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German Pages [158] Year 2018
THEOLOGIE KOMPAKT Professor Dr. Michael Seewald ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
THEOLOGIE KOMPAKT
Michael Seewald
Einführung in die Systematische Theologie
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. i 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Susanne Fischer, Darmstadt Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandabbildung: Farbige Glasfenster im Kölner Dom von Gerhard Richter: i bildbroker.de/Alamy Stock Photo Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27044-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74385-8 eBook (epub): 978-3-534-74386-5
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.Vielfalt der Theologie, Beschränktheit der Theologen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein Gang durch den Maschinenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Theologie: Ein akademischer Sonderling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Geschichte des Begriffs und seiner christlichen Aneignung . . . . . . 2. Die Universität als institutioneller Ort der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gegenwart zwischen Krisen und Aufbrüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Was ist Theologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ein Definitionsvorschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.Wissenschaftliche Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Positive und spekulative Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Affirmative und kritische Theologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.Was ist Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.Voraussetzungen, Gestalt und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Was ist Systematische Theologie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theologie im Kontext disziplinärer Differenzierungsprozesse . . . 2. Das „System“ in der Wissenschaft – ein Kind der Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatik: Die lehrhafte Gestalt religiöser Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . 4. Fundamentaltheologie: Die Voraussetzungen religiöser Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . . 6. Ökumenische Theologie: Ein Querschnittthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 38 40 43
V.
50 56 65
Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Fehlen einer genuin theologischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Topik des Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Historische Bedingtheiten als Korrektiv der Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Analytische Klarheit als Ziel theologischen Sprechens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.Wahrheitsansprüche: ihre Notwendigkeiten und Grenzen . . . . . . . . . . . . . .
68 68 70 74 75 77
VI. Die Vernunft und die Frage nach Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.Vernunft und Glaube: Variationen eines Grundthemas christlicher Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.Gott als Gegenstand des Wissens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der ontologische Gottesbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6
Inhaltsverzeichnis
4. Der kosmologische Gottesbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. Der teleologische Gottesbeweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6. Neuere Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7. Zwischenfazit: Der mögliche und der wirkliche Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 VII. Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundannahme: Gott, der sich bekannt macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Heilige Geist als bleibende Gegenwart Gottes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen christlicher Gottesvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII. Ein Gott, der sein soll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Verlegenheit der Vernunft und die Hoffnung auf Gott . . . . . . . . . . . . . 2. Ein glaubwürdiger Gott? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.Gott und das Leid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Insistieren auf Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX. Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Abbildungsnachweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Vorwort Die Modularisierung der theologischen Studiengänge hat in den letzten Jahren an vielen Fakultäten und Instituten Veranstaltungen ganz neuen Formats entstehen lassen: Einführungen nicht nur in einzelne theologische Fächer, sondern in ganze Fachgruppen. Eine Einführung in die Biblische, die Historische, die Systematische und die Praktische Theologie birgt natürlich das Risiko, das detaillierte Wissen, das die einzelnen Disziplinen dieser Fachgruppen zusammengetragen haben, allzu sehr zu vereinfachen. Eine solche Einführung bietet jedoch, vor allem im Bereich der Systematischen Theologie, auch Chancen. Denn während in der katholischen Theologie die Dogmatik, die Fundamentaltheologie und die Ethik oft hochspezialisiert nebeneinander her leben und eine Fragestellung entweder als dogmatische, fundamentaltheologische oder ethische klassifiziert wird (und damit die anderen tendenziell nichts angeht), ist die evangelische Theologie schon lange von einem anderen Strukturprinzip geprägt. Dort wird, was sich bis in die Benennungen der Lehrstühle hinein zeigt, zunächst von dem dogmatische, fundamentaltheologische und ethische Fragen verbindenden Einheitsaspekt – der Systematik – ausgegangen. Das erleichtert es evangelischen Theologen, bei aller Spezialisierung auch Generalisten im besten Sinne des Wortes zu bleiben, die in den Detailkenntnissen ihren katholischen Kollegen in nichts nachstehen, aber dennoch stärker danach fragen, wie ihr Tun mit der Theologie als ganzer zusammenhängt. Durch Lehrformate, wie sie die „Einführung in die Systematische Theologie“ darstellt, wird nun auch die katholische Theologie (wieder) ermutigt, nicht mehr nur dogmatische, fundamentaltheologische oder ethische, sondern systematische Fragen zu stellen. Danken möchte ich den Studierenden an den Katholisch-Theologischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, mit denen ich in den vergangenen Jahren unterschiedliche Formate der Einführung in die Systematische Theologie erproben durfte und die durch ihre Fragen und Rückmeldungen dieses Buch entscheidend geprägt haben. Mein Wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Johannes Elberskirch, die Hilfskräfte an meinem Lehrstuhl – Sven Eichholt, Anna Lintz, Maximilian Mattner und Florian Tiede – sowie meine Sekretärin Agnes Wiedemeier haben Literatur beschafft, Ratschläge gegeben, Texte korrigiert und Register erstellt. Susanne Fischer von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft hat, obwohl sie länger auf das Manuskript warten musste als vereinbart, das Projekt mit Geduld und außergewöhnlich sorgfältigem Interesse begleitet. Ihnen allen sei für ihre Hilfe herzlich von einem Theologen ge-
dankt, der hier zwar Anfänger in ein Thema einführt, der aber selbst auch noch ein Anfänger ist. Münster, im Juni 2018
Michael Seewald
I. Einleitung „Die Schulbücher sind – Schulbücher. Wer es schon versucht hat, weiß, daß es gar nicht leicht ist, ein ordentliches Lehrbuch oder auch nur ein Stück davon zu schreiben. Es gibt eine ganze Reihe ordentlicher Lehrbücher der Dogmatik in Latein und in modernen Sprachen. Es ist aus dem Wesen der katholischen Glaubenswissenschaft heraus und durch ihre Absicht, sich an Theologen zu wenden, die die Lehre der Kirche zum erstenmal gründlich studieren wollen, gegeben, daß solche katholische[n] Schulbücher nicht den Ehrgeiz haben dürfen, um jeden Preis ‚originell‘ zu sein. Aber ist es ein freventliches Urteil, wenn man der Meinung ist, sie seien (einzelne Ausnahmen sollen nicht bestritten sein) in einer Weise ‚unoriginell‘, daß es erschreckend ist?“ (Rahner 1997, 405) Es ist über sechzig Jahre her, dass Karl Rahner (1904–1984), vermutlich der einflussreichste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts, diese Zeilen schrieb. Sie formulieren ein Programm, das Rahner gemeinsam mit Hans Urs von Balthasar (1905–1988) ausgearbeitet hatte, das aber nie – oder zumindest nicht zur Gänze – in die Tat umgesetzt wurde. Bedenkenswert ist, warum Rahner im Kontext eines derart komplexen Vorhabens, wie es sein neuer „Aufriss zur Dogmatik“ darstellt, auf Lehrbücher zu sprechen kommt, die sich ja nicht in erster Hinsicht an Spezialisten, sondern an Studierende am Anfang ihres Weges richten. Lehrbücher sind offenbar ein Gradmesser für den Zustand der Theologie, weil sie ganz besonders vor jenen Herausforderungen stehen, vor die sich diese Disziplin als ganze gestellt sieht: die Verbindung von Originalität und Konventionalität, von Innovation und Tradition. Manches an Rahners Feststellungen ist veraltet. Ernstzunehmende theologische Lehrbücher in lateinischer Sprache gibt es heute nicht mehr. Und auch das Bild des vorwiegend männlichen, eine klerikale Laufbahn einschlagenden Studenten, dem „katholische Schulbücher“ die „Lehre der Kirche“ vermitteln, trifft die Realität theologischer Fakultäten an deutschsprachigen Universitäten nicht mehr. Die Hörerschaft, auch innerhalb eines Faches wie der Katholischen Theologie, ist bunt geworden.
Die Bedeutung von „Schulbüchern“
Abb. 1: Der Jesuit Karl Rahner war ein bedeutender Impulsgeber der Theologie des 20. Jahrhunderts und prägt sie bis heute.
I.
Einleitung
1. Vielfalt der Theologie, Beschränktheit der Theologen Pluralisierung und Positionierung
Voraussetzungen dieses Buches
Heute ein Einführungswerk zu schreiben, ist daher sicher nicht einfacher geworden, als Rahner es schon für seine Zeit feststellen musste. Denn es gibt in der Systematischen Theologie immer weniger Thesen und Methoden, die von ihren Vertretern als allgemein gültige Grundlagen dieses Faches anerkannt wären. Stattdessen nähern verschiedene „Stile der Theologie“ (Dürnberger/Langenfeld/Lerch/Wurst 2017) sich ein und derselben Frage in ganz unterschiedlicher Weise – ein Umstand, der eine Zusammenhänge, aber auch Bruchstellen und Übergänge betrachtende, eben systematische Perspektive umso wichtiger macht. Die zunehmende Pluralisierung, die auch ein so angestaubt wirkendes Fach wie die Theologie erfasst hat, kennzeichnet diese Disziplin als eine Geisteswissenschaft, in der lebhaft gestritten wird, und macht sie dadurch interessant, erschwert es aber zugleich, noch neutral in sie einzuführen. Anders gesagt: Jede Einführung in diese Disziplin setzt bereits theologische Grundentscheidungen voraus, deren Für und Wider ihre Leserschaft mitten in theologische Diskussionen hineinführen und sie zu eigenständigem Denken herausfordern, die es deshalb aber auch offenzulegen gilt. Erstens ist diese Einführung das Werk eines katholischen Theologen, der der evangelischen Theologie mit großer Sympathie gegenübersteht und Ökumene – auch innerhalb des von Selbstreferenzialitäten nicht freien, akademischen Betriebs – für unerlässlich hält, aber am Ende eben doch ein katholischer Theologe bleibt. Diese Feststellung ist nicht konfessionell abgrenzend gemeint, sondern gibt einfach nur die Beschränktheit wieder, in der jeder Fachvertreter einer gewissen Disziplin steht. Da die katholische und die evangelische Theologie nun einmal zwei unterschiedliche Studienfächer mit zusammenhängenden, aber doch verschiedenen Institutionen und teilweise auch unterschiedlichen Voraussetzungen sind, ist die Herangehensweise und der Horizont eines katholischen Theologen bisweilen anders als bei seinen evangelischen Kollegen. Das gilt es transparent zu machen. Nichtsdestotrotz versteht sich diese Einführung durchaus als ökumenisch orientiert, weshalb hoffentlich auch Studierende der evangelischen Theologie sie als hilfreich empfinden. Zweitens wäre es trotz des Bemühens, eine Einführung in die Systematische Theologie nicht als Aneinanderreihung von Einführungen in ihre Einzeldisziplinen – Dogmatik, Fundamentaltheologie und Ethik – zu gestalten, illusorisch zu meinen, es mache keinen Unterschied, aus welcher Perspektive in die Systematische Theologie eingeführt wird. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf den grundlegenden Fragen, die sich im Schnittpunkt von Dogmatik und Fundamentaltheologie bewegen, wohingegen die Spezielle Ethik in den Hintergrund tritt, weil sie in ihren Gegenstandsbereichen, etwa der Medizin-, der Wirtschafts- oder der Medienethik, derart detaillierte Kenntnisse medizinischer Vorgänge, wirtschaftlicher Zusammenhänge oder medialer Prozesse
2. Ein Gang durch den Maschinenraum
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voraussetzt, dass sie notwendigerweise aus dem Rahmen dessen fällt, was von Nichtexperten gewusst und in einer breiter konzipierten Einführung vermittelt werden kann. Drittens liegt dieser Einführung die Annahme zugrunde, dass Präzision – und darum sollte es aller Wissenschaft gehen – nicht ohne aufwendige Begriffsklärungen und Begriffsklärungen nicht ohne aufwendige historische Betrachtungen möglich sind. Das geschichtliche Auge der Theologie ist dabei nicht rückwärtsgewandt. Im Gegenteil: Es hinterfragt die scheinbare Eindeutigkeit heutiger Festlegungen, die sich gerne auf „die“ Tradition berufen. „Theologen sind in aller Regel nicht zur Radikalität konsequenter (Selbst-)Historisierung bereit, weil einen das Historisieren, wenn man es denn ernstnimmt, mit der nicht hintergehbaren Relativität des eigenen ‚Sehepunktes‘ konfrontiert“ (Graf 2009, 68). Nicht nur den Gegenstand, auf den man blickt, sondern auch den Ort, von dem aus man ihn betrachtet, zu bedenken, ist aber ein entscheidendes Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens und damit auch guter Theologie, die ohne ein reflektiertes Verhältnis zu ihrer eigenen Herkunft nicht auskommt.
2. Ein Gang durch den Maschinenraum Einführungswerke dürfen, so Rahner, einerseits nicht „den Ehrgeiz“ haben, „um jeden Preis ‚originell‘ zu sein“; sonst wären sie keine Einführungswerke mehr. Andererseits sollte ein gutes Lehrbuch auch nicht vollkommen „unoriginell“ sein und einfach nur aufkochen, was schon immer serviert wurde. Ein Büchlein wie dieses hat also die Balance zwischen positionierender und damit womöglich origineller Festlegung, und zurückhaltenden, der Konvention verpflichteten Darstellungen zu wahren. Das soll dadurch geschehen, dass im Folgenden gleichsam ein Rundgang durch den Maschinenraum der Systematischen Theologie geboten wird. Es geht nicht darum, die Leserinnen und Leser mit gewagten Thesen zu erschlagen, sondern ihnen in solider Form zu zeigen, wie die Systematische Theologie aufgebaut ist, was sie antreibt und vor welchen Fragen sie steht. Gelingt dem Buch dies, können Anfänger in ihm hoffentlich jene Grundlagen finden, die sie brauchen, um im Studium der Systematischen Theologie Fuß zu fassen. Damit hätte es sein Ziel erreicht und wäre ein „ordentliches Lehrbuch“ im Sinne Rahners, das nicht um jeden Preis originell sein will, aber hoffentlich auch nicht gänzlich unoriginell ist. Da die Systematische Theologie innerhalb der Theologie für die grundlegenden, zusammenhängenden Fragen zuständig ist, fällt es auch in ihren Aufgabenbereich, zu klären, worin die historischen und institutionellen Besonderheiten der Theologie liegen (II.) und was eine Definition von Theologie sein könnte (III.). Anschließend ist nach der Struktur der Systematischen Theolo-
Zwischen Originalität und Konvention
Gliederung
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I.
Einleitung
gie in ihrer disziplinären Vielfalt zu fragen (IV.), bevor die Methodik und die normativen Vorgaben dieser Disziplin skizziert werden (V.). Sodann gilt es zu klären, was die menschliche Vernunft verantwortbarer Weise über Gott sagen kann (VI.) und was die christliche Glaubenslehre von ihm behauptet (VII.). Wie beides zusammengeht, ob also der Gott, den die Kirchen im Glauben bekennen, eine sinnvolle Möglichkeit vernünftigen Denkens sein kann (VIII.), wird vor einem Ausblick (IX.), der das Büchlein beschließt, erwogen. Natürlich gäbe es immer noch Anderes und immer noch mehr zu erwähnen und zu bedenken, als tatsächlich gesagt und bedacht wird – mehr von der Kirche, mehr von einzelnen dogmatischen Traktaten, mehr Moraltheologie oder was auch immer man sonst noch interessant finden mag. Der Reiz einer Einführung in die Systematische Theologie liegt aber darin, dass sie gerade nicht mit der Summe der Einführungen in ihre einzelnen Fächer identisch ist, sondern einen – natürlich selektiven – Akzent auf einzelne Fragen legen kann. Wenn es ihr dabei gelingt, Studierenden zu vermitteln, worum es in der Systematischen Theologie geht und wenn sie dabei ein Problembewusstsein vermittelt, das zum Weiterstudieren und eigenen Nachdenken anregt, hat sie ihren Zweck erreicht.
II. Die Theologie: Ein akademischer Sonderling Überblick
D
ie Theologie sitzt, vor allem im deutschsprachigen Raum, zwischen allen Stühlen: Sie ist universitäres Studienfach, zugleich aber eine religiös gebundene Disziplin. Sie ist Wissenschaft und hat es doch mit dem Glauben zu tun. Wie konnte solch ein vielschichtiges, für manche auch schil-
lerndes Phänomen entstehen? In welchem institutionellen Rahmen bewegt sich die Theologie und vor welchen Herausforderungen steht sie? Eine für den eigenen geschichtlichen und wissenssoziologischen Standort sensibilisierte Theologie muss sich diesen Fragen stellen.
1. Zur Geschichte des Begriffs und seiner christlichen Aneignung Auf den ersten Blick erscheint die Sache einfach: Das Wort „Theologie“ setzt sich aus dem griechischen „theos“ (Gott) und „logos“ (Wort, Rede, Vernunft) zusammen, so dass „Theologie“ die vernünftige Rede oder das Nachdenken über Gott bezeichnet. Diese Herleitung ist zwar nicht falsch, aber doch zu einfach.
„Theologie“ in der Antike Die griechische Herkunft des Begriffs verdeckt, dass er im paganen – also nicht jüdisch und nicht christlich geprägten – Altertum eine andere Bedeutung hatte, als sie ihm heute zukommt. Quintus Mucius Scaevola (ca. 140–82 v. Chr.) und Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.) kannten eine „dreiteilige Theologie“, mit der sich auch christliche Autoren beschäftigten. Einer der bedeutendsten Kritiker von Varros Theologieverständnis war der spätantike Bischof Augustinus von Hippo (354–430), der durch die akribische Art seiner Auseinandersetzung umfangreiche Einblicke in das verlorene Werk Varros bietet.
Augustins Varro-Paraphrase
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II.
Die Theologie: Ein akademischer Sonderling Quelle Augustinus von Hippo, De civitate Dei (Über die Stadt Gottes) VI, 5. Deutsche Übersetzung: Augustinus (1911), Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 (Bücher 1–8). Aus dem Lateinischen übersetzt von Alfred Schröder (Bibliothek der Kirchenväter), Kempten u.a., 308f. (im Folgenden leicht modifiziert).
„Was hat es sodann damit für eine Bewandtnis, dass [Varro] sagt, es gebe drei Arten von Theologie, das heißt von Weisen über die Götter nachzudenken, und man bezeichne die eine als die mythische, die zweite als die physikalische, die dritte als die staatliche? Auf Latein würden wir, wenn es der Sprachgebrauch gestattete, die an erster Stelle genannte Art das ‚genus fabulare‘ nennen; doch wollen wir lieber ‚fabulosum‘ sagen; denn diese Art wird ‚mythicon‘ genannt nach den ‚fabulae‘, weil das griechische ‚mythos‘ soviel wie ‚fabula‘ bedeutet. Die zweite Art wollen wir als das ‚genus naturale‘ bezeichnen, was heutzutage auch der Sprachgebrauch zulässt. Die dritte Art, das ‚genus civile‘, hat [Varro] ohnehin schon mit einem lateinischen Ausdruck benannt. Er fährt dann weiter fort: ‚Als die mythische Art bezeichnet man die, welche hauptsächlich bei den Dichtern, als die physikalische die, welche bei den Philosophen, und als die staatliche die, welche öffentlich in Gebrauch ist‘.“
Drei Arten der „Theologie“
Augustinus referiert, was römische Philosophen schon vor Christi Geburt unter dem Begriff der Theologie verstanden haben. Die „mythische“ Theologie beschäftigte sich, so Augustinus in seiner Varroparaphrase, mit Sagen oder anderen literarischen Werken, die – man denke an Homers „Ilias“ oder die „Odyssee“ – Ideen enthielten, die man durchaus als Lehre über die Götter verstehen konnte. Die Mythen gaben zum Beispiel Auskunft über die Kosmogenese, also die Entstehung der Welt, über die Anordnung des Pantheons, das heißt die Rangordnung und Verwandtschaftsverhältnisse der Götter untereinander, oder die Mythen trafen Aussagen über das Handeln der Götter in der Sphäre der Menschen. Nicht spannungsfrei zur „mythischen“ Theologie steht die „physikalische“ oder „natürliche“ Theologie, der es um ein streng vernunftgeleitetes Nachdenken über die Götter – oder über den einen Gott im Singular – ging. Wo etwa der Philosoph Aristoteles (gestorben 322 v. Chr.) von „Theologie“ sprach, unterzog er die Mythen der Alten einer kritischen Überprüfung anhand dessen, was er rein vernünftig über die Götter einzusehen glaubte (vgl. Aristoteles, Metaphysik XII, 1074 b). Wenn von „physikalischer“ oder „mythischer“ Theologie die Rede ist, meint „physis“ oder „Natur“ in diesem Zusammenhang das, was der Mensch mit seiner natürlichen Ausstattung, zu der grundlegend die Vernunft gehört, einsehen kann. Natürliche Theologie erschöpft sich also weder in mythologischem Stoff (so die antike Sinnspitze des Begriffs), noch bedarf sie der Hilfe einer übernatürlichen Offenbarung – so die spätere, christliche Bedeutung der Rede von einer natürlichen Theologie. Die dritte Art, die Varro nennt, ist die so genannte „zivile“ oder „politische Theologie“. Darunter wurden Betrachtungen über die Beziehung der
1. Zur Geschichte des Begriffs und seiner christlichen Aneignung
Götter zum menschlichen Gemeinwesen verstanden. Das Verhältnis zwischen den Göttern und dem Staat war von einer fragilen Gegenseitigkeit geprägt. Solange ein politisches Gebilde dafür sorgte, dass die richtigen Götter in rechter Weise verehrt wurden, garantierten diese Götter dem Staat Wohlergehen. Sie konnten ihm jedoch auch ihr Wohlwollen entziehen. Es war also wichtig darauf zu achten, die Götter nicht zu erzürnen – eine Vorstellung, die natürlich auch eine disziplinierende Wirkung hatte, die sich politisch nutzen ließ, um das Gemeinwesen zu einen. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, dass Christen gegen ein solches Verständnis von Theologie einige Einwände hatten. Weil sie nicht an viele Götter, sondern an den einen Gott glaubten, der nach ihrer Überzeugung nicht als Figur für sagenhafte Erzählungen taugte, sondern in der Geschichte Israels und der Kirche wirkte (wo es aber oft nicht weniger sagenhaft zuging als bei den Griechen), erschienen ihnen die antiken Göttermythen problematisch. Unter dem Konzept der politischen Theologie hatten sie zu leiden, weil sich Christen – zumindest ihrem Idealbild nach – weigerten, an Kulthandlungen teilzunehmen. Diese Haltung gefährdete aus Sicht der zivilen Theologie aber womöglich das Wohlergehen des Staates, der auf den Schutz der Götter angewiesen war. Während das Judentum als aufgrund seines Alters geachtete Religion in die Kultvorstellung der Römer derart integriert wurde, dass Juden in aller Regel nicht zur Teilnahme an paganen Opferfeiern verpflichtet wurden, entfiel dieses Privileg für die Christen, als immer deutlicher wurde, dass die Kirche sich als eine von der Synagoge unterschiedene, und damit in den Augen der Römer neue Gemeinschaft etablierte. Daher hatte das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten seines Bestehens immer wieder mit zwar zeitlich und regional begrenzten, aber brutalen Verfolgungen zu kämpfen. Einzig und allein die Idee einer natürlichen, also auf vernünftigem Nachdenken beruhenden Theologie, ist bei einigen – nicht bei allen – christlichen Denkern auf Sympathie gestoßen. Der Theologiebegriff schien den allermeisten jedoch zu heidnisch konnotiert, weshalb er im christlichen Sprachgebrauch der Antike, bis auf wenige Ausnahmen, ein Schattendasein fristete.
Die christliche Aneignung des Theologiebegriffs im 12. Jahrhundert Im griechisch sprechenden Osten des Römischen Reiches ist die Entwicklung ein wenig anders verlaufen, aber im lateinischen Westen, der die gemeinsame Wiege der römisch-katholischen und aller aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen ist, kam der Begriff „theologia“ erst im 12. Jahrhundert wieder verstärkt in Gebrauch. Das ist kein Zufall. Der Begriff wurde bewusst dazu verwendet, um ein neues Programm des Nachdenkens über den christlichen Glauben zu beschreiben. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Peter Abaelard (1079–1142) zu, der seinem Hauptwerk den für damalige Ohren ungewöhnlich
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Christliche Zurückhaltung gegenüber dem Theologiebegriff
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II.
Die Theologie: Ein akademischer Sonderling
klingenden Titel „Traktat der Theologie“ gab, über den sich Zeitgenossen, wie Bernhard von Clairvaux (1090–1153), noch lustig machten. Quelle Peter Abaelard, Historia Calamitatum (Geschichte der Missgeschicke) Deutsche Übersetzung: Abaelard (41979), Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa. Übertragen und herausgegeben von Eberhard Borst, Heidelberg, 35 (im Folgenden leicht modifiziert).
„Ich befasste mich damals zuerst damit, die Grundlagen unseres christlichen Glaubens durch Ähnlichkeiten aus dem Gebiet der natürlichen Vernunft zu erläutern und verfasste einen Traktat der Theologie […] für meine Schüler. Diese begehrten eine verständliche philosophische Beweisführung und wollten Begreifbares hören, nicht bloß Worte. Die vielen Worte, bei denen man sich nichts denken könne, seien überflüssig, man könne erst etwas glauben, wenn man es zuvor begriffen habe; es sei eine Lächerlichkeit, anderen etwas vorzupredigen, was Lehrer und Schüler rational nicht erfassen könnten.“
Abaelards Projekt
Abb. 2: Peter Abaelard – hier gemeinsam mit seiner Geliebten Heloise in einer so genannten „bible moralisée“ dargestellt – war einer der ersten christlichen Autoren, die den Begriff „Theologie“ zur Kennzeichnung ihres Schaffens verwendeten.
In seiner autobiographischen „Geschichte der Missgeschicke“ erklärte Abaelard, welche Motive er mit der titelgebenden Wahl des Theologiebegriffs verband und legte diese teilweise auch seinen Schülern in den Mund. Es gehe ihm erstens um eine Untersuchung der Grundlagen des christlichen Glaubens, die er zweitens nach Maßgabe der Vernunft durchdenken wolle, wozu er drittens eine allgemein nachvollziehbare Beweisführung anstrebe, da man viertens einen Sachverhalt erst verstanden haben müsse, bevor man ihn glauben könne, wobei dieses Verstehen den Glauben nicht ersetze, sondern fünftens die Voraussetzung seiner Verkündigung bilde. Mit diesen lapidar klingenden Einlassungen hat Abaelard das Grundlagenprogramm theologischer Wissenschaft formuliert, wie es für die folgenden Jahrhunderte prägend bleiben sollte. Die Glaubenslehre, wie sie sich im Zeugnis der Kirche auffinden lässt, bildet dabei das Material, das die Theologie zu bearbeiten und an dem sie sich abzuarbeiten hat. Abaelard geht davon aus, dass es keinen abgezirkelten Sonderbereich des Glaubens jenseits der Vernunft gibt. Anders gesagt: Der Glaube verdankt sich
1. Zur Geschichte des Begriffs und seiner christlichen Aneignung
zwar nicht der Vernunft, aber er muss sich – wenn er glaubwürdig sein soll – logisch dem Urteil der Vernunft unterwerfen. Wenn Abaelard also behauptet, dass er die „Fundamente des Glaubens“ durch „Ähnlichkeiten aus dem Gebiet der menschlichen Vernunft“ darlegen will, heißt dies, dass er die Gesetze vernünftigen Denkens und Schlussfolgerns, wie sie die Logik untersucht, ohne Abstriche auch auf die Glaubenslehre anwendet. Das Ziel dieses Unternehmens besteht darin, fromm klingenden Worten vernünftige Überlegungen an die Seite zu stellen, weil – so Abaelards Überzeugung – nur das geglaubt werden könne, was zuvor auch verstanden worden sei. Abaelard macht deutlich, dass seine Motivation zu diesem Unternehmen durchaus religiöser Art ist. Die vernünftige Prüfung des Glaubens komme letztlich diesem Glauben und seiner Verkündigung zugute. Einen irrationalen, also unvernünftigen, oder arationalen, der Vernunft nicht zugänglichen Spezialbezirk, in dem man von der Vernunft und ihren kritischen Fragen unbehelligt einfach vor sich hin glauben könnte, lässt Abaelard nicht gelten. Um diesen, unter dem kompromisslosen Anspruch der Vernunft stehenden Zugang zu Glaubensfragen zu kennzeichnen, hat Abaelard auf den bereits bekannten, aber zur Selbstbeschreibung des Nachdenkens über den eigenen Glauben innerhalb des Christentums bis dato ungebräuchlichen Begriff der Theologie zurückgegriffen. Auch wenn Abaelard in seiner Zeit heftigen Widerständen ausgesetzt war und sogar mehrfach verurteilt wurde, konnte sich sein Anliegen langfristig durchsetzen. Natürlich wäre es unsinnig zu behaupten, dass Christen erst ab dem 12. Jahrhundert über ihren Glauben nachgedacht hätten. Das haben sie von Anfang an getan, wovon bereits die biblischen Schriften ein beredtes Zeugnis ablegen. Es ist aber wichtig zu sehen, dass die Reflexion auf den Glauben unterschiedliche Formen annehmen kann und jene Form, die wir heute „Theologie“ nennen, sich dem Begriff und der Sache nach dem 12. Jahrhundert verdankt. Dieses Projekt, das von Gestalten wie Peter Abaelard formuliert wurde, besitzt verschiedene Merkmale, die trotz aller Veränderungen – niemand mehr würde Theologie in der Gegenwart so betreiben, wie Abaelard es in seiner Zeit tat – in ihren Grundlinien bis heute als Kennzeichen gelungener Theologie gelten können. Theologie in diesem Sinne zeichnet sich durch ein Nachdenken über den Glauben aus, das diesen auch mit Vernunftstandards konfrontiert, die nicht schon religiös gezähmt wurden. Damit geht eine kritische Distanz gegenüber der Glaubenslehre, ihren institutionellen Trägern und amtlichen Bewahrern einher. Das Verhältnis zwischen der Theologenschaft und der hierarchisch verfassten Kirche ist notwendigerweise spannungsvoll und konfliktbeladen. Wäre es das nicht, müsste sich die Theologie fragen, ob sie ihrer Aufgabe noch gerecht wird. Damit klingt aber schon an, dass die christliche Theologie gerade in ihrer Kirchenkritik auch einen kirchlichen Auftrag erfüllt.
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Ein bleibend gültiges Programm
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II.
Die Theologie: Ein akademischer Sonderling
2. Die Universität als institutioneller Ort der Theologie In zeitlicher Nähe zur Herausbildung jener Form des Nachdenkens über den christlichen Glauben, die den Namen „Theologie“ trägt, bildete sich auch eine neue Institution der Wissensvermittlung heraus: die Universität, die genau wie die Theologie ein Kind des 12. Jahrhunderts ist.
Die Universitätsidee Das Aufkommen der Universitäten
Theologie an der mittelalterlichen Universität
Die „Bildungsexpansion des 12. Jahrhunderts“ (Koch 2008, 26) hatte eine Blüte unterschiedlicher Institutionen zur Folge, von denen sich manche nach und nach zu „Universitäten“ entwickelten. Der Begriff der „universitas“ bezeichnete dabei nicht die Gesamtheit des Wissens oder das Zueinander der Fächer, sondern eine Gemeinschaft von Personen, die Träger bestimmter Rechte und Pflichten war. Die ältesten Universitäten, etwa Paris und Bologna, wurden nicht formal gegründet, sondern entstanden aus bestehenden Schulen heraus: Paris wuchs aus einer Kathedralschule empor, Bologna aus einer Juristenschule. Diese beiden Einrichtungen standen auch für unterschiedliche Organisationsprinzipien der mittelalterlichen Universität. Während Bologna eine so genannte Scholarenuniversität war, an der die Lehrenden von den Lernenden, denen die Universitätsleitung zukam, angestellt wurden, markierte Paris als Magisteruniversität, die von den Lehrenden geführt wurde, das institutionelle Gegenmodell. In einer Gesellschaft, der die moderne Trennung von Staat und Religion noch fremd war, kam der Kirche ein entscheidender Einfluss bei der Verwirklichung der universitären Idee zu. Durch Privilegien, die der Kaiser oder der Papst gewähren konnte, wurde die „universitas“, also die Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden, mit Sonderrechten, wie etwa einer eigenen Gerichtsbarkeit, die sonst Geistlichen vorbehalten war, oder dem Recht zur Verleihung akademischer Grade ausgestattet. Obwohl die unterschiedlichen Universitäten in ihrem Ansehen variiert haben mögen, waren an einer Universität verliehene Grade, wie etwa der des Magisters, im gesamten Einzugsbereich der Christenheit gültig. Die transnationale, ihrem Selbstanspruch nach universale Geltung der Universitätsidee konnte ihrerseits nur durch eine ebenfalls transnationale Institution mit universalem Anspruch durchgesetzt werden: die Kirche. Erst durch päpstliche Privilegien wurde zum Beispiel das Recht eines Magisters, überall lehren zu dürfen, tatsächlich implementierbar (vgl. Wolgast 2002, 355). Die Kehrseite der kirchlichen Protektion der Universitätsidee war jedoch ein starker kirchlicher Einfluss an den Universitäten. Wenn es um Fragen der Glaubenslehre ging, scheute sich die Kirche nicht, mit allem Nachdruck und bisweilen auch mit aller Gewalt zu intervenieren. Die Theologie war an den mittelalterlichen Universitäten in zweierlei Weise präsent. An manchen Orten – etwa in Paris, einer Universität, die sich
2. Die Universität als institutioneller Ort der Theologie
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überhaupt erst aus einer Domschule heraus entwickelt hatte – bildete sie den ursprünglichen Kern des Fächerkanons und wurde als eigenständiges Fach gelehrt. Das war aber nicht an allen frühen Universitäten der Fall. In Bologna etwa konnte man nicht Theologie studieren. Über ihre Präsenz als universitäres Lehrfach hinaus spielte Theologie aber auch insofern eine Rolle, als in einer durch die Dominanz des christlichen Glaubens geprägten Gesellschaft potenziell jede Frage zu einer theologischen werden konnte. Dem Mittelalter wohnt – nicht bei allen, aber bei vielen seiner Autoren – eine Tendenz zur „reductio ad theologiam“ inne, zur Rückführung einer Frage auf ihre theologischen Implikationen, wie sich in Anlehnung an einen Werktitel Bonaventuras (1221–1274) sagen ließe. Auch wenn sich nicht zuletzt durch die Universitäten zunehmend differenzierte Formen des Wissens und der institutionalisierten Wissenschaft ergaben, kamen auch Philosophen, Juristen oder Mediziner kaum umhin, sich mit Fragen zu beschäftigen oder zumindest Grenzen zu beachten, die ihnen die Kirche in ihrem Denken und Handeln auferlegte. Obwohl viele Universitätsangehörige Kleriker waren (allein schon wegen ihres privilegierten Rechtsstands), blieb eine universitäre Ausbildung innerhalb des Klerus bis weit in die Neuzeit hinein eine seltene, elitäre Angelegenheit. Während ab dem 13. Jahrhundert die so genannten Bettelorden, vor allem die Franziskaner und die Dominikaner, immer stärker in universitäre Strukturen eingebunden wurden, und die Mönche weiterhin in ihren Klöstern Unterricht genossen, blieb für Diözesanpriester, also Männer, die keinem Orden angehörten, sondern einem Bischof und seinem Bistum zugeordnet waren, eine solide theologische Ausbildung die Ausnahme. Sofern diese Priester nicht adelig waren und sich ein privates oder ein universitäres Studium nicht leisten konnten, wurden sie, nur mit notdürftigen theologischen Kenntnissen versehen, vor allem praktisch „angelernt“, was im späten Mittelalter Missstände evozieren sollte, die die oft den Orden entstammenden Reformatoren im 16. Jahrhundert heftig kritisierten.
Theologie zwischen Seminar und Universität Während die Geistlichen der Reformation ihrem Selbstverständnis nach unbedingt eine gute theologische Ausbildung brauchten, weil der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im Predigtdienst lag (und, wie schon Abaelard formulierte, nur derjenige predigen kann, der weiß, was er wie zu sagen hat, der also über rhetorische und theologische Kenntnisse verfügt), hinkte der Ausbildungsstand der meisten katholischen Geistlichen dem der Protestanten lange hinterher. Die Reformation als theologische Bewegung war eng mit den universitären Reformbewegungen des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts verbunden und der Übergang Martin Luthers (1483–1546) vom Reformator der Wittenberger Universität zum Reformator der Kirche – und umgekehrt – verlief fließend (vgl.
Universitäre Bildung: Eine elitäre Sache
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II.
Die Theologie: Ein akademischer Sonderling
Lohse 1995, 49f.). Aber auch dort, wo altgläubigen, nun im konfessionellen Sinne katholischen Humanisten die Bedeutung von Universitätsreformen einleuchtete, erreichten diese Reformen den überwiegenden Teil der katholischen Geistlichen, die ja nie an einer Universität studiert hatten, nicht. Erst das Konzil von Trient, das mit längeren Unterbrechungen von 1545 bis 1563 tagte, versuchte, die Ausbildung der Geistlichen durch die Einrichtung so genannter „Seminare“ neu zu regeln, die theologisches, aber auch pastoral-praktisches Wissen vermitteln sollten. Die Katholisch-Theologischen Fakultäten an den Universitäten bestanden, wo sie sich nicht der Reformation angeschlossen hatten, parallel zu den Seminaren weiter, blieben allerdings elitäre Orte. Stichwort
Konzil Ein Konzil oder eine Synode ist eine Zusammenkunft, die meist (aber historisch nicht nur) von Bischöfen besucht wird und auf der wichtige Fragen des Glaubens und der Kirchenordnung erörtert werden. Dort getroffene Entscheidungen erheben einen starken Verbindlichkeitsgrad. Die Höchstform des Konzils ist das so genannte Ökumenische Konzil, das einen die Kirche weltweit bindenden Anspruch entfaltet. Die katholische Kirche kennt 21 Ökumenische Konzilien, angefangen bei Nicaea (325) bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965).
Priesterausbildung an der Universität
Erst im Deutschland des 19. Jahrhunderts entstand nach der Säkularisation, also dem Ende der weltlichen Herrschaft geistlicher Würdenträger, ein Drang zur Konzentration der Ausbildung von Diözesanpriestern an den Universitäten. Die Landesherren sahen sich an vielen Orten in der Pflicht, eine zeitgemäße Seelsorge zu gewährleisten, um damit gleichzeitig sicherzustellen, dass sie selbst die Kontrolle darüber hatten, was von den Kanzeln ihrer Territorien gepredigt wurde. Viele katholische Bischöfe wiederum verdächtigten die Universitäten, unter dem Einfluss des Staates eine allzu reformorientierte Agenda zu betreiben und versuchten nun das nachzuholen, was in den Jahrhunderten nach dem Konzil von Trient vielerorts versäumt wurde: die Gründung und Pflege von Seminaren. Das 19. Jahrhundert ist also von einem Neben- und Gegeneinander zweier theologischer Ausbildungseinrichtungen geprägt: den Universitäten, die – politisch gewollt – nun immer breiteren Schichten des Klerus zugänglich werden sollten, und den Seminaren, die – kirchlich gewollt – einen abgeschirmten Lebensbereich strenger Rechtgläubigkeit bildeten (vgl. Wolf 1993). Erst im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich diese Dualität entspannt, indem die Seminare sich entweder auf die Vermittlung spiritueller und die Aneignung existenzieller Fragen konzentrierten, während die akademische Ausbildung an die Universität verlegt wurde, oder indem vormalige Seminare selbst zu Hochschulen ausgebaut und damit eines quasi-universitären Status teilhaftig wurden. Erst in dieser Zeit fanden sich verstärkt Studierende an den theologischen Fakul-
3. Die Gegenwart zwischen Krisen und Aufbrüchen
21
täten ein, die nicht den Klerikerstand anstrebten, sich aber trotzdem akademisch der Theologie widmen wollten. Damit wurde auch Frauen jenseits von Ordensgemeinschaften der Weg in die katholische Theologie erschlossen. Sie bilden heute, obwohl sie in der katholischen Kirche nach wie vor kein sakramentales Amt bekleiden dürfen, die Mehrheit der Studierendenschaft in diesem Fach. Die deutschsprachige Theologie beider Konfessionen verwaltet durch ihren starken Universitätsbezug im Vergleich zu anderen Ländern, vor allem den vorwiegend katholischen Staaten, wo es die Dualität von Seminar und Universität nicht gab, sondern eine klare Dominanz der Seminaridee im binnenkirchlichen Raum und eine theologiekritische Haltung im außerkirchlichen Bereich herrschte, ein einmaliges Erbe. In keinem anderen Sprachraum ist die Theologie strukturell derart akademisiert und ihrem Selbstverständnis nach so stark eine universitäre Disziplin wie in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
3. Die Gegenwart zwischen Krisen und Aufbrüchen Dennoch ist dieses Modell nicht auf Rosen gebettet. Angesichts sinkender Studierendenzahlen und nun nicht mehr ins Bodenlose fallender, weil schon am Boden liegender Zahlen des Priesternachwuchses in der katholischen Kirche stellt sich die Frage, ob die hohe Anzahl theologischer Fakultäten und Institute noch zu rechtfertigen oder ob eine stärkere Konzentration theologischer Studienorte sinnvoll ist. Da das moderne Verständnis von Wissenschaft sich – völlig zu Recht – an dem orientiert, was gelegentlich als „methodischer Atheismus“ bezeichnet wird, stellen manche auch die Frage, ob eine Disziplin wie die Theologie, die bekenntnishaft an eine Religionsgemeinschaft gebunden ist, überhaupt einen legitimen Platz an der säkularen Universität für sich beanspruchen könne. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es kirchliche Akteure, die der Ansicht sind, dass die Theologie durch den Freiraum, den ihr eine Universität bietet, zu wenig bekenntnisgebunden – das heißt: nicht so, wie diese Akteure es gerne hätten – agiert, weshalb manch einer es nicht ungerne sähe, wenn Theologie wieder an seminarähnlichen, kirchlichen Einrichtungen betrieben würde, um sie dort ideologisch besser unter Kontrolle zu halten. Auf die wissenschaftstheoretischen Implikationen und damit auch auf die Frage, ob die Theologie einen legitimen Ort an der säkularen Universität hat, ist im Folgenden immer wieder einzugehen. An dieser Stelle sei lediglich auf drei Aspekte hingewiesen: den numerischen, den rechtlichen und den politischen. Die gesunkenen und vermutlich in der Gesamtheit auch weiter sinkenden Studierendenzahlen machen langfristig eine Anpassung der institutionellen Landschaft der Theologie nötig, die der geringeren Nachfrage entspricht. Das ist schade, tut aber der Theologie als universitärer Disziplin keinen grundsätzlichen Abbruch. Sie wird nämlich nicht nur als Relikt vergangener Zeiten an den
Aktuelle Herausforderungen
Universitäre Theologie – ein Auslaufmodell?
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II. Empfehlungen des Wissenschaftsrates
Die Theologie: Ein akademischer Sonderling
Universitäten geduldet, sondern dort auch grundsätzlich – was die bedarfsgerechte Anpassung nach unten nicht ausschließt – hochschulpolitisch gewollt. So hat der Wissenschaftsrat – ein Gremium in gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder, das die föderale Bildungsstruktur beratend begleitet – im Jahr 2010 ausführliche „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologie und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ vorgelegt. Darin wird betont, wie groß der Forschungsbedarf „angesichts des sozioreligiösen Wandels“ (Wissenschaftsrat 2010, 66) sei – ein Bedarf, der nicht nur durch eine bekenntnisneutrale Religionswissenschaft geleistet werden könne, sondern auch die öffentliche Selbstreflexion religiöser Gemeinschaften miteinschließe, die sogar immer wichtiger werde. „Die Gesellschaft hat deshalb ein vitales Interesse daran, die Religionsgemeinschaften in den universitären Diskurs auch institutionell einzubinden“ (ebd., 61). In einer Zeit, die sich bewusstwird, dass das noch vor einigen Jahrzehnten im Kontext der Säkularisierungstheorie prognostizierte Verschwinden der Religion ausgeblieben ist (vgl. Knöbl 2013), dass Religion von unterschiedlichsten Akteuren politisch in Anspruch genommen wird, und dass sie selbst auch eine erstaunliche Eigendynamik entfaltet, die aus Feinden Freunde, aber auch aus Freunden Feinde machen kann, stellt sich die Grundsatzfrage: Gehört die Selbstreflexion einer Religionsgemeinschaft in den Raum der Öffentlichkeit, wie ihn die Universität bietet, die ihn durch ihre Mechanismen der akademischen Qualitätssicherung auch auf einem erklecklichen Niveau halten kann? Oder gehört diese Selbstreflexion in Bibelschulen und Moscheezentren, wo Gläubige in reiner Selbstaffirmation mit Gleichgesinnten vor sich hin sinnieren können, unbehelligt von den Fragen einer kritischen Öffentlichkeit und den akademischen Standards, wie die Universität sie einfordert? Der Wissenschaftsrat bejaht ausdrücklich die erste und verneint die zweite Frage. Er geht davon aus, „dass die staatlichen Hochschulen der wichtigste Ort der wissenschaftlich reflektierten Selbstauslegung von Religion sind. Allein hier ist nämlich jene Verdichtung des intellektuellen Austauschs zwischen den unterschiedlichen religionsbezogenen Wissenschaften möglich, allein hier können diese so in die Vielfalt der Wissenschaftskulturen (nicht nur der Geisteswissenschaften, sondern auch der Sozial- und Naturwissenschaften, der technischen und biomedizinischen Fächer) eingebettet werden“ (Strohschneider 2017, 112), wie es einer umfassenden Analyse des Religionsphänomens, an dessen Verständnis religiöse Akteure ein besonderes Interesse haben müssten, gerecht wird.
Die Kirchen in der Pflicht Religion im Diskurs
Für die Religionsgemeinschaften bietet das wiederum die Chance, sich intellektuell in bestehende Diskurse einzubringen, öffentlich Gehör zu finden und
Literaturhinweise
die eigenen, auch in religiösen Kernbereichen tätigen Mitarbeiter – seien es nun Kleriker, Pfarrerinnen, pastorales Personal oder Religionslehrerinnen – von Universitäten zu rekrutieren. Umgekehrt gilt aber: Genauso, wie es manchen Kritikern dogmatischer Festlegungen ein Dorn im Auge ist, an einer säkularen Universität mit einer bekenntnisgebundenen Disziplin konfrontiert zu werden, ist es vielen Verteidigern dogmatischer Festlegungen ein Ärgernis, im innerkirchlichen Raum mit Menschen konfrontiert zu sein, die an säkularen Einrichtungen kritisch ausgebildet wurden und deshalb nicht zu allem Ja und Amen sagen, was religiöse Institutionen autoritativ vorgeben. Dieses Problem stellt sich im muslimischen Bereich im Kontext der Imamausbildung, ist aber auch im christlichen Bereich dort präsent, wo manche Entscheidungsträger meinen, zum Beispiel einen „katholischeren“, also mit ihren Vorstellungen von Rechtgläubigkeit kompatibleren Klerus heranziehen zu können, indem sie dessen Ausbildung an strengkirchliche Einrichtungen und weg von den Universitäten verlagern. Der Wissenschaftsrat ist demgegenüber „grundsätzlich der Auffassung, dass die Ausbildung des geistlichen Personals der Kirchen auch künftig vorwiegend im Rahmen des staatlichen Hochschulsystems erfolgen sollte. Andernfalls kann es leicht zu einer Gefährdung der wissenschaftlichen Standards von Lehre und Forschung kommen, da der Austausch und die Auseinandersetzung mit den akademischen Ansprüchen einer Universität fehlen“ (Wissenschaftsrat 2010, 61). Auf einen Blick
Der Begriff „Theologie“ entstammt der Antike, wurde dort von Christen aber als problematisch empfunden und in der Regel von ihnen nicht zur Beschreibung des Nachdenkens über ihren eigenen Glauben herangezogen. Erst im 12. Jahrhundert hat er Eingang in den christlichen Sprachgebrauch gefunden, um eine kompromisslos an der Vernunft orientierte, notfalls auch kirchenkritische Form des Nachdenkens über den christlichen Glauben zu bezeichnen. Zeitgleich mit der christlichen Profilierung des Theologiebegriffs sind auch die frühen Universitäten entstanden. An vielen, nicht an allen, hatte die Theologie jahrhundertelang einen selbstverständlichen Platz. Dieser Platz ist heute umstrittener, aber nicht obsolet geworden. Theologinnen und Theologen sind daher in der Pflicht, Rechenschaft über die Gründe für die Verortung ihrer Disziplin an einer säkularen Universität abzulegen.
Literaturhinweise Krieger, Gerhard (Hg.) (2017), Zur Zukunft der Theologie in Kirche, Universität und Gesellschaft (Quaestiones disputatae 283), Freiburg im Breisgau. Aktueller Überblick zu wissenschaftstheoretischen und wissenschaftspolitischen Fragen rund um die Theologie.
23
III. Was ist Theologie? Überblick
E
s gibt nicht die eine, wahre Definition von Theologie, die man einfach nachschlagen oder aufrufen könnte. Eine Definition ist lediglich der Versuch, das, was einen Gegenstand auszeichnet, so präzise wie möglich zu bestimmen, um ihn von ande-
ren zu unterscheiden – ein Versuch, der manchen zu eng gefasst, anderen zu weit erscheinen mag. Im Folgenden geht es darum, einen Vorschlag für das zu formulieren, was man unter Theologie verstehen könnte.
1. Ein Definitionsvorschlag Folgender Vorschlag sei unterbreitet: Theologie ist die wissenschaftliche Selbstreflexion einer Gemeinschaft auf die Voraussetzungen, die Gestalt und die Folgen ihrer religiösen Überzeugungen. Diese simple Definition gilt es nun in ihren einzelnen Bestandteilen, die allesamt voraussetzungsreich sind, näher zu erläutern.
2. Wissenschaftliche Reflexion Was heißt „Reflexion“?
Der Begriff der Reflexion, also wörtlich des Widerspiegelns, entstammt der Optik. Ein Gegenstand, der Lichtstrahlen, die auf ihn treffen, zurückwirft und deshalb zu leuchten beginnt, reflektiert. Ab dem 17. Jahrhundert nahm der Begriff auch eine philosophische Bedeutung an, allerdings mit der Verschiebung, dass die Aktivität des Reflektierens nun nicht mehr vom betrachteten Gegenstand, sondern von der betrachtenden Person ausgesagt wurde. Jemand reflektiert in diesem Sinne auf einen Sachverhalt, wenn er diesen nicht nur als gegeben hinnimmt, sondern sich denkerisch bemüht, Licht – als Metapher für Erkenntnis – auf ihn zu werfen. Nicht alles, was wir durch Reflexionen lernen, nimmt auch die Form wissenschaftlichen Wissens an. Es gibt Formen des Alltagswissens (zum Beispiel: „wer abends zu viel trinkt, hat morgens einen Kater“), die durchaus wahre Erkenntnisse enthalten und deren Berücksichtigung nützlich ist, die man aber – anders als den Satz „Acetaldehyd als Zwischenstoff des Ethanolabbaus kann Kopfschmerzen verursachen“ – nicht als wissenschaftliche Erkenntnisse bezeichnen würde. Was zeichnet nun wissenschaftliches Wissen aus? Eine bedenkenswerte Antwort stammt von dem Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß.
2. Wissenschaftliche Reflexion
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Stichwort
Wissenschaft „Wissenschaft ist die institutionalisierte Form des Wissens, sofern dieses, im Unterschied zum Alltagswissen und zum Meinen, das sich in der Regel auf ein lebensweltliches Erfahrungswissen bezieht, auf systematische Begründungen bezogenes und strengen Überprüfungspostulaten unterliegendes Wissen ist.“ (Mittelstraß 2004, 184)
Mittelstraß weist darauf hin, dass Wissenschaft eine „institutionalisierte Form des Wissens“ darstellt. Das heißt: Anders als bei der Weitergabe alltagsweltlichen Wissens, wird Wissenschaft von einer Gemeinschaft der Forschenden („scientific community“) getragen, die an gemeinsamen Fragestellungen arbeitet, sich ihre Erkenntnisse wechselseitig zugänglich macht und sich gegenseitig kritisiert.
Wissenschaft und Wahrheit Daher ist es wichtig, zwischen wahren Aussagen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterscheiden. Jede wissenschaftliche Erkenntnis muss sich in Gestalt einer wahren Aussage formulieren lassen, aber nicht jede wahre Aussage ist auch gleich eine wissenschaftliche Erkenntnis. In einem realistischen Kontext ließe sich vereinfacht sagen: Eine Aussage ist wahr, wenn der in ihr behauptete Sachverhalt sich wirklich so verhält, wie in ihr ausgesagt. Anders formuliert: Eine Aussage ist wahr, wenn der in ihr propositional zum Ausdruck gebrachte Sachverhalt real so ist, wie die Proposition ihn beansprucht. Eine „Proposition ist etwas, das im Akt des Behauptens behauptet, in dem des Aussagens ausgesagt wird. Oder um es andersherum auszudrücken: eine Behauptung ist eine (sehr spezielle Art der) Anerkennung der Wahrheit einer Proposition“ (Searle 1983, 48). Der Inhalt einer Aussage kann wahr sein, auch wenn derjenige, der etwas behauptet, keine Gründe dafür anführt. „‚Es regnet‘ ist genau dann wahr, wenn ‚es regnet‘“ (Marconi 2014, 116). Auch wenn die Aussage, „es regnet“, von demjenigen, der sie behauptet, nur erraten wurde, ist sie wahr, wenn es eben regnet. Sie ist jedoch, bloß weil sie wahr ist, noch keine wissenschaftliche Erkenntnis. Dazu wird sie erst, wenn sich Gründe finden, die im Idealfall Gewissheit über die Wahrheit – oder die Falschheit, denn auch Falsifikationen können ein wissenschaftlicher Gewinn sein – einer Aussage bieten. Die Höchstform wissenschaftlichen Wissens ist also eine Erkenntnis, die mit der reflexiven Gewissheit versehen ist, dass sie wahr ist und von der man weiß, warum sie wahr ist. Diese Gewissheit wird, so die Terminologie von Mittelstraß, durch „systematische Begründungen“ und „strenge Überprüfungspostulate“ erreicht. „Sys-
Alltagswissen und Wissenschaft
Argument und Begründung
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III.
Was ist Theologie?
tematisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie: zusammenhängend und nachvollziehbar. Eine Aussage zu begründen bedeutet vernünftig aufzuzeigen, warum die aufgestellte Behauptung korrekt ist. Dazu müssen Argumente angeführt werden. Stichwort
Argument „Ein Argument ist ein Grund (ratio), der einem in Frage stehenden Sachverhalt Glaubwürdigkeit verleiht.“ (Boethius, InTopica Ciceronis Commentariorum, 1156 D).
Ein Argument wird in aller Regel in Form einer Argumentation vorgetragen, worunter der „sprachliche Ausdruck des ganzen Argumentes im Diskurs, der in Prämisse(n) und Konklusion“ (Schulthess 2005, 337), in Voraussetzungen und Schlussfolgerung ausfaltbar ist, verstanden wird. Wenn also etwas als wahr behauptet wird, muss – wenn das Behauptete im wissenschaftlichen Diskurs bestehen soll – in Form einer Argumentation angegeben werden, warum das Behauptete auch tatsächlich wahr ist. Lebensweltliches Wissen unterscheidet sich also von wissenschaftlichem Wissen dadurch, dass die Wissenschaftlerin – zumindest bis zu einem bestimmten Grad – nicht nur weiß, dass eine Erkenntnis wahr ist, sondern auch, warum sie wahr ist. Eine Wissenschaftlerin wird also zur Wissenschaftlerin, indem sie den Dingen im wörtlichen Sinne auf den Grund geht. Mit Blick auf die Theologie heißt dies: Eine Theologin reflektiert auf die religiösen Überzeugungen der Gemeinschaft, der sie selbst angehört, indem sie diese Überzeugungen nicht einfach als selbstverständlich hinnimmt, sondern indem sie sie problematisiert und fragt, was genau eine Gemeinschaft warum glaubt, und wie stark die Gründe sind, die sie zugunsten dieses Glaubens aufbringt.
Überprüfungspostulat Die Angabe des „Was“ und „Warum“, die die Wissenschaft zu leisten hat, unterliegt, so Mittelstraß, „strengen Überprüfungspostulaten“. Was heißt das? Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 661 Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 421.
„Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntniß durch eine solche zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber, durch die ich erkenne, was dasein soll. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als nothwendig) erkenne, daß etwas sei; der praktische
2. Wissenschaftliche Reflexion
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aber, durch den a priori erkannt wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sei oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte Bedingung dazu schlechthin nothwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postulirt (per thesin), im zweiten supponirt (per hypothesin).“
Immanuel Kant (1724–1804) unterscheidet zwei Arten des Vernunftgebrauchs und demnach auch zwei Arten von Erkenntnis. Die theoretische Vernunft fragt nach dem Wahren und zielt darauf ab zu erkennen, „was da ist“. Die praktische Vernunft hingegen fragt nach dem Guten und versucht zu ergründen, „was dasein soll“. Eine Erkenntnis des Wahren oder Guten, die vor aller Erfahrung liegt, nennt Kant „apriorisch“. Wenn nun die Vernunft apriorisch unzweifelhaft erkennt, dass etwas „da ist“ oder „dasein soll“, dieses Wahre oder Gute aber nur als Bedingtes erkennt, muss sie mit der Erkenntnis des bedingten Sachverhaltes auch seine Bedingungen bedenken, selbst wenn sie diese nicht im strengen Sinne erkennen kann. Setzt die Vernunft dabei beliebige Bedingungen voraus, formuliert sie eine Hypothese. Gelingt es ihr jedoch, eine bestimmte Bedingung als notwendige Bedingung eines zweifelsfrei erkannten Sachverhaltes auszumachen, dann stellt sie ein Postulat auf. Damit erschließt sich, was ein „Überprüfungspostulat“ im wissenschaftstheoretischen Sinne bedeutet: Wissenschaftliches Wissen setzt die Nachvollziehbarkeit der ihm zugrunde liegenden Argumentationen und damit die Überprüfbarkeit von Behauptungen voraus. Bei Disziplinen wie der Mathematik, der formalen Logik oder der Chemie ist das womöglich leicht zu bewerkstelligen, indem nachgerechnet, Denkfehler gesucht oder Experimente durch Wiederholung überprüft werden. Aber auch diese Disziplinen haben, wenn etwa eine neue Theorie aufgestellt wird, bisweilen ein Überprüfungsdefizit. Es gibt Annahmen, die plausibel erscheinen und mit denen sich arbeiten lässt, ohne dass sie im strengen Sinne überprüfbar wären oder es jedenfalls mit den zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehenden Mitteln noch nicht sind. Die Lage scheint paradox: Eine Disziplin, in der nichts Überprüfbares behauptet wird, ist keine Wissenschaft, sondern reine Spekulation. Eine Disziplin aber, in der alles sofort überprüfbar ist und es keine Hypothesen mehr gibt,
Hypothesen und Postulate
Abb. 3: Das „kritische“, das heißt auf eine prüfende Unterscheidung ausgerichtete Denken des Philosophen Immanuel Kant prägt die Standards wissenschaftlichen Argumentierens bis in die Gegenwart.
Wissenschaft und Überprüfbarkeit
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III.
Was ist Theologie?
scheint in ihrer wissenschaftlichen Entwicklung zum Stillstand gelangt zu sein. Es kommt also offenbar auf die richtige Mischung zwischen sicherem Erkenntnisgrund, der durch Überprüfbarkeit gewonnen wird, und unsicherer Spekulation an, die kontrovers ist und eine Disziplin vorantreibt, indem das, was unmittelbar der Überprüfbarkeit entzogen ist, sich mit dem Überprüfbaren nachvollziehbar verbindet und eines Tages womöglich selbst überprüfbar – und damit als wahr oder falsch erwiesen – wird. Anders gesagt: Die Vitalität einer Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass positive und spekulative Momente in ihr zusammenkommen. Positiv ist das, was sich eindeutig überprüfen lässt, weil es sich am Gegebenen als Gesetztem (positum) orientiert, spekulativ hingegen das, was sich – vielleicht noch – nicht überprüfen lässt, was aber dennoch hypothetische Erkenntnisse ermöglicht, die sich dann als Wissen erweisen, wenn sie einst überprüfbar werden. Ohne den positiven Aspekt wäre eine Disziplin keine Wissenschaft, ohne den spekulativen Aspekt würde sie erlahmen.
3. Positive und spekulative Theologie Bezugnahmen auf Bezugnahmen
Allgemeine Überprüfbarkeit
Zunächst zum positiven, also vom Gegebenen als Gesetztem ausgehenden Moment der Theologie: Theologie darf nicht mit religiöser Rede verwechselt werden – und sich vor allem selbst nicht mit ihr verwechseln! Wo Theologie in eine Nacherzählung der Bibel, eine Paraphrase des Katechismus oder einen affirmativen Predigtton gleitet, ist sie keine Theologie mehr. Theologie als Wissenschaft zeichnet sich, was sie mit der Philosophie gemeinsam hat, durch die „ständige Bezugnahme auf die Bezugnahme auf Sachverhalte“ (Tetens 2010, 18) aus. Die Theologie behauptet also in ihrer positiven Ausprägung nicht einfach, dass ein religiöser Sachverhalt der Fall sei. Der Satz, „Jesus Christus ist Gottes Sohn“, ist ein Bekenntnis, das einer religiösen Überzeugung Ausdruck verleiht. Die Theologie als Wissenschaft bezieht sich aber auf die Art, in der auf einen religiösen Sachverhalt Bezug genommen wird, so dass etwa der Satz, „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“, im Unterschied zum zuerst genannten eine positive, theologische Aussage darstellt. Denn der Theologie geht es in ihrem positiven Aspekt um eine Analyse religiöser Überzeugungen. Die Ergebnisse, die diese Reflexion zutage fördert, müssen überprüfbar sein – und zwar von der theologischen „scientific community“, aber auch von anderen Disziplinen und potenziell von jedem denkenden Menschen. Auch ein Atheist würde wohl den Satz, „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“ für wahr halten. Ganz gleich, was der Atheist selbst glaubt oder nicht glaubt: An dem Faktum, dass die katholische Kirche an Jesus Christus als den Sohn Gottes glaubt, wird auch er, sofern ihm eine überzeu-
3. Positive und spekulative Theologie
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gende Argumentation vorgelegt wird, nicht rütteln können. Wo die Theologie sich also positiv am Gegebenen orientiert, indem sie darauf Bezug nimmt, wie auf Sachverhalte Bezug genommen wird, ist sie ohne Probleme in der Lage, das ihr auferlegte Überprüfungspostulat einzulösen.
Das spekulative Moment der Theologie Neben dem positiven Moment kennt die Theologie jedoch auch eine spekulative Dimension, die wissenschaftstheoretisch deutlich prekärer ist. Denn Theologie beschäftigt sich nicht nur mit der Reflexion auf religiöse Überzeugungen, wie das andere religionsbezogene Studien auch tun, sondern sie ist ebenso Selbstreflexion einer Gemeinschaft auf ihre religiösen Überzeugungen. Um das zweite sein zu können, muss sie zunächst einmal das erste leisten. Als Selbstreflexion ist ihr aber auch eine Positionierung gegenüber den Sachverhalten, auf deren Bezugnahmen sie sich bezieht, erlaubt, ja sogar geboten. Wenn sie also von dem Satz ausgeht, „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“, bezieht sie (die Theologie) sich auf die Art, in der auf einen Sachverhalt (die Gottessohnschaft Jesu Christi) Bezug genommen wird (durch das Bekenntnis der Kirche). Während die Religionswissenschaft es bei einer solchen Feststellung belassen würde, kann die Theologie aber auch fragen, ob die von ihr positiv festgestellte Art der Bezugnahme spekulativ sinnvoll und berechtigt ist. Konkret: Ein Theologe könnte fragen, ob Gott überhaupt existiert, ob die Rede von einem „Sohn Gottes“ angesichts neuerer Gendersensibilitäten noch sinnvoll ist oder ob Gott, so wäre aus islamisch-theologischer Perspektive einzuwenden, überhaupt derart relational gedacht werden kann, dass ihm ein Sohn zuzuschreiben wäre. Wenn der Theologe sich nun zu der Behauptung versteigt, es sei besser, von Jesus als „Gottes Kind“ denn als „Gottes Sohn“ zu sprechen, oder die These aufstellt, dass Gott in seiner Totalität gar keinen Sohn habe, rückt die Theologie nahe an religiöse Aussagen heran und macht sich daher genauso angreifbar wie religiöse Aussagen es selbst auch sind. Die Theologie wird dadurch zu einer spekulativen Disziplin, die bisweilen, denkt man etwa an die Geschichte der christlichen Trinitätslehre, hoch komplex und in ihren Unterscheidungen auch für andere Wissenschaften relevant werden kann (vgl. Schmidt 2016), aber dennoch einen wissenschaftstheoretisch prekären Status innehat. Denn dort, wo die Theologie spekulativ tätig wird und Theorien zur Deutung von Gottes Wesen entwickelt, sind diese Theorien nicht nur noch nicht überprüfbar, sondern unter den Bedingungen, unter denen Menschen hier und jetzt leben, grundsätzlich nicht überprüfbar. Dieses Problem ist alt und findet sich bereits bei Thomas von Aquin (1225–1274), dem wohl einflussreichsten Theologen des Mittelalters, angesprochen.
Bezugnahmen auf Sachverhalte
30
III.
Was ist Theologie? Quelle Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 1, a. 2, corpus. Deutsche Übersetzung: Thomas von Aquin (1933), Gottes Dasein und Wesen (Deutsche Thomas-Ausgabe 1), Salzburg, 8 (im Folgenden leicht modifiziert).
„Die heilige Lehre ist eine Wissenschaft [scientia]. Aber es gibt eine doppelte Art von Wissenschaft. Die eine stützt sich auf Prinzipien, die durch das natürliche Licht des Verstandes einsichtig sind, wie die Arithmetik, die Geometrie und andere. Die zweite Art stützt sich auf Prinzipien, die durch das Licht einer höheren, übergeordneten Wissenschaft einsichtig werden. So gründet die Lehre von der Perspektive in Prinzipien, die durch die Geometrie, die Musik in solchen, die durch die Arithmetik einsichtig sind. Und zu dieser zweiten Art von Wissenschaft zählt die heilige Lehre, weil sie sich auf Prinzipien stützt, die durch das Licht eines höheren Wissens [scientia] erkannt werden, nämlich des Wissens Gottes und der Seligen. Wie sich also die Musik auf die Prinzipien verlässt, die ihr von der Arithmetik vermittelt werden, so nimmt die heilige Lehre die Prinzipien gläubig an, die ihr von Gott geoffenbart sind.“
Subalterne Wissenschaften
Spekulation: ein schmaler Grat
Thomas spielt hier mit der doppelten Bedeutung des lateinischen Wortes „scientia“, das sowohl Wissen als auch Wissenschaft bedeuten kann. Mit Blick auf die Wissenschaften entwickelt der Aquinate unter Rückgriff auf aristotelische Motive einen später als „Subalternationsmodell“ (Frank 2017, 135) bezeichneten Ansatz, demzufolge es über- und untergeordnete Formen der Wissenschaft gebe. Manche Wissenschaften beziehen ihre Prinzipien unmittelbar aus dem Licht der natürlichen Vernunft. Die Arithmetik, für Thomas die allgemeinste der Zahlwissenschaften, ist mit ihren Gesetzen – etwa dem Assoziativ-, Kommutativ- oder Distributivgesetz – nur den Regeln des korrekten Denkens unterstellt, das Abweichungen von diesen Gesetzen sofort als Fehler entlarven würde. Die Musik, die Thomas im Sinne der „harmonia“ aus dem Quadrivium der sieben freien Künste ebenfalls als Zahlangelegenheit konzipiert, da sie es mit dem durch Intervalle anzugebenen Verhältnis von Tönen zu tun hat, kann in der Harmonielehre für den Aquinaten hingegen nur dann reflektiert werden, wenn die Harmonielehre sich bei der Arithmetik bedient, indem sie sich von dort jene Zahlgesetze aneignet, die sie braucht. Der Harmonietheoretiker übernimmt dieser Vorstellung gemäß also arithmetisches Wissen und empfängt damit die Prinzipien einer aus seiner Sicht höherrangigen Disziplin, ohne deren Prinzipien er seine eigene Disziplin nicht betreiben könnte. Ähnlich gehe es, so Thomas, auch der Theologie. Ein Theologe arbeite mit Prinzipien, in die er selbst keine letzte Einsicht habe und die er nicht überprüfen könne, sondern die er hinnehmend von Gott im Akt der Offenbarung empfangen müsse und die erst dann für ihn selbst zur Evidenz gelangen, wenn er einst zu den Seligen gehöre, also zu denen, die Gott schauen und daher erkennen, wer er wahrhaft sei. Die These des Aquinaten war bereits im Mittelalter, etwa bei seinem etwas jüngeren Zeitgenossen Johannes Duns Scotus (1266–1308), umstritten. Sie
4. Affirmative und kritische Theologie
31
wirkt aus Sicht der modernen Wissenschaftstheorie natürlich konstruiert und für jemanden, der nicht daran glaubt, dass Gott sich offenbart und Selige vor seinem Angesicht stehen, geradezu absurd. Dieses Unbehagen macht zweierlei deutlich: Während der positive Teil theologischer Forschung, der untersucht, wie auf religiöse Sachverhalte Bezug genommen wird, sich nahtlos in die Reihe der Wissenschaften einfügt, erscheint das spekulative Moment theologischen Denkens vor der Wissenschaftstheorie der Gegenwart als ein Fremdkörper. Die Theologie darf diesen Körper aber, bei allem Bemühen um eine zeitgemäße Wissenschaftlichkeit, nicht gänzlich abstoßen, weil sie ansonsten ihrem genuin religiösen Auftrag, der die Theologie erst zur Theologie macht, nicht mehr gerecht würde. Dieser Auftrag besteht allerdings nicht nur in der Affirmation, sondern auch, und vielleicht sogar vor allem, in der Kritik an religiösen Institutionen und Akteuren. Denn Kritik an der Art, wie zum Beispiel die Kirche auf religiöse Sachverhalte Bezug nimmt, impliziert, dass ein Theologe – freilich in spekulativer, nicht in positiver Hinsicht – ebenfalls auf religiöse Sachverhalte Bezug nimmt. Die Theologie darf sich darin aber nicht erschöpfen und sollte deshalb mit Spekulationen über Gott und das Göttliche zurückhaltend sein. Denn, das macht Thomas ebenfalls deutlich, auch die spekulative Theologie hat mit Prinzipien zu arbeiten, anhand derer ihre Behauptungen überprüft werden müssen und kritisiert werden können – nur sind diese Prinzipien selbst aufgrund mangelnder Evidenz im Hier und Jetzt umstritten und daher selbst wiederum Gegenstand der theologischen Auseinandersetzung.
4. Affirmative und kritische Theologie Bereits im zweiten Kapitel wurde skizziert, dass die Theologie eine eigentümliche Stellung einnimmt: Sie ist zugleich frei und konfessionell gebunden. Ihre konfessionelle Bindung als katholische, evangelische, christliche, islamische (oder wie man immer den Bezug fassen mag), unterscheidet sie von anderen religionsbezogenen Studien und macht sie als kritische Selbstreflexion einer Glaubensgemeinschaft universitätspolitisch interessant und gesellschaftlich relevant. Theologie ist daher ohne das Gespräch mit den Religionsgemeinschaften nicht zu haben. Denn wer soll denn bestimmen, was katholisch ist, wenn nicht die katholische Kirche, und was evangelisch sein soll, wenn nicht die entsprechende evangelische Kirche? Die Säkularität des Staates wurzelt normativ gesehen in der Religionsfreiheit seiner Bürger (vgl. Dreier 2018, 9–17), die positiv gesehen eine Freiheit zu Religion und negativ gesehen auch das Recht ist, frei von Religion leben zu können. Beide Rechte können aber nur dann von Bürgern ausgeübt werden, wenn der Staat selbst nicht als religiöser Akteur auftritt. Daher darf er nicht bestimmen, was katholisch oder evangelisch ist, und deshalb auch nicht festlegen, was katholische oder evangelische Theologie sein soll. Sol-
Beteiligung der Religionsgemeinschaften
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III. Diskursfähigkeit?
Was ist Theologie?
len diese Disziplinen dennoch an staatlichen Universitäten vertreten sein, ist eine Kooperation zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften nötig. Diese Zusammenarbeit verlangt aber auch den Gemeinschaften Einiges ab. Sie müssen akzeptieren, dass Theologie an staatlichen Universitäten dem direkten Zugriff einer Religionsgemeinschaft entzogen ist. Die akademische Theologie kann daher in der positiven Dimension ihres Tuns religiöse Phänomene schonungslos analysieren und kontextualisieren. Auf spekulativer Ebene sind Theologen in der Lage, kritisch gegenüber den Kirchen oder ihren Vertretern aufzutreten, indem sie deren Wahrheitsanspruche prüfen und eventuell auch als unberechtigt zurückweisen. Diese Kritik ließe sich sogar auch als religiös motivierte Angelegenheit begreifen: Weil der Theologin etwas an ihrer Gemeinschaft liegt, mit der sie sich gläubig identifiziert, kritisiert sie diese von innen heraus. Die Diskursfähigkeit einer Religionsgemeinschaft zeigt sich an dem Grad, in dem sie diese Kritik zulässt und vielleicht sogar gezielt wünscht, weil sie in ihrer positiven Dimension Selbstaufklärung betreibt und in ihrer spekulativen Dimension Alternativen aufzeigt.
Das affirmative und das problematisierende Moment von Theologie Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Theologie weder ohne ein affirmatives, die eigene Glaubensgemeinschaft bejahendes Moment, noch ohne ein kritisches, der eigenen Glaubensgemeinschaft distanziert gegenüberstehendes Moment auskommt. Fehlt eines der beiden, kann nicht mehr von Theologie gesprochen werden. Kombiniert man diese Merkmale mit den bereits eingeführten Polen von positiver und spekulativer Arbeit, ergeben sich folgende Cleavages oder Spannungsgefüge: Grafik 1: Cleavages theologischen Arbeitens
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Theologie in Spannung
Der Grafik liegt die Annahme zugrunde, dass keine Theologie ohne vier Momente auskommt: das der affirmativen Bejahung von religiösen Überzeugungen der eigenen Gemeinschaft, das der Problematisierung dieser Überzeugungen und der sie formulierenden Institutionen, das der positiven „Bezug-
5. Was ist Religion?
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nahme auf die Bezugnahme auf Sachverhalte“, und das der spekulativen Bezugnahme auf Sachverhalte. Welcher Aspekt wie gewichtet wird, muss stets neu verhandelt werden und hängt von zeitlichen oder sozialen Umständen, von der Diskurs- und Pluralitätsfähigkeit einer Religionsgemeinschaft sowie von den Einstellungen der Theologenschaft ab. Die Grafik zeigt eine Theologin, die vor allem positiv-problematisierend arbeitet, ohne das affirmative und das spekulative Moment aufzugeben. Man könnte sich jedoch auch einen Theologen vorstellen, der stärker spekulativ-problematisierend, spekulativ-affirmativ oder positiv-affirmativ arbeitet.
5. Was ist Religion? Aus der vorgeschlagenen Definition von Theologie wurde bisher noch nicht geklärt, was unter religiösen Überzeugungen genau zu verstehen ist. Kaum ein Begriff ist in der Gegenwart so umstritten wie der der Religion. Das Wort „religio“ ist zwar antiken Ursprungs, hat seine heutige Bedeutung jedoch erst in der Neuzeit angenommen. Der Rhetor und Philosoph Cicero (106–43 v. Chr.) leitete es vom lateinischen „relegere“ ab, was den sorgfältigen Umgang mit kultischen Angelegenheiten beschreibt; der christliche Schriftsteller Laktanz (ca. 250–320) behauptete, „religio“ komme von „religare“ und bezeichne die Bindung des Menschen an Gott (vgl. Feil 1986). Auch wenn die etymologische Richtigkeit dieser Herleitungen fragwürdig ist, bleiben sie inhaltlich aufschlussreich, weil sie bereits einige Charakteristika und die Problematik des späteren Religionsbegriffs andeuten: Antworten auf die Frage, was Religion ist, stehen in der Gefahr, sich an dem zu orientieren, was der Antwortgebende im normativen Sinne unter „guter“ Religion versteht. Es ging Cicero nämlich nicht um irgendeinen Kult und Laktanz nicht um die Bindung an irgendwelche Götter, sondern es ging Cicero um den gewissenhaft ausgeübten, korrekten Kult und Laktanz um die Verankerung des Lebens in dem einen, wahren Gott. Im Kontext der frühneuzeitlichen Herausbildung unterschiedlicher Konfessionskirchen wurde „Religion“ als ein Terminus mittlerer Allgemeinheit eingeführt, der weit genug war, um Katholiken, Lutheraner oder Reformierte als unterschiedliche „Religionsparteien“ zu umfassen, aber noch kaum auf das Judentum oder den Islam, und erst recht nicht auf Erscheinungen wie den Buddhismus oder animistische Praktiken angewandt wurde.
Eine normativ gefärbte Bezeichnung
Probleme der Definierbarkeit Die Einsicht, dass ein römisches Wort, welches erst im Kontext ganz spezifischer, historischer Konstellationen Westeuropas jene Bedeutung angenom-
Kritik am Religionsbegriff
34
III.
Ausweitungen und Engführungen
Was ist Theologie?
men hat, die ihm heute zukommt, nicht alle Phänomene außerhalb seiner Entstehungszeit und seiner geschichtlichen Verortung adäquat beschreiben kann, nährte im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer mehr Zweifel an einer universalen Anwendbarkeit des Religionsbegriffs. „Die Ausweitung des Radius des Religionsverständnisses über die Grenzen Europas hinaus bleibt insofern von den eurozentrischen Denkkategorien geprägt, als sie eben das als Religion identifiziert, was mit bestimmten Klassifikationen und Implikationen (etwa ethischer Art) innerhalb der eigenen Kultur als Religion in Erscheinung tritt. In vielen außereuropäischen Kulturen gibt es kein Äquivalent zum allgemeinen Religionsbegriff. […] Die von den westlichen Wissenschaftlern bisher in Anspruch genommene Definitionshoheit impliziert die Gefahr, die Unterschiedlichkeit der Phänomene zu nivellieren, indem sie diese durch Kategorisierungen in eine problematische Vergleichbarkeit versetzt, die zumindest implizit von den jeweiligen Prägungen des eigenen Kontextes orientiert und somit dominiert wird“ (Weinrich 2012, 21f.) – ein Umstand, auf den vor allem sogenannte postkoloniale Ansätze der Wissenschaftskritik aufmerksam machen. Die religionsbezogene Forschung hat in unterschiedlicher Weise auf diese Einwände reagiert. Manche versuchen, den Religionsbegriff so zu weiten, dass seine substanzielle Definierbarkeit durch die Integration weiterer Phänomene sichergestellt werden sollte, indem etwa Begriffe wie „Gott“ durch den allgemeineren Terminus „Transzendenz“ ausgetauscht wurden. Andere schlagen vor, ganz auf eine Definition von Religion zu verzichten, was für religionsbezogene Studien jedoch einen „Verlust ihres Gegenstandes“ (Stolz 2000), zumindest als präzise beschreibbaren, mit sich brächte. Wieder andere machen aus der Not eine Tugend und verarbeiten die Einsicht in die grundsätzlich unübertragbare Partikularität des Religionsbegriffs dergestalt, dass sie erst gar nicht versuchen, ihn aus seiner eurozentristischen Perspektive zu befreien. So gibt es in der Gegenwartsdiskussion auch noch (oder wieder) sehr klassisch anmutende Definitionen des Religionsbegriffs, wie sie der Philosoph Ernst Tugendhat vorlegt. „Man kann, wenn man will, solche Bewegungen wie den Buddhismus, den Taoismus oder die Stoa als Religionen bezeichnen – ich tue es nicht, weil es in unserem Zusammenhang darauf ankommt, Haltungen, in denen Glauben an ein übernatürliches personales Wesen impliziert ist, von Haltungen zu unterscheiden, bei denen das nicht der Fall ist. Ich verwende das Wort ‚Religion‘ deswegen nur für Auffassungen bzw. Haltungen, in denen ein solches Glauben-an impliziert ist“ (Tugendhat 2010, 195).
Religion und Funktion Ein Mittelweg zwischen einem zu substanziellen und einem gänzlich gegenstandslosen Religionsbegriff könnte es sein, bei der Funktionalität von Religion anhand der Leitfrage anzusetzen: Was leistet Religion in Gestalt religiö-
5. Was ist Religion?
35
ser Überzeugungen? Eine häufig genannte und breit anerkannte Antwort auf diese Frage lautet, dass Religion einen Versuch darstellt, mit dem Problem der Kontingenz oder – genauer gesagt – mit dem Bewusstsein umzugehen, dass Kontingenz ein Problem darstellt. Stichwort
Kontingenz Ein Sachverhalt wird kontingent genannt, wenn er – obwohl er ist, wie er ist – auch anders sein könnte, wenn er also möglich, und damit nicht unmöglich, dennoch aber nicht notwendig ist. Das Bewusstsein von Kontingenz ist daher die Einsicht in den Sachverhalt, dass die Welt ist, wie sie ist, obwohl sie anders sein könnte – oder umgekehrt, dass die Welt nicht so ist, wie sie auch sein könnte.
Religion stellt eine, aber eben nur eine Möglichkeit dar, um mit Kontingenz umzugehen. Sie unterscheidet sich, so der Soziologe Detlef Pollack, in ihrer Form von anderen Arten der Kontingenzbewältigung durch zwei Merkmale: „zum einen durch den Akt der Überschreitung der verfügbaren Lebenswelt des Menschen“, und „zum anderen durch die gleichzeitige Bezugnahme auf eben diese Lebenswelt“ (Pollack 2003, 48). Religion zeigt sich dort, wo die alltäglich verfügbare, durch Kontingenz gekennzeichnete Lebenswelt des Menschen überschritten wird hin zu einer Ordnung, die als nicht der menschlichen Kontrolle unterliegend angesehen wird, weshalb sie der menschlichen Kontrolle auch nicht entgleiten kann. Dadurch kann die Transzendenz der Immanenz wiederum Sinn verleihen.
Religion als Möglichkeit der Kontingenzbewältigung
Stichwort
Sinn Sinn ist „die Einheit der Differenz von Wirklichkeit und Möglichkeit“ (Luhmann 2000, 20). Wer den Sinn eines Sachverhaltes versteht, sieht ein, warum er ist, wie er ist, obwohl er auch anders sein könnte, und kann dieser Wirklichkeit eine Bedeutung entnehmen, die sie als Wirklichkeit gegenüber zahlreichen anderen Möglichkeiten bejaht.
Im Begriff des Sinns zeigt sich, dass Religion nicht nur in der Transzendierung der verfügbaren Lebenswelt besteht, sondern sich diese Überschreitung auch in der zugleich kontingenten und als sinnvoll angenommenen Welt rekonkretisiert, so dass die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz sich redupliziert: Durch den Akt der Überschreitung wird die Immanenz samt der ihr eigenen Kontingenz in die Transzendenz hineingetragen und dort gleichsam verankert, durch den Akt der Rekonkretisierung wird jedoch auch die Transzendenz in die Immanenz eingeführt. Niklas Luhmann bezeichnet dies als „‚re-entry‘ der Unterscheidung in das durch sie Unterschiedene“, wo-
Religion und Sinnstiftung
36
III.
Was ist Theologie?
durch „auf beiden Seiten immer beide Seiten“ stehen (Luhmann 2000, 84), also sowohl die Immanenz in der Transzendenz vorkommt als auch die Transzendenz in der Immanenz präsent wird (vgl. Seewald 2016b, 161–165). Diese Präsenz der Transzendenz kann unterschiedliche Gestalten annehmen: Rituale und Kulthandlungen, ethische Normen oder religiöse Lehrsätze.
Religiöse Überzeugungen „Propositional attitudes“
Religiöse Überzeugungen sind eine spezielle Form von propositionalen Haltungen, von „propositional attitudes“ (Schärtl 2007, 182). Eine Proposition ist – wie bereits in Anlehnung an John Searle definiert wurde – das, was im Akt des Behauptens behauptet wird und bezeichnet demnach einen Sachverhalt, der das als wahr in Anspruch nimmt, von dem er aussagt, dass es der Fall sei. Erheben Einzelne oder Gruppen dauerhaft einen Wahrheitsanspruch und gehen sie mit subjektiv hohem Gewissheitsgrad davon aus, dass dieser Anspruch berechtigt ist, also der in ihm als wahr ausgesagte Sachverhalt auch tatsächlich wahr ist, ließe sich davon sprechen, dass dieser Einzelne oder die Gruppe bestimmte Überzeugungen haben. Religiöse Überzeugungen sind „propositional attitudes“, die sich auf Sachverhalte beziehen, die nach der oben vorgeschlagenen Begriffsbestimmung als religiös gelten können. Sie beziehen sich also auf Aussagen, die es mit der Überschreitung der verfügbaren Lebenswelt zu tun, vor allem aber die Rekonkretisierung der Transzendierung in die Immanenz hinein zum Gegenstand haben, wie sie religiöse Gemeinschaften ihren Gläubigen etwa in Form von Vorschriften gottgefälligen Lebens oder Lehrsätzen vermitteln.
6. Voraussetzungen, Gestalt und Folgen
Einheit und Vielfalt einer Disziplin in vielen Disziplinen
Einen letzten Bestandteil der zu Beginn dieses Kapitels vorgeschlagenen Definition vonTheologie gilt es noch zu klären: die Rede von den Voraussetzungen, der Gestalt und den Folgen religiöser Überzeugungen. Religiöse Überzeugungen können verschiedene Gestalten annehmen. Oft ist ihnen eine lehrhafte Gestalt, etwa in Form von Dogmen oder verbindlichen Glaubenssätzen, zu eigen. Sie können aber auch, zum Beispiel im Gottesdienst, eine Feiergestalt annehmen. Nicht minder vielschichtig ist die Rede von den Voraussetzungen religiöser Überzeugungen. Diese können zum Beispiel logischer, historischer oder auch psychischer Art sein. Gleiches gilt von den Folgen. Es gibt Annahmen, die sich einfach logisch aus bestimmten Voraussetzungen ergeben. Genauso könnte aber auch ein spezifisches Handeln die Folge religiöser Überzeugungen sein. Die Theologie hat das Phänomen religiöser Überzeugungen möglichst umfassend – ihren Voraussetzungen, ihrer Gestalt und ihren Folgen nach – zu untersuchen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist sie selbst wiederum ein
Literaturhinweise
hoch differenziertes Fach, dessen Wissenschaftlichkeit in seiner Einheit hier thematisiert wurde, in seiner Vielfalt allerdings unterschiedlich zu begründen ist. Die Arbeit eines biblischen Exegeten ist insofern wissenschaftlich, als sie bestimmten philologischen Standards folgt und auf diese Weise zu auch für Nichttheologen plausiblen Ergebnissen kommt. Umgekehrt erweist sich aber ein Exeget nur dann als Theologe, wenn er seine Ergebnisse systematisch (und das heißt nicht unbedingt affirmativ und spekulativ, sondern auch problematisierend und positiv) in die Theologie als ganze zurückbezieht. Gleiches gilt für die Disziplinen der Systematischen Theologie, die sich auch, aber nicht immer nur dem Zusammenhängenden widmen können, sondern ebenfalls in ihrer Vielfalt Detailfragen nachgehen. Dabei hat sich innerhalb der Systematischen Theologie eine Arbeitsteilung eingebürgert, die so lange hilfreich ist, wie sie ihre Grenzziehung nicht verabsolutiert. Demnach setzt sich, die Bestandteile der Definition aufgreifend, die Dogmatik mit der lehrhaften Gestalt, die Fundamentaltheologie mit den vernünftigen Voraussetzungen und die Ethik mit den moralischen Folgen religiöser Überzeugungen auseinander. Auf einen Blick
Theologie ist die wissenschaftliche Selbstreflexion einer Gemeinschaft auf die Voraussetzungen, die Gestalt und die Folgen ihrer religiösen Überzeugungen. Das ist nicht die einzig mögliche, aber doch eine schlüssige Definition von Theologie. Besonders voraussetzungsreich und damit erklärungsbedürftig in ihr sind die Begriffe „Wissenschaft“ und „Religion“.
Literaturhinweise Ceylan, Rauf/Sajak, Clauß Peter (Hg.) (2017), Freiheit der Forschung und Lehre? Das wissenschaftsorganisatorische Verhältnis der Theologie zu den Religionsgemeinschaften, Wiesbaden. Eine perspektivenreiche Darstellung zum wissenschaftlichen Selbstverständnis sowie der kirchlichen und akademischen Realität heutiger Theologie aus der Feder katholischer, evangelischer und islamischer Theologen. Weinrich, Michael (2012), Religion und Religionskritik. Ein Arbeitsbuch. Zweite, durchgesehene Auflage, Göttingen. Einführung in verschiedene Deutungen des Religionsbegriffs. Werbick, Jürgen (2010), Einführung in die theologische Wissenschaftslehre, Freiburg im Breisgau. Eine auch didaktisch gut nachvollziehbare Einführung in Fragen der Wissenschaftstheorie aus theologischer Perspektive.
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IV. Was ist Systematische Theologie? Überblick
N
achdem nun geklärt wurde, was Theologie im Allgemeinen ist, gilt es der Frage nachzugehen, was Systematische Theologie im Besonderen auszeichnet. Dazu soll zunächst die Systematische Theologie als Fachgruppe in der Vielfalt ihrer Diszipli-
nen dargestellt und skizziert werden, womit sich die Dogmatik, die Fundamentaltheologie und die Theologische Ethik jeweils beschäftigen. Ein Blick auf die Stellung der Ökumenischen Theologie beschließt das Kapitel.
1. Die Theologie im Kontext disziplinärer Differenzierungsprozesse „Die Wissenschaftsgeschichte ist eine Geschichte ständiger Ausdifferenzierung“ (Czada 2002, 23). Diese weit verbreitete These ist einerseits ein wenig zu pauschal, da im Laufe der Geschichte Disziplinen nicht nur immer feingliedriger unterteilt wurden, sondern bisweilen auch vormals getrennte Stränge der Forschung gerade aufgrund gestiegener Komplexität näher aneinandergerückt sind – man denke an Kombinationen wie „Biochemie“ oder „Geophysik“. Die Aussage, wissenschaftlicher Fortschritt und damit die Ausweitung des Wissens bringe eine zunehmende Differenzierung der dieses Wissen verwaltenden und vertiefenden Disziplinen mit sich, ist andererseits der Tendenz nach aber zutreffend. Die Neuzeit, vor allem seit der Aufklärung des 18. und den Innovationen des 19. Jahrhunderts, hat immer mehr Ausgründungen neuer Forschungsfelder aus bestehenden Disziplinen und binnendisziplinäre Fachunterscheidungen hervorgebracht.
Die Verfeinerung disziplinärer Zuordnungen Kants Theorie lebendiger Kräfte
Das zeigt sich zum Beispiel an einer Begebenheit aus dem Leben Immanuel Kants. Kant wird heute vorwiegend als „Philosoph“ bezeichnet und von Philosophen auf das hin befragt, was Philosophen als ihren Zuständigkeitsbereich erachten: etwa Metaphysik, Erkenntnistheorie oder Ethik. Kant selbst hat sich jedoch mit zahlreichen weiteren Dingen beschäftigt, die man heute keinesfalls mehr der Philosophie als akademischer Disziplin zuordnen würde und über die sich kein ernstzunehmender Philosoph der Gegenwart mehr äußern würde. Kants Erstlingswerk, die „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte“, be-
1. Die Theologie im Kontext disziplinärer Differenzierungsprozesse
schäftigt sich nämlich mit der Frage, durch welche Formel sich die Bewegungsenergie berechnen lasse. Während René Descartes (1596–1650) das Maß für die kinetische Energie durch das Produkt von Masse und Geschwindigkeit eines Körpers zu errechnen glaubte, war Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) der Auffassung, dass man bei diesem Produkt die Geschwindigkeit im Quadrat nehmen müsse. Kant versuchte zu vermitteln, indem er zwei Arten von kinetischer Energie („Kräften“, wie er selbst schrieb) unterschied, und Descartes recht gab, sofern von „der ‚toten‘, der von außen bewegten Natur“ und ihren „äußerlich wirksamen mechanischen Kräften“ die Rede war, aber Leibniz zustimmte, wenn von der „lebendigen“ Kraft „aller aus sich heraus bewegten Wesen“ und der „Eigendynamik der Lebensvorgänge“ (Gerhardt 2002, 30) gesprochen wurde. Dabei hat Kant übersehen, dass drei Jahre vor ihm bereits der Franzose Jean le Rond d’Alembert (1717–1783), anfangs Mitherausgeber der großen, aufklärerisch gesinnten „Encyclopédie“, bereits gezeigt hatte, dass sowohl Descartes als auch Leibniz, und erst recht Kant, falsch liegen sollten, da es nur eine Formel für alle Bewegungsenergie gibt und diese sich durch das Produkt aus der halbierten Masse eines Gegenstandes und seiner Geschwindigkeit im Quadrat berechnet. Wer nun sagt, dass alle diese Philosophen – Descartes, Leibniz und Kant – sich jenseits ihres Zuständigkeitsbereichs bewegten und deshalb mit ihren Theorien wenig überraschend scheiterten, trägt ein disziplinär-differenziertes Bild von Wissenschaft an eine Epoche heran, der diese Differenzierungen noch fremd waren. Erst als man sich bewusstwurde, dass zur Verwaltung und Vertiefung des immer komplexeren Wissens auch immer komplexere, institutionelle Differenzierungen nötig wurden, setzte ein doppelter Prozess ein: Ausgründungen und feinere Binnengliederungen.
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Ausgründungen und neue Binnengliederungen
Kirche und Theologie im Rückzug Diese Entwicklungen spiegeln sich auch in der Theologie, die beobachten musste, wie ihre Zentralstellung im Wissenschaftssystem zunehmend hinterfragt wurde. Die Kirche hatte schmerzhaft zu lernen und ist bis heute noch nicht fertig mit der Lektion, dass ihre religiösen Überzeugungen allein nicht ausreichten, um die Welt in ihrer Struktur zu verstehen, weshalb sie Kompetenzen an andere Disziplinen abgeben musste, was ihr nicht ohne Rückzugsgefechte gelang. Stand man zum Beispiel der Evolutionstheorie Darwins innerhalb der Theologie – bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa John Henry Newman (1801–1890) – meist ablehnend gegenüber, monierte man später nur noch deren Anwendung
Abb. 4: Charles Darwin (1809–1882) stellte mit seiner Evolutionstheorie die kirchliche Lehre vor große Herausforderungen und stößt in kreationistischen Kreisen immer noch auf Ablehnung.
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IV. Konflikte zwischen Naturwissenschaft und kirchlichem Glauben
Differenzierungen innerhalb der Theologie
Was ist Systematische Theologie?
auf den Menschen. Pius XII. (1876–1958) wiederum gestand zu, dass die Evolutionslehre auch „den Ursprung des menschlichen Lebens aus schon existierender und lebendiger Materie erforscht“ (DH 3896), beharrte aber weiter auf dem sogenannten Monogenismus, also der Vorstellung, dass alle Menschen von einem einzigen Elternpaar, Adam und Eva, abstammen, weil es der Kirche ansonsten nicht mehr möglich sei, ihre Erbsündenlehre aufrechtzuerhalten (vgl. DH 3897). Heute würde sich vermutlich auch der Papst nicht mehr auf die These einlassen, biologische Fakten – in diesem Fall: die Abstammung des Menschengeschlechts – müssten sich nach dogmatischen Gegebenheiten richten und könnten deshalb gar nicht anders sein, als die christliche Dogmatik es vorgibt. Ein Blick in evangelikale Kreise der Vereinigten Staaten zeigt aber, dass es immer noch christliche Gruppierungen gibt, die das anders sehen. Die sogenannten Kreationisten betreiben eine aufwendige Form alternativer Pseudowissenschaft, um die Dominanz biblischer und dogmatischer Gedanken gegenüber der Biologie, der Geologie, der Astronomie, kurzum: gegenüber jeder Wissenschaft, krampfhaft aufrechtzuerhalten (vgl. Hemminger 2009). Die akademische Theologie, die mancher Differenzierung nach außen lange feindselig gegenüberstand, hat jedoch nach innen selbst jene Differenzierungsprozesse mitvollzogen, wie sie für die Entwicklung der Wissenschaften in der Moderne charakteristisch ist. Die Systematische Theologie als Überbegriff zur Kennzeichnung unterschiedlicher, aber verwandter theologischer Disziplinen ist, genau wie diese Disziplinen selbst, das Resultat dieses Prozesses.
2. Das „System“ in der Wissenschaft – ein Kind der Neuzeit Dass Systeme heute – von Hegel bis Luhmann, von der Politikwissenschaft bis zur Familientherapie – in aller Munde sind, verdeckt, dass „der Begriff des ‚Systems‘ nicht zuletzt durch die Theologie in die Wissenschaftssprache und -praxis aufgenommen worden ist. Während im Mittelalter die geordnete Darstellung christlicher Lehre wie bei Thomas von Aquin in einer theologischen ‚Summe‘ oder wie bei Petrus Lombardus durch die Entfaltung von ‚Sentenzen‘, die eine reiche kommentierende Literatur hervorriefen, vorgenommen wurde, wurde in der durch die Reformation angestoßenen Wissenschaftsneuordnung der Frühneuzeit die geordnete Darstellung eines Wissenschaftsbereichs, zuerst bei Bartholomäus Keckermann, mit dem Namen des Systems bezeichnet“ (Schwöbel 2004, 2011). Bei dem calvinistischen Theologen Keckermann (ca. 1572–1608) findet sich der Begriff der „systematischen Theologie“ wahrscheinlich auch zum ersten Mal.
2. Das „System“ in der Wissenschaft – ein Kind der Neuzeit
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System als geordnete Einheit des Mannigfaltigen Keckermann orientierte sich an der Vorstellung des Reformators Philipp Melanchthon (1497–1560), dass die christliche Glaubenslehre in Gestalt eines „corpus integrum“, eines unversehrten, wohlgeordneten Leibes darstellbar sei, der sich zwar fein gegliedert und differenziert ausgestalte, dessen einzelne Teile aber dennoch zusammenhängen und ein einziges Ganzes bilden. Die Gesamtheit und das Zueinander der theologischen Lehrsätze, die sich in einer gewissen Ordnung voneinander unterscheiden und zugleich aufeinander bezogen sind, bezeichnete Keckermann als „Systema“ (vgl. Schmoeckel 2014, 118). Diese theologische Denkfigur hatte auch für die anderen Disziplinen den Reiz, die zunehmende Ausweitung des Wissens mit dem bleibenden Verlangen nach einer Einheit der Wissenschaft in Verbindung zu bringen. Daher wurde der Systembegriff in der Folge auch außerhalb der Theologie stark rezipiert. Wieder einmal formuliert Immanuel Kant die in dieser Hinsicht entscheidenden Gedanken.
Der Leib als Bezugspunkt
Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 860 Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 538f.
„Ich verstehe unter einer Architektonik die Kunst der Systeme. Weil die systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine Erkenntniß allererst zur Wissenschaft, d.i. aus einem bloßen Aggregat derselben ein System, macht, so ist Architektonik die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntniß überhaupt, und sie gehört also notwendig zur Methodenlehre. Unter der Regierung der Vernunft dürfen unsere Erkenntnisse überhaupt keine Rhapsodie, sondern sie müssen ein System ausmachen, in welchem sie allein die wesentlichen Zwecke derselben unterstützen und befördern können. Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, so fern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Theile untereinander a priori bestimmt wird.“
System und Wissenschaft Kants Ausführungen zum Systembegriff finden sich nicht zufällig in der „Transzendentalen Methodenlehre“ seiner „Kritik der reinen Vernunft“ unter dem Aspekt einer „Architektonik der reinen Vernunft“. Für Kant hat die Vernunft die Funktion, die Vielfalt von Begriffen zur Einheit der Ideen zusammenzufügen. Diesen Prozess vergleicht der Königsberger Philosoph mit einem Hausbau, weshalb die Vernunft genauso einer Architektonik bedürfe wie ein Baumeister, der zunächst die Kunst des Hausbaus erlernen müsse, um seiner Aufgabe kundig nachzugehen. Was für den Baumeister die Architektonik sei, sei für die reine Vernunft, so Kant, „die Kunst der Systeme“.
Kants Systemverständnis
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IV.
Was ist Systematische Theologie?
Der Systembegriff bezeichnet für Kant die Einheit zahlreicher Einzelerkenntnisse unter einer sie zusammenhaltenden und ordnenden Idee. Erst wo die Einzelerkenntnisse sich zu einem System, die vielen Begriffe sich zu einer Einheit der Idee zusammenfügen, kann für Kant von Wissenschaft die Rede sein. Gelingt die Systembildung nicht, bleiben Einzelerkenntnisse lediglich rhapsodisch und unvermittelt als bloße „Aggregate“ nebeneinanderstehen. Gelingt die Systembildung aber, werden die Einzelerkenntnisse nicht einfach aufgehoben oder verneint, sondern bleiben in ihrem Recht, erhalten jedoch durch die strukturbildende Kraft einer Idee ihren spezifischen Ort im Gesamtkorpus der Wissenschaft. Anders gesagt: Ein System strebt einen Ausgleich zwischen den Extremen der radikalen Fragmentierung auf der einen, und der undifferenzierten Vereinheitlichung auf der anderen Seite an, indem es sich um Vermittlung zwischen Vielfalt und Einheit bemüht. Ein System bindet Vielfalt in eine Einheit ein und kann Einheit wiederum nur in der Mannigfaltigkeit denken.
System in der Theologie Einheit und Mannigfaltigkeit
Gliederung der Systematischen Theologie
Kants Überlegungen werfen auch ein bezeichnendes Licht auf das, was „Systematische Theologie“ zu leisten hat. Es geht ihr darum, die Vielfalt theologischer Forschung in Gestalt zentraler Fragestellungen zu bündeln, ohne die Einzelerkenntnisse in ein höheres Ganzes hinein aufzulösen. Der Systematischen Theologie wohnt also ein Einheitsmoment und ein Mannigfaltigkeitsaspekt inne: In ihrer Einheit beschäftigt sie sich mit theologischen Grundsatzfragen, etwa der Existenz Gottes, der Problematik der Offenbarung und dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, der Institution der Kirche samt der relationalen Strukturen, in denen sie steht, sowie mit der Frage nach dem Guten und dem rechten Handeln. Da diese Probleme hoch komplex sind und kein Wissenschaftler auch nur ansatzweise das sie umspannende Gebiet überblicken könnte, bedarf die Systematische Theologie gerade aufgrund ihres Einheitsaspektes der Vielfalt – der Differenzierung in viele Disziplinen mit eigenen Methoden und spezialisierten Diskursen. Einem üblichen Schema zu Folge gliedert sich die Systematische Theologie daher in folgende Disziplinen: die Dogmatik untersucht die lehrhafte Gestalt der religiösen Überzeugungen der Kirche, die Fundamentaltheologie betrachtet die Voraussetzungen dieser Überzeugungen und die Theologische Ethik bedenkt deren Folgen für das menschliche Handeln. Jede dieser Disziplinen ist in sich wiederum hochspezialisiert, weshalb es im Rahmen einer Einführung in die Systematische Theologie unmöglich erscheint, allen diesen Fächern gleichermaßen gerecht zu werden. Sie sollen daher, dem Mannigfaltigkeitsaspekt der Systematischen Theologie folgend, kurz vorgestellt werden, um dann den Einheitsaspekt in den Blick zu nehmen und jene systematischen Grundfragen anzusprechen, die diesen Fächern gemeinsam sind.
3. Dogmatik: Die lehrhafte Gestalt religiöser Überzeugungen
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3. Dogmatik: Die lehrhafte Gestalt religiöser Überzeugungen Die Dogmatik ist jene theologische Disziplin, die das „dogma“ zum Gegenstand hat. Der Begriff des Dogmas entstammt dem antiken, griechischen Sprachgebrauch, hat aber die Bedeutung, die ihm heute zukommt – und auf der die Dogmatik als theologische Disziplin aufbaut – erst im Laufe der Neuzeit angenommen (vgl. Seewald 2018, 24–51).
Was heißt „Dogma“? Das Substantiv „dogma“ leitet sich vom griechischen Verb „dokeo“ ab, das entweder in neutraler Hinsicht bedeutet „es scheint mir“ bzw. „ich meine“, oder im normativen Sinne so viel besagt, wie „es erscheint mir richtig“ oder „ich beschließe, etwas zu tun“. Im Bereich der Philosophie bezeichnete das „dogma“ einen „Lehrsatz“ oder die „Meinung“ eines Lehrers, im politisch-juridischen Bereich einen „Beschluss“ oder einen „Befehl“. Im Neuen Testament findet sich das Wort fünf Mal. Die bekannteste Erwähnung bietet zweifelsohne die Weihnachtsgeschichte, in der der Evangelist Lukas erklärt, wie es sich zugetragen hat, dass der aus Nazareth stammende und höchst wahrscheinlich auch in Nazareth geborene Jesus nun in Betlehem, der Stadt Davids, zur Welt gekommen sein soll. Lukas erdichtet ein „dogma“ (Lk 2,1), also einen Befehl des Kaisers Augustus, demzufolge alle Bewohner des Reiches sich in Steuerlisten eintragen sollten, weshalb Joseph mit Maria in die Stadt Davids reisen musste. Auf den ersten Blick näher am modernen Sinne des Begriffs erscheint, dass die Beschlüsse des sogenannten Jerusalemer Apostelkonzils, bei dem es um die Stellung von Nichtjuden innerhalb der christlichen Gemeinde ging, als „dogmata“ (Apg 16,4) bezeichnet wurden. Aber auch an dieser Stelle reicht die profane Bedeutung des Begriffs im Sinne eines „Beschlusses“ aus: Ein Problem war zu lösen, was durch einen später von den Beteiligten unterschiedlich interpretierten und wieder hinterfragten „Beschluss“ auch geschehen ist. Erst im 5. Jahrhundert wurde der Dogmenbegriff durch das Werk des Mönches Vinzenz von Lérins (gestorben vor 450) dazu gebraucht, die rechtgläubige christliche Lehre im Unterschied zu den Lehren der Häretiker zu benennen (vgl. Fiedrowicz 2011, 192). Vinzenz sprach vom „göttlichen Dogma“, vom „himmlischen Dogma“, vom „kirchlichen Dogma“ und vom „katholischen Dogma“, geriet allerdings in den tausend Jahren des darauffolgenden Mittelalters wieder in Vergessenheit, weshalb auch der Dogmenbegriff in dieser Zeit ein Schattendasein führte. Das änderte sich erst wieder im 16. und 17. Jahrhundert, als man in den kontroverstheologischen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten erkannte, „es sei sinnlos, sich über alle möglichen Dinge zu streiten, die nur den Rang von Schulmeinungen bean-
Profane Bedeutungen
Die christliche Aneignung des Begriffs
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IV.
Was ist Systematische Theologie?
spruchen könnten. Man wollte die Auseinandersetzung jetzt auf das beschränken, was auf beiden Seiten als offizielle Lehre, als Dogma beziehungsweise Bekenntnis galt“ (Kasper 2015, 66). Einer der ersten neuzeitlichen Autoren, der den Dogmenbegriff zur Kennzeichnung der verbindlichen Glaubenslehre einer Konfession im Unterschied zu individuellen theologischen Meinungen oder Schulbildungen verwendete, war der französische Jesuit François Véron (1578–1649), der von „sicheren Glaubensdogmen“ sprach, auf die sich alle Katholiken verlassen können sollten, auf die sie aber auch verpflichtet wurden und deren Infragestellung sanktioniert wurde. Kurz nach Véron – allerdings im evangelischen Kontext – tauchte dann auch zum ersten Mal der Begriff der „dogmatische Theologie“ auf, der vermutlich von dem Lutheraner Georg Calixt (1586–1656) geprägt wurde (vgl. Filser 2001, 382). Damit war eine neue theologische Disziplin geboren, deren Auftrag darin bestand, den verbindlichen Glaubensbestand – anachronistisch gesprochen: die religiösen Kernüberzeugungen – der eigenen Gemeinschaft zu bedenken und in Gestalt eines geordneten Ganzen darzustellen.
Gegenstände der Dogmatik Traktate
Um dem gerecht zu werden, gliedert sich die Dogmatik in verschiedene Themenbereiche, die üblicherweise als Traktate – von lateinisch „tractare“ (behandeln) – bezeichnet werden. Stichwort
Traktat Ein Traktat ist eine Abhandlung oder, davon abgeleitet, ein Themenbereich. Die die Dogmatik gliedernden Großthemen werden als Traktate bezeichnet.
Die Anzahl, Reihenfolge und Zusammensetzung dogmatischer Traktate ist nirgendwo verbindlich festgeschrieben, sondern variiert je nach theologischer Positionierung. Von zentraler Bedeutung sind die Gotteslehre, die Christologie und die Pneumatologie, weil sie das auf den Punkt bringen, was die Kirche von dem einen Gott bekennt, den sie im Glauben als den Vater anspricht, der sich in seinem Sohn Jesus Christus als Mensch unter Menschen offenbart hat und der im Heiligen Geist präsent bleibt. Im Licht dieses Glaubens deutet die Kirche die Welt und ihre Entstehung, was der Traktat der Schöpfungslehre zu bedenken hat, und den Menschen, dessen Wesen in der Theologischen Anthropologie thematisiert wird. Die Kirche ist dabei nicht nur Trägerin religiöser Überzeugungen, sondern selbst auch ein Gegenstand ihres eigenen Glaubens – ein Umstand, der in der Ekklesiologie reflektiert wird. Gott wird im christlichen Glauben als personales Gegenüber des Menschen ge-
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dacht, das dem Menschen Gutes will und Gutes tut. Dieses rettende Handeln ist das Thema der Gnadenlehre und der Soteriologie. Die Kirche feiert das heilsame Wirken Gottes zeichenhaft in ihren Sakramenten, deren theologischer Gehalt in der dogmatischen Sakramentenlehre untersucht wird, deren Feiergestalt allerdings Gegenstand der Liturgiewissenschaft ist. Vor allem in der katholischen Kirche und in den Ostkirchen wird Maria als personale Konkretisierung des Heilsgeschehens angesehen. Sie wird daher von einigen in einem separaten Traktat, der Mariologie, verhandelt, von anderen hingegen dort thematisiert (zum Beispiel in der Christologie, der Gnadenlehre oder der Anthropologie), wo es sachlich sinnvoll erscheint. Die Eschatologie beschäftigt sich mit der Hoffnung auf die künftige Vollendung jedes einzelnen Lebens und der Welt im Ganzen.
Arbeitsweisen der Dogmatik Das Zweite Vatikanische Konzil führt in seinem Dekret über die Priesterausbildung, „Optatam Totius“, aus, welche Erwartungen kirchlicherseits an die dogmatische Theologie bestehen und wie aus Sicht des Konzils die Dogmatik zu arbeiten habe.
Kirchliche Erwartungen
Quelle Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Priesterausbildung „Optatam Totius“, Nr. 16. Deutsche Übersetzung: Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert (2008), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils: Allgemeine Einleitung – 16 spezielle Einführungen – ausführliches Sachregister (Grundlagen Theologie), 35. Auflage, Freiburg im Breisgau.
„Die dogmatische Theologie soll so angeordnet werden, daß zuerst die biblischen Themen selbst vorgelegt werden; dann erschließe man den Alumnen, was die Väter der östlichen und westlichen Kirche zur treuen Überlieferung und zur Entfaltung der einzelnen Offenbarungswahrheiten beigetragen haben, ebenso die weitere Dogmengeschichte, unter Berücksichtigung ihrer Beziehungen zur allgemeinen Kirchengeschichte; sodann sollen sie lernen, mit dem heiligen Thomas als Meister, die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen, um sie, soweit möglich, zu erhellen. Sie sollen geschult werden, diese selben Heilsgeheimnisse stets in den liturgischen Handlungen und im gesamten Leben der Kirche gegenwärtig und wirksam zu sehen, und lernen, die Lösung der menschlichen Probleme im Lichte der Offenbarung zu suchen, ihre ewige Wahrheit auf die wandelbare Welt menschlicher Dinge anzuwenden und sie in angepaßter Weise den Menschen unserer Zeit mitzuteilen.“
Der ideale Aufbau der Dogmatik nach dem Zweitem Vatikanischem Konzil Den Konzilsvätern zufolge habe die Dogmatik, wenn sie wissen wolle, was die Kirche glaube, zunächst die Bibel zu konsultieren. Die Schrift bildet demnach die vorrangige Norm („norma normata primaria“), ist selbst aber nicht
Ansetzen bei der Schrift
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IV.
Tradition
Was ist Systematische Theologie?
das Wort Gottes, das die höchste Norm („norma suprema“, „norma normans non normata“) christlichen Glaubens darstellt (vgl. Pottmeyer 2000, 101). Der Hinweis, dass die Bibel im christlichen Sinne, obwohl sie aus Sicht der Gläubigen die Heilige Schrift bildet, nicht das Wort Gottes ist, ist sehr wichtig. „Wort Gottes“ oder „Offenbarung“ bedeutet, dass Gott sich in der Geschichte bemerkbar macht und im metaphorischen Sinne den Menschen anspricht – ein Vorgang, der seinen Höhepunkt im Leben Jesu von Nazareth erreicht hat, der im Glauben der Kirche ganz als Mensch und ganz als Gott bekannt wird. Jesus Christus ist demnach das lebendige Wort Gottes oder anders gesagt: Gott ist nach dem Glauben der Kirche nicht Buch, sondern Mensch geworden, weshalb ein Buch – und sei es auch noch so ehrwürdig wie die Bibel – nicht im strengen Sinne als Wort Gottes bezeichnet werden kann. Die Bibel, die lexikalisch eigentlich eine Pluralform zur Kennzeichnung der Zusammenstellung mehrerer Bücher ist, legt lediglich Zeugnis ab von der Art und Weise, in der Gott sich nach dem Glauben der Kirche in der Geschichte Israels und im Leben Jesu bemerkbar gemacht hat. Dieses biblische Zeugnis betrachtet die Kirche als für sich verbindlich, weshalb die Dogmatik als Analyse der lehrhaften Gestalt des christlichen Glaubens auch bei der Bibel als vorrangiger Norm anzusetzen hat. Sodann empfiehlt das Konzil, zur Überlieferung („Tradition“) überzugehen. Stichwort
Tradition Als Tradition oder Überlieferung wird, vereinfacht gesagt, das bezeichnet, was die Kirche an der Vergangenheit als bedeutsam für den Glauben der Gegenwart betrachtet. Dabei geht es nicht um Traditionen im landläufigen Sinne, wie sie etwa das Brauchtum (auch kirchlicher Art) darstellt, sondern – der Idealvorstellung nach – um die Weitergabe dessen, was man selbst empfangen hat (vgl. 1 Kor 11,23). Umgekehrt bedeutet dies: Das, was die Kirche der Gegenwart aus der Vergangenheit als normativ empfängt, betrachtet sie als verbindlich, weil es sie mit ihren eigenen Ursprüngen, Jesus Christus und den Aposteln, zusammenhält.
Kirchenväter
Schrift und Tradition bilden daher, so das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Offenbarungskonstitution (DV 21), gemeinsam den höchsten Maßstab des Glaubens („suprema regula fidei“). Eine herausgehobene Stellung innerhalb der Tradition nehmen die so genannten „Väter“ ein. Im ganz engen Sinne beschränkt sich der Begriff des Kirchenvaters auf vier herausragende Denker des griechischen Ostens und vier bedeutende Vertreter des lateinischen Westens. In einem weiter gefassten Sinne sind „die Väter“ hingegen alle als rechtgläubig anerkannten Schriftsteller der Alten Kirche, also der Kirche zur Zeit der Antike. Diese Epoche hat in der christlichen Geschichtsdeutung eine besondere Stellung: In ihr wurden die
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grundlegenden Weichenstellungen im Bereich der Gotteslehre und der Kirchenstruktur vollzogen, an die sich die Kirche heute noch, obwohl sie in vielem davon abweicht, gebunden weiß. Daher, so das Konzil, haben sie „ganz besonders zur Entfaltung der einzelnen Offenbarungswahrheiten“ beigetragen. Das „Väterargument“, das sich bereits im außerchristlichen Bereich fand und demzufolge „hohes Alter einer Sache zugleich deren Wahrheit“ (Fiedrowicz 2010, 255) garantierte, ist daher als Autoritätsargument von Gewicht. Seine Geltung wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil, das auch selbst viele Impulse der patristischen Theologie entnahm, noch einmal betont. Mit dem Hinweis, dass die Dogmatik auch historisch verfahren solle und nach den Vätern auch die „weitere Dogmengeschichte, unter Berücksichtigung ihrer Beziehungen zur allgemeinen Kirchengeschichte“ berücksichtigen solle, nimmt das Konzil – vermutlich ohne es zu wissen – einen ursprünglich der protestantischen Aufklärung entstammenden Begriff auf (vgl. Seewald 2016a, 253). Zum ersten Mal hat wahrscheinlich Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789) im Jahr 1747 das Vorhaben erwähnt, eine Dogmengeschichte („historia dogmatum“) zu verfassen. Das Charakteristikum der im evangelischen Bereich ab dem 18. Jahrhundert entstandenen Dogmengeschichte besteht jedoch darin, dass sie nicht mehr in doxographischer Manier darlegt, warum auch jene Lehren der eigenen Konfession, die sich in der Bibel oder auch in der Alten Kirche noch nicht finden, trotzdem ihre Berechtigung haben sollen. Die Dogmengeschichte legt vielmehr ungeschönt Diskontinuitäten und Brüche in der Entwicklung des Dogmas frei, vor allem, wenn sie, wie das Konzil fordert, in Verbindung mit der Kirchengeschichte betrieben wird, die manch pikante Praktik der Vergangenheit ausgräbt, die mit der lehramtlichen Dogmatik der Gegenwart kaum vereinbar ist (vgl. Wolf 2016). Das Konzil dürfte jedoch eine deutlich harmonischere Vorstellung des Zueinanders von Dogma, Dogmen- und Kirchengeschichte im Sinn gehabt haben, geht es doch vermutlich von einer „homogenen“, das heißt ohne Brüche und Sprünge verlaufenden, stets vernünftig nachvollziehbaren Entfaltung der katholischen Glaubenslehre aus. Thomas von Aquin war einer der bedeutendsten Theologen des Mittelalters. Er wirkte schulbildend in dem Sinne, dass sich nachfolgende Denker auf ihn als Autorität beriefen und versuchten, Theologie und Philosophie nach seinem Vorbild und in seinem Sinne zu betreiben. Im 19. Jahrhundert gelang es der sogenannten Neuscholastik – ursprünglich ein negativ gefärbter Begriff, der später aber zur Selbstbezeichnung einer sich an mittelalterliche Formen der Theologie anlehnenden Schule wurde – die Vorherrschaft in der Kirche zu erlangen. Der Neuthomismus, eine spezifische Ausprägung der Neuscholastik, die in Treue zu Thomas, aber eben unter den Bedingungen und mit den Fragen des 19. Jahrhunderts Theologie betreiben wollte, wurde von Papst Leo XIII. (1810–1903) förmlich zur offiziell erwünschten Theologie der katholischen Kir-
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Dogmengeschichte
„Thomas als Meister“
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IV.
Was ist Systematische Theologie?
che erhoben. Die Theologen in aller Welt wurden ermahnt, „zum Schutz und zur Zierde des katholischen Glaubens, zum Wohle der Gesellschaft und zum Wachstum aller Wissenschaften die Weisheit des heiligen Thomas wiederherzustellen und möglichst weit zu verbreiten.“ (DH 3141). Thomas diente dabei als ein Denker, der die Vielfalt der Tradition kanalisierte, da er – wie Leo XIII. in Anlehnung an eine Wendung von Thomas Cajetan (1469–1534) ausdrückte – „die alten Lehrer aufs höchste verehrte [und] darum gewissermaßen die Einsicht aller erlangt“ (DH 3139) habe. Abb. 5: Thomas von Aquin in einer seltenen kolonialspanischen Darstellung als „Divus Thomas“, dessen Lehre eine derartige Strahlkraft besitzt, dass sie die Übel des Irrtums bezwingt. Das Bild illustriert, wie die Theologie des Thomas idealisiert und letztlich instrumentalisiert wurde.
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Das Zweite Vatikanische Konzil versucht, die neuscholastische Traditionskanalisierung und Verengung zu weiten. Es greift in seinen Dokumenten auf patristische Texte zurück, die es nicht nur durch die Linse des Aquinaten betrachtet. Die Erwartungen von „Optatam Totius“ an die Struktur der dogmatischen Theologie sind eine einzige Antithese zur neuscholastischen Art des Theologietreibens. Dennoch unterscheidet das Konzil zwischen Thomas selbst, den es (zu Recht) in Ehren hält und dessen Studium es auch weiterhin empfiehlt auf der einen, und der Neuscholastik bzw. dem Neuthomismus des 19. und 20. Jahrhunderts, von dem sich das Konzil distanziert, auf der anderen Seite. Für das Zweite Vatikanische Konzil hat jede Theologie den Auftrag, über das nachzudenken und zu vermitteln, was das Konzil als „mysteria salutis“ bezeichnet – ein Begriff, den man unzureichend mit „Heilsgeheimnisse“ übersetzen könnte. „Salus“ (Heil) ist ein Allgemeinbegriff für den Zustand, in dem der Mensch frei von Sünde und damit auch frei vom Tod und allem ist, was ihn bedrückt. Gott wird von der Kirche als Schöpfer und Erlöser der Welt bekannt, also als ein Gegenüber, das die Welt ins Dasein gerufen hat, ihr Gutes will und deshalb auch heilstiftend in ihr wirkt. Das heilsame Handeln Gottes hat nach christlicher Vorstellung seinen Höhepunkt in der Menschwerdung, dem Leben, Sterben und Auferstehen des Sohnes Gottes erreicht. Die Kirche sieht sich als von Jesus Christus beauftragte Gemeinschaft, deren Zweck darin besteht, dieses Heil durch „mysteria“ zu vermitteln. Der griechische Begriff, der im Deutschen einen ominösen Klang hat, entspricht dem, was man vom Lateinischen her als „Sakrament“ bezeichnet. Sakramente weisen eine eigentümliche Struktur auf: Sie bestehen aus einem äußeren Zeichen und vermitteln doch eine innere Gnade. Im liturgischen, gottesdienstlichen Sinne ist das leicht einsichtig. In der Eucharistie oder im Abendmahl werden Brot und Wein gereicht (äußeres Zeichen), die im Glauben der Kirche aber einen heilsamen Mehrwert haben, da es sich bei ihnen um Leib und Blut Christi handeln soll (innere Gnade). Sakramental in diesem Sinne ist aber nicht nur die Liturgie strukturiert, sondern jede Art kirchlichen Handelns. In der Sorge für die Schwächeren (z.B. Pflege der Kranken) wird etwas Äußerliches vollzogen, das aus christlicher Sicht einen inneren Mehrwert (Nächstenliebe) hat. Wenn also das Konzil der dogmatischen Theologie aufträgt, „die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen“, ist dies ein äußerst weit gefasster Auftrag. Theologen haben demnach sowohl zu bedenken, was Gott zum Heil des Menschen tut, als auch wie die Kirche dieses Heil in ihren vielen Vollzügen – „in den liturgischen Handlungen und im gesamten Leben der Kirche“ (OT 16) – vermittelt. Die Offenbarung als Oberbegriff für das, was Gott dem Menschen von sich selbst kundtut, ist nach Überzeugung des Konzils in der Lage, zur Lösung menschlicher Probleme beizutragen. Die Theologie solle erkunden, worin dieser Beitrag genau liegen könnte. Dazu habe sie, so die Pastoralkonstitution
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Vermittlung der „Heilsgeheimnisse“
Das „Licht der Offenbarung“
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„Gaudium et Spes“, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4). Das schließt die Überzeugung ein, dass der christliche Glaube auch der Gegenwart noch etwas Relevantes zu sagen hat, impliziert aber auch, dass der christliche Glaube zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Licht erscheint. Ein mittelalterlicher Mönch etwa, der in seinem Kloster die Bibel liest, würde aus seiner Lektüre andere Schlüsse für seinen Glauben ziehen als eine feministische Exegetin im 21. Jahrhundert, obwohl beide sich auf denselben Text beziehen. Das Verhältnis von Glaubenslehre und Zeitgeist (ein in der Kirche oft negativ besetzter Begriff) besteht also nicht nur darin, dass die Kirche die Zeit über sich selbst aufklärt, sondern auch, dass eine Zeit legitime Anfragen an die Kirche stellt, die eventuell zu einer Weiterentwicklung kirchlicher Lehrpositionen führen können.
Kritik Ordnet man das, was „Optatam Totius“ über die Aufgabe und Struktur der Dogmatik sagt, in die erwähnten Cleavages theologischen Denkens – affirmativ und problematisierend, positiv und spekulativ – ein, so wird klar, dass bei den kirchlichen Erwartungen an das Theologiestudium das affirmative Moment stark im Vordergrund steht. Sofern Theologie nie ganz ohne die Bejahung der Religionsgemeinschaft, auf die sie sich bezieht, auskommt, hat sie diese Vorstellungen positiv zur Kenntnis zu nehmen und wird sie zu berücksichtigen haben. Sie darf sie jedoch auch nicht einfach so stehen lassen. Sonst würde die Theologie ihrer problematisierenden Funktion nicht mehr gerecht werden. Im Kontext dieses Problematisierens müssten zum Beispiel zentrale Annahmen hinterfragt werden: Das Verhältnis von Schrift, Tradition, Kirchenvätern und thomasischer Theologie ist eben nicht so harmonisch, wie „Optatam Totius“ behauptet, sondern – wie bereits an den einzelnen Punkten angemerkt – oft durch Spannungen, Widersprüche und sogar Brüche geprägt. Darauf hat die Theologie bei aller Wertschätzung des Zweiten Vatikanischen Konzils aufmerksam zu machen. Auch hier gilt: Indem die Dogmatik ihre Aufgabe erfüllt, das Dogma der Kirche positiv zu untersuchen, spekulativ zu erwägen, aber auch kritisch zu diskutieren, erscheint sie innerkirchlich bisweilen als unliebsam, erfüllt durch ihre Kritik aber durchaus einen kirchlichen Dienst.
4. Fundamentaltheologie: Die Voraussetzungen religiöser Überzeugungen Dogmatik und Fundamentaltheologie
Dem Begriff nach und als eigenständige Disziplin betrachtet ist die Fundamentaltheologie ein Kind des 19. und 20. Jahrhunderts. Aber wie bei allen theologischen Fächern sind die Fragen, denen die Fundamentaltheologie
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nachgeht, nicht grundsätzlich neu. Sie wurden lediglich als so bedeutsam und kompliziert erachtet, dass sie institutionell neu gefasst wurden. Dabei ist die trennscharfe Abgrenzung zwischen Dogmatik und Fundamentaltheologie schwierig. Im akademischen Alltag beschäftigen sich auch Dogmatiker mit fundamentaltheologischen Fragen und Fundamentaltheologinnen mit dogmatischen Problemen. Hilfsweise könnte man sagen, dass die Dogmatik sich eher um die lehrhafte Gestalt religiöser Überzeugungen bemüht (also analysiert, was geglaubt wird) und die Fundamentaltheologie stärker auf die Voraussetzungen religiöser Überzeugungen reflektiert (also fragt, aus welchem Grund geglaubt wird). Beide Komplexe sind aber eng verwandt: Ein dogmatischer Theologe wird sich nicht gleichsam als Notar damit begnügen aufzuschreiben, welche Überzeugungen er mit welchen Verbindlichkeitsgraden vorfindet, sondern er muss auch nach den Voraussetzungen dieser Überzeugungen fragen, um sie überhaupt verstehen und einordnen zu können. Umgekehrt wäre es für eine Fundamentaltheologin sinnlos, nach den Voraussetzungen einer Sache zu fragen, deren sachlichen Gehalt sie gar nicht kennt. Kurzum: Die Dogmatik kann in dem Zuschnitt, der ihr heute in der Differenzierung theologischer Disziplinen zukommt, nicht ohne die Berücksichtigung fundamentaltheologischer Fragen arbeiten, so wie es umgekehrt für die Fundamentaltheologie unmöglich wäre, dogmatische Erwägungen außenvorzulassen.
Die Vorgeschichte Der christlich-theologische Apologiebegriff leitet sich von der paganen literarischen Gattung einer Verteidigungsrede vor Gericht ab. Stichwort
Apologeten Im dogmengeschichtlichen Sinne des Wortes sind Apologeten christliche Schriftsteller, vorwiegend im 2. und 3. Jahrhundert, „die den Kontrast zwischen paganer Umwelt und christlicher Minderheit zu reflektieren verstanden und im Konflikt zweier sich scheinbar fremder Welten bewußt nach Vermittlung suchten. Literarisch und philosophisch gebildet, sahen es jene Christen als ihre Aufgabe an, ihrerseits die geistige Elite der Heiden für den Glauben dadurch zu gewinnen, daß sie ein Schrifttum schufen, das den intellektuellen Ansprüchen ihrer Adressaten entsprach, über den konkreten Anlaß hinaus eine größere Publizität suchte und nicht zuletzt durch die bewußt gewählte literarische Gestalt überzeugen sollte. Mit diesem Schritt in die nichtglaubende Öffentlichkeit begann ein neues Kapitel der frühchristlichen Literaturgeschichte“ (Fiedrowicz 2000, 15).
Bedeutende Apologeten des 2. Jahrhunderts sind zum Beispiel Quadratus (um 125/126) oder Justin der Märtyrer (ca. 100–165), etwas später, an der Wende zum 3. Jahrhundert, stehen dann für die weitere Entwicklung der Glau-
Das Erbe der Apologeten
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Wandlungen des apologetischen Anliegens
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benslehre und ihrer Terminologie so wichtige Gestalten wie Tertullian (ca. 160– nach 220) oder Origenes (ca. 185–254). Gemäß der beiden Teile einer forensischen, im Kontext des Gerichtswesens angewandten Verteidigungsrede bemühten sich die christlichen Autoren in ihren Reden und Briefen, in ihren an Herrschaftsträger gerichteten Bittschriften und Eingaben um zweierlei: defensiv um die Entkräftung der gegen das Christentum vonseiten der paganen Umwelt oder des Judentums erhobenen Kritik, und offensiv um den Nachweis, dass das Christentum für den Adressaten – seien es nun Juden oder Heiden – eine vernünftige religiöse Alternative biete. „Dieser Nachweis wurde auf zweifache Weise geführt. Einerseits deckte die Kritik der Apologeten die Irrtümer und Defizite der gegnerischen Überzeugungen auf. Andererseits wurde der christliche Glaube so dargestellt, daß die tiefsten religiös-philosophischen Aspirationen von Juden und Heiden hier ihre Erfüllung finden konnten und das Christentum als die ‚wahre Religion und Philosophie‘ verstehbar wurde.“ (Fiedrowicz 2000, 16) Die Apologeten bemühten sich also nicht nur um die katechetische, das heißt affirmativ unterweisende Vermittlung des Glaubens nach innen, sondern um eine plausible Darstellung des christlichen Glaubens nach außen. Dazu mussten sie Argumentationen entwickeln, die nicht bloß diejenigen ansprachen, die ohnehin schon Christen waren, sondern hatten auch Gründe zu nennen, die diejenigen überzeugend fanden, die dem Christentum ablehnend gegenüberstanden. Auch wenn die Zeit der Apologeten im engeren Sinne mit dem 3. Jahrhundert zu Ende ging, hat ihr Anliegen, den christlichen Glauben als plausible, vielleicht sogar „vernünftige“ Angelegenheit darzustellen, die christlichen Denker der folgenden Jahrhunderte geprägt. Ziel und Kontext der Apologie haben sich dabei gewandelt. Während bei den frühen Apologeten vor allem Juden und Heiden als Adressaten im Vordergrund standen, wurde die Apologie mit der zunehmenden Christianisierung des Römischen Reiches immer weniger eine Sache, die sich an Nichtchristen richtete (obwohl es im Mittelalter zahlreihe sogenannte Religionsdialoge gab), sondern immer mehr ein Bestreben, die „richtige“ Form des Christentums gegenüber häretischen, also sich im Irrtum befindenden Abweichungen zu verteidigen. Diese Tendenz erreichte im Nachgang der Reformation des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, da alle Konfessionen nun in der Verlegenheit waren zu zeigen, warum ihr Anspruch, die wahre Kirche zu sein, berechtigt sein sollte. Das wiederum zog eine Fokussierung der Apologetik auf die Ekklesiologie, also die Lehre von der Kirche, nach sich, die in Gestalt einer „polemischen“ Theologie meist abgrenzend verfuhr, wobei der Begriff der Polemik noch nicht jenen eindeutig negativen Klang hatte, der ihm heute zu eigen ist. Das Aufkommen einer ab dem 17. Jahrhundert immer stärker werdenden Kritik an Wundertaten und Offenbarungsvorstellungen, wie die Bibel sie vermittelt und die Kirchen sie lehrten, machte es allerdings auch nötig, gegenüber so
4. Fundamentaltheologie: Die Voraussetzungen religiöser Überzeugungen
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genannten deistischen Vorstellungen die Rationalität des Glaubens an eine göttliche Offenbarung zu verteidigen. Und gegenüber der zwar schon lange vorher vorhandenen, ab dem 18. Jahrhundert aber immer lauter werdenden Frage, ob es Gott überhaupt gebe, galt es, die Existenz Gottes plausibel zu machen. Diese drei Fragen – Gott, Offenbarung und Kirche – bilden die Grundthemen der später entstehenden Fundamentaltheologie.
Die Suche nach dem Fundament Der Begriff des Fundaments diente bereits seit der Frühen Neuzeit als Metapher für die grundlegenden Annahmen einer Disziplin oder für deren zentrale Aussagen. So sprach bereits 1651 der Spanier Juan Caramuel y Lobkowitz (1606–1682) von einer „fundamentalen Moraltheologie“ und im Jahr 1700 findet sich dann bei Pierre Annat (1638–1715) wohl zum ersten Mal der Begriff „Fundamentaltheologie“ (vgl. Niemann 1995, 247). Als eigenständige Disziplin ist die Fundamentaltheologie jedoch nur durch einen Umweg entstanden. Im 19. Jahrhundert formierte sich im außertheologischen Bereich nämlich eine Bewegung, die versuchte, eine „Fundamentalphilosophie“ zu entwerfen, also eine Disziplin, die die zentralen Aussagen jeder Philosophie auf ihre Grundlagen zurückzuführen und dadurch die Philosophie als Wissenschaft zu untermauern suchte. Ein Protagonist dieser Richtung war Wilhelm Traugott Krug (1770–1842), der Nachfolger Immanuel Kants auf dem Königsberger Lehrstuhl für Philosophie. Quelle Krug, Wilhelm Traugott (1819), Fundamentalphilosophie oder urwissenschaftliche Grundlehre. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage, Züllichau, 289.
„Die Fundamentalphilosophie als erster Theil der Philosophie, ist die Wissenschaft von der Möglichkeit der Philosophie selbst. Sie untersucht daher die Prinzipien von der philosophischen Erkentniss überhaupt und stellt diejenigen Grundsätze auf, welche für alle übrige philosophische Wissenschaften gültig und von welchen diese abhängig sind. Sie heisst ebendarum Grundlehre oder Archologie. Auch kann sie schlechthin die erste Philosophie (philosophia prima) ihrem Range nach genannt werden, ob sie gleich ihrem Dasein nach die letzte unter den ausgebildeten philosophischen Disziplinen ist. Sie ist folglich auch das Organon für alle übrige Theile der Philosophie. Denn diese enthalten lauter philosophische Erkenntnisse, welche nur als Folgesätze von den Lehrsätzen der Fundamentalphilosophie anzusehen sind.“
Dieses in der Philosophie des 19. Jahrhunderts häufiger anzutreffende Programm hat seine Wirkung auf die Theologie, zunächst allerdings nur katholischer Provenienz, nicht verfehlt. So formuliert das Erste Vatikanische Konzil (1870) über das Verhältnis von Glaube und Vernunft, beide könnten „nicht nur niemals untereinander unstimmig sein, sondern sie leisten sich
Fundamentalphilosophie
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IV.
Was ist Systematische Theologie?
auch wechselseitig Hilfe; denn die rechte Vernunft beweist die Grundlagen des Glaubens [“fundamenta fidei“] und bildet, von seinem Licht erleuchtet, die Wissenschaft von den göttlichen Dingen aus“ (DH 3019). Gesucht wurde also nach einer Art der Theologie, die – genau wie Krug es für die Philosophie beschrieb – die Möglichkeit von Theologie überhaupt zum Gegenstand hat, indem sie die Prinzipien theologischer Erkenntnis benennt und die Glaubenslehre in apologetischer Absicht als legitime Folgerung aus diesen Prinzipien ausweist. Die evangelische Theologie stand dem Vorhaben einer Fundamentaltheologie lange kritisch gegenüber. Der im katholischen Bereich praktizierte Extrinsezismus, der nach äußeren, natürlichen Beweisgründen für den Glauben suchte, war dem Protestantismus suspekt, dem zufolge der Glaube als den Menschen auch gegen seinen Widerstand transformierende Gnadengabe sich gerade nicht auf äußere Gründe stützen konnte.
Die Institutionalisierung der Fundamentaltheologie Eine junge Disziplin
Der erste Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an einer Katholisch-Theologischen Fakultät wurde 1856 in Prag eingerichtet und dessen Inhaber Johann Nepomuk Ehrlich (1810–1864) zum Pionier dieses jungen Fachs. Der Idee der Fundamentalphilosophie verbunden, wich Ehrlich jedoch in einem entscheidenden Punkt von den Parallelen zur Philosophie ab: Während die Fundamentalphilosophie jede weitere Philosophie nicht nur grundlegen, sondern auch normieren und damit kritisieren sollte, kommt dies in Ehrlichs Projekt der Fundamentaltheologie mit Blick auf die anderen theologischen Disziplinen nur sehr beschränkt vor. Die Königin der Theologie blieb die Dogmatik, die jene Vorgaben machte, die die Fundamentaltheologie als vernünftig auszuweisen und sie dann wieder zur Dogmatik, in untermauerter Form, zurückzuleiten hatte. Daher orientierte sich die Fundamentaltheologie, wie sie vor allem an deutschen Universitäten seit dem 19. Jahrhundert gelehrt wurde, an den drei Kritikpunkten, die der Dogmatik gefährlich werden konnten. Sie versuchte in drei Beweisgängen („demonstrationes“) die Existenz Gottes („demonstratio religiosa“), die Glaubwürdigkeit der christlichen Offenbarung („demonstratio christiana“) und die Berechtigung der Ansprüche der katholischen Kirche („demonstratio catholica“) aufzuweisen. Im römischen Lehrsystem hingegen blieb die Gottesfrage bei der Philosophie angesiedelt, wohingegen die Fundamentaltheologie sich grundsätzlich mit dem Problem theologischer Erkenntnis beschäftigte, was im deutschen Sprachraum wiederum Aufgabe der Dogmatik blieb (vgl. Knapp 2009, 47). Heute haben sich, zumindest in der deutschen akademischen Landschaft, diese beiden Modelle zu einer Synthese verbunden, so dass nun sowohl die drei „demonstrationes“ als auch der Traktat „Theologische Erkenntnislehre“ als Aufgabenbereich der Fundamentaltheologie angesehen werden.
4. Fundamentaltheologie: Die Voraussetzungen religiöser Überzeugungen
Wie bereits bei der Dogmatik empfiehlt es sich auch bei der Fundamentaltheologie, einen kritischen Blick auf die kirchlichen Erwartungen an diese Disziplin zu richten. Überraschend ist dabei, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Fundamentaltheologie nicht, wie die Dogmatik in „Optatam Totius“, als eigenständige Disziplin würdigt. „Im Unterschied zum Ersten Vaticanum, dessen Dokumente klare Anweisungen für die Disziplin der Glaubensverantwortung geboten hatten, blieb jetzt allerdings recht unbestimmt wie die Fundamentaltheologie weitergeführt werden sollte. Diese Offenheit des Konzils hat eine Flut der verschiedenartigsten Ansätze zur Fundamentaltheologie begünstigt, die nicht mehr auf einen gemeinsamen systematischen Nenner zu bringen sind“ (Verweyen 2000, 17). Das brachte manchen, der sich klare Direktiven wünscht, in Verlegenheit, bot anderen aber den Freiraum, um ihre Disziplin neu zu konzipieren. Denn an Stoff für diese Neukonzeption hat es das Konzil nicht mangeln lassen: Die veränderte Fassung des Offenbarungsbegriffs etwa, worauf noch gesondert einzugehen ist, hat der Fundamentaltheologie Fragen aufgegeben, an denen sie bis heute zu tragen hat. Dennoch versäumt die nachkonziliare Kirche es nicht, im Rahmen der Grundordnung zur Priesterausbildung ihre grundlegenden Erwartungen an die Fundamentaltheologie zu formulieren. Quelle Kongregation für den Klerus, Das Geschenk der Berufung zum Priestertum. Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 209), Bonn 2016, Nr. 168.
„Von Beginn der theologischen Ausbildung an soll in geeigneter Weise die Lehre über die theologischen Quellen und die Fundamentaltheologie angeboten werden. In ökumenischem Geist und in Formen, die für die heutigen Umstände geeignet sind, darf die Einführung in den Glauben hinsichtlich seiner vernunftgemäßen und wesentlichen Grundlagen und unter Beachtung der Aspekte historischer und soziologischer Natur, die einen besonderen Einfluss auf das christliche Leben ausüben, nicht vernachlässigt werden.“
Was hier gesagt wird, bleibt so allgemein, dass es ohne Abstriche plausibel ist. Die Fundamentaltheologie solle in ökumenischem, nicht in polemisch-abgrenzendem Geist verfahren und in einer zeitgemäßen Weise die Fundamente des Glaubens untersuchen. Was das genau bedeutet und wie das genau zu geschehen hat, wird der einzelnen Theologin überlassen. Die Bedeutung der geschichtlichen und – das ist hoch interessant – der soziologischen Dimension theologischen Denkens wird der Fundamentaltheologie ins Stammbuch geschrieben. Sie kann daher nicht nur angeblich schon immer dagewesene Eindeutigkeiten durch geschichtliche Detailarbeit in Zweifel ziehen, sondern auch durch die soziale Dekonstruktion religiöser Phänomene fragen, inwiefern manches in der Kirche, das als gottgewollt ausgegeben wird, letztlich doch nur Menschenwerk ist.
55 Kirchliche Erwartungen
56
IV.
Was ist Systematische Theologie?
5. Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen Die Theologische Ethik beschäftigt sich mit den Folgen religiöser Überzeugungen für das Handeln. Sie tut dies nicht in Gestalt einer bloßen Anwendungswissenschaft, so als gelte es einfach, dogmatische Vorgaben in Handlungen zu übersetzen. Die Theologische Ethik leistet vielmehr eine „Reflexion der mitmenschlichen Praxis“ (Ernst 2012, 189) im Licht christlich-religiöser Überzeugungen. Da nicht nur diese Überzeugungen komplex strukturiert sind, wie die Differenzierung der Theologie in viele Disziplinen zeigt, sondern auch menschliche Praxis sich äußerst vielschichtig gestaltet, ist die Theologische Ethik in sich wiederum ein hoch spezialisiertes Fach, das innerhalb der Systematischen Theologie eine gewisse Solitärstellung einnimmt und deutlich weiter von Dogmatik und Fundamentaltheologie entfernt ist als diese beiden Disziplinen voneinander.
Allgemeine und spezielle Moraltheologie Ethik und Moral
Theologie in komplexen Handlungsfeldern
Der Begriff der Moral leitet sich vom lateinischen „mos“ ab, was dem griechischen „ethos“ entspricht und im Deutschen so viel wie „Sitte, Gewohnheit oder Brauch“ bedeutet. Die Moraltheologie ist also jene Disziplin, die sich mit den Sitten aus Sicht christlicher Glaubensüberzeugungen beschäftigt. Die Vorstellung, dass „Moraltheologie“ eine eigenständige Disziplin zu sein habe, geht, wie auch der Begriff der „dogmatischen Theologie“, auf den Lutheraner Georg Calixt zurück, der im Kontext der Differenzierungsbewegungen der Frühen Neuzeit dogmatische und ethische Fragen innerhalb der Theologie unterschiedlich zu traktierenden Bereichen zuordnete (vgl. Rohls 1999, 299f.). Als Reflexion auf die Praxis zerfällt die Moraltheologie wiederum in zwei Teile: in die so genannte Allgemeine Moraltheologie, die sich mit den grundlegenden Fragen auseinandersetzt, die sich jeder Reflexion auf menschliches Handeln stellen (zum Beispiel: Was sind Werte und Normen?), und in die Spezielle Moraltheologie, die sich mit einzelnen Feldern des Handelns (zum Beispiel der Medizinethik oder der Wirtschaftsethik) beschäftigt. Daran zeigt sich, wie stark die Spezielle Moraltheologie in sich wiederum differenziert ist. Um ein verantwortetes Urteil, etwa im medizinischen oder wirtschaftlichen Bereich zu treffen, ist ein profundes Sachwissen in diesen Handlungsfeldern vonnöten, so dass die Alltagsarbeit von Moraltheologinnen nicht nur in der steten Verfeinerung theologischer Argumentationen besteht, sondern auch in der Aneignung immer komplexer werdender Vorgänge in den Gegenstandsbereichen, mit denen sie sich beschäftigen. Daraus ergibt sich ein gewisses Ungleichgewicht: Moraltheologen und auch Moralphilosophen, die davon genauso betroffen sind, beschäftigen sich professionell mit Fragen des guten Handelns, sind aber in aller Regel keine Ex-
5. Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen
perten in den Feldern, in denen diese Handlungen innerhalb hoch komplexer Zusammenhänge stattfinden. Sie sind also auf verständliche und glaubwürdige Vermittlung von Expertenwissen angewiesen. Umgekehrt sind diejenigen, die professionell geschult in ihren Feldern handeln, also etwa Ärzte oder Entscheidungsträger in der Wirtschaft, keine Moralphilosophen. Sie bewegen sich innerhalb eines gewissen Berufsethos, sind aber zur gesellschaftlichen Akzeptanz ihres Tuns darauf angewiesen, ihr Tun vor der Öffentlichkeit, die ja größtenteils aus Nichtexperten besteht, zu erklären und in konsistenter Weise zu rechtfertigen. Das könnte es wiederum für sie attraktiv machen, mit Moraltheologen und -philosophen ins Gespräch zu kommen. Aber das Ungleichgewicht bleibt: Während Moraltheologen ihrer Aufgabe nur dann gut nachkommen können, wenn sie im Gespräch mit Vertretern der Disziplinen sind, auf deren Handeln sie reflektieren, kann zum Beispiel ein Arzt auch ein guter Mediziner sein, wenn er nicht mit Moraltheologen in einen Austausch tritt. Im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils hat die Rede von der „Theologischen Ethik“, die innerhalb der evangelischen Theologie schon vorher gebräuchlich war, auch Eingang in die katholische Theologie gefunden. Sie wird von denjenigen bevorzugt, die am Begriff der „Moraltheologie“ kritisieren, dass er nur „einen speziellen Bereich innerhalb der Theologie als Ganzer oder auch eine spezielle Ausprägung der Theologie bezeichnet, ‚Moral‘ also als Spezifizierung der Theologie als Gattungsbegriff“ diene, während die Rede von der „Theologischen Ethik“ deutlich mache, „dass es primär um Ethik, also um das allgemeine Anliegen ethischer Reflexion innerhalb der Gesellschaft geht, zu der hier jedoch ein Beitrag aus theologischer Perspektive auf der Grundlage des christlichen Glaubens geleistet wird“ (Ernst 2012, 190).
Ethik Auch beim Begriff der Ethik gilt wieder, dass es nicht die eine, eindeutige und richtige Definition dessen gibt, was „Ethik“ ist und was sie leisten soll, sondern nur verschiedene, mehr oder minder plausible und anerkannte Bestimmungen. Daher sei in Anlehnung an Wilhelm Vossenkuhl folgende Definition vorgeschlagen: Stichwort
Ethik „Wenn die Suche nach überprüfbaren und evidenten Gründen als allgemeines Merkmal einer wissenschaftlichen Praxis gelten darf, ist Ethik eine Wissenschaft eigener Art. Es geht ihr nicht weniger als anderen Wissenschaften um Wahrheit, nämlich um die Wahrheit bei der Begründung von Forderungen, Geboten und Verboten. Wir können die Ethik ‚Wissenschaft vom Guten und Schlechten‘ oder auch ‚praktische Wissenschaft‘ nennen, denn es geht ihr um das, was ‚gutes Han-
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Theologische Ethik oder Moraltheologie?
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IV.
Was ist Systematische Theologie? deln‘ bedeutet, und um die Frage, unter welchen Bedingungen es wahr ist, dass eine Handlung als gut oder schlecht beurteilt wird. Die Ethik als praktische Wissenschaft untersucht die Gründe, warum das, was Menschen tun, gut oder schlecht ist. Gründe in der Ethik müssen wie beliebige andere Gründe, nach denen eine Wissenschaft für ihre Einsichten und Urteile sucht, verständlich, nachprüfbar, wahr, einschlägig und im Licht neuer Erkenntnisse revidierbar sein“ (Vossenkuhl 2006, 41).
Güter und Werte
Normen
Der Begriff „gut“ kann mehrere Bedeutungen annehmen. Wenn zum Beispiel ein Auto als „gut“ bezeichnet wird, ist damit keine moralische Wertung verbunden, sondern eine funktionale: Das Auto tut das, wozu es da ist, in befriedigender Weise. Wenn hingegen „Ehrlichkeit“ als ein „Gut“ (so bereits die antike Terminologie) oder als ein „Wert“ (so ein wirtschaftlichen Zusammenhängen entnommener, neuerer Begriff) bezeichnet wird, bedeutet dies: Ehrlichkeit ist erstrebenswert, weshalb „ehrliches“ Handeln, nun im moralischen Sinne, als „gutes“ Handeln bezeichnet wird. Wenn die Ethik also die „Wissenschaft vom Guten und Schlechten“ ist, dann hat sie in ihrer deskriptiven Dimension zunächst einmal zu untersuchen, was in einer Gesellschaft als erstrebenswert und damit gut und wertvoll, und was als zu meiden und damit als schlecht gilt. Güter- oder Wertvorstellungen äußern sich in Gestalt von Normen, die in unterschiedlichen sprachlichen Formen geäußert werden können (vgl. Ernst 2012, 193f.). So kann das Gut der Ehrlichkeit in die Form eines positiven oder negativen, apodiktischen Sollensanspruchs gekleidet werden („du sollst die Wahrheit sagen“, „du sollst nicht lügen“), die Gestalt einer Feststellung annehmen („es ist nicht recht, zu lügen“), sich in Konventionen äußern („Lügen darf man nicht“) oder sich in Klugheitsregeln niederschlagen („Ehrlich währt am längsten“). Solche Normen entlasten den Einzelnen, weil er sich nicht in jeder Situation neu fragen muss, was er tun soll, sondern sich auf ein Gerüst stützen kann, das ihm „gut“ erscheint. Sie stabilisieren aber auch die Gesellschaft, weil sie Handelnden vermittelt, was sie voneinander zu erwarten haben und umgekehrt Verstöße gegen diese Erwartungen, je nach Schwere, sanktioniert werden können. Die Gesamtheit der in einer Gesellschaft als ganzer oder in einer Gruppe geltenden Gütervorstellungen und Normen wird auch als Ethos, als Moral oder als Sitte bezeichnet. Ein Ethos kann universal angelegt sein, sofern es regelt, an welche Normen sich alle zu halten haben, es kann von mittlerer Allgemeinheit sein, wenn zum Beispiel in einem Staatswesen Bürger – dann aber alle Bürger – mehr Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat haben als Nicht-Bürger, die sich in dem Staatsgebiet aufhalten, und es kann letztlich ganz partikular ausgeprägt sein, wenn es zum Beispiel um das Ethos einer bestimmten Berufsgruppe, etwa das ärztliche Ethos in Gestalt des Hippokratischen Eides, geht.
5. Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen
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Wozu braucht man Ethik? Die Ethik besitzt mehrere Aufgaben. In ihrer deskriptiven Form hat sie die faktisch herrschende Moral zu beschreiben, sie in ihren komplexen Zusammenhängen und womöglich auch in ihren Widersprüchen zu analysieren. Das ist keine Aufgabe, die gleich einer statischen Kartographierung ein für allemal abgeschlossen werden könnte, da sowohl Werte und Güter als auch Normen einem Wandel unterworfen sind. Das Ethos einer Gesellschaft ist also einerseits insofern stabil, als es nicht bei jeder Entscheidung neu ausgehandelt werden muss. Es ist aber andererseits insofern dynamisch, als sich durch die Freiheit des Menschen und veränderte Umstände über einen gewissen Zeitraum betrachtet auch Veränderungen der Moral ergeben können. Ein solcher Wandel kann verschiedene Gestalten annehmen. Möglich ist zum Beispiel, dass Güter und Werte konstant bleiben, die auf sie bezogenen Normen sich aber verändern. Während etwa Ehe und Partnerschaft nach wie vor als schützenswerte Güter gelten, hat sich die normative Ausgestaltung, in der diesen Gütern gerecht zu werden versucht wird, in den letzten Jahren, zumindest in den sogenannten westlichen Gesellschaften, geändert. Eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau spielt sich nicht mehr unbedingt in der Ehe ab und unter „Ehe“ wird nicht mehr nur die auf Lebenszeit angelegte Verbindung eines Mannes und einer Frau verstanden, sondern auch die Verbindung gleichgeschlechtlicher Paare. Ein Beispiel, das auch demonstriert, wie nicht nur Normen, sondern auch Güter und Werte sich wandeln, zeigt sich bei einem Blick in die Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Dort heißt es immer noch: „Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“ (Art. 12, Abs. 1). Einige der dort festgeschriebenen Werte, wie Friedensliebe oder Verantwortlichkeit, die in der Erziehung als erstrebenswert gelten, dürften auch heute weitgehend unumstritten sein. Problematisch, etwa für Atheisten, ist jedoch die Aussage der Religionsfreiheit gewährenden Verfassung (und damit nicht nur die Freiheit zur Religion, sondern auch die Freiheit von der Religion), dass die Jugend „in Ehrfurcht vor Gott“ zu erziehen sei. Warum sollte ein Kind in Ehrfurcht vor etwas erzogen werden, das es gar nicht gibt? Nimmt das Kind dadurch nicht Schaden oder wird getäuscht? Solche Fragen sind in einem säkularen Staat legitim. Dass, sollte eine Verfassung heute neu erarbeitet werden, eine solche Formulierung wieder Eingang finden würde, ist äußerst unwahrscheinlich, weil auch Menschen, die einer gemäßigt religiösen Erziehung offen gegenüberstehen, wohl mehrheitlich der Meinung sind, dass dies eine individuell zu treffende Wertentscheidung sei, die sich nicht verbind-
Deskriptive Ethik
Werte- und Normenwandel
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IV.
Normative Ethik und Konflikte
Was ist Systematische Theologie?
lich in der Verfassung niederschreiben lasse. Das Herausfordernde des beschriebenen Wertewandels besteht darin, dass Verfassungstexte der Inbegriff von Identität und Stabilität eines Gemeinwesens sind und sich deshalb der permanenten Neuverhandlung dadurch entziehen, dass entweder bestimmte Grundsätze gar nicht erst in die Verfügung des Verfassungsgesetzgebers gestellt werden (Art. 79, Abs. 3 GG), oder dass Änderungen der Verfassung deutlich höhere legislative Hürden nehmen müssen als normale Gesetzesänderungen. Will eine Gruppe die Verfassung veränderten Wertvorstellungen anpassen, bringt dies Konflikte mit sich. An dieser Stelle ist die Ethik nicht nur in ihrer deskriptiven, also das Ethos beschreibenden Tätigkeit, sondern auch in ihrer normativen, die Frage nach dem guten Handeln und seinen Gründen stellenden Dimension gefragt. Dabei zeigt sich, dass normative Ethik eine im besten Sinne aus der Verlegenheit geborene Angelegenheit ist. Sie beginnt erst dort, wo sich „Unsicherheiten im Urteil“ (Vossenkuhl 2006, 39) zeigen, wo also nicht klar ist, wie gehandelt werden soll, weil etwa Werte umstritten sind, Normen nicht anwendbar erscheinen oder Güter in einen Konflikt geraten und eine Abwägung erfordern.
Das Besondere christlicher Ethik
Ein Mehrwert des Christlichen?
Wenn Theologische Ethik zunächst einmal nur Ethik ist, gelten für sie dieselben Standards wie für jede andere Art der Ethik. Sie hat, wie gesagt, „verständlich, nachprüfbar, wahr, einschlägig und im Licht neuer Erkenntnisse revidierbar“ zu argumentieren. Worin aber besteht dann das Charakteristikum „theologischer“ Ethik? In deskriptiver Hinsicht dürfte diese Frage leicht zu beantworten sein. Die Theologische Ethik hat (auch) das Ethos einer Glaubensgemeinschaft zu analysieren, und zwar dem dogmatischen Soll-Stand nach, wie er in Geboten und Gesetzen zum Ausdruck kommt, aber auch dem faktischen Ist-Stand nach, wie er sich im Handeln von dieser Gemeinschaft zugehörigen Menschen zeigt. Mit Blick auf normative Probleme fällt jedoch die Frage nach dem Proprium theologischer Ethik deutlich kontroverser aus. Im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden beide Pfeiler der bis dato vorherrschenden neuscholastischen Moraltheologie fragwürdig: Das Naturrecht, das davon ausging, den Wesenheiten der Dinge ließen sich Normen entnehmen, wurde genauso hinterfragt wie eine Orientierung an vermeintlichen Offenbarungssätzen, aus denen sich durch logische Deduktion Normen ergeben sollten. Alfons Auer (1915–2005) hat in diesem Zusammenhang sein für die damaligen Verhältnisse bahnbrechendes Konzept der „Autonomen Moral“ entwickelt. Dieses geht davon aus, dass der Mensch als moralfähiges und autonomes, sich in Freiheit selbst das Gesetz seines Handelns gebendes Wesen vonseiten des Lehramtes weder autoritativ auf eine Deutung der Natur, noch auf die Befolgung der Offenbarung
5. Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen
entnommener Instruktionen festgelegt werden könne. „Gott braucht dem von ihm geschaffenen Menschen nicht auf geheimnisvollen Wegen ein sittliches Gesetz hinterherzureichen. Er stellt sein Gebot auf, indem er den Menschen in die ihm natürliche Ordnung hinein freisetzt“ (Auer 1999, 37). Der Mensch ist in der Ausbildung seines Ethos also frei, was nicht bedeutet, dass jedes Ethos gleich „gut“ ist. Denn Autonomie bleibt auch für Auer an die Vernunft gebunden, vor der Werte und Normen sich zu rechtfertigen haben. Der Kirche stehen, so Auer, „keine theologischen Mittel zur Verfügung, den Inhalt des natürlichen Sittengesetzes bis ins Detail hinein konkret zu bestimmen – unbeschadet selbstverständlich der kritischen Prüfung, ob eine autonom entwickelte konkrete Ethik mit dem in der Offenbarung vermittelten christlichen Sinn des Menschseins in der Geschichte vereinbar ist oder nicht. […] Wie Wissenschaft, Kunst oder Technik ist auch die Sittlichkeit im Bereich des Weltverhaltens zunächst eine Schöpfung des menschlichen Geistes. Darum werden auch sittliche Normen nicht geglaubt – wie etwa Mysterien der Menschwerdung oder der Auferstehung geglaubt werden. Vielmehr müssen sie der menschlichen Vernunft in ihrer Rationalität, d.h. in ihrer inneren Stimmigkeit und sachlichen Richtigkeit argumentativ aufgewiesen werden“ (Auer 1984, 105f.). Auers Ansatz hat vonseiten der Verfechter einer so genannten Glaubensethik wie auch vonseiten des kirchlichen Lehramtes heftige Kritik erfahren. Aber auch andere Vertreter der Theologischen Ethik wollten nicht hinnehmen, dass der christliche Glaube bloß noch eine motivierende und eventuell kritisierende, aber keine konstitutive Bedeutung mehr für das Ethos der Gläubigen haben sollte. Dennoch „vertreten mittlerweile die meisten deutschsprachigen Moraltheologen und Sozialethiker in mehr oder weniger dezidierter Form die erkenntnistheoretische Position der ‚autonomen Moral im christlichen Kontext‘“ (Bobbert 2015, 30). Wichtig scheint es dabei, zwischen einem universalen und einem partikularen Ethos sowie zwischen Entdeckungs- und Geltungszusammenhängen zu unterscheiden. Dass die Kirche der Bibel oder ihrer Tradition Werte und Normen entnimmt, die ihr für ihr Gemeinschaftsethos bedeutsam erscheinen, ist unproblematisch. Prekärer wird es, wenn sie aus ihren (faktisch partikularen) religiösen Überzeugungen Einsichten ableitet, die universal verbindlich sein sollen. Auch das ist möglich – man denke an die Aufforderung zur Nächstenliebe. Dann müsste aber zwischen dem religiösen Entdeckungszusammenhang eines Wertes oder einer Norm und ihrem nach außen vermittelbaren Begründungszusammenhang unterschieden werden, und eine den partikularen Entdeckungszusammenhang ernstnehmende, ihn aber zugleich überschreitende Begründung gewählt werden. Konkret: Es ist möglich, einem Atheisten zu vermitteln, warum Nächstenliebe ein sittlicher Wert ist. Diese Vermittlung darf sich jedoch nicht mit dem Verweis auf Jesus oder die Bibel begnügen, sondern muss, wenn Nächstenliebe tatsächlich ein universal gültiges Gut sein soll, auch allgemein verständ-
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Entdeckungs- und Geltungszusammenhänge
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IV. Theologische Ethik: Mehr als ihr Mehrwert
Was ist Systematische Theologie?
lich begründet werden. Um diese allgemeinverständliche Begründung von Handlungsorientierungen, die dem christlichen Glauben entstammen, hat sich die Theologische Ethik in ihrer normativen Dimension zu mühen. Grundsätzlich sollte man aber den Wert und die Notwendigkeit Theologischer Ethik nicht bloß daran festmachen, dass sie ein materiales Plus bieten müsste, das die Moralphilosophie nicht erreichen könnte. Auch wenn es diesen Mehrwert dem Erkenntniszusammenhang nach vielleicht geben mag, besteht die Rechtfertigung Theologischer Ethik allein schon darin, dass das Christentum mit seinem Glauben an Gott den Schöpfer, den Erlöser und den Vollender der Welt einen umfassenden Deutungsanspruch anmeldet, der menschliches Handeln einschließt und den es daher theologisch zu reflektieren gilt. Man würde zum Beispiel auch von der Biblischen Exegese nicht erwarten, dass sie, die es mit altorientalischen Texten zu tun hat, ein hartes „Mehr“ aus diesen herauslesen müsste, das Altorientalisten unzugänglich wäre. Biblische Exegese ist nicht deshalb nötig, um der wissenschaftlichen Bibelauslegung ein genuin theologisches Plus beizulegen, das sich ohne die Theologie nicht finden ließe, sondern die Exegese ist als theologisches Fach gerechtfertigt, weil es für den christlichen Glauben konstitutiv ist, sich auf die Bibel zu beziehen und dieser Bezug theologisch abgebildet werden muss – und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob die Theologische Exegese einen Mehrwert etwa im Vergleich zu säkular-historischen oder philologischen Zugangsweisen bietet. Gleiches gilt für die Ethik: Weil der christliche Glaube auch das Handeln des Menschen bindet und beansprucht, muss diese Bindung und Beanspruchung des Handelns durch den Glauben in der Theologie reflektiert werden.
Christliche Sozialethik Angesichts der mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts einhergehenden Verelendung der Arbeiterschaft hat sich im katholischen Bereich neben der klassischen Moralverkündigung des Lehramtes, der eine Tendenz zur Fokussierung auf das gebotene oder verbotene Handeln des Einzelnen zu eigen war, eine eigene Sozialverkündigung entwickelt. Ein Meilenstein dabei ist die Enzyklika (das Lehrschreiben) „Rerum Novarum“ (1891) von Papst Leo XIII. Quelle Leo XIII., Enzyklika „Rerum Novarum“, Nr. 44 Deutsche Übersetzung: DH 3268–3270.
„Die Arbeit hat beim Menschen zwei Merkmale von Natur aus eingegeben, nämlich dass sie persönlich ist, weil die Schaffenskraft der Person zugehört, und völlig dem eigen ist, von dem sie ausgeübt wird, und von Natur aus zu seinem Nutzen
5. Theologische Ethik: Die Folgen religiöser Überzeugungen
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bestimmt ist; ferner, dass sie notwendig ist, und zwar deshalb, weil die Frucht der Arbeit dem Menschen für die Lebenserhaltung nötig ist; das Leben zu erhalten gebietet aber die Natur der Dinge selbst, der am meisten zu gehorchen ist. Wenn sie nun aber lediglich von der Seite gesehen wird, dass sie persönlich ist, so ist es dem Arbeiter zweifellos unbenommen, ein knapperes Maß an vereinbartem Lohn festzusetzen […] Ganz anders aber ist zu urteilen, wenn mit der Eigenschaft der Persönlichkeit die Eigenschaft der Notwendigkeit verbunden wird, die zwar gedanklich, nicht aber sachlich von jener geschieden werden kann. In der Tat ist es eine gemeinsame Pflicht für alle, sich am Leben zu erhalten, der nicht nachzukommen ein Verbrechen ist. Daraus ergibt sich notwendig das Recht, die Dinge zu erstehen, durch die das Leben aufrechterhalten wird; die Möglichkeit zu diesen Dingen bietet für jeden Minderbemittelten nur der durch Arbeit erworbene Lohn. Wenn also auch der Arbeiter und der Arbeitgeber in freier Übereinstimmung zu derselben Vereinbarung gelangen, namentlich über das Maß der Entlohnung, so liegt dennoch aufgrund der natürlichen Gerechtigkeit immer etwas zugrunde, was größer und älter als der Wille der Vertragspartner ist, nämlich dass der Lohn nicht unangemessen sein darf für den Unterhalt des Arbeiters“.
Leo XIII. legt hier eine bahnbrechende Analyse der Frage vor, was ein gutes Arbeitsverhältnis auszeichnet. Er wägt dabei zwischen der Vertragsfreiheit beider Partner auf der einen, und der Notwendigkeit der Arbeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes der Arbeitenden auf der anderen Seite ab. Grundsätzlich seien die Vertragsparteien frei, einen beliebigen Lohn zu vereinbaren, sofern beide zustimmen. Da der Arbeitnehmer in der Situation des 19. Jahrhunderts jedoch der von Verelendung bedrohte, schwächere Teil dieser Verhandlungen war und faktisch den Lohn zu akzeptieren hatte, der ihm geboten wurde, sah Leo XIII. die Vertragsfreiheit naturrechtlich durch den der Arbeit inhärenten Zweck – die Finanzierung des Lebensunterhalts – begrenzt. Ein Arbeitsverhältnis ist also nur dann ein gutes, wenn es nicht nur der in der Personalität der Vertragspartner wurzelnden Freiheit, sondern auch der der Arbeit eingeschriebenen Notwendigkeit Rechnung trägt, dass die Arbeitenden von ihrem Lohn leben können. Anders gesagt: Ein Arbeitsverhältnis, das es den Arbeitenden nicht ermöglicht, sich selbst und ihre Familien „bequem“ so zu ernähren, dass auch „noch etwas übrig bleibt“ (DH 3271), ist aus Sicht der katholischen Soziallehre unsittlich. An diesem anschaulichen Beispiel zeigt sich, worin der Schwerpunkt der Gesellschaftsethik gegenüber der Moraltheologie liegt. Die Gesellschaftsethik konzentriert sich auf institutionelle, das heißt durch Wiederholung verfestigte, Abhängigkeiten schaffende Strukturen zwischen Menschen. Natürlich lassen sich Einzelne nie von Institutionen, in denen sie leben, trennen, weshalb die Gesellschaftsethik große Überschneidungen mit der Moraltheologie aufweist. Dennoch benennen der Einzelne und die Institutionen, die er gestaltet oder von denen wiederum sein Leben geprägt wird, zwei Momente sittlicher Praxis, die zwar zusammengehören, aber in der wissenschaftlichen Reflexion doch
Die soziale Frage
Zum Unterschied von Moraltheologie und Sozialethik
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IV. Eigenprofilierung der Sozialethik
Was ist Systematische Theologie?
nach einer Schwerpunktsetzung verlangen, wie sie die Moraltheologie und die Gesellschaftsethik jeweils vornehmen. Die Christliche Sozialethik in ihrer gegenwärtigen Form fußt historisch auf der Katholischen Soziallehre, die nach Leo XIII. von den Päpsten fortgeschrieben wurde, distanziert sich aber in bedeutenden Strömungen auch zugleich von ihr. Ein Hauptgrund dafür liegt darin, dass die Katholische Soziallehre in der von den Päpsten vorgetragenen Weise sehr stark auf naturrechtliche Grundlagen rekurriert. Stichwort
Naturrechtsethik Eine Ethik, die versucht, aus einer Analyse der Wesensbeschaffenheit von Dingen oder Sachverhalten Gesetze für das menschliche Handeln im Umgang mit diesen Dingen oder Sachverhalten abzuleiten, wird als Naturrechtsethik bezeichnet.
Die Kirche als Gegenstand der Sozialethik
Naturrechtliche Argumentationen setzen die Annahmen voraus, dass es erstens stabile Wesenheiten der Dinge gibt (seien es nun Abstrakta wie „Arbeit“ oder Konkreta wie der „Mensch“), die so strukturiert sind, dass sie zweitens Imperative an das menschliche Handeln enthalten. Diese Annahmen wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Zweifel gezogen, weshalb sich die Sozialethik „von einer Sozialontologie oder Gesellschaftslehre, die den richtigen Aufbau und die Ordnung des Gemeinwesens zu wissen beanspruchen und von dort her deduktiv das politische und ökonomische Zeitgeschehen beurteilen konnte, hin zu einer ethischen Reflexion gesellschaftlicher Prozesse, Institutionen und Strukturen“ gewandelt hat; solche „Ethik weiß nicht von vorneherein um die richtige Struktur der Gesellschaft“, wie die Päpste sie zu lehren versuchten, „sondern lässt sich fragend und begleitend auf die vorfindlichen Umstände ein, sucht sie zu verstehen, untersucht Implikationen, Chancen und Hindernisse für gelingendes Zusammenleben von Menschen“ (Heimbach-Steins 2002, 46). Als solche ist die Sozialethik natürlich eine theologische und damit auch konfessionell gebundene Disziplin, die aber durchaus eine eigenständige Stimme in kritischer Distanz zum kirchlichen Lehramt darstellt. Das zeigt sie zum Beispiel, indem sie Sozialprinzipien, die die Verkündigung der Päpste nach außen lautstark einfordert, auch nach innen reklamiert. Während die Kirche seit der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ (QA 79) nach außen zum Beispiel dafür eintritt, dass Staat und Gesellschaft subsidiär organisiert sein sollen, ist die Kirche selbst stark zentralisiert und von hierarchischen Machtstrukturen geprägt. Dagegen hat die Christliche Sozialethik ihre mahnende Stimme zu erheben.
6. Ökumenische Theologie: Ein Querschnittthema
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Stichwort
Subsidiarität Subsidiarität bezeichnet ein Prinzip zur Verteilung von Kompetenzen in einer mehrstufig organisierten Gesellschaft. Das Subsidiaritätsprinzip geht davon aus, dass Probleme, die von einer unteren Ebene (im politischen Bereich zum Beispiel einer Kommune) abschließend-kompetent gelöst werden können, nicht von einer höheren Ebene (zum Beispiel dem Land) geregelt werden sollen. Umgekehrt heißt dies: Eine übergeordnete Ebene wird nur dann tätig, wenn sie Probleme besser lösen kann als eine niedere. Das Subsidiaritätsprinzip ist eines der folgenreichsten Innovationen der Katholischen Soziallehre und hat zum Beispiel auch Eingang in das Grundgesetz (Art. 23) und die politische Architektur der Europäischen Union gefunden.
Der Sozialethik als auf Institutionen spezialisierte Form Theologischer Ethik kommt es zu, auf jene Herausforderungen zu reflektieren, die einer das Handeln des Einzelnen übersteigenden, eben institutionellen Antwort bedürfen. Fragen des Klimawandels, der mit ihm verbundenen wirtschaftlichen Schäden und Benachteiligungen bestimmter Regionen, oder die ihm womöglich folgenden Migrationsbewegungen, verlangen nach einer institutionellen Reflexion, nach einem „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (Ostheimer 2015, 290). Dazu hat auch die Theologie Einiges zu sagen. Herauszufinden was genau, ist Aufgabe der Sozialethik.
6. Ökumenische Theologie: Ein Querschnittthema Häufig der Dogmatik oder der Fundamentaltheologie zugeordnet, findet sich auch die Ökumenische Theologie im Fächerkanon der Systematik. Sie ist die Erbin der polemischen und der Kontroverstheologie, steht aber unter anderen Vorzeichen. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, anfangs noch mit heftiger Gegenwehr der katholischen Kirche sich formierende ökumenische „Bewegung zur Wiederherstellung der Einheit aller Christen“ (UR 1) hat eine derart starke Dynamik entwickelt, dass auch die Struktur der Theologie von ihr ergriffen wurde. Die Ökumenische Theologie soll sicherstellen, dass „die konfessionellen Prämissen, die den Begriff der Ökumene und ihres Zieles je auf ihre Weise mitbestimmen, nicht unbedacht bleiben, sondern zu Bewusstsein gebracht und Gegenstand expliziter Reflexionen werden“ (Wenz 2010, 9). Ökumenische Theologie beginnt also bei einer kritischen Selbstreflexion der konfessionellen Voraussetzungen innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft, um dann zu klären, wie offen (oder eben geschlossen) diese Voraussetzungen für ein Gespräch mit anderen Konfessionen sind. In diesem Dialog gilt es, die eigenen
Aufgaben der Ökumenischen Theologie
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IV.
Ökumenische Theologie als Strukturmoment
Was ist Systematische Theologie?
Glaubensüberzeugungen darzulegen und sie zur Anfrage an das Selbstverständnis anderer Konfessionen werden zu lassen, so wie deren Selbstverständnis wiederum auch von den Dialogpartnern verstanden werden will und somit das eigene Selbstverständnis anfragt. Ein ökumenischer Fortschritt wird erzielt, wenn das Gemeinsame, Verbindliche und Verbindende so stark gemacht wird, dass von ihm ausgehend auch Differenzen in den Blick genommen werden, die sich im besten Fall beseitigen lassen, im zweitbesten Fall als bleibend, aber nicht mehr kirchentrennend empfunden werden oder aber weiterhin – das wäre wenig erfreulich, aber auch ein Erkenntnisfortschritt – als schwere Hindernisse erkannt werden. An dieser Beschreibung zeigt sich, dass die Ökumenische Theologie im strengen Sinne gar keinen eigenen Gegenstand hat, sondern ein Strukturprinzip ist, das die gesamte Theologie durchdringen sollte. Ökumenische Theologie ist konkret also immer ökumenisch ausgerichtete Dogmatik, ökumenisch ausgerichtete Fundamentaltheologie, ökumenisch ausgerichtete Exegese – eine Aufzählung, die in alle theologischen Fächer hinein fortgesetzt werden könnte. Anders gesagt: Ökumenische Theologie ist die Bezeichnung für ein Formprinzip, das die Materie der einzelnen Fächer durchwaltet. Als solches wird sie vonseiten des Zweiten Vatikanischen Konzils ausdrücklich gewünscht. Quelle Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus „Unitatis Redintegratio“, Nr. 10. Deutsche Übersetzung: Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert (2008), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils: Allgemeine Einleitung – 16 spezielle Einführungen – ausführliches Sachregister (Grundlagen Theologie), 35. Auflage, Freiburg im Breisgau.
„Die Unterweisung in der heiligen Theologie und in anderen, besonders den historischen Fächern muß auch unter ökumenischem Gesichtspunkt geschehen, damit sie um so genauer der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht. Denn es liegt viel daran, daß die zukünftigen Hirten und Priester über eine Theologie verfügen, die ganz in diesem Sinne und nicht polemisch erarbeitet wurde, besonders bei jenen Gegenständen, die die Beziehungen der getrennten Brüder zur katholischen Kirche betreffen.“
Dass die Ökumenische Theologie, wie das Konzil sagt, einen „Gesichtspunkt“ der Theologie darstelle, ist nicht abwertend im Sinne von „nur ein Aspekt“ zu verstehen. Im Gegenteil: Das ökumenische Anliegen beschreibt für das Konzil die Grundperspektive, von der aus Theologie zu gestalten ist. Da diese Leitperspektive durch die theologischen Fächer hindurch aber derart komplex ist, dass sie – obwohl jeder Theologie aufgegeben – nach einer gewissen synthetisierenden Expertise verlangt, hat sich an manchen Orten eine eigene Disziplin namens Ökumenischer Theologie als Teil der Systematischen Theologie entwickelt. Sie versucht, die Wegstrecke zu vermessen, die auf dem
Literaturhinweise
Weg der Einheit bereits gegangen wurde, und jene Ziele auszumachen, zu denen die christlichen Konfessionen noch unterwegs sind. Auf einen Blick
Die Systematische Theologie versucht, die Vielfalt theologischer Erkenntnisse zu einer Einheit zu ordnen, die selbst allerdings nur wieder in der Vielfalt ihrer Disziplinen greifbar wird. Die zentralen Fächer der Systematischen Theologie sind die Dogmatik (lehrhafte Gestalt), die Fundamentaltheologie (Voraussetzungen) und die Theologische Ethik (Folgen des Glaubens). Allen diesen Disziplinen soll nach dem Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzil eine ökumenisch ausgerichtete Perspektive zugrunde liegen.
Literaturhinweise Böttigheimer, Christoph (32016), Lehrbuch der Fundamentaltheologie. Freiburg im Breisgau. Ein groß angelegtes Einführungswerk in die Fundamentaltheologie, das solide Grundlagen dieser Disziplin vermittelt. Mühling, Markus (2012), Systematische Theologie: Ethik (Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft), Göttingen. Das Buch bietet eine Einführung in die Systematische Theologie aus Sicht der Theologischen Ethik. Rahner, Johanna (22014), Einführung in die katholische Dogmatik. Zweite aktualisierte Auflage, Darmstadt. Ein kompakter und fundierter Überblick zu den wichtigsten Fragen und Antworten dogmatischer Theologie.
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V. Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
Überblick
E
s gibt keine genuin theologische Methodik, die man schlicht zum korrekten Theologietreiben anwenden könnte. Die Theologie ist vielmehr durch eine disziplinenspezifisch ausgeprägte methodische Vielfalt geprägt. Ein Exeget würde sich anderer Methoden bedienen als ein Religionspädagoge oder eine
Fundamentaltheologin. Dennoch ist aller Theologie gemeinsam, dass sie sich als affirmative Form der Religionsforschung gegenüber religiösen Vorgaben positionieren muss, die in den christlichen Konfessionen unterschiedlich gestaltet sind. Diese Problemzusammenhänge gilt es nun darzustellen.
1. Das Fehlen einer genuin theologischen Methode
Die Übernahme fremder Methoden
Im Begriff der Methode steckt das griechische Wort „hodos“ (der Weg). Eine Methode anzuwenden bedeutet also, einem gewissen Weg nachzugehen. Die Methoden einer Wissenschaft bezeichnen die Wege, die diese Disziplin geht, um von ihren Fragen zu ihren Antworten zu kommen. Selbstreflexivität, also das Bewusstsein, dass weder die gestellten Fragen noch die gefundenen Antworten oder der Weg, der beide verbindet, selbstverständlich sind und daher einer beständigen Kritik bedürfen, ist kennzeichnend für wissenschaftstheoretische Diskurse. Betrachtet man die Theologie in ihrerdisziplinären Vielfalt, gibt es keine einheitliche, theologische Methodik, sondern nur eine Vielzahl von Methoden, derer sich die Theologie bedient. „Man braucht zur Erhebung des Glaubensverständnisses aus den Quellen gewisse Kriterien und Regeln methodischer Art, um diesen Inhalt in angemessener Weise herauszuheben. Die einzelnen Quellen erfordern je andere Kriterien. Um etwa das Glaubensverständnis aus den neutestamentlichen Schriften zu erheben, bedarf es anderer Methoden als im Umgang mit dogmengeschichtlichen Texten oder bei der Berufung auf Väter und große Theologen. Ein Gleichnis aus den Evangelien kann nicht in der gleichen Weise behandelt und als Quelle des Glaubens gebraucht werden wie das Trienter Rechtfertigungsdekret“ (Hünermann 2003, 7). Da die Theologie es also mit einer Vielzahl von Fragen zu tun hat, zu deren Beantwortung sie eine Mannigfaltigkeit von Wegen durch verschiedene Epochen mit unterschiedlichen Medien zu durchschreiten hat, ist sie unausweichlich von einer methodischen Vielfalt geprägt.
1. Das Fehlen einer genuin theologischen Methode
Wenn zum Beispiel die Biblische Exegese fragt, welche Schrift, die im Namen des Paulus verfasst wurde, wirklich von Paulus stammt und welche pseudepigraphisch ist (also unter Verwendung seines Namens, aber nicht von ihm geschrieben wurde), steht ihr, um zu einer Antwort zu gelangen, keine genuin theologische Methode zur Verfügung. Sie muss vielmehr auf philologische oder geschichtswissenschaftliche Methoden zurückgreifen, die sie anderen Disziplinen entnimmt. Ähnliches ließe sich auch von den anderen Fächern der Theologie, angefangen bei der Kirchengeschichte bis hin zur Religionspädagogik, sagen. Sie leihen sich ihre Methoden gleichsam von anderen Disziplinen und müssen sich daran messen lassen, wie sehr es ihnen gelingt, diese Methoden anzuwenden. Eine Kirchengeschichte, die nicht „state-of-the-art“ mit dem agiert, was in der Profangeschichte als angemessen erachtet wird, kann auch innertheologisch nicht mehr ernst genommen werden. Und eine Religionspädagogik, die Ergebnisse der säkularen Pädagogik nicht mehr aufnimmt, was sie natürlich auch kritisch tun kann, ist theologisch ohne Wert. Denn wenn zwischen Glaube und Vernunft kein Widerspruch bestehen darf (worauf noch näher einzugehen sein wird), dann muss das, was außerhalb der Glaubenslehre als wahr erwiesen wurde, auch innerhalb der Glaubenslehre wahr sein. Ansonsten könnte ein und derselbe Sachverhalt in ein und derselben Welt zugleich der Fall sein und nicht der Fall sein. Das aber wäre im wörtlichen Sinne unvernünftig, unlogisch – dem Logos nicht zugänglich – und wäre damit das Ende rationaler Theologie. Konkret: Wenn eindeutig nachgewiesen wurde, dass der Kolosserbrief nicht aus der Feder des Paulus stammt, dann kann die Kirche nicht weiterhin lehrhaft behaupten, dass er es doch tue. Und wenn die so genannte Konstantinische Schenkung als eine Legitimationserzählung zur Rechtfertigung der weltlichen Herrschaft der Päpste entlarvt wurde, darf die Kirchengeschichte nicht weiterhin behaupten, dass der spätantike Kaiser dem Papst tatsächlich Land zur eigenen Herrschaft überlassen habe. Wenn die Theologie Wahres zutage fördern will, ist sie auf den Methodentransfer aus anderen Disziplinen angewiesen, den sie dann auch konsequent anwenden muss. Zu fragen bleibt aber, ob die Theologie in ihrer Vielfalt lediglich eine Ansammlung von Methoden anderer Disziplinen ist, oder ob es in ihrer Einheit doch so etwas wie eine fachspezifische Herangehensweise gibt, die Theologen wählen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden und die sie – obwohl sie sich vieler Methoden anderer Fächer bedienen – genuin als Theologen ausweist. Hierbei gilt es wiederum zwischen positiver und spekulativer Theologie zu unterscheiden. In positiver Hinsicht, in der sich die Theologie auf die Art und Weise bezieht, in der auf Sachverhalte Bezug genommen wird, kann es keine theologische Sondermethode geben. Denn als positive Disziplin im beschriebenen Sinne ordnet die Theologie lediglich das, was sie als Gegebenes (als „Positum“, wörtlich als „Gesetztes“) vorfindet und prüft es auf Konsistenz und Kohärenz. Das hat sie in allgemein nachvollziehbarer Form zu tun.
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Eine theologische Methode?
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V.
Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
In spekulativer Hinsicht jedoch beschäftigt sich die Theologie nicht nur mit der Bezugnahme auf die Bezugnahme auf Sachverhalte, sondern nimmt auch selbst auf Sachverhalte Bezug. Darin hat sie bestimmte normative Vorgaben zu beachten, die sie wiederum positiv erheben kann, die sie aber in gewissem Grade auch affirmativ binden.
2. Zur Topik des Glaubens Wo muss eine Theologin ihren Stoff (positiv) und ihre normativen Voraussetzungen (affirmativ) suchen? In aristotelischer Begrifflichkeit formuliert – zumindest in dem Kontext, in dem Aristoteles seit der Frühen Neuzeit verstanden wurde – ist dies die Frage nach der Topik des christlichen Glaubens. „Ihr Name, wörtlich übersetzt, bedeutet ‚Ortskunde‘ (von ‚topos‘, der Ort; Mehrzahl ‚topoi‘). In der lateinischen Rhetorik werden daraus ‚loci argumentorum‘: ‚Orte, wo die Beweise ihren Sitz haben, wo sie sich verbergen und wo man sie suchen muss.‘“ (Gast 2015, 105) Ein „topos“ oder ein „locus“ in diesem Sinne ist also ein Ort, an dem man gültige Argumente auffinden kann. Die Topik, wörtlich die Ortskunde, ist demnach die Lehre vom Auffinden gültiger Argumente.
Die theologische Aneignung des Ortsbegriffs Philipp Melanchthons Gliederungsprinzip
Melchior Canos Lehre von den „loci theologici“
Im 16. Jahrhundert wurde der im Mittelalter bereits gebräuchliche Ortsbegriff innerhalb der Theologie (man denke an die so genannten „loci communes“) konfessionsspezifisch profiliert. Der lutherische Theologe Philipp Melanchthon (1497–1560) prägte den Begriff der „loci theologici“, wörtlich der „theologischen Orte“, um den Stoff der Theologie nachvollziehbar zu gliedern. Dabei kommt er auf folgende Ordnung: Nach Einleitungsfragen theologischer Wissenschaft behandelt er zunächst das Problem des freien Willens, bevor dann die Themen Sünde, Gesetz, Evangelium, Gnade, Rechtfertigung und Glaube, Alter und Neuer Bund, Sakramente („Zeichen“), Liebe, Obrigkeit und „Ärgernis“ angegangen werden (vgl. Oelze 2009, 136). Das Bemühen, den Stoff der Theologie diesen Oberpunkten zuzuordnen, wurde auch als „synthetische Methode“ bezeichnet. Melanchthons etwas jüngerer, katholischer Zeitgenosse, der Dominikaner Melchior Cano (1509–1560), griff auch auf den Begriff des „locus“ zurück, gab diesem jedoch eine andere Sinnspitze. Für Cano bezeichnete ein „locus theologicus“ keinen Gliederungspunkt der Theologie, sondern die „wesentlichen Referenzpunkte theologischer Arbeit“ oder die „Autoritäten, von denen her die entsprechenden Argumente der Theologie entfaltet werden“ (Hünermann 2003, 208). Anders gesagt: Die „loci theologici“ sind Bezeugungsinstanzen der
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Glaubenslehre, weshalb die Theologie bei ihnen anzusetzen hat. Cano kennt zehn „loci“, die wiederum in sieben „loci theologici proprii“, also eigene, durch den Glauben selbst konstituierte Orte, und drei „loci theologici alieni“, fremde Orte, unterteilt werden. Die sieben zur ersten Gruppe gehörenden Bezeugungsinstanzen sind die Heilige Schrift, die Apostolische Tradition, die Autorität der Kirche als ganze, die Konzilien, die Römische Kirche, die Kirchenväter und die Theologen. Als „loci alieni“ nennt Cano die Vernunft, die Philosophie und die Geschichte. An dieser Aufzählung dürfte bereits ersichtlich sein, dass hier keine strenge Ordnung vorliegt – im Gegenteil. Cano trägt vielmehr eine Mannigfaltigkeit an Fundorten zusammen, die unterschiedlich präzise gefasst sind. Die „Väter“ etwa bilden selbst wiederum eine heterogene, interpretationsbedürftige Gruppe und wie sollen der „Geschichte“ per se theologische Geltungsgründe entnommen werden? Die Ortsmetapher darf daher nicht allzu naiv gefasst werden. Es gibt keinen – auch keinen imaginären – Ort, an dem sich der richtige Glaube oder gute Theologie einfach auffinden ließen. Was aus welchen Gründen geglaubt wird, und welche theologische Behauptung warum gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch einen Rekurs auf einen „locus“ klären, sondern bedarf des vernünftigen Nachdenkens, für das „loci theologici“ allenfalls das Rohmaterial bereitstellen, das oft uneindeutig ist und deshalb nach Interpretation, die wiederum strittig ist, verlangt. Das Vorgegebene lässt sich also nicht auf einfache Weise vorfinden, sondern muss gesucht und geordnet werden, wobei diese Ordnung begründungsbedürftig ist. In dieser Ordnung spielen dann wiederum Autoritäten eine Rolle, die allerdings auch nicht selbstevident, sondern auslegungsbedürftig sind.
Lehrinstanzen des Glaubens Wie das dem Glauben Vorgegebene, sich ihm zugleich als verbindlich Darstellende und von ihm zu Interpretierende zu beschreiben ist, wird in den christlichen Konfessionen unterschiedlich gedacht. Die evangelische Theologie mit ihrem sola-scriptura-Prinzip („die Schrift allein“) erkennt lediglich die Bibel als normative Vorgabe des Glaubens an. Die Schrift sei, so Martin Luther (1483–1546), „durch sich selbst höchst gewiss, äußerst leicht zugänglich, ganz offenbar, ihr eigener Ausleger, alles für alle prüfend, richtend und erhellend“ (Luther 1897, 97). Luther ging davon aus, dass die Schrift zwar nicht selbst Offenbarung ist, aber in inspirierter Weise von der Offenbarung Gottes Zeugnis ablegt. Der die Schrift konstituierende Heilige Geist ist demnach in der Hülle der Schrift gegenwärtig und überschreitet sie zugleich, indem er den Sinn der Schrift denjenigen eröffnet, die sich ihr demütig nähern und denen er sie, gemäß des göttlichen Ratschlusses, eröffnen will. Luthers These von der Selbstauslegung der Schrift ist also, bei allen Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, nicht mit
Theologische Autoritäten
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Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
einer Buchstabenmagie zu verwechseln, sondern wird letztlich als ein pneumatologisches, geistvermitteltes Geschehen gedacht, das sich im Lebensvollzug des Bibellesers als tragfähig zu erweisen hat, indem die Bibellektüre den Glauben erweckt. Abb. 6: Martin Luther – dargestellt in einem reformatorischen Flugblatt – hält mit weiteren protestantischen Gelehrten Papst Leo X. die Bibel und ihre sich angeblich selbst auslegende Klarheit entgegen.
Der Autoritätsbezug in der katholischen Tradition
„Das Kommen des Glaubens geschieht also, wenn es geschieht, nie anders als durch die Buchstaben, die bei vielfachem Schwanken im einzelnen, das von der Textkritik beurteilt wird, in so eindrucksvoller Verlässlichkeit überliefert worden sind. In diesen Buchstaben ist verbindlich eingegraben, kraft der Selbstbindung und Selbstdemütigung Gottes festgeschrieben, was neu Geist und Wahrheit werden will. Die neue Wahrheit geht nicht über die alte“, sich in beiden Testamenten ereignende Wahrheit von Gesetz und Evangelium „hinaus. Sie kommt vielmehr auf sie zurück und bringt sie her. Gott hat seinen Schwur, sein Ehrenwort gegeben und dies nicht nur im Buchstaben überliefert, sondern dem Buchstaben überliefert, ihm anvertraut. Man kann auch sagen: Gott hat seinen Schwur, sein Ehrenwort beurkundet – in einem Testament“ (Bayer 2007, 72), dessen schriftlicher Ausdruck die beiden Teile der christlichen Bibel sind, das Alte und das Neue Testament. Für die evangelische Theologie bindend ist daher nur die Schrift allein. Die späteren Bekenntnisschriften haben lediglich den Anspruch, die Bibel korrekt auszulegen und in dieser korrekten Auslegung die Identität der evangelischen Kirche auszudrücken. Sie sind darin aber der Schrift untergeordnet und verlieren für einen evangelischen Theologen, sollte er sie in Widerspruch zur Schrift sehen, ihre bindende Kraft. Die altgläubigen, nun im konfessionellen Sinne katholischen Gegner Martin Luthers hielten solche Positionen für naiv und selbstwidersprüchlich. Das Faktum der Reformation allein und die vielen Spaltungen innerhalb der Reformation beweisen doch, so wurde eingewandt, dass die Bibel sich gerade nicht
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selbst auslegt, sondern ihre Deutung kontrovers ist, was nach einer Instanz verlangt, die die vielen Schriftdeutungen normiert. Diese Instanz ist in der katholischen Kirche das „magisterium“, das Lehramt, das vor allem den Bischöfen und an ihrer Spitze dem Papst zukommt. Die sich erstmals bei Irenaeus von Lyon (ca. 135–200) findende Konzeption der apostolischen Sukzession ist für die Struktur und das Amtsverständnis der katholischen Kirche konstitutiv geworden. Stichwort
Apostolische Sukzession Mit dem Begriff „Apostolische Sukzession“ wird eine Theorie des Bischofsamtes bezeichnet, der zufolge die als Monepiskopen (also nicht zu mehreren, sondern in Alleinverantwortung) ihre Gemeinden leitenden Bischöfe Nachfolger der Apostel sind. Die Bischöfe stehen zu den Aposteln gemäß dieses Theorems in einer ununterbrochenen Kontinuität. Während in der evangelischen Kirche die Bindung an die Apostel vor allem durch die Bindung an die Bibel garantiert werden soll, hat sich in der katholischen Kirche die Vorstellung einer (historisch allerdings nicht nachweisbaren) Kette von Amtseinsetzungen und Handauflegungen entwickelt, die die Bischöfe der Gegenwart quasi materialiter mit der Kirche des Anfangs verbindet und damit auch die besondere Autorität der Bischöfe in der katholischen Kirche legitimieren soll.
Die katholische Kirche ist von einem doppelten Prinzip geprägt: dem Episkopal- und dem Primatialprinzip. Ersterem zufolge ist jeder Bischof ein Nachfolger der Apostel und damit für sein Gebiet der Inhaber der den Aposteln anvertrauten Vollmacht. Dem Primatialprinzip zufolge steht der Papst, als Vorsteher der Römischen Kirche selbst ein Bischof, in besonderer Weise noch einmal in der Nachfolge eines spezifischen Apostels: der des Petrus. Seit dem 3. Jahrhundert beriefen sich die Bischöfe von Rom auf diese spezielle Sukzession, um für sich besondere Vollmachten abzuleiten (vgl. Fiedrowicz 2010, 76). Im Laufe der Jahrhunderte konnten die Bischöfe von Rom diese Vorrangstellung in der Leitungs- und Lehrautorität immer weiter ausbauen, bis sie auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) ihren kaum noch überbietbaren Höhepunkt erreichte. Im Nachgang des Zweiten Vatikanischen Konzils hat das Lehramt innerhalb der katholischen Kirche heute folgende Form: Quelle Codex Iuris Canonici (CIC/1983), can. 750.
„Kraft göttlichen und katholischen Glaubens ist all das zu glauben, was im geschriebenen oder im überlieferten Wort Gottes als dem einen der Kirche anvertrauten Glaubensgut enthalten ist und zugleich als von Gott geoffenbart vorgelegt wird, sei es vom feierlichen Lehramt der Kirche, sei es von ihrem ordentlichen und allgemeinen Lehramt“.
Papst und Bischöfe
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V. Ordentliches und außerordentliches Lehramt
Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
Die katholische Kirche kennt zwei Arten der Ausübung des Lehramtes, das sowohl primatial als auch kollegial wahrgenommen werden kann. Primatial kommt dem Papst nach katholischer Auffassung sowohl ein ordentliches, alltägliches Lehramt über die Kirche zu, als auch ein außerordentliches, feierliches Lehramt. Macht der Papst von seinem außerordentlichen Lehramt Gebrauch, fällt er eine so genannte „ex-cathedra“-Entscheidung, die nach Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils in formaler Hinsicht „irreformabel“ (DH 3074) und in materialer Hinsicht unfehlbar korrekt ist. In feierlicher Weise unfehlbar vermag auch ein Ökumenisches Konzil zu lehren, das als außerordentlicher Lehrkörper des Bischofskollegiums gilt, wobei dieses Kollegium nicht ohne sein Haupt, den Papst, agieren kann. Gleiches gilt für die ordentliche Form kollegialen Lehrens, bei der das über die Welt verstreute Bischofskollegium das es verbindende, kollegiale Band lehrend aktiviert – auch dies ist nur möglich in Einheit mit dem Papst. Die Theologie hat diese sich dem 19. Jahrhundert verdankende Konstruktion des kirchlichen Lehramtes ernst zu nehmen, braucht sie aber auch nicht passiv hinzunehmen, da Autorität erstens auf Vertrauen fußt, das auch verspielt werden kann (und allzu oft verspielt wird), und das Lehramt zweitens gelegentlich inkonsistent agiert, was wiederum die kritische Reaktion der Theologen hervorruft, genauso wie auch das Lehramt natürlich die Theologie kritisch beäugt.
3. Historische Bedingtheiten als Korrektiv der Systematik
Abb. 7: Ernst Troeltsch reflektierte auf die Spannung zwischen dogmatischen Vorgaben und historischer Forschung innerhalb der Theologie.
Die historische Methode als Sauerteig
Ein wirksames Mittel gegen allzu unangefochten vorgetragene Geltungsansprüche dogmatischer Art sind historische Forschungen, die das scheinbar Eindeutige in seiner Bedingtheit betrachten und damit veruneindeutigen. Einer der ersten Denker, der systematisch über diese Spannung nachdachte und sie durch das Gegensatzpaar von „historischer“ und „dogmatischer Methode“ zu kennzeichnen versuchte, war der evangelische Theologe Ernst Troeltsch (1865–1923). „Die historische Methode, einmal auf die biblische Wissenschaft und auf die Kirchengeschichte angewandt, ist wie ein Sauerteig, der alles verwandelt und der schließlich die ganze bisherige Form theologischer Methoden zersprengt“ (Troeltsch 1913, 730). Wer als Theologe historische Forschung betreibt, sei es nun im Rahmen der Biblischen Wissenschaften, der Kirchengeschichte oder der Dogmengeschichte, wird feststellen, dass sich Allgemeinbegriffe wie „die“ Tradition metho-
4. Analytische Klarheit als Ziel theologischen Sprechens
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disch kaum kontrollieren lassen. Der Traditionsbegriff sagt mehr über die Gegenwart aus, die ihn in Anspruch nimmt, als über die Vergangenheit, auf die er bezogen wird. Denn Tradition ist das, was eine Gegenwart an der Vergangenheit, die sie in einem ganz bestimmten Licht betrachtet, als überlieferungswürdig, bewahrenswert und normativ bindend beurteilt. Wird dieser Blick dekonstruiert und ein anderes Licht auf dieselbe Zeit, womöglich sogar auf dasselbe Ereignis oder dieselbe Quelle geworfen, erscheint ganz Anderes und eine ungeahnte Mehrdeutigkeit kommt zum Vorschein, durch die die Geschichte, die oft als Traditionsargument dogmatisch-autoritativ instrumentalisiert wird, sich dem dogmatisch-vereindeutigenden Zugriff entzieht. Theologen, die historisch arbeiten (und das sollten alle auf die ein oder andere Weise tun), haben sicherzustellen, dass die dogmatischen Geltungsansprüche sich in ihrem Geschichtszugriff gegenüber historischen Analysen nicht immunisieren und ein Effekt der „Abstumpfung“ oder der „Gewöhnung“ eintritt, der nur „ein leidliches dogmatisches System“ (ebd., 730f.) zusammenbringt. Denn eine Haltung der übersystematisierenden Vereinfachungen oder gar des Nichtwissenwollens tut auch dem Glauben keinen Gefallen.
4. Analytische Klarheit als Ziel theologischen Sprechens Dass die Theologie es historisch mit mehrdeutigen, nicht spannungsfrei zueinanderstehenden religiösen Überlieferungen zu tun hat, die sie nicht unterkomplex behandeln oder über einen Kamm der Eindeutigkeiten scheren kann, darf nicht als Entschuldigung für eigenes, ungenaues Arbeiten dienen. Theologische Sprache sollte stets von größtmöglicher Klarheit und Eindeutigkeit geprägt sein. Diese Klarheit ist insofern eine Herausforderung, als die Rede von Gott häufig in analoger Weise vorgetragen wird. Stichwort
Analogie Der Analogiebegriff kommt in der Theologie vor allem in drei Kontexten vor: Er beschreibt auf der einen Seite ein proportional-vergleichendes (1) und ein attributives Verhältnis (2) zweier Sachverhalte, auf der anderen Seite die ontologische Abhängigkeit (3) der Welt von Gott. Eine „analogia proportionalis“ (1) liegt zum Beispiel in folgendem Satz vor: „Ein Sommer ist immer nur so schön wie seine Tage warm sind.“ Die Schönheit des Sommers wird hier mit der Temperatur der Sommertage in eine Proportion gesetzt, so dass ein Sommer als umso schöner gilt, je wärmer die einzelnen Tage sind. Eine „analogia attributionis“ (2) liegt vor, wenn gesagt wird, „Tomaten sind gesund“. Sofern Gesundheit den Zustand körperlicher Funktionalität oder seelischen Wohlbefindens meint, kann eine Tomate im strengen Sinne nicht gesund sein. Ihr wird Gesundheit nur analog zugeschrie-
Analogie
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Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie ben, weil der Genuss von Tomaten – angeblich – eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen hat. Die Vorstellung der „analogia entis“ (3) wendet die Aristotelische Vorstellung, dass „sein“ ein analoger Begriff sei, weil er in vielfacher Weise ausgesagt werde, auf die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf an. Im letzten, eigentlichen Sinne „ist“ eigentlich nur Gott, der aus sich selbst heraus existiert. Die Schöpfung „ist“ nur insofern, als Gott ihr Anteil an sich selbst gewährt. Sie besitzt also kein absolutes, sondern ein partizipatives Sein.
Sprachliche Klarheit
Analytische Theologie
Die Theologie kommt ohne analoge Rede nicht aus, hat aber so weit wie möglich transparent zu machen, wo sie es mit Analogien, vor allem mit Attributionsanalogien, zu tun hat, weil dieser Art des Sprechens eine Unschärfe innewohnt, die sich zwar nicht ins Letzte hinein auflösen lässt, aber dennoch so weit wie möglich in univoken, eindeutigen Begriffen beschrieben werden sollte, um Äquivokationen (Bezugnahmen auf verschiedene Sachverhalte, die durch denselben Begriff gekennzeichnet werden) zu vermeiden. Eine in den vergangenen Jahren, vor allem im angelsächsischen Raum immer stärker werdende Richtung, die die präzise Verwendung univoker Begriffe vehement einfordert, ist die so genannte Analytische Theologie. Um Äquivokationen auch bei diesem Begriff zu vermeiden, sei angemerkt, dass der bereits erwähnte Bartholomäus Keckermann, dem an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert entscheidende Bedeutung bei der Einführung des Systembegriffs in die Theologie zukam, von der „analytischen Methode“ sprach, darunter aber nicht das verstand, was Analytische Theologen heute darunter verstehen. Keckermann ging es um eine Zielbestimmung der Theologie als praktischer Wissenschaft, von der ausgehend der theologische Lehrstoff dann so anzuordnen sei, dass die Theologie ihrem Ziel gerecht werde. Das Ziel der Theologie, so Keckermann, sei es, den Menschen in die Gemeinschaft mit Gott zu führen. Sie habe sich daher so zu strukturieren, dass der von Gott getrennte Mensch sich ihm wieder gläubig zuwende, indem er über Gottes Heilswirken in Gestalt seiner Offenbarung praktisch unterrichtet werden solle (vgl. Rohls 2002, 310f.). Der Analytischen Theologie im heutigen Sinne geht es um etwas Anderes. Ihr Programm ließe sich, zumindest in seinen Grundzügen, in Gestalt von fünf Imperativen formulieren (vgl. McCall 2015, 16–24). Erstens solle man seine Positionen so klar und verständlich ausdrücken, dass sie sich auch formalisieren und syllogistisch bearbeiten lassen. Dazu gelte es zweitens, auf eine präzise Sprache und logische Kohärenz zu achten. Mit metaphorischer Rede sei drittens vorsichtig und sparsam umzugehen; kommen Metaphern vor, müssen sie erklärt werden. Dazu sei es viertens hilfreich, mit möglichst einfachen, allgemein verständlichen Begriffen zu arbeiten. Fünftens gelten begriffliche Analysen und logische Prüfungen als „Beweisquelle“ in dem Sinne, dass eine Position, die inkohärent sei, in jedem Fall falsch sein müsse.
5. Wahrheitsansprüche: ihre Notwendigkeiten und Grenzen
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Auch wer kein analytischer Theologe ist und wem die „allzu schnell eingenommene Haltung des ‚Kannitverstan‘“ (Stekeler-Weithofer 2011, 22), die manche Anhänger dieser Richtung pflegen, wenn sie auf andere Arten des Theologietreibens stoßen, manieriert vorkommt, kann der Analytischen Theologie wichtige Anregungen für seine eigene Arbeit entnehmen. Sie mahnt zu sprachlicher Klarheit und Präzision. Vor allem einen überbordenden Gebrauch von Metaphern gilt es zu vermeiden. Solche rhetorischen Figuren sind religiöser Sprache zu eigen, sollten aber nicht, da Theologie nicht gleich Religion ist, unbesehen in die Theologie überwandern, sondern so entschlüsselt werden, dass zumindest die Hauptaspekte ihres Sinngehalts in einfacher, nicht metaphorischer Sprache formuliert werden. Dass dabei nie alles, was Bilder in ihrer Mehrdeutigkeit transportieren, gleichsam dechiffriert werden kann, ist klar. Genau das aber macht theologisches Arbeiten interessant: Die Interpretationsbedürftigkeit und die bleibende Notwendigkeit zur Problematisierung religiöser Überzeugungen machen die Theologie zu einer spannenden Angelegenheit, die nach immer größerer Präzision streben sollte.
5. Wahrheitsansprüche: ihre Notwendigkeiten und Grenzen Die Wahrheitsansprüche religiöser Überzeugungen haben, zumindest im Kontext des christlichen Glaubens, wie die Kirchen ihn verkünden, drei Merkmale: Sie beanspruchen realistisch zu sein sowie absolut und exklusiv zu gelten. Unter dem Begriff einer realistischen Ontologie werden Theorien zusammengefasst, die davon ausgehen, dass es Sachverhalte gibt, die der Fall sind, auch wenn niemand erkennt und niemand behauptet, dass sie der Fall seien. Der Realismus geht also davon aus, dass es Seiendes gibt, das vom Denken unabhängig ist, was jedoch nicht mit der weitergehenden These verwechselt werden darf, „dass es eine vereinheitlichte Totalität dessen gibt, was existiert“ (Gabriel 2016, 24). Eine realistische Ontologie bleibt nicht folgenlos für die Erkenntnistheorie. Wenn eine apophantische oder assertorische Aussage behauptet, dass etwas in der Welt der Fall sei, und diese Aussage genau dann wahr ist, wenn der in ihr behauptete Sachverhalt tatsächlich der Fall ist, dann erhebt diese Aussage im Akt des Behauptens den Anspruch auf eine absolute Geltung – nämlich darauf zu sagen, was an und für sich der Fall ist, und nicht bloß relativ zu einem Referenzrahmen. Solche Aussagen erheben aber zugleich den Anspruch auf Exklusivität – und zwar in dem Sinne, dass zu ihnen konträr oder kontradiktorisch stehende Behauptungen nicht mit ihnen zugleich wahr sein können und deshalb im Rahmen einer bivalenten Logik falsch sein müssen. Konkret: Wenn der christliche Glaube beansprucht, dass der Satz „Gott ist der Schöpfer der Welt“ wahr sei, wird damit behauptet, dass Gott auch dann der Schöpfer der Welt ist, wenn es niemanden gäbe, der dieses Bekenntnis for-
Realistisch, absolut, exklusiv
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Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
mulieren könnte (Realismus), dass dieser Satz an und für sich wahr ist (Absolutismus), da Gott ja als Schöpfer aller Dinge bekannt wird, und dass Aussagen, die dieser Behauptung konträr oder kontradiktorisch entgegenstehen, nicht zugleich mit ihr wahr sein können (Exklusivität).
Theologische Aneignungen und Schwierigkeiten Erkenntnisgewinn
Bezugnahme auf Bezugnahmen und auf Sachverhalte
Mit dem Anspruch auf Absolutheit und Exklusivität auftretende Wahrheitsansprüche sind nichts genuin Religiöses und, anders als der Klang dieser Begriffe (absolute und exklusive Wahrheitsansprüche werden oft als intolerant wahrgenommen) suggeriert, auch nichts grundsätzlich Problematisches. Denn jede assertorische oder apophantische Aussage – tautologisch gesprochen: Jede Aussage, die etwas aussagt – beansprucht Exklusivität und in der Regel, sofern sie nicht im Kontext einer relativistischen Philosophie vorgetragen wird, auch Absolutheit (vgl. Tugendhat/Wolf 1989, 23f.). Es geht ihr nämlich um einen Erkenntnisgewinn. Wenn ein Astrophysiker zum Beispiel sagt, „die Erde ist eine Kugel“, dann beansprucht er damit etwas auszusagen, das tatsächlich der Fall und auch unabhängig davon der Fall ist, dass es jemand behauptet (Realismus). Denn die Erde war ja auch dann schon eine Kugel, als man noch allgemein annahm, dass sie eine Scheibe sei. Da der Astrophysiker behauptet, etwas zu sagen, das an und für sich, und nicht nur relativ zu einem gewissen Referenzrahmen der Fall sei (Absolutismus), beansprucht er zugleich Exklusivität in dem Sinne, dass alle Aussagen, die mit der seinigen logisch unvereinbar sind, weil sie ihr konträr oder kontradiktorisch entgegenstehen, falsch sein müssen. Konkret: Wenn die Aussage „die Erde ist eine Kugel“ wahr ist, dann muss die Aussage „die Erde ist eine Scheibe“ falsch sein, da die Erde nicht zugleich eine Kugel und eine Scheibe sein kann. Die Theologie in ihrem positiven Aspekt, in dem sie schlicht das analysiert, was eine Religionsgemeinschaft glaubt, hat mit absoluten und exklusiven Wahrheitsansprüchen genauso wenig Probleme wie alle anderen Disziplinen mit ihren Gegenständen auch. Ein Satz, wie „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“, beansprucht auszusagen, was an und für sich der Fall ist, wodurch ihm logisch entgegenstehende Behauptungen, etwa „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus nicht Gottes Sohn sei“, als falsch gelten müssen. Dieses Beispiel ist unproblematisch, weil hier die Bezugnahme auf die Bezugnahme auf einen Sachverhalt vorliegt. Die Aussage, „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“, lässt sich argumentativ – etwa durch einen Blick in die kirchlichen Glaubensbekenntnisse – leicht als wahr erweisen. Sie wäre auch dann wahr, wenn es Gott nicht gäbe oder er keinen Sohn hätte. Denn der erhobene Wahrheitsanspruch in dem genannten Satz bezieht sich nicht auf die Existenz Gottes oder die von der Kirche bekannte Gottessohnschaft Jesu, sondern darauf, dass die Kirche bekennt, Je-
5. Wahrheitsansprüche: ihre Notwendigkeiten und Grenzen
sus Christus sei Gottes Sohn. In dem Satz liegt, wie es der positiven Dimension der Theologie eigen ist, keine Bezugnahme auf einen Sachverhalt vor, sondern die Bezugnahme auf eine Bezugnahme, die ihrerseits auf einen Sachverhalt Bezug nimmt. Weil ein Theologe aber stets auch affirmativ der Gemeinschaft angehört, auf deren sachhaltige Bezugnahmen er sich in seinen Aussagen positiver Art bezieht, stellt sich die Frage, wie es um die Wahrheitsansprüche der spekulativen Theologie steht, also jener Theologie, die nicht nur behauptet, dass die Kirche bekenne, Jesus Christus sei Gottes Sohn, sondern die selbst behauptet, Jesus Christus sei Gottes Sohn. Auch hier kommt die Theologie nicht umhin, absolute und exklusive Geltungsansprüche anzumelden, allerdings mit dem bedeutenden Unterschied, dass sich diese nur auf eine Möglichkeit beziehen, da die Wirklichkeit der Existenz Gottes, wie im nachfolgenden Kapitel zu zeigen ist, ungewiss bleibt. Gott könnte auch nicht existieren. Weil aber die Aussagen spekulativer Theologie nur dann wahr sein können, wenn Gott existiert, könnten sie – da seine Existenz nicht beweisbar ist – allesamt falsch sein. Damit muss die spekulative Theologie, die auf der Hypothese von Gottes Dasein ruht, ernsthaft rechnen, wenn sie nicht den Bereich dessen, was vernünftig aufweisbar ist, verlassen will. Noch einmal: Während der Satz „die katholische Kirche bekennt, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei“ auch dann wahr ist, wenn es Gott nicht gäbe, wäre der Satz „Jesus Christus ist Gottes Sohn“ eindeutig falsch, sollte Gott nicht existieren. Dass Gott existiert, lässt sich aber nicht beweisen, sondern nur erhoffen. Daher kommt spekulative Theologie über die Reflexion auf das Mögliche nicht hinaus. Das sollte sie selbstbescheiden in Erinnerung behalten. Wie das aussehen könnte und was passiert, wenn die Theologie sich übernimmt, soll anhand zweier Ansätze skizziert werden, die sich gegenwärtig einer breiten, teils auch kontroversen Rezeption erfreuen.
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Spekulative Theologie
Von Möglichkeiten und der strittigen Wirklichkeit Ein Beispiel für den hypothetischen Gebrauch der dogmatischen Methode bildet der Ansatz Thomas Pröppers. Pröppers Theologie betrachtet die „Welt aus der Perspektive eines etsi deus se ipsum revelantis“ (Striet 2014, 105). Diese lateinische Wendung bedeutet wörtlich: „als ob Gott sich selbst offenbarte“. Sie stellt eine Abwandlung des dem Juristen Hugo Grotius (1583–1645) zugeschriebenen Diktums „etsi deus non daretur“ dar, womit dieser deutlich machen wollte, dass das Naturrecht in Geltung bliebe, „selbst dann, wenn es Gott nicht gäbe“. Spekulative Theologie rechnet also mit der Möglichkeit, dass es Gott nicht gibt, wagt aber das Experiment, die Welt einmal so zu bedenken, als ob es ihn gäbe. Pröpper wählt die Vorstellung, dass Gott sich selbst offenbare und den Menschen geschichtlich anspreche, zum Ausgangspunkt seines Denkens. In ihr findet seine Dogmatik „ein organisierendes Zentrum ihrer Aussa-
„Als ob Gott sich selbst offenbarte“
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Radical Orthodoxy
Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
gen“, in dem alle Traktate „denselben Grund und Gegenstand haben“, weshalb ihre Verschiedenheit „nur aus dem Gesichtspunkt resultieren“ könne, „unter dem das eine (als Selbstoffenbarung Gottes verstandene) Grundereignis des Glaubens jeweils bedacht thematisiert wird“ (Pröpper 2015, 77f.). Die Idee der Selbstoffenbarung ist also der Punkt, von dem aus Pröpper ansetzt, um die Welt unter der Möglichkeit der Existenz Gottes zu durchdenken. Pröpper geht davon aus, dass „der Mensch als solcher für Gott ansprechbar sei und sich dies auch aufzeigen lasse – vielleicht tatsächlich erst post factum, nach ergangener Offenbarung und dem Empfang der Gnade, aufzeigen lasse, dann aber auch auf streng vernünftig-philosophische Weise“ (ebd., 89). Spekulative Theologie im Modus der Möglichkeit zu durchdenken, bedeutet also nicht, beliebig zu werden, sondern auch hier ist konsequentes Denken gefordert. Der Konsequenz dieses Denkens geht aber die Einsicht voran, dass es seine eigene Voraussetzung – die Existenz Gottes, die hypothetisch bleibt – nicht demonstrieren kann. Deutlich weniger zurückhaltend und – nach eigener Einschätzung – äußerst radikal wendet die so genannte „Radical Orthodoxy“ die dogmatische Methode an. Der Orthodoxiebegriff wird hier nicht im konfessionellen Sinne verwendet und hat mit der Ostkirche nichts zu tun, sondern besagt seiner wörtlichen Bedeutung nach schlicht „Rechtgläubigkeit“. Orthodox in diesem Sinne ist, wer das Richtige in der rechten Weise glaubt. Die in den Vereinigten Staaten entstandene Sammelbewegung der „Radical Orthodoxy“, die vor allem dem konservativ-anglikanischen und evangelikalen Milieu entstammt, aber auch innerhalb der katholischen Theologie Anhänger findet, versucht die durch die moderne Vernunftkritik und vor allem die Anwendung der historischen Methode in der Theologie bewirkte Erschütterung scheinbarer Gewissheiten zu überwinden. Einige Abschnitte aus einem programmatischen Sammelband, der als Gründungsmanifest der „Radical Orthodoxy“ gelten kann, seien zitiert. Quelle Milbank, John / Ward, Graham / Pickstock, Catherine (1999), Suspending the Material. The Turn of Radical Theology, in: Dies. (Hg.), Radical Orthodoxy. A New Theology, London, 1–20, hier: 1f.
„Viele Jahrhunderte lang hat der Säkularismus die Welt definiert und konstruiert. Es ist eine Welt, in der das Theologische entweder diskreditiert oder in eine harmlose Freizeitbeschäftigung persönlicher Vorlieben verwandelt wurde. […] Die vorliegende Essaysammlung versucht die Welt zurückzufordern, indem ihre Anliegen und Handlungen in einen theologischen Rahmen gesetzt werden. Sie wendet sich nicht in Nostalgie zurück, sondern beschäftigt sich mit Themen, in die der Säkularismus viel investiert hat – Ästhetik, Politik, Sex, der Körper, Personalität, Sichtbarkeit, Raum – und verortet sie von einem christlichen Standpunkt aus durch Bezugnahme auf die Dreifaltigkeit, die Christologie, die Kirche und die Eucharistie. […] Dieser neue theologische Ansatz mag unter der Rubrik ‚Radical Orthodoxy‘ einge-
5. Wahrheitsansprüche: ihre Notwendigkeiten und Grenzen
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ordnet werden. Was heißt hier ‚orthodox‘ und was heißt ‚radikal‘? Orthodox ist im direktesten Sinne als Treue zum Christentum des Glaubensbekenntnisses und seiner patristischen Matrix zu verstehen. Aber orthodox heißt auch spezifischer, ein reichhaltigeres und kohärentes Christentum anzustreben, das seit dem Spätmittelalter nach und nach aus dem Blick geraten ist. […] ‚Radikal‘ bedeutet in erster Linie eine Rückkehr zu den patristischen und mittelalterlichen Wurzeln und besonders zur augustinischen Vorstellung, dass alles Wissen sich göttlicher Erleuchtung verdanke […]. Radikal ist zweitens der Versuch, dieses wiederentdeckte Ideal anzuwenden, um die moderne Gesellschaft, Kultur, Politik, Kunst, Wissenschaft und Philosophie systematisch in einer nie dagewesenen Dreistigkeit zu kritisieren. Radikal ist im dritten Sinne die Einsicht, dass durch ein solches Engagement auch die Tradition überdacht werden muss.“
Die „Radical Orthodoxy“ geht in dem skizzierten Systemprogramm kulturpessimistisch davon aus, dass ein übler Säkularismus den christlichen Glauben verdrängt habe und gute Theologie darin bestehe, das verlorene Territorium zurückzuerobern. Das Ziel wird in einer umfassenden Dominanz des christlichen Glaubens über alle Bereiche des sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens gesehen. Als Idealbilder müssen dazu die Alte Kirche und das Mittelalter herhalten, an dessen Ende der Zusammenbruch einer geeinten, christlichen Kultur stehe, zu der es zurückzukehren gelte – und zwar mit einer „nie dagewesenen Dreistigkeit“ (unprecedented boldness). Dass das, was als „die Tradition“ bezeichnet wird, angesichts neuerer Einsichten – entstammen sie nun den Geschichts- oder Naturwissenschaften – auch „überdacht“ werden müsse, wird nur kurz angedeutet. Die „Radical Orthodoxy“ macht einen ebenso exzessiven wie naiven Gebrauch von der dogmatischen Methode. Ein Idealstand dogmatischer Lehre, der historisch präzise kaum zu verorten ist (jedenfalls nicht im Mittelalter), wird apodiktisch dem theologischen Denken zugrunde gelegt. Epistemologisch abgesichert wird dieses Vorhaben durch die Idee, „dass alles Wissen sich göttlicher Erleuchtung verdanke“. Die Möglichkeit, dass es Gott gar nicht geben könnte, kommt also gar nicht erst in Betracht, da Gott selbst ja den Theologen erleuchte – eine Vorstellung, die übrigens im viel gepriesenen Mittelalter, das auch erbitterte Gegner der Illuminationslehre kannte, hoch umstritten blieb. Dass diese Sorglosigkeit im Umgang mit der Geschichte des christlichen Glaubens und mit der prekären Frage nach der Existenz Gottes kaum zu rechtfertigen ist, soll im folgenden Kapitel vertieft werden. Auf einen Blick
Obwohl es keine spezifisch „theologische“ Methode, sondern nur eine Vielzahl an Methoden gibt, derer sich die Theologie bedient, ist die Theologie mehr als nur ein Methodenkonglomerat. Sie versucht, ihren Gegenstand – die religiösen Überzeugungen der eigenen Gemeinschaft – durch die Befragung verschiedener Topoi positiv zu erheben und sich affirmativ oder problematisierend zu
Göttliche Erleuchtungen?
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V.
Methoden und normative Vorgaben der Systematischen Theologie
dem zu verhalten, was von den Lehrautoritäten, die es in unterschiedlicher Weise sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche gibt, vorgelegt wird. Dazu hat die Theologie diese Autoritäten in ihrem Selbstverständnis zu analysieren und auch zu kritisieren. Historische Forschung ermöglicht es, allzu simple Vereindeutigungen zu vermeiden und die Vielfalt des sich geschichtlich entwickelnden Glaubens bewusst zu halten. Das wiederum entlastet die Theologie nicht von der Pflicht, sich verständlich, klar und präzise so zu äußern, dass eine logische Prüfung ihrer Thesen möglich wird.
Literaturhinweise Hünermann, Peter (2016), Sprache des Glaubens – Sprache des Lehramts – Sprache der Theologie. Eine geschichtliche Orientierung (Quaestiones disputatae 274), Freiburg im Breisgau. Eine Unterscheidung verschiedener Sprach- und Reflexionsebenen, in der gläubige Vollzüge, kritisch-theologische Reflexionen und lehramtlich-normative Vorgaben aus katholischer Sicht zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. McCall, Thomas H. (2015), An Invitation to Analytic Christian Theology, Downers Grove. Einführung in das analytische Verständnis von Theologie, das auch Denkern, die dieser Richtung nicht angehören, als mahnendes Korrektiv dienen kann.
VI. Die Vernunft und die Frage nach Gott Überblick
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a der christliche Glaube ein Glaube an Gott ist und die Theologie eine vernünftige Reflexion auf diesen Glauben zu leisten hat, muss sie den Gegenstand des Glaubens auch zu ihrem – möglichen – Gegenstand machen und fragen, inwieweit die Vernunft
in der Lage ist, aus sich heraus etwas über Gott zu sagen. Dazu gilt es zunächst, über das Verhältnis von Glaube und Vernunft nachzudenken, bevor einige Versuche, Gottes Existenz allein mit den Mitteln der Vernunft aufzuzeigen, kritisch in den Blick geraten.
1. Vernunft und Glaube: Variationen eines Grundthemas christlicher Theologie Kirchenvertreter, vor allem katholische, betonen gerne, wie vernünftig der christliche Glaube doch sei. Im Christentum, dessen Kern darin bestehe, dass der ewige Logos, die göttliche Vernunft schlechthin, sich geschichtlich als Mensch gezeigt habe, seien Glaube und Vernunft zu einer einmaligen Synthese gelangt. Das Christentum sei deshalb nicht eine Religion unter anderen Religionen, auch nicht die absolute Religion in einem Meer relativer Religionen, sondern das Christentum sei der Garant der Vernunft selbst. „Der christliche Glaube hat seine Vorgeschichte in den ersten Jahrhunderten mehr in der Aufklärung, also in der Bewegung der Vernunft gegen eine zum Ritualismus tendierende Religion gesucht“; dieser Glaube sei daher mehr als Aufklärung denn als Religion zu verstehen und der in ihm sich manifestierende „Wille zur Rationalität“ gehöre „zum Wesen des Christentums“ (Ratzinger 2003, 67f.), also zu dem, was das Christentum seinem Innersten nach ausmache. Es wäre schön, wenn diese Diagnose ohne Abstriche zuträfe. Sie tut es aber leider nicht: weder heute, da gerade die katholische Kirche nicht frei von irrationalen Positionen und Handlungen ist, noch historisch, weil dem Christentum die Synthese von Glaube und Vernunft nicht in die Wiege gelegt wurde, sondern ein Resultat verwickelter geschichtlicher Prozesse bildet. Dass sich die „Begegnung zwischen griechischem Denken und biblischem Glauben […] nicht erst in der frühen Kirche, sondern innerhalb des biblischen Weges selbst vollzogen“ (ebd., 75) habe, ist nicht falsch, aber doch eine selektive Beobachtung. Natürlich bot Paulus mit seiner These, „was man von
Historische Komplikationen
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
Gott erkennen kann, ist ihnen [sc. den Menschen; M.S.] offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit der Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen“ (Röm 1,19f.), die Möglichkeit zur Entwicklung einer natürlichen, vernunftbasierten Theologie, die sich zugleich in ein reflektiertes Verhältnis zum Glauben an eine göttliche Offenbarung setzen konnte. Und wenn der Verfasser des Johannesevangeliums den Logos, die als Bauplan der Schöpfung dienende, göttliche Vernunft in Jesus von Nazareth Fleisch werden lässt (vgl. Joh 1,14), trägt er seinen Lesern auf, diesem Logos in Gestalt der Nachfolge Jesu gemäß zu leben. Von Paulus ist aber auch Anderes zu hören. Die Welt habe die „Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit“, das heißt der den Menschen eigenen, weltlichen Weisheit, nicht erkannt, weshalb Gott sich entschlossen habe, die Menschen durch eine „Torheit“ zu retten; „das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen“ (1 Kor 1,21–27). Die natürlicher Erkenntnis, menschlicher Weisheit und philosophischem Denken kritisch gegenüberstehenden Ansätze christlichen Denkens befanden sich in den ersten Jahrhunderten in einer erbitterten Auseinandersetzung mit den vernunft- und philosophiefreundlichen Formen des Reflektierens auf den christlichen Glauben – ein Streit, der sich erst in der Spätantike zugunsten der letzteren entschied, aber auch noch im Mittelalter, als man darüber diskutierte, inwieweit pagane rhetorische Schriften überhaupt christlich verwendbar seien, Spuren hinterließ.
Tertullian: Athen und Jerusalem Ein bedeutender Autor und seine Philosophiekritik
Ein prominenter Vertreter der philosophiekritischen Strömung des frühen Christentums ist Tertullian (ca. 150–220), der aufgrund seiner Nähe zum Montanismus, einer frühchristlichen Gruppierung, die sich letztlich von der Großkirche trennte, in der späteren Historiographie in Ungnade fiel, aber trotzdem ein in seiner Bedeutung kaum zu überschätzender Autor ist. Zentrale Begrifflichkeiten des lateinischen Christentums, wie etwa die Rede von der Trinität, die Unterscheidung zwischen der einen göttlichen Substanz und den drei Personen, oder den Begriff des Sakramentes hat Tertullian entweder erfunden (so etwa „trinitas“ als Kunstwort aus „tres“ und „unitas“) oder zumindest so umgeprägt, dass sie christlicherseits verwendbar wurden. Es handelt sich also keineswegs um einen Außenseiter, sondern um eine Zentralgestalt der Alten Kirche, die die später ebenfalls zur stehenden Wendung werdende Frage stellte, was Athen als Synonym für die griechische Philosophie eigentlich mit Jerusalem, Synonym für die jüdische Offenbarungsreligion, als deren legitime Fortsetzung sich die Kirche sah, zu tun habe. Tertullians Antwort fällt eindeutig aus.
1. Vernunft und Glaube: Variationen eines Grundthemas christlicher Theologie
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Quelle Tertullian, De praescriptione haereticorum (Über die Prozesseinreden der Häretiker) 7. Deutsche Übersetzung: Tertullian (1915), Tertullians apologetische, dogmatische und montanistische Schriften. Übersetzt und mit Einleitungen versehen von Heinrich Keller (Bibliothek der Kirchenväter), Kempten u.a., 314.
„Was hat also Athen mit Jerusalem zu schaffen, was die Akademie mit der Kirche, was die Häretiker mit den Christen? Unsere Lehre stammt aus der Säulenhalle Salomos, der selbst gelehrt hatte, man müsse den Herrn in der Einfalt seines Herzens suchen. Mögen sie meinethalben, wenn es ihnen so gefällt, ein stoisches und platonisches und dialektisches Christentum aufbringen! Wir indes bedürfen seit Jesus Christus des Forschens nicht mehr, auch nicht des Untersuchens, seitdem das Evangelium verkündet worden. Wenn wir glauben, so wünschen wir über das Glauben hinaus weiter nichts mehr. Denn das ist das erste, was wir glauben: es gebe nichts mehr, was wir über den Glauben hinaus noch zu glauben haben.“
Tertullian zeichnet eine Dualität zwischen Athen, der platonischen Akademie als pas pro toto für alle Philosophenschulen sowie den Häretikern auf der einen, und Jerusalem, der Kirche und den Christen auf der anderen Seite. Beide haben Tertullian zufolge nichts gemeinsam und stehen sich feindselig gegenüber. Ein Christentum, das sich in stoischen, platonischen oder dialektischen Begrifflichkeiten ausdrückt, lehnt er ab. Forschen und philosophisches Nachdenken seien durch das Evangelium, das nichts weiter als Glaube verlange, überflüssig geworden. Die Beschäftigung mit der Philosophie sei nicht nur nutzlos, sondern sogar gefährlich, da Tertullian Philosophen als sittlich verdorbene Menschen zeichnet, die schlicht und ergreifend die Unwahrheit lehren. Diesen aus heutiger Sicht problematischen, anti-philosophischen Affekt des frühen Christentums zu verschweigen, wäre unredlich. Die viel beschworene Synthese zwischen Glauben und Vernunft innerhalb des Christentums ist diesem nicht als Wesenseigenschaft von Anfang an mitgegeben worden, sondern stellte eine historische Leistung der Alten Kirche dar, die sich erst nach Jahrhunderten als normativ herausstellte – und zwar erst dann, als es gelang, christliche Überzeugungen mit philosophischen, vor allem an den mittleren und neuen Platonismus angelehnten Begrifflichkeiten so auszudrücken, dass man sie als dem Evangelium entsprechend, Häretiker abweisend und als rational begründbar betrachten konnte. Ihren Höhepunkt hat diese Synthese in der Spätantike bei Augustinus von Hippo gefunden.
Philosophie gegen Offenbarung
Augustinus: Die Bibel und die Bücher der Platoniker Die Ironie an antiphilosophischen Tiraden, wie Tertullian sie formulierte, liegt darin, dass Tertullian selbst ein hochgebildeter Mensch war, in rechtlichen, aber auch philosophischen Fragen bewandert und rhetorisch begabt. Er
Das Verhältnis zur paganen Bildung
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Die Vernunft und die Frage nach Gott
machte von diesen Kenntnissen Gebrauch, um den christlichen Glauben zu durchdenken und zu verteidigen, wollte den Wert paganer Bildung explizit aber nicht anerkennen. Darin unterscheidet er sich nicht nur von manchen seiner Zeitgenossen und auch Denkern, die älter sind als er, zum Beispiel von Origenes oder Justin dem Märtyrer, sondern hebt sich von der Entwicklung ab, die sich seit dem 3. Jahrhundert immer stärker Bahn brach und letztlich eine Verbindung zwischen dem christlichen Glauben und vor allem der platonisch geprägten Philosophie bewirkte. Die explizite Anerkennung und reflexive Durchdringung dieser Liaison findet bei Augustinus ihren Höhepunkt. Der philosophisch gebildete Rhetor, der über die Skepsis, den Manichäismus und den Neuplatonismus letztlich zum Christentum gelangte und dieses – man denke an seine Ausführungen zur Erbsünde – prägte wie kein zweiter nachbiblischer Autor, verband die autobiographische Reflexion auf seinen Bildungs- und Glaubensweg mit grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von paganer Philosophie und christlichem Glauben. Quelle Augustinus von Hippo, Confessiones (Bekenntnisse) VII,9. Deutsche Übersetzung: Augustinus (1914), Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Alfred Hofmann (Bibliothek der Kirchenväter), München, 143f.
„Denn du [sc. Gott; M.S.] hast mir durch einen von unbändigem Stolze aufgeblasenen Menschen einige Bücher der Platoniker verschafft, die aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt waren. Und in diesen las ich, wenn auch nicht gerade wörtlich, so doch dem Sinne nach dasselbe und durch viele und vielfache Gründe glaubhaft gemacht: ‚Im Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dieses war im Anfange bei Gott; alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist; in ihm ist das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen; und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen‘ […]. Die Stelle aber: ‚Er kam in sein Eigentum, und die Seinigen nahmen ihn nicht auf; wie viele ihn aber aufnahmen, allen denen gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, weil sie an seinen Namen glauben‘, habe ich nicht darin gelesen. Ferner las ich dort, daß das Wort, Gott, ‚nicht aus dem Fleische, noch aus dem Willen des Mannes, noch aus dem Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren‘ ist, aber daß ‚das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat‘ das habe ich nicht dort gelesen. Wohl fand ich in jenen Schriften in verschiedener und mannigfacher Weise ausgesprochen, daß ‚der Sohn in des Vaters Gestalt sei und es nicht für Raub gehalten habe, Gott gleich zu sein‘, weil er es von Natur aus ist; daß er aber ‚sich selbst erniedrigt hat, und den Menschen gleich und im Äußern als ein Mensch erfunden ward und Knechtsgestalt angenommen, daß er sich erniedrigte und gehorsam ward bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze: weshalb ihn Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben hat, der über alle Namen ist, so daß im Namen Jesu sich beugen die Knie aller derer, die im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt sind, und alle Zungen bekennen, daß der Herr Jesus Christus in der Herrlichkeit des Vaters ist‘, davon wissen jene Bücher nichts.“
1. Vernunft und Glaube: Variationen eines Grundthemas christlicher Theologie
Augustinus legt eine präzise Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem christlichen Glauben und der (neuplatonischen) Philosophie vor. Er geht von den Einlassungen des Johannesprologs (Joh 1,1–14) und des Philipperhymnus (Phil 2,) aus, und vergleicht, was er davon auch in der Philosophie gefunden hat. Zunächst stellt er Übereinstimmungen fest. Sowohl der Glaube als auch die Philosophie sprechen von Gott. Während die Philosophie auf Vernunfterkenntnis beruht, schöpft der Glaube seine Gotteserkenntnis aus der Offenbarung. Beide stimmen dort überein, wo es um Gott als Gegenstand der Metaphysik geht. Beide sind vom Dasein Gottes überzeugt und beanspruchen eine gewisse Einsicht in seine ontische Struktur zu haben, die der christliche Glaube als dreifaltig bezeugt und die neuplatonische Philosophie als triadisch denkt. Wo es also um die Existenz und die Eigenschaften des einen, ewigen Gottes geht, stimmen Glaube und Vernunft (im Zuschnitt neuplatonischen Denkens) überein.
87 Ewiges Sein und geschichtliches Handeln
Abb. 8: Augustinus, hier auf einem Mosaik aus dem Baptisterium des Markusdoms in Venedig, spielte für die Synthese zwischen christlicher Theologie und neuplatonischem Denken eine bedeutende Rolle. Vermutlich hat kein zweiter nachbiblischer Autor das Christentum derart geprägt wie der Bischof von Hippo.
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Die Vernunft und die Frage nach Gott
Dennoch gibt es für Augustinus einen Bereich, in dem der Glaube über das der Vernunft Einsehbare hinausgeht. Dass der ewige Logos Fleisch angenommen hat, Mensch geworden ist, sich selbst erniedrigt hat, gestorben und auferstanden ist, las Augustinus laut eigener Auskunft in den Büchern der Platoniker nicht. Dort, wo „nicht vom Logos als metaphysischem, alles Seiende bestimmendem“ Prinzip, „sondern vom menschgewordenen Logos, der in die Welt kommt“, die Rede ist, gelangt die Vernunft an ihre Grenzen; die „Wahrnehmung dieses historisch konkret auftretenden Logos, also die Anerkennung Jesu Christi als des menschgewordenen Sohnes Gottes, kann nur im Glauben erfolgen, nicht aber im Wissen, nach dem die Philosophie strebt, weil dieses Wissen stets auf Allgemeines und auf Prinzipien geht, nicht aber auf einzelne historische Fakten“ (Brachtendorf 2005, 129f.). Das Christentum ist aber in seinem Glauben an die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth an historische Fakten, nämlich die Lebens- und Sterbensgeschichte Jesu, gebunden. Es mag in seinen metaphysischen Grundannahmen mit der Philosophie übereinstimmen, erschöpft sich aber nicht in diesen, sondern geht in seinem heilsgeschichtlichen Bekenntnis über das hinaus, was einer rein philosophischen – und damit auf Verallgemeinerung zielenden – Erkenntnis zugänglich ist. Die Frage schließt sich an: Ist das, was Augustinus am Beispiel der neuplatonischen Philosophie vorführt, allgemein auf das Verhältnis von Glaube und Vernunft übertragbar? Anders gesagt: Gesucht wird nach einer präzisen Bestimmung des Vernunftbegriffs und seines Verhältnisses zu den Eigenheiten des christlichen Glaubens.
Vernunft und Verstand
Begriffe und Ideen
In der Alltagssprache werden Begriffe wie Vernunft, Verstand oder Rationalität oft als Synonyme gebraucht. Sie sind es bei näherem Hinsehen jedoch nicht. Der für die Ausprägung des Deutschen als philosophische Fachsprache bedeutsame Christian Wolff (1679–1754) übersetzte – teils unter Umkehrung vorhergehender Verhältnisbestimmungen – „intellectus“ mit Verstand und „ratio“ mit Vernunft. Unter dem Intellekt oder dem Verstand versteht Wolff „das Vermögen, das Mögliche deutlich vorzustellen“, unter der „ratio“ oder der Vernunft hingegen „das Vermögen, den Zusammenhang der Wahrheiten einzusehen“ (Casula 1986, 131). Während die Tätigkeit der Abstraktion, durch die die Einzeldinge Allgemeinbegriffen zugeordnet werden, der genannten Bestimmung gemäß als Tätigkeit des Verstandes gefasst wird, ist es die Aufgabe der Vernunft, die ihr durch den Verstand gebotenen Begriffe in einen Zusammenhang der Ideen zu setzen. Natürlich ist diese Unterscheidung ein Stück weit künstlich, da sowohl Verstand als auch Vernunft in der einen Kognitionsfähigkeit des Menschen gründen. Als Arbeitsunterscheidung ist die genannte Differenzierung aber hilfreich, da sie
2. Gott als Gegenstand des Wissens?
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verschiedene Ebenen kognitiver Tätigkeit benennt. Während der Verstand versucht, die Vielfalt des ihm sinnlich gegebenen Materials zur Einheit von Begriffen zu führen, versucht die Vernunft die Vielfalt der Begriffe zu einer Einheit der Ideen zu bündeln. Noch einmal anders gesagt: Während der Verstand danach strebt, intelligibel zu ordnen, was er vorfindet und es so auf einen Begriff zu bringen, leistet die Vernunft eine rationale Reflexion auf die Gesamtheit des ihr begrifflich Vorgestellten. Theodor W. Adorno (1903–1969) fasst den Unterschied anschaulich zusammen: Der Verstand sei „etwas Subalternes“ und stelle „eine Art von administrativem Denken“ dar, weil er „auf Materialien bezogen ist“ und dazu diene, „sie zu ordnen, sie zu trennen und zu vereinheitlichen. Er ist beschränkt auf eine Funktion innerhalb eines bereits bestehenden set up von Gegebenem“, wohingegen die Vernunft „noch einmal reflektiert auf den Verstand, auf den Gebrauch, den der Verstand von sich selbst macht und danach beurteilt, entscheidet, ob er im Sinne der Zwecke, die er sich selbst gibt, ein höhergearteter sei. Dann wird aber auch die Auswahl der Gegenstände und Bestimmungen, die über die Gegenstände getroffen werden, an dieser über die Beschränktheit des je Gegebenen hinausweisenden Vorstellung gemessen. Im Grunde steht dahinter, wenn ich es einmal im Sinne der gesellschaftlichen Erfahrung ausdrücken darf, einfach der Unterschied zwischen einer Erkenntnis, die sich erschöpft in den Funktionen, die wir so als Verständige haben, um uns selbst erhalten zu können, und den Funktionen, in denen wir über diese Selbsterhaltung und über alles, was mit ihr zusammenhängt, nachdenken“ (Adorno 1974, 110f.). Die skizzierte Unterscheidung von Verstand und Vernunft passt zu den bereits eingeführten beiden Aufgaben der Theologie. Während die positive Dimension theologischen Arbeitens schwerpunktmäßig versucht, das Material christlichen Glaubens zu ordnen und auf den Begriff zu bringen, distanziert sich die Vernunft in der spekulativen Dimension theologischen Arbeitens von dem ihr begrifflich Gegebenen und fragt nach dessen Berechtigung im Ganzen. Für das Verhältnis zwischen dem Glauben auf der einen, und dem Verstand sowie der Vernunft auf der anderen Seite heißt dies: Sofern Glaube stets als „Glaube an“ intentional bestimmt ist, geht dem Glauben die Tätigkeit des Verstandes voran. Denn was nicht verstanden wurde, kann auch nicht geglaubt werden. Technisch gesagt: Der „intellectus fidei“ liegt dem „actus fidei“ zugrunde. Die Vernunft fragt jedoch, ob es wirklich zu verantworten ist, das zu glauben, was der Verstand geordnet hat. Sie ist dabei in ihrem heutigen Zuschnitt deutlich weniger optimistisch, als sie es im neuplatonischen Kontext Augustins war.
2. Gott als Gegenstand des Wissens? Wissen ist die höchste und sicherste Form des Erkennens. Ist eine Erkenntnis mit der Gewissheit ausgestattet, dass sie auch wahr ist, spricht man
Wissen und Beweis
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
von Wissen. Wenn also gefragt wird, ob der Mensch Wissen über Gott erlangen könne, so wird untersucht, ob es eine Form der Erkenntnis gibt, die die Existenz – und vielleicht auch einige Eigenschaften Gottes – so gewiss werden lässt, dass an Gott nicht nur geglaubt, sondern dass Gott auch im strengen Sinne erkannt und er damit Gegenstand menschlichen Wissens werden kann. In der Philosophie- und Theologiegeschichte werden Ansätze, die diese Frage bejahen, als Gottesbeweise bezeichnet. Ein Beweis im strengen Sinne bezeichnet eine Argumentation, die zwingend ist. Wer einen Beweis ablehnt, verschließt sich einer notwendigerweise wahren Erkenntnis. Würde demnach ein Gottesbeweis gelingen, müssten alle Menschen, wenn sie nur korrekt von ihrer Vernunft oder ihrem Verstand Gebrauch machen, zur Schlussfolgerung gelangen, dass es Gott gibt – eine Schlussfolgerung, die dann nicht mehr geglaubt zu werden braucht, sondern die Gegenstand sicherer Erkenntnis ist und damit gewusst werden kann. Einige dieser Versuche, Gottes Dasein sicher und zwingend aufzuweisen, werden nun vorgestellt. Grundlegend ist dabei die Gliederung, die Immanuel Kant vorgelegt hat, demzufolge die Vielzahl der Gottesbeweise letztlich auf drei vermeintliche Beweisgänge reduziert werden könne. Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 618. Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 396.
„Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus speculativer Vernunft möglich. Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an und steigen von ihr nach Gesetzen der Causalität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf; oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d.i. irgend ein Dasein, empirisch zu Grunde; oder sie abstrahieren endlich von aller Erfahrung und schließen gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache. Der erste Beweis ist der physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der ontologische Beweis. Mehr giebt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben.“
Cicero und der Konsens der Völker
Durch die Rückführung der Vielfalt historisch vorkommender, so genannter Gottesbeweise, auf drei Argumentationen, scheidet Kant zahlreiche Ansätze im Vorhinein aus. So hatte etwa Cicero (106–43 v. Chr.), ein römischer Rhetor und Philosoph, die Ansicht vertreten, die „Übereinstimmung aller Völker“ in der Anerkennung einer „göttliche[n] Macht und Wesenheit“ sei ein „Naturgesetz“. Alle Völker haben – so Cicero – teilweise eine rohe und falsche, aber dennoch irgendeine Art von Gottesvorstellung, die eine „anticipatio“, einen Vorgriff, auf den korrekten, vernünftig ableitbaren Gottesbegriff darstelle. Da diese Übereinstimmung nicht durch Verabredung zustande gekommen sei, sondern sich einfach
3. Der ontologische Gottesbeweis
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vorfinden lasse, bildet sie für Cicero – anachronistisch gesprochen – einen Gottesbeweis, da das, worin „die Natur aller übereinstimmt, unbedingt eine Wahrheit sein“ (Zielinski 1912, 211) müsse. Diese Argumentation mag zunächst intuitiv etwas für sich haben, überzeugt letztlich aber nicht und ist erst recht kein Beweis. Denn warum sollte das, worin alle übereinstimmen, unbedingt wahr sein? Es könnte auch einen Konsens im Irrtum geben. Und die Behauptung, dass jedem Menschen von Natur aus ein Begriff Gottes eingeboren sei, ist selbst dann, wenn man sie zugestehen würde, kein aussagekräftiger Beweis für das Dasein Gottes. Denn allein die Tatsache, dass Menschen einen Begriff von etwas bilden können, impliziert noch nicht, dass es den Sachverhalt, den der Begriff ausdrückt, auch tatsächlich gibt. Daher beschränkt Kant sich auf drei Argumentationsgänge, die – auch wenn sie in seinen Augen letztlich allesamt scheitern – als mögliche Beweise für die Existenz Gottes in Betracht kommen: der ontologische, der kosmologische und der teleologische Gottesbeweis.
3. Der ontologische Gottesbeweis Anselm von Canterbury (1033–1109) entwickelte einen Gottesbegriff, der Philosophen und Theologen über die Jahrhunderte hinweg in seinem Bann hielt und bis heute fasziniert. Anselm geht davon aus, dass Gott – seinem Begriff nach – als dasjenige zu bestimmen sei, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden könne. Etwas, das existiert, das also wirklich und nicht nur dem Begriff nach ist, betrachtet Anselm im Vergleich zu dem, was nur dem Begriff, nicht aber der Wirklichkeit nach ist, als höherwertig oder „größer“. Zu behaupten, etwas sei das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden könne, und zugleich anzunehmen, dass das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden könne, gar nicht existiere, wäre demnach selbstwidersprüchlich, denn wenn etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht existiert, dann kann Größeres über es hinaus gedacht werden und damit wäre das nicht existierende, über das angeblich Größeres nicht gedacht werden könne, eben nicht das, worüber hinaus Größeres nicht zu denken ist. Kurz gesagt: Die Vorstellung eines nur gedachten, im Begriff vorhandenen Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden könne, ist selbstwidersprüchlich. Das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, muss also notwendigerweise als existierend gedacht werden. Da Gott dem Begriff nach das ist, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, muss Gott existieren. Auf den ersten Blick mag Anselms Argument und seine hier vorgetragene cartesianische Fassung von bestechender Logik sein. Auf den zweiten Blick tun sich jedoch gravierende Schwierigkeiten auf, die bereits im Mittelalter diskutiert wurden. Anselms Zeitgenosse Gaunilo von Marmoutiers (gestorben ca. 1083) wandte ein, dass man mit Anselms Argumentation auch behaupten
Anselms Argumentation
Mittelalterliche Kritik
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VI.
Abb. 9: Anselm von Canterbury, dargestellt in der Bibliothek des Klosters Metten, in einem fiktiven Disput mit dem fast zweihundert Jahre jüngeren Thomas von Aquin.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
könne, dass fernab der bekannten Gewässer eine Insel von größter Herrlichkeit existiere, die alle bisher bekannten Länder an Herrlichkeit übersteige. Der Einwand, dass niemand wissen könne, ob eine solche Insel tatsächlich existiere, verfange in Anselms Denkrahmen, wie Gaunilo ihn versteht, nicht, weil die Existenz der Insel ja im Begriff der alles überragenden Herrlichkeit dieser Insel bereits logisch notwendig enthalten sei. Eine alles überragende Insel zu denken, die gar nicht existiere, sei ein Widerspruch in sich, da eine nicht existierende Insel eben nicht alles andere überrage (vgl. Mackie 2006, 86f). Gaunilo legt den Finger in die Wunde: Anselm wechselt von „etwas“ worüber hinaus Größeres nicht werden könne, zu „dem“, worüber hinaus größer nicht gedacht werden könne (vgl. Barnes 1972, 4f.). Das Etwas aber ist seinem intentionalen Gehalt nach offen und daher nicht nur auf Gott, sondern auch eine Phantasieinsel oder beliebige andere, superlativistisch beschriebene Gegenstände anwendbar. Die Engführung Anselms auf Gott übergeht diese Problematik, kann jedoch nicht angeben, warum es bessere Gründe geben soll, an Gott als an die Existenz einer herrlichen, aber letztlich nur der Phantasie entstammenden Insel zu glauben. Thomas von Aquin weist auf die grundsätzliche Problematik von Anselms Argumentation hin: Der Übergang vom Denken zum Sein wird nicht hinreichend reflektiert. Selbst wenn man „unter dem Ausdruck ‚Gott‘ ein Wesen versteht, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, so folgt daraus noch nicht, dass man dieses durch den Namen ‚Gott‘ bezeichnete Wesen auch als wirklich seiend erkenne, sondern nur, dass es sich in unserem Denken findet“ (Thomas von Aquin, Summa Theologiae I q. 2, a.1, ad 2). Aber nicht alles, was sich im Denken findet, findet sich auch im Sein.
Kants Einwände „Sein ist offenbar kein reales Prädicat“
Immanuel Kant, der sich mit dem ontologischen Gottesbeweis in der von René Descartes vertretenen Form beschäftigte, macht darauf aufmerksam,
3. Der ontologische Gottesbeweis
dass „Sein“ keine Eigenschaft eines Gegenstandes neben anderen Eigenschaften dieses Gegenstandes ist, sondern die Voraussetzung dafür, dass ein Gegenstand überhaupt Eigenschaften haben kann. Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 626f. Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 401.
„Sein ist offenbar kein reales Prädicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Copula eines Urtheils. Der Satz: Gott ist allmächtig, enthält zwei Begriffe, die ihre Objecte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen: ist, ist noch nicht ein Prädicat obenein, sondern nur das, was das Prädicat beziehungsweise aufs Subject setzt. Nehme ich nun das Subject (Gott) mit allen seinen Prädicaten (worunter auch die Allmacht gehört) zusammen und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädicat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subject an sich selbst mit allen seinen Prädicaten und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff. Beide müssen genau einerlei enthalten, und es kann daher zu dem Begriffe, der bloß die Möglichkeit ausdrückt, darum daß ich dessen Gegenstand als schlechthin gegeben (durch den Ausdruck: er ist) denke, nichts weiter hinzukommen. Und so enthält das Wirkliche nichts mehr als das bloß Mögliche.“
Kant zufolge ist Sein keine Eigenschaft, also kein Prädikat, das einen Gegenstand neben anderen Prädikaten auszeichnet, sondern eine „Kopula“, also die Verbindung zwischen einem Subjekt und einem Prädikat, die selbst dem Gegenstand aber nicht als weiteres Prädikat etwas hinzufügen würde. Wird „sein“ im absoluten Sinne verwendet, also nicht: „Gott ist allmächtig“, sondern nur „Gott ist“, so wird Gott damit kein neues Prädikat zugeordnet. Hundert wirklich existierende Taler, so Kants Beispiel, enthalten „nicht das Mindeste mehr“ als der Begriff von hundert möglichen Talern. Denn wenn die wirklichen Taler mehr (und damit Anderes) enthielten als ihr Begriff, wäre der Begriff schlicht und ergreifend falsch. Trotzdem, so Kant, macht es einen Unterschied, hundert wirkliche Taler oder nur den Begriff von hundert möglichen Talern zu haben. Dieser Unterschied liegt aber nicht darin begründet, dass den hundert wirklichen im Vergleich zu den hundert möglichen noch eine zusätzliche Eigenschaft, nämlich Existenz, zukommt, sondern darin, dass die Wirklichkeit nicht schon analytisch im Begriff enthalten ist. Genau dies behauptet aber der ontologische Gottesbeweis: Im Begriff Gottes als das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden könne, sei bereits analytisch (also durch reine Begriffsanalyse) enthalten, dass Gott existieren müsse. Für Kant gilt jedoch: Der „Gegenstand ist bei der Wirklichkeit nicht bloß in meinem Begriffe analytisch enthalten, son-
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
dern kommt zu meinem Begriffe (der eine Bestimmung meines Zustandes ist) synthetisch hinzu, ohne daß durch dieses Sein außerhalb meinem Begriffe diese gedachte[n] hundert Thaler selbst im mindesten vermehrt werden“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 627 = AA 401). Anders gesagt: Ein rein analytisches, auf Begriffsanalysen basierendes Urteil über die Existenz eines Gegenstandes ist nicht möglich. Die Existenz eines Gegenstandes ist nämlich nicht schon als Prädikat in einem Subjekt enthalten, so dass sie in die Form eines analytischen, notwendigerweise wahren Urteils gefasst werden könnte, sondern die Existenz eines Gegenstandes lässt sich nur in einem synthetischen – und damit umstrittenen – Urteil formulieren. Wer also behauptet „Gott ist“ fällt kein analytisches, sondern ein synthetisches, möglicherweise wahres, aber möglicherweise auch falsches Urteil. Der Versuch, Gottes Existenz als im Subjekt angelegtes Prädikat auszuweisen und seine Existenz damit zu beweisen, scheitert deshalb.
Neuere Formulierungen des ontologischen Arguments World indexed properties: Plantinga
Kritik
Anselms Argument hat trotz der heftigen Kritik, der es vor allem in der kritischen Philosophie Kants ausgesetzt war, in seiner Grundannahme, dass sich die Existenz Gottes aus einem logisch korrekt gefassten Begriff Gottes beweisen lasse, immer noch Anhänger, wie etwa Charles Hartshorne (1897–2000), Norman Malcolm (1911–1990) oder Alvin Plantinga. Plantinga, einer der bekanntesten analytischen Religionsphilosophen der Gegenwart, vertritt eine modallogische Reformulierung der ontologischen Argumentation. Das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, unterteilt Plantinga in „maximal excellence“ und „maximal greatness“. „Maximal excellence“ umfasse Allwissenheit, Allmacht und moralische Vollkommheit in einer möglichen Welt. „Maximal greatness“ hingegen beschreibt die „Eigenschaft von ‚maximal excellence‘ in jeder möglichen Welt“ (Plantinga 1974, 214). Plantinga geht davon aus, dass es „world-indexed properties“ gibt, also Eigenschaften, die sich nur in einer möglichen Welt, nicht aber in einer anderen finden. Daher sei es denkbar, dass sich die Eigenschaft „maximal excellence“ in einer Welt exemplifiziere, in einer anderen hingegen nicht. Exemplifizierte sich jedoch in einer Welt die Eigenschaft „maximal greatness“, exemplifiziere sie sich notwendigerweise auch in allen anderen Welten (vgl. Harris 2002, 199–122). Anders gesagt: Wenn es eine Welt gäbe, in der sich „maximal greatness“ exemplifiziert, könnte es keine Welt geben, in der sich „maximal greatness“ nicht exemplifiziert. Dass „maximal greatness“ sich aber überhaupt exemplifiziert, ist nicht notwendigerweise gesagt. Wieder stellt sich die Problematik des Verhältnisses von Denken und Sein. Dass „maximal greatness“ als logisch widerspruchsfrei zu denkende Eigenschaft in einer Welt exemplifiziert werden
4. Der kosmologische Gottesbeweis
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kann und damit konsequenterweise nicht in allen anderen Welten nicht exemplifiziert gedacht werden kann, sofern das Unmögliche nicht von Welt zu Welt variiert, besagt nicht, dass „maximal greatness“ überhaupt in einer Welt tatsächlich exemplifiziert ist. Das erste „kann“ beschreibt allerdings nur eine Möglichkeit, keine Notwendigkeit. Zudem weist John Leslie Mackie noch auf ein weiteres Problem hin. Plantinga definiert nicht nur den Begriff der „maximal greatness“, sondern auch den der „non-maximality“, durch den eine Welt beschrieben wird, in der sich die Eigenschaft der „maximal greatness“ nicht exemplifiziert. „Nicht-Maximalität ist möglicherweise exemplifiziert, d.h. es gibt eine mögliche Welt, in der Nicht-Maximalität exemplifiziert und daher maximale Größe nicht exemplifiziert ist; wenn aber maximale Größe nicht in jeder möglichen Welt exemplifiziert ist, ist sie überhaupt nicht exemplifiziert; daher kann es keine mögliche Welt geben, in der maximale Größe exemplifiziert ist, d.h., maximale Größe ist nicht möglich. Da wir aus der Prämisse, maximale Größe sei in irgendeiner möglichen Welt exemplifiziert, folgern können, daß Nicht-Maximalität in keiner Welt exemplifiziert ist, können wir in gleicher Weise auch schlüssig aus der Prämisse, Nicht-Maximalität sei in irgendeiner möglichen Welt exemplifiziert, folgern, daß maximale Größe in keiner Welt exemplifiziert ist“ (Mackie 2006, 96). Plantingas Argumentation ist also modallogisch hoch komplex, hat aber auch Inkohärenzen und kann daher nicht als erbrachter Beweis dafür gelten, dass die Behauptung, Gott existiere, wahr ist. Denn bewiesen ist eine Behauptung nur dann, wenn ihr Wahrheitswert unumstößlich feststeht.
4. Der kosmologische Gottesbeweis Unter dem Begriff des kosmologischen Gottesbeweises wird „eine Familie von Argumenten verstanden, die die Existenz eines zureichenden Grundes oder einer ersten Ursache für die Existenz des Kosmos zu zeigen versuchen“ (Moreland/Craig 2003, 465). Auch hier reicht die Spanne von der Antike bis zu modernen Reformulierungen des Gedankengangs, etwa in Gestalt des so genannten „kalam“-Arguments. Die ersten drei der so genannten „quinquae viae“, der fünf Wege, die Thomas von Aquin skizziert, um die Existenz Gottes vernünftig zu rechtfertigen, sind Spielarten des kosmologischen Arguments. Der erste Weg geht von dem Phänomen der Bewegung aus. Wird angenommen, dass alles, was bewegt ist, von einem anderen in Bewegung versetzt wurde, ergibt sich eine Kette von Bewegern und Bewegten.
Die fünf Wege des Thomas von Aquin
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott Quelle Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 2, a. 3, corpus. Deutsche Übersetzung: Thomas von Aquin (1933), Gottes Dasein und Wesen (Deutsche Thomas-Ausgabe 1), Salzburg, 45.
„Wenn demnach das, wovon etwas seine Bewegung erhält, selbst auch in Bewegung ist, so muß auch dieses wieder von einem anderen bewegt sein, und dieses wieder von einem anderen. Das kann aber unmöglich so ins Unendliche fortgehen, da wir dann kein erstes Bewegendes und infolgedessen überhaupt kein Bewegendes hätten. Denn die späteren Beweger bewegen ja nur in Kraft des ersten Bewegers […] Wir müssen also unbedingt zu einem ersten Bewegenden kommen, das von keinem bewegt ist. Dieses erste Bewegende aber meinen alle, wenn sie von ‚Gott‘ sprechen.“
Kants Reduktion
Der zweite Weg des Thomas ist mit dem ersten eng verwandt. Er geht vom Begriff der Ursache aus, der über die Vorstellung der Bewegungs- oder Wirkursache mit dem Problem der Bewegung verbunden ist. In der sichtbaren Welt habe jede Wirkung eine Ursache, die nicht mit der Wirkung selbst identisch sei. Jede Wirkung sei verursacht, und ihre Ursache sei wiederum nur die Wirkung einer weiteren Ursache, die die Wirkung einer Ursache sei und so weiter. Würde man diese Reihe ins Unendliche fortsetzen, käme man nie zu einer ersten Ursache und es dürfte demnach auch keine Wirkungen geben. „Das widerspricht aber den offenbaren Tatsachen. Wir müssen also notwendig eine erste Wirk- oder Entstehungsursache annehmen: und die wird von allen ‚Gott‘ genannt“ (Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 2, a. 3, corpus). Neben naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die die auf den ersten Blick intuitiv plausible Argumentation des Aquinaten in Frage stellen – der Energieerhaltungssatz geht davon aus, dass Energie eine Erhaltungsgröße ist, die unterschiedliche Formen annimmt, aber in der Summe konstant bleibt – hat bereits Immanuel Kant das Entscheidende zum kosmologischen Gottesbeweis gesagt. Dieser stellt für den Königsberger lediglich eine Form des ontologischen Gottesbeweises dar, weshalb er aus denselben Gründen scheitere wie jener. Denn wie der ontologische Gottesbeweis behalte der kosmologische die „Verknüpfung der absoluten Nothwendigkeit mit der höchsten Realität bei“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 632 = AA 404). Dabei erachtet Kant den Schluss von einer gegebenen Folge auf ihren Grund nicht als generell unzulässig. Beim kosmologischen Gottesbeweis verhalte es sich jedoch so, dass „die Bedingung, die man zur absoluten Nothwendigkeit fordert, nur in einem einzigen Wesen angetroffen werden kann, welches daher in seinem Begriffe alles, was zur absoluten Nothwendigkeit erforderlich ist, enthalten müßte und also einen Schluß a priori auf dieselbe möglich macht; d.i. ich müßte auch umgekehrt schließen können: welchem Dinge dieser Begriff (der höchsten Realität) zukommt, das ist schlechterdings nothwendig; und kann ich so nicht schließen […], so bin ich auch auf meinem neuen Wege verunglückt und befinde mich
5. Der teleologische Gottesbeweis
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wiederum da, von wo ich ausging“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 639 = AA 408).
Neue Formen des kosmologischen Arguments Genau wie das ontologische Argument etwa bei Alvin Plantinga, findet auch das kosmologische Argument bei manchen Philosophen der Gegenwart noch Anhänger. Einer der prominentesten und originellsten Rezipienten dieses Beweisgangs ist Richard Swinburne. Er versteht seinen Beweis allerdings nicht im hier eingeführten, demonstrativischen Sinne, sondern als wahrscheinlichkeitslogische Argumentation. Daher sei sein Ansatz auch nur kurz skizziert. Während bei einer deduktiven Argumentation die Schlussfolgerung notwendigerweise aus den Prämissen folgt und damit wahr ist, wenn die Prämissen wahr sind, ergibt sich bei einer induktiven Argumentation die Konklusion nicht notwendigerweise aus den Prämissen. Die Prämissen stützen lediglich die Schlussfolgerung, machen sie aber nicht zwingend. Die Schlussfolgerung bleibt damit eine Hypothese. Swinburne unterscheidet zwei Arten induktiver Argumente: Pinduktive und C-induktive Argumente. Ein P-induktives Argument mache die Schlussfolgerung wahrscheinlich in dem Sinne, dass sie wahrscheinlicher als ihr Gegenteil erscheint. Ein C-induktives Argument mache die Schlussfolgerung in dem Sinne wahrscheinlich, dass sie mit der Prämisse wahrscheinlicher erscheine als ohne sie (vgl. Swinburne 1987, 16). Swinburne vertritt die These, dass die Existenz des Kosmos ein gutes C-induktives Argument für die Existenz Gottes sei, was bedeutet: Das Dasein des Kosmos erhöht die Wahrscheinlichkeit des Daseins Gottes in dem Sinne, dass Gottes Dasein angesichts eines existierenden Universums wahrscheinlicher ist als ohne dieses Universum. Das wahrscheinlichkeitslogische Grundproblem dieser Argumentation ist: „Wie ließe sich überhaupt irgendeine Ausgangswahrscheinlichkeit dafür angeben, daß es einen Gott gibt, falls es ein solches Universum nicht gäbe?“ (Mackie 2006, 158). Die induktive Variante des kosmologischen Arguments ist daher, obwohl es sich bei einem solchen Verfahren im strengen Sinne gar nicht um einen Beweis, sondern lediglich um die Angabe von Wahrscheinlichkeiten handeln kann, ebenso wenig überzeugend wie die deduktive Form des kosmologischen Gottesbeweises.
5. Der teleologische Gottesbeweis Der teleologische oder auch physikotheologisch genannte Gottesbeweis versucht, aus der zielgerichteten Ordnung der Welt auf die Existenz eines zielbestimmenden Ordnungsgebers zu schließen. Der teleologische Gottesbeweis kann zwei Formen annehmen: Er kann als Analogiegeschluss oder als Schluss auf die beste Erklärung vorgetragen werden (vgl. Beckermann 2013, 87).
Richard Swinburnes Reformulierung
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VI. Analogie und Schluss auf beste Erklärung
Der fünfte Weg des Thomas von Aquin
Die Vernunft und die Frage nach Gott
Die auf dem Analogieschluss, das heißt auf der Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit von Verhältnissen beruhende Argumentation geht davon aus, dass die Zweckmäßigkeit der Welt als ganzer Maschinen gleicht, die der Mensch geschaffen und denen er eine ihm dienliche Zweckmäßigkeit eingestiftet hat, so dass man die Einrichtung der Welt, die sich einem Schöpfungsakt Gottes verdankt, in Analogie zur Erschaffung einer Maschine, die auf menschlicher Kreativität beruht, denken kann. Die zweite Argumentation setzt hingegen bei der Beobachtung an, dass die beste Erklärung für das Vorhandensein zweckmäßiger Dinge die Annahme eines zur Setzung von Zwecken fähigen Urhebers ist. Da es in der Welt Zweckmäßigkeiten, wie zum Beispiel die körperliche Ordnung der Lebewesen, gebe, die der Mensch nicht selbst eingerichtet habe, sei die plausibelste Erklärung, einen Schöpfer anzunehmen, der diese Zweckmäßigkeit hervorgebracht habe. Einen für die philosophische Auseinandersetzung wirkmächtigen Ausdruck hat der teleologische Gottesbeweis im fünften der „quinquae viae“ des Thomas von Aquin bekommen. Quelle Thomas von Aquin, Summa Theologiae I, q. 2, a. 3, corpus. Deutsche Übersetzung: Thomas von Aquin (1933), Gottes Dasein und Wesen (Deutsche Thomas-Ausgabe 1), Salzburg, 48.
„Der fünfte Weg geht aus von der Weltordnung. Wir stellen fest, daß unter den Dingen manche, die keine Erkenntnis haben, wie z.B. die Naturkörper, dennoch auf ein festes Ziel hin tätig sind. Das zeigt sich darin, daß sie immer oder doch in der Regel in der gleichen Weise tätig sind und stets das Beste erreichen. Das beweist aber, daß sie nicht zufällig, sondern irgendwie absichtlich ihr Ziel erreichen. Die vernunftlosen Wesen sind aber nur insofern absichtlich, d.h. auf ein Ziel hin tätig, als sie von einem erkennenden geistigen Wesen auf ein Ziel hingeordnet sind, wie der Pfeil vom Schützen. Es muß also ein geistig-erkennendes Wesen geben, von dem alle Naturdinge auf ihr Ziel hingeordnet werden: und dieses nennen wir Gott.“
Kritik
Auch der teleologische Gottesbeweis mag intuitiv plausibel erscheinen, kann aber nicht in dem Maße überzeugen, dass ihm ein demonstrativischer Charakter zukäme. Denn auf der Ebene der Prämissen seiner Argumentation ließe sich fragen, ob die Welt wirklich so zweckmäßig eingerichtet und ihre Struktur stets auf Ziele hingeordnet ist, wie der physikotheologische Beweis es voraussetzt. Ansgar Beckermann weist in Auseinandersetzung mit der Evolutionsbiologie darauf hin, dass es „in der Welt viele Dysfunktionalitäten und dass es in den Genomen vieler Lebewesen überflüssige und zum Teil sogar schädliche DNA-Sequenzen“ gebe; diese „Details lassen sich kaum durch die Annahme erklären, alle Lebewesen seien von einem vollkommen intelligenten Wesen erschaffen worden“ (Beckermann 2013, 97).
5. Der teleologische Gottesbeweis
Immanuel Kant ist, was die Zweckmäßigkeit der Welt angeht, optimistischer. Er teilt die Prämisse einer teleologisch strukturierten Ordnung, auf der der physikotheologische Beweis ruht, und gesteht ihm daher zu, „jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, klärste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene.“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 651 = AA 415) Kant lässt ihn trotzdem aus zwei Gründen nicht als Beweis gelten: Erstens problematisiert Kant die Möglichkeit, durch einen Analogieschluss von der Zweckmäßigkeit der endlichen Welt zum zwecksetzenden, unendlichen Gott zu gelangen. Und zweitens betrachtet Kant den physikotheologischen Beweis lediglich als eine Spielart des kosmologischen, der wiederum auf dem ontologischen ruhe, so dass angesichts dieser transgressiven Relation der teleologische Beweis für den Königsberger an denselben Schwierigkeiten scheitert wie schon der ontologische Gottesbeweis. Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 655–657. Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 417–419.
„Der Schluß geht also von der in der Welt so durchgängig zu beobachtenden Ordnung und Zweckmäßigkeit, als einer durchaus zufälligen Einrichtung, auf das Dasein einer ihr proportionirten Ursache. Der Begriff dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu erkennen geben, und er kann also kein anderer sein, als der von einem Wesen, das alle Macht, Weisheit etc., mit einem Worte alle Vollkommenheit als ein allgenugsames Wesen besitzt. Denn die Prädicate von sehr großer, von erstaunlicher, von unermesslicher Macht und Trefflichkeit geben gar keinen bestimmten Begriff und sagen eigentlich nicht, was das Ding an sich selbst sei, sondern sind nur Verhältnißvorstellungen von der Größe des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst und seiner Fassungskraft vergleicht […]. Nun will ich nicht hoffen, daß sich jemand unterwinden sollte, das Verhältniß der von ihm beobachteten Weltgröße (nach Umfang sowohl als Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit zur absoluten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kann die Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der obersten Weltursache geben […]. Also blieb der physikotheologische Beweis in seiner Unternehmung stecken, sprang in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem kosmologischen Beweise über, und da dieser nur ein versteckter ontologischer Beweis ist, so vollführte er seine Absicht wirklich blos durch reine Vernunft, ob er gleich anfänglich alle Verwandtschaft mit dieser abgeleugnet und alles auf einleuchtende Beweise aus Erfahrung ausgesetzt hatte.“
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
6. Neuere Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen Trotz oder gerade wegen des Scheiterns der drei Hauptformen des Gottesbeweises gibt es in der Gegenwart Ansätze, die versuchen, die Existenz Gottes rational aufzuweisen. Inwiefern sie streng demonstrativische Ansprüche erheben, also vorgeben, etwas für korrekt denkende Menschen unabweisbar Wahres aufgezeigt zu haben, variiert. Zwei dieser Ansätze aus dem deutschen Sprachraum sollen skizziert werden: derjenige Robert Spaemanns und derjenige Friedrich Hermannis. Während Spaemann explizit beansprucht, einen „Gottesbeweis“ (Spaemann 2007, 31) vorzulegen, geht Hermanni bescheidener von gültigen Argumenten für die Existenz Gottes aus.
Gottesbeweis aus der Grammatik? Wahrheit, Gott und Grammatik
Robert Spaemann setzt die philosophische Demontage der Gottesbeweise nicht bei Kant, sondern bei Friedrich Nietzsche (1844–1900) an. „Am kürzesten hat der französische Philosoph Michel Foucault formuliert, was erstmals Nietzsche dachte: ‚Wir dürfen nicht meinen, dass die Welt uns ein lesbares Gesicht zuwendet.‘ Was Nietzsche prinzipiell in Frage stellte, war die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft und damit der Gedanke von so etwas wie Wahrheit überhaupt. Dieser Gedanke hat für ihn nämlich eine theologische Voraussetzung, die Voraussetzung, dass Gott ist“ (Spaemann 2007, 26f.). Während in der traditionellen Metaphysik, so Spaemanns Rekonstruktion, die Welt als lesbar galt, da es dem Menschen möglich war, das Wesen der Dinge und damit die Wahrheit der Welt, wie sie an und für sich ist, zu erkennen, bestreitet Nietzsche eine solche ontologisch-epistemologische Transparenz. „Wahrheiten“, so Nietzsche, „sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen“ (Nietzsche 1973, 374f.). Daher führt auch kein Weg von der Wahrheit, also der realen Beschaffenheit des Seienden, zur Einsicht in die Existenz oder die Eigenschaften Gottes. Andernorts hat der aphoristisch philosophierende, und dazu noch misogyne Nietzsche jedoch zu Protokoll gegeben: „Die ‚Vernunft‘ in der Sprache: oh was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“ (Nietzsche 1969, 72). Diese Wendung deutet Spaemann kreativ aus und versucht sich an einem Gottesbeweis, der eine Mischung aus grammatikalischen, zeittheoretischen und bewusstseinsontologischen Versatzstücken darstellt.
6. Neuere Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen
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Quelle Robert Spaemann (2007), Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott, in: Ders., Der letzte Gottesbeweis. Mit einer Einführung in die großen Gottesbeweise und einem Kommentar zum Gottesbeweis Robert Spaemanns von Rolf Schönberger, München, 9–32, hier: 31f.
„Ich möchte das, was ich meine, dass nämlich Wahrheit Gott voraussetzt, an einem letzten Beispiel verdeutlichen, an einem Gottesbeweis, der sozusagen nietzscheresistent ist, einem Gottesbeweis aus der Grammatik, genauer aus dem sogenannten Futurum exactum. Das Futurum exactum, das zweite Futur ist für uns denknotwendig mit dem Präsens verbunden. Von etwas sagen, es sei jetzt, ist gleichbedeutend damit, zu sagen, es sei in Zukunft gewesen. […] Das Gegenwärtige bleibt als Vergangenheit des künftig Gegenwärtigen immer wirklich. Aber von welcher Art ist diese Wirklichkeit? […] Solange Vergangenes erinnert wird, ist es nicht schwer, die Frage nach seiner Seinsart zu beantworten. Es hat seine Wirklichkeit eben im Erinnertwerden. Aber die Erinnerung hört irgendwann auf. Und irgendwann wird es keine Menschen mehr auf der Erde geben. Schließlich wird die Erde selbst verschwinden. Da zur Vergangenheit immer eine Gegenwart gehört, deren Vergangenheit sie ist, müssen wir also sagen: Mit der bewussten Gegenwart – und Gegenwart ist immer nur als bewusste Gegenwart zu verstehen – verschwindet auch die Vergangenheit, und das Futurum exactum verliert seinen Sinn. Aber genau dies können wir nicht denken. […] Die einzige Antwort kann lauten: Wir müssen ein Bewusstsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewusstsein.“
Dieses absolute Bewusstsein, dessen notwendige Existenz Spaemann nachgewiesen haben will, soll natürlich das Bewusstsein des ewigen und allwissenden Gottes sein. Manches an Spaemanns Argumentation ist korrekt, seine Schlussfolgerungen aber fragwürdig. Nachvollziehbar erscheint, dass Tatsachenwahrheiten nicht unter einem Verfallsdatum stehen. Wenn es wahr ist, dass Sie jetzt ein Buch lesen, wird es morgen wahr sein, dass sie gestern ein Buch lasen. Aus dem Lesen ergibt sich also notwendig das Gelesen-habenWerden. Das hat aber nichts mit Gott zu tun. Wenn Spaemann von der „Seinsart“ vergangener Dinge spricht, übersieht er, dass auch der absolute Sinn von Sein temporal indiziert ist. Etwas kann gewesen sein, das heute nicht mehr ist. Weil Spaemann Sein und – aufgrund der Vernachlässigung der temporalen Struktur von Sein – auch Gewesensein nur als Gedachtsein denken kann, muss er annehmen, dass alles, was ist und war, nur dadurch wahr ist und bleibt, dass es von jemandem gedacht wird. Damit auch das, was war, an das sich aber kein Mensch mehr erinnert, als Tatsachenwahrheit bestehen bleibt, braucht Spaemann ein ewiges, allwissendes Bewusstsein: das Bewusstsein Gottes. Diese Schlussfolgerung ergibt aber nur vor dem Hintergrund der idealistischen Prämisse, dass Sein bloß als Gedachtsein gedacht werden kann, Sinn. Warum diese Prämisse wahr sein soll und – angesichts von Spaemanns Behauptung, einen Beweis vorgelegt zu haben – wahr sein muss, leuchtet nicht ein. Die Proposition, „es ist wahr, dass etwas der Fall war“ kann doch auch dann wahr sein,
Kritik
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
wenn sie niemand sprachlich artikuliert oder sie nirgendwo gedanklich repräsentiert ist.
Ein gültiges ontologisches Argument?
Zu vermeidender Widerspruch und zureichender Grund
Die Tendenz des Möglichen, zu sein
Friedrich Hermanni setzt noch einmal dort an, wo Kant aufgehört hatte. Dem Königsberger zufolge lassen sich alle Gottesbeweise auf den ontologischen reduzieren, dessen Grundfehler darin bestehe, Sein als reales Prädikat und nicht bloß als Kopula zu denken, die ein grammatikalisches Subjekt begrifflich – aber eben nur begrifflich – mit von ihm ausgesagten Eigenschaften verbinde. Hermanni zufolge ist es möglich, ein ontologisches Argument für die Existenz Gottes zu entwickeln, das diesen Fehler nicht begeht und damit auch in der Lage wäre, Kants Kritik standzuhalten. Das ontologische Argument beruht auf der These, dass die Existenz Gottes mit dem Begriff seines Wesens notwendig verknüpft ist. Diese Verknüpfung könne, so Hermanni, in zweierlei Weise erfolgen: auf der Grundlage des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch und auf der Grundlage des Satzes vom zureichenden Grund. Der erste Weg ist der des ontologischen Gottesbeweises in der Fassung, die ihm bei Descartes gegeben wurde. Da es dem Begriff des Wesens, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden könne, widerspreche, dass dieses Wesen nicht existiere, weil dann doch Größeres – nämlich Existierendes – über es hinaus gedacht werden könne, sei der Begriff eines Wesens, über das Größeres nicht gedacht werden könne und das zugleich nicht existiert, ein Widerspruch, den es zu vermeiden gelte. An einem eigenwilligen Beispiel entwickelt Hermanni aber die These, dass ontologische Verknüpfungen auch durch den Satz vom zureichenden Grund hergestellt werden können: „Dass Nietzsche unverheiratet war, stimmt zwar, aber nicht deshalb, weil es widersprüchlich wäre anzunehmen, er sei verheiratet gewesen“, was einer Argumentation auf der Grundlage des Kontradiktionsprinzips entspräche, „sondern weil es dafür einen zureichenden Grund gab, unter anderem vielleicht seine Ansicht, ein verheirateter Philosoph gehöre in die Komödie – was so abwegig nicht ist, wenn man an die Philosophenfrauen von Xanthippe bis Elfriede [sic] Heidegger denkt“ (Hermanni 2017, 60). Hermanni ist der Meinung, es gelinge aufzuzeigen, dass Gottes Existenz bereits im Begriff Gottes angelegt sei – allerdings so, dass das Wesen Gottes als der zureichende Grund für seine Existenz gedacht werde. Hermanni unterscheidet in Anlehnung an Aristoteles zwei Bedeutungen des Begriffs „möglich“: Möglich sei erstens das, was nicht notwendigerweise falsch, und zweitens das, was nicht unmöglich ist, weil es auf dem Können einer Person oder eines Gegenstandes beruht. Im ersten Sinne ließe sich behaupten, dass im Weltall auch außerhalb der Erde intelligentes Leben möglich ist – das anzunehmen, ist nicht notwendigerweise falsch. Im zweiten Sinne
6. Neuere Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen
könnte man behaupten, dass es dem Sprinter Usain Bolt möglich war, 100 Meter in 9,58 Sekunden zu laufen. Hermanni geht davon aus, dass das, was im ersten Sinne möglich (also widerspruchsfrei denkbar) ist, eine gewisse Tendenz hat, auch im zweiten Sinne möglich zu sein und dadurch wirklich zu werden. Die Tatsache, dass nicht alles, sondern nur manches, was im Sinne des Widerspruchsprinzips möglich ist, auch wirklich wird, erklärt Hermanni „durch die unterschiedliche Intensität […], mit der die möglichen Dinge oder Wesenheiten auf Wirklichkeit aus sind. Der Grund für die unterschiedliche Stärke ihres Wirklichkeitsstrebens wiederum muss in dem liegen, worin sich die Wesenheiten voneinander unterscheiden. Sie unterscheiden sich aber ausschließlich durch ihre Sachhaltigkeit, also dadurch, welche Sachgehalte ihnen zukommen und in welchem Maße sie ihnen zukommen. Folglich ist ein mögliches Ding oder eine Wesenheit umso mehr auf Existenz aus, je sachhaltiger, das heißt, traditionell gesprochen, je vollkommener oder besser es ist“ (Hermanni 2017, 63f.). Dieser Annahme zufolge strebt jede Essenz nach Existenz, jede Möglichkeit nach Wirklichkeit. Der Grad dieses Strebens entspreche der Vollkommenheit der Wesenheit, so dass das vollkommene Wesen – Gott genannt – den höchsten Drang besitzt, zu sein. In diesem Sinne, schlussfolgert Hermanni, ist Gottes „Wesen der zureichende Grund seines Daseins“ (ebd., 64). Im Unterschied zu Anselm basiert Hermannis Argument aber auch auf einer empirischen Beobachtung: dass nämlich etwas, und nicht vielmehr nichts ist. Etwas, so Hermannis Annahme, kann aber nur sein, wenn es einen zureichenden Grund für die Faktizität und für die Beschaffenheit dieses Etwas gibt. Sein ontologisches Argument setzt also eine kosmologische These voraus, die auf der Gültigkeit des Satzes vom zureichenden Grund beruht, dass nämlich „die Möglichkeit eines Ens necessarium unverrückbar“ (ebd., 41) feststehe, dass es also möglich sein muss zu denken, ein notwendiges Wesen sei der zureichende Grund dieser Welt. Dass dieses denkmögliche, notwendige Wesen zugleich wirklich ist, sieht Hermanni nicht darin begründet, dass Existenz von ihm als reales Prädikat ausgesagt werde, sondern darin, „dass Wesenheiten auf Existenz aus sind und dass die Stärke dieses Existenzstrebens dem Grad ihres Gutseins entspricht“ (ebd., 66), weshalb das Wesen, das in höchstem, vollkommenem Maße gut ist, auch den höchsten Drang hat, zu sein. Hermannis Argument fußt auf der Annahme, dass der Satz vom zureichenden Grund nicht nur für innerweltliche Kausalverhältnisse, sondern auch für die Welt an sich, die Wirklichkeit als ganze, gelten muss. Diese Annahme ist aber nicht selbstverständlich und wurde zuvor bereits etwa von Bertrand Russell (1872–1970) bestritten. Aus der Beobachtung, dass jeder einzelne Mensch eine Mutter habe, folge nicht, dass auch die menschliche Gattung als ganze eine Mutter habe. Letztere sei nämlich kein konkreter Gegenstand, sondern eine Klasse, deren Elemente einzelne Gegenstände seien. Eine Klasse sei aber „eine andere logische Sphäre“ (Russell/Copleston 1970,
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Kritik
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VI.
Die Vernunft und die Frage nach Gott
289) als ihre Elemente. Hermanni hingegen muss davon ausgehen, dass das Universum oder das Sein als ganzes ein einziger, konkreter Gegenstand ist, für den dieselben Gesetze gelten, wie für jeden anderen, innerweltlichen Gegenstand auch. Ob dem so ist, bleibt jedoch umstritten. Darüber hinaus ist fraglich, ob Wesenheiten in sich tatsächlich einen Drang haben zu sein, der mit dem Grad ihrer Gutheit zunimmt. Wenn alles, was möglich ist, gut ist – so lautet ja Hermannis These – scheint es erklärungsbedürftig warum nicht alles, was möglich ist, auch wirklich ist. Hermanni würde darauf wohl antworten, dass die wirklichen die bloß möglichen Dinge an Gutheit überragen und deshalb eben wirklich sind. Wo aber ist dann auf der Skala des Guten, auf dem sich alles Mögliche einordnet, die Schwelle markiert, auf der das Mögliche zum Wirklichen wird? Das scheint das eigentliche Problem dieses Ansatzes zu sein. Er müsste einen Punkt definieren, an dem das Mögliche derart gut ist, dass es zum Wirklichen durchbricht, wohingegen andere, auch gute, aber eben nicht wirkliche Gegenstände, hinter diesem Punkt zurückbleiben und daher in der Möglichkeit zu sein verharren, ohne jemals zur Wirklichkeit des Seins zu gelangen.
7. Zwischenfazit: Der mögliche und der wirkliche Gott
Gott und die Selbstkritik der Vernunft
Glaube als begründete Hoffnungsoption
Was bedeutet es für die Theologie, dass alle Gottesbeweise zumindest in dem Anspruch, demonstrativischen Charakter zu haben, das heißt die Existenz Gottes zwingend aufzuzeigen, bisher gescheitert sind? Eine Vernunft, die kritisch gegenüber sich selbst bleibt (was nicht leicht ist, da der Vernunft als Prüfinstanz dessen, was ihr vernünftig erscheint, nur sie selbst zur Verfügung steht, weshalb sie, wie Kant bemerkt, zugleich Klägerin, Angeklagte und Richterin ist), würde sich übernehmen, wenn sie Gott einfach als wirklichen voraussetzte. Wenn Disziplinen, die den Anspruch erheben, Wissenschaften zu sein, einfach „aus der Perspektive des existierenden Gottes theologisieren“ anstatt klarzumachen, dass „die von ihr reflektierten Glaubenstraditionen eine Option darstellen, die denkmöglich ist“ und insofern aus guten Gründen gewählt werden kann, aber auch aus guten Gründen nicht erwählt werden muss, weil sie „insofern grundlos sein könnte, als der in diesen Traditionen vorausgesetzte Gott auch nicht existieren könnte“ (Striet 2018, 71), überschreiten sie den Bereich dessen, was vernünftig begründbar ist. Die Existenz des Gottes, an den das Christentum glaubt, ist daher die Hypothese christlicher Theologie und sollte auch nicht aus dem Status des Hypothetischen in den des thetisch Gesetzten entlassen werden. Aufgabe der Theologie ist es also, Gott durch den Einsatz des Verstandes auf einen möglichst kohärenten Begriff zu bringen und danach zu fragen, ob es vernünftig zu rechtfertigende Gründe gibt, an diesen Gott zu glauben. Erste-
Literaturhinweise
res wurde als positives Moment, letzteres als spekulatives Moment der Theologie beschrieben. Um zu entscheiden, ob der Glaube an Gott eine begründbare Hoffnungsoption ist, muss aber möglichst nachvollziehbar dargelegt werden, worin der materiale Gehalt christlichen Glaubens besteht. Auf einen Blick
Die Gottesbeweise sind als Beweise, das heißt als sicherer und zwingender Aufweis der Existenz Gottes, gescheitert. Sie erfüllen dennoch eine wichtige systematisch-theologische Funktion, weil sie die Rede von Gott stets auf den Prüfstand der Rationalität zwingen. Da es nicht gelingt, Gott als Wirklichkeit zu beweisen, kann die Theologie von ihm nur als Möglichkeit rational verantwortet sprechen. Die christliche Theologie hat in ihrer positiven Dimension darzulegen, wie die kirchlichen Bekenntnisse die Möglichkeit Gottes im Glauben – nicht im Modus des Wissens – ausdeuten, und in ihrer spekulativen Dimension danach zu fragen, was für und was gegen diese Möglichkeit sprechen könnte.
Literaturhinweise Hermanni, Friedrich (22017), Metaphysik. Versuche über letzte Fragen (Collegium Metaphysicum 1), Tübingen. Scharfsinniges und positionsstarkes Plädoyer zugunsten der rationalen Aufweisbarkeit der Existenz Gottes. Mackie, John Leslie (2006), Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes, Stuttgart. Eine zum Klassiker gewordene, kritische Analyse der Gottesbeweise mit dem Schluss, dass es keine überzeugenden Argumente für Gottes Existenz gebe. Verweyen, Hansjürgen (2005), Philosophie und Theologie. Vom Mythos zum Logos zum Mythos, Darmstadt. Detailreicher Überblick zur Verhältnisbestimmung zwischen Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie.
105
VII. Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche Überblick
U
m zu beurteilen, ob der Gott, den die christliche Tradition bekennt, der epistemisch aber über den Status der Möglichkeit nicht hinauskommt, tatsächlich eine sinnvolle, verantwortbar zu wählende Möglichkeit darstellt, muss gefragt werden, was
das Christentum eigentlich über seinen Gott zu sagen hat. Im Folgenden sollen die Grundzüge der Trinitätslehre, der Christologie und der Pneumatologie sowie der von ihnen vorausgesetzte Offenbarungsbegriff skizziert werden.
1. Die Grundannahme: Gott, der sich bekannt macht
Die Idee der Offenbarung
Die spekulative Theologie hat den Gott als Möglichkeit zu bedenken, den Christen im Glauben bekennen. Ob Gott ist oder nicht, ob es ihn also gibt, bleibt strittig. Dass die Idee Gottes Einfluss ausübt, indem sie die Überzeugungen und Handlungen von Menschen bestimmt, ist hingegen unstrittig. Der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig (1886–1929) hat diese Paradoxie ins Wort gefasst: „Wenn ihr mich bekennt, so bin ich“ (Rosenzweig 1988, 203), legt er Gott in den Mund. Wie beschreibt nun der christliche Glaube aus seiner Sicht jene Wirklichkeit, die der Erkenntnis nur als Möglichkeit zugänglich ist? Bei der zitierten Passage aus Augustins Bekenntnissen ist bereits deutlich geworden: Trotz des Vernunftoptimismus, der dem Bischof von Hippo zu eigen war und der ihn zu der Überzeugung führte, dass die menschliche Vernunft Einsicht in das Wesen Gottes erhalten könne, war ihm klar, dass die Vernunft auf keinen Fall in der Lage ist, Gottes geschichtliches Handeln zu erkennen. Die Vernunft strebt nach der Erkenntnis des Allgemeinen und des Prinzipiellen, wohingegen geschichtliche Ereignisse singulär sind, sich nicht wiederholen und sich auch nicht in Form von Gesetzen in ihren Mechanismen entschlüsseln oder vorhersagen lassen. Menschliches Leben spielt sich aber, obwohl der Mensch als vernunftbegabtes Wesen zur Erkenntnis des Allgemeinen fähig sein kann, stets als zeitlich strukturiertes, örtlich bestimmtes und kulturell konditioniertes – kurzum: als geschichtliches – ab: Menschsein heißt, zu einer bestimmten Zeit an bestimmten Orten unter bestimmten Bedingungen zu leben. Der Mensch kann sich zu diesen Bestimmtheiten, die er vorfindet, verhalten, und – sofern er als frei gedacht wird – sich aus Fremdbestimmungen lösen und sich selbst zu einem Leben in Verbindlichkeiten entscheiden, deren Gründe er selbst festlegt. Aber er wird sich nie frei von Konkretionen lokaler
1. Die Grundannahme: Gott, der sich bekannt macht
und temporaler Art bewegen können, weil er stets in Raum und Zeit (den apriorischen Anschauungsformen Kants) existiert, also einfach gesagt, irgendwo, irgendwann und auch irgendwie lebt. Die Gesamtheit der sozialen, religiösen oder – als Oberbegriff verstanden – kulturellen Bestimmtheiten des Menschseins innerhalb einer definierten Zeitspanne an einem definierten Ort ließe sich als Geschichte beschreiben. Der christliche Glaube geht davon aus, dass Gott sich den Menschen kundtut: Er teilt sich den Menschen mit, schenkt ihnen Gemeinschaft mit ihm und sucht seinerseits die Gemeinschaft mit ihnen. Da der Mensch aber ein geschichtliches Wesen ist, also immer an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit unter bestimmten Umständen lebt, kann diese Mitteilung ihrerseits nur geschichtlich erfolgen. Die geschichtliche Selbstmitteilung Gottes wird in der Theologie als Offenbarung bezeichnet. Das für die katholische Theologie der Gegenwart maßgebliche und erst durch die Rezeption protestantischer Theologie – etwa Karl Barths (1886– 1968) – auf den Begriff gebrachte Offenbarungsverständnis hat das Zweite Vatikanische Konzil formuliert.
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Das Zweite Vatikanische Konzil
Quelle Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum“, Nr. 2. Deutsche Übersetzung: Rahner, Karl/Vorgrimler, Herbert (2008), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils: Allgemeine Einleitung – 16 spezielle Einführungen – ausführliches Sachregister (Grundlagen Theologie), 35. Auflage, Freiburg im Breisgau, 367.
„Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen. Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind: die Werke nämlich, die Gott im Verlauf der Heilsgeschichte wirkt, offenbaren und bekräftigen die Lehre und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten; die Worte verkündigen die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht treten. Die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist.“
Das Zweite Vatikanische Konzil problematisiert ein Offenbarungsverständnis, das als „instruktionstheoretisch“ bezeichnet wird und in dessen Zentrum die Übermittlung von Informationen, Belehrungen und Geboten steht. Gott teilt in diesem Denkrahmen dem Menschen ein Etwas mit, indem er ihn etwas wissen lässt, ihm etwas aufträgt oder ihm etwas verbietet. Das Konzil legt diesen instruktionstheoretischen Zugang zum Offenbarungsgeschehen nicht gänzlich ab, relativiert ihn jedoch zugunsten eines „kommunikations-
Selbstoffenbarung
108
VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
Abb. 10: Das Zweite Vatikanische Konzil, das von 1962 bis 1965 tagte, sollte sich nach dem Willen von Papst Johannes XXIII., der die Versammlung einberief, um ein „aggiornamento“, eine „Verheutigung“ des katholischen Glaubens in intellektueller und pastoraler Hinsicht bemühen.
theoretisch-partizipativen“ (Seckler 2000, 47f.) Verständnisses, dem zufolge die Stiftung von Gemeinschaft, die dem Menschen Anteil am göttlichen Leben gewährt, das primäre Ziel der Offenbarung darstellt. Gott gibt nicht in erster Linie ein Etwas, sondern Anteil an sich selbst. „Selbstoffenbarung“ ist daher zum Schlüsselbegriff nachkonziliarer Offenbarungstheologie geworden.
Offenbarung und Heilsgeschehen Gottes Selbstbestimmung in Jesus von Nazareth
Die Überbrückung der Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf verleiht dem Offenbarungsgeschehen nach christlicher Überzeugung eine heilende, heilstiftende Wirkung. Denn dem von Tod und Sterblichkeit, moralischem und physischem Übel gebrochenen Menschen kommt im Glauben der unsterbliche rettende Gott als barmherzige Macht entgegen, der dem Menschen Anteil an seinem Leben, seiner Güte und seiner Wahrheit geben will – und dies, da der Mensch geschichtlich verfasst ist, nur geschichtlich vermittelt
1. Die Grundannahme: Gott, der sich bekannt macht
tun kann. Gott tritt, indem er sich offenbart, in die Geschichte ein. Er begegnet dem geschichtlich bestimmten Menschen dadurch, dass er sich selbst geschichtlich bestimmt. Die geschichtliche Selbstbestimmung Gottes hat, so bekennen die Kirchen, in Jesus von Nazareth ihren Höhepunkt erreicht. In ihm zeigt Gott anhand eines konkreten Lebens, das unter bestimmten Bedingungen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort geführt wurde, wer er ist und was er für den Menschen sein will: Gott ist, so das Zweite Vatikanische Konzil, überströmende Liebe, lädt die Menschen in die Gemeinschaft mit ihm ein und will ihnen Freund sein (DV 2). Wo die deutsche Übersetzung recht unspezifisch davon spricht, dass Gott dem Menschen das „Geheimnis“ seines Willens kundgetan habe, ist im Lateinischen von „mysterium“ die Rede, was in diesem Zusammenhang ein Synonym zu „sacramentum“ darstellt. Ein Sakrament ist ein äußeres Zeichen, das Vehikel einer inneren Gnade sein soll, die durch es mitgeteilt wird. Anhand der sieben Sakramente dürfte das anschaulich werden: In der Feier der Eucharistie oder des Abendmahls zum Beispiel werden die äußeren Zeichen von Brot und Wein derart transformiert, dass die Gemeinde eine innere Gnade, nämlich die Gegenwart Jesu Christi, vermittelt durch Brot und Wein, zu empfangen glaubt. Auch Jesus Christus, ein äußerlich unscheinbarer, sterblicher Mensch, der aber aus Sicht der christlichen Bekenntnistradition die sichtbare Manifestationsform des göttlichen Logos ist, und die Kirche, die eine sichtbar verfasste Gesellschaft ist, aber sich selbst als Ort der geschichtlich bleibenden Gegenwart Gottes versteht (LG 1), werden als Sakramente bezeichnet. Dieser analoge Begriff findet in „Dei Verbum“ auch Anwendung auf das Offenbarungsgeschehen. In unscheinbaren äußerlichen Geschehnissen macht Gott sich dem Menschen bekannt.
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Offenbarung als Sakrament
Offenbarung als Deutung und Kirche als Deutegemeinschaft Der Sakramentsbegriff, der äußerlich Unspektakuläres mit innerlich Abgründigem verbindet, macht deutlich, dass Offenbarung im christlichen Sinne nicht unbedingt als mirakulöses, wunderbehaftetes Ereignis zu verstehen ist. Nicht die Wundergeschichten, die die Bibel erzählt, sind Offenbarung, sondern – im Gegenteil – diese Wundergeschichten wurden literarisch komponiert, um dem als Offenbarung Geglaubten durch externe Bekräftigungen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Diese Strategie mag in manchen antiken Gesellschaften fruchtbar gewesen sein und wurde von antiken Lesern womöglich auch als literarisches Mittel erkannt sowie entsprechend interpretiert. In einer Zeit wie der heutigen hingegen, in der Wahrheit vor allem als Tatsachenwahrheit verstanden wird und die Frage leitend ist, ob sich etwas Erzähltes tatsächlich so abgespielt hat, wie es geschrieben steht, und in der Wunderskepsis zum allgemeinen Standard rationalen Fragens geworden ist, besteht das Normative christlichen Glaubens nicht darin, supranaturale Ereignisse als historische Tatsachen zu verteidigen, son-
Konstruktion und Dekonstruktion
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VII.
Deutungsoffenheit
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
dern den sachlichen Gehalt, auf den diese Narrative hinauswollen, durch historische Kritik und literarische Analyse freizulegen. Konkret: Dass sich das Schilfmeer beim so genannten Auszug der Israeliten aus Ägypten tatsächlich geteilt hat (Ex 14,15–30), ist höchst unwahrscheinlich. Und dass die Kindheitsevangelien des Matthäus und des Lukas historische Berichte sind, ebenso. Vermutlich wurde Jesus nicht von einer Jungfrau in Betlehem (Mt 1,18–2,1; Lk 1,26–2,20), sondern ganz unspektakulär in Nazareth, seiner Heimatstadt, in eine gewöhnliche Familie hineingeboren. Man hat sich bestimmter literarischer Topoi – etwa der Idee der Jungfrauengeburt (Lk 1,23) und der Anknüpfung an Davids Geburtsort Betlehem (Lk 2,6) – bedient, um die Deutung einer äußeren Wirklichkeit als Trägerin einer inneren Gnade, nämlich der geschichtlichen Zuwendung Gottes, dadurch plausibler zu machen, dass die äußere Wirklichkeit dem Außerordentlichen, das sie bezeichnet, vermeintlich gerechter wird, indem diese äußere Wirklichkeit selbst mit Außerordentlichkeiten aufwartet. Der christliche Glaube kann zu diesen Äußerlichkeiten ein kritisch-reflektiertes Verhältnis finden, ohne das aufzugeben, was sie bezeichnen und worin der sachliche Gehalt dessen liegt, was als Offenbarung bezeichnet wird: den Glauben an einen den Menschen liebend zugewandten Gott, der sich geschichtlich bemerkbar macht und dessen Selbstoffenbarung im konkreten Lebensgeschick Jesu von Nazareth ihren nicht mehr überbietbaren Höhepunkt erreicht hat. Sakramente sind nach katholischem Verständnis zwar äußere Zeichen, die eine innere Gnade objektiv, also unabhängig vom Gemütszustand des Empfängers, vermitteln. Die Erkenntnis und gläubige Aneignung dieser Vermittlung ist jedoch subjektiv und kann nur in Freiheit erfolgen. Manche seiner Zeitgenossen mögen in Jesus nur einen gescheiterten Wanderprediger, wie es vermutlich nicht wenige gab, erkannt haben. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu hingegen sahen in ihm den Verkünder des Reiches Gottes, den Gott auch in seinem Scheitern – dem Tod – nicht zugrunde gehen ließ. Nach ihrem Verständnis hat Gott die Gottesverkündigung Jesu in dessen Auferstehung gleichsam nostrifiziert, als authentisch anerkannt und beglaubigt. Die Kirche als geschichtlich sich fortsetzende Jüngergemeinschaft Jesu folgt dieser Deutung. Anderen hingegen erscheint sie unwahrscheinlich, abstrus, mythologisch aufgeladen und letztlich unglaubwürdig. Vielleicht ist sie das auch. Theologisch bleibt sie Hypothese. Weder die Existenz Gottes noch die Auferstehung Jesu lassen sich demonstrativisch beweisen.
2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes Der Versuch, die Frage, wer Jesus Christus im Glauben der Kirche ist, auf den Begriff zu bringen, wird als Christologie bezeichnet. Anders gesagt: Christologie ist die kirchliche Lehre von Jesus als dem Christus.
2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes
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Der vorösterliche Jesus und der nachösterliche Christus Der zentrale Gegenstand der Verkündigung Jesu besteht nicht etwa im Gebot der Nächstenliebe oder anderen ethischen Forderungen, sondern in der Ansage vom kommenden Reich Gottes. Im Markusevangelium ist eine nachösterliche Zusammenfassung der Verkündigung Jesu zu finden: „Erfüllt ist die Zeit und gekommen ist die Königsherrschaft Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Der Jesus des Markusevangeliums deutet sein Auftreten im Kontext einer erfüllten Zeit: Jetzt, zum Zeitpunkt seines Auftretens, sei die Ankunft dieses Reiches angebrochen. „Dass der Gott Israels als König über die Welt herrscht, war eine selbstverständliche Voraussetzung jüdischen Glaubens“; die Besonderheit von Jesu Reich-Gottes-Verkündigung im Vergleich mit zeitgenössischen jüdischen Vorstellungen von der Königsherrschaft Gottes besteht „in der Ansage ihrer gegenwärtigen Aufrichtung. Dadurch gewinnt zum einen der Zusammenhang von Gottesherrschaft und Gericht grundlegende Bedeutung, zum anderen bedeutet es die Ansage der Heilszeit“ (Schröter 2013, 198). Diese Königsherrschaft Gottes ist für Jesus also nichts rein Zukünftiges, sondern eine präsentische, bereits angebrochene und fortschreitende Größe. Sie unterbricht die Menschen in ihrem Tun und nimmt darin eine doppelte Gestalt an: Gericht und Heilszusage zugleich. Dem ersten Aspekt entspricht der Ruf zur Umkehr, wörtlich zur „metanoia“, zum Überdenken und Ändern des bisherigen Lebensstils. Neben dem Ruf zur Umkehr und der Ankündigung des Gerichts steht jedoch die Zusage der Heilszeit. Die Königsherrschaft Gottes, so Jesus, sei bereits angebrochen und „mitten unter euch“ (Lk 17,21). Wie Jesus von sich selbst gedacht und gesprochen hat, ist höchst umstritten. Welche christologischen Hoheitstitel er für sich in Anspruch nahm, ob er von sich selbst als dem Sohn Gottes oder dem Menschensohn sprach, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Fest steht jedoch, dass nach dem Tod und der geglaubten Auferstehung Jesu sich das Gewicht der Verkündigung innerhalb der Jüngergemeinde verschob: Während Jesus selbst das Reich Gottes in den Mittelpunkt stellte, wurde nach Ostern Jesus in den Mittelpunkt gestellt. Paulus, der den historischen Jesus nie getroffen hat, aber dessen Briefe die ältesten Schriften des Neuen Testaments bilden, unterzieht die Gestalt Jesu einer umfassenden, spekulativen Ausdeutung. Im Römerbrief heißt es zum Beispiel, in Christus habe sich Erlösung – also der Freikauf aus dem Herrschaftsbereich der Sünde – ereignet, ihn habe Gott als Sühne hingestellt (wörtlich: als „hilasterion“, als die Deckplatte des Sühnopferaltars), er habe die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht, die den Menschen, der aus dem Glauben lebe, rechtfertige (vgl. Röm 3,21–31). Dem historischen Jesus selbst und den Jüngern zu seinen Lebzeiten dürften solche Deutungen fremd gewesen sein. Markion, ein später als Häretiker verurteilter Christ im Rom der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, und später auch Origenes (ca. 185–254), ein bedeutender Bibelausleger, erklärten die Verschiebung vom
Das Reich Gottes
Der Sohn Gottes
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VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
Reich Gottes zum Sohn Gottes, die bei Paulus mit Händen zu greifen ist, damit, dass Jesus die „auto-basileia“ sei: Er ist das Reich Gottes in Person (vgl. Merklein 2000, 137). In der Verkündigung, dem Tod und der Auferstehung Jesu ereigne und verdichte sich performativ, was Jesus verkündigt habe. Auch wenn die Jünger der ersten Stunde und die frühesten Christen das begrifflich anders artikuliert hätten, drückt die „auto-basileia“-Vorstellung doch treffend aus, dass die nachösterliche Gemeinde sich nicht dadurch in Kontinuität zu Jesus sah, dass sie dessen Verkündigung einfach fortgesetzt hätte, sondern dass sie seiner Botschaft gerecht zu werden versuchte, indem sie die Reflexion auf die Gestalt Jesu verstärkte und diese selbst zum Gegenstand der Verkündigung machte.
Zur frühen Entwicklung der Christologie Der Ostergraben
Christologische Verlängerungen „nach vorne“ und „nach hinten“
Konsens der Forschung ist, dass „die Christen über Jesus nach Ostern mehr (d.h. Größeres und Bedeutungsvolleres) ausgesagt haben als der historische Jesus über sich selbst. Dieser ‚Mehrwert‘ der nachösterlichen Christologie gegenüber dem vorösterlichen Selbstverständnis Jesu ist historisch und sachlich im Ostergeschehen begründet. Durch dies Geschehen wurde aus dem historischen Jesus der ‚kerygmatische Christus‘, d.h. eine verkündigte Heilsund Erlösergestalt. Umstritten ist, wie stark trotz dieses ‚Ostergrabens‘ eine Kontinuität zwischen historischem Jesus und kerygmatischem Christus vorhanden ist“ (Theißen/Merz 2011, 447). Das Zentrum des frühchristlichen, über die Verkündigung des irdischen Jesus hinausgehenden, aber diesen Jesus zum Gegenstand habenden Kerygmas besteht in der Auferweckung Jesu, die er selbst – wertet man entsprechende Stellen in den Evangelien als „vaticinia ex eventu“ oder „post eventum“, das heißt als nachträglich geformt – vor seinem Tod noch nicht in der Weise auf sich beziehen konnte, wie seine Jünger es nach seinem Tod und der von ihnen geglaubten Auferstehung taten. Paulus etwa referiert ein Zweierschema von Kreuz und Auferweckung oder ein Dreierschema von Tod, Begräbnis und Auferweckung Jesu als den zentralen Inhalt des Evangeliums, das er selbst bereits empfangen habe und an die Gemeinde weitergebe (1 Kor 15,1–5). Ein solches um Tod und Auferstehung zentriertes Modell wurde im Laufe frühchristlicher Bekenntnisbildung in zwei Richtungen erweitert: „nach hinten“ in Richtung einer Eschatologie oder einer kontinuitätswahrenden Gemeindetheologie und „nach vorne“ in Richtung einer Präexistenzchristologie (vgl. Ernst 1972, 61f.). Ein Beispiel für die Erweiterung „nach hinten“ findet sich in der Apostelgeschichte, wo Petrus den auferweckten Jesus als den vorstellt, der „durch die rechte Hand Gottes erhöht worden war“ und nachdem er „vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen hatte“, diesen „ausgoss, wie ihr seht und hört“ (Apg 2,33). Ein Anwachsen des Schemas „nach hinten“ und „nach vorne“ findet sich im Philipperbrief, in dem Paulus einen Christushymnus (Phil 2,6–11) zitiert, den er
2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes
113
selbst wohl bereits in durchkomponierter Form vorfand und der zu den ältesten Texten innerhalb des Neuen Testaments gehört. Im Philipperhymnus ist davon die Rede, dass Christus Jesus in der „Form Gottes“ gelebt, daran aber nicht selbstbezogen festgehalten, sondern sich entäußert und die „Form des Knechtes“ angenommen habe (Phil 2,6f.). Dadurch sei er den Menschen gleichgeworden und habe ein menschliches Leben bis hin zum Tod geführt – „bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8), so möglicherweise ein Zusatz des Paulus. „Deshalb“ habe Gott Jesus über alle erhöht und ihm einen Namen (eine Würdestellung) gegeben, die alle anderen Namen überragt. „Im Namen Jesu“ (Phil 2,10) müsse daher jedes Knie sich beugen – das der Himmlischen, der Irdischen und der unter der Erde Wohnenden – und jede Zunge müsse bekennen: „Herr ist Jesus Christus, zur Ehre Gottes des Vaters“ (Phil 2,11). In diesem Hymnus wird also das „christologische Schema ‚Tod-Auferweckung‘“ durch ein „Dreistufenmodell ‚Präexistenz–Erniedrigung–Erhöhung‘ ersetzt“, wodurch „das altertümliche christologische Modell – Gott hat seinen Knecht Jesus erhöht […] – einen neuen Hintergrund“ erhält: „Der ‚Knecht Jesus‘ ist keinesfalls nur einer in der langen Reihe der vielen Gehorsamen und Demütigen, die nun ihren verdienten Lohn erhalten, sondern er ist der Eine, der wie kein anderer ‚in Gestalt Gottes‘ war und deshalb auf einmalige Weise hoch erhoben wird. Das Lied greift hier einen Ausdruck (hyperupsoun) auf, der in der Septuaginta für Gott reserviert ist (vgl. Ps 96,9). Die übersteigerte Sprache gibt zugleich auch zu erkennen, daß es nicht nur um die Wiedererlangung der alten Position geht, die der Präexistente in der freiwilligen Erniedrigung aufgegeben hat, sondern um eine Würdestellung, die das Knecht-Sein immer im Auge behält“ (Ernst 1974, 66. 69f.). In Jesus Christus, so der Philipperhymnus, manifestiere sich eine göttliche Wirklichkeit. Er kam von Gott und war in der „Form Gottes“, „Gott gleich“ (Phil 2,6), lebte als Mensch ein menschliches Leben bis hin zum schmachvollen Kreuzestod und wurde von Gott erhöht, sogar bis zu dem Grad, dass alle Zungen ihn als „kyrios“, als den Herrn, anrufen müssen – ein Begriff, der in der Septuaginta das Tetragramm JHWH ersetzte und damit eine Gottesbezeichnung war. Im Menschen Jesus von Nazareth ist also eine unüberbietbare, vorher nicht dagewesene Fülle von kosmischer Dimension erschienen.
Altkirchliche Auseinandersetzungen Insbesondere die Präexistenzdeutungen, die Jesus von Nazareth als die menschliche Manifestation eines diesem Menschen vorausliegenden göttlichen Prinzips dachten, boten Raum zur Entfaltung einer spekulativen Christologie, die – da sie ja den Bereich des geschichtlich Singulären zugunsten des allgemein Metaphysischen verließ – an philosophische Überlegungen anknüpfen konnte. Neben in jüdischen Kreisen vorzufindenden Gedanken zur Prä-
Logoschristologien
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VII.
Abb. 11: Arius, ein philosophisch hoch gebildeter Presbyter aus Alexandrien, dessen Lehre auf dem Konzil von Nicaea verurteilt wurde, ging als „Erzketzer“ in die Kirchengeschichte ein.
Die Herausforderung des Arius
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
existenz der göttlichen Weisheit, mit der die Gemeinde Christus identifizieren konnte, wurde der Begriff des Logos zentral. Dieses bereits im Johannesevangelium (Joh 1,1–17) zur Beschreibung der Präexistenz Christi verwendete Konzept einer alles durchdringenden göttlichen Vernunft, spielte in mehreren antiken Philosophenschulen eine Rolle. Ein bedeutender Vertreter der Logoschristologien des 2. Jahrhunderts, der sowohl stoische als auch mittelplatonische Einflüsse aufnahm, war Justin der Märtyrer (gestorben ca. 165). Justin ging davon aus, dass alles, was ist, von einer göttlichen Weltseele durchdrungen sei. „Die Weltseele ist nach den Platonikern das Prinzip der Weltordnung, und zwar in Schöpfung und Erhaltung der Welt. Sie hat einen vernünftigen Teil, den man Nous oder Logos […] nennt. Die Funktion dieses kosmologischen Prinzips übernimmt nach Justin der Logos, der Jesus Christus ist. In seiner Inkarnation ist er geschichtlich erschienen, und zwar als ‚Leib und Vernunft und Seele‘“ (Grillmeier 2004, 206f.). Da der historische Jesus für Justin die leib-seelische Erscheinung des ewigen Logos darstellt, kann er den christlichen Glauben in universaler Weise denken: Da jeder Mensch ein vernunftbegabtes Lebewesen sei, habe auch jeder – durch seine Vernunft – Anteil am göttlichen Logos und damit auch an dem, was sich in Jesus geschichtlich ereignet habe. Der Logos als vernünftiges, alles durchwaltendes und erhaltendes Konstruktionsprinzip der Welt verteile überall seine Samen (die „logoi spermatikoi“), nicht nur im expliziten Christusbekenntnis der Kirche. „Diese Spermata sind eine Teilhabe (participatio) am Logos im menschlichen Geist. Sie fließen aus der Tätigkeit des Logos, der so auf diese Weise die Erkenntnisse in die menschliche Vernunft sät“ (ebd., 205). Die im Laufe des 2. und 3. Jahrhunderts immer enger werdende Verbindung zwischen christlicher Reflexion und paganer philosophischer Bildung wird auch unter dem Arbeitsbegriff der „Hellenisierung des Christentums“ zu-
2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes
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sammengefasst. Darunter ist im weiteren Sinne „die Auseinandersetzung der Christen mit Standards zeitgenössischer Rationalität und Wissenschaft wie mit institutionellen Modellen“ des griechischen Kulturraums, und im engeren, präziseren Sinne „eine spezifische Transformation der alexandrinischen Bildungseinrichtungen und der dort praktizierten Wissenschaftskultur in der theologischen Reflexion des antiken Christentums“ (Markschies 2009, 398f., 416) zu verstehen. Diese Entwicklung brachte auch Schwierigkeiten mit sich. Denn das Göttliche wurde, etwa im Mittel- und Neuplatonismus, als triadisch gestuft gedacht. Der Logos oder der Nous war zwar Teil der göttlichen Sphäre, stand aber in der Seinshierarchie unter dem Einen, dem differenzlosen „Hen“. Für die frühen Apologeten war das unproblematisch, da ihre Christologie eine heilsgeschichtlich gedachte subordinatianische Ausrichtung hatte. Christus wurde als der vom Vater gesandte, dem Vater gehorsame Sohn gedeutet. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts versuchte der alexandrinische Presbyter Arius (gestorben nach 327) jedoch, die bisher in der Schwebe gebliebene ousiologische (d.h. wesenhafte) Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem präexistenten Logos und dem einen Gott durch die Annahme eines Mittelbereichs zu vereindeutigen. Der Sohn sei „vollkommenes Geschöpf Gottes“, aber nicht „wie eines der Geschöpfe“, er sei gezeugt, „aber nicht wie eines der Erzeugten“ (Ricken 1970, 85), er sei göttlich, aber nicht Gott. Während zuvor das genaue Verhältnis zwischen Christus und Gott unklar blieb, rief die These des Arius, Christus sei eindeutig nicht Gott, aber auch nicht der Welt zugehörig, sondern bewege sich ontologisch in einem Mittelbereich zwischen beiden, heftigen Widerstand hervor, der die Kirche das ganze 4. Jahrhundert – und lange darüber hinaus – in Atem halten sollte.
Das Konzil von Nicaea Der sich um die Thesen des Arius entspinnende Streit war so heftig, dass der inzwischen mit dem Christentum liebäugelnde Kaiser Konstantin (gestorben 337), der selbst allerdings zeit seines Lebens Katechumene blieb und erst auf dem Sterbebett (und dort von einem arianischen Bischof) getauft wurde, sich genötigt sah, einzugreifen. Dabei ging es Konstantin vermutlich weniger um die sachlich begründete Parteinahme für die eine oder die andere Richtung – für die Arianer oder die sich um Alexander von Alexandrien (gestorben 328) und später um Athanasius (gestorben 373) sammelnde Gegenpartei –, sondern um die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit, die Konstantin als Mittel zur politischen Einigung des Reiches nutzen wollte. Aus diesem Grund rief Konstantin die Bischöfe seines Herrschaftsgebietes zusammen, woraufhin die legendäre Zahl von 318 Bischöfen, vor allem aus der Osthälfte des Römischen Reiches, anreiste. Einige der Bischöfe trugen noch Verletzungen der bis wenige Jahre zuvor, unter den Kaisern Diokletian und Galerius, durchgeführten Ge-
Konstantins Intervention
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VII.
Das Nicaenische Bekenntnis
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
waltmaßnahmen gegen das Christentum am Leib. Dass sie im Jahr 325 nun der Kaiser in seine Sommerresidenz Nikaia (in lateinischer Schreibweise: Nicaea) einlud, um über das Verhältnis des präexistenten Christus zu Gott zu sprechen, zeigt, welch dramatische Verschiebungen sich in der Religionspolitik des Römischen Reiches binnen weniger Jahre ergeben hatten. Das Konzil von Nicaea ordnete sich einerseits in das Synodalwesen der Kirche ein, die wichtige disziplinarische oder doktrinäre Fragen auf Zusammenkünften von Bischöfen eines bestimmten Gebietes zu klären pflegte, prägte innerhalb dieser Synodalkultur aber zugleich ein Novum: die Form des Ökumenischen Konzils, das mit dem Anspruch, den gesamten Erdkreis zu vertreten, für alle Christen verbindliche Entscheidungen treffen wollte. Dass daraus ein neues Rechtsinstitut werden sollte, Nicaea also nicht ein für alle Mal alle Fragen klären konnte, sondern es weiterer, später als ökumenisch bezeichneter Synoden bedurfte, schien damals noch nicht im Blick zu sein. Auf dem Konzil konnten sich letztlich die in sich wiederum heterogenen Antiarianer durchsetzen. Diese Gruppe bestand aus einer origenistischen Mittelpartei um Eusebius von Caesarea (gestorben 340), den Rechtsorigenisten um Alexander von Alexandrien sowie einigen Nichtorigenisten um Markell von Ankyra (gestorben um 374) oder Ossius von Cordoba (gestorben 357), der aus dem Westen des Reiches kam (vgl. Kessler 2006, 337). Ihr Bekenntnis drückten die Konzilsväter durch die Adaption eines Taufsymbolons, das heißt eines Glaubensbekenntnisses, das anlässlich der Taufe gesprochen wurde und damit Zeichen der Zugehörigkeit zur Kirche wurde, aus. Diese Symbola waren meist in Anlehnung an den Taufbefehl des Matthäusevangeliums – „darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19) – dreigliedrig strukturiert. Sie enthielten drei Artikel, die jeweils von Vater, Sohn und Geist handelten. Das Konzil von Nicaea versah den zweiten Artikel, in dem es um Jesus Christus geht, mit einigen Zusätzen, die die arianische Lehre unmissverständlich zurückweisen sollten. Quelle Erstes Konzil von Nicaea, Symbolon (DH 125). Die deutsche Fassung folgt dem griechischen Text und wurde an manchen Stellen in Abweichung zu DH leicht modifiziert.
„Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters [1], Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott [2], gezeugt, nicht geschaffen [3], wesensselbig mit dem Vater [4],
2. Jesus Christus als die leibhaftige Menschlichkeit Gottes
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durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf der Erde ist. Der wegen uns Menschen und um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist, gelitten hat und auferstanden ist am dritten Tag, hinaufgestiegen ist in die Himmel und kommt, Lebende und Tote zu richten. Und [wir glauben] an den Heiligen Geist.“
Die vier kursiv markierten Wendungen stellen antiarianische Einschübe des Bekenntnisses dar. Der Sohn wird als „aus dem Wesen des Vaters“ [1] kommend bekannt. Wesen – griechisch „ousia“, lateinisch „substantia“, „essentia“ oder „natura“ – bezeichnet das, was etwas zu dem macht, was es seiner Identität nach ist. Wenn der Sohn also aus dem Wesen des Vaters kommt, hat der Vater ihm Anteil an seinem göttlichen Wesen gegeben. Er ist damit „wahrer Gott aus wahrem Gott“ [2]. Dass die Relation zwischen Vater und Sohn keine geschöpfliche ist, die eine kreatürliche Differenz zwischen „Gott“ und „Nicht-Gott“ begründen würde, soll durch die Metapher der Zeugung ausgesagt werden. Was „gezeugt, nicht geschaffen“ [3] ist, bewegt sich auf derselben Seinsstufe wie sein Erzeuger. Das erklärt auch die Spitzenaussage des Konzils, Jesus Christus sei „homoousios to patri“, selbigen Wesens wie der Vater [4]. Christus ist also kein Mittelwesen, sondern im vollen Sinne Gott, so die Väter von Nicaea, vereint mit dem Kaiser.
Antiarianische Einschübe
Nachnicaenische Streitigkeiten Gelegentlich erweckt die dogmatisch-theologische Geschichtsschreibung, die von einem altkirchlichen Konzil zum nächsten springt, den Eindruck, als bestünde die Entwicklungsgeschichte der christlichen Glaubenslehre darin, dass Probleme aufkamen, für die Lösungen gefunden wurden, auf denen dann aufbauend neue Fragen entstanden, die wiederum neuen Lösungen zugeführt worden seien. Dieses lineare Geschichtsbild ist allerdings eher eine Karikatur der tatsächlichen Entwicklung, in der es kaum selbstverständlich als gesetzt Geltendes gab, hinter das kein Diskursteilnehmer mehr zurückzugehen bereit war. Die Rezeption der nicaenischen Theologie ist ein anschauliches Beispiel dafür. Das Konzil von Nicaea war nämlich nicht, wie von der Mehrheit seiner Teilnehmer erhofft, der Schlusspunkt der Arianischen Kontroverse, sondern lediglich der Auftakt zu deren heißer Phase. Ab 328 vollzog Kaiser Konstantin, der die Beschlüsse von Nicaea anfangs durchgesetzt hatte, eine anti-nicaenische Wende (vgl. Schatz 2008, 36–44). Während Bischöfe, die das Glaubensbekenntnis des Konzils ablehnten, aus dem Exil zurückkehren durften, wurden nicaenisch gesinnte Bischöfe, wie Athanasius von Alexandrien, 335 auf der Synode von Tyros abgesetzt. Die anti-nicaenische Partei gewann vor allem im Osten die Oberhand innerhalb
Keine linearen, zielgerichteten Entwicklungen
Konstantins Abwendung von Nicaea
118
VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
Abb. 12: Stilisierte Darstellung des Konzils von Nicaea, mit Kaiser Konstantin in der Mitte der Bischöfe und Arius als besiegtem Häretiker am Boden liegend.
des Episkopats, was im Westen kritisch beäugt wurde – und zwar nicht nur aufgrund einer formalen Treue zu den Beschlüssen des Nicaenums, die auch Jahrzehnte nach dem Konzil in manchen Teilen der Westhälfte des Reiches, etwa in Gallien, noch unbekannt geblieben waren (vgl. Ulrich 1994), sondern auch aufgrund theologischer und rechtlicher Bedenken gegen Lehre und Vorgehen der anti-nicaenischen Partei. So erklärte 340 eine Synode in Rom die Absetzungsbeschlüsse der Synode von Tyros für unrechtmäßig, was die Synode von Antiochien 341 zurückwies; daraufhin bekräftigte wiederum eine römische Synode, dass größere Synoden die Beschlüsse kleinerer aufheben könnten und vor allem die drei apostolischen Sitze Rom, Antiochien und Alexandrien bedeutende Angelegenheiten nicht autonom, sondern in Abstimmung miteinander zu regeln haben. Versuche, die Differenzen nach dem Tod von Kaiser Konstantin und der Reichsteilung zwischen seinen Söhnen Constantius und Constans auf der Synode von Sardica beizulegen, scheiterten.
3. Der Heilige Geist als bleibende Gegenwart Gottes
Nach der Wiederherstellung der Reichseinheit unternahm Constantius einen weiteren Versuch zur Beilegung des Konflikts, indem er eine Doppelsynode einberief, die 359 in Seleukia im Osten und in Rimini im Westen zusammentrat. Deren Resultat war allerdings keine Beseitigung, sondern eine Reduplizierung des Streits, weil aus dieser Doppelsynode vier Parteien hervorgingen: Die Homoousianer, also die Anhänger des Nicaenums, und die Anhomoier, die klassischen Arianer, bildeten die äußeren Pole. Dazwischen lagen die Homoousianer, die davon ausgingen, dass der Logos ähnlichen, doch nicht selbigen Wesens mit dem Vater sei, sich aber auch nicht durchsetzen konnten, und die Homoier, die der auf kaiserlichen Druck durchgesetzten Formel anhingen, der zufolge der Sohn „dem Vater ähnlich gemäß der Schrift“ sei – also eine alle Klippen umschiffende, den Wesensbegriff auslassende Sprachregelung bevorzugten. Erst mit der Regierung von Kaiser Julian Apostata, der im Zuge seiner Repaganisierungversuche aus Desinteresse an christlich-theologischen Streitigkeiten und aus politischem Kalkül die exilierten nicaenisch gesinnten Bischöfe zurückkehren ließ, um innerkirchliche Verwirrungen zu befördern, konnte sich die homoousianische Richtung konsolidieren. Diese wurde wiederum von Julians Nachfolger im Westen, Kaiser Valentinian, gestützt, während der östliche Kaiser Valens weiterhin der homoischen Richtung von Seleukia–Rimini anhing. Mit den Kaisern Gratian im Westen und Theodosius im Osten stellte sich langsam wieder eine Einheit der Kirche (zumindest innerhalb des Römischen Reiches) ein, die der vielen Formel- und Parteibildungen müde war und sich auf das Symbolon von Nicaea zurückbesann, das nun wieder in Geltung gesetzt und kaiserlich urgiert wurde. Von 379 bis 382 fanden mehrere Synoden statt (unter anderem die später als Zweites Ökumenisches Konzil geltende Synode von Konstantinopel 381), die den Glauben von Nicaea bestätigten. Dort erst wurde auch die Gottheit des Heiligen Geistes zum Thema konziliaren Lehrens.
119 Die Reduplizierung des Schismas
3. Der Heilige Geist als bleibende Gegenwart Gottes Die heute notorisch gewordene Klage über die „Geistvergessenheit“ der Theologie ist mancherorts bereits in eine „Geistversessenheit“ (Danz/Murrmann-Kahl 2014) umgeschlagen. Der Heilige Geist sei systematisch vergessen, seine Bedeutung noch nicht hinreichend gewürdigt und sein – kirchenaufbauendes oder kirchenkritisches – Potenzial noch nicht ausgeschöpft worden. Versuche, die christliche Gotteslehre aus ihrer christologischen Dominanz zu lösen und sie stärker pneumatologisch zu fassen, sind – trotz aller Absichtserklärungen – noch in den Kinderschuhen und werden womöglich aus prinzipiellen Gründen auch nie aus ihnen herauswachsen. Denn über den Geist lässt sich kaum mehr sagen, als dass er bleibend jene Offenbarkeit Gottes vermitteln
Geistvergessenheit?
120
VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
soll, die Jesus Christus zu einer ganz bestimmten Zeit menschlich dargestellt hat. Der Geist geht neutestamentlich gesehen Jesus einerseits voran und ist die Grundlage seines Wirkens. Als Geistgesalbter (Christus) wirkt Jesus in der Kraft des Heiligen Geistes: Sowohl bei Markus, der das Wirken Jesu mit seiner Taufe beginnen lässt, bei der „der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam“ (Mk 1,10), als auch bei den Evangelisten Matthäus und Lukas, die Jesus von der Jungfrau Maria geboren werden lassen, ist das Kind „vom Heiligen Geist“ (Mt 1,20), der über Maria kam (Lk 1,35). Als Geistträger handelt Jesus in der Vollmacht Gottes und wird so selbst zum Geistspender, weshalb der Geist seinem Wirken nicht nur vorangeht, sondern ihm andererseits auch nachfolgt (vgl. Stubenrauch 2012, 315).
Geist und Gemeinde Geist und Sendung
Der Paraklet
Unter den Schriften des Neuen Testaments ist das lukanische Doppelwerk – das Evangelium und die Apostelgeschichte – vermutlich am konsequentesten pneumatologisch konzipiert. Die Geburt Jesu wird als Ergebnis pneumatischen Wirkens verstanden, der Geist steht am Beginn von Jesu öffentlichem Wirken (Lk 3,22), Jesus deutet sein Auftreten als Geistbegabung (Lk 4,18), der sterbende Jesus haucht den Geist aus (Lk 23,46), der der jungen Gemeinde in der Apostelgeschichte gespendet wird (Apg 2,4), sie zur Verkündigung in Wort und Tat anleitet, sie berät, mit ihr entscheidet (Apg 15,28) und ihr Episkopen oder Aufseher schickt (Apg 20,28), um sie zu leiten. Dabei bleibt unklar, ob oder wie der Geist personal gedacht wurde. Das Frühjudentum kannte – wie schon bei den Weisheitsspekulationen im Kontext der Christologie angeklungen – die Vorstellung von göttlichen Kräften, die allerdings nicht personhaft in dem Sinne des Wortes, der sich später in der christlichen Trinitätslehre einbürgern sollte, zu denken sind. Die „ruah“ in der hebräischen Bibel oder das „pneuma“ in der Septuaginta bezeichnete meist eine apersonale Kraft, durch die Gott Leben schenkt (Ps 104,30), sein Volk Israel leitet (Ri 6,34), Propheten beruft und sie „in einen anderen Menschen verwandelt“ (1 Sam 10,6) oder die in der apokalyptischen Tradition als endzeitliche Gabe verstanden wird, die das bedrängte Israel wiederherstellen soll (Ez 39,29). Besonders aufschlussreich für das Verhältnis zwischen Jesus und dem Geist auf der einen sowie der christlichen Gemeinde und dem Geist auf der anderen Seite sind die Parakletsprüche des Johannesevangeliums (vgl. Frey 2000, 179–222). In den Abschiedsreden verheißt der johanneische Jesus seinen Jüngern einen „Parakleten“. Wer oder was das genau sein soll, ist nicht eindeutig geklärt. Jesus sagt, er werde den Vater bitten, „euch einen anderen Parakleten zu geben, der für immer bei euch bleiben soll. Er ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt.“ (Joh 14,16f.) Jesus bezeichnet den Parakleten zwar als den „Geist der
3. Der Heilige Geist als bleibende Gegenwart Gottes
121
Wahrheit“ oder den „Heiligen Geist“ (Joh 14,26), verheißt aber einen „anderen“ (im Sinne eines weiteren, eines zweiten) Parakleten, was bedeutet, dass die Adressaten bereits eine Referenzgröße haben müssen: Jesus selbst, der im Ersten Johannesbrief auch explizit als Paraklet bezeichnet wird (1 Joh 2,1). Es besteht also eine fundamentale Kontinuität zwischen Jesus, dem der Gemeinde präsenten Parakleten, und dem Geist als dem künftigen Parakleten, der, wie auch der johanneische Jesus selbst (Joh 5,37), vom Vater – an anderer Stelle auch unter Beteiligung des erhöhten Christus (Joh 16,7) – ausgesandt wird und dessen Aufgabe es ist, die Jünger „alles zu lehren“ und sie „an alles zu erinnern“ (Joh 14,26), was Jesus ihnen gesagt hat. Der Paraklet nimmt also die Lehraufgabe Jesu wahr, und zwar in gewisser Hinsicht sogar besser und umfassender als Jesus selbst: „Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Paraklet nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“ (Joh 16,7) Der johanneische Jesus hätte seine Jünger noch mehr zu lehren gehabt, ist aber der Überzeugung, dass sie es zum jetzigen Zeitpunkt nicht tragen können. „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“ (Joh 16,13–15) Jesus sagt von sich im Johannesevangelium, er selbst sei die Wahrheit (Joh 14,6), verheißt aber zugleich auch den „Geist der Wahrheit“, der die Gemeinde in die „ganze Wahrheit“, in „alle Wahrheit“ einführen werde. Der Paraklet wird also in Kontinuität zu Jesus das Werk Jesu weiterführen und vollenden, weil auch er – wie Jesus – nicht aus sich selbst heraus spricht, sondern nur verkünden wird, was er hört, weshalb der Vater auch als Bürge dessen auftreten kann, was der Geist lehrt (Joh 8,26).
Der Geist im Bekenntnis Durch die dem matthäischen Taufbefehl (Mt 28,19) entsprechende dreigliedrige Struktur der Taufbekenntnisse war der Heilige Geist als Gegenstand des dritten Artikels nach Vater und Sohn in der frühen Gottesdienst- und Bekenntnispraxis der Kirche gegenwärtig. Wie seine Personalität zu denken war und in welchem genauen Verhältnis er zu Gott stand, blieb jedoch lange in der Schwebe. Erst nach heftigen Auseinandersetzungen, vor allem im 4. Jahrhundert, setzte sich die Deutung durch: „alius, non aliud. Das will sagen: Der Heilige Geist ist ‚ein anderer‘ (lat. alius) als der Sohn, wie auch im Sohn ‚ein anderer‘ begegnet als der Vater. Aber Sohn und Geist sind im Vergleich zum Vater keineswegs ‚etwas anderes‘ (lat. aliud): weder Geschöpfe noch irgendwelche spirituellen Energien. Sie sind vielmehr wie der Vater, wenngleich auf ihre Weise, Gott.“ (Stubenrauch 2002, 17) Diese Einsicht wurde wohl begünstigt
Ein Anderer, nicht etwas Anderes
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VII.
Das Konzil von Konstantinopel
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
durch die bereits erwähnte Vorstellung einer triadischen Struktur des Göttlichen und durch die sowohl in der Stoa als auch im mittleren Platonismus anzutreffende Vorstellung der alles durchdringenden „psyche“, der Weltseele, wobei deren Verhältnis zum Logos – wie bereits angedeutet, als von Justin dem Märtyrer die Rede war – wiederum alles andere als eindeutig ist. Konziliar fixiert wurde die Lehre vom Heiligen Geist auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel, welches im Jahr 381 das in den Jahrzehnten zuvor heftig umstrittene Nicaenische Bekenntnis in christologischer Hinsicht bestätigte und zugleich den dritten Artikel dieses Symbolons, der in seiner Nicaenischen Fassung nur lautet „Und [wir glauben] an den Heiligen Geist“ (DH 125), erweiterte. Quelle Erstes Konzil von Konstantinopel, Symbolon (DH 150). Die deutsche Fassung folgt dem griechischen, nicht dem lateinischen Text.
„Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Und an den einen Herrn Jesus Christus […]. Und an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der aus dem Vater hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn mitangebetet und mitverherrlicht wird, der durch die Propheten gesprochen hat. [Wir glauben an] die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Zeit. Amen.“
Das Konzil bezeichnet den Geist als Schöpfer allen Lebens und als Herrn. Ob die dazu verwendete grammatikalische Form („to kyrion“) eine bewusste Abstufung gegenüber dem sonst gebräuchlichen maskulinen Substantiv darstellt, das sowohl dem Vater als auch dem Sohn zugeordnet wird, ist umstritten. Auffällig ist auch, dass das Konzil das – bei gleicher göttlicher Würde des Geistes – logisch folgerichtige „homoousios“, das Nicaea zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn gebraucht hatte, nicht vom Heiligen Geist aussagt. Stattdessen konzipiert Konstantinopel die göttliche Würde des Geistes von seiner gottesdienstlichen Verehrung her: Nicht Homoousie, sondern Homotimie, die gleiche Ehrerbietung, wie sie Vater und Sohn zuteilwird, markiert demnach die Göttlichkeit des Geistes. Was die innergöttliche Konstitution des Geistes angeht, so lehrte das Konzil von Konstantinopel, dass der Geist nur vom Vater ausgehe. Der in der lateinischen Kirche übliche Zusatz des „filioque“, der den Geist aus dem Vater und dem Sohn hervorgehen lässt, ist eine frühmittelalterliche Ergänzung des Westens, die im auf der ursprüngli-
3. Der Heilige Geist als bleibende Gegenwart Gottes
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chen Fassung bestehenden Osten abgelehnt wurde und bis heute ein erbitterter Gegenstand des Streits geblieben ist.
Trinitätstheologische Sprachregelungen Mit den Festlegungen des Konzils von Konstantinopel war die altkirchliche Konstruktion des trinitarischen Gottesbildes weitgehend abgeschlossen. Das 382 verfasste Schreiben der Konstantinopolitanischen Nachsynode, in dem eine in Rom tagende Versammlung über die Ergebnisse des Jahres 381 in Kenntnis gesetzt wird, fasst das begrifflich präzise zusammen: Die „wahre“ Lehre bestehe demnach darin, „an den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu glauben. Dabei wird eindeutig an eine Gottheit, eine Macht und ein Wesen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes sowie an ihre gleiche Ehre und Würde und gleichewige Herrschaft, in drei vollkommensten Hypostasen, das heißt drei vollkommenen Personen, geglaubt.“ (COD I, 28) Die sich als rechtgläubig durchsetzende Sprachregelung der christlichen Gotteslehre geht also davon aus, dass es ein Wesen oder eine Substanz, Essenz oder Natur Gottes gibt, die in drei Personen oder Hypostasen – Vater, Sohn und Geist – besteht. Die Streitigkeiten der Folgekonzilien, die später als ökumenisch anerkannt werden sollten, vor allem Ephesos (431), Chalcedon (451) und das Dritte Konzil von Konstantinopel (680/81), rüttelten nicht mehr an der so konstruierten Trinitätstheologie, sondern beschäftigten sich mit ihren spekulativen Folgeproblemen, vor allem im Bereich der Christologie. Auf die im Vorfeld des Konzils von Ephesos zwischen Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel, und Cyrill von Alexandrien diskutierte Frage, in welchem Verhältnis das Menschsein Jesu zu seinem Gottsein stehe, und ob Eigenschaften des göttlichen Logos auch vom Menschen Jesus ausgesagt werden können, so dass etwa Maria, die biologische Mutter Jesu, als „Gottesgebärerin“ anzusprechen wäre (was Ephesos letztlich bejahte), gab Chalcedon eine grundsätzliche Antwort in Gestalt der so genannten Zwei-Naturen-Lehre. Quelle Konzil von Chalcedon, Horos (DH 301). Die deutsche Übersetzung wurde an manchen Stellen in Abweichung zu DH leicht modifiziert.
„In der Nachfolge der heiligen Väter [von Nicaea; M.S.] lehren wir alle übereinstimmend, unseren Herrn Jesus Christus als ein und denselben zu bekennen: derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe ist vollkommen in der Menschheit […]; ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen, unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einigung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt.“
Eine Substanz, drei Personen
Zwei-Naturen-Lehre
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VII.
Zusammenfassung
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
Jesus Christus werden zwei Naturen zugeordnet: eine menschliche und eine göttliche. Gott ist er, da sich in ihm der präexistente Logos inkarniert, Mensch ist er als Sohn Marias. Wichtig ist dem Konzil, dass er beides in vollkommener Weise ist – kein Halbgott oder Halbmensch, sondern ganz Gott und ganz Mensch. Trotz des Umstands, dass er beide Naturen in sich trägt, ist die Person oder die Hypostase Christi der eine göttliche Logos, der als Mensch eine menschliche Natur angenommen hat, die wiederum – eine These, die in den folgenden Jahrhunderten strittig bleiben sollte – selbst nicht zu einer eigenpersonalen Ausprägung jenseits der Hypostase des göttlichen Logos gelangt. Die beiden Naturen innerhalb dieser hypostatischen Union bewahren ihre ontologische Eigenständigkeit. Sie bleiben in sich „unteilbar“ und an sich „unveränderbar“. Dennoch sind sie durch die Person des Logos derart eng miteinander verbunden, dass sie zwar „unvermischt“ bleiben, aber doch „ungetrennt“ sind. Nachfolgende Konzilien, etwa das Dritte Konzil von Konstantinopel, beschäftigten sich mit spekulativen Folgeproblemen dieser Bestimmung. Muss, so die Frage im Monotheletenstreit, der Wille auf der Ebene der Naturen angesiedelt werden, was bedeuten würde, dass Christus zwei Willen – einen göttlichen und einen menschlichen – hatte (Dyotheletismus), oder ist der Wille eine Sache der Person, so dass ihm nur ein Wille (Monotheletismus) zukäme? Durchsetzen konnte sich letztlich die dyotheletische Position. In beiden Fällen gilt aber: Wie man Chalcedon genau zu verstehen hatte, blieb offen. Dass Chalcedon aber theologisch gesetzt und verbindlich war, wurde zumindest außerhalb Alexandriens akzeptiert, das der Zwei-Naturen-Lehre nicht folgte. Mitte des 5. Jahrhunderts war es möglich, die christliche Gotteslehre vollständig in philosophischer, vor allem mittel- und neuplatonischer Terminologie zu formulieren: Gott wurde – so ein bereits von Tertullian eingeführter Kunstbegriff – als „Trinität“, als dreieinig gedacht. Geglaubt wurde an den einen Gott in drei Personen. Die Einheit Gottes, also das, was Vater, Sohn und Geist gemeinsam ist, wurde als die eine göttliche Ousia, Substanz, Essenz, Natur oder das eine göttliche Wesen gefasst. Die Dreiheit wurde durch den Begriff der Person oder der Hypostase gekennzeichnet. Die Menschwerdung des Sohnes wurde so gedeutet, dass die zweite Person der Trinität eine menschliche Natur angenommen habe, in sich aber sowohl personal als auch was die göttliche Natur angeht, unbeeinträchtigt blieb. Der Tod Jesu konnte daher im eigentlichen Sinne nur als Tod der menschlichen Natur verstanden werden, während die göttliche Natur und die Hypostase des Logos naturhaft – da göttlich – unsterblich waren. Beide Naturen sind aber durch ihre in der Person des Logos gründende Union derart eng miteinander verbunden, dass Eigenschaften der einen auch von der anderen Natur ausgesagt werden konnten. Aussagen, wie „Jesus (menschliche Natur) ist Gott (göttliche Natur)“ oder „Gott (gemeint ist eigentlich: die menschliche Natur Jesu) ist gestorben“, wurden durch das Prinzip der „communicatio idiomatum“ möglich, waren in ontologischer Weise jedoch uneigentliche Redeformen.
4. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen christlicher Gottesvorstellungen
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4. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen christlicher Gottesvorstellungen Die Trinitäts- und die Zwei-Naturen-Lehre haben sich tief in das Bekenntnis der Kirchen eingeschrieben. Sie werden katholischer- wie evangelischer- und orthodoxerseits als normativ betrachtet. Dabei stellen sich ihnen, verstärkt seit dem 18. Jahrhundert, zunehmend scharfe Anfragen entgegen. Neben der grundsätzlichen Unsicherheit, ob Gott überhaupt existiert oder ob nicht jeder Versuch, Gott auf den Begriff zu bringen, am Nichtvorhandensein seines Gegenstandes scheitern muss, wurden innertheologisch vor allem vier Kritikpunkte laut. Der Hauptkritikpunkt lautet, dass sich die Gotteslehre und die Christologie in dem Ausdruck, den sie im 4. und 5. Jahrhundert fanden, von ihren biblischen Grundlagen zu weit entfernt haben. Dass Jesus eines Wesens mit dem Vater sei, könne in der Schrift weder der Sprache noch der Sache nach gefunden werden. Die beschriebene Verlängerung des Christusbekenntnisses „nach vorne“ und „nach hinten“ zugunsten einer Präexistenz- und einer kosmischeschatologischen Christologie wäre demnach eine auf philosophischem Spekulationsdrang beruhende Fiktion. „Die sich im 18. Jahrhundert in der deutschen protestantischen Theologie durchsetzende historische Kritik an den biblischen Schriften hatte den vom Himmel herabgestiegenen Gottessohn, der für die Spanne eines kurzen Menschenlebens über die Erde wandelte, als eine dogmatische Konstruktion entlarvt. Immer häufiger wurde nun die altkirchliche Zweinaturenlehre als problematisch und vor allem als ungeeignet empfunden, die religiöse Bedeutung des Nazareners angemessen zum Ausdruck zu bringen.“ (Danz 2013, 1) Kurz gesagt: Was die Trinitätslehre und die dogmatische Christologie aus dem Auftreten Jesu herausdeuten, hat einfach kein „fundamentum in re“ im historischen Jesus. Eng mit dieser Kritik verwandt ist der Vorwurf, dass die christliche Gotteslehre sich zu sehr in den Denkrahmen der griechischen Philosophie, wie sie in den ersten Jahrhunderten der Kirche betrieben wurde, hineinbegeben und den Platonismus dadurch kanonisiert, also zum verbindlichen Maßstab des als rechtgläubig anerkannten christlichen Gottesbegriffs gemacht habe. Dadurch gerate die Gotteslehre wie die Christologie in den Strudel der neuzeitlichen Metaphysikkritik, der die Vorstellung ewiger Wesenheiten und einer feststehenden Natur der Dinge problematisch erscheint (vgl. Seewald 2017, 145–149). Die Vorstellung einer göttlichen Ousia, die in drei Personen subsistiert, oder einer Hypostase, der zwei Naturen in perfekter Weise zukommen, erscheint angesichts eines tiefen Misstrauens gegenüber statisch-ontologischen Begrifflichkeiten schwer vermittelbar. Zudem hat sich die Bedeutung vieler Termini seit der Antike verschoben. So moniert etwa Friedrich Schleiermacher
Entfremdung von den biblischen Grundlagen
Kritik an der „Hellenisierung“ des Christentums
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VII.
Innere Schwächen der Begriffsbildung
Krise der Soteriologie
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
(1768–1834), dass Natur den „Inbegriff alles endlichen Seins“ bilde und „von einem beschränkten im Gegensatz begriffenen Sein“ ausgesagt werde, weshalb er der Rede von der göttlichen Natur unterstellt, „die Spuren eines wenn auch unbewußten Einflusses heidnischer Vorstellungen an sich“ (Schleiermacher, Der christliche Glaube [1830/31], §96) zu tragen. Die genannte Skepsis schärft auch den Blick für Inkonsistenzen der überlieferten Gotteslehre. Wie zum Beispiel eine menschliche Natur zu denken ist, die selbst zu keiner personalen Ausprägung gelangt, sondern nur an etwas haftet, das selbst gar nicht menschlich ist, nämlich der göttlichen Hypostase des Logos, ist unklar. Ähnliches gilt für den Tod Jesu: Wie kann gedacht werden, dass der eine Jesus Christus wirklich gestorben ist, wenn nur die menschliche Natur von Leid und Tod überhaupt betroffen sein konnte, während die göttliche Natur und der ewige Logos unsterblich blieben? Ein bedeutendes Movens altkirchlicher Christologie war die Soteriologie, das heißt die Lehre von der Erlösung des Menschen. Wie musste Christus gedacht werden, dass Erlösung denkbar erscheint? Diese Leitfrage, gepaart mit dem Axiom „quod non assumptum, non sanatum“ (was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst), spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Gotteslehre und der Christologie (vgl. Kehl 2006, 168). Nur wenn Gott den Menschen ganz angenommen habe – eine Vorstellung, die im menschgewordenen göttlichen Logos ihren metaphysischen Ausdruck findet –, könne Erlösung gedacht werden. Es stellen sich jedoch Fragen: Erlösung wovon, Erlösung wodurch und Erlösung wozu? Die Idee eines in der Sünde verstrickten Menschen, der aus diesem Netz befreit werden müsse (obwohl die Erbsündenlehre im 5. Jahrhundert noch nicht zum verbindlichen Lehrgut der Kirche gehörte), ist heute weitgehend fremd geworden. Und wie soll Erlösung geschehen: durch das am Kreuz geleistete Sühnopfer Christi oder schlicht durch seine Menschwerdung, also die sich in Jesus stellvertretend ereignende Annahme der menschlichen Natur durch Gott? Hätte Gott nicht auch anders, einfacher und vor allem eindeutiger erlösen können? Letztlich: Wozu soll der Mensch eigentlich erlöst werden? Birgt Erlösung einen diesseitigen Mehrwert oder ist sie rein jenseitig, im Sinne eines das Tor des Himmels öffnenden Heilands zu verstehen? All diese Aspekte sind heute mehr als unklar geworden, weshalb viele der Antworten, die die Gotteslehre und Christologie zu geben versuchen, nicht mehr plausibel erscheinen.
Verabschiedung oder Reformulierung? Die genannten Anfragen lassen sich nicht einfach apologetisch vom Tisch wischen. Sie sind Ausdruck einer tiefen Plausibilitätskrise des christlichen Glaubens und seines lehrhaften Ausdrucks. Einige versuchen sich an dogmatischen Nachjustierungen oder pastoralen Vermittlungen, andere verabschieden
4. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen christlicher Gottesvorstellungen
die überlieferte Gotteslehre und Christologie ganz, indem sie sie ihres eigenen Selbstverständnisses – auszusagen, wer Gott seinem Wesen nach ist – entkleiden und in einen gänzlich anderen Rahmen überführen. Einen viel diskutierten Vorschlag dazu hat der evangelische Theologe Christian Danz unterbreitet. Er stützt sich dabei vornehmlich auf Paul Tillich (1886–1965), legt aber einen kreativ-eigenständigen Entwurf vor. Danzens Grundthese lautet: „Die theologische Christologie hat allein die Funktion einer Selbstbeschreibung des Glaubens und seines geschichtlichen Eingebundenseins. Deshalb ist die systematisch-theologische Christologie als ein notwendiger Ausdruck der Selbstverständigung der christlichen Religion über sich selbst zu verstehen. Das Bild des Glaubens von seiner eigenen Geschichte fällt jedoch nicht mit der empirischen Historie zusammen“ (Danz 2012, 9). Die Christologie verliert also ihren Objektbezug. Sie handelt nicht mehr von Jesus als dem Christus und beschreibt nicht mehr, was es mit dieser Gestalt an und für sich auf sich hat, sondern die Christologie beschreibt den Glauben des christgläubigen Subjekts. Das Selbstverständnis des geschichtlich bestimmten Subjekts stimmt jedoch nicht mit der „empirischen Historie“ überein. Selbstdeutungen sind stets Konstruktionen, die sich womöglich auf äußere Eckdaten des Geschehenen beziehen, Geschehenes aber immer in subjektiver Weise interpretieren. So erklärt Danz auch das Ziel der Christologie: Sie beziehe sich auf den Jesus der Geschichte, falle in ihrer gläubigen Interpretation dieser Gestalt aber nicht mit dem zusammen, was die kritische Geschichtswissenschaft an vermeintlich empirischen Daten über ihn zu sammeln weiß. Dadurch versucht Danz, das kritische Verhältnis zwischen dogmatischer Christologie und historischer Wissenschaft zu entschärfen. Da Danzens Christologie gar nicht den Anspruch erhebt, Tatsachenwahrheiten metaphysisch korrekt zu deuten, weil die Christologie nur lose auf diese Wahrheiten bezogen ist und ohnehin keine objektiven, ontologischen Geltungsansprüche anmeldet, sondern subjektive Selbstdeutungen formuliert, stellt die Diskrepanz zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens für seine Theologie kein Problem mehr dar. Der christliche Glaube verändert in Danzens Konzeption seinen Gegenstandsbezug und wird zu einer Funktion subjektiver Selbstverständigung. „Der Glaube ist das Geschehen des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen in seinem bewussten Selbstbezug. Er stellt sich in seinen Inhalten als eben dieses geschichtlich eingebundene Geschehen selbst dar und beschreibt sich selbst. Das Sich-Verstehen des Selbstverhältnisses artikuliert sich in einem konkreten Bild oder in einer bestimmten ‚Sicht‘ des Menschen von sich selbst und seiner Welt. […] Die Inhalte des Glaubens haben den Status von Selbstbeschreibungen des Glaubensaktes und seiner Gewissheit. Sie beziehen sich auf den reflexiven Glaubensakt, der sich selbst in seinen Glaubensinhalten ausspricht und sich als Geschehen des Sich-Verstehens mit seinen Inhalten
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Christologie als Selbstbeschreibung des Glaubens
Glaube als Funktion menschlichen Selbstverständnisses
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VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
selbst bezeichnet“ (ebd., 203). Die Glaubenslehre hat also eine Verbalisierung der Reflexivwerdung menschlicher Subjektivität zu leisten. Dieses Selbstverhältnis des Menschen realisiert sich jedoch immer als ein geschichtliches und macht sich daher ein Bild von der Geschichte. Dieses Bild kommt für Danz theologisch gesehen in der Christologie zum Vorschein. „Gott ist im und als das Ereignis des Sich-Verstehens beim Menschen. Der Gottesgedanke bezeichnet folglich allein das Geschehen der Durchsichtigkeit im Selbstverhältnis des Bewusstseins im Vollzug des Sich-Bestimmens. In der Christologie geht es deshalb um die Erfassung und das Verstehen des Selbstverhältnisses des Menschen sowie um die Darstellung dieses Sich-Verstehens. Erst in Folge beider Aspekte – des Sich-Verstehens und seiner Darstellung – ist das Christusbild die individuelle Erschlossenheit Gottes“ (ebd., 220f.). Danz denkt Gott als Synonym für ein epistemisches Geschehen: das Sich-Verstehen des Menschen, das vor allem eine Einsicht in die bereits präreflexiv vorhandene Subjektivität, also das Selbstverhältnis des Menschen, darstellt. Theologie und Christologie sind lediglich Ausdruck menschlicher Selbsterkenntnis. Sie beschreiben keine extramentalen Realitäten mehr. Ob es einem solchen Gottesbegriff, der vor allem zu einer Funktion subjektiver Selbstbespiegelung geworden ist, noch gelingt, den Menschen bei aller Achtung seiner Subjektivität auch aus seiner Selbstzentriertheit herauszuführen und zur Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für die Welt zu ermahnen, weil ihm eine Instanz entgegentritt, die nicht mit ihm selbst identisch ist, ihn aber doch zur Verantwortung ruft (ein Gedanke, auf den noch zurückzukommen ist), erscheint fraglich.
Trotz allem: Der bleibende Reiz
Entstehungs- und Geltungszusammenhänge
Fraglich ist auch, ob die christliche Gotteslehre, wie Danz insinuiert, nur durch eine Ablösung der in der Spätantike geformten Trinitätstheologie und Christologie noch sinnvoll verstehbar ist. Obwohl die Konzeptionen von Nicaea, Konstantinopel und Chalcedon seit der Aufklärung zunehmend kritisiert wurden, lässt sich überraschenderweise „die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts theologisch als Renaissance der Trinitätslehre“ (Schärtl 2014, 59) verstehen. Ähnliches gilt von der Christologie. Wie ist diese Faszination am Prekären zu erklären? Aus der Einsicht, dass eine terminologische und theologische Diskontinuität zwischen der Bibel und der spekulativen Gotteslehre der Spätantike besteht, dass sich Trinitätslehre und Christologie mindestens genau so sehr der griechischen Philosophie wie der Heiligen Schrift verdanken, folgt nicht notwendigerweise die Forderung nach einer Verabschiedung der überlieferten Gotteslehre und der in den christlichen Bekenntnissen ausgedrückten Deutung Jesu Christi. Im Gegenteil: Gerade die Einsicht in die historischen Entste-
4. Dekonstruktionen und Rekonstruktionen christlicher Gottesvorstellungen
hungszusammenhänge einer Lehre kann das Bemühen in Gang setzen, eine der Gegenwart womöglich unverständlich gewordene Formel ihrem sachlichen Anliegen nach zu würdigen und sie dadurch zu retten anstatt sie zu verabschieden. Karl Rahner hat in einem bekannt gewordenen Text anlässlich des tausendfünfhundertjährigen Jubiläums des Konzils von Chalcedon über dieses Problem nachgedacht. Quelle Rahner, Karl (2005), Probleme der Christologie von heute, in: Ders., Sämtliche Werke 12: Menschsein und Menschwerdung Gottes, bearbeitet von Herbert Vorgrimler, Freiburg im Breisgau, 261–301, hier: 261f.
„Die theologische und lehramtliche Bemühung um eine von Gott geoffenbarte Wirklichkeit und Wahrheit ende immer in einer exakten Formulierung. Das ist natürlich und notwendig. Denn nur dadurch ist eine Abgrenzung gegen den Irrtum und gegen das Mißverständnis der göttlichen Wahrheit so zu erreichen, daß diese Grenzlinie in der Praxis des religiösen Alltags beachtet wird. Ist so die Formel ein Ende, das Ergebnis und der Sieg, der die Eindeutigkeit und die Klarheit, die Lehrbarkeit und die Sichtbarkeit schenkt, so hängt doch auch alles bei einem solchen Sieg davon ab, daß das Ende auch ein Anfang sei. […] Die klarste und deutlichste Formulierung, die geheiligste Formel, die klassische Verdichtung der Jahrhunderte währenden Arbeit der betenden, kämpfenden und denkenden Kirche um die Mysterien Gottes lebt also gerade davon, daß sie Anfang und nicht Ende, Medium und nicht Ziel ist, eine Wahrheit, die frei macht für die – immer größere – Wahrheit. […] Diese Transzendenz macht sich gerade auch geltend in der Bewegung der Formel selbst, indem diese selbst auf eine andere hin überschritten wird […, indem] die Geschichte weitergeht und die Bewegung des Denkens von der erreichten Formel weggeht, um sie (sie, die alte, selbst) wieder zu finden. Das gilt auch von der chalkedonischen Formulierung des Geheimnisses Jesu. Denn diese Formel ist – eine Formel.“
Man braucht nicht das teleologische Geschichtsbild Rahners zu teilen, dem zufolge die betende, kämpfende und denkende Kirche in ihrem Kampf gegen den Irrtum immer exaktere Formulierungen findet, um den Ausführungen des Jesuitentheologen eine wichtige Einsicht zu entnehmen: Die Ausformung von Christologie und Trinitätslehre war und ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck. Den trinitätstheologischen und christologischen Bestimmungen der Alten Kirche treu zu bleiben, bedeutet daher nicht, an ihrer spätantiken Ausformulierung als ultimatives Mittel zur Lösung gegenwärtiger Herausforderungen festzuhalten, sondern den Zweck, also das theologische Anliegen, das den Formeln bei ihrer Entstehung zugrunde lag, zu würdigen und auf seine bleibende Berechtigung hin zu untersuchen. Was aber war das Grundproblem, das den Stein einer platonisch aufgeladenen Trinitätslehre und Christologie ins Rollen brachte? Die entscheidende Frage lautet, ob das, was die Zeitgenossen Jesu im Umgang mit ihm und was auch Menschen heute, die von Jesus fasziniert sind, erfahren, „der Gottheit Gottes wesentlich zugehört“ (Wenz 2011, 280). Sagt also
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VII.
Gott als Offenbarer im Glauben der Kirche
die Art, in der Jesus gelebt hat, in der er mit Menschen umgegangen und in der er gestorben ist, etwas darüber aus, wer Gott ist – und zwar in dem Maße, dass Gott sich in dem Menschen Jesus von Nazareth so in geschichtlicher Weise innerhalb der Begrenztheit eines menschlichen Leben dargestellt hat, dass dieses begrenzte und gewaltsam genommene Leben ein unverstellter Spiegel des ewigen Gottes ist? Wer diese – tatsächlich offene, in ihrer Antwort ungewisse – Frage verneint, muss die altkirchliche Christologie zu den Akten legen. Wer sie bejaht, kann sie als Auftrag zur Entfaltung einer spekulativen Christologie verstehen. Auf einen Blick
Vor allem die Trinitätslehre und die Christologie, auf andere Weise auch die Pneumatologie, wie sie Eingang in das bis heute von den Kirchen mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit vorgelegte Glaubensbekenntnis gefunden haben, stellen ein hoch komplexes Konstrukt spätantiken Denkens dar, das in der Moderne zunehmend kritisch beäugt wird. Diese Kritik ist in vielen Dingen berechtigt, sollte sich – sofern sie beansprucht, theologische Kritik zu sein – jedoch darum bemühen, die sachlichen Anliegen, die zur Ausformulierung des christlichen Gottesbegriffs in der späten Antike geführt haben, zu rekonstruieren und zu würdigen.
Literaturhinweise Danz, Christian (2012), Grundprobleme der Christologie (UTB 3911), Tübingen. Spekulationsfreudiger, innovativer und damit auch kontroverser Entwurf der Christologie. Dünzl, Franz (2006), Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche, Freiburg im Breisgau. Eine kompakte Darstellung der Entwicklung der Trinitätslehre von biblischer Zeit bis zum Ersten Konzil von Konstantinopel. Herzer, Jens/Käfer, Anne/Frey, Jörg (2018), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen. Facetten- und detailreiche Beschäftigung mit dem kirchlichen Bekenntnis zu Jesus Christus in seinen biblischen und systematisch-theologischen Implikationen. Menke, Karl Heinz (32012), Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie, Regensburg. Kundige, konfliktfreudige Darstellung und Verteidigung der klassischen Lehre von Christus und damit auch der Trinitätslehre. Ein Kontrastprogramm zu Danz.
VIII. Ein Gott, der sein soll Überblick
N
achdem die – heute mehrheitsfähige – These vertreten wurde, dass die Gottesbeweise gescheitert sind, Gott also eine Möglichkeit bleibt, und dargelegt wurde, wie der christliche Glaube sich diese Mög-
lichkeit denkt, ist zu fragen: Wenn die Erkenntnis der Existenz Gottes im strengen Sinne nicht möglich ist, gibt es dann überhaupt vernünftige Gründe, um an das Dasein Gottes zu glauben?
1. Die Verlegenheit der Vernunft und die Hoffnung auf Gott Immanuel Kant, der schon häufiger als exponierter Kritiker der Gottesbeweise zu Wort kam, ist vermutlich unverdächtig, sich die Vernunft so zurechtschneidern zu wollen, dass sie doch noch die Existenz Gottes als notwendig aufzuzeigen vermag. Dennoch sieht er einen Weg, um auch vor dem Forum der Vernunft nachvollziehbar und verantwortbar an Gott zu glauben (vgl. zum Folgenden: Seewald 2016a, 213–223). Welchen? Erkenntnis kommt für Kant nur dort zustande, wo Anschauung und Begriff aufeinandertreffen. „Unsre Erkenntniß entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüths, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Receptivität der Eindrücke), die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältniß auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüths) gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntniß aus, so daß weder Begriffe ohne ihnen auf einige Art correspondirende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe ein Erkenntniß [sic] abgeben können“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 74 = AA 3, 74). Dort, wo nur Anschauung ist (also etwas gesehen, gerochen, gehört, ertastet oder erschmeckt wird), ohne dass die so gewonnenen Eindrücke auf einen Begriff gebracht werden, kommt keine Erkenntnis zustande. Umgekehrt bilden Begriffe, die völlig anschauungsfrei sind, also ohne jede Rezeption sinnlicher Eindrücke auskommen, ebenfalls keine Erkenntnis. Gott kann daher kein Gegenstand theoretischer, das heißt auf die Feststellung dessen, was ist, ausgerichteter Erkenntnis sein, weil Gott kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist und ihm daher auch keine adäquate Anschauung korrespondiert. Gott ist seinem Begriff nach kein sinnlich verfasstes Wesen, dessen Sinnlichkeit wiederum auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen einwirken
Gott ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung
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VIII.
Ein Gott, der sein soll
könnte. Einfach gesagt: Man kann Gott weder sehen noch hören, weder riechen noch schmecken oder ertasten und ihn deshalb auch nicht erfahren. Die in den Religionen, auch im Christentum, häufig anzutreffende Rede von „Gotteserfahrung“ ist daher problematisch (vgl. Meuffels 2006, 5). Sie kann nur als uneigentliche Redeweise einen Sinn haben: Menschen machen Erfahrungen, die sie religiös auf Gott hin deuten. Gott als Reizgeber dieser Erfahrung zu denken (was im Begriff der Gotteserfahrung ausgesagt wird), wäre jedoch nicht nur vermessen, sondern auch dem Gottesbegriff im Sinne eines unkörperlichen Wesens entgegenstehend. Will man an diesem Begriff – wie das Christentum es ja tut – festhalten, muss man gleichzeitig zugestehen, dass dem Gottesbegriff keine Anschauung korrespondiert, weshalb Gott auch nicht mit den Mitteln der theoretischen Vernunft, die nach dem Wahren fragt oder nach dem, was der Fall ist, erkannt werden kann. Die Rede von Gott kann epistemisch gesehen also nur ein „Urtheil der bloß speculativen Vernunft sein, weil der Gegenstand hier gar kein Object einer möglichen Erfahrung ist. […] Denn alle synthetischen Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transcendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 664 = AA 3, 423).
Gott als transzendentales Ideal der theoretischen Vernunft Von der Vielfalt zur Einheit
Obwohl Gotteserkenntnis für Kant im theoretischen Sinne nicht möglich ist, gibt er zu bedenken, dass der Begriff eines höchsten Wesens dennoch „eine in mancher Absicht sehr nützliche Idee [sei]; sie ist aber eben darum, weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntniß in Ansehnung dessen, was existirt, zu erweitern“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 629f. = AA 3, 403). Den Nutzen des Gottesbegriffs sieht Kant darin, dass er für die reine Vernunft eine regulative Funktion einnimmt, welche durch ihren „negativen Gebrauche“ als Kontrollinstanz der Vernunft dienen oder – in Kantischer Terminologie – „eine beständige Censur unserer Vernunft“ vornehmen kann. Für Kant ist die Tätigkeit des Verstandes und die der Vernunft als ein Prozess zu verstehen, der von der Vielfalt zur Einheit führt. Während der Verstand sich auf die Vielzahl der Gegenstände richtet, sie ordnet und ihnen durch die Bildung von Begriffen eine Einheit verleiht, führt die Vernunft eine ähnliche Operation, allerdings auf anderer Ebene aus. Die Vernunft als das Vermögen der Ideen richtet sich nicht auf die Vielzahl der Gegenstände, sondern auf die bereits durch den Verstand gebildeten Begriffe, die im Vergleich zur Vielfalt der Objekte bereits eine Bewegung zur Einheit darstellen, aber immer noch – nun auf begrifflicher, nicht auf gegenständlicher Ebene – vielfältig sind. Die Vernunft ordnet die Vielfalt der Begriffe wiederum zu einer Einheit der Ideen. Transzendentale Ideen, wie diejenige Gottes, die ein
1. Die Verlegenheit der Vernunft und die Hoffnung auf Gott
Höchstmaß an Einheit aufweisen, weil sie sich jenseits der Vielfalt von Objekten und Begriffen bewegen, bringen zwar keinen Erkenntnisgewinn im strengen Sinne zutage, sind aber regulativ relevant und sogar „unentbehrlich“, weil sie den Verstand auf eine Einheit hin ausrichten, die zwar „nur eine Idee“, ein „focus imaginarius“, ist, aber dennoch fähig bleibt, den Verstandesbegriffen die höchste Form der Einheit vor Augen zu stellen. „Das höchste Wesen bleibt also für den bloß speculativen Gebrauch der Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntniß schließt und krönt“; verbunden mit der Feststellung, dass „dessen objective Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann“, und dem Verweis auf eine mögliche Form der „Moraltheologie“, die „diesen Mangel ergänzen kann“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 669 = AA 3, 426), öffnet Kant der Gotteslehre noch recht umrisshaft eine neue Perspektive: die Verortung des Gottesbegriffs im Praktischen. Was sich auf den ersten Blick nach wenig anhört, sollte in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Denn das von Kant Gesagte zeigt: „Rede von Gott ist nicht nur irgendein Thema der Philosophie, sondern Muster des philosophischen Denkens überhaupt.“ (Buchheim 2013, 126) Der Gottesbegriff ist nämlich in der Lage, der menschlichen Vernunft ein Ideal vor Augen zu halten, das sie sich zwar erkenntnishaft nicht aneignen kann, das ihr aber deutlich macht, wonach sie zu streben hat. Denn wenn Vernunft die Fähigkeit des Menschen zum Allgemeinen und Prinzipiellen ist, dann muss die Vernunft, je tiefer sie erkennen will, umso mehr vom Singulären zum Generalen, von der Vielfalt zur Einheit, vom isolierten Gegenstand zum Zusammenhang aller Dinge schreiten. Diese Einheit aller Wirklichkeit ist selbst kein Gegenstand kategorialen Erkennens, wird aber in der Idee Gottes zumindest denkerisch so artikuliert, dass die Vernunft sich an dieser Idee ausrichten kann. Dass Gott als Inbegriff der Einheit, nach der alles Erkennen strebt, selbst begründungsbedürftig ist und bleibt, lässt das Denken nicht erlahmen, sondern fordert es auf, den Schlussstein seines Bemühens zu suchen und den „Versuch einer zureichenden Begründung des Begründungsbedürftigen“ (ebd., 121) nicht aufzugeben.
Gott als Postulat der praktischen Vernunft Wie bereits angedeutet, ging Kant davon aus, dass die „Moraltheologie“ Entscheidendes zur Verhältnisbestimmung von Vernunft und Gottesbegriff beitragen könne. Er versteht dabei unter Moraltheologie nicht das gleichnamige theologische Fach, sondern die Verbindung zwischen einer normativen Ethik, also der Reflexion auf das, was geboten oder verboten ist, und der Rede von Gott. Anders gesagt: Gott kommt ins Spiel, wenn der Mensch versucht, das zu tun, was er tun soll, und dabei auf eine abgründige Problematik stößt, aus der – so es ihn denn gibt – nur Gott retten kann.
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Der intellektuelle Mehrwert der Gottesidee
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VIII. Unbedingtes Sollen und seine Widersprüche
Glückswürdigkeit und Glückseligkeit
Ein Gott, der sein soll
Kants Ethik geht erstens davon aus, „daß es wirklich reine moralische Gesetze gebe, die völlig a priori (ohne Rücksicht auf empirische Bewegungsgründe, d.i. Glückseligkeit) das Thun und Lassen, d.i. den Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt, bestimmen“, und nimmt zweitens an, „daß diese Gesetze schlechterdings (also nicht bloß hypothetisch, unter Voraussetzung anderer empirische[r] Zwecke) gebieten und also in aller Absicht nothwendig seien“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 835 = AA 3, 524). Es gibt Kant zufolge also moralische Gesetze, die vor aller Erfahrung liegen und einen unbedingten Anspruch an das Handeln des Menschen stellen. Dem Sittengesetz ist unter allen Umständen Folge zu leisten. Die Welt, in der dies in vollkommener Weise realisiert wird, „weil darin von allen Bedingungen (Zwecken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in derselben (Schwäche oder Unlauterkeit der menschlichen Natur)“ (ebd., B 836 = AA 3, 524f.) abgesehen wird, bezeichnet Kant als „moralische Welt“. Diese moralische Welt ist ein Ideal, dem – genau wie Gott – keine Anschauung korrespondiert, weil sie in der Sinnenwelt nicht in vollem Umfang realisiert wird. Sie ist aber dennoch eine Idee der, so Kant, „objective Realität“ zukommt, weil sie auf die Sinnenwelt insofern einen Einfluss haben „kann und soll“, als sittliches Handeln darin besteht, dass sich die sinnliche Welt der moralischen immer mehr angleicht oder – umgekehrt formuliert – die moralische Welt in der sinnlichen verwirklicht wird. Da die sinnliche Welt jedoch nicht von einer perfekten Harmonie der Zwecke geprägt ist, sondern die Gebrechen in ihr herrschen, von denen die moralische Welt als praktische Idee abstrahiert, erfolgt die Realisierung der moralischen in der physischen Welt nicht konfliktfrei. Der in der Sinnenwelt dem Sittengesetz gemäß handelnde Mensch kann nämlich auch unglücklich werden, gerade weil er sittlich handelt. Dies allerdings ist eine die Sinnhaftigkeit moralischen Handelns gefährdende Konstellation, da der Mensch, so Kant, ein auf die Glückseligkeit hingeordnetes Wesen ist. Diese Glückseligkeit wird für den Königsberger allerdings nicht durch die Befolgung sinnlichen Luststrebens gewonnen, sondern durch Moralität. Glückseligkeit und Moralität sind daher in der moralischen Welt untrennbar verbunden, weil der Mensch in dem Maße glücklich wird, in dem er sittlich handelt (und sich dadurch als glückswürdig erwiesen hat), und umgekehrt das sittliche Handeln des Menschen nur im Kontext von dessen Streben nach Glückseligkeit sinnvoll gedacht werden kann. Kant fasst diese wechselseitige Verwobenheit in der Maxime zusammen: „Thue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu seyn“ (ebd., B 836f. = AA 3, 525). Im praktischen Ideal der moralischen Welt besteht also ein unmittelbarer Konnex zwischen in Moralität begründeter Glückswürdigkeit und der tatsächlich zugeteilten Glückseligkeit, weil die in der vollkommenen Harmonie der Zwecke vollzogene sittliche Handlung sich selbst entlohnt. In der sinnlichen Welt ist dies, so Kant, jedoch nicht der Fall, weil das „System der sich selbst lohnenden Moralität“ darauf be-
1. Die Verlegenheit der Vernunft und die Hoffnung auf Gott
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ruhe, „daß jedermann thue, was er soll“, was jedoch nur in der Idee der moralischen Welt angenommen wird. In der sinnlichen Welt hingegen kann es vorkommen, dass auch derjenige, der tut, was er soll, der also in diesem Sinne sittlich handelt, unglücklich wird. Dies dispensiert ihn jedoch nicht von der weiteren Befolgung des Sittengesetzes, so dass sich eine Aporie auftut: Folgt der Mensch dem, was das natürliche Sittengesetz apriorisch von ihm fordert, kann es dennoch sein, dass das ebenfalls in seiner Natur begründete Streben nach Glückseligkeit nicht zum Ziel führt. Der Mensch handelt also seiner Natur gemäß (sofern er das Sittengesetz erfüllt) und verfehlt seine Natur dennoch (sofern er nicht glücklich wird). Kant schlussfolgert deshalb: Dass der sittlich handelnde Mensch auch glücklich wird, kann er nicht sicher wissen. Er kann es nur hoffen. Hoffnung ist für Kant aber eine religiöse Kategorie. „Was darf ich hoffen?“ ist die Grundfrage der Religionsphilosophie. Gott kommt also ins Spiel, wo menschliches Handeln an seinen eigenen Gründen zu verzweifeln droht und wo der Mensch nicht mehr wissen, sondern nur noch hoffen kann, dass er nicht vergeblich das Gute erstrebt, das ihn am Ende womöglich noch in den Abgrund des Unglücks reißt. Quelle Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 838f. Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin, 525f.
„Aber dieses System der sich selbst lohnenden Moralität ist nur eine Idee, deren Ausführung auf der Bedingung beruht, daß jedermann thue, was er soll, d.i. alle Handlungen vernünftiger Wesen so geschehen, als ob sie aus einem obersten Willen, der alle Privatwillkür in sich oder unter sich befaßt, entsprängen. Da aber die Verbindlichkeit aus dem moralischen Gesetze für jedes besonderen Gebrauch der Freiheit gültig bleibt, wenn gleich andere diesem Gesetze sich nicht gemäß verhielten, so ist weder aus der Natur der Dinge der Welt, noch der Causalität der Handlungen selbst und ihrem Verhältnisse zur Sittlichkeit bestimmt, wie sich ihre Folgen zur Glückseligkeit verhalten werden; und die angeführte nothwendige Verknüpfung der Hoffnung, glücklich zu sein, mit dem unablässigen Bestreben, sich der Glückseligkeit würdig zu machen, kann durch die Vernunft nicht erkannt werden, wenn man bloß Natur zum Grunde legt, sondern darf nur gehofft werden, wenn eine höchste Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird. Ich nenne die Idee einer solchen Intelligenz, in welcher der moralisch vollkommenste Wille, mit der höchsten Seligkeit verbunden, die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt ist, so fern sie mit der Sittlichkeit (als der Würdigkeit glücklich zu sein) in genauem Verhältnisse steht, das Ideal des höchsten Guts. […] Gott also und ein künftiges Leben sind zwei von der Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auferlegt, nach Principien eben derselben Vernunft nicht zu trennende Voraussetzungen.“
Die Divergenz zwischen Glückwürdigkeit und Glückseligkeit lasse sich, so Kant, nur durch die Gottesidee – im Modus der Hoffnung, nicht des Wissens –
Das Postulat Gottes
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VIII.
Die Gewissheit der Hoffnung
Ein Gott, der sein soll
wieder schließen, da Gott, in dem der vollkommenste moralische Wille mit der vollkommensten Glückseligkeit übereinkommt, als Ursache der Natur auch innerhalb der Natur das proportionale Verhältnis zwischen Glückwürdigkeit und Glückseligkeit garantiert. Gott als das – in Kantischer Terminologie – „höchste ursprüngliche Gut“ garantiert also das „höchste abgeleitete Gut“, nämlich die Korrespondenz von Moralität und Glück, wohingegen sich die Existenz des höchsten ursprünglichen Gutes erst vom höchsten abgeleiteten Gut her erschließt. Da dieses jedoch in der Sinnenwelt nicht verwirklicht wird, sondern nur in der praktischen Idee der moralischen Welt besteht, kann, ja muss der Mensch die seiner Glückswürdigkeit entsprechende Glückseligkeit in einem noch zu erwartenden Leben erhoffen. In diesem Sinne nennt Kant die Idee Gottes eine „Verbindlichkeit, die uns reine Vernunft auferlegt.“ Gott ist also – es sei an den schon erklärten Begriff des Postulats erinnert – ein Postulat der praktischen Vernunft, da das, was sie unzweifelhaft als unbedingt Seinsollendes erkennt, nur dann wirklich ein Unbedingtes sein kann, wenn etwas anderes ist: Gott. Das von manchen, die Kant als Zerstörer des metaphysischen Gottesgedankens schmähen oder rühmen (je nach dem), gerne zitierte Programm des Königsbergers, „das Wissen aufheben“ zu wollen, „um zum Glauben Platz zu bekommen“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XXX = AA 3, 19), hat keine anti-religiöse oder gar anti-theistische Ausrichtung. Im Gegenteil: Gott wird aus dem Streit der Metaphysik herausgeholt und auf einen neuen, sichereren Grund gestellt – nämlich auf den Grund eines Glaubens, der nicht mehr so vermessen ist, sich als Wissen auszugeben, der aber dennoch mit Gewissheit in sich ruht, weil er Gründe für sich hat. Fast bekenntnishaft stellt Kant den „etwas Wankendes an sich“ habenden, rein doktrinal orientierten Formen des Glaubens seinen eigenen Glauben, den „nichts wankend machen könne“, entgegen: „Da aber also die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es sein soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben und bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittliche[n] Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein“ (ebd., B 856 = AA 3, 536).
2. Ein glaubwürdiger Gott? Man wird Kant aus heutiger Sicht nicht in jeder Verzweigung seines moralphilosophischen Systems rechtgeben können. Insbesondere die geschichtliche, sozio-kulturelle Einbindung der nach dem Guten fragenden praktischen Vernunft, die stets nur angesichts gegebener Bedingungen und damit unter
2. Ein glaubwürdiger Gott?
Rückgriff auf Erfahrungen danach fragen kann, was sittlich geboten ist, wird bei Kant nicht hinreichend reflektiert. Trotzdem kommt seinem Umgang mit dem Begriff und der Idee Gottes etwas Bahnbrechendes, bleibend Gültiges zu – und zwar heute womöglich noch mehr als zu Kants Zeiten. Dort, wo die Theologie positiv vorgeht, also lediglich analysiert und systematisiert, was aus welchen Gründen geglaubt wird, hat sie weder mit der Existenz noch mit der Nichtexistenz Gottes ein Problem, weil ihr Gegenstand der Glaube an Gott ist, den es ja nachweislich gibt, selbst wenn strittig ist, ob der Gott, an den geglaubt wird, existiert. Da aber die Theologie, die ohne ein Minimum an Identifikation mit einer Religionsgemeinschaft nicht auskommt, aus dieser Identifikation heraus auch eine spekulative Aufgabe hat, der es darum geht, Gründe aufzubringen, die das Geglaubte normativ bewerten, kommen Theologinnen und Theologen nicht ohne eine verantwortete Positionierung in der Gottesfrage aus. Der Königsweg dazu wäre natürlich ein Aufweis der Existenz oder ein Nachweis der Nichtexistenz Gottes. Ersteres ist – wie beschrieben – gescheitert und Letzteres kann auch nicht gelingen, da etwas Nichtexistierendes in seiner Nichtexistenz ja nicht nachweisbar ist, es sei denn, seine logische Unmöglichkeit würde demonstriert, was aber ein noch waghalsigeres Unternehmen als der Versuch wäre, Gottes Dasein zu beweisen. Die Vernunft kommt also nicht darüber hinaus, Gott als Möglichkeit zu denken, die sein oder auch nicht sein könnte, zu der der Mensch sich aber verhalten kann. Was die Theologie in ihrer spekulativen Dimension zu leisten vermag, ohne sich zu verheben und ohne die Standards vernünftigen Nachdenkens zu unterschreiten, ist zu zeigen, warum der Glaube an Gott eine sinnvolle Möglichkeit ist. Sinn erfährt ein Mensch, wie bereits definiert, wenn er „die Einheit der Differenz von Wirklichkeit und Möglichkeit“ (Luhmann 2000, 20) so anzunehmen vermag, dass es ihm gelingt, in der Wirklichkeit zu existieren, also die Wirklichkeit trotz unzähliger Möglichkeiten, die auch denkbar wären, als Wirklichkeit anzunehmen, sie zu erforschen, zu verstehen, zu gestalten und womöglich auch zu verändern. Was hat das mit Gott zu tun, der selbst nicht mehr als eine Möglichkeit ist?
Gott als spekulativer Konjunktiv „Ein spekulativer Konjunktiv setzt etwas in eine Annahme und sieht zu, welche Möglichkeiten des Denkens sich daraus ergeben und achtet auf Anhaltspunkte, die dafür oder dagegen sprechen, dass der Konjunktiv ein Indikativ sei“ (Buchheim 2013, 133). Die Annahme, dass es Gott gibt, gelangt nicht in den Status des Erkennens. Sie bleibt ein Konjunktiv und wird kein Indikativ. Dennoch lässt sich mit diesem Konjunktiv – man könnte auch sagen: mit der Hypothese von der Existenz Gottes – vernünftig arbeiten. Gott könnte also eine „durchaus sinnvolle Verbindlichkeit philosophischen Denkens [sein], die
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Eine sinnvolle Möglichkeit?
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VIII. Das Verlangen nach Gerechtigkeit
Ein Gott, der sein soll
spekulativ viel ergebnisträchtiger und jedenfalls sensibler ist, als die Missachtung und Ignoranz gegenüber dem Thema“ (ebd., 134). Ein Beispiel wurde in der Auseinandersetzung mit Kant bereits deutlich: Der Glaube an einen gerechten Gott, der letztlich auch für Gerechtigkeit einstehen wird, befähigt den zugleich nach Sittlichkeit und nach Glück strebenden Menschen, auch dann moralisch zu handeln, wenn es ihm keine unmittelbaren Vorteile bringt oder er dadurch sogar unglücklich wird. Die Natur, wie Kant sagen würde, erscheint im Licht des Glaubens an und in der Hoffnung auf einen Gott, der sittlich und gerecht ist sowie Gerechtigkeit verbürgt, nicht als widersprüchlich, sondern als vernünftig geeint, was es dem Menschen ermöglichen kann, sich in ihr zurechtzufinden und nach Maßstäben dessen, was er als vernünftig erkannt hat, konsequent zu handeln. Dazu braucht man zwar nicht an Gott zu glauben. Aber wenn man an Gott glaubt, wird es vernünftiger, sich um Gerechtigkeit auch jenseits des eigenen Vorteils, um die Mitmenschen auch jenseits eigener Sympathien und um die Welt auch jenseits des eigenen Horizonts zu bemühen. Glaube muss daher, so Volker Gerhardt, „als grundsätzliche Kompensation dessen gesehen werden, was das Wissen gerade dem Wissenden versagt“ (Gerhardt 2014, 193). Ähnliches ließe sich mit Blick auf das Leid sagen. Der christliche Glaube an einen personalen Gott, der in sich beziehungsfähig ist, der die Beziehung zur Welt geschichtlich konkret in Jesus von Nazareth gesucht hat und in dieser Suche brutal gescheitert ist, stellt einen Gott vor, der auf der Seite derjenigen steht, die zu Opfern gemacht wurden und denen durch die gewaltsame Wirklichkeit die Möglichkeiten glücklichen Lebens genommen wurden. Hoffnung, wie Kant sie beschrieben hat, hält die Zukunft der Welt „radikal offen“ (Tetens 2015, 77). Kein Lebewesen wird verlorengegeben, keine gute und keine böse Tat, keine Träne und kein Lachen sind je vergessen. Was der Mensch baut oder niederreißt, hat einen Wert in den Augen des Gottes, von dem für alle gleichermaßen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit erhofft wird. Dieser Gott lässt sich nicht demonstrativisch beweisen, sondern lediglich als glaubwürdig aufzeigen. Ein bedeutendes, vielleicht sogar das bedeutendste Hindernis dieser Glaubwürdigkeit ist die Theodizeefrage.
3. Gott und das Leid Gott vor Gericht
Niklas Luhmann zufolge setzte im 17. und 18. Jahrhundert „eine Art Rückzug der Moral auf sich selbst an mit der Folge, daß schließlich auch die Religion selbst dem moralischen Urteil unterworfen“ (Luhmann 2000, 95f.) worden sei. Auch wenn diese Einordnung sehr schematisch ist und das von Luhmann angesprochene Problem bereits vor der Aufklärung thematisiert wurde, drückt diese Diagnose doch zwei Arten aus, das Verhältnis zwischen Religion und Moral
3. Gott und das Leid
oder zwischen dem Glauben an Gott und der menschlichen Ethik zu bestimmen. Man könnte einerseits in der Tradition voluntaristischer Strömungen einfach das als gut bezeichnen, was Gott als gut setzt. Der wesenhaft gute Gott definiert demnach, was „gut“ zu bedeuten hat: Gut ist alles, was er tut. Eine zweite, seit der Aufklärung dominante und bis heute prägende Vorstellung wählt den anderen Weg: Sie geht von dem aus, was der Mensch in seiner praktischen Vernunft als gut erkennt und unterwirft Gott diesem Urteil. Ein Gottesglaube, „der die moralischen Standards, die der Mensch sich selbst gegenüber formulieren kann, unterschreitet“ (Striet 2017, 54), ist demnach nicht glaubwürdig. Die Güte Gottes wird also nicht vorausgesetzt, sondern sie steht in Frage – ja, sie steht vor der Richterin menschlicher Sittlichkeit, vor der Gott um seine Gerechtsprechung (nichts anderes bedeutet „Theodizee“) zu ringen hat. Das Grundproblem der so genannten Theodizeefrage brachte bereits der antike Philosoph Epikur (341– ca. 270 v. Chr.) als Konflikt zweier Eigenschaften Gottes – Allmacht und Güte – auf den Punkt: Es gibt Übel, die dem Menschen Leid verursachen. Wenn Gott gütig ist und das Übel nicht will, ist er nicht allmächtig, weil er es ansonsten ja verhindern könnte; wenn Gott allmächtig ist und das Leid verhindern könnte, ist er nicht gütig, weil er es ansonsten ja verhindern würde (vgl. Feldmeier 2014, 401). Oft wird zur präziseren Beschreibung dessen, was Leid verursacht, zwischen zwei Arten des Übels unterschieden: zwischen dem so genannten „malum morale“, das auf menschliches Wollen zurückgeht, und dem „malum physicum“, jener Art des Übels, wie sie etwa ein Erdbeben oder Ereignisse darstellen, hinter denen keine menschliche Entscheidung und damit kein für sie im moralischen Sinne verantwortlich zu machender Wille steht. Um das Theodizeeproblem zu lösen, haben sich einige Strategien eingebürgert (vgl. zum Folgenden: Stosch 2018), die jedoch allesamt scheitern.
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Das Problem
Bonisierungen des Übels Augustinus war auf seinem Weg durch verschiedene Religionen und Philosophien auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „unde malum?“, woher kommt das Übel? Einen Durchbruch erzielte er durch die so genannte Privationstheorie, der zufolge ein Übel nichts Reales, sondern lediglich eine Mangelerscheinung, eine „privatio boni“, eine Beraubung des Guten, sei (vgl. Brachtendorf 2005, 136–143). Augustinus geht von dem neuplatonischen Axiom aus, dass alles, was ist, gut ist. Jedes Seiende sei ein Gut, weil es ansonsten überhaupt nicht existent wäre. Seiendes mit einer negativen Bilanz des Guten gibt es nicht – das wäre nämlich Nichtseiendes. Das Übel besitzt demnach keinen ontologischen Eigenstand, sondern ist nur als Mangelerscheinung am Guten zu verstehen: Das, was gut ist, ist – wenn es als übel wahrgenommen wird – nicht so gut, wie es sein könnte. Das Übel kann daher die Seinsqualität von Gegenständen mindern, stellt aber dem christlichen Augustinus zufolge
Das Übel als Raub an Gutem
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VIII.
Depotenzierungen durch Relativierungen
Ein Gott, der sein soll
kein dualistisches Gegenprinzip zum Guten dar. Metaphysisch gesehen, mag Augustinus damit recht haben. Wenn man Gutheit als transzendentale Eigenschaft alles Seienden denkt, kann es keine Negativbilanzen an Gutheit geben. Allerdings ist dieses ontologische Gutsein nicht mit dem moralischen Gutsein zu verwechseln. Das „bonum“, von dem Augustinus spricht, ist nämlich ein teleologisch, das heißt zielhaft bestimmtes. Es strebt danach, ein Gut zu erreichen. Durch das Übel wird es in diesem Streben behindert. Das Problem, dass Menschen Leid empfinden, weil ihnen Übles widerfährt, und dass diese Leidempfindung eine Anfrage an die Allmacht und Güte Gottes wird, bleibt davon aber unberührt und damit auch ungelöst. Eine Bonisierungsstrategie – also ein Versuch, Übles in ein Gut zu verwandeln –, die sich tatsächlich auf Leiderfahrungen einlässt, stellen jene Ansätze dar, die das Übel durch Relativierungen depotenzieren wollen, also versuchen, das Übel in ein Verhältnis zu anderen Größen zu setzen, die es letztlich als ein Gut erscheinen lassen. Das versuchen zum Beispiel Pädagogisierungsstrategien, die sagen, nur durch leidvolle Erfahrungen werde der Mensch klug, oder Ästhetisierungen, die davon ausgehen, dass nur die Erfahrung von Leid den Menschen überhaupt fähig mache, Gutes zu erfahren und als solches zu erkennen. Einen Funktionalisierungsversuch hat etwa Richard Swinburne mit seinem „need-for-knowledge-argument“ vorgelegt, dem zufolge die Auswirkungen menschlicher Freiheit nur angesichts der teils dramatischen Konsequenzen dieser Freiheit deutlich werden, oder mit dem „being-of-use-argument“, das davon ausgeht, dass sich moralische Tugenden erst angesichts von Leiderfahrungen herausbilden (vgl. Stosch 2014, 110f.). In die Gruppe der Depotenzierungen könnte man auch die im Christentum häufig anzutreffenden Spiritualisierungen des Leidens einordnen. Sätze wie aus dem pseudepigraphischen, das heißt unter der Inanspruchnahme des Namens von Paulus, aber eben nicht von Paulus selbst, sondern von unbekannter Hand zu einem späteren Zeitpunkt verfassten Kolosserbrief haben in der Geschichte christlicher Lebensdeutung eine große Rolle gespielt: „Jetzt freue ich mich an den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24). Der leidende und zugleich fromme Christ konnte sich demnach als Mitarbeiter der Erlösung deuten. Die genannten Versuche zeichnen sich allesamt durch eine hohe Ambivalenz aus. Als höchstpersönliche Selbstdeutungen betroffener Menschen mögen sie einen Wert haben. Wer zum Beispiel nach einer schweren Krankheit sagt, dass er sein Leben ohne die Krankheit nie so bewusst und glücklich hätte führen können, ist in der Lage, seiner Krankheit etwas Gutes abzugewinnen und das ihm widerfahrene Übel durch Relativierung zu depotenzieren. Daraus jedoch verallgemeinernd zu schließen, dass alle Krankheiten gut sind, wäre absurd. Als prudentielle Lebensdeutungen mögen Depotenzierungen hilfreich sein. Die
3. Gott und das Leid
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Theodizeefrage an sich lösen sie nicht. Denn wer profitiert denn davon, dass ein Kind bei der Geburt stirbt („malum physicum“) oder im Alter von vier Jahren von einem betrunkenen Autofahrer („malum morale“) überfahren wird?
Reinterpretationen der Eigenschaften Gottes Eine häufig anzutreffende Antwort auf das Theodizeeproblem findet sich in einer Umdeutung der Eigenschaften Gottes. Der von Epikur beschriebene Konflikt zwischen der Allmacht und der Güte Gottes wird hier dadurch entschärft, dass eine dieser Eigenschaften – meistens die Allmacht – mit anderen Eigenschaften in Verbindung gebracht, modifiziert oder gar ganz aufgegeben wird. Ein prominentes Beispiel für die Reinterpretation der Allmacht Gottes bietet das Denken des jüdischen Philosophen Hans Jonas (1903–1993). Es lasse sich, so Jonas, „am Gottesbegriff arbeiten, auch wenn es keinen Gottesbeweis gibt; und eine solche Arbeit ist philosophisch, wenn sie sich an die Strenge des Begriffs – und das heißt auch: an seinen Zusammenhang mit dem All der Begriffe – hält“ (Jonas 1987, 9). Jonas löst Gott aus dem Korsett metaphysischer Theologie heraus, lehnt aber ebenso die Vorstellung eines geschichtsmächtigen, die Geschicke seines Volkes leitenden Gottes ab. Damit „Welt sei, und für sich selbst sei, entsagte Gott seinem eigenen Sein; er entkleidete sich seiner Gottheit, um sie zurückzuempfangen von der Odyssee der Zeit, beladen mit der Zufallsernte unvorhersehbarer zeitlicher Erfahrung, verklärt oder vielleicht auch entstellt durch sie. In solcher Selbstpreisgabe göttlicher Integrität um des vorbehaltlosen Werdens willen kann kein anderes Vorwissen zugestanden werden als das der Möglichkeiten, die kosmisches Sein durch seine eigenen Bedingungen gewährt: Eben diesen Bedingungen lieferte Gott seine Sache aus, da er sich entäußerte zugunsten der Welt“ (ebd., 16f.). Jonas zeichnet das Bild eines leidenden, eines werdenden, eines sich sorgenden, eines nicht allmächtigen und in gewisser Hinsicht sogar ohnmächtigen Gottes. Dabei ordnet Jonas die Problemkonstellation der Eigenschaften Gottes neu. Für ihn haben sich angesichts der Theodizeefrage nicht nur Allmacht und Güte in ein Verhältnis zu setzen, sondern auch die Eigenschaft der Verstehbarkeit Gottes, die für eine Offenbarungsreligion wie das Judentum – und damit auch für das Christentum – zentral ist. Da alle drei Eigenschaften Gott angesichts der geschichtlichen Erfahrungen nicht zugleich zugeschrieben werden können, versucht Jonas, einen gütigen und verstehbaren Gott zu denken, der dazu aber seiner Allmacht entkleidet werden muss.
„Der Gottesbegriff nach Auschwitz“
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VIII.
Ein Gott, der sein soll Quelle Jonas, Hans (1987), Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, Frankfurt am Main, 33–35. 37. 39.
„Dies ist nicht ein allmächtiger Gott! In der Tat behaupten wir, um unseres Gottesbildes willen und um unseres ganzen Verhältnisses zum Göttlichen willen, daß wir die althergebrachte (mittelalterliche) Doktrin absoluter, unbegrenzter göttlicher Macht nicht aufrechterhalten können. […] Es folgt aus dem bloßen Begriff der Macht, daß Allmacht ein sich selbst widersprechender, selbst-aufhebender, ja sinnloser Begriff ist. […] Absolute, totale Macht bedeutet Macht, die durch nichts begrenzt ist, nicht einmal durch die Existenz von etwas anderem überhaupt, etwas außer ihr selbst und von ihr Verschiedenem. Denn die bloße Existenz eines solchen anderen würde schon eine Begrenzung darstellen, und die eine Macht müßte dies andere vernichten, um ihre Absolutheit zu bewahren. Absolute Macht hat dann in ihrer Einsamkeit keinen Gegenstand, auf den sie wirken könnte. Als gegenstandslose Macht aber ist sie machtlose Macht, die sich selbst aufhebt. ‚All‘ ist hier gleich ‚Null‘. […] Göttliche Allmacht kann mit göttlicher Güte nur zusammen bestehen um den Preis gänzlicher göttlicher Unerforschlichkeit, d.h. Rätselhaftigkeit. Angesichts der Existenz des Bösen oder auch nur des Übels in der Welt müßten wir Verständlichkeit in Gott der Verbindung der beiden andern Attribute aufopfern. Nur von einem gänzlich unverstehbaren Gott kann gesagt werden, daß er zugleich absolut gut und allmächtig ist und doch die Welt duldet, wie sie ist. Allgemeiner gesagt: Die drei Attribute in Frage – absolute Güte, absolute Macht und Verstehbarkeit – stehen in einem solchen Verhältnis, daß jede Verbindung von zweien von ihnen das dritte ausschließt. […] Nach Auschwitz können wir mit größerer Entschiedenheit als je zuvor behaupten, daß eine allmächtige Gottheit entweder nicht allgütig oder (in ihrem Weltregiment, worin allein wir sie erfassen können) total unverständlich wäre. Wenn aber Gott auf gewisse Weise und in gewissem Grade verstehbar sein soll (und hieran müssen wir festhalten), dann muß sein Gutsein vereinbar sein mit der Existenz des Übels, und das ist es nur, wenn er nichtall-mächtig ist.“
Verzicht auf physisches Eingreifen
Jonas zufolge kann die Welt nur dann als von Gott verschieden gedacht werden, wenn Gott seine Macht ihr gegenüber ablegt. Diesen Verzicht denkt Jonas nicht nur als temporäre Zurückhaltung, so dass Gott seine Macht – wann immer er will – wieder aufbieten könnte. Ein solcher Gott wäre nicht mehr gut zu nennen, da Gott doch spätestens angesichts der Gräuel von Auschwitz hätte eingreifen müssen. „Aber Gott schwieg. Und ich sage nun: nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein“ (Jonas 1987, 41). Gott habe seine Macht ganz in die Welt hinein entleert, sich entäußert und sei damit unfähig geworden, in den „physischen Verlauf der Weltdinge“ einzugreifen; die einzige Macht, die ihm bleibe, sei „die vom Ruf an die Seelen, von der Inspiration der Propheten und der Thora“ (ebd., 42f.). In moralischer Hinsicht könne Gott an den Menschen herantreten, um ihn werben oder an ihn appellieren. Physisch wirksam eingreifen, um dem Leid tatkräftig ein Ende zu setzen, sei ihm nicht möglich. Durch diese These wird das Theodizeeproblem von einem internen Dualismus der göttlichen Eigenschaften untereinander zu einem externen Dualismus zwischen Gottes Ohnmacht und der Macht der Welt verschoben.
3. Gott und das Leid
Auch hier gilt, was bereits zuvor gesagt wurde: Die Überlegungen zum „Gottesbegriff nach Auschwitz“, vorgetragen von einem Philosophen, dessen Mutter selbst in Auschwitz ermordet wurde, besitzen als höchstpersönliche Deutungen erfahrenen Leids eine beeindruckende, zu Herzen gehende Kraft. Als allgemeine Lösung des Theodizeeproblems können sie aber nicht dienen, weil sie Gott zu leicht davonkommen lassen. Gott rückt nämlich von der Anklagebank, auf die ihn die Theodizeefrage der Vernunft setzt, in die Rolle des bemitleidenswerten Opfers und droht in seiner Empathie erregenden göttlichen Fallhöhe den Blick auf die Opfer der Geschichte zu verstellen, wegen deren Leid er sich zu rechtfertigen hat. Das zeigt folgende These von Jonas: Nachdem Gott „sich ganz in die werdende Welt hineinbegab, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben. Und er kann dies tun, indem er in den Wegen seines Lebens darauf achtet, daß es nicht geschehe, oder nicht zu oft geschehe, und nicht seinetwegen, daß es Gott um das Werdenlassen der Welt gereuen muß“ (ebd., 47). Nun kann Gott einem fast leidtun. Aber Gott ist nicht zu bemitleiden, sondern zu befragen: War das Experiment der Welt all das Leid wert, das es hervorgebracht hat? Jonas‘ Argumentation weist übrigens, obwohl er aus einer ganz anderen Schulrichtung kommt und angibt, an einem „Mythos“ zu arbeiten, erstaunliche Parallelen zu Versuchen der analytisch geprägten Prozesstheologie auf. Auch Denker wie David Ray Griffin versuchen, Gottes Macht so zu reinterpretieren, dass er von dem Vorwurf, er könne das Leiden beenden, tue es aber nicht, entlastet wird. Die Probleme, die sich einem solchen Ansatz stellen, sind ähnlich wie bei Jonas.
143 Kritik
Nachdenken über das Verhältnis Gottes zur Welt Eine weitere Möglichkeit zur Theodizee jenseits einer Bonisierung, der Depotenzierung des Übels oder der Reinterpretation göttlicher Eigenschaften stellt eine theodizeesensible Verhältnisbestimmung zwischen Gott und der Welt dar. Die so genannte „free will defense“ geht davon aus, dass der letzte Zweck von Gottes Schöpfung die Existenz vernunftbegabter freier Wesen sei. Diesem Zweck, also der Möglichkeit des Daseins von Wesen, die – wie Gott – vernünftig und frei seien, habe die Struktur der Schöpfung zu dienen. Da Freiheit in diesem Kontext vornehmlich libertaristisch verstanden wird, es also keine determinierenden Momente geben darf, die ihr zugrunde liegen, damit eine Entscheidung als „frei“ bezeichnet werden kann, ist es auch für Gott unmöglich, die Entscheidungen freier Wesen vorherzusehen. Jede mögliche Welt, in der freie Wesen vorkommen, ist daher eine Welt, in der es auch Übel geben kann, weil selbst für Gott nicht vorhersehbar ist, wie freie Wesen sich entscheiden werden. Da in einem libertaristisch gedachten Freiheitskonzept der Mensch allein, jenseits aller Determinanten, die Gott womöglich hätte festlegen können, Urheber seiner Hand-
Free will defense
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VIII.
Natural law defense
No better world defense
Ein Gott, der sein soll
lungen ist, kann Gott auch nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er Übel hervorgebracht oder zugelassen hätte. Der Mensch sei es, der Übles tue und Leid verursache. Die Abwesenheit von Übel und Leid lässt sich also nur durch den Preis der Einschränkung, und mit der Einschränkung der Verneinung, menschlicher Freiheit gewährleisten. Gott kann dann höchstens noch der Vorwurf gemacht werden, dass er eine Welt mit vernünftigen, freien Wesen erschaffen habe – ein Vorwurf, der aber nur von vernünftigen, freien Wesen geäußert werden kann, die dann sagen müssten, dass sie, obwohl sie sind, lieber nicht wären. Diese Antwort deckt zunächst nur das „malum morale“ ab. Das physische Übel, also etwa ein Erdbeben, für das kein Mensch verantwortlich ist, das aber trotzdem Leid verursachen kann, bliebt der Theodizeefrage erhalten. Alvin Plantinga – und das zeigt, dass man auch bekannte Philosophen nicht in allem ernstnehmen kann – hält es für gut möglich, dass physisches Übel auf Dämonen zurückgeht. Auch die Freiheit von Dämonen werde durch Gott geachtet, der das üble Treiben dieser Wesen nicht vorhersehen und es nur um den Preis der Wegnahme ihrer Freiheit beenden könne (vgl. Moreland/Craig 2003, 539). Gott scheint demnach genauso um die Freiheit der Dämonen besorgt zu sein wie er um die menschliche und um seine eigene Freiheit besorgt ist. Seriöser ist eine „natural law defense“, die ebenfalls davon ausgeht, dass vernünftige freie Wesen das Ziel der Schöpfung seien. Um moralisch verantwortet handeln zu können, seien verlässliche Strukturen vonnöten, wie sie die Naturgesetze darstellen, damit Menschen verschiedene Möglichkeiten ihres Handelns abwägen und eine davon auswählen können, für die sie dann auch im moralischen Sinne verantwortlich sind. Die Verbindung zwischen Naturgesetzen und menschlicher Freiheit ist allerdings eine bloß hypothetische. Sie kommt über den Status der Behauptungen nicht hinaus. Denn wieso man wirklich Erdbeben braucht, um frei handeln zu können, bleibt fraglich. Friedrich Hermanni, der schon beansprucht hatte, aus der Kombination kosmologischer und ontologischer Überlegungen ein gültiges Argument für die Existenz Gottes vorgelegt zu haben, formuliert auch einen Theodizeeansatz. Er kritisiert dabei die „free will defense“, weil diese auf einem libertaristischen Freiheitsverständnis beruhe, das Hermanni nicht teilt. Wie die „free will defense“ geht er jedoch davon aus, dass es möglich sei, „dass die Übel vom allmächtigen und vollkommenen guten Gott deshalb nicht verhindert werden, weil ihre Zulassung mit größeren Gütern und/oder der Abwesenheit größerer Übel in logisch notwendiger Weise verknüpft ist“ (Hermanni 2017, 122). Die Analyse Epikurs, dass ein vollkommen guter Gott jedes Übel auch verhindern würde, das er verhindern könnte, und ein allmächtiger Gott jedes Übel verhindern könnte, das er verhindern wollte, hält Hermanni also für nicht zutreffend. Er ist vielmehr der Ansicht: „Wenn die Welt von einem allmächtigen, allwissenden und vollkommen guten Gott geschaffen wurde, dann ist sie in unübertrefflicher Weise gut. Die Übel in der Welt sind in diesem Fall konstitutive Be-
4. Das Insistieren auf Antworten
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standteile ihres unübertrefflichen Gutseins, und Gott hat daher einen moralisch hinreichenden Grund, sie zuzulassen“ (ebd., 127). Alles andere erscheint Hermanni selbstwidersprüchlich. Denn ein allmächtiger Gott könne jede Welt schaffen, ein guter Gott wolle eine möglichst gute Welt erschaffen und ein allwissender Gott wisse, welche der vielen möglichen Welten unübertrefflich gut sei. Hermanni stellt sich zwar in die Tradition optimistischer Weltdeutungen, wie sie etwa Leibniz formuliert hat, spricht aber bewusst nicht von der „besten“ aller möglichen Welten, da er nicht ausschließen kann, dass in mehreren möglichen Welten ein Maximum an Güte realisiert werden könnte. Selbst wenn man Hermannis Vorschlag zur theoretischen Lösung des Theodizeeproblems folgt, der zu zeigen versucht, dass die Annahme eines gütigen, allmächtigen und allwissenden Gottes sich nicht logisch widersprüchlich zum Übel in der Welt verhält, bleibt – wie Hermanni selbst skizziert – die empirische Problematik: Wie manifestiert sich im Schicksal eines getöteten Kindes, dass dieses Schicksal sich in einer unübertrefflich guten Welt abspielt?
4. Das Insistieren auf Antworten Ist die Theodizeefrage, auf die eine theoretisch wie praktisch befriedigende, die Erfahrungen von Leid und die Existenz des Übels erklärende Antwort immer noch aussteht, eine Gefährdung dafür, dass die Möglichkeit von Gottes Dasein als eine sinnvoll zu glaubende Möglichkeit erkannt werden kann? Ist es vertretbar, dass ein denkender Mensch, wie Kant, seine Hoffnung auf Gott setzt – und zwar nicht obwohl er denkt, sondern weil er denken, erkennen und handeln will? Gerade die Theodizeefrage macht deutlich, dass die Idee Gottes in jederlei Hinsicht den „Schlussstein der Begründung“ (Buchheim 2013, 131) darstellt. Denn wenn der beziehungsfähige, sich mitteilende Gott, an den das Christentum glaubt, existiert, kann der denkende Mensch Antworten von ihm einfordern. Dieser Gott ist im biblischen Kontext Adressat der Klage – „du hast mich ins tiefste Grab gebracht, tief hinab in finstere Nacht“ (Ps 88,7) – und im theologischen Sinne Adressat der Anklage: Wie ist all das Leid, das die Geschichte des Lebens durchzieht, zu rechtfertigen? Man kann nun behaupten, dass es auf diese Frage keine Antwort gebe und dass der Schrei der Opfer in der von Blaise Pascal beklagten ewigen Stille der unendlichen Räume verhalle. Das könnte so sein, weil eben nicht klar ist, dass es einen Gott gibt. Ist es aber nicht auch eine rationale Möglichkeit, diese Fragen als Fragen offen zu halten, sich im Denken nicht geschlagen zu geben und eine Antwort von einem Gott zu erwarten, der – gemessen an menschlichen Kriterien der Moralität – unter dem dringenden Tatverdacht steht, mit der Erschaffung der Welt eine ungeheuerliche Schuld auf sich geladen zu haben?
Antwort von einem Gott – oder keine Antwort
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VIII.
Pascals Wette
Ein Gott, der sein soll
Wer die Theodizeefrage aufgibt, weil kein Gott existiert, der sie beantworten könnte, muss damit leben, dass das Denken, dem es ja um eine vernünftige Erklärung dessen geht, was ist und was sein soll, nie an sein Ziel gelangt. Es bleibt Bruchstück und wird den Schlussstein, der die von Kant erstrebte höchste Einheit des Erkennens gewährleistet und den Zusammenhang aller Dinge offenlegt, niemals setzen können. Wer hingegen an der Theodizeefrage festhält, weil er sich nicht mit dem abfindet, was das Leid alles über die Welt gebracht hat, und auch hier vernünftig weiterfragt, lebt zumindest in der Hoffnung – natürlich nicht in dem Wissen, aber in der Hoffnung –, dass Antworten möglich sind (vgl. Tetens 2015, 77–79). Die Hypothese Gottes hält also die Erinnerung an das Leiden wach und bewahrt die Vernunft zugleich davor, sich mit weniger zufrieden zu geben, als sie zu erhoffen im Stande ist. Die Aufgabe der Theologie ist es daher nicht, das Theodizeeproblem stillzustellen oder gar abzustellen, sondern es scharfzustellen. Es geht nicht um „den Versuch einer verspäteten, einer gewissermaßen trotzigen ‚Rechtfertigung Gottes‘ durch die Theologie angesichts der Übel, der Leiden und des Bösen in der Welt. Es geht vielmehr – und zwar ausschließlich – um die Frage, wie denn überhaupt von Gott zu reden sei angesichts der abgründigen Leidensgeschichte der Welt, ‚seiner‘ Welt. Diese Frage ist in meinen Augen die Frage der Theologie; sie darf von ihr weder eliminiert noch überbeantwortet werden“ (Metz 2006, 4f.). Darüber, wie der epistemische Mehrwert der Hoffnung auf Gott zu einer Haltung in Beziehung steht, die eine solche Hoffnung als unbegründet ablehnt, hat der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (1623–1662) einen viel rezipierten Gedanken formuliert: die so genannte Pascalsche Wette, die „Religion als Kalkül“ (Schmidt-Biggemann 1999, 95) denkt. Warum, so die Leitfrage, sollte es nützlich sein, an Gott angesichts der Möglichkeit zu glauben, dass er nicht existiert? Vereinfacht gesagt: weil der Mensch angesichts seiner Alternativen nichts zu verlieren hat. Gibt es Gott nicht, war die Hoffnung, dass es ihn gebe, vergeblich. Aber auch dann hätte diese Hoffnung in epistemischer Hinsicht Positives gebracht, nämlich das Vertrauen in die eigene Vernunft und die Zuversicht, die letzten Gründe der Welt einmal verstehen zu können. Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden – so ein Voltaire zugeschriebener Satz.
Selbstaufklärung der Religion Die bleibende Ambivalenz
Hoffnung, wie sie sich in religiösem Glauben ausdrückt, kann also durchaus auch in sozialer Hinsicht eine vernünftige Möglichkeit sein, weil sie in der Lage ist, „ein Bewußtsein für die weltweit verletzte Solidarität, ein Bewußtsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit, zu wecken und wachzuhalten“ (Habermas 2008, 30f.). Das darf jedoch nicht über die sozialen Schattenseiten religiöser Überzeugungen hinwegtäuschen. Denn Religion kann aus Feinden Freunde machen, aber auch aus Freunden Feinde. Der
Literaturhinweise
Glaube an Gott kann den menschlichen Geist offenhalten und das Denken davor bewahren, sich mit zu wenig, mit dem Vorletzten zu begnügen anstatt bleibend nach dem Letzten zu fragen. Der Glaube an Gott kann Fragen unter dogmatistischen Festlegungen allerdings auch ersticken, den Horizont verengen anstatt ihn zu weiten und Probleme stillstellen anstatt sie wachzuhalten. Religion kann Menschen zu Opfern machen, anstatt Opfern eine Stimme und ein bleibendes Andenken zu geben. Wird Hoffnung, die möglich, aber nicht im strengen Sinne notwendig ist, „nach Art eines Wissens behauptet, kommt es zur Dogmatisierung, die den Religionen die Gründe für all das Leiden liefert, mit dem sie die Weltgeschichte bis heute überziehen“ (Gerhardt 2014, 196). Dieser Ambivalenz hat die Religion sich im Sinne kritischer Selbstaufklärung zu stellen. Dabei zeigt sich, dass Religion – gerade vor dem Anspruch der Vernunft – nicht ohne jenen Prozess auskommt, den Gerhardt als „Dogmatisierung“ bezeichnet, da eine Religion Auskunft darüber geben sollte, was sie glaubt, was sie also aus welchen Gründen erhofft. Dieser sachliche Gehalt des Glaubens wurde in der christlichen Tradition als „Dogma“ bezeichnet. Die Aufgabe der Theologie ist es aber, das Dogma der Kirche kritisch zu begleiten und darauf hinzuweisen, dass es epistemisch nur als „Auskunft über die Hoffnung“ (1 Petr 3,15) gerechtfertigt ist. Will es mehr sein, wird ein Dogma also nach Art des Wissens und nicht mehr im Modus des Glaubens als sichere Erkenntnis zustimmungseinfordernd dargestellt, hat die Theologie Einspruch zu erheben. Denn wenn schon Gottes Dasein unsicher ist, wie sollten dann Aussagen über sein Wesen oder seinen Willen sicher sein? Auf einen Blick
Über die These Kants, dem zufolge Gott nicht von der theoretischen Vernunft erkannt, sondern nur von der praktischen Vernunft postuliert werden könne, kommt ein vernunftbasierter Glaube nicht hinaus, aber auch nicht mehr hinter sie zurück. Der Glaube ist nur als Hoffnung denkbar. Dieser Hoffnung entgegenzustehen scheint das Theodizeeproblem, das allerdings – führt man es keiner vorschnellen Lösung zu – die Frage nach dem Sinn der Welt offenhält, die entweder verstummt oder dem erhofften Gott als möglichem Garanten von Gerechtigkeit und Bürgen der Rationalität entgegenschlägt.
Literaturhinweise Gerhardt, Volker (2014), Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche, München. Ein eng an Kant angelehnter, essayistisch gehaltener Ansatz, um Gott oder das Göttliche heute noch zu denken. Stosch, Klaus von (22018), Theodizee (UTB 3867), Paderborn. Kundige und sehr gut verständliche Einführung in die Theodizeeproblematik mit Sympathien für die „free will defense“. Tetens, Holm (32015). Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie (Was bedeutet das alles?), Stuttgart. Eine kurze Einführung in Grundannahmen des Theismus aus vorwiegend analytisch geprägter Sicht.
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IX. Ausblick
Freude am Argument
Religiöse Überzeugungen gehören zu den komplexesten Dingen, die menschliches Denken hervorgebracht hat, und die Idee Gottes zu den faszinierendsten Gegenständen dieses Denkens. Mit beidem beschäftigt sich die Theologie: mit religiösen Überzeugungen in ihrer positiven Dimension und mit Gott in ihrer spekulativen Dimension. Affirmativ hat die Theologie in einer immer säkularer werdenden Welt aufzuzeigen, „dass die Vernunft nicht dümmer wird, wenn sie einen spekulativen Konjunktiv in Beziehung auf Gott einhält“ (Buchheim 2013, 134), wenn sie also Gott als Möglichkeit der Weltdeutung erwägt. Darauf hinzuweisen, kann der Theologie nicht durch kulturpessimistische Verfallsnarrative oder rückwärtsgewandte Nostalgiephantasien, sondern nur durch nüchterne Argumente, ein gesundes Selbstbewusstsein und zugleich eine große Gesprächsbereitschaft gelingen. Dass Theologen dabei unbequem sind, weil sie das Denken „offen“ halten und immer wieder auf Gott als seinen möglichen Schlussstein verweisen, versteht sich von selbst. Der Wille zum Unbequemen darf die Theologie aber auch nicht verlassen, wenn es um innerkirchliche Angelegenheiten geht. Auch die christlichen Kirchen bedürfen in ihrem Glauben und Handeln der kritischen Begleitung und der Selbstaufklärung. Genau das hat die Theologie schonungslos zu leisten. Gerade dann erfüllt sie einen genuin kirchlichen Auftrag. Wer Theologin oder Theologe werden will, muss also in vielerlei Hinsicht streitlustig sein. Das dazu nötige Wissen, die dazu nötigen Argumente und die dazu gehörige Streitkultur zu vermitteln, ist Aufgabe des Theologiestudiums.
Literaturverzeichnis 1. Einführungswerke in die Systematische Theologie Der folgenden Aufstellung geht es darum, einige für Studierende am Anfang ihres Weges hilfreiche Werke zu benennen. Da Titel, wie „Systematische Theologie“, „Einführung in die Systematische Theologie“ oder „Studium der Systematischen Theologie“ gelegentlich in akademischem „understatement“ auch komplexe Großentwürfe bezeichnen, die sich nicht für Anfängerinnen und Anfänger eignen, bleibt die folgende Aufstellung selektiv. Danz, Christian (2016), Systematische Theologie (UTB 4613), Tübingen. Gut zu verstehende, einem profilierten Eigenansatz verpflichtete Einführung. Kleffmann, Tom (2013), Grundriß der Systematischen Theologie (UTB 3912), Tübingen. Vor allem die vernunfttheoretischen Überlegungen zu Beginn sind hilfreich. Klein, Rebekka A./Polke, Christian/Wendte, Martin (Hg.) (2009), Hauptwerke der Systematischen Theologie. Ein Studienbuch (UTB 3291), Tübingen. Sammlung von wichtigen Primärtexten, vornehmlich aus evangelischer Sicht. Mühling, Markus (2012), Systematische Theologie: Ethik. Eine christliche Theorie vorzuziehenden Handelns (UTB 3748) (Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft), Göttingen u.a. Systematische Theologie mit ethischem Schwerpunkt, was in der Einführungsliteratur selten vorkommt. Ruhstorfer, Karlheinz (Hg.) (2012), Systematische Theologie (Theologie studieren, Modul 3) (UTB 3582), Paderborn. Exzellente kurze Einführungen, jeweils von verschiedenen Fachvertretern geschrieben. Stock, Konrad (2011), Einleitung in die Systematische Theologie (De Gruyter Studium), Berlin u.a. Anspruchsvoller, umfangreicher Gesamtentwurf der Theologie. Stosch, Klaus von (32014), Einführung in die Systematische Theologie (UTB 2819), Paderborn. Eine an den Themen der Fundamentaltheologie orientierte, didaktisch gut aufbereitete und sachlich fundierte Einführung. 2. Zitierte Quellentexte a. Abkürzungen von Quellen COD I Conciliorum Oecumenicorum Decreta 1 (32002), im Auftrag der Görres-Gesellschaft ins Deutsche übertragen und herausgegeben unter Mitarbeit von Gabriel Sunnus und Johannes Uphus von Josef Wohlmuth, Paderborn. DH Denzinger, Heinrich (452017), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen.
Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping herausgegeben von Peter Hünermann, Freiburg im Breisgau. Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden mit gelegentlich leichten Modifikationen übersetzt nach: Rahner, Karl/Vorgrimler, Herbert (Hg.) (352008), Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils: Allgemeine Einleitung – 16 spezielle Einführungen – ausführliches Sachregister (Grundlagen Theologie), Freiburg im Breisgau. Die zitierten Texte des Konzils wurden folgendermaßen abgekürzt: DV Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum“ GS Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et Spes“ LG Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“ OT Dekret über die Ausbildung der Priester „Optatam Totius“ UR Dekret über den Ökumenismus „Unitatis Redintegratio“ b. Weitere zitierte patristische oder mittelalterliche Quellen Der besseren Auffindbarkeit willen werden gleich die – in diesem Buch gelegentlich aber modifiziert wiedergegebenen – deutschen Übersetzungen genannt. Abaelard (41979), Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa. Übertragen und herausgegeben von Eberhard Borst, Heidelberg. Aristoteles (1995), Metaphysik. Nach der Übersetzung von Hermann Bonitz bearbeitet von Horst Seidl (Philosophische Schriften 5), Hamburg. Augustinus (1911), Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 (Bücher 1–8). Aus dem Lateinischen übersetzt von Alfred Schröder (Bibliothek der Kirchenväter), Kempten u.a. Augustinus (1914), Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Alfred Hofmann (Bibliothek der Kirchenväter), München. Boethius (1847), In Topica Ciceronis Commentariorum (Patrologia Latina 64), Paris. Kant, Immanuel (1968), Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage 1787 (Kants Werke. Akademie-Textausgabe 3), Berlin. Kongregation für den Klerus, Das Geschenk der Berufung zum Priestertum. Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 209), Bonn 2016.
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Personenregister Adorno, Theodor W.
89, 150 Alembert, Jean le Rond de 39 Alexander von Alexandrien 115f. Annat, Pierre 53 Anselm von Canterbury 91f., 94, 103 Aristoteles 14, 30, 70, 76, 102, 149 Arius von Alexandrien 114f., 118 Athanasius von Alexandrien 115, 117 Auer, Alfons 60f., 150 Augustinus von Hippo 13f., 81, 85-89, 106, 139f., 149f.
Balthasar, Hans Urs von
9 Barnes, Jonathan 92, 150 Barth, Karl 107 Barthold, Claudia 150 Basu, Helene 151 Bayer, Oswald 72, 150 Bechina, Friedrich 150 Beckermann, Ansgar 97f., 150 Beinert, Wolfgang 153 Bernhard von Clairvaux 16 Bizer, Kilian 150 Bobbert, Monika 61, 150 Boethius 26, 149 Bonaventura 19 Bonitz, Hermann 149 Borst, Eberhard 16, 149 Böttigheimer, Christoph 67, 150 Brachtendorf, Johannes 88, 139, 150 Buchheim, Thomas 133, 137, 145, 148, 150
Cajetan (Thomas de Vio)
48 Calixt, Georg 44, 56 Cano, Melchior 70f. Caramuel y Lobkowitz, Juan 53 Casula, Mario 88, 150 Ceylan, Rauf 37, 150 Cicero 26, 33, 90f., 149, 153 Colli, Giorgio 152 Constans (Kaiser) 118 Constantius II. (Kaiser) 118f. Copleston, Frederick C. 103, 152 Craig, William Lane 95, 144, 152 Cyrill von Alexandrien 123 Czada, Roland 38, 150
Danz, Christian 119, 125, 127f., 130, 149f. Darwin, Charles 39, 151 Denzinger, Heinrich 40, 48, 54, 62f., 74, 116, 122f., 149 Descartes, René 39, 91f., 102 Diokletian (Kaiser) 115
Dreier, Horst 31, 150 Dünzl, Franz 130, 150 Dürnberger, Martin 10, 150
Ehrlich, Johann Nepomuk 54 Epikur 139, 141, 144 Ernst, Josef 112f., 150 Ernst, Stephan 56f., 58, 150 Eusebius von Caesarea 116 Feil, Ernst 33, 150, 153 Feldmeier, Reinhard 139, 150 Fiedrowicz, Michael 43, 47, 51f., 73, 150 Filser, Hubert 44, 150 Foucault, Michel 100 Frank, Günter 30, 150 Frey, Jörg 120, 130, 150f. Führ, Martin 150 Gabriel, Markus
77, 151 Galerius (Kaiser) 115 Gast, Wolfgang 70, 151 Gaunilo von Marmoutiers 91f. Gerhardt, Volker 39, 138, 147, 151 Goertz, Stephan 153 Graf, Friedrich Wilhelm 11, 151 Gratian (Kaiser) 119 Griffin, David Ray 143 Grillmeier, Alois 114, 151 Grotius, Hugo 79 Gutmann, Thomas 151
Habermas, Jürgen
146, 151 Harris, James F. 94, 151 Hartshorne, Charles 94 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 40 Heimbach-Steins, Marianne 64, 151 Hemminger, Hansjörg 40, 151 Hermanni, Friedrich 100, 102-105, 144f., 151 Herzer, Jens 130, 151 Hick, John 152 Hofmann, Alfred 86, 149 Homer 14 Hoping, Helmut 149 Hünermann, Peter 40, 48, 54, 62f., 68, 70, 74, 82, 116, 122f., 149, 151 Hüttig, Christoph 150
Irenaeus von Lyon
73
Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm
47
Personenregister Johannes Duns Scotus 30 Jonas, Hans 141-143, 151 Julian Apostata (Kaiser) 119 Justin der Märtyrer 51, 86, 114, 122
Moreland, J.P. 95, 144, 152 Mühling, Markus 67, 149, 152 Murrmann-Kahl, Michael 119, 150 Mutschler, Hans-Dieter 151
Käfer, Anne 130, 151 Kant, Immanuel 26f., 38f., 41f., 47, 53, 90-94, 96f., 99f., 102, 104, 107, 131-138, 145-147, 149, 151 Kasper, Walter 44, 151 Keckermann, Bartholomäus 40f., 76 Kehl, Medard 126, 151 Keller, Heinrich 85, 150 Kern, Walter 151f. Kessler, Hans 116, 151 Kiesling, André 151 Kleffmann, Tom 149 Klein, Rebekka A. 149, 152 Knapp, Markus 54, 151 Knöbl, Wolfgang 22, 151 Koch, Hans-Albrecht 18, 151 Konstantin (Kaiser) 69, 115, 117f., Krieger, Gerhard 23, 150f., 153 Krug, Wilhelm Traugott 53f., 151
Nestorius von Konstantinopel
Oberthür, Franz 152 Oelze, Andreas 70, 152 Origenes 52, 86, 111, 116 Ossius von Cordoba 116 Ostheimer, Jochen 65, 152
Laktanz 33 Langenfeld, Aaron 10, 150 Leibniz, Gottfried Wilhelm 39, 145 Leo X. (Papst) 72, 151 Leo XIII. (Papst) 47f., 62-64 Lerch, Magnus 10, 150 Lippe, Rudolf zur 150 Lohse, Bernhard 20, 151 Lübbe, Hermann 153 Luhmann, Niklas 35f., 40, 137f., 151, 153 Luther, Martin 19, 33, 44, 56, 70-72, 150f.
Quadratus (Apologet)
Mackie, John Leslie 92, 95, 97, 105, 151 Malcolm, Norman 94 Marconi, Diego 25, 151 Markion 111 Markschies, Christoph 115, 151 Markell von Ankyra 116 Marschler, Thomas 152 Mayer, Reinhold 152 McCall, Thomas H. 76, 82, 151 Melanchthon, Philipp 41, 70, 152 Menke, Karl-Heinz 130, 151 Merklein, Helmut 112, 151 Merz, Annette 112, 153 Metz, Johann Baptist 146, 151 Meuffels, Otmar 132, 151 Mieth, Dietmar 150 Milbank, John 80, 151 Mittelstraß, Jürgen 24-26, 151 Montinari, Mazzino 152
123 Neukamm, Martin 151 Newman, John Henry 39 Niemann, Franz-Josef 53, 152 Nietzsche, Friedrich 100-102, 152
Pascal, Blaise
145f., 152 Perler, Dominik 152 Petrus Abaelardus 15-17, 19, 149 Petrus Lombardus 40 Pickstock, Catherine 80, 151 Pius XII. (Papst) 40 Plantinga, Alvin 94f., 97, 144, 152 Polke, Christian 149, 152 Pollack, Detlef 35, 151f. Pottmeyer, Hermann Josef 46, 151f. Pröpper, Thomas 79f., 152 51
Raffelt, Albert 152 Rahner, Johanna 67, 152 Rahner, Karl 9-11, 45, 66, 107, 129, 149, 152 Ratzinger, Joseph / Benedikt XVI. (Papst) 83, 152 Reder, Michael 151 Ricken, Friedo 115, 152 Rohls, Jan 56, 76, 152 Rosenzweig, Franz 106, 152 Rudolph, Ulrich 152 Ruhstorfer, Karlheinz 149f. Russel, Bertrand 103, 152 Sajak, Clauß Peter 37, 150 Scaevola, Quintus Mucius 13 Schäfer, Rolf 152 Schärtl, Thomas 36, 128, 152 Schatz, Klaus 117, 152 Schleiermacher, Friedrich 125f., 152 Schmidt, Josef 29, 151f. Schmidt-Biggemann, Wilhelm 146, 152 Schmoeckel, Mathias 41, 152 Schneider, Theodor 151 Schneiders, Werner 150 Scholem, Gershom 152
155
156
Personenregister Schönberger, Rolf 101, 153 Schröder, Alfred 14, 86, 149 Schröter, Jens 111, 152 Schulthess, Peter 26, 152 Schwöbel, Christoph 40, 152 Searle, John R. 25, 36, 152 Seckler, Max 108, 151f. Seewald, Michael 36, 43, 47, 125, 131, 152f. Seidl, Horst 149 Sievernich, Michael 151 Spaemann, Robert 100f., 153 Spohn, Ulrike 151 Stekeler-Weithofer, Primin 77, 153 Stock, Konrad 149 Stolz, Fritz 34, 153 Stosch, Klaus von 139f., 147, 149, 153 Striet, Magnus 79, 104, 139, 153 Strohschneider, Peter 22, 153 Stubenrauch, Bertram 120f., 152f. Sunnus, Gabriel 149 Swinburne, Richard 97, 140, 153
Tertullian
52, 84f., 124, 150 Tetens, Holm 28, 138, 146f., 153 Theißen, Gerd 112, 153 Theodosius (Kaiser) 119 Thomas von Aquin 29-31, 40, 45, 47-50, 92, 95f., 98, 149 Tillich, Paul 127 Troeltsch, Ernst 74, 153 Tugendhat, Ernst 34, 78, 153
Ulrich, Jörg
118, 153 Uphus, Johannes 149
Valens (Kaiser)
119 Valentian (Kaiser) 119 Varro, Marcus Terentius 13f. Véron, François 44 Verweyen, Hansjürgen 55, 105, 153 Vinzenz von Lérins 43, 150 Voltaire 146 Vorgrimler, Herbert 45, 66, 107, 129, 149 Vossenkuhl, Wilhelm 57f., 60, 153
Ward, Graham 80, 151 Weinrich, Michael 34, 37, 153 Welte, Bernhard 152 Wendte, Martin 149, 152 Wenz, Gunther 65, 129, 153 Werbick, Jürgen 37, 153 Wiegandt, Klaus 151 Willems, Ulrich 151 Wohlmuth, Josef 149 Wolf, Hubert 20, 47, 153 Wolf, Ursula 78, 153 Wolff, Christian 88, 150 Wolgast, Eike 18, 153 Wurst, Melanie 10, 150 Zielinski, Thaddäus
91, 153
Abbildungsnachweise Abb. 1 (Karl Rahner): akg-images/picture-alliance/dpa Abb. 2 (Abaelard und Heloise): Heritage Images/Fine Art Images/akg-images Abb. 3 (Unterschrift Kants): akg-images/WHA/World History Archive Abb. 4 (Darwin): akg-images/Archie Miles Abb. 5 (Thomas von Aquin): akg-images/Veintimilla Abb. 6 (Martin Luther): akg-images Abb. 7 (Ernst Troeltsch): akg-images Abb. 8 (Augustinus): akg-images/Erich Lessing Abb. 9 (Anselm von Canterbury): akg-images/Bildarchiv Steffens Abb. 10 (Zweites Vatikanisches Konzil): akg-images/picture-alliance/Gerhard Rauch Abb. 11 (Arius): Yvan Travert/akg-images Abb. 12 (Konzil von Nicaea): Heritage Images/Fine Art Images/akg-images