Ausdehnung der Zeit: Die Gestaltung von Erinnerungsräumen in Geschichte, Literatur und Kunst [1 ed.] 9783412513184, 9783412513160


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Ausdehnung der Zeit: Die Gestaltung von Erinnerungsräumen in Geschichte, Literatur und Kunst [1 ed.]
 9783412513184, 9783412513160

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Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff (Hg.)

Ausdehnung der Zeit Die Gestaltung von Erinnerungsräumen in Geschichte, Literatur und Kunst

Erinnerungsräume. Geschichte – Literatur – Kunst Herausgegeben von Franziska Metzger und Dimiter Daphinoff Band 1

Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff (Hg.)

Ausdehnung der Zeit Die Gestaltung von Erinnerungsräumen in Geschichte, Literatur und Kunst

Böhlau Verlag wien köln weimar

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Pädagogischen Hochschule Luzern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : René Magritte, Die Erinnerungen eines Heiligen. © VG-Bild-Kunst, Bonn 2019 Korrektorat  : Constanze Lehmann, Berlin Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51318-4

Inhalt

Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7

1 DYNAMIKEN DER ERINNERUNG Franziska Metzger

Erinnerungsräume.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19 Slawomir Kapralski

Memory, Space, Identity.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45 Bjørn Thomassen / Rosario Forlenza

Liminality and Experience. Rethinking the Theoretical Foundations of Memory Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73

2 ZEIT DER ERINNERUNG: ZEITKONZEPTIONEN, ZUKUNFTSVORSTELLUNGEN, ERINNERUNGSRÄUME Roland Innerhofer

Endzeit, Stillstand, Neubeginn. Literarische Zeitvorstellungen und -erfahrungen in der klassischen Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  93 Sarah Laufs

Die Absurdität des Daseins und die Fragmentierung der Zeit. Kulturgeschichtliche Perspektiven auf eine Zeit-Geschichte des Ersten Weltkrieges.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Michel Viegnes

Writing the History of the Future. Epochs and Time Frames in Golden Age Science Fiction (H. G. Wells, W. Miller, C. Simak and I. Asimov) . . . . . . . . 143

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Inhalt

3 GEWEBE UND DYNAMIKEN VON ERINNERUNGSNARRATIVEN Rolf Fieguth

Ströme, Erinnerung, Imagination. Flussgedichte bei Czesław Miłosz und Johannes Bobrowski. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Gerhard Besier

Master Narratives – Emotions, Memories, Transcendence, Environment and the Body. The Example of Kalevala. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Christine Szkiet

Erinnerungen als Kunst im Museum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Angela Müller

Fotografische Erinnerungen zwischen Buchdeckeln. Martin Hürlimanns Indien 1928 und 1959. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Markus Furrer

Der Kalte Krieg in der Erinnerung am Beispiel der Schweiz nach 1989/91 . . . 247 Katarzyna Stokłosa

Public Controversies of Memory with a Focus on Border Regions. . . . . . . . 269

Herausgeber- und Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

Zur Einführung

Der vorliegende Band eröffnet die Publikationsreihe „Erinnerungsräume – Geschichte, Literatur, Kunst“, welche die transdisziplinäre kultur- und sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Themen der Erinnerungskonstruktion und -vermittlung in Literatur und Kunst, in Medien und bei verschiedenen Akteuren in der Öffentlichkeit, in Museum und Schule in gegenwärtigen und vergangenen Gesellschaften fördern will und in welcher Monografien und Sammelbände im Schnittbereich von Kulturgeschichte, Literatur-, Theater- und Filmwissenschaften, Kunstgeschichte, Soziologie, Erziehungswissenschaften, Religionswissenschaften, Philosophie und Theologie veröffentlicht werden sollen. Die Erforschung von Dynamiken der Produktion von Narrativen der Erinnerung – einschließlich ikonografischer Äußerungsformen –, von deren Tiefendimensionen des Funktionierens, von Dynamiken komplexer Gedächtnisschichten, von rituellen und symbolischen Praktiken, von deren Gebrauch, Vermittlung, Funktionalisierung und Abwandlung bis hin zur Dekonstruktion in unterschiedlichen Akteursfeldern und durch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Kommunikationsgemeinschaften soll den Fokus der Reihe bilden. Der erste Band, zu welchem Autorinnen und Autoren aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Dänemark, Polen und den USA beigetragen haben, soll nicht zuletzt konzeptionelle und thematische Linien für künftige Publikationen in der Reihe legen. Nach einem ersten konzeptionellen Teil mit Beiträgen, die aus soziologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive Konzepte, Zugänge und Themenfelder für die Erforschung von Erinnerungskonstruktion aufzeigen, setzen sich die Aufsätze des zweiten Teils mit der Verschränkung von Erfahrung, Zeitwahrnehmung und Zukunftsvorstellungen sowie dem Umgang mit Zeit in der Erinnerungskonstruktion auseinander. Die Beiträge des dritten Teils widmen sich Dynamiken von Erinnerungsnarrativen in Literatur, Kunst und Fotografie, Geschichtsschreibung und Geschichtsvermittlung in Schule und einer medialen Öffentlichkeit.

Dynamisierung von Gedächtnis Die Beiträge verbindet ein in verschiedener Hinsicht dynamischer Blick auf Modellierung von Zeit und den Gebrauch von Gedächtnisbeständen, auf die komplexe Ge-

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Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

staltung und Transformation von Erinnerungsnarrativen vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Zeiterfahrung, Gegenwartswahrnehmung, Vergangenheitskonstruktion und Zukunftsvorstellungen. Eine für die kultur- und sozialwissenschaftliche Erinnerungsforschung weiterführende dynamisierte Perspektive wird über vier Dimen­sionen gestaltet. 1. Transformationen, Umgestaltung bis hin zu Dekonstruktion, aber auch Interaktionen, Konfliktlagen und deren Verschiebungen im komplexen synchron-diachronen Verhältnis werden einer statischen Vorstellung von sozialem Gedächtnis und einer allzu monolithischen, tendenziell essentialisierenden Perspektive entgegengestellt.1 Die Fokussierung auf Tiefendimensionen der Konstruktion und Transformation von Codes, Symbolen und Narrativen ermöglicht gerade auch eine Dynamisierung des Zugangs im Bereich der Mythisierungsforschung weg von einem zu statischen, von bestehenden Mythen ausgehenden Blick hin zu Mythisierung als Mechanismus der Gedächtniskonstruktion und als Erzählmodus, der gut verbindbare, oft polyvalente symbolische Partikel schafft, die häufig einen großen Grad an Stabilität aufweisen.2 2. Eine Dynamisierung wird auch in Bezug auf das komplexe Verhältnis von Erinnerung, Erfahrung und Erwartung innovativ und weiterführend verfolgt. „When we become ‚observers‘ of history, representing the past by telling stories about it, we look for and find in the past just those experiential features we know from our own experience“, schreibt David Carr in Experience and History.3 Ein konstruktivistischer Fokus auf die kulturelle Konstruiertheit von Erfahrung in und durch Kommunikationsgemeinschaften wurde – abgesehen von Reinhart Koselleck4 – erst selten als zentraler Faktor im Feld der Gedächtnisforschung reflektiert. Die Erfahrungsdimension kommt im vorliegenden Band in den Beiträgen zu Zeitvorstellungen, zum Verhältnis von Krisenerfahrung, Liminalität und Gedächtnis ebenso in den Fokus wie in Beiträgen zu einzelnen Künstlern und Autoren und zum Verhältnis von Erfahrung, Geschichtsschreibung und Vermittlung in Unterricht und medialer Konstruktion und Transformation von Erinnerungsnarrativen. In einer konstruktivistischen Per1 Siehe in der neueren Forschung für ähnliche Postulate u. a.: Olick, „From Collective Memory to the Sociology of Mnemonic Practices and Products“  ; Carrier/Kabalek, „Cultural Memory and Transcultural Memory  – a Conceptual Analysis“  ; Feindt et al., „Entangled Memory“  ; Langenbacher/Niven/ Wittlinger (Hg.), Dynamics of Memory and Identity  ; Erll, „Media and the Dynamics of Memory“  ; dies., „Travelling Memory“. 2 Für narrativistische Zugänge in der Mythenforschung siehe  : Bottici/Challand, Imagining Europe  ; Krüger/Stillmark (Hg.), Mythos und Kulturtransfer  ; Barkhoff/Heffernan (Hg.), Schweiz schreiben  ; Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte  ; Cruz/Frijhoff (Hg.), Myth in History  ; Ghervas/Rosset (Hg.), Lieux d’Europe  ; Vietta/Uerlings (Hg.), Moderne und Mythos. 3 Carr, Experience and History, S. 71. 4 Koselleck, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘“.

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spektive auf Krisen als Kommunikationsphänomene  – als kommunizierte Krisen  – kann mit Hayden White die Bedeutung von Erinnerungsnarrativen und besonders mythisierten Narrativen hervorgehoben werden  : „Myth explicates situations of social disaster by narrativising them.“5 Basierend auf der These, dass Gedächtnis die Perzeption von Krise formt und seinerseits durch Krisenwahrnehmung geformt wird, ist gerade auch nach verschiedenen Verhältnissen zwischen Krisen und Erinnerungsnarrativen sowie rituellen Gedächtnispraktiken – besonders durch Mechanismen der Mythisierung – zu fragen. 3. Durch die verstärkte Fokussierung auf die Erfahrungs- und Erwartungsdimensionen wird die Dimension der Zeit auf dynamisierte Weise in die konzeptionelle Reflexion zu Gedächtnis und Erinnerung eingebracht, nicht nur auf der Ebene von Diskursen – von Zeitvorstellungen und deren Verhältnis zum Gebrauch von Gedächtnisbeständen –, sondern auch als Gestaltungsmechanismus von Narrativen. In einer konstruktivistisch-kulturgeschichtlichen Perspektive, in welcher Zeit als kulturelles Konstrukt und damit als sinnkonstituierende Dimension – als „präformiertes Wahrnehmungsmuster“6 – verstanden wird, steht die Diskursivität von Zeit im Fokus, wie sie gerade in ihrem Verhältnis zu verschiedenen Modi der Erinnerungskonstruktion analysierbar wird. Zeit als Wahrnehmungskategorie beeinflusst Modi und Ausformungen der Konstruktion von Erinnerung – etwa die Schaffung von Kontinuität, das Zusammenziehen, ja Synchronisieren unterschiedlicher Zeiten, Ereignisse, Personen, Orte und Räume.7 Solche Mechanismen strukturieren ihrerseits Zeitkonzeptionen und Deutungen von Zeit und schreiben diese fest8, modellieren Zeit und reflektieren Zeitlichkeit. 4. Potentiell starre oder unterdifferenzierte Strukturen in Theorien sozialen Gedächtnisses vermag ein Blick auf verschiedene Akteursfelder  – wissenschaftliche Institutionen, Schule, kulturelle Produktion, Museen und andere Institutionen der Vermittlung, populäre und politische Medien – und auf kommunikative Strukturen, wie etwa auf mehr oder weniger stabile, situativ oder soziokulturell geprägte Kommunikationsgemeinschaften, zu durchbrechen. Dieser Zugang ermöglicht es, dass Praktiken und Interaktionen der Erinnerungskonstruktion stärker in den Blick gelangen. 5 White, „Catastrophe, Communal Memory and Mythic Disocurse“, S. 52. Ansgar Nünning spricht von „the cultural life of catastrophes and crises“, von „crisis plots“ und der ihnen zu Grunde liegenden Konstruktion, Selektion und Unterscheidung (Nünning, „Making Crises and Catastrophes“, S. 71). 6 Wodianka, „Mythos und Erinnerung“, S. 179  ; Sandl, „Historizität der Erinnerung“, S. 113. Ähnlich Paul Ricœurs „präfigurierte/präfigurierende Zeit“ („temps préfiguré“). Ricœur, Temps et récit I, S. 107. 7 Siehe zu temporalen Tiefenstrukturen etwa  : Assmann, „Die Sakralisierung der Geschichte.“  ; Metzger, „Religion and Myth.“ 8 Siehe Ricœurs ‚Konfiguration‘  : Ricœur, Temps et récit II.

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Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

Gedächtnismodi, Memoryscapes, Erinnerungsräume und Liminalität Den ersten Teil des Bandes gestalten drei konzeptionell-theoretische Beiträge zu Gedächtniskonzepten, zum Verhältnis von Erfahrung, Erinnerung und Erwartung sowie zu Zeit- und Raumkonzepten im erinnerungskulturellen Zusammenhang. Sie möchten Deutungsangebote und Perspektiven der Dynamisierung für die Gedächtnisforschung einbringen. Franziska Metzger (Luzern) zeigt aus kommunikationsund narrationstheoretischer Perspektive Konzepte und Deutungsmuster zur Analyse von Erinnerungsräumen in verschiedenen Akteursfeldern der Erinnerungskonstruktion und -transmission auf. Der Soziologe Slawomir Kapralski (Krakau) plädiert in seinem Beitrag für ein post-strukturalistisches, dynamisches Verständnis von sozialem Gedächtnis, indem er einen interaktionistischen Ansatz vertritt, der Interaktion, Differenz und Konfliktlagen sowie Gedächtnispraktiken in Gedächtnisgemeinschaften in den Fokus rückt. Er verfolgt in seinem Beitrag konkret das Ziel, strukturelle Unterschiede im Verhältnis von Gedächtnis zu Zeit und Raum in der klassischen und der späten Moderne aufzuzeigen. Dabei vertritt er die These eines Wandels von einer Zeitfokussiertheit hin zu einer – durchaus gerade auch virtuellen – Verräumlichung von Gedächtnis (er spricht von memoryscape), deren Porosität und Fluidität er betont. Der Soziologe Bjøn Thomassen (Roskilde) und der Politikwissenschaftler und Historiker Rosario Forlenza (New York) fordern eine Dynamisierung der Perspektive auf Gedächtnis über die Konzepte von Liminalität und Erfahrung in Anlehnung an den Anthropologen Arnold van Gennep, dessen Zugang auf Gedächtnis im frühen 20.  Jahrhundert sie strukturalistischen und funktionalistischen Konzepten in der Nachfolge Durkheims und Halbwachs’ entgegenstellen. Damit gelangt die Produktion und Transformation von Gedächtnisbeständen als „memory acts“ durch Individuen in konkreten sozialen Settings in den Blick. Darauf aufbauend verfolgen die beiden Autoren die These, dass Gedächtnis eine zentrale Rolle in Zeiten erhöhter Unsicherheit – von Liminalität – spielt und seinerseits durch diese geformt wird.

Zerbrochene Zeit und Erinnerung in der Zukunft Einen konkreten Blick auf Zeiten komplexer Unsicherheitslagen und ambivalenter Gegenwartsdeutungen mit Fokus auf Zeitvorstellungen im fin de siècle, wie sie etwa im Zukunftsroman und in kulturpessimistischen Krisenwahrnehmungen ebenso wie in Briefen von Soldaten während des Ersten Weltkrieges zum Ausdruck kommen, verfolgen die drei kulturgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Beiträge von Roland Innerhofer (Wien), Sarah Laufs (Düsseldorf) und Michel Viegnes (Fribourg)

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im zweiten Teil des Bandes. Die Jahrzehnte um 1900 lassen sich als Sattelzeit erhöhter Unsicherheit, Neukonzeptionierung und Reflexion fassen, welche sich in gesellschaftlichen Krisenwahrnehmungen, in einer Pluralisierung des Verhältnisses zu Fortschrittsdiskursen und in philosophischen Unsicherheiten und Umdeutungen sowie in einer, besonders in Literatur und Kunst zum Ausdruck kommenden, radikalen Infragestellung der Möglichkeiten kohärenter Weltdeutungen und von Transzendenz und Identität bis hin zu dystopisch-(post)apokalyptischen Narrativen zeigte.9 In der Literatur ließ sich die radikale Unsicherheit bezüglich einer kohärenten, linear-fortschreitenden Zeit besonders radikal sichtbar machen  – nicht zuletzt durch die ihr inhärente Mehrschichtigkeit der Zeit als Erzählzeit, als erzählte Zeit, als reflektierte Zeit. Wie der Literaturwissenschaftler Roland Innerhofer in seinem Beitrag aufzeigt, wird um die Jahrhundertwende von 1900 in der Literatur eine für das 20. Jahrhundert  – und bis in die Gegenwart  – zentrale literarische Dekonstruktion von Kontinuitäts-, Realitäts- und Einheitlichkeitsvorstellung von Zeit sichtbar  : als Zeitbruch, Zeitschwund, Entzeitlichung und Präsentismus und in der Sichtbarmachung von deren Inszenierung – etwa im inneren Monolog – und damit in der Reflexion von Erzählzeit und erzählter Zeit. Dass – und wie – der Erste Weltkrieg die Wahrnehmung von Zeit-Bruch und Infragestellung eines kohärenten Erfahrungs-Erwartungs-Kontinuums in radikalisierter, das individuelle Leben ebenso wie gesellschaftliche und politische Deutungs- und Denkmuster betreffender Weise in Frage stellte, analysiert die Historikerin Sarah Laufs. Sie stellt die Pluralität von Zeiterfahrungen und -deutungen, deren Prägung durch Erwartungen der Kriegszeit, den individuellen Bezug auf Erinnerungen sowie unterschiedliche Praktiken des Umgangs mit Zeit durch verschiedene Akteursgruppen ins Zentrum der Analyse. Mit den komplexen time frames und damit verbundenen Raumkonstruktionen in der Science-Fiction-Literatur beschäftigt sich der Romanist Michel Viegnes. Die verschiedensten Ausformungen der Verschränkung von Vergangenheit und – zumeist dystopischer – Zukunft und „zukünftiger Vergangenheit“ interpretiert er sowohl in ihrer mehr oder weniger ausgeprägten Funktion als Projektionsflächen von Gegenwartsdeutungen wie auch als Reflexion über Zeit, welche das Genre der Science Fiction gerade besonders ermöglicht.

9 Siehe Daphinoff/Marsch (Hg.), Fin de siècle  ; Eva Horn, Zukunft als Katastrophe  ; verschiedene Beiträge in  : Wieser et al. (Hg.), Abendländische Apokalyptik sowie im Themenschwerpunkt „Räume apokalyptischen Denkens“ der Schweizerischen Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, 110 (2016).

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Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

Ästhetisierung, Mythisierung, Politisierung von Erinnerungsräumen Stehen Zeitvorstellungen und daraus hervorgehende Praktiken der Kreation und des Gebrauchs von Gedächtnis in den drei letztgenannten Beiträgen im Zentrum, so sind narrative Strukturen von Erinnerungsnarrativen und Gedächtnispraktiken im dritten Teil des Bandes im Fokus. Narrative Strukturen bringen ihrerseits Zeitkonfigurationen hervor, insofern als Mechanismen der Kontinuitätskonstruktion, teleologischer Perspektivierung, der Überblendung von Zeiten, Mythisierung und Entzeitlichung sowie Dynamiken des Präsentmachens eines Moments, eines Ortes, Raumes und von Figuren in Worten oder ikonografisch Zeit modellieren. Spezifische literarische Werke, Gemälde und Fotografien und ihre Autoren gelangen dabei in einer Tiefenanalyse des Funktionierens der Gedächtnisdimension ebenso in den Blick wie die Vermittlung und der Wandel von Erinnerungsnarrativen im Unterricht und Konfliktlagen um sie im öffentlichen Raum. Sämtliche Beiträge dieses Teils beschäftigen sich mit dem 20. Jahrhundert, besonders der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Flüsse als Sehnsuchts- und Erinnerungsräume analysiert der Slavist Rolf Fieguth (Fribourg) in Gedichten des polnischen, aus Zentrallitauen stammenden Dichters Czesław Miłosz und des deutschen, in der deutsch-litauischen Grenzregion gebürtigen Johannes Bobrowski. Die Verschränkung vielschichtiger Raum- und Erinnerungsbilder mit Themen von Krieg, Zerstörung und apokalyptisch anmutender Krise arbeitet er ebenso heraus wie Mechanismen der Synchronie, der Entzeitlichung und Ortsenthebung, wobei die Gedächtnisdimension durchaus auch als lyrisch-literarisches Gedächtnis und in intertextuellen Bezügen aufscheint. Könnte man bezüglich der beiden Dichter des 20. Jahrhunderts von mythisierten Flussräumen sprechen, so beschäftigt sich der Historiker, Theologe und Psychologe Gerhard Besier (Dresden/ Flensburg) mit Mythos als Ausdruck gefestigter und zugleich dynamisch transformierbarer, in narrativen Gemeinschaften über längere Zeiträume hinweg abrufbarer, emotionale Bindung schaffender, sinnproduzierender Erzählungen. Konkret untersucht der Autor die Strukturen des romantischen finnischen Nationalepos Kalevala, besonders dessen transzendente, raum- und naturbezogene sowie emotionale Bestandteile. Die erinnerungskulturellen Dimensionen von Kunst und deren Ausstellung mit einem spezifischen Fokus auf Werke der 1960er- bis 1980er-Jahre, die vor dem Hin­ tergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust entstanden sind, untersucht die Kunsthistorikerin Christine Szkiet (Luzern). Sie fragt nach der Prägung durch individuelle und kollektive Erinnerungen. Dabei legt sie einen Schwerpunkt auf Joseph Beuys’, Anselm Kiefers, Gerhard Richters, Jochen Gerz’ und

Zur Einführung 

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Christian Boltanskis Suche nach neuen Ausdrucksmitteln. Die Historikerin Angela Müller (Luzern) analysiert in ihrem Vergleich zweier Fotobücher des Verlegers und Fotografen Martin Hürlimann zu Indien aus den Jahren 1928 und 1959 ebenfalls visuelle Erinnerungsnarrative. Die Inszenierung der Fotografien und die Kreation von Erinnerungsnarrativen durch diese basierte nicht zuletzt auf einem Erwartungsraum, der auf dem Bildgedächtnis eines ‚vormodernen‘, ‚anderen‘ Indiens aufbaute, welches durch das Erinnerungsmedium Fotobuch bedient wurde. In dieser Stereotypisierung spielte Entzeitlichung und Präsentmachung in Form ästhetischer Fixierung eine wichtige Rolle. Dynamiken der Konstruktion und Umschreibung von Erinnerungsnarrativen mit Blick auf nationale und transnationale Räume sowie europäische und globale Konfliktlagen widmen sich die beiden abschließenden Aufsätze, deren Augenmerk auf der Analyse der Vermittlung und öffentlichen Arbeit an und mit Erinnerungsnarrativen liegt. Erinnerung an den Kalten Krieg in der Postphase des Kalten Krieges in populären Handbüchern zur Schweizer Geschichte sowie in Geschichtslehrmitteln, die nach dem Kalten Krieg verfasst oder neu aufgelegt wurden, untersucht der Historiker Markus Furrer (Luzern). Vor dem Hintergrund internationaler Konstellationen wie innerstaatlicher und gesellschaftlicher Aspekte arbeitet er vier Erinnerungsstränge und deren Wandel in den vergangenen dreißig Jahren vor dem Hintergrund sich verändernder Konstellationen und neuer Konfliktlagen heraus. Komplexe Transformationen von mythisierten Erinnerungsnarrativen im gleichen Zeitraum untersucht die Historikerin Katarzyna Stokłosa (Sønderborg), wobei sie die border regions zwischen Polen und Deutschland, Polen und Russland sowie Finnland und Russland als transnationale Erinnerungsräume betrachtet, in welchen sich eine hohe Komplexität divergierender, konfliktiver, aber auch konvergierender und integrierender, national-­ kulturelle, Brüche und Krisen überdeckender Narrative zeigt. In den Beiträgen des zweiten und dritten Teils des Bandes zeigen sich drei verschiedene Formen von Erinnerungsräumen  : 1. literarische Werke (Gerhard Besier) und Kunstwerke als Räume der Erinnerung, als imaginierte, gestaltete und im Falle der Kunst materielle Räume (Chistine Szkiet)  ; 2.  in Text und Bild kreierte Erinnerungsräume, als imaginierte Sehnsuchtsräume (Rolf Fieguth und Angela Müller)  ; 3. durch Erinnerungsnarrative in verschiedenen Medien modellierte Räume der Gegenwart sowie Grenzkonstruktionen und -verschiebungen – Ost-West, Europa, border regions (Markus Furrer, Katarzyna Stokłosa). Der vorliegende Band strebt an, einen innovativen Beitrag zur transdisziplinären Erinnerungs- und Gedächtnisforschung zu leisten, indem Spezialisten aus den Literaturwissenschaften, aus der Anglistik, Romanistik, Slavistik und Germanistik, der Geschichte und der Kunstgeschichte, der Politikwissenschaft und der Soziologie kon-

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Franziska Metzger / Dimiter Daphinoff

zeptionell sowie thematisch für die weitere Forschung relevante und innovative Beiträge beisteuern. Hinsichtlich der methodisch-konzeptionellen Positionierung in der internationalen Forschungslandschaft zu Gedächtnis, der Beteiligung diverser Disziplinen, des Fokus auf Konzepte von Zeit und Zeitverständnis und auf die Verbindung von Erinnerung und Erwartung sowie hinsichtlich der Analyse von Narrativen der Erinnerung, die durch unterschiedliche Akteursfelder produziert und verbreitet wurden/werden – Literatur, Fotografie, Kunst, Schule, populäre und politische Medien –, möchte der Band anregende und weiterführende Beiträge liefern.

Zitierte Literatur Assmann, Aleida. „Die Sakralisierung der Geschichte.“ Id. Arbeit am nationalen G ­ edächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1993. S. 47– 57. Barkhoff, Jürgen und Valerie Heffernan (Hg.). Schweiz schreiben. Zur Konstruktion und Dekonstruktion des Mythos Schweiz in der Gegenwartsliteratur. Berlin/New York  : De Gruyter, 2010. Bottici, Chiara und Benoît Challand. Imagining Europe. Myth, Memory, and Identity. Cambridge  : Cambridge University Press, 2013. Carr, David. Experience and History. Phenomenological Perspectives on the Historical World. Oxford  : Oxford University Press, 2014. Carrier, Peter und Kai Kabalek. „Cultural Memory and Transcultural Memory – a Conceptual Analysis.“ The Transcultural Turn  : Interrogating Memory Between and Beyond Borders. Hg. Lucy Bond und Jessica Rapson. Berlin/Boston  : De Gruyter, 2014. S. 39–60. Cruz, Laura und Willem Frijhoff (Hg.). Myth in History, History in Myth. Leiden/Boston  : Brill, 2009. Daphinoff, Dimiter und Edgar Masch (Hg.). Fin de siècle – Zeitenwende. Beiträge zu einem interdisziplinären Gespräch. Fribourg  : Universitätsverlag, 1998. Erll, Astrid. „Media and the Dynamics of Memory  : From Cultural Paradigms to Transcultural Premediation.“ The Oxford Handbook of Culture and Memory. Hg. Brady Wagoner. Oxford  : Oxford University Press, 2017. S. 305–324. Erll, Astrid. „Travelling Memory.“ Parallax 17 (2011)  : 4–18. Feindt, Gregor et al. „Entangled Memory  : Toward a Third Wave in Memory Studies.“ History and Theory 53 (2014)  : S. 24–44. Ghervas, Stella und Fançois Rosset (Hg.). Lieux d’Europe. Mythes et limites. Paris  : Les ­éditions de la Maison des sciences de l’homme, 2008. Horn, Eva. Zukunft als Katastrophe. Fiktion und Prävention. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag, 2014. Reinhart Koselleck, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien.“ Id. Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979. S. 349–375.

Zur Einführung 

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Krüger, Brigitte und Hans-Christian Stillmark (Hg.). Mythos und Kulturtransfer. Neue Figurationen in Literatur, Kunst und moderne Medien. Bielefeld  : Transcript, 2013. Langenbacher, Eric et al. (Hg.). Dynamics of Memory and Identity in Contemporary Europe. New York/Oxford  : Berghahn Books, 2012. Metzger, Franziska. „Religion and Myth  : Narratives, Discursive Mechanisms, Effects. The Example of Catholic Historiography in 19th and early 20th Century Switzerland.“ Kirchliche Zeitgeschichte/Contemporary Church History 27 (2014)  : S. 349–363. Nünning, Ansgar. „Making Crises and Catastrophes – How Metaphors and Narratives Shape the Cultural Life.“ The Cultural Life of Catastrophes and Crises. Hg. Carsten Meiner und Kristin Veel. Berlin  : De Gruyter, 2012. S. 59–88. Olick, Jeffrey K. „From Collective Memory to the Sociology of Mnemonic Practices and Products.“ A Companion to Cultural Memory Studies. Hg. Astrid Erll und Ansgar Nünning. Berlin/New York  : De Gruyter 2011. S. 151–162. Räume apokalyptischen Denkens. Krisenwahrnehmungen, Endzeitdenken, Erneuerungsdiskurse in den Jahrzehnten um 1900. Themenband Schweizerische Zeitschrift für Religionsund Kulturgeschichte 10 (2016). Ricœur, Paul. Temps et récit I  : L’intrigue et le récit historique. Paris  : Seuil, 1983. Ricœur, Paul. Temps et récit II  : La configuration dans le récit de fiction. Paris  : Seuil, 1991. Sandl, Markus. „Historizität der Erinnerung/Reflexivität des Historischen.“ Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Hg. Günter Oesterle. Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 2005. S. 89–119. Vietta, Silvio und Hubert Uerlings (Hg.). Moderne und Mythos. München  : Wilhelm Fink, 2006. White, Hayden. „Catastrophe, Communal Memory and Mythic Discourse  : The Uses of Myth in the Reconstruction of Society.“ Myth and Memory in the Construction of Society. Hg. Bo Stråth. Brüssel  : Peter Lang, 2000. S. 49–74. Wieser, Veronika et al. (Hg.), Abendländische Apokalyptik. Kompendium zur Genealogie der Endzeit. Wien  : De Gruyter 2013. Wodianka, Stephanie. „Mythos und Erinnerung. Mythentheoretische Modelle und ihre ge­ dächtnistheoretischen Implikationen.“ Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kul­tur­ wissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Hg. Günter Oesterle. Göttingen  : ­Vandenhoeck & Ruprecht, 2005. S. 211–230. Wodianka, Stephanie. Zwischen Mythos und Geschichte. Ästhetik, Medialität und Kulturspezifik der Mittelalterkonjunktur. Berlin/New York  : De Gruyter, 2009.

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1 DYNAMIKEN DER ERINNERUNG

Franziska Metzger

Erinnerungsräume

In einem konstruktivistischen, post-strukturalistischen Zugang auf Gedächtnis wird im vorliegenden Beitrag Gedächtnis als Selektionsraum verstanden, Jacques Derridas Konzeption des ‚Archivs‘1 und systemtheoretischen Gedächtniskonzeptionen ähnlich.2 Gedächtnis als Selektionsraum ist immer bereits das Resultat von Konstruk­ tionsprozessen und damit nie ‚neutral‘ oder ‚gegeben‘. In einer dynamischen Perspektive kann Gedächtnis als Komplex von Gedächtnisschichten, als Gewebe von Codes, Interpretationsweisen und rituellen und narrativen Umsetzungen verstanden werden, die – durchaus polyvalent – wiederholt, vermittelt, adaptiert, rekonfiguriert und (mehr oder weniger grundsätzlich) transformiert werden, nicht zuletzt in einer Langzeitperspektive.3 Gedächtnisbestände werden im Sinne einer „Auswahl aus einer Auswahl“4 durch verschiedene Modi der Gedächtniskonstruktion und -transmission – des Gebrauchs und der Beobachtung von Gedächtnis – geprägt und modelliert  : durch sprachliche und visuelle Codes, symbolische und rituelle Praktiken sowie Narrative – Text wie Bild umfassend –, wie sie in verschiedenen Akteursfeldern von der Historiografie, über Literatur und Kunst, Museen, Architektur und Monumente, die Schule und verschiedene Typen von Medien und Formen der Vergemeinschaftung geschaffen, vermittelt und transformiert werden. Alle drei Modi bringen Erinnerungsräume als Geflecht von Gedächtnisbeständen hervor.5 Ein solcher konstruktivistischer Zugang rückt die Analyse der Dynamiken der Produktion, Vermittlung, Festschreibung und Transformation von Gedächtnisbestän­den ebenso wie von deren Kommunikationssituation und von verschiedenen Gedächtnis1 Derrida, Mal d’Archive. 2 Siehe Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft  ; Esposito, Soziales Vergessen. Siehe auch  : Csáky, „Die Mehrdeutigkeit von Gedächtnis und Erinnerung“. 3 Zum Konzept von Geweben von Gedächtnisbeständen siehe  : Metzger, „Apokalyptische Diskurse“  ; Feindt et al., „Entangled Memory“. Siehe in Bezug auf ähnliche Fragestellungen, besonders in der Analyse von Mythen  : Vietta/Uerlings (Hg.), Moderne und Mythos  ; Barkhoff/Heffernan, „‚Mythos Schweiz‘“  ; Knabel et. al. (Hg.), Nationale Mythen  ; Sandl, „Historizität der Erinnerung“. 4 Hahn, Erinnerung und Prognose, 3. Siehe auch  : Ricœur, Das Rätsel der Vergangenheit. 5 Die Unterscheidung von „Speicher“- und „Funktionsgedächtnis“ erscheint als eine vor dem Hintergrund des als fundamental konstruiert erachteten Gedächtnisses weniger brauchbare Unterscheidung. Zu den beiden Kategorien siehe  : Assmann, „Funktionsgedächtnis und Speichergedächtnis“  ; dies., Erinnerungsräume, S. 133–142.

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gemeinschaften ins Zentrum. Unterschiedliche Gedächtnismodi und verschiedene Akteursfelder können hinsichtlich ihres ähnlichen  – und sich unterscheidenden  – Funktionierens analysiert werden. Hierfür eignet sich ein kommunikationstheoretischer und narrativistischer Zugang besonders6, ganz speziell für transdisziplinäre Analysen. Entstehungs- und Deutungszusammenhänge, Erfahrungs- und Erwartungsverhältnisse und ihre Rolle in der Modellierung und im Gebrauch von Gedächtnisbeständen in (Teil)Gesellschaften lassen sich damit ebenso in ihrer Dynamik und Komplexität analysieren wie Tiefendimensionen des Funktionierens verschiedener Gedächtnismodi, ihre Schichten und Zeitlichkeiten, ihre Strategien der Konstruktion und Vermittlung, ihre Funktionen und Funktionalisierung. Auf einer ersten Ebene stehen Ausdrucksformen von Semantiken, Praktiken und Narrativen, ihr diskursiver Raum wie auch ihre Verschränkungen im Fokus. In Anlehnung an Michel Foucault, Hayden White, Allan Megill und andere ist auf einer zweiten Ebene der Blick in die Tiefe des Funktionierens entsprechender Narrativ(gewebe) zu richten. Narrative Strukturen und Mechanismen – ‚conditions formelles‘ (Foucault), Erzählmodi, narrativ-rhetorische Strategien  – sind eine wesentliche Dimension der Analyse.7 Der erläuterte Zugang hat eine nicht-dichotomisierende Perspektive zur Folge, so besonders hinsichtlich des komplexen Verhältnisses von Gedächtnis und Geschichtsschreibung, von Geschichtsschreibung und Literatur.8 Auch dekonstruiert er dichotomische Konzeptionen von Diskurs vs. Praxis, Sprache vs. Riten, Sprache vs. Emotion.9

Gedächtnismodi und Erinnerungsräume Linguistische und ikonografische bzw. visuelle Codes, die Formen des Sehens einschließen, als Gedächtnisraum stellen den fundamentalen Rahmen der zwei anderen Gedächtnismodi dar. In einer kommunikationstheoretischen Perspektive, die auf

6 Für eine Verbindung kommunikationstheoretischer und diskursanalytischer Zugänge siehe  : Keller, „Kommunikative Konstruktion“. Siehe auch  : ders., „Die komplexe Diskursivität der Visualisierungen“. 7 Siehe Foucault, L’Archéologie du savoir  ; White, Metahistory  ; ders., „An Old Question Raised Again“  ; Megill, „Recounting the Past“. 8 Siehe Wodianka/Rieger (Hg.), Mythosaktualisierungen  ; Oesterle (Hg.), Erinnerung, Gedächtnis, Wissen  ; Metzger, Geschichtsdenken und Geschichtsschreibung, während nach wie vor Zugänge, die Differenz betonen, dominieren. – Interessante Interpretationslinien bezüglich der visuellen, materiellen und räumlichen Dimension von Gedächtnisproduktion und -vermittlung verfolgt das Projekt „EuroVision – Museums Exhibiting Europe“. 9 Für eine religionsgeschichtliche Reflexion der Dekonstruktion solcher Dichotomien siehe  : Metzger, „Memory of the Sacred Heart“.

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einer poststrukturalistischen philosophischen Konzeption basiert10, welche Sprachlichkeit als zentralen Faktor der Bedeutungskonstruktion ganz allgemein deutet, wird die Prämisse zugrunde gelegt, dass Gedächtnis linguistisch und visuell konstruiert wird.11 So wird auf der einen Seite die Gedächtnisdimension von Sprache – verstanden als Gewebe von Möglichkeiten der Symbolisierung, einschließlich visueller Objekte – schlechthin hervorgehoben, während auf der anderen Seite zugrunde gelegt wird, dass Gedächtnis eminent durch Sprache geschaffen wird, insofern als Semantiken, Bilder und Diskurse als polyvalent verwendbare Inventare von Gedächtnis erachtet werden, die durch Kommunikationsgemeinschaften stabilisiert werden und die diese ihrerseits formen.12 Die Codierung und Reproduktion von dekodierbaren, medial verfügbar gemachten Semantiken, Bildern und Narrativen und ihre Stabilisierung wie auch ihre Verbindung miteinander zu Geweben von Gedächtnis basiert auf der Stabilisierung von Kommunikation über Zeit. Die Polyvalenz gewisser Semantiken, Bilder und Diskurse schafft zudem die Grundlage für deren Umschreibung und Transformation. Sie ist wesentlich durch Intertextualität geprägt, insofern als neue ikonografische und diskursive Elemente wie auch transformierte Bedeutungen in neue Deutungszusammenhänge integriert und modifiziert werden und ihrerseits zu Umschreibungen und neuer Integration in Gedächtnisschichten anderer Gemeinschaften führen können.13 Eine radikale Infragestellung und Dekonstruktion von linguistischen und visuellen Codes ist darüber hinaus ebenfalls vor dem Hintergrund ihrer Gedächtnisdimension zu deuten. So stellen etwa Apokalypse-Bilder des frühen 20. Jahrhunderts, wie etwa Ludwig Meidners Apokalyptische Landschaft (1912) und Apokalyptische Stadt (1913) oder Albert Goodwins Apokalypse (1903) – als kupierte Apokalypsen14 –, radikale Transformationen und ironische Zitierungen von Gedächtnisbeständen dar, welche zugleich ein komplexes Gewebe apokalyptischer Gedächtnisbestände sichtbar machen  : von der Johannes-Apokalypse über die Darstellung frühneuzeitlicher Naturkatastrophen oder der Pest (eine Ikonografie, auf die etwa Arnold Böcklins Der Krieg [1896] verweist) hin zu (Groß-)Darstellungen des Jüngsten Gerichts oder auch der Sintflut in der Kunst des 19.  Jahrhunderts (William Turner, John Martin, Gustave

10 Siehe White, Metahistory  ; ders., Tropics of Discourse  ; de Certeau, L’écriture de l’histoire. 11 Siehe für eine ähnliche Position bezüglich des komplexen Verhältnisses von Bild und Sprache  : Foucault, „Ceci n’est pas une pipe  : sur Magritte“  ; Maase et al., „Bild-Diskurs-Analyse“. 12 Siehe auch  : Metzger, „Religion and Devotion“. 13 Grundlegend für das Konzept der Intertextualität  : Kristeva, Desire in language  : a semiotic approach to literature and art. 14 Siehe zur Begrifflichkeit  : Kamper, „Die kupierte Apokalypse“.

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Doré) sowie zur Ikonografie des Topos des ‚letzten Menschen‘15, welche die potentielle Dekonstruktion religiöser Apokalypse selbstverständlich bereits in sich barg.16 Gedächtnispraktiken  – Inszenierung, das Ausstellen und Zeigen, aber auch das Sehen und Deuten von Bildern und Objekten, das Erzählen, Zuhören und Interpretieren von Gehörtem, das Deuten von Handlungen, das Beschreiten von Räumen und Wegen (etwa im Museum oder auf Pilgerreisen) – sind als sinnliche kommunikative Handlungen zu verstehen. Sie involvieren verschiedene Akteure und verschränken verschiedene Zeiten miteinander  : die Gegenwart und die Gedächtnisdimension dieser häufig vielfach wiederholten Praktiken. In Bezug auf symbolische und rituelle Praktiken als Gedächtnis lässt sich folgende Systematisierung vornehmen. Erstens kann die Verehrung, beispielsweise von Heiligen oder Nationalhelden, und das Gedenken an im Krieg Gefallene oder an ein Ereignis als Gedächtnis beschrieben werden, das wesentlich durch symbolische und rituelle Praktiken entsteht und aufrechterhalten wird. Zweitens sind Gedächtnismechanismen zentral für das Funktionieren ritueller und symbolischer Praktiken. Gedächtnis wird in der Performanz geschaffen und vermittelt. Riten können mit Thomas Macho als ‚Gedächtnispraktiken‘ konzeptualisiert werden17, die das Unsichtbare sichtbar und sinnlich erfahrbar machen. Wiederholung und memoriale Reproduktion schafft Transzendenz, ob religiös oder nicht religiös. Drittens wird Gedächtnis auch materiell geschaffen, eine Dimension, die erst in der jüngsten Gedächtnisforschung wieder stärker in den Blick geraten ist. Gegenstände, Bilder, aber auch Körper können als Gedächtnisorte, als lieux de mémoire analysiert werden, welche gerade durch ihre Materialität Gedächtnis umsetzen.18 Viertens (re)produzieren rituelle Praktiken Erinnerungsnarrative und -bilder oder stehen in enger Verbindung zu solchen. An Beispielen der Heiligenverehrung und der Schaffung von sakralen Orten als Erinnerungsorten für Heilige lässt sich die Rolle von Erinnerungsnarrativen, die von unterschiedlichen Akteuren  – von Priestern ebenso wie von Vereinen, von der Presse ebenso wie von der Kirchengeschichtsschreibung – geschaffen und verbreitet wurden, gut aufzeigen.19 15 Siehe Horn, Zukunft als Katastrophe. 16 Siehe ausführlich  : Metzger, „Apokalyptische Diskurse“  ; Vietta, „Apokalypse im Expressionismus“. 17 Macho, Das zeremonielle Tier, S.16–17. 18 Siehe u. a. für konzeptionelle Linien  : Publikationen im Rahmen des Projekts „EuroVision – Museums Exhibiting Europe“ (EMEE)  : Popp et al. (Hg.), The EU Project „Museums Exhibiting Europe“ (EMEE)  ; Popp et al. (Hg.), European Perspectives on Museum Objects  ; Popp et al., Making Europe Visible. Weiter  : Turgeon, „La mémoire de la culture matérielle“.  – Siehe aus der religionsgeschichtlichen Forschung etwa  : Laube, Von der Reliquie zum Ding  ; Pahud de Mortanges, „‚Be a somebody with a body‘“  ; Morgan, „Rhetoric of the Heart“. 19 Siehe Metzger, Religion, Geschichte, Nation.

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Narratives Gedächtnis, d. h. die Konstruktion von Gedächtnis durch Narrative sowie spezifischer Erinnerungsnarrative, zu welchen in einem narrativistischen Begriffsgebrauch auch Bilder und die Inszenierung von Erzählungen etwa in Schauspielen gezählt werden, lassen sich als dritten Modus bezeichnen. Die Narrativität von Gedächtnis, wie sie ein narrativistischer Zugang besonders hervorhebt, basiert auf der Grundkonzeption, dass Erzählen als Akt des Erinnerns bezeichnet werden kann, indem es die zeitlichen Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet.20 Dies kann gerade auch in den Tiefendimensionen des Funktionierens von Erzählungen detektiert werden. In David Carrs Worten  : „[…] narrative structure pervades our very experience of time and social existence, independently of our contemplating the past as historians.“21 Ähnlich fasst Hayden White ein Narrativ als „[…] an expression in discourse of a distinct mode of experiencing and thinking about the world, its structures and its processes“.22 In einer nicht-dichotomischen Sicht auf das Verhältnis von Geschichtsschreibung und Gedächtnis umfassen Erinnerungsnarrative Geschichtsschreibung und Geschichtsvermittlung in Schule, Museen23 und anderen Orten ebenso wie Monumente und Orte der Erinnerung – auch etwa in der Natur –, Literatur, Kunst, Film, die Insze­ nierung von Vergangenheit in Jubiläumsfeierlichkeiten sowie mediale Erinnerungskon­ struktion. Narrative Strukturen beeinflussen, wie über etwas gesprochen wird  ; sie beeinflussen narrative Muster (Tropen, Skripts, Schemata, Plot-Strukturen24), Erzählmodi (etwa Megills Beschreibung, Erklärung, Interpretation und Rechtfertigung25) und narrative Formen (Erzähler, Erzählperspektive) sowie narrativ-rhetorische Strategien (etwa Authentizitätsstrategie, Realitätseffekt26) und Funktionen (etwa expressiv, konativ, phatisch, metalinguistisch bei White27)  ; sie organisieren Erinnerungsnarrative und modellieren deren Zeitkonfigurationen. Kontinuitätskonstruktion, eine teleologische Perspektive, die Synchronisierung verschiedener Zeiten sowie Mythisierung bezeichne ich als zentrale Mechanismen von Erinnerungsnarrativen.28 20 Siehe für eine ähnliche Position auch  : Erll, „Narratology and Cultural Memory Studies“  ; Nünning, „Selektion, Konfiguration, Perspektivierung und Poiesis“  ; Neumann, „The Literary Representation of Memory“  ; Lachmann, Gedächtnis und Literatur. 21 Carr, Time, Narrative and History, S. 9. 22 White, „Storytelling“, S. 274. 23 Zu einem narrativistischen Zugang der Analyse von Museen und Ausstellungen  : Buschmann, „Geschichten im Raum“. 24 Astrid Erll betont diese Dimension besonders  : „Narratology and Cultural Memory Studies.“ 25 Megill, „Recounting the Past“, S. 647. 26 Siehe für eine Anwendung in einer narrativistischen Filmanalyse  : Ebbrecht, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. 27 White, „An old question raised again“, S. 392. 28 Siehe für einzelne dieser Mechanismen die Ausführungen weiter hinten.

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Dabei sind einzelne Narrative Bestandteile von Geweben von Erinnerungsnarrativen, sind verschiedene Erinnerungsnarrative miteinander verschränkt und überlagern sich, was ihre komplexe Dynamik ausmacht, ihre gleichzeitig variierenden Ausformungen in verschiedenen Akteursfeldern und ihre häufig nicht in radikalen Brüchen, sondern vielschichtig in einzelnen Narrativpartikeln verlaufenden Transformationen. Dies ist ganz besonders in mythisierten Narrativen der Fall, da Mythisierung  – verstanden als Mechanismus der Gedächtniskonstruktion und als Erzählmodus – gut verbindbare, oft polyvalente symbolische Partikel schafft, die häufig einen großen Grad an Stabilität aufweisen, da sie in verschiedene Erinnerungsnarrative integriert und umgeschrieben werden können. Das Konzept der Mythisierung ist gegen eine essentialisierende Begrifflichkeit von Mythos gerichtet, indem es den Fokus nicht auf einzelne als ‚gegeben‘ erachtete Mythen legt, sondern – vergleichbar mit semiotischen Mythentheorien – Dynamiken der Mythisierung ins Zentrum stellt und auf verschiedene Erinnerungsgemeinschaften und Akteursfelder blickt.29 Dabei ist das Verhältnis von Erinnerungsnarrativen zu gesellschaftlichen Diskursen, gerade auch zu solchen ohne unmittelbaren Bezug zu Erinnerungskonstruktion, zu beachten. Dadurch wird eine zu homogene und statische Sicht auf Erinnerungsnarrative vermieden, und es werden unterschiedliche Ausformungen und Funktionen in unterschiedlichen Kommunikationsgemeinschaften begründbar. So kann beispielsweise aufgezeigt werden, wie eine Pluralität miteinander verwobener Erinnerungsnarrative in Abendlanddiskursen  – besonders Narrative einer Kulturgemeinschaft, der Überlagerung von Antike, Christentum und Germanentum, und in Variation von Antike, Christentum und Humanismus/Renaissance oder Reformation, Zivilisierungsnarrative wie auch solche einer Differenzkonstruktion  – im 20.  Jahrhundert zum einen eine große Konstanz aufwiesen. Zum anderen ließen sie sich aber auch mit unterschiedlichen gegenwartsbezogenen Diskursen und Erwartungsdiskursen verbinden, sei es mit orientalistischen, antiamerikanischen oder antisowjetischen Abgrenzungsdiskursen, mit antikommunistischen Diskursen, mit Diskursen von Niedergang und Krise wie auch von Erneuerung.30

29 Siehe Lévi-Strauss, „The Structural Study of Myth“  ; ders., Myth and Meaning  ; Barthes, Mythologies  ; White, Tropics of Discourse. Für dynamische Perspektiven auf Mythen und Mythisierung siehe auch die Beiträge in  : Vietta/Uerlings (Hg.). Moderne und Mythos  ; Ghervas/Rosset (Hg.), Lieux d’Europe  ; Buchinger et al. (Hg.), Europäische Erinnerungsräume  ; Cruz/Frijhof (Hg.), Myth in History  ; Knabel et al. (Hg.). Nationale Mythen  ; Wodianka/Rieger (Hg.), Mythosaktualisierungen  ; Barkhoff/Heffernan (Hg.), Schweiz schreiben. 30 Zum politischen Diskurs ohne Analyse von Erinnerungsnarrativen  : Conze, „Facing the Future Backwards“  ; Pöpping, Abendland  ; Faber, Abendland.

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Alle drei Gedächtnismodi schaffen Erinnerungsräume als Geflecht von Gedächtnisbeständen, die in unterschiedlichen Kommunikationsgemeinschaften und Akteursfeldern produziert, angeeignet, reproduziert, abgewandelt und (radikal) transformiert werden. Erinnerungsraum als Begriff wird hier nicht im Sinne einer durch Raum begrenzten Erinnerungskonstruktion und eines Container-Verständnisses von Raum verwendet  ; vielmehr wird er als geschaffener, imaginierter, bearbeiteter Raum verstanden und als Metapher für Dynamiken der Erinnerungskonstruktion verwendet. Zugrunde liegt eine dynamische Konzeption von Raum und Zeit, deren Motor Praktiken und Narrative der Erinnerung sind. Michel de Certeau bezeichnete Raum als „lieu pratique“31, als Ort, mit dem man etwas macht. Raum ist abstrakter und komplexer als Ort, umfasst Ausdehnung (den Abstand zwischen zwei Dingen) und eine zeitliche Dimension, und ist vor allem dynamischer, insofern als er ein „croisement de mobiles […] animé par l’ensemble des mouvements“, ein Geflecht beweglicher Elemente ist.32 Basierend auf dem kommunikations- und narrationstheoretischen Zugang werden im Folgenden zwei Typen von Erinnerungsräumen unterschieden  : Narrative und Praktiken (Texte und Bilder) – d. h. ‚Erzählräume‘ im weitesten Sinn – als Erinnerungsräume und durch Erinnerungsnarrative geschaffene imaginierte, ‚erzählte‘ Räume (in Text und Bild). Dazu sind  – als Rahmen der Ermöglichung – auch Kommunikationsräume als Erinnerungsräume zu verstehen, die wesentlich von Erfahrungs- und Erwartungsräumen mitgestaltet werden. Die beiden Typen von Erinnerungsräumen sollen im Folgenden mit Beispielen ausformuliert werden, die auch den gewinnbringenden Einsatz der auf den vorausliegenden Seiten präsentierten konzeptuellen und methodischen Reflexionen zum Ausdruck bringen sollen.

Narrative und Praktiken (Texte und Bilder) als Erinnerungsräume Erinnerungsräume sind entsprechend dem ersten Typus zu verstehen als Geflecht sich überlagernder Deutungen und Imaginationen, die Ausdruck des Gewebecharakters von Erinnerungsnarrativen und -praktiken sind, in welchen sich Bestände aus unterschiedlichen sprachlichen und visuellen Codes und ihre Festigung manifestieren. Sie sind von allen drei Gedächtnismodi geprägt und bringen unmittelbar eine zeitliche Komplexität zum Ausdruck, insofern als sich Gedächtnisschichten aus unterschied31 de Certeau, L’invention du quotidien, S. 173. 32 Ebd. Aleida Assman dynamisiert in ihrem Buch Erinnerungsräume allerdings Gedenk- und Gedächtnisorte (S. 298–339).

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lichen Zeiten verschränken. Vielschichtigkeit, Variabilität und Verschränkungslagen sind Ausdruck des Gewebecharakters. Die Verschränkung verschiedener Codes und ihre Reproduktion und Integration in neue Deutungszusammenhänge, ihre Bearbeitung zu Erinnerungsnarrativen, die Integration gesellschaftlicher Diskurse sowie die Abwandlung vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Dimensionen bis hin zum alleinigen Mitführen als Negativfolien in radikal transformierten, ja dekonstruierten Varianten machen komplexe textliche und bildliche Erinnerungsräume aus. In Bildern der Apokalypse lässt sich dies gut aufzeigen. Sie stellen einen Gedächtnisraum der Symbolisierung von gegenwarts- und zukunftsbezogenen Unsicherheiten und Ängsten dar33, hängt doch die Möglichkeit der Kommunikation über ein nicht erfahrenes, in die Zukunft projiziertes, radikal ‚Anderes‘ ganz besonders von einem Gewebe bereits vorzufindender Deutungsmuster und Bilder ab  ; von Deutungsmustern und Bildern, die wiederholt, auch nur teilweise angeeignet und entfremdet werden können, bis hin zur ironischen Zitierung34, die jedoch nach wie vor dekodiert werden kann. Systematisierend lassen sich drei Dimensionen apokalyptischen Gedächtnisgebrauchs unterscheiden, die ihrerseits ineinanderfließen und komplexe Erinnerungsräume schaffen  : Narrative, die wesentlich vom religiösen apokalyptischen Diskurs geprägt sind  ; religiöse Semantiken, Bilder und Symbole als polyvalent einsetzbare Versatzstücke, auch in nicht religiösen Diskursen35  ; narrative Muster in der Inszenierung apokalyptischer Diskurse und Bilder, als Narrativ der Progression von Defizienz zu Fülle oder aber als Apokalypse ohne Erlösung in der kupierten Version36. Der Transfer sakral aufgeladener Bildlichkeit in nicht-religiöse Bereiche kann zur Visualisierung des Aussergewöhnlichen, das Vorstellbare überschreitenden Schrecklichen dienen. Dies kommt in der Transformation des Apokalyptischen ins Sublime besonders gut zum Ausdruck, wie sie von Künstlern der Romantik um 1800 und des frühen 19. Jahrhunderts geprägt, insbesondere unter dem Einfluss William Turners, in langer Kontinuität ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus wirkten. Sublimität lässt sich in Bildern des gänzlich andersartigen Wunderbaren wie der Zerstörung und endgülti33 Siehe dazu  : Metzger, „Apokalyptische Diskurse“  ; verschiedene Beiträge in  : Wieser et al. (Hg.), Abendländische Apokalyptik, bes. Zolles et al., „Einleitung“ und Zolles, „Die symbolische Macht der Apokalypse“  ; Fried, Dies Irae  ; Nagel et al. (Hg.), Apokalypse. 34 So literarisch besonders radikal von Karl Kraus  : Die letzten Tage der Menschheit. Siehe Djassemy, Die verfolgende Unschuld, S.  113–184.  – Zu Robert Musil siehe  : Innerhofer, „Mögliche Enden, endlose Möglichkeiten.“ 35 Siehe zur Betonung dieser komplexen Dimension auch  : Zolles et al., „Einleitung“  ; Zolles, „Die symbolische Macht der Apokalypse“  ; Horn, „Die romantische Verdunkelung“. 36 Siehe auch  : Nagel  : „‚Siehe, ich mache alles neu  ?‘“  ; Rauer, „Apokalyptische Verunsicherung“.

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Abb. 1: Turner, William. Death on a Pale Horse, 1825–1830, Tate Britain, London, © Tate, London 2019.

gen Finsternis – in impliziter Dichotomie zum nicht-gezeigten vergangenen Zustand im Falle kupierter Apokalypsen – finden. Dabei wird Sublimität durch narrative bzw. visuelle Distanz geschaffen, wodurch apokalyptische Bilder auch zum Ausdruck ästhetischer Lust an Schrecken und Untergang werden. In Bildern wie William Turners The Deluge (1805), Francis Danbys The Deluge (1840) und John Martins The Great Day of His Wrath (1851–53), The Plains of Heaven (1851), The Last Judgement (1853), die zusammen das Triptychon The Last Judgement bilden, werden Sintflut, Zorn Gottes und letztes Gericht über die Verwendung von Gedächtniscodes der biblischen Apokalypse als ultimative Katastrophe gezeigt, in welcher sich Diesseits- und Jenseitsraum verschränken und sublime Transzendenz in Referenz auf solche Codes sichtbar gemacht wird.37 Arnold Böklins Der Krieg (1896) zitiert darüber hinaus mittelalterliche Katastrophenikonografie mit Bezug auf Pest und Krieg. Turners D ­ eath on a Pale Horse (1825–30) transformiert demgegenüber – ähnlich wie später der Präraphaelit Georg Frederic Watts mit seinen apokalyptischen Reiter-Darstellungen (The Four 37 Siehe auch  : Riding, Art and the Sublime  ; Myrone, „John Martin’s Last Judgement Triptych“.

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Horsemen, je einzelne Bilder, 1878) – das sublime Apokalyptische ins Symbolische, in welchem nicht grandiose Szenen des Untergangs, sondern symbolische Figuren und Räume in ihrer Wirkung gezeigt werden, Gedächtnispartikel, die zum pars pro toto werden. Der Tod – in der Figur des letzten der vier apokalyptischen Reiter – erscheint bei Turner nicht als triumphierende Figur, sondern als Phantom im Nebel. Abwandlung, ja teilweise Dekonstruktion von dominanten Narrativen in einer Langzeitperspektive hat Dimiter Daphinoff an der antiken – durchaus fortwährend mythisierten – Figur der Kleopatra im literarischen Erzählraum als Erinnerungsraum aufgezeigt.38 Die kritische Transformation des in seiner Zeit dominanten Narratives Kleopatras, wie es insbesondere durch Plutarchs Antonius geprägt wurde, kennzeichnet William Shakespeares Umgang mit Antonius und Kleopatra, was sein im frühen 17. Jahrhundert entstandenes Drama für seine Zeit außerordentlich machte. Zugleich schuf Shakespeares Werk einen Gedächtnisraum für die nachfolgende Kleopatra-Gestaltung in Literatur und Kunst. Die Verweise auf Plutarchs Narrativ legt Shakespeare, so Dimiter Daphinoff, in kritischer Distanzierung römischen Figuren, die eine Art Kommentatoren-Rolle erhalten, in den Mund, um eine komplexere, starke Frauenfigur zu konstruieren, in der verschiedene Rollen und Qualitäten verbunden werden, jene der Herrscherin, jene der Liebhaberin und als Liebhaberin auch jene der Schauspielerin und der Regisseurin eines Skripts, das sie selber zu schreiben versucht.39 In den Worten des römischen Gefolgsmannes des Antonius, Enobarbus, erzielt die Beschreibung Kleopatras als die Natur überstrahlendes Kunstwerk besondere Wirkung  : Age cannot wither her, nor custom stale Her infinite variety  : other women cloy The appetites they feed, but she makes hungry Where most she satisfies.40

In der Kunst der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts wurden Gedächtnisbestände des komplexen Kleopatra-Bildes mit unterschiedlicher Fokussierung zitiert, in Darstellungen als femme fatale – ähnlich etwa einer Salomé – in stark orientalischem Setting beispielsweise in Jean-Léon Gérômes César et Cléopâtre (1866) und Jean-André Rixens La Mort de Cléopâtre (1874), als selbstbewusste und schöne Herrscherin in

38 Siehe Daphinoff, „‚More Sinned against than Sinning‘  ? Shakespeare’s Cleopatra“ sowie die kritische Edition  : ders., Antony and Cleopatra – Antonius und Kleopatra. 39 Daphinoff, „‚More Sinned against than Sinning‘  ?“, 82. 40 Shakespeare, William. Antony and Cleopatra (1606/7), II.2.236–39. Siehe auch  : Park, „Discandying Cleopatra“, 598, zit. in  : Daphinoff, „‚More Sinned against than Sinning‘  ?“, 85.

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Frank Bernard Dicksees Cleopatra (1876) und Lawrence Alma-Tademas Antony and Cleopatra (1885). Auch hinsichtlich der Form können literarische Werke zu Erinnerungsräumen werden, indem sie literarische Metacodes sichtbar machen. Teil davon sind zugleich Abwandlung, Aktualisierung und Reflexion. In seinem Aufsatz „Sakraler Raum, Erinnerungsraum und das Ringen um Deutungshoheit“ analysiert Dimiter Daphinoff, wie T. S. Eliot in seinem auch inhaltlich auf die Dimension von Erinnerung, Gedenken, (öffentlichen) Gebrauch von Gedächtnisbeständen und mythisierten Figuren fokussierten Stück Murder in the Cathedral (1935), in welchem der mythosstiftende Märtyrer Thomas Becket und die Frage, wie historische Figuren und ihr Wirken in den Erinnerungsraum der Literatur treten und dort problematisiert werden, verhandelt werden, eine Erneuerung des englischen Dramas durch den Rückgriff auf das mittelalterliche Theater und die Wiedereinführung der Versform als Medium anstrebte.41 Die Spannung zwischen modernem Gattungssignal (Thriller) und mittelalterlichem Austragungsort (Kathedrale), die der Titel zunächst erzeugt, wird in Eliots Drama vielfach variiert  : in der Vermischung von Vers und Prosa, von antikem Chor und christlicher Liturgie, von Predigt und illusionsdurchbrechender Anrede ans Publikum,

konkretisiert Daphinoff.42 Verschiedene Codes rhetorisch-narrativer Muster werden zueinander in Beziehung gesetzt und reflektiert, besonders Verweise auf das Theater des Mittelalters, auf Mysterienspiele, die Episoden aus der Bibel oder dem Leben von Heiligen und Märtyrern in Szene setzten, wie auch auf spätmittelalterliche morality plays, wobei in England gerade die Dramatisierung des Lebens Thomas Beckets bis zur Reformation den häufigsten auf einen Heiligen fokussierten Stoff darstellte.43 Insofern als Eliots Murder in the Cathedral das Martyrium des Heiligen Thomas Becket auf die Bühne des Gotteshauses bringt, wie dies im mittelalterlichen Mysterienspiel der Fall war, ist das Stück Erinnerungsraum und fiktiver Verweisraum, auch hinsichtlich seiner Form.

41 Daphinoff, „Sakraler Raum, Erinnerungsraum und das Ringen um Deutungshoheit“. Für T. S. Eliots Reflexion über das mittelalterliche religiöse Drama  : Eliot, „Religious Drama  : Mediaeval and Modern“. 42 Daphinoff, „Sakraler Raum, Erinnerungsraum und das Ringen um Deutungshoheit“, 123. 43 Ebd.

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Imaginierte Erinnerungsräume: Mythisierung und Heterotopien Der zweite Typus  – imaginierte Erinnerungsräume  – bezieht sich auf die Kreation von Imaginationsräumen, auf Räume, die durch Erinnerungsnarrative und Praktiken konstruiert werden. Raumdefinierende Narrative und ihre Gedächtnisdimension gelangen hier in den Blick. Zur Konstruktion von Erinnerungsräumen gehört unmittelbar auch die Umschreibung ihrer Grenzen, die Imagination von Grenz-Räumen und von deren Verschiebung44 und das Einschreiben ‚anderer‘ Räume in den eigenen Erinnerungsraum mit abgrenzender oder integrierender Intention. Mit Volker Barth, Frank Halbach und Bernd Hirsch ließe sich von Xenotopien als „Orten der Aneignung des Fremden“ durch das „dominante Eigene“ sprechen.45 Im Folgen­den seien zwei Mechanismen bzw. zwei Typen von imaginierten Erinnerungsräumen unterschieden, die freilich auch in Verbindung miteinander zu finden sind  : mythisierte Räume bzw. die Mythisierung von Räumen und Heterotopien als ‚gänzlich andere‘ Vorstellungs- und Sehnsuchts-Orte – als Gegenorte, in welchen reale Orte nach Foucault im Sinne einer Art „contestation à la fois mythique et réelle de l’espace où nous vivons“ in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden.46 In beiden Formen sind Mechanismen der Sakralisierung (ob mit religiösem oder ohne religiösem Bezug), der Entzeitlichung  – in der Mythisierung durch Kontinuitätskonstruktion und eine teleologische Perspektive, im Falle der Heterotopie im Sinne eines Herausgehobenseins aus der Zeit – und damit die Schaffung eines ‚ewigen Raumes‘, das Präsentmachen von Abwesendem Vergangenem und räumlich Entferntem – von Appräsentation in Hans-Georg Soeffners Begrifflichkeit47  – und die von Roland B ­ arthes bezüglich mythisierter Narrative festgehaltene ‚Naturalisierung‘ der Geschichte48 über Erinnerungsnarrative zentral. Die Konstruktion von Erinnerungsräumen und spezifisch der Mechanismus der Mythisierung lassen sich am Beispiel von Erinnerungsnarrativen des Abendlandes in ihrer Komplexität und Dynamik gut aufzeigen.49 Dabei greife ich Beispiele aus 44 Diesen Dimensionen mit Blick auf Erinnerungsnarrative hat sich in letzter Zeit besonders die Forschung zu Migration gewidmet. Siehe besonders  : Hintermann, „‚Beneficial‘, ‚problematic‘, ‚different‘“  ; Lässig, „History, Memory, and Symbolic Boundaries“  ; Osses/Nogueira, „Representations of Immigration and Emigration“  ; Salvanou, „Migration and the Shaping of Transcultural Memory“. 45 Barth et al., „Einleitung“, S. 17. 46 Foucault, „Des espaces autres“, S. 756. 47 Soeffner, „Protosoziologische Überlegungen“, S. 48–50. 48 „Le mythe a pour charge de fonder une intention historique en nature, une contingence en éternité.“ Barthes, Mythologies, S. 216. 49 Es handelt sich bei Erinnerungsnarrativen des Abendlandes um ein Feld, das mit Blick auf verschiedene Akteursfelder und in einer Langzeitperspektive systematischer zu erforschen bleibt. Ähnliche Zu-

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dem 19. Jahrhundert sowie besonders der 1930er- bis 1960er-Jahre heraus. Die Überlagerung von Antike, Christentum und Germanentum als Gründungsmythos eines ‚Abendlandes‘ – man könnte von einer Aufschichtung sprechen – ist kennzeichnend für die Schaffung eines abendländischen Erinnerungsraumes in den verschiedensten Akteursfeldern. Durch die Überlagerung dieser Narrative wurde eine abendländische Identitätsvorstellung begründet und dieser eine Wirkung bis in die eigene Gegenwart – ja bis in die Zukunft – eingeschrieben, wodurch die Triade Antike, Christentum, Germanentum entzeitlicht wurde und providentielle Bedeutung erhielt. Dies kommt im von Albert Mühlebach verfassten Geschichtsschulbuch Welt- und Schweizergeschichte von 1942 gut zum Ausdruck  : Als die Reste des westlichen Römerreichs sich mit den Ländern nördlich der Alpen zu einer Einheit verbanden, entstand die abendländische Kulturgemeinschaft. Diese Kulturgemeinschaft wurde durch die Germanen geführt. Sie übernahmen von den besiegten Römern die Kultur der Antike und das Christentum. Die Grundlagen der abendländischen Kulturgemeinschaft (AK) sind also die Antike, das Christentum, das Germanentum. […] Die Bildung der AK begünstigte die dauernde Trennung des Römerreiches. Im Westen fiel das Römerreich zusammen, und die gesunden und unverbrauchten Germanen gründeten auf seinen Trümmern neue Reiche. Im Osten rissen die Griechen die Staatsführung an sich.50

Dass dem Aufschichtungsnarrativ zugleich ein Narrativ des Fortschreitens bzw. des Fortschritts und der Zivilisierung inhärent war, zeigt sich in der zitierten Passage ebenfalls. Besonders bei Kulturphilosophen, Publizisten und Historikern, die einer katholischen Kommunikationsgemeinschaft zugeschrieben werden können, wurde bezüglich der Karolingerzeit und des Karolingerreichs ein Narrativ der Blütezeit, der Harmonie von Kirche und Kaisertum, geschaffen, in welchem Sakalisierung und eine Verschränkung von irdischer und überirdischer Dimension zum Ausdruck kommen. So schrieb der bereits zitierte Autor im darauffolgenden dritten Band seines Lehrmittels  :

gänge verfolgen jüngere Beiträge zum Mythos Europa in Kunst und Architektur  : Dethurens, „Europe, lieu-fantasme“  ; Oy-Marra, „Der Mythos ‚Europa‘ in der Kunst“  ; Wintle, „Visualizing Europe from 1900 to the 1950s“. 50 Mühlebach, Welt- und Schweizergeschichte, Bd. 2, S. 1. Siehe auch  : Müller, Benzigers Illustrierte Weltgeschichte, bes. 30, 37.

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Die Eigenart der abendländischen Kultur des Mittelalters ist darin zu sehen, dass sie in streng christlicher Folgerichtigkeit die irdischen wie die überirdischen Dinge als in Gott begründete Einheit auffasste, als von Gott ausgegangen und für Gott bestimmt. Diese Einheit wirkte sich auf den drei bedeutendsten Gebieten des öffentlichen Lebens aus als 1. Staatlich-politische Einheit, welche die geistliche und weltliche Gewalt zusammenfasste unter dem Bild der Familie mit zwei Häuptern. 2. Religiös-kirchliche Einheit (unum sacerdotium), die Anerkennung der kirchlichen Autorität in Glaubens- und Sittensachen, unter Wahrung der gleichen Glaubensüberzeugung. 3. geistig-kulturelle Einheit, da dieser eine Glaube auch das gesamte Leben in Wissenschaft und Kunst, Gesellschaft und Wirtschaft durchdrang.51

Mythisierung eines christlichen Europas wurde gerade auch durch die Erinnerungsräume bildende Überlagerung von mythisierten Figuren geschaffen. So wurde besonders dem antiken Rom und dem römischen Reich über Aeneas und Augustus teleologische Bedeutung für die christliche ‚Zukunft‘ eingeschrieben.52 Das teleologische Hinstreben Roms zu einem höchsten Ziel, dem ‚goldenen Zeitalter‘ der Pax Romana wurde über diese mythisierten, abendländischen Raum schaffenden Gestalten versinnbildlicht. Sakralisiert, entzeitlicht und damit für immer präsent gemacht stehen sie als pars pro toto für den mythisierten Ursprungsraum. Der populäre zum Katholizismus konvertierte britische Historiker Christopher Dawson bezeichnete 1950 Aeneas als „a kind of pilgrim father, the pious long-suffering Aeneas who was charged with the providential mission to found a new city and bring the gods to Latium“, als „Same“ („germ“), dessen Schicksal darin bestanden habe, eine neue Welt zu schaffen.53 Christlicher und Vergil’scher Mythos überlagern sich. Aeneas und Augustus wurde Sinn für die nachfolgende Zeit, ja eine Mission für die ‚westliche Kultur‘ schon vor dem Christentum eingeschrieben. Über die ihnen zugewiesene providentielle Bedeutung wurden sie von Seiten christlicher Autoren in die Heilsgeschichte integriert.54 51 Mühlebach, Welt- und Schweizergeschichte, Bd. 3, S. 1. 52 Zu Figuren in europäischen Erinnerungsnarrativen siehe  : den Boer et. al. (Hg.). Europäische Erinnerungsorte. Zum Erinnerungsnarrativ Pax Augusta  : Sproll, „‚Imperium sine fine dedi‘“. 53 Dawson, Religion and the Rise of Western Culture, S. 24. Mit unmittelbarem Transfer in Gegenwart und Zukunft im Sinne eines Diskurses der „Erneuerung des Abendlandes“  : ders., Understanding Europe  ; ders., The Making of Europe. 54 Siehe für die heilsgeschichtliche Dimension auch etwa den Kulturphilosophen Kurt Gihring  : Abendland und Kultur, bes. 105  ; ebenfalls  : Dawson, Religion and the Rise of Western Culture, bes. S. 41. – Eine nicht-religiöse teleologische Deutung erhielten Aeneas und Augustus durchaus auch bei nicht-katholischen Autoren. So schrieb etwa der links-liberal einzuordnende Schweizer Historiker Otto Müller in seinem Geschichtslehrmittel 1968  : „Schon damals, zur Zeit Cäsars schien das Römerreich auf dem

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Erinnerungsräume des Abendlandes wurden auch durch kontinuierliche Differenzkonstruktion geschaffen, wobei verschiedene Narrative unterschieden werden können. Im Narrativ einer Bedrohung durch den Islam wurden lange Kontinuitätskonstruktionen vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart geschaffen, wodurch sich ältere und jüngere Konfliktlagen überlagern ließen und alte Konfliktlagen – etwa der Kreuzzüge55 – gerade durch räumliche Festschreibung aktualisiert werden konnten. Die Konstruktion von Grenz(räumen) ist in auf ein Abendland ausgerichteten Narrativen  – ähnlich wie in der Überlagerung nationaler Narrative in border ­regions56  – komplexer als im Falle nationaler Diskurse. Der belgische Historiker Henri Pirenne, der mit der These bekannt wurde, dass die Einheit des Mittelmeeres nicht durch Völkerwanderungen, sondern durch den Islam zerstört worden sei, entzeitlicht und essentialisiert diese Konfliktlage folgendermaßen  : La différence est que partout oû ils sont, ils dominent [Muslime, F.M.]. Les vaincus sont leurs sujets, payent seuls l’impôt, sont hors de la communauté des croyants. La barrrière est infranchissable  ; aucune fusion ne peut se faire entre les populations conquises et les Musulmans. […] Aux bords du Mare Nostrum s’étendent désormais deux civilisations différentes et hostiles. Et si de nos jours l’Européenne s’est subordonné l’Asiatique, elle ne l’a pas assimilée. La mer qui avait été jusqu-là le centre de la Chrétienté en devient la frontière. L’unité méditerranéenne est brisée.57

Ein Bollwerknarrativ christlicher Zivilisation transferierte die Grenze des Aufeinandertreffens in den ‚Orient‘, d. h. in den Raum außerhalb des ‚Abendlandes‘, so in der Malerei des 19.  Jahrhunderts, besonders in der Darstellung von Frauen als Allegorien des Christentums, die von muslimischen ‚Monstern‘ bedroht, rein und (noch) unbesiegt konstruiert wurden.58 Differenz ließ sich über Gewaltszenen hinaus über Weg zu diesem letzten Ziel zu sein, und in der ‚goldenen‘ Zeit der Pax Romana, des ‚römischen Friedens‘ unter Kaiser Augustus als sich das Reich vom Atlantik bis zum Euphrat, von der Nordküste Galliens und der germanischen Donau bis zum Atlasgebirge und den Katarakten des Nils ausdehnte, schien das Ziel erreicht zu sein, ‚da jetzt überall Frieden ausgegossen ist über Land und Meer bis an die Grenzen der Erde‘.“ (Denkwürdige Vergangenheit, Bd. 1, S. 33). 55 Zu den Kreuzzügen in Geschichtslehrmitteln mit einem Schwerpunkt auf die jüngste Vergangenheit siehe  : Bernhard et al. (Hg.), Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern. 56 Siehe neben Katarzyna Stokłosas Aufsatz im vorliegenden Band auch  : Stokłosa/Besier (Hg.). European Border Regions. 57 Pirenne, Mahomet et Charlemagne, S.  132 (1937 posthum erschienen  ; Titel der deutschen Übersetzung  : Geburt des Abendlandes. Untergang der Antike am Mittelmeer und Aufstieg des germanischen Mittelalters, Amsterdam 1939). 58 Siehe etwa  : Jaroslav Cermak, Razzia von Baschi-Bosuks in einem christlichen Dorf in der Herzegowina,

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Religion und Kultur essentialisieren  : Zeitlichem, zivilisatorischem und moralischem ‚Stillstand‘ ‚des Orients‘ wurde Modernisierung und Fortschritt ‚des Abendlandes‘ entgegengestellt. Dieser vormoderne Erinnerungsraum wurde in der Kunst – unter dem Einfluss der französischen Orientmalerei – als zeitentrücktes, mystisches und romantisches ‚Anderes‘ ästhetisiert und fixiert, in der Darstellung von Handwerkern und Reitern in der Wüste ebenso wie in Haremsszenen. Solche Szenen wurden ihrerseits rasch zu Erinnerungsräumen, indem visuelle Codes verfestigt und reproduziert wurden.59 Insgesamt ist die geschichtswirksame, teleologische Dimension des Kampfes gegen ‚den‘ Islam als Teil sich überlagernder Fortschritts- und Differenznarrative hervorzuheben. So Mühlebach in seiner Welt- und Schweizergeschichte  : Der grösste Gegner entstand dem Christentum innerhalb der Grenzen des alten Römerreiches im Islam. Der Kampf gegen ihn dauerte Jahrhunderte. Die Kreuzzüge und die Rückeroberung Spaniens brachten dem christlichen Westen die Führung der Weltkultur. […] Die AK [abendländische Kulturgemeinschaft, F.M.] verband die antike Kultur mit dem Christentum, brachte die ehemals barbarischen Völker zur Staatengründung und führte sie zu einer Kultur, welche alle andern übertraf. Während der Islam eroberte und vernichtete, hat das Abendland aus den Trümmern römischer Städte neues Leben erweckt. Wenn der Islam Kulturleistungen brachte, geschah es da, wo er andere Kulturen übernahm, sich mit solchen auseinandersetzte oder sie weiterentwickelte.60

Und der politische Philosoph und Publizist Denis de Rougemont schloss in seinem 1961 veröffentlichten Werk Vingt-huit siècles d’Europe das Kapitel zum Karolingerreich mit der Feststellung  : „Et commença l’éclipse médiévale de la conscience – non certes de la réalité – européenne. Il faudra les menaces mongole et turque pour réveiller, avec la chrétienté l’idée de l’Europe.“61 Heterotopien als gänzlich andere Vorstellungs- und Sehnsuchts-Orte zeigen sich etwa im religionsgeschichtlichen Kontext in der Gedächtnisdimension sakraler Kunst- und Kulträume, zu welchen auch rituelle Objekte und Bilder sowie sakrali1861 oder Henri Félix Philippoteaux, La Rapture, 1844 sowie Eugène Delacroix, La Grèce sur les ruines de Missolonghi, 1826. 59 So besonders unter dem Einfluss französischer Künstler wie Jean-Auguste Dominique Ingres, Le Bain Turc, 1863 oder Maurice Bompard, Scène de harem, 1900. Unter französischem Einfluss auch die Schweizer Künstler  : Charles Gleyre, Les baigneuses, um 1860  ; Frank Buchser, Markt von Tanger, 1880. Siehe die Ausstellungskataloge zu Orientalismus in der Kunst  : Diederen/Depelchen (Hg.), Orientalismus in Europa  ; Mostafawy/Siebenmorgen (Hg.), Das fremde Abendland  ?  ; Von Ferne lässt grüssen. 60 Mühlebach, Welt- und Schweizergeschichte, Bd. 2, S. 1–2. 61 de Rougemont, Vingt-huit siècles d’Europe, S. 51.

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sierte ‚natürliche‘ Räume wie Pilgerwege, aber auch Körper, nicht nur von Heiligen oder von Christus sondern durchaus auch menschliche – man denke an religiöse Ikonografie in Tattoos –, zu zählen sind. Solche Sakralräume können als Erinnerungsräume zu Heterotopien werden. Ihre Realität transzendierende Dimension zeigt sich in der Verschränkung von Immanenz und Transzendenz sowie von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, indem sie Ewigkeit durch Gedächtnispraktiken, Visualisierung und Narration schaffen.62 Ein zweites Beispiel, das noch einmal einen Bezug zu Erinnerungsnarrativen in Abendlanddiskursen schafft  : Im Rahmen der Suche nach Quellen ‚europäischer Zivilisation‘, besonders des Christentums, wurden mit Fokus auf Palästina und besonders Jerusalem in der Kunst des 19. und frühen 20.  Jahrhunderts heterotopische Erinnerungsräume kreiert. Bibelzentrierte Themen in der Kunst wurden sowohl durch Vertreter historischer Bibelkritik wie durch deren Kritiker vor allem evangelikaler Provenienz, die nach Beweisen suchten, dass die Bibel wörtlich zu verstehen sei, propagiert. In ihnen verbanden sich Erinnerungsräume biblischer Narrative mit heterotopischen Imaginationsräumen. So schufen Darstellungen unberührter Landschaft des ‚Heiligen Landes‘ in Kunstwerken des 19.  Jahrhunderts einen zentralen Erinnerungsraum als Heterotopie. Sie inszenierten den Topos des ‚in den Fußstapfen Christi‘ Wandelns, ja stellten dieses zur Schau. So etwa in Bildern, die Christus in seinem biblischen Setting zeigen, durchaus als Variation orientalistischer Kunst.63 In diesem Genre kam häufig dem ‚natürlichen‘ Raum große Bedeutung zu  : Die Landschaft wurde mythisiert, sakralisiert, ja spiritualisiert, was durch Entzeitlichung und Zeitenthebung, durch die Überlagerung vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungsbezugs durch die Darstellung ‚erfahrener‘ (durch den Künstler) Landschaft sowie durch Verräumlichung geschah. Die Darstellung von Narrativen aus der Bibel in vermeintlich originalen orientalischen Settings lässt sich als Authentizitätsstrategie – man könnte mit Roland Barthes von einem ‚effet du réel‘ sprechen64  – bezeichnen. Diese Mechanismen kommen in Jerusalem and the Valley of Jehosaphat from the Hill of Evil Counsel (1854/55) des britischen Präraphaeliten Thomas Seddon in ihrer einen biblischen Erinnerungsraum als Heterotopie konstituierenden Wirkung besonders gut zum Ausdruck. Seddon verschränkt verschiedene Deutungsdimensionen Jerusalems miteinander  : als sakralen 62 Siehe verschiedene Beiträge in Metzger/Pahud de Mortanges (Hg.), Orte und Räume des Religiösen, so besonders  : Daphinoff, „Sakraler Raum, Erinnerungsraum“  ; Mohn, „Inszenierte Sinnsysteme“  ; Valen­ tin, „Spiegel, Reisen, Klänge“  ; Pahud de Mortanges  ; „‚Be a somebody with a body‘“. Siehe auch demnächst  : Metzger, „Memory of the Sacred Heart“  ; Pahud de Mortanges, „Body and Embodiment of Passion and Love“. 63 Siehe etwa  : William Holman Hunt, The Finding of the Saviour in the Temple, 1854–1860. 64 Barthes, „L’effet du réel“.

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Abb. 2: Seddon, Thomas. Jerusalem and the Valley of Jehosaphat from the Hill of Evil Counsel, 1854/55, Tate Britain, London, © Tate, London 2019.

Abb. 3: Gérôme, Jean-Léon. Golgotha. Consummatum est!, 1867, Musée d’Orsay, Paris, © RMN-Grand Palais (Musée d’Orsay 2019).

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Ort in der sakralen Landschaft des Tempelbergs, als Ort mit imminenter apokalyptischer Bedeutung und als Ort individueller religiöser Erfahrung. Die Erfahrung der Landschaft wird als Erfahrung der Heilsgeschichte gedeutet, welche ihrerseits durch den jetzt-zeitlichen Erfahrungsbezug und in der realitätsgetreuen Darstellung im Bild an Authentizität gewinnen soll, um damit zugleich gegen jegliche Missrepräsentation standhalten zu können. Die realistische Naturdarstellung sollte eine apokalyptische und offenbarungsbezogene Deutungsebene eröffnen.65 Allerdings wird das symbolische Programm Seddons nur durch Einträge in seinen Memoirs und einem dem Bild nicht beigegebenen Manuskript eines Gedichts mit dem Titel „Moriah“ sichtbar, in welchem die Präfiguration der Heilsgeschichte im Ort des Tempelbergs entzeitlicht und ewig dargestellt wird, wie George P. Landow aufgezeigt hat.66 Jean-Léon Gérômes 1867 entstandenes Werk Golgotha. Consummatum est  ! dramatisiert den heilsgeschichtlich entscheidenden Moment auf ‚heiliger‘ Erde mit einem filmisch anmutenden spektakulären Effekt des Erscheinens der drei Kreuze aus dem Off  : ein vielschichtiger, alle drei Gedächtnismodi betreffender heterotopischer Erinnerungsraum.

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Slawomir Kapralski

Memory, Space, Identity

Centuries ago a Greek poet, Simonides of Ceos, was witness to a terrible accident. The roof of the dining hall of the house of a wealthy man, Scopas in Crannon in Thessaly, collapsed and caused the death of everybody present in the hall. Simonides, who had left the hall for a moment, was the only survivor. It was not possible to identify the completely mutilated bodies. However, when asked by the mourning relatives, Simonides was able to identify the dead because he remembered who had been seated where just before the accident happened. Simonides thus realized the importance of localization for memory and discovered the importance of “places” for good memory.1

A Problematic Alliance Against Nothingness It is fascinating that the mythological origins of mnemotechnics are associated with tragedy and the need for the victims to be identified by their relatives. This brings us to the very centre of the relation between memory and identity. If we – in a slightly hyperbolic way  – define identity as an everyday fight against non-being, against everything that threatens our individual or group existence, its continuity and the concrete forms it may take, then memory appears as the steadfast ally of identity. For it is memory that connects us with our deceased and builds the sense of continuity in time, permanently subverted by the experience of difference between past and present, the primordial form of which is the experience of death – of something that is irreversible. Identity is therefore a process in which we – with the help of memory – build an area of relative permanence in passing time in which the remembered past links with the anticipated future. In this process (and also through the inclusion of individual identities into social, collective ones) we develop a sense of ontological security  : a conviction that our existence is strong enough to face death.2 If memory is, as Zygmunt Bauman suggests, one of the inevitable elements of the social construction of immortality and, as we learn from mnemotechnics, an encod1 den Boer, “Loci memoriae”, p. 19. 2 See Giddens, “Living in a Post-Traditional Society”, p. 80.

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ing in space is what strengthens memory, then space, place or territory become an extension of ourselves.3 Territory, according to Steven Grosby, is often perceived as forming a basic structure of vitality that sustains life by, among other things, the fact that it is a locale of memories that order life, and order is a symbolic opposite of entropy and decomposition which are the attributes of death.4 The alliance of memory with identity and space against the irrevocable passing of time is grounded in an interesting paradox. According to David Lowenthal, a common vision of the past is, on the one hand, a necessary element of identity of those who perceive that past as theirs – because to answer the question  : “Who are we  ?” one needs to know the answer to the question  : “Who were we  ?”5 On the other hand, it is precisely the present group identity that makes its past real  : the past is alive when it is somebody’s past. As it was succinctly stated by John R. Gillis, the main role of individual or group constructs of identity that maintain the subject’s identity in time and space is sustained by memory and what we remember is decided by the identity we recognize as ours.6 A similar relation characterizes memory and space. Space, on the one hand, contains accumulated historical experience that was important enough to survive in the organization of space and in the objects it contains. In this way, space performs a function, to use Clifford Geertz’s term, of a “model of ” the remembered past.7 On the other hand, those who control space can consciously design it in such a way that it serves their needs. Here, in Geertz’s terms again, space is a “model for” the past  : an instruction for our remembrance, a frame in which certain memories appear with greater probability, regardless of the objective importance of the events they evoke.

Collective/Social Memory The sociology of collective memory in its classical form presented by Maurice Halb­ wachs a century ago, turned against two basic views that characterized a commonsense approach to memory. The first of them was the conviction that memory is solely an attribute of individuals  : only individuals remember through the recalling of past events as the subjects of consciousness. The second of them emphasized the domi-

3 Baumann, Mortality, Immortality and Other life Strategies. 4 Grosby, “Territoriality”, p. 158. 5 Lowenthal, The Past Is a Foreign Country, pp. 41–6. 6 Gillis, “Memory and Identity”, p. 3. 7 Geertz, The Interpretations of Cultures, pp. 90–1.

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nant role of the past  : memory, according to St. Augustine, is “the present of the past” which means that the past is a necessary condition of memory, while memory itself is “re-presentation” of the past by making past events exist in the present in the form of recollections.8 The sociological perspective of Maurice Halbwachs, which emerged from Emile Durkheim’s vision of the social world, refuted these commonsense assumptions. Durkheim saw social phenomena as belonging to two different realms of reality. On the one hand, they exist thanks to the thoughts and actions of individuals. On the other hand, they are supraindividual because they belong to the realm of objectified cultural patterns peculiar to a society and are “enshrined in the written word” making them transcend individual temporality.9 For Halbwachs, something similar happens with memory  : there are individuals who remember but their acts of memory depend on socially determined choices of particular elements from the available resources which are the property of the groups to which these individuals belong.10 Those resources are socially institutionalized, characterized by inertia and durability, and are enforced on individuals as natural frames in which they locate their reminiscences. We always remember under the pressure of society. The dual character that memory shares with other Durkheimian “social facts” has been reflected in a useful definition by Barbara Szacka  : Collective memory of the past is the image of a group’s past constructed by its members out of the information they remember. This is understood, selected and transformed according to the group’s cultural standards and worldview. These standards are, in turn, socially produced and thus commonly shared which leads to the homogenization of the images of the past allowing us to speak of a collective memory of the group’s history.11

In Halbwachs’ approach memory is not determined by the past but by the present  : we remember what is important from the point of view of the present situation of the groups to which we belong. To reverse St. Augustine’s words, memory for Halbwachs is the past of the present  : a vision of past events that helps us to understand, justify, or legitimize what is now. On the basis of Halbwachs’ approach we can describe social memory as a process of permanent reconstruction of the past by individual remembering subjects, some  8 See Ricœur, Memory, History, Forgetting, p. 101.  9 Durkheim, The Rules of Sociological Method, p. 24. 10 Halbwachs, On Collective Memory, p. 28. 11 Szacka, Czas przeszly, p. 44.

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thing which is possible because subjects belong to particular groups which provide social frames that enable the interpretation of the past from the perspective of the group’s present. It is important to know that the act of reconstruction of the past (which is in the chronological sense preceded by the past) is in fact the construction of the past. According to Jan Assmann, “the past [is] being formed through reference to it.”12 In this reference, the past is defined as meaningful by the people who live in the present and from the point of view of their present problems and interests. Social frames of memory consist of chronologies that order past events, concepts, narratives, discourses and symbols which give meaning to the past and  – what is particularly important here – places and material objects that are the carriers of the symbolic condensation of time in space, stimulating our memories and organizing thoughts and emotions associated with the past.13 The frames of memory specify the personal (internal biographic, immediate) memory of individuals, that is  : what they remember from the past they personally experienced, as well as the external (mediated) memory containing images of the past that circulate within the group and relate to events in which group members did not personally participate. In this second case the social character of memory is displayed more clearly since the vision of the past it contains cannot in many cases be modified by the personal experiences of individuals. That indirect, mediated memory can take many forms. It could be the communicative memory that emerges out of the interactions in which the past is communicated, debated and disputed, or cultural memory, based on institutionalized carriers and encompassing very long time periods, including even the mythologized origins of the group.14 If we use the slightly different language that belongs to the Weberian tradition, we may say that the concept of social memory describes the probability that individuals who belong to a certain group will similarly remember (or forget) the events that constituted the group’s past and will share a common perception of that past. This probability is increased by the ideas of time and space, by discourses of identity, the structure of power, processes of socialization, educational systems, cultural production and in particular by intentional actions that aim at commemorating the events pronounced as being important to the group. Depending on whether we emphasize the socially conditioned individual acts of remembrance/forgetting or the social frames of memory, we receive two different 12 Assmann, “Cultural Memory“, p. 159. 13 See Gillis, “Memory and Identity”, p. 14  ; Irwin-Zarecka, Frames of Remembrance. 14 See Assmann, “Communicative and Cultural Memory”.

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visions of social memory. In the first case it will be memory understood as a dynamic, continuous process of the production of changing pictures of the past, as a field of conflicts of different perspectives emerging out of human interactions, and as a sphere of negotiation and interpenetration of different visions. In the second case it will be a relatively stable and homogeneous picture of the past, in principle shared (although not always consciously and willingly) by members of a group in a given time. Historically speaking, the second perception became the dominant vision of social memory and was treated as crucial for the Durkheimian-Halbwachsian approach. This was mainly because the concept of social memory was employed in sociological analyses of the problem of identity, which emphasized the homogenizing and cohesion-building role of memory. Memory was therefore perceived as an element of the common vision of the past, of the transmission of values, behavioral patterns, and also symbols that create a code of communication between group members making it clear for them that they belong to a community of similar people. Such an approach was characterized by a tendency to omit, erase and silence the visions of the past that were not supported by the existing frames of memory and structures of power that controlled them. Moreover, the very role of these structures of power was invisible which could lead, on the one hand, to the naturalization of the socially and politically constructed forms of memory or, on the other hand, to the essentialization of identity. As a result, we received a simplified picture of social memory as static and monolithic, naturally shared by everybody. Such memory was believed to create a sense of unity within a group and to differentiate from everything that was excluded as outside the group border. The main function of memory and of identity was in this interpretation the creation and protection of the border as well as the building of distance between ‘us’ and ‘them’.15 This approach has been recently subjected to criticism inspired by poststructuralist, feminist and postcolonial theories which perceived it as an essentializing objectification of the socially constructed cultural conventions. As a result of such criticism, the cultural conventions are seen now as largely the consequences of the linguistic, symbolic and institutional strategies of power that are based on marginalizing and making the repressed forms of identity socially invisible. In this new approach, identity is perceived not as something that simply exists but as something being produced in the social practices related to the institutions of power. These practices form a never-ending process of negotiations, exchanges and borrowings that transcends the existing boundaries. Any fixed or given identities are only momentary results of par-

15 See Friese, “Introduction”, p. 5.

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ticular successes of the strategies of power imposing upon this process a “symbolic closure”16. Identity as a cultural text is something heterogeneous and incoherent (insofar as it is not homogenized by the strategies of power) and draws upon a multiplicity of meanings, historical codes, memories and imaginations.17 The same can be said about the contemporary reflection on space in which we can observe the “process of liberating space from its old chain of meaning and to associate it with a different one in which it might have […] more political potential”18. This process involves the perception of space as a dynamic multiplicity, “as an open ongoing production”19. The conflict of memories involved in collective identities is therefore largely a conflict over power and memories in questions that deal not exactly with past events but with contemporary politics of identity. While confirming in everyday communicative practices the existence of a commonly shared past, people simultaneously contest the pasts remembered by others and therefore mark these others as different, something often connected with their social, political and economic exclusion. Those who do not have power may nevertheless find alternatives, producing counter-memories and counter-identities that subvert the hegemony of the officially instituted and empowered structures of meaning. Memory can be therefore used to challenge social subordination, and since both dominant and subordinated groups tend to anchor their memories in space20, the latter becomes a battlefield of memories and identities rather than merely “the product of negative spacing, through the abjection of the other”21. This does not of course mean that the subordinate status of certain groups in the field of memory and identity production is neglected. It is rather that some contemporary work on the memory and identity of marginalized groups emphasizes that they “are ever more adept at making use of memory to challenge their own subordination”22. Unofficial, repressed memories may in fact constitute an alternative form of memory manifested in silences, omissions and erasures in the official narratives of the past.23 The authors who develop the contemporary critical reflection on memory often treat the tradition of Durkheim and Halbwachs as a negative point of reference. As 16 See ibid, pp. 2–5. 17 See ibid, p. 5. 18 Massey, For Space, p. 55. 19 Ibid. 20 See Hoelscher and Alderman, “Memory and place”, p. 349. 21 Massey, For Space, p. 55. 22 Hoelscher and Alderman, “Memory and place”, p. 349. 23 See Pine, Kaneff, and Haukanes, “Introduction”.

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they claim, it would be difficult on the basis of this tradition to analyse the forms of memory that do not belong to the institutionally supported ritual transmission, but are nevertheless maintained and transmitted. Besides, Halbwachs’ theory allegedly does not offer too many opportunities for the study of changes of memory and the role of power.24 It seems, however, that Halbwachs’ conception offers such opportunities, but to realize them we need to be distanced from those aspects of the conception that are focused on the role of the social frames of memory and to pay more attention to memory as the result of interactions. Halbwachs himself emphasized the enormous role of the obvious fact that remembering individuals simultaneously belong to many social contexts with their respective frames of memory, and when sharing their memories with others must take into account the fact that these others also belong to different contexts. Social memory in Halbwachs’ approach does not therefore need to be monolithic, and sharing it often means a complicated procedure of interpretation, negotiation and criticism reflecting the existing social divides. We may say that in this approach memory can be characterized by ‘thin coherence’ (if we apply this term to the issue of memory) and therefore sharing of memories does not necessarily mean integration and solidarity of people who share them.25 ‘To share’ also means ‘to divide’. For example, according to Richard Sennett’s interpretation of Halbwachs’ theory, the main guarantee of an adequate memory is not exactly a specific, close relation of a remembering subject to the past events, or agreement with others upon a certain vision of the past, but rather the subject’s location in a communicative structure that represents different perspectives in looking at the past and simultaneously allows individuals who participate in it to transcend the boundaries of their different views.26 Richard N. Lebow interprets Halbwachs in a similar way from the perspective of communication theory. In his approach individual memories are constructed in acts of communication with other members of a group. In other words, as individuals we remember what we talk about with others and according to the patterns of communication that exist at the time of our conversations. Therefore, a necessary condition of memory is its social character, the structure of communication that focuses individual attention on those past events that are socially important.27 In this approach, the subject matter of a sociological theory of memory would be intersubjective memory, that is “a past time lived in relation to other people”28.

24 See ibid, p. 11. 25 Sewell, Logics of History, pp. 152–68. 26 See Sennett, “Disturbing Memories”, p. 22. 27 Lebow, “The Memory of Politics”, p. 8. 28 Misztal, Theories of Social Remembering, p. 6.

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Of course, it is true, as Eviatar Zerubavel argues, that we undergo “mnemonic socialization” in “the process of learning to remember in a socially appropriate manner”, whereby we find out “what we should remember and what we should essentially forget.”29 This process takes place in mnemonic communities with their specific patterns of determining what is regarded to be attention-worthy and what may be ignored.30 However, in the light of the concept of memory as ‘thin coherence’, we must say that the mnemonic patterns of a group are never fully implemented in the mnemonic practices of its members, and mnemonic socialization should rather be seen as a complex process of memory wars, negotiations and subversions of the dominant pattern which more often than not lead to an uneasy coexistence of different visions of the past rather than to a commonly shared (accepted) view. Knowing the mnemonic patterns of a group we may only say that there is a certain probability that its members will remember the past in a similar way but we must be prepared to see that in reality what people remember depends mostly on their contingent mnemonic practices and on interactions about the past in which they are often exposed to a variety of accessible patterns of remembering, not necessarily only those that characterize their own communities. In this interactionist approach, memory is a concept that refers to (1) relations between the past and symbols that commemorate it  ; (2) relations between the past and individual beliefs, emotions and judgements about it  ; (3) relations between individuals that are focused on the past. Social memory does not have to mean the sharing of memory or the existence of a common memory. It means, however, that individuals develop their views on the past through interactions. In fact, the fundamental issue of social memory is that different individuals differently interpret and remember the same events, but sometimes their interpretations and recollections become congruent.31 The interactionist theory of memory does not assume that a particular individual’s memories are like the memories of others but that there is a likelihood that they will be similar, and so it studies the factors that increase or decrease this probability. It also studies the relation between memory and identity, taking into account that what is socially remembered always appears within the horizon of silence about what has been socially forgotten, erased and excluded, with the institutions of power playing a decisive role. Finally, the interactionist theory approaches given forms of memory only as freeze frames taken out of the never-ending process of interaction between people and between different elements of culture. 29 Zerubavel, Time Maps, p. 5. 30 Zerubavel, Hidden in Plain Sight, p. 10. 31 See Schwartz, Fukuoka, and Takita-Ishii, “Collective Memory”, p. 254.

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Such an approach to the relation between memory and identity becomes a necessity in postmodern or late modern society. We live now in an epoch when the memory of human communities is subjected to two contradictory tendencies. On the one hand we deal with an omnipresence of memory in the media, in political and intellectual discourses, strategies of commemoration and musealization of the past, and in different versions of the politics of memory. On the other hand, memory becomes something extracted from the living tissue of society, cut off from its central issues and generally less important in everyday life.32 We live in societies which are to a large degree amnesiac but which nevertheless develop and cultivate different obsessions related to memory.33 Maybe, as Saul Friedländer argues, it is precisely the ‘mediatization’ of the past, the fact that it is largely present not in the social memory transmitted between generations but rather in the commercialized and politicized segments of the culture industry, which makes the past unreal and perceived as an element of hyperreal signs that relate to each other and not to any situation of the human world.34 Or maybe, as it has been argued by Pierre Nora, we are doomed to have such a past because we participate in a process in which milieux de mémoire disappear and are being replaced by lieux de mémoire, the locales of commemorative practices which are often motivated not by the spontaneous need to remember but by the market and political interests.35 Commercialization and politicization make the past a virtual entity, something that can be represented in the present in spite of the fact that it is largely nobody’s past, a past that is not a substrate of reminiscences and identities of people who participate in its re-presentation. A good illustration of this phenomenon is ‘virtual Jewishness’ described by Ruth Ellen Gruber, the Central European phenomenon of Jewish culture existing largely without Jews.36 Another example of this virtualization is the historical politics that instrumentalizes memory to defend such interpretations of the past events as providing the members of a given group the status of heroes or innocent victims while denying other interpretations in which they could be perceived as playing less glorious roles.37

32 See Kugelmass, “Mission to the Past”  ; Friedländer, Memory, History, and the Extermination of the Jews. 33 See Misztal, “The Sacralization of Memory”. 34 Friedländer, Memory, History, and the Extermination of the Jews. 35 Nora, Realms of Memory. 36 Gruber, Virtually Jewish. 37 See Todorov, “The Uses and Abuses of Memory”, p. 21.

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From Time to Space? In their analyses of the societies of late modernity, some authors (for example Michel Foucault38) have claimed that in contemporary culture space takes precedence over time as the main framework providing orientation in the social world. Even if this claim may sound exaggerated39, such a trend nevertheless exists  : the growing role of spatial metaphors (as compared with temporal ones) makes late modernity different from classical modernity with its emphasis on linear time and related narratives. It is also argued that if classical modernity was an epoch of history, late modernity is an era of memories  : weakly structured and non-linear processes of recalling the past. In these processes we move from one image of the past tense to another depending on the emotions evoked by space, real or symbolic, in which we are located, or by the acts of communication in which we participate.40 Without going too deeply into this complicated debate about metaphors, it needs to be said that the basic problem of modern culture was discontinuity  : the emergence of modern society meant a radical transformation of the previous forms of collective life that problematized the commonsense approach to the relation between past and present. As Niklas Luhmann has argued, modern society defines itself in the temporal dimension through differentiation from both past and future  : “Whether we like it or not, we are no longer what we were, and we will not be what we are now […]. [T]he characteristics of today’s modernity are not those of yesterday and not those of tomorrow, and in this lies modernity.”41 That is why modernity emphasized historical narratives that accounted for the relation between past and present or even tried to build a bridge between them by suggesting continuity where it did not actually exist. One of the most important narratives of this kind was put forward by modern nationalism with its obsession that the nation is rooted in the past, and its belief in the logic of history determining a nation’s development. The historical narrative of the nation provides an excellent illustration of legitimization of new phenomena by the ‘invention’ of their tradition.42 This process becomes more important when the pace of change accelerates and social institutions that emerge as a result of the transformation are significantly different from their predecessors.43 That is the reason why 38 Foucault, “Of Other Spaces”. 39 See Soja, “Postmodern Geographies”. 40 See Delanty, Social Theory, p. 71. 41 Luhmann, Observations on Modernity, p. 3. 42 See Hobsbawm, “Introduction”. 43 See Smith, The Ethnic Origins of Nations, p. 174.

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nations need a narrative of identity to establish continuity and overcome a rupture in time caused by modernity.44 If it can be demonstrated that a new institution has its roots in the past (the more distant the better), then its emergence does not appear as an act of creation ex nihilo but as re-creation and updating of something that had already existed earlier in some form. Rootedness in the past justifies therefore the unavoidable costs of any innovation, which in the case of radical innovation mean social chaos and destruction of the established order.45 From the existentialist point of view, social chaos is a prefiguration of death, transformed on the level of individual psychology into the feeling of the meaninglessness and absurdity of existence as well as the loss of certitude regarding who one is. This contributes to the crisis of identity which is a starting point of reflection  : as Zygmunt Bauman put it, identity is a “name given to the escape sought from uncertainty” and “[o]ne thinks of identity whenever one is not sure of where one belongs.”46 It was this existential problem that modern narratives, programmes and intellectual systems confronted, offering individuals deprived of ontological security a conviction that their lives have meaning and purpose and that they are members of communities with ancient roots, glorious pasts and clearly delineated borders. In this way the nostalgic longing for roots in the past became an element of modern nationalism which emerged as a result of the uprooting of vast masses of people from their local communities and histories. Nostalgia was thus employed in the social constructions of immortality  : “Nostalgia for the past,” Anthony Smith observes, “especially the ethnic past of ‘one’s own’ people, has indeed been a feature of society in all ages and continents, because people have always sought to overcome death and the futility with which death threatens mortals. By linking oneself to a ‘community of history and destiny’, the individual hopes to achieve a measure of immortality which will preserve his or her own person and achievements from oblivion  ; they will live on and bear fruit in the community.”47 In classical modernity time was the problematic issue which produced the obsession about history understood as the movement from primordial ethnicity to modern nationalism.48 Space, however, in spite of the emerging globalization, dislocation of the masses and separation of places that had previously occupied the same space

44 See Anderson, Imagined Communities, p. 205. 45 See Hubinger, “The Present”, p. 19. 46 Bauman, “From Pilgrim to Tourist“, p. 19. 47 Smith, The Ethnic Origins of Nations, p. 175. 48 See Pearton, “Notions in Nationalism”, p. 24.

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(workplace and place of living), still appeared as something by and large solid and offering safe identifications. This was possible to a large degree thanks to the success of the nation-state as a container of modern identity in its struggle against entropy and the threat of chaos, achieved, among others, by the control of space within its borders.49 Modern identity was therefore problematic from its very beginnings. In the epoch that rejected the normative character of tradition, identity became a project, a task of inventing oneself in such a way that would make it possible to somehow integrate the inevitability of change with the integral character of the subjects who experience transformation. Nevertheless, modern identity was meant to be solid and durable. It was also meant to be serious  : like the identity of a pilgrim who for some reason has made the secular reality of the world the area of his pilgrimage. This pilgrimage existed mostly in time. Place was irrelevant if not hostile to modern identity  : it tempted the pilgrim to rest. For this reason, modern identity, the pilgrimage through life that connects the past, present and future of an individual with the help of a conscious project, is successful in a reality deprived of remarkable places. For this reality Bauman suggests the metaphor of a desert  : an empty place in which an acting human being may easily imprint his/her footsteps. Pilgrims had a stake in solidity of the world they walked, in a kind of world in which one can tell life as a continuous story, a ‘sense-making’ story, such a story as makes each event the effect of the event before and the cause of the effect after, each age a station on the road pointing towards fulfilment. The world of pilgrims – or identity-builders – must be orderly, determined, predictable, ensured  ; but above all, it must be a kind of world in which footprints are engraved for good, so that the trace and the record of past travels are kept and preserved. A world in which travelling may be indeed a pilgrimage. A world hospitable to the pilgrims.50

As we can see, in Bauman’s description it is the language of time and history that dominates and spatial associations refer to places made by people – to pilgrims’ footprints. Modern space can be thus interpreted as a ‘model for’ memory  : an instruction for remembering the past that gives the world continuity and order. If the modern space functions as a ‘model of ’ memory, it is the memory of the pilgrims’ activity, in principle ignoring everything that preceded the world of the pilgrims and constituted an alternative that did not fit the dominant discourse of modernity. 49 See Gellner, Nations and Nationalism. 50 Bauman, “From Pilgrim to Tourist”, p. 23.

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The contemporary postmodern or late modern world is, according to Bauman, not hospitable to pilgrims  : The pilgrims lost their battle by winning it. They strove to make the world solid by making it pliable, so that identity could be built at will, but built systematically, floor by floor and brick by brick. They proceeded by turning the space in which identity was to be built into a desert. They found out that the desert, though comfortingly featureless for those who seek to make their mark, does not hold features well. The easier it is to emboss a footprint, the easier it is to efface it.51

In other words, the world of late modernity is the world in which pilgrimage makes no sense  : this world cannot be made solid, continuous and ordered. Nor is it possible in this world to build the lasting identities the pilgrims dreamt about. To build identity is not difficult  : there are a lot of options, manuals and prefabricated elements around. It is however difficult to keep such identity for a longer time, and this is not the purpose of postmodern identity-building strategies. They are becoming shorttermed  : identities are taken until further notice and change, depending on the situation. The Weberian idea of calling does not work when people simultaneously use a variety of identities that can easily be replaced by others. The contemporary situation of identity together with the transformation of the social contexts in which it is produced significantly influence the position of history. It becomes less important because the official interpretations of historical continuity lose their privileged status when the existential need for such interpretations diminishes and their main sponsor  – the nation state  – weakens. Zygmunt Bauman has described this transformation as postmodern deconstruction of immortality  : if modernity attempts to suppress anxiety associated with the experience of death and its avatars (such as change, chaos and rupture), the postmodern culture familiarizes us with a discontinuous character of life in which everything has a momentary existence but nothing disappears forever.52 In consequence we may say that people of the postmodern era face different anxieties from their modern predecessors. The main enemy is now not chaos – into which modern individuals introduced order to defeat their existential anxieties – but precisely order itself with its authoritarianism, its attempts to close the world in rigid formulas and various forms of false consciousness which make people believe that order exists objectively and independently of any human activity. 51 Ibid, p. 23. 52 Bauman, Mortality, Immortality and Other Life Strategies, pp. 187–91.

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In consequence, time and its continuity are not so important for postmodern men and women. The present becomes the dominant modality of time and it is treated not as a transitional period but as a value in itself, separated from history and fragmented into different autonomous spheres.53 Therefore, various forms of memory free themselves from the domination of history as the authoritative vision of past events supported by the state’s educational system, official rituals and control of discourses about the past. The second of the processes mentioned above, the weakening of the nation-state, is part of the transformation of power whereby traditional, localized power turns into the disseminated disciplinary power of modernity and then into the dissolved power of postmodern hyper-reality of simulacra.54 Late modernity can therefore be characterized by the lack of a homogenized, continuous and authoritative historical narration on the one hand and, on the other hand, by the diminishing importance of the institutions which have so far been using such narration for the purposes of legitimization or for control. This situation has three consequences. First  : the obsession with time that characterized modernity is replaced by the growing interest in spatial metaphors. Second  : the suppressed alternative narratives and minority memories are liberated from the domination of standard historical narrative. Third  : paradoxically, the disempowerment of the nation state leads to a nationalist backlash that often takes a form of ultra-nationalism, drawing heavily on the available cultural resources and traditions.

Space and Memory in Late Modernity Late modernity can be characterized by a close relation between memory and identity as categories, different from history and time, which organize our experience of the past and of ourselves. It is in such “flows of space and communication” that we form and express our perceptions of the past and our attitudes towards it, and use these to orient and scaffold our senses of collective self.55 To capture this complex relation of intertwined processes, I will use the term ‘memoryscape’ which denotes a memorial landscape – both material and symbolic – through which “collective memory is commonly spatialized”.56 This term better re53 Bauman, “From Pilgrim to Tourist”, p. 25. 54 See Best and Kellner, Postmodern Theory, pp. 122–3. 55 Delanty, Social Theory, p. 71. 56 Muzaini and Yeoh, “War Landscapes”, p. 345.

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flects the climate of late modernity than the concept of ‘chronotope’ I have used earlier having been inspired by Mikhail Bakhtin’s theory of literature.57 The suffix-scape implies here several characteristics of memory’s relation to space  : its fluidity, its relativity based on perspective, and its imagined quality.58 This means that, in spite of all its materiality, the tangible landscape of memory is constituted in a dialogue with the imaginations of those who refer to it. This inherent ambiguity of the concept makes it account for the complicated interplay of things and words which only together form our frames of remembrance. The spatialization of memory, however, means not only a free play of fluidities, perspectives and imaginations. It is also a political process because memoryscapes are made meaningful through the hierarchic relations of power.59 This process involves practices that manipulate cultural similarities and differences, and sanitize history by introducing a dominant, privileged way of seeing.60 A memoryscape can thus be defined as a “site of concentrated cultural practice”, the main function of which is to order the meaning of the past. This involves presenting historical and inter-cultural relationships so that they appear coherent, and organizing difference so that it is not subversive. Memoryscapes contain many memories, some of which are in symbolic conflict – often in parallel to other, real-world conflicts that embroil the communities from which these diverse memories emanate. For this reason, memoryscapes as sites of cultural practice are “constantly engaged in efforts not only to normalize or homogenize but also to hierarchize, encapsulate, exclude, criminalize, hegemonize, or marginalize practices and populations that diverge from the sanctioned ideal”61. Memoryscapes thus do more than simply express and convey memories. They also erase the memories of those without sufficient resources to participate, or they silence uncomfortable memories that haunt those who control a given landscape. Yet even sanctioned memories are not simply conferred from the past or ‘copied’ from the memories of a particular group into the memoryscape. Rather, all memories are distorted in ways that legitimize a given group’s claim to control a territory, its meaning and its history. On the one hand, then, memoryscapes are products of power relations. It is, however, difficult to fully arrange them according to the intentions of the ruling groups and institutions. The material substrate of memoryscapes often resists such inten-

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See Kapralski, “Battlefields of Memory”. See Appadurai, Modernity at Large, p. 33. See Gupta and Ferguson, “Beyond ‘Culture’”. See Muzaini and Yeoh, “War Landscapes”, p. 345. Sewell, Logics of History, p. 172.

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tions and their symbols may be interpreted differently, often contrary to the meanings officially attached to them by those who control the landscape. That is why memoryscapes are particularly important for the researchers of social memory  : because they are shaped by many. Although individuals usually do not have sufficient power to control landscapes of memory, they almost always can to some extent mark their presence in them, give them their own meanings and use them for their own purposes.62 Having been an object of the strategies and counter-strategies of power, memoryscapes nevertheless themselves contribute to the construction of consciousness of the past, regardless of the intentions of those who control them and of those who subvert such control.63 Space plays an active role even if nothing particular happens in it. It makes an impact through its plain presence that creates around the meanings embedded in it – including the meanings of the past events – an aura of taken-for-grantedness. Memoryscapes, then, exercise through their spatial and discursive components a coercive power over the ways that we perceive social relations in a given territory, and act as permanent reminders of who we are. In this way memoryscapes form part of the frames of memory and can be compared to the flags hanging unnoticed in Michael Billig’s theory of ‘banal nationalism’, the flags which just by their presence in a routine way remind the members of a nation about its existence.64 While reminding us of something the frames of memory simultaneously cause forgetting about something else. Sometimes this mechanism protects memory against the overabundance of information  : individuals and groups cannot remember everything. Otherwise they would not be able to exist, overwhelmed by the remembered past. Therefore, forgetting appears as a necessary condition of memory  : it makes us able to classify and thus to order chaos65, whereby “[m]emories are crafted by oblivion as the outlines of the shore are created by the sea”66. Forgetting, understood as the erasure of certain memories from memoryscapes, can be perceived as an important factor of social or national ties and identities, especially in modernity. It is in this way that Benedict Anderson interprets the nation as a memoryscape, starting with Ernest Renan’s remark that the nation brings among others an obligation to remember that some past events, the memory of which could reproduce social conflict, need to be forgotten. The historical narratives of the nation,

62 See Crumley, “Exploring Venues of Social Memory”, p. 43. 63 See Yoneyama, “Taming the Memoryscape”, p. 103. 64 Billig, Banal Nationalism, p. 8. 65 See Lowenthal, The Past Is A Foreign Country, pp. 204–5. 66 Augé, Oblivion, p. 20.

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its frames and memoryscapes, silence, erase or at least neutralize the recollections of fratricidal fights and other tragic events which would threaten the continuous national history.67 Such erasure can also be a result of conscious manipulation. In historical narratives it could take the form of silencing facts, denying their importance or dissolving them in the multiplicity of narrow accounts.68 In the memoryscapes such erasure can be found most often when the same physical territory constitutes different symbolic spaces of memory for different groups which are in conflict and have unequal access to the means of controlling space. The tendency to erase uncomfortable memories from memoryscapes increases when, for example as a consequence of wars, genocides or expulsions, only one group remains on the territory once inhabited by many.69 The way in which memoryscapes are shaped by hierarchical power relations depends on the historical and cultural contexts. Traditional societies existed in relatively stable memoryscapes that were only sporadically manipulated by the ‘localized’ power. Modern societies function in the social and physical spaces defined by the homogenizing disciplinary practices of the nation states and self-disciplining interactions of the inmates of the modern panopticon. In the postmodern condition societies become increasingly detached from concrete spatial localities, in a way similar to that in which the new forms of ‘dissolved’ power operate largely in the sphere of cultural simulacra. But even if we do not fully accept the vision of the evolution of power presented by Foucault and Baudrillard, we would have to notice that memoryscapes are controlled by the institutions of power to various degrees, and the period of late modernity is in this respect largely decentralized and characterized by a weakening of the control over space. The spaces of memory are recently shaped by a complicated, polycentric network of relations which leads to a certain sort of democratization of the access to the means of embedding memories in space and to the multiculturality of memory which assumes that the visions of history held by underprivileged groups are equally important as those that characterize the official culture of the majority.70 This means, among other things, that the so far familiar memoryscapes will reveal their nature as palimpsests of the multivocal message of repressed recollections. In such circumstances, the process of the transformation of an abstract space into concrete places as described by Gupta and Ferguson becomes problematic. The re67 Anderson, Imagined Communities, p. 201. 68 See Trouillot, Silencing the Past, pp. 96–7. 69 See Kapralski, “Amnesia, Nostalgia, and Reconstruction”. 70 See Kitzmann, Mithander, and Sundholm, “Introduction”, p. 16.

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lations of power, one of the factors responsible for such transformation, have been dissolved and decentralized and another important factor – identity – also undergoes transformation and becomes something fluid, multifaceted and altering. If the factors that transform space into place are eroding or change their nature then we may expect that the character and functions of the contemporary places will be different from those in the past. This change is sometimes described as deterritorialization, delocalization or dislocation of contemporary culture and society.

Deterritorialization The processes described above made the relations between territorial locality, culture and social community problematic. Locality and culture are not any longer rooted in concrete geographical or social place and social relations transcend the conditions determined by the physical co-presence of partners to interaction.71 This transformation commenced together with the advent of modernity and the separation of time and space from concrete places, but developed fully in late modernity when it formed part of the globalization process. Of course, we still continue to exist in concrete places but they are, as Giddens comments, increasingly ‘phantasmagoric’.72 The comfort of living in the cultural settings of our everyday life often conceals the influence of factors that are located very far from them. We still can feel in ‘our’ places at home, but their homely character does not emerge out of the peculiar nature of particular locales in which they have organically developed. More often than not the familiar ‘vibes’ of a given place have been created and assigned to them by distant forces  : for example a shopping mall in which we feel at home has been designed to make us feel so in the offices of international corporations.73 Deterritorialization of social relations does not mean total repudiation of physical locality  : we still live, sleep, eat, and work somewhere. Even the diasporic, ‘de-localized’ communities continue to idealize local communities – regardless of how much mendacity is concealed by such romantic nostalgia – and employ the concept of territory, however abstract and imagined it may be, to symbolically identify with some sort of ‘soil’, ‘motherland’, or ‘country of origins’74.

71 See Kennedy and Roudometof,” Transnationalism in a Global Age”, p. 11  ; Tomlinson, Globalization and Culture, p. 107. 72 Giddens, The Consequences of Modernity, p. 19. 73 See ibid, p. 107. 74 Kennedy and Roudometof, “Transnatioanlism in a global age”, pp. 12–3.

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The process of globalization has, however, deeper consequences. It makes available global identities that formerly were confined to concrete local contexts, and their existence is not any longer guaranteed by tradition and reproduced by personal relations in relatively closed communities. Instead, they are produced and reproduced in the mass-mediated, loose networks of relations between dispersed individuals and groups.75 Grounded ethnic identities are therefore being replaced by ‘ethnoscapes’ in which the “genie of ethnicity” escapes from the “bottle” of locality and becomes a “global force, forever slipping in and through the cracks between states and borders”.76 In consequence, in the contemporary world identities are produced in the locales of a new kind  : abstract, imagined and disconnected from concrete physical spaces, which are in-between the existing narratives of identity and their political and special containers, in the liminal zones where different cultural influences mix.77 Such socio-cultural frontiers, arranged mostly by mass-media and the culture industry, are responsible for shaping the hybrid identities of deterritorialized, dispersed and largely ‘homeless’ individuals and groups, and also contribute to the problematization of the relation between place and culture, which is no longer perceived as natural and immutable.78 It does not come as a surprise, therefore, that the social sciences are searching for a new conceptualization of the relation between identity, memory and space, which would represent the problematic character of all these elements in late modernity. In particular, this process affects place as the mediating zone between them, which is moreover particularly exposed to the consequences of deterritorialization. Generally speaking, contemporary places as points in which space, memory and identity are connected, lose their materiality and concrete character. If such places happen to be rooted in some sort of physical space, they – surprisingly – often prevent the expression of memory and identity. Zygmunt Bauman has described them, with reference to Lévi-Strauss, as the ‘emic’ and phagic spaces.79 The former expel across their boundaries everything that may make people different and in possession of individual or collective uniqueness. The latter absorb difference by adjusting it to those forms of expression that they allow. Bauman in a similar way interprets the concept of ‘non-places’ (non-lieux) introduced by Marc Augé80, which organize the co-presence of people who are strangers 75 See Appadurai, “Disuncture and Difference”, p. 237. 76 Appadurai, Modernity at Large, p. 41. 77 See Bhabha, The Location of Culture, p. 2  ; Kennedy and Roudometof, “Transnatioanlism in a global age”, p. 10. 78 See Gupta and Ferguson, “Beyond ‘Culture’”. 79 Bauman, Liquid Modernity, p. 101. 80 Augé, Non Places.

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to one another by levelling and erasing the unique subjectivity of their temporary residents81. Non-places do not have a history and distinctive particularities  : they are the anonymous spaces of airports, hotels etc. that are not imprinted in memory and do not form frames that would activate recollection. The abstract and constructed character of contemporary places involved in memory production is clearly visible in concepts introduced to catch the relation between memory and space such as lieux de mémoire (Nora 1996), Erinnerungsorte (Schulze, François 2001), or Gedächtnisorte (LeRider, Csáky, Sommer 2002). In contrast with them, the concept of ‘memoryscape’ tries to keep the balance between the non-material and material aspects of contemporary sites in which memories are produced and reproduced. Because of that, the concept may be useful when describing, for example, the processes of re-territorialization which together with the different religious and political fundamentalisms and the renaissance of communitarianism also characterize the contemporary relation between space and identity. These phenomena become particularly important when we participate in the search for identities in the cosmopolitan bazaar of our chaotic world, where we often wake up longing for identities that would be stable, solid and durable – even if only in the imagination of those of us who search for them. The identity that is frequently imagined in this way is ethnicity that often becomes the first route of escape from the fearful polyphonic space of contemporary culture. This process does not stand in contradiction to the already presented vision of globalization and delocalization of ethnicity. Ethnicity as a form of contemporary identification is rather a ‘symbolic’82 or ‘fictitious’83 ethnicity, based on individual ascription, invented traditions of performative, theatrical character and spatial/discursive representation that – contrary to facts – try to suggest its primordial permanence. But even ethnicity understood in this way assumes a certain space of more or less material character in which its practices took place and a certain vision of social memory which these practices support or – more often – produce. To this category belong the various types of memory that have been intensively studied recently  : postmemory84, prosthetic memory85, multidirectional memory86, and travelling memory87.

81 Bauman, Liquid Modernity, p. 102. 82 Gans, “Symbolic Ethnicity”. 83 Balibar, “The Nation Form”. 84 Hirsch, The Generation of Postmodernity. 85 Landsberg, Prosthetic Memory. 86 Rothberg, Multidirectional Memory. 87 Erll, “Travelling Memory”.

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Concluding Remarks: on the Paradoxical Nature of the Things Described While looking at concepts that depict the cluster of memory, space and identity, one cannot avoid an impression that the conceptual sphere is step behind the transformation of reality that it is supposed to describe. In other words, only when the transformation problematizes the ways of perception that were so far taken for granted do we feel forced to develop the conceptual apparatus that would be able to represent this problematization (or to negate it). Hegel’s owl of Minerva still flies at dusk  : justifications emerge when we are no longer sure of what we know, and identity constructs – when we lose confidence in who we are. History as an authoritative, linear narrative of identity appears when we are not certain where we come from and the overwhelming change subverts our commonsense assumption of the continuity of our being in the social world. Sites of memory start mushrooming when the late/postmodern transformation accomplishes the decomposition of the natural environments where memory was cultivated. The social memory itself is marked by ambivalence  : on the one hand it seems to be omnipotent because the culture of late modernity is full of various representations of the past and social life – of mnemonic rituals in which those representations are being made present. On the other hand though, contemporary societies are immersing in collective amnesia, the temporal horizon within which their members live is shrinking and memory is for them more often than not a matter of entertainment rather than of a heritage to be earnestly carried on through millennia. Although decentralization and loosening of the control of the social frames of memory has created a situation where a great many different visions of the past to which everybody has easy access simultaneously exist in the public sphere, such pluralism of memories with each considered to be of equal status makes the past meaningless and contributes to a lack of genuine interest in past events, counteracted at the same time by institutionalized activities of historical politics.88 A similar ambiguity characterizes the relation of space and identity. The language of space still provides metaphors and codes that express visions of both past and identity constructs, although space itself is recently undergoing a process of dematerialization and its ties with the social relations for which it used to be the natural realm in the past are becoming severed. Identities become more accessible in today’s world and increasingly depend on individual decisions, but become at the same time less consistent, solid and durable. They become a sort of disposable commodity which does not presuppose the continuity of culture and tradition in which it was once formed. 88 See Suleiman, Crises of Memory, p. 216.

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For James Clifford, contemporary identity is something improvised and staged for the time being and not a sign carried in every moment of life. It is manifested in the currently available (and fashionable) cultural codes, often contingent and heterogeneous, in the use of which we do not have long practice and competence.89 If contemporary memory, space and identity, taken separately, are ambiguous, the relations between them have a paradoxical form. The relation between memory and identity can be described in terms of the ‘Lowenthal’s paradox’ described earlier  : the socially remembered past decides who we are in the present, but in our social remembering we must create in the present the frames of our memory, to know, even intuitionally, what we want to remember (and what to forget) and why, and this presupposes that we know who we are independently from our memory. In other words, the process of social remembering simultaneously creates a social subject and assumes this subject’s prior existence as its condition. The concept of memoryscape allows us to demonstrate, however, that the paradox is, at least partially, only ostensible. The concept assumes that the social frames of memory are partly spontaneously constructed by internally differentiated social subjects, but out of the cultural resources that accumulate past meanings in a way that is often different from the intentions of those who make use of the frames. Therefore, memoryscapes are not fully constructed in the present. They contain the inert, institutionalized and objectified carriers of memory which are recalcitrant to the present tendencies to manipulate space and memory. Of course, such inherited, materially embedded memories are in a way socially constructed but not necessarily today and not by a solitary centre or agent. They are battlefields of different recollections, meanings, symbols and discourses, which are used by different groups and institutions which are often in conflict with one another. The message they convey into the future is a complex result of these conflicts, transformed by the internal logic of the cultural and social fields from which memory draws its components. The relation between space and memory has been presented here with the help of Clifford Geertz’s distinction  : ‘model of ’ – ‘model for’. In relation to memory, space has a peculiar quality of being both. It is a model of memory because it represents the past and is an accumulated transmission of the past events as well as of the way they have been approached by people who shaped given space. It is a model for memory because in the present it can be made a tool that shapes our memory by telling us what we should remember and what we should forget. In the first case, the past determines the present and we deal here with memory as mnéme  : an imprint of the past events in the present recollection. In the second case, it is the present where the vision 89 Clifford, The Predicament of Culture.

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of the past is formed and we operate here with memory as anámnesis  : contextually conditioned recollection of the past that is instrumental for the present (and future) concerns.90 In traditional societies, spaces were mostly ‘models of ’  : they recorded the past. In modern societies, space as ‘model for’ dominates  : the past is produced and given to be remembered through, among other things, the present manipulation of space. Late modern or postmodern society is in this respect chaotic  : because of the decomposition of the centres of power, space is loosely organized by an interplay between local and global processes, and the democratization of access to the means of spatial expression makes a single and coherent cultural strategy for dealing with the past impossible. Contemporary society, however, does not constitute a radically new reality, absolutely different from everything that has preceded it. In the contemporary world there are still traditional spaces in which memory of the past imprints slowly and without purposeful human activity. There exist modern spaces, planned and consciously shaped to be a representation of the past declared as binding by those who control these spaces. Finally, there are specific postmodern spaces, largely dematerialized and separated from concrete territories, in which pluralism and ubiquity of memory simplify more often than not an indifference towards the past. The paradox of the third relation, between space and identity, lies in the fact that in contemporary society it is precisely space and its components that are the main providers of the components of our identities, rather than time that in modernity performed such a role. Simultaneously, however, spaces in which identities were expressed in the strongest way lose their importance. There are still villages where people sit on Sunday in the same church benches as their parents and grandparents. There are still towns in the space of which the monuments of national heroes are the symbolic dominant. But we increasingly produce, negotiate and reproduce our identities in the new realms, in which, say, the Internet café in Warsaw, a Chechen village and immigrant housing in Germany constitute elements of the same space, and a Ukrainian chef prepares Ashkenazi food for Japanese tourists visiting the old Jewish district in Krakow while the Romanian Roma band plays klezmer tunes at the entrance to the restaurant. Nevertheless, the physical devaluation of territoriality on the macro-social level is accompanied by a growing interest in territory (after all, the Japanese tourists have come all the way to see the ‘real place’ of Jewish life in Poland), but the territory in question is now mediated by globalized flows of people, information technologies, social media and the tourist industry, leading as a result to the blurring of traditional cultural borders. 90 See Yerushalmi, Zakhor, p. 107.

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Liminality and Experience Rethinking the Theoretical Foundations of Memory Studies Memory studies is a steadily growing field, increasingly recognized in academic and political circles. It has a flagship journal (Memory Studies), an effective on-line tool for networking and researching (H-Memory), a newborn association that serves as a forum for dialogue and debate (Memory Studies Association), and a “critical mass of enthusiastic supporters”1. It is evident that the “memory boom”2, or even the “obsession with memory”3 of the late twentieth century and the beginning of the twenty-first century was not just a passing moment. Time has come, so it seems, for the institutionalization and systematization of memory studies  – if not as a discipline, then at least as a recognized area of study with a more formalized organization run by scientific associations. Indeed, at the moment of writing, we are witnessing the establishment of memory studies departments and academic programmes, the creation of spaces for collaboration and integration between scholars working in different continents, collective efforts toward the pursuit of more interdisciplinary (rather than multidisciplinary) research agendas, and organic systems of financial support of public and private donors through grants and scholarships.4 All in all, this development must be seen as positive. Memory studies can and should be considered central to the social and human sciences. However, the institutionalization and further expansion of memory studies also require an effort on the part of scholars to advance theoretical and methodological debates, to root their researches in the more innovative and provocative directions of the social sciences, and to unravel unexplored and potentially fruitful intellectual genealogies. In this essay we discuss, in a preliminary but at the same time somewhat programmatic way, what it would imply to rethink memory studies from an experientially grounded theoretical framework. This framework harks back to Arnold van Gennep’s 1 Dutceac Segesten and Wüstenberg, “Memory studies”, p. 2  ; Olick, Sierp, and Wüstenberg, “The Memory Studies Association”. 2 Winter, “The Generation of Memory”  ; Winter, Remembering the War  ; see also Confino, “Collective Memory”  ; Olick and Robbins, “Social Memory Studies”. 3 Huyssen, Twilight Memories. 4 Cf. Dutceac Segesten and Wüstenberg, “Memory studies”, pp. 1–2, p. 14  ; Olick, “‘Collective Memory’  : a memoir and a prospect”, pp. 27–8.

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suggestive anthropology of religion and the concept of liminality, which we argue provide an alternative to current genealogies of theory, still heavily influenced by the legacy of the French sociologist Maurice Halbwachs (1877–1945). The concept of liminality captures an ambiguous state of trial and uncertainty, betwixt and between, a separation from a previous social and political order, preceding a return to a different state of ‘normality’. Characterized by ambivalence and anxiety as well as creativity, liminality refers to periods of transition, when conventional forms of self-understanding and behaviour are re-examined, leading to both a reassertion of core symbols and values and to innovation. Liminality is a decisive turning point  ; the loss of taken-for-granted interpretative and experiential frames, feelings of anxiety and longing for past certainties, but also the possible formation of new discourses, narratives, and sense of belonging, leading into rituals of re-aggregation. Liminality both refers to a rite of passage undergone by an individual in his or her life-cycle and to moments of transition involving larger social groups. It is in this sense that the concept can throw light on social change writ large.5 While liminality has come to the forefront of social and cultural theory in recent years, highlighting the dynamic aspects of transition periods more broadly6, it has so far not informed the study of memory. Our central argument is that memory plays a huge role in this cultural process and is itself formed by it  ; in fact, at both the individual and social levels, memory elaborates and steers liminal experiences. The aim of this essay is therefore also to suggest liminality and experience as grounding terms for memory studies, more than mere terms of ‘added value’. We will not be able to provide empirical examples here to sustain the proposed framework, but will simply sketch the contours of the relevant theoretical positions and their analytical implications.7

The Social Frameworks of Memory: Halbwachs and Durkheim Maurice Halbwachs is widely considered the founding father of studies on collective and social memory. Halbwachs did not invent but rather introduced the already existing concept of ‘collective memory’ into sociology, using it in a more systematic way

5 Cf. Thomassen, Liminality and the Modern. 6 Cf. Thomassen, “Notes towards an Anthropology”  ; Thomassen, Liminality and the Modern  ; Szakolczai, “Liminality and Experience”  ; Wydra, “Liminality and Democracy”  ; Forlenza, On the Edge of Democracy. 7 For an application of our framework, see Forlenza and Thomassen, Italian Modernities.

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than had hitherto been the case. According to Halbwachs, every memory is carried by a specific social group, which is limited in time and in space. Every group, in turn, develops a memory of its own past that highlights its unique identity. This implies a “presentist”8 and reifying understanding of the operation of memory, which, Halb­ wachs argues, is formed and reformed in the present for present purposes. Against psychological perspectives that anchor memory in an individual cognitive dimension, Halbwachs underscores the social and collective dimensions of individual memory. For him, all forms of memory are socially framed and, therefore, shaped in social processes as a cultural rather than cognitive phenomenon. In this reading, collective memory is a social construction that embodies and unfolds in specific contexts and is shaped and informed by the temporal concerns of its stakeholders. It is located, to use Halbwachs’s words, in “les cadres sociaux de la mémoire” (the social frameworks of memory), which is also the title of his most famous study dating from 1925. In this sense, individuals cannot remember persistently and coherently outside of their groups. Instead, groups can even generate memories in individuals about events that the individuals have no experience of. In Les cadres sociaux, Halbwachs writes  : The study of dreams has already provided us with serious arguments against the thesis of the subsistence of memories in an unconscious state. But it is necessary to show that, outside of dreams, in reality the past does not recur as such, that everything seems to indicate that the past is not preserved but is reconstructed on the basis of the present. It is necessary to show, besides, that the collective frameworks of memory are not constructed after the fact by the combination of individual recollections  ; nor are they empty forms where recollections coming from elsewhere would insert themselves. Collective frameworks are, to the contrary, precisely the instruments used by the collective memory to reconstruct an image of the past which is in accord, in each epoch, with the predominant thoughts of the society.9

For Halbwachs collective memory is a social construction. It is not an arbitrary grouping, but a deliberate – and sometimes unconscious – sum of comparable individual memories. In other words, individual memories over time coalesce into one idealized image of the past that constitutes a collective memory. This leap from individual to collective entails a process of selection  : individual memories that do not resonate any­ more within a certain group die and are eventually forgotten. The power of collective memory lies, for Halbwachs, in its ability to establish roots within social frameworks  : 8 Olick, The Politics of Regret, p. 42. 9 Halbwachs, “The Social Frameworks of Memory”, pp. 39–40.

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collective memory endures when it resonates with the social group that advances a claim on it. Individual memories are shaped by a larger, collective memory. Individuals remember the past reflecting the social groups they belong to. Furthermore, and in continuation, memory is constantly revised because of the present and its circumstances. Looking back, groups and collectivities do not conjure up the same past that they had originally perceived and experienced. Quite the opposite, personal and collective reminiscences always go through a filter that refashions the past through the present  : memory is a reconstruction of the past from the point of view of the present. It would be superfluous to discuss in detail, and highlight again, the significance of Halbwachs for the field of memory studies. As Alon Confino has noted, his “fundamental contribution – establishing the connection between social groups and collective memory  – is the starting point for every scholar of memory”10. Les cadres sociaux is considered the classic founding work within the field, and whether we like it or not, it is where many discussions on memory start. However much we choose to deviate from it, it has in many ways taken hold of our imaginary boundaries of the subject field. Of course, not all scholars stick to Halbwachs’s concept of collective memory, and few apply it empirically and without corrections, criticism and specification. Yet, almost everyone refers to it “as one of the discipline’s guiding notions” and in both Google Scholar and JSTOR keyword searches Halbwachs is “the most frequently cited author” when it comes to the field of memory studies11. Halbwachs’s work on memory owes much to the intellectual framework outlined by Emile Durkheim (1858–1917) – the crucial figure for the development of sociology as an academic field in France and beyond, routinely credited, together with Karl Marx and Max Weber, as one of the main architects of modern social science. At the core of the enormously influential Durkheimian tradition lies the insistence on the crucial significance of collective identity, which is reinforced “through links to the past”12. Durkheim himself, however, did not deal with, nor did he mention the notion of social and/or collective memory in his work. He tackled directly the question of memory only at the end of Elementary Forms of Religious Life (EFRL 1912). Here, describing the religious practices and rituals of the Australian Aboriginals, Durkheim highlighted the pivotal importance of the link with the past as a means to sustain and 10 Confino, “Collective Memory”, p. 1392  ; cf. also Olick, “Collective Memory”  ; Olick, “Genre Memories”  ; Olick and Robbins, “Collective Memory”  ; Misztal, Theories of Social Remembering, pp. 50–1  ; Lustiger Thaler, “Memory redux”, p. 908  ; Schartwz and Schuman, “History, Commemoration, and Belief ”, p. 183  ; Dessingué, “From Collectivity to Collectiveness”. 11 Gensburger, “Halbwachs’ studies”, pp. 397–98. 12 Mizstal, “Durkheim on Collective Memory”, 124.

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guarantee the identity and the solidarity of the group. The societal needs for historical continuity create in turn the need to commemorate the past, periodically and ritually. This allows the society to periodically “renew the sentiment which it has of itself and its unity”13. To put it differently – and more in connection with the field of memory studies – “the degree of group solidarity, created through remembering together, depends on the mythical properties of the group’s memories, especially their ability to vitalize energy and arouse emotions”14. In the end, Durkheim’s work on memory asserts that “no memory can be isolated from its social context, from the language and other symbolic systems moulded by a society”15, and that memories like other social facts “always remain the same, however we look at them”16. A student of Durkheim, Halbwachs went on to apply the entire Durkheimian approach to the conceptualization of collective memory.17 Thus, he sees memory as a social fact that exists, or rather pre-exists, independently of and from the individual, and as perpetuated and reproduced via archives, rituals, commemorations, and mnemonic practices bestowing identity on individuals and groups18. More specifically, as Barbara Mistzal has highlighted, “Halbwachs’s conceptualization of collective memory as a shared social framework of individual recollections follows Durkheim’s belief that every society exhibits and requires a sense of continuity with the past”  ; it also owes much to Durkheim’s view of the past as “the essential factor in creating solidarity”19, and to his argument that society is “a complex of ideas and sentiments, of ways of seeing and feeling, a certain intellectual and moral framework of the entire group”20. The question we have seriously to ask is whether the Durkheim-Halbwachs genealogy should not be considered a genuine false start. Instead of repairing it or injecting it with additional ammunition, could we not simply start elsewhere and root memory studies in alternative genealogies  ? Is this moment of institutionalization not exactly the right moment to rethink theoretical legacies  ? We think so. We also think that an alternative genealogy can indeed be constructed, revisiting the work of Arnold van Gennep – Durkheim’s indeed most fierce critic. 13 Durkheim, Elementary Forms of the Religious Live, p. 420. 14 Misztal, “Durkheim on Collective Memory”, p. 125. 15 Ibid, p. 136  ; see also Schwartz, Abraham Lincoln, p. 302. 16 Craib, Classical Social Theory, p. 28. 17 Cf. Olick, “Collective Memory”  ; see also Olick, “Collective Memory and Nonpublic Opinion”. 18 Cf. Mistzal “Durkheim on Collective Memory”, p. 137  ; Olick, Vinitzky-Seroussi, and Levy, “Introduction”, pp. 16–22. 19 Mizstal, Theories of Social Remembering, p. 124. 20 Durkheim, Elementary Forms of the Religious Live, p. 277.

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The Individual and the Collective: Van Gennep against Durkheim The first two decades of the twentieth century constituted a crucial formative moment of the social sciences in France. A series of scholars and intellectuals engaged with the task of providing social sciences with a methodology based on the systematic comparative in-depth study of material and symbolic culture among human beings. Out of many competing visions and embryonic schools of thought, it was Emile Durkheim who eventually managed to establish his intellectual authority and institutionalized a school of thought and a research group whose legacy and influence had, and still has, a deep impact in social sciences, especially in anthropology and sociology. In his own life-time, however, Durkheim had his opponents. The two most important ones were Gabriel Tarde (1843–1904) and Arnold van Gennep (1873–1957). Van Gennep is today famous for his study of Rites of Passage (translated into English in 1960), but beyond that his name is not known outside the confines of French folklore studies (a discipline he founded almost single-handedly). So who was he  ? In the introduction to the English translation of The Rites of Passage, the 1909 work in which van Gennep advanced the concept of liminality, Kimball associated him to the French sociologists inspired by positivism who, led by Durkheim, were collectively developing a functionalist approach.21 This contextualization is highly misleading. Van Gennep was indeed inspired by positivism and deeply involved in developing a scientific approach. However, he was not a functionalist in the Durkheimian sense and his intellectual framework challenged the very core of the Durkheimian approach. As we have shown elsewhere, this was in all likelihood one reason why van Gennep was ‘kept away’ from French academia. While van Gennep was easily one of the most published social scientists of his generation, he became ostracized from French intellectual life, never gained a position at a French university, and mostly worked on his own. This happened not because Durkheim and his followers did not take him seriously22, but “exactly because van Gennep’s critique of Durkheim was well founded, precise and went straight to the heart of Durkheim’s entire academic project of creating a solid social science based on empirical facts”23. We cannot here discuss all the layers involved in van Gennep’s critique of Durk­ heim, but we shall only single out the most salient points, as these relate to some problematic methodological premises that were then carried into memory studies via Halbwachs. 21 Kimball, “Introduction to van Gennep”, p. vii. 22 As claimed by Lukes, Emile Durkheim, p. 524, fn 35. 23 Thomassen, “Émile Durkheim”, p. 232.

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Van Gennep’s most serious critique to Durkheim and his school concerned the collective level and the over-socialized structural functionalism so dear to the Durkheimians – which would be fully at work in Halbwachs’s “social framework” [cadres sociaux] of memory. In van Gennep’s view – as advanced most explicitly in his book on Mythes et Légendes (1906) and a later review of Durkheim’s Elementary Forms of Religious Life (1913)  – the Durkheimian perspective could not account for reality because it could not account for individual agency within periods of social transformation and transition.24 Elaborating an alternative based on ritual theory and transformative dynamics, van Gennep took issues with the Durkheimian narrative of the collective having ‘consciousness’ of its own. What was at stake was the appreciation of concrete living human beings, acting within the limits of their social and physical environments. Van Gennep argued that Durkheim’s categorical collectivism lost sight of real human beings. A few yeas before, Gabriel Tarde had called this Durkheim’s tendency to dangerously construct society as a ‘Divine Being’, sacrificing the individual at its altar. Van Gennep now re-launched the critique from a different angle, and referring to the source material upon which Durkheim himself wanted to construct his sociology  : Australian religion and ritual. Already in his 1906 book, van Gennep took categorical distance to Durkheim’s sociology. His discussion there of Durkheim actually goes straight to the heart of the latter’s position. Before 1906, Durkheim and Mauss had written several essays on religion referring to the Australian material. Van Gennep was not convinced. Whenever Durkheim recognizes a change, over time, or between groups (in kinship affiliations, for example), he systematically prevents any real account of such a transformation, relegating it simply to the “general needs of society”25. Durkheim presents no grounding epistemology to tell what such needs of a society are. Durkheim, says van Gennep, operates a peculiar kind of “métaphysique sociologique”26. Positing a “metaphysical abstraction” at the core of his argument, he then artificially “animates” it27 by manipulating ethnographic data, and by granting ‘society’ explanatory powers without ever accounting for the very nature of that ‘society’28. As van Gennep says, rather provocatively, this means resolving a problem without having even managed to pose it as a problem.29 In the same context, van Gennep suggests that this collectivism 24 25 26 27 28

For a fuller analysis see Thomassen “Émile Durkheim”  ; Thomassen, “The hidden battle”. Van Gennep, Mythes et Légendes, p. xxv. Ibid., p. xxiv. Ibid., p. xxv. The parallels to Gabriel Tarde’s earlier critique of Durkheim are evident  ; see Thomassen, “Émile Durk­ heim”. 29 Van Gennep, Mythes et Légendes, p. xxv.

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actually serves to justify some rather more serious political essentialisms, namely race and nation  : We have seen how Mr. Durkheim explains social modifications by the ‘needs of society’ without indicating either the why or the where of those needs, and without justifying how exactly a ‘society’, however small, may have ‘needs’ in the first place. It is by an identical process of animation that they speak to us of ‘the call of the fatherland’, or ‘the voice of the race’.30

In his 1913 review of EFRL van Gennep again argues that Durkheim, in his insistence to throw in all stakes on the collective level, categorically neglects the action of individuals in the formation of institutions and beliefs, annulling and hiding away the crucial process that lies behind myth telling and ritual acting. Quite the opposite, the telling of myth is probably one of those activities that requires individual originality and impetus. Even in the most primitive societies, van Gennep insists, individuals do act. Durkheim dreams of assigning society a natural reality with its own laws of necessity, but in reality he artificially creates a world devoid and deprived of concrete human beings and agency, a kind of ‘mono-cellular organism’. It is in this sense that van Gennep mockingly talks about “Durkheim’s herbarium”31. If we relate van Gennep’s decisive critique of the Durkheimian school to Halb­ wachs’ understanding of memory, we clearly see that van Gennep was the first to note that Durkheim and his followers failed to capture the collective aspect of memory, or to provide a comprehensive account of the ‘collective representations’ which they placed at the center of sociology  : where did such representations come from  ? How were they established  ? How were they passed on  ? How did they interrelate with the individual  ? In his own work, van Gennep recognized the structural properties of myth and ritual, while making transition central to his analysis. Furthermore, van Gennep did not endorse any simplistic notion of the ‘collective’, nor did he take the collective for granted, emphatically rejecting the collective as ‘something’ existing beyond or below concrete human beings. In his dispute with Durkheim on the nature of Totemism, van Gennep argued with vigour that to explain any social phenomenon with verbal formulas such as ‘collective thought’ or ‘totemic mode of thought’ represented a theoretical retrogression, a virtus dormitiva. He was extremely critical of notions like ‘collective mind’ or ‘collective consciousness’. His own warning note from a 1924 publication – and this is crucial, as it is the same year of the publication 30 Ibid., p. xxxv. 31 Cf. Thomassen, “Durkheim’s herbarium”.

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of The Social Framework of Memory – on folklore and its relationship to the historical method addresses this directly  : Si je dis collectif, je ne veux pas dire par là ‘fait en commun’. Il faut prendre garde à ne pas confondre ces termes. Les porches sculptés des églises romanes, transposition à la pierre d’éléments décoratifs et figures empruntées aux miniatures […] ne l’ont pas été par toute la population assemblée d’un village, mais par quelques spécialistes qui sans doute couraient le pays. Seulement on ne sait, dans chaque cas particulier, ni leur nombre, ni leur nom, ni d’où ils venaient, ni où ils ont pris leurs documents. Par contre on constate dans leurs motifs décoratifs des éléments qui sont communs et se répètent, surtout dans les costumes et dans l’expression et le type des personnages  : ce sont des traits empruntés à la vie ambiante, qui répondent non pas à des conceptions individuelles ou à des sentiments particuliers, mais à des sentiments collectifs et à des croyances communes. Il en va de même en littérature et en musique  : le vocabulaire, la forme littéraire, le thème, le rythme, la mélodie populaires sont sans individualité propre, mais courent d’un lieu à un autre, d’un village à l’autre, parce qu’ils sont formés d’éléments constitutifs généraux, communs, collectifs.32

Collective sentiments are generated because people share and pass on ideas, beliefs, myths, stories, and music via concrete activities in concrete social settings. As for myth, stories and beliefs, memory simply cannot be produced by collectivities. They are only reproduced by collectivities in a variety of ways – but this is a different matter  ; they are in fact created by individuals in a transformative, performative, and conative process that time and again effectively shapes history at both the individual and collective level. It is this process formation that van Gennep highlights in his criticism of Durkheim. This creative, transformative, and conative potential is found in the key concept that van Gennep gave to social science and to memory studies  : liminality. Following van Gennep, we therefore suggest that memory formation in decisive ways tends to take shape in figurations that are both spatially and temporally liminal.

Liminal Memory and Experience In Rites of Passage, van Gennep recognized the universal sequential structure of ritual passages divided into (a)  separation, (b)  liminality, and (c)  re-aggregation. Here, van Gennep claimed that rituals marking, helping or celebrating individual or collective passages through the cycle of life and nature exist in every culture 32 Van Gennep, Le folklore, p. 16.

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and share a three-fold sequential structure. The rite of separation is followed by the middle phase – the passage – which involves a genuine trial or a performance, and ends up with the rites of re-aggregation or re-integration, celebrating the successful completion of the transition. The middle stage implies an actual passing through the threshold (from the Latin  : limen – hence liminality) that marks the boundary between the two phases. The limen (threshold) is a situation in which, to facilitate a ‘passing through’, all ritual, temporal and material limits are removed  : the very structure of society is suspended. The crucial point here is that van Gennep discovered a fundamental ordering device employed by all societies. This tripartite model is a powerful antidote to the structuralist, functionalist and Kantian binary approach favoured by Durkheim and his school, which introduced a very different kind of foundation combining French positivism with neo-Kantian constructivism. In its narrow sense, liminality refers to the middle stage of ritual passages in small scale societies. However, the concept can and must be explored outside the field of study in which it was originally conceptualized, while staying with the essence of the term. In his re-discovery of van Gennep in the 1960s, Victor Turner33 started to see parallels between ritual liminality and crisis-induced political struggles. In both, in the more circumscribed context of a rite of passage and in periods of acute political crisis, individuals and collectives live through a separation from a previous social position or socio-political order, followed by a period of “betwixt and between” a new and an old order, before a subsequent return to a new normality. Indeed, liminality captures the essence of crises  : a turning point, the loss of taken-for-granted interpretative and experiential frames, feelings of anxiety and longing for past certainties, but also the possible formation of new identifications. Revolutions, the collapse of authoritarian regimes or situations of civil war or a social and political crisis can indeed be considered genuine liminal experiences marked by the collapse of previous structures of power and by the unpredictability of outcomes.34 In the in-between period the dissolution of order (separation) and the re-creation of a new order (re-aggregation), a space of indetermination (a liminal phase) opens up – a space in which the structures of a society are set loose and meanings are open to scrutiny and re-negotiations. Thus liminal situations point to periods of high uncertainty in which social identity and agency are highly fluid and 33 Turner, The Forest of Symbols  ; Turner, The Ritual Process  ; see also Thomassen, “Notes towards an Anthropology of Political Revolution”  ; Thomassen, Liminality and the Modern. 34 Cf. Thomassen, “Notes towards an Anthropology of Political Revolution”  ; Forlenza, On the Edge of Democracy.

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political outcomes indeterminate, but therefore also to periods that are constitutive of social order through the emergence of new meanings, consciousness, and symbols. Our argument is that memory plays a decisive role in this space and time of indetermination, and is itself formed by it. By offering reflections on past events in the search for a new equilibrium, memories can variously instill social resilience or withdrawal, leading to the overcoming of crisis or its exacerbation – or propelling into wider crisis and civil conflict. In liminal periods, thought and action dramatically tie together as people search for ways out of the crisis. The distinction between structure, agency, and ideology becomes meaningless, and yet in the hyper-reality of agency in liminality and in the serious playfulness of its ritual forms, structuration – and therefore the emergence of new meanings and new memories – takes place.35 This discussion intimately relates to experience. ‘Experience’ etymologically means ‘to move through’ a passage as in a spatial movement. It is exactly in liminal spaces that individuals can ‘do’ things with words and memories. Elaborating here on Austin’s (1962) notion of ‘speech acts’, we propose to talk of ‘memory acts’36. Such memory acts become highly significant, can have a formative and transformative power, and can be conducive or a hindrance to the successful completion of the passage or the transition. Success or failure in negotiating liminal experiences thus shapes the health and well-being of individuals and polities. Memory acts thus sustain the emergence of new meanings and symbols. However, and at the very same time, old meanings and symbols, precisely due to the indetermination of the liminal period, can be re-configured and re-cycled, as markers of certainty.

The Pivoting of the Sacred In a liminal situation, the uncertainty of the present is countered by the search for roots in the past – by tradition – which is to a political community what memory is for an individual. This dynamic process relates to what van Gennep defined as “the pivoting of the sacred”. The term might well be considered central to van Gennep’s larger framework, although it has not so far received its due attention. ‘Sacred’ here is not understood as a strict religious term, but must be interpreted in an experiential and performative sense, as a permanent re-evaluation of values in a series of limit experiences, which are destined to transcend moments and situations of crises. 35 Thomassen, “Notes towards an Anthropology of Political Revolution”, p. 702. 36 The notion of ‘memory act’ draws on work in progress with our colleagues, Leyla Neyzi, Christian Karner, Aline Sierp, Marcin Napiórkowski, Zinovia Lialiouti and Giorgios Bithymitris.

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Human life always takes place in-between the bounds of the ‘given’, the natural, cultural and social restricting conditions, and the unbound and unlimited freedom beyond the limit. For van Gennep this indeed is a universal condition  : to know about the limits that surround personal and social existence. Van Gennep’s theory does not essentialize the boundary  ; unlike Lévi-Strauss he is not fixating the mind in a universal structure of rigid laws. Change is inherent to the structure. Movement is part of ‘order’ in van Gennep’s cosmic vision. In rites of passage human beings touch the ‘prohibited’ land of unbound freedom and danger. The pivoting of the sacred emerges in the constant movement between the limit and the limitless and between the familiar and the foreign  ; social life, conceived as such, is a constant movement of sanctification, de-sanctification and re-sanctification of the boundaries that are necessary to render human and social life both possible and meaningful. In order to understand why certain memory tropes and their ritual performance received their sacred character, it is important to recognize the sacred as a category-boundary which becomes actual only in social situations when the inviolability of such categories as person, gender, marriage, nation, or justice, liberty, purity, property are threatened and are in danger of losing their legitimating authority as moral foundations of social life. In short, van Gennep recognized the importance of ritual in relation to the sacred, but also captured the ritual dynamics which are so absent in Durkheim’s understanding. In Durkheim’s view, ritual simply serves to reproduce social cohesion. Van Gennep in fact corrects Durkheim’s (but also Mircea Eliade’s) analysis of the sacred as a kind of absolute reality or entity that manifests itself spontaneously in the world. As Catherine Bell writes, van Gennep considered the sacred as a relative entity or quality, “that reality shifts in different situations and at different ritual stages”.37 With the expression “pivoting of the sacred” he highlighted ritual’s active role in defining what is sacred  : it does “not simply react to the sacred as something already and for always fixed”38. This view of the sacred is closer to that of Mauss and Hubert, who recognized processes of ‘sacralization’ and ‘desacralization’ at work in ritual action. In other words, while Durkheim and Eliade had analyzed this pattern as the remnant of primordial events, van Gennep suggested its ahistorical, functional and symbolic dimension. In a situation of liminal crisis, memory rituals serve to order chaotic social changes that could threaten to disturb society, they can stabilize the uncertainty which derives from the fact that social identity and agency are highly fluid, and that political out37 Bell, Ritual, p. 37. 38 Idem.

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come is indeterminate. The role of memory rituals becomes paramount in liminal moments of dislocation and re-orientation. Memory offers reflection on past events in the present search for a new equilibrium and new meanings. It confers authority, legitimacy, and a sense of orientation to political elites and individuals, but it also frames expectations and constrains the strategies of authorization carried out by social and political actors. This happens especially in liminal moments of socio-political transition, or limit-situations marked by massive transgression in the immanent world – a world war, a revolution, domestic conditions of civil war, and in other moments of radical rupture. At the social and political level, it is always crucial to institutionalize the liminal period and bring it to a conclusion in order to create a new stable and meaningful relationship between individuals and political authority. Memory, as much as rituals and commemorations, serves to render the political rite of passage meaningful to the actors involved. In other words, the role of memory rituals is crucial in assuring the successful completion of a passage. Memory rituals and commemoration, national feasts celebrating the return to ‘normality’ and to peace distinguish status groups with clearly marked boundaries, which contributes to the relative stability of social identities and roles. Memory rituals are the means for changing and reconstituting groups in an orderly and sanctioned manner that maintains the integrity of the system. These groups include religious associations, classes, age groups, families, the political territorial community, the world of the living, and the world of the dead. “Life itself ”, wrote van Gennep “means to separate and to be reunited, to change form and condition, to die and to be reborn”.39 These changes can occur smoothly and meaningfully as part of a larger, embracing, and reassuring pattern only by means of their orchestration as rites of passage.

Conclusion The framework we have sketched in the above touches upon the social foundations of knowledge and memory. Following Arnold van Gennep, the basis of knowledge and memory does indeed have a social foundation. However, from a cultural process approach, the ‘social’ is no longer the abstract, reified collective consciousness represented and reproduced by undifferentiated individuals in the Durkheimian weltbild  : it is the social dramas, to take a cue from Victor Turner, performed by individuals who elaborate and bring cultural essentials to the fore while going through a period of 39 Van Gennep, The Rites of Passage, 189

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transition. Thinking with liminality means overcoming this implicitly Durkheimian legacy so present in approaches to memory and society since the pioneering work of Halbwachs. In many ways, it was this fundamentally functionalist position that was later translated into political instrumentalist approaches in memory studies, which are still so dominant today. The theoretical framework outlined here, what we call ‘liminal memory’, can be applied to a great variety of social and political processes of crisis, including wars and revolutions. The appeal to memory becomes particularly relevant during periods of historical transition, when the need to re-anchor the present and counter the anxiety generated by the present become urgent. In moments of political crisis, the problem of the present is often overcome by returning to the tropes and symbols dormant somewhere in the remote or not-so-remote past. It is in liminal moments that historical narratives come to the fore and become negotiated at both the official and unofficial levels of writing history. It is in liminal moments that the past and its memory gain agency. It is in the liminal period that the core symbols, the sacred values, and the memory of a society are brought into play, often steering the crisis in a new direction, toward a phase of re-integration. This framework also allows us to capture the intertemporal constraints often at work in memory politics. ‘Tradition’ and ‘novelty’ are not opposites. Indeed, van Gennep’s grounding temporality is a kind of ‘rhythmic’ vision of social life. Sure, everything moves, but the world is not a chaos. Change is constant but within a larger order of sequences. Change and stability are not categorical opposites but poles of the same ordered system, with its inbuilt rhythms of birth, death and regeneration.40 This is why very often the most emphatically innovative episodes of political transformation appear as the most revealing symptoms of dependence on traditional memories and cosmogonies. Tropes, images, and memories of the past sustain the community in critical junctures of history, precisely when crisis and dissolution threaten the continuity of a political community. Thus, in a liminal situation, memory can become (and usually does become) an object of dispute and contestation, but also a reference point that could serve to overcome the divisions and lacerations introduced by the crisis into the body politic.

40 Cf. Szakolczai and Thomassen, “From Anthropology to Social Theory”.

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2 ZEIT DER ERINNERUNG: ZEITKONZEPTIONEN, ZUKUNFTSVORSTELLUNGEN, ERINNERUNGSRÄUME

Roland Innerhofer

Endzeit, Stillstand, Neubeginn Literarische Zeitvorstellungen und -erfahrungen in der klassischen Moderne Wer Zeit definieren will, stößt auf unlösbare Schwierigkeiten und Aporien. Das belegen die berühmten Überlegungen des Augustinus im elften Buch der Confessiones (397–401) ebenso wie der gegenwärtige Eintrag der Onlineausgabe der Brockhaus-­ Enzyklopädie  : Zeit [althochdeutsch zīt, eigentlich ‚Abgeteiltes‘], das im menschlichen Bewusstsein unterschiedlich erlebte Vergehen von Gegenwart  ; die nicht umkehrbare, nicht wiederholbare Abfolge des Geschehens, die als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft am Entstehen und Vergehen der Dinge erlebt wird. Wir erfahren die Welt als gerichteten Prozess, der eine begriffliche Aufspaltung in Raum und Zeit zulässt. Zeit ist somit der durch Abstraktion herausgehobene Verlaufsaspekt der veränderlichen Zustände der Realität. Soweit wir heute wissen, ist es nicht möglich, die Zeitlichkeit der Natur mittels Theorien auf fundamentalere Eigenschaften zurückzuführen. Die Eigenschaften der Zeit lassen sich deshalb beschreiben, aber die Zeit kann nicht erklärt werden.1

Dass eine Enzyklopädie, deren Kernaufgabe die Erklärung von Sachverhalten und Begriffen ist, die Unerklärbarkeit eines Begriffs deklariert, ist bemerkenswert. Klar ist zumindest  : Was als Zeit verstanden wird, wie Zeit erfahren wird und wie solche Erfahrungen sprachlich artikuliert werden, ist historisch und kulturell wandelbar.2 Über den Zeitbegriff der Geschichtswissenschaft schreibt, anknüpfend an Aleida Assmann, Ulrich Raulff  : „Die Zeit, in allen Modi und unter allen Rubriken, unter denen die Historie sie begreift, ist ein Deutungsphänomen, eine Tatsache der Auslegung und der kulturellen und sozialen Konstruktion.“3 Literarischen Texten kommt dabei eine besondere kritische Rolle zu, da sie „ein reflexives Wirkungspotential […] durch explizite Reflexion der Erzähl- und Fokalisierungsinstanzen über den Prob-

1 Brockhaus, „Zeit“. 2 Vgl. dazu grundlegend  : Kosellek, Vergangene Zukunft. 3 Raulff, Der unsichtbare Augenblick, S. 9.

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lemzusammenhang zwischen Kultur und Gedächtnis“ entfalten.4 Nach Astrid Erll und Ansgar Nünning kann die literarische Inszenierung der Rekonstruktion und Aneignung von Vergangenheit – individuell-biographischer wie kollektiv-geschichtlicher – auf Erzähl- und Handlungsebene zu Reflexionen über die Diskrepanz zwischen vergangener Erfahrung und Erinnerung oder über die sinnstiftende Funktion des Erzählens anregen.

Wie Zeiterfahrung und Erinnerung „durch gegenwärtige Erfahrungen, Interessen und Problemlagen geleitet wird“, zeigen gerade durch „unglaubwürdige oder unzuverlässige Erzähl- und Fokalisierungsinstanzen“ hervorgerufene widersprüchliche Vergangenheitsversionen.5

Moderne Zeitkonzepte Betrachtet man Zeiterfahrung als historisch wandelbar, so ist mit Hans Ulrich Gumbrecht daran zu erinnern, dass die „‚Synchronisierung‘ verschiedener, je kulturell spezifischer ‚Zeiten‘“ und die Generalisierung volkssprachlicher Schriftlichkeit […] vom Ende des 15.  Jahrhunderts an zur Institutionalisierung von drei Merkmalen des für uns selbstverständlichen ‚Zeitbegriffes‘ als Grundelement des Wissens führte[n]. Denn erst seither wird Zeit abstrakt gedacht (als losgelöst von je besonderen Handlungssequenzen), als kontinuierlich (das heißt  : als unabhängig vom Beginn oder vom Ende spezifischer Handlungssequenzen), erst seither erscheint Zeit als Faktor von Veränderungen, wurde die Erwartung befestigt, dass sich Phänomene ‚in der Zeit entwickeln‘.6

Mit diesem Zeitverständnis verbunden ist ein historisches Bewusstsein, das sich spätestens seit dem 19.  Jahrhundert in einer allgemeinen Verzeitlichung des Denkens und der Kultur manifestiert.7 Dabei können in dieser Epoche zwei gegenläufige, aber miteinander verflochtene Tendenzen beobachtet werden  : zum einen die Normierung und Synchronisierung des Zeitablaufs, die „Koordination des öffentlichen Lebens 4 Erll/Nünning, „Literatur und Erinnerungskultur“, S. 202. 5 Ebd. 6 Gumbrecht, „Posthistoire now“, S. 15. 7 Vgl. Geyer, „Die Gleichzeitigkeit“, S. 165  ; Kern, The Culture of Time and Space.

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durch die ‚mechanische Zeit‘“  ;8 zum anderen wird dieser messbaren, normierten Zeit eine ‚innere Zeit‘, eine ‚Eigenzeit‘ gegenübergestellt. Karl Heinz Bohrer spricht von der „Subjektivierung von Zeit in der modernen Literatur“.9 Diese Subjektivierung geht mit einer Psychologisierung des Zeiterlebens einher. Im individuellen Erleben und Bewusstsein wie in der Literatur wird die Erfahrung der Zeit gedehnt oder gerafft, Zeit wird als intensiv oder oberflächlich, als leer oder als erfüllt empfunden. Solche subjektive Zeiterfahrung strahlt seit dem 20. Jahrhundert immer stärker auf den Zeitbegriff der Geschichte aus. An die Stelle großer geschichtsphilosophischer Bögen tritt die „Evidenz des Augenblicks“10. Während das 19. Jahrhundert, so Ulrich Raulff, das Konzept der ‚langen Dauer‘ entwickelte, konzipierte das 20. Jahrhundert sein Gegenbild  : den flüchtigen Augenblick, die Präsenz und Aktualität, das punktuelle Ereignis  : „Keine andere Frage ist derart zum Leitmotiv der Literatur der klassischen Moderne geworden wie die nach der Natur der Zeit und der Beschreibbarkeit (das heißt Fixierbarkeit) des flüchtigen Augenblicks.“11 Raulff kontrastiert diesen „unsichtbaren Augenblick“, der sich dem mikroskopischen Blick eröffnet, aber auch wieder entzieht, mit drei weiteren relevanten Zeitkonzepten dieser Epoche  : (1) der langen Dauer, der longue durée, die sich in beständigen Einrichtungen, Gebräuchen, im Denken und Fühlen der Menschen manifestiert  ; (2) der Wiederholung und dem Wiederholungszwang, der für die Wiederkehr des Gleichen im Gang der Geschichte sorgt, und (3) mit der Lebensgeschichte, der Biografik als Versuch, ein Gleichgewicht zwischen dem Augenblick und der longue durée zu finden. In einem größeren historischen Rahmen diagnostiziert Hans Blumenberg in der Moderne die subjektive Erfahrung zunehmender Diskrepanz zwischen Lebenszeit und Weltzeit. Zwischen beiden öffnet sich die Zeitschere immer weiter. Angesichts der Unermesslichkeit der Weltzeit sieht sich die Lebenszeit auf ein schwer erträgliches Minimum reduziert  : „Die Welt prahlt vor dem Leben mit der Zeit, die sie sich nimmt von Welten zu Welten – und die sie hat. Der absolute Zeitbegriff der klassischen Mechanik wirkt wie eine absolute Metapher auf dieses Übermaß der Natur an Zeit, gemessen an der des Lebens.“12 Die Knappheit der Lebenszeit, den ‚Lebenswelt­ schwund‘, versteht Blumenberg als quasipathologischen ‚Befund‘  : Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg sei endgültig die ‚Selbstverständlichkeit‘ verloren gegangen, die einmal darin bestanden habe, „ohne ‚Befund‘ gewesen zu sein“.13   8 Vgl. ebd. S. 166, 181.   9 Bohrer, Plötzlichkeit, S. 180. 10 Sommer, Evidenz des Augenblicks. 11 Raulff, Der unsichtbare Augenblick, S. 10. 12 Blumenberg, Lebenszeit und Weltzeit, S. 27. 13 Ebd. S. 23.

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Auf diese Abbreviatur der Lebenszeit angesichts einer unermesslichen Weltzeit reagiert die Literatur mit der Suche nach einer Intensivierung der Jetztzeit. Vergangenheit und Zukunft schrumpfen in der Dimension der Lebenszeit im Vergleich zur Weltzeit nicht nur zu einer extrem kurzen Spanne zusammen  ; sie entziehen sich auch immer mehr der sinnlichen Erfahrung. Nur noch in der Gegenwart, im gegenwärtigen Augenblick erscheint die Wirklichkeit zugänglich zu sein. Das Erlebnis wird dabei zum Schlüsselbegriff. In ihm zieht sich die Zeiterfahrung auf den gegenwärtigen Punkt zusammen. Der Erlebnis-Begriff bleibt aber aporetisch, in doppelter Hinsicht  : Wie wird ein Moment im Zeitverlauf überhaupt zum Erlebnis  ? Und wie lässt sich ein Erlebnis festhalten und verhindern, dass es im Strom der Zeit verschwindet und in der Gleichgültigkeit verblasst  ? Bohrer weist auf das Paradoxon hin, dass Ereignishaftigkeit möglichst bedeutsam sein sollte und zugleich sich eben in seiner Eigenschaft als Ereignis der Bedeutung verweigert.14 Dieses Paradoxon resultiert daraus, dass fiktionale Erzählungen die Spaltung zweier unvereinbarer Zeitebenen, der Gegenwart des discours und der Vergangenheit der histoire, voraussetzen. In dem gegenseitigen Bedingungsverhältnis von Gegenwart der Erzählung und Vergangenheit des Erzählten spielen Erinnerung und Wiederholung eine entscheidende Rolle  : Obwohl also im Prozess der fiktionalen Erzählung erst die Erzählung selbst die Geschichte erschafft, die dann beansprucht, als unveränderliche der Erzählung zeitlich vorauszuliegen, ist diese als das, was die Erzählung schafft, eine, die bereits vergangen ist, bevor die Erzählung von ihr beginnt. Jede Erzählung geriert sich als vergegenwärtigende Erinnerung. Umgekehrt setzt die Vergegenwärtigung der erzählten Handlung durch Erzählung die Abgeschlossenheit dessen, was wiederholt, was erinnert werden kann und soll, voraus. Die Verfügung des discours über die histoire, die erzählte Zeit, macht mit der Wiederholbarkeit dessen, was in der erzählten Welt unwiederholbar ist, die Erzählung zur Erinnerung.15

Wie Katharina Philipowski im Anschluss an Paul Ricœur argumentiert, kann Präsenz in der Erzählung immer nur als Erzählung erzeugt werden. Erzählte Ereignisse sind für den Erzähler, nicht aber für den Leser/die Leserin gegenwärtig  : Präsenzerfahrungen sind für den Rezipienten „gerade nicht vermittlungslos und unmittelbar, vielmehr durch die Aufspaltung der Zeit in erzählte und Erzählzeit vermittelt“.16 Narra-

14 Bohrer, Plötzlichkeit, S. 207. 15 Philipowski, Negative Präsenz, S. 94. 16 Ebd.

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tive Texte vermitteln daher nicht nur Zeiterfahrungen, sondern auch Beobachtungen und Reflexionen dieser Zeiterfahrungen.

Kontinuität und Zäsur Nach dem Zeugnis vieler Zeitgenossen war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine epochale Zäsur, die das kontinuierliche Fortschreiten der Geschichtszeit jäh unterbrach. Das ‚Augusterlebnis 1914‘ wurde als Zeitumbruch erfahren, als eine Wende, die ein Zeitalter beendet und ein neues einläutet. Wenn in den Worten Eva Horns der Krieg zum „Paradigma des historischen Ereignisses“ wird,17 so ist dieses Ereignis immer schon ein nachträglich konstruiertes  : „Jeder Diskurs, der über das Ereignis des Krieges ergehen soll, muss so dieses Ereignis konstruieren  ; er muss das Amorphe und Unüberschaubare des Kriegsgeschehens in eine Form der Ordnung, der Erzählung oder der Theorie überführen.“18 Solche nachträglichen narrativen Konstruktionen überführen kontingente und sprachlose traumatische Erfahrungen „in ein kohärentes, begrenztes, letzthin erzähl- und bebilderbares Ereignis“.19 Die Narrative der Zäsur und des Neubeginns 1914 standen vornehmlich im Zeichen einer nationalen Vergemeinschaftung, welche die alte Standesgesellschaft überwinden sollte. Die neuen Ordnungsmodelle reichten dabei „vom demokratischen ‚Volksstaat‘ bis hin zur ‚exklusiven‘ […] ‚Volksgemeinschaft‘ völkischer und radikalnationalistischer Gruppen“, deren Vertreter an „die vergemeinschaftende, soziale Differenzen und räumliche Grenzen überwindende Gleichzeitigkeit nationaler Emotionen“ appellierten.20 Im linken Spektrum verband sich das Pathos des Neuen Menschen 1918/19 mit revolutionären Bewegungen und Hoffnungen. Zugleich beschleunigten sich die technischen Entwicklungen, besonders die Reise-, Transport- und Kommunikationsmittel. Diese Temposteigerung strahlte auf die Wahrnehmung der Gesellschaft aus  : Zukunftserwartungen wurden in schnellem Rhythmus aufgebaut und wieder zerstört. Die Inflationszeit vernichtete den Wert einer in der Vergangenheit angelegten Zukunft, etwa konkret in der Form von Alters- und Lebensversicherungen. Sie begünstigte eine Haltung, welche unter Ausblendung von Vergangenheit und Zukunft die Gegenwart, die Gunst der Stunde zu nutzen strebte.21

17 18 19 20 21

Horn, „Erlebnis und Trauma“, S. 131. Ebd. S. 140. Ebd. S. 131. Geyer, „Die Gleichzeitigkeit“, S. 171. Vgl. Geyer, „Die Gleichzeitigkeit“, S. 174.

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Die Beschleunigung technischer, sozialer und kultureller Veränderung führte zu einer Desynchronisation von individueller und historischer Zeit.22 Diese Entwicklungen fanden in der Literatur einen mimetischen Widerhall.23 Seit dem Naturalismus über den Expressionismus bis zur neuen Sachlichkeit wurde ein Telegrammstil propagiert, der den veränderten Lebensrhythmen gerecht werden sollte. Der Futurismus verehrte nicht nur Rennautomobile und Flugzeuge, sondern erzeugte auch auf formaler Ebene den Effekt eines gesteigerten Tempos durch agrammatische Wortreihen. Die Sprache sollte so dem modernen Lebenstempo angenähert werden. Zugleich wurden der Fortschrittsglaube und die Hoffnung auf eine bessere ­Zukunft schon seit Ende des 19.  Jahrhunderts zunehmend erodiert. Das zeigt sich besonders deutlich in der Gattung der Utopie. Ihre Konjunktur um 190024 ging mit einer Trendwende einher. Die klassische Raum-Zeit-Utopie, die Vorstellung einer besseren Welt an einem anderen Ort oder in der Zukunft, wurde in ihr Gegenteil verkehrt. Während in den ideologischen Programmen des sowjetischen Sozialismus, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus utopische Konzepte in Technik, Architektur und Städtebau virulent blieben,25 erschien in der Literatur die Zukunft immer mehr als Katastrophe,26 die Utopie wurde pessimistisch zur Dystopie gewendet. Damit einher ging eine Tendenz, die sich besonders in der Zeit zwischen den Weltkriegen verstärkte  : die Konzentration auf die Gegenwart, auf ein zeitloses Jetzt. Wenn der religiöse oder profane Heilsplan pulverisiert wird und nur mehr ein leerer, mechanischer, kontingenter Zeitverlauf bleibt, so reagiert Literatur auf solch trostlose Zeiterfahrung mit der Suche nach einem intensiven Augenblick, in dem noch ekstatische Erfahrungen, sei es des Glücks oder des Schmerzes, möglich sind. Bohrer nennt in diesem Zusammenhang Marcel Prousts ‚mémoire involontaire‘, James Joyces Epiphanie-Erlebnisse und Robert Musils ‚anderen Zustand‘.27

Vor dem Krieg: Brüchige Zeiten In der Epoche um 1900 zeigt sich in der Literatur ein zunehmender Widerstand gegen die Beschleunigung in der industriellen Kultur. Im einleitenden Teil von Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften (1930/32), der am Vorabend des Ersten 22 Vgl. Rosa, Beschleunigung, S. 44–46. 23 Vgl. Borscheid, Das Tempo-Virus, S. 326–331. 24 Vgl. Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft. 25 Vgl. Hardtwig (Hg.), Utopie und Herrschaft. 26 Vgl. Horn, Zukunft als Katastrophe. 27 Bohrer, Plötzlichkeit, S. 188–210.

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Weltkriegs spielt, wird das für diese Zeit bezeichnende „Gefühl der rastlosen Bewegung […], die uns mit sich führt“,28 angesprochen. Raum und Zeit werden dialektisch aufeinander bezogen, wenn die Metapher vom ‚Zug der Zeit‘ wörtlich genommen wird  : […] es kommt vor, wenn man nach längerer Pause hinaussieht, daß sich die Landschaft geändert hat  ; was da vorbeifliegt, fliegt vorbei, weil es nicht anders sein kann, aber bei aller Ergebenheit gewinnt ein unangenehmes Gefühl immer mehr Gewalt, als ob man über das Ziel hinausgefahren oder auf eine falsche Strecke geraten wäre. Und eines Tags ist das stürmische Bedürfnis da  : Aussteigen  ! Abspringen  ! Ein Heimweh nach Aufgehalten­ werden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben, Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt  !29

Eine jener Figuren, die aus dem Zug der Zeit aussteigen wollen und es sich ökonomisch auch leisten können, ist der Protagonist in Hugo von Hofmannsthals Erzählung Das Märchen der 672. Nacht (1895). Der wohlhabende junge Kaufmannssohn möchte den Prozessen der sozialen und kulturellen Dynamisierung des Industriezeitalters entfliehen. Er zieht sich mit seinen vier Dienern in seine Stadtwohnung und im Sommer in ein Landaus zurück, „in einem engen, von dunklen Bergen umgebenen Tal. […] Hier lebte der Kaufmannssohn sein gewohntes Leben in einem Haus, dessen hölzerne Wände immer von dem kühlen Duft der Gärten und der vielen Wasserfälle durchstrichen wurden.“30 Der zeitlosen Wiederholung des Immergleichen in der Natur entsprechen die Routinen eines ästhetisierten Lebens. Die Ruhe, der Stillstand der Zeit in den zyklischen Naturvorgängen ist aber trügerisch. Dahinter lauert der Tod, der sich zunächst schleichend nähert. Im ersten Teil der Erzählung glaubt der Kaufmannssohn, der Tod sei ein prachtvoller Abschluss eines ästhetisch durchgeformten Lebens  : Er sagte  : ‚Wo du sterben sollst, dahin tragen dich deine Füße‘, und sah sich schön, wie ein auf der Jagd verirrter König, in einem unbekannten Wald unter seltsamen Bäumen einem fremden wunderbaren Geschick entgegengehen. Er sagte  : ‚Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod‘ […].31

Doch die Idylle, die nach der Phrase Et in Arcadia ego auch den Tod umschließt, erweist sich als brüchig, die ruhig verfließende, beinahe stehende Zeit wird im zwei28 Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 32. 29 Ebd. 30 Hofmannsthal, „Das Märchen“, S. 48 f. 31 Ebd. S. 46.

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ten Teil der Erzählung jäh unterbrochen. Ein bedrohlicher Brief veranlasst den Kaufmannssohn, sein Landhaus zu verlassen und in die Stadt zu reisen. Mit der Entfernung aus dem geschützten Raum des Landhauses bricht das Reale als Katastrophe über den Protagonisten herein. In einer Zeitexplosion führt die scheinbar zufällige Kette der Ereignisse an einem einzigen Tag zum gewaltsamen Tod des Protagonisten. Im Sterben erleidet er entsetzliche Qualen. Er wird von unerträglicher Todesangst zerrissen, der Sprache beraubt und auf die Physiologie seines malträtierten Körpers reduziert – ein Vorgang, der sich in der Auflösung der erzählerischen Kohärenz spiegelt.32 Was Hofmannsthal als jähen Zeitbruch und plötzlichen Zeitschwund inszeniert, wird in Rainer Maria Rilkes Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) als Krise in Permanenz ins Bild gesetzt. In einer einprägsamen Episode dieses Romans wird eine quantifizierte Zeiterfahrung aufgerufen, die mit der zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits durchgesetzten Synchronisierung der Uhren sowie der Standardisierung und Normierung der Zeitmessung korrespondiert. Der Nachbar des Ich-Erzählers, der kleine Beamte Nikolaj Kusmitsch, kommt auf die Idee, seine verbleibende Lebenszeit in Sekunden auszurechnen, „und es kam eine Summe heraus, wie er sie noch nie gesehen hatte. Ihn schwindelte.“33 Diese messbare Zeit wird Kusmitsch zum Kapital, über das er jeden Sonntag Buch führt. „Aber schon nach ein paar Wochen fiel es ihm auf, dass er unglaublich viel ausgebe. […] Er ersparte überall ein bisschen Zeit. Aber am Sonntag war nichts Erspartes da.“34 Das Kapital quantifizierter Lebenszeit vermindert sich unwiderruflich und irreversibel, unabhängig davon, wie sein Inhaber mit der Zeit umgeht. Das unerbittliche Vergehen der Zeit wird mit der Bewegung im Raum, mit der Dynamik aller Erscheinungen auf der Welt, mit der Drehung der Erde um ihre Achse parallelisiert  : „Nein, er konnte alle diese Bewegungen nicht vertragen. Er fühlte sich elend.“35 Die unaufhaltsam fortschreitende physikalische Zeit versetzt den, der sie festzuhalten versucht, in einen pathologischen Zustand. „Liegen und ruhig halten“ erscheint als einziges Gegenmittel in einem Versuch der Selbstheilung. Um dem Schwindel der allseitigen Bewegung beizukommen, deklamiert Kusmitsch fortan im Bett liegend Gedichte. „Wenn man so ein Gedicht langsam hersagte, mit gleichmäßiger Betonung der Endreime, dann war gewissermaßen etwas Stabiles da […].“36 Was Kusmitsch als Antidot gegen das

32 Vgl. Innerhofer, „‚Das Märchen‘“, S. 278. 33 Rilke, Malte, S. 157. 34 Ebd. S. 158. 35 Ebd. 36 Ebd. S. 161.

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schwindelerregende gleichmäßige und gleichgültige Verstreichen der Zeit entdeckt, ist die ästhetisch gestaltete Zeit  : eine Zeit, die im Rhythmus der Dichtung Form erhält. Nicht nur ein individuelles, sondern ein kollektives Heraustreten aus dem Zeitregime moderner Produktions- und Lebensformen ist das Thema von Alfred Kubins ebenfalls in der Vorkriegszeit erschienenem Roman Die andere Seite (1909). Auch hier sind Raum und Zeit aufs Engste miteinander verflochten. Der Protagonist und Ich-Erzähler, ein Zeichner, wird in das ‚Traumreich‘ seines Jugendfreundes Patera eingeladen. Mit dem Eintritt in dieses im östlichen Zentralasien gelegene Reich und in dessen Hauptstadt Perle beginnt eine anders verlaufende Zeit. Das Zeitgefühl der Traumreichbewohner ist rhythmisch und zyklisch  : eine Rückkehr ins Mittelalter, als ein solches Zeitgefühl noch vorherrschend war, und eine Abwendung vom linearen, zielgerichteten Zeitverständnis, das sich seit dem 18. Jahrhundert allmählich durchsetzte.37 Mit der Vorstellung eines linearen Zeitverlaufs widerruft der Roman auch jede utopische Zukunft. Im Traumreich ist die Entropie das alles beherrschende Prinzip. Alles Geformte wird deformiert, die Gebäude zerbröseln, verwandeln sich in Schmutz und Schlamm. Dementsprechend unterläuft der Roman auch das apokalyptische Modell, nach dem der Untergang Teil eines Heilsplans ist. Die Katastrophe ist hier ein Dauerzustand, ein Vorgang des Zerbröckelns und Zerbröselns, der Deformierung und Dekonturierung. Patera, der Herrscher über das Traumreich, „hegt einen außerordentlich tiefen Widerwillen gegen alles Fortschrittliche“.38 An die Stelle des Zeitpfeils tritt die Kreisbewegung. Die „sterbende Stadt“39 versinkt allmählich im Boden. Formen entstehen und verschwinden in beständigem Wandel  : „Nach Ereignissen, die zeitlos, ewig waren, nach Spannungen eines immer eruptiver werdenden Wandels, schlug alles ins Gegenteil um. […] In klaren, regelmäßigen Schwingungen versank das All in einen Punkt.“40 Kubins Roman handelt von traum- und rauschhaften Erfahrungen einer Aufhebung von Zeit und Raum. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen zusammen, an ihre Stelle treten ästhetische Zeitgestaltungen, nämlich die Rhythmik wechselnder Formen und Figuren  : Irgendwo splitterte etwas […]. Weiche knochenlose Massen entstanden, weiblich im Ausdruck. Es durchpeitschte sie ein intensiver Formungsdrang  ; prickelnd glühten Licht-

37 Zur modernen Kritik am linearen Zeitbewusstsein vgl.: Wendorf, Zeit und Kultur. 38 Kubin, Die andere Seite, S. 11. 39 Ebd. S. 263. 40 Ebd. S. 272.

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punkte auf, tausend Harmonien durchfuhren die Räume. Diese wieder flossen ineinander zu einem unteilbaren, wässrigen, leuchtenden Schleim.  – Wo eben noch ein Meer gerauscht hatte, gefror eine Eiskruste, die, zerplatzt, geometrische Figuren nach allen Seiten warf.41

Rhythmus strukturiert bei Kubin nicht nur die Zeit, sondern sorgt für einen Wechsel in der Natur der Zeit. Eine ‚sterbende Zeit‘ wird in rhythmischem Wechsel von einer ‚neubelebten‘ abgelöst.

Nach dem Krieg: Augenscheinliche Augenblicke Nicht erst durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird das Konzept eines kontinuierlichen Fließens der Zeit erschüttert. Das persönliche Zeitempfinden widerspricht der Vorstellung eines beständigen Fortschreitens der Zeit wie der Synchronie der Zeitrechnung. Der ‚gelebte Augenblick‘ ist nicht nur „ein Darstellungstopos der Kriegserfahrung“,42 sondern Reaktion auf eine technisch-industrielle und ökonomische Formatierung der Zeiterfahrung in der Moderne. Gleichwohl vertiefte und intensivierte der Erste Weltkrieg die Erfahrung des Bruchs auf einer kollektiv-historischen wie auf einer subjektiven Ebene. Der Ausbruch des Krieges 1914 wurde als fundamentale Wende, als Bruch der individuellen Zeiterfahrung erlebt. Diese Erfahrung artikuliert Hugo von Hofmannsthals Lustspiel Der Schwierige (1921). Es spielt im Jahr 1917. Die revolutionären Umbrüche 1918/19 werden damit nicht angesprochen, obwohl der Krieg schon vorbei zu sein scheint. Die Hauptfigur, Graf Hans Karl (Kari) Bühl, hat im Krieg eine entscheidende Erfahrung gemacht, die alles Spätere prägt  : das ‚Verschüttetwerden‘, von dem Kari der ihm nahestehenden Helene Altenwyl erzählt  : „Das war nur ein Moment, dreißig Sekunden sollen es gewesen sein, aber nach innen hat das ein anderes Maß. Für mich wars eine ganze Lebenszeit, die ich gelebt hab, und in diesem Stück Leben, da waren Sie meine Frau.“43 In der Grenzsituation absoluter Todesnähe erscheint die Zeit als kurzfristig aufgehoben. Diese Unterbrechung im kontinuierlichen Zeitverlauf wie im individuellen Lebenslauf offenbart eine „zeitlose Wahrheit“44  : Hans Karl Bühl und Helene Altenwyl sind füreinander bestimmt. Der Fortgang des Gesprächs  : „Nicht meine zukünftige 41 Ebd. 42 Király, „‚Ruppige Grunderlebnisse‘“, S. 294. 43 Hofmannsthal, „Der Schwierige“, S. 406. 44 Király, „‚Ruppige Grunderlebnisse‘“, S. 296.

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Frau. Das ist das Sonderbare. Meine Frau ganz einfach. Als ein fait accompli. Das Ganze hat eher etwas Vergangenes gehabt als etwas Zukünftiges“,45 verweist auf eine Zeitenthobenheit, in der Vergangenheit und Zukunft zusammenfallen. Der traumatische Augenblick nimmt als bereits existierend vorweg, was sich erst in der Zukunft ereignen wird. Das Gespräch mit Helene ist auch der Versuch, etwas Unaussprechliches zur Sprache zu bringen  : „wer könnte das erzählen  !“,46 so beginnt Kari seinen nach Worten tastenden Bericht. Das Stück formuliert das Versprechen, dass das nachträgliche Wiedererleben des Traumas und seine Bewältigung durch das Erzählen das vermeintlich verscherzte Glück doch noch herstellt  : „Es hat mir in einem ausgewählten Augenblick ganz eingeprägt werden sollen, wie das Glück ausschaut, das ich mir verscherzt habe.“47 Auf die Frage Helenes, wodurch er es sich verscherzt habe, antwortet Kari  : „Indem ich halt, solange noch Zeit war, nicht erkannt habe, worin das Einzige liegen könnte, worauf es ankäm.“48 Doch kann, wie der weitere Verlauf des Lustspiels zeigt, das Versäumte nachgeholt werden  : eben durch dieses Aussprechen der Erkenntnis, etwas nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Die abgekapselte Zeit des Traumas schafft so die Voraussetzung für eine Nachträglichkeit, die die Endgültigkeit der verpassten Gelegenheit, des rechten Zeitpunkts aufhebt und dem Kairos eine Wiederkehr ermöglicht. Gerade die Kriegserfahrung ermöglicht es Inka Mülder-Bach zufolge dem Prota­ gonisten, in der Nachkriegsgesellschaft seinen angemessenen Platz zu finden.49 Doch bleibt eine solche Deutung des Traumas als Rettung aporetisch. Denn das eigentliche Trauma war für Hofmannsthal der zur Zeit der Komödienhandlung noch bevorstehende Zusammenbruch der Monarchie. Und eben dieses Trauma „überspielt“50 das Stück im doppelten Sinn. Denn „traumatische Erfahrungen lassen sich nicht vorwegnehmen und antizipatorisch bewältigen.“51 Die Rückkehr in die Zivilgesellschaft, die dem ‚Schwierigen‘ gewissermaßen vorzeitig gelingt, ist dem Helden von Robert Musils Erzählung Die Amsel (1928/1936) verwehrt. Wie in Hofmannsthals Komödie wird auch in der zweiten Episode der Amsel ein Nahtodereignis geschildert, in dem eine kurze Zeitspanne, ein Augenblick das zeitliche Kontinuum durchschlägt und gewissermaßen zeitlosen Charakter erhält. In der Eintönigkeit einer „ruhigen Stellung“ an der Dolomitenfront bricht „mitten in 45 Hofmannsthal, „Der Schwierige“, S. 406. 46 Ebd. 47 Ebd. S. 407. 48 Ebd. 49 Mülder-Bach, „Herrenlose Häuser“, S. 149. 50 Ebd. S. 161. 51 Ebd.

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der Zeit“52 ein Ereignis ein  : Von einem feindlichen Flugzeug werden Fliegerpfeile abgeworfen. Die wenigen Sekunden, die vergehen, bis ein Pfeil in unmittelbarer Nähe des Erzählers in den Boden fährt, werden in zeitdehnender Form in einer etwa fünf bis zehn Minuten währenden Erzählzeit beschrieben. Im Angesicht einer glückhaft erlebten Todesgefahr erhält der Augenblick eine geradezu unheimliche Breite. Das Erlebnis fällt aus der Zeit heraus, es bleibt eingekapselt in einer anderen Zeitdimension, die nicht der gewohnten temporalen Sukzession unterliegt  : Mein Herz schlug breit und ruhig  ; ich kann auch nicht den Bruchteil einer Sekunde erschrocken gewesen sein  ; es fehlte nicht das kleinste Zeitteilchen in meinem Leben. […] Ich fühlte, dass ich aus einem Rausch erwache, und wusste nicht, wie lange ich fort gewesen war. […] In diesem Augenblick überströmte mich ein heißes Dankgefühl, und ich glaube, dass ich am ganzen Körper errötete. Wenn einer da gesagt hätte, Gott sei in meinen Leib gefahren, ich hätte nicht gelacht. Ich hätte es aber auch nicht geglaubt. Nicht einmal, dass ich einen Splitter von ihm davontrug, hätte ich geglaubt. Und trotzdem, jedesmal, wenn ich mich daran erinnere, möchte ich etwas von dieser Art noch einmal deutlicher erleben  !53

Diese mystische Erfahrung ist für den Erzähler Azwei, der im Unterschied zu seinem Gesprächspartner und Zuhörer Aeins aus einer bürgerlichen Existenz ausgebrochen ist, nicht in einen ‚Lebenslauf ‘ integrierbar, sie bleibt etwas Fremdes, dessen Bedeutung sich ihm nicht erschließt  : „es hat sich eben alles so ereignet  ; und wenn ich den Sinn wüsste, so brauchte ich dir wohl nicht erst zu erzählen. Aber es ist, wie wenn du flüstern hörst oder bloß rauschen, ohne das unterscheiden zu können  !“54  – so beendet Azwei seine Erzählung. Die Vergegenwärtigung des Ereignisses im Erzählen erzeugt nicht Sinn, sondern erkundet seine Grenzen. Die Relativierung der Position von Azwei ist in keine absolute, zeitenthobene Wahrheit überführbar. Um eine solche Sinngebung eines einschneidenden Ereignisses geht es noch in Heimito von Doderers Erzählung Das letzte Abenteuer. Erste, verlorengegangene Entwürfe dieses Textes gehen auf die Zeit von Doderers Kriegsgefangenschaft 1916 bis 1920 und auf 1922 zurück. Fertiggestellt wurde die Erzählung 1936, veröffentlicht erst 1953. Auch wenn die Spuren der Kriegserfahrung in diesem Text getilgt sind, so weist Das letzte Abenteuer doch strukturelle Ähnlichkeiten mit den von Hofmannsthal und Musil geschilderten Ereignissen und Zeiterfahrungen auf. Held dieses im Mittelalter 52 Musil, „Die Amsel“, S. 16. 53 Ebd. S. 19. 54 Ebd. S. 27.

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spielenden Ritter-Romans ist der vierzigjährige Ruy de Fanez  : „Nach vielen Abenteuern eines Umherirrens“ reitet er einer letzten Aventüre entgegen, und keineswegs nur in dem Sinn, dass dahinter der Tod stehen könnte oder andernfalls die zutiefst ernüchternde Einsicht in die Schwindelhaftigkeit aller jener gehörten Erzählungen  : sondern das wirkliche, das große Abenteuer hätte noch immer diesem Umhergeworfensein hintnach seinen Sinn zu geben, ja den Sinn des eigenen Lebens überhaupt erst aufzudecken vermocht.55

Diese Aufgabe, dem Lebenslauf  – nachträglich  – einen Sinn zu verleihen, teilt das letzte Abenteuer mit dem Erzählen  : mit der Erzählung Das letzte Abenteuer. Die Spannung resultiert dementsprechend daraus, dass im Verlauf des Erzählens, also in der Erzählzeit, davon erzählt wird, wie sich im Erzählten der lineare Zeitverlauf auflöst. Durch die Begegnung mit dem Drachen nach wochenlangem Ritt durch den Wald tritt der Protagonist aus dem kontinuierlichen Zeitfluss heraus. Der Augenblick, in dem er dem Drachen ins Auge blickt, weitet sich ins Unendliche aus  : Wie zwei kleine Waldtümpel lagen sie [die Augen des Drachen] vor Ruy, deren brauner, mooriger Grund, durch die Sonne herauftretend, doch die ganze schwindelnde Tiefe des Himmels weist, die er spiegelt. So tief führten diese Augen hinein, und wie durch Wälder, welche nicht in Tagen, Wochen oder Monaten, sondern in ganzen Jahrtausenden nur zu durchreiten waren. Sie umschlossen, wie der Wald von Montefal hier dieses eine Abenteuer, so alle auf Erden möglichen Abenteuer überhaupt, somit das ganze Leben, das in solchen Wäldern tief befangen blieb und in ihnen stand wie der Traum in einem schlafenden Leib […].56

Im Augenblick eines inkommensurablen Erlebnisses bleibt die Zeit stehen. Der Text fasst diesen Stillstand der Zeit in emblematische Bilder. Den Betrachter ergreift ein Schwindel, die Grenze zwischen Wachen und Träumen zerfließt. Der Augenblick des Erlebnisses ist auch einer der unbegrifflichen Erkenntnis. Der Protagonist tritt aus sich selbst heraus und überblickt sein Leben  : „und  – siehe da  – er befand es als leicht.“57 Die Größenverhältnisse werden umgekehrt. Das Abenteuer ist nicht mehr ein Teil des Lebens, ins Leben eingeschlossen, sondern es eröffnet einen breiten Raum, von dem das gesamte Leben als ein Geringes eingeschlossen ist. Die Zeit wird 55 Doderer, Das letzte Abenteuer, S. 7. 56 Ebd. S. 22. 57 Ebd. S. 23.

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damit im Raum verbildlicht. Nach der Begegnung mit dem Drachen scheint die Zeit im Raum aufgehoben zu sein  : Es vergingen diese Wochen wie kurze Tage, aber zugleich war es, als fließe die Zeit überhaupt nicht mehr, und alles, was geschah, blieb auch weiter ganz gegenwärtig und in der stehenden Zeit hängen wie Rauch in regloser Abendluft oder die Wolken eines Sommerhimmels bei völliger Windstille […].58

Der Augenblick als Zäsur ist bei Doderer nicht der unsichtbare, sondern einer, der im Bild zum Stillstand und damit zur Evidenz kommt. Als stillgestellte Zeitkapsel fügt er sich nicht in einen Lebenslauf ein. Er fällt aus der Zeit heraus, wie auch der Ritter Ruy de Fanez aus der Zeit fällt. Nach der Begegnung mit dem Drachen versinkt er in Passivität. Er verschmäht den Preis des bestandenen Abenteuers, die Heirat mit der Herzogin. Er zieht zurück in den Wald und sieht noch einmal den Drachen von der Ferne. Seinem Ritter-Gelübde gehorchend, stürzt er sich zuletzt in den tödlichen Kampf gegen eine Räuberbande  : „Den Bedrängten zu helfen […] / Die Witwen und Waisen zu schützen  […] / Er verstand kaum den Sinn, es waren nur mehr Worte, Worte in goldenen Buchstaben, zur Not wiedererkannt.“59 Es ist das aus dem Zeitfluss herausgelöste Bild, das Ruy im Auge des Drachen sah und im Augenblick des Sterbens wiedersieht  : „aber schon sah er nichts mehr als ein tief leuchtendes Grün, stark wie die Sonne, auf dem braunen Grund eines letzten Ermattens.“60 Die Erzählung bricht damit ab, die in ihr beschworenen Bilder lösen sich in ihr nicht auf  : rätselhafte Embleme, die sich dem Erzähl- und Zeitfluss querstellen.

Zeitstau Die Unverfügbarkeit der Zeit – das ist auch das Thema von Thomas Manns Roman Der Zauberberg (1924). Von Anfang an betont er mit der Stimme seiner Hauptfigur Hans Castorp die Subjektivität des Zeitgefühls gegenüber der messbaren, physikalischen Zeit. ‚Was ist denn die Zeit  ?‘ fragte Hans Castorp […]. ‚Willst Du mir das mal sagen  ? Den Raum nehmen wir doch mit unseren Organen wahr, mit dem Gesichtssinn und dem Tastsinn. 58 Ebd. S. 27. 59 Ebd. S. 92. 60 Ebd.

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Schön. Aber welches ist denn unser Zeitorgan  ? Willst Du mir das mal eben angeben  ? Siehst du, da sitzt du fest. Aber wie wollen wir denn etwas messen, wovon wir genaugenommen rein gar nichts, nicht eine einzige Eigenschaft auszusagen wissen  ! Wir sagen, die Zeit läuft ab. Schön, soll sie also mal ablaufen. Aber um sie messen zu können … warte  ! Um messbar zu sein, müsste sie doch gleichmäßig ablaufen, und wo steht denn das geschrieben, dass sie das tut  ? Für unser Bewusstsein tut sie es nicht, wir nehmen es nur der Ordnung halber an, dass sie es tut, und unsere Maße sind doch bloß Konvention, erlaube mir mal …‘61

Diese Unzugänglichkeit der Zeiterfahrung ist aber genau das, was der Roman, wie ihn Thomas Mann versteht, zu überwinden unternimmt. Am Beginn des 7. Kapitels wendet sich der Erzähler reflektierend an den Leser/die Leserin  : Erzählen bedeute, die Zeit zu erfüllen, sie einzuteilen. „Die Zeit ist das Element der Erzählung, wie sie das Element des Lebens ist, − unlösbar damit verbunden, wie mit den Körpern im Raum.“62 Den Figuren, von denen der Roman erzählt, ist der Erzähler aber insofern überlegen, als er nicht nur die Zeit als sein Element betrachtet, sondern sie auch zu seinem Gegenstand machen kann. Der Roman kann nicht nur in der Zeit, sondern auch von der Zeit erzählen. Darin liegt dem Erzähler des Zauberbergs zufolge der ‚Doppelsinn‘ des Begriffs ‚Zeitroman‘.63 Zu Beginn des sechsten Kapitels des Romans werden zwei Aporien des Zeitbegriffs expliziert  : (1) Zeit wird mit Bewegung und Veränderung verbunden, aber da diese Bewegung eine kreisförmige ist, könnte man sie ebenso als „Ruhe und Stillstand“ bezeichnen.64 (2) Wie Raum nicht als begrenzt vorgestellt werden kann, so kann auch Zeit nur als ewig und unendlich gedacht werden. Dadurch reduziert sich aber a­ lles Begrenzte und Endliche auf null. Ist im Ewigen ein Nacheinander, Veränderung überhaupt denkbar  ?65 Thomas Mann geht es nicht um eine philosophische Antwort auf diese Fragen. Vielmehr inszeniert Der Zauberberg als Zeitroman eine Situation, die einer anthropologischen Experimentalanordnung gleicht. Das Sanatorium ist eine Heterotopie und zugleich eine Heterochronie. In den zyklischen medizinischen Programmen und therapeutischen Routinen, in den geregelten Stundenplänen und Tagesabläufen mimt das Sanatoriumsleben eine Zeit im kreisenden Stillstand, der erst durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendet wird. In der Monotonie der alltäglichen Rituale erfährt der Sanatoriumsgast Castorp eine „Konfusion“ des Zeitge-

61 Mann, Der Zauberberg, S. 71. 62 Ebd. S. 570. 63 Ebd. S. 571. 64 Ebd. S. 365. 65 Ebd.

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fühls, der „Bewusstseinslagen des ‚Noch‘ und des ‚Schon wieder‘“, der Dauer und der Wiederholung, „deren Vermischung und Verwischung das zeitlose Immer und Ewig ergibt“.66 Einförmigkeit ist im Zauberberg ein Paradigma, an dem sich die Dialektik von Zeit- und Raumwahrnehmung manifestiert. Im Schnee-Kapitel des Romans67 bewirkt der plötzlich einbrechende Schneesturm zunächst einen vollkommenen Verlust der räumlichen Orientierung. Die Folge von Castorps Verirrung im Gebirge ist die Verwirrung seines Zeitsinns. Die Realzeit geht in eine Traumzeit über, deren Ausdehnung im subjektiven Empfinden des Träumenden ungeheuer zunimmt. Als Castorp aus dem Traum erwacht, glaubt er, es wäre schon der folgende Tag. Diese träumerische Entrückung und Verwandlung des Zeitgefühls des Protagonisten wird in der Erzählzeit gespiegelt  : Der zehnminütige Traum wird zeitdehnend auf zehn Seiten erzählt. Die Metapher vom Verschwimmen zeitlicher Konturen als Folge räumlicher Desorientierung wird beim Wort genommen, wenn es mit einem Spaziergang am Meer exemplifiziert wird. Im Kapitel Strandspaziergang wird diese Ferienbeschäftigung zum Modellfall für die Verwirrung und Verwischung der räumlich-zeitlichen Distanzen bis zur schwindeligen Einerleiheit […]. In ungemessener Monotonie des Raumes ertrinkt die Zeit, Bewegung von Punkt zu Punkt ist keine Bewegung mehr, wenn Einerleiheit regiert, und wo Bewegung nicht mehr Bewegung ist, ist keine Zeit.68

Solches Heraustreten aus dem Kontinuum der fortschreitenden Zeit, solches Gefühl eines Stillstandes der Zeit erlebt Hans Castorp beim nächtlichen Hören klassischer Musikschallplatten. Im Zustand idyllischer Wachträume „herrschte das Vergessen selbst, der selige Stillstand, die Unschuld der Zeitlosigkeit.“69 Derartige Zustände finden in Musils Mann ohne Eigenschaften im „anderen Zustand“ einen Widerhall. Im Zauberberg werden sie als „Ferienlizenzen“, als „Phantasien der Lebensmuße“70 qualifiziert, die als Kompensation des straffen Zeitregimes moderner Arbeits- und Lebensabläufe fungieren. Auch Musils Romanprotagonist und Reflektorfigur Ulrich nimmt sich „ein Jahr Urlaub von seinem Leben“,71 um den 66 Ebd. S. 573 f. 67 Ebd. S. 493–525. 68 Ebd. S. 575 f. 69 Ebd. S. 684. 70 Ebd. S. 577. 71 Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 47.

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ökonomischen und sozialen Zwängen seiner Umgebung zu entgehen. Im Zauberberg ist es die aufgeklärte Haltung eines Settembrini, die den verschwenderischen Umgang mit der Zeit in der Muße als „lästerliche Zeitwirtschaft“ und als „schlimmes Getändel mit der Ewigkeit“ geißelt.72 Doch die Skepsis gegenüber solchem passiven Zeiterleben ist nicht nur dem im Roman ironisch dargestellten soldatischen Pflichtgedanken und „Lebensbefehl“73 geschuldet. Das zeigt das Paradox der Zeiterfahrung, das im Exkurs über den Zeitsinn expliziert wird. Demnach empfinden Menschen monotone, leere Zeit in der Gegenwart als langsam vergehende, im Rückblick aber als im Nu verflogene. Dagegen scheint eine im Augenblick schnell verfließende, ereignisreiche Zeit auf die Dauer als langsamer vergehend  : Umgekehrt ist ein reicher und interessanter Gehalt wohl imstande, die Stunde und selbst noch den Tag zu verkürzen und zu beschwingen, ins Große gerechnet jedoch verleiht er dem Zeitgange Breite, Gewicht und Solidität, so dass ereignisreiche Jahre viel langsamer vergehen als jene armen, leeren, leichten, die der Wind vor sich herbläst, und die verfliegen.74

Der Krieg, in den der Roman seine Hauptfigur entlässt, bietet aber nicht die Gelegenheit zu einem aktiven, ereignisreichen, gehaltvollen und bedeutsamen Leben, das der Leere zyklischer Wiederkehr entgegengestellt wird. Er ist das genaue Gegenteil der Epiphanie erfüllter Zeit, wie sie der Exkurs als Alternative zur konturlosen, passiv erlebten Zeit profiliert. Nicht die Erlebnisse eines souveränen, ermächtigten Subjekts, sondern das Verschwinden des Individuums in der Masse des militärischen Menschenmaterials setzt das Ende des Zauberbergs ins Bild. Wie die Entwertung des individuellen Lebens markiert es auch die Bedeutungslosigkeit individueller Zeiterfahrung. Es ist die katastrophale Geschichtszeit, in die der Protagonist wie im Schlamm und Blut des Schlachtfeldes versinkt. Nicht von ungefähr setzt Alfred Döblins großer Zukunftsroman Berge, Meere und Giganten (1924), der im gleichen Jahr wie Der Zauberberg erschien, mit folgender Zeitangabe an  : „Es lebte niemand mehr von denen, die den Krieg überstanden hatten, den man den Weltkrieg nannte.“75 Es geht in diesem Roman um die Zeiterfahrung von Generationen, die zwar Distanz zum Krieg gewonnen haben, von ihm aber weiterhin gezeichnet sind. So bleibt „das Jüngstvergangene in Döblins futurischem 72 Mann, Der Zauberberg, S. 577. 73 Ebd. 74 Ebd. 110 f. 75 Döblin, Berge, Meere und Giganten, S. 13.

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Roman untergründig präsent.“76 Spürbar ist im Roman besonders auch das Zeitgefühl der Kriegs- und Zwischenkriegszeit. Es manifestiert sich formal im gesteigerten Erzähltempo, das der Roman durch die futuristische Technik der asyndetischen Wort­ reihung erzeugt. Damit wird die zeittypische Erfahrung der Beschleunigung auf die Zukunft projiziert. Schon die Zueignung reflektiert auf die sich öffnende und durch die Toten des Weltkriegs akut gewordene Zeitschere zwischen Lebenszeit und Weltzeit, artikuliert aber zugleich die daraus resultierende Intensität des gelebten Augenblicks. Die mehrere Jahrhunderte zukünftiger Menschheitsgeschichte umspannende Romanhandlung wird mit der momentanen Situation des Schreibens kontrastiert  : Jede Minute eine Veränderung. Hier wo ich schreibe, auf dem Papier, in der fließenden Tinte, in dem Tageslicht, das auf das weiße knisternde Papier fällt. […] Ich spüre am Finger den Halter  : das sind Nerven, sie sind vom Blut umspült. Das Blut läuft durch den Finger, durch alle Finger, durch die Hand, beide Hände, die Arme, die Brust, den ganzen Körper, seine Haut Muskeln Eingeweide, in alle Flächen Ecken Nischen. So viel Veränderung in diesem hier.77

Die subjektive Zeiterfahrung des schreibenden Ich ist in die „Dynamik des eigenen Organismus eingeschlossen.“78 Als verkörpertes ist ein solches Subjekt eingebettet in die anonymen, überindividuellen Naturvorgänge, die als Konstanten auch die großen geschichtlichen Umwälzungen, von denen der Roman handelt, grundieren. Setzt Berge, Meere und Giganten die latente Nachwirkung des Ersten Weltkrieges voraus, so sollte Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften mit seinem Ausbruch enden. Doch im Gewirr der im Nachlass befindlichen Entwürfe und Skizzen scheint dieses Ende endlos verzögert und suspendiert zu werden. So kann das Kapitel Atemzüge eines Sommertags, das Musil immer wieder umschrieb und an dem er noch kurz vor seinem Tod 1942 arbeitete, als versuchsweise Sistierung der Zeit gelesen werden. Ereignislosigkeit kennzeichnet die beinahe idyllische Gartenszene  : Ein geräuschloser Strom glanzlosen Blütenschnees schwebte, von einer abgeblühten Baum­gruppe kommend, durch den Sonnenschein  ; und der Atem, der ihn trug, war so sanft, dass sich kein Blatt regte. Kein Schatten fiel davon auf das Grün des Rasens, aber dieses schien sich von innen zu verdunkeln wie ein Auge. Die zärtlich und verschwen­ 76 Honold, „Exotisch entgrenzte Kriegslandschaften“, S. 225. 77 Döblin, Berge, Meere und Giganten, S. 9. 78 Dux, „Strukturen der Zeit“, S. 14.

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derisch vom jungen Sommer belaubten Bäume und Sträucher, die beiseite standen oder den Hintergrund bildeten, machten den Eindruck von fassungslosen Zuschauern, die, in ihrer fröhlichen Tracht überrascht und gebannt, an diesem Begräbniszug und Naturfest teilnahmen. Frühling und Herbst, Sprache und Schweigen der Natur, auch Lebens- und Todeszauber mischten sich in dem Bild  ; die Herzen schienen stillzustehen, aus der Brust genommen zu sein, sich dem schweigenden Zug durch die Luft anzuschließen.79

Agathe, die zusammen mit Ulrich dieses Naturschauspiel betrachtet, erinnert sich, dass sie an derselben Stelle im Garten für Ulrich Aussprüche von Mystikern aus dem Gedächtnis zitiert und vorgelesen hat  : Wie in diesem Augenblick des Blütenzugs hatte der Garten also schon einmal geheimnisvoll verlassen und belebt ausgesehen  ; und zwar gerade in der Stunde, nachdem ihr die mystischen Bekenntnisse in die Hand gefallen waren, die Ulrich unter seinen Büchern besaß. Die Zeit stand still, ein Jahrtausend wog so leicht wie ein Öffnen und Schließen des Auges, sie war ans Tausendjährige Reich gelangt, Gott gar gab sich vielleicht zu fühlen. Und während sie, obwohl es doch die Zeit nicht mehr geben sollte, eins nach dem andern das empfand  ; und während ihr Bruder, damit sie bei diesem Traum nicht Angst leide, neben ihr war, obwohl es auch keinen Raum mehr zu geben schien  : schien die Welt, uner­ achtet dieser Widersprüche, in allen Stücken erfüllt von Verklärung zu sein.80

Das Paradoxon erzählerischer Vergegenwärtigung wird an dieser Stelle nicht nur vorgeführt, sondern zugleich reflektiert. Auf thematischer Ebene wird eine coincidentia oppositorum beschrieben  : Die Zeit steht still, und doch empfindet Agathe die Phänomene nacheinander. Der Raum ist aufgehoben, und doch liegen Agathe und Ulrich nebeneinander. Es wird über mystische Erfahrungen gesprochen, obwohl diese unaussprechlich sind. Das wiederholt verwendete Verb ‚scheinen‘ markiert eine Reserve nicht nur des Erzählers, sondern auch seiner Figuren gegenüber dem beschriebenen Erlebnis einer Auflösung von Raum und Zeit. Darüber hinaus sind die mystischen Erfahrungen, von denen im Text die Rede ist, aus Büchern bezogen, ein ‚Bibliotheksphänomen‘.81 Wenn Ulrich und Agathe als Leser und Vorleser mystischer Texte gezeigt werden, entstehen die mystischen Erfahrungen, insbesondere die Erfahrung einer zeitlosen Präsenz, nicht so sehr aus unmittelbarer Naturbetrachtung, sondern 79 Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1232. 80 Ebd. S. 1233. 81 Der Ausdruck stammt von Michel Foucault, der ihn auf das Imaginäre in Flauberts Die Versuchung des heiligen Antonius bezieht  : Foucault, „Die Phantasmen der Bibliothek“, S. 87.

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„zwischen dem Buch und der Lampe“, beim Lesen bereits gesagter und in der Schrift reproduzierter Worte.82 Damit ist aber auf thematischer Ebene der Vorgang des Erzählens und des Lesens des Erzählten präfiguriert. Die Gegenwart des mystischen Erlebnisses wird im Präteritum der Erzählung vorgeführt. Die Kluft zwischen der Vergangenheit der erzählten Ereignisse und Zustände auf der einen, der Gegenwart der Erzählung und des Lesens auf der anderen Seite lässt sich nicht schließen. Nur als Erzählung sind die Ereignisse und Zustände gegenwärtig. Literarische Präsenzerfahrungen bedürfen stets der Vermittlung. Musils Erzähler jedoch macht die Vermitteltheit mystischer Präsenzerfahrungen schon auf der Ebene der Erzählung bewusst, indem er seine Figuren als Lesende mystischer Texte zeigt. Musils unermüdliche Arbeit am Mann ohne Eigenschaften, der nicht an sein Ende, den Krieg, kommt, kann als Aufschub des Einbruchs der epochalen Katastrophe verstanden werden. Ulrich und Agathe entziehen sich in ihrem Garten dem aktivistischen Durchbruch, als der das ‚Augusterlebnis 1914‘ vielfach erfahren wurde. Ihr Verharren in einer meditativen Unentschiedenheit erscheint als individualistischer Widerstand gegen die zeitgenössischen dezisionistischen Verführungen. Nicht Gestaltung der Zukunft, sondern Verdichtung der Gegenwart, „Steigerung ohne Fortschritt“83 ist ihr Ziel. Ein vergleichbares Widerspiel zwischen Intensivierung der Gegenwart und drohender Katastrophe treibt das Geschehen in Arthur Schnitzlers Erzählung Fräulein Else (1924) voran. Else wird unter Zeitdruck gesetzt  : Mit einem Expressbrief wird sie im Ferienhotel davon verständigt, dass das Ultimatum für die Zahlung der Kaution für ihren Vater, der Gelder veruntreut hat, abzulaufen droht. Telegrafisch wird die zu hinterlegende Summe kurzfristig von 30.000 auf 50.000 Gulden erhöht. Else hat zwei Tage Zeit, um den Kunsthändler Dorsday zu bewegen, die Summe telegrafisch überweisen zu lassen. Sie entzieht sich diesem Zeitdruck immer wieder durch das Abdriften in eine Traumwelt, zuletzt durch eine Überdosis Veronal, die das Bewusstsein trübt, auslöscht und möglicherweise in den Tod führt. Traum und Todesgedanken eröffnen alternative Zeitempfindungen, die sich dem ökonomischen Zeitregime widersetzen. Die Erzählweise des inneren Monologs, die das epische Präteritum durch die Wiedergabe des Gedankenstroms ersetzt, verstärkt den Effekt der Präsenz. Der Erzähler als Vermittler zwischen dem Erzählten und der Erzählung wird zugunsten eines quasimaschinellen Selbstaufschreibesystems ausgeschaltet. Dadurch wird literarische Präsenz suggeriert. Der Innere Monolog simuliert eine Leserin/einen Leser, die/ 82 Ebd. 83 Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1423.

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der gleichsam telepathisch die Gedanken der Figur lesen kann. Wie Mario Gomez schreibt, leistet Elses innerer Monolog „die telepathische Zurschaustellung ihrer Gedanken für ein anonymes Publikum“.84 Dieser öffentlichen literarischen Zurschaustellung entspricht auf thematischer Ebene Elses Entblößung im Musiksaal des Hotels. Allerdings bleibt für die Leserin/den Leser die unmittelbare Präsenz des nackten Körpers „der sinnlichen Wahrnehmung verschlossen und lediglich durch Zeichen zu erschließen“.85 Wenn gerade an der Stelle, wo es heißt  : „Nackt stehe ich da,“86 der Text durch eingefügte Musikpartituren aus Schumanns Carnaval unterbrochen wird, so tritt ein weiteres Zeichensystem an die Stelle unmittelbaren visuellen Erlebens. Der Erzählung vom Augenblick der Entblößung wird mit der abgedruckten Partitur eine vorgegebene und kontrastierende melodisch-rhythmische Zeitstruktur unterlegt. Die visuelle Präsenz des nackten Körpers kann weder in der Partitur noch im Text erzeugt werden. Ebenso klaffen die Präsenz von Elses Gedanken und ihre nachträgliche Rezeption durch die Leser/innen auseinander  : Wer sie wie aufgezeichnet und verarbeitet, die ‚Gedankenlesemaschine‘ in Betrieb gesetzt hat, darüber schweigt der Text.

Schluss Im Umgang der klassischen literarischen Moderne mit der Zeit wird die Spannung deutlich, die sich zwischen der Zeit des Textes und der Zeit der Welt auftut. Dem liegt eine unabweisbare Erkenntnis zugrunde  : „Die Zeit ist als Konstrukt, in dem die Dynamik des Universums zugänglich wird, immer und überall eine durch die eigene Körperlichkeit vermittelte Zeit.“87 Diese „präsentische Körperlichkeit, die mitbestimmt, als was Zeit verstanden wird“, prägt auch die Produktion und Rezeption von literarischen Texten  : „Jeder mag schreiben und lesen, was er will, er tut es stets mit der Eigenzeit seiner selbst.“88 Betrachten wir abschließend die Eigenzeit der analysierten exemplarischen Texte, lassen sich folgende Merkmale erkennen  : (1) Erzähltexte dieser Zeit leisten Widerstand gegen eine physikalische, messbare, mit dem Räderwerk der Uhr zu erfassende Zeit. Angesichts einer in Gesellschaft und Wirtschaft herrschenden Zeit der Arbeit und Warenproduktion bestehen sie auf den Eigensinn individuellen, ungeregelten

84 Gomez, Gedankenlesemaschinen, S. 174. 85 Ebd. S. 171. 86 Schnitzler, „Fräulein Else“, S. 143. 87 Dux, „Strukturen der Zeit“, S. 31. 88 Ebd.

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Zeiterlebens. (2)  Literarische Erzählungen verfolgen Strategien der Entzeitlichung und imaginieren das Heraustreten aus dem zeitlichen Kontinuum. Sie spiegeln die Suche und Sehnsucht nach einem erfüllten Augenblick, nach einer intensiven Präsenz, die sich gegen die Einbrüche des Vergangenen und des Zukünftigen abzuschirmen strebt. (3)  Nicht zuletzt schärfen diese Texte in der Reflexion über subjektive Zeiterfahrung das Bewusstsein dafür, dass sich die an den eigenen Leib gebundene Zeiterfahrung den Ordnungen der Sprache und des Erzählens entzieht. Keineswegs ist dabei aber das Erzählen oder das Lesen von Erzählungen als sekundäre Zeiterfahrung zu verstehen. „Wo etwas zur Sprache kommt, was nicht schon in ihr vorkommt, stoßen wir auf Unerwartetes.“89 In literarischen Texten werden die Verzögerungen und Zeitsprünge, die Brüche in den einheitlichen Ordnungen und Synchronien normierter Zeitregimes wahrnehmbar. Mag die moderne Literatur immer wieder eine zeitlose Gegenwart in Worte zu fassen und ins Bild zu setzen versuchen – die irreduzible Vorgängigkeit des Erzählten und die ebenso irreduzible Nachträglichkeit des Erzählens spalten die Einheitlichkeit der Zeitwahrnehmung auf. Das Auseinandertreten und gleichzeitige Erleben heterogener Zeiten ist das Signum einer modernen Zeiterfahrung, die als unverfügbarer denn je anmutet.

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89 Waldenfels, „Zeitverschiebung“, S. 44.

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Sarah Laufs

Die Absurdität des Daseins und die Fragmentierung der Zeit Kulturgeschichtliche Perspektiven auf eine Zeit-Geschichte des Ersten Weltkrieges

Der Beginn des 20. Jahrhunderts ist in besonderer Weise von tief greifenden Zeitbrüchen und einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Phänomen der ‚Zeit‘ charakterisiert. Denn im europäischen Raum begann um 1880 einerseits eine Jahrzehnte fortwährende Phase intensiver zeittheoretischer Reflexion, die neben globalen Koordinations- und Synchronisationsbestrebungen1 vor allem durch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Industrialisierung angestoßen wurde.2 Andererseits war es aber gerade auch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, die zu erheblichen temporalen Verwerfungen beitrug, weil durch sie nicht nur endgültig die zeitgenössische Vorstellung verworfen wurde, in einer Zeit des Fortschritts und der kontinuierlichen Verbesserung zu leben,3 sondern weil der Krieg über menschliche und materielle Zerstörungen hinaus auch eine grundlegende Veränderung der geistigen Orientierungsmuster und Wissenssysteme seiner Zeit bewirkt hat.4 Zeitgenössisch hat dies zu einer eigentümlichen Apathie und Orientierungslosigkeit geführt, die sich besonders gut anhand der sich verändernden Bedeutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft veranschaulichen lässt, darüber hinaus aber auch die geschichtsphiloso-

1 Vgl. Ogle, Global Transformation of Time. 2 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 11. Siehe auch Kern, Culture of Time and Space. 3 Vgl. ebd., S. 12. Das galt besonders für die in bürgerlichen Kreisen dominierende Hoffnung auf eine immer bessere und gestaltbare Zukunft, von der man sich nicht nur umfangreiche politische Partizipation, soziale Aufstiegsmöglichkeiten, eine verbesserte Bildung und wirtschaftliches Wachstum versprach, sondern die vor dem Ende des Ersten Weltkrieges auch den festen Glauben an eine europäisch gedachte Zivilisationsidee umfasste. Auch wenn der enorme Anstieg kulturkritischer Strömungen und Reformbewegungen schon um 1900 offenbarten, dass das Fortschrittsversprechen des 19.  Jahrhunderts brüchig geworden war, verdichteten sich diese Tendenzen doch erst im Verlauf des Ersten Weltkrieges zu einer dezidierten Absage an den Fortschrittsglauben und damit zu einer Abkehr von einem teleologischen Verständnis von Geschichte, für das ein prospektives Entwicklungsziel sinnstiftend gewesen war. Vgl. Leonhard, Büchse der Pandora, S. 23 f. 4 Vgl. Hölscher, Geschichtsbruch, S. 5.

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phische Frage nach der Bedeutung der Zeit für den historischen Prozess umfasst. So stellt der Historiker Lucian Hölscher pointiert heraus  : In fact, the experience of war challenged almost all basic assumptions about the nature of historical time […]. For most contemporaries the world after the war had nothing to do any more with any pre-war notions of the future. The future of that past was plainly not this present, and as much as the future had changed, so had the past. […] The war did more than mark the end of one epoch and the beginning of another  : It ended a way about thinking about history, a way of conceptualising time.5

Der Erste Weltkrieg markiert somit nicht nur eine in unzähligen Publikationen immer wieder herausgestellte Gewaltsteigerung mit bis dahin weitgehend unvorstellbaren Opferzahlen6 und einer in der Form noch nie dagewesenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Mobilisierung, sondern durch den mit ihm verbundenen Zusammenbruch ganzer Ordnungssysteme veränderte er als ein „Krieg ohne Ende“7 auch den gesellschaftlichen Umgang mit Zeit in so grundlegender Weise, dass gerade die kriegsbedingte Suche nach Selbstvergewisserung und Orientierung zum Ausgangspunkt einer immer stärker werdenden Dissoziationserfahrung wurde. Dazu trug allerdings nicht zuletzt auch eine beschleunigte Überwindung räumlicher Distanzen bei, die den Zeitgenossen zwar einerseits eine ganz neue Art von Zeiterfahrung ermöglichte, die andererseits aber auch deren Empfindung verstärkte, dass die historisch erfahrene Zeit und die eigenen, individuell-biografischen Zeiterfahrungen der erlebten Gegenwart immer stärker auseinandertraten.8 Der Erste Weltkrieg stand deshalb insgesamt sowohl im Zeichen eines nicht eingelösten Zukunftsversprechens, zu dessen Desillusionierung er nicht nur selbst wesentlich beitrug, sondern dessen Leerstellen er auch nicht zu kompensieren vermochte, als auch eines viel grundlegenderen Umbruchs der Wirklichkeitswahrnehmung, der in existentieller Hinsicht nicht viel weniger als die genuin philosophische Frage nach dem Sinn des Daseins über5 Hölscher, Mysteries of Historical Order, S. 138. 6 Weltweit wurden im Ersten Weltkrieg mehr als 60  Mio. Soldaten eingesetzt, von denen mit knapp 9 Mio. etwa 14 % während des Krieges selbst oder in der Kriegsgefangenschaft ums Leben kamen. Die zivilen Kriegsverluste werden auf ca. 6 Mio. geschätzt, lassen sich allerdings nicht präzise bestimmen, da für einige Länder keine gesicherten Daten vorliegen. Zit. nach Overmans, Kriegsverluste, S. 663– 665. 7 Vgl. das gleichnamige Interview von Christian Staas und Volker Ullrich mit Jörn Leonhard und Alan Kramer in Zeit Online vom 27.2.2014, online unter  : www.zeit.de/2014/10/erster-weltkrieg-joern-leon hard-alan-kramer, letzter Zugriff  : 24.06.2019. 8 Vgl. Leonhard, Büchse der Pandora, S. 24 f. Siehe grundlegend auch Kaschuba, Überwindung der Distanz.

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haupt und der Bedeutung des Einzelnen im historischen Prozess umfasste.9 Mit Bezug zu Hannah Arendts Ausführungen über das Wesen von Revolutionen10 kann der Erste Weltkrieg deshalb auch als ein in sich selbstständiger Zeitraum zwischen „Ende und Anfang, zwischen einem Nicht-mehr und Noch-nicht“11 verstanden werden  ; als ein „Riss in der Zeit“,12 der die Zeitgenossen in besonderer Weise mit dem Problem des ‚Beginns‘ konfrontierte, weil in ihm ein historischer Neubeginn handgreiflich in Erscheinung trat.13 Besonders eindrücklich hat das auch der Schriftsteller Thomas Mann illustriert, der sich in seinem 1924 veröffentlichten Roman Der Zauberberg gerade deswegen dazu gezwungen sieht, die „Zeitform der tiefsten Vergangenheit“ zu benutzen, weil die „hochgradige Verflossenheit“ seiner Geschichte daraus resultiert, daß sie vor einer gewissen, Leben und Bewußtsein tief zerklüftenden Wende und Grenze spielt […]. Sie spielt, oder, um jedes Präsens geflissentlich zu vermeiden, sie spielte und hat gespielt vormals, ehedem, in den alten Tagen, der Welt vor dem großen Kriege, mit dessen Beginn so vieles begann, was zu beginnen wohl kaum schon aufgehört hat.14

Obwohl der Erste Weltkrieg somit zu den wichtigsten historischen „Zeitorten“15 gehört, an denen nicht nur bewusst die Zeit selbst reflektiert, sondern neben divergierenden Zeiterfahrungen auch das sich verändernde Verhältnis zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diskutiert wurde, existieren in der historischen Forschung bislang jedoch nur wenige Publikationen, die sich über Periodisierungsfragen hinaus auch explizit mit dessen temporalen Besonderheiten auseinandersetzen.16 Dass sich Auffassungen über Zeit in seinem Verlauf verändert haben, ist in einem allgemei  9 Vgl. ebd., S. 11 und 24 f. 10 Arendt, Revolution. 11 Ebd., S. 264. 12 Vgl. Hölscher, Riss in der Zeit. 13 Arendt, Revolution, S. 264. Das betonte auch Eric Hobsbawm, der den Kontrast zwischen der Zeit vor und nach dem Krieg für die Generation seiner Eltern als derart dramatisch beschrieb, dass diese sich weigerten, eine Kontinuität zur Vergangenheit zu sehen  : „‚Peace‘ meant ‚before 1914‘  : after that came something that no longer deserved the name.“ Vgl. Hobsbawm, Age of Extremes, S. 22. 14 Mann, Zauberberg, S.  5 (Hervorhebung im Original). Jörn Leonhard betont deshalb, dass Der Zauberberg in mehrfacher Hinsicht als ein „Zeitroman“ verstanden werden kann, weil er nicht nur die historische Zeit vor dem Ersten Weltkrieg behandelt, sondern auch die „reine Zeit selbst“, ihre Subjektivierung und Aufsplitterung in konkurrierende Zeitkonzepte, zum eigentlichen Thema hat. Siehe Leonhard, Büchse der Pandora, S. 25. 15 Vgl. Landwehr, Abwesenheit, S. 174. 16 Beaupré, Hypothèses  ; Hölscher, Geschichtsbruch  ; Hölscher, Mysteries of Historical Order  ; Hüppauf, Destruktion von Zeit  ; Jagielski, Modifications  ; Kern, Culture of Time and Space  ; Knoch, Zeiterfahrung  ; Mischner, Zeitregime des Krieges  ; Raulff, Zeitkonzepte  ; Reimann, Krieg der Sprachen.

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nen Sinn zwar durchaus konstatiert worden  ; was diese Veränderung von Zeitlichkeit aber genau bedeutet und wie sie sich konkret vollzogen hat, war kaum je näher Gegenstand einschlägiger Untersuchungen.17 Einschränkend kommt hinzu, dass Forschungsarbeiten meist auch entweder nur die soldatischen Zeiterfah­run­gen des Stellungskrieges an der Westfront berücksichtigen,18 oder den Ersten Weltkrieg in seiner Gesamtheit auf ein die Kontinuität der Weltgeschichte durchbrechendes Ereignis reduzieren.19 Durch die damit verbundene Überbetonung seiner Wahrnehmung und Deutung als einer epochalen Zäsur, die sich nur allzu oft in einer reduktionistischen Gegenüberstellung der unmittelbaren Vor- und Nachkriegszeit erschöpft und häufig vor dem normativen Hintergrund modernisierungstheoretischer Topoi erfolgt, kann jedoch weder die Komplexität des Geschehens angemessen erfasst, noch über Diskontinuitäten hinaus auch für die Eigendynamiken eines einmal ausgebrochenen Krieges sensibilisiert werden. Denn die spezifischen „­ Eigenzeiten“20 des Krieges, die neben der Frage nach der Konstituierung und zeitgenössischen Ausgestaltung der ‚Kriegszeit‘ selbst insbesondere die Zeiterfahrungen und Zeitdeutungen der unterschiedlichen historischen Akteure, aber auch übergreifende temporale Ordnungen sowie die Instrumentalisierung der Zeit durch Militär und Politik umfassen, bleiben in einer solchen Betrachtungsweise weitgehend unbeachtet. Das war nicht zuletzt auch der wesentliche Grund, warum die International Society for First World War Studies ihre letzte Konferenz ausdrücklich dem Thema War Time gewidmet und damit auch aus einer internationalen Perspektive nochmal eindringlich auf die Relevanz entsprechender Forschungen verwiesen hat.21 Zudem hat auch Jörn Leonhard in seiner renommierten Gesamtdarstellung des Ersten Weltkrieges ausdrücklich betont, 17 Mit Ausnahme der damit verbundenen Auswirkungen auf die Geschichte der Weimarer Republik. Vgl. Geyer, Zeitsemantiken  ; Graf, Zukunft der Weimarer Republik. 18 Anders Favret, War at a Distance, wo aus einer medien- und kulturwissenschaftlichen Perspektive untersucht wird, wie die Gewalt moderner Kriege durch Massenmedien in räumlicher und zeitlicher Hinsicht immer stärker in die Heimat gebracht wird. 19 Kritisch dazu Leonhard, Büchse der Pandora, S. 28 und 1012. 20 Jörn Leonhard spricht etwa von der „Eigenzeit der Front“. Vgl. ebd., S. 554. Siehe allgemein auch Nowotny, Eigenzeit  ; Held/Adam, Rhythmen und Eigenzeiten sowie die Publikationen des DFG-Schwerpunktprogramms Ästhetische Eigenzeiten, online unter  : http://www.aesthetische-eigenzeiten.de, letzter Zugriff  : 24.06.2019. 21 Ihr zufolge hat die Weltkriegsforschung die „plurality of timelines, both within the years of conflict and those which traverse and connect pre- and post-war narratives“ bislang vernachlässigt, weshalb man mit der Konferenz einen Anstoß dazu geben wollte, „to reexamine and reflect upon the ways that time has been conceptualised both during the war itself and in the hundred years of scholarship that have followed.“ Vgl. www.firstworldwarstudies.org/conferences.php?s=oxford-2016#callForPapers, letzter Zugriff  : 24.06.2019. Ein ausführlicher Tagungsbericht findet sich unter  : https://grk1678.hypotheses. org/926, letzter Zugriff  : 24.06.2019.

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dass man den Krieg nur dann wirklich begreifen kann, wenn man ihn nicht als einen „chronologischen Block mit einem einfachen Schema des Vorher und Nachher“22 behandelt, weil besonders die Veränderungsschwellen innerhalb des Krieges die Vorstellung einfacher Kausalgeraden relativieren und verdeutlichen, dass Prozesse der Kontinuität und Diskontinuität stets gleichzeitig vorhanden waren.23 Damit soll natürlich weder bestritten werden, dass der Erste Weltkrieg in vielerlei Hinsicht zu drastischen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen geführt hat, noch soll relativiert werden, dass wesentliche Erklärungsmuster seiner Wahrnehmung und Deutung ohne die Figur des Umbruchs nicht zu verstehen sind. In der Vermeidung simplifizierender Reduktionismen zielt die Betonung temporaler Komplexität allerdings sehr wohl darauf ab, „den vielfältigen, oft verworrenen und überraschenden Interaktionszusammenhängen des Krieges gerecht zu werden“24 und die Vorstellung zurückzuweisen, dass der Erste Weltkrieg ein atavistischer Rückfall auf dem Weg in die Moderne gewesen sei.25 Denn auch wenn der Krieg als Auslöser und Katalysator einer temporalen Destabilisierungserfahrung betrachtet werden kann, hat eine durch Beschleunigung, Reizüberflutung und Komplexitätsüberforderung ausgelöste Verunsicherung der Sinne schon lange vor dessen Ausbruch begonnen und ist mit seinem Ende auch nicht unmittelbar zum Stillstand gekommen.26 Die Zäsur des Ersten Weltkrieges lässt sich aus einer solchen Perspektive dann auch nur unzureichend als die „starre Fixierung eines historischen Nullpunktes […] verstehen, der ein Vorher von einem Nachher strikt trennt.“27 Stattdessen ist das Geschehen, das rückblickend „unter dem Begriff ‚Erster Weltkrieg‘ verhandelt wird, […] in actu ein vielschichtiger, emergenter Prozess“,28 der erst in der Verbindung heterogenster gesellschaftlicher Felder eine spezifische Kultur des Krieges ausbildet. Wie Lars Koch, Stefan Kaufmann und Niels Werber deshalb in Anlehnung an den Philosophen Bernhard Waldenfels verdeutlichen, sind Zäsuren zwar als Einschnitte,29 nicht jedoch als Stillstände zu begreifen, weil es in ihrem Umfeld immer auch zu sie unterlaufenden Modifikationen, Ungleichzeitigkeiten, diskursiven Schwankungen 22 Leonhard, Büchse der Pandora, S. 1012. 23 Ebd. S. 28 und 1012. 24 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 2. 25 Ebd. 26 Ebd. Siehe auch Leonhard, Büchse der Pandora, S. 25. 27 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 3. Zudem betont Martin Sabrow, dass Zäsuren auch grundsätzlich ebenso herausragende wie verschwommene Größen der Verständigung über die Vergangenheit sind, weil ihre historiografische Beliebtheit in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer begrifflichen Klarheit steht. Vgl. Sabrow, Zäsuren, S. 3. 28 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 1 (Hervorhebung im Original). 29 Siehe auch Sabrow, Zäsuren, S. 3.

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und Perspektivenwechseln kommt, welche die historiografische Vorstellung einer line­aren Entwicklung relativieren.30 Zäsuren drücken somit immer auch Bewegung und Veränderung aus und betonen als „Betrachtungsformen […], die der denkende Geist dem empirisch Vorhandenen gibt“31, darüber hinaus auch den künstlichen Prozess des Einschneidens  : „Nicht im Geschehen selbst stecken sie, sondern in seiner zeitgenössischen oder nachträglichen Deutung, und sie können mit dem Wandel von Blickwinkeln und Interpretationsmodellen wandern, ohne deswegen freilich arbiträr zu sein“.32 Gemäß Martin Sabrow gelten Zäsuren damit nicht umfassend, sondern stets sektoral, weshalb sich nicht zuletzt auch alle Versuche, bestimmte Ereignisdaten als universalhistorische Zäsuren zu etablieren, im Wesentlichen als geschichtspolitische Bemühungen erweisen, bestimmte Perspektiven mit hegemonialem Anspruch auszustatten.33 Die Ablehnung universaler Zäsuren bedeutet allerdings keine grundsätzliche Absage an die Geltungskraft von Zäsuren überhaupt. Denn so sehr sich Zäsuren auch als wandlungsfähige und konjunkturabhängige Phänomene erweisen, spiegeln sie doch zugleich auch das historische Orientierungsbedürfnis von Gesellschaften wider, ihre Geschichte(n) über markante Wendepunkte für ihre Gegenwart aufzubereiten.34 Ungeachtet ihres Konstruktionscharakters ist jeder Zäsur als einer temporalen Geschehensordnung damit immer eine historische Wirkmächtigkeit eigen, deren spezifische Geltungskraft sich an der Plausibilität ihres jeweiligen Welt- und Wirklichkeitsbezugs bemisst.35 Im Hinblick auf den zäsuralen Charakter des Ersten Weltkrieges geht es folglich weniger darum, diesen nun umgekehrt zu negieren oder die mit ihm verbundenen Paradoxien möglichst weit aufzulösen, sondern die zeitgenössische Zäsurwahrnehmung und Zäsurbildung als eine spezifische Auseinandersetzung mit der temporalen Ordnung der Wirklichkeit vielmehr explizit in die Analyse mit einzubeziehen.36 Denn  : 30 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 2. Vgl. diesbezüglich auch Waldenfels, Bruchlinien der Erfahrung, S. 215–222. 31 Sabrow, Zäsuren, S. 4. 32 Ebd. Vgl. auch Waldenfels, Bruchlinien der Erfahrung, S. 216 und Rißler-Pipka, Einleitung, S. 9. 33 Sabrow, Zäsuren, S. 6. 34 Ein Bedürfnis, das sich nicht zuletzt gerade die Geschichtswissenschaft wesentlich zunutze macht, wenn man an die Vielzahl der Analysen denkt, die anlässlich historischer Jubiläen publiziert werden. Odo Marquard hat zudem argumentiert, dass Zeitgrenzen für die menschliche Orientierung auch deshalb eine immer größere Rolle spielen, weil traditionelle Raumgrenzen durch Globalisierungsprozesse immer stärker aufgelöst werden. Vgl. Marquard, Temporale Positionalität, S. 345 f. 35 Sabrow, Zäsuren, S. 4 und 6–8. 36 Denn Zäsuren können ein nützliches heuristisches Instrument sein, wenn man sie bewusst reflektiert. Martin Sabrow unterscheidet deshalb sowohl zwischen retrospektiven Deutungs- und zeitgenössischen Erfahrungs- bzw. Ordnungszäsuren sowie „heterodoxen“ und „orthodoxen“ Zäsuren. Während

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[w]as im Einzelfall als neu, erfahrungsstürzend oder erklärungsbedürftig erachtet wird, hängt ebenso von der Position ab, von der aus die Dinge betrachtet werden, wie von dem Repertoire der Formen und Verfahren, mittels derer das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder von Erfahrungsraum und Erwartungsraum jeweils bestimmt werden kann. Dementsprechend sind zeitliche Überlappungen, Diskontinuitäten, Vor- und Rückläufigkeiten in der Rede vom Krieg […] nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall.37

Auf diese Weise lässt sich die Zäsur des Krieges als ein Bewegungsmuster verstehen, das eben nicht bloß trennend wirkt, sondern durch eine darüber hinausgehende „Verbindung in der Trennung“38 die temporalen Praktiken, Diskurse und symbolischen Ordnungen der Jahre 1914 bis 1918 immer auch mit solchen davor und danach verbindet sowie diese jeweils zueinander in Beziehung setzt.39 Die Aufmerksamkeit richtet sich dann auch nicht mehr ausschließlich auf die einer linearen Chronologie folgende Gegenüberstellung eines vorläufigen und nachträglichen Zustandes, sondern auf ein bewegliches Netz von Bedeutungen, das die immer wieder neu vollzogenen Formen von Trennung und Verbindung deutlich macht.40 Diese Forschungsdesiderate aufgreifend, wird die Pluralität der im Kontext des Ersten Weltkrieges stehenden Zeiterfahrungen, Zeitordnungen und Zeitdeutungen nachfolgend am Beispiel des Deutschen Reiches veranschaulicht, wo man sich im Verlauf des Krieges in besonderer Weise mit temporalen Fragen auseinanderzusetzen hatte. Denn gesellschaftliche Ordnungen sind zwar grundsätzlich immer auch als Ordnungen von Zeit zu begreifen, die wesentlich auf regulativen Aushandlungsprozessen basieren, aber es war letztlich auch gerade der Kampf um die Ordnung und Deutung der Zeit, der in Deutschland zwischen 1914 und 1933 im Zentrum einer ‚geistigen Mobilmachung‘ (Kurt Flasch) stand.41 ‚Zeit‘ war daher nicht nur ein zentraler Gegenstand abstrakter theoretischer Reflexionen, sondern auch eine gesellschaftspolitisch stark umkämpfte Ressource, die es kriegsentscheidend zu nutzen galt.42 Analytisch ist deswegen nicht nur von besonderem Interesse, inwiefern zeitorthodoxe Zäsuren die vorherrschende Weltsicht einer Gesellschaft und einer Zeit eher bestätigen, schaffen heterodoxe Zäsuren neue Denkhorizonte, die den Lauf der Geschichte in eine unvorhersehbare Richtung lenken. Vgl. Sabrow, Zäsuren, S. 8–10. 37 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 3. 38 Waldenfels, Bruchlinien der Erfahrung, S. 218 und 220, Zit. nach S. 220 (Hervorhebung im Original). 39 Koch/Kaufmann/Werber, Zäsuren und Kontinuitäten, S. 2 f. 40 Ebd., S. 3. 41 Flasch, Mobilmachung. 42 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 12.

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genössische Kriegs- und Gewalterfahrungen gesellschaftliche Auffassungen über Zeit grundsätzlich beeinflusst haben – und zwar sowohl in ihrer mentalen Antizipation, Verarbeitung und Reflexion, wie auch durch das Bewusstsein, sich im Krieg zu befinden oder diesen am eigenen Leib zu erfahren –, sondern auch, was dies insgesamt für eine kriegführende Gesellschaft bedeutet hat. Denn abgesehen von der Frage, warum und in welcher Weise sich in bestimmten historischen Zeiträumen die temporalen Wissensbestände ganzer Gesellschaften verändern, ist mit Blick auf die Geschichte der Weimarer Republik und den Aufstieg des Nationalsozialismus auch relevant, welche Auswirkungen damit verbunden sind, dass sich ein spezifisches Zeitwissen diskursiv verfestigt und gesellschaftlich durchsetzt.

Abkehr von einer Metaphysik der Zeit Von besonderer Relevanz ist deshalb grundsätzlich, ‚Zeit‘ in ihrer spezifisch historischen Verfasstheit in den Blick zu nehmen. Doch obwohl sich in jüngster Zeit durchaus eine „konzertierte historiografische Hinwendung zur ‚Zeit‘ ab[zeichnet],“43 bleibt das Phänomen der Zeit ausgerechnet im Kontext der Geschichtswissenschaft auffallend unterbestimmt. Darüber hinaus haben Historiker summa summarum auch relativ wenig zu dessen systematischer Ausgestaltung beigetragen.44 Das gilt besonders für die Geschichte der Zeit im 20. Jahrhundert, da sich die historische Zeit-Forschung im engeren Sinne bislang hauptsächlich auf die Frühe Neuzeit45 und den Übergang zum 19. Jahrhundert46 konzentriert hat.47 Es existiert zwar eine nicht unbeträchtliche 43 Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 10. 44 Ebd. S. 9. 45 Vgl. hier insbesondere Landwehr, Zeitwissen  ; Landwehr, Geburt der Gegenwart  ; Brendecke/Fuchs/ Koller, Autorität der Zeit. 46 Hier sei vor allem auf die enorm breite Auseinandersetzung mit dem von Reinhart Koselleck in Umlauf gebrachten Begriff der sogenannten ‚Sattelzeit‘ verwiesen. Vgl. dazu exemplarisch Fulda, Sattelzeit  ; aber auch Corbin, Wunde Sinne  ; Kessel, Langeweile. 47 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 9. Entsprechend gibt es auch keine umfassende Geschichte der Zeit im 20. Jahrhundert. Eine Ausnahme stellt lediglich das in den 1980er-Jahren entwickelte Modell einer „stage theory of temporal consciousness“ von Charles S. Maier dar, das den Übergang von einer liberal-bürgerlichen Zeitordnung des 19. Jahrhunderts über eine kollektivistisch-totalitäre Phase hin zu einer Gegenwart beschreibt, die sich durch eine widersprüchliche Koexistenz von individuell-­ relativistischen Zeitsystemen und hochgradig standardisierten, durchrationalisierten Zeitordnungen auszeichnet. Vgl. die Beschreibung bei Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 13. Sie selbst nähern sich der Geschichte der Zeit im 20.  Jahrhundert anhand der drei Leitdichotomien Standardisierung vs. Pluralisierung, Disziplinierung vs. Flexibilisierung und Beschleunigung vs. Eigenzeiten an. Vgl. ebd., S. 19–31.

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Anzahl geschichtswissenschaftlicher Studien, die sich der Zeit in ihren unterschiedlichsten Facetten gewidmet haben,48 doch wenn man von wenigen Ausnahmen49 absieht, wird sie im Großteil der historischen Forschung schlichtweg als gegeben vor­ausgesetzt und damit gerade nicht explizit problematisiert. Deshalb bemängeln Alexander Geppert und Till Kössler in einem umfassenden Forschungsüberblick auch noch im Jahr 2015, dass obwohl die Zeit sowohl das Maß wie auch das eigentliche Thema der Geschichte ist, „die Geschichtswissenschaft ihr Verhältnis zur grundlegendsten Kategorie des historischen Denkens bislang nicht systematisch“ geklärt habe.50 Die Ursache dessen führen sie auf das Problem einer „innere[n] Antinomie der Zeit-Geschichte“51 zurück, die vor allem darin bestehe, dass die Geschichtswissenschaft die Zeit zwar durchaus zu ihrem eigenen Untersuchungsgegenstand machen könne, sie als solche aber zugleich beständig mit und in der Zeit operiere.52 Da somit jedes historische „Denken der Zeit schon immer ein Denken in der Zeit“ ist,53 sei es eine Herausforderung besonderer Art, den „Gebrauch temporaler Erklärungsmodelle in der Geschichtswissenschaft zu problematisieren und zugleich den Wandel von Zeitregimen in der Zeitgeschichte zu verfolgen“.54 Als das wesentliche, allen historischen Arbeiten zugrundeliegende Darstellungs- und Ordnungsprinzip ist die Zeit somit zwar der Rahmen, in dem sich jede Geschichte abspielt, der als soziales und kulturelles Konstrukt aber kaum je selbst einmal explizit in den Fokus gerät.55 Eine 48 Eine gelungene Zusammenstellung der wichtigsten Publikationen zur Zeit-Geschichte findet sich in Geppert/Kössler, Obsession der Gegenwart, S. 272–286. 49 Neben den Publikationen von Achim Landwehr, Lucian Hölscher, Martin Sabrow und Stephen Kern sei hier vor allem nochmal explizit auf  : Koselleck, Vergangene Zukunft  ; ders., Zeitschichten  ; Lorenz/ Bevernage, Breaking up Time  ; Wendorff, Zeit und Kultur verwiesen. 50 Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 14. 51 Ebd., S. 15 (Hervorhebung im Original). 52 Ebd., S. 14 f. 53 Nassehi, Zeit der Gesellschaft, S. 40. 54 Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 14 f. Zur klassischen Formulierung dieser Antinomie in der Philosophie des 20. Jahrhunderts siehe auch Fink, Operative Begriffe, insbesondere S. 326 f. 55 Dass dies nicht bloß das Problem einer untheoretisierten historischen Praxis ist, sondern im Gegenteil auch wesentlich einer unpraktizierten Theorie geschuldet ist  ; darauf haben Alexander C. T. Geppert und Till Kössler nochmal nachdrücklich hingewiesen. Denn im geschichtstheoretischen Denken des 20. Jahrhunderts findet sich – anders als gegenwärtige sozial- und kulturwissenschaftliche Debatten dies mitunter suggerieren – sehr wohl auch ein explizit zeitbezogener Diskussionsstrang, dessen Plädoyer für eine Denaturalisierung der Zeit bis dato kaum in die historiografische Praxis überführt worden ist. Ursprünglich auf die Arbeiten von Marc Bloch, Fernand Braudel und Philippe Ariès zurückgehend, hat sich in Deutschland vor allem Reinhart Koselleck in den 1970er-Jahren für den Versuch zu einer Theorie der geschichtlichen Zeiten eingesetzt und ihr Verhältnis zur Zeit als das Problem einer jeden Geschichtswissenschaft benannt. Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 16–18.

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konsequente Historisierung der Zeit stellt somit nicht nur wichtige Grundlagenforschung dar, die zu einer systematische(re)n Klärung des Verhältnisses von Zeit und Geschichte beitragen kann, sondern sie eröffnet darüber hinaus auch eine Vielzahl neuer Forschungsperspektiven, die sich vor allem für das 20.  Jahrhundert geltend machen lassen. Denn gerade das „Zeitalter der Weltkriege“56 stellt die zeithistorische Forschung mit seinen zahlreichen Brüchen und Zersplitterungen nicht zuletzt deswegen vor neue Herausforderungen, weil sich die Fragen von Linearität und Kausalität, Kontinuität und Wandel sowie von der Verfügbarkeit und dem Sinn von Geschichte hier nicht nur grundsätzlich in vollkommen neuer Weise stellen, sondern weil die Erfassung seiner temporalen Komplexität darüber hinaus auch ein methodisches Vorgehen erfordert, in dessen Zentrum die Absage an ein letztlich noch immer wesentlich durch Isaac Newton geprägtes Zeitkonzept stehen muss.57 Das bedeutet vor allem, die Zeit nicht einfach nur als eine absolute, unüberwindbare und gleichförmige Grunddimension der menschlichen Existenz zu begreifen, die apriorischen Charakter besitzt und sich abgesehen von ihrer sinnlichen Unzugänglichkeit nicht von anderen Naturkonstanten unterscheidet, sondern sie vielmehr als ein kulturelles und soziales Produkt zu verstehen, das symbolisch geprägt und als strukturierendes Vorstellungsund Ordnungssystem stets in spezifisch historische Produktionszusammenhänge eingebunden ist.58 Pierre Bourdieu hält deshalb in seinen Meditationen eindrücklich fest, dass man mit einer „Metaphysik der Zeit […], worin Zeit als eine vorgegebene, an sich seiende Realität betrachtet wird, die der Praxis vorgängig oder äußerlich ist“, brechen kann, „indem man den Standpunkt des wirkenden Akteurs wiederherstellt, den [Standpunkt] der Praxis als Produktion von Zeit, als ‚Verzeitlichung‘ und damit zum Vorschein bringt, daß die Praxis nicht in der Zeit ist, sondern die Zeit macht.“59 Zeit wird folglich nicht einfach nur wahr- und hingenommen oder abgebildet, sondern immer auch aktiv hergestellt, gestaltet und modifiziert.60 Und wenn das Verständnis, die Bedeutung und der Umgang mit Zeit ebenso dem historischen Wandel unterliegen wie ihr Erfahren und Erleben, dann bedeutet das letztlich auch, dass sich temporale Wirklichkeit immer in einer Mehrzahl gleichzeitig existierender Zeiten realisiert, was in der historischen Forschung bislang vornehmlich unter den Begriffen

56 Berghahn, Zeitalter der Weltkriege. 57 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 16–18  ; Landwehr, Neue Zeiten, S. 15 f. und Kirov, Geschichte der Zeit, S. 12. 58 Vgl. Landwehr, Neue Zeiten, S. 19 f. und Schmied, Soziale Zeit, S. 11. Siehe auch Myssok/Schwarte, Einleitung, S. 11 f. und Hörning, Experten des Alltags, S. 117–120. 59 Bourdieu, Meditationen, S. 265. 60 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 13.

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der „Pluritemporalität“61 und „Polychronie“62 behandelt worden ist. Damit ist nicht nur der Umstand gemeint, dass verschiedene Kollektive, aber ebenso auch Ereignisse zumindest potentiell dazu in der Lage sind, unabhängige Eigenzeiten auszubilden, sondern damit wird zugleich betont, dass neue Zeitvorstellungen alte meist nicht einfach sofort zum Verschwinden bringen, sondern stattdessen kumulativ zu diesen hinzutreten, sie lediglich kontextspezifisch verdrängen oder sich auch auf verschiedene Weise mit ihnen vermischen.63 Dadurch führen selbst Synchronisationsbestrebungen nicht immer unmittelbar zu temporaler Vereinheitlichung, sondern sie können paradoxerweise auch eine Vervielfältigung von Temporalstrukturen zur Folge haben und damit eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Zeiten sogar regelrecht befördern.64

Zeitordnungen und Zeitpraktiken Ein forschungspraktisches und vor allem darstellungsbezogenes Problem bei der Behandlung von Pluritemporalität besteht jedoch darin, sie in der historischen Praxis dann auch tatsächlich in den Griff zu bekommen.65 Eine Zeit-Geschichte des Ersten Weltkrieges, die dessen temporaler Komplexität auch gerecht wird, erfordert deshalb eine methodische Vorgehensweise, die eine quellenzentrierte Analyse menschlicher Zeitpraktiken mit einem diskursanalytischen Ansatz verbindet, der diese kontextualisiert und zu verschiedenen Formen des gesellschaftlich konstituierten Zeitwissens in Verbindung setzt.66 Denn wenn die Zeit nicht einfach nur als eine dem Menschen entäußerte Realität verstanden wird, muss zunächst nach den spezifischen Zeitwahrnehmungen, Zeiterfahrungen und Zeitdeutungen der historischen Akteure gefragt werden, die den Ersten Weltkrieg ersehnt, gefürchtet, erlebt, gedeutet und/oder erinnert haben. Da die Zeitpraktiken der historischen Akteure jedoch ihrerseits ebenfalls 61 Am ausführlichsten bei Landwehr, Neue Zeiten, S. 25–29. 62 So Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 22. 63 Landwehr, Abwesenheit, S. 156  ; Landwehr, Neue Zeiten, S. 25–29. 64 Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 22. Trotz Vorbehalten gegen die Möglichkeit von Gleichzeitigkeit überhaupt, ist der Begriff in der Geschichtswissenschaft vor allem in der von Koselleck popularisierten Formel der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ geläufig, die lange zu den selbstverständlichsten Erklärungsmodi des geschichtswissenschaftlichen Denkens gehörte. In jüngster Zeit ist sie aufgrund ihrer normativen und modernisierungstheoretischen Implikationen jedoch wiederholt in die Kritik geraten und hat durch die damit verbundene Suche nach begrifflichen Alternativkonzepten die Idee der Pluritemporalität befördert. Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit weiterführenden Literaturangaben vgl. insbesondere Landwehr, Gleichzeitigkeit  ; aber auch Uhl, Gebrochene Zeit. 65 So Landwehr, Neue Zeiten, S. 29. 66 Vgl. ebd., S. 29 f. und 32.

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nicht ‚zeitlos‘ sind, sondern in enger Wechselwirkung mit den diskursiv konstituierten Formen des jeweils verfügbaren Zeitwissens stehen, müssen darüber hinaus auch die gesellschaftlich regulierten Formen normativer Zeit-Ordnungen berücksichtigt werden, die kulturhistorisch von Bedeutung und sozial wirksam sind. Der Begriff des Zeitwissens soll dabei auch nochmal verdeutlichen, dass eine subjektzentrierte Analyse von Zeiterfahrungen und Zeitdeutungen gerade deshalb nicht in ein wildes Durcheinander unabhängig nebeneinander bestehender Eigenzeiten münden kann, weil diese stets in regulative Aushandlungsprozesse integriert sind, in denen gesellschaftliche Gruppen und andere Kollektive um die Ordnung und Deutung der Zeit ringen. In ihrer wechselseitigen Überlagerung, Durchdringung und Verschränkung bilden sich zwar sehr komplexe, aber eben nicht willkürliche Zeit-Ordnungen aus, die in der (De-)Synchronisation unterschiedlicher Zeittaktungen und Zeitphrasierun­gen menschliches Handeln immer zugleich ermöglichen wie begrenzen.67 Mit Michel Foucault sind sie deshalb auch als epistemische Ordnungsstrukturen des Wissens zu verstehen, die nicht nur das Ergebnis einer Aneignung kulturhistorischer Gegebenheiten sind, sondern als Bedingung der Möglichkeit von Wissen immer auch in die historische Realität zurückwirken.68 Methodisch bedeutet dies, dass der Fokus auf die Schnittstelle zwischen Diskurs und Praxis gelegt wird und nach den interdependenten Ausformungen von Zeit als einer soziokulturellen Praxis und in ihrer diskursiven Verdichtung gefragt wird. Im Folgenden sei daher nun ein zeitlicher Sprung in die Jahre 1914 bis 1918 gewagt, um anhand konkreter historischer Beispiele einzelne der genannten Aspekte zu verdeutlichen.

Ein Riss in der Zeit? Zur temporalen Ordnung des Krieges als Ausnahmezustand und Eigenzeit Am 31. Juli 1914 wurde durch den deutschen Kaiser Wilhelm II. über das Deutsche Reich der „innere Kriegszustand“ verhängt, der durch militärische Oberbefehls­haber in der Regel noch am gleichen Tag öffentlich angeschlagen oder verlesen wurde.69 Der Kriegszustand wurde darin insofern zu einer „neuen“ Zeit deklariert, als die Zeit seiner Dauer nun explizit als eine Zeit der Ausnahmen und Besonderheiten galt, die von einer damit beendeten „Zeit des Friedens“ unterschieden wurde.70 Der „Ausnahme67 Vgl. Geppert/Kössler, Zeit-Geschichte, S. 33 f. 68 Foucault, Ordnung der Dinge, S. 22–25. 69 Geyer, Grenzüberschreitungen, S. 347. 70 Ebd. S. 347 f.

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zustand“ sollte dabei zwar in erster Linie die reibungslose Mobilmachung gewährleisten  ; in dem Bewusstsein, dass der Krieg erhebliche Veränderungen für die gesamte Gesellschaft bringen würde, die dazu erforderlichen Maßnahmen durch den Verweis auf ihren außeralltäglichen und zeitlich begrenzten Charakter jedoch zugleich auch legitimieren. Denn abgesehen davon, dass sich die in bürgerlichen Kreisen artikulierte ‚Kriegseuphorie‘ vielfach gar nicht auf den Krieg als solchen, sondern  – im Sinne einer aus dem Krisenbewusstsein der Vorkriegszeit resultierenden apokalyptischen Deutung – auf seine ihm prospektiv zugeschriebene gesellschaftliche Erneuerung bezog, waren die gesellschaftlichen Stimmungslagen durchaus wechselhaft und es überwogen bis Ende Juli noch primär Skepsis, Angst, Ratlosigkeit und Neugier.71 Erst mit dem offiziellen Beginn der Mobilmachung und den ersten konkreten Mobilisierungsmaßnahmen wurde der Krieg dann auch gesellschaftlich stärker als eine eigene Zeit-Ordnung wahrgenommen, die spätestens mit offiziellen Kriegserklärungen und ersten Grenzüberschreitungen Einzug in zeitgenössische (Kriegs-)Tagebücher fand.72 Während viele soldatische Kriegstagebücher sogar erst mit dem Auszug an die Front einsetzen und die Kriegszeit primär biografisch, mit den ersten Handlungen als Soldat parallelisieren, versucht man sich in der Heimat stärker an den staatlichen Bekanntmachungen zu orientieren, auch wenn man durch diese anfangs noch recht verunsichert ist. So notiert das zwölfjährige Mädchen Elfriede Kuhr zwar schon am 1. August 1914  : „Ab heute befindet sich Deutschland im Krieg“,73 doch sie kann sich darunter zunächst nicht besonders viel vorstellen  : „Wir haben keine Ahnung, wie der Krieg sein wird. In der Stadt sind alle Häuser beflaggt, als feierten wir ein Fest.“74 Verwirrt stellt sie dann fest  : Ich kann nicht begreifen, daß der Krieg angefangen haben soll und wir nichts davon gemerkt haben. Ich hatte geglaubt, es würde sich alles ändern. Aber es ist ganz anders. Wir essen weiße Brötchen und gutes Fleisch und gehen spazieren, als wäre nichts geschehen.

71 Bruendel, Ideologien, S. 285 f. 72 Zum Tagebuch als Zeit-Medium sei insbesondere auf Dusini, Tagebuch, verwiesen. Spezifischer zur Tagebuchpraxis im Ersten Weltkrieg siehe Knoch, Zeiterfahrung  ; Mertelseder/Wisthaler, Soldat und Offizier  ; Mischner, Tagebuchschreiben. Vgl. grundlegend auch Steuwer/Graf, Selbstreflexionen und Weltdeutungen. 73 Mihaly, Kriegstagebuch, S. 13. 74 Ebd., S. 14. Ähnlich auch ein anonymes Tagebuch von einem Mädchen aus Karlsruhe, das am 1.8.1914 schreibt  : „Wir können uns noch gar nicht vorstellen, was es bedeutet Weltkrieg zu werden [sic  !]. Denn dass ganz Europa unter Waffen tritt ist keine Frage. […] Ich kann es nicht glauben, kann es mir nicht vorstellen […] was heißt es Krieg […] Gott sei mit uns, wir Menschen können nichts mehr machen.“ Vgl. Deutsches Tagebucharchiv Emmendingen (= DTA) 1704, Eintrag vom 1.8.1914.

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[…] Ich möchte dort sein, wo Krieg ist, um zu wissen, wie er ist. Es ist doch noch gar nicht richtig Krieg, denke ich. Oder doch  ?75

Obwohl sie ausführlich über die kriegsbedingten Veränderungen im Alltag ihres Heimatortes berichtet – darunter die Verhaftung von Spionen und die ersten Truppentransporte – schließt sie dennoch erst am 4. August, als offizielle Depeschen über Grenzüberschreitungen berichten, dass nun „also wirklich Krieg [ist]“.76 Es zeigt sich an diesem Beispiel deshalb sehr deutlich, dass nicht zuletzt auch die zeitgenössische Erwartung einer besonderen Kriegszeit maßgeblich dazu beitrug, die Erfahrung als solche überhaupt erst zu konstruieren. Man war überzeugt, dass sich die Kriegszeit deutlich vom Frieden unterscheiden wird, auch wenn man anfangs nicht genau wusste, worin diese Andersartigkeit nun eigentlich bestand. Lässt sich im Hinblick auf den Beginn des Ersten Weltkrieges somit einerseits argumentieren, dass die öffentlichen Bekanntmachungen die zeitgenössische Wahrnehmung insofern strukturierten, als sie die Spannung einer zuvor als unsicher und bedrohlich empfundenen Situation auflösten und mit der offiziellen Erklärung des Kriegszustandes in einen gemeinsamen Bezugspunkt überführten, versuchten sich die Menschen andererseits auch selbst (neu) zu orientieren und partizipierten damit ihrerseits an einer „Synchronisation der Wahrnehmung“,77 die eben gerade auch das Zeitverständnis betraf. Dies bezog sich nicht zuletzt auch wesentlich auf den historischen Zeitrahmen, in dem der Krieg erwartet und verortet wurde. Denn viele Zeitgenossen verstanden ihn als einen zentralen Wendepunkt der Geschichte  – und obwohl die Auslegung und Deutung dieser Geschichte je nach Kontext und Staat deutlich variierte, wurde der Krieg doch insgesamt von Anfang an als ein existentieller Kampf um das Dasein der Nationen interpretiert.78 Historische Analogien wurden daher nicht nur dazu benutzt, dem Krieg eine spezifische Bedeutung beizumessen oder sogar dessen Ergebnis vorherzusagen, sondern sie dienten letztlich auch dazu, das eigene Handeln sinnhaft in den Kontext der Geschichte zu integrieren und damit historische und biografische Zeiterfahrungen (wieder) einander anzunähern. So konstatiert auch der Soldat Hans Stenger rückblickend  : Es ist doch eine Zeit jetzt  ! [Und] wenn man auch darunter zu leiden hat, gerade in die Kriegszeit gestellt zu sein, für jeden, bes[onders] aber, wenn man historisch interessiert

75 Ebd., S. 16. 76 Ebd., S. 23. 77 Bruendel, Ideologien, S. 286. 78 Vgl. Neitzel, Weltmacht oder Untergang.

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ist, ists doch was Grosses, das alles mitzuerleben. Wir rechneten nicht die Stunden, Tage, Monde, zählten nicht die Jahre u[nd] warteten im lehmigen Trichter, bis die grosse Stunde der Aufersteh[ung] gek[ommen] ist. Die grosse deutsche Stunde hat geschlagen.79

Zeit der Heimat – Zeit der Front: Temporale Relationen in einem industrialisierten Krieg Doch je mehr sich der Krieg zu einem zermürbenden und verlustreichen Stellungskrieg entwickelte, desto stärker wurden individuelle Sinnstiftungsversuche durch die verschiedenen Zeitwahrnehmungen und Zeiterfahrungen der industrialisierten Kriegsführung überlagert, die sich nachhaltig auf das Leben der Soldaten auswirkten, aber ebenso auch das gesellschaftliche Leben veränderten.80 Das galt zwar grundsätzlich für alle involvierten Armeen, da die Ausweitung der Schlachtfelder und Kampfmittel einen ganz neuen Grad an zeitlicher und räumlicher Koordination erforderlich machten, in besonderer Weise aber für den deutschen Generalstab, der dem Faktor Zeit gerade deshalb einen besonderen Stellenwert beimaß, weil er für die Umsetzung des sogenannten Schlieffen-Plans zu Kriegsbeginn die ausschlaggebende Rolle spielte.81 Dessen Logik beruhte neben allgemeinen Prognosen über den Kriegsverlauf primär auf der zeitlichen Abwägung eigener wie gegnerischer Mobilisierungs- und Aufmarschpläne und sollte bei erfolgreicher Umsetzung einen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland verhindern. Durch sein Scheitern veränderte sich die militärische Kriegsführung deshalb auch nochmal ganz entscheidend und es etablierte sich eine neue Logik, innerhalb derer die auf längerfristigen Planungen basierende, räumlich-zeitliche Koordination von Truppen und Material über kurzfristige Maßnahmen, wie sie noch in den ersten Kriegsmonaten getroffen wurden, dominierte.82 Dieser Wandel wurde von Ulrich Raulff auch als ein Übergang von einem Raum- zu einem Zeit-Krieg bezeichnet, da temporale Aspekte fortan auf allen Ebenen der Kriegsführung eine vollkommen neue Relevanz erhielten, die aus dem Bewusstsein resultierte, den Krieg aufgrund begrenzter menschlicher und materieller Ressourcen nicht ewig führen zu können.83 Konsequenz dessen war nicht nur die akribische und minutiöse Planung von Großoffensiven in einem sogenannten „Time79 DTA 445, Eintrag vom 21. April 1918. 80 Einen guten Überblick mit weiterführenden Literaturangaben bietet Jahr/Kaufmann, Krieg führen. 81 Leonhard, Büchse der Pandora, S. 106–108. Siehe grundlegend auch Ehlert/Epkenhans/Groß, Schlieffenplan, und in internationaler Perspektive Hamilton, War Planning. 82 Jahr/Kaufmann, Krieg führen, S. 187–189. 83 Raulff, Zeitkonzepte, S. 33.

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table War“84, sondern auch ein sich über den Verlauf des Krieges erstreckender Wandel der Gewaltpraktiken, der sich u. a. in dem Bestreben äußerte, durch eine immer höhere Geschossintensität auf begrenztem Raum kriegsentscheidende Frontdurchbrüche zu erzwingen.85 In (Kriegs-)Tagebüchern finden sich aber nicht nur Aussagen darüber, in welchen zeitlichen Strukturen die Gewalt eines Krieges abläuft, ausgeübt und erlitten wird,86 sondern neben Erfahrungen der Beschleunigung und Stagnation, der Monotonie und Langeweile sowie der Zeitlosigkeit und Kontingenz bieten sie auch Einblicke in die Planung und Konzeptualisierung von Lebenszeiten und in ganz unterschiedliche Reflexionen über das Verhältnis von anwesenden und abwesenden Zeiten. Letztere umfassen dabei natürlich vor allem sehnsüchtige Erinnerungen an die Vergangenheit und hoffnungsvolle Imagination einer friedlichen Zukunft, sie konnten darüber hinaus aber auch auf die Empfindung einer durch den Krieg bewirkten, endlosen Gegenwart verweisen.87 Zudem spiegelt sich das Verhältnis von anwesenden und abwesenden Zeiten nicht zuletzt auch in einer Vielzahl binärer Unterscheidungen, die vor allem in der Differenzierung zwischen einer Zeit der Heimat und einer Zeit der Front zum Ausdruck kam. Denn je mehr sich die Kriegszeit selbst als ein eigenes „Zeitregime“88 etablierte, an dem sich das politische und soziale Handeln bemaß, desto mehr wurde der einstige Ausnahmezustand zur Regel und damit die Zeit des Krieges zur eigentlichen Wirklichkeit. In der Folge beschrieben viele Soldaten die Zeit, die sie in der Heimat verbrachten und mit Frieden assoziierten, nicht nur zunehmend als unwirklich, traumhaft und merkwürdig entrückt, sondern umgekehrt stellte sich nun für sie gerade die Zeit in der Heimat als eine befristete Ausnahmesituation dar, die keinen Bezug zur soldatischen Realität besaß.89 Die Zeit 84 Van Creveld, Command in War, S. 155–167. 85 Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. 86 Vgl. dazu Sofsky, Gewaltzeit, S. 102–104. 87 Stephen Kern zufolge ist Zeit für die Soldaten im Schützengraben „a seemingly endless flux, a composition in time that had neither a beginning nor an end“. Vgl. ebd., Culture of Time and Space, S. 290 und Mischner, Zeitregime des Krieges, S. 75. Ähnlich bemerkt der Leutnant Wilhelm Egly am 23.8.1917 in seinem Tagebuch  : „Vor drei Jahren bin ich Soldat geworden. Drei Jahre rauher Wirklichkeit, die […] vorübergezogen und verebbt sind im unendlichen, ewigen Meer der Zeit. Man verliert den Sinn für zeitliche Entfernungen, die ohne Grenzen zu sein scheinen. Nur die Tage, an denen der […] Tod […] vorüberging und uns nicht berührte […] bedeuten Marksteine in der Flucht der Jahre.“ Vgl. Weckerling, Kriegstagebuch, S. 108 f. 88 Vgl. Mischner, Zeitregime des Krieges, S.  76, die darunter in Anlehnung an Martin Sabrow die dominante Zeitorientierung versteht, die dem politischen und sozialen Handeln in einem bestimmten politischen System oder in einer bestimmten Zeitphase zugrunde liegt. 89 So schreibt der Soldat Hermann Möller 1916 nach seinem Heimaturlaub an seine Eltern  : „Lange werde ich wohl noch der schönen Tage gedenken, die ich nach so langen Entbehrungen wieder im Elternhause verlebte. Aber es war eben nur ein Traum.“ Und noch expliziter konstatiert Gottlieb  F. nach

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der Front war folglich nicht nur explizit eine andere als die Zeit (in) der Heimat, sondern für Soldaten war sie gemeinhin auch die eigentliche Zeit des Krieges. Bezieht man am Beispiel der soldatischen Ehefrau auch die Perspektive der Heimatfront mit ein, so fällt zunächst auf, dass im Hinblick auf die zeitlichen Bezüge von Front und Heimat viele Parallelitäten und wechselseitige Bezüge existierten.90 Das ist natürlich insofern nicht verwunderlich, als gerade die zwischen Liebespaaren ausgetauschten Erinnerungen an vergangene Erlebnisse und Träume von einer gemeinsamen Zukunft nicht unwesentlich dazu beitrugen, die kriegsbedingte Trennung erträglicher zu machen. Neben Kriegsereignissen waren deshalb vor allem Geburtstage, Hochzeitstage und religiöse Feiertage immer wieder ein wichtiger Anlass, sich zeitlich miteinander zu synchronisieren und so das gegenseitige Vertrauen ineinander zu festigen. Zudem dienten sie nicht zuletzt auch dazu, das ungewisse Warten auf den Frieden in kleinere Zeitintervalle zu unterteilen, an deren Ende man sich dann jeweils auch das Ende des Krieges erhoffte. Davon abgesehen versuchte man die gravierende Diskrepanz zwischen dem auf Dauer gesetzten Kriegszustand und der ursprünglichen Vorstellung, dass es sich dabei nur um eine vorübergehende Ausnahmesituation handele, aber auch durch stark idealisierende Bezüge auf die gemeinsame Vergangenheit und Zukunft zu relativieren. Besonders deutlich wird dies in einer Briefkorrespondenz des Ehepaars Anna und Lorenz Treplin, die sich neben ihrer Dichte vor allem durch die weitgehende Vollständigkeit ihrer Überlieferung auszeichnet.91 So schreibt Lorenz anlässlich ihres Geburtstages an Anna  : Du sollst mal sehen, wie vergnügt wir Deinen Geburtstag feiern wollen, wenn ich nun erst wieder da bin  ! Und weisst Du, das uns jetzt so märchenhaft weit entrückt scheinende Glück unsrer schönen Sahlenburger Jahre wird nach Erledigung dieser endlosen Kriegszeit und Getrenntheit, erst recht für uns wiederkommen, wenn wir erst wieder zusammen uns Hamburg erobern  ! Weisst Du, wenn mich die Wut über den jetzigen Zustand zuweilen packt, dann suche ich mir vorzustellen, wie es sein wird, wenn wir erst wieder ganz zusammen sind. Und dann erscheint mir dieses nun gar nicht mehr so ferne Zukunftsbild ebenso rosig und schön wie die verschwundene und so urplötzlich in die Versenkung getauchte fast sagenhaft gewordene schöne Sahlenburger Zeit.92

seiner Rückkehr an die Front  : „Gewaltsam muss ich mich erst wieder an die Wirklichkeit gewöhnen, aber es muss sein.“ Vgl. Asoronye, Feldpost, S. 140 und DTA 2594, Eintrag vom 23.10.1918. 90 Vgl. Hämmerle, Entzweite Beziehungen, S. 245 f. 91 Gudehus-Schomerus/Recker/Riverein, Kriegsbriefe. 92 Ebd., S. 541 (Brief vom 26.10.1916).

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Hier wird offensichtlich, dass die Zukunft ein wichtiger Möglichkeitsraum war, der mit einer Vielzahl an persönlichen Hoffnungen und Träumen ausgestaltet werden konnte. Wie Aribert Reimann jedoch überzeugend herausgestellt hat, wurden diese privaten Zukunftsbezüge dabei überdurchschnittlich oft als eine idealisierte „Wiederbelebung der Vergangenheit“93 artikuliert. Vor dem Hintergrund der biografischen Verlusterfahrung entstand auf diese Weise die Vorstellung einer neuen Zeitstruktur, die der verlorenen Gegenwart nach dem Krieg eine noch viel glücklichere Zukunft entgegensetzen würde, die wie selbstverständlich die Züge der Vergangenheit annahm und eine ‚Entschädigung‘ für die Belastungen versprach, die das eigene Schicksal zu erschüttern drohten. Denn je unerträglicher die eigene Situation wahrgenommen wurde, desto wichtiger schien es nicht nur, die gemeinsame Zukunft nicht aus der Logik des Krieges selbst abzuleiten, die als solche immer die realistische Möglichkeit von Verlust und Tod eingeschlossen hätte, sondern auch den Krieg selbst zu einem glückverheißenden Element der partnerschaftlichen Geschichte umzudeuten.94 In dem Sinne schreibt dann auch der Soldat Wilhelm Schwalbe schon 1914 an seine Frau  : „Mein Glück  ! […] Könnte ich doch nur eine Stunde bei dir sein. – Wie glücklich würden wir sein. Aber wie glücklich werden wir sein, wenn wir uns wieder haben – ganz und für immer haben. – Das soll unser Trost in dieser Zeit der Trennung sein.“95 Solchen Synchronisationseffekten standen jedoch auch zahlreiche Beispiele gegenüber, in denen Front und Heimat ganz unterschiedliche Zeiterfahrungen und Zeitdeutungen aufwiesen und damit Prozessen der De-Synchronisierung unterlagen, die von allen Beteiligten sehr bewusst wahrgenommen worden sind. So schreibt der Offizier Richard Piltz 1915 in sein Tagebuch  : Erhielt von Loni die verwunderte Anfrage, weshalb ich am 29/11 ihren Geburtstag gefeiert habe. – Sehr einfach  : ich hatte ihren halbjährigen Geburtstag feiern wollen, mich aber trotz mehrmaligem nachschauen um einen Monat verzählt. […] Auf die Richtigkeit im Kopfrechnen scheint der Weltkrieg keinen guten Einfluß auszuüben. In Zukunft werde ich das Feiern von halben Geburtstagen vorsichtshalber unterlassen.96

93 Reimann, Krieg der Sprachen, S. 248. 94 Relativierend sei jedoch angemerkt, dass enttäuschte Hoffnungen hier auch einen gegenteiligen Effekt erzielen konnten. 95 DTA 1577, Eintrag vom 3.9.1914. 96 DTA 3155, Eintrag vom 7.12.1915.

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Die größten Differenzen entstanden diesbezüglich jedoch vor allem anlässlich der zu erwartenden Dauer des Krieges, bei der besonders soldatische Einschätzungen eines mehr oder weniger absehbaren Kriegsendes wiederholt mit heimatlicher Skepsis und Kritik kollidierten. Denn während etwa Anna Treplin schon sehr früh begann, sich zunehmend an Kriegsjahren zu orientieren, war ihr Mann stets davon überzeugt, dass es nur (noch) eine kurze Zeitspanne bis zum entscheidenden militärischen Durchbruch dauern könne. Deshalb schreibt Anna ihm dann 1916 auch recht verärgert  : „[…] wenn es ja auch sehr nett von Dir ist, so konsequent an das uns seit 2 Jahren bekannte nahe Kriegsende zu glauben (wenigstens vergeblich  !), so hat es nach meiner Ansicht nicht den geringsten Zweck, sich darüber irgend Illusionen zu machen.“97 Und auch in dem Tagebuch einer unbekannt gebliebenen Freifrau von W. finden sich schon 1915 die nicht minder sarkastischen Einträge  : Siegfried sagt, im Dezember wäre der Krieg aus, ich glaube es nie und nimmer […]. Er glaubte es schon ungefähr vorige Weihnachten, bestimmt Ostern, dann Pfingsten  ; ja, Schätzchen, wir wollen mal sehen. Das Wort Weihnachten erweckt mir schon Schauder, denn allein sind wir wieder, das glaube ich bestimmt. […] Wie kann nur ein Mensch so optimistisch sein  !98

Selbstverständlich gab es auch viele Soldaten, die nicht wirklich an ein absehbares Ende des Krieges glaubten und die Kriegszeit als eine trostlose Gegenwart erlebten, die alle zeitlichen Bezugnahmen auf Vergangenheit und Zukunft obsolet erscheinen ließ. Während in der Forschung diesbezüglich jedoch primär betont wurde, dass Soldaten durch Heimaturlaube und den kommunikativen Austausch mit der Heimat immer wieder Möglichkeiten besaßen, sich mit der ‚normalen‘ Zeit des zivilen Lebens zu synchronisieren, um solche Empfindungen zu durchbrechen,99 möchte ich stattdessen auf die Grenzen solcher Synchronisationsprozesse verweisen, die oft ein einseitiges Bild der Heimat zeichnen. Denn ganz ähnlich zu den Fronterlebnissen der Soldaten kam es bisweilen auch in der Heimat zu einer starken Gegenwartsbetonung und damit zu einer temporalen Perspektive, die nahezu ausschließlich auf den Krieg beschränkt blieb.100 Da das Zeitregime des Krieges folglich auch in der H ­ eimat  97 Gudehus-Schomerus/Recker/Riverein, Kriegsbriefe, S. 37 (Brief vom 3.9.1916).  98 DTA 2268, Einträge vom 21.9.1915, 23.10.1915 und 5.12.1915.  99 Vgl. insbesondere Jagielski, Modifications. 100 Zudem beeinflusste der Krieg hier auch die institutionalisierten Zeitrhythmen und erforderte daher auch an der Heimatfront eine Anpassung gewohnter Verhaltensmuster, die nicht überall reibungslos vonstattenging und nachhaltigen Einfluss auf das gesamtgesellschaftliche Leben besaß. Das beste Beispiel ist die 1916 eingeführte Sommerzeit, die zusammen mit weiteren staatlichen Maßnahmen

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nicht nur alternative Zeitbezüge verdrängen konnte, sondern in seiner Dauer für viele nicht absehbar war, stellte sich auch dort bisweilen ein Gefühl von Zeitlosigkeit ein, das Roger Chickering treffend als eine „Monotonie der Entbehrungen“101 umschrieben hat. Es fand seine Artikulation auch hier in dem Gefühl, von Vergangenheit und Zukunft abgeschnitten zu sein und die Fähigkeit zur Konzeptionalisierung der eigenen Lebenszeit zu verlieren. Dies zeigt sich ebenfalls besonders deutlich in der Korrespondenz zwischen Anna und Lorenz Treplin, denn während es hier gerade Lorenz ist, der die negativ empfundene Gegenwart durch idealisierende Bezüge auf die gemeinsame Vergangenheit und Zukunft relativieren kann, findet Anna für sich keine Möglichkeit, das Gefühl einer temporalen Entfremdung in irgendeiner Form zu kompensieren. So schreibt sie dann auch  : „[…], gab es auch einmal eine Zeit, in der wir friedlich und vergnügt zusammen lebten  ? Bald glaubt man es sich selbst nicht mehr.“102 Der Krieg war für Anna ein quälender und lähmender Zustand, der sie subjektiv aller Handlungsspielräume beraubte und den sie deshalb als verlorene Lebenszeit deutete. Das ‚wirkliche Leben‘ blieb für sie deshalb auf die unmittelbare Vorkriegszeit beschränkt.103 Zivile Kriegstagebücher und zwischen (Ehe-)Paaren ausgetauschte Feldpostbriefe verweisen damit nicht nur einschränkend auf die Grenzen temporaler Synchronisationsprozesse, sondern sie verdeutlichen auch, dass die Gewalt des Ersten Weltkrieges nicht bloß auf das Töten und Sterben an der Front beschränkt bleiben darf. Denn während Tagebücher und Kriegschroniken von Kindern eindrückliche Belege für den Eingriff des Krieges in gesellschaftliche Vorstellungen von Kindheit sind,104 aber auch in besonderer Weise die Kriegszeit selbst reflektieren, war es in der Heimat nicht nur das Warten auf Post, das sich durch die Angst vor einer Todesnachricht zu einem unsäglichen Leiden steigern konnte, sondern darüber

den Verbrauch knapper Ressourcen senken sollte. Obwohl es zu Beginn durchaus Widerstände gegen die Zeitumstellung gab, akzeptierten die meisten Menschen diese Veränderung als eine notwendige Kriegsmaßnahme. Anders sah es mit der staatlichen Beschlagnahmung und Einschmelzung von Kirchenglocken aus, denn diese hatten als religiöse Objekte nicht nur liturgische Funktionen, sondern waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ländlichen Regionen auch nach wie vor noch der wesentliche temporale Bezugspunkt von Dorfgemeinden. Sie strukturierten und synchronisierten Tagesabläufe, in der akustischen Verkündung von Geburten, Hochzeiten, Festzeiten und Todesfällen wirkten sie aber auch sozial integrativ und stifteten Gemeinschaft. Vgl. Prerau, Daylight Saving Time, und Corbin, Sprache der Glocken. 101 Chickering, Freiburg im Ersten Weltkrieg, S. 281. 102 Gudehus-Schomerus/Recker/Riverein, Kriegsbriefe, S. 83 (Brief vom 16.9.1914). 103 Vgl. ebd., S. 282 (Brief vom 13.5.1915). 104 Vgl. Stekl, Kindheit.

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hinaus auch das Datum,105 oft sogar die genaue Stunde106 der kriegsbedingten Trennung, die für zahlreiche Frauen ein regelrechtes Martyrium bedeutete, das sich in zyklischen Abständen wiederholte – und für viele nicht zuletzt zur Vorahnung einer grausamen Realität wurde. Abschließend bleibt deshalb festzuhalten, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Zeiterfahrungen, Zeitordnungen und Zeitdeutungen, die im Kontext des Ersten Weltkrieg stehen, nicht nur neue Perspektiven für dessen vergleichende Erforschung bietet, sondern auch die übergreifende Ambition der historischen Akteure verdeutlicht, sich innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen eines tief in ihren Alltag eingreifenden Krieges gerade auch zeitlich (neu) zu verorten.

Quellen Aus der Sammlung des Deutschen Tagebucharchivs Emmendingen  : DTA 445  : Hans Stenger. DTA 1577  : Wilhelm Schwalbe. DTA 1704  : Anonym. DTA 2268  : Anonym (Freifrau von W.) DTA 2594  : Gottlieb F. DTA 3155  : Richard Piltz.

Publizierte Quellen Asoronye, Susanne (Hg.). Feldpost eines Badischen Leib-Grenadiers 1914–1917. Königsbach-­ Stein  : Vianova Verlag, 2012. Gudehus-Schomerus, Heilwig et al. (Hg.). „Einmal muß doch das wirkliche Leben wieder kommen  !“. Die Kriegsbriefe von Anna und Lorenz Treplin 1914–1918. Paderborn [u. a.]  : Schöningh Verlag, 2010. Mihaly, Jo. …  da gibt’s ein Wiedersehen  ! Kriegstagebuch eines Mädchens 1914–1918. Freiburg i. Br./Heidelberg  : Kerle Verlag, 1982.

105 So schreibt etwa Anna Treplin am 2.8.1915 an Lorenz  : „Heut vorm Jahr fuhrst Du weg, und ich schrieb abends den ersten Brief, glücklicherweise ohne zu ahnen, wie viele ihm folgen würden  !“ Vgl. Gudehus-Schomerus/Recker/Riverein, Kriegsbriefe, S. 331. 106 Hier sei als Beispiel noch ein Tagebucheintrag der Freifrau aus W. angeführt, die ihren Kindern rückblickend schreibt  : „Als wir hereinkamen, war es gerade 10 Uhr  ; jeden Abend muß ich um diese Zeit an den Augenblick denken, wo es mir plötzlich klar wurde ‚noch eine Stunde‘. Meine geliebten Kinder, möchte Euch nie nie eine solche Abschiedsstunde beschieden sein  !“ Vgl. DTA 2268, Eintrag vom 6.8.1914.

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Michel Viegnes

Writing the History of the Future Epochs and Time Frames in Golden Age Science Fiction (H. G. Wells, W. Miller, C. Simak and I. Asimov) According to Darko Suvin, a pioneer in the theory of science fiction (SF) – a genre that emerged in the nineteenth century –, SF is based on the principle of ‘cognitive estrangement’, i.e. a different universe in which the reader can nonetheless recognize something of the contemporary world he lives in.1 For most people, this fictional world has to be situated in a more or less distant future, which is not quite accurate. Roger Bozzetto reminds us that the time frame of SF worlds is more subtle than such a simple linear projection  ; indeed these “possible worlds” may be set in “a parallel future, present or past”2. One of the earliest classics of SF, H. G. Wells’s War of the Worlds (1898) is set in contemporary Europe  ; so is Kurd Lasswitz’s novel Auf zwei Planeten (1897), whereas Another World (Un autre monde, 1895) by J. H. Rosny aîné, constructs a parallel space-time frame. The Belgian-born author, who is arguably the true inventor of what would later be called science fiction3, is also well-known for a series of prehistoric novels, the most prominent one being Quest for Fire (La Guerre du feu, 1911). Arthur C. Clarke’s 2001  : A Space Odyssey, though set in a relatively near future – less than forty years ahead of the year it was published – also begins in

1 Suvin, Metamorphoses of Science Fiction, p. 15. Marc Angenot, another theoretician of science fiction, builds on Suvin’s key concept, adding that “the reader’s cognitive effort shifts necessarily from the chain of syntagma to something outside the narrative discourse  : the semantic paradigms (thence the theoretical/practical models) which are supposed to make the discourse comprehensible.” (“l’activité cognitive du lecteur se déplace donc nécessairement de la succession syntagmatique à un ailleurs du discours   : les paradigmes sémantiques [et dès lors les modèles théorico-pratiques] qui sont censés conférer au discours son intelligibilité.” Angenot, “Le Paradigme absent”, p. 75, translation by the author). 2 “With a few images borrowed from contemporary science – images that are extrapolated or fictionalized, but not downright incompatible with the scientific context of their times, science fiction authors build ‘possible worlds’, that are situated in a parallel future, present or past.” (“Dans la SF, à partir de quelques images issues du savoir actuel, extrapolées ou imaginaires, mais non invraisemblables dans le contexte scientifique de l’époque, l’auteur construit des ‘mondes possibles’ situés dans des avenirs, des présents ou des passés parallèles.” Bozzetto, La Science-Fiction, p. 8, translation by the author). 3 The term was coined by Hugo Gernsback in 1929. Before that, one finds various terms such as ‘scientific romance’ (H. G. Wells), ‘anticipation novel’ or ‘hypothetical scientific fiction’ (Maurice Renard).

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prehistoric times, at the “dawn of humanity”4. Anyone who has seen Stanley Kubrick’s movie remembers how the bone hurled by one of the hominids is morphed into a spaceship  : perhaps the boldest fade-in in film history, one that illustrates how flexible the treatment of time can be in science fiction aesthetics. There is nothing arbitrary, however, about the various representations of time in this interdisciplinary genre  : the literary, filmic or graphic works of SF convey a meaningful meditation upon the concept of time itself, from a philosophical and historical standpoint, which will be briefly outlined in what follows. After a brief reminder of how central, if not radically new, the theme of time travelling is in SF, a distinction will be made between authors who set their fictions in a far-off future and others who, on the contrary, deal with a very near future. In both cases the future can be interpreted as a projection of contemporary potentialities. I shall then argue that the main question about time in SF is whether history can move forward – be it in a linear or dialectical way – or whether it is doomed to repeat itself, conveying the feeling that “our future is our past and our past is our future”5. Linked to this main question is the question of man’s ability to make sense of his own destiny. My thesis is that SF is fundamentally interested in the collective aspect of the human condition – the collective time frame called history and the collective fate of the species, which every individual bears within him- or herself.

Time Travellers From the outset, time is a major theme in ‘scientific romance’  : The Time Machine (1895) by H. G. Wells develops the hypothesis of travelling through what Einstein, a few years later, defined as the fourth dimension of a continuum whose basis consists of three-dimensional Euclidian space. Travelling into the future was not an entirely new concept, since the protagonist of Louis-Sébastien Mercier’s L’An 2240, published in 1771, awakens after a five-hundred-year sleep in a very different society, which corresponds far more to his Enlightenment dreams and yearnings. But the Rip van Wrinkle motif of the long sleep is only an awkward foreshadowing of ‘real’ time travelling, since this leap into the future is not reversible. The conundrums induced by such mental experi-

4 In fact, Clarke’s text is the novelisation of the scenario he co-authored with Kubrick for the classic 1968 movie, which entirely redefined the standards of SF cinema. However, Kubrick’s project stemmed from a short story entitled “Sentinel of Eternity”, which Clarke had first written in 1948 and published three years later. 5 Grayson, “‘Walter M. Miller, Jr.’ A Canticle for Leibowitz”, p. 160.

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ments – any intervention by a time traveller within a past context having a potentially devastating effect on his own original time frame – are a means to explore the paradoxes of free will, determinism and/or causality. Anton, the hero of Hard to be a God (1964) by the Soviet team of authors, the brothers Arkady and Boris Strugatsky, is not authorized to intervene in the affairs of the more primitive people he is ‘visiting’, lest it may trigger an even worse outcome for them, despite his best intentions6. Whether time travelling is made possible by some sort of technology or by drugs, as is the case in Michel Jeury’s Le Temps incertain (1962), where the so-called “chronolytic” drug enables one to manipulate time7, this theme is central to what Robert Heinlein and others prefer to call speculative fiction, a hybrid form of SF and the Enlightenment-style ‘philosophic tale’, represented in England and France by authors like Jonathan Swift and Voltaire. When actually set in a hypothetical future, whether it is distant or close to the present, science fiction scenarios do turn their readers or spectators into virtual time travellers, though not always for mere amusement or amazement.

The Future as Metaphor of the Present Although the sense of wonder is a basic element of the genre, these imaginary futures are also, in most cases, distorted mirrors of our present. Several specialists have insisted on this ‘temporal metaphor’, which is, as it were, the keystone of science fiction poetics. Richard Saint-Gelais sees these constructed futures as a hyperbolic mimesis of contemporary potentialities8, an idea already expressed by Heinlein in his 1947 essay On the Writing of Speculative Fiction. The American critic Fredric Jameson, in typically neo-Marxist fashion, sees fictional future as an elaborate tool for social criticism, insofar as it has an ‘objectifying effect’ on our actual present, which de facto 6 Although this is not exactly a voyage in time, but a variation thereof  : the hero is sent on a planet whose population is in a less advanced stage  ; still, he has the feeling of visiting his own cultural past. 7 Just as the “Spice” extracted from the sands of Arakis permits the Guild of Honest Merchants to “fold space”, in Frank Herbert’s Dune epic. 8 “As a future-oriented genre, science fiction can appear to be better suited to reflect on the present as it manifests itself to us – not as a point in a linear view of time, even less as a phase in a perpetual cyclical movement or the aftermath of a nostalgic past  ; but indeed as a set of mega-trends, each of which opens up a series of possible developments, whose principle is already at work in our society.” (“Genre tourné vers le futur, la science-fiction serait plus à même de réfléchir sur le présent tel qu’il nous apparaît désormais  : non pas un point simplement situé dans le temps, encore moins une phase d’un cycle indéfiniment parcouru ou l’après-coup d’un passé considéré avec nostalgie  ; mais bien comme un ensemble de lignes de force dont chacune ouvre sur une série de devenirs possibles dont le principe serait déjà à l’œuvre autour de nous.” De Saint-Gelais, L’Empire du Pseudo, p. 11, translation by the author).

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becomes a historical object, one we can consequently see from a critical distance, while it is extremely difficult to do so as long as we are intellectually and emotionally immersed in it – another interpretation of Darko Suvin’s cognitive estrangement.9 In order to fulfil this function, the future worlds have to be connected in one way or another to actual history. Authors create this connection through various strategies  : Eternal Adam, a posthumous novella by Jules Verne (where specialists have detected his son Michel’s hand) shows scientists in a distant future discovering the last remains of early twentieth-century civilisation, which a tectonic cataclysm has utterly destroyed, modifying the very shape of continents in the process. Another French author, Francis Carsac, much less famous in literature but considered at the time as a leading palaeontologist, harps playfully on this idea in “Premier Empire”, a short story published in 1960 and translated into several languages, including Russian. There again, archaeologists in a far-off future discover documents which they interpret as historical archives, proving that their ancestors had mastered the technology of space flights and had built an interstellar empire, before a catastrophic civil war caused their advanced civilization to regress, to a point where the different cosmic settlements lost any knowledge of one another. These ‘historical’ findings prompt a dazzling acceleration in space exploration, until these humans of the future begin to start colonizing other planets, thus founding a new “Empire” in cosmic space. But in the end they realize that these so-called archives were nothing but science fiction novels  : the “second Empire” turns out to be the first one ever … Both Verne (father and/or son) and Carsac invite their readers to meditate on the frailty of progress and civilization, which can suffer major setbacks on account of human folly or sheer natural forces. Michel Houellebecq, in a short critical essay, proposes that SF entered its mature age only after Hiroshima, when it became clear to everyone that the Apocalypse was no longer a purely mystical notion.10 But Carsac’s Voltairian tale has another, more optimistic side, suggesting that visionary imagination can fuel and stimulate scientific research.  9 Jameson, Archaeologies of the Future, 55–71. 10 “Is it still possible to write SF after Hiroshima  ? A simple look at the dates when important works were published is enough to answer ‘yes’. Yes, but it is not the same sort of SF  ; a different and clearly better kind, one must say. The basic optimism that pervaded pre-war SF was probably incompatible with the high tradition of the novel  ; this optimism was blown to pieces in just a few weeks after Hiroshima. This historical event was certainly an essential condition for SF literature to reach the status of canonical literature.” (“Peut-on écrire de la science-fiction après Hiroshima   ? En examinant les dates de publication, il semble bien que la réponse soit   : oui, mais pas la même   ; et des textes, il faut bien le dire, franchement meilleurs. Un optimisme de fond, probablement incompatible avec la littérature romanesque, s’est évaporé là, en l’espace de quelques semaines. Hiroshima était sans doute la condition nécessaire pour que la littérature de science-fiction puisse vraiment accéder au statut de littérature.” Houellebecq, “Sortir du XXème siècle”, in Lanzarote et autres textes, pp. 74–76, translation by the author).

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Fictional future can therefore be quite far from our referential present, yet still connected to it through some historical or ethnological element. In Arthur C. Clarke’s The Songs of Distant Earth (1986) the life of a happy human colony on a far-off planet, oblivious of its origins, is upset by the visit of fellow humans fleeing the Earth, doomed to be destroyed by a solar explosion. More dramatically, the Fremen people, who inhabit the deserts of planet Arakis in Frank Herbert’s famous Dune cycle are descendants of the Zensussi, a persecuted Moslem sect that had to emigrate ages ago through space and thus start a new Hegira. But the conflict between two powerful dynasties of this interplanetary Imperium intrudes into their frugal, contemplative way of life. Such fictions suggest the impossibility for humans to escape their own history, in which the pursuit of scientific knowledge is always intertwined with the Wille nach Macht. The sense of History as an intrinsically tragic Fatum was already conveyed in earlier SF landmarks. The famous 1933 novel by H. G. Wells, The Shape of Things to Come, which presents itself as the prophetic account of world history until the year 2106 and was adapted into a classic movie in 193611 may well have been meant as an optimistic utopia, yet its concept of an ‘enlightened’ ruling class that has the power to topple governments, delete national borders and forbid any form of religious practice is rather ambivalent in retrospect, to put it mildly. Granted, such drastic measures are envisaged as a remedy to historical disasters such as the deep economic depression that led to a devastating world war. Wells was not only writing as a former member of the Fabian Society but also as a man of his time who accurately foresaw the brutal outcome of the Great Depression – a clear demonstration that SF is first and foremost a reflection on the present, just as historians are bound to see the past through contemporary lenses, according to Benedetto Croce and others. The time frame of this ‘future History’ vein can exceed any conceivable boundaries, as is the case with another contemporaneous British writer, Olaf Stapledon, whose ‘novel’ – the generic status of this book is difficult to establish – Last and First Men. A Story of the Near and Far Future (1930), carries the reader two billion years into the future through a succession of aeons that encompass no less than eighteen post-human species. One of these ‘last men’ will try, in the 1932 sequel Last Men in London, to connect himself across the abyss of time to a ‘first man’ – a soldier during WWI – and inspire him with some pacifist wisdom, but to no avail. Such a far-reaching chronological perspective is not unique in the history of SF, but it does not always directly pertain to mankind  ; the unnamed creators of the strange monolith of 2001  : A Space Odyssey have evolved over a huge time span into a superior, non-bodily form 11 Directed by Cameron Menzies, with scenario and dialogues by Wells himself, which derived not only from his novel but also from a 1931 essay entitled The Work, Wealth and Happiness of Mankind.

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of intelligent life that has given itself the mission to ‘educate’ primitive species like our own. Still, most anticipation stories are set in a less distant future, and often in a dangerously close one. After the arguably optimistic prophecies of the so-called ‘Golden Age’ science fiction, post-WWII scenarios tend to depict dismal dystopian future societies, plagued by all the threats looming in the present  : ecological disaster in Harry Harrison’s novel Make Room  ! Make Room  ! (1966), which was adapted into a classic movie renamed Soylent Green (1973), or out-of-control demography in John Brunner’s Stand on Zanzibar (1968), describing a nightmarish, crowded chaotic world. The SF of the Sixties and Seventies is filled with such post-apocalyptic visions, all the scarier as they simply extrapolate clear, present dangers – a widespread trend epitomized in the title of a short story collection by the prolific French SF writer Jean-Pierre Andrevon, Cela se produira bientôt (This Will Happen Soon, 1971).

The Anxiety of Things to Come But again, the long-accepted view of an SF tradition evolving from utopian/uchronian to dystopian/dyschronian perspectives has been rightly questioned and revised. It appears indeed that from its very early stages science fiction has conveyed a deep sense of unease regarding the ambivalent promises of the future, even if WWII is undeniably a turning point, proving once again that “science without conscience is the ruin of the soul”, to echo the warning given by Rabelais at the height of the Renaissance. In the ‘post-apocalyptic’ subgenre, this principle comes to its tragic conclusion. Walter M. Miller, himself a pilot in WWII, has produced a masterly exemplum of the consequences of human hubris in A Canticle for Leibowitz (1960) which seemingly begins as a medieval chronicle. The reader is introduced to a monastic community, the Abbey of Saint Leibowitz, where the friars have discovered old manuscripts they interpret as the cryptic writings of a mystic. In fact, these are technological documents which have become undecipherable to the people of this obscurantist era, six centuries after the “great Flood of Flames”, i.e. a devastating nuclear conflict. As in Richard Matheson’s I Am Legend, where the disaster is a result of biological warfare, survivors have tried to avert the repetition of such destructive events by suppressing all remnants of their ancestors’ scientific knowledge, which they view as cursed and inherently dangerous. In the first part of Miller’s novel Fiat homo, these fears prove justified. In the following two parts, however, the world follows a course fairly similar to the ‘antediluvian’ one, and knowledge grows again, along with the philosophical experience of errors past, enhanced by a more enlightened religious faith. Nonethe-

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less, just as Wells’s utopian vision was haunted by subtle threats, the end of Miller’s novel seems to convey the rather fatalistic view that historical time is doomed to be a cyclical repetition of similar tragedies  : It was manifest destiny, they felt (and not for the first time) that such a race go forth to conquer stars. To conquer them several times, if need be, and certainly to make speeches about the conquest. But, too, it was inevitable that the race succumb again to the old maladies on new worlds, even as on Earth before, in the litany of life and in the special liturgy of Man.12

Still, Miller’s Christian faith introduces a sort of positive ambiguity in this tragic sense of time, insofar as humankind seems to be predestined to destroy itself but also to be saved, again and again. One can see in A Canticle for Leibowitz how the purely historical sense of time is blurred with a more religious notion of major eras following events of cosmic proportions referred to as “Floods”. This intrication of history and myth, cyclical and linear time is more deliberate in City by Clifford D. Simak, which is a ‘fix-up’, i.e. a collection of more or less independent short stories later unified within a frame-narrative. This major work of post-war SF can be seen as a parody of the Arabian Nights, The Canterbury Tales or even of the scholarly debates on ancient myths. It is presented as the written version of age-old dog tales that were transmitted from generation to generation. “Dog tales” are stories told by dogs to other dogs, for in this far-off future world humans have been replaced as rulers of the Earth by their one-time canine companions. Yet this is not a dark, violent fable like Pierre Boulle’s Planet of the Apes where what is left of mankind has been reduced to slavery by a race of intelligent apes. In Simak’s world, humans have surgically endowed dogs with the faculty of speech and have helped them evolve into highly intelligent beings, while their own kind emigrated to other planets or slipped into a slow, gradual extinction. In one of the short stories that became a chapter of this fix-up, the few humans remaining on Earth have regrouped in the city of Geneva, devoting their idle days to various hobbies and ending their life in a sort of artificially induced dream called “the big sleep”. The eight original stories are separated by a widening time gap  ; whereas the first three are dated with precision in a future history starting in 1980, the last ones are separated by several thousand years and lack any kind of historical, or even pseudo-historical references. This may ‘explain’ why the three dog-scholars commenting upon these stories within the frame narrative disagree on their degree of reliability. One of them even refuses to grant them any historical value, and sees these stories 12 Miller, A Canticle for Leibowitz, p. 243.

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as mere myths, constructed by past generations of dogs to account for the ascent of their species. According to him, humans are simply a race of gods in which their early ancestors used to believe, and whose disappearance, or “desertion” – to echo the title of one of the stories – mirrors the decline of faith itself. In a way, these last examples of ‘future history’ suggest that it is impossible to get any clues from the knowledge of the past or even the present for a prediction of the future. If Miller’s post-apocalyptic symphony reflects his Christian faith and hopes rather than any Hegelian projection of the human spirit, Simak’s opus is truly what Umberto Eco would call an ‘open work’ (opera aperta) defying any attempt to finalize its interpretation. As one character declares in chapter 7 (“Aesop”) there is no wisdom to be derived from the knowledge of the past, for time itself is an illusion, or rather the perpetual repetition of the same moment  : We thought all the time that we were passing through time when we really weren’t, when we never have. We’ve just been moving along with time. We said, there’s another second gone, there’s another minute and another hour and another day, when, as a matter of fact the second or the minute or the hour was never gone. It was the same one all the time. It had just moved along and we had moved with it.13

The extra chapter that this American author of Czech descent added in 1972, twenty years after the original publication of City, was perhaps designed to enhance this indeterminacy and absence of underlying philosophy of history.

Twilights and Cycles The case is different with another famous American writer of Slavic descent, Isaac Asimov, a well-trained scientist who adhered to a form of neo-Positivism, exemplified by a fictitious science called ‘psycho-history’, which is the epistemological paradigm of his cycles Foundation and Empire. Asimov is not the inventor, strictly speaking, of this concept. He found it in the works of a lesser-known writer, Nat Schachner. Schachner coined the term ‘psycho-history’ designating a prospective science based on so accurate an understanding of psychology and sociology – backed by statistical analysis – that it enables one to anticipate with a high degree of precision and certainty the corsi e recorsi of future history. For Asimov, such determinism does not lie outside the boundaries of verisimilitude  ; yet his faith in science seems to be more an 13 Simak, City, pp. 206–7.

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ideal than an actual conviction, for he also doubts the capacity of human nature to live up to this purely rational wisdom. Passionate commitment to any form of belief, be it religious or ideological, is for him the major bump on the road of history, the dark side of human nature that can stop linear progression and lead to stagnation or worse, to an obsessive collective psychosis imprisoning Time in sterile cycles of spiraloïd patterns. This waste of time – in the strongest sense of the term – is all the more tragic as for Asimov science is truly filia temporis, and progress in the understanding of nature demands a lot of perseverance  : Because great laws are not divined by flashes of inspiration, whatever you may think. It usually takes the combined work of a world full of scientists over a period of centuries. After Genovi 4 I discovered that Lagash rotated about the sun Alpha rather than vice versa – and that was four hundred years ago  – astronomers have been working. The complex motions of the six suns were recorded and analyzed and unwoven. Theory after theory was advanced and checked and counterchecked and modified and abandoned and revived and converted to something else. It was a devil of a job.14

This genuine fear is powerfully dramatized in Nightfall, a novella which first appeared in 1941 and was later included in the eponymous collection Nightfall and Other Stories in 1969. One can state without exaggeration that this millennialist drama constitutes Asimov’s foundational myth. The action takes place on Lagash, the unique planet orbiting in a six-star system, believed to be the only one in the universe. One sentence in the text suggests that the human inhabitants of Lagash descend from colonists from the Earth, but this original world has long been forgotten. The bizarre oddity of the six-star system is that every second millennium there occurs a total eclipse of Beta, the main sun, resulting in a phase of complete obscurity which causes such terror among the people that their civilization collapses into utter anarchy and chaos, to the extent that history has to start again from scratch. This self-destructive frenzy is nurtured by a religion relying essentially on haunting eschatological fears. The religious body designated as ‘the Cult’ has concentrated its dogmas in a Book of Revelations which states that only the true believers shall be saved when darkness falls on the lonely planet, thanks to a cohort of mysterious beings having the appearance of stars but who are spiritual entities. The story begins less than one hour before the total eclipse, as a team of astronomers is about to publish a rational explanation of all the phenomena this dogma is based upon. They have understood that the universe is far vaster than the closed rep14 Asimov, Nightfall and Other Stories, p. 21.

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resentation people have been taught to see through their flawed educational system – an illusion reinforced by the fact they are normally blinded by the light of their six suns, which does not allow for any real night, except during the bi-millennial eclipse. However, when darkness comes, even these ‘enlightened’ scientists fall prey to a collective hysteria on discovering a few moments later the awesome dazzling mass of stars in their sky, their system being located close to the hub of the galaxy. In this parable, Asimov imagines a world where no Copernician revolution can take place and which is caught within a cyclical fatality. The deep pessimism, which is only the dark side of his overall Weltanschauung can be partly explained by the biographical and historical contexts. Born in the Soviet Union of Jewish parents who emigrated to the USA in 1923, Asimov could not help being aware that even the brightest minds – in the USSR, America or Germany – were not immune to the worst ideological temptations, whose mythical structures are reminiscent indeed of millenarian fears and beliefs, as Norman Cohn, Mircea Eliade and others have convincingly shown15. Time is simultaneously the most self-evident and the most elusive concept. One remembers the famous paradox put forth by Saint Augustine in his Confessions  : “What, then, is time  ? If no one asks me, I know what it is. If I wish to explain it to him who asks me, I do not know” (XI, 14 § 17). The twin enigma of time and space holds a central position in the poetics and philosophic background of science fiction. This ‘genre’, for lack of a better word, is just as anthropocentric as any other, but its specificity lies in the fact that it considers the human condition in its collective dimension. SF deals with the human species as a whole, and any individual character stands for all of humankind, as it is confronted with the daunting questions about its becoming. One of these questions is whether the most ambitious expansion of knowledge and power through science and technology can give the human being control over time and space, or whether these two basic realities of existence will always remind him of his finitude. If one considers man as a historical being, science fiction writers ask whether there is any end to history, a point beyond which humankind may master the very fabric in which it is woven.

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Writing the History of the Future 

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3 GEWEBE UND DYNAMIKEN VON ERINNERUNGSNARRATIVEN

Rolf Fieguth

Ströme, Erinnerung, Imagination Flussgedichte bei Czesław Miłosz und Johannes Bobrowski1 Der aus Zentrallitauen stammende polnische Dichter Czesław Miłosz (1911–2004) und der im ehemals deutsch-litauischen Grenzland beidseits der Memel beheimatete deutsche Dichter Johannes Bobrowski (1917–1965)2 gehören in sehr unterschiedliche literarische Kontexte. Bobrowski wusste von Czesław Miłosz und sogar von dessen Verwandtem und Vorbild Oscar Venceslas de Lubicz-Milosz  ; ob der Pole den Deutschen wahrgenommen hat, ist wohl fraglich. Dennoch lassen sich mancherlei historische, literarische und sogar regionale Gemeinsamkeiten aufspüren. Beide sind Betroffene zweier Weltkriege und der mit ihnen verbundenen ideologischen und moralischen Katastrophen, namentlich auch als Exilanten3. Beide haben ausgeprägte philosophische und theologische Interessen und pflegen eine große Offenheit für die europäischen und nationalen Traditionen. Sie schaffen jeder seine Natur-, Landschafts- und Flusslyrik, die den konstruktiven Widerspruch sowohl zum Symbolismus als auch zu den progressiven Avantgarden gemeinsam hat. Sie haben sich ferner eine ‚paulinische‘, intensive Nostalgie nach ihren Herkunftsregionen erarbeitet, d. h. ihr Heimweh ist zugleich Verzicht auf Anspruch und Zorn. Bobrowskis Region ist der nördliche Teil, Miłoszs Sehnsuchtsland der mittlere Teil des Flusssystems der

1 Dem vorliegenden Essay gingen Beiträge zur Danziger Konferenz Czesława Miłosza „Północna strona“ (21.–22. März 2011) und zur Posener Konferenz Miłosz  : Wschód-Zachód, 26.–30.11.2011 voraus. Zitate werden (nur mit der Seitenzahl) nachgewiesen nach  : Czesław Miłosz, Wiersze wszystkie, Kraków 2011  ; Johannes Bobrowski, Gesammelte Werke. Bd.  1 Die Gedichte, Stuttgart 1987. Die deutschen Übersetzungen von Miłosz-Zitaten stammen vom Verf. – RF. Ein * bei einem Gedichttitel verweist auf den vollständigen Text im Anhang. 2 Zu Details der Biografie beider Dichter siehe Franaszek, Miłosz  ; Tgahrt, Johannes Bobrowski  ; Haufe, Erläuterungen der Gedichte. 3 Nach Jahren der Prominenz im polnischen Nachkriegsstaat emigriert Miłosz nach Frankreich (1951– 1960) und in die USA (1960–2000  ; US-Bürger 1970), wo er Anerkennung bei Dichterkollegen findet (Kenneth Rexroth, Robert Pinsky, Robert Hass  ; siehe auch Milosz, New and Collected Poems), namentlich nach dem Nobelpreis 1980, der auch in Polen seine literarische und politische Bedeutung bekräftigt  ; 2000 kehrt er endgültig nach Polen zurück. Der Ostpreuße Bobrowski nimmt nach Kriegsdienst und sowjetischer Gefangenschaft 1949 Wohnsitz in Ost-Berlin, gewinnt dank Kontakten zur Gruppe  47 (seit 1960), Buchpublikationen in beiden Teilen Deutschlands (ab 1961) und vielen gesamtdeutschen und internationalen Dichterfreundschaften allgemeinere Anerkennung.

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Memel (Nemunas, Nemona, Niemen). Die Erinnerung daran wird beiden zur unversieglichen Inspirationsquelle gerade auch da, wo ihre Gedichte auf weit größere Räume ausgreifen – meist auf „Sarmatien“ bei Bobrowski, oder auf Frankreich und den nordamerikanischen Kontinent bei Miłosz. Eine vergleichende Betrachtung ihrer Dichtungen soll allerdings nicht nur den Gemeinsamkeiten, sondern auch den erheblichen Unterschieden gerecht werden. Das Heimweh nach der Landschaft Zentrallitauens, dem Tal der Issa4, gehört von früh an zu den inspirierenden Energien von Miłoszs Poesie, denn seit 1922 war sein Schul- und Studienort Wilna vom neuen polnischen Staat annektiert und durch eine scharfe Grenze vom neuen Staat Litauen getrennt. Auch Bobrowskis eigenwilliges Heimatgefühl stand unter dem Eindruck der neuen Grenzziehung zwischen dem deutsch gebliebenen Ostpreußen und dem 1923 litauisch gewordenen Memelgebiet. Bobrowski war gebürtig aus Tilsit, das direkt an der neuen Grenze lag (und als Sovetsk weiterhin liegt), fühlte sich der pruzzischen und baltischen Vergangenheit der gesamten Region verpflichtet und verbrachte als Kind und Schüler viele Sommermonate bei den bäuerlichen Verwandten im litauischen Memelland (lit. Klaipėdos kraštas). Bei beiden Lyrikern lässt sich feststellen, dass sie gelegentlich ihr heimatliches Landschaftsthema auf kunstreiche Weise mit fernen Landschaften verbinden, aus Sehnsuchtslandschaften auch onirische Phantasielandschaften entstehen lassen sowie mehr oder weniger deutlich auch eine Verbindung zum Motiv der himmlischen Heimat des Menschen herstellen. Ein Thema, das uns bei den Kommentaren zu den Gedichten beider Lyriker wenigstens in Andeutungen beschäftigen wird, ist die prosodische Gestaltung. Sie stehen beide in einem Spannungsverhältnis zu den klassischen Verssystemen ihrer angestammten Literaturen. Seit Martin Opitz errang in Deutschland – wie zuvor in Holland und England, und später in Russland – das syllabotonische Verssystem mit obligatorischen Reimen eine Dominanz neben fortwirkenden anderen Versarten. Gegen diese Dominanz wirkten sich die Rückgriffe auf die Prosodie der altgriechischen Poesie (namentlich auf Pindar, aber auch auf Alkaios und Sappho) aus, die seit Friedrich Klopstock und später Goethe und Hölderlin5 in ein eigenes reimloses rhythmisches Idiom mündeten, das für Teile der modernen deutschen Poesie vorbildlich werden sollte, darunter für Bobrowski. In Polen war seit dem 16. Jahrhundert 4 Titel von Miłoszs „litauischem“ Kindheitsroman Dolina Issy, Paris 1955, dt. Übs. Maryla Reifenberg, Berlin 1957. „Issa“ ist ein Phantasiewort, das sich auf die vermutete etymologische Verwandtschaft zwischen europäischen Flussnamen Isar, Izère, Oise, Yzeron, Jizera, Aire, Yser, Issel, IJssel, Eisack, Isières u. a. bezieht (https://en.wikipedia.org/wiki/Old_European_hydronymy, letzter Zugriff  : 24.06.2019) und zugleich den realen Fluss Niewiaża/Nevėžis meint. 5 Siehe dazu Menninghaus, Hälfte des Lebens.

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der syllabische Vers das traditionelle System ähnlich der französischen und italienischen Dichtung, allerdings begann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts daneben auch das syllabotonische System eine bedeutende Rolle zu spielen. Prominente Dichter des 20. Jahrhunderts wie Julian Tuwim und Boleslaw Leśmian griffen häufig hierauf zurück6. Miłosz entwickelt ständig neu sein rhythmisches Idiom in enger Auseinandersetzung mit beiden Systemen, die er oft unterläuft und in Fragmenten zitiert  ; auch greift er auf antike Muster zurück, vor allem aber reizt er die Möglichkeiten des Bereichs zwischen Vers und Prosa aus. Wenngleich auf sehr verschiedene Weise, haben sich sowohl Czesław Miłosz als auch Johannes Bobrowski zu poetischen Fürsprechern des östlichen Europa erhoben. Bei Miłosz ist daraus neben seiner Lyrik der bemerkenswerte Essayband West und östliches Gelände7 entstanden, der die Idee einer kulturellen Gemeinschaftlichkeit auch geografisch weit voneinander entfernter europäischer Regionen befürwortet. Bobrowskis Lyrik ist von der Idee eines „sarmatischen Divans“ geleitet. Unter „Sarmatien“ verstand er „nach Ptolemäus das Gebiet zwischen Schwarzem Meer und Ostsee, zwischen Weichsel und der Linie Don–Mittlere Wolga. Ein Gebiet, aus dem ich stamme und in dem ich herumgekommen bin“8. In einem Brief an Hans Ricke vom 9.10.1956 schrieb er  : Ich will […] in einem großangelegten (wenigstens dem Umfang nach) Gedichtbuch gegenüberstellen  : Russen, Polen, Aisten samt Pruzzen, Kuren, Litauern, Juden  – meinen Deutschen. Dazu muß alles herhalten  : Landschaft, Lebensart, Vorstellungsweise, Lieder, Märchen, Sagen, Mythologisches, Geschichte, die großen Repräsentanten in Kunst und Dichtung und Historie. Es muß aber sichtbar werden am meisten  : die Rolle, die mein Volk dort bei den Völkern gespielt hat. Und so wird die Auseinandersetzung mit der jüngsten Zeit, für mich  : der Krieg der Nazis, einen wesentlichen und sicher den gewichtigsten Teil ausmachen. So werde ich in den Gedichten stehen, uniformiert und durchaus kenntlich. Das will ich  : eine große tragische Konstellation in der Geschichte auf meine Schultern nehmen, bescheiden und für mich, und das daran gestalten, was ich schaffe. Und das soll ein (unsichtbarer, vielleicht ganz nutzloser) Beitrag sein zur Tilgung einer unübersehbaren historischen Schuld meines Volkes, begangen eben an den Völkern des Ostens.9

6 Zum Syllabotonismus in Polen siehe Dłuska, Kuryś, Sylabotonizm. 7 Titel der deutschen Übersetzung (Maryla Reifenberg, Köln 1961) des Bandes Rodzinna Europa [Wörtlich  : Familien-Europa, heimatliches Europa], Paris 1959. 8 Haufe, „Bobrowskis Konzeption eines Sarmatischen Divan“. 9 Bobrowski, Briefe 1937–1965, S. 440–441.

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Als Formulierung der Grundidee seiner Lyrik bleiben diese Sätze gültig. Zu Beginn seien zwei Gedichte unserer Dichter über ihre Heimat- und Sehnsuchtsflüsse nebeneinandergestellt  : Bobrowskis „Die Jura“, und Miłoszs „W Szetejniach“/„In Szetejnie“. Aus „Die Jura“ werden Auszüge zitiert  : Die Jura* Deine Wasser hart vor dem Wald, unterströmig, voll der weißen Kälte der Quellen sommers. […]. In der Stille des jungen Tags im Beerengesträuch komm ich den Sandpfad. Mein Kahn folgt deinem Herzlaut, dem immer jähen Wassergeräusch unter der Kühle. […] Wer entzündet die späten Feuer des Jahres, wo der Strom, Nemona, geht, aus breiten Lungen schreit vor dem Eis, das herabfällt  ? Aus offenen Himmeln stürzt es, es fällt ein gelber Rauch vor ihm her. (9–10)

Im lyrischen Idiom ist der Autor ganz bei sich selbst. Durch die Schule der antiken Odendichter sowie Klopstocks und Hölderlins gegangen, ist er frei, Fragmente alter Metren neu zu mischen, und damit modern, trotz einer Nähe zum 18. Jahrhundert. Wesentlich ist das Motiv des Dichters, der sich in mehrfacher Weise mit seinem Fluss identifiziert  – als Fisch, als Kahnruderer und als alter Maler, der die baltisch-mythischen Ursprünge dieses Flusses wieder aufleben lässt, mit deutlichen Anklängen an vorchristliche pruzzische und litauische Götter-Vorstellungen  – aber auch als vom geliebten Fluss Entfernter, der in der letzten Strophe nicht nur die blitzende Wintersonne und das verheerende Eis beschwört, sondern auch die „aus offenen Himmeln“ auf das Gebiet niederfallende Katastrophe, die neuerlich vom deutschen

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Volk ausging10. Bobrowskis Gedicht entstand im fernen Berlin-Friedrichshagen am 15.12.1958, in einer Situation, die jede Rückkehr zu diesem Fluss ausschloss. Das anrührende Altersgedicht „In Szetejnie“ von Czesław Miłosz beschreibt demgegenüber die späte Wiederbegegnung eines vielfachen Exilanten (Zentralpolen, Frankreich, USA) mit seiner litauischen Kindesheimat Szetejnie und dem Fluss Niewiaża (lit. Nevėžis). Es ist in seinem ersten Teil auch eine Art Flussgedicht, das sich zugleich an die Mutter und an den Fluss richtet – das polnische Wort „rzeka“ für den Fluss ist weiblich. Wir zitieren den Beginn  : W Szetejniach

In Szetejnie

Ty byłaś mój początek i znów jestem z Tobą, tutaj gdzie nauczyłem się czterech stron świata.

Du warst mein Anfang und wieder bin ich bei Dir, hier wo ich die vier Himmelsrichtungen lernte.

Nisko za drzewami strona Rzeki, za mną i budynkami strona Lasu, na prawo strona Świętego Brodu, na lewo Kuźni i Promu.

Tief hinter den Bäumen geht’s Richtung Fluss, hinter mir und den Gebäuden Richtung Wald, rechts Richtung Heilige Furt, links nach Schmiede und Prahm.

Gdziekolwiek wędrowałem, po jakich kontynentach, zawsze twarzą byłem zwrócony do Rzeki.

Wo ich auch wanderte auf manch Kontinenten, immer stand ich mit dem Gesicht zum Fluss.

Czując aromat i smak rozgryzionej białoczerwonej soczystości ajeru.

Fühlte das Aroma und den Geschmack des weißroten Safts der Ackerwurz, die ich aufbiss.

Słysząc stare pogańskie pieśni żeńców wracających z pola, kiedy słońce pogodnych wieczorów dogasało za pagórkami.

Hörte die alten heidnischen Lieder der Schnitter, die zurückkamen vom Feld, wenn die Sonne der schönen Abende hinter den Hügeln langsam erlosch. …

… (1110)

In diesem Spätgedicht ist Miłosz in der prosodischen Gestaltung mit der Zeilenlänge am weitesten von seinen gesamten Flussgesängen gegangen. Die zwischen 23 und 39 Silben schwankenden Langzeilen enthalten die lyrische Prosa der Psalmenverse, „proza wersetowa“, und zerfallen rhythmisch in kleinere Einheiten, in denen sich tra10 Haufe, Erläuterungen der Gedichte, S. 22–23, erwähnt diese Assoziation nicht.

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ditionelle polnische Halbverse und Verszeilenformate wiederfinden, und selbstverständlich zahlreiche Anspielungen auf antike Versfüße und Versfußkombinationen. Das nächste Gedicht, das hier näher betrachtet werden soll, stammt aus Miłoszs Frühzeit (1936), trägt den Titel „Powolna rzeka“/„Langsamer Fluss“ und hat visionären oder Traumcharakter. Das umfangreiche Werk knüpft mehrfach an traditionelle polnische Zeilenlängen (meist 11- und 13-Silbler) an und variiert zwischen Reimverzicht, Assonanzen und ausgeprägten Reimpassagen. Es baut in die rhythmische Gestaltung zahlreiche Anklänge an zwei- und dreigliedrige antike Versfüße und ihre Kombinationen (darunter Adonius) ein, was den getragenen Ton und Stil des Texts unterstreicht. Geschildert wird in traumartigen Bildern ein von Sümpfen gesäumtes Flussgebiet an einer Bucht zur Zeit der nicht völlig dunkel werdenden Nächte. Am Höhepunkt einer Frühlingsseligkeit tritt ein Unbekannter auf, der dem Sprecher-Ich Herrschaft über die Natur in Aussicht stellt – die Herrschaft eines Dichters über seine Dichtung, aber auch Ruhm und soziale Macht eines Herrschers über die Zukunft. Diese an Faust-Motive erinnernde Szene wird fortgesetzt in Visionen revolutionären Schreckens  : Der Leichnam eines grauhaarigen Ausbeuters und Peinigers („okrutnik“) wird an der Uferallee „abgelegt“, eine Schülergruppe singt dazu ein grotesk paradoxes, halb begeistertes, halb tief skeptisches Lied. Aus Booten werden Leichen auf den Sand geworfen, auf den Dünen wird von den Mördern martialisch ein Marienhymnus gesungen. Angesichts dieser Schreckensvisionen zweifelt das Ich an der Welt, an sich selbst und an der in seine Hand gegebenen Herrschaft. Das Ende von „Powolna rzeka“/„Langsamer Fluss“* gemahnt von ferne an ein gereimtes Opernfinale  : Po trzykroć winno się obrócić koło

Dreimal muss sich drehen das Rad

ludzkich zaślepień, zanim ja bez lęku

menschlicher Verblendungen, eh ich furchtlos

spojrzę na władzę, śpiącą w moim ręku,

die Macht betrachte, die in meiner Hand schläft,

na wiosnę, niebo i morza, i ziemie.

den Frühling, den Himmel und die Meere, und die Lande.

Po trzykroć muszą zwyciężyć kłamliwi,

Dreimal müssen die Lügner siegen,

zanim się prawda wielka nie ożywi

ehe die große Wahrheit auflebt

i staną w blasku jakiejś jednej chwili

und ehe im Glanz eines einzigen Lidschlags erstehen

wiosna i niebo, i morza, i ziemie.

Frühling und Himmel, Meere und Lande.

(87–88)

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Es kann hier nur angedeutet werden, dass dieses visionär in eine nahe verheerende Zukunft blickende Gedicht dem polnischen Vorkriegskatastrophismus entspricht, der auf das Wirken der Bolschewiken im Osten und der Faschisten im Westen Polens reagiert11. In unserem Zusammenhang ist es als Wahrnehmungshintergrund für ein wenige Jahre später, aber in einer völlig veränderten historischen Situation entstandenes Flussgedicht von 1940 von Belang. Es handelt sich um „Rzeka“/„Fluss“, einen höchst eigenartigen, tragisch-satirischen Gesang auf Polens zentralen Fluss, die Weichsel, in der Periode der deutschen Okkupation. Der Text nimmt sich mit seinen zahlreichen Dreizehnsilblern12 und seiner trotz unreiner Reime erkennbaren Paarreimstruktur deutlich traditioneller aus als „Powolna rzeka“/„Langsamer Fluss“. Das hat unter anderem mit der „entlarvenden“ Verwendung der panegyrisch-klassizistischen Tonart des jüngeren Gedichts zu tun, die sich in den ersten fünf Zeilen geltend macht  : Rzeka*

Fluss

Wisło, rymem polotnym tyle opiewana,

Weichsel, mit hochfliegendem Reim vielbesungen,

W koliach lamp, w żagli kwiatach, uśmiechach i pianach,

Mit Lampionkolliers, Segelblumen, viel Lächeln und Schaum überhäuft,

Modrooka Wisełko  ! Ukaż się – prawdziwa.

Blauäugiges Weichslein  ! Zeig dich einmal, wie du bist.

Niech twoja woda żadnej goryczy nie zmywa

Damit dein Nass keine Bitterkeit herunterspült,

I pamięć niechaj da - nie zapomnienie.

Damit es Erinnerung spendet – und kein Vergessen.

(164)

Die alten panegyrischen Redefiguren sollen, so scheint es, mit einer Poetik der nüchternen, kritischen Wahrheit konfrontiert werden. Und in der Tat, wie mit Peitschenschlag hat der Blitz des Jahrhunderts („błysk stuleci jak chlaśnięcie biczem“) die Szene der Besatzungswirklichkeit erhellt  :

11 Ein polnisches Katastrophenbewusstsein der Zwischenkriegszeit drückt sich in Anknüpfung etwa an Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler in Teilen des Œuvres von Stanisław Ignacy Witkiewicz, Władysław Sebyła, Józef Czechowicz, des jungen Czesław Miłosz, und anderer aus. Vgl. auch Herlth, Auf schmalem Grat. 12 Ein traditionelles Zeilenformat der klassischen polnischen Poesie, ungefähres Äquivalent des italienischen oder französischen Alexandriners.

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Otośmy na ziemi

So sind wir auf der Erde,

Płaskiej, potratowanej. Widnokrąg zasnuty

Der flachen, getretenen. Der Horizont ist verhangen

Dymem czy ludzkim smutkiem. Wronich gromad nuty

Von Rauch oder menschlicher Trauer. Schreie von Krähenschwärmen

Ciągną się nad rżyskami i wozy wojenne

Ziehen über die Stoppelfelder, und Militärwagen

Warczą na pustej szosie. W okna ruin ciemne

Röcheln auf leerer Chaussee. In dunkle Ruinenfenster

Wiatr niesie piasek. Tylko z głośnym sykiem

Treibt Sand der Wind. Nur mit lautem Gezisch

Trze się o wiatr, krzycząca nieznanym językiem

Knirscht im Wind ihr Geschrei in fremder Sprache

Czerwono-czarna flaga. Cisza, wielka cisza,

Die rot-schwarze Fahne. Stille, große Stille,

(164)

Die „rot-schwarze Fahne“ ist die nationalsozialistische Reichkriegsflagge der deutschen Besatzer. Und etwas später wird eine erschreckend gefügig gemachte Häftlingsgruppe ins Bild gebracht. All diese wirklichkeitszeichnenden Verse heben sich durch eine eminente lyrische Konkretheit hervor, die durch eine Auswahl der Realitätsaspekte erzeugt wird  : statt des Krachens der Bomben der Sand, der in die dunklen Ruinenfenster fegt, statt des deutschen Gebrülls der Besatzer das kreischende Knattern ihrer schwarzroten Nazifahne – und später statt der Hiebe auf die Häftlinge die müde Hand des Befehlshabers, der den Ochsenziemer trägt. Aber zwischen diese Wirklichkeitsszenen wird auch eine prächtige Landschaftsschilderung eingeschoben – wie zur Ironie, doch zugleich wie zur Wahrung letzter Hoffnung  : Już wieczór. Pustkowiami sinymi dziewanny

Es ist nun Abend. Ödflächen deckend steigen

Schodzą na dół ku Wiśle. Chwiejące się bramy

Die Königskerzen zur Weichsel hinab. Die schwankenden Tore

Obłoków już otwarte na ogród lazuru.

Der Wolken stehen nun offen zum lasurblauen Garten.

Fala zaraz różowo przygaśnie do wtóru

Gleich wird rosa die Welle erlöschen zum Klang

Dymiącym słońca miedziom. Glosy się odezwą

Aus den rauchenden Kupfern der Sonne. Letzte Stimmen

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Ostatnie, pójdzie echo płaszczyzną bezbrzeżną,

Werden ertönen, ihr Echo über die randlose Ebene gehen,

Sznur dzikich gęsi z nieba hasło swoje nada

Eine Schnur wilder Gänse wird vom Himmel ihr Stichwort geben,

I w karłowatych sosnach, w jałowców osadach

Und in den Kümmerkiefern, in den Wacholdergebüschen

Noc powoli głębokie doliny wystrzyże.

Wird langsam die Nacht tiefe Täler ausschneiden.

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(164–165)

Hier, wie auch in anderen Passagen in diesem Gedicht, wird mit erhabenen lyrischen Redefiguren nicht gespart, und die korrekten Dreizehnsilbler schreiten feierlich in angedeuteten assonanzenförmigen Paarreimen einher, die in der Übersetzung ausfallen. Die Anklage gegen die grausamen deutschen Besatzer verbindet sich mit einer unübersehbar deutlichen Kritik an der jahrhundertelangen Unterdrückung, denn skandalöserweise ist die Weichsel schon immer Zeugin des nicht nur nationalen, sondern auch sozialen Unrechts. Man sieht hier ein paradoxes Bestreben, das Miłosz immer wieder beseelt. Er strebt sowohl nach dem Erfassen des einmaligen hic et nunc, des konkreten individuellen bedichteten Gegenstands, als auch nach der Fixierung seiner Zeitlosigkeit oder Überzeitlichkeit. Johannes Bobrowski arbeitet in seinen zahlreichen Landschaftsgedichten aus dem baltischen und russischen Raum mit Andeutungen und Verschlüsselungen. Dass das Kriegsgeschehen in seinen Flussgedichten häufig, ja fast regelmäßig präsent ist, erschließt sich oftmals erst bei intensiver Lektüre. Eine der Ausnahmen ist das Gedicht „Wetterzeichen“*, wo der Krieg mit geradezu expressionistischer Macht geschildert wird – hieraus die betreffenden Fragmente  : der Sommer kam mit Ermattungen, mit Blut in den Augen, zuckenden Schläfen, den Mund voll Rost, aber er führte die Hände meinem Fluss, der den Feuern geht im Schatten der Fische, im Schatten des Schilfs entgegen, im Schatten der Bäume –

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Flamme, flieg, die Küsten fahren einwärts ins Land, lautlos, wehend von Dünen, um das verlassene Meer sinken die Steine – Feuer, leg in den Sturm die Schwingen wie Rauch, er trägt vor den Wettern dich, vor der rasenden Stille, ehe die Himmel brechen, die siedenden Wetter, zerbrochen die Lüfte dann, auf dem Sand reglos der Fluss und der Hügel getroffen, (98–99)

Das Gedicht spricht ein völlig anderes poetisches Idiom als Miłoszs ironisch-klassizistisches „Fluss“-Gedicht  ; mit seinen kurzen, reimlosen freirhythmischen Zeilen und zahlreichen Enjambements unterscheidet es sich nicht auffällig von Bobrowskis sonstigen Gedichten, aber eine Sonderstellung verleihen ihm dennoch Explizitheit und Expressivität des lyrisch dargestellten Vernichtungsgeschehens. „Mein Fluss“, von dem Bobrowski hier spricht, kann nicht mit einem konkreten Lieblingsfluss identifiziert werden, vielmehr ist diese dramatische lyrische Szene derart visionär gehalten, dass sie auch für andere Flüsse der „sarmatischen Ebene“ gilt. Kein Zweifel, dass hier der Sommer den Fluss in den Tod führt. Der Sommer mag Züge eines apokalyptischen Engels haben, aber er hat auch die eines deutschen Fanatikers „mit Blut in den Augen, zuckenden Schläfen“. Der Tod des Flusses erinnert vielleicht an ein Weltende („die Küsten fahren einwärts ins Land“  ; „die Himmel brechen“), aber auch an eine schwere Luftbombardierung („auf dem Sand reglos der Fluss und der Hügel getroffen“). Überdies schwingt im Motiv des toten Flusses das Thema der verlorenen, für den im fernen Berlin-Friedrichshagen lebenden Dichter gleichsam gestorbenen Heimat mit. Aus einer späteren Periode, den Jahren des französischen Exils (1951–1960), stammt Miłoszs Gedicht „Notatnik  : Dordogne“/„Notizbuch  : Dordogne“. Es handelt sich dabei erkennbar um den paradoxen Versuch, sowohl die individualisierende poetische Erfassung eines konkreten Flusses (hier der französischen Vézère), als auch zugleich überzeitliche überindividuelle Wesentlichkeit zu erzielen. Diese doppelte Zielsetzung wird durch zwei Mittel erreicht. Zum einen besteht ein verborge-

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ner, geografisch weit ausgreifender etymologischer Bezug, denn nicht nur bezeichnet das polnische Hydronym „Wezera“ viel eher die „Weser“ als die „Vézère“, sondern es scheint auch noch etymologisch mit zahlreichen weiteren europäische Flussnamen bis hin zur „Weichsel“ verwandt zu sein.13 Vor allem aber wird das hic et nunc der Vézère durch den Rückgang auf mehrerlei historische und prähistorische Momente sowohl bestätigt als auch überwunden – das konkrete Gewässer wird zum ‚Fluss der Zeit und der Überzeitlichkeit‘  : Die erste Strophe (bestehend aus 9- und 11-Silblern) nimmt Bezug auf Motive der prähistorischen Höhlenzeichnungen, für die die Gegend um Les Eyzies, „Welthauptstadt der Vorgeschichte“, berühmt ist  : Ptak, bestia płowa albo jeleń

Vogel, fahles Untier oder Hirsch

myślą ku przodkom swoim nie wracają.

denken nicht an ihre Vorfahren zurück.

Ptak, bestia płowa ani jeleń

Vogel, fahles Untier oder Hirsch

żyją i giną a nie znają czasu.

leben und vergehen, aber kennen die Zeit nicht.

(370)

Ab der zweiten Strophe zieht ein neuer Rhythmus ein  : die nun verwendeten 8-Silbler erwecken mit ihren Anklängen an den vierhebigen Trochäus den Eindruck einer Stilisierung auf liedhafte Ballade oder Volkslied  : Nad Wezerą zamki błyszczą,

An der Vézère blitzen Burgen,

a wyżej, wykuta w skale,

drüber, in den Fels gehauen,

pustelnia stoi strażnicza

wacht stets eine Einsiedelei

od tamtej wojny, stuletniej.

seit dem andren, Hundert-Jahr-Krieg.

(370)

Die in einigen Strophen evozierte Volkstümlichkeit wirkt jedoch angesichts der Prähistorie geradezu ‚modern‘, d. h. der Eindruck der Zeitlosigkeit eines ‚ewig unwandelbaren Volkslebens‘ wird hier gerade nicht in vollem Ernst erzeugt. Vielmehr werden Anspielungen auf das Mittelalter, den „anderen, den Hundertjährigen Krieg“ (und damit zugleich auch auf den Zweiten Weltkrieg), die gallo-romanische Epoche mit Elementen des Volkslebens bunt gemischt. Die Prähistorie, die Geschichte und die Gegenwart werden 13 Krahe, Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie fasste eine sicherlich schon früher diskutierte Konzeption von der vorgeschichtlichen Verwandtschaft zwischen zahlreichen europäischen Flussnamen zusammen, die Miłosz bekannt sein musste. Laut https://de.wikipedia.org/wiki/Weser, letzter Zugriff  : 24.06.2019, gehen die Hydronyme „Weser/Werra“ (Dtl.), „Vézère“, „La Vis“ (Frkr.), „Vesdre“ (Belgien), „Viešinta/Wieszynta“ (Litauen), „Wisła/Weichsel“ (Polen) auf eine gemeinsame sprachliche Wurzel zurück.

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zu jener kompositen Art von Überzeitlichkeit oder Synchronie vereint, die wir schon von „Langsamer Fluss“ kennen. Dies wird durch den steinzeitlichen Pfeil in der Hand der Mädchenstatue vor dem Museum für Prähistorie in Les Eyzies versinnbildlicht  : Na smutek czy na wesele

Zur Trauer oder zur Hochzeit

znaleźli kamienną strzałę.

fanden sie einen Pfeil aus Stein.

Oddali kamienną strzałę.

Sie gaben den Pfeil aus Stein

dziewczynie w bramie muzeum.

dem Mädchen am Tor des Museums.

(370)

Auf völlig andere Weise verleiht Bobrowski in dem sehr verschlüsselten Gedicht „Erfahrung“ dem „Strom“ jenseits topografischer Anspielungen einen sowohl überzeitlichen als auch erkennbar persönlichen Sinn  : erfahrung Zeichen, Kreuz und Fisch, an die Steinwand geschrieben der Höhle. Die Prozession der Männer taucht hinab in die Erde. Der Boden wölbt sich herauf, Kraut, grünlich, gewachsen durch ein Gesträuch. Gegen die Brust steht mir der Strom auf, die Stimme aus Sand  : öffne dich ich kann nicht hindurch deine toten treiben in mir (162)

Wie in Miłoszs „Notizbuch  : Dordogne“ wird Über- oder Außerzeitlichkeit durch ein prähistorisches Motiv (die Zeichen in der Höhle) signalisiert, doch damit enden die expliziteren Gemeinsamkeiten. Zu den impliziten gehört die christliche Konnotation der Wörter  : „Zeichen, Kreuz, Fisch, Prozession“. Sie erfasst ferner die „Höhle“ im

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Sinn einer altchristlichen Katakombe, lässt aber auch die Vorstellung einer gemeinschaftlich (Prozession der Männer) durchgeführten Erkundung einer unter Wasser stehenden Höhle zu. Doch die erwähnte Konnotation strahlt auch auf die weitaus dunklere Fügung „der Strom […], die Stimme aus Sand“ aus, und zugleich auf die Rede dieser Stimme in der letzten Strophe. Stehen hier „Strom“ und „Stimme“ als Chiffre für eine poetische (oder höhere) Eingebung und damit für ein Heraustreten aus der Zeit  ? Jedenfalls erscheinen der Strom und die Stimme als ein zeitenthobenes inneres Ereignis, das in seiner Entfaltung durch „deine toten“, die in dem Strom treiben, behindert wird. Bobrowski soll „deine toten“ als „meine Vorbilder“ identifiziert haben14  ; es sind daneben aber auch andere Tote denkbar. Im Rahmen seines großen „sarmatischen“ Projekts ist Bobrowski vielfach über die Grenzen seiner Memelregion hinausgegangen und hat Landschaften und Flüsse des Baltikums und Russlands in seine Lyrik einbezogen, die Wilia, die Düna, den Ilmensee, die Wolga, den Don, und viele andere. Diskret ist dabei die Rolle der gewissermaßen programmatischen Bezüge auf Volkslieder, Märchen, Legenden, Epen und hochliterarische Dichtungen der Juden, Zigeuner, Finnen, Balten und Slawen. Hinzu kommen Bobrowskis tiefe Verwurzelung in deutschen, lokalen und überregionalen Traditionen einschließlich der biblischen und der antiken Tradition, und seine zuweilen überraschend weiten weltliterarischen Horizonte. Bemerkenswert ist, dass Bobrowski seine intertextuellen Anspielungen in aller Regel in Formulierungen verbirgt, die ganz und gar seinem eigenen lyrischen Idiom zu entsprechen scheinen. So verhält es sich auch in dem Gedicht „Von den Strömen“*, das bereits im Titel eine weit ausgreifende Darstellung ankündigt. Wenn nicht das französische Zitat aus Saint-John Perse als Motto über dem Text stünde, käme der Leser spät darauf, dass hier eine topografische Hybridisierung von heimatlichen und sarmatischen Flussimaginationen mit sehr weit entfernten anderen, pazifischen Motiven stattfindet – nämlich erst ab der dritten Strophe  : Inseln immer, das weißt du, über den Wassern, über der Ferne, dort bist du geboren, zu einer Zeit, die ein Vogel war, gefiedert mit zahllosen Farben zwischen Ocker und Rosa, es war ein Vogel, du weißt. (112) 14 Haufe, Johannes Bobrowski, S. 172.

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Aber auch mit dem Wissen, dass das Gedicht eine Huldigung an den französischen Nobelpreisträger darstellt, verkennt der Leser nicht, dass der Deutsche dem Kollegen die gleiche Nostalgie unterstellt, die ihn selbst umtreibt  : die Sehnsucht nach einem Reich, wo „eine Wolke die Zeit“ ist und die „Regen des Lichts“ trinkt. Die Aufhebung der Zeit stiftet und stillt die Sehnsucht nach der in der Poesie erstehenden Heimat „über der Ferne“. Es gilt, in der Fremde zu leben mit einer „Strömung, / weiß, noch wenn es dunkelt / weiß, ohne Heftigkeit, dicht / unter das Herz gelagert.“ Das „du“ ist hier gleichermaßen Selbstansprache und Evokation des anderen. Es erfährt in der folgenden Strophe eine Art kosmischer Metamorphose zum auf hohem Gebirge singenden Schöpfer der Ebene, zum „Bewohner fliegender Wälder, der / seine Flügel nicht weiß“. Der Dichter als der Zeit enthobener und ins Nachleben versetzter singender Vogel ist ein Motiv, das möglicherweise bei Saint-John Perse, auf jeden Fall aber bei Horaz vorkommt (Carm. 2, 20, incipit Non usitata nec tenui ferar). Dass sich der Deutsche in diesem Text mehrere Worte und Formulierungen aus dem Umkreis des Franzosen zu eigen macht, fällt nicht aus Bobrowskis ureigenstem Tonfall heraus und dient der Huldigung des Exilanten an den heimatlosen15 Kollegen und an die Macht aller großen Poesie. Miłoszs visionäre Darstellung einer gewaltigen nordamerikanischen Flusslandschaft in „Przed krajobrazem“/„Vor der Landschaft“* unterscheidet sich wieder stark von Bobrowskis Gedicht, doch auch bei ihm wird ‚der Dichter‘ der Zeit und des Ortes enthoben. Das Gedicht schildert eine nordamerikanische Fluss- und Gebirgslandschaft, die eine dreifache Wasserscheide darstellt  : Flüsse fließen von hier in Richtung Pazifik, in Richtung Atlantik, und in die ferne Richtung des Nordmeeres. Gemeint ist wohl das Columbia-Eisfeld16  : Na tym stoku świerk, jodła i cedr, na tamtym sosnowe bory.

Auf diesem Hang Fichte, Tanne und Zeder, auf jenem Kiefernwälder.

Błyszczy dział wód spływających w zachodni i wschodni ocean.

Blitzend die Wasserläufe, die zum westlichen oder zum östlichen Ozean fließen.

Tylko jedna stężona rzeka struży się prosto na północ,

Nur ein Fluss strömt stracks nach Norden,

Gdzie przezroczysta szarość w złotawej górskiej bramie,

Wo lichtes Grau in goldschimmerndem Bergportal schwebt,

Szarość ogromnej ciszy, blade jeziora,

Ein Grau großer Stille, bleiche Seen,

15 Saint-John Perse (1887–1975  ; Nobelpreisträger 1969), beheimatet in den Französischen Antillen, ab 1899 im Mutterland, 1940–1967 Exil in den USA. 16 https://en.wikipedia.org/wiki/Columbia_Icefield, letzter Zugriff  : 24.06.2019.

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I bagienna jedlina jeszcze tysiąc mil

Und sumpfiger Tann noch tausend Meilen

Aż do granicy, pustki polarnej.

Bis zur Grenze, zur Wüste des Pols.

Der nach Norden fließende Fluss Athabasca mobilisiert sehr diskret die Erinnerung des polnischen Litauers an die Flüsse seiner Herkunftsregion, doch ruft der gesamte Anblick die mythische Vorstellung von der Einheit des eigenen Körpers mit der Erde und von seiner kosmisch-geologischen Transformation auf. Das Ganze erinnert an antike Vorstellungen von der Entstehung der Menschenwelt aus gigantischen Titanen- und Drachenkämpfen  : W moich snach ziemia była jednością mojego In meinen Träumen war die Erde Einheit ciała, meines Körpers, Tutaj nad Athabasca i wszędzie gdzie żyłem, wędrowny.

Hier am Athabasca und überall, wo ich lebte, ich Wanderer.

Opierałem rękę o spiętrzenia gór.

Ich stützte die Hand auf die Schichtung der Berge.

Delty kroiły mnie w upale smoczych pobojowisk.

Mündungsgebiete schnitten mich zu in der Hitze von Drachenkampfplätzen.

(612)

Schließen wir unseren Durchgang ab mit dem vollen Text des relativ späten Miłosz-­ Gedichts „Rzeki“/„Flüsse“ (1980) in lyrischer „Psalmenprosa“, das keines Kommentars bedarf, auch nicht in seinem Einklang mit den Flussgedichten Bobrowskis  : Rzeki

Flüsse

Pod rozmaitymi imionami was tylko sławiłem, Unter verschiedenen Namen habe nur euch rzeki  ! ich gerühmt, Flüsse  ! Wy jesteście i miód i miłość i śmierć i taniec.

Ihr seid Honig und Liebe und Tod und Tanz.

Od źródła w tajemnych grotach bijącego spośród omszałych kamieni,

Mit dem Quell, der in heimlichen Grotten unter bemoosten Steinen sprudelt,

Gdzie bogini ze swoich dzbanów nalewa wodę żywą,

Wo die Göttin aus ihren Gefäßen lebendiges Wasser gießt,

Od jasnych zdrojów na murawach, pod którymi szemrzą poniki,

Mit den hellen Rinnsalen auf den Wiesen, unter denen die Strudel flüstern,

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Zaczyna się wasz bieg i mój bieg, i zachwyt i przemijanie.

Beginnt euer und mein Lauf, Entzücken, Vergehen.

Na słońce wystawiałem twarz, nagi, sterujący z rzadka zanurzeniem wiosła,

Der Sonne setzte ich das Gesicht aus, nackt, und tauchte selten zum Steuern das Ruder ein,

I mknęły dębowe lasy, łąki, sosnowy bór,

Und es zogen die Eichwälder vorbei, die Wiesen, der Kiefernwald,

Za każdym zakrętem otwierała się przede mną ziemia obietnicy,

An jeder Biegung eröffnete sich mir das Land der Verheißung,

Dymy wiosek, senne stada, loty jaskółekbrzegówek, piaskowe obrywy.

Der Rauch der Dörfchen, die schläfrigen Herden, die Flüge der Uferschwalben, die Steilwände aus Sand.

Powoli, krok za krokiem, wstępowałem w wasze wody

Langsam, Schritt für Schritt, trat ich in eure Wässer

I nurt mnie podejmował milcząco za kolana,

Und die Strömung umfasste mich schweigend am Knie,

Aż powierzyłem się, i uniósł mnie, i płynąłem Bis ich mich anvertraute, und trug mich fort, und ich schwamm Przez wielkie odbite niebo triumfalnego południa.

Durch den großen gespiegelten Himmel des triumphalen Mittags.

I byłem na waszych brzegach o zaczęciu letniej nocy,

Und ich war an euren Ufern zu Beginn der Sommernacht,

Kiedy wytacza się pełnia i łączą się usta w obrzędzie.

Wenn sich der Vollmond erzeigt und die Lippen sich finden im Ritual.

I szum wasz koło przystani, jak wtedy w sobie Und euer Rauschen am Steg hör ich wie słyszę damals in mir Na przywołanie, objęcie, i na ukojenie.

Auf Zuruf, Umarmung und Tröstung.

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Z biciem we wszystkie dzwony zatopionych miast odchodzimy

Mit dem Vollgeläut aller versunkenen Städte gehen wir fort.

Zapominanych witają poselstwa dawnych pokoleń.

Die Vergessenen werden begrüßt von Abordnungen alter Generationen.

A pęd wasz nieustający zabiera dalej i dalej.

Doch euer unablässiges Strömen entführt weiter und weiter.

I ani jest ani było. Tylko trwa wieczna chwila. Und gibt es kein Jetzt und kein Früher. Nur der ewige Augenblick hält an. (769)

Anhang Die vollständigen Texte der mit * gekennzeichneten Gedichtzitate in der Reihenfolge ihrer Kommentierung. Die Miłosz-Übersetzungen sind vom Verfasser. Johannes Bobrowski Die Jura

Einst

Deine Wasser

erhob ein großer

hart vor dem Wald,

Gott der Fluren, ein Hartmaul

unterströmig,

das Gesicht. Über dem Uferwald

voll der weißen Kälte der Quellen

stand er

sommers.

in der Schwärze der Opferstatt,

Nur um Mittag

glänzte vom Fett,

steigt an die Fläche leise

sah in den Wiesen das rötliche Erz,

mit den glänzenden Flossen

und die Quellen

der Fisch, ein alter Räuber. Er kehrt

schossen hervor, seiner Blicke

wieder unter Mond. Und er eilt nicht,

sandige Spur.

wenn der wilde Otter im Wurzelgewirr,

Wer entzündet die späten

tief im Geflecht der Finsternis lärmt.

Feuer des Jahres, wo der Strom,

In der großen Stille

Lungen schreit vor dem Eis,

komm ich zu dir,

das herabfällt  ? Aus offenen Himmeln

Nemona, geht, aus breiten

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schöner Bruder der Wälder, der Hügel,

stürzt es, es fällt ein gelber

mein Fluß.

Rauch vor ihm her.

In der Stille des jungen Tags

(I, 9–10  ; 15.12.1958)

im Beerengesträuch komm ich den Sandpfad. Mein Kahn folgt deinem Herzlaut, dem immer jähen Wassergeräusch unter der Kühle. Uferweide, bittrer Geruch, ein Grün wie aus Nebeln, Und der Tau. Es hockt im verwachsnen Hang vor dem Dorf im Gebüsch der Graukopf, mit klammen Fingern malt er deine Röte, dein Grün, die fremde Bläue, den Silberlaut  :

Czesław Miłosz Powolna Rzeka

Langsamer Fluss

Tak pięknej wiosny jak ta już od dawna

So schön wie dieser war ein Frühling schon lange

nie było  ; trawa, tuż przed sianokosem

nicht mehr  ; das Gras, kurz vor der Mahd

bujna i rosy pełna. W nocy granie

üppig und voller Tau. In der Nacht schallen Konzerte

słychać z brzegu moczarów, różowa ławica

vom Rand der Tümpel, ein rosa Streifen

leży na wschodzie aż do godzin rana.

liegt über dem Osten bis hinein in den Morgen.

O takiej porze każdy głos nam będzie

In solcher Stunde wird jede Stimme uns

krzykiem triumfu. Chwała, ból i chwała

zum Schrei des Triumphs. Ruhm, Schmerz und Ruhm

trawie i chmurom, zielonej dębinie,

dem Gras und den Wolken, dem grünen Eichwald,

rozdarte wrota ziemi, odkryty klucz ziemi,

aufgerissen die Tore der Erde, entblößt die Quelle der Erde,

gwiazda już wita dzień. Więc czemu twoje

das Gestirn begrüßt nun den Tag. Warum also bergen

oczy zamknęły w sobie blask nieczysty

deine Augen einen unreinen Glanz

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jak oczy stworzeń, które nie zaznały

wie Augen von Geschöpfen, die das Böse

zła i za zbrodnią tylko tęsknią  ? Czemu

nicht kennen und nur nach der Untat trachten  ? Warum

przez powieki zmrużone prześwieca gorąca

scheint dir durch die geschlossenen Lider die heiße

toń nienawiści  ? Tobie panowanie,

Tiefe des Hasses  ? Dein ist die Herrschaft,

tobie obłoki w złoconych pierścionkach

dir spielen goldenberingt die Wolken

grają, na drogach sława szepczą klony,

auf, an deinen Wegen flüstert der Ahorn dir Heil,

od każdej żywej istoty przebiega

von jedem lebenden Wesen verläuft

do twoich dłoni niewidzialna uzda -

zu deinen Händen ein Seil unsichtbar –

targniesz -i wszystko zakręca w półkole

zieh nur – dann dreht sich alles im Halbkreis

pod baldachimem nazywanym cirrus.

unter dem Baldachin namens cirrus.

A prace jakie są  ? O, ciebie czeka

Und welches die Arbeiten sind  ? Sieh, dich erwartet

jodłowa góra, na niej tylko zarys

der Tannenberg, erst nur mit dem Umriss

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wielkich budowli, dolina, gdzie zboże

großer Gebäude, das Tal, wo das Getreide

wzrosnąć powinno, stół i biała karta,

wachsen soll, der Tisch und das weiße Blatt,

na której może poemat powstanie,

auf dem einst eine Dichtung entsteht,

radość i trud. A droga umyka

und Freude und Mühe. Doch die Liebe die Fährte

spod nóg tak szybko, ślad biały się smuży,

enthuscht dir als weißer Streif unter der Sohle so schnell,

że ledwo wzrok wypowie powitanie,

dass kaum dein Blick einen Gruß sagen kann,

już słabnie uścisk rąk, westchnienie, już po burzy.

schon weicht der Hände Druck, ein Seufzen, vorbei ist der Sturm.

I niosą wtedy polem okrutnika,

Da tragen sie übers Feld einen Peiniger,

siwy kołyszą włos, w alei u wybrzeży

schaukeln sein graues Haar, an der Uferallee

składają, gdzie chorągwie zwija wiatr zatoki,

legen sie ihn ab, wo die Fahnen flattern im Wind der Bucht,

kędy po żwirach biegną szkolnych gromad kroki

wo auf Kieswegen Schulklassen schreiten

z pieśnią wesołą.

mit frohem Lied.

– „Aby w świątecznych ogrodach rżąc na murawach pili,

– „Auf festlichem Garten-Rasen sollen sie wiehernd trinken,

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Rolf Fieguth

aby nie wiedząc, kiedy strudzeni, kiedy szczęśliwi,

sollen nicht wissen, wann sie erschöpft, wann sie glücklich sind,

chleb brali z rąk ciężarnych swoich żon.

und ihr Brot aus den Händen ihrer schwangeren Frauen nehmen.

Przed żadnym znakiem głowy nie ugięli

Vor keinem Zeichen habt ihr das Haupt geneigt,

bracia moi, rozkoszy spragnieni, weseli,

meine Brüder, dürstend nach Lust, fröhlich,

ze świata mając spichrz, radości dom“.

die Welt ist euch Speicher, ein Haus der Freuden“.

– „Ach, ciemna tłuszcza na zielonej runi,

– „Ach, das rohe Gesindel auf grünem Gefild,

a krematoria niby białe skały

und die Krematorien wie weiße Felsen,

i dym wychodzi z gniazd nieżywych os.

und der Rauch steigt auf aus den Nestern der leblosen Wespen.

Bełkot mandolin ślad wielkości tłumi,

Mandalinengestammel dämpft die Spur der Größe,

na gruzach jadła, nad mech spopielały

auf Trümmern der Speisen, über eingeäschertem Moos

nowego żniwa wschód, kurzawa kos“.

ist neuer Ernte Beginn und Sausen der Sensen“.

Tak pięknej wiosny jak ta, już od dawna

So schön wie dieser war der Frühling schon lange

nie miał podróżny świata. Krwią cykuty

nicht mehr für den Wanderer der Welt. Wie Schierlingsblut

wód przestrzeń mu się wydała rozległa,

erschien ihm der weite Raum der Gewässer,

a flota żagli, która w mroku biegła,

und die Flotte der Segel, die im Dunkel einherjagte,

ostatnim drgnieniem jakiejś czystej nuty.

wie ein letzter Ton von reiner Melodie.

Widział na piaskach rzucone postacie

Er sah auf den Sand geworfene Gestalten,

pod światłem planet lecących ze stropu,

wie sie im Licht der Planeten von oben flogen,

a kiedy milkła fala, cicho było,

und als die Welle verstummte, war es still,

z piany szedł zapach jodu  ? heliotropu  ?

aus dem Schaum kam ein Geruch von Jod  ? Heliotrop  ?

Na wydmach Maria, śpiewali, Maryja,

Auf den Dünen Maria, sie sangen Maria,

rękę zbroczoną składając na siodło,

und legten dazu die blutige Hand auf den Sattel,

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nie wiedział, czy to jest to nowe godło,

er wusste nicht, ist dies ein neues Emblem,

które ma zbawiać, chociaż dziś zabija.

das erlösen soll, auch wenn es heute mordet.

Po trzykroć winno się obrócić koło

Dreimal muss sich drehen das Rad

ludzkich zaślepień, zanim ja bez lęku

menschlicher Verblendungen, eh ich furchtlos

spojrzę na władzę, śpiącą w moim ręku,

schau auf die Macht, die in meiner Hand schläft,

na wiosnę, niebo i morza, i ziemie.

auf Frühling, Himmel und Meere, und Lande.

Po trzykroć muszą zwyciężyć kłamliwi,

Dreimal müssen die Lügner siegen,

zanim się prawda wielka nie ożywi

ehe die große Wahrheit auflebt

i staną w blasku jakiejś jednej chwili

und ehe im Glanz eines einzigen Lidschlags erstehen

wiosna i niebo, i morza, i ziemie.

Frühling und Himmel, Meere und Lande.

Wilno, 1936

Wilna 1936

(86–88)

Czesław Miłosz Rzeka

Der Fluss

Wisło, rymem polotnym tyle opiewana,

Weichsel, mit hochfliegendem Reim vielbesungen,

W koliach lamp, w żagli kwiatach, uśmiechach i pianach,

Mit Lampionkolliers, Segelblumen, viel Lächeln und Schaum überhäuft,

Modrooka Wisełko  ! Ukaż się - prawdziwa.

Blauäugiges Weichslein  ! Zeig dich einmal wie du bist.

Niech twoja woda żadnej goryczy nie zmywa

Damit dein Nass keine Bitterkeit fortspült,

I pamięć niechaj da - nie zapomnienie.

Damit es Erinnerung spendet – und kein Vergessen.

Choć inaczej o tobie pomników kamienie

Wenn auch anders von dir die Denkmalsteine

Mówią, wiemy, czym jesteś  : straszną, pustą rzeką,

Sprechen, wir wissen, was du bist  : ein schrecklicher, leerer Fluss,

Po równinach rozlaną, patrzącą od wieków

Über die Ebenen ergossen, und schaust seit Jahrhunderten

Na kraj krzywdy i żalu. Te biele, rubiny

Auf ein Land des Unrechts und der Klage. Diese Weiß- und Rubinfarben

Twoich poranków, gwiazdy, łuki, serafiny

Deiner Morgenfrühen, die Sterne, Bögen, Seraphen

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Rolf Fieguth

Twoich poetów - przepaść to, co się rozwarła,

Deiner Dichter – der Abgrund ist es, der sich auftut,

Zapomniana. Głos siłą wtłoczony do gardła,

Der vergessene. Mit Macht in die Kehle gestopfte Stimme,

To mgła, mgła cudowności, która oczy karmi

Das ist der Dunst, der Dunst des Wunderbaren, der die entsetzten Augen nährt

Przerażone zbyt słabych, aby ją rozdarli.

Denen, die ihn aus Schwäche nicht zu durchstoßen vermögen.

I kiedy błysk stuleci jak chlaśnięcie biczem,

Und wenn da ein Jahrhundertblitzen ist wie Peitschenhieb,

Oni śnią, że są wszystkim - i zostają niczem.

Träumen sie, sie seien alles – und bleiben ein nichts.

Na próżno wzywać mogił. Niech leżą strudzeni.

Was nützt ein Weckruf an Gräber  ? Sollen sie liegen in ihrer Mühsal.

Depczmy po ich spokoju.

Ihrer Ruhe der Tritt unserer Füße.

Otośmy na ziemi

So sind wir auf der Erde,

Płaskiej, potratowanej. Widnokrąg zasnuty

Der flachen, getretenen. Der Horizont ist verhangen

Dymem czy ludzkim smutkiem. Wronich gromad nuty

Von Rauch oder menschlicher Trauer. Schreie von Krähenschwärmen

Ciągną się nad rżyskami i wozy wojenne

Ziehen über die Stoppelfelder, und Militärwagen

Warczą na pustej szosie. W okna ruin ciemne

Röcheln auf leerer Chaussee. In dunkle Ruinenfenster

Wiatr niesie piasek. Tylko z głośnym sykiem

Treibt Sand der Wind. Nur mit lautem Gezisch

Trze się o wiatr, krzycząca nieznanym językiem

Knirscht im Wind ihr Geschrei in fremder Sprache

Czerwono-czarna flaga. Cisza, wielka cisza,

Die rot-schwarze Fahne. Stille, große Stille,

Tylko to, na czerwieni, drapieżnego krzyża

Nur dies Flattern des raubgierigen Kreuzes

Łopotanie jak głownia w kole krwawych iskier,

Auf seinem Blutrot, es knallt wie der Funken sprühende Brennklotz,

Na znak, że bój pożarem, ład pogorzeliskiem.

Zum Zeichen, dass Kampf steht für Feuer, und Ordnung – für Brandstatt.

Już wieczór. Pustkowiami sinymi dziewanny

Es ist nun Abend. Ödflächen deckend steigen

Schodzą na dół ku Wiśle. Chwiejące się bramy Die Königskerzen zur Weichsel hinab. Die schwankenden Tore

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Obłoków już otwarte na ogród lazuru.

Der Wolken stehen nun offen zum lasurblauen Garten.

Fala zaraz różowo przygaśnie do wtóru

Gleich wird rosa die Welle erlöschen zum Klang

Dymiącym słońca miedziom. Glosy się odezwą

Aus den rauchenden Kupfern der Sonne. Letzte Stimmen

Ostatnie, pójdzie echo płaszczyzną bezbrzeżną,

Werden ertönen, ihr Echo über die randlose Ebene gehen,

Sznur dzikich gęsi z nieba hasło swoje nada

Eine Schnur wilder Gänse wird vom Himmel ihr Stichwort geben,

I w karłowatych sosnach, w jałowców osadach Und in den Kümmerkiefern, in den Wacholdergebüschen Noc powoli głębokie doliny wystrzyże.

Wird langsam die Nacht tiefe Täler ausschneiden.

Słychać śpiew. Idzie tutaj. I już coraz bliżej

Gesang ertönt. Kommt näher. Immer näher heran

Kolumna, chybocąca się zmęczonym krokiem, Wankt müden Schritts die Kolonne, Z łopatami na plecach, przez jesienny popiół

Die Spaten geschultert, von herbstlicher Asche

Przysypana. Obdarci, brudni, obojętni

Bestäubt. Abgerissen, schmutzig, gleichgültig

Stąpają w cień kolein. Śpiew nad nimi tętni,

Treten sie in die Schattenfährten. Über ihnen das Lied,

Rozkazem z ust wydarty twarzy ich nie zmienia.

Ihren Mündern befohlen, ändert nicht ihr Gesicht.

Śpiewają, a oczami patrzą w głąb milczenia.

Sie singen, und ihre Augen blicken tief in das Schweigen.

Z przodu strażnik z komendą, długi nahaj wlecze

Vornan kommandiert der Wächter, seine lange Peitsche

W obwisłej dłoni. I w cienistej rzece

Schleppt er in geschwollener Hand. Im Schattenfluss

Zachodu lufa srebrem zza ramienia zalśni.

Des Sonnenuntergangs leuchtet am Rücken silbern der Lauf.

Ale oni posłuszni. Przywykłe do kaźni

Doch sind sie gehorsam. An Tortur gewöhnt

Ciało ich rzeźwość chwyta. Kończą dzień powszedni.

Erfasst ihr Leib die Frische. Ihr Tag, ihr Werktag, endet.

Nie dla nich żar przyszłości ani przepowiedni Nicht ihnen gilt das Feuer der Zukunft oder die Prophetensilben Astrologów na chmurach palące się zgłoski.

Der Astrologen, die auf den Wolken funkeln.

Niebiosa głuche, martwe, żaden sygnał boski

Der Himmel ist taub, starr, kein göttliches Zeichen

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Rolf Fieguth

Nie spadnie błyskawicą na schylone głowy,

Wird ihnen auf die gesenkten Köpfe blitzen

Ani im własnej nędzy wspominać - wiekowej, Und ihnen künden von ihrem Elend – dem jahrhundertealten, Ni dochodzić, dlaczego karki im przygina

Oder erklären das Warum der Gewalt des Herrschers,

Siła władcy, skąd kara ani czym jest wina.

Die ihnen den Nacken beugt, das Woher der Strafe und das Was der Schuld.

Tak mijają. Daleko, kędy flaga tli się

So ziehen sie vorbei. Weit weg, wo die Fahne glimmt

Na wietrze, jeszcze w słabym ciemnieją zarysie,

Im Wind, sind ihre Gestalten noch schwach zu erkennen,

Aż między druty wejdą. Droga ich przesłoni.

Bis sie zum Stacheldraht kommen. Der Weg sie verdeckt.

To mieszkańcy tej ziemi  ? Tak, to przecie oni.

Sind es Bewohner der Erde  ? Ja, das sind sie doch.

Na granacie już jedna zapala się gwiazda.

Am Nachtblau geht nun ein Stern auf.

(164–165)

Johannes Bobrowski Wetterzeichen

um das verlassene Meer

Mit dem Fluß hinab,

sinken die Steine – Feuer,

dem Wiesenfluß

leg in den Sturm die Schwingen

und den wilden Gerüchen

wie Rauch, er trägt vor den Wettern

der Wälder, redend

dich, vor der rasenden Stille,

laut mit dem Sommerlicht eh die Himmel brechen, und den Vögeln

die siedenden Wetter, zerbrochen

gegen den Abend, im Dunkel

die Lüfte dann, auf dem Sand

den Fledermäusen – im Winkelflug

reglos der Fluß

fuhren sie auf und hinab um eine Scheuer mit kleinen

und der Hügel getroffen,

Drachenflügeln – redend

ich halt einen Baum, ich red noch  :

kam ich hierher, hier bin ich,

Wir sahen kommen die Zeichen und schwinden, her durch die Stille

auf dem Sandberg, ins trockne Moos

zwei Federn fielen herab.

setz ich den Fuß, den breiten

(98–99)

Ströme, Erinnerung, Imagination 

Himmel hab ich getragen, die atmenden Lüfte, ich schwanke, es ist ein Rauschen, ich hör in der dröhnenden Finsternis, hör auf den Fluß, er lag über dem Sand, die Hände führte der Wind ihm, der Sommer kam mit Ermattungen, mit Blut in den Augen, zuckenden Schläfen, den Mund voll Rost. aber er führte die Hände meinem Fluß, der den Feuern geht im Schatten der Fische, im Schatten des Schilfs entgegen, im Schatten der Bäume – Flamme, flieg, die Küsten fahren einwärts ins Land, lautlos, wehend von Dünen,

Czesław Miłosz Notatnik  : Dordogne

Notizbuch  : Dordorgne

Ptak, bestia płowa albo jeleń

Vogel, fahles Untier oder Hirsch

myślą ku przodkom swoim nie wracają.

denken nicht an ihre Vorfahren zurück.

Ptak, bestia płowa ani jeleń

Vogel, fahles Untier oder Hirsch

żyją i giną a nie znają czasu.

leben und vergehen, aber kennen die Zeit nicht.

Nad Wezerą, pod skałami

An der Vézère, unter Felsen,

przez winnice ludzie idą,

Gehen Menschen durch Weingärten,

niosą kosze, a w nich jabłka

Tragen Körbe, drinnen Äpfel

zebrane z wielkich jabłoni.

Gepflückt von großen Apfelbäumen

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Rolf Fieguth

Nad Wezerą zamki błyszczą,

An der Vézère blitzen Burgen,

a wyżej, wykuta w skale,

drüber, in den Fels gehauen,

pustelnia stoi strażnicza

wacht stets eine Einsiedelei

od tamtej wojny, stuletniej.

seit dem andren, dem Jahrhundert-Krieg.

Na galloromańskie łuki

Auf die Bögen, galloromanisch,

bluszcz kładzie wędrowne liście.

legt der Efeu Wanderblätter.

Kobiety piorą bieliznę

Frauen waschen ihre Wäsche

w słonecznej wodzie Wezery.

in der Vézère Sonnenwasser.

Na smutek czy na wesele

Zur Trauer oder zur Hochzeit

znaleźli kamienną strzałę.

fanden sie einen Pfeil aus Stein.

Oddali kamienną strzałę.

Sie gaben den Pfeil aus Stein

dziewczynie w bramie muzeum.

dem Mädchen am Tor des Museums.

Les Eyzies, 1952

Les Eyzies, 1952

(370)

Johannes Bobrowski Von Den Strömen Ce n’était pas assez que tant de mers, ce n’etait pas assez que tant de terres eussent dispersé la course de nos ans.

Saint-John Perse

Von den Strömen

ein Vogel, du weißt.

gekommen der See, gegangen durch Zähne und Klauen, Brandung,

Strömung,

Küsten, dieser Wälder aus zitternder Luft –

weiß, noch wenn es dunkelt

aufgerichtet ist

weiß, ohne Heftigkeit, dicht

mit faltigem Rückenfell

unter das Herz gelagert.

die hohe Ebene, bräunlich mit Schründen, Abstürzen –

Aber du tratst vor die Ebene, die Gebirge herauf

hier

bist du gegangen hinter den Trägern, du tratst

ist eine Wolke die Zeit,

vor den Schlaf, vor die Ebene,

groß, gestiegen über

die unter weißen Lidern

den Himmel und reine Lüfte

erwachte, zu eines grünen

Ströme, Erinnerung, Imagination 

trinkend, atmend, die Regen des Lichts.

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Tieres Gesang, des Bewohners fliegender Wälder, der

Inseln immer, das weißt du,

seine Flügel nicht weiß.

über den Wassern, über der Ferne, dort bist du geboren,

Dort

zu einer Zeit, die ein Vogel

leb, deine Augen gehen

war, gefiedert mit zahllosen

über der See, eine Strömung,

Farben zwischen

weiß, noch wenn es dunkelt

Ocker und Rosa, es war

weiß, ohne Heftigkeit, dicht

von Männern mit Federhemden

unter das Herz gelagert,

und roten Haarschöpfen, abends

redend, Finsternis, aus Stimmen die Segel, gehalten unter dem Wind (112–113)

Czesław Miłosz Przed Krajobrazem

Vor Der Landschaft

Na tym stoku świerk, jodła i cedr, na tamtym sosnowe bory.

Auf diesem Hang Fichte, Tanne und Zeder, auf jenem Kiefernwälder.

Błyszczy dział wód spływających w zachodni i Blitzend die Wasserläufe, die zum west­ wschodni ocean. lichen oder zum östlichen Ozean fließen. Tylko jedna stężona rzeka struży się prosto na Nur ein Fluss strömt stracks nach Norden, północ, Gdzie przezroczysta szarość w złotawej górskiej bramie,

Wo lichtes Grau in goldschimmerndem Bergportal schwebt,

Szarość ogromnej ciszy, blade jeziora,

Ein Grau großer Stille, bleiche Seen,

I bagienna jedlina jeszcze tysiąc mil

Und sumpfiger Tann noch tausend Meilen

Aż do granicy, pustki polarnej.

Bis zur Grenze, zur Wüste des Pols.

W moich snach ziemia była jednością mojego In meinen Träumen war die Erde Einheit ciała, meines Körpers, Tutaj nad Athabasca i wszędzie gdzie żyłem, wędrowny.

Hier am Athabasca und überall, wo ich lebte, ich Wanderer.

Opierałem rękę o spiętrzenia gór.

Ich stützte die Hand auf die Schichtung der Berge.

Delty kroiły mnie w upale smoczych pobojowisk.

Mündungsgebiete schnitten mich zu in der Hitze von Drachenkampfplätzen.

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Rolf Fieguth

I czekałem, nie mając w języku wyrazów,

Und ich wartete, denn ich hatte in der Sprache keine Wörter

Żeby nazwać to wszystko co moje i ziemi,

Zu benennen alles was mir und der Erde gehört,

Aż duch jakiś, z wulkanicznych mutacji poczęty,

Bis ein Geist, aus Vulkanmutationen empfangen,

Krzyknie i odczaruje nasze prawdziwe imię. Sierpień 1969

Schreie und entzaubere unseren wahren Namen. August 1969

(612)

Czesław Miłosz Rzeki

Flüsse

Pod rozmaitymi imionami was tylko sławiłem, Unter verschiedenen Namen habe nur euch rzeki  ! ich gerühmt, Flüsse  ! Wy jesteście i miód i miłość i śmierć i taniec.

Ihr seid Honig und Liebe und Tod und Tanz.

Od źródła w tajemnych grotach bijącego spośród omszałych kamieni,

Vom Born, der in heimlichen Grotten unter bemoosten Steinen sprudelt,

Gdzie bogini ze swoich dzbanów nalewa wodę żywą,

Wo die Göttin aus ihren Gefäßen lebendiges Wasser gießt,

Od jasnych zdrojów na murawach, pod którymi szemrzą poniki,

Von den hellen Quellen auf den Wiesen, unter denen die Wasserstrudel plätschern,

Zaczyna się wasz bieg i mój bieg, i zachwyt i przemijanie.

Beginnt euer und mein Lauf, Entzücken Vergehen.

(768)

Literaturverzeichnis Bobrowski, Johannes. Gesammelte Werke. Bd.  1 Die Gedichte. Stuttgart  : Deutsche Verlagsanstalt. 1987. Bobrowski, Johannes. Briefe 1937–1965, hg. von Jochen Meyer, Band I 1937–1958. Göttingen  : Wallstein Verlag, 2017.

Ströme, Erinnerung, Imagination 

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Dłuska, Maria und Tadeusz Kuryś. Sylabotonizm, pod red. Zdzisławy Kopczyńskiej i Marii Renaty Mayenowej. Wrocław  : Zakład narodowy im. Ossolińskich, 1957. Franaszek, Andrzej. Miłosz. Biografia. Kraków  : Wydawnictwo Znak, 2011. Haufe, Eberhard. Erläuterungen der Gedichte und der Gedichte aus dem Nachlass. Stuttgart  : Deutsche Verlagsanstalt, 1998. Haufe, Eberhard. „Bobrowskis Konzeption eines Sarmatischen Divan und die Genese der Gedichtbandtitel ‚Sarmatische Zeit‘ und ‚Schattenland Ströme‘“. http://balticsealibrary. info/index.php?option=com_flexicontent&view=items&cid=66  :essays&id=445  :bobrowskis-konzeption-eines-sarmatischen-divan-und-die-genese-der-gedichtbandtitel-qsarmatische-zeitq-und-qschattenland-stroemeq&Itemid=29, letzter Zugriff  : 23.06.2019. Herlth, Jens. Auf schmalem Grat  : Der polnische Katastrophismus im 19. u. 20.  Jahrhundert. Poetik, Rhetorik, Geschichtsverständnis. Habilitationsarbeit Köln, 2007. Krahe, Hans. Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie. Wiesbaden  : Steiner in Kommission, 1963. Menninghaus, Winfried. Hälfte des Lebens  : Versuch über Hölderlins Poetik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 2005. Miłosz, Czesław. Wiersze wszystkie. Kraków  : Wydawnictwo Znak, 2011. Miłosz, Czeslaw. New and Collected Poems (1931–2001). New York  : Ecco, 2003. Miłosz, Czeslaw. Dolina Issy. Paris  : Kultura, 1955, dt. Übs. Maryla Reifenberg. Tal der Issa. Köln/Berlin  : Kiepenheuer & Witsch, 1957. Miłosz, Czeslaw. Rodzinna Europa [Wörtlich  : Familien-Europa, heimatliches Europa]. Paris  : Kultura, 1959, West und östliches Gelände, dt. Übs. Maryla Reifenberg. Köln/Berlin  : Kiepenheuer & Witsch, 1961. Tgahrt, Reinhard. Johannes Bobrowski oder Landschaft mit Leuten  : eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar. Marbach am Neckar  : Deutsche Schillergesellschaft, 1993.

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Gerhard Besier

Master Narratives – Emotions, Memories, Transcendence, Environment and the Body The Example of Kalevala

Commemoration studies, or memory research, are in great demand.1 How do narratives come into existence, what is their function and what happens in our brain in the course of the process of remembering  ?2 What is important to us, and why, so that we effectively raise some stories and rituals into the realm of ‘sacred’ and, why in doing so, are we so emotionally moved that we even speak of ‘ultimate’ experiences  ? I will explore these questions based on the example of Kalevala, Finland’s mythological national epic tale, and will analyse the impact of environmental variables on people’s behaviour, narrative style and the content of narratives.

How Does our Brain Work? Our brain constantly receives and processes numerous stimuli and generates consis­ tent explanations from these – the brain works as a synthesizing ‘interpreter’ of our disparate perceptions, memories and actions and weaves them, after a certain time, into an internally coherent story that we comprehend as experienced reality.3 The constructive nature of the brain is a key prerequisite of creative work. The emergence of self-consciousness leads to cultural forms of expression – to concrete and abstract designs, artistic expressiveness, the manufacture of tools, language, the transfer of knowledge and various customs. With the perception of self  – the ability to differentiate between what is similar and different, as well as the possibility of assuming other perspectives, including the

1 See, for instance  : Olick, Vinitzky-Seroussi and Levy, The Collective Memory Reader  ; Anastasio, Ehrenberger, Watson and Zhang, Individual and Collective Memory Consolidation  ; Berger and Niven, Writing the History of Memory  ; Sindbæk Andersen and Törnquist-Plewa, The Twentieth Century European Memory. 2 See Müller-Funk and Ruthner (eds.), Narrative(s) in Conflict. 3 See Gazzaniga, Who’s in Charge  ?, p. 102 ff.; Bargh, Before you Know it, pp. 279 ff.

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Gerhard Besier

recognition of others’ intentions – the first attempts to interpret life are initiated, enabling the attribution of value to life and reflection regarding its end.4 People do not just regard things as ‘true’ or ‘genuine’, they also constantly fantasise about what might be  ; they create a concept for themselves that they can visualise, feel and plan.5 Based on diverse fragments of information, our mind is constantly occupied with creating an inherently plausible story that conforms to our intuitive expectations. Because of their ability to draw complex conclusions, people are also in a position to develop comprehensive concepts on the basis of what is essentially only fragmentary information. Such reasoning and consequent conclusions, however, do not carry a random structure. On the contrary, they are oriented towards mental dispositions, towards a few patterns, according to which the fragmentary material is filtered, ordered and processed in a specific way into a number of concepts. No matter how our perceptions might have been obtained – our brain organises the memories of these in a similar way to the conclusions drawn from them. This is a fundamental reason why people can generally reach very similar conclusions, even when these are based on very different experiences. In a number of studies, it has been possible to establish that when people are told a story that is missing several key intermediate steps, these pieces of information are automatically inserted if and when they re-tell the story, and the individuals are invariably absolutely convinced that these steps were also communicated in the original version.6 Knowledge about things of vital importance (about hunting, farming, children and other fundamental information) was originally handed down in the form of stories. This is the form of information sharing that corresponds best to the human brain. It is well known that stories told in a lively manner are retained far better than the abstract dissemination of facts. People think associatively. We know this from our own experience. When a person sees an object that has a particular form or colour, he or she will usually think of an encounter or a scene that has some form of connection to that object, or even just to its colour. Associations don’t even need to be logical. For example, children often try to learn vocabulary lists in bed, frequently falling asleep in the process. The following day, they will commonly believe they have a far better mastery of the words than if 4 See Damasio, Selbst ist der Mensch, p. 304  ; idem, Im Anfang war das Gefühl. Der biologische Ursprung menschlicher Kultur, esp. pp.  165  ff.; Feldman Barrett, How Emotions Are Made, p.  112,ff. See also  : Boddice, The History of Emotions. 5 See here and in the following note  : Pyysiäinen, “Cognitive Science of Religion”  ; idem., Supernatural agents. 6 See Besier, Neither Good Nor Bad, pp. 185 ff.

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they had sat at a table learning them. From then on, they are likely to head straight for bed when something needs to be rote-learned, leaving the book open beside them as they fall asleep. Over time, it becomes completely irrelevant that this form of revising lets them down on occasions. What is important is that they truly believe that this mode of learning is sometimes successful. Without a doubt, the intermediary reinforcement is enough to encourage the child to maintain the mode of learning, often into adulthood. Logically, this leads to a consideration of magical thinking and its associated rituals. In some arid regions, shamans perform particular acts  – sacrifices or similar performances – often involving local inhabitants.7 If the desperately needed rain does indeed fall following these ceremonies, then the acts are deemed to be validated, and they will be repeated and maintained as necessary, even if rain does not fall each and every time. Obviously, there is no actual relationship between the ritual ceremonies and the occurrence of rain  ; there are no spirits that need to be appeased, nor are any divine figures actually responsible for rainfall. In truth, it is more likely that some form of observation of nature would lead the shaman to believe that there is an increased likelihood of rain, and that there is therefore a significant chance of rain coinciding with a ritualised ceremony. However, correlation is not the same as causation. The relationship between the original ritual ceremony, clearly undertaken at a time of dire need, and the subsequent downpour of rain will always remain purely coincidental. And this is precisely what people do not like – random coincidence. They feel that they are at the mercy of the uncontrollable, they look for interrelationships, for a sense of system in the world and in life  ; they long for something that ‘in reality’ does not exist.8 This is why, according to countless empirical studies, small children claim that streams, rivers and lakes exist so that animals can drink.9 Everything should and must have a purpose. Undoubtedly, this is why we make every conceivable effort to create meaning for virtually each and every occurrence and for the completely coincidental coming together of random events. Thus, whether Protestant or Catholic, theologians of various creeds would speak time and again of war being God’s punish7 See Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. 8 See Besier, „Religiöse Phänomene und ihre Geschichte“. 9 Children as early as five years of age interpret nature in causal relationships, as demonstrated by Deborah Kelemen (“Are Children ‘Intuitive Theists’  ?”, pp. 295–301). Accordingly, for example, rivers exist so that animals are able to drink from them. Assumptions such as these of a meaningfully organised world naturally beg the question of a creator and point to a certain tendency towards a belief in creation. By contrast, see Banerjee and Bloom, “Would Tarzan believe in God  ?”, pp. 7 f.; Legar, Evans, Rosengren and Harris, “The coexistence of natural and supernatural explanations”.

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ment, of war being the demand for God’s people to repent, to be humbly chastened, etc.10 Our observations about this world are simply not to be trusted. This is particularly the case in exceptional circumstances. When the mountaineer Reinhold Messner was descending from the summit of Nanga Parbat with his brother Günther on June 29, 1970 – freezing, exhausted, struggling for oxygen – he had a very strange experience. He was suddenly overcome by the strong impression that a third mountaineer was descending with them, “maintaining a consistent distance, somewhat to my right, several steps away from me, just outside my field of vision”11. Messner reported that he was not actually able to see this person, but he was nevertheless absolutely convinced of his/her presence. He experienced something that many people have reported time and again in extreme situations. He saw something that some might describe as a ghost, others as a demon, doppelgänger or guardian angel. Reports about such appearances are not uncommon in religious contexts and in fictional literature, but similar accounts have also been identified in neurological and psychiatric patients. Olaf Blanke’s research team at the Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne recently published a very interesting article with empirical findings on this topic.12 The scientists describe how it is possible to create the illusion of ghosts under laboratory conditions even among healthy people, with the aid of simple technical means. Their findings indicate that the “sense of feeling a presence” is an illusory bodily perception that is produced by an overstretched brain. The disturbances are caused by three  – evolutionary older – regions of the brain, regions which are important for self-awareness, movement and the so-called proprioception.13 All the components of information create a signal current that ultimately determines the bodily perception. If this signal current is manipulated, the brain becomes irritated by the contradictory signals. In order to make sense of the conflicting circumstances, the brain creates the illusion of there being a further person or other people in the immediate vicinity.

The Myth Against the background described, it is not surprising that groups of people possess common imaginative elements in their collective memory, which their brain pro10 11 12 13

See here Besier, “Der Große Krieg”. See Messner, Alleingang Nanga Parbat. Blanke et al., “Neurological and Robot-Controlled Induction of an Apparition”. See also Thier, “Warum sich Bewegung und Geist nur zusammen denken lassen”.

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cesses creatively. This includes stories of where they come from and who they are, which express their understanding of the world and their concept of self – and also, insofar as the brain creates symbols, stories that stand for what is inexpressible  : images or figures, melodies and signs. Thus, such groups claim that the stories they tell are ‘true’ – not in the historical sense, as a representation of experienced reality, but in a ‘higher’ sense  : the purpose of these stories is to bear witness to who and what we ‘actually’ are, and what our surroundings ‘actually’ mean. We explain our world to ourselves and to others. People, things14 and events gain a higher symbolic meaning, they imply something more than themselves. The core elements of a myth cannot be verified or proven as such. Rather, they are associated with a collective belief that connects and creates a common identity. Mostly, it is specific people within a group who call up the stories and, thus, make the narrative community aware of their origin. This process triggers a high degree of emotional excitement among the listeners, the more so as it often does not remain within the realm of cognitive execution. On the contrary, the groups celebrate specific rituals – dances and songs – that activate their sensory motor skills and, thereby, reinforce their feelings – culminating in states of trance.15 In this way, the relationships between emotional behaviour, self-observation and physiological activation are by no means always clear for the participants.16 The ensemble of all the myths of a particular culture or religion is understood as mythology, as legendary literature.17 Foundation myths account for the building of a shrine or sanctuary or of a city based on gods, heroes, tribes and nations, whereas origin myths are intended to enhance the significance of a community or entire nations. Historical myths often help to clarify how national identities are created. Etiological tales or myths explain particular phenomena in the world, and soteriological or salvation myths and stories recount the coming of a saviour who will bring salvation to the world. Eschatological stories tell of ‘final events’ or the ‘ultimate destiny of humanity’ (eschatos), describing what will happen at the end of time or after death. Cosmogonic or cosmological myths and tales narrate the creation of the world and explain its course, while experts in theogony explain the creation and the fate of gods.18 In spite of the many fundamental differences between cultures, there are nevertheless also various mythologems and mythologies that transcend individual cultures  : consistent See Meyer, Myths in Stone. See Schmidt-Atzert, Peper and Stemmler, Emotionspsychologie  ; Frazzetto, Der Gefühlscode. See van Heck, “Modes and Modells in Anxiety”. See Kratzmeier and Strzysch-Siebeck, Der Brockhaus. Mythologie  ; see also Bulfich, Bulfinch’s Mythology  ; Antoni and Weis (eds.), Sources of Mythology. 18 See Zgoll and Gregor (eds.), Arbeit am Mythos  ; Weilandt, Das Verhältnis von Sprache und Mythos. 14 15 16 17

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and unchanging subjects and motifs, such as the male origin of life, the immortal infant, the murder of children, and other archetypes. The myth or tale as interpretation of the world through imaginary thinking is most likely the earliest response to the human need for orientation and security in the “absolutism of reality”19. It corresponds to the original structure of human thinking. Because according to Korbinian Golla “anguish, fright and worry repeatedly need to be rationalised to simple fear”, a person will create “tricks and devices like the supposition of trusted familiarity for the unfamiliar, explanations for the inexplicable, a name or designation for the nameless and unspeakable”. And, “[t]hat which has become identifiable by being named is lifted out of its unfamiliarity through the use of metaphor, through the telling of stories developed to explain what it is all about.”20 In depth psychology and psychoanalysis, myth is considered to be a ritual replication of primeval events, a narrative reappraisal of human primal fears and hopes.21 Within this function, it has an unassailable advantage over conceptual systems. According to this view, myths as pictorial interpretations of the world and explanations of life itself in narrative form can contain general truths. Myths are historical, they change over time. They were not simply handed down orally around the campfire, in the first instance, and then written down at some later point in time. This is an inaccurate, ideal-typical, or archetypal, construction. Myths are created through specific impulses and remain dynamic.22

The Kalevala Kalevala, the Finnish national epic, goes back to the early years of National Romanticism.23 Elias Lönnrot wrote the tale down in 1835 – not in the sense of a mere collection of old folk-tradition, but as a creative act of poetry writing.24 It was the author’s 19 Blumenberg, Arbeit am Mythos, p. 9. 20 Quoted according to Golla, Hesiods Erga, p. 97. Original German version  : “Was durch den Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen in dem, was es mit ihm auf sich hat.” 21 See Freud, Moses and Monotheis. 22 See for instance Davis, Myth Making in the Soviet Union and Modern Russia. 23 See Gillespie, Engel and Dieterle (eds.), Romantic Prose Fiction, esp. pp. 517–26. See also Hausen, Mikkola, Amberg and Valto, Eliel Saarinen, esp. pp. 32 ff. 24 See here and in following note, Järvinen, Kalevala Guide. There are numerous adaptations and translations of Kalevala into English and other languages, as well as analyses. See Jenkins, Ervast and Jownsuu, The Key to Kalevala  ; Lönnrot, The Kalevala  ; Pentikainen, Kalevala Mythology  ; Lönnrot, The Kalevala  ; Friberg et al., Epic of the Finnish People  ; Caraker, Women of the Kalevala  ; Anderson, Children of the

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aim to construct an image of Finland at a time when heroes, shamans and magic had come to an end and the new Christian era was beginning. Furthermore, Lönnrot sought to create a literary history of Finland for the Finns – in a land of fishermen and hunters where literary culture and national identity were barely developed. The Kalevala thereby also gained political relevance. It promoted the Finns’ national identity and, following the country’s independence from Sweden in 180925 and, subsequently, from Russia in 191726 contributed to the development of a Finnish culture that was independent of Sweden and Russia. From 1917, the country was no longer an independent Grand Duchy within the Greater Russian Empire but a sovereign state.27 Over time, the Kalevala played either a quite dominant or a marginal role. Folk literature was widespread across all of Finland until the 16th century. Following the Reformation, the Lutheran Church placed a ban on ‘pagan’ songs and folk literature. Little by little the tradition petered out in Western and Central Finland, but not in Eastern Finland and the Baltic Sea-Finnish region through to Estonia. As far as the 20th century is concerned, interest in the Kalevala began to grow once again after a period of latency between 1945 and 197028. It was a source of inspiration for many artists who created a new Finnish form of lyrics, music and poetry on the basis of the national epic – in a clear statement of demarcation from the overpowering neighbour to the East, the USSR. Herein lies another particular significance of the Kalevala  ; its language was based on the Karelian dialect of the Finnish region. This was the Eastern province, half of which had been annexed by the USSR, but which – according to Finnish understanding – belongs to the Finnish heartland.29 How deeply the Kalevala is embedded in Finnish cultural everyday life to the present can be seen in the fact that insurance companies, banks, various firms, ice-breakers and public spaces carry the names of legendary figures from the national epic. Likewise, many Finnish first names are borrowed from the Kalevala. And the Finns

Kalevala  ; Mcneil, The Magic Storysinger  ; Impola and Heusinkveld, Words of Wisdom and Magic from the Kalevala  ; Worth and Dubois, Return to the Kalevala  ; Dubois, Finnish Folk Poetry and the Kalevala  ; Honko, Religion, Myth and Folklore in the World Epics  ; Kirby, Kalevala Land of Heroes  ; Sülala, Songs Beyond the Kalevala  ; Kalevala. Das Nationalepos der Finnen  ; Honko (ed.), The Kalevala  ; School­field (ed.), A History of Finland’s Literature  ; Kallio, Finland  : A Cultural Outline  ; Honko (ed.), Religion, Myth, and Folklore in the World’s Epics  ; Pentikäinen (ed.), Kalevala Mythology. 25 See Nelsson, Duncker och Savolaxbrigaden. 26 See Besier, “The Intervention of the German Empire”. 27 See Elenius (ed.), Nordiska Gränser i historien. 28 See Evans, Diplomatic Deceptions  ; Putensen, Im Konfliktfeld zwischen Ost und West  ; Jussila, Hentilä and Nevakivi, Politische Geschichte Finnlands seit 1809. 29 See Kinnunen and Kivimäki (eds.), Finland in World War II.

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Gerhard Besier

celebrate February 28 1835, when Elias Lönnrot signed off the foreword to Kalevala, as the Finnish Culture Day, known as Kalevala Day. More is needed than simply a basic collection of old folk tales and legends. In point of fact, these need to retain significance for subsequent generations  ; in an affirmative sense, they need to be ‘true’ or genuine and possess a power of interpretation appropriate for the present day. In addition, specific political constellations need to come into play, circumstances that make it seem advisable to nurture the collective identity of a people in the form of a folk epic. The narration of this epic reinforces the common feeling of ‘us’, while it simultaneously marginalises ‘others’. The latter do not belong, because they do not truly understand. The deeper dimensions of the mythic tale remain out of their reach. As a result, they cannot join in the consensual narrative of those who are privy to the tale through socialisation. For an exemplary demythologization it is beneficial to get to work on an unfamiliar myth. In this way, emotions are spared that one’s own master narratives would trigger – insofar as these narratives exist. As soon as one takes up the dissection knife to tamper with such myths, they lose their charm, they become dry and meaningless. The history of historical-critical Bible research and the horror of large sections of believers can serve as an illustration of this phenomenon.30 The back and forth of exegetes between fundamental Biblical piety and a historical-critical consideration of the state of their belief, their constant change of roles so to speak, has deeply disturbed generations of devout Theology students. At the same time, emotional non-participation creates a risk in itself that the unfamiliar myth is disparaged, or even condemned and scorned. When the anthropologist Pascal Boyer was speaking at an official dinner at Cambridge about the religious perceptions of a small nation, a Catholic theologian commented  : “It is precisely this that makes ethnology so fascinating, and yet, at the same time, so challenging. It needs to explain how people can possibly believe in such a load of rubbish.”31 To put it simply, he had understood nothing. The Kalevala consists of a number of cycles.32 The first begins with the origin myth  : Ilmatar, the female spirit of the air, descends to the waters, becomes pregnant to the wind, and transforms into the water-mother. A diving duck lays her eggs on Ilmatar’s knees. The eggs break open and the world, the sun, the moon and the stars are created from the pieces of egg shell. Ilmatar shapes the world. After a long pregnancy, she gives birth to Väinämöinen (Väinö). He is the protagonist of the Kalevala. He combines the characteristics of the wise old singer, the legendary hero, of a sha30 See Berger, Die Bibelfälscher  : Wie wir um die Wahrheit betrogen werden. 31 Boyer, Und Mensch schuf Gott, p. 359. 32 See Spreckelsen, Kalevala.

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man and a mythical deity. Väinö calls upon Sampsa Pellervoinen to plant trees and a forest. However, the forest grows so vast and so massive that the sun can no longer shine through, so that it needs to be uprooted. He leaves a birch tree to grow for the birds, so that the eagle can peer from the heights and the cuckoo can continue to sing. Väinö is famous for his songs and his wisdom. The young Joukahainen from the north is jealous of Väinö and challenges him to a competition of singing and wisdom, only to be defeated. However, this challenge angers Väinö, who uses his magical powers to cause Joukahainen to sink into a swamp. Fearing imminent death, Joukahainen promises his opponent Väinö his sister Aino’s hand in marriage. Aino’s mother is overjoyed about the clever son-in-law but Aino abhors the old man. She flees into the forests, reaches the coastline and drowns herself. A hare brings the mother the sad news. She bursts into tears, causing the rivers to flow, the birch trees to grow and the cuckoos to proclaim her pain and suffering. Väinö travels to the sea in search of Aino. He catches a fish and wants to kill it. However, the fish is, in fact, the drowned girl, which he realises too late. The girl mocks him for not recognising her and falls back into the sea. Väinö lapses into a deep state of depression. At this point, his mother advises him to seek the hand of a girl from Nordland (Pohjola). Mounted on his magical steed, Väinö rides across the water to Nordland. However, Joukahainen is determined to avenge his sister’s death. He shoots Väinö’s horse with an arrow so that the horse falls into the water and is carried away on the waves. Joukahainen’s mother condemns her son’s deed. However, an eagle saves Väinö and brings him safely to Nordland. Once there, Väinö is overwhelmed with homesickness. The Lady of Nordland, Louhi, hears his weeping and takes care of him. Louhi promises Väinö one of her daughters and a safe journey back to his home, if he agrees to make her a Sampo, a magical tool that can produce gold, grain and salt. Väinö summons the smith who can craft a Sampo, but once the Sampo is created, Louhi’s daughter spurns Väinö. Sad and disappointed, he returns home. Louhi has allowed Väinö to return home without the promised daughter. On the journey home, Väinö meets a beautiful maiden that he wants to marry. However, the girl makes a condition that he should fulfil several wishes for her. He is to craft a boat for her from a shard of her spindle, but his axe slips and blood flows from his wound. An old man closes the wound with a magic charm. The second cycle tells the tale of Lemminkäinen, who travels to Saari (The Island) to marry the celebrated maid, Kyllikki. He works as a cowherd, only to kidnap Kyl­ likki and travel with her back to his home. However, when he does not return on time from the hunt, Kyllikki leaves him. Lemminkäinen travels to Nordland and asks

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Louhi for one of her daughters, but his request is rejected, as he already has a wife at home. When Lemminkäinen insists, Louhi gives him three difficult tasks to fulfil. He successfully slays the elk of Hiisi, an evil spirit of the forest, and then brings Louhi the brown stallion of Hiisi. His final task is to kill the swan that swims on the Tuonela-River, the river separating the lands of the living and the dead. However, a cowherd set on revenge pursues and kills Lemminkäinen, chops his body into pieces and throws the dismembered parts into the river. Lemminkäinen’s mother learns from the sun that her son is floating in the river. She collects the scattered fragments of his corpse from the water and pieces him back together. With the aid of magic spells, she is able to bring him back to life. The next cycle returns again to Väinö, who wants to build a boat in order once again to free one of the daughters of Nordland. However, he does not possess the necessary magical words to complete the building of the boat. Väinö searches for them in vain in the realm of the dead, and only escapes the kingdom by transforming into a snake that is able to slip through the net into the Tuonela-River. In the end, he climbs into the belly of the sleeping giant and magician, Antero Vipunen. Väinö awakens the giant and learns all the necessary magic charms from him to allow the boat to be completed. But the smith, Ilmarinen, to whom one of the Nordland daughters had also been promised, follows Väinö. When Ilmarinen succeeds in solving three difficult tasks – to plough the serpent field, to capture the bear of Tuoni and slay the wolf of Manala, and to catch the great pike in the river of the realm of the dead – the daughter of Nordland chooses Ilmarinen. Sad and disappointed, Väinö makes his way home. Once again, he has lost out to a younger man. Everyone is invited to Ilmarinen’s magnificent wedding  – everyone except Lemminkäinen. Nonetheless, Lemminkäinen travels to Nordland, and has to overcome numerous dangers on his journey. Once there, however, he is not made welcome, and falls foul of the Lord of Nordland, whom Lemminkäinen kills. He is forced to flee. Once back home, Lemminkäinen’s mother advises him to go into exile on The Island (Saari). However, because Lemminkäinen, a well-known philanderer, starts amusing himself with the women of Saari, the jealous men of the island plan to kill him. Once again, he needs to flee. Returning home, his mother hides him in an isolated hut in the forest. Lemminkäinen wants to take revenge on the citizens of Nordland and strikes out with his friend Tiera for Pohjola. But the Lady of Nordland sends a chilling spell in his direction so that their boat freezes. They are forced to turn around. The next cycle deals with the two rival, hostile brothers, Kalervo and Untamo. With the aid of his troops, Untamo destroys his brother’s property and possessions, killing all but one pregnant woman. She bears the child Kullervo, who grows into a

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man with super-human powers. Untamo takes Kullervo into his service, but soon wants to get rid of him. In the end, Untamo sells Kullervo to the smith, Ilmarinen. Ilmarinen’s wife gives Kullervo, who is now working as a cowherd, a loaf of bread in which she has baked a stone. Kullervo’s knife snaps and breaks on the stone as he tries to slice the loaf of bread. He is so incensed at this that he hustles the cattle into the swamp and brings home a heard of bears and wolves in their place. When the smith’s wife goes to milk the beasts, the wild animals tear her to pieces. Kullervo flees and learns from an old woman that his parents are still alive and living on the border to Lapland. Kullervo is reunited with his parents and meets a young maiden on the way home from his workplace. He seduces the girl, only to discover the next morning that they are, in fact, brother and sister. Upon learning the truth, the maiden throws herself into the river and drowns. After avenging himself on Untamo and killing the entire clan, Kullervo returns home, but discovers that his parents have been murdered. Thereupon, Kullervo returns to the place in the forest where he seduced his sister and throws himself on his own sword. The smith Ilmarinen grieves for his wife and forges a new wife out of gold, but she remains cold and unapproachable. Therefore, he offers her to Väinö, but Väinö declines the offer and advises his people to forego gold. Ilmarinen now wants to marry his wife’s younger sister. When her family reject this proposal, he kidnaps the maiden on his sledge. When they stop to rest overnight and Ilmarinen falls asleep, the young girl amuses herself with other men. When Ilmarinen awakens and discovers what has happened, he casts a spell on the girl and transforms her into a seagull. He returns home alone. On his return, he tells Väinö of the prosperity that the citizens of Nordland have been able to accrue through the Sampo. Väinö wants to steal the Sampo and has Ilmarinen create a magical sword to achieve this goal. He and his people, including Ilmarinen and Lemminkäinen, set sail. Along their journey, they must live through many adventures. During one of these, Väinö kills a giant pike for them to eat. From its bones, Väinö carves a musical instrument, a kantele (a box zither), whose beautiful tones cause all living beings to fall into a joyous-drowsy trance. Louhi, the Lady of Nordland, sends her troops to battle the conquerors, but Väinö lulls them to sleep with his musical instrument, steals the Sampo and travels back home. Väinö wakes a crane with his song, and the crane drags the citizens of Nord­ land out of their enchanted sleep with its cries. Louhi seeks to stop the escaping conquerors and transforms into an enormous bird of prey. Together with her people, she attacks Väinö. During the battle, the Sampo falls into the water, shatters into many pieces, and thus enriches the wealth of the sea. Later on, Väinö is able to save some fragments of the Sampo, and these fragments stimulate the growth of the barley and

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rye grains. Väinö prays that Finland be blessed with good fortune, prosperity and happiness. Out of revenge, Louhi sends one plague after another down onto the people of Kalevala, including wild bears, voracious fish and other pestilence. After she steals not just the sun, moon and stars, but also fire from the people, and hides them inside a mountain, Ukko, the supreme god, sends the people a spark of fire that Väinö is able to catch. In the end, Louhi releases the celestial bodies from their hiding place so that light comes to Kalevala once again. The final cycle describes how Marjatta (Maria), a chaste virgin, goes into the forest and eats a cranberry, from which she falls pregnant. Her parents accuse her of being a whore, and are not willing to prepare even a sauna for the impending delivery. Marjatta finds a stable on the Tapio Mountain. A kind horse in the stable moistens her with his breath as she brings a baby boy into the world, lying on the hay. One day, as she is combing her hair, the child suddenly disappears. Frantically, she searches everywhere for him, only to find him in a swamp. When Väinö condemns the fatherless child to death, the boy suddenly speaks and lays the blame for Aino’s fate at his feet. The boy is baptised by Virokannas and is proclaimed King of Karelia. Väinö is angered by this development and leaves the country in a copper boat, announcing that one day he will be needed again to create a new Sampo. He leaves the Kantele and the legends behind for his people. This ending marks a form of transition from the pre-Christian era into Christian times. Similarities with the story of Mary from the New Testament cannot be overlooked. It is not only the final cycle, but also other stories within this narrative epic – including the stories of Ilmarinen, Kullervo and Lemminkäinen – that bear a strong resemblance to other mythical tales, such as the Nibelungen33, the Greek tale of Oedi­ pus, or the ancient Egyptian Osiris myth. This might be a case of borrowing aspects, but not necessarily. The anthropological repertoire is certainly limited, so that even without knowledge of the other traditions, it is entirely possible to draw parallels. This is the paradox  : communities try to be unique and are eager to underline their uniqueness by stories, which are very similar to those of other allegedly ‘special’ groups. The mythical tale of Marjatta certainly ties in well with the role of women in Kalevala  : women repeatedly appear as mothers or as advisers and saviours of their impetuous sons, but they are also powerful magicians and rulers, as seen in the Queen of Nordland, Louhi.

33 See Besier, “Does National Mythmaking End at the Border  ?”.

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One might find these stories rather bizarre, laborious and frequently also meaningless or trite. Or one might find, in any case, that one does not experience any genuine upsurge of emotion. However, the response is completely different in Finland, where children grow up with these stories.34 The power of socialisation becomes palpable in this country. In her contribution to this volume, Katarzyna Stokłosa describes a colleague, a highly trained man of giant stature, who fell to his knees in a state of great distress, breaking into tears on the Finnish-Russian border of Karelia.35 The core subject matter of the Kalevala and its dramatic composition truly reflect the country, the elements and the very harsh conditions of life. The good things of life – grains, fish, water, forest and sun – are raised to religious elements in this folk tale. The old consciousness of these holy things is transferred to the present day, in the sense that modern conservation of nature and the preservation of natural resources assume great importance and a high priority. In the long cold winter, there is very little daylight. In the dark months, Finland assumes the dubious honour of leading international rates of suicide.36 Almost half the adults committing suicide in Finland have serious problems with alcohol. 37 Sleep researchers have focussed intensively on the effects of the long dark autumn and winter in northern Europe. An individual’s feeling of happiness is subject to seasonal variations, and sleep researchers have identified clear hormonal changes that occur in autumn and winter.38 Darkness causes the human body to secrete increased levels of the ‘sleep hormone’, Melatonin. At the same time, the production of the ‘summertime-happiness hormone’, Serotonin, decreases significantly. The hypothesis is contentious, but it is believed that these hormonal changes are likely factors leading to a ‘Seasonal Affective Disorder (SAD)’.39 In winter, the sauna becomes a near-sacred site of bodily and spiritual recuperation. In the deep dark months of the year, it would be easy to believe that the celestial bodies had been stolen, as described in the Kalevala. Time and again, these living conditions become the focus of films and literature.

34 See Mäkinen (ed.), Tales of Magic and Adventure. 35 See Katarzyna Stokłosa’s essay in this volume. 36 See Sonnenmoser, “Psychotherapie in Europa”, p.  67. See in general  : Ray, Abnormal Psychology, pp. 417 ff. 37 See Statistics Finland dated 31/10/2006. 38 See Zulley, “Der Winterschlaf ”, pp.  24  f.; idem., “Sommerzeit Juche”, p.  32  ; Zulley and Campbell, “Chronobiology and Sleep”. In contrast, see Hansen, Skre and Lund, Ingunn, “What is this Thing Called ‘SAD’  ?”  ; Stokkan, van Oort, Tyler and Loudon, “Adaptations for Life in the Arctic”  ; Rohan et al, “Biological and Psychological Mechanisms”. 39 See on neuromodulators  : Roth and Strüber, Wie das Gehirn die Seele macht, pp. 95 ff.

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Gerhard Besier Fig. 1: Akseli Gallen-Kallela, The Defence of the Sampo, 1896, Turun Taidemuseo, Turku. https://de.wikipedia.org/ wiki/Kalevala, last accessed: 23/06/2019.

Fig. 2: Akseli Gallen-Kallela, Aino-Triptych, 1891, Kansallisgaleria, Helsinki Legend: on the left the first meeting of Aino and Väinämöinen, on the right Aino laments her woes. http://kokoelmat.fng.fi/app?si=A+I+518, last accessed: 23/06/2019. https://de.wikipedia.org/wiki/Kalevala

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Fig. 3: Akseli Gallen-Kallela, Lemminkäinen’s mother, 1897, Kansallisgaleria, Helsinki Legend: Lemminkäinen’s mother on the banks of the river of Tuonela reviving her son. http://kokoelmat.fng.fi/app?si=A+I+640, last accessed: 23/06/2019. https://en.wikipedia.org/wiki/Kalevala

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Fig. 4: Akseli Gallen-Kallela, Kullervo marches to war, 1901, Kansallisgaleria, Helsinki Legend: Kullervo goes to war against Untamo and his people. http://kokoelmat.fng.fi/app?si=A+III+ 2144, last accessed: 23/06/2019. https://en.wikipedia.org/wiki/Kalevala Fig. 5: An ancient Finnish hero: Ancient Finnish Hero. Illustration from inside front of volume 1 of Kalevala. Translated by John Martin Crawford, published 1888. https://en.wikipedia.org/wiki/Kalevala

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Fig. 6: Akseli Gallen-Kallela, The Departure of Väinämöinen, 1906, Hämeenlinna Art Museum, Hämeenlinna. https://en.wikipedia.org/wiki/ V%C3%A4in%C3%A4m%C3% B6inen, last accessed: 23/06/2019.

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Erinnerungen als Kunst im Museum

Gedächtnis ist das Tagebuch, das wir immer mit uns herumtragen. (Oscar Wilde)

Die Auseinandersetzung mit Erinnerungen in unterschiedlichsten Prägungen findet in vielen Gesellschaftsbereichen – sowohl öffentlich als auch privat – statt. Geschichts-, Kultur- und Kunstwissenschaft untersuchen seit etlichen Jahren Erinnerungen in verschiedener Artikulation. Auch wenn Kunstwerke grundsätzlich zu erinnerungskulturellen Objektivationen gezählt werden sollten, werden Arbeiten der zeitgenössischen Kunst selten im Zusammenhang ihrer erinnerungskulturellen Dimension und Funktion beleuchtet, obwohl insbesondere sie  – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg  – nach individuellen und kollektiven Erinnerungen fragen.1 Kunst wird nach wie vor „als Ontologie gezeigt, weniger in ihrer historischen Abhängigkeit“.2 Zwar erregen zahlreiche Kunstausstellungen aufgrund der Thematik, ihrer Präsentation und/oder auch der Herkunft der Bilder – also aufgrund sogenannter ‚heißer Erinnerungen‘  – öffentlichen Anstoß, doch sind selten die eigentlichen Inhalte der einzelnen Werke Grund dafür.3 Eine der größten Kunstausstellungen, die Kunst als Erinnerung zum Thema machte, war „Das Gedächtnis der Kunst“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle im Jahr 2000, die in Kooperation von Geschichts- und Kunstwissenschaftlern entstand.4 Zwar sind nach Rainer Koch und Hellmut Seemann  – im Vorwort des für diese Ausstellung produzierten Kataloges – alle „Institutionen und Medien der Bildung, Wissenschaft und Politik […] Teil eines im Einzelnen gar nicht

1 Pieper, „Resonanzräume“, S. 205. – Die männliche Form wird in diesem Aufsatz genderneutral verwendet. 2 Crimp, Über den Ruinen des Museums, S. 76. 3 Pieper („Resonanzräume“, S. 205) gibt als Beispiele solcher Ausstellungen z. B. die Flick Collection im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, an, deren Werke 2008 und 2015 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschenkt wurden. Angeschafft wurden diese Werke von der Flick Familie angeblich mit Geldern erwirtschaftet durch Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg. Eine andere Ausstellung, die Pieper anführt, ist die Ausstellung Zur Vorstellung des Terrors  : Die RAF in den Berliner KunstWerken, die – so verschiedene Presseartikel – Terroristen zu Pop-Ikonen machen wollte. 4 Vgl. Katalog zur Ausstellung  : Wettengl, Das Gedächtnis der Kunst.

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überschaubaren kulturellen Prozesses  : einer sich kontinuierlich erneuernden Erinnerungskultur. Auch die Kunst nimmt an diesem unabschließbaren Prozess teil.“5 Die Ausstellung fragte jedoch nicht ausdrücklich nach Positionen oder danach, welche Rolle der Künstler im Prozess der kollektiven Erinnerungsbildung gespielt haben, sondern wünschte sich vielmehr, „dass diese Auswahl – neben dem ästhetischen Reiz – das Publikum zu einer lebhaften Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit der Frage einladen wird, wie wir an ihrer Vergegenwärtigung und Erinnerung beteiligt sind.“6 Künstler schreiben auch Kurt Wettengl zufolge mit ihren Werken keine Erinnerung, kein Gedenken, keine Auseinandersetzung vor. Vielmehr werde durch die Werke die historische Sinnbildung angeregt und den Betrachtern überantwortet.7 Nach Aleida Assmann schlummert der Großteil unserer Erinnerungen in uns und wartet darauf, durch einen äußeren Reiz ‚geweckt‘ zu werden.8 Dann erst „werden diese Erinnerungen plötzlich bewusst, gewinnen noch einmal eine sinnliche Präsenz und können unter entsprechenden Umständen in Worte gefasst und zum Bestand eines verfügbaren Repertoires geschlagen werden“.9 Assmann zufolge gibt es unzugängliche Erinnerungen, die durch Verdrängung und Trauma unter Verschluss stünden, die schmerzhaft oder beschämend seien und die nicht ohne äußere Hilfe aufgedeckt werden könnten. Insbesondere solche Erinnerungen an traumatische Ereignisse  – meist individuelle, weil sie perspektivisch mit anderen Erinnerungen vernetzt, fragmentarisch, begrenzt und ungeformt, flüchtig und labil sind, aber auch kollektive Erinnerungen – werden in der Kunst nach 1945 thematisiert. Nach dem fundamentalen Bruch in der Kunstgeschichte, der mit dem Zweiten Weltkrieg einherging, suchten Künstler nach neuen Ausdrucksformen für die Aufarbeitung und Erinnerung an vergangene – oftmals persönlich erlebte – Ereignisse. Vor allem die sogenannten Auschwitzprozesse in Frankfurt am Main in den Jahren von 1963 bis 1981 gaben den deutschen Künstlern immer wieder Anstöße, sich mit den unvorstellbaren und kaum ins Bild übersetzbaren Geschehnissen auseinanderzusetzen. Vergangenheit im Bezug zur Gegenwart setzte insbesondere im Deutschland der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre bedeutende Impulse für die Erschaffung von Kunstwerken, weshalb sie im vorliegenden Aufsatz im Mittelpunkt stehen. In unterschiedlicher Art und Weise zeugen sie heute von Vergangenheitsbewältigung und der Auseinandersetzung mit individueller, aber auch kollektiver Erinnerungen. Kunst-

5 Ders., S. 6. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 14. 8 Assmann, „Individuelles und kollektives Gedächtnis“, S. 21. 9 Ebd.

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werke, die von persönlichen, individuellen Erinnerungen geprägt sein können, wurden wiederum in Sammlungen aufgenommen und somit institutionalisiert. Heute befinden sich etliche dieser Kunstwerke in Museen, gelangen immer wieder durch Ausstellungspräsentationen an die Öffentlichkeit und prägen damit noch heute kollektive Erinnerung mit. Wie Erinnerungen in Kunst transportiert werden, mit welchen Mitteln eine Transformation von individuellen Erinnerungen hin zu Medien des kulturellen Gedächtnisses möglich ist und welche Rolle dabei die Museen spielen, soll Inhalt dieses Beitrages sein.

Vergangenheit als Impuls Künstler beschäftigen sich seit Jahrhunderten mit historischen, aber auch zeitgenössischen Ereignissen ihres sozialen Umfeldes und prägen damit Vorstellungen von historischen Begebenheiten für Generationen. Seit der Renaissance wurden auf von Herrschern oder der Kirche in Auftrag gegebenen Historienbildern geschichtliche Ereignisse in realistischer, vielfach aber eher in ideal-überhöhter Form – häufig mit Motiven und Themen aus Religion und Mythologie verdichtet – festgehalten. Selbstverständlich haben sich Formen und Mittel des Ausdrucks im Verlauf der Jahrhunderte gewandelt, doch bleiben Ereignisse der Geschichte als Thema der Malerei bis ins 20. Jahrhundert hinein bedeutend. Während Historienbilder in der frühen Neuzeit vielfach der Repräsentation eines Herrschers gedient hatten, so beruhten die Darstellungen von historischen Ereignissen seit dem 19.  Jahrhundert zunehmend auf anderer Motivation, so besonders der Inszenierung nationaler Vergangenheit. Durch die Entwicklung neuer künstlerischer Medien wie der Fotografie und des Films wurde klassische Historienmalerei im 20. Jahrhundert zunehmend verdrängt.10 Künstler wie Francisco de Goya, Eugène Delacroix und Edouard Manet schufen Ende des 19.  Jahrhunderts Gemälde, deren Sujets eine politische und auch ideologische Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen darstellten. Um 1900 unternahm Ferdinand Hodler gar den Versuch, die Historienmalerei durch Monumentalisierung wiederzubeleben. Aber auch wenn sich Künstler wie Max Beckmann, George Grosz, Ludwig Meidner, Otto Dix und Käthe Kollwitz mit ihrer Zeitgeschichte auseinandersetzten, indem sie z. B. die Grausamkeiten des Ersten Weltkrieges und seiner Folgen in ihren Bildern festhielten, und Pablo Picasso im Jahr 1937 mit seinem Gemälde Guernica ein zeitkritisches Antikriegsbild als Reaktion auf den Spanischen Bürgerkrieg anfertigte, verlor die eigentliche Historienmalerei nach und nach an Bedeutung. 10 Vgl. Gaethgens und Fleckner, Historienmalerei, S. 69.

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Künstler wie Joseph Beuys, Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Bernhard Heisig, Hans Grundig, Christian Boltanski, Georg Baselitz oder Markus Lüpertz, um nur wenige – vor allem deutsche  – Beispiele zu nennen11, die sich mit Erfahrungen und Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg auseinandersetzten, führten die Arbeit mit Themen ihrer Zeitgeschichte individuell, teils ganz persönlich fort. Sie verzichteten jedoch auf Erzählung von Geschichte und arbeiteten mit Symbolen, Allegorien oder Metaphern. Sie beleuchteten oder dokumentierten zwar ein historisches Ereignis, forderten den Rezipienten jedoch auf, die Geschichte selbst zu erzählen, oder sie benutzten Abstraktion als Darstellungsform und verweigerten damit dem Rezipienten einen Ansatzpunkt zur Auslegung ihrer Erzählung. Im Verzicht auf Erzählung, Belehrung oder Setzung von normativen Werten unterscheiden sich diese Werke heute deutlich sowohl von der klassischen Historienmalerei als auch von den traditionellen Denkmälern. Sie sind künstlerische Vergangenheitsbewältigung und „Vergegenwärtigung von historischer Erinnerung“.12 Dabei erzeugen sie kein Narrativ im geschichtswissenschaftlichen Sinne, sondern „durchbrechen die Linearität des Textes und sind simultan wahrnehmbar  ; sie sind nicht allein kognitiv, sondern sinnlich anschaulich konstruiert und wollen mit ihren geformten Erkenntnissen ästhetisch überzeugen statt wissenschaftlich zu argumentierten.“13 Mit Hilfe ihrer Werke können bildende Künstler historische Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, dokumentieren, hinterfragen, kommentieren oder gar kritisieren.

Künstlerische Arbeit mit ‚Geschichte‘ nach 1945 Künstlern war es direkt nach dem Zweiten Weltkrieg kaum möglich, die Schrecken seiner Erfahrungen und Erlebnisse auf die Leinwand zu bringen. Neben furchtbaren Episoden im Kriegsgeschehen waren es vor allem die Folgen der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki und Ereignisse im Zusammenhang des Ho11 Selbstverständlich kann hier keine vollständige Untersuchung aller Künstler, deren Œuvre sich mit Erinnerungen im Besonderen oder Allgemeinen auseinandersetzen, angestellt werden. Die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler stehen exemplarisch für eine ganze Reihe von Künstlern, die mit Erinnerungen auch an anderen Themen – wie z. B. Teilung Deutschlands, Terrorismus, Vietnamkrieg oder allgemein Kalter Krieg und vieles Anderes  – arbeiten. Aufgeführt werden außerdem nicht all jene künstlerischen Werke, die Erfahrungen und Erlebnisse jüdischer Künstler in Konzentrationslagern, auf ihrer Flucht u. a.m. darstellen. Solchen Arbeiten gebührt m. E. ein separater Beitrag. 12 Wettengl. „Das Gedächtnis der Kunst“, S. 14. 13 Ebd.

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locaust, die für die bildende Kunst eine große Herausforderung darstellten. In der Hinwendung zu Ungegenständlichkeit entwickelten Künstler für diese Schrecken zunehmend abstrakte Darstellungen mit visuellen Zeichen und Symbolen, die der Betrachter selbst zu deuten hat. Es waren vor allem Künstler des Informell wie Hans Hartung, Wols und Emil Schumacher, deren Kunstwerke – angeregt durch französische Kollegen – den Nationalsozialismus, den Krieg und die Nachkriegszeit in verallgemeinernder und überwiegend metaphorischer Form thematisierten. Sie schufen damit unsichtbare Bilder, in denen sie ihre eigenen Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges verarbeiteten, dokumentierten oder kommentierten. Salvador Dalí zählt demgegenüber zu den wenigen Künstlern, die sich der atomaren Katastrophe in Japan zeitnah künstlerisch in nahezu gegenständlicher Form angenommen haben. In Melancholy, Atomic and Uranium Idyll14 aus dem Jahr 1945 verarbeitete Dalí die Nachrichten und Bilder aus Japan zu einem apokalyptischen Gemälde. Ganz im Stil des Surrealismus nutzte er Zeichen und Symbole, um eine andere Realität – ein Vorher und Nachher – des Atombombenabwurfs mit Feuer und Schwärze der Zerstörung und Aussichtslosigkeit, aber auch mit strahlendem Blau für das zuvor dort Gewesene – das Vergangene und die Erinnerung daran – darzustellen. Die Gegenüberstellung von Licht und Schatten als Gut und Böse hat eine lange – auch kunsthistorische – Tradition, die den Rezipienten vertraut ist und ihnen die Möglichkeit zur Entschlüsselung des Werkes liefert. Auch Karl Hofer blieb seinem bereits vor dem Krieg ganz eigenen Stil des Expressionismus bzw. expressiven Realismus treu und brachte in seinem nahezu metaphorischen Gemälde Schwarzmondnacht15 von 1944 verschiedene Menschen zusammen, die unter einem mächtigen schwarzen Mond angstvoll auf ein dem Rezipienten verborgenes, außerhalb des Bildes liegendes Geschehen schauen. Lediglich der Schwarze Mond weist hier auf die andere, Angst einflößende, übermächtige Seite hin, deren Interpretation vor dem Hintergrund der Produktion des Bildes im letzten Kriegsjahr dem Betrachter überlassen wird. Der Künstler selbst nahm keine Position ein, sondern produzierte einen entrückten, mit Abstand beobachteten Moment der Angst seiner Umgebung. Hier wird besonders deutlich, dass deutsche Kunst während und nach dem Zweiten Weltkrieg es zunächst ablehnte, gesellschaftliche Realität offenzulegen. Nur wenige Künstler thematisierten das Zeitgeschehen mitsamt ihren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg – und dann häufig auf ei14 Vgl. Abbildung in  : http://www.museoreinasofia.es/en/collection/artwork/atomica-melancolica-melan cholic-atomic (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 15 Vgl. Abbildung in  : www.sammlung-online.berlinischegalerie.de (letzter Zugriff  : 07.05.2018).

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ner Metaebene. So spielte der in den Kriegswirren nach Amerika emigrierte George Grosz in The Grey Man Dances16 von 1949 auf die Teilung Deutschlands an. Wilhelm Rudolph dokumentierte dagegen in seinem Gemälde Das zerstörte Dresden17 von 1952 die Trümmerlandschaft seiner Heimatstadt, und Hans Grundig gedachte in seinem Werk Opfer des Faschismus18 von 1946/47 eben diesen. Während Grosz als unverhohlene Kritik und Rudolph als generelle Dokumentation sich den Folgen des Krieges mit allgemeinen Aussagen näherten, schuf Grundig nach seiner Rückkehr aus Moskau in seine Heimatstadt Dresden im Januar 1946 zum Gedenken an seine fünf Jahre Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg in sakraler Überhöhung zwei Gemäldefassungen der Opfer des Faschismus als individuelle Vergangenheitsbewältigung. Die Verwendung christlicher Bildsprache gibt dem Inhalt des Bildes höhere Bedeutung und überführt es in eine zeitlose Ebene. Dargestellt sind zwei auf dem Boden liegende Leichname. Die ‚eckige‘ und ‚goldene‘ Umrandung der Toten weckt Assoziationen einerseits an die Form der Predella – den Altaruntersatz als traditionellen Ort für die Darstellung der Grablegung Christi – und andererseits grundsätzlich an die mittelalterlichen Goldgründe der Altäre. Der vordere Leichnam trägt die Häftlingsnummer des Malers. Seine kauernde Haltung und der dürre Körper sprechen von der zuvor erlebten Qual. Zum Schutz oder als Ausdruck von Trauer und Scham hält er die rechte Hand vor sein Gesicht. Die linke krallt sich in die Erde. Der andere Häftling liegt vom Tod erlöst lang gestreckt auf dem Rücken, die Hände auf der Brust gefaltet. Hinter einem Zaun heben sich vor einem rot gefärbten Himmel endlose Reihen von Baracken und ein Wachturm ab. Ein Schwarm von Krähen kündet von Unglück und Tod. Grundig verarbeitete in Opfer des Faschismus eigene Erinnerungen und schuf gleichzeitig ein Denkmal für all jene, die nicht überlebt haben. Künstler, die sich in einer der Vorkriegszeit sehr ähnlichen künstlerischen Manier diesen Themen gewidmet haben, waren Bernhard Heisig, Markus Lüpertz und Georg Baselitz. Sie lehnten die abstrakte Malerei ab, orientierten sich an der Tradition des Expressionismus und befragten in ihren Arbeiten die Vergangenheit über ihre eigene Gegenwart. Heisigs Werk ist geprägt von der Erinnerung an Erlebnisse des Krieges. Von 1942 bis 1945 gehörte er der SS-Panzer-Division «Hitlerjugend» an und kam nach Kriegsende in russische Kriegsgefangenschaft. Als Invalide kehrte er in seine Heimatstadt Breslau zurück, aus der er 1947 vertrieben worden war. Seine künstleri-

16 Vgl. Abbildung in  : http://sidebysidegallery.com/past-exhibitions/bridge-over-chaos-spring-2016/SbS G-GROSZ_The-grey-man-dances-1949_WB (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 17 Vgl. Abbildung in  : https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/313587 (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 18 Vgl. Abbildung in  : https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/395 (letzter Zugriff  : 24.06.2019).

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sche Auseinandersetzung mit seinen Erinnerungen thematisieren diverse persönliche Konflikte mit der jüngsten deutschen Geschichte. Sie wirken befremdlich und gespenstisch – sie sind Bilder traumatischer Erinnerung. Das Gemälde Unterm Hakenkreuz19 von 1973 evoziert beim Betrachten ein Narrativ. Es zeigt einen heute durchaus noch lokalisierbaren Stadtteil Breslaus. Diesen machte Heisig im Bild zur Bühne einer surrealen Vorstellung. Der Blick des Rezipienten bleibt zunächst an der nackten, mit den Füssen an ein Metallgestell gefesselten Frau hängen, die den grell geschminkten Mund wie zu einem Entsetzensschrei öffnet und ihre Augen, der Ohnmacht nahe, mit dem Handrücken bedeckt. Sie ist ein Opfer der beiden uniformierten Männer, deren Ideologie durch die unter der nackten Frau liegende rote Flagge mit dem Hakenkreuz offenbart wird. Direkt neben ihr ist ein Soldat mit einem blutigen Messer in der Hand. Sein Gesicht bedeckt er mit einem Stahlhelm, als schäme er sich der Tat, die er begangen hat. Hinter ihm befindet sich ein ranghöherer Offizier in nationalsozialistischer Uniform, der sich etwas Rundes mit Antenne vor die Ohren hält, so als wolle er etwas genau verstehen oder als sei er immer auf Empfang. Mittig vor diesen beiden zielt ein mit blutigen Narben gezeichneter Junge mit einem Maschinengewehr aus dem Bild hinaus auf einen unsichtbaren Gegner. Wie besessen kämpft er weiter, während die Soldaten – seine Vorgesetzten hinter ihm – sich nicht um ihn kümmern. Über dieser Szene erheben sich Lautsprecher, wie verschiedene Megaphone aneinandergereiht vor gelbem Grund, einer Feuersbrunst gleich. Rechts davon ist ein brennender Panzer, aus dem ein Soldat zu entkommen versucht. Vor dem persönlichen Hintergrund des Künstlers wird die nackte Frau zur Allegorie für die Stadt Breslau, die in den letzten Monaten des Krieges unter Karl Hanke versucht hatte, Stellung zu halten, und dennoch kapitulieren musste. Der Junge am Maschinengewehr wird dabei zum metaphorischen Selbst des Künstlers und damit das Gemälde zum Sinnbild von allgemeiner Vergangenheitsbewältigung mit Hilfe individueller Erinnerung und Erfahrung. Markus Lüpertz bildete in ähnlich expressionistisch wirkender Malweise Stillleben mit Stahlhelmen, Militärspaten, Ähren, Militärmützen und römischem Brustpanzer – d. h. mit symbolträchtigen Motiven der größtenteils deutschen Geschichte. Das Triptychon Schwarz Rot Gold I–II–III dithyrambisch20 von 1974 präsentiert in scheinbar serieller Wiederholung jeweils vor einer weiten, goldgelben Ackerlandschaft mit Ähren ein Ensemble aus schwarzem Helm, schwarzem Spaten und historisch anmutendem schwarzrotem Brustpanzer auf der Radachse einer Kanonenlafette. Die Zusam19 Vgl. Abbildung in  : https://www.zum.de/Faecher/G/BW/Landeskunde/rhein/geschichte/expo/dhm/ kunst_kalterkrieg/heisig.htm (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 20 Vgl. Abbildung in  : http://www.dw.com/de/markus-l%C3%BCpertz-der-malerf%C3%BCrst-von-einstist-75/a-19206303 (letzter Zugriff  : 24.06.2019).

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menstellung dieser im Zweiten Weltkrieg bereits altmodischen Gegenstände in und vor den Farben Schwarz, Rot und Gelbgold weckt Assoziationen an Trophäen. Das Ensemble bewirkt aber nicht den Anschein, als handele es sich hier um pathetische Vergegenwärtigung erbeuteter Waffen des Feindes und damit um eine Verherrlichung militärischer Kraft. Vielmehr erzeugt es Assoziationen an einen Kriegskrüppel im Rollstuhl  ; auch lassen Helm und Spaten eher an unmoderne militärische Ausrüstung des Ersten Weltkrieges denken als an heroisch bedeutende Fundstücke des Zweiten Weltkriegs. Durch den Titel und die Wiedergabe in Schwarz, Rot und Gold werden, so Uwe M. Schneede, alle „Motive als deutsche und auch gegenwärtige identifiziert, durch die Außerordentlichkeit ihrer Darstellung aber zugleich probeweise ins Mythische gehoben“21. Zwar steht Lüpertz mit diesen Stillleben stets unter dem Verdacht, „von der Ästhetik des Bösen fasziniert zu sein“22, doch die vereinfachte und vergrösserte, plakative, zum Teil monumental gesteigerte Malweise sowie das durch die Darstellung als Triptychon ins Überzeitliche Entrückte suggerieren vielmehr eine herausfordernde Geste. Letzteres verweist auf eine in der Gegenwart nicht verarbeitete Vergangenheit, weckt beim Rezipienten zudem Assoziationen an den noch nicht so lang zurückliegenden Krieg und den Nationalsozialismus und fordert ihn darüber hinaus auf, sich mit diesen – möglicherweise auch persönlichen – Ereignissen auseinanderzusetzen. Durch diese Stilmittel wurde das Triptychon Schwarz Rot Gold I–II– III dithyrambisch zur Provokation gegen das Schweigen der Nachkriegszeit, aber auch zur Präsentation von Lüpertz persönlichem Umgang mit dem Nicht-Vergessen-Wollen und den eigenen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Während Lüpertz das Dargestellte in keiner Weise kommentierte oder gar kritisierte, war bei Georg Baselitz schon deutlich eine Tendenz einer dem Rezipienten überlassenen direkten Kommentierung des dargestellten Themas zu erkennen. Baselitz polarisierte bereits früh mit politisch intendierten Arbeiten, auch wenn er auf Stilmittel und Ausdrucksformen des Expressionismus zurückgriff. Für den deutschen Pavillon der 39.  Biennale in Venedig im Jahr 1980, in dem er zusammen mit Anselm Kiefer ausstellte, gestaltete er das Modell für eine Skulptur23. Sie erinnert in ihrer Ausführung an Arbeiten der dem norddeutschen Expressionismus angehörenden Künstlergemeinschaft Brücke, die ohne Gipsmodell ihre Holzskulpturen direkt aus dem Holz schuf. Modell für eine Skulptur ist ein erster Versuch einer Skulptur. Aus einem rechteckigen rohen, noch unbehandelten, unbearbeiteten Holzblock, auf dem Beine und Gesäß mit schwarzer Farbe vorgezeichnet bleiben, erhebt sich der steife 21 Schneede, Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 270. 22 Ebd. 23 Vgl. Abbildung in  : http://kunstportal-bw.de/skhbbbaselitz1b.htmlgl (letzter Zugriff  : 24.06.2019).

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Abb. 1: Georg Baselitz, Rebell, 1965, Öl auf Lwd., Tate, London Künstler-© Georg Baselitz 2018, Foto-© Tate, London 2018.

Oberkörper einer männlichen Gestalt. Der wie zum Hitlergruß erhobene rechte Arm, der Mund wie zu einem Befehl geöffnet, das grimmige Gesicht, die strenge Frisur, die Andeutung eines kurzen Oberlippenbartes sowie die schwarzrote Bemalung auf goldgelbem Holz wecken beim zeitgenössischen Betrachter uneingeschränkt Assoziationen an eine Persönlichkeit des Nationalsozialismus. Diese Darstellung löste zeitgenössisch einen kulturpolitischen Skandal unvergleichbaren Ausmaßes aus. Man unterstellte dem Künstler faschistische Motive. Dieser aber konfrontierte den Rezipienten mit verdrängter bzw. verleugneter Vergangenheit und den dunklen Seiten der Geschichte Deutschlands und forderte so zu Sinngebungen und Stellungnahmen heraus. Bereits die sich rasch und eigensinnig entwickelnde figürliche Malerei Baselitz’ zeigte früh eine intensive Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte – wenn auch nicht so demonstrativ. Bei den immer wiederkehrenden Gestalten Typ, Partisan, Held, Hirte oder Rebell (Abb. 1), die Baselitz ab 1965 produzierte, handelte es sich stets um junge Männer in Uniformenresten, oft mit offener Hose, verwundet, häufig vor Ruinenlandschaft oder brennenden Häusern. Es sind Antihelden.24 In ihnen spiegelt sich 24 Schneede, Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 268.

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nach Schneede die „Orientierungslosigkeit der Zeit und das Aufbegehren, Gefühle der Nichtswürdigkeit und Pathos, das Scheitern gleich zweier politischer Systeme, die Ideale anzubieten schienen.“25 Baselitz setzte sich mit persönlichen Erinnerungen auseinander, kommentierte in seinen malerischen Werken die persönliche Vergangenheit und fordert bis heute darüber hinaus den Rezipienten zur eignen Stellungnahme auf. Unter den Künstlern, die in den 1960er- und 1970er-Jahren nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und Mitteln der Kommunikation suchten, waren beispielsweise die Deutschen Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Gerhard Richter, Jochen Gerz und der Franzose Christian Boltanski. In ihren Arbeiten entwickelten sie neue Formen und Stilmittel, gar neue Bildformeln, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Einen zentralen Werkkomplex bildet die von Josef Beuys selbst so genannte Ausch­ witz-Demonstration26 mit Objekten aus den Jahren 1956 bis 1964. In einer Vitrine arrangierte Beuys einen Topf mit einem auf Gras liegenden Rattenkadaver, daneben einen weiteren Topf mit einem blitzförmig gefalteten Massstab, der bei der Zahl 42 endet, einen Elektrokocher mit zwei Platten, auf denen sich rechteckige Fettblöcke befinden, einen Teller mit einem braunen Kruzifix und Keks, eine Metallscheibe mit schmutziger Oberfläche und Fettflecken sowie verschieden große Würste, ein Relief mit einer Fischdarstellung, einige kleine verkorkte Medizinfläschchen, eine blinde Brille, eine unbeschriftete Metallmarke, eine Fotografie des menschenleeren Konzentrationslagers Auschwitz und eine vergilbte Bleistiftzeichnung einer nackten jungen Frau vor einer Pritsche. Beuys Auschwitz-Demonstration gehörte zur frühesten – in einer innovativen, für Beuys eigenen Bildsprache durchgeführten  – Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Obwohl nach eigener Aussage für Beuys die Nachricht über die Massenmorde in den Konzentrationslagern für seine künstlerische Tätigkeit grundlegend war, habe er mit Ausschwitz Demonstration „nicht die Vorgänge im Lager und nicht die Vernichtung der Menschen darstellen wollen, sondern das Wesen und die Bedeutung der Katastrophe“.27 Bei Beuys’ Auschwitz Demonstration ging es weniger um individuelle Erinnerung. Vielmehr griff der Künstler zu kollektiver Erinnerung, wodurch Auschwitz Demonstration zu einem abstrakten Denkmal an die Shoah wurde. Beuys Schüler Anselm Kiefer setzte sich schon als Student im Jahr 1969 mit seiner Serie von Fotoarbeiten mit der deutschen Vergangenheit auseinander. Achtzehn 25 Ebd. 26 Vgl. http://www.hlmd.de/de/museum/kunst-und-kulturgeschichte/block-beuys.html (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 27 Schneede, Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 274.

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inszenierte Fotografien zeigen Kiefer selbst mit Hitlergruß in Jackett, weißem Hemd, schwarzer Reiterhose und kniehohen Stiefeln – alles alte Kleidungsstücke seines Vaters  – oder in selbstgehäkeltem Patchwork-Kleid. Er nannte diese Fotoarbeiten Besetzungen. Zwischen Sommer und Herbst 1969 habe ich die Schweiz, Frankreich und Italien besetzt. Einige Fotos28. Diesen Titel, in Maschinenschrift auf einem Zettel festgehalten, platzierte er auf dem ersten Foto dieser Serie. Dass diese Arbeiten auf dem zeitgenössischen Markt und in der Gesellschaft polarisierten, ist offensichtlich. Vielfach wurden ihm – ähnlich wie Baselitz – faschistische Tendenzen und der Wunsch vorgehalten, die Blut- und Boden-Ideologie des Nationalsozialismus erneuern zu wollen. Kiefer jedoch sieht in diesen Arbeiten keine politische Aktion, sondern vielmehr eine Selbstfindung, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Frage, wie er sich in jener Zeit verhalten hätte. Nach Schneede „scheint [es] der Versuch zu sein, über das vorübergehende Hineinschlüpfen in eine fremde historische Haut etwas mehr über die seinerzeitigen Beweggründe zu erfahren. Kiefer – und das ist der grundlegende Unterschied zu aller anderen geschichtsbewussten Kunst seiner Zeit – erinnert und bedenkt nicht die Opfer, sondern die Täter und die Mitläufer. Einerseits fragt er sich, wie er sich verhalten hätte, andererseits fragt er uns, ob das alles schon ganz und gar vorüber ist.“29 Betrachtet man diese Folge der Besetzungen genauer, wird schnell deutlich, dass Kiefer Kennzeichen und Stilmittel von Pathos und Heroismus einsetzte, um sie zu parodieren und ins Lächerliche zu ziehen. Besonders deutlich wird dies darin, dass Kiefer die Szenerie in gehäkelten Patchwork-Kleidern gekleidet aufbereitete (Abb. 2) und damit das Thema der gesamten Fotoserie ins Absurde, ja Lächerliche zog.30 Kiefer produzierte auch einige Gemälde in Öl und Kreide auf Leinwand oder Rupfen, die an Dachböden erinnern. Diese Räume werden zu leeren Bühnen, zu Fluchträumen für von der Gesellschaft unverstandene Außenseiter oder auch zum Gedächtnisraum, in dem verdrängte oder verleugnete Inhalte und Gegenstände ausgelagert, aber dennoch aufbewahrt werden. Höhepunkt dieser Serie von Dachbodendarstellungen ist das Gemälde Deutschlands Geisteshelden31 von 1973. Bereits die Größe des Bildes mit über drei Metern Höhe und fast sieben Metern Breite erhebt den Anspruch auf einen tiefen Raum. Dieser Dachboden weitet sich hier zu einer 28 Vgl. http://www.tate.org.uk/research/publications/in-focus/heroic-symbols-anselm-kiefer/occupationsheroic-symbols (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 29 Schneede, Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 272. 30 http://www.tate.org.uk/research/publications/in-focus/heroic-symbols-anselm-kiefer/occupations-­ heroic-symbols (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 31 Vgl. https://artitis.files.wordpress.com/2010/11/anselm-kiefer-germanys-spiritual-heroes1.jpg (letzter Zugriff  : 24.06.2019).

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Christine Szkiet Abb. 2: Anselm Kiefer, Heroische Sinnbilder, 1965, Schwarz-Weiß-Fotografie auf Papier, Tate, London Künstler-© Atelier Anselm Kiefer, 2018, Foto-© Tate, London 2018.

weiten, übergroßen Halle, deren Holzmaserungen der Balken und Dielen an prunkvolle Marmorierung erinnern  – einer Ruhmeshalle, einer Walhalla gleich. Auf den einzelnen Dielen lassen sich Namen bedeutender Persönlichkeiten Deutschlands wie Richard Wagner, Joseph Beuys, Caspar David Friedrich und Theodor Storm lesen. Die lodernden Flammen der Feuerschalen an den Seiten der Ruhmeshalle zu Ehren oder zum Gedenken dieser Persönlichkeiten führen zu einer bewussten Irritation in der Darstellung. Sie verweisen in Kombination mit den assoziierten Holzbalken sogleich auf die leichte Zerstörbarkeit der Konstruktionen. Kiefers riesige Gemälde und Installationen wirken wie menschenleere Bühnenbilder mit noch immer aktueller Thematik. Kiefer diagnostiziert jedoch nicht historisches Trauma, sondern zeigt auf die noch immer präsente Vergangenheit, indem er für jedermann erkennbare Bezüge zu ihr herstellt und sie zudem teilweise ironisch bearbeitet. Wie Beuys transferiert Kiefer kollektive Erinnerung auf eine Metaebene, er fordert aber zugleich – den Arbeiten Baselitz ganz ähnlich – bis heute den Rezipienten auf, Stellung zu beziehen. Gerhard Richter gehört zu denjenigen Künstlern, deren frühes Werk vor dem Hintergrund der eigenen Familiengeschichte auf die nationalsozialistische Zeit Bezug nimmt und damit eigene, aber auch kollektive Erinnerungen thematisiert. Auf

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zwei Ölgemälden, Tante Marianne32 und Herr Heyde, ein Bild33, setzte sich Richter mit der Euthanasie während des Zweiten Weltkrieges auseinander – eng verknüpft mit Erfahrungen und Erlebnissen von Familienmitgliedern. Herr Heyde, ein Bild aus dem Jahr 1959 präsentiert den Moment der Festnahme des Euthanasie-Obergutachters Werner Heyde, unter dem ein Schwiegervater Richters sich am Euthanasieprogramm beteiligte. Tante Marianne von 1965 beruht auf einer eigenen Fotografie Richters aus dem Jahr 1932, die ihn gemeinsam mit seiner Tante zeigt, die 1945 Opfer der Euthanasie wurde. Beide Arbeiten sind – alten Fotografien ähnlich – in Grisaille gehalten. Während Tante Marianne auf den Betrachter wie eine persönliche Erinnerung, ein privates Familienfoto wirkt, erweckt Herr Heyde, ein Bild die Assoziation einer verschwommenen oder verwischten Pressefotografie. Erinnerung wird bei Richter zum wesentlichen Impuls. Erstmals werden direkt zeitgenössische Bilder, die Erinnerungen an Vergangenes thematisieren oder tagespolitische Diskurse behandeln, zur Kunst verarbeitet. In 48 Portraits34 aus den Jahren 1971/72 griff Richter dagegen auf allgemeine – kollektive – Vergangenheit zurück. Für diese Arbeit malte er Fotoporträts von bekannten deutschen Persönlichkeiten – von Dichtern und Denkern, Komponisten, Ingenieuren etc. – nach historischen Passfotos und Fotografien aus unterschiedlichen Lexika ab. Viele der dargestellten Personen mussten wegen ihrer jüdischen Herkunft während der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland emigrieren. Ohne das Leben der Dargestellten zu thematisieren, erhielten sie nun eine innere – soziale – Rahmung, indem sie zusammen gezeigt wurden. Anders als Kiefer distanzierte sich Richter mit dem nüchternen Titel 48 Portraits von jeder sinnstiftenden, wertenden Absicht, transferierte sie aber auf eine Metaebene und forderte überdies den Betrachter zur eigenen Interpretation heraus. Eine ganz andere Art von Auseinandersetzung mit Vergangenem beschritten Jochen Gerz und Christian Boltanski. Gerz’ Installation EXIT  – Materialien zum Dachau-Projekt35 aus dem Jahr 1974 verbindet Vergangenheit und Gegenwart miteinander und suggeriert dabei Kontinuität. Zu sehen sind zwei Reihen von Tischen mit Stühlen, die von schwachen Lampen beleuchtet werden. Auf den Tischen sind Alben 32 Vgl. Abbildung im Online-Werkverzeichnis unter https://www.gerhard-richter.com/de/art/paintings/ photo-paintings/death-9/aunt-marianne-5597/ (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 33 Vgl. Abbildung im Online-Werkverzeichnis unter https://www.gerhard-richter.com/de/art/paintings/ photo-paintings/death-9/mr-heyde-5620 (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 34 Vgl. Abbildung im Online-Werkverzeichnis unter https://www.gerhard-richter.com/de/art/paintings/ photo-paintings/portraits-people-20/48-portraits-5860/?&categoryid=20&p=4&sp=32 (letzter Zugriff  : 24.06.2019). 35 Vgl. Abbildung in  : http://www.medienkunstnetz.de/werke/dachau-projekt/bilder/3/ (letzter Zugriff  : 24.06.2019).

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mit Fotografien, die bei dem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau entstanden sind und die Sprache des Museums dokumentieren. Die darauf gezeigten Hinweis-, Gebots- und Verbotstafeln veranschaulichen, dass der Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager ein emotionaler und psychischer Parcours ist, den die Besucher durchlaufen müssen. Außerdem wird eine Kontinuität der Sprache zwischen Konzentrationslager und Gedenkstätte deutlich, die nach Gerz der eigentliche Untersuchungsgegenstand der Installation war. Wie Richters malerische Ausführungen von bekannten Persönlichkeiten in seinen 48 Portraits nutzt auch der Franzose Christian Boltanski bis heute als Grundlage für seine Werke Schwarz-Weiß-Fotografien. Bei ihm handelt es sich vorwiegend um Porträtaufnahmen, einem zentralen Medium, „um individuelle Identität abzusichern, Erinnerungen abzustützen und Biografien zu beglaubigen.“36 Diese Fotos fotografiert Boltanski ab, vergrößert sie und setzt sie in einen ihm eigenen Zusammenhang. Dadurch entnimmt er sie aus ihren ursprünglichen sozialen bzw. kulturellen Rahmungen. In seinen Installationen der Serien Monuments (vgl. Abb.  3) verbindet er solche reproduzierten und vergrößerten Fotografien in an Retabeln erinnernden Arrangements mit Kleidungsfetzen, rostenden Blechdosen oder anderen Kabeln und beleuchtet sie mit Licht der direkt auf sie gerichteten Glühbirnen. „Boltanskis künstlerischer Gebrauch und Wiedergebrauch von Familien- und Personenfotografien“ bringe uns – so Aleida Assmann – „nachdrücklich diese Erosion des Gedächtniswerts ungerahmter Fotografien zu Bewusstsein.“37 Boltanski geht es nicht um eine historisch genaue Rekonstruktion von Geschichte oder gar Erinnerung, sondern darum, das Problem des Vergessens atmosphärisch spürbar zu machen. Die zum Teil privaten Fotografien sind zwar Teil des kollektiven Gedächtnisses. Ohne Erklärung bzw. Kontextualisierung jedoch sind sie spätestens nach einem Generationenwechsel nicht mehr aussagekräftig. Vielmehr thematisieren sie Erinnerungen an längst vergangene Biografien, ohne derer habhaft zu werden. Monuments weist damit bewusst auf die Unmöglichkeit, Erinnerungen nur allein mit Fotografien oder Dokumenten zu konservieren. Zwar spielten der Zweite Weltkrieg und der Holocaust für Boltanski selbst – 1944 als Sohn eines ukrainisch-jüdischen Vaters und einer korsischen Mutter geboren – und schließlich auch für sein Œuvre, eine zentrale Rolle. Doch „seine Kunst habe nicht den Holocaust zum Thema – so Boltanski – sie erkläre „ihn auch nicht, sie sei vielmehr eine, die sich erklärt, weil es den Holocaust gegeben hat. Es ist eine Kunst danach.“38 Für seine Installationen La Réserve des Suisses morts 36 Assmann, „Das Rahmen von Erinnerungen“, S. 4. 37 Ebd., S. 8. 38 Schneede, Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 282.

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Abb. 3: Christian Boltanski, Odessa, 1989–2003, Installation, The Jewish Museum of NY/Art Resource, NY, Künstler-© 2018, ProLitteris, Zürich, Foto-© bpk-Bildagentur, Berlin.

Abb. 4: Christian Boltanski, La Réserve des Suisses morts, 1990, Installation, Tate, London, Künstler-© 2018, ProLitteris, Zürich, Foto-© Tate, London 2018.

(Abb. 4) schnitt Boltanski Porträtfotografien aus Todesanzeigen von Schweizer Zeitungen und trennte sie damit von ihren Namen, den Jahreszahlen und Geschichten. Er separierte sie von ihren Narrativen. Anschließend verfuhr er mit diesen Fotografien ganz ähnlich wie in seinen Installationen Monuments. Er fotografierte sie ab, vergrößerte sie und arrangierte sie in neuem Zusammenhang. Bei dieser Installation in der Tate Modern in London stehen die Porträtierten auf einzelnen weißen Tüchern

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auf einem Holzgestell. Nicht nur das Holzgestell gibt ihnen einen Zusammenhalt, auch die jeweils oberhalb der Fotografien befestigten Lampen, deren Lichtstrahlen einen Aspekt der Porträtierten direkt beleuchten, verbinden scheinbar die einzelnen Installationselemente anhand der Kabel miteinander. Mit diesen Installationen macht Boltanski den Rezipienten „auf die Auswahlkriterien des kulturellen Gedächtnisses aufmerksam“, so Aleida Assmann. „Tote Schweizer ist (ganz im Gegensatz etwa zu Tote Juden) keine Erinnerungskategorie, für die wir ein kulturelles Schema haben.“39 Seine Arbeiten evozieren beim Betrachter vielmehr eigene innere Bilder und zeigen damit die vom Rezipienten zu füllenden Leerstellen auf. Nach Assmann „klagen [sie] damit Aufmerksamkeit und Erinnern ein und löschen sie im selben Atemzug wieder aus. Sie archivieren und erinnern selbst nichts, aber sie verweisen uns auf unsere eigene Gedächtnisverwaltung, indem sie sinnfällig den Wunsch nach Sinn, Ordnung und Bewahren mit dem Chaos der Flüchtigkeit, Zerstreutheit und Beliebigkeit konfrontieren.“40 Boltanskis Œuvre bezeugt wie kein anderes werkimmanent die Auseinandersetzung mit Erinnerung.

Erinnerung als Kunst im Museum Erinnerung ist das, was wir Menschen von einem Ereignis in der Vergangenheit oder von einer vergangenen Zeit im Bewusstsein haben. Es ist die Fähigkeit, sich an etwas zu erinnern, aber auch das Vermögen aller bisher gewonnenen Eindrücke. Diese gewonnenen Sinneseindrücke werden im Gedächtnis gespeichert, das ihre Reproduktion zu einem Zeitpunkt als Erinnerung möglich macht. Erinnerung ist daher ein wieder lebendig werdendes persönliches Erlebnis. Es ist aber auch Andenken, Gedenken und Souvenir. In Anbetracht des Wissens über die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg in der breiten Öffentlichkeit und der Pflicht, sich daran zu erinnern, beschäftigten sich etliche – vor allem deutsche Künstler – mit ihren individuellen Erinnerungen. Insbesondere junge Künstler der Nachkriegsgeneration setzten gegen das Vergessen auf die Erinnerung. Sie thematisierten Vergangenes, Verdrängtes und Verleugnetes. Sie versuchten, sich der eigenen Kultur ihrer Vorfahren, die die Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert hatten, zu vergewissern. Man erinnerte sich nicht nur an 39 Assmann in „Die Chance auf ein zweites Leben“ vgl. https://derstandard.at/1381370607815/DieChance-auf-ein-zweites-Leben (letzter Zugriff  : 24.06.2019). Beitrag publiziert als Assmann, „Das Kippen von Ordnung in Unordnung“. 40 Ebd.

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den Krieg und den Holocaust, sondern auch an Vertreibung, Flucht, Hunger, Trümmer, Untergang und Überleben.41 Gemeinsam ist diesen Kunstwerken, dass sie aus der Gegenwart heraus Vergangenheit konstruieren und sie mit individueller und kollektiver Erinnerung aufladen. Sie sind für eine öffentliche Präsentation bestimmt und ‚rechnen‘ immer mit einem Gegenüber. Dem Betrachter offenbaren sich bei Dalí, Hofer, Grundig, Rudolph oder Heisig größtenteils persönliche aber auch zu einem kleineren Teil kollektive Erinnerungsprozesse. In den Werken von Lüpertz findet der Rezipient eine Speicherung von Informationen vor. Die Arbeiten von Kiefer, Richter, Baselitz, Beuys, Gerz und auch Boltanski benutzen die Funktionen der Erinnerung im Sinne von Selbstvergewisserung und Stabilisierung von Identität. Während Kiefer, Richter und Baselitz mit ihren Werken darauf abzuzielen scheinen, genau diese Überprüfung beim Rezipienten anzustoßen, hinterfragen Beuys, Gerz und Boltanski unter Verwendung historisch erscheinender Zeugnisse die Selbstgewissheit und Stabilität von Identität der Institutionen des kollektiven Gedächtnisses wie Museen, Denkmal oder Archiv. Für Künstler bedeutet es Aufarbeitung und Verarbeitung des Erlebten. Für uns, die wir diese Werke anschauen, bedeutet es Erinnerungskultur. All jene oben vorgestellten Kunstwerke, die Auseinandersetzung mit ‚Geschichte‘ und Erinnerungen zum zentralen Aspekt ihres Inhalts haben, sind heute in Sammlungen – die meisten von ihnen in öffentlichen Sammlungen von Museen. Die Aufnahme in eine Sammlung und gar dazu in eine öffentliche Sammlung eines Museums beinhaltet wiederum eine Transformation – einen Institutionalisierungsvorgang. Die zunächst individuellen Erinnerungen und Auseinandersetzungen mit Erinnerungen für ein zeitgenössisches Publikum werden hier für ein breiteres Publikum gespeichert. Die Kunstwerke werden ihrem „‚Nützlichkeitskreislauf ‘ entnommen, symbolisch aufgeladen bzw. umcodiert und besonders geschützt.“42 Nach Markus Walz sondern Sammlungen ihre Gegenstände von ihrem eigentlichen Zweck ab, deuten sie um und halten sie dauerhaft verfügbar.43 Sie werden zum Zwischenspeicher der individuellen Auseinandersetzungen mit Erinnerungen. Neben Sammeln zählen Bewahren, Erforschen und Ausstellen zu den Kernaufgaben des Museums. Dadurch wird das Museum „nicht nur Speicher, sondern auch Bühne […], weil es in ihm nicht nur ums Deponieren, sondern auch ums Exponieren geht.“44 Auf einer solchen ‚Bühne‘ wird mit Kunstwerken umgegangen, sie werden 41 Ebd. 42 Walz (Hg.). Handbuch Museum, S. 23. 43 Ebd. 44 Korff, „Speicher und/oder Generator“, S. 174.

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neu arrangiert und inszeniert, vielleicht auch abhängig von der Gegenwart und Perspektive neu interpretiert – was wiederum Auswirkungen auf die gegenwärtige Erinnerungskultur hat. Museen greifen häufig mit ihren Ausstellungsthemen öffentliche Diskurse und Debatten auf. Sie können solche Diskussionen in der Öffentlichkeit aber auch selbst mit kontroversen Ausstellungen auslösen. Hier können Geschichtsbilder und -deutungen virulent werden, aber auch über Repräsentation Sinnbildung stiften. Daher – so Pieper – seien Museen Produktionsstätten, die ihren Gegenstand nicht zeigen, sondern neu aufladen. Sie entwerfen, produzieren und konstruieren Geschichtsbilder als Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. […] Das Produkt Museum gestaltet Erinnerung bzw. spezifische Versionen der Erinnerung.45

Sie beeinflussten damit die umgebende erinnerungskulturelle Landschaft. Dadurch, dass in Museen die Ergebnisse des Sammelns nicht geheim sind oder nur einem kleinen Kreis von Auserwählten vorbehalten bleiben, sondern einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, werden sie auch Teil der Erinnerungskultur. Damit ist das Museum bzw. eine Sammlung mit Ausstellungstätigkeit ein soziales System, in dem Kommunikation stattfindet. Diese Kommunikation ist jedoch kulturell gestaltet und erzeugt auf eine spezifische Weise Geschichte als Deutung. Das System besteht aus insgesamt vier Faktoren. Dazu gehört die Institution selbst. Sie stellt sicher, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht vereinzelt und zufällig, sondern dauerhaft und systematisch erfolgt. Dazu benötigt sie Spezialisten, die eigens für die Beschäftigung ausgebildet wurden, und Medien, die in ihrer Gesamtheit heterogen – sozusagen Multiperspektivität vermittelnd  – sein sollten. Ein weiteres Element ist, dass dieses System die – ansonsten flüchtigen – historischen Vorstellungen speichert, sie dadurch vor Verlust bewahrt und abrufbar hält. Dadurch wird es zu einem Träger des kulturellen Gedächtnisses. Die beschriebenen Kunstwerke, die durch Spezialisten der Museen oder Sammlungen in diesem System aufgenommen und somit gespeichert werden, werden zu erinnerungskulturellen Objektivationen und zu Trägern bzw. Medien des kulturellen Gedächtnisses. In Ausstellungen oder ständigen Museumspräsentationen veranschaulichen und deuten sie immer wieder Geschichtsbilder der Vergangenheit – teils sogar rekonstruierte, gedeutete und/oder veranschaulichte einer bereits noch weiter zurückliegenden Vergangenheit – und unterstützen damit die Kanonisierung der gegenwärtigen Beurteilung der Vergangenheit. 45 Pieper, „Resonanzräume“, S. 201.

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Erinnerungen als Kunst im Museum sind somit Medien des kulturellen Gedächtnisses, mit deren materieller, funktionaler und symbolischer Dimension sie zu ausgedehnten Erinnerungsräumen transformiert werden. Damit beeinflussen sie den eingangs von Koch und Seemann beschriebenen unüberschaubaren kulturellen Prozess einer sich kontinuierlich erneuernden Erinnerungskultur.

Literaturverzeichnis Assmann, Jan. „Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität.“ Kultur und Gedächtnis. Hg. Jan Assmann und Tonio Hölscher. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988. S. 9–19. Assmann, Aleida. „Wozu nationales Gedenken  ?“ Erinnern, vergessen, verdrängen  : polnische und deutsche Erfahrungen. Hg. Ewa Kobylinska und Andreas Lawaty. Wiesbaden  : Harrassowitz, 1998. S. 110–119. Assmann, Aleida. „Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funktionen und Medien.“ Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart. Hg. Kurt Wettengl. Ostfildern-Ruit  : Hatje Cantz Verlag, 2000. S. 21–27. Assmann, Aleida. „Das Rahmen von Erinnerungen am Beispiel der Foto-Installationen von Christian Boltanski.“ BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebenslaufanalyse 21.1 (2008)  : S. 4–14. Assmann Aleida. „Das Kippen von Ordnung in Unordnung  : Boltanskis Archiv-Installationen.“ Helmuth Lethen Katalog der Unordnung  : 20  Jahre IFK. Wien  : IFK  – Internat. Forschungszentrum Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz, 2013. S. 26–29. (zitiert nach https://derstandard.at/1381370607815/Die-Chance-auf-ein-zweites-Leben, letzter Zugriff  : 23.06.2019. Cornelißen, Christoph. „Was heißt Erinnerungskultur  ? Begriff – Methoden – Perspektiven.“ Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003)  : S. 548–563. Crimp, Douglas. Über den Ruinen des Museums. Dresden/Basel  : Verlag der Kunst, 1996. Gaethgens, Thomas W. und Uwe Fleckner (Hrsg.). Historienmalerei. Berlin  : Dietrich Reimer Verlag, 1996. Korff, Gottfried. „Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum.“ Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. Hg. Gottfried Korff. Köln/ Weimar/Wien  : Böhlau Verlag, 2007. S. 167–178. Pieper, Kathrin. „Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur.“ Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Hg. Joachim Baur. Bielefeld  : transcript, 2010. S. 187–212. Rüsen, Jörn und Jäger, Friedrich. „Erinnerungskultur.“ Deutschland-TrendBuch. Fakten und Orientierung. Hg. Karl Friedrich Korte und Werner Weidenfeld. Opladen  : Leske und Budrich, 2001. S. 397–428. Schneede, Uwe M. Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. München  : C. H. Beck, 2010. Walz, Markus. Handbuch Museum  : Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart  : J. B. Metzler Verlag, 2016.

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Wettengl, Kurt. „Das Gedächtnis der Kunst.“ Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart. Hg. Kurt Wettengl. Ostfildern-Ruit  : Hatje Cantz Verlag, 2000. S. 11–19.

Angela Müller

Fotografische Erinnerungen zwischen Buchdeckeln Martin Hürlimanns Indien 1928 und 1959 „Das auf dem Dampfer übliche Gesellschaftsleben hielt vor allzu einseitiger Vertiefung in gelehrte Lektüre ab. Einige Eindrücke rufe ich mir an Hand einer Artikelserie, die ich für die Neue Zürcher Zeitung schrieb, in Erinnerung zurück“.1 Um seine Impressionen der zweiwöchigen Überfahrt nach Südasien im Jahr 1926 wachzurufen, behalf sich der Schweizer Fotograf und Verleger Martin Hürlimann (1897–1984) in seiner Autobiografie von 1977 mit seinen Berichten in der Schweizer Tageszeitung. Doch nicht allein in der Neuen Zürcher Zeitung ließ er Leserinnen und Leser an seinen Reiseeindrücken teilhaben. Mehr als 5000 Fotografien schoss der Autodidakt auf der siebenmonatigen Reise durch den Subkontinent. Er kehrte, „vollgepackt mit innerem und äußerem Material, aber auch abgespannt und ruhebedürftig, nach Europa“ zurück, wie er seinen Verleger wissen ließ.2 Aus dieser Bilderfülle sollte bis 1928 ein Fotobuch entstehen. Seine Erstauflage betrug durchaus beachtliche 15.000 Exemplare. Erschienen war es in der Reihe Orbis Terrarum – Die Länder der Erde im Bild des bekannten Berliner Architekturverlages Ernst Wasmuth. Diese intendierte, die Schönheiten der Welt zwischen Buchdeckel zu packen  : „Sie wird ein Schatz bildhafter Schönheit aller wichtiger Gegenden der Erde sein“, warb ein Verlagsprospekt 1924.3 Dieser Typus Bildband – aufwendig illustriert mit pittoresken Motiven – etablierte sich im deutschsprachigen Raum in den 1920er-Jahren als Massenmedium in einem prosperierenden Markt von Fotografien, das über Medien wie Postkarten, Sammelbilder und Bücher Bilder ferner Länder in heimische Stuben brachte. Während Martin Hürlimanns Tätigkeit als Verleger in einschlägigen Kreisen bis heute bekannt ist, sind seine fotografischen Arbeiten ziemlich in Vergessenheit geraten. Der Asienkenner und Weltreisende etablierte sich im deutschsprachigen Raum als Referenz und war von den 1920er- bis in die 1970er-Jahre publizistisch außer1 Hürlimann, Zeitgenosse, S. 149. Dieser Aufsatz basiert in Teilen auf der Dissertation Angela Müller, Indien im Sucher. Fotografien und Bilder von Südasien in der deutschsprachigen Öffentlichkeit, 1920– 1980, Wien/Köln/Weimar 2019. 2 Privatarchiv Schindler, Mappe „Wasmuth“, Brief von Martin Hürlimann an Günther Wasmuth, Typoskript vom 02.04.1927. 3 Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek, HA/BV 12  : Wasmuth Verlag, Werbeprospekt des Wasmuth Verlag, undatiert, 1924.

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Angela Müller

ordentlich aktiv und präsent. Für Bilder aus verschiedenen Weltgegenden wurde er insbesondere durch seine 1929 gegründete Zeitschrift Atlantis  : Länder, Völker, Reisen bekannt, die später in der Kulturzeitschrift Du aufging. In seinem Verlag Atlantis edierte er Fotobücher aus allen Weltregionen. Es mag an der – im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Bildschaffenden  – relativen Schlichtheit und Nüchternheit von Hürlimanns Herangehensweise liegen, dass sich bisher kaum jemand näher mit seinem Schaffen beschäftigt hat.4 Seine Bilder kamen ‚konservativer‘ daher als die Werke avantgardistischer Fotografen, die sich in den 1920er-Jahren etablierten. Ein weiterer Faktor liegt in der Wahl von Hürlimanns Sujets  : Ein großer Teil seines fotografischen Nachlasses besteht aus Aufnahmen von Denkmälern und Baukunst. Eine Form der Fotografie, der die Geschichtswissenschaft für das 20. Jahrhundert wenig Aufmerksamkeit schenkte. Dass in Bildern von Landschaft und Baukultur spezifische Wert- und Machtvorstellungen der Bildproduzierenden und von deren Gesellschaften zum Ausdruck gebracht werden, hat der Fotohistoriker Jens Jäger betont.5 Vorstellungen von Geschichte und Gesellschaft sind ganz wesentlich durch Bilder geprägt. Bilder wirken als sinn- und bedeutungsproduzierende Medien für kollektive Identitäten und sind aktiv an der Formung von Gesellschaft beteiligt. In diesem Aufsatz nehme ich zwei Fotobücher Martin Hürlimanns zum Anlass, um über die Funktion von Fotografien als Instrument der Konstruktion des Erinnerungsraums ‚Indien‘ nachzudenken. Das eine stammt aus der Zwischenkriegs-, das andere aus der Nachkriegszeit. In Hürlimanns Schaffen eröffnet sich eine selten überlieferte fotografische Langzeitperspektive. Es handelt sich um in den Jahren 1928 und 1959 zwischen Buchdeckeln verpackte Erinnerungsnarrative aus Bild und Text, die zwar durchaus einen räumlich-geografischen Bezug zum indischen Subkontinent aufweisen. Häufig generierten sich die Bilderwelten jedoch aus einem Imaginationsraum mit einer Reihe relativ fixierter Motive. Für Erinnerungsnarrative griffen die Macher visuelle Elemente heraus und arrangierten daraus Repräsentationen je nach Intention, gewähltem Medium und beabsichtigtem Publikum. Die von Jürgen Osterhammel für das 18. Jahrhundert festgestellte ‚Entzauberung‘ Asiens erlebte nicht nur in der Romantik, sondern auch in der Unterhaltungsindustrie des 20.  Jahrhunderts eine Wiederverzauberung als „Wunderland“.6 Wie lassen sich die fotografischen Erinnerungsnarrative ‚Indiens‘ von 1928 und 1959 vergleichen  ? In den 1920er-Jahren zählte ein großer Teil des Subkontinents zum Britischen Empire und stand unter kolonialer Herrschaft der britischen Krone. 1947 entstanden 4 Vgl. Hürlimann, Bildband, S. 108–128  ; Jaeger, Indien, S. 36–43. 5 Vgl. Jäger, „Nations“, S. 118. 6 Vgl. Osterhammel, Entzauberung, S. 176.

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in einem gewaltbegleiteten Prozess aus Britisch-Indien die Staaten Indien und Pakistan. 1958 bereiste Hürlimann einen jungen Staat und zugleich eine „Volkswirtschaft mit Weltklasse“, die nach ökonomischem Wachstum, Industrialisierung und Modernisierung strebte.7 Der Frage, was dies für die Reiseerinnerungen bedeutete, die er in den beiden Bänden versammelte, möchte ich nachgehen. Die Entscheidung, im Jahr 1926 als 29-Jähriger nach Indien aufzubrechen und einen Bildband darüber zu publizieren, war nicht zufällig. Indien besitzt als Erinnerungsort im deutschsprachigen Raum eine weit zurückreichende Tradition.8 Autoren schrieben darüber  – häufig ohne selbst je vor Ort gewesen zu sein  – und Maler tauchten Landschaften mit dem Pinsel in idyllisches Licht. In den 1920er-Jahren erreichte die Popularität Indiens in der Wahrnehmung des deutschsprachigen Raums neue Dimensionen. Hermann Hesse, der mit seinen Werken ein wichtiger Protagonist der Indienrezeption im deutschsprachigen Raum war, hielt 1925 fest  : „Die geistige Welle aus Indien, die in Europa, speziell in Deutschland, seit hundert Jahren wirksam war, ist nun allgemein fühlbar und sichtbar geworden.“9 Fotopublikationen spielten für diese Sichtbarkeit eine entscheidende Rolle. Sie machten Bilder aus anderen Weltgegenden für ein interessiertes Publikum zugänglich und trugen zur Popularisierung im Zusammenspiel mit Filmen und Literatur bei. In illustrierten Zeitschriften florierte das Bild Indiens als geheimnisvolles Wunderland mit Fürstenpalästen, mit als skurrile Figuren dargestellten Sadhus und einer reichen Natur, die von tropischem Urwald bis zu den Höhengebieten des Himalaya reichte. Aufgrund dieser Popularität ergab es auch aus verlegerisch-ökonomischer Sicht also durchaus Sinn, zu dieser Zeit einen Indienband zu publizieren.

Indien verewigen Hürlimanns Bildband aus dem Jahr 1928 trug den Titel Indien. Baukunst, Landschaft und Volksleben. Die knapp gehaltenen Bildunterschriften erschienen in Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch, richteten sich also an ein transnationales Publikum mehrerer Sprachräume. Die aus über 300 Fotografien bestehende Bilderzählung folgte in groben Zügen der Reise von Hürlimann selbst von Süden in nördliche Richtung, vom damaligen Ceylon bis ins Gebiet des Himalaya. Pittoresk inszenierte Kulturbauten und sich verändernde Landschaften ziehen beim Durchblättern an der 7 Arnold, Südasien, S. 536. 8 Vgl. McGetchin, „Rise“, S. 40 f. 9 Hesse, Indien, S. 232.

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Betrachterin und dem Betrachter vorüber. Dazwischen erscheinen Gesichter einzelner Porträtierter. Wie im Titel des Bildbandes bereits impliziert, kamen Baukunst und Landschaft in der Priorisierung vor dem „Volksleben“. Die im Bildband gezeigten Porträts repräsentierten im Narrativ des Buches denn auch weniger Individuen, sondern Vertreter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe  : Eine brahmanische Familie, ein indigener Knabe aus Südindien, ein Lama, eine Frau am Spinnrad, ein Bauer, ein Fischer der südlichen Malabarküste oder eine Frau aus dem nördlichen Darjeeling. Menschen erscheinen in den Einzelporträts als abstrahierte Repräsentanten von Religion, Berufsleben, Geschlecht sowie Alter, womit Hürlimann die Komplexität der Bevölkerung eines der bevölkerungsreichsten Gebiete der Welt auf einzelne Typen reduzierte. Als „indisch“ inszenierte der Zürcher eine primär religiös geprägte Gesellschaft. Die Wallfahrt bildete ein zentrales Motiv, etwa dargestellt durch rituelle Bäder. Daneben wird die Bevölkerung bei traditionellen Tätigkeiten wie der Fischerei, bei der Versorgung des Haushalts mit Wasser oder etwa im Markttreiben gezeigt. Das Leben findet auf den Bildern weitestgehend draußen und unter einfachen bis ärmlichen Bedingungen statt. Den Hauptteil des Bandes machten Architekturaufnahmen aus. Paläste, Festungen, Moscheen, Grabmäler und weitere religiöse Stätten. Dies entsprach Hürlimanns Bildverständnis. Sein Interesse galt dem „Bauen in die Ewigkeit hinein, die menschliche Formkraft in Erz und Marmor.“10 Den Bauten eigen sei eine „konservative Autorität“, die für „modische Sprünge“ wenig Raum lasse. Er wies architektonischen Strukturen also eine Langlebigkeit und Erinnerungsfunktion zu, die sich von alltäglichen Erscheinungen einer Gesellschaft abhoben, ja diese gar zu überdauern in der Lage waren. Der Alltag sei letztlich vergänglich, so Hürlimann.11 Die Aufnahmen gesellschaftlichen Lebens stellten denn auch einen starken Kontrast zur Inszenierung der Größe und Pracht architektonischer Bauten her. Der promovierte Historiker präferierte monumentale Architektur lokaler Herrscher oder Religionsstifter. Die Bauten attestierten ihren Bauherren Macht, Potenz und Kulturwirksamkeit. Die visuelle Wirkung der Größe eines Baus steigerte sich, indem der Fotograf einzelne isoliert wirkende Personen im Ensemble mitfotografierte. Als eine Art menschliches Maßband ermöglichten sie der Betrachterin und dem Betrachter, die räumlichen Verhältnisse einzuschätzen. Während in der Einleitung die Lebendigkeit des religiösen Lebens in und um Tempelbauten beschrieben werden, ließ Hürlimann diese Lebendigkeit im visuellen Narrativ häufig zugunsten einer möglichst ungestörten architektonischen Aufnahme verschwinden. 10 Hürlimann, „Hürlimann“, S. 74. 11 Vgl. Hürlimann, Indien, S. XXV.

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Die Fotografie sollte ihm als Werkzeug dienen, kulturelle Werke zu dokumentieren, ohne künstlerischen Moden zu verfallen.12 Die Behauptung der ‚Sachlichkeit‘ war mit dem Medium Fotografie untrennbar verknüpft. Gerade bei Bildern, die auf einen ästhetischen Genuss abzielten, war diese Bindung besonders stark, da die Fotografien scheinbar ohne Intention etwa in einem politischen Sinne daherkamen und anschlussfähig waren an die Sehgewohnheiten der Betrachterinnen und Betrachter. Die mit der Fotografie verbundene Glaubwürdigkeit basierte darauf, unsichtbar zu machen, dass den Bildern ein komplexer Konstruktionsprozess zugrunde lag, indem sie zu Bilderzählungen modelliert und montiert wurden. Es handelt sich nicht um vermeintlich spontan und geschwind geknipste Bilder, sondern um ein bewusst gewähltes und inszeniertes Narrativ, dessen Einzelbilder Hürlimann mit Bedacht komponierte. Kurt Tucholsky hielt 1925 für Reisebeschreibungen fest  : Eine Reisebeschreibung ist in erster Linie für den Beschreiber charakteristisch, nicht für die Reise. Worüber der Autor sich wundert, und noch mehr, worüber er sich nicht wundert – denn nichts ist für den Menschen so bezeichnend wie das, was ihm selbstverständlich erscheint –, worüber er lacht, und worüber er traurig ist, seine scherzhaften und seine pathetischen Bemerkungen, seine Landschaftsschilderungen  : diese Dinge enthüllen zunächst einmal ihn selber.13

Diese Beschreibung lässt sich auch auf die Fotografie übertragen. Der fotografische Konstruktionsprozess lässt sich implizit einerseits durch die Wahl des Sujets sowie des Bildausschnitts zeigen, andererseits – im Falle von Hürlimanns Fotobuch – aber auch durch konkrete Eingriffe in die Bildinhalte. Durch diese zeigt sich, worüber sich Hürlimann wunderte, woran er sich störte und welche Vorstellungen ‚Indiens‘ er im Sinne bereits bestehender „Vor-Bilder“ mit sich trug und vermitteln wollte.14 Auf der zweiten Seite seines Fotobuchs erschien eine Aufnahme eines Tempels im südlich gelegenen Wallfahrtsort Rameswaram, zu dem im Bildvordergrund eine von weiteren kleineren Gebäuden gesäumte Straße hinführte. Bei genauerem Hinsehen lassen sich auf dem Druck an mehreren Stellen undeutliche Stellen erkennen. Der Vergleich mit der entsprechenden Negativserie im fotografischen Nachlass Hürlimanns lässt ein Detail zu Tage treten  : Neben der Palmenallee verlief eine Reihe von

12 Vgl. Hürlimann, Indien, S. 78. 13 Tucholsky, „Journalismus“, S. 15. 14 Vgl. Leimgruber, „Bilder“, S. 216.

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Abb. 1: Tempel in Rameswaram in Martin Hürlimanns Fotobuch Indien. Baukunst, Landschaft und Volksleben, 1928, S. 2 © Martin Hürlimann/Fotostiftung Schweiz.

Abb. 2: Eine Aufnahme Hürlimanns aus derselben Bildserie aus Rameswarem, ab Negativ, © Martin Hürlimann/Fotostiftung Schweiz.

Masten, bei denen es sich vermutlich um Stromleitungen handelte.15 Für die Publikation wurden sie kunstvoll und auf den ersten Blick nicht erkennbar wegretuschiert. Die Retusche war damals wie heute eine für Veröffentlichungen von Fotografien durchaus übliche Praxis.16 Aus der Sicht Hürlimanns stellte sie eine häufig „ganz unentbehrliche Handhabe zur Erreichung anständiger Resultate“ dar. Etwa um „Unsauberkeiten“ zu entfernen, wie er 1937 begründete.17 Im Indien-Fotobuch finden sich gleich mehrere Beispiele dafür  : Unebenheiten am Boden wurden ausgeglichen, Wolken bereicherten den Himmel oder Stromleitungen wurden von ebendiesem entfernt. Vermeintlich Störendes verschwand wie durch Zauberhand. Kleinere Ergänzungen komplettierten die gewünschte Bildkomposition. Doch – was empfand Hürlimann denn an seinen fotografischen Erinnerungen als störend  ? ‚Indien‘ erschien in Hürlimanns Bildstrecke als ein ‚vormodernes‘ Gebiet. Das bedeutete, dass moderne Verkehrsmittel wie Automobile oder Autobusse ebenso wenig ins Bild gerückt wurden wie die Elektrifizierung des öffentlichen Raums, die Martin Hürlimann in seinem Reisealltag durchaus erlebte, wie sich in seinen schriftlichen Schilderungen zeigt. So beschreibt er unter anderem, dass beim Tempel im damaligen Madura im Süden des Subkontinents Festwagen für religiöse Zeremonien bereits über elektrische Beleuchtung verfügt hätten, bevor die Bahnhofstation mit

15 Der fotografische Nachlass Martin Hürlimanns befindet sich in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. 16 Vgl. Ponstingl, „Heimatschutz“, S. 50  ; vgl. auch ähnliche Beobachtungen bei Conradt, Fotobildbandreihen, S. 32 f. 17 Hürlimann, „Hürlimann“, S. 76.

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Elektrizität versorgt gewesen seien.18 Auch in seinem Film Die Wunder Asiens, der ebenfalls auf der Reise entstand und in den Jahren 1929 und 1930 abendfüllend in den größeren Kinos der Weimarer Republik und in der Schweiz lief, zeigte er Szenen dicht bevölkerter und verkehrsreicher urbaner Zentren. David Arnold spricht von einem „tiefgreifenden Wandel“ südasiatischer Gesellschaften, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verstärkt bemerkbar machte.19 Für seinen Bildband entschied sich Hürlimann allerdings dafür, diese modernen Entwicklungen und den gesellschaftlichen Wandel weitgehend auszublenden. Bevölkerte Orte wie Bahnhöfe finden sich in Hürlimanns Sammlung zwar auch, diese nahm er allerdings im Fotobuch nicht mit auf. Valentin Groebner hat in Bezug auf die touristische Nutzung von Bildern überzeugend bemerkt, dass Erinnerungen an Reisen nach einer gewissen Zeit von Mehrdeutigkeiten befreit würden und in neu geschaffener Klarheit daherkämen.20 Ähnliche Mechanismen lassen sich in der Gestaltung von Hürlimanns Fotobuch aufzeigen. Uneindeutiges und aus der Sicht seiner Produzenten Unstimmiges schloss er für das Buch quasi prophylaktisch aus. Auf diese Weise konnte Hürlimann die Differenz zwischen seiner eigenen Lebenswelt und dem vermeintlich ‚anderen Indien‘ verstärkt inszenieren. In der Neuen Zürcher Zeitung beschrieb er 1927 den Gegensatz als zwei scheinbar unvereinbare Lebensweisen  : Technische Primitivität – niedrige Löhne – einfache Lebenshaltung – Mangel an hygienischer Pflege – Kinderreichtum – grosse Kindersterblichkeit und Rassenauswahl – starke Familienmoral, all das sind Dinge, die ebenso unzertrennbar zusammen zu gehören scheinen wie  : Benützung von Maschinen  – Konzentration der Arbeit  – wenig Arbeitskräfte – hohe Löhne – hohe Lebenshaltung – Hygiene – Kinderarmut – Schwächung der Rasse – Auflösung der Familienmoral.21

Stuart Hall beschreibt diesen Darstellungsprozess aus der Perspektive der Postcolonial Studies als Stereotypisierung, bei der „reduziert, essentialisiert, naturalisiert“ und Differenz festgeschrieben werde.22 Vermeintlich Bekanntes – sprich in diesem Falle gesellschaftlicher Wandel und Modernität – schien aus der Sicht Hürlimanns für ‚Indien‘ als nicht abbildungs- und erinnerungswürdig. Dies geschah einerseits

18 Vgl. Hürlimann, Indien-Reise, S. 12. 19 Arnold, Südasien, S. 417 f. 20 Vgl. Groebner, „Aussicht“, S. 39. 21 Hürlimann, „Indien-Reise.“ Neue Zürcher Zeitung, 20. Februar 1927, S. 1. 22 Hall, „Spektakel“, S. 144.

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durch die Sujetwahl vor Ort, aber auch in der Nachbearbeitung der Bilder für ihre Publikation, indem beispielsweise bestimmte Bildausschnitte gewählt, die Bilder also beschnitten wurden. Etwas ins Bild zu rücken, bedeutet gleichzeitig, Dinge wegzulassen. Dies zeigt sich auch in der Auswahl von Fotografien, die Hürlimann für seinen Bildband vornahm. Der Zürcher bereiste den indischen Subkontinent zu einem Zeitpunkt, als sich politische Umbrüche deutlich bemerkbar machten. Bereits im 19. Jahrhundert hatte es bedeutende Aufstände im Britischen Empire gegeben und in kolonisierten Ländern erstarkten um 1900 antikoloniale Bewegungen.23 Zwischen 1920 und 1922 lancierte der studierte Rechtsanwalt Mohandas K. Gandhi die sogenannte „Non-Coopera­ tion“-Kampagne und zielte darauf ab, die Auflehnung gegen das Empire als breitenwirksames Phänomen zu etablieren. Zu einem zentralen Forum war seit der Jahrhundertwende der Indische Nationalkongress (Indian National Congress INC) geworden, in dem Stimmen nach einer verstärkten politischen Teilhabe lauter wurden. Zwar verwies Hürlimann in der Einleitung des Fotobuches auf diese politischen Veränderungen  : Die erwachende Bewegung sei ein Versuch, „aus dem Lande des Hinduismus ein Land lebendigen Staatsbewusstseins, eine Nation zu machen.“24 Im Bildteil sucht man vergebens nach Fotografien zu den aktuellen politischen Entwicklungen. Der Zürcher hatte im Dezember 1926 an der 41. Session des Indischen Nationalkongresses im damaligen Gauhati im nordöstlich gelegenen Assam Fotografien und Zeichnungen ihrer bekanntesten Exponentinnen und Exponenten angefertigt.25 Von Gandhi selbst gelangen ihm lediglich Aufnahmen aus einiger Entfernung. Gandhi war unter anderem aufgrund seiner Inhaftierung bis im Jahr 1924 nicht mehr gleichermaßen auf dem politischen Parkett präsent gewesen, wie er es Anfang der 1920er-Jahren gewesen war. Als Hürlimann Gauhati besuchte, trat Gandhi nach längerer Zeit wieder prominenter auf und gewann an Unterstützung. Keines der entstandenen Porträts der indigenen Politelite fand Eingang in das Fotobuch. Weshalb dieser Aspekt zeitgenössischen Lebens des Subkontinents ausgespart blieb, begründete Hürlimann in der Einleitung zum Bildband  : „Wir stecken noch mitten in dieser Phase der Kongresse und Reformen, unabgeklärter Hoffnungen und Befürchtungen  ; die noch nicht abzusehenden kulturellen Resultate haben wir in diesem Band nicht berücksichtigt.“26 Da der Fortgang der politischen Umbrüche noch nicht abzusehen war, hielt Hürlimann sie auch nicht für verewigungswürdig und sparte sie entsprechend aus. 23 Vgl. Fischer-Tiné, „Studien“. 24 Hürlimann, Indien, S. XIX. 25 Zur 41. Sitzung des Indischen Nationalkongresses vgl. Zaidi und Zaidi (Hg.), Encyclopaedia, S. 87–208. 26 Hürlimann, Indien, S. XIX.

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In Hürlimanns fotografischem Nachlass, der in der Fotostiftung Schweiz liegt, finden sich zudem, wenn auch lediglich vereinzelt, Aufnahmen europäisch beeinflusster und kolonialer Architektur. Er fotografierte unter anderem das im Entstehen begriffene House of Parliament der britischen Architekten Edwin Lutyens und Herbert Baker in Neu-Delhi, als dessen Mittelpunkt das Viceroy’s House, das Palastgebäude des Vizekönigs, inszeniert wurde. Eine Episode von Hürlimanns Reise zeigt, dass sein Interesse für koloniale Strukturen in der Tat begrenzt war. Da im damaligen Haiderabad die Suche nach einer Unterkunft erfolglos verlief, stieg er im britisch geprägten Teil des benachbarten Secunderabad ab. Secunderabad war als sogenanntes ‚Cantonment‘, d. h. als ein wichtiger Standpunkt der britischen Armee, etabliert worden. Hürlimann beschrieb die Stadt als halbeuropäisch anmutend und dominiert von weit gebauten, gepflegten Straßen. Die Stadt entsprach keineswegs seinen Seherwartungen  : „Zu sehen gibt es hier nichts, und so fahren wir so rasch wie möglich in die indische Stadt, die uns alsbald mit all dem Zauber eines rein indischen Lebens gefangen nimmt.“27 Echt indisch war gleichbedeutend mit einem vermeintlich vorkolonialen Raum. Dieses Ausblenden kolonialer Einflüsse kann auf zwei Arten gedeutet werden. Das Britische Empire erschien auf kulturhistorisch materieller Seite für die Repräsentation Südasiens nicht als kulturwirksame Macht. Allerdings repräsentierte das Narrativ des Bildbandes, etwa indem die eingangs präsentierte Karte ein einheitliches Gebiet ohne lokale Herrschaften zeigte, einen letztlich vom britischen Empire regierten Raum und reihte die Bilder damit in sein Einflussgebiet ein. Martin Hürlimann inszenierte in Bildbänden und Zeitschriften Südasien als ästhetisch ansprechende, zeitlose Augenweide und führte damit eine Sichtweise fort, die bereits im 19. Jahrhundert populär war. Hürlimanns Perspektive und Bilderzählung zeugt von seinem Kulturverständnis, das Kultur primär als etwas Althergebrachtes und Historisches versteht. Diese Haltung beschränkte sich keineswegs auf den Indienband, sondern diente als Kredo für die gesamte Bildbandreihe Orbis Terrarum  : „Die Bände verzichten das zu zeigen, das die fortschreitende Zivilisation einheitlich über alle Länder verbreitet und meist das Echte und Bodenständige erdrückt.“28 Aus dieser zivilisationsskeptischen und eurozentrischen Perspektive erschien eine als westlich-europäisch verstandene Modernisierung als Bedrohung für globale kulturelle Differenzen, die hier positiv bewertet wurden. Als abbildungs- und erinnerungswürdig für ein geografisches Gebiet definierten die Macher der Reihe das vermeintlich eigentümliche, ‚ursprüngliche‘ 27 Hürlimann, Indien-Reise, S. 70–71. 28 Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek, HA/BV 12  : Wasmuth Verlag, Werbeprospekt des Wasmuth Verlags, [um 1925].

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und die Differenz zu anderen Ländern, vor allem zur ‚eigenen‘, europäischen und als zivilisiert sowie modern wahrgenommenen Lebenswelt. Insbesondere in der Zeit von Rezession und politischen Wirren in Europa hätte diese „rückwärtsgewandte“ Perspektive – so Ulrich Hägele – an Popularität gewonnen, indem sie „die Alltagsnöte der potentiellen Käufer lindern helfen sollten“.29 Der Erinnerungsraum ‚Indien‘ entstand folglich vor allem auch in Abgrenzung zum ‚eigenen‘ Erinnerungsraum und zu der als vertraut wahrgenommenen Kultur und Lebenswelt. Die Reihe Orbis Terrarum suggerierte durch das Nebeneinander gleichberechtigt erscheinender und ähnlich aufgebauter Bände zu globalen Gebieten die Gleichwertigkeit des Menschen auf der Welt aus einer ästhetischen Perspektive. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs kann diese Art der Visualisierung als ein Ausdruck des Wunsches nach Zusammenführung, Harmonisierung und Idyllisierung betrachtet werden und als eine Form der Konstruktion des Bildes eines globalen Friedens, wobei diese Logik  – aufgeteilt in verschiedene Bände  – gleichzeitig über nationale Denkmuster funktionierte.30 Dabei unsichtbar wurden die kolonialen Machtverhältnisse zwischen europäischen Kolonialmächten und kolonisierten Gebieten, die vermeintlich egalitär nebeneinandergesetzt wurden. Die Bände konstruierten Differenzen zwischen verschiedenen Weltregionen, indem sie das vermeintlich Charakteristische eines Gebiets betonten und für abbildungswert erklärten. Der Prozess globaler Veränderungen schien hingegen nicht erinnerungswürdig. Ein weiterer Grund, weshalb das aktuelle Zeitgeschehen nicht ins Fotobuch gelangte, liegt in der Medialität des Fotobuchs begründet. Illustrierte Zeitschriften, die ebenfalls in den 1920er-Jahren einen Boom und Aufstieg zum Massenmedium erlebten, griffen häufig mehr oder minder aktuelle Meldungen aus dem globalen Geschehen auf, das auch die Tagespresse thematisierte, und illustrierten diese mit Bildmaterial. So zeigte etwa die Schweizer Illustrierte Zeitschrift mehrfach Aufnahmen der indischen politischen Elite, darunter auch die bereits erwähnten Aufnahmen Hürlimanns zur Konferenz in Gauhati. Illustrierte Zeitschriften wiesen eine engere Beziehung zum aktuellen Zeitgeschehen auf als das Fotobuch. Wöchentlich erscheinend konnten sie zeitnaher berichten als ein aufwendig illustriertes Buch. Zudem waren die in illustrierten Zeitschriften vermittelten Bildwelten auf eine kurze Betrachtungsdauer angelegt. Sie gelangten in die Stuben zuhause, verschafften kurzweilige Unterhaltung an den Wochenenden oder unterwegs zum Arbeitsplatz und wurden wahrscheinlich nach einiger Zeit entsorgt. Fotobücher dagegen waren als wesentlich hochpreisigere Objekte dafür prädestiniert, dauerhaft im Buchregal Aufbewahrung zu finden. 29 Hägele, Foto-Ethnographie, S. 143. 30 Vgl. Kranzfelder, „Idylle“, S. 9.

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Fotobücher als langfristige Speicher und Vermittler visueller Narrative Das Fotobuch besitzt auch aufgrund seiner Materialität die Funktion eines Erinnerungsmediums – gerade in Verbindung mit der Reisetätigkeit und dem Tourismus. Es weist enge Verbindungen zum Fotoalbum auf. Beruflich oder privat Reisende sammelten in der jeweiligen Destination Erinnerungsfotos. Als leicht bedienbare Apparate, wie die Kodak-Kamera ab den 1890er-Jahren, den Markt eroberten, fotografierten Reisende vermehrt selbst und arrangierten die Fotos nach der Rückkehr liebevoll zu Erinnerungsalben. Sie ordneten ihre Bilder an und kommentierten sie zum Teil, um die Eindrücke in Erinnerung zu halten – für sich selbst, aber auch für Bekannte und für nachkommende Generationen.31 Martin Hürlimann legte selbst Alben der Aufnahmen seiner verschiedenen Reisen an. Sie dienten ihm als Erinnerungsstütze und Arbeitsinstrument, indem er die darin eingeklebten Kontaktabzüge mit den entsprechenden Negativnummern versah. Zudem ordnete er sie chronologisch und bezeichnete die jeweiligen geografischen Gebiete, in denen eine Bildserie entstanden war. Bereits für diese Alben traf er aus seinem Fundus an Aufnahmen eine Auswahl der aus seiner Sicht repräsentativen und gelungenen Fotografien. Da sich die Reisemöglichkeiten nach Übersee in den 1920er-Jahren auf einen kleinen Kreis Wohlhabender beschränkten, stellte das Fotobuch eine alternative Form des Albums dar, indem es eine imaginäre Reise in Bildern für den Heimgebrauch zur Verfügung stellte. Die Erzählungen in Bildern waren nicht mehr allein private Erinnerungen, sondern für die Öffentlichkeit konzipiert. Sie zielten also darauf ab, eine quasi überindividuelle Sicht auf einen geografischen Raum zu transportieren. Treffend bezeichnet Herta Wolf fotografische Sammlungen als Depots, die vorgeben, „Wissen anschaulich zu vermitteln, es damit abzusichern und einer Vielzahl von Interessenten verfügbar zu machen.“32 Im englischen Sprachgebrauch werden Fotobücher auch ‚coffee table books‘ genannt. Der Begriff impliziert, viel eher als der deutsche Begriff, eine bestimmte Rezeptionsweise. Die Bücher waren für einen genussvollen und freizeitlichen Konsum angelegt, für Personen, die sich eine eigene Bibliothek und Freizeit leisten konnten. In einer bürgerlichen Gesellschaft der 1920er-Jahren attestierten sie der Besitzerin oder dem Besitzer, im Bücherregal oder auf einem Wohnzimmertisch präsentiert, Distinguiertheit und, vor allem mit Büchern zu nicht-europäischen Gebieten, Weltoffenheit. Hürlimann  – er stammte aus einer gut situierten Zürcher Brauereifamilie und absolvierte einen Teil seines Studiums in Deutschland  – zählte sich in dieser 31 Vgl. Gasser, „Album“, S. 20–29. 32 Wolf, „Denkmälerarchiv“, S. 350.

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Zeit selbst zum „Weimarer Weltbürgertum“, ein Bildungsbürgertum, das sich als geprägt von der Kultur des deutschsprachigen Raums und zugleich als aufgeschlossen betrachtete.33 Auch das verwendete Druckverfahren gab den Bänden von Orbis Terrarum einen edlen Anstrich. Die sich durch eine malerische und weichzeichnende, sanft wirkende Ästhetik auszeichnenden Kupfertiefdrucke galten als kunstnah. Fotobücher waren von ihrer Materialität her dazu konzipiert, Zeit zu überdauern. Sie konnten vom Betrachter und der Betrachterin mehrfach durchgeblättert werden. Die großformatigen Bände von Orbis Terrarum waren in dauerhafte und robuste Leinen oder Halbleder gebunden erhältlich. Eine edle ornamentale Goldprägung in Form eines Elefanten zierte den Einband des Indienbuches und das Papier war einiges dicker als jenes illustrierter Zeitschriften. Der britische Fotograf Martin Parr stellt prägnant wesentliche Unterschiede in der kulturellen Verweildauer von fotografischen Medien fest  : „the book survives, whereas the exhibition disappears“.34 Der Verlag wollte mit Orbis Terrarum erklärtermaßen „etwas Endgültiges“ schaffen und beanspruchte für die Bilder auch eine gewisse Allgemeingültigkeit, die er mit anderen Wissensspeichern verglich.35 Auf dem Umschlag des Indienbandes konnten die Käuferinnen und Käufer lesen  : „Der Orbis Terrarum gehört in jede Bibliothek neben den Atlas, neben die Enzyklopädie.“36 Im Fotobuch wird eine implizite Auswahl getroffen, ein Bildkanon und eine visuelle Erinnerung geschaffen. Durch die längere kulturelle Verweildauer von Fotobüchern kommt ihnen in der Formung und Prägung von Vorstellungen besondere Bedeutung zu.

Hürlimanns Wiedersehen mit Asien 1959 Rund 30 Jahre nach seinem ersten Fotobuch zum indischen Subkontinent publizierte Martin Hürlimann einen weiteren Bildband über den asiatischen Raum, in dem er auch Indien eine Bildstrecke widmete. Südasien war näher gerückt. Fernreisen hatten sich fundamental verändert oder wie Hürlimann in der Einleitung schrieb, bewegte sich der europäische Reisende auf einer „klein gewordenen Erde“.37 Der Zürcher war von der Schweizer Fluggesellschaft Swissair zu einem Ostasienflug eingeladen 33 Hürlimann, „Berlin“, S. 76. 34 Parr, „Parr“, S. 347. 35 Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek, HA/BV 12  : Wasmuth Verlag, Werbeprospekt, Orbis Terrarum. Die Länder der Erde im Bild, [um 1924]. 36 Hürlimann, Indien. 37 Hürlimann, Wiedersehen, S. 7.

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worden und reiste während elf Wochen mit Zwischenstopps in Beirut, Karachi, Bombay und Hongkong bis nach Japan. Während er 1926 noch mit dem Dampfschiff Richtung Subkontinent aufgebrochen war, ging er nun in einem neu lancierten Linienflug an Bord. Hürlimann bekundete angesichts der „stürmische[n] Entwicklung des Reisetempos“ Mühe  : Kaum bleibe dem Reisenden im Vergleich zu früher Zeit zur Kontemplation.38 Auch die Fortbewegung vor Ort gestaltete sich anders  : Selten sei man ohne Auto unterwegs und riskiere dadurch kaum mehr einen Sonnenstich, so sei denn auch der Tropenhelm „zu einer Kuriosität geworden“39 – ein Accessoire, mit dem sich Hürlimann während seiner ersten Indienreise ebenfalls noch vor der Sonne geschützt hatte. Während sich Hürlimann in den 1920er-Jahren neben Guides auch von einem Diener begleiten ließ, buchte er in Bombay ebenfalls eine Führung. Nun führte ihn eine „bebrillte junge Dame“ durch die Stadt.40 Den Einstieg wählte er 1959 durchaus ähnlich wie im Fotobuch von 1928. In beiden Bildbänden zeigte er als Erstes eine Fotografie von Skulpturen zur Verehrung indischer Gottheiten. Dazu passend beschrieb er in der Einleitung des neuen Bandes die Funktion der Fotografie damit, „das statische Element“ zu vertreten und „den monumentalen geschichtlichen Hintergrund sichtbar zu machen“.41 Gleich in den folgenden Bildern zeigt sich aber ein deutlicher Wandel in Hürlimanns Perspektive im Vergleich zu seinem Indienbuch von 1928. In der zweiten Aufnahme rückte er einen jungen Mann auf der verkehrsreichen Straße der Großstadt des damaligen Bombay in den Fokus. Wiederum folgen mehrere Aufnahmen von Grabmälern und religiösen Stätten wie etwa einem der wohl bekanntesten Denkmäler der Welt, dem Taj Mahal. Allerdings tauchte Hürlimann die Stätten nun in Farbe und zeigte sie belebt von jungen Männern, Fahrradfahrern, Schulkindern und in Saris gekleideten Frauen. Die Personen waren nicht länger allein Staffage, um Größenverhältnisse von Bauten zu veranschaulichen, sondern wurden Teil der Bildkomposition und vermittelten Betriebsamkeit in Städten und Stätten. Koloniale Strukturen, in seiner Bildserie 1928 noch weitgehend blinde Flecken, reflektierte Hürlimann nun und fragte  : „Wie schaut diese Welt heute nach der Neuaufteilung der Karte im Zeichen des Antikolonialismus aus  ?“42 Vor dem Hintergrund der Dekolonisation entschied sich der Fotograf und Verleger dazu, klassizistische Bauten nach britischem Vorbild in die Bildserie mit aufzunehmen. Sie erschienen

38 39 40 41 42

Ebd., S. 8. Ebd., S. 12. Ebd., S. 58. Ebd., S. 13. Ebd., S. 7.

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Abb. 3: Szenen aus Kalkutta, aus: Martin Hürlimann, Wiedersehen mit Asien, 1959 © Martin Hürlimann/Fotostiftung Schweiz.

hier allerdings als etwas bereits Historisches, als Teil der Kulturgeschichte des neuen Indiens und damit als erinnerungswürdig. Auch auf Textebene unterstützte er diese Deutung. So meinte er einführend, dass viele Entwicklungen erst durch die Einflüsse Europas angestoßen worden seien  : „Aber erst die Europäer haben sie auf die Gedanken gebracht, mit denen sie heute ihren wirtschaftlichen Aufbau, ja ihr ganzes staatliches Leben bestreiten.“43 Der Staat Indien sei letztlich eine „Schöpfung der Engländer“, die den Subkontinent vereint hätten. Während er in den 1920er-Jahren die indische Unabhängigkeitsbewegung bewunderte, so habe er heute auch Respekt vor den Einflüssen der Briten. Veränderung wird in dieser Perspektive weiterhin einem europäischen Akteur zugeschrieben. Die Entwicklungen in Südasien erachtete er auch für Europa als relevant und von einer „beängstigenden Aktualität“, da das Schicksal Europas „in der endgültig zur Einheit gewordenen Welt an das des grössten Kontinents“ gekettet sei.44 Der indischen Industrialisierung stand er indes kritisch gegenüber und stellte in Frage, ob sich das Konzept auf andere Bevölkerungen „aufpfropfen lasse“.45 Wiederum bringt der Zürcher in seinem in den 1950er-Jahren erschienenen Band eine modernekritische Haltung zum Ausdruck, in der Moderne

43 Ebd. S. 60. 44 Ebd., S. 13. 45 Ebd., S. 60.

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primär als westlich verstanden wird und nicht-europäische Bevölkerungen als davon beeinflusst dargestellt werden. Die Deutung gesellschaftlicher Veränderungen blieb im Narrativ des Fotobuches ambivalent, und sie zeugt von einer in Europa präsenten Verunsicherung über die Veränderungen in Asien im Zuge einer durch die Dekolonisation nach 1945 global veränderten Weltkarte. Während Hürlimann die Rolle des Britischen Empires für die Entwicklungen des neuen Staates Indien im Text zur Bildstrecke betonte, brachten seine Fotografien der Planstadt Chandigarh, der er eine Serie widmete, eine deutlich kritischere Haltung hervor. Der in der Schweiz geborene Le Corbusier, mit bürgerlichem Namen Charles-Edouard Jeanneret, war als Architekt für die neue Hauptstadt im Punjab an der pakistanisch-indischen Grenze in den 1950er-Jahren verantwortlich. Da die ehemalige Hauptstadt Lahore nach der Entstehung der beiden Staaten Indien und Pakistan 1947 im pakistanischen Staatsgebiet zu liegen kam, wollte der Premierminister Jawaharlal Nehru ein neues Zentrum für den indischen Bundesstaat schaffen und verpflichtete einen der führenden Vertreter moderner Architektur der Nachkriegszeit.46 Die historische Forschung hat derartige Projekte der modernen Architektur verstärkt im Hinblick auf die Verstrickungen zu faschistischen Regimes und unter dem Blickwinkel eines Neo-Kolonialismus untersucht.47 Auf Hürlimanns Aufnahmen Chandigarhs wirkt die Lokalbevölkerung in den modernen architektonischen Strukturen der Corbusier-Bauten eher deplatziert  : „Also wieder ein Europäer, wieder eine Art Kolonialismus. Gab es keine indische Bautradition, die einer solchen Aufgabe gewachsen wäre  ?“, fragte er die Leserinnen und Leser.48 Die Inneneinrichtung der Häuser zeige den Kontrast zu ihrem modernen Äußeren und so wirke dieses wie eine „aufoktroyierte Hülle“.49 Die Zukunft müsse allerdings noch zeigen, welche der beiden Stile sich durchsetze. Letztlich wird spürbar, dass Hürlimann den Kolonialismus als etwas Vergangenes erachtete, das zwar im Zuge der global-politischen Veränderungen an Legitimität eingebüßt hatte, jedoch nun zu den visuellen Erinnerungen von Indien zählen konnte. In Wiedersehen mit Asien zeigte Hürlimann in Teilen eine neue Perspektive, zugleich repräsentierte er weiterhin Skulpturen oder Tempel als das eigentliche Kulturgut des indischen Subkontinents. Indien blieb im Kern der Erinnerung ein ‚Wunderland‘ – nichtsdestotrotz.

46 Vgl. Prakash, Chandigarh’s Le Corbusier, hier insbesondere S. 3–31. 47 Vgl. u. a. Göckede, Moderne, S. 15–16. 48 Hürlimann, Wiedersehen, S. 106. 49 Ebd., S. 112.

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Umgang mit Wandel in den Bildbänden Hürlimanns Architektur und Landschaft nicht-europäischer Kulturen wurden in der Fotobuch-­ Reihe Orbis Terrarum als Gegenbild zu einer westlich-europäischen Urbanität und Modernität imaginiert. Gleichsam glich die Inszenierung einem momento mori, einem letzten visuellen Einfangen einer sich in Veränderung und Wandel verabschiedenden Welt. Dem Medium Fotografie schrieb die Reihe in den 1920er- und 1930er-Jahren die Funktion zu, die verschiedenen Kulturen der Welt in ihren architektonischen, landschaftlichen und menschlichen Verschiedenheiten sowie Gemeinsamkeiten visuell zu dokumentieren, bevor die vermeintlichen Unterschiede durch Modernisierung verloren gingen. Das alte Wunderland ‚Indien‘ sollte nochmals fotografisch dokumentiert werden. Wenn sich auch in Hürlimanns Bildband aus den 1950er-Jahren eine zumindest zum Teil neue Perspektive auf ein neues Indien abzuzeichnen schien, so blieb dennoch das Bild des Subkontinents als pittoresk-religiöses Wunderland. Der Erinnerungsraum ‚Wunderland Indien‘ büßte nicht an Bedeutung ein und ist bis heute populär geblieben. Noch heute finden sich in Regalen von Buchhandlungen Reihen von Fotobüchern, die Indien auf diese Weise imaginieren und kaum auf die zeitgenössischen gesellschaftlichen Entwicklungen eingehen. Die Essentialisierung Indiens auf wenige Repräsentationselemente erwies sich als eine der erfolgreichsten Erinnerungsstrategien. Sie befriedigt das Bedürfnis nach Exotismus und nach einem einfachen und aus Sicht der Betrachterin und des Betrachters stimmigen Narrativs einer stets ‚fremd‘ bleibenden Welt, das bereits existierende Vorstellungen nicht konkurrenziert, sondern daran anschlussfähig ist. Dennoch bedeutet die stetige Reinszenierung Indiens als statisches, exotisches Wunderland, wie Reinhart Koselleck es beschrieben hat, „nicht ewige Wiederkehr, sondern [eine] jeweils aktuell vollzogene – Wiederholung“50. Visuelle Erinnerungen gilt es stets im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext und relational zu den Rezipierenden zu deuten, für welche die Erinnerungsnarrative geschaffen wurden.

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Markus Furrer

Der Kalte Krieg in der Erinnerung am Beispiel der Schweiz nach 1989/91 Der Beitrag geht der Frage nach, wie der Kalte Krieg in der Schweiz erinnert wird und wie er im kollektiven Gedächtnis verankert und verbreitet ist. Basis der Untersuchung sind Geschichtslehrmittel sowie Geschichtshandbücher, die in der Postphase des Kalten Krieges geschrieben oder weiter genutzt worden sind. Auszumachen sind zwei Ebenen der Erinnerung an die Epoche. Auf einer individuellen Ebene, die sozial geteilt wird, wirkte das komplexe Geschehen des Kalten Krieges unterschiedlich intensiv auf Alltag und Lebensgestaltung der Individuen ein.1 Entsprechend prägt es das persönliche Erinnern. In der Schweiz stellte sich spät ein direkter Bezug zum Kalten Krieg ein, hielt man doch länger an einer vordergründigen Normalität als Neutraler unter dem Schutzschirm der Nato fest.2 Es lässt sich vereinfacht sagen, dass Biografien von Schweizerinnen und Schweizern weniger direkt durch den Kalten Krieg geprägt worden sind, als dies in manch anderen europäischen Ländern der Fall ist. Und dennoch – wie noch zu zeigen ist – wirkte auch hier der Konflikt auf Gesellschaft und Individuen und hat so Einfluss auf Erinnern und Lebensbiografien. Auf der Ebene der kollektiven Erinnerung3 geht es vor allem um die Frage, wie sich Gesellschaften mit der jüngeren und jüngsten Vergangenheit auseinandersetzen, was sie erinnern und warum sie sich erinnern. Ein Beispiel liefern uns die Erinnerungen der sogenannten Aktivdienstgeneration aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In Gesellschaft und Schule wurde lange Zeit ein positiv überzeichnetes Bild der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges propagiert und erinnerungskulturell verinnerlicht, dies vor allem in Bezug auf die Neutralität und die Wehrbereitschaft aber auch die humanitäre Rolle des Landes. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges, und damit nahezu fünfzig Jahre später, kamen zugeschüttete Erinnerungen auf und wurde eine harmonisierte Erinnerungskultur hinterfragt. Dies führte zu virulenten Debatten in der Schweiz über ihre Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus. Ein signifikanter Wandel im kulturellen Gedächtnis der Schweizerinnen und Schweizer setzte ein. Das 1 Vgl. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 25 f. 2 Siehe auch Kuntz, Die Schweiz – oder die Kunst der Abhängigkeit, S. 14. 3 Vgl. Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 95–100.

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Markus Furrer

Bild einer Insel der Demokratie und der Humanität inmitten eines von Kriegen und Gräueln erschütterten Europas ließ sich nicht mehr länger aufrechterhalten. In den Vordergrund rückte ein Geschichtsbild eines Landes, das durch eine von Antisemitismus geleitete Flüchtlingspolitik sowie durch seine Wirtschaftspolitik mit der verbrecherischen Politik des Nationalsozialismus verstrickt war.4 Doch wie verhält es sich im Nachhinein mit der Epoche des Kalten Krieges selber  ? Wie wird der Kalte Krieg in der Postphase erinnert  ? Welche gesellschaftlichen Kräfte haben welche Funktionen und Interessen an welchen Erinnerungen  ? Wie wirkten sich diese auf die Darstellungen des Kalten Krieges im Unterricht aus  ? Relativ spät wurde erkannt, wie Untersuchungen zeigen, dass die Schweiz und ihre Gesellschaft auch in das damalige globale Konfliktgeschehen involviert gewesen waren.5

Erinnern in der Postphase des Kalten Krieges In der nun schon fast drei Jahrzehnte andauernden Phase nach dem Kalten Krieg, die nicht zuletzt wegen ihrer uneinheitlichen und komplexen Ausprägung noch keinen Namen erhalten hat, spielt der Blick zurück für politische und gesellschaftliche Positionierungen eine nicht unwesentliche Rolle. Die an den Zweiten Weltkrieg praktisch nahtlos anschließende Phase des global ausgetragenen Kalten Krieges dauerte über vierzig Jahre und bildet so etwas wie die unserer Gegenwart vorangehende Epoche. Historiker wie Odd Arne Westad verweisen darauf, dass die Anfänge dieses Konfliktes mit seinen Bruchlinien bereits im späten 19. Jahrhundert anzusiedeln sind.6 Wir 4 Siehe auch  : Tanner und Weigel, Gedächtnis, Geld und Gesetz in der Politik mit der Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, S. 21  ; Maissen, Verweigerte Erinnerung, S. 277. 5 Vgl. Furrer, „A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative“, S. 114 f. 6 Odd Arne Westad führt die Anfänge des Kalten Krieges auf die Bruchlinien von Konflikten des späten 19.  Jahrhunderts zurück. Dieser setzte in den 1890ern an mit der (ersten) Weltwirtschaftskrise, den sozialen Spannungen und der Radikalisierung der europäischen Arbeiterbewegung wie auch dem Aufstieg der USA und Russlands zu transkontinentalen Imperien. Er endete mit dem Fall der Mauer in Berlin und der Implosion der Sowjetunion 1989/91. Ideologie und Technologie trugen damals zur Dauerhaftigkeit dieses Konfliktes bei. So beeinflusste der Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus fast alles im 20. Jahrhundert, einschließlich der beiden Weltkriege und der Wirtschaftskrise. Die Atomwaffen mit ihrer Reichweite trugen zum globalen Charakter des Konfliktes nach dem Zweiten Weltkrieg bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich die Konfliktkonstellation in ausgeprägter Weise, indem sich die beiden ideologischen Kontrahenten USA und UdSSR als die aus dem Krieg siegreich hervorgegangenen neuen Supermächte gegenüberstanden. Westads Argument, die Konfliktkonstellation in einem größeren Zusammenhang zu sehen, ist kein Gegensatz zum Modell, den Kalten Krieg an den Zweiten Weltkrieg anzufügen, sondern mehr eine Ergänzung und auch ein Hinweis darauf, die Ursachen in einem länger andauernden historischen Prozess zu suchen. In diesem Beitrag stützen wir

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blicken in der schon länger andauernden Post-Phase des Kalten Krieges unterschiedlich auf den Kalten Krieg zurück. International sind zwei Phasen der Reorientierung auszumachen  : die Zeit von 1991 bis 2008 und die Zeit nach 2008. War die erste eine Phase der Hoffnung und des Aufbruchs, die durchaus euphorische Züge annehmen konnte, und wo es galt, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, folgte darauf jene der Ernüchterung und auch des Rückzugs auf vermeintlich sichere Positionen im Kalten Krieg. Unterschiedlich waren vor allem die Vorstellungen, welche Lehren aus dem Kalten Krieg zu ziehen seien  : Während es in der ersten Phase darum ging, einen Rückfall in eine simple Freund-Feind-Schematik zu verhindern und Stereotypen und Vorurteile abzubauen, so wurden in der zweiten Phase die politischen und kulturellen Gegensätze wieder stärker betont. Anstelle des Idealismus der ersten Phase dominierte ein Realismus.7 Diese Phasen und Interpretationen lassen sich jedoch nicht trennscharf unterteilen, sondern beide sind schon zu Beginn vorhanden. Es formierten sich polarisierende Gewissheiten mit Bezug auf den Kalten Krieg als vorangehender Epoche. Zwei wirkungsmächtige Interpretationen beschäftigten eine intellektuelle Öffentlichkeit in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. Francis Fukujamas These vom Ende der Geschichte (1992) implizierte den Sieg des westlichen Liberalismus über den Kommunismus  – dies die verkürzte Perzeption der Öffentlichkeit. Es trat kein konkurrierendes System mehr an und man schien am ‚Ende der Geschichte‘ angelangt zu sein.8 In einer ersten Phase nach dem Kalten Krieg schienen Fukujamas Prognosen Gewissheit zu erlangen. So wurde der Zusammenbruch der UdSSR zum Anlass genommen, ab 1990 eine neue Weltordnung zu verkünden. Anders als vorher, präsentierten sich die USA als alternativlos.9 Diese These wurde schnell von der sozialen und politischen Realität eingeholt. Sie blendete die Komplexität historischer Gemengelagen aus. Es war ein Versuch, das westliche Fortschrittsnarrativ weiterzuziehen und damit auch ein Bild vom ewigen Frieden zu schaffen. Die 1990er-Jahre bestachen hingegen durch eine verheerende globale Armutskrise und ein globales machtpolitisches Vakuum.10 Den USA als einzig übrig gebliebener Supermacht gelang es nicht, nach dem Untergang des Kommu-

uns mit Bezug auf das Erinnern vor allem auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, welche auch als Fortsetzung der vorangegangenen ideologisierten Spannungen gesehen werden können. (Vgl. Westad, „100 Jahre Kalter Krieg“, S. 32–55  ; Westad, The Cold War, S. 19–42).   7 Vgl. Rödder, 21.0, S. 376.   8 Vgl. Nolte, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, S. 118.   9 Vgl. Brands, Making the Unipolar Moment, S. 362. 10 Vgl. Stöver, Der Kalte Krieg, S. 473.

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nismus eine neue Weltordnung zu etablieren, auch wenn sie in der ersten Phase eine praktisch unbestrittene hegemoniale Stellung einnehmen konnten.11 Den sich anbahnenden und strukturell aus dem Kalten Krieg herausgewachsenen neuen Konfliktlinien stellte Samuel Huntington wenige Jahre später seine Theorie des ‚Clash of Civilizations‘ (1996) entgegen. Kennzeichen seines Ansatzes waren eine Naturalisierung und Folgelogik mit der eine Auseinandersetzung zwischen den Kulturen herbeigeschrieben wurde, aufbauend auf Annahmen der Unausweichlichkeit kultureller Auseinandersetzungen und des Austragens grundlegender Differenzen. In einem gewissen Sinne zog Huntington die alten ideologischen Konfliktlinien aus der Kalte-Krieg-Ära weiter und ersetzte die ideologischen Gegensätze mit kulturellen. Auch neue Feindbilder entstanden früh  : So ging bereits Mitte der 1990er-Jahre die Rolle des Unberechenbaren Dritten auf sogenannte ‚Schurkenstaaten‘ wie Nordkorea, Iran und Irak über.12 Beide Publikationen nährten sich aus der Ungewissheit der Umbruchsituation am Ende des Kalten Krieges und beide entwickelten ihre Prognosen aufbauend auf Altem.13 Dies wiederum zeigt, wie stark und nachhaltig die Erinnerungen an den Kalten Krieg die Positionen und Analysen in dessen Postphase beeinflussten und wie stark sie auch im intellektuellen Milieu wirkten. Auf die Schweiz bezogen, sind solche internationalen Konstellationen für die Erinnerung bedeutsam. Darüber hinaus spielen auch innerstaatliche und innergesellschaftliche Aspekte eine wichtige Rolle. Dies hängt nicht zuletzt mit dem spezifischen Charakter der vorangehenden Epoche zusammen. So global diese Auseinandersetzung auch war, so stark fand sie ihren Niederschlag in nationalen Kollektiven und durchdrang hierbei die unterschiedlichsten Ebenen von Gesellschaft, Politik und Kultur. Der Blick zurück auf den global geführten Kalten Krieg findet denn auch seine Ausprägung in den nationalen Narrativen der wissenschaftlichen Historiografie wie auch in den erinnerungskulturellen Ausprägungen. David Lowe und Tony Joel zeigen dies unter ‚Cities and Sites‘ an Beispielen von Museen, Gedenk- und Grabstätten bis hin zu zeitgenössischen Bauten, wie dem von Stalin gestifteten Kultur- und Wissenschaftspalast, der die Architektur von Warschau bis heute prägt.14 Auch in der Schweiz erinnern Bauten an die Zeit des Kalten Krieges, so der in Luzern heute als Museum konzipierte und begehbare Riesenbunker der ehemaligen ‚Zivilschutzanlage Sonnenberg‘15.

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Vgl. Brands, Making the Unipolar Moment, S. 13. Vgl. Greiner, „Spurensuche  : Zum Erbe des Kalten Krieges“, S. 21. Vgl. Nolte, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, S. 129. Vgl. Lowe und Joel, Remembering the Cold War, S. 6. https://unterirdisch-ueberleben.ch/zivilschutzanlage, letzter Zugriff  : 24.06.2019.

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Manifestationen des Erinnerns als ‚Geschichte des Imaginären‘ Wir gehen in diesem Beitrag der Frage nach den erinnerungs- und geschichtskulturellen Ausprägungen exemplarisch am Beispiel von Schweizer Geschichtslehrmitteln und ihren Darstellungen zum Kalten Krieg nach. Geschichtslehrmittel, die nach dem Ende des Kalten Krieges neu aufgelegt oder völlig neu entwickelt worden sind, standen vor grundsätzlich neuen Herausforderungen der Darstellung des Kalten Krieges.16 Eine der Schwierigkeiten des Umgangs mit Geschichte liegt im Wissen um die Komplexität historischer Prozesse. Die Geschichte  – und damit insbesondere Zeitgeschichte als vorgelagerte Epoche – hält vielfach widersprüchliche Erfahrungen bereit.17 Dies macht den Umgang mit Geschichte im Unterricht nicht einfach. Wie reduziert man Komplexität und was wählt man aus  ? Vor solchen Herausforderungen stehen die Autoren von Geschichtslehrmitteln und auch Geschichtslehrpersonen. Die Lehrmittel vermitteln ein in der Regel äußerst konzentriertes und punktuell ausgewähltes Wissen. Dieses orientiert sich an geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch an gesellschaftlichen Prämissen und Vorstellungen. Mit der Aufgabe der kulturellen Überlieferung betraut, enthalten Lehrmittel eine quasi-offiziöse Deutung der Vergangenheit.18 Sie vermitteln gesellschaftlich bedeutsames Orientierungswissen und bewegen sich dabei in einer Schnittmenge zwischen Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur. Oder anders ausgedrückt, Lehrmittel sind auf den Modus des Erinnerns wie auch auf jenen der Geschichte geschaltet.19 Sie richten sich folglich stark an gesellschaftlichen Diskursen aus und werden so der Forderung des Gegenwartsbezugs gerecht, der sich aus ihrem didaktischen Anliegen ableiten lässt. Erinnerungskulturelle Bezüge nehmen Lehrmittel insbesondere dort auf, wo es darum geht, kollektive Orientierung sowie Identität zu vermitteln. Von der temporären Struktur her erfolgt Geschichtsvermittlung stets in einem Spannungsfeld, das auf Grund aktueller gegenwartsorientierter Fragen- und Problemstellungen Vergangenes befragt. Auch die wissenschaftlich orientierte Ge16 Der vorliegende Beitrag orientiert sich an den Erkenntnissen verschiedener Artikel. Es handelt sich um die Beiträge  : Furrer, „Mythen im Kalten Krieg. Das Beispiel Schweiz“  ; ders., „A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative  ; ders., „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges. Narrative und der Umbruch von 1989–91“. In Skriptform liegt der demnächst bei Palgrave veröffentlichte Text vor  : „Images and Imaginings of the Cold War – with a Focus on the Swiss View“. 17 Vgl. Rödder, 21.0, S. 39. 18 Vgl. Furrer, „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges“, S. 280. 19 Vgl. Gautschi, Sommer Häller und Furrer, „Umgang mit Geschichte und Erinnerung in Schule und Hochschule“, S. 14.

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schichtsschreibung ist darauf ausgerichtet.20 Der Beitrag legt daher den Fokus in einer zweiten Instanz auch auf einschlägige Handbücher zur Schweizer Geschichte und geht der Frage nach, wie der Kalte Krieg, sei es in Fragmenten oder auch mittels epochaler Bezüge, in der Darstellung eines Geschichtsnarrativs eingebaut ist. Der Einfluss solcher Handbücher auf den Geschichtsunterricht ist ein indirekter, indem sich Schulbuchautoren auf die Grundlagenwerke beziehen. Sichtbar wird damit auch, wie der Kalte Krieg und Schweizer Geschichte aufeinander abgestimmt werden.21 Es sind insbesondere vier dominierende Erinnerungsstränge, welche sich mittels Lehrmittelanalysen und Untersuchungen von Handbüchern herleiten lassen und die für das Erinnern aus der Post-Phase des Kalten Krieges stehen  : Einmal ist es der Blick auf den Antikommunismus in der Schweiz und damit verbunden auch die Überwachung des Staatsschutzes mit der Ende des Kalten Krieges aufgeflogenen ‚Fichenaffäre‘, weiter die spezifische schweizerische Reaktion auf die atomare Bedrohung mit dem Ausbau des Zivilschutzes und dem Bau von Bunkeranlagen im ganzen Land, ferner die Zeit des Kalten Krieges im Zeichen von Wirtschaftsboom und Wohlstand und in einem außenpolitischen Kontext das Bild der Trennung Europas aber auch der damit verbundenen ‚splendid isolation‘ der Schweiz.22 Eine Besonderheit dieser Erinnerungen ist durch den Charakter des Kalten Krieges selbst gegeben. Wie kulturgeschichtliche Analysen zeigen, lässt sich dieses ‚ideologische‘ und ‚radikale‘ Zeitalter mit dem Konzept des ‚Imaginären‘ und damit einer Fokussierung auf die Funktionsweisen des Symbolischen anschaulich und nachvollziehbar fassen und deuten.23 So waren die Vorstellung der inneren und äußeren Gefahr durch eine kommunistische Bedrohung oder der Nuklearkrieg stets auch imaginiert. Konkretes und Faktenorientiertes vermengen sich so auch in der Erinnerung mit dem Imaginierten.

20 Vgl. Furrer, „A View of the Cold War“, S. 114. 21 Untersucht habe ich den Einbezug des Kalten Krieges in Geschichtsnarrative im Beitrag „A View of the Cold War“ unter Berücksichtigung folgender Handbücher zur Schweizer Geschichte  : Greyerz, Hans von. „Der Bundesstaat von 1848“. Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd. 2, Zürich  : Verlag Berichthaus Zürich, 1980. S. 1019–1267  ; Gilg, Peter und Peter Hablützel, „Beschleunigter Wandel und neue Krisen (seit 1945).“ Geschichte der Schweiz und der Schweizer. Ulrich Im Hof et al. Basel  : Schwabe, 1986. S. 821–968  ; Reinhardt, Volker. Geschichte der Schweiz. Von den Anfängen bis heute. München  : C. H. Beck, 2011  ; Maissen, Thomas. Geschichte der Schweiz. Baden  : hier und jetzt, 2010  ; Kreis, Georg (Hg.), Die Geschichte der Schweiz. Basel  : Schwabe, 2014  ; Tanner, Jakob. Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. München  : C. H. Beck, 2015. 22 Siehe zur Verteidigungspolitik der Schweiz  : Kaestli, Selbstbezogenheit und Offenheit, S. 458–463. 23 Vgl. Eugster und Marti, „Einleitung“, S. 6.

Der Kalte Krieg in der Erinnerung am Beispiel der Schweiz nach 1989/91 

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Synoptische Darstellung: Erinnerungsstränge in Schweizer Lehrmitteln 1990–2018.24 Antikom­ munismus

Fichen­ affäre

Trennungs­ narrativ

Bedro­ hungsnarrativ

Weltgeschichte im Bild 9, 1989 und 1996.







(T)

Meyer und Schneebeli, Durch Geschichte zur Gegenwart, 1991.

T







Geschichte 9, 1993.

T







Chevallaz, Histoire Générale de 1919 à nos jours, 1994.









Bourgeois, Histoire Générale, 1999.





(T)



Schweizer Geschichtsbuch 4, 2008.

T

T





Menschen in Zeit und Raum, 2005.

T



(T)



Meyer und Schneebeli, Durch Geschichte zur Gegenwart, 2007.

T



(T)



Gesellschaften im Wandel, 2017.

T

T

(T)



Zeitreise 3, 2018.

T



(T)



Lehrmittel / Erscheinungsjahr

T = Topos findet Erwähnung mit Bezug auf die Einbindung der Schweiz in das Geschehen des Kalten Krieges und stellt so eine Art Ankererinnerung dar. Leerstelle = Topos findet keine Erwähnung. (T) = Topos wird mit Schweiz verbunden, aber ohne konkrete Nennung.

Wie der synoptischen Darstellung entnommen werden kann, ist mit dem Ende des Kalten Krieges der Antikommunismus das Thema, das in Lehrmitteln die Schweiz mit dem Kalten Krieg amalgamiert. Dieser Bezug ist in praktisch allen Lehrmitteln ab dem 21. Jahrhundert gegeben. Der Bezug zur Fichenaffäre erfolgt unterschiedlich 24 Bei den untersuchten Schweizer Lehrmitteln handelt es sich um folgende Titel  : Bourgeois, Claude. Histoire Générale  : L’époque contemporaine 1914–1990 (Bd. 5). Lausanne  : Département de la Formation et de la Jeunesse du canton de Vaud, 1999   ; Chevallaz, Georges-André. Histoire Générale de 1919 à nos jours. Lausanne  : Editions Payot, 1994  ; Geschichte 9. Lehrmittel für das 9. Schuljahr, Bern  : Staatlicher Lehrmittelverlag, 1993  ; Gesellschaften im Wandel  : Themenbuch 1 und 2, Zürich  : Lehrmittelverlag Zürich, 2017  ; Menschen in Zeit und Raum. Viele Wege – eine Welt. Erster Weltkrieg bis Globalisierung 9. Buchs  : Lehrmittelverlag des Kantons Aargau, 2005  ; Meyer, Helmut et al. Die Schweiz und ihre Geschichte. Vom Ancien Régime bis zur Gegenwart. Zürich  : Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 2005  ; Meyer, Helmuth und Schneebeli, Peter. Durch Geschichte zur Gegenwart (Bd.  4). Zürich  : Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, 1991 und 2007  ; Schweizer Geschichtsbuch 4  : Zeitgeschichte seit 1945. Berlin  : Cornelsen, 2008  ; Weltgeschichte im Bild 9. Buchs  : Lehrmittelverlag des Kantons Aargau, 1990  ; Zeitreise 3. Baar  : Klett-Balmer, 2018.

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und auch Bedrohungsnarrative sind selten, wenn auch in der populären Erinnerung das Bild der eingebunkerten Schweiz recht präsent ist.25 Trennungsnarrative sind in Lehrmitteln verbreitet. Sie behandeln vorab die getrennten Welten im Kalten Krieg und deren Zusammenfinden nach dem Mauerfall. Die Schweiz wird darin meist mitgedacht, direkte Bezüge werden aber nicht gemacht. Vielfach wird jedoch der spezifische Fall der Schweiz im Kalten Krieg thematisiert, der vorab mit dem Antikommunismus verknüpft wird, wobei insbesondere die schweizerische Neutralitätspolitik in dieser Zeit beleuchtet wird.

Der spezifische Fall der Schweiz im Kalten Krieg Die im vorangegangenen Kapitel gemachten Hinweise auf die fragmentarische Behandlung der Schweiz im Kalten Krieg für den Geschichtsunterricht werfen die Frage auf, wie die Thematik im wissenschaftlichen Diskurs eingeordnet wird. Beim Kalten Krieg handelt es sich um einen lange andauernden Konflikt, der global wirkte, und national sowie lokal tiefe Spuren hinterließ.26 Hier haben sich denn auch die individuellen und kollektiven Erinnerungen im kommunikativen Gedächtnis individuell Betroffener wie auch im kulturellen Gedächtnis verankert, und hier färbt das Selbstbild der Schweiz und ihrer Gesellschaft ab.27 Vordergründig ist die Epoche des Kalten Krieges insbesondere in ihren Anfängen durch Paradoxien und Kontraste geprägt. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren eine Periode des unaufhaltsamen Wirtschaftswachstums. Hochkonjunktureller Aufschwung und Kalter Krieg wirkten deckungsgleich und verbanden sich auch in den Erinnerungen. Angst vor einem Atomkrieg und Fortschrittsoptimismus wie auch die Hoffnung auf ein besseres Leben im vielversprechenden Konsumzeitalter gingen Hand in Hand. Eine geistige Enge und ein breiter gesellschaftlicher Konservativismus kontrastierten  – zumindest vordergründig  – mit dem Modernisierungsschub der Hochkonjunktur. Kalter Krieg und wirtschaftliche Hochkonjunktur stärkten strukturelle Stabilität und Regelvertrauen, was wiederum die Meinung bestärkte, es könne aus der Vergangenheit ohne weitere Umstände auf das Künftige geschlossen werden. Vieles wirkte plan- und voraussehbar, seien es individuelle Karrieren oder auch komplexe gesellschaftliche Prozesse. Kritische Zeitgenossen empfanden jedoch 25 Vgl. Albrecht, Schutzraum Schweiz, 1988  ; Auf der Maur, Die Schweiz unter Tag, 2017. 26 Vgl. auch  : Furrer und Gautschi, „Memory Cultures and History Education“, S. 16–18  ; vgl. zur Herleitung dieser These auch  : Lowe und Joel, Remembering the Cold War. 27 Zum Gedächtnis siehe  : Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, S. 28.

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die „beruhigende Stabilität“ zunehmend als Unbeweglichkeit.28 Ihr ‚Unbehagen im Kleinstaat‘29 kontrastierte allerdings oft mit dem Empfinden der breiten Masse. Aus gegenwärtiger Optik ist es interessant, danach zu fragen, wie sich eine solch stabilisierende Konstellation einstellte. Anschaulich ist das Bild der Kulmination verschiedener Entwicklungsstränge, die in der Nachkriegszeit zusammenkamen und geradezu die Spezifität der Phase ausmachen. Dabei wurden Weichenstellungen, sei es in der Konkordanzpolitik oder dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates getätigt, die über das Ende des Kalten Krieges hinaus von Bestand waren. Blicken wir auf einzelne Stränge, so ist es einmal die ökonomische Entwicklung, die einen wichtigen Boden für den breiten innergesellschaftlichen Konsens schuf. In der Politikwissenschaft ist die Rede des Übergangs von einem Konflikt- zu einem Verteilungsparadigma. Dies war die Grundlage der ausgeprägten schweizerischen Konkordanzpolitik mit Zauberformelregierungen30 auf allen Ebenen der föderalen Struktur wie auch einer breit gepriesenen Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.31 Die Konstellationen des Kalten Krieges wirkten so innergesellschaftlich höchst stabilisierend. Dies schlug sich nicht nur innenpolitisch nieder, sondern zeigte auch in der Außenpolitik und insbesondere der Stellung der Schweiz im globalen Umfeld Wirkung. Nur so ließ sich eine im vorausgegangenen Katastrophenzeitalter erprobte und gefestigte Neutralitätspolitik weiterziehen, welche im Rückblick dogmatische Züge trug. Der Kalte Krieg verstärkte insgesamt ein schweizerisches Sonderfallbewusstsein, das optimal an die Wertbestände der ‚historischen Willensnation‘ andocken konnte.32 Eine wichtige ideologische gesellschaftliche Klammerfunktion bei diesen Prozessen kam dabei dem Antikommunismus zu. Prägend wirkte in der Schweiz ein wertbasierter Antikommunismus  : Bürgerliche, religiöse und andere Kreise sahen die Grundwerte der westlichen Zivilisation in Gefahr. Der Kalte Krieg und der aus ihm resultierende Antikommunismus hatten aber auch eine starke binnenintegrierende Wirkung als Weltsicht, die die Gesellschaft von einem dämonisierten äußeren und inneren Feind absetzte. Der Antikommunismus war somit von großer innergesell28 Vgl. Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, S. 354. 29 Der Begriff nimmt indirekten Bezug auf Karl Schmids 1963 erschienenes Bändchen mit dem gleichnamigen Titel, in dem Schmid das Gefühl von Enge und Beklemmnis im Kleinstaat aufgreift, das viele Intellektuelle erfasste (Vgl. Treichler, „Karl Schmid und Amiel“, S. 109). 30 Als Zauberformel wird die parteipolitische Zusammensetzung der Schweizer Regierung (Bundesrat) entsprechend der Wählerstärke der großen Parteien zwischen 1959 und 2003 bezeichnet. Auch in den Kantonen etablierten sich entsprechende Allparteienregierungen mit einer fixen Verteilungsformel. Vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10097.php, letzter Zugriff  : 24.06.2019. 31 Vgl. Furrer, „Die Apotheose der Nation“, S. 108–111. 32 Vgl. Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, S. 306.

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schaftlicher Bindekraft.33 Allerdings stellt sich die kritische Frage, warum es einer solch starken Kohäsion im Innern bedurfte. Gründe dazu finden sich bei den ausgeprägten gesellschaftlichen Spannungen im 20. Jahrhundert im Lande. Lässt sich dies für die Zwischenkriegszeit angesichts der heftigen Konfliktaustragung der gegensätzlichen Kräfte von Sozialdemokratie und Bürgertum anschaulich deuten, so stellt sich weiter die Frage, wie sich diese Spannungen in der Nachkriegszeit und Hochkonjunktur äußerten und warum mittels eines Antikommunismus in einem derartigen Ausmaß Feindbilder aktiviert worden sind. Zwei Interpretationen geben dazu Antworten  : Die eine interpretiert es als „Fabrikation staatsbürgerlichen Verhaltens“ mit der der Linken (hier namentlich der Sozialdemokratie) das bürgerliche Erfolgsmodell Schweiz aufgezwungen wurde.34 Eine andere verweist auf die „innenpolitische Verständigung zwischen den großen Parteien und den Sozialpartnern“35, die sich im Antikommunismus auf der Suche nach stabilen und geordneten Verhältnissen fanden. Verweist die erste Interpretation auf manipulative Absichten, so argumentiert die zweite stärker funktionalistisch. Nun erwies sich der Ost-West-Dualismus als ausgesprochen adaptionsfähig, indem er die klassischen Aus- und Eingrenzungskonstrukte der Moderne und auch der Vormoderne vollumfänglich beerbte.36 Ursprünglich vertikal als Klassenantagonismus ausgerichtet, erhielt er im Kalten Krieg eine horizontale politgeografische Ausrichtung. Er verband so Rassenbiologismen (wie einen Antislawismus), kulturalistisch argumentierende Volkstumsideologien, Freiheitsepen und religiöse Drohbilder des marxistischen Antichristen. Solch sinnstiftende kulturelle Codes vermengten sich im Antikommunismus und erhöhten dessen Wirkmächtigkeit und Distinktionskraft.37 Der Kalte Krieg formte so die schweizerische Gesellschaft zu einer geschlossenen Abwehrgemeinschaft, viele teilten das kommunistische Bedrohungsbild. Unter Generalverdacht im Innern des Landes geriet besonders die marginale kommunistische Partei. Historiker sprechen in diesem Zusammenhang von einem heftigen Schweizer Antikommunismus, der dem McCarthyismus in den USA kaum nachstand und der auf eine längere Tradition zurückgreifen konnte.38 Unübersehbar ist, wie intensiv und dauerhaft die globale Konfliktkonstellation die Außen- wie auch die Innenpolitik

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Vgl. als Überblick Furrer, „Mythen im Kalten Krieg“, S. 250–252. Vgl. Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, S. 375. Vgl. Gilg und Hablützel, „Beschleunigter Wandel und neue Krisen“, S. 889. Vgl. Imhof, „Wiedergeburt der geistigen Landesverteidigung“, S. 177. Vgl. Furrer, „Mythen im Kalten Krieg“, S. 250–252. Siehe allgemein  : Caillat, Geschichte(n) des Antikommunismus in der Schweiz.

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Erinnerungsstücke? Foto der ehemaligen Telefonzentrale der Zivilschutzanlage Sonnenberg in Luzern, die zum Schutz von 20.000 Personen errichtet worden war (Foto Joke Lustenberger, Studentin an der PH Luzern).

des Kleinstaates prägten  : Der Kalte Krieg schuf so die Voraussetzungen, dass Nation und Staat maximal verschmolzen.39 Umso heftiger traf das Ende des Kalten Krieges das schweizerische Selbstverständnis. Innergesellschaftlich gingen Feindbilder verloren oder wurden in Frage gestellt. Auch außenpolitisch hatte sich der neutrale Kleinstaat neu auszurichten und musste den Kompass in Europa und der Welt neu stellen. Diese neue Ausgangssituation beeinflusste wiederum das Bild vom Kalten Krieg, wie er in Lehrmitteln abzubilden sei. Erst jetzt drang verbreitet ins Bewusstsein, dass die Schweiz innen- wie außenpolitisch mehr vom Kalten Krieg betroffen gewesen war, als man dies gemeinhin angenommen hatte oder auch willens war einzugestehen. Es galt nun in den Geschichtslehrmitteln, die Schweiz und ihre Gesellschaft auch von einer inneren Perspektive her in den Kalten Krieg einzubeziehen. Weiter stellte sich die Frage, welche Erinnerungsanker sich dazu anbieten würden. In diese Auseinandersetzung, bei der es stets um Orientierung in der Gegenwart geht, und die wir hier als Erinnerungsprozess fest39 Vgl. Furrer, „Die Apotheose der Nation“, S. 110.

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machen, wirkt auch die Gegenwart hinein. Der Blick auf die vorangegangene Epoche wandelt sich durch die Entwicklungen im neuesten Zeitgeschehen und entsprechend akzentuiert sich auch das Problembewusstsein.

1990er-Jahre: Erinnerungskulturelle Identitätspolitik im Umfeld neuer Ungewissheiten Das Ende des Kalten Krieges brachte nicht nur einen geopolitischen Wandel, sondern ging in Ost und West mit grundlegenden Veränderungen und Transformationsprozessen in Gesellschaft und Politik einher. Zu betonen ist, dass dies nicht allein die Gesellschaften Osteuropas betraf, sondern sich auch in den westeuropäischen Staaten das gesellschaftspolitische Selbstverständnis grundlegend änderte, wie das Beispiel Schweiz zeigt. Innen- und auch außenpolitisch durchlebte die schweizerische Gesellschaft eine Phase der Umorientierung und Neuausrichtung, die sich vor allem in der Frage des Verhältnisses zu Europa und der Welt niederschlug.40 Da Stellung und Aufgabe der Schweiz in Europa und der Welt primär aus ihrer Geschichte und ihrer politischen Eigenart heraus definiert werden, entfachte dies eine Debatte und Auseinandersetzung um das richtige Geschichtsbild und den Stellenwert des Traditionsbewusstseins.41 Als Angelpunkt dieses Diskurses kreiste in der Schweiz die Frage um die Bedeutung und den Gehalt der schweizerischen Neutralität. In praktisch allen Lehrmitteln wurde die neutrale Position der Schweiz während des ganzen Kalten Krieges erwähnt und betont.42 Oder bildhaft dargestellt  : Der Konflikt vollzog sich außerhalb des neutralen Kleinstaates, der von diesem verschont blieb. Der Neutralität wurde so im Kalten Krieg ein hoher historischer und staatspolitischer Stellenwert zugewiesen. Sie war eine allgegenwärtige Formel, die nur die kommunistische Partei der Arbeit in den ersten Nachkriegsjahren vorübergehend zurückwies, und sie genügte während Jahrzehnten allen politischen Lagern, um bei außenpolitischen Problemstellungen zu entscheiden. Es war der Kalte Krieg, der wesentlich dazu beitrug, dass die Neutralität im kollektiven Selbstverständnis einen derart überhöhten Stellenwert einnehmen konnte.43 Folglich ist es nicht verwunderlich, dass sich mit dem Ende dieses globalen Konfliktes unmittelbar Fragen zur künftigen politischen Orientierung des Landes so40 41 42 43

Vgl. Furrer, „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges“, S. 279. Vgl. auch Neidhart, Die politische Schweiz, S. 46–49. Vgl. Furrer, „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges“, S. 284. Vgl. Kreis, „Viel Zukunft – erodierende Gemeinsamkeit“, S. 570.

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wie zur Funktion von Neutralität eröffneten. Bald standen sich zwei Lager gegenüber  : Für die eine Seite blockierte die Fixierung auf Neutralität künftiges außenpolitisches Handeln. Sie entwarf das Negativ-Bild eines abgeschotteten und introvertierten Kleinstaates, der es sich dank der Bedrohung im Kalten Krieg bequem einrichten konnte. Damit einher schwang Kritik an der ‚Moral des Neutralen‘ im Kalten Krieg mit.44 Beanstandet wurde insbesondere das politische Abseitsstehen bei einer gleichzeitig intensiven ökonomischen Integration.45 Es galt für diese Gruppe, die Altlasten des Kalten Krieges abzustreifen, befürchtete sie doch deren hemmende Wirkung auf künftige Weichenstellungen für ein offenes Land. Gefordert wurde nicht weniger als eine Neudefinition der Neutralität.46 Eine andere Seite hielt hingegen an der Neutralität als bewährtem Instrument im Kalten Krieg fest. Für sie verband sich Neutralität mit dem Bild eines schweizerischen Sonderfalls und eines Kleinstaates, der dank der Neutralität seine Souveränität voll ausspielen konnte. Vor dem Hintergrund der schweizerischen Europadebatte, zuerst zum EWR (1992) und dann zur allgemeinen Frage der Positionierung des Landes in Europa (so gegenüber der Europäischen Union) und der Welt (z. B. zur UNO, bei der die Schweiz seit 2002 Mitglied ist) war die Auseinandersetzung um den Stellenwert der Neutralität höchst virulent. Im Kontext neuer internationaler und europäischer Krisen ab 2008 schwächte sich die Auseinandersetzung jedoch zunehmend ab. Diese Debatte war vor allem Teil eines publizistischen Diskurses,47 sie wurde punktuell auch von Lehrmitteln aufgenommen.48 Damit verbunden erhielt eine Identitätspolitik, wie sie nationalkonservative Kräfte seither in der Schweiz betreiben, breiten Auftrieb.49 Wie Nadine Ritzer in einer umfangreichen Studie zur Schule im Kalten Krieg aufzeigen konnte, lebten die alten klassischen Mythen in der Erinnerungskultur des Kalten Krieges geradezu auf.50 Die klassischen Mythenerzählungen – angelegt in einem Dreieck von Freiheit, Neutralität und Wehrhaftigkeit  – ließen sich jedoch nicht nur im Zeitalter des Kalten Krieges fortsetzen,51 sondern sie konnten mühelos in die Post-Phase des Kalten Krieges hinübergezogen werden. Solche erinnerungskulturellen Bezüge referierten aber weniger 44 Vgl. Furrer, „A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative“, S.  115  ; Dejung, Schweizer Geschichte seit 1945, S. 109–123. 45 Vgl. Furrer „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges“, S. 279. 46 Vgl. Kreis, „Viel Zukunft – erodierende Gemeinsamkeit“, S. 572. 47 Vgl. Furrer, „A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative“, S. 119-120. 48 Meyer, Die Schweiz und ihre Geschichte, S. 170. 49 Vgl. Kriesi, Der Aufstieg der SVP, S. 34 f. 50 Vgl. Ritzer, Der Kalte Krieg in den Schweizer Schulen, S. 212–229. 51 Vgl. Leimgruber, „Die Schweiz zwischen Isolation und Integration“, S. 23  ; Furrer, „Mythen im Kalten Krieg“, S. 259.

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auf direkte Ereignisse im Kalten Krieg. Der Kalte Krieg hatte jedoch Mythen mit isolationistischer und abgrenzender Wirkung verstärkt. Im Rückblick erscheint er als Hochphase einer positiv besetzten ‚splendid isolation‘, die es dem schweizerischen Kleinstaat bei politischem Abseitsstehen ermöglichte, sich global optimal wirtschaftlich zu integrieren. Auch war die Rolle des Neutralen im Verlaufe des Kalten Krieges wiederum international gefragt und kulminierte im Helsinki-Prozess Mitte der 1970er-Jahre.

Die Phase von Zuversicht und Hoffnung In den 1990er-Jahren wurde das Ende des Kalten Krieges vielfach beschworen und der Konflikt wurde gar offiziell als beendet erklärt.52 Das Ende des Kalten Krieges war aber nur das Ende einer Ära, jedoch nicht das Ende internationaler Konflikte, was sich aus einer historischen Perspektive grundsätzlich aufdrängt.53 Gesellschaften und Politik nähren sich jedoch aus hoffnungsvollen Perspektiven, was direkten Niederschlag in der Erinnerungskultur findet. Es vollzieht sich ein Deutungswandel des Vergangenen, und im Soge des Umbruchs werden weniger die Kontinuitäten als vielmehr der Wandel und das Neue aufgezeigt und erhofft. In solchen Phasen der Hoffnung und des Aufbruchs gilt es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wie ich andernorts dargelegt habe.54 In der Folge wurden die Kapitel in Lehrmitteln zum Kalten Krieg umgeschrieben. Dominierte noch während des Kalten Krieges in praktisch allen Schweizer Geschichtslehrmitteln ein sogenanntes ‚Konkurrenznarrativ‘, das die Auseinandersetzung der beiden politischen Systeme und Ideologien (mehr oder weniger wertfrei) nachzeichnete, so schwenkten mit dem Ende des Konflikts die Lehrmittel auf ein ‚Trennungsnarrativ‘ über.55 Es ist das Bild des nach dem Zweiten Weltkrieg geteilten Europas, das nun wiedervereinigt worden ist. In dieses ist auch die Schweiz eingebunden. Meist wird dafür die schweizerische Solidarität mit den Ungarn anlässlich des Aufstandes von 1956 erwähnt oder auch Leben und Alltag hinter dem Eisernen Vorhang. Die Teilung und Wiedervereinigung werden damit zu einem gewichtigen europäischen Thema mit einem direkten Bezug zur Metapher des ‚Europäischen Hauses‘, welches in der zweiten

52 Vgl. Stöver, Der Kalte Krieg, S. 467. 53 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 323. 54 Vgl. Furrer, „Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges“, S. 285. 55 Siehe hier den geplanten Beitrag „Images and Imaginations of the Cold War – with a Focus on the Swiss View“ bei Palgrave.

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Hälfte der 1980er-Jahre durch die Politik und Rhetorik des sowjetischen Parteigeneralsekretärs Michail Gorbatschow aktuellen Status erlangte und das Problembewusstsein für die Trennung beziehungsweise Aufteilung schärfte.56 In dieser Phase wird auch der Antikommunismus Gegenstand in Lehrmitteln. In Handbüchern fand der Begriff bereits seit den 1980er-Jahren Eingang.57 Er half vor allem, die Schweiz in das Geschehen im Kalten Krieg einzubinden. Vielfache lebensbiografische Erinnerungen und Bezüge lassen sich daraus herleiten. Prominent ist der Fall von Konrad Farner, gegen den als Redakteur der Zeitung Vorwärts, dem Organ der kommunistischen Partei der Arbeit in der Schweiz, 1956 eine buchstäbliche Hetzjagd lanciert worden war. Praktisch alle neuen Lehrmittel rekurrieren auf dieses Ereignis. Wie Nadine Ritzer in ihrer Studie aufzeigt, existieren jedoch eine Vielzahl weiterer Fälle und Schicksale. Behörden und Staatsschutz gingen rigoros auch noch Jahrzehnte später gegen als kommunistisch eingestufte Lehrpersonen und Beamte vor.58 Weisungen zum Ausschluss von Beamten, denen eine staatsgefährdende Absicht unterstellt wurde, die in einer Hochphase des Kalten Krieges erlassen worden sind, wurden erst 1990 aufgehoben. Es stellt sich gerade hier konkret die Frage, wie diese Vorgänge individuell und kollektiv erinnert werden, so etwa am Beispiel der Dienstverweigerer, welche als Handlanger der kommunistischen Weltrevolution gesehen wurden.59 Kollektiv stellt vor allem die Fichenaffäre einen Erinnerungsanker dar. In ihr finden Antikommunismus und hysterischer Überwachungsstaat zusammen. Dies wiederspiegelt sich anschaulich in Lehrmitteln. Sie machen Bezüge zur Fichenaffäre, so etwa mit Fotos von einer Demonstration auf dem Bundesplatz im Jahr 1990, oder zum Thema Antikommunismus mit Fotografien von Solidaritätskundgebungen in der Schweiz im Kontext des Ungarnaufstandes 1956. Erinnert in dieser Phase wird hier an die innergesellschaftliche Stimmungslage, die geprägt ist durch eine Mentalität des Einigelns und des Abseitsstehens  : „Die Schweiz wirkte wie ein Zuschauer an einem Fussballspiel, der sich von der Tribüne aus voll und ganz für die Mannschaft engagiert, aber keinesfalls das Spielfeld betritt“, formuliert ein Lehrmittel.60 Dieser Vergleich enthält zwei wesentliche Aspekte  : die neutrale Haltung gegen außen und der Antikommunismus im Innern des Landes, der sich insbesondere gegen die sowjetfreundliche Partei der Arbeit in der Schweiz richtete und nach Erkenntnis damaliger kritischer Zeitgenossen, zum Beispiel Jean

56 Vgl. Kreis, „Viel Zukunft – erodierende Gemeinsamkeit“, S. 577. 57 Vgl. Furrer, „A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative“, S. 114–117. 58 Vgl. Ritzer, Der Kalte Krieg in den Schweizer Schulen, S. 368. 59 Ebd., S. 377. 60 Meyer, Die Schweiz und ihre Geschichte, S. 170.

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Rudolf von Salis, „hysterische Züge“ annahm. Meist wird dabei der „Kalte Krieg im Landesinnern“ am Beispiel des Ungarnaufstandes von 1956 dargestellt, der zu einer großen Solidarisierungsbewegung in der Schweiz mit den Aufständischen und den Flüchtlingen, aber auch zu einer Hetze gegen Kommunisten in der Schweiz geführt hat. Dieser starke Einbezug der Schweiz in den Kalten Krieg mittels des Antikommunismus ist verbreitet und findet sich heute praktisch in allen Lehrwerken. Er ist ein Erinnerungsanker geworden. Erklären lassen sich diese Bezüge insbesondere mit den aktuellen Diskursen und Entwicklungen in der Schweiz nach dem Kalten Krieg. Am Ende des Kalten Krieges kam es zu einem Jahrhundertskandal, als 1990 zutage trat, dass die Bundespolizei aus Angst vor Subversiven alles sogenannt ‚Unschweizerische‘ registriert hatte. Um die 900.000  Personen und Organisationen waren bespitzelt worden. Intellektuelle, wie der Schriftsteller Max Frisch, die selber betroffen waren, schrieben vom ‚verluderten Staat‘, und der Dramatiker und Kunstmaler Friedrich Dürrenmatt prägte das Bild von der ‚Schweiz als Gefängnis‘, in dem die Gefangenen gleichzeitig Wärter seien. Erst dieser Skandal dürfte die Augen geöffnet haben für die willkürliche Observierung und auch die Problematik einer antikommunistischen Obsession.61 Der Antikommunismus wird so zum tragenden Metanarrativ für die Schweiz im Kalten Krieg.

Die Rückkehr der Konflikte Mit der Zunahme von Konflikten und einer damit einhergehenden Ernüchterung mit Blick auf die Perspektiven einer besseren Welt nach dem Kalten Krieg verändern sich auch Ausrichtung und Gehalt von Erinnerungen. Der Kalte Krieg wird weniger als negative Kontrastfolie zur Gegenwart gesehen. Im Gegenteil, es kommt zu einem Rückzug auf vermeintlich sichere Positionen im Kalten Krieg. Was war geschehen  ? Wirtschaftlich und auch politisch veränderte sich die Großwetterlage am Ende des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert mit Finanzkrise, geopolitischer Instabilität insbesondere im islamischen Raum sowie revisionistischen Entwicklungen in Russland und China. Der Angriff Russlands auf das souveräne Territorium Georgiens 2008 (Kaukasuskrieg) steht für so etwas wie eine „Rückkehr der Geschichte“62 im Stile der Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts. Vor allem aber kehrte die Geschichte als Argument zurück, indem die Krim als russisches Kernland deklariert wurde und auch andere Ansprüche auf Territorien ehemaliger Sowjetrepubliken zur Geltung gebracht 61 Vgl. Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, S. 471. 62 Vgl. Rödder, 21.0, S. 357.

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wurden. Verbunden ist damit stets die Warnung vor einem Abgleiten in einen heißen Krieg. So wird der Kalte Krieg zu einer Chiffre, die für ein wiederauftauchendes „spukendes Gespenst in Europa“ steht. ‚Russland‘ und der ‚Westen‘ stehen sich wieder gegenüber. Wie im vorangegangenen Kalten Krieg drohen beide Seiten, Fehlperzeptionen zu verfallen. Dem Kalten Krieg als der unserer Zeit vorangehenden Epoche wird in der Folge eine andere Aufmerksamkeit zuteil. Die optimistische Zuversicht, mit dem Ende der bipolaren Gegensätzlichkeit in ein neues friedvolleres Zeitalter gewechselt zu haben, hat sich verflüchtigt, und damit verschieben sich auch die Erinnerungsakzente. Es sind mit Blick auf Handbücher und Lehrmittel, die den Kalten Krieg zum Gegenstand haben, zwei Hauptbezüge auszumachen  : Ein erster fokussiert sich auf die strukturbildenden Kräfte im Kalten Krieg. Wie Historiker aufzeigen können, förderte dieser gerade in der damaligen Zeit strukturelle Stabilität und Regelvertrauen.63 Dieser Fokus auf die strukturbildenden Kräfte bestärkte die Meinung und Vorstellung, dass aus der Vergangenheit ohne weitere Umstände auf das Künftige geschlossen werden könne. Geprägt sind solche Sichtweisen mitunter durch nostalgische Bezüge, die das Kritische und Problematische vorschnell ausblenden. In populären Vorstellungen sind solche Sichtweisen ähnlich verbreitet wie vorher auch die hoffnungsvolle Perspektive auf bessere Zeiten nach dem Kalten Krieg. Gefragt wird weiter, welche im Kalten Krieg gebildeten Strukturen und Ausgangspositionen in die Gegenwart einwirken. Der Kalte Krieg ist eine nachhaltige Epoche, die in den Tiefenstrukturen des politischen und gesellschaftlichen Lebens überdauert.64 Bernd Greiner macht dies anhand verschiedener Untersuchungen deutlich, die von den amerikanischen Vorstellungen des präventiven Krieges, aber auch der weltweit ungebrochenen Bedeutung der Nuklearwaffen über Verwundbarkeitsphobien bis hin zur ‚Imperialen Präsidentschaft‘ in den USA im Sinne einer Untergrabung der Gewaltenteilung reichen. Auch der Staatszerfall in der Postphase des Kalten Krieges hängt unmittelbar mit diesem zusammen, wie auch die Struktur der europäischen Integration mit ihrem bürokratisch-technokratischen Charakter.65 Gerade weil der Kalte Krieg als vorangehende Epoche derart prägend auf die Gegenwart einwirkt, wird er weiterhin stark erinnert und erhält so in der Erinnerungskultur sein spezifisches Gewicht. In Lehrmitteln und einschlägigen Handbüchern findet sich dieser Bezug aktuell jedoch noch nicht. 63 Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, S. 354. 64 Vgl. Greiner, „Spurensuche  : Zum Erbe des Kalten Krieges“, S. 9. 65 Ebd., S. 36 f.

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Bilanz Fragen wir nach den kollektiven Erinnerungen an den Kalten Krieg, so fragen wir hier in erster Linie danach, wie dieser in populärwissenschaftlichen Darstellungen und Lehrmitteln erzählt wird. Lehrmittel sind im Spannungsfeld von Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur angesiedelt und mit der Aufgabe der kulturellen Überlieferung betraut. Sie fokussieren damit auf Wesentliches und Erinnerungswürdiges im historischen Prozess. Ausmachen lassen sich für die Schweiz in der Postphase des Kalten Krieges vier Erinnerungsanker, die Darstellung und Narrativ in den Lehrmitteln prägen. Sie sind hier auch in Bezug auf ihr zeitliches Erscheinen vorgestellt. Einmal ist es der Blick auf den Antikommunismus in der Schweiz, weiter die spezifische schweizerische Reaktion auf die atomare Bedrohung, ferner die Zeit des Kalten Krieges im Zeichen von Wirtschaftsboom und Wohlstand und in einem außenpolitischen Kontext das Bild der Trennung Europas und der damit verbundenen ‚splendid isolation‘ der Schweiz. Im Vergleich zu Darstellungen des Kalten Krieges vor der ‚Wende‘ 1989/91 werden diese Erinnerungsanker danach entweder völlig neu oder aber in ihrem Gehalt neu ‚erinnert‘. Was den Antikommunismus in der Schweiz betrifft, so tritt dieser am Ende des Kalten Krieges und vor dem Hintergrund eines bereits in den 1980er-Jahren wahrnehmbaren soziokulturellen Wandels neu auf. Er integriert damit die Geschichte der Schweiz in das globale Konfliktgeschehen. Die Auseinandersetzung um die Fichenaffäre ist hingegen zwangsläufig später angelegt. Sie ist aber früh Thema in den Lehrmitteln der 1990er-Jahre, da die Affäre als eigentliche Staatskrise aufgefasst worden ist. Auch Wirtschaftsboom und Wohlstand sind Themenstränge mit einer Verbindung zum Kalten-Krieg-Narrativ, die in den 1980er-Jahren vorbereitet wurden und die ab den 1990er-Jahren zum Kanon einer Kalten-Krieg-Erzählung gehören. Die Thematik der Bedrohung nimmt vor allem Bezug auf die diffusen Ängste und die als im Nachhinein unrealistisch eingestuften Vorsorgemaßnahmen des schweizerischen Zivilschutzes. Das Bild des geteilten und nunmehr wieder vereinten Europa ist ein später Bezug, der auf Vorstellungen eines gemeinsamen europäischen Hauses baut. Gerade letztere Vorstellung geht davon aus, dass das Ende des Kalten Krieges zu einer besseren Welt führen kann. Fragen wir uns abschließend nach dem Lernpotential des Kalten Krieges. In einem erinnerungskulturellen Kontext, an dem sich auch Lehrmittel stark orientieren, sind es verschiedene Erinnerungsanker, die uns auch Schlussfolgerungen zur Gegenwart abverlangen. Genuin historische Bezüge, wie sie etwa Odd Arne Westad formuliert, verweisen vor allem auf Kontinuitäten. So wurden mit dem Ende des Kalten Krieges dominante Konfliktlinien, zum Beispiel zwischen den „Besitzenden und den

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Habenichtsen in der internationalen Politik“ nicht aufgelöst. An die Stelle der alten ideologischen Auseinandersetzung sind dabei religiöse und ethnische Bewegungen getreten, die exklusivistisch oder rassistisch sind. Naturgemäß sprechen solche Bewegungen vielfach junge Menschen auf der Suche nach Lebenssinn an. „Der Kalte Krieg zeigt, was passiert, wenn solche Bedürfnisse im Interesse von Macht, Einfluss und Kontrolle missbraucht werden“, wie Westad formuliert.66 Es war der ideologische Kern oder Gehalt, der diesen Konflikt so gefährlich machte.67 Um diesen herum kristallisieren sich denn auch die Erinnerungen.

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Public Controversies of Memory with a Focus on Border Regions Nations and states have an inherent need for historical myths if they are to develop a political identity of their own. These myths do not necessarily need to be stories of great success. On the contrary, they frequently involve loss, extended aberrations and, only eventually, the path to successful salvation or redemption. Myths about a country’s foundation and tales of sacrifices and victims tend to be particularly persistent. This is especially the case in Eastern Europe.1 This is related to the process of nation-building, which took a very different course in Eastern Europe compared to Western Europe. National affiliation changed frequently in Eastern and East-Central Europe, including the location of national borders. For this reason, affiliation to any one particular nation tended not to be particularly pronounced among the general population. In order to change this state of affairs, the relevant countries’ political leaders, together with their writers, poets and artists, undertook a concerted and deliberate initiative to create, or at the least to reinforce national-patriotic sentiment by establishing national myths in the form of speeches, narratives, pictures etc. There is always a defence of innocence. For instance, traditions of anti-Semitism, as well as stories about individuals guilty of collaboration, frequently tend to be avoided as potential topics in many areas in Poland.2 Thus, for example people in Hungary are more than happy to speak about the trauma of the drastic reduction of national territory in 1920 but are far less likely to broach any discussion relating to the coalition with Hitler.3

Nations, Borders and Myths At issue here is whether transnational regions are likely to develop a common, or shared, narration of painful or contrary experiences, especially when the countries 1 See Komlosy, “Grenzen. Räumliche und soziale Trennlinien im Zeitenlauf ”, p. 59. 2 See Steffen, “Antipolonismus”  ; Pufelska, “Raub der Clio”  ; Ruchniewicz, “Die Jedwabne-Debatte in Polen”. 3 See Ápor, “Secret Agents”.

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involved are immediate neighbours with direct interactions in the modern context. How do myths evolve between neighbouring countries  ? This article will present three examples of these types of myths and will analyse how they are handled in the regions concerned  : the Polish Kresy (Eastern territories) as Polish ‘lost territories’  ; the Polish New Northern- and Western territories, which were seen for a long time from a Polish perspective as Polish ‘regained territories’  ; and Karelia in the Finnish-Russian border region. The First and Second World Wars were momentous, tragic watersheds in the 20th century, not least in border regions. Certainly, these tragedies have been individually and nationally processed over the interim years and have typically undergone progressive historical reappraisal, including how the subsequent expulsions and displacements were understood among different communities and in individual countries. Nevertheless, related tensions have risen time and again, and increasingly frequently over the last fifty years, between the neighbouring countries Poland and Germany, Poland and Russia as well as Poland and Ukraine regarding these past events. While German politicians constantly seek to prevent the debate becoming too emotionally charged and aim to defuse tensions, there is no question that historical events are frequently manipulated and exploited in Polish, Russian and Ukrainian politics with an aim to establish firm support for the governments’ nationalistic policies. In Eastern and East-Central Europe, historical myths have been experiencing a revival over recent decades. ‘Folk culture’, religious traditions and memorial sites are contributing to a strengthening of national politics of identity.4 The October 2015 victory of Kaczyński’s right-wing populist Law and Justice Party in Poland saw a realignment of the politics of memory and a transformation of national commemoration. Nationalist traits and a concentration on people’s experiences of suffering became more and more obvious.5 In Russia, Vladimir Putin succeeded in building Russian national sentiment not so much as a result of economic accomplishments, but through success in foreign policy. His power politics regarding Ukraine and Syria enjoy the support of the majority of Russians.6 Developments in border regions can be used to analyse public controversies. The consequences of World War II included changes of borders, battles in border regions and movements of people across the borders. For this reason, it is not unreasonable to assert that border regions assumed a special role during and after World War II. Fur4 See Götz, “Neuer Nationalismus im östlichen Europa”, pp. 7–13. 5 See Świder, “Verstoßene Soldaten”, pp. 119–138. 6 See Thumann, “Das System Putin”, p. 43  ; “Ein Gespräch mit Viktor Jerofejew und Peter Schneider”, p. 18.

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thermore, the war produced numerous myths in relation with battles, border changes, people’s movements and a new life in border regions. This is of course different in the case of border regions where border changes didn’t affect the life of their inhabitants so much, where people could remain in their territories even though the region had become a part of another country. Such was the case of the Danish-German border after World War  II, where Danish and German people continued their day-to-day lives in Schleswig despite, or regardless of, the changed ruling system.7 In the German-Polish border region, where German inhabitants were expelled from the new Polish territories or in the Polish-Soviet border region, where Poles lost their homes and had to move either to Central or to Northern and Western Poland, World War II is more immediately present in narratives and collective memory of the inhabitants.8 The new post-war order affected Eastern and East Central Europe in particular. Almost all borders in this part of Europe were given a new guise. Borders and entire populations were shifted, quickly turning into expulsions and displacement of people on a massive scale.9 As a result of these forced, and often violent, movements of populations, the majority of national borders also became unequivocal language borders. Every city that was divided in the 20th century is located in Eastern and East Central Europe.10 One section of the divided village or locality remained part of the old power, and one section became a new part of a different country.11 In the light of the current debate about migration, numerous historians draw attention to the fact that any analysis on this topic really needs to include consideration of the mass migrations occurring throughout the 20th century if one is to gain any genuine and accurate understanding of this modern phenomenon.12   7 See Frandsen, “Schleswig”, pp. 94–95.   8 See Stokłosa, “Conflict and co-operation”, pp.69–77.   9 See Ther, “Deutsche und polnische Vertriebene”  ; Schultz, “Von der Nachkriegsordnung zur postsozialistischen Staatenwelt”, 13–19  ; Stokłosa, Grenzstädte in Ostmitteleuropa. 10 These include, for example, Brest-Terespol in the Belorussian-Polish border region, Guben-Gubin, Görlitz-Zgorzelec and Frankfurt (Oder)-Słubice in the German-Polish border region, Gmünd-České Velenice in the Austrian-Czech border region, Bad Radkersburg-Gornja Radgorna in the Austrian-Slovenian border region, Rédics-Lendava in the Hungarian-Slovenian border region, Komárom-Komárno, Esztergom-Štúrovo and Hidasnemeti-Seňa in the Hungarian-Slovak border region, Barcs-Terezino in the Hungarian-Croatian border region, Narva-Ivangorod in the Russian-Estonian border region, Český Těšín-Cieszyn in the Polish-Czech border region, Värtsilä-Vjartsila in the Finnish-Russian border region, Valga-Valka in the Estonian-Latvian border region, Calafat-Vidin and Zimnicea-Svištov in the Romanian-Bulgarian border region, Kilija-Chilia Veche and Vilkovo-Periprava in the Ukrainian-Romanian border region or Veľké Slemence-Mali Slemenci in the Slovakian-Ukrainian border region. 11 See Schultz, “Geteilte Städte oder Zwillingsstädte  ?” 12 See Besier/Stokłosa, “Introduction”.

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This essay will investigate whether inhabitants of border regions have been successful in the development of a common discourse about the divisions and separations they experienced in the past.

Polish Borders Poland’s new northern and western territories, from which the German population had fled or later been expelled, were indeed like a foreign body within the Polish state and political system and, therefore, needed to be integrated into this body politic. The policy of Polonization served this purpose, whereby the former German territories were to be transformed into original Polish regions. A purge of memory took place  : German names of towns, streets and persons were changed into new Polish ones.13 The message of propaganda was clear  ; after the Second World War, the former Polish territories were to be returned to the mother country (‘regained territories’). The new inhabitants of these regions should, thus, have the undisputed feeling that they would never again have to move away. In addition, this policy should ultimately make it easier to get over the painful loss of the country’s own eastern territories.14 Nevertheless, not least for economic reasons, it was simply not possible to eliminate all German traces entirely. The Polish literary historian Stanisław Bereś, who was born in Wrocław in the 1950s, describes this reality as follows  : […] I lived in a German house, which had seen the birth of generations of German children and the death of the older people. I slept on a German sofa, looked at German pictures, bathed in a German bathtub, ate out from German pots and plates […]. From childhood onwards, we were raised in an atmosphere of hatred and fear of Germans. And yet, at the same time, our entire world, this whole cosmos of everyday life, even the taste of everyday items, were influenced and shaped by the German form and German spirit.15

The same policy was applied in other border regions with much the same goal. The region of Kaliningrad (formerly Königsberg) is another example of this reality, where the politicians were desperate to eradicate the German past.16 This policy definitely

13 See Thum, Die fremde Stadt, pp. 298–302. 14 See Stokłosa, Polen und die deutsche Ostpolitik, p. 66. 15 Bereś, “Amarcord Wrocławski”, pp. 50–53. 16 This was referred to as “Aktion der Entdeutschung” [Operation of De-Nazification]. Cf. Sakson, “Współczesne oblicze mieszkańców obwodu kaliningradzkiego”, p. 47.

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had the desired effect. Until the 1989 political upheaval, the Polish northern and western territories were always officially designated as the ‘regained territories’.17 In the historical culture of the expellees, and over the course of decades, Poland was stereotypically deemed to exist as a state that solely inflicted harm on the German population. As a consequence of the Yalta and Potsdam conferences and agreements, Kresy (‘Eastern Borderlands’) was annexed by the Soviet Union at the end of the Second World War. For the Polish, Ukrainian and Lithuanian citizens living in the area, the Soviet occupation heralded a very harsh and difficult period. The massacre of Polish soldiers at Katyn left long-lasting traces on the Polish consciousness. However, because Poland clearly fell under the Soviet sphere of influence, the Kresy remained a taboo topic in public discussion in Poland up to the 1950s. It was not until post 1956 that people began to talk or write about the regions, even though the mere reference to Kresy continued to be prohibited. Following 1989, Kresy gradually came to develop mythical status, and they relatively quickly became part of cultural memory in Poland. Nowadays, monuments and street names can be found in the vast majority of Polish cities commemorating those who lost their lives in the ‘lost Kresy’, or who were exiled and deported to Siberia where they remained as prisoners (‘Sybiracy’). More than a few communities organise sentimental trips to Grodno, Vilnius and Lviv – incorporating typical cuisine and souvenirs of the Polish Kresy. Likewise, numerous television mini-series dealing with everyday life in the former Polish Eastern territories contribute to the reinforcement of a highly emotionalised image of the Polish Kresy.18 In the opinion of the Polish historian Robert Traba, this idealised picture is likely to remain a very significant part of the Polish memory for many a year.19 In the Polish northern and western territories, a particular form of remembrance of the lost Polish territories took shape and developed. Numerous institutions were established with the specific mission of ensuring the systematic preservation and fostering of the memory of the Kresy. As a result of this form of keeping old traditions alive, even the first generation of Polish citizens, people who had been born in the northern and western territories, still felt a sense of belonging and of being at home in the Kresy, at least in mind and spirit. Up until the political upheaval and changes in 1989, stories of Poland’s lost eastern territories continued to form a part of the personal collective family memory. In the 1990s, organisations, mostly cultural groups, raised these private memories into the sphere of public and official memory. Since 2000, an 17 See Stokłosa, Polen und die deutsche Ostpolitik, p. 67. 18 See Czapliński, “Das Verlorene wiedergewinnen”. 19 See Traba, The Past in the Present, pp. 92–107.

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institutionalisation of the narratives about the Kresy was already becoming noticeable, increasingly incorporating bigger groups.20 In the 21th century, memories of the various expulsions and displacements have become intertwined and the images of the commemorative rituals have changed. New narratives have been created through the interconnections between the German past and the Polish present and these narratives are used to create and establish a local, cross-border identity for large sections of the population. The majority of inhabitants of the Kaliningrad region have completely accepted the German past and have started to perceive it as a ‘common’ European heritage. The residents of today’s Kaliningrad call their city ‘König’ which underlines its German origin.21 For most of the inhabitants of Gdańsk, Wrocław and Kaliningrad, the fear that their cities could return to Germany has also receded. Many of them have even started to be proud of their towns’ German past22, and have put their experiences of the War and the expulsions behind them. The communities’ national historical cultures tend to intertwine and overlap, leading to a natural impetus to improve their awareness of the other’s perspective in order to reach a sense of mutual understanding. Because they are frequently willing to meet ‘half-way’, and to consider different interests and perspectives, these communities are progressing well towards developing a shared commemorative culture. This progress is, however, threatened by the national-conservative government in Poland and by Russia’s obsession with power-politics. This history of interconnections is the most pronounced in border regions, where the influence of cross-border contacts is stronger than that of national ideologies. In 2018, Poland celebrates the 100-year anniversary of the re-establishment of its existence and independence as a nation state. For the Polish northern and western regions, which were ‘regained’ in 1945 but which originally belonged to Germany 100 years ago, this will be an opportunity to commemorate the former German history of their territories.

The Finnish-Russian Border The Finnish-Russian case represents, in comparison with the Polish borders, a very pragmatic example despite many myths and feelings regarding the construction of 20 See Łukianow-Tukalo/Maciejewski, “Pamięć Kresowian i o Kresach”. 21 See Putins Globus. 22 See Sakson, “Współczesne oblicze mieszkańców obwodu kaliningradzkiego”, 61, 65  ; See Thum, Die fremde Stadt, 519–526  ; Loew, Vertriebene aus Danzig, 244  ; Biskupska, Pamiętam, że …

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the national identity on the Finnish side of the border. The Finnish-Russian border is 1340 kilometres long.23 During World War II, all major battles between Finland and the Soviet Union took place in Finnish Karelia and in Soviet Eastern Karelia. For this reason, Karelia became particularly important in Finnish memory culture. Nowadays, the ‘Karelia issue’ mostly refers to the question of the areas annexed by the Soviet Union in World War II. Finns have started to talk about ‘lost Karelia’, but not about the question of creating Greater Finland through the incorporation of Eastern Karelia.24 This is similar to the situation faced by the Polish Eastern territories, as described previously, where the territories were incorporated into the Soviet Union after World War II. Many Poles started to refer to the Polish Eastern territories as ‘the lost Polish ground’ and yet the new Western and Northern Polish territories, which had originally been part of Germany, were described as the ‘recovered Polish territories’.25 Two wars took place in the Finnish-Soviet border region between 1939 and 1945. However, the Finns generally speak of three separate wars  : the Winter War (1939– 1940), the Continuation War (1941–1944) against the Soviet Union and the Lapland War (1944–1945) against Germany.26 One consequence of the first two wars was the emergence of an ethnic and cultural border.27 The Soviet Union attacked Finland on November 30, 1939. On the Soviet side, more than 200.000 people were killed, and still more wounded. No precise numbers were published until recently. Among the Finns, almost 25.000 were killed and more than 43.500 wounded. For a nation with a population of only 3.75 million, this loss was enormous. Finland lost about 10 per cent of its pre-war Finnish territory, some 12 per cent of the population, 30 per cent of its energy resources and 20 per cent of its railway lines.28 Furthermore, Finland lost a part of ‘Finnish Karelia’, including the Karelian Isthmus and the Ladoga Karelia, together with the city of Vyborg, the heart of the region. The Soviet Union annexed these areas after the Winter War in 1940, and although they were recaptured by the Finns in 1941, they were lost again in 1944.29 The so-called ‘Karelian evacuees’30 were evacuated and resettled within the new Finnish borders, while the former inhabitants had to move closer together to make

23 24 25 26 27 28 29 30

Idem, 198. See Fingerroos, “Karelia Issue”, pp. 483–484. Faraldo/Thum, “Las regiones occidentales polacas”  ; Stokłosa, “Conflict and co-operation”, p. 7. See Meinander, “A Separate Story  ?”, p. 55. See Kolossov/Scott, Karelia. A Finnish-Russian borderland, p. 199. See Lunde, Finland’s War of Choice, 16–19  ; Fingerroos, “Karelia Issue”, p. 490. See Fingerroos, “Karelia Issue”, 483–484. See also the Russian perspective  : Gnetnev, Tajni lesnoj vojni. In Finnish ‘evakko’. See  : Fingerroos, “Karelia Issue”, p. 484.

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space for newcomers.31 They also had to adjust to people with other habits and in many cases a different (Orthodox) religion. Most of these expellees returned to their homes during the Continuation War, only to be expelled again in 1944. Almost the entire population of these areas, more than 420.000  Finnish Karelian citizens, had to leave their homes after their regions were annexed by the Soviet Union.32 There was no further return for the Karelian evacuees and they had to establish new homes in other Finnish regions.33 World War II changed the Finnish-Russian border radically. Finnish inhabitants of the border region never really accepted the new border agreement that had been signed in Moscow in 1944.34 Before the final peace terms were confirmed in 1947, the evacuees and many other Finns hoped that the border question could still be changed.35 The lost region of Karelia became a place ensconced in the memory of the Karelian evacuees, a place preserved in their narratives and hopes. The Karelian refugees’ memories were closely connected with their dreams of returning home.36 People living close to the border felt insecure, and their emotions were dominated by fear. They were afraid that something dangerous could happen yet again.37 A similar atmosphere existed in the German-Polish border region after World War II. German evacuees continued to hope for changes to the border and to be able to return to their old homes up until the recognition of the German-Polish border in Görlitz in June 1950. At the same time, the new Polish inhabitants of the border region were also afraid that the border could change again, and they would once again have to leave their new home.38 ‘Eastern Karelia’ has never truly been a part of Finland. During the 1941–44 Continuation War, Finland occupied most of Eastern Karelia for over two and a half years. This is when the dream of Greater Finland became a reality. Many Finns, especially people with right-wing tendencies, welcomed the conquest with great enthusiasm.39 This part of Finnish-Russian history largely continues to be deemed a taboo topic today. Likewise, the occupation of Soviet Eastern Karelia and the close relationship with the Third Reich, including Finland’s role in the Holocaust, remains a difficult topic.40 31 See Møller, “Indledning”, pp. 7–8. 32 Laine, New Civic Neighbourhood, p. 38. 33 See Fingerroos, “Karelia Issue”, p. 484. 34 See Laurén, “Fear in Border Narratives”, p. 48. 35 See Fingerroos, “Karelia Issue”, p. 491. 36 See idem, p. 501. 37 See Laurén, “Fear in Border Narratives”, p. 48. 38 See Stokłosa, “Integration durch Zwang”, 74–88  ; Stokłosa, Grenzstädte in Ostmitteleuropa, pp.  119– 130  ; Jajeśniak-Quast/Stokłosa, Geteilte Städte an Oder und Neiße, pp. 19–61. 39 See Fingerroos, “Karelia Issue”, pp. 489–490. 40 See Meinander, “A Separate Story  ?”, pp. 73–74.

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Finnish narratives describe the double aggression by the Soviet Union in 1939 and 1941. According to them, Finland was only a Waffenbruder (brother-in-arms) and the Continuation War was a legitimate extension of the Winter War.41 First and foremost, Finns identify with their nation through the memory of the Winter War (1939–40) and the Continuation War (1941–44). This is, above all, the case for those Finns who live in the Finnish-Russian border region, in Karelia or the Karelian evacuees.42 Immediately after World War II, there was a deafening silence about the war in official, state-level memory production. The Soviet Union was presented as a brother country, and bilateral relations between the countries were to be based on mutual co-operation and trust. A very similar atmosphere existed in Poland regarding Katyń, near Smolensk in Russia, where a mass execution of Polish military officers was carried out by the Soviet Union in April and Mai 1940. Because of the Soviet hegemony over Eastern Europe, this was a taboo topic in Poland until the breakdown of Communism.43 A very similar development could be observed in Finland  ; typically, the ordinary person on the street was unwilling to talk about their war experiences. People were mentally and emotionally tired and didn’t want to speak any more about the violent past. But this doesn’t automatically mean that Finnish interpretations of the Second World War necessarily corresponded to the official Soviet view.44 In Central and Eastern European countries, the Communist narrative that had underlined the anti-Fascist resistance began to dominate. In addition, in the Western European countries that had been occupied by Germany, the myth of collective resistance and victimhood became the most important part of historic narratives, while collaboration and co-responsibility were downplayed. Official silence about the war era became necessary political realism.45 In Finland, discussions about the meaning of the Winter War and the Continuation War first began in the 1950s with the production of war fiction and state-funded historical research.46 In the years 1951–75, the Office of Military History under the Finnish General Staff published an eleven-volume history of the Continuation War, and in the years 1977–81, a four-volume history of the Winter War followed. In 1988–94, an updated six-volume history of the Continuation War was published.47 After the collapse of the Communist regimes in 1989, a new trend referring to the 41 42 43 44 45 46 47

See Kinnunen/Jokisipilä, “Shifting Images of ‘Our Wars’”, p. 455. See idem, pp. 435–437. See Paul, “Katyń Stalin’s massacre and the triumph of truth”  ; Materski, Katyń. See Meinander, “A Separate Story  ?”, pp. 58–66. See Kinnunen/Jokisipilä, “Shifting Images of ‘Our Wars’”, p. 454. See Meinander, “A Separate Story  ?”, p. 67. See Kinnunen /Jokisipilä, “Shifting Images of ‘Our Wars’”, pp. 448–449.

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memory of the Winter War began to develop. Many Finns became interested in the Finnish wars against the Soviet Union. But instead of critical interpretations, nationalistic discourse about 1939–44 started to dominate.48 This development was typical not only of Finland, but also began in many Central-Eastern and Eastern European countries.49 In Finnish nationalistic discourse, the Winter War and the Continuation War have been described as the ‘best qualities of Finnishness’  : the will to sacrifice oneself for the common good, national solidarity and a sovereign state.50 Once again, Finland was not the only state to act in this way. In Poland, there was a very similar mode of describing the Polish nation.51 The Karelia region plays a very special role in the Russian and Finnish memory process. This is a place where Finnish and Russian perceptions of history meet, a place of memories and utopias.52 The Finnish deconstruction of the nationalist paradigm in this region was the first step in this process, whereby Russian inhabitants of the formerly Finnish areas now speak openly about pre-war history. Intercultural dialogue has also contributed to the Finnish-Russian notion of Karelia.53 It is logical here to draw parallels to the situation in the former German towns of Breslau and Danzig, today Wrocław and Gdańsk, as described previously. Karelia is a region where it is reasonable to assume that a common Finnish-Russian space and, hopefully, a common understanding of history will develop in the future. During the anniversaries of the outbreak of the Winter War in 1989–90, 1999– 2000 and 2009–2010, the Winter War had a high level of visibility in public commemorations. Although Finland had lost both the Winter War and the Continuation War in military terms, the wars are remembered as heroic defensive victories. Even today, the memory of these wars forms an integral part of the nation’s most important collective experience. In public commemorations, the wars are celebrated as the cornerstone of national independence. It is interesting to note that the memory of the Winter War is becoming more and more significant over time. A 2009 opinion poll on Finnish attitudes regarding the Winter War revealed that memories of the Winter War now played a more important role for Finnish citizens than they had among those who had been questioned twenty years earlier.54 This demonstrates how strong the 48 See idem, 450. 49 See Stokłosa, “Geschichtspolitik und Erinnerungskultur”. 50 Stokłosa, “The Finnish-Russian Border”, p. 326. 51 See Stokłosa, Polen und die deutsche Ostpolitik, pp. 35–80. 52 See Fingerroos, “Karelia  : A Place of Memories and Utopias”, pp. 235–254. 53 See Izotov, “Repositioning a Border Town Sortavala”, pp. 177–179  ; Kolossov/Scott, “Karelia”, p. 204  ; Scott, “Constructing Familiarity”, pp. 75–92. 54 See Kinnunen/Jokisipilä, “Shifting Images of ‘Our Wars’”, p. 481.

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influence of state propaganda can be in bringing national heroes back. One reason behind this development was the breakdown of the Soviet Union, not to mention the subsequent high level of unemployment in Finland. At the same time, Finnish foreign policy had to be redefined in order to fit the changing context of post-Communist Europe. The policy of neutrality and arguments about its economic benefits became very important for Finland.55 Against this background, both politicians and ordinary people have started to look for heroes and models from the past.56 A few years ago, a Finnish colleague proudly took me to see the Finnish side of Karelia. We came to a lake where swimming was strictly banned. In the middle of the lake, there was an island through which the Finnish-Russian border runs. All of a sudden, my colleague dropped to his knees and burst into tears. Shortly afterwards, he explained solemnly  : “Lord, I give you thanks that this part of the country has remained a part of our dear Finland.” I found it difficult to fully comprehend this emotional outburst, given that the Finnish territory, including Finnish Karelia, is actually very large, when you take into consideration the total population. In reality, there surely was no need to fight for every square metre. This example demonstrates how very emotionally charged myths tend to be  ; in this case the myth of national soil. Despite the cognitively developed pragmatism, which ranks as the basic foundation for many border regions and the populations living in these areas, emotional disparities continue to exist on the part of local inhabitants. Perhaps people need collective expectations of traditional settlements like these, ideas that belong to them ‘forever and ever’, and such archaic clanships or tribal loyalties can only be grudgingly broken down, or possibly under duress. Alternatively, maybe cross-border memory is, in fact, exclusively an artificial, out-of-touch project of the political elite, one that is not actually reflected in the everyday lives of the inhabitants of these border regions.

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Schultz, Helga. “Geteilte Städte oder Zwillingsstädte  ? Konjunkturen von Trennung und Kooperation.” Grenzen weltweit. Zonen, Linien, Mauern im historischen Vergleich. Eds. Joachim Becker and Andrea Komlosy. Wien  : Promedia, 2004, pp. 161–183. Schultz, Helga. “Von der Nachkriegsordnung zur postsozialistischen Staatenwelt.” Grenzen im Ostblock und ihre Überwindung. Ed. Helga Schultz. Berlin  : Verlag Arno Spitz, 2001, pp. 13–19. Scott, James W. “Constructing Familiarity in Finnish-Russian Karelia  : Shifting Uses of History and the Re-Interpretation of Regions.” European Planning Studies 1.1 (2013)  : pp. 75– 92. Steffen, Katrin. “‘Antipolonismus’ in den polnisch-jüdischen Beziehungen. Realität oder Mythos  ?“ Jahrbuch Polen 2018. Band 29/Mythen. Wiesbaden   : Harrassowitz, 2018, pp. 119–129. Stokłosa, Katarzyna. “The Finnish-Russian Border between Myth and Reality.” Castle-talks on Cross-Border Cooperation. Fear of Integration  ? The Pertinence of the Border. Ed. Birte Wassenberg. Stuttgart  : Franz Steiner, 2018, pp. 321–330. Stokłosa, Katarzyna. “Conflict and Co-operation  : Poland’s Border Regions in the Cold War and after.” Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP) 42 (2013)  : pp. 65–82. Stokłosa, Katarzyna. Polen und die deutsche Ostpolitik 1945–1990 [Poland and the German Eastern Policy 1945–1990]. Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 2011. Stokłosa, Katarzyna. “Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im osteuropäischen Raum” [History Policy and Culture of Remembrance in Eastern Europe]. Jahrbuch für Politik und Geschichte 2 (2011) : pp. 167–185. Stokłosa, Katarzyna. Grenzstädte in Ostmitteleuropa. Guben und Gubin 1945 bis 1995. Berlin  : Berliner Wissenschafts-Verlag, 2003. Stokłosa, Katarzyna. “Integration durch Zwang 1948–1953. Die Oder-Neiße-Grenze und die mühsame Integration” [Integration through Force. The Oder-Neisse border and Troublesome Integration]. Vertreibung, Neuanfang, Integration. Erfahrungen in Brandenburg. Eds. Christoph Kleßmann, Burghard Ciesla and Hans-Hermann Hertle. Potsdam  : Brandenburgische Landeszentrale für Politische Bildung, 2001, pp. 74–88. Świder, Małgorzata. “‘Verstoßene Soldaten’. Die neuen Helden Polens als politischer Mythos der Republik.” Neuer Nationalismus. Eds. Götz, Roth and Spiritova, pp. 119–138. Ther, Philipp. Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1965. Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht, 1998. Thum, Gregor. Die fremde Stadt Breslau 1945. Berlin  : Siedler, 2003. Thumann, Michael. “Das System Putin.” Die Zeit, Nummer 8, 15. Februar 2018, p. 43. Traba, Robert. The Past in the Present. The Construction of Polish History (Eastern European Culture, Politics and Societies, Bd. 8.). Frankfurt a. M.: Peter Lang, 2015.

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Herausgeber Dimiter Daphinoff, Prof. Dr. Professor für Englische Literatur an der Universität Freiburg (Schweiz). Studium in Bern, München, St Andrews und an der Yale University (USA). Habilitation 1983 an der Universität Bern. Gastprofessuren in Lausanne und Zürich. Gründungsdirektor des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Freiburg. Forschungsschwerpunkte  : Shakespeare und die Literatur des Elisabethanischen Zeitalters, Richardson und der englische Roman des 18. Jahrhunderts, das moderne englische Drama, Terrorismus und Literatur. Ausgewählte neuere Publikationen  : Dimiter Daphinoff, „More Sinned against than Sinning“  ? Shakespeare’s Cleopatra, in  : Sandra Clerc/Uberto Motta (Hg.), Eroine tragiche del Rinascimento, Bologna 2019, 79–87  ; Dimiter Daphinoff, Sakraler Raum, Erinnerungsraum und das Ringen um Deutungshoheit. T. S. Eliots Murder in the Cathedral und G. B. Shaws Saint Joan, in  : Franziska Metzger/Elke Pahud de Mortanges (Hg.), Orte und Räume des Religiösen im 19.–21. Jahrhundert, Paderborn 2016, 121–132  ; Dimiter Daphinoff, Visions of Immortality in English Literature, in  : Dimiter Daphinoff/Barbara Hallensleben (Hg.), Unsterblichkeit  : Vom Mut zum Ende, Heidelberg 2012  ; 207–217  ; Dimiter Daphinoff, Catastrophe Observed from an Unsafe Distance  : Terrorism and the Literary Imagination, in  : Dimiter Daphinoff/Thomas Austenfeld/ Jens Herlth (Hg.), Terrorism and Narrative Practice, Wien/Berlin/Zürich 2011, 81–98. Franziska Metzger, Prof. Dr. Professorin für Geschichte, Vertretung des Forschungsschwerpunkts Erinnerungskulturen am Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen an der Päda­ gogischen Hochschule Luzern  ; Chefredakteurin der Schweizerischen Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte (SZRKG). Forschungsschwerpunkte  : Erinnerungskultur, Geschichte, Gedächtnis und Geschichtsdenken  ; Religionsgeschichte, besonders Religion und Gedächtnis, Religion und Moral, religiöse Transformationen in transnationaler Perspektive  ; Wissens- und Kulturgeschichte der Jahrhundertwende von 1900  ; Geschichtstheorie.

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Ausgewählte neuere Publikationen  : Franziska Metzger, Das Gedächtnis der Religion. Gedächtnis als Kategorie für die Katholizismusforschung, in  : Andreas Henkelmann et al. (Hg.), Katholizismus transnational. Beiträge zur Zeitgeschichte und Gegenwart in Westeuropa und den Vereinigten Staaten, Münster 2019, 123–144  ; Franziska Metzger, Devotion and Memory – Discourses and Practices, in  : Contemporary Church History/Kirchliche Zeitgeschichte 31.2 (2018), 329–347  ; Franziska Metzger, Apokalyptische Diskurse als Gedächtnis- und Erwartungsräume in der Sattelzeit um 1900, in  : Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, 110 (2016), 23–51  ; Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken im 19. und 20. Jahrhundert, Bern 2011.

Autorinnen und Autoren Gerhard Besier, Prof. Dr. Dr. em. Funktion/Position  : em. Professor für Europastudien an der Universität Dresden  ; Direktor des Sigmund Neumann Instituts, Dresden. Forschungsschwerpunkte  : Religion, Staat und Gesellschaft in nationaler und internationaler Perspektive  ; Diktatur und Kirchen  ; Demokratie- und Freiheitsforschung  ; Grenzregionen. Ausgewählte Publikationen  : Gerhard Besier, Use of Memory in Religious-National Rites – Based on Examples from the Roman Catholic Church in Poland and the Rus­sian-­ Orthodox Church in Russia, in  : Kirchliche Zeitgeschichte/Contemporary Church History, 31 (2018), 381–389  ; Gerhard Besier, West German and East German Cultures of Remembrance after the End of the Second World War. A Psycho-Historical Perspective of the Ideological Border as a Cause of Different Memorial Processes in  : Charlotte Gaitanides/Gerd Grözinger (Hg.), Diversity in Europe, Baden-Baden 2015, 203–219  ; Gerhard Besier, Human Images, Myth Creation and Projections  : From the Luther Myth to the Luther Campaign, in  : Kirchliche Zeitgeschichte/Con­temporary Church History, 27 (2014), 422–436. Rolf Fieguth, Prof. Dr. em. Funktion/Position  : em. Professor für Slavische Sprachen und Literaturen an der Universität Fribourg. Forschungsschwerpunkte  : Polnische Literatur, insbesondere das Werk von Cyprian Norwid und Adam Mickiewicz. Ausgewählte Publikationen  : Rolf Fieguth, Erzählstruktur und Zeitbehandlung in Cyprian Norwids Quidam (1863), in  : E. de Haard et al. (red.), Literature and beyond. Festschrift for Willem G. Weststeijn, Amsterdam 2008, Bd. 1, 211–242  ; Rolf Fieguth/

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Alessandro Martini (Hg.), Die Architektur der Wolken. Zyklisierung in der europäischen Lyrik des 19. Jahrhunderts, Bern 2005  ; Rolf Fieguth, Gedanken zu Norwids Essay „Das Schweigen“, in  : Gedächtnis und Phantasma. Festschrift für Renate Lachmann, München 2001, 615–628. Rosario Forlenza, Dr. Funktion/Position  : Research Fellow am Remarque Institute, New York University. Forschungsschwerpunkte  : politische Anthropologie  ; Symbol- und Kulturpolitik  ; Religion und Politik  ; Autoritarismus und Revolution  ; Nationalismus  ; Memory studies  ; Demokratie und Demokratisierung. Ausgewählte Publikationen  : Rosario Forlenza, On the Edge of Democracy  : Italy, 1943–1948, Oxford 2019  ; Rosario Forlenza/Björn Thomassen, Italian Modernities  : Competing Narratives of Nationhood, Basingstoke 2016  ; Rosario Forlenza, The Enemy Within  : Catholic Anti-Communism in Cold War Italy, in  : Past & Present, 235 (2017), 207–242. Markus Furrer, Prof. Dr. Funktion/Position  : Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Forschungsschwerpunkte  : Zeitgeschichte mit Schwerpunkten in der Erinnerungskultur (Geschichtsvermittlung) sowie der Parteien- und Sozialgeschichte. Ausgewählte Publikationen  : Markus Furrer, Mythen im Kalten Krieg. Das Beispiel Schweiz, in  : Roland Bernhard/Susanne Grindel/Felix Hinz/Christoph Kühberger (Hg.), Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern. Von Marathon bis zum Élysée-Vertrag, Göttingen 2017, 247–263  ; Markus Furrer, A View of the Cold War in the Swiss Historical Narrative, in  : ders./Peter Gautschi (Hg.), Remembering and Recounting the Cold War – Commonly Shared History  ? Schwalbach/Ts. 2017, 111– 128  ; Markus Furrer, Gebrochene Geschichten des Kalten Krieges  – Narrative und der Umbruch 1989–91 in Schweizer Geschichtslehrmitteln, in  : Eva Matthes/Sylvia Schütze (Hg.), „1989“ und Bildungsmedien. Beiträge zur historischen und systematischen Schulbuch- und Bildungsmedienforschung, Bad Heilbrunn 2016, 278–287. Roland Innerhofer, Prof. Dr. Funktion/Position  : Professor für neuere deutsche Literatur und Vorstand des Instituts für Germanistik der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte  : Literatur vom 19. bis zum 21.  Jahrhunderts  ; Phantastik und Utopie  ; Literatur- und Gattungstheorie  ; interdisziplinäre Forschung  : Literatur – Technik – Architektur – Film.

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Ausgewählte Publikationen  : Roland Innerhofer, Deutsche Science Fiction 1870–1914. Rekonstruktion und Analyse der Anfänge einer Gattung, Wien/Köln/Weimar 1996, reprint Berlin 2017  ; Roland Innerhofer/Dorothea Rebecca Schönsee (Hg.), Strahlen sehen. Zu einer Ästhetik des Emanativen, Wien 2015  ; Roland Innerhofer/Christian Huber (Hg.), Spielräume. Poetisches. Politisches. Populäres. Für Michael Rohrwasser, Wien 2016. Slawomir Kapralski, Prof. Dr. Funktion/Position  : Professor of Sociology, Pedagogical University of Krakow. Forschungsschwerpunkte  : Nationalismus, Ethnizität und Identität, kollektives Gedächtnis, Antisemitismus und Holocaust, Roma Gemeinschaften in Europa. Ausgewählte Publikationen  : Slawomir Kapralski, The Evolution of Anti-Gypsyism in Poland  : From Ritual Scapegoat to Surrogate Victims to Racial Hate Speech, in  : Polish Sociological Review, 193 (2016), 101–117  ; Slawomir Kapralski, Amnesia, Nostalgia, and Reconstruction  : Shifting Modes of Memory in Poland’s Jewish Spaces, in  : Erica Lehrer/Michael Meng (Hg.), Jewish Space in Contemporary Poland, Bloomington/Indianapolis 2015, 149–169  ; Slawomir Kapralski, Memory, Identity, and Roma Transnational Nationalism, in  : Chiara De Cesari/Ann Rigney (Hg.), Transnational Memory. Circulation, Articulation, Scale, Berlin/Boston 2014, 195–218. Sarah Laufs, MA Funktion/Position  : seit 2015 Doktorandin am Historischen Seminar der Heinrich-­ Heine-Universität Düsseldorf  ; seit 2014 Redaktionsleitung für das Jahrbuch Interdisziplinäre Anthropologie. Forschungsschwerpunkte  : Kultur-/Wissensgeschichte des 19. und 20.  Jahrhunderts  ; Kriegs- und Gewaltforschung  ; Zeit-Geschichte  ; Geschichtstheorie und Methoden der Geschichtswissenschaft  ; Bio- und Medizinethik im 19./20. Jahrhundert. Ausgewählte Publikationen  : Sarah Laufs, War Times. Time Perceptions of the German War Front and Home Front during the Great War, erscheint in einem von der Mission du centenaire de la Première Guerre mondiale herausgegebenen Band (im Druck)  ; Cornelia Brink/Sarah Laufs, Interdisziplinäres Lernen und Lehren im Masterstudiengang „Interdisziplinäre Anthropologie“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Ein Projektbericht, in  : Interdisziplinäre Anthropologie, 4 (2016), 275–287. Angela Müller, Dr. Funktion/Position  : freischaffende Historikerin, Kuratorin und Kulturvermittlerin.

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Forschungsschwerpunkte  : Visual History mit Fokus auf der Fotografiegeschichte  ; Erinnerungskulturen der westlichen Welt  ; Repräsentationsformen gesellschaftlicher Randgruppen. Ausgewählte Publikationen  : Angela Müller, Indien im Sucher. Fotografien und Bilder von Südasien in der deutschsprachigen Öffentlichkeit, 1920–1980, Wien/Köln/Weimar 2019  ; Angela Müller/Felix Rauh (Hg.), Wahrnehmung und mediale Inszenierung von Hunger im 20. Jahrhundert (Itinera 37), Basel 2014  ; Angela Müller, „Indien braucht Brot“. Werner Bischofs Fotografien aus Bihar (1951) zwischen Politik und Ikonisierung, in  : dies./Felix Rauh (Hg.), Wahrnehmung und mediale Inszenierung von Hunger im 20. Jahrhundert, Basel 2014, 133–153. Katarzyna StokŁosa, Prof. Dr. Funktion/Position  : Assoziierte Professorin am Department of Political Science and Public Management, Centre for Border Region Studies an der University of Southern Denmark. Forschungsschwerpunkte  : europäische Geschichte  ; Grenzregionen  ; Mythen. Ausgewählte Publikationen  : Katarzyna Stokłosa, Polen und die deutsche ­Ostpolitik 1945–1990 (Poland and the German Eastern Policy 1945–1990), Göttingen 2011  ; Katarzyna Stokłosa/Gerhard Besier (Hg.), Neighbourhood Perceptions of the ­Ukraine Crisis. From the Soviet Union into Eurasia  ?, London/New York 2017  ; Katar­zyna Stokłosa/Gerhard Besier (Hg.), European Border Regions in Comparison  : Overcoming Nationalistic Aspects or Re-Nationalization  ? London/New York 2014. Christine Szkiet, Dr. Funktion/Position  : Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen der PH Luzern  ; Fachkoordinatorin des Masterstudien­ gangs Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung  ; Dozentin für Geschichte und bildnerisches Gestalten. Forschungsschwerpunkte  : Visual History  ; Geschichts- und Erinnerungskultur  ; Public History. Ausgewählte Publikationen  : Christine Szkiet, Lebendiges Museum  – Oder das Verlebendigen von Kunst, in  : 11  :1 Finale Museumsberg Flensburg, Heide 2009  ; Christine Szkiet, Caspar David Friedrich und Umkreis, Ausstellungskatalog Galerie Hans, Hamburg 2006  ; Christine Szkiet, Reichenauer Codices in Schaffhausen – Die frühen Handschriften des Schaffhauser Allerheiligenklosters und ihre Stellung in der südwestdeutschen Buchmalerei des 11. Jahrhunderts, Kiel 2005.

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Björn Thomassen, Prof. Dr. Funktion/Position  : Assoziierter Professor, Department of Social Sciences and Business, Roskilde University. Forschungsschwerpunkte  : soziale Bewegungen und Revolution  ; Gedächtnis und Identität  ; Gesellschaftstheorie  ; Theorie der Anthropologie  ; Religion. Ausgewählte Publikationen  : Björn Thomassen/Arpad Szakolczai, From Anthropology to Social Theory. Rethinking the Social Sciences, Cambridge 2019  ; Björn Thomassen/ Rosario Forlenza, Italian Modernities, Basingstoke 2017  ; Björn Thomassen/Agnes Horvath/Harald Wydra (Hg.), Breaking Boundaries. Varieties of Liminality, London 2015. Michel Viegnes, Prof. Dr. Funktion/Position  : Professor für französische Literatur und Komparatistik an der Universität Fribourg. Forschungsschwerpunkte  : das Fantastische in der Literatur  ; Poetik der Kurzgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Ausgewählte Publikationen  : Michel Viegnes, La Chimère et le philosophe. Penser avec le fantastique, Dijon 2019  ; Michel Viegnes, Le Fantastique, Paris 2006  ; Michel Viegnes, L’Œuvre au bref. La nouvelle de langue française depuis 1900, Genève 2014.