Dr. Carl August Credner: Eine biographische Skizze [Reprint 2021 ed.]
 9783112444689, 9783112444672

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Dr. Carl Auguji Lredner. Eine biographische Skizze.

Studio et amore elucidandae veritatis in nomine Domini nostri Jesu Christi, Luther. Credner, Clnl. in- N. T.

Deck«. Georg

Keime r. 1858.

wäre dem Verfasser dieser Zeilen eine Herzensfreude, wenn eine kundigere und gewandtere Hand, als die seine, die Zeichnung des Lebensbildes, welche hier in flüchtigen Umrissen versucht werden soll, unternommen hätte. Leider find Bemühungen dies zu erreichen gescheitert, doch als Er­ satz bleibt die zum Glück sichere Hoffnung, daß bald an ei­ ner anderen Stelle geschieht, was auch an dieser so erwünscht gewesen wäre. — So möge denn die Darstellung des Ver­ fassers mit seiner alten Liebe zu dem hochverehrten Lehrer, dessen Andenken diese Worte gewidmet sind, und mit dem Gefühle entschuldigt werden, daß einem Manne, welcher diese Zeitschrift gründen half und dessen Name mit an ihrer Spitze gestanden hat, nach seinem, Tode ein eingehenderes Denkmal in derselben nicht fehlen sollte.*) 1. Die Zeit der Vorbereitung. Carl August Credner wurde, der Aelteste von 8 Ge­ schwistern, den 10. Januar 1797 zu Waltershausen bei Gotha, wo sein Vater Pfarrer war, geboren. Hier, in den Jahren früher Jugend, sind in dem Knaben wohl schon die Grundlagen zu jenem klaren, folgerichtigen Denken, das den Mann auszeichnete, gelegt worden. Sein Vater ertheilte ihm den ersten Unterricht, und als eifriger Verehrer der kantischen Philosophie und der Naturwissenschaften wußte er auch in dem Sohne einen Sinn für Klarheit und Wahrheit zu wecken, der dem des großen Philosophen ähnlich ist, und zugleich des Sohnes Neigung zur Naturkunde namentlich auf die Mine­ ralogie hinzulenken, in welcher Wissenschaft derselbe später ähnlichen Forschergeist und ähnliche Gründlichkeit bewies, wie in seinem eigentlichen Fachstudium — der Theologie. Seine weitere Vorbildung zur Universität erhielt Credner auf *) Der Vers giebt die Quellen nicht an, welche seiner Dar­ stellung zu Grunde liegen, weil er glaubt, daß ein Zeitungsartikel dies nicht erfordere, hofft aber, daß die Leser es der Darstellung anfühlen werden, wie fie gewissenhaft auf wahre Quellen gegrün­ det ist.

4 dem Gymnasium zu Gotha seit 1812 und bezog 1817 die Universität Jena, verließ diese aber schon Michaeli desselben JahreS, um in Breslau seine Studien zu vollenden. Hier war es vornehmlich Professor Augusti, ein alter Freund seiner Familie, von dem er sich angezogen fühlte, der ihn in einem späteren Empfehlungsbrief für eine Professur in Gießen „einen der vorzüglichsten seiner Schüler" nennt, und welchem er, als seinem „zweiten Vater" stets die wärmste Dankbar­ keit bewahrte. Orientalische Sprachen und, angeregt durch den Besuch des theologischen Seminars, die alten Kirchen­ väter haben ihn zu jener Zeit am meisten beschäftigt; Freund­ schaften, auch mit Katholiken, wurden geschloffen, deren er in späteren Lebensjahren noch mit Liebe gedenkt. Viertehalb Zahre währte seine Studienzeit zu Breslau, und nach Absolvirung derselben im Jahre 1821. faßte er den Entschluß als Missionar nach Ostindien zu gehen. Ein kindlich from­ mer Zug, der, so sehr ihm auch seine Feinde daS Gegentheil vorwarfen,, doch in seinem Charakter lag und eine reine Be­ geisterung für deS Christenthums Größe und Ausbreitung mag ihn zu diesem Vorsatz getrieben haben, aber die Aus­ führung desselben scheiterte eineStheilS an der hohen Mei­ nung Credners von der Aufgabe des Misstonswerks, zu de­ ren Lösung er, bei genauerer Prüfung, seiner Kraft miß­ traute, anderntheils an den dogmatischen Forderungen, deren Erfüllung man als Bedingung des Eintritts in den Mis­ sionsberuf von ihm verlangte. Da er somit sein Vorhaben aufgeben mußte, begab er sich 1821 nach Göttingen in der Hoffnung, eine dort vakante Repetentenstelle zu erhalten und nahm, als er diesen Posten schon besetzt fand, in genannter Stadt eine Hauslehrerstelle an. Treffliche Gelegenheit zu weiterer Ausbildung bot ihm die dortige ausgezeichnete Uni­ versitätsbibliothek dar und zugleich verfolgte er seine natur­ wissenschaftlichen Studien, indem er bei Hausmann Minera­ logie, bei Strohmeier Chemie hörte. So brachte er einige Jahre lehrend und lernend in Göttingen zu und übernahm dann eine Erzieherstelle zu Hannover in einer angesehenen Familie. Dort wurde er mit den höchsten Kreisen der Ge­ sellschaft bekannt, lernte ebenso wahre, edle Aristokratie ehren, als das Junkerthum verachten. 1827 ging er nach Jena zurück, erwarb sich daselbst durch Vertheidigung seiner Disser­ tation: „De prophetarum minorum versionis Syriacae, quam Peschito dicunt, indole’6 die philosophische Doktor­ würde und habilitirte sich sodann im darauf folgenden Jahre

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mit seiner Abhandlung: „De librorum N. T. inspiratione quid statuerint christiani ante saeculum tertium medium66 als Privatdocent daselbst. — Nunmehr eingetreten in daS akademische Lehramt eröffnete sich ihm eine längere Zeit se­ gensreichen, ruhigen Wirkens, freilich unter viel Arbeit und durchzogen von manchem Leid. Wir widmen dieser LebenSperiode des theuren Mannes dinen zweiten Abschnitt. 2. Die Jahre ruhiger Wirksamkeit. Mit vielem Beifall wurden CrednerS Vorlesungen zu Jena gehört, aber noch in demselben Jahre auf eine trau­ rige Weise für längere Zeit unterbrochen. Die Liebe zur Mineralogie führte den eifrigen Geognosten im Herbste 1828 in den Harz, wo ihm ein unglücklicher Fall von einem Fel­ sen deS Brocken eine so heftige Gehirnerschütterung zuzog, daß er noch im darauffolgenden Sommer Heilung in Bä­ dern suchen mußte. Gegen Herbst 1829 indeß vollständig wieder hergestellt, trat er seinen akademischen Beruf von neuem an und errang solche Erfolge, daß ihm schon im Jahre 1830 eine außerordentliche Professur in der Theolo­ gie übertragen wurde. In dieser Zeit gründete er seinen wissenschaftlichen Ruf durch ausgezeichnete, in vieler Bezie­ hung bahnbrechende Arbeiten. Seine- treffliche Abhandlung über Essäer und Ebioniten in Wieners Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, seine kritisch scharfe und doch warme Erklärung des Propheten Joel sind Zeugnisse seiner zu Jena entwickelten Thätigkeit und werden stets mit Ehren genannt werden. — So lieb ihm indeß die Univer­ sität seiner Heimath war, und so gerne man ihn dort fest­ hielt, so sehnte sich doch der außerordentliche Professor ohne Gehalt nach einer anderen, gesicherteren Stellung. Er wandt« zuerst seine Blicke nach Berlin, aber vergeblich; einen Ruf nach Bonn, zu dem schon die Einleitung getroffen war, wies er aus Rücksicht auf seinen väterlichen Freund Augusti zu­ rück; — da eröffnete sich ihm die Aussicht nach Gießen, für welche Universität man einen Kirchenhistoriker suchte. Unter dem 1. Dezember 1831 geschah die Berufung und Credner, dem von Augusti Gießen als sehr angenehmer Ort und vor allem die Eintracht seiner Professoren als muster­ haft geschildert war, sagte auf der Stelle zü. Sehr ungern ließ man ihn von Jena ziehen; man trug ihm Gehalt an, man versicherte ihn der Anerkennung, welche seine Verdienste um die Wissenschaft und die Universität höchstens Orts ge­ funden hatten, aber Credner blüh seiner Zusage treu, sagte

6 dem ihm so lieben Jena Lebewohl und fiedelte im April 1832 nach Gießen über. Kurz vorher hatte er sich mit einer Tochter des Historikers Luden, welche ihm bis an sein Le­ bensende als treue, aufopfernde Gattin zur Seite stand, verbunden. Mit einem lieblichen Bilde von dem wissenschaftlichen und socialen Leben der Universitätsstadt Gießen im Herzen kam Credner dorthin; leider aber verdüsterten sich die Far­ ben dieses Bildes bei näherem Einblick in die Verhältnisse gar sehr. Mehrere Professoren der theologischen Facultät waren, obgleich sehr ehrenwerthe, so doch hochbejahrte, zur Arbeit fast nicht mehr taugliche Männer; im Lesen der Collegien, in der Vertheilung der Fächer unter die Docenten, in der Examinationsweise und in manchen anderen Stücken waren Mißbräuche eingeriffen, die ein gedeihliches Wirken der theologischen Lehranstalt fast unmöglich machten. Alte gute Gesetze waren eingeschlafen und wenig gute Observanz, oft reine Willkühr, war an ihre Stelle getreten. Die Rückwirkung dieser Zustände auf die Studirenden zeigte fich natürlich sehr klar. Großer Mangel an wissenschaftlichem Sinn, ein Arbeiten nur um das ohnehin leichte Examen be­ stehen zu können, ein oft rohes Wesen characterisirte die Gießener Theologiebefliffenen jener Zeit. Die theologische Fa­ cultät war zu einer nothdürftigen Abrichtungsanstalt, die Theologie zu einem bloßen Brodstudium herabgesunken. Nur wenige bessere Köpfe rangen fich, oft erst mit Hülfe fremder Universitäten, mühevoll empor. — In diese unerquicklichen, nach manchen Seiten hin chaotischen Zustände trat Credner als einzige jüngere, zum Reformiren ausgerüstete Kraft ein; zur Kraft gesellte fich der eifrige, feste Wille zu bessern, so weit die Kraft reichte. Der eigne Geist drängte, die Ver^ hältniffe drängten, man drängte von oben und von unten, und so stürzte sich der rüstige Professor in eine Arbeitslast, welcher nur eine Gesundheit an Leib und Seele, wie die seinige gewachsen war. Das Studium der alten, in vieler Beziehung vortrefflichen UniversitätSgesetze, die Sorge und Mühe für Aufrechthaltung oder Restaurirung dieser Gesetze, eine bedeutende Thätigkeit in den Verwaltungsbehörden der Universität verbanden fich mit Versuchen ein wissenschaftlich­ theologisches Seminar zur gelehrten Bildung der Studiren­ den zu gründen, einen UniversttätSgottesdienst zur religiösen Anregung derselben einzurichten, die ExaminationSweise zu ändern, den Besuch der Collegien zu heben und zu regeln.

7 Fast dir ganze Zeit des thätigen Mannes war durch diese Bemühungen in Anspruch genommen, ja zersplittert. Man­ ches gelang ihm. Manches scheiterte an oft grundlosem Wi­ derspruch, oder an Eifersüchtelei und geheimer Intrigue. Aber Credners Kraft erlahmte nicht, am wenigsten für seinen eigent­ lichen wissenschaftlichen und Lehrberuf. Für Kirchengeschichte war er bestellt, und er las sie mit großem Eifer und unter großer Theilnahme. Einen Zweig der theologischen Wissen­ schaft pflanzte er neu in die Universität: — die Einleitung ins Neue Testament. Das Grundfach aller Theologie, die ueutestamentliche Exegese, war in schwachgewordnen Händen, — Credner trug, aus Rücksicht auf einen älteren Collegen, zuerst nur die kleineren Paulinischen Briefe, darauf, als jene Rücksicht schwand, das Evangelium des Johannes, dann spä­ ter die meisten Schriften des Neuen Testaments vor, und wir erinnern uns noch recht wohl mit Freude daran, wie diese Vorträge gleich einem frisch belebenden Hauche durch den stagnirend gewordenen exegetischen Dunstkreis zogen. Ein großer Mangel lag in der sehr ungenügend, eigentlich gar nicht besetzten professura Hebraei. Credner drang von al­ lem Anfang auf die Berufung eines tüchtigen Docenten, aber bis dorthin, so wünschte man von oben, sollte er für sehr geringe Belohnung die provisorische Versehung dieser Stelle zu seinem Amte übernehmen. Auch dies geschah — und fast 6 Jahre lang lastete diese Arbeit auf den Schultern des be-' ladenen Mannes. Und dennoch fand er noch Zeit einen großen Theil der Universitätsbibliothek zu ordnen, ohne Bi­ bliothekar zu fein, und sogar den mineralogischen Samm­ lungen der Universität Aufmerksamkeit zu widmen. Diese zersplitterte Thätigkeit artete bei Credner indeß nie in Oberflächlkchkeit aus. Sein tiefer Sinn für Wahrheit und Treue, seine daraus hervorgehende, sich auf das Geringfügigste er­ streckende Gründlichkeit ließen ihn für jede einzelne That stets seine ganze Persönlichkeit in die Wagschale werfen und nie­ mals resultatlos wirken. So wird es denn auch begreiflich, daß aus den Jahren 1832—1847 eine Anzahl wissenschaft­ licher Werke von ihm vorliegt, welche überall die Züge sei­ nes Fleißes, seines reichen Wissens und seiner Gründlichkeit tragen. Durch seine „Beiträge zur Einleitung in die biblischen Schriften", durch sein Buch „zur Ge­ schichte des Canons", vor allem durch sein Hauptwerk, die „Einleitung ins Neue Testament I." eine auf tiefes Quellenstudium baflrte, mit reicher Gelehrsamkeit aus-

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gerüstete, selbst nach dem Zeugniß von Theologen anderer Richtung zwar in „freierem, aber doch vermittelndem und gemäßigtem Tone" gehaltene Schrift, — durch alle diese Werke hat sich Credner eine ehrenvolle Stelle in der Theo­ logie und den Dank der Wissenschaft erworben. — Der wärmste Dank seiner Schüler aber gebührt ihm für die Sorgfalt, welche er auf seine Vorlesungen wandte, für die stete Anregung, die er durch dieselben gab, für sein freund­ liches, väterliche- Benehmen gegen Alle, welche in nähere Verbindung mit ihm treten wollten. Dieser Dank wurde ihm denn auch, wenn gleich nicht in dem reichen Maaße, in welchem er ihn verdiente, zu Theil. Das zeigte sich, außer in seiner letzten Krankheit, besonders im Jahre 1841, als ein gastrisch-nervöses Fieber ihn an den Rand des Grabes brachte. Viele im Lande nahmen damals Theil an seinem Leide und freuten sich dann seiner Wiedergenesung. — Ein Character, wie Credner, geht nicht ohne Kampf durchs Leben. Das Walten rüstiger Kraft erregt oft schon Widerstand,'guter Erfolg weckt den Neid und die Mißgunst und das Wirken für Wahrheit und Recht führt die Lüge und Verläumdung in den Streit. Dies sind wohl die drei Quellen, aus denen für den nicht streitsüchtigen Mann ener­ gische Feindschaften flössen, welche durch ein hier und da wohl schroffes Benehmen des. in gutem Bewußtsein handelnden und Besserung erstrebenden Gelehrten und Beamten vermehrt wurden. So beginnt für den aus tiefstem Grunde feines Herzens sich nach Ruhe und Muße Sehnenden 3. ein Jahrzehnt des Kampfes, welches ihm vielfach die Heiterkeit der Seele geraubt, die letzten LebenStage verbittert, vielleicht seinen Tod beschleunigt hat, — Es war zu Anfang der dreißiger Jahre, als die jesuiti­ schen Führer des römischen Katholicismus mit geheimer Kunst die ersten Steine zu jenem Gebäude von Macht und Einfluß in dem protestantischen Deutschland legten, das in den Köllner Wirren der Staatsgewalt gegenüber und in der Trierer Rockfahrt bezüglich der Volksgunst seine Kraft und Halt­ barkeit zum erstenmal erprobte, seit 1848 aber zu himmelanstrebenden Zinnen emporgewachsen ist. Die politischen Re­ gungen von 1832 gaben erwünschten Boden und treffliches Material und es währte nicht lange, so durchdrang der Geist, welcher in jenem Gebäude wohnt, viele der mächtig­ sten Kreise Deutschlands; der Geist der absoluten Autorität,

9 womit man den Geist der Freiheit zu bannen trachtet. Sollte aber dieser Geist ohne Widerstand herrschen, sollte namentlich aus ihm das süße Traumbild jesuitischer Hoff­ nungen und letzte Endziel jesuitischer Bestrebungen, die un­ bedingte Oberherrlichkeit der römischen Hierarchie, sich zur reellen Wirklichkeit gestalten können, so mußte man die Ju­ gend in die Bahnen jenes Geistes zu lenken, ihm in den Her­ zen der herankommenden Geschlechter eine mächtige Zukunft zu bereiten suchen. Darauf richtete man namentlich nach 1834 sein Augenmerk. Reformation der deutsch-protestanti­ schen Universitäten in dem soeben bezeichneten Sinne, Herab­ drückung derselben zu bloßen Unterrichts- und Zuchtanstalten war das Erste, was man beabsichtigte. Auch Gießen litt sehr bald unter diesen Versuchen. Durch die Anneration ka­ tholischer LandeStheile an die früher rein protestantische Land­ grafschaft Hessen-Darmstadt war die Landesuniversität nach und nach eine paritätische geworden. In den dreißiger Jah­ ren aber wußte man alle einflußreichen und dirigirenden UniversitätSstellen in die Hände von Katholiken zu bringen. Eine ganze Anzahl von Aemtern und die größte Macht in allen Universitätsangelegenheiten vereinigte jedoch ein Mann in seiner Hand: der Universitätskanzler, geheime Staats- und Ministeriairath Freiherr Dr. Joh. Tim. Balth. von Linde, früher Professor der Jurisprudenz, ein Katholik ausgeprägtester Schule, der Schöpfer und langjährige Erhal­ ter des katholischen Einflusses auf einer von dem Reformationshelden Philipp, dem Großmüthigen, und seinem treu­ evangelischen Nachkommen Ludwig V. gestifteten Universität. Mit ebensoviel Klugheit, als Kühnheit verfolgte dieser Mann seine Pläne. An den aus der Zeit des großen Landgrafen Philipp herrührenden, zunächst für arme Studirende protestan­ tischer Theologie gestifteten, zu einem Theile von protestanti­ schen Gemeinden unterhaltenen Stipendien sollten die Katho­ liken gleichen Antheil haben; — sie bekamen bei der Armuth der meisten Beflissenen der katholischen Theologie bald über­ wiegenden Antheil. Die Disciplin sollte in absolutem Geiste gehandhabt, der Unterrichts- und Studienplan in römischem Sinne umgestaltet werden. . Das waren Lindes, in erster Reihe stehende Absichten. Sein Terrain hatte er wohl ge­ ebnet, aber entgegen stand ihm — Credner, der sich als pro­ testantischer Theologe in seinem Gewissen verpflichtet hielt für den protestantischen Geist der Universität zu kämpfen und welchem in den höchsten Kreisen des Adels und der Landes-

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geistlichkeit Ansichten zur Seite waren, die mit den seinen gar vielfach übereinstimmten. Mit feinem, geschichtskundigem Sinne hatte der protestantische Kirchenhistoriker die Absichten des römischen Juristen erlauscht und sich ihnen mit der gan­ zen Macht seiner Geistesklarheit, Wahrheitsliebe und Männ­ lichkeit entgegengeworfen. Mannigfache Versuche ihn in das römische Lager zn ziehen scheiterten an seinem evangelischen Gewissen, — aber damit war Ruhe und Frieden im dienst­ lichen Leben deS protestantischen Professors dahin, denn Rom haßt, wo eS seine geheimen Absichten entdeckt sieht und scheut kein Mittel das zu vernichten, was Widerstand leistet. Auf directem, amtlichen Wege war jedoch dem geisteSscharfen, amtstreuen Manne nicht wohl anzukommen. Zwar hatte man dies im Jahre 1839, als unter Credners Rektorat durch inkonsequente, von Credner mißbilligte Handhabung der Dis­ ciplin ein Tumult der Studirenden entstanden war, versucht, jedoch ohne Glück. Darum wurde der Weg der Oeffentlichkeit eingkschlagkn. In der öffentlichen Meinung, die von Rom nicht geachtet, aber, wo eS dem Zweck dient, benutzt wird, sollte Credner erst fallen, wo möglich sollten sich Pro­ testanten gegen ihn aussprechen, er sollte auf der LandeSuniversttät, wie man sagt, unmöglich gemacht werden. Dann war eS leichter ihm auch von dienstlicher Seite einen ver­ nichtenden Stoß zu geben. An einem Artikel Credners in den Heidelberger Jahrbüchern von 1844, betitelt: „kirchliche Zustände" griff v. Linde die Sache an. In einer Schrift: „Staatskirche, Gewissensfreiheit rc." citirte er Credners Worte auf unrichtige Weise und ließ durchleuchten, daß Credners theologischer und religiöser Standpunct in der protestantischen Kirche unberechtigt sei. Iournalartikel vollendeten die An­ klage und zogen sie mehr auf das Feld der Persönlichkeit. Credner antwortete in einer Note der Schrift: „Die Be­ rechtigung der protestantischen Kirche Deutsch­ lands zum Fortschritt auf dem Grunde der hei­ ligen Schrift", — aber damit hatte er sich in einen Kampf hartnäckiger uud gefährlicher Art eingelassen, einen Kampf, der um so schwerer war, als er dem hohen, mäch­ tigen Vorgesetzten des Angefochtenen galt, einen Kampf, den nur ein Mann siegreich durchfechten konnte, welchem Recht und Wahrheit, Muth und Kraft in so reichem Maße zur Seite standen, als Credner. Nächst dem römischen Juristen traten bald auch zwei protestantische Theologen, Anhänger des orthodoxen LutherthumS, auf den Kampfplatz, der Eine

versuchend dem Angegriffenen den theologischen, der Andere den historischen Boden unter den Füßen hinwegzuziehen, wie Linde den rechtlichen Standpunct Credners in Frage gestellt hatte. Beide Theologen aber griffen die Schrift: „Berech­ tigung der protestantischen Kirche Deutschlands zum Fort­ schritt rc." an, worin Credner mit Scharfsinn aus dem Geiste und der Form der Beschlüsse des augsburger und westphälischen Friedens und der deutschen BundeSacte nachgewiesen hatte, daß in Deutschland principiell nicht 3 Confessionen, die lutherische, reformirte und römische, sondern nur zwei staatlich berechtigt seien, — eine, die allein auf dem Grunde der heiligen Schrift steht und sich gegenwärtig in zwei Theile, einen lutherischen und-einen reformirten trennt und eine an­ dere, deren Stützpunkt Tradition und Hierarchie ist, die rö­ mische Confession. Freilich ein Beweis eben so unbequem der lutherischen Orthodoxie, als der römischen Hierarchie, denn in ihm liegt die Begründung, daß in Deutschland Lutherthum und Calvinismus nicht allein privilegirt sind, sondern daß jegliche religiöse und kirchliche Richtung staat­ liche Berechtigung hat, deren alleinige Norm das Wort Gottes ist, — also auch die Union, selbst wenn sie zur Bildung einer neuen protestantischen Confession fort­ schreiten sollte. — Die protestantischen Gegner gaben den Streit bald auf, Herr von Linde aber verließ nicht eher den Kampfplatz, als bis — zu völliger Besiegung. Schrif­ ten wurden zwischen den beiden Gegnern hinüber und her­ über gewechselt; Linde'schen gereizten und ungerechten An­ griffen auf Stellung und Character antwortete Credner mit bewunderungswürdiger Schärfe und männlichem Muthe, aber leider auch nicht ohne Bitterkeit. So überschritt der Streit die Schranken des maßvollen, literarischen Anstandes. Doch Credner hatte die heiligsten Güter zu vertheidigen, seine so­ ciale und amtliche Stellung, die Ehrenhaftigkeit seines Cha­ rakters, selbst seine wissenschaftliche Geltung; in solcher Lage ist es wohl auch für die edelsten Persönlichkeiten schwer das rechte Maaß im Streit zu halten. — Nachdem der Kampf beinahe vier Jahre gedauert hatte, verließ von Linde das Feld und trat bald darauf aus dem hessischen Staatsdienste aus. Der protestantische Theologe war Meister über den römischen Juristen geworden. Doch Rom kämpft der Hydra gleich; der Fall des Einzelnen ist nicht der Fall des Systems. Was Credner in geschichtskundigem Geiste geahnt, was er oft warnend vorausgesagt hatte, geschah, — der Ultramon-

12 taniSmuS wurde eine Macht im Lande, durch die flch alle treuen protestantischen Herzen gebeugt fühlen. Das Auftre­ ten des Bischofs Kettler, die Vernichtung der katholisch theo­ logischen Facultät zu Gießen, die Angriffe gegen den Pro­ testantismus durch Hirtenbriefe und Jesuitenmissionen, — Credner mußte alle diese Zeichen der Zeit noch mit erleben und wenn er dabei auf das immer mehr zunehmende Beißen und Fressen der Protestanten unter einander schaute, wenn er die mangelhafte Organisation der hessischen Landeskirche betrach­ tete, die, durch die Bureaukratie rein bureaukratisch regiert, zu compacter Einheit und kräftigem Auftreten nicht kommen zu können, scheint und die viele Glieder, Nichtgeistliche und leider auch Geistliche, zählt, welchen noch nicht einmal ein Gefühl von den wahren Bedürfnissen ihrer Kirche"aufgegangen ist, — da mag der protestantische Mann es oftmals schmerzlich empfunden haben, daß er mit seinen Warnungen die Rolle der Cassandra habe, und eS wird begreiflich, was er schon im Jahre 1852 gegen den Verfasser aussprach r „ich habe eine Schrift unter der Feder, welche Beides sagen soll: was die Ultramontanen wollen und zugleich, was Recht ist in der protestantischen Kirche Hessens, aber," so setzte er hinzu r „ich zweifle, ob eS helfen wird; es mangelt im Lande zu sehr an geschichtlichem Sinn und Wissen." — Die angedeutete Schrift erschien, hervorgerufen durch be­ sondere Veranlassung und wurde eine Quelle neuen Streites bitterster Art für ihren Verfasser. Es war: „Philipps, des Großmüthigen, Hessische KirchenreformationSOrdnung." Die Ursache ihrer Abfassung liegt theils in den kirchlichen Regungen der Jahre 1848 und 1849, theils in Angriffen der Hengstenbergischen Kirchenzeitung auf die Stellung der Gießener theologischen Facultät zur Kirche und zum religiösen Leben. — Der Ruf nach Synodalverfaffung schallte damals durch das Land, und, wie eö denn im Geiste jener Jahre lag, die Sache wurde alsbald etwas tumultuarisch von unten her in Angriff genommen. Eine kirch­ liche Volksversammlung fand zu Darmstadt ganz im herr­ schenden Tone statt. Credner, welcher anwesend war, wurde zum Präsidenten gewählt. Wenn jedoch irgend eine Ver­ sammlung Mangel am Verständniß kirchlicher Dinge und an Sinn für Behandlung religiöser Fragen litt, so war eS diese. Die Zusammenkunft artete in einen demokratischen Convent aus, und Credner, dem zur Leitung solcher Massen­ bewegungen Tact und Gewandtheit fehlten, that wenig, ihr

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jenen Character zu nehmen. Es wurden Zusagen für Ein­ führung einer neuen Kirchenverfaffung „auf breitester Basis" gemacht. Ex tabula rasa sollte der Neubau aufgeführt werden. Gegen eine solche Behandlungsweise sträubte sich jedoch alsbald der historische Sinn CrednerS. Wie er, als treuer Anhänger des monarchischen Princips, seines Fürsten und der Verfaffung seines Landes, nie politischen Schwinde­ leien und ungeschichtlichen politischen Agitationen das Wort redete, so auch, und noch viel weniger, konnte er Schwinde­ leien und unhistorische Agitationen auf kirchlichem Gebiete billigen. Er suchte darum für die gewünschte Synodalverfaffung Anknüpfungspunkte in der hessischen Geschichte; er suchte einen Rechtsboden, auf dem mit Aussicht auf Erfolg und mit GewiffenSruhe gebaut werden könnte. In den kirchlichen Einrichtungen des Gründers des Protestantismus in Hessen, deS Landgrafen Philipp, des Großmüthigen, vor allem in den Beschlüssen der Homberger Synodalversamm­ lung von 1526, einem Werke jenes, großen Fürsten und seines Theologen, Lambert von Avignon, glaubte er ihn ge­ funden zu haben. So gab er denn 1852 jene KirchenreformationS-Ordnung heraus, eingeleitet durch ein Vorwort, in welchem er kirchliche Zeiterscheinungen berührte, seine Ueberzeugung von dem kirchlichen Rechte in Hessen aussprach und seine Ansicht über die Principien deS Protestantismus offen darlegte. Gottes Wort in heil. Schrift ist oberstes Princip des Protestantismus und in Hessen gründen sich alle kirchlichen Rechte allein auf dieses Princip, nicht auf Sym­ bole, welche man jedoch, als werthe Zeugnisse evangelischen Glaubens, in gebührender Achtung halten soll, — das waren CrednerS Resultate. Diese historischen Darlegungen, sammt anderen Aeußerungen erregten aber nun das höchste Mißfallen der seit 1848 zu frischerem Leben erwachten orthodox-lirtherischen Partei, eines kleinen, jedoch höchst rührigen und kecken Häufleins. Ein Namenloser schrieb im Namen vieler Namenlosen gegen das Credner'sche Buch. Credner, hinter der Maske der Anonymität alte Feinde aus dem Linde'schen Streit sehend, antwortete leider in gereiztem Tone und ließ seine Überlegenheit fühlen. Da zogen die Gegner den Kampf aus dem Gebiete der Wissenschaft in das Gebiet der Volks­ masse herab. Flugblätter gegen den Universitätsprofeffor füllten das Land, wurden durch die Post verbreitet, durch Pfarrer und Bauern eolportirt. „Steige herab vom Ka­ theder, überlaß Besseren, als Du deinen Sip," das war

14 des auf den Straßen gesungenen Liedes Refrain. Nament­ lich eines dieser Flugblätter, unterzeichnet von den Jungen und Jüngsten der Partei, ist ein Muster jung>luther'scher Kampfesweise. Es sei uns um so mehr vergönnt einige Pröbchen dieses von unrichtigem Verständniß, Verdrehung und Unwahrheit strotzenden Machwerks zu geben, als unseres Wissens nur wenig zur öffentlichen Vertheidigung des An­ gegriffenen gethan worden ist, und er selbst geschwiegen hat. Credner soll die relative Entbehrlichkeit der heiligen Schrift behauptet haben, — er aber hatte im angefochtenen Vor­ wort zur „KirchenreformationS-Ordnung" geschrieben: „unsere heiligen Schriften sind unentbehrlich." Er wird angeklagt die Selbstverständlichkeit der heil. Schrift und die Nützlichkeit des^LesettS derselben für Alle bestritten und damit den rö­ mischen Katholiken nicht unbedeutende Zugeständnisse gemacht zu haben. Credner jedoch hatte aus längerer Erörterung den Schluß gezogen: „die Bibelforschung, d. h. das Suchen, nicht das entschiedene Auslegen (zu dem mannigfaltige Kennt­ nisse gehören, in deren Besitz nicht Jeder ist), sollen wir frei geben. Wir sollen darauf hinwirken, daß die Bibel von Allen fleißig gelesen und dabei in ihr geforscht werde." Der Angefochtene sollte gegen die Bibelgesellschaften, gegen äußere und innere Mission sein; doch von Ersteren, welche er um der freien Bibelforschung willen schon billigen mußte, hat er kein Wort geredet, — und der Missionsberuf: er war ihm von je her ein höchst heiliger, er 'war sein Jugend­ ideal! — Nachdem denn die Gegner dem Manne, welchem sie nicht werth waren die Schuhriemen aufzulösen, auf diese Weise versucht hatten den biblischen Boden zu nehmen, ver­ suchten sie auf dieselbe Art ihn auf kirchlichem Gebiete rechtS-los zu machen und die Concluston war: der Professor Credne?r steht außer der Schrift und der christlichen Kirche, er kann nicht mehr Lehrer der Theologie sein. Im Maffensturmlauf sollte der Verhaßte gestürzt werden. Und die, welche solches schrieben und wollten, waren fast Alle seine Schüler! Selten ist gegen einen treuen, zum tiefsten Dank verpflichtenden Lehrer mit mehr Impietät gehandelt worden, selten haben sich Schüler ein größeres Zeugniß innerer Un­ lauterkeit ausgestellt, selten haben protestantische Theologen einen größeren Beweis.von Unchristlichkeit gegeben, selten ist eine kirchliche Parthei ungescheuter in partheiwuthathmender Nacktheit aufgetreten, als jene Gegner Credner's es damals thaten. Nur durch Eins möchte der unchnftliche Geist des

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bezeichneten Pamphlets noch übertroffen worden, durch bafr ekelhafte Wort des gehässigsten Fanatismus, welches wir zu der Zeit lasen, als Credner, durch schwere TodeSkrÄnkheit heimgesucht, die Sprache verloren hatte: „Gott hat ihm aufs Maul geschlagen." — Aufs Tiefste und Schmerzlichste fühlte sich Credner durch jene Angriffe verwundet. „Ich habe es schon oft genug erklärt, daß es mich nur freuen kann, wenn recht viele meiner Zuhörer eS mir zuvorthun, wie ich sie, gleichviel, ob sie meinem eignen theologischen Standpunct angehören, oder nicht, mit reger Liebe und Theilnahme umfasse, sobald ich nur wissenschaftliches Streben, verbunden mit Sinn für wahre Religiosität bet ihnen, wahr­ nehme," — daß diese Worte deS verehrten Mannes Wahr­ heit sind, weiß jeder seiner Schüler, welcher das Glück ge­ habt hat, ihn näher kennen zu lernen. Aber je inniger seine Zuneigung zu seinen Schülern war, desto mehr mußte ihn ein treuloses, verläumderischeS Benehmen, wie das oben bezeichnete, kränken. Dabei war seine Ehre und Stellung auf das Empfindlichste, in Rücksicht auf die Zeitverhältnisse fast noch gefährlicher angegriffen, als im Linde'schen Streit. Es blieb ihm deßhalb nichts übrig, als die Sache den Ge­ richten anheimzugeben, und der Gnade Credners haben eS feine Gegner zu danken, daß für das Unrecht nicht Strafe folgte. Doch wir wollen es zu ihrer Ehre glauben, daß Biele von ihnen nach dem Tode des Heimgegangenen bereut haben, was sie ihm im Leben Böses anthatenl — So fand der Streit fein Ende, aber des Streites Ausgangspunct, das Ringen nach besserer Kirchenverfaffung, er ist, volle 10 Jahre nachher, noch nicht erledigt, ja es ist für seine Erledigung noch nicht einmal ein Anfang gemacht. Wäh­ rend rings um das hessische Land, in Rheinpreußen, Rhein­ bayern, Baden, selbst in Altbayern Synodalverfassungen and theilweise im Segen bestehen, während Württemberg kräftige Anfänge zum besseren Umbau seiner Kirchrnverfassuntz gemacht hat, während in Hessen sich alle Herzen, welche wirklich eine Einsicht in kirchliche Erfordernisse unserer Zeit haben, nach größerer Selbstständigkeit und Kraft der Kirche und nach einer sie ermöglichenden Verfassung sehnen, wäh­ rend eS augenscheinlich ist, daß eS mit der Hebung des kirch­ lichen Lebens nicht fort will, so lange diejenigen' nicht in seinen Mittelpunct gezogen werden, welche zwar Thaten thun, aber um keinen Preis einen Rath geben sollen, — während allem dem ist eS bezüglich der Verfaffungsange-

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legenheit in Hessen kalt und todt. Wann wird's lebendig werden? Ein „Zuspät" möchte sich durch Unglaube und Schwäche aufs Bitterste rachen! 4. Die letzten Lebensjahre. Zusammenfassung der Characterzüge. Das geschilderte Jahrzehnt des Kampfes mag an dem Lebensmark des Dahingeschiedenen mehr genagt haben, als die Außenwelt erfuhr. Schon 1854 bemerkte man an ihm Gedächtnißschwäche und Schwierigkeit des Sprechens. Doch fetzte er seine Vorlesungen fort, bis mit Ostern 1855 die Erscheinungen seiner Todeskrankheit merklicher zu Tage traten. Die eine Vorlesung, welche er in jenem Sommer­ semester noch hielt, konnte er nicht vollenden und mußte im Herbste jenes Jahres, leider vergeblich, im Bade Boppard Heilung suchen. Im Jahre 1856 war eS ihm beinahe un­ möglich nur einigermaßen deutlich zu reden und zu schreiben. Aber wenn auch der Geist litt, wenn auch der Leib hem Geiste nicht mehr dienen wollte, das Herz blieb das alte, treue. Freunde, dankbare Schüler haben ihn damals be­ sucht, und wenn bei ihrem Anblick das matte Auge deS Tod­ kranken in alter Liebe aufleuchtete, wenn er fest ihre Hand ergriff und der nicht enden wollende Händedruck statt deS fast unmöglichen Wortes mehr sagte, als der Mund hätte aussprechen können, wenn die stillweinende Gattin, die Dollmetscherin seiner wenigen Worte, in der Nähe stand, — von diesem Bilde der Liebe und deS Jammers ist keine Seele hinweggegangen, ohne tief erschüttert zu sein. Und der Schmerz um den hoffnungslos Leidenden hatte viele Herzen im Lande ergriffen. Kaum trat man in einen Kreis von Geistlichen, ohne daß man die Frage vernahm: „was macht Credner?" und ohne daß man die Trauer in den Mienen Vieler las, wenn die Antwort gegeben wurde: „es geht schlecht, immer schlechter!" Anfangs des Jahres 1857 vegetirte der Kranke nur noch. Den 16. Juli verschied er sanft. — Eine starke Familie trauert um den Dahinge­ schiedenen, doch ohne Sorgen der Nahrung, obgleich der Vater viel bereiter war Güter dieser Welt zu opfern, als zu erwerben. Die jüngeren Geschwister deS Verstorbenen machen an seinen Angehörigen gut, was er, als Aeltester, einst für sie, die Frühverwaisten, gethan hat. Gott lohne eS ihnen! — Im Lande Hessen aber möge man eS nicht vergessen, daß mit Credner ein reich begabter, eS treu und redlich meinender Führer und Lehrer der theologischen Jugend,

17 ein wackerer, furchtloser Streiter für evangelische Freiheit und evangelisches Recht in das Grab gesunken ist. Man möge ihm stets ein dankbares Andenken bewahren! Wir wünschen, daß es uns in den hier gegebenen Zei­ len einigermaßen gelungen sein möchte ein Characterbild zu zeichnen. Die Leser aber wollen es gestatten, daß wir die Züge dieses Bildes noch einmal in engerem Rahmen zusam­ menfassen. — Credner war eine starke, markige Gestalt mitt­ lerer Größe. Etwas derbe GestchtSzüge, eine hohe Stirn, ein feuriges braunes Auge sprachen ebensowohl Geist, als Kraft aus. Und Geist und Kraft waren ihm in der That in hohem Grade eigen. Das zeigte sich fast in jeder Vor­ lesung, welche er hielt. Seine Stimme war grade nicht klangvoll, jedoch männlich; sein Vortrag hatte stets anfangs etwas Langsames, Schweres, aber wenn das Gewicht der Sache sich geltend machte, wenn der Gegenstand anzog, dann hob sich die Stimme, das Auge strahlte, der Mund wurde beredt und die Rede zwang mit „urkräfttgem Behagen" die Herzen der Hörer. Von Geist und Kraft zeugt jede Schrift, die er geschrieben hat und jeder Moment seines öffentlichen Auftretens. Mit diesen Eigenschaften verband er einen hohen männlichen und sittlichen Muth, welcher ihn in den schwierig­ sten Lagen nicht verließ und ihn auch dort verehrungs­ würdig machte, wo man mit seinen Anschauungen und seiner Handlungsweise nicht übereinstimmen konnte: es war der offenste, durch keine falsche Rücksicht gebeugte Muth der Wahrheit. Dieses Muthes voll suchte er unverdrossen seine wissenschaftlichen Resultate und sprach sie ungescheut bis in die letzte Consequenz aus. Dieser Muth der Wahrheit kennzeichnet alle seine practischen Bestrebungen, und wenn er in diesen, was wir nicht in Abrede stellen wollen, int ganzen nicht Ruhe und Selbstverläugnung genug besaß, so kamen diese Mängel oft nur daher, daß ihm schwächliche Halbheir oder berechnende Gewissenlosigkeit cntgegentrat, worüber sein Inneres in sittlicher Entrüstung aufbrauste und ihn zu Aeußerungen und Thaten fortriß, die ihm für Aus­ flüsse unedlen Zornes oder herrschsüchtiger Anmaßung auSgelegt wurden. Indessen trug er seinen Feinden keinen Haß nach; er konnte Unrecht verzeihen und bitterer Kränkung ver­ gessen, wenn er Reue fafy. — Für Liebe und Freundschaft hatte er das empfänglichste Herz und die größte Opfer­ willigkeit. Ein treuer Freund und Bruder, ein liebevoller Gatte und Vater, ein für seine Schüler in Rath üud That

18 sich hingebender Lehrer, erfüllt mit unwandelbarer Dankbarkeit gegen Wohlthäter, kannte er keine größere Freude, als wenn er feine Liebe durch Liebe gelohnt sah und keinen größeren Schmerz, als den erlittener Undankbarkeit. — Die wissenschaftlich-theologische Richtung CrednerS, von der wir reden müssen, weil sie oft und heftig angegriffen wurde, war entschieden die historisch-critische und wo er sie, nament­ lich in practischen Fragen verließ, dort war er nicht recht auf seinem Gebiete. Aber seine historischen Forschungen und sein CriticiSmuS haben ebensowenig den kindlich frommen Zug seines Herzens, als seinen Sinn für die Positionen des Christenthums ausgelöscht. „Halt- und bodenloser Rationalis­ mus^ ist ihm von einer gewissen Seite vorgeworfen worden; — wie sehr hat man den Mann verkannt! Symbolgläubig war er sicherlich nicht, aber tiefe Ehrfurcht vor dem Worte der Schrift füllte seine Seele, nach Erfassung des ursprüng­ lichen Sinnes dieses Wortes rang er mit seiner ganzen Geistes- und Herzenskraft und, weit entfernt diesen Sinn bemänteln, oder verdrehen zu wollen, erkannte er ihn nicht allein selbst als die das ganze christlich-religiöse Denken und Leben normirende Potenz an, sondern wußte für ihn auch die Seelen der Zuhörer zu gewinnen. Credner hat Vielen daS reine Bibelwort erst erschlossen, die in Gefahr standen durch Unglauben, oder Hyperorthodoxie nur die Carricatur desselben zu erhalten. So hat er aufbauend, nicht zerstörend in der Theologie gewirkt. Ein Mann mit so viel Wahr?heitsstnn im Herzen, wie Credner, — konnte er auch zer­ stören? Der Mittelpunct des Christenthums und der Schlüssel zur Auslegung der Schrift ist die Versöhnung des Menschen mit Gott durch den Heiland, — das war der Grundgedanke von CrednerS Theologie und in diesem Princip findet wohl rationelles, redlich wissenschaftliches Denken, aber kein haltund bodenloser Rationalismus seine Stätte. — Wie die wis­ senschaftliche Theologie CrednerS positiver war, als seine Gegner wissen, oder zugeben, so auch seine kirchliche Richtung. Ein Feind aller Ueberstürzung wollte er kirchliche Ordnung auf dem Grunde historischer Entwickelung und kirchlichen Fortschritt nur auf dem Boden der heiligen Schrift. Alles Ungeschichtliche war ihm, dem Historiker, widerwärtig. Ge­ gen falsche Aufklärung hat er sich entschieden ausgesprochen; Freigemeindlern und Deutschkatholiken war er niemals zu­ gethan, aber geduldet, nicht gemaßregelt wollte er sie wissen, auS kirchlicher Politik, aus christlicher Humanität, aus Ach-

19 tung vor der Ueberzeugung Anderer, aus jener Liebe zur Freiheit deS Gedankens und des Worts, für die er gelebt und gekämpft hat. Größere Fülle der Cultusformen, Ver­ besserung der. verwässerten Gesangbücher, Synodalverfaffung im Lande zu erreichen, war ihm längere Zeit eine ernste Angelegenheit und die gottgewollte Nothwendigkeit der Union der protestautischen Confessionen Deutschlands zu höherer Einheit war eine seiner kirchlichen Grundanschauungen. Wir dächten, das Alles wären in Theologie und Kirche Positionen, auf denen Religion und kirchliches Leben im Bregen bestehen und gedeihen könnten. — Doch wir beenden die Zeichnung unsers Bildes, können uns aber nicht enthalten noch ein zusammenfaffendeS, treff­ liches Wort anzuführen, eine Stelle aus der Rede, welche einer der dankbarsten und tüchtigsten Schüler des Verewigten, Professor Dr. Baur zu Gießen, an seinem Grabe gesprochen hat: „Ich möchte ein kurzes Wort unter das Bild des Ver­ storbenen setzen, welches das Wesen desselben bündig bezeich­ net und finde kein treffenderes, als das Wort des Dichters: „Er war ein Mann, nehmt Alles nur in Allem; „Ich werde seines Gleichen nimmer seh'n!" Er war ein Mann, er besaß die manneewürdigste Eigenschaft deS Muthes in ausgezeichnetem Grade, des Muthes der Wahrheit und des Muthes der That. Des Muthes der Wahrheit! Bekanntlich war Credner durch eine seltene Viel­ seitigkeit der wissenschaftlichen Anlage ausgezeichnet; insbe­ sondere durch einen klaren Blick und feinen Sinn für das Thatsächliche, der ihn bei seinen Untersuchungen leitete und ihn recht eigentlich zum Historiker machte. Noch mehr aber characterisirt ihn als Mann der Wissenschaft eben jener Muth der Wahrheit, womit er überall auf Grund und Quelle zu­ rückging. Eben so wenig, als von fremder Autorität, war er von eignen Lieblingsmcinungen abhängig und kein müh­ sam gewonnenes Resultat war ihm so theuer, daß er nicht, wenn neues Material sich darbot, oder neue Gesichtspuncte ihm aufgingen, die Untersuchung unverdrossen wieder ausge­ nommen und die frühere Ansicht der neuen besseren Einsicht willig geopfert hätte. So wirkte er in Allem, was er wis­ senschaftlich behandelte, durchaus selbstständig und eigenthüm­ lich, nach mehr als einer Richtung hin eigentlich bahnbre­ chend und immer höchst anregend. Der Muth der Wahrheit machte ihn zu einem ausgezeichneten Vertreter der Wissen­ schaft, der Muth der That zu einem entschiedenen Character.

20 Wovon er einmal überzeugt war, dafür trat er, allen Hin­ dernissen zum Trotz und ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen mit der Wucht seiner ganzen Persönlichkeit ein." — Er war ein Mann sagt Baur; er war ein Christ setzen wir hinzu: wenn Wahrhaftigkeit und Treue, wenn christlicher Muth und christliche Thatkraft, wenn christliches Leben und Wirken, wenn ungefärbte Liebe zu Christo, seinem Wort und seiner Kirche den Christen machen, und als das Bild eines Christen, durch den Tod noch gereinigt und verklärt, wird sein Bild immer denen vor Augen stehen, welche ihn wahr­ haft kannten und liebten! — So schließen wir denn mit dem herzlichen Wunsche, die Freunde und vornehmlich die dankbaren Schüler des Da­ hingeschiedenen möchten in unseren Worten die Gestalt des verehrten Freundes und Lehrers zu ihrer Freude schauen kön­ nen, möchten vor allem in jeglicher Lebensstellung sich von derselben Triebkraft leiten lassen, von welcher er geleitet wor­ den ist und deren innerstes Wesen er selbst in dem Worte ausgedrückt fand, welches wir, als das eigne Wesen des Verewigten bezeichnend, zum Motto unserer Zeilen setzten: Studio et amore elucidandae veritatis in nomine Domini nostri Jesu Christi. —