Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Zur Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994 [1 ed.] 9783428490097, 9783428090099


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German Pages 193 Year 1997

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Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Zur Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994 [1 ed.]
 9783428490097, 9783428090099

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Ordo Politicus Herausgegeben von Dieter Oberndörfer

Band 30

Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt Zur Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994 Von

Ulrich Eith

Duncker & Humblot · Berlin

ULRICH

EITH

Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt

Ordo

Politicus

Veröffentlichungen des Arnold-Bergstraesser-Instituts, Freiburg i. Br.

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Oberndörfer Band 30

Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt Zur Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994

Von

Ulrich Eith

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eith, Ulrich:

Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt : zur Bedeutung sozialstruktureller Einflussfaktoren auf die Wahlentscheidungen 1990 und 1994 / von Ulrich Eith. - Berlin: Duncker und Humblot, 1997 (Ordo Politicus; Bd. 30) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-09009-8 brosch.

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0474-3385 ISBN 3-428-09009-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Herbst 1994 an der Philosophischen Fakultät IV der Albert-LudwigsUniversität Freiburg angenommen wurde. Mein Dank geht zuerst an Professor Dieter Oberndörfer für seine langjährige Förderung und engagierte Begleitung meiner wissenschaftlichen Entwicklung. Nicht zuletzt ermöglichte er mir im Rahmen seines Forschungsprojekts „Regionale Wahlforschung" 1992 die Durchführung einer eigenen Umfrage in Sachsen-Anhalt. Für hilfreiche Anregungen und Kritik möchte ich auch Professor Wolfgang Jäger danken, der sich überdies als Zweitgutachter zur Verfügung gestellt hat. Die langjährige Zusammenarbeit mit Gerd Mielke hat sicherlich vielfältige, von mir teilweise nicht mehr wahrnehmbare Spuren hinterlassen. Von seinem profunden Fachwissen und seiner Diskussionsbereitschaft konnte ich häufig und nicht nur bei dieser Studie profitieren. Die Arbeit hätte ohne die Kooperationsbereitschaft der „Projektgruppe Meinungsforschung" an der TU „Otto von Guericke" Magdeburg, die nach der Wende unter der Leitung von Frau Professor Ingrid Hölzler entstanden ist, in dieser Form nicht realisiert werden können. Danken möchte ich insbesondere Syra Averkorn und Thomas Claus, die mir die Nutzung ihres Datenarchivs ermöglichten und meinen Blick für ostdeutsche Spezifika schärften. Auf das Verständnis und die Hilfsbereitschaft meiner Freunde und Kollegen am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg konnte ich mich stets verlassen. Für viele Diskussionen und die Mühen des Korrekturlesens danke ich besonders Beate Rosenzweig, Jochen Schmidt und Hans-Peter Welte, für die Ausdauer und Präzision bei der Datenaufbereitung Felix Bender und Axel Glemser. Verbliebene Fehler gehen selbstverständlich vollständig zu meinen Lasten. Vielfaltige Unterstützung erhielt ich während des gesamten Studiums nicht zuletzt von meinen Eltern und meiner Großmutter, die das Ende der Arbeit leider nicht mehr erleben durfte. Ihrem Andenken sei die Arbeit gewidmet. Freiburg, im August 1996 Ulrich Eith

alsverzeichnis

1.

Einleitung

13

1.1.

Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Arbeit

15

1.2.

Zum Forschungsstand

19

1.3.

Gliederung und methodische Vorgehensweise

23

2.

Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung....

27

2.1.

Langzeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung: Der historisch-soziologische

2.2.

und der individualpsychologische Ansatz

29

Kurzzeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung

39

2.2.1. Das Modell des rationalen Wählers

40

2.2.2. Das Lebensstil-Modell

49

2.3.

Möglichkeiten und Grenzen der Erklärungsansätze

56

2.4.

Zur Übertragungsmöglichkeit der Ansätze auf die Situation 1990 in den neuen Bundesländern

61

2.4.1. Theoretische Modelle in den bislang publizierten Studien

62

2.4.2. Fazit und Konsequenzen: Theoretische Ausrichtung der vorliegenden Studie

68

3.

Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Wahlen von 1990 in Sachsen-Anhalt

70

3.1.

Aspekte der politischen Kultur der DDR

72

3.2.

Kriterien vertikaler gesellschaftlicher Differenzierung

76

3.3.

Gruppeninteressen und Institutionalisierungschancen

81

3.4.

Folgerungen in bezug auf das Wählerverhalten 1990

85

8

Inhaltsverzeichnis

4.

Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

4.1.

Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung des Wählerverhaltens: Eine Aggregatdatenanalyse

4.1.1. Der politische Raum

90

91 93

4.1.2. Der Einfluß der Sozialstruktur

101

4.1.3. Fazit der Aggregatdatenanalyse

109

4.2.

110

Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht: Eine Individualdatenanalyse

4.2.1. Die Auswahl der Variablen

111

4.2.2. Sozialstruktur und Wahlabsicht

116

4.2.3. Zum Stellenwert sozialstruktureller Einflußfaktoren in komplexeren Erklärungsmodellen

127

4.2.4. Fazit der Individualdatenanalyse

136

5.

138

Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

146

Literaturverzeichnis Sachregister

170 190

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 4.1 :

Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt seit 1990 mit Vergleichsangaben

90

Tabelle 4.2:

Ergebnisse der Volkskammerwahl 1990 in Sachsen-Anhalt in politischen Kontexten

94

Anteil erklärter Varianz durch die entsprechenden Ergebnisse einer vorangehenden Wahl in Sachsen-Anhalt

97

Tabelle 4.3: Tabelle 4.4:

Hauptkomponentenanalyse: Faktorladungskoeffizienten der Volkskammer-, Landtags- und Bundestagswahlergebnisse in SachsenAnhalt 100

Tabelle 4.5:

Faktorenanalyse: Faktorladungskoeffizienten ausgewählter Sozialstrukturvariablen in Sachsen-Anhalt 103

Tabelle 4.6:

Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich der ersten beiden Dimensionen der Faktorenanalyse 105

Tabelle 4.7:

Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Kontexten 107

Tabelle 4.8:

Multivariate Regressionsanalyse: Der Zusammenhang von Sozialstruktur und Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt 108

Tabelle 4.9:

Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten 117

Tabelle 4.10:

Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich sozialstruktureller Merkmale 118

Tabelle 4.11:

Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten 120

Tabelle 4.12:

Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Herbst 1990 in SachsenAnhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen 123

Tabelle 4.13:

Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen 125

Tabelle 4.14:

Diskriminanzanalyse der politischen Hauptkomponenten im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen 126

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

10

Tabelle 4.15: Tabelle 4.16: Tabelle 4.17:

Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Herbst 1990 in SachsenAnhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen 130 Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen 131 Modellanalyse zum Zusammenhang von Wahlabsicht, attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt 134

Abbildung 4.1 : Differenzen der Parteiergebnisse in Sachsen-Anhalt in politischen Kontexten Abbildung 4.2: Der Parteienraum Sachsen-Anhalts 1990 Abbildung 4.3: Grundmodelle zur Erklärung der Wahlabsicht

95 99 133

Abungsverzeichnis AJPS

American Journal of Political Science

APSR

American Political Science Review

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

CPS

Comparative Political Studies

DA

Deutschland Archiv

EJPR

European Journal of Political Research

GG

Geschichte und Gesellschaft

IWK

Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung

JfS

Journal für Sozialforschung

JoP

The Journal of Politics

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

PVS

Politische Vierteljahresschrift

spw

Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZfS

Zeitschrift für Soziologie

ZfSozPsy

Zeitschrift für Sozialpsychologie

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

1. Einleitung Die Deutsche Demokratische Republik ist als Folge der im Herbst 1989 einsetzenden politischen und ideologischen Wende am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Durch den überraschenden Wahlsieg der von CDU/CSU unterstützten „Allianz für Deutschland" bei den ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 waren die Weichen klar in Richtung deutsche Einheit gestellt. Die fünf neuen Bundesländer wurden im Ergebnis der Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 konstituiert, am 2. Dezember 1990 erfolgte die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Diese rasche Abfolge der Etappen zur politischen Einheit war in hohem Maße durch die günstige außenpolitische Konstellation und das entschlossene Handeln der Bundesregierung möglich geworden. Ökonomische, kulturelle und auch mentale Unterschiede zwischen Deutschland-Ost und Deutschland-West hingegen werden wohl noch längere Zeit bestehen bleiben. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich am Beispiel Sachsen-Anhalts mit dem ostdeutschen Parteiensystem, vorwiegend aus der Perspektive und mit Hilfe des methodischen Instrumentariums der Wahl- und Einstellungsforschung. Einer Einschätzung und Prognostizierung zukünftiger Entwicklungsperspektiven muß die umfassende Analyse des Vergangenen vorausgehen. Die vorliegende Studie will hierzu durch eine detaillierte Untersuchung des Wählerverhaltens seit 1990 in dem neuen Bundesland Sachsen-Anhalt beitragen. Manifestieren sich in den Wahlergebnissen von 1990 bereits längerfristig stabile politische Interessen oder sind die Wahlen in dieser historisch außergewöhnlichen Situation in erster Linie als Referendum über den Fortbestand des sozialistischen SED-Systems anzusehen? Unterscheidet sich darüber hinaus die Landtagswahl 1994 strukturell von den Urnengängen des Jahres 1990? Gerade im Hinblick auf die zukünftigen Entwicklungschancen des Parteiensystems kommt der Frage nach der Stabilität des Wählerverhaltens im und seit dem Umbruchjahr 1990 eine zentrale Bedeutung zu. Diese ist allen Erfahrungswerten der Wahlforschung zufolge um so höher, je deutlicher die Wahlentscheidung auf sozialstrukturell verankerte Interessenkonflikte zurückfuhrbar ist. Es gilt somit, in erster Linie dem Zusammenhang von Wählerverhalten und Sozialstruktur bei den Wahlen 1990 in Sachsen-Anhalt nachzuspüren. Die hierbei gewonnenen Ergebnisse lassen sich dann an der Landtagswahl vom 26. Juni 1994 überprüfen.

14

1. Einleitung

Die Beschränkung dieser Untersuchung auf Sachsen-Anhalt resultiert zum einen aus der günstigen Datenlage des Jahres 1990, die methodisch unterschiedliche Zugriffe auf den Erkenntnisgegenstand erlaubt. Zum anderen verspricht diese territoriale Eingrenzung Hinweise auf die Frage, inwieweit sich mit einer solchen Untersuchung an die lange Tradition der regionalen Wahlstudien in Deutschland, die eine reichhaltige Fülle lokaler historisch-politischer Kontexte des Wählerverhaltens und regionaler politischer Traditionen zutage fordern konnten,1 anknüpfen läßt. Das 1990 im wesentlichen durch die Vereinigung der DDR-Bezirke Magdeburg und Halle gegründete Bundesland Sachsen-Anhalt ist zwar ein politisch junges, geistesgeschichtlich und kulturell jedoch traditionsreiches Land.2 So nahmen Reformation und Protestantismus hier ihren Anfang. An der Universität Halle, die sich während des 18. Jahrhunderts zum Zentrum der Aufklärung entwickelte, trafen im 19. Jahrhundert die gegensätzlichen, aber beide dem Protestantismus verbundenen Geisteshaltungen Rationalismus und Pietismus aufeinander. Sie prägten nicht nur die kulturelle, sondern in Form von bürgerlichem Liberalismus und nationalliberalem Konservativismus auch die politische Kultur über das Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt hinaus. Ebenfalls wichtige Impulse erhielt die Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie durch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung. 3 Mit dem Braunkohletagebau und der sich herausbildenden Chemieindustrie im industrialisierteren Süden ging ein politisch radikalerer Flügel der Arbeiterbewegung einher. Im Raum Anhalt und Magdeburg, wo sich neben der Landwirtschaft vorwiegend die Maschinenbauindustrie verbreitete, dominierte eine gemäßigte Sozialdemokratie. Diese charakteristische Zweiteilung des Wirtschaftsprofils zeigt sich noch heute in SachsenAnhalt und ist außerdem typisch für die gesamte ehemalige DDR: Der Norden ist vorwiegend agrarisch, der Süden hingegen stärker industriell geprägt. Dennoch sind die Erwartungen, regionale Traditionen auffinden zu können, nicht allzu hoch. Hierbei gründet sich diese Einschätzung nur zum Teil auf die nicht vorhandene territoriale Kontinuität. Weitaus gewichtiger erscheinen die

1

S. für einen ersten Überblick die Beiträge in Oberndörfer/Schmitt (1991), Kühr (1979) sowie die Literaturübersicht von Mielke (1987) S. 16-29. 2 S. als erste Annäherung Schwerin (1991), Tullner (1993), ausfuhrlich (1996); zur politischen Landeskunde s. Holtmann/Boll (1995). 3 Vgl. hierzu Kupfer/Rother (1993), Drechsler (1993); zur Wirtschafls- und Sozialstruktur nach der Wende s. Boll/Holtmann (1994) S. 529-538.

1.1. Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Arbeit

15

Folgen der über 50jährigen diktatorischen Vergangenheit. Insbesondere die totalitäre Herrschafisausübung der SED hat durch die umfassende politische Kontrolle nahezu aller Gesellschaftsbereiche und eine weitreichende Nivellierung der ökonomischen Lebensbedingungen auf niedrigem Niveau die Pflege landesspezifischer politischer Traditionen und deren Repräsentation durch unabhängige Eliten verhindert.

1.1. Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Arbeit

Die vorliegende Fallstudie hat das Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt zum Gegenstand. Das Interesse dieser Untersuchung gilt insbesondere einer eventuellen sozialstrukturellen Fundierung der sachsen-anhaltinischen Wahlentscheidungen im Jahr 1990. Darüber hinaus gilt es zu klären, ob und in welchem Ausmaß die hierbei gewonnenen Befunde auch bei der Landtagswahl 1994 Geltung besitzen. Die Frage nach dem Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten bündelt in dieser Prägnanz mehrere Themenkomplexe, die auch über die Grenzen des neuen Bundeslandes hinaus von Bedeutung sind. Zunächst einmal geht es um den Charakter und die angemessene Interpretation der Wahlen von 1990 an sich. Der von vielen erwartete und prognostizierte Sieg der SPD bei der Volkskammerwahl im März 1990 blieb aus, die CDU konnte sich dort und bei den folgenden Wahlen in überraschender Stärke durchsetzen. Im Gegensatz zum westdeutschen Muster des Wählerverhaltens erzielte die Union besonders in der Industriearbeiterschaft überdurchschnittliche Stimmenanteile. Gelten fur diese Urnengänge von 1990 andere Gesetzmäßigkeiten als die in Westeuropa vielfach bewährten Erklärungsmuster des Wählerverhaltens? Die in Publizistik und Wissenschaft weit verbreitete Einschätzung der Wahlen als Plebiszit über die deutsche Einheit4 betont die herausragende Bedeutung des Einigungsthemas auf die Wahlentscheidung im Wahljahr 1990 und schließt sozialstrukturell verankerte, längerfristig wirksame Einflußfaktoren nahezu aus. Die sozialwissenschaftliche Absicherung dieser Interpretation erfolgte frühzeitig durch Dieter Roth von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, der den Ostdeutschen anläßlich einer Untersuchung der Volkskammerwahl vom März 1990 eine nahezu ausschließliche Orientierung an politischen Sachfragen attestiert. Die mit westlichen Wahlen unvergleichbaren Vorbedingungen verbieten

4

Vgl. exemplarisch Sommer (1990), INFAS (1990), Bergsdorf {1991).

1. Einleitung

16

nach Roth „alle Erklärungsmuster, die sich auf längerfristige Einflußvariablen stützen."5 Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit die seit 1990 zu beobachtende Parteienkonstellation als Präzedenzfall mittelfristig stabiler Frontstellungen in den östlichen Bundesländern gelten kann. Manifestieren sich in den Landtagswahlen vier Jahre nach der Wende die bereits gefestigten Strukturen einer eigenständigen politischen Landschaft, etwa in Form der dauerhaften Etablierung einer sozialistischen Partei (PDS) links von der SPD oder einer Konzentration des Parteiensystems auf die großen Parteien? Oder gleicht sich das Wahlverhalten in Ost und West in absehbarer Zeit an? Die für westdeutsche Verhältnisse bislang ungewöhnlichen Muster des Parteienwettbewerbs in Sachsen-Anhalt und den anderen vier östlichen Bundesländern fordern bei anhaltender Stabilität eine weitere Regionalisierung der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Die vergleichende Untersuchung des Wählerverhaltens von 1990 und 1994 vermag hierzu bereits erste Anhaltspunkte für Sachsen-Anhalt liefern. Die Frage nach einem Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten in den neuen Bundesländern wirkt sodann in mehrfacher Hinsicht über den regionalen Kontext der ehemaligen DDR hinaus, werden doch damit auch die Entwicklungsperspektiven der Parteien und des Parteiensystems im vereinten Deutschland berührt. Stabile eigenständige Präferenzstrukturen der ostdeutschen Wählerinnen und Wähler verändern bundesweit nicht nur die Machtverhältnisse in Bundestag und Bundesrat. Veränderte Zusammensetzungen der Parteiwählerschaften - etwa bei der Union durch eine ostdeutsche „Sozialdemokratisierung" 6 oder bei Bündnis 90/Grüne durch die Allianz von gesinnungsethischen Bürgerrechtlern und machtorientierten Realos - prägen zusätzlich die innerparteilichen Auseinandersetzungen und stellen die Integrationskapazitäten der Parteien vor neue Herausforderungen. Die zumindest im Osten bislang erfolgreiche Etablierung der PDS wiederum bringt nicht nur die Sozialdemokraten einmal mehr an den Rand einer Identitätskrise, sie polarisiert auch den bundesweiten Parteienwettstreit in erheblichem Maße und ermöglicht neue Strategien zur Erlangung von Mehrheiten. Schließlich zeichnen Studien zum Wählerverhalten immer auch ein Bild vom Bürger, besitzen somit auch demokratietheoretische Implikationen. Mit Blick auf das Politik- und Demokratieverständnis der neuen Bundesbürger und die nicht zuletzt auch von ihnen abhängende zukünftige Entwicklung des Parteiensystems der Bundesrepublik kommt dem Zusammenhang von verwandtem theoretischem

5 6

Roth (1990) S. 390; ebenso Feist/Hoffmann Oberndörfer/Mielke (1992) S. 22.

(1990) S. 277, Pappi (1991) S. 15.

1.1. Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Arbeit

17

Erklärungsmodell und hieraus ableitbarem Bürgerbild eine durchaus beachtenswerte und mehrdeutige Relevanz zu. Gerade die Diskussionen der letzten Jahre, ob das Wählerverhalten in den westlichen Industrienationen denn nun eher als Dealignment- oder als Realignment-Prozeß zu verstehen sei,7 leben zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von der Tatsache, daß den jeweiligen empirischen Studien unterschiedliche theoretische Zugänge zugrunde liegen. Zugespitzt läßt sich also fragen: Stimmen eigentlich die Bilder, die die Wahlanalysen von den Wählern im Osten hervorbringen? Die regionale Beschränkung der empirische Analyse auf Sachsen-Anhalt eröffiiet dieser Untersuchung die besondere Möglichkeit, die Frage der Existenz und eventuellen Wirkung sozialstrukturell verankerter Einflußfaktoren auf das Wählerverhalten mit Hilfe verschiedener Datentypen analysieren zu können. So lassen sich neben den Wahlauszählungen von 1990 und 1994 auch sozioökonomische Aggregatdaten auf Kreis- und Landtagswahlkreisebene sowie repräsentative Umfragedaten von 1990,1992 und 1994 in die Untersuchung einbeziehen. In welchem Ausmaß die für Sachsen-Anhalt ermittelten Ergebnisse jedoch auch auf andere Bundesländer übertragbar sind, steht erst am Ende dieser Studie zur Diskussion. Die Voraussetzungen erscheinen allerdings nicht allzu schlecht.8 Immerhin weichen die Ergebnisse der überregionalen Wahlen von 1990 und 1994 in diesem Bundesland nur wenig vom Gesamtdurchschnitt des östlichen Wahlgebiets ab und die gemischte Wirtschaftsstruktur spiegelt die Zusammensetzung der gesamten ehemaligen DDR wider. Vor diesem weiträumigen, hier nur kurz skizzierten Problemhorizont läßt sich die Fragestellung dieser Studie präzisieren. Folgende zentrale Arbeitshypothese gilt es zu überprüfen: Die Wahlen von 1990 in Sachsen-Anhalt mögen Plebiszite über die Frage und die Modalitäten der deutschen Vereinigung gewesen sein. Allerdings zeigen die sozialstrukturellen Verankerungen dieser Wahlentscheidungen sowie der Vergleich zu 1994, daß der längerfristig wirksamen Konfliktstruktur der DDR eine eigenständige Bedeutung bei der Erklärung zukommt. Eine Reihe von theoretischen Überlegungen und empirischen Indizien motivieren zu dieser Zuspitzung der Fragestellung.

7 Vgl. für viele Dalton/Rohrschneider (1990), Oberndörfer/Mielke (1990), Zelle (1995). 8 Vergleichbare Studien mit Umfragedaten von 1990 arbeiten mit einer kleineren empirischen Basis. So benutzen Bluck/Kreikenbom (1991) für ihre Analyse des Wählerverhaltens lediglich Umfragedaten aus Jena, deren Repräsentativität nicht überprüft werden kann (vgl. S. 495); Opp et al. (1993) stützen ihre Untersuchung „Die volkseigene Revolution" auf eine im November und Dezember 1990 durchgeführte repräsentative Befragung in Leipzig. 2 Eith

18

1. Einleitung

So wird innerhalb der Wahl- und Parteienforschung allgemein davon ausgegangen, daß die Entwicklung der westeuropäischen Parteiensysteme eng mit dem Demokratisierungsprozeß und den ihn begleitenden politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verbunden ist. Veränderungen der Grundstrukturen erfolgen in der Regel nur schrittweise. Seymour M. Lipset und Stein Rokkan faßten diese Erkenntnis Ende der 60er Jahre in dem immer wieder zitierten Satz zusammen: „the party systems of the 1960's reflect, with few but significant exceptions, the cleavage structures of the 1920's."9 In der Konsequenz dieses Ansatzes erscheint es durchaus plausibel, daß die sich in den Wahlen 1990 manifestierenden politischen Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger der (ehemaligen) DDR ebenfalls durch gesellschaftliche Strukturen geprägt waren, sei es durch die bereits vor 1930 existenten Konfliktmuster, 10 sei es durch DDRspezifische Konfliktkonstellationen. 11 Dies kann als um so wahrscheinlicher angesehen werden, als daß aufgrund der raschen Abfolge der Wahlen nach der Wende 1989/90 den politischen Eliten kaum Zeit zur parteipolitischideologischen Aufladung und Neuformierung der vorhandenen Strukturen blieb. Der Vergleich zur Landtagswahl 1994 wird zeigen, inwieweit sich dort noch die ideologischen Grenzen zwischen den Parteiwählerschaften mit den gesellschaftlichen und sozialen Strukturen der vergangenen DDR decken. Die 1989 offen zutage tretende kritische Haltung vieler DDR-Bürger gegenüber ihrem sozialistischen Staat hatte allem Anschein nach eine längere Latenzzeit. Bereits Ende der 70er Jahre registrierten ostdeutsche Meinungsforscher eine zunehmende Erosion sozialistischer Positionen vor allem bei Lehrlingen und jungen Arbeitern. Seit Gorbatschows Reformprogramm 1985 sank die Identifikation mit der DDR und dem Marxismus-Leninismus erheblich. 12 Die in dem Wechsel der Parolen der großen Montagsdemonstrationen 1989/1990 „Wir sind das Volk" zu „Wir sind ein Volk" zum Ausdruck kommende Akzentverschiebung

9

Lipset/Rokkan (1967) S. 50. Karl Schmitt (1993) verweist allerdings auf eine Neuzuordnung von Sozialstruktur und Parteiensystem unter der DDR-Herrschaft, als deren Folge parteipolitische Traditionen der Vorkriegszeit aufgelöst wurden (bes. S. 432-433). 11 Vgl. Schultze (1991a) S. 32-41, der die Diskussion dieser Möglichkeit angestoßen hat. Cleavages im Sinne von Lipset/Rokkan bezeichnen dauerhafte Koalitionen zwischen betroffenen sozialen Gruppen und politischen Eliten. Im Unterschied zu anderen sozialistischen Staaten existierte in der DDR, die Endphase einmal ausgenommen, aus bekannten Gründen keine nennenswerte Gegenelite, die entsprechende Proteste hätte artikulieren können. Es kann in der vorliegenden Arbeit deshalb für 1990 nur darum gehen, eventuelle sozialstrukturelle Konfliktlinien aufzuzeigen, die politische Einstellungen prägen und dann unterfreiheitlich-demokratischen Rahmenbedingungen als Grundlage einer Cleavagebildung in Frage kommen. 12 Vgl. Friedrich (1990), Förster/Roski (1990) S. 31-49. 10

1.2. Zum Forschungsstand

19

muß nicht zwingend allein ein Resultat kurzfristiger Einstellungsveränderungen sein. Sie könnte durchaus auch in einer unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung der Demonstranten begründet sein.13 Längerfristige Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung 1990 sind aus dieser Perspektive also ebenfalls keineswegs auszuschließen. Auch erste empirische Untersuchungen zum Stellenwert der Wiedervereinigung in verschiedenen Bevölkerungsgruppen der DDR-Bezirke Magdeburg und Halle liefern Hinweise auf die Wirkung sozialstruktureller Gegensätze. Befürworter und Gegner der deutschen Einheit verteilten sich im Frühjahr 1990 keineswegs gleichmäßig über alle sozialen Gruppen. Vielmehr korreliert der Wunsch nach einer schnellen Einheit stark mit den Merkmalen Qualifikation und Alter. Ein signifikanter Zusammenhang besteht zudem zwischen der Einstellung zur Einheit und der Wahlabsicht.14 In dem 1990 sicherlich bedeutendsten politischen Thema „Frage und Modalitäten der Einheit" manifestierten sich - so die Hypothese - die unterschiedlichen Erfahrungen, Hoffnungen und Einstellungen der ostdeutschen Bevölkerung. Diese überzufälligen Verteilungen über attitudinale und eben auch sozialstrukturelle Gruppen hinweg erfordern eine genauere Analyse des Stellenwerts sozialstruktureller und somit längerfristiger Einflußfaktoren auf die politischen Einstellungen und die Wahlentscheidung.

1.2. Zum Forschungsstand

Die Frage nach dem Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten bei den Wahlen von 1990 und 1994 in Sachsen-Anhalt trifft in genau dieser Zuspitzung auf ein wissenschaftlich bislang unbestelltes Feld. Zu Sachsen-Anhalt liegen mit Ausnahme der direkten Wahlberichterstattung noch keine detaillierteren Wahlanalysen vor. 15 Trotz - oder vielleicht auch gerade wegen - der kontro-

13

Vgl. zur sozialstrukturellen Zusammensetzung und zu den Parolen der Leipziger Demonstrationen Förster/Roski (1990) S. 159-170, Opp et al. (1993) S. 95-107. 14 Vgl. Averkorn/Eith (1992), Averkom (1993); längerfristige Parteibindungen in Jena ermittelten Bluck/Kreikenbom (1991). 15 Die bereits angeführten Untersuchungen zur Meinungsstruktur und zum Wählerverhalten von März bis November 1990 in Sachsen-Anhalt von Averkorn/Eith (1992) wurden als deskriptive Vorstudie dieser Arbeit im Jahr 1991 durchgeführt. Für Wahlanalysen zur Landtagswahl 1994 s. Gagel (1994), Plöhn (1995), Karl Schmitt (1995). Einzelportraits der im Magdeburger Landtag vertretenen Parteien sowie eine Darstellung des Wahlsystems und der Wahlergebnisse finden sich bei Holtmann/Boll (1995). 2*

1. Einleitung

20

versen Diskussion über das angemessene theoretische Erklärungsmodell existieren auch mehrere Jahre nach den ersten freien Wahlen kaum analytische Monographien zum ostdeutschen Wählerverhalten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung findet derzeit vor allem in Beiträgen für Fachzeitschriften und Sammelbände statt. Die für verschiedene Unterpunkte dieser Arbeit relevanten Studien, insbesondere zu den Theorien des Wählerverhaltens, zu den Möglichkeiten ihrer Übertragung auf die ostdeutsche Situation oder zur Sozialstrukturforschung in der DDR, werden an entsprechender Stelle berücksichtigt. Auf eine Darstellung kann daher hier verzichtet werden. Zu benennen sind lediglich einige wenige Untersuchungen, die zumindest partiell ein dieser Arbeit vergleichbares Erkenntnisinteresse verfolgen. Im September 1990 hat Rainer-Olaf Schultze seine Analyse der Volkskammerwahl vom März 1990 publiziert. 16 Deutlich bezieht Schultze hierin Stellung gegen Positionen, die der Volkskammerwahl den Charakter einer Themenwahl zuschreiben. Dem Modell der rationalen Wahlentscheidung stellt er eine strukturelle Erklärung gegenüber, welche die Wirkung zweier längerfristiger Konflikte der DDR-Gesellschaft berücksichtigt. Schultze interpretiert die unterschiedlichen Parteiergebnisse in den 15 DDR-Bezirken als Ausdruck eines DDR-internen Zentrum-Peripherie-Konflikts. Auf historisch-kulturelle Wurzeln zurückgehend liegt dieser „in der dauerhaften Bevorzugung des Großraumes Berlin und teilweise auch des Ostseeraumes wie der ebenso ausgeprägten Benachteiligung der südlichen Landesteile durch das SED-Regime begründet" 17. Die hohen Wahlerfolge der Allianz in der Arbeiterschaft lassen sich nach Schultze sozial- und berufsstrukturell erklären. Die Allianz als Partei des gesellschaftlichen Strukturwandels repräsentierte 1990 diejenigen Bevölkerungsgruppen, die sich von einer grundlegenden Veränderung eine Besserung ihrer Situation erhofften. Bislang Privilegierte „wählten hingegen die Partei des gesellschaftlichen Status quo" 18, die PDS. Diese durchaus plausiblen, von Schultze bislang jedoch nur in groben Zügen skizzierten Erklärungsansätze erfuhren von ihm darüber hinaus keine detaillierte empirische Überprüfung. Aus theoretischer Perspektive untersucht Viola Neu die Anwendungsmöglichkeiten verschiedener Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens in den neuen Bundesländern.19 Einer knappen Darstellung der drei klassischen Ansätze folgt eine ausführliche Analyse der ostdeutschen Rahmenbedingungen ihrer Übertra-

16

Vgl. Schultze (1991a), weiterhin Schultze (1994). Schultze (1991a) S. 36. 18 Schultze (1991a) S. 38. 19 Vgl. Neu (1994); hierbei handelt es sich um überarbeitete Teile ihrer Magisterarbeit von 1991. 17

1.2. Zum Forschungsstand

21

gung. In direkter Anlehnung an die westdeutsche Situation diskutiert Neu die spezifisch ostdeutsche Ausprägung eines konfessionellen und eines klassenbezogenen Konflikts sowie Möglichkeiten längerfristiger Parteiidentifikationen und bilanziert: „Die Betrachtung der soziologischen Modelle und des sozialpsychologischen Modells zeigen, daß langfristige Variablen zur Erklärung des Wahlverhalten(s) herangezogen werden müssen."20 Auch wenn der von Neu konstatierte Zusammenhang zwischen der Ausprägung einer Parteiidentifikation und der Nutzung der Westmedien mit Fragezeichen versehen werden kann und neben den beiden untersuchten Konfliktlinien noch weitere denkbar sind, so unterstreichen ihre Befunde dennoch nachhaltig, daß strukturelle Erklärungen des Wählerverhaltens auch aus theoretischer Sicht keineswegs hinter den Themenwahl-Modellen zurückstehen müssen. Einen empirischen Zusammenhang zwischen sozialstrukturellen Variablen und der Wahlentscheidung bei der Volkskammerwahl 1990 weist Thomas Emmert in seiner Magisterarbeit von 1991 mit Hilfe von Umfragedaten nach.21 Besondere Bedeutung kommt demnach den Merkmalen Konfessions- und Berufsgruppenzugehörigkeit sowie der geographischen Lage zu. Als theoretischen Interpretationsrahmen greift Emmert auf die Cleavage-Theorie von Lipset/Rokkan zurück. Mit allerdings nur losem Bezug auf die lebensweltliche Realität in der DDR konstatiert Emmert die Existenz eines Klassenkonflikts zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft, eines Zentrum-Peripherie-Konflikts sowie einer religiösen Konfliktlinie. Warum trotz großer Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Lebensweisen und beachtlichen Erfolgen der PDS in landwirtschaftlich geprägten Kontexten genau diese Konfliktlinie aus theoretischer Perspektive in der DDR keine Rolle gespielt haben soll, bleibt offen. Durch die allzu schematische Anpassung der Cleavage-Theorie an die Rahmenbedingungen eines sozialistischen Systems und wohl auch an die verfügbare Datenqualität22 vergibt Emmert letztlich die Chance, seine differenzierten empirischen Befunde mit einem theoretisch adäquaten, soziologischen Erklärungsmodell verknüpfen zu können. Die bislang umfangreichsten Untersuchungen zum Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten auf dem Gebiet der DDR hat Karl Schmitt vorgelegt. 23 Ganz in der Tradition der historisch-soziologischen Wahlforschung

20

Neu (1994) S. 143. Vgl. Emmert (1991). 22 Emmert (1991) S. 26 verweist auf den Umstand, daß in den seiner Analyse zugrunde liegenden Umfragen eine Trennung von industriellen und landwirtschaftlichen Kontexten nicht möglich sei. 23 Vgl. Karl Schmitt (1993), (1994). Die Kerngedanken wurden von Schmitt bereits 1991 auf der Tagung des Arbeitskreises „Wahl- und Einstellungsforschnug" der DVPW in Koblenz und auf dem Politologenkongreß der DVPW in Hannover vorgestellt. 21

22

1. Einleitung

untersucht Schmitt regionale und soziale Schwerpunkte der Parteien bei den Wahlen von 1928,1933,1946 und 1990 auf der Basis von Aggregatdaten. Die Ergebnisse seiner empirischen Analysen verdeutlichen die nachhaltige Wirkung der SED-Herrschafl. Lassen sich zwischen den Wahlen der Weimarer Republik und der direkten Nachkriegszeit noch deutliche Kontinuitätslinien aufzeigen, so markieren demnach die Ergebnisse der Volkskammerwahl von 1990 einen nahezu vollständigen Umbruch der Wählerlandschaft. Aufgrund „der Umformung der Konfliktlagen in vierzig Jahren DDR" 2 4 hat sich nach Schmitt ein neues Zuordnungsmuster von Sozialstruktur und Parteiensystem herausgebildet. Die beiden für das deutsche Parteiensystem konstitutiven Konfliktlinien - Kirche vs. Staat sowie der Klassenkonflikt - „sind in der DDR (...) erhalten geblieben, wenn auch in der modifizierten Form, wie sie sich aus der politischen und gesellschaftlichen Struktur der DDR ergab." 25 Lediglich im kirchlichen Bereich fanden sich relativ unabhängige Milieuverfestigungen. Die mit der sozialen Hierarchie verbundenen Interessenkonflikte erfuhren keine entsprechende gesellschaftlichinstitutionelle Anbindung. Anläßlich der ersten freien Wahl konnten im ersten Fall somit Gruppennormen aktiviert werden, im zweiten Fall äußerten sich die spezifischen Erfahrungen auf der Ebene individuell wahrgenommener Interessen. Die Unzufriedenheit mit den bisherigen Verhältnissen fand ihren Ausdruck in der Wahl einer Systemalternative.26 Auf der Grundlage dieses Interpretationsmusters prognostiziert Schmitt dem DDR-Protestantismus und dem DDR-Sozialismus durchaus realistische politische Überlebenschancen im bundesdeutschen Wettbewerb. Zwei direkte Konsequenzen ergeben sich aus den Ergebnissen der referierten Untersuchungen für die Anlage und den Fortgang dieser Studie zu SachsenAnhalt. Zum einen verweisen sie auf die Notwendigkeit einer ausführlichen Diskussion der theoretischen Grundlagen. Sowohl die prinzipielle Frage nach dem Stellenwert längerfristiger Einflußfaktoren als auch konkrete Operationalisierungsprobleme des historisch-soziologischen Ansatzes für ostdeutsche Verhältnisse scheinen noch nicht in ausreichender Weise geklärt. So liegen den Untersuchungen unterschiedliche Annahmen über Anzahl und Ausprägung DDRspezifischer Konfliktlinien zugrunde. Zudem sind die Grenzen zwischen theoretisch fundierter Ableitung, spekulativer Annahme und schematischer Übertragung westdeutscher Muster in den verschiedenen Erklärungen des ostdeutschen Wählerverhaltens nicht immer klar auszumachen. 24 25 26

Karl Schmitt (1993) S. 437. Karl Schmitt (1993) S. 436. Vgl. Karl Schmitt (1993) S. 436-437, (1994) S. 202-204.

1.3. Gliederung und methodische Vorgehensweise

23

Zum anderen fördern die Studien von Emmert und Schmitt im Kern übereinstimmende empirische Befunde zum Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten auf dem Gebiet der DDR zutage. Dies eröffnet der vorliegenden Arbeit die Möglichkeit, durch einen entsprechenden Vergleich der Ergebnisse mögliche Besonderheiten der Entwicklung in Sachsen-Anhalt erkennen und einschätzen zu können.

1.3. Gliederung und methodische Vorgehensweise

Die oben aufgestellte Arbeitshypothese zur Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidungen von 1990 soll einem zweifachen Falsifikationsversuch ausgesetzt werden. Entsprechende Überprüfungen erfolgen aus sozialgeschichtlicher und datenanalytischer Perspektive. Durch einen Vergleich mit der Landtagswahl 1994 können die hierbei gewonnenen empirischen Befunde nochmals überprüft und ihre Interpretation auf eine breitere Basis gestellt werden. Zunächst bündelt Kapitel 2 jedoch die theoretischen Diskussionen zum Wählerverhalten. In erster Linie stellt sich hierbei die Frage nach dem adäquaten theoretischen Rahmen, in dem die durch die nachfolgende empirische Analyse zu ermittelnden Befunde interpretiert werden können. Ein Vergleich der verschiedenen Erklärungsansätze und des ihnen zugrunde liegenden Erkenntnisinteresses auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Theoriediskussion soll zur entsprechenden Klärung beitragen. Ein besonderes Augenmerk gilt aus zwei Gründen dem Verhältnis von längerfristigen und kurzfristigen Erklärungsfaktoren. Zum einen wird die Bedeutung von längerfristigen Erklärungsfaktoren für den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand von Teilen der Wahlforschung als gering erachtet. Zum anderen verbinden sich mit dieser Dichotomisierung gegensätzliche Stereotype vom Wähler - längerfristig und emotional gebundener vs. kurzfristig, rational entscheidender Wähler -, deren Relevanz und Sinnhaftigkeit einmal mehr in Frage zu stellen sein wird. Eine strikte Trennung von Mikround Makroebenen der theoretischen Erklärungsansätze und die Beachtung der empirischen Relevanz der Modelle sind Eckpfeiler der hier zu führenden theoretischen Diskussion. In Kapitel 3 erfolgt eine Diskussion theoretisch relevanter Aspekte der Sozialgeschichte der DDR. Von besonderem Interesse ist in diesem Kapitel die Frage, ob sich in der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur der DDR Konfliktlinien

24

1. Einleitung

widerspiegeln, denen unter den Bedingungen von freien Wahlen durchaus ein signifikanter Einfluß auf die Wahlentscheidung zukommen kann. In Anknüpfung an die bislang vorliegenden Analysen des ostdeutschen Wählerverhaltens werden insbesondere die Situation der Katholiken und der Arbeiter sowie mögliche Auswirkungen von Urbanität, Bildung und Alter untersucht. Sollten sich keine potentiell politisch aufladbaren Konfliktlinien in der DDR finden, muß die Annahme von längerfristigen, sozialstrukturell verankerten Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidung als widerlegt zurückgewiesen werden. Auch die in den 80er Jahren zweifelsfrei sinkende Identifikation mit der DDR und dem Marxismus-Leninismus wäre somit unabhängig von der sozialen Lage und müßte mit anderen Faktoren begründet werden. Kapitel 4 präsentiert die Ergebnisse der empirischen Datenanalyse. Auf Aggregat· und Individualebene werden die Determinanten der Wahlentscheidung 1990 in Sachsen-Anhalt herausgearbeitet. An den Ergebnissen der Landtagswahl 1994 werden die Befunde überprüft Wiederum von besonderem Interesse ist der Rückbezug der Analyse auf die Arbeitshypothese: Läßt sich mit den ermittelten Zusammenhängen zwischen Sozialstruktur, Einstellungen und Wahlabsicht die Annahme längerfristiger Einflußfaktoren zweifelsfrei zurückweisen? Die abschließende Zusammenfassung bilanziert die Ergebnisse der gesamten Untersuchung und bewertet sie im Sinne des Erkenntnisinteresses. Vor diesem Hintergrund gilt es, mögliche Entwicklungsperspektiven des sachsen-anhaltinischen, des ostdeutschen und des gesamtdeutschen Parteiensystems zu diskutieren. Die im dritten Teil durchzuführende Untersuchung des sozialgeschichtlichen Kontextes stützt sich auf die verfügbare wissenschaftliche Literatur zur Gesellschafts- und Sozialstruktur der DDR. Eine kurze Synopse der Legitimationsstrategien des Systems bringt zunächst Aufschlüsse über verschiedene Aspekte der politischen Kultur der DDR. Ein Überblick über verschiedene Modellvorstellungen fordert dann grundlegende Strukturierungs- und Differenzierungsmerkmale der sozialistischen Gesellschaft zutage. Neuere sozialgeschichtliche Studien erlauben anschließend eine differenziertere Einschätzung unterschiedlicher Gruppeninteressen und Institutionalisierungschancen. Hierauf aufbauend lassen sich ein Erklärungsmodell formulieren und Folgerungen bezüglich des Wählerverhaltens ableiten. Der empirische, vierte Teil dieser Studie beruht auf der Analyse unterschiedlicher Datentypen. Zuerst werden auf zwei verschiedenen Aggregationsniveaus Wahlergebnisse und sozioökonomische Kennziffern von Gebietseinheiten miteinander in Beziehung gesetzt. Anschließend erfolgt mit Hilfe von Individualdaten eine Untersuchung des Zusammenhangs von Wahlabsicht, Einstellungsmustern und Merkmalen der Sozialstruktur in Sachsen-Anhalt.

1.3. Gliederung und methodische Vorgehensweise

25

Die Aggregatdaten resultieren aus den Beständen und Erhebungen des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt. Der erste Datensatz beinhaltet auf Kreisebene (Gebietsstand vor dem 1. Juli 1994) die Wahlergebnisse von 1990 sowie eine Reihe sozialstatistischer und ökonomischer Kennziffern. 27 Zur Datenanalyse wurden sämtliche Fälle mit der Anzahl der Wahlberechtigten gewichtet. Der zweite Datensatz vereinigt auf der Landtagswahlkreisebene von 1994 die Landtags· und Bundestagswahlen von 1990 sowie die Landtagswahlen 1994. Sozioökonomische Daten sind auf dieser Aggregationsebene bislang nicht verfügbar. Eine Gewichtung kann aufgrund der vergleichbaren Wahlkreisgrößen unterbleiben. Für die Individualdatenanalyse stehen Umfragedaten von 1990, 1992 und 1994 zur Verfügung. Die Daten für 1990 und 1992 beruhen auf der postalischen Befragung von Stichproben aus dem zentralen Einwohnerregister der ehemaligen DDR. Sie wurden erhoben von der Projektgruppe „Meinungsforschung" der TU Magdeburg (März, April, September, November 1990, Juni 1992, Fallzahlen zwischen 1394 und 1179) und ISIS, Institut für sozialwissenschaftliche Informationen und Studien, Magdeburg (Juni 1992). Sie sind jeweils repräsentativ für das neue Bundesland Sachsen-Anhalt bzw. im März und April 1990 für die DDRBezirke Magdeburg und Halle. Die Rücklaufquote lag bei allen Befragungen bei etwa 30 %. Die Rohdatensätze wurden ohne Veränderung der Fallzahl mit Hilfe der Bevölkerungsstatistik sowie den Angaben über die Wahlberechtigten im Rahmen der repräsentativen Wahlstatistik nach Alter und Geschlecht gewichtet. Für die nachfolgende Analyse wurden die Umfragen vom März und April sowie vom September und November zur Erhöhung der Fallzahlen kumuliert. Die Daten für 1994 wurden vom Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung an der Universität zu Köln unter der ZA Nr. 2512 zugänglich gemacht. Sie wurden von der Forschungsgruppe Wahlen Mannheim (FGW) in der Zeit vom 15. bis 23. Juni 1994 vor der Landtagswahl 1994 durch mündliche Befragungen nach dem Random-Route-Verfahren erhoben und vom Zentralarchiv aufbereitet und dokumentiert. Selbstverständlich liegt die alleinige Verantwortung für die nachfolgenden Analysen und Interpretationen der verschiedenen Daten beim Autor. 28 Die in dieser Untersuchung zum Einsatz kommenden statistischen Methoden sind allesamt dem gängigen sozialwissenschaftlichen Instrumentarium zuzurech-

27 Vgl. Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt (1991): Die meisten Angaben entstammen dem Statistischen Jahrbuch Sachsen-Anhalt 1991. Daten zur Mobilität und Bildung wurden dem Autor direkt vom Statistischen Landesamt zur Verfugung gestellt. 28 Weitere Erläuterungen zur Datenbasis und insbesondere zur Auswahl der verwandten Variablen finden sich an entsprechender Stelle im Text.

26

1. Einleitung

nen und beruhen auf entsprechenden Prozeduren der statistischen StandardSoftware SPSS. Auf eine ausfuhrliche mathematische Herleitung wird daher verzichtet und diesbezüglich auf einschlägige Lehrbücher verwiesen. Im Text finden sich lediglich einige Anmerkungen zur spezifischen Verwendung einzelner Verfahren im Rahmen dieser Untersuchung.

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Individuelles Wählerverhalten entzieht sich aus demokratietheoretisch einsichtigen Gründen der direkten Beobachtung. Die Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung lassen sich somit nur mittels theoretischer Modellannahmen und entsprechender empirischer Überprüfungen ermitteln und quantifizieren. Hierbei muß unterschieden werden zwischen dem individuellen Wählerverhalten und der Wahlentscheidung auf Aggregatebene, der für die Legitimierung der politischen Macht eine zentrale Stellung zukommt. Als Teilgebiet der empirischen Sozialforschung richtet sich das Erkenntnisinteresse der Wahlforschung in erster Linie auf die Analyse von sozialen Strukturen und kollektiven Entscheidungsprozessen und weniger auf Aussagen über individuelles Verhalten, auch wenn die verschiedenen Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens in unterschiedlichem Ausmaß erstere aus letzteren ableiten. Die demokratietheoretischen Konsequenzen der Ergebnisse der Wahlforschung hingegen betreffen im allgemeinen das Bild vom Bürger, beziehen sich also auf die individuelle Verhaltensebene. Bereits ein erster Blick auf das weitverzweigte Feld der Wahlforschung zeigt eine Reihe verschiedener Einflußfaktoren und Befunde auf unterschiedlichen Ebenen. So steht erstens das Wählerverhalten im Spannungsfeld von Gruppeneinflüssen und persönlichen Dispositionen. Gruppenspezifische Lebensanschauungen oder zu verfolgende Interessen sowie Motive der Loyalität und Gruppenidentität bewirken überdurchschnittlich häufig gleichgerichtete Entscheidungen. Unabhängig vom Gruppendruck lassen sich individuell relevante Faktoren nachweisen, etwa die Wahrnehmung der eigenen ökonomischen Situation und die Beachtung entsprechender Kosten-Nutzen-Kalküle oder persönliche, emotionale Bindungen an bestimmte politische Parteien. Zweitens resultiert die Wahlentscheidung aus dem Zusammenspiel von Kurzund Langzeiteinflüssen. Auch wenn Gruppeneinflüsse eher längerfristigen Charakter haben und persönliche, am eigenen Vorteil orientierte Entscheidungskalküle auch kurzfristig ihre Determinanten verändern, so bildet die zeitliche Differenzierung der Einflußfaktoren vor allem auf der Makroebene eine eigenständig zu analysierende Dimension. Stabilere soziale Strukturen auf der einen Seite und situative Gegebenheiten auf der anderen Seite, etwa Indikatoren der wirtschaftli-

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

chen Lage wie Arbeitslosenquote oder Inflationsrate, beeinflussen wechselseitig die Wahlentscheidung im Aggregat. Häufig zu wenig Beachtung in Wahlanalysen finden schließlich die Rahmenbedingungen des politischen Systems, der Zustand und das Angebot des Parteiensystems sowie das Agieren der politischen Eliten. Als national konstante Einflußgrößen gelten hierbei die gesetzlichen Bestimmungen des Wahlrechts. Aber auch politische Skandale, Parteineugründungen oder mediale Präsenz üben einen starken, allerdings nur schwer systematisch und quantitativ zu erfassenden Einfluß auf das Wählerverhalten aus. Die verschiedenen und vielschichtigen Bestimmungsfaktoren finden sich nur ausschnittsweise in den theoretischen Erklärungsansätzen der empirischen Wahlforschung wieder. Es existiert keine umfassend ausgearbeitete und allgemein anerkannte Theorie des Wählerverhaltens, es existieren lediglich mehrere Modelle, die jeweils unterschiedliche Facetten und Ebenen der Wahlentscheidung beleuchten. Die Möglichkeit ihrer Kombination verhilft der Wahlforschung allerdings dennoch zu detaillierten Einsichten in die Genese der Entscheidungsprozesse bei Wahlen.1 In diesem Kapitel werden in der gebotenen Kürze die derzeit wichtigsten theoretischen Erklärungsansätze zunächst getrennt nach Lang- und Kurzzeiteinflüßen, der für die hier zu verfolgende Fragestellung wichtigsten Strukturierungsdimension, vergleichend dargestellt. Grundsätzlich gliedert sich die Darstellung jedes einzelnen Ansatzes wie folgt: Befunde oder Annahmen bezüglich des individuellen Wählerverhaltens (Mikroebene), Bestimmungsfaktoren des Wählerverhaltens im Aggregat (Makroebene) sowie Übertragungsmöglichkeit auf bundesdeutsche Verhältnisse. Es gilt, soweit vergleichbar, die jeweiligen Stärken und Grenzen der Modelle sowie ihr gegenseitiges Verhältnis zueinander herauszuarbeiten. Auch wenn hierbei die empirische Relevanz der Erklärungsansätze im Vordergrund steht, so werden dennoch die mit ihnen jeweils verbundenen demokratietheoretischen Konsequenzen aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Diskussion der Frage, aus welcher theoretischen Perspektive und mit welchen Erklärungsmodellen die Wahlentscheidung und das individuelle Wählerverhalten 1990 in der DDR und den ihr nachfolgenden fünf Bundesländern adäquat zu beschreiben ist.

1 Als Einfuhrungen hierzu seien genannt: Diederich (1965), Kaltefleiter/Nißen (1980), Grofinan (1987), Harrop/Müler (1987), BürJdin (1988), Falter et al. (1990), Webling (1991) und Wildenmann (1992).

2..

zeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

29

2.1. Langzeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung: Der historisch-soziologische und der individualpsychologische Ansatz

Den Ausgangspunkt der modernen Wahlforschung markieren die aus Anlaß der amerikanischen Präsidentschaftswahlen der 40er und 50er Jahre erstellten Analysen der beiden Arbeitsgruppen um Paul F. Lazarsfeld (Columbia University) und Angus Campbell (University of Michigan, Ann Arbor). 2 Trotz aller Unterschiede bezüglich des Untersuchungsdesigns und des theoretischen Erklärungsansatzes3 ermittelten beide Forscherteams übereinstimmend einen hohen Anteil von Wählern mit längerfristig konstanten Parteiloyalitäten, deren politische Priorität bereits frühzeitig vor den entsprechenden Wahlterminen feststand. Das mikrosoziologische oder sozialstrukturelle Erklärungsmodell von Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern betont den wahlrelevanten Einfluß des sozialen Umfelds. In seiner Untersuchung des Meinungbildungsprozesses zur amerikanischen Präsidentschaftswahl 1940 in Erie County (Ohio) wies Lazarsfeld nach, daß die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen mit politischen Verhaltensnormen die individuelle Wahlentscheidung in weitaus stärkerem Maße prägt als etwa die Massenmedien oder die Wahlpropaganda der Parteien. Der aus den Variablen sozioökonomischer Status, Konfessionszugehörigkeit und Größe des Wohnorts gebildete „index of political predisposition" 4 demonstriert, wie sich verschiedene Gruppenzugehörigkeiten in ihrer politischen Wirkung gegenseitig verstärken können: „a person thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics determine political preference." 5 Andererseits bewirken in ihrer politischen Ausrichtung entgegengesetzte Gruppenzugehörigkeiten beim Wähler einen Loyalitätskonflikt, der zunächst sinkendes Interesse an der Wahlentscheidung nach sich zieht.6 Ein in dieser „cross-pressure"-Situation stehender Wähler muß vor einer Wahlentscheidung zuerst die Rangfolge seiner für politisches Verhalten relevanten Gruppenmitgliedschaften klären. Offen bleibt in diesem individualsoziologisch argumentierenden Erklärungsmodell die Frage nach den Entstehungsgründen und der Konstanz solcher, das politische Verhalten strukturierender, gesellschaftlicher Gruppen. Diese makrosoziologische Erweiterung und somit auch historische Einbettung leisten Untersuchungen zur Struktur von Parteiensystemen. Die diesbezüglich grundlegenden

2 3 4 5 6

Lazarsfeld et al. (1948), Berelson et al. (1954), Campbell et al. (1954) und (1960). Vgl. Rossi (1959), Diederich (1965) S. 87-113, Küchler (1992). Lazarsfeld et al. (1948) S. 26. Lazarsfeld et al. (1948) S. 27. Vgl. Lazarsfeld et al. (1948) S. 52-64, allgemeiner Festinger (1957).

30

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Studien aus den 60er Jahren zum Einfluß des Demokratisierungs- und Modernisierungsprozesses auf die Herausbildung und Entwicklung der westeuropäischen Parteiensysteme7 prägen die theoretischen Diskussionen um die Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens bis zum heutigen Tag.8 Sie fungieren als Schnittstelle zwischen der Wahl- und der Parteienforschung. Ein solcher Stellenwert kommt dem Krisen-Konzept von Joseph LaPalombara und Myron Weiner 9 in der Version von Otto Kirchheimer zu. Es beschreibt den Demokratisierungsprozeß als Abfolge von vier zentralen Problemen, die von einem Parteiensystem unter Berücksichtigung ihres zeitlichen Auftretens zu bewältigen sind: „Schaffung der nationalen Einheit, Errichtung einer Verfassungsordnung, Eingliederung der Gesamtbevölkerung in diese Ordnung und Befriedigung der Bevölkerungswünsche auf Vollbeteiligung an allen zivilisatorischen Errungenschaften" 10. Dieses Modell bildet zum einen den Ausgangspunkt sowohl fur Kirchheimers kontrovers diskutiertes Konzept der Volkspartei 11 als auch für Fragen der Parteientypologie.12 Zum anderen entwickelt M. Rainer Lepsius darauf aufbauend sein Konzept der sozialmoralischen Milieus, 13 an das zahlreiche Studien der Wahl- und Parteiensystemforschung anknüpfen konnten.14 Sozialmoralische Milieus sind nach Lepsius „soziale Einheiten, die durch eine Koinzidenz mehrerer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtspezifische Zusammensetzung der intermediären Gruppen, gebildet werden." 15 Am Beispiel der deutschen

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Folgende "Meilensteine der vergleichenden Parteienforschung" (Stöss/Niedermayer (1993) S. 12) der 60er Jahre sind auch für die empirische Wahlforschung bedeutsam und werden immer wieder zitiert: LaPalombara/Weiner (1966), Lepsius (1966) und Lipset/Rokkan (1967). 8 Zur Bedeutung im Bereich der Wahlforschung vgl. Kaltefleiter/Nißen (1980) S. 2935, Falter et al. (1990) S. 7-8, Schultze (1991a), Rohe (1992) S. 9-29, Wildenmann (1992) S. 34-49, KJingemann/Steinwede (1993) S. 51-53; entspr. zur historischen Sozialforschung vgl. Best (1989), Ritter (1985) S. 49-51. 9 Vgl. LaPalombara/Weiner (1966) S. 14-21. 10 Kirchheimer (1969) S. 341, allerdings findet sich diese Auflistung nur implizit in LaPalombara/Weiner (1966) und Weiner/LaPalombara (1966). 11 Kontrovers zu Kirchheimer -( 1969) vgl. bspw. Hennis (1977), Kaste/Raschke (1977), Guggenberger (1980) S. 67-90, Mintzel (1984) bes. S. 96-123, Manfred G. Schmidt {1989). 12 Vgl. Hättich (1969) S. 407-410, der zudem daraufhinweist, daß das Krisen-Modell von LaPalombara/Weiner keineswegs ausschließlich an den historischen Hintergrund gebunden ist. 13 Lepsius (1966). 14 S. Naßmacher (1979), Veen (1988), Rohe (1992) S. 9-29, Flaig et al. (1993) S. 135-141. 15 Lepsius (1966) S. 383.

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zeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

31

Entwicklung zeigt Lepsius, wie sich sozio-ökonomische Lebenslagen, spezifische Normen und Wertvorstellungen sowie regionale politische Traditionen gegenseitig verstärken und zur Kristallisation von vier stabilen Milieus fuhren. Als deren Stabilisatoren wirken ein ausgeprägtes Verbands- und Vereinswesen sowie spezifische Kommunikationsnetze. Parteien vertreten als die „politischen Aktionsausschüsse dieser in sich höchst komplex strukturierten sozialmoralischen Milieus" 16 die jeweiligen Interessen auf der politischen Ebene. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien, anhand derer sich entsprechende Milieus gebildet haben, und die jeweils relevanten Träger lassen sich mit dem zweistufigen Cleavage-Modell von Seymour M. Lipset und Stein Rokkan17 aufspüren. Demnach verlief erstens der westeuropäische Demokratisierungsprozeß idealtypisch entlang vier grundlegender Konflikte: Zentrum vs. Peripherie im Prozeß der Staatengründung, Kirche vs. Staat um die politische Macht und kulturelle Hegemonie, städtisch-handwerkliche vs. ländlich-agrarische Interessen zur Zeit der einsetzenden Industrialisierung sowie Kapital vs. Arbeit. Politische Eliten koalierten mit den jeweils betroffenen und politisierten Bevölkerungsgruppen und institutionalisierten den Konflikt dauerhaft im nationalen Parteiensystem. Zweitens systematisieren und diskutieren die beiden Autoren ausführlich den Institutionalisierungsprozeß (process of translation) neuer Cleavages in einem bestehenden Parteiensystem, den sie modellhaft als Sequenz von insgesamt vier Schwellen (thresholds) betrachten.18 Es stellen sich erstens die Frage nach der Legitimität des neuen Protests (legitimation), zweitens die nach den politischen Rechten und der Eingebundenheit seiner Träger (incorporation), drittens Fragen der politischen Repräsentationsmöglichkeiten (representation) sowie viertens die Frage nach dem Ausmaß der Veränderungen, die mit Hilfe der Wahlmehrheit im politischen System möglich sind (majority power). 19 Die so unter Berücksichtigung historischer und institutioneller Besonderheiten entstandenen Parteiensy-

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Lepsius (1966) S. 382. Lipset/Rokkan (1967). Cleavages sind entsprechend der heute gebräuchlichen Definition nach Pappi „Koalitionen zwischen Parteieliten und bestimmten sozialen Gruppen (..), die um so dauerhafter (sind), je besser sie auf der Organisationsebene abgestützt sind und je mehr sie ideologisch gedeutet werden" (Molitor (1992) S. 62). 18 Vgl. Lipset/Rokkan (1967) S. 26-33, bes. S. 26-27. 19 Vgl. zum Zusammenhang von gesellschaftlichen Konflikten, Elitenverhalten und Parteiensystem bei Lipset/Rokkan die Würdigung von Sarton (1968) S. 18ff, speziell: „In my terminology, Lipset and Rokkan definitly surpass the old-style sociology of politics and unquestionably inaugurate the new political sociology. Politics is no longer a mere projection, and the problem becomes „translation". (...) The sociology of politics deals with the consumer and ignores the producer." (S. 20, 23); s. hierzu auch Lepsius (1980): „Das Handeln von Eliten in Konfliktsituationen wurde zum dynamischen Element in seiner (Rokkans, U.E.) Forschung." (S. 116) sowie Bürklin (1984) S. 18-27. 17

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

steme haben sich als äußerst stabil erwiesen. Bereits frühzeitig finden sich jedoch Hinweise auf die notwendige Erweiterung des Modells um eine neue, wiederum kulturelle Konfliktlinie, die sich als Folge der Bildungsexplosion herausgebildet hat.20 Franz Urban Pappi hat seit den frühen 70er Jahren in mehreren Beiträgen den Erklärungswert des Cleavage-Modells für das Parteiensystem der Bundesrepublik untersucht21 und es entsprechend den bundesdeutschen Rahmenbedingungen in seinem „Konzept der politisierten Sozialstruktur" 22 in drei entscheidenden Punkten modifiziert und erweitert. So stellt sich erstens der Konflikt Kirche vs. Staat im konfessionell gespaltenen Deutschland als konfessioneller Gegensatz zwischen dem Katholizismus und dem konservativ-nationalen bzw. dem liberalen Protestantismus dar und wandelt sich in der Bundesrepublik zu einem Gegensatz zwischen Personen mit religiöser Orientierung und Personen ohne religiöse Orientierung. 23 Zweitens weist Pappi nach, daß die Verschiebungen des Kräfteverhältnisses von CDU und SPD zwischen 1950 und 1970 nicht allein durch quantitative Veränderungen der die jeweiligen Parteien unterstützenden Bevölkerungsgruppen zu erklären sind. In der Konsequenz betrachtet er das Verhältnis von Sozialstruktur und Parteiensystem nicht als unveränderliche, sondern als variable Größe. Die vielzitierte Methapher von dem „frozen party system" beschreibt auch aus dieser Perspektive keineswegs den Endpunkt eines Entwicklungsprozesses, sondern vielmehr die konkrete historische Situation, wie sie sich Lipset und Rokkan 1967 dargestellt hat. Durch das Verhalten der politischen Eliten, insbesondere durch die Aktualisierung bestehender oder die Neuinterpretation vergangener Konflikte, lassen sich Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Wählerschaft erzielen und neue, im Zuge des sozialen Wandels entstandene Bevölkerungsgruppen in das bestehende Cleavagemuster integrieren. 24 Drittens begründet Pappi für die Bundesrepublik bereits in den frühen 70er Jahren die Diskussion um die Erweiterung der Konfliktstruktur des Cleavage-

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S. Allardt (1968), mit vielfältigen Verweisungen Harrop/Müler (1987) S. 173-216. Nach Inglehart (1977), (1989) wird diese Veränderung von Werten und Einstellungen häufig als „stille Revolution" hin zu postmaterialistischen Werten beschrieben. Bürklin (1984, S. 18-45) diskutiert die generelle Dynamisierung des Cleavage-Modells durch einen Realignment-Zyklus, wie er etwa von Paul A. Beck (1976) vorgeschlagen wurde. 21 Vgl. hierzu Pappi (1973), (1977), (1979) und (1985). 22 Pappi (1979) S. 467. 23 Vgl. Pappi (1985), Karl Schmitt (1989), Mielke (1991). 24 Vgl. Pappi (1973).

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zeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

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Modells. Besonders im Zusammenhang mit dem Aufkommen und dem Erfolg der Grünen hat diese Diskussion einen enormen Aufschwung erfahren. 25 Mit Hilfe dieser hier nur kurz skizzierten makrosoziologischen Erklärungsmuster lassen sich die für das individuelle Wahlverhalten relevanten Gruppen aus historischer Perspektive bestimmen. Diese Vorgehensweise ist nicht ausschließlich an die konkreten geschichtlichen Situationen der referierten Studien gebunden, sondern läßt sich prinzipiell auch auf andere Kontexte übertragen. Bedeutsam sind die angeführten Studien dann weniger unter inhaltlichen als vielmehr unter methodischen Gesichtspunkten. Es gilt, verhaltensrelevante gesellschaftliche Strukturen zu identifizieren. Die Stärke des historisch-soziologischen Ansatzes besteht somit in der Aufdeckung langfristiger Einflußfaktoren und der Erklärung von stabilen, im Einklang mit Gruppeninteressen erfolgten Wahlentscheidungen. Der für Westeuropa nachgewiesene Zusammenhang zwischen gesellschaftlich-sozialen Strukturen und politischem Verhalten bedarf in zwei zentralen Punkten aufgrund der häufig unvollständigen Rezeption der klassischen Studien allerdings noch einer weiteren Konkretisierung und Zuspitzung. Erstens ist politisches Verhalten „kein reines Epiphänomen der Sozialstruktur" 26 , und die Entwicklung derselben ist keineswegs einem historischen Determinismus unterworfen. In allen hier bislang diskutierten Modellen kommt dem Handeln der politischen Eliten durch die Formulierung der gruppenspezifischen, identitätsstiflenden Weltbilder und deren Aktualisierung in der Tagespolitik sowie den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle zu. 27 Allerdings sind diese Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidung in

25

Vgl. Pappi (1977); s. auch Bürklin (1984), Fuchs (1991), Weßels (1991). Erklärungsmuster zum Aufkommen der Grünen unter Anknüpfung an Lipset/Rokkan (1967) bei Schultze (1983), Raschke (1985), Alber (1985). 26 Pappi (1973) S. 193. 27 Die Relevanz des Verhaltens der Eliten bei LaPalombara/Weiner (1966) und Lepsius (1966) ergibt sich bereits aus der zugrunde gelegten Krisentheorie, die gerade entsprechende Reaktionen der politischen Eliten untersucht. Die Bedeutung von Lipset/Rokkan (1967) besteht nach Sarton wie ausgeführt genau darin, daß gesellschaftliche Konflikte und Elitenverhalten in einem Erklärungsmodell aufeinander bezogen werden. In der Rezeptionsgeschichte spielen jedoch die „cleavages" eine dominierende Rolle, die „thresholds" und ihre Bedeutung werden häufig vernachlässigt; so etwa bei v. Alemann (1992, bes. S. 94-99), der dennoch die Cleavage-Theorie als „Bezugstheorie für die Wechselvmkung der Parteien mit der Sozialstruktur der Gesellschaft" (S. 99, Herv. von U.E.) heranzieht; vgl. auch Hermann Schmitt (1994), der die an Lipset/Rokkan anknüpfende ,,historisch-makrosoziologische Forschungstradition" unzutreffend als Sichtweise eines „sozialstrukturell determinierten Wahlverhaltens" (S. 189) charakterisiert. Best (1989), bes. S. 13-17, mit Bezug hierauf Rohe (1992) S. 24-25 sowie Klingemann/Steinwede (1993) S. 52 sehen eine zu geringe Bedeutung der Rolle der Eliten in den Milieu- und Cleavagemodellen ebenfalls als deren Manko an. 3 Eith

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Querschnittanalysen als konstant anzusehen und in Längsschnittanalysen im allgemeinen nicht oder nur schwer zu quantifizieren. Sie werden somit häufig in den Bereich der ceteris paribus-Annahmen verlagert. Zweitens betonen alle Studien die Bedeutung und das Zusammenspiel von ökonomischen und kulturellen Faktoren, worauf Giovanni Sartori bereits 1968 hingewiesen hat: „The first advantage of this approach (von Lipset/Rokkan, U.E.) is that it gives equal attention to any kind of conflict and cleavage. Race and ethnicity, region and locality, culture and tradition, religion and ideology, point to dimensions of cleavage which may be as important as its class dimension."28 Ökonomische Konflikte führen im allgemeinen nur dann zu langfristigen gesellschaftlichen Spaltungen, wenn sie ideologisch-kulturell überformt und abgestützt werden. 29 Die zur Erklärung des individuellen Wählerverhaltens herangezogenen Variablen der Sozialstruktur müssen in diesem Sinne als Indikatoren für bestimmte Wertvorstellungen gesellschaftlicher Gruppen betrachtet werden, etwa die Schicht- und Religionszugehörigkeit, die Kirchgangshäufigkeit, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, das Alter oder auch die Wohnortgröße. 30 Eine Rezeption entsprechender Studien dahingehend, daß lediglich ökonomische Determinanten der Wahlentscheidung berücksichtigt werden, verwechselt die Operationalisierung mit dem kausalen Modell und verkennt den skizzierten, wesentlich komplexeren Zugang des historisch-soziologischen Erklärungsansatzes für das Wählerverhalten. Das individualpsychologische Erklärungsmodell von Angus Campbell und seinen Mitarbeitern fokussiert den individuellen Entscheidungsprozeß aus einer anderen Perspektive. Anläßlich der amerikanischen Präsidentschaftswahlen der 50er Jahre entwickelt Campbell letztlich ein Modell, dessen Ausgangspunkt und Basis eine persönliche, langfristig stabile und emotionale Beziehung zu einer Partei darstellt. 31 Zwar ermittelt auch Campbell Zusammenhänge zwischen der Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und politischen Einstellungen, jedoch „of great significance also is the role of the party as a bridge between other social

28

Sartori (1968) S. 18-19. Vgl. Rohe (1992) S. 13,23-24; im gleichen Sinne auch Lipset/Rokkan (1967): „The four critical cleavages (...) were all movements of protest against the established national elite and its cultural standards (...)" (S. 23). Umgekehrt zeigt Manfred G. Schmidt (1983) eindrucksvoll, daß die Popularität der Regierung keineswegs allein durch die Wirtschaftslage zu erklären ist. S. zum Zusammenhang von Sozialstruktur, Wertorientierungen und politischem Verhalten auch Pappi/Laumann (1974). 30 Häußermann/Küchler (1993) untersuchen und interpretieren gleichermaßen den Einfluß von Wohneigentum auf das Wahlverhalten in der Bundesrepublik; zu den Variablen Alter und Geschlecht vgl. Eith (1991). 31 Vgl. Campbell et al. (1960), bes. Chap. 2, 6, 7. 29

2.1. Langzeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung

35

groupings and the political world." 32 Eine „party identity" bildet sich im politischen System über zwei bis drei Generationenzyklen heraus. Sie wird vom einzelnen dann während seiner politischen Sozialisation im allgemeinen in der Familie erworben und stabilisiert sich mit zunehmender Wahlerfahrung. 33 Sie filtert und strukturiert die für das Individuum sonst nicht zu bewältigende Flut politischer Informationen: „Identification with a party raises a perceptual screen through which the individual tends to see what is favorable to his partisan orientation." 34 Diese das politische Verhalten langfristig beeinflussende Parteiidentifikation wird ergänzt durch zwei Kurzzeitfaktoren, die Bewertung der zur Wahl stehenden Kandidaten sowie die Relevanz politisch aktueller Themen samt den entsprechenden Lösungskompetenzen der Parteien. Bei einem möglichen Konflikt zwischen Kurz- und Langzeitfaktoren kann der Wähler durchaus eine Wahlentscheidung entgegen seiner grundlegenden Parteiorientierung treffen. Verlieren diese intervenierenden Kurzzeiteinflüsse aber wieder an Bedeutung, kehrt er im allgemeinen zu derjenigen Partei zurück, der er sich affektiv verbunden fühlt. Dieses traditionelle Ann Arbor-Modell läßt sich auf die Makroebene, die Ebene der Gesamtwählerschaft übertragen. In seinem Normal Vote-Konzept betrachtet Philip E. Converse das konkrete Wahlergebnis als Resultat des Zusammenwirkens von lang- und kurzfristigen Faktoren. 35 Die Differenz zwischen dem aufgrund der Verteilung der Parteiidentifikation erwarteten und dem tatsächlich realisierten Wahlergebnis wird als Effekte der beiden Kurzzeitvariablen Sachfragen- oder Kandidatenorientierung angesehen. Eine Normalwahl hingegen ist dadurch gekennzeichnet, daß sich das Wahlergebnis und die Verteilung der Parteiidentifikation in der Gesamtwählerschaft entsprechen. Kurzzeiteinflüsse spielen keine Rolle oder gleichen sich entsprechend aus. Insbesondere dieser Möglichkeit der getrennten Quantifizierung von Kurz- und Langzeiteffekten auf das Wahlverhalten verdankt das Normal Vote-Konzept, „das gewissermaßen den Höhepunkt der klassischen Ann-Arbor-Theorie darstellt" 36, seine große Bedeutung für die empirische Wahlforschung.

32

Campbell et al. (1960) S. 331. Vgl. Converse (1969), bes. S. 145-148, Gluchowski (1983) S. 448-449. Die Bedeutung des familiären Einflusses ist heute relativiert. Niemi/Jennings (1991) weisen nach, daß mit zunehmendem Alter die Ausprägung und Stärke einer Parteiidentifikation weniger von den Eltern als vielmehr von der Orientierung an aktuellen politischen Themen beeinflußt wird; Paul A. Beck (1976) verweist auf die Bedeutung von RealignmentZyklen. 34 Campbell et al. (1960) S. 133. 35 Vgl. Converse (1966). 36 Falter/Rattinger (1983) S. 322. 33

3*

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Des weiteren eignet sich das Normal Vote-Konzept zur Klassifikation von Wahlen. Hierzu sind die vier möglichen Kombinationen von Wahlergebnis und Verteilung der Parteiidentifikation entsprechend zu charakterisieren. 37 Bei stabiler Parteiidentifikation in der Wählerschaft kann sich zum einen diese im konkreten Wahlergebnis widerspiegeln. Zum anderen können aber auch kurzfristige Einflußfaktoren ein Wahlergebnis entgegen der langfristig stabilen Parteiidentifikation bewirken. Im ersten Fall spricht man von einer maintaining election, im zweiten Fall von einer deviating election. Bei einer critical election erfolgt gleichzeitig ein Mehrheitswechsel sowohl bei der Wahl als auch in der Verteilung der Parteiidentifikation in der Wählerschaft. Das Ausbleiben eines Mehrheitswechsels bei der Wahl trotz entsprechender Verschiebungen in der Parteiidentifikation kennzeichnet eine converting election. Große Schwierigkeiten bereitete die Übertragung dieses individualpsychologischen Erklärungsmodells des Wählerverhaltens, das ja ursprünglich für den amerikanischen Kontext der 50er Jahre konstruiert wurde, auf andere politische Systeme. Für die Bundesrepublik stellten sich insbesondere die Fragen nach der Validität des Konzepts der Parteiidentifikation unter den parteisystemischen Besonderheiten des hiesigen politischen Systems und nach der adäquaten Übersetzung des zur Messung benutzten Indikators. 38 Erst anläßlich der Bundestagswahlen 1976 und 1980 gelang eine weithin anerkannte Operationalisierung des Konzepts durch Peter Gluchowski. Er konnte nachweisen, daß die Parteiidentifikation in der Bundesrepublik erstens etwas stabiler ist als die Wahlabsicht, zweitens die politischen Einstellungen vorstrukturiert und drittens affektivemotionale Komponenten beinhaltet. In der Folge betrachtet inzwischen ein Großteil der bundesdeutschen Wahlforschung die Übertragung als prinzipiell gelungen. Für einige Wahlforscher hat sich das Ann Arbor-Modell sogar auch hier „zum führenden (...) Ansatz der empirischen Wahlforschung entwickelt"39. Eine Reihe methodisch aufwendiger Untersuchungen zum Zusammenspiel von Kurz- und Langzeiteffekten auf der Grundlage des Ann Arbor-Modells liegt

37

Vgl. bereits Campbell et al. (1960) S. 531-538 und Campbell (1966) in Anlehnung an Key (1955). Allerdings gehen verschiedenen Autoren heute eher von kritischen (realigning) Perioden als von kritischen Wahlen aus, vgl. Paul A. Beck (1976), Harrop/Miller (1987) S. 82-83. 38 Vgl. Falter (1977), Norpoth (1978), Gluchowski (1978) und (1983). 39 Falter et al. (1990) S. 8; vgl. Falter/Rattinger (1983) S. 328-330. Nach wie vor finden sich auch skeptischere bis ablehnende Einschätzungen, etwa Wildenmann (1968): „Das Konzept der Parteiidentifikationen läßt zwar eine Feinstruktur des politischen Verhaltens erkennen. Zur Darstellung und Beschreibung von politischen Prozessen ist es unabdingbar. Es erklärt jedoch nicht politisches Verhalten." (S. 268); ebenso Wildenmann (1992) S. 54-55; vgl. weiterhin Kaase/Klingemann (1994a) S. 346/347, Schultze (1994) S. 477.

2..

zeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

37

inzwischen vor. 40 Allerdings finden sich auch genügend ernstzunehmende Hinweise auf große, nach wie vor ungelöste Probleme bezüglich der Réhabilitât des Meßinstruments,41 so daß ein endgültiges Urteil zur Übertragbarkeit des Ann Arbor-Modells wohl noch immer aussteht. Die beiden aus der amerikanischen Wahlforschung übernommenen Erklärungsansätze gehen also gleichermaßen von stabilen und langanhaltenden politischen Bindungen eines Großteils der Wählerschaft aus. Aus demokratietheoretischer Perspektive betrachtet zeichnen diese Studien das Bild eines eher uninformierten und von sozialen Zwängen gesteuerten Wählers. Hierbei macht es keinen gravierenden Unterschied, ob dieser sich aus Anpassung an seine Umwelt oder aus emotionaler Bindung und Gewohnheit in regelmäßiger Konstanz für dieselbe Partei entscheidet. Das Bürgerbild steht in beiden Fällen im deutlichen Kontrast zum Ideal des wohlinformierten und verantwortungsvoll entscheidenden Bürgers in der Tradition der Aufklärung. 42 Trotz dieser Gemeinsamkeit auf der Individualebene unterscheidet sich das Erkenntnisinteresse der beiden Ansätze und somit auch ihr praktischer Nutzen für die empirische Wahlforschung. Der historisch-soziologische Ansatz rückt den Zusammenhang von sozialen Strukturen und politischer Wahlentscheidung in den Mittelpunkt des Interesses. Vor allem mittels Aggregatdatenanalysen und Regionalstudien können die wahlrelevanten Konflikte sowie entsprechende soziale Gruppen und Milieus identifiziert werden. Die Entstehung und Genese des Parteiensystems gerät in das Blickfeld der Wahlforschung. Langfristige Potentiale der Parteien, aber auch Verschiebungen in der Grundstruktur lassen sich abschätzen. Ein entscheidender Vorteil dieses Ansatzes ist die Verwendung von Variablen und Indikatoren, wie etwa Religion, soziale Lage, Alter oder Wohnortgröße, die offensichtlich unbeeinflußt und somit unabhängig von der zu erklärenden Wahlentscheidung sind. Diesem Leistungsvermögen steht als Defizit entgegen, daß ein kurzzeitiger Wandel von politischen Einstellungen und Wahlentscheidungen nur unzureichend erklärbar ist. Das Erkenntnisinteresse des individualpsychologischen Ansatzes hingegen richtet sich vorwiegend auf das Zusammenspiel von Kurz- und Langzeiteinflüssen bei der Wahlentscheidung. Die Entstehungsbedingungen der Parteiidentifikation und die historische Fundierung ihrer Verteilung in der Wählerschaft sind nur von nachrangigem Interesse. Sie betreffen lediglich die Voraussetzungen, um das

40

Etwa Klingemann/Taylor (1977), Falter/Rattinger (1983) und (1986). Vgl. Gluchowski (1983) S. 471-472, Küchler (1985) S. 163-165, (1990) S. 426429, (1994) S. 135, Bürldin (1988) S. 66. 42 Vgl. zur demokratietheoretischen Diskussion Burdick (1959), Kariel (1970), Garding (1978), Rattinger (1980), Sartori (1992) bes. S. 113-122. 41

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Ann Arbor-Modell überhaupt sinnvoll anwenden zu können. Im Unterschied zum historisch-soziologischen Ansatz erlaubt diese theoretische Ausrichtung eine umfassende Mathematisierung des Erklärungsmodells. Die mit Hilfe ausgefeilter Umfragetechniken und statistischer Analysen exakte Quantifizierung der kurzund langfristigen Einflußfaktoren eröffnet der empirischen Wahlforschung einen differenzierten Einblick in die Wirkungsweise kurzfristiger Sachthemen und Kandidatenimages. Diese Kenntnisse finden unter anderem in Prognosen und Konzepten für die Politikberatung oder die Wahlkampfkonzipierung ihren praktischen Niederschlag. Allerdings dürfen die unbestreitbare Eleganz des theoretischen Modells und die vorzüglichen Operationalisierungsmöglichkeiten für quantitativ-statistische Analysen nicht den Blick auf die großen Unsicherheiten und Restriktionen bei der Datenerhebung verstellen. Individualdaten werden durch Umfragen gewonnen und spiegeln neben allen bekannten methodischen Verzerrungen in erster Linie momentane Einstellungen und Absichten statt tatsächliches Verhalten wider. 43 Zudem stützt sich die theoretische Erklärung des Wahlverhaltens auf lediglich drei verhaltensrelevante Faktoren, deren Kausalverhältnis im Lichte neuerer Studien keineswegs unproblematisch erscheint.44 Beide Erklärungsmodelle verankern also die Wahlentscheidung im jeweiligen politisch-sozialen Kontext und seiner geschichtlichen Entwicklung, im historischsoziologischen Ansatz beschrieben durch Gruppen- oder Milieumitgliedschaften, im individualpsychologischen Ansatz festgemacht an der Parteiidentifikation. Es ist durchaus plausibel, daß in den zur amerikanischen Situation völlig anders ausgeprägten politischen und sozialen Systemen Westeuropas, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, in vielen Fällen die Parteiidentifikation „die Funktion, Ausdruck der Loyalität zu einer Bezugsgruppe zu sein" 45 , übernimmt. In diesem Fall beschreiben beide Erklärungsansätze zumindest in stabilen Perioden im wesentlichen zwei Seiten derselben Medaille: Die Konstanz sozialmoralischer Milieus und die politische Relevanz sozialer Gruppen geht einher mit entsprechenden Ausprägungen von stabilen Parteiidentifikationen auf der Individualebene. Während dann also vor allem der makrosoziologische Ansatz die Herausbildung wahlrelevanter Gruppen mit Hilfe gesellschaftlicher Konfliktmuster erklärt, veranschaulicht das Konzept der Parteiidentifikation deren langandauernde, weil durch individuelle Bindungen begründete Relevanz.

43 Vgl. zu den Manipulationsmöglichkeiten der Demoskopie Oberndorfer (1978), bes. S. 32-38; zu den Spezifika von verschiedenen Datentypen, insbesondere von Umfragedaten s. Rattinger/Ohr (1989), Falter/Schumann (1989), Ohr/Rattinger (1993). 44 S. zum Kausalverhältnis von Parteiidentifikation und Sachfragenorientierung Kap. 2.2.1 dieser Arbeit. 45 Wildenmann (1968) S. 235; ähnlich Falter (1977) S. 495-497, Dalton et al. (1984) S. 12.

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

39

In jedem Fall sind beide Erklärungsmodelle in ihrer Reichweite von den Umstrukturierungsprozessen der letzten Jahrzehnte betroffen. Die einerseits durch Mobilisierungs- und Individualisierungsschübe, andererseits durch Veränderungen der politischen Angebotsseite in Teilen der Gesellschaft festzustellende allmähliche Auflösung vormals stabiler Milieus 46 äußert sich im Ann ArborModell durch eine Verringerung des Anteils der Wähler mit stabiler Parteiidentifikation. Die Lockerung oder Verschiebung des Zusammenhangs von Sozialstruktur und Wahlentscheidung47 zeigt sich aus der Perspektive des historischsoziologischen Ansatzes durch einen fortdauernden Abschmelzungsprozeß der traditionellen Hochburgen der jeweiligen Parteien.48

2.2. Kurzzeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung

Die ernüchternden demokratietheoretischen Konsequenzen aus den frühen amerikanischen Wahlstudien motivierten in der Folge zahlreiche Untersuchungen, den Nachweis zu erbringen, „that voters are not fools." 49 Es galt, das Bild vom rationalen, Alternativen abwägenden Wähler zu reetablieren. Hinzu kommt, daß die zunehmende Verbreitung und Perfektionierung der Umfragetechnik die systematische Erforschung der Einflüsse kurzfristig wirksamer Faktoren auf das Wahlverhalten nachhaltig gefordert hat. Entsprechende Wahlanalysen stützen sich in erster Linie auf das theoretische Fundament der individualistisch orientierten ökonomischen Theorie der Politik, mancherorts bereits als neues Paradigma der empirischen Wahlforschung postuliert. 50 Es ist zu betonen, daß der Rational

46 Vgl. Veen/Gluchowski (1988), Naßmacher (1979), Buchhaas/Kühr (1979); internationale Vergleiche in Dalton et al. (1984a), Crewe/Denver (1985); grundlegend, aber nicht unumstritten zur Individualisierungs-Perspektive Ulrich Beck (1986). Die Bedeutung politischer Faktoren betonen insbesondere Oberndörfer/Mielke (1990), Zelle (1995). 47 Die Frage, ob es sich bei den beobachtbaren Prozessen um eine Auflösung (dealignment) oder eine Neuformierung (realignment) handelt, ist bislang empirisch nicht entscheidbar; vgl. Dalton/Rohrschneider (1990), Feist/Liepelt (1990), Betz (1993). 48 Vgl. zur Bundesrepublik Oberndörfer/Mielke (1992), Oberndörfer et al. (1994), zu Baden-Württemberg Oberndörfer et al. (1992), (1996). Die Autoren sehen Änderungen des Wählerverhaltens immer auch in Verbindung mit dem Verhalten der politischen Eliten. 49 Key (1966) S. 7; vgl. auch Fiorina (1981) S. 3-16. 50 Vgl. Bennett/Salisbury (1987) S. 1; zur Verbreitung der Rational Choice-Theorie in den Sozialwissenschaften und der Politikforschung s. Wiesenthal (1987), Druwe/Kunz (1994); grundlegend Schumpeter (1993), Albert (1978).

40

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Choice-Ansatz im folgenden nicht als normatives, sondern als empirisches Erklärungsmodell des Wählerverhaltens diskutiert wird. Darüber hinaus gibt es in der Bundesrepublik seit den 80er Jahren Versuche, durch eine Verknüpfung von Wahl- und Lebensstilstudien auch gruppenspezifische Kurzzeitfaktoren zu berücksichtigen. Nicht zuletzt die große öffentliche Wirkung dieser Studien in Politik und Publizistik verdeutlicht die Notwendigkeit, den Beitrag dieser Lebensstil-Modelle zur Erklärung des Wählerverhaltens genauer zu untersuchen.

2.2.1. Das Modell des rationalen Wählers

Als allgemeiner Bezugspunkt des Modells des rationalen Wählers gilt Anthony Downs Studie „An Economic Theory of Democracy" von 1957.51 Demnach fungieren die Parteien mit ihren Programmen als Anbieter auf dem politischen Markt. Der Wähler als rationaler Käufer orientiert sich in seiner Entscheidung an dem maximal für ihn zu erzielenden politischen Nutzen. Idealtypisch ermittelt er diesen durch einen Vergleich der Arbeit der Regierungspartei in der abgelaufenen Legislaturperiode mit dem vermuteten Ergebnis der Oppositionsparteien, wären diese an der Macht gewesen.52 Der ökonomische Rationalitätsbegriff bezieht sich also „niemals auf die Ziele, sondern stets nur auf die Mittel eines Handlungsträgers" 53. Als Voraussetzung muß hierbei gelten, daß erstens bei gegebenen Restriktionen wahrnehmbare Handlungsalternativen existieren und diese in eine transitive Ordnung überführt werden können, daß zweitens die an erster Stelle stehende Alternative ausgewählt wird und daß drittens das Verfahren bei unveränderten Bedingungen stets zum gleichen Ergebnis kommt. Diese Mittelrationalität stellt die Auswahl der zu verfolgenden Ziele dem eigenen Werturteil anheim. Sie unterscheidet sich somit deutlich vom alltäglichen Sprachgebrauch, der mit Rationalität logische, intersubjektiv überprüfbare Denkprozesse, gefühls- und vorurteilsloses Handeln oder auch eine normative Verpflichtung auf das Gemeinwohl verbindet. 54

51 In der dt. Übersetzung: Downs (1968); vgl. Fuchs/Kühnel (1994) S. 305-324, Bennett/Salisbury (1987) S. 7-11, Grofinan (1987) S. 32-35, Lehner (1981) S. 21-43, Kirchgässner(\9M) S. 440. 52 Vgl. Downs (1968) S. 48-49, Lehner (1981) S. 29. 53 Downs (1968) S. 5. 54 Vgl. Downs (1968) S. 4-11, Rattinger (1980) S. 48, Falter et al. (1990) S. 12.

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

41

Für den Bereich der Wahlforschung ist diese ökonomisch formale Rationalitätsvorstellung jedoch lediglich von theoretischer Natur, orientiert an einem Zustand vollständiger und kostenloser Information. „In der wirklichen Welt hindern die Ungewißheit und der Mangel an Information selbst den intelligentesten und bestinformierten Wähler daran, sich so zu verhalten, wie wir (Downs, U.E.) es beschrieben haben."55 So muß zum einen die zur rationalen Entscheidung benötigte Information in der Realität unter mehr oder minder großen Kosten beschafft werden. Der Ausgleich von Grenzertrag und Grenzkosten steuert hierbei die Informationsmenge. Die Kosten dieser Informationsbeschafiimg lassen sich vom Wähler reduzieren, beispielsweise durch eine Orientierung an Ideologien statt an politischen Sachfragen, durch die beiläufige und daher unentgeltliche Aufnahme politischer Informationen während der alltäglichen Mediennutzung, durch die Inanspruchnahme von Informationen anderer Personen in Diskussionen oder auch durch Delegierung der Entscheidung an Interessengruppen oder professionelle Fachleute;56 „allerdings kommen politische Parteien in unserem (Downs', U.E.) Modell nicht als Beauftragte im Rahmen rationaler Delegierung in Betracht." 57 Zum anderen liegt der realitätsgerechten Handlungsauswahl ein beschränkter Rationalitätsbegriff zugrunde: Nicht die optimale, sondern die subjektiv günstigste Alternative wird gewählt. Ein rationaler Wähler entscheidet sich also unter der Minimierung seiner Informationskosten für diejenige Partei - oder allgemeiner: Handlungsalternative - von der er sich subjektiv durch Betrachtung der Vergangenheit den größten zukünftigen politischen Nutzen erwartet. 58 Es ist jedoch im Rahmen der ökonomischen Theorie des Wählerverhaltens trotz aller Strategien der Kostenreduzierung letztlich nicht plausibel zu erklären, warum rational handelnde Menschen überhaupt an einer

55

Downs (1968) S. 44. Vgl. Downs (1968) S. 95-96, 213-232. Die große Bedeutung, die der Orientierung an Meinungsführern - wie immer diese im medialen Zeitalter auch aussehen mögen, U.E. in der Realität zukommt, unterstreicht Downs durch mehrmaligen Hinweis auf die Studie von Lazarsfeld et al. (1948). 57 Downs (1968) S. 232. 58 Vgl. Fuchs/Kühnel (1994) S. 308-309, Kirchgässner (1980) S. 423, Esser (1991) S. 54-61. Nach Converse (1975) fuhrt ein solcher Rationalitätsbegriff, der als Kriterium für rationales Handeln lediglich die Maximierung des subjektiv wahrnehmbaren oder erwarteten Nutzens benennt, zu einer Tautologie und ist somit auch empirisch unbrauchbar: „any behavior the actor chooses to engage in must maximize his or her perceived utility or otherwise the actor would make another choice." (S. 118-125, hier S. 119). Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß es Downs (1968) um die Maximierung des politischen Nutzens geht. Ein politisches Mittel zur Verfolgung eines nichtpolitischen Ziels (Wahlentscheidung entgegen der eigenen Präferenz zur Erhaltung des Ehefriedens) bezeichnet Downs als (politisch) irrationales Verhalten (S. 7). Demokratietheoretische Implikationen und begriffsanalytische Betrachtungen seien für den Moment allerdings zurückgestellt. 56

42

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Wahl teilnehmen. Die Kosten ihrer Beteiligung sind allemal höher als ihr Nutzen, die Bedeutung ihrer Stimme.59 Auch dieses Erklärungsmodell zielt nicht in erster Linie auf die Analyse des individuellen Wählerverhaltens. Das Bestreben des Rational Choice-Ansatzes besteht vorwiegend darin, „politisches Verhalten bei gegebenen und nicht weiter analysierten individuellen Präferenzen als Anpassung an variierende politische Bedingungen, sogenannte situative Restriktionen, zu erklären und vorherzusagen." 60 Die Annahme von individuell rationalem Verhalten der einzelnen Wähler wird hierbei als Voraussetzung, als Mikrofundierung der Analyse der Wahlentscheidung auf Aggregatebene betrachtet.61 Kenntnisse über die Interessenstruktur der Wählerschaft sind zur empirischen Untersuchung der Wahlentscheidung unabdingbar, gleichwohl es im Rahmen der Rational Choice-Analyse nicht um deren Erklärung geht. Im forschungspraktischen Alltag ist rationales Wahlverhalten seit den 60er Jahren gleichbedeutend mit „issue voting", der Kopplung der Stimmabgabe an die subjektive Bewertung der als relevant erachteten politischen Sachfragen. 62 Veränderungen der politischen Agenda führen aus dieser Perspektive zu einer veränderten Wahlentscheidung im Aggregat. Eine besondere Rolle kommt hierbei wirtschaftlichen Indikatoren zu, etwa der Arbeitslosenquote, der Inflationsrate oder auch Wachstumsraten des persönlich verfügbaren Einkommens.63 Generell unterscheidet die Wahlforschung zur Analyse des politischen Handlungsraums zwischen Positions- und Valenzissues.64 Erstere bezeichnen Sachfragen, die verschiedene politische Handlungsalternativen zulassen. Zu ermitteln sind in diesem Fall die jeweiligen Distanzen zwischen den präferierten Lösungen der Wähler und den Positionen der entsprechenden Parteien. Bei Valenzissues besteht zwischen den Parteien weitgehend Einigkeit über die Art des politischen Vorgehens. Analysiert werden

59 Vgl. Falter et al. (1990) S. 13, Kirchgässner (1980) S. 428-431, (1990), Fuchs/Kühnel (1994) S. 314-315. Zintl (1986) weist daraufhin, daß mit den Mitteln der Rational Choice-Analyse Aussagen über das Niveau einer Aktivität - also auch über die Wahlbeteiligung - generell um so unsicherer werden, je mehr die Akteure „Umweltansprüchen" statt einem „Überlebensdruck" ausgesetzt sind. 60 Falter et al. (1990) S. 11; vgl. Zintl (1991) S. 206-207. 61 Aussagen über individuelles Verhalten gelten nach Zintl als „Mikrotheorie", wenn die ableitbaren Hypothesen und Prognosen auf der individuellen Ebene überprüft werden sollen. Entsprechende Aussagen gelten hingegen als „Mikrofundierung" einer Makrotheorie, wenn allein die Aggregatebene und eben nicht die Individualebene von theoretischem Interesse ist; vgl. zu den Unterschieden Zintl (1989) bes. S. 56-59, (1991). 62 Vgl. Rattinger (1980) S. 49, Fiorina (1981) S. 198, Molitor (1992) S. 66. 63 Vgl. Falter et al. (1990) S. 12, Kirchgässner (1980) S. 434-435. 64 Vgl. Stokes (1963), Klingemann (1973), Pappi (1991); s. zu den Schwierigkeiten einer adäquaten Situationsbeschreibung Zintl (1991).

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

43

deshalb die den Parteien von den Wählern zugewiesenen Problemlösungskompetenzen. Empirische Studien können somit auf dieselben Umfragedaten zurückgreifen, die auch vor dem theoretischen Horizont des Ann Arbor-Modells Verwendung finden. Gelten jedoch die individuelle Wahrnehmung und Bewertung von Sachfragen im individualpsychologischen Erklärungsansatz wie bereits ausgeführt als von der Parteiidentifikation abhängige, vorstrukturierte und gefilterte Prozesse, so kommt der Präferenzstruktur der Wählerschaft im Rahmen der Rational Choice-Analyse ein unabhängiger Status zu. Dieses sich trotz theoretischer Unterschiede überschneidende empirische Erkenntnisinteresse hat zu einer Fülle differenzierter Studien zur Wirkungsweise verschiedener, vorwiegend ökonomischer Sachfragen auf die Wahlentscheidung geführt. 65 Dennoch mehren sich die Hinweise, daß die bisherige Gleichsetzung von rationalem Wahlverhalten mit „issue voting" grundsätzlich zu überdenken und weiterzuentwickeln ist. Mit ihr sind spezifische Besonderheiten und Beschränkungen verbunden, die es bei der Interpretation der Befunde zu beachten gilt. So streben sozio-ökonometrisch orientierte Studien zum rationalen Wahlverhalten im allgemeinen eine möglichst sparsame Modellierung der Wahlabsicht an.66 Diese Minimierung der Prädiktoren vereinfacht ohne Zweifel die theoretische Modellbildung und erhöht möglicherweise durch die Formalisierung auch die Prognosekraft des entsprechenden Modells, beschränkt aber unter Umständen gleichzeitig den Blick auf die vielschichtigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen relevanten Einflußfaktoren und der Wahlentscheidung. Die Minimierung der Präferenzmuster der Wählerschaft im oder gar Eliminierung aus dem empirischen Erklärungsmodell würde möglicherweise anderen Ansätzen die Chance verbauen, entsprechende Einstellungsmuster als relevant zu erkennen und mit einem anderen Instrumentarium ihr Zustandekommen und ihre sozialstrukturelle Fundierung weiter zu hinterfragen. Das den einzelnen Studien zugrunde liegende Erkenntnisinteresse, die Erklärung der Wahlentscheidung, muß also näher spezifiziert werden. Geht es um eine mathematische Erklärung, die einen möglichst großen Anteil erklärter Varianz und sichere Prognosefahigkeit auf der Basis eines formalisierten Modells mit einigen wenigen, empirisch leicht zu erhebenden Prädiktoren anstrebt? Oder soll eine Analyse des Wählerverhaltens weniger auf die möglichst effektive Modellierung als vielmehr auf die Förderung eines differenzierten Verständnisses der Wahlentscheidung im Spannungsfeld wahlrelevanter, kurzfristiger Einflüsse ausgerichtet sein? Dieser Gegensatz ist

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Vgl. zur Wirkung ökonomischer Issues den ausführlichen Literaturbericht von Helmut Jung (1985); für ein auf wahrgenommenen Issue- und Parteipositionen basierendes räumliches Entscheidungsmodell s. Enelow/Hinich (1984). 66 Vgl. Fuchs/Kühnel (1994) S. 355, Esser (1991) S. 50.

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

keineswegs ein scheinbarer. 67 In Erklärungsmodellen von Kulturerscheinungen können und sollten beide Ebenen sich sinnvoll ergänzen oder gar zur Deckung kommen, sie müssen es aber nicht unbedingt. Bereits Max Weber hat auf diese Differenz hingewiesen und als Erkenntnisziel der Sozialwissenschafien formuliert: „Erkenntnis der Wirklichkeit in ihrer Kulturbedeutung und ihrem kausalen Zusammenhang"68. Zusammenfassend präzisiert Weber, „daß eine 'objektive' Behandlung der Kulturvorgänge in dem Sinne, daß als idealer Zweck der wissenschaftlichen Arbeit die Reduktion des Empirischen auf 'Gesetze' zu gelten hätte, sinnlos ist." 69 Große Schwierigkeiten bereitet der Wahlforschung die exakte Quantifizierung der Sachfragenorientierung in der Wählerschaft. So demonstrieren zwar verschiedene Studien den großen Einfluß, den politische Sachfragen auf die Wahlentscheidung ausüben. Dennoch gelingt es aufgrund der Multikollinearität zwischen Parteiidentität, Sachfragen- sowie Kandidatenorientierung bislang empirisch nicht, die Bedeutung der Sachfragenorientierung unabhängig vom Einfluß der anderen beiden Einflußfaktoren auf die Stimmabgabe zweifelsfrei zu bestimmen.70 Für alle praktischen Zwecke werden somit häufig lediglich Wechselwähler und Personen ohne längerfristige Parteibindung als sachfragenorientierte, also rationale Wähler angesehen. Klassifikationsprobleme bereiten diejenigen Wähler, die - durchaus aufgrund einer jeweiligen Bewertung relevanter Sachthemen - bei jeder Wahl im Einklang mit ihrer Parteiidentifikation stimmen. Auch der häufig konstatierte Niedergang der traditionellen Parteiloyalitäten löst die grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten, sachfragenorientierte (rationale) von emotionalen (nichtrationalen) Wählern empirisch zu trennen, nicht auf. Es ist zumindest für die USA nämlich keineswegs auszuschließen, daß es sich bei der in verschiedenen Studien konstatierten Freisetzung der Wähler aus den verhaltensdeterminierenden Zwängen einer traditionellen Parteibindung und der Mutation zu politisch rational handelnden, kurzfristig sich entscheidenden Individuen zum

67

So diskutiert Lindenberg (1991) eine mögliche „Vereinbarkeit von Realitätsnähe soziologischer Analysen mit dem Modellbau der Ökonomie" (S. 30) durch die Anwendung der Methode der abnehmenden Abstraktion. 68 Weber (1988) S. 174 (im Orig.: gesperrt). 69 Weber (1988) S. 180. Nachdem die Kritiken von Kuhn (1991) und Feyerabend (1986) eine grundlegende Prämisse des Wissenschaftsverständnisses von Popper (1984), die prinzipielle Unabhängigkeit von Theorie und Empirie, nachhaltig in Zweifel gezogen haben, ist die vor 90 Jahren publizierte Position von Weber im Kerngedanken höchst aktuell. 70 Vgl. Asher (1983) sowie Jagodzinski/Kühnel (1990), die dieses Unvermögen als theoretisches, nicht als statistisches Problem ansehen (S. 60-61).

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

45

großen Teil um ein methodologisches Artefakt handelt, resultierend aus einem entsprechend einseitigen Untersuchungsdesign.71 Schließlich erscheint die gängige Operationalisierung bereits den theoretischen Prämissen des Modells des rationalen Wählers nicht angemessen und zudem realitätsfremd. Die simple Gleichsetzung von rationalem Wahlverhalten mit Sachfragenorientierung impliziert schon das Ergebnis: Die rationale Wahlentscheidung ist die absolute Ausnahmesituation und betrifft höchstens ein kleines, hoch informiertes und motiviertes Segment der Wählerschaft. 72 „Sicher wird niemand ernsthaft bezweifeln wollen, daß auch in der Bundesrepublik Deutschland die Wähler nicht bei jeder Wahl aufs Neue von einer Tabula-rasa-Position aus in einem total durchrationalisierten Entscheidungsakt ihre Parteipräferenzen nach Art des völlig aufgeklärten und umfassend informierten Konsumenten der wirtschaftspolitischen Science Fiction bestimmen."73 Genügend komplex angelegte und methodisch ausgefeilte Studien belegen, daß einem affektiven Langzeitfaktor, wie immer er zu benennen und theoretisch einzubinden ist, ein großer Einfluß auf die Wahlentscheidung zukommt. Gerade auch das Beispiel des Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in der Bundesrepublik erneut erstarkten Rechtsextremismus illustriert die unzureichende Abbildung der vielschichtigen Realität in Untersuchungen, die sich im wesentlichen auf die Analyse von kurzfristigen Einstellungsmustern zu politisch aktuellen Sachfragen samt den entsprechenden Kompetenzzuschreibungen beschränken und allein auf dieser Basis Wählerverhalten erklären. Eine Charakterisierung rechtsextremer Wahlerfolge als rationales Protestphänomen blendet die diesem Oberflächenphänomen zugrunde liegende Tiefenstruktur systematisch aus.74 Wählerverhalten ist stets auch Ausdruck eines politischen Entwicklungs- und Bewertungsprozesses. Daß Wahlerfolge neuer Parteien zunächst Protest und Unzufriedenheit mit den bestehenden Alt-Parteien ausdrücken, erscheint trivial. Politisch und wissenschaftlich von Bedeutung hingegen sind zum einen die diesem Protestverhalten zugrunde liegenden Ursachen, zum anderen die Frage, unter welchen Bedingungen und mit

71

S. zur amerikanischen Diskussion Rattinger (1980) S. 52-53, Nie et al. (1976), Keith et al. (1992); zur deutschen Situation Oberndörfer/Mielke (1990), vergleichend Zelle (1995). 72 Vgl. Küchler (1992) S. 2239; ebenso Küchler (1994), der den Zusammenhang von affektiven Bindungen, Parteilösungskompetenzen und Wahlentscheidung untersucht. 73 Falter/Rattinger (1983) S. 330. 74 So bspw. die Einschätzung der Wahlerfolge der Republikaner als Resultat rationalen Protestwählens durch Pappi (1990). Für eine differenziertere Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften s. Scheuch/Klingemann (1967); vgl. komplexere Erklärungsmodelle etwa bei Falter (1994), Friedrichs et al. (1994), Roth/Schäfer (1994) sowie - in knapper Skizzierung - Eith (1994).

46

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

welcher Chance sich dieser Protest zu einer dauerhaften politischen Option entwickeln kann. Die herkömmliche Operationalisierung des Rational Choice-Ansatzes steckt in einer Sackgasse. Die Situationsbeschreibung ist für den hier zu analysierenden außerökonomischen Kontext zu eng. Eine erfolgversprechende Perspektive eröflhen komplexere und realitätsgerechtere Untersuchungsdesigns, die in der Bundesrepublik im Rahmen der Theorie des rationalen Wählers bislang allerdings kaum erprobt wurden. 75 Diese weitaus größere Anbindung der empirischen Analyse an den Stand der theoretischen Diskussion führt dann zur Frage nach dem Verhältnis von Rational Choice-Ansatz und Ann Arbor-Modell. Ein nochmaliger Blick auf die Individualebene des Modells zeigt, daß bereits die von Downs skizzierte reale Welt voller Ungewißheit und unvollständiger Information den rationalen Wähler zur Beschränkung und Minimierung seiner Informationskosten zwingt, möglicherweise sogar zur zeitweisen Delegierung der Entscheidungsfindung an andere Personen oder auch Interessengruppen. Erst bei einer wahrgenommenen wichtigen Veränderung des Handlungsraums wird das individuelle Verhalten - auch bezüglich der Informationsreduzierung und der Entscheidungsdelegierung - neu überprüft und bewertet, eventuell verändert. Mit dieser Annahme einer subjektiven, beschränkten Rationalität ist es durchaus vereinbar, daß ein rationaler Wähler über einen längeren Zeitraum hinweg zur extremen Reduzierung seiner Informations- und Entscheidungskosten eine stabile Parteiorientierung besitzt.76 Diese ist dann natürlich auch in Analysen auf der Makroebene zu modellieren. Das stellt nun aber einen Widerspruch zum traditionellen Ann Arbor-Modell dar. Eine langfristige Parteiorientierung, jetzt Parteiidentifikation genannt, gilt dort gerade als derjenige Indikator, der „ein aktuellen Erfahrungen und rationalen Erwägungen gegenüber relativ resistentes Moment zu erfassen hat" 77 . Allerdings ist diese Interpretation der Parteiidentifikation selbst im Kontext des individualpsychologischen Erklärungsansatzes nicht unumstritten. Die offene Frage, ob dem familiären Einfluß oder den individuellen politischen Erfahrungen eine größere Bedeutung für die Ausprägung einer Parteiidentifikation zukommt, sowie das empirisch bislang ungeklärte Kausalverhältnis zwischen Parteiidentifikation, Sachfragen- und Kandidatenorientierung haben schon frühzeitig zur Konstruktion

75

Als Ausnahmen sind etwa die Analysen von Pappi (1991) und Fuchs/Kühnel (1994) zu nennen. 76 Vgl. Downs (1968) S. 93-96, Fiorina (1981) S. 199-200, Fuchs/Kühnl (1994) S. 340, Kirchgässner (1980) S. 423; zur entsprechenden Wirkung von „frames" und „habits" s. Esser (1991) S. 61-74. 77 Küchler (1980) S. 287.

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

47

von verschiedenen alternativen, auch nicht-rekursiven Modellen 78 des Wählerverhaltens gefuhrt. Große positive Resonanz im Spannungsfeld zwischen dem individualpsychologischen und dem rationalen Erklärungsansatz findet das Modell des „retrospektiven Wählens" von Morris P. Fiorina. 79 Es kombiniert die langfristige Parteibindung des Ann Arbor-Modells mit der kognitiv-evaluativen Komponente des Modells des rationalen Wählers: Aufgrund der vergangenen Erfahrung schätzt ein Wähler die generalisierten Kompetenzen der Parteien, bewertet sie und kommt so ebenfalls zu einer längerfristigen, kostenreduzierenden Parteibindung, die allerdings durch neue Erfahrungen auch wieder revidierbar ist. 80 Die im Ann Arbor-Modell zentrale emotionale Komponente der Parteiidentifikation, in gewisser Weise das funktionale Äquivalent der sozialstrukturellen Integration, tritt also in diesem Modell mit zunehmendem Alter des Wählers zugunsten kognitiver Bewertungsprozesse in den Hintergrund. 81 Offensichtlich konvergieren die beiden theoretischen Erklärungsansätze in dem Maße, in dem ihre Modelle durch empirische Studien auf der Makroebene überprüft und weiterentwickelt werden, die wahrnehmbare Realität also zunehmend adäquater beschreiben. Trotz völlig unterschiedlicher theoretischer Ausgangspositionen auf der Mikroebene - hier die Unterstellung einer MittelRationalität, die in der ungewissen Realität zur Kostenreduzierung habituelle Verhaltensweisen zulassen muß, dort eine durch Anpassung an die Umwelt und emotionale Parteibindung bestimmte politische Wahrnehmung, die inzwischen den kognitiven Fähigkeiten mehr Raum läßt - zeichnen die neueren Studien im Kern doch ein recht ähnliches Bild von den die Wahlentscheidung beeinflussen78

Rekursive Modelle - wie das traditionelle Ann Arbor-Modell - zeichnen sich durch eine eindeutige kausale Zuordnung ihrer Elemente aus und erlauben daher eindeutige Wenn-Dann-Aussagen. In nicht-rekursiven Modellen können sich die Elemente gegenseitig beeinflussen. Ursache und Wirkung sind somit nicht immer klar zu unterscheiden: Die Parteiidentifikation beeinflußt die Wahrnehmung und Bewertung von Sachfragen, diese üben ihrerseits allerdings auch einen Einfluß auf die Ausprägung und Stärke der Partei Identifikation aus. 79

Fiorina (1981); vgl. Asher (1983) S. 375-377, Harrop/Miller (1987) S. 149-151, Schultze (1991a) S. 16-17, Fuchs/Kühnel (1994) S. 315-324. Dem alternativen Konsumentenmodell von Himmelweit et al. (1981) wurde hingegen mehrfach eine gewisse Realitätsferne bescheinigt; vgl. Inglehart (1983), Harrop/Miller (1987) S. 151-153, Küchler ( 1990) S. 426-427. 80 Ein zweiter, hier nicht weiter verfolgter Diskussionsstrang betrifft die Frage nach der leistungsfähigsten Operationalisierung des Rational Choice-Ansatzes. Betont wird beispielsweise ein konzeptioneller Unterschied zwischen Downs und Fiorina. Demnach stellt ersterer die zukünftige Nutzenmaximierung stärker in den Vordergrund, letzterer die retrospektive Bewertung. Vgl. für eine detaillierte Diskussion Bennett/Salisbury (1987). 81 Vgl. Fiorina (1981) S. 90.

48

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

den Faktoren. Hinzu kommt, daß sich die durch Umfragen verfügbaren empirischen Daten und Indikatoren wohl in beiden theoretischen Modellen makroanalytisch sinnvoll interpretieren lassen.82 Allerdings dürfte das Ann Arbor-Modell für empirische Analysen auf absehbare Zeit wohl das geläufigere Erklärungsmodell bleiben. Seine einfacheren Umsetzungs- und Verwendungsmöglichkeiten sowie die Verfügbarkeit von vergleichbaren Zeitreihen sind gewichtige Argumente, zumal sich die drei Erklärungsfaktoren - Parteiidentifikation, Kandidaten- und Sachfragenorientierung - analog der Studie von Fuchs/Kühnel im Sinne des Rational Choice-Ansatzes interpretieren lassen. Die Schwierigkeiten der Rational Choice-Analyse liegen in einer sorgfaltigen, dem Wahlverhalten angemessenen Situationsbeschreibung. Indem Wähler für ihre Entscheidungen nur in geringem Maße direkte Konsequenzen zu tragen haben, also einem niedrigen Kostendruck ausgesetzt sind, läßt sich der Handlungsraum im voraus allein auf der „Grundlage einiger einfach zu ermittelnder objektiver Größen" 83 nur unzureichend beschreiben. Benötigt werden zudem Informationen über unterschiedliche Wahrnehmungen gesellschaftlicher Zusammenhänge, spezifische soziale Wertschätzungen oder Betroffenheiten, um die Unterschiede in den Reaktions- und Verhaltensweisen verschiedener Wählersegmente erklären zu können. Natürlich unterscheidet sich nach wie vor die verwandte Terminologie und somit die öffentliche Wirkung. Insbesondere als Attribute des individuellen Handelns sind die Begriffe „rational" oder „emotional" ja keineswegs neutral. Sie besitzen demokratietheoretisch entgegengesetzte Konnotationen. Spezifische, innerwissenschaftliche Rationalitätsdefinitionen sind einem breiteren Publikum außerhalb des engen Bereichs der Wahlforschung nur schwer zu vermitteln. Es führt somit zu großen Unterschieden im allgemein wahrgenommenen Wählerbild, ob entsprechende Studien den Wähler als rationales oder emotionales - vielleicht auch politikverdrossenes oder wahlmüdes, jedoch kritisch-informiertes - Wesen charakterisieren. 84 Aber bedeutet es in der durch die empirischen Studien abgebildeten Realität tatsächlich noch einen substantiellen Unterschied im Wählerbild, ob eine Parteiidentifikation eher als rationale Strategie zur Kostenreduzierung interpretiert oder mehr als Ausdruck einer emotionalen, kognitiv nicht begründeten Bindung betrachtet wird? Ist sie nicht möglicherweise beides zugleich? Aller Voraussicht 82

Fuchs/Kühnel (1994) verbinden diesen Nachweis mit der Einschätzung, daß der Rational Choice-Ansatz insgesamt als leistungsfähiger anzusehen ist (S. 354-356); vgl. ebenso Bennett/Salisbury (1987) S. 27. 83 Vgl. Zintl (1991) S. 225-226, hier S. 226; weiterhin auch Zintl (1985) S. 57-58, Lindenberg (\99l)S. 68-69. 84 Vgl. zur politischen und öffentlichen Wirkung der Wahlforschung Oberndörfer (1978), Eith/Mielke (1994).

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

49

nach relativieren sich die von diesen theoretischen Ansätzen ausgelösten demokratietheoretischen Kontroversen in dem Maße, indem es der empirischen Wahlforschung gelingt, ein differenzierteres, realitätsgerechteres Bild vom individuellen Wähler zu zeichnen. Es erscheint durchaus plausibel, daß einem Wähler zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Grade der kognitiven Auseinandersetzung mit Politik nachzuweisen sind, abhängig vermutlich von seinem zeitweise unterschiedlichen Interesse für Politik. Fragen der persönlichen Lebensgestaltung und Karriereplanung, aber auch der Betroffenheit von Politik, des Informiertseins über Politik und des Zustands des politischen Systems mögen hierbei eine Rolle spielen. Dies alles sind jedoch keine normativ zu setzenden Postulate, sondern Fragen, die einer empirischen Klärung zugänglich sind und dieser auch bedürfen. Notwendig sind hierzu Studien zum individuellen Wählerverhalten und seinen Motivationen.85 Allerdings untersucht die empirische Wahlforschung, die sich an den theoretischen Prämissen der Rational Choice-Analyse orientiert, in erster Linie die Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung auf der Makroebene. Sie ist heute also weniger auf der „Suche nach dem rationalen Wähler" 86 als vielmehr - um im Bild zu bleiben - auf der Suche nach dem Ausmaß der Rationalität in der Wählerschaft. Das Interesse des Rational Choice-Ansatzes jedenfalls gilt ähnlich dem des Normal Vote-Konzepts im Ann Arbor-Modell im Kern der Frage, in welchem Ausmaß sich Verhaltensänderungen im Aggregat durch (kurzfristige) Veränderungen des Handlungsraums unter der Voraussetzung von beschränkt rationalem Verhalten der Akteure erkären lassen.87

2.2.2. Das Lebensstil-Modell

Die soziologische Lebensstilforschung hat im Anschluß an die bahnbrechenden Arbeiten von Pierre Bourdieu und Ulrich Beck in den letzten 10 Jahren einen solchen Aufschwung erfahren, 88 daß für den Bereich der Ungleichheitsforschung ebenfalls die Frage nach einem Paradigmenwechsel bereits gestellt wurde. 89 Auch

85

Entsprechende Ableitungen aus Aggregatstudien stehen in der Gefahr, einem ökologischen Fehlschluß zu unterliegen oder sie verwechseln - in der Terminologie von Zintl (1989) - möglicherweise die Mikrofundierung mit der Mikrotheorie. 86 In Anlehnung an den Titel von Rattinger (1980). 87 Vgl. Kirchgässner (1980) S. 423. 88 Vgl. Bourdieu (1982), Ulrich Beck (1986); für eine Übersicht Müller/Weihrich (1991), Jochen Schmidt (1993) S. 4-10. 89 So die Überschrift von Müller (1989).

50

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

wenn in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung die Analyse verhaltensrelevanter Wertorientierungen eine lange Tradition hat, 90 so liegen für die Bundesrepublik lediglich zwei in den 80er Jahren für SPD und CDU erstellte, inzwischen aktualisierte und teilweise auf die neuen Bundesländer ausgedehnte Studien zum Verhältnis von Lebensstil und Wahlentscheidung vor. 91 Mit einem in der Markt- und Konsumforschung seit langem bewährten Analyseinstrumentarium strukturieren sie den Wählermarkt nach den für die Parteistrategen relevanten Einstellungs- und Orientierungsmustern der Wähler. Verschiedene Publikationen zur theoretischen Untermauerung und Relevanz der Vorgehensweise dieser beiden Studien92 und das große, aber nahezu unkritische Echo, das ihre Ergebnisse über den Bereich der Wahlforschung hinaus in Wissenschaft, Politik und Publizistik finden, 93 geben Anlaß, den Nutzen des Lebensstil-Modells für die empirische Wahlforschung auch in diesem Rahmen ausführlicher zu diskutieren. 94 Als Lebensstile werden heute Organisationsformen des alltäglichen Lebens bezeichnet, die mehr oder minder subjektiv frei gewählt werden können.95 HansPeter Müller benennt fünf formale Eigentümlichkeiten der Lebensstilansätze in der Soziologie, drei Merkmale im engeren Sinne und zwei spezifische Randbedingungen.96 Demnach kennzeichnen diese Ansätze ein holistisches Moment der Ganzheitlichkeit und ein voluntaristisches Moment der Freiwilligkeit, das die Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Lebensstilen betont. Hinzu kommt drittens ein Moment der Eigenart, das auf die Ausformung eines jeweils unverwechselbaren Charakters verweist. Die konkrete Herausbildung und die Vervielfältigung

90 Vgl. Pappi/Laumann (1974), Hartmann (1976), Inglehart (1977), Kaase/Klingemann (1979). 91 Federführend für die SPD ist das Sinus-Institut, Heidelberg: SPD-Vorstand (1984), Sinus (1992); für die CDU Peter Gluchowski von der Konrad-Adenauer-Stiftung: Gluchowski (1987) und (1991). 92 Vgl. Becker/Nowak (1982), Flaig et al. (1993), Gluchowski (1988). 93 S. bspw. Scherer (1992), Scholing (1992), Geißler (1992a) S. 71, Tiemann (1993), Spiegel-Verlag (1994) S. 26-31, mit kritischen Anmerkungen v. Alemann (1992) S. 102105. Lebensstilanalysenfinden inzwischen in den verschiedensten Bereichen Anwendung, etwa bei der Erarbeitung neuer Perspektiven für die politische Bildung (Flaig et al. (1993) S. 135-214) oder der Klassifizierung der älterer Generation in: die resignierten Älteren, die sicherheits- und gemeinschaftsorientierten Älteren, die pflichtbewußt-häuslichen Älteren und die aktiven neuen Alten (Ueltzhöffer 1992). 94 Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Studien hat erst begonnen; vgl. Obemdörfer/Mielke (1990), Müller-Rommel/Poguntke (1991), Jochen Schmidt (1993). 95 Vgl. hierzu sowie zur Tradition der Lebensstilforschung, Hradil (1992) S. 27-30, Müller ( 1989) S. 54-58. 96 Vgl. Müller (1989) S. 56-57.

2..

zeiteinflüsse auf die Wahlentscheidung

51

von Lebensstilen in einer Gesellschaft hängen ab von den jeweiligen Stilisierungschancen und der Stilisierungsneigung. Gesellschaftlicher Reichtum und ein pluralistisches Werte- und Normensystem fordern generell das Ausmaß der Stilisierungschancen. Zur Selbststilisierung neigen dann im besonderen Maße junge Menschen und Angehörige der Mittelschichten. Gemeinsamer Ausgangspunkt der für das Wahlverhalten relevanten Lebensstil-Studien ist die Annahme, daß aufgrund der Individualisierungs- und Umstrukturierungsprozesse in den westlichen Industrienationen die herkömmlichen sozialstrukturellen Schichtungsmodelle in immer geringerem Maße die pluralisierte gesellschaftliche Struktur abbilden können. Damit einhergehend sinkt auch die politisch verhaltensrelevante Bedeutung sozioökonomischer Faktoren. Ein flexibler, aus den traditionellen Milieus und ihren Verhaltensnormen zunehmend losgelöster Wähler hat die politische Bühne betreten.97 Selbstgewählte Kulturmuster und alltagsästhetische Inszenierungen übernehmen demnach in der heutigen medialen Welt weitgehend die für das Individuum notwendige Orientierungs- und Deutungsfunktion, welche in der Vergangenheit milieuspezifische Kommunikationsnetze inne hatten.98 Allerdings ist es umstritten, welche Bedeutung diesen individuell erlebnisorientierten Faktoren letztlich zukommen soll. Die empirische Milieu- und Lebensstilforschung betrachtet es nach wie vor als offene Frage, ob Lebensstilanalysen „eine notwendige Ergänzung und sinnvolle Verfeinerung" 99 der Sozialstrukturanalyse darstellen, oder ob „objektive" Schichtungsund Klassenmodelle generell durch „subjektive" sozio-kulturelle Faktoren zu ersetzen sind. 100 Einigkeit besteht jedoch in den nachfolgend zu diskutierenden Studien darüber, daß gruppenorientierte, soziologische Erklärungen des Wählerverhaltens den individualistisch orientierten, etwa der Rational Choice-Analyse, vorzuziehen sind. Die im Bereich der politischen Soziologie erstellten Lebensstilstudien von Peter Gluchowski, Konrad-Adenauer-Stiftung, für die CDU und dem Heidelberger Sinus-Institut für die SPD unterscheiden sich in ihrer jeweiligen methodischen Vorgehensweise. Hinzu kommt im Falle des Sinus-Instituts eine nach wie vor lückenhafte Dokumentation, die die Darstellung und somit auch die Bewertung

97 Vgl. Gluchowski (1987) S. 18-20, (1991) S. 209-215, Flaig et al. (1993) S. 55-57; grundlegend Hradil (1992) S. 15-20, Ulrich Beck ( 1986) S. 121-160, 205-219. 98 Vgl. Flaig et al. (1993) S. 11-32, Gluchowski (1988) S. 9-24, grundlegend Schulze (1993) S. 125-167. 99 Müller ( 1992) S. 369. 100 Vgl. Schulze (1993) S. 169-217.

*

52

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

zu „einem Puzzlespiel mit verstreuten und spärlichen Informationen" 101 werden läßt. Gluchowski hat eine Lebensstiltypologie sowohl zum Wählerverhalten als auch zum Freizeitverhalten vorgelegt. In beiden Fällen verwendet er zur Erstellung dieser Lebensstilgruppierungen ausschließlich Individualdaten, die durch großangelegte Umfragen mit über 100 abgefragten Items erhoben wurden. 102 Diese umfassen erstens Grundorientierungen bezüglich der individuellen Werte, Normen und Lebensziele, zweitens Lebenshaltungen zu den Bereichen Beruf, Familie und Freizeit sowie drittens Einstellungsmuster zu Konsum, Technik, Religion und Politik. Auf der Basis dieser Umfragedaten konstruiert Gluchowski mit Hilfe von Faktoren- und Clusteranalysen zur Untersuchung des Wählerverhaltens in der Bundesrepublik neun Lebensstil-Dispositionen. Hierunter versteht er verfestigte Systeme von aufeinander bezogenen Einstellungen, anhand derer „Individuen ihr alltägliches Leben in typischer Weise organisieren." 103 Sozialstrukturelle Merkmale, insbesondere Alter, Kirchenverbundenheit und Schichtzugehörigkeit finden lediglich zur Illustration der einzelnen Gruppen Eingang in die Typologie. 104 Bei diesen Lebensstil-Gruppierungen handelt es sich allerdings wohl kaum um „Gruppen im sozialen Sinne, sondern (um) Aggregate in einem technischen Sinne mit bestimmten Eigenschaften" 105, nämlich Parteien- oder Freizeitpräferenzen. Die Frage der Konstanz und der damit verbundenen verhaltensrelevanten Bedeutung dieser verfestigten Einstellungssysteme bleibt ungeklärt. Bezeichnenderweise ermittelt Gluchowski mit denselben, im März 1986 erhobenen Daten zur Erforschung der Marktchancen der CDU neun, zur Erklärung des Freizeitverhaltens aber lediglich nur sieben verhaltenssteuernde Lebensstile.106 Auf ein komplexeres Untersuchungsdesign stützt sich die zweistufige Lebensweltanalyse des Sinus-Instituts.107 Im ersten, qualitativen Teil werden durch eine Vielzahl narrativer Interviews die Anzahl der Milieus in der Bundesrepublik ermittelt. Der hierbei „verwandte Milieubegriff nimmt Bezug auf soziale Syndrome, bestehend aus sozialen Lagen einerseits und Wertorientierungen sowie lebensweltlichen Sinn- und Kommunikationszusammenhängen andererseits (...),

101

Jochen Schmidt (1993) S. 39; kritisch zur Methodik und in der Bewertung der beiden Studien Müller (1989), Hradil (1992), Jochen Schmidt (1993) S. 39-79. 102 Vgl. Gluchowski (1987) S. 20-21, (1988) S. 17-24. 103 Gluchowski (1988) S. 18. 104 Vgl. Gluchowski (1987) S. 21, (1991) S. 230-233. 105 Müller (1992) S. 374. 106 Vgl. Gluchowski (1987) S. 20-21, (1988) S. 25-27. 107 Vgl. Becker/Nowak (1982), Flaig et. al (1993) S. 69-74.

2.2. Kurzzeiteinfliisse auf die Wahlentscheidung

53

Elemente also, die sich im Leben der meisten Menschen nur langfristig verändern." 108 Die „Milieu-Bausteine" setzen sich laut Sinus-Institut folglich zusammen aus Lebenszielen, sozialer Lage sowie Einstellungen und Werthaltungen zu den Bereichen Arbeit, Gesellschaft, Familie und Freizeit. 109 Dennoch fehlen trotz mehrerer Publikationen nach wie vor die entscheidenden Hinweise, mit Hilfe welcher Verfahren und Kriterien denn die Anzahl der Milieus aus der Vielzahl der Interviews ermittelt wird und welcher Stellenwert insbesondere der sozialen Lage hierbei letztlich zukommt.110 Im zweiten Schritt erfolgt dann anschließend die Quantifizierung der gefundenen Milieus durch repräsentative Umfragen anhand eines Milieu-Indikators, der mit derzeit 46 Items ausschließlich Wertorientierungen berücksichtigt. 111 Soziodemographische Variablen, insbesondere die Stellung im Arbeitsprozeß, dienen abschließend ebenfalls lediglich der Beschreibung der acht, seit 1991 jedoch neun identifizierten Milieus. Der explizite Vergleich der eigenen Ergebnisse mit den von Lepsius aufgezeigten sozialmoralischen Milieus der Weimarer Republik unterstreicht die Intention dieser Lebensweltanalyse.112 Das Sinus-Institut beansprucht, mit seinem Milieumodell tatsächliche soziale Gruppen, letztlich eine verhaltensrelevante Strukturierungsdimension der zunehmend durch Stilisierung und Ästhetisierung geprägten Sozialwelt der bundesdeutschen Gesellschaft zu erfassen. Um diesem Anspruch jedoch gerecht werden zu können, fehlen Angaben über milieukonstituierende historische Faktoren. Das voluntaristische Moment der Freiwilligkeit der Stilisierung und die „Grundtendenzen" der „gesellschaflliche(n) Entwicklung der Bundesrepublik West" 113 - Modernisierung, Regression und Segregation - mögen Kennzeichen und Rahmenbedingungen der zunehmenden Stilisierungsneigung sein. Sie begründen aber keinesfalls beispielsweise die Herausbildung des Neuen Arbeitnehmermilieus, das die Forscher von Sinus seit Ende der 80er Jahre entdeckt haben wollen. Weiterhin fehlen detailliertere Informationen über mögliche funktionale Äquivalente der zur organisatorischen Abstützung stabiler, verhaltensrelevanter Milieus notwendigen vorpolitischen Institutionen, wie etwa Gewerkschaften, Vereine oder Verbände. Der alleinige Hinweis auf die angeblich segmentierende Wirkung von alltagsästhetischen Stilen und gemeinsamen Zeichensystemen114 trägt noch nicht zur Erklärung bei, aufgrund welcher Mechanis-

108

Flaig et al. (1993) S. 58. Flaig et al. (1993) S. 71. 110 Vgl. Jochen Schmidt (1993) S. 43. 111 Die 44 Items des Milieu-Indikators von 1989/90 finden sich in: Spiegel-Verlag (1990) S. 307-312. 1,2 Vgl. Flaig et al. (1993) S. 135-141; Bezug auf Lepsius (1966): S. 137. 113 Vgl. Flaig et al. (1993) S. 72-73. 114 Vgl. Flaig et al. (1993) S. 23-24, S. 55-57. 109

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

men oder Antriebsmomente sich soziale Zugehörigkeiten, also das individuelle Verhalten beeinflussende Gruppenidentitäten, herausbilden, stabilisieren und weiterentwickeln. 115 Der Erklärungswert des Lebensstil-Modells für das Wählerverhalten erscheint aus zweierlei Gründen eher gering. So kann auch eine Durchsicht der neuesten Publikationen die berechtigten Zweifel, ob mit den bislang vorgeschlagenen Operationalisierungsstrategien des Lebensstilansatzes überhaupt soziale Gruppen erfaßt werden, letztlich nicht zerstreuen. Weiterhin erscheint es bislang auch ungeklärt, inwieweit die Gesetzmäßigkeiten des Konsumverhaltens überhaupt auf das Wahlverhalten übertragbar sind. Die Operationalisierungsprobleme der verschiedenen Modelle sind offensichtlich. Auch unter der Prämisse der abnehmenden Erklärungskraft sozialstruktureller Faktoren 116 stellt sich die Frage, ob den durch Umfragen erhobenen Einstellungsmustern und Wertorientierungen wirklich eine milieustrukturierende Bedeutung in dem postulierten Ausmaß zukommen kann. Die Wahlfreiheit der Stilisierung beispielsweise findet ihre Grenzen in den jeweils materiell zur Verfügung stehenden Ressourcen, die Differenzierungsfunktion alltagsästhetischer Inszenierungen läßt sich vor allem bei jüngeren Angehörigen der Mittelschichten aufzeigen. Die Existenz schichtspezifischer Stilisierungen erbringt für sich betrachtet noch nicht den Nachweis, daß sich die soziale Lage in den verschiedenen Stilisierungen vollständig widerspiegelt und damit als erklärende Variable erübrigt. Gerade die Ergebnisse der beiden Lebensstilstudien verweisen auf noch auszulotende Möglichkeiten, die in einer Verknüpfung der traditionellen Sozialstrukturanalyse mit alltagsästhetischen Stilisierungsmustem liegen. Diejenigen Lebensstile und Milieus, die nach wie vor den traditionellen Pflicht- und Akzeptanzwerten verpflichtet sind, lassen sich auch mit Hilfe des bisherigen Schichtmodells erfassen, Gruppen mit entfaltungsorientierter Ausrichtung streuen über mehrere Schichten.117 Es läge somit nahe, die heute unbestritten wahlverhaltensrelvanten soziostrukturellen Variablen wie Kirchenbindung, Alter oder Stellung im Berufsleben stärker in diese Modelle zu integrieren. Durch die damit einhergehende Einbindung historischer Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen könnten die entsprechenden Institute den im Raum stehenden Vorwürfen, es handele sich bei ihren Milieu- oder Lebensstiltypologien lediglich um statistisch-klassifikatorische Analysen von Umfragedaten, letztlich also um einen deskriptiven Empirismus

115 Vgl. etwa zur Ausprägung eines grünen Milieus in der Bundesrepublik Veen (1988) S. 454-476. 116 Zur Fragwürdigkeit und Relativierung dieser Prämisse vgl. Oberndörfer/Mielke (1990) S. 45-56, Feist/Liepelt (1990), Beiz (1993), Zelle (1995). 1,7 Vgl. die graphischen Darstellungen in: Hradil (1992) S. 51.

2.2. Kurzzeiteinflsse auf die Wahlentscheidung

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ohne historisch-soziologische Bodenhaftung, überzeugender als bisher entgegentreten. 118 Darüber hinaus ist das Verhältnis von Lebensstil und individueller Wahlentscheidung - auf dieser mikrotheoretischen Ebene wird die Vorgehensweise der Studien begründet - 1 1 9 einer grundsätzlichen Diskussion zu unterziehen. Kann individuelles politisches Verhalten überhaupt mit individuellen Stilisierungsbedürfhissen sinnvoll erklärt werden? Hierzu ist genauer zu fragen, ob und unter welchen Umständen die Gesetzmäßigkeiten des Freizeitverhaltens oder des Konsumverhaltens bei Zigaretten, Automarken oder Kücheneinrichtungen unbesehen auf politisches Verhalten übertragen werden können.120 Die dem Konsumartikel zugeschriebene integrative und gleichzeitig auch distinktive Funktion 121 beruht gerade auf seiner öffentlichen Verwendung. Neuere politische Partizipationsformen wie Unterschriftenaktionen, Demonstrationen oder auch Boykotte beinhalten sicherlich Aspekte der eigenen Selbstdarstellung. Wahlverhalten hingegen ist gemeinhin ein geheimes, der Öffentlichkeit entzogenes Verhalten und läßt sich kaum zureichend mit Motiven der Selbstinszenierung erklären. Solange keine theoretisch und empirisch zwingendere Argumentation vorliegt, bleibt zur Erklärung von gruppenspezifischen Wahlentscheidungen nur der Rückgriff auf gruppenspezifische Interessenlagen. Dann allerdings handelt es sich bei den Lebensstilstudien in der bislang vorliegenden Form keineswegs um eigenständige Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens. 122 Vielmehr handelt es sich um einen Versuch, den historisch-soziologischen Erklärungsansatz auf aktuelle Wert- und Einstellungsaggregate unter Vernachlässigung einer historischen Fundierung anzuwenden. Vor diesem Hintergrund müssen die parteistrategischen Auswirkungen dieser Lebensstilstudien sowie ihre große öffentliche Beachtung ambivalent beurteilt werden. Ihre direkte Umsetzung verlagert den Schwerpunkt politischer Arbeit. Nicht mehr die Lösung aktueller Probleme als vielmehr die mediengerechte Inszenierung symbolischer Aktionen, weniger die Interessenvertretung der eigenen Klientel als vielmehr ein geschicktes Marketing der eigenen Partei

118 Vgl. für eine wesentlich differenziertere Vorgehensweise Vester et al. (1993) S. 245-304. 119 Vgl. Flaig et al. (1993) S. 5 Iff. 120 Vgl. zum Unterschied von Lebensstilen und Politikstilen v. Oertzen (1992), Vester et al. (1993) S. 327-354, Vester (1993) 9-13. 121 Vgl. Schulze (1993) S. 108-114. 122 Vgl. Jochen Schmidt (1993) S. 89, Müller-Rommel/Poguntke (1991) S. 189-190; implizit wohl auch Bürklin (1988), Falter et al. (1990) sowie Wildenmann (1992), die in ihren neueren Darstellungen der Erklärungsansätze des Wählerverhaltens diesen Ansatz nicht einmal erwähnen.

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

bestimmen dann konsequenterweise in noch größerem Ausmaß das politische Tagesgeschäft. 123 Auf der anderen Seite schärfen die Studien in mehrfacher Hinsicht den Blick für die kulturellen Wandlungsprozesse in einer mediatisierten Umwelt. Diese erfolgen natürlich keineswegs völlig losgelöst von sozialstrukturellen Verschiebungen. Bereits Lepsius hat in seinem Konzept der sozialmoralischen Milieus auf den engen Zusammenhang von kulturellen Verhaltensweisen und gruppenspezifischen Interessenlagen hingewiesen. Die Lebensstilstudien können den Parteien für deren Formulierung von politischen Konzepten wertvolle Hinweise liefern, in welche Richtung sich gesellschaftliche Interessenlagen verändert haben. Des weiteren unterstreichen die Studien den Zusammenhang von Politik und Fernsehen. Nicht nur die Alltagswelt, auch der politische Bereich folgt seit der flächendeckenden Verbreitung der Massenmedien veränderten Gesetzmäßigkeiten. 124 Es ist keineswegs auszuschließen, daß die visualisierende und scheinplebiszitäre Politikvermittlung des Fernsehens zunehmend die Fundamente der repräsentativen Demokratie in Frage stellt. Der Zusammenhang von Wertewandel, veränderten Rahmenbedingungen politischer Führung und Politikverdrossenheit unter den Bedingungen einer Fernsehgesellschaft ist bislang erst ansatzweise erforscht. 125 Die Lebensstilstudien können durchaus als qualitative Seismographen die Entwicklungslinien und Brüche dieser Veränderungsprozesse verdeutlichen.

2.3. Möglichkeiten und Grenzen der Erklärungsansätze

Die bisherige Diskussion hat die verschiedenen Zugänge der Erklärungsansätze des Wählerverhaltens aufgezeigt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Prämissen, Vorgehensweisen und auch Fragestellungen sind sie in ihrer Leistungsstärke nicht direkt vergleichbar. Dennoch sollen im folgenden die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grenzen der Modelle aus zwei verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Hierbei ist eine teilweise generalisierende Darstellung der einzelnen Ansätze der unvermeidbare Preis eines solchen Unterfangens. Als 123

Der verbreiteten Parteienverdrossenheit wird auf diese Weise sicherlich nicht das Wasser abgegraben, es werden zusätzlich neue Schleusen geöffnet. 124 Vgl. Bergsdorf (\9Z1\ Jäger (1992) bes. S. 79-91. 125 Vgl. für Teilaspekte Bürklin (1992), Jäger (1992) und (1994), bes. S. 12-69, Stöss (1990), Wiesendahl (1992).

2.3. Möglichkeiten und Grenzen der Erklärungsansätze

57

Ausgangspunkte des Vergleichs dienen erstens eine analytische Betrachtung der Entscheidungssituation bei Wahlen und zweitens die Annahme von RealignmentZyklen. Die erste hier angestrebte Vergleichsperspektive beschreibt das Wahlverhalten mit einer an die ökonomische Theorie angelehnten Begrifflichkeit. Der Wähler steht idealtypisch in einer Entscheidungssituation, die zum einen von seinen Interessen, zum anderen von den für ihn wahrnehmbaren Verhaltensalternativen bestimmt wird. Makroanalytisch betrachtet fallt die Wahlentscheidung bei konstantem Parteienangebot also im Wechselspiel von Präferenzstruktur der Wählerschaft und situativen Restriktionen des Handlungsraums. 126 Natürlich lassen sich die Präferenzen und Restriktionen nur für den hier angestrebten Vergleich analytisch strikt voneinander trennen, im allgemeinen beeinflussen sich Präferenzen und (wahrgenommene) Restriktionen gegenseitig.127 Der historisch-soziologische Ansatz untersucht die Präferenzstruktur der Wählerschaft. Durch eine Analyse des historisch fundierten Konfliktmusters der Gesellschaft lassen sich politische, ökonomische und kulturelle Faktoren identifizieren, die die Herausbildung von unterschiedlichen, institutionell verankerten Gruppeninteressen begründen. Gerade Regional- und traditionelle Milieustudien verdeutlichen den politisch verhaltensrelevanten Charakter von kulturellen Faktoren und deren häufig lang andauernde Wirkung. Den politischen Eliten kommt in diesem Erklärungsansatz eine bedeutende Rolle zu. Langfristig formulieren und repräsentieren sie die jeweiligen Weltbilder, kurzfristig aktualisieren sie diese in Form von tagespolitischen (Gruppen-)Forderungen anläßlich von Wahlen. Stabiles Wählerverhalten über einen längeren Zeitraum hinweg hat seine Ursache in der Stabilität und der nur allmählich sich vollziehenden Erosion oder Schwerpunktverlagerung traditioneller Milieus. Die hieran gekoppelte Präferenzstruktur der Wählerschaft unterliegt zwar einem permanent stattfindenden, aber im allgemeinen eben nur schrittweise vorankommenden Veränderungsprozeß. Somit lassen sich für die Parteien Ausgangspotentiale und deren mittelfristige Veränderung abschätzen. Kurzfristige Stimmenumschwünge entziehen sich dem Analyseinstrumentarium des historisch-soziologischen Ansatzes und werden häufig behelfsmäßig mit individuellen „cross-pressure"-Situationen begründet.

126 Vgl. Kirchgässner (1980), Falter et al. (1990) S. 13, Zintl (1991), Wildenmann (1992) S. 58-59. 127 Darüberhinaus wäre zu diskutieren, ob sich das Zustandekommen von Präferenzen, also die Herausbildung von Milieus oder zumindest kollektiven Interessenlagen, nicht auch als Problem einer Rational Choice-Analyse spezifizieren läßt. Im vorliegénden Fall geht es jedoch um die Beeinflussung der Wahlentscheidung durch entsprechende Faktoren.

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Einen dem entgegengesetzten Ausgangspunkt beziehen Studien im Rahmen der Rational Choice-Analyse. Nicht die Präferenzstruktur der Wählerschaft sondern die Restriktionen des Handlungsraums, in dem die Wähler mit gegebenen und für Analysezwecke als konstant betrachteten Präferenzen ihre Entscheidung zu treffen haben, gelten als wahlerklärende, unabhängige Einflußfaktoren. Mit diesem Untersuchungsdesign können kurzfristige Stimmenumschwünge als Reaktionen auf veränderte Restriktionen, etwa die Inflationsrate, die Arbeitslosenquote, wirtschaftliche Wachstumsraten oder auch ein verändertes Personalangebot, interpretiert werden. Hierbei läßt sich durchaus innerhalb des theoretischen Modells berücksichtigen, daß Restriktionsveränderungen erstens von der Wählerschaft möglicherweise verschieden wahrgenommen werden und zweitens verschiedene Reaktionen hervorrufen können - etwa aufgrund spezifischer Werte, Normen oder Betroffenheitsgrade. Deren Zustandekommen, also die Frage, warum Restriktionsveränderungen zu unterschiedlichen Reaktionen fuhren, gehört jedoch im allgemeinen nicht mehr zum Erklärungsgegenstand von Wahlanalysen in der Tradition der Rational Choice-Theorie. Das Verhalten der politischen Eliten ist expliziter Bestandteil auch dieser Erklärungsansätze. Orientiert an einer Strategie der Stimmenmaximierung, bearbeiten politische Parteien die fur ihre jeweiligen Zwecke günstigsten Themen und beeinflussen auf diese Weise den Handlungsraum. Allerdings schärft dieses Wettbewerbsmodell mit seiner Orientierung an den Wünschen der potentiellen Käufer auch den Blick für die Mitverantwortung der Wähler am Zustand des politischen Systems. Diese Erklärungsperspektive hat ebenfalls ihre Grenzen. Nur unbefriedigend lassen sich im Rahmen einer Rational Choice-Analyse letztlich langfristige Verschiebungen der Parteienpotentiale sowie regionale Unterschiede im Wählerverhalten erklären. Beides resultiert aus spezifischen Entwicklungen der Präferenzstruktur der Wählerschaft, deren Ausprägung im Rahmen der Rational Choice-Analyse gerade nicht als Erklärungsgegenstand betrachtet wird. Eine gewisse Mittelposition zwischen dem historisch-soziologischen Ansatz und der Rational Choice-Analyse nimmt das klassische Ann Arbor-Modell ein. Die Präferenzstruktur der Wählerschaft spiegelt sich in der Ausprägung und Verteilung der Parteiidentifikation wider. Allerdings richtet sich das Erkenntnisinteresse weniger auf deren sozialstrukturelle Fundierung und langfristige Verschiebung als vielmehr auf das Zusammenspiel von langfristiger Orientierung und kurzfristiger Problemanalyse bei aktuellen Wahlentscheidungen. Mit zunehmender Relevanz der Sachfragenorientierung für die Ausprägung einer Parteibindung nähert sich der individualpsychologische Ansatz wie bereits oben ausgeführt dem theoretischen Erklärungsmodell der Rational Choice-Analyse an, ist allerdings wesentlich einfacher zu operationalisieren.

2.3. Möglichkeiten und Grenzen der Erklärungsansätze

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Die bisherigen Betrachtungen basieren auf der impliziten Annahme stabiler Randbedingungen, insbesondere was die Grundstruktur des Parteiensystems betrifft. Diese statische Betrachtungsweise ist durch eine dynamische zu kontrastieren. Die zweite Vergleichsperspektive unterstellt hierzu die Existenz von Realignment-Zyklen in der Entwicklung von Parteiensystemen.128 Diesem Entwicklungsmodell zufolge bilden sich jeweils für einige wenige Jahrzehnte konstante Loyalitäten zwischen sozialen Gruppen und politischen Parteien. Die Intensität dieser Parteibindungen nimmt mit der Zeit ab, neue Allianzen kristallisieren sich allmählich heraus. Die Ursachen dieser Auflösungs- und Neustrukturierungsprozesse können vielfaltiger Natur sein, etwa sozialstrukturelle Verschiebungen, verändertes Elitenverhalten, Wertwandelprozesse, stark polarisierende Sachfragen oder Kandidaten sowie Mobilisierungszyklen. Für den hier anzustellenden Vergleich der Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens erscheint eine Unterteilung des Realignment-Zykluses in drei unterschiedliche Phasen angemessen.129 In einer ersten Phase („realignment") vollzieht sich die Formierung des Parteiensystems. Aktuelle Konfliktmuster polarisieren die Gesellschaft, die politische Mobilisierung der Wählerschaft ist vergleichsweise hoch. Politische Eliten begründen Koalitionen zu den entsprechenden sozialen Gruppen und repräsentieren deren Interessen im politischen Prozeß. In der Folge bilden sich sozialstrukturell und kulturell abgestützte, stabile Parteiloyalitäten heraus. Gruppen- und Milieueinflüsse bestimmen die Wahlentscheidung, die sich in diesem Stadium am besten durch historisch-soziologisch orientierte Erklärungsmodelle beschreiben läßt. Die zweite Phase („stable alignments") ist gekennzeichnet durch konstante und gefestigte Parteibindungen im Elektorat. Das Parteiensystem gilt insgesamt als stabil, wenngleich Mehrheitswechsel zwischen den Parteien möglich sind. Je nach politischem System kann die sozialstrukturelle Fundierung der Parteibindungen zugunsten der Ausbildung persönlicher Parteiidentifikationen an Bedeutung verlieren. Die Wahlentscheidung fallt im Zusammenspiel von langfristiger Parteibindung und kurzfristiger Kandidaten- oder Sachfragenorientierung. Historisch-soziologische Erklärungsmodelle beleuchten die sozialstrukturelle Verankerung der Wahlentscheidung und die Entwicklungspotentiale der einzelnen Parteien. Kurzfristige Stimmenumschwünge hingegen lassen sich im allgemeinen besser mit Hilfe eines Untersuchungsdesigns des Ann Arbor-Modells oder des

128

Die Frage der Existenz solcher Zyklen wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter verfolgt; vgl. hierzu Key (1955), Paul A. Beck (1976), Bürklin (1984) S. 18-45, Dalton et al. (1984), Crewe (1985). 129 Vgl. auch zur Terminologie Dalton et al. (1984) S. 11-15.

60

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Rational Choice-Ansatzes analysieren, zumal den quantitativ-statistischen Methoden in beiden Modellen eine große Bedeutung zukommt. Entscheidend für die Auswahl der theoretischen Perspektive ist das jeweils zu verfolgende Erkenntnisinteresse, also die Ausrichtung der Untersuchung entweder auf die PräferenzStruktur der Wählerschaft oder die Restriktionen der Situation. In der dritten Phase („dealignment") erodieren die traditionellen langfristigen Parteibindungen und ermöglichen so eine wachsende Wählerfluktuation. Die das Parteiensystem bislang strukturierenden Konfliktmuster haben drastisch an Bedeutung verloren. Neue Konfliktlinien sind noch nicht oder erst in Umrissen, möglicherweise auch mit Hilfe des seismographischen Potentials von Lebensstilstudien, auszumachen. Die vermehrt durch kurzfristige Stimmenumschwünge gekennzeichneten Wahlentscheidungen lassen sich in diesem Stadium zunehmend weniger mit Hilfe des historisch-soziologischen Ansatzes oder des Ann ArborModells untersuchen. Zum einen fehlt die sozialstrukturelle Verankerung der Wahlentscheidung, zum anderen deren Abhängigkeit von langfristigen Parteibindungen. Wahlrelevante Bedeutung erlangen somit in größerem Ausmaß die situativen Restriktionen, deren Veränderungen sich im Rahmen der Rational Choice-Analyse abbilden lassen. Als Teilgebiet der empirischen Sozialforschung hat auch die Wahlforschung überaus komplexe menschliche Verhaltensweisen zum Untersuchungsgegenstand. Die verschiedenen Erklärungsansätze konzentrieren sich jeweils auf einzelne Segmente der vielschichtigen Realität und unterscheiden sich dementsprechend bezüglich ihres Erkenntnisinteresses und der zur Erklärung herangezogenen Faktoren. So führen historisch-soziologische Analysen das Wählerverhalten auf längerfristig wirksame Gruppen- oder Milieuzugehörigkeiten zurück. Diese Persönlichkeitsmerkmale können als endogene Faktoren der Wahlentscheidung betrachtet werden. Rational Choice-Analysen stützen sich hingegen zur Modellbildung auf kurzfristig veränderliche situative Restriktionen, also auf exogene Faktoren. Allerdings wird deren Wirkung letztlich ebenfalls endogen begründet, nämlich mit Hilfe der Annahme, daß die Individuen ihr Verhalten dauerhaft an einer Nutzenmaximierung ausrichten. Eine Interpretation empirisch gewonnener Ergebnisse muß dem spezifischen Analysedesign Rechnung tragen. Für empirische Analysen ergibt sich hieraus die Pflicht, den jeweils zugrunde liegenden theoretischen Zugang genauer zu spezifizieren. Als Randbedingungen einer entsprechenden Auswahl und Begründung lassen sich die grundlegenden Annahmen über den Zustand und die Entwicklungsrichtung des Parteiensystems sowie das konkret zu verfolgende Erkenntnisinteresse benennen. Die Kombination von verschiedenen theoretischen Perspektiven und unterschiedlichen methodischen Analysestrategien eröffiiet der empirischen Wahlforschung einen erfolgversprechenden Weg, die komplexen Prozesse der Wahlentscheidung

2.4. Zur Übertragbarkeit der Ansätze auf die neuen Bundesländer

61

zunehmend besser erklären zu können. Auch wenn damit keineswegs einer theoretischen Stagnation das Wort geredet sein soll, so finden sich in den vielschichtigen Maschen des theoretischen Netzes zur Erklärung des Wählerverhaltens eine Reihe wichtiger Mosaiksteinchen, die ausschnittsweise ein durchaus differenziertes Wählerbild erkennen lassen.130

2.4. Zur Übertragungsmöglichkeit der Ansätze auf die Situation 1990 in den neuen Bundesländern

Welche Konsequenzen für die theoretische Erklärung des Wählerverhaltens 1990 in der DDR (Volkskammerwahl) und den neuen Bundesländern (Landtagsund Bundestagswahl) sind aus der bisherigen Diskussion zu ziehen? Sind die Ansätze übertragbar und welche Bedeutung können in einem diesbezüglichen Erklärungsmodell insbesondere Kurz- und Langzeiteinflüssen zukommen? Zunächst gilt es, die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit zu klären. Anschließend erfolgt ein Überblick über die verschiedenen theoretischen Interpretationsmuster der bislang in der Literatur dokumentierten Untersuchungen. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei im Anschluß an die bisherigen Ausführungen dem Verhältnis von empirischen Befunden, ihrer Interpretation sowie dem zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse. Vor diesem Hintergrund soll das für die vorliegende Studie zu Sachsen-Anhalt gewählte weitere Vorgehen zusammenfassend begründet werden. Alle bislang diskutierten theoretischen Erklärungsmodelle befassen sich mit dem Wählerverhalten in entwickelten und demokratischen Industriestaaten nach westlichem Vorbild. Die notwendigen Voraussetzungen ihres sinnvollen Gebrauchs bestehen jedoch lediglich in der Gewährleistung von freien und geheimen Wahlen sowie in einem Wahlangebot mit mindestens zwei Alternativen. Die hier zu analysierenden Wahlen des Jahres 1990 entsprechen in ihren rechtlichen Durchführungsbestimmungen und dem tatsächlichen Verlauf dem Standard pluralistisch-demokratischer Spielregeln. Die Volkskammerwahl vom März 1990 kann ohne weitere Diskussion als freie Wahl bezeichnet werden. 131 Für die Landtagswahlen, die nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland stattfanden, sowie die Bundestagswahl galten bereits westdeutsche Rechtsvor-

130 131

Zur Metapher s. Popper (1976) S. 31. Das Wahlgesetz ist bspw. abgedruckt in ZParl, 21. Jg./1990 S. 42-55.

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Schriften. Die Anwendung der Erklärungsmodelle auf die vorliegende Situation erscheint somit prinzipiell gerechtfertigt, obwohl der abgelaufene Transformationsprozeß in der DDR von einer Diktatur zu einem freiheitlichen Rechtsstaat in den Jahren 1989 und 1990 für die Wahlforschung ohne Zweifel eine außergewöhnliche Hintergrundfolie des Wählerverhaltens darstellt.

2.4.1. Theoretische Modelle in den bislang publizierten Studien

Eine Übersicht über die in den vorliegenden wissenschaftlichen Wahlanalysen zugrunde gelegten theoretischen Erklärungsmodelle spiegelt das gesamte Spektrum der Ansätze wider. Gleichwohl fordern die Studien vergleichbare empirische Befunde zutage. Einigkeit herrscht in allen Analysen darüber, daß das überragende Thema der Wahlen des Jahres 1990 in den neuen Bundesländern die Frage nach dem Tempo der deutschen Einheit war. Keinem anderen politischen Sachthema kommt auch nur annähernd eine ähnliche Bedeutung zu. Weiterhin verweisen die Studien auf den eigenständigen, von den gewohnten westdeutschen Zuordnungsmustern in einigen Punkten abweichenden Charakter der Wahlen von 1990 im östlichen Wahlgebiet. Diese spezifisch ostdeutschen Strukturen finden sich gleichermaßen bei Volkskammer-, Landtags- und Bundestagswahl und lassen sich in wenigen Punkten kursorisch zusammenfassen. 132 So zeigt sich erstens ein deutlich ausgeprägtes Nord-Süd-Gefalle der Parteiergebnisse. In den südlichen Ländern Thüringen und Sachsen liegen die Hochburgen von Allianz für Deutschland bzw. CDU, in den nördlichen Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Ost-Berlin erzielen SPD und PDS überdurchschnittliche Stimmenanteile. Zweitens ermitteln alle Untersuchungen große Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Wahlkreisen. PDS, Bündnis 90 und auch SPD haben ihre Schwerpunkte in den eher großstädtischen Zentren, die bürgerlich-konservativen Parteien können mit abnehmender Ortsgröße zunehmende Stimmenanteile verbuchen. Verbunden mit diesen regionalen Differenzen sind drittens Unterschiede in den Wahlkreisergebnissen, wenn diese nach der jeweils vorherrschenden Wirt132

Vgl. bspw. zur Volkskammerwahl Gibowski (1990), Roth (1990), Matthias Jung (1990), Feist/Hoffmann (1990), Schultze (1991a), Emmert (1991), Karl Schmitt (1993); zu den Landtagswahlen Feist/Hoffmann (1991); zur Bundestagswahl Gibowski/Kaase (1991), Kaltefleiter/Lübcke (1991), Pappi (1991), Schultze (1991b), Oberndörfer/Mielke (1992) Veen (1992) sowie Falter (1992).

2.4. Zur Übertragbarkeit der Ansätze auf die neuen Bundesländer

63

schafisstruktur gruppiert werden. In kleineren Gemeinden mit einem überdurchschnittlichen Anteil der Beschäftigten in der Industrie erzielt die CDU ihre Spitzenwerte. Die höchsten Stimmenanteile der PDS finden sich dem entgegengesetzt in den Verwaltungszentren mit den größten Anteilen von Beschäftigten im nicht produzierenden Bereich. Aber auch in stark landwirtschaftlich geprägten Gebieten erzielt die PDS überdurchschnittliche Ergebnisse. Dieses von der westdeutschen Situation abweichende Zuordnungsmuster zeigt sich nicht nur in der Analyse von Aggregatdaten. Auf der individuellen Ebene ergibt die Untersuchung des Wählerverhaltens in den Berufsgruppen einen analogen Befund. Die CDU findet den größten Rückhalt bei Arbeitern und Gewerbetreibenden, die links-alternativen Parteien bei den „Berufen der Intelligenz" in Verwaltung, Wissenschaft und Kultur sowie bei Studierenden, Auszubildenden und Angestellten. Die Ergebnisse der SPD sind insbesondere bei den Arbeitern unterdurchschnittlich. Einen großen Einfluß auf die Wahlentscheidung übt viertens die Konfessionszugehörigkeit aus. In der atheistisch ausgerichteten DDR bekannten sich höchstens 40% der Bevölkerung zu einer der beiden christlichen Konfessionen. Dieser Personenkreis unterstützt in außerordentlich überproportionalem Ausmaß die CDU. Bei den Konfessionslosen erzielen vor allem die PDS, aber auch die SPD überdurchschnittliche Stimmenanteile. Nur geringere Auffälligkeiten ergibt fünftens die Betrachtung der demographischen Merkmale Alter und Geschlecht. Bei der Volkskammerwahl stimmen die mittleren Generationen überdurchschnittlich für die CDU, besonders jüngere Frauen hingegen wählen häufiger PDS, Bündnis 90 oder Grüne. Die SPD wiederum ist bei älteren Menschen am erfolgreichsten. Bei der Bundestagswahl im Dezember zeigen sich bereits deutlicher die bekannten westdeutschen Muster: Ältere Menschen bevorzugen in höherem Ausmaß bürgerlich-konservative, jüngere Menschen dagegen links-alternative Parteien. Trotz nahezu identischer empirischer Befunde unterscheiden sich in den verschiedenen Studien die Darstellung und interpretative Einordnung des Wählerverhaltens 1990 in den neuen Bundesländern. Dies resultiert aus der Verwendung unterschiedlicher Erklärungsmodelle. Insbesondere die Frage nach der Existenz und Wirkung längerfristiger Einflußfaktoren ist hierbei umstritten. Bezüglich des Erkenntnisinteresses dieser Untersuchung zu Sachsen-Anhalt ist zu fragen, ob sich aus den bislang vorliegenden Wahlanalysen Argumente gegen eine Verwendung des historisch-soziologischen Erklärungsansatzes ableiten lassen. Der folgende Überblick über die einzelnen Studien zeigt die Bandbreite der Argumentation. Zu berücksichtigen sind hierbei ebenfalls die einschlägigen Untersuchungsergebnisse von Schultze, Neu, Emmert und Karl Schmitt. Eine erneute

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2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Darstellung der einleitend bereits besprochenen Studien unterbleibt allerdings zur Vermeidung von Redundanzen.133 Dieter Roth interpretiert die Ergebnisse der Volkskammerwahl mit Hilfe des Modells des rationalen Wählers von Downs und bescheinigt den Ostdeutschen „'issue voting' in fast reiner Form" 134 . Längerfristige, die Wahl beeinflussende Parteibindungen entstehen nur in pluralistischen Systemen, in denen verschiedene Parteien spezifische Gruppeninteressen dauerhaft vertreten. In der DDR können somit keine historischen Parteibindungen gewachsen sein. Als Beleg verweist Roth auf die unterschiedlichen Wahlergebnisse in den Regionen und Berufsgruppen, die gerade nicht „den Erwartungen eines sozialstrukturellen Erklärungsmodells, wie es sich in den westlichen Demokratien herausgebildet hat" 135 , entsprechen und bilanziert: „Das Wahlverhalten der DDR-Bürger am 18. März wurde weitgehend davon geleitet, mit welcher Partei sie ihre persönlichen Zielsetzungen am schnellsten glaubten erreichen zu können." 136 Die sich hieran anschließende Frage nach einem systematischen Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Zielsetzungen und spezifischen (Gruppen-)Erfahrungen in der keineswegs egalitären DDR-Gesellschaft wird von Roth nur rudimentär diskutiert. Sicherlich ist die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes eine wissenschaftliche Notwendigkeit. Dies sollte aber in der interprètativen Bewertung der Ergebnisse auch entsprechend zum Ausdruck kommen. Roth zeichnet in seiner Analyse der Meinungsstruktur konsequent das Bild eines rationalen, politisch stark interessierten Wählers, der sich in seiner Entscheidung an eher kurzfristigen politischen Sachfragen orientiert. Im Gegensatz zu Roth verweisen verschiedene Studien auf die Existenz von längerfristigen Einflußfaktoren. Carsten Bluck und Henry Kreikenbom stellen ihre Befunde in den theoretischen Rahmen des Ann Arbor-Modells und wenden sich „gegen die Annahme eines 'jungfräulichen' DDR-Wählers, der in keiner Weise eine Beziehung zu diesen BRD-Parteien hatte." 137 In ihren Jenaer Wahlumfragen von 1990 stoßen sie auf längerfristige, über das Fernsehen vermittelte

133

Vgl. Kap 1.2 sowie Schultze (1991a), Neu (1994), Emmert (1991), Karl Schmitt (1993) und (1994). 134 Roth (1990) S. 371; in ähnlicher Weise Gibowski (1990), Matthias Jung (1990), Feist/Hoffmann (1990), Pappi (1991). 135 Roth (1990) S. 376. 136 Roth (1990) S. 382. 137 Bluck/Kreikenbom (1991) S. 500; vgl. auch Kreikenbom (1992), Bluck/Kreikenbom (1993).

2.4. Zur Übertragbarkeit der Ansätze auf die neuen Bundesländer

65

„Quasi"-Parteibindungen der Ostdeutschen.138 Die Art dieser Parteibindungen glich zu DDR-Zeiten einer geistigen Mitgliedschaft in den West-Parteien und hatte zunächst lediglich potentiellen Charakter. Dem Erklärungsnotstand, weshalb die Wahlergebnisse von 1990 in solch deutlichem Gegensatz zu den fernsehgestützten Parteibindungen stehen, begegnen die Autoren durch den Hinweis auf die Zentrifugaltendenzen linker Wähler (SPD und PDS), ausgelöst durch die Enttäuschungen über die zögerliche Einheitspolitik der SPD einerseits sowie den Zusammenbruch des Systems andererseits. 139 Daß dennoch quasi-parteigebundene SPD-Wähler trotz ihrer enttäuschten Erwartungen nicht in größerem Ausmaß liberal oder konservativ wählten, interpretieren Bluck/Kreikenbom als Beleg für den relevanten Einfluß dieser längerfristigen Parteibindungen: „Ein rein rationaler Wähler müßte wesentlich stärker das opportune Verhalten an den Tag legen als seine Wurzeln erkennen lassen."140 Bluck/Kreikenboms Untersuchungen untermauern ohne Zweifel die These von der Existenz längerfristiger, das Wahlverhalten 1990 beeinflussender Faktoren. Die Diskussion und Darstellung ihrer Ergebnisse erscheint jedoch nicht zwingend an das Ann Arbor-Modell gebunden. So erstellen die Autoren keine Normalwahlanalyse, untersuchen also nicht den spezifischen Zusammenhang von langfristiger Bindung und kurzfristiger Sachfragen- oder Kandidatenorientierung. Vielmehr besteht ihr zentrales Bemühen darin, den Nachweis der Existenz von längerfristig wirksamen politischen Orientierungen zu erbringen. Begründet werden diese von Bluck/Kreikenbom durch ein Zusammenspiel von Westmediennutzung und den Realitäten des DDR-Systems.141 Der Nachweis spezifischer politischer Orientierungen und ihre Rückführung auf gesellschaftliche Strukturen umschreiben im Kern das Erkenntnisinteresse historisch-soziologischer Wahlanalysen. In ähnlicher Weise verfahrt Hermann Schmitt. Auch er blendet trotz der Verwendung des sozialpsychologischen Erklärungsmodells den Zusammenhang von Kurz- und Langzeiteffekten aus und konzentriert sich ganz auf „den Nachweis (...), daß Westpartei-Bindungen im Osten der neuen Bundesrepublik existiert und plausiblerweise einen Einfluß auf das Wahlverhalten des Jahres 1990 genommen haben."142

138

Diese Bezeichnung stammt von Bluck/Kreikenbom, die zur Messung folgenden Indikator verwandten (1991, S. 498): „Welche bundesdeutsche Partei war schon vor der Wende für Ihre persönliche politische Orientierung bedeutsam? Nennen Sie diese bitte." 139 Vgl. Bluck/Kreikenbom (1993) S. 460-468, Kreikenbom (1992) S. 1-13. 140 Bluck/Kreikenbom (1993) S. 469. 141 Vgl. Bluck/Kreikenbom (1991) S. 497-498, (1993) S. 456-457, Kreikenbom (1992) S. 18-21. 142 Hermann Schmitt (1992) S. 237. 5 Eith

66

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

Weiterhin untersucht Schmitt den möglichen Erklärungsbeitrag makrosoziologischer Betrachtungen. 143 Aufgrund unterschiedlich ausgeprägter Konfliktkonstellationen zwischen Ost- und Westdeutschland - ein religiöser Konflikt sei im Osten kaum vorhanden, der Klassenkonflikt erscheint als Konflikt zwischen Individuum und Apparat - 1 4 4 beurteilt Schmitt entsprechende Vergleiche jedoch „als wenig ergiebig" 145 . Es unterbleibt der Versuch, die spezifisch ostdeutsche Konstellation mit den besonderen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der 40jährigen SED-Herrschaft in Verbindung zu bringen. Ebenfalls das Ann Arbor-Modell zugrunde legend weist Hans Rattinger mit Hilfe einer 1991 und 1992 durchgeführten gesamtdeutschen Paneluntersuchung nach, daß die abgefragten Parteiidentifikationen in den neuen Bundesländern zwar insgesamt etwas instabiler sind, prinzipiell aber auf die Stabilisierung der Wahlabsicht „die gleichen Effekte haben wie in Westdeutschland."146 In einem rekursiven Modell schätzt Rattinger dann simultan die Effekte von Parteiidentifikation, ideologischer Grundorientierung, Issuedistanzen und Kandidatenbewertung auf die Sympathieeinschätzung der Parteien. Im Ergebnis zeigt sich, „daß die relativen Gewichte zwischen längerfristig stabilen und situativen Einflußfaktoren auf die Parteisympathien im Westen eher zugunsten der ersteren und im Osten zugunsten der letzteren verteilt sind. Nicht zutreffend ist jedoch, daß dies gleichbedeutend ist mit einer weiteren Verbreitung des Idealtyps des 'rationalen', issueorientierten Wählers in den neuen Ländern" 147 , zumal unter den situativen Einflußfaktoren der Kandidatenbewertung eine größere Bedeutung zukommt als der Orientierung an Sachthemen.

143 Vgl. Hermann Schmitt (1992) S. 239-246. An anderer Stelle betont Hermann Schmitt (1994), daß er in der ,Jiistorisch-makrosoziologischen Forschungstradition allerdings keine eigenständige Theorie des Wählerverhaltens erkennen" (S. 189) kann. Als Begründung nennt er fehlende ,Annahmen über die Modi individueller Wahlentscheidung", ohne jedoch für das Ann Arbor-Modell auf der Mikroebene diese näher auszuführen. Wann und unter welchen Bedingungen stimmt etwa ein Wähler mit Parteiidentifikation aufgrund einer Issue-Bewertung gegen seine Langzeitorientierung? Der Unterschied zum katholischen Arbeiter mit CDU-Stimmabgabe scheint nicht allzu groß: In beiden Fällen sind letztlich die individuellen Beweggründe der Entscheidung, also der unterschiedlichen Bewertung der Handlungsalternativen, unbekannt. Wie oben bereits ausgeführt, ist zudem eine Mikrotheorie zur Erklärung von Wählerverhalten im Aggregat keineswegs notwendig, es genügt eine Mikrofundierung. 144 Vgl. Hermann Schmitt (1992) S. 240-242, 246-247. Die relative Bedeutungslosigkeit eines religiösen Konflikts begründet Schmitt mit dem Argument, daß nur 30 % der Bevölkerung christlich gebunden, also Träger des Konflikts sind (S. 240). 145 Hermann Schmitt (1992) S. 247. 146 Rattinger (1994) S. 281. 147 Rattinger (1994) S. 309.

2.4. Zur Übertragbarkeit der Ansätze auf die neuen Bundesländer

67

Bilanzierend bleibt festzuhalten, daß die besprochenen Studien eine Fülle empirischer Belege für die Wirkung längerfristiger Einflußfaktoren auf die ostdeutschen Wahlentscheidungen von 1990 enthalten. Die von Roth und anderen vorgenommene Charakterisierung der Volkskammerwahl als Themenwahl steht dazu nicht in direktem Widerspruch, sondern ist zu einem guten Teil auch das Resultat der Untersuchungsperspektive. Wird diese auf die gesellschaftlichen Strukturen der DDR ausgeweitet, dann verringern sich die Unterschiede zwischen den Positionen, etwa indem die soziale Fundierung der „unabhängigen" Einstellungen zu Sachfragen deutlich wird. 148 Mit Ausnahme von Rattinger konzentrieren sich die das Ann Arbor-Modell heranziehenden Autoren allein auf die Frage nach der Existenz und Begründung längerfristiger politischer Orientierungen. Die sich bietenden konzeptionellen Möglichkeiten einer Quantifizierung von Kurz- und Langzeiteinflüssen werden nicht ausgenutzt. Es ist zu fragen, ob für diesen vergleichsweise reduzierten Erkenntnisanspruch der theoretische Rahmen des Ann Arbor-Modells angemessen erscheint. Die insgesamt doch recht instabilen Parteibindungen an westliche Parteien und die unklaren Mechanismen ihrer Herausbildung in der DDR nähren entsprechende Zweifel. 149 Unbestritten ist lediglich, daß bei der Herausbildung die „kommunikative(n) Vernetzungen zwischen Ost und West erne notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung" 150 darstellen. Für eine theoretische Alternative kann etwa auf die einleitend besprochenen Studien von Schultze, Neu, Emmert und Karl Schmitt verwiesen werden. Zumindest bezüglich der sozialen Fundierung längerfristiger politischer Orientierungen verspricht der historisch-soziologische Zugriff einen reichhaltigeren Erkenntnisertrag. 151 Nebenbei ergibt diese Übersicht den bemerkenswerten Befund, daß die zur Interpretation des Wählerverhaltens herangezogenen Erklärungsmodelle einer wohl überzufalligen Verteilung unterliegen. Wahlforscher aus dem Umfeld der Meinungsforschungsinstitute (Forschungsgruppe Wahlen, Infas) bevorzugen das Modell des rationalen Wählers und betonen folgerichtig die kurzfristige Orientierung an Sachthemen, akademische Wahlanalysen stützen sich trotz teilweise gleicher Datenbasis überwiegend auf den individualpsychologischen oder historisch-soziologischen Erklärungsansatz. Sie belegen zusätzlich die Existenz

148

Idealtypische Charakterisierungen beinhalten trotz intersubjektiv überprüfbarer Untersuchungen eben auch subjektive Werturteile - etwa die Auswahl und Präzisierung des Untersuchungsgegenstands - und Interpretationen. Die diesbezügliche Position von Max Weber (1988) ist keineswegs überholt. 149 Vgl. Kaase/Klingemann (1994) S. 383-394. 150 Kaase/Klingemann (1994) S. 385. 151 Eine entsprechende Einschätzung findet sich bei v. Winter (1996) S. 308, der die Erklärungsmodelle zum ostdeutschen Wählerverhalten vergleichend diskutiert. 5*

68

2. Theoretische Überlegungen: Bestimmungsfaktoren der Wahlentscheidung

längerfristiger Einflußfaktoren der Wahlentscheidung, die in den neuen Bundesländern allgemein als vergleichsweise noch weniger gefestigt angesehen werden. 152

2.4.2. Fazit und Konsequenzen: Theoretische Ausrichtung der vorliegenden Studie

Der nachfolgenden Untersuchung des Wählerverhaltens in Sachsen-Anhalt im Jahr 1990 liegen als Konsequenz der bisherigen Diskussion folgende Annahmen zugrunde. (1) Wählerverhalten läßt sich makroanalytisch als Wechselwirkung zwischen der Präferenzstruktur der Wählerschaft und situativen Restriktionen des Handlungsraums verstehen. Der historisch-soziologische Ansatz untersucht den Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten. Das Ausmaß der sozialstrukturellen Fundierung politischen Verhaltens und die Chancen für längerfristige Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten lassen sich abschätzen. Der Rational Choice-Ansatz betrachtet das Wählerverhalten bei gegebenen Präferenzen als Reaktion auf wahrgenommene Bedingungen des Handlungsraums. Von besonderem Interesse sind daher Aussagen über den Zusammenhang von Änderungen der politischen Agenda und entsprechendem Wählerverhalten. Aus dieser Perspektive betrachtet stellt das Ann ArborModell eine mögliche Operationalisierung des Rational Choice-Ansatzes dar. (2) Längerfristig wirksame Einflußfaktoren des Wählerverhaltens können zum einen durch sozialstrukturell und kulturell verfestigte Konfliktlinien in der Gesellschaft begründet sein. Hierbei begünstigt die Existenz spezifischer Gruppennormen und eine häufige Aktualisierung der Konflikte durch politische Eliten ein stabiles Wählerverhalten über einen längeren Zeitraum hinweg. Zum anderen können sich individuelle und längerfristige Parteibindungen auch als Ergebnis der politischen Sozialisation in der Familie oder dem engsten Freundeskreis, weiterhin auch als generalisierte Bewertung der bisherigen politischen Arbeit der Parteien herausbilden. Diese unterschiedlichen theoretischen Begründungen von längerfristig wirksamen Einflußfaktoren sind zwar nicht identisch, sie schließen sich aber auch keineswegs aus.

152 Vgl. bspw. Bluck/Kreikenbom (1993) S. 437.

(1991) S. 501, Rattinger (1994) S. 313, Karl Schmitt

2.4. Zur Übertragbarkeit der Ansätze auf die neuen Bundesländer

69

(3) Rationales Wahl verhalten ist keineswegs gleichzusetzen mit der ausschließlichen Orientierung an kurzfristigen politischen Sachfragen. Gerade zur Reduzierung der Informationskosten können längerfristige Orientierungen an Ideologien oder eine Parteineigung auf der Basis von generalisierten oder retrospektiven Bewertungen der Partei durchaus rationale Strategien sein. Aussagen über die Rationalität des Wählers können nicht ohne weiteres aus Ergebnissen einer Rational Choice-Analyse abgeleitet werden, da diese im allgemeinen das Wählerverhalten im Aggregat unter der expliziten Annahme von individuell nutzenmaximierendem (zweckrationalem) Verhalten zum Gegenstand hat. Generell müssen die aus empirischen Studien abgeleiteten demokratietheoretischen Konsequenzen konsequent daraufhin überprüft werden, ob sie tatsächlich durch Befunde auf der Mikroebene abgesichert sind. Die Mikroftindierung einer Makroanalyse stellt nicht deren Ergebnis, sondern deren Voraussetzung dar. (4) Das überragende politische Thema des Jahres 1990 in der Bundesrepublik und insbesondere in der DDR bzw. den fünf neuen Bundesländern war die Frage nach der Geschwindigkeit und den Modalitäten der Vereinigung. 153 Es kann davon ausgegangen werden, daß dieser bereits vielfach belegte Befund ebenfalls für die politische Agenda Sachsen-Anhalts Gültigkeit besitzt. (5) Empirische Analysen der Ergebnisse der Volkskammerwahl liefern zahlreiche Hinweise auf die Wirkung längerfristiger politischer Orientierungen bereits im März 1990. Die ermittelten Parteineigungen beziehen sich auch auf westdeutsche Parteien und strukturieren die Wahrnehmung und Bewertung von politischen Sachthemen in jeweils entsprechender Weise. Das grundlegende Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist auf den Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten gerichtet, um auf dieser Basis mögliche Entwicklungsperspektiven des sich entfaltenden Parteiensystems von Sachsen-Anhalt diskutieren zu können. Mit dem historischsoziologischen Erklärungsansatz steht ein theoretisches Modell des Wählerverhaltens zur Verfügung, in dem sich längerfristige politische Orientierungen auf historisch fundierte, gesellschaftliche Konfliktmuster beziehen lassen. Im Anschluß erfolgt die Untersuchung des Wählerverhaltens in SachsenAnhalt. Die einleitend ausgeführte Arbeitshypothese unterstellt einen Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten. Sie soll erstens aus sozialgeschichtlicher Perspektive und zweitens durch eine empirische Datenanalyse einem zweifachen Falsifikationsversuch unterzogen werden.

153

Vgl. Forschungsgruppe Wahlen (1990b) S. 56-61.

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Wahlen von 1990 in Sachsen-Anhalt

Wählerverhalten läßt sich wie ausgeführt nur unter sehr speziellen Fragestellungen als singuläres Phänomen betrachten. Im folgenden Kapitel gilt es, den politischen und sozialgeschichtlichen Kontext der Wahlen des Jahres 1990 zu untersuchen. Entsprechend der einleitend dargelegten Arbeitshypothese dieser Studie steht hierbei die Frage nach der Existenz potentiell wahlverhaltensrelevanter Konfliktlinien und Gruppen im Vordergrund. Lassen sich historische oder gesellschaftliche Muster auffinden, die dem politischen Meinungsbildungsprozeß während der Wende 1989 und bei den Wahlentscheidungen von 1990 als längerfristig wirksame Tiefenstruktur zugrunde liegen? Die nachfolgende Untersuchung verläßt den üblichen Rahmen einer Regionalstudie. Eine strikte Beschränkung der Darstellung auf das neue Bundesland Sachsen-Anhalt ist nicht möglich. Der gewichtigste Grund liegt in den Konsequenzen der über 50jährigen diktatorischen Vergangenheit. Besonders die egalisierende Gesellschaftspolitik der DDR und die unhistorische territoriale Neuordnung erschweren in allen neuen Bundesländern die Aufdeckung entsprechender regionaler Kontinuitätslinien.1 Den gesellschaftlichen Organisations- und Herrschaftsbeziehungen kam in der DDR ein solch hoher Stellenwert zu, daß Unterschiede zwischen den einzelnen Bezirken dagegen nur geringfügig ins Gewicht fielen. 2 Bezüglich des Landes Sachsen-Anhalt ist weiterhin seine bislang kurze Existenzdauer anzuführen. Mit der Ausnahme von 1945 bis 1952 besteht das Land als politische Einheit erst seit dem 14. Oktober 1990. Annahmen über das Vorhandensein stabiler landesspezifischer Traditionen, die zudem die totalitären Umstrukturierungen hätten überdauern können, erscheinen somit unrealistisch. Beide Gesichtspunkte haben Einfluß auf die Literatur- und Datenlage. Zum einen stehen detaillierte Untersuchungen zur Sozialgeschichte, wie sie etwa zu den westdeutschen Bundesländern in großem Umfang existieren, bislang noch 1

Vgl. zu den Kriterien der Bezirksgliederung Rutz et al. (1993) S. 59-67. Karl Schmitt (1993) und (1994) hat den fast vollständigen Umbruch der politischen Landschaft in der DDR nachgewiesen, der unabhängig von sozialstrukturellen und wirtschaftsgeographischen Verschiebungen nach Schmitt in erster Linie in den Spezifika des DDR-Systems begründet liegt. 2

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

71

weitgehend aus.3 Zum anderen sind nur wenige Daten zur regionalen sozialstrukturellen Entwicklung sowie zu den weiter zurückliegenden Wahlentscheidungen auf einer Aggregationsebene verfügbar, die sich gewinnbringend in den Kontext dieser Untersuchung eingliedern läßt. Die Untersuchung erfolgt somit auf der Basis der verfügbaren Literatur. Zur Identifizierung sozialstruktureller Muster in Sachsen-Anhalt, denen unter den Bedingungen eines freiheitlichen und pluralistischen Parteiensystems wahlverhaltensrelevante Bedeutung zukommen kann, sind mehrere Vorgehensweisen denkbar. In direkter Anlehnung an die Cleavage-Theorie von Seymour M. Lipset und Stein Rokkan ließe sich etwa untersuchen, welche Transformation die vier von den beiden Autoren benannten Konflikte durch das Gesellschaftssystem der DDR erfahren haben.4 Zugrunde liegt einer solchen Diskussion die durchaus plausible Annahme, daß nach der nationalsozialistischen Herrschaft die für das Wählerverhalten bedeutsamen sozialstrukturellen Kontexte der Weimarer Republik noch existent waren.5 Allerdings wird ebenfalls impliziert, daß sich keine völlig neuen Konfliktlinien in der 40jährigen DDR-Geschichte herausgebildet haben, daß also lediglich die bestehenden Konfliktmuster einer Wandlung ausgesetzt waren. Eine andere, auch dieser Studie im folgenden zugrunde gelegte Untersuchungsstrategie erweitert die Fragestellung durch den Rückbezug auf den grundlegenden Ansatz historisch-soziologischer Erklärungen des Wählerverhaltens. Demnach steht nicht in erster Linie die spezifische Ausprägung bereits definierter Konfliktlinien im Zentrum der Analyse, sondern - im vorliegenden Fall - die Gesellschaftsstruktur der DDR und die Frage nach der Existenz potentiell (partei-) politisch aufladbarer Gegensätze.6 Finden sich also Hinweise auf unter-

3

Eine politische Landeskunde legten Holtmann/Boll (1995) vor, zur Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt s. Tullner (1996). 4 Vgl. für die gesamte DDR Emmert (1991) S. 20-35; Neu (1994) S. 130-137 modifiziert diese Vorgehensweise insofern, als sie die für die alte Bundesrepublik relevanten Cleavages untersucht. 5 Da sich nach Falter (1981) die erste Bundestagswahl von 1949 als letzte Weimarer Wahl charakterisieren läßt, sollten die entsprechenden Strukturen 1949 auch in Ostdeutschland noch vorhanden gewesen sein; vgl. auch Karl Schmitt (1993), der in seiner Untersuchung der Landtagswahlen von 1946 in der SBZ zu dem Ergebnis kommt, daß die politische Landschaft „in ihren wichtigsten Konturen gegenüber der Vorkriegszeit unverändert (war)" (S. 424). 6 Vgl. Karl Schmitt (1993), der sich allerdings empirisch auf die Untersuchung der regionalen Stabilität der Parteiergebnisse sowie der Anteile der Beschäftigten in einzelnen Wirtschaftsbereichen beschränkt; vgl. auch Schultze (1991a) S. 32-41, der in entsprechender Weise die Wahlergebnisse interpretiert.

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

schiedliche Lebenslagen, die spezifische politische Haltungen und Interessen im Umbruchjahr 1989 und den nachfolgenden Wahlen von 1990 erwarten lassen? Die nachfolgende Untersuchung gliedert sich entsprechend dieser Ausrichtung in vier Teile. Zunächst erfolgt einleitend eine kurze Synopse zu Aspekten der politischen Kultur in Ostdeutschland. Sodann ermöglicht die Diskussion verschiedener Modelle der Sozialstrukturforschung der DDR einen Überblick über den hierarchischen Gesellschaftsaufbau und grundlegende Kriterien der vertikalen Differenzierung. Weiterhin ist zu untersuchen, in welchem Ausmaß gesellschaftliche Gruppeninteressen unter den Systembedingungen der DDR eine institutionelle Absicherung erfahren haben. Schließlich lassen sich vor dem Hintergrund der ermittelten Befunde Annahmen über das politische Verhalten unterschiedlicher Gruppen unter den Bedingungen einer freien Parteienkonkurrenz formulieren.

3.1. Aspekte der politischen Kultur der DDR

Als Hintergrundfolie für die nachfolgenden Untersuchungen zur Gesellschaftsstruktur und zum Wählerverhalten sollen im folgenden kurz einige relevante Elemente der politischen Kultur der DDR skizziert werden. So ist zum einen mit einer Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Strukturierung der DDR natürlich auch die Frage nach den staatlichen Legitimationsstrategien und dem Ausmaß des Legitimitätsglaubens in der Bevölkerung verbunden. Zum anderen basiert politisches Verhalten, wie etwa das Partizipations- und insbesondere das Wählerverhalten, ganz generell auf der Wahrnehmung und Bewertung des politischen Prozesses. In beiden Fällen kommt also den politischen Einstellungen eine weitreichene und eigenständige Bedeutung zu. Aufgrund der in Wissenschaft und Öffentlichkeit häufig unterschiedlichen Verwendung des Begriffs „politische Kultur" seien den weiteren Ausführungen zur DDR einige kurze definitorische Bemerkungen vorangestellt. Das Konzept der politischen Kultur, so wie es heute in den empirischen Sozialwissenschaften Verwendung findet, geht auf Gabriel Almond und Sidney Verba zurück. 7 Demnach wird mit politischer Kultur die spezifische Verteilung der Einstellungen in der Bevölkerung gegenüber politischen Objekten bezeichnet. Diese Einstellungen lassen sich hinsichtlich ihrer Stabilität unterteilen in politi7

Vgl. Almond (1987), Gabriel (1994).

3.1. Aspekte der politischen Kultur der DDR

73

sehe Stimmungen, grundsätzliche politische Überzeugungen und identitätsstiflende Primärbindungen an Volksgruppen, Nationalität oder Religion.8 Als Objekte werden hierbei das gesamte politische System, seine Input- und OutputStrukturen sowie die Rolle des Selbst in diesem System angesehen. Ein so definiertes Konzept der politischen Kultur läßt sich empirisch mit den Methoden und Mitteln der Umfrageforschung erfassen und analysieren. Karl Rohe stellt dem ein Verständnis von politischer Kultur gegenüber, das weniger auf subjektive Einstellungen und Orientierungen abhebt. Aus seiner Sicht geht es vielmehr um „die für eine soziale Gruppe maßgeblichen Grundannahmen über die politische Welt", „an Hand derer Politik wahrgenommen, interpretiert und beurteilt wird." 9 Einstellungen und Orientierungen basieren dann auf entsprechenden Grundannahmen. Als politische Soziokultur bezeichnet Rohe den verinnerlichten Handlungsrahmen der politischen Alltagsebene, bestehend aus Mentalitäten, Gewohnheiten und Lebensweisen. Die identitätsstiflenden Ideen und Sinngebungsangebote rechnet Rohe hingegen der politischen Deutungskultur zu. 10 Beide Konzepte der politische Kultur, sowohl das von Almond/Verba als auch das von Rohe, stimmen zumindest darin überein, daß den längerfristig stabilen politischen Orientierungen eine große Bedeutung zukommt. Ihre Ausprägung ist das Ergebnis von Sozialisierungs- und Lernprozessen. 11 Familie, Schule, Medien, politische Öffentlichkeit und auch eigene Erfahrungen leisten hierzu ihren Beitrag. Politische Kultur und politisches System stehen in einem engen Zusammenhang. Kurt Sontheimer rechnet sogar letzterem, insbesondere der konstitutionellen Ordnung, den größten Einfluß auf die Ausprägung der politischen Kultur zu. 12 Nach Almond/Verba hängt die Stabilität politischer Regime in hohem Maße von der Kongruenz von politischer Kultur und politischem System ab. In dem von den Autoren für westliche Demokratien entwickelten, normativen Ideal einer Staatsbürgerkultur, der „civic culture", ergänzen sich demokratische Institutionen und eine ausbalancierte, gemäßigt-partizipatorische politische Kultur. 13 Ihr Zustandekommen ist das Resultat einer prinzipiell freien politischen Entwicklung, eines schrittweisen Innovations- und Anpassungsprozesses. Anders stellt sich hingegen die Situation in sozialistischen Systemen dar. 14 Typischerweise steht einer aus ideologischen Gründen verordneten, offiziellen Zielkultur die real existierende

8

Vgl. Almond (1987) S. 34-36. Rohe (1994) S. 1. 10 Vgl. Rohe (1987). 11 Vgl. Rytlewski (1989) S. 14; Fuchs et al. (1991) S. 37. 12 Vgl. Sontheimer (1990) S. 15. 13 Zur Diskussion der Staatsbürgerkultur bei Almond/Verba s. Gabriel S. 67-81. 14 Vgl. Rytlewski (1989) S. 15-16, Sontheimer (1990) S. 60-61. 9

(1986)

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

politische Kultur gegenüber. Zu fragen ist - in der Terminologie von Rohe - nach den Differenzen zwischen der Deutungs- und Soziokultur. Nachfolgend werden kurz entsprechende Befunde aus der wissenschaftlichen Literatur zur DDR zusammengestellt. Empirische Studien auf der Basis von Umfragen liegen hierzu verständlicherweise erst für die Zeit nach 1990 vor. Die offizielle politische Kultur der DDR fügte sich in den ideologischen Rahmen des Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung.15 Durch einen lebenslangen Erziehungsprozeß sollte die „entwickelte sozialistische Persönlichkeit" herangebildet werden. Als deren Kernelemente galten vor allem die Ausrichtung der eigenen Lebensanschauung an den Prinzipien des Marxismus-Leninismus samt der damit verbundenen Akzeptanz der Führungsrolle der Partei, die Unterordnung von privaten unter kollektive Ziele und Interessen sowie die Anerkennung der beruflichen Arbeit als zentralen Bezugspunkt der Selbstverwirklichung. Hingegen wurde die Herausprägung typischer Verhaltensmuster der Bevölkerung durch die institutionelle Ausgestaltung des Systems gefordert. Ein entsprechender Stellenwert kam dem Organisationsprinzip der DDR zu, die sich als ,,ein(.) hierarchisch abgepufferte(r) Obrigkeitsstaat mit einer paternalistisch sich gebenden Systemrepräsentanz" 16 darstellte. Die in freiheitlichen Gesellschaften pluralen und institutionell abgestützten Rationalitätskriterien bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung reduzierten sich in der DDR allgemein auf eine Überbetonung politischer Kategorien bei gleichzeitiger Unterbetonung von wirtschaftlicher Effizienz und rechtlicher Zulässigkeit. Weiterhin bewirkte auch der ausgebaute Sozialstaat spezifische Verhaltensweisen. Der sozialen Absicherung durch Arbeitsplatzgarantie, innerbetriebliche Sozial- und Gesundheitsbetreuung sowie hohe Subventionierung von Grundnahrungsmitteln und Wohnraum standen weder eine adäquate Wirtschaftspolitik und Kostenberechnung noch politische Disziplinierungsmöglichkeiten für Personen ohne Leitungsfunktion gegenüber.17 Zudem läßt sich die Konformität der DDR-Bevölkerung mit eingeschränkten öffentlichen Handlungsoptionen und massiven Sanktionsmöglichkeiten für abweichendes Verhalten in Verbindung bringen. Die vergleichsweise strikte politisch-moralische Normierung des öffentlichen Lebens und die allgemeine Verpflichtung auf die Prinzipien des Demokratischen Zentralismus setzte der öffentlichen Demonstration individueller Eigenheiten enge Grenzen. Insgesamt wurden die Verhaltensmuster der Bevölkerung weitgehend durch den Gegensatz zwischen der politisch kontrollierten Öffentlichkeit und der von individuellen

15 16 17

Vgl. Rytlewski (1989) S. 22-23, Sontheimer (1990) S. 61-67. Lepsius (1994) S. 26. Vgl. Lepsius (1994) bes. S. 20-25, Adler/Kretzschmar (1990) S. 986.

3.1. Aspekte der politischen Kultur der DDR

75

Gruppennormen bestimmten Privatsphäre strukturiert und trugen durchaus Züge einer Kollektiven Schizophrenie" 18. Empirisch abgesicherte Einschätzungen der Einstellungsmuster ostdeutscher Bürgerinnen und Bürger erlaubten erst die nach der Wende durchgeführten Umfragen. In großer Übereinstimmung werden der ostdeutschen Bevölkerung hierbei zum einen ausgeprägte Sicherheitsbedürfiiisse und wohlfahrtsstaatliche Ansprüche attestiert, zum anderen verweisen die Studien auf einen hohen Anteil von Personen, die sich vor allem an materiellen und konventionellen Werten wie Leistung, Fleiß, Ehrgeiz und Pflichtbewußtsein orientieren. 19 Darüber hinaus wird aus den zwischen 1990 und 1993 erhobenen Daten das geringe Vertrauen der Ostdeutschen in (westdeutsche) politische Institutionen deutlich.20 Zusammengefaßt spiegeln die Befunde die unübersehbaren Unterschiede in den Wertvorstellungen zwischen Ost und West sowie die Existenz von traditionellen bis autoritären Denkmustern in großen Teilen der DDR-Bevölkerung wider. 21 Loyalität und Legitimität erlangte das politische System der DDR durch die Befriedigung partikularer Konsum-, Status- oder Einflußinteressen. Hinzu kamen umfassende ideologische Sinnangebote.22 Die sozialistische Ideologie konnte hierbei an protestantisch-preußische Traditionsbestände und die damit verbundene politische Kultur anknüpfen. 23 Letztere beinhaltete insbesondere die Entgegensetzung von Kultur und Staat, die moralisch-idealistische Überhöhung der Kultur als zentrales gemeinschaftsstiftendes Merkmal sowie nachhaltige Ressentiments gegen den westlichen, vor allem französischen Universalismus mit seiner Betonung von Individualität und Rationalität. Diese im Kern unpolitischen und antipluralistischen Einstellungen ließen sich zumindest in der Anfangsphase der DDR ohne größere Schwierigkeiten in Einklang bringen mit den sozialistischen

18

Sontheimer (1990) S. 74; vgl. auch Lepsius (1994) S. 28-29, Körte (1990) S. 36 sowie Maaz (1992), der eindrucksvoll den repressiven Herrschaftsapparat (S. 11-53) und hierin begründete, mögliche individuelle Deformationen (S. 57-134) beschreibt. 19 Vgl. Feist (1991) S. 23-26, Fuchs et al. (1991) S. 40-45, Gluchowski/Zelle (1992) S. 236-241; zu den Objekten des Nationalstolzes in Ost- und Westdeutschland 1990/1991 s. Westle (1994). 20 Vgl. Feist (1991) S. 26-29, Gluchowski/Zelle (1992) S. 251-258; entspr. Angaben zu Sachsen-Anhalt bei Holtmann/Boll (1995) S. 182-183. 21 Vgl. Feist (1991) S. 26, Fuchs et al. (1991) S. 46. Demgegenüber betonen Gluchowski/Zelle (1991), daß das „Zusammenspiel aus grundsätzlicher Bejahung des politischen Systems und begrenztem Vertrauen in seine Institutionen (...) den kritischen Staatsbürger, nicht den hörigen Untertan" (S. 244) kennzeichnet. 22 S. für eine Periodisierung mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung Pollack (1993b) sowie die umfangreiche Studie von Meuschel (1992). 23 Vgl. Meuschel (1992) bes. S. 15-28, zu den Problemen der Legitimitäts- und Loyalitätssicherung S. 229-241; weiterhin Körte (1990) S. 33-37.

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Vorstellungen der Interessenidentität, der unbedingten Wissenschaftsgläubigkeit und der antiwestlichen, lediglich zwischen Freund und Feind unterscheidenden Legitimationsbasis des Antifaschismus. Die verschiedenen Strategien der Loyalitäts- und Legitimitätssicherung wurden begünstigt durch die konsequente Auflösung alter Milieu- und Solidaritätsbindungen. Weiterhin bestand gerade für die DDR die Möglichkeit, unliebsame Oppositionelle in den Westen abschieben zu können.24 Die Brüchigkeit dieser Herrschaftssicherung wurde Ende der 80er Jahre deutlich. Der letztlich nicht zu kompensierende ideologische Utopieverlust und vor allem massive Effizienzprobleme führten zu einem um so nachhaltigeren Loyalitätsentzug, je deutlicher in der individuellen bzw. gruppenspezifischen Wahrnehmung die proklamierte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik durch die Wirklichkeit in Frage gestellt wurde. 25 Der sichtbarste Ausdruck dieses Prozesses sind die Wahlergebnisse der ersten freien Volkskammerwahlen vom März 1990: Die Wahlentscheidung unterschiedlicher sozialer Gruppen erklärt sich zu großen Stücken - so die hier vertretene und noch weiter auszuführende These - durch die Position der entsprechenden Gruppen in der sozialistischen Gesellschaft.

3.2. Kriterien vertikaler gesellschaftlicher Differenzierung

Frühere Untersuchungen der Sozialstruktur der DDR sind nur bedingt mit entsprechenden Studien westlicher Gesellschaften vergleichbar. Die Analysen östlicher Autoren basierten im allgemeinen bis in die Endphase der DDR auf ideologischen Prämissen und waren auf entsprechende Entwicklungsziele ausgerichtet. Westliche Autoren verfügten nicht in ausreichendem Maße über die notwendigen Informationen, um analytisch-deskriptive Untersuchungen der verschiedenen Soziallagen durchführen zu können. Nach der Wende ist eine inzwischen nahezu unüberschaubare Diskussion zur Sozialstruktur der DDRGesellschaft als Begleiterscheinung der Suche nach den Gründen für den Zusammenbruch des Systems in Gang gekommen. An vier Beispielen soll exempla-

24

Vgl. zur Entwicklung von Opposition und Dissidenz in der DDR Kleßmann ( 1991 ). Vgl. ebenso Adler (1991) S. 170-172, der die Erosion der Loyalität auf ungelöste Probleme der sozialen Frage (verringerte Spielräume der paternalistischen sozialen Befriedigungspolitik) und der demokratischen Frage (Erosion von Legitimität als bessere Alternative zur deutschen Vergangenheit) zurückführt; den Zusammenhang von Wirtschaftsmisere, Massenflucht und Massenprotest diskutiert Körte (1994) S. 24-55. 25

3.2. Kriterien vertikaler gesellschaftlicher Differenzierung

77

risch die Bandbreite der Sozialstrukturforschung demonstriert und die Frage nach ihrem gemeinsamen Kern für die vorliegende Studie diskutiert werden. 26 Grundprämisse der marxistisch-leninistischen Soziologie war über Jahrzehnte hinweg die Annahme, daß durch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln der Klassenantagonismus überwunden und die Gesellschaft insgesamt auf dem Weg zu einer homogenen Einheit sei.27 Erst Anfang der 80er Jahre machte sich vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise in der DDR die Erkenntnis breit, daß als übergeordnete Zielvorgaben der gesellschaftlichen Entwicklung zusätzlich zu den Gleichheitszielen auch Effizienzerfordernisse zu benennen sind. Insbesondere Manfred Lötsch rückte als zweite Determinante sozialer Unterschiede neben den Eigentumsverhältnissen die gesellschaftliche Arbeitsteilung in das Blickfeld soziologischer Untersuchungen.28 Sein StrukturFunktions-Paradigma29 erlaubte eine differenziertere Betrachtung sozialer Unterschiede. Diese können zum einen aus konkreten sozialen Problemlagen resultieren, etwa „untere Niveaus materieller Lebensbedingungen, physisch gefährdende und geistig anspruchslose Arbeit, niedrigere reale Bildungschancen (bei institutioneller Chancengleichheit) für Kinder aus Familien mit niedriger Bildung und Qualifikation, ungünstige (problematische) Wohnbedingungen u. a. m." 30 . Solche Unterschiede sind durch das Auffinden der entsprechenden Reproduktionsmechanismen zu beseitigen. Zum anderen können „nichtoptimale Strukturen" 31 nach Lötsch nicht nur in Form von dysfunktionaler Differenzierung, sondern auch -und hierin besteht der zentrale Punkt der Umorientierung - in Form von dysfunktionaler Nivellierung auftreten. „Einkommens- und Belohnungsunterschiede, die auf andere Faktoren als auf Leistungsunterschiede zurückgehen, und Einkommens- und Belohnungsnivellierungen über Leistungsunterschiede hinweg" 32 hemmen auf Dauer gesellschaftliche Entwicklungspotentiale.33 Im Um-

26

Die Auswahl beruht allein auf der Tatsache, daß die mit der Ausnahme von Geißler ostdeutschen Autoren ihrer Untersuchung jeweils konsequent ein theoretisches Analyseraster zugrunde legen; vgl. darüber hinaus bspw. auch Glaeßner (1988), Adler (1991), Meuschel (1992), Lepsius (1994), Deutscher Bundestag (1994). 27 Vgl. Glaeßner (1988) S. 4; zur Sozialstrukturforschung in der DDR s. auch Meuschel (1992) S. 242-256. 28 Vgl. Manfred Lötsch (1988), bes. S. 14-17; Lötsch/Lötsch (1989); Glaeßner (1988) S. 6. 29 Vgl. Lötsch/Lötsch (1989) S. 235 30 Manfred Lötsch (1988) S. 15-16. 31 Manfred Lötsch (19S&)S. 16. 32 Manfred Lötsch (19SS)S. 16. 33 Gerade die fehlenden Privilegien oder materiellen Anreize für die wissenschaftliche Intelligenz werden von Lötsch immer wieder hervorgehoben und als Ursache ihrer Mittelmäßigkeit und begrenzten Effektivität angeführt; vgl. exempl. Manfred Lötsch (1988) S. 17-19.

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

kehrschluß erscheint soziale Ungleichheit dann gerechtfertigt, wenn Effizienzkriterien als Legitimationsbasis angeführt werden können. Detlef Pollack bezeichnet die DDR aus systemtheoretischer Perspektive als erstarrte Organisationsgesellschaft, 34 die durch zwei gegenläufige Prozesse gekennzeichnet war. Zum einen erfolgten die in allen modernen Industriestaaten zu beobachtenden Differenzierungsprozesse zwischen gesellschaftlichen Subgruppen, etwa zwischen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Recht, Kunst und Religion. Die auf diesem Wege den gesellschaftlichen Teilbereichen zugewachsene Eigendynamik und Autonomie wurde zum anderen allerdings durch politisch verursachte Entdifferenzierungsprozesse wieder reduziert. „Die SEDFührung nahm eine Ebenenverwischung vor und richtete die gesamte Gesellschaft als ihre Organisation ein." 35 Diese Beschneidung der Möglichkeiten gesellschaftlicher Selbstorganisation führte zu Widersprüchen zwischen Effizienzkriterien und politisch-ideologischen Gesichtspunkten sowie zwischen den politischideologischen Vorgaben und den individuellen Interessen. Die Stabilität dieses Systems gründete sich nach Pollack auf die umfassende Abschottung nach außen sowie die Kopplung von Privilegien und materiellen Vorteilen an politisches Wohlverhalten nach innen. Der Zusammenbruch erfolgte dann auch mit der zunehmenden Lockerung dieser Abgrenzung. 36 Artur Meier charakterisiert die DDR-Gesellschaft mit Hilfe der Kategorien der Weberschen Herrschaftssoziologie als realsozialistische Ständegesellschaft. 37 An ihrer Spitze stand die herrschende Nomenklatura, „eine Art sozialistischer Adelsstand"38 mit einem umfassenden Machtmonopol, spezifischer Lebensführung und eigenen Rekrutierungsmechanismen. Zur Herrschaftsausübung bediente sich die Nomenklatura des bürokratischen Standes der leitenden Funktionäre. Die sozialistische Bürokratie ist keine autonome, sachlich legitimierte Fachverwaltung, „sondern ein integraler Bestandteil einer korporatistischen Machthierarchie, mittels derer das gesamte wirtschaftliche, politische und geistige Leben der mittleren und unteren Stände einer engmaschigen Kontrolle unterworfen wird." 39

34

Vgl. Pollack (1990), bes. S. 293-297. Pollack (1990) S. 294. 36 Vgl. Pollack (1990) S. 297-306. Die Aufweichung der Westabgrenzung rechnet Pollack den westlichen Medien, den KSZE-Vereinbarungen und liberaleren Reisemöglichkeiten in Familienangelegenheiten zu. Innere Freiräume konnten die Kirchen beanspruchen. Die entscheidenden Anstöße gingen dann von den Auswirkungen der Perestroika in der UdSSR und der ungarischen Grenzöflhung im September 1989 aus. 37 Vgl. Meier (1990); kritisch Meuschel (1992) S. 226-227 und (1993a), Manfred Lötsch (1993). 38 Meier (1990) S . l l . 39 Meier (1990) S. 12. 35

3.2. Kriterien vertikaler gesellschaftlicher Differenzierung

79

Als dritten Stand identifizierte Meier die Intelligenz, auf deren geistige Dienstleistungen keine heutige Gesellschaft verzichten kann. Von Bedeutung ist nicht nur ihre intermediäre Position zwischen den Machtausübenden und den „unterdrückten Volksmassen", studieren läßt sich an dieser Gruppe ebenfalls vortrefflich die „binnenstrukturelle Kontrolle über Positionszuweisungen und Rekrutierungskanäle." 40 Am unteren Ende der Gesellschaftspyramide verblieben als rechtloser vierter Stand die restlichen zwei Drittel der Bevölkerung: Arbeiter, kleine Angestellte und Bauern. Wenngleich die soziale Zusammensetzung als äußerst heterogen bezeichnet werden muß, so sorgten doch auch hier betriebliche Zugehörigkeiten, berufliche Bildungsgänge und konventionelle Regeln der Lebensführung für ein insgesamt hohes Ausmaß sozialer Selbstrekrutierung. 41 Insgesamt skizziert Meier das Bild einer vorkapitalistischen, starren Sozialordnung, die einmal in Gang gekommene Wandlungsprozesse kaum bewältigen kann. Aus modernisierungstheoretischer Perspektive vergleicht schließlich Rainer Geißler die beiden deutschen Sozialstrukturen 42 und konstatiert eine Reihe ostdeutscher Besonderheiten. Als Modernisierungsvorsprünge des Ostens vor dem Westen bewertet Geißler die Stellung der Frauen in der Gesellschaft sowie die bessere Versorgung der Bevölkerung mit beruflichen Grundqualifikationen. Sämtliche anderen Vergleichsebenen signalisieren ostdeutsche Defizite. Insbesondere die übermäßigen „Nivellierungen in Kombination mit übermäßiger Konzentration von Macht waren letztlich die entscheidenden sozialstrukturellen Ursachen für die Ineffizienz und schließlich den Zusammenbruch des Sozialismus" 43 Weiterhin forderten die Statuszuweisung aufgrund politischer Kriterien, die soziale Schließung der Hochschulen sowie der nicht zuletzt durch die 'QuasiVemichtung des alten Mittelstandes' unterentwickelte Dienstleistungsbereich die Herausbildung und Dauerhaftigkeit unflexibler und uneffektiver Strukturen. Als sichtbarste Konsequenzen dieser Modernisierungsdefizite benennt Geißler den steten Abwanderungsdruck vor allem junger, überdurchschnittlich qualifizierter Menschen sowie die offensichtliche Leistungsschwäche des Systems, die sich in einem Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise weit unter dem westlichen Niveau ausdrückte. Die Angleichung der Lebensverhältnisse erscheint Geißler unter diesen Bedingungen nur durch eine Anpassung der ostdeutschen Sozial-

40

Meier (1990) S. 13. Vgl. Meier (1990) S. 13. 42 Vgl. detailliert Geißler (1992a) sowie (1992b), bes. S. 15-21; für eine diesbezügliche Diskussion verschiedener Kriterien der Modernität s. Kohli (1994) S. 34-38. 43 Geißler (1992b) S. 19. 41

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

struktur an das westdeutsche Muster" 44 möglich, die ostdeutsche Sozialstruktur steht demnach unter einem großen Modernisierungsdruck. Insgesamt gleichen sich die Befunde in hohem Maße trotz der unterschiedlichen theoretischen Konzepte und Perspektiven, die die verschiedenen Autoren zur Analyse verwandt haben.45 Das grundlegende Kennzeichen des politischen Herrschaftssystems der DDR war das Machtmonopol der SED, „weder begrenzbar durch institutionalisierte Ansprüche aus der Rechtsordnung noch durch verselbständigte Verfügungsgewalt über wirtschaftliche Mittel, durch die offene Zustimmungsbedürftigkeit für das politische Mandat oder durch geschützte Eigenräume individueller Bürgerrechte, der Wissenschaftsfreiheit, der freien Kunstausübung und der öffentlichen Meinung." 46 Politische Kriterien dominierten in einem hohen Ausmaß die jeweiligen Rationalitätskriterien der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche. Lediglich der kirchliche Sektor konnte sich eine gewisse Autonomie bewahren. Die DDR war erne ökonomisch weithin nivellierte, gleichwohl keineswegs egalisierte Gesellschaft. Sie war gekennzeichnet durch die „Gegenläufigkeit von funktionaler Differenzierung und politisch induzierter Homogenisierung" 47. Die zunehmend ausgeprägtere Segmentierung einzelner Bereiche äußerte sich in spezifischen Verhaltensnormen und Mechanismen sozialer Selbstrekrutierung. 48 Trotz Einkommensangleichung und umfassender sozialer Sicherheit bestanden zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen soziale Unterschiede, auf deren fortwährende Existenz gerade die aus ideologischen Gründen immer wieder konstatierte , Annäherung der Klassen und Schichten" zur „soziale(n) und moralisch-politische(n) Einheit der Gesellschaft" 49 verweist. Die „Entfaltung der

44

Geißler (1992b) S. 21. Daß hierbei in einigen Fällen den von DDR-Soziologen herangezogenen Analyserastem lediglich die Funktion zukommt, den „wahren" Sozialismus als ideologisches Glaubensbekenntnis vom Makel seines realen Scheitems reinzuwaschen, erscheint offensichtlich. So bilanziert Manfred Lötsch (1991), daß der „reale" Sozialismus aufgrund seiner „letztlich asiatischen Herkunft" (S. 131) zwangsläufig, gesetzmäßig und unvermeidlich als Diktatur sich herausbilden und scheitern mußte. Meier (1990) verwendet die Kategorien von Webers Herrschaftssoziologie allein zum Nachweis des feudalen, vorkapitalistischen Charakters der DDR-Gesellschaftsordnung, um dann den „heutigen Übergang zu einer modernen bürgerlichen Gesellschaft" ganz in der Tradition des Historischen Materialismus „als ein(en) wahrhaft historische(n) Fortschritt" (S. 14) interpretieren zu können. 46 Lepsius (1994) S. 19; vgl. auch Adler (1991) S. 159. 47 Pollack (1993a) S. 247-248. 48 Vgl. zu Erstarrungs- und Schließungstendenzen auch Adler (1991) S. 165-168. 49 Autorenkollektiv (1979) S. 30. 45

3.3. Gruppeninteressen und Institutionalisierungschancen

81

Arbeitsteilung zwischen den Klassen und Schichten"50 wurde zwar als Triebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts angesehen, konnte aber aufgrund des letztlich totalitären, politischen Herrschaftsanspruchs 51 keine erhöhte Arbeitsproduktivität freisetzen. Die DDR-Gesellschaft war hierarchisch strukturiert. Die mit Abstand bedeutendste vertikale Binnendifferenzierung erfolgte aufgrund der jeweiligen Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung. „Strukturmerkmale wie Einkommen, Leistung, Qualifikation, Konsumchancen, Status und Mobilität standen in keinem konsistenten korrelativen Verhältnis; vielmehr waren sie abhängig von politischen Positionen und Entscheidungen sowie von informellen Beziehungen."52 Insbesondere ein sozialer Aufstieg und - häufig damit verbunden· die Chancen einer höheren formalen Bildung waren auch an politische Leistungen gekoppelt.53

3.3. Gruppeninteressen und Institutionalisierungschancen

Der alleinige Nachweis eines hierarchischen Gesellschaftsaufbaus reicht als Erklärung für die Existenz voneinander sich abgrenzender Gruppierungen oder gar verfestigter Milieus mit spezifischen politischen Präferenzen jedoch nicht aus. Im allgemeinen führt erst eine Überformung entsprechender Soziallagen durch kulturelle Sinnbezüge zur Herausbildung von verhaltensrelevanten Gruppenidentitäten.54 Eine große Bedeutung kommt hierbei Institutionen zu. Sie repräsentieren als intermediäre Organisationen spezifische Gruppeninteressen und Rationalitätskriterien. Deren Organisations- und Durchsetzungschancen stellen den Lebensnerv einer lebendigen pluralistischen Gesellschaft dar. Gleichzeitig beeinflussen Institutionen durch Normsetzung und Deutungsangebote die Wahrnehmungsperspektiven und Willensbildungsprozesse ihrer Mitglieder, verpflich-

50

Autorenkollektiv (1979) S. 32. Vgl. zum totalitären Anspruch der Parteiherrschaft Meuschel (1993b) bes. S. 5-6; zur Praxis der Machtausübung s. Deutscher Bundestag (1994) S. 21-27. 52 Meuschel (1992) S. 227; vgl. auch Adler/Kretzschmar (1990) S. 988-989. 53 Eine Zulassung zum Hochschulstudium erfolgte im allgemeinen aufgrund mehrerer Kriterien. Hierzu zählten fachliche Leistungen und gesellschaftliche Aktivitäten des Bewerbers sowie der gesellschaftliche Bedarf an bestimmten Qualifikationen; vgl. hierzu Geißler (1992a) S. 229-230; zum Zusammenhang von Bildungspolitik, Kaderrekrutierung und Intelligenz s. Rudolph (1979), Zimmermann (1994). 54 Vgl. grundlegend Rohe ( 1991 ), ( 1992) S. 9-29, Lepsius ( 1966). 51

6 Eith

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

ten diese mehr oder minder auf systemkonforme Verhaltensweisen. Dieses Zusammenspiel von sozio-ökonomischer Lage, kulturell-normativer Selbstreflexion und Sinngebung sowie institutioneller Abstützung bildet den zentralen Kern historisch-soziologischer Erklärungen des Wählerverhaltens. Nachfolgend gilt es jedoch, die Besonderheiten des DDR-Systems zu berücksichtigen. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive ergibt sich ein ungleich differenzierteres und gebrocheneres Bild der Lebenswirklichkeit als aus einem politischen, herrschaftsorientierten Blickwinkel. 55 Zudem sind für den hier zu untersuchenden Kontext die DDRspezifischen Differenzierungs- und Handlungsmöglichkeiten von Bedeutung, auch wenn sie im Vergleich zu den deutlich vielseitigeren und extrovertierteren Formen der Interessenvertretung und Selbstinszenierung in westlichen Systemen von beschränktem Ausmaß sind. Die gesellschaftskonstituierende Bedeutung der Institutionenordnung im Fall der DDR hat in besonderer Weise M. Rainer Lepsius hervorgehoben. Als „Produkt internationaler Paktierungen und Interventionen" und weitgehend abgeschlossen von internationalen Austauschbeziehungen mit dem Westen konnte in der DDR „die Binnenordnung in einem höhere(n) Maße durch die eigenen Institutionen geregelt und gesteuert werden" 56. Hierbei verhinderte das Führungsmonopol der 'Partei der Arbeiterklasse' allerdings ein vitales System intermediärer Organisationen nach westlichem Muster. Die politischen Parteien und Massenorganisationen waren in der Nationalen Front zusammengefaßt und unterlagen der zentralen Weisungsfunktion der SED. Interessenvertretung war somit vor allem innerhalb des politisch vorgegebenen Rahmens möglich. Unterschiedliche Weltbilder und Wertbeziehungen konnten sich in diesen Organisationen nicht verbreiten, erne pluralistische Willensbildung fand nicht statt. Lediglich im kirchlichen Bereich bestanden Freiräume. So existierte beispielsweise in Leipzig ein staatlich unabhängiges Theologisches Seminar, getragen und finanziert von den evangelisch-lutherischen Landeskirchen. Auch den theologischen Fakultäten an den Universitäten gelang es, sich weitgehend der politischen Kontrolle durch SED oder FDJ zu entziehen. Weiterhin besaß die unabhängige kirchliche Jugendarbeit, insbesondere in Form der Jungen Gemeinden, auch über den konfessionellen Bereich hinaus an Attraktivität und Ansehen.57 Aber auch unterhalb der Ebene des allgemeinen Führungsanspruchs der SED lassen sich durchaus institutionalisierte Gruppeninteressen feststellen. Neben der 55

Vgl. auch Kleßmarm (1993) S. 29-30. Lepsius (1994) S. 17. 57 Vgl. Kleßmarm (1993), der zudem auf die milieustabilisierende Funktion von protestantischen Pfarrhäusern in vorwiegend ländlichen Gemeinden hinweist; s. zur Rolle der protestantischen Kirchen und ihren Möglichkeiten auch Neubert (1991), bes. S. 22-24, Pollack (1993b). 56

3.3. Gruppeninteressen und Institutionanlisierungschancen

83

SED existierten die vier Blockparteien CDU (Christlich-Demokratische Union Deutschlands), LDPD (Liberal-Demokratische Partei Deutschlands), DBD (Demokratische Bauernpartei Deutschlands) und NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands). Hinzu kam eine Reihe verschiedener Verbände. Auch wenn diese gesellschaftlichen und Massenorganisationen in erster Linie als Herrschaftsinstrumente der SED anzusehen sind, so kann dennoch der Aspekt der Interessenvertretung nicht vollständig vernachlässigt werden. Die SED repräsentierte nach ideologischem Selbstverständnis die Traditionen und Interessen der Arbeiterbewegung. 58 Den Blockparteien kam die Funktion zu, nichtproletarische Schichten und Bevölkerungsgruppen in den real existierenden DDR-Sozialismus politisch zu integrieren. Als ihre Zielgruppen galten insbesondere Christen, Genossenschaftsbauern, private Handwerker und Gewerbetreibende sowie Akademiker und Kulturschaffende bürgerlicher Herkunft. 59 Das bevorzugte Rekrutierungspotential der CDU waren die christlichen Bevölkerungsgruppen, denen in der atheistischen DDR allein aufgrund ihrer Kirchenzugehörigkeit von staatlicher Seite mit Mißtrauen begegnet wurde. Durch eine entsprechende Parteimitgliedschaft konnten Lehrer, leitende Angestellte, Selbständige oder auch Beschäftigte im sozialen und medizinischen Bereich ihre berufliche Position oder Karriere absichern. Da bis in die 80er Jahre noch etwa ein Drittel der Bevölkerung einer christlichen Konfession angehörte,60 behielt die CDU als einzige Blockpartei Ähnlichkeiten mit einer Volkspartei. Allerdings war die Interessenvertretung christlicher Werte und Lebensweisen keineswegs auf die CDU beschränkt. Als Blockpartei, die die politische Führungsrolle der SED nicht in Frage stellte, stand sie in einem gespannten Konkurrenzverhältnis zur Amtskirche, was sich erst in den 80er Jahren etwas normalisierte. Zur politischen Integration der Genossenschaftsbauern wurde 1948 die DBD gegründet. Ihr politischer Einfluß war allerdings eher gering. Anfang der 80er Jahre stieg das Interesse der SED für die ideologisch bedeutsame Klasse der Genossenschaftsbauern. Die Angleichung von ländlichen und städtischen Lebensbedingungen sollte beschleunigt, die Effektivität der Landwirtschaft gesteigert werden. 61 Die Mehrheit der organisierten Genossenschaftsbauern war in den 80er Jahren Mitglied in der Sozialistischen Einheitspartei, die zudem auch durch den von ihr seit 1982 reaktivierten und gelenkten Verband für gegenseitige

58

S. zum häufig konfliktreichen Verhältnis von Arbeiterinteressen und SEDHerrschaft Hübner (1993). 59 Vgl. Lapp (1980), (1988), bes. S. 71-78, Mleczkowski (1984); s. auch die entsprechenden Stichworte in: DDR-Handbuch (1985). 60 Vgl. zur Entwicklung der Kirchlichkeit in der DDR Pollack (1994). 61 Vgl. DDR-Handbuch (1985) Stichworte: Landwirtschaft, VdgB. 6*

84

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Bauernhilfe (VdgB) die Belange der Landwirtschaft direkt aufgriff. Die Bauernpartei wurde de facto zur „berufsständischen Vertretung" 62 ohne funktionale Bedeutung heruntergestuft. Handwerker und Gewerbetreibende organisierten sich in erster Linie in der LDPD sowie in der NDPD. Im Gegensatz zur Bauernpartei hatten beide Parteien ihre Schwerpunkte somit in den Städten.63 Gerade Selbständige, deren Reparaturund Dienstleistungen in der sozialistischen Mangelwirtschaft dringend benötigt und gut bezahlt wurden, sahen in der LDPD den Garanten ihrer beruflichen Existenz. Kleinbürgerliche und bürgerliche Mittelschichten sowie Teile der Intelligenz und der Kunstschaffenden verteilten sich auf die verschiedenen Blockparteien. Auch bei ihnen dienten entsprechende Mitgliedschaften vor allen Dingen der Absicherung ihrer beruflichen Ambitionen. Politisch gesehen kamen neben der SED der CDU und der LDPD die größte Bedeutung zu. 64 Beide Parteien existierten seit 1945, mußten sich Ende der 40er Jahre allerdings der Vormachtstellung der SED fügen. Dennoch repräsentierten sie auf der politischen Ebene bis in die Endphase quantitativ und qualitativ wichtige Zielgruppen, etwa die große Anzahl der Christen oder Selbständige und Berufstätige des Dienstleistungsbereichs, deren Arbeitsleistung gerade in ökonomischen Krisenzeiten für die SED-Politik unverzichtbar war. DBD und NDPD hingegen wurden beide 1948 als SED-konforme Organisationen zur Schwächung des bürgerlich-demokratischen Lagers gegründet. Ihre Positionen in den 80er Jahren waren nicht zuletzt durch den Verlust eigener Zielgruppen deutlich geschwächt. Unter weltanschaulichen Gesichtspunkten kam der CDU als „Bindeglied zwischen Christentum und Sozialismus"65 eine Ausnahmestellung zu. Vor allem mit den Themen „Frieden" und „protestantische Arbeitsethik" wurden immer wieder die Schnittstellen zwischen den beiden Weltanschauungen aufgezeigt. Die anderen drei Blockparteien konzentrierten sich hingegen auf rein materielle Vorteile ihrer Klientel. Neben den Blockparteien existierten unter dem Dach der Nationalen Front der DDR eine Vielzahl unterschiedlicher gesellschaftlicher und Massenorganisationen. Ihre Aufgaben und ihre Funktion im sozialistischen Herrschaftssystem

62

Mleczkowski (1984) S. 4; vgl. Lapp (1980) S. 112-115. Auch 1981 waren noch über 55 % der Mitglieder der LDPD im Dienstleistungsbereich beschäftigt; vgl. Mleczkowski (1984) S. 4-5. 64 Vgl. Lapp (1988) S. 133-139. 65 Lapp (1980) S. 109, vgl. auch Lapp (1988) S. 76-77. 63

3.4. Folgerungen in bezug auf das Wählerverhalten 1990

85

unterschieden sich nicht von denjenigen der Blockparteien. Sie konzentrierten sich jeweils auf spezifische gesellschaftliche Gruppen und dienten als Transmissionsriemen: Politische Einbindung und Kontrolle, Interessenvertretung, Nachwuchsrekrutierung und Bildungsarbeit griffen ineinander. 66 Je nach aktuellen politischen Überlegungen kam ihnen aufgrund des organisierten Sachverstands Beratungs- und Kritikkompetenz auf den jeweils von ihnen vertretenen Politikfeldern zu. Ihre politischen Artikulationsmöglichkeiten und ihre Repräsentanz waren institutionalisiert. Als wichtigste Organisationen konnten neben der SED und den Blockparteien der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) und der Kulturbund (KB) Abgeordnete in die Volkskammer entsenden. Die politischen Handlungsspielräume waren im Unterschied zur CDU und bereits mit Abstrichen auch zur LDPD allerdings gering. In der Regel bestanden gleichzeitige Mitgliedschaften in der SED und einer oder mehreren Massenorganisationen. Die Vormachtstellung der SED war vollkommen. Zusammengefaßt verdeutlicht auch die Ausgestaltung des Institutionengefüges der DDR, daß sich unbesehen der politischen Gleichschaltung die gesellschaftliche Realität aus den unterschiedlichsten sozialen Lagen und Lebensweisen zusammensetzte. Solange jedoch das absolute Machtmonopol der SED bestand, konnten sich politisch verhaltensrelevante, auch institutionell abgesicherte Gruppenidentitäten ansatzweise lediglich im kirchlichen Bereich herausbilden.

3.4. Folgerungen in bezug auf das Wählerverhalten 1990

Nach der Maueröflnung und dem Zusammenbruch des politischen Systems kam der ersten freien Volkskammerwahl von 1990 eine richtungsweisende Funktion zu. Die Alternativen waren bekannt. Das Spektrum reichte vom sofortigen Beitritt zur Bundesrepublik bis zur Revitalisierung der alten DDR, parteipolitisch von der Allianz für Deutschland über die Liberalen, SPD, Bürgerbewegung bis zur PDS.67 Die Befürworter einer eigenständigen DDR favorisierten

66

Vgl. die knappe Zusammenfassung unter dem Stichwort Massenorganisationen in: DDR-Handbuch (1985); zu den Funktionen der FDJ s. Walter (1996). 67 Einen komprimierten Überblick über die Herausbildung des gesamtdeutschen Parteiensystems liefert Lapp (1993). Die Blockparteien der DDR orientierten sich wie folgt: CDU und Teile der DBD vereinigten sich mit der West-CDU, LDPD und Teile der NDPD

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

sozialistische Konzepte, die meisten Gegner weiterer sozialistischer Experimente sahen in einer dauerhaften Zweistaatlichkeit keine erstrebenswerte Perspektive.68 In gewisser Weise war die bisherige Ausübung und Struktur der SED-Herrschaft zum zentralen politischen Thema der Volkskammerwahl geworden. Die von den verschiedenen Parteien angebotenen Alternativen bewegten sich auf genau der Linie, die auch als grundlegendes Kriterium der vertikalen Differenzierung der DDR-Gesellschaft angesehen werden kann. Wenn also sozialstrukturelle Einflüsse entsprechend der hier grundlegenden Arbeitshypothese fur die Wahlentscheidung bedeutsam waren, so sollte sich dies in einer (negativen) Korrelation der Bereitschaft zum Systemwandel (Haltung zum zentralen Thema der Wahl) mit der bisherigen Nähe zur politischen Herrschaftsausübung (Positionierung in der Gesellschaftshierarchie) ausdrücken. Als Randbedingungen eines entsprechenden Zusammenhangs können zum einen die Ausprägung gruppenspezifischer Wertund Verhaltensmuster sowie Institutionalisierungschancen, zum anderen ideologische und vor allem auch ökonomische Frustrationen angesehen werden. Aus den gesamten voranstehenden Ausführungen lassen sich somit drei grundsätzliche, aufeinander aufbauende und prinzipiell empirisch überprüfbare Annahmen zum Wählerverhalten bei der Volkskammerwahl 1990 ableiten: (1) Das Kriterium Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung eignet sich im Aggregat zur Erklärung der Ergebnisse der Wahlen vom März 1990, d.h. zur Positionierung entsprechender Gruppen im politischen Spektrum zwischen CDU und PDS. Gruppen, die in der sozialen Hierarchie der DDRGesellschaft aufgrund einer gewissen Distanz zur politischen Herrschaftsausübung eine eher untere Position einnehmen, tendieren in Richtung Allianz; ranghöhere, also herrschaftsnähere Bevölkerungsgruppen hingegen präferieren überdurchschnittlich Parteien mit sozialistischen Konzepten bis hin zur PDS. (2) Entsprechende Zuordnungen sind um so ausgeprägter, je klarer sich Milieustrukturen und institutionalisierte Organisationsformen herausgebildet haben. Demzufolge finden sich an den Polen des Spektrums auf der einen Seite konfessionell gebundene Bevölkerungsgruppen, auf der anderen Seite ein Großteil der in der SED aktiv organisierten Sozialisten. Beide Gruppen ver-

schlossen sich der West-FDP an; vgl. hierzu auch Eith (1996). Zur Entwicklung der Parteien in Sachsen-Anhalt s. Holtmann/Boll (1995) S. 41-76, Linnemann (1994). 68 Den Zusammenhang von Selbstbildnis und politischer Position in der Wende diskutiert Körte (1994) S. 82-88; Opp et al. (1993) S. 95-107 verdeutlichen anhand der Losungen der Leipziger Demonstrationen, daß diese Ausdifferenzierung politischer Positionen in zeitlichen Etappen zwischen Oktober 1989 und Januar 1990 erfolgte; auf die in den Programmen aller neuen Oppositionsgruppen im Dezember 1989 noch enthaltenen sozialistischen Entwicklungsperspektiven verweist Knabe (1990).

3.4. Folgerungen in bezug auf das Wählerverhalten 1990

87

fügen über eine eigene Weltanschauung und Organisationsstruktur. Ihre gegensätzliche Stellung zur politischen Herrschafisausübung in der DDR bestimmt die Wahlentscheidung. (3) Zu einer weiteren Differenzierung führt die Berücksichtigung ideologischer und ökonomischer Frustrationen. Bei herrschaftsnahen Gruppen bewirken entsprechende Desillusionierungen im allgemeinen eine Bevorzugung alternativer sozialistischer Konzepte, wie sie etwa auch durch Teile der Bürgerbewegung repräsentiert wurden. Im unteren Bereich der Gesellschaftspyramide - also in relativer Distanz zur Herrschaftsausübung - bestimmen die Widersprüche zwischen der offiziell verbreiteten Ideologie und der individuell erfahrbaren Realität das Ausmaß der Unterstützung für systemverändernde Positionen. Eine entscheidende Rolle kann hierbei beispielsweise der vorherrschenden Wirtschaftsstruktur zukommen. Ökonomische und ökologische Probleme und Widersprüche traten in Industriegebieten der DDR weitaus offener und früher zutage als in landwirtschaftlich geprägten Regionen, zumal letztere im vergangenen Jahrzehnt zudem einer direkten ideologischen Betreuung durch SED und VdgB ausgesetzt waren. 69 Eine erste Betrachtung der Wahlergebnisse der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 stützt die vorgetragenen Annahmen.70 Die in unterschiedlichen Analysen ermittelten Zusammenhänge zwischen der Stimmabgabe und den Variablen Konfession, formale Bildung, Urbanität oder dominanter Wirtschaftssektor spiegeln das abgeleitete Strukturmuster wider: Die Herrschaftsnähe im alten System erweist sich in der ausgeführten Spezifizierung als brauchbarer Prädiktor der Wahlentscheidung von 1990. In der Terminologie von Lipset/Rokkan läßt sich die der Volkskammerwahl letztlich zugrunde liegende Auseinandersetzung am ehesten als ZentrumPeripherie-Konflikt interpretieren: Zur Diskussion stand die Rolle der Zentralgewalt, allerdings im Prozeß des Zerfalls und nicht der Nationengründung. Darüber hinaus handelte es sich bei der DDR nicht um ein pluralistisches, mehrdimensional strukturiertes System. Vielmehr dominierten politische Kriterien nahezu alle

69

Zu untersuchen wäre weiterhin, ob die Komplexität von Arbeitsabläufen in einem kausalen Zusammenhang mit der Akzeptanz monokausaler Erklärungen und deterministischer Weltdeutungen steht. Im Rahmen dieser Arbeit besteht hierzu jedoch keine Möglichkeit. 70 Vgl. die Zusammenstellung der empirischen Befunde in Kap. 2.4.1 sowie die dort aufgeführten Nachweise, komprimiert in Forschungsgruppe Wahlen (1990a), Feist/Hoffmann (1990).

3. Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

gesellschaftlichen Teilbereiche. Es sind daher verschiedene Ebenen des ZentrumPeripherie-Konflikts analytisch zu unterscheiden.71 Zunächst hat dieser Konflikt eine territoriale Dimension. Spitzenwerte erzielen alle linken Parteien und insbesondere die PDS in der Herrschaftsmetropole (Ost-)Berlin sowie in den angrenzenden, nördlichen Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Hochburgen von Allianz bzw. CDU hingegen liegen in den peripheren Ländern Thüringen und Sachsen. Eine parteipolitische sowie territoriale Mittelstellung nimmt Sachsen-Anhalt ein. Ein ähnliches Muster ergibt die kleinräumigere Betrachtung. PDS und Bürgerbewegung erzielen überdurchschnittliche Erfolge in den größeren Städten, insbesondere in den für die regionale Machtausübung zentralen Bezirkshauptstädten. Mit abnehmender Ortsgröße steigt dagegen der Stimmenanteil bürgerlich-konservativer Parteien. Des weiteren geht es grundsätzlicher um die Frage des von politischen Kategorien bestimmten Zentralismus als Organisationsprinzip gesellschaftlicher Teilbereiche. Deutlich wird diese Konfliktdimension mit Hilfe der arbeitsweltlichen Variablen: Mit zunehmend herausgehobener, leitender Stellung steigt im Aggregat die Wahrscheinlichkeit einer PDS-Wahl; Untergebene - und insbesondere Arbeiter - stimmen dagegen überdurchschnittlich für die Allianz. Eine entsprechende Polarisierung findet sich bei den Qualifikations- und Bildungsgruppen. Höhere formale Bildung kann im Aggregat als Indikator für die Ausübung einer leitenden Funktion angesehen werden und korreliert stark positiv mit dem PDS-Anteil. In welchem Ausmaß diese Präferenzen für sozialistische Gesellschaflsmodelle nun auf Überzeugungen, einer höherer Bewußtseinsstufe, längeren Indoktrinationszeiten oder auch auf Anpassungsstrategien beruhen, erscheint hierbei unerheblich. Dagegen stimmen Gruppen am unteren Ende der Machthierarchie mit niedriger formaler Bildung überdurchschnittlich für die Allianz. Eine dritte Dimension des Zentrum-Peripherie-Konflikts betrifft schließlich die zentrale weltanschauliche Deutungsmacht in der sozialistischen DDR. Konkurrierende Weltanschauungen sind in ideologisch begründeten diktatorischen Systemen schon aufgrund der Eigenlegitimierung offiziell verboten und werden bestenfalls stillschweigend geduldet.72 Die hohen Wahlerfolge der Allianz bei

71

Die hier entwickelte Interpretation erweitert die übliche, auch von Schultze (1991a) S. 36 verwandte territoriale Sichtweise um weitere Dimensionen. 72 Für entsprechende Systeme läßt sich daher mit Bezug auf Lipset/Rokkan streng genommen kein Kirche-Staat-Konflikt konstatieren. Ein solcher Konflikt scheitert bereits an der ersten Schwelle der Legitimation. Das Thema ist in dieser Form offiziell nicht diskutierbar, alternative Weltanschauungen sind ein Zeichen für einen unterentwickelten Bewußtseinsstand. Nicht umsonst wurde von kirchlicher Seite immer wieder auf die Gemeinsamkeiten und die Kompatibilität von Christentum und Sozialismus hingewiesen.

3.4. Folgerungen in bezug auf das Wählerverhalten 1990

89

konfessionell gebundenen Bevölkerungsgruppen wie auch in industriell geprägten Gebieten im März 1990 signalisieren, daß den offiziellen, und somit sozialistischen Situationsdeutungen als Maßstab der individuellen bzw. gruppenspezifischen Wahrnehmung keine große Bedeutung (mehr) zukommt. Als Zwischenfazit der bisherigen Ausführungen bleiben somit folgende Punkte festzuhalten: (1) Die Arbeitshypothese, wonach die Wahlergebnisse von 1990 eine sozialstrukturelle Fundierung aufweisen, kann aus dieser Perspektive keineswegs zurückgewiesen werden. Ganz im Gegenteil ergab die bislang durchgeführte Untersuchung vielfältige Hinweise auf die wahlverhaltensrelevante Bedeutung DDR-spezifischer sozialstruktureller Gegensätze. (2) Weiterhin liefern die bisherigen Befunde detaillierte Ansatzpunkte für die nachfolgende empirische Analyse des Wählerverhaltens von 1990 in SachsenAnhalt. Im Zentrum des Interesses steht der sozialstrukturelle Einfluß auf die Wahlentscheidung. Die ökonomischen und ideologischen Frustrationen über das DDR-System lassen sich nicht explizit in ein Erklärungsmodell aufnehmen, da hierzu aufgrund der Datenlage entsprechende Indikatoren fehlen. Die zum Einsatz kommenden sozialstrukturellen Variablen gelten wie üblich als Indikatoren entsprechender Gruppenmitgliedschaften oder Kontextwirkungen. Die Zusammenhänge zwischen diesen Variablen und den Parteiergebnissen sollten sich in Sachsen-Anhalt aller Erwartung nach nicht völlig vom vertrauten westdeutschen Muster unterscheiden. Immerhin durchliefen Ost- und Westdeutschland bis 1944/1945 eine gemeinsame geschichtliche Entwicklung und auch in den darauffolgenden Jahrzehnten ist ein bestimmter Informationsfluß zumindest von West nach Ost über die Medien, und insbesondere über das Fernsehen, aufrechterhalten worden. Allerdings spiegeln die verwandten Variablen als Operationalisierungen der DDR-spezifischen Bedingungen auch deren sozialstrukturelle Differenzierungskriterien wider. Zu erwarten ist daher, daß sich diese Besonderheiten auch im Wählerverhalten niederschlagen. Überspitzt formuliert symbolisieren konfessionelle Ungebundenheit, hohe formale Qualifikation sowie urbane Verwaltungszentren eine gewisse Herrschaftsnähe und begünstigen somit im Aggregat systemnähere Parteien; ein christliches Weltbild, niedrige formale Qualifikation sowie ein industrieller Kontext hingegen führen zu überdurchschnittlichen Stimmenanteilen systemfernerer Parteien. Die nachfolgende Analyse der Wahlentscheidungen von 1990 wird ergeben, inwieweit diese Annahmen zum Zusammenhang von Wählerverhalten und Sozialstruktur in Sachsen-Anhalt einer empirischen Überprüfung standhalten.

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Die öffentliche und politische Wahrnehmung von Wahlergebnissen konzentriert sich häufig auf die direkten Konsequenzen des Abstimmungsverfahrens. Veränderungen in den Stimmenanteilen erzielen in genau dem Grad eine erhöhte Aufmerksamkeit, in dem sie die Mehrheitsfähigkeit und somit die Chance legitimer politischer Machtausübung einzelner Parteien oder auch Koalitionen beeinflussen. Für Sachsen-Anhalt lassen sich die Ergebnisse überregionaler Wahlen seit der Volkskammerwahl 1990 aus Tabelle 4.1 ablesen. Tabelle 4.1: Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt seit 1990 mit Vergleichsangaben

(Zweitstimmen in %)

VKW90 DDR LTW90 BTW90 0st90 EUW94 LTW94 BTW94 Ost94

WBT

CDU

SPD

FDP

PDS

BÜ/GR

93.4 93.4 65.1 72.2 74.5 66.1 54.8 70.4 72.6

45.1 41.7 39.0 38.6 41.8 30.1 34.4 38.8 38.5

23.7 21.9 26.0 24.7 24.3 27.9 34.0 33.4 31.5

8.2 5.7 13.5 19.7 12.9 4.7 3.6 4.1 3.5

14.0 16.4 12.0 9.4 11.1 18.9 19.9 18.0 19.8

4.0 4.9 5.3 5.3 6.1 5.7 5.1 3.6 4.3

REP

-

0.6 1.0 1.3 2.8 1.4 1.0 1.3

Sonst. 5.0 9.4 3.6 1.3 2.5 9.9 1.6 1.1 1.1

Quellen: Gemeinsames Statistisches Amt in Berlin (1990) S. 12; Statistisches Bundesamt (1994) S. 232; Wahlkommission der DDR (1990) Punkt 1.1.1.; Statistisches Landesamt SachsenAnhalt (1994) S. 10. DDR: Volkskammerwahl 1990 in der gesamten DDR; Ost: Bundestagswahlen 1990/94 in den Wahlkreisen 262-328 und Ost-Berlin; CDU: CDU + DA (Volkskammerwahl); FDP: Liberale + NDPD (Volkskammerwahl); BÜ/GR: Bündnis 90 + Grüne-UFV (Volkskammerwahl); Grüne Liste/Neues Forum (Landtagswahl 1990).

Die empirische Wahlforschung interessiert sich darüber hinaus für die Bestimmungsgründe des Wählerverhaltens, sofern diese einer formalisierten Untersuchung zugänglich sind. Entsprechend abgesicherte Erkenntnisse lassen sich

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

91

sowohl zur Einschätzung künftiger Entwicklungsperspektiven als auch zur praxisnahen Politikberatung und Wahlkampfkonzipierung verwenden. Dieses Kapitel untersucht das Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt seit 1990. Mit Bezug auf die grundlegende Arbeitshypothese dieser Studie steht hierbei die Frage nach der Existenz und Wirkung längerfristiger Einflußfaktoren im Mittelpunkt: Haben die im vorangehenden Kapitel aufgezeigten sozialstrukturellen Gegensätze der sozialistischen DDR-Gesellschaft ihren Niederschlag in den Wahlergebnissen von 1990 und weiterhin auch 1994 gefunden? Die Analyse des Wählerverhaltens erfolgt mittels unterschiedlicher Datentypen.1 Zur Verfügung stehen Aggregatdatensätze auf Kreis- und Wahlkreisebene, repräsentative Umfragen der „Projektgruppe Meinungsforschung" der TU Magdeburg bzw. des Instituts für Sozialwissenschaftliche Informationen und Studien (ISIS) von 1990 und 1992 mit vergleichbaren Fragebatterien sowie die Vorwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen zur Landtagswahl 1994. Die unterschiedlichen Datentypen mit ihren spezifischen Besonderheiten und Erklärungsreichweiten ermöglichen verschiedene Untersuchungsstrategien, auch wenn die Datensätze im Rahmen dieser Studie nicht direkt miteinander verknüpft werden können. Die zunächst erfolgende Aggregatdatenanalyse konzentriert sich auf politische und sozialstrukturelle Kontexte der Wahlentscheidung. Im Zentrum des Interesses stehen wahlrelevante Einflüsse der jeweiligen Umgebung. Die sich anschließende Analyse der verfügbaren Umfragedaten richtet ihr Augenmerk auf Verhaltensabsichten, Einstellungen und sozialstrukturelle Merkmale der einzelnen Wähler.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung des Wählerverhaltens: Eine Aggregatdatenanalyse

Aggregatdatenanalysen sind in besonderer Weise zur Aufdeckung möglicher politischer und sozialstruktureller Kontexte der Wahlentscheidung geeignet. Sämtliche Befunde beziehen sich auf Gebietseinheiten und verknüpfen das dort vorfindbare Wahlergebnis mit den sozialen und ökonomischen Charakteristika dieser Gebietseinheiten (Aggregate). Aussagen über das Verhalten einzelner

1

Vgl. zur Datenbasis auch Kap. 1.3.

92

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Individuen sind hieraus nicht ableitbar, sondern stellen vielmehr einen ökologischen Fehlschluß dar. Im Zentrum der vorliegenden Analyse steht das Wählerverhalten in SachsenAnhalt bei der ersten freien Volkskammerwahl der DDR im März, der Landtagswahl im Oktober und der ersten gemeinsamen Bundestagswahl im Dezember 1990. Soweit datentechnisch möglich, werden die Ergebnisse der Landtagswahl von 1994 in die Untersuchung einbezogen. Kommunalwahlen hingegen bleiben aufgrund ihres speziellen, regional ausgerichteten Charakters außen vor. Selbstverständlich gilt es bei der Interpretation der Befunde zu berücksichtigen, daß auch Bundes- und Landtagswahlen jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten aufweisen können. Aus diesem Grunde wird in erster Linie die Volkskammerwahl 1990 mit der Bundestagswahl 1990 verglichen. Beide Wahlen stellen jeweils nationale Abstimmungen dar. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der Landtagswahl 1994 an denjenigen von 1990 gemessen.2 Für den ersten Vergleich lassen sich auf der Basis der 37 Landkreise und 3 kreisfreien Städte des Landes Sachsen-Anhalt - Gebietsstand vor der Kreisreform vom 30. Juni 1994 - die Stimmenanteile der Wahlen von 1990 und eine ganze Reihe sozial- und wirtschaflsstatistischer Daten aus der amtlichen Statistik miteinander in Beziehung setzen. Die Untersuchung möglicher Veränderungen der politischen Kontexte zwischen 1990 und 1994 erfolgt auf der Basis der 49 Landtagswahlkreise von 1994. Leider stehen auf dieser Aggregationsebene bislang nahezu keine entsprechenden sozialstrukturellen oder wirtschaftsstatistischen Variablen zur Verfügung. Im folgenden Abschnitt werden mit Hilfe der Wahlergebnisse die politischen Strukturen in Sachsen-Anhalt analysiert. Daran anschließend gilt es zu ermitteln, ob und in welchem Ausmaß diese politischen Muster auf sozialstrukturelle Besonderheiten zurückgeführt werden können.

2

Entsprechend der Vorgehensweise des Gemeinsamen Statistischen Amts in Berlin (1990) S. 7 wurden aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit der verschiedenen Wahlen bei der Volkskammer- und Landtagswahl 1990 nachfolgende Zuordnungen der kandidierenden Listen vorgenommen. Volkskammerwahl: CDU: = CDU + DA, FDP: = Liberale + NDPD, BÜ/GR: = Bündnis 90 + Grüne-UFV; Landtagswahl: BÜ/GR: = Grüne Liste/Neues Forum.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

93

4.1.1. Der politische Raum

Einen ersten Hinweis auf systematische Zusammenhänge der Wahlentscheidung liefern die in Tabelle 4.2 für die Volkskammerwahl 1990 zusammengestellten Mittelwerte der Parteiergebnisse in den Hoch- und Tiefburgen der Parteien.3 Zum einen erzielen alle Parteien in ihren jeweiligen Hoch- und Tiefburgen deutlich unterschiedliche Stimmenanteile. Dies setzt eine gewisse Variationsbreite und keineswegs eine allzu ausgeglichene Verteilung der Ergebnisse in Sachsen-Anhalt voraus.4 Zum anderen lassen sich spezifische Zusammenhänge zwischen den Parteiergebnissen bei der Volkskammerwahl 1990 ausmachen. Die CDU verbucht ihre Spitzenwerte in den Tiefburgen von PDS und Bündnis 90/Grüne. Genau spiegelbildlich hierzu liegen die schlechtesten Unionswerte sowie die besten Ergebnisse von PDS und Grünen. Die SPD kann auf hohe Stimmenanteile in den Tiefburgen der FDP verweisen. Leicht überdurchschnittlich schneidet sie ebenfalls in den Unions-Tiefburgen und den Hochburgen von PDS und Grünen ab. Günstige Kontexte für die FDP sind Gebiete mit einer schwachen SPD, einer unterdurchschnittlich erfolgreichen CDU sowie mit überdurchschnittlichen Ergebnissen der Grünen. Die Stimmenanteile von PDS und Bündnis 90/Grüne wiederum weisen gleichgerichtete Strukturen auf und stehen in erster Linie im Gegensatz zu den Ergebnissen der Union. Mit einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung einher gehen schließlich hohe CDUsowie niedrige PDS- und Grünen-Stimmenanteile. Dieses Grundmuster behält auch bei den folgenden Wahlen seine Gültigkeit.5 So verschieben sich bei der Bundestagswahl 1990 und der Landtagswahl 1994 im wesentlichen lediglich die Niveaus der Stimmenanteile der einzelnen Parteien, ohne daß sich hierbei für die strukturellen Zusammenhänge zwischen den Parteien große Änderungen ergeben: Die CDU-Ergebnisse korrelieren stark negativ mit den PDS- und Grünen-Stimmenanteilen, in einem entsprechenden Verhältnis

3

Die Bildung von Hoch- und Tiefburgen erfolgt durch eine Einteilung in Terzile: Als Hochburgen zählen diejenigen Kreise, die zu dem Drittel mit den höchsten Stimmenanteilen bei der Volkskammerwahl gehören, als Tiefburgen entsprechend diejenigen Kreise, die das Drittel mit den niedrigsten Stimmenanteilen bilden. 4 Im Anhang (A.1) finden sich die Standardabweichungen und Variationskoeffizienten der Verteilungen. Ausgeprägtere regionale Schwerpunkte können demnach besonders die kleineren Parteien vorweisen, wohingegen sich bei der SPD über die Wahlen hinweg die geringste Streuung der Stimmenanteile zeigt. 5 Vgl. hierzu jeweils im Anhang die Mittelwerte und Differenzen der Bundestagswahlergebnisse 1990 in den politischen Kontexten der Volkskammerwahl 1990 (A.2), die Mittelwerte und Differenzen der Landtagswahlergebnisse 1994 in den politischen Kontexten der Landtagswahl 1990 (A.3) sowie die entsprechenden Korrelationsmatrizen (A.4).

94

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

zueinander stehen SPD und FDP. Querverbindungen existieren nur von untergeordneter Bedeutung. Tabelle 4.2: Ergebnisse der Volkskammerwahl 1990 in Sachsen-Anhalt in politischen Kontexten

(Terzile, Mittelwerte der Stimmenanteile in %) politische Kontexte

WBT

CDU

insgesamt

93.4

45.0

23.7

8.1

14.1

4.0

91.4 93.8 95.0 91.8 94.1 94.3 94.1 92.9 93.3 93.2 94.2 92.9 94.3 93.7 92.3 94.4 94.0 91.8

39.0 47.6 48.4

25.7 23.0 22.4

37.0 46.3 51.7

25.5 24.6 21.0 19.2 23.3 28.3 28.1 21.7 21.5 22.3 22.5 26.2 22.1 23.5 25.5

9.0 7.5 7.7 9.8 7.4 7.1

16.5 12.9 12.8 17.1 13.1 12.1

5.2 3.5 3.2 5.4 3.4 3.1

9.8 9.9 4.6 4.5 7.2 12.4

12.6 14.9 14.6 14.7 12.7 14.7 11.5 13.3 17.2 13.1 12.6 16.6

3.3 4.5 4.1 4.1 3.3 4.6 3.4 3.5 5.1 2.9 3.6 5.5

WBT

CDU

SPD

FDP

PDS

BÜ/GR

niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch niedrig mittel hoch

49.5 42.4 43.7 44.0 49.8 41.4 50.2 46.7 38.6 49.8 47.2 38.0

Volkskammerwahl 1990 SPD FDP PDS

7.5 8.9 7.9 7.0 7.7 9.6

BÜ/GR

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

Abbildung 4.1 verdeutlicht am Beispiel von CDU, SPD, FDP und PDS, daß in den verschiedenen politischen Kontexten die Abweichungen von der mittleren Differenz zwischen der Volkskammerwahl 1990 und der Bundestagswahl 1990 von nur geringfügiger Höhe sind. Besonders bei der PDS zeigt sich eine fast schon lineare Niveauverschiebung über alle Kontexte hinweg, aber auch bei FDP und CDU finden sich trotz deutlicher Differenzen zur Vorwahl - die FDP gewinnt insgesamt 11.7, die CDU verliert 6.6 Prozentpunkte - in den verschiedenen Parteihochburgen nur geringe Abweichungen vom Landestrend. Entsprechendes gilt für die Grünen.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

95

Differenz VKW 1990 - BTW 1990

10,0

Abweichung in %-Punkten

• CDU-Hochburgen ^SPD-Hochburgen I I FDP-Hochburgen • PDS-Hochburgen

5,0

ES B90-Hochburgen

0,0

-5,0

-10,0 Abs. Differenz:

CDU -6,6

SPD

+ 1,0

FDP

PDS

+ 11,7

- 4,6

Differenz LTW 1990 - LTW 1994

-10,0 Abs. Differenz: Abbildung 4.1 : Differenzen der Parteiergebnisse in Sachsen-Anhalt in politischen Kontexten

96

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

In leicht höherem Ausmaß streuen die Abweichungen von der absoluten Differenz zwischen den Landtagswahlen 1990 und 1994. Auffallig sind jedoch auch in diesem Fall eher die geringen Abweichungen von den teilweise hohen, landesweiten Differenzen. Würden mit den verschiedenen Wahlergebnissen gravierende strukturelle Verschiebungen einhergehen, müßten diese eine größere Varianz der entsprechenden Differenzen von einer Wahl zur anderen bewirken. Die Befunde zur Struktur der Parteiergebnisse erhärten sich durch den Einsatz komplexerer Analysemethoden. Hierbei lassen sich zwei Blickwinkel unterscheiden: Parteiergebnisse können in bezug auf ihre jeweilige Streuung bei unterschiedlichen Wahlen verglichen werden, es lassen sich aber auch die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Parteien im Zeitverlauf untersuchen. Zunächst steht zur Diskussion, in welchem Ausmaß parteispezifische Verteilungen - also die Ausprägung von Hoch- und Tiefburgen - im Untersuchungszeitraum einer Veränderung unterworfen waren. Anschließend erfolgt unter der Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen den Parteien eine Konstruktion des politischen Raums in Sachsen-Anhalt mit Hilfe einer Hauptkomponentenanalyse. Als Maß der regionalen Stabilität parteispezifischer Verteilungen läßt sich der Determinationskoeffizient der bivariaten Regression der Parteiergebnisse heranziehen. Er bezieht sich auf die Stimmenanteile derselben Partei bei zwei unterschiedlichen Wahlen.6 Dieser Koeffizient bewegt sich zwischen 0 und 1, wobei ein Wert von beispielsweise .85 hohe strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Ergebnissen der beiden untersuchten Wahlen signalisiert: Die nachfolgende Wahl erklärt sich dann zu 85 % aus der vorangehenden Wahl. In Tabelle 4.3 sind die entsprechenden Koeffizienten zusammengestellt. Die Geradensteigungen der einzelnen Regressionsgleichungen finden sich im Anhang (A.5). Sie geben Auskunft über die jeweilige parteispezifische Richtung der Entwicklung. Bei einer Steigung kleiner 1 erfolgt tendenziell ein Ausgleich zwischen Hoch- und Tiefburgen, auf eine stärkere Ausdifferenzierung der Ergebnisse deutet eine Steigung größer 1 hin.7 Die nachfolgende Interpretation stützt sich aus Gründen der Vergleichbarkeit einmal mehr auf die Entwicklung zwischen der Volkskammerwahl und der Bundestagswahl 1990 einerseits sowie zwischen den Landtagswahlen 1990 und

6 Vgl. Hoschka/Schunck (1977) S. 281-288, Mielke (1987) S. 143-148, Oberndörfer/Mielke (1990) S. 25-26. Der für jede Partei einzeln zu ermittelnde Determinationskoeffizient R 2 läßt sich hierbei als Anteil erklärter Varianz der Verteilung des Stimmenanteils der zu erklärenden Wahl (abhängige Variable) durch die Verteilung des Stimmenanteils einerfrüheren Wahl (unabhängige Variable) interpretieren. 7 S. zum Vergleich auch die Standardabweichungen und Variationskoeffizienten der einzelnen Parteiergebnisse im Anhang (A.l).

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

97

1994 andererseits. Dennoch erscheint trotz unterschiedlicher Datensätze auch der Vergleich der beiden Entwicklungszeiträume (März 1990 - Dezember 1990, Oktober 1990 - Juni 1994) möglich. Die zur Kontrolle in beiden Datensätzen errechneten Zusammenhänge zwischen der Landtags- und der Bundestagswahl 1990 sind für alle Parteien nahezu identisch (Determinationskoeffizienten CDU: •93/.94, SPD: .89/.88, FDP: .92A93, PDS: .96Λ96, BÜ/GR: .87/.90). Tabelle 4.3: Anteil erklärter Varianz durch die entsprechenden Ergebnisse einer vorangehenden Wahl in Sachsen-Anhalt

(Determinationskoeffizienten R 2 χ 100)

CDU L90 B90 Kreisebene: VKW 1990 82 LTW 1990 Landtagswahlkreisebene: LTW 1990 BTW 1990 L90

L94

81 93 94 PDS B90

Kreisebene: VKW 1990 96 93 LTW 1990 96 Landtagswahlkreisebene: LTW 1990 96 BTW 1990

L90 70

L90 85

88 88

L94

BÜ/GR B90

70

41 46 L94

L90

41 34

Wahlbet. B90 L94

36

64 73

L94

68 92 93

78 87 90

FDP B90

L90

63 89 88

49 45 L94

SPD B90

61 53 69

20 26

Signifikanzniveau = .001; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40); Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49). L90: Landtagswahl 1990; B90: Bundestagswahl 1990; L94: Landtagswahl 1994.

Eine hohe regionale Stabilität der Ergebnisse im Jahresverlauf 1990 zwischen der Volkskammer- und der Bundestagswahl ergibt sich in besonderem Maße bei der PDS. 93 % der strukturellen Verteilung ihres Bundestagswahlergebnisses erklärt sich aus dem Ergebnis der Volkskammerwahl. Hohe Werte finden sich aber auch bei der CDU (81 %) und bei Bündnis 90/Grüne (78%). Liberale (68 %) und Sozialdemokraten (63 %) hingegen weisen eine größere Fluktuation der Ergebnisse auf. Bei der SPD bewirken die Veränderungen eher einen Aus-

7 Eith

98

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

gleich zwischen Hoch- und Tiefburgen, die Entwicklung der FDP-Ergebnisse ist im Gegensatz hierzu durch eine zunehmende Polarisierung gekennzeichnet. Verschiebungen der regionalen Verankerung zwischen den Landtagswahlen 1990 und 1994 lassen sich hingegen bei nahezu allen Parteien feststellen. Die Determinationskoeffizienten und die entsprechenden Steigungen der Regressionsgeraden liegen im Vergleich von 1990 und 1994 allgemein deutlich unter 1. Lediglich die PDS-Stimmenanteile zeigen eine bemerkenswerte regionale Stabilität, die Ergebnisse der Landtagswahl 1994 erklären sich in der respektablen Größenordnung von 88 % aus dem Ergebnis von 1990. In abnehmender Reihenfolge schließen sich Bündnis 90/Grüne (64 %), CDU (49 %), SPD (41 %) und FDP (41 %) an. Somit hat sich die für 1990 relativ stabile Struktur der regionalen Verteilung der Wahlergebnisse im Zeitverlauf bis 1994 in moderatem Ausmaß verändert. Hierbei gilt: Je ausgepägter und stabiler das jeweilige Verteilungsmuster bereits 1990 war, desto geringer sind die Veränderungen zwischen 1990 und 1994. Abschließend werden die Entwicklung der einzelnen Parteien und die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Parteien aufeinander bezogen. Die Hauptkomponentenanalyse berücksichtigt gleichzeitig diese vielfaltigen Zusammenhänge, indem jeweils miteinander hoch korrelierte Variablen durch Linearkombinationen zu wenigen Komponenten, den sog. Faktoren, gebündelt werden. Durch diese Zuordnung der verschiedenen Variablen zu einigen wenigen, grundlegenden Dimensionen ermöglicht das Verfahren eine Reduktion und somit leichtere Interpretierbarkeit der Daten. Die Struktur des Parteiensystems in Sachsen-Anhalt läßt sich auf zwei grundlegende, statistisch unabhängige Faktoren reduzieren und somit als zweidimensionaler Raum darstellen. Daß hierbei inhaltlich zusammengehörige Variablen aufgrund statistischer Kriterien auf demselben Faktor laden, unterstreicht die ausgeprägte und konstante Struktur der Parteiergebnisse. 8 Wie aus Tabelle 4.4 und Abbildung 4.2 deutlich wird, besetzen die CDU einerseits sowie PDS und Bündnis 90/Grüne andererseits die entgegengesetzten Pole des ersten, das Parteiensystem prägenden und graphisch horizontal dargestellten Faktors. Die zweite, vertikal angeordnete Achse läßt sich inhaltlich am ehesten als Gegensatz von SPD und FDP interpretieren. Diese Positionierung der Parteien unterscheidet sich

8

Die Positionierung der Parteien in diesem zweidimensionalen Raum erfolgt mittels ihrer Faktorladungskoeffizienten. Die Ergebnisse auf Kreis- und Landtagswahlkreisebene unterscheiden sich nur unwesentlich. Da im folgenden Kapitel die Faktorwerte mit Variablen der Sozialstruktur korreliert werden sollen, basiert die graphische Darstellung auf der Kreisebene von 1990. Ebenfalls keinen substantiellen Einfluß auf das Ergebnis hat die für die gesamte Untersuchung durchgeführte Gewichtung des Kreis-Datensatzes.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

99

in zwei Punkten deutlich von dem vertrauten westdeutschen Muster. Erstens stehen sich in der alten Bundesrepublik nach wie vor CDU und SPD als direkte Konkurrenten gegenüber. Die Stimmenanteile beider Parteien sind bundesweit betrachtet stark negativ korreliert, die Hochburgen der einen Volkspartei stellen im allgemeinen die Tiefburgen der anderen dar. Zweitens hat sich das westdeutsche Parteiensystem zu mehreren Dimensionen ausdifferenziert. Eine statistisch adäquate Darstellung der grundlegenden Struktur muß sich seit den 80er Jahren auf drei unabhängige Faktoren stützen.9

SPD • Φ

PDS CDU

BÜ/GR

FDP Graphische Darstellung der Parteiergebnisse mittels Hauptkomponentenanalyse: erklärte Varianz (N=40): 1. HK.: 56,6% (EW=8,5), 2. HK.: 33,1% (EW=5,0) Abbildung 4.2: Der Parteienraum Sachsen-Anhalts 1990

Das eigenständige Muster der Parteiergebnisse von 1990 in Sachsen-Anhalt entspricht in auffälliger Weise der Frontstellung, wie sie kurz nach dem Jahreswechsel 1989/90 auch in den unterschiedlichen Vorstellungen über die weitere gesellschaftspolitische Entwicklung der DDR zu Tage trat. Die Union stand wie bereits ausgeführt für die rasche und vollständige Übernahme des westdeutschen Demokratie- und Wirtschaflsmodells. PDS und Bündnis 90/Grüne hingegen forderten zwar jeweils unterschiedliche, gegenüber der CDU jedoch grundsätzlich andere, nämlich sozialistische Gesellschaftsmodelle. Die Liberalen und die

9

Vgl. Oberndörfer/Mielke

(1990) S. 28-29, 61.

100

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Sozialdemokraten bewegten sich diesbezüglich auf mittleren Positionen. Die Berechnungen auf der Wahlkreisebene 1994 verdeutlichen, daß sich die Landtagswahl 1994 ebenfalls in dieses Grundmuster fügt. Die politisch interessante Dreieckskonstellation CDU-SPD-PDS bleibt in ihren Proportionen erhalten, dreht sich allerdings in der graphischen Darstellung leicht aus ihrer Position von 1990 heraus. CDU und SPD bewegen sich hierbei im Endeffekt vor allem auf der zweiten Hauptkomponente in Richtung FDP, die bei der Landtagswahl 1994 massive Verluste hinnehmen mußte. Tabelle 4.4: Hauptkomponentenanalyse: Faktorladungskoeffizienten der Volkskammer-, Landtags- und Bundestagswahlergebnisse in Sachsen-Anhalt

Kreisebene 1990 HK1 HK2 CDU VKW 1990 CDU LTW 1990 CDU BTW 1990 CDU LTW 1994 PDS VKW 1990 PDS LTW 1990 PDS BTW 1990 PDS LTW 1994 BÜ/GR VKW 1990 BÜ/GR LTW 1990 BÜ/GR BTW 1990 BÜ/GR LTW 1994

-.944 -.967 -.968

SPD VKW 1990 SPD LTW 1990 SPD BTW 1990 SPD LTW 1994 FDP VKW 1990 FDP LTW 1990 FDP BTW 1990 FDP BTW 1994

.328 -.037 -.181

-

.896 .928 .911 -

.959 .880 .841 -

--

.390 .494 .543 -

-.141 .106 .083 -

.228 .175 .285 -

.038 .162 .380 -

.896 .942 .951 -

-.805 -.840 -.800 -

Wahlkreisebene 1994 HK1 HK2 -

-.962 -.954 -.769 -

.902 .889 .901 -

-

.065 .065 -.466 -

.179 .316 .216 -

.895 .832 .702

.228 .396 .334

-.165 -.314 -.518

.904 .899 .632



.536 .590 .010



-.811 -.751 -.800

Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40); Kaiser-Meyer-Olkin-Maß = .641; HK 1 erklärt 56.6 % der Varianz (EW: 8.5), HK 2 erklärt 33.1 % der Varianz (EW: 5.0). Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49); Kaiser-Meyer-Olkin-Maß = .580; HK 1 erklärt 52.4 % der Varianz (EW: 7.9), HK 2 erklärt 30.7 % der Varianz (EW: 4.6). HK: Hauptkomponente.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

101

Diese Parallelität von inhaltlich-programmatischen Parteigegensätzen und der Strukturierung des Parteienraums auf der Grundlage der Wahlergebnisse stützt eine erste These zur Konstanz der bislang herausgearbeiteten Strukturen: Das eigenständige „Ost-Muster" des politischen Raums wird sich aller Voraussicht nach als um so dauerhafter erweisen, je klarer und häufiger die Unterschiede zwischen den Vorstellungen der CDU und der PDS auch weiterhin als die entscheidend polarisierende Dimension politischer Themen von der Wählerschaft wahrgenommen werden. Eine jeweilige sozialstrukturelle Verankerung dieser Positionen fordert allen westeuropäischen Erfahrungen nach die Herausbildung und Stabilisierung einer entsprechenden politischen Hauptspannungslinie (cleavage). Politische Eliten koalieren mit den betroffenen sozialen Gruppen und repräsentieren deren Interessenlage dauerhaft im Parteiensystem. Im folgenden gilt es daher, mögliche Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Wahlverhalten bzw. Parteienraum zu untersuchen.

4.1.2. Der Einfluß der Sozialstruktur

In ökologischen Wahlanalysen finden insbesondere Indikatoren der Wirtschafis- und Erwerbsstruktur, die Konfessionsverteilung, Kennziffern der Bevölkerungsentwicklung, Mobilität und Siedlungsstruktur sowie das Bildungsniveau Verwendung. 10 Ihre Relevanz für das Wählerverhalten beziehen die sozial- und wirtschaftsstatistischen Daten durch die theoretische Einbindung in den historisch-soziologischen Erklärungsansatz. Sie spiegeln aus dieser Perspektive die gesellschaftlichen Konfliktlinien wider und markieren so die unterschiedlichen kulturellen und ökonomischen Kontexte des Wählerverhaltens. Die Identifizierung verhaltensrelevanter Kontexte durch theoretische Vorüberlegungen ist eine notwendige Voraussetzung einer empirischen Untersuchung sozialstruktureller Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens. Allerdings ist jede empirische Studie in der praktischen Durchführung an die Restriktionen der Datenlage gebunden. So können zur Analyse des Wählerverhaltens in SachsenAnhalt im Jahr 1990 nicht alle im vorhergehenden Kapitel aufgeworfenen, theoretisch interessanten Fragen einer empirischen Untersuchung auf der Basis von Aggregatdaten unterzogen werden. Die amtliche Statistik liefert auf Kreisebene lediglich Angaben über die Erwerbstätigen nach Wirtschaftsbereichen, deren Stellung im Beruf und Qualifikationsniveau, zur Bevölkerungsstruktur, Arbeitslosigkeit sowie Wanderungsbilanzen. Ergänzend können Indikatoren des

10

Vgl. ausführlich Mielke (1987) S.47-55.

102

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Wohnkomforts, etwa Anschlußgrade an das Trinkwasser- und Kanalnetz sowie der Anteil der Wohnungen mit moderner Heizung, herangezogen werden. Die Angaben zum Bildungsniveau beziehen sich nur auf Arbeiter und Angestellte, die Konfessionsverteilung ist auf Kreisebene bislang nicht erhoben worden. Die Daten zur Alters- und Geschlechtsstruktur haben auf einer höheren Aggregationsstufe allgemein eine zu geringe Varianz, so daß von einer entsprechenden Berücksichtigung hier ebenfalls abgesehen wird. Im Rahmen dieser Aggregatdatenanalyse lassen sich somit vor allem diejenigen Kontexteinflüsse auf das Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt untersuchen, die im wesentlichen aus der unterschiedlichen Ausprägung der Wirtschaftsstruktur und der Siedlungsdichte resultieren. Konfessions- und altersspezifische Einflüsse werden im Rahmen der anschließenden Individualdatenanalyse diskutiert. Da die beschriebenen sozialstrukturellen Variablen lediglich auf der Kreis- und nicht auch auf der Wahlkreisebene zur Verfügung stehen, können die nachfolgenden Berechnungen bedauerlicherweise nicht für die Wahlergebnisse der Landtagswahl 1994 durchgeführt werden. Eine Übersicht über die interne Struktur der verfügbaren sozialstrukturellen Daten des Landes Sachsen-Anhalt ermöglicht der Einsatz einer Faktorenanalyse.11 Hierbei lassen sich drei relevante, grundlegende Dimensionen identifizieren, die zusammen 82 % der Gesamtvarianz erklären. 12 Ihre inhaltliche Interpretation erfolgt mit den in Tabelle 4.5 wiedergegebenen Faktorladungskoeffizienten sowie der Korrelationsmatrix von Faktorwerten und weiteren beschreibenden Merkmalen der Kreise im Anhang (A.6). Der erste Faktor ist gekennzeichnet durch hohe positive Ladungen der Anteile der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich und im Handel. Ebenfalls positiv laden der Anteil der Angestellten an den Beschäftigten, der Anteil der Hochschulabsolventen unter den Angestellten und Arbeitern sowie die Bevölkerungsdichte. Inhaltlich repräsentiert dieser Faktor somit die Dienstleistungs- und Handelszentren mit einem hohen Verwaltungsanteil. Er erklärt nahezu die Hälfte

11

Die Faktorenanalyse läßt sich graphisch als Hauptkomponentenanalyse verstehen, deren rechtwinkliges Achsenkreuz ohne Winkelveränderung zur optimalen Interpretation der Achsen gedreht wurde: Varimax-Rotation der orthogonalen Faktoren. Diese Drehung verändert in keiner Weise die Struktur des Modells. 12 Die Gesamtvarianz entspricht der Summe der Eigenwerte aller extrahierbaren Faktoren, identisch der Anzahl der in die Analyse einbezogenen Variablen. Da das Ziel dieses Verfahrens in der Ermittlung zusammenfassender Hintergrundvariablen besteht, sollten die Eigenwerte der als relevant eingestuften Faktoren größer als 1 sein, ihr statistischer Beitrag zur Aufklärung der Gesamtvarianz also den einer einzelnen, z-transformierten Variablen übersteigen. Im vorliegenden Fall liegt diese Grenze bei 6.7 % erklärter Varianz.

103

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

der gesamten Varianz und stellt statistisch die bedeutendste Dimension der Sozialstruktur in Sachsen-Anhalt dar. Tabelle 4.5: Faktorenanalyse: Faktorladungskoeffizienten ausgewählter Sozialstrukturvariablen in Sachsen-Anhalt

(Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation) Faktor 1

Faktor 2

Faktor 3

Dienstleistungssektor 1990 Bev. pro km2 Dez. 1990 Arbeiter 1990 Angestellte 1990 Hochschulabschluß 1989 Handelssektor 1990 Umsatz prod. Gew. 4/1990

.839 .838 -.826 .802 .732 .686 .613

-.222 .375 -.242 .349 .542 -.073 .548

-.400 -.312 .447 -.428 -.091 -.473 .031

Selbständige 1990 Landwirtschaflssektor 1990 Arbeitslosenquote Dez. 1990 Ausländeranteil 1990 Verarb. Gewerbe 1990

-.147 -.261 .014 .377 -.553

-.883 -.823 -.785 .755 .724

-.013 .289 -.228 .107 .084

Fortzüge 1991 Zuzüge 1990 Zuzüge 1991

-.117 -.351 -.420

-.027 .201 .030

.873 .841 .801

Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40); Kaiser-Meyer-Olkin-Maß = .837; Faktor 1 erklärt 48.0 % der Varianz (EW: 7.2); Faktor 2 erklärt 26.2 % der Varianz (EW: 3.9); Faktor 3 erklärt 7.7 % der Varianz (EW: 1.2). Kurzcharakterisierung: Faktor 1 : Dienstleistungs- und Handelszentren (+); Faktor 2: Industrielle (+) vs. landwirtschaftliche (-) Produktion; Faktor 3: Gebiete mit hoher Mobilität (+).

Der zweite Faktor bezeichnet in erster Linie den Gegensatz zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Produktion. Am einen Ende dieser Dimension befinden sich die Zentren der Chemieindustrie wie Merseburg, Bitterfeld, aber auch Dessau mit einem hohen Anteil von Beschäftigten im produzierenden Gewerbe, einer erhöhten Bevölkerungsdichte und einem leicht überdurchschnittlichen Anteil von Hochschulabsolventen. Am entgegengesetzten Ende stehen die

104

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

stark landwirtschaftlich geprägten Kreise wie Osterburg, Querfurt oder Wanzleben. Dieser Faktor erklärt ein weiteres Viertel der gesamten Varianz. Der dritte Faktor kennzeichnet geringer entwickelte, ländliche Kreise mit einem hohen Arbeiteranteil und deutlichen Wanderungsströmen. Die Wirtschafisstruktur weist kein auffalliges Profil auf. Dieser Faktor liefert mit nur knapp 8 % den geringsten Anteil zur Erklärung der Varianz. Diese sozialstrukturelle Dimensionierung korrespondiert in hohem Maße mit der theoretischen Analyse der Sozialstruktur. Der statistisch ermittelte erste Faktor repräsentiert in nahezu idealer Weise das grundlegende sozialstrukturelle Differenzierungskriterium der DDR-Gesellschaft „Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung", wie es im vorangehenden Kapitel entwickelt wurde. Sämtliche verfügbaren Indikatoren fur „ H e r r s c h a f t s n ä h e " - hohe Dichte, hohe formale Qualifikation, hoher Dienstleistungsanteil etc. - laden positiv. Die oben abgeleiteten Folgerungen bezüglich des Wählerverhaltens 1990 können aus dieser Perspektive somit einem direkten empirischen Test unterzogen werden. Darüber hinaus ermöglicht die Existenz weiterer Dimensionen ein differenzierteres Bild von der Wirkung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf die Wahlentscheidung. Nach der bisherigen theoretischen Diskussion sollte allerdings der erste Faktor den größten Erklärungsbeitrag liefern. Die verschiedenen Dimensionen der spezifischen Zusammenhang mit dem ausgewiesene Kontrastgruppenvergleich licht die unabhängige und gemeinsame ren. 13

Sozialstruktur stehen in einem jeweils Wählerverhalten. Der in Tabelle 4.6 für die Bundestagswahl 1990 verdeutWirkung der beiden wichtigsten Fakto-

Ein erster Befund betrifft das parteispezifische Streuungsverhalten. Die Stimmenanteile von CDU sowie PDS und Bündnis 90/Grüne weisen große Varianzen auf und verhalten sich auch bei einer Gruppierung nach sozialstrukturellen Variablen spiegelbildlich zueinander. Überdurchschnittliche Anteile der einen Seite gehen einher mit unterdurchschnittlichen Anteilen der anderen. Dagegen erscheinen die SPD-Ergebnisse geradezu ausgeglichen. Es finden sich bei der Bundestagswahl 1990 keine sozialstrukturellen Kontexte, die als ausgesprochene Hochburgen der Sozialdemokraten zu charakterisieren sind. Ähnlich konturenlos

13 Hierzu wurden die Faktorwerte der Faktoren 1 und 2 jeweils zu gleichen Teilen in „hoch" und „niedrig" aufgeteilt. Der möglicherweise anschaulichere Kontrastgruppenvergleich mit Stellvertretervariablen der beiden Faktoren - verwandt wurden hierbei der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten sowie der Anteil der Selbständigen kommt substantiell zum selben Ergebnis undfindet sich im Anhang (A.7). Entsprechende Untersuchungen der Volkskammer- und Landtagswahl 1990 stützen die hier präsentierten Ergebnisse.

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

105

gruppieren sich die Ergebnisse der FDP. Beide Parteien besitzen allerdings regionale Schwerpunkte, deren Verteilungsmuster mit den verfügbaren Variablen der Sozialstruktur nicht erklärbar ist. Die SPD-Hochburgen liegen im Norden des Landes im Regierungsbezirk Magdeburg. Dem entgegengesetzt erzielen die Liberalen überdurchschnittliche Stimmenanteile im Süden des Landes, speziell zwischen Dessau und Halle sowie in der Verlängerung dieser Achse über Halle hinaus. Aus diesem Blickwinkel bestätigt sich im wesentlichen die bereits aufgezeigte zweidimensionale Grundstruktur des Parteiensystems in Sachsen-Anhalt: CDU, PDS und Bündnis 90/Grüne besitzen sozialstrukturelle, SPD und FDP jedoch in erster Linie regionale Verankerungen. Tabelle 4.6: Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich der ersten beiden Dimensionen der Faktorenanalyse

(Mittelwerte der Stimmenanteile in %) insgesamt

BTW 1990

38.5 24.7 19.8 9.4 5.3

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

Faktorwerte von Faktor 1 niedrig hoch 41.2 24.4 19.3 8.2 4.6

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR niedrig CDU SPD FDP PDS BÜ/GR Ν (Anzahl der Kreise)

35.8 25.1 20.2 10.6 6.0

Faktorwerte von Faktor 2 hoch niedrig

hoch

41.4 24.3 19.7 8.0 4.3

40.9 24.5 18.9 8.4 4.8

41.0 25.7 17.0 8.7 5.2

30.4 24.3 23.6 12.6 6.9

10

10

10

10

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40). Kurzcharakterisierung: Faktor 1 : Dienstleistungs- und Handelszentren (+); Faktor 2: Industrielle (+) vs. landwirtschaftliche (-) Produktion; Beide Faktoren wurden fur diese Analyse dichotomisiert.

106

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Weiterhin werden sozialstrukturelle Korrelate der Parteiergebnisse bei den Wahlen von 1990 in Sachsen-Anhalt deutlich. Die Wirkungsweise des ersten Faktors ist offensichtlich. Für die CDU erweisen sich erwartungsgemäß die Dienstleistungs- und Handelszentren als ungünstigstes Pflaster, PDS und Bündnis 90/Grüne hingegen besitzen genau dort ihre Hochburgen. Die zur Charakterisierung der Kreise verfügbaren Indikatoren deuten darauf hin, daß in den entsprechenden Kreisen ein hoher Anteil der Funktionseliten des alten Systems tätig ist. Komplizierter gestaltet sich die Interpretation der Wirkung des zweiten Faktors. Die CDU erzielt entsprechend dem Kontrastgruppenvergleich in landwirtschaftlich ausgerichteten Kreisen leicht höhere Stimmenanteile als in Industriekreisen, die Faktorwerte des zweiten Faktors korrelieren negativ mit dem CDUStimmenanteil. Dies muß auf den ersten Blick erstaunen, gilt doch gerade der große Erfolg der Christdemokraten in der Arbeiterschaft vielfach als das überraschende Moment der Wahlen von 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Eine differenzierte Betrachtung löst die Irritationen auf. Es überlagern sich eine Reihe verschiedener Einflüsse. Die bivariaten Untersuchungen in Tabelle 4.7 und die entsprechenden Korrelationskoeffizienten im Anhang (A.8) ergeben, daß sowohl der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten als auch der Anteil der im produzierenden Gewerbe Beschäftigten positiv mit dem CDU-Stimmenanteil variieren. Allerdings ist der erste Zusammenhang stärker ausgeprägt. Das negative Vorzeichen der Korrelation zwischen dem Stimmenanteil der CDU und dem zweiten Faktor resultiert somit aus der Tatsache, daß die Christdemokraten in landwirtschaftlichen Kontexten höhere Stimmenanteile verbuchen können als in industriellen Kontexten. Die mäßige Höhe der Korrelation wiederum deutet daraufhin, daß die Unterschiede zwischen den beiden Kontexten nicht allzu groß sind. Die CDU erzielt in den industriell geprägten Kreisen des Landes SachsenAnhalt für westdeutsche Verhältnisse ungewöhnlich hohe Wahlerfolge. Fallen jedoch ein hoher Dienstleistungsanteil (Faktor 1 = hoch) mit einem hohen Industrieanteil und einem niedrigen Landwirtschaftsanteil (Faktor 2 = hoch) zusammen, so dominieren 1990 keineswegs überraschend die wesentlich stärkeren Kontexteinflüsse von Faktor 1: Der CDU-Stimmenanteil erreicht seinen Tiefpunkt, PDS und Bündnis 90/Grüne hingegen erzielen die höchsten Stimmenanteile. Besondere Erfolge der PDS in den landwirtschaftlich geprägten Kreisen von Sachsen-Anhalt sind dagegen nicht festzustellen. Die multivariate Regressionsanalyse liefert abschließend eine übersichtliche Zusammenfassung der bisherigen Befunde auf Aggregatebene. Die einzelnen Parteiergebnisse werden hierbei als abhängige, die drei faktorenanalytisch ermittelten Dimensionen der Sozialstruktur als unabhängige, erklärende Variablen

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

107

angesehen. Die Größenordnungen und Vorzeichen der in Tabelle 4.8 zusammengestellten Beta-Koeffizienten 14 entsprechen voll und ganz den Erwartungen. Tabelle 4.7: Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Kontexten

(Terzile, Mittelwerte der Stimmenanteile in %) WBT

CDU

SPD

FDP

72.2

38.5

24.7

19.8

9.4

5.3

Beschäftigte 1990 nach Sektoren: niedrig Landwirtschaft 70.8 mittel 73.1 hoch 72.9

33.1 42.3 40.5

23.9 24.4 25.9

23.0 18.3 17.7

11.3 8.3 8.4

6.4 4.3 5.1

sozialstrukt./reg. Kontexte insgesamt (BTW 1990)

PDS BÜ/GR

prod. Gewerbe

niedrig mittel hoch

71.7 72.4 72.5

35.0 39.6 40.9

23.8 26.1 24.2

23.1 16.6 19.6

10.1 9.7 8.3

5.8 5.5 4.5

Handel/Verkehr

niedrig mittel hoch

72.7 73.3 70.4

40.5 41.3 33.1

24.9 24.9 24.3

19.4 18.2 22.0

8.2 8.4 11.7

4.6 4.8 6.6

Dienstleistung

niedrig mittel hoch

73.2 72.3 71.1

41.1 40.7 33.5

24.3 24.7 25.3

19.7 18.7 20.9

8.2 8.5 11.6

4.4 5.1 6.5

71.7 73.1 72.3

39.7 39.5 36.3

27.6 24.2 21.6

15.0 20.7 25.0

9.7 8.2 9.8

5.7 4.9 5.1

Reg.bezirk Magdeburg Reg.bezirk Dessau Reg.bezirk Halle

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

14 Die Beta-Koeffizienten stellen die standardisierten Gewichte dar, die den einzelnen Faktoren bei der Erklärung der jeweils abhängigen Variablen zukommen. Sie sind somit direkt miteinander vergleichbar. Im vorliegenden Fall könnten allerdings auch die unstandardisierten Koeffizienten verwendet werden, da die unabhängigen Variablen in den Gleichungen ihrerseits als Ergebnis einer Faktorenanalyse z-transformiert und somit standardisiert sind. Allerdings beinhalten diese Beta-Werte eine zusätzliche Information, da sie auch als bivariate Korrelationskoeffizienten zwischen den entsprechenden Faktoren und den Stimmenanteilen betrachtet werden können.

108

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Tabelle 4.8: Multivariate Regressionsanalyse: Der Zusammenhang von Sozialstruktur und Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt

(sign., stand. beta-Koeff. / erklärte Varianz (R2) / sign. F-Wert) Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3

erkl. Varianz

F

WBTVKW1990 WBTLTW1990 WBTBTW1990

-.647 -.461 -.517

-.573 -.284 -.290

.259

81% 29% 35%

52.4 7.7 10.0

CDU VKW 1990 CDU LTW 1990 CDU BTW 1990

-.732 -.805 -.864

-.351 -.348 -.289

.255 .159

72% 79% 83%

31.5 46.4 90.0

23% 27%

11.5 14.2

SPD VKW 1990 SPD LTW 1990 SPD BTW 1990 FDP VKW 1990 FDP LTW 1990 FDP BTW 1990

.481 .521

PDS VKW 1990 PDS LTW 1990 PDS BTW 1990

.756 .814 .796

.304 .300 .300

-.210 -.245 -.300

71% 81% 81%

29.1 51.8 52.4

BÜ/GR VKW 1990 BÜ/GR LTW 1990 BÜ/GR BTW 1990

.810 .754 .730

.391 .299 .257

-.264 -.265 -.290

88% 73% 68%

86.7 32.0 25.8

.311

33%

9.2

-.207

89%

101.1

REP LTW 1990 REP BTW 1990 HK 1 „polit. Raum" HK 2 „polit. Raum"

...

-.485 .856

.343

Signifikanzniveau = .05; = Koeffizienten nicht signifikant; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40). Kurzcharakterisierung: Faktor 1 : Dienstleistungs- und Handelszentren (+); Faktor 2: Industrielle (+) vs. landwirtschaftliche (-) Produktion; Faktor 3: Gebiete mit hoher Mobilität (+); HK 1 : CDU vs. PDS, BÜ/GR - Dimension des politischen Raums (Tab. 4.4); HK 2: SPD vs. FDP - Dimension des politischen Raums (Tab. 4.4).

Zunächst bleibt festzuhalten, daß mit Hilfe der drei sozialstrukturellen Faktoren ein hoher Anteil der Varianz bei CDU, PDS und Bündnis 90/Grüne erklärt werden kann. Vergleichsweise gering ist der Erklärungswert des Modells hingegen für die FDP-Stimmenanteile. Keine sozialstrukturelle Verankerung weisen die Ergebnisse der Sozialdemokraten auf. Folgerichtig läßt sich mit den drei unabhängigen Variablen auch lediglich die Varianz der ersten Hauptkomponente

4.1. Politische Kontexte und sozialstrukturelle Verankerung

109

des politischen Raums aufklären - und zwar zu fast 90 % -, repräsentiert diese doch den Gegensatz CDU vs. PDS und Bündnis 90/Grüne in Sachsen-Anhalt. Weiterhin vereinigt Faktor 1, der auch als Operationalisierung des grundlegenden Differenzierungskriteriums der DDR-Gesellschaft „Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung" interpretiert werden kann, mit Abstand den größten Erklärungsbeitrag auf sich. In hohem Maße trennt er hierbei - aus der Perspektive der DDR betrachtet - systemfernere und systemnähere Parteien. Das über alle drei Wahlen des Jahres 1990 hinweg unveränderte Muster der sozialstrukturellen Verankerung der Parteien verdeutlicht die Stabilität dieser Zuordnung. Für die Existenz eines auch zukünftig eigenständigen Parteiensystems in Sachsen-Anhalt liegt hierin eine günstige Rahmenbedingung.

4.1.3. Fazit der Aggregatdatenanalyse

Die Struktur des Parteiensystems in Sachsen-Anhalt unterscheidet sich in mehreren Punkten deutlich vom westdeutschen Muster. Ein kurzes Fazit faßt die bisherigen Befunde zusammen. (1) Auf der Grundlage der untersuchten Wahlergebnisse läßt sich das Parteiensystem als zweidimensionaler Raum darstellen, dessen Hauptachse durch den Gegensatz CDU vs. PDS und Bündnis 90/Grüne charakterisiert wird. SPD vs. FDP bilden eine zweite, in ihrer Bedeutung nachgeordnete Achse. Dieses Grundmuster des Parteienwettbewerbs reproduziert sich in allen überregionalen Wahlen des Jahres 1990 und behält auch bei der Landtagswahl 1994 seine Gültigkeit. (2) Unterschiedliche sozialstrukturelle und regionale Schwerpunkte kennzeichnen die beiden Dimensionen und die entsprechenden Parteiergebnisse bei den Wahlen des Jahres 1990. Die CDU erzielt ihre höchsten Stimmenanteile in landwirtschaftlichen Gebieten und in etwas geringerem Maße in Kreisen mit hoher gewerblicher Produktion. Entsprechend korreliert der CDU-Stimmenanteil negativ mit der formalen Bildung und der Bevölkerungsdichte sowie positiv mit dem Anteil der Arbeiter, einer in der DDR-Terminologie auch im landwirtschaftlichen Bereich gebräuchlichen Kategorie. Die Hochburgen von PDS und Bündnis 90/Grüne liegen hingegen in den Dienstleistungs- und Handelszentren mit einem hohen Verwaltungsanteil. Auf dem hier zugrunde gelegten Aggregationsniveau lassen sich mit den verfügbaren Variablen keine strukturellen Unterschiede zwischen den Ergebnissen der beiden Parteien erkennen. Beide Stimmenanteile korrelieren positiv mit dem Angestelltenanteil,

110

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

der Bevölkerungsdichte und der formalen Bildung. Demgegenüber weisen die Ergebnisse von SPD und FDP keine sozialstrukturellen, sondern regionale Schwerpunkte auf. Die SPD-Hochburgen liegen im nördlichen Regierungsbezirk Magdeburg, die Liberalen erzielen ihre besten Ergebnisse in den südlichen Regierungsbezirken Halle und Dessau. (3) Der Zusammenhang von Sozialstruktur und Wählerverhalten in SachsenAnhalt, insbesondere die Verankerung der wichtigsten Dimension des politischen Wettbewerbs in spezifischen sozialstrukturellen Kontexten, entspricht den theoretischen Erwartungen im Anschluß an Kapitel 3. Der Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung, dort pointiert zusammengefaßt als dreidimensionaler Zentrum-Peripherie-Konflikt, kommt für die Erklärung des Wählerverhaltens von 1990 eine herausgehobene Bedeutung zu. Die Wirkung längerfristiger Faktoren zeigt sich in den Ergebnissen von CDU, PDS und Bündnis 90/Grüne. Die Verteilungen ihrer Stimmenanteile folgen einem Muster, das in hohem Maße mit der grundlegenden Strukturierung der DDRGesellschaft übereinstimmt. Die Analyse der Landtagswahl 199^ untermauert, daß der mittelfristigen Etablierung eines „eigenständigen" Ost-Musters des politischen Wettbewerbs aufgrund der sozialstrukturell verankerten Polarisierung gute Chancen eingeräumt werden müssen.

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht: Eine Individualdatenanalyse

Die bislang ermittelten Befunde werden durch die nachfolgende Individualdatenanalyse einer weiteren Überprüfung unterzogen. So stellt sich insbesondere die Frage, ob und inwieweit sich die auf der Aggregatebene ermittelten Zusammenhänge zwischen sozialstrukturellen Kontexten und dem Wählerverhalten auch auf der Individualebene nachweisen lassen - oder ob aus dieser Untersuchungsperspektive die postulierte These von der Wirkung sozialstruktureller Einflußfaktoren auf das Wählerverhalten 1990 in Sachsen-Anhalt letztlich doch als unbegründet zurückgewiesen werden muß. Darüber hinaus lassen sich diese Analysen auch für die Landtagswahl 1994 durchführen. Inhaltlich kann in diesem Kapitel an eine frühere, vorwiegend deskriptiv ausgerichtete Studie des Wählerverhaltens zur Bundestagswahl 1990 in dem neuen Bundesland angeknüpft werden. 15

15

Vgl. Averkorn/Eith

(1992).

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

111

Die hier vorgelegte Individualdatenanalyse stützt sich in Teilen ebenfalls auf mehrere Datensätze, wenngleich im Anschluß an die Aggregatdatenanalyse die Wahlabsicht im Herbst 1990 von besonderem Interesse ist. Von der „Projektgruppe Meinungsforschung" bzw. ISIS stehen im einzelnen jeweils kumulierte Datensätze der Frühjahrs- (März, April: N=2759) und Herbstumfragen 1990 (September, November: N=2413) sowie eine weitere Umfrage vom Juni 1992 (N=1301) zur Verfügung, von der Forschungsgruppe Wahlen findet die Vorwahlbefragung vom Juni 1994 (N=1107) Verwendung. 16 Dies eröffnet partiell Vergleichsmöglichkeiten und reduziert die Gefahr einer Produktion von Zufallsergebnissen. Die Zusammenfassung der vier Umfragen aus dem Jahr 1990 zu zwei Datensätzen erhöht insbesondere bei kleineren Parteien und theoretisch interessanten Untergruppen die Fallzahl, was für die Fragestellung dieser Arbeit einen größeren Wert darstellt als eine ebenfalls mögliche Längsschnittanalyse über vier Beobachtungszeitpunkte des Jahres 1990 hinweg. Zunächst werden in einem ersten Abschnitt die Auswahl der Variablen und des verwandten Erklärungsmodells begründet. Anschließend erfolgt eine kurze Deskription der Wahlabsicht in unterschiedlichen sozialstrukturellen und attitudinalen Gruppen. Sodann gilt es, mittels komplexerer Analysemodelle die jeweilige Bedeutung verschiedener sozialstruktureller Einflußfaktoren sowie den generellen Stellenwert sozialstruktureller Variablen für die Wahlabsicht insbesondere im Jahr 1990 in Sachsen-Anhalt zu untersuchen.

4.2.1 Die Auswahl der Variablen

Umfragedaten geben bekanntermaßen Auskunft über Einstellungen und Verhaltensabsichten, keineswegs spiegeln sie jedoch tatsächliches Verhalten wider. Aus diesem Grund steht nachfolgend die Wahlabsicht bzw. die Rückerinnerung der Befragten als Untersuchungsgegenstand, und somit als abhängige Variable, im Mittelpunkt des Interesses.17 Die Kumulierung der Datensätze erhöht zwar die Fallzahl, erfordert aber im vorliegenden Fall auch Kompromisse bezüglich der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten. So werden als abhängige Variablen im Datensatz der Frühjahrsumfragen mangels Alternativen die Wahlabsicht zur Volkskammerwahl (März) und die

16

Vgl. zur Datenbasis auch Kap. 1.3. Terminologisch kennzeichnet der Begriff „Wähler" in diesem Kapitel folglich Personen mit entsprechender Wahlabsicht, CDU-Wähler beispielsweise sind diejenigen Personen, die in der Umfrage eine Wahlabsicht zugunsten der CDU äußerten. 17

112

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

entsprechende Rückerinnerung (April) herangezogen. Da beide Umfragen zeitlich nahe an der Volkskammerwahl piaziert waren, dürften die entsprechenden Angaben keine allzu großen Verzerrungen aufweisen. Die Umfragen im Herbst 1990 (September, November) sowie im Juni 1992 beinhalten eine Variante der traditionellen Sonntagsfrage: „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, welcher Partei oder Vereinigung würden Sie Ihre Stimme geben?" Lediglich im September 1990 wurde aufgrund der direkt bevorstehenden Wahlen im Fragetext „Bundestagswahlen" durch „Landtagswahlen" ersetzt. Aus der Vorwahlbefragung 1994 schließlich findet die Wahlabsichtsfrage Verwendung. Diese Unterschiede in der Erfassung der abhängigen Variablen sind zwar keineswegs als ideale Ausgangsbasis anzusehen, eine systematische Beeinträchtigung des in dieser Studie zu verfolgenden Erkenntnisinteresses erscheint jedoch nicht gegeben.18 In Anknüpfung an Kapitel 3 erfolgt die Auswahl der Indikatoren zur Erfassung der aus theoretischer Perspektive relevanten sozialen Gruppen. Als individuelle Merkmale werden die Konfessionszugehörigkeit (3 Gruppen), das Alter (6 Gruppen) und der Grad der formalen Bildung (5 Gruppen) herangezogen. Der formale Qualifikationsgrad hat gegenüber einer Berufsgruppen- oder Schichteneinteilung den Vorteil der besseren Handhabung und der größeren Verständlichkeit. Die Berücksichtigung der im Untersuchungszeitraum drastisch ansteigenden Arbeitslosigkeit und Vergleichsprobleme mit den für westliche Studien ungewöhnlichen DDR-Kategorien der Schichteneinteilung können so umgangen werden. Weiterhin finden die Variablen Ortsgröße (4 Gruppen) und - nicht zuletzt aufgrund der Ergebnisse der Aggregatdatenanalyse - Region des Wohnorts (2 Gruppen) Berücksichtigung. Mit Hilfe der Ortsgröße lassen sich städtische und ländliche Kontexteinflüsse untersuchen. Der Regionalindex kennzeichnet die Regierungsbezirke Halle und Dessau gegenüber Magdeburg und trägt somit der regionalen Verankerung der Parteien Rechnung. Auch in diesem Fall weisen die Frühjahrsumfragen von 1990 einige Spezifika auf, was eine lediglich eingeschränkte Vergleichbarkeit nach sich zieht. So wurden im März und April 1990 die Konfessionszugehörigkeit gar nicht und das Alter lediglich in fünf Gruppen erhoben. Die Vorwahlbefragung 1994 unterscheidet sich ebenfalls in einigen Fällen von den anderen Datensätzen. Die Variablen Alter (6 Gruppen) und Qualifikation (4 Gruppen) haben eine andere Einteilung bzw. Kategorisierung, die Variable Region des Wohnorts wurde nicht erhoben.

18

Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden wiederum in den Frühjahrsumfragen die Allianz für Deutschland als CDU, Bürgerbewegungen, die Grünen und Unabhängiger Frauenverband (UFV) als Bündnis 90/Grüne sowie die liberalen Parteien als FDP codiert.

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

113

Mit Bezug auf die theoretischen Diskussionen in Kapitel 2 läßt sich das Wahlverhalten analytisch als Resultat des Zusammenspiels von langfristigen Präferenzstrukturen der Wählerschaft und eher kurzfristigen Restriktionen des Handlungsraums verstehen,19 wobei die Sachfragen- und Kompetenzbewertungen zu den Restriktionen zählen. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt aufgrund des zu verfolgenden Erkenntnisinteresses auf der Analyse der Präferenzen. Üblicherweise gelten die Variablen der Sozialstruktur hierbei als entsprechende Indikatoren der sozialen Kontexte. Die im weiteren Untersuchungs verlauf jedoch ebenfalls einzubeziehenden Restriktionen lassen sich in verschiedenen theoretischen Erklärungsmodellen darstellen. Dies zieht Konsequenzen bezüglich des konkreten Untersuchungsdesigns zum Stellenwert sozialstruktureller Erklärungsfaktoren nach sich. Im theoretischen Rahmen des Ann Arbor-Modells wäre zunächst zu überprüfen, ob sozialstrukturelle Kontexte einen signifikanten Einfluß auf die Ausprägung der Parteiidentifikation haben. Sodann gälte es, das Verhältnis zu bestimmen, in dem langfristige Parteibindungen sowie kurzfristige Themen- und Kandidateneinflüsse auf das jeweilige Wahlverhalten einwirken. Neben den grundsätzlichen Zweifeln, ob das traditionelle Konzept der Parteiidentifikation für die in dieser Arbeit zugrunde gelegte Fragestellung ein adäquates Untersuchungsmodell darstellt, wurden in den verfügbaren sachsen-anhaltinischen Umfragen von 1990 die hierzu benötigten Indikatoren nicht erhoben. Eine entsprechende Analyse und Diskussion kann deshalb nicht erfolgen. Entsprechend den gängigen Operationalisierungen der Rational ChoiceAnalyse werden daher in dieser Studie die vergleichsweise kurzfristigen Restriktionen in Form von erklärungsrelevanten Issues berücksichtigt. Allerdings ist die Konstruktion eines ideologischen Wahmehmungs- und Entscheidungsraums auf der Basis mehrerer politischer Sachfragen 20 aufgrund der Datenlage nicht durchführbar. Herangezogen werden deshalb generelle, unspezifische Bewertungen, die zum Zeitpunkt der entsprechenden Wahl von verhaltensrelevanter Bedeutung waren. Für 1990 beruht die Auswahl zum einen auf der Annahme, daß für den politischen Meinungsbildungsprozeß in Ostdeutschland Geschwindigkeit und Modalitäten des Einigungsprozesses von überragender Bedeutung waren. Dies ist in allen hier berücksichtigten Wahlanalysen unstrittig, so daß auf weitere Nachweise verzichtet werden kann. Zum anderen müssen die auszuwählenden Indikatoren 19

Allerdings ist gerade der politische Meinungsbildungsprozeß 1989/90 in der DDR ein Beispiel dafür, wie unter besonderen Umständen Präferenzen und Restriktionen direkt voneinander abhängen und sich relativ schnell auch verändern können. 20 Vgl. etwa zur Bundestagswahl 1990 Eckstein/P appi ( 1994). 8 Eith

114

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

sodann entsprechend den theoretischen Prämissen als individuelles Nutzen- oder Bewertungskalkül interpretierbar sein. Weiterhin sollte aus untersuchungsstrategischer Perspektive eine entsprechende Operationalisierung derart erfolgen, daß Vergleiche zwischen den verschiedenen Datensätzen möglich bleiben. Zwei Indikatoren finden nachfolgend Verwendung. Der erste Indikator mißt in drei Ausprägungen die Bewertung der abgelaufenen politischen Entwicklung: „Entspricht der Prozeß der Eingliederung der ehemaligen DDR in die BRD Ihren Vorstellungen?" 21 Darüber hinaus bieten sich zur Erfassung der individuellen Situationsbewertung drei Alternativen an: Erstens die Frage nach der Zufriedenheit mit der persönlichen Situation, zweitens die Frage, wann eine Verbesserung der individuellen Situation erwartet wird sowie drittens die Einschätzung der eigenen Situation im Jahresvergleich. Die empirische Trennschärfe sowie die Möglichkeit, auch diese Frage als retrospektive Bewertung interpretieren zu können, begründen die Entscheidung für die dritte Variante. Der zweite Indikator lautet somit: „Schätzen Sie bitte einmal: Wie war ihre persönliche Situation vor einem Jahr?" 22 Beide Indikatoren finden sich in den Umfragen vom Herbst 1990 und vom Juni 1992. Wiederum ergeben sich Abweichungen in den Frühjahrsumfragen. Im März und im April 1990 waren diese beiden Fragen politisch noch nicht aktuell, der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß über die Zukunft der DDR war noch im Gange. Retrospektive Bewertungen sind in dieser Situation nicht möglich, Wahlentscheidungen können sich höchstens an Zukunftserwartungen und entsprechenden Kompetenzvermutungen ausrichten. Folgende Alternativen werden daher für diese Untersuchung herangezogen: „Für wie wichtig (dringend) halten Sie die Lösung folgender Probleme? - Vereinigung von DDR und BRD" 2 3 sowie „Erwarten Sie eine grundlegende Verbesserung ihrer persönlichen Situation, wenn ja, wann?"24 Die Auswahl der verschiedenen sozialstrukturellen und attitudinalen Prädiktoren der Wahlentscheidung im Jahr 1990 kann sich über die theoretische Begründung hinaus auch auf empirische Untersuchungen stützen. So erzielen diese Variablen, wie im Anhang (A.9) unter der Verwendung von Cramers V doku21

Die Antwortalternativen sind: (1) ja; (2) teils, teils; (3) nein. Die Antwortaltemativen sind: (1) besser als heute; (2) genauso wie heute; (3) schlechter als heute. 23 Die Antwortaltemativen sind: (1) wichtig bzw. sehr/ziemlich dringend; (2) weder wichtig noch unwichtig bzw. nicht so dringend; (3) unwichtig bzw. überhaupt nicht dringend. 24 Die Antwortalternativen sind: (1) innerhalb des nächsten Jahres; (2) in 2 bis 3 Jahren; (3) in mehr als drei Jahren bzw. keine Verbesserung; (4) erwarte eher Verschlechterung. 22

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

115

mentiert, bivariat die höchsten Assoziationen mit der Wahlabsicht. Weitere empirische Hinweise liefert die einleitend angeführte Vorstudie auf der Basis der Novemberumfrage. Dort konnte mit Hilfe der vier Variablen Konfessionszugehörigkeit, formaler Qualifikationsgrad, Bewertung des Einigungsprozesses sowie persönlicher Jahresvergleich eine sieben Gruppen umfassende Wähler-Typologie entwickelt werden, die ebenfalls eine beachtliche Trennschärfe bezüglich der Wahlabsicht in Sachsen-Anhalt im November 1990 aufweist. 25 Für die Untersuchung der Wahlabsicht im Juni 1994 können die Einstellungsvariablen von 1990 in vergleichbarer Form nicht verwendet werden. Die aktuelle politische Diskussion wird von anderen Themen bestimmt, die ökonomischen Probleme Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit sowie die Auseinandersetzungen über mögliche Konsequenzen für das Regierungshandeln haben inzwischen die noch 1990 hochaktuellen Fragen nach den Modalitäten des Einigungsprozesses abgelöst. Anders als 1990 weisen auch die Fragen nach der persönlichen oder allgemeinen wirtschaftlichen Situation 1994 nur eine geringe Trennschärfe bezüglich der Wahlabsicht auf. Um dennoch wenigstens ein annähernd vergleichbares Untersuchungsdesign zu erhalten, kommen ebenfalls zwei wahlerklärende Einstellungsvariablen zum Einsatz. Herangezogen werden für diese Untersuchung die folgenden politischen Bewertungen: „Sind Sie mit den Leistungen der CDU-FDP-Regierung in Sachsen-Anhalt eher zufrieden oder eher unzufrieden?"26 sowie ,3ei der ersten freien Wahl in der DDR haben sich die Bürger für die Einführung einer politischen Ordnung nach westlichem Muster entschieden. War diese Entscheidung im großen und ganzen richtig, oder war sie falsch?" 27 Beide Indikatoren lassen sich als generelle, retrospektive Bewertung interpretieren. Sie besitzen darüber hinaus von allen erhobenen und für diese Untersuchung theoretisch relevanten Einstellungsvariablen bivariat die höchste Erklärungskraft für die Wahlabsicht im Juni 1994.28

25

Vgl. Averkorn/Eith (1992), bes. S. 49-55; zu den bivariaten Zusammenhängen im November 1990 s. ebd. S. 35,43. 26 Die 11-stufige Meßskala wird hier zu drei Antwortalternativen wie folgt zusammengefaßt: (1) unzufrieden (-5 bis -2); (2) teils, teils (-1 bis +1); (3) zufrieden (+2 bis +5). 27 Die Antwortalternativen sind (1)richtig; (2) falsch. 28 Vgl. im Anhang Tabelle A.9. Die einzige Ausnahme stellt die Beurteilung der Arbeit des Ministerpräsidenten Berger dar. Allerdings ist dieser Indikator zu eng verbunden mit der erklärungskräftigeren und theoretisch angemesseneren Frage nach der Arbeit der Regierungskoalition. 8*

116

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse 4.2.2. Sozialstruktur und Wahlabsicht

Die unterschiedlichen sozialstrukturellen Parteiprofile im Herbst 1990 werden in diesem Kapitel kurz dargestellt und dienen der ersten Orientierung. Die entsprechenden Angaben sind in Tabelle 4.9 zusammengestellt. Für weiterreichende Folgerungen zur Bedeutung der einzelnen sozialen Kontexte sind bivariate Aufschlüsselungen der Wahlabsicht allerdings nur sehr eingeschränkt geeignet. Eine bereits verdichtete Darstellung der Wirkung mehrerer Variablen im Kontrastgruppenvergleich findet sich in Tabelle 4.10,29 anschließend erfolgen Analysen mit komplexeren statistischen Modellen. Auf der deskriptiven Ebene ist ein direkter Vergleich zwischen 1990 und 1992 wenig sinnvoll. Zum einen besteht der Datensatz vom Juni 1992 im Gegensatz zu den kumulierten Datensätzen von 1990 aus einer deutlich geringeren Anzahl von Untersuchungseinheiten. Dadurch ergibt sich eine breitere Zufallsschwankung. Zum anderen - und das ist das ausschlaggebende Argument - spiegelt die in der Mitte der Legislaturperiode positionierte Befragung vom Juni 1992 in aller Deutlichkeit die kurz nach der Bundestagswahl 1990 einsetzende breite Desillusionierung über die Realitäten des Einigungsprozesses im Osten wider. Die in dieser Situation in Umfragen ermittelten Stimmenanteile können nicht zum Nennwert genommen werden. 30 Offenbar beinhalten sie ein außergewöhnliches Protestmoment, welches die enormen Schwankungen der Umfragedaten im Zeitraum zwischen 1990 und 1994 erklären könnte.31 In dieser Untersuchung werden die für den Herbst 1990 ermittelten Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Wahlabsicht trotz unterschiedlicher Fallzahlen in erster Linie mit den entsprechenden Ergebnissen der Vorwahlbefragung von 1994 verglichen. Beide Datensätze resultieren aus Umfragen, die kurz vor Wahlen durchgeführt wurden und sind diesbezüglich besser vergleichbar. Die Verteilung der Wahlabsicht 1994 in unterschiedlichen Kontexten und sozialen Gruppen findet sich in Tabelle 4.11.

29

Auf die Konstruktion eines Indexes „Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung" in Anlehnung an Kapitel 3, etwa mit Hilfe der Variablen Konfession, Qualifikation und Alter, wurde verzichtet. Zum einen lassen sich die bivariaten Zusammenhänge ohne Probleme diesbezüglich interpretieren, zum anderen ermöglicht der Kontrastgruppenvergleich eine differenziertere Darstellung. 30 Zur Abhängigkeit der Umfrageergebnisse vom Erhebungszeitpunkt in der alten Bundesrepublik s. Ohr/Rattinger (1993). 31 Nach den monatlichen Erhebungen des Politbarometers lag die CDU im Osten durchgehend von März 1991 bis Mai 1994 hinter der SPD - im Juni 1992 bei lediglich 21 % - und hatte dennoch 1994 bei der Europawahl und der Landtagswahl in SachsenAnhalt einen Vorsprung vor der SPD; vgl. hierzu Forschungsgruppe Wahlen (1991), (1992), (1994a). Ähnliche Parteianteile ermittelte das Forsa-Institut im August 1992 für Sachsen-Anhalt: CDU 21 %, SPD 36 %, in: Gelbe Karte vom Wähler (1992).

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

117

Tabelle 4.9: Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten

(Zeilenprozente) CDU

SPD

FDP

PDS BÜ/GR

NW

33.2 9.4 insgesamt 25.5 9.3 7.0 Konfession Katholiken 8.6 57.5 15.5 0.5 7.0 5.4 Protestanten 13.6 48.7 21.9 1.8 Konfessionslose 25.7 27.7 8.0 12.6 7.5 Qualifikation Teilfacharbeiter 38.1 17.0 5.5 11.7 6.6 9.2 Facharbeiter 37.1 26.5 5.3 5.5 Meister/Techniker 10.1 9.4 4.4 29.5 31.5 Fachschule 10.9 9.3 29.1 26.3 10.9 12.1 11.0 Hochschule 18.8 24.9 23.5 Altersgruppen 18-25 23.2 23.4 7.0 11.5 14.3 7.4 8.2 26-35 31.6 23.6 8.1 10.2 10.0 7.5 36-45 32.6 20.6 27.2 46-55 35.3 11.8 7.8 5.7 4.2 56-65 39.6 27.1 9.6 8.3 über 65 35.2 30.3 8.7 11.4 3.3 Ortsgröße (Einwohner) über 100.000 27.7 26.9 9.5 12.8 8.6 20.000-100.000 33.4 10.0 6.0 24.7 9.8 2.000-20.000 35.2 26.0 8.5 7.1 8.1 9.4 unter 2000 35.7 24.8 5.8 7.6 Region (Regierungsbezirke) Halle/Dessau 31.6 23.4 12.0 8.7 6.5 Magdeburg 27.9 6.4 9.9 7.5 35.1 Eingliederung der DDR in die BRD entspricht meinen Vorstellungen nein 8.6 29.4 5.7 22.8 12.8 11.8 teils, teils 36.3 29.3 2.9 5.0 0.2 71.0 9.8 9.9 1.3 ja Jahresbewertung: Persönliche Situation war vor einem Jahr besser als heute 17.2 28.4 5.2 19.7 9.5 11.2 genauso 28.9 30.3 7.6 6.5 schlechter 52.4 18.0 11.4 1.3 5.1

15.7 10.8 8.7 18.6 21.2 16.5 15.0 13.5 9.7 20.6 21.1 19.0 12.1 11.1 11.1 14.5 16.1 15.1 16.6 17.8 13.3 20.7 14.7 7.8 20.0 15.5 11.7

kumulierter Datensatz, September/November 1990 (N=2413).

Die insgesamt größte Streubreite der Wahlabsicht im Herbst 1990 bewirkt die Gruppierung entsprechend der Konfessionszugehörigkeit. Ebenfalls signifikante Unterschiede der Stimmenanteile weisen die Kategorien der formalen Qualifika-

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

118

tion und die Altersgruppen auf. Nur geringe Korrelationen mit der Wahlabsicht finden sich hingegen bei der Ortsgröße und der regionalen Zugehörigkeit. Diese globale Betrachtung ist für die einzelnen Parteien allerdings zu spezifizieren. Tabelle 4.10: Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich sozialstruktureller Merkmale

(Differenzen der Parteianteile in %-Punkten) insgesamt 33% 26% 9% 9% 7% 16%

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW Konfession CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW Alter CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW

christlich

konfessionslos

+ 18 -5 +4 -7 -1 -7

-7 +2 -1 +4 +1 +3

unter 45

über 45

unter 45

über 45

+ 14 -11 +4 -8 +4 -2

+ 19 -3 +4 -7 -4 -9

-8 -1 -1 +3 +2 +6

-7 +6 0 +5 -2 -1

Qual.

nied.

hoch

nied.

hoch

nied.

hoch

nied.

hoch

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW

+ 21 -13 +2 -8 -1 -2

+3 -8 +6 -8 + 10 -3

+ 25 -7 +3 -7 -6 -8

+ 10 +6 +6 -8 -1 -12

-6 0 -1 -1 +2 +7

-11 -4 -1 +9 +3 +4

-1 +7 -2 -1 -3 0

-14 +5 +2 +11 0 -4

124

80

252

182

536

285

364

304

Ν

kumulierter Datensatz, September/November 1990 (N=2413) Qualifikation: nied.: bis einschl. Facharbeiter, hoch: Meister/Fach-/Hochschule. Lesehilfe: 33 % aller Befragten präferieren die CDU, jedoch 51 % (33+18) der Personen mit einer christlichen Konfession bzw. 19 % (33-14) der über 45jährigen Konfessionslosen mit einem hohen formalen Bildungsabschluß.

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

119

Die CDU erzielt die höchsten Stimmenanteile bei konfessionell gebundenen Personen sowie Arbeitern bzw. Gruppen mit niedrigerer formaler Qualifikation. Eine im Vergleich zur westdeutschen Situation eher ausgeglichene Bilanz kann sie bei den verschiedenen Altersgruppen vorweisen. Insgesamt steigt der CDUStimmenanteil mit abnehmender Ortsgröße. Im direkten Gegensatz zur Union verbucht die PDS ihre besten Ergebnisse in konfessionslosen und formal hoch qualifizierten Bevölkerungskreisen. Die Altersbilanz erscheint ebenfalls relativ ausgeglichen, der Anteil der PDS-Wähler steigt jedoch mit zunehmender Ortsgröße. Bündnis 90/Grüne erreichen überdurchschnittliche Quoten bei hochqualifizierten und jüngeren Personen. Bemerkenswert sind darüber hinaus ihre vergleichsweise guten Ergebnisse bei Protestanten und insbesondere auch bei Katholiken. Eine geringere Streubreite weisen hingegen die Stimmenanteile der SPD auf. Leicht überdurchschnittlich schneiden die Sozialdemokraten in höheren Altersgruppen ab, insgesamt unterdurchschnittlich bei konfessionell gebundenen Personen. Wie in der gesamten DDR kommen die Sozialdemokraten auch in Sachsen-Anhalt bei den Arbeitern nur auf unterdurchschnittliche Ergebnisse. Die CDU erzielt in diesen Bevölkerungsgruppen höhere Stimmenanteile. Die insgesamt ausgeglichensten Ergebnisse finden sich bei den Liberalen. Überdurchschnittliche Stimmenanteile erzielen sie lediglich bei Protestanten sowie bei Personen mit höherer formaler Qualifikation. Augenfällig ist ebenfalls ein regionaler Schwerpunkt der FDP in den Regierungsbezirken Halle und Dessau. Ein Kontrastgruppenvergleich liefert bereits erste Befunde über die gemeinsame Wirkung der drei Variablen Konfession, Alter und Qualifikation. Die CDU erzielt ihre Spitzenwerte vor allem bei konfessionell gebundenen Personen mit niedriger Qualifikation. Ein höheres Alter wirkt sich ebenfalls positiv auf den Stimmenanteil der Union aus. Deutlich wird darüber hinaus, daß und wie die drei Parteien SPD, FDP und Bündnis 90/Grüne auf jeweils unterschiedliche Weise von der im Umfeld der protestantischen Kirchen entstandenen Bürgerbewegung der späten 80er Jahre profitieren. Konfessionell gebundene und höher qualifizierte Personen jüngeren Alters bekunden in besonderem Ausmaß eine Wahlabsicht zugunsten von Bündnis 90/Grüne sowie der FDP. Ältere Jahrgänge mit sonst gleicher Merkmalskombination hingegen unterstützen überdurchschnittlich SPD und ebenfalls FDP. Zusammengefaßt, die konfessionelle Bindung begünstigt also bei niedriger formaler Qualifikation die CDU, bei höherer formaler Qualifikation hingegen je nach Generationszugehörigkeit Bündnis 90/Grüne bzw. SPD und FDP. Anders stellen sich die Zusammenhänge bei den Konfessionslosen dar. Von einer hohen formalen Qualifikation profitieren dort vor allem die PDS sowie partiell FDP und Bündnis 90/Grüne. Im Gegensatz dazu erzielen die Sozialdemokraten jetzt bessere Ergebnisse bei Personen mit niedrigerer formaler Qualifi-

120

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

kation und darüber hinaus ebenfalls mit höherem Alter. Somit finden sich insbesondere in der sozialdemokratischen Wählerschaft völlig unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, was ihre bereits konstatierte relative Profillosigkeit weitgehend erklärt. Tabelle 4.11: Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten

(Zeilenprozente) CDU

SPD

FDP

insgesamt

31.0

32.8

4.0

15.0

7.7

9.5

Konfession Katholiken Protestanten Konfessionslose

65.1 43.4 23.2

16.8 33.3 34.2

1.7 3.5 4.5

6.8 8.2 17.9

0.0 6.7 8.9

9.6 5.0 11.3

Qualifikation Hauptschule Mittlere Reife Abitur Hochschule

35.0 29.4 30.0 23.7

37.3 29.7 26.5 34.8

3.7 4.3 4.6 4.0

12.6 13.9 19.3 22.7

4.6 7.9 15.0 11.7

6.9 14.9 4.6 3.2

11.7 23.8 35.5 33.7 40.9 36.8

31.5 29.1 31.5 35.7 35.6 32.1

3.9 3.5 5.0 4.6 4.3 2.1

18.2 16.1 15.2 13.3 10.9 18.0

13.9 13.9 6.0 5.2 3.7 4.8

20.8 13.7 6.8 7.6 4.5 6.3

23.2 28.2 35.5 36.0

34.4 34.6 29.6 32.2

3.4 5.6 5.0 1.5

16.8 14.2 15.6 14.0

11.0 7.9 5.9 6.8

11.1 9.5 8.4 9.5

Mit der Arbeit der Regierung unzufrieden 3.6 weder noch 26.3 zufrieden 64.6

41.7 35.2 21.2

2.7 5.6 4.0

27.2 10.4 5.6

10.6 10.0 2.6

13.7 12.5 2.0

Wahl der politischen Ordnung war falsch 10.5 32.5 richtig 39.1 32.7

4.6 3.9

28.9 9.4

9.7 7.0

13.8 7.9

PDS BÜ/GR

NW

Altersgruppen 18-24 25-34 35-44 45-59 60-69 über 70 Ortsgröße (Einwohner) über 100.000 20.000-100.000 2.000-20.000 unter 2000

Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994 (N=1004).

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

121

Die in den Daten vom Herbst 1990 zutage tretenden Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Wahlabsicht reproduzieren sich überwiegend in den weiteren hier analysierten Umfragen. 32 Insbesondere der Vergleich über vier Jahre hinweg verdeutlicht eine beachtliche Konstanz dieser Strukturen. 33 So besitzen auch 1994 die Konfessionszugehörigkeit und das Qualifikationsniveau bzw. die Berufsgruppenzugehörigkeit eine hohe bivariate Trennschärfe. Nach wie vor müssen diesbezüglich CDU und PDS als jeweils entgegengesetzte Pole betrachtet werden. Ihre Stimmenanteile in den jeweiligen sozialen Gruppen entsprechen sich spiegelbildlich. Eine Ausdifferenzierung erfuhr im Vergleich zu 1990 der Einfluß des Alters. Die Stimmenanteile der CDU steigen deutlicher in den höheren Altersgruppen, Bündnis 90/Grüne und auch die PDS stützen sich relativ stärker auf jüngere Wählergruppen. Hierbei tendieren jüngere Männer überdurchschnittlich häufig zur PDS, jüngere Frauen hingegen stimmen in bemerkenswertem Ausmaß für die Grünen. Weiterhin auffällig ist die auch 1994 vergleichsweise unspezifische sozialstrukturelle Verankerung von SPD und FDP. Die Sozialdemokraten konnten allerdings in der Arbeiterschaft Defizite ausgleichen. Die Hochburgen der Liberalen liegen trotz insgesamt massiver Verluste noch immer im Regierungsbezirk Halle. Bivariate Betrachtungen erlauben bestenfalls einen ersten Eindruck vom Ausmaß der sozialstrukturellen Fundierung der Wahlabsicht. Mögliche Wechselwirkungen und die Überlagerungen mehrerer Variablen werden vernachlässigt, wie durch die Einbeziehung des anschaulichen Kontrastgruppenvergleichs bereits deutlich wurde. Mit Hilfe einer Diskriminanzanalyse läßt sich in einem komplexeren Modell der gleichzeitige Einfluß mehrerer sozialstruktureller Merkmale auf die Ausprägung der Wahlabsicht ermitteln. Ähnlich wie bei Regressionsanalysen werden hierbei zur Erklärung der abhängigen, in diesem Fall nominalskalierten Variablen Linearkombinationen der unabhängigen Variablen (Prädiktoren) herangezogen. Einerseits gibt die Zusammensetzung dieser Linearkombinationen (Diskriminanzfunktionen) Aufschlüsse über die Bedeutung der einzelnen Prädiktoren. Andererseits können auf dieser Basis die einzelnen Fälle des Datensatzes den Ausprägungen der abhängigen Variablen, im vorliegenden Fall also der Wahlabsicht zugunsten der verschiedenen Parteien, zugeordnet werden. Die Differenz zwischen den tatsächlichen und den prognostizierten Gruppenzugehörigkeiten bzw. der Prozentsatz der korrekt klassifizierten Fälle zeigt die Güte des Erklärungsmodells an.

32 Im Anhang sind die Wahlabsichten unterschiedlicher sozialer Gruppen im Frühjahr 1990 (A.10) und im Juni 1992 (A.ll) sowie der Kontrastgruppenvergleich für 1994 (A.12) dokumentiert. 33 Vgl. auch Forschungsgruppe Wahlen (1994b) Tabellen S. 17,22,24,26.

122

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Nun ist es im gegenwärtigen Stadium der Untersuchung keineswegs das Ziel, ein möglichst umfassendes Modell zur Erklärung und Vorhersage der Wahlabsicht zu konstruieren. Die diskriminanzanalytische Betrachtung berücksichtigt zunächst allein die Wirkung und Bedeutung sozialstruktureller Einflußfaktoren. So ist es erstens von Interesse, welche Variablen überhaupt in ein Erklärungsmodell aufgenommen werden und in welcher Reihenfolge dies geschieht. An den standardisierten Diskriminanzkoeffizienten läßt sich dann die Bedeutung der einzelnen Prädiktoren für die entsprechende Diskriminanzfunktion erkennen.34 Die für verschiedene Parteien getrennt durchgeführte Analyse eröffnet weitere Vergleichsmöglichkeiten. Zweitens liefert diese Analyse erste Anhaltspunkte, um den generellen Beitrag sozialstruktureller Einflußfaktoren zur Ausprägung der Wahlabsicht in SachsenAnhalt einschätzen zu können. Neben den Trefferquoten der richtigen Parteizuordnung durch das spezifizierte Modell läßt sich insbesondere auch die Größe des Eigenwerts einer Diskriminanzfunktion, also das Verhältnis von Streuung zwischen den Gruppen und Streuung innerhalb der Gruppen, zur Beurteilung heranziehen. Erklärungskräftige Prädiktoren maximieren die Unterschiede zwischen jeweils homogenen Gruppen und steigern somit den Eigenwert. Der Vergleich der mittleren Diskriminanzfunktionswerte veranschaulicht, welche Parteien durch die entsprechende Diskriminanzfunktion gut voneinander unterschieden werden können und welche nicht. Zunächst kann festgehalten werden, daß zur Schätzung der Wahlabsicht im Herbst 1990 alle fünf berücksichtigten Variablen einen statistisch signifikanten Beitrag leisten,35 allerdings variiert dieser in der jeweiligen Höhe. Konfession und Qualifikation werden als erklärungskräftigste Variablen zuerst in das Modell aufgenommen, Region und Ortsgröße hingegen diskriminieren nur in geringerem, freilich ebenfalls signifikantem Ausmaß. Tabelle 4.12 faßt die entsprechenden Nachweise zusammen. Insgesamt ergeben sich drei signifikante Diskriminanzfiinktionen, deren erste mit Abstand den größten Anteil der Varianz zwischen den Parteien - genauer: Gruppen mit jeweils gleicher Wahlabsicht - erklärt. Sie trennt in besonderer Weise Personen mit unterschiedlichem Qualifikationsgrad, was anhand der 34 Als Kriterium der Variablenauswahl wird die Minimierung der Residuen zwischen den Gruppen verwendet, die Funktionsmatrix ist zur besseren Interpretation der Diskriminanten nach der Varimax-Methode rotiert. 35 Sofern nicht explizit anders angegeben, wird im folgenden die Wahlabsicht zugunsten der fünf überregional relevanten Parteien CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne und PDS geschätzt. NichtWähler und Anhänger sonstiger Parteien werden generell nicht berücksichtigt.

123

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

standardisierten DiskriminanzkoefFizienten erkennbar ist. Konfession und Alter laden ebenfalls. Der Mittelwertvergleich verdeutlicht, daß diese Diskriminante in erster Linie den Gegensatz von CDU und PDS widerspiegelt. Alter und Konfession bestimmen zudem die zweite Diskriminanzfunktion, die somit die bereits durch die Kontrastgruppenanalyse aufgedeckten Unterschiede zwischen PDS und Bündnis 90/Grüne bündelt. Die dritte Diskriminante repräsentiert nahezu ausschließlich die regionale Unterteilung und hat lediglich für die FDP-Wahlabsicht eine größere Bedeutung. Die geringen Ladungskoeffizienten der Ortsgröße und die nahezu exklusive Ladung der Region auf der dritten, insgesamt unbedeutendsten Diskriminante unterstreichen den vergleichsweise geringen Beitrag dieser beiden Variablen zur Erklärung der Wahlabsicht. Tabelle 4.12: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufnahme 1. Konfession 2. Qualifikation 3. Alter 4. Region 5. Ortsgröße

Wilks' Lambda .920 .879 .861 .848 .845 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

35.1 % 29.2 % 20.6% 36.3 % 45.0 %

insgesamt

31.4%

Fktl

Fkt2

Fkt 3

.13 .343 300.7 20 66.4%

.03 .161 76.8 12 23.4 %

.02 .125 29.8 6 10.2%

Standard, rotierte Koeffizienten Fktl Fkt2 Fkt 3 .543 .666 * -.432 -.001 -.191 *

.740 * -.048 .848 * .000 .077

.182 -.275 -.146 .923 * .038

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fktl Fkt 2 Fkt 3 -.344 -.006 .076 .469 .684

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; kumulierter Datensatz, September/November 1990 (N=1795).

-.154 -.065 .186 -.316 .338

.018 -.369 .074 .063 .060

124

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Eher bescheiden nimmt sich bei einem knappen Drittel korrekt klassifizierter Fälle der gesamte Erklärungswert des Modells aus. Von größerer Bedeutung als die globale Prognosekraft sind in dem hier zu diskutierenden Kontext jedoch die Unterschiede zwischen den Parteien. Die höchsten Anteile korrekter Zuordnung durch das Modell ergeben sich für PDS (45.0 %), Bündnis 90/Grüne (36.3 %) und CDU (35.1 %). Liberale und Sozialdemokraten erzielen unterdurchschnittliche Trefferquoten. Ein Mittelwertvergleich der Funktionswerte der drei Diskriminanten unterstreicht die indifferente Struktur der SPD-Wähler. Die im Anhang (A.13) wiedergegebene analoge Untersuchung der Daten vom Frühjahr 1990 fordert im Kern ein ähnliches Bild zutage. Allerdings steht die Konfessionszugehörigkeit nicht zur Verfügung, was den relativen Erklärungswert des Alters erhöht. Aufgrund dieser Verschiebung der Gewichte steigt die Prognosekraft des Modells für Bündnis 90/Grüne und sinkt für CDU und PDS. Auf die SPD-Wahlabsicht haben diese Veränderungen keinen wesentlichen Einfluß. Der insgesamt nur begrenzte Erklärungswert des Modells zeigt sich darüber hinaus in den niedrigen Eigenwerten. Bei den Daten vom Juni 1992 ergeben sich lediglich zwei signifikante Diskriminanzfiinktionen. Die Koeffizienten sind ebenfalls im Anhang (A.14) dokumentiert. Wenngleich alle fünf Variablen der Sozialstruktur hierbei einen Erklärungsbeitrag leisten, so kommt die größte Bedeutung im Modell den Variablen Alter und Konfession zu. Ensprechend trennen die Diskriminanzfunktionen in besonderer Weise zum einen CDU und Bündnis 90/Grüne, zum anderen CDU und PDS. Ein Erklärungswert für SPD und FDP ist nicht vorhanden, da die Prognosekraft des sozialstrukturellen Modells die Trefferwahrscheinlichkeit der reinen Zufallsauswahl für beide Parteien unterschreitet. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Vorwahlbefragung 1994. Alle vier zur Verfügung stehenden Variablen erbringen einen signifikanten Erklärungsbeitrag und gruppieren sich zu zwei Diskriminanzfunktionen. Wie auch 1992 dominieren die Variablen Konfession und Alter. Das Modell weist im Vergleich zu 1992 wieder einen insgesamt besseren Prognosewert auf und erklärt in hohem Maße die Wahlabsicht zugunsten von Bündnis 90/Grüne und CDU. Verringert hat sich jedoch die Vorhersagekraft der PDS-Wahlabsicht. Offensichtlich erfuhren 1994 die Wählerschaften von CDU und Bündnis 90/Grüne eine schärfere sozialstrukturelle Konturierung, die PDS-Wählerschaft umfaßt dagegen heterogenere Gruppen als 1990. Die sozialstrukturelle Profillosigkeit der FDP- und SPD-Wählerschaften führt dazu, daß das Modell auch 1994 entsprechende Wahlabsichten nur unzureichend prognostizieren kann.

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

125

Tabelle 4.13: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufnahme 1. Konfession 2. Alter 3. Ortsgröße 4. Qualifikation

Wilks' Lambda .922 .901 .891 .881 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

46.3 % 0.0 % 17.4% 55.1 % 27.2 %

insgesamt

29.9 %

Fktl

Fkt2

.11 .314 114.7 16 57.3 %

.02 .122 20.8 9 42.7 %

Standard, rotierte Koeffizienten Fktl Fkt2 .993 * .209 -.165 -.075

.015 .748 * .227 * -.445 *

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fktl Fkt2 -361 .216 .134 .194 .298

.225 -.147 .018 -.593 -.159

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994 (N=909).

Zur weiteren Aufklärung der parteispezifischen sozialstrukturellen Verankerung der Wahlabsicht wird die Diskriminanzanalyse abschließend für jeweils unterschiedliche Parteienkonstellationen getrennt durchgeführt. Von besonderem Interesse sind hierbei die in Kapitel 4.1.1 identifizierten politischen Hauptkomponenten in Sachsen-Anhalt: CDU vs. PDS und Bündnis 90/Grüne sowie SPD vs. FDP. Die Ergebnisse für den Herbst 1990 faßt Tabelle 4.14 zusammen. Auf die Wiedergabe weiterer Tabellen kann hier verzichtet werden. Die Ergebnisse entsprechen sich in hohem Maße.

126

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Tabelle 4.14: Diskriminanzanalyse der politischen Hauptkomponenten im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen

politische Hauptkomponenten:

Eigenwert der Funktion kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade

CDU vs. PDS (N=895)

CDU vs. PDS + BÜ (N=1043)

.20 .410 163.8 3

.19 .400 180.6 4

SPD vs. FDP (N=752) .06 .238 43.7 4

ins Modell aufgenommene Variable (Position, Wilks' Lambda) Konfession Qualifikation Alter Region Ortsgröße

(1.) .889 (2.) .837 (3.) .832

(1.) .911 (2.) .856 (3.) .845 (4.) .840

(2.) .949 (4.) .943 (3.) .945 (1.) .969

standardisierte Koeffizienten der Diskriminanzfiinktion Konfession Qualifikation Alter Region Ortsgröße

.775 .575 - .190

.668 .618 - .287 - .195

.666 -.184 .288 .783

korrekte Klassifikation (%) / Gruppenmittelwerte CDU PDS insg.

65.8/-.235 72.1/.854 67.2

CDU PDS + Bü90/Gr insg. SPD FDP insg. Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; kumulierter Datensatz, September/November 1990.

66.2/-.303 67.6/.625 66.7 58.2/. 148 68.5/-.405 61.0

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

127

Auch aus dieser Perspektive erklären die beiden Variablen Konfession und Qualifikation den Gegensatz von CDU und PDS in einem statistisch signifikanten Ausmaß. Durch die Einbeziehung der Wähler von Bündnis 90/Grüne, die überdurchschnittlich jung, städtisch und im Unterschied zur Gruppe der PDS-Wähler teilweise konfessionell gebunden sind, reduziert sich erwartungsgemäß die Bedeutung der Konfession und steigt die der Qualifikation. Beide Diskriminanzfunktionen unterscheiden sich strukturell jedoch nicht. Für 1994 zeigen sich exakt dieselben Zusammenhänge. Von weitaus geringerer Erklärungskraft ist das sozialstrukturelle Modell erwartungsgemäß für die Dimension SPD vs. FDP. Die nur mäßige Gruppentrennung durch die unabhängigen Variablen erzeugt einen niedrigen chi2-Wert und folglich auch einen ebensolchen Eigenwert der Diskriminanzfunktion. Der regionalen Zugehörigkeit und mit gewissem Abstand auch der Konfession kommen hierbei noch die größte Bedeutung zu. Der vergleichsweise geringe Unterschied der Gruppenmittelwerte unterstreicht den Befund. Während das Modell für 1990 also einen nicht allzu großen, jedoch signifikanten Erklärungswert besitzt, ergibt sich mit den Daten von 1994 keine signifikante Diskriminante. Die Wahlabsicht zugunsten von SPD und FDP läßt sich für 1994 allein mit den hier untersuchten Variablen der Sozialstruktur - die regionale Zugehörigkeit ist 1994 nicht verfügbar - nicht erklären. Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, daß die verschiedenen Parteien in Sachsen-Anhalt auch aus dieser Analyseperspektive heraus betrachtet eine jeweils unterschiedliche soziale Fundierung vorweisen können. Insbesondere CDU, PDS und Bündnis 90/Grüne stützen sich 1990 und 1994 auf sozialstrukturell identifizierbare Kernwählerschaften. Hierbei kommen der Konfession, dem Qualifikationsgrad und dem Alter im Rahmen des bislang verwandten Erklärungsmodells eine größere Bedeutung bei der Prognose der entsprechenden Wahlabsicht zu. Dagegen verfügen SPD und FDP in sehr viel geringerem Ausmaß über eine Absicherung und Verankerung in relativ homogenen sozialstrukturellen Kontexten. Diese bereits 1990 nur schwach ausgeprägten Konturen haben sich 1994 eher noch weiter verwischt.

4.2.3. Zum Stellenwert sozialstruktureller Einflußfaktoren in komplexeren Erklärungsmodellen

Im Zentrum der bisherigen Diskussion stand allein der Zusammenhang von Wahlabsicht und sozialstrukturellen Variablen. Es bleibt im Anschluß hieran die Frage, welche Bedeutung sozialen Kontexten für die Ausprägung der Wahlab-

128

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

sieht unter der zusätzlichen Berücksichtigung relevanter Einstellungsmuster zukommt. Wie zu Beginn des Kapitels bereits ausgeführt, werden für die Daten vom Herbst 1990 und Juni 1992 die retrospektiven Bewertungen des abgelaufenen Einigungsprozesses und der individuellen Situation im Vergleich zum Vorjahr herangezogen. Für das Frühjahr 1990 stehen die Einschätzung der Wichtigkeit einer zukünftigen deutschen Einheit sowie die Erwartungen bezüglich der individuellen Situationsverbesserung zur Verfügung. Für 1994 finden die retrospektiven Bewertungen der Arbeit der Regierungskoalition in SachsenAnhalt sowie der Wahl einer westlichen politischen Ordnung Eingang in die Analyse. Die bivariaten Zusammenhänge mit der Wahlabsicht finden sich in Tabelle 4.9, Tabelle 4.11 und im Anhang (A.10, A.11). Zunächst erfolgt wiederum mit Hilfe einer Diskriminanzanalyse eine quantitative Gewichtung der verschiedenen unabhängigen Variablen. Loglineare Modelluntersuchungen zum grundsätzlichen Zusammenhang der drei Komplexe Wahlabsicht, Einstellungsmuster und sozialer Kontext beschließen den datenanalytischen Teil dieser Studie. Ein Vergleich der unterschiedlichen Diskriminanzanalysen in Tabelle 4.15, Tabelle 4.16 und im Anhang (A.15 bis A.19) erweitert und präzisiert die bislang ermittelten Zusammenhänge. Durch die zusätzliche Berücksichtigung zweier Einstellungsvariablen steigt generell die Erklärungskraft der untersuchten Kausalmodelle zur Ausprägung der Wahlabsicht. Höhere Eigenwerte und ein höherer Anteil korrekt klassifizierter Fälle kennzeichnen die Diskriminanzfunktionen aller Untersuchungszeitpunkte. Hierbei kommt 1990 und 1992 der Bewertung des Einigungsprozesses, 1994 der Bewertung der Regierungsarbeit die größte Bedeutung zu. Dieser Indikator charakterisiert jeweils die erste Diskriminanzfunktion, die ihrerseits zwischen 72 % und 87 % der Gesamtvarianz bindet. Die weiteren Diskriminanten repräsentieren inhaltlich in unterschiedlicher Zusammensetzung die Bewertung der individuellen Situation (1990, 1992) bzw. die Einstellung zur Wahl der politischen Ordnung (1994) sowie die sozialstrukturellen Merkmale. Im Juni 1992 ergeben sich nur zwei signifikante Diskriminanzfunktionen, wobei die Variablen Qualifikation und Konfession keinen nennenswerten Beitrag erbringen. Lediglich das Alter lädt in respektabler Höhe auf der zweiten Diskriminanten. Eine mögliche Erklärung kann diese Besonderheiten sowohl mit dem Zeitpunkt der Umfrage als auch mit grundlegenden strukturellen Veränderungen in Zusammenhang bringen. So erscheint es zum einen durchaus plausibel, daß in der Mitte der Legislaturperiode Desillusionierungen im Zuge des Einigungsprozesses die soziale Verankerung der Wahlabsicht überlagern. Meinungsumfragen dienen dann als Ventil und spiegeln in erster Linie entsprechende Frustrationen wider. Mit zunehmender Entfernung vom Wahltermin sinkt demnach die Responsibilität für abgefragte politische Meinungsäußerungen, hingegen schieben

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

129

konkret zu treffende Wahlentscheidungen die sozial verankerten Interessenlagen wieder in den Vordergrund. 36 Als Beleg einer solchen Sichtweise läßt sich anfuhren, daß das Diskriminanzmodell von 1994 wiederum sämtliche Variablen beinhaltet und insgesamt einen zu 1990 vergleichbaren Erklärungswert aufweist. Zum anderen kann sich seit 1990 natürlich der Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Wahlabsicht verändert haben, schließlich handelt es sich hierbei nicht um eine konstante Größe. Dieser Betrachtungsperspektive entspricht, daß auch 1994 von allen sozialstrukturellen Variablen in erster Linie dem Alter ein hoher Erklärungsbeitrag zukommt. Insbesondere die bivariat nach wie vor erklärungskräftige formale Qualifikation liefert im multivariaten Modell nur noch einen geringen eigenständigen Beitrag. Dies läßt sich - wie bereits ausgeführt vor allem auf die vergrößerte, und somit in Teilen auch heterogenere PDSWählerschaft zurückführen. Die formale Qualifikation stellt nicht mehr in dem Ausmaß wie noch 1990 den entscheidenden Indikator ihrer Charakterisierung dar. Natürlich sind diese Argumentationslinien durch den Hinweis zu relativieren, daß die Diskriminanzmodelle von 1992 und 1994 bekanntlich auf unterschiedlichen Einstellungsvariablen beruhen. Wiederum liefert die für verschiedene Parteienkonstellationen getrennt durchgeführte Analyse detailliertere Informationen. Für Frühjahr und Herbst 1990 prognostiziert das mit den Einstellungsvariablen erweiterte Erklärungsmodell die Wahlabsicht zugunsten von CDU, PDS und auch Bündnis 90/Grüne - also der Parteien der ersten Hauptkomponente des sachsen-anhaltinischen Parteiensystems - zu über 85 % korrekt. Den größten Beitrag hierzu leistet die Einigungsthematik. Mit einigem Abstand folgen die Bewertung der individuellen Situation, Konfession, Qualifikation und Alter. Für 1994 ergeben sich trotz anderer Einstellungsvariablen in hohem Maße übereinstimmende Befunde. Hingegen verbessert sich 1990 der Erklärungswert bezüglich der zweiten Hauptkomponenten SPD vs. FDP trotz der Hinzunahme der beiden Einstellungsvariablen nur geringfügig. Lediglich knapp zwei Drittel aller Fälle werden richtig klassifiziert. Der Einfluß der attitudinalen Variablen dominiert hierbei keineswegs, vielmehr bestätigt sich

36

Natürlich ließe sich mit einer analogen Argumentation - die ja ebenfalls der Projektion „Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre ..." im monatlichen Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen zugrunde liegt - auch die Existenz längerfristiger Parteiidentifikationen begründen, die jeweils zum Zeitpunkt der konkreten Wahl ihre Wirkung entfalten. Zunächst ist jedoch lediglich zu konstatieren, daß sich dieser Zusammenhang in unterschiedlichen theoretischen Modellen beschreiben läßt. Über die jeweilige situative Angemessenheit entsprechender Modelle entscheiden dann die mit ihnen verbundenen Prämissen, beim Ann Arbor-Modell also beispielsweise grundlegende Annahmen über die Modalitäten der Herausbildung einer längerfristig wirksamen Parteiidentifikation in der DDR. 9 Eith

130

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

die herausragende Bedeutung des Regionalfaktors. Für 1994 ergibt sich auch in der erweiterten Modellspezifikation keine signifikante Diskriminante. Tabelle 4.15: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufnahme 1. Eingliederung 2. Jahresbewertung 3. Konfession 4. Alter 5. Qualifikation 6. Region 7. Ortsgröße

Wilks' Lambda .683 .649 .625 .609 .590 .581 .577 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

57.8 % 36.3 % 22.5 % 40.0 % 63.0%

insgesamt

43.7 %

Fktl

Fkt 2

Fkt 3

.64 .626 973.1 28 85.0%

.03 .175 92.1 18 11.9%

.02 .126 36.9 10 3.1 %

standard, rotierte Koeffizienten Fkt 2 Fktl Fkt 3 .783 * .223 -.172 .153 -.312 .002 .152 *

- .018 -.378 .536 .893 -.146 .001 .072

*

* *

-.037 -.225 -.069 -.103 - .402 * .866 * .111

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fkt 2 Fktl Fkt 3 .808 .185 -.350 -.886 -1.441

-.244 -.158 .247 -.258 .541

.004 -.398 .092 .067 .082

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; kumulierter Datensatz, September/November 1990 (N=1779).

Dennoch belegen diese Zahlen den insgesamt hohen Stellenwert, der der Bewertung des Einigungsprozesses bei der Ausprägung der Wahlabsicht 1990 in Sachsen-Anhalt zukommt. Wie steht es im Lichte dieser Ergebnisse nun um den Zusammenhang von Wahlabsicht, Einstellungsmustern und sozialen Kontexten in den Jahren 1990, 1992 und 1994? Üben die sozialstrukturellen Variablen in der hier untersuchten Modellkonfiguration einen eigenständigen Einfluß auf die Wahlabsicht aus? Oder genügt zu deren Prognose allein die Kenntnis der relevan-

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

131

ten Einstellungsmuster, insbesondere bezüglich des Einigungsprozesses37 resp. der Regierungsarbeit? Diese Fragen sind in der hier gestellten Form zu allgemein gehalten und werden abschließend einer formalisierten Untersuchung unterzogen. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse sollte sich zumindest für das Jahr 1990 ein signifikant eigenständiger Einfluß der sozialstrukturellen Variablen auf die Wahlabsicht nachweisen lassen. Tabelle 4.16: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen:

.61 .616 471.9 24 72.1 %

Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufnahme 1. Regierungsarbeit 2. pol. Ordnung 3. Alter 4. Ortsgröße 5. Konfession 6. Qualifikation

Fktl

Wilks' Lambda .679 .633 .620 .594 .591 .587 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

73.8 % 16.8 % 25.7 % 31.6% 49.7 %

insgesamt

46.3 %

Fkt 2

Fkt 3

.03 .164 49.7 15 17.9%

.03 .157 25.6 8 10.0%

Standard, rotierte Koeffizienten Fktl Fkt 2 Fkt 3 .937 * -.002 -.152 .087 -.297 * .263

.005 -.892 * .210 .255 .028 .535 *

.002 -.028 .792 * .366 * -.093 -.274

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fktl Fkt 2 Fkt 3 .918 .030 -.413 -.477 -.803

-.347 .051 023 .214 .673

.275 -.195 -.021 -.631 -.154

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994 (N=891).

37

Da Einstellungen zu politischen Sachfragen in der Bevölkerung keineswegs gleich verteilt, sondern ihrerseits sozialstrukturell fundiert sind, ist ein indirekter Einfluß der sozialen Strukturen auf die Wahlentscheidung natürlich immer gegeben. Eine entsprechende Untersuchung erübrigt sich hier, da für 1990 der Zusammenhang von Sozialstruktur und Haltung zur deutschen Einheit in Sachsen-Anhalt bereits an anderer Stelle analysiert wurde; vgl. Averkorn/Eith (1992) bes. S. 24-32; Averkorn (1993). *

132

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Die Formalisierung und Überprüfung erfolgt mittels hierarchischer loglinearer Modelle. Hierbei handelt es sich um eine Analyse der Wechselwirkungen zwischen mehreren diskreten Variablen. 38 Im Falle von zwei Variablen lassen sich diese Wechselwirkungen übersichtlich durch eine Kreuztabellierung darstellen, im Falle mehrerer Variablen verliert diese Vorgehensweise ihre Anschaulichkeit und zudem die Möglichkeit der statistischen Überprüfung des Zusammenhangs. Der Grundgedanke des Verfahrens soll kurz skizziert werden. Die einzelnen Zellenbesetzungen mehrdimensionaler Kreuztabellen lassen sich auf logarithmischer Basis als Linearkombinationen der entsprechenden Randverteilungen darstellen, die Koeffizienten werden durch Regressionsgleichungen ermittelt. Sodann können die Häufigkeiten der Zellenbesetzungen geschätzt werden. Ein Vergleich mit den tatsächlichen, durch die Umfrage festgelegten Häufigkeiten gibt Auskunft über die Güte des Modells. Werden sämtliche Wechselwirkungen (Effekte) zwischen den entsprechenden Variablen im Modell berücksichtigt, reproduziert das sog. saturierte Modell die Original-Zellenbesetzung: Es existieren keine Differenzen und der Wert von chi 2 ist folglich gleich Null. Werden hingegen einige Effekte ausgeschlossen, so produziert das unsaturierte Modell Differenzen zur tatsächlichen Zellenbesetzung, chi 2 ist größer Null. Sind diese Differenzen jedoch nicht signifikant von Null verschieden, so wird das einfachere, weil um einige Wechselwirkungen reduzierte Modell als adäquate Lösung akzeptiert. Ein Ziel des Verfahrens besteht also darin, inhaltlich interpretierbare Modelle mit möglichst überschaubaren Wechselwirkungen zu finden, die dennoch den gesamten Zusammenhang zwischen den einbezogenen Variablen innerhalb der zugelassenen Signifikanzgrenzen reproduzieren können. Bei dem hier verwandten Verfahren sind die Modelle hierarchisch aufgebaut. Der Ausschluß einer bestimmten Wechselwirkung zwischen mehreren Variablen betrifft somit auch alle Effekte niedrigerer Ordnung. 39 Für die vorliegende Problemstellung ist diese Modelluntersuchung gerade auch aufgrund ihres hierarchischen Charakters gut geeignet. Modelle ohne einen direkten Einfluß der sozialstrukturellen Variablen auf die Wahlabsicht sind leicht zu erzeugen. Sie beinhalten sämtliche Wechselwirkungen zwischen erstens der Wahlabsicht und den Einstellungsvariablen, zweitens den Einstellungsvariablen und den sozialstrukturellen Variablen sowie drittens den sozialstrukturellen 38

Vgl. grundsätzlich zu den Möglichkeiten der Analyse mehrdimensionaler Kreuztabellen Küchler (1979) S. 154-255. Die nachfolgenden Untersuchungen wurden jedoch ausschließlich mit der SPSS-Prozedur HILOGLINEAR durchgeführt. 39 Als Beispiel: Mit der Herausnahme des Effekts Konfession*Alter* Jahresbewertung aus einem komplexeren Modell werden also auch die Effekte Konfession*Alter, Alter* Jahresbewertung und Konfession*Jahresbewertung sowie die Einzeleffekte Konfession, Alter und Jahresbewertung ausgeschlossen.

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

133

Variablen. Unterscheiden sich die auf dieser Grundlage geschätzten Häufigkeiten signifikant von denen des Gesamtmodells, so müssen weitere Effekte berücksichtigt werden. Diese beinhalten notwendigerweise alle einen direkten sozialstrukturellen Einfluß auf die Wahlabsicht. Sind die Abweichungen nicht signifikant von Null verschieden, so reproduziert das spezifizierte Modell hinreichend genau sämtliche Wechselwirkungen, direkte sozialstrukturelle Einflüsse auf die Wahlabsicht müssen hierzu nicht berücksichtigt werden. Aufgrund der inhaltlichen Kausalbeziehung zwischen den verschiedenen Variablengruppen ergeben sich somit die zwei in Abbildung 4.3 visualisierten alternativen Erklärungsvarianten der Wahlabsicht in Sachsen-Anhalt.

Abbildung 4.3: Grundmodelle zur Erklärung der Wahlabsicht Für die Daten der Herbstumfragen 1990 und der Vorwahlbefragung 1994 wurden zwei unterschiedlich zusammengesetzte Modelltypen konfiguriert. Die Nachweise hierzu finden sich in Tabelle 4.17 sowie im Anhang (A.21). Konfiguration 1 beinhaltet die Wahlabsicht, die beiden Einstellungsvariablen Eingliederung und Jahresbewertung bzw. Regierungsarbeit und politische Ordnung sowie die sozialstrukturellen Merkmale Konfession und formale Qualifikation. Alle Variablen sind aus Vergleichsgründen entsprechend ihrer Verwendung in den vorhergehenden Diskriminanzanalysen codiert. Konfiguration 2 berücksichtigt zusätzlich das Alter, dichotomisiert aber zur Minimierung der Anzahl unbesetzter Zellen in der 6-dimensionalen Kreuztabelle die sozialstrukturellen Merkmale. Ein entsprechendes Modell wurde für Juni 1992 erstellt und findet sich im Anhang (A.20). Auf die Wiedergabe von vergleichbaren Modellen für das Frühjahr 1990 kann verzichtet werden. Da selbst der Effekt fünfter Ordnung - Konfession steht nicht zur Verfügung - noch einen signifikant von Null verschiedenen chi2-Wert aufweist (38.4), lassen sich nur unwesentliche Streichungen aus dem saturierten Modell vornehmen. Auch die Hinzunahme anderer Variablen kann die fehlende

134

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

Konfessionszugehörigkeit statistisch nicht ausreichend kompensieren und findet zudem keine theoretische Legitimation. Alle einbezogenen Variablen haben demnach einen direkten Einfluß auf die Wahlabsicht im Frühjahr 1990. Tabelle 4.17: Modellanalyse zum Zusammenhang von Wahlabsicht, attìtudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen im Herbst 1990 in Sachsen-Anhalt

(hierarchische loglineare Modelle) ModellSpezifikation Konfiguration 1 :

Likel.-Ratio chi2

FG

Sign. (korr.)

FG

Sign. (korr.)

Wahlabsicht (W), Eingliederung (E), Jahresbewertung (J), Konfession (K), Qualifikation (Q)

(1.) unabhängiges Modell: WEJKQ (2.) adäquates Modell: W*E*Q W*J*K J*E*Q Q*K

2005,9 408,9

660

.000

3037.7

524 1.000 (405) (.437)

1483.4

524 .897 (405) (.004)

709.6

560 .000 (502) (.000)

(3.) reduziertes Modell (ohne W*K*Q): W*E*J 633.6 560 .017 E*K*Q (502) (.000) J*K*Q Konfiguration 2:

Pearson chi2

660

.000

Wahlabsicht (W), Eingliederung (E), Jahresbewertung (J), Konfession (K), Qualifikation (Q), Alter (A)

(1.) unabhängiges Modell: WEJKQ A (2.) adäquates Modell: J*E*K*A W*J*Q W*E*Q J*Q*A W*Q*K W*A

1920,1 272,2

348

.000

2505.2

263 .336 (251) (.171)

251.9

263 .677 (251) (.471)

478.6

280 .000 (256) (.000)

(3.) reduziertes Modell (ohne W*K*Q*A): W*E*J 475.1 280 .000 E*K*Q*A (256) (.000) J*K*Q*A

348

kumulierter Datensatz, September/November 1990 (N=1779); FG = Freiheitgrade. Konfiguration 1 : vgl. Tabelle 4.9, Wahlabsicht ohne NichtWähler. Konfiguration 2: Wahlabsicht: 1 CDU 2 FDP 3 SPD 4 BÜ90 5 PDS; Eingliederung: -1 nein 0 teils, teils 1 ja; Jahresbewertung: -1 besser als heute 0 genauso Ischlechter; Konfession: 1 konfessionslos 2 konfessionell gebunden; Qualifikation: 1 bis Facharbeiter 2 Meister/Fach-/Hochschule; Alter: 1 bis 45 Jahre 2 über 45 Jahre.

.000

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

135

Die inhaltliche Interpretation der Modelluntersuchungen konzentriert sich entsprechend der Fragestellung auf wenige Punkte. Zunächst gilt es zu klären, ob zwischen den verschiedenen Variablen überhaupt Wechselwirkungen bestehen. Die hierzu getesteten unabhängigen Modelle beinhalten lediglich die Haupteffekte der Variablen und vernachlässigen sämtliche Wechselwirkungen. In allen Fällen signalisiert der signifikant hohe chi2-Wert, daß diese Modellspezifikationen der Datenstruktur nicht gerecht werden. Ein Blick auf die in den Tabellen jeweils an dritter Stelle piazierten reduzierten Modelle klärt die zentrale Frage nach der Wirkung sozialstruktureller Variablen. Ganz eindeutig sind die Modelle beider Konfigurationen im Herbst 1990 nicht geeignet, die jeweiligen tatsächlichen Wechselwirkungen mit Abweichungen innerhalb der Tolerierungsgrenzen zu reproduzieren. Eine hinreichend genaue Widerspiegelung aller tatsächlichen Wechselwirkungen gelingt nur unter der zusätzlichen Berücksichtigung von direkten Effekten zwischen der Wahlabsicht und der Sozialstruktur im Modell, beispielsweise in der Spezifikation der adäquaten Modelle. Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß den sozialstrukturellen Variablen im Herbst 1990 im Rahmen der vorgenommenen Operationalisierung ein direkter Einfluß auf die Wahlabsicht in Sachsen-Anhalt zukommt. Anders stellt sich die Situation im Juni 1992 dar. Zwischen den Variablen existieren zwar ebenfalls signifikante Wechselwirkungen. Es kann aber aufgrund der ausgewiesenen Signifikanzen die Nullhypothese, wonach der vom reduzierten Modell erzeugte chi2-Wert ein Zufallsprodukt ist, nicht mit einer Sicherheit von 95 % zurückgewiesen werden. Somit ist also nicht mit hinreichender Sicherheit nachweisbar, daß eine Reproduktion aller tatsächlichen Wechselwirkungen durch das reduzierte Modell ohne die direkten Effekte der Sozialstruktur auf die Wahlabsicht mißlingt. Dieser Befund überrascht im Anschluß an die diskriminanzanalytischen Untersuchungen keineswegs, konnte doch bereits dort für 1992 im Vergleich zum Herbst 1990 ein Bedeutungsverlust der sozialstrukturellen Variablen festgestellt werden. Auch für 1994 kann die Nullhypothese letztlich nicht mit ausreichender Sicherheit zurückgewiesen werden. Allerdings verfehlt das in Konfiguration 2 spezifizierte Modell nur äußerst knapp das entscheidende Sicherheitslimit von 95 %. Im Rahmen dieses Modells läßt sich für 1994 nachweisen, daß den Variablen der Sozialstruktur ein direkter Einfluß auf die Wahlabsicht mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 9 % zukommt.

4.2.4. Fazit der Individualdatenanalyse

Die Untersuchung der Umfragedaten zwischen 1990 und 1994 untermauert in weiten Teilen die bereits auf Aggregatebene festgestellten Befunde. Die Wähler-

136

4. Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt: Eine empirische Analyse

schafien der Parteien weisen 1990 signifikant unterschiedliche sozialstrukturelle Profile auf, die sich im Kern auch bei der Landtagswahl 1994 erhalten haben. Im Einzelnen ergeben sich folgende Befunde: (1) Die CDU erfährt eine sozialstrukturelle Abstützung in konfessionellen, eher kleinstädtisch-ländlichen Kontexten und bei Gruppen mit niedriger formaler Qualifikation. Die PDS besitzt einen großen Rückhalt in städtischen Gruppen, die sich durch eine hohe formale Qualifikation und Kirchenferne auszeichnen. Bündnis 90/Grüne sind ebenfalls von großstädtischen Kontexten mit hohem Qualifikationsniveau begünstigt. Im Unterschied zur PDS stützt sich die aus der Bürgerbewegung hervorgegangene Partei jedoch stärker auf jüngere Altersgruppen und hat zudem auch ein nicht zu vernachlässigendes Stimmenpotential in kirchlichen Kreisen. Folglich bestätigt sich für den Untersuchungszeitraum 1990 bis 1994 auch auf der Individualebene die sozialstrukturelle Fundierung der politischen Hauptkonfliktlinie CDU vs. PDS und Bündnis 90/Grüne in Sachsen-Anhalt. Hierbei haben sich die Konturen der Wählerschaften von CDU und Bündnis 90/Grüne seit 1990 eher geschärft, die PDS hingegen konnte 1994 zusätzliche Wählergruppen mobilisieren und veränderte dadurch in Nuancen ihr sozialstrukturelles Profil von 1990. (2) Für SPD und FDP finden sich lediglich Spurenelemente einer sozialstrukturellen Einbettung. Die Verteilung der entsprechenden Wahlabsichten über die verschiedenen sozialen Gruppen hinweg weist für beide Parteien ein eher unspezifisches und ausgeglichenes Muster auf. Leicht überproportionale Ergebnisse erzielen die Sozialdemokraten bei älteren Wählern, die Liberalen in protestantischen, höher qualifizierten Kreisen. Am auffälligsten sind jedoch regionale Schwerpunktbildungen bei der FDP. Möglicherweise lassen sich die hohen Stimmenanteile der Liberalen 1990 im Regierungsbezirk Halle und die sozialdemokratischen Hochburgen im Regierungsbezirk Magdeburg tatsächlich mit regionalen kulturellen Traditionen begründen. Allerdings offenbaren die massiven Einbrüche der Liberalen bei den Wahlen von 1994 die ganze Fragilität des Verteilungsmusters, so daß als Erklärung dieses Regionalfaktors wohl eher Fragen der Organisationsstruktur und persönliche Kompetenzprofile überregionaler oder regionaler Parteigrößen seit Ende 1989 in Betracht kommen. (3) Ein zur weiteren Analyse herangezogenes komplexeres Erklärungsmodell der Wahlabsicht in Sachsen-Anhalt berücksichtigt neben den Merkmalen der Sozialstruktur zusätzlich zwei jeweils aktuelle, generalisierende Einstellungsvariablen, für 1990 und 1992 die retrospektiven Bewertungen des Einigungsprozesses und der persönlichen Situation im Vergleich zum Vorjahr, für 1994 die Bewertungen der Regierungsarbeit und der Wahl der politischen Ordnung. Trotz dieser unterschiedlichen Modellspezifikationen gleichen sich die Er-

4.2. Bestimmungsfaktoren der Wahlabsicht

137

gebnisse in einem hohen Maße. Die Einstellungen zur Einheit (1990, 1992) bzw. zur Regierungsarbeit (1994) üben in diesem Kontext den größten Einfluß auf die Ausprägung der Wahlabsicht aus. Die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Sozialstruktur und Wahlabsicht bleiben jedoch bestehen. Insbesondere besitzen weder attitudinale noch sozialstrukturelle Variablen einen besonderen Erklärungswert bezüglich der SPD-Wahlabsicht, keine Diskriminante vermag die sozialdemokratische Wählerschaft in eine Extremposition zu rücken. Loglineare Modelluntersuchungen unterstreichen schließlich die große Bedeutung der sozialen Kontexte, auch wenn sich 1994 die Gewichte etwas zugunsten der Einstellungsvariablen verschoben haben. Befriedigende Ergebnisse lassen sich für die Modellkonfigurationen von 1990 nur unter der Berücksichtigung direkter Effekte zwischen der Wahlabsicht und Variablen der Sozialstruktur erzielen. Somit kann die dieser Studie zugrunde liegende Arbeitshypothese, wonach der längerfristig wirksamen Konfliktstruktur der DDR eine eigenständige Bedeutung bei der Ausprägung der Wahlabsicht im Jahr 1990 in Sachsen-Anhalt zukommt, mit datenanalytischen Argumenten nicht zurückgewiesen werden.

5. Zusammenfassung und Ausblick Die vorliegende Studie untersuchte das Wählerverhalten zwischen 1990 und 1994 in dem neuen Bundesland Sachsen-Anhalt. Das Interesse galt insbesondere einer sozialstrukturellen Fundierung der Wahlentscheidungen von 1990. Der in der einleitenden Arbeitshypothese unterstellte Zusammenhang von Wählerverhalten und Sozialstruktur konnte empirisch nachgewiesen, die Hypothese somit nicht falsifiziert werden. Die sozialgeschichtlichen und datenanalytischen Untersuchungen ergaben vielfältige Befunde, die eine detailliertere Sichtweise der Wirkung dieses Zusammenhangs von Wählerverhalten und Sozialstruktur seit 1990 in Sachsen-Anhalt ermöglichen. Dem Resümee der wichtigsten Ergebnisse folgt nun in Anknüpfung an die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen eine abschließende Diskussion ihrer Konsequenzen. Ein Vergleich der verschiedenen Erklärungsansätze des Wählerverhaltens hat die grundsätzlichen Probleme sozialwissenschaftlicher Theoriebildung, komplexe Zusammenhänge menschlichen Verhaltens in adäquate und empirisch überprüfbare Modelle umzusetzen, verdeutlicht. Wählerverhalten resultiert makroanalytisch betrachtet aus den Wechselwirkungen zwischen gruppenspezifischen, längerfristig stabilen Interessen oder Präferenzen - durchaus auch darstellbar in Form individueller Parteiidentifikationen - und wahrgenommenen, situativen Handlungsmöglichkeiten. Beide Faktoren sind keineswegs unabhängig vom Handeln der politischen Eliten. Die in der empirischen Forschungspraxis notwendige Beschränkung der Untersuchung auf einen Ausschnitt der vielschichtigen Zusammenhänge orientiert sich an dem jeweils konkret zu verfolgenden Erkenntnisinteresse. Mit einer Reduzierung des Blickwinkels sind jedoch häufig weitreichende Konsequenzen verbunden, die es bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen gilt. Sie betreffen insbesondere sowohl das Bild vom individuellen Wähler und den für ihn bedeutsamen Motivationen seines Handelns als auch die Vorstellungen über die generellen Bestimmungsfaktoren des Wählerverhaltens. So sind zum einen Aussagen bezüglich individueller Beweggründe, etwa über das Ausmaß von Rationalität, aus Analysen kollektiven Verhaltens im allgemeinen nicht ableitbar, sondern stellen vielmehr deren Voraussetzung dar. Entsprechende Modellannahmen lassen sich zwar durchaus nach demokratietheoretischen Gesichtspunkten klassifizieren, sie können aber nicht als normative Wesensaussagen angesehen werden. Zum anderen lassen sich in den gängigen Analysemodellen Langzeit- und Kurzzeiteinflüsse auf das Wählerverhalten

5. Zusammenfassung und Ausblick

139

bislang nur unzureichend gemeinsam erfassen. Je nach Schwerpunktsetzung der Untersuchung betonen die entsprechenden Ergebnisse somit entweder die Konstanz oder den erfolgten Wandel des Wählerverhaltens im Aggregat. Eine Untersuchung sozialstruktureller Einflüsse auf die Wahlentscheidung muß generell den Rahmenbedingungen und Besonderheiten des politischen Systems Rechnung tragen. Die DDR war keine pluralistische Gesellschaft. Mit Ausnahme des kirchlichen Sektors unterlagen sämtliche gesellschaftlichen Teilbereiche der direkten politischen Kontrolle durch die SED. Dies galt ebenfalls für real existierende gesellschaftliche Hierarchien. Qualifikationsmöglichkeiten, Status oder auch Mobilitätschancen waren in hohem Maße abhängig von politischen Kriterien. Aufgrund der zentralen Stellung des politischen Bereichs läßt sich als grundlegendes vertikales Differenzierungskriterium der DDRGesellschaft die Nähe bzw. Distanz zur politischen Herrschaftsausübung ansehen. Der Abstand zwischen Zentrum und Peripherie ist abhängig vom Bezugsrahmen und besitzt eine räumliche, eine organisationsstrukturelle und eine weltanschauliche Dimension. Die in die Untersuchung einbezogenen sozialstrukturellen Variablen - etwa Ortsgröße, formale Qualifikation und Konfessionszugehörigkeit - stehen als Indikatoren für potentiell verhaltensrelevante Kontexte unter den spezifischen DDR-Bedingungen und beinhalten folglich auch diesen Aspekt ihrer gesellschaftlichen Strukturierung. Aus dieser Perspektive lassen sich die Wahlen von 1990 und insbesondere die Volkskammerwahl vom März wie folgt interpretieren: Zur Abstimmung stand in erster Linie die alle gesellschaftlichen Bereiche umfassende zentralistische Herrschafts- und Organisationsform der SED. In den unterschiedlichen Einstellungen zur deutschen Einigung bündelten sich die individuellen und gruppenspezifischen Erfahrungen, vor allem auch die politischen und ökonomischen Frustrationen mit dem sozialistischen System. Mit zunehmender Distanz zur Herrschaftsausübung stieg bei entsprechenden sozialen Gruppen im Aggregat auch der Anteil derer, die einem westlichen Gesellschaftsmodell den Vorzug gaben. Spätestens nach der Währungsunion wandelte sich die Frage nach der Einheit zur Frage nach den Modalitäten ihres Vollzugs, verlor aber keineswegs ihre Bedeutung. Für die Wahlentscheidungen spielte hierbei im Gegensatz zur Situation in den alten Bundesländern der Wettbewerb zwischen CDU und SPD eine nur untergeordnete Rolle. Die in Ostdeutschland entscheidende politische Auseinandersetzung des gesamten Jahres 1990 über die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung polarisierte vielmehr CDU bzw. Allianz für Deutschland und PDS. Zugespitzt: Die Bundestagswahl im Dezember 1990 war die letzte Wahl der DDR. Die statistischen Analysen der sachsen-anhaltinischen Wahlergebnisse von 1990 und 1994 stützen diese Sichtweise. Die Stimmenanteile von CDU und PDS

140

5. Zusammenfassung und Ausblick

korrelieren stark negativ und bilden eine Achse, auf der sich FDP, SPD und Bündnis 90/Grüne in bekannter Abfolge gruppieren. Im Frühjahr 1990 spiegelt diese Achse exakt die von der Allianz bis zur PDS kontinuierlich zunehmende Skepsis gegenüber einem raschen Systemwechsel wider. Die beiden Pole verfügen zudem über eine sozialstrukturelle Verankerung. Kirchlich-protestantischen Milieuverfestigungen mit auch zu DDR-Zeiten relativ unabhängiger institutioneller Ausgestaltung steht das mit der Herrschaftsausübung verbundene sozialistische Milieu gegenüber. Unterschiedliche Weltanschauungen mit jeweils eigenständigen kulturellen Normen und Traditionen forderten in beiden Fällen die Herausbildung von Gruppenidentitäten. Dementsprechend liefern auch die Konfessionszugehörigkeit und die formale Qualifikation zur Erklärung des Wählerverhaltens 1990 in Sachsen-Anhalt die signifikant höchsten Beiträge aller berücksichtigten sozialstrukturellen Merkmale. Darüber hinaus läßt sich für 1990 ein direkter Einfluß der sozialstrukturellen Variablen auf die Wahlabsicht im Rahmen des hier gewählten Untersuchungsdesigns zweifelsfrei nachweisen. Bei der Landtagswahl 1994 zeigt sich im Kern dasselbe Grundmuster. Trotz des zwischenzeitlichen dramatischen Tiefs in den Umfragen und der sogenannten Gehälter-Affäre um Ministerpräsident Werner Münch muß die CDU lediglich moderate Verluste im Vergleich zu 1990 hinnehmen. Der Parteienwettstreit polarisiert nach wie vor in erster Linie zwischen CDU und PDS, die Stärke und Richtung der bivariaten Zusammenhänge zwischen der Wahlabsicht und den sozialstrukturellen Variablen entsprechen der Situation von 1990. Ganz offensichtlich haben mit der zunehmenden Nähe des Wahltermins bereits existierende längerfristige Parteibindungen ihre Wirkung entfaltet. In der multivariaten Betrachtung kommt nun allerdings den Variablen Konfessionszugehörigkeit und Alter die größte Bedeutung zu. Die formale Qualifikation hat deutlich an Erklärungskrafi verloren, insbesondere für die Wahlabsicht zugunsten der PDS. Im Vergleich zu 1990 umfaßt deren Wählerschaft 1994 ein breiteres Spektrum von Vereinigungkritikern und -Skeptikern, darunter ehemalige Funktionsträger, DDRNostalgiker und Protestwähler. Die sozialdemokratische Wählerschaft weist trotz des existenzbedrohenden Niedergangs der FDP und der nur mäßigen Ergebnisse von Bündnis 90/Grüne 1994 wie auch 1990 keine markanten sozialstrukturellen oder attitudinalen Konturen auf. Dennoch signalisieren auch die empirischen Befunde zur Struktur des Parteiensystems, daß die SPD gerade in der Regierungsverantwortung und bei einer anhaltenden Schwäche der kleineren Parteien gute Chancen hat, die Polarisierung des politischen Wettbewerbs aufzubrechen und zu einer Dreieckskonstellation zwischen CDU, SPD und PDS auszuweiten. Insgesamt hat sich 1994 die Bedeutung der sozialstrukturellen Variablen, die im Rahmen dieser Untersuchung als Indikatoren der DDR-Strukturen angesehen werden, im Verhältnis zum Erklärungswert der Einstellungsvariablen leicht

5. Zusammenfassung und Ausblick

141

reduziert. Während 1990 den DDR-Strukturen noch ein direkter, nahezu ungefilterter Einfluß auf die Wahlen zukam, besaßen die Parteien zwischen 1990 und 1994 durch eine entsprechende Problemdeutung und Interessenvertretung alle Möglichkeiten zur aktiven Strukturierung des politischen Marktes. Allerdings ist bei diesem Vergleich zu beachten, daß für 1990 und 1994 entsprechend der jeweiligen politischen Agenda unterschiedliche Einstellungsvariablen herangezogen wurden. Die Berücksichtigung der DDR-spezifischen Besonderheiten erklärt und relativiert in gewisser Weise weiterhin den auch für Sachsen-Anhalt nachweisbaren Rückhalt der CDU in der ostdeutschen Arbeiterschaft. So standen Arbeiter trotz ihrer ideologischen Überhöhung auch in der DDR eher am unteren Ende der Herrschaftshierarchie. Die Widersprüche zwischen den offiziellen, ideologisch gefärbten Verlautbarungen und den eigenen tagtäglichen Lebenserfahrungen traten in den industrialisierten Gebieten des Südens der DDR am schärfsten zutage. Bezeichnenderweise fanden die Forderungen nach Veränderungen im Herbst 1989 gerade auch dort die größte Unterstützung. Die Untersuchung der sachsen-anhaltinischen Parteiergebnisse von 1990 nach Wirtschaftssektoren zeigt jedoch, daß die Union sowohl in industriell als auch in landwirtschaftlich geprägten Kreisen überdurchschnittliche Stimmenanteile erzielte. Zudem sind die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden deutschen Wirtschaftssystemen zu berücksichtigen. In der alten Bundesrepublik ist der Arbeiteranteil zugunsten des Angestelltenanteils durch den Ausbau des Dienstleistungssektors sowie eine entsprechende Tarifpolitik kontinuierlich gesunken. Die nicht zuletzt auch aus ideologischen Gründen umfassendere Verwendung des Arbeiterstatus in der DDR relativiert mögliche Annahmen über eine zukünftig grundlegende Neuzuordnung von Sozialstruktur und Wählerverhalten in Deutschland. Die in dieser Untersuchung empirisch ermittelten Befunde zum Wählerverhalten in Sachsen-Anhalt stimmen bis in Einzelheiten mit den Ergebnissen von Studien zum gesamten Gebietsstand der DDR überein.1 Die Zusammenhänge von Sozialstruktur und Wählerverhalten gründen letztlich in der sozialistischen Gesellschafts- und Herrschafisstruktur der DDR und bestimmen auch noch 1994 in hohem Maße die politische Auseinandersetzung. Regionale politische Tradi-

1

Vgl. zu den Wahlen von 1990 einmal mehr die Zusammenstellung der empirischen Befunde in Kap. 2.4.1. sowie die dort aufgeführten Nachweise. Emmert (1991) weist in seiner Analyse nach, daß unter den sozialstrukturellen Variablen der Konfessionszugehörigkeit und der Berufsgruppenzugehörigkeit, die mit dem in dieser Untersuchung verwandten Qualifikationsgrad hoch korreliert, die größte Bedeutung bei der Erklärung des Wählerverhaltens zukommt. Zu den Wahlen von 1994, insbesondere auch zur Wählerschaft der PDS vgl. Falter/Klein (1994), Jung/Roth (1994), Oberndörfer et al. (1994), Schmidt/Werz (1994), Karl Schmitt (1995), Schultze (1995).

142

5. Zusammenfassung und Ausblick

tionen haben aufgrund des totalitären Charakters der SED-Herrschaft ihre verhaltensrelevante Bedeutung weitgehend eingebüßt.2 Die am Beispiel von SachsenAnhalt aufgezeigten Strukturen können in ihren Grundzügen als spezifisches „Ost-Muster" des politischen Wettbewerbs in der ersten Hälfte der 90er Jahre betrachtet werden. Die unterschiedlichen Interpretationen der Volkskammerwahl von 1990 - reine Themenwahl oder Ausdruck längerfristig wirksamer gesellschaftlicher Strukturen - stehen nicht in direktem Widerspruch, sondern resultieren zum größten Teil aus verschiedenen Untersuchungsperspektiven. Sie betonen unterschiedliche Einflußfaktoren des Wählerverhaltens, skizzieren hierbei aber implizit entgegengesetzte Bilder vom Wähler. Relevant werden diese Unterschiede bei der Diskussion möglicher Zukunftszenarien des sich herauskristallisierenden ostdeutschen Parteiensystems. Die Annahme einer in erster Linie sachfragenorientierten Wählerschaft führt zu anderen Einschätzungen bezüglich der Verhaltenskonstanz der Wähler und den Handlungsmöglichkeiten politischer Eliten als die zusätzliche Berücksichtigung sozialstrukturell verankerter Gruppeninteressen. Im Rahmen einer historisch-soziologischen Argumentation müssen Überlegungen zu den Entwicklungsperspektiven eines Parteiensystems bei der Parallelität von politisch beobachtbaren und empirisch nachweisbaren Frontstellungen ansetzen. Die in dieser Untersuchung deutlich gewordenen Zusammenhänge werden sich um so mehr zu dauerhaften Erklärungsfaktoren des Wählerverhaltens transformieren, je zielgerichteter sie von den politischen Eliten aufgegriffen und durch tagespolitische Aktualisierungen verstärkt werden. Daß dieser Prozeß bereits im Gange ist, zeigen die politischen Auseinandersetzungen des Wahlkampfes von 1994. Die inhaltliche Kontroverse von 1990 um die zukünftige Entwicklung der DDR hatte sich überlebt. 1994 bestimmte bereits ein Gegensatz zwischen Vereinigungsgewinnern und Vereinigungsverlierern die politische Wahrnehmung im Osten. Auch er wurde der parteipolitischen Achse CDU vs. PDS aufinoduliert. Die stark polemisierte Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien polarisierte das politische Spektrum wie 1990 und stabilisierte die Parteiorientierungen der jeweils eigenen Klientel. Insbesondere die PDS, die im bundesweiten Parteienwettstreit die schlechteste Ausgangsposition hat, profitierte von diesem Themenwechsel. Statusverluste, Minderwertigkeitskomplexe und Enttäuschungen über den Einigungsprozeß verbinden sich bei ihren Wählern und bewirken eine in Teilen verklärte Sicht der DDR-Vergangenheit. Gerade zum Subjekt der Geschichte geworden, suchen viele offensichtlich die aus früheren Tagen altvertrauten Sicherheiten politischer und ideologischer Abschottung.

2 Karl Schmitt (1993) hat die entsprechenden Brüche und Neuzuordnungen detailliert herausgearbeitet.

5. Zusammenfassung und Ausblick

143

Auf der Basis der vorliegenden Befunde lassen sich abschließend Strategien der Stimmenmaximierung für die Parteien formulieren. Zwei erfolgversprechende, unterschiedliche Grundmuster zeichnen sich ab: CDU und PDS können auch auf strukturelle Vorteile setzen, die anderen Parteien müssen zum Profil- und Stimmengewinn in erster Linie die mediale Klaviatur bemühen. Die CDU profitiert wohl auch weiterhin in mehrfacher Hinsicht von einer harten politisch-moralischen Konfrontation mit der PDS, aller Voraussicht nach ausgelöst durch das Thema einer möglichen Regierungsbeteiligung der sozialistischen Partei. Die Herausstellung der SED/PDS-Verantwortung für die Folgen der DDR-Herrschaft sowie eine polemisierte Anti-Sozialismus-Kampagne festigt hierbei zunächst die Anbindung der eigenen Klientel in den neuen Bundesländern. Zum einen sind die Erinnerungen an das diktatorische Herrschaftssystem noch präsent, und große Teile der CDU-Wählerschaft stehen einem erneuten Machtzuwachs der ehemaligen Staatspartei mit großer Skepsis gegenüber. Zum anderen verspricht eine CDU-Wahl natürlich für manche Wähler auch eine gewisse moralische Entlastung von der eigenen, nicht immer einwandfreien Vergangenheit. Sodann stärkt die öffentliche Auseinandersetzung letztlich die PDS im Osten. Deren Stimmengewinne gehen jedoch in erster Linie zu Lasten der SPD, der bundesweit wichtigsten Konkurrenzpartei um die Kanzlermehrheit. Weiterhin verspricht eine massive Kampagne gegen die PDS als Vertreterin des alten DDR-Systems auch Stimmengewinne in den alten Bundesländern. Vorhandene Ressentiments gegen die neuen Bundesbürger und der Unmut über die finanziellen Kosten der Einheit können so umgelenkt werden. Der Verweis auf die Altlasten lenkt ab von Problemen und eigenen Fehlern im Zuge des Vereinigungsprozesses. Die PDS profitiert ebenfalls im Wechselspiel mit der Union von einer harten Auseinandersetzung. Allerdings konnte im Westen die durchaus geschickte mediale Selbstinszenierung der Partei bislang nicht in entsprechende Stimmengewinne umgesetzt werden. Im Osten jedoch bewirken die massiven öffentlichen Vorwürfe von Seiten der anderen, „westdeutschen" Parteien eine Stabilisierung der Wählerbindungen an die PDS. Je polemischer entsprechende Vorhaltungen auf die SED-Vergangenheit abzielen, desto stärker entwickeln sich voraussichtlich Gruppenidentitäten auf der Basis eines stereotypen West-Ost-Denkens zugunsten der PDS und überdecken die innere Heterogenität ihrer Wählerschaft. Schleichend vollzieht sich ein Wechsel von der Täter- in die Opferrolle. Die PDS kommt in die günstige Situation, sich als regionale Ostpartei darstellen zu können, die als einzige Partei die legitimen Interessen der neuen Bundesbürger vertritt. Die sozialistischen Bestände im ideologischen Marschgepäck rücken im Bewußtsein potentieller PDS-Wähler zunehmend in den Hintergrund. Unterstützt wird ein solcher Imagewechsel durch die großen organisationsstrukturellen

144

5. Zusammenfassung und Ausblick

Vorteile der ehemaligen Staatspartei. Die nach wie vor intakte Parteimaschinerie erlaubt der PDS vielfaltige Betreuungsangebote und ein vergleichsweise hohes Engagement fur die Nöte ihrer Wähler vor Ort. In einer deutlich schlechteren Position befindet sich die SPD, die bereits im Westen eine sehr heterogene Wählerschaft vorzuweisen hat. In den neuen Bundesländern lassen sich auch 1994 keine sozialstrukturell identifizierbaren Gruppen finden, die als Kristallisationspunkte einer Kernwählerschaft anzusprechen wären. Wesentlich stärker als CDU und PDS sind die Sozialdemokraten daher auf mediale Formen der Politikvermittlung angewiesen. Hierbei läßt sich allerdings nur dann ein eigenständiges Profil gewinnen, wenn es der SPD gelingt, die Hauptachse der öffentlichen politischen Auseinandersetzung zwischen CDU und PDS zu durchbrechen. Der anhaltende Erfolg von Manfred Stolpe in Brandenburg zeigt, wie die fehlende Milieuverankerung in den neuen Bundesländern durch eine Mischung aus persönlichem Charisma, erfolgreicher Arbeit und „symbolic politics" kompensiert werden kann. In der Regierungsverantwortung hat die SPD im Osten alle Chancen zur nötigen Profilierung beim Wähler sowie zum Auf- und Ausbau ihrer Parteiorganisation. Die größten Erfolgsaussichten verspricht eine solche Strategie jedoch, wenn sie mit eigenständigen politischen Themen oder aus einer Position der Stärke heraus erfolgt. Die Minderheitenregierung in Sachsen-Anhalt hingegen steht vor dem Problem, fur notwendige Mehrheiten de facto Kompromisse entweder mit der CDU oder der PDS suchen zu müssen. Durch eine permanente Aktualisierung dieser strukturell verankerten Konfliktdimension wird eine eigenständige Profilierung in Sachsen-Anhalt jedoch erschwert. Allerdings kann eine geschickte Verbindung von Moderatoren- und Gestaltungsrolle das Vertrauen in die Kompetenz, Verläßlichkeit und Seriosität des Ministerpräsidenten Reinhard Höppner und der sachsen-anhaltinischen SPD deutlich erhöhen, ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt gerade nach den politischen Turbulenzen der CDU-geführten Regierungen in Sachsen-Anhalt. FDP und Bündnis 90/Grüne können derzeit nur über die Thematisierung relevanter Problemfelder eine eigenständige Profilierung erzielen. Sozialstrukturelle Ansatzpunkte oder Verankerungen einer politischen Strategie sind für beide Parteien nur rudimentär erkennbar. Der FDP gelingt es trotz eines gewissen Aufschwungs mittelständischer Unternehmen bislang im Osten nicht, sich Handwerkern und Selbständigen als unverzichtbare politische Kraft glaubhaft darzustellen. Als sicheres Wählerpotential von Bündnis 90/Grüne fehlen in den neuen Bundesländern bislang die ökologisch oder postmaterialistisch orientierten Mittelschichten. Zudem läßt sich die Funktion der produktiven Unruhestifter in Anknüpfung an die ostdeutsche Bürgerbewegung der späten 80er Jahre nicht endlos ausüben, sie wirkt bei großen Teilen der Bevölkerung inzwischen allem Anschein nach sogar eher kontraproduktiv. Die Erfahrungen der alten Bundesre-

5. Zusammenfassung und Ausblick

145

publik zeigen, daß in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufbaus in der Bevölkerung eher eine gewisse politische Stabilität vorgezogen wird. Die nur geringen strukturellen Verschiebungen bei den Landtagswahlen von 1994 in allen östlichen Bundesländern unterstreichen diese Einschätzung. Die Ergebnisse dieser Studie verweisen einmal mehr auf die Grenzen und Beschränkungen wahlanalytischer Untersuchungen bei der Prognostizierung zukünftiger Entwicklungen. Wählerverhalten ist letztlich Teil des politischen Verhaltens und kann nicht isoliert betrachtet oder gar im Hinblick auf die verhaltensleitenden Beweggründe abschließend erklärt werden. Die durch die über 40jährige Zugehörigkeit zu einem ganz anderen politischen und gesellschaftlichen System geprägten Verhaltensweisen ändern sich nicht grundlegend in kurzer Zeit, auch wenn zu deren Analyse im Fall der Wahlforschung durchaus Rational Choice-Modelle herangezogen werden können. Begründete Aussagen über die individuelle Flexibilität der Wählerinnen und Wähler sind in den größeren Kontext der Partizipations- und politischen Kulturforschung zu stellen. Weiterhin wird deutlich, daß eine historisch-soziologische Untersuchung des Wählerverhaltens in den neuen Bundesländern lediglich vorhandene Strukturen aufzeigen kann. Deren permanente Aktivierung für den politischen Prozeß muß durch Politiker und Parteien geleistet werden. Fragen der inhaltlichen Aufbereitung und thematischen Zuspitzung, der Zustand und die Leistungsfähigkeit der Parteiorganisation sowie das persönliche Charisma der Spitzenkandidaten spielen hierbei eine große Rolle. Die soziologische Erklärung des Wählerverhaltens liefert diesbezüglich Anknüpfungspunkte für erfolgreiche Strategien zur Erlangung oder Sicherung der politischen Mehrheitsfahigkeit. Es obliegt den Parteien, den durch die noch ungefestigten Strukturen sich ergebenden Gestaltungsspielraum im Osten Deutschlands gewinnbringend und zugleich verantwortungsvoll zu nutzen.

10 Eith

Anhang

TabellleAl: Standardabweichung (Stdabw) und Variationskoeffizient (VK) der Wahlergebnisse seit 1990 in Sachsen-Anhalt

VKW 1990 Stdabw VK WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

1.58 6.64 4.16 3.71 2.75 1.25

0.017 0.147 0.175 0.459 0.196 0.313

LTW 1990 Stdabw VK 2.28 5.84 3.47 4.75 2.64 1.45

0.036 0.149 0.133 0.351 0.224 0.279

BTW 1990 Stdabw VK 2.20 6.06 3.41 6.18 2.29 1.34

0.030 0.158 0.138 0.312 0.243 0.252

Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

LTW 1990 VK Stdabw WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

2.68 6.06 3.44 4.76 2.98 1.52

Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49).

0.041 0.157 0.133 0.348 0.245 0.285

LTW 1994 Stdabw VK 3.34 4.14 3.17 1.48 4.42 1.23

0.061 0.121 0.094 0.409 0.220 0.240

Anhang

147

Tabelle Λ.2: Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 und Differenzen zur Volkskammerwahl 1990 in Sachsen-Anhalt in den politischen Hochburgen der Volkskammerwahl 1990

(Terzile, Mittelwerte der Stimmenanteile, Differenzen in Prozentpunkten) Kontexte der VKW 1990 insgesamt

Bundestagswahl 1990 SPD FDP PDS BÜ/GR

WBT

CDU

72.2

38.5

24.7

19.8

9.4

5.3

WBT

niedrig mittel hoch

70.0 72.3 74.3

33.0 41.0 41.3

24.7 24.7 24.8

21.7 18.9 18.7

11.7 8.4 8.2

6.6 4.7 4.6

CDU

niedrig mittel hoch

70.5 72.7 73.4

32.2 39.9 43.1

24.4 25.9 23.8

22.5 18.4 18.5

12.0 8.4 7.9

6.6 5.0 4.4

SPD

niedrig mittel hoch

73.6 71.9 71.2

42.0 34.8 38.9

22.3 23.6 28.2

20.9 23.9 14.5

8.1 9.9 10.2

4.2 5.6 6.0

FDP

niedrig mittel hoch

71.2 73.4 71.9

39.0 41.9 34.5

28.2 24.2 21.9

14.2 18.7 26.2

10.2 8.2 9.8

6.0 4.5 5.5

PDS

niedrig mittel hoch

73.9 72.1 70.8

42.3 39.9 33.4

24.1 24.7 25.4

19.0 19.6 20.7

7.6 8.6 11.9

4.7 4.8 6.4

BÜ/GR

niedrig mittel hoch

72.9 73.1 70.4

42.6 40.2 32.4

25.3 24.8 24.1

17.3 19.3 22.7

8.4 8.2 11.8

4.1 5.0 6.8

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

10*

Anhang

148

Tabelle .

(Fortsetzung)

Kontexte der VKW 1990

WBT

Differenzen BTW 90 - VKW 90 CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

insgesamt

-21.2

-6.6

1.0

11.7

-4.6

1.3

WBT

niedrig mittel hoch

-21.4 -21.5 -20.7

-6.0 -6.6 -7.1

-1.0 1.7 2.4

12.7 11.4 10.9

-4.8 -4.6 -4.6

1.3 1.2 1.4

CDU

niedrig mittel hoch

-21.3 -21.4 -20.9

-4.8 -6.4 -8.6

-1.1 1.4 2.8

12.8 11.0 11.4

-5.1 -4.7 -4.2

1.2 1.6 1.2

SPD

niedrig mittel hoch

-20.5 -21.0 -22.0

-7.5 -7.5 -4.8

3.1 0.2 -0.1

11.1 14.0 9.9

-4.8 -5.0 -4.5

0.9 1.1 1.9

FDP

niedrig mittel hoch

-22.0 -20.8 -20.9

-4.9 -7.8 -7.0

0.2 2.5 0.3

9.8 11.5 13.8

-4.5 -4.5 -5.0

1.9 1.2 0.9

PDS

niedrig mittel hoch

-20.4 -21.6 -21.6

-8.0 -6.7 -5.2

1.8 2.1 -0.8

11.6 10.7 12.8

-3.9 -4.7 -5.3

1.3 1.3 1.3

BÜ/GR

niedrig mittel hoch

-21.5 -20.8 -21.4

-7.2 -7.0 -5.5

3.1 1.3 -1.4

10.2 11.7 13.2

-4.7 -4.5 -4.8

1.2 1.5 1.3

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

Anhang

149

Tabelle Α. 3: Ergebnisse der Landtagswahl 1994 und Differenzen zur Landtagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt in den politischen Hochburgen der Landtagswahl 1990

(Terzile, Mittelwerte der Stimmenanteile, Differenzen in Prozentpunkten) Kontexte der LTW 1990

Landtagswahl 1994 SPD FDP

WBT

CDU

PDS BÜ/GR

insg. (LTW 1994)

54.8

34.2

33.8

3.6

20.1

5.1

WBT

niedrig mittel hoch

53.2 55.3 56.0

31.8 34.4 36.4

33.5 34.9 33.1

3.3 3.2 4.7

23.0 19.2 18.2

5.6 5.2 4.6

CDU

niedrig mittel hoch

53.5 55.0 56.0

29.9 36.3 36.8

32.5 34.3 34.9

3.4 4.0 3.5

24.8 18.0 17.2

6.3 4.3 4.7

SPD

niedrig mittel hoch

53.2 54.7 56.6

34.3 35.1 33.1

31.0 34.6 35.9

4.4 4.0 2.4

21.7 18.2 20.5

5.2 4.8 5.3

FDP

niedrig mittel hoch

56.7 54.1 53.6

33.3 35.8 33.4

35.8 34.6 31.1

2.5 3.4 5.0

20.5 18.0 22.0

5.3 4.8 5.3

PDS

niedrig mittel hoch

56.1 54.8 53.5

36.6 35.5 30.4

34.8 34.2 32.4

4.3 3.3 3.3

16.5 19.1 24.9

4.7 4.7 6.0

BÜ/GR

niedrig mittel hoch

55.4 55.7 53.4

37.3 34.8 30.5

33.7 34.7 33.3

4.2 3.3 3.3

17.4 18.9 23.9

4.2 5.2 6.1

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49).

Anhang

150

Tabelle Α. 3 (Fortsetzung) Kontexte der LTW 1990

WBT

Differenzen LTW 94 - LTW 90 CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

insgesamt (Difif.)

-10.2

-4.5

7.9

-10.1

7.9

-0.2

WBT

niedrig mittel hoch

-8.9 -9.8 -12.0

-3.6 -5.9 -3.8

7.3 7.8 8.6

-11.1 -8.8 -10.4

8.9 7.9 7.0

-0.7 0.0 0.0

CDU

niedrig mittel hoch

-10.2 -10.5 -9.9

-2.0 -4.3 -7.3

6.3 8.1 9.5

-12.4 -9.1 -8.5

9.7 6.7 7.3

-0.6 -0.3 0.2

SPD

niedrig mittel hoch

-12.2 -10.7 -7.8

-1.2 -5.8 -6.2

8.7 9.0 6.0

-13.9 -9.4 -6.9

8.3 7.5 8.0

-0.6 0.1 -0.2

FDP

niedrig mittel hoch

-7.7 -11.3 -11.6

-6.7 -5.9 -0.6

6.2 9.2 8.3

-6.6 -9.5 -14.2

8.1 7.2 8.5

-0.1 0.0 -0.6

PDS

niedrig mittel hoch

-10.1 -10.6 -10.0

-6.5 -4.9 -1.9

9.4 8.1 6.2

-8.9 -9.2 -12.1

7.1 7.5 9.3

0.1 0.1 -0.8

BÜ/GR

niedrig mittel hoch

-11.5 -8.5 -10.2

-5.3 -5.2 -2.9

8.8 8.2 6.8

-9.4 -9.1 -11.6

7.0 7.6 9.2

0.2 0.2 -1.0

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49).

Anhang

151

Tabelle Α. 4: Korrelationen der Stimmenanteile der Wahlen seit 1990 in Sachsen-Anhalt (signifikante Koeffizienten χ 100)

V K W 90

LTW 90

BTW 90

Volkskammerwahl 1990 SPD FDP PDS

WBT

CDU

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

100

76 100

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

60 76

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

44 90

-78 -76

-87

78 76

63 90

-78 -73

-47 100

-81

-39 -87 -83

84 -56 41 43

-59 100

-49 -70 84

-48 79 -50 51 63

-44 -78 83



-72 -87 45

-85 -90

100

81 100

-45 -85

-43 -89

98 71

42 86 92

-65 -83

97 73

Signifikanzniveau = .01 ; = nicht signifikant; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

-61

-90 48 86 88

Anhang

152

Tabelle

LTW 90

LTW 94

BTW 90

. (Fortsetzung)

WBT

CDU

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

100

35 100

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

44 47

WBT CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

Landtagswahl 1990 SPD FDP

100

37 70 51

-49

-83 -60

83 42

57 97

-45 -43

-65 -84 -74

-61 -80 100

-37 64 -62

.

. 9 4 -73

Signifikanzniveau = .01 ; = nicht signifikant; Landtagswahlkreisebene 1994, ungewichtet (N=49).

.

-71 64

-59 8 8 96

PDS



-46 -86

-46 -81

100

76 100

-35 -74 -42

-78

94 50

78 80

-67 -85

-63 -82

36 98 72

37 79 95

Anhang

153

Tabelle Α. 5: Regressionskoeffizienten und Signifikanzen bivariater Regressionen in Sachsen-Anhalt

BTW 1990 (abh.) - VKW 1990 (unabh.) Regressionsgleichung

Signifikanzen

(BTW 90) = Const. + Β * (VKW 90) CDU SPD FDP PDS BÜ/GR WBT

1.4 9.4 8.7 -1.9 1.5 -29.0

.82 .65 1.38 .81 .95 1.08

(Τ)

R2

(12.8) (8.0) (9.0) (23.2) (11.4) (7.7)

.81 .63 .68 .93 .78 .61

(F) (163.5) (63.5) (81.2) (538.6) (130.6) (58.7)

Signifikanzniveau = .001 ; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40). LTW 1994 (abh.) - LTW 1990 (unabh.) Regressionsgleichung Signifikanzen (LTW 94) = Const. CDU SPD FDP PDS BÜ/GR WBT

15.7 18.5 0.9 3.2 1.7 18.8

+ Β * (LTW 90) .48 .59 .20 1.39 .64 .55

Signifikanzniveau = .001 ; Landtagswahlkreisebene, ungewichtet (N=49).

(Τ)

R2

(F)

(6.7) (5.8) (5.7) (18.6) (9.1) (3.4)

.49 .41 .41 .88 .64 .20

(45.5) (33.2) (32.4) (347.2) (82.0) (11.6)

Anhang

154

Tabelle A.6: Korrelationen der Dimensionen der Faktorenanalyse in Sachsen-Anhalt mit ausgewählten Variablen der Sozialstruktur

(Koeffizienten χ 100) Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3 Anschlußgrade 1990 Trinkwasser Kanalnetz Kläranlagen Bestand an Traktoren 1990 Anteil modemer Heizung 1990 Arb./Ang. nach Qualifikation 1989 Hochschulabschluß Meister Facharbeiterausbildung Auszubildende an Bev. 1991 Besch, in der Landwirtsch. 1990 Besch, im. prod. Gewerbe 1990 Besch, im Handelssektor 1990 Besch, im Dienstl.-Sektor 1990

** **

**

** ** *

** **

**

59 67 45

-33 -21 -17

**

-71 33

35 -20

73 -51 -43 34

**

54 -21 -45 70

-09 * 43 31 -18

-26 -56 69 84

**

-82 73 -07 -22

29 20 *-47 -40

15 58 68

**

-26 66

** *

* **

**

Signifikanzniveau: *• = .001, * = .01; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

Kurzcharakterisierung:

Faktor 1 : Dienstleistungs- und Handelszentren (+); Faktor 2: Industrielle (+) vs. landwirtschaftliche (-) Produktion; Faktor 3: Gebiete mit hoher Mobilität (+).

Anhang

155

Tabelle AJ: Ergebnisse der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich ausgesuchter sozialstruktureller Kontexte (Mittelwerte der Stimmenanteile) insgesamt

BTW 1990 CDU SPD FDP PDS BÜ/GR

38.5 24.7 19.8 9.4 5.3 Beschäftigte im Dienstleistungssektor 1990: niedrig hoch 40.5 24.5 19.4 8.4 4.6

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR niedrig CDU SPD FDP PDS BÜ/GR Ν (Anzahl d. Kreise)

36.4 24.9 20.1 10.4 6.0

Anteil der Selbständigen 1990: hoch niedrig

hoch

40.1 23.4 20.7 8.5 4.7

40.9 25.6 18.3 8.4 4.6

31.8 24.2 23.0 12.1 6.7

41.4 25.7 17.0 8.5 5.1

10

10

10

10

Geringe Abweichungen vom amtlichen Ergebnis durch Aggregationseffekte; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40); Die beiden Kontextvariablen wurden für diese Analyse dichotomisiert.

Anhang

156

Tabelle A.8: Korrelationen der Stimmenanteile der Bundestagswahl 1990 in Sachsen-Anhalt mit ausgewählten Variablen der Sozialstruktur

(Koeffizienten χ 100) WBT

CDU

SPD

FDP

PDS

BÜ/GR

42 27 -50 -67

21 -03 -09 -12

-26 -09 20 35

* -50 -27 * 60 * 68

-39 -33 * 60 * 67

34 -83 79

10 -08 11

-17 36 -35

-40 * 88 * -87

-33 * 84 * -80

Arb./Ang. nach Qualifikation 1989: * Hochschulabschluß * -58 -86 * * 46 Meister 45 * Facharbeiterausb. * 58 48

-24 10 11

* 55 -23 -24

* 76 * -49 * -52

* 77 * -46 * -51

Beschäftigte 1990 nach Sektoren: Landwirtschaft * 48 07 prod. Gewerbe Handel/Verkehr * -46 Dienstleistung * -45 Beschäftigte 1990 nach Stellung: Selbständiger 36 Angestellter * -61 Arbeiter * 54

*

* *

* *

Signifikanzniveau: * = .01; Kreisebene 1990, gewichtet mit der Anzahl der Wahlberechtigten 1990 (N=40).

Anhang

157

Tabelle A.9: Korrelationen der Wahlabsicht in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen und attitudinalen Merkmalen

(Cramers V, Koeffizienten χ 100) Anzahl der Gruppen

FG

Konfession Qualifikation Alter Ortsgröße Bezirk

3 5 6 4 2

Geschlecht berufstätig soziale Gruppe Nettoeinkommen

2 2 4 5

5 5 15 20

5 ns 11 13

Eingliederung DDR Jahresbewertung pers. Zufriedenheit Verbesserung pers. Sit.

3 3 5 5

10 10 20 20

40

Regierungsarbeit Wahl der pol. Ordnung Arbeit Bergner wirt. Situation S.-A. - zukünft. Entwicklung pers. wirt. Situation - zukünft. Entwicklung

3 2 2 3 3 3 3

a b

c

10 20 25 15 5

Frühjahr Herbst Juni Juni 1990 1990 1992 1994 (N=2759) (N=2413) (N=1301) (N=l 107) -

12 11 8 16

-

-

6 * 20

22 12 9 6 ns 12

19 11 13 11 7 ns

21 13 13 08 ns

7 ns 8 * 13 6 *

6 ns 15 15 8 ns

01 ns 08 ns 11

40 28 20 18

34 15 20 14

10 5 5 10 10 10 10

Signifikanzniveau = .001 ; * = .05; ns = nicht signifikant; FG = Freiheitsgrade. Wahlabsicht: 6 Gruppen (CDU, FDP, SPD, B90/Grüne, PDS, NichtWähler); weitere Gruppeneinteilungen entsprechend Tabellen 4.9,4.11, A. 10, Α. 11 ; a Juni 1994: 4 Gruppen /15 FG; b Frühjahr 1990: 5 Gruppen / 20 FG; c Frühjahr 1990: 4 Gruppen /15 FG.

-

-

42 33 40 21 20 18 16

Anhang

158

Tabelle Α. 10: Wahlabsicht im Frühjahr 1990 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten

(Zeilenprozente) CDU

SPD

FDP

PDS BÜ/GR

NW

insgesamt

32.8

26.2

8.7

17.2

5.3

13.9

Qualifikation Teilfacharbeiter Facharbeiter Meister/Techniker Fachschule Hochschule

31.1 39.6 32.1 26.1 18.6

30.3 25.9 29.2 27.5 20.8

8.3 6.0 13.5 10.6 12.5

17.7 12.2 14.0 20.8 33.8

3.8 4.8 2.1 6.5 8.5

8.7 11.5 9.1 8.6 5.9

29.8 32.7 36.9 35.9 25.7

23.7 22.3 23.7 27.6 32.4

6.7 4.3 9.1 10.2 12.2

15.6 19.9 15.3 16.0 19.6

10.3 8.9 4.1 3.2 2.1

13.9 11.9 10.9 7.2 8.0

25.6 33.1 34.5 39.0

27.5 25.9 25.0 26.0

11.0 8.4 7.7 7.5

20.0 19.0 16.6 12.4

6.9 5.2 4.4 4.4

9.0 8.2 11.9 10.7

Region (Regierungsbezirke) Halle/Dessau 33.7 Magdeburg 31.6

22.4 31.3

11.6 4.8

15.9 19.0

5.2 5.4

11.1 7.9

Betrachte Problem der Eingliederung der DDR in die BRD als wichtig 50.2 26.0 9.6 3.1 weder noch 16.3 30.5 9.1 24.0 4.9 unwichtig 6.9 19.5 49.3

2.1 8.6 9.8

9.0 11.5 9.6

Erwartete Verbesserung der persönl. Situation im nächsten Jahr 45.6 24.4 29.2 in 2-3 Jahren 34.3 20.4 25.6 keine Verbesserung Verschlechterung 12.1 26.1

3.0 4.7 9.3 7.4

9.5 10.0 11.5 8.5

Altersgruppen 18-25 26-35 36-45 46-65 über 65 Ortsgröße (Einwohner) über 100.000 20.000-100.000 2.000-20.000 unter 2000

kumulierter Datensatz, März/April 1990 (N=2759).

9.7 9.3 9.2 4.2

7.7 12.5 24.1 41.7

Anhang

159

Tabelle All: Wahlabsicht im Juni 1992 in Sachsen-Anhalt in ausgewählten Gruppen und Kontexten

(Zeilenprozente) CDU

SPD

FDP

PDS BÜ/GR

NW

insgesamt

18.0

30.7

3.5

9.4

4.6

28.3

Konfession Katholiken Protestanten Konfessionslose

42.2 28.3 13.1

22.5 32.5 30.6

4.3 5.7 2.9

14.0 1.9 11.3

4.6 5.9 4.3

8.5 21.3 31.7

Qualifikation Teilfacharbeiter Facharbeiter Meister/Techniker Fachschule Hochschule

13.1 20.4 22.7 15.5 9.5

29.3 30.3 28.5 31.0 35.1

3.5 2.1 11.1 3.8 3.8

11.4 7.5 6.9 12.0 14.0

6.6 3.9 0 5.4 8.3

30.3 28.7 25.1 28.8 27.2

7.2 10.8 16.3 23.1 24.8 25.1

28.0 25.6 31.9 29.5 33.8 36.4

3.4 3.7 5.7 3.8 2.8 1.1

12.9 7.0 6.5 7.7 11.1 13.2

10.8 6.6 4.9 3.4 2.3 0

28.7 36.5 28.9 28.6 21.7 23.1

9.8 18.0 19.6 23.7

23.4 34.4 31.1 32.1

4.5 3.8 2.7 3.2

12.4 10.4 9.6 5.8

6.1 4.3 4.3 4.0

37.7 24.0 29.1 24.7

Region (Regierungsbezirke) Halle/Dessau 19.8 Magdeburg 16.0

27.9 33.4

3.6 3.3

9.4 9.5

4.7 4.6

29.6 27.1

Eingliederung der DDR in die BRD entspricht meinen Vorstellungen nein 4.0 31.9 1.9 15.7 6.2 33.4 teils, teils 27.3 5.5 3.1 3.8 4.4 56.9 10.9 3.5 0 ja

34.1 22.1 20.2

Jahresbewertung: Persönliche Situation war vor einem Jahr besser als heute 7.2 31.4 2.1 13.4 genauso 18.6 31.0 2.9 10.7 schlechter 25.6 29.0 6.5 2.8

36.7 27.0 24.8

Altersgruppen 18-25 26-35 36-45 46-55 56-65 über 65 Ortsgröße (Einwohner) über 100.000 20.000-100.000 2.000-20.000 unter 2000

Umfrage Juni 1992 (N=1301).

4.5 4.8 4.2

Anhang

160

Tabelle Α. 12: Wahlabsicht 1994 in Sachsen-Anhalt im Kontrastgruppenvergleich sozialstruktureller Merkmale (Differenzen der Parteianteile in %-Punkten) insgesamt CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW

31% 33% 4% 15% 8% 10%

Konfession

christlich +17 -3 -1 -7 -3 -4

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW Alter

konfessionslos -8 +1 +1 +3 +1 +1

unter 45

über 45

unter 45

über 45

+12 -7 -3 -3 +3 -3

+19 -1 0 -9 -5 -4

-10 -1 +1 +2 +3 +4

-5 +4 0 +5 -2 -3

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW nied.

hoch

nied.

hoch

nied.

hoch

nied.

hoch

CDU SPD FDP PDS BÜ/GR NW

+18 -4 -2 -6 -5 -2

-1 -13 -4 +3 +20 -6

+18 -3 0 -7 -5 -3

+20 +9 0 -15 -6 -10

-9 -1 +1 0 +2 +7

-12 -2 +2 +8 +9 -6

-4 +7 0 +1 -2 -2

-9 -3 0 +16 0 -5

Ν

164

30

192

35

304

83

227

69

Qual.

Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994 (N=1004); Qualifikation: nied.: bis einschl. mittlere Reife, hoch: Abitur/Hochschule. Lesehilfe: 31% aller Befragten präferieren die CDU, jedoch 48% (31+17) der Personen mit einer christlichen Konfession.

Anhang

161

Tabelle Al 3: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Frühjahr 1990 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufnahme

Wilks' Lambda

1. Alter 2. Qualifikation 3. Region 4. Ortsgröße

.972 .931 -.909 .900 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

26.4 % 47.8 % 23.2 % 53.8 % 14.5 %

insgesamt

26.9 %

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Dikriminanzfunktionen; kumulierter Datensatz, März/April 1990 (N=2269).

11 Eith

Fkt 1

Fkt 2

Fkt 3

.05 .225 237.7 16 49.7 %

03 .171 120.0 9 27.9 %

.02 .148 52.6 4 22.4 %

standard, rotierte Koeffizienten Fktl Fkt 2 Fkt 3 .013 .856 *

1.004 -.064

.422 *

.029

.000

.001

.018 -.060

.992 * -.142

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fktl Fkt 2 Fkt 3 -.244 .260 -.040 .255 .325

-.032 .211 .111 -.599 -.026

-.065 -.384 .162 .023 .060

162

Anhang

Tabelle Α. 14: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Juni 1992 in Sachsen-Anhalt mit sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufhahme 1. Alter 2. Konfession 3. Ortsgröße 4. Qualifikation 5. Region

Wilks' Lambda .938 .896 .878 .869 .862 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

47.2 % 2.2 % 9.1 % 57.9 % 41.6%

insgesamt

27.2 %

Fkt 1

Fkt 2

.10 .297 104.1 20 51.3 %

05 .210 39.2 12 48.7 %

standard, rotierte Koeffizienten Fkt 1 Fkt 2 .954 * .250 .023 - .200 .245

.052 .830 .300 .278 - .250

* * * *

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fkt 1 Fkt 2 .239 -.419 .039 -.814 -.005

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; N=710; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen.

-.403 -.080 .119 .053 .358

Anhang

163

Tabelle Α. 15: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Frühjahr 1990 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen: Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koefif. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert) Modellaufhahme 1. Vereinigung 2. Alter 3. Region 4. pers. Verbesserung 5. Qualifikation 6. Ortsgröße

Wilks' Lambda .674 .650 .635 .612 .598 .593 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BÜ90/GR PDS

57.8 % 40.7% 18.1% 5.9% 57.9%

insgesamt

43.4 %

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; kumulierter Datensatz, März/April 1990 (N=2244).

1

Fkt 1

Fkt 2

Fkt 3

Fkt 4

.58 .607 1170.4 24 86.5 %

.03 .181 139.9 15 5.4%

.03 .159 65.6 8 4.8 %

.00 .061 8.4 3 3.3 %

Standard, rotierte Koeffizienten Fktl Fkt 2 Fkt 3 Fkt 4 .872 * .153 -.041 .133 .027 1.017 * .052 .084 -.000 .000 .885 * - .003 .280 * -.001 .241 -.039 .134 .035 -.367 -.501 * .013 .035 -.254 .801 * Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fktl Fkt 2 Fkt 3 Fkt 4 -.723 -.204 -.036 .778 1.315

-.153 .213 .097 -.466 .188

-.081 -.439 .173 .025 .099

.157 -.249 .012 -.220 -.132

Anhang

164

Tabelle A.16: Diskriminanzanalyse der Wahlabsicht im Juni 1992 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

sign. Diskriminanzfunktionen:

Fkt 1

Fkt 2

Eigenwert der Funktionen kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade gebundene Varianz (rotiert)

.45 .559 310.6 20 87 %

06 .240 48.8 12 13 %

Modellaufhahme 1. Eingliederung 2. Alter 3. Jahresbewertung 4. Ortsgröße 5. Konfession

Wilks' Lambda .727 .689 .663 .653 .642 korrekt klassifiziert

CDU FDP SPD BU90/GR PDS

62.1 % 35.3 % 12.9% 46.7% 58.9%

insgesamt

36.5 %

Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; Varimax-Rotation der Diskriminanzfunktionen; Umfrage Juni 1992 (N=706).

standard, rotierte Koeffizienten Fkt 1 Fkt 2 .849 * .022 .328 * .153 - .214

.093 .918 * -.252 .229 * .357 *

Mittelwerte der Diskr.-Fkt.werte Fkt 1 Fkt 2 .993 .433 -.243 -.549 -.915

.169 - .463 .051 -.790 .090

Anhang

165

Tabelle Α. 17: Diskriminanzanalyse der politischen Hauptkomponenten im Herbst 1990 in SachsenAnhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

politische Hauptkomponenten:

CDU vs. PDS (N=888)

Eigenwert der Funktion kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade

1.03 .712 624.8 6

CDU vs. PDS+Bü (N=1036) .94 .696 682.1 5

SPD vs. FDP (N=744) .14 .352 97.9 6

ins Modell aufgenommene Variable (Position, Wilks' Lambda) Eingliederung Jahresbewertung Konfession Qualifikation Alter Region Ortsgröße

(1.) .598 (2.) .556 (3.) .532 (4.) .510 (5.) .500

(1.) (2.) (4.) (3.)

-

-

(6.) .493

.583 .557 .522 .538 -

(5.) 516

(1.) .947 (3.) .900 (4.) .888 (6.) .876 (5.) .878 (2.) .916 -

standardisierte Koeffizienten der Diskriminanzfunktion Eingliederung Jahresbewertung Konfession Qualifikation Alter Region Ortsgröße

.759 .356 -.303 -.268 -.193 -

.168

.789 .281 -.231 -.256 -

.156

-.574 -.384 .382 -.158 .329 .552 -

korrekte Klassifikation (%) / Gruppenmittelwerte CDU PDS insg.

87.1 / .533 95.0/-1.926 88.8

CDU PDS + Bü90/Gr insg. SPD FDP insg. Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; kumulierter Datensatz, September/November 1990.

84.9/ .676 86.0 /-1.385 85.3 64.5/ .226 68.4Λ.625

Anhang

166

Tabelle Α. 18: Diskriminanzanalyse der politischen Hauptkomponenten in Sachsen-Anhalt im Frühjahr 1990 mit attìtudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

politische Hauptkomponenten: Eigenwert der Funktion kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade

CDU vs. PDS (N=1250) 1.18 .736 970.5 6

CDU vs. PDS+Bü (N=1382) 1.01 .709 961.9 6

SPD vs. FDP (N=862) .09 .289 75.1 4

ins Modell aufgenommene Variable (Position, Wilks' Lambda) Vereinigung pers. Verbesserung Alter Qualifikation Ortsgröße Region

(1.) .498 (2.) .478 (3.) .468 (4.) .460 (5.) .459 (6.) .459

(1.) .534 (2.) .511 (5.) .498 (3.) .501 (4.) .499 (6.) .497

(4.) .916 (3.) .920 -

(2.) .927 -

(1.) .946

standardisierte Koeffizienten der Diskriminanzfunktion Vereinigung pers. Verbesserung Alter Qualifikation Ortsgröße Region

.882 .253 .188 .163 -.064 .056

.857 .272 .074 .181 -.082 .047

.224 .246 -

-.515 -

.811

korrekte Klassifikation (%) / Gruppenmittelwerte CDU PDS insg.

86.8/-.779 87.9/1.512 87.2

CDU PDS + Bü90/Gr insg. SPD FDP insg. Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; kumulierter Datensatz, März/April 1990.

85.5/-.826 84.6/1.222 85.2 62.1/. 170 69.2/-.534 63.8

Anhang

167

Tabelle Α. 19: Diskriminanzanalyse der politischen Hauptkomponenten 1994 in Sachsen-Anhalt mit attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen

politische Hauptkomponenten:

CDU vs. PDS (N=451)

Eigenwert der Funktion kanonischer Korr.-Koeff. chi2 Freiheitsgrade

1.06 .717 322.9 4

CDU vs. PDS+Bü (N=528) 1.01 .709 365.3 5

SPD vs. FDP (N=364) .02 .140 7.2 n.s. 2

ins Modell aufgenommene Variable (Position, Wilks' Lambda) Regierungsarbeit pol. Ordnung Konfession Qualifikation Alter Ortsgröße

(1.) .542 (2.) .500 (3.) .487 (4.) .485 -

(1.) (2.) (3.) (4.) (5.)

-

.549 .523 .502 .498 .497 -

-

standardisierte Koeffizienten der Diskriminanzfunktion Regierungsarbeit pol. Ordnung Konfession Qualifikation Alter Ortsgröße

.803 .383 -.218 -.085 -

.813 .314 -.260 -.103 .068 -

_ -

korrekte Klassifikation (%) / Gruppenmittelwerte CDU PDS insg.

90.9/ -.689 78.4/-1.511 78.0

CDU PDS + Bü90/Gr insg. SPD FDP insg. Signifikanzniveau aller Koeffizienten mind. .05; η. s. = nicht signifikant; Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994.

84.3/ .846 82.3/-1.191 83.4 -

Anhang

168

Tabelle A.20: Modellanalyse zum Zusammenhang von Wahlabsicht, attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen im Juni 1992 in Sachsen-Anhalt

(hierarchische loglineare Modelle) ModellSpezifikation Konfiguration:

Likel.-Ratio chi2

FG

Sign. (korr.)

Pearson chi2

FG

Sign. (korr.)

Wahlabsicht (W), Eingliederung (E), Jahresbewertung (J), Konfession (K), Qualifikation (Q), Alter (A).

(1.) unabhängiges Modell: WEJKQ A (2.) adäquates Modell: W*E*J E*A*K W*A*K A*Q*K W*Q

705.6 237.9

348

.000

903.0

286 .983 (246) (.633)

249.5

286 .942 (262) (.017)

312.7

302 .323 (262) (.017)

(3.) reduziertes Modell (ohne W*K*Q*A): W*E*J 303.5 302 .465 E*A*K (262) (.040) A*K*Q

348

Umfrage Juni 1992 (N=713); FG = Freiheitgrade. Konfiguration: Wahlabsicht: 1 CDU 2 FDP 3 SPD 4 BÜ90 5 PDS; Eingliederung: -1 nein 0 teils, teils 1 ja; Jahresbewertung: -1 besser als heute 0 genauso 1 schlechter; Konfession: 1 konfessionslos 2 konfessionell gebunden; Qualifikation: 1 bis Facharbeiter 2 Meister/Fach-/Hochschule; Alter: 1 bis 45 Jahre 2 über 45 Jahre.

.000

Anhang

169

Tabelle A.21: Modellanalyse zum Zusammenhang von Wahlabsicht, attitudinalen und sozialstrukturellen Merkmalen 1994 in Sachsen-Anhalt

(hierarchische loglineare Modelle) ModellSpezifikation Konfiguration 1:

Likel.-Ratio chi2

FG

Sign. (korr.)

FG

Sign. (korr.)

Wahlabsicht (W), pol. Ordnung (P), Regierungsarbeit (R), Konfession (K), Qualifikation (Q).

(1.) unabhängiges Modell: WPRKQ (2.) adäquates Modell: P*R*K*Q W*P*R W*K W*Q

884.2 196.3

347

.000

1039.5

244 .989 (178) (.165)

189.5

244 .996 (178) (.264)

251.0

264 .708 (214) (.042)

(3.) reduziertes Modell (ohne W*K*Q): W*P*R 262.1 264 .521 P*R*K*Q (214) (.014) Konfiguration 2:

Pearson chi2

347

.000

Wahlabsicht (W), pol. Ordnung (P), Regierungsarbeit (R), Konfession (K), Qualifikation (Q), Alter (A).

(1.) unabhängiges Modell: WEJKQA (2.) adäquates Modell: R*A*K*Q W*R*K*Q W*A*K*Q W*P*R p*Q P*K

831.6 108.3

229

.000

1040.3

135 .956 (119) (.749)

110.6

135 .939 (119) (.696)

194.5

168 .079 (163) (.047)

(3.) reduziertes Modell (ohne W*K*Q*A): W*P*R 193.6 168 .086 P*R*K*Q*A (163) (.051)

229

Vorwahlbefragung FGW, Juni 1994 (N=892); FG = Freiheitgrade. Konfiguration 1 : vgl. Tabelle 4.11, Wahlabsicht ohne NichtWähler. Konfiguration 2: Wahlabsicht: 1 CDU 2 FDP 3 SPD 4 BÜ90 5 PDS; Konfession: 1 konfessionslos 2 konfessionell gebunden; Qualifikation: 1 bis einschl. mittl. Reife 2 Fachhoch-/Hochschule; Alter: 1 bis 45 Jahre 2. über 45 Jahre.

.000

Literaturverzeichnis Adler, Frank (1991): Ansätze zur Rekonstruktion der Sozialstruktur des DDRRealsozialismus, in: Berliner Journal für Soziologie 1. Jg., S. 157-175. Adler, Frank/Albrecht Kretzschmar (1990): DDR-Lebenslagen und -Sozialstrukturen im Umbruch, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 35. Jg., S. 985-993. Alber, Jens (1985): Modernisierung, neue Spannungslinien und die politischen Chancen der Grünen, in: PVS 26. Jg., S. 211-226. Albert, Hans (1978): Traktat über rationale Praxis, Tübingen. Alemann, Ulrich v. (1992): Parteien und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Rekrutierung, Konkurrenz und Responsivität, in: Alf Mintzel/Heinrich Oberreuter (Hg.): Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, 2., akt. und erw. Aufl., Bonn, S. 89-130. Allardt, Erik (1968): Past and Emerging Political Cleavages, in: Stammer (1968) S. 66-74. Almond , Gabriel Α. (1987): Politische Kulturforschung. Rückblick und Ausblick, in: Berg-Schlosser/Schissler (1987) S. 27-38. Asher, Herbert B. (1983): Voting Behavior Research in the 1980s: An Examination of Some Old and New Problem Areas, in: Ada W. Finifter (Hg.): Political Science. The State of the Discipline, Washington, S. 339-388. Autorenkollektiv (1979): Die Arbeiterklasse und der Annäherungsprozeß der Klassen und Schichten, Berlin (Ost). Averkorn, Syra (1993): Meinungsforschung in Sachsen-Anhalt. Die Stellung der SachsenAnhaltiner zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, in: Gabriel/Troitzsch (1993) S. 443-454. Averkorn, Syra/Ulrich Eith (1992): Zwischen Bangen und Hofifen. Determinanten der Wahlentscheidung in Sachsen-Anhalt, in: Oberndörfer et al. (1992a) S. 24- 55. Beck, Paul Allen (1976): A Socialization Theoiy of Partisan Realignment, in: Richard G. Memz/Herbert F. Weisberg (Hg.): Controversies in American Voting Behavior, San Francisco, S. 396-411. Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. Becker, Ulrich/Horst Nowak (1982): Lebensweltanalyse als neue Perspektive der Meinungs- und Marktforschung, in: Fitting Research to Turbulent Times. Papers, 35. Kon-

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Deutsche Demokratische Republik 13ff, 28, 61ff, 69fif, 74ff, 99, 104, 106, 109f, 112ff, 117,119,137,139ff, 157ff SED-Herrschaft 15, 22, 66, 70, 67, 78, 80, 8Iff, 139ff deutsche Einheit 13,15,17,19, 62, 65, 69, 128,139,142f Deutungskultur/-macht 44, 51, 73f, 81, 88f Einigungsprozeß s. deutsche Einheit

Berlin/Ost- 20,62, 88 Bitterfeld 103 Brandenburg 62, 88,144 Bundesregierung 13 Bundesrepublik Deutschland 13, 16, 32, 36, 38, 40,45f, 50, 52f, 61, 64f, 69, 85, 99,114,117,141,144,158f Bürgerbewegung 85, 87f, 119,136,144 Datenanalyse 23ff, 37,69,90ff Makroebene 23, 27ff, 33, 35, 38, 46ff, 57,66,68f, 138 Mikroebene 23,28f, 42,47,55,69 Datenbasis 14,25,38, 67,70, 89, 91, lOlf, 11Iff, 116 Datentypen 17,24,91 Aggregatdaten 17, 22, 25, 37, 63, 91f, lOlf, 109, l l l f Individualdaten 17, 21, 24f, 38, 43, 52, 54, 75,91,102, llOf, 116,136f Dealignment 17,60 Demokratietheorie 16,27f, 37, 39,48f, 69, 138 Demokratisierung 18,30f Dessau 103,105, 107, 110, 112, 117, 119, 158f

FDJ 82, 85 Fernsehen s. Medien Gehälter-Affäre 140 Gruppenidentitäten 27, 54, 81, 85, 140, 143 Halle 14, 19, 25, 105, 107, 110, 112, 117, 119,121,136,158f Herrschaftslegitimation 24,27, 72, 75f, 78, 88,90 Individualisierung 39, 51 Industrialisierung 14, 31 Interessenkonflikte 13,22 Interessenvertretung 55, 82f, 85,141 Kanzlermehrheit 143 Katholizismus 32 Kirche, Amts-/Landes- 82f, 119 Konfliktlinien/Cleavage 18, 2Iff, 3 If, 34, 60,68,70f, 101 Konfessionskonflikt 21f, 31f, 83, 86 Klassenkonflikt 21f, 63f, 66,77, 80f, Stadt-Land-Konflikt 21,31, 83

Sachregister

Zentrum-Peripherie-Konflikt 87f, 110,139 Kulturgeschichte 14

20f, 31,

191

Nationale Front 82, 84 NichtWähler 134,157,169

37, 59f, 69, 71, 98f, 101, 105, 109, 129, 140.142 politische Einstellungen Eingliederung/Einheit 112, 114, 117, 130,133f, 157ff, 163fif, 168 ökonomische Situation 117, 130, 134, 157ff, 163ff, 168 Regierungsarbeit 120, 131, 157, 167, 169 staatliche Ordnung 120, 131, 157, 167, 169 politische Eliten 15, 18, 28, 3 Iff, 58f, 68, 101,138,142 politische Kultur 14,16,24, 72ff, 145 politisches System 28, 31, 35f, 38, 49, 58f, 73ff, 78ff, 139,143,145 Protestantismus 14,22,32, 75, 84 Protestwähler 140

Osterburg 104

Querfurt 104

Parteien Allianz für Deutschland 13, 16, 20, 62, 85f, 88,139f Blockparteien 83ff Bündnis 90/Grüne 16, 33, 62f, 90, 93f, 97ff, 104ff, 108ff, 119, 121, 123ff, 127, 129,136,140,144,157 CDU 13, 15f, 32, 50ff, 62f, 83ff, 88, 90ff, 139fif, 146ff CSU 13,16 DBD 83f FDP 85,90ff, 140,144,146ff LDP/LDPD 83ff NDPD 83f, 90 PDS 16, 20f, 62f, 65, 85f, 88, 90ff, 139ÊF, 146ff SED 13, 15, 20, 22, 66, 78, 80, 82ff, 139,142f SPD 15f, 32, 5Of, 62f, 65, 85, 90fif, 139f, 143f, 146fif Parteibindung/-identifikation 21, 35ff, 43f, 46fif, 58fif, 64fif, 113,138,140 Parteienforschung 18,30 Parteiensystem 13,16,18,22, 24,28, 30ff,

rationales Wählermodell/Rational ChoiceModell 20, 39ff, 51, 58, 60, 64ff, 113, 145 Informationskosten 41,46ff, 69 Mikrofundierung 42,69 Sachfragenorientierung/Issue Voting 15,35,4 Iff, 48,58f, 64ff, 69,113,142 Realignment 17, 57,59 Rechtsexremismus 45

Lebensstil/-modell/-studie 40, 49fif, 54fif, 60 Magdeburg 14, 19, 25, 91, 105, 107, 110, 112,117,136,158f Marxismus-Leninismus 18,24,74,77 Massenorganisationen 82ff Mecklenburg-Vorpommern 62,88 Medien 21,29,41,55f, 64f, 73, 89 Merseburg 103 Modernisierung 30, 53, 79f

Sachsen 62,88 Sachsen-Anhalt 13ff, 19, 22ff, 61f, 68ff, 88ff, 138ff, 144,146ff Sozialgeschichte 23f, 69f, 82,138 Sozialismus 22, 75, 79, 83, 86, 87, 99, 139.143 sozialistische Gesellschaft 24, 74, 76, 78, 84, 88,91,140 sozialpsychologisches Wählermodell/Ann Arbor-Modell 21, 29ff, 43, 46ff, 58ff, 64ff, 113 Kandidatenorientierung/-einflüsse 35, 38,44,46,48,59,65f, 113 Normal Vote-Konzept 35f, 49,65

192

Sachregister

Parteiidentifikation 21, 35ff, 43f, 46ff, 58f,66,113,138 Sachfragenorientierung/Issue Voting 15,35,4Iff, 48, 58f, 64ff, 69,113,142 Sozialstrukturanalyse/-forschung 20 ,24, 51, 54, 71f, 76f, 79f, 89,103f, 140 sozialstrukturelles Wählermodell Cross Pressure 29,57 Milieubildung/-bindung 29fif, 38f, 51, 59f, 76, 81, 86,140,144 sozialmoralisches Milieu 30f, 38,53,56 Soziokultur 73f Stimmenmaximierung 58,143 Thüringen 62, 88 Vereinigung s. deutsche Einheit Vereinigungskritiker 140 Wählerverhalten Alter 24f, 34, 37, 63, 102, 112, 117ff, 123ff, 133f, 136,140,157ff Bildung 24, 87f, lOlf, 109f, 112,118 Geschlecht 25,63,102,157 Konfession 24, 29, 54, 63, 87, 89, lOlf, 112, 115, 117ff, 127ff, 133f, 136, 139f, 157,159f, 162,164f, 167ff Kurzzeiteinflüsse 39fif Langzeiteinflüsse 29ff Ortsgröße/Stadt-Land 24, 62, 87, 89,

112,127,136 Qualifikation 88f, 101, 104, 112, 115, 117ff, 125ff, 133f, 136, 139f, 154, 156ff, 165ff Wirtschaftssektoren 103, 107, 141, 154ff, Währungsunion 139 Wahlen Bundestagswahlen 13, 25, 61ff, 90, 92ff, 96f, 100, 104f, 107f, 110, 116, 139,146ff, 15 Iff, 155f Landtagswahlen 13fif, 18, 23ff, 61, 90ff, 96ff, 100, 102, 108ff, 112, 136, 140, 145f, 149ff Volkskammerwahl 13, 15, 20ff, 61ff, 67, 69, 76, 85ff, 90, 92ff, 96f, 100, 108, l l l f , 139,142,146ff, 151,153 Wahlforschung 13, 18, 21, 23, 30, 27ff, 90,145 s. Lebensstilmodell s. rationales Wählermodell s. sozialpsychologisches Wählermodell s. sozialstrukturelles Wählermodell Wahlkampf 38, 91,142 Wahlrecht 28 Wanzleben 104 Wechselwähler 44 Wirtschaftsstruktur 14, 17, 23, 62, 87, lOlf, 104,141