erstes Indiz dafür, wie sehr er mit den ideengeschichtlichen Inhalten seines Reiseberichts und den Diskursen seiner Zeit bereits in der Zeit zwischen den Fassungen von 1801 und 1804 bewusst zu jonglieren begann. Offensichtlich schien ihm die Aufklärungskritik hier viel zu direkt, der ›romantische‹ Ton vielleicht zu jugendbewegt. In der zweiten Fassung hat Arndt darüber hinaus die einzelnen Abschnitte der nun »Wanderung in Franken« betitelten Kapitel überwiegend nach den von ihm besichtigten Höhlen und Schlössern geordnet, demzufolge auch die ›romantische‹ Unordnung des reiseliterarischen Stils zurückgedrängt und ein eher dem dixhuitième angemessenes Ordnungsschema der naturkundlichen Expedition übernommen. 13

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Vgl. Hentschel: Studien zur Reiseliteratur am Ausgang des 18. Jahrhunderts (Anm. 6), S. 38ff. Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Stuttgart: Reclam 1979. Arndt: Bruchstücke aus einer Reise von Baireuth bis Wien im Sommer 1798 (Anm. 2), S. 10.

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Der kulturkritische Gegensatz zwischen Natur und Kultur als Leitmotiv seiner ersten »Wanderung« blieb freilich bestehen. Die felsige Urweltlandschaft von »Sans Parail«, bereits damals mit kleinen Häuschen und »Tempelchen« durchsetzt und wenig später zur touristischen Attraktion erweitert, inspirierte Arndt zu einer rhetorisch aufgeladenen Konfrontation zwischen Natur und Kultur: »Laß sie zerfallen und zertrümmern, die große Natur bleibt und bedarf keiner Kunst« (I, S. 2). »Natur hat hie und da Grotten und Sessel gegraben, Kunst zuweilen verbessert, öfter verschlimmert.« (I, S. 3). Der von Arndt hier so überschwänglich und in diesem Kapitel noch mehrfach apostrophierte »Tempel der Natur« (I, S. 3, S. 17) weitet sich zu einer Art romantischer Ruinenästhetik, so wenn der Reisende später den Sieg der Natur über die Zivilisation beschreibt, im Anblick der um her gestreuten Felsen ebenso wie hinsichtlich der fränkischen Burgenlandschaft: »Es ist einem, als wandle man unter den Trümmern einer untergegangen Welt. Und gewiß eine alte Welt musste untergehen, um alle diese Naturwunder so sonderbar zu versammeln.« (I, S. 26). Der Wind saust hier fürchterlich und schlägt den Regen gegen die Wände. So muß die Natur über die Trümmer trauren, wenn der Mensch es fühlen soll, daß er unter ihnen umhergeht. Ich will hinaus und dann beschreiben die Ruinen von Neideck, die schönsten Trümmer einer Burg, die ich bis jetzt auf teutschen Boden sah [. . .]. (I, S. 34f.)

In dem Moment jedoch, in dem Arndt die im doppelten Sinn ›romantische‹ Topographie der fränkischen Naturlandschaft verlassen hat, verändert sich auch der Reisebericht, und die Stadt Nürnberg gibt dem Reisenden bereits in der ersten Fassung von 1801 Anlass, in ein anderes Genre der Reiseliteratur zu wechseln: das der aufgeklärten und sozialkritischen Reisebeschreibung. Arndt schildert den ökonomischen Verfall der Stadt: »Bis über die Ohren in Schulden, durch schlechte Wirthschaft und Verfassung lange mit ihren Patriciern in Processe verwickelt, sind sie nun noch mehr in die Klemme gekommen durch den König von Preußen [. . .].« (I, S. 56). Er kritisiert den Katholizismus, den »ganzen Plunder von Reliquien und Gebeinen«, wünscht sogar, die »Franzosen hätten dies dumme Zeug zusammengepackt und das Gold, das dran sitzt, eingeschmolzen.« (I, S. 66). Er beklagt, nicht anders als in vergleichbaren Fällen Friedrich Nicolai in seiner Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz (1783 – 1796), die Rückständigkeit einer Stadt, die noch nicht von der zweckrationalen Modernität der Aufklärung erfasst worden sei: Als eine andre Ursache des Verfalls und der Abnahme der Stadt nennt man ihre Verfassung, die offenbar zu altfränkisch, unbiegsam und pedantisch war und nicht mit dem Geiste des Jahrhunderts fortgeschritten ist. Dahin rechnet man den ägyptischen Zunftund Kastengeist, und manche Gebräuche bei den Zünften und Gewerken [. . .]. (I, S. 69f.)

Der Reisende schlüpft hier in die Rolle des Chronisten, übernimmt den Blick des aufklärerischen Beobachters und Berichterstatters.16 Mit den jeweils bereisten Orten scheint sich die Aufmerksamkeit des Reiseschriftstellers zu verändern, ebenso

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Hans Georg Werner spricht in diesem Zusammenhang von »Pragmatismus«, »Empirismus« und »Sozialkritik«: Werner: Arndts Reisen (Anm. 7), S. 81f., S. 84.

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sein auktorialer Gestus und darüber hinaus auch die Gattungen und Schreibformen, derer er sich wie aus einem vorgefundenen Repertoire bedient. Die Stadtbeschreibung von Wien ist deutlich nach einem enzyklopädisch-aufklärerischen Muster organisiert: zum einen entlang der geographischen und topographischen Ordnung (wenn die Wanderungen um Wien z. B. in der Reihenfolge der Himmelsichtungen beschrieben werden), zum anderen nach dem Prinzip der annähernden Vollständigkeit, seien es Plätze, Sehenswürdigkeiten, Gasthäuser, entsprechende Preise, Klassen von Bewohnern, Musik, Theater und Gemäldegalerien.17 Der Reisende besucht vorrangig und bereits zu Beginn die neuen öffentlichen und sozialen Institutionen: Spital, Narrenturm und Findelhaus. Er kritisiert in aufgeklärt-bürgerlicher Manier den Prunk der höheren Stände, moniert beim Anblick künstlich angelegter Wildgehege und Parkanlagen, dass man »solchen Quark mit Entzücken« besuche, »da man doch besser thäte unten im Dorfe in die erste beste Hütte eines Armen zu gehen, einige Kreuzer auszuspenden, und so mit dem Bilde auch dieses Menschenlebens und Menschengefühls wieder abzutreten.« (I, S. 133). Der aus dem protestantischen Norden kommende Arndt bedauert, dass die von Joseph II. begonnenen Reformen mit dem Tode des Monarchen abrupt zu Ende gegangen sind: »Censur und Pabst traten wieder in ihre alten Rechte ein. So ist es auch noch, und was bey der Zeit, wie sie mit einem gewaltigen Strome gegen alles Alte läuft, nur irgend haltbar ist, das suchen sie wieder fest zu machen.« (I, S. 204). Der solcherart schreibende Reisende selbst – daran lässt der Wien-Besucher Arndt keinen Zweifel – schwimmt im »Strome« der neuen Zeit gegen die Restauration, und er führt – ganz pragmatisch-rationalistisch – die träge gewordene Mentalität der Wiener auf die »Augenverkleisterung und Stirnbebretterung« (I, S. 261) zurück, eine »Maulsperre« sowie ein von oben verordnetes »Gängelband«, das die Kultur des Selbstdenkens verhindert und der Zielrichtung des aufklärerischen Absolutismus den Weg versperrt: »Aber was würde Wien seyn, wenn zu allen seinen Vorzügen noch Geistesfreyheit und Freyheit des Geschmacks hinzukäme, die doch den Menschen erst zum Menschen machen?« (I, S. 262). Das aufklärerisch-kritische Verfahren ist in Arndts Bericht eng an die Beschreibung der Stadt Wien gebunden; Arndts Reise in Süddeutschland und Österreich trägt darüber hinaus manch andere Spuren einer am Ende des 18. Jahrhunderts bereits traditionellen Gelehrtenreise, enthält dementsprechende geographische Beschreibungen der Landstriche sowie ethnologische Beobachtungen der Völker. Sie ist nur in geringem Maße ästhetisch orientiert und erschöpft sich meist in der Wiederholung bestimmter Vokabeln, wie sie für die ›pittoresken‹ touristischen Reisen

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Arndts Darstellung ist hier deutlich einer um 1800 bereits älteren enzyklopädischen Form der Wien-Beschreibung verpflichtet: vgl. Kai Kauffmann: »Es ist nur ein Wien!« Stadtbeschreibungen von Wien 1770 bis 1873. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1994. Zu vergleichbaren »Wiener Stadtwanderungen« um 1800 vgl. die Skizze bei Thorsten Sadowsky: Gehen Sta(d)t Fahren.Anmerkungen zur urbanen Praxis des Fußgängers in der Reiseliteratur um 1800. In: Wolfgang Albrecht, Hans-Joachim Kertscher (Hg.): Wanderzwang – Wanderlust. Tübingen: Niemeyer 1999, S. 61 – 90, hier S. 68ff.

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des beginnenden 19. Jahrhunderts höchst typisch sind: »romantisch«, »schön«, »reizend«, »malerisch«.18 Zusätzlich begegnen hier die zuweilen humoristisch variierten Streiflichter auf begleitende Reisegesellschaften und abenteuerliche Reiseerlebnisse, besonders etwa in der erst 1804 eingefügten Reise nach Ungarn (»Erinnerungen an Ungarn. Ein kleines Anhängsel«), die den aufklärerischen Reisebericht für einen Moment in das eher belletristische und später für das Biedermeier durchaus charakteristische Genre der Reisenovellistik verschiebt (I, S. 275–344).19 Arndts anschließende Reise durch Italien und Südfrankreich nimmt all diese Muster noch einmal auf, integriert zugleich die auch hierfür typischen Reminiszenzen an antike und klassische Geschichte und changiert dabei stets zwischen gegenwartsbezogenem Reisefeuilleton und klassizistischer Bildungsreise. Arndt bekennt sich hier ebenfalls – vielleicht auch apologetisch – zu einer Reiseliteratur der »kleinen Bruchstücke« (II, S. 1), beschreibt in eher nüchterner Manier und in der langatmigen Aufzählung eines Berichterstatters die Gemäldegalerien von Florenz, wechselt zuweilen sogar in das Fach der wissenschaftlichen Reise, wenn er überaus fachmännisch und ausführlich »Etwas vom Feldbau in Toskana« (II, S. 76ff.) zu berichten weiß. Auf der Fahrt von Italien nach Frankreich schließlich, entlang der italienischen und französischen Riviera, sind die Schilderungen immer stärker bezogen auf die Auswirkungen der Revolution, die Zerstörung und Entvölkerung der Städte, die Begegnung mit Flüchtlingen sowie die von Soldaten besetzten und politisch eben neu geordneten Landstriche. Diese Form der politischen Reise führt geradewegs nach Paris. Anders als in der eher enzyklopädischen Beschreibung der Stadt Wien versucht Arndt die Revolutionshauptstadt dementsprechend nicht mittels einer vollständig topographischen Beschreibung, sondern in ihrer Bewegung und in ihrer Geschwindigkeit zu erfassen. Mit dem Eintritt in die Stadt verändern sich deshalb auch die Wahrnehmungs- und Schreibweisen eines Schriftstellers, der die aufgeklärte Registratur der Dinge mit einem Kaleidoskop rasch wechselnder Perspektiven auf engstem städtischem Raum vertauscht: Wir wollen von Paris etwas sagen, deswegen bleiben wir im Mittelpunkt seines Wimmelns und Treibens. [. . .] In dieser Polnähe [. . .] wollen wir uns mit im Wirbel umtreiben lassen, und was wir bei der schnellsten Beweglichkeit aller Gegenstände fassen können, getreu und frommen Gemüthes wieder geben.Wenn wir nicht alles fein ehrenfest und teutsch aus einander und nach einander entspringen und auftreten lassen, so verarge uns das niemand. Die Unordnung hat auch ihre Ordnung in der Welt, und eben daß man von ihr immer mehr, als von der Ordnung, zu sagen weiß, sollte uns endlich belehren, welche von beiden ungleichen Schwestern wohl die herrschende sei. (IV, S. 2) 18

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Vgl. hierzu Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur: ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemeyer 1990, S. 275– 490.Vgl. auch (bezogen vor allem auf den englischen Kontext): Stephen Copley, Peter Garside (Hg.):The Politics of the Picturesque. Literature, Landscape and Aesthetics since 1770. Cambridge: Cambridge University Press 1994. Zur »pittoresken« und »humoristischen« Reisebeschreibung im Biedermeier vgl. Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815 – 1848. Bd. II: Formenwelt. Stuttgart: Metzler 1972, S. 249ff.

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Der Revolutionsreisende Arndt ist hier durchaus auf der Suche nach einer neuen Ästhetik der (Groß-)Stadtbeschreibung, angelehnt an das einflussreiche Tableau de Paris (1776–1788) von Louis-Sébastien Mercier, in dem das bewegliche Bild an die Stelle der inventarisierenden Beschreibung gesetzt wurde.20 Die zugehörigen Termini lauten auch bei Arndt »Tummelplatz« (III, S. 120), »Guckkasten« (III, S. 121), »kurzweiliges Schattenspiel« (III, S. 200) und »Marionettengaukelspiel« (IV, S. 3). Statt jener »Spiegel«, die »alles zugleich zeigen«, sollen sich die Bilder der Stadt in beliebig variierbare Fragmente verwandeln. Lag die Ordnung der Dinge zuvor im beherrschenden Blick des Reisenden, bildet dieser nun lediglich das reflektierende Medium einer kontingenten, nicht mehr gänzlich zu umfassenden urbanen Wirklichkeit; die unterschiedliche Wahrnehmung von solch »zerstückelten Bruchstücken« (III, S. 114) werden folglich auch den einzelnen Lesern überantwortet: »Man sehe meine einzelnen Splitter wie zerbrochene Stücke eines solchen [Spiegel] an, die jeder noch mehr wird verkleinern oder durch Zusammenfügen vergrößern können, je nachdem er das Schattenspiel mehr im Kleinen, oder Großen wird sehen wollen.« (III, S. 121). Wie viele andere ›Revolutionstouristen‹ seiner Zeit variiert Arndt seine beiden wechselnden Rollen als fasziniert beteiligter und als kritisch distanzierter Zeitgenosse.21 Zugleich sieht er in dieser Haltung auch die Stimmung der Pariser Bevölkerung gespiegelt. In jenem vergleichsweise ruhigen Sommer des Jahres 1798 scheint buchstäblich Ernüchterung eingekehrt: »Das Volk [. . .], das harmlos und fröhlich dem ganzen Europa seinen süßen Traum erzählte,ward leider des Rausches inne,der hier unterm Monde nichts festhält [. . .].« (III,S. 201).Die Pariser »Schaubühne« (III, S. 117) und das Schauspiel der Revolution, jene von allen ausländischen Revolutionskommentatoren häufig verwendeten Theater-Metaphern,22 sind in Arndts Bericht noch präsent, das Geschehen freilich ist gleichsam auf mehrere Bühnen verteilt, Ausdruck eines kleinteiligen ›Schattenspiels‹ und ›Marionettentheaters‹, als ein Bündel von Tableaus und Bildern, die sich zu keinem Gesamteindruck ordnen.

II. »Gekleckse« und »Mistgrube«, »Zitronen und Banditen« – Arndts Verweigerung der Zentralperspektive Die Metapher des zersplitterten Spiegels lässt sich auf den gesamten Arndtschen Reisebericht übertragen. Seine Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs betonen den Gestus des Authentischen, artikulieren 20

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Vgl. hierzu umfassend Heinz Brüggemann: ›Aber schickt keinen Poeten nach London!‹ Großstadt und literarische Wahrnehmung im 18. und 19. Jahrhundert. Texte und Interpretationen. Reinbek: Rororo 1985. Vgl. exemplarisch Inge Stephan: Revolutionstourismus am Beispiel von Johann Friedrich Reichardt: »Vertraute Briefe über Frankreich« (1792/93). In: Griep, Jäger (Hg.): Reisen im 18. Jahrhundert. (Anm. 5). Vgl. hierzu Helmut Peitsch: Das Schauspiel der Revolution. Deutsche Jakobiner in Paris. In: Peter J. Brenner (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989, S. 306 – 322.

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mehrfach die während der Reise, am Ende eines Tages oder an bestimmten Stationen verfassten Reisenotizen, die mutmaßlich auf ein Reisetagebuch zurückgehen.23 Auf der anderen Seite beinhaltet der für die Buchausgaben sorgfältig modellierte und überarbeitete Reisebericht höchst unterschiedliche Schreibformen, jeweils variiert nach Ort und Situation, Stadt und Land, eine Heterogenität, die sich am Ende des 18. Jahrhunderts durchaus auch exemplarisch lesen lässt: als unentschiedene Gleichzeitigkeit historischer reiseliterarischer Formen. Arndts Reisen dokumentieren eine literarische Situation der Gattung, die von den Zeitgenossen offensichtlich auch als Mangel empfunden worden war. Die Delegitimierung der aufklärerischen Reise mit ihrem Zweck der gelehrten und populären Information sowie die offenbar gewordene Formenvielfalt der Gattung provozierten nach 1800 zahlreiche Versuche, eine neue ästhetisch integrative Form für die Reisebeschreibung zu finden, zumeist als Literarisierung einer Gattung, die statt der modernen Fragmente und zufälligen Wahrnehmungssplitter nach der Ganzheit und Abgeschlossenheit eines ästhetisches Werks verlangte.24 Arndts Reiseliteratur scheint sich einer solchen Integration indes fast planmäßig zu widersetzen, und dies keineswegs nur in formaler Hinsicht.Auch thematisch lässt sich in Arndts Reisen kein Fluchtpunkt finden, der die Fragmente und Bruchstücke der Reise miteinander verbindet – obwohl Arndt selbst die zeitgenössischen Ansatzpunkte und Programme solcher Integrationsmomente fast regelmäßig zitiert. Seine Zurückhaltung wird deshalb besonders deutlich im Vergleich.Wackenroder und Tieck verbinden ihre Reisen durch Franken bereits mit der Suche nach einem topographischen Gesamtkunstwerk, in das sich die Natur, die Landschaft und die Kunst einfügen.Die Stadt Nürnberg etwa – so Wackenroder in seinem Tagebuch – kann man wegen ihres mittelalterlichen Gepräges mit Recht und Fug »romantisch« nennen: Man findet sich »ganz ins Althertum versetzt, u. erwartet immer einem Ritter, od. einem Mönch, oder einem Bürger in alter Tracht zu begegnen [. . .]«, denn mit »jedem Schritt heftet sich der Blick auf ein Stück des Alterthums, auf ein Kunstwerk in Stein oder in Farben.«25 Seine »Vorliebe für das romantische Mittelalter« – so Tieck in

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Die Mutmaßung der Forschung über ein von Arndt während der Reise geführtes Tagebuch geht vermutlich auf die von Arndt häufig geschilderten Schreibszenen am Abend oder während längerer Aufenthalte zurück, ebenso auf eine Stelle in einem aus Ungarn geschriebenen Brief an den Vater: »Was weiter für seltene und sonderbare Geschichten passirt sind, das werden Sie einmal in dem Tagebuch lesen, das ich heute beendigt habe und morgen in froher Versammlung der ganzen Gesellschaft vorlesen werde.« Brief v. 6. September 1798. Ernst Moritz Arndt: Briefe. Hg. v. Albrecht Dühr. Drei Bände. Bd. I. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972, S. 22. Georg Forster hat in einer Rezension der Voyage de Monsieur le Vaillant dans l’intérieur de l’Afrique deshalb den »Faden der Erzählung« gerühmt, mit dem der Verfasser »ästhetische Vollkommenheit« erzeuge, »dem Mannigfaltigen Einheit« zu geben und »die Vorstellung eines unzertrennlichen, gleichsam beseelten Ganzen« hervorzubringen vermag (zit. in: Hentschel: Studien zur Reiseliteratur am Ausgang des 18. Jahrhunderts. (Anm. 6), S. 55f.). Wilhelm Heinrich Wackenroder: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. v. Silvio Vietta, Richard Littlejohns. Bd. II: Briefwechsel. Reiseberichte. Philologi-

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einem Brief aus Erlangen – lassen ihn die »Ruinen [. . .] immer äußerst ehrwürdig« erscheinen: »für die Phantasie hat das Mittelalter sehr viel Anziehendes, und der Verstand findet es immer kräftiger und vorzüglicher als unser schales Jahrhundert.«26 Für Arndt stellt sich dies ganz anders – und in diesem Fall höchst dissonant – dar. Die fränkische Landschaft mag ›schön‹ und ›romantisch‹ sein, die Stadt Nürnberg hingegen ist »nach alter Art krumm und schief gebaut«; die Häuser »haben etwas Schwerfälliges und beleidigen durch die Erker und vielen Schnörkel das Auge« (I, S. 56). Meldet sich hier ein ästhetischer Dissens zwischen den Romantikern und dem Aufklärer, so spricht sich für Arndt zugleich die Dissonanz der erfahrbaren Landschaft und Kultur selbst aus: Die »Sebaldus- oder Domkirche« als eines der »schönsten altgothischen Gebäude« erfüllt den Reisenden mit einer »tiefen Ehrfurcht und einem heiligen Schauder« (I, S. 63), das »einfältige Geklexse« (I, S. 57) der bunten Wandmalerei dagegen stößt eher ab. Die Nürnberger Burg gehört vom Anblick her zwar zum romantischen Ensemble, ihre »Gemächer« wiederum geben Anlass zu einer ›realistischen‹ Revision der Geschichte und einer Kritik zeitgenössischer Mittelalterbegeisterung: Die Einrichtungen für die Kaiserin »sprechen schlecht für die Galanterie und Ritterlichkeit des Mittelalters, womit man nun in allen Legenden und Romanen spukt« (I, S. 61f.). Dementsprechend lückenhaft scheint Arndts mittelalterliche Bildung übrigens auch zu sein: Albrecht Dürer schreibt er hartnäckig als »Albert Dürer« (I, S. 62). Arndts Skepsis gegenüber der mittelalterlichen und der »neueren Kunst« (I, S. 34) – hier im Schlossgarten zu Erlangen – sowie seine analoge Kritik des »Allegorischen« in Ästhetik und Kunst beruht auf seiner ›klassizistischen‹ Vorliebe für das Altertum: »Man führe nur einen, der seinen Sinn für Schönheit an den ewigen Mustern der Griechen und Römer genährt hat, zu den Perücken, Zöpfen, Haarbeuteln und Kleidern mit langen Schößen und hangenden Aermeln, und er wird gewiß eben so sehr vor Aerger, als Ergötzung lachen.« (I, S. 50). Insofern scheint Arndts italienische Reise – ähnlich wie bei Goethe – erst im klassischen Land ihre Erfüllung finden zu können. Die »Sehnsucht nach dem Süden« treibe ihn aus Triest weg, so bekennt er scheinbar enthusiastisch, freilich mit einer gleichzeitig höchst ironischen Note: »noch mehr das Gerücht, das ich in Laybach vernahm, es würde nächstens ein Embargo auf alle Schiffe in Triest gelegt werden wegen des Truppentransports nach Italien« (I, S. 387). Arndts Reise nach Italien ist demnach nicht frei von enthusiastischen Formeln; in ihrer sparsamen Setzung nehmen sie sich zuweilen allerdings eher wie isolierte Zitate aus: Es war Dämmerung, als ich unten anlangte, und ich ging an einigen terrassierten Gärten vorbei, wo helle Lichter unter offenen Portiken brannten, und Trauben und Getränk herum ging. Aus einem tönte eine Guitarre, mit einer hellen Stimme begleitet, zu mir, und ich rief und fühlte zum ersten Male Italien! (I, S. 389f.)

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sche Arbeiten. Das Kloster Netley. Lebenszeugnisse. Hg. v. Richard Littlejohns. Heidelberg: Winter 1991, S. 187f. Ebd., S. 255f, Brief vom Ende Juli / Anfang August 1793 an Ferdinand Bernhardi und Sophie Tieck.

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Man fühlt sich an den von Heinrich Heine später beschriebenen und karikierten Bildungsbürger erinnert, der in der Reise von München nach Genua allein beim Wort ›Italien‹ ins Tirilieren gerät,27 und in der Tat nähert sich Arndts Beschreibung gerade beim Thema Italien – selten genug – Heines ironischer Diktion: Er sei nun von einem Ende des Vaterlands »bis zum anderen gewandert; und werde bald in das Land der Citronen und der Banditen übergehen. Ich frohlocke nicht über mein Glück und meinen Muth, daß ich die Nemesis nicht reize.« (I, S. 390). Auch in Italien ist Arndts Reisebericht demzufolge nicht klassisch und sehnsuchtsvoll erfüllt, literarisch geordnet oder bildungsidealisch harmonisiert, sondern vielmehr unentschieden, offen und heterogen. Wie Goethe auf seiner italienischen Reise bekennt sich Arndt jenseits des Mittelalters und der Renaissance sehr wohl zu einer allein in Italien zu erlebenden ›klassischen‹ Kunst, sein Reisebericht jedoch ähnelt im Gestus eher wieder der traditionellen Gelehrtenreise, wie sie von Goethes Vater überliefert ist. Arndts Interesse ist andererseits durchaus – wie bei Seumes fast gleichzeitigem Spaziergang von Leipzig nach Syrakus (1802) – auf das gegenwärtige Italien gerichtet, auf die Beschreibung der Politik, der Armut und des im Vergleich zu Nordeuropa sehr viel freieren italienischen Lebens; er verzichtet gleichwohl auf eine spätaufklärerische politische Parteinahme oder explizite Sozialkritik und belässt es zumeist bei allgemeinen und distanzierten Bemerkungen zu ›Sitten‹ und ›Denkungsart‹ südländischer Völker. Arndts Reise nach Italien verweigert sich demnach jener auf das südliche und klassische Sehnsuchtsland gerichteten ›Erfüllung‹ und ›Utopie‹, die sich mit den Italienreisen um 1800 bereits ankündigen (und die in Heines Italienreisen bereits parodiert werden). Arndt unternimmt keine literarische und ästhetisch geformte Bildungsreise, die mit der ›Sehnsucht nach Italien‹ auch die Subjektivität des reisenden Ich erhebt und verwandelt.28 Er reist nach Venedig, Florenz und Genua; anders als Goethe aber, der das von der Renaissance geprägte Florenz auf dem Weg ins klassische Rom schnell hinter sich lässt, ist Arndts Interesse in Florenz auf ganz unterschiedliche und ihm offensichtlich gleich berechtigte ästhetische Stile und »Sehenswürdigkeiten« (II, S. 275) gerichtet. Die »Sehnsucht« nach den klassischen »Mustern« verwandelt sich auf diese Weise thematisch und formal doch wieder in das enzyklopädische Verfahren einer traditionell gelehrten Kunstreise. Was Begeisterung, Sachverstand und ästhetische Präferenzen anbelangt, unterscheidet Arndt kaum zwischen den Kunstepochen der älteren Zeiten; bezeichnenderweise ordnet er die Kunst des »Michel Angelo« in ein Kontinuum der Kunstformen ein, das von Griechenland bis zu den berühmten Grabmälern in der Kirche San Lorenzo reicht:

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Heinrich Heine: Sämtliche Schriften. Hg. v. Klaus Briegleb. Sechs Bände. Bd. II: Die Reisebilder. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1969, S. 327. Vgl. Albert Meier: Von der enzyklopädischen Bildungsreise zur ästhetischen Bildungsreise. Italienreisen im 18. Jahrhundert. In: Brenner (Hg.): Der Reisebericht (Anm. 22), S. 284– 305. Weitere Beispiele in Gunter E. Grimm, Walter Erhart, Ursula Breymayer: »Ein Gefühl von freierem Leben«. Deutsche Dichter in Italien. Stuttgart: Metzler 1990.

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Hierher muß man nicht einmal, sondern alle Tage einmal gehen, um anzubeten, und seinen Geist durch fremde Größe und Kraft, die doch ein Gemeingut der Menschheit ist, zu stärken und zu erheben. Wenn Homer und Pindar durch die lebendigen Laute uns beherrschen, so wusste dieser erhabne Geist selbst den stummen und kalten Steinen eine mächtigere Sprache zu geben. (II, S. 136)

Arndts doppelte Reise in das ›romantische‹ Franken und das ›klassische‹ Italien hält nicht, was sie scheinbar verspricht – oder gemäß der zeitgenössischen Möglichkeiten doch versprechen könnte. Der zu Beginn scheinbar bestimmende romantische Reisebericht verweigert die von den Zeitgenossen Wackenroder und Tieck eben noch angestrebte ästhetische Ganzheit – jenen romantisch-mittelalterlichen Fluchtpunkt in Kunst und Geschichte, auf den sich die Bedürfnisse und Ziele anderer junger Reisender in den 1790er Jahren richten.Arndt setzt weder die von ihm bloß zitierte aufklärerische Gelehrtenreise fort, noch verwandelt er sie in zukunftsträchtige Modelle der Bildungsreise, der historischen, ästhetischen oder touristischpittoresken Reise.29 Sein heterogener Text integriert vielmehr fast sämtliche reiseliterarischen Angebote seiner Zeit, übernimmt jedoch keine der damit verbundenen ›romantischen‹ oder ›klassischen‹ Zentralperspektiven, auch nicht – und dies ist die dritte hier näher zu betrachtenden Tradition – die Sicht der in Paris nach 1795 häufig zu findenden Revolutionskritiker und Revolutionsgegner. In Paris kommt Arndt nicht umhin, den Typus der politischen Revolutionsreise in seine Reisen aufzunehmen und zu integrieren; im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Städtebildern aus Paris ist Arndts Gesamtbild der Revolutionshauptstadt allerdings auf ebenfalls eigentümliche Weise unentschieden. An der Bastille erinnert er sich an den heroischen Beginn der Revolution, den »Kampf des Lichtes gegen die Finsterniß« (III, S. 261), formuliert wie viele jedoch sogleich die schärfste Kritik am »Sturm des Terrorismus« (III, S. 293), an der »Hölle« (IV, S. 126) und »Teufelskraft« (III, S. 87) der Revolutionsjahre, dem »Wahnsinn« und der »Krankheit« der Revolution, einem »der schlimmsten Fieber, worin die gährenden Elemente und Staaten fallen können (IV, S. 211). Er rekapituliert die »merkwürdigen Schauspieler der letzten siebenjährigen Tragödie« (IV, S. 152) und findet abgeklärte Worte der Vernunftkritik: »Die menschliche Vernunft schnappt, ungeachtet der guten Meinung, die Viele von ihr haben mögen und die auch ich von ihr habe, gar zu leicht über, und nirgends hat sie dies wohl mehr an den Tag gelegt, als bei der Französischen Revolution und ihren Verhandlungen und Folgen.« (III, S. 283). 29

Zur Ausdifferenzierung der Reiseliteratur in eine (ältere) wissenschaftliche Gelehrtenund Informationsreise einerseits, in die (moderne) ästhetische Bildungs- und Unterhaltungsreise andererseits vgl. vor allem Meier: Textsorten-Dialektik (Anm. 3), sowie Rainer Baasner: »Unser Staatsgeographus ist beständig auf Reisen«. Zur Ausdifferenzierung von Reiseliteratur und Geographie 1750 – 1800. In: Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung (Anm. 3), S. 249 – 265. Kritisch dazu betont jedoch Helmut Peitsch, dass die zahlreich ins Deutsche übersetzten englischen Reiseberichte um 1800 den vermeintlich überholten Typus der Informations- und Entdeckungsreisen nach wie vor kultivieren und variieren: Englische Reisebeschreibungen in der »Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste«. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 31, H. 1. 2006, S. 1 – 50.

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Schon auf der Reise nach Paris versäumt es der aus einer Bauernfamilie in Rügen stammende Arndt andererseits nicht, die revolutionäre Befreiung des Bauernstandes zu rühmen: »Er ist der Gewinner, während Handel, Industrie und Schifffahrt laut über die Revolution schreien. Das ist doch viel, wenn zwei Drittel des Volks erleichtert sind; soll man denn nicht hoffen, daß auch das andere einst besser werde?« (III, S. 108). Unstreitig »einer der schöneren Ausflüsse der Revolution« – so Arndt am Ende seiner Pariser Zeit – sei die »Farbengemeinschaft und Vermischung«, derer er spazieren gehend auf dem Tivoli ansichtig werde, der »Mohren und Mulatten«, ein Anblick, der für ihn das gesamte Bildungsprogramm der »Humanität« in Paris bereits eingelöst haben könnte: »O, laß auch viel Schlimmes und Scheußliches das letzte Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts geschändet haben, doch sage ich mit unserm großen Barden Klopstock: Jahrhundert, wie fliegst du empor auf Adlersflügeln der Bildung! Welche Humanität!« (IV, S. 164). Die ihm in Paris so außerordentlich auffallende »Artigkeit im Umgange«, der »freie Ton« (IV, S. 87) und die »Urbanität« (IV, S. 88) sind ihm die Bedingung und die Voraussetzung für eine wahre »Menschengemeinschaft«, die »alte elende Vorurtheile des Pinselgeistes und Ahnenstolzes« ausrotten und eine »Bildung« (IV, S. 157) herbeiführen soll, deren buchstäbliche Zeichen in Paris bereits sichtbar geworden sind: Ich sage es mit Ehrfurcht gegen die Nation – welche Humanität regiert so einen gemischten Haufen, daß nichts Unsittliches, nichts Grobes offenbar zu erscheinen wagt! Kreolen, Mulatten, Negern, Mestizen, Teutsche, Russen, Engländer, Spanier, und wie die Europäer alle heißen, die ihr Mekka einmal im Leben gern wollen gesehen haben, gehen hier in Eintracht und gleicher Achtung unter den Eingebohrnen, alle als Brüder, alle als Ein Volk. (IV, S. 164)

Arndt bekennt sich an diesen Stellen fast wörtlich zur egalité, zur liberté und sogar zur fraternité des revolutionären Programms. Eine allenfalls momenthaft aufblitzende geschichtsphilosophische Zuversicht trägt freilich auch hier eher den Charakter eines Zitats,30 zu deutlich sind dem Reisenden die aktuellen politischen Ereignisse in der Stadt wiederum Ausdruck einer »politischen Mistgrube« (III, S. 279), zu skeptisch ist der distanzierte Beobachter Arndt, wenn er die Gesamtheit der Ereignisse seit dem Revolutionsjahr 1789 Revue passieren lässt. Auch Arndt schildert Paris als eine politische und kulturelle Hauptstadt Europas, zugleich aber als einen Ort aufgelöster Zivilisation, für dessen Beschreibung die Metaphern einer wiedererwachten ›wilden‹ Natur mit den Zeichen eines ›barbari-

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Sie taucht meistens unvermutet mitten im Reisebericht auf, wie in Florenz, angesichts der Florentiner und der schönen glorreichen »Zeit der hetrurischen und toskanischen Kunst«, die einst nur »in dem frischen Leben des Ganzen« lebte: »Sollte man nicht eine bessere Zeit hoffen? Sollte nicht Ordnung aus all der Verwirrung und Schönheit aus dem Gähren der Elemente hervorgehen? Die Fürsten müssen wieder Menschen, und die Unterthanen die nichts sind, Bürger werden. Sonst ist kein Heil für Europa.« (II, S. 194). Oder angesichts der klimatischen Bedingungen im Süden: »[. . .] o Hesperiens Glanz! Du lockst und blendest mich noch einmal! Hier könnte eine göttliche Humanität stehen, und noch, wo sie sich nur ein wenig richtet, steht sie schon besser, als bei uns –« (II, S. 203).

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schen‹ Sittenverfalls kurzgeschlossen werden – ein typisches Doppelmuster der Parisreisenden in den 1790er Jahren.31 In Arndts Parisbildern freilich stellen sie ihren topischen Charakter manchmal offen zur Schau, sind Teil eines Diskurses, den Arndt bereits rückblickend zitiert, als »Traum« und »Rausch«, in deren Gefolge das Volk wieder zur Gleichgültigkeit und zum Wunsch nach politischer Ruhe zurückgekehrt ist32 (IV, S. 74ff., S. 85), die französische Nation aber wieder an die Eleganz und Humanität ihrer zivilisatorischen Mission anknüpft: Heiliges Gesetz der Menschlichkeit, du hast durch dieses Volk auch dich weit über die Erde verbreitet. [. . .] Dies ist mein Gebet für euch, geliebte Franzosen. Ihr habt eure Mängel, und ihr könnt sie keinem verbergen; aber eure Sitten sind gemacht, die Erde zu mildern und zu beglücken, wenn sie nicht durch das Schwert zu den Nationen gebracht werden. (III, S. 347)

Zuweilen finden sich im Reisebericht Reflexionen über den nicht zu beeinflussenden Nationalgeist der Völker,33 über die Sprache als natürliche Grenze der Völker, über die Anmaßung der französischen Regierungen, über andere Völker zu herrschen – Vorboten eines späteren Arndt, die eine frühe Forschung dankbar vermerkt hatte.34 Arndts politische Ansichten und ›Theorien‹ sind zu diesem Zeitpunkt allerdings noch sehr viel widersprüchlicher als später, sie sind ebenfalls ein gleichsam unsteter Teil der reiseliterarischen Skizzen, Streiflichter und Bemerkungen, die je nach Anlass variiert werden und im Rahmen des Genres deshalb auch keine Konsistenz beanspruchen.Arndts Reisen zielen demzufolge nicht – wie es andere Reisen der gleichen Zeit zumindest (noch) versuchen – auf eine annähernd geschlossene Reflexion des Zeitgeistes; sie entwickeln keine ›Philosophie‹ oder einen sich aus den einzelnen Beobachtungen ergebenden theoretischen Zusammenhang. Arndt nimmt während der gesamten Reise nicht eindeutig Partei, sondern passt den Ton und die Tendenz seiner Kommentare den jeweils von ihm dargestellten und vorgeführten »Splittern« und »Bruchstücken« an. Er organisiert reiseliterari-

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Vgl. Jörn Garber: Die Zivilisationsmetropole im Naturzustand. Das revolutionäre Volk von Paris als Degenerations- und Korruptionsfaktor der »Geschichte der Menschheit«. In: Conrad Wiedemann (Hg.): Rom, Paris, London; Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Stuttgart: Metzler 1988, S. 420– 456. »Es war der Politik so müde und aller öffentlichen Verhandlungen, vielleicht, weil es keinen Glauben mehr hatte, daß es die Stimme eines großen Theils desselben war, für den Frieden alles hinzugeben. Viele wagten es, laut zu insibuieren, man müsse wieder Einen haben, der befehle, und diesen gegenüber stellten sich diejenigen, welche die Allherrschaft, die auch eine Einherrschaft ist, als das einzige Palleadium der Völker priesen.« (III, S. 218f.). Zuerst in dem 1804 eingefügten Reisebericht über Ungarn: vgl. hierzu Márta Fata: »Mein geliebtes Kalmuckenvolk«. Ungarns Geschichte in deutschen historischen Darstellungen zwischen Nationalismus, Konservatismus und Liberalismus im ersten Dritten des 19. Jahrhunderts. In: M. F. (Hg.): Das Ungarnbild der deutschen Historiographie. Stuttgart: Steiner 2004, S. 49–83. Vgl. Müsebeck: Ernst Moritz Arndt (Anm. 8), S. 56ff.

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sche Diskurse, statt seine Reise nach einem von ihm einmal festgelegten Diskurs zu modellieren. Die Revolution formt sich ebenso wenig wie das romantische Naturerlebnis zu einer überschaubaren Einheit, und auch Frankreich selbst bietet keine durchgehend negative nationengeschichtliche Folie, von der aus sich die absolutistischen Reformbemühungen, die revolutionskritische Distanz oder auch nur die weltgeschichtliche fortune der Deutschen wohltuend abhöben.35 Weit gefehlt. Arndt wird nicht müde, »die Aufmerksamkeit und Aufopferung der Franzosen« gegenüber Fremden zu »rühmen«, die »Kunst der Geselligkeit« (III, S. 381) ebenso wie den »Sinn des Volkes für Wohlanständigkeit« (III, S. 384), all die »leichten und liebenswürdigen geselligen und gefälligen Tugenden unsrer Nachbaren« (III, S. 343), mit denen manche Eigenschaften der Deutschen einen eher unangenehmen Kontrast bilden. Die Pariser würden »nie so gemein, noch ekelhaft werden, als der teutsche und englische Pöbel« (IV, S. 201), und bereits auf seiner Fahrt durch das südliche Frankreich hat Arndt nach eigenem Bekunden »nie eine öffentliche Stube mit dem unangenehmen Gefühl verlassen, welches einem im steifen und formalen Vaterlande nur zu oft mitgegeben wird« (III, S. 34). Dem deutschen Parisreisenden fällt die französische Gast- und Fremdenfreundschaft gerade deswegen ins Auge, weil er den »hässlichen Charakter meines Volkes gegen Fremde einer anderen Nation« (III, S. 336) nur allzu gut kennt: »Man weiß hier in Frankreich nichts von dem teutschen Wahn, der meint, für sein baares Geld Recht zu haben, groß oder nur vorlaut zu seyn auf Kosten der Unterhaltung und der Ohren der übrigen Gesellschaft«. (III, S. 363). Bei all seinen Vergnügungen bewahre der Franzose »Freundlichkeit und Höflichkeit« (III, S. 414) und zeige stets seine urban-gesellige Art: »Man trinkt, man lacht, tanzt, singt und hüpft, aber selten wird es ein so wildes und kannibalisches Toben und Rasen der Freude, wie man es leider im heiligen römischen Reiche teutscher Nation oft in Gesellschaften sieht, die sich die bessern nennen« (III, S. 414). Arndt ist durchaus nicht frei von Vorurteilen der zeitgenössischen Völkerpsychologie, hält den »eingebohrne(n) Pariser« für »eitel« (III, S. 414) und schreibt das Interesse an den »Schauspielen« dem französischen »Karakter« als »etwas durchaus Natürliches und Unverlierbares« (IV, S. 225) zu, glaubt das Volk »mehr für die Augen und für die Sinne als für das Gemüt und den Gedanken berechnet« – folglich sei ihr »ganzes Leben [. . .] eine Affiche, ein Darstellen und Zurschautragen« (III, S. 332). Gegen die bestehenden despektierlichen Klischees, die »schlimmen und entehrenden Vorstellungen« der Deutschen »von den kleinen Leuten in Paris« (III, S. 397), auch gegen die bereits traditionelle Gallophobie des gesamten 18. Jahrhunderts,36 verteidigt er sein Gastgeberland jedoch fast immer und beurteilt auch die anderen von ihm geschilderten Nationen nach den üblichen Maximen des

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Dies ist bekanntlich der Tenor in den meisten Berichten deutscher Parisreisender in den späten 1790er Jahren.Vgl. stellvertretend: Stephan: Revolutionstourismus am Beispiel von Johann Friedrich Reichardt: »Vertraute Briefe über Frankreich« (1792/93) (Anm. 21). Vgl. die Beiträge in Jens Häseler, Albert Meier (Hg.): Gallophobie im 18. Jahrhundert. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag 2005.

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aufgeklärten 18. Jahrhunderts, im Rahmen der Klimatheorie etwa37 oder nach Maßgabe einer ethnologischen Betrachtung, die der Verschiedenheit der Völker unvoreingenommen Rechnung zu tragen sucht: »Nur noch einige Fragen und Zweifel, die man sich bei der Beurtheilung der Nationen und Schilderung ihres Karakters wohl nicht immer aufgeworfen und hingestellt hat, sonst würde man schonender gegen Fremde im Tadel und bei dem Lobe des Eigenen bedächtiger gewesen seyn.« (II, S. 202). In den Einwohnern von Lyon entdeckt Arndt dementsprechend auch einen »Mittelkarakter zwischen dem teutschen und französischen, der mir außerordentlich wohl thut« (III, S. 96) – eine völkerpsychologische Berechnung, wonach genau in diesem Landstrich das »Lebendige der Franzosen« einigermaßen »gemäßigt«, das »Geckige und Flatternde« dagegen »in Freundlichkeit und Leutseligkeit übergegangen« sei, eine rundum perfekte Mischung offenbar, die sich als gemäßigte Utopie eines ethnographischen Zwischenraums anbietet: »und bei diesem allen ist so eine Geradheit und Rechtlichkeit, daß selbst ein Fremder sich unter diesen Menschen gleich wie zu Hause fühlt.« (III, S. 96). Arndt, der sich als 25jähriger von seinem Vater die Erlaubnis zu einer mehrjährigen freien Reise ausbedungen hatte, reiste in der Tat als Fremder, ohne Heimatland, zugleich ohne Mission und ohne Ziel. In Reisebegleitung gab er sich oftmals als Schwede aus. Politisch waren Greifswald und Pommern in der Tat schwedisches Territorium, in französischen und französisch besetzten Gebieten blieb Arndt mithilfe dieser nationalen Mimikry ungestört und unbehelligt: »Ich hütete mich immer, meine Teutschheit an den Tag zu legen und wickelte mich steif in meine Schwedenhaut ein [. . .]« (III, S. 3) – eine Form der ›Panzerung‹, die doppelte Distanz hält, zu den fremden Reisegenossen ebenso wie zum eigenen, sich reisend als fremd inszenierenden Ich.

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Besonders deutlich während der Italienreise: »Dieser äußere Schmutz, der in Italien zuweilen selbst bis in das Innere eindringt, ist noch eine Folge des Klima, so wie manche Erscheinungen des italiänischen Charakters, die wir gradehin Unverschämtheit nennen; sie sind Kinder des Klima und also der Gewohnheit. Es ließen sich überall mehr Rubriken aus dem Register der Tugenden ausstreichen, wenn man mehr physisch (klimatisch) und nicht immer moralisch richten wollte.« (II, S. 175). Auf der anderen Seite führt dies auch zu einem enthusiastischen Lob der Italiener (bzw. der Florentiner), die jenseits der Standesunterschiede ein Leben der Ganzheit und Ungezwungenheit führen: »Zum Theil mag dieses Eigne und Selbstständige, wodurch sich auf seinem Platze ein jeder nur selbst sieht und lebt, dieses Ungezwungnere und Freiere im Aeußern, diese Sorglosigkeit um die Meinungen und Fragen andrer, wodurch wir immer zittern, zum Theil mag dieses aus dem Klima entsprungen seyn. [. . .] Ich wünschte, ich könnte eine Abhandlung schreiben als Ehrenrettung der Italiäner gegen die Jenseits der Berge, (Ultramontanie), wie sie uns nennen.« (II, S. 201).

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III. »Öde« und »gewaltig todt« – Arndt und das Unbehagen in der Kultur Das Pariser Städtebild hat den quantitativ größten Anteil an Arndts Reisebericht; die französische Hauptstadt bildet jedoch keineswegs das Ziel oder auch nur das thematische Zentrum der vier Reisebände. Die große Revolution, die jüngste französische und europäische Geschichte, der »Revolutionstourismus« und die gegenwärtige Politik sind lediglich Bestandteile einer Reise, die sich thematisch und formal zwischen der »Grand Tour«, der aufklärerischen Gelehrten- und Gebildetenreise sowie den um 1800 neu aufkommenden Formen der ästhetischen und auch unterhaltsam-touristischen Reiseliteratur bewegt. Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs bilden ein Kompendium mehrerer Reisebücher, die jedoch keineswegs auf das reisende, erlebende und schreibende Ich konzentriert sind – jenem zukunftsträchtigen Modell einer Reise, auf der sich die einzelnen Reisestationen zu einem während der Reise und vor allem im Text gestalteten Bildungserlebnis zusammenfügen.38 Demgegenüber setzte Arndt in seinem Reisebericht eher auf die nicht perspektivisch gebündelte Offenheit und Mannigfaltigkeit der Erlebnisse und Wahrnehmungen, auf die Authentizität eines offensichtlich ungekünstelten, noch während des Reisens geschriebenen Berichts, und als solch detailgesättigtes, lebendiges Reisebild wurde die Publikation der Reisen sogleich auch literaturkritisch belobigt.39 Die Authentizität bleibt jedoch in dem Maße vorgetäuscht, wie sie den sorgfältigen Bearbeitungs- und Schreibprozess der Arndtschen Reisen nur wieder planmäßig verdeckt.40 Neben und gleichsam hinter der demonstrativen Offenheit – sowohl der reiseliterarischen Formen als auch des sie organisierenden reisenden und vorgeblich gleichzeitig schreibenden Ich – ist gleichwohl ein deutlich homogen wirkender Subtext in Arndts Reiseberichten zu erkennen. Er bezieht sich auf jene Zeitenwende zwischen dem bereits verschwundenen ›alten‹ und einem noch in weiter Ferne liegenden zukünftigen Europa, und er manifestiert sich in Arndts

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Gerade die Erschöpfung reiseliterarischer Ausdrucksformen am Ende des 18. Jahrhunderts, auch die zunehmende Überkomplexität und Unübersichtlichkeit der durch die Revolution veränderten europäischen Landkarten, politischen Verhältnisse und Ereignisse, mag zu jener Form der Bildungsreise geführt haben, bei der die Aufmerksamkeit ganz auf die Selbstbildung des reisenden Ich und seine möglichst zu einer inneren Totalität gefügten Bildungswelt gerichtet wird. Zu dieser These vgl. Thomas Grosser: Kavalierstour – Patrizierreise – bürgerliche Bildungsreise. In: Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung (Anm. 3) S. 135 – 176, bes. S. 165ff. Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung. 1802. I, S. 722 – 24. Neueste Critische Nachrichten. 27. 1801, S. 153–156. Neueste Critische Nachrichten. 28. 1802, S. 12 – 15, S. 169 – 172, S. 369 – 371. Neueste Critische Nachrichten. 29. 1803, S. 92 – 95. Allgemeine Literatur-Zeitung. 1803. I, S. 244–245. Zur Differenz von Reisen und Schreiben vgl. die Fallstudie von Wolfgang Griep: Der Maler ist immer mit im Bild. Alexander von Humboldts Beschreibung seiner Reise in eine neue Welt. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 28 (2003). H. 2, S. 116 – 132.

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Beschreibungsmodell angesichts einer in raschem Wandel befindlichen europäischen Geschichte und Kultur. Arndt spricht von einer »verwirrten und aus den Angeln gerissenen Zeit« (IV, S. 211), deren sprechendster Ausdruck die auf seiner Reise erfahrene und beschriebene europäische Landkarte ist. Auffallend häufig begibt sich Arndt auf die Suche nach einem ›alten‹ Europa, das er nicht mehr vorfindet; überaus oft erprobt er die Erfahrung eines historischen Verlusts an ganz unterschiedlichen Zielen seiner Reise. Bereits in Nürnberg steigert sich die Kenntnis des ökonomischen Niedergangs der Freien Reichstadt41 zu einer Klage der Vergänglichkeit. Der erste Anblick freilich lässt noch nichts Derartiges erkennen: Nürnberg selbst hat, wenn man des Weges von Erlangen einfährt, ein großes Ansehen, wenn sie mit ihrer Burg, ihren Kirchen- und Thorthürmen, ihren Gartenhäusern und Vorstädtezierrathen in ihrer ganzen Weite vor dem Auge da liegt, und dieser Eindruck wird nicht getäuscht, wenn man einfährt; alles wimmelt da und lebt und webt, und die Häuser drängen sich an einander in die Wolken empor, als könnten sie sonst die Menschen nicht fassen, welche Fleiß und Thätigkeit darin zusammengehäuft haben. (I, S. 55f.)

Unmittelbar danach allerdings, im selben Satz, wird die eine Nahperspektive gesetzt, die sogleich die gerade erst aufgebaute Erwartung wieder zerstört: Aber dieser erste Eindruck ist bald ausgelöscht, wenn man mehrere Tage in der Stadt herumgewandert ist, und die Dinge und Menschen etwas schärfer aufs Korn gefaßt hat. Da ruft man mit einem wehmüthigen Gefühle aus: fuit Ilium, fuimus Troes! Die hohen Mauern und Thürme sind denn freylich immer noch da als Zeugen der ehemaligen Herrlichkeit, wovon viele andere Werke und Anlagen zeugen. (I, S. 56)

Es ist diese dreifach gestufte Abfolge, die sich auf Arndts Reise fast leitmotivisch wiederholt: Die beim ersten Anschein oder in der Imagination gebildete Erwartung einer Kulturlandschaft wird durch die topographische Erfahrung förmlich »ausgelöscht«; die dennoch verbliebenen ›Zeugnisse‹ des Ortes allerdings rufen die Erwartung und die Zeugenschaft immer wieder ins Gedächtnis zurück. Die Erinnerung an den Untergang Trojas mag ein bloßes Bildungszitat sein; es rückt freilich das ›alte‹ Europa in eine weltgeschichtliche Perspektive, in der sich mehrere historische Verlusterfahrungen emblematisch verdichten. Geradezu zelebriert wird dieses Verfahren in Venedig, dessen Besuch im Text mit einem poetischen Bekenntnis ebenfalls verheißungsvoll beginnt: So habe ich dich denn gesehen, wunderbare Stadt, von der die Fabeln und Geschichten, die meine Kindheit lüstern empfing, so oft mit den Flügeln der Feerei um meine Stirne spielten. Ich habe dich gesehen, die man unter die Wunder der neuen Welt zählte, und die der holde Dichtermund des Mittealters die Schöne nannte. (I, S. 403) 41

Der ökonomische Niedergang wird auch von Wackenroder erwähnt, bezeichnenderweise jedoch sehr beiläufig »Die Rathsherren sollen die Bürger sehr drücken, u viel zusammengeizen. Ihr Staat u Prunk ist, ein gewaltig großes Haus, eine große, reiche Garderobe, viel Silber-Küchengeschirr, das ohne gebraucht zu werden, blos zum Putz aufgestellt ist; usw. Man klagt über die Verfassung. [. . .] Vor 100 Jahren etwa war Nürnberg eine der blühendsten Städte an Handel und Kunst und Gewerbe, ja der Hauptsitz aller Kunst. Dies hat sich nun leider sehr geändert. [. . .] In der Stadt sind wenig Kunstliebhaber [. . .].« Wackenroder: Sämtliche Werke und Briefe (Anm. 25), S. 186.

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Dieses Dichterlob allerdings dient nur der Spiegelung einer Enttäuschung, die umso prägnanter – und ebenso poetisch iterativ – ausfällt: Ach! Sie ist nicht mehr, die alte Venezia, die Tochter und Beherrscherin des Meeres [. . .]. Sie ist nicht mehr, und ist seit Jahrtausenden nicht mehr gewesen. Ihre Flotten haben lange nicht mehr gesiegt, und ihre Helden und Gesetzgeber sind alte Namen. [. . .] Jetzt hat es selbst aufgehört, als Gespenst, als ehrwürdiger Schatten eines alten Heldenkörpers da zu stehen. Die Zeit, die alles Große und Kleine umwälzt, und der mächtigere Geist des Jahrhunderts hat diesen Staat, wie so viele andre, in seinen Grundfesten erschüttert. (I, S. 403)

Venedig bietet in der Tat das historiographische Schauspiel eines mehrfachen Verlustes und eines mehrfachen Zerfalls. Ein Jahr vor Arndts Reise, 1797, fiel Venedig an Frankreich, das venezianische Reich aber war bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts zusammengebrochen, und lange vorher, am Ende des Mittelalters, ging die Blütezeit des Kolonialreiches zu Ende. Arndt spannt den Bogen sogar noch weiter und nimmt auch im mittelalterlichen Venedig nur das damals bereits ferne Erbe der römischen Antike wahr: »ein Volk, das einst in ächt römischem Geist dachte und handelte« (I, S. 403f.). Auch in Venedig gibt es lediglich sprechende »Zeugen« vergangener Größe, die übrig gebliebenen »Heldenkörper« einer innerlich und geistig bereits abgestorbenen Stadt, die »Namen« und steinernen Denkmäler: »Es ist noch das alte Venedig, so wie es da steht; nur die Zeit und die Menschen sind anders.« (I, S. 403). Der wahrhaft europäisch inszenierte Untergang Venedigs bildet in diesem Fall bereits zu Arndts Zeiten den Auftakt einer ästhetischen Wiederauferstehung, die Venedig im 19. und 20. Jahrhundert in eine viel gerühmte Stadt der poetischen Imaginationskraft verwandelt.42 Arndt hingegen, auch hier in der für ihn typischen Verweigerungshaltung, projiziert den historischen Verfall zugleich auf das ästhetische Empfinden: »Aber auch in seinen besten und schönsten Zeiten, in der Blüthe seiner Thaten und seiner Macht, hat dies Volk nie eine schöne Stadt bewohnt.« (I, S. 403). Dementsprechend weit entfernt ist Arndt von einer imaginativen und ästhetischen Aufwertung der venezianischen Gegenwart: Die venezianischen Wohnungen sind allesamt »schlecht und unansehnlich« (I, S. 404) gebaut; die von manchen Reisenden irrtümlich »zu was Herrlichem« gemachten Kanäle sind »wahrhaftig kein Werk der Schönheit«, sondern geben »oft eben so widerliche Anblicke wie Gerüche« (I, S. 405); die später als labyrinthisch geschätzten Gassen und Wasserwege verletzen den auf historische Reize erpichten Italienfahrer: »So liegt denn die schöne Venezia gleich einem Klumpen Antiquitäten auf den Wellen zusammengedrängt.« (I, S. 406). Arndt mokiert sich keineswegs als ein zivilisierter Kulturreisender über das vulgäre italienische Leben – wie es zwanzig Jahre zuvor der anglophile Johann Wilhelm von Archenholz in England und Italien (1785) vorgeführt hatte. In den »traurigen Ruinen« (I, S. 408) venezianischer Kunst und Geschichte zeigt sich viel-

42

Vgl. hierzu ausführlich Angelika Corbineau-Hoffmann: Paradoxie der Fiktion. Literarische Venedig-Bilder 1797 – 1984. Berlin, New York: de Gruyter 1993.

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mehr das Grundmuster einer Arndtschen Erfahrung, die keineswegs auf Italien beschränkt ist. Bereits in Nürnberg sind »manche Theile der Stadt ganz öde und menschenleer, und Plätze mit Gras bewachsen, wo vordem vielleicht thätiges Leben und Regsamkeit war« (I, S. 69). Die historischen Zeichen verweisen nicht länger auf die mit ihnen einst bezeichneten Inhalte, und während andere Reisende diese Entsprechung und diese Einheit – in Italien etwa als »Zeitreise in die Vergangenheit«43 – imaginär herstellen, sind Arndts italienische Reisen in die Geschichte regelrecht blockiert, gestalten sich oft genug als ein Verfahren der wiederholten ›Auslöschung‹ von Eindrücken, Aussichten, Erwartungen, Erinnerungen und Imaginationen. Ferrara, die Stadt des Tasso und des Ariost, »hat von außen und hie und da von innen ein stattliches Ansehen, und einen weiten Umfang, der in den schönen Zeiten der Herkules und Alfonse von Ferrara nahe an 100 000 Menschen und die Blüthe des Witzes und der Dichtkunst enthielt.« (II, S. 9). Auch hier ist der erste Eindruck, das quantitative Zeichen der Größe und Bedeutsamkeit höchst trügerisch: Seit dem Ende des 16ten Jahrhunderts [. . .] ist Land und Stadt sichtbar verödet und entvölkert; wo damals Villen und fruchtbare Felder waren, sieht man jetzt Rohr und Sümpfe; die Kanäle sind verstopft, der kleine Fluß Reno hat die schönsten Gefilde zu ungesunden Morästen, und die Plackereien und Vernachlässigungen der geistlichen Statthalter haben die blühende Stadt in eine Wüste verwandelt. (II, S. 9)

Die von Arndt behauptete ›Sichtbarkeit‹ des Verfalls markiert die Fehlschläge der Zeichen auf mehrfach gestaffelte Weise: Das Ende der Renaissance und die Einflüsse der Revolution sind in Ferrara, dieser »verödeten und verlassenen Stadt« (II, S. 12), kaum noch zu unterscheiden. Auf dem Weg nach Florenz scheint sich das Bild noch einmal zu wenden, beim Anblick der toskanischen Landschaft: »Nun erst hatte ich das rechte Italien, und sah das schönste Land zum ersten Mal in seinem eigentlichen Gewande und unter den schönsten Bergen. [. . .] Ich dachte an Plinius Landhaus am Fuße des Apennin, wie er in einem seiner Briefe es so reitzend schildert [. . .].« (II, S. 48). Die Erwartung ist durch Bildungserfahrungen und Bücher gesteuert;44 die Natur stellt dazu lediglich die Kulisse, das buchstäbliche ›Gewand‹ für das ›Eigentliche‹, das in der trügerischen Zeichenwelt der Städte und der Gegenwart zunächst jedoch eher verborgen blieb. Auf den fiorentinischen Bergen findet der nun endlich ›klassisch‹ Reisende »noch ganz den alten Vergil wieder« (II, S. 66), und in den umliegenden Gärten demonstriert er für kurze Zeit eine italienische Erfahrung, die Natur und Antike vereint: »Ich habe mich an keinem Orte so ganz italiänisch gefühlt, als hier.« (II, S. 74). Es sind kurze, offensichtlich mit Hilfe von Plinius und Vergil hervorgebrachte, fast halluzinatorische Momente, denen die Stadt Florenz wiederum nicht entspricht. Dort macht sich Arndt umstandslos an die Aufzählung der Kunstwerke und Sehenswürdigkeiten, auch die Kunstsammlungen, Kirchen und Paläste sind jedoch 43

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Fischer, Fitzon: Von Bemerkungen und Nachrichten zu Skizzen und Cartons (Anm. 4), S. 97. Vgl. hierzu den Beitrag von Rex Clark im vorliegenden Band.

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bloß isolierte Zeichen, die sich nicht zu einem Bilde der erfüllten Italiensehnsucht vereinen und die von der ›Einkleidung‹ der Natur suggerierte Erfahrung nicht bestätigen. Auch Florenz – so Arndt, als er etwa in der Mitte seiner Beschreibung von den Sehenswürdigkeiten zur Gegenwart, nämlich zu einem mit »Florenz. Die Stadt« überschriebenen Kapitel überleitet, ist »durch die großen Handelsrevolutionen und durch den Verlust ihrer Freiheit im 15ten Jahrhundert sehr heruntergekommen« (II, S. 172), und Arndt nimmt zuletzt sogar die von ihm selbst geweckten ästhetischen Erwartungen wieder deutlich zurück: »Man mache sich aber um des Himmels willen nach allem dem Schönen, was ich beschrieben habe, keine zu reizende Idee von Florenz.« (II, S. 173). Abseits der großen Städte Wien und Paris enthüllt sich das von Arndt bereiste Europa als eine Topographie der Ruinen und des Verfalls – vom romantischen Franken über das ›klassische‹ Italien bis zu den südfranzösischen und rheinischen Gebieten. Statt die Fragmente der reiseliterarischen Traditionen in eine Bildungsreise zu verwandeln, führt Arndt seine Leser durch zerfallene Kulturlandschaften, in die sich die allerorts sichtbaren Nachwirkungen der Revolution als bloß letzte Zeugnisse des Verfalls in die Zeitklagen des die Vergangenheit suchenden Italienfahrers einfügen. Die Natur blieb als Kulisse und ›Gewand‹ zumeist unverändert, bildet jedoch keine Gegenwelt oder gar einen rousseauistisch verklärten Zufluchtsort; sie dient als historischer und nahezu austauschbarer Hintergrund, als topographisch zufälliges Bildungszitat, vor dem sich das Szenario einer »verwirrten und aus den Angeln gerissenen Zeit« (IV, S. 211) umso deutlicher abhebt. Unweit von Nizza sieht der Reisende »die Berge der Provence« – auch dies eine Stimulation für die Einbildungskraft: »So genießt sich hier der Lenz, dem nichts fehlt, als Vogelsang; [. . .] und die Fantasie macht leicht einen Flug zu dem petrarkischen Avignon« (III, S. 11). In Villafranca bei Nizza würde Arndt sich sogar niederlassen wollen, allerdings nur, weil es den Ossian-Leser unmittelbar an die in MacPhersons Heldenliedern besungenen Landschaften erinnert: »Diese Landzunge zwischen zwei Meeren liegt unbeschreiblich schön und erregte in mir eine recht ossianische Sehnsucht nach seinen schottischen Bergen und Hügeln, und wenn ich irgendwo wohnen mögte in dieser Gegend, so wäre es auf ihrem grünen Ende gegen Villa franca.« (III, S. 28).45 Während der Fahrt in Frankreich schildert Arndt einen »recht petrarkischen Winkel« und ist »durch den Mond und die Nacht, vielleicht auch durch den Wein etwas petrarkisch gestimmt« (III, S. 51). Von Marseilles hatte er bereits vor der Ankunft »ein ganz einziges und eignes Bild, das sich seit 45

Bereits bei der Beschreibung des Hafens von Nizza schildert Arndt eine durch »Brustwehren« gesicherte Stelle, »wo auch bei dem stillsten Wetter ossianisch in mein Ohr die andringenden Wogen brüllten« (III, S. 20). An der – soweit ich sehe – einzigen Stelle, an der Arndt eine ihn begleitende Reiselektüre erwähnt, gibt er sich (ausgerechnet in Italien) als Ossian-Leser zu erkennen: in Lerici, als er auf das Schiff nach Genua warten muss: »Mißmuthig nahm ich meinen Ossian, stieg mit ihm den Berg hinan und setzte mich unter einem alten Oelbaum, der mit seinem Hügel über das Meer und die Inseln schaute. So schmeichelte der alte Sänger mit seinen zaubrischen Stimmen der Vorzeit meinen Unmuth hinweg [. . .].« (II, S. 361).

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dem Julius Cäsar meiner Schuljahre festgesetzt hatte«: das »mächtige Massilia«, das einst die von Arndt geliebten »alten Phocäer« von der griechischen Küste Kleinasiens aus gegründet hatten (III, S. 59). Auf diese Weise bilden die griechische und römische Antike, Petrarca und die Heldengesänge Ossians den imaginären Spiegel eines vergangenen und verlorenen Lebens, gleichsam phantasmagorierte Zeichen, denen auf der Reise rein gar nichts mehr entspricht. »Ueberall giebt die Stadt einen sehr todten Anblick« (III, S. 22) – so Arndt über das durch die Revolution ökonomisch ausgeblutete Nizza. Der von den Phocäern gegründete »Hafen« von Marseilles, »still und sicher, wie eine Kammer, ist leider jetzt auch eben so todt« (III, S. 61). Hier haben »die Guillotine und die Gewerblosigkeit« die Stadt »entvölkert« (III, S. 61) und endgültig zerstört: »Die Millionen die man weggeschleppt hat, der gesperrte Levantehandel [. . .], alles diese hat das lebendigste und reichste Marseilles ziemlich todt und öde gemacht.« (III, S. 68). Avignon verfüge über »eine wahrhaftig himmlische Lage und eine schöne, reiche und üppige Natur um sich her«, sie habe sogar »das antikeste Ansehen«, das Arndt bislang begegnet ist. Derzeit freilich ist dieses Ansehen gänzlich verblasst: »Drinnen ist es unhold und öde zugleich. Die besten Straßen, Plätze und Häuser stehen und liegen todt und menschenleer [. . .].« (III, S. 76). Auch in Frankreich überspannt das Vernichtungswerk der Zivilisation ganze Jahrhunderte und Jahrtausende. Die »Wunden«, welche die Revolution »in den letzten Jahren« geschlagen hat, verbinden sich mit anderen historischen »Schreckensszenen« (III, S. 77), darunter die »päbstliche und Ludiwigische Inquisition«, die bereits »im vorigen Jahrhunderte« viele Einwohner vertrieben hat: »Die Stadt war eben nie lebendig.« (III, S. 76). Die im 17. Jahrhundert zerstörte Rhone-Brücke von Avignon liegt ebenso in »Trümmer[n]« (III, S. 77) wie die »bewunderten Ruinen« von Orange, deren antike »Trümmer« – nur mehrere Stunden und eine Seite später – auf ganz ähnliche Weise apostrophiert werden. Es sind die Reste eines »vormals herrlichen Baues«, nunmehr gleichen sie »Klageliedern der Zeit«, dazu angetan, den deutschen Reisenden »ernsthaft« und melancholisch zu stimmen (III, S. 78). In Montelimart ist die Stadt »eng und unhold und jetzt sehr todt« (III, S. 80), ebenso wie Lyon, wo Arndt gleich zu Beginn berichtet, fünf Tage in der Stadt »herumgewandelt« zu sein, »unter den Trümmern, welche die Spuren der furchtbaren Zeit an sich tragen, unter den Resten der Vorzeit, als hier für einen Challier irgend ein römischer Verres zum Besten des freiesten Volkes mordete« (III, S. 87). Kultur und Geschichte, das Ende des römischen Reiches und der Renaissance sowie »der schrecklichste Geist des scheidenden Jahrhunderts (III, S. 87), sämtliche Zivilisationen und Epochen verschwimmen allmählich zum monumentalen Bild einer Ruinenlandschaft, die in Gänze nur noch die zudem symbolisch höchst aufgeladene Leere dieser Städte zurücklässt. In Lyon sind »[g]anze Gassen [. . .] wie verödet« (III, S. 93), ebenso wie in Auxerre (»nun ganz öde«) – auch sie eine der »ältesten« Städte von Frankreich: »Auch habe ich noch keine so antike gesehen.« (III, S. 109). Ebenso ergeht es Arndt später in den Niederlanden, auf der Heimreise von Paris in das (noch) Deutsche Reich: das »niedliche Schloss in Lakens, »das jetzt öde und todt ist (IV, S. 302), Brüssel, das nur noch »einen Eindruck des Todes und der

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Vergessenheit« (IV, S. 308) macht, die Universitätsstadt Löwen, die »gewaltig todt« scheint, in der »alles Leben« fehlt und auch »die Universität mit ihrem Lärm und Gewimmel zu Ende ist« (IV, S. 321), schließlich Lüttich, »eine der hässlichsten Städte«, in der »man sich allenthalben wie in einem Kerker fühlt« (IV, S. 323). Bezeichnenderweise findet Arndt auf der Rückreise auch die ersten deutschen Städte in eben diesem Zustand vor, hält sich dabei jedoch mit patriotischen Äußerungen auffallend zurück. Aachen, das »unstreitig zu den größten Antiquitäten Teutschlands« gehört, ist »verändert«, weniger durch Revolution und Krieg als durch das »Patricierunwesen« (IV, S. 326): Die Stadt ist »beinahe eine Wüste« (IV, S. 327). Die Salvatorkirche, »ehedem berühmt«, nunmehr »bröcklicht und verfallen«, geht an ihrem einen Ende bereits in einen »Keller« und eine »polyphemische Höhle« über (IV, S. 335). In der Nähe liegt Burscheid, lebendiger als Aachen, doch mit einem »Schloss für Elegiker« (IV, S. 337), dessen »Trümmer« und »Ruinen« (IV, S. 336) ebenfalls nur noch »Melancholie« (IV, S. 337) erzeugen. In Köln ist entgegen der kurz referierten großen Geschichte von der Antike bis ins Mittelalter nunmehr »viel Leeres« (IV, S. 344), und die »stattliche Ruine« des unvollendeten Doms ruft bei Arndt keineswegs vaterländische Gefühle über ›alte deutsche Art und Kunst‹ hervor, sondern die Einsicht, das dieses »erhabne Denkmal« mit seiner despektierlich geschilderten Fassade (»nach gothischer und altteutscher Art mit allerlei Schnurrigkeiten geziert«) nicht dauern, sondern »durch den Zahn der Zeit immer mehr zermürset werden« wird (IV, S. 347). Kölns Rathaus ähnelt »einem alten Gefängnisse« (IV, S. 349); über die französische Besetzung dagegen findet Arndt kaum ein Wort der Kritik, im Gegenteil: Es sind die mit Hass gegen die Franzosen erfüllten Kölner, die »lieber wieder in ihre alte gemächliche Nacht zurückzukriechen« (IV, S. 366) wünschen.46 Demgegenüber war es in Bonn und Mainz der eben zurückliegende Krieg, der diesen rheinischen Städten so sehr zusetzte: »Die Hoffnungen vieler Jahrhunderte sind niedergetreten«, die Bonner Universität »fast vernichtet« (IV, S. 369), Mainzer »Handel« und »Industrie« sind weitgehend »zerstört« (IV, S. 424), die Stadt »öde und still« (IV, S. 425). Ganze Jahrhunderte verbinden sich bei dem von Arndt diagnostizierten Zivilisationsprozess, den man als Rückverwandlung von Kultur und Leben in ›tote‹ Steinkörper bezeichnen könnte, in jene »Kerker«, »Grabmäler«, »Wüsten« und »öde« Landstriche, bei denen die eben vergangene Revolution nur die letzte Station eines lang andauernden geschichtlichen Verlaufs darstellt: »die ganze Gegend um die Stadt nur ein Bild des Todes und der Zerstörung« (IV, S. 429). 46

In Köln übt sich Arndt zudem in protestantisch-aufklärerischer Kritik: Die Universität überzieht er ob ihrer katholischen Tradition mit satirischem Spott; die Körper und Physiognomien der Kölner spiegeln ihm die »Bewusstlosigkeit des Geistes« und das »Todte« im »Karakter der Bildungen« (IV, S. 360). Zehn Jahre später musste Arndt offensichtlich Abbitte leisten und sein Urteil über die Stadt Köln revidieren: Ernst Moritz Arndt: Erklärung vom 2. 6. 1815 zu einigen falschen und verkehrten Urteilen und Ansichten über Köln in seinem Buch: Reisen durch einen Theil Teutschlands . . . In: Tagesblatt der Geschichte. 1815. Nr. 118, S. 2 (vgl. Gerhard Loh: Arndt Bibliographie. Verzeichnis der Schriften von und über Ernst Moritz Arndt. Greifswald: Deutscher Verlag der Wissenschaft 1969, S. 33).

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Statt eines Raumes ›lebendiger‹ Bildung durchmisst Arndt auf seiner Reise ein Totenreich: zerstörte Kulturlandschaften und ein zivilisatorisches Vakuum, das in Arndts Reisebüchern von den Ruinen und Höhlen der Fränkischen Schweiz bis nach Italien, Frankreich und die rheinischen Gebiete reicht. Arndt findet dieses Vakuum nicht bloß vor, er scheint die entsprechende geschichtliche Erfahrung vielmehr zu suchen, immer wieder neu zu erproben und schreibend zu inszenieren. Seinem Vater schildert er die Reise in einem Brief von 1799 in ganz anderer Weise, vielleicht strategisch beschönigend und ebenso ›unrealistisch‹, dennoch pointiert als »eine sehr anmuthige Reise«, auf der er »in Brüssel, dem reizenden Aachen, Kölln, Koblenz, Mainz [. . .] anmuthige und lehrreiche Rasttage gehalten«47 habe. Wie die ›reale‹ Erfahrung nun auch immer gewesen sein mag: Im Reisebericht jedenfalls sieht Arndt die europäische Kultur seit Jahrhunderten mit ›Tod‹ und ›Zerstörung‹ überzogen und überformt. Welches Bedürfnis liegt einer solchen Erfahrung zugrunde? Welche verborgenen Impulse, Antriebe, auch latente Ängste drängen hier an die solcherart stilisierte Oberfläche eines Geschehens, das angesichts der vielfältigen Beschreibungsobjekte auch ganz andere Interpretationen zulassen würde (und von anderen reisenden Zeitgenossen demzufolge auch ganz anders interpretiert worden ist)? Die Reiseliteraturforschung hat hinter der scheinbaren Objektivität und historischen Diagnostik reiseliterarischer Darstellungen zunehmend den subjektiven und kulturell festgelegten Blick des Reisenden betont,48 eine Fremdwahrnehmung, die zugleich zur Veränderung und Neuschöpfung des reisenden Selbst führt, zur sozialen Freisetzung und Infragestellung der Identität, zur Inanspruchnahme und Offenbarung verborgener Tiefenstrukturen des Ich.49 Auch Arndts Reise lässt sich demnach als eine Transgression lesen, in der ein zumal junger Reisender seine Lebenswirklichkeit auf die Probe stellt und seine latenten Wünsche, Antriebe und Erfahrungspotentiale in den Grenzerfahrungen des Reisens ausagiert.50 In Arndts Fall verbindet sich die leitmotivisch gewordene Zeitenklage auf höchst aufschlussreiche Weise mit einem regelrechten ›Unbehagen in der Kultur‹, demzufolge die Zivilisation offensichtlich nicht in der Lage ist, dem Zerstörungswerk der aggressiven Bestrebungen der Menschheit Einhalt zu gebieten. Durchaus wie in Freuds späterer kulturtheoretischer Diagnose scheint infolge einer »primären Feindseligkeit der Menschen gegeneinander« auch für Arndt »die Kulturgesellschaft beständig vom Zerfall bedroht«.51 Und es scheint dieser kulturpessimistische Argwohn zu 47 48

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Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt: Briefe (Anm. 23), I, S. 24. Peter J. Brenner: Die Erfahrung der Fremde. Zur Entwicklung einer Wahrnehmungsform in der Geschichte des Reiseberichts. In: P. J. B. (Hg.): Der Reisebericht (Anm. 23), S. 14–49. Vgl. Eric J. Leed: Die Erfahrung der Fremde. Reisen vom Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage. Frankfurt/M., New York: Campus 1993. Vgl. Dennis Porter: Haunted Journeys. Desire and Transgression in European Travel Writing. Princeton: Princeton University Press 1991. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In: S. F.: Studienausgabe. Hg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Stachey. Frankfurt/M.: Fischer 1997, Bd. 9, S. 191– 270, S. 241.

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sein, der Arndts Blick auf das nachrevolutionäre Europa steuert und prägt – ein fast nekrophiler Eifer des jungen Gelehrten, dessen lebensgeschichtliche und psychogenetische Ursachen wohl noch genauerer Untersuchung bedürften. Das entsprechende ›Unbehagen‹ findet um 1800 seinen jedenfalls theoretischen Grund in der Staatslehre eines Thomas Hobbes, und ganz im Stile des Leviathan formuliert Arndt deshalb auch am Ende des zweiten Bandes, in einem kleinen Essay, der am Ende seiner italienischen Reise eingefügt ist (»Zwei Worte über die Lombardei und die Franzosen«, II, S. 414 – 430), sein politisches Glaubensbekenntnis: Wer die Geschichte der menschlichen Begebenheiten und Schicksale aus den frühern Jahrhunderten kennt; wer während seines längern und kürzern Aufenthalts auf unserm Planeten auch nur die einzelnen Menschen verständig angesehen und beurtheilt hat; wer ohne Schwärmerei, aber auch ohne den schlimmsten Menschenhaß in dem handelnden Menschen öfter die physische Notwendigkeit, als die moralische Freiheit zu sehen erwartet, der hat ungefähr das Bild, wie die Menschen ewig gewesen sind und wie sie ewig seyn werden. (II, S. 415)

Ein solch skeptischer Beobachter – so Arndt – »hoffet nichts Bleibendes, nichts Vollkommenes, keinen allgemeinen Völkerbund, keine allgemeine Religion, keine allgemeine Republik« (II, S. 416); auch die französische Revolution bezöge sich – wie »die Kriege, Verhandlungen, Bündnisse der Völker« – auf eine »ewige Lüge« (II, S. 417), und die Sprache der Politik und der Gesellschaft ließe sich leicht als demiurgische Täuschung dechiffrieren: Der Staat, das äußere physische Leben vieler Millionen, oder Hunderttausende, ist auf Interesse gegründet und wird darauf stehen. Die physische Kraft der Notwendigkeit wird hier immer den Vorrang halten, die moralische Kraft wird die äußere Welt nie überwinden [. . .]. Wer gesund urtheilt, sieht durch die Versprechungen, die man giebt, durch die Erklärungen, die man macht, durch die Namen und Worte, mit denen man leicht freigebig seyn kann, nur die Wirkung der Macht, die immer die Welt beherrscht hat. (II, S. 416f.)

Diesen seit jeher ausgeübten ›Willen zur Macht‹ sieht Arndt überall am Werk, und auf solche Weise verbinden sich Zeitenklage, Aufklärungs- und Revolutionskritik, romantische Trauer und politischer degout zu einer verschwommenen und doch radikalen mélange, einem Missvergnügen, das zuletzt im zivilisationskritischen Nachruf auf eine seit langem bereits ›tote‹ und das ›Leben‹ immer wieder zerstörende Kultur gipfelt.52 Während andere zeitgenössische Reisende die historischen Zeichen ihrer Reise mit Leben, Ausdruck und Bildungsinhalten erfüllen, sieht Arndt allenfalls Zeugnisse und Zeichen vergangener Epochen, denen kein lebendiges Signifikat mehr zugeordnet werden kann. Nicht zufällig spricht Arndt von dem ›Toten‹ und dem ›Lebendigen‹, wenn er die steinernen ›Zeugenschaften‹ der

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Eine ähnliche Kulturkritik hatte Arndt auch in einem Kapitel seiner – ansonsten eher Rousseau-kritischen – Dissertation aus dem Jahre 1800, Dissertatio historico-philosophica, sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russouii et aliorum commenta defendi posse videtur, vorgelegt, wo er die Schattenseiten der Kulturzustandes, benennt: »umbrae quoque videndae sund.« Ernst Moritz Arndt: Dissertation wider Rousseau (lateinisch und deutsch). In: Gerettete Arndt-Schriften. Hg. v.Albrecht Dühr und Erich Gülzow.Arolsen: Weizacker-Verlag (Kassel: Karl Basch Verlag) 1953, S. 1–50, S. 46.

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Geschichte von der Ethnographie der Menschen abgrenzt. In Florenz geht es ihm deshalb im Reisebericht vorrangig darum, »auch dort das Todte kurz abzufertigen«, nämlich den Palazzo Pitti zu schildern: »Auch von den Pallästen, wodurch Florenz außerordentlich ausgezeichnet ist, könnten sich leicht einige Bogen füllen; aber der todte Buchstabe tödtet zuletzt den Schreiber und Leser.« (II, S. 150).53 Das biblische Zitat vom ›toten‹ Buchstaben und dem lebendigen Geist verweist zunächst auf ein Unbehagen, das weder mit konkreten Inhalten gefüllt noch auf bestimmte Ziele gerichtet ist. Es bildet sich auf einer Reise, die für eine solcherart gelagerte Disposition offensichtlich nur die passenden Anlässe bietet. Gerade deshalb markieren Arndts reiseliterarische Texte genau jene Leerstellen und Bedürfnisstrukturen, in die kurz darauf die nationalistischen, heilsgeschichtlichen und populistischen Energien des Ernst Moritz Arndt einfließen. So sind hier um 1800 gleichsam die Einfallstore des nationalistischen Denkens zu besichtigen, bevor die Idee der Nation überhaupt greifbar geworden ist.54 Mehr noch: Wie in einem Negativ formuliert Arndts reiseliterarische Darstellung einer ›toten‹ Kultur zugleich eine Reflexion auf die Ästhetik und Philosophie der Bildungsreise um 1800. Dort ging es analog zur zeitgenössischen Hermeneutik, Philologie und Kunstphilosophie um den groß angelegten Versuch, den Manifestationen eines welthistorischen und später nationalen ›Geistes‹ in den Verkörperungen und Zeugnissen der klassischen Kunst und den ›Buchstaben‹ der klassischen Texte auf die Spur zu kommen. Arndt hingegen organisiert das Erlebnis seiner Reise als Zur-Schau-Stellung jener ›toten Buchstaben‹, um die Abwesenheit jeglichen ›Geistes‹ in der gegenwärtigen Zivilisation umso stärker hervorzuheben. Mehr als die Haltung eines enttäuschten deutschen Revolutionsbeobachters55 oder eines verwirrten Heimatsuchenden56 lässt sich hier das Muster einer radikalen Kulturkritik erkennen, die sich – nicht unähnlich den kurz zuvor erschienenen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen von Friedrich Schiller57 – in

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Ähnlich auch in Venedig, zwischen den Kapiteln »Palläste« und »Die Menschen«: »Endlich vom Todten zum Lebendigen.« (II, S. 415). In den mit der Reise gleichzeitigen Briefen an den Vater ist die Bezeichnung »mein kleines Vaterland« noch ausschließlich für Pommern reserviert: vgl. den Brief an den Vater vom 19. September 1799 (Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt: Briefe, Anm. 23. I, S. 26). In Frankfurt am Main fühlt sich Arndt zwar »wieder ganz auf teutschem Boden«, teilt dem Vater zugleich jedoch die Reiseroute mit: »über Hanau, Aschaffenburg, Wirzburg [sic] und Koburg in Sachsen und von da weiter gegen Norden dem lieben Vaterland zu« (Brief an den Vater vom 30. August 1799. Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt: Briefe, Anm. 23. I, 23f.). Dies ist die übliche – und auch überzeugende – Erklärung für die deutsche Rezeptionsgeschichte der Französischen Revolution. Vgl. Harro Segebrecht: Von der Revolution zur ›Befreiung‹. Politische Schriftsteller in Deutschland (1789–1815). In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. 14. Europäische Romantik. Hg. v. Karl Robert Mandelkow. Wiesbaden: AULA-Verlag 1982, S. 234ff. Dies ist im Hinblick auf Ernst Moritz Arndt die weiter gehende These von Johannes Weber: Aus der Jugendreise eines Franzosenfressers (Anm. 7), S. 267ff. Vgl. hierzu Georg Bollenbeck: Die konstitutive Funktion der Kulturkritik für Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung. In: Euphorion 99 (2005), S. 213–241.

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das Vakuum und die Ausweglosigkeit eines nicht mehr aufzuhebenden Zerstörungswerks der modernen Zivilisation geradezu hineinschreibt.58 Ziellos und ungebunden sind diese kulturkritischen Impulse, ebenfalls ungebunden ist die an manchen Stellen hervortretende Arndtsche Aggression, die sich – auch hier Schiller nicht unähnlich59 – mit den destruktiven Potentialen der Zivilisation verbündet.60 Statt mit Trauer reagiert Arndt auf die von ihm diagnostizierten zivilisatorischen Verluste mit tiefer Melancholie.61 Er hält an den zerstörten Objekten zwanghaft fest und sieht den Kontinent nur noch als ein leeres und entleertes Territorium voll von verblichenen Zeugnissen und als ›tot‹ ausgestellten Werten.Aus der damit verbundenen psychischen Disposition geht zuletzt eine Reaktion hervor, die den Verlust am eigenen kulturellen ›Ich‹ nach außen projiziert: gegen einen feindlichen ›Anderen‹, der nur noch mit entsprechender Gewaltrhetorik verfolgt zu werden 58

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Seinen rhetorischen Ausdruck findet dieses Modell in Arndts monumentaler Schrift über den Geist der Zeit (1806 – 1818) in der auch die entsprechende Metaphorik – hier am Beispiel zeitgenössischer Philosophen – variiert wird: »Ich sehe, wie man lehrt, ich fühle, wie man hört, wie das lebende Geschlecht zueinander steht, vernehme ich. Alles hat sich in leiblose Form, in körperlosen Geist aufgelöst. Man ist mit hinein, ehe man es merkt, du treibst mit eben dem Eifer ein Ding, das gar nicht als ein wirkliches ist und also auch nichts wirklich machen kann, als man in der Jugend nach der schönen Wirklichkeit des Lebens, nach den süßen Hoffnungen und Genüssen der Weisheit und Kunst sich sehnte und sie zu halten meint. [. . .] Das Alte liegt gestürzt und zertrümmert und wird nie wieder aufstehen. Auch wo es noch zu stehen scheint und sich selbst dies einbildet, ist nur noch eine gespenstische Schattengestalt, die spukend ohne Wirkung auf die Lebendigen herumschwankt.« Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, hrsg. v. Heinrich Meisner und Robert Geerds. Leipzig: Max Hesse 1908. Bd. 9. Geist der Zeit. I [1806], S. 29, S. 32. Über die in der Forschungsgeschichte der Ästhetischen Briefe lange Zeit übersehene Rhetorik der Gewalt informieren Rose Riecke-Niklewski: Die Metaphorik des Schönen. Tübingen: Niemeyer 1986. Andreas Gailus: Of Beautiful and Dismembered Bodies. Art as Social Discipline in Schiller’s On the Aesthetic Education of Man. In: W. Daniel Wilson, Robert C. Holub (Hg.): Impure Reason. Dialectic of Enlightenment in Germany. Detroit: Wayne State University Press 1993, S. 146 – 165. Ein Vergleich zwischen der anschaulichen Arndtschen Kulturkritik und der kulturkritischen Diagnose in Schillers ästhetischen Schriften wäre lohnend: Sowohl in Arndts Reisen als auch in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen wird am Ausgang der Französischen Revolution und des 18. Jahrhunderts eine Theorie fundamentaler Entfremdung in moderner Kultur und Politik entworfen, während die zeitgenössischen Rettungspotentiale zwar benannt und zitiert, in der Durchführung (und Form der Texte) jedoch scheitern oder (noch) nicht wirksam werden. Der Anblick des zerstörten Schlosses Fontainebleau (»die Säle und Zimmer stehen öde und teils zerschlagen«) provoziert die »ernsten Gedanken« an das Zerstörungswerk der Geschichte, »drei blühende Mädchen« erinnern hingegen an jene Untaten, die sich vor gut zehn Jahren ereignet haben, »als jene herrschten, die an den Rhein die Pest ihrer Sitten brachten, und Thuiskons Volk vergifteten« (III, S. 112). Übergangslos und fast eruptiv bricht sich angesichts des ›blühenden‹ Lebens und ebensolcher geschlechtlich codierten ›Natur‹ eine Aggression Bahn, die semantisch bereits an Arndts Lyrik der Befreiungskriege erinnert (»Pest«, »vergifteten«). Vgl. Sigmund Freud: Trauer und Melancholie. In: S. F.: Das Ich und das Es. Und andere metapsychologische Schriften, Frankfurt/M.: Fischer 1978, S. 105–119.

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braucht. Zugleich – und noch vorher – sind mit dieser Verlusterfahrung die kulturellen Funktionen des europäischen Reisens in Frage gestellt, und in Analogie zum melancholischen Ich lässt sich hier durchaus von der Leere und »Ichverarmung«62 eines solcherart reisenden Europäers sprechen. Zuletzt wendet sich die Arndtsche Zivilisationskritik deshalb folgerichtig gegen das eigene Unternehmen: die ›Buchstaben‹ der von ihm selbst geschriebenen Reiseliteratur. Eher abrupt bricht Arnd seinen Reisebericht ab: »[w]eil man von Mainz nichts mehr sagen kann, als was es vor zehn Jahren war« (IV, S. 424) und weil Arndt bei seinem ganzen »Unmuth über diesen ganzen heillosen Krieg« (IV, S. 425) auf die Schilderung der weiteren Reise durch Deutschland verzichtet. Ohne Zweifel aber ist es die Niederschrift selbst, nämlich die in Arndts vier Bänden versammelte Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, die nicht mehr fortgesetzt werden soll, und wenn Arndt am Ende nach eigenem Eingeständnis »das sterbende Leben meiner Reise noch durch einige Seiten hinschleppen« (IV, S. 425) möchte, trifft er genau jenen Ton des ›Lebens‹ und ›Sterbens‹, der seine eigene Kulturkritik des ›alten‹ Europa charakterisiert hatte. Genau so hatte der Reisebericht im ›romantischen‹ Franken auch begonnen. Eben ist der Wanderer im Begriff, »die schönsten Trümmer einer Burg« zu beschreiben, »die ich bis jetzt auf teutschem Boden sah«, die Burg Neideck, um sogleich die Metaphorik des Todes und den Zweifel an der eigenen Darstellung anzuschließen: »Sie sollen auch, auf mein Ehrenwort gelob ich es, die ermüdenden Beschreibungen des todten und der tödtenden Gefühle beendigen [. . .].« (I, S. 35). Überaus bewusst stellt Arndt seine Kritik an den ›toten‹ Zivilisationen an den Beginn und an den Schluss des vierbändigen Reiseberichts, und überaus auffällig verbindet er an beiden Stellen die nun zusammenhängende Geschichte vom Mittelalter bis zur Revolution mit der Skepsis gegenüber der Aufzeichnung seiner eigenen reiseliterarischen Schrift. So sind die fragmentarischen Aufzeichnungen, die selbst erklärten ›Bruchstücke‹ der Arndschen Reisebücher zuletzt plötzlich jenen ›Trümmern‹ ähnlich, denen Arndt begegnet ist und die vom ›Unbehagen‹ der eigenen Reise zeugten. Die Schreibweise dieser Bücher, ihre Heterogenität und Mannigfaltigkeit, ihre Flüchtigkeit und ihre Zerstreutheit – all dies rückt plötzlich an die Seite des ›Toten‹ und ›Zerstückelten‹, das der Reisende bis zum Überdruss immer wieder beobachten musste. Der ›tote‹ Buchstabe aber hat ausgedient; mit dem letzten Teil der Reise soll auch die reichlich ungeordnete und ›ungebundene‹ Form des eigenen Reiseberichts verschwinden: die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Und in der Tat:Während Arndt Reise auf diesen letzten Seiten – und zugleich die mit ihr verbundene Form der Darstellung – erklärtermaßen ›stirbt‹, präsentiert das Ende der Reisen in der Fassung von 1804 bereits die Zeichen einer neuen Vision des Ernst Moritz Arndt, einen neuen ›Geist‹ der Zeit – mit anderen ›Buchstaben‹ und einer gänzlich anderen Reise.

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Ebd., S. 107.

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IV. Vom »Paradies der Natur« zur »Probezeit der Männer« – Arndts Lehrjahre der Männlichkeit Am Ende von Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs stehen nicht allein die ›toten‹ Buchstaben und der Abbruch des reiseliterarischen Unternehmens, sondern ebenso eine Episode, die den Reisenden für eine Weile zum Anfang des Reiseberichts, zur romantischen Feier der Natur, zurückkehren lässt. Es handelt sich um die Rheinfahrt von Koblenz nach Mainz, »mahlerisch und zauberisch« wegen der Aussichten auf die »reizenden Ufer« (IV, S. 408), zugleich ein fast religiös aufgeladenes Gegenprogramm zu der eben absolvierten europäischen Kulturreise. Arndt hat genau diesen Aspekt mit Blick auf den durch die Franzosen stillgelegten Wallfahrtsort Bornhofen formuliert: »Ich würde aus einem andern Grund dahin wallfahrten; die Anbetung der Natur bleibt eine ewige für empfindende Herzen; sie leidet durch keine Zeit noch Umdrehung der Köpfe.« (IV, S. 409). Nach dem »Bild der Zerstörung« (IV, S. 392f.) und dem »öden Zustand« (IV, S. 394) in Koblenz, vorbei fahrend an der »Zertrümmerung alles schönsten Irdischen« (IV, S. 404), als deren Zeugnisse die »schönen Trümmer« (IV, S. 414) der alten Rheinschlösser erscheinen, erheben sich »die anmuthigsten und heitersten Rheingegenden« (IV, S. 412): ein Werk der »milden und unerschöpflichen Natur, die Mannigfaltigkeit und Schönheit, Jugend und Alter, in immer neuen Gestalten zu zeigen weiß« (IV, S. 417). Arndt entwirft in diesen Bildern eine weniger reale als vielmehr imaginäre »unzerstörbare Natur« (IV, S. 420). Sie lässt für »einige süße Augenblicke« die »furchtbare Zeit« der Gegenwart vergessen (IV, S. 418) und erinnert den Reisenden an die eigene von der winterlichen Natur der Insel Rügen inspirierte Jugend: »O daß du ewig währtest, holdes Jugendgefühl« (IV, S. 419). Auch die Rheinfahrt soll auf diese Weise bereits im eigenen Inneren aufbewahrt werden: »So ward aus Abend und Morgen der zweite Tag unsrer fröhlichen Schifffahrt, die eine der anmuthigsten der großen Lebensschifffahrt seyn wird, ein wärmender Feuerbrand für den Winter des Lebens« (IV, S. 420). Arndt projiziert in die Landschaft des Rheins demnach jenes ›Leben‹, das er auf seiner europäischen Reise zuvor vermisst hatte; zugleich verwandelt er eine bereits höchst ›unnatürliche‹ Kulturlandschaft in ein romantisches Bild der Natur zurück. Die »Thürme« der von fern geschauten Stadt Mainz, die »Rebenhügel« und »Obstgärten«, die »Waldberge« und »lieblichen Inseln« – all dies vereint sich für den Rheinfahrer Arndt nicht zu einem von Menschen kultivierten Landstrich, sondern zu einem wahren »Paradies der Natur« (IV, S. 421). Die Rheinreise bildet somit einen Naturzustand ab, der den Reisenden an einen Ort vor und jenseits jeder Zivilisation führt – eine Phantasmagorie, »über alle Beschreibung schön« (IV, S. 416), in die Arndt folgerichtig die nun buchstäblich umgepolten Energien seines vierbändigen Unbehagens investiert. Ein solcherart stilisierter Rhein kann seinerseits wieder Kulisse werden für einen neu erweckten nationalen Geist, der während der europäischen Reise ebenso abwesend war wie die mit Leben erfüllten Zeichen der

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Kultur. Der Gedanke einer nationalen Erneuerung fand sich zuvor lediglich vereinzelt – beim Anblick von Nürnberg, wo die Differenz zwischen der äußerlich noch mächtigen Stadt und ihrem inneren Verfall kurzfristig den Sinn für die deutsche Geschichte aktiviert hatte: So die ganze Stadt mit ihren Thürmen und Zinnen unter sich zu sehen, die doch wirklich von Ferne eine sehr schöne Stadt ist, dann die weiten Gefilde mit den rothen und schimmernden Dörfern, Fürth und einige Burgen und Schlösser weithin in der Oberpfalz; es ist doch was Großes und Erhabenes. Der Geist des deutschen Volkes und seiner Edlen war doch ein großer, kühner und stiller. Sollte er nicht mal wieder erwachen? (I, S. 62)

So wie der ›Geist‹ der Nation schlafend unter den ›Trümmern‹ der Geschichte verborgen ist und sich das ›Tote‹ als eine auf der Reise allgegenwärtig zu erfahrende europäische conditio humana enthüllt, so geht Arndt am Rhein auf einen paradiesischen ›Urzustand‹ zurück, um Geschichte gleichsam wieder von neuem beginnen zu können – ein Mythos der Genesis und der ›Wiedergeburt‹, der mit dem Schlussstrich unter die Zivilisationsreise auch die Möglichkeiten des eigenen Reiseberichts transzendiert. Die zweimal wiederholte Metapher vom »Paradies« der Natur (vgl. IV, S. 421, S. 426) evoziert einen neuen Beginn des Lebens gegenüber den ›öde‹ und ›tot‹ gewordenen Kulturlandschaften. Von hier aus nehmen Arndts neue ›lebendige‹ Buchstaben ihren Ausgang, ebenso eine nun plötzlich höchst zielgerichtete nationalistische Aggression, die sich angesichts des Rheins expressiv entlädt: »Ich habe in Frankreich einige Franzosen verabscheut, die meisten beklagt, viele geschätzt und einige geliebt; hier lerne ich sie hassen als Feinde und Verderber meines Volkes, und kaum kann ich einen mehr sehen, daß mir das Blut nicht heiß in die Wangen aufkocht.« (IV, S. 399f.). In Arndts fast gleichzeitig mit der zweiten Fassung der Reisen erschienenen Programmschrift Germanien und Europa (1803) antwortet dem ziellosen und ungebundenen Geist des 18. Jahrhunderts eine organizistische und aufklärungskritische Geschichtsphilosophie, zugleich imaginiert Arndt dort die naturrechtlich legitimierte Staatsform eines »festen Naturleibes«,63 der als ›deutsche Nation‹ in einer bezeichnenden Metaphorik die Stelle jener zum Beispiel in Venedig beobachteten abgestorbenen und ausgehöhlten historischen ›Heldenkörper‹ einnehmen soll. Zu diesem Unternehmen fehlen nur noch die geschichtlichen Akteure, und mit dem ›Paradies‹ der Natur und dem ›lebendigen Leib‹ einer neuen Nation insinuiert Arndt eine Unschuld und Reinheit, die zugleich wieder ein bezeichnendes Licht auf die Erfahrung dieser Reisen werfen, verheißt die Metaphorik doch zugleich eine neue Ordnung der Menschheit wie der als sündig aus dem Paradies vertriebenen beiden Geschlechter. Die zerstörten Landstriche und Kulturdenkmäler offenbarten die Abwesenheit und den Untergang männlicher Helden; Arndts unbehaglicher Blick auf die europäische Kultur fiel andererseits immer wieder auf das von ihm stets ausführlich geschilderte Bordell- und Prostitutionswesen, das sich (in den Augen des offenbar 63

Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. Hg. v. Ernst Anrich. Stuttgart, Berlin: Kohlhammer o. J. [1941], S. 193.

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weder uninteressierten noch unerfahrenen Arndt) wie eine Art zweiter ›Unkultur‹ über die europäischen Städte ausgebreitet hat.64 Während die Kultur der Männer untergeht, sind die Geschlechter zu einem anderen, wenig paradiesischen Urzustand zurückgekehrt, der dem Hobbeschen bellum omnium contra omnes auf Seiten der Frauen entspricht: Wie gewöhnlich ist es, daß der Krieg die Weiber wieder in einen gewissen Naturzustand setzt, dieses schwache Geschlecht, das nur durch Sitte im gesellschaftlichen Zustand stehen kann. Gefährlicher sind freilich in dem Punkt die Franzosen, weil sie liebenswürdiger sind und ihr Leben daheim im Vaterlande, wenigstens die Jugendjahre gewöhnlich den galanten Künsten weihen. (II, S. 427)

Das am Ende des Reiseberichts entworfene Bild einer ›unschuldigen‹ Natur ist das entsprechende Gegenstück zum Sittenzerfall dieses anderen Naturzustandes. Das französisch besetzte Koblenz, die letzte Station vor Arndts Rheinreise, sei ihm von einem Franzosen in Köln bereits als »das kleine Paris« gerühmt worden, und in diesem Sinne sei es in der Tat »beinahe parisisch« (IV, S. 396): Es werde dort »vollends recht adamisch und demokratisch« geliebt, alles ist infolge von »Verführung, Krieg, Unterjochung, Druck und Armuth«, durch die »Verachtung der eignen Sitten« innerlich wie äußerlich durchgehend »französisirt« (IV, S. 397). Obwohl Arndt die fremde »Nation« nicht aufhören möchte zu »rühmen«, hebt er doch ihren sichtbar gefährlichen Einfluss auf das weibliche Geschlecht hervor: »Man hat hier leider die schlechtesten Lehrer und Muster gehabt, und also können die Schüler und Schülerinnen auch nicht am besten ausfallen, besonders die Weiblein, denen alles Fremde und Neue immer gefällt, wenn es nur schimmert und herrscht.« (IV, S. 398). Wenn Arndt einige Jahre später die dezidiert ›männliche‹ und deutsche Abwehr der französischen Kultur besingt (»Das ist des Deutschen Vaterland / wo Zorn vertilgt den welschen Tand«65), zeigen die Reisen den Ursprung, gleichsam die Urschrift eines gesellschaftlichen Erneuerungsprogramms, das hinter den Extremen der reiseliterarischen Zuständen entziffert werden kann. Zwischen dem zivilisatorischem Unbehagen der gesamten Reise und dem zuletzt am Rhein imaginierten »Paradies der Natur« war ein gewaltiger Hiatus entstanden, der nur durch ein grundsätzliches Erziehungsprogramm zu überwinden ist. Während die kulturellen Grundlagen der Menschheit in diesem Hiatus offenbar verschwunden sind, soll aus dem Phantasma eines fiktiven Naturzustandes eine gänzlich neue Kultur erst wieder hervorgehen. Im Bild eines ›paradiesischen‹ Ursprungs werden die ›adamitischen‹ Verhältnisse gleichsam zurückerobert und erneuert. Zugleich erfordert dies 64

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Zum Kontext vgl. den aufschlussreichen Aufsatz von Claudia Albert: »Preußen entartete« – Prostitution und Bordellwesen im Spiegel der Berlin-Reiseberichte des späten 18. Jahrhunderts. Mit einem Seitenblick auf Paris. In: Ursula Goldenbaum, Alexander Kosenina (Hg.): Berliner Aufklärung. Kulturwissenschaftliche Studien. Bd. I. Hannover: Wehrhahn 1999, S. 173 – 194. Aus dem Gedicht »Des Deutschen Vaterland«: Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (Anm. 58), Bd. II, S. 26. Vgl. dazu den Beitrag von Sigrid Nieberle im vorliegenden Band.

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ein neues menschheitliches Subjekt: mit einem neuen geographischen Bezugspunkt, neuen ›ursprünglichen‹ Sitten, mit veränderten kulturellen Ausgangsbedingungen und einer neuen Ordnung der Geschlechter – »denn« – so Arndt am Ende von Germanien und Europa – »nur durch eine menschliche Erziehung voll Kraft und stiller Männlichkeit ist den folgenden Geschlechtern zu helfen«.66 Ernst Moritz Arndts kulturelle Diagnose lässt sich hier den zeitgleichen großen programmatischen Entwürfen eines Schiller und Hölderlin durchaus an die Seite stellen. Einer radikalen Kulturkritik, die im Falle Schillers ebenfalls Naturzustand und Geschichte wechselseitig miteinander konfrontiert, begegnet die Vision einer ästhetischen Erziehung und eines ›ästhetischen Staates‹; dem zivilisatorischen Vakuum, das Hölderlin ähnlich wie sein Zeitgenosse Arndt als eine von den Göttern gänzlich verlassene ruinöse Gegenwart beschreibt, antwortet die Idee eines im Dichter aufbewahrten und einst wieder zu gebärenden synkretistischen Mythos. Während Schiller wie Hölderlin ihr Erziehungsprogramm freilich in philosophisch und poetisch fragmentarischer Form umschreiben und letztlich nur als ein fiktives und dabei melancholisch uneingelöstes Versprechen antizipieren, findet Arndt einen deutlich vorgezeichneten Weg – und dies in nunmehr direkt geographisch ›umgepolter‹ Gegenrichtung zu seinen missglückten Bildungsreisen nach Italien und Frankreich. Aus dem ›klassischen‹ Bildungsreisenden wird zu diesem Zweck ein Nordlandfahrer. Ende des Jahres 1803 reist Arndt nach Schweden, und dort füllt sich das auf den Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs erfahrene Vakuum überaus deutlich mit einem neuen geographischen und kulturellen Sinnsystem.67 Der Weg vom ›Paradies‹ zu einer sinnerfüllten Kultur erfolgt im Spiegel einer Wiedergeburt, die unter dem doppelten Zeichen des ›Nordens‹ und der ›Männlichkeit‹ steht. Wenn Arndt in einem ausführlichen Brief an Christian Ehrenfried von Weigel im Juni 1804 davon spricht, dass er in den vergangenen Monaten im schwedischen Munkfors »zuerst mich schwedisch finden und empfinden«68 gelernt habe, verweist dies zum einen auf den Erfolg einer nunmehr endlich vollzogenen individuellen Bildungsreise,69 zum anderen auf ein verändertes kulturelles Zeichensystem, das den Beginn eines neuen Zivilisationsprozesses in Aussicht stellt. Er sei sich »unserer weichen und bröcklichen Deutschheit in diesem Norden schon oft mit Schamröthe bewusst geworden«, bekennt Arndt, und möchte sich an all jenen deutschen »Landsleuten« ein Beispiel nehmen, die ihre »Lehr-

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Arndt: Germanien und Europa (Anm. 63), S. 257. Der entsprechende Reisebericht erschien im Jahre 1806: Ernst Moritz Arndt: Reise durch Schweden im Jahre 1804. Neu herausgegeben und eingeleitet von Heinz von Arndt.Tübingen, Basel: Erdmann 1976. Brief vom 7. Juni 1804, Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt: Briefe (Anm. 23), Bd. I, S. 80. Dementsprechend beginnt Arndt auch sein auktoriales Bekenntnis (»Der Schreiber«) zu Beginn seiner Schrift Geist der Zeit (1806): »Ich habe Tränen geweint über die Zeit und das Geschlecht [. . .]. Ich war einst jung und bin ein Mann geworden ohne Männer.« Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (Anm. 58), Bd. 9. Geist der Zeit I, S. 11.

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jahre« in Schweden für die Erziehung ihrer Männlichkeit nutzen konnten: an jenen vereinzelten Deutschen, »welche eine schöne männliche Festigkeit, Entschiedenheit und Ruhigkeit gewonnen haben, unserer schwächlichen und schwächlich hin und her springenden Unbestimmtheit und Zerflossenheit gegenüber«.70 Arndt, der sich vor seiner Europareise bereits im Jahre 1796 in einem Brief an die Mutter daran erinnert, »was in W. Meisters Lehrjahren irgendwo von dem Vater steht«,71 intoniert im eigenen schwedischen Bildungsroman demnach seine »Lehrjahre der Männlichkeit« – nicht wie Julius in Friedrich Schlegels gleichnamigem LucindeKapitel als eine Serie amouröser Begegnungen, sondern in Form eines nordischen Selbstbildungsprogramm: »Wahrlich ich fühle so was: wenn ich länger hier bliebe, könnte allenfalls auch noch ein Kerl aus mir werden.«72 Die individuelle Bildungsreise des bislang in dieser Hinsicht offensichtlich vergeblich gereisten Italienfahrers lässt sich geradewegs auf eine nationale Pädagogik übertragen. Durch südländischen und französischen Einfluss ist die geographisch ›mittlere‹ deutsche Nation ›verweiblicht‹ worden, willenlos und wankelmütig, ein Schwächungsprozess, der nunmehr die entgegen gesetzte Einflussnahme benötigt: »Wir können von diesem Stahlvolk viel lernen [. . .].«73 In Schweden findet Arndt eine adäquate Antwort auf seine europäischen Reiseerlebnisse: im »Paradies«74 von Munkfors, in der rauen Natur, bei den ebenso naturwüchsig wie charakterfest imaginierten Schweden, aber auch in der Welt der nordischen Mythen, Götter und Sagen, die Arndt ausgiebig studiert und zitiert.75 Es handelt sich bei diesem alternativen Bildungskonzept um keine Erweckung oder momentane Erfahrung, sondern um ein zivilisatorisches Ausbildungsprogramm, das die Subjekte instand setzt, sich gegen die europäische Auflösung der Kultur zu wappnen. In einer Zeit, in der ihm – so Arndt wieder in Greifswald – entschieden klar geworden sei, »wie Alles so ganz zur Zerstörung hingeht«,76 muss der innere, vom ›schrecklichen Geist‹ des Jahrhunderts bedrohte Mensch zur Männlichkeit geformt werden: »Ich will ihnen Alles sagen: ich bin unrein, aber meine innere Kraft ist groß genug, mich zu reinigen [. . .].«77 Arndts Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien stellen die Diagnose: die ›Unbestimmtheit‹ und Ambivalenz einer Epoche, die vor sich selbst »auf der

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Brief vom 7. Juni 1804, Dühr: Arndt: Briefe (Anm.23), Bd. I, S. 81f. Brief an die Mutter vom 1. Dezember 1776, ebd., Bd. I, S. 13 Brief vom 7. Juni 1804, ebd., Bd. I, S. 82. Brief vom 7. Juni 1804, ebd., Bd. I, S. 81f. Ernst Moritz Arndt: Reise durch Schweden im Jahre 1804. (Anm. 67), S. 134. Ganz anders haben übrigens englische Schweden-Reisende das Land interpretiert: als modernen Staat und neu entstandenen Ort der Wissenschaft: vgl. Brian Dolan: Exploring European Frontiers. British Travellers in the Age of Enlightenment. Basingstoke u. a.: Macmillan 2000, S. 27 – 70 (»Northern Frontier: Scandinavia – The mismeasure of modernity and the ›Age of Liberty‹«). Brief an Charlotte von Kathen vom 27. Oktober 1805, Dühr (Hg.):Arndt: Briefe (Anm. 23), Bd. I, S. 134. Brief an Charlotte von Kathen vom 18. September 1805, ebd., Bd. I, S. 131.

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Flucht« ist,78 in der sich das ›Alte‹ und das ›Neue‹ auf unklare Weise bekämpfen und voneinander ablösen. Arndts Reise nach Schweden erprobt die Vision einer Männlichkeit, die zur Klarheit der Grenzziehungen zurückführen soll. Der Befund lässt sich verallgemeinern: Eine »Krise der Unterscheidungen« provoziert – nicht nur hier – die Sehnsucht einer revirilisierenden Grenzziehung zu einem als ›schwächlich‹ und ›weiblich‹ demarkierten Zeitalter.79 Diese innere und äußere Grenze muss freilich ständig neu gezogen und neu umkämpft werden. So wie Arndt seine schwedischen Lehrjahre fortwährend auf männliche Art neu unter Beweis stellt,80 so bilden die Befreiungskriege später nur den Anlass, dieses Erziehungsprogramm mit neuer Verve zu erfüllen. In einem Brief an Georg Andreas Reimer verknüpft Arndt seine eigene unstete Biographie auf bezeichnende Weise mit dem »Schicksal« einer Zeit, in der sich das Schwankende in Festes und Jünglinge in Männer (zurück) verwandeln sollen: »Es ist die Probezeit der Männer, wie weit ihr Bogen sich auf sie selbst zurückspannen läßt.«81 Karen Hagemann hat in ihrer großen Studie über Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens gezeigt, wie die Befreiungskriege einen neuen Typus der »patriotisch-wehrhaften Männlichkeit« hervorbrachten, der für bürgerliche Männer insbesondere neue Formen des Initiationserlebnisses bereit hielt.82 In einer ›schwankenden‹ Zeit gilt männliche Identität als eine auf

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So benennt Ernst Moritz Arndt selbst 1806 das Phänomen in seiner Enzyklika Geist der Zeit: »Die Zeit ist auf der Flucht, die Klügeren wissen es lange. Ungeheure Dinge sind geschehen, große Verwandlungen hat die Welt still und laut, im leisen Schritt der Tage und in den Orkanen und Vulkanen der Revolutionen erlitten; Ungeheures wird geschehen, Größeres wird verwandelt werden.« Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (Anm. 58), Bd. 9. Geist der Zeit. I, S. 49. So die These von Albrecht Koschorke: Die Männer und die Moderne. In: Wolfgang Asholt, Walter Fähnders (Hg.): Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde-AvantgardekritikAvantgardeforschung. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 2000, S. 141–162, hier S. 150. Als Arndt sich in Greifswald mit einem offensichtlich den Franzosen nahe stehendem schwedischem Offizier duelliert, empfindet er dies als Wiedergutmachung seiner männlichen Ehre, zugleich als eine Prozedur, die seine gekränkte Männlichkeit wieder aufrichtet und ihn in einer verräterischen Geste des male bonding anderen Männern zumindest wieder ebenbürtig macht: »Ich kann nun wieder frei zu Männern aufsehen.« Brief an den Freiherrn von Essen vom 4. November 1805, Dühr (Hg.): Arndt: Briefe (Anm. 23), Bd. I, S. 135. Zur entsprechenden Kodierung des Duells als einer männlichen Behauptungsform im 19. Jahrhundert vgl. die Studie von Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München: C. H. Beck 1991. Gegenüber Friedrich Ludwig Jahn offenbart Arndt im Jahre 1811 seine Abneigung gegen Berlin, dessen »angebohrene Sündlichkeit« sich »im Schnattern und Plappern Luft macht«, im selben Atem- und Schreibzug daher eine geschlechtliche Codierung des ›Tatmenschentums‹ evoziert: »[. . .] man muß wohl endlich thun was man muß; aber nie das Weibische noch das Knechtische.« Brief an Friedrich Ludwig Jahn vom 12. November 1811, ebd., Bd. I, S. 199. Brief an Georg Andreas Reimer vom 3. Oktober 1810, ebd., Bd. I, S. 168f. Karen Hagemann: »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre« (Anm. 11). Zum Kontext der ›Männergeschichte‹ um 1800 vgl. Walter Erhart: Das zweite Geschlecht. Männlichkeit, interdisziplinär. Ein Forschungsbericht. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005) S. 156 – 232, hier S. 180ff.

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sich ›selbst‹ gegründete Essenz der Behauptung und Beharrung; die deutsche Nation wird umgekehrt zu einem schützenden und zu schützenden imaginären Raum, der diese Männlichkeit mit neuen Aufgaben, neuen Entfaltungsmöglichkeiten und neuem Leben erfüllt. Ein Blick auf Arndts Reiseberichte kann zeigen, auf welche kulturellen und psychohistorischen Bedingungen der viel beschriebenen Sattelzeit um 1800, auf welches ›Unbehagen‹ und welche Bildungsprozesse dieser Wunsch nach einer neuen »Probezeit« für Männer zurückgeht. Arndts Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs sind das Beispiel einer an der Schwelle der Gattungsgeschichte stehenden Schrift: Die gesamten reiseliterarischen Traditionen des 18. Jahrhundert sind dort versammelt, die neuen Funktionen der Reiseliteratur im 19. und 20. Jahrhundert hingegen noch kaum formuliert. Gerade deshalb zeichnet sich in dieser eher ›negativen‹ Bildungsreise ein von Arndt ebenso erfahrenes wie imaginiertes Europa ab, in das sich zuletzt die Psycho(patho)graphie eines ganzen Zeitalters eintragen lässt: Zerfall der Zivilisation, Verweichlichung und Verweiblichung, Melancholie des Abschieds und des Verlusts, die schmerzhaft erfahrene Differenz von Natur und Kultur, das Europa der Trümmer und Ruinen, das Ende alter Stabilitäten und Gewissheiten. Die vom Vaterlandsänger Ernst Moritz Arndt später vorgeschlagenen Therapien lassen sich so auf die ihnen zugrunde liegenden Leiden zurückführen – auch dies ein viel versprechendes und auf die Moderne übertragbares hermeneutisches Programm: Nur wer den Krankheitsverlauf eines Zeitalters kennt, vermag die selbst ernannte Ärzteschaft zu beurteilen.

Rex Clark

Politics or Prejudice – Cultural Evaluations in the Travel Narratives of Ernst Moritz Arndt

Recent research on travel literature explores topics of national identity, definitions of the self and the other, dynamics of cross-cultural exchanges, and categories of cultural evaluation. When considering Ernst Moritz Arndt and his reputation as fervent nationalist, we see this is based on his political essays, his works of propaganda, and patriotic poetry.1 But Arndt produced a considerable body of travel literature based on extensive travels through Europe, much of it written before the political works. What were Arndt’s impressions of European cultures during his travels? What was the basis for his perceptions of national identities? Did Arndt discover his national sensibilities when traveling abroad, or did he from the very beginning confront other cultures from a fixed patriotic standpoint? Arndt’s four-volume revised second edition of Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799 (Leipzig, 1804)2 provides a wealth of materials to generate Arndt’s categories of cultural evaluation. For example, when Arndt notices or makes explicit national or regional differences, is this based on a very abstract level of religious, political, or social systems? Or it is more an issue of landscape, geography, monuments, and tourist attractions? Or finally, are the categories more concrete observations, perhaps more of a subjective nature based on personal reactions and comments? In this kind of evaluation we are more likely to see anecdotes or character types, representative body features, language use, or personal impressions reported as feelings reactions to sounds, smells, visual impressions. The first evaluation framework encompasses the philosophical and abstract, the second level relates to social and structural issues, and the third level can be seen as personal and subjective. In many cases these narrative typologies can be aligned with historical categories such as the encyclopedic travel of the Enlightenment, or the Bildungsreise of German classicism, or the romantic travel narrative.3

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Hans-Jürgen Lüsebrink discusses several of Arndt’s pamphlets (Geist der Zeit, Über Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache) as well as “eine große Zahl patriotischer Lieder und Gedichte” (vol. 2, p. 867) in his treatment of Arndt’s nationalism: Historische Semantik als Diskurspragmatik: der Begriff Nation in Frankreich und Deutschland. In: Hans-Jürgen Lüsebrink and Rolf Reichardt (eds.): Kulturtransfer im Epochenumbruch: Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815. 2 vols. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 1997, vol. 2, pp. 851–75. Ernst Moritz Arndt: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799, 2. verb. u. vermehrte. Aufl., 4 vols. Leipzig: Gräff 1804. Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur: ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemeyer 1990.

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A first answer is given when Arndt opens his Reisen with an ambitious strategy of rejecting several narrative norms of travel writing. The explicit claim by Arndt is that his own observations and opinions form the basis of his travel writing.4 Yet complicating a reading of Arndt’s cultural evaluations is the heterogeneous mixture of writing styles employed in the travel narrative. It becomes evident that the four volumes of the Reisen constitute a relatively large work written in a short time by a youthful Arndt. As will be seen, Arndt is unable to maintain his narrative standpoint during the whole of the work, and in many instances he incorporates, includes, and builds upon earlier narratives and traditions. Arndt’s cultural evaluations thus become both a reflection of his travel experiences and encounters as well as a reflection of his reading and selection of previous travel literature. Thus before focusing on cultural categories, my analysis begins with a rhetorical contextualization of Arndt’s narrative strategies of authenticity, referentiality, narrative voice, and poetics. At first glance, it seems that Arndt does not build on the Enlightenment travel traditions of surveying existing works, weighing and referencing sources, and finding areas to add or correct the acquisition of knowledge, the overriding goal of the Enlightenment travel narrative, not to mention scientific travel expeditions. Arndt’s stated narrative goals are very distant from rhetorical arguments which emphasize a balanced and correct image, a truth stated to increase the common good, such as the following from the epitome of the Enlightenment traveler, Friedrich Nicolai, writing in 1783: Meine Absicht war vom Anfange an, von jeder Stadt im allgemeinen ein richtiges Bild zu entwerfen, [. . .] besonders aber, nicht bloß Nachrichten ohne Zweck zu sammeln, sondern dabey Wahrheiten zu sagen, die ich für gemeinnützig hielt.5

Arndt is also not concerned with the magnitude of the epistemological step taken by Georg Forster in the introduction of his narrative of Cook’s voyage in 1777. Here Forster brings to travel narrative a concept of subjective authenticity, which claims to more reliable than the unstated bias of objective observation: The learned [. . .] raised a general cry after a simple collections of facts.They had their wish; facts were collected in all parts of the world, yet knowledge was not increased. They received a confused heap of disjointed limbs, which no art could reunite into a whole [. . .]. Besides this, two travellers seldom saw the same object in the same manner, and each reported the fact differently, according to his sensations, and his peculiar mode of thinking. It was therefore necessary to be acquainted with the observer, before any use could be made of his observations. [. . .] I have sometimes obeyed the powerful dictates of my heart, and given voice to my feelings; for, as I do not pretend to be free from the weaknesses

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This aspect of Arndt’s narrative is emphasized by Hans-Georg Werner: Ernst Moritz Arndts ‘Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799’. In: Zeitschrift für Germanistik 11.5 (1990) pp. 557–64. Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Berlin, Stettin: Nicolai 1783 – 96. Reprint, vols. 15 – 20 of Gesammelte Werke. 20 vols. Bernhard Fabian and Marie-Luise Spieckermann (eds.) Hildesheim: Olms 1985–94, vol. 1, p. 13.

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common to my fellow creatures, it was necessary for every reader to know the colour of the glass through which I looked.6

In contrast to these rhetorical strategies, Arndt’s implicit claim is that by giving a direct report of what is before his eyes at the time he experiences it his travel narrative does not need the baggage of a referential discourse, nor does he need to problematize the validity of his own perspective. The intended effect of Arndt’s narrative stance is to heighten the sense of authenticity and realism – we see the scenery, smell the smells, and hear the words of travelers he meets. Arndt places emphasis on the eyewitness account “etwas näher in hohen Augenschein zu nehmen” 7 or makes reference to the act of seeing, “schönes Vieh sah ich hie und da, aber bebaut schien es mir wenig” (II, p. 3). That his own opinion is sufficient comes out in the many small phrases “mich dünkt” (II, p. 27) “bei diesem Gegenstand scheint es mir” (II, p. 30). When he arrives in Paris he notes there are a few things he should “glossiren” but then he corrects himself: “Glossiren? nein, so war es nicht gemeint; nur erzählen und beschreiben wollen wir, wie es herging und was wir sahen und hörten” (IV, p. 1). Here Arndt almost taunts the reader with his exclusive claim for authenticity of personal observation and a rejection of interpretation or reference to other sources. As a result of the authentic, writing-to-the-minute reporting, Arndt often includes the exact time the carriage leaves, or how long the meals take, or notes when he and his fellow travelers fall asleep: “dieses Um- und Einpacken nahm eine gute Stunde weg” (II, p. 15) or “Um 9 Uhr waren meine Sachen gepackt” (II, p. 275). However enticing the advantages of this narrative pose was for Arndt, an effort to create direct access from observation to reader, it did create difficulties. For one, the scope of the travel narrative is radically reduced by the restrictive format of the eyewitness account and direct observation. When Arndt is in Florence he takes this to the absurd by narrating each painting in each gallery of the art museums in their exact order, making the physical act of walking the galleries the organizing principle of narration. The eyewitness narrative also means the narrator has less freedom for discourse or imaginative excursions and often needs to find an event or a travel character with an opinion to voice in order to have occasion to generate discussions. With these examples of narrative voice, referentiality, and authenticity, it follows that Arndt’s poetics should for the most part be limited to the mode of the self-confident traveler reporting on the exotic lands he has visited. The narrator position should be stable and predictable, the time sequences are dictated by the pace of travel. The composition is restricted to reporting on the present. The assumption is that there is very little or no time lapse between experienced time and the time of recorded narrative. The traditional travel triad of extensive reading to prepare for the journey, then the recording of travel impressions during the trip, and the some6

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Georg Forster: A Voyage Round the World. Nicholas Thomas and Oliver Berghof (eds.), 2 vols. (Honolulu, 2000) I, p. 9. Arndt: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799 (footnote 2), vol. II, p. 3.

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times exhaustive gathering and molding of information into a narrative afterwards, is not part of Arndt’s poetics, although we know from the several editions of this narrative that he did make substantial revisions between published versions. Despite this postulated fixed narrative position, Arndt’s style shows a high degree of variation. Arndt can quickly move from recording conversations in the post coach, to long economic descriptions, to some musings on art and the golden age of antiquity. So while there is much to support Arndt’s claim of unstudied authenticity, as the following examples of Arndt’s cultural evaluations are discussed, a shifting of the narrative framework becomes apparent. Arndt’s claims of authenticity mutate and alternate, often within quick secession, from his professed style of direct reporting, to a critical positioning towards literary traditions, or at times, to simply incorporating the substance of outside sources into his own prose. Accordingly, the weight given to Arndt’s cultural evaluations must be adjusted to accommodate which standard of reference and narrative authenticity Arndt may currently be using. As Arndt leaves the more familiar German-speaking countries and begins his travels in Italy, several telling examples occur which show his attempt to assimilate new impressions. In a number of instances, Arndt displays a pattern of deep dissatisfaction with the world revealed to the traveler. In looking for the possible causes for this dissatisfaction, Arndt’s system of cultural evaluation becomes apparent. There are evaluations based on comparison of the past and present, presence of foreigners in another country, religious differences, characteristics of specific nationalities or races, traits of the common people, body types related to nationality, and norms of gender and social behavior. On entering Ferrara, Arndt compares his personal expectations with the scene before him. Although his overt comments reflect a reference system based on his narrative stance of authentic personal feelings, at the same time an implied comparison is made which is based on a knowledge of previous, grander history: Welche sonderbare Gefühle schwellten diese Brust, als ich dem Thore näher kam, wodurch einst Helden zogen, und die grösten Geister Italiens aus und ein gingen. Ach! jetzt ist alles umher so öde und drinnen so todt, und nur die 1500 Franzosen in der Festung und an den Thoren geben einiges Gewimmel, was aber doch kein fröhliches ist. (II, p. 8)

The reference to the city gates “wodurch einst Helden zogen” is part of a general category of comparison of modern times to either an ancient golden age or to more recent pre-revolutionary or pre-Napoleonic times. These comments echo general complaints which are often enclosed in asides or introductory phrases. Arndt speaks of “die Unsicherheit der Zeit” (II, p. 21) “diese neueste Umwälzung” (II, p. 21) or “bey diesen verdächtigen Spionenzeiten” (II, p. 22). But, as in the disparaging comment above on the 1500 French troops, Arndt quickly begins to find very concrete complaints on the consequences of the French occupation: Weil in der Lombardi durch die Plünderungen und Wegschleppungen nach Frankreich nicht viel für mich aushing, überdem das Reisen auch beides wegen französischen und österreichischen Argwohns sehr unangenehm war, so beschloß ich, erst nach dem schönen Florenz zu gehen [. . .]. (II, p. 1)

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Arndt combines here both aspects of his criticisms.The unstated expectation is that the cultural riches of Italy would be available for Arndt to visit and admire. This is an expectation based on specific knowledge of art and monuments acquired through a classical education. Arndt exhibits here the extent of the large body of internalized references which he carries with him and now uses as a basis for evaluating and comparing the present times. Thus he is disappointed that there was nothing left to see after the “Plünderungen und Wegschleppungen” and he notices not only what is present in the cultural space of Italy, but also the absence of cultural artifacts.At the same time there are the much more tangible difficulties of traveling, presumably because of the hostility of the troops, checkpoints, and the like, which hindered free movement around the country. In a similar vein Arndt contrasts his expectation of a classical serenity to be found in Italy with the jarring image of foreign hands: wo Ruhe und italischer Sinn noch in ihrer Reinheit herrschten, und alles noch von fremden Händen nicht von seinem Platze geschüttelt, oder gar weggenommen war [. . .]. (II, pp. 92–3)

These examples show a dual sensibility towards an evaluation of culture based on comparisons across time. On the one hand Arndt clearly brings with him a set of mostly unquestioned hopes and expectations that derive from an idealized picture of an Italian golden age of culture. He then is also confronted with the real political disturbances of the French occupation. In several cases it can be seen how his stereotypes or prejudices are overlaid with an analysis of current political events to create typologies of national character. Much of Arndt’s discussion of other cultures is less nuanced and clearly falls under the label of prejudice. Like many a traveler from northern Germany, Arndt felt free to rail against Catholicism with little regard for a balanced opinion. Typical is his backhanded compliment of Bologna as a republic: “Bologna war doch immer noch eine Art Republik, obgleich der Pfaffengeist auch hier die Erde verdarb [. . .].” (II, p. 19). In some places Arndt can combine stereotypes in a broad condemnation of multiple sources of oppression: Der Karakter des Toskaners ist rechtlicher und freier, als an den meisten Orten Italiens, das Joch der Ausländer und der Pfaffen und Aristokraten hat die Nation nicht so sehr herabgewürdigt [. . .]. (II, p. 272)

Arndt’s liberal concept of self-determination makes a clean sweep of foreign oppression, class rule, and specific forms of religion, but he just as easily slips into casual disparaging remarks which have no discernible higher purpose, such as “er spricht wie ein Jude” (II, p. 37), or he creates odd adjectives such as “zigeunerinnenmäßiger” (II, p. 16) to make comparisons based on stereotypes. However at times Arndt does display an open curiosity and interest in other nationalities, for example, when he strikes up a friendship with a Turkish merchant over the course of a week spent traveling together. His comments are less openly judgmental, even though we see Arndt slip easily into the paternalistic relationship to the exotic here as well. Soon after meeting him Arndt labels him as “mein

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Türke” (II, p. 13) and continues with such phrases as “mit meinem osmannischen Bürger” (II, p. 15) “mit dem wachern Muselmanne” (II, p. 9).As the two travelers part ways, Arndt tries to verbalize and reflect on the basis of their contact across cultures: “Braver Panajo Dora, warum wurdest du, an Sitte und Art mir fremd, mir doch so lieb, und alle die andern gingen kalt und gefühllos vor einander und vor mir vorüber?” (II, p. 42). Arndt seems unable to see the contact as a dialog with another culture, his companion retains his otherness (“an Sitte und Art mir fremd”), leaving Arndt to fall back upon only the warmth of human feelings as the measure of the understanding, indicating the limits in his cultural evaluation of other nationalities. If in this discussion of nationalities Arndt reverts to humanistic common denominators of universal feelings, his categories of class differences and observed traits of the common people often dwell upon specific physical images. In positive descriptions, the aspects of work, activity, and strength are emphasized: “Das Volk ist arbeitsam und thätig” (II, p. 57); “Was Wunder denn, daß man wohlgebaute und gebildete, aber nicht starke Körper erblickt” (II, p. 69); “Die Bologneser sind ein rüstiges und meistens wohlgebautes Volk” (II, p. 36). In the same vein, the negative comments indicate physical shortcomings and unpleasant appearance, such as this description of the farmers between Ferrara and Bologna: “Die armen Bauersleute gingen finster, zerlumpt und gebückt einher, die Weiber meist nackt und fast noch ärmlicher und zigeunerinnenmäßiger” (II, p. 16). It is hardly surprising, even though Arndt himself makes a disingenuous apology, that physical description can easily led to a denial of human characteristics entirely: [. . .] die weidenden Rinder- und Roßheerden erinnerten uns an Menschen, noch mehr aber die Menschen selbst [. . .]. Sie sind stark und rüstig gebaut, meistens braun und mittlerer Statur, breitschultrig und nervig an Waden, aber mit dummen und vom Aberglauben zusammengedruckten und gefalteten Physiognomien, worin eben so viel Ehrlichkeit, als Bestialität liegt. Gott verzeihe mir das Wort; aber so ist es. [. . .] Der Bayer, wie man ihn hier und auf den Dörfern sieht, ist grob, stumm, und dumm. (I, p. 87)

Arndt’s categories of body type comparisons are easily extended to include definitions of masculinity, including courage, and honesty. The descent from the earlier ages of freedom is marked by the contrast between “Kühnheit und Kraft” and “Kastraten und Banditen”: Dieses Blüthenalter Feraras fiel leider in die Zeit der letzten Freiheit Italiens. Unter dem Joch der Spanier und Teutschen hat das genievollste Volk alle Kühnheit und Kraft verloren, und manche kennen es jetzt nur durch Kastraten und Banditen, und richten es nach seinen Arien und Dolchen. O wenn es Eins wäre, welche Rolle könnte es auch jetzt noch spielen? Mit diesen ernsten Gedanken, worin vielleicht der meines zerrissenen und verrathenen Vaterlandes sich mischte, wandelte ich noch ernsthafter unter diesen Denkmälern des letzten italischen Heldenalters. (II, pp. 10 – 11)

In this passage we see the use of the body metaphor extended to the body national. The weak and emasculated bodies of the citizens are seen as a reflection of the disunity and political divisions of the “Vaterland”. The male image of the strong body politic, endangered by loss of strength, is accompanied by the feminine ideal of purity and beauty. During a description of the

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statue of the Medici Venus in the Uffizi museum in Florence, Arndt completely reconfigures his narrative standpoint. When Arndt comes into the museum gallery, he drops his pose of the unknowing traveler: Es ist so viel darüber gesagt, geschrieben und tolles und kluges räsonnirt worden von Winkelmann bis zu dem Spleenischen Smollet, der nichts an ihr zu bewundern fand, als ihren Hintern, daß jeder sich fast schämen muß, jenen Haufen noch zu vermehren. (II, p. 118)

Suddenly Arndt has a full repertoire of travel writers and art historians to challenge and debate, and the chief disturbance is caused by the hint of sexual innuendo. In order to create and defend a space of ideals divorced from the reality of the reporting traveler, Arndt arranges to be privately locked up in the museum room with Venus: “O Venus von Medicis, welche schöne Tage waren das, als ich allein mich von dem Aufseher einschließen ließ, um deine Gottheit anzubeten.” (II, p. 118). After his opening remark on Smollet’s lack of respect, Arndt goes on to develop a diatribe to counter Winckelmann’s descriptive imagery which compared Venus to a rose opening with the dawn sun.8 Arndt considers this not innocent enough for Venus and he wants to insist on the distinction that she should be seen as a bud that has not yet opened, passive and slumbering: Du bist noch nicht die duftende Blume, die glänzt und lockt, du bist die Knospe, die noch nichts von Farben weiß, und still und bewußtlos in ihrem süßen Daseyn versunken schlummert. Du bist das Bild der Jungfräulichkeit und Verschämtheit, die noch in stillen Ahndungen und Gefühlen lebt [. . .]. Deine Verschämtheit ist nicht Schwäche und Schleier der verdorbenen Sitten, sie ist das heilige Bild der Schönheit, die in stiller Vergessenheit ihrer selbst sich allein ausdrücken kann. (II, pp. 118 – 19)

Just with these several examples of emotionally-charged body images, of beast-like farmers, strong males and eunuchs, and obsessive concern with female sexual innocence, it is clear that Arndt’s criteria of cultural evaluation on this topic must be analyzed within a broader discussion of gendered symbolic systems. If Arndt’s visit to the statue of Venus required a private space and a highly abstract construction of literary references, his narrative credibility as “rasender Reporter”, an eyewitness traveler, unfettered by mediated references, begins to suffer. The many expressions of disappointment when arriving in Italy begin to resemble the complex reactions of someone whose world of illusions and abstractions has been challenged by reality. For example, as Arndt approaches Florence he claims he has found the Italy he has been looking for: “Nun erst hatte ich das rechte Italien, und sah das schönste Land zum ersten Mal in seinem eigentlichen Gewande und unter den schönsten Bergen” (II, p. 48). But where does the image originate? He has generated it from classical antiquity:“Ich dachte an Plinius Landhaus [. . .] wie er in einem seiner Briefe es so reitzend schildert [. . .]” (II, p. 48). Arndt’s authenticity is a pose and a conceit and he often has trouble maintaining it. He announces little exceptions: “nun einen kleinen Absprung” (II, p. 30) and he admits that he is writing within the specific reference field of other travel literature, but 8

Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums, 2 vols. Dresden: in der Waltherischen Hof-Buchhandlung 1764, 4. Kap., 2. Stück.

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without admitting specific instances: “Ich habe in mehrern Reisebeschreibungen gräuliche Dinge davon gelesen . . .” (II, p. 46); “Ich habe bei Reisenden und in andern Schriften oft gefunden [. . .].” (II, p. 323); “Ich will hier kein neues und dürres Verzeichnis von Kirchen, Pallästen und öffentlichen Gebäuden machen” (II, p. 22). Arndt’s dissatisfaction with the world he visits is the disappointment of someone whose reference point is based on travel literature and other very specific literary models of a world he can never find. A final reminder of Arndt’s dependence upon and interaction with existing travel literature occurs in the opening pages of volume four when Arndt arrives in Paris. Suddenly Arndt’s prose takes on a very exotic style as he paints a modern tableau of Paris full of movement and chaos. Arndt talks about “mein bewegliches Marionettengaukelspiel” (IV, p. 3) and the “die ungleichen Schwestern,” “Unordnung and Ordnung,” of which “Unordnung” is the dominant force (IV, p. 2).Almost as an aside, Arndt praises a writer named Schulz. This turns out to be the writer Friedrich Schulz (1762 – 1798) who wrote some of the first eyewitness accounts of the French revolution written in German and also wrote a more general guide in 1791, Über Paris und die Pariser.9 In his typical fashion, Arndt makes a comparison to the better world of days past, yet here the past is not Roman antiquity, but the recent past described by Schulz: [. . .] wie Vieles ist seit der Zeit verändert und abgeschafft, als er Paris sah! Damals saß das Haus Bourbon noch auf dem Throne seiner Väter, der alte Adel war noch nicht ganz zerschmettert, das äußere Leben ging noch mehr in dem Gängelbande des Dekorums [. . .]. (IV, pp. 2–3)

Even while in Italy, Arndt had definite opinions about one of the main results of the decline of decorum brought on by the revolution: “[ich kann] aus Erfahrung sagen, [. . .] daß die Weiber, die mit ihrem Leibe ein Gewerbe treiben, durch die Revolution vollends losgelassen sind [. . .]” (II, pp. 401–2). As soon as he arrives in Paris, he wastes no time and quickly starts discussing the topic at length. Beginning on page 20 and continuing for over 40 pages, Arndt seeks to demonstrate the moral results of the revolution: “Großen Einfluß hat die Revolution in Frankreich auf die Sitten der Männer und Weiber gehabt. [. . .] Man rechnet jetzt über 30 000 Mädchen in Paris, die der Franzose Freudenmädchen nennt” (IV, p. 33). Yet even here, at the opposite end of his reverie on the chastity of the Medici Venus, Arndt’s experience is highly mediated through his reading of previous travel accounts. In fact, Arndt’s section under the heading of “Freudenmädchen” with its discussion of the five classes of prostitutes is closely based on the same organization and treatment of the topic by Friedrich Schulz in the “Achtzehnter Brief” in Über Paris und die Pariser.10 9

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For a detailed evaluation of the writings of Schulz on the French revolution, see Gerhard Kosellek: Nachwort. In: Friedrich Schulz: Geschichte der großen Revolution in Frankreich. Frankfurt/M.: Insel 1989. See also Thomas Grosser: Reiseziel Frankreich: Deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Französischen Revolution. Opladen: Westdeutscher Verlag 1989. Schulz: Achtzehnter Brief. In: Über Paris und die Pariser. In: F. S.: Geschichte der großen Revolution in Frankreich (footnote 9), pp. 499 – 522.

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Given the clarity of Arndt’s political writings, which are separated from his travel narrative by only a few years, it is clear from the discussion of categories of culture in the Reisen that his travel experience resulted from relating and contrasting personal opinion and prejudice to a world of literary references and travel narratives. While there are often attempts made to link observations to political rhetoric, there is little of the systematic exploitation or analysis of cultural differences for political purposes that Arndt is concerned with later for the creation of a German national consciousness. In Arndt’s lengthy travel writings we can sense the personal motivations behind his descriptions, and we witness the collection, sometimes direct borrowing, of a wealth of cultural observations, there is not yet a defined political mission nor a well-structured narrative voice for his evaluation of culture.

Paul Michael Lützeler

Der Erste Konsul als Imperator Europae Die Napoleonkritik von 1802 bei Arndt, Seume und Coleridge

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es keinen Politiker, der so viele Stellungnahmen von Schriftstellern provoziert wie Napoleon, denn in keiner Biographie verkreuzen sich so sehr wie in der des Korsen die großen politischen Tendenzen der Zeit wie Absolutismus und Demokratie, Nationalismus und Kontinentalismus.1 1802 war ein Jahr des Scheinfriedens in Europa. Die Verträge mit England und Österreich, die Bonaparte geschlossen hatte, schienen auf eine Saturierung Frankreichs und einen Friedenswillen des Herrschers in Paris hinzudeuten.2 Aber davon konnte keine Rede sein. Napoleon wollte mit den Friedensschlüssen den Rücken frei haben für sein neues Kolonialprojekt in Amerika und mußte Europa eine Verschnaufpause gönnen, wenn er nicht in einen allzu risikoreichen Mehrfrontenkrieg verwickelt werden wollte. Er schickte seinen Schwager, den General Leclerc, mit einem riesigen Heer nach Saint-Domingue, dem späteren Haiti, um die Schwarzen erneut zu versklaven und Toussaint Louverture, ihren politischen Führer, zu entmachten.3 Saint-Domingue – Ende des 18. Jahrhunderts die reichste Kolonie Frankreichs – hatte zur Zeit der Jakobiner einen Autonomiestatus erreicht und sollte jetzt – erneut unterworfen – den Brückenkopf abgeben für die französische Besetzung des Louisiana Territoriums in Nordamerika. Dieses Gebiet – heute macht es die Mitte der USA aus – war Bonaparte in einem Geheimvertrag von Spanien zurückgegeben worden. Nachdem Frankreich das Louisiana Territorium 1763 im French and Indian War verloren hatte, wollte Napoleon dessen westlichen, damals spanisch gewordenen Teil, nun für Frankreich nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch wiedergewinnen. Napoleons Plan einer Besetzung Ägyptens als Voraussetzung der Eroberung Asiens war 1799 am Widerstand der Engländer gescheitert. Das Amerikaprojekt war der zweite Versuch des französischen Herrschers, Großbritannien als Welt- und Kolonialmacht Paroli zu bieten. Nach der Sicherung einer erneut einfluß- und ertragreichen Position auf dem amerikanischen 1

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Paul Michael Lützeler: Napoleon-Legenden von Hölderlin bis Chateaubriand (1798– 1848). In: Geschichte in der Literatur. Studien zu Werken von Lessing bis Hebbel. München: Piper, 1987, S. 264 – 299. Zum Zusammehang der Napoleon-Kritik mit dem EuropaDiskurs der Zeit vgl. Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. München: Piper 1992 und Baden-Baden: Nomos 1999. Jean Tulard: Napoleon oder der Mythos des Retters. Eine Biographie. Berlin: Ullstein 1982; Vincent Cronin: Napoleon – Stratege und Staatsmann. München: Heyne 1983. Paul Michael Lützeler: Napoleons Kolonialtraum und Kleists »Die Verlobung in St. Domingo«.Wiesbaden:Westdeutscher Verlag 2000. Bd. G372 Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften.

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Kontinent plante Napoleon dann als selbsternannter Nachfolger des Carolus Magnus Europa zu erobern. Das Amerikaabenteuer scheiterte am Widerstand der ehemaligen Sklaven auf Saint-Domingue – am ersten Januar 1804 erklärte die Insel ihre Unabhängigkeit von Frankreich. Das sollte Bonaparte aber nicht davon abhalten, Europa mit Krieg zu überziehen: sein letzter Versuch, doch noch eine Weltmachtposition neben und gegen England zu erzwingen. Zu den Schriftstellern, die mit Argusaugen die taktischen Züge Napoleons beobachten, gehören 1802 drei junge Autoren: Ernst Moritz Arndt4 aus dem damals schwedischen Pommern, Johann Gottfried Seume5 aus Deutschland und Samuel Taylor Coleridge6 aus England. Seume besucht während seines Europa-Spaziergangs, der ihn bis nach Syrakus geführt hat, auch Paris, und Coleridge schreibt über die aktuelle französische Politik Beiträge für die Londoner Zeitung The Morning Post. Arndt baut seine Stellungnahme zu Napoleon ein in das Schlußkapitel seines Buches Germanien und Europa, das er 1803 veröffentlicht. Untereinander haben die drei Autoren keinen Kontakt, und sie nehmen – jedenfalls im Jahre 1802 – ihre Analysen gegenseitig nicht wahr. Umso erstaunlicher ist die Gleichgerichtetheit ihrer Kritik. Sicher bewundern die drei Schriftsteller das Herrschertalent Banapartes an sich. Arndt gibt zu: Ich gestehe, es liegt etwas in ihm, was große Menschen immer karakterisirt hat: eine kühne und klassisch gehaltene Weise, zu handeln und zu sprechen, eine gewaltige Naturkraft, welche die Herzen bezwingt, und selbst die Widerstrebenden zum Gehorsam zügelt: kurz, das Talent, zu herrschen, in einem hohen und energischen Karakter. (S. 159)7 4

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Ernst Moritz Arndt: Germanien und Europa. Altona: J. F. Hammerich 1803. Hier wird aus dem Schlusskapitel des Buches zitiert, das aufgenommen wurde in den Band: Europa. Analysen und Visionen der Romantiker, hg. v. Paul Michael Lützeler. Frankfurt/M.: Insel 1982, S. 137–162. Zur Sekundärliteratur vgl. Karl Heinz Schäfer: Ernst Moritz Arndt als politischer Publizist. Bonn: Röhrscheid 1974. Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802, hg. v. Jörg Drews. Frankfurt/M.: Insel 2001. Zur Sekundärliteratur vgl.: Jörg Drews (Hg.): »Wo man aufgehört hat zu handeln, fängt man gewöhnlich an zu schreiben«. Johann Gottfried Seume in seiner Zeit. Bielefeld: Aisthesis 1991; Cäcilia Friedrich: »Ich wollte so gern einmal einen großen Mann rein verehren, das kann ich hier nun wieder nicht.« – Republikverständnis und Napoleonkritik in Seumes Reisebeschreibung »Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802«. In:Thomas Höhle (Hg.): Reiseliteratur im Umfeld der französischen Revolution. Halle: Universität Halle 1987, S. 15–26; Volker Reinhardt: Seume und die späte Entdeckung der Revolution. In: Historische Zeitschrift 252 (1991), S. 319–337; Inge Stephan: Johann Gottfried Seume. Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung. Stuttgart: Metzler 1973. Samuel Taylor Coleridge: Comparison of the Present State of France with that of Rome under Julius and Augustus Caesar. In: The Collected Works of Samuel Taylor Coleridge. Essays on His Times in »The Morning Post« and »The Courier«. Bd. 1, hg. v. David V. Erdman. London: Routledge Kegan Paul 1978, S. 311 – 339. Hier wurde die deutsche Übersetzung von Ursula Fischer zitiert, erschienen in dem Band: Europa. Analysen und Visionen der Romantiker. S. 107 – 136 (Anm. 4) unter dem Titel: Frankreich und das Rom der Cäsaren (1802). Zur Sekundärliteratur vgl.: Rosemary Ashton: The Life of Samuel Taylor Coleridge. Cambridge, MA: Blackwell 1996; Lucy Newlyn (Hg.): The Cambridge Companion to Coleridge. Cambridge: Cambridge University Press 2000. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach Arndt: Germanien und Europa (Anm. 4).

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Nichtsdestoweniger lehnen Arndt, Seume und Coleridge die Politik Napoleons entschieden ab. Sie erkennen frappante Unterschiede zwischen der Napoleonischen Propaganda und dem faktischen Tun der französischen Regierung, zwischen Schein und Sein, Maskierung und Realität, aktuellen Maßnahmen und Postulaten, formulierten Zielen und tatsächlichen Absichten. Die drei Autoren analysieren erstens die neue Regierungsform, zweitens die Innenpolitik und drittens die Außenpolitik Bonapartes.

I. Zur Regierungsform Arndt kommentiert den 18. Brumaire so: »Buonaparte kam im Herbst 1799 und griff rasch zum Werke, warf mit Bayonetten die alte, mit Recht nicht populäre Regierung« und »organisirte sich einen Staat, der von ihm allein abhing.« (S. 139). Die Alleinherrschaft selbst ist es noch nicht, die Arndt stört. Er schreibt an gleicher Stelle: Ich bin überzeugt, die Regierung, d. h. die ausübende Gewalt in Frankreich, mußte mehr konzentrirt seyn; ich hadere also mit Buonaparte nicht mehr, daß er sich kühn und auch ungesetzlich vorangestellt, daß er sich zum Diktator gemacht, daß er das Konsulat auf Lebenszeit endlich erlistet und erzwungen hat.

Dafür gibt Arndt zwei Gründe an: die Unfähigkeit der vorhergehenden Regierung des Direktoriums8 im Speziellen und die allgemeinen Zweifel am Sinn demokratischer »Wahlregimente«, zu denen »die Völker noch lange nicht verständig genug« seien (S. 142). Was aber ist es, was Arndt an Bonapartes Herrschaftsstil stört, wenn er nicht vom Standpunkt der Demokratie und der Republik aus argumentiert? Daß auf die chaotisch-ineffiziente Regierung des Direktoriums die Diktatur folgt, findet er angemessen. Arndt entwickelt – zumindest in Ansätzen – bereits in Germanien und Europa eine Theorie vom »Geist der Zeit«.9 Wahrscheinlich durch Hegel beeinflußt, glaubt er, daß der »Geist der Zeit« den Schutz und die Mehrung menschlicher Freiheit fordere. »Aber was befiehlt unsre Zeit?« will Arndt wissen. Was ist der »Geist dieser Zeit«? fragt er, und die Antwort lautet: die Erreichung »eines edleren und freieren Menschenlebens« (S. 141). Wer dort »Schranken« errichte, »wo schon jetzt Freiheit leben kann«, wird als »großer Sünder an seiner Zeit« hingestellt. Bonapartes »jetzige Regierung [. . .] unterdrückt« jene Freiheit, für die »Andere mit Aufopferung so vieles Menschenblutes« gekämpft hätten (S. 142). Das Gebot der Stunde in Frankreich sei, die durch die Revolution erreichten Freiheiten zu schützen und auszubauen. Napoleon aber habe keinen »Begriff von dem, was sein Zeitalter von einem Regenten verlangt« (S. 143). Arndt erkennt noch nicht den Selbstwiderspruch zwischen Diktatur und politischer Freiheit. In der Diktatur, so meint er, könne durchaus bürgerliche Libertät geschützt werden, 8 9

Martyn Lyons: France Under the Directory. Cambridge: Cambridge University Press 1975. Vgl. dazu Ernst Moritz Arndts spätere, sehr viel nationalistischere Schrift Geist der Zeit (1806–1818).

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könne das, was er mit dem »Geist der Zeit« als historisch objektiv Gefordertes umschreibt, durchgesetzt werden. Arndt unterscheidet zwischen Diktatur und Despotie. Despot ist für ihn jener Diktator, der nicht am objektiven Allgemeinwohl des Staates interessiert ist, sondern eine durch subjektive Interessen geleitete Willkürherrschaft etabliert. Letzteres ist, so meint Arndt, beim Ersten Konsul Bonaparte der Fall. »Jetzt liegt alles Alte geworfen«, so beginnt er seine Anklage, »und auf diesen Trümmern steht eine Despotie, so eigenmächtig, als wenige in Europa sind [. . .]«. »Das Volk muß sich wieder an blinden Gehorsam gewöhnen«, stellt er fest; die »Opponenten werden von allen Stellen entfernt« und »jedes freie Wort ist ein Verbrechen« (S. 143). Statt aufgeklärter Öffentlichkeit herrsche »die Dunkelheit politischer Geheimnisse«. Wo aber »alles Geheimniß wird«, beobachtet Arndt, »da ist selten der Despotismus weit«. Als Diktator müsse Napoleon »offen« sagen, »warum er so regiere«, müsse »einen festen Punkt zeigen, worauf sich alles in den Gesetzen und der Verwaltung beziehen ließe« (S. 144). Dieser »Punkt« betrifft die Freiheit des einzelnen und das Interesse der nationalen Gesamtheit. Diesen »Punkt« aber, hält Arndt fest, will Bonaparte nicht benennen. Stattdessen streue er als »frischer Begründer des Despotismus« (S. 160f.) den »Dummen nur Sand in die Augen« (S. 160). Napoleon habe weder »eine Idee von dem Geist und Bedürfnisse seiner Zeit«, noch vom »Sinn der Nation«, noch »von der wahren Größe eines Regenten« (S. 155).Weil er für die »Grundstützen des Bürgerglückes«, nämlich »Ruhe und Festigkeit« nichts gebe, weil er stattdessen sein Volk »in den tollen Wirbel der Ruhmsucht« reiße, sei er »ein großer Sünder gegen sein Zeitalter« (S. 160). »Welche Eitelkeit«, fügt Arndt noch hinzu, »zu meinen, an seiner Parze hange Frankreich!«. »Eben darum« werde »Frankreich nie groß durch ihn werden« (S. 162). Vergleichbar scharf, wenn auch anders akzentuiert, fällt die Kritik an der von Bonaparte gewählten Regierungsform bei Seume und Coleridge aus. Nach Seume ist der »Großkonsul« Napoleon »absoluter und despotischer als irgendein König in Frankreich war« (S. 356),10 ein Herrscher, der »nichts mehr im Sinne eines Republikaners« unternehme (S. 357). Ähnlich wie Arndt kann Seume den Sturz am Regime des Direktoriums nachvollziehen. Dazu heißt es: »Ich tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgendeinem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können«. Auch hat er wie Arndt keine grundsätzlichen Einwände gegen die Etablierung der Diktatur in dieser bestimmten historischen Situation. »Ich tadle ihn nicht«, fährt Seume fort, »daß er so viel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staates für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen.« Wie Arndt unterscheidet auch Seume zwischen Staats- und Privatinteresse des Herrschers. »Aber nun fängt der Punkt an«, heißt es weiter, »wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er durchaus nichts mehr für die Republik getan, sondern alles für sich selbst [. . .]. Jeder Schritt, den er tat, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts 10

Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (Anm. 5).

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für ihn, und für die Republik rückwärts.« (S. 357) Die »Republik« sei »zertrümmert« und der »volle Despotismus« etabliert worden. Diktatorisches Regieren kann Seume aber nur in einer Krisensituation akzeptieren. Nach Überwindung der Staatskrise müßten wieder Kontrollmechanismen greifen, die das Überleben einer Republik garantierten. Während Arndt glaubt, daß Napoleon als Diktator und Konsul auf Lebenszeit theoretisch Repräsentant und Verteidiger bürgerlicher Freiheiten sein könnte, stellt Seume fest, daß »in einer Republik« kein Staatsamt »lebenslänglich« vergeben werden dürfe, und, falls es doch geschehe, damit »der Weg zur Despotie« beschritten werde (S. 358). Ein »Diktator« auf Lebenszeit müsse notwendigerweise zum Despoten werden (S. 367). Napoleons Regierungsform provoziere dazu, die Notwendigkeit einer republikanischen Verfassung als Garant bürgerlicher Freiheit in Erinnerung zu rufen. »Seitdem Bonaparte die Freiheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht«, fährt Seume fort, »ist mirs, als ob ich erst Republikaner geworden wäre.« Er ist überzeugt, daß am ehesten in einer »Republik« Werte wie »Menschenwürde«, »Gerechtigkeit« und »allgemeine Glückseligkeit« (S. 359) geschützt werden könnten. In seiner 1851/52 entstandenen Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon11 hat Karl Marx plastisch geschildert, wie in geschichtlichen Umbruchs- und Krisenzeiten revolutionäre Bewegungen sich zur Legitimierung historisch kostümieren. Man beschwöre »die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienst herauf«, entlehne »Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszenen aufzuführen«. Unter den Beispielen, die er nennt, ist auch »die Revolution von 1789–1814«, die sich »abwechselnd als römische Republik und als römisches Kaisertum« (S. 115) drapiert habe.Auch »Napoleon«, fährt er fort, habe »in dem römischen Kostüme und mit römischen Phrasen die Aufgaben« seiner »Zeit« vollbracht, nämlich die »Herstellung der modernen bürgerlichen Gesellschaft« (S. 116). Genau fünfzig Jahre zuvor haben Seume und Coleridge bereits das römische Kostüm Napoleons als Maskierung durchschaut, und sie sind durchaus nicht der Meinung, daß der Erste Konsul mit Hilfe römisch-imperialer Regierungsformen die »bürgerliche« Gesellschaft stärken wolle. Arndt geht in seiner Kritik an Napoleon auf die römischen Vorbilder des Korsen nicht ein. Anders Seume. Er findet die Imitation der römischen Imperatoren durch Napoleon höchst bedenklich. »Nun wird er unter den Augusten [. . .] glänzen«, schreibt er (S. 363).12 Den Kaiser Augustus charakterisiert Seume in einem Gedicht des Spaziergangs als Tyrannen: »Es mache sich Oktavian,/ Das Muster schleichender Tyrannen,/ Die je für Sklaverei auf schöne Namen sannen,/ Mit Schlangenlist den Erdball untertan« (S. 129). Kein Wunder, daß er den Augustus-Nachahmer Bonaparte als »bösen Geist« fürchtet und keineswegs als

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Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1852). In: Karl Marx – Friedrich Engels – Werke. Bd. 8. Berlin: Dietz 1972, S. 115 – 207. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (Anm. 5).

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»großen Mann« verehrt (S. 363). Napoleon habe »mit dem eisernsten Zwange« die »militärische Regierung« eingeführt und alles zerstört, »was zur Grundlage einer vernünftigen Freiheit und Gerechtigkeit dienen« könne (S. 376). Seume sieht voraus, daß der Erste Konsul sich bald den Kaisertitel zulegen wird. In der Öffentlichkeit nenne man ihn schmeichlerisch bereits den »empereur des Gaules« (S. 364). Im Unterschied zu Arndt und stärker noch als Seume baut Coleridge seine Kritik an Napoleons Regierungsform auf der Parallele zwischen der Konsularsverfassung und dem politischen System der römischen Cäsaren auf.13 Was Coleridge bloßstellen möchte, ist der Anspruch Napoleons, die Staatsform der römischen Republik erneuert zu haben, also an Traditionen anzuknüpfen, mit denen auch die französischen Revolutionäre ihren Kampf gegen das ›Ancien Régime‹ hatten legitimieren wollen. Coleridge spottet über den »Eifer der französischen Regierung, ihr Land als eine neue römische Republik darzustellen« (S. 109).14 Ein Kenner des gegenwärtigen Frankreichs und der römischen Geschichte, stellt der englische Autor die Unterschiede und Ähnlichkeiten heraus. Dazu heißt es: Wenn wir fragen, welcher Periode der römischen Geschichte die derzeitige Geschichte Frankreichs gleicht, wird die Antwort für die neue römische Republik ungünstig ausfallen, doch sie ist deshalb nicht minder richtig. Wenn sie überhaupt irgendeiner Epoche gleicht, muß es diejenige sein, in der Rom aufhörte, eine Republik zu sein und die Regierung sich in eine maskierte Militärdiktatur (eine Diktatur mit einer schreckenerregenden Halbmaske auf dem Gesicht) verwandelte. (S. 110)

Diese Übergangszeit unter Julius Cäsar aber sei gekennzeichnet durch den »Beginn der allgemeinen Versklavung«. »Die heutige französische Verfassung«, hält Coleridge fest, gleiche »derjenigen des römischen Reiches unter den Cäsaren aufs Haar« (S. 114). Wie Seume stellt Coleridge fest, daß »Frankreichs Republik« faktisch bereits »in ein Kaiserreich umgewandelt« worden sei. Im Gegensatz zu Arndt und entschiedener als Seume negiert Coleridge den Unterschied zwischen Diktatur und Despotie. Das dürfte mit der älteren demokratischen Erfahrung in England zu tun haben, in die auch die Überwindung der Cromwellschen Diktatur einging. Der Übergang von der Republik in die Diktatur sei in Frankreich, schreibt Coleridge, rascher vor sich gegangen als achtzehnhundert Jahre zuvor in Rom. »Die Regierung der ersten drei Cäsaren« – also von Cäsar,Augustus und Tiberius – stellt er fest, »drängte sich in den ersten drei Regierungsjahren Bonapartes zusammen« (S. 113). Der Machtmechanismus – ein Gegeneinanderausspielen von Zivilistischem und Militärischem – funktioniere bei Napoleon genauso wie bei den römischen Cäsaren: »Beide Male«, fährt Coleridge in seiner Analyse fort, liege »alle wirkliche Macht« in der »Hand des Staatsgenerals«, und »beide Male« werde einerseits »das Militär nach Möglichkeit durch das Phantom einer zivilen Regie-

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Zur Geschichte der römischen Cäsaren vgl. Wolfgang Haase, Hildegard Temporini (Hg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Berlin, New York: de Gruyter 1972ff. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Coleridge: Comparison of the Present State of France with that of Rome under Julius and Augustus Caesar (Anm. 6).

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rung in schicklichem Abstand gehalten, während alle Macht dieser Regierung« andererseits durch »die Furcht vor dem Militär gelähmt« sei (S. 114). Ohne Zweifel handle es sich bei Napoleons Regime um eine »cäsaristische Diktatur« (S. 128), die mit der römischen Republik, deren Titel und institutionellen Begriffe sie für sich beanspruche, nichts zu tun habe. Wie Arndt und Seume spricht Coleridge von der »totalen Auslöschung der Freiheit des Volkes« in »Frankreich« (S. 132) unter der Herrschaft des Ersten Konsuls.

II. Zur Innenpolitik Im Zentrum der Kritik der drei Autoren steht, was die Innenpolitik des Ersten Konsuls angeht, das neue Arrangement mit der Katholischen Kirche, die Refeudalisierung des Staates und die Verwandlung Frankreichs in einen Polizeistaat unter dem Minister Joseph Fouché.15 An sich war auch für Arndt die Aussöhnung mit der Katholischen Kirche nach ihrer Verfolgung durch die Jakobiner eine Forderung des Tages. Zudem habe Bonaparte dadurch die Vendée, die royalistische Opposition, entscheidend schwächen können (S. 140).16 Aber wieder ist es die extreme Lösung, die Arndt stört. Durch die »Unterhandlungen« (S. 147) mit »der Hierarchie« (S. 146) der Kirche, d. h. durch den Abschluß des Konkordats mit Rom im Jahre 1802, sei »die katholische Religion« faktisch wieder zur »herrschenden« Konfession in Frankreich geworden, zum »alten gefährlichen Staat im Staate« (S. 147). Arndts Kommentar dazu: Buonaparte hätte sicher jetzt die Mittelstraße halten können, welche für die Zeit die beßte gewesen wäre. Er hätte erklären müssen, was man im Anfange der Revolution menschlich und verständig erklärt hatte, die Religion und die öffentliche Ausübung derselben sey dem Staate in jedem seiner Bürger ein heiliges und unverletzliches Ding, und die Priester und Diener derselben seien ihm ehrwürdige Personen. (S. 145f.)

Statt diese tolerant-distanzierte Position zu beziehen, wolle Napoleon die katholische Religion wieder wie in vorrevolutionärer Zeit in den Staat »hineinziehen und hineinflechten« (S. 146). Seume steht, wenn es um die römische Kirche geht, nicht über den Dingen wie Arndt. Er ist als Protestant und Vertreter der Aufklärung entschiedener Kritiker des Katholizismus und seiner Institutionen. Sein Reisebericht enthält sarkastische Bemerkungen über klerikale Korruption in Italien. Er spottet über »Bonapartes Bekehrung« und ihre Konsequenzen in Rom. Dort sei es dank »der Frömmelei« und des »Mamelukengeistes des großen französischen Bannherrn« wieder zu einem »Überfluß an Kirchen, Mönchen, Banditen« (S. 285)17 gekommen. »Die Mönche glänzen von Fett«, heißt es weiter, »und segnen ihren

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Jean Tulard: Joseph Fouché. Paris: Fayard 1998. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach Arndt: Germanien und Europa (Anm. 4). Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (Anm. 5).

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Heiland Bonaparte« (S. 339). Rom sei ja »oft die Kloake der Menschheit gewesen«, schimpft Seume wie dereinst Luther, »aber vielleicht nie mehr als jetzt« (S. 289). Die Situation in Frankreich schätzt Seume wie Arndt ein. Weil »die Katholizität in Frankreich noch vielen Anhang« habe, sei aus opportunistischen Gründen »das Konkordat« abgeschlossen und der »Katholizismus zur Staatsreligion« erhoben worden (S. 362). Coleridge geht auf das Thema Kirche und Staat nicht ein. Wahrscheinlich geschieht das in Rücksicht auf die britischen Leser. Man konnte diesen Aspekt der Regierung Napoleons schlecht bloßstellen, wenn es im eigenen Land eine durch die High Church repräsentierte Staatsreligion gab. Sowohl Arndt wie Seume kritisieren die Etablierung der Ehrenlegion als antibürgerlichen Akt der Refeudalisierung des Landes. Arndt bezeichnet die Mitglieder von Napoleons Ehrenlegion als »Lehnsleute«18 und Seume stellt fest: »Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnssystems«.19 »Privilegien aller Art«, so fügt er hinzu, »sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit«. Die Schaffung der Ehrenlegion sei ein weiterer Beweis für das Ende der Republik. Denn, so erläutert Seume: »Wo nicht der Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlands verwalten kann, ist es Unsinn von einer vernünftigen Republik zu sprechen«.20 Auch zu diesem Thema schwieg Coleridge sich aus:Als Mitglied eines Staatssystems mit abgestuften Rechten der Aristokratie und einer Klassengesellschaft lag ihm der radikale Republikanismus eines Seume fern. Arndt geht besonders scharf ins Gericht mit dem Ersten Konsul, wenn es um die Einschränkung der bürgerlichen Libertät, der Pressefreiheit und der Menschenrechte geht. Die Bespitzelung des Bürgers durch die Polizei ist ihm ein weiteres Indiz des neuen Despotismus. Er führt Beschwerde über eine »Polizei, die ihre Spinnfäden eben so verderblich um die Freiheit des Einzelnen spinnt, als zuvor 1789« (S. 153f).21 Arndt fragt: »Was ist diese geheime Polizei? was sind die Cromwellschen Sicherheitsanstalten, die Menge von Trabanten und Wächtern, als das Verderben des Geistes der Nation?« (S. 162) Was die bürgerlichen Freiheiten betreffe, so gehe alles seinen Krebsgang. »Die Preßfreiheit«, stellt Arndt fest, »ist aufs engste eingeschränkt, und es giebt für die Kühnen Kerker genug, – nur unter andern Namen, als die alten« (S. 143). Die Reaktion sei im Vormarsch auch auf dem Gebiet der Menschenrechte, die während der Revolution proklamiert worden seien. Dazu schreibt er: »So etwas von allgemeinen Menschen- und Staatsrechten, wie man im ersten Enthusiasmus der Revolution geträumt hatte, konnte man unter dieser Regierung nicht gebrauchen. Alles sollte, so viel möglich, in das alte Gleis geleitet werden« (S. 148). Auch in Sachen Bürgerrechte gäbe es keine

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Arndt: Germanien und Europa (Anm. 4). S. 154. Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (Anm. 5), S. 361. Ebd. S. 359. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach Arndt: Germanien und Europa (Anm. 4).

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Egalität mehr. Arndt konstatiert den um sich greifenden Rassismus unter Napoleon, wenn er feststellt: Wie war dies selbst in dem elenden Jahr 1799 noch schön in Frankreich! Man dachte an keinen Aristokratismus der Farbe mehr, und unsre schwarzen und olivenfarbigen Brüder waren auf gleichem Fuß allenthalben unter den Weißen, im Spiel, wie im Ernst. Ein Dekret hat diesen Sommer alle Negern und Mulatten aus Frankreich getrieben. (S. 159)

Er fügt hinzu: »Welche Grundsätze hat diese Regierung wieder aufzustellen gewagt über die Negern und farbigen Menschen! Davor erschrickt man doch wie vor scheußlichen Gespenstern« (S. 158f.). Allerdings gibt Arndt in der Folge diese kosmopolitische Einstellung selbst preis, denn im Geist der Zeit finden sich rassistischantijüdische Äußerungen, und in seinen propagandistischen Haßschriften wimmelt es später von rassistischen Thesen und geradezu wahnhaften Tiraden gegen die Franzosen. Aus dem Rückblick betrachtet, schneidet Bonaparte als Gesetzgeber nicht so schlecht ab, als es Arndt 1802 scheinen mochte. Zwei Jahre später, 1804, setzte Napoleon in Frankreich (und wenige Jahre danach auch in seinem erweiterten Machtbereich) den Code Civil durch, der von der Freiheit der Person und dem gleichen Recht des einzelnen vor dem Gesetz ausgeht und damit eine der großen Errungenschaften der bürgerlichen Moderne darstellt. Anders als Arndt geht Seume in seiner Kritik am Ersten Konsul nicht im einzelnen auf das Polizeiwesen Napoleons ein. Coleridge jedoch überbietet noch die Kritik von Arndt. »Ein Spion oder auch zwei in jedem Lokal und Kaffeehaus« gehöre zum Bild des Alltags unter dem »Autokraten« in Paris. Coleridge wundert nicht, daß Napoleon die Pressefreiheit aufgehoben habe, denn als »Feind der Freiheit seines Landes« habe er allen »Grund, sie zu fürchten«. »Die Presse« nämlich sei »die einzige ›Höllenmaschine‹, die einen modernen Despoten wirklich schreckt« (S. 126).22 Mit seinem Polizeistaatswesen unterscheide sich übrigens das Konsulat Napoleons von der Herrschaftspraxis des Augustus. Der englische Romantiker hat eine höhere Meinung von der Diktatur des Cäsar Augustus als Seume. »Spione wurden rigoros ferngehalten«, merkt Coleridge an, »und die äußerste Freiheit des geschriebenen und gesprochenen Wortes« sei unter Octavian »gefahrlos praktiziert« worden (S. 132). Nicht mit dem Augusteischen Zeitalter, sondern mit der Regierungspraxis des Tiberius müsse man die Verhältnisse in Frankreich unter dem Ersten Konsul vergleichen: »Soldaten auf jeder Straße, Spione unter jedem Fenster, politische Fragen nur mit einem Blick des Erschreckens und Mißtrauens beantwortet und Totenstille in jeder Versammlung bei allen Themen von öffentlichem Interesse«: Das sei »ein Bild Roms unter Tiberius«, und es gleiche »dem derzeitigen Zustand von Paris« (S. 133). Unter Augustus habe die »große Mehrheit des römischen Volkes« geglaubt, ihr Imperium »sei eine freie Republik« (S. 132). Hätte das »kaiserliche Regime« in Rom mit der »Diktatur« des »Tiberius begonnen«, wäre es »in der Wiege erstickt worden« (S. 133). 22

Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Coleridge: Comparison of the Present State of France with that of Rome under Julius and Augustus Caesar (Anm. 6).

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III. Zur Außenpolitik Die Auseinandersetzung mit Napoleons Außenpolitik steht im Zeichen der Kritik des Militarismus und der Eroberungssucht. Arndt beschreibt, wie Napoleon sich bewußt scheue, Fragen der bürgerlichen Freiheiten zu diskutieren, wie er sie verdränge durch eine auf »Glanz und Schimmer« (S. 144)23 eingestellte Propaganda. »Die Erklärungen und Proklamationen der Regierung in den letzten beiden Jahren«, stellt er fest, »sprechen nicht mehr von Bürgerlichkeit und Freiheit, als den ersten Gütern des Volks, sondern vom Ruhm, von der Ehre, von der Furchtbarkeit des französischen Namens; elenden Idolen, wodurch die Eroberer die Völker unglücklich gemacht haben« (S. 153). Phrasen würden gedroschen, womit »die unseligsten Völkerverderber, ihre Unterthanen« schon immer »getäuscht« hätten. Geworben nämlich werde »für die Größe der ersten Nation, für den Ruhm des französischen Namens, für die Tapferkeit und Unbezwinglichkeit ihrer Braven« (S. 144, Hervorhebung im Original). Diese Propaganda stehe im Dienst geplanter Kriege zur Eroberung von Kolonien und von Europa. Der neue französische Staatsetat des Jahres 1802 weise aus, daß das Land »nicht weniger als 600 000 Soldaten« (S. 153) finanziere. Napoleon bedeute aber nicht nur eine Friedensgefahr für Europa und die Welt allgemein, sondern vor allem für sein eigenes Land. Sich nämlich »mit dem halben Europa schlagen zu müssen« und »weiter ausgedehnte Eroberungen zu machen« (Arndt erwähnt das Ägypten-Desaster und spielt auf den Versuch der Rückeroberung von Saint-Domingue an) werde die »Staatskräfte« über ihr Vermögen »anstrengen« (S. 152). »Die 600 000 Mann, die der erste Consul hält« sind nach Arndt sowohl ein Zeichen seiner Eroberungsgelüste wie seines »schrecklichen politischen Unverstands« (S. 155). Mit dem »Unverstand« bezieht Arndt sich auf die von Napoleon nicht akzeptierte Doktrin vom europäischen Gleichgewicht, eine Lehre, die seit Jahrhunderten – und besonders seit 1648 – an den europäischen Höfen als Friedensregel allgemein akzeptiert wurde.24 Die Eroberungen, die Napoleon bereits in Italien und Deutschland gemacht hat, haben nach Arndt zu einem »Uebergewicht« Frankreichs auf dem Kontinent geführt und daher das »Gleichgewicht« in Europa gestört (S. 151). Auch Seume kommt auf die kolonialen Abenteuer in Ägypten (S. 357)25 und Saint-Domingue (S. 323) zu sprechen, und was die europäischen Eroberungen des ersten Konsuls betrifft, berichtet er ausführlicher als Arndt. Schließlich reist Seume im Jahr 1802 durch Deutschland, die Schweiz und Italien, durch Länder, die seit den ersten Feldzügen Bonapartes gespürt haben, was es bedeutet, ganz oder partiell unter den Einfluß Frankreichs zu geraten oder sogar Teil der sogenannten Republik des Korsen zu werden. Von der Besetzung der

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Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach Arndt: Germanien und Europa (Anm. 4). Arno Strohmeyer: Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit an den europäischen Höfen. Wien u. a.: Böhlau 1994. Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (Anm. 5).

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Schweiz durch französisches Militär hat Seume nichts Gutes zu vermelden (S. 343). Wenn er sich diese »französischen Soldaten« anschaut, kann er sie sich nur schlecht als »die Sieger von Europa vorstellen« (S. 356). Das geht Coleridge nicht anders. Wie Seume (S. 292) erinnert der englische Schriftsteller an den Kunstraub Napoleons in Italien, der einen Vorgeschmack von der künftigen Ausbeutung des Kontinents gebe. »Die schönsten Stätten Europas« seien durch die französischen Heere »geplündert worden, um Paris in ein neues Rom, eine Metropole der zivilisierten Welt, der einen großen Europäischen Nation zu verwandeln«. »Rom verbreitete wahrlich Zivilisation«, hält Coleridge fest, Frankreich jedoch könne »solches nicht beanspruchen« (S. 119);26 es betrachte die unterjochten europäischen Völker als Objekte der Ausbeutung. Der englische Autor zögert »nicht vorauszusagen, daß Frankreich seinen ehrgeizigen Traum universaler Herrschaft unmöglich verwirklichen« könne (S. 136). Er ist wie Arndt überzeugt, daß Frankreich seine Kräfte überschätze, und daß es als »neues römisches Reich« nur »von kurzer Dauer« (S. 130) sein werde. Wie spätere Diktatoren, die von Napoleon lernten, führt der Erste Konsul das Wort »Friede« ständig im Munde, wenn er Krieg meint. Über den »großen Friedensbringer Frankreich«, das Europa seinen »ewigen Frieden« (S. 135) bescheren wolle, kann Coleridge nur spotten – wie Arndt über Bonaparte als »den Beglücker und Wiederhersteller Europens« (S. 141). Solange »in Europa vier solche Mächte existieren wie Rußland, Preußen, Österreich und Großbritannien« (S. 135), ist es Coleridge um die Wiederherstellung des Gleichgewichts in Europa nicht bange. Der englische Autor nennt die vier Staaten, die sich ein Jahrzehnt später zusammentun werden, um Frankreich in jene Schranken zu verweisen, die die Lehre von der balance of power vorschreibt. Vor allem »Großbritannien«, so ermahnt Coleridge seine Leser, müsse »immer wachsam und ständig auf Posten« sein (S. 118). Zu einem französischen »Département Themse« (S. 129) werde Großbritannien jedenfalls nicht mutieren. Wie sein Land nur drei Jahre zuvor die »ägyptische Flotte« Bonapartes »in die Luft gesprengt« habe (S. 116), so werde es auch in Zukunft die Eroberungspläne des Korsen durchkreuzen. Und auch im kulturellen Bereich werde England mit dazu beitragen, den Einfluß Frankreichs zurückzudrängen. Napoleon versuche, das Französische dem Kontinent »als allgemeine Staatssprache [. . .] aufzuzwingen« (S. 109), doch werde er mit dieser Sprachpolitik keinen Erfolg haben. Vor allem sei praktizierte politische Freiheit das beste Mittel gegen die französische Despotie. »Ein Glück wird es sein für Europa« hält Coleridge am Schluß fest, »wenn seine Regenten endlich feststellen, daß eine Nation um so weniger erobert werden kann, je freier sie ist«. Und er fügt hinzu: »Es gibt vieles, das uns aufschrecken muß, aber nichts, das uns erschrecken kann.« (S. 136). Im Jahr 1802 zählten die drei Autoren Arndt, Seume und Coleridge eigentlich alle Argumente auf, die man gegen die Politik Bonapartes als Erstem Konsul 26

Hier und weiter, soweit nicht anders angegeben, zitiert nach: Coleridge: Comparison of the Present State of France with that of Rome under Julius and Augustus Caesar (Anm. 6).

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zusammentragen konnte: Despotismus, zu enge Beziehung zum Katholizismus, Reaktion auf dem Gebiet des Rechts, Militarisierung, Expansionsstreben und die geplante Unterwerfung Europas. Eine hellsichtigere Analyse hätte man sich damals kaum wünschen können. Die historische Gerechtigkeit verlangt allerdings, daß Napoleons europäische Verdienste in den folgenden zehn Jahren seiner Regierung erwähnt werden. Da ist der bereits erwähnte Code Civil zu nennen, der auch unter der Bezeichnung Code Napoleon bekannt ist, da ist der moderne Verwaltungsapparat und das neuartige Verkehrsnetz in Erinnerung zu rufen, die Unterstützung des Besitzbürgertums (Karl Marx sah das als Nachgeborener klarer als die drei Autoren), die Emanzipation der Juden und die Förderung einer laizistischen Kultur. Zudem wurden die Schulen und Universitäten entscheidend verbessert, was zu einem Aufschwung der Naturwissenschaften führte, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nirgendwo auf der Welt so florierten wie in Paris. All das war jedoch während der beiden ersten Jahre von Napoleons Konsularherrschaft noch nicht abzusehen. Zudem blieben Despotie, Polizeistaat und Militarismus die dunklen Seiten des Bonapartismus, und insofern sind die hier vorgestellten Arbeiten von Arndt, Seume und Coleridge nach wie vor bedenkenswerte und hellsichtige literarisch-politische Zeugnisse aus dem Jahre 1802.

IV. Deutsch-amerikanische Beziehungen

Lorie A. Vanchena

The Americanization of Ernst Moritz Arndt’s Political Poetry in the Nineteenth Century

Written in 1813 as a response to the Wars of Liberation, Ernst Moritz Arndt’s “Des Deutschen Vaterland” enjoyed an afterlife that few nineteenth-century patriotic poems could rival.1 This literary phenomenon resulted in large part from the poem’s focus on two central and recurrent issues in the German political landscape of the 1800s – unification and hostilities with the French. Arndt begins his poem by suggesting a catalog of states and geographical regions as possible answers to the question posed in the first line, “Was ist des Teutschen Vaterland?”: “Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? / Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? / Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht?”2 Repeatedly insisting that “Sein Vaterland muss größer seyn,” the poet reveals his ultimate answer in the seventh stanza: “So weit die deutsche Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt, / Das soll es seyn! / Das, wackrer Teutscher, nenne dein!” Arndt envisions a Germany that exists not only wherever German is spoken or sung, but also, as he states in the ninth stanza, “Wo Zorn vertilgt den welschen Tand, / Wo jeder Franzmann heißet Feind, / Wo jeder Teutsche heißet Freund.” Arndt himself recognized that his poem’s visceral antiFrench rhetoric and call for a unified Germany helped explain its staying power. In a passage about a volunteer cavalry regiment in East Prussia preparing to fight against the French in 1813, he wrote: Hier sprang jetzt aus dieser allgemeinen Begeisterung, die mit dem ganzen Volke in den Kampf gehen wollte, auch mein sogenanntes Deutsches Vaterlandslied hervor, das im lieben Deutschland noch in späteren Jahren gesungen ist und endlich wohl mit andern Tagesliedern zu seiner Zeit auch verklingen wird. Möchten wir in dem Augenblicke, worin wir eben leben, seinen Wünschen doch näher sein, als wir sind!3

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For an overview of the French occupation of the German states and the Wars of Liberation, see David Blackbourn: The Long Nineteenth Century: A History of Germany, 1780– 1918. New York: Oxford University Press 1998, pp. 59 – 70, pp. 87–90; also Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800 – 1866: Bürgerwelt und starker Staat, 4th ed. München: C. H. Beck 1987, pp. 11 – 101, in particular pp. 82 – 89. Ernst Moritz Arndt: Katechismus für den Teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehret wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streiten gehen soll. Köln: H. Rommerskirchen 1815. For the complete poem text and a history and analysis of the poem, see Sigrid Nieberle’s essay “‘Und Gott im Himmel Lieder singt’: Zur prekären Rezeption von Ernst Moritz Arndts ‘Des Deutschen Vaterland’” in this volume. Ernst Moritz Arndt: Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein, edited by Robert Geerds. In: Ernst Moritz Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden, edited by Heinrich Meisner and Robert Geerds. Leipzig: Max Hesse 1908, vol. 8, p. 105.

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“Des Deutschen Vaterland,” which appeared in German anthologies, the periodic press, and as sheet music or pamphlets, became a national anthem for large, organized groups of liberal, nationally-minded gymnasts, fraternity members, and singers for nearly four decades. They performed Arndt’s song at their meetings and festivals, which served as important forums for political discussion prior to the Revolution of 1848 and thus enabled “Des Deutschen Vaterland” to play a role in the emergence of a German national consciousness in the first half of the nineteenth century.4 Not surprisingly, the poem resurged in popularity throughout the German states during the Franco-Prussian War of 1870 – 71, when a victory over the French enemy ensured the establishment of a German nation state.5 The afterlife of “Des Deutschen Vaterland,” like that of many nineteenth-century patriotic poems, was also guaranteed by subsequent German poets who borrowed and imitated Arndt’s verses,adapting his emotive language and imagery to comment on other historically significant moments.6 “Ein anderes ‘Was ist des Deutschen Vaterland’” (1848), for example, ridicules German unification as a fiction:“Was ist des Deutschen Vaterland? / Wo man das Mährchen frech erfand: / Ein Acht–und–dreißiger–Verein / Könnt’ einig, groß und mächtig sein?”7 The title of “Ein altes Lied” (1849) reveals a double meaning;while it alludes to Arndt’s thirty-six-year-old poem, it also admonishes naïve Germans for allowing reactionary powers to regain a foothold after the failed Revolution of 1848: “Das ist des Deutschen Vaterland! / Jetzt, Deutsche, kennt Ihr Eure Schand! / So weit die deutsche Zunge lügt, / Betrog’nes Volk sich selbst betrügt.”8 In contrast,Ferdinand Freiligrath quotes Arndt in the fifth stanza of “Hurrah, Germania!” (1870) to express his elation over the imminent unification of Germany: “Was ist des Deutschen Vaterland, – / Wir fragen’s heut nicht mehr! / Ein Geist, Ein Arm, Ein einz’ger Leib, / Ein Wille sind wir heut!” 9 The nineteenth century witnessed German mass migration to the United States, suggesting that “Des Deutschen Vaterland” may have experienced an afterlife in

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Dieter Düding: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808– 1847): Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung. München: R. Oldenbourg 1984, p. 271. For a historical account of the Franco-Prussian War, see Blackbourn: The Long Nineteenth Century: A History of Germany, 1780 – 1918 (footnote 1), pp. 243–59; Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866 – 1918, 3rd ed. Vol. 2, Machtstaat vor der Demokratie. München: C. H. Beck 1995, pp. 11 – 84. Other German patriotic poems that resurfaced in this manner include Nikolaus Becker’s “Der deutsche Rhein” (1840), Max Schneckenburger’s “Die Wacht am Rhein” (1840, see footnote 26 below), August Heinrich Hoffmann von Fallersleben’s “Das Lied der Deutschen” (1841), and Matthäus Chemnitz’s “An Schleswig-Holstein” (1844). See Lorie A. Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in Nineteenth-Century Germany. (North American Studies in 19th-Century German Literature 26) New York: Peter Lang 2000. The accompanying CD-ROM presents an anthology of 950 political poems and several searchable indices. Vanchena, CD-ROM, poem 287 (footnote 6). Vanchena, CD-ROM, poem 458 (footnote 6). Vanchena, CD-ROM, poem 856 (footnote 6).

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the New World, too.As we shall see, German immigrants did transfer Arndt’s poem to their new national landscape, adapting it to social-political circumstances that were at once American, German, and German-American in nature. American publications that featured “Des Deutschen Vaterland” – in particular a broadsheet and three pieces of sheet music from 1870, and a poetry anthology from 1883 – as well as the cultural contexts in which the poem was published or performed, offer insight as to how and why Arndt’s popular text was appropriated by Germans living in the United States. This paper seeks to demonstrate that immigrants’ use of Arndt’s patriotic verses exemplifies the process of “Americanization”, defined by Lynne Tatlock and Matt Erlin as “the creative adaptation in local, regional and national settings in the United States of cultural material that emanated from the German-speaking territories in Europe.”10 In taking up Arndt’s verses, GermanAmericans often adapted the poem to their new home by translating it into English; their appropriation of “Des Deutschen Vaterland” therefore sheds light not only on the process of acculturation but also on the role played by Americans and their culture in the development of a hybrid, German-American identity. As historian Kathleen Neils Conzen has observed, German immigrants could not lead an isolated existence within the American landscape, even though many of them had originally envisioned their new country as an unpopulated, undeveloped space in which they could create an ideal Germany.11 They developed strategies, however, that enabled them to respond to and even shape the social-political culture of the United States. The appropriation of Arndt’s German cultural material is also significant within the framework of an international collaborative effort currently focused on reimagining the German-American tradition as part of multi-ethnic America.12 “Des Deutschen Vaterland” appeared in at least four American publications in 1870, a year that represented a significant juncture not only in German but also in German-American history. A wave of German migration to the New World had peaked from 1866 to 1869, a result of increased German conscription during the wars against Denmark in 1864 and Austria in 1866 and, on the North American side of the Atlantic, the Homestead Act of 1862 (which gave settlers up to 160 acres if they lived on the land for at least five years) and the expansion of American 10

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Lynne Tatlock and Matt Erlin: Introduction. In: L. T. and M. E. (eds.): German Culture in Nineteenth-Century America: Reception, Adaptation, Transformation. (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture) Rochester, NY: Camden House 2005, p. xi. Kathleen Neils Conzen: Phantom Landscapes of Colonization: Germans in the Making of a Pluralist America. In: Frank Trommler and Elliott Shore (eds.): The German-American Encounter: Conflict and Cooperation between Two Cultures 1800–2000. New York: Berghahn Books 2001, pp. 7 – 21. Werner Sollors: Series Editor’s Foreword:The German-American Tradition Reconsidered. In: Reinhold Solger: Anton in America: A Novel from German-American Life. Translated and introduced by Lorie A. Vanchena. (New Directions in German-American Studies 3) New York: Peter Lang (2006), pp. xviii – vi. See also Winfried Fluck and Werner Sollors (eds.): German? American? Literature? New Directions in German-American Studies. (New Directions in German-American Studies 2) New York: Peter Lang 2002.

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industry after the Civil War.13 The German population of New York City expanded from 200,000 in 1860 to 370,000 in 1880, when it constituted approximately one third of the city’s population.14 The Franco-Prussian conflict resonated among German immigrants living in the United States, as evidenced by their extensive efforts during the summer and fall of 1870 to organize mass meetings, patriotic aid societies, volunteer corps, and fundraising events in support of the German war effort.15 The German-language press in the United States also embraced Bismarck’s war against France; journalists’ enthusiasm for a unified Germany outweighed their earlier, more liberal concerns about the suppression of civil rights and the expansion of Prussian power.16 Furthermore, the issue of national unity undoubtedly struck a chord among many German-Americans because of recent American history. The Civil War, fought to save the Union from being torn apart over the issue of slavery, had ended just five years earlier; the causes espoused by the Northern states and the Republican Party had found staunch supporters among Germans who had emigrated to the United States seeking opportunity for political expression and engagement that had not existed under absolutist rule in the German states.17 Let us now turn to the first publication featuring Arndt’s poem, a broadsheet entitled What is the German’s Fatherland?18 “Translated from the German of Arndt” by Theodor Sutro, a young Prussian-born immigrant who was studying at Harvard University, the English text includes all ten stanzas of the original poem.19 A line of text beneath Sutro’s name indicates that the broadsheet was printed in conjunction with a “German Verbruederungs-Fest, New York, August 19, 1870,” an event covered in three different issues of the New-York Tribune. (The combination of English and German seen here will also be found in the German-American publications discussed below.) A daily newspaper, the New-York Tribune regularly printed accounts not only of the Franco-Prussian War but also of German-American

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La Vern J. Rippley: The German-Americans. Lanham, MD: University of America Press 1984 (reprint, 1976), pp. 72 – 84. German immigration first crested in 1854; it reached its highest point in the mid-1880s. New York City would serve as the country’s major German-American center until the early twentieth century. See Stanley Nadel: Germans. In: Kenneth T. Jackson (ed.): The Encyclopedia of New York City. New Haven: Yale University Press 1995, pp. 463–64. See footnote 20 below. Rippley: The German-Americans (footnote 13), p. 164. See James M. Bergquist: The Forty-Eighters: Catalysts of German-American Politics. In: Trommler and Shore: The German-American Encounter (footnote 11), pp. 22–36. Ernst Moritz Arndt:What is the German’s Fatherland? Translated by Theodore Sutro. New York: John Sarell 1870. Sutro would graduate from Harvard in 1871 and then earn a law degree from Columbia University. In the early twentieth century, Sutro served as president of the DeutschAmerikanischer Staats-Verband and played an active role in many other German cultural and political organizations; he was considered New York’s “most prominent and publicspirited German-American citizen.” In: Resolution Favoring Theodore Sutro for United States Senator and Biographical Sketch. New York: Deutsch-Amerikanischer StaatsVerband 1911, p. 6.

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(and French-American) wartime activities in New York.20 The Verbruederungs-Fest was first announced on August 10, in the “Local War News” section of the paper; a “United German Fraternal Festival,” the article stated, was to be held on August 19 “for the benefit of the wounded, widows, and orphans of the war in Europe.”21 The evening’s entertainment would include a prologue, songs by the different singing societies of New York, Schiller’s Wallenstein’s Lager (note once more the combination of German and English) “by the principal performers of the Stadt Theater and singing societies of New-York,” orations, a picnic, and fireworks.22 One week later, on August 17, the New-York Tribune published a second article, again in the “Local War News” section. This time the event was called “The Great Demonstration at Jones’s Wood” – a title that underscored the political nature of the fundraising celebration.23 A large park in uptown Manhattan, Jones’s Wood was a popular pleasure ground used by private clubs, church groups, benevolent societies, and labor unions for outings, sporting events, social gatherings, and festivals; the location was especially favored by the city’s German population.24 According to the article, “Over 9,000 tickets have been distributed for the great festival at Jones’s Wood on Friday, and the Committee expects to dispose of as many more before that day.” Invited guests included the Consul of the North German Confederation, Mayor Hall of New York City, General Franz Sigel, and “other well-known citizens.”25 The Committee planned “to issue a circular inviting all German proprietors of public houses, as well as all business men of that nationality, to close stores on Friday, that themselves and employés [sic] may take part in the festivities.” The program, now presented in greater detail, would highlight festive music by German composers, including Carl Maria von Weber’s Jubilee Overture (1818); Giacomo

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The New-York Tribune (1844 – 1966) was founded by Horace Greeley (1811–72). By the 1850s it had become the most influential Republican newspaper in the country, with a circulation of more than 200,000. Steven H. Jaffe: New York Tribune. In: Jackson: Encyclopedia of New York City (footnote 14), p. 848. On August 5, 1870, for example, the newspaper published a map showing the position of French and German troops, numerous reports from the theater of war, and meeting notices for the French Patriotic Aid Society, the Executive Committee of the German Patriotic Aid Society, the German Veterans of War of the Rebellion, and the German-American Free Corps. “German Aid Festival”, New-York Tribune, August 10, 1870. The “Committee of Management” for the United German Fraternal Festival included General Samuel P. Heintzelman (1805–80), a brigadier general for the Union Army during the Civil War; the president of the New York Männerchor; the director of the Germania Bank; and other prominent German-Americans. Friedrich von Schiller’s Wallensteins Lager, the first drama in his trilogy Wallenstein: Ein dramatisches Gedicht (1800), premiered in 1798. “The Great Demonstration at Jones’s Wood,” New-York Tribune, August 17, 1870. Joy M. Kestenbaum: Jones’s Wood. In: Jackson: Encyclopedia of New York City (footnote 14), p. 626. A. Oakey Hall (1826 – 98) served as mayor of New York City 1868–72. Forty-eighter Franz Sigel (1824–1902), a major-general in the Union Army during the Civil War, later worked as an editor and public official in New York. Jerome Mushkat: A(braham) Oakey Hall. In: Ibid., p. 517; in the same volume, see Stephen D. Engle’s entry on Franz Sigel, p. 1069.

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Meyerbeer’s “Crown March of the People” (“Coronation March”) from his opera Le Prophète (1841); and a performance by “Various Singing Societies” of Max Schneckenburger’s immensely popular “Die Wacht am Rhein” (1840).26 The first two pieces may have been included on the program as much for their political significance as for their celebratory nature. Weber, at the end of his Jubel-Ouvertüre, integrates his orchestration of “God Save the King” from Kampf und Sieg (1815), a cantata he composed in response to Napoleon’s defeat at the Battle of Waterloo.27 Meyerbeer’s Le Prophète became unexpectedly relevant when it premiered in Paris in 1849, just one year after the revolutions of 1848; many drew parallels between the Anabaptist revolt depicted in the opera and the ill-fated insurgency led by Parisian students and workers in June 1848 that signaled the start of the counterrevolution.28 The program for the “Great Demonstration” would also include an “inaugural address” by Dr. Herzberg, the president of the General Aid Society (and presumably a German-American), followed by Arndt’s “Was ist des Deutschen Vaterland?” – a “Grand Chorus, by Assembly, with Orchestral accompaniment.” After this audience-participation number, the previously announced “Wallenstein’s Camp, from Schiller” would be performed, and the evening would conclude with “Dancing, Fireworks, etc.” The New-York Tribune reported on the German-American festival on August 20; “German Pic-Nic [sic] at Jones’s Wood” appeared beneath the heading “Movements of the Germans” in the “Local War News” section.29 Although the expected crowd of 18,000 had not materialized, the evening was hailed as a success: Two or three thousand German citizens [. . .] held a pic-nic yesterday at Jones’s Wood, the proceeds of which are to be devoted to the German Patriotic Fund. The grounds were decorated with flags, and the dancing Hall had a very gay appearance, and at night was illuminated with Chinese lanterns. The entertainment opened with the Jubel overture, played by Eben’s Band. Gen. Heintzleman [sic] then introduced Dr. Herzberg, who made an eloquent address, chiefly congratulating the Germans upon the unification of the several principalities of the Fatherland. He said a despotic form of Government for Germany was impossible, and that free Germans must be united Germans. ‘These three nations – America, England and Germany – are the three powers of the modern world that represent national freedom in contradistinction to French Caesarism.’ 26

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Schneckenburger (1809 – 49) wrote his “Rheinlied” in response to France’s threat to reclaim the left bank of the Rhine; the specter of war generated intense patriotic, anti-French sentiment. The New-York Tribune published an English translation of the poem, “The Guard on the Rhine,” on August 17. See Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in Nineteenth-Century Germany (footnote 6), pp. 176 – 83; also Vanchena: The Rhine Crisis of 1840: Rheinlieder, German Nationalism, and the Masses. In: Nicholas Vazsonyi (ed.): Searching for Common Ground: Diskurse zur deutschen Identität 1750 – 1871. Köln: Böhlau Verlag, 2000, pp. 239–251. Carl Maria von Weber (1786 – 1826), a composer, conductor, and pianist, is regarded as the founder of the German romantic school of opera. Meyerbeer, born Jakob Liebmann Meyer (1791 – 1864), was the most frequently performed German opera composer during the nineteenth century. Steven Huebner: Giacomo Meyerbeer. In: Stanley Sadie (ed.): The New Grove Dictionary of Opera, 4 vols. Oxford: Oxford University Press 1992, vol. 3, pp. 366 – 71, here pp. 367–68. “German Pic-Nic at Jones’s Wood”, New-York Tribune, August 20, 1870.

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A “prologue in verse, spoken by Fräulein Rhode,” which focused on the recent German victories, followed Herzberg’s speech; the “dancing and other amusements,” the report concluded, continued until the early hours of the morning.30 In his address, Herzberg also mentioned recent German history – Prussia’s consolidation of power in northern Germany and the creation of a North German Confederation in 1867 – as well as current events; his call for a unified country with a government that ensured the civil rights of its citizens is a reference to the Franco-Prussian War. He also alluded to American events (not only the Civil War but the American Revolution, fought to liberate the colonies from British rule), thus drawing parallels between German and American history. The report published in the New-York Tribune, although it does not discuss the evening in great detail, thus sheds light on the German, American, and German-American aspects of the celebration. Conclusions as to the purpose of Sutro’s broadsheet must remain speculative at this point. Perhaps it was distributed for publicity purposes prior to the celebration at Jones’s Wood, as its title, “German Verbruederungs-Fest,” resembles the earliest announcement published in the New-York Tribune; perhaps it was handed out to those attending the celebration so that non-German speakers would have the opportunity to sing along with the audience. The original German text may have been provided, too, although the program organizers probably could have expected many of those in attendance to know the original German verses. Finally, the broadsheet may have been published after the “Great Demonstration,” as a souvenir to mark the occasion. Sutro’s English transformation remains fairly close to the original German text: “What is the German’s Fatherland? / Is’t Prussia? Is’t Suabian land? / Is’t on the Rhine, the grape-vine’s home? / Is’t on the Belt, where sea-gulls roam? / Ah! No! No! No! / His Fatherland must greater be!” His rendering of Arndt’s answer to the initial question reads: “What is the German’s Fatherland? / Then name at last that mighty land! / Where e’er the German tongue may ring, / And hymns to God on High doth sing, / That shall it be! that shall it be! / That valiant German claim for thee!” The “German’s Fatherland” is also “Where hate spurns France’s foul demand, / Where all the wicked, foes are deemed, / Where good alone, friends are esteemed.” As we shall see, Sutro’s publication is the only one discussed in this essay that includes these anti-French lines as well as the sixth stanza (the so-called Fürstenstrophe), which alludes to conflicts over German borders and territory.31 A second example of the Americanization of Arndt’s poem, a piece of sheet music also published in New York City in 1870, features “Des Deutschen Vaterland” along with Schneckenburger’s “Die Wacht am Rhein.”32 The Rhine served as a 30 31

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Fräulein Rhode could not be identified. According to Nieberle, a shortened version of “Des Deutschen Vaterland” that included Arndt’s first five stanzas and the seventh, published in 1832 with a melody composed by Gustav Reichardt (1797 – 1844), became the most popular version of the poem. Nieberle (footnote 2). Watch on the Rhine and What is the German’s Fatherland?: Two German National Songs. (Musical Bouquet Series 94) New York: Benj. W. Hitchcock, 1870. See also footnote 26 and Abb. 3–5 at the end of this essay.

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powerful national symbol, representing not only a mighty and historically significant German river but also a bulwark against French invasion. Schneckenburger’s literary commentary on Germany’s oft-contested western border helps explain the renewed popularity in 1870 of his reassuring refrain, “Fest steht und treu die Wacht am Rhein,” among Germans living in both Europe and the United States.33 As we have seen, both “Die Wacht am Rhein” and Arndt’s poem were featured at the “Great Demonstration” in Jones’s Wood; according to an article in the New-York Tribune, “Patrol on the Rhine” and “German Fatherland” were also performed at the “Liederkranz Summer’s Night Festival” held in the same park one week earlier, on August 12, by members of two rival singing societies, the Liederkranz and the Arion.34 This publication presents Reichardt’s composition for Arndt’s poem; Carl Wilhelm composed the music for Schneckenburger’s text. The subtitle on the cover, “Two German National Songs,” alludes to German unification and implies that both poems functioned as national anthems for all Germans, regardless of regional differences or loyalties. While Arndt’s text takes second billing to “Watch on the Rhine” on the cover (which is decorated with an elaborate border and has no less than eight different typefaces), it is the first song presented. The popular title appears above the musical arrangement, “The German Fatherland”; it is subtitled in German as “Das Deutsche Vaterland” (with the adjective incorrectly capitalized); the German subtitle of each poem is printed in Fraktur.The German verses are provided in italics beneath the English text. While the use of English as the primary language, with German appearing as a translation, suggests that the publication was intended primarily for English speakers within the German-American communities, the sheet music does acknowledge Arndt’s original text and the native language of German immigrants. The first, fifth, and six verses (which correspond to the first, seventh, and tenth stanzas of the original poem) are printed in the musical score, while the second, third, and fourth verses (the second, third, and fourth stanzas of the original poem) are found after the score. Without the sixth and ninth stanzas from Arndt’s poem, the text’s emphasis shifts from hostilities with other nations, in particular France, to

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Three thousand Germans living in London performed the song on July 20, 1870, for example, to show their support of the German war effort. See Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in Nineteenth-Century Germany (footnote 6), pp. 46 – 47, 176 – 88. “Liederkranz Summer’s Night Festival,” New-York Tribune, August 13, 1870; see also two articles by Nadel in the Encyclopedia of New York City (footnote 14): “Arion Gesangverein,” p. 52, and “Deutscher Liederkranz,” p. 329.“Des Deutschen Vaterland” was also being published with “Die Wacht am Rhein” in Germany; Deutschlands Kriegern bei ihrem Durchzuge durch Leipzig im August 1870 (Leipzig: Breitkopf and Härtel, 1870), a small anthology meant for soldiers heading into battle, includes both poems, as does Franz Lipperheide’s collection, Lieder zu Schutz und Trutz: Gaben deutscher Dichter aus der Zeit des Krieges in den Jahren 1870 und 1871. Deutschlands Kriegern bei ihrem Durchzuge durch Leipzig im August 1870. Auswahl für Volk und Heer (Berlin: Lipperheide, 1871).

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the establishment of borders for a unified Germany. William Jarvis Wetmore translated Arndt’s German somewhat more freely than Sutro did, as seen in the first lines: “What is the German’s Fatherland? / Is’t Prussia brave, is’t Swabia? / Is’t on the Rhine, the blooming Rhine, / Or where the Baltic’s billows shine? / O no! no! no! / Far greater still is Fatherland!” His fifth verse, moreover, offers a slightly different response to Arndt’s main question, one that mentions God only indirectly: “Where is the German’s Fatherland? / O where this noble Fatherland? / ’Tis where the songs of love arise, / In heartfelt accents to the skies. / There shall it be, there shall it be, / Brave Germany, that land is thine!” This transformation puts a GermanAmerican spin on Arndt’s seventh stanza, for it suggests that Germans singing these lines in the United States not only would be echoing their fellow Germans still living in Europe, they would also be creating a German Fatherland within their American landscape. Two soprano obligatos added to the fifth and sixth verses – “Thine! That land is thine!” – further underscore the concept of German unity existing wherever “die deutsche Zunge klingt”. Arndt’s poem appears with “Die Wacht am Rhein” in a second piece of GermanAmerican sheet music published in New York City in 1870.35 In this case, the original German titles are given on the cover; the English translations appear beneath them, in much smaller type and in parentheses: “Where is the German Fatherland” and “The Guard on the Rhine.” As indicated on the cover, the music has been arranged “Für Piano (Mit und ohne Gesang).” F. Lüdke arranged both songs, using Reichardt’s and Wilhelm’s compositions. Another note on the front cover states that proceeds from the sale of this music would be sent to the “hülfsbedürftigen Familien deutscher Krieger”, recalling the fundraising event at Jones’s Wood. The cover illustration depicts two banners that resemble the black-red-gold German flag; the banners and their staffs, which are entwined in an elaborate latticework, thus form a pictorial allusion to German unification. Given the presentation and clearly stated purpose of this musical arrangement, German-speaking immigrants were expected to be the primary customers, although the translation of the poems’ titles might have ensured that English-speaking German-Americans also would have been encouraged to support this charitable endeavor. At the very least, the English translations of the poems’ titles signify recognition of the predominant language in the United States. This publication presents the same verses found in the sheet music discussed above (the first four and the seventh and tenth stanzas of Arndt’s original poem), although here they are printed in the original sequence. Given the absence of the sixth and ninth stanzas in particular, emphasis lies once again on German unification rather than on the war against France or other previous conflicts. A third publication that attests to the adaptation of Arndt’s poem in the United States is also in the form of sheet music; printed in Philadelphia in 1870 by Louis Meyer (“Publisher and Dealer in American & Foreign Music”), it features only 35

Was ist des Deutschen Vaterland und Die Wacht am Rhein. Arranged by F. Lüdke. New York: Lüdke 1870. See Abb. 6 at the end of this essay.

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Arndt’s poem.36 Although the cover is primarily in English, the original German title of Arndt’s poem appears in the largest and boldest font; it follows an English translation: “The German Fatherland. Was ist des Deutschen Vaterland?” The poem is characterized as an anthem, a “German National Song For Singing and Piano Solo” (the piano accompaniment serves as a piano solo arrangement); the melody, once again Reichardt’s, is to be sung “mit Feuer.” On the first page of the publication, the German title again follows the English translation (The German Fatherland. Was ist Des Deutschen Vaterland). The German verses are printed in the traditional location, however (between the melody provided for singers on a single staff and the piano accompaniment), which lends them importance; the translated verses appear above the melody line. The same six verses are included in this publication (stanzas one through four, seven, and ten); stylistically, this anonymous English translation resembles Sutro’s version more than it does Wetmore’s: “Where is the German’s fatherland? / Is’t Swabia? Is’t the Prussian’s land? / Is’t where the grape glows on the Rhine? / Where seagulls skim the Baltic’s brine? / O no! more grand / Must be the German’s fatherland!” Arndt’s important seventh stanza is rendered as follows: “Where is the German’s fatherland? / Name me at length that mighty land! / Where’er resonds the German tongue, / Where’er its hymns to God are sung. / Be this the land, be this the land, / Brave German, this thy fatherland!” Arndt’s patriotic verses can also be found in nineteenth-century German-American poetry anthologies. One particularly interesting volume from 1883, Germania Heimathsklänge: Deutsch-English Illustrirtes Volksliederbuch für die Deutschen Amerika’s contains “Des Deutschen Vaterland” and several additional patriotic poems from the first half of the nineteenth century, including “Die Wacht am Rhein”, Hoffmann von Fallersleben’s “Das Deutschlandlied”, and Theodor Körner’s “Lützows wilde Jagd”.37 “Des Deutschen Vaterland” comprises seven stanzas instead of the usual six (the first through the fifth, the seventh, and the tenth stanzas of the original poem); once again, however, all mention of the French and other foreign foes has been excluded. Published by Georg Brumder in Milwaukee, Wisconsin (another city with a significant German population), the volume’s preface underscores a fact reflected in the book’s title.38 Brumder explains that the intended readership for this volume was the German-American community: 36

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The German Fatherland. Was ist des Deutschen Vaterland? German National Song For Singing and Piano Solo. Philadelphia: Louis Meyer 1870. See Abb. 7–10 at the end of this essay. Philadelphia, like New York City, was home to a large German immigrant population; the first German families to arrive in the United States, Mennonites from the Rhine valley, settled in the city in 1683. German publishing also flourished there; the first American German-language newspaper, the Philadelphische Zeitung, was founded in the city in 1732. Georg Brumder (ed.): Germania Heimathsklänge: Deutsch-English Illustrirtes Volksliederbuch für die Deutschen Amerika’s. Milwaukee: Brumder 1883. “Lützows wilde Jagd” (1813), by Theodor Körner (1791 – 1815), was one of the most popular patriotic songs written during the Wars of Liberation. The number of German-born persons living in Wisconsin peaked in 1890 at nearly 260,000. Known as the “German Athens”, Milwaukee boasted many German-American cultural

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Unsere Absicht bei der Herausgabe dieses Liederbuches geht dahin aus dem üppigen Blumenflor deutscher Volkslieder einen vollen Strauß zu pflücken, der des Aufhebens auch in dieser unserer neuen Heimath werth ist. [. . .] Wer es durchblättert von Denen, die der Jugend goldene Tage in Deutschland gesehen, dem wird es die Erinnerung wachrufen an das Vaterland, wer von dem hiergeborenen Nachwuchs, dem wird es das Verständnis erleichtern für deutsches Wesen, welches sich fast nirgends so unmittelbar kundgibt wie im deutschen Liede.39

While he romanticizes the childhood experiences of German immigrants, he also accepts America as his and their new home. He acknowledges the acculturation process, but preserving an appreciation of poetry among those of German descent is not his only concern: he expects some readers to question whether “die spezifisch deutsch-patriotischen Lieder” should be included in a book published not for Germans but for German-Americans. He concludes the preface with an additional reason for embracing patriotic poems. Drawing on traditional nature metaphors often found in nineteenth-century German poetry, he emphasizes the role poetry had played in the construction of a German national identity long before a unified country existed: Wir konnten aber auch aus anderem Grunde jene Weisen nicht fortlassen; ohne sie, die unsere Väter und Brüder und ein Theil von uns selber gesungen haben bei Kampf und Sieg, würde unsere Sammlung sein wie ein Wald, der nicht rauscht, und ein Meer, das nicht brandet.40

Brumder decided in the end to include such poems because he believed that the majority of people purchasing the book would want to find them between its covers. To appease those in the minority, however, Brumder included American poems in his anthology; entitled Home Songster: A Collection of the Most Patriotic and Popular Songs and Marching Choruses, this separate volume was appended inside the back cover of the first volume.The collection includes a broad and diverse selection of patriotic texts: “America” (My Country, ’tis of thee, Sweet land of Liberty), the first poem in the anthology;“Home, Sweet Home”;“Yankee Doodle”; and the “Star Spangled Banner”.41 No authors’ names are given in this beautifully illustrated volume, reflecting the title’s claim that the poems were indeed popular and wellknown folksongs. Brumder’s collection, which combines in one publication examples of both the German and the American poetic traditions, represents a German-American’s attempt not only to preserve German cultural identity but also to help create a hybrid identity, one that was necessarily shaped by the American landscape.

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societies and institutions. See Richard H. Zeitlin: Germans in Wisconsin, revised and expanded edition. Madison: The State Historical Society of Wisconsin, 2000. Brumder (ed.): Germania Heimathsklänge (footnote 37), pp. 192–93. Ibid., pp. iii–iv. “America” was written in 1831 by Samuel Francis Smith (1808–95). “Home, Sweet Home” was originally an aria in Clari, or The Maid of Milan (“Sicilian Air”), composed by Henry Bishop (1786–1855) in 1821; John Howard Payne (1791 – 1852) wrote the libretto.“Yankee Doodle” became popular during the American Revolution; it was first used by British troops to mock revolutionaries, but Americans adopted the song in the late eighteenth century.

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Although Arndt wrote several patriotic poems that remained popular in the German states throughout the nineteenth century and well into the twentieth century, the evidence presented in this essay suggests that “Des Deutschen Vaterland” was the poem most frequently published and performed by German-Americans in the 1870s and early 1880s. This evidence should not be considered exhaustive; given the large number of German-American communities and German-language periodicals and publishing houses in the United States in the latter part of the nineteenth century, one could expect to find additional publications featuring “Des Deutschen Vaterland” as well as further accounts of festivals and programs at which the poem was performed. The twentieth century would also yield evidence; Arndt’s “Bundeslied” (1815), to give just one example, appears as “Union Song” in A Harvest of German Verse, an English-language anthology published in 1916.42 A perusal of approximately thirty nineteenth-century German-American poetry anthologies (published in English and German) did not yield examples of poets who had borrowed or imitated Arndt’s “Des Deutschen Vaterland”, or any of his other well-known patriotic poems, to comment on American social, political, or cultural exigencies. This observation suggests that the relationship of German-American poets to this established German literary tradition was influenced, at least to some degree, by the process of acculturation – by their geographical and emotional distance to the German fatherland, and by circumstances prevalent in the American landscape.43 As we have seen, however, German-Americans did take up Arndt’s “Des Deutschen Vaterland”, often adapting the poem to their new national context while at the same time using it to maintain and demonstrate their ties with Germans living across the Atlantic. In doing so, they accorded the poem a role in shaping their intracultural identity and contributed to the multi-ethnic character of the United States.

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A Harvest of German Verse, selected and translated by Margarete Münsterberg. New York: D. Appleton and Company 1916, p. 85. Published during World War I, the poem would have resonated among German-Americans who supported their fellow countrymen fighting in Europe: “This blessed hour we are united, / Of German men a mighty choir, / And from the lips of each, delighted, / Our praying souls to heaven aspire; / With high and sacred awe abounding, / We join in solemn thoughts to-day, / And so our hearts should be resounding / In clear harmonic song and play.” For the original German text, see Ernst Moritz Arndt: Gedichte II, edited by Heinrich Meisner. In: Arndts ausgewählte Werke in sechzehn Bänden (footnote 3), vol. 3, pp. 100 – 01. An investigation of whether or not Arndt’s poetry influenced nineteenth-century American poetry may provide additional insight on the adaptation of his German cultural material. I thank Thomas Stamm-Kuhlmann for a thought-provoking discussion about the Americanization of Arndt’s poetry during the international Arndt symposium held in Lawrence, Kansas in September 2005.

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Abb. 3: (Abb. 3–5) Watch on the Rhine and What is the German’s Fatherland?: Two German National Songs. (Musical Bouquet Series 94) New York: Benj. W. Hitchcock, 1870. (footnote 32). Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H.

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Abb. 6: Was ist des Deutschen Vaterland und Die Wacht am Rhein. Arranged by F. Lüdke. New York: Lüdke 1870 (footnote 35). Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H.

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Abb. 7: (Abb. 7–10) The German Fatherland. Was ist des Deutschen Vaterland? German National Song For Singing and Piano Solo. Philadelphia: Louis Meyer 1870. (footnote 36). Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H.

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Abb. 8

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Introduction An 1898 history of the Arndt family compiled in Germany notes briefly the children and grandchildren of the fifth child of Ernst Moritz Arndt (1769–1860) by his second wife Nanna Schleiermacher: Hartmuth Arndt, Sohn aus 2. Ehe, geb. 26. 3. 1824 in Bonn, evangl., gest. 26. 3. 1876, Farmer in Kansas, Nord-Amerika, verm. mit Emilie Stäge, geb. 28. 7. 1835. 3 Kinder. Emilie Stäge hat sich später mit einem Mr. Preat [sic] wieder vermählt.1

The three children of this “Farmer in Kansas” find the following mention: Anna Ernestine Hermine Arndt, Tochter, geb. 14. 6. 1858 in Milwaukee, Wisconsin, Presbyterian., verm. 24. 11. 1881 in Armstrong, Kansas, mit George Heron, geb. 4. 12. 1854 in Westport, Missouri, Presbyterian. 6 Kinder. Armstrong und Armourdale sind zwei kleine Städtchen, die seit 5 – 6 Jahren die Stadt Kansas City Kansas genannt werden und liegen Kansas City Missouri gegenüber, getrennt sind die Städte nur durch den Missouri-River und den Kaw-River, zwei sehr reissende Ströme, auf denen die Schifffahrt unmöglich ist. Anna lebt noch in Kansas City Kansas. Marie Anna Dorothea Arndt, Tochter, geb. 5. 3. 1860 in Columbus, Mississippi, Presbyterian., gest. 27. 4. 1897 in Colorado-Springs, einem heissen Bade am Fusse des Piker-Peak [sic], dem höchsten Berge im Staate Colorado, wo sie sich von der Lungenschwindsucht heilen lassen wollte. Sie ist in Kansas City Kansas beerdigt.Verm. 1893 (?) mit Harry Cook, geb. 1868 in England, Presbyterian. Keine Kinder. Wilhelmine Katharine Arndt, Tochter, geb. 12. 10. 1863 in Fort-Barrancas, Florida, Presbyterian., gest. 3. 10. 1877 in Armstrong, Kansas.2

The next and final Kansas generation in this compilation of 1898 consists only of the six children – four daughters followed by two sons – born to Anna Herron in Armstrong, Kansas (today’s Kansas City, Kansas): Ethel, born 19 September 1882;

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Ernst Moritz von Arndt: Geschichte des Geschlechtes “Arndt” (Nachkommen des Andreas Arndt zu Putbus) nebst Stammtafeln und einem Wappen. Köln: J. P. Bachem, 1898, p. 27. A photocopy of this publication is in the Ernst-Moritz-Arndt-Collection of the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas courtesy of Winifred von Arndt. The second husband of Emilie was actually John Treat. Ibid., pp. 29–30. The mountain in Colorado is, of course, Pike’s Peak. The family in Kansas spells the name Herron. This information about Hartmuth and his family was first transmitted to me by Karl-Ewald Tietz, president of the Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft, in an e-mail dated 16 January 2003. After seeing the 1898 compilation, it was clear that Dr. Tietz obtained his information from that same document.

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Abb. 11: Friedrich Hartmuth Arndt.Year: Unknown. Source: Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas.

Myrthel, born 29 May 1884; May, born 6 October 1886; Lillian, born 31 January 1891; George, born 26 July 1894; and Arndt, born 16 September 1897.3 Of interest is the fact that Hartmuth alone of the seven children born to the second marriage of Ernst Moritz Arndt married and had children. A daughter from the second marriage died in infancy (1818); three sons never married (Siegerich, 1819–69; Roderich, 1821 – 65; Leubold, 1822 – 91); a son drowned in the Rhine River (Willibald, 1825 – 34); and the only surviving daughter Nanna (1827–60) married Ernst Nitzsch but remained childless.4 The limited progeny from this second marriage is in stark contrast to the fourteen children and twenty-nine grandchildren from Ernst Moritz Arndt’s only child from the father’s first marriage to Charlotte Marie Quistorp, Carl Moritz “Treu” Arndt (1801–85).5

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Ibid., p. 32. Ibid., p. 27. Ibid., p. 25. Ernst Moritz Arndt’s first wife died about a week after the birth of Carl Moritz.

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Of the descendants of Carl “Treu” we can determine from the 1898 compilation that one son, Carl Siegmar (1836 – 1917), emigrated to the U.S. at the end of 1865, resided in Milwaukee, Wisconsin, married a Dorothea Francke and had six children.6 And, we find Carl Heinrich Wolfgang (born 1866) a grandson of Carl “Treu” – the son of his fourth child Georg Astolf (born 1834) – living in Flushing, New York, at the time of the publication of this compilation and operating a painting business, married with children.7 Thus, at the end of the nineteenth century one son, one grandson, and one great-grandson of Ernst Moritz had joined the millions of other emigrants from Germany in finding a new life in the U.S. On the occasion of the first international conference on the legacies of Arndt held outside Germany in 2005 at the University of Kansas, I was therefore invited to sketch the biographical traces of the individual who, in effect, by his emigration to the U.S. and settlement in Kansas made all of this possible.

Friedrich Hartmuth Arndt: A Biographical Sketch The earliest reference to Hartmuth may well be the line in a letter dated 9 January 1824 written by his father not quite three months before Hartmuth’s birth on 26 March 1824 in Bonn: “Auch unsre Frau wird sich mit Gottes Hilfe diesen Frühling mit einem vierten Hartmuthchen sehen lassen”.8 Arndt playfully uses the name for the unborn child generically – it would be his fourth son by his second wife – expressing that the child would be capable of dealing with the adversities of this world. The actual birth of Friedrich Hartmuth is announced in six published letters dated the 26th and 27th of March 1824. The first one is an invitation to serve as a baptismal sponsor and mentions other baptismal sponsors as well. Arndt also explains the name of the child: Der fünfte Sohn ist da, heute früh um 2 Uhr an dem gefährlichen Gestade dieser klippenartigen Welt, auf welcher Gott ihm eine glückliche und offene Fahrt geben wolle, nicht ohne Schmerzen seiner Mutter angelandet oder vielmehr von einer unsichtbaren Hand, die in unsern Hausmärchen Schwan heißt, ausgesetzt. Der Junge sieht so gesund aus, als ob er das Leben festhalten wird. Die Mutterbrust hat er diesen Abend 9 Uhr zum ersten Mal schon recht herzhaft und nach der Meinung der Mitinteressentin nicht ohne Glück angefaßt. [. . .] Wir bitten Dich einer seiner Taufzeugen seyn zu wollen.Wir hatten Dich bisher für ein Dirnchen aufgespart; da aber keines kommen will, und leicht das Ausschließungsziel eintreten könnte, so nimmst mit dem Knaben fürlieb, der ja recht wackere Miene macht. Dein Mitgevattern werden seyn Frau Windischmann, die sich in Freud und Noth als herzhafte und herzliche [?] Freundin erweist. Bruder Schleier in Schmiedeberg, Hüser und

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Ibid., pp. 28, 31. This step-nephew of Hartmuth’s will play a role in the American experience of the Arndt family. Ibid., p. 30. Winifred von Arndt brought this Arndt emigrant to my attention. Albrecht Dühr (ed.): Ernst Moritz Arndt: Briefe, 3 vols. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972 – 1975; here to Georg Andreas Reimer on 9 January 1824, II, p. 252. Future references to this collection will be by volume number and page.

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Schildener. Nach diesen beiden Letzten wird das Kindlein die Namen Friedrich Hartmut [sic] führen, indem ich den Schildenerschen [?] Peter (des verschlimmernden Misbrauchs wegen, den der Spott damit zu treiben pflegt) in Hartmuth ganz richtig übersetze, wobei ich zugleich [?] an meine geschichtlichen Hartmuthe denke, die wohl neben dem Apostel stehen dürfen. (To Henriette Schleiermacher, Bonn, evening 26 March, II, pp. 253–54.)

Arndt writes in a similar vein to Charlotte von Kathen, Karl Theodor Welcker, Charlotte Pistorius, Frau von Wenckstern and Karl Schildener (II, pp. 255–56, 258– 60). The letter to Karl Schildener, however, expresses ideas that have special meaning given the later history of Hartmuth and his emigration from Germany to the U.S. After announcing the birth of Hartmuth, Arndt continues: Wie ich Dir früher schon gesagt habe, so steht immer noch fest, daß ich das liebe Vaterland – was sollte wer ein halbes Jahrhundert und etwas mehr auf dem Nacken trägt sich in die Fremde wünschen? – nur verlasse, wenn ich muß. In die Amerikanische Wüste oder Weite sogenannter Freiheit mag ich nicht hinein. Ich sehe nicht, wir für mich oder auch für meine Enkel im bloßen leidlichen Grasen auf der Erde dort beneidenswerthes Glück blühen könnte. Nach Jahrhunderten – ei da mag es dort besser werden. Jetzt scheinen mir auch die besten nur gute Krämer, oder – gelindest beschrieben – krämerliche Bauren. Solche können wir ja auch bei uns vor jeder Thüre finden, aber manchen Orts noch viel Gutes und Schönes, wovon die Neue Welt noch nichts hat. Nein, wann in mehreren Jünglingsaltrigen Staaten von Fürsten Königen und in natürlichen Klassen gesonderten Ständen, welche Amerika einst auch haben wird, um wirkliche Glorie und Herrschaft und um Gesetz und Recht schon gerungen wird, dann erst steht die Idee eines Lebens da, wonach der geistig gebildete Mensch sich sehnen kann. Bis dahin ist es nicht viel besser als das Leben des Vogels und Thieren im freien Walde. (II, p. 260)

Arndt’s total rejection of emigration to the wilds of the American democracy for himself, his children and even his grandchildren foreshadows his strong opposition some thirty years later when this very son Hartmuth decides to leave Germany and attempt a new start in America. Brief mentions of Hartmuth in letters during the spring and summer of 1824 shed little light on his development (II, pp. 261, 272 – 73). Hartmuth’s entry into school, with hints of his adventurous spirit, finds notice in a letter to Arndt’s sister Dorothea von Rassow in 1829: “Das Fritz Hartmuthchen, das wilde Quecksilberchen, fängt an ein wenig zu lesen und wird Ostern, wo er sein sechstes Jahr füllt, wohl für die Schule angebändigt werden müssen” (5 December; II, p. 387). Hartmuth’s mercurial behavior as well as his lack of interest in school subjects is confirmed three years letter in another letter to Dorothea: Hartmuth, schlank, flink, wohlgestalt, wild und frisch über Stock und Stein, heißt daher mit Recht der Sperber und Husar, schöne blaue Augen, seine Kopfform soll mir die ähnlichste seyn. Unbändig und heftig, hasst bis jetzt alles Lernen, wird es auch, wie ich glaube, darin nie weit bringen. Bey all seiner pulvrigen Heftigkeit von rührender Gutmüthigkeit, Liebe und Freundlichkeit. (9 July 1832; II, p. 459)

Father Arndt recognized already at the young age of eight that his son Hartmuth was not cut out to be a scholar. Hartmuth at age ten was also the only family member to witness the drowning of his younger brother Willibald while being taken for a walk with another boy along the Rhine River in Bonn by an unnamed adult in the summer of 1834:

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Wir haben unsern liebsten jüngsten Wilibald [sic] verloren; durch die Sorglosigkeit eines erwachsenen Begleiters, der ihn, seinen Bruder Hartmuth und noch einen Knaben führte, ist er beim Baden im Rhein ertrunken. Gott hat es so gewollt; das müssen wir sagen, [. . .] aber unser Schmerz und Jammer ist noch unaussprechlich. (to Dorothea von Rassow, 28 June; II, pp. 485– 86)

We can only speculate at the effect this tragedy had on young Hartmuth and his development. As a teenager, the problems with Hartmuth’s schooling begin to intensify. Arndt becomes clearly worried about the future well-being of his son and eventually begins to seek a solution by arranging for training in agriculture. A brief mention of Hartmuth in an 1840 letter to Professor Friedrich Lücke in Göttingen underscores the disinterest in school: “Hartmuth, der Vierte, ist in Tertia, wird wohl kein Lesekerl werden; sonst ein frischer, guter Junge” (7 August; III, p. 13).The next year Arndt writes in a similar vein to his sister Dorothea and hints at sending Hartmuth to her at her husband’s argricultural estate in Pomerania for training as a farmer: “Hartmuth sitzt nun in der Secunda, scheint aber – was mehr und mehr herausstellt – kein Studiersitzfleisch zu haben; sonst ein netter frischer Junge. Ich denke, ich mache einen Landmann daraus und sende ihn einmal zu Euch zur Anziehung” (1 November 1841; III, p. 60). A year later Arndt believes that even Hartmuth is now determined to learn the art of farming. Arndt now approaches his sister in Pomerania with a well-thoughtout plan to train Hartmuth for the profession of farmer. He writes to Dorothea on 21 December 1842: Hartmuth, mein Fünfter, der bald 19 Jahr alt ist und eben die Sekunda verlassen hat, will durchaus Landmann werden. Der Junge hat einmal nur Lust an dem Äußerlichen und allem Lebendigen. Er ist rasch und selbst sehr lebendig, und hat das Gesicht und die Art, daß er, wie ich hoffe, in Geschäften sein Glück machen wird. Nun ist mein Plan mit ihm folgender: Anderthalb bis zwei Jahre Erkundung des Ersten Nothwendigen der Landwirtschaft in einem guten Hause, wo er mir in Sitten nicht verwildert; dann in Greifswald sein freiwilliges Dienstjahr und Mitbenutzung des landwirtschaftlichen dasigen Instituts und der Vorlesungen; dann weiter auch unter Fremde, wo ich bei einigen Freunden wohl Stellung für ihn finde, wann er schon ein bischen geübt ist. Auf jeden Fall habe ich Freunde, die sich des Jünglings auch nach meinem Tode annehmen werden. Aber seine Lehrjahre muß er erst irgendwo machen. An welches Haus kann ich nun da wohl eher denken, als an Euch, liebste Freunde, an Dich und Rassow, wo er beim Eintritt in ein fremdes Leben auch für seine Sitten geborgen ware? Ich bitte Euch also ihn aufzunehmen. Ihr werdet einen muntern, willigen und gehorsamen und hoffentlich nicht unangenehmen Hausgenossen aufnehmen. Er ist munter und anstellig und frisch aus sich heraus, groß und schlank, einige nennen ihn hübsch. Versteht sich, Kostgeld oder Lehrgeld würdet ihr von mir nicht nehmen, betrachtend, daß ich drei Studenten etc. noch zu versorgen habe. Für seine kleinen Ausgaben, Kleidung u.s.w. würde ich Sorge tragen, daß Euch solches in keiner Weise belästigte. Versteht sich aber auch, daß Rassow ihn zu jeder ländlichen Arbeit frisch anhält und ihn sein tägliches Brod im Schweiß seines Angesichts verdienen läßt. Er muß wie jeder tüchtige Kerl von unten auf dienen. (III, p. 95)

In this letter Arndt maps out the next several years of young Hartmuth’s development. After two years of intensive farm work with his uncle and aunt in Pomerania,

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Hartmuth will fulfill his military obligation on active duty and take classes in agricultural science at the same time. Following this term of military service, Arndt envisions sending his son to other friends for further practical experience in agriculture – even in the event of Arndt’s death (Arndt was already seventy-three years old in 1842) these friends would take care that Hartmuth received the appropriate training and experience to ensure a successful entry into his now predestined profession. Arndt cannot afford to pay his sister and brother-in-law for this apprenticeship for his son, however, he almost turns Hartmuth into an indentured farm laborer for the duration of his stay in Pomerania. Arndt’s success in winning his sister and brother-in-law for this project is confirmed in two letters from the first half of 1843. Arndt writes to Charlotte Pistorius on 22 January: “Sonderbar, mein Jüngster, Schildeners Pate, Fritz Hartmuth, will auch Bauer werden, ein, wie ich hoffe, unverwüstlich, treues Gemüth. Ich werde ihn vielleicht schon den nächsten Sommer nach Pommern in die erste Lehre schicken” (III, p. 104). And to Charlotte von Kathen he writes on 25 May: “Bald wird der jüngste Sohn nach Pommern abgehen, um bei meiner Schwester in die Landwirtschaftslehre zu treten” (III, p. 110). By mid-June of 1843, Hartmuth is on the way to his apprenticeship in Pomerania. Arndt provides his son with letters of recommendation to various friends where Hartmuth can find lodging and sustenance on his journey. On 19 June Arndt writes to Hildegard Countess of Schwerin: Dieses, [. . .] überbringt Dir unser jüngster Sohn Hartmuth, der nach Pommern zu meiner jüngsten Schwester geht dort das edle Handwerk eines Landbauers zu lernen. Er soll Dir mündlich Grüße und Nachrichten von uns bringen, und Du wirst ihn ein zwei drei Tage freundlich bei Dir aufnehmen, auch um deswegen noch freundlicher, weil er Deiner Seligen Mutter Pate ist. Er geht zum ersten Mal in die Welt und ist blöde; Ihr werdet ihn also ein bischen zu ermuntern haben. (III, p. 114)

And to Charlotte von Kathen on 25 June Arndt confirms that Hartmuth is journeying to Pomerania: “[. . .] und der jüngste Sohn Hartmuth auf der Wanderung nach Pommern schwebt, dort bei meinem Schwager Rassow das Bauernhandwerk zu lernen” (III, p. 116). At this point – his son’s first departure from home for an extended period of time at the age of nineteen – Arndt begins to write letters to Hartmuth.Whether the collection of letters is a complete record of Arndt’s correspondence to his son, must remain an unanswered question. However, for the next decade, the twenty-one letters in the Arndt Collection of the Max Kade Center provide valuable insights into the relationship between the concerned father and the perhaps not so seriouslyminded son.9 The early letters are filled with news from the home and family in Bonn, even providing details on the ripening of cherries and gooseberries – “nie sind die Kirschen und Stachelbeeren so groß und prächtig gewachsen als dieses Jahr” (4 July 9

All letters addressed to Hartmuth are from the Arndt-Collection and will be referenced by date alone. See the edition of the letters in this volume, pp. 250–277.

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1843). In the same letter, Arndt comments on Hartmuth’s letter from Leipzig and “daß Du Dich dort so lustig unterhalten und ergötzt hast”. He reminds Hartmuth he is to visit friends in Putzar and continue on to Buchholz to his aunt and uncle. In a letter on 7 August, Arndt wonders why he did not receive the letter Hartmuth claims to have written from Berlin and hopes that Uncle Rassow has put Hartmuth to work so that “Du rechtschaffen schwitzen und nach dem adamitischen Segen Dein bäuerliches Brot im Schweiss Deines Angesichts verdienen lernst”. He reminds Hartmuth to write once a month to keep his parents informed of his progress – “daß wir für jeden Monat einen Brief von Dir erwarten”. On 23 October 1843,Arndt writes to Hartmuth that his mother will send a coat and boots for the winter and hopes that he works hard for his uncle so that “Du Dein Handwerk, das älteste und edelste von allen, tüchtig lernest.Thust Du das, so wird der liebe Gott Dir zu seiner Zeit auch den Weg eines bescheidenen rechtschaffenen Glückes öffnen”. Arndt’s letter of 12 December again admonishes Hartmuth to write every month but also reminds him “nämlich fleißig in die Kirche zu gehen und in Deiner Bibel zu lesen. [. . .] Jesus Christus ist zu allem Glück und aller Tugend der einzig rechte Führer und Weiser”. Arndt goes on after expressing his word of concerns for Hartmuth’s eternal salvation to tell him that he is sending along 50 Thaler to cover his personal expenses for the next six months until the end of June and that he is sending him a storybook with Low German tales and wishes him “ein fröhliches Neujahr”. Two letters to Arndt’s sister during 1844 express his concern about Hartmuth’s progress in his apprenticeship: Gleiches [etwas zu hören] wünsche ich in Hinsicht meines Hartmuth. Ich bitte Dich, mir über ihn aufrichtig zu schreiben, wie er sich macht und führt und ob er fleißig und gehorsam ist. Ich bitte, ganz ehrlich! Denn was sollte mir helfen, daß er leidlich gut genannt würde, wenn er es nicht verdient. (25 July; III, p. 134)

By the fall of that year, Arndt has heard from his sister about Hartmuth’s progress and is relieved: Wegen der lieben Kunde über Hartmuth danke ich sehr. Man hat ja immer Hoffnung von seinen Kindern und muß sie haben, wenn sie irgend gedeihen sollen, obgleich die Söhne oft ganz andre Wege gehen, als die Väter wünschen. Aber was soll und kann man da thun als der ewigen Vorsicht alles in Liebe hingeben, da man wohl weiß, daß man auch seine Kometenläufe gemacht hat? (24 November; III, p. 140)

By the first quarter of 1845 Hartmuth is apprenticing on the Isle of Rügen with a cousin as Arndt writes to Hildegard Countess of Schwerin on 25 March: “Mein jüngster Hartmuth lernt auf Rügen bei einem Vetter die Landwirtschaft und wird wohl mal in Putzar vorsprechen” (III, p. 154). Letters in the spring of 1845 to Hartmuth mention (3 April) a forthcoming trip by Arndt and his wife to Carl “Treu” and family in Trier and report (17 May) on the visit there and look forward to Hartmuth’s return to Bonn at the end of the summer: “Wir werden nun wohl Ende Augusts oder Anfang Septembers sehen, wie Du in Pomerania groß und stark geworden seyn wirst”. Arndt promises (13 June) to send travel money to Buchholz for Hartmuth’s return to Bonn. By September 1845 Hartmuth is back in Bonn (to Dorothea on 4 September): “Hartmuth und Wilhelm sind seit 10 Tagen hier” (III, p. 157).

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In the fall of 1845, Harmuth begins his year of compulsory military service in a light infantery regiment (Jäger) in Wetzlar. Arndt is much concerned about all the details of military existence for twenty-one year old Hartmuth. In a letter dated 12 October,Arndt requests that Hartmuth inform the family about “Deine Lebensweise Zimmer Betten Essen, z. B. wann und zu welchen Preisen Du Dein Abendund Mittags-Essen hast und hältst u. dergl. [. . .] Ich aber erwarte, da Du so nahe bist, daß Du uns wenigstens alle vierzehn Tage [. . .] ein Briefchen senden wirst”. Arndt is especially worried that Hartmuth will spend too much on meals: “Ich erwarte überhaupt, daß Du als ein ordentlicher sittlicher und christlicher Jäger leben und keine unnützen Ausgaben machen, auch nicht an einem zu vornehmen HerrenMittagstisch speisen wirst”. The few letters from the first half of 1846 reveal that all is not going well for Hartmuth during this year of military service. Arndt’s letter to his son of 2 March is rather stern in its tone and message: Ich habe Dich gescholten, und mit Recht, und hätte wenigstens ein paar Worte der Entschuldigung oder des Gelobens erwartet. [. . .] und habe Dir den Vers Arbeit macht das Leben süß u.s. w. so oft nicht umsonst und im bloßem Scherz vorgesungen. [. . .] Ich muß Redlichkeit und Duldung von Dir verlangen und möchte an einem leichtsinnig[en] Thoren den Schweiß meiner Arbeit nicht aufwenden. [. . .] Von Deinem Betragen wird es abhangen, welche Wege ich nach Wetzlar mit Dir einzuschlagen wagen kann, wenn ich anders nicht früher heimgehe: denn Gott schüttelt das Alter oft geschwind ab.

At age seventy-seven Arndt is still running his son’s life and attempting to get him on the right track – but he realizes that his longevity is also his weakness. He may die before he secures a proper existence for this son.We do not know what prompted this harsh admonition. Perhaps Hartmuth had spent too much money on frivolous things. By 7 June things have not improved much as Arndt again writes in support of his wife’s “Bitten und Ermahnungen” and adds “daß Du Deinen Acker in Faulheit und Schwelgerei nicht brach liegen lassen sondern in allem fleißig und ordentlich seyn sollst, zumal da Du meine Stütze wohl nicht lange mehr haben wirst”. Arndt’s agricultural allusions may or may not have had much impact on Hartmuth’s behavior. In any event, it is clear that Arndt is very concerned about his own health and cannot predict how much longer he can support his son. By late summer 1846, Arndt is back seeking a position for his son with Max Count of Schwerin in Putzar (Pomerania). He writes on 19 August: Mein jüngster Sohn Friedrich Hartmuth hat sein Jahr als freiwilliger Schütz in Wetzlar bald abgedient und muß mit dem Anfang des künftigen Jahrs wieder in seine bescheidene und ordentliche Thätigkeit treten. Er ist nämlich ein Bauer und hat ein paar frühere Jahre bei Verwandten in Pommern und Rügen die Landwirtschaft gelernt. Nun wünschte ich ihn natürlich auch gerne einmal in einer andern größeren Wirtschaft beschäftigt, wo er Neues sehen und lernen kann und sich für seine Zukunft Tüchtiges und Nützliches auflesen; und sollte ich nicht wünschen, ihn auch in der Gemeinschaft oder wenigstens in der Nähe edler und gesitteter Menschen zu wissen? Denn wie leicht verbauern die jungen Bauern! Er ist 22 Jahr alt, ein treuer hübscher und unverdorbener Junge und zu jeder Arbeit willig. Ich frage nun an, ob Sie auf Ihren Gütern oder auf denen Ihres Bruders den jungen Menschen nicht in irgend einer Weise in Arbeit und Thätigkeit setzen könnten? versteht sich, ohne Gehalt; denn er muß noch Mehreres und Tüchtiges lernen.

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Über diese Frage und Bitte bitte ich mir unumwunden und ehrlich gelegentlich Ihre Antwort aus. Eile hat es nicht, da er erst im Oktober sein Dienstjahr vollendet hat und sich dann noch etwas ausruhen und mit dem Neuen Jahr 1847 wieder in bäuerliche Thätigkeit treten könnte. (III, pp. 182 – 83)

A second letter from Arndt to the Count of Schwerin on 29 October hints that the Count may not have been so eager to receive Hartmuth into his tutelage: Der junge Mensch ist zwei Jahre bei zwei der tüchtigsten Landleute in Pommern und Rügen gewesen; aber praktisch und vielseitig will der Ackerbau gelernt werden, und deswegen wäre es mir lieb, wenn er noch andere größere Wirtschaften mit ihren Verschiedenheiten im Betriebe sähe. Ich wünsche übrigens gar nicht, daß er dabei nur so herumlaufen soll, sondern daß Ihr Verwalter ihm gelegentlich bestimmte Geschäfte aufgebe. Ich werde, wenn Gott unterdessen nicht mit etwas dazwischen tritt, ihn senden, wann die Tage des beginnenden nächsten Jahrs sich zu verlängern anfangen und allmälig an den Frühlingspflug gedacht wird, etwa Mitte Februars 1847, wo er inzwischen ein paar Wochen, ehe er bei Ihnen thätig wird, noch andere Verwandte, die etwa 8 –10 Meilen gegen Norden hinaus wohnen besuchen kann. In Einem Fall, der aber kaum wahrscheinlich ist, mögte er noch wohl über Jahr und Tag hier bei uns daheim bleiben: wenn nämlich die Landwirtschaftliche Anstalt für die Rheinlande, welche hier in Bonn ihren Sitz haben soll, schon den nächsten Ostern in Wirksamkeit träte. Aber, wie gesagt, dies ist nicht wahrscheinlich – ferner kann der Jüngling dieselbe auch später benutzen. (III, p. 186)

Arndt’s efforts are successful and Hartmuth spends the year 1847 in Putzar learning more about his intended profession in agriculture. On 7 April Arndt writes to his son that this time is critical for his future welfare: “Also der Ackerbau das ist nun Deine Kunst und darauf must Du allen möglichen Fleiß wenden”. But Arndt still admonishes him not to spend too much time hunting and fishing – even though that, too, is a part of country life. The unrest accompanying the March revolutions in 1848 and the efforts to elect a national assembly in the German Federation overshadow the personal situation of Hartmuth who is still in Putzar at that time but may be called up as a reservist to put down the revolutionaries. Arndt sends 30 Thaler and writes to him on 3 April: “Wird wirklich Krieg und wirst Du aufgeboten, so hoffe ich, wirst Du Dich wie ein rechtschaffener und tapferer deutscher Jüngling betragen und, wenn Gott es so will, die Kugel lieber in der Brust als im Rücken empfangen”. Arndt’s antirevolutionary views are also reflected in a letter to his sister Dorothea the same day: Der König, von ein paar jämmerlichen Kerlen umgaukelt, hat uns die deutsche Sache sehr vertrödelt und verdorben, und sie liegt schwer da. Ich bin entschlossen, wenn es toll werden sollte, zu endigen, wie ich gelebt habe, ehrlich und tapfer und Gott wird ja Muth geben. Die Söhne mögen möglicherweise ins Feld müssen; Hartmuth schreibt schon so. (III, p. 233)

And also to Count Schwerin on 3 April as well: “Ich weiß nicht, wann und wo mein Hartmuth vielleicht ins Feld gerufen wird. Sollte das plötzlich geschehen, so lassen Sie ihm das zur Ausrüstung Nöthige gütigst auf mein conto reichen” (III, p. 234). On November 12 Arndt writes to Hartmuth from Frankfurt, where Arndt is working on a constitution for a united Germany (“Wir arbeiten hier am Verfassungswerk, [. . .]”). He advises Hartmuth to seek an agricultural position with the help of his uncle Rassow or other acquaintances in Pomeria. If he is unsuccessful,

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he should remain until early 1849 in Putzar and then return to Bonn in order to take classes at “die dortige Landbauakademie”. He also tells Hartmuth to address mail to “Ernst Moritz Arndt/Volksbote zum deutschen Reichstag” so that no postage is needed. Two weeks later Arndt writes (29 November) that Hartmuth should remain in Putzar until the end of February and then return to Bonn. During the period 1849 – 50 Hartmuth apparently studies at the Landwirtschaftliche Anstalt für die Rheinlande in Bonn. The uprising of the insurgent army of Holstein against Denmark in the summer of 1850 after Prussia had concluded a treaty with Denmark attracts young Hartmuth as well as other German patriots. In a letter of 16 September to Henriette Hasenclever Arndt writes:“Aus meinem Hause geht heute mein Jüngster, der Hartmuth, nach Holstein ab. Er will als Jäger seine Büchse auf die Dänen abknallen, versteht den Dienst, da er bei unsern Jägern als Unteroffizier gedient und immer auch die Übungen mitgemacht hat. Gott gebe den tapferen Deutschen dort und ihm Glück!” (III, p. 370). Arndt writes to Hartmuth at the end of October (“letzter des Weinmonds”) to encourage him: “Dieser freundliche Gott nehme auch Dich in Schutz zwischen Kugeln und Schwerdtern und gebe Dir den rechten fröhlichen Muth, für Deinen treuen deutschen Glauben alle Arbeiten und Beschwerden als eine heilige Pflicht anzusehen und mit Deinen tapfern Genossen durchzuführen und zu ertragen!” He continues with the news that his reserve company has also called him to service and that due to his absence without leave in Holstein Hartmuth is now being threatened with arrest.Arndt has attempted to explain to the authorities:“Du seiest nach Holstein in den Krieg gezogen, meinend, dort für das Vaterland Deine Fertigkeit in Waffen am besten zeigen zu können”. In a second letter dated 21 November, Arndt reveals that Hartmuth could theoretically be executed as a Prussian deserter for not returning to his reserve unit in the Rhineland.Arndt calculates that Hartmuth can stay in Holstein until the 6th or 7th of December and then return to Bonn by train to avoid any penalties for desertion: “Dem in der Fremde abwesenden und entfernten Preußen ist aber ein Termin bis zum 15n December gesetzt”. However, Hartmuth stays in Holstein until the end of the insurgency at the end of the year and suffers no ill consequences. Arndt writes to his sister Dorothea on 28 December: Hartmuth steht noch in Holstein, wo er eben Officier werden sollte. Ich habe ihm das abgerathen, weil auch dort auf die eine oder andere Weise – gebe Gott, auf keine schändliche! – wohl bald alles still gelegt werden wird. Es ist ein Jammer wie Preußen durch Halbheit und dummste Feigheit uns seine eigene und die deutsche Sache verdorben hat. Zu dem Ärger des Herzens hat man noch umsonst den Stoß an den Geldbeutel: mir kosten die Ausrüstungen und Hinundhermärsche beiläufig nur ein paarhundert Thlr. (III, p. 382)

Following the debacle in Holstein, Hartmuth again returns to the task of finding a position in agriculture. The last two letters by Arndt to his son in the collection emphasize Hartmuth’s need to practice his handwriting. On 18 December 1851 Arndt writes: “übe Dich eine klare Geschäftsmannshand (eine Kaufmanns-LandmannsHand) zu schreiben: ich meine (sowohl mit lateinischen als deutschen Buchstaben) klarer und größer, etwa so, wie ich Dir unten sogleich das Beispiel geben will”. On

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29 January 1852, Arndt again reminds Hartmuth “daß Du in Deiner Handschrift Deinem alten Vater nachzuahmen strebst: nämlich immer starke und klare Züge (rechte adliche Schreibzüge) mit Deiner Feder ziehen zu lernen”. Arndt closes this letter as he so often did with a play on his son’s name and signing the letter as his oldest friend: “Ade und frohen harten Muth! Dein ältester Freund”. Attempts during the early 1850s to find suitable employment for Hartmuth apparently led nowhere. On 10 February 1854 Arndt writes to a friend “Liebste Freundin” that things are not going well for Hartmuth and his position in life: “Harmuth hat einstweilen noch wenig Aussicht” (III, p. 458). At the end of year on 26 December, Arndt writes to Elisabeth Eichenberg: “Hartmuth? Ja das sind Zeiten jetzt an neue Pachtungen und dergleichen Unternehmungen zu denken, wo Alles auf Krieg droht und er vielleicht mit ins Feld wird aufgeboten werden und endlich gegen die Moskoviter fechten muß” (III, p. 474). The crisis in Crimea seems now to dominate the picture and threatens to interrupt any plans for Hartmuth. At this juncture Hartmuth appears to have reached the decision – despite the wishes of his father expressed at his birth in 1824 – to depart Germany for the American wilderness. Arndt writes on 27 March 1855 to Georg Ernst Reimer: “Mein Bauer Hartmuth will nun auch Seemann werden, d. h. über See gehen, nach Amerika – nicht ganz mit meinem Willen. Er konnte sich auch hier mit einer Farm begnügen. Indessen man darf Willen und vielleicht Glück der Kinder nicht brechen” (III, p. 486). Arndt appears resigned to his son’s departure in a comment to Elisabeth Eichenberg on 31 March:“Hartmuth läßt sich nicht halten, geht wirklich Ende Aprils nach Amerika ab. So sind die Menschen” (III, p. 486). And Arndt’s wife is quite upset by the prospect of her son’s departure for the New World, yet he is assisting in securing what is needed for his son’s trip: “Ihr (Nanna’s) Herz ist sehr bewegt, da der Hartmuth in wenigen Tagen abfährt: Da giebt es Ausrüstungen von Sachen und Geld, und auch das Herz bekommt seine Stösse” (to Elisabeth Eichenberg on 19 April; III, p. 488). Hartmuth leaves Bonn by train on 26 April 1855 for Bremen where F. A. Delius (Royal Prussian General Consul) is requested to take care of him and send him off to America. In the U. S., Arndt had contacts with a businessman named Clas(s)on with offices in New York and New Orleans. Hartmuth was to be assisted in the U.S. by Clason. Arndt writes to Delius on 24 April: Mein Sohn geht übermorgen mit der Eisenbahn von hier, wird also hoffentlich noch Zeit haben, sich in Ihrer ehrwürdigen Hansestadt noch ein wenig umzusehen. Er wird sich an Ihre Freundlichkeit wenden und über Alles von Ihnen die nöthige Kunde empfangen, auch die 70 Thlr Gold in Ihre Hand auszalen. Empfehlungen und Geldbrief hat er an das Haus Boken Newjork und auch durch einen wackern Freund Herrn Classon, der sich hier neben mir angebaut hat und in Manchester und New Orleans ein Geschäftshaus hatte [. . .] Indem ich Ihnen meinen jungen Bauer so zuschicke sage ich noch einmal meinen allerbesten Dank und verharre mit den treuesten Wünschen für Ihr und des Vaterlandes Wohl. In deutscher Treue, Ihr E. M. Arndt. (III, p. 488)

After three months, no word has been heard from Hartmuth. Arndt writes to his oldest son, Carl “Treu” on 22 July:“Von Hartmuth haben wir noch keine Nachricht.

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Er ist nicht mit meinem Willen nach Amerika gegangen: ich konnte ihn nicht halten. Möge er, der hier mit kleinem Glück nicht plagen wollte, dort größere finden!” (III, p. 492). However, by December Hartmuth is sending letters home from the U.S.: “Hartmuth schreibt vergnügte Briefe übers Meer” (to Elisabeth Eichenberg on 7 December 1855). With the exception of the mention of Hartmuth’s name by his mother in a letter of 14 April 1856 to Friederike Friedrichs (III, p. 508), this is the last mention of Hartmuth in any of Arndt’s published letters. For the next twenty years until Hartmuth’s death in 1876, the traces of him and his family are quite limited. Hartmuth apparently settles in or near Milwaukee,Wisconsin, after his immigration in 1855. It is apparently here that he meets another immigrant from Prussia, Emilie Stäge, and marries.10 Their first daughter, Anna, was born in Wisconsin 14 June 1858. A handwritten “Geburts- und Taufbescheinigung” in the Arndt Collection states: Anna Hermine Ernestine, Tochter des Hartmuth Arndt und der Emilie Arndt geb. Stäge ist geboren den 14 Juni 1858, und getauft am 19 September in selbigem Jahre. Taufzeugen: Hermann Sanders; Wilhelm Stäge; Ernestine Buß. Diese Zeugen waren gegenwärtig. Ferner waren als Zeugen auserkohren die beiden in Deutschland lebenden: Ernst Moritz Arndt und Roderich Arndt. 4 September 1858. Staat Wisconsin, Nordamerika.11

Of particular interest here is that Ernst Moritz Arndt – two years before his death – was an absent baptismal sponsor for his granddaughter born in the United States. A German immigrant family living in Wisconsin at the end of the 1850s is certainly nothing unusual – there were literally thousands of such families in Wisconsin, which still today has the largest percentage of German ancestry of any state in the U.S. (over 50 %). The story of the Hartmuth Arndt family, however, reveals a much less normal pattern over the next several years. Based on family information and census records, we can reconstruct the following. By the beginning of 1860 the family was living in Columbus, Mississippi. Why a young German immigrant family would make such a move is very puzzling. Secondary settlement of a family was not uncommon, however, in those cases we would expect a move to the west or southwest not to a state in the deep south. As noted earlier, the second daughter, Mary, was born in Columbus, Mississippi, on 5 March 1860. The 1860 U. S. Census confirms that this family was living in Columbus on 5 August 1860, the date of enumeration. The entry provides the following information: “Fredrick Arndt, Gardener, age 36 born in Prussia” with wife “Amelia, age 25, born in Prussia” and two daughters Anna (two-years old born in Wisconsin) and Mary (age 5 months born in Mississippi). The head of the household is John Colmann (age 28, born in Prussia, a gardener).12 It is only speculation, but it could be 10

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Based on the entry for “Amelia Treat” in the 1900 U.S. Census, Emilie Stäge arrived in the U.S. in 1856, was married to John J. Treat for 23 years and was born in 1835 in Germany (Twelth Census of the United States, Ward 5, Kansas City, Wyandotte County, Kansas, 20 June 1900). Courtesy of the Robert Schultheis, Jr., family. The name of the pastor is illegible on the document as well as the location. It is assumed that the family lived in or near Milwaukee. Eight Census of the United States, Columbus, Lowndes County, Mississippi, 5 August 1860.

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Abb. 12: The Hartmuth Arndt Family. Front row, left to right: Minnie Arndt, Hartmuth Arndt, Emilie Arndt, Mary Arndt. Back row: Anna Arndt. Year: ca. 1870. Source: ErnstMoritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas.

that these two Prussian “gardeners” found employment on a larger plantation near Columbus. Perhaps working on a larger agricultural estate in the South may have appealed to Hartmuth. His use of his middle name for the census enumeration is also not surprising. Enumerators wrote down what they could and strange first names may have been avoided. Of course, living in Mississippi within one year of the outbreak of Civil War hostilities and in one of the states that seceded from the Union put the Hartmuth Arndt family in a very difficult situation. Unfortunately, we have absolutely no information what happened to the family during the next couple of years. The only shred of evidence is the date and place of birth of the third daughter, Minnie. According to family records, Minnie was born in Fort Barrancas, Florida, on 12 October 1863. At first glance, we find the family now in a second state in rebellion with the Union. However, Fort Barrancas, which guarded the port of Pensacola, Florida, had been recaptured by Union forces in spring 1862. It is speculation, but it is possible that the family sought refuge in the Union controlled fort. How they were able to get from Columbus, Mississippi, to Fort Barrancas during the Civil War remains unknown.

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The next piece of evidence on the whereabouts of the Harmuth Arndt family is a letter dated 14 March 1866 from Hartmuth’s half-nephew Carl Siegmar Arndt.13 Siegmar has apparently just arrived in the U. S. and has been visiting acquaintances in the Wisconsin area. He writes to one of these: Milwaukee, March 14th 1866 Lieber Buhs! Wahrscheinlich werden Sie und die Ihrigen schon oft mit Recht gedacht haben, daß ich ein undankbarer Mensch sei, der weder etwas von sich hören läßt, noch sein Versprechen zu schreiben hält. Ich will nun suchen mein Unrecht wieder gut zu machen und Ihnen das Wenige was Sie interessieren kann, mittheilen. Ich habe mich, sobald ich von Ihnen hier zurückgekehrt war, brieflich mit meinem Onkel in Verbindung gesetzt und von ihm erfahren, daß es ihm und dessen Familie gut geht. Wahrscheinlich wird er auch an Sie geschrieben haben und erzählt haben, daß er ein Boardinghouse eingerichtet hat. Hartmuth hat mich wiederholt aufgefordert zu ihm nach Westport zu kommen, was ich der weiten und großen Reise nicht ausgeführt habe. Ich bin 3 Wochen bei von Baumbach’s zum Besuch gewesen, habe dann andere 14 Tage bei einem reichen Farmer Namens Brown zugebracht und auch mit seiner Familie viele Besuche in der dortigen Gegend gemacht. Unter andern bin ich auch auf dem Thiensviller Maskenballe gewesen [wo] ich mich köstlich amüsiert habe.Auf Anrathen Brown’s und Baumbach’s habe ich eine Stelle als Clerk in einem Trachten und Fancy-goods Geschäft bei Frederic Goes angenommen, wo ich bereits über 4 Wochen bin und mich recht gut gefalle. Hoffentlich sind Sie und Ihrer lieben Frau Schwiegermutter und der kleinen lieben Mary recht wohl, ebenso August & Wilhelm Steeg. Grüßen Sie alle recht herzlich von mir. Ich erinnere mich noch oft mit vieler Freude der angenehmen Zeit, die ich bei Ihnen zugebracht und möchte sehr noch einmal einige Tage bei Ihnen zubringen zu können. Dies geht nun für’s Erste nicht. Vielleicht später. Wie geht es in Kinackum, befindet sich Barkus mit seiner Familie wohl? Auch ihm überbringen Sie bei Gelegenheit meine besten Grüße. Ich werde mich sehr freuen, wenn Sie mir einige Zeilen schreiben. Meine Adresse lautet. Mr. Siegmar Arndt care of Mr. Voit Milwaukee, Wis. Und somit leben Sie wohl. Ist der dicke Vetter noch immer so schrecklich fleißig mit Spuhlen, Rübenstoßen, Kartoffelnschälen etc? Es grüßt Sie aufs herzlichst. Ihr ergebener Siegmar Arndt14

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Carl Siegmar, the son of Carl “Treu” Arndt, was forced to immigrate to the U.S. following an incident in the army. Siegmar as he was known arrived in the U.S. in December 1865 and settled in Milwaukee, Wisconsin. Letter in the Arndt Collection. I was assisted in transcribing the handwriting of the letter especially by Ernst Dick and Winifred von Arndt for which I am most grateful.

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While it is not immediately clear who “Buhs” is, subsequent investigation has revealed that this was the brother-in-law of Hartmuth who was married to Emilie’s sister Ernestine Stäge. Ernestine had married an August Buss and lived north of Milwaukee, Wisconsin, in Sheboygan County.15 Of interest to our endeavor is the mention of “Onkel Hartmuth” who is operating a boardinghouse in Westport [Missouri – modern day Kansas City, Missouri]. Despite Hartmuth’s desire that Siegmar visit him, Siegmar has not been able to make the trip to Kansas City. This is the first clear piece of evidence that the family is living in or near Kansas City. A second letter in the Arndt Collection is most revealing. This is a double letter written by Hartmuth and his wife Emilie to her sister and brother-in-law on 24 November 1867. Hartmuth writes to his brother-in-law (August Buss) and Emilie writes to her sister (Ernestine Buss). From this letter it is clear that the family has acquired a farm near Kansas City.They are rapidly developing the property and are eager to receive visitors. Emilie has some difficulty in writing; Hartmuth’s hand – perhaps due to his father’s admonitions is much clearer and grammatically correct: Kansas City, den 24. November 1867 Lieber Schwager! Da Emilie an Tine geschrieben hat, brauch ich nur wenige Zeilen hinzuzufügen. Auch ich wünsche sehr, daß du uns diesen Winter besuchst. Zeit kannst du dir schon nehmen. Ich mögte doch gar zu gern dich einmal wiedersehen und daß du sehest wie wir hier wohnen und eingerichtet sind. Auch hätte ich gar zu gern unsere liebe Marie auf einige Tage hier. Du sollst sie wieder nach Wiskonsin nehmen. Auf der Reise brauchst du sie gar nicht anzugeben. Kinder gehen frei. Am besten reist du mit der Railroad über Milwaukee nach Chicago und von Chicago nach St. Luis und von Sankt Luis nach Kansas City. Wenn du kommen willst, entschließe dich schnell und schreibe uns gleich damit wir dich erwarten können. Du kannst auch im Winter sehen wie unsere Farm beschaffen ist. Wenn du etwas von eurem Gewebten mitbringst, will es Emilie bezahlen. Wir haben diese Woche unsere letzten Kartoffeln ausgemacht und die Rüben. Kartoffeln haben wir nicht viele, etwas über 100 Buschel. Die Rüben sind sehr gut! Bis jetzt haben wir sehr trockenes Wetter gehabt, das hat unseren Weizen etwas zurückgehalten. Heute Nachmittag hat es endlich angefangen zu regnen. Der Regen wird unseren Weizen aufhalten. Er steht schon dicht genug. Diese Woche haben wir auch 150 Obstbäume gepflanzt. Wir kriegen jetzt eine gute kürzere Straße nach Kansas City. Doch das Beste ist, du kommst selbst und sehest. Ich denke, es wird dir hier gefallen. Uns gefällt es hier sehr gut.Von meinem Bruderssohn hörte ich neulich, er wolle dich im Herbst besuchen und Zanders wolle mich besuchen. Ich habe seitdem nichts mehr gehört. – Entschließe dich kurz und komm! Ich weiß, du kannst dir die Zeit nehmen und es wird dich nicht gereuen. Fünf und Zwanzig Dollar will Emilie daran schenken. Das übrige Geld kannst du solange behalten wie du willst. Tausend Grüße an Tine, Großmutter, Marie und alle, von deinem treuen Schwager H. Arndt

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Tenth Census of the United States, Town of Scott, Sheboygan County, Wisconsin, 1880, enumerates the following household: August Buss, age 53, born in Prussia; Ernstine [sic] Buss, age 47, born in Prussia; Scharlotte [sic] Stage, age 71, born in Prussia. Charlotte Stage is undoubtedly the mother of both Ernestine Buss and Emilie Arndt.

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Wenn du meinen Bruderssohn siehst, grüße ihn von mir und Emilie, sage ihm aber nicht, daß wir dir 25 Dollars geben, wenn du uns besuchen willst. Er mögte sonst böse werden, daß ich ihm nichts schicke, damit er mich besuchen könne. Liebe Schwester Da ich wieder gesund bin muß ich dier ein par zeilen schreiben. Ich habe nach dem andern Fieber das kalte Fieber gekricht da ich es die letzte Woche wieder gehabt habe neme ich immer Medizin. Wier haben schönes Wetter hier. Wier haben die letzte Woche unsere letzten Kartoffeln aufgemacht und die Rüben. Liebe Schwester da ich wohl lust hette diesen Winter euch zu besuchen, wünschten wiehr lieber das einer von euch kehm der August hat wohl zeit der könte kommen und die Marie mit brechte die reise kost ihr nichts auf der Relroth du brauchst sie nicht an zu geben wen du komst 25 Dular kanst du von die Hundert Dolar nemen die schenk ich der zu der Reise. Wen du kommen soltest wünschte ich das du mich samen aller arten von die Ernestine mitbrechtest meinenen haben die Grashopper all gefreßen.Wen einer von euch kömt der kan mier von eurem gewebten mit bringen da ihr euch wieder weben könt. Wier hoffen nach Neujahr die Farm frei zu machen. Da wier 1600 Dular von Deutschland erhalten vom Vater.Wenn unsere Ernte gut ausfällt kommen wier alle nechstn Herbst nach Wiskansinn. Viele grüße an euch allen Emilie Arndt16

The farm is clearly a dream come true for Hartmuth and Emilie – despite the ferocity of the grasshoppers. They are proud of the potato harvest and the turnips as well as the fruit trees recently planted. They provide detailed instructions on how to get to Kansas City from Wisconsin and hope to visit family in Wisconsin themselves. It does appear that Ernst Moritz Arndt’s hope for his son has become a reality. He is a farmer in the American wilderness. It turns out that the farm was located in the western part of Wyandotte County, Kansas, west of Kansas City. The community in Shawnee Township known as Turner was the focal point of this agricultural settlement. The 1870 U. S. Census does enumerate a Prussian immigrant family with three daughters born in three different states living in the township as follows: “Hartman Arnald, age 46 born in Prussia” with wife Amelia (age 35 born in Prussia), and daughters Annie (12 born in Wisconsin), Mary (10 born in Mississippi) and Millie (6 born in Mississippi). Hartmuth is a “farmer” with real estate valued at $ 3,600. In the household are also two 38-year old farm laborers, both born in Prussia (Albert Reske and Linard Cohl). The coincidences are enough to be certain that this “Hartman Arnald” is “Hartmuth Arndt” – again the enumerators wrote down what they heard.17 However, with success came sudden tragedy. Six years later on 26 March 1876, Hartmuth is dead and is buried in the local cemetery in Turner. His gravestone reads:

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Arndt Collection. I gratefully acknowledge the assistance of Ernst Dick and Winifred von Arndt in transcribing this letter. Ninth Census of the United States, Edwardsville, Shawnee Township, Wyandotte County, Kansas, 28 June 1870.

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FAREWELL. HARTMUTH F. ARNDT. BORN Mar. 26, 1824, In the City of Bonn on the River Rhine Germany. DEPARTED THE LIFE March 26, 1876, In the Co. of Wyandotte, Kansas. He was beloved by all who knew him.

Epilogue A year and a half later, his youngest daughter, Minnie, also dies and is buried next to her father: Minnie dau. of H. & A. Arndt died Oct. 5, 1877, aged 14 years. Illegible verse.

Hartmuth’s widow Emilie soon married John Treat in Armstrong, Kansas, since they were married twenty-three years according to the 1900 U.S. Census. The 1880 U.S. Census enumerates her (Amelia age 44) and her daughter Anna Arndt (age 22 born in Wisconsin) in the J. J. Treat (machinist age 45 and born in New York) household as well as Anna’s future husband, George N. Herron (G. M. Herron age 25 born in Missouri and a fireman).18 The second daughter has not been found in the 1880 Census. Anna Arndt married George N. Herron (born 4 December 1854 in Westport, Missouri) in Armstrong, Kansas (now Kansas City) on 24 November 1881 and had six children. Mary married Harry Cook (born in England 14 October 1858) around 1893 and died in Colorado Springs, Colorado, on 27 April 1897 and was buried in Kansas City. She had no children. Emilie Treat is enumerated for the last time in the 1910 census for Kansas City and died in 1915. The heritage of Hartmuth Friedrich Arndt, “Farmer in Kansas,” continues in the descendants of his daughter Anna Herron to the present day.

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Tenth Census of the United States, Village of Armstrong, Wyandotte Township, Wyandotte County, Kansas, 15 June 1880.

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Abb. 13: Tombstone of Hartmuth Arndt. Year: Unknown. Source: Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas.

V. Dokumente

Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

Twenty-one unpublished letters from the Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies of the University of Kansas, Lawrence Edited and with an introduction by Walter Erhart and Arne Koch

Introduction The following documents are an edition with commentary of twenty-one recently rediscovered, unpublished letters by Ernst Moritz Arndt to his son Friedrich Hartmuth Arndt. On the surface, this correspondence represents a minor addendum to the voluminous and still growing corpus of 2000 Arndt-letters collected by a number of different editors, most notably among them, Albrecht Dühr and his impressive three-volume edition.1 Arndt-scholars will nonetheless be highly interested in these documents. After all, the letters’ biographical minutiae confirm the noted chasm between the pamphlets and accounts of this repeatedly condemned writer, scholar, and fervent nationalist and his private and, at times, insipid correspondence.2 Even so, one remarkable fact allows this collection to stand out in the throng of Arndt letters: this particular edition represents the only available and documented set of letters written by E. M. Arndt to his son Hartmuth. As a result, these documents reveal essential first-hand information about Hartmuth and his father that until now could only be surmised secondarily and reconstructed via existing letters to other recipients about Hartmuth. Aside from new insights about Hartmuth’s agricultural career in Pomeranian Buchholz and elsewhere,3 this present edition also reveals historical information about Hartmuth’s military service year in Wetzlar, along with his subsequent deserter status for abandoning his Prussian troops to join the fight for independence against Denmark in 1850.4 (Editorial commentary throughout this edition will point out some necessary revisions for letters in other editions of Arndt letters, both with regard to the identification of people and the dating of letters.) 1

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Albrecht Dühr (ed.): Ernst Moritz Arndt. Briefe. 3 Vols. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1972, 1973, 1975. For a biographical introduction to Friedrich Hartmuth Arndt (1824–1876), see the essay by William Keel in this volume. The only previous evaluation of these letters and of the characteristic accumulation in Arndt’s correspondence of “zärtlicher Fürsorge und bürgerlichprotestantischer Strenge,” which became essentially the norm during the nineteenth century, can be found in Walter Erhart: “Dein ältester Freund”. Einundzwanzig unbekannte Briefe von Ernst Moritz Arndt.In:Baltische Studien.Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte 89 (2003/2004), pp. 129–136. For example, Letters III (1843 September 19) and XX (1851 December 18). See Letter XIX (1850 November 21).

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

For readers with a more general fascination with the lives of ordinary Germans during the long nineteenth century, Arndt’s commentary offers something of substance. Documenting everyday life in the Arndt households in Bonn and Frankfurt am Main, these letters converge on a number of main issues: Arndt’s thoughts and commentary about family and friends, his encouragement to uphold a firm belief in God, the ups-and-downs of harvest and weather reports, and, most markedly, a variety of worries of a caring parent for his children. This latter component primarily consists of an impressive, but, at times, repetitive range of rules of conduct and directives for Arndt’s son. Included are, for instance, repeated appeals to Hartmuth to use good fiscal judgment,5 a necessity to acquire a proficiency in Low German,6 the upholding of honorable character traits (e. g. variations of industriousness, productivity, and respectability),7 and simply the encouragement to respond more regularly in writing to his father.8 These and other paternal remarks visibly tie together Arndt’s letters with a quality that is best described as at once caring and steadfast. Despite such a tangible emphasis on very private affairs, Arndt’s letters also reveal explicit historical, political, and social remarks by Arndt that extend far beyond the boundaries of family life. Sporadic, fractional passages of this kind – sometimes but a sentence or two – may not enable readers to gain new or deeper insight into Arndt’s world view or ideology. Nevertheless, a number of letters underscore the true historical significance of these documents: Arndt’s letters from the year 1848 – particularly two letters written during his tenure as a delegate in the Frankfurt Parliament in which he comments on the struggle to draft a constitution amid rampant disagreement9 – along with his enthusiastic, but forewarning words about the implication for Germany stemming from the struggle for independence of Schleswig-Holstein against Denmark are most notable.10 However, just as important as the letters’ historical significance may be is the reality that these kinds of letters reveal, namely the unmistakable proximity of private and political concerns during such periods. Aside from the already noted contribution of this edition to Arndt-scholarship and the editions by Dühr and others (Hans-Joachim Hacker et al. [1995]), this collection also hopes to broadly serve the interests of German and American scholars in the interconnections of German-American history and questions of patriotism. As the central piece of the Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the University of Kansas, this edition of letters should intensify more research into the previously overlooked emigration history of the Arndt-family to America. In late December 2002, KU’s Max Kade Center for German-American Studies at the University of

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Letters II (1843 August 7) and V (1843 December 12). Letter V (1843 December 12). See among others, Letters XI (1846 March 2) and XII (1846 June 7). For example, Letters I (1834 July 4) and X (1845 October 12). Letters XVI (1848 November 12) and XVI (1848 November 29). Letter XVIII (1850 October 31).

Twenty-one unpublished letters from the Ernst-Moritz-Arndt-Collection

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Kansas received this generous donation of the twenty-one letters dated 1843 to 1852 from the Arndt-descendants Grant and Ellen Schultheis Kelley from Kansas City, Kansas (USA), along with additional letters by and from Hartmuth Arndt, numerous photographs from the 1800s, and a collection of personal items, ranging from E. M. Arndt’s letter seal to silverware.11 Even though E. M. Arndt’s letters to his son were all written prior to his emigration to the United States in 1855 and are therefore predominantly items to have helped Hartmuth remember his family and Heimat, these letters tie together a valuable collection that is yet to be fully evaluated.12 Aside from the E. M. Arndt letters in this volume, KU’s Ernst-Moritz-Arndt-Collection also holds twenty-four additional unpublished, mostly untranscribed letters: among these are letters by Arndt’s second wife Nanna Schleiermacher Arndt to Hartmuth; by Arndt’s sister Charlotte Dorothea Rassow to Hartmuth; by Arndt’s daughter Nanna Nitzsch and her husband Ernst Nitzsch to Hartmuth (including a number of letters sent to Hartmuth after his emigration to the U. S.); by Arndt’s son Roderich to Hartmuth; as well as further letters from and to the family of Hartmuth Arndt. Detailed and updated information regarding the content of KU’s still growing Ernst-Moritz-ArndtCollection can be found online at the homepage of KU’s Max Kade Center for German-American Studies: http://www.ku.edu/~maxkade/resources.htm

About this Edition The reproduction of the letters closely follows the unpublished originals from the Ernst-Moritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas, Lawrence.The letters are presented chronologically, in accordance with the collection. The first line contains the respective number of each letter, as Roman numerals according to the collection, along with the resolved date. Each letter is preceded by a brief description, including page numbers of the originals and the dimensions. Most of the letters, which are kept in individual transparent jackets, are in good condition. Only a few words in the originals hindered the editing due to ink smudges and creases. Spelling and punctuation of the originals was preserved. If necessary, what could appear as misspellings was noted accordingly (e. g. bischen). Only when a transcription was in doubt did the edition follow present-day spelling rules. Deviations from the originals are noted (e. g. if there were spelling or grammar mistakes, or if extra 11

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These twenty-one Arndt-letters were first transcribed and translated in 1948 by a student from the University of Illinois, Mr. Alvin Johnson. Copies of these documents are also part of the Ernst-Moritz-Arndt-Collection of KU’s Max Kade Center. These documents were only consulted for this present edition as a number of corrections, revisions, and updates were necessary for publication. Keel’s essay in this volume is the first example of how the letters from KU’s Ernst-MoritzArndt-Collection hope to contribute new insights to Hartmuth Arndt’s emigration in particular and to German emigration to the United States in general.

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

words were not crossed out). Underlined words and sentences in the original are printed in italics; tokens and unfamiliar abbreviations were completed in squared brackets. Paging of the originals is indicated in each letter. Footnotes were used for explanations only when necessary or appropriate. Some historical facts, although perhaps not always widely known, were not further explained as these are easily obtained by readers (e. g. details about the struggle for independence against Denmark, or the historical flood of the Rhine of 1784).

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Brief I 4. Juli 1843 4 S., 22  16,9 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 4n Julii 1843. Liebes Muthchen.1 Roderich2 und Nanna3 wollten Dir schreiben und Bericht abstatten, und ich wollte draußen bleiben, als der doch eben allerlei Schreiberei auf dem Halse hat. Schon hatte sich Dein braves Schwesterchen gestern hingesetzt und ein Briefchen angefangen, als das arme Kind mit einem Male von einem heftigen Kopfweh angefallen ward. Dies hat heute noch nicht aufgehört und eine geschwollene Wange ist noch dazu gekommen, so daß sie einem ins Wasser gefallenen Hühnchen gleich traurig in einer Ecke auf ihrem Stülchen sitzt und den Kopf hangen läßt; und daß ich für sie ein wenig in den Riß treten muß. Roderich wird Dir von den jüngsten Hausbegebenheiten wohl etwas geschrieben haben. Ich melde dir nur, daß wir endlich schönes Wetter haben, daß ich begonnen habe mich im Rhein zu baden, um meinen kranken und durch das Alter mitgenommenen Leib ein wenig für die langen Winterquartiere vorzubereiten; und daß Felder und Gärten alle in üppigster Fülle prangen. Jetzt solltest du mit den Buchholzern4 hier seyn und unsern Kirschbaum nicht bloß bewundern sondern auch besteigen: nie sind die Kirschen und Stachelbeeren so groß und prächtig gewachsen als dieses Jahr. Wir haben uns über deinen Brief aus Leipzig sehr gefreut und daß Du Dich dort so lustig unterhalten und ergötzt hast. Wir rechnen, daß Du vielleicht auch in Berlin bist oder aber abreistest, und dass Du auch da Deine Freude unter den Freunden findest; wünschen auch, daß Du die in Putzar5 zu Hause findest, wo sie Dich gewiß recht freundlich aufnehmen und nach Anklam und wieder auf die Poststraße bringen werden. In Buchholz grüßest Du alle unsre Lieben tausendmal und schreibst uns recht hübsch und ausführlich, wenn Du Dich erst einige Tage dort gefunden und umgesehen hast. Ade, lieber Sohn. Gott erhalte Dich auf fröhlichen und guten Wegen. Wir alle wünschen und grüßen sehr. Dein ältester Freund EMArndt. 1 2

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Friedrich Hartmuth Arndt (1824 – 1876). Ludwig Roderich Arndt (1821 – 1865), Redakteur der Kölnischen Zeitung, Sohn von E. M. und Anna Maria Louise Arndt, gen. Nanna (geb. Schleiermacher) (1786–1869). Nanna Wilhelmine Dorothea Mathilde Arndt (1827 – 1860), Ehefrau von Ernst Nitzsch, Tochter von E. M. und Nanna Arndt. Familie von Karl Ludwig Gustav Rassow (1786 – 1858), Domänenpächter, danach Gutsbesitzer, verheiratet mit Charlotte Dorothea Rassow, gen. Gottesgab (1787–1855), jüngste Schwester von E. M. Arndt; Buchholz bei Franzburg nahe Stralsund. Putzar, ca. 15 km südlich von Anklam.

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

Brief II 7. August 1843 4 S., 23,8  13,8 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 7n Aug. 43. Lange haben wir vergebens auf einen Brief von Dir gewartet, lieber Muth. Ich behaupte nun, Du habest uns aus Berlin einen ausführlichen Brief geschrieben und ihn jemand zur Post zu tragen gegeben, und der habe ihn weggeworfen. So wird es auch wohl seyn; denn Dein Brief aus Berlin ist nicht angekommen, und wird nun auch wohl nicht mehr ankommen. Was hast Du nun zu thun? In Deinem nächsten Briefe mußt Du uns nun von Berlin und Deinen dortigen Erlebnissen und Abentheuern erzählen. Dein Brf [Brief] aus Bholz [Buchholz] hat uns endlich aus der vergeblichen Erwartung gerissen und uns mit Vergnügen von Deiner glücklichen Ankunft in B. [Buchholz] belehrt. Jetzt vermuthe ich, wird die Ärndte dort auch beginnen und der Ohm Rassow1 Dich hoffentlich so irgendwo anstellen, daß Du rechtschaffen schwitzen und nach dem adamitischen Segen Dein bäuerliches Brot im Schweiss Deines Angesichts verdienen lernst. Schreibe mir nun im nächsten Brief, wieviel Geld Du noch nach B. [Buchholz] gebracht hast. Du mußt Dich nun nach Deiner Kasse einrichten. Einen tüchtigen Herbstüberrock ein Paar Winterhosen u. s. w. wirst Du wohl zuvörderst nöthig haben. Wenn solches Nothwendige angeschafft und bezahlt ist, dann weißt Du, was Dir für Dein Vergnügen übrig bleibt. Denn vor Neujahr 1844 bekommst Du von mir doch keinen neuen Zuschuß für das dann folgende Halbjahr. Hier ist es einige Abende bei uns Dahlmanns2 und Brandissens3 mit Saitenspiel und Gesang, wobei Roderich Lob gewonnen hat, recht munter hergegangen. Doch davon und von anderen kleinen Begebenheiten wird Nanna wohl erzählt haben. Nun diene Dir zur Nachricht, daß wir für jeden Monat einen Brief von Dir erwarten, also eine Antwort auf diesen Brief für den Monat August. Ade! Sey fleißig und aufmerksam und grüße alle tausendmal. Dein EMA. N. S. Mir geht es seit den Rheinbädern etwas besser. 1 2 3

Siehe Anm. 4, Brief I. Friedrich Christoph Dahlmann (1785 – 1860), Prof. der Geschichtswissenschaft in Bonn. Christian August Brandis (1790 – 1867), Prof. der Philosophie in Bonn, Kabinettsrat König Ottos I. von Griechenland.

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Brief III 19. September 1843 4 S., 21,5  12,9 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 19n des Herbstmonds 1843. Eben, mein guter Muth, komme ich vom Grafen Giech1 aus Nassau zu Hause, wohin ich nach 4 Jahren, wo ich zuletzt dort war, gemußt habe. Nun sollst Du wenigstens ein paar Worte von mir haben. Nanna wird wohl für uns alle ausführlichen Bericht geben. Ich und Nanna sind allein mit der Mutter zu Hause und genießen noch des schönsten sonnigen Wetters, welches nun seit drei Wochen herrscht. Die vielen abfallenden reifen Birnen und Pflaumen sehen sich vergebens nach einem Fresser um wie Du. Überhaupt ist viel Obst in unserm Garten; aber guten Wein wird es nicht geben. Du wirst wohl von Nanna hören, daß M.2 just Deinen Berliner Brief verfumfeit3 ht [hat]; was uns alle sehr verdrießt. Du wirst es nun aus Pommern gut machen und uns hübsch ausführlich erzählen, was Du dort erlebst treibst und lernst. Ich hoffe, Du greifest Dich rechtschaffen an zu lernen, wodurch Du kräftig leben sollst. Hier ist nichts Neues, als daß Brandisens nach Kopenhagen gefahren sind. Wir anderen leben so nach alter Weise. Ich bade und muß im Rhein baden so lange das Wetter es erlaubt. Ich muß meine Haut und meine Nerven im Sommer ein wenig zu stärken suchen, weil mein altes Übel mir im Winter immer härter zusetzt. Grüße den lieben Ohm und die Bilderbase4 den Moritz5 und alle Freunde und schreibe bald einen recht langen Brf [Brief] deinem [sic] alten Vater EMArndt.

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Lesart unsicher. Gemeint ist wahrscheinlich Franz Friedrich Carl Graf von Giech (1795– 1863), später Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, verheiratet mit Gräfin Henriette von Giech (1786 – 1868), Tochter des Freiherrn Heinrich Friedrich Karl von und zum Stein (1757–1831). Vermutlich Arndts Nichte Marie Sophie Arndt, die er wiederholt in der Korrespondenz mit seiner Schwester im Jahre 1843 erwähnt. Ursprüngliche Bedeutung ›verschleudern‹, später allgemein ›verderben‹ oder ›zu Grunde richten‹. Häufiges Auftreten in Märchensammlungen. Siehe u. a. Grimms »Bruder Lustig.« Arndts Kosename für seine Schwester Dorothea, da sie Arndts Kindern öfters ihre eigenen Zeichnungen und Skizzen schickte. Karl Moritz Rassow (1815 – 1876), Sohn von Karl Ludwig und Charlotte Dorothea Rassow.

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Brief IV 23. Oktober 1843 4 S., 22,4  13,3 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 23n des Weinmonds 1843. Liebes Müthchen. Ich sende Bücher an die liebe Tante mit der fahrenden Post, und da fällt es der Mutter ein, daß sie Dir für den Winter den alten Rock und Stiefeln noch mitschicken kann, und Nanna wird auch wohl ein Briefchen schreiben. Ich hoffe, Du wirst uns recht oft Bericht von Deinem Leben und von den pommerschen Freunden abstatten, welches uns immer große Freude macht. Jetzt wird hoffentlich ein Brf [Brief] von Dir an uns unterwegs seyn. Hier hat es viele Feste gegeben, unter anderem hat Dein alter Meister Kanne gestern sein Amtsjubiläum gefeiert1 und hat von der Universität die Doktorwürde vom Könige den Adlerorden erhalten; deine [sic] drei Brüder haben in einer Gesellschaft von 300 Personen dem Festmal beigewohnt und kamen erst um 8 Uhr ziemlich durchweint nach Hause. Brandisens sind alle nach Kopenhagen gefahren und, denk Dir, Dietrich2 wird als Student dort bleiben. Otto Nitzsch3 ist mit Dampf von Amsterdam nach Hamburg und Kiel gegangen, sagt, er will Dich Ostern besuchen. Ich hoffe, Du lebst wohl und arbeitest fleißig ordentlich und Deinem Ohm gehorsam; damit Du Dein Handwerk, das älteste und edelste von allen, tüchtig lernest. Thust Du das, so wird der liebe Gott Dir zu seiner Zeit auch den Weg eines bescheidenen rechtschaffenen Glückes öffnen. Wir grüßen Dich alle sehr. Dein EMArndt.

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Gemeint ist das fünfzigjährige Dienstjubiläum des Bonner Gymnasiallehrers Johann Heinrich Kanne (1773 – 1852). Vgl. Hans-Joachim Hacker et. al. (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Unveröffentlichte Briefe aus den Stadtarchiven Bonn und Stralsund. Bonn: Bouvier 1995, S. 227. Sir Dietrich Brandis (1824 – 1907), Botaniker und später Generalforstinspektor für Indien, Sohn von Christian August und Karolina Brandis. Vermutlich ein Bruder von Ernst Nitzsch.

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Brief V 12. Dezember 1843 4 S., 22,3  18,4 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 12n des Christmonds 1843. Lieber Hartmuth. Dein letzter Brief hat uns recht viel Freude gemacht, weil er uns recht ein wenig in das pommersche Leben der Freunde hineinführt. Schreib Du uns nur jeden Monat einen Brief. Uns macht es immer Freude und in Dir erneut es die Erinnerung des väterlichen Hauses. Also ein doppelter Vortheil, was man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen nennt. Auch eine andere Erinnerung bitte ich Dich recht oft zu machen, nämlich fleißig in die Kirche zu gehen und in Deiner Bibel zu lesen. Es sind jetzt so viele, welche vom Christenthum und vom Herrn Christus wenig glauben und noch schlechter davon schwatzen. Vor solchem Leichtsinn und Unglück wolle Dich Gott bewahren! Ein Mensch, der Glück und Segen aus den Furchen sucht,1 muß auch christlich zu Gott beten und danken können. Und wie Du gelernt hast, Jesus Christus ist zu allem Glück und aller Tugend der einzig rechte Führer und Weiser. Hierbei kommen 50 Thaler, womit Du Dich so einrichten mußt, daß Du für Dein Halbjahr von Weihnachten bis Johannis gut auskommst. Nicht zu viel für bloßes Vergnügen auszugeben, Dich aber in Kleidern Schuhen Schnauzbart etc. immer anständig und nett zu halten, das sey Deine Regel. Hier kommt auch ein Buch mit voll Mährchen und Leuschen,2 von welchen Du wohl schon einige erzählen gehört hast. Darin kannst Du lesen und Dir ein bischen Plattdeutsch heraus lesen, was Du von Trin und Hans3 noch nicht aufgeschnappt hast. Doch allmälig werden sie es Dir schon beibringen. Von dem Übrigen werden Dir die Andern aus dem Hause wohl berichten. So wolle Gott Dir ein fröhliches Neujahr geben und Muth und Lust zu allem Guten auch für das Jahr 1844 in Dir stärken! Amen! Dein EMArndt. 1 2

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Eine Anspielung auf Hartmuths Landwirtschaftslehre. Leuschen – aus dem Plattdeutschen, eine kurze Geschichte oder Anekdote. Gemeint ist Arndts Buch: Mährchen und Jugenderinnerungen. Zweiter Theil. Leipzig 1843. Nicht als reale Personen zu identifizieren. Aus dem Zusammenhang mit Arndts Märchen läßt sich vermuten, dass er auf seine Erzählungen wie »Der starke Hans« und »Thrin Wulfen« anspielt. Da Arndt seine Leuschen als regional und historisch verifizierbar verstand, sollte Hartmuth seine Sprachkenntnisse demnach auch durch literarisch-plattdeutsche Texte verfeinern.

Abb. 14: Faksimile des Briefes V datiert auf den 12. Dezember 1843 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 4 und S. 1.

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Abb. 15: Faksimile der Rückseite des Briefes V datiert auf den 12. Dezember 1843 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 2 und S. 3.

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Brief VI 6. August 1844 4 S., 23  13,4 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 6n des Ärndtemonds 1844. Liebes Müthchen. Nimm unsern herzlichen Dank für Deinen letzten lieben Brief. Er hat uns allen insbesonders aber mir gar große Freude gemacht. Mir ganz besonders: denn an den Ufern, wo Du jetzt äußerste deutsche Luft athmest, habe ich oft als Knabe gespielt und als Jüngling herumgewandert, und wohl mit ähnlicher Lust und Sehnsucht die ferneren Gestade Inseln und Kirchthürme erschaut. Du hast uns in Deinem Brief ein recht lebendiges Bild der Gegend und Deines Lebens gemalt, und sollst auch immer so fortfahren und uns bald wieder durch ein Briefchen erfreuen. Wir freuen uns, daß es Dir zu Malzin1 gefällt, und könnten es ja auch gar nicht anders erwarten. Dein künftiges Geschäft kannst Du bei Vetter Bamberg2 tüchtig lernen, und wenn Du Lust und Liebe zur Arbeit und zu allem Guten hast und das von Gott dem Menschen auf Erden vorgeschriebenen ora et labora3 treu im Herzen behältst, so werden der liebe Gott und sein Glück Dir künftig zu seiner Zeit auch wohl ein eignes Hüttchen bescheren. Grüße die lieben Malziner sehr und erzähle ihnen, daß der Karl Treu4 mit den Seinigen wahrscheinlich in vier Wochen schon in Trier wohnen wird. Er ist zum Forstinspektor bei der dortigen Regierung ernannt mit 1500 Thlrn [Thalern] Gehalt, was in jeder Betrachtung glücklich ist, besonders auch für seine Kinder, die er in der großen schönen Stadt leichter und besser erziehen kann. Ihr werdet Eure Ärndte nun wohl glücklich vollbracht und die letzten 12 Tage auch wohl schönes Wetter gehabt haben; denn hier ist es jetzt sehr schön und warm. Neues weiß ich nicht zu schreiben, als daß Otto Nitzsch von Kiel hierher bald zurückkömmt. Nanna wird Dir wohl viel erzählen. Wir grüßen Dich alle herzlich. Erhalte Dich Gott auf guten Wegen! Dein EMArndt. N. S. Die Einlagen laß mit der Post laufen. 1 2

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Maltzien (heutige Schreibweise) – Ort auf Rügen, ca. 1,5 km südlich von Groß Schoritz. Karl Friedrich David Bamberg (1792 – 1864), Pächter in Malzin/Rügen, Ehemann von Rosalie Arndt (1801 – 1850), Nichte von E. M. Arndt. Lateinische Zitate werden in den Briefen von Arndt durch die lateinische Schrift betont. Karl Moritz Arndt, (1801 – 1885), gen. Karl Treu, Forstwirt, ältester Sohn von E. M. Arndt aus erster Ehe mit Charlotte Marie Quistorp (1779–1801).

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Brief VII 3. April 1845 4 S., 22,7  18,8 cm, 4 S. beschrieben. Bonn 3n des Frühlingsmonds 1845. Lieber Muth. Weil die andern faul sind, so muß ich mich hinsetzen und ein paar Worte mit Dir wechseln. Es ist eben auch der Wetter- und Monats-Wechsel, und zwar auf eine hoch anmuthige Weise. Der sonst so übel verschrieene April, zu deutsch Frühlingsmond genannt, hat sein Regiment wirklich so freundlich und anmuthig mit milder Luft und warmem Sonnenschein begonnen, daß Dein Schwesterchen schon nach den Veilchen ausschauen gehen kann. Ich kann mir wohl denken, was Ihr für einen Winter gehabt haben mögt. Wir hatten ihn fast 4 Monate, und zuletzt, Ende des Hornungs und Anfang des Lenzmonds, am allerhärtesten.Auch hat nach dem Thauwetter der viele Schnee, der im Oberlande und auf die Berge gefallen war, eine gewaltige Fluth gegeben. Hier ist sie seit 1784 – (61 Jahren) nicht so hoch gewesen. Zum Glück war der Eisgang gelind; sonst wär’ es fürchterlich geworden. Doch sind viele schlimme Überschwemmungen und Damm- und Deich-Durchbrüche erfolgt, so daß ganze Dörfer, Menschen und Vieh, weithin haben flüchten müssen, vorzüglich zwischen Köln und Düsseldorf.Auch uns gegenüber standen Brühl, Kombahn,1 Geislar2 und ein großer Theil der Ebne ist unter Wasser. Nun beginnt auch das Bauen wieder aus Leibeskräften, und wann Du hierher zurückkommst, wirst Du die nächste Gegend um Bonn sehr verändert finden. Uns selbst geht es leidlich und ich habe einen ziemlich guten Winter gehabt, was ich bei meinem hohen Alter und bei manchen Gebrechlichkeiten, die das Alter mitbringt, mit Dank gegen Gott erkennen muß. Pfingsten wird mit der Mutter und Nanna hoffentlich ein Zug nach Trier3 gewagt. Wenn Du die gute Pistorius4 siehst, so grüße sie sehr. Und auch die Frau von Kathen5 in Ptbus [Putbus]6 und Frau von Uberg7 mußt Du mal mit herzlichen Grüßen besuchen. 1

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Combahn – Ort am rechten Rheinufer; 1892 mit Beuel (heute: Beuel-Mitte des Stadtbezirks Bonn-Beuel) zusammengelegt. Ort am rechten Rheinufer, ca. 6 km entfernt vom heutigen Ernst-Moritz-Arndt-Haus. Arndts Sohn Karl Treu lebte mit seiner Familie in Trier. Charlotte Helena Henriette Pistorius (1776 – 1850), geb. Pritzbuer, Ehefrau des Garzer Pfarrers Johann Phillip Pistorius und Freundin von E. M. Arndt. Jeanne Henriette Charlotte von Kathen (1777 – 1850) geb. von Mühlenfels, Ehefrau des Gutsbesitzers Karl von Kathen auf Götemitz/Rügen und Freundin von E. M. Arndt. Ort ca. 8 km südlich von Bergen/Rügen. Person war nicht zu ermitteln.

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

Gott gebe Euch nun einen schönen Frühling und ein reiches Jahr! Tausend Grüße den lieben Bambergs und auch dem Pastor Bamberg.8 Dein EMA

Brief VIII 17. Mai 1845 4 S., 22,1  17,5 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 17n des Wonnemonds 1845. Lieber Muth. Eben kommen wir aus Trier, und es ermahnt uns die lange gesäumte Zeit Dir einmal wieder ein Wörtchen zu schreiben. Die Mutter und Nanna waren länger in Trier. Ich bin nur etwa drei Tage da gewesen, um sie abzuholen, wo wir denn mit Dampf die schöne Mosel und den Rhein bis an unser Haus hinunter gekommen sind. Die Treuschen1 Leute haben wir dort im Ganzen wohl gefunden, obgleich ein paar Kinder eben etwas fieberten. Einige der Kinder werden recht hübsch, unter andern der Astolf,2 dessen breite Baschkirennase3 jetzt ganz menschlich herauswächst und der nebst dem kleinen Siegmar4 ein ganz freundlicher netter Junge ist. Bei uns ist dies Jahr nach dem langen Winter alles spät. Spargel sind noch nicht lange da, und unsre Apfelbäume prangen erst jetzt in der Pracht der vollen Blüthe. Die Blüthe aller Obstarten ist unermeßlich und auch die Kornfelder versprechen vielen Segen. Mit dem Wein mag es wohl mislich werden, da die Blüthe wegen des kühlen und nassen Mais spät eintreten wird. Wir werden nun wohl Ende Augusts oder Anfang Septembers sehen, wie Du in Pomerania groß und stark geworden seyn wirst. Ich hätte nun gern, und ich bitte Dich darum, daß Du nun mal auf ein 85 Tage nach Putzar zu Schwerins6 reisest. 8

Person nicht eindeutig zu ermitteln. Ein späterer Brief läßt jedoch vermuten, dass es sich um Theodor Bamberg handelt, den Arndt dort und andernorts als »Vetter« adressiert. Siehe Anm. 8, Brief IX.

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Familie von Karl Treu Arndt. Georg Astolf Arndt (1834 – 1915), Sohn von Karl Treu und Clementine Arndt, geb. Helbig (1804–1860). Eine breite, platte Nase; Baschkiren – Tatarenstamm am Kaspischen Meer. Karl Siegmar Arndt (1836 – 1917), Sohn von Karl Treu und Clementine Arndt. Der Brief folgt an dieser Stelle der Handschrift. Es ist unklar, ob Arndt lediglich vergessen hat, das Wort ein zu streichen (also: auf 8 Tage), oder ob er noch ein weiteres Wort hatte einfügen wollen. Familie von Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin, bekannt unter dem Namen Schwerin-Putzar (1804 – 1872), Gutsherr auf Putzar und preußischer Staatsminister.

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Man darf so liebe Verwandte, wie die uns sind, nicht vernachlässigen, zumal da sie um Deinen Besuch gebeten haben. Auch werden sie Dich auf das freundlichste aufnehmen, wie sie uns lieb haben.Vor Vornehmigkeit hast Du da überhaupt gar nichts zu fürchten. Du fährst nach Anklam und meldest Dich dort auf dem Landrätlichen Amt, wo Du Schwerin vielleicht selbst findest. Hier ist alles noch ziemlich nach alter Weise, und alles grüßt Dich sehr. Ade! Sey brav und rüstig und grüße unsre lieben Bambergs tausendmal. Dein EMA.

Brief IX 13. Juni 1845 4 S., 22,3  17,4 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 13n des Brachmonds 1845. Lieber Muth. Nur ein kurzes Briefchen, weil ich vom Bade im Rhein matt bin und die Andern sich von der Hitze so angegriffen fühlen, daß sie gar nicht schreiben wollen. Ich schreibe also ein paar Worte, damit Du in Malzin noch einen Brf [Brief] von mir erhältst, und melde Dir zugleich, daß ich gegen den 8n Jul. [Juli] Dir nach Buchholz schreiben und dabei Reisegeld schicken werde. Wie Du nun Deine Reise einrichten willst, und ob Du mit dem Wilhelm1 zusammen an den Rhein reisen willst, da magst Du selbst zu sehen und Dich mit ihm in Briefen besprechen. Er wird ja wohl auf keinen Fall vor dem 15n 20n August von Halle abgehen, da die Ferien erst mit dem 15n beginnen. Also beschaue Dir das Land Rügen und besuche noch ordentlich alle pommerschen Freunde, und auch Putzar. In Berlin kehre nur hübsch wieder bei Reimers2 ein und grüße sie sehr von uns. Vielleicht gewinnst Du Zeit, Dich in der großen Stadt noch wieder etwas umzusehen. Hier begibt sich nichts Neues. Sigerich3 und Roderich schwitzen jetzt über der Doktordisputation, und der artige Leubold4 schießt seit 14 Tagen auf der großen

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Karl Wilhelm Arndt (1825 – 1899), Vorstandsbeamter des Kredit-Vereins in Stralsund, ältester Sohn von Johann Wilhelm Arndt (1782 – 1854), Neffe von E. M. Arndt. Familie von Karl Reimer (1801 – 1858), Buchhändler in Leipzig und Berlin. Karl Siegerich Arndt (1819 – 1869), Arzt, Sohn von E. M. und Nanna Arndt. Gottfried Heinrich Leubold Arndt (1822 – 1891), Philologe und Privatgelehrter, Sohn von E. M. und Nanna Arndt.

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

Heide bei Wahn5 Kanonen ab. Klementine6 ist hier wegen einiger Schwächen und gebraucht Bäder, hat die Hedwig7 bei sich. Heut ist es sehr heiß und der Rhein tost und wimmelt von Geschrei und Badenden. Wir grüssen Dich sehr. grüsse [sic] auch den Pastor Vetter Bamberg8 von uns. Ade! Gebe Gott Dir Gesundheit und Glück und Freude! Dein EMArndt.

Brief X 12. Oktober 1845 4 S., 22,4  17,7 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 12n Weinmonds 1845. Deinen Brief, lieber Hartmuth, haben wir erhalten und mit Freude gelesen. Ich will Dir nur kurz darauf antworten, weil mir wegen meines halblahmen Armes das Schreiben schwer wird; von den Andern hat aber keiner Zeit und Lust, etwas mit einzulegen. Die Mutter und Nanna bitten Dich, ihnen nun recht bald noch ausführlicher über Deine Lebensweise Zimmer Betten Essen, z. B. wann und zu welchen Preisen Du Dein Abend- und Mittags-Essen hast und hältst u. dergl., zu erzählen; sie versprechen Dir dafür auch von hier und über die hiesigen Begebenheiten immer recht ausführlich zu berichten. Ich aber erwarte, da Du uns so nahe bist,1 daß Du uns wenigstens alle vierzehn Tage, oder monatlich zweimal, ein Br[ie]fchen senden wirst. Was Du über den Dienst schreibst, ist uns ergötzlich. Melde mir auch nächstens, was Dir Deine Ausrüstung (Kleider Waffen) im Ganzen gekostet hat. Ich muß ja darauf einen Überschlag mit dem Gelde machen. Ich erwarte überhaupt, daß Du

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Wahnheide – Ort nahe dem heutigen Flughafen Köln-Bonn. Gemeint ist entweder Karl Treus Frau Clementine Arndt oder deren Tochter Clementine Arndt (1837–1882). Hedwig Sophie Arndt (1832 – 1909), Ehefrau von Reinhold Ferdinand Wilhelm Friedrich von Baumbach, Tochter von Karl Treu und Klementine Arndt. Person nicht eindeutig zu ermitteln. Dieser »Vetter« Bamberg wird in der Briefedition von Dühr als Theodor Bamberg aus Stralsund identifiziert. Vgl. Brief 1288 an Theodor Bamberg von 1858 August 12. In:Albrecht Dühr (Hg.): Ernst Moritz Arndt. Briefe. Bd. 3. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, S. 306. Gemeint ist Hartmuths Aufenthalt in Wetzlar, nur knapp 140 km von Bonn entfernt. Er leistete dort als Jäger sein militärisches Pflichtjahr ab.

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als ein ordentlicher sittlicher und christlicher Jäger leben und keine unnützen Ausgaben machen, auch nicht an einem zu vornehmen Herren-Mittagstisch speisen wirst. Dein Bruder Karl Treu, als er in Köln sein Jahr diente, hat den Mittagstisch zu 6–7 Groschen gehalten, dein [sic] Bruder in Berlin2 eben so. Wilhelm3 ist noch hier, wird noch wohl einige Tage bleiben. Auch Bernhard Reimer4 der Landmann war ein paar Tage hier, war gestern mit Roderich und Wilhelm noch auf dem Drachenfels und ist von da zum Oberrhein weiter gefahren. Lebewohl, halte und führe Dich brav, und gieb uns bald wieder frohe Kunde. Wir alle grüßen Dich sehr. Dein EMArndt.

Brief XI 2. März 1846 4 S., 22  13,5 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 2n Lenzes 46. Lieber Hartmuth. Ich habe Dich gescholten, und mit Recht, und hätte wenigstens ein paar Worte der Entschuldigung oder des Gelobens erwartet. Ich habe mich ehrlich und hart durch die Welt streben und arbeiten müssen; und muß es bis auf den heutigen Tag; und habe Dir den Vers Arbeit macht das Leben süß u. s. w. so oft nicht umsonst und im bloßen Scherz vorgesungen. Ich kann niemal das faule, lotterhafte und [. . .]1 Volk nicht leiden, das auf Kosten seiner Ältern und anderer ehrlichen Leute so hindämmern und hindräumen will, und möchte an meinen Söhnen solche weichliche leichtsinnige Art nicht erleben. Ich muß Redlichkeit und Duldung von Dir verlangen und mögte an einem leichtsinnig2 Thoren den Schweiß meiner Arbeit nicht aufwenden. Das merke Dir. Ich hatte Dich ja, als Du im Herbst nach Wetzlar gingst,3

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Karl Siegerich Arndt, der bereits 1844 sein Medizinstudium in Berlin begonnen hatte, aber noch Ende 1855 ohne Abschluß war. Karl Wilhelm Arndt. Person nicht eindeutig zu ermitteln. Vermutlich aus der Familie von Georg Andreas Reimer (1776–1842), Buchhändler in Berlin und Leipzig, der auch Verwandtschaft in Vorpommern hatte. Wort unleserlich. Im Original fehlende ›en‹-Endung veranschaulicht zusammen mit der ausgesprochen schwer auszumachenden Handschrift dieses Briefes den leidenschaftlichen Ton dieses Schreibens. Siehe Anm. 1, Brief X.

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Ernst Moritz Arndt to his Son Friedrich Hartmuth Arndt

ja genug ermahnt und gebeten. Ich hoffe, Du wirst verständiger werden. Von Deinem Betragen wird es abhangen,4 welche Wege ich nach Wetzlar mit Dir einzuschlagen wagen kann, wenn ich anders nicht früher heimgehe: denn Gott schüttelt das Alter oft geschwind ab. Und so Ade! Gebe Gott, daß Du Dich besinnest und Deiner Ältern Wünsche und Gebote nicht zu Schanden machest! Dein EMA.

Brief XII 7. Juni 1846 4 S., 21,5  12,8 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 7n des Brachmonats 46. Lieber Muth. Ich habe den Bitten und Ermahnungen Deiner Mutter nichts hinzuzusetzen als fromme Wünsche, welche ein rechtschaffener Vater immer für seine Kinder hat. Es ist der Brachmonat, und ich will bei dem Bilde bleiben, daß Du Deinen Acker in Faulheit und Schwelgerei nicht brach liegen lassen sondern in allem fleißig und ordentlich seyn sollst, zumal da Du meine Stütze wohl nicht lange mehr haben wirst. Ich habe bisher einen schlechten Frühling gehabt und viele Schmerzen gelitten an etwas von Gicht, so daß ich vier Wochen habe hinken müssen. Hoffentlich wird die Wärme und Hitze das Übel etwas austreiben. Also sey Du brav und wacker und Deiner Ältern treuer Worte und Zusprüche eingedenk, und melde uns bald, wie es Dir geht. Dein ältester Freund EMArndt

Brief XIII 7. April 1847 4 S., 20,9  17 cm, 4 S. beschrieben. Bonn den 7n April 1847. Lieber Hartmuth. Wir haben Deinen Brief mit großem Vergnügen gelesen, und ermahnen Dich nun nicht lange zu warten und den zweiten zu schreiben und gelegentlich auch zu melden, was Du von Kühen und Pferden und Korn und Weitzen

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Veraltete Form für abhängen.

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zulernst. – Scherz bei Seite, es ist jetzt recht Deine Zeit da, Augen und Gedanken recht aufzuthun und alles Neue und Lehrreiche der gar nicht leichten Kunst des Ackerbaus Dir tüchtig zuzueignen und dem Gedächtnis einzuprägen. Denn gewiß wirst Du Gelegenheit haben, sehr viel Neues zu sehen. Also der Ackerbau das ist nun Deine Kunst und darauf mußt Du allen möglichen Fleiß wenden. Und die Jagd und der Fischfang gehören auch eigentlich zum Landleben; aber ein Lehrling darf sich damit nicht zu sehr zerstreuen. Indessen wenn Du mal Gelegenheit hast Deine Schießkunst zu üben und allenfalls auf eine Schnepfe oder Ente anzulegen, finde ich das als Vergnügen sparsam genossen auch recht hübsch. Ich hoffe, Du wirst Dich häuslich recht einleben und Dich überhaupt ans Haus halten und mit den netten und frischen Knaben feine Kameradschaft schließen. So behüte Dich Gott! und sey brav. Ich habe heut Abend Kopfweh, und darum sind meiner Worte so wenig. Dein EMA.

Brief XIV 8. November 1847 2 S., 16,6  21 cm, 2 S. beschrieben. Bonn den 8n des Sturmmonds 47.1 Lieber Hartmuth. Du hast also die Briefe und das dabei folgende Geld richtig erhalten, und ich hoffe, Du wirst mit Zeit und Geld so haushalten, wie es einem ordentlichen und sparsamen Jüngling geziemt. Sehr ergötzt hat uns Deine Erzählung von den2 Pamphletisten, welche über den Grafen3 hergefallen sind. Ein solcher Ehrenmann, der seines tapfern Glaubens 1

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Das Datum dieses Briefes ermöglicht, einen bisher falsch datierten Arndt-Brief neu zuzuordnen. Aussagen über Roderichs erneuten Aufenthalt in London und die schwere Krankheit von Dorothea Reyscher finden sich nämlich auch in einem Brief an Christian Josias von Bunsen, der zwar bisher korrekt auf den 28. November, jedoch inkorrekt mit der Jahreszahl 1846 datiert war. Siehe Dühr: Arndt: Briefe, Bd. 3 (Anm. 8, Brief IX), S. 192. »von« geschrieben über gestrichen »über«, und »den« korrigierend über »die« geschrieben. Gemeint ist der Graf von Schwerin-Putzar, der aufgrund seiner Aussagen zur Einheit Deutschlands und der Schleswig-Holstein Frage in den Jahren 1846 und 1847 wiederholt von Kritikern angegriffen wurde.

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lebt, mag über Lob und Tadel lächeln. Er ist doch des Beifalls der Besten in seinem Volke gewiß. Auch daß die Gräfin4 und Kinder so wohl sind, ist uns eine rechte Freude. Deine Wirtschaftsnachrichten und Jagdbeschreibungen machen uns Scherz. Darum versäume nur nicht, immer frisch aus dem Frischen zu erzählen. Ist es bei euch zu trocken gewesen, so hat es hier im September und zuweilen auch im Oktober noch zu viel geregnet, zu viel zumal für die Weinlese, wo überhaupt recht dampfiges kaltes Wetter war, was jetzt wieder schön geworden ist. Der Wein dieses Jahr wird leider sehr mittelmäßig werden. Neues giebts hier nichts als daß Dein Bruder Roderich binnen acht Tagen wohl wieder nach London gehen wird. Traurig ist die Neuigkeit, daß die hübsche Dahlmannin, Frau Dorothea Reyscher5 in Tübingen, wahrscheinlich bald an der Auszehrung6 sterben wird. Ade! Arbeite und lebe brav! Dein EMArndt.

Brief XV 3. April 1848 4 S., 22,1  17,6 cm, 3 S. beschrieben. Bonn den 3n des Frühlingsmonds 1848. Lieber Muth. Hierbei erhältst Du 30 Thlr [Thaler], womit Du in diesen schweren Zeiten, wo jeder seine Decke kurz zusammenziehen muß, gut wirtschaften wirst. Du meldest mir bald ihren richtigen Empfang, und was bei Euch vorfällt. Wird wirklich Krieg und wirst Du aufgeboten, so, hoffe ich, wirst Du Dich wie ein rechtschaffener und tapferer deutscher Jüngling betragen und, wenn Gott es so will, die Kugel lieber in der Brust als im Rücken empfangen.

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Gräfin Hildegard Marie von Schwerin-Putzar, geb. Schleiermacher (1817–1889), Ehefrau von Maximilian Heinrich Karl Anton Kurt Graf von Schwerin. Dorothea Reyscher, geb. Dahlmann (1825 – 1847), Ehefrau vom Prof. der Germanistik August Ludwig Reyscher in Tübingen. Historischer medizinischer Ausdruck, der die Abmagerung in Folge zehrender Krankheiten wie Krebs oder Tuberkulose beschreibt.

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Hierbei ein Br[ie]fchen an den Grafen Schwerin. Ist er nicht zu Putzar, so giebst Du ihn der lieben H[ilde]gard,1 daß sie ihn nach Berlin fördern. Kurz, Du wirst wohl Gelegenheit finden, da natürlich von Putzar immer Bericht erstattet wird. Hier ist viel Lärm ringsum und viel verworrenes Volk, das alle Könige und Fürsten wegjagen Republiken stiften und das Vaterland zerreißen will. Da haben die Gutgesinnten schweren Kampf und auch Deinem armen Vater darf Kopf Hand und Schreibfeder keinen Augenblick still steht [sic];2 denn man hat mit verwirrenden und demagogisirenden Kerlen mehr als genug zu thun. Doch das ist zu weit und breit, um viel davon zu schreiben. Vielleicht wird die liebe Nanna Dir darüber einige Winke geben. Sonst ist das Jahr hier schön und wahrscheinlich auch bei Euch so. Die Felder versprechen viel und seit den letzten warmen Tagen stehen Mandeln Kirschen und Pfirsiche in voller Blüthe. Ade! Gott behüte Dich! Halte Dich an ihn, so wird es Dir immer wohl gehen. Grüße alles tausendmal von uns, was zu Hause ist. Dein EMA.

Brief XVI 12. November 1848 4 S., 24,4  19 cm, 4 S. beschrieben. Frankfurt den 12n des Windmonds 1848. Lieber Muth. Ich habe mich über Deinen lieben Brief gefreut und setzte mich hin Dir auf der Stelle zu antworten. Es freut mich, daß Du wohl bist und in Deinem Lebensgeschäfte weiter strebst.Was nun Deine Plane [sic] betrifft, so weißt Du wohl nachgerade selbst am besten, was Dir frommt, und in der Hinsicht billige ich sie ganz. Also ist meine Meinung diese:

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Gräfin Hildegard Marie von Schwerin-Putzar. Die inkorrekten Singularformen im Original verdeutlichen die Aufregung, mit der Arndt in einer sehr aufgewühlten und »verwirrenden« Zeit geschrieben hat.

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Kannst Du durch Rassow oder Bamberg oder irgend einen andern Freund eine Stelle erhalten, wo Du mehr mit eigner Wirksamkeit handeln kannst, so ist es gut. Auf großes Gehalt brauchst Du nicht zu sehen – da könnte und würde ich Dir etwas zuschießen. Gelingt Dir das nicht, so bleibst Du etwa noch ein Vierteljahr in Putzar und kommst dann nach Bonn zurück, die dortige Landbauakademie zu benutzen. Die liebe Hildegard1 und ihre Kinder habe ich schon öfter gesehen und werde wöchentlich wenigstens Einen [sic] Abend bei ihnen zubringen: denn manche Abende muß ich in Ausschüssen2 sitzen und kann mich auch andern Freunden nicht wohl ganz entziehen. Wir arbeiten hier an dem Verfassungswerk, wenigstens etwas besser als in dem tollen Berlin. Es sind wilder Menschen viele in der Welt; wolle Gott ihre Anschläge nicht gelingen lassen! Mir geht es für mein Alter mit meiner Gesundheit leidlich wohl. Bei meinen sinkenden Jahren ist es wohl das erste und letzte Mal, daß ich einer solchen Versammlung beiwohne. Wann Du mir antwortest, schlage ein Kuvert um den Brief und schreibe unter meinen Namen auf der Aufschrift: Volksbote zum deutschen Reichstag. Das macht den Brief portofrei.3 Erhalte Dich Gott auf seinen hellen und guten Wegen! Dann geht es Dir gut. Dein ältester Freund EMArndt.

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Gräfin Hildegard Marie von Schwerin-Putzar. Arndt gehörte u. a. dem Verfassungs-Ausschuß und dem Ausschuß für völkerrechtliche und internationale Fragen an. Auf die Portofreiheit weist Arndt wiederholt in Briefen an seine Verwandtschaft hin. Vgl. Brief 1245 an Dorothea Rassow von 1848 Juni 9. In Dühr: Arndt: Briefe, Bd. 3 (Anm. 8, Brief IX), S. 259.

Abb. 16: Faksimile des Briefes XVI datiert auf den 12. November 1848 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 4 und S. 1.

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Abb. 17: Faksimile der Rückseite des Briefes XVI datiert auf den 12. November 1848 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 2 und S. 3.

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Brief XVII 29. November 1848 4 S., 24  19,2 cm, 3 S. beschrieben. Frankfurt 29n Windmonds 1848. Lieber Muth. Du wirst in einigen Tagen 50 Thlr [Thaler] erhalten. Damit mußt Du nun Deine paar letzten pommerschen Monate so gut und sparsam wirtschaften, daß Du für Deine Rückreise Geld genug übrig behältst. Überhaupt müßt Ihr sparen und entbehren lernen. Es sind schwere Zeiten und werden hinsichtlich des Geldes gewiß noch schwerer werden. Das und die mannigfaltigen Verluste und vermehrten Ausgaben, die jeder Hausvater leidet, werden wahrscheinlich noch wachsen. Der Mutter ist es jetzt auch sehr lieb, daß Du diesen Winter nicht in Bonn bist, weil auch die dortigen Studenten viel dummes Zeug zu treiben beginnen. Unsre Meinung ist nun, daß, wenn Du etwa bis gegen Weihnachten in Putzar bleibst und dann vor Deiner Abreise dahin zurückkehrst, Du Dich bei den Verwandten in Rügen, Bergen, Jasmund und Pommern (Rassows Bambergs Holstens1) in Januar und Februar noch etwas ergötzest und zusammenlebst und dann Ende Februar zu Hause kommst, wo es dann bald gegen den Frühling gehen wird. Doch das magst Du nach Deiner Weise machen und einrichten, wie Du es nützlich und vergnüglich hältst. Schwerins sind wohl; die Kinder recht nett. Ade! Dein EMArndt.

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Drei Nichten E. M. Arndts waren mit Brüdern der Gutsbesitzerfamilie Holsten auf Rügen verheiratet. Die Töchter Dorothea Rassows, Wilhelmine (1821–1850) und Franziska (1823–1890) mit Ludwig bzw. Karl Holsten (1817 – 1869), sowie Marie Sophie (1824– 1896), die Tochter von Arndts Bruder Ludwig Georg Heinrich (1779–1841), mit Theodor Lambertus Christian Holsten (1816 – 1887).

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Brief XVIII 31. Oktober 1850 2 S., 13,6  21,5 cm, 2 S. beschrieben. Lieber Hartmuth. Deine Briefe werden immer mit Vergnügen gelesen; darum sollst Du uns recht oft schreiben und recht viel von Deinen und überhaupt von den dortigen Zuständen erzählen, was uns immer lustig sein wird. Wir thun hier indes mit Rundlaufen und Sammlungen das Mögliche, um die gute Sache, welcher Du Dich hingegeben hast, stützen zu helfen. Man lernt in dieser wilden Zeit wohl beten und auf Gott haften und daß dieser gute Gott sich der von Königen und Fürsten verlassenen tapfern Holsteiner zuletzt doch annehmen wird. Dieser freundliche Gott nehme auch Dich in Schutz zwischen Kugeln und Schwerdtern und gebe Dir den rechten fröhlichen Muth, für Deinen treuen deutschen Glauben alle Arbeiten und Beschwerden als eine heilige Pflicht anzusehen und mit Deinen tapfern Genossen durchzuführen und zu ertragen! Wenn Du Deinen Herrn Leutnant Ernst1 siehst, sollst Du ihn herzlichst von mir grüßen. Dieser Tage wurdest Du von dem Hauptmann Deiner Landwehrk[om]pagnie zum Appell nach Ddnhofen2 [. . .]3 dem Feldwebel geladen, bei Bedrohung von Arrest, da Du nicht erschienen. Ich habe Deine Abwesenheit entschuldigt, erklärend, Du seiest nach Holstein in den Krieg gezogen, meinend, dort für das Vaterland Deine Fertigkeit in Waffen am besten zeigen zu können. Hier ist kein Wein geworden und die Stimmung trüb wie das Herbstwetter. Gott wird ja wieder auch helle politische Lichtstrahlen durch das verworrene deutsche Dunkel schießen lassen. Dieser freundliche Gott erhalte Dich gesund frisch und muthig! Dein ältester Freund EMArndt. Bonn letzter des Weinmonds 1850.

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Arndts herzlicher Gruß läßt annehmen, dass es sich um Ernst Nitzsch handelt, der zwar erst 1854 Arndts Tochter Nanna geheiratet hat, diese aber schon seit seinem Studium in Bonn kannte. Nitzsch war von 1849 bis Ende 1851 Oberstleutnant der holsteinischen Jäger. Die richtige Transkription dieses Ortsnamen ist nicht sicher. In der unmittelbaren Nähe von Wetzlar befindet sich jedoch die Ortschaft Dutenhofen. Durch Arndts Korrekturen unleserliches Wort.

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Brief XIX 21. November 1850 2 S., 16,7  21,2 cm, 2 S. beschrieben. Bonn 21n Nvbr 1850. Lieber Hartmuth. Meine Ansicht ist, daß Du freilich als Deserteur behandelt werden könntest, wenn Du Dich nicht stellst; daß man Dich aber am Ende auf keinen Fall weder hängen noch köpfen wird. Dafür will ich Dir schon einstehen. Das steht also bei Deinem Gewissen, und ich stelle es in Dein Gewissen. Auf jeden Fall fichst Du dort am Ende wahrscheinlich eben so gut, wo nicht besser für das Vaterland als unter den preußischen Fahnen. Ich glaube kaum, daß es wirklich deutschen preußischen Krieg geben wird, daß Du hier also vielleicht gar nichts zu tun haben wirst als auf- und auszumarschieren und zu paradieren. Das muß sich doch in 14 Tagen wohl ungefähr mehr entwickeln und aufklären, und so kannst Du noch etwa bis zum 6n oder 7n Dezember zusehen und – wann es dann1 wirklich preußisch kriegerisch mehr als jetzt aussieht, dann gegen Vorzeigung des beiliegenden Briefes, wann Dein Entschluß dann so reift, Deinen Abschied begehren. Du bist ja in 7 Tagen auf der Eisenbahn hier. Dem in der Fremde abwesenden und entfernten Preußen ist aber ein Termin bis zum 15n December gesetzt.2 Wenn ich also Deinen Entschluß in den ersten Tagen des Dcbrs, etwa den 3n oder 4n December erfahre, werde ich sogleich das Reisegeld senden. Ade! Behüte Dich Gott und gebe Dir rechtes Herz und rechten Muth! Dein EMArndt.

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Wort als Einschub darübergeschrieben. Hartmuth muß der Abschied vom preußischen Militär ohne größere Konsequenzen gelungen sein, da E. M. Arndt bereits in einem Brief Ende 1850 seiner Schwester Dorothea von der Beförderung seines Sohnes zum Offizier in der holsteinischen Armee berichtet. Siehe Brief 1366b von 1850 Dezember 28. In Dühr:Arndt: Briefe, Bd. 3 (Anm. 8, Brief IX), S. 384.

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Brief XX 18. Dezember 1851 4 S., 22,7  18,7 cm, 4 S. beschrieben. Lieber Muth. Dein Brief hat uns sehr angemuthet, und wir bitten Dich also uns ferner und recht oft zu schreiben und uns ungefähr zu melden, wie es Dir eben geht und wie Du Deine Geschäfte treibst. Was diese Geschäfte und Deine im edelsten Landbau weiter zu machenden Erfahrungen und Fortschritte betrifft, so scheint mir Deine gegenwärtige Stellung in vielen Beziehungen eine sehr nützliche zu sein, denn: 1) ist Bsprg1 aus einer sehr guten praktischen Schule, und auf dem wohl etwas rohen großen Gute würden wohl manche neue Proben zu machen sein, wobei ein tüchtiger Bauer immer etwas lernt; 2) wird B. ungefähr von Deinem Alter sein, wo alle Mittheilungen natürlicher sind, nota bene2 wenn Ihr, was ich voraussetzte, in einem zutraulichen freundlichen Verhältnisse bleibt. Nun hab’ ich Dir noch Eins zu erinnern, was ich auch hier zu Hause öfter gewägt und erbeten habe: übe Dich eine klare Geschäftsmannshand (eine KaufmannsLandmanns-Hand) zu schreiben: ich meine (sowohl mit lateinischen als deutschen Buchstaben) klarer und größer, etwa so, wie ich Dir unten sogleich das Beispiel geben will. Auch ich habe gekritzelt nach den Studentenjahren, kann aber noch schreiben, wie Du hier siehst: Beispiel: Um Neujahr wird die Mutter Dir, lieber Sohn, noch allerlei senden, die begehrten Bilder und auch etwas von Kleidungsstücken. Dann gieb Acht und leere die Taschen Deines mitfolgenden Fracks wohl aus: ich werde Dir ein Stück Geld zur Neujahrslust hineinthun. Du mußt mir dann aber auch melden, ob Du es darin gefunden hast. Dies als Schreibprobe. Übrigens leben wir nach alter Weise und grüßen Dich alle sehr. Dein EMArndt Bonn 18n Christmonds 1851. 1

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Herr von Bärensprung, Gutsbesitzer auf Prochnow bei Märkisch Friedland in Westpreußen. Hartmuth hatte dort am 13. November 1851 eine neue Anstellung gefunden. Vgl. Hacker: Ernst Moritz Arndt (Anm. 1, Brief IV), S. 275. In lateinischer Schrift. Vgl. Anm. 3, Brief VI.

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Brief XXI 29. Januar 1852 4 S., 22,5  12,5 cm, 4 S. beschrieben. Lieber Muth. Wir danken Dir recht herzlich für Deinen letzten lieben Brf [Brief]; er hat uns viel Freude gemacht, weil wir sehen, daß es Dir fortwährend wohl geht und daß Du mit Deiner Stellung leidlich zufrieden scheinst; was mit Gottes Hülfe ferner so bleiben möge! – Fahre nur so fleißig fort uns von Deinem Leben und Haus- und Herzens-Begebenheiten zuweilen Nachrichten zu geben. Wenn ich es auch nicht kann, so wird die liebe Nanna die Vergeltung dafür üben, und von hiesigen Kleinigkeiten den Gegenbericht geben. Ich will Dir heute nur von einer unsrer Kleinigkeiten erzählen, nämlich von dem kleinen Bran Plautus:1 er ist immer noch sehr munter und macht seine hübschen Künste beide mit Lustigkeit und Geschücklichkeit. Weiter weiß ich diesmal nichts. Nur will ich Dich wieder erinnern, daß Du in Deiner Handschrift Deinem alten Vater nachzuahmen strebst: nämlich immer starke und klare Züge (rechte adliche Schreibzüge) mit Deiner Feder ziehen zu lernen. Ade und frohen harten Muth! Dein ältester Freund EMArndt. Bonn 29n Wintermonds 1852.

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Person konnte nicht ermittelt werden.

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Entwurf einer teutschen Gesellschaft

Entwurf einer teutschen Gesellschaft. von E. M. Arndt Frankfurt am Main, bei P. W. Eichenberg 1814 Es klang von hohen Ehren Ein heller Wunderklang, Wie längst verschollne Mähren Er durch die Seelen drang, Wie Wasser aus den Tiefen Zum Himmel schäumend sprühn, Wie Geister, welche schliefen, Die Mitternacht durchziehn. So faßt es alle Herzen, So klangs durch jede Brust, Voll heisser Weheschmerzen, Voll heisser Wonnelust, Wie Menschen in Gewittern Den Glanz des Höchsten sehn, Mit Freude und mit Zittern In seiner Macht vergehn. Denn Gott, der alte Retter, Der droben wandeln geht, Erschien im Blitz und Wetter In hehrer Majestät; Als Richter wollt er kommen Herab vom Himmelreich: Drum freut euch all’ ihr Frommen, Ihr Frevler werdet bleich.

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Wer kann die Thaten sprechen, Die Gott der Herr gethan, Wodurch er Schanden brechen Und Ehren lohnen kann? Wer zählt die edlen Todten, Die trotzig auf das Kreutz Sich kühn zur Sühnung boten Im süßen Himmelreich? Wer zählt die Wunderthaten, Die Preise mannigfalt, Die also schön gerathen Durch Gottes Allgewalt? Der Wahn ist nun zerstoben, Zermalmt die Tyrannei, Der Mensch blickt hin nach oben, Und jauchzet: Wir sind frei. Das war der Klang der Ehren, Das war die Wunderzeit, Die, selig im Gebähren, Sich ihrer Wehen freut; Das brauset in den Tiefen, Das blitzt am Firmament: Die Geister, welche schliefen, Jetzt jedes Kind erkennt. Sie schreiten schön gerüstet Daher im Himmelschein, Und jedes Herz gelüstet In ihrer Schaar zu seyn: So wie die Kindlein eigen Der lieben Mutter sind, Naht ihnen frommes Neigen Ein jedes Menschenkind. Der erste ist der Glaube, Er trägt den Kreuzesbaum Und blicket von dem Staube Hinauf zum Sternenraum: Hienieden ist sein Sehnen Und seine Freude nicht, Der Himmel nur lockt Thränen Von seinem Angesicht.

Entwurf einer teutschen Gesellschaft

Von allen Himmelsbräuten Das allerschönste Kind Geht Hoffnung ihm zur Seiten, Gar lieblich, zart und lind: Sie weiß nichts von der Erden Noch von der Erdenfreud, Will gern ein Engel werden, Und trägt ein grünes Kleid. Die dritte, heißt die Liebe, Trägt einen Dornenstrauch, Und saugt mit süßem Triebe Der rothen Rosen Hauch: Sie meldet, daß im Leide Die höchste Wonne blüht, Drum Wehmuth mit der Freude Ihr als Geleite zieht. Es wandeln still und leise Die Himmelsboten drei, Gar hold ist ihre Weise Wie Kinderspiel im Mai, Sie spielen tausendfaltig Dahin im Ernst und Scherz, Daß Gottes Kraft gewaltig Entflammt das Menschenherz. Und mit Posaunenschalle Ertost es durch die Welt: Ihr Völker kommet alle! Gott führet an, der Held. Hinein, hinein mit Freuden! Hinein ins blut’ge Feld, Für Recht und Licht zu streiten! Gott führet an, der Held. Du hast es wohl vernommen, Mein heil’ges teutsches Land; Du Vaterland der Frommen, Nach Helden viel genannt, Du zogst den kühnen Degen Mit Gott für heil’gen Krieg, Und über dir war Segen, Und neben dir stand Sieg.

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O Land der alten Treue! Mein teutsches Vaterland! Du hast des Himmels Weihe, Du hast sein Unterpfand: Halt fest mit starkem Sinne, Was Gott der Herr dir gab, Des Himmels reine Minne, Die ist der Heere Stab, Die ist der Heere Fahne, Ihr Stahl und ihre Burg, Und ficht im hehren Wahne Die Todesschlachten durch; Die sey in allen Tagen Im Frieden und im Streit Dein Wollen und dein Wagen Nun und in Ewigkeit. Als ich im Frühlinge dieses Jahrs in Koblenz lebte und aus meinem einsamen Zimmerchen zugleich mit Ingrimm und Trauer auf die Trümmer der Festung Ehrenbreitstein schauete, meine täglichen und stündlichen Ermahner zum Franzosenhasse, da trat unerwartet ein lieber Freund zu mir ein, und warf mit bitterm Lächeln eine Handvoll Saubohnen auf den Tisch, mit der Frage: Rathe einmal, wo diese gewachsen sind. Als ich die Möglichkeit, dies zu rathen, verneinte, und zugleich sagte, es könne mir gleichviel seyn, wo er die Bohnen gepflückt habe, rief er fast wie im Zorn aus: »Hier hast du das ganze heilige römische Reich der Teutschen im grünen Bilde; diese Saubohnen sind gewachsen auf dem Stuhl zu Rense am Rhein, worauf einst Germaniens Könige erhöht wurden; die Zerstörer unserer Herrlichkeit, die Franzosen, haben ihn abgebrochen, ein neuer Schüttweg läuft über einen Theil seines Raumes hin, der andere ist mit Bohnen besäet; das ist das heilige teutsche Reich, von dessen Glorie und Majestät so viele neue teutsche Ritter und Seher predigen, als wenn sie je wieder werden können, wie sie vormals gewesen. Die alten Denkmäler und Heiligthümer des Volkes sind von den Fremden und Eigenen entweihet und zerbrochen, wir müssen neue bauen und gründen.« Als er dies gesagt, raffte er seine Bohnen wieder von dem Tisch zusammen, las eine davon aus, und warf sie mir hin mit den Worten: »Diese behalte zum Andenken an den alten Königstuhl, die andern will ich den Ritterromandichtern schicken,« – und geschwind war er mit seiner gewöhnlichen stürmischen Eile aus der Thüre heraus. Ich unmuthig und traurig sah lange Zeit starr vor mir hin, dann betrachtete ich bald meine Saubohne, bald Ehrenbreitstein, und tausend fliegende Bilder vergangener und gegenwärtiger Dinge rollten sich durch meine Seele, und tausend Flüche gegen die schändlichen Wälschen brachen wie dunkle Wetter aus meinem Herzen. Auch ich bin gewiß einer von denen, die das Alte ehren und lieben, ich schaue

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oft mit wehmüthiger Sehnsucht zu der verschwundenen Herrlichkeit des teutschen Reichs zurück; aber bei allen lieblichen Fantasien und Träumen, womit ich mich in der Betrachtung der schönen Kindheit und Jugend meines Volks wiege, drängt sich mir endlich doch immer die gewaltige Wahrheit auf: Vergangen ist vergangen, und die Zeiten und die Ströme fliessen nimmer zu ihren Quellen zurück. Schon unsre Großväter hätten den Zerfall der teutschen Art und des teutschen Reichs beweinen müssen; wenn sie Augen gehabt hätten für das Verderben. Wir haben den Untergang derselben gesehen; ja, wir leben recht mitten drinnen, und noch ist nicht klar, was aus der Verwirrung hervorgehen wird. Herrlich, ja herrlichst hat sich das teutsche Volk in den Waffen offenbart, als ein Volk, das durch Tapferkeit, Frömmigkeit, Großherzigkeit und Hingebung aller höchsten Güter der Ehre und Freiheit würdig ist; aber auch hier allein ist die teutsche Größe und Trefflichkeit erschienen, in allem andern zeigt sich eine bejammernswürdige Richtigkeit und Haltlosigkeit. Alle andere Nachbarvölker haben durch unsre Kriegsthaten drinnen und draussen Ruhe, Glück und Sicherheit gewonnen, viele kleine Staaten haben Verfassung, Ehre, Land und Macht dadurch gewonnen; wir allein sind versäumt und vergessen worden, weil es uns an Einheit der Kraft und des Willens fehlte, und weil diejenigen, die für uns rathen und sprechen sollten, nicht gerathen und gesprochen haben. Die Franzosen waren besiegt, ihre Heere zerstreuet, ihr Geschütz genommen, ihre Hauptstadt besetzt; wir standen als die Sieger auf dem Boden der tückischen Wälschen, die da jüngst noch geprahlt hatten, Frankreich könne es allenfalls mit einer verbündeten Welt aufnehmen, der Macht und Uebung seiner Heere werden die Barbaren des Osten und des Norden nicht widerstehen. Die Teutschen in Paris und in Teutschland erwarteten mit Recht, nicht, daß man nach französischer Weise rauben, plündern, und sengen und brennen sollte, sondern daß man für so viele Schimpfe und Unbille doch wenigstens eine gebührliche Genugthuung und Entschädigung und ein festes und sicheres Unterpfand des künftigen Friedens von ihnen nehmen würde: sie erwarteten, die Franzosen würden an Oesterreich und Preussen wenigstens 200 Millionen Reichthaler Kriegsbeitrag zahlen müssen – eine kleine Wiedererstattung für die ungeheuren Geldsummen und Lieferungen, die sie aus jenen Ländern erpreßt haben – sie würden die entwendeten und in Paris aufgestellten Denkmäler, Sammlungen und Bibliotheken auf ihre Kosten wieder nach den Orten bringen müssen, von welchen sie dieselben einst entführt; sie würden für Hamburg und Dresden und Wittenberg und Ulm und Ehrenbreitstein und Philippsburg, und für so viele andere von ihnen verwüstete oder zerstörte teutsche Städte und Festungen wenigstens 50 Millionen Reichsthaler zu einer kleinen Ausgleichung des gemachten Schadens herausgeben müssen; sie würden den Kamm der Ardennen und Vogesen als ursprüngliche und natürliche Gränze zwischen Frankreich und Teutschland anerkennen, und demnach einen großen Theil der von dem ländersüchtigen Ludwig dem Vierzehnten abgerissenen Niederlande und Elsaß und Teutschlothringen nebst Metz abtreten müssen. Aber zum Erstaunen der Welt geschah von allem diesem nichts, und zum Uebermaaß teutschen Schimpfes und zum unsäglichen Jammer teutscher Menschen wurden in dem in Paris abgeschlossenen

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Frieden mehrere teutsche und belgische Städte und Ortschaften von den Siegern wieder an die Besiegten abgetreten, und diese Franzosen, die wegen aller Schanden und Gräuel der Tyrannei in allen Marken Teutschlands eben noch als die abscheulichsten, habsüchtigsten und grausamsten aller Menschen gehaßt und verflucht worden waren, wurden durch die Art, wie man sie behandelte und wie man mit ihnen unterhandelte, in der Meinung derer, die sie nicht näher kannten, gleichsam als ein ehrenwerthes und gerechtes Volk hingestellt; man gebärdete sich, als seyen alle Schanden, die sie länger als zwanzig Jahre bei sich und in allen Ländern Europas geübt haben, von Gott und von den Menschen vergeben und vergessen. Bei dieser traurigen Erfahrung der letzen Monate, wodurch die Erfahrungen von drei Jahrhunderten nur bestätigt werden, fragt man sich billig, woher kömmt dies immer wiederholte Unglück der Teutschen? Die Antwort ist leicht: Dies Unglück kömmt daher, weil sie kein in Einheit zusammenhangendes Volk sind, weil sie keine Fürsprecher und Vertreter haben, und weil sie das Eigene verachten und mit dem Fremden buhlen; denn die Früchte müssen seyn, wie die Aussaat ist. Wir sind seit mehr als drei Jahrhunderten ein zerrissenes und schwaches Volk gewesen, wir waren durch unsere Zwietracht und Vaterlandsvergessenheit ganz nah daran als Volk aus den Rollen der Weltgeschichte ausgestrichen zu werden, jeder unter uns ging seinen eignen Weg, jeder wollte für sich sorgen, jeder für sich herrschen, und auf diese Weise hätten wir alle die Herrschaft verloren, wenn nicht Gott und die beispiellose Begeisterung und Treue unsers Volks die Schmach getilgt und das Joch der Wälschen zerbrochen hätten. Durch unsere Waffenthaten haben wir vor Gott und vor der Welt die Ehre und das Glück verdient, wieder als ein gewaltiges und glorreiches Volk in der Weltgeschichte aufzutreten; aber unserm Auftreten fehlt bis diesen Tag die Würde und Großheit, wodurch, wenn die Waffen auch das Einzelne tapfer entscheiden und ausfechten, das Politische und Allgemeine allein gewonnen und behauptet werden kann. Daß wir noch kein Volk sind, wird am besten bewiesen durch die Unwirksamkeit der öffentlichen Stimme, was man die öffentliche Meinung zu nennen pflegt. Diese öffentliche Meinung war vor fünfzig und fünf und zwanzig Jahren in Teutschland kaum, weil durch Nachäfferei fremden Tandes und durch Studien und Strebungen, die dem Vaterlande und dem Vaterländischen auch fremd waren, alles Gemeinsame, Teutsche und Volksthümliche völlig versäumt und vergessen war. Unter der Herrschaft der Franzosen, als diese öffentliche Meinung entstehen wollte, als die Noth den Menschen endlich wieder lehrte, auf etwas Gemeinsames, das allen gehöre und allen helfen könne, zu schauen, durfte wegen strenger Aufsicht und überall auflaurender Spionerei kein menschliches und freies Wort hervorbrechen, daß es nicht wie Aufruhr und Meuterei gedeutet und bestraft ward.Als die weltbefreiende Leipziger Schlacht im Oktober 1813 endlich die französische Gewalt in Teutschland zerschmetterte und den teutschen Menschen die Herzen und die Münde wieder für Freude und Freiheit öffnete, da erschien allerdings sogleich ein allgemeiner Volkswille, da ließ die öffentliche Meinung sich von den Ufern der Elbe bis zu den Felsen Tyrols hören, mit den Franzosen müsse auf Leben und Tod der Krieg geführt werden, alle Franzosen müssen aus Teutschland verjagt und ihre Anhänger und Helfer im Vaterlande müssen bestraft

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werden. Mit unerhörtem Eifer war das teutsche Volk trotz alles Elends der Zeit in allen Landschaften auf, und rüstete und waffnete sich zu diesem Kriege, der ihm ein heiliger Krieg däuchte, und hätten nicht manche Fürsten und die Minister und Räthe, welche unter dem Schutz der Franzosen in Teutschland regiert hatten, die Schelme und Vaterlandsverräther geschirmt, so würden aus Furch vor dieser öffentlichen Meinung und vor dem gerechten Zorn des Volkes viele Hunderte derselben mit den Franzosen über den Rhein gelaufen seyn. Auch über das teutsche Vaterland, über seine künftige Verfassung und Einrichtung, über die Sicherheit seiner Gränzen, über die Einrichtung und Verwaltung der Lande, über die Nothwendigkeit, die Willkühr und Selbstgewalt der Fürsten einzuschränken und die Großen und Kleinen wieder unter allgemeine Gesetze zu stellen, und über viele andere Punkte begannen die Meinungen nun in vielen Büchern und Abhandlungen mit mancherlei Urtheilen und Ansichten sich vernehmen zu lassen; und aus dem Vielen und Verschiedenen konnten gescheute Männer bald das Geltende und Bleibende herausnehmen, so daß es nach der Zerstörung Bonapartens und der Demüthigung der Franzosen im Anfange des Monats April wenigen unbekannt war, worin die Hauptpunkte der teutschen Angelegenheiten bestanden. Wenn die Mehrheit der gescheuten und biederen Männer Teutschlands über den Frieden und über die billigen Forderungen des Vaterlandes in Frankreich entschieden hätte, gewiß hätten wir Siegreiche gewonnen, was die Franzosen uns nicht verwehren konnten; aber die öffentliche Meinung, wie richtig sie im Ganzen auch war, mangelte immer noch der mit Macht und Ansehen gerüsteten Vertreter aus dem Volke. Dahin war es gekommen bei den Enkeln der Germanen, daß sie keine andere Vertreter hatten, als die Fürsten, und von diesen Fürsten standen die meisten mehr aus Zwang als aus Gesinnung mit den hohen verbündeten Herrschern. Man konnte also nicht hoffen, daß diejenigen, welche manches Tüchtige und Kräftige im Volke, was gegen die Franzosen rüstig seyn wollte, hemmten und unterdrückten, für die Ehre und Sicherheit des Vaterlandes besonders wach und thätig seyn würden. Auch sind sie es leider nicht gewesen. Als die Franzosen bei dem zerfallenen Glück ihrer Waffen, nachdem die Hälfte ihres Landes von den siegreichen Heeren der Verbündeten besetzt und Paris eingenommen war, sich mit der planmäßigsten und schleichendsten Gewandtheit und List zusammensetzten, um wo möglich auch diesmal wieder die Welt zu täuschen und uns Teutsche beide um die Ehre und den Gewinn unserer Siege zu betrügen, da hätten Teutschlands Sprecher und Vertreter, da hätten die teutschen Fürsten vortreten und das Gebührliche verlangen und das Unerlaßliche festhalten sollen. Wenn der teutsche Fürstensenat in Person in Paris erschienen wäre – was er thun mußte, wenn das Vaterlandsgefühl in ihm so lebendig war, als in den Kleinen und Geringen im Volke – und Teutschlands Ansprüche und Bedürfnisse mit Kühnheit vertheidigt hätte, wenn er die alten Gränzen des Reichs, Entschädigung wegen des Raubs und der Zerstörung im Reiche, die Schweiz und die vereinigten Niederlande, die beiden Basteien des Vaterlandes, als nothwendige Mitglieder des künftigen germanischen Bundes, gefordert und immer und immer gefordert hätte – gewiß hätte Teutschland dann erhalten, was es bei dem hohen Stande des Waffenglücks, worauf es sich befand, erhalten mußte. Aber wer von die-

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sen unsern Stellvertretern hat im Namen Teutschlands in Paris die Meinung und Liebe des Volks und die Ehre und Sicherheit des Vaterlandes öffentlich vertreten und behauptet? Kaum einer und der andere insgeheim, so daß von dem teutschen Willen und der teutschen Noth nichts laut werden konnte, während die Engländer, Spanier, Italiäner, Holländer, Schweizer, ja selbst die besiegten Franzosen ihre Ansprüche und Vortheile vor aller Welt offen darlegten und verfochten. So unglücklich sind wir auch jetzt noch gewesen: für die allgemeinen Vortheile und Ehren des Reichs hat niemand von den Herrschern und Fürsten mit hartnäckigem Stolze gearbeitet und gekämpft; wann es aber gelten wird, die kleinen Geschäfte im Innern des Vaterlandes abzumachen, wann von den einzelnen Vortheilen und Entschädigungen die Rede seyn wird, wann über die noch ledigen Lande das Loos geworfen werden soll, dann werden sie, damit jeder für sich das Möglichgrößte gewinne, um die Wette wach und thätig seyn, für sich und für seine kleinen Vortheile wird dann jeder laut schreien, da für das Ganze nur wenige kaum leise geflüstert haben. So jammervoll ist unser Zustand, so groß ist unser Unglück bis diesen Tag, daß wir der Gewalt mangeln, die alle Kräfte unsers Landes und Volkes mächtig zusammenhalten und auf Ein Ziel richten könnte. Diese Gewalt kann nur seyn bei Einheit der Herrschaft, oder in bündischen Staaten bei einer ständischen Vertretung und Vertheidigung der Rechte und Ehren des Vaterlandes, wodurch die öffentliche Meinung, d. h. das, was alle wünschen und verlangen, auch bewaffnet auftreten kann. Die aber bei uns das Volk vertreten sollen, sind wenige, die theils unter sich mit verschiedenen kleinen Vortheilen in ganz verschiedenen Richtungen aus einander laufen, theils auch ganz andere Rücksichten und Vortheile zu haben meinen, als das Vaterland hat, theils überhaupt durch Erziehung und Art unfähig sind, mit großer Gesinnung und edlem Stolz für das Vaterland in die Bahn zu treten. Wir dürfen uns nicht wundern, ja wir dürfen uns kaum beklagen, daß unsre Fürsten in den letzten zwanzig Jahren des Unglücks und jetzt in den jüngsten neun Monaten des Glücks sich so schlecht und gleichgültig gegen das Vaterland gezeigt haben. Unser, des Volkes, ist die Schuld. Wir haben uns erstlich die jämmerliche und vereinzelnde Vielherrschaft gefallen lassen, ja wir haben sie wohl gar als den Gipfel teutscher Art und als die Herrlichkeit teutscher Bildung gepriesen, und durch diese Vielherrschaft ist die Gesinnung für das Allgemeine ausgestorben, die Fürsten hat aus dem Volke und aus der Art und Kraft des Volkes von Jahrhundert zu Jahrhundert weniger Athem des Stolzes und der Hoheit angeweht, sie sind in dem Kleinlichen und in den Lüsten kleinlicher Herrschaft immer mehr verstockt, und alle Nücken und Tücken kleiner Tyrannen, die immer aus Kleinstaaten brüten müssen, haben in den letzten unseligen Jahren unter der Herrschaft Napoleons und der Franzosen einen recht lustigen Spielraum für sich gehabt und wollen immer noch nicht von der beliebten Art lassen. Wir haben es zweitens geduldet, daß die Erziehung der Fürsten und Herren, die im Reiche einmal gebieten sollten, durchaus eine wälsche und französische war, daß wälsche Art, Sitte, Kleidertracht und Sprache mit aller Buhlerei und Aefferei des Auslands in den Pallästen und an den Hoflägern der Fürsten übermüthig und unverschämt vor dem Teutschen herrschten. Also müssen wir es sehr natürlich finden, daß unsere Fürsten kein teutsches Vater-

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land kennen und anerkennen, daß sie für kein Vaterland Zorn noch Stolz fühlen, daß ihnen die Franzosen, woran sie von Kind auf gewöhnt sind, besser gefallen, als die Teutschen, und daß sie also mit oder wider ihren Willen sich und das Vaterland von ihnen betrügen und zerhadern lassen. Also die Verwunderung über das, was uns widerfahren ist und noch widerfährt, eingehalten, die Klage gehemmt, den Blick über die Jämmerlichkeit und Elendigkeit des Tages hinaus in die Zukunft gerichtet, und mit Herz, Muth und Kraft vorwärts gestrebt, damit endlich die vernehmliche Stimme des Volkes und die Meinung und der Wille der Besten das Werk der teutschen Festigkeit, Herrlichkeit und Freiheit vollende, das unsere Hoffnung uns oft zu nah rückte, weil wir zu oft vergassen, welcherlei Menschen diejenigen waren, die uns und unser Schicksal zunächst vertreten.Wir haben in diesen Tagen doch Herrliches erlebt, und mögen uns mit Recht glücklich preisen, daß wir in so großer und denkwürdiger Zeit geboren sind. Die teutsche Ehre, die ohne des Volkes Schuld einige Jahrzehende getrübt war, hat heller und reiner denn je zuvor aus der Prüfung hervorgeglänzt; die Teutschen haben nach Jahrhunderten zum erstenmal wieder fühlen gelernt, was sie seyn können und seyn sollen; ein gemeinsames Gefühl der Brüderschaft, eine gemeinsame Liebe und Treue, die alle Teutsche zu einander haben sollen, eine allgemein verstandene und ausgesprochene Nothwendigkeit von Einheit, Gesetzlichkeit und Verfassung, welche allen Teutschen Schirm und Ehre geben, ist von Tage zu Tage mehr erschienen; die Wiederaufsuchung des Eigenthümlichen und Volksthümlichen, die Sehnsucht nach dem Alten, ohne welche kein Neues würdig werden kann, der Haß gegen das Fremde und Wälsche, die Hinneigung zur eigenen Sitte und Art sind erfreuliche Zeichen der Zeit; eine allgemeine Stimme, eine festere Meinung, ein allen begreifliches Gefühl dessen, worauf es jetzt ankömmt, offenbart sich in allen Landen der teutschen Zunge immer lauter und lebendiger, und tausend Zwietrachten sind versöhnt, tausend Vorurtheile verschwunden, tausend Bande gesprengt, wodurch wir sonst so unglücklich waren: wir sind, wenn von den Besten und Weisesten mit tüchtigem Ernst noch einige Jahrzehende gestrebt wird, auf dem Wege, ein Volk zu werden; das Erfreulichste und Stolzeste aber, was uns begegnet, ist die unerschütterliche Ueberzeugung, welche die letzten Jahre in jedem Teutschen erneut haben müssen, daß die teutsche Art, Treue und Redlichkeit, ewig und unverwüstlich wie die Natur selbst, aller Verderbniß trotzt, und wenn Stamm und Zweige auch geschält und geschändet sind, immer frisches Leben aus den Wurzeln treibt. In solchem Volke leben ist Stolz, für solches Volk wirken ist Wonne. Wir haben Jahrhunderte geschlafen und geträumt, wir könnten wieder schlafen und träumen, denn unsere angeborne Gemüthlichkeit und Uebersinnlichkeit läßt uns über dem Innern das Aeussere und über dem Himmlischen das Irdische so leicht vergessen. Diese Neigung zum Träumen und Schlafen müssen wir bekämpfen, damit das Erwachen, wozu die fürchterliche Zeit uns gebracht hat, ein lebendiges, freudiges und thätiges Wachen bleibe. Wann wir die beiden großen Dinge erlangt haben, worin die ganze Aufgabe eines edlen und würdigen Menschenlebens liegt, innerlich unendlich und überschwänglich und äusserlich klar und gemessen zu seyn, wenn wir das irdische und das himmlische, das politische und das mensch-

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liche Leben in rechte Uebereinstimmung gebracht haben, dann erst werden wir wirklich als ein starkes und herrliches Volk da stehen.Wir müssen also, da wir durch die großen Verhängnisse und Nöthen der Zeit in die bewegte Rennbahn des Lebens getrieben sind, darauf bleiben, und uns draussen und im Kampf des äusseren Lebens und der äusserlichen Kräfte zu wirklich politischen Männern bilden. Sind wir dies geworden, dann wird die im innern Busen blühende und leuchtende Welt der Götter und Geister auch draussen ihr Maaß und ihre Wonne erhalten, es wird ein stolzes geharnischtes Leben da stehen. Damit ein Volk werde, damit die öffentliche Meinung allmächtig wirke, damit alle vom Fürsten bis zum Bettler von dem großen Gefühl, das Vaterland gehört allen und alle gehören dem Vaterlande, durchdrungen werden, dafür müssen in Teutschland tugendliche, kräftige und einsichtige Männer geschlossen zusammentreten, und jeder in seinem Kreise und nach seinen Gaben wirken, daß das Kleinliche und Fremde vertilgt und das Großartige und Heimische belebt werde. Das ist die große Forderung, welche das Zeitalter an uns alle macht, daß wir das Eigenthümliche, Volksthümliche und Teutsche pflegen und entwickeln, und das Fremde, Wälsche und Unteutsche verbannen und vertilgen. Wie der Bauer traut, daß seinem Acker gedeihliche und reiche Früchte entwachsen werden, wenn er das Unkraut ausrottet, so trauen wir, daß das Freudige, Starke, Treue und Ehrenfeste, das in den Tiefen unsers Volkes liegt, hervorschiessen werde, so bald wir das Lügenhafte, Eitle, Treulose und Unehrliche, das uns aus der Fremde gekommen, ausgerottet haben. Also Erziehung und Unterweisung des Volks durch That und durch Beispiel, Richtung und Wendung aller edelsten und lebendigsten teutschen Kräfte dahin, daß die wälsche Art und Sprache bei uns verachtet und ausgerottet und die teutsche Art und Sprache geehrt und gepflegt werde, das ist die nächste Aufgabe, welche die Wackeren und Frischen zu lösen haben. Wenn dann die Teutschen unter eigenem Licht und Sonnenschein aus eigenen Keimen nicht gedeihen wollen, so sind sie ein abgelebtes und zum Untergange verdammtes Volk. Wir glauben aber, daß sie das nicht sind, und deswegen mögten wir eine Anstalt stiften oder vielmehr zu stiften vorschlagen, von welcher wir uns die ersprießlichsten Folgen versprechen. Diese Anstalt, deren Gründung und Erhaltung sehr einfach ist, nennen wir die te utsche Gesellschaft. Wir haben bei uns so viele Verbindungen und Gesellschaften gesehen, und sehen sie noch bei uns, öffentliche und geheime, die mit mancherlei Namen genannt werden und genannt wurden: Freimaurer, Illuminaten, Rosenkränzler, Klubbisten, Assembleisten, Ressurcisten, Museisten, Casinisten, die schon in ihren Namen fast alle auf fremde Zeichen und Zwecke hinweisen: Sie sind für Gaukeleien und Spielereien der Eitelkeit und Schwärmerei, sie sind für Schmäuse und Trinkgelage, für Kartenspiel und Kegelclub, für Bälle und Leserei gestiftet. Wir wollen einmal eine Verbindung für das Vaterland stiften, e ine te ut sche Gesellschaft,1 die keine 1

Diese Idee ist von einem biedern Kursachsen in mir erweckt und gestärkt worden, einem der wackersten und ächtesten Männer des Vaterlandes, dessen Namen zu nennen mir die Bescheidenheit verbietet. Liest er diese Worte, so wünsche ich, daß er seine Gedanken darin wieder finden möge.

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andere Weihen, Gelübde und Geheimnisse hat, als die teutsche Liebe und Treue, und deren Art und Leben alle Augen sehen und alle Ohren hören dürfen. Unsers Volkes fröhlicher Muth und sein Trieb zu solchen Gesellungen und Einigungen oder Innungen ist uralt: der Teutsche will sich in allem innen, er will sein Wesen in alles hineinlegen, er ist ein inniger und innungslustiger Mensch. Bis diesen Tag stellt der teutsche Bauer, Bürger, Student und Soldat dieses Bild dar: es ist immer noch das alte Germanien, wie es vor achtzehnhundert Jahren von unsern Feinden gelernt und beschrieben ward, das heilige Land der Begeisterung und der Freude, wo der lebenkühne Mensch noch täglich die engen Fesseln des gesellschaftlichen Zustandes zerbricht, damit er nichts fühle und kenne als die Wonne des Lebens, das nichts als Leben will. Bei’m herzigen Trunke, bei Meth und Wein hielten unsere Urväter und Großväter Rath, sie hatten tausendfältige Gesellschaften, Kalande, Innungen, Trinkstuben, Zunftstuben, Genossenschaften und Versammlungen für jeden Stand und jeden Zweck, wo über die wichtigsten Dinge berathschlagt und beschlossen ward. Solche Einigungen, ächte Einigungen teutscher Herzen und Grundsätze, wollen wir machen und die zu lange vergessene und verschwiegene Herrlichkeit und Ehre unsers Volkes wieder erwecken. Unsre teutsche Gesellschaft wird gebildet für alle Teutsche ohne Unterschied der Religion und Regierung, sie erstreckt sich, so weit der schirmernde Reichsadler seine mächtigen Flügel ausspreitet. Ihr Zweck ist Verbannung und Vertilgung der französischen Art und Sprache, Belebung und Erhaltung teutscher Art und teutschen Sinnes, Erweckung teutscher Kraft und Zucht, und Erneuung der alten und jungen Erinnerungen, die unsere Geschichte verherrlichen. Denn die teutsche Geschichte, die fast niemand mehr kennt und fühlt, muß wieder lebendig in das Leben hineingesprochen und hineingelebt werden. Solches geschieht aber nicht durch Bücherschreiber und Buchdrucker, sondern durch die unmittelbare Gewalt, die, wie es der Augenblick giebt, ungelehrt und unbewußt aus Worten und Thaten hervorströmt. Diese teutsche Gesellschaft bildet und versammelt sich in allen größeren Städten des Vaterlandes, wo sich eine hinreichende Zahl gebildeter Männer findet, welche leiten und führen und die Menge befeuern und beleben können. In ihre heilige Gemeinschaft wird von dem Bürger und Bauer an bis zu dem Fürsten und Grafen hinauf jeder teutsche Mann aufgenommen, der einen unbescholtenen Ruf und guten Leumund unter seinen Mitbürgern hat. Das Wilde, Unsittliche und Unteutsche ist von selbst ausgeschlossen aus einer Versammlung, deren Zweck höchste und reinste teutsche Tugend ist. Die teutsche Gesellschaft trägt ihren Zweck in ihrem Namen; Sie will nur das, was allen Menschen angehört und was allen teutschen Menschen angehören soll: sie bedarf daher keiner Weihen und Geheimnisse. Sollte es jemals jemand einfallen, ihr dergleichen anschwatzen zu wollen, so werde er sogleich aus ihr ausgestoßen als einer; der sie verderben und zuerst dem Verdacht und der Verleumdung, dann der Verfolgung und Zerstörung preisgeben will. Weil ohne feste Ordnung nichts besteht, so wählt sich die Gesellschaft ihre Sittenrichter, Vorsteher und Schreiber, und kömmt über die Zucht überein, die in ihr gehalten werden soll.

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Der Vorsteher wählt jede Gesellschaft fünf, besonnene, achtbare und sittliche Männer. Von diesen fünf Männern heißt einer der Vorsteher im eigentlichen Sinn, und vier heissen die Rüger. Bei dem Vorsteher ist vorzüglich die Sorge des Aeusseren, bei den Rügern aber die Sorge des Inneren der Gesellschaft. Diese fünf sitzen der Gesellschaft vor und ordnen und lenken sie, sie zügeln das zu heisse Wort, hemmen die ungebührliche Rede, und strafen die ungebührliche oder unsittliche That; sie sorgen dafür, daß Schande und Laster nie in ihre Gemeinschaft eindringen, oder daß die eingedrungenen auf das geschwindeste herausgestoßen werden; am härtesten aber und unerbittlichsten strafen sie die unteutsche Gesinnung und That und die Aefferei und Hurerei mit dem Ausländischen und Französischen. Weil die teutsche Gesellschaft keine geheime Gesellschaft, sondern eine volkliche ist, so muß sie offen aussprechen, was sie will. Sie will nichts anders, als teutsche Tugend und Art beleben und fremdes Laster und fremde Unart vertilgen. Daher wacht sie an ihrem Ort über allem, was löblich, vaterländisch, tüchtig und männlich ist, züchtigt wälsche Zierlichkeit und Ueppigkeit, bezeichnet unteutsche Schanden und Weichlichkeiten, und sucht durch die Stattlichkeit und Würdigkeit, worin sie sich hält, eine öffentliche Meinung zu begründen, deren Gewalt über die meisten Menschen mächtiger ist, als die Gewalt aller Gesetze. Die Gesellschaft versammelt sich je alle Monate zweimal und verkündet acht Tage vor der Zusammenkunft den Tag der Versammlung in den öffentlichen Blättern der Landschaft, damit die in den kleinen Städten und auf dem Lande wohnenden Mitglieder sich gebührlich einstellen können. Weil die Gesellschaft einen ernsten und heiligen Zweck hat, so sind die gewöhnlichen sonst auch erlaubten Zeitvertreibe und Vergnügungen in ihr durchaus verboten. Die Männer sollen sich bloß mit dem beschäftigen und über das unterhalten, was dem Herzen jedes Teutschen das Nächste seyn muß. Ist die Stimmung der Versammlung hehr, der Tag feierlich, oder hat jemand etwas allen Gemeinsames mit besonderer Begeisterung und Freude auszusprechen, so sey ihm erlaubt, für alle zu allen zu reden. Dieses Recht steht jedem Mitgliede ohne Unterschied zu; und gewiß wird es etwas Erquickliches und Erbauliches seyn, wenn Männer, welche die Gabe der Wohlredenheit und Kunde teutscher Art und Geschichte haben, in gebundenen oder ungebundenen Worten teutsche Gefühle und Gesinnungen aussprechen. Was aber jemand öffentlich reden oder vorlesen will, das muß vorher durchaus den vier Rügern gezeigt und von ihnen gebilligt seyn. Die einzige Sprache, die in der teutschen Gesellschaft gesprochen werden darf, ist die teutsche Sprache; denn auch dahin zielt sie vorzüglich, daß die unmittelbare Kraft des Lebens und die große Gewalt der Seele lebendig werde, daß die Menschen aus Schreibern Sprecher und aus Träumern Thäter werden, wer nicht sprechen kann, entbehrt eines der gewaltigsten Hülfsmittel, Menschen zu bewegen, und, wenn es seyn muß, zu beherrschen, die Zunge ist eine der mächtigsten Gewalten, die es giebt. Wer sich erfrecht in ihr französisch zu sprechen, wird als ein Frevler ausgestoßen; wer eine andere fremde Sprache spricht, wird einem eitlen Thoren gleich geachtet, und muß eine ansehnliche Geldstrafe erlegen. Denn genug haben

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wir erfahren, welche unselige Früchte uns die Versäumung und Verachtung unserer herrlichen Muttersprache getragen hat. Wer seine Sprache nicht achtet und liebt, kann auch sein Volk nicht achten und lieben; wer seine Sprache nicht versteht, versteht auch sein Volk nicht, und kann nie fühlen, was die rechte teutsche Tugend und Herrlichkeit ist; denn in den Tiefen der Sprache liegt alles innere Verständniß und alle eigenste Eigenthümlichkeit des Volkes verhüllt. Darum, teutsche Männer, sprechet teutsch, und recht gut und ächt teutsch, und ihr werdet durch eine stille geistige Verwandelung, die von selbst in euch vorgeht, bald ganz andere Männer seyn, als ihr jetzt seyd. Fröhliche Gastmäler beschliessen die Versammlung, bei großen Gelegenheiten auch Tanz und Saitenspiel; auch fromme, herzige und vaterländische Lieder werden gesungen, denn der Teutsche liebt den Gesang bei’m Becher. Die teutsche Gesellschaft begeht auf das feierlichste heilige Feste des ganzen teutschen Namens, z. B. ein Fest der Hermannsschlacht, ein Fest der Leipziger Schlacht, ein Fest zum Andenken der für das Vaterland gefallenen großen Männer, und andere löbliche Feste, die den Geist und das Herz der Menschen ergreifen, und die von teutschen Menschen zu diesem edlen Zweck erdacht und verordnet werden können. Den Jahrestag der Teutoburger Schlacht, wodurch Hermann unser Vaterland einst vom Römerjoche befreiete, aus den römischen Geschichtschreibern herauszufinden würde unmöglich seyn. Ich würde vorschlagen, die Hermannsschlacht um die Sonnengicht (Johannis) zu feiern, zumal da diesem heiligen und längsten Tage in vielen Gegenden Teutschlands immer noch Freudenfeuer angezündet werden und da er mit Gelagen und Tänzen von den Menschen begangen wird. Es versteht sich von selbst, daß Hermanns Thaten an dem festlichen Tage erzählt werden und daß sein Name bei Saitenspiel und Becherklang vielhallend herumgeht. Die Leipziger Schlacht ist unsere Hermannsschlacht. Wäre sie anders gefallen, würden diese Worte jetzt wahrscheinlich in Teutschland weder gesprochen noch gehört. Sie ist ein großes Fest, das drei Feiertage hat, wie an drei Tagen gefochten ward, nämlich den 16., 18. und 19. Oktober. Dieses Fest muß von uns, welche die Schlacht von einem schändlichen Joche erlöste, auf das feierlichste und fröhlichste gehalten werden. Meint man, drei Feiertage sey zu viel, so würde ich den 18ten Oktober, als den entscheidenden Tag der Riesenschlacht, für die Feier bestimmen. Diese Ehrenschlacht muß ausser der Feier der Erinnerung der Enkel auch noch durch ein hohes und würdiges Denkmal überliefert werden.2 Ein Fest der edlen Todten wird gestiftet zum Andenken der teutschen Männer, die glücklich oder unglücklich im Kampfe für das Vaterland gefallen oder wegen des kühnen Wagnisses oder nur wegen Gedanken der Freiheit von unsern abscheulichen Tyrannen ermordet oder hingerichtet sind. Dafür wäre der Tag der schickliche Tag, an welchem der herrliche Tyroler Feldhauptmann Andreas Hofer im Winter 1810 in Mantua erschossen ist. Er, der brave S. . . . ll und seine Todesgefähr-

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S. weiter unten.

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ten, die Männer, welche in den Jahren 1809 und 1813 in Marburg, Cassel, Baireuth, Tyrol, Wesel und Bremen ermordet sind, weil sie ihr Vaterland lieber hatten als seine Räuber und die Freiheit lieber hatten als die Knechtschaft, der bei Groß Görschen gebliebene General Scharnhorst, der Wiederaufrichter und Beleber des preußischen Heers – diese und andere leuchtende Ehren des teutschen Namens würden an diesem Tage gepiesen und gefeiert. Auf diese Weise allein tritt die Geschichte in das Leben und wird das Leben Geschichte. Es versteht sich bei Christen von selbst, das die Festlichkeit immer mit stillem Gebet und frommen Gottesdienst begonnen wird. Am Feste der Hermannsschlacht und der Leipziger Schlacht würde ein Eichenblatt am Hute der Männer das Zeichen seyn; am Hoferstage würden sie sich mit einem Kreuze zeichnen: denn dieser Held und die Spanier waren die ersten Streiter für die Ehre und Freiheit Europas, die dem Kreuze und seiner Kraft mehr vertraueten, als der Faust und der Gewalt des Eisens, und nach ihnen haben die Russen und Preussen unter diesem Zeichen die unglaublichen Thaten der Frömmigkeit und Begeisterung vollbracht. Dies ist meine teutsche Gesellschaft, die ich meine, dies ist mein liebes und heiliges teutsches Vaterland, an welches ich denke, dies sind meine treuen, tapfern und redlichen Teutschen, die ich liebe und ehre. Mögen die Guten in diesen leichten Worten einiges finden, das an ihre Herzen klingt! und möge das ganze große teutsche Volk durch Eintracht, Liebe und Treue bald nur eine einzige brüderliche Gesellschaft seyn! Dann sind die innigsten Gebete und die heiligsten Träume meines Herzens erfüllt.

Ueber ein Denkmal bei Leipzig Daß auf den Feldern bei Leipzig ein Ehrendenkmal errichtet werden muß, das dem spätesten Enkel noch sage, was daselbst im Oktober des Jahrs 1813 geschehen, darüber ist in ganz Teutschland, ja wohl fast in der ganzen Welt nur Eine Stimme. Aber wie und in welcher Art dieses Denkmal errichtet werden soll, darüber werden die Stimmen gewiß eben so verschieden lauten, als sie über das Erste einig sind. Ein kleines unscheinbares Denkmal, das sich gegen die Natur umher in nichts gleichen kann, thut es nicht; ein zierliches und blankes, etwa in Leipzig selbst auf irgend einem Platz hingestellt, würde in seiner Armseligkeit von der großen That, wodurch die Welt von dem abscheulichsten aller Tyrannen und dem tückischesten aller Tyrannenvölker befreit ward, zu sehr beschämt werden. Das Denkmal muß draussen stehen, wo so viel Blut floß; es muß so stehen, daß es ringsum von allen Straßen gesehen werden kann, auf welchen die verbündeten Heere zur blutigen Schlacht der Entscheidung heranzogen. Soll es gesehen werden, so muß es groß und herrlich seyn, wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln. Aber solches in großer Kraft und im großen Sinn zu bauen fehlt uns das Geld und das Geschick, und ich fürchte, wenn man bei kleinen Mitteln etwas Aehnliches machen will, kömmt etwas Erbärmliches heraus. Ich schlage daher etwas ganz Einfaches und Ausführliches vor, ein Denkmal, wobei die Kunst keine Aeffereien anbringen und

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wogegen unser nordischer allen Denkmälern so feindseliger Himmel nichts ausrichten kann. Ich befehlige einige tausend Soldaten oder Bauern in die Ebene von Leipzig hin, und lasse sie in der Mitte des meilenlangen Schlachtfeldes einen Erdhügel von etwa 200 Fuß Höhe aufthürmen. Auf den Erdhügel werden Feldsteine gewälzt, und über diesen wird ein kolossales aus Eisen gegossenes und mit mancherlei Anpielungen und Zeichen geziertes Kreuz errichtet, das Zeichen des Heils und der Herrscher des neuen Erdballs. Das Kreuz trägt eine große vergoldete Kugel, die weit in die Ferne leuchtet. Das Land rings um den Hügel, etwa 10 bis 15 Morgen weit, wird für ein geheiligtes Land erklärt, mit Wall und Graben eingefaßt, und mit Eichen bepflanzt. – Dieser Hügel, dieses Kreuz, und diese Bäume wären zugleich ein ächt germanisches und ein ächt christliches Denkmal, wohin unsere Urenkel noch wallfahrten gehen würden. Der Eichenhain würde zum Kirchhof großer teutscher Männer geweihet, wo berühmter Feldherren und für das Vaterland gebliebener Helden Leichen begraben würden; denn es ist der Besten würdig, in heiliger Erde zu ruhen.

Abbildungsverzeichnis

S. 127, Abb. 1:

Wilhelm Scholz, »Was ist des Deutschen Vaterland«, Sammelblatt Alte Lieder – Neue Bilder (Ausschnitt) im Kladderadatsch, 1850 (Quelle: Anm. 22)

S. 134, Abb. 2:

Vergleich der Melodien von fünf Vertonungen (Quellen in den Anm. 41 – 44).

S. 221–223, Abb. 3 – 5:

Watch on the Rhine and What is the German’s Fatherland?: Two German National Songs. (Musical Bouquet Series 94) New York: Benj. W. Hitchcock, 1870. Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H.

S. 224, Abb. 6:

Was ist des Deutschen Vaterland und Die Wacht am Rhein.Arranged by F. Lüdke. New York: Lüdke 1870. Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H.

S. 225–228, Abb. 7 – 10: The German Fatherland. Was ist des Deutschen Vaterland? German National Song For Singing and Piano Solo. Philadelphia: Louis Meyer 1870. Source: Sheet music collection at Dartmouth College, Hanover, N. H. S. 230, Abb. 11:

Friedrich Hartmuth Arndt. Year: Unknown. Source: Ernst-MoritzArndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas.

S. 241, Abb. 12:

The Hartmuth Arndt Family. Year: ca. 1870. Source: Ernst-MoritzArndt-Collection at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas.

S. 246, Abb. 13:

Tombstone of Hartmuth Arndt. Year: Unknown. Source: ErnstMoritz-Arndt-Collection at the Max Kade Center for GermanAmerican Studies at the University of Kansas.

S. 258, Abb. 14:

Faksimile des Briefes V datiert auf den 12. Dezember 1843 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 4 und S. 1.

S. 259, Abb. 15:

Faksimile der Rückseite des Briefes V datiert auf den 12. Dezember 1843 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 2 und S. 3.

S. 271, Abb. 16:

Faksimile des Briefes XVI datiert auf den 12. November 1848 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 4 und S. 1.

S. 272, Abb. 17:

Faksimile der Rückseite des Briefes XVI datiert auf den 12. November 1848 von E. M. Arndt an Hartmuth Arndt. Hier S. 2 und S. 3.

Verzeichnis der Beiträger

Dirk Alvermann, Dr. phil., Leiter des Universitätsarchivs Greifswald. Forschungen auf den Gebieten der mittelalterlichen Diplomatik, Archivistik, pommerschen Landesgeschichte und Universitätsgeschichte. Jüngere Publikationen: Greifswalder Köpfe. Gelehrtenporträts und Lebensbilder des 16.–18. Jahrhunderts aus der pommerschen Landesuniversität, hg. von D. Alvermann und B. Dahlenburg, Rostock 2006; Universität und Gesellschaft. Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald, hg. von D. Alvermann und K.-H. Spieß, Rostock 2006. Rex Clark, Lecturer with the Department of Germanic Languages and Literatures at the University of Kansas. His interests include 18th-century travel literature and utopian fiction, literary and cultural writings of Alexander von Humboldt, definitions of culture in German thought, and representations of colonialism in German literature. Rex Clark and Oliver Lubrich are producing an edited collection: Alexander von Humboldt in Literature and Culture. Heide Crawford, Assistant Professor of German at the Univerity of Kansas, specializing in the Age of Goethe. Her research interests include the vampire, science and secret societies in literature, the effect of Idealism on literary trends and ecocriticism. Current projects include a monograph on the impact of Idealism on horror literature and articles on Schiller’s Der Geisterseher. She has published on the origins of the literary vampire in Germany and on Goethes’ poem “Metamorphosis of the Plants.” Walter Erhart, seit 2007 Professor für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. Promotion 1990 in Tübingen, Habilitation 1996 in Göttingen. 2000 Distinguished Visiting Professor an der Washington University in St. Louis; 2003 Max Kade Visiting Professor an der University of Kansas. 1997–2007 Professor für Deutsche Literaturwissenschaft und Literaturtheorie an der Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald. Publikationen u. a.: Entzweiung und Selbstaufklärung. Christoph Martin Wielands „Agathon“-Projekt, Tübingen 1991. Zwei Wendezeiten. Blicke auf die deutsche Literatur 1945 und 1989. Tübingen 1997 (hrsg. mit Dirk Niefanger). Jahrhundertbücher. Große Theorien von Freud bis Luhmann (hrsg. mit Herbert Jaumann). München 2000 (2. Aufl. 2002). Familienmänner. Über den literarischen Ursprung moderner Männlichkeit. München 2001. Odysseen 2001. Fahrten, Passagen und Wanderungen (hrsg. mit Sigrid Nieberle). München 2003. Wolfgang Koeppen & Alfred Döblin. Topographien der literartischen Moderne (hrsg.). München 2005.

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Biographische Angaben der Autoren

Wolf D. Gruner, Professor für Europäische Geschichte verbunden mit dem Jean Monnet Lehrstuhl für Europäische Integrationsgeschichte, Universität Rostock. Studium der Geschichte,Anglistik und Sozialwissenschaften in Erlangen und München. Jüngere Publikationen: Europa-Lexikon. München 2004; Deutschland mitten in Europa. Hamburg 1991; Die deutsche Frage in Europa 1800–1990. München 1993. Zahlreiche Arbeiten zu Europaplänen, Europavorstellungen und die Wahrnehmung Europas sowie zur Imagologie. William D. Keel, Professor at the University of Kansas since 1978, received his Ph. D. from Indiana University in Germanic linguistics. His research has focused on documenting and analyzing the German settlement dialects of Kansas and neighboring states. He established the Linguistic Atlas of Kansas German Dialects at the Max Kade Center for German-American Studies at the University of Kansas. Among his publications are the anthologies for which he was principal editor dealing with German language enclaves German Emigration from Bukovina to the Americas (1996); German Language Varieties Worldwide: Internal and External Perspectives (2003); and The Volga Germans of West Central Kansas (2004). He has also served as associate editor and editor of the Yearbook of German-American Studies since 1981 and has been a member of the Executive Committee of the Society for German-American Studies since 1986. Arne Koch, Assistant Professor of German am Colby College, Maine, USA. 2001–2007 Assistant Professor an der University of Kansas, Lawrence (USA). Publikationen: Between National Fantasies and Regional Realities: The Paradox of Identity in Nineteenth-Century German Literature (2006); Aufsätze zur Literatur des 19. Jahrhunderts (u. a. Fritz Reuter, Reinhold Solger und Gustav Freytag, Globalisierung), über den deutschen ›Road Movie‹ und zur Unterhaltungsliteratur. Paul Michael Luetzeler, (geb. 1943), Rosa May Distinguished University Professor in the Humanities an der Washington University in St. Louis. Er leitet dort das Max Kade Center for Contemporary German Literature. Buchpublikationen zu Hermann Broch, europäische Identität, Gegenwartsliteratur, Literatur und Geschichte, deutsche und europäische Romantik. Er ist der Herausgeber des Jahrbuchs Gegenwartsliteratur. Sigrid Nieberle, seit 2007 Vertretungsprofessur für Neuere deutsche Literatur an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Studium der Neueren deutschen Literatur, Musik- und Theaterwissenschaften in München und Wien; Promotion zur FrauenMusikLiteratur des 19. Jh.s (München 1997); Habil.-Schrift zur literarhistorischen Filmbiographie (Greifswald 2006). Wiss. Assistentin für Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Universität Greifswald (1998–2006). Publikationen und Forschungsschwerpunkte: Intermedialität, Film und Gender Studies, Autorschaftskonzepte, Erzählforschung, Biographik.

Biographische Angaben der Autoren

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Jürgen Schiewe, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, Institut für Deutsche Philologie, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft. Forschungsgebiete: Sprachgeschichte des Deutschen, Geschichte der Sprachkritik, Sprache in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Institutionensprache, Sprachkontaktforschung. Veröffentlichungen: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München 1998; Öffentlichkeit. Entstehung und Wandel in Deutschland. Paderborn u. a. 2004. Thomas Stamm-Kuhlmann, Professor für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 1980 Promotion an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1987 Habilitation an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Veröffentlichungen u. a.: Karl August von Hardenberg. Tagebücher und autobiographische Schriften. München 2000 (Hg.); »Freier Gebrauch der Kräfte.« Eine Bestandsaufnahme der Hardenberg-Forschung. München 2001 (Hg.). Lorie A. Vanchena, Associate Professor in the Department of Modern Languages and Literatures at Creighton University. Her English translation and edition of Reinhold Solger’s Anton in Amerika: Novelle aus dem deutsch-amerikanischen Leben appeared in 2006. She is the author of Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in the Nineteenth Century (2000) and articles on nineteenth-century German and German-American literature. Brian Vick, Dr., Lecturer in Modern History an der Universität Sheffield in England. Er ist Autor des Buches Defining Germany: The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2002, sowie mehrerer Aufsätze zum Themenbereich nationale Identität, Liberalismus und die Begegnung mit der Antike in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zur Zeit arbeitet er an einem Buch über den Wiener Kongress und die politische Kultur Europas an der Schwelle zwischen Napoleonischem Zeitalter und Restauration.

Personenregister

Abbt, Thomas 21 Adelung, Johann Christoph 19 Ahlwardt, Peter 84 Ahrens, Heinrich 70 Alvermann, Dirk 9 Archenholz, Johann Wilhelm von 168 Aristoteles 71 Arndt, Anna Ernestine Hermine siehe Herron, Anna Ernestine Hermine Arndt, Anna Maria Louise (Nanna), geb. Schleiermacher (zweite Frau von E. M. Arndt) 229, 231, 235f, 239f., 251, 255, 261f., 264, 266, 273, 276 Arndt, Carl [auch: Karl] Moritz »Treu« (Sohn von E. M. Arndt) 230f., 235, 239, 260, 265 Arndt, Carl Heinrich Wolfgang 231 Arndt, Carl Siegmar (Sohn von Carl »Treu« Arndt) 231, 242 Arndt, Charlotte Marie geb. Quistorp (erste Frau von E. M. Arndt) 82, 85, 230 Arndt, Clementine 264 Arndt, Dorothea geb. Francke 231 Arndt, Emilie, geb. Stäge, später Treat (Frau von Hartmuth Arndt) 229, 240, 243ff. Arndt, Friederike Wilhelmine Eleonore Dorothea, geb. Schumacher (Mutter von E. M. Arndt) 82, 138, 182 Arndt, Friedrich Hartmuth (Sohn von E. M. Arndt) 6, 8, 13, 103f., 229 – 245, 249ff., 253–277 Arndt, Georg Astolf (Sohn von Carl »Treu« Arndt) 231, 262 Arndt, Hedwig (Tochter von Carl »Treu« Arndt) 264 Arndt, Karl Siegmar (Sohn von Carl »Treu« Arndt) 262 Arndt, Karl Wilhelm (Neffe von E. M. Arndt) 263, 265 Arndt, Leubold (Sohn von E. M. Arndt) 230, 263 Arndt, Ludwig Nicolaus (Vater von E. M. Arndt) 80, 165, 173

Arndt, Marie Anna Dorothea siehe Cook, Marie Anna Dorothea Arndt, Nanna Wilhelmine Dorothea Mathilde siehe Nitzsch, Nanna Arndt, Roderich (Sohn von E. M. Arndt) 230, 240, 251, 253f., 263, 265, 268 Arndt, Siegerich (Sohn von E. M. Arndt) 230, 263, 265 Arndt, Wilhelmine Katharine (Minnie) (Tochter von Hartmuth Arndt) 229, 241, 244f. Arndt, Willibald (Sohn von E. M. Arndt) 230, 232 Arnim, Achim von 137 Aschmann, Birgit 123 Auerbach, Berthold 102, 110 Augustus 200, 203 Bach, Reinhard 114 Bamberg, Karl Friedrich David 260 Bamberg, Theodor 262, 264 Bärensprung, Herr von 276 Bernhard von Clairvaux 94 Bismarck, Otto von 212 Blücher, Gebhard Leberecht von 48f. Blumenbach, Johann Friedrich 66 Bodmer, Johann Jakob 26 Bonaparte siehe Napoleon Bonaparte Brandis, Dietrich 256 Brémond 93 Brentano, Clemens 137 Brinckmann, John 107 Brumder, Georg 218f. Brune, Guillaume-Marie-Anne 93 Büchner, Georg 18 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 74 Buß [Buss], August 240, 243 Buß [Buss], Ernestine, geb. Stäge 240, 243 Campe, Joachim Heinrich 115 Chateaubriand, François-René de 73 Chodowiecki, Daniel Nikolaus 21 Clark, Rex 12 Clason 239

300

Personenregister

Cohl, Linard 244 Coleridge, Samuel Taylor 196 – 206 Colmann, John 240 Conzen, Kathleen Neils 211 Cook, Harry 229, 245 Cook, Marie Anna Dorothea, geb. Arndt (Tochter von Hartmuth Arndt) 229, 240, 243ff. Cotta, Johannes 124, 133 Crawford, Heide 11 Cruikshank, George 51 Dankwardt, Gottfried 79 Dann, Otto 39 Dante Alighieri 114 Danton, Georges Jacques 85 Delbrück, Ferdinand 132 Delius, F. A. 239 Diwald, Hellmut 47 Dora, Panajo 190 Droysen, Johann Gustav 32 Dühr, Albrecht 249f. Dürer, Albrecht 159 Ebner-Eschenbach, Marie von Eichenberg, Elisabeth 239f. Eichhorn, Friedrich 47 Erhart, Walter 12 Erlin, Matt 211

102

Fallersleben, Hoffmann von 125, 218 Fichte, Johann Gottlieb 11, 21, 36, 40, 60, 77, 116 Firmenich, Johannes Matthias 131 Follen, Karl 72 Forster, Georg 186 Fouché, Joseph 201 Freiligrath, Ferdinand 210 Freud, Sigmund 136, 173 Freytag, Gustav 9 Friedrich II (der Große) 18 Friedrich Wilhelm IV. 125 Friedrich, Caspar David 77, 79 Friedrichs, Friederike 240 Fröbel, Julius 65, 69f. Gagern, Ernst von 83 Gast, Peter siehe Köselitz, Heinrich Geese, Johann 138 Gerlach, Ernst Ludwig von 73 Giech, Franz Friedrich Carl Graf von 255 Gillray, James 51 Gneisenau, August Neidhardt von 36, 45, 47f.

Gobineau, Arthur de 72 Goethe, Johann Caspar 160 Goethe, Johann Wolfgang 61, 77, 153, 160 Görres, Joseph 60 Gotthelf, Jeremias 141 Grass, Günter 126f. Gräter, Friedrich David 128 Grimm, Wilhelm 137 Grimm-Brüder (Jacob und Wilhelm) 103ff., 137ff., 144 Groth, Klaus 107 Gruner, Wolf D. 9 Gustav II. Adolf 41 Gustav IV. Adolf 46f., 86, 106 Hacker, Hans-Joachim 250 Hagemann, Karen 183 Hagenow, Dorothea von 79 Hall, Abraham Oakey 213 Haller, Albrecht von 94 Hardenberg, Karl August von 46 Harder, Franz 123 Hardtwig, Wolfgang 135 Hartmann, Regina 144f. Hasenclever, Henriette 238 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 65, 67ff., 74, 197 Heine, Heinrich 160 Herder, Johann Gottfried 19, 21, 44, 74, 153 Hermann (der Cherusker), auch: Armenius 291 Hermes, Johann Timotheus 145 Herron, Anna Ernestine Hermine, geb. Arndt (Tochter von Hartmuth Arndt) 229, 240, 244f. Herron, Arndt 230 Herron, Ethel 229 Herron, George N. 229f., 245 Herron, Lillian 230 Herron, May 230 Herron, Myrthel 230 Hobbes, Thomas 174 Hofer, Andreas 291 Hofmann-Wellenhof, Paul von 128 Hölderlin, Friedrich 181 Homer 161 Humboldt, Alexander von 1, 69 Humboldt, Wilhelm von 69 Hutten, Ulrich von 41 Jahn, Friedrich Ludwig 21, 27, 91, 95, 115 Jeismann, Michael 28 Jordan, Wilhelm 70

301

Personenregister Joseph II (Deutscher Kaiser) Julius Cäsar 171, 200

17, 155

Kanne, Johann Heinrich 256 Kant, Immanuel 18, 34, 61, 65, 67ff., 72, 74, 77, 80f., 83, 85 Kathen, Jeanne Henriette Charlotte von, geb. Mühlenfels 232, 234, 261 Keel, William 13 Kehlmann, Daniel 1 Keller, Gottfried 77 Kleist, Heinrich von 40, 60, 94 Klopstock, Friedrich Gottlieb 94, 162 Klotz, Volker 138 Koch, Arne 9, 11 Kolb, Georg Friedrich 70 Körner, Theodor 36, 40, 218 Kosegarten, Alwina 82 Kosegarten, Bernhard Christian 79, 81 Kosegarten, Emil 82 Kosegarten, Katharina, geb. Linde 81 Kosegarten, Gotthard Ludwig Theobul 9, 47, 77–95 Kosegarten, Julie 82 Köselitz, Heinrich 129 Kreutzer, Conradin 125, 133

Meyer, Louis 217 Meyer, Richard M. 1f., 4 Meyerbeer, Giacomo 214 Michelangelo 160 Mitzscherlich, Beate 140 Möller, Johann Georg Peter 87f. Montesquieu, Charles de 74, 94 Moritz, K. T. 133 Müchler, Karl Friedrich 145 Muhrbeck, Johann, Christoph 80 Napoleon Bonaparte 12, 23, 31f., 38–46, 49, 51ff., 59, 61ff., 85, 88, 91ff., 114f., 118f., 195 – 206, 285f. Nernst, Karl 81 Nicolai, Friedrich 154, 186 Nieberle, Sigrid 11 Nietzsche, Friedrich 12, 128–131, 134f. Nitzsch, Ernst 230, 274 Nitzsch, Nanna Wilhelmine Dorothea Mathilde, geb. Arndt (Tochter von E. M. Arndt) 230, 251, 253 – 256, 260ff., 264, 269 Nitzsch, Otto 256, 260 Novalis (Friedrich Freiherr von Hardenberg) 102

Langenberg, Eduard 33 Leclerc, Charles 195 Leibniz, Gottfried Wilhelm 27 Leonidas 41 Levinger, Matthew 17 Linde, August Christian 81 Lipps, Theodor 136 Liszt, Franz 125, 133 Louverture, Toussaint 195 Lücke, Friedrich 232 Luden, Heinrich 21 Lüdke, F. 217 Ludwig IX. (der Heilige) 94 Ludwig XIV. 21, 50, 283 Luther, Martin 40f., 90, 125, 202 Lüthi, Max 138 Lützeler, Paul Michael 9

Ossian 171 Overkamp, Timotheus Christian Wilhelm 89

Machiavelli, Niccolò 57 Macpherson, James 170 Marx, Karl 199, 206 Mecklenburg, Norbert 144 Menzel, Wolfgang 60f. Mercier, Louis-Sébastien 157 Methfessel, Albert 133 Metternich, Klemens Wenzel Lothar, Fürst von 31, 61

Raabe, Wilhelm 102 Ramler, Karl W. 145 Rassow, Charlotte Dorothea, geb. Arndt (Schwester von E. M. Arndt) 105, 138, 232 – 235, 237f., 251, 253, 255f. Rassow, Karl Ludwig Gustav 233ff., 237, 253 – 256, 270 Rassow, Karl Moritz 255 Reichardt, Gustav 125, 133, 216ff.

Pascal, Blaise 94 Petrarca, Francesco 171 Pindar 161 Pistorius, Charlotte Helena Henriette, geb. Pritzbuer 232, 234,261 Plinius der Jüngere 169, 191 Plümicke, Karl Martin 145 Quistorp, Charlotte Marie siehe Arndt, Charlotte Marie Quistorp, Johann (Schwiegervater von E. M. Arndt) 47, 82, 85, 89 Quistorp, Johann Gottfried 79

302 Reimer, Bernhard 265 Reimer, Georg Andreas 47, 183 Reimer, Georg Ernst 137, 239 Reske, Albert 244 Reuter, Fritz 107f., 111 Reyscher, Dorothea, geb. Dahlmann 268 Richardson, Samuel 84 Röhrich, Lutz 139f. Rölleke, Heinz 137 Rotteck, Carl von 120 Rousseau, Jean-Jacques 5, 23, 74f., 81, 83f., 153 Rudolphi, Carl Asmund 93 Rühs, Friedrich 88f., 93 Rumsfeld, Donald 149 Runge, Philip Otto 77 Sanders, Daniel 130 Sanders, Hermann 240 Schäfer, Karl Heinz 144 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 48, 292 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 70 Schiewe, Jürgen 11 Schildener, Carl 85, 143, 232 Schiller, Friedrich 61, 77, 175f., 181, 213f. Schlegel, Friedrich 182 Schleiermacher, Friedrich 36, 40, 47, 60 Schneckenburger, Max 125, 214ff. Scholz, Wilhelm 126 Schopenhauer, Arthur 130 Schubert, Franz 77 Schultheis Kelley, Ellen 7, 251 Schultheis Kelley, Grant 7, 251 Schultheis, Frank 7 Schultheis, Ira Louise 7 Schulz, Friedrich 192 Schulze, Hagen 44 Schurz, Carl 126 Schwerin[-Putzar], Hildegard Marie Gräfin von, geb. Schleiermacher 234f., 268ff. Schwerin[-Putzar], Max(imilian) Heinrich Karl Anton Kurt Graf von 236f., 267, 269 Seckendorff, Adolf Wilhelm Freiherr von 132 Seume, Johann Gottfried 160, 196 – 206 Sheehan, James 33f. Sichelschmidt, Gustav 101 Sigel, Franz 213

Personenregister Smith, Adam 84 Smollet, Tobias 191 Soult, Nicolas-Jean de Dieu, Marschall 88 Stäge, Wilhelm 240 Stamm-Kuhlmann, Thomas 8, 32, 114 Starkwolt, Klas 138 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 36, 39f., 46f., 49, 59f., 73, 107, 124 Struve, Gustav von 65, 69f., 72 Sutro, Theodor 212, 215, 217f. Sybel, Heinrich Ritter von 32, 61 Tatlock, Lynne 211 Thorild, Thomas 85f. Tiberius 57, 200, 203 Tieck, Ludwig 153, 158, 161 Tievs, Balzer 138 Treat, John 229, 245 Treitschke, Heinrich von 32, 59ff. Treu, Karl siehe Arndt, Carl [auch Karl] Moritz »Treu« Uz, Johann Peter

94

Vanchena, Lorie 13 Vergil 169 Vick, Brian 9 Vierk, Hinrich 138, 140 Voltaire 83 Voß, Johann Heinrich 107 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 153, 158, 161 Weber, Carl Maria von 213f. Weigel, Christian Ehrenfried von 181 Welcker, Carl [auch Karl] Theodor 120, 232 Wenckstern, Frau von 232 Wetmore, William Jarvis 217f. Wette, Wilhelm de 73 Wieland, Christoph Martin 59 Wilhelm I. 31 Wilhelm, Carl 216f. Winckelmann, Johann Joachim 191 Wolf, Christian 130 Wolffradt, Caroline von 79, 83f. Wuthenow, Alwine 107 Zelter, Karl Friedrich

77