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German Pages [297] Year 2012
Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement Schriftenreihe des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) Herausgegeben von Walter Feichtinger Band 6
Walter Feichtinger, Gerald Hainzl (Hg.)
SOMALIA Optionen – Chancen – Stolpersteine
Böhlau Verlag Wien . Köln . Weimar
Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.
Redaktion und Gestaltung: Mag. Benedikt Hensellek Lektorat: Mag. Walter Rys Umschlagabbildung: REUTERS/FEISAL OMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78582-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf f otomechanischem oder ä hnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau-verlag.com
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck : Prime Rate kft., Budapest
Autoren und Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber
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Teil 1: Einführung
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Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
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Konfliktdynamik und externe Akteure in Somalia Volker Matthies
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Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali Thomas Zitelmann
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Teil 2: Herausforderungen
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Die somalische Diaspora: Rollen und Chancen in (Bürger-)Krieg und Wiederaufbau Markus Virgil Hoehne
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Piraterie an den Küsten Somalias David Petrovic
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Anleitung zum Scheitern: Die Rolle externer Akteure in Somalia Georg-Sebastian Holzer
101
Al Shabaab in Somalia: Von einer Terrorzelle zu einem regierungsähnlichen Akteur Markus Virgil Hoehne
121
5
Inhaltsverzeichnis
Teil 3: Ansätze des internationalen Krisenmanagements
159
Internationales Krisenmanagement in Somalia Martin Pabst
161
Kurswechsel in Somalia? Thomas Peyker
181
Operation Atalanta am Horn von Afrika Die erste maritime Operation der Europäischen Union Frank Reininghaus
205
Herausforderungen der militärischen Operationsführung in Somalia Bruno Günter Hofbauer
225
Afrika – eine logistische Herausforderung Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika Stefan Lampl
237
Somalia – mächtige Probleme, halbgare Lösungen Annette Weber
255
Anhang
273
Abkürzungsverzeichnis
277
Literaturverzeichnis
281
Autoren und Herausgeber
295
6
Autoren und Herausgeber
Vorwort der Herausgeber
Die politischen Umbrüche in der arabischen Welt zu Jahresbeginn 2011 haben die Entwicklungen am erweiterten Horn von Afrika etwas in den Hintergrund gedrängt. Nichtsdestoweniger findet internationales Krisenmanagement (IKM) mit den verschiedenen Missionen im Sudan und einem bereits mehr als 10 000 Mann umfassenden Friedenseinsatz afrikanischer Truppen in Somalia verstärkt in dieser Region statt. Dabei gelangen zahlreiche traditionelle wie innovative Konzepte des IKM zur Anwendung. Die Lösung jahrzehntelanger Konflikte, sei es im Sudan, zwischen Eritrea und Äthiopien oder eben in Somalia, gestaltet sich aber als enorme Herausforderung, insbesondere dann, wenn für ein externes Engagement nicht die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden oder große Skepsis bis Ablehnung vor Ort bestehen. Dieser Band erfasst die Hintergründe der aktuellen Probleme Somalias, gibt einen Überblick über die Entwicklungen des internationalen Krisenmanagements und beleuchtet kritisch sowohl historische als auch soziale, politische und militärische Voraussetzungen. Dabei ist es gelungen, namhafte Wissenschafter ebenso als Autoren zu gewinnen wie praxisorientierte Kenner des internationalen Krisenmanagements oder militärischer Planungen. Somit ergibt sich eine „Zusammenschau der besonderen Art“, die einen Mehrwert bringen sollte. Das Buch ist nach folgendem Prinzip aufgebaut: Der erste Teil soll mit einer zusammenfassenden Darstellung und einer Einführung in die Geschichte und die Gesellschaftsstruktur des Landes den Einstieg in die Thematik erleichtern. Im zweiten Teil werden die aktuellen Herausforderungen dargestellt und einzelne Akteure beleuchtet. Der dritte Teil untersucht die Ansätze des internationalen Krisenmanagements seit den frühen 1990er Jahren und geht auch militärspezifischen Fragestellungen nach. Den Abschluss bildet ein Beitrag, der die komplexen Probleme und Lösungsansätze kritisch gegenüberstellt. Die einzelnen Aufsätze sind jedoch in sich abgeschlossen, sodass sie auch ohne Kenntnis der anderen Beiträge einen hohen Informationsgehalt aufweisen. Der Leserin/dem Leser eröffnet sich damit die Möglichkeit, sich einerseits in die gesamte Materie und andererseits in spezielle Fragestellungen vertiefen zu können. Die Herausgeber bedanken sich nicht nur bei den Autoren, sondern auch bei den Mitarbeitern des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement für ihre Unterstützung. Besonders erwähnt seien in diesem Zusammenhang Benedikt Hensellek für seine redaktionelle Mitarbeit sowie die Volontärin Sonja Schilling und der studentische Mitarbeiter Jakob Luger für ihre Unterstützung. Walter Feichtinger
Gerald Hainzl 7
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
1. Chaos in Somalia Somalia hat seit dem Ende der Herrschaft von Siad Barré im Jahr 1991 de facto aufgehört, als Staat zu bestehen. Zwar existiert ein Staatsgebiet, die Übergangsregierung ist jedoch bis auf die Hauptstadt Mogadishu kaum in der Lage, Autorität auszuüben. Das Land ist im wesentlichen dreigeteilt: Somaliland im Norden hat sich für unabhängig erklärt, Puntland an der Ostspitze ist weitgehend autonom, strebt aber ein geeintes Somalia an, und Südsomalia ist von Chaos und Gewalt geprägt. Die somalische Regierung kann nur aufgrund der Präsenz von Truppen der Afrikanischen Union bestehen. Die Frage nach der Legalität bzw. Legitimität der international anerkannten Regierung wird kaum gestellt. Tatsächlich wurde diese nie gewählt, sondern aufgrund von Verhandlungsprozessen zusammengestellt; von der so genannten internationalen Gemeinschaft wird sie mehr oder weniger anerkannt und unterstützt. Innerhalb Somalias sieht sie sich derzeit vor allem von Gruppierungen wie der militanten islamistischen Al Shabaab politisch und militärisch herausgefordert. Die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten in Südsomalia versucht, sich den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, die Menschen sind in hohem Maße kriegsmüde.
2. Ansätze des internationalen Krisenmanagements 1 Die nördliche Provinz Somaliland hatte sich bereits 1991 angesichts der Instabilität in Südsomalia für unabhängig erklärt. 2 Die UNO 3 reagierte 1992 mit einer friedensunterstützenden Mission nach Kapitel VI der UNO-Charta auf den Staatszerfall in Somalia. Mit der United Nations Mission in Somalia (UNOSOM) sollte ein Waffenstillstand überwacht und die Sicherheitsvoraussetzungen für humanitäre Hilfe geschaffen werden. Die US-geführte Unified Task Force 1 2 3
Für eine detaillierte Darstellung des internationalen Krisenmanagements in Somalia siehe den Beitrag von Martin Pabst. Somaliland ist seitdem die wahrscheinlich stabilste und demokratischste quasistaatliche Entität am Horn von Afrika. Für Informationen zu Peacekeeping Operationen der UNO in Somalia siehe http://www.un.org/en/peacekeeping/operations/, abgefragt am 20.04.2011.
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Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
(UNITAF) löste im Dezember 1992 UNOSOM ab, operierte bereits unter Kapitel VII und war somit ermächtigt, die humanitäre Versorgung der Bevölkerung auch militärisch durchzusetzen. Bereits im März 1993 wurde UNOSOM II als Folgemission vom Sicherheitsrat der UNO beschlossen und sollte unter Kapitel VII als militärisch-zivile Mission zur Stabilisierung Somalias beitragen. Nachdem sich die USA nach einem taktischen Debakel aus UNOSOM II zurückzogen („Black-Hawk-Down“), blieb die Mission noch bis 1995 im Land, konnte aber nur wenig zur Stabilisierung beitragen. Auf UNOSOM II folgte das United Nations Political Office for Somalia (UNPOS) mit Sitz in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, dessen Aufgabe es bis heute unter anderen ist, die in Somalia tätigen Organisationen der UNO zu koordinieren. Das internationale Interesse an Somalia nahm jedoch rasch ab. Erst der von den USA nach den Terroranschlägen in New York und Washington im Jahr 2001 ausgerufene Globale Krieg gegen den Terrorismus (Global War on Terrorism) richtete den internationalen Blick wieder auf das Land. Das Interesse stieg insbesondere nach der Machtübernahme durch die Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC) 2006 und die darauf folgende Militärintervention Äthiopiens. Bedeutsam wurde die Region, da im etwa selben Zeitraum die Piraterie im Golf von Aden und vor der Küste Somalias stark anstieg. Im Zentrum der Betrachtung und des Engagements lagen jedoch diesmal weniger humanitäre oder friedenspolitische Überlegungen. Der Fokus wurde auf die Bedrohungen durch Terrorismus und Piraterie gelegt. 4 2007 erscheint mit der Afrikanischen Union (AU) ein neuer Akteur auf der Bildfläche, der Somalia stabilisieren und die föderale Übergangsregierung (Transitional Federal Government – TFG) 5 in Mogadishu schützen soll. Die Truppen der AU waren bisher allerdings nur in der Lage, Teile von Mogadishu sowie die Hauptstraßen zu kontrollieren. Die Sicherheit der Übergangsregierung sowie der Schutz von Hilfsgütern kann zumindest in Teilen gewährleistet werden. Die Friedenstruppe der AU, AMISOM (African Union Mission in Somalia) 6 versucht, mit jedem neuen Kontingent das kontrollierte Gebiet etwas auszuweiten und kämpft gemeinsam mit der TFG, Kenia und Äthiopien im Süden Somalias gegen die Al Shabaab. 7 Allerdings sind nur wenige afrikanische Staaten bereit, einen substantiellen Beitrag zu AMISOM zu leisten. 8 Ohne AMISOM wäre aber vermutlich die Übergangsregierung bereits Geschichte. Daher ist der Beitrag der 4 5 6 7 8
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Vgl. den Beitrag von Volker Matthies in diesem Band. Die TFG wurde bereits 2004 geschaffen, konnte aber erst unter dem Schutz von AMISOM seinen Sitz in die Hauptstadt Mogadishu verlegen. Mit der VN-Sicherheitsratsresolution 1964 (2010) wurden bis zu 12 000 Mann autorisiert. Vor allem Uganda hat seit den Anschlägen in der Hauptstadt Kampala am 11. Juli 2011 sein Engagement in AMISOM verstärkt. Vgl. den Beitrag von Martin Pabst.
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
AU trotz aller Unzulänglichkeiten für eine Stabilisierung der gegenwärtigen Verhältnisse als positiv zu bewerten. Er kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine politische Lösung unter Einbindung aller wesentlichen Kräfte damit nicht erzielt werden kann. Eine zentrale Frage ist, wie lange die AU in der Lage und willens sein wird, die Mission eigenständig aufrecht zu erhalten. Eine subregionale Alternative bietet sich eigentlich nicht. So erscheint ein Engagement der Inter-Governmental Authority on Development (IGAD) in Somalia derzeit als eher unwahrscheinlich. International liegt der Schwerpunkt des Krisenmanagements auf dem Kampf gegen die Piraterie. Der Schutz des wichtigen Seeweges durch das Rote Meer erfordert eine Sicherung des Golfs von Aden sowie der Küsten vor Somalia, wobei allerdings festzustellen ist, dass sich der Aktionsradius der Piraten immer weiter ausdehnt. 9 Seit Dezember 2008 beteiligt sich die EU im Rahmen von EUNAVFOR „Atalanta“ an der Sicherung der Seewege und der Bekämpfung der Piraterie, ist allerdings nicht der einzige maritime Akteur. Denn daneben engagiert sich auch die NATO mit der Operation „Ocean Shield“. 10 Ebenfalls zu erwähnen sind die „Combined Joint Task Force 151“ zur Bekämpfung der Piraterie sowie die „Combined Joint Task Force 150“, die im Rahmen der Operation „Enduring Freedom – Horn of Africa“ ebenfalls den Auftrag hat, gegen Piraterie vorzugehen. Zusätzlich sind einzelne Staaten wie China, Russland und Indien ohne Anbindung an eine internationale Mission in der Region mit Schiffen präsent. 11
3. Zukünftige Entwicklungen 3.1 In Südzentralsomalia bleiben schwierige Verhältnisse bestehen Von Seiten der internationalen Gemeinschaft sind keine umfassenden politischen Lösungen für Somalia zu erwarten. Es dürfte sich eher um eine Fortsetzung der bisherigen Eindämmungsstrategie (Kampf gegen die Piraterie, Kampf gegen Terrorismus) handeln. Das bedeutet, dass die international anerkannte, aber durch keinen demokratischen Prozess legitimierte Regierung der wichtigste Ansprechpartner bleiben wird. Eine Unterstützung hinsichtlich einer „eigenverantwortlichen“ Entwicklung wird daher wohl wesentlich über diesen Akteur laufen. 9 10 11
Siehe hiezu auch den Beitrag von David Petrovic. Zuvor hieß die Operation „Allied Protector“ bzw. „Allied Provider“. Zur Piraterie siehe den Beitrag von David Petrovic, zum internationalen Krisenmanagement den Beitrag von Martin Pabst bzw. von Frank Reininghaus zu EUNAVFOR „ATALANTA“.
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Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
Demokratische Strukturen sind eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Peacebuilding. Freie und faire Wahlen alleine reichen jedoch nicht aus, um die Entstehung einer „liberalen Demokratie“ zu gewährleisten. Eine wesentliche Voraussetzung für Demokratie ist die Stärkung der Institutionen, damit den Bürgern Dienstleistungen des Staates tatsächlich zur Verfügung gestellt werden können. Dazu gehört auch, dass das Parlament gestärkt und ein unabhängiges Justizsystem geschaffen wird. 12 Um ein Vergeuden von Ressourcen zu verhindern, sollte die internationale Gemeinschaft besonders auf diese Aspekte achten. Da in Somalia in den letzen 20 Jahren ein beschleunigter Transformationsprozess die Gesellschaft nachhaltig verändert hat, ist bei der Bevölkerung auf breiter Basis eine Radikalisierung erkennbar. Traditionelle Konfliktlösungsmechanismen sind davon ebenfalls betroffen. Eine Lösung wie in Somaliland, der zufolge alle betroffenen Akteure so lange miteinander diskutieren, bis sie eine für alle akzeptable politische Möglichkeit des Zusammenlebens und der Konfliktlösung finden, scheint dadurch zwar wesentlich erschwert, aber nicht unmöglich zu sein. Die Clanstrukturen haben dabei nach wie vor eine große Bedeutung, gestalten sich aber infolge der jahrzehntelangen Kämpfe flexibler und dynamischer. Daher sollten in jedem Fall zivilgesellschaftliche Strukturen, wie z.B. Geschäftleute oder Mitglieder der Diaspora, zu einem Engagement im Herkunftsland ermutigt werden, um ein entstehendes Vakuum ausfüllen zu können bzw. um jene gesellschaftspolitischen Lücken zu füllen, die in Somalia entstanden sind.
3.2 Somaliland hofft auf internationale Anerkennung Nicht ohne Auswirkungen auf Somalia wird die absehbare Unabhängigkeit des Südsudans sein. So hofft Somaliland, dass durch die Entstehung des neuen Staates im Juli 2011 eine Dynamik in der Afrikanischen Union sowie auf internationaler Ebene zustande kommt, die in eine Anerkennung Somalilands als unabhängiger Staat mündet. Analytisch betrachtet ist Somaliland wahrscheinlich einer der stabilsten Staaten am Horn von Afrika und verfügt über alle völkerrechtlichen Attribute, die es rechtfertigen würden, diese Entität als Staat anzuerkennen. Das wird auch international entsprechend gewürdigt. Allerdings überwogen bisher Befürchtungen, dass mit der Anerkennung Somalilands auch andere Regionen in afrikanischen Staaten diesen Anspruch erheben könnten. 13
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Building Peace in Southern Africa, CCR Policy Brief 06, Februar 2010. Die Argumente für das südliche Afrika gelten ebenso für jede andere Region der Welt. Die Bevölkerung Somalilands verbindet große Hoffnungen mit einer Anerkennung. Dass damit auch negativen Entwicklungen wie beispielsweise Korruption (durch massive Geldflüsse in Form internationaler Unterstützung) das Tor geöffnet werden könnte, wird
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
Somaliland kann trotz der Problematik einer internationalen Anerkennung als positives Beispiel für die Region herangezogen werden. Es wurde ein innovativer Weg gewählt, um gemeinsam zu einer staatlichen Struktur zu gelangen. In Teilen wurde von eigenen Vorstellungen abgegangen und positive externe Erfahrungen mit politischen Strukturen aufgenommen. So hat ein nicht unwesentlicher Teil der somaliländischen Politiker längere Zeit im Ausland gelebt und Erfahrungen mit den dortigen politischen Systemen gesammelt. Zusätzlich wurden aber lokale politische Mechanismen mit einbezogen, um die Akzeptanz zu gewährleisten. Somaliland und seine Bevölkerung haben es damit geschafft, traditionelle Vorstellungen und modernes Staatswesen miteinander in Einklang zu bringen, ohne eine bloße Kopie westlicher Modelle zu werden. 14 Interessant ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, dass auch die Religion diesem Modell nicht im Weg stand. 15 Somaliland stellt damit ein Referenzmodell dafür dar, dass Islam und ein demokratisch-liberales politisches System einander nicht ausschließen. 16
3.3 Al Shabaab als Herausforderung Die islamistischen Gruppierungen in Somalia handeln nicht als homogener Akteur. Aufgrund bisheriger Erfahrungen sind rasch wechselnde Allianzen eher die Norm als die Ausnahme. Das trifft auch auf die Al-Shabaab zu, deren politisches Gewicht unter diesem Aspekt gesehen werden sollte. Zudem haben sich viele „Kämpfer“ in Ermangelung sonstiger Verdienstmöglichkeiten der Al-Shabaab angeschlossen. Die radikalen Gruppen suchen zwar ihre Basis in der Religion, sind aber nicht religiös motiviert, sondern sehen in der Religion vielmehr die Basis für Macht. Da der Dschihad nach ihrer Auffassung die Grundlage des Gottesstaates bilden soll, muss der Kampf auch nach der Vertreibung des Westens gegenüber inneren Feinden fortgesetzt werden. Eine der Stärken von Al
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konsequent negiert. Zudem werden viele Probleme, die heute auf eine fehlende internationale Anerkennung projiziert werden können, auch nachher nicht gelöst sein. Walls, Michael (Ed.), Peace in Somaliland: An Indigenous Approach to State-Building, Hargeisa. Viele Somaliländer sehen darin einen Grund, warum die arabischen Staaten sich gegen eine staatliche Anerkennung stellen. Ein islamischer Staat auf der Basis demokratischer Prinzipien passte scheinbar nicht in das Bild der autokratischen Herrscher der arabischen Welt. Inwieweit sich die Positionen dieser Staaten gegenüber Somaliland in einer postrevolutionären Phase ändern werden, lässt sich nicht abschätzen. In diesem Sinne könnte Somaliland durchaus als Vorbild für die Demokratisierungsbewegungen im MENA-Raum dienen – nicht nur für die Menschen in dieser Region, sondern auch für externe Beobachter, deren Analyse häufig vor allem von Angst vor islamistischen Staaten geprägt ist.
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Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
Shabaab ist sicherlich die teilweise Übernahme von „staatlichen“ Funktionen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung scheint aber weniger auf allgemeinem Vertrauen in die Al Shabaab zu beruhen, sondern vielmehr aus der Angst- und Einschüchterungspolitik ihrer Repräsentanten zu resultieren.
4. Ableitungen für das internationale Krisenmanagement Im internationalen Interesse liegen primär eine freie Schifffahrt ohne Gefährdung, die Verhinderung eines Rückzugsraumes für al Qaeda sowie die Verbesserung der Stabilität durch politische Normalisierung in Somalia. Bisherige Ansätze zielten auf die Stärkung der TFG und den Aufbau von Sicherheitskräften ab. So bildet beispielsweise die EU somalische Sicherheitskräfte in Uganda aus. Mit AMISOM soll nicht nur der TFG eine gewisse Stabilität gegeben werden, sondern auch das von ihr beherrschte Gebiet ausgeweitet werden. Das Festhalten an einem Gesamtstaat Somalia gehört bisher ebenfalls zu den Prämissen der internationalen Gemeinschaft. Es werden jedoch keine Anreize gesetzt, um die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene zu stärken. Allerdings ist Somaliland auch bemüht, sich einer solchen Strategie infolge des Beharrens auf Eigenstaatlichkeit zu entziehen. Wenig zielführend scheint zudem der bislang praktizierte „Verhandlungstourismus“ zu sein, der radikal reduziert werden sollte. Denn bei den vielen Konferenzen im Ausland und den wenigen öffentlichkeitswirksamen Verhandlungen in Somalia ist einerseits die Bevölkerung kaum eingebunden und andererseits der Anreiz zu politischen Lösungen seitens der beteiligten Eliten nur sehr gering gegeben. In Umsetzung des „Ownership-Prinzips“ auf breiter Basis – dieses wichtigen Elements eines erfolgreichen Krisenmanagements – sollte die TFG für die internationale Gemeinschaft nicht der einzige Ansprechpartner bleiben. Die clanübergreifende Organisation der TFG könnte allerdings dazu beitragen, die strukturellen Defizite in anderen Bereichen zu überwinden und stabilere politische Strukturen zu ermöglichen. Eine Einbindung von Gruppen wie Al Shabaab in politische Lösungen wäre daher grundsätzlich anzustreben; dies wird dann wahrscheinlich, wenn diese Gruppen eine gewisse politische Stabilität aufweisen. Allerdings können analog zu anderen Konflikten in der Großregion wechselnde Allianzen die Bildung verlässlicher Strukturen erschweren. Nichtsdestotrotz erscheint eine Einbindung der Al Shabaab in eine umfassende Lösung notwendig. Wie sich in Somaliland bisher gezeigt hat, können lokale Lösungsansätze durchaus zum Erfolg führen. Möglicherweise war es ein Vorteil, dass es zum Zeitpunkt der Verhandlungen kaum internationales Interesse gab. Für das internationale Krisenmanagement lassen sich aus diesem Beispiel einige Erkenntnisse ableiten: 16
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
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Lösungen, die nicht unter Einbindung aller wesentlichen lokalen Akteure erarbeitet wurden, haben in der Umsetzung aufgrund der fehlenden Mitverantwortung der Beteiligten kaum Chancen, die erwünschte Sicherheit und Stabilität zu erzielen. Lösungsansätze, die von externen Akteuren in ähnlichen Konfliktszenarien erarbeitet wurden, können nur in sehr geringem Maße auf andere Regionen übertragen werden. Von Fall zu Fall sind daher spezifische, innovative Ansätze zu entwickeln, die den regionalen Besonderheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen. Traditionelle Konfliktlösungsmechanismen können dabei einen wertvollen Beitrag zur Konflikttransformation leisten. Ein „Verhandlungstourismus“, also das Verlegen von Verhandlungen in das Ausland, sollte möglichst vermieden werden, weil dadurch das ernsthafte Interesse einiger Verhandler an substanziellen Lösungen abnehmen könnte.
Es wäre jedoch auch im Falle Somalias viel zu kurz gegriffen, die Probleme und Stabilisierungsansätze ausschließlich aus dem engen Blickwinkel von Sicherheit zu betrachten Ein Sicherheitsansatz muss von nachhaltigen Maßnahmen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit begleitet und unterstützt werden, wobei eine Differenzierung hinsichtlich Aktivitäten und Akteuren notwendig erscheint. Während klassische humanitäre Hilfe von unabhängigen NGOs geleistet werden kann, sollten Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit als politisches Instrument eingesetzt werden, das die Legitimität der Regierung stärken bzw. überhaupt erzeugen kann. Es erscheint daher sinnvoll, Projekte der Regierung zu unterstützen oder externe Maßnahmen über die Regierung abzuwickeln. Einfluss auf die zweckgebundene Verwendung von Ressourcen und den politischen Transformationsprozess kann über die Anwendung des Konditionalitätsprinzips erzielt werden.
4.1 Wer kann agieren? Derzeit erscheint das internationale Krisenmanagement nicht sehr effizient und ökonomisch zu sein. Die Piraterie kann zwar trotz aller „Erfolge“ der Piraten mehr oder weniger unter Kontrolle gehalten werden. In Somalia selbst hat aber, abgesehen von Somaliland, in den letzten Jahren keine positive Transformation stattgefunden. Ein minimalistischer, pragmatischer Ansatz könnte lokale Initiativen fördern und gleichzeitig die Interessen der externen Akteure wahren. Dazu wäre es notwendig, eine Mischform zwischen Top Down- und Bottom UpAnsatz zu wählen. Externes Engagement sollte mit Blick auf die innersomalische 17
Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
Wahrnehmung sehr zurückhaltend gestaltet werden, um nicht als kolonialistisch oder paternalistisch empfunden zu werden. Ein direktes militärisches Engagement westlicher Staaten wäre selbst mit der Unterstützung regionaler Akteure und/oder der Nachbarstaaten kontraproduktiv und zum Scheitern verurteilt. Aufgrund bisheriger Erfahrungen würden sich die Somalier größtenteils gegen die Intervenierenden stellen. Eine Unterstützung beim Aufbau von somalischen Sicherheitskräften ist dagegen grundsätzlich positiv zu sehen. Allerdings erscheint die derzeitige Praxis, Sicherheitskräfte außerhalb des Landes auszubilden und aufzubauen, als problematisch – nicht zuletzt deshalb, weil die Sicherheitskräfte auf eine positive Resonanz in der Bevölkerung angewiesen sind und externer Aufbau und Ausbildung den somalischen Realitäten möglicherweise nicht exakt entsprechen. Im Idealfall würden die Streitkräfte – so wie schon unter Siad Barré – die Sozialstrukturen (im Wesentlichen eben Clanstrukturen) der somalischen Gesellschaft widerspiegeln und damit ein repräsentatives gesamtstaatliches Instrument darstellen. Eine Instrumentalisierung der Armee durch die Regierung (TFG) im Sinne einer eigenen Klientelpolitik könnte die Auseinandersetzungen jedoch zusätzlich verschärfen. Ein nachhaltiges Engagement zur Stabilisierung Somalias ist von mehreren Faktoren abhängig. Wesentliche Elemente bilden sicherlich die teilweise divergierenden Interessen der externen Akteure sowie das Bedürfnis nach schnell sichtbaren Erfolgen, dem aber die Notwendigkeit einer sorgsamen Analyse der Situation und ein großzügig bemessener Zeithorizont für eine langfristige Konflikttransformation entgegenstehen. Die internationale Gemeinschaft sollte hinsichtlich der Staatlichkeit Somalias eine gewisse Flexibilität erkennen lassen, um relativ stabile Regionen (wie Somaliland, aber auch Puntland) weiter zu festigen. Eine mögliche Option zur Zusammenarbeit und Stärkung der verschiedenen Regionen wäre im Bildungsbereich gegeben. Allerdings kann eine Einbindung Somalilands nur passiv erfolgen, da es dort einen Konsens darüber gibt, sich nicht in die Angelegenheiten des Südens (aus somaliländischer Perspektive: in die Angelegenheiten des südlichen Nachbarstaates) einzumischen. Ein Modell der Mitwirkung könnte aber sein, dass somaliländische Experten Vermittler „ausbilden“ und beraten. Eine adäquate und nachhaltige Bezahlung der neu aufgestellten Sicherheitskräfte könnte im Kampf gegen die Piraterie zumindest einen positiven Impuls liefern. Solange Piraten allerdings ein Vielfaches vom Gehalt der Sicherheitskräfte verdienen, werden sich die Rekrutierung von Sicherheitskräften und deren nachhaltige Loyalität gegenüber der Regierung weiterhin schwierig gestalten. Der „Atalanta“-Marineeinsatz der EU und die anderen Missionen können zwar einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie leisten, die Ursachen bleiben aber bestehen. Die Aktivitäten der externen Akteure in Somalia bzw. mit Bezug zu Somalia sollten (besser) koordiniert werden. Neben UNO, Afrikanischer Union und EU könnte auch die Arabische Liga eine stärkere Rolle übernehmen. Aus 18
Somalia – Zusammenfassende Betrachtungen
somalischer Perspektive fehlt jedoch vielen Akteuren im Kampf gegen die Piraterie die nötige Legitimität. So wird etwa die EU für die Überfischung der Gewässer vor Somalia (mit-)verantwortlich gemacht, sie tritt jedoch nur für die Bekämpfung der Piraterie, nicht aber gegen illegale Fischerei ein.
4.2 Ansatzmöglichkeiten Einen wesentlichen Stabilisierungsbeitrag könnte die somalische Diaspora leisten, falls es gelingt, sie entsprechend einzubinden. Die Diaspora hat aufgrund ihrer enormen Transferleistungen vor allem auf die Mikroebene der Gesellschaft einen starken Einfluss. Verhandlungsprozesse und Entwicklungsprojekte könnten daher mit Unterstützung der Diaspora gestartet werden, da sie Ideen und Innovationen im Sinne nachhaltiger Entwicklung entwerfen und verstärken kann. Da die Förderung lokaler und regionaler Wirtschaftsaktivitäten einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung leisten kann, wären in diesem Bereich auch unter Rückgriff auf die Erfahrungen von Auslandssomaliern Hilfestellungen möglich. Geschäftsleute agieren clanübergreifend und schaffen dadurch neue Allianzen und Netzwerke, die vertrauensbildend wirken. Transnationaler Handel stellt darüber hinaus eine Einnahmequelle dar und kann damit zur Reduktion der Armut beitragen. Mit geringen Verbesserungen im Alltag der Menschen wäre es auch für islamistische Gruppierungen schwieriger, Sympathisanten und Mitstreiter zu finden.
4.3 Wissensstand Das Wissen über Somalia, die unterschiedlichen Akteure im Konflikt sowie über die sozialen Strukturen, die heute auf politische Entscheidungsträger wirken, ist nach wie vor sehr mangelhaft und beruht häufig auf historischen Quellen, deren Seriosität aus heutiger Perspektive zumindest angezweifelt werden darf. Um die gegenwärtige Lage und zukünftige Handlungsmöglichkeiten in der erforderlichen Qualität bewerten und eine umfangreiche Analyse erstellen zu können, erscheint tatsächlich in die Tiefe gehendes Wissen unabdingbar. Die systematische Erforschung der sozio-politischen, sozio-ökonomischen und soziokulturellen Verhältnisse in Somalia wäre somit dringend anzuraten, um das internationale Krisenmanagement möglichst effektiv gestalten zu können.
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Gerald Hainzl und Walter Feichtinger
4.4 Conclusio Von den internationalen Akteuren in der Region sind im Wesentlichen lediglich Maßnahmen zur Eindämmung der Piraterie zu erwarten. Ein umfangreicheres Engagement in Somalia selbst scheint auf absehbare Zeit keine Priorität zu haben. Eine nachhaltige Unterstützung der Afrikanischen Union wird daher unumgänglich, damit zumindest diese ihre Stabilisierungs- und Aufbauaufgaben weiterhin wahrnehmen kann. Für eine nachhaltige Konflikttransformation im Sinne einer Befriedung und Normalisierung wäre es allerdings dringend erforderlich, lokale Mechanismen stärker zu berücksichtigen und alle maßgeblichen somalischen Akteure in den Lösungsprozess einzubeziehen.
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Konfliktdynamik und externe Akteure in Somalia
Konfliktdynamik und externe Akteure in Somalia
Volker Matthies Für die Analyse der Einwirkung externer Akteure auf die Konfliktdynamik in Somalia sind drei Aspekte von grundlegender Bedeutung: Zum ersten war die für außerregionale Mächte wichtigste Ressource Somalias dessen geopolitische Lage am südlichen Ausgang des Roten Meeres, am Golf von Aden und am nordwestlichen Indischen Ozean. In dieser Hinsicht wurde Somalia zum Objekt klassischer internationaler Interessen- und Machtpolitik. Die Attraktivität Somalias für externe Mächte lag also nicht in irgendwelchen wertvollen ökonomischen Ressourcen oder politischen Potenzen im Lande selbst begründet, sondern war eher von abgeleiteter geostrategischer Art (Stützpunkte, maritime Strategien etc.). Doch gab es durchaus auch Schwankungen des geopolitischen Kurswertes Somalias, bedingt durch militärtechnologische Entwicklungen sowie durch Veränderungen in der regionalen und weltpolitischen Konstellation. Hingegen hatte und hat vor allem das Nachbarland Äthiopien sowohl historisch als auch gegenwärtig vitale sicherheitspolitische Interessen an Somalia selbst. Zum zweiten unterlag auch die auf Somalia bezogene internationale Aufmerksamkeit konjunkturellen Schwankungen. Der großen geopolitischen Wertschätzung des Landes im Ost-West-Konflikt folgte mit dem Ende dieses Konfliktes und des damit zusammenhängen geopolitischen Bedeutungsverlustes Somalias seit 1988 eine wachsende internationale Indifferenz, allerdings auch mitbedingt durch die Enttäuschung im Westen über das repressive Barre-Regime sowie durch die Dominanz anderer Krisenregionen (Golfkrieg und Zerfall der UdSSR). Somit wurde der sich ausbreitende somalische Staatszerfall und Bürgerkrieg zwischen 1988 und 1992 kaum zur Kenntnis genommen. Doch im Zusammenhang mit der medial vermittelten Hungersnot, der spektakulären US-Militärintervention und den VN-Missionen stieg die Aufmerksamkeit für die Geschehnisse in Somalia 1992/93 wieder stark an. Mit dem Abzug der USA und dem Ende der VN-Mission 1995 nahm das internationale Interesse an Somalia infolge der Frustration über den Misserfolg jedoch wieder deutlich ab. Erst wieder seit 2001 und besonders in den Jahren 2006-2007 richtete sich im Kontext des globalen Anti-Terror-Krieges und insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg der islamischen Gerichtshöfe und der äthiopischen Militärintervention die internationale Aufmerksamkeit erneut auf die Vorgänge in Somalia, allerdings nicht im Sinne humanitärer Solidarität oder friedenspolitischer Engagements, sondern primär unter der Perspektive möglicher vom Lande ausgehender terroristischer Bedrohungen. Seither ist mit dem Anwachsen der Piraterie vor Somalias Küsten 21
Volker Matthies
das Land wiederum in den Blickwinkel internationaler sicherheitspolitischer Aufmerksamkeit gerückt. Zum dritten hat es seit 1991 weit über ein Dutzend extern initiierter Versuche zur Friedensstiftung sowie Regierungs- und Staatsbildung in Somalia gegeben, die aber bislang allesamt mehr oder weniger gescheitert sind. Im positiven Kontrast hierzu steht die bislang weithin erfolgreiche indigene Friedensstiftung und staatliche Rekonstruktion in der seit 1991 vom Gesamtstaat abgespaltenen „Republik Somaliland“ im Nordwesten des Landes. Bei den gescheiterten Friedensbemühungen im Süden Somalias kamen fast alle Konzepte, Methoden und Instrumente der Konfliktbearbeitung zum Einsatz, die insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Konflikts von den VN und der internationalen Gemeinschaft favorisiert und erprobt wurden und werden: die Militärintervention in Gestalt einer „humanitären Intervention“ (UNITAF), die „robuste“ VN-Blauhelmmission (UNOSOM II), die diplomatisch-politische Mediation durch dritte Parteien (u.a. durch Äthiopien, Djibouti, Kenia und die VN), die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie die Aktivierung „traditionaler“ Konfliktregelungsmechanismen. Ken Menkhaus zufolge ist Somalia „das Land mit der größten Differenz zwischen dem, was die internationale Gemeinschaft bewirken will, und dem, was sie erreicht“ (INFO Konflikte und Friedensarbeit, Nr. 39, Mai 2009, Editorial). Das wiederholte Scheitern internationaler Friedensbemühungen in Somalia ist daher erklärungsbedürftig.
Phasen der Einwirkung externer Akteure auf die Konfliktdynamik in Somalia Territoriale Teilung, Grenzziehung und Politiken in der Kolonialzeit In dieser Zeit wurden durch die Aufteilung der Somaligebiete (zwischen Äthiopien: Ogaden; Großbritannien: Britisch-Somaliland und nordöstlicher Grenzdistrikt Kenias; Italien: Italienisch-Somaliland; und Frankreich: Französisch-Somaliland/Djibouti) und die unterschiedlichen Kolonialpolitiken Großbritanniens (schwache koloniale Penetration) und Italiens (starke koloniale Penetration) strukturelle Grundlagen für die postkolonialen Konfliktpotentiale (äthiopischsomalischer Konflikt, Nord-Süd-Gegensatz in Somalia) gelegt.
Kalter Krieg am Horn von Afrika 1963-1988: Somalia im Ost-West-Konflikt Von 1963 bis 1977 bestand eine Allianz Somalias mit der UdSSR als Gegengewicht gegen die Allianz Äthiopiens mit den USA. Als Entgelt für die Gewährung 22
Konfliktdynamik und externe Akteure in Somalia
von Stützpunkten für die Sowjet-Marine erhielt Somalia sowjetische Militär- und Wirtschaftshilfe. Im Zuge der äthiopischen Revolution von 1974 und des äthiopisch-somalischen Ogadenkrieges 1977/78 erfolgte ein abrupter Allianzwechsel der UdSSR von Somalia nach Äthiopien und nachfolgend der USA von Äthiopien nach Somalia. Dabei wurde keine Strategie kooperativer Krisenprävention durch die UdSSR und die USA betrieben; allenfalls kam es zu einem kurzfristigen Krisenmanagement zur Verhütung einer weiteren Eskalation des Krieges. Destruktive Langzeitwirkungen des Kalten Krieges für Somalia waren die Militarisierung der Gesellschaft und die massenhafte Ausbreitung von Handfeuerwaffen durch sowjetische und amerikanische Waffenlieferungen. Durch die Allianz mit den USA in den 1980er Jahren kam es zu einer Stärkung des durch die Niederlage im Ogadenkrieg und den wirtschaftlichen Niedergang geschwächten Barre-Regimes und dessen Repressionspotentials. Insgesamt trugen diese Folgen des Kalten Krieges am Horn von Afrika mit zu der Genese des somalischen Bürgerkriegs und Staatszerfalls bei.
„Missed Opportunities“ bei der Konfliktprävention 1988-1991 Womöglich gab es in diesen Jahren verpasste Präventionschancen bei der Verhütung des somalischen Bürgerkriegs und der kriegsbedingten Hungersnot, doch wurden solche Chancen offenbar aus schwindendem geopolitischen Interesse („strategischer Wertverlust“ Somalias nach dem Ende des Kalten Krieges) und einer damit einhergehenden internationalen Indifferenz nicht bzw. nicht ausreichend genutzt. Nach schweren Menschenrechtsverletzungen vor allem im Nordwesten des Landes ging die Patronagemacht USA zwar auf Distanz zum BarreRegime, doch folgte daraus leider keine konzertierte politische Strategie zur Eindämmung von Gewalt und Staatszerfall. Vielmehr ließen die USA ihren langjährigen Verbündeten gleichsam abrupt „im Stich“ und trugen durch die hierdurch bedingte Reduzierung des externen Ressourcenzuflusses an Somalia mit zu der Verschärfung der dortigen Lage bei.
„Operation Enttäuschte Hoffnung“: das Scheitern von VN und USA 1992-1995 Im veränderten Kontext der nach-bipolaren „Neuen Weltordnung“ und des sich anbahnenden „Humanitären Interventionismus“ in Kooperation von VN und USA avancierte Somalia nunmehr zu einem Experimentierfeld neuartiger internationaler Konfliktbearbeitungskonzepte, um den dortigen Krieg und die medial stark beachtete Hungersnot einzudämmen. Doch gelang weder der Militärintervention UNITAF („Operation Neue Hoffnung“) noch der „robusten“ VN23
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Mission UNOSOM II eine Entwaffnung der somalischen Gewaltakteure und eine Wiederherstellung funktionaler Staatlichkeit. Es gab keine klare politisch-strategische Vision, die den gesellschaftlichen Verhältnissen in Somalia und der dortigen Konfliktdynamik angemessen war. Vielmehr lag der Schwerpunkt der internationalen Bemühungen unter Zeitdruck auf einem Ausgleich zwischen rivalisierenden Warlords und der Schaffung einer nationalen, gesamtstaatlichen Regierung, die jedoch nicht zustande kam. Die Etablierung einer solchen Regierung galt als wesentliche Erfolgsbedingung für einen respektablen Abzug der VN. Durch ihre politische Aufwertung der Warlords trug die gescheiterte VNMission sogar noch zur Verfestigung der Bedingungen für eine Verstetigung des gewaltsamen Konfliktaustrags im Lande bei. So verwandelte sich die „Operation Neue Hoffnung“ in eine „Operation Enttäuschte Hoffnung“, die wesentlich zur Frustration der internationalen Gemeinschaft gegenüber Somalia beitrug.
Regionalisierung der Konfliktbearbeitung 1996-2004 Nach dem Abzug von USA/VN und vergeblichen Bemühungen der EU im Jahre 1995 engagierten sich nachfolgend ab 1996 im Kontext der Regionalorganisation IGAD und mit Unterstützung der VN verschiedene Regionalstaaten im somalischen Friedensprozess, die dabei jedoch bemüht waren, ihre jeweiligen regionalpolitischen Interessen geltend zu machen: Äthiopien, Djibouti und Kenia. Ende 2004 kam es zur Etablierung einer somalischen Übergangsregierung, die aber hochgradig von Äthiopien abhängig war, daher in Somalia vielfach als „Marionettenregierung“ mit geringer interner Legitimation galt und der es erst 2006/ 2007 gelang, im Lande selbst Fuß zu fassen.
Anti-Terror-Krieg am Horn von Afrika: Zerschlagung der Union islamischer Gerichtshöfe durch Äthiopien und die USA 2006-2008 Im Kontext des Anti-Terror-Krieges geriet Somalia seit 2001 in das Visier der USA, die in dem zerfallenen Staat mit seinen kriegsökonomischen Strukturen Rückzugs- und Operationsräume von Al Kaida vermuteten. Als sich vom Juni bis Dezember 2006 der Aufstieg der „Union Islamischer Gerichtshöfe“ (UIG) gegenüber der schwachen und unpopulären Übergangsregierung sowie diversen Warlords vollzog, verdichteten sich im Westen diesbezügliche Bedrohungsvorstellungen. Die UIG war ein heterogenes und locker gefügtes Bündnis von KlanInteressen und religiös-ideologischen Strömungen ohne eine zentrale Organisationsstruktur und Führung, hervorgegangen aus dem Zusammenschluss verschiedener lokaler und regionaler Sharia-Gerichte und deren Milizverbänden. Nach 24
Konfliktdynamik und externe Akteure in Somalia
langen Jahren des Krieges brachte die Erstarkung des politischen Islam in Somalia die Chance einer wachsenden Befriedung und Sicherheit im Lande mit sich, doch wurde diese Chance durch die externe Furcht vor einem „Zweiten Afghanistan“ und einer „Talibanisierung“ in Somalia und einem „terroristischen Generalverdacht“ gegen die somalische Bevölkerung zunichte gemacht (Matthies 2009). Im Dezember 2006 kam es zu einer von den USA und Äthiopien erwünschten Militärintervention letzteren Landes in Somalia, die zu einer Zerschlagung der islamischen Gerichtsmilizen führte. Erst im Januar 2009 zogen sich die äthiopischen Interventionstruppen wieder aus Somalia zurück. Dieser militärische Gewaltakt hatte die Erstarkung radikaler Islamistengruppen (Al Shabaab und Hizbul Islam) sowie einen langwierigen Abnutzungskrieg gegen die äthiopischen Invasoren und die Truppen der somalischen Übergangsregierung zur Folge, verbunden mit einer humanitären Katastrophe vor allem in der Hauptstadt Mogadishu (15-20 000 Kriegstote, Hunderttausende von Flüchtlingen). So erwies sich die Eskalation der Gewaltkonflikte in Somalia als eine äußerst destruktive und kontraproduktive Folgewirkung des Anti-Terror-Krieges der USA und ihrer Verbündeten am Horn von Afrika: „Eine der zahlreichen Tragödien der somalischen Saga ist die, dass gerade zu einem Zeitpunkt, als die Konstellation lokaler Interessen günstig für die Akzeptanz und Förderung der Wiederherstellung von Staatlichkeit war, äußere Faktoren bzw. Akteure (vor allem Äthiopien) Einfluss nahmen und diese Bemühungen untergruben“ (Menkhaus 2008: 41).
Neue Herausforderungen durch Radikalislamisten und Piraten 2008-2010 Seit Juni 2008 vollzog sich unter Vermittlung der VN der erfolgreiche Prozess einer erneuerten Regierungsbildung zwischen der alten Übergangsregierung und moderaten Islamisten. Dieser alt-neuen somalischen Regierung stand seit 2007 eine Friedensmission der AU (AMISOM) mit Truppen aus Burundi und Uganda in Stärke von etwa 5 000 Mann zur Seite. Doch trotz erheblicher internationaler Unterstützung (u. a. Ausbildungshilfe) auch von Seiten der USA und EU für die Sicherheitskräfte der Regierung (bislang eine Ansammlung von weithin ineffektiven, unorganisierten und korrupten Milizgruppen) gelang es dieser bisher nicht, sich gegen die gut organisierten und kampfkräftigen Al Shabaab-Milizen durchzusetzen, die große Teile des Landes und der Hauptstadt Mogadischu kontrollieren. Zeitgleich mit der Bildung der neuen Übergangsregierung und der sich verschärfenden Konfrontation zwischen dieser und den radikalen Islamisten kam es zu einem spektakulären Boom der Piraterie vor Somalias Küsten. Hierdurch avancierte das Horn von Afrika wiederum zu einem „Hot Spot“ der Weltpolitik (Bruchhaus/Sommer 2008). Ursprünglich als spontaner Widerstand somalischer Fischer gegen fremde „Fischpiraten“ in ihren Gewässern entstanden, wurde die 25
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Piraterie nachfolgend zu einem einträglichen professionalisierten Gewerbe (Matthies 2010). Das Geschäftsmodell der somalischen Piraten besteht in einem „maritimen Kidnapping“ zur Erzielung von Lösegeldern für Schiffe und Mannschaften. In Reaktion hierauf kam es zu einem gewaltigen Flottenaufmarsch diverser Kriegsmarinen (u. a. der NATO, der EU, Russlands, Indiens und der VR China) im Golf von Aden und im Indischen Ozean, ohne dass es bisher gelang, die somalische Piraterie mittels dieser „Kanonenbootdiplomatie“ nachhaltig einzudämmen.
Probleme der Konfliktbearbeitung durch externe Akteure Wesentliche Gründe des wiederholten Scheiterns diverser externer Friedensbemühungen in Somalia waren: • Zum ersten die Bevorzugung von Warlords und bewaffneten Gruppierungen zu Lasten der somalischen Zivilgesellschaft (Klangruppen und Klanälteste, Geschäftswelt, islamische Geistlichkeit und Wohlfahrtseinrichtungen, Diaspora etc.). Hierdurch wurden immer wieder Chancen einer friedlichen Konfliktbearbeitung durch zivilgesellschaftliche Akteure nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen (Bradbury/Healy 2010); • zum zweiten die divergierenden Interessen wichtiger Regionalstaaten (u.a. Äthiopien, Ägypten, Djibouti, Eritrea, Kenia), die viele Jahre lang die Konflikte in Somalia eher geschürt als gedämpft, Rivalitäten ausgenutzt, hegemoniale Absichten gehegt und eigene sicherheitspolitische Ziele verfolgt haben. Hierdurch kam es immer wieder zu einer Destabilisierung Somalias und zur Blockierung von Friedensprozessen (Paffenholz 2004); • zum dritten die konzeptionell-strategischen Fehleinschätzungen und unangemessenen Verhaltensweisen außerregionaler Akteure, die durchgängig auf das unrealistische Ziel einer Rekonstruktion von Gesamt- und Zentralstaatlichkeit fixiert waren. Dabei haben diese Akteure weder den Unterschied zwischen „Staatsbildung“ und einer „Öffentlichen Ordnung“ erkannt noch alternative Ordnungsmodelle jenseits überkommener Staatlichkeit (informelle, lokale/regionale Ordnungs- und Sicherheitssysteme) angemessen gewürdigt: „Tatsächlich kann man behaupten, dass Versuche zur Wiederherstellung eines Zentralstaates die bewaffneten Konflikte verschärft haben. … Externe Initiativen zur Wiederherstellung von Staatlichkeit haben manchmal öffentliche Sicherheit und Ordnung eher untergraben als gefördert, indem sie existierende informelle Sicherheits- und Regierungssysteme ausgehöhlt haben“ (Menkhaus 2008: 40f). Demgegenüber braucht Somalia einen „Staatsaufbau von unten“ in Eigenregie, der auf informellen Regierungs-Systemen und lokalen/regionalen „Basisbausteinen“ aufsetzt und einen minimalistischen Zuschnitt hat. Das Bei26
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spiel der völkerrechtlich bis heute nicht anerkannten „Republik Somaliland“ hat eindrucksvoll gezeigt, dass die Somali sehr wohl in der Lage sind, sich auf demokratische, effektive und friedliche Weise selbst zu regieren. Allerdings scheint der bisherige Erfolg Somalilands in jüngster Zeit gefährdet zu sein, da die jetzige Regierung zunehmend repressiv agiert, die Furcht vor Terrorgefahren für einen exzessiven Ausbau ihrer Sicherheitsdienste ausnutzt, Wahlen verschoben hat und der grassierenden Korruption keinen Einhalt gebietet (Bradbury 2009).
Fazit Auf Sicht zeichnet sich noch kein Ende des Krieges in Somalia ab. Vielmehr hat sich momentan die gewalttätige Konfrontation zwischen den dortigen Konfliktparteien noch weiter verschärft. Daran hat auch die intensivierte sicherheitspolitische Einmischung externer Akteure (besonders der USA und der EU) zugunsten der somalischen Regierung und der AMISOM wesentlichen Anteil. Doch wird diese Eskalation der Auseinandersetzungen keine Chance auf ein verlässliches Ende des Krieges und eine nachhaltige Befriedung des Landes haben. Hierzu müssten die externen Akteure eine Abkehr von ihrer klassischen, militärisch gestützten Einmischungs-, Interessen- und Machtpolitik vornehmen, eigenständige somalische Aushandlungs-, Versöhnungs- und Friedensprozesse fördern, vor allem das Wohl der somalischen Bevölkerung im Auge haben, sich von verfestigten konzeptionell-strategischen Fehleinschätzungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in Somalia und der dortigen Konfliktdynamik lösen sowie sich von undifferenzierten, alarmistischen Bedrohungsvorstellungen und Feindbildern hinsichtlich des militanten Islam in diesem Lande verabschieden (Bradbury/ Healy 2010). Namentlich die USA haben das Aufkommen des politischen Islam in Somalia eher als sicherheitspolitische und terroristische Bedrohung für sich selbst denn als eine friedenspolitische Chance für die Somali wahrgenommen und dementsprechend mit einer kontraproduktiven Militärlogik darauf reagiert. Dadurch stärkten sie gerade diejenigen politischen Kräfte, deren Aufstieg sie eigentlich hatten verhindern wollen (Höhne 2010). Schlichte polarisierende Gegenüberstellungen von scheinbar monolithischen Gebilden so genannter „Moderater“ und „Extremisten“ sind kaum geeignet, die komplexen Interessenlagen der somalischen Konfliktakteure und die Dynamiken der somalischen Gesellschaft angemessen wahrzunehmen (Marchal 2009). Denn sowohl die derzeitige somalische Übergangsregierung als auch die Al ShabaabMilizen sind ungeachtet ihrer jeweiligen „moderaten“ („liberalen“) oder „radikalen“ („jihadistischen“) Rhetorik mehr oder weniger heterogene und fragile Zusammenschlüsse, innerhalb derer sich recht unterschiedliche religiös-ideologische Strömungen, sozio-politische und ökonomische Interessenlagen sowie 27
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Klan-Bindungen finden. Daher sind entsprechend komplexe Aushandlungs- und Versöhnungsprozesse sowohl möglich als auch nötig, um von konfrontativen Politikkonzepten abzurücken und inklusive Friedenslösungen zu finden.
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Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali 1
Thomas Zitelmann
1. Soziale Struktur und Konflikt Dieser kurze und stark verallgemeinernde Blick auf Sozialstruktur und soziale Organisation der Somali bedarf einer einführenden theoretisch-methodischen Bemerkung. Mein Beitrag ist ein Versuch, gesellschaftliche Faktoren darzustellen, die für das grundsätzliche Verständnis von Konfliktverhalten in der Region nützlich sind. Mein Blick fällt dabei auf langfristige Zusammenhänge und nicht auf ereignisorientierte Konfliktverläufe. Zur Voraussetzung jeder Betrachtung der somalischen Gesellschaftsstruktur gehört die Beschäftigung mit der Bedeutung des Klans (tol), des Gewohnheitsrechtes (xeer/heer) und der Kompensationsgruppe (diya-Einheit), die im Konfliktfall für das Individuum einen kollektiven Schutz vermittelt. Der Blick auf diese somalischen Grundmuster sozialer Organisation ist notwendig; er alleine reicht aber nicht aus, um zu einem Verständnis der somalischen Situation zu gelangen. Damit ist eine dreifache Problematik verbunden: Einmal geht es um die Kontexte, in denen Wissen über die somalische Gesellschaftsstruktur erworben wurde. Dann fällt der Blick auf ein funktionales Modell von möglichen institutionellen Zusammenhängen und Verhaltensweisen. Schließlich rücken auch historische Transformationsprozesse und Fragen nach Veränderungen sozialer Zusammenhänge in das Blickfeld. Seit Jahrzehnten wird darüber gerätselt, wie man partizipative und rechtliche Aspekte der „traditionellen“ somalischen Sozialstruktur instrumentalisieren und in die geordnete Gestaltung von Staat und Gesellschaft einbauen kann. Militärtheoretische Planer von Counterinsurgency-Ansätzen haben aktuell die Frage aufgebracht, inwieweit die Erfahrungen und institutionellen Lösungen, die in der relativ friedlichen, aber international nicht anerkannten Republik Somaliland mit dem Ausgleich zwischen Klans und im Staatsaufbau unter Einbindung der Bevölkerung gemacht wurden, im Zuge zivil-militärischer Interventionen auf den 1
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Wirkungen von ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention auf lokale und globale Aspekte von Sicherheit“ (gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung), am Zentrum für Entwicklungsländerforschung, Institut für Geographische Wissenschaften, Freie Universität Berlin.
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Süden Somalias übertragbar wären. 2 Zu Beginn der 1990er Jahre erfolgte dort eine relativ erfolgreiche interne Institutionalisierung von Ausgleichsmechanismen zwischen Klans mit gänzlich unterschiedlichen Vorstellungen und Interessenlagen bezüglich regionaler Unabhängigkeit und pan-somalische Politik, und dem damit verbundenen Staatsaufbau unter Einbindung der Bevölkerung. Aus einer historischen Perspektive hatte der Erfolg viel damit zu tun, dass es keine Einmischung von außen gab. Vor allem gab es keinen von außen vermittelten Zeit- und Erfolgsdruck. 3 Interventionsenthusiasten ignorieren zudem eine Warnung, die bereits der viktorianische Afrika-Forscher Richard Burton geäußert hat: “The Somal ... live in a highly artificial though an apparently artless state of relations, and the imperfect attempts of strangers to interfere would be turned to the worst account by the designing adventurer and the turbulent spirit who expect to rise by means of anarchy and confusion.” 4
1.1. Kontextualisierung von Wissen über die Somali In den späten 1950er Jahren prägte der britische Anthropologe Ioan M. Lewis für die Somali das leicht verklärende Bild einer „Hirtendemokratie“ (pastoral democracy). 5 Lewis Arbeiten zur somalischen Klanstruktur (Klan = tol/qabiila), ihre über die väterliche Linie genealogisch verbundenen Ebenen sowie ihre Segmentierungsdynamiken und Funktionen (rituell, politisch, rechtlich, wirtschaftlich) wurden prägend für die allgemeine Kenntnis der somalischen Gesellschaftsstruktur und das Verständnis des gesellschaftlichen Unterbaus des postkolonialen Somalia. Ursprünglicher Hintergrund waren Forschungen unter nomadischen Kamelzüchtern im britischen Protektorat Somaliland, die sich durch eine relative Egalität von Familienverbänden (reer), repräsentiert durch Älteste, eine Versammlung in kollektiven Entscheidungsgremien (shir), und durch eine Vielzahl rechtlich fixierter Allianzbildungen (xeer/heer) aus. Mit Hilfe dieser Kamelzüchter-Forschung konnten potentielle Konflikte zwischen den Nomaden (Zugang zu Weideland und Wasser; kollektive Gewalt und individueller Tot2 3 4 5
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Kilcullen, David: Intelligence. In: Rid, Thomas/Keaney, Thomas (Hrsg): Understanding Counterinsurgency. Doctrine, operations, and challenges. London/New York, 2010, S. 141-159, hier S. 148. Johnston, Pat, et al.: Peace in Somaliland: An Indigenous Approach to State-Building – Burao, Borama, and Sanaag Conferences. The Search for Peace – Somali Programme. Hargeisa, 2008, S. 27. Burton, Richard: First Footsteps in Africa or an Exploration of Harar. London, 1987 [orig. 1894], Vol. II, S. 144. Lewis, Ioan M.: A Pastoral Democracy. A Study of Pastoralism and Politics among the Northern Somali of the Horn of Africa. London, 1961.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
schlag) in einem staatsfernen Raum über Kompensationsgruppen (blutgeldzahlende Einheiten/diya) verrechtlicht werden. Lewis Forschungen fanden im Kontext der letzten Jahre des britischen Protektorates Somaliland statt und reflektieren Erfahrungen mit einer klassischen Variante indirekter Herrschaft, in der der koloniale Staat lokale Herrschaft über sogenannte „traditionelle“ Institutionen organisierte. 6 Die Präsentation des Klans als primärer Organisationsform der Somali hat in den folgenden Jahrzehnten zwei zentrale und widersprüchliche Wandlungsprozesse erlebt. Anfang der 1970er Jahre wurde der Klan von Lewis als gemeinsame institutionelle und kulturelle Ausdruckform eines größeren Ganzen, der somalischen Nation, präsentiert, die danach mehr war, als die Summe ihrer Teile. 7 Mitte der 1990er Jahre, nach Ausbruch des Bürgerkrieges, lag die institutionelle Bedeutung nur noch in den Teilen. 8 Als „Baustein-Prinzip“ (building block) ging diese Präsentation des Klans nach der gescheiterten UNOSOM-Intervention (1992-1994) in den Jargon und in die Praktiken von Not- und Entwicklungshilfeorganisationen ein und trug zu einer verengten Sichtweise auf das größere Ganze bei. Der Blick auf „tol“ und „xeer“, Verwandtschaft und Vertrag, auf patrilineare Normativität in der Herleitung von Gruppenzugehörigkeit, bei gleichzeitiger flexibler Gestaltung von Allianzen und rechtlichen Beziehungen zwischen diesen Gruppen, prägt bis heute eine zentrale Perspektive der somalischen Gesellschaftsstruktur. 9 Kritische Betrachter allerdings machten Anfang der 1990er Jahre diese Verklärung mit für eine Missrepräsentation der somalischen Gesellschaft verantwortlich, durch die die sozialen Prozesse und Spannungen, die sich nun im Bürgerkrieg entluden, nicht im Vorfeld erkannt und benannt werden konnten. 10 Ein damals aktiver Kriegsherr, General Mohammed Farah Aidid, bemühte den Anspruch auf Wiederherstellung und Weiterentwicklung des demokratischen Hirtenidylls als „demokratische Autonomie“ (der somalischen Klans) zur Legitimation der eigenen Gewalt. 11 6 7 8 9 10 11
Lewis, Ioan M.: Adventures in Somali Anthropology. In: Annales d’Ethiopie, 19/2003, S. 307-321, hier S. 310. Lewis, Ioan M.: Nationalism and Particularism in Somalia. In: Gulliver, P. H. (Hrsg.): Tradition and Transition in East Africa – Studies of the Tribal Element in the Modern Era. Berkeley/Los Angeles, 1971, S. 339-361, hier S. 356. Lewis, Ioan M./Mayall, John: A Study of Decentralised Political Structures for Somalia: A Menu of Options. London, 1995, S. 13. Jama, Mohammed: Kinship and Contract in Somali Politics. In: Africa, 77(2)/2007, S. 226-249. Ahmed, Ali Jimale: Preface. In: Ahmed, Ali Jimale (Hrsg.): The Invention of Somalia. Lawrenceville/NJ 1995, S. IX-XV. Zitelmann, Thomas: Begegnungen im globalen Ideoraum: Mohammed Farah Aidid, Klan, demokratische Autonomie und die Apokalypse. In: Müller, Hans-Peter (Hrsg.): Weltsystem und kulturelles Erbe. Gliederung und Dynamik der Entwicklungsländer aus ethnologischer und soziologischer Sicht. Berlin, 1996, S. 271-285, hier S. 273-275.
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Thomas Zitelmann
In Lewis Schatten entwickelten sich andere Sichtweisen auf die Situation im post-kolonialen Somalia. Kritiken fokussierten sich auf: • die Einseitigkeit, mit der gesellschaftliche Verhältnisse auf Verwandtschaftsbeziehungen reduziert wurden. Widersprüche und Konflikte, die sich auf wirtschaftlicher Grundlage in den gesellschaftlichen Basiseinheiten (Familien, Verwandtschaftsgruppen, Nachbarschaften) entwickelten, wurden nur andeutungsweise behandelt; 12 • eine für die damalige Zeit typische Missrepräsentation von Männerrollen, Frauenrollen und Genderbeziehungen. 13 Insbesondere galt dies für eine unterbelichtete Perspektive bezüglich des Zusammenhanges von patrilinearer Norm als gesellschaftlichem Ideal und real existierenden Beziehungen über die mütterliche Linie, über die Beziehungen zwischen Gruppen auch organisiert waren; 14 • eine schwache Belichtung der Unterschiede in der sozialen Struktur bei Somali mit kamelnomadischer Produktionsweise (Kamelpastoralisten) sowie agro-pastoralen (Rinderzüchtern) und bäuerlichen Somali im Süden Somalias. In der Betrachtung der Somali hat sich aus diesen Kritiken eine akademische Auseinandersetzung zwischen „Traditionalisten“ und „Transformalisten“ entwickelt. 15 „Traditionalisten“ reduzieren soziale Beziehungen und Verhaltensweisen auf archetypische Grundzüge der somalischen Klanstrukturen und damit verbundene Verwandtschafts-, Politik- und Konfliktmuster. Das traditionalistische (und funktionalistische) Argumentationsmuster leitet die Klanorganisation der Somali aus der grundsätzlichen Organisation kollektiver Sicherheit ab, 16 über die Fehde, Krieg und Selbsthilfe in einem staatsfernen Raum organisiert wurden. 17 „Transformalisten“ betonen die Veränderungen in sozialen Stratifikationsprozessen (Klassenbildung, Übergang zwischen Produktionsformen, Handel und Kommer12 13 14
15 16 17
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Mirreh, Abdi Gaileh: Die sozialökonomischen Verhältnisse der nomadischen Bevölkerung im Norden der Demokratischen Republik Somalia. Berlin, 1978, S. 11. Ahmed, Christin Choi/Finely, Etched Chattel: The Invention of a Somalia Women. In: Ahmed, Ahmed Jimale (Hrsg.): The Invention of Somalia. Lawrenceville/NJ 1995, S. 157-189. Djama, Marcel: Modéle de Représentation ou Représentation de Modéles? Problémes et Enjeux des Études de Parenté Somalie. In: Mohammed, Mohammed Abdi (Hrsg.): Anthropologie Somalienne – Actes du Ile Colloque des Études Somaliennes (Besançon, 8/11 octobre 1990). Mohammed, Mohammed Abdi. Besançon, 1993, S. 119-129, hier S. 119120. Waldron, Sidney/Hasci, Naima A.: Somali Refugees in the Horn of Africa. State of the Art Literature Review. Studies on Emergency and Disaster Relief, Report No. 3. Uppsala, 1995, S. 10. Lewis, 1961, S. 301. Lewis, a. a. O., S. 3ff.
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zialisierung, Urbanisierung, Migration), die sich in Folge oder Begleitung lokaler, regionaler und globaler politisch-ökonomischer Transformationen entwickelt haben und ständig weiter entwickeln. 18 „Traditionalisten“ gehen hingegen davon aus, dass die somalische Sozialstruktur sich flexibel an die materiellen und kommunikativen Möglichkeiten eines sich zunehmend erweiternden Raumes anpasst. 19 In die folgende Darstellung der somalischen Sozialstruktur fließen Elemente aus beiden Denkrichtungen ein.
1.2. Siedlungsräume der somalischen Klanfamilien und Bevölkerungsgruppen Die große Mehrheit der Somali gehört einer von fünf „Klanfamilien“ (Dir, Ishaaq, Darood, Hawiya, Rahanweyn) an, die auf vier post-koloniale Staaten (Somalia, Äthiopien, Dschibuti, Kenia) verteilt sind (vgl. Abb. 1). Die Siedlungsräume der über eine „totale Genealogie“ (vgl. 2.1.) miteinander verknüpften Klanfamilien sind, mit Ausnahmen, zwar territorial zusammenhängend, aber es handelt sich dabei historisch nicht um territorial fixierte Einheiten. Vier der Klanfamilien (Dir, Ishaaq, Darood, Hawiya) haben sich unter den Bedingungen einer kamelnomadischen Produktionsweise in extrem ariden Gebieten formiert, und ihre Institutionen haben sich mit der damit verbundenen Mobilität entwickelt: • Die Dir, mit dem großen Klan der Issa, leben schwerpunktmäßig in der Republik Dschibuti sowie im Nordwesten der Somali-Region Äthiopiens und im äußersten Nordwesten Somalias (heute „Republik Somaliland“). Einzig der zu den Dir zählende Klan der Bimaal lebt an der BanadirKüste Südsomalias. • Die Ishaaq sind die Mehrheitsbevölkerung Nordsomalias. Auch südlich der äthiopischen Grenze leben Ishaaq. Angehörige der Ishaaq waren im Jahre 1991 die treibende Kraft, die zur de-facto Unabhängigkeit der Republik Somaliland und deren Abspaltung von Somalia beitrug. • Die Klanfamilie der Darood lebt auf der größten Fläche des von Somali bewohnten Territoriums. Dazu gehören große Teile der Somali-Region Äthiopiens, denen der Klan der Ogaden auch international eine geographische Bezeichnung gegeben hat. Der Klan der Harti lebt im Osten der Republik Somaliland sowie in der nördlichen Hälfte Rest-Somalias, heute auch als „Republik Puntland“ bekannt, die sich anders als die Republik Somaliland de-jure als Teil Somalias versteht. Südliche Ausläufer der Da18 19
Für einen frühen transformativen Ansatz vgl. Nelson, Harold. D.: Somalia – A Country Study (3rd ed.). Washington/D.C., 1982, S. 93., S. 67 & passim. Schlee, Günter: Regelmäßigkeiten im Chaos: Elemente einer Erklärung von Allianzen und Frontverläufen in Somalia. In: Africa Spectrum, 30(3)/1995, S. 274-292, hier S. 288.
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rood, wie beispielsweise die Marehan, leben im Süden Somalias und im Norden Kenias. Die Hawiya gliedern sich in zwei Subkategorien, die als „erste Migration“ (oder „prä-Hawiya“) und „zweite Migration“ klassifiziert werden. Die zur „ersten Migration“ gehörenden Gruppen leben, mit Ausnahme des Klans der Hawadle, im Süden der Somali- Region Äthiopien und in angrenzende Gebieten Nordkenias. Viele dieser Gruppen sind nur peripher an den gegenwärtigen Ereignissen in Somalia beteiligt (waren aber durchaus während des äthiopisch-somalischen Krieges 1978 und später für die Unabhängigkeit „Westsomalias“ aktiv). Im Gegensatz dazu dominieren Gruppen der „zweiten Migration“ in den zentralen Gebieten Südsomalias, insbesondere in den urbanen Zentren (Mogadischu, Häfen der Banadir-Küste). Die Klanfamilie der Rahanweyn (einschließlich Digil und Mirifle) bewohnt das fruchtbare Land zwischen den Flüssen Juba und Schabelle im Süden Somalias. Diese Bevölkerungsgruppe ist durch eine agro-pastorale Lebensweise oder durch die bäuerliche Lebensweise gekennzeichnet und sesshaft. Das Territorialprinzip ist hier in der sozialen und politischen Organisation stärker ausgeprägt.
Abb. 1: Siedlungsräume der somalischen Klanfamilien 20 20
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Zitelmann, Thomas: Klan, Bürgerkrieg und politischer Islam in Somalia. In: INAMO, 31/2002, S. 26-30, hier S. 28.
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Neben den Klanfamilien existieren Minderheiten ehemaliger Sklaven (Gosha, Shidle, Makanne) in den landwirtschaftlichen Gebieten Südsomalias, Kasten von Handwerkern in Nordsomalia sowie urbane Minderheiten (Araber, Inder) und die Bajun, maritim ausgerichtete Suaheli-Gruppen (Fischer, Seeleute, Händler) an der Banadir-Küste. 21
2. „Totale Genealogie“ und soziale Strukturen Die Somali galten im postkolonialen sub-saharischen Afrika lange als eine Bevölkerung, die einem der europäischen Romantik entsprechenden Muster einer sprachlich-kulturell und institutionell geschlossenen Nation zu entsprechen schien. Mit der somalischen Sprache existierte eine sich über Radio und Literalisierung ständig vereinheitlichende Nationalsprache. 22 Somali gehörten zu nahezu 100% der sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islams an. Zudem vermittelt die Vorstellung einer „totalen Genealogie“ das Bild eines gesellschaftlichen Ganzen, das bereits über Jahrhunderte als Zusammenhang von patrilateral verbundenen Verwandtschaftsgruppen gedacht wurde, die als Klanfamilien mit einem mythologischen Bruderpaar (Samaal, Sab) und über diese mit der Genealogie des Propheten Mohammed verknüpft waren (vgl. Abb. 2, 3). 23 Das Verständnis der Klanstruktur erscheint einigen Beobachtern als Schlüssel zum Verständnis von sozialer Struktur, kollektiver Geschichte und der langen Dauer eines regionalen Systems, dessen Krönung einmal die vereinte somalische Nation in einem Nationalstaat sein sollte. Aus einer anderen Perspektive symbolisierte das fiktive Bruderpaar Samaal und Sab eine verhärtete Mythologisierung von Hierarchie und Differenz in den überlieferten Gesellschaftsstrukturen der Somali und enthält damit auch einen Schlüssel für das Verständnis von internen Konflikten.
2.1. Die „totale Genealogie“ Der traditionelle Gruppenverbund der Somali ist in seiner historischen Tiefe, in unterschiedlichen Varianten, als genealogisch über die männliche Linie verbundenes segmentäres Modell überliefert. Ausgehend von einem fiktiven Bruderpaar 21 22 23
Nelson, 1982, S. 93. Nelson, a. a. O., S. 117-118. Lewis, Ioan M.: The Somali Lineage System and the Total Genealogy. London, 1957, S. 6; Lewis, 1961, S. 23, 130; Steiner, Martina. E.: La Grande Faida. I Processi di Ethnicizzazione e di Segmentazione in Somalia. Roma, 1994, S. 107ff.
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(Samaal und Sab), für das weiterhin genealogische Verbindungen auf die arabische Halbinsel und in die Familie des Propheten Mohammed beansprucht werden, gliedern sich die Somali in fünf Klanfamilien: Hawiya, Dir, Ishaaq, Darood und Rahanweyn (Digil, Mirifle). Die totale Genealogie der Klanfamilien hat eine historische Tiefe von bis zu 30 Generationen und verbindet mythische und historische Zeit. Es existieren, in Nuancen, unterschiedliche Varianten der totalen Genealogie der Somali. Diese Variationen enthalten unterschiedliche Erinnerungsmuster an historische, sozialstrukturelle und normative Zusammenhänge. Die somalische Gesellschaft und das dort vermittelte Geschichtsbewusstsein sind stark durch mündliche Traditionen bestimmt, die in einzelnen Elementen voneinander abweichen können. Nicht in Frage gestellt ist hier das konkrete Erinnern an historische Ahnenfolgen innerhalb der Klanfamilien. Umstritten sind strukturelle Elemente, die in eine mythische Zeitebene verlagert sind. Historische Varianten enthalten unterschiedliche Erinnerungen an Seniorität und Juniorität, an Autochtonie und Einwanderung (Fremdheit), an Abstammung über die männliche oder über die weibliche Linie, gekoppelt an den jeweiligen genealogischen Standort und damit verbundene interne Senioritäts- und Hierarchieansprüche der Klanfamilien. Die von Lewis (1957) erstmals veröffentlichte Variante der „totalen Genealogie“ (Abb. 2) transportiert auf der mythischen Ebene ein Modell, das den Hawiya einen Senioritätsrang zuweist, dem die Dir folgen. Die Ishaaq sind in dieser Genealogie den Dir zugeordnet. Die Darood stammen von einem „Fremden“ (gal) ab, der in die Dir eingeheiratet hat. Dieses mythische Element legitimiert Klanexogamie, fixiert aber zugleich Fremdheit. Alle sind auf vage Weise mit der Familie des Propheten Mohammed verwandt. Eine Besonderheit dieser Genealogie ist die Verbindung von Samaal und Sab, von Kamelnomaden im Norden und Agro-Pastoralisten/Bauern im Süden. Dieses Erinnerungselement wurde bei Aufzeichnung der Genealogie nur im Süden gefunden. 24 24
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Lewis, 1957, a. a. O., S. 73. – Aktuell wird vor dem Hintergrund der regionalen Differenzierungen in der Überlieferung der „totalen Genealogie“ die Frage aufgeworfen, ob die „totale Genealogie“ der Somali nicht ein gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenes Werk islamischer Gelehrter ist, mit deren Hilfe aus einem fragmentierten segmentären System eine verwandtschaftlich verbundene islamische Nation (umma) der Somali imaginiert und begründet werden sollte (Cassanelli, 2010). Wenn dies so ist, dann steht die „totale Genealogie“ in einem Kontinuum mit älteren narrativen Varianten. Verwandtschaftlich begründete und islamisch verwurzelte Narrative und Imagination eines somalischen Ganzen, als kastenmäßig organisierte Einheit von „Somal“ und „Sab“ (= Rahanweyn), sind von Reisenden (z.B. von der Decken) für die Banadir-Küste bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentiert worden (Cassanelli, Lee V.: Speculations on the Origins of the ‘Total Genealogy of the Somali’. In: Hoehne, Markus V./Luling, Virginia [Hrsg.]: Milk and Peace, Drought and War – Somali Culture, Society, and Politics. Essays in Honour of I. M. Lewis. London, 2010, S. 53-66; von der Decken, Carl Claus: Reisen in Ostafrika in den Jahren 1859 bis 1865, Bd. II [bearbeitet von Otto Kersten]. Graz,
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
Abb. 2: Die „totale Genealogie“ der Somali (nach Lewis, 1957) 25 In einer auf weiteren Texten von Ioan Lewis aufbauenden genealogischen Kompilation präsentiert Pérouse de Montclos (2001) demgegenüber ein egalitäres Modell der Klanfamilien, die als gleichrangig nebeneinander stehend betrachtet werden und in dem die Ishaaq den beanspruchten Status als eigene Klanfamilie – und nicht als Klan der Dir – haben. Hier erscheinen nun Ishaaq und Darood als eingeheiratete Fremde, die über Schwiegerschaften mit den anderen Klanfamilien verbunden sind (vgl. Abb. 3). Die Existenz derartiger Vorstellungen ist aus dem 19. Jahrhundert belegt. 26 Mythische und strukturelle Elemente der „totalen Genealogie“ der Somali werden immer wieder neu formuliert, auch in der Bürgerkriegssituation. 27 Sie unterliegen dem Zeitgeist und den jeweiligen Allianzmustern. Der fiktive Ahne „Irir“ spielt heute keine Rolle, diente aber in den 1960er Jahren als historischer Bezugsrahmen für Begründungen von Allianzen unter Hawiya, Dir und Ishaaq gegen Darood. 28 Genealogien, die heute die
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1978 [orig. 1871], S. 319-320; Paulitschke, Philipp: Ethnographie Nordost-Afrikas, Bd. I. Berlin, 1893, S. 41, 55-56). Lewis, 1957, a. a. O., S. 6. Burton, 1987, S. 41. World Bank: Conflict in Somalia: Drivers and Dynamics. Washington/D.C., 2005, S. 5557. Lewis, 1971, S. 355.
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Thomas Zitelmann
formale Gleichrangigkeit der Klanfamilien ausdrücken, können als Ausdrucksformen des Bürgerkriegs und als Argumentationshilfe in endlosen Verhandlungssituationen, im Rahmen von Übergangsregierungen und -parlament, gelesen werden, in denen ein interner Machtproporz errungen werden soll.
Abb. 3: Die „totale Genealogie“ als Imagination der Egalität unter Klanfamilien 29 2.1.1. Beispiel einer politischen Kontextualisierung der „totalen Genealogie“ 30 Der Autor dieser Zeilen arbeitete zur Zeit des äthiopisch-somalischen Friedensschlusses im Frühjahr 1988 in Flüchtlingslagern in der Region von Belet Weyne (am Mittleren Schabelle, südlich der Grenze nach Äthiopien). In den Flüchtlingslagern lebten viele Ogaden-Flüchtlinge. Die lokale Bevölkerung bestand mehrheitlich aus Hawadle. Sehr zum Missfallen des UNHCR, der die Flüchtlinge verwaltete und mit Nahrung versorgte, bestand ein reger wirtschaftlicher Austausch zwischen Ogaden (Darood) und Hawadle (Hawiya). Der Friedensschluss 29 30
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Pérouse de Montclos, M.arc-Antoine: Interprétation de une Conflit: De Cas de la Somalie. Travaux et Documents, No. 70-2001. Bordeaux, 2001, S. 14. Zitelmann, Thomas: Refugee Aid, Moral Communities and Resource Sharing. A Prelude to Civil War in Somalia. In: Sociologus 41(2)/1991, S. 118-137, hier S. 120.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
und das mit dem Ende des Kalten Krieges absehbare Ende einer speziellen Alimentierung des somalischen Regimes über Entwicklungs- und Nothilfe stellte auch die lokalen Regelungen von Geben und Nehmen zwischen den Flüchtlingen und der Lokalbevölkerung in Frage (überschüssige Nahrungshilfe im Tausch gegen Landnutzung, Heiratsbeziehungen). Die sozialen und historischen Kommentare, mit denen in Teehäusern der Flüchtlingslager auf die Situation reagiert wurde, griffen damals ein mythisches Thema aus der mythischen Frühzeit der Klanfamilien auf. Sie erinnerten an die ursprüngliche Einheirat von Darood in die Familie von Hawiya. Im Rahmen der „totalen Genealogie“ strukturiert unterhalb der Ebene mythischer Urahnen die Vorstellung von Schwägerschaften das Verhältnis zwischen Dir, Ishaaq, Darood und Hawiya. Aus dieser Sicht stammen Ishaaq und Darood von „Fremden“ (gal) ab, die in Familien der Hawiya und der Dir eingeheiratet haben. Fremde werden auf der alltäglichen Erfahrungsebene über Tausch eingegliedert. Sind Tauschmittel (hier überschüssige Nahrungsmittel) in Frage gestellt, dann ist auch der weitere Zusammenhalt in Frage gestellt. Und es stellte sich auch die generelle Machtfrage, ausgedrückt in genderisierter Form. Mythisch waren Ishaaq und Darood mit Hawiya und Dir in letzter Instanz über die mütterliche Linie verwandt. In Gesellschaften, in denen das Ideal der Abstammung über die väterliche Line (Patrilinearität) auch die Legitimität politischer Macht symbolisiert, kann die öffentliche Erinnerung an Abstammung über die weibliche Linie bereits eine symbolische Herausforderung politischer Macht darstellen. In diesem Falle erinnerten lokale Hawadle/Hawiya geflüchtete Ogaden/Darood daran, dass Klanverwandtschaft über ein schwaches, weibliches Element vermittelt war. Dies war in diesem Falle nicht nur Vergangenheit, sondern entsprach auch realen Heiraten zwischen Flüchtlingen und der lokalen Bevölkerung. 2.2. Klan (tol), Gewohnheitsrecht (xeer/heer), Kompensation (diya/mag) Die traditionelle somalische Gesellschaftsstruktur, die in unterschiedlichen Variationen in der Gegenwart wirkt, hat zwei Säulen. Die erste Säule ist das normative Ideal der Organisation von Zusammenhalt, Stärke und Solidarität über die väterliche Linie, ausgedrückt im Klan (tol). Die zweite Säule besteht darin, dass patrilineare Verwandschaft nie alleine ausreicht, um sozialer Struktur eine verfasste und verbindliche Form zu geben. Der „tol“, seine Subeinheiten und die damit verbundenen Allianzen müssen gewohnheitsrechtlich abgesichert sein. Dem dient ein flexibles Gewohnheitsrecht (xeer/heer), das durch Versammlungen (shir) der männlichen Familienoberhäupter (= Älteste) zum Beschluss und zur Anwendung kommt. Als Säulen tragen die Prinzipien von „tol“ und „xeer“ die für den Alltag wichtigste sozio-politische Einheit, die Kompensationsgruppe
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(blutgeldzahlende Einheit = diya/mag), 31 über die der Einzelne in Konfliktsituationen einen geschützten sozialen Status innerhalb der weiteren Gruppenzusammenhänge erhält. 32 Die Kompensationsgruppe, als Geber oder Nehmer von Entschädigungen, kommt vor allem bei Fragen von körperlichen Verwundungen und Totschlag zur Geltung, war historisch aber auch bei anderen Formen der Organisation von Zusammenarbeit wichtig. Eine Kompensationsgruppe kann aber muss nicht aus patrilinear zusammengefassten Verwandten bestehen. Sie muss aber auf jeden Fall über eine interne rechtliche Selbstverpflichtung in Form des „xeer“ verfügen. 33 Das „xeer“ setzt sich aus Elementen des lokalen Gewohnheitsrechtes und Elementen der schafiitischen Rechtsschule des Islam zusammen. 34 Die Entwicklung der Kompensationsgruppen hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Wandlungen durchgemacht. Im britischen Protektorat Somaliland wurde das xeer der Kompensationsgruppen Bestandteil kolonialrechtlicher Regelungen; 35 in der frühen Phase der somalischen Unabhängigkeit (1964) wurde die gesamte somalische Gesellschaft in etwa 1 000 Kompensationsgruppen aufgeteilt. 36 Damit war dies praktisch ein ergänzender informeller Transmissionsriemen der staatlichen Ordnung, über die auch die Folgen von Verkehrsunfällen verrechtlicht wurden. 37 In der Herrschaftsphase Präsident Siyad Barres (19691991) wurden gewohnheitsrechtliche Regelungen eingeschränkt, während die Bürgerkriegsphase sie wieder förderte (siehe unten). In der Republik Somaliland und im autonomen Puntland gibt es gegenwärtig anwendungsorientierte Versuche, das „xeer“ in Verbindung mit dem islamischen Recht auf öffentliche Handlungsfelder und Güter (z.B. Nutzung des Meeres, Nutzung für die Sammlung von Weihrauchharz) zwischen den Klanen auszudehnen. 38 Auch im informellen Banksystem (Überweisungen über Hawalah) werden Adaptionen des „xeer“ angewandt. 39 Allgemein hat sich jedoch gezeigt, dass Ressourcen, die zwischen klaren Nutzungsrechten der Klans angesiedelt sind (Überlandstrassen, Häfen, Flughäfen) schwer über Anpassungen des „xeer“ organisiert werden können. Die 31 32 33 34 35 36 37 38 39
40
Lewis, 1961, S. 5-6. Lewis, a. a. O., S. 160-171. Lewis, a. a. O., S. 162. Lewis, a. a. O., S. 26. Lewis, a. a. O., S. 171; Abdi, Gaileh Mirreh, 1978, S. 149. Nelson, 1982, S. 88. Nelson, a. a. O., S. 97. Puntland Development Research Center (PDRC): Integration of Customary Law into Sharia and Secular Law (Cross-sectional, Pastoral, Frankincense and Marine Norms). Garowe, 2007. Lindley, Anna: Between ‘Dirty Money’ and ‘Development Capital’: Somali Money Transfer Infrastructure under Globale Scrutiny. In: African Affairs, 108(433)/2009, S. 519-539, hier S. 526.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
Stärke der „islamischen Gerichtshöfe“ hat zeitweise darauf beruht, dass ein islamisches Recht dies besser leistet. 40 Real haben aber auch die „islamischen Gerichtshöfe“ oft Elemente des Gewohnheitsrechtes einbezogen. 41 Gegenüber dem traditionellen Recht betonen Scharia-Regelungen vor „islamischen Gerichtshöfen“, analog zum staatlichen Recht, individuelle Verantwortlichkeit und Kompensation. Die transformative Perspektive bezüglich der Entwicklung von „tol“ und „xeer“ im post-kolonialen Somalia betont, dass sich beide Säulen auseinander entwickelt hätten. So seien Beziehungen über den „tol“ auch in den Aneignungsstrategien im staatlichen und modernen Sektor wichtig geworden, während das Potential gewohnheitsrechtlicher Erneuerungen über das „xeer“ und seine demokratisch-partizipativen Entscheidungselemente (sowie es Männer betrifft!) im gleichen Zeitraum abgenommen haben. 42 Unter Präsident Siyad Barre (19691991) wurde der Einfluss verrechtlichter klanbasierter Institutionen zu Gunsten staatlicher Institutionen verschoben, ohne indes Lösungen für Kompensationsregelungen zu finden. 43 Gleichzeitig stützte Siyad Barre seine eigene Macht aber auf eine informelle Allianz von Klans, die als MOD (Marehan-Ogaden-Dulbahante) notorisch bekannt wurde. Die Opposition gegen die MOD-Allianz wurde zum Auslöser des Bürgerkrieges. 44 Der Bürgerkrieg im Süden hat in der Folge gewalttätige Selbsthilfe und den Rückgriffe auf „nackte Klanloyalität“ gegenüber verrechtlichten Formen der Kompensationszahlungen gefördert. 45 Schwache Minderheiten haben über die Organisation von Kompensationsgruppen keinen Schutz mehr. 46 Die durch islamistische Akteure in Somalia oft praktizierte Praxis des „takfir“, die Ernennung interner Gegner zu Ungläubigen, hebelt gewohnheitsrechtliche Mechanismen des Schutzes völlig aus. 2.2.1. Klan und segmentäres System Modellhaft werden „die Somali“ als Verbund von Abstammungsgruppen gedacht, deren Generationsfolgen über die väterlichen Linien (patrilinear) in Klane 40 41 42 43 44 45 46
Zitelmann, Thomas: Somalia – Scharia, Segmentation, Stellvertreterkriege. In: INAMO, 44/2007, S. 41-45, hier S. 45. Le Sage, Andre: Stateless Justice in Somalia. Formal and Informal Rule of Law Initiatives. Geneva, 2005, S. 40-41. Jama, Mohamed, 2007, S. 245. Abdi, Gaileh Mirreh, a. a. O., S. 149-150; Nelson, a. a. O., S. 97-98. Zitelmann, 1996, S. 278. Lewis, Ioan M.: Visible and Invisible Differences: The Somali Paradox. In: Africa, 74(4)/2004, 489-515, hier S. 503f. Danish Immigration Service (DIS): Human rights and security in central and southern Somalia – Joint Danish, Finnish, Norwegian and British fact-finding mission to Nairobi, Kenya. 2/2004 ENG. Copenhagen, 2004, S. 28 & passim.
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(tol/qabiila) gegliedert sind, die in den erwähnten Klanfamilien zusammengefasst sind. Formal entspricht die „totale Genealogie“ dem Idealmodell einer segmentär verfassten, staatsfernen Gesellschaft. Der Klan ist das grundlegende Handlungsfeld für kollektive Sicherheit. 47 Der traditionalistische Blick auf das segmentäre Modell betont die Organisationsform über gleichrangige Segmente (Klan, Subklan/maximale Abstammungsgruppe, Sub-Subklan, erweiterte Familien), die in einem latent oppositionellen Verhältnis zueinander stehen. Maximale Geschlossenheit erlangen Segmente in Konfliktfällen mit gleichrangigen Einheiten. Der Organisation von Gewalt und Schlichtungsvermögen nach Innen und nach Außen kommt in dem Austangieren der Oppositionen eine zentrale Bedeutung zu. Entsprechend kennt die klassische somalische Gesellschaftsstruktur zwei zentrale männliche Rollenmodelle: den Krieger (waranleh = Speerträger) und den spirituellen Spezialisten (wadaad) in zivilen Angelegenheiten, der, obzwar in islamischen Kontext eingebunden, vom eigentlichen islamischen Religionsgelehrten (sheek) unterschieden wird. 48 Wörtlich bezieht sich „tol“ auf etwas, das „verbunden“ ist. 49 Inhaltlich trägt „tol“ das normative Ideal einer Organisationsform, die über die Generationen über die väterliche Linie vermittelt wird. Historisch enthält die Genealogie vieler Klane auf der Ebene mittlerer Segmente viele Hinweise auf die Bedeutung der Abstammung über die mütterliche Linie, ausgedrückt in Subklan-Namen, die Partikel wie „Habr“ oder „Bah“ enthalten. 50 Manche Studien weisen mehr oder weniger ausdrücklich darauf hin, dass der „tol“ der Somali ein Spannungsverhältnis zwischen normativem Ideal und realen Beziehungen zwischen väterlichen und mütterlichen Verwandten enthält. 51 Dieses Spannungsverhältnis wird durch den historisch bevorzugten Typus einer Klanexogamie verstärkt, nach der männliche Klanangehörige oft präferentiell in den Klan der Mutter hineinheiraten, und auf diese Weise werden verwandtschaftliche Verknüpfungen von Familien und patrilinearen Gruppen klanübergreifend von Generation zu Generation erneuert. Gemeinsam handlungsfähig waren diese Gruppen aber nur, wenn von Generation zu Generation auch die Allianzen über das „xeer“ erneuert wurden. Im Norden behielten Frauen bei Heirat in einen anderen Klan ihre alte Klanzugehörigkeit bei und unterhielten spezielle Beziehungen zu ihren Brüdern. Unter den Bedingungen einer staatslosen Struktur stellt der Klan (tol, qabiila), die maximale Einheit kollektiver Entscheidungen dar, die durch einen Ältestenrat (shir) getroffen werden. Der Klan hat eine historische Tiefe von 15-20+ Generationen. Klane haben manchmal einen begrenzten rituell-politisch, korporativen 47 48 49 50 51
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Lewis, 1961, S. 301. Lewis, a. a. O., S. 27-28. Lewis, a. a. O., S. 137. Lewis, a. a. O., S. 143ff. Lewis ebd.; Djama, 1993, S. 119f.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
Charakter, der sich in speziellen Oberhäuptern (suldaan, bokor, ugaaz, garaad, islaan) ausdrückt. 52 Diese Oberhäupter waren jedoch nie mehr als rituell herausgehobene Älteste (die ggf. über bestimmte Qualitäten wie Rhetorik, Wissen verfügten), die für das symbolische Wohlergehen eines Klans standen. Klane sind in den bereits genannten Klanfamilien zusammengefasst. Klanfamilien wie die Ishaaq und Darood haben Ahnen, die als Sufi-Heilige verehrt werden. 53 Darüber hinaus haben Klanfamilien keinen direkten korporativen Charakter, aber durchaus Bedeutung für mythisch-historische Erinnerung und informelle politische Organisation. Das segmentäre System der Somali kennt eine Reihe von klassifikatorischen Begriffen, mit denen Ebenen unterhalb des „tol“ beschrieben werden (Abb. 4). 54
Abb. 4: Segmentäre Klassifikationen der Somali (nach Steiner, 1994, S. 119) Termini wie qolo, jiliib und reer haben allgemeinen Charakter. Manchmal wird der Abstammungsverband, innerhalb dessen idealtypisch nicht geheiratet werden soll, extra benannt (beel, degmo, laf). Manchmal bleibt diese Einheit unbenannt, ist aber in den Generationsfolgen, innerhalb derer Exogamie erwartet wird, identisch.
52 53 54
Lewis, 1957, S. 26. Lewis, a. a. O., S. 166. Lewis, S. 17; Steiner, 1994, S. 119-120.
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Soweit es nicht Exogamievorschriften betrifft, beschreiben die Klassifikationen keine festen sondern flexible Ebenen, deren Funktionen vom Mobilisierungsgrad von Stärke in Konfliktfällen abhängen (vgl. Abb. 5). Eine untergeordnete Abstammungsgruppe, die groß genug ist oder erfolgreiche Allianzen schließt, kann dann Funktionen einer maximalen Abstammungsgruppe übernehmen. 55 Auf diese Weise enthält die segmentäre Struktur einen inneren Bedrohungsfaktor, der im Potential von Abspaltungen und interessegeleiteten Neugruppierungen liegt, die sich auf allen Ebenen vollziehen können. 56
Abb. 5: Ebenen des segmentären Systems und Funktionen Eine wichtige Handlungsfläche ist der Subklan (qolo). Diese Gruppe umfasst 6-10 Generationen und stellt die Einheit für Klanexogamie dar. Zwischen Subklan und untergeordneten Abstammungsgruppen (jilib) besteht eine Grenzfläche 55 56
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Schlee, 1995, S. 287. Schlee, a. a. O., S. 284.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
zwischen öffentlichem und privatem Raum. Frauen werden mit Gruppen ausgetauscht, mit denen man potentiell auch verfeindet sein kann und wo der Umgang mit Ressourcen (Weide, Wasser) immer wieder neu geregelt werden muss. Die unterhalb der Ebenen der Klanexogamie gelegene Ebene des „jilib“ bietet die Organisationsfläche für Kompensationsallianzen (diya-zahlende Einheiten). Auf dieser Ebene wird der Personenstatus des Einzelnen abgesichert. Hier hat der Einzelne auch Anteil an einem Patrimonium, das den kollektiven Reichtum und die korporative Stärke einer Gruppe ausmacht. Älteste haben auf diesen Ebenen zentrale Bedeutungen in der Organisation von Versammlungen und Kooperationen. Sie sind aber einander gleichberechtigt und können institutionell zu nichts gezwungen werden. Ein „shir“ verlangt Übereinstimmung. Auf der untersten Segmentstufe steht die erweiterte Familie (reer), die die residentielle und produktive Einheit darstellt und die sich aus Nuklearfamilien (qoys, jees) zusammensetzt. Auf der Ebene der erweiterten Familie artikulierten sich auch auf alltäglicher Ebene das Spannungsverhältnis und die Konflikte zwischen patrilinearer Norm und matrilateralen Bindungen innerhalb der polygynen Haushalte (besonders die Beziehungen zu der Familie des Vaters, der Mutter und ihrer Brüder = reer abti). 57 Ergänzend ist der Begriff „reer“ (erweiterte Familie; Menschen, die zusammen leben) multisemantisch einsetzbar. Jede Form der zeitweisen politisch-rechtlichen Allianz auf territorialer Grundlage kann als „reer“ bezeichnet werden, ohne das dies blutsverwandtschaftliche Beziehungen implizieren muss. Organisation über die Stärke der patrilinearen Zusammenhänge stellt im segmentären System der nördlichen Somali ein Ideal dar. Ein oft zitiertes somalisches Sprichwort lautet: „Sei ein Berg oder lehne Dich an einen an.“ 58 Im somalischen Norden hat das Anlehnen an den Berg eine eher pejorative Bedeutung, die es im Süden nicht hat. Im Norden hat die historische Praxis eines Klientelismus, in der sich schwächere Gruppen an stärkere Gruppen „anlehnen“, zu einer Einteilung in „gob“ (= Starke, Noble) und „gun“ (Bodensatz, schwach) geführt. 59 Entsprechend hat patrilineare Genealogie im Süden oft einen stärker fiktiven Charakter, die die Anlehnung an den Berg verschleiert, während sie im Norden in der Überlieferung als historisch korrekter gilt, damit aber auch auf eine interne Hierarchie verweisen kann. Im Prinzip kann der „Berg“, an den sich der Schwächere anlehnt, auch ein externer Partner sein (Äthiopien, Eritrea, der Westen, arabische Staaten, islamische Gruppen, Institutionen der Entwicklungshilfe). Hierbei handelt es sich um kollektive Strategien. Gibt es dafür in Gewalt-
57 58 59
Mirreh, Abdi Gaileh, 1978, S. 146. Lewis, 1961, S. 189. Lewis, a. a. O., S. 192.
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situationen keinen Spielraum mehr, dann entwickeln sich auch individualisierte Fluchtstrategien. 60 Islamische Institutionen haben sich historisch quer zur und in Verbindung mit der segmentären Struktur entwickelt. Der traditionell unter Somali praktizierte Islam ist mit Sufi-Bruderschaften assoziiert, die sich ähnlich der somalischen Genealogie auf einen mit dem Propheten Mohammed verbundenen Heiligen beziehen. Über die Sufi-Bruderschaften hatte die Verbreitung des Islams starke mündliche und emotionale Komponenten. Im Volksislam vermischen sich Anbetung der Heiligengräber und Anbetung der Ahnengräber. Diese Praxis ist der Kritik stärker text-orientierten islamischen Strömungen ausgesetzt, auf deren Grundlage sich auch die Gruppen entwickelten, die im somalischen Kontext heute als politische „Islamisten“ wahrgenommen werden. Insgesamt füllen islamische Regelungsvorschläge – die islamische Scharia – normative und rechtliche Lücken aus, die das Gewohnheitsrecht und die patrilaterale Binnenstruktur der Klans nicht regeln kann. 61 Kriegsherren und „islamische Gerichtshöfe“ können auf der Ebene von Klans und Subklans als strukturelle Alternativen, die in Bezug auf die politische Führung andere Akzente im gewohnten Rahmen setzen, gesehen werden. Auf der Ebene des „tol“ kann besondere Führung nur zeitweise und durch besondere vermittelnde oder zuspitzende Qualitäten beansprucht werden. Damit ähnelt rituelle Führung aber auch aktuellen Kriegsherren, die Führung primär über Zuspitzung erzielen. „Islamische Gerichtshöfe“ gelten als entscheidungsfreudiger als Shir-Versammlungen, bei denen Älteste endlos diskutieren und Entscheidungen durch Konsens vereinbart werden. 2.2.2. Varianten der Sozialstruktur bei den Rahanweyn Als besondere Merkmale der Klanstruktur der agro-pastoralen und bäuerlichen Rahanweyn gelten lokale Vergemeinschaftungsmuster, die weniger Wert auf patrilineare Genealogie legen, dafür Nachbarschaft, Altersorganisation und Territorialität eine größeren Raum lassen. Insgesamt mündet dies in einem erweiterten Typus von Allianzfähigkeit und organisatorischer Flexibilität. 62
60 61 62
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Vgl. Lindley, Anna: Leaving Mogadishu: Towards a Sociology of Conflict-Related Mobility. In: Journal of Refugee Studies, 23(1)/2010, S. 2-22. Vgl. Lewis, Ioan M.: Sufism in Somaliland: A Study in Tribal Islam. In: Ahmed, Akbar S./Hart, David (Hrsg.): Islam in Tribal Societies. London, 1984, S. 127-168, passim; Zitelmann, 2007, passim. Helander, Bernhard: Rahanweyn Sociability: A Model for other Somalis? In: Hayward, R. J./Lewis, Ioan M. (Hrsg.): Voice and Power. The Culture of Language North East Africa. Essays in Honour of B. W. Andrzejewski. London, 1996, S. 195-204, hier S. 196.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
Aufnahme in den Klan via Adoption (sheegad) und politische Allianzen zwischen Klans sind bei allen Somali verbreitet, aber bei den Rahanweyn/Digil hat dies besondere klassifikatorische Feinheiten erlangt. Bei den pastoralen Somali bilden die angeheirateten Frauen die Brücke zwischen den Klans, bei den bäuerlichen Somali kann auch der Mann in den Klan der Frau wechseln, ohne seine Rückbindung an den alten Klan aufzugeben. Das hat Rückwirkungen auf den Status von Adoptierten, auf die Struktur von Kompensationseinheiten und auf die innere Verfassung von Dörfern und Städten. Rahanweyn unterschieden zwischen „Holzkohle“ (dhuhul), d. h. Menschen, die sich per Übereinstimmung einer Gruppe anschließen, 63 und „Spucke“ (dhareer), Menschen, die miteinander essen, d. h. Verwandtschaftsbeziehungen aufbauen. 64 Die väterlichen Bindungen werden als die „harten“ Teile der Abstammungsstruktur (laf/ray = Knochen/ Hoden) und die Bindungen via die Mutter als die „weichen“ Teile klassifiziert (hidid = Ader/Wurzel). Beide Bindungen erscheinen gleich bedeutsam.
Abb. 6: Rahanweyn-Variante der sozialen Struktur, nach Helander, 1996 63 64
Holzkohle stellt auch ein wichtiges Element der regionalen Kriegswirtschaft dar. Helander, 1996, S. 200.
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Unter den Rahanweyn haben sich zudem seit langem islamische Gemeinschaftsbildungen um landwirtschaftliche Siedlungen herausgebildet, die jeweils mit dem Anspruch verbunden sind, als islamische Modellsiedlungen auf die umliegenden Gemeinschaften auszustrahlen. Um charismatische islamische Prediger herum bildeten sich eigenständige landwirtschaftlich organisierte Siedlungen (jamaha) von Anhängern, die sich aus ihren alten Strukturen gelöst hatten und die von einer Peripherie her islamische Werte in den Rest der Gesellschaft bringen wollten. 65 Islam interagiert hier nicht nur mit dem Vergemeinschaftungsmuster Verwandtschaft, wie im Falle der nördlichen Klanstruktur, sondern auch mit Territorialität und Altersorganisation. Wie die nördlichen Somali haben auch die südlichen Somali eine interne hierarchische Gliederung, hier unterteilt in „bilis“ (Noble, Freie) und „boon“ (Klienten, lokalisiert auch „Jäger“). Bis in die Kolonialphase hinein war Sklaverei unter den agro-pastoralen Rahanweyn weit verbreitet. Heute wird diese Schichtung oft pejorativ als Differenz zwischen Menschen mit „glattem Haar“ (reer jilee) und „krausem Haar“ (reer jareer) thematisiert. Im Gebiet zwischen den Flüssen Schabelle und Juba stellen die „reer jareer“ heute die unterste soziale Schicht, die ausserhalb der „totalen Genealogie“ existiert, dar. In der aktuellen Selbstdefinition bezeichnet sich diese Schicht heute auch als „Somali Bantu“. 66 Ethnologisch stellen die WaGosha die bekannteste Gruppe unter den „Somali Bantu“ dar. Im Süden artikuliert sich im Zusammenhang mit den sozialen Strukturen auch eine Akzentuierung von Differenzmerkmalen über Hautfarbe, Haarform und Dialekt. 67 Seit mehreren Jahrzehnten heizen Landkonflikte zunehmend die gegenseitigen Abgrenzungen auf.
3. Soziale Strukturen und Konflikte in der Transformation An dieser Stelle soll noch einmal die Kontroverse zwischen „Traditionalisten“ und „Transformalisten“ im Hinblick auf Somalia aufgenommen werden. Die Differenzen zwischen den Perspektiven akzentuierten sich Anfang der 1990er Jahre mit dem Ausbruch des somalischen Bürgerkrieges und den damit verbundenen Versuchen, den Zusammenbruch des somalischen Staates zu erklären. Aus der traditionalistischen Perspektive hat der Ausbruch des somalischen Bürgerkrieges zu Beginn der 1990er Jahre das grundsätzlich klanbezogene Verhalten, die „nackte Klanloyalität“ betont. 68 Traditionalisten haben ein starkes Argument, 65 66 67 68
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Nelson, 1982, S. 109. Eno, Mohamed E.: The Homogeneity of the Somali People: A Study of the Somali Bantu Ethnic Community. Alofi, Niue, St. Clements University, 2005. Nelson, 1982, S. 89-90. Lewis, 2004, S. 503f.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
das auf die Regelhaftigkeit des derzeitigen Konfliktverhaltens in Südsomalia hinweist, bei dem kollektive bewaffnete Akteure typischerweise entlang alter Klanlinien organisiert sind und sich in Spaltungen und Allianzen „Transkontinuitäten“ der somalischen Klanstruktur zeigen. 69 Aus einer modifizierten Perspektive wird betont, dass „der Klan“ kein (Konflikt-)Verhalten erklärt, aber dass damit ein Potential für Frontenbildung umrissen wird. 70 Demgegenüber betonen transformative Perspektiven eine Differenz zwischen Klanorganisation, die durch nomadische und bäuerliche Produktionsformen geprägt ist, vis-a-vis der Nutzung von Klanbeziehungen, bei denen es um neue private und öffentliche/staatliche Ressourcen oder internationale Transferleistungen (Entwicklungsund Nothilfe) geht. 71 Aus der transformalistischen Perspektive werden auch grundsätzliche Unterschiede zwischen „traditionellen“ somalischen Gesellschaftsstrukturen, die mit unterschiedlichen ländlichen Produktionsformen (Kamelnomadismus, Agro-Pastoralismus, Bauern) zusammenhängen, schärfer betont. Im Blickfeld ist hier vor allem das südsomalische Gebiet zwischen den Flüssen Juba und Schabelle, dass durch Agro-Pastoralisten (Rinderzucht) und Bauern bevölkert wird, bei denen Klanstruktur, territoriale Organisation und soziale Hierarchie anders gestaltet sind, als bei den kamelzüchtenden Nomaden. 72 Ähnliches gilt auch für die Bevölkerung, der historisch durch den Fernhandel geprägten Hafenstädte der Banadir-Küste Südsomalias. Aus der hier eingenommenen Perspektive erscheint es sinnvoll, nicht alleine die Transkontinuität der Klanbeziehungen als System von (relativ) Gleichen, sondern als hierarchisches System von Einschluss und Ausschluss – nach dem Muster der „totalen Genealogie“ – zu betrachten. Von grundsätzlicher Bedeutung für alle Varianten der „totalen Genealogie“, einschließlich der Gruppen, die in ihr nicht enthalten sind, sind die ausdrücklichen und versteckten Ausdrücke von Hierarchisierung. Der Dualismus Samaal-Sab beinhaltet die historische Vorstellung eines hierarchischen Gefälles zwischen Kamelnomaden und Bauern. Im Norden werden mit „sab“ ergänzend stigmatisierte Minderheiten von Handwerkern bezeichnet, die hierarchisch ausser- und unterhalb der Samaal klassifiziert sind. Samaal und Sab unterscheiden sich historisch über Elemente der Sozialstruktur, die agrarische Produktionsweise und die einzigen signifikanten Dialektunterschiede in der somalischen Sprache. Den Sab werden Sozialstrukturen zugeschrieben, die weniger als bei den Samaal durch lange, patrilineare Genea69 70 71 72
Schlee, Günter: Regularity in Chaos: The Politics of Difference in the Recent History of Somalia. In: Schlee, Günther (Hrsg.): Imagined Differences. Hatred and the Construction of Identity. Münster, 2002, S. 251-280; auch Schlee, 1995. Luling, Virginia: Genealogy as Theory, Genealogy as Tool: Aspects of Somali Clanship. In: Social Identities, 12(4)/2006, S. 471-485. Zitelmann, 1996, S. 279. Besteman, Catherine: Violent Politics and the Politics of Violence: The Dissolution of the Somali Nation-State. In: American Ethnologist, 23(3)/1996, S. 579-596.
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logien gekennzeichnet sind. Genealogien sind bei den Sab oft nur über drei bis vier Generationen verfolgbar. Demgegenüber sind hier die Formen der sozialen Organisation, die an Lokalität, Nachbarschaft und Altersklassen orientiert sind, höher bewertet. Kulturhistorisch gelten die Sab als Mischformen zwischen somali-, oromo- und bantu-sprachigen Gruppen. 73 Aus der südlichen Perspektive erschienen „die Somali“ pluralistischer, aber auch hierarchischer und sozial stratifizierter zu sein, als aus der nördlichen Perspektive. Die Akzentuierung von Differenzmerkmalen beeinflusste historisch das Verhältnis zwischen Samaal und Sab, innerhalb der Sab, gegenüber den von ihnen abhängigen Bevölkerungsteilen und gegenüber einer weiteren Umwelt (Typen des „Externen“). Es existiert auf diese Weise ein hierarchisches Grundmuster (Somali) von zwei verkoppelten Typen von Hierarchien (Samaal, Sab), die ihrerseits ihre Außenbeziehungen zu „Fremden“ nach ähnlichen Mustern regeln (Abb. 7).
Abb. 7: Hierarchische Muster der somalischen Sozialstruktur 73
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Paulitschke, 1893, S. 56-57.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
3.1. Transformationen von kriegerischen Konflikten im Gebiet der Rahanweyn Bereits in den siebziger- bis achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Begriff „Sab“ in Somalia politisch verpönt. Er fasst dennoch einen realen kulturhistorischen Komplex zusammen, der heute über die Klanfamilie der Rahanweyn ausgedrückt wird. Diese ist ihrerseits mit den Digil und Mirifle (genealogische Ahnen der Rahanweyn) zusammengefasst, die in älteren Texten oft als eigene Klanfamilien erscheinen. Klassisch drückt sich der Unterschied zwischen Samaal und Sab als Unterschied zwischen Kamelnomaden und Agro-Pastoralisten/Subsistenzbauern aus. Beide Gruppen nutzten unterschiedliche ökologische Zonen und vermieden dadurch direkte Konflikte. 74 Seit den 1970er Jahren und verstärkt seit dem Ausbruch des somalischen Bürgerkrieges ist die Landfrage zu einem direkten Konfliktfeld zwischen den Gruppen geworden. In der ersten Phase des somalischen Bürgerkrieges (1991-1995) waren Rahanweyn und Somali Bantu signifikante Opfer von Krieg und Kriegsfolgen (Hungersnot etc.). 75 Beobachter, die dem Bürgerkrieg eine direkte materielle Grundlage geben, sahen in den Zusammenhängen von Kriegsherren und klanbezogenen Milizen, die sich unter Darood und Hawiya herausbildeten, Organe des bewaffneten Landraubes. 76 1996 reagierten die Rahanweyn mit einer eigenen bewaffneten Gruppe, der Rahanweyn Resistance Army (RRA). Im Gebiet von Bai und Bakol institutionalisierte sich die RRA bis 2002 in einem eigenen „Südwest-Staat“ (mit Unterstützung durch internationale Nicht-Regierungsorganisation und Äthiopien), in dem seit 2004 auch die somalische Übergangsregierung unter Abdullahi Yusuf eine Heimstatt erhielt. Das Gebiet von Bai und Bakol galt, neben Puntland, einige Zeit als Erfolgsmodell des Staatsaufbaus von Unten, nach dem „BausteinPrin-zip“. In Folge des Widerstandes gegen die äthiopische Invasion von 2006 wurde der Südwest-Staat im Übergang von 2008/2009 zum ersten größeren Gebiet, in dem durch Arrangements zwischen lokalen Ältesten und Harakat alShabaab al-Islami diese die Macht übernahm. 77 Deutlich wird dabei, dass unter Rahanweyn versucht wird, durch unterschiedliche Allianzen und mit unterschiedlichen ideologischen Vorzeichen eine relative Autonomie des eigenen Territoriums zu bewahren. Als besonders signifikantes Indiz für die Nähe von al-Shabaab zu internationalen Neo-Jihadisten galt eine durch den lokalen al-Shabaab Führer Muhtar Roobow ausgesprochene Einladung, in das Gebiet der Rahanweyn zu kommen, 74 75 76 77
Nelson, a. a. O., S. 81. Besteman, 1996, passim. de Waal, Alex: Class and Power in a Stateless Somalia; http://hornofafrica.ssrc.org/ dewaal/, Feb 20, 2007, passim. Marchal, Roland: A Tentative Assessment of the Somali Harakat al-Shabaab. In: Journal of Eastern African Studies, 3(3)/2009, S. 381-404, hier S. 397-398.
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dort zu siedeln und zu heiraten. 78 Vor dem Kontext der somalischen Sozialstrukturen kann ein derartiges Heiratsangebot als eine sich oft wiederholende rhetorische Floskel im Aufbau von „Scherzbeziehungen“ verstanden werden, mit der einem vermeintlich nützlichem „Fremden“ nachbarschaftlich und verwandtschaftlich begründete Nähe angeboten wird. Verhält sich der neue Schwager allerdings nicht wie erwartet, dann kann auch der Ausschluss sehr rasch wieder formuliert werden. 79
3.2. Elemente der Kontinuität, Transkontinuität und der Transformation In meine abschließenden Überlegungen fließen daher traditionalistische und transformative Argumente ein: Traditionalisten und Transformalisten sind sich einig, dass Ressourcenkonflikte (Weideland, Wasser) und die Regulierung von Rechtsproblemen, die mit Ressourcennutzung und interpersoneller Gewalt (Totschlag) verbunden sind, einen Schlüssel darstellen, welche prägende Bedeutung Kompensationsgruppen oder blutgeltzahlende Einheiten (diya/mag) für die soziale Struktur der Somali haben. Innerhalb der Klanstruktur patrilinear verbundene Verwandtschaftsgruppen bzw. über Gewohnheitsrecht (xeer/heer) verbundene Allianzen müssen stark und wohlhabend genug sein, um genügend Mittel für Kompensation, Schutz oder aktive Gewaltorganisation zu haben. Die somalische Sozialstruktur bringt damit zwei konfligierende Elemente zusammen: a) soziale Organisation über normativ hoch bewertete Verwandtschaftszusammenhänge, vermittelt über die väterliche Linie und b) gewohnheitsrechtlich begründete Allianzen, die normative Patrilinearität zusätzlich stützen aber auch unterlaufen können. Normative Patrilinearität wird im Süden durch territorialisierte oder an Alterskohorten (Altersklassen) gekoppelte Vergemeinschaftungsmuster ergänzt. Es stehen dort unterschiedliche Verhaltensregister zur Verfügung. Militarisierte Jugendbanden, wie die säkularen „Mooryaan“ Anfang der 1990er Jahre oder die religiösen al-Shabaab aktuell, sind keine Ausfallerscheinungen, sondern auch Transkontinuitäten von Verhaltensmöglichkeiten. 80 Aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven ist auf einen Zusammenhang zwischen den Ebenen Gewalt/Friedlichkeit und Organisation über Ver78 79 80
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Marchal, a. a. O., S. 397. Für meine entsprechenden Erfahrungen (1988) im südsomalischen Kontext vgl. Zitelmann, Thomas: Nation der Oromo. Berlin, 1995, S. 159-162; siehe auch Zitelmann, 1991, S. 126. Schröder, Philipp: ‘Dagaalka sokeeye’ – Gegen einen engen Vertrauten kämpfen. Der somalische Bürgerkrieg aus den Blickwinkeln ethnologischer und politikwissenschaftlicher Konflikttheorien. Münster, 2007, hier S. 93-99.
Soziale Strukturen, Organisationsformen und Konfliktverhalten unter Somali
wandtschaft/Organisation über Nachbarschaft von Nichtverwandten hingewiesen worden. 81 Chronische Gewalt reduziert offensichtlich die Optionen der sozialen Organisation auf die verwandtschaftliche Organisation. Aus der transformalistischen Perspektive wurde frühzeitig betont, dass im Süden Somalias historisch auch Handel, Religion und Auseinandersetzungen zwischen Agro-Pastoralisten/Bauern und Kamelzüchtern eigenständige Konfliktfelder seien. 82 Religion, in diesem Fall schattierende Interpretationen des Islams, ist hier kein Faktor, der von der übrigen Sozialstruktur isoliert betrachtet werden kann. Neben Konfliktfeldern von langer Dauer, der Klassenproblematik und der Makroebene alter und neuer Ressourcenkonflikte (Land, Wasser, öffentliche Ressourcen; nationale, internationale und transnationale Transferleistungen) müssen auch lokale strukturelle Interessengegensätze und Konflikte zwischen unmittelbaren Akteuren (Ältesten, Jungen und Frauen) und deren Ausdrucksformen in innerfamiliären Arbeits- und Transferleistungen, in der Nachfolge (bezogen auf Status und Amt), auf Besitzübertragung, Erbschaft und Familiengründung einbezogen werden. Nicht zu trennen ist dies von kollektiven und individuellen Konfliktmotivationen, die an materiellem Gewinn, Macht und Prestige ausgerichtet sind. 83 Hier schließt sich auch wieder der Kreis zur möglichen religiösen Dimension von Konfliktverhalten. Im Süden Somalias betrifft dies gegenwärtig die bewaffnete Frontenbildung entlang textuell-fundamentalistischer und mystisch-sufistischer Islaminterpretation. Jeder Interventionist wird innerhalb der klassifikatorischen Hierarchie unter Somali als nützlicher oder störender externer Faktor („Fremder“) eingebaut. Die Übergänge zwischen den beiden Funktionsweisen sind fließend.
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Mirreh, Abdid Gaileh, 1978, S. 162; Schlee, 1995, S. 258. Nelson, a. a. O., S. 83. Zitelmann, Thomas. Wege zur Konfliktethnologie. Eine subjektive Erinnerung. In: Eckert, Julia (Hrsg.): Anthropologie der Konflikte. Georg Elwerts konflikttheoretische Thesen in der Diskussion. Bielefeld, 2004, S. 39-57.
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Die somalische Diaspora
Die somalische Diaspora: Rollen und Chancen in (Bürger-)Krieg und Wiederaufbau
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1. Einleitung In Somalia (inklusive Somaliland, der sezessionistischen Republik im Nordwesten) leben 2011 ungefähr acht bis neun Mio. Somalis. 1 Auf Grund der kolonialen Teilung der Somali-Halbinsel zwischen den 1880er- und 1950er-Jahren gibt es in Djibuti, Äthiopien und Kenia ansehnliche somalische Bevölkerungsanteile; in diesen drei Nachbarländern Somalias leben noch einmal circa vier Mio. Somalis. Über eine weitere Mio. Somalis hält sich in Folge verschiedener Migrationswellen in der Diaspora auf (250 000 in Europa, 300 000 in Nordamerika, 100 000 in den Golfstaaten, 300 000 im Jemen, 50 000 in anderen Ländern Afrikas, 35 000 in Australien und Neuseeland und eine unbekannte Zahl in Asien). 2 Somalis sprengen den nationalstaatlichen Rahmen und können als „globalisierte“ Nation gelten. 3 Transnationale und diasporische Beziehungen und Lebensweisen prägen somalische Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in einem sehr hohen Maße. 4
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Zahlen in Bezug auf Somalis in Somalia und außerhalb sind grundsätzlich „mit Vorsicht zu genießen“. Die mangelnde Infrastruktur und schlechte Sicherheitslage in Somalia und in weiten Teilen des Horns von Afrika sowie weitverbreitete „illegale“ Migration von Somalis behindern jede Datenerhebung enorm. In wissenschaftlichen und anderen Publikationen finden sich regelmäßig sehr unterschiedliche Zahlen zur somalischen Bevölkerung. Menkhaus, Ken: The Role and Impact of the Somali Diaspora in Peace-Building, Governance and Development. In: Bardouille, Raj/Ndulo, Muna/Grieco, Margaret (Hrsg.): Africa’s Finances: The Contribution of Remittances. Cambridge 2009, S. 187-202, hier S. 189. Gundel, Joakim: The Migration-Development Nexus: Somalia Case Study. In: Internetional Migration, 40(5)/2002, S. 255-281, hier S. 275. Transnationalismus und Diaspora sind zwei in der Literatur eng miteinander verwobene Konzepte. Während Diaspora im Laufe dieses Artikels weiter dargestellt wird, sei hier nur erwähnt, dass die transnationale Forschungsperspektive sich auf das Leben von (Trans-)Migranten in und zwischen unterschiedlichen Nationalgesellschaften konzentriert. Migration ist in diesem Sinne „kein auf einen Zeitpunkt begrenztes einmaliges Ereignis als Ausnahmeerscheinung, sondern ein normaler Bestandteil von transnationalen Lebens- bzw. häufig Überlebensstrategien.“ Physisch-geographische Bewegungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie psychische bzw. sozial-identifikative „Ortswechsel“;
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Dieser Beitrag beschäftigt sich auf Basis neuerer Literatur und eigener empirischer Forschung mit den Rollen und Chancen der somalischen Diaspora im zerfallenen Staate Somalia, dem de-facto-Staat Somaliland und der autonomen Region Puntland (in Nordostsomalia). 5 Er zeigt, dass die somalische Diaspora sehr vielschichtig ist. 6 Soziale und kulturelle Faktoren wie das somalische Klansystem und verschiedene Strömungen innerhalb des sunnitischen Islam, aber auch politische und andere persönliche Präferenzen prägen das Handeln von Diaspora-Akteuren genauso wie die unterschiedlichen Lebensbedingungen in den jeweiligen Residenzländern, Ereignisse im Herkunftsland (Somalia/ Somaliland) und globale Entwicklungen. Bevor diese Komplexitäten dargestellt und in Bezug gesetzt werden zu Fragen nach Krieg und Frieden am Horn von Afrika, sind einleitend noch einige Anmerkungen zu Diaspora als wissenschaftliches Konzept und zur Geschichte somalischer Migrationsbewegungen angebracht.
2. Diaspora als wissenschaftliches Konzept Lange Zeit war der Begriff Diaspora eng mit der Geschichte der jüdischen Diaspora verbunden. Er bezog sich auf die religiöse und kulturelle Existenz der Juden in der Zerstreuung. 7 Seit 1990 hat Diaspora eine neue Konjunktur erfahren. Globalisierung als intensivierter Fluss von Waren, Informationen und Menschen erregte die Aufmerksamkeit vieler Forscher. Sie basierte auf der Einführung neuer Kommunikationsmedien und der Möglichkeit, günstig und schnell zu reisen. Massenmigration und das Leben und Handeln in transnationalen Räumen rückten in den Blickwinkel derer, die Globalisierung „von unten“ erfassen wollten. Nicht mehr Staaten, wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges, sondern Individuen und soziale Gruppen erschienen nun als Handlungsträger und „Motoren“
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Pries, Ludger: Transnationalismus, Migration und Inkorporation. Herausforderungen an Raum- und Sozialwissenschaften. In: Geographische Revue 2/2003, S. 23-39, hier S. 25. In diesem Text wird Puntland, wenn nicht anders vermerkt, unter „Somalia“ subsumiert, da sich dieses politische Gebilde im Gegensatz zu Somaliland nicht als politisch unabhängig von Somalia definiert. Hier sei angemerkt, dass entsprechend der in den Sozialwissenschaften derzeit vorherrschenden Meinung zum Konzept der Diaspora (siehe 2. Abschnitt dieses Textes) Somalis, deren Vorfahren schon vor Beginn der kolonialen Teilung im Gebiet des heutigen Äthiopiens, Kenias und Djibutis lebten, nicht als Diaspora verstanden werden. Etymologisch geht Diaspora auf das griechische Verb διασπειρειν (diaspeirein) zurück, das „aussähen, verstreuen“ bedeutet, das in der Antike im Zusammenhang mit den in den griechischen Kolonien lebenden Griechen verwendet wurde; Baumann, Martin: Diaspora: Genealogies of Semantics and Transcultural Comparison. In: Numen 47/2000, S. 313337, hier. S. 315-16.
Die somalische Diaspora
gesellschaftlichen Wandels. 8 In diesem Zusammenhang wurde der Begriff Diaspora semantisch neu besetzt. Er umfasste nun Immigranten, Flüchtlinge, Gastarbeiter, Exilgruppen und zum Teil sogar ethnische Minderheiten. 9 Diese Ausweitung des Begriffs initiierte eine noch immer anhaltende Diskussion über eine wissenschaftlich brauchbare Definition von Diaspora. Einige Forscher bemühten sich, eine möglichst genaue Typologie von Diaspora-Gruppen aufzustellen. Als wichtigste Merkmale wurden allgemein herausgearbeitet: Zerstreuung außerhalb des Herkunftslandes, Bewahrung einer Erinnerung an die reale oder mythische Heimat, Schwierigkeiten mit der Anpassung an die gesellschaftlichen Bedingungen in den Residenzländern, Pflege kultureller Eigenheiten und ethnischer Solidarität in der Diaspora, Entwicklung einer Rückkehrbewegung und/oder die Sorge um das Wohlergehen der Menschen im Herkunftsland. 10 Andere Autoren betonen, dass Diaspora die Gefühlslage und Daseinsform von Menschen in einer „Zwischenlage“ und jenseits eindeutiger identitärer Verortungen darstellt. Für sie verweisen Diasporen auf eine möglicherweise post-nationale Zukunft des Menschen. Eine genaue Typologie und gerade der Rückbezug auf ein tatsächliches Ursprungsland erscheinen in dieser Perspektive weniger wichtig; es geht vielmehr um Anerkennung und „Selbstfindung“ im Residenzkontext. 11 Vertovec arbeitete auf Basis der bisherigen Diskussion drei Hauptbedeutungen des Begriffs Diaspora heraus: Diaspora als soziale Form; Diaspora als Bewusstsein; Diapsora als Merkmal von und Rahmen für kulturelle Produktion. Die erste Bedeutung bezieht sich auf die sozialen, politischen und ökonomischen Verbindungen innerhalb der Diaspora und zum Herkunftsland. Die zweite Bedeutung umfasst die spezielle Bewusstseinslage von Migranten, Vertriebenen oder Flüchtlingen außerhalb der Heimat. Wissen um die eigene prekäre Situation als „Fremder“ und möglicherweise Erfahrungen von Gewalt prägen dieses Bewusstsein. Die dritte Bedeutung verweist auf die speziellen Mischformen von Musik, Sprache, Lebensstil und anderen kulturellen Ausdrücken zwischen Herkunfts- und Residenzgesellschaft. 12 Diese Differenzierung des Begriffs scheint 8 9 10
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Appadurai, Arjun: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis, 1996; Kearney, Michael: The local and the global: The anthropology of globalization and transnationalism. In: Annual Review of Anthropology 24/1995, S. 547-565. Tölölyan, Khachig: The Nation-state and its Others: in Lieu of a Preface. In: Diaspora 1(1)/1991, S. 3-7, hier S. 4. Safran, William: Diasporas in Modern Societies: Myths of Homeland and Return. In: Diaspora, 1(1)/1991, S. 83-99; Cohen, Robin: Global diasporas. London 1997; Shuval, Judith T.: Diaspora migration: definitional ambiguities and theoretical paradigm. In: International Migration, 38(5)/2000, S. 41-57. Clifford, James: Diasporas. In: Cultural Anthropology 9(3)/1994, S. 302-338; Hall, Stuart: Cultural Identity and Diaspora. In: Rutherford, Jonathan (Hrsg.): Identity: Community, Culture, Difference, London 1990, S. 222-237. Vertovec, Steven: Three meanings of “diaspora”, exemplified among South Asian religions. In: Diaspora 6(3)/1997, S. 277-299, hier S. 278-290.
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hilfreich und kann durchaus auch frühere typologische Versuche integrieren (im Bereich „Diaspora als soziale Form“). Zudem muss beachtet werden, dass Diasporen in sich heterogen sind. Je nach Geschlecht, Klasse, Hautfarbe und anderen Orientierungen erleben Mitglieder von Diasporen die Migration und das Leben außerhalb des Herkunftslandes anders. 13 Das Bewusstsein um die eigene Diaspora-Existenz und deren Bedeutung verändert sich auch mit der Zeit. Jüngere Generationen mögen die Rückbesinnung auf die alte Heimat der Eltern oder Großeltern nicht teilen; oder, im Gegenteil, gerade in der „zweiten Generation“ können Fremdheitserfahrungen oder Rassismus in der Residenzgesellschaft dazu beitragen, dass sich ein neues Diaspora-Bewusstsein herausbildet. Die zunehmende Relevanz von Diaspora in den politischen Debatten in westlichen Gesellschaften – in Europa und Nordamerika – kann ebenso zur Identifikation mit Diaspora als sozialer Kategorie bei Migranten und Flüchtlingen führen. 14 Zusammenfassend lässt sich sagen: Der zeitgenössische Diaspora-Begriff ist in die Globalisierungsdebatte seit den frühen 1990er-Jahren eingebettet. Im Wesentlichen wird in der Forschung versucht, die Besonderheiten diasporischer Identität zu erfassen. Dabei rückt man zusehends von der Beschreibung von Diasporen als homogenen Gruppen ab. Diaspora-Identitäten sind von einer Vielzahl äußerer Faktoren abhängig und wandelbar. Sie müssen in jedem Einzelfall historisch verortet werden und spielen als Mittel der Mobilisierung in Bezug auf konkrete Ereignisse (in den Herkunfts- und Residenzländern und/oder auf globaler Ebene) eine Rolle. 15 Im Folgenden werden die wichtigsten Etappen der Herausbildung der somalischen Diaspora vorgestellt. Migration und Flucht, wie auch die „Aufnahmebedingungen“ in den verschiedenen Residenzländern und die weiteren Entwicklungen in Somalia haben diesen Prozess wesentlich beeinflusst.
3. Migration und Flucht im somalischen Kontext 3.1 Arbeits- und Bildungsmigration Somalis haben eine lange Tradition von Migration. Sie leben seit Jahrhunderten als Pastoralnomaden oder Agropastoralisten und sind an regelmäßige, oft zykli13 14 15
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Anthias, Floya: Evaluating “Diaspora”: Beyond Ethnicity? In: Sociology 32(3)/1998, S. 557-580. Kleist, Nauja: In the Name of the Diaspora: Between Struggles for Recognition and Political Aspirations. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 34(7)/2008, S. 11271143. Sökefeld Martin: Mobilizing in transnational space: a social movement approach to the formation of diaspora. In: Global Networks 6(3)/2006, S. 265-284.
Die somalische Diaspora
sche Wanderungen gewöhnt; ihr Überleben in den Halbwüsten am Horn von Afrika hängt davon ab. Periodisch auftretende Dürren zwingen selbst bodenbauende Gruppen im Süden der somalischen Halbinsel zu gelegentlichen Ortswechseln. 16 Von der Entstehung einer somalischen Diaspora im oben angesprochenen Sinn kann man allerdings erst im 19. Jahrhundert sprechen. 17 Mit der Besetzung der Hafenstadt Aden durch die Briten im Jahr 1839 (dem Beginn des Baus des Suezkanals) war ein wichtiger Anziehungspunkt für nordsomalische Händler und „Abenteurer“ auf der anderen Seite des Golfs von Aden geschaffen. Somalis ließen sich dauerhaft in Aden nieder, wanderten von dort aus weiter oder fuhren als Seeleute durch die Welt. Diese interkontinentalen Migrationsbewegungen intensivierten sich mit Beginn der Kolonialzeit am Horn in den 1880er-Jahren. Erste kleine somalische Diaspora-Gemeinden entstanden beispielsweise in englischen Hafenstädten wie Cardiff und Liverpool. Schon für diese Zeit wird von Geldrücksendungen – so genanten „financial remittances“ – aus der Diaspora an Familienmitglieder auf der somalischen Halbinsel berichtet. 18 Wanderungen von Somalis außerhalb des Horns von Afrika ergaben sich auch im Kontext von „Völkerschauen“, Militärdienst in europäischen Armeen im Zweiten Weltkrieg und Ausbildung in den kolonialen „Mutterländern“ Großbritannien und Italien. In diesem Zusammenhang kann man getrost auch „social remittances“ annehmen, also den Transfer von neuen Ideen, Fähigkeiten und Wissen aus verschiedenen Residenzländern in das Herkunftsland. 19 Der Kontakt von Somalis mit der außersomalischen Welt intensivierte sich nach der Unabhängigkeit 1960. 20 London und Rom waren wichtige Ziele von aufstrebenden Studenten. Mit dem Umschwenken Somalias auf die Linie Mos16
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Einen ersten Überblick zu Sozialstruktur und Wirtschaftsweise der Somali bieten Lewis, Ioan M.: A Pastoral Democracy. A study of pastoralism and politics among the northern Somali of the Horn of Africa, Oxford 1961; Baumann, Maximillian P.O., Janzen, Jörg and Schwartz, Horst Jürgen (Hrsg.): Pastoral Production in Central Somalia, Berlin 1993; Luling, Virginia: Somali Sultanate: The Geledi City-State over 150 years, London 2002. Inwiefern Somalis schon in früheren Jahrhunderten im Zuge das Handels über den indischen Ozean mit Asien und der arabischen Halbinsel migrierten und sich dauerhaft in anderen Teilen der Welt niederließen, geht aus den mir bekannten Quellen nicht hervor. Kleist, Nauja: Nomads, Sailors and Refugees. Sussex Migration Working Paper No. 23. University of Sussex 2004; Ingrams, Leila and Pankhurst, Richard: Somali Migration to Aden from the 19th to the 21st Century. In: African and Asian Studies 5(3-4)/2006, S. 371-381. Zu „social remittances“ allgemein siehe Levitt, Peggy: Social Remittances: Migration Driven Local-Level Forms of Cultural Diffusion. In: International Migration Review 32(4)/1998, S. 926-948. Die Somalische Republik entstand aus der Vereinigung des Britischen Protektorats von Somaliland und des italienisch verwalteten UN-Treuhandgebietes am 01.07.1960. Die anderen Teile des von Somalis bewohnten Gebietes im heutigen Djibuti, Äthiopien und Kenia wurden zum Leidwesen somalischer Nationalisten nicht mit eingeschlossen.
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kaus wurden spätestens ab Beginn der 1970er-Jahre längere Studien- und Fortbildungsaufenthalte der staatstragenden Schicht in der Sowjetunion üblich. Allerdings waren die Migrationen zum Zweck der Bildung und Ausbildung zeitlich beschränkt und führten nicht zur Entstehung dauerhafter Diaspora-Gemeinschaften. Anders verhielt es sich mit den Somalis, die Mitte der 1970er-Jahre als Arbeiter in die ölreichen Golfstaaten auswanderten. Sie kamen vornehmlich aus Nordsomalia, aus einer Region, die von der Regierung in Mogadischu, der Hauptstadt im Süden, zunehmend wirtschaftlich und politisch marginalisiert wurde. Ihnen bot sich auf der Arabischen Halbinsel eine dauerhafte Perspektive und ihre regelmäßigen Geldrücksendungen wurden zu einem wichtigen Teil der lokalen (nordsomalischen) Ökonomie. Lange Zeit war Saudi-Arabien das Land, aus dem die meisten Überweisungen kamen. Bis Mitte der 1980er-Jahre fanden die Rücksendungen im Rahmen des genannten „Franco Valuta“-Systems statt. Somalische Gastarbeiter gaben ihr Geld an somalische Vertrauenshändler (oft vom eigenen Klan), die damit Waren einkauften und sie nach Somalia importierten. Von Teilen des Erlöses wurden die Verwandten in der Heimat der Ölarbeiter ausbezahlt. 21
3.2 Krieg und Flucht Die erste große kriegsbedingte Fluchtwelle von Somalis wurde durch den Ogaden-Krieg ausgelöst. Im Jahr 1977 griffen die Kämpfer der Western Somali Liberation Front (WSLF) mit heimlicher Unterstützung der Armee Somalias äthiopische Stützpunkte in den somalisch besiedelten Gebieten Ostäthiopiens – dem so genanten Ogaden – an. Anfang 1978 erklärte Mogadischu offiziell den Krieg. Da allerdings Äthiopien sich nach dem Militärputsch von 1974 dem sozialistischen Lager angeschlossen hatte, war der Regierung Somalis der Angriff zuvor von Moskau untersagt worden. Die Führungen der UdSSR und einiger sozialistischer Bruderländer bestraften die Zuwiderhandlung der Somalis mit der massiven militärischen Unterstützung Äthiopiens. Bis April 1978 war die somalische Armee besiegt. Zwischen 400 000 und 800 000 Somalis aus dem Ogaden sowie auch Oromos (eine den Somalis kulturell nahestehende und der äthiopischen Regierung teilweise feindlich gesonnene ethnische Gruppe) flohen daraufhin nach Somalia, in Erwartung militärischer Repressionen von Seiten der Äthiopier. Sie wurden in Flüchtlingscamps im ganzen Land angesiedelt und durch das UNHCR versorgt. Mohamed Siyad Barre, der Präsident und Militärdiktator 21
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Ahmed, Ismail I.: Remittances and Their Economic Impact in Post-war Somaliland. In: Disasters 24(4)/2000, S. 380-389; Kleist: Nomads, Sailors and Refugees, hier S. 5; Gundel: The Migration-Development Nexus, hier S. 259-263.
Die somalische Diaspora
Somalias (1969-1991), instrumentalisierte die internationale Hilfe, um seine Herrschaft finanziell zu stützen. 22 Er ließ auch viele der Flüchtlinge, die genealogisch mit ihm verbunden waren, bewaffnen und setzte sie im Kampf gegen die (vornehmlich nordsomalischen) Guerillabewegungen ein, welche sich in den 1980er-Jahren formiert hatten. Unter ihnen wurde besonders das von Mitgliedern der Isaaq-Klanfamilie dominierte Somali National Movement (SNM) von der Diaspora aus den Golfstaaten unterstützt. 23 Hier ist anzumerken, dass es sich bei den Ogaden-Flüchtlingen nicht um eine Diaspora im „klassischen“ Sinn handelt. Zumindest die Somalis unter ihnen waren ja ihrem Selbstverständnis nach „nur“ von einem Teil des somalischen Gebietes (in Ostäthiopien oder, in der Perspektive somalischer Nationalisten: in Westsomalia) in einen anderen Teil des von Somalis bewohnten Horns geflohen. Die jüngsten und größten Flüchtlingswellen, welche die Basis für die Formierung der gegenwärtigen Diaspora vornehmlich im Westen bildeten, stehen in engem Zusammenhang mit der Eskalation des somalischen Bürgerkriegs ab Ende der 1980er-Jahre. Mitte 1988 besetzten SNM-Rebellen Teile von Hargeisa und Bur’o, den zwei größten Städten Nordsomalias. Hier wohnten mehrheitlich Isaaq und somit patrilineare Verwandte der SNM-Guerillas. Die somalische Regierung, die von Darood dominiert wurde, hatte schon vorher systematisch Mitglieder der Isaaq-Klanfamilie unterdrückt. Nun befahl sie die Bombardierung der Städte. Zehntausende Menschen – viele von ihnen Zivilisten – kamen ums Leben; schätzungsweise 600 000 Menschen flohen, zumeist nach Äthiopien. Zwei Drittel dieser Flüchtlinge kehrten im Laufe der 1990er-Jahre wieder in ihre Herkunftsgebiete zurück, nachdem Nordwestsomalia sich vom Rest des Landes abgespalten und seine Unabhängigkeit als Republik von Somaliland erklärt hatte. Andere blieben in Äthiopien oder flohen weiter, oft nach Europa und Nordamerika. Die nächste große Flüchtlingswelle kam aus Südsomalia. Im Januar 1991 wurde die Regierung Barres von Rebellen des United Somali Congress (USC) gestürzt. Die Rebellen gehörten mehrheitlich der Hawiye-Klanfamilie an. Barre gelang die Flucht, doch im Anschluss machten die Hawiye-Guerillas Jagd auf Darood in Mogadischu und Teilen Südsomalias. Zudem spaltete sich der USC. Verschiedene Hawiye-Kriegsherren kämpften ab Mitte 1991 in wechselnden Koalitionen mit anderen Klan-Guerilla-Bewegungen teils gegen die Reste der 22 23
Genaue Zählungen der Flüchtlinge wurden von Mogadischu verhindert. Man einigte sich schließlich auf circa 800 000; die meisten internationalen Experten sahen diese Zahl als deutlich zu hoch an. Gundel: The Migration-Development Nexus, hier S. 264; Menkhaus: The Role and Impact of the Somali Diaspora, hier S. 190; Reno, William: Somalia and Survival in the shadow of the global economy, Queen Elisabeth House Working Paper Nr. 100, 2003, hier S. 24; Bakonyi, Jutta: Moral Economies of Mass Violence: Somalia 1988-1991. In: Civil Wars 11(4)/2009, S. 434-454, hier. S. 439.
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Gefolgsleute Barres und teils untereinander um die Macht in Mogadischu. Mehr als 14 000 Menschen starben alleine in Mogadischu in den ersten zwei Jahren des Bürgerkriegs. Die Kämpfe lösten eine Hungersnot aus, der bis Ende 1992 circa 300 000 Menschen zum Opfer fielen. Bis zu zwei Mio. Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Sie versuchten, sich bei Verwandten in den „angestammten“ Klanterritorien in Sicherheit zu bringen. 24 Zwischen 0,5 Mio. und 1,5 Mio. Somalis flohen über die Grenze, vornehmlich nach Kenia. Viele von ihnen bevölkerten die nahe der kenianisch-somalischen Grenze errichteten Flüchtlingscamps. Andere begaben sich nach Mombasa oder Nairobi, wo es schon seit langem somalische Gemeinden gab. 25 Wer es sich leisten konnte oder Kontakte im Ausland hatte, versuchte in den Westen zu kommen. Mitgliedern von besonders benachteiligten Gruppen, wie den in Somalia rassistisch unterdrückten Jareer oder Bantu, wurden vom UNHCR Übersiedlungsmöglichkeiten in die USA angeboten. Mehr als zehntausend Bantu machten davon in den 1990er-Jahren Gebrauch. 26 Andere kehrten in das Gebiet im heutigen Tansania zurück, aus dem ihre Vorfahren einst von Sklavenhändlern entführt und nach Somalia gebracht worden waren. 27 Trotz des Staatszerfalls und andauernder Gewalt in Südsomalia sind viele Menschen in Mogadischu und anderen Epizentren von Kriegsherrschaften und Bandenunwesen geblieben. Sie konnten sich entweder keine Flucht leisten, waren zu alt und/oder zu schwach zu fliehen, oder hofften einfach, die Unruhen zu überstehen und eine bessere Zukunft erwarten zu können. Während der internationalen humanitären Intervention November 1992 bis Mai 1995 entspannte sich die Lage in Teilen Mogadischus und Südsomalias. Nach dem politischen Misser-
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Das Verhältnis von Pastoralnomaden, die die Mehrheit der somalischen Bevölkerung bilden, zu Territorium war traditionell lose; man beanspruchte bestimmte Brunnen und Weiderrechte, die allerdings mit anderen Gruppen geteilt wurden. Der Bürgerkrieg führte zu einer Art „clan-cleansing“. Mitglieder aller Abstammungsgruppen zogen sich in ihr „clan homeland“ zurück, um sich dort gegen Angriffe anderer Gruppen zusammen zu schließen und verteidigen zu können; Lewis, Ioan M.: Modern history of the Somalia, Oxford 2002, hier S. 263. Gundel: The Migration-Development Nexus, hier S. 264; Menkhaus: The Role and Impact of the Somali Diaspora, hier S. 190; Farah, Nurudin: Yesterday, Tomorrow: Voices from the Somali Diaspora. London 2000; UNDP: Human Development Report Somalia, Nairobi 2001, hier S. 49. Eno, Omar A./Eno, Mohamed A.: The Making of a Modern Diaspora: The Resettlement Process of the Somali Bantu Refugees in the United States. In: Falola, Toyin/Afolabi, Niyi (Hrsg.): African Minorities in the New World, New York 2008, S. 197-219. Declich, Francesca: Can Boundaries not Border on One Another? The Zigula (Somali Bantu) between Somalia and Tanzania. In.: Feyissa, Dereje/Hoehne, Markus V. (Hrsg.): Borders and Borderlands as Resources in the Horn of Africa. London 2010, S. 169-186.
Die somalische Diaspora
folg der Interventionstruppen und ihrem unrühmlichen Abzug 28 schwelte der Bürgerkrieg zwischen sich immer weiter aufspaltenden genealogischen Untergruppen und ihren Milizenführern weiter. Die Menschen vor Ort arrangierten sich mit der Unsicherheit. Klanbeziehungen sowie Verlass auf traditionelles und islamisches Recht garantierten ein Mindestmaß an sozialer und politischer Ordnung – auf lokaler Ebene. Wirtschaftlich machten einige Geschäftsleute und Händler gute Profite, begünstigt durch die Abwesenheit der ohnehin kaum vermissten korrupten und autoritären Staatsinstitutionen und die guten SchmuggelMöglichkeiten nach und von Kenia und Äthiopien. 29 Dennoch lebten die Somalis im Land mehrheitlich in absoluter Armut; die Lebenserwartung war unter 50 Jahre; die Arbeitslosigkeit war endemisch. Gerade jüngere Menschen versuchten dem Elend zu entkommen, zum Beispiel durch Beantragung von Familienzusammenführung mit tatsächlich oder vermeintlich verwandten oder verheirateten Somalis, die schon vorher geflohen waren, oder durch Angabe falscher ethnischer/Klan-Zugehörigkeit. 30 Seit circa 2005 versuchen immer mehr Somalis, von denen viele noch Teenager sind, ohne gültige Papiere zu Fuß und/oder per Auto über Äthiopien und Sudan nach Libyen und von dort übers Meer nach Europa zu gelangen. Die andere Route führt von der Küste Nordostsomalias per Boot nach Jemen und von dort, wenn möglich, weiter in reiche arabische Länder oder nach Europa. Diese Reisen werden in Nordsomalia „Tahrib“ genannt. 31 Sie sind mit mannigfachen Gefahren verbunden. Jeden Monat sterben Dutzende Somalis, Äthiopier und andere Afrikaner, die dieselbe Route nehmen, in den völlig überfüllten Booten im Mittelmeer oder im Golf von Aden. 32 Auch auf dem Landweg nach Libyen kommen Migranten um; 28
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Es war ihnen nicht gelungen, Frieden und staatliche Ordnung in Somalia wiederherzustellen; im Gegenteil: die Truppen hatten an Kampfhandlungen teilgenommen, bei denen einige Blauhelme und US-Soldaten sowie viele hundert Somalis zu Tode gekommen waren; siehe Hoehne, Markus V.: Somalia zwischen Krieg und Frieden: Strategien der friedlichen Konfliktaustragung auf internationaler und lokaler Ebene, Hamburg 2002, hier S. 62-73. Hagmann, Tobias: From State Collapse to Duty-Free Shop: Somalia’s path to modernity (Review Article). In: African Affairs 104(416)/2005, S. 525-535. Bestimmte Gruppen wurden in westlichen Ländern als verfolgte „Minderheiten“ in Somalia eingestuft. Ihre Mitglieder galten somit potentiell als asylberechtigt. Schlee weist in einigen Anekdoten auf den Wandel familiärer Beziehungen hin, der auf betrügerische Strategien von somalischen Flüchtlingen zurückgeht, die der Maximierung von Chancen auf Unterstützung in Europa dienen; Schlee, Günther: Somalia und die Somali-Diaspora vor und nach dem 11. September 2001. In: Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Koexistenz und Konflikt von Religionen im vereinten Europa. Göttingen 2004, S. 140-156. Das Wort ist ursprünglich arabisch und bezeichnet Arbeitsmigration. Im Somalischen wird es für die oben beschriebene illegale Migration verwendet. Im Jahr 2007 schifften sich schätzungsweise 30 000 Somalis und Äthiopier von Nordsomalia nach Jemen ein. Circa 1 500 von ihnen kamen auf dem Weg ums Leben; oft ken-
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junge Frauen werden teilweise verschleppt; in Libyen landen nicht wenige Somalis auf unbestimmte Zeit in Gefängnissen. Es gibt also neben den oben beschrieben großen Flüchtlingswellen eine quantitativ weniger dramatische, aber kontinuierliche Migration in verschiedene, meist westliche Länder. Die Migrationspfade sind verschlungen, verlaufen oft in der Illegalität, und richten sich nach den sich wandelnden Asylpolitiken in den potentiellen Aufnahmeländern. Auch innerhalb der Diaspora, z.B. in Europa, migrieren Somalis, je nach den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, in verschiedenen Residenzländern. 33 Seit circa 2000 sind viele Somalis aus Deutschland und den Niederlanden nach Großbritannien abgewandert, das als politisch toleranter und wirtschaftlich reizvoller für Somalis gilt. Erst mit den Anschlägen auf New York und Washington im September 2001 erregte Somalia als islamisches und staatsloses Gebilde wieder die Aufmerksamkeit des Westens. Eine neue Gewaltspirale begann sich zu drehen. In Washington und anderen Zentren argwöhnte man, dass Al Qaida das zerfallene Land am Horn als Rückzugsgebiet nutzen könnte. Diese Vermutung war nur eingeschränkt richtig. In den 1990er-Jahren war Al Qaida mit dem Versuch gescheitert, Stützpunke in Südsomalia aufzubauen. Allerdings hatte eine Handvoll international gesuchter Terroristen, die für Anschläge gegen amerikanische Einrichtungen am Horn von Afrika verantwortlich gemacht wurden, Unterschlupf in Mogadischu gefunden. 34 Zunächst beschränkten sich die USA ab 2002 auf indirekte Kriegsführung von Agenten und lokalen Verbündeten gegen mutmaßliche islamische Terroristen in Mogadischu. Als Mitte 2006 die Union of Islamic Courts (UIC) wider Erwarten die Macht in Südsomalia ergriff, sahen sich Politiker im Westen in ihren schlimmsten Erwartungen bestätigt. Mit Unterstützung der USA und toleriert von der EU intervenierten mehr als 14 000 äthiopische Truppen mit Luftunterstützung und schwerem Gerät in Südsomalia im Dezember 2006. Binnen einer Woche war die UIC besiegt. Die im Exil gewählte und von der internationalen Gemeinschaft, nicht aber von vielen Somalis anerkannte somalische Übergangsregierung unter Präsident Abdullahi Yusuf, einem Darood, wurde in Mogadischu eingesetzt. Es folgte ein Aufstand von militanten Islamisten und Hawiye-Milizen. Die äthiopischen Besatzer, zusammen mit der Armee der Übergangsregierung und einer vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Schutztruppe der AU (AMISOM) kämpften bis Ende 2008 mit aller Härte gegen
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tern die überfüllten Boote oder treiben tagelang orientierungslos und ohne Nahrungsmittel auf dem Meer; Medecins Sans Frontiers: No Choice: Somali and Ethiopian Refugees, Asylum Seekers and Migrants Crossing the Gulf of Aden. MSF Report June 2008. Pérouse de Montclos, Marc-Antoine: A Refugee Diaspora: When the Somali Go West. In: Koser, Khalid (Hrsg.): New African Diasporas. London 2003, S. 37-55, hier S. 46-47. Harmony Project: Al-Qaida’s (Mis)Adventures in the Horn of Africa. Centre for Combating Terrorism at West Point/2007 (online: http://ctc.usama.edu/aqIIasp).
Die somalische Diaspora
die bewaffnete Opposition. Mehr als 10 000 Menschen (vornehmlich Zivilisten) wurden dabei in zwei Jahren alleine in Mogadischu getötet. Die Kämpfe lösten neue Fluchtbewegungen im Land, aber auch über die Grenzen hinweg, vor allem nach Kenia und Europa, aus. 35 In der historischen Rückschau lassen sich seit dem 19. Jahrhundert verschiedene Migrationswellen erkennen. Nicht alle waren von Bürgerkrieg angetrieben. Zunächst standen wirtschaftliche Anreize und Gelegenheiten im Vordergrund. 36 Erst mit der Niederlage Somalias im Ogaden-Krieg 1978 gewannen die Faktoren Krieg und Bürgerkrieg an Bedeutung für Fluchtbewegungen von Millionen von Somalis. 37 Zudem gilt es, die unterschiedlichen Migrations- und Fluchtwellen nach Alter, Geschlecht, Klanzugehörigkeit und geographischer Orientierung zu differenzieren. Im 19. und 20. Jahrhundert, bis in die frühen 1980er-Jahre, migrierten vornehmlich junge Männer. Während zunächst Europa, und hier besonders die kolonialen „Mutterländer“, das Ziel der Migration waren, reisten die Ölarbeiter Mitte der 1970er in die Golfstaaten aus. Die Ölarbeiter waren vornehmlich Nordsomalis, besonders Mitglieder der Isaaq-Klanfamilie. Die Ogaden-Flüchtlinge, wie auch die Menschen, die ab 1988 aus Nordwestsomalia und ab 1991 aus Südsomalia flohen, waren Männer, Frauen, Kinder und Alte. Diese Flüchtlingsbewegungen betrafen zunächst die unmittelbaren Nachbarländer am Horn von Afrika. Genealogisch waren die Ogaden-Flüchtlinge mehrheitlich Darood, die Flüchtlinge aus Hargeisa und Bur’o Isaaq, und diejenigen aus Mogadischu und Südsomalia Darood und andere Nicht-Hawiye. 38 Auf längere Sicht kehrten viele der erwähnten Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge wieder in ihre Herkunftsregionen zurück (die Ogaden-Somalis nach Ostäthiopien, die Isaaq nach Nordwestsomalia, und Darood in die für sie sicheren Teile Südwest- und Nordostsomalias). Diejenigen, die nicht zurückkehrten, machten sich häufig nach Europa und Nordamerika auf. Hier standen sie vor zuvor ungekannten Schwierigkeiten sozialer und kultureller Integration. Gerade diese Schwierigkeiten trugen wesentlich zur Herausbildung eines DiasporaBewusstseins bei. Spätestens die Militärintervention Äthiopiens und die fehlgeleitete „counter-terrorism-strategy“ des Westens in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre verstärkten dieses Diaspora-Bewusstsein noch. Im Weiteren wird 35
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Menkhaus, Ken: The crisis in Somalia: Tragedy in five acts. African Affairs 106(204), S. 357-90; Human Rights Watch: So Much to Fear: War Crimes and the Devastation of Somalia, 2008; Lindley, Anna: Leaving Mogadishu: The War on Terror and Displacement Dynamics in the Somali Regions. MICROCON Research Working Paper 15, 2009. Gundel: The Migration-Development Nexus, hier S. 277. Wirtschaftliche Überlegungen spielen in einigen Fällen eine Rolle, vor allem hinsichtlich der „Tahrib“ genannten Migrationsbewegungen. Pérouse de Montclos: A Refugee Diaspora, hier S. 38-39; Lindley, Anna: The EarlyMorning Phonecall: Remittances from a Refugee Diaspora. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 35(8)/2009, S. 1315-1334, hier S. 1321.
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auf die Bedingungen der Diaspora-Bildung im Aufnahmeland, wie auch auf die Rollen und Chancen der somalischen Diaspora im (Bürger-)Krieg und beim Wiederaufbau von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Herkunftskontext eingegangen.
4. Die Entstehung einer somalischen Diaspora-Identität Migration und Flucht generieren nicht automatisch Diasporen. Wie im Fall anderer Identitäten, so ist auch die Identifikation als Mitglied einer Diaspora ein Prozess. Dieser Prozess basiert auf Selbst- und Fremdzuschreibungen und unterliegt situationsbedingtem Wandel, selbst wenn zu einem gegeben Zeitpunkt Mitglieder einer Gruppe oder externe Beobachter von der „Naturgegebenheit“ bestimmter identitärer Formen überzeugt sind. Nur wenn sich eine Gruppe von Menschen darauf verständigt, einer Diaspora anzugehören und auch als solche wahrgenommen wird (in der Residenz- wie der Herkunftsgesellschaft) existiert Diaspora tatsächlich. 39 Im Unterschied zu anderen Identitäten findet die diskursive Konstruktion von Diaspora-Identitäten im transnationalen Raum statt. Diasporen können z.B. von den Regierungen im Herkunftsland aktiviert werden. 40 Sie können sich auch vor dem Hintergrund politisch-rechtlicher Vorstellungen im Residenz- und/oder Herkunftsland formieren. Hier spielen Diskurse zu Minderheitenrechten, Multikulturalismus und „politics of recognition“ eine zentrale Rolle. 41 Zudem sind alltägliche Erfahrungen bedeutsam für die Herausbildung von Diasporen und hinsichtlich der Frage, welche Art von transnationalem Engagement möglich ist. Die dominanten Einstellungen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Fremden und, noch genauer, gegenüber Fremden bestimmter Hautfarbe, religiöser Zugehörigkeit etc., sowie die Zugangschancen zu Arbeitsmarkt und Bildung beeinflussen den Prozess der Herausbildung einer Diaspora-Identität. Seitens der 39
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Sökefeld: Mobilizing in transnational space, 2006, hier S. 267-68; Wiberg unterscheidet „potential“ von „actual“ Diasporen. Nur für letztere stimmen Selbst- und Fremdzuschreibung als Diaspora überein; Wiberg, Hakan: Diaspora and Conflict. In: Dahre, Ulf Johansson (Hrsg.): The Role of Diasporas in Peace, Democracy and Development in the Horn of Africa. Lund 2007, S. 37-48, hier S. 41. Zu generellen Dynamiken von Identitästkonstruktionen siehe Donahoe, Brian; Eidson, John; Feyissa, Dereje; Fuest, Veronika; Hoehne, Markus V.; Nieswand, Boris; Schlee, Günther and Zenker, Olaf: The formation and mobilization of collective identities in situations of conflict and integration. Working Paper Nr.116, Max Planck Institute for Social Anthropology. Halle/Saale 2009. Nieswand, Boris: Development and Diaspora: Ghana and its Migrants. In: Sociologus 59(1)/2009, S. 17-31, hier S. 20-23. Kleist: In the Name of the Diaspora; Sökefeld, Martin: Struggling for Recognition. The Alevi Movement in Germany and in transnational space. New York 2008.
Die somalische Diaspora
Migranten/Flüchtlinge ist festzustellen, dass in Fällen, in denen die Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft nur durch die Aufgabe zentraler religiöser oder anderer kultureller Merkmale erreichbar ist, Segregation von vielen Zugewanderten bevorzugt wird. Nur wenn keine vollständige Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft notwendig ist oder von den Migranten/Flüchtlingen selbst angestrebt wird (wenn also kulturelle Eigenheiten bewahrt werden können), und wenn es gleichzeitig ausreichend Möglichkeiten der ökonomischen Grundsicherung (durch Jobs oder staatliche Hilfe) und Zugang zu Bildung und Ausbildung gibt, haben Migranten/Flüchtlinge die Freiheit, sich als eigenständige Gruppe zu formieren und mittels „financial“ und „social remittances“ in Bezug auf das Herkunftsland aktiv zu werden. 42 Zu welchem Zeitpunkt genau eine Diaspora entsteht, selbst wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, ist eine empirische Frage. Identifikationsprozesse sind nie abgeschlossen. Es ist durchaus möglich, dass Diaspora-Identitäten „kommen und gehen“, oder dass sich Migranten/Flüchtlinge nur im Hinblick auf bestimmte Bereiche (z.B. Kultur, Wirtschaft) oder sogar nur hinsichtlich einzelner kultureller Aspekte (z.B. Religion, Kleidung) als Diaspora zu erkennen geben, während sie sich in anderen (z.B. Bildung, Politik, Freizeit) als vollwertige Mitglieder des Residenzlandes fühlen und verhalten. 43 Auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern, den Generationen, oder Angehörigen verschiedener „Klassen“ innerhalb der Migranten-/Flüchtlingsgemeinde (z.B. Studenten, Arbeiter, Sozialhilfeempfänger) wirken sich auf die diasporische Identifikation aus. 44 Diese abstrakten Feststellungen lassen sich am Beispiel somalischer DiasporaBildung konkretisieren. Die Lage der Somalis, die ab den 1970ern in die Golfstaaten migrierten, war davon geprägt, dass erstens Zugang zum Arbeitsmarkt im Residenzland bestand. Zweitens gingen vor allem junge Männer in die Golfstaa42 43
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Hier sei daran erinnert, dass transnationales Handeln kein notwendiges Merkmal von Diaspora ist; Clifford: Diasporas, 2004; Sökefeld: Mobilizing in transnational space, 2006, hier S. 268. Fangen beschreibt diese mikro-sozialen Dynamiken von ethnischer Identifikation am Beispiel somalischer Jugendlicher in Norwegen; Fangen, Kathrin: Breaking up the Different Constituting Parts of Ethnicity: The Case of Young Somalis in Norway. In: Acta Sociologica 50(4)/2007, S. 401-414. Brubaker hat vor dem Hintergrund der Komplexitäten von Identifikationsprozessen davor gewarnt, „Diaspora“ als Gruppenbezeichnung/Kategorie zu gebrauchen. Er schlägt vor, das Wort nur adjektivisch zu benutzen, und von diasporischem Verhalten, diasporischen Orientierungen etc. zu sprechen; Brubaker, Rogers: The ‘diaspora’ diaspora. In: Ethnic and Racial Studies 28(1)/2005, S. 1-19. Ich teile einige seiner Bedenken und finde den adjektivischen Gebrauch von „diasporisch“ an vielen Stellen durchaus sinnvoll. Dennoch denke ich, dass man auch im Wissen um die Dynamiken von Identifikationsprozessen das „Objekt“ der Identifikation – die Identität (in diesem Fall: „Diaspora zu sein“) – benennen kann. Dies geschieht ja auch, wenn sich Akteure selbst als Mitglieder einer (ganz bestimmten) Diaspora bezeichnen.
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ten, die sozial verpflichtet waren, ihre Familien in Somalia zu versorgen. Somit war klar, dass ein Rückbezug auf die Heimat von vornherein vorhanden war. Drittens wurden gerade die Mitglieder der Isaaq-Klanfamilie unter den Arbeitsmigranten durch die Entwicklungen in Somalia in den 1980er-Jahren politisiert. Viele unterstützten die SNM-Guerillas tatkräftig (vor allem finanziell, aber auch durch Lobbyarbeit) in ihrem Kampf gegen die Regierung Siyad Barres. Erzählungen von älteren Informanten aus Somalia, die in der Vergangenheit in den Golfstaaten gearbeitet haben, weisen viertens darauf hin, dass Somalis, obwohl sie als sunnitische Moslems die Religion der Gesellschaften in den arabischen Residenzländern teilten, als Afrikaner/„Schwarze“ diskriminiert wurden. Es lässt sich also argumentieren, dass auf der arabischen Halbinsel ab den 1970er-Jahren die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für die Bildung einer DiasporaIdentität gegeben waren. Hinzu kamen die politischen Verhältnisse in Somalia, die eine Identifikation mit dem Herkunftskontext (im Falle der Isaaq: Nordwestsomalia) und eine politische Einmischung (Unterstützung der Guerillas gegen ein als unterdrückerisch wahrgenommenes Regime) begünstigten. Die Somalis, die ab 1990 in Europa und Nordamerika ankamen, sahen sich enormen kulturellen und sprachlichen Hindernissen gegenüber. Als dunkelhäutige Moslems waren sie an vielen Orten „doppelt fremd“. Viele Frauen unter den Flüchtlingen weigerten sich, islamische Kleidungsgewohnheiten abzulegen, was bis heute westlichen Vorstellungen von Gleichberechtigung der Geschlechter zuwider läuft. Diese Barrieren sowie restriktive Aufnahme- und Arbeitsregelungen für Flüchtlinge erschwerten eine rasche und erfolgreiche ökonomische Integration. Viele Somalis in Europa und Nordamerika sind bis heute arbeitslos und von staatlicher Hilfe abhängig. Wenn Arbeit gefunden wird, handelt es sich oft um schlechtbezahlte sowie physisch oder anderweitig belastende Jobs. 45 Dies beeinflusst, unterbindet aber nicht, die Möglichkeiten, Geld in die Heimat zu transferieren. Die anfänglich zumindest schwierige Lage vieler somalischer Flüchtlinge im Westen (aber auch in anderen nicht-muslimisch geprägten Residenzländern, wie z.B. Südafrika) verstärkte bei einigen von ihnen die Identifikation mit dem eigenen Klan oder mit ihrer Glaubensgemeinschaft. In den 1990er-Jahren erkannten Somalis „Klanismus“ – also die stetige Bezugnahme auf die eigene Abstammungsgruppe – als eine Kernursache des Staatszerfalls und der Gewalteskalation in Somalia. Als „Heilmittel“ wurde oft die Hinwendung zur Religion angesehen. Gerade Diaspora-Somalis begannen, den Koran intensiv zu studieren. Moscheen 45
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Pérouse de Montclos: A Refugee Diaspora, hier S. 49; Lindley: The Early-Morning Phonecall, hier S. 1325-26; Horst, Cindy: Connected Lives: Somalis in Minneapolis dealing with family responsibilities and migration dreams of relatives. In: Farah, Abdulkadir O./Muchie, Mammo/Gundel, Joakim (Hrsg.): Somalia: Diaspora and State Reconstitution in the Horn of Africa. London 2007, S. 89-101, hier S. 92-95.
Die somalische Diaspora
wurden zu wichtigen Orientierungspunkten in der Diaspora. 46 In diesem Zusammenhang wurden Unterschiede zwischen verschiedenen Koranauslegungen bedeutsam. Gleichzeitig gelang es den einzelnen Mitgliedern der Diaspora meist nur in sehr beschränktem Maß, sich wirklich dauerhaft vom Klan als zentralem Identitätsmerkmal zu distanzieren. Angesichts des Staatszerfalls in Somalia und der wirtschaftlich wie politisch prekären Lage in der sezessionistischen Republik Somaliland fühlen sich viele Somalis im Westen verpflichtet, sich um ihre Verwandten am Horn von Afrika zu kümmern. Die Voraussetzung für die Entstehung einer somalischen DiasporaIdentität im Westen Anfang der 1990er war also in erster Linie durch die kulturelle „Andersartigkeit“ der Somalis gegeben. Andauernde Sorge um das Wohl der Familien „zu Hause“ motiviert zu Geldrücksendungen und teilweise auch politischer Einflussnahme. Das ökonomische und politische Kapital der Diaspora wuchs allerdings erst ab Mitte der 1990er-Jahre, nachdem sich die Somalis an die rechtlich-politische Situation in Europa und Nordamerika gewöhnt und entsprechende Überlebensstrategien entwickelt hatten. Dieser Lernprozess war die wesentliche Voraussetzung für das diasporische Handeln im Hinblick auf Somalia und Somaliland. Diese Beispiele zeigen, wie unter unterschiedlichen Bedingungen unterschiedliche somalische Diasporen entstanden sind. Natürlich ließen sich auch innerhalb der hier dargestellten Diasporen viele weitere Unterschiede (und damit „SubDiasporen“) herausarbeiten, je nach Residenzkontext, politischen und religiösen Orientierungen und anderen oben schon erwähnten Faktoren. Ein Element, das die meisten derzeit in der Diaspora lebenden Somalis verbindet, ist die emotionale, geistige und/oder anderweitige Auseinandersetzung mit dem andauernden Staatszerfall in weiten Teilen Somalias. Dies gilt selbst für die Somalis, die sich auf die Republik Somaliland als ihr Herkunftsland hin orientieren. Da Somaliland noch nicht international anerkannt ist, sind die Angelegenheiten dieses defacto-Staats nicht von den Entwicklungen im Rest Somalias zu trennen.
5. Einfluss der Diaspora in Somalia und Somaliland 5.1 Konfliktförderung durch die Diaspora In der neueren Literatur zur Rolle von Diasporen in bewaffneten Konflikten in ihren Herkunftskontexten ist oft von der konfliktfördernden Rolle diasporischer
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Sadouni, Samadia: “God is not Unemployed”: Journeys of Somali Refugees in Johannesburg. In: African Studies 68(2)/2009, S. 235-49, hier S. 241.
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Akteure die Rede. 47 In Bezug auf die somalische Diaspora in den Golfstaaten wurde schon erwähnt, dass sie in den 1980er-Jahren wesentlich zur Finanzierung des Guerillakampfes des SNM beitrugen. Auch andere Guerillaorganisationen wie der USC, der im Januar 1991 Barre aus Mogadischu vertrieb, profitierten von Geldsammlungen und Lobbyarbeit in der Diaspora. Allerdings verloren viele Gewaltgruppen ihren Rückhalt in der lokalen Bevölkerung und in der Diaspora, je länger der Bürgerkrieg in Südsomalia andauerte und je deutlicher es wurde, dass Kriegsherren persönliche Macht und Bereicherung auf Kosten des Gemeinwohls anstrebten. 48 Dennoch ist anzunehmen, dass die ganzen 1990er-Jahre hindurch und bis in die Gegenwart (2011) einzelne diasporische Akteure wirtschaftlich und politisch auf der Seite ihrer jeweiligen Klanmilizen tätig sind. Darüber gibt es meines Wissens kaum Literatur. Die Akteure selbst haben naturgemäß kein Interesse, ihr Engagement in dieser Richtung publik zu machen – zumindest nicht in den westlichen Ländern, von denen aus sie operieren. Es gibt aber immer wieder Hinweise darauf, dass Kriegsakteure die Diaspora systematisch zur Mobilisierung finanzieller Mittel für Gewalthandlungen in Somalia und als Rückzugsraum nutzen. 49 Während meines letzten Feldaufenthalts in Lasanod, einer Stadt in der Grenzregion zwischen Somaliland und Puntland zeigte sich, dass die mit dieser Gegend verbundene Diaspora aktiv in den andauernden Konflikt zwischen beiden staatsähnlichen Gebilden in Nordsomalia um die Vorherrschaft in der Region involviert ist. 50 Auch im Kontext der jüngsten Gewalteskalationen in Südsomalia, die auf die Machtübernahme der UIC im Juni 2006 und die äthiopische Militärintervention im Dezember 2006 folgten, wurden Teile der somalischen Diaspora auf Seiten von Kriegsparteien aktiv. Schließlich waren vor allem amerikanische Politiker besorgt darüber, dass im Jahr 2008 Dutzende von somalischen Jugendlichen aus ihren Elternhäusern in Minneapolis und anderen Ballungszentren der somalischen Diaspora verschwanden und als „Heilige Krieger“ 47
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Anderson, Benedict: The New World Disorder. In: New Left Review I(193)/1992, S. 313, hier S. 12-13; Demmers, Jolle: Diaspora and conflict: locality, long-distance nationalism, and delocalisation of conflict dynamics. In: The Public 9(1)/2002, S. 85-96; Pirkkalainen P./Abdile M.: The Diaspora-Conflict-Peace-Nexus: A Literature Review. Diaspeace Working Paper No. 1, 2009. Bakonyi, Jutta: Jenseits des Staates: Ökonomie und Herrschaft im Krieg am Beispiel Somalias. Dissertation, Universität Hamburg 2009, hier S. 329. Horst, Cindy: The transnational political engagements of refugees: Remittance sending practices amongst Somalis in Norway. In: Conflict, Security and Development 8(3)/2008, S. 317-339, hier S. 330; Lewis, Ioan M.: Mohamad Siyad Barre’s Ghost in Somalia, 2002 (Online: http://www.somaliawatch.org/archivemar02/020429201.htm). Zu der Konfliktgeschichte und politischen Lage in Nordsomalia, zwischen Somaliland und Puntland, siehe: Hoehne, Markus V.: Mimesis and mimicry in dynamics of state and identity formation in northern Somalia. In: Africa 79(2)/2009, S. 252-281.
Die somalische Diaspora
und Mitglieder islamistischer Gewaltorganisationen in Mogadischu wieder auftauchten. 51
5.2 Die wirtschaftliche Rolle der Diaspora Die Geldrücksendungen/„financial remittances“ aus der Diaspora betrugen in den 1970er- und 1980er-Jahren im Schnitt 300-400 Mio. US$ pro Jahr. Dies machte fast die Hälfte des GNP Somalias aus. Drei Viertel des Geldes wurde von den Mitgliedern der Diaspora in den Golfstaaten gesendet. 52 Diese nutzten dabei neben dem „Franco Valuta“- auch noch das Hawala-System. Hawala ist ein arabisches Wort und bedeutet „Transfer von Schulden“. Das Hawala-System war schon vor Jahrhunderten in den muslimischen Gesellschaften Asiens und des Vordern Orients in Gebrauch. Es beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Netzwerkbeziehungen zwischen den beteiligten Akteuren. Man zahlt an einem Ort die zu überweisende Summe ein. Der Empfänger teilt den Empfang des Geldes einem Mittelsmann in der Nähe des Ortes mit, an dem der endgültige Adressat des Geldes lebt. Letzterer wird benachrichtigt und holt sich das Geld bei dem Mittelsmann ab. Zu einem späteren Zeitpunkt gleichen die Hawala-Büros die eingenommenen und ausgezahlten Beträge aus. 53 Somalis in der Diaspora haben dieses informelle Geldtransfersystem seit Beginn der 1990er-Jahre perfektioniert. Dank moderner Kommunikationstechnologien lässt sich innerhalb von Minuten Geld aus London in ein Dorf in Somalia transferieren. Klanbeziehungen und islamisches Ethos garantieren die Zuverlässigkeit der Geldsendungen. Im November 2001 kam es zu einem dramatischen Einschnitt, als die USRegierung in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 das bis dahin größte somalische Hawala-Unternehmen Al-Barakaat zu einer Organisation erklärte, die mit Terrorismus verbunden war. In Washington vermutete man, dass Teile der über Al-Barakaat geleiteten Finanzströme Osama Bin Laden und Al Qaida zugute gekommen waren. 54 Auf Druck der USA froren alle Länder, in denen das Unternehmen Büros betrieb, die Konten von Al-Barakaat ein. Der Effekt war, dass Millionen von US$, die aus der Diaspora an Verwandte am Horn von Afri51 52 53 54
Menkhaus, Ken: Violent Islamic Extremism: Al-Shabaab Recruitment in America. Hearing before the Committee on Homeland Security and Governmental Affairs. United States Senate, March 11, 2009. Gundel: The Migration-Development Nexus, hier S. 269. Lindley, Anna: Between ‘dirty money’ and ‘development capital’: Somali money transfer infrastructure under global scrutiny. In: African Affairs 108(433)/2009, S. 519-539, hier S. 522-23. Diese Anschuldigungen konnten nicht bewiesen werden und wurden ein Jahr später fallen gelassen.
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ka unterwegs waren, nicht ankamen, was im Augenblick sicherlich dramatische Folgen für viele Somalis hatte. Der Sturz des Marktführers Al-Barakaat wurde von anderen somalischen Hawala-Unternehmen genutzt. 55 Gegenwärtig konkurriert ein knappes Dutzend Geldtransferfirmen um die Weiterleitung transnationaler somalischer Finanzströme, deren geschätztes Volumen im Jahr 2009 zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. US$ betrug. Dies ist sehr viel mehr als die circa 120 Mio. US$, die auf der Somalischen Halbinsel durch Export von Lebendvieh pro Jahr eingenommen werden und die circa 100 Mio. US$ an offizieller Hilfe, die pro Jahr für Somalia bereitgestellt werden (von denen mehr als 50% in Administration und Expertengehälter fließen, also Somalia gar nicht erreichen). Seit den 1990er-Jahren kommen die Geldrücksendungen im Wesentlichen von Somalis aus Europa und Nordamerika. 56 Der größte Teil der Geldrücksendungen wird von Familienmitgliedern an deren nächste Verwandte – also an einzelne Haushalte – geschickt. Monatlich bringen einzelne Diaspora-Mitglieder typischerweise zwischen 50 und 200 US$ dafür auf. Da viele Somalis im Westen von schlecht bezahlter Arbeit oder staatlichen Zuwendungen leben, stellen diese Beträge eine große Belastung dar. Respekt gegenüber einer somalischen „Kultur der Solidarität“, sozialer Druck innerhalb der Diaspora-Gemeinden, persönliche Verpflichtungen gegenüber Eltern und Geschwistern und Schuldgefühle gegenüber den „Daheimgebliebenen“, die in instabilen politischen Verhältnissen und oft in Existenznot leben, sind die zentralen Faktoren, die Geldrücksendungen motivieren. Natürlich gibt es auch Individuen, die sich weigern, Verwandte zu unterstützen, vor allem wenn sich diese in der „Abhängigkeit“ von Überweisungen eingerichtet haben und das im Westen verdiente Geld für den exzessiven Genuss der am Horn von Afrika verbreiteten Droge Qaad verwenden. 57 Neben diesen familienbezogenen Geldrücksendungen sammeln DiasporaGruppen auch Gelder für gemeinsame Projekte wie den Bau von Schulen, Universitäten, Krankenhäusern und sogar Straßen in ihren jeweiligen Heimatstädten und -dörfern. 58 Diaspora-Akteure haben seit den späten 1990er-Jahren einen 55 56 57 58
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Lindley: Between ‘dirty money’ and ‘development capital’, hier S. 529; Schlee: Somalia und die Somali-Diaspora vor und nach dem 11. September 2001, hier S. 152. Menkhaus: The Role and Impact of the Somali Diaspora, hier S. 192; Lindley: The EarlyMorning Phonecall, hier S. 1322. Lindley: The Early-Morning Phonecall, hier S. 1324-25. Bei diesen Sammlungen arbeiten üblicherweise Mitglieder der Diaspora zusammen, die in verschiedenen Residenzländern in Europa und Nordamerika leben, aber durch einen gemeinsamen Bezug auf einen Herkunftskontext geeint sind. Dabei ist die Zugehörigkeit zu einer Abstammungsgruppe wichtig. Daneben muss man sich aber auch persönlich kennen und vertrauen; Kleist, Nauja: Mobilising ‘The Diaspora’: Somali Transnational Political Engagement. In: Journal of Ethnic and Migration Studies 34(2)/2008, S. 307323, hier S. 310 und 315.
Die somalische Diaspora
Bauboom in Teilen Somalias und Somalilands ausgelöst. Häuser werden für Verwandte oder in Vorbereitung einer zukünftigen Rückkehr gebaut. Besonders die großen Städte Somalilands, wie Hargeisa und Bur’o, die 1991 vollkommen zerstört waren, erstrahlen heute in nie gekanntem Glanz. Viel Geld aus der Diaspora fließt auch in profitorientierte Investitionen wie Geschäfte, Internetcafes, Hotels, Telekommunikationsunternehmen und kleinere Fabriken. Diese Investitionen setzen ein hohes Vertrauen in die anhaltende Friedlichkeit einer Region voraus. Sie können das Selbstbewusstsein der lokalen Bevölkerung stärken und selbst dazu beitragen, dass Stabilität und Frieden gewahrt werden – wenn die Menschen vor Ort ein Eigeninteresse am Gedeihen der transnationalen Zusammenarbeit entwickeln. 59 Sie haben sich vor allem in Somaliland bezahlt gemacht. Hier wurde die Gewalt Anfang der 1990er-Jahre unter Kontrolle gebracht. Seit 1997 herrscht Friede und der wirtschaftliche und politische Wiederaufbau schreitet voran. 60 In Somaliland spielen auch die seit circa 2000 häufiger werdenden Besuche von Mitgliedern der Diaspora, besonders in den Sommermonaten, eine wirtschaftliche Rolle. Da die Besucher aus den Golfstaaten und dem Westen andere Ansprüche an Unterkunft, Gastronomie und Freizeitangebote haben als diejenigen Somalis, die das Horn von Afrika nie verlassen haben, entwickelte sich ein auf diese Bedürfnisse eingerichteter lokaler Markt. Bald schon gab es in Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands, eine „London Bar“, einen Tanzklub, eine Pizzeria, „Fast Food“-Restaurants, Videotheken mit DVDs aus Europa und den USA und teure Hotels wie das Ambassador oder das Maansoor. 61 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die „financial remittances“ von Individuen an nahe Verwandte das Überleben eines ansehnlichen Teils der somalischen Bevölkerung sichern. Sie sind wirtschaftlich allerdings wenig produktiv, da sie vornehmlich in Konsum fließen. Zudem erzeugen sie eine „Abhängigkeit“ von Geldzuwendungen; eigene Anstrengungen erscheinen vielen Somalis, die auf Überweisungen vertrauen, unnötig. Daneben gibt es eine Reihe weiterfüh59 60
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Menkhaus: The Role and Impact of the Somali Diaspora, hier S. 194. Kent, Randolph/von Hippel, Karin/Bradbury, Mark: Social facilitation, development and the diaspora: support for sustainable health services in Somalia. London 2004; Lindley, Anna: Transnational Connections and Education in the Somali Context. In: Journal of Eastern African Studies 2(3)/2008, S. 401-414; Farah, Abdulkadir O.: Diaspora Involvement in the development of Somalia. DIIPER Research Series Working Paper No. 13, 2009; Ibrahim, Mohamed Hassan: Somaliland’s Investment in Peace: Analysing the Diaspora’s Economic Engagement in Peace Building. Diaspeace Working Paper No. 4, August 2010 (Online: http://www.diaspeace.org/D12_Mohamed_APD.pdf). Hansen, Peter: Revolving returnees in Somaliland. In: Nyberg-Sorensen, Ninna (Hrsg.): Living across worlds: Diaspora, development and transnational engagement. Geneva 2007, S. 131-150; eigene Beobachtungen des Autors während verschiedener Feldforschungsaufenthalte in Somaliland und Puntland (2002, 2003-2004, 2008-2009).
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render und produktiver Investitionen aus der Diaspora – z.B. in den Bildungssektor und die schulische Ausbildung naher Verwandter. Da die somaliländische ebenso wie die puntländische Regierung nur wenige Ressourcen zur Verfügung hat und es in Südsomalia keine effektive Regierung gibt, ist die Wirtschaft in den somalischen Territorien „radikal privat“. Profitorientierte Diaspora-Investitionen, aber auch Bedürfnisse von Besuchern und Rückkehrern aus der Diaspora haben einen neuen Markt in Abwesenheit staatlicher Lenkung erschaffen. Hier ist festzuhalten, dass fast alle Investitionen der Diaspora (auch die profitorientierten und kollektiven Projekte) einen gewissen „Klanhintergrund“ haben. Man investiert in der Region seiner patrilinearen Gruppe. 62 Zudem ziehen Städte in Somalia und Somaliland deutlich mehr finanzielle und andere Unterstützung aus der Diaspora an als der ländliche Raum. Eine flächendeckende und an „nationalen“ Bedürfnissen ausgerichtete Entwicklung kommt dadurch nicht zustande.
5.3 Sozialer und kultureller Einfluss Im Kontext wirtschaftlicher Investitionen, aber auch durch Besuche, Telefonate und im Internet kommt es zum Austausch und Transfer von Wissen, Fähigkeiten, Ideen und Technologien zwischen Mitgliedern der Diaspora und den „Daheimgebliebenen“. Dieser Bereich der „social remittances“ ist empirisch oft schwer zu fassen. Von der Diaspora initiierte und geförderte Bildungsinstitutionen können als Beispiel dafür dienen, wie konkrete Werte transferiert werden. So war es das explizite Programm der Diaspora-Akteure, die beim Aufbau der AmuudUniversität nahe der Stadt Boroma im Westen Somalilands halfen (und die vornehmlich auf der arabischen Halbinsel ansässig waren), den vor Ort dominierenden Klanfokus zu durchbrechen und die Universität zu einer Institution für alle Somalis zu machen. Partikularen Interessen, die historisch gesehen für den Zerfall Somalias mitverantwortlich gemacht wurden, sollte entgegen gewirkt werden. 63 In ähnlicher Weise gaben die Gründer der International Horn University in Hargeysa an, in ihrer Institution auf die Formung einer neuen Generation von Somalis hinzuarbeiten, die nicht von Machtgier (wie die Vorkriegsgeneration), 62
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Außenstehenden gegenüber geben somalische Diaspora-Akteure den Klanhintergrund ihrer Investitionen nur höchst ungern zu. Gerne präsentiert man sich als „modern“ und „aufgeklärt“. Klan wird mit „Rückständigkeit“ und der Gewalt in Somalia in Verbindung gebracht. Im Alltag in der Diaspora (und mehr noch wenn es um die Umsetzung größerer Projekte in Somalia oder Somaliland geht), spielen dennoch verwandtschaftliche Beziehungen eine wichtige Rolle. Zu Klan in der Diaspora siehe: Bjork, Stephanie: Diasporic Moments: Practicing Clan in the Diaspora. Dissertation, University of Wisconsin-Milwaukee 2007. Samatar, Abdi I.: Somali reconstruction and local initiative: Amoud University. In: World Development 29(4)/2001, S. 641-656, hier S. 648-650.
Die somalische Diaspora
sondern von Wissensdurst „besessen“ ist. Sie alle hatten prägende Erfahrungen in der Diaspora in Finnland und in Pakistan gemacht. In ihrer Vision von Bildung vermischten sich somalisch-islamische und westliche Orientierungen. Auf dem Lehrplan stand die Vermittlung von Fachwissen (in den Bereichen IT, Ökonomie und Recht), aber auch von Wissen um die eigene Religion und Kultur und von Toleranz (z.B. gegenüber Minderheiten oder Andersgläubigen). Eine „Frucht“ der Diaspora-Erfahrungen der Gründer der Universität war die Veranstaltung von Dialogforen zwischen islamischen Religionsgelehrten und westlichen Mitarbeitern internationaler Organisationen in Hargeysa, um kulturell und religiös bedingte Missverständnisse zwischen beiden Seiten anzusprechen und abzubauen. Diese Veranstaltungen waren öffentlich und wurden auch in lokalen Tageszeitungen besprochen. 64 Ein weiterer Bereich, in dem „social remittances“ eine Rolle spielen können, sind Arbeitsbeziehungen. Diaspora-Somalis, die auf der arabischen Halbinsel oder im Westen eine Ausbildung gemacht und/oder gearbeitet haben und anschließend nach Somaliland oder Somalia zurückkehren, um z.B. als Experten in Regierungsbüros oder Privatfirmen zu arbeiten oder um selbst ein Geschäft aufzubauen, bringen ein spezielles Arbeitsethos mit sich. Dieses kann auf Kollegen und Angestellte abfärben. Schließlich wirken sich alltägliche Kontakte z.B. zwischen jungen Somalis aus der Diaspora und Freunden und Verwandten in Somalia und Somaliland – per Telefon, Internet oder während der Besuchszeiten – auf das Wertegefüge und die Orientierungen der Beteiligten aus. Geschlechter- und Generationenrollen und Wertorientierungen werden in solchen Situationen reflektiert. Das heißt nicht, dass sich die diasporischen Werte und Vorstellungen immer durchsetzen. Ich traf während einer meiner Feldforschungen (Dezember 2008-Mai 2009) z.B. eine junge somalische Frau aus Großbritannien, die dort wirtschaftlich erfolgreich war, sich aber vor dem Hintergrund des hektischen und einsamen Lebens im Westen nach der Ruhe und Gemeinschaft „zu Hause“ in Somaliland sehnte.
5.4 Diaspora in Politik und Friedensbildung Diaspora-Akteure und -Kontakte spielen wichtige Rollen im Bereich somalischer Politik. Im Kabinett Somalilands sitzen 2011 circa zehn Minister mit DiasporaHintergrund. Zwei der drei somaliländischen Parteien (UDUB, UCID und Kulmiye) werden von Rückkehrern aus Großbritannien bzw. Finnland geführt. Auch 64
Hoehne, Markus V.: Diasporic engagement in the educational sector in post-conflict Somaliland: A contribution to peace-building? Diaspeace Working Paper No. 5, August 2010 (Online: http://www.diaspeace.org/D12_Hoehne_MPI.pdf).
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im Zwei-Kammer-Parlament sitzen Männer mit Diaspora-Erfahrung in zentralen Positionen. 65 Mitglieder aller Parteien unternehmen regelmäßig Reisen nach Nordamerika und Europa, um ihre Anhänger dort über die Entwicklungen in der Heimat zu unterrichten. Im Wahlkampf (die Präsidentschaftswahlen in Somaliland fanden im Juni 2010 statt) stellen die Spenden der Diaspora entscheidende Ressourcen vor allem für die beiden Oppositionsparteien UCID und Kulmiye im Kampf gegen die Regierungspartei UDUB dar, der nachgesagt wird, dass sie Regierungsmittel für parteipolitische Zwecke missbraucht. 66 Anhänger Somalilands in der Diaspora leisten auch wichtige Lobbyarbeit und nutzen ihre Beziehungen und Stimmen in Nordamerika und Europa, um für die Anerkennung Somalilands zu werben. 67 Die Lage in Puntland, der Nachbarregion Somalilands, ist ähnlich. Der gegenwärtige Präsident Puntlands, Abdurahman Faroole, verbrachte einige Jahre in Australien, bevor er in die Politik seiner Herkunftsregion eintrat. Mit seinem Amtsantritt im Januar 2009 wurden viele ehemalige Diaspora-Mitglieder ins Kabinett berufen. 68 Zwischen Oktober 2002 und Januar 2005 fand in Kenia die bis dahin 15. Friedenskonferenz für Somalia statt, die von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wurde. An ihr nahmen viele Somalis aus der Diaspora teil, von denen eine ansehnliche Zahl am Ende Sitze im Kabinett und im Parlament der Übergangsregierung für Somalia erlangte. 69 Als, wie schon erwähnt, Mitte 2006 die Union of Islamic Courts (UIC) die Macht in Mogadishu ergriff und die von internen Streitigkeiten zerrissene und ineffektive Übergangsregierung bedrohte, konnten sich die Islamisten auf starke Unterstützung aus der westlichen Diaspora verlassen. Viele Somalis kehrten während der kurzen Herrschaft der UIC aus dem Westen nach Südsomalia zurück, in der Hoffnung, dass die islamisch fundierte Herrschaft endlich den lange ersehnten Frieden und eine (an islamischem Recht orientierte) transparente Ordnung bringen würde. Natürlich gab es auch Stimmen in der Diaspora, die sich gegen die engstirnige Interpretation des Islam durch führende Mitglieder der UIC wandten. Gerade die restriktiven Bestimmungen hin65 66 67
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Sheikh, Hassan/Healy, Sally: Somalia’s Missing Million: The Somali Diaspora and its Role in Development. Report for UNDP 2009, hier S. 15. Feldnotizen des Autors 2008-2009. Kleist, Nauja/Hansen, Peter: Performing Diaspora: The Mobilization of a Somaliland Transborder Citizenry. In: Farah, Abdulkadir O./Muchie, Mammo/Gundel, Joakim (Hrsg.): Somalia: Diaspora and State Reconstitution in the Horn of Africa. London 2007, S. 114-134. Im Unterschied zu Somaliland gibt es in Puntland keine politischen Parteien. Kabinett und Parlament werden nach Klanstärke proportional mit Mitgliedern der in Nordostsomalia ansässigen Klans besetzt. Schlee, Günther: The Somali peace process and the search for a legal order. In: Albrecht, H.-J. et al. (Hrsg.): Conflict and conflict resolution in Middle Eastern societies – between tradition and modernity. Berlin 2006, S. 117-167; Sheikh/Healy: Somalia’s Missing Million, hier S. 16.
Die somalische Diaspora
sichtlich der „Rechte und Pflichten“ von Frauen im öffentlichen Raum in den Gebieten unter UIC-Kontrolle stießen westlich geprägte Somalis vor den Kopf. 70 Die große Mehrheit der Diaspora-Somalis (selbst derjenigen, die eher Somaliland als ihre Herkunftsregion ansahen) war entsetzt über das von der internationalen Gemeinschaft tolerierte Ausmaß an Gewalt, das die Truppen Äthiopiens, der Übergangsregierung und teilweise auch der AU zwischen Dezember 2006 und Dezember 2008 gegen die Zivilbevölkerung in Mogadischu ausübten. Prominente somalische Intellektuelle wie der in den USA lehrende Politikwissenschaftler Ahmed I. Samatar klagten die sinnlose und brutale „counter-terrorism“-Strategie Äthiopiens und des Westens (vornehmlich der USA) öffentlich an. 71 Neben ihrer Beteiligung an „nationaler“ Politik in Somaliland, Puntland und Somalia engagierten sich Diaspora-Somalis schon seit Beginn der 1990er-Jahre in lokalen und regionalen Friedensprozessen. In Nordwestsomalia fanden schon unmittelbar nach dem Sturz der Regierung Siyad Barres im Januar 1991 erste lokale Friedenskonferenzen statt, an denen auch Diaspora-Akteure als Financiers und/oder in anderen Funktionen beteiligt waren. Diese Konferenzen mündeten schließlich in der Unabhängigkeitserklärung Somalilands im Mai 1991. Auch danach war noch eine Reihe von Treffen nötig, um die immer wieder aufflammende Gewalt in Somaliland unter Kontrolle zu bringen. 72 Ohne das kontinuierliche Engagement der Diaspora für den Frieden hätte sich Somaliland wohl kaum erfolgreich entwickeln können. Ab circa 1997 ging dieses Engagement nahtlos in den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur des Landes und in stabilisierende wirtschaftliche Investitionen über. Bis heute (2011) senden Mitglieder der somalischen Diaspora immer wieder ad hoc Geld an traditionelle Autoritäten vor Ort, um deren vermittelnde Interventionen in lokale Klankonflikte zu unterstützen. Konkret benötigen die Ältesten meist Benzin, Fahrzeuge und Verpflegung, um an den Ort des Konfliktgeschehens zu fahren und sich dort „zwischen die Fronten“ zu stellen, um eine 70 71
72
Horst: The transnational political engagements of refugees, hier S. 318; Menkhaus: The Role and Impact of the Somali Diaspora, hier S. 198; Menkhaus: Violent Islamic Extremism, hier S. 2-3. Fernsehdiskussion zwischen Ahmed I. Samatar und Andre LeSage auf dem Fernsehsender PBS am 01.05.2008 (Online: http://www.youtube.com/watch?v=8oHJg4AcOmU). Tatsächlich lässt sich argumentieren, dass erst die gewaltsame „counter-terrorism“Strategie seit 2002 der bis dahin sehr geringen Zahl von militanten Islamisten in Somalia Legitimität und massenhaften Zulauf verschafft hat; siehe: Hoehne, Markus V.: Counterterrorism in Somalia, or: how external interferences helped to produce militant Islamism, 2009 (http://hornofafrica.ssrc.org/somalia/). Zur Geschichte des somaliländischen Freidensprozesses siehe: Terlinden, Ulf/Ibrahim, Mohamed H.: Somaliland – a success story of peace-making, state-building and democratisation? In: Bruchhaus, Eva-Maria/Sommer, Monika M. (Hrsg.): Hot Spot Horn of Africa Revisited, Hamburg 2008, S. 68-85.
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Beendigung der Kampfhandlungen zu erzwingen und Friedensverhandlungen einzuleiten. Auch von Konflikteskalationen unabhängige Unterstützung traditioneller Autoritäten stellt einen Beitrag zur Stabilisierung der lokalen politischen Ordnung dar, denn vielerorts „regieren“ Älteste in Abwesenheit effektiver Regierungsinstitutionen. 73 Schließlich können auch die Investitionen der somalischen Diaspora in den Bildungssektor als Beitrag zur Friedensbildung in den somalischen Territorien gewertet werden. Schon in den 1990er-Jahren wurden gezielt Schulen gebaut, um die Bürgerkriegskinder von der Straße zu holen und somit dem Einfluss der bewaffneten Banden zu entziehen. Die Hoffnung auf ein friedliches und vor allem ökonomisch erfolgreiches Leben ist eine der wesentlichen Motivationen für junge Somalis, um zu lernen und zu studieren. Allerdings werden diese zukunftsweisenden Orientierungen von der wirtschaftlichen Misere in den somalischen Territorien unterminiert. Viele derjenigen, die seit Anfang der 2000erJahre einen Schul- oder Universitätsabschluss gemacht haben, finden keine Arbeit. 74 Diese Aussichtslosigkeit nährt den stetigen Strom derer, die weiterhin versuchen, mit allen Mitteln zu migrieren (und sich dabei oft in enorme Gefahren begeben). Sie bietet gegenwärtigen Gewaltakteuren in Somalia – von Islamisten bis hin zu Piraten – auch gute Chancen, Anhänger und Mitstreiter zu gewinnen.
6. Fazit Der Beitrag hat die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren auf lokaler, nationaler und globaler Ebene dargestellt, die das Handeln der SomaliDiaspora im transnationalen Raum zwischen Herkunfts- und Residenzkontext bedingen. Er hat einleitend die Genese unterschiedlicher somalischer Diasporen behandelt. Die Migration von der Somali-Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert war zunächst wirtschaftlich motiviert. Mit der Eskalation militärischer Konflikte zwischen Somalia und Äthiopien einerseits und innerhalb Somalias andererseits kamen Flüchtlingsbewegungen dazu. Somalis verteilten sich am Horn von Afrika, auf der Arabischen Halbinsel und, seit 1990, besonders in Nordamerika und Europa. Je nach den Bedingungen der Zerstreuung und den Voraussetzungen im Residenzland hat es unterschiedlich lange gedauert, bis Diaspora-Akteure Gewicht und Einfluss im Herkunftskontext gewannen. Die aufgezeigten Unterschiede innerhalb der Diaspora untermauern die in der allgemeinen Literatur zu 73 74
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Horst: The transnational political engagements of refugees, hier S. 332; Kleist: Mobilising ‘The Diaspora’, hier S. 329; Feldnotizen des Autors, 2003-2004. Horst: The transnational political engagements of refugees, hier S. 333-34; Hoehne: Diasporic engagement in the educational sector in post-conflict Somaliland.
Die somalische Diaspora
diesem Thema verbreitete These, dass Diasporen heterogene und dynamische soziale Phänomene sind. Lange Zeit war der Beitrag zur Wirtschaft des Herkunftslandes bzw. zum Unterhalt der Familien zuhause der wichtigste Effekt der somalischen Diaspora. Mit dem Staatszerfall in Südsomalia und dem Entstehen des de-facto-Staates Somaliland bzw. der autonomen Region Puntland boten sich Mitgliedern der Diaspora neue Rollen und Chancen. Finanzielle Mittel wurden teilweise in kriegerische Unternehmungen investiert. Gleichzeitig aber übernahmen Diaspora-Somalis in Abwesenheit effektiver staatlicher Institutionen Verantwortung für das Überleben ihrer Verwandten daheim und den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau. Im gesamten Gebiet Somalias bieten heute (2011) Diaspora-Unternehmer Dienstleistungen von Telekommunikation und Gesundheitsversorgung bis zum Schulwesen an. Deren soziale Beziehungen im Residenzkontext wie auch Wissen und Fähigkeiten, die in der Diaspora erworben wurden, beeinflussen Politik und Gesellschaftsentwicklung in der Heimat. Im Hinblick auf Somaliland geht dieser Einfluss sogar so weit, dass dieser de-facto-Staat in seiner heutigen (friedlichen) Form wohl kaum ohne massive Unterstützung aus der Diaspora existieren würde. Das somalische Beispiel zeigt auch, dass Diasporen trotz enormer transnationaler Finanzleistungen nicht „allmächtig“ und nicht immer effektiv sind. Erstens agieren Diaspora-Akteure in einem nicht ausschließlich von ihnen selbst kontrollierten Raum. Die Reaktion der USA nach den Anschlägen vom 11. September, als die Konten des bis dahin wichtigsten somalischen Hawala-Unternehmens AlBarakaat eingefroren und somit hunderttausende Somalis zeitweise von lebenswichtigen Geldrücksendungen abgeschnitten wurden zeigt, welche Wirkung „externe“ – manchmal globale – Entscheidungen und Ereignisse haben können. Auf nationaler Ebene, in Somaliland, gefährdet die schlechte Arbeitsmarktlage den langfristigen Beitrag des von Diaspora-Akteuren aufgebauten Bildungssektors zu Frieden und Entwicklung im Land. In Abwesenheit umfassender Reformen auf Regierungsebene 75 und internationaler Anerkennung des Landes (politische Anerkennung würde mit Möglichkeiten bi- und multilateraler Wirtschaftszusammenarbeit einhergehen) kann Bildung allein der jungen Generation keine langfristige Perspektive geben. Zweitens ist die Somali-Diaspora entlang sozialer und kultureller Grenzen gespalten. Verschiedene Klanzugehörigkeiten und unterschiedliche religiöse Orientierungen innerhalb des sunnitischen Islam beeinflussen das diasporische Engagement. Somit hat die somalische Diaspora zwar auf lokaler Ebene, wo meist patrilinear eng miteinender verwandte Menschen leben, gute Chancen, wirtschaftliche Entwicklung und Frieden zu fördern. Auf 75
Hier müssten sowohl realistische und langfristige wirtschaftliche und andere Strategien für ganz Somaliland entworfen werden, als auch die Korruption innerhalb der Regierung bekämpft werden.
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nationaler Ebene gelingt es jedoch nicht, das Diaspora-Potenzial zu bündeln und einen entscheidenden Schritt hin zur Beendigung des andauernden (Bürger-) Krieges in Somalia zu machen.
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Piraterie an den Küsten Somalias
Piraterie an den Küsten Somalias
David Petrovic Im 21. Jahrhundert, einem maritimen Jahrhundert, stellt die Piraterie vor Somalia eine Bedrohung der vitalen Interessen der Handelsnationen dar. Bereits im ersten Quartal 2010 wurden entlang der Küstenlinie Somalias 35 Überfälle auf Schiffe registriert, zehn Schiffe und 174 Crewmitglieder befinden sich derzeit in der Hand somalischer Piraten. 1 Die Piraterie in Somalia entwickelte sich von einem „local second order problem“ zu einer Herausforderung für die Handelsschifffahrt der Industrienationen. Die Gewässer entlang der somalischen Küstenlinie sind von strategischer Bedeutung, denn dort verläuft eine der weltweit wichtigsten seewärtigen Handelsstraßen. Sie verbindet durch den Suezkanal und den Golf von Aden Europa mit der arabischen Halbinsel und ist zugleich für den Warentransport von Europa und den USA in die asiatischen Staaten unerlässlich. Etwa 20% des seegestützten Warenverkehrs und 12% des Öltransports verlaufen entlang dieser Handelsstraße. Die Alternativroute von Europa in die asiatische Staatenwelt verläuft entlang der Westküste Afrikas über das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas. So würde sich etwa die Fahrtstrecke eines Tankers von Ras Tanura, der saudi-arabischen Ölverladeeinrichtung, nach Rotterdam bei Meidung des Suezkanals von 6 400 Seemeilen auf 11 100 Seemeilen erhöhen, was entsprechende Folgekosten bedeuten würde. 2
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Im Golf von Aden und den angrenzenden Gewässern wurden 17 (2009: 41), vor der Küste Ost- und Südsomalias 18 (2009: 21) Angriffe gemeldet. Der Rückgang der Angriffszahlen ist auf die schlechten Wetterverhältnisse sowie auf die gegenwärtigen Marineoperationen zurückzuführen. Vgl.: ICC International Maritime Bureau: Piracy and armed robbery against ships. Report for the period of 1 January-31 March 2010, London 2010, S. 18. Vgl.: BIMCO: Avoiding piracy by sailing round the Cape of Good Hope is a costly business, abrufbar unter: https://www.bimco.org/en/Members/News/General_News/2009/ 11/23_Avoiding_piracy.aspx. In die USA würde sich die Route von den saudi-arabischen Ölterminals um 2 700 Seemeilen verlängern. Bei einer jährlichen Kapazität von sechs Törns via Suezkanal und Mittelmeer in die USA würde die Kaproute einen Törn im Jahr kosten, was einem Tonnageverlust von 26% entspräche und Kosten allein an Öl in Höhe von 3,5 Millionen verursachen würde. Zu den angegebenen Zahlen vgl.: US-Departement of Transportation: Economic Impact of Piracy in the Gulf of Aden on Global Trade S. 1, abrufbar unter: http://www.marad.dot.gov/documents/HOA_Economic%20Impact%20of%20Piracy.pdf.
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Auch ist der Schiffsverkehr durch den Golf von Aden für den Afghanistaneinsatz der Internationalen Staatengemeinschaft von Bedeutung. So wird ein Großteil der benötigten Einsatzlogistik per Schiff durch diese Region nach Karachi, Pakistan, transportiert. Hinzu kommt ein nicht unerheblicher Teil der amerikanischen Logistik für Operationen im Irak. Insgesamt nutzen jedes Jahr rund 20 000 Schiffe diese „Sea line of Communication“. Daneben sind die Gewässer um die Seychellen reich an Fisch, was im Besonderen für die europäische und hierbei die spanische Fischereiindustrie relevant ist. In dem Moment, in dem sich die Piraterie aus den nationalen Küstengewässern vor Somalia auf die Hohe See verlagerte und somit die Sicherheit der Handelsstraßen tangierte, bedrohte sie zugleich auch fundamentale Interessen der Industrienationen. So wird die Piraterie zum Prüfstein für die Trias von wirtschaftlicher Macht, politischer Stärke und militärischer Dominanz – bei deren Überwindung sich diese klassischen Machtinstrumente noch bewähren müssen.3
1. Lageentwicklung Weltweit wurden seit den 1990er-Jahren mehr als 5 000 Überfälle auf Schiffe registriert. Die Gewässer an den Küsten Somalias, vornehmlich in der Region Puntland, entwickelten sich in den letzten Jahren zu den Spitzenreitern der Statistiken. Wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends jährlich etwa 20 Überfälle gemeldet, so stieg die Zahl 2005 mit 45 verzeichneten Attacken kurzfristig dramatisch an. Als die „Islamischen Gerichtshöfe“ (Union of Islamic Courts, UIC) in Somalia die Macht an sich rissen, ging die absolute Zahl der Überfälle auf 20 zurück.4 Dennoch überstieg im Vergleich diese Zahl der Übergriffe die in der Straße von Malakka. In den Jahren 2007 und 2008 gab es jeweils eine annähernde Verdopplung der Überfallzahlen. 2009 stiegen sie mit 217 Attacken nochmals um nahezu 100%. 47 Schiffe wurden gekapert, 867 Seeleute zu Geiseln und vier verloren ihr Leben.5 Betroffen sind im Besonderen europäische – vor allem deutsche und griechische – Reeder, deren Schiffe 2009 64 bzw. 59 Mal6 Opfer von
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Vgl. Hacke, Christian: Zuviel Theorie? Zuwenig Geschichte? Eine kritische Zwischenbilanz der Disziplin der Internationalen Beziehungen in Deutschland, hrsg. vom Institut für Internationale Politik der Universität der Bundeswehr Hamburg, Studien zur Internationalen Politik, Heft 2, Hamburg 2003, S. 77. Siehe Kapitel 2.3. Vgl.: ICC International Maritime Bureau: Piracy and armed robbery against ships. Annual report, 1 January-31 December 2009, London 2010, S. 5f. (IMB Annual report 2009). Vgl.: IMB Annual report 2009, S. 20.
Piraterie an den Küsten Somalias
Piratenangriffen wurden, wenngleich die Schiffe zumeist unter den Billigflaggen Panamas oder Liberias segelten.7 Durch den reaktiven Einsatz der internationalen Marineverbände im Golf von Aden8 konnte die Erfolgsquote der Piraten immerhin reduziert werden. Der Blick in die Statistiken zeigt, dass nur noch jeder neunte Angriff für die Piraten erfolgreich verläuft. Im Vorjahr standen die Chancen noch 1:6 und vor der Implementierung der ATALANTA-Mission bei 1:3. Die Einrichtung des IRTC (Internationally Recommended Transit Corridor), eines Ost-West-Korridors entlang der Küstenlinie der arabischen Halbinsel, in dem sich die verschiedenen Handelsschiffe zur Passage zu einem Konvoi versammeln und unter Bewachung der Marinen den Golf von Aden passieren, wird für diesen Erfolg maßgeblich sein.9 Die Einrichtung eines entsprechenden Nord-Süd-Korridors entlang der südlichen Küstenlinie Somalias gestaltet sich allein aufgrund der Weite des Gebietes äußerst schwierig. Zwar reagierte die EU-Operation ATALANTA darauf, indem sie ihr Operationsgebiet ebenfalls ausdehnte, doch ist das Operationsgebiet so groß, dass es mit maritimen Kräften allein kaum wirkungsvoll zu überwachen ist. Die Erfahrungen aus einem Jahr Anti-Piraterie-Einsatz der EU-Mission ATALANTA bewirkten eine Veränderung der Rules of Engagement (RoE). Mittlerweile erfolgt der Einsatz der Marinen nicht mehr reaktiv, sondern es wird zunehmend Jagd auf potentielle Pirate Action Groups (PAGs) gemacht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich typischerweise kein somalischer Fischer seinen Trawler mit mehreren Außenbordern ausrüstet, geschweige denn Leitern mit sich führt. Wird ein derartiger Trawler gesichtet, so wird den potentiellen Piraten gerade so viel Proviant und Sprit überlassen, um sicher an die Küste zurückkehren zu können und die Skiffs (Schnellboote) werden zerstört. Zusätzlich überwachen die Marineverbände zunehmend die bekannten Piratenbasen aus der Luft sowie mit Landungsbooten vor Ort, um den Druck auf die PAGs weiter zu verstärken.10
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Allein deutsche Reeder führen die weltweit größte Containerflotte und nehmen im internationalen Ranking den dritten Platz der Seefahrernationen ein. Für eine ausführliche Betrachtung der maritimen Wirtschaft in Deutschland vgl.: Flottenkommando der Marine: Jahresbericht 2009. Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland, Glücksburg 2009. Vgl. hierzu den Beitrag von Frank Reininghaus in diesem Band. Dass hier nach wie vor erfolgreich Schiffe entführt werden, beruht auch auf dem Umstand, dass sich etwa 25% der Handelsschiffe nicht den Konvois anschließen und die „best management practives to deter piracy off the horn of africa“ (BMP) nur unzureichend anwenden. Die BMP sind abrufbar unter: http://www.shipping.nato.int/ BESTPRACTI/file/_WFS/BMP%20Very%20Final%20Version%202%20Dated%20218-2009%20%282%29.pdf. Vgl. hierzu: House of Lords European Union Committee: Combating Somali Piracy: the EU’s Naval Operation Atalanta. Report with Evidence, London 2010, Q114ff.
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2. Triebfedern der Piraterie Die heutigen „Hot Spots“ der Piraterie sind entlang des Krisenbogens über Südostasien und die arabische Halbinsel bis hin zu den Küstengewässern Nigerias zu finden. Blickt man zurück in die Geschichte, wird deutlich, dass schon immer die Küstenlinien schwacher Staaten ein bevorzugtes Operationsgebiet von Piraten darstellten. Wo das staatliche Gewaltmonopol unterhöhlt ist, bietet sich für Piraten ein Rückzugsraum; wo keine Macht die See- und die Handelswege schützt, wird Piraterie zum attraktiven Geschäftsmodell. So findet sich das Spannungsverhältnis von Krieg, Handel und Piraterie insbesondere entlang der Küstenlinien fragiler Staaten oder in Gebieten, in denen ein umfassender Schutz der Schifffahrtswege aufgrund geographischer Gegebenheiten, mangelnden politischen Willens oder schwacher maritimer Fähigkeiten nicht gewährleistet werden kann. Das Auftreten nichtstaatlicher Gewaltakteure stellt ein herausragendes Moment beim Scheitern staatlicher Strukturen dar. Dabei kooperieren die Akteure in verschiedenster Art und Weise miteinander, nutzen komparative Vorteile und Synergien und weisen mithin multiple Identitäten auf: seien es nun Rebellen, Terroristen oder eben Kriminelle – Piraten. 11 Neben der fragilen politischen Situation im geostrategischen Raum „Horn von Afrika“ stellt der Zerfall staatlicher Strukturen Somalias seit 1991 die notwendige Bedingung für das Auftreten der Piraterie entlang des Golfs von Aden und im Indischen Ozean dar. 12 Das Land ist das Paradebeispiel für staatliche Prekarität. 13 Somaliland im Norden und Puntland im Nordosten gerieren sich autonom, eine weitgehend machtlose Regierung verwaltet einige Teile der Hauptstadt Mogadischu. Der Rest des Landes versinkt im Bürgerkrieg. Die Abwesenheit wirksamer staatlicher Institutionen und die desaströse wirtschaftliche und humanitäre Situation begünstigen Bürgerkriegsökonomien sowie Korruption, Nepotismus und Klientelismus der verbliebenen lokalen Machteliten. So schloss die „International Expert Group on Piracy off the Somali Coast” der VN folgerichtig, dass „poverty, lack of employment, environmental hardship, pitiful 11 12
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Für eine weitergehende Betrachtung privater Gewaltakteure vgl. Mair, Stefan: Die Globalisierung privater Gewalt. Kriegsherren, Rebellen, Terroristen und organisierte Kriminalität, SWP-Studie S 9, Berlin 2002, S. 10ff. Zur Entwicklung Somalias in der jüngeren Geschichte vgl. neben den Beiträgen in diesem Band: Menkhaus, Ken: Somalia: State collapse and the threat of terrorism, Adelphi Paper 364, Oxford 2004; Ders.: The crisis in Somalia: Tragedy in five acts, in: African Affairs Vol. 106, S. 357-390; Höhne, Markus: Staatszerfall, Konfliktregelung und Staatsaufbau. Zur Diversifizierung der politischen und sozialen Realitäten in Somalia, in: Biel/Leiße (Hg.): Politik in Ostafrika. Zwischen Staatszerfall und Konsolidierung, Frankfurt a.M. 2007, S. 75-102 (zukünftig: Höhne: Staatszerfall). Vgl. Fund for Peace: Failed States Index 2009, abrufbar unter: http://www. fundforpeace.org/web/index.php?option=com_content&task=view&id=380&Itemid=537.
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low incomes, reduction of […] maritime resources due to drought and illegal fishing and a volatile security and political situation” 14 die Gemengelage bildet, aus der heraus sich die Motivation für Seeräuberei ergibt. Hinzuzufügen bliebe noch, dass in der Region die Piraterie, der Schmuggel von Drogen und Waffen sowie die illegale Migration auf dem Seeweg in der segmentierten somalischen Gesellschaft auch historisch verwurzelt sind: 15 „A pirate is only a pirate when he is committing an act of piracy ... he may be a people smuggler overnight taking [Somalis] to Yemen, ... a fisherman the next morning and then, in the afternoon, go out to do some piracy […]”. 16 Der Zerfallsprozess des Landes seit 1991 stellt also die notwendige Bedingung für das Auftreten der Piraten als private Gewaltakteure dar, doch erklärt dies für sich allein genommen nicht hinreichend die Lageeskalation seit 2006, die zu einer Verschärfung der „Bedrohung für den Weltfrieden und der internationalen Sicherheit“ 17 führte. Hierfür gilt es, auslösende Faktoren zu identifizieren, die sich im Besonderen in den Entwicklungen Puntlands und entlang der zentralsomalischen Küste finden lassen. Diese betreffen u. a. das Moment der illegalen Fischerei, der Sicherheitssituation in Puntland nach der Unabhängigkeit 1998 sowie die äthiopische Intervention gegen die UIC 2006.
2.1 Illegale Fischerei Infolge des Zusammenbruchs ab 1991 und der Auflösung staatlicher Exekutivorgane wurden die fischreichen somalischen Gewässer zum Ziel ausländischer Fangflotten, auch aus Europa. Dabei ist die Subsistenzwirtschaft entlang der puntländischen Küstenlinie im Besonderen von der Fischerei abhängig. Rund 30 000 Menschen waren direkt in der Fischerei tätig, saisonbedingt ließe sich die Zahl wohl auf 60 000 Menschen erhöhen. Hauptzentren somalischer Fischerei sind insbesondere die Küstenstädte Kismayo und Mogadischu in Zentralsomalia sowie Eyl, Bargal und Berbera in nordöstlicher Ausdehnung des Landes. Bis zu 14
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Zit. nach: International Expert Group on Piracy off the Somali Coast: Piracy off the Somali Coast. Workshop commissioned by the Special Representative of the Secretary General of the UN to Somalia Ambassador Ahmedou Ould-Abdallah. Final Report, Nairobi 2008, S. 15. (International Expert Group on Piracy off the Somali Coast: Final Report). Vgl.: Anderson, David: Somali Piracy. Historical context and political contingency, in: European Security Forum: Somalia and the Pirates, ESF Working Paper 33, Brüssel 2009, S. 1-10 (3ff.) (Anderson: Somali Piracy). Zit. nach: House of Lords European Union Committee: Combating Somali Piracy: the EU’s Naval Operation Atalanta. Report with Evidence, London 2010, S. 11. Zit. nach: Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: Resolution 1846, New York 200, S. 2 (S/RES/1846).
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700 ausländische Schiffe operierten nach Angaben der Food and Agriculture Organization der VN (FAO) illegal in den Gewässern vor Somalia. Schätzungen zufolge betrug der Verlust für die somalische Fischereiindustrie zwischen 90 und 300 Millionen US-Dollar. 18 Anlässlich der Raubfischerei dieser IUU-Flotten (Illegal, Unreported, Unregulated) kam es in Küstennähe vermehrt zu Angriffen auf deren Trawler. Ausgeführt wurden die Überfälle durch lokale Clans im Nordosten und Süden Somalias, die ihre traditionellen Fanggründe gegen die illegalen Fischer verteidigen und sie mit Waffengewalt zu vertreiben suchten. 19 Hieraus resultierte eine weitgehende Akzeptanz der Piraterie als Akt der Selbstverteidigung gegen die IUU-Flotten in den lokalen Fischergesellschaften. Ferner wurde die illegale Fischerei durch die Vergabe von Fanglizenzen durch lokale und regionale Warlords ein äußerst lukratives 20 und konfliktträchtiges Geschäft. Die Rivalitäten der Clans und ihrer Milizen an Land im Zuge der Auseinandersetzungen nach dem Kollaps des Landes fanden ihr Pendant auf See. So wurde beispielsweise die unter dem Regime Siad Barre bevorzugte italienische „Somali High Seas Fishing Company“ (SHIFCO) durch Piraten des oppositionellen Majeerteen-Clans aus Bosasso, Puntland, attackiert. Die Lösegeldforderungen für Schiff und Besatzung versprachen schon in den 1990ern den höchsten Gewinn. So zahlte SHIFCO 1995 für zwei ihrer Trawler rund eine Million USDollar 21 an die Majeerteen-Piraten, den Clan des späteren Präsidenten Yusuf. Neben konkurrierenden Fischereiunternehmen wurden auch Handelsschiffe zum Ziel der Attacken selbsternannter „Küstenwachen“, 22 es wurde deutlich, dass das „Geschäftsmodell Piraterie“ ein wirtschaftlich lohnender Faktor ist. 18
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Zu den angegeben Zahlen vgl.: Food and Agriculture Organization of the United Nations: Fishery and Aquaculture Country Profile Somalia, abrufbar unter: ftp://ftp.fao.org/FI/ DOCUMENT/fcp/en/FI_CP_SO.pdf sowie Marine Resources Assessment Group: Review of Impacts of Illegal, Unreported and Unregulated Fishing on Developing Countries, London 2005. Vgl.: Menkhaus, Ken: Dangerous Waters, in: IISS: Survival 51, S. 21-25 (22); zudem: International Expert Group on Piracy off the Somali Coast: Final Report, S. 15. Nach Angaben der UN Monitoring Group beliefen sich die Lizenzkosten auf bis zu 150 000 US Dollar pro Jahr pro Schiff, vgl.: UN Monitoring Group on Somalia: S/2006/229, Paragraph 75, S. 24 (S/2006/229). Vgl.: Federation of American Scientists: 1995 Anti-Shipping Activity Messages (ASAM), abrufbar unter: http://www.fas.org/irp/world/para/docs/ASAM-1995.htm (ASAM 1995). Beispielhaft sei hier der Fall des Überfalls am 3 April 1995 auf ein Handelsschiff wiedergegeben: „Somalia BIMCO has received a report which describes a vessel which was attacked on 3 April 1995 whilst navigating along the Somali coast near Suqutra Island […]. At 1212 hrs a wooden speedboat approached the ship. There were about 20 men on board and they fired upon the vessel with machine guns and artillery. The ship was hit and damaged, including a 70mm hole from a shell which entered the galley and caused further damage to the refrigerator and ceiling. […] Ten of the armed men came on board the vessel claiming to be the Somali Coast Guard. The crew was gathered together on the
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2.2 Sicherheitslage in Puntland Es gelang dem puntländischen Präsidenten Abdullah Yusuf, nach der Autonomieerklärung 1998 ein System relativer Stabilität zu implementieren, basierend auf Clan-Loyalitäten und, vor allem seit den Auseinandersetzungen 2001/2002 mit „Jama Ali Jama“, gestützt auf seine Miliz und den Geheimdienst. 23 Im Zuge der Auseinandersetzungen erodierten die Aufbaubemühungen einer puntländischen Küstenwache durch die britische private Sicherheitsfirma „Hart Security Maritime Services Limited“. Diese wurde seit 1999 mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, die etwa das Boarden und die Abwehr ausländischer Raubfischer umfassten. Hart bildete auch puntländische Kräfte aus, die infolge der Auseinandersetzung zwischen Yusuf und Ali Jama arbeitslos wurden und in ihre Küstendörfer zurückkehrten. 24 Die Konfliktsituation im Süden Somalias 2005-2006 führte dazu, dass Yusuf, der im Zuge der kenianischen Friedenskonferenz und der Gründung des „Transitional Federal Gouvernement“ (TFG) zum Präsidenten gewählt worden war, einen Teil seiner Milizen von Puntland nach Jowhar und Mogadischu verlegte. Die neue puntländische Regierung unter Mahamuud Hirsi Muuse Adde (Adde Muse) konnte nicht an Yusufs „toughness, charisma and survival skills” 25 anschließen. Misswirtschaft und Fehlkalkulationen führten zur Hyperinflation und die durch den Truppenabzug entstandene Sicherheitslücke konnte nicht geschlossen werden. Vetternwirtschaft und Korruption grassierten und die verbliebenen Sicherheitskräfte konnten in der Folge nicht mehr ausreichend bezahlt werden. In Puntland kündigte sich spätestens seit 2006/2007 eine Welle krimineller Aktivitäten an, eben auch eine rapide Zunahme der Piraterie. 26
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main deck and the master was asked to present the cargo manifest. As the intruders were apparently not interested in the ship’s cargo of bulk barley, they then demanded that the Master hand over the ship’s cash, and they also searched the ship and several cabins taking cigarettes and wine, before leaving the vessel at 1400 hrs”, zit. nach: ASAM 1995. Ausführlich hierzu: International Crisis Group: Somalia. The Trouble with Puntland, Crisis Group Africa Briefing N°64, Nairobi/Brüssel 2009 (Crisis Group: Trouble with Puntland). Vgl. Middleton, Roger: Piracy in Somalia. Threatening global trade, feeding local wars, Chatham House briefing paper, London 2008, S. 11. Crisis Group: Trouble with Puntland, S. 6. Vgl.: Ebd., S. 11, Hansen, Stig Jarle: Piracy in the greater Gulf of Aden. Myths, Misconception and Remedies, Oslo 2009, S. 30. (Hansen: Piracy); Stracke, Nicole/Bos, Marie: Piracy. Motivation and Tactics. The Case of Somali Piracy, Gulf Research Center, Dubai 2009, S. 18ff (Stracke/Bos: Piracy), Höhne, Markus: Somalia: Somalia Update (20062008), Report for the Swiss Refugee Council/Schweizer Flüchtlingshilfe, Bern 2008, S. 19ff.
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2.3 Islamische Gerichtshöfe und Bürgerkrieg In Süd- und Zentralsomalia gelang es dem TFG nicht, die Auseinandersetzungen der Clanmilizen zu befrieden. In Ermangelung staatlicher Institutionen trat zunächst in Mogadischu die UIC mit ihren Milizen als ordnungstiftendes Element auf Grundlage der Scharia in Erscheinung. 27 Dies führte zwangsläufig zu Auseinandersetzungen zwischen den UIC-Truppen und ansässigen Warlords, aus denen die UIC siegreich hervorgingen und im Juni 2006 die Kontrolle über Mogadischu übernahmen: „For many Somalis, the Courts appeared to be the longsought solution to years of state collapse, reason enough to support the Islamists.” 28 Der Modellcharakter der Gerichtshöfe als Garant für Ordnung und Sicherheit in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land führte zu einer Machtausdehnung der UIC über weite Teile Süd- und Zentralsomalias, auch in die Hochburgen der Piraterie: Kismayo, Harardheere und Hobyo. Im Zuge der Kontrolle über die Hafenstädte gingen die UIC gegen die PAGs vor. So befreiten die Islamisten etwa den Frachter Veesham I aus der Hand von Piraten. Größere PAGs wie die „National Volunteer Coastguard“ in Kismayo wurden zerschlagen, die Piraten getötet, verhaftet oder sie flohen vor den UIC-Milizen zurück in ihre Herkunftsdörfer. Die Piraterie kam im Herbst 2006 fast gänzlich zum Erliegen. 29 Die Machtübernahme der UIC forderte das TFG heraus. Sowohl Äthiopien, traditionell ein „Player“ 30 in der Konfliktsituation Somalias als auch die USA in ihrem „War on Terror“ und der Furcht vor Somalia als einem „sicheren Hafen“ für al-Qaida sahen in den UIC eine Bedrohung. Im Dezember 2006 marschierten äthiopische Truppen, unterstützt durch US-Spezialeinheiten, in Somalia ein und binnen kurzer Zeit unterlagen die Islamisten der militärischen Übermacht. Infolgedessen kam es zu blutigen Konfrontationen zwischen rivalisierenden ClanMilizen und den UIC auf der einen, den äthiopischen Truppen und TFG-Milizen auf der anderen Seite. Die Konfliktdynamik in Somalia führte seit dem Rückzug der äthiopischen Truppen im Januar 2009 zu wechselnden Allianzen zwischen den Parteien. Heute versinkt das Land im Besonderen durch die Kämpfe zwischen dem TFG und den Splittergruppen der UIC, vor allem der islamistischen
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Ausführlich zu den UIC: Menkhaus, Ken: Crisis in Somalia: Tragedy in five acts, in: African Affairs Vol. 106, S. 357-390 (S. 368ff). Zit. nach: Ebd., S. 371. Vgl.: ICC International Maritime Bureau: Piracy and armed robbery against ships. Annual report, 1 January-31 December 2006, London 2007, S. 24f. Zur Rolle der somalischen Nachbarstaaten für die Konfliktsituation in Somalia vgl.: Møller, Bjørn: The Somali Conflict. The Role of External Factors, DIIIS Report 2009:03, Kopenhagen 2009; zur Konfliktdynamik in der Region Horn von Afrika vgl.: Weber, Annette: Kriege ohne Grenzen und das „erfolgreiche Scheitern“ der Staaten am Horn von Afrika, SWP-Studie 2008/S 26, Berlin 2008.
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al-Shabaab, neuerlich im Bürgerkrieg, in dessen Folge gleichzeitig die Kriminalität auch auf See aufzublühen vermag.
3. Akteursanalyse Die 3 300 km lange Küstenlinie Somalias verläuft parallel zu den Schifffahrtswegen. Somit umfasst das Operationsgebiet somalischer Piraten den gesamten Golf von Aden und die Küstenlinie der arabischen Halbinsel, das Somali-Becken und den Indischen Ozean bis hin zu den Seychellen und Madagaskar. Dadurch eröffnet sich den Piraten ein Operationsgebiet von gut fünf Millionen Quadratkilometern. Die Piraterie in ihrer jetzigen Erscheinung ist in der Hauptsache aus Gründen der persönlichen Bereicherung motiviert. Allein im Jahr 2008 haben Piraten zwischen 80 und 130 Millionen US-Dollar durch Lösegeldzahlungen erpresst. Grobe Schätzungen ergeben, dass 30 bis 50% der Einnahmen in Bestechungsgelder und Ausrüstung investiert werden, der Rest verteilt sich auf die Netzwerkstrukturen. Hierbei kann ein einfaches Mitglied einer PAG ein Vielfaches dessen verdienen, was er auf legale Weise erwirtschaften könnte. Und das Risiko, bei den Angriffen auf die Handelsschiffe gefasst, verletzt oder getötet zu werden, ist verhältnismäßig gering. Solange die Piraten relativ unversehrt ihre Aktivitäten ausführen können und horrende Lösegeldsummen akquirieren, solange bleibt Piraterie ein wirtschaftlich höchst attraktives Geschäftsmodell. Bevorzugte Ziele der Piraten sind langsam fahrende Schiffe mit einem niedrigen Freibord, welches mittels klassischer Leitern und Enterhaken leicht überwunden werden kann. Ein spezifisches Vorgehen der Piraten etwa hinsichtlich Fracht, Flagge und Besatzungsgröße ist derzeit nicht erkennbar. Vielmehr wenden sie sich bei einer erfolglosen Attacke meist direkt dem nächsten Ziel zu. 31 Besorgniserregend zugenommen hat die Gewalt gegenüber den Schiffsbesatzungen. Denn bei den Attacken werden in der Regel automatische Waffen und Panzerabwehrwaffen (RPGs) eingesetzt, um die Schiffe zu langsamer Fahrt zu zwingen. So wurden 2009 vier Besatzungsmitglieder getötet, 21 gelten als vermisst. Damit hat sich im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der getöteten Personen mehr als verdoppelt, während die Anzahl der Vermissten sich versiebenfacht hat. 32 Bedingt durch den Einsatz der Marineverbände im Golf von Aden fand eine Verlagerung der Piraterie in das Somali-Becken und den Indischen Ozean statt. 31
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Interview mit Capt. Pottengal Mukundan. Bemerkt sei hier, dass auch Piraten hinsichtlich ihrer Zielauswahl irren, etwa wenn sie Schiffe der Marineverbände angreifen, wie den deutschen Marineversorger Spessart (2009) oder das amerikanische Docklandungsschiff USS Ashland (2010). Ausführlich zu dem Vorgehen der PAGs: Stracke/Bos: Piracy, S. 29ff.
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Ereigneten sich die meisten Attacken seit 2005 in 60 bis 100 Seemeilen Entfernung zur Küste, so wurden mittlerweile Angriffe in 1 200 Seemeilen Entfernung 33 bis hinab nach Madagaskar registriert. Möglich ist die Erweiterung des Operationsgebietes der Piraten durch „Mutterschiffe“, kleinere Fischtrawler oder Dau, die, ausgerüstet mit Sprit und Proviant, auf hoher See auf potentielle Ziele warten. Im Schlepp haben sie kleinere Skiffs, die als Angriffsplattform dienen. Entsprechend verfügen die Piraten über eine gewisse „Durchhaltefähigkeit“ im Seegebiet. Die Konfliktdynamik Somalias setzt sich auch auf See fort. So kooperieren die verschiedenen PAGs einerseits hinsichtlich Ausbildung und logistischer Ausrüstung. Folgt man verschiedenen Berichten der NATO oder der Vereinten Nationen, so nutzen Piraten im Golf von Aden bei ihren Überfällen auch die jemenitischen Häfen al-Mukallah and al-Shishr, 34 um dort Nachschub an Proviant, Sprit und Kath aufnehmen zu können. Ferner scheint Caluula in Puntland eine logistische Nachschubbasis für PAGs aus dem Süden zu sein. 35 Andererseits kommt es auf See auch immer wieder zu gegenseitigen Angriffen nach erfolgter Lösegeldübergabe. Ausgangspunkt der verschiedenen Piratengruppen sind im Besonderen Puntland – Laasqoray, Garaad und Eyl sowie in Süd- und Zentralsomalia Harardheere und Hobyo. Etwa 90% der Entführungen wurden von Gruppen aus diesen Regionen ausgeführt. Rund 1 000 bis 1 500 36 Personen sind direkt in die Überfälle involviert, wobei sich die Piraterie zudem zu einem Wirtschaftszweig entwickelt hat, der mittelbar einen weitaus größeren Personenkreis begünstigt. Regionale Machthaber, Geschäftsleute und Clanführer stehen einem Netzwerk vor, an dessen Ende die Piraten die Attacken ausführen. Dabei kann die Piraterie in Puntland auf die genannten sozio-ökonomischen Faktoren (illegale Fischerei, Clanloyalitäten, Vergabe von Fanglizenzen) und innere Faktoren (Korruption, Sicherheitssituation) zurückgeführt werden. So waren puntländische Sicherheitskräfte mittelbar in die Piraterie involviert. Strafen waren, wenn überhaupt, eher symbolischer Natur und konnten gegen entsprechende Zahlungen aufgehoben werden. Es wird vermutet, dass etwa 30% der Lösegelder direkt oder indirekt als Bestechungsgelder eingesetzt wurden. Die Mitglieder einer PAG in Puntland rekrutieren sich entlang der Clan- und Subclanstrukturen der „Coastal Communities“ – besonders der Majeerteen – und können bei ihren Attacken auf die Erfahrungen der 1990er-Jahre zurückgreifen. Lokale Fischer werden, wenn sie nicht bereits Mitglied einer PAG sind, aufgrund 33 34: 35 36
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Vgl.: So wurden im April 2010 drei Fischtrawler rund 1 200 Seemeilen östlich der somalischen Küste entführt, vgl.: O.V.: Pirates head east to counter EU NAVFOR success: http://www.eunavfor.eu/2010/04/pirates-head-east-to-counter-eu-navfor-success/. UN UN Monitoring Group on Somalia S/2009/146, Paragraph 6, S. 2 (S/2009/146). Vgl.: S/2009/146, Paragraph 5, S. 2. Vgl.: Stracke/Bos: Piracy, S. 24.
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ihrer maritimen Fähigkeiten zur Unterstützung der Gruppen angeworben oder zur Zusammenarbeit gezwungen. Hierbei können sie in kurzer Zeit ein Vielfaches dessen verdienen, was sie durch den bloßen Fischfang erwirtschaftet hätten. Auch ehemalige Angehörige der Küstenwache werden zu den puntländischen Piraten gerechnet wie solche, die nachdem sich ihre Gruppen sich im Zuge der UIC-Herrschaft im Süden fragmentierten, in ihre Dörfer im Norden geflohen waren. Entsprechend verfügen diese Gruppen sowohl über ein gewisses Maß an Seemannschaft – etwa bezüglich der Eigenheiten der regionalen Gewässer, der Navigation und der taktischen Erfordernisse auf See – als auch über Erfahrungen im „Piratenbusiness“. Gesteuert werden die Gruppen von lokalen Machthabern oder Geschäftsleuten wie Farah Hirsi Kulan „Boya” aus der Clanstruktur der Majeerteen. Boya führte die notorischen PAGs aus Eyl und wird unter anderem für die Entführung der französischen Luxusjacht Le Ponant verantwortlich gemacht. 37 Im Süden Somalias, in Harardheere und Hobyo ist die Piraterie, wie gezeigt, ein Resultat des Staatszerfalls sowie der Bürgerkriegssituation und damit verbunden des Auftretens von Warlords und deren Milizen. Seit 2003 bauten die somalischen Warlords Gara’ad Mohamud Mohamed und Mohamed Hassan Abdi „Afweyne” besonders aktive Gruppen auf – die „National Volunteer Coast Guard“ sowie die hierarchisch gegliederten „Somali Mariners“. Es wird vermutet, dass diese Gruppen im Süden ihr Know-How durch das Training puntländischer Piraten erhielten, etwa durch Boya. Die Eroberung Harardheeres durch die UIC im August 2006 führte zu einer Unterbrechung der Aktivitäten dieser Gruppe, die sich nach der äthiopischen Intervention jedoch neu organisieren und spätestens ab 2007 wieder erfolgreiche Attacken ausführen konnte. Die Auseinandersetzungen zwischen dem TFG und den oppositionellen Gruppen schaffen zudem die Voraussetzungen, die es den verschiedenen Gruppen in Ermangelung staatlicher Ordnungskräfte seit 2007/2008 ermöglichten, im Süden ungehindert ihre Attacken ausführen zu können. So wird etwa die Gruppe um Afweyne unter anderem für die spektakulären Entführungen des Supertankers Sirius Star (November 2008), des ukrainischen RoRo-Frachters Faina (September 2008) sowie des deutschen Frachters Hansa Stavanger (Mai 2009) verantwortlich gemacht. 38 37 38
Vgl.: UN Monitoring Group on Somalia : S/2010/91, Paragraph. 139, S. 41 (S/2010/91). Ausführlich zur Piraterie in Puntland vgl.: Hansen, Piracy, S. 31ff. Weiterhin wird vermutet, dass die Gruppe um Afweyne unter anderem für folgende Entführungen verantwortlich ist: Semlow (26. Juni 2005), Rozen (25. Februar 2007), Danica White (2. Juni 2007), Bunga Melati Dua (18. August 2008), Centauri (17. September 2008), Captain Stefanos (21. September 2008), Faina (25. September 2008), Stolt Strength (10. November 2008), Indian Ocean Explorer (2. April 2009), Pompei (18. April 2009), Ariana (2. Mai 2009), Alakrana (2. Oktober 2009), Kota Wajar (15. Oktober 2009) und die Xin Hai (19. Oktober 2009). Vgl.: S/2010/91, S. 69; zudem: Hansen: Piracy, S. 25.
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In diesem Kontext sei auch auf mögliche Verbindungen von Piraten zur radikal-islamistischen al-Shabaab hingewiesen. Nachrichtendienstliche Erkenntnisse verneinen bisher eine unmittelbare Verbindung. Auch scheinen bislang keine Gelder von erfolgreichen Überfällen direkt an al-Shabaab zu fließen. Gleichwohl ist von loser, lokaler Zusammenarbeit auszugehen, etwa im Sinne einer „Schutzgeldzahlung“ von Piraten an die ansässigen al-Shabaab-Milizen. Auch im Bereich des Waffenschmuggels sind Kooperationen besonders in Süd- und Zentralsomalia denkbar, da Harardheere ein Drehkreuz für den illegalen Waffentransport auf dem Seeweg darstellt. Generell bietet das seemännische Know-how der Piraten für al-Shabaab und al-Qaida potentiell die Möglichkeit, mittel- und längerfristig in Somalia eine neue dritte „Front“ gegen die USA auch auf See zu eröffnen. 39
4. Auswirkungen der Piraterie Neben einer unmittelbaren Gefährdung für Leib und Leben der Besatzungsmitglieder infolge der Attacken können die Angriffe der PAGs auch zu einer ökologischen Katastrophe führen. Denn der Beschuss mit panzerbrechenden Waffen, etwa beim Versuch, einen Öl- oder Gastanker zu entern, birgt potentiell die Gefahr eines Leckschlagens in sich, mit entsprechenden Konsequenzen für die fischreichen Gewässer. Darüber hinaus hat die Piraterie negative Auswirkungen auf die humanitäre Hilfe für die rund drei Millionen Flüchtlinge. Sie trägt außerdem zu einer weiteren Destabilisierung des Landes bei und festigt die Einflussgebiete von Warlords und Clanführern. Darüber hinaus berührt sie die vitalen Interessen der Industrienationen, etwa im Hinblick auf die Sicherheit der Seewege und, besonders in dieser Region, auf die Versorgungssicherheit mit Öl.
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Dass al-Qaida potentiell zu maritimen Terrorattacken befähigt ist, zeigen die Anschläge auf die USS Sullivan und USS Cole im Jahr 2000 sowie der Angriff auf den Tanker Limburg 2002. Im Zuge der Limburgattacke im Golf von Aden hatte allein der Jemen einen Verlust von rund 2-3% seines BIP zu verzeichnen. Gemessen an den geschätzten Kosten für die Ausbildung der Attentäter und die Ausrüstung eines Speedbootes mit Sprengstoff in Höhe von 5 000 US-Dollar eine horrende Summe. Vgl.: OECD (Maritime Transport Comittee): Security in Maritime Transport. Risk Factors and Economic Impact, 2003, S. 18ff. Weiterhin scheiterten Anschläge irakischer Terrororganisationen (jamaat alTawhid) gegen die Ölverladeeinrichtungen Khwar al-Amaya und al-Basrah im Jahr 2004 nur durch das rigide Eingreifen amerikanischer Truppen.
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4.1 Humanitäre Auswirkungen Die Folgen des Bürgerkrieges in Somalia führten zu Armut, Vertreibung und ökonomischer Perspektivlosigkeit. Rund 3,5 der insgesamt etwa 9,5 Millionen Somalis sind von den Hilfslieferungen des World Food Programmes (WFP) abhängig. Bezogen auf die Region Horn von Afrika ließe sich die Zahl wohl erheblich erhöhen. Etwa 90% der Hilfslieferungen erfolgen über den Seeweg vom kenianischen Mombasa in die somalischen Häfen oder durch die Region des Golfs von Aden. Hierbei wurden Schiffe, die im Auftrag des WFP Nahrungsmittel transportierten, zu Opfern der Piraten und die Hilfslieferungen konnten die Not leidende Bevölkerung nicht mehr erreichen. Die Vereinten Nationen stoppten beispielsweise nach Angriffen auf die Frachter Semlow und Miltzow 40 im Frühjahr 2005, deren Besatzungen ins Landesinnere verschleppt und erst gegen Lösegeld freigegeben wurden, die Hilfslieferungen für mehrere Wochen. 41 Neben den Schiffen des WFP werden zunehmend auch kleinere Dau im Regionalverkehr, die Nahrungsmittel und sonstige Güter transportieren, angegriffen. Als Resultat der Kaperung dieser regionalen Frachtschiffe steigen die Lebensmittelkosten erheblich, so dass sich das ohnehin schon knappe Warenangebot drastisch verteuert. 42
4.2 Fortsetzende Destabilisierung Neben den Implikationen, die die Piraterie auf die humanitäre Situation in der Krisenregion Horn von Afrika entfaltet, trägt sie auch zur Verfestigung lokaler nichtstaatlicher krimineller Machtstrukturen bei. So fördert sie die Korruption in Puntland oder den illegalen Waffenschmuggel in Harardheere und steht Konsolidierungsbemühungen entgegen. Für die unmittelbaren Nachbarn Somalias bedeutet die fortschreitende Destabilisierung die Gefahr eines Spill-over-Effekts schwacher Staatlichkeit. Denn eine wechselseitige Destabilisierung wird einerseits durch grenzüberschreitende Kriegsökonomien verstärkt, andererseits durch die Bereitstellung von Rückzugsräumen für beteiligte Kriegsparteien. Das hohe Flüchtlingsaufkommen bereitet besonders Kenia und Dschibuti Schwierigkeiten. Zudem sieht sich Kenia in den 40 41 42
Vgl. Lehr, Peter/Lehmann, Hendrick: Somalia. Pirate’s New Paradise, in: Lehr, Peter: Violence at sea. Piracy in the age of global terrorism, New York 2007, S. 1-22 (S 2f) (Lehr: Pirate’s Paradise). Vgl. Coordinated action urged: piracy threatens UN lifeline to Somalia, abrufbar unter: http://www.wfp.org/node/328 (zuletzt: 05.03.2009). Vgl. Ploch/Blanchard/O’Rourke et al.: Piracy off the Horn of Africa, Congressional Research Service, Washington 2009, S. 12 (Ploch: Piracy).
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Grenzregionen mit al-Shabaab konfrontiert. Des Weiteren sind mittlerweile neben der Küste des Jemens auch die des Omans, Kenias, Tansanias, der Seychellen und die Seegebebiete vor Madagaskar von der Piraterie betroffen.
4.3 Unsichere Seewege Die Piraterie bedroht unmittelbar die Sicherheit der Seewege und entfaltet so Implikationen auf die weltweiten Handelsströme. So sind die Reeder und ölexportierende Firmen direkt finanziell betroffen. Denn die Region im Golf von Aden wurde durch die Versicherer als „War Risk Zone“ deklariert, was einen entsprechenden Anstieg der Versicherungsprämien zur Folge hatte. Die Preise im Golf von Aden sind von 500 US-Dollar pro Tag auf 20 000 US-Dollar pro Passage angewachsen, 43 wobei teilweise bereits Überfälle und Lösegelder in den Versicherungspolicen enthalten sind. Mittelbar sind die Anrainerstaaten des Golfs von Aden betroffen. Durch die Piraterie erhöhen sich neben den Versicherungsbeiträgen für den Seeweg auch die Policen für die verschiedenen Hafenanlagen bzw. gehen Reeder das Risiko nicht ein, ihre Schiffe in den entsprechenden Regionen vor Anker gehen zu lassen. Hieraus resultiert eine verlängerte Logistikkette etwa auf dem Landweg, was zur Verteuerung des Warenangebots führt. Daneben betrifft die Meidung des Seegebietes beispielsweise Ägypten. Die Einnahmen aus dem Suezkanal stellen einen erheblichen Posten im Haushalt dar, vergleichbar mit den Einnahmen durch den Tourismus. Durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise und den temporären Rückgang der Charterraten einerseits, durch die Piraterie im Golf von Aden andererseits sind die Einnahmen aus dem Suezkanal bereits rückläufig, was empfindliche Einnahmeverluste für Ägypten zufolge hat. 44
5. Schlussfolgerungen Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Piraterie ein Symptom des Staatsversagens in Somalia ist, wenngleich die auslösenden Faktoren für die Lageeskalation seit 2006/2007 differieren. Piraten rekrutieren sich entlang lokaler Clan43 44
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Vgl.: Lloyd’s List: One-stop piracy insurance package unveiled, abrufbar unter: www.lloydslist.com/art/1236088564370 (zuletzt: 08.03.2009). Von 5,1 Milliarden US-Dollar 2008 auf 4,5 Millionen in 2009. Für das Jahr 2010 wird mit einem weiteren Rückgang auf 3,6 Millionen US-Dollar gerechnet. Vgl. Suez Canal freezes transit fees, abrufbar unter: http://www.lloydslist.com/ll/news/suez-canal-freezestransit-fees/20017603993.htm. Generell zu den wirtschaftlichen Implikationen der Piraterie am Horn von Afrika vgl.: Ploch: Piracy, S. 10f.
Piraterie an den Küsten Somalias
strukturen mit dem Leitmotiv persönlicher Bereicherung. Solange sie relativ unversehrt ihre Aktivitäten ausführen können, horrende Lösegeldsummen gezahlt werden und die Situation an Land sich derart desolat darstellt, bleibt Piraterie ein wirtschaftlich höchst potentes Geschäftsmodell. Hinsichtlich der Optionen, die sich bei der Eindämmung und Bekämpfung der Piraterie anbieten, gilt es, auf der vertikalen Ebene die möglichen Akteure, auf der horizontalen die zeitliche Dimension möglicher Maßnahmen zu evaluieren. Hierbei muss bei lokalen Akteuren sowie entsprechenden Maßnahmen bezüglich der verschiedenen Gruppen und auslösenden Faktoren in Puntland und Südzentralsomalia differenziert werden. Dabei gestaltet sich die Ausgangslage in Puntland hoffnungsvoller als jene in Südzentralsomalia. Die puntländische Regierung zeigt seit Herbst 2008 stetig wachsende Bemühungen, gegen die PAGs vorzugehen. So befreiten etwa im Oktober 2008 puntländische Sicherheitskräfte die MV Awail. Mehrere Piraten wurden im vergangenen Jahr verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch kommt es zu gegenseitigen Übereinkommen zwischen der Regierung und den Piraten. So soll etwa die Gruppe um Boya im Mai 2009 auf weitere Piraterieattacken verzichtet haben, nachdem ihr seitens der puntländischen Administration Amnestie gewährt wurde. 45 Für Zentralsomalia und hierbei insbesondere Harardheere und Hobyo scheidet eine lokale Bekämpfung der Piraterie etwa durch das TFG als erste Option zunächst aus. Das TFG verfügt derzeit weder über die entsprechenden Fähigkeiten, noch erfährt sie eine ausreichende Akzeptanz durch die Clans und die Region droht im Bürgerkrieg zu versinken. Die Dynamik des Konfliktes sicherte die regionalen Warlords wie Afweyne in ihren Einflussgebieten ab und somit wird die Piraterie hier auch von Land aus mit militärischen Operationen kaum zu bekämpfen sein. Die Option der Implementierung eines wirkungsvollen regionalen Sanktionsregimes etwa durch gemeinsame Seeraumüberwachung in Anlehnung an die Erfolge in Südostasien 46 durch Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Eritrea gestaltet sich schwierig. Äthiopien ringt im Inneren um Stabilität und die Intervention gegen die UIC zeigte dem Militär Grenzen auf, so dass auch die Option einer Bekämpfung der Piraterie zu Lande nicht in Betracht kommt. 47 Eritrea bündelt seine Energie in der Auseinandersetzung in Grenzfragen mit Äthiopien und tritt in der Region als „spoiler“ auf, etwa indem es die oppositionellen Kräfte in Somalia unterstützt. Zudem erscheint es unwahrscheinlich, dass der Gegensatz 45 46 47
Vgl.: Crisis Group: Trouble with Puntland, S. 12. In Südostasien konnte in der Straße von Malakka durch gemeinsame regionale Maßnahmen etwa im Bereich der Seeraumüberwachung, gemeinsamer Patrouillen und des Informationsaustausches die Piraterie erfolgreich zurückgedrängt werden. Vgl. Lehr: Pirate’s Paradise, S. 6.
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David Petrovic
zwischen Äthiopien und Eritrea selbst mit diplomatischem Druck, etwa durch die Vereinigten Staaten oder die Arabische Liga (AL), überwunden werden kann und sie zu einer gemeinsamen Stabilisierung ihres Nachbarn bewogen werden können. Kenia, stetig bemüht, seinen nördlichen Nachbarn zu stabilisieren, sieht sich an der kenianisch-somalischen Grenze nun der islamistischen al-Shabaab gegenüber, die weite Teile Südsomalias unter Kontrolle hält. Zudem verfügt Kenia über nur schwach ausgeprägte maritime Fähigkeiten im Bereich der Marine und der Küstenwache. Hingegen zeigen die Seychellen, Somaliland, der Jemen und Puntland erfolgreiche Bemühungen im Aufbau lokaler Küstenwachen. Bliebe die Internationale Staatengemeinschaft – hierbei besonders die VN, EU, AL und die Afrikanische Union (AU) – als Akteur. Die Industrienationen sind bemüht, ihre eigenen vitalen Interessen, hier die Sicherheit der Seewege, zu schützen und darüber hinaus eine Ausbreitung des somalischen Bürgerkrieges in der Region zu verhindern. Kurzfristige Maßnahmen, wie die „Eindämmung“ der Piraterie insbesondere im Golf von Aden durch Marinestreitkräfte etwa der europäischen ATALANTA-Mission sind dabei nur unzureichend in politische Strategien zur Konsolidierung des Landes eingebunden. Die Staatengemeinschaft steht dabei vor einem Dilemma: denn die Situation in Somalia würde mit Blick auf eine Stabilisierung einen umfassenden Kräfteeinsatz erfordern, etwa in einer breiten, von den VN geführten militärischen Mission zur Unterstützung des TFG. Die Schwierigkeiten der AU-Mission in Mogadischu (AMISOM) zeigen jedoch deutlich, dass ein „full engagement“ auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den 1990er-Jahren – Stichwort „Black Hawk Down“ – derzeit nicht als gangbarer Weg erscheint. Bezüglich der Möglichkeiten eines internationalen Krisenmanagements in Somalia bieten sich bezogen auf die auslösenden Momente der Piraterie kurzund mittelfristige Optionen an. Langfristig ist die Piraterie sicherlich nur durch gefestigte Strukturen an Land wirkungsvoll zu verhindern. Eine kurzfristige Maßnahme stellt die Weiterführung der bestehenden Marineoperationen dar. Diese sind richtig, wichtig und notwendig, um der Gefährdung der Sicherheit der Seewege zu begegnen und die Piraterie einzudämmen. Nur wenn das Gefährdungspotential für die Piraten selbst steigt und deren Mutterschiffe und Angriffsplattformen versenkt werden, kann die Kosten-NutzenRechnung der Piraten negativ ausfallen. Dabei ist das zunehmend proaktive Vorgehen der Marineverbände ausdrücklich zu begrüßen. In diesem Zusammenhang sei auf den Einsatz privater Sicherheitsfirmen auf Handelsschiffen eingegangen. Hierbei stellt etwa das Training zur Gefahrenabwehr an Bord eines Schiffs eine geeignete und sinnvolle Maßnahme dar. Doch ist der Einsatz bewaffneter privater Sicherheitskräfte an Bord von Handelsschiffen abzulehnen. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen privaten Sicherheitskräften an Bord und den Piraten führen zwangsweise zu einer Eskalation der Gewalt auf See und stellen ein unkalkulierbares Risiko für die Sicherheit der Besatzungen dar. Das 98
Piraterie an den Küsten Somalias
Vorgehen der PAGs würde sich in seiner Brutalität gegen die Crew wohl erhöhen, etwa wenn ein Schiff trotz dieser bewaffneten Kräfte an Bord in die Hand der Piraten fiele. Zudem sind rechtliche Fragen, etwa bei einem Tötungsdelikt in kenianischen oder jemenitischen Hoheitsgewässern, nicht hinreichend geklärt. Wenngleich der Kampf gegen die illegale Fischerei mehr moralisches denn auslösendes Moment für die momentane Piraterie ist, so sollten zweitens die IUU-Flotten aus der Region gedrängt werden. Dies würde in der Folge zu einem Legitimationsproblem somalischer Piraten führen, die immer wieder auf die illegale Fischerei als Ursache für ihre Überfälle auf See verweisen. Darüber hinaus gilt es, den lokalen Küstenclans jenseits von illegaler Lizenzierung und Lösegeldeinnahmen durch Schiffsentführungen mittelfristig eine ökonomische Perspektive aufzuzeigen, die sich in der Fischerei findet und von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit flankiert werden kann. Drittens sollten Bemühungen der Anrainerstaaten beim Aufbau von Küstenwachen unterstützt werden. Hierbei gilt es, besonders die puntländischen Bemühungen praktisch und finanziell zu forcieren, denn lokale Entitäten sind am besten geeignet, bei der Lösung lokaler Sicherheitsprobleme mitzuwirken. Viertens stellt sich die Frage, ob mithin Gewaltoligopole bei der Eindämmung der Piraterie zu unterstützen sind. Die Zeit der UIC-Herrschaft 2006 verdeutlichte, dass Sicherheit an Land, gepaart mit den nötigen Kräften, die Kriminalität auch auf See wirkungsvoll bekämpfen kann. So könnten neben dem TFG lokale Machthaber bei der Sicherung der Küstenlinien miteinbezogen werden.
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Die Rolle externer Akteure in Somalia
Anleitung zum Scheitern: Die Rolle externer Akteure in Somalia
Georg-Sebastian Holzer
1. Einleitung Somalia steht heute als Synonym für das Versagen externer Akteure im Krisenmanagement eines komplexen Bürgerkriegs. Unzählige internationale und regionale Vermittlungsbemühungen sind bis dato gescheitert, während militärische Interventionen jeweils zu einer Verschärfung des nunmehr über zwei Jahrzehnte andauernden Konflikts führten. Die UN- und US-Intervention in Somalia zwischen 1992 und 1995 war die erste internationale Krisenintervention in der „neuen Weltordnung“ nach Ende des Kalten Krieges. Ihr offensichtliches politisches und militärisches Scheitern führte dazu, dass die USA vor weiteren humanitären Interventionen zurück schreckten und Somalia in der folgenden Dekade von der internationalen Gemeinschaft großteils sich selbst überlassen wurde. Während dieser Zeit kam es – abgesehen von den unterschiedlichen Entwicklungen seit Anfang der 1990erJahre in Somaliland 1 – zu keiner nationalen Konfliktlösung aus eigenen Kräften, jedoch bildeten sich auf subnationaler Ebene Formen von „governance without government“, 2 die zu einer gewissen Eindämmung offener Konflikte führten. Die Anschläge des 11. September 2001 in den USA erweckten ein neues, sicherheitspolitisches Interesse an Somalia, das der weit verbreiteten Perzeption geschuldet war, dass gescheiterte Staatlichkeit und internationaler Terrorismus unabdingbar miteinander verbunden seien. 3 Jedoch erst mit dem Erstarken islamischer Gerichte und ihrer sechsmonatigen, von der somalischen Geschäftswelt wie der Bevölkerung ob ihrer erfolgreichen Herstellung der öffentlichen Ordnung gleichermaßen unterstützten Administration in Mogadischu, 4 materialisierte sich dieser sicherheitspolitische Fokus in handfestes Engagement. Seit 2006 1 2 3
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Vgl. hierzu u.a. Bradbury, Mark: Becoming Somaliland. London 2008. Menkhaus, Ken: Governance without Government in Somalia: Spoilers, State Building, and the Politics of Coping. In: International Security, Vol. 31, 3/2007, S. 74-106. Für einen kritischen Diskurs der „State-Failure“-Literatur am Beispiel Somalias siehe Hagmann, Tobias/Hoehne, Markus V.: Failures of the State Failure Debate: Evidence from the Somali Territories. In: Journal of International Development, Vol. 21, 2009, S. 42-57. Zum historischen Hintergrund der Gerichte siehe Marchal, Roland: Islamic Political Dynamics in the Somali Civil War. In: De Waal, Alex (Hrsg.): Islamism and Its Enemies in the Horn of Africa. Indiana 2004, S. 114-145.
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wurde das externe Engagement in Somalia durch den US-geführten „Krieg gegen den Terror“ dominiert, nachdem sich in den USA die Ansicht durchsetzte, es könnte sich ein Taliban-ähnliches Regime am Horn von Afrika etablieren. Dabei ist Somalia vielleicht das klassische Beispiel dafür, wie eine erratische US-AntiTerror-Politik, die lokale Realitäten ignorierte, selbst jene Situation hervorgerufen hat, die sie ursprünglich verhindern wollte. Die im Windschatten dieser Anti-Terror-Politik mit Unterstützung der USA erfolgte Invasion durch den historischen Erzfeind Äthiopien Ende 2006 zur Beseitigung der Union Islamischer Gerichte (UIG) führte zu einer islamistischen Radikalisierung und brachte eine verstärkte Regionalisierung des Konflikts mit sich. Die entstandenen Insurgenten konnten sich nun erfolgreich einem nationalistischen Abwehrkampf gegen die Invasoren verschreiben. Darüber hinaus wurde Somalia ab 2008 mehr denn je zum Austragungsort eines Stellvertreterkriegs zwischen Äthiopien und Eritrea, in dem beide Seiten ihre jeweiligen Verbündeten massiv materiell und logistisch unterstützen. Nach schweren Verlusten und keiner Aussicht auf militärischen Erfolg hoffte Äthiopien durch den offiziellen Abzug seiner Truppen Anfang 2009 eine Kalmierung des Konflikts zu erreichen, der zusammen mit dem politischen Djibouti-Prozess und einer neuen Übergangsregierung (Transitional Federal Government – TFG) einen politischen Transformationsprozess einleiten sollte. Doch die auch von USA und EU unterstützte TFG vermochte sich nicht zu etablieren oder gar Legitimität in ihrer beschränkten Einflusszone aufzubauen und gilt in Somalia als verlängerter Arm Äthiopiens und der USA. Sie wird einzig gestützt durch die vor allem von Uganda und Burundi gestellten Truppen der Afrikanischen Union, die im ständigen Kampf mit den Insurgenten stehen, um einige wenige strategische Ziele in der Hauptstadt Mogadischu zu sichern. Mit den Bombenanschlägen der al-Shabaab Milizen in der ugandischen Hauptstadt Kampala im Juli 2010 zeigten die Insurgenten, dass sie bereit sind, ihren Kampf über die Grenzen Somalias hinaus zu tragen. Während nun vor allem von Seiten Ugandas eine Eskalation der Kampfhandlungen durch ein hartes Vorgehen gegen die al-Shabaab Milizen in Somalia angekündigt wurde, 5 stellt sich – gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Engagements der USA und der Europäischen Union – mehr denn je die grundlegende Frage nach Möglichkeiten und Rolle externer Akteure im Konfliktmanagement in Somalia. 6 5 6
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Vgl. Holzer, Georg-Sebastian: Al-Shabaab’s Regionalization Strategy. In: ISN Security Watch, International Relations and Security Network, 16.7.2010. Der folgende Beitrag befasst sich näher mit einer begrenzten Auswahl an externen Akteuren, die nach der Einschätzung des Autors faktisch konfliktrelevanten Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort haben. Tatsächlich wird hier auf andere externe Akteure – der Sudan (im Speziellen nach der Anklage Präsident Omar al-Bashirs am Internationalen Strafgerichtshof), die Vereinten Nationen mit ihren Programmen in Somalia wie auch die
Die Rolle externer Akteure in Somalia
2. Somalia im Kontext des regionalen „Unsicherheitskomplexes“ Das Horn von Afrika bildet einen regionalen „Unsicherheitskomplex“, in dem die innerstaatlichen Probleme eines Landes sich immer auch auf die Sicherheit der ganzen Region auswirken. Sally Healy bringt dies treffend auf den Punkt, wenn sie feststellt: „interactions between the states of the region support and sustain the conflicts within the states of the region in a systemic way. The different conflicts interlock with and feed into each other, determining regional foreign policy positions that exacerbate conflict.” 7 Einzelne Konflikte sind darüber hinaus nur unzureichend zu verstehen, wenn historische Begebenheiten und darauf basierende aktuelle Perzeptionen ignoriert werden. Dies trifft bei Somalia im Besonderen auf die Beziehungen mit dem westlichen Nachbarn Äthiopien zu, wie auch auf den bis dato ungelösten äthiopisch-eritreischen Konflikt.
2.1. Äthiopien und Eritrea – genuine Sicherheitsinteressen und Stellvertreterkrieg Äthiopien hat zuvorderst genuine Sicherheitsinteressen in Somalia. Der somalische Machthaber Siad Barre versuchte, seine Agenda eines nationalistischen Groß-Somalia 1977/8 gegenüber Äthiopien militärisch durchzusetzen, zu einem Zeitpunkt innenpolitischer Tumulte zwischen Revolution und Terror in Äthiopien, nach der Machtübernahme von Mengistu. Der Krieg um die von Somali bevölkerte Ogaden-Region nahm jedoch einen desaströsen Verlauf für die somalischen Truppen und wurde politisch von beiden Machtblöcken im Kalten Krieg abgelehnt. 8 Infolgedessen musste Barre schon bald den Rückzug antreten. Für beide Nachbarstaaten hat sich dieser Kriegsgang bis heute kollektiv ins Gedächtnis eingebrannt und gilt als Ursprung der gegenseitig tief empfundenen Abneigung. Äthiopien tendiert aufgrund dieser Geschichte trotz eindeutiger militärischer Überlegenheit bis heute zu besonderer Wachsamkeit gegenüber den Entwicklungen in Somalia. Irredentistische Forderungen, wie sie 2006 von der Union Islamischer Gerichte in Mogadishu erhoben wurden, lassen deshalb Addis Abeba schnell die eigenen Sicherheitsinteressen bedroht sehen. Addis Abebas Sicherheitsinteressen haben aber ebenso innenpolitische Gründe, da Rebellen-
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Europäische Kommission durch ihre Vertretung in Nairobi seien dabei im Speziellen erwähnt – nicht näher eingegangen. Healy, Sally: Lost Opportunities in the Horn of Africa: How Conflicts Connect and Peace Agreements Unravel. Horn of Africa Group Report, Chatham House, London 2008, S. 45. Jackson, Donna R.: The Carter Administration and Somalia. In: Diplomatic History, Vol. 31, No. 4, 2007, S. 703-721.
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gruppen im Ogaden wie die Ogaden National Liberation Front (ONLF) als Gefahr für die eigene territoriale Integrität angesehen werden. Die faktisch inexistente Grenze zwischen dem Ogaden und Somalia sowie die rege (Flüchtlings-) Migration wird so vor allem als sicherheitspolitische Gefahr angesehen. Strategisches Ziel Äthiopiens in Somalia ist folgerichtig eine Schwächung und Eindämmung des Nachbarn, die durch eine gewisse Kontrolle über die einzelnen Landesteile, nicht zuletzt über den Einfluss auf lokale und regionale Verbündete in Somalia, ermöglicht werden soll. Äthiopien kommt durch seine Einflussnahme seit dem Abzug der UNOSOM-Truppen 1995 de facto eine politische Vetomacht über die Entwicklungen in Somalia zu, wobei Addis Abeba darüber hinaus auch immer wieder direkter in die Belange seines Nachbarlandes eingreift. Tatsächlich intervenierte die äthiopische Armee schon in den 1990er-Jahren immer wieder gegen al-Itihaad al-Islamiya (AIAI), im Speziellen jedoch 1996 in der für den regionalen Handel bedeutenden Stadt Luud an der kenianischen Grenze, von wo aus sie die Gruppe durch Luftschläge erfolgreich aus der Region vertrieben hat. AIAI, die in den frühen 1990er-Jahren die größte islamistische Gruppe in Somalia ausmachte und als „Mutter“ der zeitgenössischen islamistischen Organisationen in Somalia gilt, war eine äußerst heterogene Gruppe, die durch endemisch ideologische und Klandifferenzen geschwächt war. Der militanteste Flügel der AIAI operierte zu dieser Zeit im Ogaden, von wo aus Mitglieder aus dem Darod-Klan rekrutiert wurden, die Gruppe aktiv die äthiopische Staatsmacht bekämpfte und die Losung einer Rückforderung des Ogaden ausgab. AIAI konnte 1995 mit Angriffen sowohl in Addis Abeba als auch in der regional bedeutenden, im Ogaden gelegene Stadt Dire Dawa und mit der Ermordung des äthiopischen Transportministers somalischer Abstammung strategische Erfolge für sich reklamieren. 9 Da der Schlag gegen AIAI in Luud nicht zur Ausschaltung der Führungsspitze führte, setzte die äthiopische Armee bald im Ogaden durch massive Vergeltungsschläge nach, tötete damit die Führungsspitze und schwächte die Organisation nachhaltig. 10 Einiges deutet darauf hin, dass der äthiopische Premierminister Meles Zenawi ein hinreichend ähnliches Szenario vor Augen haben musste, als er zehn Jahre später seiner Armee den Sturz der Union Islamischer Gerichte in Süd- und Zentralsomalia anordnete. Tatsächlich war Äthiopien prädisponiert, die UIG als Gefahr wahrzunehmen, die ihrerseits nichts dagegen unternahm, um diese äthiopi9
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Dabei ist unklar, inwieweit der somalische Flügel tatsächlich in die Angriffe des somalisch-äthiopischen AIAI-Flügels involviert war. So soll der Führer des somalischen Flügels, Sheikh Aweys, Angriffe mit dem Argument abgelehnt haben „the time is not right to start conducting jihad“. Siehe: Combatting Terrorism Center at West Point: Al Qa‘ida’s (mis) Adventures in the Horn of Africa. Harmony Project, New York 2007. Vgl. Holzer, Georg-Sebastian: Political Islam in Somalia: A fertile ground for radical Islamic Groups?. In: Geopolitics of the Middle East, Vol. 1, No. 1, 2008, S. 23-42.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
schen Ängste zu beruhigen. Ganz im Gegenteil, riefen doch Teile der UIG zum Jihad gegen Äthiopien auf, das der damaligen Übergangsregierung auf somalischem Territorium mit militärischen Beratern zur Seite stand und reklamierten immer wieder den Anspruch auf die Ogaden-Region. Inwieweit diese rhetorischen Zuspitzungen allein der Mobilisierung der lokalen somalischen Anhängerschaft galten oder tatsächlich ein reales Ansinnen zum Ausdruck brachten, ist umstritten. Die Bedenken in Addis Abeba nahmen jedenfalls zu, als Sheikh Aweys, ein führendes Mitglied von AIAI, an Statur innerhalb des UIG gegenüber Sheikh Sharif Ahmed gewann, dem „moderaten“ Gesicht der UIG, und als die UIG dazu überging, sich mit internen und externen Feinden Äthiopiens zu verbünden. Dazu zählten enge Kontakte, Waffenlieferungen und die Unterstützung durch militärische Berater von Äthiopiens Erzfeind Eritrea wie auch umgekehrt die logistische Hilfe und Bereitstellung von Basen von Seiten der UIG für die zwei bedeutendsten bewaffneten Oppositionsgruppen innerhalb Äthiopiens, der Oromo Liberation Front und der ONLF. 11 Aufgrund dieser Gemengenlage kommt Ken Menkhaus zu dem Fazit, Äthiopiens Invasion „would likely have occurred with or without US tacit approval.“ 12 Im Dezember 2006 marschierte eine rund 14 000-Mann-starke äthiopische Truppe mit Panzern und Luftwaffenunterstützung in Somalia ein und stürzte die UIG in Süd- und Zentralsomalia. Ziel war ohne Zweifel, einen kurzen und entscheidenden Schlag gegen die UIG zu führen und nach der Absicherung der Äthiopien-freundlichen Übergangsregierung durch AU- oder UN-Truppen zeitnah den Rückzug anzutreten. Gleichwohl sahen sich die äthiopischen Invasoren schnell mit einer komplexen bewaffneten Opposition aus Islamisten und Hawiye-Milizen im Süden Somalias konfrontiert. Den kämpfenden Al-ShabaabMilizen, die vor der Invasion als bewaffneter Arm der UIG agierten, gelang es leicht, sich einem nationalen Befreiungskampf gegen die verhassten externen Besatzer zu verschreiben und somit an Statur innerhalb der bewaffneten Oppositionsbewegung zu gewinnen. Jihadisten aus dem arabischen Raum bis hin zu Malaysia schlossen sich al-Shabaab in ihrem Kampf an. Während die zusätzliche physische Kampfeskraft dieser ausländischen Kämpfer eher als marginal einzuschätzen ist, brachten diese aus dem Irak übernommene Taktiken in der asymmetrischen Kriegsführung wie Selbstmordattentate und ferngesteuerte Bomben (improvised explosive devices/IED’s) mit. Damit gelang es, den äthiopischen Besatzungstruppen hohe Verluste zuzufügen und diese in eine schmutzige Aufständischenbekämpfung zu verstricken, die nicht nur die Besatzer, sondern auch
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Vgl. UN Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Somalia. 23. Oktober 2006, S. 15; 22-23. Menkhaus, Ken: Somalia: Tragedy in Five Acts. African Affairs, 106/204, 2007, S. 357390, hier S. 378.
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die von ihnen gestützte Übergangsregierung vollends delegitimierte. 13 Zwischen Januar 2007 und Dezember 2008 forderte dieser Krieg über 10 000 Tote und eine deutlich höhere Anzahl von Verletzten. Über eine Million Bewohner flüchteten temporär aus Mogadishu. Letztlich kam es zu den intensivsten kriegerischen Auseinandersetzungen der vorhergegangenen 15 Jahre mit eklatanten Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, vor allem von Seiten des äthiopischen Militärs und den TFG-Truppen unter Präsident Yusuf, aber auch von den AMISOMTruppen und den Aufständischen selbst. 14 Die äthiopischen Truppen mussten feststellen, dass trotz harscher Bekämpfung die bewaffnete Opposition mit ihrer anhaltenden Präsenz in Süd- und Zentralsomalia stetig an Einfluss gewann. Nachdem absolut keine Aussicht mehr bestand, aus dem Konflikt erfolgreich hervorzugehen, wurde im Herbst 2008 in Addis Abeba der Abzug mit Ende des Jahres beschlossen. Damit einher ging ein politischer Prozess: In dem unter Federführung der UN verspätet gestarteten Friedensprozess zwischen der alten TFG und ihrer bewaffneten, überwiegend islamistischen Opposition wurden im Oktober 2008 ein Waffenstillstand und die Errichtung einer nationalen Einheitsregierung sowie der Abzug der äthiopischen Truppen vereinbart. Allerdings konnte der Friedensvertrag nur mit einem Teil der Opposition (der Alliance for the Re-liberation of Somalia – ARS) abgeschlossen werden und dieser zerfiel zudem in zwei Flügel (ARS-Djibouti, in die Legislative kooptiert durch die Aufstockung des Parlaments um weitere 200 Mitglieder, und ARS-Asmara) sowie in den harten militärischen Kern in Gestalt der Al-Shabaab. Grund für die Spaltung war die Zustimmung von Sheik Sharif zu geheimen UN-Verhandlungen, die der ARS-Hardliner Sheik Aweys aufgrund der Anwesenheit äthiopischer Verhandler boykottierte und den bewaffneten Kampf weiterführte, nunmehr gegen die TFG seines vormaligen Waffenbruders Sheik Sharif und die AMISOM-Truppen. Nachdem Äthiopien offensichtlich das Vertrauen in seinen engsten und zu dem Zeitpunkt schon vollkommen diskreditierten Verbündeten Präsident Yusuf verlor, zog sich dieser Ende 2008 zurück und wurde vom vormaligen „moderaten“ Führer der UIG, Sheikh Sharif Ahmed, abgelöst. Seither unterstützt Äthiopien die neue TFG unter Sharif Ahmed genauso wie die Klan-Milizen unter dem Banner der bewaffneten Sufi-Gruppe Ahlu Sunna wal Jama’a (ASWJ) in der GalgaduudRegion, die sich in ihrer Kampfeskraft als viel effektiver erwiesen als die TFG13
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Der wiederholte Beschuss urbaner Gebiete und die Kollektivstrafen durch äthiopische Truppen ließen einen hochrangigen EU-Beamten in Nairobi die Spitze der EUDelegation davor warnen, dass eine weitere europäische Billigung und Unterstützung der TFG die EU in Kriegsverbrechen verwickeln könnte. Vgl.: EU is ‘complicit in Somali War Crimes’. In: The Independent, 7.4.2007. Vgl. u.a. De Torrente, Nicolas/Weissman, Fabrice: A War Without Limits. In: Harvard International Review. Vol. 30, No. 4, 2009, S. 14-19.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
Kräfte. Während Äthiopien in der angrenzenden Galgaduud-Region auch militärisch aktiv ist und ASWJ materiell und logistisch unterstützt, vermeidet Asmara, mit eigenen Truppen in anderen Teilen Süd- und Zentralsomalias aktiv zu werden und damit den bewaffneten Oppositionsgruppen zusätzlich politische Munition für ihren Kampf zu liefern. Nach der Logik, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei, galt Somalia seit dem 1998 um Grenzstreitigkeiten ausgebrochenen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea als erweiterter Austragungsort dieses Konfliktes, in dem beide Seiten ihre jeweiligen Verbündeten materiell und logistisch unterstützen. Mit der äthiopischen Invasion in Somalia wurde die Machtbalance am Horn von Afrika augenscheinlich verschoben, was Eritrea auszugleichen suchte, indem Asmara seine bisherige Politik in Somalia deutlich intensivierte: die militärische, logistische, finanzielle und diplomatische Unterstützung für die die äthiopische Okkupation bekämpfende Gruppen wurde massiv aufgestockt. Direkte Waffenlieferungen kamen dabei meist mit kleinen Schiffen über den Hafen von Laasqoray, in der zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Sanaag-Region im Norden des Landes, von wo aus sie in den Süden weiterverschifft wurden. Noch effektiver waren dabei jedoch monatliche Zahlungen an bewaffnete Gruppen, um mit dem Geld Waffen direkt den zerrütteten TFG-Regierungstruppen vor Ort abzukaufen – freilich mit dem strategischen Nebeneffekt, damit gleichzeitig den Gegner zu entwaffnen. Solche Art Unterstützung ließ Eritrea dabei vor allem den drei wichtigsten Oppositionsgruppen, der Alliance for the Re-liberation of Somalia unter Sheikh Aweys, dem in der eritreischen Hauptstadt Asmara diplomatisches Exil gegeben wurde (ARS Asmara), Hizbul Islam und den al-ShabaabMilizen zukommen. Ein UN Monitoring Group Report beschreibt dabei ausführlich, wie Eritrea die Entstehung einer neuen Oppositionsgruppe, Hizbul Islam, einem Zusammenschluss von vier Klan-basierten Milizen unter der Führung Sheikh Aweys vorantrieb, den sie dafür im Januar 2010 von Asmara nach Mogadishu einflogen. 15 Grund hierfür scheint der Wunsch Asmaras zu sein, direkten Einfluss auf eine Oppositionsgruppe in Somalia nehmen zu können und sich damit auch etwas Raum gegenüber den sich zunehmend dem internationalislamistischen Jihad verschreibenden al-Shabaab zu verschaffen, durch deren Unterstützung Asmara immer wieder international unter Druck gerät. Verteidiger Eritreas weisen darauf hin, dass der mit Abstand überwiegende Teil der Waffen im derzeitigen Konflikt in Somalia aus Äthiopien und Yemen stammen, doch gelang es Eritrea nicht, seine Politik international zu rechtfertigen. Im Dezember 2009 verhängte der UN-Sicherheitsrat erste Sanktionen gegen Eritrea. Darüber hinaus wurden gezielte Sanktionen gegen einzelne Vertreter der Regierung in Asmara vorbereitet, indem der Sicherheitsrat das Mandat der UN 15
UN Security Council: Report of the Monitoring Group on Somalia pursuant to Security Council resolution 1853 (2008). New York, 10.3.2010.
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Monitoring Group erweiterte, um so ein klareres Bild der eritreischen Verstrickungen in Somalia zu erhalten. 16 Der Monitoring Group Report zeigt denn auch die Verstrickungen Asmaras in Somalia en detail auf, hält jedoch auch fest, dass ab Ende 2009 – möglicherweise aufgrund des internationalen Drucks – das Ausmaß Eritreischen Engagements in Somalia deutlich verringert wurde oder zumindest weniger offensichtlich stattfand. Tatsächlich weist einiges darauf hin, dass Asmara die Unterstützung somalischer Oppositionsbewegungen zunehmend auch als politische Belastung empfindet. Als Sheikh Robow, ein vormaliger Kämpfer in Afghanistan und Sprecher der al-Shabaab Milizen, Ende 2009 beispielsweise öffentlich verkündete, somalische Kämpfer zur Unterstützung alQaidas nach Jemen zu schicken, sah Eritrea in dieser Propaganda eine Gefahr für die eigenen Beziehungen zu Jemens Präsidenten Ali Abdullah Saleh. Eritreas Präsident Afewerki kritisierte deshalb schnell und öffentlich al-Shabaab und distanzierte sich so deutlich von deren Rhetorik. 17 Der Stellvertreterkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea auf somalischem Territorium ähnelt in vielen Aspekten dem derzeitigen Kampf um Einfluss und Vorherrschaft zwischen Indien und Pakistan in Afghanistan. So wie Pakistan in Afghanistan hat auch Äthiopien in Somalia genuine Sicherheitsinteressen im Nachbarland betreffend der Integrität ihres eigenen Territoriums. Indien und Eritrea geht es in den jeweiligen Konflikten vor allem darum, die regionale Machtbalance aufrecht zu halten. Im Resultat führt die Bewaffnung und Unterstützung der jeweiligen Verbündeten bei diesen Konflikten zu einer Pattsituation, die im Konfliktverlauf die Dominanz oder den Sieg einer Seite hinauszögert oder gar verunmöglicht und somit konfliktverlängernd wirkt. Da Eritrea in Somalia jedoch keine genuinen politischen Interessen verfolgt, sondern das Land vor allem als Kampfzone zur Eingrenzung des äthiopischen Einflusses erachtet, fällt es Asmara leichter, seine Politik bei Bedarf anzupassen. In diesem Falle hat Eritrea deutlich seine Unterstützung für al-Shabaab zurückgefahren und setzt großteils auf Hizbul Islam, die eine ideologisch weniger radikale Position vertreten und eine vor allem nationalistische Agenda verfolgen. 18 Es ist gleichwohl davon auszugehen, dass Somalia weiterhin als Territorium für einen Stellvertreterkrieg dienen wird, solange der Grenzkonflikt zwischen den beiden Bruderstaaten ungelöst bleibt und sich eine der beiden Konfliktparteien in Somalia merklich militärisch oder politisch engagiert. 16
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Security Council imposes sanctions on Eritrea over is role in Somalia, refusal to withdraw troops following conflict with Djibouti. In: UN Security Council Department for Public Information, 23.12.2009; Online Dokument: http://www.un.org/News/Press/docs/ 2009/sc9833.doc.htm (abgerufen15.3.2010). Yemen slams Shebab pledge to send fighters. In: AFP, 2.1.2010. Vgl. Holzer, Georg-Sebastian: Eritrea Recalibrates Somalia Policy. In: ISN Security Watch, International Relations and Security Network, 17.3.2010.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
2.2. Jemen und arabische Staaten – Interessenskonvergenz, aber (noch) keine Allianz Nachdem im Dezember 2009 die im Jemen ansässige „al-Qaeda in the Arabian Peninsula“ (AQAP) sich für den versuchten Anschlag auf ein amerikanisches Flugzeug verantwortlich zeigte, rückte das Land in den Fokus der westlichen Medien. Die Verbindung zu Somalia liegt vermeintlich nahe, da Jemen nicht nur historisch eng mit dem Horn von Afrika verbunden ist, sondern in den letzten Jahren auch als Brückenkopf für somalische Waffenkäufe fungierte und der wichtigste Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus Somalia über den Golf von Aden ist. Überdies gibt es einige Ähnlichkeiten in Gesellschaftsstruktur und Konfliktdynamik zwischen Jemen und Somalia. Dabei ist Jemen aufgrund seiner geographischen Lage freilich auch Transitland für islamistische Kämpfer nach und von Somalia. Mit der Ankündigung Sheikh Robows, al-Qaida im Jemen zu unterstützen, stellt sich zunehmend die Frage, inwieweit Gruppen wie AQAP und alShabaab kooperieren und abgestimmte Strategien in der Region verfolgen. Bis dato scheint dies noch nicht in einem Ausmaß der Fall zu sein, dass von einer gemeinsamen Allianz solcher Gruppen oder einer Konfluenz der Konflikte in Somalia und Jemen zu sprechen ist. Die jeweiligen Gruppen verfolgen in erster Linie eine nationalistische Agenda. Freilich kann davon ausgegangen werden, dass al-Qaida ein Interesse daran hat, in Südsomalia ein Rückzugsgebiet vorzufinden, wie dies in Teilen Jemens oder Pakistans zurzeit der Fall ist. Schon 1996 ließ bin Laden sondieren, ob der Süden Somalias für ihn und seine Entourage ein möglicher Standort nach seinem unfreiwilligen Aufbruch aus Khartum sein könnte. Die chronische Unsicherheit, das höchst fragmentierte somalische Klansystem und die relativ un-ideologische und pragmatische Kultur der Somalis ließen ihn jedoch davor zurückschrecken. 19 Diese Argumente wiegen bis heute schwer und sprechen immer noch gegen Somalia als Rückzugsgebiet. Die existierenden Verbindungen und rhetorischen Unterstützungsbekundungen zwischen militanten Gruppen in Somalia und Jemen zeitigen jedoch Auswirkungen auf Seiten des offiziellen Jemen. Leittragende neuer Repressalien sind dabei im überwiegenden Ausmaß somalische Flüchtlinge, die ihre Flucht über den Golf von Aden angetreten haben. 20 Roland Marchal argumentiert darüber hinaus, “[there is] also missing an international attention to Somalia that would provide a reward for foreigners to get involved in Somalia. The success [of Somalia becoming a training
19 20
Vgl. International Institute for Strategic Studies: Strategic Survey 2007. London 2007, S. 257. Yemen moves to leave Somali militants high and dry. In: The National, 22.2.2010; YEMEN-SOMALIA: Somalis set to lose automatic refuges status. In: IRIN, 19.8.2010.
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ground for jihadists] will be limited up to the time Somalia becomes the place for a major 21 confrontation against the West.”
Dies schließt freilich nicht aus, dass einzelne Individuen aus Staaten wie Algerien, den Komoren, Ägypten, Irak, Marokko, Saudi Arabien, dem Sudan, Jemen, Bangladesh, Tschetschenien, Pakistan, oder Tansania zum Kampf nach Somalia kommen. 22 Dabei gibt es nur unzuverlässige Schätzungen über die Anzahl ausländischer Kämpfer in den Reihen al-Shabaabs. Inwieweit in diesem Zusammenhang im Speziellen die Angaben der TFG oder Äthiopiens die Realität abbilden, bleibt fraglich. So hat beispielsweise die TFG ein Interesse daran, die Zahl ausländischer Kämpfer möglichst hoch anzugeben, da dies externes Engagement im Kontext des Anti-Terror Kampfs garantiert und somit zum Überleben der TFG beiträgt, die auf sich allein gestellt im derzeitigen Zustand innert Tagen von der bewaffneten Opposition gestürzt würde. Auch das Ausmaß der Finanzierung der bewaffneten Opposition in Somalia durch arabische Gruppen ist unklar, wenn auch niemand deren Existenz bestreitet. Dabei ist es jedoch wichtig, derartige Unterstützungsleistungen aus dem arabischen Raum in den Kontext der allgemeinen Finanzierungsstrategien von Gruppen wie al-Shabaab zu stellen. Die finanzielle Unterstützung durch islamistische oder jihadistische Sympathisanten macht nur einen Teil der Finanzen aus. Nebst anderer externer Hilfe wie der Eritreas oder mit Hilfe des Hawala-Systems der somalischen Diaspora stützt sich al-Shabaab vor allem auf lokale Finanzierungsquellen. Durch die Besteuerung von zentralen wirtschaftlichen Umschlagplätzen wie dem Bakaraha-Markt in Mogadishu können Schätzungen zufolge rund 400 000 Dollar im Monat an Steuern lukriert werden, während im Zusammenhang mit dem Hafen in Kismayo beispielsweise immer wieder von einer Million Dollar pro Monat an Einnahmen die Rede ist.
2.3. Kenia – die Ruhe vor dem Sturm Kenia und im Speziellen Nairobi ist seit dem Bürgerkrieg in Somalia genauso Standort und Drehkreuz für die internationalen Diplomaten und Hilfskräfte wie für Somalis selbst. Deren genaue Anzahl in Kenia ist dabei umstritten, liegt aber im Jahr 2010 wohl deutlich über einer Million.23 Die Zuspitzung des Konflikts in Südsomalia führte immer wieder zu Flüchtlingswellen in die kenianische Grenz21 22 23
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Zitiert in: Holzer, Georg-Sebastian: Assessing Somalia’s Terror Threat. In: ISN Security Watch, International Relations and Security Network, 2.12.2009. Vgl. UN Security Council: Monitoring Group 2010, S. 52. Kenya: 2009 Census Delayed over Somali Numbers. In: AllAfrica, 9.1.2010; Online Dokument: http://allafrica.com/stories/201001120871.html (abgerufen 17.4.2010); Somalia’s Demography: Little-known, dispersed and dying. In: Economist, 26.2.2009.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
region, die Nord-Ost-Provinz, die historisch von Somalis besiedelt wurde und bis heute nie unter voller Kontrolle Nairobis stand. Die Nord-Ost-Provinz blickt selbst auf eine lange lokale Konfliktgeschichte zurück, die sich durch die Invasion der Äthiopier 2006 und den seither andauernden offenen Krieg in Südsomalia nochmals deutlich verschärfte. 24 Mit der äthiopischen Invasion begann Kenia überdies in Abstimmung mit den USA die Grenze zu Somalia zu schließen. Die aus Mogadischu und dem Süden Somalias nach Kenia fliehenden UIG-Kämpfer, denen die äthiopische Armee nachsetzte und die aus der Luft von US-Kräften angegriffen wurden, sind somit effektiv in die Enge gedrängt worden – freilich genauso wie Hunderttausende Flüchtlinge, die vor den Angriffen der äthiopischen Armee flohen. 25 Aus Sicht vieler Somalis hat Kenia sich damit in diesem Konflikt eindeutig auf Seiten der externen Invasoren positioniert. Dem nicht genug, machen die kenianischen Sicherheitskräfte seither vor allem durch willkürliche Gewalt, Diskriminierung und Übergriffe auf somalische Flüchtlinge in den Grenzregionen von sich reden. 26 Daneben macht sich die seit der äthiopischen Invasion zunehmende Radikalisierung der somalischen Diaspora auch in Nairobi bemerkbar. Im vor allem von Somalis bevölkerten Viertel Eastleigh in Nairobi, das auch „little Mogadishu“ genannt wird, sollen al-Shabaab-Milizen nicht nur Geld sammeln, sondern auch junge Somalis für den Kampf in Somalia aufstacheln und rekrutieren. 27 Bis dato gingen in Nairobi Vertreter aller in Somalia politisch und militärisch aktiven Gruppen ein und aus, die sich in ihrem Heimatland jenseits der Grenze zum Teil gegenseitig bekämpften. Da alle diese Gruppen für sich und ihre Familien Nairobi als sicheren Rückzugsort zu schätzen wussten sowie Kenia politisch und wirtschaftlich von der somalischen Präsenz profitierte, gab es lange Zeit eine gegenseitige Nichteinmischung und Koexistenz. Diese inoffizielle Übereinkunft scheint jedoch in den letzten Jahren zunehmend porös zu werden. Grund dafür ist einerseits das zunehmende, über diplomatische „Gute Dienste“ hinausgehende, (sicherheits-)politische Engagement Kenias im Konflikt in Somalia, 28 anderer24
25 26 27
28
Zum Hintergrund der Grenzkonflikte zwischen Kenia und Somalia vgl. Menkhaus, Ken: Kenya-Somalia Border Conflict Analysis. USAID Report, 31.8.2005; Online Dokument: http://www.somali-jna.org/downloads/Kenya-Somalia%20Menkhaus%20(2).pdf (abgerufen 7.8.2009). Menkhaus, Ken: Tragedy in Five Acts, S. 381f. Vgl. U.a. Human Rights Watch: ‘Welcome to Kenya’: Police Abuse of Somali Refugees. HRW Report, New York, 17.6.2010; Amnesty International: Kenya: Denied refuge. London, 2.5.2007. In Kenya’s capital, Somali immigrant neighborhood is incubator for jihad. In: Washington Post, 22.8.2010; How Kenya’s ‘Little Mogadishu’ became a hub for Somali militants. In: Christian Science Monitor, 26.8.2009. Ähnliche Entwicklungen können zurzeit in Teilen der somalischen Diaspora in Minneapolis beobachtet werden. Kenya Reportedly Rejects Somali Request to Deploy Troops. In: Voice of America, 31.3.2010; Online Dokument: http://www1.voanews.com/english/news/africa/Kenya-
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seits die bedenklichen Formen der Durchsetzung kenianischer Anti-TerrorPolitik in den Grenzregionen wie zuletzt zunehmend in Nairobi selbst. So kommt es im Namen der Anti-Terror-Politik auch in Nairobi immer öfter zu Übergriffen und willkürlich erscheinenden Verhaftungen und Razzien in Eastleigh. Dabei werden Somalis rein aufgrund ihrer askriptiven Merkmale – als Somalis – diskriminiert, während die kenianische Staatszugehörigkeit nicht mehr zu zählen scheint. In dieser Atmosphäre staatlich sanktionierter Deklassierung der somalischen Gemeinschaft in Kenia wird darüber hinaus den Vorurteilen gegenüber wirtschaftlich erfolgreichen Somalis zunehmend Platz im öffentlichen Raum gegeben. All das trägt zu einem wachsenden Gefühl der Diskriminierung und gesellschaftlichen Ausgrenzung in der somalischen Gemeinschaft bei. 29 Dadurch entsteht ein fruchtbarer Boden für radikale somalische Gruppen und Kenia läuft zunehmend Gefahr, einen bitteren Preis für seine Politik zu zahlen. Gegenseitige rhetorische Drohungen tun in diesem Umfeld ihr übriges. 30
3. Internationales Engagement in Somalia Seit den Anschlägen des 11. September 2001 wurde der Konflikt in Somalia von externen Akteuren, allen voran den USA, unter dem Paradigma des Kampfs gegen den Terror betrachtet, ohne dabei die lokalen Realitäten in den Politikprozess miteinzubeziehen. Die erratische, sicherheitszentrierte US Anti-Terror-Politik ist nicht zuletzt auf die marginale politische Bedeutung, die Somalia in Washington genießt, zurückzuführen. Das ist ein Grund dafür, dass es keinen Versuch gab, eine stringente Politik gegenüber dem Land zu formulieren – im Gegenteil vertraten Außen- und Verteidigungsministerium zum Teil sich widersprechende Politiken. 31 Doch das Erklärungsparadigma des Anti-Terror-Kampfs schien in Washington für das Engagement gegenüber Somalia auszureichen. Wie Günther Schlee pointiert formuliert, basierte diese Politik jedoch auf einem inhärenten Widerspruch, denn „the rise of political Islam [in Somalia] is a response to the ‘war on terror’ and therefore cannot be an element of its justification.” 32
29 30 31 32
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Reportedly-Rejects-Somali-Request-to-Deploy-Troops-89611437.html (abgerufen 17.4. 2010). SOMALIA-KENYA: Raids and rancour. In: IRIN, 27.1.2010. Vgl. u. a. Kenya poised to intervene in Somalia. In: Christian Science Monitor, 25.6. 2009; It wasn’t us: Somali militants disavow Kenya threat. In: Christian Science Monitor, 22.1.2010. Vgl. Elliot, Ashley/Holzer, Georg-Sebastian: The invention of terrorism in Somalia: paradigms and policy in US foreign relations. In: South African Journal of International Affairs, Vol. 16, No. 2., 2009, S. 213-240. Schlee, Günther: How Enemies are Made: Towards a Theory of Ethnic and Religious Conflicts. New York 2008, S. 168.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
Zu einem der eindrücklichsten Aspekte dieser gescheiterten Politik gehört sicher, wie lokale und regionale Akteure erfolgreich den „war on terror“ für ihre eigenen machtpolitischen und finanziellen Interessen instrumentalisierten. Die externen finanziellen und politischen Ressourcen führten so zu einer Verlängerung und Intensivierung des Konflikts. Die Obama-Administration versucht dabei, allzu offensichtliche Fehler der Bush-Administration nicht zu wiederholen. Gleichwohl, Somalia scheint nicht bedeutend genug zu sein, um dafür außenpolitisches Kapital zu investieren. Die derzeitige Politik ist mithin eine Eindämmungspolitik, die darauf abzielt, eine klare Politikformulierung von Seiten Washingtons so lange wie möglich hinauszuzögern.
3.1. US-Kampf gegen den Terror als „self-fulfilling prophecy“ Während Somalis traditionell dem Sufismus anhängen und radikale Islamisten bis vor kurzem sogar innerhalb lokaler islamistischer Gruppen der Minderheit angehörten, war die Gefahr des transnationalen Terrorismus in Somalia schon lange auf der Agenda externer Akteure, allen voran der USA. Diese dominante externe Perzeption der Situation in Somalia wurde von Roland Marchal schon exzellent kritisiert. 33 Dieser kommt zum Schluss, der globale „war on terror” „facilitated [al-Shabaab’s] rapid development and their use of brutal tactics that were further sharpened by the exclusiveness of their ideology. Had this specific agenda not been there, al-Shabaab would have ended up like other extremist groups before them such as Takfiir wal Hijra, a cluster of militants isolated in their own society.” 34
Mit dem Globalen Krieg gegen den Terror begannen die USA und Äthiopien zwischen 2002 und 2005 mit Hilfe lokaler Söldner, bekannte Geistliche und Islamisten töten oder gefangen nehmen zu lassen. Diese Kommandoaktionen änderten einerseits die Art des „low-intensity conflicts“ und gaben andererseits den Islamisten erstmals einen breiten Zuspruch in der Bevölkerung – bei gleichzeitig zunehmendem Anti-Amerikanismus. 35 Das entscheidende Jahr für die weitere Entwicklung militanter islamistischer Gruppen in Somalia war jedoch 2006. Als Äthiopien in Koordination mit der TFG unter Präsident Yusuf beschloss, bei den somalischen Islamisten handle es sich um Terroristen, akzeptier33 34 35
Marchal, Roland: Warlordism and terrorism: how to obscure an already confusing crisis? The case of Somalia. In: International Affairs, Vol. 83, Nr. 3, 2007, S. 1091-1106. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab. In: Journal of Eastern African Studies, Vol. 3, No. 3, 2009, S. 381-401, hier S. 399. Vgl. Höhne, Markus: Counter-terrorism in Somalia: How external interference helped to produce militant Islamism. web-forum Crisis in the Horn of Africa, Social Science Research Council New York, 17.12.2009; Online Dokument: http://webarchive.ssrc.org/ Somalia_Hoehne_v10.pdf (abgerufen 18.12.2009), hier S. 8.
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te die Bush-Administration diese Leseart des Konflikts, auch wenn diese weniger auf Fakten basierte denn zuvorderst auf regionalen Interessen Äthiopiens. Mit der Annahme der UN-Resolution 1725 am 6. Dezember 2006 war klar, dass die USA eine Konfrontation als einzig sinnvolle Gangart in diesem Konflikt erachteten. Parallel zur äthiopischen Invasion ging auch ein militärisches Engagement der USA einher. Dieses startete am 6. Januar 2007 mit ersten Luftangriffen gegen militante Al-Qaeda-Verdächtige, als die UIG-Miliz aus Mogadishu flüchtete. Wie später bekannt wurde, fielen vor allem Zivilisten und einfache UIGKämpfer den Angriffen zum Opfer. Trotzdem wurden Luftangriffe durch ferngesteuerte Raketen („cruise missiles“) zu einem beliebten Einsatzmittel in Somalia bis zum Ende der Bush-Administration. Durch ihre Luftangriffe und die dadurch verursachten zivilen Opfer rückten die USA erneut ins Zentrum politischer Aufmerksamkeit in Somalia, wobei der Zeitpunkt der ersten Angriffe und die USPolitik gegenüber Äthiopiens Invasion als koordinierte Gesamtstrategie von den Somalis wahrgenommen wurden. Diese Sicht unterminiert bis heute Amerikas Legitimität in der Region. Genauso wie der Umstand, dass Washington vor allem jene Akteure wie die TFG unterstützt, die keinerlei Legitimität in der somalischen Bevölkerung haben oder aufzubauen vermögen. Die Obama-Administration unterstützt in Ermangelung einer eigenen, neuen Gesamtstrategie für Somalia die TFG unter Sheikh Sharif und ließ ihr im Juni 2009 Waffenhilfe im Wert von offiziell rund 10 Mill. US Dollar sowie militärisches Training zukommen und finanziert seither überdies die Ausbildung von TFG-Truppen in Kenia, Burundi und Uganda. 36 Dabei versucht man offensichtliche Fehler der Bush-Administration zu vermeiden. So meinte Johnnie Carson, Assistant Secretary of State für Afrikanische Angelegenheiten, im Juli 2009: „given the long-standing enmity between Somalis and Ethiopians, I will encourage the Ethiopians not to re-engage in Somalia.“ 37 Dies ist zumindest eine Erkenntnis, die sich in Washington mittlerweile durchgesetzt zu haben scheint. Nach der US-Reaktion auf die Bombenanschläge im Juli 2010 der al-ShabaabMilizen in Kampala gefragt, gab ein US-Sprecher zu bedenken: „We know nothing galvanizes Somalis like an outside influence … if we do something in an imprudent manner.“ 38 36 37 38
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Somalia seeks urgent support as it faces rebel ultimatum. In: Voice of America, 7.7.2009; Online Dokument: http://www.voanews.cn/StandardEnglish/2009/July/voanews2009070 8l.htm (abgerufen 15.8.2009). INTERVIEW: U.S. will urge Ethiopia to stay out of Somalia, Reuters, 4.7.2009; Online Dokument: http://af.reuters.com/article/burundiNews/idAFL451282220090704 (abgerufen 7.8.2009). U.S. seeks rifts among Somali rebels after blasts. In: Reuters, 19.7.2010; Online Dokument: http://www.reuters.com/article/idUSTRE66I3SH20100719 (abgerufen 25.7.2010).
Die Rolle externer Akteure in Somalia
Im September 2009 kam es zum bis dato einzigen bekannten Angriff auf somalisches Territorium unter der Obama-Administration. Es handelte sich um einen kenianischen Terrorverdächtigen, wobei der modus operandi sich dabei deutlich von Interventionen der vorhergegangenen Administration unterschied: US-Spezialkräfte gingen für diese Operation kurzfristig in der Nähe der Stadt Barawe in Südsomalia mit Helikoptern an Land und bemühten sich, tatsächlich nur die beabsichtigten Personen zu töten. Diese Operation war zumindest dadurch erfolgreicher als vorhergegangene, da sie keine offenen Ressentiments in der somalischen Bevölkerung nach sich zog. 39 In Washington selbst wird im Zusammenhang mit Somalia aufgrund der negativen Geschichte im Besonderen des rezenten US-Engagements von Teilen der Think-Tank-Community wie dem Council on Foreign Relations ein „constructive dis-engagement“ aus Somalia vorgeschlagen. 40 Es ist relativ unwahrscheinlich, dass dieser Vorschlag in seiner Radikalität tatsächlich Gehör findet, da Somalia keinen interessensfreien Raum für die USA darstellt. Gleichwohl lenkt er den Diskurs auf die Problematik externen US-Engagements im Land. In Konsequenz müsste Washington mithin eine neue bzw. überhaupt erste umfassende US-Strategie für Somalia entwickeln. 41 Seit über einem Jahr sitzen dafür nun schon im Rahmen des nationalen Sicherheitsrates (NSC) Vertreter des USAußenministeriums, Verteidigungsministeriums, USAID und der Geheimdienste zusammen. Einiges deutet darauf hin, dass die lange Dauer dieses Prozesses die weiterhin geringe Bedeutung widerspiegelt, die dem Somalia-Konflikt in Washington beigemessen wird. 3.1.1. Die Instrumentalisierung des „Terrorismus“ Während nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beinahe alle staatlichen und nicht-staatlichen Akteure auf der Welt sich von einer etwaigen Verbindung zum internationalen Terrorismus zu distanzieren suchten, benützten lokale und regionale Akteure im Konflikt in Somalia die neue US-Anti-Terror-Rhetorik, um sich finanzielle wie politische Unterstützung zu sichern und dadurch die lokale 39
40 41
Vgl. Le Sage, Andre: Fragile Gains in Somalia. In: The Washington Institute for Near East Policy, Policywatch #1594, 31.10.2009; Online Dokument: http://www.washington institute.org/templateC05.php?CID=3132 (abgerufen 3.11.2009). Solche ‘targeted killings’ sind dabei Teil einer breiteren Strategie der Obama-Administration, vgl. Secret Assault on Terrorism Widens on Two Continents. In: New York Times, 14.8.2010. Vgl. Bruton, Bronwyn: In the Quicksands of Somalia: Where Doing Less Helps More. In: Foreign Affairs, November/Dezember 2009. Vgl. dazu u.a. Menkhaus, Ken: Developing a Coordinated and Sustainable US Strategy towards Somalia. In: Hearing before the Committee on Foreign Relations, Subcommittee on African Affairs, United States Senate, 20.5.2009; Online Dokument: http://www.state. gov/p/af/rls/rm/2009/123729.htm (abgerufen 7.8.2009).
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Machtbalance zu ihren Gunsten zu beeinflussen. So deklarierten Teile der politischen Elite Somalias ihr Land als potenziellen Zufluchtsort für Terroristen, um so lokale Gegner zu delegitimieren und gleichzeitig Unterstützung vor allem von Seiten der USA zu erhalten. 42 Die strategisch eingesetzte Anti-Terror-Rhetorik wurde seither zu einem zentralen Aspekt innersomalischer Machtpolitik und regionaler Interessensdurchsetzung. Schon im Jahr 2002 verkündete der äthiopische Premierminister Meles Zenawi, sein Land sei „at the epicenter of terrorism and a secular island in the sea of Islam.“ 43 Äthiopien gelang es damit, die amerikanische außenpolitische Agenda für seine eigenen lokalen und regionalen Interessen zu instrumentalisieren. Der daraufhin folgende US-Beistand war einerseits auf lokaler Ebene eine Stütze des seit nunmehr über 20 Jahren an der Macht befindlichen Zenawi-Regimes, andererseits immunisierte er die Regierung in Addis Abeba vor überbordender externer Kritik an ihrer Menschenrechtspraxis oder ihrer Regierungsführung. Damit einher gingen beträchtliche militärische und finanzielle Hilfen sowie Nahrungsmittellieferungen an Äthiopien. 44 Washington stellte dabei weniger direkte militärische Hardware zur Verfügung, gewährte jedoch große Waffenlieferungen aus anderen Staaten. So akzeptierten die USA im Verstoß der auf eigenen Druck verhängten Sanktionen, dass Äthiopien Waffenlieferungen aus Nordkorea für die Invasion in Somalia erhielt, die über den Hafen von Berbera in Somaliland eingeschifft wurden. 45 Während Äthiopien den Krieg in Südsomalia mit US-Unterstützung im Namen der Terrorbekämpfung führte, war es klar, dass Addis Abeba selbst vor allem die regionale Machtbalance im Auge hatte. Bezeichnenderweise fragte Meles Zenawi bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem somalischen Präsidenten Sheikh Sharif 2009 denn als erstes auch „why the Islamic Courts had warm relationships with Asmara” und nicht etwa, ob die Islamischen Gerichten Salafisten oder eher Jihadisten waren. 46 Dabei wird ersichtlich, wie grundlegend 42 43
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Bryden, Matt: No quick fixes: coming to terms with terrorism, Islam, and statelessness in Somalia. In: The Journal of Conflict Studies, Vol. 23, No. 2, 2003, S. 24-56, hier S. 24. Vgl. Senator Specter Comments on his Trip to Africa. In: Website Senator Specter, 30.9. 2002; Online Dokument: http://specter.senate.gov/public/index.cfm?FuseAction=News Room.ArlenSpecterSpeaks&ContentRecord_id=760F2B3D-E028-44FA-8394-F9070254 5B27&IsTextOnly=False (abgerufen am 15.8.2009). Militärische Unterstützung wurde vor allem durch Programme wie US Foreign Military Financing (FMF), International Military Education and Training (IMET), sowie die AntiTerrorism Assistance (ATA) an Äthiopien geliefert. Darüber hinaus erhielten äthiopische Truppen, sowie pro-äthiopische Somalis in Äthiopiens Ogaden Region militärisches Training durch die USA. Vgl.: Keller, Edmond J./Iyob, Ruth: The Special Case of the Horn of Africa. In: Rothchild, Donald/Keller, Edmond J. (Hrsg.): Africa-US Relations: Strategic Encounters. Boulder, Colorado: Lynne Rienner Publishers, 2006, S. 113. North Koreans Arm Ethiopians as U.S. Assents. In: New York Times, 8.4.2007. Marchal: Warlordism and terrorism, S. 1105.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
sich äthiopische von US-Motiven bezüglich der Absetzung der UIG unterschieden. Diese Divergenz in den Motiven für die regionale Politik lässt sich auch an einem anderen Vorfall beispielhaft verdeutlichen: Im Zusammenhang mit Äthiopiens Unterstützung der USA bei der Festnahme von „Terrorverdächtigen“ erlaubte Äthiopien im April 2007 mehr als 200 CIA- und FBI-Agenten, eine Basis in Addis Abebas Sheraton-Hotel zu eröffnen. Dort wurden Dutzende TerrorVerdächtige von der äthiopischen Regierung zum Verhör und weiteren Inhaftierung den US-Autoritäten übergeben. 47 Eine Vielzahl der Inhaftierten waren jedoch keine al-Qaeda-Verdächtigen, sondern einfache ONLF-Kämpfer, derer sich Äthiopien auf diese Art und Weise einfach entledigen konnte. Äthiopiens Kollaboration mit den USA erwies sich somit auch in diesem Falle als geeignetes Mittel, nationale Interessen voranzutreiben. Somalische Akteure wussten das allgemeine Paradigma des Kampfs gegen den Terrorismus freilich genauso für sich zu nützen. Die Etablierung der dem Namen nach zumindest genial-dreisten Alliance for the Restoration of Peace and Counterterrorism (ARPCT) 2005 war das vielleicht offensichtlichste Beispiel im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung des Kriegs gegen den Terror. Die Allianz bestand aus neun Hawiye-Milizführern und Geschäftsmännern sowie deren zugehörigen Milizen. Trotz ihres ausgeklügelten Geschäftssinnes richtete die Gruppe ihre Strategie relativ simpel aus: ihr Ziel bestand darin, durch Kontrolle von Territorium dementsprechende Renten zu akkumulieren und sich die dafür nötige Expansion ihres Einflussgebietes von den USA im Namen des Kampfes gegen den Terror finanzieren zu lassen. Anfang 2006 begann die CIA bereits, zwischen 100 000 und 150 000 US-Dollar monatlich an die Allianz zu übermitteln und stellte militärische Ausrüstung über das privat-militärische Unternehmen Select Armor mit Sitz in Virgina bereit. Die Bedingung dafür war, dass ARPCT Terrorverdächtige aufspüre und den US-Behörden aushändige. 48 Diese Gruppe brachte die somalische Bevölkerung in Mogadishu derart gegen sich auf, dass sie dadurch indirekt der Union Islamischer Gerichte den Boden ebnete. Vollends beliebig scheint die ganze Unternehmung, als die ARPCTMilizen nach ihrer Niederlage zu den Islamischen Gerichten überliefen. 49 Die TFG spielte ein ähnliches Spiel. Nur wenige Tage nach der Etablierung der Übergangsregierung in Mogadishu 2007 beteuerte Premierminister Ali Mohammed Gedi, zur Stabilisierung Somalias müsste seine Regierung nur in der 47 48 49
McCrummen, Stephanie: Ethiopia finds itself ensnared in Somalia. In: Washington Post, 27.4.2007. Menschenrechtsgruppen nannten diese gemeinsame US-äthiopische Operation ein „dezentralisiertes Guantanamo“. Church, William: Somalia: CIA blowback weakens East Africa, Sudan Tribune, 23 October 2006; Online Dokument: http://www.sudantribune.com/spip.php?article18301 (abgerufen am 15.8.2009). Menkhaus 2007: Tragedy in five acts, S. 369.
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Lage sein „to wipe out the terrorists clearly linked to Al-Qaeda”. 50 Diese Antiterrorrhetorik brachte der TFG schnell erhebliche Geldflüsse und Unterstützung der USA ein. Wie im Falle Äthiopiens instrumentalisierte auch Somalia das Antiterrornarrativ und nutzte es für die Durchsetzung nationaler Interessen. Unter diesem Vorwand verfolgte Präsident Yusuf seine persönlichen politischen Feinde genauso wie seine Geschäftskonkurrenten. Die plakative Übernahme des Antiterrorparadigmas – wie sehr diese auch von der politischen Realität vor Ort abweichen mochte – spiegelte in diesem Zusammenhang auch ein Dilemma von extern eingesetzten Regierungen in PostKonflikt-Staaten wider, die gleichzeitig vor internationalem wie nationalem Publikum bestehen müssen. Die TFG zeigte in diesem Zusammenhang insgesamt wenig Interesse, ihre lokale Legitimität zu forcieren. Teils ist dies mit ihrer Einsetzung durch Äthiopien zu begründen. Vom somalischen Erzfeind mit Hilfe der USA in Mogadischu an die Macht zu gelangen, lässt auf den ersten Blick jegliches Ansinnen, lokale Legitimität zu erarbeiten, absurd erscheinen. Als die Regierung überdies noch US-Angriffe und die zivilen Opfer verteidigte, verschärfte sich die Ablehnung der eigenen Bevölkerung gegenüber der Regierung zusätzlich. So setzte die TFG unter Präsident Yusuf auf die „internationale Karte“ und machte es sich zum Ziel, auf internationaler Ebene Unterstützung zu erlangen und somit in Mogadishu die eigene Macht abzusichern. Freilich: mit dem Kampf gegen den Terror gab die TFG vor, gegen etwas zu kämpfen, das für die somalische Bevölkerung selbst keinerlei reale Relevanz hat, haben diese doch mit weitaus unmittelbareren Gefahren zu kämpfen. Diese Diskrepanz ließ sich letztlich auch nicht ewig aufrechterhalten und zwang eine völlig delegitimierte und geschwächte TFG letztendlich Ende 2008 zu Verhandlungen mit Teilen der Opposition. Die neue TFG unter Präsident Sheikh Sharif scheint mittlerweile jedoch schon wieder dort angekommen, wo die alte geendet hat: schon im Juni 2009 rief Sharif die Regierungen Kenias und Äthiopiens dazu auf, wieder in Somalia zu intervenieren, da ansonsten das Land in die Hände der Jihadisten fallen würde. 51 Diese Rhetorik mag den westlichen Verbündeten prima vista gefallen, doch als Faustformel kann derzeit gelten: Je erfolgreicher ein somalischer Politiker um Unterstützung für seine Vorhaben in der westlichen Öffentlichkeit wirbt, desto mehr verliert er an Legitimität in Somalia.
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Fierce fighting in Somalia kills 20 on the eighth straight day, Shabelle Media Network, 26 April 2007; Online Dokument: http://www.africafiles.org/article.asp?ID=14847 (abgerufen am 15.8.2009). Somalia and its jihadists: A government under the cosh. In: Economist, 25 June 2009.
Die Rolle externer Akteure in Somalia
4. Fazit Externe Akteure haben in den letzten neun Jahren Somalia vor allem durch das sicherheitspolitische Prisma des Kampfes gegen den Terror wahrgenommen und ihre Politik dementsprechend ausgerichtet. Dabei wurde erst jene Situation geschaffen, die vor allem die USA durch ihre kurzsichtige und schlecht informierte Anti-Terrorpolitik ursprünglich verhindern wollte. Darüber hinaus wurden durch die äthiopische Invasion regionale Konflikte direkter als sonst in Somalia selbst ausgetragen, was zu einer weiteren Konfliktintensivierung und Verlängerung führte. Neuerliche US-Luftangriffe oder eine Rückkehr äthiopischer Truppen würden al-Shabaab und anderen bewaffneten Oppositionsgruppen nur weitere Unterstützung und Rückhalt in der somalischen Gesellschaft verleihen. Tatsächlich muss die Internationale Gemeinschaft im Jahr 2010 – ähnlich wie im Moment in Afghanistan – anerkennen, mit ihrem paradigmatischen Annahmen gescheitert zu sein, ja den Konflikt in seiner aktuellen Beschaffenheit erst selbst hervorgerufen zu haben. Wie in Afghanistan müssen auch in Somalia die externen Akteure akzeptieren, dass keine militärische Lösung für den Konflikt existiert. Die letzten vier Jahre ergebnisloser Kämpfe, die trotz zuweilen massiver externer Unterstützung nur eine Pattsituation in Südsomalia aufrechterhalten konnten, sollten dafür Beweis genug sein. Obwohl eine schwere Entscheidung, hat sich in Afghanistan langsam ein internationaler Konsens über die Einbeziehung der bewaffneten Opposition herausgebildet, der am ehesten die Chance birgt, den Konflikt zu beenden. Selbiges gilt für Somalia, auch wenn dies derzeit noch ein gewisses Tabu zu sein scheint. In einem solchen Prozess sollten gleichwohl nicht nur die bewaffneten Kräfte, sondern alle Teile der somalischen Gesellschaft vertreten sein. Internationale Akteure müssen im derzeitigen Umfeld dabei aufpassen, durch ihre Unterstützung nicht jene somalischen Gruppen zu delegitimieren, die sie eigentlich zu stärken trachten.
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Al Shabaab in Somalia
Al Shabaab in Somalia: Von einer Terrorzelle zu einem regierungsähnlichen Akteur
Markus Virgil Hoehne
1. Einleitung Somalia steht seit 1991 gemeinhin für Staatszerfall, Hunger, Bürgerkrieg und das Scheitern externer Lösungsansätze. 1 Ab Mitte der 2000er Jahre erregten neue „Auswüchse“ anhaltender Staatslosigkeit wie Piraterie und islamischer Terrorismus international Aufmerksamkeit. Diese waren nicht mehr auf das Territorium Somalias beschränkt, sondern stellten regionale, wenn nicht sogar globale Bedrohungen dar. Sie zeitigten zum ersten Mal seit der gescheiterten humanitären Intervention der UNO und der USA (1992-1995) wieder ein massives externes Eingreifen mit politischen, aber vor allem mit militärischen Mitteln. 2 Dieser Beitrag konzentriert sich darauf, die Entstehungsgeschichte von Al Shabaab („Die Jugend“) als der wichtigsten islamistischen Gewaltorganisation in Somalia nachzuzeichnen. Am Beispiel ihres Aufstiegs von einer kleinen Terrorzelle um 2004 zur mächtigsten somalischen Miliz, die 2009 und 2010 weite Teile des Landes kontrollierte, lassen sich wichtige Aspekte des somalischen Bürgerkrieges beleuchten. Erstens bündelt Al Shabaab eine Reihe früherer islamistischer Tendenzen in Somalia und stellt somit einen vorläufigen Höhepunkt in der Entwicklung des politischen Islams in Somalia dar. Das bedeutet nicht, dass viele Somalis mit der Auslegung der Religion, wie sie von Al Shabaab-Aktivisten vorgenommen wird, einverstanden sind. Die Existenz von und die Debatten
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Die Realität vor Ort ist natürlich viel komplexer; es gibt auf lokaler und teils regionaler Ebene durchaus Ordnungsstrukturen, die Recht, Sicherheit und sogar wirtschaftliche Entwicklung jenseits des Staates gewährleisten können. In Nordwestsomalia existiert mit Somaliland seit 1991 sogar ein international nicht anerkannter, intern aber relativ gut funktionierender De-Facto-Staat; siehe dazu Hagmann, Tobias/Hoehne, Markus Virgil: Failures of the state failure debate: Evidence from the Somali territories. Journal of International Development 21/2009: 42-57; Leonard, D. K./Samantar, M. S.: What Does the Somali Experience Teach Us about the Social Contract and the State? Development and Change 42(2)/2011, S. 559-584; Le Sage, Andre: Stateless Justice in Somalia. Formal and informal rule of law initiatives. Geneva 2005; Little, Peter: Somalia: Economy without State. Oxford 2003. Siehe den Beitrag von David Petrovic in diesem Band zur Piraterie und ihrer Bekämpfung vor Somalias Küsten.
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über Al Shabaab unterstreichen vielmehr die zunehmend unterschiedlichen Orientierungen der Somalis hinsichtlich des Islams. Zweitens verdeutlicht der Machtzuwachs der militanten Islamisten, insbesondere von Al Shabaab, dass um das Jahr 2000, wenn auch zunächst kaum wahrnehmbar, ein neues Kapitel im somalischen Bürgerkrieg begonnen hat. Die Islamisten mit ihrer Vision von einem auf Schari’a basierenden Gottesstaat, der möglicherweise über nationale Grenzen hinweg die ganze umma (Gemeinschaft der Gläubigen) umfasst, haben Anfang des 21. Jahrhunderts die weitgehend nihilistischen, profitgierigen und Klanzugehörigkeiten manipulierenden Warlords abgelöst. Dies hat Konsequenzen für die internationale Gemeinschaft, die bis 2008 – in Verkennung der veränderten Gemengelage in Somalia – auf die alten Warlords als die wichtigsten politischen Kräfte im Land gesetzt hat. Drittens zeigt der Aufstieg von Al Shabaab die ungeplanten und verheerenden Wirkungen kurzfristig angelegter externer Interventionen. Die „Anti-Terrormaßnahmen“ der USA und Äthiopiens haben Al Shabaab erst groß gemacht und zeitweise dafür gesorgt, dass breite Schichten der somalischen Bevölkerung die militanten Extremisten als „Befreier“ Somalias ansahen. Viertens lässt sich am Beispiel von Al Shabaab diskutieren, inwieweit das global agierende Terrornetzwerk Al Qaida tatsächlich in Somalia aktiv ist. Gerüchte von der Einmischung Al Qaidas im Land gab es schon lange. Allerdings zeigen jüngere Studien, dass gerade ein zerfallener Staat und ganz besonders Somalia keine gute Basis für Al Qaida darstellt. Dies hat sich seit dem Erstarken von Al Shabaab ab 2007 nur teilweise geändert.
2. Politischer Islam in Somalia 2.1 Hintergrund Allgemein bezieht sich der Begriff des politischen Islam auf eine Kombination von strikter Orientierung an den als authentisch wahrgenommenen Quellen des Islams (Koran, Hadith und Kommentare) und politischem und/oder gesellschaftlichem Aktivismus. Letzterer zielt auf die Verbreitung und Einhaltung islamischer Glaubensinhalte inklusive der Schari’a. Die meisten zeitgenössischen Reformbewegungen im Islam, die auch politisch aktiv sind, lassen sich als Salafis einordnen. Der Begriff „Salafi“ kommt von al salaf al salih, was „die frommen Vorläufer” bedeutet. Salafis beziehen sich auf die Muslime der ersten Generation, meist auf die Zeitgenossen des Propheten und deren Auslegung des Islams. 3 3
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Euben, Roxanne L./Zaman, Qasim: Introduction. In: Euben, Roxanne L./Zaman, Qasim (Hrsg.): Princeton readings in Islamist thought: texts and contexts from al-Banna to Bin Laden. Princeton 2009, S. 1-46, hier S. 3.
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Die inhaltliche Bandbreite des politischen Islam ist weit. Seine Anhänger, die ich in diesem Text schlicht „Islamisten“ nenne, können versuchen, ihre Ziele mit friedlichen Mitteln oder mit Gewalt zu erreichen. Sie können sich ausschließlich auf gesellschaftliche Reformen konzentrieren oder vornehmlich politisch und/oder militärisch agieren. Der Radius ihrer Agenda kann national, regional oder global sein. Kombinationen dieser Tendenzen und Orientierungen inklusive der sich daraus eventuell ergebenden Widersprüche sind innerhalb islamistischer Gruppen die Regel. 4 Traditionell waren die meisten Somalis bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Sufismus verpflichtet. 5 Zeitgenössische reformistische oder radikale Strömungen, die von den Moslembrüdern bis hin zu Al Qaida vertreten werden, fanden in Somalia lange kein Gehör. Nur eine Minderheit innerhalb der urbanen Elite und einige Somalis, die als Gastarbeiter auf die arabische Halbinsel gezogen waren, begannen sich ab den 1970er Jahren für neuere islamische Strömungen zu interessieren. Innerhalb dieser kleinen Gruppe waren die meisten an gesellschaftlichen Reformen interessiert. Die Islamisten gerieten jedoch bald in Konflikt mit der sozialistisch ausgerichteten Regierung unter Mohamed Siyad Barre (1969-1991). Der Präsident demonstrierte seine Macht, als er 1975 zehn Sheikhs hinrichten ließ, nachdem diese sich gegen das neue Familienrecht ausgesprochen hatten, das Männern und Frauen gleiche Rechte garantierte. Fortan hielten sich die Islamisten bedeckt und ihr gesellschaftlicher Einfluss blieb bis zum Ende der Barre-Diktatur sehr begrenzt. 6
2.2 Staatszerfall als Chance: Die Islamisten werden aktiv Das Ende der zentralstaatlichen Strukturen, die über zwei Jahrzehnte von einem autoritären Regime beherrscht worden waren, bot den Islamisten den Freiraum, um offen sozial und politisch zu agieren. Unter den verschiedenen islamistischen Bewegungen war Al Ittihat Al Islamiya (AIAI), die „Islamische Union“, die 4
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International Crisis Group (ICG): Somalia’s Islamists (Africa Report Nr. 100, 12.12. 2005), S. 1; Kfir, Isaac: Islamic radicalism in East Africa: Is there a cause for concern?. In: Studies in Conflict and Terrorism 31(9)/2008, S. 829-855, hier S. 830-31; Euben/ Zaman: Introduction, hier S. 4-5. Lewis, Ioan M.: Saints and Somalis. Popular Islam in a clan-based society, Lawrenceville 1998. Marchal, Roland: Islamic Political Dynamics in the Somali Civil War. In De Waal, Alex (Hrsg.): Islamism and its Enemies in the Horn of Africa, London 2004, S. 114-145; Abdullahi, Abdurahman M.: Women, Islamists and the military regime in Somalia: The new family law and its implications. In: Hoehne, Markus V./Luling, Virginia (Hrsg.): Milk and Peace, Drought and War: Somali Culture, Society and Politics. London 2010, S. 137160.
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einflussreichste. Sie war schon 1982 als Zusammenschluss somalischer Islamisten gegründet worden. Nach dem Sturz Mohamed Siyad Barres etablierte AIAI eine eigene Miliz, die im Gegensatz zu den Truppen der Warlords offiziell klanübergreifend organisiert war. Trotz oder gerade wegen ihres Namens – „Die Union“ – war AIAI im Hinblick auf die ideologischen Orientierungen ihrer Mitglieder heterogen. Auch spielten Klanantagonismen bzw. Klanloyalitäten innerhalb der Organisation immer wieder eine Rolle. AIAI besetzte Anfang 1991 die Hafenstadt Kismayo, ungefähr 450 km südlich von Mogadishu. Wenige Monate später zogen die Truppen des United Somali Congress (USC) unter dem Warlord Mohamed Farah Aidiid gegen die Stadt. Sie gehörten dem Hawiye/Habar Gedir Klan an. AIAI versuchte, eine Allianz mit lokalen Darood Klanmilizen zu bilden, die mit den Hawiye verfeindet waren. Das Unternehmen scheiterte; AIAI erlitt schwere Verluste und musste aus Kismayo abziehen. AIAI versuchte daraufhin, eine Basis in Nordostsomalia aufzubauen. Im Einvernehmen mit lokalen Machthabern übernahm die Organisation die Kontrolle über die Hafenstadt Bosaso. Schon 1992 kam es zu Kämpfen zwischen den Islamisten und den Einheiten der Somali Salvation Democratic Front (SSDF), der Miliz des Majeerteen Klans unter Befehl von Colonel Abdullahi Yusuf. Wieder wurde AIAI vernichtend geschlagen. Daraufhin spaltete sich die Organisation 1993. Ein Teil von AIAI unter Sheikh Ali Warsame befürwortete das Ende des bewaffneten Kampfes. Das Ziel der Einrichtung eines islamischen Staates Somalia sollte fortan durch die Konzentration auf soziales Engagement erreicht werden. Ein anderer Teil unter Sheikh Hassan Dahir Aweys und Hassan Abdullahi Turki hielt an der militärischen Strategie fest. Die militanten Islamisten etablierten Zentren in Ras Kambooni, ganz im Süden Somalias, an der Grenze zu Kenia, sowie in Luuq, der Hauptstadt der Region Gedo in Westsomalia. Zudem war AIAI in der SomaliRegion von Äthiopien aktiv und operierte gegen die von vielen Somalis als Besatzungsmacht empfundene Regierung in Addis Abeba. Dieses Engagement provozierte Äthiopien und 1996 bombardierten äthiopische Kampfflugzeuge Stellungen und Lager der Islamisten in der Gegend von Luuq. Eine dritte Gruppe spaltete sich 1993 unter dem Namen Al Itisam ab und agierte fortan vornehmlich in Mogadischu. Ihr Anführer war Sheikh Mohamed Ise. Al Itisam war militärisch nicht aktiv, aber ideologisch einheitlicher und deutlich radikaler als AIAI. 7 Neben AIAI und seinen Splittergruppen existierten eine Reihe weiterer islamistischer Organisationen in Somalia, die ab 1991 verstärkt aktiv waren oder erst entstanden, wie Al Islah, Ahlu Sunna Wal Jama’a und Majuma Ulema. Die wichtigste von ihnen war Al Islah. Diese Gruppe wurde schon in den späten 7
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Le Sage, Andre: Somalia and the War on Terrorism: Political Islamic Movements and US counter terrorism efforts. PhD Thesis, Cambridge University, 2004, Kapitel 4; ICG, Somalia’s Islamists, S. 3-5; Marchal, Roland, personal communication 01.11.2009.
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1970er Jahren gegründet. Wie auch AIAI gelangte Al Islah ab 1991 zu mehr Prominenz in Somalia. Al Islah verfolgte keine militärische Strategie. Ihre Mitglieder waren Teil der intellektuellen Elite der somalischen Gesellschaft (inklusive der Mitglieder der somalischen Diaspora) und konzentrierten sich auf Einflussnahme im Wirtschafts- und Bildungssektor. So lag z.B. die Leitung der 1997 gegründeten Universität von Mogadischu in den Händen von Al Islah-Mitgliedern. Das wichtigste politische Projekt der Gruppe in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren war die Vorbereitung des und die Teilnahme am Transitional National Government (TNG), das 2000 in Arta (Djibouti) etabliert wurde. 8 Allerdings blieb das TNG in Somalia immer schwach. Es wurde von den Warlords und Äthiopien nicht akzeptiert und 2003 offiziell aufgelöst. Parallel zu den Aktivitäten von AIAI, Al Islah und anderen Organisationen, aber nicht immer mit ihnen verbunden, wurden Schari’a-Gerichtshöfe in Mogadischu und Teilen Südsomalias eingerichtet. Die ersten Gerichtshöfe entstanden 1994 im Norden Mogadischus, im Gebiet des Warlords Ali Mahdi Mohamed. Der Vorsitzende dieser Gerichtshöfe, Sheikh Ali Dheere, war ein Klanverwandter des Warlords. Solange die Gerichtshöfe unter Ali Mahdis Kontrolle waren und er von der islamischen Justiz dahingehend profitierte, dass sie lokal für Ordnung sorgte, ohne seine Macht zu beschneiden, tolerierte der Warlord die Islamisten. Als Sheikh Ali Dheere aber versuchte, finanziell und politisch unabhängig zu werden, löste Ali Mahdi die Gerichtshöfe in seinem Einflussbereich auf. Auch in anderen Orten Süd- und Zentralsomalias kooperierten zeitweise lokale Warlords und Schari’a-Gerichtshöfe. Im Süden Mogadischus verhinderte der Warlord Mohamed Farah Aidiid lange Zeit die Entstehung von Schari’aGerichtshöfen. Erst nach seinem Tod 1996 kamen auch dort die Islamisten zum Zug. 9 Die Gerichtshöfe im Süden Mogadischus waren von Beginn an unabhängig von den dortigen Warlords. Sie wurden von der lokalen Bevölkerung geschätzt, da sie für Ruhe und Ordnung sorgten und ihr Rechtssystem transparent war. 10 Die somalischen Schari’a-Gerichtshöfe waren von ihrer Ausrichtung her konservativ, aber nicht notwendigerweise extremistisch. Nicht alle wandten die im islamischen Recht enthaltenen Körperstrafen an. Die Gerichtshöfe standen in engem Kontakt mit traditionellen Autoritäten und respektierten die Wünsche und 8 9
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Le Sage, Andre: Somalia and the War on Terrorism, Kapitel 6; ICG: Somalia’s Islamists, S. 13-17. Mohamed Farah Aidiid stand angeblich selbst dem Sufismus nahe. Sufis einerseits und die neueren islamischen Reformbewegungen wie AIAI und Al Islah andererseits legen den Islam sehr unterschiedlich aus. Dennoch gab es Anfang der 1990er Jahre eine kurze Allianz zwischen AIAI-Mitgliedern und Mohamed Farah Aidiid. Dabei spielten Klanverwandtschaft und militärisch-strategische Überlegungen die entscheidende Rolle. Shinn, David H.: Al Qaeda in East Africa and the Horn (2007) , abgerufen am 12.11.2009.
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Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung, mit der die Mitglieder der Gerichtshöfe meist eng verwandt waren. Die Gerichtshöfe verfügten über eigene Milizen, die in Abstimmung mit den Ältesten in der Nachbarschaft Verdächtige festnehmen konnten. 11 Einige Gerichtshöfe gerieten allerdings unter den Einfluss von Extremisten. So spielte Sheikh Hassan Dahir Aweys, der Anführer des militanten Flügels von AIAI, eine wichtige Rolle im Ifkahalane-Gerichtshof im Süden Mogadischus. Dort lassen sich, wie weiter unten geschildert, die Anfänge von Al Shabaab verorten. 12 Im Jahr 2000 versuchten mehrere Akteure innerhalb der Schari’aGerichtshöfe, ihre Aktivitäten und ihr Potenzial (inklusive der Milizen) zu bündeln. Sie bildeten eine Allianz, um gemeinsam gegen Kriminelle vorzugehen. Einige Islamisten erhofften sich davon auch verstärkten politischen Einfluss. Dennoch blieb die Macht der Gerichtshöfe beschränkt, da die meisten Somalis die puritanischen religiösen Ansichten der Islamisten nicht teilten und die Gerichtshöfe nur wegen der Sicherung von Ruhe und Ordnung vor Ort schätzten. 13 Das ebenso im Jahr 2000 in Djibuti geschaffene TNG unter Präsident Abdiqasim Salad Hassan stand den nicht-militanten Islamisten nahe. Es integrierte einige, aber bei weitem nicht alle Schari’a-Gerichtshöfe in das neu zu errichtende somalische Justizsystem. Dieser Vorgang unterminierte die eben erst etablierte Allianz der Gerichtshöfe. 14
2.3 Versuche von Al Qaida, in Somalia Fuß zu fassen Es gab eine Anzahl von Gerüchten, die Al Qaida mit Somalia verbanden. So soll das islamistische Terrornetzwerk unter Führung Osama Bin Ladens schon Anfang der 1990er Jahre in Somalia aktiv und an dem Abschuss der amerikanischen Hubschrauber vom Typ Black Hawk am 03.10.1993 beteiligt gewesen sein. Die dafür von einigen Autoren angeführten „Beweise“, wie die Verwendung bestimmter Waffentypen zum Abschuss der Hubschrauber, für die in Somalia angeblich keine Fachwissen vorhanden war, können nicht überzeugen. 15 11 12 13 14 15
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Le Sage, Andre: Somalia and the war on terrorism, S. 135 and 141-142. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab. In: Journal of Eastern African Studies 3(3)/2009, S. 381-404, hier S. 388. ICG: Somalia’s Islamists, S. 20. Le Sage, Andre: Somalia and the war on terrorism, S. 144-145 und 151-173. Zitelmann, Thomas: Somalia, das Horn von Afrika und die Gerüchte vom Einfluss Usama Bin Ladens. In: Meyer, Günter/Pütz, Robert/Thimm, Andreas (Hrsg.): Terrorismus und Dritte Welt. Mainz 2003, S. 59-95; Hoehne, Markus V.: Somalia zwischen Krieg und Frieden. Strategien der friedlichen Konfliktaustragung auf internationaler und lokaler Ebene, Hamburg 2001, S. 124-125.
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Tatsächlich bestanden jedoch Kontakte auf persönlicher Ebene zwischen einzelnen somalischen Akteuren wie Sheikh Hassan Dahir Aweys und hochrangigen Al Qaida-Mitgliedern wie Abu Hafs Al Masri oder Mohamed Atef. 16 Die Versuche, in Somalia Fuß zu fassen, wurden vom Sudan aus koordiniert, wo Hassan Al Turabi die „Gotteskrieger“ Anfang der 1990er Jahre unterstützte. Es gelang Al Qaida allerdings nicht, das staatslose und im Bürgerkrieg befindliche Somalia zu einer Operationsbasis für islamistischen Terror zu machen. Eine detaillierte Analyse freigegebener amerikanischer Geheimdienstdaten, welche die 1990er Jahre betreffen, zeigte, dass Al Qaida in Somalia in weiten Teilen dieselben Probleme hatte wie die UNO und die USA bei ihrer humanitären Intervention (1992-1995): Al Qaida-Mitglieder wurden, wie alle Nicht-Somalis, als „Fremde“ angesehen und man vertraute ihnen nicht; ihre salafistische Version des Islams wurde von den meisten Somalis, die traditionell dem Sufismus verpflichtet waren, abgelehnt; das Gefühl der Zugehörigkeit zur eigenen patrilinearen Abstammungsgruppe (segmentiert in Klan, Sub-Klan, Lineage etc.) war unter Somalis oft stärker als die Verpflichtung einer religiösen Gruppe oder politischen Partei gegenüber. 17 Darüber hinaus waren Klanallianzen extrem flexibel und änderten sich rasch. Die Infrastruktur Somalias war im Bürgerkrieg weitgehend zerstört worden, was die Fortbewegung in Städten und über Land enorm erschwerte. Viele Menschen waren bewaffnet und keine übergeordnete Autorität konnte Sicherheit über einen engen Radius hinaus garantieren. Da es keine international anerkannte Regierung mehr gab, welche die Souveränität Somalias wahren konnte, war das Land „offen“ für externe Interventionen, z.B. von Äthiopien oder den USA. Al Qaida-Strategen waren auf Grund dieser Schwierigkeiten bald frustriert und sahen Mitte der 1990er Jahre von einem ernsthaften Engagement in Somalia ab. 18 Dennoch nutzten internationale Jihadisten Somalia als Transit- und Rückzugsraum im Zusammenhang mit Anschlägen, die zwischen 1996 und 2002 in Äthiopien, Kenia und Tansania durchgeführt wurden. An einigen wenigen Orten wurden mit Zustimmung lokaler Führer Trainingscamps eingerichtet. Einzelne Somalis gingen in den 1990er und frühen 2000er Jahre nach Afghanistan, um sich am Kampf der Taliban (gegen afghanische Warlords und später die internationa-
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Shinn, David: Al Shabaab’s foreign threat to Somalia. In: Orbis, Spring 2011, S. 203215, hier S. 204; Harmony Project/Centre for Combating Terrorism at West Point: AlQaida’s (Mis)Adventures in the Horn of Africa. West Point 2007, hier S. 44 und 79. Zur Rolle genealogischer Zugehörigkeit in der somalischen Gesellschaft siehe Zitelmann in diesem Band; siehe auch Mohamed, Jama: Kinship and Contract in Somali Politics. In: Africa 77(2)/2007, S. 226-249. Menkhaus, Ken: Somalia: State collapse and the threat of terrorism. Adelphi Paper 364, Oxford 2004, S. 71-75; Harmony Project/Center for Combating Terrorism: Al Qaida’s (Mis-)Adventures, S. 39-44.
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len Interventionstruppen) zu beteiligen. Dabei kamen sie zum Teil mit Al Qaida in Kontakt. 19 2.4 Die Auswirkungen des 11. September 2001 in Somalia Nach den Anschlägen auf New York und Washington von 09.11.2001 geriet Somalia ins Fadenkreuz der von den USA geführten Anti-Terror-Allianz. 20 Man befürchtete, dass Al Qaida-Mitglieder den zerfallenen Staat nach ihrer Verdrängung aus Afghanistan als Unterschlupf nutzen könnten. Dies war aber nicht der Fall. 21 Somalia war auch Anfang der 2000er Jahre, wie oben angedeutet, kein „sicherer Hafen“ für ausländische Jihadisten. Die überschaubare Zahl von einheimischen Extremisten in Somalia bemühte sich angesichts des frisch ausgerufenen Krieges gegen den Terrorismus um Unauffälligkeit, aus Angst vor externen Angriffen. Die wenigen islamistischen Trainingscamps wurden rasch aufgelöst. 22 Das Vermögen der somalischen hawala-Organisation Al Barakaat, die Geld von Somalis in der Diaspora nach Somalia transferierte, wurde im November 2001 eingefroren. Die USA beschuldigten Al Barakaat, Osama Bin Laden finanziell unterstützt zu haben. Diese Anschuldigung konnte nie bewiesen werden. 23 Verschiedene somalische Akteure, besonders die Warlords, deren Macht im Schwinden begriffen war, eigneten sich die „(Anti-)Terrorismus-Rhetorik“ an, um ihre Gegner zu diskreditieren und sich als Partner mächtigen Verbündeten wie den USA oder Äthiopien anzudienen. 24 Die folgenschwerste Auswirkung des 11. September, gerade im Hinblick auf die Entstehung von Al Shabaab, war der verdeckte Krieg gegen den Terrorismus, der ab 2002 in Somalia, vor allem in Mogadischu, stattfand. Die Amerikaner und 19 20 21 22
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Shinn, David H.: Al Shabaab’s Foreign Threat to Somalia, S. 205-207. Bakonyi, Jutta: Somalia im Visier der Anti-Terror-Allianz. Hintergründe des Staatszerfalls. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2002, S. 229-236. Wie bekannt, hat sich die Al Qaida-Spitze größtenteils nach Pakistan abgesetzt. Le Sage, Andre: Somalia and the War on Terrorism: Political Islamic Movements and US counter terrorism efforts. Unpublished PhD Thesis, Cambridge University 2004, S. 111112; Menkhaus, Ken: Somalia: State collapse and the threat of terrorism, S. 66-71; Harmony Project/Center for Combating Terrorism, Al Qaida’s (Mis-)Adventures, S. 2; Shinn, David H.: Al Qaeda in East Africa. Schlee, Günther: Somalia und die Somali-Diaspora vor und nach dem 11. September 2001. In: Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Koexistenz und Konflikt von Religionen im vereinten Europa, Göttingen 2004, S. 140-156, hier S. 152; Lindley, Anna: Between ‘Dirty Money’ and ‘Development Capital’: Somali money transfer infrastructure under global scrutiny. In: African Affairs 108(433)/2009, S. 519-539, hier S. 529. Schlee, Günther: Wie Feindbilder entstehen: Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte. München 2006, S. 158-159; Elliot, Ashley/Holzer, Georg-Sebastian: The invention of ‘terrorism’ in Somalia: paradigms and policy in US foreign relations. In: South African Journal of International Affairs 16(2)/2009, S. 215-244, hier S. 216.
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Äthiopier bezahlten Warlords und ihre Milizen dafür, somalische und ausländische Terrorverdächtige gefangen zu nehmen und an die Aufraggeber auszuliefern oder zu liquidieren. Eine ganze Serie von Übergriffen auf islamische Führer nährte bald den schon seit der Intervention Anfang der 1990er Jahre vorhandenen Anti-Amerikanismus und steigerte die Popularität islamistischer Aktionen unter der lokalen Bevölkerung. Extremistische Elemente unter den somalischen Islamisten wiederum nutzen die Situation aus, um Gegenschläge gegen die Warlords und ihre Truppen zu führen. Zudem zielten sie im Kontext des immer weiter eskalierenden „dreckigen Kriegs“ zwischen ihnen und den Terroristenjägern auf andere potenzielle Gegner eines von ihnen favorisierten militantislamistischen Kurses in Somalia. In diesem Kontext wurde Mitte der 2000er Jahre mindestens ein Dutzend Journalisten, Friedensaktivisten und moderate Intellektuelle in Mogadischu umgebracht. Zudem wurden einige ausländische Hilfskräfte im Land, auch in Nordsomalia, gezielt getötet. 25 Im Nachhinein kann man dies als die „Aufwärmphase“ für die gewaltbereiten Islamisten betrachten, die sich später als Al Shabaab zusammenschlossen. Die USA, Äthiopien und die internationale Staatengemeinschaft hielten auch hinsichtlich des Wiederaufbaus somalischer Staatlichkeit an einem top-downAnsatz und an den Warlords fest. 26 Das von den nicht-militanten Islamisten mitgetragene TNG war bald gescheitert. Der nächste Versuch, eine somalische Regierung aufzubauen, fand zwischen Herbst 2002 und Anfang 2005 in Kenia statt. Die Konferenz stand unter der Leitung der Intergovernmental Authority on Development (IGAD), der Regionalorganisation am Horn von Afrika. Wichtige Geldgeber waren die EU und die USA. Diesmal sollte ein Transitional Federal Government (TFG) entstehen. Die föderale Agenda sollte dabei helfen, das vielfach zersplitterte Somalia wieder zu einen und eine Machtkonzentration wie in den Zeiten der Diktatur von Mohamed Siyad Barre zu vermeiden. Ungefähr zwei Dutzend Warlords saßen im Führungsgremium dieser „Friedenskonferenz“. Sie konnten entscheidende Weichen in Bezug auf die Zusammensetzung des Parlaments stellen. Das Parlament wählte im Oktober 2004, angeblich nach massiven Manipulationen Äthiopiens und des Kandidaten selbst, den Warlord Abduallahi Yusuf zum neuen Präsidenten Somalias. Der neue Präsident war früher Anführer der SSDF (bis 1998) und Präsident von Puntland 25 26
Marchal, Roland: Somalia: A New Front Against Terrorism (2007), , abgerufen am 30.03.2007, S. 5; ICG: Can the Somali Crisis be Contained? (Africa Report Nr. 116, 10.08.2006), S. 10, 17 und 19. Im Gegensatz zu dem externen top-down-Ansatz fand der Wiederaufbau von De-FactoStatlichkeit in Nordsomalia, besonders in Somaliland, von unten, also bottom-up, statt. Die Hauptakteure dieses bottom-up-Prozesses waren traditionelle Autoritäten und ihre Gefolgschaft; siehe Hoehne, Markus V.: Not born as a de facto state: Somaliland’s complicated state formation. In: Sharamo, Roda/Mesfin, Berouk (Hrsg.): Regional Security in the Post-Cold War Horn of Africa. Pretoria 2011, S. 309-346.
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(1998-2004) gewesen. Abdullahi Yusuf war, trotz der föderalen Agenda, an der Zentralisierung der Macht in seinen Händen interessiert. Zudem setzte er auf die militärische Lösung der Probleme Somalias. Er war ein Feind der Islamisten, die er schon Anfang der 1990er in Nordostsomalia bekämpft hatte. Er war auch nicht beliebt in Mogadischu, wo er als Darood die Klanfeindschaft vieler Hawiye auf sich zog. In seinem Kabinett saßen vornehmlich bekannte Warlords, die in der Bevölkerung teilweise auf Grund ihrer Taten im Bürgerkrieg verhasst waren. 27 Das TFG konnte sich nicht als geschlossene Regierung in Mogadischu etablieren. Es wurde vielmehr gleich nach seiner Gründung von vielen lokal einflussreichen Akteuren in Somalias Hauptstadt als Bedrohung angesehen. Schließlich musste man in die circa 200 km nordwestlich von Mogadischu gelegene Stadt Baydhoa ausweichen. Dies spielte in die Hände der Islamisten, die sich in Mogadischu und Umgebung als Alternative zur Warlord-Regierung unter Abdullahi Yusuf präsentieren konnten. Insgesamt zeigt sich für die 1990er und frühen 2000er Jahre, dass die islamistische Bedrohung, die vom zerfallenen Somalia in den Augen vieler westlicher Politiker und Medien sowie einiger Akademiker angeblich ausging, massiv überschätzt wurde. 28 Die Situation änderte sich aber schrittweise ab ungefähr 2002. Dies geschah vornehmlich im Kontext des Krieges gegen den Terrorismus und der externen Versuche, in Somalia wieder einen Zentralstaat aufzubauen.
3. Entwicklung von Al Shabaab Der Widerstand gegen die Warlords und ihre Förderer außerhalb Somalias, besonders Äthiopien und die USA, organisierte sich zunehmend militärisch. Elf 27
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Mitglieder der Darood Klan-Familie hatten bis Januar 1991 die somalische Regierung dominiert. Die Guerillas des USC, die Mogadischu 1991 einnahmen, waren Hawiye, genau wie die Mehrheit der lokalen Bevölkerung in Mogadischu und Umgebung. In Folge des Umsturzes kam es zu massiven Verfolgungen von Darood durch Hawiye-Milizen und einen Hawiye-Mob. Dieses Erbe belastete politische Führer beider Seiten und ihre jeweiligen Gefolgsleute noch Mitte der 2000er Jahre; siehe: Hassan, Harun/Barnes, Cedric: A Return to Clan-Politics (or Worse) in Southern Somalia? (2007), , abgerufen am 30.11.2007. Einer der bekanntesten Autoren, der ohne empirische Grundlage Staatszerfall mit Anarchie und, nach dem 11.09.2001, den Gefahren des (islamistischen) Terrors gleichsetzte, ist Richard I. Rotberg, siehe: Rotberg, Richard I.: The failure and collapse of nationstates: breakdown, prevention, and repair. In: Rotberg, Richard I. (Hrsg.): When States Fail: Causes and Consequences. Princeton 2004, S. 1-45. Für eine hervorragende Kritik an der von den üblichen Schlagworten wie warlordism und terrorism verzerrten Perspektive auf Somalia, siehe: Marchal, Roland: Warlordism and terrorism: How to obscure an already confusing crisis? The case of Somalia. In: International Affairs 83 (6)/2007, S. 1091-1106.
Al Shabaab in Somalia
Gerichtshöfe in Mogadischu bildeten im Jahr 2004 eine neue Allianz, welche dem Supreme Council of Islamic Courts unterstand. Sheikh Sharif Sheikh Ahmed wurde zum Vorsitzenden dieses Rates gewählt. 29 Die Gerichtshöfe vereinigten ihre Milizen und stellten daraufhin mit circa 400 Bewaffneten eine beachtliche Macht in Mogadischu dar. 30 Dennoch war die Allianz lose; ihre Mitglieder waren militante und nicht-militante Islamisten; eine Minderheit waren Extremisten. Die Agenda der meisten Mitglieder war auf Somalia ausgerichtet, wohingegen nur wenige den globalen bewaffneten Kampf gegen die „Ungläubigen“ favorisierten. 31 Zu der letzteren Gruppe gehörte die Miliz des schon erwähnten Ifkahalane-Gerichtshofs, die von Aden Hashi Ayro, einem Vertrauten von Sheikh Hassan Dahir Aweys, geführt wurde. Aden Hashi Ayro und seine Getreuen erregten international Aufmerksamkeit, als sie 2005 einen aus der Kolonialzeit stammenden italienischen Friedhof in Mogadischu schändeten. Diese Tat wurde von der Mehrheit der Somalis verabscheut. 32 Allerdings brachte die Aktion der extremistischen Zelle um Aden Hashi Ayro die Bewunderung und die finanzielle Zuwendung einzelner somalischer Geschäftsleute ein. Zudem floss angeblich Geld seitens der italienischen Regierung, um die Gebeine der ehemaligen Kolonialherren zurückzubekommen. 33
3.1 Die Anfänge: Al Shabaab als radikale „Jugendbewegung“ der Union of Islamic Courts Ein genaues Gründungsdatum von Al Shabaab ist nicht bekannt. Roland Marchal argumentiert, dass die Gruppe als lose Zelle um 2004 im Kontext der oben genannten Allianz der Schari’a-Gerichtshöfe entstand. 34 Eine alternative „Entstehungsgeschichte” wird von Abdirahman Aynte vorgeschlagen. Demnach soll sich Al Shabaab Anfang 2003 auf einer AIAI Alumni-Konferenz in Lasanod, in Nordsomalia, gegründet haben. 35 Diese Geschichte konnte allerdings vom Autor dieses Beitrages, der sich zwischen Oktober 2003 und Dezember 2010 häufig in 29 30 31 32
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ICG, Somalia’s Islamists, S. 20. Warlord-Milizen umfassten oft nicht mehr als einige Dutzend, maximal einige hundert Mann. ICG, Somalia’s Islamists, S. 21. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 388; Weber, Anette: State building in Somalia – challenges in a zone of crisis. In: Bruchhaus, Eva-Maria/Sommer, Monika (Hrsg.): Hot Spot Horn of Africa Revisited. Hamburg 2008, S. 14-27, hier S. 16. Persönliche Kommunikation mit Roland Marchal, 05.04.2011. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 388. Aynte, Abdirahman: The anatomy of Somalia’s Al-Shabaab Jihadists. In: Horn of Africa XXVII/2009, S. 1-35, hier S. 8-9.
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Lasanod aufhielt, nicht verifiziert werden. Dennoch operierten schon ab Mitte 2003 islamistische Extremisten, die vielleicht Al Shabaab zugehörig waren, in Nordsomalia, genauer: in Somaliland. Zwischen September 2003 und April 2004 wurden vier Ausländer, die in Somaliland als Helfer tätig waren, ermordet. Einige Tatverdächtige wurden gefasst; sie stammten sowohl aus Nord- als auch aus Südsomalia. Unter ihnen war Ahmed Abdi Godane, der genealogisch zur in Somaliland dominierenden Isaaq Klan-Familie gehört. Er wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch schon 2006 begnadigte ihn der damalige somaliländische Präsident Dahir Rayale Kahin. Daraufhin zog Ahmed Abdi Godane nach Mogadischu und schloss sich Al Shabaab an. 36 Al Shabaab war zunächst eine kleine Terrorzelle. Sie umfasste wenige Dutzend Somalis, von denen einige zuvor in Afghanistan trainiert worden waren und dort gekämpft hatten. Wahrscheinlich war die Zelle in die eben erwähnten Operationen in Somaliland involviert. Ihr „Gesellenstück“ war sicherlich die Schändung des italienischen Friedhofs in Mogadischu 2005. Ein Jahr später, Anfang 2006, trat Al Shabaab offiziell als „Jugendorganisation“ der Union of Islamic Courts (UIC) in Erscheinung. 37 Die UIC ist eine konsequente Fortführung der früheren Allianz der Schari’a-Gerichtshöfe. An ihrer Spitze standen mit Sheikh Sharif Sheikh Ahmed und Sheikh Hassan Dahir Aweys ein eher junger und bisher wenig bekannter sowie ein alt gedienter militanter Islamist. Der islamistische Zusammenschluss war direkt gegen ein Bündnis von Warlords gerichtet, das sich Alliance for the Restoration of Peace and Counter-Terrorism (ARPCT) nannte. Die ARPCT war 2005 geschaffen worden und wurde von den USA bezahlt. Im Februar 2006 griffen UIC-Einheiten die Truppen der Warlords an, um einem Schlag der Warlords zuvor zu kommen. Nach monatelangen heftigen Gefechten in Mogadischu hatten die Gerichtshöfe im Juni die ARPCT besiegt. Die Warlords zogen sich aus der Stadt zurück; viele ihrer Milizen wechselten die Seiten und schlossen sich der siegreichen Partei an. Die UIC konsolidierte Mitte 2006 ihre Kontrolle über Mogadischu und weite Teile Südsomalias. Westliche Medien sprachen von der „Talibanisierung“ Somalias. 38 Dies wurde dem Phänomen jedoch nicht gerecht. Im Gegensatz zu den Taliban war die UIC nicht durch jahrelangen Kampf gestählt. Die Eroberung Mogadischus mit militärischen Mit-
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Zenn, Jacob A.: Al-Shabaab’s unavoidable clash with Somaliland democracy. In: Terrorism Monitor VII(33)/2010, S. 5-6, hier S. 5. Es existieren verschiedene Bezeichnungen und Abkürzungen für diese Union der islamischen Gerichtshöfe. Häufig tauchen in der Literatur auch die Begriffe Islamic Courts Union (ICU) oder Council of Islamic Courts (CIC) auf. In Somali wurde die Allianz einfach maxkamadaha (Die Gerichtshöfe) genannt. Thomson, Alex: Somalia’s Taliban? (Channel 4, 06.06.2006), , abgerufen am 30.10.2009; Kfir, Isaac: Islamic radicalism in East Africa, S. 842.
Al Shabaab in Somalia
teln war nicht geplant gewesen. 39 Zudem war die UIC immer noch eine intern sehr heterogene Bewegung und nur der kleinste Teil der UIC, besonders Al Shabaab, war wirklich extremistisch und militant ausgerichtet. Die UIC genoss Legitimität in Mogadischu und darüber hinaus, da die Gerichtshöfe dafür bekannt waren, Ruhe und Ordnung zu sichern. Die neuen Machthaber lösten die Kontrollpunkte der Warlord-Milizen in der Hauptstadt und dem Umland auf und entfernten den Müll aus Mogadischus Strassen. Beide Maßnahmen förderten die Bewegung von Menschen und Gütern, was wiederum die Wirtschaft belebte. Viele Gemeinden Südsomalias luden die UIC ein, die Macht in ihrem Gebiet zu übernehmen. Man erhoffte sich Ordnung und Frieden von den Islamisten. Zehntausende Somalis in der Diaspora erwarteten den Beginn eines neuen Zeitalters in Somalia und viele machten sich aus Europa, der Arabischen Halbinsel oder Nordamerika auf den Weg, um am Neuanfang in Mogadischu teilzuhaben. 40 Die UIC befand sich nach dem Sieg über die Warlord-Allianz in direkter Konkurrenz mit dem in Kenia eingesetzten TFG. Die Übergangsregierung unter Präsident Abdullahi Yusuf mit Sitz in der provisorischen Hauptstadt Baydhoa genoss die Unterstützung Äthiopiens. Die UIC mit dem Zentrum Mogadischu wurde massiv von Eritrea mit Waffen und militärischen Beratern unterstützt. 41 Dies war die Ausgangslage für einen Stellvertreterkrieg zwischen den Erzfeinden Äthiopien und Eritrea in Somalia. Die Arabische Liga initiierte Friedensgespräche zwischen TFG und UIC in Khartum. Beide Seiten trafen sich im Juni und im August; im Oktober scheiterte die dritte Runde der Gespräche, da sich innerhalb des TFG und in der UIC die hardliner durchgesetzt hatten, denen eine militärische Lösung des Konflikts um die Macht in Somalia erstrebenswert schien. 42 Innerhalb der UIC war es vor allem Al Shabaab, die Verhandlungen mit dem TFG sabotierte. Al Shabaab verfügte Mitte 2006 über maximal 400 Kämpfer, die offiziell Teil der circa 3 000 Mann starken Truppe der UIC waren. Die Gruppe hatte im Vergleich zu 2004 und 2005 an Zulauf gewonnen. Dies lag an dem „jungen“ und auf Aktion ausgerichteten Profil von Al Shabaab, das sie nach der Einnahme Mogadischus für Jugendliche in der Hauptstadt und darüber hinaus attraktiv machte. Innerhalb der UIC gelang es den Extremisten bald, überproportional Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. In der ersten Hälfte 39 40 41 42
Die meisten externen Somalia-Experten, abgesehen von Marchal, Menkhaus, Bryden und Le Sage, wussten bis dato wenig von den Gerichtshöfen; mit einem militärischen Sieg hatte niemand gerechnet. Menkhaus, Ken: Violent Islamic extremism: Al-Shabaab recruitment in America (Hearing before the Committee on Homeland Security and Governmental Affairs, USA, 11.03.2009), S. 2-3. Eritrea agierte in Somalia nur aus dem Grund, um Äthiopien zu schaden. Im eigenen Land ging die Regierung in Asmara gegen die Islamisten vor. ICG: Can the Somali Crisis be Contained?, S. 20.
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2006 konnte Al Shabaab noch auf die Unterstützung von Sheikh Hassan Dahir Aweys, einem der zwei UIC-Führer und Förderer von Aden Hashi Ayro, rechnen. Im zweiten Halbjahr 2006 verfolgten die Extremisten zunehmend ihre eigene Linie, die sich durch Provokationen sowohl nach außen wie nach innen auszeichnete. Nach außen hin wurde vor allem die Einnahme der Hafenstadt Kismayo im September 2006, bei der Al Shabaab mit den Ras Kamboni Brigades Hassan Abdullahi Turkis zusammenarbeitete, als Bedrohung gewertet. Zuvor hatte die UIC ihre Macht im Wesentlichen auf Einladung der lokalen Bevölkerung über Mogadischu hinaus ausgedehnt. Kismayo dagegen wurde mit Gewalt eingenommen. Äthiopien und die USA werteten dies als Zeichen für die Aggressivität der Union der islamischen Gerichtshöfe als Ganzes. 43 Mitglieder von Al Shabaab riefen im Herbst 2006 auch zum jihad gegen Äthiopien auf. Sie luden ausdrücklich ausländische Gotteskrieger ein, mit somalischen Islamisten zusammen zu kämpfen. Dies war eine Provokation nach außen und nach innen. Natürlich mussten Äthiopien und die USA über diese Stellungnahmen besorgt sein. Doch auch innerhalb der UIC traf die „globale“ Agenda der Jihadisten nicht nur auf Zustimmung. Die politische Zielsetzungen in der UIC waren unterschiedlich und reichten von einer nationalen (Etablierung eines islamischen Staatswesens in Somalia) bis zu einer pan-somalischen (Inkorporation der somalischen Gebiete in Äthiopien, Kenia und Djibuti) und einer globalen (Vereinigung mit Jihadisten weltweit) Agenda. Die Lage wurde noch verkompliziert, da sich Osama Bin Laden im Juli 2006 selbst zu Wort meldete und die Somalis in einer Audiobotschaft dazu aufrief, einen islamischen Staat in Somalia unter Führung der UIC zu errichten. Er warnte ausländische Truppen davor, in Somalia zu intervenieren. Wenige Monate später, im September, rief Ayman alZawahiri, Al Qaidas „Nummer zwei“, die Somalis dazu auf, das TFG und die „Kreuzritter“ am Horn (gemeint waren die Äthiopier) zu bekämpfen. 44 Diese Botschaften deuten auf die Instrumentalisierung der Entwicklungen in Somalia durch Al Qaida hin. 45 Sie verfehlten nicht ihre Wirkung auf der Gegenseite, die sich in ihrer Befürchtung, die UIC sei eine somalische Version der Taliban und eine Bedrohung des regionalen, wenn nicht des globalen Friedens, bestärkt sah. Doch den verbalen Drohungen gegen die „Feinde des Islams“ in Somalia folgten 2006 noch keine konkreten Schritte von Al Qaida, die somalischen Islamisten materiell oder personell zu unterstützen. Zudem setzte Al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle sehr harsche und unpopuläre Maßnahmen durch. So wurde der Import, Verkauf und Konsum von qaad verboten. Qaad bezeichnet die Blätter einer Pflanze (catha edulis), die 43 44 45
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Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 391. Shinn, David: Al Qaeda in East Africa, Paragraph 42. Rogan, Hanna: Abu Reuter and the E-Jihad: Virtual battlefields from Iraq to the Horn of Africa. In: Culture and Society (Summer/Fall 2007), S. 89-96, hier S. 90.
Al Shabaab in Somalia
gekaut werden und mit der Zeit eine leicht stimulierende Wirkung entfalten. 46 Qaad wird vor allem von Frauen verkauft, die damit oft einen Großteil des Familieneinkommens erwirtschaften. Die Konsumenten sind meist Männer; viele kauen jeden Nachmittag. 47 Das Verbot von qaad führte zu Protesten der Bevölkerung gegen die UIC, was wiederum die Bewegung als Ganzes beschäftigte und Al Shabaab Gelegenheit gab, sich innerhalb der UIC stärker zu positionieren. Selbst Sheikh Hassan Dahir Aweys hatte zu diesem Zeitpunkt die Kontrolle über die „Jugendbewegung“ verloren. 48 Insgesamt gelang es Al Shabaab im Jahr 2006, ihr Profil zu schärfen, neue Anhänger zu gewinnen und innerhalb der UIC für Unruhe zu sorgen. Letzteres schwächte die moderaten Kräfte, die eine nationale Agenda für Somalia verfolgten und zu Verhandlungen mit dem TFG bereit waren. 49 Moderate bzw. weniger militante Kräfte in der UIC mussten sich zunehmend davor hüten, selbst Opfer von Anschlägen der Al Shabaab zu werden. Die UIC-Führung inklusive Sheikh Hassan Dahir Aweys geriet somit zwischen die Fronten. Während von Seiten Äthiopiens, der USA und des Westens gefordert wurde, die Extremisten zu marginalisieren, übten Al Shabaab von innen her Druck aus, um eine friedliche Lösung der Krise in Somalia zu verhindern. 50 Dies führte zum Scheitern der Verhandlungen zwischen TFG und UIC und leitete eine externe Militärintervention zum Schutz der TFG ein. Möglicherweise folgte Al Shabaab mit ihren Provokationen einer solchen Intervention der Strategie des Al Qaida-Taktikers Abu Bakr Naji, der Jihadisten in seinem Buch The Management of Savagery empfiehlt, ein militärisches Eingreifen des Feindes in ihrer Heimat herbeizuführen. Die Folge soll ein erbitterter Kampf in urbanen oder anderweitig schwer zu kontrollierenden Gebieten sein, in dem konventionelle Armeen von einheimischen Guerillakämpfern attackiert werden und die lokale (muslimische) Bevölkerung involviert wird. Letztlich, so Abu Bakr Naji, müssten die Interventionstruppen angesichts einer solchen Lage aufgeben, was einen Sieg für die Jihadisten bedeuten würde. 51
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In Südsomalia fungiert qaad oft unter dem Namen mira. Bei mira kaut man nur die Rinde der Stängel, nicht die Blätter. Gebissa, Ezekiel: Khat in the Horn of Africa: Historical perspectives and current trends. In: Journal of Ethnopharmacology 132/2010, S. 607-614. Marchal, Roland: Somalia: A new front against terrorism, S. 8-9; Menkhaus, Ken: The crisis in Somalia: Tragedy in five acts. In: African Affairs 106(204)/2007, S. 357-390, hier S. 377-380. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 390. ICG: Can the Somali Crisis Be Contained?, S. 16; Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 396. Aynte, Abdirahman: The anatomy of Somalia’s Al-Shabaab Jihadists, S. 5-6.
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3.2 National-islamistischer Widerstand: Al Shabaab als unabhängiger Gewaltakteur im Kampf gegen die äthiopische Besatzung Im Dezember 2006 hatte sich die Lage soweit zugespitzt, dass Truppen der UIC das TFG in Baydhoa bedrohten. Äthiopische Einheiten waren, entgegen aller Dementis aus Addis Abeba, schon seit August in Somalia eingesickert und hatten sich um die provisorische Hauptstadt positioniert. Am 23.12.2006 begann offiziell die äthiopische Militärintervention. Bis zu 14 000 äthiopische Soldaten waren im Einsatz. Die Bodentruppen verfügten über mehrere Dutzend Panzer und wurden aus der Luft unterstützt. Die Intervention hatte die Rückendeckung der USA, die Äthiopien logistisch halfen. Immer wieder war davon die Rede, dass auch amerikanische Spezialeinheiten Teil der Intervention waren. Dabei ist festzuhalten, dass laut Aussage eines ehemaligen amerikanischen Botschafters in Kenia, der Mitte der 2000er Jahre von Nairobi aus auch Somalia betreute, die äthiopische Regierung die Intervention auch ohne die Zustimmung der USA unternommen hätte. 52 Innerhalb weniger Tage wurden die UIC-Truppen aus allen Stellungen in Südsomalia vertrieben; die Islamisten erlitten bei den Gefechten große Verluste. Sie waren schlecht bewaffnet und kaum trainiert. Sie verfügten nicht über Panzer oder Flugzeuge. Eine massive militärische Unterstützung Eritreas blieb aus. Die UIC-Führung verließ Mogadischu fluchtartig am 27.12. 2006. Ihre Mitglieder zogen sich Richtung Süden, nach Kismayo oder noch weiter, in die Gegend von Ras Kamboni zurück. Eine Woche nach dem offiziellen Beginn der Intervention zogen die Äthiopier und die ihnen folgenden Truppen des TFG siegreich in Somalias alter Hauptstadt ein. 53 Die UIC war weiter auf der Flucht. Im Januar führten amerikanische Bomber gezielt Luftschläge gegen verstreute UIC-Einheiten im Grenzgebiet zu Kenia durch, unter denen führende militante Islamisten wie Aden Hashi Ayro vermutet wurden. Viele Menschen starben dabei; die Zielpersonen wurden nicht getötet. 54 Einigen Führungsfiguren gelang es, nach Kenia und von dort weiter nach Eritrea zu flüchten. Die Sieger sahen sich schon nach wenigen Tagen mit einem Aufstand reorganisierter militanter Islamisten und Hawiye-Klanmilizen konfrontiert. Die Hawiye reagierten damit auf die Besetzung ihrer Stadt (Mogadischu war traditionell Hawiye-Land und wurde seit 1991 von Hawiye-Warlords kontrolliert) durch fremde (äthiopische) Truppen und die von Mitgliedern der Darood Klan-Familie dominierten Einheiten von Abdullahi Yusuf, dem Präsidenten des TFG. Anfang 2007 entsandte die Afrikanische Union (AU) eine von der UNO mandatierte „Friedenstruppe“ namens AMISOM. Insgesamt sollten 8 000 Soldaten in Moga52 53 54
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Persönliche Kommunikation mit Botschafter William Bellamy, Paris, 05.04.2011. Menkhaus, Ken: The crisis in Somalia, S. 380. ICG: Somalia: The Tough Part is Ahead (Policy Briefing, 26.01.2007), S. 1.
Al Shabaab in Somalia
dischu stationiert werden, zum Schutz des TFG. Im März 2007 stellte jedoch zunächst nur Uganda 1 700 Mann. Ein Jahr später kamen 850 burundische Truppen dazu. In Südsomalia, vor allem in Mogadischu, eskalierte der Krieg zwischen Aufständischen auf der einen Seite und der Übergangsregierung und den Äthiopiern auf der anderen Seite. Auch die AMISOM-Truppen wurden als Verbündete des TFG ins Kampfgeschehen involviert. 55 Al Shabaab trat schnell als wichtiger Akteur unter den Aufständischen in Erscheinung. Die Gruppe hatte sich unter Aden Hashi Ayro gesammelt und agierte nun weitgehend unabhängig von der ehemaligen Führung der UIC, der es gelungen war, sich nach Asmara in Eritrea abzusetzen. Zwischen Januar 2007 und Dezember 2008 kam es in Südsomalia zu extrem brutalen Kampfhandlungen aller beteiligten Parteien. In den Kämpfen, die auf Mogadischu konzentriert waren, starben innerhalb von zwei Jahren ungefähr 10 000 Menschen, meist Zivilisten. Zehntausende wurden verletzt; Hundertausende mussten zumindest zweitweise aus ihren Häusern fliehen und suchten Schutz außerhalb Mogadischus. Da eine humanitäre Versorgung auf Grund der unsicheren Lage kaum möglich war, mussten viele Flüchtlinge ohne jegliche Unterstützung und ohne geeignete Infrastruktur auskommen. Sowohl die Aufständischen als auch das TFG, die Äthiopier und AMISOM begingen schwerste Menschen- und Kriegsrechtsverletzungen. Al Shabaab und andere Milizen nutzten Wohnviertel, um sich dort zu verschanzen und Granaten auf ihre Gegner abzufeuern. Die Gegenseite reagierte mit flächendeckendem Beschuss ganzer Wohnviertel, in denen Aufständische vermutet wurden. Zudem wurden unbewaffnete Zivilisten, die verdächtigt wurden, die Gegenseite zu unterstützen, von der jeweils anderen Seite misshandelt oder sogar getötet. 56 Das Kampfpotenzial von Al Shabaab erhöhte sich im Laufe des Aufstandes, besonders im Jahr 2008, merklich. Die Gruppe richtete Trainingslager für Rekruten ein, in denen die neu angeworbenen Mitglieder auch ideologisch geschult wurden. Als Hauptfeind wurden die Äthiopier in Somalia identifiziert, gegen die ein jihad geführt wurde. Aber auch das TFG und AMISOM wurden angegriffen. 55 56
Menkhaus, Ken: The crisis in Somalia, S. 381-388; Hoehne, Markus V.: Somalia Update (2006-2008). Bern 2008, S. 4. Human Rights Watch: Shell-Shocked. Civilians under siege in Mogadishu (2007), , abgerufen am 30.11.2007; Gettleman, Jeffrey: Somali Battles Bring Charges of War Crimes. In: New York Times 6 April 2007; Menkhaus, Ken: Somalia: A country in peril, a policy nightmare, ENOUGH Strategy Paper (September 2008); Amnesty International: Routinely Targeted: Attacks on civilians in Somalia (2008), , abgerufen am 05.10.2008; Human Rights Watch: So Much to Fear: War Crimes and the Devastation of Somalia (2008), , abgerufen am 07.01.2009.
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Al Shabaab verwendete Guerillataktiken und führte verstärkt Bombenanschläge und Selbstmordattentate durch. 57 Zudem terrorisierte Al Shabaab die lokale Bevölkerung, indem alle, die verdächtigt wurden, mit den Äthiopiern oder dem TFG zusammenzuarbeiten, als vom „Glauben Abgefallene“ behandelt wurden. Dies bedeutete konkret, dass „Spione“ oder „Unterstützer“ des Feindes (selbst wenn es sich nur um Ladenbesitzer handelte, die gelegentlich Waren oder Speisen an Soldaten der Gegenseite verkauften) mit dem Tod bedroht wurden. Viele wurden hingerichtet, oft sehr grausam, durch Köpfen. Videos dieser Hinrichtungen zirkulierten 2008 unter Somalis in Somalia und in der Diaspora auf Handys und im Internet. 58 Im Zuge einer immer mehr ausgefeilten Medienkriegsführung stellten Al Shabaab auch Aufnahmen ihrer erfolgreichen Operationen gegen den Feind, Propagandabotschaften und Nachrufe auf „Märtyrer“ ins Netz. 59 Die Besetzung Mogadischus durch äthiopische Truppen und das brutale Vorgehen der Äthiopier gegen somalische Zivilisten erhöhten die Legitimität des Aufstandes und besonders von Al Shabaab in den Augen vieler Somalis. Selbst im relativ friedlichen Nordsomalia, wo mit Somaliland und Puntland zwei staatsähnliche politische Gebilde existieren, die nicht unmittelbar von den Kriegswirren des Südens betroffen waren, genoss Al Shabaab bis Mitte 2008 zumindest die heimliche Bewunderung vieler Menschen. Mehrere Dutzend junger Männer verließen Somaliland, um sich dem jihad gegen die Äthiopier anzuschließen; nicht wenige von ihnen starben in Mogadischu. 60 In der Diaspora, gerade in Europa und Nordamerika, schlossen sich dutzende junge Somalis Al Shabaab an. Viele verließen heimlich ihre Familien und wurden von einem Unterstützernetzwerk nach Mogadischu geschleust. Einige machten später als Selbstmordattentäter von sich reden. 61 Al Shabaab verfügte im Jahr 2008 über circa 2 000 Kämpfer. Zudem hatte die Gruppe auch die Aufmerksamkeit ausländischer (nicht-somalischer) Jihadisten erregt. Deren genaue Zahl ist nicht bekannt. Insgesamt waren es in dieser Zeit jedoch wohl nicht mehr als 200 externe Jihadisten, von denen die meisten aus Ostafrika sowie aus Pakistan, Bangladesch und Indien kamen. 62 Einzelne von 57
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Bis 2006 hatte es im somalischen Bürgerkrieg keine Selbstmordattentate gegeben. Selbstmord galt als unislamisch unter Somalis. Die erste Selbstmordattacke, wohl von Al Shabaab organisiert, fand am 18.09.2006 auf den Konvoi des Präsidenten Abdullahi Yusuf statt, als dieser gerade Baydhoa verließ. Der Präsident blieb unverletzt; mehrere Leibwächter und ein Bruder des Präsidenten wurden getötet. Während eines Aufenthalts in Nordsomalia Anfang 2009 sah der Autor selbst ein Video einer Enthauptung eines jungen Somalis durch eine Al Shabaab Einheit. Eine zentrale Webseite der Gruppe war bis 2011 http://al-kataib.com. Interviews des Autors mit verschiedenen Informanten in Hargeysa, Dezember 2008 bis Mai 2009. Menkhaus, Ken: Violent Islamic extremism, S. 11-12. Shinn, David: Al Shabaab’s foreign threat to Somalia, S. 210.
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ihnen gelangten zu großem Einfluss in Al Shabaab. Ein Beispiel ist der amerikanische Staatsbürger Omar Hammani, dessen Vater aus Syrien stammt, der jedoch selbst in Alabama geboren wurde und aufwuchs. 63 Hammani kämpft unter dem Namen Abu Mansur Al Amriki für Al Shabaab. Er konzeptionalisierte mehrere gut durchdachte Propagandavideos, die auf ein englischsprechendes Publikum zielten. Er verfasste auch ideologische Schriften, die unter Bezugnahme auf islamistische Gelehrte wie Sayid Qutb die Linie von Al Shabaab vorgaben und im Internet zirkulierten. 64 Am 29.02.2008 setzte die Administration von Präsident Bush Al Shabaab auf die Liste terroristischer Gruppen. Zwei Monate später, am 01.05.2008, wurde der Führer der Gruppe, Aden Hashi Ayro, zusammen mit circa 40 anderen Somalis von einer amerikanischen Rakete getötet, die auf ein Dorf in Zentralsomalia abgefeuert worden war. Ahmed Abdi Godane übernahm daraufhin die Führung von Al Shabaab. Er bemühte sich sogleich, die Gruppe auf den Kurs von Al Qaida zu bringen. Am 04.09.2008 eröffnete er eine Ansprache mit Grüßen an Osama Bin Laden und bekräftigte ein Eintreten für den globalen jihad. 65 Außerhalb Somalias liefen derweil Bemühungen, mit Teilen der ehemaligen UIC-Spitze in Asmara und der TFG einen Kompromiss bezüglich eines Umbaus der Regierung und eines Neuanfangs in Somalia zu verhandeln. Die Islamisten sowie Mitglieder der Opposition zu Abduallahi Yusuf, die nach Asmara ins Exil gegangen waren, hatten schon Mitte 2007 die Alliance for the Reliberation of Somalia (ARS) gebildet. Die ARS wurde von Sheikh Sharif Sheikh Ahmed, dem ehemaligen Vorsitzenden der UIC, und von Sharif Hassan Sheikh Aden, dem ehemaligen Sprecher des somalischen Parlaments, geleitet. Sharif Hassan hatte sich 2006 mit Abduallahi Yusuf überworfen. Auch Sheikh Hassan Dahir Aweys spielte eine führende Rolle in dieser Allianz. Die UNO, welche die Verhandlungen koordinierte, setzte auf Sheikh Sharif Sheikh Ahmed als „moderaten“ Islamisten. Die Hoffnung war, dass seine Inklusion in ein neues TFG den militanten Islamisten die Grundlage für ihren Aufstand nehmen könnte. Sheikh Sharif Sheikh Ahmed hatte sich bei seiner Flucht aus Somalia Anfang 2007 den kenianischen Behörden gestellt und öffentlich die Fehler bedauert, welche die UIC 2006 im Hinblick auf die Eskalation der Lage in Somalia gemacht hatte. Im Verlauf des Jahres 2008 verhandelte Sheikh Sharif Sheikh Ahmed mit Nuur Hassan Hussein, dem Premierminister des TFG. Mehre63 64 65
Elliott, Andrea: The Jihadist Next Door, New York Times (31.01.2010), , abgerufen am 30.11.2010. Gartenstein-Ross, Daveed: The strategic challenge of Somalia’s Al-Shabaab: Dimensions of Jihad. In: Middle East Quarterly (Fall 2009), S. 25-36, hier S. 28. Hoehne, Markus V.: Counter-terrorism in Somalia, or: how external interferences helped to produce militant Islamism (2009), , abgerufen am 30.11.2010.
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re Treffen fanden in Djibuti statt, da sich Eritrea gegen die Initiative sperrte. Die Verhandlungen liefen parallel zu den militärischen Einsätzen Äthiopiens und der USA in Somalia. Im Zuge dieser Annäherung zwischen einem Teil der Islamisten und einem Teil des TFG (Nuur Hassan Hussein war offener für Verhandlungen mit den Islamisten als Präsident Abdullahi Yusuf) wurde die ARS gespalten. Sheikh Hassan Dahir Aweys, den Addis Abeba und Washington als Extremisten ansahen, obwohl er seinen Einfluss über Al Shabaab längst verloren hatte, wurde isoliert. Mit ihm gingen alle, die der Politik der internationalen Gemeinschaft in Somalia kritisch gegenüber standen, auf Distanz. Auf der anderen Seite formierten sich die „Moderaten“, die sich für eine von der UNO gesteuerte Neuverteilung der Positionen im TFG empfahlen. Al Shabaab agierte vollkommen losgelöst von den Verhandlungen in Djibuti und konzentrierte sich voll auf den bewaffneten Kampf, vornehmlich gegen die äthiopischen Truppen in Somalia. 66 Ein Abkommen zwischen dem TFG und der ARS, repräsentiert durch Nuur Hassan Huseein und Sheikh Sharif Sheikh Ahmed, wurde in Djibuti am 09.06.2008 unterzeichnet. Es sah die Einstellung der Kampfhandlungen, den Abzug der Äthiopier, die Auflösung der ARS, den Zugang für humanitäre Hilfeleistungen und die Anfrage an den UNO-Sicherheitsrat vor, eine Friedenstruppe nach Somalia zu entsenden. 67 Dieses Abkommen reflektierte wesentlich die Prioritäten des TFG; die ARS hatte immer als ersten Schritt den Abzug der Äthiopier gefordert. In der Folge des Abkommens beschloss das somalische Parlament im November 2008, die Zahl seiner Sitze auf 550 zu verdoppeln, um die moderaten Islamisten integrieren zu können. 68 Nicht nur Sheikh Hassan Dahir Aweys, sondern auch Abdullahi Yusuf hatten im Laufe des Djibuti-Prozesses Macht eingebüßt. Als die Äthiopier schließlich Ende 2008 beschlossen, sich aus Somalia zurückzuziehen, reichte der Präsident des TFG im Dezember 2008 auf externen Druck hin seinen Rücktritt ein. Dies machte den Weg frei für Neuwahlen, die im Januar 2009 in Djibuti stattfanden und aus denen Sheikh Sharif Sheikh Ahmed als Sieger hervorging. Er hatte sich somit unter Zutun der internationalen Gemeinschaft innerhalb von drei Jahren von einem somalischen „Taliban“ zu einem für den Westen akzeptablen Führer gewandelt. Doch gerade die Akzeptanz durch den Westen (inklusive Äthiopien) machte den neuen TFG-Präsidenten unakzeptabel für Al Shabaab. Die Gruppe war bis Ende Januar 2009 in alle ehemals äthiopischen Stellungen in Süd- und Zentralsomalia vorgerückt. Selbst Baydhoa, der Sitz des TFG in Somalia, war nun in den Händen der militanten Islamisten. Somit war Sheikh Sharif Sheikh 66 67 68
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Hoehne, Markus V.: Counter-terrorism in Somalia. Report of the Secretary General on the Situation in Somalia (16.07.2008), , abgerufen am 04.06.2011, S. 3. Hoehne, Markus V.: Counter-terrorism in Somalia.
Al Shabaab in Somalia
Ahmed ein Präsident ohne Land. Er konnte zwar nach Mogadischu fliegen und wurde dort auch freudig begrüßt; selbst in Somaliland setzte man große Hoffnungen in den jungen Führer bezüglich eines Neuanfangs in Somalia. 69 Doch ohne externe Unterstützung hatte Sheikh Sharif Sheikh Ahmed keine Macht, im Gegensatz zu Al Schabab, die große Teile Mogadischus, Kismayo und das südsomalische Hinterland kontrollierte.
3.3 Neuorientierung: Al Shabaab nach dem Abzug der Äthiopier 2009 Der jihad gegen die „Kreuzritter“ war Anfang 2009 scheinbar vorbei und gewonnen. 70 Dies bedeutete jedoch auch, dass Al Shabaab mit dem Abzug der äthiopischen Truppen ihr Hauptfeindbild verloren hatte. In den ersten Monaten des Jahres 2009 sah es so aus, als würde die Gruppe durch den Abzug der Äthiopier geschwächt. Al Shabaab war bis dahin eine reine Kampfgruppe gewesen und der Kampf hatte nun keine Legitimation mehr. Vielmehr erschienen die militanten Islamisten nach der Wahl Sheikh Sharif Sheikh Ahmeds zum somalischen Präsidenten als unverbesserliche Saboteure, die sich gegen die „islamische“ Regierung stellten. Nach kurzem Aufenthalt in Mogadischu reiste der Präsident allerdings schon wieder ins Ausland, um bei Partnerregierungen sowie bei der UNO und der EU um Unterstützung und Geld zu werben. Trotz der internationalen Beteiligung am Djibuti-Prozess war kaum eine Regierung im Frühjahr 2009 bereit, die zugesagten Hilfen für das TFG freizugeben. 71 Im April 2009 kam Sheikh Hassan Dahir Aweys zum ersten Mal seit der Vertreibung der UIC durch die Äthiopier wieder nach Mogadischu. Er begann sogleich, den militärischen Widerstand gegen seinen ehemaligen Partner in der UIC, Sheikh Sharif Sheikh Ahmed, zu organisieren. Zusammen mit anderen 69
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Al Shabaab hatte in Somaliland deutlich an Popularität eingebüßt, nachdem die Gruppe Ende Oktober 2008 mehrere koordinierte Selbstmordanschläge in Hargeysa, der Hauptstadt Somalilands, durchgeführt hatte, bei denen mehr als 20 Menschen starben. Gleichzeitig kam es zu Anschlägen in Puntland in der Hafenstadt Bosaso. Faktisch ist Äthiopien nur zum Teil ein christliches Land. Mindestens 40% der Bevölkerung sind Muslime. Dennoch ist die äthiopisch-orthodoxe Kirche so eng mit dem Mythos äthiopischer Staatlichkeit verbunden, dass das christliche Erbe von der Regierung in Addis Abeba, aber auch von den Feinden des Landes, oft überbetont wird. Die äthiopischen Truppen in Somalia waren jedoch keineswegs nur Christen. Im April 2009 wurde auf einer Geberkonferenz in Brüssel vereinbart, die Stabilisierung Somalias mit mehr als 200 Millionen US$ zu unterstützen. Allerdings wurde ein Großteil des Geldes bis Ende 2009 nicht ausgezahlt. Von dem ausgezahlten Betrag ging das meiste an AMISOM und die AU, um deren Engagement in Somalia zu finanzieren; Report of the Secretary-General on Somalia pursuant to Security Council resolution 1872 (2009) (02.10.2009), , abgerufen am 04.06.2011, S. 3.
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Islamisten gründete er die Hizbul Islam, die „Islamische Partei“. Die Hizbul Islam inkorporierte mehrere kleinere, schon bestehende islamistische Milizen, wie z.B. die Ras Kamboni Brigades unter Hassan Abdullahi Turki. Al Shabaab wurde nicht Teil der Hizbul Islam, sondern blieb unabhängig. Beide Gruppen kooperierten zunächst in ihrem Kampf gegen den neu ausgemachten Feind – das jüngst installierte TFG und die bis Anfang 2009 circa 3 000 ugandische und burundische Soldaten umfassende AMISOM. Am 07.05.2009 begannen neue schwere Gefechte in Mogadischu. 72 In den folgenden Monaten gewannen die militanten Islamisten in Mogadischu und weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias die Oberhand. Zusammen brachten Hizbul Islam und Al Schabaab zwischen 5 000 und 8 000 Kämpfer auf. Das neue TFG, dessen Militär seit dem Abgang Abdullahi Yusufs weitgehend desertiert war, verfügte anfangs kaum über eigene Soldaten. Es bedurfte des massiven Schutzes der gut ausgerüsteten, aber zahlenmäßig immer noch zu schwachen AMISOM-Truppe. Zusammen verfügten TFG und AMISOM Mitte 2009 über weniger Kämpfer als ihre Gegner. 73 TFG und AMISOM verschanzten sich in einigen wenigen Bezirken Mogadischus, waren aber ständig unter Beschuss; AMISOM hielt auch den internationalen Flughafen der Stadt. Das Parlament kam wegen der Kämpfe kaum zusammen; Regierungsmitglieder fielen Selbstmordanschlägen zum Opfer; viele Parlamentarier verließen Somalia schließlich Mitte 2009 fluchtartig. Am 22. Juni erklärte das TFG den Ausnahmezustand und rief Äthiopien und Kenia dazu auf, in Somalia zu intervenieren. Zwar folgten die Regierungen in Addis Abeba und Nairobi diesem Aufruf nicht. Doch sie verstärkten die Präsenz des Militärs an ihren jeweiligen Grenzen zu Somalia. Es gelang Al Shabaab immer wieder, AMISOM mittels Guerillataktik Verluste zuzufügen. Eine der schlimmsten Attacken passierte am 17.09.2009, als mehr als 20 AU-Soldaten aus Uganda und Burundi bei einem Selbstmordanschlag starben. 74 Die Extremisten schärften ihr Profil in der islamistischen Szene Somalias, indem sie zwischen Ende 2008 und Mitte 2009 in einigen von ihnen kontrollierten Gebieten gegen Sufi-Praktiken wie die Verehrung verstorbener religiöser Führer vorgingen. Al Shabaab-Milizen zerstörten die Gräber von bekannten Sufis nahe Kismayo und verboten andernorts Feste zu Ehren von Sufi-Scheichs. In Merka und Brava konnten sich Älteste jedoch mit den lokalen Al Shabaab-Machthabern
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Hoehne, Markus V.: Counter-terrorism in Somalia. AMISOM umfasste nach kontinuierlicher Aufstockung der Truppenstärke Ende 2009 circa 5 000 Soldaten. Das TFG konnte bis Anfang 2010 circa 2 900 eigene Soldaten stellen. Report of the Secretary-General on Somalia pursuant to Security Council resolution 1872 (2009) (02.10.2009), S. 17.
Al Shabaab in Somalia
darauf verständigen, die Gräber und Moscheen von Sufis nicht zu zerstören. 75 Im Zusammenhang mit den Aktionen gegen Sufismus in Somalia stellte sich die schon seit Anfang der 1990er Jahre aktive, aber selten in den Vordergrund getretene Gruppe Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) gegen Al Shabaab. ASWJ mobilisierte eine Anzahl Kämpfer, die vor allem in Zentralsomalia den Vormarsch von Al Shabaab und Hizbul Islam bremsten und teilweise aufhielten. 76 Mitte 2009 traten erste Spannungen innerhalb der militant islamistischen Front gegen das neue TFG zu Tage. Es ging um die Kontrolle Kismayos. Die Stadt war im Oktober 2008 von einer losen Allianz aus Al Shabaab- und Ras Kambooni-Brigades eingenommen worden. Beide Gruppen hatten vereinbart, sich in der Verwaltung der Stadt alle sechs Monate abzuwechseln. Mitte 2009 beanspruchte Sheikh Ahmed Madobe, ein Kommandeur der Ras KambooniBrigades, die inzwischen Teil der Hizbul Islam waren, die Kontrolle über Kismayo für sechs Monate. Al Shabaab weigerte sich, die Macht in Kismayo abzugeben. Daraufhin brachen im Juli 2009 Kämpfe zwischen beiden Gruppen in und um Kismayo aus. 77 Bei diesem Konflikt spielten Klanchauvinismen innerhalb der islamistischen Front eine Rolle. Die Ras Kamboni-Brigades waren mehrheitlich Darood/Ogadeen; der Al Shabaab-Verwaltung in Kismayo gehörte vornehmlich andere Klan-Familen an. Die Auseinandersetzung spiegelte auch einen Machtkampf zwischen Ahmed Abdi Godane und Sheikh Hassan Dahir Aweys wieder, den jeweiligen Führern von Al Shabaab und Hizbul Islam. Al Shabaab schlug die Angriffe der Milizen von Sheikh Ahmed Madobe zurück. Hizbul Islam bemühte sich, den Konflikt auf die Gegend von Kismayo zu begrenzen. Ab Ende 2009 kam es jedoch auch in anderen Teilen Süd- und Zentralsomalis zu Scharmützeln zwischen Hizbul Islam und Al Shabaab-Einheiten. Es gelang Al Shabaab im Laufe des Jahres 2010, Hizbul Islam aus allen ihren Stellungen zu verdrängen. Am 19.12.2010 wurde Hizbul Islam schließlich von Al Shabaab „übernommen“. 78 Innerhalb von Al Shabaab herrschte nicht immer Einigkeit über die Ziele und die Taktiken der Gruppe. Ein Teil Al Shabaabs war vornehmlich auf Somalia konzentriert, wohingegen ein anderer Teil eine regionale, wenn nicht eine globa-
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Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 397; Guglielmo, Matteo: Unravelling the Islamist Insurgency in Somalia. In: Sharamo, Roda/Mesfin, Berouk (Hrsg.): Regional Security in the Post-Cold War Horn of Africa. Pretoria 2011, S. 119-145, hier S. 129. Peacekeeping Situation Centre: Profile: Ahlu Sunna Wal Jama’a (24.07.2009). Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War: Harakat AlShabaab Al Mujaheddin in Somalia. Unveröffentliche Studie, Paris 2011, S. 28. Report of the Secretary-General on Somalia (30 December 2010), , abgerufen am 04.06.2011, S. 3.
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le Agenda hatte. 79 Einzelne Führer, wie Mukhtar Roobow, waren eher pragmatisch, zumindest was den Umgang mit der lokalen Bevölkerung, aber z.T. auch mit internationalen Organisationen und NGOs anging. Im Gegensatz dazu vertraten Ahmed Abdi Godane und seine Getreuen lange eine kompromisslose Linie gegen alle, die dem globalen jihad, der von Somalia ausgehen sollte, im Weg standen. Letztere Position konnte Al Shabaab durchaus schaden. Dies zeigte der Schock und die Abscheu, die der Selbstmordanschlag auf eine Graduierungszeremonie von Medizinstudenten der Benaadir Universität im Shamo Hotel in Mogadischu am 03.12.2009 unter Somalis weltweit erregte. Bei dem Anschlag starben neben drei TFG-Ministern und einigen Parlamentariern auch 18 Studenten und Doktoren. Al Shabaab stritt, wohl hauptsächlich angesichts des öffentlichen Aufschreis, jede Verantwortung für das Attentat ab. Die Attacke war jedoch höchstwahrscheinlich von der Al Shabaab-Führung um Ahmed Abdi Godane abgesegnet worden. 80 Das Jahr 2009 war sicherlich ein entscheidendes Umbruchsjahr für Al Shabaab. Nachdem sich die Gruppe 2008 als Miliz im Kampf gegen die Äthiopier bewiesen hatte, wurde sie 2009 zum unangefochten dominanten Gewaltakteur in Südsomalia. Sogar die militärisch gut ausgerüsteten, aber zahlenmäßig zu schwachen AMISOM-Truppen hatten Al Shabaab kaum etwas entgegenzusetzen. Zudem zeigte sich die Stärke Al Shabaabs daran, dass sie nicht nur gegen das TFG und AMISOM, sondern auch zunehmend gegen Hizbul Islam kämpfte. Eine weitere Front wurde von ASWJ eröffnet. In all diesen Auseinandersetzungen behielt Al Shabaab 2009 die Oberhand. Weiter unten wird noch auf die Ressourcen eingegangen, die Al Shabaab in ihrem Kampf zur Verfügung stehen. Hier sei nur angemerkt, dass Eritrea den Kampf von Al Shabaab und anderen Feinden des TFG bis Ende der 2000er Jahre massiv mit finanziellen aber auch militärischen Mitteln, z.B. in Form von Training, unterstützte. 81
3.4 Territoriale Ausdehnung und Administration: Al Shabaab als regierungsähnlicher Akteur Zwischen 2009 und 2010 gelangten immer größere Gebiete Süd- und Zentralsomalias dauerhaft unter die Kontrolle von Al Shabaab. Dabei ist zu beachten, dass 79
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Im Jahr 2009 änderte Al Shabaab offiziell ihren Namen in Harakat Al Shabab Al Mujahidin (Mujahidin Jugendbewegung). Damit sollte die jihadistische Identität der Gruppe und ihre globale Orientierung unterstrichen werden; siehe Shinn, David H.: Al Shabaab’s Foreign Threat to Somalia, S. 208. Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 33. Report of the Monitoring Group on Somalia pursuant to Security Council resolution 1853 (2010), S. 21-25; Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 66-67.
Al Shabaab in Somalia
Al Shabaab ihr Territorium nicht nur durch militärische Eroberung ausdehnte. Je erfolgreicher die Gruppe war, desto mehr wollten sich Teile der lokalen Bevölkerung unter ihren Schutz begeben. Al Shabaab verfolgte auch die Strategie, sich als Mediator in lokalen Konflikten anzubieten. Dies geschah normalerweise in Zusammenarbeit mit lokalen Ältesten und religiösen Führern. Um die Legitimität der Gruppe zu steigern, wurden Geschenke in Form von Nahrungsmitteln und/oder Geld an die lokale Bevölkerung verteilt. 82 Wenn ein Gebiet von Al Shabaab übernommen worden war, wandte die Gruppe verschiedene Mittel an, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Das wichtigste Mittel war die Implementierung von Schari’a-Gerichtsbarkeit. Allerdings entsprach die Vorstellung islamischer Justiz, die unter Al Shabaab vorherrschte, nicht oder nur in beschränkter Hinsicht der Justiz der älteren Gerichtshöfe und der UIC. Unter Al Shabaab wurden regelmäßig schwerste Körperstrafen, von Auspeitschen bis zu Amputation und Steinigung, verhängt. 83 Diese sehr harschen Maßnahmen dienten dazu, die Bevölkerung abzuschrecken – von Straftaten, aber auch von Widerstand gegen die neuen Machthaber. Auch in anderer Hinsicht unterschied sich Al Shabaab merklich von den Gerichtshöfen. Viele Al Shabaab-Mitglieder, auch auf Führungsebene, waren relativ jung und religiös nicht umfassend gebildet. Die lokalen Al Shabaab Verwalter waren mit der Bevölkerung normalerweise nicht eng verbunden. Al Shabaab legte generell Wert darauf, dass eine gewisse Distanz zwischen ihren Mitgliedern und der Bevölkerung bestand. Deshalb wurden oft Personen, die genealogisch nicht mit den Menschen vor Ort verbunden waren, als Verwalter bzw. als Milizionäre eingesetzt. 84 Al Shabaab kontrollierte in den von ihr verwalteten Gebieten das soziale und kulturelle Leben der Bevölkerung. Es wurde eine bestimmte Kleiderordnung für Frauen und Mädchen vorgeschrieben, die zur Vollverschleierung zwang. 85 Männer mussten sich Vollbärte wachsen lassen und die Haare gleichmäßig kurz halten. Eine glatte Rasur oder ein Oberlippenbart sowie jegliche Art von längerem oder ungleichmäßig geschnittenem Haar galten als Verstoß gegen islamische Regeln, ebenso wie Musik, Tanz, gemeinsame Aktivitäten von unverheirateten 82
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Taarnby, Michael/Hallunbaek, Lars: Al Shabaab: The internationalization of militant Islamism in Somalia and the implications for radicalisation processes in Europe (2010), , abgerufen am 30.11.2010, S. 16. Report of the Secretary-General on the situation in Somalia (20.07.2009), , abgerufen am 04.06.2011, S. 12. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 398. Die traditionelle Kleidung für somalische Frauen und Mädchen, besonders in den ländlichen Regionen, war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eher leicht; sie ließ den Kopf unbedeckt und die Arme zum Arbeiten frei.
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und nicht direkt verwandten Männern und Frauen, der Konsum von qaad und das Ansehen unmoralischer Filme (im Wesentlichen Hollywood-, aber auch Bollywoodprodukte). Frauen durften in den meisten Orten unter Al ShabaabKontrolle keiner Arbeit außerhalb des Hauses mehr nachgehen. Die Bevölkerung in Dörfern und Städten wurde regelmäßig zu Versammlungen einberufen, auf denen Al Shabaab Prediger sprachen. Gebetszeiten mussten fest eingehalten werden; während dieser Zeiten waren keine anderen Aktivitäten erlaubt. Milizen überwachten die Einhaltung der Gebote und führten auch nächtliche Hausbesuche durch, um z.B. festzustellen, ob in Häusern unerlaubte Filme liefen. An Straßensperren in und zwischen Orten wurde darauf geachtet, dass Männer und Frauen getrennt in den Autos saßen. Zudem wurde nach Spionen des Feindes gesucht. Wenn bei einer Person auch nur der geringste Hinweis auf Verbindungen zum TFG oder zu AMISOM entdeckt wurde, konnte dieser zur unmittelbaren Festnahme, in manchen Fällen sogar zur sofortigen Exekution führen. Verstöße gegen Al Shabaab-Regeln wurden meist rasch und öffentlich geahndet. 86 Das Vorgehen von Al Shabaab-Milizen gegen „Rechtsbrecher“ war nicht frei von Politisierung. Es kam vor, dass Rechtsverstöße von lokalen Al ShabaabBefehlshabern konstruiert wurden, um Gegner aus dem Weg zu schaffen. Andererseits wurden manchmal offensichtlich kriminelle Übergriffe von Al ShabaabMilizen gegen Zivilisten nicht verfolgt. An verschiedenen Orten war die Herrschaft von Al Shabaab auch unterschiedlich harsch. In den Regionen Bay und Bakool beispielsweise, die Anfang 2009 von Al Shabaab-Truppen unter dem Befehl Mukhtar Roobows übernommen worden waren, schienen Kompromisse zwischen den neuen Herren und traditionellen Autoritäten und den von ihnen repräsentierten Menschen möglich. Auch mit internationalen Hilfsorganisationen konnte man sich dort einigen, so dass zunächst weiter humanitäre Hilfe auch von westlichen Organisationen geleistet werden konnte. 87 In Kismayo hingegen war die Herrschaft von Al Shabaab sehr streng. Aufsehen erregte hier die Steinigung einer Dreizehnjährigen im Oktober 2008 (kurz nach der Machtübernahme von Al Shabaab und der Ras Kambooni Brigades), die angeblich außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. 88 86
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Human Rights Watch: Harsh war, harsh peace: Abuses by al-Shabaab, the Transitional Federal Government, and AMISOM in Somalia (2010), , abgerufen am 04.06.2011; Khalif, Abdulkadir: Justice according to Al-Shabaab (20.01.2011), , abgerufen am 04.06.2011. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 397. Es wurde berichtet, dass der „Geschlechtsverkehr“ eine Vergewaltigung gewesen war; siehe Spiegel Online: Steinigung in Somalia: 13-jähriges Vergewaltigungsopfer brutal hingerichtet (01.11.2008), , abgerufen am 02.11.2008.
Al Shabaab in Somalia
Al Shabaab konzentrierte sich in den Jahren 2009 und 2010 auf drei Sektoren: Bay und Bakool in Zentralsomalia; Mogadischu, Kismayo und die Regionen Südsomalias; und Nordsomalia mit Somaliland und Puntland. Effektive territoriale Kontrolle übte die Gruppe in dieser Zeit jedoch nur in weiten Teilen Südund Zentralsomalias aus. In Nordsomalia verfügte Al Shabaab über im Verborgenen agierende Netzwerke von „Schläfern“ und Sympathisanten. Mehr als Terroranschläge konnten dort jedoch nicht durchgeführt werden. Nach den Anschlägen vom Oktober 2008 (siehe oben, Fn. 69) gelang es den Regierungen und den Bevölkerungen von Somaliland und Puntland, weitere große Aktionen von Al Shabaab zu verhindern. 89 Mogadischu war bis Ende 2010 der Hauptschauplatz für den Kampf von Al Shabaab gegen das TFG und AMISOM. Der Bakaara Markt im Herzen Mogadischus war ein wichtiges ökonomisches Zentrum für die Gruppe. Viele lokale Geschäftsleute zählten dort zu ihren Unterstützern. Kismayo weiter südlich war ein weiteres wichtiges ökonomisches Zentrum. Die Hafenstadt war geeignet für Warenverkehr jeglicher Art. Im Jahr 2009 sollen dort mehrmals eritreische Waffen zur Unterstützung der militanten Islamisten angelangt sein. Entlang der Küste zwischen Kismayo und Merka waren somalische Piraten aktiv. Al Shabaab versuchte vergeblich, deren Aktivitäten zu kontrollieren. An anderen Orten, wie Haradheere in Zentralsomalia, vertrieb Al Shabaab die Piraten, nachdem der Ort von den militanten Islamisten eingenommen worden war. 90 Die von externen Beobachtern geäußerte Befürchtung, islamischer Terrorismus und Piraterie könnten in Somalia eine gefährliche Verbindung eingehen, hat sich bis Mitte 2011 nicht bestätigt. Über die interne Struktur von Al Shabaab ist wenig bekannt. Sie hat sich sicherlich über die Jahre deutlich verändert und scheint sich immer wieder den neuen Umständen des Kampfes und der Verwaltung in Süd- und Zentralsomalia angepasst zu haben. Bis Mitte 2008 war die Gruppe relativ klein, mobil und intern eher lose strukturiert. Mit zunehmendem Erfolg und Territorialgewinnen wandelte sich die Struktur. Für die Jahre 2009 bis 2011 lässt sich sagen, dass Al Shabaab eine klare hierarchische Gliederung aufweist. Drei Kategorien von Gruppenmitgliedern lassen sich unterscheiden: Die Qiyadah (die Anführer), the Muhaajiruun (die ausländischen Kämpfer inklusive der Somalis mit ausländischen Pässen) und die Ansar (einheimische Kämpfer). Unter den Anführern sind Somalis wie Ahmed Abdi Godane, Ibrahim Haji Jama Al Afghani, Mukhtar Roobow und Fuad Mohamed Khalaf Shangole (ein Somali mit schwedischem 89 90
Aynte, Abdirahman: The anatomy of Somalia’s Al-Shabaab Jihadists, S. 7; Zenn, Jacob A.: Al-Shabaab’s unavoidable clash with Somaliland democracy, S. 5. Garowe Online: Somalia: Al-Shabaab fighters oust pirates from coastal town (26.04.2010), , abgerufen am 10.06.2011.
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Pass), aber auch nicht-somalische Jihadisten wie Abu Mansur Al Amriki. Die ausländischen Anführer sind vermutlich für die weitere Radikalisierung der Gruppe verantwortlich, die sich z.B. in dem oben erwähnten Anschlag auf das Shamo Hotel in Mogadischu manifestierte. 91 Die Organisationsstruktur umfasst einen zentralen Rat an der Spitze, der shura genannt wird. Auf der nächsten Stufe existieren verschiedene „Ministerien“. Marchal nennt ein „Sicherheitsministerium“ (Maktabatu Amniat), das für die Sammlung militärisch relevanter Informationen und gezielte Anschläge gegen den Feind zuständig ist; ein „Ministerium für religiöse Angelegenheiten“ (Maktabatu Da’wa), das die Verbreitung der von der Al Shabaab-Führung gewünschten Interpretation des Islams übernimmt; ein „Innenministerium“ (Maktabatu Siyaasada iyo Gobolada), das für lokale Verwaltung zuständig ist; ein „Informationsministerium“ (Maktabatu I’laam), dessen Aufgabe die Verbreitung der Al Shabaab-Ideologie und die Propaganda in den Medien ist; und ein „Finanzministerium“ (Maktabatu Maaliya), das lokale „Steuern“, aber auch Einnahmen in der Diaspora organisiert. Eine weitere sehr wichtige Institution ist die „Religionspolizei“ (Al Hesbah), deren Mitglieder über die Einhaltung der Regeln in den von Al Shabaab kontrollierten Gebieten wachen und weitreichende exekutive Befugnisse haben. 92 Trotz der Hierarchien im Bereich der Mitgliedschaft und der Organisationsstruktur funktioniert Al Shabaab in mancher Hinsicht dezentral bzw. ist stärker fragmentiert, als es nach außen hin scheint. 93 So ist die shura auf die Kooperation und Truppenstellungen lokaler oder regionaler Befehlshaber angewiesen. Innerhalb der höchsten Führung sind sich zudem die einzelnen Mitglieder nicht immer einig. Mukhtar Roobow, der die Regionen Bay und Bakool kontrolliert, hat sich in der Vergangenheit über Anweisungen Ahmed Abdi Godanes hinweggesetzt. Dies geschah z.B., als er mit seinen Truppen nach dem Abzug der Äthiopier die Stadt Baydhoa am 26.01.2009 besetzte. Er ließ Mitglieder seiner eigenen Rahanweyn Klan-Familie abziehen, die für das TFG gearbeitet hatten, anstatt sie, wie von Ahmed Abdi Godane befohlen, gefangen zu nehmen. 94 Daraufhin wurde Mukhtar Roobow von seiner Aufgabe als Sprecher von Al Shabaab entbunden. Er blieb aber ein enorm wichtiger Akteur innerhalb der Gruppe, auf dessen Kontingente man im Kampf in Mogadischu angewiesen war. 95 91 92 93 94 95
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Aynte, Abdirahman: The anatomy of Somalia’s Al-Shabaab Jihadists, S. 11-12; ICG: Somalia’s divided Islamists (Africa Briefing Nr. 74, 18.05.2010), S. 7. Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 19-22; siehe auch Guglielmo, Matteo: Unravelling the Islamist insurgency in Somalia, S. 128-129. Taarnby, Michael/Hallunbaek, Lars: Al Shabaab: The internationalization of militant Islamism in Somalia, S. 13. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 397. Roque, Paula C.: Somalia: Understanding Al-Shabaab (Situation Report, Institute for Security Studies), 2009, S. 1-2.
Al Shabaab in Somalia
Ein entscheidender Punkt bezüglich der Effektivität von Al Shabaab als Kampfgruppe und auch als regierungsähnlicher Akteur ist, inwieweit genealogische Zugehörigkeiten und Animositäten zwischen verschiedenen Klan-Familien und Klans intern eine Rolle spielen. Die nicht-islamistischen Gewaltgruppen in Somalia – die Warlords und ihre Milizen sowie die Guerillas, z.B. die SSDF oder das Somali National Movement (SNM), 96 – hatten eine genealogische Basis. Sie waren die Organisationen bestimmter Klans, oder, im Fall der SNM, einer bestimmten Klan-Familie. Aber auch ältere islamistische Gruppen, wie AIAI und selbst die Schari’a-Gerichtshöfe, waren an Abstammungsgruppen gebunden. Die Gerichtshöfe agierten seit den 1990er Jahren in bestimmten Nachbarschaften, in denen sie genealogisch verwurzelt waren. Insgesamt waren fast alle Gerichtshöfe im Gebiet der Hawiye Klan-Familie aktiv. AIAI versuchte sich offiziell von Klanstrukturen zu lösen. Dies gelang allerdings nie. Einheiten von AIAI waren teilweise genealogisch konstituiert und politische Entscheidungen wurden regelmäßig im Hinblick auf klanpolitische Interessen getroffen. Die genealogische Basis der verschiedenen Gruppen führte immer wieder zu Konflikten mit anderen, ähnlich strukturierten Akteuren und verhinderte, dass eine Gruppe die Macht in ganz Somalia erringen konnte. 97 Al Shabaab hingegen vereint auf der Führungsebene, aber auch auf der Ebene der einfachen Kämpfer Mitglieder verschiedener Abstammungsgruppen. Ahmed Abdi Godane, der Amir von Al Shabaab, entstammt der Isaaq Klan-Familie, genau wie sein Stellvertreter Ibrahim Haji Jama Al-Afghani. Andere wichtige Mitglieder der shura sind Sheikh Hussein Ali Fidow, der zur Hawiye Klan-Familie gehört, Fuad Mohamed Shangole, ein Mitglied der Darood Klan-Familie, und Mukhtar Roobow, der genealogisch zur Rahanweyn Klan-Familie gehört. Unter den Kämpfern befinden sich viele Hawiye; daneben gibt es substantielle Anteile von Darood und Rahanweyn, aber auch Isaaq aus dem Norden kämpfen für Al Shabaab. Für in der Vergangenheit unterprivilegierte Minderheiten, wie die jareer oder Bantu, war eine Mitgliedschaft in Al Shabaab eine Möglichkeit, neues Prestige und militärische Stärke zu gewinnen. 98 Al Shabaab scheint in den ersten Jahren ihrer Existenz bis 2011 die klanpolitischen Herausforderungen besser gemeistert zu haben als alle früheren somalischen Gewaltorganisationen und politischen Parteien. 99 Dies lag an verschiedenen Faktoren, wie erstens an der ideologischen Schulung der alten Gruppenmitglieder und der neuen Rekruten. Zweitens ermöglichte eine gewisse Bürokratisierung, die sich aus der Ver96 97 98 99
Das SNM war die Gruppe, die 1991 weite Teile Nordwestsomalias einnahm und die Unabhängigkeit Somalilands einleitete. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 383; ICG: Somalia’s Islamists. Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 395, 398. Aynte, Abdirahman: The anatomy of Somalia’s Al-Shabaab Jihadists, S. 12-14.
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waltung immer größerer Gebiete Süd- und Zentralsomalias ergab, Arbeitsschritte „ohne Ansehen der genealogischen Zugehörigkeit“ der Beteiligten zu planen und durchzuführen. 100 Drittens wuchs ab 2008 der Einfluss ausländischer Jihadisten, wie Fazul Abdullah Mohamed von den Komoren, Sheikh Mohamed Abu Faid aus Saudi Arabien und Abu Mansur Al-Amriki aus den USA, die von somalischen Klandynamiken nicht direkt berührt wurden. 101 Al Shabaab setzte sich anfangs aus freiwilligen „Überzeugungstätern“ zusammen. Mit zunehmendem militärischen Erfolg wurde die Gruppe für professionelle Krieger, die zuvor schon in Warlord-Milizen oder Guerillagruppen gekämpft hatten, attraktiv. Auch entsandten Älteste in den Kampfgebieten Südund Zentralsomalias Mitglieder ihrer Familie zu Al Shabaab, aber auch zu anderen Gewaltgruppen, um im Zweifelsfall immer jemanden auf der siegreichen Seite zu haben. Ein wichtiger ökonomischer Anreiz, gerade für arbeitslose Jugendliche, war, dass Al Shabaab-Kämpfer 200 US$ oder mehr pro Monat bekamen. Zu den Hochzeiten des Kampfes gegen die Äthiopier, 2007-2008, zog es verstärkt (junge) somalische Nationalisten zu Al Shabaab hin. Die Gruppe griff in Phasen, in denen sie besonders große Verluste im Kampf gegen die Äthiopier, das TFG oder die AMISOM erlitt, auch auf Zwangsrekrutierung zurück. 102 Diese bedeutet, dass nicht alle Kämpfer der Gruppe gleichermaßen ideologisch motiviert sind. In den Gebieten unter Al Shabaab-Kontrolle wurden seit 2009 Koranschullehrer dazu angehalten, Kinder und Jugendliche auf ihre Teilnahme am jihad vorzubereiten. Al Shabaab, wie auch die anderen somalischen Parteien im laufenden Krieg, setzen immer wieder Kindersoldaten ein. 103 Die Rekrutierung für Al Shabaab ist nicht auf Somalia beschränkt. Auch in den Nachbarländern wie Äthiopien und Kenia, in denen sowohl alteingesessene somalische Bevölkerungen als auch viele somalische Flüchtlinge leben, werden vornehmlich junge Somalis für Al Shabaab geworben. Hierbei spielen die schon erwähnten ökonomischen Anreize eine große Rolle. Somalis gehören in Äthiopien und Kenia zu den stark marginalisierten Gruppen. In der europäischen und nordamerikanischen Diaspora finden sich junge Somalis, die vom Leben im „Westen“ enttäuscht sind und sich deshalb für die Teilnahme am jihad in Somalia entscheiden. 104 Neumitglieder durchlaufen seit der Konsolidierung der Grup100 Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 12. 101 ICG: Somalia’s divided Islamists, S. 8. 102 Le Sage, Andre: Somalia’s endless transition: Breaking the deadlock. In: Strategic Forum Nr. 257/2010, S. 1-7, hier S. 2; Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 40-44; Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 391. 103 Report of the Secretary-General on children and armed conflict in Somalia (09.11.2010), , abgerufen am 07.06.2011. 104 Taarnby/Hallundbaek: The internationalization of militant Islamism in Somalia, S. 33-34.
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pe 2008/2009 ein ideologisches und militärisches Training. Der Austritt aus Al Shabaab ist nicht vorgesehen. Abtrünnige werden, sofern man ihre Pläne rechtzeitig aufdeckt oder sie einfängt, mit dem Tod bestraft. Dennoch gibt es immer wieder Überläufer zum TFG oder Al Shabaab-Mitglieder, denen es gelingt, die Gruppe zu verlassen. 105 Die finanziellen Ressourcen zur Aufrechterhaltung des Kampfes bezieht Al Shabaab aus verschiedenen Quellen. Innerhalb Somalias bekommt Al Shabaab Unterstützung von Geschäftsleuten, die der religiösen und politischen Agenda der Gruppe zustimmen. Besonders auf dem Bakaara-Markt im Herzen Mogadischus finden sich viele Anhänger der militanten Islamisten. 106 Aber auch weniger überzeugte als opportunistische Geschäftsleute lassen sich auf Geschäfte mit Al Shabaab ein, die ihnen Vorteile versprechen. Zudem hat Al Shabaab in den von ihnen kontrollierten Gebieten Anfang 2010 begonnen, zakaah (im Islam vorgeschriebene jährliche Abgaben) von allen Akteuren auf dem Markt einzusammeln. Internationale NGOs, die in Al Shabaab-Gebieten tätig sein wollten, mussten eine jährliche Abgabe von ungefähr 10 000 US$ zahlen. Es sind allerdings kaum mehr nicht-islamische Hilfsorganisationen unter Al Shabaab tätig. Ein Großteil der innersomalischen Einnahmen der Gruppe kommt aus „Schutzgelderpressung“, gemäß dem Grundsatz: Wer nicht zahlt, wird bedroht und, bei wiederholter Weigerung zu zahlen, angegriffen. 107 Geldquellen außerhalb Somalias sind reiche Unterstützer auf der Arabischen Halbinsel, islamistische Wohlfahrtsorganisationen und Zahlungen aus der somalischen Diaspora. Eritrea gewährte neben militärischer auch finanzielle Hilfe, zumindest bis Ende 2009. Piraterie und Lösegelderpressungen für entführte (westliche) Ausländer sind kein signifikanter Teil der Ökonomie von Al Shabaab. 108 Die Aktionen von Al Shabaab sind zwischen 2008 und 2011 deutlich koordinierter und effektiver geworden. Dies deutet auf eine bessere Planung und Abstimmung in der Gruppe hin. Der Einfluss nicht-somalischer Jihadisten ist dafür wesentlich verantwortlich. Al Qaida bot „moralische“ Unterstützung an, indem die Somalis in weiteren Video- und Audiobotschaften zum Kampf ermutigt wurden. Al Shabaab stellte ihre gewachsenen Kapazitäten unter Beweis, als die 105 Taarnby/Hallundbaek: The internationalization of militant Islamism in Somalia, S. 21. 106 Marchal schätzt, dass hier 400 000 US$ pro Monat eingenommen werden, die Al Shabaab zu Gute kommen; siehe: Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 394. 107 Hier sei angemerkt, dass Schutzgelderpressung bzw. die Erpressung von politischer Unterstützung gegen Schutz typisch ist für Akteure, die sich anschicken, Staaten zu bilden; siehe Tilly, Charles: War Making and State Making as Organized Crime. In: Evans, Peter B./Rueschemeyer, Dietrich/Skocpol, Theda (Hrsg.): Bringing the State back in. Cambridge 1985, S. 169-191. 108 Marchal, Roland: A tentative assessment of the Somali Harakat Al-Shabaab, S. 394; Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 65-69.
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Gruppe zwei Selbstmordattentate in Kampala während des Fußball-Weltmeisterschaftsfinales am 11.07.2010 durchführte, bei denen insgesamt mehr als 70 Menschen starben. Dennoch wäre es falsch, Al Shabaab als eine monolithische Gruppe anzusehen. Sie ist von internen Spannungen und sich z.T. widersprechenden Tendenzen gekennzeichnet. Ihre Verwaltung ist lokal durchaus unterschiedlich organisiert. Im Vergleich zu den Warlords und dem TFG, die bis 2011 nie wirklich administrativ tätig waren, ist die Verwaltung der Gebiete unter Kontrolle von Al Shabaab jedoch durchaus effektiv, vor allem hinsichtlich der Schaffung von Ruhe und Ordnung sowie der Eindämmung von Kriminalität.
3.5 Aktuelle Herausforderungen (Ende 2010-Anfang 2011): gescheiterte Ramadan-Offensive, Gegenoffensive und Dürre Al Shabaab und Hizbul Islam starteten eine gemeinsame, großangelegte Militäroffensive gegen das TFG und AMISOM in Mogadischu Mitte August 2010. Dies war der Beginn des Fastenmonats Ramadan. Viele somalische Islamgelehrte betonten, dass der Monat Ramadan ein Monat des Friedens und der Einkehr sei; Kampfhandlungen seien unzulässig. Die Führungen der militanten Islamistengruppen hielten dagegen, dass der Monat entscheidend für den Sieg über die Feinde sei und dass die lokale Bevölkerung den „heiligen Krieg“ von Al Shabaab und Hizbul Islam unterstützen solle. Die Truppenstärke von AMISOM war inzwischen auf mehr als 7 000 Mann aus Uganda und Burundi angewachsen. Auch das TFG hatte 2010 ungefähr 3 000 eigene Soldaten zur Verfügung. Obwohl die genaue Truppenstärke von Al Shabaab und Hizbul Islam nicht bekannt war, brachten beide Gruppen zusammen sicher nicht mehr als 7-8 000 Kämpfer auf; 5-6 000 davon waren Al Shabaab-Mitglieder. Die Offensive geriet rasch ins Stocken. Die Gründe waren die militärische Stärke des Gegners, vor allem von AMISOM, aber auch interne Spannungen innerhalb von Al Shabaab. Nachdem Al Shabaab-Truppen im September 2010 große Verluste erlitten hatten, zog Mukhtar Roobow 1 200-2 000 seiner Kämpfer aus Mogadischu ab. Sie gehörten weitgehend der Rahanweyn Klan-Familie an, deren Mitglieder vornehmlich in den Regionen Bay und Bakool leben. Dieser Entscheidung gingen Anschuldigungen seitens der Rahanweyn-Kämpfer gegen die Al Shabaab-Führung unter Ahmed Abdi Godane voraus, dass sie an die Front als „Kanonenfutter“ gezwungen wurden. Dabei mögen Spannungen zwischen den Rahanweyn und anderen Abstammungsgruppen in Al Shabaab eine Rolle gespielt haben. 109 Der Abzug der Einheiten unter Mukhtar Roobows Befehl 109 Die Mitglieder anderer Klan-Familien, wie Isaaq und Darood, sehen traditionell auf die Rahanweyn herab, da diese als „unrein“ hinsichtlich ihrer Abstammung gelten; siehe He-
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schwächte die Al Shabaab-Offensive entscheidend. Nach Verhandlungen innerhalb von Al Shabaab kehrten die Rahanweyn-Kämpfer schließlich nach Mogadischu zurück. 110 Die Offensive scheiterte dennoch. Hizbul Islam war bis Ende des Jahres 2010 zerfallen. Viele ihrer Truppen waren desertiert, einige waren zum TFG übergelaufen. Al Shabaab hatte das ganze Jahr 2010 schon Druck auf die Gruppe ausgeübt und viele ihrer Stellungen in Süd- und Zentralsomalia übernommen. Am 19.12.2010 wurde Hizbul Islam offiziell in Al Shabaab integriert. Die Integration der ideologisch nicht so strikt orientierten Kämpfer von Hizbul Islam sowie der Beitritt von Sheikh Hassan Dahir Aweys, der Ahmed Abdi Godane distanziert gegenüber stand, sorgten für Unruhe innerhalb von Al Shabaab. 111 Ab Februar 2011 gingen das TFG und AMISOM, unterstützt von ASWJ-Einheiten und Teilen der äthiopischen und kenianischen Armee, zum Gegenangriff gegen Al Shabaab über. 112 Die Hauptkampfplätze waren Mogadischu, die Region Gedo in Westsomalia und Teile Zentralsomalias. In Mogadischu konnten das TFG und die AMISOM Gewinne verbuchen. Während sie bis Anfang 2011 nur 1/3 der Hauptstadt kontrolliert hatten, war im Mai 2011 etwas mehr als die Hälfte der Stadt unter ihrer Kontrolle. In Westsomalia, im Grenzgebiet zu Kenia und Äthiopien und in Zentralsomalia geriet Al Shabaab in Bedrängnis. Es gelang den kenianischen und äthiopischen Truppen sowie den Einheiten von ASWJ, die dort agierten, jedoch bis Juni 2011 nicht, Al Shabaab entscheidend zu schlagen. Gleichzeitig verlor Al Shabaab Anfang 2011 zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung. Ein Grund dafür war die unbefriedigende Reaktion der Al Shabaab-Führung auf eine sich im Laufe des Jahres 2010 und Anfang 2011 dramatisch zuspitzende Dürre in ganz Somalia. Als Problem erwies sich dabei, dass Ahmed Abdi Godane und seine Getreuen in der shura schon in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 das World Food Program (WFP) beschuldigt hatten, mit seiner Nahrungsmittelhilfe die Absatzchancen für somalische Bauern zu minimieren. Es kam zu Übergriffen von Al Shabaab-Milizen gegen WFP-Büros in Somalia. Anfang Januar 2010 erklärte das WFP, dass es alle Operationen in Somalia einstellte. 113 In den folgenden 15 Monaten verschlimmerte sich die Dürre im Land enorm. Daraufhin wurden Stimmen in der Bevölkerung laut, die forderten,
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lander, Bernhard: The slaughtered camel: Coping with fictitious descent among the Hubeer of Southern Somalia. Uppsala 2003. Terrorism Monitor VII(38)/2010, S. 2-4. Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 31. Der UNO-Sicherheitsrat gewährte im Dezember 2010 die Erhöhung der maximalen Truppenstärke von AMISOM um 4 000 auf 12 000 Soldaten. Mukhtar Roobow, aber auch Sheikh Hassan Dahir Aweys von Hizbul Islam waren von Beginn an anderer Ansicht als Ahmed Abdi Godane gewesen. Sie wollten WFP-Hilfen in ihren Gebieten erlauben. Als WFP aus Somalia abzog, hatte Ahmed Abdi Godane gewonnen.
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internationale Hilfe und gerade die Arbeit des WFP in Somalia wieder zu erlauben. Ein weiterer Grund für die Schwäche von Al Shabaab Anfang 2011 war, dass es viele erwachsene Somalis leid waren, von den oft sehr jungen Al Shabaab-Milizen gegängelt, bedroht und in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens extrem eingeschränkt zu werden. Dieser Verlust an Rückhalt in Gebieten, die schon länger von Al Shabaab verwaltet worden waren, führte zu einem Umdenken auf der Führungsebene der Gruppe. Ahmed Abdi Godane rief in einer Rede Ende Januar 2011 die Milizen zu Besonnenheit gegenüber der lokalen Bevölkerung auf. 114
4. Al Shabaab: eine typisch somalischer Akteur oder ein Fremdkörper in Somalia? Einige Autoren führen den militanten Islamismus in Somalia, insbesondere die Linie, die von Al Shabaab vertreten wird, auf das Einwirken von Al Qaida am Horn von Afrika zurück. 115 Es gibt, wie in diesem Beitrag dargestellt, tatsächlich Verbindungen zwischen Al Qaida in der Region und einzelnen somalischen Islamisten. Die öffentlich zugänglichen Quellen inklusive amerikanischer Geheimdienstdaten aus den 1990er Jahren deuten jedoch darauf hin, dass die Lage vielschichtiger ist als gemeinhin angenommen. Obwohl die Somalis traditionell dem Sufismus anhingen, gab es schon seit den 1970er Jahren islamistische Tendenzen. Diese nahmen nach dem Fall der Regierung Mohamed Siyad Barres 1991 deutlich zu, auch deshalb, weil viele Somalis in den Wirren des Bürgerkrieges und Staatszerfalls Halt im Glauben suchten. Die Schari’a war ein effektives Instrument, lokal für Recht und Ordnung zu sorgen. 116 Dies führte dazu, dass viele Somalis sich neu auf den Islam besannen. In diesem Kontext gewann der Salafismus arabischer und nordafrikanischer Prägung an Einfluss. Der militante Islamismus, den Al Qaida vertrat, hatte es dennoch nicht leicht, in Somalia Fuß zu fassen. Es gab viele ideologische, soziale und politische Barrieren, die eine Integration Somalias und der Somalis in den globalen jihad Osama Bin Ladens behinderten. Selbst einheimische Islamisten, die, wie AIAI, ab 1991 aktiv am 114 Marchal, Roland: The Rise of a Jihadi Movement in a Country at War, S. 37. 115 Gartenstein-Ross, Daveed: The strategic challenge of Somalia’s Al-Shabaab; Shinn, David: Al Shabaab’s Foreign Threat to Somalia, S. 207-208; Harnisch, Cristopher: The Terror Threat from Somalia: The Internationalization of Al Shabaab (A Report of the Critical Threats Project of the American Enterprise Institute, 12.02.2010), S. 21-28. 116 Daneben existierte noch somalisches traditionelles Recht oder xeer. Dieses Recht geht in Teilen mit der Schari’a konform, basiert aber im Wesentlichen auf mündlichen Vereinbarungen zwischen Vertretern von Abstammungsgruppen. Xeer spielte eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Beendigung des Bürgerkrieges in Nordsomalia.
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somalischen Bürgerkrieg teilnahmen, kamen bei dem Versuch, religiöse Ideologie über Partikularinteressen zu stellen, an ihre Grenzen. Unterschiedliche Zielsetzungen, Klanismus, Opportunismus und wechselnde Allianzen schwächten AIAI. Die führenden Köpfe in Al Shabaab haben wohl bewusst versucht, einige der Fehler von AIAI zu vermeiden. 117 Al Shabaab begann als kleine, verschworene Gruppe, die ihre militärischen Kapazitäten langsam erhöhte. Sie konzentrierte sich von Anfang an auf ideologische Indoktrination und setzte auf kompromisslosen Terror. Mit zunehmendem Erfolg integrierte sie nicht-somalische Jihadisten und erweiterte ihr Unterstützernetzwerk jenseits der Grenzen Somalias. Die Gruppe etablierte ab 2008 zunehmend hierarchische Organisationsstrukturen und bemühte sich um effektive Verwaltung in den von ihr kontrollierten Territorien. Diese Faktoren halfen dabei, Klanismus und die damit verbundenen Probleme zu minimieren. Dennoch spielen, wie z.B. das Vorgehen von Mukhtar Roobow und seinen Rahanweyn-Kämpfern zeigte, auch in Al Shabaab Klanloyalitäten und Antagonismen zwischen Abstammungsgruppen eine Rolle. Die historische Einbettung von Al Shabaab in die somalische Islamistenszene wird auch durch personelle Kontinuitäten untermauert. Akteure wie Sheikh Hassan Dahir Aweys und Hassan Abdullahi Turki, die führend in AIAI waren, gingen als Vertreter von Hizbul Islam ab 2009 ein Bündnis mit Al Shabaab gegen das TFG unter Sheikh Sharif Sheikh Ahmed ein und sind seit Ende 2010 offiziell Teil von Al Shabaab. Al Shabaab ist also nicht einfach ein „Fremdkörper“ im somalischen System. Die Gruppe ist mit den vorhandenen islamistischen Tendenzen und auch der Sozialstruktur in Somalia verbunden, auch wenn sie versucht, die bei der Erreichung ihrer Ziele hinderlichen somalischen Traditionen aufzubrechen. Der rasante Aufstieg Al Shabaabs von einer kleinen Terrorzelle zu einem mächtigen Gewaltakteur, der 2009 und 2010 große Teile Süd- und Zentralsomalias kontrollierte und verwaltete, ist mit zwei externen Faktoren verbunden: mit dem mangelnden Interesse der internationalen Gemeinschaft gegenüber den Entwicklungen in Somalia und mit dem militärischen Eingreifen im Rahmen des Krieges gegen den Terrorismus. Man hatte Somalia nach dem Scheitern der internationalen Intervention 1995 sich selbst überlassen. Dies hatte den Boden bereitet für ein Abdriften einer ganzen Generation junger Somalis in die Hoffnungslosigkeit. In einem zerfallenen Staat, in dem Armut und Gewalt den Alltag bestimmen, ließ sich kaum Zukunft aufbauen. Die Islamisten mit ihren klaren Botschaften und ihren finanziellen Mitteln konnten in diesem Kontext viele Anhänger werben. Selbst wenn die wenigsten Islamisten einen militanten Islam predigten, veränderte sich doch das gesellschaftliche Klima in Somalia insge117 In diesem Sinn kann AIAI als eine Vorläuferorganisation von Al Shabaab bezeichnet werden.
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samt. Der Unterschied zwischen sozialen und politischen Reformern und militanten Extremisten war nur noch graduell. Als die USA und Äthiopien ab 2002 begannen, Terrorverdächtige nach Belieben von Warlords fangen oder eliminieren zu lassen, förderte dies bei vielen Somalis eine Solidarisierung mit den Islamisten, von denen sich einige zuvor als Richter und Ordnungshüter auf lokaler Ebene profiliert hatten. Die militanten Extremisten wussten diese Situation für sich auszunutzen und testeten zwischen 2004 und 2006 ihre Grenzen aus. Die Reaktionen des Westens und Äthiopiens, die nach dem Sieg der UIC sofort von der Talibanisierung Somalias sprachen und Al Qaida in Somalia am Werk sahen, machten es unmöglich, in der Machtübernahme der Islamisten einen genuin somalischen bottom-up Prozess von Staatsbildung zu erkennen. Ob dieser Prozess zu dauerhaftem Frieden in Somalia geführt hätte oder nicht, muss dahingestellt bleiben. 118 Die militärische Zerschlagung der UIC und die darauffolgende Besetzung Mogadischus durch äthiopische Truppen mit Unterstützung der USA und Duldung der internationalen Gemeinschaft signalisierte allen Somalis, dass ihr Land „vogelfrei“ war. Al Shabaab gelang es in dieser Situation, sich als „Verteidigerin“ Somalias in Szene zu setzen. Dies brachte der Gruppe enormen Zulauf. In dem brutalen Konflikt mit dem TFG unter Abdullahi Yusuf, den Äthiopiern und AMISOM entwickelte Al Shabaab das Repertoire des Terrors, das es der Gruppe nach dem Abzug der Äthiopier und dem Antritt einer neuen Regierung ermöglichte, die lokale Bevölkerung und auch ihre militärischen Gegner einzuschüchtern. Man kann den Aufstieg von Al Shabaab zur bisher radikalsten militanten Islamistengruppe Somalias, die 2009 und 2010 TFG, AMISOM und ASWJ überlegen war und sogar Hizbul Islam, ihre Verbündete und Konkurrentin, dominierte, als eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ ansehen. 119 Das „Monster“, das Äthiopien, die USA und die westlichen Medien 2006 in Somalia am Werk sahen, ist in den folgenden Jahren Wirklichkeit geworden. Al Qaida hat sich diese Situation nur zu Nutze gemacht, sie aber nicht geschaffen. Die globalen Jihadisten um Osama Bin Laden konzentrierten sich darauf, Somalia als Ressource in ihrem Medienkrieg zu verwenden, indem sie die Entwicklungen im Land kommentierten, den „Westen“ bedrohten und die somalischen Islamisten in ihrem Kampf bestärkten. Konkret personell, militärisch oder finanziell griff Al Qaida kaum ein. Bis 2011 sind nur sehr wenige hochrangige Mitglieder der Gruppe in Somalia präsent. Der Grund ist, dass die Lage im Land immer noch nicht sehr viel geeigneter für den Aufbau einer permanenten 118 Einige Beobachter sagten Mitte 2006 voraus, dass die UIC über kurz oder lang an der Heterogenität ihrer Mitglieder zerbrechen würde. Das wäre demnach ohne Militärintervention und wohl auch ohne so viele Tote vonstatten gegangen. 119 Verhoeven, Harry: The self-fulfilling prophecy of failed states: Somalia, state collapse and the Global War on Terror. In: Journal of Eastern African Studies 3(3)/2009, S. 405425.
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Operationsbasis für den globalen jihad ist, als sie es in den 1990er Jahren war. Die Infrastruktur es Landes ist zerstört, es gibt bewaffnete Klanmilizen, die nicht auf Seiten der Islamisten stehen, und das Land ist offener denn je für externe Interventionen. Äthiopien hat im Dezember 2006 gelernt, dass es bei Bedarf jederzeit im Nachbarland intervenieren und als bedrohlich wahrgenommene Strukturen zerstören kann. Es gibt keine souveräne Regierung und keine internationalen Partner, die eine Militärintervention in Somalia verhindern könnten oder wollten. Eine dauerhafte und kostspielige Besetzung von Mogadischu und Umgebung, wie von Dezember 2006 bis Dezember 2008, ist nicht nötig. Die militärische Ausstattung der Islamisten in Somalia ist auch 2011 noch dürftig, verglichen mit einer konventionellen Armee. Ahmed Abdi Godane und seine Getreuen haben sich ab 2008 Al Qaida angedient und wollen Somalia als einen Ort des Geschehens im globalen jihad sehen. Dieser Kurs ist allerdings unter Somalias militanten Islamisten nicht unumstritten. Viele einflussreiche somalische Akteure, wie Hassan Dahir Awyes und andere, die bis vor kurzem in Hizbul Islam organisiert waren, aber auch alte Kader von Al Shabaab, haben eine nationale oder pan-somalische Agenda. Selbst die Anschläge von Kampala im Juli 2010, die von einigen Beobachtern als „Wendepunkt“ und Beweis für die potenziell globale Terrorstrategie von Al Shabaab gewertet wurden, lassen sich nüchtern als brachiale aber nachvollziehbare Antwort der somalischen Jihadisten auf das Vorgehen der ugandischen AMISOM-Truppen in Mogadischu einordnen. 120 Der schwindende Rückhalt in der Bevölkerung für Al Shabaab Ende 2010, Anfang 2011, welcher der Arroganz junger Milizionäre und dem falschen Umgang der Al Shabaab-Führung mit der eskalierenden Dürre in Somalia geschuldet ist, hat gezeigt, dass man keinen jihad (weder einen nationalen noch einen globalen) ohne die lokale Bevölkerung führen kann. In diesem Zusammenhang hat die Anfang 2011 begonnene Offensive von TFG und AMISOM (mit der teilweisen Unterstützung von ASWJ und der kenianischen und äthiopischen Armee) das Potenzial, Al Shabaab entscheidend zu schwächen. Allerdings ist das TFG immer noch militärisch und politisch schwach und hat seit seiner Existenz noch nicht bewiesen, dass es eine wirkliche Regierung für Somalia sein kann. AMISOM hat kein Mandat, Somalia zu verwalten. 121 Die Frage ist also, was einem Sieg über Al Shabaab folgt.
120 Guglielmo, Matteo: Unravelling the Islamist insurgency in Somalia, S. 133-134. 121 ICG: Somalia: The Transitional Government on Life Support (Africa Report Nr. 170, 02.2011), , abgerufen am 09.06.2011.
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Martin Pabst Somalia verfügt seit dem Sturz des Diktators Siad Barré im Januar 1991 über keine Regierung, die eine landesweite Kontrolle ausübt. Süd- und Zentralsomalia werden fortan von unübersichtlichen bewaffneten Konflikten zwischen Banden und Milizen erschüttert. Im nordwestlichen Somaliland bildeten sich 1991, in der nördlichen Region Puntland 1998 neue staatliche Strukturen von unten. Somaliland rief am 18. Mai 1991 einseitig die Unabhängigkeit aus, was eine Stabilisierung des Gesamtstaates auf andere Weise erschwert. 1 Die internationale Gemeinschaft reagierte schnell auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und entsandte friedensunterstützende Missionen: Jan. 1992-Dez. 1992
United Nations Operation in Somalia I (UNOSOM I) Durch Sicherheitsratsresolutionen 751 und 775 vom 24.4. bzw. 28.8.1992 nach Kap. VI der UNO-Charta mandatierte militärische Mission zur Waffenstillstandsüberwachung und Herstellung einer sicheren Umgebung für humanitäre Versorgung zunächst in Mogadischu, später landesweit (erreichte Maximalstärke: 947) Dez. 1992-März 1993 Unified Task Force (UNITAF) Durch Sicherheitsratsresolution 794 vom 3.12.1992 nach Kap. VII mandatierte militärische Assistenzmission zur Durchsetzung der humanitären Versorgung. Durchgeführt durch eine „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA (erreichte Maximalstärke ca. 37 000) 1993-95 United Nations Operation in Somalia II (UNOSOM II) Durch Sicherheitsratsresolution 814 vom 26.3.1993 nach Kap. VII mandatierte militärisch-zivile Mission mit multidimensionalen Aufgaben und landesweitem Mandat (19 000 Blauhelme und 41 Polizisten im Mai 1994)
1
Grundlagen dieses Aufsatzes bilden die Berichte des UNO-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, die Veröffentlichungen von Human Rights Watch (http://www.hrw.org), International Crisis Group (http://www.crisisgroup.org) und Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin (http://www.swp-berlin.org) sowie von der Afrikanischen Union und verschiedenen Bundesministerien erhaltene Informationen.
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Das UNITAF-Mandat war ein völkerrechtliches Novum, erlaubte der Sicherheitsrat doch erstmals, mit Zwangsmitteln in einem souveränen Land einzugreifen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen („responsibility to protect“). Freilich entwickelte sich das Engagement zu einem Misserfolg. Somalische Milizionäre schossen am 3. Oktober 1993 in Mogadischu zwei US-Kampfhubschrauber ab. Stundenlang waren an die 100 US-Soldaten umzingelt. Bei erbitterten Häuserkämpfen starben 18 US-Soldaten und an die 1 000 Somalis. Als die nackten Leichen zweier US-Soldaten vor laufenden Kameras durch die Straßen geschleift wurden, sank beim größten Truppensteller USA schlagartig die Begeisterung für Einsätze in asymmetrischen Konflikten in Afrika. Als Folge des „Black-Hawk-Desasters“ wurden die US-Truppen von der UNISOM II abgezogen, und 1995 wurde diese glücklose Mission beendet. Unterstützt durch regionale und internationale Bemühungen, wurden ab 2000 Friedensgespräche in Gang gesetzt und in wiederholten Anläufen Übergangsparlamente und Übergangsregierungen bis zur Bildung gewählter Institutionen eingesetzt: Aug. 2000 Okt. 2004 Jan. 2009
1. Übergangsregierung unter Präsident Abdikassim Salat Hassan in Nairobi; 2. Übergangsregierung unter Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed zunächst in Nairobi, ab 2005 in Somalia; 3. Übergangsregierung unter dem gemäßigt-islamistischen Präsidenten Sharif Sheikh Ahmed in Mogadischu (Mandat befristet bis August 2011).
Doch konnte noch keine Konfliktlösung erzielt werden. In Süd- und Zentralsomalia kontrolliert der islamistische Widerstand weite Teile des Landes, und die „Republik Somaliland“ lehnt jegliche Kooperation mit der Übergangsregierung ab. Da die Weltgemeinschaft aber nicht willens ist, ggf. unter Einsatz militärischen Zwangs ein internationales Protektorat nach dem Vorbild des Kosovo oder Ost-Timors zu etablieren, bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit vorhandenen staatlichen Strukturen zu kooperieren.
Akteure in Somalia Diejenige internationale Organisation mit der längsten Präsenz sind die Vereinten Nationen. Nachfolger der militärisch-zivilen Friedensmission UNOSOM II wurde eine politische UNO-Mission: das aus Sicherheitsgründen in Nairobi angesiedelte United Nations Political Office for Somalia (UNPOS). Aufgabe der vom Department of Political Affairs geführten politischen Mission mit 45 Mitarbeitern ist die Unterstützung von Frieden und Versöhnung. Leiter ist der Maure162
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tanier Ahmedou Ould-Abdallah; er hat den Status eines Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs. Das UNPOS gibt Weisungen an die 16 in Somalia arbeitenden Sonder- und Nebenorganisationen der UNO. Derzeit werden u. a. Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs, die Einrichtung staatlicher Institutionen und der Aufbau von Militär, Polizei und Justizwesen unterstützt. Auch hält das UNPOS Kontakt mit Puntland und Somaliland. Sollte sich der UNO-Sicherheitsrat dafür entscheiden, wieder eine militärisch-zivile Friedensmission nach Somalia zu entsenden, so könnte sie auf den Strukturen von UNPOS aufbauen. UNDP, UNICEF, WHO, WFP, UNHCR, FAO, OCHA etc. haben ohne Unterbrechung Hilfe und Unterstützung gewährt. Auch sie haben aus Sicherheitsgründen ihren Sitz in Nairobi (Kenia) genommen und arbeiten vor Ort überwiegend mit lokalen Mitarbeitern. UN Resident und Humanitarian Coordinator ist der Brite Mark Bowden; er würde bei Entsendung einer militärisch-zivilen Friedensmission wahrscheinlich zu einem der beiden Stellvertreter des SRSG und Missionsleiters ernannt. Als weiterer politischer Vermittler ist die Regionalorganisation Intergovernmental Authority on Trade and Development (IGAD) tätig. Im Jahr 2002 brachte die IGAD die somalische Friedens- und Versöhnungsgespräche in Kenia in Gang. Am 6.1.2005 forderte der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union (AU) die IGAD zur Entsendung einer Friedensmission nach Somalia zur Umsetzung des 2004 in Kenia unterzeichneten Friedensabkommens auf. Die von der IGAD vorgeschlagene IGAD Peace Support Mission to Somalia (IGASOM) sollte 10 000 Soldaten umfassen. Wegen zu großer Sonderinteressen einzelner Mitgliedsstaaten am Horn von Afrika nahm die IGAD aber von dem Vorhaben Abstand. Einen Verzug bei der Stationierung einer Friedenstruppe brachte auch die zwischenzeitliche Machtübernahme der Union der Islamistischen Gerichtshöfe in Mogadischu (2006). Schließlich entsandte die AU mit Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates im Januar 2007 selbst eine Mission (siehe unten). Im Jahr 2006 gründete eine Gruppe vornehmlich westlicher Staaten die „Internationale Somalia-Kontaktgruppe“. Sie wird vom Sonderbeauftragten des UNOGeneralsekretärs, Ahmedou Ould-Abdallah, geleitet. Ihr gehören u. a. die USA, Norwegen, Schweden, Italien, Großbritannien, Schweden, die EU und Tansania an, seit kurzem auch Somalia selbst. Beobachterstatus haben die Afrikanische Union (AU), die IGAD, die Arabische Liga und die UNO. Die Internationale Somalia-Kontaktgruppe ist allerdings nicht frei von Rivalitäten, z.B. zwischen den ehemaligen somalischen Kolonialmächten Italien und Großbritannien.
Krisenmanagement zu Land Grundlage der African Union Mission in Somalia (AMISOM) sind die Resolution des Friedens- und Sicherheitsrates der AU vom 19.1.2007 und die UNO163
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Sicherheitsratsresolution 1725 vom 28.11.2006 und 1744 vom 20.2.2007. Das gemäß Kap. VII der UN-Charta erteilte Mandat war zunächst bis August 2007 befristet, wurde aber bis heute regelmäßig verlängert. Es umfasst die Unterstützung der Übergangsregierung, die Umsetzung eines Sicherheitskonzepts, die Ausbildung nationaler Sicherheitskräfte sowie die Unterstützung einer „sicheren Umgebung“ für humanitäre Aktivitäten. Autorisiert sind bis zu 8 000 Soldaten. Im April 2010 waren 6 120 Mann ausschließlich in der Hauptstadt Mogadischu stationiert: • drei burundische Infanteriebataillone, Hospital Stufe 1 und Pioniere; • vier ugandische Infanteriebataillone, Hospital Stufe 2 und Pioniere; • eine ugandisch-burundische Pioniereinheit am Flugplatz. Darüber hinaus ist eine zivile Komponente mit 270 Polizisten sowie weiteren zivilen Mitarbeitern zur Unterstützung von Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration sowie humanitären Aufgaben vorgesehen. AMISOM wird damit die erste gemischt militärisch-zivile AU-Mission. Im April 2010 entsandte die AU die ersten sieben Polizeiausbilder nach Mogadischu. AMISOM-Polizeiausbilder waren zuvor am „Kofi Annan International Peacekeeping Center“ in Accra (Ghana) für diese Aufgabe vorbereitet worden. Der militärische Einsatz der AMISOM gestaltet sich folgendermaßen: Zum Jahreswechsel 2009/10 operierte die ugandische Brigade im strategisch wichtigen Sektor 1 in Mogadischu, wo sich der Präsidentenpalast, das Ausbildungslager „Al Jazeera“ für Soldaten der Übergangsregierung, der Seehafen, der Flugplatz und die strategisch wichtige Straßenkreuzung „Kilometer 4“ befinden. Die ugandischen Soldaten kontrollieren die Hauptstraßen und führen dort Patrouillen und Begleitschutz durch. Nebenstraßen müssen sie wegen der Bedrohung durch improvisierte Sprengfallen meiden. Ihr Einsatz gewährleistet die Sicherheit der Übergangsregierung und die Zufuhr humanitärer Versorgungsgüter. Nach dem Eintreffen burundischer Kräfte ab Jahreswechsel 2007/08 konnte die AMISOM ihre Präsenz in den dahinter liegenden Sektor 2 ausdehnen. Dort befinden sich die Universität und die Militärakademie, wo Offiziere der Übergangsregierung ausgebildet werden. Im Sektor 2 ist die Sicherheitslage angespannt. Die burundischen Soldaten befinden sich hier im Wirkungsbereich weitreichender feindlicher Waffen wie Mörser. Aufständische aus Südsomalia können in diesem Sektor über die Stadtteile Afogoye und Daynille leicht eindringen. Geplant ist, eine AMISOM-Präsenz im Sektor 3 mit dem Bakara-Markt und dem Sportstadion aufzubauen – bisher eine Hochburg des islamistischen Widerstands inklusive Planungszellen und Ausbildungseinrichtungen. Angesichts der Sicherheitslage dürfte dieses Vorhaben aber noch in weiter Ferne liegen. Nach Eintreffen des vierten ugandischen Infanteriebataillons Anfang 2010 soll ein viertes burundisches Infanteriebataillon folgen. Verhandlungen mit weiteren potenziellen Truppenstellern (Ghana, Malawi, Nigeria) ziehen sich hin. 164
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Gemäß ihrem Mandat hat die AU Eventualplanungen für eine Erweiterung der Präsenz über Mogadischu hinaus vorgenommen. Im Endzustand sind drei Sektoren vorgesehen: Nr. 1 Südsomalia mit Sektorenhauptquartier Kismayo, Nr. 2 Zentralsomalia mit dem Missions- und Sektorenhauptquartier Mogadischu, Nr. 3 Nordsomalia (inklusive Puntland, aber ohne Somaliland) mit dem Sektorenhauptquartier Galcaayo. Bisher nicht konkretisierte Planungen beinhalten eine Erweiterung der AMISOM um eine See- und Luftkomponente. Für eine landesweite Ausdehnung sind nach Ansicht der AMISOM mindestens 22 000 Soldaten notwendig, was entsprechende Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrats erfordern würde. Doch würde die AU eine Übernahme der AMISOM durch die UNO bevorzugen, was ihr von Anfang an in Aussicht gestellt worden war. Bei allen größeren AU-Friedensmissionen ist bisher so verfahren worden: in Burundi, der Elfenbeinküste und in Darfur/Sudan (dort in Form einer gemeinsam von UNO und AU getragenen „Hybridmission“). Denn der Einsatz in Somalia ist aus vielen Gründen problematisch. So wurde die AMISOM auf der Grundlage eines Friedensabkommens entsandt, das nur ein Teil der politischen Kräfte unterzeichnet hatte. Bis heute gibt es keine tragfähige Konfliktlösung – gemäß den Empfehlungen des Brahimi-Berichts unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche, unparteiliche Friedensmission. Entgegen den Regeln der AU hatte ein Vertreter einer beteiligten Konfliktpartei – Äthiopien – im Friedens- und Sicherheitsrat der AU an der Entsendung der AMISOM mitgewirkt. 2 Die Friedensmission traf erst ein, nachdem die äthiopischen Soldaten einmarschiert waren (Dezember 2006), und nach dem Abzug der Äthiopier (Januar 2009) hat sie in Mogadischu deren Aufgaben übernommen. Viele Somalier sehen in den AMISOM-Soldaten daher Vertreter ausländischer Interessen respektive Besatzer. In der Übergangsregierung gibt es einflussreiche Stimmen, die den baldigen Abzug der Mission betreiben. Zwar kam Präsident Sharif Sheikh Ahmed nicht umhin, die Präsenz der AMISOM, ohne die er momentan schutzlos wäre, zu akzeptieren, doch forderte die spirituelle Basis seiner Regierung, der „Rat der islamischen Kleriker“, im April 2009 den Abzug der AMISOM binnen 120 Tagen. Ebenso äußerte sich eine Gruppe von Parlamentariern unter Führung von Abdinasir Garane und der „Tradition and Unity Council“, eine Versammlung einflussreicher Hawiye-Subklans. 3
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Williams, Paul D.: AMISOM’s Five Challenges. Center for Strategic & International Studies, ohne Datum. Internet-Dokument: http://csis.org/blog/amisom%E2%80%99sfive-challenges (Zugriff 3.6.2010). Weinstein, Michael A.: Somalia: TFG Confronts the Security Issue. Garowe Online, 8.4.2009. Internet-Dokument: http://allafrica.com/stories/200904080637.html (Zugriff 3.6.2010).
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Nach dem Abzug der Äthiopier wurden die AMISOM-Soldaten zur bevorzugten Zielscheibe des islamistischen Widerstands. Der Blutzoll ist erschreckend: So wurden am 22.2.2009 bei zwei Suizidanschlägen elf burundische AMISOMSoldaten getötet und 15 verletzt. Bei einem weiteren Suizidanschlag am 17.9. 2009 wurden 17 AMISOM-Soldaten getötet (darunter der stellvertretende Truppenkommander Generalmajor Juvenal Niyonguruza aus Burundi) sowie 29 verletzt. 4 Insgesamt sind bisher an die 50 AMISOM-Soldaten bei Kämpfen oder Anschlägen gefallen. Im Gegenzug reagieren die AMISOM-Soldaten zunehmend mit ungezieltem Feuer auf Angriffe, was Opfer unter Zivilisten fordert und das Ansehen der Mission weiter sinken lässt. Bisher wurden zivile Opfer nicht entschädigt. Erst einmal wurde die Untersuchung eines solchen Vorfalls eingeleitet, doch wurde sie nach Weiterverweisung an den Sitz der AU in Addis Abeba nicht zum Abschluss gebracht. 5 Die schlechte Sicherheitslage veranlasste die AMISOM bereits Ende 2008 zu einer Eventualfallplanung für einen möglicherweise erforderlichen Truppenabzug. In diesem Zusammenhang wandte man sich auch an NATO- und EUVertreter mit der Bitte um Unterstützung (u. a. Bereitstellung von Transportkapazitäten). Truppenzusagen durch afrikanische Staaten gestalteten sich schleppend und wenig verlässlich, so dass die AMISOM nur langsam aufwuchs (im Mai 2008 waren erst 1 400 Soldaten vor Ort) und heute drei Viertel ihrer vorgesehenen Stärke umfasst. Leistungsträger bei afrikanischem Peacekeeping, wie Ägypten, Nigeria, Südafrika, haben sich bisher nicht beteiligt. Trotz professioneller Unterstützung durch die Sicherheitsfirma DynCorp International, Virginia, die im Januar 2007 vom Geberland USA mit der Ausrüstung, Verlegung, Versorgung und Ausbildung der AMISOM-Soldaten beauftragt wurde, kommt es immer wieder zu logistischen Engpässen. Mitte 2009 waren an die 200 AMISOMSoldaten aufgrund des Mangels an Lebensmitteln und Medizin von einer Leptospirose-Epidemie betroffen, sieben von ihnen starben. Daraufhin beteiligte sich auch die UNO an der Versorgung der AMISOM. 6 Das jährliche Budget von rund 800 Mio. USD wird weitgehend von internationalen Gebern wie der UNO, den USA, der EU sowie Einzelstaaten aufgebracht. Doch ist die AU nicht in der Lage, die eingegangenen Gelder professionell zu 4
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Bombs kill Somalia peacekeepers. BBC News, 22.2.2010 bzw. 21 killed in suicide attack on African Union base in Somalia. CNN International, 18.9.2009. Internet-Dokumente: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7904613.stm bzw. http://edition.cnn.com/2009/ WORLD/africa/09/18/somalia.suicide.attack/index.html (Zugriff 3.6.2010). Human Rights Watch: Harsh War, Harsh Peace, Kapitel International Actors. New York, 19.4.2010. Internet-Dokument: http://www.hrw.org/de/node/89644/section/9#_ftnref193 (Zugriff 3.6.2010). United Nations Security Council: Report of the Secretary-General on Somalia pursuant to Security Council resolution 1872 (2009), 2.10.2009 (UN-Dok. S/2009/503).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
verwalten. So mussten die ugandischen und burundischen Soldaten 2009 über ein halbes Jahr auf ihre Soldzahlungen warten. 7 Unterstützt von den USA, hat die AU wiederholt auf eine Übernahme der Mission durch die UNO gedrängt. Auch der Sondergesandte des UNO-Generalsekretärs Ahmedou Ould-Abdallah hat sich dieser Forderung angeschlossen. New York ist jedoch sehr zurückhaltend, diese Herausforderung anzunehmen. Gegen eine UNO-Mission sprechen sich auch einflussreiche europäische Mitgliedsstaaten aus, insbesondere Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Mit der Erklärung der Präsidentschaft des Sicherheitsrats vom 30.4.2007 wurde der UNO-Generalsekretär Ban Ki-Mun aufgefordert, die Option einer UNOMission zu prüfen. 8 Am 20.8.2007 forderte ihn der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1772 auf, die Eventualplanungen fortzuführen. Doch bezeichnete Ban KiMun in seinem Bericht vom 7.11.2007 eine UNO-Mission als „weder realistisch noch durchführbar“ 9 – die Lage habe nicht einmal die Entsendung eine Erkundungsmission vor Ort erlaubt. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Zwar hält sich der Sicherheitsrat die Option grundsätzlich offen, doch werden Festlegungen vermieden. In seinem Bericht vom 14. März 2008 an den Sicherheitsrat diskutierte der UNO-Generalsekretär auf der Basis einer inzwischen durchgeführten Erkundungsmission einen Stufenplan: 1. Intensivierung der humanitären und Entwicklungsanstrengungen durch Verlagerung von UNO-Mitarbeitern von Nairobi nach Somalia; 2. Verlegung des UNPOS-Hauptquartiers von Nairobi nach Somalia; 3. bei Vorliegen eines tragfähigen politischen Abkommens Entsendung einer internationalen „Stabilisierungstruppe“ mit 8 000 Soldaten sowie Polizisten; 4. Entsendung einer militärisch-zivilen UNO-Friedensmission mit bis zu 27 000 Blauhelmen (15-21 Infanteriebataillone), 1 500 Polizisten und sonstigen zivilen Mitarbeitern als Nachfolge der AMISOM. 10 Neu bei diesem Vorschlag war die Idee einer zwischenzeitlichen „Stabilisierungstruppe“ mit robustem Mandat – gewissermaßen eine Neuauflage der UNITAF. Auch im wenige Monate später abgeschlossenen „Dschibuti-Abkommen“ zwischen der somalischen Übergangsregierung und der Alliance of the Re7 8 9 10
Peace Operations Newsletter No.30, Dezember 2009; S. 2. Internet-Dokument: http://www.peacebuild.ca. Security Council presidential statement, 30.4.2007 (UN-Dok. S/PRST/2007/13). United Nations Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Somalia, 7.11.2007 (UN-Dok. S/2007/658). United Nations Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Somalia, 14.3.2008 (UN-Dok. S/2008/178, S/2008/178/Corr.1, S/2008/178/Corr.2 14 March 2008).
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Liberation of Somalia (ARS) wird die UNO um Autorisierung und Entsendung einer „Internationalen Stabilisierungstruppe“ gebeten, gestellt von Staaten, die „Somalia gegenüber freundlich gesinnt sind“. 11 Mit Erklärung des Sicherheitsratspräsidenten vom 4.9.2008 wurde das Department of Peacekeeping Operations (DPKO) aufgefordert, detaillierte Planungen sowohl für eine Stabilisierungstruppe wie auch für eine friedensunterstützende UNO-Mission auszuarbeiten. 12 Am weitesten verschrieb sich der Sicherheitsrat diesem Projekt in seiner Resolution 1863 vom 16. Januar 2009. Darin wird die „Absicht” erklärt, eine UNO-Friedensmission als Nachfolgerin der AMISOM nach Maßgabe einer erneuten Beschlussfassung bis 1. Juni 2009 einzurichten. Im darauffolgenden Bericht des UNO-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat vom 9. März 2009 wird die robuste „Stabilisierungstruppe“ nur noch am Rande erwähnt: 13 In der Tat erscheint es vor dem Hintergrund der früheren Erfahrungen kaum vorstellbar, dass hierfür eine „Koalition der Willigen“ zustande kommt. Ersatzweise wird in dem Bericht eine andere Option angesprochen: eine seegestützte „Maritime task force“, die gegebenenfalls unterstützend am Land eingreifen kann. In späteren UNO-Dokumenten taucht auch sie nicht mehr auf. Für eine multidimensionale UNO-Friedensmission in Somalia wird vom UNO-Generalsekretär folgender Kräftebedarf angesetzt: ca. 22 500 Blauhelme in fünf Sektoren von Brigadegröße in Süd- und Zentralsomalia (ohne Puntland und Somaliland), 1 500 Einzelpolizisten, 1 120 Polizisten in acht Einsatzhundertschaften sowie eine adäquate Zahl ziviler Mitarbeiter. In den DPKO-Eventualplanungen spielt Mombasa als rückwärtige Versorgungsbasis eine wichtige Rolle. Der Transport soll auf dem Seeweg nach den Häfen Kismayo, Mogadischu und Hobyo verlaufen, von hier auf dem Straßenoder Luftweg in die im Landesinnern liegenden Zentren Merca, Baidoa und Galkaayo. Die Mission wurde als reine Festlandsmission konzipiert, die aber vier Eskortschiffe und vier Patrouillenboote umfasst. Sie soll eng mit den fortbestehenden internationalen Anti-Piraterie-Missionen zusammenarbeiten.
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Agreement Between The Transitional Federal Government of Somalia (TFG) And The Alliance For The Re-Liberation Of Somalia (ARS), 19.8.2008. Internet-Dokument: http://www.iss.org.za/uploads/SOMALIPAX9JUN08.PDF (Zugriff 3.6.2010). United Nations Security Council, Presidential Statement, 4.9.2008 (UN-Dok. S/PRST/2008/33). United Nations Security Council: Report of the Secretary-General on the situation in Somalia, 9.3.2009 (UN-Dok. S/2009/132).
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Von DPKO 2009 angesetzte militärische Kräfte für eine eventuelle multidimensionale UNO-Mission in Süd- und Zentralsomalia Operational Units Sector One: Brigade (2 Battalions) Sector Two: Brigade (3 Battalions) Sector Three: Brigade (3 Battalions) Sector Four: Brigade (2 Battalions) Sector Five: 2 x Brigades (6 Battalions) Force Reserve: One Mech Battalion Aviation Element: Utility Helicopters x 24, Armed Helicopters x 12 Maritime Group: Cargo Escort: 4 x Frigate, Coastal Patrol: 4 x Patrol Boat Logistics: Hospital & Logistics Enabling Units: Military Logistic Units, Military Engineers, Military Transport Das DPKO plant keine „Hybridmission“, sondern plädiert für eine Mission unter alleiniger UNO-Verantwortung. Aufgrund der komplizierten doppelten Führungsstrukturen wünscht man in New York keine Wiederholung des DarfurExperiments. Hingegen könnte sich die AU weitere Hybridmissionen durchaus vorstellen. Allerdings errichtete der UNO-Generalsekretär in seinem Bericht vom 9. März 2009 hohe Hürden für die Entsendung einer friedensunterstützenden UNO-Mission nach Somalia: • Einbeziehung weiterer Gruppierungen in Übergangsregierung, • vertiefte Kontakte zu weiteren Akteuren, • somalische Sicherheitskräfte in Mogadischu stationiert, verbesserte Sicherheitslage, • glaubwürdigen Waffenstillstand, • Schließung illegaler Kontrollpunkte, • Zustimmung aller größeren somalischen Parteien, • ausreichende internationale Truppen-/Ausrüstungszusagen. 14 Allein der letztere Punkt scheint kaum erfüllbar – man denke beispielsweise an die vom DPKO angesetzten 24 Transport- und 12 Kampfhubschrauber, die bereits in anderen Missionen Mangelware sind. Im Jahr 2009 stellte das DPKO mit Verbalnoten an 60 Mitgliedsstaaten die Bereitschaft zur Truppenstellung fest. Ganze zehn (darunter Deutschland) antworteten, und alle eingegangenen Antworten waren negativ. Auch die somalische Übergangsregierung steht einer UNO-Mission inzwischen negativ gegen14
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über. Sie setzt auf nationale Aufrüstung im Rahmen des „Nationalen Sicherheitsund Stabilisierungsplans“. Wenn die vorgesehenen 10 000 Soldaten sowie eine genügende Zahl von Polizisten ausgebildet sind, soll die AMISOM nach dem Wunsch der Übergangsregierung abgezogen werden. Seit Mitte 2009 ist die Option einer UNO-Mission in den Resolutionen und Erklärungen des Sicherheitsrates deutlich in den Hintergrund gerückt. Man setzt nun auf ein Anwachsen der AMISOM und den Aufbau nationaler Sicherheitskräfte. Diese Strategie fußt auf den mit Sicherheitsratsresolution 1872 vom 26.5.2009 gebilligten Vorschlägen des UNO-Generalsekretärs vom 16.4.2009. 15 In seinem Bericht hatte er mehrere Handlungsoptionen diskutiert: a) Aufwuchs der AMISOM und Aufbau nationaler Sicherheitskräfte; b) Etablierung eines „leichten UNO-Fußabdrucks“ in Somalia (d. h. Schaffung einer Art von „Green Zone“ in Mogadischu für das UNPOS und die Sonder- und Nebenorganisationen der UNO); c) Übernahme der AMISOM durch eine UNO-Mission; d) vollständiger Verzicht der UNO auf eine Rolle im Sicherheitsbereich. In einem Dreistufenmodell empfahl der UNO-Generalsekretär von a) nach c) zu schreiten. Damit ist eine eventuelle UNO-Mission in ferne Zukunft gerückt. Grundlage für den vorgesehenen Aufbau nationaler Sicherheitskräfte ist die gemeinsame Absichtserklärung von AU-Kommission und somalischer Übergangsregierung vom 30. März 2009, wonach die AMISOM ein erstes Kontingent von 2 700 Soldaten der Übergangsregierung trainiert, finanziert über einen von der UNO eingerichteten Treuhandfonds. Die AMISOM erhält von der UNO ein logistisches Unterstützungspaket, wofür die UNO-Generalversammlung 71,6 Mio. USD bewilligte. Zur Umsetzung wurde ein UN Support Office for AMISOM (UNSOA) eingerichtet. Teil der zu liefernden Ausrüstung sind zwei Patrouillenboote. Die Linie „AMISOM plus Nationale Sicherheitskräfte“ wird auch von anderen internationalen Akteuren unterstützt. Auf der Brüsseler Geberkonferenz im April 2009 konnten Zusagen in Höhe von insgesamt 213 Mio. USD eingeworben werden. Bis 2011 soll die AMISOM 6 000 somalische Soldaten trainieren, die UNDP 10 000 Polizisten. Die EU erklärte sich bereit, 60 Mio. Euro für die AMISOM und 55 Mio. Euro für die somalischen Sicherheitsinstitutionen zu bewilligen. Mit EU-Mitteln wird ein AMISOM-Hauptquartier in Mogadischu errichtet (bisher ist es in Nairobi angesiedelt). Die EU entsendet vier Planungsexperten in das AMISOM-Hauptquartier für den weiteren Ausbau der Friedensmission. Die USA stellten Mittel in Höhe von 170 Mio. USD für den Sicherheitssektor in Aussicht. Eine von den USA initiierte Bewertungsmission unter 15
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United Nations Security Council: Report of the Secretary-General on Somalia pursuant to Security Council resolution 1863 (2009), 16.4.2009 (UN-Dok. S/2009/210).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
UNO-Schirmherrschaft soll weiteren Unterstützungsbedarf ermitteln. Die Übergangsregierung musste akzeptieren, dass zur Verfügung gestellte Mittel von dem privaten Wirtschaftsberatungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers verwaltet und kontrolliert werden. Außerdem beschloss der EU-Ministerrat am 5.2.2010 die Entsendung einer militärischen Ausbildungsmission für Somalia. Die von dem spanischen Oberst Ricardo Gonzales Elul geführte European Union military mission to contribute to the training of Somali security forces (EUTM Somalia) ist auf ein Jahr befristet und umfasst bis zu 200 eigene Kräfte. 141 Ausbilder aus 14 EU-Staaten begannen am 1. Mai in Westuganda die 13-monatige Ausbildung von rund 2 000 Soldaten der Übergangsregierung. 16 Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, wies darauf hin, dass zum Training eine geregelte Bezahlung kommen müsse. Andernfalls drohe ein Überlaufen zu den Islamisten. Noch nicht absehbar ist, ob die EU auch Unterstützung leisten wird. In der Tat haben frühere Ausbildungsversuche in einem Desaster geendet: So sind gemäß einem UNO-Bericht ca. 14 000 der 17 000 von Äthiopien in den Jahren 2007/08 ausgebildeten Soldaten und Polizisten unter Mitnahme ihrer Uniformen und Waffen desertiert oder gar zum islamistischen Widerstand übergelaufen, der besser und regelmäßiger zahlt. 17 Nach eigenen Angaben verfügte die von General Mohamed Gelle Kahiye geführte Nationalarmee zum Jahresanfang 2010 über 2 800 Mann in sieben Bataillonen. Real sollen aber weit weniger einsatzfähig sein. Ergänzt werden sie durch lokale Milizen, die die Übergangsregierung unterstützen. Auch auf nationaler Ebene werden Ausbildungsprogramme durchgeführt. So bildete Frankreich 2009 auf seiner Militärbasis Dschibuti 500 Soldaten aus, weitere 3 000 sollen folgen. 18 Deutschland unterstützt die im Dezember 2009 begonnene Ausbildung von an die 1 000 Polizisten in Äthiopien mit 1 Mio. USD, Italien will dort ebenfalls Polizisten und Carabinieri ausbilden lassen. Die USA finanzierten 2009/10 die Ausbildung von an die 1 000 Soldaten in Dschibuti und weiterer 1 000 in Uganda. Davon sollen inzwischen allerdings Hunderte wegen unregelmäßiger Bezahlung desertiert bzw. zum islamistischen Widerstand übergelaufen sein. 19 Auch die 40 t Waffen und Munition (inklusive 16 17 18 19
European Union: EUTM Somalia. Internet-Dokument: http://www.consilium.Euroopa. eu/showPage.aspx?id=1870&lang=de (Zugriff 2.6.2010). Report of the Monitoring Group on Somalia pursuant to Security Council resolution 1811 (2008) vom Dezember 2008 (S/2008/769), S. 12. Vogel, Toby: France asks for help to train security force for Somalia. European Voice, 20.05.2009. Internet-Dokument: http://www.Euroopeanvoice.com/article/imported/ france-asks-for-help-to-train-security-force-for-somalia/64920.aspx (Zugriff 2.6.2010). US-trained Somali soldiers defect to al-Qaida. The Guardian, 28.4.2010. InternetDokument: http://www.guardian.co.uk/world/2010/apr/28/somalia-soldiers-defect-alqaida (Zugriff 2.6.2010).
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Mörsern und Granaten), die die USA im Jahr 2009 über die AMISOM im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung zur Aufstandsbekämpfung lieferte, sollen teilweise auf lokalen Märkten weiterverkauft worden sein. 20 Nicht alle externen Akteure setzen auf die Übergangsregierung. So bildete Kenia aus Ogadeni-Somalis eine 2 500 Mann starke Miliz aus, die den islamistischen Widerstand in der südsomalischen Region Jubaland bekämpfen soll. Vergeblich forderte Präsident Sharif Anfang 2010 eine Eingliederung dieser Miliz in die nationalen Sicherheitskräfte. 21 Die EU setzt nicht nur auf eine militärische Konflitklösung. Flankierend stellt die EU-Kommission Entwicklungsmittel zur Verfügung. In den Bereichen Gute Regierungsführung, Sicherheit und Förderung der Zivilgesellschaft; Erziehung; Wirtschaftliches Wachstum und Nahrungsmittelsicherheit sind 87 Projekte im Umfang von 180 Mio. € budgetiert und erstrecken sich auf das gesamte Territorium. 22 Die Umsetzung wird natürlich von der Sicherheitslage abhängig sein – weite Teile Süd- und Zentralsomalias werden heute vom islamistischen Widerstand kontrolliert. Anfang 2010 musste das World Food Program nach Drohungen der islamistischen al-Shabaab die Versorgung von 1 Mio. Menschen mit Lebensmitteln einstellen. 23 Interessant ist, dass Somaliland in das Unterstützungsprogramm der EUKommission eingeschlossen ist. In diesem befriedeten Gebiet werden Projekte problemlos durchgeführt werden können. Doch besteht die Gefahr einer unerwünschten diplomatischen Aufwertung der „Republik Somaliland“, da mit dortigen Behörden kooperiert werden muss. Vorstellbar ist eine Zusammenarbeit unter ausdrücklichem Ausschluss jeglicher politischen Anerkennung – etwa nach dem Vorbild der 2004 begonnenen Unterstützung der EU für das nicht als Staat anerkannte Nordzypern. Zur Koordination der vielfältigen Unterstützungsbemühungen und Entwicklung einer kohärenten Strategie ist beabsichtigt, einen EU-Sonderbeauftragten für das Horn von Afrika zu ernennen. 24 20 21 22 23 24
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Human Rights Watch: Harsh War, Harsh Peace, Kapitel International Actors. New York, 19.4.2010. Internet-Dokument: http://www.hrw.org/de/node/89644/section/9#_ftnref193 (Zugriff 3.6.2010). International Crisis Group: Somalia’s Divided Islamists. Africa Briefing N°74. Nairobi/ Brüssel, 18.5.2010, S. 12 bzw. 16. European Commission: The European Union and Somalia. EC Development Programme. January 2010. MacFarquhar, Neil: Threats Lead Food Agency to Curtail Aid in Somalia. New York Times, 5.1.2010. Internet-Dokument: http://www.nytimes.com/2010/01/06/world/africa/ 06somalia.html (Zugriff 5.6.2010). Rat der Europäischen Union. Beratungsergebnisse. Betr.: Somalia. Schlussfolgerungen des Rates, Brüssel 28.7.2009 (EU-Dok. 12441/09). Internet-Dokument: http://register. consilium.Euroopa.eu/pdf/de/09/st12/st12441.de09.pdf (Zugriff 3.6.2010).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
Krisenmanagement zu See Der Verfall staatlicher Ordnung hat in den letzten Jahren zu einem starken Anstieg seeräuberischer Aktivitäten vor Somalia geführt. Der Golf von Aden und die Gewässer des Indischen Ozeans östlich von Somalia sind zum weltweiten Schwerpunkt der Piraterie geworden. Im Jahr 2008 erfolgten dort 111 von 293 Schiffsüberfällen. 25 Inzwischen schlagen die somalischen Piraten mit Hilfe von Mutterschiffen bis zu 1 800 km von der somalischen Küste entfernt zu – manchmal näher an Indien als an Somalia. Zwar handelt es sich um lokale Piratenbanden, doch sind mit Hilfe von Angehörigen der somalischen Diaspora effiziente kriminelle Netzwerke aufgebaut worden, die bis nach Europa und Asien reichen. Besonders bedrohlich sind die Anschläge im Golf von Aden, mit 28 000 durchfahrenden Schiffen pro Jahr einer der frequentiertesten Schifffahrtsstraßen weltweit. 70% der Güter, die auf dem Seewege nach Europa gebracht werden, passieren den Golf von Aden. Mit Zustimmung der somalischen Übergangsregierung haben UNO-Resolutionen externe Akteure ermächtigt, in somalischen Gewässern Piraten zu bekämpfen. Grundlage sind die die UNO-Sicherheitsratsresolutionen Nr. 1816, 1838, 1846 vom 2.6., 7.10. bzw. 2.12.2008. Auf Bitte der USA folgte am 10.12.2008 die Resolution 1851, die auch eine Ausweitung des Vorgehens auf dem Festland ermöglicht. Hiervon wurde bisher aber kein Gebrauch gemacht. 26 Die Piratenstützpunkte sind bekannt – an erster Stelle sind die Fischerhäfen Eyl, Hobyo und Harardhere am Indischen Ozean zu nennen, wo die gekaperten Schiffe bereits mit Hilfe von Google Map identifiziert werden können. Harardhere könnte künftig als Piratenstützpunkt ausscheiden: Im Zuge ihres Vormarschs nach Norden erstürmte die islamistische Hizbul-Islam-Miliz am 2.5.2010 diesen rund 500 km nördlich von Mogadischu gelegenen Ort, verkündete die Scharia und erklärte Harardheere für piratenfrei. 27 Zur Koordination der Piratenbekämpfung wurde am 14.1.2009 die Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia (CGPCS) gegründet, die regelmäßig an den UNO-Sicherheitsrat berichtet. Folgende Anti-Piraterie-Missionen sind heute im Golf von Aden und im Indischen Ozean aktiv: 25
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ICC Commercial Crime Services: IMB reports unprecedented rise in maritime hijackings, 16.1.2009. Internet-Dokument: http://www.icc-ccs.org/index.php?option=com_content& view=article&id=332:imb-reports-unprecedented-rise-in-maritime-hijackings&catid=60: news&Itemid=51 (Zugriff 7.6.2010). Einzige Ausnahme war bisher eine französische Aktion: Nach der Befreiung der Jacht „Le Ponant” setzten französische Soldaten den zwölf ans Land geflohenen Seeräubern nach und nahmen sechs von ihnen gefangen. Diese Aktion ereignete sich allerdings am 12.4.2008 – vor Verabschiedung der Resolution 1851. „Scharia in Piratenstützpunkt“. FAZ vom 4.5.2010.
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a) Multinationale Marinemissionen • EU NAVOR Somalia „Atalanta“ (seit Dezember 2008); • NATO-Operation „Ocean Shield” (seit August 2009), zuvor „Allied Protector“ (März-August 2009) und „Allied Provider (Oktober-Dezember 2008); • multinationale „Combined Task Force 151” (seit Januar 2009); • multinationale „Combined Task Force 150” im Rahmen der Operation Enduring Freedom – Horn of Africa (seit September 2001; Anti-TerrorMission; ergänzendes Vorgehen gegen Piraten im Rahmen der Möglichkeiten). b) Nationale Marinemissionen – insbesondere • China • Indien • Iran • Japan • Malaysia • Russland • Südkorea Die nationalen Marineverbände konzentrierten sich auf den Schutz der Handelsschiffe des jeweiligen Entsendelandes. Verstärkt kommt es zu Synergien. So verbesserte sich die Abstimmung zwischen dem Ende 2008 entsandten chinesischen Marineverband (zwei Zerstörer, ein Versorgungsschiff) und den multinationalen Anti-Piraterie-Missionen. Im November 2009 lud China Vertreter der USA, der NATO und der EU zu einer zweitägigen Anti-Piraterie-Konferenz ein. Im Januar 2010 kündigte China an, sich künftig nicht auf den Schutz eigener Handelsschiffe zu beschränken, sondern eine aktive Rolle bei den internationalen Anti-Piraterie-Bemühungen übernehmen und der Arbeitsgruppe „Shared Awareness and Deconfliction” (SHADE) beitreten zu wollen, wo regelmäßig auf Arbeitsebene Informationen zur Pirateriebekämpfung ausgetauscht und Aktivitäten koordiniert werden. 28 In letzter Zeit ist ein stärker proaktives Vorgehen der Anti-Piraterie-Missionen zu beobachten. Am 5.2.2010 stürmten erstmals dänische Spezialeinheiten der EU NAVFOR Somalia einen gekaperten Frachter und befreiten die verbarrikadierten 25 Besatzungsmitglieder des slowenischen Schiffes MV Ariella. Die Piraten hatten das Schiff zuvor bereits verlassen. In der Nähe enterte gleichzeitig ein in nationaler Mission tätiges russisches Kriegsschiff ein von Piraten gekapertes 28
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Weitz, Richard: Priorities and Challenges in China’s Naval Deployment in the Horn of Africa, China Brief, Vol. 9 vom 3.12.2009. Internet-Dokument: http://www.jamestown. org/programs/chinabrief/archivescb/cb20090/?tx_publicationsttnews_pi2%5Bissue%5D =24 (Zugriff 3.6.2010).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
Schiff. 29 Zwischen 5. und 8.3. brachten französische Kriegsschiffe der EU NAVFOR Somalia vier Piratenmutterschiffe und sechs kleinere Boote auf. Insgesamt wurden 35 Piraten festgenommen. 30 Angesichts fortdauernder Schiffsentführungen vor Somalia wird heftig diskutiert, ob die Anti-Piraterie-Missionen erfolgreich sind. Dies trifft sicherlich auf den Golf von Aden zu, wo nach Angaben von NATO-Sprecher James Appathurai die Zahl der Entführungen infolge der maritimen Präsenz von 33 im Jahr 2008 auf 19 im Jahr 2009 zurückgegangen sei. Anders verhalte es sich freilich im schwerer zu kontrollierenden Indischen Ozean. Im „Somali Basin“ habe sich die Zahl im gleichen Zeitraum verdreifacht. 31 Die EU NAVFOR Somalia machte geltend, dass es zwischen Dezember 2008 und Oktober 2009 keine Angriffe auf 50 begleitete Konvois des World Food Programm gegeben habe. Damit hätte die Lieferung von 300 000 t Lebensmitteln nach Mogadischu abgesichert werden können. Auch sei es nicht zu Angriffen auf AMISOM-Versorgungsschiffe gekommen. Darüber hinaus seien über 200 Handelsschiffe sicher durch den Golf von Aden geführt worden. 32 Schutz und Begleitung von WFP-Schiffen und AMISOM-Versorgungsschiffen sind gemäß Mandat die Hauptaufgaben der EU NAFVOR Somalia. Darüber hinaus soll die Mission im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitere Handelsschiffe schützen sowie Abschreckung, Prävention und Unterbindung von Piraterie durchführen. Neueste Zahlen bestätigen diese Ergebnisse. So ist laut dem International Maritime Bureau (IMB) die Zahl der Angriffe somalischer Piraten von 102 im ersten Quartal 2009 auf 35 im Vergleichsquartal dieses Jahres zurückgegangen. Letztere hätten allerdings ihren Aktionsradius stark erweitert und würden immer rücksichtsloser von ihren schweren Waffen Gebrauch machen. 33 Auf der Brüsseler Geberkonferenz vom April 2009 bat der somalische Übergangspräsident Sharif darum, dass die derzeit nicht einsatzfähige somalische Küstenwache mit internationaler Hilfe reaktiviert wird. Hierzu ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Ein Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung 29 30 31 32
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Sondereinheit stürmt Piratenschiff. Süddeutsche Zeitung, München 6./7.2.2010. France seizes 35 Somali ‘pirates’. BBC News, 8.3.2010. Internet-Dokument: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8555664.stm (Zugriff 11.3.2010). NATO: Weekly press briefing by NATO Spokesman James Appathurai, 24.3.2010. Internet-Dokument: http://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_62372.htm (Zugriff 3.6.2010). Bundeswehr: Atalanta: Maßnahmen zeigen Wirkung. Berlin/Djibouti, 22.10.2009. Internet-Dokument: http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/einsaetze/missionen/antipirate rieeinsatz?yw_contentURL=/C1256EF4002AED30/W27X3AV2836INFODE/content.jsp (Zugriff 3.6.2010). Report: Piracy incidents down but outlaws’ reach spreads, CBNN, 21.4.2010. InternetDokument: http://edition.cnn.com/2010/WORLD/africa/04/21/pirates.report/index.html (Zugriff 6.6.2010).
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empfiehlt, dass somalische Sicherheitskräfte zunächst zu Land gegen Piraten vorgehen sollen. Erst langfristig sollten Küstenschutzkapazitäten mit internationaler Hilfe unterstützt werden, da ein Überlaufen ausgebildeter Kräfte auf See noch fataler als auf dem Land sei. 34 Roger Middleton von der britischen Denkfabrik Chatham House bezweifelte 2008 die Fähigkeit der damaligen Übergangsregierung, eine Küstenwache zu unterhalten. Stattdessen schlug er den Aufbau einer internationalen Küstenwache am Horn von Afrika vor, die von der UNO oder der AU betrieben werden könne. 35 In den Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom 27. Juli 2009 hieß es vage: „(…) will der Rat prüfen, ob er zusätzliche EU-Mittel für regionale maritime Fähigkeiten in Zusammenarbeit mit der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation und der Internationalen Kontaktgruppe für Piraterie vor der Küste Somalias bereitstellen kann. Auch sollten damit zusammenhängende Fragen wie Umweltschutz an den Küsten und Schutz der Fischerei behandelt werden.“ 36
Auf eigene Initiative begann die somalische Übergangsregierung im Jahr 2009, 500 Mann für die Reaktivierung ihrer von Farah Ahmed Omar befehligten Küstenwache zu rekrutieren. Schiffe müssen erst noch beschafft werden. 37 Puntland verfügt seit dem Jahr 2000 über eine Küstenwache. Zunächst war die britische Sicherheitsfirma Hart Security Company mit einem Boot und 70 Mann Besatzung aktiv, löste aber 2001 den Kontrakt. Im Jahr 2002 beauftragte die puntländische Regierung die in der Hafenstadt Bosasso ansässige Firma SomCan mit der Abwehr illegaler Fischerei und Piraterie. Das Unternehmen kann heute ein bewaffnetes Patrouillenschiff, drei Boote mit Fliegerabwehrkanonen und 210 Mann Besatzung aufbieten. Kommandoposten befinden sich überwiegend in der Hand von Kenianern. Leiter und Teilhaber von SomCan ist der Somalier Abdiweli Ali Taar, einst Taxifahrer in Toronto und heute Inhaber eines Fischereiunternehmens in Dubai. Erstmals Schlagzeilen machte SomCan, als es am 14.10.2008 im Golf von Aden das entführte panamaische Schiff „Wail“ mit elf Besatzungsmitgliedern befreite und zehn Piraten festnahm. UNO-Angehörige und ausländische Diplomaten, darunter der kanadische Botschafter in Kenia,
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Kahl, Markus: Piraterie rund um Somalia: Ein Blick durch die Brille der Vernetzten Sicherheit. Konrad-Adenauer-Stiftung, Analysen und Argumente, Nr. 71, November 2009. Middleton, Roger: Piracy in Somalia: Threatening Global Trade, Feeding Local Wars. Chatham House Briefing Paper, Oktober 2008, S. 10. Rat der Europäischen Union. Beratungsergebnisse. Betr.: Somalia. Schlussfolgerungen des Rates, Brüssel 28.7.2009 (EU-Dok. 12441/09). Internet-Dokument: http://register. consilium.Euroopa.eu/pdf/de/09/st12/st12441.de09.pdf (Zugriff 3.6.2010). Somali navy chief: World’s worst job? BBC News, 16.6.2009. Internet-Dokument: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8096137.stm (Zugriff 3.6.2010).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
haben angeblich ihre Bereitschaft angedeutet, den Ausbau von SomCan zu unterstützen. 38
Innersomalischer Friedensprozess muss Vorrang haben Ein Vergleich des internationalen Engagements zu Land und zu See ergibt ein klares Übergewicht bei den maritimen Operationen. Gerade aus der Perspektive der westlichen Industrienationen erscheint es wichtiger und zugleich risikoloser, die wichtigen Versorgungs- und Handelswege vor den Küsten Somalias zu schützen, als sich im Land selbst zu engagieren. Angesichts der negativen Erfahrungen mit UNISOM und UNITAF Anfang der 1990er besteht kaum internationale Bereitschaft, Kräfte für erneute militärische Missionen abzustellen oder gar die Führung zu übernehmen. Die von westlicher Finanzierung und Unterstützung abhängige AMISOM dient zum einen als Einflussinstrument, zum anderen als Bollwerk gegen eine erneute Einnahme Mogadischus durch den islamistischen Widerstand. Wie jahrelang in Darfur praktiziert, wird eine ohne tragfähiges Friedensabkommen entsandte und trotz westlicher Unterstützung überforderte AU-Friedensmission zum Dauerprovisorium. Dies schadet sowohl dem Ansehen der AU wie überhaupt dem Konzept friedensunterstützender Missionen. Die Ablösung des intransigenten und partikularistisch denkenden Übergangspräsidenten Abdullahi Yusuf Ahmed durch eine breiter aufgestellte Übergangsregierung unter Führung des gemäßigten Islamisten Sharif Sheikh Ahmed war zweifellos ein Fortschritt auf dem Weg zur Konfliktlösung. Doch ist Präsident Sharifs Regierung von Repräsentativität noch weit entfernt und offenbart krasse Defizite. Die Somalia Monitoring Group der UNO stellte ihr Anfang 2010 in einer umfangreichen Studie ein miserables Zeugnis aus. So sollen Minister und Abgeordnete gegen Geld Menschenschmuggel betreiben und Visa für die USA und die EU zu Preisen von 10 000-15 000 USD weiterverkaufen. Piraten und gewaltbereite Islamisten sollen auf diesem Weg nach Europa gelangt und dort untergetaucht sein. Trotz aller internationalen Bemühungen seien die neu aufgestellten Sicherheitskräfte „ineffektiv, desorganisiert und korrupt“. 39 Im Juni 2010
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Gatehouse, Jonathon: This cabbie hunts pirates. Former Toronto taxi driver is now in charge of a Somali coast guard. Internet-Dokument: http://www2.macleans.ca/2009/01/ 12/this-cabbie-hunts-pirates (Zugriff 5.6.2010). Monitoring Group on Somalia: Report of the Monitoring Group on Somalia pursuant to Security Council resolution 1853 (2008), Feb. 2010 (UN-Dok: S/2010/91). Negativ wird in dieser Studie auch die Regierung der autonomen Region Puntland beurteilt. So wird dem Präsidenten unterstellt, Geldwäsche für Piraten zu betreiben.
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traten vier Minister, darunter der Verteidigungsminister, aus Enttäuschung über die mangelhaften Leistungen und Fortschritte der Übergangsregierung zurück. 40 Die Aufrüstung einer nicht repräsentativen, schwachen Übergangsregierung könnte zu verstärkter Polarisierung, Militarisierung und Internationalisierung des Konfliktes führen. Waffen und Soldaten könnten sie dazu verleiten, ihre Alleinvertretung mit Waffengewalt zu erzwingen. Erst wenn Präsident Sharif Transparenz und Verantwortlichkeit in seiner Regierung durchsetzt, Lebensmittelversorgung, Erziehung, Gesundheitswesen und andere staatliche Dienstleistungen in seinem Machtbereich wiederherstellt sowie auf pragmatische Geschäftsleute, Klanälteste, Milizenführer, Vertreter der Zivilgesellschaft, Regionalpolitiker und Widerständler zugeht, ist eine langfristige Friedenslösung denkbar. Dann wäre die Stunde für ein weitreichendes internationales Engagement, z.B. im Rahmen einer multidimensionalen friedensunterstützenden UNO-Mission, gegeben.
Problematische US-Militäraktionen Kontraproduktiv waren die seit 2007 wiederholt vorgetragenen US-Angriffe aus der Luft oder von See gegen mutmaßliche internationale Dschihadisten. Die Ergebnisse blieben vergleichsweise dürftig, führten aber zu hohen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Viele Somalis fühlen sich bei solchen Bombardements an den Einsatz der Royal Air Force in der Kolonialzeit erinnert, als 1920 der Aufstand des Sufi-Scheichs Mohammed Abdullah Hassan in Britisch-Somalialand brutal niedergeschlagen wurde. 41 Das Vorgehen verstärkte antiwestliche Ressentiments in der Bevölkerung und dürfte dazu beigetragen haben, dem islamistischen Widerstand Rekruten auch aus dem Ausland zuzutreiben. US-Präsident Barack Obama setzt die Politik seines Vorgängers George W. Bush fort. US-Spezialkräfte im Ausland zur Eliminierung internationaler Terroristen werden sogar ausgebaut. Budget und Kräfte wurden aufgestockt. Heute sind US-Spezialkräfte in 75 Staaten (gegenüber 60 im Jahr 2009) stationiert. In Somalia sollen die Operationen ausgeweitet werden. 42 Allerdings ist Obama um gezielteres Vorgehen und stärkere Schonung der Zivilbevölkerung bemüht. Mit 40 41 42
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Somalia’s defence minister Yusuf Mohammed Siad resigns. BBC News, 9. Juni 2010. Internet-Dokument: http://news.bbc.co.uk/2/hi/world/africa/10273255.stm (Zugriff 9.6. 2010). Hierzu: Sheik-Abdi, Abdi: Divine Madness – Mohammed Abdulle Hassan (1856-1920), London/New Jersey 1993. DeYoung, Karen/Jaffe, Greg: U.S. ‘secret war’ expands globally as Special Operations forces take larger role. Washington Post, 4.6.2010. Internet-Dokument: http://www. washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/06/03/AR2010060304965.html (Zugriff 10.6.2010).
Internationales Krisenmanagement in Somalia
einer solchen Operation konnte er den bislang größten Erfolg feiern. Am 14. September 2009 töteten von Hubschraubern abgesetzte US-Spezialkräfte in Südsomalia das mit al-Shabaab verbundene al-Qaeda-Mitglied Saleh Ali Saleh Nabhan. Er soll an den 1998 und 2002 verübten Terroranschlägen in Ostafrika beteiligt gewesen sein. In Somalia war Nabhan anscheinend nicht aktiv an Kämpfen beteiligt, stand aber im Verdacht, dort Ausbildungslager für islamistische Kämpfer betrieben zu haben. 43 Auch wenn durch solche Angriffe internationale Terroristen ausgeschaltet werden können, sind sie doch völkerrechtlich fragwürdig und politisch unklug. Sie schwächen die Übergangsregierung, verstärken antiwestliche Ressentiments und können dem islamistischen Widerstand Legitimität verleihen. Noch ist Somalia keine Hochburg internationaler Dschihadisten. Der Schaden solcher Angriffe könnte größer als ihr Nutzen sein.
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NBC: U.S. forces kill al-Qaida leader in Somalia. Militant was suspect in 1998 U.S. Embassy bombings in Kenya, Tanzania. NBC News, 14.9.2010. Internet-Dokument: http://www.msnbc.msn.com/id/32840777 (Zugriff 6.6.2010).
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Kurswechsel in Somalia?
Kurswechsel in Somalia?
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1. Einleitung Somalia ist seit dem Sturz des autoritären Regimes von Siad Barre im Jahre 1991 der Prototyp eines gescheiterter Staates, 1 in dem die weitgehende Absenz von Recht und Sicherheit für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile seit 20 Jahren zum Alltag geworden ist. Nur die enggeknüpften Clanstrukturen der somalischen Gesellschaft erlauben ihren Mitgliedern noch ein Überleben in einem Land, in dem sonst völlige Anarchie und Chaos herrschen würden. Versuche, die Agonie der Rechtlosigkeit von innen und außen zu durchbrechen, gab es zahlreiche. Oft jedoch waren die politischen und militärischen Analysen, die über das Schicksal und die Zukunft von Millionen von Somaliern bestimmten und externen 2 Interventionen zu Grunde lagen, gekennzeichnet durch Fehleinschätzungen, kurzsichtige Eigeninteressen und dem Fehlen langfristiger Gesamtkonzepte. Fehlentwicklungen wurden zum Teil jahrelang negiert, unangenehme Wahrheiten zur Seite geschoben und die Augen vor der Realität verschlossen. Dennoch, vieles wurde versucht, vieles wieder verworfen, Allianzen wechselten, Verbündete wurden zu Feinden und umgekehrt. Nach zahlreichen internationalen Konferenzen, 3 ausländischen Interventionen und nationalen Versöhnungsgesprächen wurde dennoch kein dauerhafter Friede, ja nicht einmal vorübergehende Stabilität erreicht.
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Ein gescheiterter Staat ist nicht mehr in der Lage, seine ureigensten Kernaufgaben erfüllen, z.B. sein Territorium zu kontrollieren oder seinen Bürgern ein Mindestmaß an Sicherheit zu garantieren und ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Vgl. Herdegen, Matthias/ Thürer, Daniel/Hohloch, Gerhard (Hrsg.): Der Wegfall effektiver Staatsgewalt im Völkerrecht: „The Failed State“, Heidelberg, C.F. Müller 1995. Vgl. “failed state index” in Foreign Policy, in dem Somalia regelmäßig den Spitzenplatz einnimmt.: http://www.foreignpolicy.com/articles/2010/06/21/2010_failed_states_index_interactive_ map_and_rankings. Dies betrifft auch und gerade die internationale Staatengemeinschaft, die Nachbarländer Somalias, die Vereinten Nationen und die einzig verbliebene globale Supermacht, die Vereinigten Staaten. Verschiedene Quellen sprechen von 14 internationalen Friedensprozessen in den letzten 20 Jahren.
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In Umkehrschluss von Clausewitz’ Wort, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, müssen militärischen Operationen nicht nur politische Konzepte zu Grunde liegen, sondern es muss der militärischen auch eine politische Strategie folgen, die eine Rückkehr zu langfristig stabilen und friedlichen Verhältnissen ermöglicht. Sowohl die militärischen Interventionen der Vereinten Nationen, der Vereinigten Staaten wie auch des Nachbarlandes Äthiopien in Somalia waren gezeichnet von einem zum Teil erschreckenden Auseinanderklaffen zwischen großangelegten militärischen Aktionen und einer glaubwürdigen, von der überwiegenden Mehrheit der Somalier akzeptierten, politischen Strategie für die Zukunft danach. Auch die jetzige afrikanisch geführte Friedensmission, kleiner und bescheidener als alle ihre Vorgänger, befindet sich in einem ähnlichen Dilemma, hat aber noch die Chance, aus den Misserfolgen und Irrtümern der Vergangenheit zu lernen. Nach 20 Jahren Bürgerkrieg und dem Scheitern aller bisherigen externen Friedensbemühungen ist es an der Zeit, die bisherigen Denkmodelle und Lösungsansätze radikal in Frage zu stellen und alte Tabus über Bord zu werfen. Anstatt sich auf zentrale politische Institutionen und Prozesse zu konzentrieren, muss wieder das in den Vordergrund treten, was eigentlich einen funktionierenden Staat ausmacht: die Verantwortung seiner Vertreter für das Wohl seiner Bürger. Die Europäische Union spielt in diesen Überlegungen eine zentrale Rolle, einerseits als strategischer Partner der Afrikanischen Union, welche die jetzige Friedensmission in Somalia stellt, andererseits als größter Geber für die Stabilisierung und den Wiederaufbau Somalias. Die EU stellt dabei nicht nur die finanziellen Mittel bereit, sondern ist auch neben den USA und der UNO einer der politischen Hauptakteure, wenn es um die Gegenwart und die Zukunft Somalias geht.
2. Die verpasste Gelegenheit – Somalia unmittelbar vor und nach der äthiopischen Invasion 2006-2008 Als im Dezember 2006 äthiopische Truppen in Somalia einmarschierten, um der schwer in Bedrängnis geratenen und weitgehend isolierten Übergangsregierung, 4 4
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Die somalische Übergangsregierung, engl. Transitional Federal Government (TFG), wurde 2004 in Nairobi vom Somali National Reconciliation Process (SNRC), besser bekannt als Mbagathi Prozess (2002-2004), aus der Taufe gehoben. Dabei wurde eine Transitional Federal Charter (TFC) und der Aufbau von föderalen Übergangsinstitutionen – Transitional Federal Institutions (TFIs) – beschlossen. Diese bestehen aus dem TFG und dem föderalen Übergangsparlament-Transitional Federal Parliament (TFP). Präsident wurde Colonel Yusuf Ahmed. Der Prozess wurde von der „Intergovernmental Authority
Kurswechsel in Somalia?
die sich nahe der äthiopischen Grenze aufhielt 5 zur Hilfe zu eilen, gelang ihnen zwar mit relativ geringen militärischen Kräften, 6 die Herrschaft der Union der islamischen Gerichte 7 im krisengeschüttelten Nachbarland zu stürzen. Für die politische Zukunft danach waren die Pläne aber offensichtlich kurzfristig, 8 wenig durchdacht angelegt und man verließ sich in Addis Abeba auf die optimistische Annahme, dass die somalische Übergangsregierung die Initiative ergreifen würde, um den politischen Raum, den die militärische Offensive geschaffen hatte, dementsprechend zu nützen. Die erwies sich jedoch bald als verhängnisvolle Illusion. Was immer die Äthiopier veranlasst hatte, militärisch in Somalia zu intervenieren 9 und die USA, dieses waghalsige Unternehmen zu unterstützen, 10 um die Quasi-Regierung der
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for Development“ (IGAD) gesteuert. IGAD wiederum steht unter starkem äthiopischen Einfluss, Addis Abeba hatte daher stets direkte Kontrolle über den gesamten Prozess. Die damalige somalische Übergangsregierung hatte ihren Sitz in Baidoa nahe der äthiopischen Grenze, nachdem sie 2004 von Nairobi dorthin verlegte. Mogadischu war zu diesem Zeitpunkt noch nicht TFG Regierungssitz. Die Angaben schwanken beträchtlich. Interne äthiopische Quellen sprechen gerne von nur 3 000 bis 4 000 Soldaten, realistischere Einschätzungen gehen von 12 000 bis 20 000 äthiopischen Angriffstruppen aus. Am 20. November 2008 (etwa drei Monate vor ihrem kompletten Abzug) hatten die Äthiopier jedenfalls nur mehr etwas mehr als 1 000 Truppen in Mogadischu. UIC, „Union of Islamic Courts“, war eine lose, heterogene Vereinigung lokaler SchariaGerichte, die sich 2000 zur Union der islamischen Gerichte zusammenschloss. Diese Scharia-Gerichte, gesponsert von örtlichen Geschäftsleuten und unterstützt von verschiedenen Sub-Clans und islamischen Geistlichen wurden sukzessive gegründet, um dem Unwesen der Warlords (vor allem in Mogadischu!) sowie weiteverbreiteter Gewalt und Anarchie ein Ende zu bereiten. Diese islamischen Gerichtshöfe, unterschiedlich in ihrer Auslegung der Scharia, ersetzten weitgehend das fehlende Sicherheits- und Rechtssystem und konnten teilweise sogar die medizinische Grundversorgung für die lokale Bevölkerung bereitstellen. Dies führte, trotz der streng islamischen Grundausrichtung vieler dieser Gerichte (und auch durchaus radikaler Strömungen in der Bewegung – so z.B. in ihrer Jugendorganisation „Al Schabaab“) zu einer weitgehenden Akzeptanz in der ohnehin beinahe ausschließlich muslimischen Bevölkerung weiter Teile Somalias und beförderte auch die weitgehende Konsolidierung ihrer Einflusssphären. Die UIC wurde hauptsächlich dem Hawiye-Clan zugerechnet, der damals nur marginal im TFG repräsentiert war. Nach verlässlichen britischen Quellen in Addis Abeba gab der äthiopische Premierminister Meles Zenawi im September 2008 gegenüber ausländischen Gesprächspartnern zu, von lediglich zwei Wochen militärischer Planung ausgegangen zu sein, ohne sich weiter um die politische Zukunft Somalias danach zu kümmern. Vordergründig werden hauptsächlich zwei Gründe genannt: 1. Irredentistische Tendenzen in radikalen Teilen des UIC (um den Schura Vorsitzenden Schaik Aweys), die eine „Befreiung“ des äthiopischen Ogaden mit seiner somalischstämmigen Bevölkerung forderten (siehe auch Artikel in der San Diego Union Tribune vom 18.11.2006) und 2., dass Addis Abeba ein islamistisches Regime als Nachbarland niemals tolerieren würde. Offiziell wurde dies immer bestritten, siehe aber: USA Today vom 8.1.2007; The Independant 9.2.2008, sowie wikileaks: http://www.wikileaks.ch/wiki/US_encouraged_
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Union der islamischen Gerichte zu stürzen: was danach folgte war bei weitem unsicherer, als die lose Allianz der Scharia-Gerichte. Zumindest schaffte es die UIC in Mogadischu, der Schreckensherrschaft der Warlords 11 ein schnelles Ende zu setzen und dem krisengeschütteltem Land zum ersten Mal seit beinahe zwanzig Jahren ein bisher unbekanntes Maß an Stabilität und Sicherheit verschaffte, etwas, das zwei aufeinander folgende UN-Missionen 12 inklusive der USgeführten Unified Task Force 13 nicht schafften. Westliche diplomatische Kreise und politische Beobachter in Addis Abeba gehen mittlerweile sogar so weit, die äthiopische Invasion von 2006 und den darauf folgenden Sturz der UIC als schweren strategischen Fehler zu sehen, der Somalia der Möglichkeit beraubte, über stabilere Regierungsverhältnisse eine interne Konsolidierung und eine politische Übereinkunft mit dem Westen (vor allem den USA) zu erreichen. Der Preis für eine internationale Anerkennung einer UIC-geführten Regierung hätte in der Unterbindung jeglicher Zusammenarbeit mit oder der Nicht-Tolerierung von Aktivitäten terroristischer Gruppen wie Al-Qaida auf somalischem Territorium 14 bestehen können. Dies hätte höchstwahrscheinlich auch die zunehmende Radikalisierung und Militarisierung der UIC verhindert und den eher moderaten Elementen um Schaik Scharif den Rücken gestärkt. 15 Dass die UIC sich nach deren Sturz weiter radikalisieren
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Ethiopian_invasion_of_Somalia:_UN_meeting_memo_with_Jenday_Frazer,_Secretary_ of_State_for_African_Affairs,_2006. Im Juni 2006 gelang der UIC die Vertreibung der ARPCT (Alliance for the Restoration of Peace and Counter-Terrorism), einer US-finanzierten Vereinigung von Warlords aus Mogadishu (angeführt von Hussein Mohamed Farrah, Ex-US-Marine und Sohn des einstmals heftig bekämpften Warlords Mohamed Farrah Aidid). UNOSOM I (1992-1993) und UNOSOM II (1993-1995). UNITAF wurde auf Grundlage der UN Sicherheitsratsresolution 794 geschaffen. USintern „Operation Restore Hope“ genannt, stand unter US Oberkommando. UNITAF wurde dann im März 1993 auf Grundlage der UN-Sicherheitsratsresolution 814 zu UNOSOM II. US-Truppenstärke am Höhepunkt ca. 25 000 (Gesamtstärke 37 000). Dies war eine der Hauptbefürchtungen der USA, siehe S. 15, Council on Foreign Relations (US), Center for Preventive Action, Special Report No. 52, March 2010, Bruton, Bronwyn E.: “Somalia A New Approach”: www.cfr.org/content/publications/ attachments/Somalia_CSR52.pdf. Trotz seiner heterogenen Zusammensetzung von eher gemäßigten Korangelehrten bis zu radikal islamischen Extremisten kam die UIC 2006 zunehmend unter Druck der militant islamistischen Gruppierung um Schaik Hassan Dahir Aweys, den Vorsitzenden des Schura-Rates der UIC (und Nachfolger von Schaik Scharif, dem gegenwärtigen TFGPräsidenten Somalias) sowie „Gründer“ von Al Schabaab (1998). Je mehr der äthiopische Druck auf die UIC zunahm desto radikaler wurde die Rhetorik von UIC-Führern (vgl. The Observer, 24.12. 2006, Somali hardliner calls for foreign jihadists).
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würde, um in Al Schaabab 16 einen weitaus gefährlicheren Nachfolger zu finden, war für viele politische Analysten und Somaliakenner schon damals absehbar, dass das Fehlen eines klaren politischen Konzepts für die Zeit danach ein Problem schaffen wird ebenso. Selbst die Äthiopier trauten dem TFG nicht wirklich zu, dieses Vakuum zu füllen und echtes politisches Leadership zu zeigen. Auch dass Eritrea sich diese einmalige Gelegenheit, seinem Erzfeind Äthiopien nachhaltig zu schaden, nicht entgehen lassen würde, ließ nicht lange auf sich warten. Seit Eritrea 2006 die TFG als verlängerten Arm Äthiopiens in Somalia wahrnahm, unterstützte sie die Opposition gegen die Übergangsregierung. Es war daher naheliegend, dass sich die versprengten Einheiten des UIC nach ihrer Niederlage in Somalia in Eritrea sammelten. Im September 2007 gründeten sie anlässlich des „Somali Congress for Liberation and Reconstruction“ in Asmara eine neue Bewegung: die Allianz für die Befreiung Somalias. 17 Angeführt wurde diese Sammelbewegung von den beiden ehemaligen UIC-Führern Schaik Aweys und Schaik Scharif mit dem Ziel, die in ihren Augen illegitime TFG und die feindlichen äthiopischen Invasoren in Somalia zu bekämpfen. Schon wenige Monate nach ihrer militärisch erfolgreichen Intervention in Somalia gerieten nun auch die Äthiopier zunehmend unter Druck, da sie von weiten Teilen der somalischen Bevölkerung und der dominierenden Clans, die nicht der TFG-Übergangsregierung angehörten, 18 als feindliche Invasoren angesehen wurden. 19 Daher begann Addis Abeba, verzweifelt nach Alternativen zu suchen, welche den äthiopischen Truppen einen geordneten Rückzug aus Somalia ermöglichen sollten, ohne das Land erneut zu destabilisieren. Signale seitens Äthiopiens sowie der internationalen Gemeinschaft in Richtung eines baldigen Abzugs und einer möglichen Verhandlungslösung, die dem ARS eine Regierungsbeteiligung in Mogadischu sichern könnte, verstärkten die internen Spannungen zwischen verhandlungsbereiten Elementen 20 und militanten Gruppen innerhalb des ARS. Dies führte schließlich im Mai 2008 zur Spal16 17
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Al Schabaab, arab. „die Jugend“, ging aus der radikal-militanten Jugendbewegung der Union der islamischen Gerichte hervor, die sich zunehmend in eine Miliz wandelte und gut ausgerüstet und trainiert die militärische Führung übernahm. Alliance for the Liberation of Somalia (ALS), später umbenannt in „Alliance for the Reliberation of Somalia” (ARS). Die ARS spaltete sich später in ARS-Asmara und ARSDjibuti, letztere moderater und verhandlungsbereiter, angeführt von Schaik Scharif, der nach Ende der Djibouti-Konferenz (August 2008) im Jänner 2009 vom TFP in Dschibuti zum neuen Präsident des TFG gewählt wurde. Vor allem die Hawiye- und Darod-Clans. Äthiopien hat eine lange Geschichte von militärischen Auseinandersetzungen und Interventionen in Somalia – 1977 auch einen Krieg um den Ogaden, eine von einer überwiegend somalischstämmigen Bevölkerung bewohnten Region Äthiopiens, welche sich Somalia damals einverleiben wollte. Verhandlungsbereit im Sinne von einer Beteiligung am TFG im Austausch gegen einen Abzug der Äthiopier.
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tung in einen ARS-Asmara-Flügel unter Schaik Aweys und einen ARSDschibuti-Flügel unter Schaik Scharif. In der durchaus berechtigten Befürchtung, dass sich Somalia durch das äthiopische Abenteuer noch weiter destabilisieren könnte, es dem TFG an breiter Legitimität und Zustimmung fehlte und dass der Konflikt auf die Nachbarländer übergreifen sowie die gesamte Region am Horn von Afrika ins Chaos stürzen könnte, wurde seitens der Vereinten Nationen und mit Unterstützung der Europäischen Union intensiv nach einem Ausweg gesucht. Im Mai 2008 kam es schließlich unter Vermittlung des UN-Sondergesandten für Somalia, Ould-Abdallah, zu Verhandlungen zwischen der ARS unter Schaik Aweys und dem TFG. Am 9. Juni 2008 wurde schließlich in Dschibuti ein Friedensabkommen unterzeichnet, 21 das unter anderem 22 den Abzug der äthiopischen Truppen und eine Beteiligung der Opposition an der Übergangsregierung enthielt – damit waren die zwei Hauptforderungen der ARS erfüllt. 23 Der ARS-Asmara-Flügel lehnte dieses Abkommen jedoch kategorisch ab und rief weiterhin zum bewaffneten Kampf gegen die TFG auf. Das Dschibuti-Abkommen hatte aber eine gravierende Lücke: Wer das militärische Vakuum der abziehenden Äthiopier füllen sollte, war nicht klar, 24 außer der vagen Hoffnung auf eine neuerliche UN-Friedensmission. Dass dies eine sehr unwahrscheinliche Option war, muss nach den Erfahrungen zweier gerade katastrophal gescheiterter UN Peacekeeping Operations nicht extra betont werden. Als auch die Idee die IGAD 25 -Militärmission (IGASOM), 26 die bereits vorher 27 im September 2006 28 vom AU-Friedens- und Sicherheitsrat beschlossen
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Das sogenannte Djibouti-Agreement. Text auf: http://africannewsanalysis.blogspot.com/ 2008/06/full-text-of-djibouti-agreement.html. Dieses Abkommen wurde auch von der Europäischen Union als Beobachter mit unterzeichnet. Die Dschibuti-Vereinbarung sieht auch eine Reform der Übergansinstitutionen (TFIs), die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, sowie eine inklusivere Machtteilung vor. Der dritte betraf die Einführung der Scharia, etwas, was der jetzige Präsident und ehemalige ARS- und UIC-Führer Schaik Scharif im Februar 2009 einführte. Siehe: BBC News Africa, 28.02.2009: “Somali leader agrees Sharia law”, http://news.bbc.co.uk/2/hi/ 7916937.stm. Die TFG jedenfalls war dazu nicht in der Lage und ARS Dschibuti wollte diese Rolle nicht übernehmen. Intergovernmental Authority for Development (IGAD), 1996 gegründet, Mitgliedsländer sind Dschibuti, Eritrea (2007 suspendiert), Äthiopien, Kenia, Somalia, Sudan und Uganda. IGAD steht unter starkem äthiopischen Einfluss. IGASOM-IGAD Peace Support Mission in Somalia (protection and training mission). Ursprüngliche Pläne der IGAD sahen schon im März 2005 eine Stationierung einer IGAD-Friedenstruppe vor. Zu diesem Zeitpunkt herrschte der UIC noch über Mogadischu und es gab Kontakte zwischen IGAD und dem UIC bezüglich eines möglichen Dialogs.
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wurde und im Dezember desselben Jahres auch ein UN-Mandat erhielt, 29 in Somalia einzusetzen nicht weiter realisiert werden konnte, 30 entstand die Idee einer panafrikanischen Friedensmission unter Leitung der Afrikanischen Union.
3. Die UNO hält sich heraus und die Afrikanische Union entsendet AMISOM Der AU-Friedens- und Sicherheitsrat beschloss am 19. Jänner 2007 die Grundlagen für die African Union Mission in Somalia (AMISOM) und am 20. Februar 2007 folgte das Mandat vom UN-Sicherheitsrat. 31 Der UN-Sicherheitsrat war nach den Erfahrungen zweier gescheiterter UN-Friedensmissionen in Somalia nicht bereit für ein neues Abenteuer mit ungewissem Ausgang und daher froh, dass die noch junge Afrikanische Union 32 diese heikle Aufgabe übernahm. AMISOM war als kurzfristige 33 Überbrückungsmission der AU angelegt, die Somalia soweit stabilisieren sollte, bis die Voraussetzungen für eine nachfolgende UN-Friedensmission bestünden. Die vordringlichste Aufgabe der AU war es nun, schnellstmöglich die größtmögliche Anzahl an afrikanischen Friedenstruppen für diesen Einsatz zu finden, ein äußerst schwieriges Unterfangen. Trotzt aller Lippenbekenntnisse zum AUEinsatz in Somalia und vagen Versprechen von zahlreichen AU-Mitgliedsstaaten fanden sich am Ende nur zwei Länder, die bereit waren, nennenswerte Truppen für AMISOM zu entsenden: Burundi und Uganda. Keine einzige afrikanische Regionalmacht, weder Südafrika, noch Nigeria, noch Angola, noch ein nordafrikanisches Land fanden sich bereit, Truppen zur Verfügung zu stellen. Einer der Hauptgründe dafür war und ist das fehlende Vertrauen in die politische Strategie und das Konzept der TFG, welche diese Militärmission begleiten sollte: eine schwache, isolierte und auf wenige Bezirke von Mogadischu beschränkte Übergangsregierung, die, sollte ihre Schutzmacht AMISOM abziehen, wohl nur wenige Tage, wenn nicht Stunden überleben würde und der es an breiter Basis und Legitimation mangelt. Der zweite Grund liegt in der fehlenden Exit-Strategie. Trotz der fortgesetzten Rhetorik im UN-Sicherheitsrat in New York und im AU-Hauptquartier in Addis glaubt niemand ernstzunehmend daran, 29 30 31 32 33
UN-Sicherheitsratsresolution 1725 (2006). Der äthiopische Einmarsch im Dezember 2006 diskreditierte diese Idee, die auch kaum über das Planungsstadium hinaus existierte. UN-Sicherheitsratsresolution 1744 (2007). Die Afrikanische Union ging 2001 aus der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) hervor, beide mit Sitz in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Das ursprüngliche Mandat, das seither laufend verlängert wurde, lautete nur auf sechs Monate.
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dass es in irgendeiner absehbaren Zeit zu einer Übernahme der AU-Militärmission durch die Vereinten Nationen kommen würde. Stattdessen verlängert der Sicherheitsrat mit fortlaufender Regelmäßigkeit das UN-Mandat von AMISOM und sichert der Mission die logistische Unterstützung durch die zivile UNMission UNSOA. 34 Selbst hochrangige UN-Mitarbeiter bringen es mittlerweile auf den Punkt: „There will be no UN Peace Keeping Operation in Somalia, because there is no peace to keep.“ Diese Unklarheit über einen Endstatus – politisch wie militärisch – versetzt AMISOM, ohnehin relativ schwach ausgerüstet 35 und demotiviert, in eine sehr schwierige Lage: außer kurzfristigen Plänen, etwa die Kontrolle über ganz Mogadischu bis Ende des TFG-Mandates im August 2011 zu erlangen, fehlt jegliche strategische Langzeitvision und Vorbereitung für ein Endziel. AMISOM sitzt vielmehr in einer Falle in Somalia, für die es keinen Ausweg zu geben scheint, da ein Abzug ohne einen stabilen Endstatus eine noch größere Katastrophe mit Spill-Over-Horrorszenarien für die gesamte Region am Horn bedeuten könnte. Diese Verantwortung wiegt umso schwerer, als die politisch Hauptverantwortlichen bei der UN in New York und der AU in Addis Abeba noch nicht bereit oder nicht in der Lage sind, sich den politischen und militärischen Realitäten zu stellen.
4. Die Europäische Union als Akteur im Stabilisierungs-, Friedens- und Wiederaufbauprozess in Somalia – Softpower mit Zähnen? Die Europäische Union ist sich in ihrem eigenem Selbstverständnis zwar durchaus im Klaren, dass man auf geopolitischem Terrain hauptsächlich als „soft power“ wahrgenommen wird. Trotzdem will man nicht nur als großzügiger Spender gesehen werden, der gutwillig Blankoschecks ausstellt. Dies gilt auch für die EU als Akteur am Horn von Afrika. Die Europäische Union ist der bei weitem größte Geldgeber, nicht nur gegenüber der Afrikanischen Union, mit der sie eine strategische Partnerschaft verbindet, 36 sondern auch und gerade im Bereich Frieden und Sicherheit, 37 wo sie neben dem Aufbau einer Afrikanischen Friedens34 35 36 37
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United Nations Support Office for AMISOM, UN-Sicherheitsratsbeschluss 1863 (2009). Z.B. keine Luftunterstützung, keine maritime Komponente, schwache Logistik und Kommunikation, etc. Vereinbarung zwischen Staats- und Regierungschefs der Europäischen und der Afrikanischen Union in Lissabon 9. Dezember 2007: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/ cms_data/docs/pressdata/en/er/97496.pdf und http://eeas.europa.eu/africa/index_en.htm. Die strategische Partnerschaft mit der Afrikanischen Union unterteilt sich in acht SubPartnerschaften, wobei die Partnerschaft für Frieden und Sicherheit politisch und finanziell die bei weitem wichtigste ist.
Kurswechsel in Somalia?
und Sicherheitsarchitektur 38 auch Afrikanische Friedensmissionen unterstützt. 39 Zurzeit kommt dies fast ausschließlich AMISOM zu Gute, das mit ungefähr 100 Millionen € pro Jahr unterstützt wird. Die Mittel dazu stammen aus der „African Peace Facility (APF)“, die sich aus dem europäischen Entwicklungsfonds speist. 40 Da es sich dabei um Entwicklungshilfegelder handelt, 41 gibt es gewisse Einschränkungen, was damit finanziert werden kann: einfach gesagt, alles außer Waffen. Der Großteil der Zahlungen geht daher an Per Diems, Verpflegung und medizinische Versorgung für AMISOM-Soldaten in Somalia, aber auch in Infrastruktur und nichtletale Ausrüstung. Seit Mai 2010 bildet die Europäische Trainingsmission in Uganda 42 im Camp Bihanga nahe Kampala Soldaten für die somalischen Sicherheitskräfte 43 aus. Der erste Teil von rund 1 000 Soldaten ist bereits voll ausgebildet und befindet sich derzeit bereits wieder im Camp Aljazeera in Mogadischu. Es ist vorgesehen, die Gesamtzahl an NSSF-Soldaten bis Ende dieses Jahres auf insgesamt 5 000 ausgebildete und ausgerüstete Soldaten zu bringen. 44 Als weiteres Element kommt seit Dezember 2008 noch die 1 360 Personen starke EU-Militäroperation EUNAVFOR ATALANTA mit gegenwärtig sechs Kriegsschiffen und drei Aufklärungsflugzeugen im Golf von Aden dazu. Atalanta hat seit Bestehen seines Mandats 45 an die 100 Piraten festgenommen und lokalen Gerichten zugeführt. 46 Langfristig ist daran gedacht, eigene afrikanische
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African Peace and Security Architecture (APSA): http://ec.europa.eu/europeaid/where/ acp/regional-cooperation/peace/capacity_building/apsa_en.htm. AU Peace Support Operations (PSO), in der Vergangenheit vor allem AMIS (African Union Mission in Sudan/Darfur). Der European Development Fund (EDF) finanziert die Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen, karaibischen und pazifischen Staaten (AKP) und basiert auf dem Abkommen von Cotonou (Beschluss 2005/599/EG des Rates vom 21. Juni 2005 über die Unterzeichnung im Namen der Europäischen Gemeinschaft des Abkommens zur Änderung des Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000. http://europa.eu/legislation_summaries/development/african_caribbean_pacific_ states/r12101_de.htm). Wenn auch als solche nicht als Entwicklungshilfe (ODA) anrechenbar. European Union Training Mission (EUTM), angeführt von Oberst Ricardo Gonzalez ELUL (Spanien). National Somali Security Forces (NSSF) unter dem Kommando der Übergangsregierung (TFG) in Mogadischu. Das sind 2 000 zusätzliche Soldaten zu den schon 3 000 bestehenden. UN-Sicherheitsratsbeschlüsse 1814, 1816, 1838, 1846 (2008) und 1918 (2009). Zurzeit operiert Atalanta unter dem UN-Sicherheitsratsbeschluss 1950 (2010). Hauptsächlich nach Kenia, mit dem eine Transfervereinbarung bestand. Nur vier vermutliche Piraten wurden an europäische Gerichte überstellt.
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maritime Kapazitäten zu schaffen, um afrikanische kontinentale Küstengewässer sowie den internationalen Schiffsverkehr zu schützen. Die Europäische Union unterstützte neben dem Sicherheitsbereich komplementär auch zahlreiche Projekte in Somalia mit einem Gesamtwert von mehr als 146 Millionen €, alleine im Jahr 2010 den Aufbau von Regierungsstrukturen, inklusive des Polizei- und Justizwesens, den Erziehungsbereich und das Wirtschaftswachstum. Insgesamt wurden für den Zeitraum 2008-2013 mehr als 215 Millionen € als Entwicklungshilfe für Somalia zur Verfügung gestellt. Dazu kommt noch humanitäre Hilfe im Wert von 80 Millionen € für den Zeitraum 2009-2010. Das Interesse Europas an Somalia ist vielfach begründbar: einmal wegen seiner eminenten Bedeutung für die Stabilität am Horn von Afrika, einer für Europa strategischen Region, an der auch wichtige Seefahrts- und Handelsrouten vorbeiführen. Des Weiteren wegen der Gefahr, ein potentiell sicherer Zufluchtsort für militante islamistische Terroristengruppen zu sein. Und schlussendlich, da in Europa, vor allem in Skandinavien 47 und dem Vereinigten Königreich, 48 relativ große somalische Exilgemeinschaften bestehen, die sowohl politisches als auch ökonomisches Interesse an ihrer Heimat haben und über enge Familien- und Clanbeziehungen beträchtliche Finanzmittel nach Somalia transferieren. Ein Teil dieser Gelder geht auch in die Unterstützung bewaffneter Rebellengruppen in Somalia und dient ferner zur Vorbereitung und Ausübung terroristischer Aktivitäten, nicht nur in Somalia selbst, sondern auch in Europa. Europa ist damit auch potentielle Zielscheibe terroristischer Aktivitäten, die ihren Ursprung in Somalia haben. Somalia ist daher auch ein immer wiederkehrender Tagesordnungspunkt im Politischen und Sicherheits-Komitee 49 sowie anderer Ratsarbeitsgruppen 50 der EU in Brüssel. Neben der UNO, der AU und den USA zählt die Europäische Union auch politisch zu den externen Hauptakteuren im somalischen Stabilisierungs- und Friedensprozess. 51 Die EU war und ist Teil sämtlicher internationaler Konferenzen zu Somalia und neben ihrer Ausbildungsmission in Uganda 52 und 47 48 49
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Schweden, Dänemark und Norwegen beherbergen relativ große somalische Immigrantengruppen. Großbritannien hat in Europa die größte somalische Immigrantengruppe. Das PSK trifft sich auf Ratsebene mindestens einmal pro Woche in Brüssel und beschäftigt sich mit allen außen- und sicherheitspolitischen Aspekten der gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) sowie gemeinsamen Verteidigungspolitik außerhalb der Europäischen Union. Die Mitgliedsländer werden dabei von den jeweiligen Botschaftern der Ständigen Vertretungen in Brüssel vertreten. Hier vor allem der Afrika-Arbeitsgruppe (Africa Working Group – AWG – oder in frz. Akronym COAFR). Die EU ist auch Mitglied der internationalen Kontakt-Gruppe für Somalia und Beobachter des Dschibuti-Abkommens. EUTM.
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der EU-Marinemission 53 im Golf von Aden mit zahlreichen Diplomaten, Projektverwaltern sowie Zivil- und Militärberatern 54 vor Ort 55 vertreten. Gegenwärtig wird in Brüssel heftig um eine neue Somalia-Strategie gerungen. Zum einen ist den meisten EU-Mitgliedsländern mittlerweile klar, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann und die TFG-Übergangsregierung trotz ihrer Erfolglosigkeit weiterhin bedingungslos unterstützen sollte. Zum anderen scheut man aber auch einen radikalen Bruch mit dem Konzept einer starken Zentralregierung in Mogadischu und möchte sich eng mit seinen Partnern (UN und USA) abstimmen. Trotz einer langen Liste von Forderungen an die TFG nach umfassenden Reformen der Übergangsinstitutionen sowie der Ratifizierung einer Verfassung, die diese bis zum Ende ihres Mandates im August dieses Jahres zu erfüllen hätte, glauben die meisten EU-Diplomaten nicht mehr an die Realisierung derselben. Deshalb überlegt man sich für die „PostTransition Period“ schone eine etwas härtere und mehr fordernde Gangart. Es gibt seitens der Mitgliedsländer auch eine zunehmende Unterstützung für eine europäische „double track“-Politik, die ein stärkeres Engagement der EU in den selbstverwalteten und autonomen Regionen nach sich ziehen wird. Eine neue internationale Somalia-Konferenz hingegen wird von beinahe allen Beobachtern ausgeschlossen. Vielmehr hofft man auf innersomalische Gespräche, die die Basis einer somalischen Regierung erweitern sowie die Legitimität ihrer Institutionen und Organe erhöhen sollten. Inwieweit die gegenwärtige Finanz- und Schuldenkrise in Europa auch einen zukünftig erhöhten Bedarf an EUMitteln für Somalia gefährden könnte, 56 ist noch abzuwarten. Dass Somalia aber einen typischen Fall von westlichem „donors fatigue“ darstellt, ist unbestreitbar.
5. Die unheilige Allianz der Nutznießer – Freund und Feind profitieren vom Status quo, aber AMISOM versucht trotzdem den Ausbruch Somalia ist ein extrem komplexes Gebilde, ein Fleckenteppich verschiedenster Clan-, Sub-Clan- und Sub-Sub-Clan-kontrollierter Gebiete, wechselnder Allian53 54
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EU NAVFOR ATALANTA. In der EU-Delegation zur Afrikanischen Union und im Somalia-Team des Speziellen Vertreters der EU für Somalia in Nairobi. Über einige Jahre hatte die EU auch Militärund Polizeiberater in der strategischen Planungseinheit der AU für AMISOM (SPMU) in Addis Abeba. EU-Delegation zur Afrikanischen Union in Addis Abeba, Somalia-Team in der EUDelegation in Nairobi, ECHO in Nairobi, Spezieller Vertreter der EU für Somalia in Nairobi, bilaterale EU-Delegationen in allen anderen Ländern am Horn: Äthiopien, Eritrea, Kenia, Uganda, Djibuti und Sudan. Dies gilt vor allem für die APF-Mittel aus dem europäischen Entwicklungsfonds für AMISOM, das einen steigenden Bedarf infolge höherer Truppenzahlen (von 8 000 auf 9 000) bei gleichzeitig höheren per diems (Anpassung an UN-Standards) aufweist.
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zen, jahrhundertealter Feindschaften, Abhängigkeiten und Interessen. Jeder Eingriff in dieses komplexe Gefüge kann multiple Reaktionen über lange Zeiträume auslösen. Jeglicher Versuch, Somalia von innen oder gar von außen zu stabilisieren, ist sehr langwierig und mühsam und mit der westlichen Medienkultur der „quick fixes“ und des Schwarz-Weiß-Schablonendenkens unvereinbar. Es gilt unzählige Gruppeninteressen auszugleichen, was in der Absenz starker zentraler Einheiten bis auf die territoriale Mikroebene reichen kann und daher viel Geduld und einen langen Atem erfordert. Stellt sich in so einem komplexen politischen Gefüge längerfristig kein Gleichgewicht durch internen Interessensausgleich ein 57 und ist keine der beteiligten Gruppen in der Lage, über die anderen zu herrschen, so kommt es zu einer Pattsituation, die in ein instabiles Gleichgewicht mündet. Solch instabile Gleichgewichte ermöglichen (fast) allen Beteiligten, ihre Interessen noch irgendwie zu wahren, ohne jedoch weitergehende Ansprüche und Optionen für die Zukunft aufzugeben. Verschiebt sich dieses Gefüge in Richtung Stärkung oder Schwächung eines oder mehrerer Beteiligter hin zu einer kritischen Masse, die es einer oder mehreren Gruppen ermöglicht, ihre Zukunftsoptionen zu realisieren, so tritt wieder der Konfliktfall ein, bis ein neues Gleichgewicht entsteht. Pattsituationen instabiler Gleichgewichte können durch Interventionen von außen aufgebrochen oder noch weiter scheinstabilisiert werden. Im Falle Somalias führt vor allem das Interesse der Nachbarländer und hier in erster Linie Äthiopiens, 58 aber auch Kenias und Dschibutis, irredentistische Tendenzen Mogadischus 59 schon im Keim zu ersticken, zum Wunsch eines relativ schwachen, semistabilen Gebildes, von dem keine Gefahr mehr ausgehen kann. Daher wird jegliche Entwicklung, die zu einem Wiedererstarken eines potenten somalischen Nationalstaates führen könnte, als Bedrohung für die Zukunft der eigenen territorialen Integrität gesehen. Das Idealmodell, welches hier in etwa den Äthiopiern vorschwebt, ist das eines relativ schwachen, großteils zersplitterten, konföderativen Gebildes, weitgehend frei von irredentistischen und islamistischen Tendenzen 60 mit verschiedensten lokalen Allianzen und Abhängigkeiten von Addis 57 58
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Wie etwa in einem demokratischen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und demokratischer Willensbildung. Dies war auch einer der Hauptgründe der äthiopischen Intervention von 2006. Addis Abeba zeigte sich zunehmend irritiert durch das Erstarken irredentistischer Tendenzen des radikalen Flügels der UIC, der zur Befreiung der Oromo-Region in Äthiopien aufrief, vgl. San Diego Union Tribune vom 18.11.2006. Die auf somalischstämmige Bevölkerungsteile auf ihren Territorien und in ihren jeweiligen Grenzregionen abzielen, v.a. davon betroffen ist der Ogaden in Äthiopien, wo es auch eine aktive separatistische Widerstandsbewegung (Ogaden National Liberation Front – ONLF) gibt, die auch von Eritrea unterstützt wird. Auch dies sieht Äthiopien mit beinahe 50% Muslimen als Gefahr an. Im Selbstverständnis der herrschenden Eliten ist Äthiopien immer noch ein christlicher Staat.
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Abeba. Dies würde es Äthiopien nicht nur erlauben, seine Grenzregion zu Somalia schon im Vorfeld effektiv zu kontrollieren, sondern auch den lange ersehnten freien Zugang zum Meer wieder zu erlangen. 61 Obwohl Äthiopien die Übergangsregierung in Mogadischu politisch und militärisch unterstützt, ist Addis Abeba im Endeffekt nicht an einer wirklich starken Zentralregierung interessiert. Hält Äthiopien gerade deswegen an dieser Variante fest, da sie am ehesten garantiert, dass es niemals dazu kommen wird? Welche der anderen Hauptakteure inner- und außerhalb Somalias haben auch ein unausgesprochenes Interesse an einem Status quo in Somalia? Die truppenstellenden Länder, 62 weil sie ihre Streitkräfte außerhalb ihres Landes beschäftigt halten und zugleich auf Kosten der internationalen Staatengemeinschaft professionalisieren und modernisieren. Eine längerfristige Bindung nationaler Streitkräfte außerhalb des eigenen Landes und noch dazu finanziert durch Dritte kann in bestimmten Fällen durchaus erwünscht sein und bindet auch eine potentiell kritische Masse an jungen Leuten. Weiters fehlt es Streitkräften in internationalen Friedenseinsätzen oft am Willen, militärische Beweglichkeit und Risikobereitschaft zu demonstrieren, da diese oft erhebliche eigene Verluste hervorrufen können. Internationale militärische Friedenssicherungseinsätze sind auch innenpolitisch oft unpopulär und umstritten. Davon ist auch Afrika nicht ausgenommen. Vor allem in Uganda gibt es Zweifel seitens des Parlaments und der Opposition in Kampala 63 am AMISOM-Einsatz. Trotz des oft überraschend robusten und unerschrockenen Auftretens von AMISOM gilt auch hier längerfristig die oberste Devise internationalen Peacekeepings: „force protection comes first“. Hohe Verlustzahlen in einem von der eigenen Bevölkerung als nicht gewinnbar angesehen und kostspieligen Krieg im Namen einer panafrikanischen Friedenslösung sind daher tunlichst zu vermeiden. 64 Ein Status quo, der beinahe einem Waffenstillstand nahe kommt, verbunden mit der vagen Hoffnung, eines fernen Tages von einem starken UN61
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Mit dem Verlust Eritreas verlor Äthiopien auch seinen lebenswichtigen Zugang zum Meer, auf den es als gebirgiges Binnenland angewiesen ist. Seitdem zwängt sich beinahe der gesamte Außenhandel Äthiopiens durch das Nadelöhr Dschibuti, eine langsame und teure Prozedur. Äthiopien arbeitet derzeit an einer sicheren Straßenverbindung nach Berbera im autonomen Somaliland, um seine alleinige Abhängigkeit vom Hafen in Dschibuti zu verringern. Troop Contributing Countries (TCCs), zurzeit fast ausschließlich Uganda und Burundi. Dies betrifft sowohl die Kosten der Operation, die das Parlament in Kampala kostenneutral halten möchte, als auch die eigene Verwundbarkeit, die durch die Terroranschläge vom 11. Juli 2010 in Kampala eindrücklich demonstriert wurde. Es verwundert trotzdem, wie leicht sowohl Burundi als auch Uganda die relativ hohen Verlustzahlen der AMISOM-Offensive vom Februar/März dieses Jahres mit 50-60 Toten und an die 200 Schwerverletzten innerhalb von nur zwei Wochen alleine in Mogadischu wegstecken, etwas, was in der europäischen Öffentlichkeit Bestürzung hervorrufen würde.
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Kontingent abgelöst zu werden, ist daher das relativ kleinste Übel, mit dem es zu leben gilt. Das beharrendste Element in diesem statischen System ist sicherlich die gegenwärtige somalische Übergangsregierung in ihrer von AMISOM geschützten Enklave in Mogadischu. Eifersüchtig wacht die TFG über ihre geborgte Macht und die nicht unbeträchtlichen Geldmittel, die ihr von der internationalen Gebergemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Anders als die meisten Regierungen der Welt muss sie sich jedoch keinen echten Wahlen stellen 65 und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Ihre Zusammensetzung ist das Resultat von Palastintrigen, ausländischen Interventionen, Geschäfts- und Claninteressen sowie wechselseitigen Bestechungen und Drohungen. Um Macht und Pfründe nicht mit anderen teilen zu müssen sowie sich stärkerer Verantwortung und Rechenschaft zu entziehen, ist auch die TFG in Mogadischu mit dem gegenwärtigen Status quo inoffiziell durchaus zufrieden, sichert er ihr doch eine privilegierte Stellung auf undefinierbare Dauer. 66 Um sich insbesondere die Gunst des Westens und vor allem der USA zu sichern, bemüht die TFG ständig die Rhetorik, an der vordersten Front gegen den internationalen Terrorismus von Al-Qaida zu stehen. Das somalische Übergangsparlament (TFP), ein Kompromiss aus jahrelangen Verhandlungen und zuletzt 2008 in Dschibuti auf 550 Parlamentarier erweitert 67 (bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von etwas über 9 Millionen 68 ) unterliegt keiner Kontrolle durch den Wähler und ist natürlich keinesfalls an einer baldigen Änderung dieser Situation interessiert. Vielmehr beharrt es auf seiner Macht und seinen Privilegien. Die nach dem 4.5-Prinzip 69 ausgewählten Parlamentarier beanspruchen etwa 90% des Gesamtbudgets der Übergangsregierung 70 und viele von ihnen sind nicht einmal in Mogadishu anwesend. 71 Die seit Mona65 66 67 68 69
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Formal zwar vom föderalen Übergangs-Parlament (TFP) gewählt, dessen demokratische Legitimität mangels Wahlen jedoch genauso fragwürdig ist. Es dominieren auch hier vornehmlich Eigeninteressen. Trotz des Endes des TFG-Mandates mit 20 August 2011. Dies war Teil des Dschibuti-Abkommens, da man zusätzliche 275 ARS-Abgeordnete unterbringen musste. Vgl. Population Division of the Department of Economic and Social Affairs of the United Nations Secretariat, World Population Prospects: The 2008 Revision, http://esa.un. org/unpp und http://data.worldbank.org/country/somalia. Das TFP ist nach der so genannten 4.5-Formel zusammengesetzt, um die vier Hauptklans: Darood, Hawiye, Dir und Digle-Mirifle mit je (4) gleichen Anteilen im Parlament zu versorgen sowie die Hälfte dieser Anteile für die restlichen Minderheitengruppen (5) bereitzustellen. Vgl. Elizabeth Dickinson, „What it costs to run Somalia”, www.blogforeingpolicy.com, 26.8.2010. „At any given time … over 150 parliamentarians were outside Mogadishu, often in neighbouring Kenya.” In: International Crisis Group, „Somalia: The Transitional Government on Life Support”, Africa Report N°170, 21 Feb 2011.
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ten anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen dem Parlamentssprecher Scharif Hassan und dem TFG-Präsidenten Schaik Scharif, der die Übergangsregierung von Krise zu Krise schlittern ließ, während AMISOM-Truppen unter hohen Verlusten ihr Überleben in Mogadischu sicherten sowie die einseitige Verlängerung ihres Mandates um drei weitere Jahre unterstreichen das rücksichtlose Eigeninteresse dieser Institution. Auch die Afrikanische Union beharrt statisch auf der Unterstützung für die TFG, konzentriert sich aber, je auswegloser die politische Lage wird, auf militärische Optionen, die meist von Äthiopien mittels IGAD vorgegeben werden. 72 Damit demonstriert sie zwar noch immer ein gewisses Leadership auf dem Kontinent, auch wenn die Vereinten Nationen mit dem UN-Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Somalia 73 und Leiter von UNPOS 74 für den politischen Prozess zuständig sind. Zu einer gegen äthiopische Interessen gerichteten Politik 75 oder wirklich radikalem Umdenken ist die AU daher in der gegenwärtigen Zusammensetzung kaum in der Lage. Auch sie findet sich deshalb, etwas frustriert, mit der gegenwärtigen Lage ab. Dazu kommen noch gravierende Kommunikationsprobleme zwischen dem AMISOM-Truppenhauptquartier in Mogadischu, dem AMISOM-Hauptquartier und Verbindungsbüro in Nairobi, 76 der politischen Führung von AMISOM in Addis Abeba, 77 den beiden Sonderbeauftragen der AU für Somalia 78 und den beiden für Somalia bzw. AMISOM zuständigen UN-Agenturen UNPOS und UNSOA 79 in Nairobi sowie dem UN-Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Somalia. 72
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Bestes Beispiel dafür ist das wiederholte Verlangen der AU (initiiert durch den Beschluss des IGAD-Gipfels vom Juli 2010) um eine Aufstockung von AMISOM von dzt. 8 000 auf 20 000 Mann, ohne eine wirklich kohärente politische Begleitstrategie vorlegen zu können. Die AU scheiterte daher mit ihrem Plan (AU-Gipfel in Kampala Juli 2010, gefolgt von AU-PSK-Beschluss vom 15. Oktober 2010) vor dem UN-Sicherheitsrat. Erst nach langwierigen Diskussionen stimmte der UNSR schließlich im Dezember 2010, dem Kompromiss einer Aufstockung auf 12 000 Mann zu; UN-Sicherheitsratsbeschluss 1964 (2010), der zugleich das AMISOM-Mandat bis zum 30. September 2011 verlängerte. Zur Zeit Augustine Mahiga, der Nachfolger von Ould Abdallah. United Nations Political Office for Somalia, errichtet am 15. April 1995 vom UNGeneralsekretär. Das gegenwärtige Mandat beruht auf dem UN-Sicherheitsratsbeschluss 1863 (2009). Das mag auch an der Tatsache liegen, dass die Afrikanische Union ihren Hauptsitz in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens hat. Der AU-Sonderbeauftragte für Somalia, Boubacar Diarra, weigert sich standhaft, das AMISOM-Hauptquartier nach Mogadischu zu verlegen. Dabei kann er sich auch voll auf die Mithilfe seiner UN-Kollegen von UNPOS und UNSOA verlassen. In der Kommission der Afrikanischen Union (AUC) in der African Union Peace Support Operations Division (AU-PSOD). Botschafter Diarra und Sonderbeauftragter Jerry Rawlings (der charismatische ExPräsident Ghanas). United Nations Support Office for AMISOM, UN-Sicherheitsratsbeschluss 1863 (2009).
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Die UN kann und will den Schritt zu einer neuerlichen UN-Friedensmission in Somalia nicht gehen, wenngleich sie den Schein einer baldigen Ablösung von AMISOM durch eine UNPKO 80 weiterhin aufrechterhält. Um AMISOM dennoch logistisch zu unterstützen und am Leben zu erhalten, bedient sie sich der UNSOA-Mission. Mittels UNPOS und dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Somalia kontrolliert sie weiterhin den politischen Prozess, muss aber nicht selbst militärisch intervenieren. An einer baldigen Änderung dieses merkwürdigen Konstrukts ist die UN nicht interessiert. Beide UN-Agenturen, UNSOA und UNPOS haben ihr Hauptquartier in Nairobi, wo sich hunderte ihrer Mitarbeiter aufhalten. Weil offensichtlich in Nairobi bessere Lebensqualität und Sicherheit als im umkämpften Mogadischu herrschen, weigern sich die beiden UN-Agenturen standhaft, in die somalische Hauptstadt zu verlegen. Dass sie damit nicht nur ein sehr negatives politisches Signal aussenden, sondern auch die Kommunikation mit den somalischen Regierungsstellen sowie mit AMISOM erheblich erschweren, stört sie scheinbar nicht. Al Schabaab kann sich derweilen weiterer kräftiger finanzieller Unterstützung durch somalische Geschäftsleute inner- und außerhalb Somalias sowie einiger Golfstaaten, aber auch Eritreas erfreuen und kontrolliert nach wie vor einen Großteil des Landes. Unter politischen Beobachtern und Diplomaten in der Region gilt es aber als sicher, dass selbst unter den günstigsten Voraussetzungen Al Schabaab 81 nie in der Lage sein wird, die totale Kontrolle über Somalia zu erreichen. Einmal, weil das in erster Linie der mächtige Nachbarstaat Äthiopien niemals zulassen würde und dies in der Vergangenheit und Gegenwart auch ausreichend demonstriert hat, andererseits weil Al Schaabab selbst nicht die Fähigkeit und Akzeptanz der Clans hat, ganz Somalia effektiv zu kontrollieren und zu regieren. Es ist daher, so unwahrscheinlich es auch scheinen muss, durchaus im Interesse von Al Schabaab, am gegenwärtigen Zustand nicht allzu viel zu ändern. Eine stark beharrende Komponente stellt auch die örtliche Business Community dar. In den zwanzig Jahren ungeregelten Wirtschaftens entstand eine lokale Unternehmerkultur, die es gewohnt ist, ohne Gesetze und frei von Steuern, Abgaben und Zöllen tätig zu sein. Trotz des bedauernswerten Zustandes Somalias gibt es durchaus lukrative Wirtschaftszweige, die in den letzten Jahren einen wahren Boom erlebten. 82 Viele dieser Geschäftsleute haben nur sehr wenig bis kein Interesse an einem widererstarkten Zentralstaat, der ihre Aktivitäten strenger kontrolliert und Steuern und Zölle einhebt. Es gibt daher nicht nur eine all80 81 82
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UN Peace Keeping Operation. Selbst unter der fiktiven Annahme eines Zusammenbruchs der TFG und eines Abzugs von AMISOM. Als ein Beispiel sei hier nur die Telekommunikation genannt. Somalia verfügt in seinem gesamten Territorium über neun gutausgebaute mobile Netzwerke. Selbst der Im- und Weiterexport von Grundnahrungsmitteln wie Zucker ist ein Riesengeschäft.
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gemeine Zufriedenheit mit dem anarchischen Wirtschaftsumfeld, sondern sogar zum Teil aktive finanzielle Unterstützung der bewaffneten Opposition, um dieses privilegierte Umfeld nicht zu verlieren. Es scheint also, als existiere in Somalia trotz allgemeiner Unzufriedenheit ein weitgehend ungeschriebener Konsens der Hauptakteure und Machtgruppen, sich mit dem gegebenen Status quo zu arrangieren. Dieser informelle Konsens ist höchst gefährlich für die zukünftige Entwicklung des Landes, da er eine instabile Lage scheinstabilisiert, sich scheut, weitere Kompromisse einzugehen, die Macht zu teilen und eingefahrene Denkmuster und Besitzstände in Frage zu stellen. Es gilt daher, diesen ungeschriebenen Konsens zu durchbrechen, Realitäten anzuerkennen und von althergebrachten Scheinlösungen Abstand zu nehmen. Die Zeit ist reif für ein radikales Umdenken, in dessen Mittelpunkt das Wohlergehen der somalischen Bevölkerung zu stehen hat. Gerade die jüngste AMISOM-Offensive in Somalia, 83 vor allem um Mogadischu, wo trotz heftigsten Widerstandes von Al Schaabab 84 beträchtliche Gebietsgewinne erzielt wurden, könnte eine neue Dynamik in die bislang hoffnungslose politische und militärische Statik bringen. Voraussetzung dafür ist aber, dass diesmal die TFG-Übergangsregierung in Mogadischu die territorialen Zugewinne und damit den politischen Raum, den ihr AMISOM und die Verbündeten zur Verfügung stellen, optimal nutzt, um ihre politische Basis zu erweitern und ihre Kontrolle auf die eroberten Gebiete zu erweitern. Es ist aber zu befürchten, dass schon auf rein administrativer Ebene die TFG nicht in der Lage ist, diese unter militärischer Kontrolle von AMISOM stehenden Gebiete selbst zu verwalten. Es fehlt ihr nicht nur an kompetentem und willigem Personal, sondern auch an der Akzeptanz der dort lebenden Bevölkerung. Auf politischer Ebene muss rasch 83
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Es handelt sich dabei um eine großangelegte gemeinsame Bodenoffensive von AMISOM, TFG, ASWJ und anderen Pro-TFG bzw. Anti-Al Schabaab-Milizen, unterstützt von Äthiopien und Kenia (nur logistisch), die um den 19.-23. Februar startete und bis heute (14. März 2011) andauert. Strategisches Ziel dabei ist es, weitgehende Kontrolle über Mogadischu zu erlangen, aber auch beträchtliche Territorialgewinne in Süd- und Zentralsomalia zu lukrieren. Auf taktischer Ebene gelang es, durch konzertierte parallele Offensiven Frontlinien in verschiedensten Regionen Somalias (Gedo, Bakool, Hiran und Galgadud) zu eröffnen, den Feind (Al Schabaab) logistisch und kampfmäßig zu überdehnen, seine Nachschublinien zu unterbrechen und damit zum Rückzug aus strategisch wichtigen Gebieten zu zwingen. Es ist allerdings fraglich, inwieweit alle derzeitigen Territorialgewinne auch längerfristig gehalten werden können. Al Schabaab wird sich höchstwahrscheinlich von ihrer derzeitigen hybriden Kriegsführung (Kombination aus konventionellen und asymmetrischen Kriegstaktiken) verstärkt zu einer asymmetrischen Guerillataktik mit terroristischen Begleitaktionen (Selbstmordattentate) hinwenden, um die konventionellen Schwächen gegenüber einem erstarkten Feind auszugleichen und zugleich seine gestiegene Moral wieder zu unterminieren. Verschiede Quellen gehen von bis zu vierhundert toten AS-Kämpfern innerhalb von gerade zwei Wochen aus.
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eine Macht- und Ressourcenteilung der TFG mit den dort herrschenden Clans und Sub-Clans erreicht werden. Sonst wird eine Befriedung dieser Gebiete auf Dauer nicht gelingen. Dazu war und ist die Übergangsregierung in Mogadischu aber bis heute nicht bereit. Selbst das Vertrauen der Äthiopier in die TFG ist rapide gesunken, seit es der Übergangsregierung nicht gelang, aus dem von Addis Abeba eingefädelten Deal 85 im März 2010 mit Ahlu Sunna Wal Jamaa (ASWJ), 86 einer moderat islamischen Bewegung, die weite Teile Süd- und Zentralsomalias kontrolliert, 87 Kapital zu schlagen. Die jüngste Entscheidung des TFG-Präsidenten Schaik Scharif vom 7. März 2011, kollektiv seinen gesamten Sicherheitsstab 88 zu entlassen, hat in diplomatischen Kreisen nur Unverständnis und heftiges Kopfschütteln ausgelöst. Über die Hintergründe, mitten in der größten militärischen Offensive seit Jahren eine so irrationale und kontraproduktive Entscheidung zu treffen, die den gesamten somalischen Sicherheitsapparat destabilisiert, gibt es nur Spekulationen. Sie reichen von der noch eher positiven Annahme, dass eine gewisse Frustration über die nicht ausreichende oder fehlende Information über die bevorstehende Offensive seitens seiner Mitarbeiter den Präsidenten zu dieser Entscheidung veranlasste, bis hin zur Annahme, dass es sich dabei um offene Sabotage seitens des Regierungspräsidenten handeln könnte, um seine eigene Position für die Zukunft abzusichern.
6. Das Umdenken hat schon begonnen – Somalia wird föderaler, dezentraler und stabiler oder es zerfällt endgültig Der sich immer stärker abzeichnende Paradigmenwechsel der internationalen Staatengemeinschaft, gestützt auf die eingehende Analyse der gegenwärtigen Konzepte und Strukturen sowie ihres offensichtlichen Scheiterns in Somalia, speist sich aus der Unzufriedenheit mit einer schwachen, in sich zerstrittenen und korrupten Übergansregierung, die sich schon längst mit ihrer beschränkten Rolle und Isolation in weiten Teilen Mogadischus abgefunden hat, solange sie nieman85 86
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Äthiopien arrangierte im März 2010 in Addis Abeba Gespräche, die zu einer Allianz und Regierungsbeteiligung von Ahlu Sunna Wal Jamaa führen sollten. Die TFG jedoch war nicht bereit, ASWJ weitgehendere Regierungsbeteiligung in Mogadischu zuzugestehen. Ahlu Sunna Wal Jamaa (ASWJ) ist eine ursprünglich moderat islamisch geprägte Gruppe (Sufi), gegründet 1991 in Süd- und Zentralsomalia, die sich immer mehr in eine Miliz verwandelte. Seit 2008 militärisch und logistisch von Äthiopien unterstützt, das auch in der gegenwärtigen Februar/März-2011-Offensive ASWJ Hilfe leistet. ASWJ selbst behauptet, in der Region Galgaduud 2 400 erfahrene Kämpfer zu haben. Vom Heeres-Stabschef über den Polizeipräsidenten, den Chef des Geheimdienstes bis hin zum Chef der Küstenwache. Dies war auch überraschend für die USA, die maßgeblich am Aufbau der somalischen Armee beteiligt sind.
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dem Rechenschaft schuldet und ihre Macht und Mittel nicht teilen muss. Die einseitige Verlängerung des Mandats des Übergangsparlaments 89 am 3. Februar 2011 ohne jegliche Absprache mit der internationalen Gemeinschaft, 90 welche ihre Existenz zum Großteil sichert und finanziert, 91 unterminierte das schon schwer angeschlagene Vertrauen nur noch mehr. Die aktuelle Denkschule, sukzessive davon überzeugt, dass das Konzept eines starken Zentralstaates, verwaltet von einer Zentralregierung in Mogadischu nicht (mehr) funktioniert und auch niemals funktionieren wird, kreist um die Begriffe Dezentralisierung und Eigenverantwortung sowie Selbstverwaltung in autonomen und semiautonomen Strukturen, mit nur losen föderalen Koordinierungsstellen in Mogadischu. 92 Es gilt, Somalia von der Peripherie her wiederaufzubauen. Dies wird in erster Linie über die beiden weitgehend autonomen Regionen Somaliland 93 und Puntland 94 im Norden des Landes gelingen, welche sich schon seit Jahren durch ein hohes Maß an Stabilität auszeichnen. Beide Territorien verfügen über ein Mischsystem aus klassischer westlich geprägter Demokratie und traditionellen Clan89
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Das wie das Mandat aller Übergangsinstitutionen (TFIs) am 22. August 2011 ausläuft. Daher hat der Präsident des TFG, Schaik Scharif, am 23. Februar die einseitige Mandatsverlängerung des Parlaments abgelehnt, dies mit dem Hintergedanken, dass sein eigenes Mandat auch um drei Jahre verlängert werden sollte. Nur IGAD unterstützte im äthiopischen Interesse dieses Vorhaben. Die AU zog wenig später nach, wissend, dass sie sich nicht offen gegen Äthiopien und IGAD stellen kann. Mittels AMISOM als Schutzmacht, aber auch durch direkte Unterstützungen für das Funktionieren der zentralen Übergangsinstitutionen (TFIs) – Transitional Federal Institutions wie z. B dem Parlament – Transitional Federal Parliament – (TFP) durch das EU Good Governance and Rule of Law (RoL)-Programm. Am stärksten wird dies gerade von der ICG vertreten – siehe Report: International Crisis Group, „Somalia: The Transitional Government on Life Support”, Africa Report N°170, 21 Feb 2011. Somaliland, im Norden Somalias gelegen, hat eine gemeinsame Grenze mit Äthiopien und Dschibuti und umfasst in etwa das Territorium des ehemaligen Protektorats British Somaliland (1884-1960). 1991 erklärte sich Somaliland für unabhängig von Somalia, wurde jedoch von keinem anderen Land bisher anerkannt. Somaliland zeichnet sich durch Stabilität und relativ demokratische Verhältnisse aus. Die Wahlen im Juli 2010 galten allgemein als fair und korrekt. Das somalische Regierungssystem vereint Elemente westlicher Demokratie mit Elementen traditioneller Clan- und Ältesten-Herrschaft und hat sich als weit erfolgreicher als das westliche System einer Zentralregierung in Mogadischu erwiesen – vgl. Seite 23ff in FIIA Report 2010, 22, „Addressing state fragility in Africa – A need to challenge the established wisdom“ von Liuse Wiuff Moe; The Finish Institute of International Affairs. Im Gegensatz zu Somaliland hegt Puntland, obwohl 1998 als autonomer Staat innerhalb Somalias proklamiert, (noch) keine Unabhängigkeitsbestrebungen. Trotzdem hat Puntland seit kurzem die Zusammenarbeit mit dem TFG eingestellt. Die Beziehungen zwischen Puntland und Somaliland sind wegen eines Grenzkonflikts um die Regionen Sool und Sanaag getrübt.
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mechanismen. Schwieriger wird dies in Zentral- und Südsomalia, in denen weit instabilere Verhältnisse herrschen und die nicht die Clan-Heterogenität von Somaliland und Puntland aufweisen. Es gibt aber auch dort semiautonome und selbstverwaltete Regionen wie z.B. Galgaduud und Galmudug, die einen erfolgversprechenden Ansatz bieten könnten. Das Angebot lautet: wer auch immer bereit ist, den bewaffneten Kampf oder die Unterstützung dafür aufzugeben, bekommt seinen Anteil an den finanziellen Mitteln – national wie international – um sich selbst zu verwalten. Alles, was dann noch nötig wäre, ist eine Minimalkoordinierung einer gesamtsomalischen Außen- und Sicherheitspolitik, die von einer kleinen Föderalregierung in Mogadischu aus geführt werden könnte. Dies würde nicht nur ein „buy-in“ vieler Clans erlauben, die derzeit Al Schaabab unterstützen oder dulden, sondern vor allem der somalischen Bevölkerung zugute kommen, die dann dezentral die primäre Grundversorgung erhält, die sie so dringend benötigt: Sicherheit, Gesundheit, Erziehung und Infrastruktur. Regional ist eine Einbeziehung der am meisten betroffenen und interessierten Nachbarländer unumgänglich. Für Äthiopien, Kenia und Dschibuti, drei Länder mit beträchtlichen somalischstämmigen Bevölkerungsanteilen müssen Sicherheitsmechanismen entwickelt werden, die ihnen Stabilität in den unsicheren Grenzregionen gegenüber Somalia garantieren und somit ein eigenes militärisches Eingreifen unnötig machen. Eritrea muss im Gegenzug für ein konstruktives Engagement in Somalia und die Aufgabe der Unterstützung von Rebellengruppen ein Herausführen aus seiner gegenwärtigen Isolation und internationale Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit angeboten werden. Dies inkludiert auch ein Ende der UN-Sanktionen. 95 Ohne die Einbeziehung Eritreas wird es keine regionale Lösung des Somaliakonfliktes geben. Um diesen Prozess noch inklusiver und umfassender zu machen, muss auch die somalische Diaspora, die über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt, sowie die lokale Business Community 96 miteinbezogen werden. Erstere über Motivation und erweiterte und erleichterte Investitionsmöglichkeiten, letztere über ein unternehmerfreundliches Umfeld mit wenig Bürokratie und niedrigen bis gar keinen Steuern, Zöllen und Abgaben. Dass es längerfristig keine militärische Lösung des Konflikts in Somalia geben kann, ist mittlerweile weitgehender Konsensus in der internationalen Staatengemeinschaft. Die US-Regierung versucht schon seit längerem mit ihrer „double track policy“, die Abhängigkeit des Westens von der Performance und dem Willen einer weitgehend passiven und schwachen zentralen Übergangsregierung in Mogadischu aufzuweichen. Auch hier dominiert der dezentrale An95 96
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UN sanctions on Eritrea, Resolution 1907 (2009). Erstaunlicherweise hat die somalische Wirtschaft während 20 Jahren chaotischer und anarchischer Verhältnisse relativ wenig gelitten; im Gegenteil, es gibt sogar Sektoren, die durchaus boomen, so z.B. Telekommunikation.
Kurswechsel in Somalia?
satz, von der relativen Stabilität einiger Regionen außerhalb Mogadischus 97 zu profitieren, um Somalia von der Peripherie her sukzessive zu befrieden. Was sollte dann mit der gegenwärtigen Übergansregierung in Mogadischu geschehen? Die (noch) offizielle Haltung der internationalen Staatengemeinschaft und der Afrikanischen Union, dass es keine Alternative zu einer Zentralregierung in Mogadischu und damit zum TFG in seiner gegenwärtigen Form gibt, führt in eine politische Sackgasse, bindet finanzielle Mittel und militärische Kräfte und verlängert das Leid der somalischen Zivilbevölkerung. Ein neuer Ansatz einer politischen Neuorientierung Somalias ist daher nicht nur Gebot der Stunde, sondern unumgänglich.
7. Last but not least – Talk to the Enemy! Was jedoch Gespräche mit den Hauptkontrahenten des Konflikts, Al Schabaab anbetrifft, könnte die gegenwärtige und sichtlich erfolgreiche militärische Offensive von AMISOM, TFG und Verbündeten eine neue Möglichkeit bieten, einen Dialog aus einer Position der Stärke zu führen. Es gab zwar in der Vergangenheit Kontakte mit Hisbul Islam, der kleineren islamistischen Widerstandsgruppe, 98 und dessen Führer Schaik Aweys 99 sowie im Jahr 2010 Gespräche auf Expertenebene mit Hisbul-Islam-Emissären in Finnland als auch Kontakte mit norwegischen Diplomaten. Da Hisbul Islam aber mittlerweile in Al Schaabab integriert wurde, 100 sind weitere Gespräche dieser Art nicht mehr zweckmäßig. Indirekte „back-track“ Gespräche über Dritte mit „moderaten“ Elementen von Al Schabaab könnten auch die Pattsituation durchbrechen. Der Name Schaik Muktar
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Vor allem Somaliland und Puntland. Die sich zum Teil auch mit Al Schaabab bekämpfte. Aweys ist ein ehemaliger Oberst der somalischen Armee unter Siad Barre. Der ehemalige UIC-Schura-Vorsitzende und spätere ARS-Dschibuti Führer steht auch auf der most wanted terrorists-Liste des US State Departments wegen seiner Verbindungen zu Al Quaida: http://www.treasury.gov/ofac/downloads/ctrylst.txt. Nach dem Zusammenschluss mit Al Schabaab scheint er aber weiterhin militant radikale Positionen zu vertreten. Siehe auch All Voices vom 4. März 2011 Sheik Aweys: ‘I will continue the fighting until I am dead’: http://www.allvoices.com/contributed-news/8375338-sheik-aweys-i-will-continue-thefighting-until-i-am-dead/content/66691411-hizbul-islam-leader-aweys-addresses-muslimfaithful-after-eid-al-adha-prayers-in-mogadishu. 100 Am 20. Dezember 2010 verlautbarten die beiden islamitischen Rebellengruppen in Somalia ihre Fusion: siehe All Africa vom 20. Dezember 2010: http://allafrica.com/stories/ 201012210370.html und Reuters vom 1. Februar 2011: Somali rebels unite, profess loyalty to al Qaeda: http://www.reuters.com/article/2010/02/01/us-somalia-conflict-idUSTRE6 102Q720100201.
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Robow 101 wird in diesem Zusammenhang öfters genannt. Es stellt sich allerdings – wie im Falle der zentralen TFG-Übergangsregierung in Mogadischu – die Frage, ob solche High-Level-Gespräche wirklich den erwünschten Top-DownEffekt einer Befriedung weiter Teile Somalias erzeugen und terroristische Aktionen eindämmen könnten. Auch direkte Gespräche zwischen der TFG und der bewaffneten Opposition sind, zumindest in der gegenwärtigen Struktur, Zusammensetzung und Denkund Arbeitsweise der Übergansregierung in Mogadischu, nicht zielführend. Zum einen ist das Konzept einer starken Zentralregierung in Mogadischu undurchsetzbar, zum zweiten ist die gegenwärtige Übergangsregierung zu schwach und wird einem potentiellen Verhandlungspartner nicht viel anbieten können. Aber selbst aus einer Position der Stärke ist die TFG mit ihrer „the winner takes it all“ Mentalität nicht bereit, ihre Macht zu teilen. Es könnte daher zielführender sein, Al Schabaab von den Regionen her aufzurollen (welche z.B. im Zuge der jüngsten militärischen Offensive bereits unter AMISOM-, ASWJ- oder TFG-Verbündeter Kontrolle oder kurz davor stehen), um in Einzelverhandlungen zu einem Waffenstillstand und sukzessive zur Kooperation mit interessierten Clans und Milizen zu kommen.
8. Elemente einer neuen Strategie für Somalia •
Einbindung aller Clans und Subclans sowie Milizen und Elementen des bewaffneten Widerstands, die bereit sind, ihren militärischen Kampf zugunsten der Unterstützung einer gesamtsomalischen Friedenslösung auf Basis regionaler Stabilität und Machtverteilung aufzugeben. Dies kann aber nur dann realistischerweise Erfolg haben, wenn dies für die Betroffen (vor allem die Clans) von Vorteil ist. Eine Beteiligung an den finanziellen Mitteln, die bisher lediglich der Zentralregierung in Mogadischu zur Verfügung standen 102 sowie direkte Unterstützung autonomer und semiautonomer Strukturen, die direkt der Bevölkerung zugutekommen, 103 wären mögliche Ansätze in diese Richtung. Die strikte Grenzlinie, die es
101 Wird oft als Al Schaabab-Sprecher bezeichnet. Obwohl Robow auf der Terrorliste des US State Departments steht, hat TFG-Präsident Schaik Scharif im Februar 2009 angeblich seine (und die anderer) Entfernung von Washington gefordert, da es sich dabei „um populäre Anführer handelt die sich breiter Unterstützung der Somalier erfreuen“, siehe PRESS TV (Iran) vom 12.02.2009, „US urged to review Somalia blacklist – President Sheikh Sharif Sheikh Ahmed meets with the US envoy to Somalia, demanding Washington to remove certain individuals from its blacklist“; http://edition.presstv.ir/detail/ 85464.html. 102 Dies bezieht auch und vor allem die Geberländer (und damit die EU) mit ein. 103 Z.B. im Gesundheits- und Erziehungssektor.
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Kurswechsel in Somalia?
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hier zu ziehen gilt, liegt in der Unterstützung von Warlords, welche die somalische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft mit steigenden Geldforderungen und Gewalt erpressen würden. Dezentralisierung und Föderalisierung der Übergangsregierung in Mogadischu, die sich auf die Koordinierung nationaler Kernprioritäten bei weitgehender Autonomie der Regionen und selbstverwalteten Gebiete Somalias beschränkt. Die endgültige Ausgestaltung der verbliebenen Macht der Übergangsregierung in Mogadischu ist dann Sache der Somalier selbst. Sie müssen schlussendlich bestimmen, welche Art von Regierung sie zentral in Mogadischu haben und wie viel Selbstverwaltung und Autonomie sie den Regionen geben wollen. Einbeziehung aller Nachbarländer, um zur Stabilisierung und Befriedung Somalias beizutragen. Dies muss unbedingt auch die beiden Erbfeinde Äthiopien 104 und Eritrea 105 einschließen. Beide Länder müssen durch die Einbindung in einen regionalen Friedens- und Stabilisierungsprozess, in dessen Mittelpunkt Somalia steht, Vorteile ziehen können. Ein Ansatz dafür könnte die mittlerweile in Brüssel diskutierte EU-Strategie für das Horn von Afrika sein.
104 Äthiopiens Strategie besteht gegenwärtig im Aufbau einer Pufferzone im Grenzgebiet mit Somalia mittels lokaler Milizen, darunter auch ASWJ, siehe S. 31, Council on Foreign Relations (US), Center for Preventive Action, Special Report No. 52, March 2010, Bruton, Bronwyn E.: „Somalia: A New Approach“, www.cfr.org/content/publications/ attachments/Somalia_CSR52.pdf. 105 Die Europäische Union ist einer der wenigen westlichen Gesprächspartner, der dem Regime in Asmara geblieben ist. Es gibt einen regelmäßigen politischen Dialog auf Grundlage von Art. 8 des Cotonou-Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Ländern.
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Operation Atalanta am Horn von Afrika
Operation Atalanta am Horn von Afrika Die erste maritime Operation der Europäischen Union
Frank Reininghaus Die internationale Gemeinschaft hat gezeigt, dass sie mit einem koordinierten Einsatz der verfügbaren Einheiten zur Überwachung des Seeraumes am Golf von Aden und mit der durchdachten Stationierung im Somali-Basin eine größtmögliche Absicherung vor Piratenangriffen bieten kann. Es gilt die Devise „Viel hilft viel“, das heißt, mit mehr Schiffen und mehr Flugzeugen lässt sich eine noch größere Abdeckung des Einsatzgebietes erzielen. Dazu ist es notwendig, die Einheiten der verschiedenen internationalen Organisationen (Europäische Union, NATO, Combined Maritime Forces und ggf. – nach einer derzeit diskutierten Übernahme des AMISOM-Mandates – die Vereinten Nationen) sowie national entsandte Schiffe sinnvoll und nach teils vorhandenen, teils noch zu entwickelnden taktischen Verfahren zu dislozieren und sowohl zu große Überlappungen der Verantwortungsbereiche als auch zu große Lücken in der Seeraumüberwachung zu vermeiden. Ob die völkerrechtliche Legitimation und der Hauptauftrag nun „Schutz der Schiffe des World Food Programmes“ oder anderweitig benannt wird, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist die Koordination der Einheiten, ein robustes Auftreten aller beteiligten Nationen und das so genannte „Flagge zeigen“, also Präsenz zu demonstrieren. Gleichwohl liegt es in der Verantwortung der Reeder, ihre Schiffe rechtzeitig über das Maritime Security Centre Horn of Africa für eine geschützte Passage anzumelden und geeignete Schutzmaßnahmen anbringen zu lassen. Hier findet sich das größte Verbesserungspotential. Die Einschätzung, ob und inwieweit es gelingen kann, den Piraten einen legalen Broterwerb angedeihen zu lassen, ist extrem schwierig. Erfahrungen aus der EU-Mission EUFOR RD CONGO in 2006 und danach haben gezeigt, dass letztlich nur eine höhere „Gewinnerwartung“ oder eine bessere „Entlohnung“ die moralischen Bedenken gegenüber unrechtem Handeln verdrängen können. Dennoch muss die internationale Gemeinschaft sich in und vor Somalia engagieren und darf dabei die feine Linie zwischen Hilfe zur Selbsthilfe und der ausgestreckten helfenden Hand einerseits und dem Überstülpen westlicher Denkmodelle andererseits nicht überschreiten. Ocean Shield, Coalition Maritime Forces und insbesondere Atalanta sind dabei zielführende Operationen zur Eindämmung der Piraterie im Golf von Aden und im Somali-Basin.
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1. Auftrag der EU-Operation Atalanta Der Auftrag der EU-Operation Atalanta leitet sich ab aus den Resolutionen 1814, 1816, 1838 und 1846 des VN-Sicherheitsrates (UN-SCR), sämtlich aus 2008. 1 Hauptauftrag ist der Schutz der Schiffe des World Food Programmes (WFP) der Vereinten Nationen (VN), in zweiter Priorität folgt der Schutz verwundbarer Schiffe vor der somalischen Küste, und erst als Tertiärauftrag findet sich die Verhinderung und Unterdrückung von Akten der Piraterie im genannten Seegebiet. 2 Das deutsche Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hat diesen Auftrag noch etwas detaillierter formuliert: • Gewährung von Schutz für die Schiffe des Welternährungsprogramms unter anderem durch die Präsenz von bewaffneten Kräften an Bord dieser Schiffe; • Schutz ziviler Schiffe im Operationsgebiet; • Überwachung der Gebiete vor der Küste Somalias, die Gefahren für maritime Tätigkeiten bergen; • Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen; • Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von Personen, die der Piraterie verdächtigt werden; • Herstellung einer Verbindungsaufnahme zu Staaten, Organisationen und Einrichtungen vor Ort. 3 Unzweifelhaft ist also Atalanta erst in nachgeordneter Priorität eine AntiPiraten-Mission.
2. Rechtsgrundlagen für Atalanta Während AMISOM 4 und UNPOS 5 in der ersten Resolution (UN-SCR 1814 6 ) häufige Erwähnung finden, wird hierin lediglich in einer nachgeordneten Ziffer 1 2
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Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id= 1519&lang=en, abgerufen am 06.03.2010. Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id= 1518&lang=en, abgerufen am 06.03.2010, auch IP, Internationale Politik, Gemeinsam gegen die Piraten, http://www.internationalepolitik.de/ip/dossiers/auslandseinsatze/ gemeinsam-gegen-die-piraten.html, abgerufen am 07.03.2010. Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/ sicherheitspolitik/internationale_organisationen/europaeische_union?yw_contentURL=/ C1256F1200608B1B/W27M7BQ5531INFODE/content.jsp, abgerufen am 06.03.2010. AMISOM = African Union Mission in Somalia. UNPOS = United Nations Political Office for Somalia. Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ N0834379.pdf, abgerufen am 06.03.2010.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
(Zf. 11) ein erster Hinweis auf den Schutz der Schiffe des World Food Programmes (WFP) gegeben. Die kurz danach verabschiedete Resolution 1816 7 befasst sich hingegen fast ausschließlich mit Piraterie und bewaffneten Überfallen auf den allgemeinen Seeverkehr in den und außerhalb der Territorialgewässer Somalias, um in der nächsten Resolution 1838 8 die Internationale Gemeinschaft sehr vehement aufzufordern, ihre „Schiffe und Luftfahrzeuge im Kampf gegen die Piraterie einzusetzen“ und mit ihnen die „notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, Akte der Piraterie zu unterdrücken“. 9 In Resolution 1846 10 vom 2. Dezember 2008 wird erstmals die „mangelnde Kapazität der somalischen Übergangsregierung“ (Transitional Federal Government, TFG) explizit herausgestellt – Somalia hat seit 1991 de facto keine funktionierenden Streitkräfte, keine Marineeinheiten mehr, mit denen sich das TFG der Piraterie auch nur ansatzweise entgegenstellen könnte. 11 Dies wird jedoch als Voraussetzung gesehen, Frieden und Stabilität in Somalia zu etablieren. 12 Zur Unterstützung der vorgenannten Resolutionen hat die Europäische Union die Gemeinsame Aktion 2008/749/GASP 13 vom 19.September 2008 14 verabschiedet, in der eine koordinierte Militäraktion zum Schutz der Schiffe des WFP beschlossen wird. Die Piraterie an sich wird jedoch – außer unter Bezug auf die UN-SCR 1816 – nur in einem Absatz erwähnt („… its concern at the upsurge of piracy attacks …“), 15 mit Betroffenheit über den Anstieg der Akte von Piraterie, woraus auch ersichtlich ist, dass der Anti-Piraterie-Auftrag bei Atalanta – zu-
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Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ N0836177.pdf, abgerufen am 06.03.2010. Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ N0853884.pdf, abgerufen am 06.03.2010. Ebenda. Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ N0863029.pdf, abgerufen am 06.03.2010. Beispielsweise Encyclopedia of the Nations, http://www.nationsencyclopedia.com/ Africa/Somalia-ARMED-FORCES.html, oder Global Security.org, http://www. globalsecurity.org/military/world/somalia/military.htm sowie Fagotto/Borga/Musumeci, Der Admiral ohne Schiff, In: Zeit Online, 22.02.2010, http://www.zeit.de/2010/08/ Somalia?page=all, jeweils abgerufen am 06.03.2010. Council of the European Union, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/ N0863029.pdf, abgerufen am 06.03.2010. GASP = Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, englisch CFSP = Common Foreign and Security Policy. Council Joint Action 2008/749/CFSP of 19 September 2008 on the European Union military coordination action in support of UN Security Council resolution 1816 (2008) (EU NAVCO), siehe http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008: 252:0039:0042:EN:PDF, abgerufen am 06.03.2010. Ebenda.
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mindest offiziell – nur in dritter Priorität steht. 16 Auf dieser Basis wurde im Dezember 2008 die European Union Naval Force (EU NAVFOR) Atalanta als erste maritime Operation der Europäischen Union zusammengestellt, wobei sich die Beiträge der einzelnen Nationen sehr unterschiedlich darstellen. Über den Winter 2008/2009 hinweg wurden die notwendigen Stationierungsabkommen mit Djibouti als Forward Operating Base geschlossen. 17 Somit konnte als erstes deutsches Schiff die Fregatte KARLSRUHE (Atalanta-Einsatz von 23.12.2008 bis 28.02.2009) 18 und der erste deutsche Seefernaufklärer zum 30. März 2009 nach Djibouti verlegen, 19 um von dort aus mit kurzen Transitzeiten die Einsatzgebiete Golf von Aden (Gulf of Aden, GOA) und das Somali-Basin zu erreichen. Zur aktuellen Entscheidungslage lässt sich festhalten, dass am 24. Februar 2010 die Verteidigungsminister der Europäischen Union beschlossen haben, zum Stichtag 31. März den Auftrag dahingehend zu erweitern, dass zum einen die Kontrolle von somalischen Häfen und zum anderen die „Neutralisierung von Piraten-Mutterschiffen“ („… ‘neutralising’ mother ships …“) mit einbezogen werden sollen. 20 Zu guter Letzt gilt für alle seefahrenden Nationen das Seerechtsübereinkommen 21 der Vereinten Nationen, SRÜ (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS), welches als weltweit gültiges internationales Abkommen in Artikel 98 die generelle Pflicht zur Hilfeleistung auf See festschreibt. In den rechtlichen Grundlagen ist ebenfalls die Finanzierung der Operation dargelegt, die – wie andere EU-Operationen auch – teils national, teils über die EU finanziert werden. Gemäß der Grundregel „costs lie where they fall“ werden die einer Nation zuzuordnenden Kosten auch national getragen, gemeinsame Kosten (common costs) trägt die EU mittels des Athena-Mechanismus. 22 16 17
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Beispielsweise Maritime Security Centre Horn of Africa, http://www.mschoa.eu/ EUCouncil.aspx, abgerufen am 08.03.2010. Official Journal of the European Union, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=OJ:L:2009:033:0041:0042:EN:PDF und http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:033:0043:0048:EN:PDF, jeweils abgerufen am 06.03.2010. Website der Fregatte Karlsruhe, http://www.karlsruhe-maritim.de/415210.html, abgerufen 15.03.2010. Presse- und Informationszentrum Marine, http://www.presseportal.de/pm/67428/ 1374839/presse_und_informationszentrum_marine, abgerufen 15.03.2010. European Union Naval Force Somalia, EU NAVFOR Somalia – OPERATION ATALANTA Expands Its Mission On Piracy, http://www.eunavfor.eu/2010/02/eu-navforsomalia-operation-atalanta-expands-its-mission-on-piracy/, abgerufen am 06.03.2010. Official Journal of the European Union, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=OJ:L:1998:179:0003:0134:DE:PDF, abgerufen am 06.03.2010. Europäische Union, Mechanismus zur Finanzierung gemeinsamer Militäroperationen (Athena), http://europa.eu/legislation_summaries/foreign_and_security_policy/cfsp_and_ esdp_implementation/l33281_de.htm und http://www.assembly-weu.org/en/documents/
Operation Atalanta am Horn von Afrika
Einsatzgebiet 60°E
DEU: 357.104 km² AUT: 83.871 km²
ATALANTA: 5.426.000 km² = 15 x Fläche Deutschland
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M
= 65 x Fläche Österreich
SEYCHELLEN 11°S
Abb. 1: Einsatzgebiet für Atalanta
3. Organisationsstruktur Atalanta Die Führung der Operation Atalanta ist wie alle militärischen Operationen hierarchisch strukturiert. Das strategische Hauptquartier (Operations Headquarter, OHQ) der Operation Atalanta liegt in Northwood bei London, das operative Hauptquartier (Force Headquarter, FHQ) vor Ort auf dem jeweiligen Flaggschiff. Für die Operation Atalanta wurde nach dem britischen Konteradmiral Philip Jones im Juni 2009 ein weiterer britischer Flaggoffizier, Konteradmiral Peter Hudson, als zweiter Befehlshaber ernannt, die Stellvertreter werden in kürzeren Abständen rotierend von den teilnehmenden Nationen gestellt. Von Juni bis Dezember 2009 hatte der deutsche Konteradmiral Thorsten Kähler den Posten des Stellvertreters inne, sein Vorgänger war der französische Konteradmiral Jean-Pierre Labonne, sein Nachfolger ist der spanische Konteradmiral Bartolomé Bauzá. 23 Der Personalumfang des OHQ beträgt insgesamt zwischen 76 und 95 Soldaten und Zivilisten. 24 Der Befehlshaber nebst seinem Stellvertreter leiten die
23 24
Fact%20sheets/9E_Fact_Sheet_ATHENA.pdf?PHPSESSID=f3137d60, abgerufen jeweils am 11.04.2010. European Union @ United Nations, http://www.europa-eu-un.org/articles/en/article_8769 _en.htm und European Union Naval Force Somalia, http://www.eunavfor.eu/2009/12/ new-deputy-operation-commander/, abgerufen am 08.03.2010. Maritime Security Centre Horn of Africa, http://www.mschoa.eu/ForceInfo.aspx, abgerufen am 08.03.2010; auch IP, Internationale Politik, Gemeinsam gegen die Piraten,
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Operation von Northwood, Großbritannien, von dort wird der direkte Draht zur Koordinierungszelle EU NAVCO und zu den relevanten Gremien der Europäischen Union in Brüssel gehalten. Eingeschifft auf dem Flaggschiff im Einsatzgebiet hat jeweils ein weiterer Admiral einer der beteiligten Nationen als „Force Commander“ das Kommando vor Ort, er kann aufgrund der räumlichen Nähe zu den unterstellten Einheiten und aufgrund der Ortskenntnis ohne Zeitverzug wichtige Entscheidungen treffen. Auf dem italienischen Flaggschiff ETNA ist seit Dezember 2009 Admiral Gumiero für den Einsatz vor Ort verantwortlich, der bereits in der ersten AntiPiraterie-Mission der NATO eine ähnliche Aufgabe innehatte. 25 Die Befehlshaber wechseln nach jeweils etwa vier Monaten, 26 im April 2010 wird erstmals ein schwedisches Schiff, die CARLSKRONA, diese Aufgabe übernehmen. 27
4. Maritime Kräfte Die Anfang 2010 in der Operation Atalanta eingesetzten fünf Fregatten waren die italienische ETNA (Flaggschiff), die griechische SALAMIS, die französische SOURCOUF, die spanische NAVARRA und die deutsche EMDEN, die zum Ende Januar 2009 die BREMEN abgelöst hatte. Insgesamt haben sich zehn EUMitgliedsstaaten verpflichtet, die Operation Atalanta mit Schiffen zu unterstützen, 28 wobei zu jedem Zeitpunkt bis zu sechs Schiffe und bis zu fünf Seefernaufklärungsflugzeuge im Einsatz sind. Bei den entsandten Schiffen handelt es sich meist um Fregatten, die jeweils mit ein bis zwei Hubschraubern als verlängerter Sensorträger ausgestattet sind, so dass auch Kontakte weit jenseits des Radarhorizontes aufgefasst, lokalisiert,
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http://www.internationalepolitik.de/ip/dossiers/auslandseinsatze/gemeinsam-gegen-diepiraten.html, abgerufen am 07.03.2010. European Union Naval Force Somalia, http://www.eunavfor.eu/2009/12/italiannavy-onits-way-to-take-over-the-lead/, abgerufen am 08.03.2010. Bisherige Befehlshaber vor Ort: Dezember 2008 bis April 2009 Commodore Antonios Papaioannou (Griechenland, Flaggschiff HS PSARA), bis August 2009 Kapitän zur See Juan Garat Carame (Spanien, Flaggschiff SPS NUMANCIA, bis Dezember 2009 Commodore Pieter Bindt (Norwegen, Flaggschiff HNMS EVERSTEN); Quelle: European Union Naval Force Somalia, http://www.eunavfor.eu/2009/12/italiannavy-on-its-way-totake-over-the-lead/, abgerufen am 08.03.2010. European Union Naval Force Somalia, http://www.eunavfor.eu/2010/03/new-forceheadquarter-fhq-sails-for-somalia-anti-piracy-mission/, abgerufen 15.03.2010. Es sind dies Griechenland, Frankreich, Belgien, Schweden, die Niederlande, Norwegen, Deutschland, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich; Quelle: Maritime Security Centre Horn of Africa, http://www.mschoa.eu/ForceInfo.aspx, abgerufen am 08.03.2010.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
identifiziert und ggf. durch eine in der Nähe stehende seegehende Einheit kontrolliert werden können.
5. Luftfahrzeuge Ergänzt wird diese seegehende Task Force 465 zur Zeit durch Luftfahrzeuge der spanischen (P-3A), der französischen (Breguet Atlantic 2) und der deutschen (P3C) Streitkräfte. Einen interessanten Randaspekt birgt die Vercharterung eines zivilen Luftfahrzeuges vom Typ Swearingen Merlin III durch die Firma CAE Aviation, welches von den Seychellen aus mit Radar und elektrooptischen Geräten in die Seeaufklärung im Somali-Basin eingebunden wird. 29 Mit den vorgenannten Kräften ergibt sich demnach folgendes Organigramm der im Golf von Aden und im Somali-Basin eingesetzten Schiffe und Luftfahrzeuge:
Kräftezusammensetzung COM EU NAVFOR ATALANTA, OHQ Northwood Dep COM EU NAVFOR ATALANTA, OHQ Northwood
CTF 465 RAdm Giovanni GUMIERO
CTG 465.01
MPRA P3A MPRA ATL 2
EMDEN
ETNA
NAVARRA
SURCOUF
CTG 465.07
FHQ SA DJIBOUTI
SALAMIS
RECCE-A/C MERLIN
Abb. 2: Organigramm Operation Atalanta (maritime Kräfte und Luftfahrzeuge) 29
United Kingdom Parliament, http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200910/ ldselect/ldeucom/999/correuc140110ev3.pdf, Seite 27, Ports & Ships, http://ports.co.za/ news/article_2009_09_2_4736.html, und Idarat Maritime Ltd., http://www. idaratmaritime.com/wordpress/?p=159, jeweils abgerufen am 09.03.2010.
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6. Andere Akteure (US-CMF, NATO, OEF, VN und national entsandte Schiffe) Neben den im Regelfall fünf bis sechs seegestützten Einheiten und zwei bis fünf landgestützten Luftfahrzeugen, die bei Atalanta eingesetzt werden, befinden sich weitere militärische Einheiten im Seegebiet vor Somalia und im Golf von Aden, die teils einen ähnlichen, teils hingegen einen komplett anderen Auftrag haben. Zunächst sei die Operation Enduring Freedom (Task Force 150) genannt. Diese Operation auf der Basis der UN-SCR 1368 30 und 1373 31 soll im Kampf gegen den Terrorismus die Kräfte der Internationalen Gemeinschaft koordiniert einsetzen. Hier sind dauerhaft Schiffe aus vielen NATO- bzw. EU-Staaten eingebunden, nach Verfügbarkeit werden diese ergänzt z.B. durch australische, neuseeländische oder pakistanische Einheiten. Die Bundesregierung in Berlin hat erstmals am 07. November 2001 und danach im Abstand von jeweils zwölf Monaten ein Mandat für diesen Einsatz verabschiedet, 32 so dass sich seit Februar 2002 auch durchgängig Schiffe und Luftfahrzeuge der Deutschen Marine an dieser Operation beteiligen. Eine weitere Folge von Operationen im Seegebiet GOA bzw. Somali Basin wird gebildet aus Allied Provider (Oktober 2008 bis März 2009, die erste AntiPiraten-Mission in der Geschichte der NATO), Allied Protector (März bis August 2009) und Ocean Shield (seit August 2009), 33 deren Auftrag neben der eigentlichen Pirateriebekämpfung auch den Fähigkeitsaufbau in den Ländern vor Ort umfasst, ein Element der Operation, welches die Anstrengungen der dort tätigen internationalen Organisationen und Truppen unterstützen und ergänzen soll. Beispielsweise werden Einweisungen, Unterrichtungen und Kooperationen mit verschiedenen nordostafrikanischen Küstenwachen durchgeführt. 34 In der 30 31 32
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34
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Bundeswehr, http://www.einsatz.bundeswehr.de/fileserving/PortalFiles/C1256F2000237 13E/W2778DHW546INFODE/010912_VN_1368.pdf, abgerufen am 06.03.2010. Bundeswehr, http://www.einsatz.bundeswehr.de/fileserving/PortalFiles/C1256F2000237 13E/W2778DKE750INFODE/010928_VN_1373.pdf, abgerufen am 06.03.2010. Alle Anträge über den Einsatz bzw. die Fortsetzung des Einsatzes deutscher Streitkräfte finden sich beispielsweise bei Bundeswehr, http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/ einsatzbw/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLN_SJdw1xA8lB2EGu-pFw 0aCUVH1fj_zcVH1v_QD9gtyIckdHRUUAXKyinQ!!/delta/base64xml/L3dJdyEvd0ZN QUFzQUMvNElVRS82XzFMX0VURQ!!, abgerufen am 06.03.2010. North Atlantic Treaty Organisation (NATO), http://www.aco.nato.int/page208433730. aspx und http://www.manw.nato.int/page_operation_ocean_shield.aspx, jeweils abgerufen am 08.03.2010; nicht zu verwechseln mit www.oceanshield.com, einer offensichtlich kommerziellen Website. North Atlantic Treaty Organisation (NATO), http://www.manw.nato.int/page_snmg1_ fAQ.aspx#Q:_What_is_NATO’s_role_in_the_fight_against_piracy, und beispielsweise: NATO Commander meets Puntland Coastguard, http://www.shape.nato.int/page2722054 28.aspx, jeweils abgerufen am 08.03.2010.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
militärischen Organisationsstruktur bilden die Einheiten von Ocean Shield die Task Force 508 (vormals Task Force 410). Die derzeitige Beteiligung besteht aus den Schiffen HDMS ABSALON (Dänemark, Flaggschiff), HMCS FREDERICTON (Kanada), USS BOONE (USA) und HMS CHATHAM (Vereinigtes Königreich). 35
PSN
LEZO
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WILLSJE BOUA STKH
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MAES CREA MARNE
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NUMA COM
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LEWIS & CLARK EU NAVFOR
BOX
TF 151 MUMU
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TF 150 NATIONAL TF 410 OTHER
Abb. 3: Beispielhafte Verteilung der maritimen Kräfte im Einsatzgebiet Golf von Aden Die Vereinigten Staaten haben zum 08. Januar 2009 die „Combined Maritime Forces“ 36 (Task Force 151) zusammengestellt, die ebenfalls eine Anti-PiraterieMission darstellt, wobei dies den Primärauftrag darstellt. Diese kleinere Mission mit dennoch über zwanzig zeitweilig teilnehmenden Nationen entlastet die grö35 36
North Atlantic Treaty Organisation (NATO), http://www.aco.nato.int/page208433730. aspx, abgerufen am 08.03.2010. United States Navy, Official Website of the ~, http://www.navy.mil/Search/display.asp? story_id=41687, abgerufen am 08.03.2010; CMF gelegentlich auch als „Coalition Maritime Forces“ bezeichnet, z.B. in http://www.aco.nato.int/page208433730.aspx, abgerufen am 08.03.2010.
213
Frank Reininghaus
ßere Operation Enduring Freedom von den Anti-Piraterie-Aufgaben, so dass diese sich auf ihre ursprüngliche Aufgabe konzentrieren kann, sie gibt andererseits den Staaten, deren Mandat keine Anti-Piraterie-Einsätze erlaubt, die Möglichkeit, sich dennoch in diesem Bereich einzubringen. 37 Daneben entsenden die Vereinigten Staaten und andere Staaten 38 wie z.B. Malaysia, 39 Südkorea, 40 Singapur, 41 Japan, 42 Russland, 43 Indien 44 und China 45 oftmals einzelne Schiffe und/oder Luftfahrzeuge zum Schutz nationaler Interessen, soll heißen, nationaler Handelsschiffe. Die Mandatierung und Entsendung einer Mission in das Seegebiet vor Somalia durch die Vereinten Nationen wird derzeit diskutiert, die Entscheidung dazu steht noch aus. Dabei läuft es voraussichtlich auf eine Übernahme des AMISOM-Auftragsspektrums hinaus.
37
38 39 40 41 42
43 44 45
214
United States Department of Defense, http://www.defense.gov/news/newsarticle.aspx? id=52586, abgerufen am 08.03.2010; Zitat Vizeadmiral William E. Gortney (US Navy): „Some navies in our coalition did not have the authority to conduct counter-piracy missions. (…) The establishment of [Combined Task Force] 151 will allow those nations to operate under the auspices of CTF 150, while allowing other nations to join CTF 151 to support our goal of deterring, disrupting and eventually bringing to justice the maritime criminals involved in piracy events.” So z.B. China, Japan, Russland, Indien und Malaysia, vgl. Phalnikar, Sonia, In: Deutsche Welle, 12.06.2010, http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4320352,00.html, abgerufen am 08.03.2010. S. Rajaratnam School of International Studies, http://www.rsis.edu.sg/publications/ Perspective/RSIS0022009.pdf, abgerufen am 08.03.2010. Ebenda und EchoGeo, http://echogeo.revues.org/index11370.html, jeweils abgerufen am 08.03.2010. Ebenda und Chow, Jermyn, SAF in anti-piracy mission, 13.02.2009, http://www. straitstimes.com/print/Breaking%2BNews/Singapore/Story/STIStory_337766.html, abgerufen am 08.03.2010. EchoGeo, http://echogeo.revues.org/index11370.html, o.V., Antipiracy Task Force heads for Somalia, In: Japan Times, 15.03.2009, http://search.japantimes.co.jp/cgi-bin/ nn20090315a1.html und o.V., Japan Joining the Anti-Piracy Effort off the Somali Coast, In: StratFor Global Intelligence, 28.05.2009, http://www.stratfor.com/memberships/ 138954/analysis/20090528_japan_joining_anti_piracy_effort_somali_coast, jeweils abgerufen am 08.03.2010. o.V., Russian Warships sail to Horn of Africa on Anti-Piracy-Mission, In: Global Security.org, 29.03.2009, http://www.globalsecurity.org/wmd/library/news/russia/2009/russia090329-rianovosti01.htm, abgerufen am 08.03.2010. Wilson, Brian, Anti-Piracy Powers Presage Rising Naval Powers, In: Yale Global Online, 13.01.2009, http://yaleglobal.yale.edu/content/anti-piracy-patrols-presage-rising-navalpowers, abgerufen am 08.03.2010. Ebenda und Da, Yeking, China to lead SHADE’s Anti-Piracy Patrols off Somalia, In: China Defense Blog, 28.01.2010, http://china-defense.blogspot.com/2010/01/china-tolead-shades-anti-piracy.html, abgerufen am 08.03.2010.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
7. Koordination aller Akteure vor Ort Bislang sind die verschiedenen Akteure im Seegebiet um das Horn von Afrika und im Golf von Aden im Einzelnen vorgestellt worden. Aus naheliegenden Gründen sollte diese Vielzahl an Marineschiffen und militärischen Luftfahrzeugen nicht ohne ein gewisses Maß an Koordination zur See fahren bzw. im Luftraum darüber fliegen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Golf, jedoch auch außerhalb des GOA empfiehlt sich – trotz der sehr deutlich geringeren Schifffahrtsdichte und der deshalb auch nur wenigen dort stationierten Einheiten – eine Koordination, wie sie nachstehend beschrieben wird. Die politische Landschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat bemerkenswerte Früchte gedeihen lassen. So hat sich z.B. im Januar 2009 bei den Vereinten Nationen in New York eine Kontaktgruppe zur Piraterie vor der somalischen Küste („Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia“, CGPCS) gebildet, die eine Plattform für die Diskussion und Koordination der Aktionen zur Unterdrückung der Piraterie bieten soll; 46 eine Teilnehmerliste der CGPCS zeigt, welche (ehemals nur selten zu einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit gewillte) Staaten sich gemeinsam der Bekämpfung der Piraterie vor Somalia widmen. 47 Desweiteren haben sich nahezu zeitgleich (seit Dezember 2008, also mit Beginn der Operation Atalanta) regelmäßige monatliche Treffen in Bahrain unter dem Akronym SHADE 48 („Shared Awareness and Deconfliction“) etabliert, deren Ergebnisse und Anregungen vor der oben genannten Kontaktgruppe vorgetragen werden. In dieser Gruppe werden Ideen zum Thema „best management practices“ ausgetauscht, informelle Diskussionen abgehalten und die Aktivitäten der beteiligten Nationen von möglichen Konflikten freigehalten. Ursprünglich waren lediglich die drei Koalitionen Combined Maritime Forces (TF 151, mit Basis Bahrain), die EU NAVFOR (TF 465) und die NATO (TF 508) als Teilnehmer präsent, mittlerweile sind viele regionale Nationen und Marinen unter unabhängigen Mandaten repräsentiert, so z.B. China, Indien, Japan und Russland, ebenso Vertreter der Industrie und von Interpol. 49 Durch Unterstützung der 46 47 48
49
North Atlantic Treaty Organisation (NATO), http://www.aco.nato.int/page208433730. aspx, abgerufen am 08.03.2010. U.S. Department of State, Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia: List of Participating States and Organizations at the 4th Plenary, 10. September 2009, http://www.state.gov/t/pm/rls/othr/misc/129273.htm, abgerufen am 10.03.2010. Statement of Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia, In: AllAfrica, 30.05. 2010, http://allafrica.com/stories/200905300009.html und 8th SHADE Meeting sees largest International Participation so far, In: European Union Naval Force Somalia, 01.10. 2009, http://www.eunavfor.eu/2009/10/8th-shade-meeting-sees-largest-internationalparticipation-so-far/, abgerufen am 09.03.2010. Ebenda; Teilnehmer bei Treffen von SHADE bislang: EU NAVFOR, CMF, NATO, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Japan, Südkorea, Indien, die Niederlande, Portugal, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Spanien, Turkei, die Vereinig-
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Frank Reininghaus
Europäischen Union wird China in absehbarer Zeit die Führung bei den SHADEPatrouillen übernehmen. Das bedeutet, dass chinesische Schiffe einen Sektor des IRTC überwachen werden und auch mehr als die bislang im Golf von Aden stationierten drei chinesischen Einheiten in dieses Seegebiet entsandt werden. Inwieweit die aus dieser Führungsrolle resultierenden möglichen politischen Komplikationen die Effektivität der Koordination beeinträchtigen werden, bleibt abzuwarten. 50 Eben diese politischen Befindlichkeiten verhindern derzeit eine weitergehende institutionalisierte Koordination und Kooperation zwischen den oben genannten Schiffen und Luftfahrzeugen – obwohl einige der beteiligten Einheiten beispielsweise einen Einsatz unter NATO-Mandat fahren und im Anschluss (teilweise ohne Unterbrechung) dem EU-Einsatz unterstellt werden bzw. Schiffe und Luftfahrzeuge einer teilnehmenden Nation gleichzeitig unter verschiedenen Mandaten im Einsatzgebiet zugegen sind und Lagebilder oder Kontaktinformationen austauschen. In Ergänzung der (militär-)politisch etablierten Verfahren hat jedoch nicht erst die Erfahrung der letzten eineinhalb Jahre gezeigt, dass in fast jeder Marine dieser Welt und zwischen den Seefahrern unterschiedlicher Nationen ähnliche, ungeschriebene Verhaltensweisen üblich sind, die über Staaten- und auch Bündnisgrenzen hinweg eine Kooperation nach eigenen Regeln nach sich ziehen. So hat sich im Jahr 2009 ein nationen- und bündnisübergreifenden Fall ereignet, bei dem die Erstauffassung eines Piraten-Mutterschiffs durch einen US-amerikanischen Seefernaufklärer vom Typ P-3C der Combined Maritime Forces erfolgte, weitab jeden militärischen Schiffes, unabhängig davon, aus welchem Verband dieses kommt. Die Besatzung meldete den verdächtigen Kontakt an das Flaggschiff der CMF und verfolgte ihn bis zum befohlenen Missionsende. Der Kontakt wurde dann an den deutschen Seefernaufklärer gleichen Typs übergeben, der unter EU NAVFOR-Mandat im Nachbargebiet flog und der noch vier Stunden Restzeit im Einsatzgebiet vor sich hatte. Zum Ende dieser Mission erfolgte wiederum eine Meldung und die Übergabe an eine japanische Maschine ebenfalls gleichen Typs und unter nationaler Befehlsgebung. Diese konnte dann letztlich die Verfolgung so lange sicherstellen, bis eine niederländische Fregatte aus der Operation Ocean Shield die Piraten aufgebracht hat. 51
50
51
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ten Staaten, INTERPOL und Vertreter der Industrie; Ende September 2009 nahm erstmals ein Vertreter der Ukraine an einer SHADE-Sitzung teil. Da, Yeking, China to lead SHADE’s Anti-Piracy Patrols off Somalia, In: China Defense Blog, 28.01.2010, http://china-defense.blogspot.com/2010/01/china-to-lead-shades-antipiracy.html, abgerufen am 08.03.2010; bislang wurde noch kein konkretes Datum für die Übernahme der Führung durch die chinesische Marine genannt. Entnommen aus einem persönlichen Gespräch mit Soldaten des Marinefliegergeschwaders 3, Nordholz.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
8. Maritime Security Centre Horn of Africa (MSC HOA) 52 Um den sicheren Transit des Seeverkehrs im Operationsgebiet von Atalanta zu koordinieren, wurde im September 2008 das Maritime Security Centre Horn of Africa etabliert, welches im Dezember des gleichen Jahres seine Koordinierungsarbeit aufnahm. Es handelt sich dabei um eine weitere Initiative der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) mit dem Ziel, der Piraterie im Golf von Aden, am Horn von Afrika und im Somali-Basin Einhalt zu gebieten. Das MSC HOA untersteht ebenfalls dem Befehlshaber der Operation Atalanta und hat seinen Sitz aus naheliegenden Gründen auch in Northwood. Alle Schiffe, die den GOA in die eine oder andere Richtung passieren möchten, werden dringend angehalten, sich beim Maritime Security Centre Horn of Africa anzumelden, um zumindest den militärischen Einheiten vor Ort von ihrer Anwesenheit Kenntnis zu geben. Verschiedene Handelsschiffe, die dieses Meldeverfahren nicht genutzt haben, sind in der Vergangenheit Ziel eines (oft erfolgreichen) Piratenangriffs geworden, hingegen haben diejenigen, die sich an das Procedere gehalten haben, den Piraten keine erfolgreiche Angriffsfläche geboten. Schwerpunkt der Koordinierungsarbeit des MSC HOA ist der international empfohlene Transitkorridor (Internationally Recommended Transit Corridor, IRTC), der den Golf von Aden in 24 x 11 Quadranten mit 20 Meilen/36 km Kantenlänge entlang der Hauptschifffahrtsroute einteilt. Jeweils vier bis sechs Quadranten, also ein Seegebiet von etwa 1 600 bis 2 400 Quadratmeilen bzw. 5 200 bis 7 800 Quadratkilometern, werden von einem der beteiligten Schiffe überwacht. Für diesen Bereich werden drei abgestufte Geleitverfahren vom MSC HOA angeboten, die so genannten Scheduled Group Transits, Close Company Transits und Escorted Group Transits. Der Unterschied besteht hierbei in der Überwachungsintensität und der Nähe zwischen überwachendem und begleitetem Schiff; während beim Scheduled Group Transit der zugeteilte Bereich durch ein im Gebiet stehendes Schiff per Radar, Ausguck und Funk überwacht wird, stellt ein Close Company Transit die Übergabe eines „Schutzobjektes” von einem Schiff zum nächsten jeweils an der Sektorengrenze sicher. Die höchste, engste Stufe stellt der Escorted Group Transit dar, eine geschützte Konvoifahrt, bei dem einige wenige Handelsschiffe durch den gesamten Korridor geleitet werden. Diese Art des Geleitschutzes wird hauptsächlich von chinesischen, japanischen, russischen und indischen Militärschiffen für Handelsschiffe unter deren Flagge angeboten. 53 Es ist jedoch nicht unüblich,
52 53
Umfangreiche Informationen einzusehen bei Maritime Security Centre Horn of Africa, http://www.mschoa.eu/, abgerufen ab 08.03.2010 regelmäßig. Individual Nations Escorts and Convoying Arrangements, In: NATO Shipping Centre, http://www.shipping.nato.int/, abgerufen am 08.03.2010.
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auch weitere Handelsschiffe in einen vorrangig national zusammengestellten Konvoi zu integrieren. Um einen Konvoi aus verschiedenen Handelsschiffstypen für einen Scheduled Group Transit sinnvoll zusammenzustellen, hat sich ein Verfahren bewährt, welches sicherstellt, dass die zu schützenden zivilen Handelsschiffe zum einen koordiniert durch den GOA fahren und zum anderen mit einer größtmöglichen Konvoidichte und unter bestmöglicher Radarüberwachung eines der dort stationierten Schiffe die besonders gefährdete Zone passieren. Dafür werden die Abfahrtszeiten an einem der beiden Endpunkte des IRTC entsprechend gestaffelt festgelegt; die langsameren Schiffe fahren zunächst vorweg, die schnelleren starten später und holen auf.
Abb. 4: Beispiel für einen koordinierten Scheduled Group Transit Obwohl bei der Operation Atalanta der Schutz der Schiffe des World Food Programmes (WFP) Vorrang vor allen anderen Aufgaben hat, bleibt aufgrund des vergleichsweise geringen Transportaufkommens des WFP von Mombasa, Dar-es- Salaam oder Mumbai Richtung Mogadishu bzw. von Djibouti kommend an die somalische Nordküste nach Berbera und Bosasso relativ viel Zeit und Gelegenheit für Geleitfahrten in den oben beschriebenen Konvoiverfahren.
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Operation Atalanta am Horn von Afrika
9. Herausforderungen und Verbesserungsbedarf Unzweifelhaft ist, dass die Situation in Somalia, also an Land, mit den mehr oder weniger separaten Entitäten Somaliland, Puntland sowie Zentral- und SüdSomalia und einer nicht existierenden Staatlichkeit, für den Anstieg der Pirateriefälle mitverantwortlich ist. Somit muss das Bestreben der Internationalen Gemeinschaft dahin gehen, zur Stabilisierung des Landes beizutragen. Dennoch kann auch auf und von See ein nicht unerheblicher Beitrag dazu geleistet werden. Dazu werden im Zuge der Vertrauensbildung Einweisungen, Unterrichtungen und Kooperationsprojekte mit verschiedenen nordostafrikanischen Küstenwachen durchgeführt. 54 Ebenso wurde in der Konferenz der Verteidigungsminister am 24. Februar 2010 die Ausbildung von somalischen Sicherheitskräften erwogen, die unter spanischer Leitung wahrscheinlich seit Mai 2010 in Uganda stattfindet. 55 Die Zahl der Angriffe und insbesondere der erfolgreichen Schiffsentführungen ist seit Dezember 2008 nachweislich zurückgegangen, dennoch bleibt zu bemerken, dass durch die Nichtbeachtung der empfohlenen Verfahren (seien es die Nichteinhaltung der nachstehend beschriebenen Abwehrmaßnahmen, das Befahren einer abseits gelegenen Route oder die Unterlassung einer Meldung per Funk/ per Internet an das MSC HOA) immer wieder einzelne Handelsschiffe zu Opfern für die Piraten werden. Somit muss einer der Schwerpunkte der künftigen Arbeit darin liegen, die Reeder zu einer verbesserten Meldedisziplin anzuhalten und sie ebenso dazu zu motivieren, die so genannten „best management practices“ 56 auf ihren Schiffen anwenden zu lassen. Diese Praktiken umfassen, dafür Sorge zu tragen, dass z.B. • im betreffenden Seegebiet die Ausgucks verstärkt werden, • der Maschinenraum permanent besetzt ist, um kurzfristig die Geschwindigkeit erhöhen zu können, • ein zu niedriges Freibord (Abstand zwischen Wasseroberfläche und der Oberkante der Bordwand) durch bauliche Maßnahmen erhöht wird,
54
55 56
North Atlantic Treaty Organisation (NATO), http://www.manw.nato.int/page_snmg1_ fAQ.aspx#Q:_What_is_NATO’s_role_in_the_fight_against_piracy, und beispielsweise: NATO Commander meets Puntland Coastguard, http://www.shape.nato.int/ page272205428.aspx, jeweils abgerufen am 08.03.2010. European Union Naval Force Somalia, EU NAVFOR Somalia – OPERATION ATALANTA Expands Its Mission On Piracy, http://www.eunavfor.eu/2010/02/eu-navforsomalia-operation-atalanta-expands-its-mission-on-piracy/, abgerufen am 06.03.2010. Eine umfangreiche Liste mit Empfehlungen zur Piratenabwehr findet sich auf der Website des britischen P&I-Clubs (Schiffsversicherer) unter http://www.ukpandi.com/ UKPandI/Infopool.nsf/html/BMPPiracy, abgerufen am 08.03.2010.
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Frank Reininghaus
• •
bei zu geringer Besatzungsstärke zusätzliches „Ausguckpersonal“ durch Aufstellen von präparierten Schaufensterpuppen simuliert wird oder Wassersprühanlagen und Stacheldrahtbarrieren in besonders gefährdeten Bereichen der Bordwand installiert werden.
Dass diese Maßnahmen einen Piratenangriff erfolgreich abwehren können, belegen die Statistiken des Internationalen Schifffahrtsbüros (International Maritime Bureau, IMB), einer Organisationseinheit der Internationalen Handelskammer (ICC). Der Jahresbericht 2009 und der „Live Piracy Report“ zeigen anhand verschiedener Beispiele, wie die Kapitäne der angegriffenen Handelsschiffe durch konsequente Anwendung der „best management practices“ den Piraten entkommen konnten. 57 Ein weiterer Aspekt sind die unterschiedlichen Gesetzesvorgaben der beteiligten Nationen; in der Vergangenheit gab es einige Beispiele, bei denen Piraten trotz offenkundiger seeräuberischer Absichten wieder freigelassen werden mussten, da die so genannten „Rules of Engagement“ (ROEs) und nationale Vorbehalte („caveats“) keine eindeutige Verfahrensweise hergaben; eines dieser Ereignisse fand am 18. April 2009 statt: Drei NATO-Schiffe und zwei Helikopter hatten insgesamt sieben Piraten nach einer stundenlangen Verfolgung festgesetzt, mussten sie jedoch aufgrund kollidierender Gesetzesvorgaben wieder auf freien Fuß setzen. Die Europäische Union hat dies nun derart gelöst, dass ein Auslieferungsabkommen mit Kenia und zwischenzeitlich auch mit den Seychellen geschlossen wurde. 58 Die Gerichtsverfahren für die bislang überstellten Piraten sind jedoch allesamt noch nicht abschlossen. 59 Verhandlungen über ein Auslieferungsabkommen mit Tansania, Mauritius und Südafrika werden angestrebt. 60 Dessen ungeachtet werden die festgenommenen Piraten manchmal nach ÜberBord-Werfen ihrer Waffen und Versenken ihres Schiffes oder Bootes an Land in der Nähe eines Hafens abgesetzt. Ein britischer Stabsoffizier bemerkt auf Nachfrage in der weiter oben genannten Fragestunde im britischen Parlament, dass die Resolutionen des Sicherheits57
58 59 60
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O.V., Piracy and Armed Robbery Against Ships, Annual Report 2009, ICC International Maritime Bureau, London, Januar 2010, S. 30 (z.B. 03./04./14.August 2009) und S. 35 (z.B. 16. August/05. September 2009) sowie http://www.icc-ccs.org/index.php?option= com_fabrik&view=table&tableid=534&calculations=0&Itemid=82, Meldungen vom 02. und 03.03.2010, abgerufen jeweils am 09.03.2010. Phalnikar, Sonia: NATO extends Anti-Piracy Mission, In: Deutsche Welle World, http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4320352,00.html, abgerufen am 11.03.2010. Siehe beispielsweise http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/en/Europa/Aussenpolitik/ ESVP/ATALANTA-Uebersicht.html und http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/ index.php/Mission_Atalanta, abgerufen jeweils am 11.04.2010. European Union Naval Force Somalia, http://www.eunavfor.eu/2010/02/eu-navforsomalia-operation-atalanta-expands-its-mission-on-piracy/, abgerufen am 06.03.2010.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
rates trotz des Eindrucks, jede notwendige Handlungsoption zu eröffnen („to give (…) absolutely every facility (…) to tackle this problem”), teilweise zu unpräzise formuliert seien bzw. auch zu wenig Spielraum für proaktive Verfolgung von Piraten lassen würde. 61
10. Statistiken Vor Beginn der Operation Atalanta lag die Erfolgsquote für die Piraten bei 1:3, nach dem ersten Jahr Atalanta nur noch bei etwa 1:8,5, so der deutsche Konteradmiral Kähler im Dezember 2009; 62 diese Zahl wird vom International Maritime Bureau (IMB) in der Presse bestätigt. 63 Weiterhin registrierte das Loss Prevention Circular im Zeitraum März bis Dezember 2009 eine Gesamtzahl von 72 Angriffen im GOA, von denen nur 20% erfolgreich waren. Etwa die Hälfte der nicht erfolgreichen Angriffe geht darauf zurück, dass die Handelsschiffe sich an die „best management practices” gehalten haben. Es wurde für die zurückliegende Zeit die Abnahme der erfolgreichen Angriffe von ca. 50% gegen Ende 2008 auf unter 20% zu Beginn 2010 beobachtet. Ähnliches gilt im gleichen Zeitraum für das Somali-Basin, 85 Angriffen insgesamt stehen weniger als ein Drittel erfolgreiche Überfälle entgegen, die Abnahme betrug von fast 60 auf unter 30%. 64 Um den jahreszeitlich schwankenden Verlauf etwas genauer betrachten zu können, ist nachfolgend die Monatsstatistik für die Monate Februar 2009 bis Februar 2010 beigefügt. 65 Es muss bei Betrachtung all dieser Statistiken berücksichtigt werden, dass die Anzahl der Akte von Piraterie seit Anfang 2008 einen nahezu exponentiellen Anstieg aufweist 66 und daher nicht die absoluten, sondern nur die relativen Zahlen als Vergleich herangezogen werden können. Inwieweit die durch die vereitel61 62 63 64 65 66
United Kingdom Parliament, http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200910/ ldselect/ldeucom/999/correuc140110ev3.pdf, S. 19-20, Fregattenkapitän Dow, abgerufen am 09.03.2010. Italian Navy on its Way to take over the Lead, In: European Union Naval Force Somalia, 02.12.2009, http://www.eunavfor.eu/2009/12/italiannavy-on-its-way-to-take-over-thelead/, abgerufen am 08.03.2010. Schultz, Tery, Pirate-Hunting Headquarters, In: Global Post, 18.11.2009, http://www. globalpost.com/dispatch/european-union/091117/somali-pirates-atalanta, abgerufen am 08.03.2010. Loss Prevention Circular 02-10, Gard AS, Norway, Februar 2010, http://www.gard.no/ ikbViewer/Content/998003/No%2002-10%20Counter%20Piracy%20%20Follow%20 Best%20Management%20Practices%20(BMP).pdf, abgerufen am 10.03.2010. Quelle: Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Vortrag Februar 2010. O.V., Piracy and Armed Robbery Against Ships, Annual Report 2009, ICC International Maritime Bureau, London, Januar 2010, S. 5.
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Abb. 5: Aufstellung der versuchten und der erfolgreichen Piratenangriffe für den Zeitraum Februar 2009 bis Februar 2010 ten Kaperversuche erhöhte Zahl der Angriffe diesen Anstieg verursacht hat oder auch ob die illegale Fischerei in diesem Bereich aufgrund des Gebrauchs von Schusswaffen als potentielle Piraterie gewertet werden kann, lässt sich schwerlich quantifizieren.
11. Fazit Auch wenn mit den militärischen Mitteln der Operation Atalanta lediglich die Symptome einer nicht vorhandenen staatlichen Autorität in Somalia behandelt werden, hat der bisherige Verlauf gezeigt, dasss die Operation Atalanta als Erfolg verbucht werden kann. Zunächst gilt dies bei Betrachtung des Hauptauftrages, der Sicherung der Transporte des WFP. Diese erfolgreiche Bilanz hat Konteradmiral Peter Hudson für das Jahr 2009 (49 Schiffe des WFP und 14 Schiffe der African Union für AMISOM erfolgreich und ohne Zwischenfälle nach Mogadishu geleitet) bei einer Fragestunde im britischen Parlament am 14. Januar 2010 eindrucksvoll dargelegt. 67 Dies wird auch durch eine Reihe unterschiedlicher Statistiken belegt, deren detaillierte Vorstellung den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde.
67
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United Kingdom Parliament, http://www.publications.parliament.uk/pa/ld200910/ ldselect/ldeucom/999/correuc140110ev3.pdf, S. 4, abgerufen am 09.03.2010; auf die Frage des Vorsitzenden „You still have a 100 per cent record on that?“ konnte Admiral Hudson mit einem überzeugenden „We do.“ antworten. Insgesamt ein lesenswertes Dokument mit kritischen Fragen der Abgeordneten und kompetenten Antworten des derzeitigen Befehlshabers der Operation.
Operation Atalanta am Horn von Afrika
Nichtsdestotrotz darf die Schlussbetrachtung nicht uneingeschränkt positiv bzw. kritiklos ausfallen. Die Entwicklung darf z.B. nicht – ähnlich wie bei der UN-Mission UNIFIL im östlichen Mittelmeer – dahin gehen, dass sich aufgrund von erfolgreichen (Zwischen-)Bilanzen die Bereitschaft der EU-Mitgliedsstaaten, Kräfte zur Verfügung zu stellen, reduziert. Stete Präsenz ist hier gefordert, im Gegenteil, mit mehr Schiffen ließe sich auch für den außerhalb des GOA gelegenen Teil des Operationsgebietes eine höhere Abdeckung erreichen. Bezüglich des Tertiärauftrages Pirateriebekämpfung lässt sich schwerlich quantifizieren, wie hoch die Erfolgsquote sein würde, wenn alle Reeder sich ausnahmslos an die Empfehlungen des MSC HOA halten würden. Letztlich muss das Ziel aller Operationen im betreffenden Seegebiet sein, jedes Schiff sicher durch den GOA zu geleiten und ebensolches für den gesamten Bereich HOA/ Somali-Basin anzustreben. Von der organisatorischen und personellen Ausstattung wäre das MSC HOA dazu in der Lage, dennoch wird eine Erfolgsquote von 100% trotz aller Maßnahmen nicht erreichbar sein. Andererseits ist unstrittig, dass die Einhaltung der empfohlenen Maßnahmen und die Beachtung einiger Verhaltensweisen die Erfolgschancen der nach Kaperung eines Schiffes strebenden Piraten gegen Null gehen lassen. Die oben angesprochene institutionalisierte Kooperation auf dem vorhandenen Niveau könnte wohl intensiviert werden, jedoch hat dies nachrangige Priorität, da die Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene recht reibungslos funktioniert und durch zu starke Reglementierung ggf. sogar weniger effektiv ausfallen könnte. Trotz aller Erfolge muss es vorrangiges Ziel der internationalen Gemeinschaft sein, die Zustände an Land, in Somalia, dahingehend zu verbessern, dass das Land in sich stabilisiert wird, dass eine von großen Teilen der Bevölkerung (welchen Teils Somalias auch immer) akzeptierte Regierung ihre Amtsgeschäfte aufnimmt und dass die Piraten eine Möglichkeit sehen, durch eine legale Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Parallel dazu müssen die Fangflotten aus EU-Staaten und anderen Nationen aus dem Somali-Basin abgezogen werden, um die Lebensgrundlage für diese oftmals ehemaligen Fischer wieder herzustellen. Militärische Maßnahmen können dabei als notwendige, aber nicht wichtigste Bausteine bzw. Komponenten zur Stabilisierung Somalias betrachtet werden. Die hier vorgestellten und kurz erwähnten maritimen Missionen (Ocean Shield, Coalition Maritime Forces und insbesondere Atalanta) sind dabei zielführende Operationen zur Eindämmung der Piraterie im Golf von Aden und im Somali Basin.
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Herausforderungen der militärischen Operationsführung in Somalia
Herausforderungen der militärischen Operationsführung in Somalia
Bruno Günter Hofbauer Somalia rückte in den letzten Jahren wiederholt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der Grund dafür waren militärische Auseinandersetzungen, in die auch Streitkräfte westlicher Staaten verwickelt waren. Besondere Aufmerksamkeit hat der Einsatz internationaler Marinestreitkräfte vor der somalischen Küste im Indischen Ozean und im Golf von Aden auf sich gezogen, der durch die massiven Aktivitäten somalischer Piraten notwendig geworden war. Die Piraterie hat vor allem durch spektakuläre Entführungen von Handelsschiffen Eingang in die internationale Medienberichterstattung gefunden. Zurzeit laufen mehrere militärische Operationen im Raum des Horns von Afrika, die in unmittelbarer Beziehung zu Somalia stehen. Internationale Missionen unter Führung der EU („Operation Atalanta“), der NATO („Operation Ocean Shield“), aber auch nationale Missionen, wie jene der chinesischen Seestreitkräfte, sollen die Sicherheit für die Handelsschifffahrt in diesem Raum wieder erhöhen und die besonders wichtige Handelsroute durch den Golf von Aden sichern. In Somalia selbst wurden wiederholt Friedensmissionen an Land eingesetzt. Westliche Streitkräfte hatten in den 1990er-Jahren im Rahmen der UN-Mission UNOSOM I und II (1992-1995) versucht, Frieden herzustellen und mussten nach teilweise heftigen Auseinandersetzungen mit den lokalen Milizen das Land verlassen. Ebenso bekamen die äthiopischen Kräfte, die 2006 intervenierten, die Lage nicht unter Kontrolle. Die seit 2007 laufende Operation der Afrikanischen Union (AMISOM), die auf einem UN-Mandat beruht, soll die Übergangsregierung stützen und den Dialog zwischen den verfeindeten Parteien möglich machen. AMISOM wird jedoch zunehmend selbst zur Zielscheibe und auch die im Sommer 2010 beschlossene Verstärkung der Friedenstruppe erscheint nicht geeignet, den Frieden in Somalia herzustellen. So sind die Möglichkeiten dieser Truppe beschränkt und schon auf Grund der verfügbaren Kräfte auf den Raum der Hauptstadt Mogadishu fokussiert. 1 Die EU unterstützt im Rahmen der European Union Training Missions Somalia (EUTM) die Ausbildung von somalischen Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren, um selbstständige militärische Fähigkeiten für die somalische Zentralregierung heranzubilden. Diese Ausbildung findet jedoch nicht in Somalia 1
Vgl. Gettleman, Jeffrey: No Peace to keep in Somalia. In: Intenational Herald Tribune, 29.7.2010, S. 2.
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selbst, sondern in Uganda statt. Die EU beteiligt sich zudem an der Finanzierung der AU-Mission in Somalia. 2 Wiederholt wird die Frage eines neuerlichen verstärkten, aktiven Engagements des Westens in Somalia diskutiert. Wirkung mit militärischen Mitteln wäre auch ein Teil eines solchen Engagements, da schon bei der herrschenden Sicherheitslage die Herstellung eines sicheren Umfeldes Voraussetzung für jede nachfolgende Tätigkeit wäre. In diesem Beitrag sollen wesentliche Herausforderungen einer Operation westlicher militärischer Kräfte in Somalia beleuchtet werden, wobei vor allem auf Raum und Kraft eingegangen werden soll. Der aktuelle Konflikt und die Bedrohungen stehen nicht im Zentrum der Betrachtungen. 3 Militärische Operationen werden im österreichischen militärischen Verständnis grundsätzlich im Verbund der verschiedenen Teilstreitkräfte (joint), multinational (combined), aber auch in Kooperation mit nicht-militärischen Akteuren (interagency) durchgeführt. 4 Für die Planung einer militärischen Operation in Somalia sind, abgesehen von der konkreten Bedrohung durch Kräfte, die einer solchen Intervention einer westlich geprägten Allianz negativ bis feindlich gegenüberstehen, auch andere Faktoren zwingend zu berücksichtigen.
Allgemeine Rahmenbedingungen Die Distanz zwischen Somalia und Brüssel beträgt etwa 6 000 km Luftlinie. Aus dieser Distanz lässt sich bereits folgern, dass die strategische Aufmarschbewegung in das Operationsgebiet mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Somalia ist ein schmales Land, das sich von der kenianischen Grenze nach Norden erstreckt und etwa 200-300 km von der Küste in das Innere des afrikanischen Kontinents reicht. Grundsätzlich handelt es sich um ein flaches, trockenes Gebiet mit ausgeprägten Plateaus, lediglich im Norden reichen die äthiopischen Massive bis nach Somalia und erreichen in Somaliland mit 2 408 m ihre höchste Erhebung. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt etwa 1 200 km, was der Strecke Hamburg-Marseille gleich kommt. Die Ausdehnung zwischen dem Horn am Golf von Aden und der Grenze zu Kenia beträgt beinahe 1 800 km. Dies entspricht der Distanz zwischen Madrid-Budapest. Alleine diese Distanzen lassen 2 3 4
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Vgl EU NAVFOR Operation Headquarters: European Union Naval Operation Against Piracy. Factsheet. Darstellung der Bewertung beruht auf den Arbeiten in Zusammenhang mit dem Planspiel Joint Wargame Horn of Africa. Die Grundlagen bilden u.a. Jane’s Sentinel Security Assessment – Somalia, zuletzt abgefragt 21.7.2010. Vgl. Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport: Dienstvorschrift für das Bundesheer – Operative Führung, S. 26 ff.
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die räumliche Dimension und die daraus resultierenden Herausforderungen erahnen. Das Klima ist durch zwei Regenzeiten geprägt, die besonders im südlichen Teil Somalias massive Auswirkungen haben. Die höchsten Temperaturen liegen im Jahresdurchschnitt bei 42°C, die niedrigsten bei 29°C, wobei vor allem im Innenland die Temperaturen sehr extrem sind. Die Regenzeit „Gu“ dauert von April bis Juni. Die zweite Regenzeit „Day“ hält von Ende September bis November an. In den Regenzeiten muss im südlichen Teil Somalias mit umfangreichen Überschwemmungen gerechnet werden, durch welche die Bewegung am Boden massiv eingeschränkt und behindert wird. Es herrscht im süd-somalischen Raum eine 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass massive Überschwemmungen auftreten, welche die Räume um die beiden Hauptflüsse Shabeelle und Jubba betreffen. Aus den Regenzeiten und den Überschwemmungen ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass für Einsätze im Raum Südsomalias Bewegungen am Boden verlangsamt und teilweise unmöglich gemacht werden. Eingesetzte Kräfte sind mit entsprechender Pionierkapazität auszustatten und der Lufttransport gewinnt eine höhere Bedeutung. Im mittleren und nördlichen Teil Somalias, also in Puntland und Somaliland, ist die Wahrscheinlichkeit großräumiger Überschwemmungen wesentlich geringer. Hier kann es jedoch in den ausgetrockneten Flusstalern zu überraschenden und somit gefährlichen Hochwassern kommen. In den von den Wassermassen betroffenen Räumen erhöht sich zusätzlich die Gefahr durch endemische Erkrankungen für die dort eingesetzte Truppe. Die Soldaten sind einerseits durch Präventivmaßnahmen wie Impfungen im Rahmen der Einsatzvorbereitung zu immunisieren und andererseits auch während des Einsatzes entsprechend zu betreuen, um den nötigen Schutz aufrecht zu erhalten, wobei besonders der Malariavorbeugung ein hoher Stellenwert einzuräumen ist. Aufgrund der mangelnden Möglichkeit, sich auf lokal verfügbare Sanitätseinrichtungen abzustützen, sind diese jedenfalls im erforderlichen Umfang durch die militärischen Kräfte verfügbar zu halten. Durch die geografischen Bedingungen bietet sich vor allem in der ersten Phase einer Operation die Stationierung einer solchen Einrichtung auf See in Verbindung mit ausreichender Sanitätshubschrauberkapazität an. Zusätzlich ist die Sanitätsversorgung an die gegebene Bedrohung anzupassen und auch auf die eventuelle Notwendigkeit abzustimmen, Sanitätsversorgungsmaßnahmen für die lokale Bevölkerung zu leisten. Selbst wenn die Sanitätsversorgung für die lokale Bevölkerung nicht eine primäre Aufgabe für militärische Kräfte darstellt, kann doch indirekter Druck entstehen, auch in diesem Bereich Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, bis zivile Hilfsorganisationen diese Aufgabe erfüllen können. Die herrschende Luftfeuchtigkeit im südlichen Teil Somalias und die allgemein hohen Temperaturen lassen einen unmittelbaren Einsatz europäischer Soldaten in diesem Operationsgebiet nicht ohne Risiko zu – eine 227
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Phase der Akklimatisierung ist jedenfalls vorzusehen und einzuplanen. Erst nach einer Phase von ca. 5-7 Tagen können Soldaten, die im Lufttransport aus Europa herangeführt werden, damit beginnen, ihre militärischen Aufträge zu erfüllen. Für die Akklimatisierung wären entweder sichere Räume in Somalia selbst vorzusehen, die durch andere Kräfte gesichert werden müssen, oder es ist in der ersten Phase in ein Gastland im Umfeld Somalias auszuweichen, in welchem die Klimaanpassung der Soldaten durchgeführt wird. Von dort können die Truppen im operativen Transport in den unmittelbaren Einsatz verlegt werden. Marineinfanteriekräfte, die im Seetransport in den Raum Horn von Afrika verlegen, können jedoch ohne Verzug eingesetzt werden und nach Anlandung beispielsweise die Aufnahme weiterer Kräfte sichern. Auf Grund der klimatischen Bedingungen sind auch entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen für das verwendete Gerät vorzusehen. Sowohl im nördlichen wüstenähnlichen, wie auch im südlichen Savannenraum sind technische Vorsorgen zu treffen, da außergewöhnliche Belastungen und damit erhöhte Ausfallsraten zu erwarten sind. Shelter, Container mit technischem Gerät und Unterkünfte werden bei länger dauernden Operationen mit Klimatisierung auszustatten sein. Auch für die Anfangsphasen sind jedenfalls Vorkehrungen für die ausreichende Kühlung der technischen Geräte, hier vor allem der Computersysteme, und verderblicher Waren zu treffen. Für die eingesetzten Soldaten ergibt sich ein erhöhter Bedarf an Wasser. Der Bedarf an Wasser und Lebensmitteln würde in Somalia selbst nicht voll abzudecken sein und diese Güter werden vor allem in der Anfangsphase einer Operation im Seeoder Lufttransport in das Operationsgebiet zu transportieren sein.
Eintritt nach Somalia und Verkehrsinfrastruktur Auf Grund der strategischen Distanz zwischen Europa und Somalia ist zu berücksichtigen, dass Soldaten und deren Großgerät mit Masse getrennt herangeführt werden müssen. Für die Verlegung im Lufttransport sind etwa acht Stunden Flugzeit zu berechnen, während die Seeverlegung aus nordeuropäischen Häfen etwa 21, aus dem Mittelmeer etwa 14 Tage dauert, ohne hier lange Wartezeiten für Be- und Entladung sowie Verzögerungen als Folge der nötigen Passage durch den Suezkanal einzukalkulieren. Für den Aufmarsch über See ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass auch der Transfer durch den Bab el Mandeb, die Meeresenge zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden, eine verstärkte Koordination mit der hier sehr starken zivilen Handelsschifffahrt notwendig macht und je nach Lage für diesen Raum auch eigene maritime Sicherungskräfte benötigt werden. Die strategischen Lufttransportmittel der westlichen Streitkräfte – und hier speziell der europäischen Nationen – sind derzeit und auch in absehbarer Zukunft keinesfalls ausreichend dimensioniert, um umfangreichere Kontingente mit 228
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ihrem Großgerät in das Operationsgebiet zu verlegen. Die Soldaten werden mit militärischem und zivilem gechartertem Lufttransportraum in die Region geflogen, während mit Seetransportmitteln, die üblicherweise auf dem zivilen Markt angemietet werden, Großgerät verlegt wird. In weiterer Folge ist die Mannschaft wieder mit dem Gerät zusammenzuführen, bevor der eigentliche Einsatz beginnen kann. Abhängig von der Bedrohungslage könnte diese Zusammenführung in Somalia selbst oder in einem benachbarten Land durchgeführt werden. Wesentlich ist jedoch, dass berücksichtigt wird, dass für die Zusammenführung von Mannschaft und Gerät nach der strategischen Verlegung Sicherungskräfte nötig sind, die entweder Teil der Streitmacht sind oder durch das Gastland gestellt werden. Dieser Vorgang wird Reception, Staging, Onward Movement and Integration (RSMO&I) genannt. Der Ort, an dem RSOM&I durchgeführt wird, sollte idealerweise in der Nähe eines leistungsfähigen Seehafens und eines Flughafens liegen, um unnötige und potentiell gefährdete Truppenbewegungen zu vermeiden. Weiters muss ausreichend Platz und Infrastruktur zur Aufnahme von Personal und Material vorhanden sein. Oft müssen in den Sammelräumen noch letzte technische Anpassungen am Gerät vorgenommen werden, um es für den Einsatz in der jeweiligen Klimazone vorzubereiten. Für die Verlegung von Luftstreitkräften wird es nötig sein, Vorkehrungen für Tankstopps bzw. Luftbetankung zu schaffen. Dazu bietet sich beispielsweise Ägypten als Host Nation durch seine günstige Lage direkt an der Flugroute an. Für den RSOM&I-Vorgang sind in Somalia selbst nur beschränkte Kapazitäten verfügbar. Die Seehäfen, in welchen Kapazitäten für die Aufnahme militärischer Kräfte grundsätzlich vorhanden sind, umfassen in Süd-Somalia: Baraawe, Kisimayo und Mogadishu, in Puntland Bossasso und in Somaliland Berbera. Die Häfen in Bossasso und Berbera haben in den letzten Jahren ihre Kapazitäten erhöhen können, während das in den südsomalischen Häfen vor allem wegen der angespannten Sicherheitslage in den letzten Jahren nicht möglich war. Zusätzlich bleibt für eine militärische Aufmarschbewegung zu berücksichtigen, dass auch andere Organisationen und hier vor allem die UNO die Hafeninfrastruktur nutzen. Die militärischen Kräfte sollten durch ihren Aufmarsch nicht die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Hilfsgütern behindern, da mögliche Gegner der Operation diese Tatsache mit negativer Berichterstattung in den Medien ausnutzen können und es zusätzlich zu Spannungen mit den zivilen Akteuren kommen könnte. Eine klare Koordinierung mit anderen Organisationen ist hier zwingend nötig und muss in der Planungsphase der Operation erfolgen. Die Flughäfen in Somalia sind durch die Kämpfe der letzten Jahrzehnte in Mitleidenschaft gezogen worden. Es gibt vier internationale Flughäfen: Berbera und Hargeysa in Somaliland sowie Kisimayo und Mogadishu in Süd-Somalia. In anderen Städten und Ortschaften gibt es Flugfelder, die oft nicht befestigt sind. Alleine durch diese infrastrukturellen Gegebenheiten ist der Eintritt in den Raum 229
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für eine militärische Kraft besonders in der Anfangsphase auf wenige Punkte, nämlich Berbera, Mogadishu und Kisimayo beschränkt. Durch entsprechende Ausbauarbeiten wäre auch Bossasso nutzbar, das über eine asphaltierte Landebahn verfügt. Sowohl für die Flug-, wie auch für die Seehäfen wird jedenfalls das Bereithalten von Kräften notwendig sein, die dazu befähigt sind, die vorhandene Infrastruktur auszubauen, um so die Aufnahmeleistung der Häfen zu erhöhen. Für das Erbringen solcher Leistungen wird es nötig sein, auch mit zivilen Firmen zusammenzuarbeiten, die für ihre Arbeiten jedoch ein grundsätzlich sicheres Umfeld bzw. eine Sicherung benötigen. Die Küstenlinie Somalias umfasst von der Grenze zu Kenia bis nach Dschibuti im Norden etwa 3 000 km. Ein Drittel der Strecke im Norden verläuft am Golf von Aden in Richtung Ost-West, parallel zu der ca. 300 km entfernten Küste Jemens, die restlichen zwei Drittel verlaufen Nordost-Südwest am Indischen Ozean. Im südlichen Bereich erstrecken sich Riffe von der kenianischen Grenze im Süden bis etwa in den Raum Mogadischu. Ganz im südlichen Bereich der Küste im Grenzgebiet zu Kenia befinden sich auch Mangrovensümpfe. Die Ausdehnung und Lage der Riffe sind bei der Planung einer militärischen Operation mit Seestreitkräften zu berücksichtigen, da eventuell Reserven auf See bereitgehalten werden und amphibisch an Land gebracht werden sollen, was durch die Riffe eingeschränkt wird. Die Sandstrände an der Küstenlinie zwischen Mogadischu und dem Golf von Aden, sowie die durchschnittliche Wellenhöhe von 3-9 Fuß schränken amphibische Bewegungen an Land nicht wesentlich ein. Je nach Bedrohungslage in Somalia lässt sich ableiten, dass die Abstützung auf vorhandene Infrastruktur im Umfeld und nicht in Somalia selbst von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Operationsführung ist. Dazu bieten sich, abhängig von den realpolitischen Gegebenheiten, Dschibuti, der Jemen, Oman und Kenia an. Die Einsatzführung kann auch aus Äthiopien oder von den Seychellen unterstützt werden. Entsprechende Abkommen sind auf diplomatischer Ebene in der Vorbereitungs- und Planungsphase abzuschließen. Für die Unterstützung einer Einsatzführung im südlichen Teil Somalias eignet sich vor allem Kenia als Host Nation. Dieses Land liegt nicht nur in räumlicher Nähe, sondern verfügt auch über entsprechend gute Infrastruktur in einem relativ sicheren Umfeld. Das Straßennetz in Somalia ist in einem äußerst schlechten Zustand. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs gab es über 21 000 km Straßen, von denen 13% asphaltiert waren. Heute sind die meisten Straßen verfallen und viele Verbindungslinien im Süden während der Regenzeit oft nicht brauchbar. Die Verbindungslinien zwischen Nord- und Süd-Somalia sind kaum ausgebaut und oft nur Pisten. Besser gestaltet sich das Wegenetz in Somaliland (Bewegungslinie Berbera-Hargeysa-Äthiopien) und Puntland (Bewegungslinie Bossasso-Galcaio). Für den Einsatz militärischer Kräfte ist daher dringend Straßenbaukapazität vorzusehen, wobei als erschwerend berücksichtigt werden muss, dass kaum lokale 230
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Unternehmen zur Unterstützung unter Vertrag genommen werden können, da diese nur eingeschränkt vorhanden sind. In Somalia gibt es kein Eisenbahnnetz, was den Landtransport von Mengenversorgungsgütern zusätzlich erschwert. Transporte innerhalb Somalias sind daher an das schlechte Straßennetz gebunden und es wird unter Umständen auch für die militärischen Kräfte nötig sein, Transportraum auf dem zivilen Markt aufzubringen. Dies führt auch zu einer Konkurrenz mit anderen im Raum agierenden Organisationen. Hier sind Absprachen und koordinierende Maßnahmen zwischen diesen Organisationen und den militärischen Kräften zu treffen, um eine Kostenexplosion und ein gegenseitiges Überbieten zu verhindern. Für die militärischen Kräfte muss gefolgert werden, dass Straßentransportmittel in ausreichendem Umfang vorzusehen sind, die auch über eine der Bedrohung angepasste Sicherung verfügen müssen. Für die Sicherstellung des Überlandtransports ist es nötig, im Abstand der durch LKW an einem Tag bewältigbaren Strecke gesicherte Rastplätze zu errichten und zu betreiben. Daher werden solche Basen entlang der Hauptverbindungslinien etwa alle 300 km zu planen sein. Zusätzlich wird, vor allem bei steigender Bedrohung an den Landbewegungslinien, taktischer Lufttransport einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Für diese taktischen Fliegerkräfte wird es nötig sein, auch abseits der internationalen Flughäfen Flugfelder auszubauen, zu betreiben und für deren Sicherung zu sorgen. Auch die Übernahme der Luftraumkontrollautorität wird, je nach Umfang der Operation, für einen Teil oder den gesamten Luftraum über Somalia durch die militärischen Kräfte vorzusehen sein. Derzeit erfolgt die Luftraumbewirtschaftung für den internationalen zivilen Flugverkehr von Nairobi aus. Durch die geografische Dimension Somalias und seine lange schmale Form wird der Einsatz von seegestützten Einsatzmitteln erleichtert. In der Manöverphase können Reserven seegestützt bereitgehalten und rasch verschoben werden. Aber auch trägergestützte Seefliegerkräfte und Naval Gun Fire Support können die Truppe an Land mit Wirkung unterstützen. Logistische Basen auf See erhöhen zusätzlich die Flexibilität der Einsatzkräfte und ermöglichen geschützte Disposition.
Bevölkerung und Kräfte Somalia ist ein sehr dünn besiedeltes Land und es gibt nur ungenaue Angaben über die Bevölkerungsanzahl. 2004 wurde die gesamte Bevölkerung auf etwa 6,5 Millionen Einwohner geschätzt, andere Quellen schätzen die Bevölkerungszahl auf 8,7 Millionen. 5 Die Bevölkerungsverteilung ist durchwegs unterschiedlich, 5
Vgl. Fischer Weltalmanach 2010, S. 467 ff.
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so leben in Süd-Somalia im Durchschnitt 22, in Somaliland 15 und in Puntland nur 6 Einwohner pro km2. Die Bevölkerung ist zusätzlich stark in den Ortschaften und Städten konzentriert. Für militärische Kräfte hat das zur Folge, dass man in den Ortschaften wirken muss, um die Bevölkerung zu erreichen. Dies ist in einem Stabilisierungseinsatz von größter Bedeutung. Durch die unüberschaubare Struktur der Städte und Ortschaften wird jedoch eine solche Einsatzführung nicht unterstützt. Die Notwendigkeit, über entsprechende infanteristische Truppen, aber auch Info-Ops- oder CIMIC-Kräfte zu verfügen, lässt sich ableiten. Das Herstellen und Halten eines aktuellen Lagebildes stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die Bevölkerung in Somalia ist grundsätzlich homogen. Es handelt sich zu 95% um Somalis. Die traditionellen Klanstrukturen, in denen lokale Führer ihre Macht ausbauen und ausnutzen wollen, tragen allerdings einen hohen Anteil an der aktuellen chaotischen Situation im Land. Die großen Klans umfassen die Dir und Issaq in Nordwest-Somalia, den Klan der Darod in Puntland, Ogaden und im kenianischen Grenzgebiet, die Hawiya im südlichen Puntland und nordwestlich Mogadishu, sowie die Rahanwein- und Digil-Klans südöstlich von Mogadischu bis zum Jubbah-Tal. 6 Diese komplexen Klanstrukturen sind für eine militärische Kraft, die von außen in Somalia wirksam wird, von hoher Bedeutung. Es geht nicht nur um das grundsätzliche Verständnis für das Vorhandensein der Klans, sondern auch um den Umgang mit diesem System. Die Somalis sind größtenteils sunnitische Moslems und in weiten Teilen des Landes gilt das islamische ShariaRecht. Somit sind nicht nur die Klanstrukturen zu beachten, sondern es gilt auch, die Rahmenbedingungen des islamischen Systems zu berücksichtigen. Allein aus diesem Faktor kann ein Gegensatz zwischen der somalischen Bevölkerung und einer westlichen militärischen Macht entstehen, der leicht geschürt und instrumentalisiert werden kann. Das Herstellen eines umfassenden kulturellen Bewusstseins ist daher bereits in der Vorbereitungsphase für die Soldaten aller Ebenen von hoher Bedeutung. Die Hauptsprache ist Somali, wobei teilweise auch arabisch und englisch gesprochen wird. Die Notwendigkeit, ausreichend Sprachmittler für die militärische Einsatzführung zur Verfügung zu haben, ist evident. Es wird aber auch dabei auf Klanzugehörigkeiten zu achten sein. Die große somalische Diaspora, die sich auch in westlichen Staaten aufhält, kann hier von Nutzen sein. Die Bevölkerung verfügt über eine Vielzahl von leichten Infanteriewaffen. Schätzungen zufolge gibt es etwa 15 Millionen solcher Waffen in Somalia, was 1,7 Waffen pro Einwohner entspricht. Dies birgt ein enormes Gefährdungspotenzial in sich, eine Entwaffnung ist wenig aussichtsreich, da Waffen als Statussymbol gelten. 6
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Vgl.: Hainzl, Gerald/Feichtinger, Walter: Die somalische Gesellschaft. In: Piraten und Islamisten – Wen interessiert Somalia?, IFK-Aktuell, April 2010, S. 8.
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Die Klanzugehörigkeit schlägt auch auf die militärischen Kräfte in Somalia durch. So soll es sich bei den Truppen, die dem Transition Federal Government loyal gegenüberstehen, primär um Angehörige des Darod-Klans handeln. Die Verlässlichkeit dieser Kräfte, die seit Anfang Mai 2010 durch die EUTM unterstützt werden, ist zumindest kritisch zu betrachten. Daher bleibt auch fraglich, ob diese überhaupt für Unterstützungsleistungen oder Sicherungsaufgaben für eine ausländische Stabilisierungskraft herangezogen werden können. Für einen möglichen Einsatz westlicher Kräfte im Somalia bleibt zu berücksichtigen, dass sich die Planungen auch stark an der aktuell herrschenden Bedrohung orientieren müssen, die in diesem Beitrag zwar nicht im Zentrum der Betrachtung steht, jedoch nicht ganz weggelassen werden kann. Es ist derzeit festzustellen, dass die Kräfte der African Union, die im Rahmen von AMISOM bemüht sind, das Transition Federal Government zu unterstützen, massiv unter Druck durch von Aufständischen, hier vor allem die Al-Shabab-Bewegung, gekommen sind. Diese Kräfte agieren mit asymmetrischen Methoden, setzen Kindersoldaten ein und exportieren auch Gewalt in Räume außerhalb Somalias. 7 Rechtliche Grenzen sind diesen Gegnern fremd. Das Kriegsvölkerrecht spielt in ihrem Vorgehen keine Rolle, Einschränkungen und Rules of Engagement einer westlichen Streitmacht werden gezielt ausgenutzt. Al-Shabab, was auf Arabisch soviel wie Jugend bedeutet, wird für die Bombenanschläge in Uganda im Sommer 2010 verantwortlich gemacht. 8 Diese Fakten sind jedenfalls auch bei einem Einsatz in der Zukunft zu berücksichtigen, da sich zwar die Namen der Gruppierungen ändern können, jedoch ihre Methoden wahrscheinlich gleich bleiben. Für eine internationale Truppe in Somalia ist auch das Verhältnis zwischen den einzelnen Regionen des Landes wichtig. Südsomalia, die autonome Region Puntland und Somaliland, das seine Unabhängigkeit erklärt hat, haben unterschiedliche Interessen und Ziele und werden von unterschiedlichen Kräften von außen unterstützt. Diese politischen Rahmenbedingungen sind nämlich nicht nur in Zusammenhang mit der grundsätzlichen Ausgewogenheit eines Kräfteeinsatzes und der Unparteilichkeit zu sehen, sondern haben auch eine rechtliche Dimension. Verträge zwischen den eingesetzten Kräften und regionalen Vertretern müssen rechtsgültig sein und es ist in diesem System eine große Herausforderung, autorisierte und anerkannte Vertreter als Ansprechpartner zu finden. Im Falle eines Einsatzes macht schon allein die räumliche Dimension eine klare Schwergewichtsbildung in bestimmten Räumen notwendig. Ein flächendeckender Einsatz in ganz Somalia ist realistischerweise kaum durchführbar, da dafür Kräfte an Land über Korpsstärke notwendig wären, wozu noch umfassende Flieger und Seestreitkräfte hinzukommen würden. Bei einem so hohen Kräfte7 8
Vgl. Hansen, Stig Jarle: Shabab Central – Africa’s Taliban grow more unified. In: Jane’s Intelligence Review, 16.07.2010. Vgl. Somaiya, Ravi: Who is A1-Shabab? In: Newsweek, 12.7.2010.
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einsatz ist die Durchhaltefähigkeit anzuzweifeln, da nicht zu erwarten ist, dass sich innerhalb einer relativ kurzen Phase die Lage so stabilisieren würde, um eine essentielle Truppenreduzierung zu ermöglichen. Wie der laufende Einsatz in Afghanistan zeigt, stellen sich potentielle Gegner rasch auf die Einsatzweise westlicher Streitkräfte ein, nützen deren Schwächen aus und warten den Abzug der fremden Kräfte ab, um danach die aufgebauten Strukturen wieder zu zerstören. Auch bei einem möglichen Einsatz mit Schwergewicht im Süden Somalias, in dem die Lage den Einsatz einer Stabilisierungsstreitkraft am ehesten notwendig machen würde, ist zu berücksichtigen, dass hier nicht nur die Operationsführung durch die klimatischen Bedingungen im Vergleich erschwert wird, sondern auch dieser Raum eine große militärische Kraft erforderlich macht, will man entsprechende Präsenz zeigen. Eine Operation zur Stabilisierung und Unterstützung des Wiederaufbaues staatlicher Strukturen in Somalia müsste sich primär an der Bevölkerung orientieren, natürlich, ohne die Bedrohung außer Acht für die Interventionskräfte zu lassen. Geht man von einer durchschnittlichen Notwendigkeit von 20 Soldaten pro 1 000 Zivilisten aus, so wären für einen Einsatz in SüdSomalia bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 2,5 bis 2,8 Millionen etwa 25 000 Bodentruppen nötig. Zusätzlich müssen natürlich die räumliche Dimension, die Infrastruktur und die klimatischen Bedingungen berücksichtigt werden – die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von Hubschraubern zur raschen Verlegung von Kräften wird neuerlich unterstrichen. (In Afghanistan liegt das Verhältnis im Herbst 2010 bei 4,4 Soldaten (27 Mio. Einw.), in Bosnien war es im Rahmen von IFOR 1996 22 und im Kosovo lag es 1999 bei 23 Soldaten pro 1 000 Einwohner). 9 Um den erwartbar großen Raum überhaupt ausreichend überwachen zu können, ist es notwendig, über ausgeprägte Aufklärungsmittel zu verfügen. Dabei haben Drohnen, aber auch HUMINT- und Spezialeinsatzkräfte einen sehr hohen Stellenwert. Eine Vergleichbarkeit mit Einsätzen auf dem Balkan in den 1990erJahren ist jedoch kaum gegeben, da schon allein der Aufmarsch in den Raum ungleich schwieriger wäre und die infrastrukturellen Bedingungen völlig unterschiedlich sind. Vor allem aber bleibt zu berücksichtigen, dass der politische Wille zum Eingreifen kaum vorhanden ist, da auch wenige wirtschaftliche Interessen am somalischen Raum bestehen. Die Einsatzführung muss sich auf die bevölkerungsreichen Gebiete konzentrieren, um dort auch Zugang zur Bevölkerung zu finden und eine mögliche Unterstützung für die eigene Operationsführung zu erhalten. Es wird daher nötig sein, die Informationskampagnen gezielt auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen abzustimmen und bei der Zusammenarbeit mit lokalen Sicherheitskräf9
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Vgl. Quinlivan, James T.: Burden of Victory – The Painful Arithmetic of Stability Operations. In: Rand Review, Summer 2003, S. 28 f.
Herausforderungen der militärischen Operationsführung in Somalia
ten auf die Zugehörigkeit zum richtigen Klan zu achten. Eine besondere Herausforderung wird auch die Aufgabe, einen gewissen Grad an Rechtssicherheit herzustellen, wobei grundlegend unterschiedliche Auffassungen zwischen islamischem und westlichem Recht zu beachten sind. Zusätzlich ist zu bedenken, dass ein solcher Einsatz in Somalia enorme Kosten mit sich bringen würde, die durch die truppenstellenden Nationen nur dann getragen werden, wenn es dafür auch einen entsprechenden Nutzen gibt. Das Erreichen einer hohen Akzeptanz eines solchen Einsatzes würde wohl nicht nur in Somalia selbst, sondern auch in den Herkunftsländern selbst eine sehr große Herausforderung darstellen. Sicherlich ist es im Interesse der westlichen Staatengemeinschaft, die Bildung von Terrorzellen in Somalia und die Nutzung des Raumes durch solche Gruppierungen zu unterbinden, da sich dadurch nicht kalkulierbare Risiken und eine Destabilisierung der gesamten Region ergeben können. Auch die Bedrohung der internationalen Schifffahrt, die derzeit von somalischen Piraten ausgeht, ist ein Aspekt, der beachtet werden muss. Allerdings wird sich langfristig auch hier nur die Herausbildung somalischer Fähigkeiten zur Unterbindung der Piraterie als Lösung anbieten. Es stellt sich die Frage, wie realistisch der Einsatz einer umfassenden westlichen militärischen Kraft überhaupt ist. Denn einerseits muss die sicherlich nicht zu vernachlässigende Bedrohung der eingesetzten Kräfte in Verbindung mit der möglichen Wahrnehmung einer europäischen Streitmacht als kolonialer Besatzer beachtet werden und andererseits dürfen auch die Rahmenbedingungen, die sich aus der Analyse des Umfelds ergeben, nicht vergessen werden. Sollte es trotz aller widrigen Rahmenbedingungen zu einem umfassenden Einsatz westlicher militärischer Kräfte in Somalia kommen, so ist eine ausgewogene Streitmacht nötig, die über ausreichende Kampfkraft und Unterstützungsfähigkeiten verfügt, die rasch verlegbar und flexibel einsetzbar ist. Ihre Logistik muss an die speziellen Umstände angepasst sein und die Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Truppengattungen muss ebenso beachtet werden wie die Abstützung auf die Fähigkeiten aller Teilstreitkräfte. Dem Herstellen eines ausreichenden Lagebildes wird besonderes Augenmerk zu schenken sein. Die Unterstützung des Aufbaus verlässlicher Streitkräfte, die eine legitimierte Regierung unterstützen, stellt sicherlich eine Möglichkeit für die internationale Staatengemeinschaft dar. Dabei kommt jedoch der Frage nach der Legitimität der Regierung eine zentrale Rolle zu. Durch westliche Unterstützungsleistungen können unmittelbare Schwierigkeiten gelindert und kurzfristig militärische Erfolge erzielt werden. Es werden jedoch die Wurzeln der einander beeinflussenden unterschiedlichen Konflikte weder bereinigt noch die Akzeptanz einer gemeinsamen Regierung dauerhaft gesichert werden. Dazu hat die somalische Gesellschaft den Schlüssel selbst zu finden und auch Verantwortung zu übernehmen. 235
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
Afrika – eine logistische Herausforderung Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
Stefan Lampl Die Einsatzbedingungen von Streitkräften für zukünftige Krisen- und Konfliktbewältigungseinsätze am Kontinent Afrika sind gekennzeichnet durch große strategische Entfernungen von den geographischen Grenzen der Europäischen Union (EU), schwieriges Gelände, widriges Klima, Mangel an wesentlichen infrastrukturellen Einrichtungen und begrenzte logistische Unterstützungsmöglichkeit durch die Staaten im Einsatzraum. Diese angeführten Faktoren haben einen beträchtlichen Einfluss auf den Umfang des logistischen Aufwandes, um die Einsatzbereitschaft und die Wirksamkeit sowie die Durchhaltefähigkeit von europäischen Streitkräften am Kontinent Afrika sicherzustellen. Der Einsatz von EUFOR/TSCHAD RCA, an dem auch das Österreichische Bundesheer (ÖBH) mit kompaniestarken Kräften teilnahm, war die bisher größte und wahrscheinlich auch anspruchvollste militärische Operation der EU in einem zentralafrikanischen Einsatzraum. Dieser Einsatz mit einer Truppenstärke von nur 3 700 Mann, der vor allem in einem Raum durchgeführt wurde, in dem beinahe keine Infrastruktur vorhanden ist und die Temperaturen häufig über 40°C liegen, hat die zu bewältigenden logistischen Herausforderungen bei einem Einsatz von Streitkräften unter extremen Umfeldbedingungen besonders deutlich gezeigt. Erfahrungen, die besonders auf logistischem Gebiet gesammelt wurden, werden den teilnehmenden europäischen Streitkräften, aber insbesondere auch dem ÖBH helfen, sich besser und effizienter auf zukünftige Einsätze dieser Art und in derartigen fordernden Einsatzräumen vorzubereiten. In diesem Beitrag wird dargestellt, welche wesentlichen Umfeldbedingungen die logistischen Planungsverantwortlichen mit Schwergewicht der operativen Führungsebene bei einem zukünftigen Einsatz von europäischen Streitkräften am Kontinent Afrika zu berücksichtigen haben.
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Allgemeine logistische Aufbau- und Ablauforganisation Militärische Einsätze werden grundsätzlich auf der militärstrategischen, 1 operativen 2 und taktischen 3 Führungsebene geplant und durchgeführt. Die militärische Logistik hat das Ziel, dem verantwortlichen Kommandanten die erforderlichen Sachgüter und Dienstleitungen zur Verfügung zu stellen, um Einsatzbereitschaft rasch aufzubauen, damit der Auftrag erfüllt werden kann. Nachhaltige logistische Pläne für die Durchführung von militärischen Operationen müssen alle drei Führungsebenen umfassend und detailliert behandeln. Es muss jedoch hier festgehalten werden, dass sich in der Praxis die logistischen Aufgaben der jeweiligen Führungsebene nicht klar abgrenzen lassen und zum Beispiel Logistiktruppen, die der operativen Führungsebene zugewiesen sind, bei Bedarf auch für Aufgaben auf militärstrategischer und taktischer Führungsebene eingesetzt werden. Zur bessseren Verständnis der militärischen Logistik werden die logistischen Aufgaben der militärstrategischen, operativen und taktischen Führungsebene kurz dargestellt.
Militärstrategische logistische Ebene Die logistische Planung auf der militärstrategischen Führungsebene unterstützt die einzelnen Nationalstaaten bei der Durchsetzung ihrer in der nationalen Sicherheitspolitik festgelegten strategischen Ziele. Militärlogistik auf dieser Führungsebene befasst sich mit der Bevorratung zur Gewährleistung einer Mobilmachung, der nationalen Rüstung/Beschaffung, dem logistischen Beitrag zur Streitkräfteplanung, dem strategischen Transport sowie der strategischen Aufbietung und Bereitstellung von logistischen Mitteln im Einsatzraum.
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Vgl. Militärisches Lexikon des ÖBH: Auf Ebene der militärstrategischen Führung wird der Einsatz der insgesamt zur Verfügung stehenden militärischen Kräfte und Mittel so aufeinander abgestimmt, dass ein auf die politischen Zielvorgaben hin ausgerichteter militärischer Beitrag sichergestellt werden kann. Sie setzt dabei politische Vorgaben in militärische Ziele um. Vgl. Militärisches Lexikon des ÖBH: Die operative Führungsebene plant und führt Operationen zur Erreichung operativer und militärstrategischer Ziele in einem festgelegten Operationsgebiet. Vgl. Militärisches Lexikon des ÖBH: Die taktische Führungsebene plant und führt nach den Prinzipien der Auftragstaktik den Kampf der verbunden Waffen und den Einsatz der verbundenen Kräfte in einem ihr zugewiesenen Einsatzgebiet.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
Operative logistische Ebene Hauptaufgabe der logistischen Unterstützung auf der operativen Führungsebene ist die Herstellung und Unterhaltung von Verbindungslinien sowie die Versorgung der Truppe in einem Operationsgebiet gemäß den vom jeweiligen multinationalen Kommandanten festgelegten Prioritäten. Die operative Logistik umfasst die Unterstützung der Aufnahme von Truppenteilen, die Bereitstellung, den Weitertransport und die Integration von Soldaten und Material im Operationsgebiet (RSOM&I 4 ), den Auf- und Ausbau von Infrastruktur (z.B. Großlager), die Nutzung von durch Unterstützungsnationen bereitgestellten Ressourcen und der Verkehrsführung im Operationsgebiet.
Taktische logistische Ebene Die logistische Versorgung auf der taktischen Führungsebene dient der Aufrechterhaltung der Fähigkeit zur Durchführung des taktischen Auftrags durch die kontinuierliche Bereitstellung und Zuführung benötigter Versorgungsgüter im begrenzten Umfang. Auf der taktischen Ebene werden den Soldaten die wesentlichen zur Durchführung des jeweiligen Einsatzauftrages erforderlichen Funktionen wie z.B. Nachschub, Abschub, Transport, Materialerhaltung und weitere Dienstleistungen bereitgestellt. Führungsebenen Militärstrategische Führungsebene
Operative Führungsebene Taktische Führungsebene
Aufgaben der logistischen Ebenen • Betreiben von stationären Lagern • Einbindung der gewerblichen Wirtschaft • Transport • Errichten und Betreiben von feldmäßigen Großlagern und Infrastruktur • Nutzung des Host Nation Support • Transport • Mobile Lager • Transport
Verantwortungsbereich Heimatland
Einsatzraum
Operationsgebiet
Tabelle 1: Aufgaben der logistischen Ebenen 4
Reception, Staging, Onward Movement & Integration – RSOM&I.
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Logistischer Planungsprozess Die Planung der logistischen Unterstützung von militärischen Einsätzen umfasst wichtige Entscheidungen im Zusammenhang mit Kampf, Kampf-, Führungsund Einsatzunterstützung auf allen Führungsebenen. Die logistische Planung muss daher vollständig in den militärstrategischen, operativen und taktischen Planungsprozess integriert werden, da die logistische Lage immer eine tiefgreifende Auswirkung auf die unterschiedlichen Handlungsoptionen von Streitkräften hat. 5 Der grundsätzliche Zweck der operativen Logistik ist die Feststellung der zur Unterstützung von Operationen erforderlichen Beweglichkeit, Durchhaltefähigkeit und Infrastruktur. Bei einer Krisenraktionsplanung ist aus Sicht der Logistik entscheidend, dass, parallel zu den Planungsprozessen in den multinationalen Hauptquartieren und vor Erteilung allfälliger multinationaler Entscheidungen, mögliche truppenstellende Nationen frühzeitig in den gesamten Prozess von der strategischen bis hinab zur taktischen Ebene aktiv eingebunden werden. Der logistische Einsatzplan im endgültigen Operationsplan kann nicht ohne nationale Beteiligung festgeschrieben oder koordiniert werden, weil die finanzielle Bedeckung aller logistischen Maßnahmen grundsätzlich durch die truppenstellenden Nationen erfolgt bzw. die multinatione Finanzierung (z.B. Common Cost) noch nicht in allen Teilbereichen ausreichend umgesetzt wird.
Logistische Aufbereitung des Operationsgebietes Der operative Planungsprozess soll in seiner Gesamtheit das Umsetzen von militärstrategischen Vorgaben in Handlungsanweisungen an die taktische Führungsebene ermöglichen und die dafür erforderlichen militärischen und logistischen Mittel und Kräfte ermitteln. Der operative Planungsprozess gliedert sich in mehrere Phasen, die idealtypisch hintereinander ablaufen. 6 Am Beginn jeder logistischen Planung auf der operativen Führungsebene steht die logistische Aufbereitung des zukünftigen Operationsgebietes (Logistics Preparation of the Theatre – LPT). Die erarbeitete LPT-Datenbank ist für den Kommandanten bzw. den von ihm beauftragten logistischen Planungsverantwortlichen ein Schlüsselinstrument zur Erarbeitung eines flexiblen logistischen Konzeptes bzw. einer Durchhaltefähigkeitserklärung im Rahmen des operativen Gesamtplans. Die Informationen der LPT-Datenbank dienen dem logistischen Planungspersonal zur Optimierung der dem logistischen Konzept zugrundelie5 6
240
Vgl. DVBH(zE) Operative Führung, BMLVS, 2009, S. 149ff. Vgl. DVBH(zE) Operative Führung, BMLVS, 2009, S. 161.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
Abb. 1: Phasen des operativen Planungsprozess 7 genden Faktoren, wie z.B. der Kräftestruktur, der Ressourcen und des strategischen Transportpotentials. Dazu gehören die Festlegung und Einrichtung vorgeschobener Operationsbasen (Forward Mounting Base – FMB), die Auswahl und der Ausbau von infrastrukturellen Verbindungslinien, die Planung und Errichtung vorgeschobener Versorgungsbasen, die Vorausberechnung des Bedarfs an operativen Vorräten und Mitteln und deren Bereitstellung bei der Truppe bzw. als logistische Reserven. LPT-Maßnahmen konzentrieren sich auch auf die Erfassung der im Operationsgebiet vorhandenen Ressourcen, die von den eingesetzten Truppen genutzt werden können und deren Verfügbarkeit über die gesamte Dauer des Einsatzes. Da die logistische Aufbereitung des Operationsgebietes sehr komplex und zeitaufwändig ist, soll durch Eventualfallplanungen der entsprechenden Führungsebenen in möglichen Einsatzräumen von Streitkräften verhindert werden, dass Truppen in einen völlig unerschlossenen Einsatzraum verlegt werden. Das Schwergewicht bei der Gewinnung von LPT-Daten liegt auf der Nutzbarkeit von infrastrukturellen Einrichtungen und Verkehrsmitteln sowie der Verfügbarkeit von Gütern des täglichen Bedarfes. Eine detaillierte logistische Aufbereitung für einen Krisenreaktionplan sollte jedoch alle logistischen Teilbereiche und Sachgüterklassen umfassen. Folgende Punkte sind bei der Aufbereitung des möglichen Operationsgebietes von besonderer Bedeutung: 8 7 8
ebenda, S. 161. Vgl. ALP 4.2 (A) Land Forces Logistic Doctrine, NATO, 2010, S. 4-4ff.
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Stefan Lampl
a. b. c. d.
e. f. g. h.
Geographie: Klima und Gelände im Einsatzraum, um das notwendige Gerät und den Bedarfszeitpunkt zu ermitteln; Ressourcen des täglichen Bedarfes: Verfügbarkeit von Ressourcen, die zur Unterstützung der Truppe verwendet werden können. Im Allgemeinen handelt es sich hierbei um Lebensmittel, Betriebsmittel und Baustoffe; Infrastruktur: Verfügbarkeit von Lagerhäusern, Kühleinrichtungen, Fertigungsanlagen, Tanks, Verwaltungseinrichtungen, Sanitäranlagen, Hotels usw.; Verkehrsnetz: Straßen- und Schienennetze, Binnenwasserstraßen, Flugplätze, Verfügbarkeit von Lkw, Brücken, Häfen, Verladeeinrichtungen, Erdölleitungen und Umschlaggerät, Verkehrsfluss, Engpässe und Überwachungsprobleme; Instandsetzungseinrichtungen: Geeignete Materialerhaltungseinrichtungen, z.B. Werkstätten; Medizinische Versorgung: Informationen über zivile medizinische Infrastruktur und die erforderlichen präventivmedizinischen Maßnahmen und Programme für das Operationsgebiet; Allgemeine Fertigkeiten: Ausbildungsstand und Fertigkeiten der einheimischen Bevölkerung (z.B. Dolmetscher, Logistikfachpersonal, Kraftfahrer, Bürokräfte, Umschlagpersonal, Hafenarbeiter); Politische Lage: z.B. Streikbereitschaft von Gewerkschaften. Allgemeine Fertigkeiten
Ressourcen des täglichen Bedarfes
Geographie/ Klima
LPT-Datenbank
Verkehrsnetz
Politische Lage
Medizinische Versorgung Instandsetzungseinrichtungen Infrastruktur
Abb 2: LPT-Datenbank Die LPT-Datenbank muss ständig überprüft, verbessert, ausgebaut und benutzt werden und dient als Grundlage für die Planung und für Verhandlungen mit Staaten, die einen möglichen Einsatz von Streitkräften logistisch unterstützen können und beabsichtigen.
242
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
Logistischer Informationsbedarf beim Einsatz von Streitkräften in Afrika In der weiteren Bearbeitung werden mit Schwergewicht die Teilbereiche Aufmarschentfernung, Verkehrsnetz, Energieversorgung und Klima betrachtet, da sie die logistische Aufbau- und Ablauforganisation am wesentlichsten beeinflussen bzw. die weiteren Punkte der LPT-Datenbank sehr vom regionalen Einsatzraum beeinflusst werden.
Aufmarschentfernungen Um möglichen zukünftigen Bedrohungen am Kontinent Afrika wirkungsvoll zu begegnen, ist es notwendig, die Einsatzräume innerhalb einer vorgegebenen Zeit sicher zu erreichen, die militärischen Kräfte vor Ort in ihre Verantwortungsbereiche zu verbringen und in der Folge die Einsatzbereitschaft umgehend herzustellen. Die rasche und koordinierte strategische Verlegefähigkeit von Kräften und Mitteln ist die Voraussetzung für den wirksamen Einsatz von Streitkräften, die logistische Sicherstellung sowie deren Rückführung. Eine Verlegung von größeren Truppenteilen nach Afrika stellt auf Grund von fehlenden leistungsfähigen europäischen Straßen- bzw. Schienenverkehrsnetzen und den zu überwindenden Entfernungen immer eine Herausforderung für Streitkräfte dar. Die durchschnittlichen Aufmarschentfernungen nach Afrika mit Luft- und Seettransportmitteln stellen sich wie folgt dar: Verkehrsart
Transportmittel C-130
Luft
Ø Reisegeschwindigkeit (km/h) 590
Abflughafen Wien
C-17
914
Wien
AN-124100
700
Wien
A400M
740
Wien
Kairo
nur Flugzeit (gerundeter Wert) 4 h 10 min
Nairobi
9 h 50 min
Johannesburg
14 h 20 min
Kairo Nairobi Johannesburg Kairo Nairobi Johannesburg Kairo Nairobi Johannesburg
2 h 40 min 6 h 30 min 9 h 10 min 3 h 30 min 8 h 30 min 11 h 50 min 3 h 20 min 8 h 10 min 10 h20 min
Zielflughafen
Ladung (Tonnen) 20 t Zwischenlandung notwendig Zwischenlandung notwendig 77 t ca. 40 t ca. 20 t* 120 t 70 t ca. 50 t 30 t 20 t Überführung
* theoretischer Wert. Die C-17, als klassisches strategisches Transportflugzeug, kann eine Luftbetankung durchführen und damit die Reichweite und Zuladung erhöhen.
Tabelle 2: Aufmarschentfernungen mit luftgestützten Transportmitteln 243
Stefan Lampl
Verkehrsart
Schiff
Schiffstyp
Ø Reisegeschwindigkeit (kn)
europäischer Seehafen
Container
22-25
Rotterdam
Passagier
20-25
Rotterdam
Kriegsschiff (Kriegsmarsch)
25-30
Rotterdam
Ankunftshafen Nordafrika (Suezkanal) Westafrika (DOUALA) Südafrika (Kapstadt) Nordafrika (Suezkanal) Westafrika (DOUALA) Südafrika (Kapstadt) Nordafrika (Suezkanal) Westafrika (DOUALA) Südafrika (Kapstadt)
Nur Fahrzeit 9 (Tage/Std) ca. 4 T 20 h ca. 7 T 30 h ca. 11 T 10 h ca. 4 T 20 h ca. 7 T 30 h ca. 11 T 10 h ca. 4 T 20 h ca. 6 T 20 h ca. 9 T 10 h
Ladung
4 50012 500 TEU 10
500-2000 Soldaten
-----
Tabelle 3: Aufmarschentfernungen mit seegestützten Transportmitteln Um den strategischen Transportraumbedarf für einen Aufmarsch besser bewerten zu können, kann als Grundlage angenommen werden, dass eine Streitkraft von 30 000 Soldaten, bestehend aus Land- und Luftstreitkräften, ungefähr einen Transportraumbedarf von 180 000 Tonnen hat. Daher ist klar abzuleiten, dass vor allem das schwere Gerät mit Schifftransportmitteln verlegt werden muss und die Soldaten mittels Luftfahrzeugen in den zukünftigen Einsatzraum verbracht werden.
Strategischer Lufttransport Mit Masse wird sich der strategische Transport von Soldaten und luftfrachtgeeigneten Geräten und Gütern nach Afrika auf Grund der relativ kurzen Flugzeiten auf den Lufttransport abstützen. Für den strategischen Lufttransport werden neben den militärischen Transportmitteln (z.B. C-17) auch zivile Transportma9 10
244
Für die Berechnug eines Umlaufes müssen noch die Belade- und Entladezeit und etwaige Verzögerungen bei Kanaldurchfahrten mitgerechnet werden. Durchschnittliche Beladezeit in Europa für Streitkräfte eines RoRo-Schiffes: 1 Tag. TEU – Twenty-foot Equivalent Unit: Ein Maß für Kapazitäten von Containerschiffen und Hafenumschlagsmengen.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
schinen (z.B. AN 124-100, usw.) mit ausreichenden Reichweiten und Zuladungskapazitäten zum Einsatz kommen, um rasch benötigte militärische Fähigkeiten in der Anfangsphase einer Operation aufbauen zu können. Dies bedeutet, dass neben den Abflughäfen in Europa, die in geeigneter Anzahl und Ausstattung vorhanden sind, auch genügend Zielflugplätze mit der entsprechenden Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der geforderten Flugbetriebssicherheit und des Umschlages im Operationsgebiet einsatzbereit sein müssen. Die unzureichende Verfügbarkeit von flächendeckenden internationalen Flugplätzen mit entsprechender Umschlagkapazität in Afrika, ausgenommen in der Republik Südafrika, und Einschränkungen in der Luftraumkoordinierung und in Flugsicherheitsstandards stellen bei einer Verlegung mittels Luftfahrzeugen die größte Herausforderung dar. 11 Auf Afrika entfallen nur 3% der weltweiten Flugstarts, aber 19% der Flugunfälle, die größtenteils auf Navigationsfehler zurückzuführen sind. 12 Vor allem bei einem Einsatz von größeren Truppenkontingenten in Zentralafrika kann die fehlende Infrastruktur zu erheblichen Einschränkungen bzw. zu Verzögerungen beim Aufmarsch führen, da die benötigte Infrastruktur (befestigte Landebahnen, Abstellflächen, Rampen, usw.) erst ausgebaut oder sogar neu errichtet werden muss, damit auch zivile Transportmaschinen diese nutzen können. 13 Die Bereitstellung von militärischen Unterstützungstruppen, die durch lokale Hilfskräfte je nach Bedrohungslage verstärkt werden können, für Luftraumkoordinierung, Zollangelegenheiten, Umschlag, Verladung und Weitertransport, ist in der Streitkräftestruktur einzuplanen. Zusätzlich ist aus der Tabelle 1 klar ersichtlich, dass eine Verlegung mit strategischem Lufttransportraum mit einer entsprechenden Zuladung nur bis in den Raum Sub-Sahara als sinnvoll betrachtet werden kann. Notwendige Zwischenlandungen auf begrenzt verfügbaren internationalen Flugplätzen in Nord- und Zentralafrika können den Aufmarsch bei Einsätzen südlich des Äquators erheblich verzögern bzw. verursachen einen höheren finanziellen Mitteleinsatz. Die zwingende Forderung der militärischen Fähigkeit zur Luftbetankung von strategischen/operativen Luftfahrzeugen lässt sich daraus ableiten.
Strategischer Seetransport Der strategische Seetransport stellt für die Verlegung von größeren Truppenkontingenten bzw. bei einem Einsatz von mechanisierten Kräften und für die kos11 12 13
Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 263. Vgl. Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament und den Rat/Partnerschaft EU-Afrika: Schritte zum Ausbau der Zusammenarbeit im Verkehrsbereich, Brüssel, 2009. Von den 150 wichtigsten Passagierflughäfen der Welt liegen nur drei in Afrika.
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Stefan Lampl
tengünstige kontinuierliche Folgeversorgung eine unverzichtbare Komponente dar. Der vermeintliche Zeitvorteil des Lufttransportes gegenüber dem Seetransport schwindet in der Regel mit zunehmendem Mengenumfang und Abmessung von Transportgütern. Der Einsatz von 20- und 40-Fuß-Containern als Transportraum für Ausrüstung und Gerät bzw. der Einsatz von Roll-On-/Roll-Off-Schiffen zur schnellen und sicheren Verladung von Fahrzeugen und Stückgut mittels Rampe oder schiffeigenen Ladekränen, garantiert einen reibungslosen und kontinuierlichen Güterfluss. Voraussetzung für die effiziente Nutzung dieser Verkehrsart sind die Verfügbarkeit von ausreichenden Schiffstypen in Europa, gesicherte Seeverbindungswege, eine genügende Anzahl von großen Seehäfen im zukünftigen Operationsgebiet, vorhandene Sicherheitsnormen für den Betrieb von Seehäfen, technisch und zollrechtlich geschultes Hafenpersonal und die entsprechende infrastrukturelle Ausstattung der notwendigen Häfen für die Zwischenlagerung von Transportmitteln und Material. In diesem Bereich sind die größten Probleme zu erwarten bzw. ist der größte infrastrukturelle Handlungsund logistische Planungsbedarf zu erwarten, ausgenommen ist die Republik Südafrika. Der afrikanische Kontinent transportiert zwar 92-97% seiner internationalen Handelsgüter mittels Seeverkehrsmittel, aber die zirka 80 nennenswerten Seehäfen weisen extreme Ausrüstungs- und Sicherheitsmängel auf. 14 Vor allem die unzureichende Verfügbarkeit von modernem Containerumschlaggerät und an geschultem Bedienungspersonal führt zu langen Umschlagzeiten und Unterbrechungen im Güterfluss. Die durchschnittliche Umschlagzeit in Europa von einem Container in einem Umschlagterminal beträgt ungefähr eine Stunde und die Verweildauer des Containers in einem Hafen ungefähr sieben Tage oder kürzer. In Afrika kann die Umschlagzeit eines Containers bis zu einen Tag dauern bzw. liegt die Verweildauer bei 30 Tagen. 15 Region Ostafrika Westafrika Südafrika
Umschlagzeit eines Containers 3,5 Std bis zu einem Tag 6 Std bis zu einem Tag 2 bis 12 Std
Verweilzeit eines Containers 5 bis 28 Tage 11 bis 30 Tage 4 bis 8 Tage
Tabelle 4: Umschlagzeiten und Verweildauer von Containern in Afrika 16 Diese überdurchschnittlich langen Umschlagzeiten und die unzureichenden Sicherheitsnormen an den Häfen sowie die komplizierten Zoll- und Dokumentationsverfahren bei der Einfuhr von Gütern nach Afrika stellen eine große Beein14 15 16
246
Vgl.: Partnerschaft Europäische Union – Afrika, Mitteilung der Kommission an das EUParlament und den Rat, Brüssel, 2009, S. 2. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 254ff. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 255.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
trächtigung in der kontinuierlichen Versorgung von Streitkräften mit einem größeren Truppenumfang dar. Hinsichtlich der Hafeninfrastruktur ist festzuhalten, dass bei einigen Seehäfen in Afrika die Wassertiefe nicht ausreicht, um größere Container- und Passagierschiffe aufzunehmen. Auch sind ungenügend viele Liegeplätze vor den Häfen vorhanden, bevor die Schiffe in den Hafen einfahren und ihre Güter entladen können. Die führt zu weiteren Wartezeiten und Engpässen beim Umschlag von Versorgungsgütern und stellt auch eine Gefährdung der Schiffe durch lokale kriminelle Banden und Umwelteinflüsse dar. Diese infrastrukturellen und personellen Einschränkungen verlangen eine klare rechtliche Abklärung über mögliche zollrechtliche Ausnahmeregelungen für militärische Kräfte bereits vor dem Einsatz, den möglichen zusätzlichen Einsatz von militärischem Personal zur Unterstützung der lokalen Behörden bei den administrativen und zollrechtlichen Tätigkeiten, das Bereithalten von beweglichen Umschlaggeräten zur rascheren Entladung von Containern, den Einsatz von speziellen Schiffstypen, die eine Selbstentladung gewährleisten können, und das Bereithalten von größeren Lagerbeständen an Versorgungsgütern im Einsatzraum, um eine Unterbrechung im Güterfluss zu überbrücken. Zusätzlich ist durch die frühzeitige Einbindung der jeweiligen Hafenbetreiber bzw. von internationalen Hilfsorganisationen, die ebenfalls Hilfs- und Versorgungsgüter in den zukünftigen Einsatzraum transportieren, anzustreben, um Friktionen an den strategischen Umschlaghäfen zu verhindern.
Infrastruktur in Afrika Eine funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur ist die Grundlage für die kontinuierliche und gesicherte Bereitstellung von Gütern, Personal und der dazu notwendigen Information zur Bedarfsdeckung. Militärische Kräfte in weit entfernten Einsatzräumen benötigen zur Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit Mittel vor Ort und/oder Unterstützung durch die gewerbliche Wirtschaft sowie mobile, flexible, wieder verwendbare Infrastruktur. Je nach Art, Umfang und Gliederung multinationaler Streitkräfte für den Einsatz kann der Infrastrukturbedarf Seehäfen, Flugplätze, Eisenbahnlinien und Bahnhöfe, Lagereinrichtungen, Verkehrswege, Fernmeldeeinrichtungen, Liegenschaften und Versorgungseinrichtungen umfassen. Zur Vermeidung eines Konkurrenzkampfes um die meist begrenzt verfügbaren Einrichtungen mit anderen Organisationen vor Ort (z.B. IOs, NGOs, usw.), ist eine entsprechende Abstimmung und Koordinierung auf höchster Ebene unerlässlich. Grundsätzlich ist für Afrika die Beurteilung zulässig, dass die Infrastruktur nicht in dem erforderlichen Ausmaß vorhanden ist, um eine größere Streitkraft ausreichend zu unterstützen. So wird der jährliche Investitionsbedarf in die afrikanische Infrastruktur auf jährlich 93 Milliarden US247
Stefan Lampl
Dollar geschätzt, wobei ungefähr ein Drittel für die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur benötigt wird und der größte finanzielle Bedarf im Bereich der Energieversorgung unerlässlich ist. 17 Der notwendige Infrastrukturbedarf für militärische Operationen in Afrika ist daher sorgfältig zu planen, wirksam zu überwachen, zweckmäßig zu steuern und mit den vor Ort tätigen zivilen Behörden und internationalen Organisationen kontinuierlich abzustimmen. Um den Versorgungs- und damit abzuleitenden Infrastrukturbedarf für einen möglichen Einsatz in Afrika für eine Streitkraft von cirka 30 000 Soldaten besser bewerten zu können, ist in der nachfolgenden Tabelle eine Übersicht über den täglichen normalen Bedarf des Kontingentes, ohne den zusätzlichen Bedarf bei Gefechtshandlungen, angeführt. Versorgungsgüter Verpflegung Kraftstoffbedarf Bau- und Sperrmaterial in der Anfangsphase Gefährliche Güter
Angaben in Kilogramm bzw. Liter 120 000 kg 1 Million Liter 100 000 kg 10 000 kg
Tabelle 5: Bevorratungsgrößen für den täglichen Bedarf einer Streitkraft von 30 000 Soldaten 18 Im Rahmen der Entsorgungslogistik von Versorgungsgütern ist mit einem Anfall von ca. 150 000 kg Abfall täglich zu rechnen, der ebenfalls gemäß den jeweiligen nationalen Auflagen und Gesetzen vernichtet bzw. abtransportiert werden muss.
Straßenverkehrsnetz Die Straße ist der wichtigste Verkehrsträger in Afrika, über den mehr als 80% des Güterverkehrs zwischen den Städten und zwischen den afrikanischen Nationen abgewickelt wird. 19 Jedoch beträgt die durchschnittliche Straßendichte in Afrika lediglich zirka 204 km pro 1 000 km², wobei nur ein Viertel davon asphaltiert ist. Die durchschnittliche Straßendichte auf der Welt beträgt im Ver17 18 19
248
Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 1ff. Vgl. FPG-Logistics, Final Draft, 1998, S. 29. Vgl.: Partnerschaft Europäische Union – Afrika, Mitteilung der Kommission an das EUParlament und den Rat, Brüssel, 2009, S. 2.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
gleich dazu 944 km pro 1 000 km², die Hälfte davon asphaltiert. 20 Zusätzlich fehlt eine infrastrukturelle Erschließung des Hinterlandes von strategischen Eintrittspunkten (internationale See- und Flughäfen) bzw. eine ständig nutzbare leistungsfähige transkontinentale Straßenverbindung. Zwar gibt es das TransAfrican-Highway-Straßenprojekt (56 683 km Straßenlänge 21 ), mit dem Ziel, alle Staaten Kontinentalafrikas miteinander zu verbinden (mit einigen Ausnahmen, z.B. Somalia), die Armut zu lindern und das Handelsstraßennetz und die Infrastruktur in Afrika zu fördern. Die Hälfte der vorhandenen Straßen ist aber nicht asphaltiert bzw. auf Grund jahreszeitlicher Einflüsse, z.B. Regenfälle oder Murenabgänge, unpassierbar. Geographie und Klima stellen große Hindernisse dar. Diese Umstände tragen dazu bei, dass die asphaltierten Straßen in diesen Gebieten nur kurze Zeit bestehen blieben. Zusätzlich verhindern Kriege und Konflikte den Fortschritt der Straßenführung, führen zur weiteren Zerstörung bestehender Straßenabschnitte und wichtiger Straßeninfrastruktur (z.B. Brücken) und behindern maßgeblich die Instandhaltung der Straßen. Undurchsichtige und nicht standardisierte Zollformalitäten zwischen den einzelnen Staaten erschweren außerdem einen kontinuierlichen Güterfluss und führen dazu, dass in Afrika mit einer durchschnittlichen Transportgeschwindigkeit für Güter von zehn km pro Stunde zu rechnen ist. 22 Auch die kontinuierliche und gesicherte Instandhaltung und -setzung des bestehenden Straßennetzes stellen eine große finanzielle Herausforderung für Afrika dar. Der gesamtheitliche Ausbau des wichtigen Straßenprojektes wird sich auch deshalb noch über Jahrzehnte verzögern, da einige afrikanische Staaten entsprechende Teilstücke in ihrem Verantwortungsbereich der geplanten transnationalen Trassenführung nicht als wichtig einstufen und die notwendigen Geldmittel oder rechtlichen Grundlagen für den Bau zögerlich bereitstellen, obwohl sie für die Region und den afrikanischen Kontinent wichtig wären. 23 Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist das Wachsen der städtischen Zentren und des damit verbundenen Stadtverkehrs. Derzeit leben cirka. 40% der afrikanischen Bevölkerung in Städten und dieser Anteil dürfte sich bis 2030 verdoppeln. 24 Als Grundsatz für die Städte in Afrika, Ausnahme Republik Südafrika, kann angenommen werden, dass die allgemeine und infrastrukturelle Versorgung inadäquat, aber das Straßenverkehrsaufkommen extrem hoch ist. 25 Minibusse, Autos und Fahrräder sind die wichtigsten Beförderungsmittel in den 20 21 22 23 24 25
Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 212. Unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Trans-African-Highways, Stand 12.08.2010. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 220. Vgl. Review of the implemenation status of the Trans-African-Highways and the missing links, Stockholm, 2003, S.16ff. Vgl. Partnerschaft Europäische Union – Afrika, Mitteilung der Kommission an das EUParlament und den Rat, Brüssel, 2009, S. 12. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 220.
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Städten Afrikas. Die Zunahme des Straßenverkehrs führt zu vielen Verkehrsunfällen mit unzähligen Toten und Verletzten. Um die Jahrtausendwende hatte Kenia ungefähr 3 000 Tote im Straßenverkehr pro Jahr, was einer Rate von 68 Toten pro 1 000 registrierten Autos entspricht. Dieser Wert ist um ungefähr 30 bis 40 Mal höher als in europäischen Industrieländern. Der Straßenverkehr ist hinter Malaria und HIV/AIDS die drittgrößte Todesursache in Afrika. 26 Bei Einsätzen von Streitkräften vor allem größeren Umfangs ist diesen herausfordernden straßenbedingten Rahmenbedingungen, durch den Einsatz von Erkundungskommanden der operativen Führungsebene vor einem möglichen Einsatz, Rechnung zu tragen. Diese Fakten sind bei der logistischen Fähigkeitsbeurteilung zu beachten und werden den Einsatz von geeignetem geländegängigem eigenem militärischem Transportraum mit Einschränkungen in der Beladekapazität erfordern. Zusätzlich sind die eingeschränkte Transportgeschwindigkeit, die notwendige Verkehrsregelung und Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, Verkehrs- und Transportstrukturen unter Einbindung der nationalen Behörden und die Berücksichtigung von infrastrukturellen bautechnischen Maßnahmen zu berücksichtigen.
Schienenverkehrsnetz Neben einem leistungsfähigen weiter verdichteten Straßenverkehrsnetz stellt ein gut ausgebautes, vernetztes, interoperables, transkontinentales Schienenverkehrsnetz eine wesentliche Grundlage für eine florierende Wirtschaft dar. Beide Faktoren treffen nicht umfassend auf den Kontinent Afrika zu. Im Jahre 2008 wurden in Afrika 47 Eisenbahnstrecken in 32 Staaten betrieben. 27 14 afrikanische Staaten besitzen keine Eisenbahn. Die Gründe für die Errichtung von Eisenbahnstrecken in Afrika sind auf den geschichtlichen militärischen Nutzen, Ausbeutung von Ressourcen und Handel zurückzuführen. Die meisten Eisenbahnnetzwerke in Afrika sind daher nicht miteinander verbunden, da sie meist nur einige wichtige Seehäfen mit dem Hinterland verbinden. Das einzige nachhaltige umfassende Schienenverkehrsnetz befindet sich in Südafrika und besitzt auch leistungsfähige Verbindungen in die Staaten Simbabwe, Sambia und in die Demokratische Republik Kongo. In Südafrika werden auch 80% des gesamten afrikanischen Eisenbahngütertransportes und 70% des Eisenbahnpersonentransportes bewerkstelligt. Die Gesamtstreckenlänge des Eisenbahnnetzes in Afrika beträgt cirka 69 000 km, wobei nur 55 000 km einsatzbereit sind. 28 Das Ver26 27 28
250
Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 221. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 230. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 232.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
kehrsnetz ist küstenorientiert und weist eine niedrige Achslast der Waggons (1417 t) und niedrige Transportgeschwindigkeit (35-55 km/h) auf. 29 Auf Grund der Tatsache, dass ein Großteil der Eisenbahnlinien in der Kolonialzeit errichtet wurde, sind drei unterschiedliche Spurweiten 30 vorzufinden und auch das rollende Material ist überaltet und oft schlecht gewartet. Wie bereits beim Straßenverkehr erwähnt, stellen die administrativen und zollrechtlichen Abläufe beim überregionalen Transport von Gütern eine große Herausforderung dar. So dauert zum Beispiel der Transport von Gütern mit der Eisenbahn von über 3 000 km von Durban in der Republik Südafrika nach Kolwezi in der Demokratischen Republik Kongo 38 Tage. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4 km/h. Grundsätzlich wird der Eisenbahntransport in neun Tagen durchgeführt, die restlichen 29 Tage werden für Beladung, Umschlag und Zollformalitäten aufgewendet. 31 Für militärische Einsätze, vor allem bei größeren Kontingenten, stellt die Eisenbahn zum kostengünstigen Transport von Material und Ausrüstung einen unverzichtbaren Teil des Transportmanagements dar. Bei Einsätzen in Afrika, mit Ausnahme in der Republik Südafrika, ist jedoch eine gesicherte Nutzung von Eisenbahnen zur Sicherstellung eines raschen Aufmarsches oder einer kontinuierlichen Folgeversorgung nicht zu planen. Der Aufmarsch und die militärische logistische Aufbau- und Ablauforganisation werden sich mit Schwergewicht auf geländegängige Straßenfahrzeuge und auf militärischen Lufttransportraum abstützen. Die Nutzung der vorhandenen Eisenbahnenlinien kann alternativ zum Straßentransport für den nicht zeitkritischen Transport von schwerem Gerät oder Rücktransport von Gerät in die Heimatländer der truppenstellenden Nationen eingeplant werden. Längere Umschlagzeiten in Häfen und Beschädigung von Fahrzeugen und Material können zusätzliche Kosten verursachen. 32 Einen Ausoder Neubau und den Betrieb von Eisenbahnlinien und deren Einrichtungen durch militärische Kräfte stellt bei einer vorausplanbaren längeren Einsatzführung in einem bestimmten Einsatzraum eine weitere Alternative dar. Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für den Neubau bzw. Betrieb dieser Infrastruktur dürfte jedoch das größte Hindernis für die Umsetzung darstellen, könnte aber im Rahmen eines gesamteuropäischen Projekts zur Entwicklungszusammenarbeit begleitend zur Operationsführung umsetzbar sein.
29 30 31 32
Vgl. Hölzl, P.: Schienenverkehr in Afrika, München, 2006, S. 4. Englische Spurweite: 1 067 mm (61%), Französische Spurweite: 1 000 mm (19%) und Normalspur: 1 435 mm (14%). Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 236. Vgl. Erfahrungsbericht EUFOR/TSCHAD des ÖBH, 2010.
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Energieversorgung Der fehlende Zugang zu einer gesicherten Energieversorgung und die mangelnden Energieeffizienzen stellen gerade für Afrika eine enorme Behinderung in der wirtschaftlichen Entwicklung dar. In Afrika haben 500 Millionen Menschen keinen Anschluss an ein Energieversorgungsnetz. Nur 1-5% der ländlichen Bevölkerung besitzt einen gesicherten Zugang zu Strom, wobei der Energiebedarf um cirka 2-3,5% pro Jahr in den nächsten 15 Jahren wachsen wird. 33 Die produzierte Leistung an Energie von 48 afrikanischen Staaten beträgt 68 Gigawatt, was ungefähr der Produktionsleistung von Spanien entspricht. 34 Auch die Energieversorgungssicherheit ist in den meisten afrikanischen Staaten niedrig bzw. schwankend. Moderne militärische Kräfte haben grundsätzlich einen sehr hohen Energiebedarf zum Betreiben der Führungs- und Kommunikationseinrichtungen, Waffensysteme und Versorgungseinrichtungen. Für militärische Einsätze in Afrika bedeutet dies, dass eine Abstützung auf ein vorhandenes Stromversorgungsnetz derzeit und auch zukünftig nicht möglich ist und Streitkräfte über eigene Mittel zur Energieerzeugung verfügen müssen. Der benötigte Transportraum für Generatoren ist bei der logistischen Planung mit zu berücksichtigen. Die Kombination von permanentem Bedarf an Kraftstoff zum Betreiben der Generatoren und die eingeschränkte Verfügbarkeit von leistungsfähigen Verkehrsverbindungen für den Kraftstofftransport stellen jedoch eine große Herausforderung dar. Daher ist unter diesen Umfeldbedingungen der Einsatz von effizienten alternativen Energieformen für militärische Kräfte vor allem zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauches einzuplanen. 35
Klima Auf Grund der breiten Ausdehnung und des allgemein flachen Reliefs Afrikas ist das Klima des Kontinentes stark von den Tropen und dem Äquator beeinflusst. Auf dem Festland ist es sehr heiß, trockenes oder Wüstenklima vereinen sich mit trockenen und feuchtem Tropen- sowie Äquatorialklima. Nur im äußeren Norden und Süden Afrikas herrscht ein Klima vor, wie sie im südlichen Europa ebenfalls vorherrscht. Das Niederschlagsverhalten auf dem afrikanischen Kontinent unterliegt ebenfalls den weltweit auftretenden Klimaveränderungen. Im Norden und Süden 33 34 35
252
Vgl.: Vortrag Energieversorgung und nachhaltige Entwicklung, Jürgen Oßenbrügge, Hans-Joachim Sommermeier, Institut für Geographie, Universität Hamburg, S. 14. Vgl. Africa’s Infrastructure: A Time for Transformation, 2008, S. 182. Vgl. Erfahrungsbericht EUFOR/TSCHAD des ÖBH, 2010.
Logistische Planungsfaktoren für militärische Einsätze am Kontinent Afrika
regnet es weniger, im Sahel kaum und in den Wüstengebieten tendiert die Niederschlagsmenge gegen Null. Nur im zentralafrikanischen Raum, in der Äquatornähe oder in den Tropen können die Niederschlagsmengen beachtlich sein. Die Luftfeuchtigkeit ist in diesen Räumen sehr hoch und es gibt starke, sintflutartige Regenfälle. Afrika ist aber auch ein Kontinent der Temperaturgegensätze. So gibt es Regionen (z.B. Sahara) mit einem Temperaturmaximum von 58°C im Schatten, aber auch Gebiete mit Minusgraden in der Nacht. Diese hohen Temperaturdifferenzen und ein möglicher Einsatz in Äquatornähe mit starken Regenfällen stellen vor allem für die verwendete militärische Ausrüstung, für die benötigte militärische Infrastruktur, aber besonders für die eingesetzten Soldaten eine hohe Belastung dar. Die Ausstattung von militärisch genutzter Infrastruktur und Fahrzeugen mit Klimaanlagen und Beschattungsanlagen, der zusätzliche Bedarf an Sandfiltersystemen für alle Land- und Luftfahrzeuge, der Bedarf an größeren Kraftstofftankanlagen in den Fahrzeugen zur Erreichung einer größeren Reichweite, der erhöhte Bedarf an präventiven Instandhaltungsmaßnahmen zur Reduzierung von Geräteausfällen und der Einbau von geeigneten Schutzmaßnahmen gegenüber Insekten, Tieren in Fahrzeugen und Unterkünften sind nur einige Maßnahmen, die bei Einsätzen mitberücksichtigt werden müssen. Für die Soldaten besteht der Bedarf an einer geeigneten persönlichen Ausrüstung und Uniform zum Schutz gegen die extremen Umwelteinflüsse, einer speziellen Verpflegung und eines höheren Bedarfes an Trinkwasser auf Grund der hohen Temperaturen. Die geforderte Quantität und Qualität an Trinkwasser ist nicht immer verfügbar. Der Bedarf ist entweder durch Transport von Trinkwasser aus Europa oder benachbarten Staaten oder durch den Einsatz von Trinkwasseraufbereitungsanlagen bzw. Brunnenbohrgerät sicher zu stellen. Grundsätzlich muss pro Soldat/Tag mit einem Trinkwasserbedarf von insgesamt ca. 100 Liter gerechnet werden. Dieser Wert beinhaltet das persönliche Trinkwasser, Wasser für die Zubereitung der Verpflegung, Waschen und Hygienemaßnahmen. Das bedeutet, dass bei einer mittleren Streitkraft von 30 000 Soldaten ein täglicher Bedarf an drei Millionen Liter Trinkwasser besteht, das aufbereitet, überprüft, bereitgestellt und verteilt werden muss.
Zusammenfassung Um einen wirkungsvollen Einsatz von militärischen Kräften im Rahmen von Krisen- und Konfliktpräventionseinsätzen am afrikanischen Kontinent durchführen zu können, ist eine umfassende logistische Aufbereitung des zukünftigen Einsatzraumes notwendig. Afrika stellt vor allem für die logistische Planung eine 253
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immense Herausforderung dar und die logistische Planung, die ein integraler Bestandteil jeder militärischen Einsatzplanung ist, muss den möglichen Verlauf künftiger Einsätze und den entsprechenden Bedarf an Personal und Material mit einem hinlänglichen Grad an Genauigkeit voraussagen können. Die großen Aufmarschentfernungen für europäische Streitkräfte, Einschränkungen in der notwendigen Infrastruktur an den strategischen Eintrittpunkten, unzureichend ausgebaute und wenig leistungsfähige Verkehrsnetze und die besonderen Anforderungen an das verwendete Gerät und auf die Soldaten durch extreme Umfeldbedingungen sind nur einige wesentliche Punkte, die bei einem Einsatz in Afrika aus Sicht der Logistik beeinflussen und den militärischen Auftrag massiv beeinträchtigen können. Die Kontinuität der logistischen Unterstützung muss in allen Phasen einer Operation gewährleistet sein, da jede Unterbrechung des Güterflusses eine ernsthafte Beeinträchtigung der Operation bedeuten kann. Die permanente Überwachung aller verfügbaren Ressourcen, eine kontinuierliche Koordinierung mit allen vor Ort eingesetzten Organisationen und Behörden und eine straffe Kontrolle der Aufbau- und Ablauforganisation der Streitkraft sind unerlässlich. Die infrastrukturellen und logistischen Herausforderungen, die an militärische Kräfte in Afrika gestellt werden, müssen bereits jetzt und nicht erst im Rahmen einer konkreten Operationsplanung erhoben und analysiert werden. Daraus können Ableitungen für die Weiterentwicklung der militärischen Fähigkeitsbereiche getroffen und die notwendigen Beschaffungsvorhaben vorausschauend und zeitgerecht eingeleitet werden.
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Annette Weber Im ethnisch homogensten Staat am Horn von Afrika, Somalia, finden seit Jahrzehnten gewalttätige Auseinandersetzungen statt. Mit dem Sturz Siad Barrés im Jahr 1991 begann die Transformation von einem klientelistischen Neopatrimonialismus (Erdmann/Engel 2006) hin zu einer Fragmentierung vor allem entlang verschiedener Clanlinien, die die Gesellschaft und die Gewaltakteure gleichermaßen betrifft. Handelte es sich bis zum Ende des Kalten Krieges dabei zumeist um Befreiungskämpfe und Verteilungskriege mit dem Ziel, staatliche Macht zu übernehmen, hat der Zentralstaat in Südsomalia seit 1991 keinerlei Relevanz mehr. Somalia spaltet sich in drei Einheiten auf. Das unabhängige, aber international nicht anerkannte Somaliland im Nordwesten in den Grenzen des ehemaligen britischen Protektorats, das vorrangig durch Isaaq, Dir und Darood/Harti bewohnt und von Hargeisa aus regiert wird. Somaliland gilt als stabil, demokratische Wahlen führten zu friedlichem Führungswechsel und die Regierung füllt ihre staatlichen Funktionen aus (Walls 2009, S. 385-389). Puntland im Nordosten ist ebenfalls von Darood/Harti-Clans bewohnt, allerdings von anderen Subclans als in Somaliland. Da Siad Barré aus Puntland stammte (Darood/Mahertjan), war die Regierung bis 1991 vornehmlich durch puntländische Clans besetzt. Beim Entstehen Puntlands 1998 hatte sich die Regierung in Garowe dafür ausgesprochen, dass Puntland qua Verfassung ein Teil Somalias bleiben sollte (Höhne 2006, S. 400-406). Das verbleibende Südsomalia wird von einer heterogenen Mixtur aus Clans, Subclans, pastoralen und nomadischen Gruppierungen bewohnt. In Südsomalia ist es seit 1991 nicht gelungen, eine Regierung zu etablieren. Die aktuellen Konflikte in Somalia, zumal seit der kurzzeitigen Herrschaft der Vereinigten Islamischen Gerichtshöfe (United Islamic Courts, UIC) 2006, beschreiben eine Abkehr von der reinen Warlordpolitik hin zu neuen Allianzen, die zum einen ideologischer geprägt sind, und zum andern den Konflikt internationalisieren (Höhne 2006, S. 400-406). 1 Gab es bislang die Möglichkeit, die Konflik1
Bei den Vereinten Islamischen Gerichtshöfen handelt es sich um eine Versammlung von lokalen Autoritäten, die einem Sharia-Gerichtshof vorstehen und dort sowohl über richterliche Entscheidungsgewalt in Familienangelegenheiten richten, als auch soziale Infrastruktur verwalten und teilweise bewaffnete Milizen befehlen. Von den elf Gerichtshöfen, die sich schon 2004 zusammenschlossen und ab Juni 2006 einen Großteil Somalias kon-
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te in Somalia schlicht zu ignorieren, so treffen die Verflechtungen in die Piraterie und den transnationalen jihadismus durchaus direkt auf Handels- und Sicherheitsinteressen der westlichen Welt. Somalia rückt demnach ungewollt in den Mittelpunkt strategischer Staatsinteressen. Im Verlauf der Jahres 2009 eroberte die jihadistische al Shabab-Miliz (McGregor 30.09.2009) große Teile des südsomalischen Territoriums und kontrollierte den Hafen in Kismayo, im April 2010 kontrolliert die al Shabab auch weite Teile Mogadischus, unter anderem den Bakara-Markt. 2 Ihr stehen die Truppen der Übergangsregierung (Transitional Federal Government, TFG) gegenüber, die in etwa gleicher Stärke nur wenige Straßenzüge in Mogadischu kontrollieren. 3 Präsident Sheikh Sharif Sheikh Ahmed, der vormalige Sprecher der Vereinten Islamischen Gerichthöfe und Anführer der Gruppierung zur Wiederbefreiung von Somalia (Alliance for the Re-Liberation of Somalia) gegen die äthiopische Besatzung (2006-2009), galt zusammen mit Premierminister Omar Abdirashid Sharmarke als Hoffnungsteam. Ihre Regierung, die nach dem Weggang des umstrittenen Präsidenten Abdullahi Yussuf (vormals Präsident von Puntland) im Januar 2009 ihre Arbeit aufnahm, versprach eine bessere Repräsentation der Bevölkerung, einen ausgewogeneren Clanproporz im Parlament und der Regierung und die Integration der islamischen Gerichtshöfe. Dennoch ist es der Regierung nicht gelungen, die Bevölkerung und vor allem die jungen Männer aus den Clanmilizen an sich zu binden. Stattdessen wurde die Kampforganisation al Shabab durch Überläufer aus der Truppe der TFG gestärkt. Beiden stand im Verlauf von 2009 die Miliz der Hizb al Islam entgegen, ein Kampfverband, der vom ehemaligen UIC-Vorsitzenden und Gründer der al Ittihad al Islami (Sheikh Aweyes), zunächst aus dem Exil in Asmara, später dann aus Mogadischu, selbst angeführt wurde. Nachdem Sheikh Aweyes weder eine Koalition mit al Shabab eingehen, noch in Verhandlung mit der Übergangsregierung treten wollte, hat seine Miliz an militärischer Schlagkraft und er selbst an politischer Verhandlungsmasse verloren und ist derzeit nur noch als lokale Miliz in Südsomalia aktiv. Als letzte Kraft ist Ahlu Sunna Wal-
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trollierten, handelte es sich um politisch eher lokal verortete Akteure. Lediglich zwei Gerichthöfe wurden von Vorsitzenden mit einer radikalen jihadistischen Ideologie angeführt. Al Shabab (Harakat al-Shabaab al-Mujahideen) ist aus Kämpfern der Al Itihad al Islami und dem bewaffneten Flügel der Vereinten Islamischen Gerichtshöfe (United Islamic Courts, UIC) hervorgegangen. Unter der Führerschaft von Hassan Ayro wurden zur somalischen Shabab Miliz mit ca. 3 000 Kämpfern noch mehrere Jihadisten aus Pakistan und Afghanistan und aus der somalischen Diaspora mobilisiert. Von den 2007 von den Äthiopiern ausgebildeten Streitkräften der TFG haben sich etliche mit ihren Waffen ihren jeweiligen Clanmilizen angeschlossen, oder sind mit dem 2009 aus dem Amt ausgeschiedenen ehemaligen Präsidenten Abdullahi Yussuf nach Puntland weitergezogen und stehen heute der Übergangsregierung nicht mehr zur Verfügung. Ihre Waffen sind teilweise an Piraten oder andere Milizen verkauft.
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Jammiya zu nennen, ein Kampfverband, der sich zumeist aus Sufiorden zusammensetzt, und im November 2009 einer Zusammenarbeit mit der TFG zugestimmt hatte. 4 Neben der Machtfrage ist es vor allem die ideologische Ausrichtung, die die Akteure in Südsomalia unterscheidet. Während die Übergangsregierung anstrebt, als durch Wahlen legitimierte und durch eine Verfassung gesicherte demokratische Zentralregierung zu agieren, steht für die ideologischen Führer der al Shabab der globale Jihad im Vordergrund. Dabei ist Somalia als Ausgangsbasis für einen weltweiten Kampf für den rechten Weg und die Vernichtung der Falschoder Ungläubigen zu sehen, eine nationale politische Agenda steht dem theologischen Prinzip der Überstaatlichkeit des Khalifats und der umma (Gemeinschaft der Rechtgläubigen) entgegen. Obgleich Sheikh Aweyes in seiner Propaganda ebenso vom Jihad spricht, ist für ihn persönlich die Rückeroberung Großsomalias und die Übernahme des Präsidentenamtes einem weltweiten Jihad vorzuziehen.
Regionale Stabilität Die Zersetzung des Landes hat längst schon destabilisierende Auswirkungen auf die gesamte Region am Horn von Afrika. Hunderttausende von somalischen Flüchtlingen befinden sich vor allem in Kenia, aber auch Dschibuti und Jemen. Der Bürgerkrieg der frühen neunziger Jahre verteilte Zehntausende von somalischen Flüchtlingen nach Kanada, den USA, Schweden, weitere tausende Somalis leben als Arbeitsmigranten in den Golfstaaten. Vor allem das völkerrechtlich nicht anerkannte, aber autonome Somaliland ist eine wichtige Anlaufstelle für Binnenvertriebene aus Südsomalia. Äthiopien und Eritrea scheinen in Somalia eine zweite Front ihres Konfliktes eröffnet zu haben. Die äthiopische Armee intervenierte im Dezember 2006 in Somalia und blieb dort bis Januar 2009, um vor allem in Mogadischu gegen die Vereinten Islamischen Gerichtshöfe (United Islamic Courts, UIC) zu kämpfen und die äthiopienfreundliche Übergangsregierung unter General Abdullahi Yussuf zu unterstützen. Eritrea hingegen war Aufnahmeland für die Vereinten Islamischen Gerichtshöfe und gilt heute als Unterstützer der äthiopienfeindlichen al Shabab-Miliz. Alle Seiten des somalischen Konfliktes erhalten Ausbildung, Unterstützung und Waffen von außen. Äthiopien, Dschibuti und Uganda bilden Soldaten und Polizei der Übergansregierung 4
Ahlu Sunna Wal-Jammiya ist eine Verbindung verschiedener Sufiorden, die sich 2009 bewaffnet hatten, um gegen die Shabab vorzugehen. Laut UN-Report von 10. März 2010 erhält ASWJ seit 2008 Militärunterstützung durch Äthiopien. Durch ihre vertragliche Anbindung an die Übergangsregierung wird diese Unterstützung nicht als Verstoß gegen das Waffenembargo gewertet.
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aus, ebenso rekrutiert Kenia – teilweise unter Zwang – somalistämmige Kenianer für die Truppen der TFG (UN-Dokument, Monitoring Group on Somalia, S/2010/91 v. 10.03.2010, S. 55). Im Rahmen einer Sicherheitssektorstärkung werden Soldaten und Polizei auch von Frankreich, Großbritannien und den USA ausgebildet. Italien und Deutschland finanzieren Ausbildungen und Soldzahlungen durch AMISOM und Ausbildung in den Nachbarländern (UN-Dokument, Background Note, 20.04.2009; BMVG 25.02.2010). Auf der anderen Seite werden Shabab- und Hizb al Islam-Milizen über Eritrea finanziert, die wiederum direkte Zahlungen von Geschäftsleuten aus Saudi-Arabien erhalten (UN-Dokument, Monitoring Group on Somalia, S/2007/436 v. 18.07.2007, S/2007/154 v. 15.03.2007). Ein regionaler Ansatz ist für die Stabilisierung Somalias unabdingbar. Vor allem sollte dabei eine Annäherung zwischen Äthiopien und Eritrea durch Vermittlung von Außen versucht werden.
Politische Ordnung Bis zum Kollaps des Barré-Regimes 1991 lässt sich die Situation in Somalia in drei Phasen aufteilen. Die Zeit des kalten Krieges und der Bürgerkrieg von 19881991, der Zusammenbruch des Staates, und die Phase der Governance ohne Regierung, die bis heute anhält (Bradbury/Healy 2010, S.10). Wo für Südsomalia heute die Abwesenheit des Staates als Herausstellungsmerkmal der politischen Ordnung gilt, lässt sich Somaliland am ehesten als fragile Demokratie bezeichnen. Puntland zeigte durch den Machtwechsel bei den letzten Wahlen 2009, dass zumindest ein Interesse an einer demokratischen Verfasstheit dieser teilautonomen Region Somalias vorhanden ist. Allerdings zeigt sich im Zusammenhang mit der Verstrickung der puntländischen Administration in die Aktivitäten der Piraten, wie schwach letztendlich auch hier zentralstaatliche Strukturen sind. 5 Obgleich die Abwesenheit des Staates und damit auch der rechtsstaatlichen Ordnung, der Bereitstellung von Sicherheit für die Bevölkerung, von Wohlfahrtsleistungen und der Steuerhoheiten in Südsomalia die extremste Form von Fragilität bezeichnet, galt die politische Ordnung unter Siad Barré keineswegs als stabil. Nachdem koloniale Machtinteressen das ehemalige Dervish-Reich in verschiedene Stücke teilten (die fünf Zacken des somalischen Sterns) und die Briten das heutige Somaliland, die Italiener Puntland und Somalia und die Franzosen das heutige Dschibuti kolonialisierten, wurde Somalia 1960 unabhängig. 5
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Siehe dazu auch die Gegendarstellung der puntländischen Regierung Somalia (11.03.2010): Puntland Government Continues Anti-Piracy Campaigns, Rejects Monitoring Group Accusations. www.Puntland-Gov.net (abgerufen am 16.04.2010).
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Neun Jahre später wurde Präsident Scharmarke (der Vater des heutigen Premierministers) bei einem Militärputsch ermordet. Das Militär übernahm die Macht und Siad Barré, ein junger Soldat ohne politische Erfahrung, wurde zum Präsidenten. Barré stellte sich während des kalten Krieges auf die Seite der UdSSR und gründete 1976 die revolutionäre sozialistische Partei Somalias. Mit einem pompösen Militäraufgebot an russischen Panzern und neuester Waffentechnik fiel Barrés Armee 1977 in Äthiopien ein, um den somalistämmigen Teil Äthiopiens, den Ogaden, wieder an Somalia anzugliedern (Lewis 2002, S. 231247). Kurz zuvor hatte sich die Sowjetführung jedoch entschieden, den geostrategisch weitaus bedeutsameren Nachbarn Äthiopien mit seinem seit 1974 ebenfalls kommunistisch ausgerichteten Diktator Mengistu Haile Mariam zu unterstützen. Barré scheiterte im Ogaden, legte aber die Grundlage für den anhaltenden Kampf der ONLF (Ogaden National Liberation Front), die bis heute um die Unabhängigkeit des Ogaden von Äthiopien kämpft. Präsident Barré, ausgerüstet mit einer der modernsten Armeen in Afrika, konnte weder die Amerikaner unter Präsident Carter überzeugen, Somalia zu unterstützen, noch war er im Stande, sich die Unterstützung im Land selbst zu sichern. Sein Regime wurde zunehmend totalitärer, seine Familie galt als Zentrum der neopatrimonialen Klientelbeziehung, die keinen anderen Clan oder Subclan an politischen Entscheidungen beteiligen wollte. Mehr als vier bewaffnete Bewegungen 6 und Oppositionsgruppen führten Krieg gegen das Regime, das letztendlich im Januar 1991 kollabierte. Zunächst erschien der Sturz von Siad Barré wie eine Befreiung von den anhaltenden Bürgerkriegen, die das Land seit 1988 auch ökonomisch lahm gelegt, zehntausende Opfer gefordert und mehrere hunderttausend Somalis vertrieben hatten. Grund zum Optimismus gab es vor allem durch die klanübergreifende Allianz der bewaffneten und politischen Opposition, die Barré gestürzt hatte. Doch gleich nachdem der Führer der Manifesto-Gruppe, Ali Mahdi Muhammad, als Übergangspräsident bestimmt wurde, begann die Allianz zu brechen. Der Anführer des United Somali Congress, General Mohamed Farrah Aidid, und andere sträubten sich gegen die Besetzung. Ein zerstörerischer Bürger- und Clankrieg begann, der über mehr als 1,5 Millionen Somali zu Flüchtlingen außer Landes machte und mehr als 25 000 Menschen allein in Mogadischu das Leben kostete.
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Somali Salvation Democratic Front (SSDF); United Somali Congress (USC); Somali National Movement (SNM), Somali Patriotic Movement (SPM) und die politische Opposition; Somali Democratic Movement (SDM), Somali Democratic Alliance (SDA), Somali Manifesto Group (SMG).
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Fragile Staatlichkeit Durch das Fehlen staatlicher Strukturen ist in Südsomalia vom Handel, der Gesundheitsversorgung, der Bildung bis zur Sicherheit alles in privater Hand (Weber 2008, S. 22-26). Es gibt keinen zentralen Ansprechpartner für die somalischen Bürger und keine Ebene, auf die sich andere Staaten beziehen könnten. Verschiedenste Gewaltakteure konkurrieren um territoriale Kontrolle und gesellschaftliche Legitimität. Akteure und ihre Allianzen wechseln schnell, und transnational agierende Gewaltakteure, wie etwa jihadistische Organisationen 7 oder AlQuaida, profitieren davon, dass es in Somalia keine staatlichen Strukturen gibt und die Regierung kein Gewaltmonopol innehat. Bislang scheiterten die Versuche der Staatsbildung von außen meist daran, dass die Teilnahme an einer Übergangsregierung 8 zwar finanzielle Einnahmen und politische Macht für die vertretenen Subclans garantierte, nicht aber die Übernahme politischer Verantwortung bedeutete. Es ist jedoch keineswegs so, dass aus der Erfahrung des Raubregimes von Siad Barré die Abkehr von zentralstaatlichen Strukturen als einzige Konsequenz bleibt. Am Beispiel Somalilands, das sich sofort nach dem Sturz Barrés nicht nur unabhängig erklärte, sondern auch zur Zentralstaatlichkeit entschied, zeichnet sich eine friedliche Konfliktregulierung und politische Stabilität ab (Ibrahim/ Terlinden 2010, S. 76). Die politische Stabilität Somalilands zeigt sich auch an der weitaus produktiveren Ökonomie. Der Handel über den Hafen von Berbera blüht, Investitionen, die in Südsomalia undenkbar wären, werden in Somaliland zumeist von Auslandsomali getätigt (Höhne 2009, S. 252-281; Ciabarri 2009). Das Fehlen staatlicher Strukturen in Südsomalia hingegen verhindert, dass die Wirtschaft an den regionalen oder internationalen Markt mit rechtlichen Garantien angebunden ist. Neben der Sicherheit und der wirtschaftlichen Instabilität ist die Abwesenheit des Staates in der mangelnden Rechtsstaatlichkeit sichtbar. 9 7
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Siehe zur Frage von Terrorismus und Jihad in Somalia Menkhaus, Ken (2004): Somalia. State Collapse and the Threat of Terrorism, In: Adelphi Paper, University of Oxford, 364; BBC News (19.03.2009): Osama bin Laden calling to join Al-Shababb. Topple Somali Leader – bin Laden, http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7952310.stm (abgerufen am 22.03.2010); US Senat Committee on Foreign Relations (20.01.2010): Al Qaida in Yemen and Somalia. A Ticking Timebomb, http://foreign.senate.gov/imo/media/doc/ Yemen.pdf (abgerufen am 22.03.2010). Die Frage des Scheiterns der bisherigen Friedensbemühungen ist ausführlich erläutert in: Bradbury, Mark (2009): Whose peace is it anyway? Connecting Somalia and international peacemaking, In: Accord 21 und Bradbury, Mark (2009): The search for peace. Somali Programme. Somalias Wirtschaftsdaten werden seit 1991 nur noch geschätzt. Das Land lag bei der letzten Einschätzung des Menschlichen Entwicklungsindexes auf Platz 172 von 174 und wird seit 1997 auf Grund mangelnder Daten nicht mehr gelistet.
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Gerichtsbarkeit und Justiz ist ebenso wie Bildung und Gesundheit privaten Anbietern überlassen. (Le Sage 2007, S. 147-165). Rechtssicherheit kann ohne Gerichtsbarkeit und Polizei im nationalen Rahmen ebenfalls nicht gewährleistet werden.
Sozio-ökonomische Situation Vorrangig werden aus Somalia Vieh und Bananen an die Vereinten Arabischen Emirate exportiert – für das Jahr 2008 wird der Export auf 456 Millionen USDollar geschätzt, der Import von zumeist Industrieerzeugnissen, die vorwiegend über Dschibuti eingeführt wurden, belief sich auf 1 131 Millionen US-Dollar für 2008. (The Economist Intelligence Unit Februar 2010, S. 6; Little 2003) Fischfang und Landwirtschaft spielen ebenfalls eine Rolle, schlagen sich aber gegenüber der weitaus größten finanziellen Einkommensquelle – den Auslandsüberweisungen – nur marginal nieder. Dabei wird geschätzt, dass der Gesamtumfang der Auslandsüberweisungen bei einer Milliarde Dollar im Jahr liegt. War der Staat unter Barré vor allem auf die Selbstbereicherung des Präsidenten ausgerichtet, so ist die Umverteilung heute durch Geschäftleute zumindest breiter gestreut (Leeson 2007, S. 689-710, S. 639). Für eine Mangelökonomie herrschen im staatenlosen Zustand Südsomalias gute Bedingungen, einem nachhaltigen ökonomischen Wachstum und der Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung steht diese privatisierte und zuweilen kriminelle Ökonomie allerdings entgegen. Somalia bot schon vor dem Boom der Piraterie ein Territorium, auf dem ideale Bedingungen für Waffen-, Drogenund Menschenschmuggel herrschten. Durch die Abwesenheit des Staates gibt es keine staatlichen Sicherheitsorgane, die daran interessiert wären, illegalen Handel zu unterbinden, gleichzeitig verfügt Somalia über die schnellste Internetverbindung auf dem Kontinent (Reuters 19.03.2010) und hat ein dichtes Mobilfunknetz. Informeller Handel kann unter diesen Bedingungen in Somalia einfach abgewickelt werden und die informellen Hawala-Finanzierungen verfügen weder über Nachweis- noch Nachprüfbarkeitsstrukturen (A.A. Ismail, 2007). In vielen Fällen ist der Einfluss der Diaspora positiv auf Postkonfliktgesellschaften. 10 So investiert die Diaspora in den Bildungs-, und Gesundheitsbereich Somalilands und sichert sich so auch ein politisches Mitspracherecht. Auch Südsomalia finanziert sich vorwiegend aus Geldern, die aus der Diaspora an Familien oder Clans überwiesen werden (UNDP März 2009). Anders als in Somaliland 10
Siehe dazu Farah, Abdulkadir Osman: Diaspora involvement in the development of Somalia, DIIPER, 2009, (eingesehen am 22.03.2010).
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scheint der politische Einfluss der Diaspora-Somali im Süden des Landes allerdings stärker den anhaltenden Konflikt zu schüren, als auf Friedensverhandlungen und nachhaltige Entwicklung zu setzen.11 Nicht nur einzelne Warlords werden über die Clankassen, die aus der Diaspora finanziert werden, militärisch ausgerüstet. Auch al Shabab und Hizb al Islam nutzen das Internet, um in der Diaspora große Summen an Geld für ihre Kriegsausrüstung zu akquirieren (UNDokument, Monitoring Group on Somalia, S/2010/91 v. 10.03.2010, S. 27).
Piraterie Obgleich die Piraterie als Weiterentwicklung der Konfliktökonomie auf dem Festland Somalias gesehen werden kann, birgt sie einige Spezifika, die von besonderem Interesse sind. Im Vergleich zur Aufzucht und dem Verkauf von Lebendvieh ist die Piraterie um ein Vielfaches lukrativer. Im Jahr 2008 kann von mindestens 100 Millionen US-Dollar Gewinn durch Piraterie ausgegangen werden. Sie ist für die beteiligten Piraten interessant, da sie weniger Gefahr mit sich bringt, Teil einer kämpfenden Miliz auf dem Festland zu sein. Piraterie hat die Unterstützung der Bevölkerung und garantiert eine deutliche Verbesserung des sozialen Status. Zum Phänomen der Piraterie zählt auch, dass die Ursachen, neben den fragilen staatlichen Strukturen in Puntland und der Konfliktökonomie im Somalia insgesamt, durchaus im Raubbau vorhandener Ressourcen durch externe Akteure zu sehen sind. Die Überfischung vor Somalias Küsten durch – unter anderem auch europäische – Fangflotten hat die Somalis, Piraten und Zivilisten gleichermaßen, darin bestärkt, dass illegale Ökonomien durchaus auch in größerem Umfang, selbst von europäischen Ländern unterstützt werden12 (Weber 2009). Hier besteht in der somalischen Perzeption eine Diskrepanz im Umgang externer Akteure mit illegaler Ökonomie. Die Bekämpfung und Bestrafung der Piraten bei gleichzeitigem Ignorieren illegaler Fangflotten erscheint aus somalischer Sicht schlicht ungerecht. Zum einen führt dies zu einer Tolerierung und
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Zu den Aspekten der verschiedenen Friedensinitiativen, sowohl regional als auch durch somalische Initiativen selbst, siehe: Bradbury, Mark (Juni 2009): The search for Peace. Somali Programme. A Synthesis Report of the Peace Mapping Study. Interpeace, Academy for Peace and Development, Puntland Development Research Center. Und: Bradbury, Mark (2009): Whose peace is it anyway? Connecting Somalia and international peacemaking, in: Accord 21; Bradbury, Mark (2009): The search for peace. Somali Programme. Siehe zur Überfischung auch Marine Resources Assessment Group (MRAG) (Hg.), Review of Impacts of Illegal, Unreported and Unregulated Fishing on Developing Countries. Final Report, London, Juli 2005.
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Unterstützung der Piraterie, zum andern zu Argwohn und Misstrauen gegenüber externen Akteuren.
Intervention von außen Die Geschichte externer Interventionen in Somalia ist von einer Unwilligkeit geprägt, sich längerfristig in Somalia zu engagieren. Zumeist schließen sich überstürzte Interventionen nach langen Phasen der Abwesenheit und Vernachlässigung an. Bislang sind alle Versuche einer Regierungsbildung von außen und Allianzbildungen mit bestimmten Warlords misslungen, mit der Konsequenz, dass externe Akteure zu immer desperateren Mitteln greifen. Die Kriege auf dem Balkan und am Golf zu Beginn der neunziger Jahre bündelten die Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschaft und erst 1992 wurde versucht, durch die Vereinten Nationen einen Waffenstillstand zwischen den Truppen von Ali Mahdi und Mohamed Farah Aideed zu verhandeln. Die kleine Mission der Vereinten Nationen, UNOSOM, konnte die Gewalt in Somalia nicht beenden. Präsident Clinton wollte den Führungsanspruch der USA bei humanitären Interventionen unterstreichen und entsandte US-Truppen, um UNOSOM zu unterstützen. Die Mission der Vereinten Nationen (UNOSOM I), die von April 1992 bis März 1993 in Südsomalia aktiv war, wurde zunächst durch die US-geführte Unified Task Force Somalia (UNITAF) Mission verstärkt, die dann wiederum durch UNOSOM II abgelöst wurde. UNOSOM II musste sich im März 1995 aus Somalia zurückziehen, ohne das ursprüngliche Ziel, die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens zwischen den beiden Warlords, General Aideed und Ali Mahdi, erreicht zu haben. UNITAF war durch ein UNMandat und mit der Sicherheitsratsresolution 794 ausgestattet, um die Versorgung, der durch den Krieg Not leidenden Bevölkerung Südsomalias zu gewährleisten. Die Mission wurde unter weltweiter medialer Aufmerksamkeit unter dem Namen Operation Restore Hope als erste rein humanitäre Mission lanciert. Durch ihre Parteinahme und vor allem nach der, auf der somalischen Seite, verlustreichen Schlacht um Mogadischu, bei der Aideeds Truppen achtzehn Marines töteten und die Toten brutal öffentlich zur Schau stellten und verstümmelten, hatte sich das Verhältnis der externen Akteure zu Somalia nachhaltig verändert.13 Bis heute ist es den Vereinten Nationen trotz dringlicher Anfragen verschiedener Generalsekretäre nicht gelungen, eine erneute Mission nach Somalia zu entsenden. Neben der katastrophalen Sicherheitslage stand vor allem das Desinteresse 13
Während einer Schlacht in Mogadischu am 3. Oktober 1993 zwischen Aideed und Ali Mahdis Truppen wurde ein Hubschrauber der US-Marines abgeschossen, dabei wurden achtzehn Marines und fast 1 000 Somalier getötet.
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der kämpfenden Parteien an einem Friedensschluss einem VN-Friedensengagement entgegen. Die Afrikanische Union ist seit 2008 mit einer knapp 6 000 Mann starken Mission im Land, vorrangig, um die Übergangsregierung zu stützen. Ansonsten sind sowohl die EU als auch NATO und ca. 20 Einzelkontingente vor der Küste Somalias in Missionen gegen die Piraterie, zur Begleitung der Versorgungsschiffe des Welternährungsprogramms für Somalia und zur Sicherung der Handelswege aktiv (Weber 2009).
Diskrepanz der Interessen Das weitaus größte Dilemma der internationalen Interventionen in Somalia besteht darin, dass die Interventionen kaum an die Interessen der nationalen Akteure angebunden sind. Interventionen werden von außen geplant und teilweise durchgeführt, ohne Anbindung an lokale Interessensgruppen oder gar die somalische Bevölkerung; mitunter ein Grund, warum die Versuche bislang gescheitert sind. Galten die Interventionen der frühen neunziger Jahre (UNOSOM und UNTAF) als parteiisch, werden die äthiopischen Interventionstruppen, aber auch die AU-Truppe AMISOM angeklagt, sich durch massive Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilisten selbst zur aktiven Kriegspartei zu machen.14 Keiner Intervention ist es bislang gelungen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Oftmals ist durch die Intervention eine Solidarisierungswelle innerhalb der somalischen Bevölkerung zu beobachten, die in den letzten Jahren auch dazu geführt hat, dass die jihadistische al Shabab größeren Zulauf erhielt, da sie als 14
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Von mehreren Seiten werden schwere Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen sowohl gegenüber der Mission der AU als auch der äthiopischen Interventionsmacht und dem CIA, Kenia, Somalia und Äthiopien erhoben. Siehe dazu Voice of America (14.4.2010): Death Toll in Mogadishu Rises Amid Allegations Against AU Forces. http://www.voanews.com/english/news/Death-Toll-in-Mogadishu-Rises-AmidAllegations-Against-AU-Forces----90754409.html (abgerufen am 15.04.2010); Human Rights Watch (05.02.2009): Somalia: New Violence Highlights Need for Independent Inquiry, http://www.hrw.org/en/news/2009/02/05/somalia-new-violence-highlights-needindependent-inquiry (abgerufen am 16.04.2010); Vorwürfe gegen die USA und Kenia siehe Reprieve/Cageprisoners (März 2007): Mass Rendition, Incommunicado Detention and Possible Torture of Foreign Nationals in Kenya, Somalia and Ethiopia, http://static. reprieve.org.uk/static/downloads/2007_03_21_Rendition_Report.pdf (abgerufen am 15. 04.2010); zu Menschenrechtsverletzungen der Interventionsarmee Äthiopiens siehe Amnesty International (März 2010): No end in sight: The ongoing suffering of Somalia’s civilians. Index: AFR 52/003/2010. http://www.amnesty.org/en/library/asset/AFR52/003/ 2010/en/6d0c975e-c16e-4974-a9ec-645d9a6aa5f2/afr520032010en.pdf (abgerufen am 15.04.2010) und Human Rights Watch (08.12.2008): “So much fear” – War Crimes and the Devastation of Somalia. http://www.hrw.org/node/76419 (abgerufen am 15.04.2010).
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Kampfziel die Zerstörung jeglicher Okkupationsmacht artikuliert. Dieser Solidarisierungseffekt, der häufig als besonders erschwerender Faktor für eine Konfliktlösung in Südsomalia benannt wird, zeugt vorrangig davon, dass die Gewaltordnung der letzten beiden Jahrzehnte zwar desaströse Folgen für die Zivilbevölkerung hat, durch die Aktionen externer Akteure aber auch kein Anreiz gegeben wurde, Vertrauen oder gar Loyalität zu anderen Akteuren als den bekannten Warlords und Milizen aufzubauen. Die US-Regierung, sowohl unter Präsident Bush als auch unter Präsident Obama, sieht in Somalia einen möglichen neuen al-Qaida-Standort und unterstützt die Übergangsregierung Somalias sowohl durch Waffen als auch durch Ausbildung (Reuters 26.06.2009, United States Senate Committee on Foreign Relations 20.01.2010), vor allem nachdem Osama Bin Laden im März 2009 dazu aufgerufen hatte, sich der al Shabab in Somalia in ihrem Jihad anzuschließen, und die Shabab sich dazu bekannt hatte, als Untergruppe von al-Qaida zu agieren. 15 Mehrere private Sicherheitsfirmen sind in Somalia aktiv bei der Unterstützung und Ausbildung der TFG, der puntländischen Administration und der AUMission AMISOM (UN-Dokument, Monitoring Group on Somalia, S/2010/91 v. 10.03.2010, S. 58). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach die Arabische Liga private Sicherheitsfirmen aus den USA finanziert, die die Sicherheit der Übergangsregierung gewährleisten sollen (Bennet 23.11.2009).
Szenarien für Somalia Zur Prognostik über die Entwicklung in Somalia lassen sich Faktoren bestimmen und Wahrscheinlichkeiten erwägen, von denen dann letztendlich auch die Anforderungen an externe Akteure abhängen werden. Die folgenden Szenarien beziehen sich dabei ausschließlich auf Südsomalia und nehmen nur kursorisch Bezug auf die Entwicklungen in Puntland. Die beiden derzeit wahrscheinlichsten Szenarien sehen al Shabab als prägendste und einflussreichste politische Kraft in Somalia in den nächsten Monaten. Die Bemühungen der externen Akteure jedoch beziehen sich vielmehr auf Szenario 3.
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Das Kommuniqué, das von Osama Bin Laden erlassen wurde, erschien unter dem Titel „Fight on, O Champions of Somalia“, woraufhin die Shabab mit einem Video konterte. Zu Beginn 2010 hatten sich mehrere Shabab-Mitglieder zur Al Qaida bekannt.
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Unhaltbare Macht Es ist der Übergangsregierung (TFG) nicht möglich – trotz Unterstützung von Außen – einen militärischen Sieg gegenüber al Shabab zu erlangen. Die Pattsituation der nahezu gleich starken Gegner, entscheidet sich – aufgrund der finanziellen Möglichkeiten der Shabab, junge Männer anzuwerben, und der Entscheidung einiger Hizb al Islam-Kommandeure, zur Shabab überzulaufen – für die Shabab. 16 Die derzeit von der EU und den USA ausgebildeten Soldaten der Übergangsregierung kehren entweder gar nicht nach Somalia zurück oder wechseln dort, spätestens wenn die TFG nicht in der Lage ist, ihnen regelmäßig Sold zu bezahlen, die Seite und kämpfen für al Shabab oder andere Warlords. Durch das lange Zögern der Übergangsregierung, Kontakte zu Hizb al Islam und moderaten Shabab-Führern aufzunehmen, ist eine politische Konsolidierung weiterhin nicht in Sicht. Zunehmend wird die TFG wegen Korruption und Selbstbereicherung, vor allem aber wegen ihrer nicht vorhandenen Legitimation und Effektivität auch von externen Akteuren mit Zurückhaltung behandelt. Die USA setzten auf eine Strategie des politischen Desengagements und der militärischen Eindämmung. Al-Qaida-Verdächtige werden durch gezielte Raketenangriffe der Amerikaner getötet, die dafür die Resolution 1851 des Sicherheitsrates als Legitimation heranziehen. 17 Handelswege werden durch die europäische maritime Sicherheitsmission EU NAVFOR Atalanta, die NATO und zahlreiche nationale Kontingenten gesichert. Humanitärer Zugang zur Not leidenden Bevölkerung wird durch direkte Verhandlungen zwischen humanitären Organisationen und der Shabab gewährleistet. Die Mission der Afrikanischen Union zieht sich zurück, da trotz wiederholter Ankündigung seitens der Vereinten Nationen keine Friedensmission nach Somalia entsandt wird. Da AMISOM als Brückenmission zur Vorbereitung einer VN-Mission konzipiert war, finanziell vorrangig durch die EU finanziert wird und in den Entsendestaaten der Unmut über diese gefährliche und wenig effektive Mission wächst, ist die AU nicht mehr bereit, die Mission zu verlängern. Die Vorwürfe gegen Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Kriegsrechts (Genfer Konventionen) gegenüber der AU-Mission wachsen, einer möglichen Anklage mag sich keines der beteiligten Länder (Uganda und Burundi) aussetzen. 16 17
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Sowohl die Vereinten Nationen, als auch Sicherheitsanalysten gehen von einer ungefähren Stärke der Shabab und der TFG von ca. 3 000 bewaffneten Kämpfern bzw. Soldaten aus. UN-Dokument, Monitoring Group on Somalia, S/2010/91 v. 10.03.2010, S. 15. Im Rahmen der Mandatsverhandlungen zur Pirateriebekämpfung wurde mit Resolution 1851 von Seiten der Übergangsregierung die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, die Sicherheit der TFG zu unterstützten. Der Luftraum über Somalia wurde zur Bekämpfung von Piraterie und zur Sicherung der TFG für externe Akteure geöffnet. Siehe UN-Dokument S/2008/51 v. 16.12.2008.
Somalia – mächtige Probleme, halbgare Lösungen
Die Schwäche der TFG und der Rückzug geben der al Shabab zunächst die Möglichkeit, Mogadischu zu kontrollieren und sich von dort aus auszudehnen. Allerdings ist es recht unwahrscheinlich, dass al Shabab ausreichend Unterstützung aus der Bevölkerung oder gar der lokalen Autoritäten erhält. Eine Herrschaft der Shabab, die ausschließlich auf Zwang und militärischer Kontrolle basiert, ist auf Dauer nicht zu leisten. Mehr und mehr Selbstverteidigungsmilizen entstehen entlang Sub-Clan- und Dorfebenen, die sich gegen die Shabab auflehnen und auf Grund ihrer besseren territorialen Kenntnisse den Shabab-Milizen ernsthaften Schaden zufügen und sie letztendlich zum militärischen Rückzug zwingen können. Aufgrund lukrativer Verbindungen zu Geschäftsleuten und transnationalen Schmugglernetzwerken gelingt es al Shabab, die Hafenstädte Kismayo und Mogadischu länger zu kontrollieren, vor allem, wenn sie eine Vereinbarung mit dem Welternährungsprogramm über die Versorgung der Zivilbevölkerung aushandeln und sich dadurch die Unterstützung der Bevölkerung sichern. Mittelfristig wird Südsomalia wieder zurück in Clan-, und regional organisierte Gewaltordnungen zerfallen. Ein Erstarken der Shabab wird auch die Politik in Somaliland beeinflussen, da diese nach dem Fall der TFG auf andere Nahziele als Feindbilder ausweichen wird. Wie schon bei den Anschlägen in Somaliland im Oktober 2008 wird die Regierung unter Präsident Dahir Rayale Kahin als Apostaten und Isaaq-dominiert zum Anschlagsziel erklärt werden. Obgleich sich externe Akteure einig in der Analyse sind, dass Somaliland im Vergleich zu Somalia eine sich stabilisierende Demokratie ist, die als Vorbildcharakter nach Somalia ausstrahlen könnte, sieht sich kein Land in der Position, einer angestrebten Unabhängigkeit Somalilands zu zustimmen. Somaliland wird weiterhin als Zufluchtsort für die ständig wachsende Zahl südsomalischer Flüchtlinge fungieren, ohne dass diese dort durch die Weltflüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen betreut werden können, gerade weil Somaliland als Teil Somalias diese Flüchtlinge als internes Binnenvertriebenenproblem anerkennen muss. Obgleich Puntlands Präsident Abdirahman Mohamed Farole bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2009 mit 49 von 66 Stimmen alle anderen Kandidaten weit hinter sich gelassen hatte und auch von der internationalen Staatengemeinschaft als Präsident gefeiert wurde, der vor allem gegen die Korruption in Puntland vorgehen werde, hat sich seine interne und externe Popularität nicht lange gehalten. Heute gilt die puntländische Administration als tief in die Piraterie verwickelt. Nicht nur gehen ca. 15% der Piraterieprofite an die Administration. Es ist Präsident Farole bislang auch nicht gelungen, sich und seinen politischen Apparat glaubwürdig im Kampf gegen die Piraterie zu positionieren. Zunehmende Auseinandersetzungen in Puntland führen zu einer Fragmentierung und zur Formation neuer Milizen, die teilweise mit den Piratengruppierungen kooperieren, teilweise dem ehemaligen puntländischen und somalischen Präsidenten Abdullahi Yussuf nahe stehen. 267
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Der Gottesstaat In diesem Szenario nimmt al Shabab durch einen Sieg in einer weiteren Schlacht um Mogadischu die strategisch wichtigen Punkte, wie den Hafen, den Flughafen und den Präsidentenpalast ein. Die Mission der Afrikanischen Mission verhandelt einen Rückzug und verlässt das Land, die wenigen Vertreter der Übergangsregierung, die sich im Land befinden, ziehen sich ebenfalls in die Nachbarländer zurück. Die Truppen der TFG sind teilweise schon während der Kampfhandlungen zur Shabab übergelaufen oder ziehen sich zurück und integrieren sich in kleinteiligere Clanmilizen. Shabab-Anführer mit einer nationalen Agenda werden sich mit traditionellen Autoritäten, Geschäftsleuten und Clanführern verbünden und somit zunächst von der Bevölkerung, wenn nicht legitimiert, so doch geduldet werden. Die Führung der Shabab wird humanitären Organisationen den Zugang zur notleidenden Bevölkerung erlauben, allerdings unter ihrer Kontrolle und nur zur notwendigen Grundversorgung. Vor allem Frauen und Mädchen werden massive Einschränkungen ihrer politischen und sozialen Freiheiten und Rechte erleben. Vereinzelt wird es zu Auseinandersetzungen zwischen Clans, lokalen Autoritäten und auch mit Truppen der Ahlu Sunna wal Jamiya kommen. Al Shabab wird keine zentralstaatliche Position anstreben und ihre territoriale Kontrolle und Macht vorwiegend durch Verbindungen zu den lokalen Autoritäten nach innen sichern. Da durch den in der somalischen Bevölkerung tief verwurzelten Sufi Islam nicht davon auszugehen ist, dass eine ideologische Umorientierung hin zum wahabitisch beeinflussten Islam der Shabab erfolgen wird, muss die Shabab die Unterstützung der Bevölkerung anders zu sichern suchen. Vorrangig wird es dabei um soziale Dienstleistungen gehen, die über den Sold für junge Shababmilizen hinaus reichen. Dazu bedarf die Shabab finanzstarker Geldgeber, Beziehungen zu transnationalen kriminellen Netzwerken und möglicherweise einer Kooperation mit Piratenverbänden zur See. Vor allem bedarf die Shabab aber eines vorzeigbaren Erfolgs bei der Verbesserung der sozialen und politischen Infrastruktur in Somalia, um die Diaspora zu überzeugen, dass ihre Struktur die Remittenten aus dem Ausland wert ist. Da Somalia keine ausbeutbaren Rohstoffe birgt, die als konfliktökonomische Sicherung für die Shabab dienen könnten, ist eine langfristige Finanzierung, die zum Erfolg der Shabab maßgeblich beiträgt, schwer vorstellbar.
Überraschungssieg Das unwahrscheinlichste und überraschendste Szenario wäre ein Sieg der Übergangsregierung. Ausgerüstet mit Waffen aus den USA und Äthiopien, trainiert durch die EU und AU und motiviert durch erfolgreiche Friedensverhandlungen in Dschibuti, an denen sich sowohl Sheikh Aweyes mit Hizb al Islam, als auch 268
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Teile der Shabab mit ihrem Interesse an einer Regierungsbeteiligung in Somalia beteiligen, geht die Übergangsregierung unter Sheikh Sharif Sheikh Ahmed gestärkt hervor. Die Bevölkerung sieht sich durch die neue Regierung adäquat repräsentiert. Für Somalia wird ein Stabilisierungs- und Wiederaufbaupaket verabschiedet, das sowohl die Versorgung der Grundbedürfnisse als auch ein verlässliches und moderates Model für die Auszahlung von Sold für Soldaten, als auch von Bezügen für Ärzte, Lehrer und andere Angestellte vorsieht. Die Regierung in Puntland konzentriert sich auf die Bekämpfung der Korruption und die Eindämmung der Piraterie. Das zurückgewonnene Gewaltmonopol des Staates, sowohl in Puntland als auch in Somalia, führt dazu, dass die Sicherheitslage deutlich verbessert wird und die notwendigen Unterstützungen für einen Wiederaufbau und einen Staatsaufbau im Land gelangen können. Die Lehre aus der Abwesenheit des Zentralstaates und der Basisfunktion lokaler Governance wird gezogen. Zunächst werden lokale Parlamente und Gouverneure gewählt, dann erst die zentralstaatliche Exekutive.
Perspektiven Die Verbesserung der katastrophalen Situation in Somalia wird ganz ohne Perspektivenwechsel sowohl der lokalen als auch der internationalen Akteure nicht auskommen. Die Frage nach der Relevanz oder gar Alternativlosigkeit zum Zentralstaat ist dabei ebenso wichtig wie die Erörterung der Sichtweisen der lokalen und internationalen Akteure (Weber 2008, S. 20). Sicherlich spielt Sicherheit und Stabilität für beide Gruppen eine herausragende Rolle, unklar bleibt allerdings, wie unterschiedlich die Bedrohung und Sicherheitsszenarien der beiden Akteure sind. Für die externen Akteure ist der Aufbau, zumindest eines Gerüsts von Staatlichkeit notwendig, um im völkerrechtlichen diplomatischen Rahmen überhaupt ein Gegenüber anerkennen zu können. Wie das Gerüst des Staates dann aber ausgefüllt wird, ob durch dezentrale, lokale Strukturen oder durch die Ernennung von Repräsentanten auf zentralstaatlicher Ebene, muss letztendlich der somalischen Bevölkerung selbst überlassen bleiben. Ohne sie wird auch der nächste Versuch, eine Regierung von außen zu etablieren, scheitern. Vorsicht vor überschnellen Hoffnungen auf ein tragfähiges Clangerüst ist dennoch geboten. Gerade durch die zerstörerischen Clankriege der neunziger Jahre und die massiven Vertreibungswellen auf Grund anhaltender gewaltförmiger Auseinandersetzungen in Südsomalia ist sowohl die Familienstruktur als auch die Clanstruktur nicht mehr so tragfähig wie vor einigen Jahren. Hier schließt sich ein weiterer notwendiger Perspektivwechsel an. Lokale Entscheidungsträger, Clan-, und Dorfälteste, haben gerade auf Grund der jüngsten Entwicklungen große Einbußen in ihrer Autorität erlebt. In Gebieten, in denen al 269
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Shabab territoriale Kontrolle ausübt und über die Belange der Bevölkerung zu bestimmen vermag, gab es seit Januar 2009 vermehrt Auseinandersetzungen zwischen lokalen Autoritäten und jungen Shabab-Kommandeuren, die sich über Alters- und Clangrenzen hinweg Entscheidungskompetenzen zusprechen und über die Belange der Bevölkerung bestimmen wollen. Dieser respektlose Umgang mit bislang gültigen Hierarchien birgt eine neue Dynamik der Kompetenzund Machtstreitigkeiten, die weit über die bisherigen Clanstreitigkeiten hinausgehen. Das soziale Gefüge gerät dabei aus den Fugen. Die Entscheidung der Shabab, ihre Reihen auch ausländischen Jihadisten zu öffnen und diese zu Kommandeuren zu benennen, führt ebenfalls dazu, dass die bisher gültigen Clanhierarchien in dieser neuen Gewaltakteursgruppe nicht mehr greifen. Diese Veränderungen stellen neue Qualitäten des Akteursspektrums dar, bedürfen aber für den Umgang mit diesen neuen Akteuren auch einer Perspektivänderung der externen Akteure. Oft stand den externen Akteuren eine unflexible, wenig informierte Analyse der nationalen Akteure im Weg, um sich mit einer Lösung der Problematik in Somalia zu befassen. So galten zum Beispiel die Vereinten Islamischen Gerichtshöfe (Weber 2007) gleichermaßen als islamistisch und wurden weder von den Vereinten Nationen noch von der AU oder der EU als legitime Repräsentanten einer großen Zahl somalischer Zivilbevölkerung gesehen, die sich nicht mit der damaligen Übergangsregierung unter General Abdullai Yussuf identifizieren konnte. Auf Grund der agitatorischen Ausbrüche der Anführer von zwei (von elf) Gerichthöfen (Sheikh Aweyes und Hassan Ayro) wurden die Gerichthöfe insgesamt als Bedrohung der TFG und gleichermaßen der Stabilität Somalias begriffen. Das Interesse Äthiopiens, durch eine Militärintervention die Gerichthöfe militärisch zu besiegen, den alten Feind und Al Itihad al Islami-Gründer Sheikh Aweyes zu vernichten und die äthiopienfreundliche Regierung unter Abdullahi Yussuf zu stützen, wurde von außen legitimiert und unterstützt. Erst nach dem Einmarsch der äthiopischen Streitkräfte wurde deutlich, dass es sich bei den Gerichthöfen um eine heterogene Gruppierung handelte, deren Mehrheit für eine Stabilisierung und Normalisierung der Situation in Somalia eingetreten war. Die Intervention führte dazu, dass sich die Vorsitzenden der Gerichtshöfe ins Exil nach Asmara und den Jemen begaben, von wo sie deutlich radikalisierter als bewaffnete Gruppierung (Hizb al Islam und al Shabab) wieder nach Somalia zurückkehrten. Die verkürzte Darstellung der gesamten Gerichtshöfe als Terrororganisation verhalf den radikalen Elementen der Gerichthöfe, ihren Einfluss zu stärken sowie auf breiterer Ebene mobilisieren zu können und führte dazu, dass die moderaten Elemente ebenfalls radikalisiert wurden und die Kommunikationskanäle für politische Verhandlungen vermehrt geschlossen blieben (Marchal 2007, Menkhaus 2007). Ähnlich stellt sich das Problem auch heute dar, nachdem Teile der Gerichtshöfe, die mit dem heutigen Präsidenten Sheikh Sharif Sheikh Ahmed die Alliance for the Re-Liberation of Somalia (ARS) im eritreischen Exil 270
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gegründet hatten, durch die Friedensgespräche in Dschibuti zu einer Mitarbeit in der somalischen Übergangsregierung überzeugt wurden. Sheikh Sharif Sheikh Ahmed, ehemaliger Sprecher der UICs und heutiger Präsident, sieht sich vor ähnliche Herausforderungen gestellt, da für mögliche Waffenstillstandsgespräche sowohl Kontakt mit dem Führer der Hizb al Islam, Sheikh Aweyes, als auch mit einzelnen Anführern der al Shabab notwendig wären. Beide Organisationen stehen auf der Terrorliste der USA und wurden bislang als mögliche Gesprächspartner von der internationalen Staatengemeinschaft abgelehnt. Da die Übergangsregierung faktisch jedoch nicht mehr als einen Straßenzug in Mogadischu mit Hilfe der Truppen der Afrikanischen Union kontrolliert, ist eine politische Auseinandersetzung mit den Gruppierungen, die eine nationale Agenda verfolgen, unabdingbar. Es sei denn, man verfolgt die Idee des völligen Desengagements und beendet dabei die Unterstützung auch für die Übergangsregierung (Bruton 2010, S. 25). Diese Strategie beinhaltet ein erhöhtes Engagement im Entwicklungsbereich, auch ohne politische und staatliche Rahmenbedingungen. Sie sieht ein gezieltes Anti-Terrorbekämpfungsprogramm vor, das sensibel gegenüber der Bevölkerung vorgeht, und setzt auf das den politischen Kollaps von al Shabab. Zur mangelnden Flexibilität der internationalen Staatengemeinschaft kommt hinzu, dass die Interessen der externen Akteure keineswegs einheitlich sind. Gilt für die US-Administration die Bedrohung durch Al Qaida als markantester Punkt der Somaliapolitik, ist es für viele europäische Länder, insbesondere Deutschland, vor allem die Beeinträchtigung der Handelswege, die durch die Piraterie am Golf von Aden stark gefährdet sind. Die Nachbarländer sehen zunehmende Flüchtlingsströme 18 (nach Kenia und Jemen) als Problem, für andere ist die Ausbreitung jihadistischer Gewaltgruppierungen (Äthiopien und Kenia) eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung. Äthiopien und Eritrea sehen in Somalia weiterhin eine Bühne zur Austragung ihrer Konflikte. Für transnational operierende kriminelle Netzwerke ist der derzeitig staatenlose Zustand Somalias ideal, da hier Schmuggel, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel unkontrolliert vonstatten gehen kann. Eine kohärente Politik, die sich die Stabilisierung Somalilands und Puntlands vornehmen und auch zu Somalia selbst mit geeinter Stimme sprechen würde, wäre ein großer Schritt.
18
Gegenwärtig halten sich mehr als 560 000 Flüchtlinge in den Nachbarstaaten auf, siehe: UNHCR (12.03.2010): Somalia – Thousands fleeing deadly clashes in Mogadishu. Briefing Note. http://www.unhcr.org/4b9a3c0f6.html (abgerufen am 15.04.2010). Im letzten Jahr allein sind mehr als 300 000 Menschen aus Somalia nach Dahab ins kenianische Grenzland geflohen.
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Anhang
Anhang
Abb. 1: Somalia 273
Anhang
Abb. 2: Überschwemmungen in Somalia
274
Anhang
Abb. 3: Bevölkerungsverteilung Somalia
275
Anhang
MAP OF MOGADISHU – GENERAL OUTLINE OF AMISOM OPERATIONS
N
Sector 3
r2 cto Se
Sector 1
MAP OF MOGADISHU
Abb 4: AMISOM-Operationsgebiet
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Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
AIAI AKP-Staaten AL ALS AMIS AMISOM APF APSA AQAP ARPCT ARS ASWJ ATA AU AUC AU-PSOD AWG BMVg CFSP CGPCS CIA CIC CMF COAFR CTF DPKO ECHO EDF ESVP EU
Al Ittihat Al Islamiya, Islamische Union Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten Arabische Liga Alliance for the Liberation of Somalia African Union Mission in Sudan African Union Mission in Somalia African Peace Facility African Peace and Security Architecture Al-Qaeda in the Arabian Peninsula Alliance for the Restoration of Peace and Counter-Terrorism Alliance for the Re-liberation of Somalia Ahlu Sunna Wal Jama’a Anti-Terrorism Assistance Afrikanische Union African Union Commission African Union Peace Support Operations Division Africa Working Group Bundesministerium der Verteidigung, Deutschland Common Foreign and Security Policy Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia Central Intelligence Agency Council of Islamic Courts Combined Maritime Force Correspondence Africa Combindes Task Force Department of Peacekeeping Operations European Commission Humanitarian Aid & Civil Protection Department, Europäisches Amt für humanitär Hilfe European Development Fund, Europäischer Entwicklungsfonds Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union 277
Abkürzungsverzeichnis
EU NAVCO EU NAVFOR EUTM FAO FBI FHQ FMB FMF GASP GNP GOA HOA HUMINT ICC ICG ICU IED IGAD IGASOM IMB IMET IO IRTC IUU LPT MOD MRAG MSC HOA NATO NGO NSC NSSF OAU ÖBH 278
European Union Naval Coordination Cell European Union Naval Forces European Union Training Mission Somalia Food and Agriculture Organization Federal Bureau of Investigation Force Headquarter Forward Mounting Base Foreign Military Financing Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Gross National Product Gulf of Aden Horn of Africa Human intelligence International Chamber of Commerce, internationale Handelskammer International Crisis Group Islamic Courts Union Improvised Explosive Devices Intergovernmental Authority on Development IGAD Peace Support Mission to Somalia International Maritime Bureau International Military Education and Training International Organization Internationally Recommended Transit Corridor Illegal, Unreported, Unregulated Logistics Preparation of the Theater Marehan-Ogaden-Dulbahante, Klanallianz Marine Resources Assessment Group Maritime Security Centre Horn of Africa North Atlantic Treaty Organization Non-Governmental Organization National Security Council, Nationaler Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten National Somali Security Forces Organisation of African Unity, Organisation für Afrikanische Einheit Österreichisches Bundesheer
Abkürzungsverzeichnis
OCHA ODA OECD
OEF OHQ ONLF PAGs PSK PSO RoE RoL RPG RRA RSMO&I SDA SDM SHADE SHIFCO SMG SNM SNRC SPM SPMU SRSG SRÜ SSDF TCC TF TFC TFG TFI TFP TNG UCID
Office for the Coordination of Humanitarian Affairs Official Development Assistance, Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit Organisation for Economic Co-operation and Development, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Operation Enduring Freedom Operations Headquater Ogaden National Liberation Front Pirate Action Groups Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee Peace Support Operations Rules of Engagement Rule of Law Rocket Propelled Grenade, Panzerabwehrwaffe Rahanweyn Resistance Army Reception, Staging, Onward Movement and Integration Somali Democratic Alliance Somali Democratic Movement Shared Awareness and Deconfliction Somali High Seas Fishing Company Somali Manifesto Group Somali National Movement Somali National Reconciliation Conference Somali Patriotic Movement AU Strategic Planning and Management Unit Special Representative of the Secretary-General Seerechtsübereinkommen Somali Salvation Democratic Front Troop Contributing Country Task Force Transitional Federal Charter Transitional Federal Government Transitional Federal Institutions Transitional Federal Parliament Transitional National Government Ururka Caddaalada iyo Daryeelka, Justice and Welfare Party 279
Abkürzungsverzeichnis
UdSSR UDUB UIC UIG UNCLOS UNDP UNHCR UNICEF UNIFIL UNITAF UNO/VN UNOSOM I/II UNPKO UNPOS UN-SCR UNSOA UNSR USA USAID USC WFP WHO WSLF
280
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Ururka Dimuqraadiga Ummadda Bahawda, United Democratic People’s Party Union of Islamic Courts Union Islamischer Gerichte United Nations Convention on the Law of the Sea United Nations Development Program United Nations High Commissioner for Refugees United Nations International Children’s Emergency Fund United Nations Interim Force in Lebanon Unified Task Force United Nations Organisation/Vereinte Nationen United Nations Operation in Somalia I/II UN Peace Keeping Operation United Nations Political Office for Somalia United Nations Security Council Resolution United Nations Support Office for AMISOM UN Sicherheitsrat United States of America United States Agency for International Development United Somali Congress World Food Program World Health Organization Western Somali Liberation Front
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Autoren und Herausgeber
Autoren und Herausgeber
Walter Feichtinger Walter Feichtinger, Jahrgang 1956; 1976 bis 1979 Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt; 1979 bis 1998 Verwendung als Panzeroffizier; 1993 bis 1998 Kommandant des Panzerbataillons 10; Studium der Politikwissenschaft und Publizistik; 1998 bis 2001 stellvertretender Leiter des Instituts für Friedenssicherung an der Landesverteidigungsakademie in Wien mit dem Spezialgebiet Kriegsbildforschung; 2001 bis 2002 sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater im Bundeskanzleramt; seit Mitte 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement; 2002 Promotion zum Dr. phil.; zahlreiche Publikationen, Vorträge und Medienauftritte zu sicherheitspolitischen Themen und Aspekten des internationalen Konfliktmanagements. Gerald Hainzl Mag. Dr. Gerald Hainzl, geboren 1970; Studium der Afrikanistik, Politikwissenschaften und Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien; seit 2004 am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie, Wien; Lektor für anthropologische Friedens- und Konfliktforschung, Universität Wien; Feldforschungsaufenthalte in Tansania, Botswana und Südafrika. Markus Virgil Hoehne Markus Virgil Hoehne, Dr. des., arbeitet am Max-Planck-Institute für ethnologische Forschung in Halle/Saale. Er hat seine Magisterarbeit (2002) an der Universität München zu „Strategien der friedlichen Konfliktaustragung in Somalia auf lokaler und internationale Ebene“ geschrieben. Seine Promotion hat er 2011 mit einer Arbeit zu „Political Orientations and Repertoirs of Identification: State and Identity Formation in Northern Somalia“ an der Universität in Halle abgeschlossen. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher sowie zahlreicher Zeitschriftenartikel und Buchkapitel zu politischen und sozialen Dynamiken in Somalia und dem Horn von Afrika.
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Autoren und Herausgeber
Bruno Günter Hofbauer Geboren 1967; Oberst des Generalstabsdienstes; 1989-92 Theresianische Militärakademie Wiener Neustadt, Infanterieoffizier; 1992 Ausmusterung zur Garde, Verwendung als Zugs- und Kompaniekommandant; 1997-2000 15. Generalstabslehrgang; anschließend G3/Militärkommando Wien, Verwendung im BMLV/Generalstabsbüro, ab 2003 internationale Stabsverwendung im Internationalen Militärstab/NATO und während der österreichischen Ratspräsidentschaft Deputy Chairman der Headlinegoal Taskforce; 2007 österreichischer Nationaler Kontingentskommandant und Chief Joint Military Affairs im HQ EUFOR Sarajewo/Bosnien und Herzegowina; 2007 bis 2011 Verwendung an der Landesverteidigungsakademie in Wien als Leiter des Referats Operative Führung im Institut für Höhere Militärische Führung. Seit Anfang 2011 stellvertretender Leiter der Generalstabsabteilung im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport. Georg-Sebastian Holzer Geboren 1982; Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Wien und Konstanz sowie Volkswirtschaft und Conflict Management an der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies (SAIS) in Bologna und Washington, D.C.; Forschungsaufenthalte an der Academy for Peace and Development in Hargeisa, Somaliland, und der International Crisis Group in Nairobi; Publikationen in Fachzeitschriften zum politischen Islam und Konfliktdynamiken am Horn von Afrika mit Fokus auf Somalia sowie Korrespondent für das International Relations and Security Network der ETH Zürich. 2008/2009 Forschungsassistent am Institut für Konfliktforschung an der Johns Hopkins University; 2009 Somalia-Gutachter für das deutsche Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seit 2010 Berater für das Risk Management Office der GTZ in Afghanistan. Stefan Lampl Geboren 1969 in Lilienfeld, Oberstleutnant des Generalstabsdienstes; 1988 Matura am Militärgymnasium in Wiener Neustadt; 1989-1992 auf der Militärakademie in Wiener Neustadt; 1992-1997 Lehr- und Ausbildungsoffizier an der ABC-Abwehrschule in Wien; 1997-2000 Zugs- und Kompaniekommandant einer Kompanie in St. Pölten; 2000-2003 Lehroffizier für Technik an der ABCAbwehrschule in Korneuburg; Hauptlehroffizier Logistik und Forscher; 20032006 Generalstabsausbildung an der Landesverteidigungsakademie in Wien; seit Juni 2006 Hauptlehroffizier Logistik und Forscher an der Landesverteidigungsakademie in Wien. 296
Autoren und Herausgeber
Auslandseinsätze als UN-Inspektor für ABC-Kampfstoffe im Irak (1994), stellvertretender Kommandant einer Trinkwasseraufbereitungsanlage in der Türkei (1998), „Military-Expert“ der „Organsation for the Prohibition of Chemical Weapons“ (2007-2010) und G4/1 der Multinationalen Task Force Süd im Kosovo (2008). Volker Matthies Geboren 1945 in Oldenburg in Holstein; Studium der Politikwissenschaften, Mittlere und Neuere Geschichte, Pädagogik, Geographie und Ethnologie; wissenschaftliche Schwerpunkte: Friedens- und Konfliktforschung sowie Entwicklungsforschung; langjährige Lehrtätigkeiten am Institut für Politikwissenschaften an der Universität Hamburg, weitere Lehraufträge in Lüneburg, Göttingen und Leipzig; langjähriger Mitherausgeber des „Jahrbuchs Dritte Welt“. Seit 1986 Dozent für Politische Wissenschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg; eine seiner bedeutendsten Publikationen: „Krisenprävention: Vorbeugen ist besser als Heilen“, Verlag Leske + Budrich, Opladen 2000. Martin Pabst Geboren 1959 in München; Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft und Anglistik in München und Würzburg (1979-1987); freiberuflicher Dozent (1989-1992); seit 1992 im Büro „Forschung & Politikberatung (F+P)“ in München; Spezialgebiete: Internationale Politik und Sicherheitspolitik mit regionalem Fokus auf den Mittelmeerraum und Afrika; berufliche Tätigkeiten für diverse Ministerien und Behörden verschiedener Länder, Botschaften, Politische Stiftungen, Sicherheitsdienstleistungsunternehmen, Universitäten und Wirtschaftsverbände; zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen; ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „Europäische Sicherheit“ in Bonn und der „Österreichischen Militärischen Zeitschrift/ÖMZ“ in Wien; Lehrbeauftragter an der Universität Würzburg, Forschungsstipendien in London, Oxford und Lomé/Togo (1995/96); seit 2000 Wahlbeobachter für die OSZE und die EU; seit 2006 Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg (Reserveoffiziersverwendung); Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Landesverband Bayern. David Petrovic Studium der Politischen Wissenschaft an der Universität Bonn; derzeit im Rahmen seiner Promotion am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln beschäftigt, Doktorand zum The297
Autoren und Herausgeber
menkomplex der Piraterie am Horn von Afrika; Mitbegründer und leitender Redakteur des Internationalen Magazins für Sicherheit. Thomas Peyker Geboren 1961; Studium der Rechtswissenschaften und Völkerkunde in Graz und Wien; im Kabinett des ehemaligen Gesundheitsministers Ausserwinkler, danach Wechsel ins Außenministerium (1995); Leiter der österreichischen Delegation bei der europäischen Beobachtermission (ECMM) in Ex-Jugoslawien; ab 1996 Beamter in der Europäischen Kommission in Brüssel, dort für zwei Jahre Koordinator humanitärer Kriseninterventionen in Afrika; danach als Leiter des EUBüros nach Mostar in Bosnien-Herzegowina entsandt; von dort aus in die EUDelegation nach Sarajevo beziehungsweise 2001 nach Santo Domingo in die Dominikanische Republik gewechselt; Rückkehr nach Brüssel 2005: hauptsächlich im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt Afrika tätig; seit Dezember 2009: Leiter der Friedens- und Sicherheitssektion bei der EU-Delegation zur Afrikanischen Union in Addis Abeba, Äthiopien. Frank Reinighaus Geboren 1962; Studium der Luft- und Raumfahrttechnik mit Vertiefung in die Thermodynamik an der Universität der Bundeswehr München, „Master of Peace and Security Studies“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg; ausgebildeter „Naval Flight Officer“ der U.S. Navy; verschiedenste Einsätze und Beschäftigungsfelder (z. B.: als Navigator und Tactical Coordinator auf dem Seefernaufklärer „Breguet Atlantic“ in Nordholz, Organisationsoffizier auf Geschwaderebene, stellvertretender Leiter eines Havarierkommandos im Verkehrsministerium, Leiter der Operationszentrale im Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Leiter der Operationszentrale im strategischen Hauptquartier der Europäischen Union für die Operation EUFOR RD CONGO); seit 1981 bei der deutschen Marine, Dienstgrad des Fregattenkapitäns; seit 2009 Referent für Afrika im Zentrum für Transformation des Dezernats für Sicherheitspolitik und Militärstrategie. Annette Weber Sudan- und Uganda-Expertin für Amnesty International in London (1991-2001); Koordinatorin des Ökumenischen Netz Zentralafrika in Berlin (2003-2006); seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin; Verteidigung Dissertation (Dr. phil) 2007; Forschungsfelder: Subsahara/Afrika, Schwerpunkt: Horn von Afrika/Ostafrika; weitere Forschungsfelder: Kriege und Konflikte, gesellschaftli298
Autoren und Herausgeber
cher und politischer Wandel, Staatlichkeit; aktuelle Schwerpunkte: Somalia, Sudan-Darfur, Konfliktzusammenhänge und regionaler Stabilität am Horn von Afrika. Thomas Zitelmann Geboren 1952 in Hamburg; Studium der Ethnologie, Politologie und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin, Dissertation im Fach Ethnologie (Dr. phil.) 1991; Beratungstätigkeiten für „Hilfe für Kinder in Not. Verein für medizinische Entwicklungshilfe Hannover“, „medico international“ und die GTZ in Kambodscha; akademische Fellowships in Tel Aviv, Oxford und Wien; diverse Lehraufträge in Bayreuth, Berlin, Frankfurt/Oder, München; wissenschaftlicher Mitarbeiter bei zahlreichen Forschungsprojekten an der Freien Universität Berlin; Projektkoordinator am österreichischen Studienzentrum für Friedens- und Konfliktlösung in Stadtschlaining (1999-2000); Vize-Direktor am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Moderner Orient in Berlin (2000-2004); Feldforschung und Beratungstätigkeiten in Kambodscha (2005/2007); seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Entwicklungsländerforschung der Freien Universität Berlin; Mitglied zahlreicher akademischer Vereinigungen in den Bereichen Sozialanthropologie, Soziologie und Afrikawissenschaften.
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Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement
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Private Sicherheits- und Militärfirmen
Konkurrenten – Partner – Totengräber?
Walter Feichtinger, Wolfgang Braumandl, Nieves-Erzsebet Kautny (Hg.) 2008. 327 S. Br. 155 x 235 mm.
ISBN 978-3-205-77742-7
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Krisenmanagement in Afrika
Erwartungen – Möglichkeiten – Grenzen
Walter Feichtinger, Gerald Hainzl (Hg.) 2009. 217 S. Br. 155 x 235 mm.
ISBN 978-3-205-78222-3
4
Globale Sicherheit
Europäische Potenziale
Herausforderungen – Ansätze – Instrumente
Walter Feichtinger, Carmen Gebhard (Hg.) 2010. 330 S. Br. zahlr. Tab. 155 x 235 mm.
ISBN 978-3-205-78419-7
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Kein Feind in Sicht
Konfliktbilder und Bedrohungen der Zukunft
Walter Feichtinger, Anton Dengg (Hg.) 2010. 209 S. Br. 28 Tab. u. Graf. 155 x 235 mm.
ISBN 978-3-205-78481-4
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Somalia
Optionen – Chancen – Stolpersteine
Walter Feichtinger, Gerald Hainzl (Hg.) 2011. 304 S. Br. 155 x 235 mm.
ISBN 978-3-205-78582-8
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com
Johann Pucher, Johann Fr ank (Hg.)
Str ategie und Sicherheit 2011 Globale Her ausforderungen – globale Antworten Eine wissenschaftliche Publik ation des Bundesministeriums für L andesverteidigung und Sport
Die Dynamik der globalen strategischen Entwicklungen fordert die internationalen Bemühungen um Frieden und Sicherheit ebenso heraus wie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Der von Direktion und Büro für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport in Wien herausgegebene wissenschaftliche Sammelband mit Beiträgen erstklassiger internationaler und österreichischer Experten thematisiert neben der globalen strategischen Lage auch globale Risiken und Trends, ausgewählte Krisengebiete, innovative Strategien der Krisenbewältigung, die Rolle internationaler Organisationen sowie Konsequenzen für die europäische und österreichische Politik. 2011. 589. S. Br. 155 x 235 mm. ISBN 978-3-205-78630-6
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Erich Reiter (Hg.)
Entwicklungsszenarien in Osteuropa – mit Schwerpunkt Ukr aine Schriftenreihe zur Internationalen Politik , Band 4
Die Ukraine war nach der Implosion des Sowjet-Imperiums für mehr als ein Jahrzehnt aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit Westeuropas gerückt und kehrte erst mit der Orangen Revolution 2005 wieder dahin zurück. Demokratisierungshoffnungen für große Teile Osteuropas schienen Gestalt anzunehmen, haben sich jedoch heute oft als obsolet herausgestellt. Namhafte Experten untersuchen die ergriffenen und versäumten Chancen sowie mögliche politische Weichenstellungen. 2011. 222 S. 37 Tab., Grafiken u. Karten. franz. Br. 155 x 235 mm. ISBN 978-3-205-78709-9
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43 (0) 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar