Digitale Geschichtswissenschaft
 9783205790730, 9783205785538

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Wolfgang Schmale

Digitale Geschichtswissenschaft

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

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Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung

und der historisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien

Covergestaltung: Judith Mullan Coverabbildung: Studentenausweis Wolfgang Schmale, Winter­ semester 1976/77, Ruhr-Universität Bochum (Plastiklochkarte) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78553-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­­Abbil­dungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur ­auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H & Co. KG., Wien . Köln . Weimar http://www.boehlau.at Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Széchenyi István Druckerei & Buchbinderei, H-9027 Győr

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Dem Buch und der Zeit gewidmet

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Inhalt

I Über den historischen Ort digitaler Medien . . . 9 II Geschichtswissenschaft und digitale Medien . . 21 III Modifikationen und Transformationen der Geschichtswissenschaft durch das Web . . . . . 37 IV Sechs Komponenten der digitalen Geschichtswissenschaft . . . . . . . . 61 V Historisches Wissen unter Nutzung semantischer Methoden managen . . . . . . . . 65 VI „Geschichte lernen“ mit digitalen Medien . . . . 79 VII Forschen unter Zuhilfenahme digitaler Arbeitstechniken . . . . . . . . . . . . 91 VIII Digitales Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IX Was ist „digitale Geschichtswissenschaft“? . . . . 113 X Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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I Über den historischen Ort digitaler Medien

Lion Feuchtwangers Roman „Erfolg“, der 1930 veröffentlicht wurde und in dem der Autor mikroskopisch die Durchdringung der bayerischen, insbesondere der Münchner Gesellschaft durch den Nationalsozialismus in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre beschreibt,1 mündet nach rund 770 Druckseiten und 123 Kapiteln in ein letztes, das die Überschrift trägt „Ich hab’s gesehen“. Dieses letzte Kapitel handelt von der Premiere eines Tonfilms. Die Situation spielt im Jahr 1924, geschrieben hat sie Feuchtwanger Anfang 1929, anders ausgedrückt: Wir versetzen uns in ein Jahrzehnt zurück, in dem der Tonfilm sich anschickte, für einige Zeit das audiovisuelle Medium schlechthin zu sein. Die Kernbedeutung dieses Mediums hat Feuchtwanger in frappierend weitsichtiger Manier als den Schlusspunkt seines Romans gesetzt. Hier in der gebotenen Kürze, worum es geht: Der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Martin Krüger wird in einem Fall politischer Justiz auf der Grundlage eines Meineides eines Taxichauffeurs zu Unrecht zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein „Verbrechen“: Er hatte Gemälde ausgehängt, die wenig später von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ stigmatisiert wurden. Seine Freundin Johanna Krain hatte darauf bestanden, im Prozess zu Krügers Gunsten auszusagen, da sie hoffte, die Geschworenen vom Meineid des Taxichauffeurs überzeugen zu können. Vergebens. Krüger kommt unter 9

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sehr schlechten Bedingungen in Haft. Johanna fühlt sich verpflichtet, alles zu tun, um entweder über den Weg eines Wiederaufnahmeverfahrens oder über den Weg einer Begnadigung die Freilassung ihres Freundes zu erreichen. Sie heiratet ihn sogar im Gefängnis. Trotz endloser Bemühungen erreicht sie ihr Ziel nicht, Krüger stirbt im Gefängnis. Bis zu einem gewissen Grad ist Johanna gemeinsam mit Martin Krüger ein Opfer der politischen Justiz. Sie ist aber in bestimmter Weise auch Mittäterin. Sie bringt sich regelmäßig selbst vom Ziel ab, lebt intim mit anderen Männern zusammen, begibt sich infolge der emotionalen Ferne bewusst in Sprachlosigkeit gegenüber Krüger. Darüber stirbt Krüger. Sie kann ihn nicht wieder zum Leben erwecken, aber sie ist geradezu davon besessen, der Welt den Münchener Justizskandal ins Gesicht zu schreien. Mithilfe des Schweizer Schriftstellers Jacques Tüverlin, mit dem sie noch während der Haft ihres Mannes eine „wilde Ehe“ eingegangen war – und den sie im Gegensatz zu Krüger auch tatsächlich liebte –, kommt sie in Kontakt mit einem US-amerikanischen Wirtschaftsboss und Finanzier, der über den Fall Krüger mit Johanna Krain als Hauptdarstellerin einen Tonfilm produziert, dessen Premiere in Berlin begangen wird. Der Film erreicht, was er erreichen soll, er rührt die Menschen an, er rehabilitiert Krüger post mortem, Johanna Krain kann sich dem Medienrummel um ihre Person nur durch die „Flucht“ in den bayerischen Wald, wo, wie Feuchtwanger ironisiert, niemand Zeitung liest geschweige denn einen Kinofilm sehen könnte, entziehen. Die eigentliche Funktion dieses Tonfilms lässt Feuchtwanger durch Johanna Krain im Film selbst erklären – ich zitiere: „Sagen Sie mir nicht: dem Mann [gemeint ist Krüger] ist nicht mehr zu helfen. Ich will ihm nicht helfen, ich will mir helfen. Ich hab gesehen, daß Unrecht geschah. Ich hab’s ge10

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sehen, und seitdem ich es sah, ist mir das Essen verekelt und das Schlafen und meine Arbeit und das Land, in dem ich lebe und immer gelebt habe. Das Unrecht, das ich sah, ist nicht gestorben mit dem Mann, es ist immer da, es ist rings um mich, es ist am meisten da von allem Unrecht in der Welt. Ich muß davon reden. Gerechtigkeit beginnt zu Hause.“ (778f.) Es folgt eine Montage mit den übergroßen Köpfen all der Minister, Richter und Beamten, die den Justizskandal zu verantworten hatten und ihn vertuschten, die die Gestalt Johannas im Film bedrohlich in die Enge treiben, sie machen sie klein. Ich zitiere weiter: „Der kleine Mensch [Johanna] aber erhob seine Stimme und klagte an: «Die Toten sollen das Maul halten, hat einer von diesen Männern gesagt. Ich aber will nicht, daß der Tote den Mund hält. Der Tote soll den Mund aufmachen.»“ Genau dies bewirkt der Film, der Romantitel „Erfolg“ meint diesen Erfolg. Feuchtwanger hat musterhaft die Funktion eines bestimmten audiovisuellen Mediums mittels der Roman-Fiktion beschrieben, wie sie im selben thematischen Zusammenhang mit der US-amerikanischen Fernsehfilmserie „Holocaust“ von 19782 realhistorisch eingetreten ist. Eine Reihe von Pa­ rallelen drängt sich auf. In dem von Feuchtwanger beschriebenen Justizskandal mit Todesfolge geraten die traditionellen Printmedien schnell an ihre Grenzen: Weder fehlte es an geharnischten Zeitungsartikeln, die den Skandal entlarvten, noch an beruflichen Würdigungen des Kunsthistorikers und Museumsdirektors Krüger, die während seiner Haftzeit nicht nachließen, sondern zunahmen und ihn zu einer international bekannten Figur machten. Das audiovisuelle Medium des Tonfilms beendet die Wirkungslosigkeit; zwar kommt er nach dem Tod Krügers, aber er begründet ein Gedächtnis, dessen Funktionalität aus den Bedürfnissen der Überlebenden re11

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sultiert. Dieses auch im Film aus der Sicht der überlebenden Johanna gesprochene „ich will mir helfen“, bezeichnet einen zentralen Aspekt dieser Funktionalität. Glänzend von Feuchtwanger beobachtet ist die US-amerikanische Kultur und ihre Verflechtung mit dem Kommerz, die – wie im Fall der Serie „Holocaust“ 50 Jahre später – den entscheidenden Schritt zur Transformation gibt. Auch dass das wissenschaftliche und manchmal politische Anschreiben gegen die Verdrängung des Holocaust bis in die 1970er-Jahre wenig genutzt hat, findet seine vorweggenommene Parallele in der Romankonstruktion Feuchtwangers. Jeder von Johanna Krain im Film gesprochene und oben zitierte Satz ist geeignet zu beschreiben, was den geschichtsmächtigen Wirkungen der Serie „Holocaust“ 50 Jahre später zugrunde lag. Der Punkt, um den es geht, ist, dass in Bezug auf den Umgang mit dem zentralen Geschehen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Holocaust, ein audiovisuelles Medium eine tatsächlich geschichtsmächtige Wirkung entfaltete, von der dann auch wiederum die Holocaust-Forschung und generell die Printmedien profitierten, insofern sie stärker als vorher im Kontext der Erinnerung des Holocaust wahrgenommen und rezipiert wurden. Damit sind bestimmte audiovisuelle Medien hinsichtlich ihrer Geschichtsmächtigkeit positioniert. Natürlich reduziere ich diese Medien nicht auf den Kino- oder Fernsehfilm bzw. die Fernsehsendung, es geht um Exemplarität, allerdings in einem ganz entscheidenden historischen Kontext. So wie in den 1920ern das Kino der Ort des hier herausgegriffenen Mediums Tonfilm war, war es 1978 bzw. 1979 in den USA und Europa das Fernsehen, denn „Holocaust“ war kein Kinofilm, sondern eine Fernsehreihe. Heute befinden wir uns im digitalen Zeitalter, Medien sind digital – also lautet die Frage: Sind digitale Medien ge12

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schichtsmächtig? Hat sich der Ort, an dem bestimmte Medien geschichtsmächtige Wirkungen entfalten, erneut geändert? Ist es die Technik der Digitalisierung, nicht der Ort, da digitale Technik im Fernsehen, im Kinofilm wie im Web und bei Druckverfahren eingesetzt werden kann? Geht von traditionellen audiovisuellen Medien im digitalen Zeitalter noch eine geschichtsmächtige Wirkung aus – so wie früher vom Stummund Tonfilm und vom Fernsehen? Stellen wir die Frage, was praktisch „Medien im digitalen Zeitalter“ heißt und nehmen das Web als Beispiel, weil es das digitale Medium par excellence ist. An dieser Stelle interessiert dabei weniger der schnelle Zugriff auf Informationen bzw. die schnelle Verbreitung von Informationen mittels des Web bzw. Internet, sondern wie im Falle von Feuchtwangers Roman und der Fernsehserie „Holocaust“ der Bezug zum Geschichtlichen, die eventuelle Geschichtsmächtigkeit. Aus Sicht der Geschichte frappiert, dass die Technik der Digitalisierung bzw. im archivalischen Sinne der Retro-Digitalisierung die beiden üblicherweise Grenzen ziehenden Kategorien Raum und Zeit in fließende, entgrenzte Kategorien umwandelt oder sie sogar aufhebt. Selbst wenn eine mittelalterliche Handschrift als digitales Bild reproduziert wird, so dass man eine gute Vorstellung von der Originalhandschrift erhält, ist die Situation der Betrachtung am Bildschirm nicht dieselbe wie die der Betrachtung und des haptischen Kontakts zum Original im Archiv oder im Handschriftenlesesaal. Die Codierung materieller Objekte oder von Tönen in Bits, Bytes, Pixel oder Dots per Inch (dpi) bewirkt eine Vergegenwärtigung, in der die Vergegenwärtigung die Hauptrolle spielt, hinter der Raum und Zeit zurücktreten – während der traditionelle Archivbesuch dazu zwingt, Raum und Zeit physisch zu durchlaufen: Der Weg bis zur staubigen Archivquelle auf 13

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dem Tisch ist lang, oft erfordert er eine Reise „in die Fremde“ und das Sich-dort-Zurechtfinden. Der zurückzulegende Weg erinnert an die Praktiken des frühneuzeitlichen Herrschaftszeremoniells, das einem jeden mittels der Ritualisierung von Distanz und Nähe bewusst machte, was Raum und Zeit sind. Auch wenn im Archiv, der Bibliothek oder in einer musealen Sammlung die Quelle bis zu einem gewissen Grad aus den historischen Kontexten herausseziert auftritt, sind diese am Ort ihrer Aufbewahrung unter Umständen besser erfassbar als beim bloßen digitalen Bild: Im Archiv ist es ein bestimmter Bestand, der seine Provenienz und Bestandsgeschichte hat, in der Bibliothek die Handschrift oder das Buch, auf die dasselbe zutrifft, in der musealen Sammlung ein Objekt, das seine Herkunftsgeschichte hat – alles gewöhnlich aus Zuordnungen im physischen Gebäude, also dem Aufbewahrungsort, rekonstruierbar. Keine Quelle, kein Buch, kein Objekt liegt ‚zufällig‘ (Ausnahmen bestätigen die Regel) da, wo es aufbewahrt wird; der exakte Ort, wo die Dinge liegen, verweist auf eine Geschichte, die der Ort emblematisch verkürzt erzählt. Digitalisierung heißt nicht automatisch, dass all diese Zusatzinformationen, deren Wahrnehmung in den gängigen Aufbewahrungsorten unserer Quellen geradezu unausweichlich ist, verloren gehen oder unterdrückt bzw. unterschlagen werden. Aber die Ordnung ist eine andere, das Erkennen der Ordnung ist ein anderes Erkennen und es ist nicht so zwangsläufig wie im physischen Aufbewahrungsort. In der digitalen Welt ist es leicht davon zu abstrahieren. In der Regel geht der aus Zeit- und Kulturschichten bestehende Kontext des nunmehrigen Aufbewahrungsortes der Quelle verloren – es sei denn, es würde nicht nur die Quelle digitalisiert, sondern ihre materielle Umgebung, wie man es allerdings bisher nur in digitalen Schulungstools wie beispielsweise ad fontes3 zur Verfü14

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gung hat, das am Beispiel des Stiftsarchivs Einsiedeln in das Arbeiten mit handschriftlichen Quellen einführt.a Hingegen: Die Digitalisierung vergegenwärtigt. Das hat sie womöglich gemeinsam mit dem, was Hal Foster in der Kunst den „archival impulse“ genannt hat:4 Kunstwerke, in denen unter Verwendung verschiedenster, auch skulpturaler Techniken diverse Materialen zu „Archiven“ zusammengestellt werden, die an konkrete Personen, Ereignisse oder Problematiken anknüpfen. In diesen Kunstwerken wird in einer starken Unmittelbarkeit vergegenwärtigt, die jener durch Digitalisierung erreichbaren ähnelt. Die Grenzen zur Kunst verschwimmen wie so oft im Web.5 – Digitalisierung vergegenwärtigt nicht nur, sondern sie verlebendigt auch, weil die digitalisierten audio- und visuellen und anderen Objekte nahezu beliebig a Josef Köstlbauer schrieb mir hierzu folgenden Kommentar: „In der Digitalisierung ist meist oder oft die Abbildung der Bestandsstruktur vonnöten – dieselbe Struktur, die Aufstellung, Aufbewahrung oder sogar die Architektonik bestimmt, ist nun (z.B.) als Verzeichnisbaum präsent. In diesem Fall wird Struktur, werden Zeit- und Kulturschichten möglicherweise sogar sichtbarer als sie das bisher waren. Gebäude, Katalogräume u.ä. können zweifellos als Visualisierungen begriffen werden, sie bleiben aber oft genug unsichtbar, ihre Wirkung bleibt im Selbstverständlichen verborgen. Was die Archive allgemein betrifft, so ergeben sich mit der zunehmenden Integration des digitalen Mediensystems immer einfachere Möglichkeiten, eine Vielzahl fluider, personalisierter Ordnungssysteme zu ermöglichen (Stichwort folksonomy?). Die gleichen Bestände speisen damit unzählige Archive, sind tausendfach gespiegelt. Gleichzeitig treten die Ordnungssysteme stärker in die Sphäre der Aktion, sind bereits gleichzeitig Werkzeuge und Inhalt.“ Diesen und die weiteren Kommentare mailte mir Josef Köstlbauer am 12. Dezember 2009. 15

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auf derselben Zeitebene, der Gegenwart, verwendet werden können. Die digitalen Medien treten in unsere Welt an einem neutralen, standardisierten, gewissermaßen globalen Ort, dem Bildschirm, ein: TV-Bildschirm, Computer-Bildschirm, Handy-Display (auch das ein Bildschirm), FlüssigkristallGroßbildschirm u. a. Trotz aller Normierung verweist der Bildschirm als Ort stärker als früher der Tonfilm und später das Fernsehen auf individuelle Rezeptions- und Reaktionssituationen, die nur noch bedingt einer sozialen Kontrolle unterliegen. Was wir noch Fernsehen nennen, verschwimmt zunehmend mit dem Internet: Über Satellit sind annähernd 1.000 Programme zu empfangen (darunter auch Bezahlsender). Wenn man das mit den Anfängen des Fernsehens und seinem zunächst einzigen, dann zwei, dann evtl. drei Programmen vergleicht, wird die Remediation des Fernsehens durch die Prinzipien des Internet deutlich, selbst dann, wenn der konkrete Kunde zumeist nicht wirklich Zugang zu allen 1.000 Programmen erhält. Wir sehen uns somit einerseits einem Prozess der Entgrenzung und andererseits einem Prozess der Fokussierung auf das Individuum gegenüber. Die Folgen des Einsatzes digitaler Medien sind daher schwerer abzuschätzen als früher, zumal die Produktionsmenge – ganz zu schweigen von den Inhalten – nicht kontrollierbar ist. Allerdings lässt sich dasselbe vermutlich in Bezug auf die Anfänge des Tonfilms und des Fernsehens feststellen, doch bleibt hinsichtlich der Individualisierungsprozesse, die mit den digitalen Medien verbunden sind, ein gewichtiger Unterschied, der sich im Umstand der Interaktivität digitaler elektronischer Medien spiegelt. Schon die ältere Rezeptionsforschung hatte hervorgehoben, dass ein Rezipient immer auch Akteur ist. Dies gilt umso mehr im Feld der digitalen Kultur, wo der Rezipient nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar Akteur ist bzw. sein kann. 16

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Bleiben wir einen Augenblick bei den Individualisierungsprozessen und dem Akteur-Sein des Rezipienten, beispielsweise unter dem Gesichtspunkt des Archivs. Es ist schon länger relativ einfach möglich, durch das Aufnehmen und Kopieren audiovisueller Produktionen private Archive anzulegen. Durch die immer stärkere Verbreitung digitaler Techniken und die Ausweitung der Speicherkapazitäten, die mit einer stetigen Verkleinerung und Gewichtsreduktion der Hardware Hand in Hand geht, ist dies noch leichter geworden und wird entsprechend genutzt. Was bedeutet so ein Vorgang eigentlich auf lange Sicht? Natürlich gab es schon immer private Archive, aber das digitale private Archiv unterscheidet sich von diesen historischen privaten Archiven in mehrfacher Hinsicht. Zum einen enthält die erforderliche Software in der Regel ein Ordnungssystem, während viele der im 20. Jahrhundert entstandenen privaten Archive, die großteils aus ungeordneten und unbeschrifteten Fotografien, Dias, Super-8- oder Videofilmen bestehen, unter dem Gesichtspunkt der Ordnung und Gliederung vielfach nur unter Vorbehalt als Archiv bezeichnet werden können. Im digitalen Zeitalter liefert die Software die Archivfunktion mit. In unseren Gesellschaften heute gibt es somit Millionen von Menschen – in einem kleineren Land wie Österreich werden es immerhin einige Hunderttausend sein –, die über digitale Archive verfügen, die aus video-, aus audio- und insbesondere audiovisuellen Medien bzw. -Produktionen bestehen. Über die Lebensdauer dieser Archive ist damit noch nichts gesagt; Dauerhaftigkeit kann im privaten wie im öffentlichen digitalen Archiv nur erreicht werden, wenn das archivierte Material ständig technisch transformiert wird. Auf der individuellen Ebene ist diese Entwicklung noch offen, die oben gestellte Frage, was die Folgen der riesigen Vermehrung der privaten digitalen Archive angeht, ist derzeit 17

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kaum zu beantworten. Sicher ist aber, dass es sich oft um aktiv genutzte Wissensspeicher für den Beruf, die Familie, die Freizeit oder für soziale Aktivitäten handelt. Wächst dadurch die in der Gesellschaft insgesamt vorhandene Kompetenz? Kommt es dadurch zu mehr kultureller Vermittlung, zu mehr kulturellen Transferprozessen? Erfährt der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine gesellschaftlich relevante Steigerung? Liegt darin eine neue Geschichtsmächtigkeit digitaler Medien? Digitale Medien sind multimediale Medien. Die Digitalisierung steigert das Merkmal der Multimedialität, aber auch das der Intermedialität. Dabei handelt es sich sowohl um eine Begleiterscheinung wie eine treibende Kraft der gesellschaftlichen Transformation. Nicht nur in den Wissenschaften, dort aber wohl am deutlichsten nachvollziehbar, öffnet sich das strenge Denken und Handeln in Disziplinen hin zur Trans- bzw. Interdisziplinarität. Die Verfügbarkeit elektronischer Medien fördert diese Tendenz, weil diese aufgrund ihres multimedialen Potenzials Grenzen auflösen. Man kann die Dinge aber auch allgemein gesellschaftsbezogen betrachten. Digitalisierung und leichte Verfügbarkeit fördern Lernprozesse aller Art, sie erleichtern ein breit angelegtes gesellschaftliches Lernen oder das Lernen durch zahllose Individuen. Die Einbindung digitaler Medien in „social software“ (Weblogs, Wikis, Chats, Foren, im Grunde auch Content-Management und Lern-Management-Systeme)6 als Grundlage elektronischen Lernens eröffnet ein neues Feld. Die Herstellung von Podcasts bzw. nur elektronisch verbreiteten Sendungen wurde technisch so weit vereinfacht, dass die Machbarkeitsschwelle niedrig geworden ist. Neben der Option, digitalisiertes Material frei im Web zur Verfügung zu stellen und sich damit auf die Freiheitsphilo18

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sophie des Web einzulassen, besteht die Option, Prozesse zu steuern. Konkret meint das Programme gesellschaftlichen elektronischen Lernens. Das ist nicht ganz dasselbe wie die in der Politik gepflegte Perspektive des kulturellen Erbes, in der audiovisuelle Medien und Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen. Die EU fördert das gesellschaftliche elektronische Lernen unter dem Schlagwort des LLL (Long Life Learning). Das wäre eine neue Geschichtsmächtigkeit, bei der sich der Offlineeinsatz digitaler Medien mit deren Onlineexistenz verbindet – und wo eine digitale Geschichtswissenschaft ihren Ort findet. Digitale Geschichtswissenschaft ist eine Wissenschaft, ihr Selbstverständnis richtet sich in die Öffentlichkeit im Sinne der neuen Geschichtsmächtigkeit.

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II Geschichtswissenschaft und digitale Medien

Zum Beispiel: Im Fach Geschichte an der Universität Wien sehen die Studienpläne seit vielen Jahren eine methodisch ausgerichtete Lehrveranstaltung vor, die im nun auslaufenden Diplomstudium Geschichte „Informatik und Neue Medien in der Geschichtswissenschaft/M4“ („M“ steht für Methodenfach) und im derzeitigen Bachelor Geschichte „Digitale Medien in der Geschichtswissenschaft“ heißt. Diese Lehrveranstaltung führe ich seit Jahren regelmäßig durch, teils als Kurs, der zu zwei Dritteln der Zeit über das Web mittels Weblogs realisiert wird, oder als Kombination von Vorlesung und Übung mit Tutorium im Rahmen der wöchentlichen Präsenzlehre. Die meisten Studierenden nehmen die Sache mit den digitalen Medien pragmatisch hin, ohne dabei unkritisch zu sein. Im Grunde bevorzugen sie die Arbeit mit dem Buch, mit Gedrucktem, weil dies – paradoxerweise – wohl weniger aufwändig als die Arbeit mit einem bestimmten digitalen Medium, dem Internet bzw. WWW, zu sein scheint. Niemand täuscht sich über schnelle Ergebnisse, die eine Suchmaschine liefert, alle wissen, dass es einer kombinierten, gelegentlich langwierigen Suche bedarf, um im Web qualitativ anspruchsvolles Material sammeln zu können. Da ist der Weg zum Buch oder zur Zeitschrift in der Fachbibliothek oft tatsächlich kürzer, gerade weil eine Reihe von Qualitätsprüfungen von anderen vorab durchgeführt wurde, während im Web 21

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die Qualitätsprüfung und -bestimmung auf den individuellen Nutzer zurückfällt. Dies kostet Zeit. Manche üben Fundamentalkritik an dem Umstand, dass selbst geisteswissenschaftliche Fächer nicht mehr ohne Computer und Internet studiert werden können – und diese Kritik kommt so gut wie nie von Seniorenstudierenden, sondern von viel jüngeren. Internet und WWW scheinen etwas Unästhetisches an sich zu haben, das den geisteswissenschaftlichen Genuss allzu stark reduziert. Die Ästhetikbegrifflichkeit darf hierbei nicht allzu eng auf „schön – hässlich“ eingegrenzt werden. Es geht um eine Vielzahl von Eigenschaften, um deren Kombination sowie um Lücken in der Eigenschaftskombination, die zu einer bestimmten Wahrnehmung führen. Hier schwimmen somit verschiedene Dinge und Anwendungsbereiche ineinander. Schlechte, umständliche, langsame, unverständliche, kurz: nutzerunfreundliche Software im gesamten Verwaltungsbereich von Lehre und Forschung verderben oft den Spaß. Selbst gelungene WWW-Seiten, die eine sinnvolle Ergänzung oder Alternative zum Gedruckten darstellen, stehen dann leicht im Schatten der negativen Erfahrungen. Viele geistes- und geschichtswissenschaftliche Angebote im Web kehren zudem ihren Werkzeugcharakter vor und erziehen zu rein utilitaristischen Grundhaltungen. Der didaktische Quantensprung, der hinter diesen Werkzeugen steht, ist vorrangig nur denen bewusst, die die Entwicklung digitaler Medien in den Geistes- und Geschichtswissenschaften oder auch historischen Kulturwissenschaften in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten selber aktiv mitgemacht und mitgestaltet haben. Digitale Medien und speziell das Web als digitales Medium besitzen im letzteren Fall eine Tiefendimension, die mit der Erfahrungsdauer steigt. Diese Dimension erweist sich als mittlerweile schon wieder historisch und muss 22

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wie andere historische Themen gelehrt werden, um nachvollziehbar zu werden. „Digitale Medien“ bedeutet einen sehr dehnbaren Begriff. Was wäre ein Blockbuster ohne seine fantastischen digitalen Effekte – „Avatar“ ist nur die letzte in einer langen Reihe faszinierender Realisierungen –, wie ärmlich kommt uns Fernsehen aus dem vor-digitalen Zeitalter vor, wo überhaupt ist digitale Technik verzichtbar? In diesem Essay über „Digitale Geschichtswissenschaft“ werden unter „digitalen Medien“ im Kern Internet und WWW (= Web) sowie verschiedene Anwendungen wie Content- und Lern-Management-Systeme verstanden. Internet und WWW sind weite Felder hinsichtlich Anwendungen und Inhalten. Gewiss werden digitale Geschichtsdarstellungen und unterschiedliche Digitalisate die Aufmerksamkeit im Folgenden besonders beanspruchen. Bei der Form kann es sich um digitalisiertes audiovisuelles Material oder um „von Natur aus digitale“ (digital born) Objekte handeln, um Texte, um Mediendesign, um einfache, um komplexe Realisierungen. Es ist gängig und richtig, die Verbreitung digitaler Medien und ihre Bedeutung heute als Medienrevolution einzuordnen, doch ist dies nichts, was man als evident oder selbstevident bezeichnen könnte. Wenn ich heute im Hörsaal stehe und in die Gesichter der Studierenden schaue, so haben die meisten in etwa das Alter, das ich hatte, als ich in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre Geschichte studierte. Damals – Medienrevolution? Davon war nichts zu spüren, jedenfalls nicht in meinen Fächern Geschichte, Französisch und Pädagogisches Begleitfach (Pädagogik, Didaktik, Philosophie). Natürlich lernten wir in allgemeiner und Fachdidaktik „Medien“ einzusetzen, aber zu dieser Zeit war nicht einmal der Overheadprojektor als selbstverständliches didaktisches „Medium“ 23

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voraussetzbar. Seminararbeiten schrieb ich, wie fast alle der KommilitonInnen, zunächst mit der Hand, um sie dann auf der mechanischen Schreibmaschine abzutippen. Selten schrieb jemand von vorneherein mit der Schreibmaschine. Nur wenige ProfessorInnen gaben Gestaltungshinweise oder -vorschriften aus. Was vorwiegend zählte, war die intellektuelle Anstrengung, die – metaphorisch gesprochen – vorzugsweise in Jeans und offenem Hemd daherkam, nur selten im Anzug – anders ausgedrückt: Die Modellierung der intellektuellen Leistung durch didaktisch überlegte Präsentationsformen spielte außerhalb (fach-)didaktischer Lehrveranstaltungen so gut wie keine Rolle. Unter diesem Gesichtspunkt treten wir heute fast alle, einschließlich der Studierenden, in Anzug oder Chanel-Kostüm auf, während der Freizeitdress, den nicht nur Studierende, sondern auch viele ProfessorInnen tragen, etwas anderes suggeriert. Paradoxerweise führte die Revolution der digitalen Medien dazu, dass sich intellektuelle Arbeit für die Vermittlung und Präsentation eines hochelitären Dresscodes bedient. Je dunkelblauer der Anzug, je klassischer geschnitten das Kostüm, desto besser; dazwischen gelegentlich etwas Buntes à la Missoni. In den Universitätssekretariaten gab es in den 1970ern noch keine Computer. Jene Sekretärinnen – Sekretäre gab es damals im Gegensatz zu heute so gut wie nie –, die als erste eine elektrische Kugelkopfschreibmaschine (mit Korrekturband) erhielten, konnten sich allgemeiner Bewunderung erfreuen. Gleichwohl war die Medienrevolution, und zwar nicht nur in technischer, sondern gerade in inhaltlicher Hinsicht, längst in vollem Gange. Die Ruhruniversität Bochum, an der ich studierte, ist dafür ein gutes Beispiel. Die „Stunde null“, die eine solche vollständige Neugründung mit sich brachte, war genutzt worden, um Verwaltungsprozesse einschließlich 24

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des Bereichs der Universitätsbibliothek und ihrer Buchbestände per EDV – sprich: Lochstreifen – abzuwickeln.7 Als ich für das Wintersemester 1976 inskribierte, erhielt ich noch einen Studentenausweis im Plastiklochkartenformat, der auf dem Cover des vorliegenden Büchleins zu sehen ist. Über Medienrevolution machte ich mir keine Gedanken, aber faktisch war dieser Ausweis das erste und vorerst einzige Artefakt, das etwas sichtbar machte, was sich im Wesentlichen im nicht öffentlich einsehbaren Bereich abspielte. Allgemein sichtbar wurden diese Vorgänge im Hintergrund erst, als überall PCs aufgestellt wurden. So konnte die UB Bochum wohl als eine der wenigen Bibliotheken in Deutschland aus dem Stand 1992 ihren Bestand im Intranet über ihre Terminals abrufbar machen,8 da sie die erforderlichen ständigen technischen Transformationen von der Lochkarte bis zum digitalen Datensatz eines Buches – für Nichteingeweihte nicht sicht- und spürbar – erbracht hatte. Kaum einer von uns wusste oder hatte Gelegenheit, es zu erfahren, dass beispielsweise Roberto Busa schon 1949 begonnen hatte, mithilfe eines IBM-Lochkartensystems den heute bequem im WWW abrufbaren9 Index Thomisticus zu erstellen. Seit den 1960er-Jahren waren erste deutschsprachige Texte verfügbar, die sich mit dem Einsatz von EDV im Rahmen quantifizierender Methoden oder als „neue Hilfswissenschaft“ (K. Arnold, 1974) auseinandersetzten.10 Es handelte sich zunächst um eine Fach- und Spezialdiskussion, die noch lange Zeit keinen Eingang in den allgemeinen geschichtswissenschaftlichen Diskurs fand. Nicht nur mir war die damals im Gang befindliche Medienrevolution im Gegensatz zu heute nicht oder kaum bewusst. Das ändert aber nichts daran, dass sie die Geschichtswissenschaft entscheidend beeinflusste und veränderte. Wenn 25

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ich heute also in die Gesichter der Studierenden blicke, die so alt oder jung sind wie ich damals, dann versuche ich, ihnen einen Begriff davon zu geben, was diese Medienrevolution ist, was sie bedeutet, vor allem versuche ich ihnen zu vermitteln, dass sie sich selber inmitten der andauernden Medienrevolution befinden, dass sie ein Bewusstsein davon haben sollten, dass sie einen im Grunde geschichtsmächtigen „Moment“ miterleben – und mitgestalten können, wenn sie wollen –, der sich nicht alle Tage ereignet. Mit der Vergabe des Epithets „Medienrevolution“ ist die Forschung ja durchaus geizig; im Allgemeinen wird den Übergängen von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, von der Schriftlichkeit zum Buchdruck und vom Buchdruck zu den digitalen Medien ein medienrevolutionärer Charakter zugesprochen. Obwohl jede dieser Revolutionen signifikante Beschleunigungen mit sich brachte, dauerten sie selber sehr lange und eliminierten niemals das ältere Hauptmedium. „Revolution“ bezieht sich infolge dessen eher auf die Grundsätzlichkeit der Veränderungen, weniger auf Kürze und Heftigkeit des Vorgangs, die beide nie gegeben waren. Warum soll es – nicht nur für Studierende – wichtig sein, sich in der aktuellen Medienrevolution zu verorten? Es öffnet der Neugierde die Tür, es erhöht die Bereitschaft, kritisch abwägend, aber unvoreingenommen zu urteilen. Es erhöht die Kompetenz, Chancen zu nutzen und in den Prozess einzugreifen. Wissenschaft lebt von methodisch angeleiteter Kreativität, und der arbeiten die digitalen Medien zu wie keine anderen. „Digitale Geschichtswissenschaft“ ist etwas, was wir so apodiktisch formuliert noch gar nicht haben. Sie entsteht erst und hat viele Komponenten. 26

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Technik ist dabei eher eine vordergründige Komponente, aber sie ist unabdingbar. Noch 1997 konnte der Bochumer Mittelalterhistoriker und Hilfswissenschaftler Werner Bergmann schreiben, dass der PC Einzug in die Geschichtswissenschaft gehalten habe, jedoch weniger als „Arbeitsgerät des Wissenschaftlers“ denn „als multimediale Schreibmaschine in Vorzimmern und Sekretariaten“. Weiter schreibt er: „Lediglich bei Fernsehinterviews und ähnlichen multimedialen Ereignissen darf er heute nicht mehr fehlen. Der Historiker präsentiert sich vor der traditionellen Bücherwand, vor der jetzt der PC wirkungsvoll drapiert ist.“11 Selbst wenn die Überspitzung abgeschliffen wird, bleibt viel Wahres an diesen Formulierungen. Noch Mitte der 1980er-Jahre war der Gebrauch von PCs – ob nun als bessere Schreibmaschine oder schon als historische Workstation – bei den WissenschaftlerInnen eher die Ausnahme. Das lag an den Kosten, aber auch an mentalen Hindernissen. Als mein akademischer Lehrer Winfried Schulze Mitte ebendieser 1980er-Jahre (1984) eines Tages ausgestattet mit dem ersten IBM-Portable12 bei uns, seinen MitarbeiterInnen und DoktorandInnen, eine Lanze dafür brach, dass HistorikerInnen die Vorteile eines solchen Geräts erkennen und nutzen sollten, war das einigermaßen sensationell. Solche Eindrücke sind natürlich subjektiv und relativ, aber während heute Forschungsinnovation auch in der Geschichtswissenschaft kaum ohne PC oder Notebook als Tore ins WWW und dessen Gebrauch zu denken ist, handelte es sich vor 20/25 Jahren dabei mitnichten um aneinandergekoppelte Sachverhalte. Da ich mich für das Wunderding sehr interessierte, lud mich Winfried Schulze zu einer Demonstration nach Hause ein. Meine Promotion lag nicht lange zurück, mein Stolz auf die elektronische Typenradschreibmaschine mit einem Sech27

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zehnzeichenspeicher für das Rückwärtslöschen, die ich 1984 gekauft hatte, um meine Dissertation vom handgeschriebenen Manuskript abzutippen, war auch noch nicht ganz verflogen. Das Bild dieses first contact hat sich mir wegen seiner in die Zukunft weisenden Vieldeutigkeit sehr gut eingeprägt. Es war ein sonniger Nachmittag, im Vorgarten sprachen wir zunächst über die Rosen, vom Garten ging’s ins Arbeitszimmer. Das IBM-Portable, geradezu unscheinbar – wenn auch deutlich größer und schwerer bei viel kleinerem Bildschirm als spätere tragbare Geräte –, war von den bis zur Decke bestückten und beinahe rundum verlaufenden Bücherregalen umgeben. Außerdem stand im Zimmer ein Stehschreibpult. Handschriftlichkeit, Buch und digitales Medium vereint. Schulze hob bei seiner Demonstration des Geräts vor allem auf die Andersartigkeit und Optimierung der kreativen Abläufe beim wissenschaftlichen Schreiben ab. Bis heute stellt dies einen wesentlichen Aspekt der Nutzung digitaler Medien in der (Geistes-) Wissenschaft dar; es hat wenig mit dem Gebrauch des PC als Schreibmaschine zu tun. Mein Entschluss, so ein Ding auch zu wollen, war schon nach den ersten Minuten gefallen. Was mir intuitiv nach wenigen Momenten klar war, war der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Kreativität und Computer als Arbeitsplatz. Ich musste eine Zeit lang sparen, bis ich das Geld zusammenhatte; es wurde dann im Februar 1987 ein Schneider-Armstrong mit zwei 5½-Zoll-Diskettenlaufwerken, 64 Kb Ram, Monochrom-Bildschirm – und Mouse … Das erste, was ich erstmals ohne vorheriges Manuskript direkt mit dem PC schrieb, war „Entchristianisierung, Revolution und Verfassung“.13 Das war wie ein Rausch. Zwar nehme ich wie andere auch immer wieder bewusst Abstand vom Computer und setze mich ins Café oder in die Natur und arbeite 28

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handschriftlich, aber der rauschartige Zustand bei der Arbeit an der ersten Monographie am Computer ist nicht zu toppen gewesen. Ich hebe ausdrücklich das Beispiel der Monographie hervor, weil sie anders als Aufsätze, Buchbeiträge oder das Herausgeben von Sammelbänden unverändert das Herzstück des individuellen geisteswissenschaftlichen Arbeitens darstellt, wo selbst bei einem analytischen und theoretischen Zugang die geschichtswissenschaftliche Narration eine konstitutive, Form und Gehalt gebende Funktion innehat. Narrativität ist eine flüssige, ja fließende Ausdrucksweise des Wissenschaftlers, die durch den fließartigen Prozess von den Fingerspitzen über die Tastatur zum Fließen des Textes in und auf dem Bildschirm reicht. Der sprichwörtliche Gedankenfluss wird sichtbar gemacht, er gewinnt „Evidenz“. Zunächst nur für mich selber, der ich schreibe – aber die Evidenz wird objektiviert, sobald sie in der Gangart des Web 2.0 für die anderen in Echtzeitkommunikation offenbar wird. Natürlich sind Arbeits- und Schreibpraktiken individuell höchst verschieden. An der Universität war es vor dreißig Jahren üblich – bei WissenschaftlerInnen, die über ein Sekretariat verfügten –, handschriftliche Texte abtippen zu lassen oder sie ins Diktaphon bzw. auf Tonband für das Tippen mit der Schreibmaschine inklusive Anweisungen zur Interpunktion und Schreibweise speziellerer Wörter zu sprechen. Anschließend wurde das Typoskript per Hand korrigiert und, soweit nötig, neu getippt. Ging das ‚Manuskript‘ an einen Verlag, wurde es, wenn es nicht um Offsetdruck ging, ‚Buchstabe für Buchstabe‘ neu per Blei- oder Fotosatz gesetzt. Dann gab es echte Druckfahnen, die nach Ausführung der Korrekturen noch bis in die 1980er-Jahre je nach Verfahren von Hand für den Umbruch geschnitten wurden. Das Arbeiten (Schreiben) am Computer ähnelt, auch wenn es „nur“ um Text geht, hin29

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gegen stärker einem künstlerischen Prozess, in dem ständige Veränderungen und Modifikationen in einem einzigen Fließprozess vereinigt werden. Das scheint mir wesentlicher zu sein als der Umstand, dass man das Schreiben am Computer auch schlicht in eine Reihe technischer Entwicklungen stellen kann, deren Hauptziel die Beschleunigung und Effektivitätsverbesserung des Schreibens gewesen waren.14 Die Tastatur ist nicht die Tastatur der Schreibmaschine, sondern das Holz, der Stein, das Metall, die Leinwand, die bearbeitet wird. Der Gebrauch einer Mouse und/oder des Touchpad ist nicht unwesentlich für diesen Effekt. Es ist nicht nebensächlich, dass am Bildschirm dabei ein Bild erzeugt wird, das sich mit jeder noch so kleinen Bearbeitung der Tastatur verändert. Das Bild zeigt je nach Textverarbeitungs-, Grafik-, Tabellen-, Bildoder Video-Bearbeitungsprogramm und je nach gewählten Darstellungsoptionen die Werkzeuge in Gestalt von Buttons oder Icons an. Die gängigen Textverarbeitungsprogramme der 1980er-Jahre taten dies in viel geringerem Ausmaß als heutige, aber sie taten es. Natürlich kann man auch beim Schreiben mit Bleistift, Füller, Kuli etc. auf Papier Parallelen sehen; es gibt Material(ien), es entsteht ein (Schrift-)Bild, aber der Gesamtvorgang ist im Vergleich zum Arbeiten mit dem Computer asketischer, bildärmer, reduzierter. Es sei denn, man ist Claude Lévi-Strauss, der seine Manuskripte als „Basteleien“ und Bilder charakterisierte.15 Wenn ich nicht die Gabe habe, „wie gedruckt zu schreiben“ – und die besitzen die wenigsten –, also auf die Veränderungs- und Modifikationsschritte verzichten kann, so sehe ich am Bildschirm immer sofort das Ergebnis nach der Veränderung oder Modifikation wie auf der Leinwand oder dem zu skulpturierenden Material. So ist es, wenn ich nicht im Menü die Darstellung der Veränderungsschritte aktiviere; diese zeigt mir oder einer zweiten Person 30

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wie beim handschriftlichen Konzept Durchstreichungen und Ersetzungen oder Marginalien an. Die Werkzeuge habe ich dabei wie in der Künstlerwerkstatt immer vor Augen. Während ich diesen Essay als Text am Bildschirm moduliere, habe ich rund achtzig Werkzeuge vor Augen; bei anderer Einstellungswahl wären es vielleicht die Hälfte oder ungefähr einhundert. Dazu kommen weitere Informationen wie Maßangaben, die mir mein Objekt, das ich gerade entstehen lasse, auf der Grundlage objektivierter Normen oder Metadaten beschreiben. Vieles davon ist aus Satzprogrammen entnommen, mit denen früher die Setzerei, nicht aber die AutorInnen arbeiteten. Nicht von ungefähr wurde in den 1980ern (nach ersten Schritten in den 1970ern) die WYSIWYG-Debatte geführt: What you see is what you get. Gemeint war, dass die Bildschirmdarstellung dem entsprach, was der Drucker aufs Papier druckte. Es ging also um die Direktheit und Authentizität der Umsetzung, wiederum analog zum künstlerischen Prozess. Das Kreative und Künstlerische im geisteswissenschaftlichen Arbeiten wird durch das Arbeiten am und mit dem Computer authentischer ausgedrückt als beim handschriftlichen Arbeiten, es wird evident. Das Arbeiten (Schreiben) am Computer bildet einen Teilprozess in einem Prozess der Vernetzung. Die produzierte „Datei“ findet ihre Endbestimmung nicht darin, ausgedruckt zu werden, sondern darin, dass sie einen Zwischenschritt zur Weiterver(be-)arbeitung etwa durch den Verlag oder die Druckerei oder durch KollegInnen im Rahmen eines wissenschaftlichen Teams oder zum Einpflegen in eine Website ausmacht. Oder die zu schaffende Datei stellt selber nur einen Knoten im Netz von Dateien dar, der unterschiedliche Daten zusammenführt. Unmittelbarer als beim handschriftlichen oder maschinenschriftlichen Schreiben macht das Schreiben 31

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mit Computer die Teilhabe an unterschiedlichen Arbeitsnetzwerken evident. Es ist wichtig, dass der oben angesprochene „Moment“ einer individuellen Evidenzgewinnung vor dem Personal Computer, der sich nicht nur auf das Schreiben als komplexen wissenschaftlichen Arbeitsvorgang bezieht, sondern auch auf andere Anwendungen, wie sie seinerzeit Manfred Thaller im Begriff der Historical Workstation („The Historical Workstation Project“, 1989)16 zusammenfasste, den kollaborativen Einsatzmöglichkeiten vorausging. Der Bochumer Historikertag von 1990 war nicht nur der erste gesamtdeutsche Historikertag der jüngeren Geschichte, sondern – und dies war im Gegensatz zum ersteren Aspekt planbar und geplant gewesen – auch der erste, der sich recht umfassend mit EDV im geschichtswissenschaftlichen Arbeiten und Forschen befasste.17 Dies geschah in Gestalt von Ständen in den Foyers und Vorführungen in Hörsälen, wo außer der Hardware, die eine Historical Workstation benötigte, z. B. auch Software wie Thallers „Kleio“18 und solche für individuell anlegbare und nutzbare Literaturdatenbanken vorgeführt wurde. Aus der Tatsache, dass IBM einen Beauftragten für Geisteswissenschaften von München per Flieger via Düsseldorf und Mietwagen nach Bochum (und am selben Tag zurück – was 1990 noch kostspielig war) schickte, lässt sich ersehen, dass nicht nur der Computer, sondern die etwas später sogenannten „Neuen Medien“, also die digitalen, in den Geistes-, vielleicht muss man sagen: insbesondere in den Geschichtswissenschaften, die in dieser Beziehung durchaus vorne dran waren, angekommen waren und ein ökonomisches Versprechen beinhalteten, das wiederum diesen Medien in den folgenden fünf Jahren die erforderliche Durchsetzungskraft verlieh.

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Will man sich die Gemengelage von Potenzialen, Versprechungen und Wirklichkeit vergegenwärtigen, so reicht es vielleicht zu wissen, dass während der Vorbereitung des Bochumer Historikertages 1989/1990 bis relativ knapp vor Beginn der heißen Phase kein Faxgerät in greifbarer Nähe zur Verfügung stand: Für die universitäre Allgemeinheit gab es genau ein Faxgerät auf dem Campus, das hin und zurück 34 Minuten strammen Fußweg erzwang, wollte man das Fax einigermaßen zeitnah in Empfang nehmen. Von anderen Kommunikationsmedien, sieht man vom altehrwürdigen Telefon ab, zu diesem Zeitpunkt zu sprechen, erübrigt sich somit. Im Vergleich dazu, aber ohne diese Fax-Merkwürdigkeit, die dann sehr schnell einer rapiden Invasion an Faxgeräten wich, als generell repräsentativ zu verstehen – sie war sicherlich symptomatisch –, war die Tatsache, dass 1990 eine Historical Workstation vorgeführt wurde, erheblich. Danach entwickelten sich die Dinge schneller. So stellte z. B. die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Gelder für die Vernetzung von Computern an (großen) Lehrstühlen oder Instituten zur Verfügung. 1993/1994 richteten wir in München an der LMU solche internen Computernetzwerke ein. Da das Institut für Neuere Geschichte auf verschiedene Standorte verteilt war, konnte es nur um die Vernetzung der MitarbeiterInnen an Lehrstühlen gehen. Winfried Schulzes Lehrstuhl befand sich in einem Altbau in Schwabing in der Herzogstraße, die Büros waren über zwei Stockwerke mit einer internen Wendeltreppe verteilt. Internetzugang gab es nicht. Reinhard Stauber (jetzt Universität Klagenfurt) und ich – wir waren zusammen Assistenten bei Schulze – besorgten uns, nachdem die Computer ausgesucht, bestellt und geliefert waren, bei der Haustechnik der Uni München einen leistungsstarken Bohrer mit einer langen und dicken Bohr33

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stange, um die Kabel, die zur Vernetzung der PCs benötigt wurden, verlegen zu können. Es waren einige dicke Altbauwände durchzubohren, die Anschlussstücke waren so dick wie ein kleiner Finger und mussten mit den Kabeln durch die Wände gezogen werden. Wir waren mitten drin im Dinosaurierzeitalter der Vernetzung von GeisteswissenschaftlerInnen, aber alles funktionierte. Das Freigeben von Dateien auf dem eigenen PC für den Zugriff und die Bearbeitung durch andere war ungewohnt und stellte einen fehleranfälligen Prozess dar, gleichwohl handelte es sich um die ersten Erfahrungen mit einer neuen Form von Teamarbeit, die zwar den sprichwörtlichen geisteswissenschaftlichen Individualismus nicht beendete, aber zumindest simulativ etwas nachvollziehbar machte, was in den Naturwissenschaften längst Tagesgeschäft war. Bei dieser Form der Zusammenarbeit, die heute durch kollektive workspaces im Internet, für die es verschiedenste Softwarelösungen gibt, wesentlich unkomplizierter realisiert wird, bleibt zwar der individuelle Input erhalten, aber das Ganze resultiert aus der Teamleistung. In den Geisteswissenschaften stellt dies nach wie vor nicht den Regelzustand dar, aber das Bewusstsein dafür, dass es auch in den Geisteswissenschaften komplexe Fragen und Problemfelder gibt, die durch eine einzige individuelle Leistung nicht zu bewältigen sind, sondern des Teams, ggf. eines virtuellen, also elektronisch vernetzten Teams bedürfen, wächst. Damit sind wir innerhalb eines Jahrzehnts – von der Mitte der 1980er-Jahre bis zur Mitte der 1990er-Jahre – von der individuellen Evidenzgewinnung (s. o.) zum Potenzial und zur rudimentären Umsetzung geisteswissenschaftlicher Teamarbeit gelangt. Die elektronisch bewältigte Teamarbeit unterscheidet sich von herkömmlichen Formen, darauf ist zurückzukommen.

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Um 1994/1995 wurde erstmals für den Münchener Lehrstuhl eine E-Mail-Adresse eingerichtet, bald darauf folgten bei uns die ersten Websites mit HTML-Software. Die erste geschichtswissenschaftliche Website dürfte 1993 freigeschaltet worden sein – HNSOURCE von Lynn H. Nelson (wie Thaller ein Mediävist …).19 Ich selber startete 1998 (noch in München) in die Internetgestützte Lehre (IGL). Die didaktischen Anwendungen des nunmehrigen Web stellen einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung dar. Ebenfalls 1998 gingen Peter Haber und Jan Hodel in der Schweiz mit „hist.net“ („Plattform für Geschichte und Digitale Medien“)20 ans Netz. Dann in Wien, 2001, nahm ich mit einem interdisziplinären Team, das außerdem zwei Mediendesigner von der Universität für Angewandte Kunst in Wien und einen Informatiker/Programmierer umfasste, den Hypertext pastperfect.at in Angriff, dessen spiritus rector der junge Historiker Jakob Krameritsch war, der wiederum seine Dissertation auf der Grundlage dieses Projekts und der damit verbundenen vielfältigen Erfahrungen über „Geschichte(n) im Netz“ verfasste.21 2004 wurde pastperfect.at der Medidaprix-Förderpreis in Höhe von 25.000 Euro für die Weiterführung des Projekts zuerkannt, doch befanden wir uns zu diesem Zeitpunkt schon am Ende der ersten Phase des großen Projekts „Geschichte online“22, das neben Recherche- und Arbeitstools im Sinne eines digitalen geschichtswissenschaftlichen Proseminars auch den auf der Grundlage von pastperfect.at entwickelten Hypertextcreator integrierte, ein Content-Management-System für die Teamarbeit in den Geistes- und Kulturwissenschaften.

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III Modifikationen und Transformationen der Geschichtswissenschaft durch das Web

In den manchmal anekdotischen Erlebnissen, die sich durch das Miterleben eingeprägt haben, spiegeln sich grundsätzliche Entwicklungen, die sich in einem ersten Zugriff als Vorgang der Modifikation von Geschichtswissenschaft verstehen lassen. Das Augenmerk ist dabei auf die Kommunikationsabläufe in der großteils institutionalisierten Geschichtswissenschaft zu richten. Insoweit kann von System gesprochen werden, aber der Systembegriff soll keine Starrheit suggerieren. Das Offensichtlichste findet sich in dem, was man Geschichtswissenschaft(en) im Netz nennen kann. „Netz“ versteht sich als dehnbarer Begriff, der sowohl WWW wie Internet meint. „Digitale Geschichtswissenschaft“ – das war und ist vorerst ein Weg, kein Zustand. Das, was die Geschichtswissenschaft nachhaltig verändern könnte und den Begriff „Digitale Geschichtswissenschaft“ rechtfertigen wird, zeigt sich vorerst als Potenzial.23 Die web-basierten geschichtswissenschaftlichen Angebote umfassen digitalisierte Primärquellen, Inventare aller Art, Bibliotheks- und andere Kataloge aller Art, Linkkataloge oder Linkbibliotheken, Sekundärquellen aller Art, webadäquate geschichtswissenschaftliche Einführungen, historische Darstellungen, Datenbanken, E-Learning und E-Didaktik. Natürlich 37

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geht es auch um verschiedene technische Lösungen und um Design, um Outfit und Styling. Die meisten Seiten, die irgendwie mit Geschichtsdarstellungen zu tun haben, entstammen nicht den Geschichtswissenschaften. Sie wurden von interessierten Laien verfasst. Dem Berufswissenschaftler fällt als erstes die in der Regel unfreiwillige Komik auf, die solchen Seiten oftmals eigentümlich ist. Zweifellos sind solche Seiten für die Wissenschaft von Interesse, z. B. für die Erforschung von Geschichtskulturen. Keineswegs grundsätzlich sind Seiten nichtwissenschaftlichen Ursprungs immer zu belächeln; es gibt Seiten schulischen Ursprungs, die ganz hervorragend sind; zuverlässige heimatkundliche Seiten, mal gute, mal schlechte kommunale Seiten zur Ortsgeschichte. Es gibt die Solitäre, die einer bewundernswerten singulären Leidenschaft des Sammelns entspringen und unersetzliche Fundgruben sind. Auffällig sind Seiten mit verstecktem oder offenem rechtsradikalem Inhalt, insbesondere zum Nationalsozialismus, andere extremistische Seiten, aber es gibt hinreichend viele scheinbar völlig harmlose Seiten, die im gebügelten Cut der Faktographie herkommen, in denen aber die Kunst des suggestiven Weglassens Regie geführt hat. Die Ausübung dieser Künste bietet sich oft im Zusammenhang mit offiziellen Feierlichkeiten an. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Web- bzw. Computerspiele, etwa solche, die den Zweiten Weltkrieg als Kulisse verwenden. Hearts of Iron als Beispiel beinhaltet Hunderte Seiten an historischen Erläuterungen und 20.000 Fotos aus der Kriegszeit; andere Spiele bieten Faksimiles historischer Urkunden, Zeitzeugeninterviews und mehr an – ganz zu schweigen vom filmischen Charakter der Spiele, der den Eindruck eines historisch-authentischen Kriegsgeschehens vermittelt.24 Selbst wenn nicht zu erwarten ist, dass die Spieler – in der 38

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Regel Männer zwischen 15 und 45 – das alles lesen, ist auch das Geschichte im Netz, eine ganz spezielle Form, in der die suggestive Kunst selektiver Faktographie besonders tragend zu sein scheint.b Diese Stichproben veranschaulichen drastisch das Verschwimmen der Grenzen zwischen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Darstellung einerseits und – ich spitze zu und polemisiere – Geschichtsklitterung mit Aussicht auf breite Rezeption und Wirkung andererseits. Gewiss ist die Geschichtskultur einer Gesellschaft nie nur durch die Geschichtswissenschaft bestimmt und gestaltet worden, aber der Kontrast zwischen der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, die die nationalen Geschichtskulturen nicht nur beeinflusste, sondern umfassend und fundamental gestaltete, und der des 21. Jahrhunderts, die sich „irgendwo“ im Geflecht von Web, Fernsehgeschichtssendungen und -quiz, historischen Magazinen mit hohen Auflagen, historischen Sachbüchern von JournalistInnen, der ständigen medienöffentlichen Frage aus Anlass unreflektierter Informationen, ob wir jetzt die „Geschichte umschreiben“ müssen, von öffentlib Josef Köstlbauer schrieb hierzu folgenden Kommentar: „In diesem Zusammenhang weise ich auf die Foren und Chats der zahlreichen Spiele (Age of Empires etc.) hin, die historischen oder pseudo-historischen Hintergrund haben. Dort spielen sich z.T. durchaus ernsthafte Diskussionen ab. Die Qualität steigt wie zu erwarten mit dem Anspruch der Spiele, bei ausgefeilten militärischen Simulationen sind ‚Expertengespräche‘ durchaus an der Tagesordnung. Derartige Seiten bleiben natürlich weitgehend außerhalb der Wahrnehmung von ‚Geschichtsdarstellungen‘ – trotzdem werden gerade dort populäre Geschichtsbilder verhandelt und konstruiert und das keineswegs nur zum 2. Weltkrieg. Interessanterweise ist in diesem Umfeld auch der Druck, eigene Ansichten zu belegen, z.T. recht hoch.“ 39

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chen Erinnerungskonflikten, von ungezählten Jubiläums- und Jahrestage-Anlässen und von vielerlei Webangeboten befindet, könnte kaum größer sein. Umgekehrt kann hervorgehoben werden, dass die gegenwärtige Geschichtswissenschaft im Geflecht steckt, also sich nicht außerhalb befindet. So sind ihre Wirkungskanäle schwieriger nachzuvollziehen, sie sind uneindeutiger, aber womöglich zahlreicher als früher. Wer im Web surft, kann ebenso gut auf wissenschaftliche wie nicht-wissenschaftliche Seiten stoßen, die Wirkung, die (Geschichts-) Wissenschaft in den ersten Momenten nach dem Suchtreffer, die über Verweilen oder Weitersurfen entscheiden, entfalten kann, hängt dabei zuerst vom „Outfit“ (Design) der Seite ab: Typus Missoni oder gediegen dunkelblau? Chanel oder Westwood, bequemer Freizeitlook oder sportlich-suggestiv, selbst gestrickt oder professionell, irgendwie authentisch oder ‚schick, aber seelenlos‘? Das Web ist dabei nur der Spiegel der Gesellschaft. Eine mit Fachtermini gespickte geschichtswissenschaftliche Aussage in einem öffentlichen Medium ist einem Medienprofi wie Guido Knopp gegenüber chancenlos. Ein überaus ansehnlicher wissenschaftlicher Gehalt in einer schlecht gemachten Seite ist ebenso chancenlos. Ohne Styling geht nichts, wobei der Unterschied zu früher nicht darin liegt, dass es früher keines Stylings bedurft hätte; vielmehr gab es ein spezifisch wissenschaftliches, zumeist recht asketisch wirkendes Styling für das (geschichts-)wissenschaftliche Buch, die Zeitschrift oder auch die Vortragssituation. Asketisches Styling ist heute nur dort sinnvoll, wo anderes überbordet und Askese einen erfolgreichen Kontrapunkt setzen kann. Das Web signalisiert auch in der Geschichtswissenschaft den Übergang von der Askese zur barocken Lust, von der relativen Askese des mit Hand beschriebenen Blattes, des40

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sen Gestaltungselemente wie Papierqualität, Art des Stiftes, seine Farbigkeit, Verwendung mehrerer Farben, Durchstreichungen, Einfügungen zwischen den Zeilen, Schreibblasen irgendwo auf der Seite mit langem oder kurzem Richtungsund Zielpfeil, unterschiedliche Schriftgrößen und Schriftdynamiken durchaus komplex sind, aber selten in dieser Fülle gleichzeitig eingesetzt werden und kaum mit der barocken Fülle des durch Buttons und Icons dargestellten Instrumentariums gängiger Programme nicht konkurrieren können. Modifiziert werden somit die Kommunikationsmedien selber wie auch ihr systemischer Zusammenhang, modifiziert wird das traditionelle System geschichtswissenschaftlicher Kommunikation. Umgekehrt moduliert das traditionelle System, das ein System ohne Internet und Web gewesen war, auch das Netz. Den Zustand, den wir gegenwärtig haben, die gegenseitige Beeinflussung alter und neuer Medien in der Geschichtswissenschaft, sehe ich vorerst noch als ein Verbundsystem, wenn auch mit zwei deutlich voneinander unterscheidbaren Teilsystemen. Dieser Zustand macht im Übrigen die Medienrevolution empirisch nachvollziehbar. Die Systemmodifikation in der Geschichtswissenschaft nimmt z. B. die Gestalt einer „Remediation“25 an; sie besteht darin, dass einerseits traditionelle Medien beibehalten, aber unter dem Einfluss der sogenannten Neuen Medien verändert werden, während andererseits neue Medien eingeführt, aber unter dem Einfluss der alten Medien moduliert werden. Besonders augenfällig ist diese Art der Remediation im Fall der „Tabloiden“, ein Zeitungsformat, das sich ganz an die Bildschirmästhetik und an das Prinzip des „bildschirmgerechten Schreibens“ anlehnt. Die Seite muss so sein, dass ein Blick genügt, um alles Wesentliche erfasst zu haben. Eine Analyse des Seitenlayouts und einiger didaktischer Vorgehensweisen 41

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bei geschichtswissenschaftlichen Lehrbüchern – als Beispiel – ergibt, dass Seitengestaltungsprinzipien und Techniken, die für eine Website kennzeichnend sind, für Bücher übernommen werden. Ein prominenter Prototyp hierfür ist der Band „Frühe Neuzeit“ des „Oldenbourg Geschichte Lehrbuch“, dessen Konzept von Anette Völker-Rasor entwickelt wurde.26 Der Frühneuzeit-Band erschien im Jahr 2000 als erster des epochenübergreifenden Werks und wurde didaktisch 1998 konzipiert. Das Strukturprinzip der Beiträge ähnelt dem einer Website. Es gibt ein „Menü“, das, abhängig von der Beitragsgruppe (Epochen, Zugänge, Forschung etc.), „Zeittafel“, einen granulierten sozusagen scrollbaren Haupttext im Zweispaltensatz mit Marginalien, die die Funktion von „Links“ besitzen, kommentierte Bildquellen, graphische Darstellungen, „Detailskizzen“, verschiedene Vertiefungen und „Literatur“ anbietet. Man kann wie in einer Website springen, „klicken“ oder eine Menükategorie abarbeiten, über die „Links“ in andere Beiträge springen. Dem Buchregister entspricht das elektronische Glossar oder die Suchfunktion, die Gliederung entspricht allerdings dem traditionellen Inhaltsverzeichnis und nicht der Sitemap. Dennoch gelingt die Simulation eines Hypertextes unter Wahrung einer äußerlich traditionellen Buchform, die folgerichtig nunmehr durch eine Website des Verlags mit Aktualisierungen zu den Beiträgen ins Netz hinein erweitert wird.27 Umgekehrt lässt sich behaupten, dass viele Seiten im Netz nichts anderes darstellen als die medienadäquat – manchmal auch nicht medienadäquat – aufbereitete Publikation eines Aufsatzes oder sonstigen Textes bis hin zur kompletten Monographie. Modifizierende Beeinflussungen in beide Richtungen zwischen den auf „Alten Medien“ und dem auf „Neuen Medien“ 42

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basierenden Säulen des Verbundsystems existieren auch hinsichtlich der Schreibformate. Aus vielerlei Gründen erfordert eine Website die Granulierung oder Portionierung der Inhalte. Idealerweise wird dabei nicht einfach ein langer Text – auf die Multimedialität, die ja mehr ist als nur Text im Designergewand des Web, komme ich später zu sprechen – granuliert oder portioniert, sondern Texte werden von vorneherein medienadäquat geschrieben. In Bezug auf das Netz bedeutet medienadäquat: kurz und bündig, präzise, auf das Wesentliche konzentriert, zugleich „an den Enden offen“ für weitere Vernetzung zu schreiben. Das sind Tugenden, die man auch gerne im gedruckten Buch oder Aufsatz verwirklicht sähe, im Web heißt das aber, dass die Rezeptionseinheit bildschirmadäquat zu sein hat, sprich bei Texten aus nicht mehr als rund 1.500 Zeichen bestehen kann. Die erforderliche Granulierung der Inhalte kommt einer Modularisierung gleich. Die Systemmodifikation berührt somit zentral die wissenschaftlichen Schreibformate. Die angesprochene Modularisierung reicht noch weiter: Module werden als informationelle Einheiten erst sinnvoll, wenn sie mit anderen Modulen zu Netzwerken informationeller Einheiten verwoben oder verknüpft werden. Die Tätigkeit des Webens bzw. Knüpfens wird zu einem Gutteil auf die NutzerInnen verlagert; Module sind nicht nur Bausteine unkomplexer Rezeptionsprozesse, wie oft unterstellt wird, sondern Bausteine individueller Sinnbildung. Eine Systemmodifikation im Sinne der Rückwirkung von Eigenarten der Webpublikation auf gedruckte wissenschaftliche Publikationen ist hinsichtlich deren Lebensdauer zu diagnostizieren. Vielen wissenschaftlichen Websites oder Webpublikationen wird die Volatilität bzw. Fluidität ihrer Inhalte vorgeworfen. Oft gleichen sie mehr einem Diskussionsstand als einem gesicherten Ergebnis, ganz zu schweigen 43

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vom Verschwinden aus dem WWW. Dieselbe Beobachtung kann natürlich positiv als Stärke des Netzes gewertet werden; ich komme darauf zurück. Parallel zur Verbreitung des Web in den Geschichtswissenschaften ist eine Multiplizierung klassischer Publikationsformate zu beobachten: Noch nie gab es so viele Fachzeitschriften – mit begrenzter oder sehr begrenzter Reichweite! –, noch nie gab es so viele Sammelbände, noch nie gab es so viele Monographien mit immer kleineren Auflagen. Die Erfindung des printing on demand ist ebenso aufschlussreich wie symptomatisch. Vieles von dem, was gedruckt wird, stellt auch nichts anderes als einen Diskussionsstand dar. In gewissem Sinne stellt wissenschaftliche Forschung nie etwas anderes als einen Diskussionsstand dar, aber es gibt doch sehr unterschiedliche Reifegrade von Argumenten. Kurz: Der „Vorwurf“, der oft gegen das Netz erhoben wird, muss sich bei selbstkritischer Betrachtung innerhalb der Geschichtswissenschaften auch gegen gedruckte Publikationen wenden – oder wird, parallel zum Netz, positiv als produktive Stärke gesehen, als Entwicklung weg von der autoritativen, manchmal auch autoritären Lehrhaltung, weg von der autoritativen Meistererzählung hin zu offeneren Formen der Auffindung wissenschaftlicher „Wahrheit“. Ob die Entwicklung des WWW die Geschichtswissenschaft auf diesen neuen, gelegentlich als Weg demokratisierter wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion bezeichneten Weg geführt hat, also die Ursache dafür ist, ist derzeit schwer nachzuweisen, zumindest aber verstärkt sie diesen Trend, und zwar nicht nur im Web, sondern auch im traditionellen System. Traditionelle und Neue Medien beeinflussen sich gegenseitig und erleichtern damit den gleichzeitigen Umgang mit dem traditionellen wie dem neuen System. Bezeichnend ist die Tendenz, denselben Wissensbestand sowohl mithilfe der 44

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alten wie der neuen Medien zu publizieren. Dieses gegenseitige „backing“ ist durchaus erfolgreich und beweist, dass beide Systemteile oder -säulen inzwischen aufeinander angewiesen sind. Der gleichzeitige Umgang mit beiden Systemteilen entspringt keiner Wahlfreiheit, sondern erfolgt zwangsweise. Vorläufig weisen beide einen je spezifischen Mehrwert auf. Trotz zahlreicher inhaltlicher Doppelungen sind die beiden Systeme ja nicht austauschbar, und deshalb ist trotz aller Interferenzen nach wie vor von zwei Systemen zu sprechen. Wer den gleichzeitigen Umgang nicht beherrscht oder nicht will, wird sich schwertun, den Anschluss an die Forschung zu halten. Oder, wie es die Studierenden immer wieder zutreffend diagnostizieren: Ohne Computer, Internet und Web ist nicht einmal ein Geschichtestudium mehr möglich. Ich vermutete weiter oben, dass manchen Studierenden mit Blick auf den skizzierten Zwang, Computer und Web benutzen zu müssen, die Ästhetik des Genusses eines ‚buchbasierten‘ geisteswissenschaftlichen Studiums abgehe. Was ist in diesem Zusammenhang mit Ästhetik und Genuss gemeint? Digitale Medien sind „schnelle“ Medien, sie werden unabhängig davon, ob sie es objektiv sind oder nicht, mit Schnelligkeit assoziiert. Eigentlicher Genuss hat aber nichts mit Schnelligkeit zu tun, sondern mit einer gewissen Dauer, in der sich etwas vorbereitet, von dem man in der Regel schon weiß (spätestens beim zweiten Mal), dass es auf einen selbst eine positive Ausstrahlung haben und angenehme Gefühle hervorrufen wird. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Aktion sucht man dies nicht im Web, während das Aufsuchen eines Buches in der Bibliothek uns aufgrund unserer Kulturalisation und Sozialisation Genuss verspricht: In der Bibliothek ist es per definitionem ruhig, die lesende Aufnahme des – vorab unterstellt 45

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guten – Wissens, das ein Buch enthält, geht eine Symbiose mit Ruhe und Zeit ein. Im Lesen in der Ruhe durch die Zeit stellt sich Erkenntnis ein. Ob das nun tatsächlich in der Bib­ liothek geschieht oder zu Hause oder im Freien unter dem Baum, spielt keine allzu große Rolle. Es sind die von Kindheit an eingeübten Assoziationen, die uns das Bücherlesen ein wenig heilig machen. Nicht ohne Grund wird versucht, die aufkommenden elektronischen Buchlesegeräte so anzulegen, dass genau diese Assoziationen weiterhin möglich bleiben. Die schönsten Bibliotheken wurden wie Dome gebaut – der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek in der Wiener Hofburg stellt hierzu ein wunderbar anschauliches Beispiel bereit. Die Zeit, derer es bedarf, um dort ein Buch aus den Etageren zu holen, ist der Zeit, die das Verfassen und Herstellen des Buches erforderten, angemessen. Die europäische Literatur ist voller Verherrlichungen des Buches, die Aura des Geheimnisvollen wird dem Buch und seinen Aufbewahrungsorten erhalten wie gegenwärtig beim Barceloner Erfolgsschriftsteller Carlos Ruiz Zafón.28 Dies reicht sehr weit zurück. Die mythische Überhöhung der untergegangenen Bibliothek von Alexandria steckt tief in uns und ihre – zeitgemäße – Wiedererstehung im späteren 20. Jahrhundert war gewissermaßen unvermeidlich. Die christliche Anschauung der Welt tat das Ihre: Horst Wenzel zeigt und interpretiert in seinem Buch „Mediengeschichte vor und nach Gutenberg“29 ikonographische Quellen, die nicht weniger eindringlich als die überhöhende Bezeichnung der Bibel als Buch der Bücher Wissenssätze wie Gott im Rechtsbuch oder auch die Analogie illustrieren, die zwischen der Kelter („Christus in der Kelter“) und der Druckerpresse hergestellt wurde. Bis heute hat der Schritt über die Schwelle einer Bibliothek etwas an sich, das nur dabei empfunden wird, weil so viel an historisch-kultu46

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reller, verinnerlichter Erfahrung mitschwingt. Vielleicht wird durch die Bibliothek der Zusammenhang zwischen „Bedeutsamkeit“ und Zeit besonders augenfällig gemacht.30 Ästhetik beruht auf einem reibungslos Aufeinanderbezogensein der ‚Dinge‘, die sich mir als ein Ganzes darbieten. Ästhetik muss nichts mit „Schönheit“ zu tun haben; nicht umsonst spricht man von der Ästhetik des Hässlichen oder der Ästhetik eines aufgegebenen Industriekomplexes, wie man sie früher im Ruhrgebiet fand. Das traditionelle System der Geschichtswissenschaft, wie es sich seit der universitären Ins­ titutionalisierung der Geschichte vorwiegend ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelt hatte, stellte ein Ganzes dar, dessen Komponenten reibungslos aufeinander bezogen waren. Die Bibliothek war das Herzstück. Hier sammelte sich gedruckt und geordnet, was der forschende Geist im Archiv, in einer Bibliothek, in der Gelehrtenstube oder auch draußen vor Ort zusammengebracht hatte. Die Ordnung wurde durch nach bestimmten Normen funktionierende Zettelkataloge, durch Bibliographien unterschiedlichsten Zuschnitts, durch Metainstrumente wie Katalog-Kataloge, Bibliographie-Bibliographien usw. erschlossen. Im Prinzip konnte man alles finden, wo immer auf der Welt dieselben Ordnungsprinzipien und Metainstrumente angewandt und erstellt wurden. Schon das war ein Netz, in dem der wissenschaftlichen Monographie eine Sonderstellung zukam, das aber von einer wachsenden Zahl an Zeitschriften, Fachenzyklopädien und Nachschlagewerken eng geknüpft war. Der Vergleich mit dem Netz ist geradezu zwingend, denn das ganze Recherchesystem arbeitete im Grunde mit universalen Deskriptoren, die semantische Bezüge angaben. Die Wege der Suche waren zu erlernen, sie waren nicht alle leicht. Geschicklichkeit und Rechercheerfolg waren trainierbar. Der Erfolg war das Buch schlussendlich in 47

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der Hand, der Fund im Archiv – was wiederum zum Aufsatz, Artikel oder Buch führte. Bei allem bewegte man sich durch physisch erfahrbare Räume, stieg auf Leitern, stieß sich an schrulligen Bibliothekaren, schmutzte sich mit Staub ein, verstieß gelegentlich gegen irgendeine Vorschrift oder wunderte sich über diverse Sammelobjekte, die schlechterdings nicht als Buch zu bezeichnen gewesen wären.31 Der Fluss der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Zugang zum wissenschaftlichen Wissen waren hochgradig kontrollierbar. Auch deren Rezeption war bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar, insbesondere, solange keine Zweifel über Sinn und Zweck der Geschichtswissenschaft bestanden. Die nicht kontrollierbare und nicht vorhersehbare Rezeption machte eine getrennte Welt aus, die aus dem System der Geschichtswissenschaft weitgehend herausgehalten wurde. Internet und WWW haben diese Systemästhetik empfindlich gestört – boshafterweise müsste man sagen, denn sie entfalten ihren Reichtum ja auch erst dann, wenn man wissenschaftliche Recherchemethoden sehr gut beherrscht. Die Störung der Ästhetik entspringt dem Sowohl-als-Auch, dem gegenseitigen „backing“ der oben genannten zwei Teilsysteme, denn um „Erfolg“ (s. o.) zu haben, reicht es nicht aus, sich in nur einem der Teilsysteme zu bewegen. Die zu begehenden Wege sind nur am Start vorgezeichnet, dann verästeln sie sich unvorhersehbar. Die Misserfolgsquote in jedem Teilsystem ist hoch. Im Web mag es zu einem Thema nur minderwertige Seiten geben oder gar keine, in der Bibliothek ‚findet man immer etwas‘, aber sehr oft ein ‚etwas‘ in Gestalt eines Sammelbandes, dessen Daseinsberechtigung vorwiegend darin besteht, dass er gedruckt wurde und im Regal steht. Je mehr Möglichkeiten es gibt, etwas zu suchen und zu finden, desto mehr macht sich das Gefühl breit, nicht alles erfasst und geprüft zu haben. Es gibt kein Wegende mehr, 48

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jedoch die Erkenntnis der eigenen Ohnmacht, Fehlbarkeit, Unvollkommenheit, des Widerspruchs zwischen der schieren Unbegrenztheit der Möglichkeiten, die die Existenz nicht eines, sondern zweier Systeme, und seien es Teilsysteme, zu eröffnen scheint, und der begrenzten Möglichkeit, das Unbegrenzte zu nutzen. Doch die Medienrevolution dauert an, das heißt, es ist Abhilfe in Form verschiedener Wissensmanagementsysteme in Sicht. Doch dazu später, denn der Ausgangspunkt der letzten Überlegungen hatte ja in der Ästhetik des traditionellen Systems der Geschichtswissenschaft bestanden. Das Web und das Internet trennen die Wissens- und Rezeptionswelten nicht mehr. Jedes System, das sich im WWW und Internet aufbaut und technisch oder inhaltlich abzugrenzen versucht, wird früher oder später aufgebrochen. Mal sind es Würmer und Viren, mal ist es der Druck des sogenannten „illegalen Downloads“, der zur Akzeptierung neuer Normen führt, mal ist es die Unschärfe oder Ambivalenz einer Seite, wie es sich am Beispiel Wikipedia studieren lässt. Wir haben es also nicht mehr mit einem Ganzen, dessen Komponenten reibungslos aufeinander bezogen sind, zu tun, sondern mit einem Geflecht, das wuchert, das sich, um Überblick zu gewinnen, nicht ausdünnen oder wenigstens sortieren lässt, das diffuse Richtungen einschlägt, das alles mit allem verbindet und das mittels Remediation Altes und Neues in einen unaufhaltbaren Veränderungsprozess aneinanderknüpft. Das sind z. T. nicht mehr nur Modifikationen des Systems, sondern schon Transformationen. Die Transformation lässt sich an mehreren Beobachtungsfeldern festmachen. An erster Stelle steht die Verflüssigung und Beschleunigung der Kommunikation, die hier im Kontext der zunehmenden Verlagerung der geschichtswissenschaftlichen Wissensbestände 49

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in das Netz zu sehen ist. Nicht nur laufen Suchprozesse nach Informationen aller Art schneller und schneller ergebnisreich ab, sondern auch die Zurverfügungstellung, die Rezeption, die Verarbeitung von wissenschaftlichem Wissen beschleunigt sich. Anders ausgedrückt: Zumindest potenziell beschleunigt sich Forschung, beschleunigt sich der Weg zu einem Forschungsergebnis, beschleunigt sich die Einspeisung neuer Forschung in den Kommunikationsprozess. Dennoch wird dieses Potenzial des Netzes nur ansatzweise genutzt, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen: Zum einen entsprechen viele ins Netz eingespeiste Wissensbestände, insbesondere Primär- und Sekundärquellen, in puncto wissenschaftlicher Aufbereitung nicht den Anforderungen der Quellenkritik, der Überprüfbarkeit und der Verlässlichkeit. Viele Seiten sind nicht anders als rudimentär, schlimmstenfalls als Müllhalde, auf die aber doch manch schönes unversehrtes Stück gelangt ist, zu bezeichnen. Oft fehlen die erforderlichen Metadaten. Zum anderen, und daraus resultieren z. T. die im vorigen Satz skizzierten Zustände, genießt das wissenschaftliche Publizieren im Netz bei einem sehr großen Teil der Historikerinnen und Historiker nur ein geringes Ansehen, das mit der klassischen Publikation von gedruckten Monographien, Aufsätzen oder Quelleneditionen nicht mithält. Andererseits verbessert sich die Qualität der Seiten im Netz zunehmend, die aktive und passive Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien, vorzugsweise dem Internet und WWW, steigt und ist selber Gegenstand intensiver Debatten, die Masse der für die Geschichtswissenschaft lebensnotwendigen Wissensbestände, die in zuverlässiger Qualität im Netz verfügbar gehalten wird, steigt dynamisch an. Es ist schwer vorherzusagen, wann der kritische Punkt erreicht wird, an dem sich die Verhältnisse umgedreht haben, das heißt, ab dem die 50

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in alten Medien zugänglichen Informationen und Wissensbestände vorwiegend den Charakter historischer Primärquellen erhalten und beispielsweise Bibliotheken nur mehr die Funktion eines historischen Archivs erfüllen. Der Zeitpunkt, von dem an die wesentlichen Forschungsimpulse im Netz passieren, weil das Netz der von allen Mitgliedern des Systems der Geschichtswissenschaften bevorzugte Ort der Publikation und Kommunikation geworden ist, lässt sich nicht genau vorhersagen. Forschung in einem netzbasierten System der Geschichtswissenschaft bedeutet nicht das Gleiche, wie im traditionellen System. Während das Publikum, das Fachbibliotheken aufsucht, einigermaßen präzise bestimmt werden kann, während die sozioprofessionellen Gruppen, die wissenschaftliches Wissen verwenden, im traditionellen System ebenfalls relativ genau bekannt sind, herrschen im Netz potenziell andere Verhältnisse. Die Charakterisierung als „potenziell“ erscheint angebracht, da derzeit wissenschaftliche Seiten vorwiegend von denselben sozioprofessionellen Gruppen genutzt werden wie im alten System. Zugriffsstatistiken beweisen außerdem, dass entgegen der Bezeichnung „world wide“ nationale Nutzungsgewohnheiten vorherrschen; Deutsche konsultieren überwiegend deutsche und deutschsprachige Seiten, dann englischsprachige, dann andere. Das gilt sinngemäß für Franzosen wie Spanier und Engländer. Die Barrierelosigkeit des Netzes erweist sich in der Praxis eher als Chance, denn als tatsächlich genutzter Freiraum. Prinzipiell fallen aber viele Mauerringe hinweg, die im alten System den Elfenbeinturm der Wissenschaft sicherten und die Systemhoheit bei den Angehörigen des Systems beließen. Um es deutlich zu sagen: Die Barrierelosigkeit und Offenheit des Netzes ist aus der Sicht der Geschichtswissenschaft 51

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nur dann positiv zu werten, wenn sie die Qualitätsstandards setzt und durchsetzt, wenn sie die Inhalte schafft. Da sie das in einem offenen System macht oder täte, besteht die Chance, den Markt für geschichtswissenschaftliches Wissen deutlich zu erweitern und mehr gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen. Forschung in einem netzbasierten System bedeutet deshalb etwas anderes als im traditionellen System, weil das Publikum, das freien Zugang zu den Ergebnissen hat, diffus ist. Der Informationsfluss und seine Auswirkungen, die Verwendung, auch missbräuchliche Verwendung, wissenschaftlicher Ergebnisse ist wesentlich weniger kontrollierbar als im System der Printmedien. Das wirkt nicht nur auf die mediale Aufbereitung von Forschungsergebnissen, sondern mittelfristig auf die Forschungsthemen zurück. Der Anteil sogenannter relevanter Themen und anwendbarer Forschung wird auch in der Geschichtswissenschaft steigen – jedenfalls solange nicht ein Schritt vollzogen wird, der technisch möglich ist, aber das Entwicklungspotenzial des Netzes abtöten würde, nämlich einen geschichtswissenschaftlichen Webspace einzurichten, in den nur ein kontrollierter, eventuell sogar kostenpflichtiger Zugang vorgesehen ist. Es wäre technisch überhaupt kein Problem, den Elfenbeinturm der Wissenschaft im Web neu aufzubauen und sich ganz auf die unstrittigen Vorteile der Geschwindigkeit und leichten Verfügbarkeit von Wissensbeständen im Netz zu beschränken. Ein wesentliches Versprechen auf die Zukunft besteht im multimedialen Charakter der digitalen Medien und des Web. Multimedialität hat drei Gesichter: multimediale Darstellungsweise, Nutzung multimedialer Quellen, Inter- oder Multidisziplinarität. Alle drei Aspekte sind prinzipiell auch mit dem Modus „world wide“ oder international, sagen wir: mit dem Modus der Globalität, verbunden. 52

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Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten 25 Jahren zunehmend mit anderen als Text- oder schriftlichen Quellen befasst. Eine der Entwicklungstendenzen lässt sich mit dem Schlagwort „historische Bildwissenschaft“ beschreiben. In der Tat stellen ikonographische Quellen heute neben den Text- und schriftlichen Quellen die wichtigste benutzte Quellengruppe dar und finden sich infolgedessen neben Texten am häufigsten in geschichtlichen Seiten im Netz. An dritter Stelle steht inzwischen die Analyse von Fotografien und von Filmen, an weiteren Positionen folgen Videos und z. B. Computer- bzw. Web-Games als audiovisuelles Quellenmaterial. Tonquellen wie Musik werden von der Geschichtswissenschaft – ich meine nicht die historische Musikwissenschaft – noch sehr vernachlässigt. Sieht man von Copyright-Fragen und kommerziellen Hürden ab, die insbesondere von den Inhabern der Rechte an Filmen und Tondokumenten aufgebaut werden, dann erleichtert das Netz aufgrund der ihm inhärenten Multimedialität die gleichzeitige Verwendung unterschiedlichster Quellentypen für die Forschung, da sie sich im ‚Original‘, das heißt Ton als Ton, Film als Film bzw. Videofile usw. wiedergeben lassen. Das Netz macht das Forschen mit unterschiedlichsten Quellentypen auch deshalb attraktiv, weil diese in immer größerer Zahl im Netz zur Verfügung stehen, und fördert wenigstens indirekt die Bereitschaft zu Inter- oder Multidisziplinarität. Multimedialität bedeutet also Inter- oder Multidisziplinarität. Da die Zielgruppen im Netz heterogen sind und sich theoretisch nicht um Disziplingrenzen scheren, da das Medium Netz gewissermaßen laut nach Multimedialität verlangt, verfügt es über eine Art strukturelle Gewalt, die der Inter- und Multidisziplinarität zugutekommt. Das Netz erweitert den geschichtswissenschaftlichen Blick wieder. Die Verfügbarkeit 53

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unterschiedlichster Quellentypen und die vergleichsweise unkomplizierte technische Möglichkeit, sie mit einander verbunden in eine wissenschaftliche Analyse einzubauen, fördert die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in Richtung einer inter- oder multidisziplinären historischen Kulturwissenschaft, die im Idealfall im Modus der Globalität gespielt wird. Die Systemtransformation äußert sich somit einmal in einem Beziehungsnetz mit den Knoten Multimedialität, Interoder Multidisziplinarität, historische Kulturwissenschaften, jeweils im Modus der Globalität oder dem einer begrenzteren transnationalen oder monosprachlichen Ebene. Sie greift jedoch noch weiter und tiefer. Aus der strukturellen Gewalt des Netzes resultiert ein im Lauf der Zeit immer größer werdender Druck bezüglich inter- und multidisziplinären Forschens und Darstellens. Obwohl Interdisziplinarität seit Jahrzehnten gefordert wird, setzt sie sich im alten System nur sehr langsam durch; alle, die interdisziplinär arbeiten, wissen ein Lied davon zu singen, wie gering die Wertschätzung ist, wenn es darauf ankommt: Interdisziplinär arbeitende Wissenschaftler/ innen sind dann plötzlich keine richtigen Historiker/innen mehr, sie gelten als nicht eindeutig zuordenbar – und nichts schadet der beruflichen Karriere mehr als eine solche Einstufung. Im Netz ist Inter- und Multidisziplinarität Pflicht. Je größer das Gewicht des Netzes im System Geschichtswissenschaft wird, umso stärker wird sich die Beherrschung seiner Eigenheiten karrierefördernd auswirken. Das genannte Beziehungsnetz ist letztendlich um zahlreiche Komponenten zu erweitern: Ich erwähnte schon, dass im Netz medienadäquate Schreibtechniken gefordert sindc, die c

Josef Köstlbauer schrieb dazu folgenden Kommentar: „Ad medienadäquat: dem Postulat, dass man im Netz ‚bildschirmad54

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mit einer inhaltlichen Granulierung und Modularisierung Hand in Hand gehen. Diese Vorgänge wiederum korrespondieren mit der Zielgruppenoffenheit des Netzes und mit der hohen Bedeutung, die der aktiven Sinnbildung durch die Nutzerinnen und Nutzer des Netzes selbst zukommt, bzw. mit dem Bedeutungsverlust, den autoritatives oder autoritäres Wissen erleidet. Aspekte des elektronischen Lernens kommen in der Geschichtswissenschaft langsam in Gang. Es dient der Effektivitätssteigerung des Lehrens und Lernens. An den Universitäten und besonders in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächern wird E-Learning vorrangig als „blended learning“ betrieben, das heißt, es wird eine Mischung aus Präsenz- und Online-Lehre praktiziert. E-Learning, egal in welcher genauen Gestalt – ob nun mittels einer Lernplattform (Lernmanagement System – LMS) oder in Gestalt der Internetgestützten Lehre (IGL) –, erhöht grundsätzlich den Anteil kommunikativer Operationen und fördert das selbstgesteuerte Lernen. Darin spiegeln sich die bereits erwähnten netztypischen Elemente wie Verflüssigung der Kommunikationsabläufe und Erhöhung der Verantwortung des Individuums für die Wissens- und Sinnbildung. E-Learning und Internetgestützte Lehre greifen zentrale Elemente aus der heute bestimmenden Alltagskultur auf, die Schüler, Studierende, an Geschichte interessierte andere Eräquat‘ zu schreiben hat, widersetze ich mich vehement. Ich unterstelle, das verdankt sich dem Umstand, dass im Netz zuerst Leute am Werk waren, die nicht lesen. Es kommt letztlich doch immer auf die Inhalte und das intendierte Publikum an. Die Plattform über die Inhalte zu stellen scheint mir nicht sinnvoll, eher eine Form der Selbstknebelung. Die Digitalität erlaubt so ziemlich alles – auch lange Texte.“ 55

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wachsene mitbringen. Viele Elemente sind mit Schnelligkeit verbunden: schnell an Informationen gelangen, schnell Informationen verknüpfen können, schnell zu Ergebnissen gelangen, Probleme und Fragestellungen schnell lösen, schnell zu Entscheidungen kommen. Das ist unser Alltag!d Die Nutzung von Web und Internet in der Lehre wie im Fall der Internetgestützten Lehre greift diesen alltagskulturellen Habitus auf und moduliert ihn in einen wissenschaftlichen Habitus um. Das Netz ermöglicht es Studierenden z. B., Forschungstechniken und die Ergebnisse, zu denen diese führen, live im Zeitraffertempo vorzuführen. Das Netz als elektronisches Medium ermöglicht es, die Lösungen von Forschungsproblemen auch mit größeren Studierendengruppen effektiv durchzuspielen. Diese Aussage gilt cum grano salis, da längst nicht alle Hörsäle mit W-Lan ausgestattet sind oder PC-Übungsräume in ausreichender Größe und Menge vorhanden sind, wo alle Studierenden am Notebook oder PC mit Internetanschluss die Forschungs- und Lösungstechniken mitvollziehen bzw. selber durchspielen können. Da gerade Nobelpreisträger nicht müde werden, auf den Zusammenhang von Wissenschaft und „Fun“ hinzuweisen, fühle ich mich legitimiert zu sagen, dass d

Josef Köstlbauer schrieb hierzu folgenden Kommentar: „Ad schnelle Medien: auch das eine Frage des Umgangs. Unterwirft man sich einem Postulat der Schnelligkeit, dann übernimmt man das Postulat eines fremden Diskurses. Ich denke, das Web wird mit wachsender Vielfalt auch immer zahlreichere ‚langsame‘ Strömungen enthalten. Allein die zahlreichen tagebuchartigen Blogs sind Manifestationen von Reflexion, Niederlegung, Diskussion und erinnern mich manchmal stark an die Briefkultur der frühen Neuzeit. Im Vergleich zur Monographie erscheinen sie schnell, aber die neue Popularität dieser Tagebücher scheint mir auf eine neue Langsamkeit zu verweisen.“ 56

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der Einsatz des Netzes den Fun-Faktor in der Geschichtswissenschaft auf produktive Weise wieder erhöht und im Übrigen die traditionelle zivilisatorische Grenze zwischen Wissenschaft und Alltag öffnet. Die Wahl der Mittel für E-Learning ist nicht gleichgültig. Lernplattformen stellen geschützte Lern- und Lehrbereiche dar; das hat durchaus gute pädagogische und didaktische Gründe, mit Bezug auf das Netz und seine Potenziale sind aber die, im Fach Geschichte derzeit auch noch überwiegenden, unterschiedlichen Formen der Internetgestützten Lehre vorzuziehen, da diese im Netz öffentlich zugänglich sind – von der Möglichkeit, Seiten durch Passwort abzuschirmen, wird nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht. Lernplattformen, so genannte Lernmanagement-Systeme, stützen das Elfenbeinturmprinzip. Internetgestützte Lehre durchbricht dieses Prinzip. Geschichtswissenschaft im Netz – auch für Lehr- und Lernzwecke – kann ein riesiges gesellschaftliches Potenzial entwickeln, wenn die gegebene Chance, Geschichtswissenschaft sehr breit zu vermitteln, genutzt wird: E-Learn­ ing ist eine zentrale Möglichkeit, da der Anwendungsbereich nicht auf Universität und Schule begrenzt ist, sondern genauso gut in allen möglichen Spielarten der Erwachsenenund beruflichen Bildung zu Hause ist und weil es darüber hinaus sich die Tatsache offener bzw. heterogener Zielgruppen im Netz zunutze machen kann. Diejenige Wissenschaft, die hier beherzt zugreift, das heißt entsprechende Kräfte, Energien und Gelder in die professionelle und umfassende Nutzung aller Potenziale des Netzes leitet, hat aufgrund der rasant wachsenden Nutzungsraten des Web, die sich arithmetisch auch als Bedeutungszuwachs rechnen lassen, die Chance, ihre Platzierung im System der Wissenschaften und der Wissenschaftspolitik zu verbessern. 57

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Praktisch bedeutet das z. B., multifunktionale virtuelle historische Mehr-Ebenen-Lernobjekte zu erarbeiten. Als Beispiel kann das schon zitierte Webprojekt pastperfect.at genannt werden, das hypertextbasiert die Geschichte des Zeitalters Karls V. zum Inhalt hat und exakt ein solches multifunktionales, virtuelles historisches Mehr-Ebenen-Lernobjekt darstellt. Das Netz verändert im System der Geschichtswissenschaft die Beziehungen zwischen Individuum, Kollektiv und wissenschaftlichem Wissen. Als Ort autoritativen Wissens wird das Individuum geschwächt, es wird gestärkt als Teil eines riesigen Wissensnetzwerkes, weil ihm eine größere Verantwortung im Prozess der Sinnbildung zugewiesen wird. In der Geschichtswissenschaft als Kollektiv wird die dominante Stellung von Einzelpersonen geschwächt; langfristig wird das weitreichende Auswirkungen auf sämtliche Institutionen der Geschichtswissenschaft haben. An diesem Punkt ist nun der Technik, genauer gesagt der Software, kurz Aufmerksamkeit zu widmen. Auch das traditionelle System basiert auf unterschiedlichen Techniken. Im Netz kommen andere Techniken zur Anwendung, aber der Unterschied liegt nicht bei „technikbasiert“ versus „nicht-technikbasiert“. Unter Weglassung aller Details kann auf nur einen bestimmten Wandel, der sich im Netz vollzieht, abgehoben werden: Hat früher bei der Erstellung von Websites HTML-Software dominiert, haben sich inzwischen Content-Management-Systeme durchgesetzt. CMS-Lösungen können als Teamwork-Software charakterisiert werden. Ein CMS wie der Hypertextcreator, den wir in Wien für die Anwendung in den historischen Kulturwissenschaften entwickelt haben, bündelt die hier mehrfach aufgezählten Potenziale des Netzes.

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Die Systemtransformation im Sinne der Multimedialität und Multidisziplinarität erstreckt sich nicht nur auf die Geschichtswissenschaft im Kontext der historischen Kulturwissenschaften, sondern – ich paraphrasiere Michel Houellebecq32 – die ‚Kampfzone weitet sich aus‘ in das Feld der Programmiertechnik, des Mediendesigns, ja der Medienkunst.

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IV Sechs Komponenten der digitalen Geschichtswissenschaft

Was lässt sich nun sinnvoll und tatsächlich als „digitale Geschichtswissenschaft“ bezeichnen? Sechserlei: (1) Die individuelle Historical Workstation. (2) Sehr allgemein formuliert: „Geschichtswissenschaft im Netz“, was sich auf die digitale Aufbereitung geschichtswissenschaftlichen Wissens und geschichtswissenschaftlicher Forschung bezieht. (3) Das Management historischen Wissens unter Nutzung semantischer Methoden. (4) „Geschichte lernen“ mittels digitaler Verfahrensweisen („E-Learning“). (5) Das Forschen unter Zuhilfenahme digitaler Arbeitstechniken. (6) Das „digitale Erzählen“ auf der Grundlage einer historisch-semiotischen Sicht auf die Geschichte. Per definitionem ist digitale Geschichtswissenschaft trans- und interdisziplinär und multimedial. Alles das gibt es in Ansätzen, aber wir stehen noch am Anfang. Digitale Geschichtswissenschaft stellt eine Zukunftsvision dar. Sie ersetzt das Buch nicht. Sie besitzt eine eigene Legitimität. Das heißt, nicht das manchmal unterstellte „besser sein“ als das Buch oder als die sich der Printmedien bedienende Geschichtswissenschaft legitimiert sie, sondern ihr eigenständiger Charakter innerhalb des weiten Felds der Geschichtswissenschaft. Ihr eigenständiger Charakter resultiert aus dem Umstand, dass sie die heutige Netzwerkgesellschaft und Netzwerkkultur, aber auch das vernetzte Individuum unserer flüssigen Welt adäquat codiert. 61

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Die ersten beiden Aspekte können infolge der bisherigen Darlegungen knapp abgehandelt werden. Die individuelle Historical Workstation: Ist das Thema der individuellen Historical Workstation noch aktuell? Reicht in Zukunft nicht der Zugang zum Web und Internet, wo sich alles, von der Software bis zu den eigenen Dateien, auf Servern finden wird? Vielleicht. Datenschutzprobleme stehen einer solchen Entwicklung entgegen, da etwa die Verlagerung von Forschungsdateien auf Server Hacker und Piraten genauso anziehen wird wie digitale Bücher, zu denen der Zugang eigentlich gekauft werden soll. Die bisherige Erfahrung lehrt, dass jedes Sicherungssystem geknackt werden kann. Ob nun wegen des ungesicherten Datenschutzes oder aus anderen Gründen – bis auf absehbare Zeit wird ein wohleingerichteter PC oder Laptop das Mittel erster Wahl darstellen, selbst wenn dieser, sobald er am Netz ist, ebenso vor Angriffen zu schützen ist. Nur stellt sich ein Server, von dem bekannt ist, dass er wissenschaftliche und Forschungsdaten vorhält, für echte Hackerangriffe ungleich attraktiver dar als die Masse der Millionen von PC von WissenschaftlerInnen, wo nicht sicher ist, ob sie überhaupt Daten enthalten, die die Mühe eines ausgesprochenen Hackerangriffs lohnen. Manfred Thallers Historical Workstation bleibt aktuell, wobei der Zuschnitt individuell bleibt. Der direkte Bezug von Daten aus dem Web anstelle der händischen Eingabe wird jedoch eine ungleich größere Rolle spielen als bisher. Geschichtswissenschaft im Web: Unter „Geschichtswissenschaft im Web“ lässt sich im Prinzip das verstehen, was wir haben und was auf den vorangegangenen Seiten bereits resümiert wurde. Es handelt sich um die verschiedenen elektronischen Recherchemöglichkeiten, unter denen die Online Public Access Catalogues (OPACs) und Archivinventare sowie 62

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-regesten hervorzuheben sind. Als Erweiterung lassen sich die verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Portale verstehen, die zu Websites, Volltexten, Rezensionen, Quellen und ggf. eigens für das Portal erstellten Texten etc. führen. Zumeist bündeln solche Portale auch laufende Fachinformationen zu Tagungen oder Kongressen, Forschungsprojekten usw. Dem sind ‚lebende digitale Archive‘ wie etwa das der Europäischen Union zur Seite zu stellen. Da wäre der riesige Bereich inzwischen digitalisierter Quellen aller Art und aller Epochen sowie der stark wachsende Bereich digital veröffentlichter wissenschaftlicher Literatur. Das Feld geschichtlicher webadäquater Darstellungen wie eJournals oder gar wissenschaftlicher Erzählungen bzw. Hypertexte erscheint hingegen noch recht klein. Die Zahl digitaler Lerntools für die Geschichtswissenschaft ist noch nicht sehr hoch, aber es gibt diese Lernobjekte. Geschichtswissenschaftliche Weblogs können nach wie vor als ungewohnt bezeichnet werden, doch gibt es auch diese wie weblog.histnet.ch von Peter Haber und Jan Hodel. So weit „Geschichtswissenschaft im Web“, heuristisch und in einfachen Worten … Mustergültig aufgearbeitet ist dieses Thema von Peter Haber (Basel) in seiner Habilitationsschrift „/digital.past/Geschichtswissenschaft im Digitalen Zeitalter“ (2009). Die Komponenten drei, vier, fünf und sechs sollen im Folgenden etwas ausführlicher betrachtet werden.

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V Historisches Wissen unter Nutzung semantischer Methoden managen

Oft stehen bestimmte Vorteile der digitalen Medien und speziell des WWW im Vordergrund der Betrachtung. Eines der ersten Bücher, das das Internet und WWW den HistorikerInnen näherbringen wollte, bot sich als ein kritischer Führer dar, Christian von Ditfurths „Internet für Historiker“ (Frankfurt 1997), der zunächst über Hardware, Internet-Provider, Aufbau von Internet-Verbindungen, Web-Browser, Suchmaschinen, E-Mail, Übertragung von Dateien, über Telnet und schließlich über Websites zu verschiedenen Teildisziplinen wie historische Hilfswissenschaften oder zu den historischen Epochen berichtete.33 Am Schluss folgten einige Seiten mit Links zu Bibliotheken, Museen, Archiven usw. Vieles von dem, was damals ungewohnt und neu war, gehört heute zu den kaum mehr thematisierten Selbstverständlichkeiten, anderes ist hinzugekommen. Eines der Nachfolgewerke, das „Internet-Handbuch Geschichte“, das 2001 von Stuart Jenks und Stephanie Marra herausgegeben wurde,34 legte den Schwerpunkt auf eine kritische Durchleuchtung der historischen Web-Angebote. Inzwischen lohnen sich solche Handbücher kaum mehr, da deren Funktion z. T. von den historischen Portalen wie clio-online.de oder historicum.net und anderen übernommen wurde. Vieles hat den Charakter des Selbstverständlichen erreicht, es existieren Standards und Routinen, um Qualitäten 65

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prüfen zu können. Es gehört zur digitalen Geschichtswissenschaft. Die dritte Generation stellen Bücher zum Lernen der Geschichte mittels elektronischer Medien dar. Zu nennen ­wären hier das Böhlau-UTB-Handbuch zu den Recherche- und Übungstools des Wiener Projekts „Geschichte online“35, das Böhlau-Studienbuch „E-Learning Geschichte“ sowie der UTB-Band „Digitale Arbeitstechniken“, ebenfalls Wiener Pro­jekte.36 Das, was sich zuerst durchgesetzt hat, sind bestimmte Formen der Ordnung geschichtswissenschaftlichen Wissens aus dem Web, sein „Management“. Und das liegt in der Logik der Entwicklung seit Vannevar Bushs längst berühmt gewordenen Aufsatz „As we may think“, der im Juli 1945 in der Zeitschrift The Atlantic erschienen war.37 Bush war während des Zweiten Weltkriegs in den USA als Direktor des Office of Scientific Research and Development mit der Koordination von rund 6.000 führenden WissenschaftlerInnen befasst gewesen, die an der Entwicklung von Waffen, u. a. der Atombombe, arbeiteten. Nur eine Vernetzung des vorhandenen Wissens ermöglichte schließlich auch eine waffentechnische Überlegenheit, die zum Sieg über das „Dritte Reich“ und über Japan führte. V. Bush beschreibt in diesem Aufsatz zunächst den menschheitsgeschichtlichen Fortschritt, den verschiedene Natur- und Humanwissenschaften wie die Medizin ausgelöst hätten. Das tatsächlich vorhandene Wissen entziehe sich jedoch z. T. der Rezeption bei den eigentlichen Zielgruppen dieses Wissens. Der Zugang zum Wissen bzw. die Aufgabe, sicherzustellen, dass das Wissen dorthin komme, wo es sinnvollerweise genutzt werden sollte, das sei die zu lösende Aufgabe. Bush wusste aufgrund seiner Funktion, wovon er sprach. 66

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Sein erster Gedankenschritt bezieht sich auf die Kompression von Wissen, durch seine Speicherung auf Mikroformen. Er erwähnt namentlich (wir sind im Jahr 1945) Mikrofilm und Mikrofiche. So könne beispielsweise die Encyclopaedia Britannica per Mikrofilm bei einer Verkleinerung von 1:10.000 auf den Umfang einer Streichholzschachtel komprimiert werden. Er baut daraufhin einen Zusammenhang zwischen Kompression der „Daten“, ihrer nicht zuletzt durch ungleich höhere Zugriffsgeschwindigkeit optimierten Nutzbarkeit und der optimierten Selektion von Wissen, die ja unausweichlich sei, durch vereinbarte Indizierungscodes auf. Die Maschine, die das leisten sollte, nannte er „Memex“. Die Details der Maschine interessieren an dieser Stelle weniger, technisch ähnelte sein Entwurf prinzipiell schon einem PC mit Scanner, auch wenn so etwas wie Hebel zusätzlich zur Tastatur, Mikrofilme und mehrere Bildschirme den gedachten Apparat etwas raumgreifend machten, der allerdings auch Stimme in Schrift umsetzen können sollte. Entscheidend war, dass Bush den Apparat als ein von einem Individuum zu nutzendes Instrument vorstellte. Er machte das Individuum zum Fokus des mit „Memex“ grundgelegten Informations- und Wissensmanagements. Bush entwarf außerdem ein Indexsystem, Codes, die wie Assoziationstechniken – ähnlich dem Funktionieren des Gehirns, wie er meinte38 – Gleiches oder Ähnliches als gleich oder ähnlich erkennen können sollten und mit dem Verbindungen zwischen den gespeicherten Informationseinheiten recht ähnlich dem späteren Verlinkungssystem hergestellt werden sollten. Er hatte dabei bereits bi- und multidirektionale Links im Auge, die aufgrund des Indexsystems typisiert waren, also im Grunde semantische Links darstellten. Die Berühmtheit dieses Artikels besteht zu Recht, denn Vannevar Bush hat auf dem Hintergrund des technischen 67

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Standes 1945, den er zugleich in seiner höchstwahrscheinlichen Entwicklung weiterdachte, überraschend viel von dem skizziert, was wir mit den PCs, dem Web und dessen Entwicklung in jüngeren Jahren bekommen haben. V. Bush nahm damit einiges von dem vorweg, was Tim Berners-Lee, mit guten Gründen als „Erfinder“ des WWW (1989–1991) bekannt, in seinem Buch „Weaving the Web“ (New York 2000) unter dem Namen Semantic Web als großes Ziel des WWW skizzierte. Nicht Wissen, sondern Vernetzung von Wissen und Menschen ist Macht, das kann man auch aus der Tätigkeit von V. Bush und seinem Weiterdenken von Vernetzung und Wissensmanagement lernen. Mehr als etwa die Vorteile einer elektronischen Datenverarbeitung, wie sie sich bei den frühen lexikometrischen Projekten ab den späten 1940er-Jahren schon abzeichneten, hat dieser von Bush aufgezeigte Sachverhalt die Entwicklung geprägt. Wir finden zwar im Web so nützliche Dinge wie Kalenderberechnungsprogramme und etwa animierte wissenschaftliche Karten, die der EDV zugeordnet werden können, aber der Kern der Angelegenheit dreht sich um den Zusammenhang zwischen Vernetzung als Informations- und Wissensmanagement und Machtgenerator. Dies belegen Google, Wikipedia, Youtube, Facebook, Flickr, Twitter und andere. In den letzten Jahren hat sich zunehmend das Problem der Kohärenzbildung zwischen den Informations- und Wissensbeständen sowohl in den Printmedien wie im Web in den Vordergrund geschoben. Wir erleben aktuell eine Flut von gedruckten themenspezifischen Enzyklopädien sowie enzyklopädieartig aufgebauten Handbüchern und Kollektivmonographien, die Wissen archi68

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vieren, systematisieren und verfügbar machen. Eigentlich ist es nicht sinnvoll, dies alles zu drucken – und manche ehrwürdige Enzyklopädie wird in Zukunft nicht mehr gedruckt erscheinen. Trotzdem existiert weiterhin ein Markt auch für gedruckte Enzyklopädien wie es die gegenwärtig erscheinende Enzyklopädie der Neuzeit 39 beweist. Prinzipiell verweisen Enzyklopädien auf eine bestimmte Art von Wissen, das als kanonisiert bezeichnet werden kann. Dieses kanonisierte Wissen wird in aller Regel von recht genau bestimmbaren sozio-professionellen Gruppen erstellt – wenn nicht wie im Fall des Isidor von Sevilla (um 560 bis 636; Etymologiarum sive originum libri XX, Jahr: 623) von einer einzigen Person. Isidor war Kleriker und gehörte der sozio-professionellen Gruppe an, die in seiner Zeit nicht nur Wissen kanonisierte, sondern geradezu darüber wachte. Bei der Encyclopédie (ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers) von Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (35 Bände, 1751–1780) handelte es sich um die emanzipatorische Gruppe der Aufklärer und Philosophen (philosophes), bei den großen Enzyklopädien des 20. Jahrhunderts zumeist um Autorinnen und Autoren, die ein spezielles Fachwissen besitzen, darin ausgewiesen und der großen Gruppe der Experten/Expertinnen zurechenbar sind, die im gesellschaftlichen Wissensmanagement eine wesentliche Rolle spielen. Im Allgemeinen waren und sind es soziale Eliten, die Wissen kanonisieren. In der globalen und regionalen Netzwerkgesellschaft der Gegenwart ist ein Wissenskanon nicht mehr so leicht aufstellbar und durchsetzbar. Er ist immer zu klein und bedient zu wenige Interessen. Ein Phänomen wie Wikipedia war daher unausweichlich. Zum einen ist die Produktion und Verbreitung von Wissen kaum mehr an bestimmte sozio-professionelle Gruppen anzubinden, zum 69

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anderen zeigt die Tatsache von über 970.000 Artikeln in der deutschen und über drei Millionen in der englischsprachigen Wikipedia (Stand Oktober 2009), dass die ehemals auch schon beeindruckenden Dimensionen bekannter Enzyklopädien von Johann Heinrich Zedler (1706 bis 1751; 64 Bände, 4 Supplementbände, knapp 300.000 Einträge, 1732 bis 1754 erschienen) und Encyclopédie (knapp 60.000 z. T. ausführliche Artikel) im 18. Jahrhundert bis zu den heutigen wie Encyclopaedia Britannica (sie geht auf das Jahr 1768 zurück, heute ca. 75.000 Einträge) oder Brockhaus Enzyklopädie (geht zurück auf das 1796–1799 erstmals erschienene „Conversations-Lexikon“ von Renatus Gotthelf Löbel) oder andere Nationalenzyklopädien nicht mehr dem Bedarf entsprechen. Der Bedarf wird sozio-kulturell gesteuert und gebiert folglich Phänomene wie Wikipedia. Wikipedia interessiert hier vor allem aus genau diesen Gründen. Die zumeist im Vordergrund stehende Frage nach der Qualität der Artikel, in denen außerdem oft weniger Wissen als lediglich Information verbreitet wird, zieht in diesem Zusammenhang weniger Interesse auf sich. Interessanter ist wiederum der Umstand, dass sich auch in einem Experiment wie Wikipedia bereits hierarchische und Machtstrukturen breitmachen: Es ist gar nicht so einfach, Änderungen in einem Artikel dauerhaft unterzubringen; nicht wenige Autorinnen und Autoren annullieren Änderungen durch Dritte umgehend, das heißt, sie wachen über „ihren“ Artikel und wollen auf diese Weise Wissen kanonisieren. Die Etablierung von Machtstrukturen bei Wikipedia kann kaum überraschen, dasselbe Phänomen hatte sich bereits im Rahmen des WWW, kaum war es bekannt und attraktiv geworden, herausgestellt. Bei bisherigen Enzyklopädien bestand im Gegensatz zu Wikipedia immer ein Wissenskonzept, dessen Struktur durch 70

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die tatsächlich publizierten Artikel aufgezeigt wurde. Noch deutlicher wird dies bei Fachenzyklopädien wie der erwähnten Enzyklopädie der Neuzeit, die sich als chronologischer Anschluss an das Lexikon des Mittelalters versteht. Das (keineswegs nur) Fachwissen wird bestimmten methodischen und theoretischen Vorannahmen (z. B. Orientierung an Epochengrenzen) sowie Vorannahmen über geschichtlich Bedeutendes unterworfen. Eine Enzyklopädie wie Wikipedia negiert im Grundsatz die Sinnhaftigkeit solcher Vorannahmen, und sie muss das tun, da sie ein Phänomen der Netzwerkgesellschaft darstellt. Gleichwohl orientiert sie sich zunehmend an Traditionen, indem „Portale“, etwa für „Geschichte“, eingeführt wurden. Bei den Portalen macht sich wie in vielen einzelnen Artikeln der Umstand bemerkbar, dass der theoretische und methodische Stand der jeweiligen Fachdisziplin nicht gehalten wird, vielmehr feiert dort der theoretische und methodische Stand des 19. Jahrhunderts freudige Urständ. Genau hier muss nun wieder die Wissenschaft, die Geschichtswissenschaft, die digitale Geschichtswissenschaft, ins Spiel kommen. Vorstellbar wäre eine riesige, im Kern historische oder historisch-kulturwissenschaftliche, multidisziplinäre elektronische Enzyklopädie, aus der sich mithilfe multidirektionaler typisierter Links (die in Wikipedia nicht eingesetzt werden) wie in pastperfect.at oder mithilfe automatisierter semantischer Verknüpfungen eine völlig neue Qualität von Kohärenzbildung schöpfen ließe, deren Grenze nur in unserer Aufnahmefähigkeit bestünde. Diese kann man freilich trainieren und an die Verarbeitung komplexer Kohärenzbildungen gewöhnen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Haupteinwand gegen Wikipedia die schwankende Qualität der Artikel – womit wir wieder bei der Problematik von Ästhetik und Genuss in der 71

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Wissenschaft angelangt wären. Digitale Geschichtswissenschaft erfordert, die Ästhetik des traditionellen Systems der Geschichtswissenschaften mit den Vorteilen des digitalen Mediums Hypertext zu verbinden. Dabei handelt es sich um ein gewaltiges Unterfangen. Es umfasst die für eine Wissenschaft typischen Qualitätskontrollstufen, die ja existierten, bevor kluge Leute daraufgekommen sind, dass sich mit sogenannten Evaluationen und „Qualitätsmanagement“ Geld verdienen lässt. Es umfasst das Schreiben von Artikeln nach den wissenschaftlichen Regeln und Methoden. Es umfasst, was das Web und nicht zuletzt Wikipedia als sozio-kulturelles Experiment ausmacht. Es umfasst eine hochgradig komplexe Kombination aus Software-Anwendungen. Es umfasst eine Vielzahl von Mitspielern, nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern auch TechnikerInnen, Informatikdiensten, MediendesignerInnen, Institutionen, Geldgebern. Bleiben wir bei der Verfügbarmachung wissenschaftlich entstandenen Wissens, seinem Management. Das Erzählen bzw. allgemein das Schreiben von Geschichte sind Methoden der Verfügbarmachung. „Schreiben“ versteht sich hier als komplexer Prozess aus Forschen, Lesen, Auf- und Wahrnehmen und Formulieren der gewonnenen Erkenntnis. Verfügbarmachen heißt aber auch, dass die Einzelwerke (egal welchen Umfangs oder welchen Typs) miteinander verknüpft werden, traditionell durch Bibliographien und Suchinstrumente aller Art, sie werden auf einer Metaebene in Handbüchern und Überblicksdarstellungen sowie in Nachschlagewerken und Enzyklopädien zu Synthesen zusammengefasst. Suchmaschinen im Web liefern gewöhnlich Links, aber keine Zusammenfassungen oder Synthesen. Die neue Generation, die sich „Antwortmaschine“ nennt,40 liefert zwar auch Links, aber vorrangig konkrete Inhalte, denen freilich Zusammen72

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hänge (erzählende, analytische, strukturelle etc.), wie sie die Geschichtswissenschaft bereitstellt, fehlen. Das „Denklabor“ von www.europeana.eu experimentiert mit einer Suche, die als „semantisch“ ausgewiesen wird und die sich etwa im Bereich der Ikonographie eines von verschiedenen Institutionen vereinbarten Klassifizierungssystems („Iconclass“)41 bedient. So kann man mit einer Klassifizierung wie 11D9 („Antichrist“)42, auf die man nach Eingabe eines Suchwortes auf einem bestimmten Pfad stößt, zu ikonographischen Quellen zum Thema Antichrist in verschiedenen Sammlungen gelangen. Hier wird versucht, das Zufallsprinzip von Suchmaschinen bzw. deren Programmierung der Suchalgorithmen nach ökonomischen Priorisierungen durch gängige wissenschaftliche Kategorien zu ersetzen. Die Antwort richtet sich nach dem Inhalt und nicht danach, welche Seite das Einkommen aus Werbegeldern erhöht. Weitere Experimente in diese Richtung finden sich zunehmend. Sie stellen Versuche dar, mit dem Semantic Web Ernst zu machen. Es stehen somit neue elektronische Methoden des Verfügbarmachens bereit, die allerdings noch nicht vollständig die Frage der Qualitätsprüfung lösen. Kehren wir zum enzyklopädischen Wissen und seiner Verfügbarmachung im Web zurück. Wenn es nicht bei Wikipedia mangels Alternative bleiben soll, andererseits auch nicht alles neu verfasst werden soll, bleibt „nur“ die Möglichkeit, mit optimierten „Antwortmaschinen“ und optimierten semantischen Suchtechniken zu arbeiten und folgende Vorkehrungen bezüglich der Qualitätssicherung zu treffen: Zum einen müssen bei den institutionell-wissenschaftlichen wie individuell-wissenschaftlichen Anbietern Klassifizierungssysteme angewandt werden (s. europeana). Das Archivierungsprojekt „Phaidra“ (Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Resources 73

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and Assets)43 der Universität Wien kann für den Fall auch des individuell-wissenschaftlichen Anbieters als gutes Beispiel gelten, da es dem Nutzer verschiedenste Klassifizierungssysteme zur Verknüpfung mit einem Objekt anbietet. Sodann wird ein System der semantischen Suche benötigt, das die Klassifizierungssysteme – also nicht nur eines – „kennt“ und bei der Absuche des Web erkennen kann. Dies existiert bereits und ist unter den Abkürzungen RDF (Resource Description Framework) und OWL (Web Ontology Language) bekannt. Die erwähnten Klassifizierungssysteme stellen dabei besondere Anwendungen dar, denn z. B. iconclass ist nicht global, sondern nur für einen bestimmten Wissensbereich einsetzbar. Analog zur ersten Phase des WWW, in der es darum ging, alte und neue Inhalte nach HTML-Standard global verfügbar zu machen, das heißt in eine Deskriptoren-Sprache zu „übersetzen“, geht es im Semantic Web aus Sicht der historischen Kulturwissenschaften darum, alte und neue Inhalte in eine neue Deskriptoren-Sprache zu „übersetzen“, die die semantischen Verbindungen zwischen Datensätzen beschreibt und damit auffindbar macht.44 Wenn ich heute in eine Suchmaschine die Frage eingebe „Wann wurde Rom gegründet?“, erhalte ich eine Auflistung von URLs, die zu Websites führen, in denen diese Zeichenfolge vorkommt. Mit etwas Glück ist unter den ersten zehn Seiten eine dabei, die meine Frage tatsächlich beantwortet. Die Wahrscheinlichkeit ist umso höher, je mehr es sich um einfache Fragen nach einfachem Wissen handelt, das in der Schule, bei Wissensspielen oder QuizFernsehsendungen gefragt ist.45 Für wissenschaftliche Anforderungen reicht das nicht. Stelle ich die Frage so: „Warum wurde Rom gegründet?“, ist die Suchmaschine überfordert. Bei einer semantischen Suche erhalte ich die direkte Antwort 74

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auf meine Frage und nur jene Seiten werden angezeigt, die mir eine Antwort zu meiner tatsächlichen Frage liefern. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass gängige Suchmaschinen genau in diese Richtung weiterentwickelt werden. Gibt man den Anfang eines Suchwortes ein, so werden beispielsweise semantische Zusammenhänge angeboten: Zu – beispielsweise – dem Suchwort „Ästhetik“ kann eine Suchmaschine vorschlagen: „Ästhetik Definition“ oder „Ästhetik und Kommunikation“ oder „Ästhetik Kant“ etc. etc. Ähnlich könnte es wissenschaftlich zu einer umfassenden Klassifizierung von im Web schon vorhandenen stabilen Objekten bzw. zur Indizierung der URL (sofern es sich um einen Permalink handelt) eines geeigneten Objekts kommen, mit der unsere semantische Suchmaschine arbeiten kann. „Stabile“ Objekte finden sich in erster Linie in Seiten, die eine Institution im Rahmen einer dauerhaften strategischen Ausrichtung anlegt. Sie erhalten dabei auch Permalinks, die „auf alle Zeiten“ unverändert bleiben. Archive, Museen, Universitäten, Forschungsinstitute und andere stellen ein solches Angebot bereit. Objekte können wissenschaftliche Arbeiten sein, vorzugsweise natürlich auch Primärquellen jeder Art im Sinne einer multimedial arbeitenden Geschichtswissenschaft, und Darstellungen verschiedenster Art, die zu einer virtuell verknüpften historisch-kulturwissenschaftlichen Enzyklopädie beitragen können. Anders als bei Wikipedia ginge es nicht vorrangig um das Schreiben oder Verbessern von Artikeln, sondern um das Indizieren und Klassifizieren. Die Indizierungen und Klassifizierungen freier Websites, die auf x-beliebigen Servern liegen, müssen zudem „hinterlegt“ werden – hier wäre analog etwas wie Wikipedia zu schaffen, wo die internationale scientific community – und sei es die der HistorikerInnen – gemeinsam arbeitet. 75

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Die Tendenzen in solche Richtungen sind unverkennbar, etwa in Gestalt des Tagging. Peter Haber schreibt hierzu: „Als ein weiteres neues Phänomen im Bereich der Klassifikation zeichnet sich in den letzten Jahren die offene, gemeinschaftliche Erschließung durch Tagging ab. Mit Tagging wird die Vergabe von freien, nicht kontrollierten Stichworten, sogenannten Tags, bezeichnet. Dabei werden Informationsressourcen von den Nutzenden während des Suchens beliebige Begriffe zugeordnet. Für diesen Vorgang werden auch die Begriffe Social Tagging und Collaborative Tagging verwendet.“46 Ein aufschlussreiches Beispiel stellt das Tagging von Bildern auf Flickr dar. Ich zitiere nochmals die Auswertung durch Peter Haber: „Flickr ist eine Web 2.0-Plattform, die es angemeldeten Benutzern erlaubt, digitale Bilder im Netz zu speichern, mit Tags zu versehen und in der Regel öffentlich zugänglich zu machen; der 2002 in Kanada gegründete Dienst wurde 2005 von Yahoo gekauft. Nach eigenen Angaben wurden bis Herbst 2008 bei Flickr mehr als 3 Milliarden Bilder hochgeladen. Flickr wird nicht nur von Amateurphotographen auf der ganzen Welt verwendet, es dient auch als Bilderplattform für historische Aufnahmen. Die Library of Congress zum Beispiel stellt seit Ende 2007 historische Aufnahmen auf Flickr ein, wo sie vom Publikum mit Tags versehen werden können.“47 Zu vermeiden wäre allerdings etwas, was sich bei Wikipedia, wie vorhin angemerkt, beobachten lässt, nämlich dass sich hierarchische und Machtsysteme breitmachen, die das soziokulturell ungemein spannende Prinzip „jede/r kann mitschreiben“ (der/die bestimmte offengelegte Regeln berücksichtigt) unterlaufen. Wissen ist im Fluss, schon immer, und nicht erst, seit es das Web gibt. Aus wissenschaftlicher Sicht wurde kritisiert, dass sich Websites oft und schnell ändern lassen oder auch 76

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wieder verschwinden. Dies wurde der Stabilität gedruckten Wissens gegenübergestellt. Eine ganze Armee an Gegenwehren wurde ins Feld geschickt: Abspeichern einer Seite auf dem individuellen PC, Ausdrucken, Web-Archivierungssysteme, automatisches Archivieren jeder Version (so das genannte Archivierungsprogramm Phaidra der Uni Wien) etc. Der Druck, die Zeit- und Kontextgebundenheit von Wissen zu erhalten und nachvollziehbar zu machen, war und ist groß. Obwohl das Web besonders dafür geeignet ist, das Fluide unserer Welt, eben auch des Wissens, zu kodieren, wird es auf Stabilisierung des Wissens in Zeit- und Kontextschichten hin getrimmt. Der Geschichtswissenschaft kann das nur recht sein, es arbeitet ihr in die Hände. Die Kunst der digitalen Geschichtswissenschaft besteht darin, das Fluide des Web wegen seiner Eigenschaft, unsere Kultur zu kodieren, nicht zu konterkarieren, sondern mit dem Anspruch der Stabilisierung von Zeit- und Kontextschichten zu verknüpfen. Dreh- und Angelpunkt der ganzen Sache ist der individuelle Nutzer. Ein perfektes Semantic Web würde, angestoßen durch die Frage eines Nutzers oder einer Nutzerin, semantisch verknüpfte Antworten analog zu einer Seite wie pastperfect.at zur Verfügung stellen. Was derzeit also nur von einem Team relativ aufwändig und mit einigem Finanzierungsbedarf wie bei pastperfect.at geleistet werden kann, würde in dieser Vision automatisiert passieren.

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VI „Geschichte lernen“ mit digitalen Medien

Jede Auseinandersetzung mit dem Thema E-Learning in einem geistes- und kulturwissenschaftlichen Fach wie „der“ Geschichtswissenschaft muss jederzeit im Blick behalten, dass wir es mit einem Fach zu tun haben, in dem methodisch fundierte, geregelte und angeleitete Kreativität eine zentrale Rolle spielt. Wissenschaft ohne Kreativität ist überhaupt nicht denkbar, das heißt, dass jedes Studienangebot auch danach trachten muss, wissenschaftliche Kreativität zu fördern, zu befördern, und dieser den nötigen Wirkungsraum zu geben. Das ist eigentlich ganz banal, gilt sicher für jedes wissenschaftliche Fach, vielleicht in besonderer Weise für die Geistes- und Kulturwissenschaften, weil diese es nicht mit Gesetzmäßigkeiten, wie die Naturwissenschaften immerhin teilweise, zu tun haben, sondern mit einer Vielzahl von Kontexten und Konstellationen, in denen Kontingenz eine eminent wichtige Rolle spielt. Ob man wissenschaftliche Kreativität „lernen“ kann, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls muss sie gefördert und ausgebildet werden, sie muss ihre Entfaltungsmöglichkeiten haben, sie muss sich im wissenschaftlichen Studium beweisen können dürfen. Im Grundsatz gelten diese Feststellungen nicht nur für ein Geschichtestudium im engeren Sinn, sondern überhaupt für das Lernen von Geschichte durch wen auch immer. 79

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Die oben angesprochene notwendige Grundlegung wissenschaftlicher Kreativität durch die Methoden, durch Deskriptorensprachen, die jedes Fach ausgebildet hat und weiter ausbildet, hilft dem Einzelnen auf dem Weg zu wissenschaftlicher Erkenntnis, sie hilft ihm bei der Erzeugung wissenschaftlichen Wissens, sie macht Kreativität zum Movens des wissenschaftlichen Prozesses – in einem transparenten Vorgang. E-Learning, das die wissenschaftliche Kreativität nicht fördert, sondern einschränkt oder in oktroyierten Normierungsprozessen sterben lässt, verdient nicht den Namen „Lernen“ – jedenfalls nicht im wissenschaftlichen Kontext –, und nur um den soll es hier gehen. Um es anders auszudrücken und um den vielen Definitionen von E-Learning eine Variante hinzuzufügen: E-Learning bedeutet im Kontext eines geistes- und kulturwissenschaftlichen bzw. genauer eines historisch-kulturwissenschaftlichen Studiums die Förderung und Ausbildung der wissenschaftlichen Kreativität mittels elektronischer Medien, Tools und Methoden. Wissenschaftliche Kreativität, nicht nur bei den (Berufs-) WissenschaftlerInnen, sondern auch schon bei den Lernenden, den Studierenden, hat viel mit der viel zitierten „scientific community“, also mit sozialen und institutionellen Kollektiven zu tun, aber sie stellt zu allererst eine individuelle Eigenschaft dar, deren Beförderung und Ausbildung das individuelle Lernen nicht negieren darf, sondern zentral darauf einzugehen versuchen muss. Was heißt – praxisbezogen – in diesem Kontext E-Learning? Antwort: alles, was an elektronischen Medien, Tools und Methoden der wissenschaftlichen Kreativität zugutekommt. Ausbildung und Förderung wissenschaftlicher Kreativität bedarf einer selbstreflexiven Herangehensweise. Das Führen eines wissenschaftlichen Journals, in dem die eigenen Schritte, 80

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Fortschritte, Rückschritte, Zögerlichkeiten, Verunsicherungen, Blockaden, Frust oder Entdeckerfreude selbstkritisch reflektiert werden, hat sich in diesem Zusammenhang bewährt.48 Dieses Journal als Blog zu führen, ermöglicht es den Lehrenden, die Studentin oder den Studenten regelmäßig (vor allem natürlich in den Vorlesungsmonaten) und einigermaßen kontinuierlich durch die elektronische Kommentierung der Einträge zu unterstützen. Der vom Lehrenden leistbare Aufwand richtet sich gewiss nach der Zahl der Studierenden, die sie oder er in einer Lehrveranstaltung oder im Rahmen eines studienbegleitenden Mentoring betreut, aber gerade unter den Bedingungen der Massenuniversität kann dadurch die Betreuungsintensität bei überschaubarem Zeitaufwand erhöht werden. Es erhöht sich das Gefühl für die Individualität der Studierenden, der in Ausbildung befindlichen jungen (zumeist jungen jedenfalls) WissenschaftlerInnen, die Kenntnis der werdenden wissenschaftlichen Persönlichkeit und des wissenschaftlichen Potenzials. Die durch das regelmäßige Kommentieren erhöhte Feedbackfrequenz wirkt sich in aller Regel positiv auf die Studierenden und ihre Lern- und Leistungsfortschritte aus. Die Anonymität oder wenigstens relative Anonymität des Massenbetriebs wird dadurch entscheidend in ihren negativen Auswirkungen abgemildert.49 Bloggen und Kommentieren sind keine schnellen Kommunikationsinstrumente, aber anders als die bei Lernplattformen angepriesenen Möglichkeiten des synchronen und diachronen Chats fördern sie durch ihre relative Langsamkeit die Selbstreflexivität und die Unterstützung des selbstreflexiven Prozesses durch die Lehrenden. Chats oder E-Mail-Kommunikation im Rahmen von Lehrveranstaltungen sind selten so substanziell wie das Bloggen und Kommentieren. Wohlgemerkt: Es geht um Blogs als wissenschaftliches Journal! 81

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In einem handschriftlichen wissenschaftlichen Journal wird jemand vielleicht Gedanken äußern, die sie oder er im prinzipiell öffentlichen Blog eventuell nicht äußern würde. Nun ist aber Wissenschaft eine öffentliche Angelegenheit und ein im Blog dokumentierter selbstreflexiver Lernprozess, der vom Lehrenden ebenso sichtbar begleitet wird, nutzt eher einem positiven Web-Auftritt, der auch im Curriculum Vitae Erwähnung finden kann. Studierende haben eher selten Bedenken, und wenn, verlieren sich diese schnell. Nach einigen hundert Blogs von Studierenden in den letzten Jahren kann ich sagen, dass die produktive Mischung aus freiem Schreiben, das einer viel freieren Rede gleichkommt, als es im Hörsaal in der Regel erwartbar wäre, selbstreflexiven Passagen, wissenschaftlichen Abschnitten und konstruktiv-kritischen Kommentaren des Lehrenden und manchmal der KommilitonInnen eine spürbar positive Auswirkung auf die wissenschaftliche Kreativität und die Ausbildung zur WissenschaftlerIn hat. Dass das nie für hundert Prozent der Studierenden gilt und gelten wird, versteht sich von selbst. Studieren wird so auch unter Massenbedingungen wieder verbindlicher und diese Verbindlichkeit wirkt sich positiv auf das Studium aus. Neben dem Bloggen kommt digitalen Lernobjekten einige Bedeutung zu. In dem Buch „E-Learning Geschichte“50 haben wir zwischen primären, sekundären und tertiären webbasierten Lernobjekten unterschieden. Primäre webbasierte Lernobjekte sind interaktiv und vermitteln in erster Linie Methoden. Die Interaktivität fördert das Einüben grundlegender Fachmethoden auch im Selbststudium. In der Geschichtswissenschaft gibt es nicht allzu viele Lernobjekte dieser Kategorie; zu nennen sind „Geschichte online“, „Ad fontes“, die „Arabic Papyrology School“ und www.pastperfect.at.51 „Geschichte online“ vermittelt durch Erklärungen und interaktive Übungen 82

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Techniken der allgemeinen Informationsrecherche und des Bibliographierens, des Kurrentlesens, Techniken des Schreibens für bestimmte Formate (Abstract verfassen, Rezension, Hausarbeit usw.) sowie Techniken des kollaborativen Arbeitens mittels des Content-Management-Systems (CMS) „Hypertextcreator“. „Ad fontes“ führt durch ebenfalls interaktive Übungen in die Arbeit mit archivalischen Quellen ein, die „Arabic Papyrology School“ hilft mit interaktiven Übungen, Grundkenntnisse für das Arbeiten mit Papyri zu erwerben. „Pastperfect“, das sich inhaltlich mit der europäischen Geschichte im Zeitalter Kaiser Karls V. befasst, stellt im Grunde einen Sonderfall dar. Es handelt sich um einen Hypertext, d. h. die NutzerInnen müssen kreativ damit umgehen und sich selber sinnvolle „Pfade“ durch die Geschichte suchen; es gibt auch didaktische Anleitungen, aber keine interaktiven Übungen im strengen Wortsinn. Sekundäre webbasierte Lernobjekte bieten nach didaktischen Gesichtspunkten ausgewählte Inhalte zu einem bestimmten Thema oder Themenfeld an. Bestes Demonstrationsbeispiel hierfür ist die interdisziplinär angelegte Seite „DeuFraMat“ (Deutsch-französische Materialien), die auf Deutsch und Französisch zugänglich ist.52 Thema ist eine gemeinsame Betrachtung von Deutschland und Frankreich unter historischen, kulturgeographischen und vielen anderen Gesichtspunkten in einem europäischen Kontext. Die umfassenden inhaltlichen Angebote werden durch didaktische Vorschläge begleitet. Tertiäre webbasierte Lernobjekte verlangen von den HochschullehrerInnen, dass sie aus dem Webangebot eine themenspezifische Liste zusammenstellen und den Studierenden didaktische Anleitungen zur Verfügung stellen, damit diese mit dem Webmaterial zielorientiert arbeiten können.53 Hierfür 83

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eignen sich vorzugsweise historische Fachportale, Fachportale mit digitalisierten Quellen oder Kombinationen aus solchen Fachportalen, die durch verlässliche Web-Enzyklopädien oder digitalisierte Enzyklopädien wie „der Zedler“ ergänzt werden können. Historische Quellenkritik lässt sich bestens anhand solcher selbst zusammengestellter tertiärer Lernobjekte üben, zumal immer mehr sehr gute digitalisierte Primär- und Sekundärtexte im Web verfügbar sind. Die Universitätsbibliotheken gehen der Reihe nach zum digitalisierten Buch und Aufsatz über, Datenbanken für unselbständig erschienene Artikel wie „jstor“, für die die Bibliotheken Campuslizenzen erworben haben, machen es relativ leicht, das erforderliche Material aus dem Web zu schöpfen, ohne gegen irgendwelche Copyrights zu verstoßen. Wichtig ist in allen diesen Fällen, dass eine Kombination aus Präsenzlehre und Onlinephasen, also das sogenannte „Blended Learning“ durchgeführt wird. Eine Kombination mit Blogs empfiehlt sich. Hier kann auch auf einen oft wiederholten, aber falschen Einwand eingegangen werden: Es heißt, E-Learning verleite die Studierenden nur zu „copy&paste“-Verfahren. Die Erfahrung spricht dagegen, zumal auch Studierende wissen, dass mithilfe von Spezialsoftware „copy&paste“ mit geringstem Aufwand entdeckt wird. Wenn die Aufgaben didaktisch so gestellt werden, dass sie dem Gebot der Entwicklung kreativwissenschaftlicher Kompetenzen gerecht werden, ist die Gefahr des „copy&paste“ eher geringer. Das Bloggen unterstützt die Motivation zu eigenständigem Denken und Arbeiten. E-Learning sollte immer auch eine Anleitung zum kritischen Umgang mit dem Web beinhalten; diese darf aber auch ohne E-Learning inzwischen als zwingender Bestandteil einer geschichtswissenschaftlichen Ausbildung bezeichnet werden. Studierende sollten in den propädeutischen Lehrveranstal84

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tungen diesen kritischen Umgang genauso lernen wie die Handhabung einer Quellenkunde, einer Fachbibliographie oder „des Grotefend“ – den man mittlerweile ganz wunderbar mithilfe des Web erlernen kann …54 Die Verwendung webbasierter Lernobjekte ermöglicht in der Präsenzlehre die Vorführung von so etwas wie „Forschung live“. Alle Schritte, die gemacht werden müssen, um auf eine Forschungsfrage zu kommen, den Forschungsstand zu ermitteln, Recherchen und Forschungen, auch Quellenforschungen, durchzuführen, um zum Schluss zu einer begründeten Forschungsthese zu gelangen, lassen sich mittels Web „live“ im Hörsaal demonstrieren. Das gilt ganz sicher nicht für jedes Thema und ist auch „nur“ propädeutisch durchführbar, aber es geht und ist wirkungsvoll durch seine durch die Studierenden miterlebbare Anschaulichkeit. Content-Management-Systeme fördern das gemeinsame Arbeiten von Studierenden (und Lehrenden). Mit ihrer Hilfe kann gelernt werden, dass auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften niemand alleine forscht und zu Erkenntnis gelangt. Alle Erkenntnis ist relational und ohne „die Anderen“ nicht möglich. Statt zu zehnt, zwanzig, dreißig oder mehr in einem Seminar nebeneinander zu arbeiten, obwohl das Seminarthema ja für alle verbindlich ist, „zwingt“ der Einsatz eines CMS die Studierenden, die Ergebnisse der KollegInnen zur Kenntnis zu nehmen und sich in der eigenen Arbeit da­ rauf zu beziehen, indem eigene und andere Inhalte miteinander verknüpft werden. Der Hypertextcreator (i.F. = HC) – als Beispiel – stellt ein CMS und Redaktionssystem dar, das für die Belange von Forschung und Lehre in historisch-kulturwissenschaftlichen Fächern entwickelt wurde, das jedoch auch seine Feuertaufen im Schulunterricht sowie in Fächern der Humanwissenschaften 85

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erhalten hat.55 Das CMS, das inzwischen natürlich nur „eines unter vielen“ darstellt, sich aber durch seine Konzeptualisierung für die Geistes- und Kulturwissenschaften heraushebt, kombiniert folgende Erfordernisse: Funktionalität einer Datenbank; echter Hypertext; typisierte, kontextsensitive Links; hohe „usability“ (intuitiv und schnell erlernbares Redaktionssystem; kinderleichtes Einbinden von Texten, Bildern, Videos, Podcasts, aktiven externen Web-Links usw., Formatierung und Positionierung der Daten per Mausklick; Übersichtlichkeit, eingebaute Hilfen); Eigenschaften einer „social software“ (Einsatz für „work in progress“-Szenarien in Forschung und Lehre); fertiges, aber leicht veränderbares „user-interface“; das „user-interface“ reformuliert über das Design die kombinierten Logiken von Hypertext und linearer Abfolge von Inhalten bzw. linearen Narrativen; eignet sich uneingeschränkt als Form und Medium für Onlinepublikationen. Der Einsatz typisierter Links (datenbankinterne Links) bedeutet praxologisch, dass die miteinander verknüpften Inhalte (egal, ob Text, Bild, Video, Tondokument) am Bildschirm erkennbar ausgewiesen werden und im Sinne des Hypertextes potenziell unbegrenzt sind. Es handelt sich nicht um lineare Links, die nur zu einem nächsten Punkt führen, sondern um netzartige Links, die ins Netz der hundert- oder tausendfach miteinander verknüpften Inhalte führen. Sieht man den typisierten Link als Knoten im Netzwerk an, heißt dies, dass von jedem Knoten zu jedem anderen Knoten im Netz, im Hypertext zu gelangen ist, wobei die Reise nicht blind erfolgt, sondern die inhaltliche Verknüpfung als solche z. B. mittels Layer aufgeführt wird. Ein Hypertext wie Pastperfect verfügt über rund 78.000 interne Links. Der Einsatz des HC in der Forschung erweist sich im Sinne der „social software“, die „work in progress“-Prozesse 86

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unterstützen soll, als hilfreich. In den Naturwissenschaften und der Medizin ist es längst üblich, dass transnationale, wenn nicht transkontinentale Teams gebildet werden, die den Austausch von Ergebnissen auf unterschiedliche Weise organisieren. In den historischen Kulturwissenschaften steht trotz Teamstrukturen, wie sie in Forschergruppen, SFBs oder Graduiertenkollegs etc. angelegt sind, immer noch die individuelle Wissenschaftlerin, der individuelle Wissenschaftler im Vordergrund. Das geisteswissenschaftliche Werk stellt in aller Regel immer noch ein individuelles Werk dar. Dennoch ändert sich auch in den Geistes- bzw. historischen Kulturwissenschaften die Ausgangssituation des Forschens allmählich. Seit Längerem bestehen bei den meisten Fördereinrichtungen in europäischen Ländern, die wissenschaftliche Forschung finanzieren, Programme, die bi-, trioder multilaterale, auf jeden Fall transnationale Forschungsprojekte unterstützen. Dasselbe gilt ausdrücklich für die EU-Programme, insbesondere die Rahmenprogramme (derzeit 7. Rahmenprogramm), die früher fast ausschließlich die transnationalen Vernetzungskosten, heute aber auch Einzelforschungen fördern. Anträge, die vom Einsatz elektronischer Tools (damit ist nicht E-Mail gemeint!) für die Kommunikation und Vernetzung des transnationalen Teams glauben absehen zu können, haben keine guten Chancen auf Erfolg. Was bedeutet somit Forschen mit Unterstützung eines CMS wie dem HC? Es bedeutet in erster Linie die Kommunikation von Forschungsergebnissen in Echtzeit, da ein CMS von jedem Ort in der Welt aus – Internetzugang vorausgesetzt – befüllt und bedient werden kann (passwortgeschützter Zugang ist selbstverständlich). Allerdings funktioniert diese Kommunikationsform nur dann im Sinne und im Interesse von Teamforschung, wenn zunächst eine gemeinsame „Spra87

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che“ vereinbart ist. Das meint auch Sprache im Sinne von Englisch oder Deutsch oder was auch immer, in erster Linie aber auch Verständigung im Sinne einer gemeinsamen Logik, wie sie einerseits ein wissenschaftlicher Hypertext, andererseits ein wissenschaftlicher linearer und/oder sequenzieller ‚Text‘ darstellen. Der HC ermöglicht beides, auch in Kombination, übt insoweit also keinen Zwang aus, der die Kommunikation im transnationalen, jedenfalls dislozierten Team erschweren würde. Ohne Zweifel ist ein wissenschaftlicher Hypertext als Kom­ munikationssprache in einem ForscherInnenteam vorzuziehen, weil er zwingt – hier wird tatsächlich ein Zwang, aber ein begrüßenswerter, ein dankenswerter Zwang ausgeübt –, die individuellen Ergebnisse sofort in das Gesamt der Ergebnisse eines Teams einzupassen, gewissermaßen in Echtzeit. Bei diesem Verfahren wird folglich nicht am Schluss ein Buch (und sei es mit Co-AutorInnen) geschrieben oder eine Konferenz abgehalten, auf der die individuellen Forschungen vorgetragen und anschließend in einem Sammelband publiziert werden, sondern der gesamte Forschungsertrag des Teams entsteht Schritt für Schritt während der Projekt- und Forschungsphase und steht am Schluss als fertige Onlinepublikation im Netz. Das System ermöglicht im Übrigen – und selbstverständlich – jederzeit Revisionen und strukturelle Veränderungen (Letztere einfach per „Draw and drop“-Verfahren). Das Echtzeitoder Quasi-Echtzeitverfahren führt auch bei translokalen, transnationalen oder transkontinentalen Teams dazu, dass die Forschungsergebnisse der anderen sehr schnell für die eigenen Forschungsaufgaben rezipiert und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für diesen Eigenanteil ausgewertet werden können. Dass dies zu einer starken qualitativen Verbesserung des Forschungsoutputs führt, steht außer Frage – sofern das Team 88

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die erforderliche Disziplin aufbringt, im Echtzeitverfahren zu kommunizieren. Das nämlich zu entscheiden, nimmt das System den Menschen nicht ab. Der Einsatz des HC in der Lehre unterscheidet sich im Grundsatz nicht von der Forschungssituation. Die Studierenden eines Seminars (oder seminarähnlichen Lehrveranstaltung), das üblicherweise unter einem Dachthema steht, in das sich die eventuellen Einzelthemen der Studierenden einfügen, werden als Team begriffen und müssen entsprechend mittels des Einsatzes des CMS zusammenarbeiten. Es wird exakt die Arbeits- und Kommunikationssituation eines Forschungsteams simuliert. Der Unterschied besteht in der Regel in der Qualität des Ergebnisses. In einer Lehrveranstaltung, in der das Teamwork per CMS geübt werden soll, ist der Weg ein wichtiges Ziel, und, je nach Umständen und Gruppe, manchmal das Hauptziel. Aber es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass am Ende eine wirklich präsentable Website steht. Die Offenheit des HC für die sequenzielle Anordnung von Inhalten, die gleichwohl miteinander vernetzt werden, ermöglicht unterschiedliche Schwierigkeitsgrade des Teamworks. Es ist denkbar, dass Studierende im Grunde ganz klassisch individuell arbeiten. Da sie Teilthemen eines Dach­ themas bearbeiten, erfolgt die inhaltliche Vernetzung mittels des CMS. Die Vernetzung müssen die Studierenden freilich selber umsetzen, das geht über das traditionelle individuelle Referat weit hinaus. Genauso gut, aber dies ist aufwändiger, kann von Beginn an gemeinsam an der Datenbank gearbeitet werden, mit denselben Erfordernissen und Effekten wie in einem echten Forschungsteam.56 Zu guter Letzt können x-beliebige wissenschaftliche Texte, Quellen, Bilder usw. mittels des CMS online publiziert werden. Dies bedeutet, dass rein sequenzielle Texte in informa89

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tionelle Einheiten zu splitten sind, die dann untereinander inhaltlich vernetzt werden. Die üblichen Vorteile einer Onlinepublikation greifen selbstverständlich auch (Intermedialität, erleichterte Interdisziplinarität usw.). Nachdem immer mehr Universitäten/Universitätsbibliotheken dazu übergehen, beispielsweise Magister- oder Diplomarbeiten online zu stellen, zumeist als PDF, empfiehlt sich der HC als alternative Lösung. Entweder wird die Arbeit sogleich im CMS „geschrieben“ oder aber, wenn für die akademische Prüfung das klassische Schriftformat verlangt wird, anschließend, indem die Dateien entsprechend aufbereitet werden. Dies erbringt einen echten Mehrwert. Der Einsatz eines CMS fördert das Gespür dafür, dass sich Wissenschaft immer im Rahmen einer „scientific community“ und in der Regel auch interdisziplinär entfaltet, außerdem lehrt es Teamgeist und -fertigkeit, ohne deren Nachweis Bewerbungen auch im Wissenschaftsbereich nahezu aussichtslos werden.

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VII Forschen unter Zuhilfenahme digitaler Arbeitstechniken

Geisteswissenschaftlicher Forschung eignet nach wie vor der Charakter eines stark individuell geprägten Tuns, es verändert sich aber unter dem Druck vieler zusätzlicher Aufgaben, die die Zeit geradezu auffressen. EDV und Web erbrachten eine Vervielfachung von Informationssammlung und -bereitstellung. Bei den meisten Dateneingaben, die innerhalb ein und derselben Institution, z. B. der Universität, verlangt werden, würde es ausreichen, sie nur einmal an einer Stelle einzugeben. Alle anderen könnten über Schnittstellen abrufen, was sie brauchen. Der Alltag sieht meistens so aus, dass dasselbe drei-, viermal oder öfters als Eingabe in die jeweilige Datenbank verlangt wird. Dazu kommen ungezählte Berichts- und Dokumentationspflichten; gewiss, es werden damit Datenbanken gespeist, die nicht nur Daten zur Kontrolle der WissenschaftlerInnen generieren, sondern gelegentlich auch Nützliches ausspucken, aber die Vervielfachung dieser Datenbanken entwertet sie zugleich, da ihre Nutzanwendung wegen der großen Menge auf ein Minimum reduziert wird, das den Möglichkeiten der verwendeten Software in der Regel Hohn spricht. (Zeit-)Ressourcen- und Intelligenzverschwendung hat zugenommen, da die mit EDV und digitalen Anwendungen bzw. Arbeitstechniken verbundene theoretisch zeitsparende Geschwindigkeit als ein „schnell mal dies, schnell mal das machen (müssen)“ missverstanden wird. Mit den elektronisch er91

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stellten und verbreiteten Informationen wird schlampig umgegangen. Ordnungs- und Archivierungssysteme, die selbst kommerzielle PC-Software zur Verfügung stellen, werden wenig genutzt. Lieber werden Daten doppelt, dreifach, vierfach neuerlich erfragt, wenn geglaubt wird, diese seien jetzt erforderlich. Niemand hat Zeit, alle Kryptorealisierungen im Inter- bzw. Intranet zu konsultieren, die aus ephemeren Anlässen erstellt wurden, geschweige denn Gutes daraus zu ziehen. Weniger wäre sehr oft mehr; weniger, aber besser durchdacht und gründlicher angewendet, wäre ebenfalls mehr. Der Zeitvorteil, den EDV, Internet/Intranet und Web erbringen könnten, wird durch einen unkoordinierten und unreflektierten Umgang mit den Potenzialen nicht nur wettgemacht, sondern in einen Zeitnachteil umgewandelt. Somit stellt sich die Frage, ob jene Potenziale die Wissenschaften im Allgemeinen und die Geschichtswissenschaft im Besonderen besser oder doch eher schlechter gemacht haben oder von den Auswirkungen her letztlich neutral geblieben sind? So etwas ist schwer zu messen, zumal die digitalen Messverfahren, die für Zitationsrankings etc. entwickelt wurden, für die sogenannten Buchwissenschaften noch zu unvollkommen sind. Einige Tendenzen zeichnen sich gleichwohl ab. Nicht nur Missverständnisse über EDV und Web kosten Zeit, die sonst für Forschung eingesetzt werden könnte, sondern auch allgemeine Lebensumstände. Immer mehr Studierende müssen neben dem Studium mehr als nur jobben, je nach Ausbildungsgang sind Auslandsaufenthalte und -praktika zu absolvieren, die „unter den Bedingungen von Bolog­na“ wiederum nur mit erhöhtem Verwaltungsaufwand in das Studium integriert und voll angerechnet werden können. Der Zeitdruck ist besonders hoch bei Studierenden, die bereits ein Studium abgeschlossen haben und beispielsweise 92

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einen internationalen Master draufsetzen. Sie müssen teilweise die Studiengebühren selber verdienen, alle erforderlichen Veranstaltungen und Prüfungen absolvieren, Praktika und Auslandstätigkeiten durchführen und schließlich auch noch eine Abschlussarbeit von einigem Umfang schreiben. Hier ist es der schiere Druck, der zu optimierten Verfahren der Web- und Internetnutzung führt. Ich habe schon Seminararbeiten und „Master Theses“ zur Beurteilung vorliegen gehabt, die praktisch komplett mit Materialien aus dem Web und Internet (unter genauer Angabe der konsultierten Seiten) bestritten worden sind – und gut oder sogar sehr gut gelungen waren. Natürlich versagen solche Strategien auf Dissertationsniveau und bei anderen umfänglichen Forschungsaufgaben, aber die „Felder“, in denen der objektive Vorteil von Web und Internet es erlaubt, Arbeits- und Zeitdruck, die aus den Begleitumständen resultieren, aufzufangen, existieren. Die digitale Geschichtswissenschaft würde hier in Zukunft für eine systematische Erweiterung solcher „Felder“ sorgen müssen. Eine „Master Thesis“ berührt zweifellos in der Regel Forschung, aber sie stellt keine zentrale Säule von Forschung dar. Geschichtswissenschaftliche Forschung beruht auf der systematischen und entweder vollständigen oder, wenn die Quellenmasse zu groß ist, repräsentativen Auswertung der erforderlichen Primärquellen. Vor allem gedruckte Primärquellen werden in immer größerem Umfang digitalisiert, aber eine ebenso umfängliche Digitalisierung aller Archivbestände würde durch keine Kosten-Nutzen-Rechnung zu rechtfertigen sein. So sehr die Forschung in den letzten vierzig Jahren beispielsweise von der umfassenden Nutzung von Gerichtsarchiven profitiert hat – Millionen von Gerichtsakten und -prozessen seit dem Spätmittelalter sind in den europäischen Archiven überliefert –, so wenig ließe sich darauf die Forde93

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rung stützen, man müsse alle historischen Gerichtsakten digitalisieren und im Web zur Verfügung stellen. Es geht weniger um die Masse der Akten als um die Tatsache, dass sie massenhaft – bei Gerichtsakten sind es zumeist die der unteren und mittleren Gerichtsebenen – ungeordnet und unerschlossen sind. Die Forderung nach einer Automatisierung semantischer Verknüpfungen für die digitale Geschichtswissenschaft würde sofort wieder unterlaufen. Da vom Ist-Zustand auszugehen ist, kann nur festgestellt werden, dass systematische Forschung, wie die Geschichtswissenschaft sie braucht, auf der Grundlage des Web kaum durchzuführen ist, sofern nicht das Web selber den Forschungsgegenstand darstellt. Das Problem von geschichtswissenschaftlicher Forschung und Web fächert sich in drei Perspektiven auf: (1) Forschen durch Nutzung kollaborativer digitaler Arbeitstechniken; (2) Forschung auf der Grundlage von Websites; (3) Entwicklung des Web für die Geschichtswissenschaft. (1) Forschen durch Nutzung kollaborativer digitaler Arbeitstechniken: Trotz des Individualismus im geisteswissenschaftlichen Arbeiten stellt das wissenschaftliche Kommunizieren über Publikationen und mittels Korrespondenz eine Art von Teamarbeit dar, die sich etablierte, als es noch keine Internetkommunikation gab und andere Kommunikationsverfahren wie per Telefon als geradezu mindermächtig einzustufen waren. Wissenschaftliches Kommunizieren und kollaboratives Arbeiten mittels digitaler Techniken richtet sich an kleinere Gemeinschaften, die bis zu einem gewissen Grad an die Funktionsstelle des individuellen Forschers treten, ohne diesen zu ersetzen. Teamarbeit erstreckt sich auf viele Ebenen. Lassen wir Dinge wie einen gemeinsamen workspace auf einem Ser94

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ver, wo gemeinsame Texte geschrieben und redigiert werden können, aber auch anderes getan werden kann, beiseite; lassen wir das Bloggen und kommentieren von Blogeinträgen beiseite; lassen wir Kommunikationsplattformen und Informationsdienste, die man abonnieren kann (per Mailzusendung oder RSS) wie H-net, beiseite – sondern konzentrieren wir uns auf die gemeinsame Erstellung eines Hypertextes wie ihn pastperfect modellhaft vor Augen stellt. Geschichtswissenschaftliche Hypertexte sind eine adäquate Arbeits- und Darstellungsform für komplexe historische Themen. Gearbeitet wird mithilfe einer Datenbank, eines Content-Management-Systems, das mit multidirektionalen typisierten Links arbeitet und das als keineswegs beiläufigen Zusatzeffekt die individuelle Forschung der einzelnen MitarbeiterInnen verbessert. Die Verwendung multidirektionaler typisierter Links zwingt dazu, die in die Datenbank eingepflegten (Forschungs-)Ergebnisse der anderen in die eigene Arbeit zu integrieren, das heißt sich damit multidirektional und typisiert zu verlinken. Zugleich werden Dopplungen vermieden, es wird ökonomisch gearbeitet, insoweit wissenschaftliche Fragen und Probleme, die alle oder mehrere MitarbeiterInnen betreffen, als solche unmittelbar visualisiert werden. Die Visualisierung der Ergebnisse in der Website, die das CMS generiert, offenbart sofort, wo Lücken bestehen und objektiv bestehende Verbindungen nicht durch multidirektionale typisierte Links abgebildet wurden. Der Bildschirm verzeiht keine Qualitätsmängel. Was nicht konsequent durchdacht und durchgearbeitet wurde, wird durch die Visualisierung in der Website als Schwäche offenkundig. Was uns erneut auf den schon erörterten Sachverhalt von Ästhetik und Genuss zurückführt. Dass pastperfect.at bisher ein einzigartiges Unterfangen geblieben ist, zeigt an, inwieweit digitale 95

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Geschichtswissenschaft im Moment noch eine Zukunftsperspektive bedeutet. Andere Möglichkeiten des digitalen Zusammenarbeitens sollen nicht unter den Teppich gekehrt werden. So arbeitet etwa die finnische Historikerin Riitta Oittinnen an einem Projekt zur Visualisierung Europas, in dem sie selber in über 40 Ländern über 1.000 Fotos ihrer visuellen Primärquellen hergestellt hat, zugleich arbeitet ihr eine europäische community zu, die sie „a multinational group of volunteer eurosignspotters“ nennt, und diese Zusammenarbeit bedient sich des Web.57 Gerade die Arbeit mit visuellen oder ikonographischen Quellen wird natürlich durch digitale Techniken enorm erleichtert und beschleunigt, ohne diese wären Themen wie das hier fragliche kaum oder womöglich gar nicht realistisch in Angriff zu nehmen. In der digitalen Geschichtswissenschaft kann folglich in Bezug auf Forschungsthemen in bisher nicht denkbare Dimensionen vorgestoßen werden. „Bisher nicht denkbar“ bedeutet „nur“, dass quantitativ besonders umfangreiche Forschungen nicht mehr ein ganzes GelehrtInnenleben okkupieren müssen, sondern in sehr viel kürzerer Zeit mit gleichzeitiger Rezeptionsmöglichkeit durch nicht beteiligte Dritte durchgeführt werden können. Man denke etwa an den böhmisch-jüdischen Spross eine Industriellenfamilie Max von Portheim, der 1857 in Prag geboren wurde, 1893 nach Wien kam und dort 1937 starb, und seine – allein von ihm selber erstellten! – rund 500.000 Zettel, auf denen er 350.000 Personen und anderes aus der Epoche und Umgebung Kaiser Josephs II. sammelte. Es hat ziemliche Mühen bedeutet, diesen unschätzbaren Bestand auch nur annähernd einer Nutzung zugänglich zu machen. Die Städtischen Sammlungen Wiens kauften 1937 diesen „Zettelkatalog“, die Bibliothek (20.000 Bände) und die über 1.000 Porträtstiche und Grafiken. Erst 96

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die Erstellung von Microfiches machte den Personenkatalog „bequem“ und ohne Gefahr für das Original benutzbar, während der Sachkatalog erst relativ rezent gescannt wurde und online zur Verfügung steht.58 Würde Max von Portheim heute leben, würde er das Ganze wohl digital bewerkstelligen und sich einer community zur freiwilligen Zusammenarbeit versichern können. (2) Forschung auf der Grundlage von Websites: Wann immer ein bestimmter Quellenbestand durch Digitalisierung systematisch erschlossen und über eine Website zugänglich gemacht wird, ist Forschung möglich. So kann man sagen, dass etwa der Bestand an Film(ch)en zur Bewerbung des Marshallplans auf der Website des Deutschen Historischen Museums diesen Kriterien genügt.59 Bestimmte Quellentypen wie historische Karten haben schon vor vielen Jahren Sammler, Bibliotheken, Archive und ForscherInnen so sehr fasziniert, dass die Motivation, genau solche Quellen massenhaft zu digitalisieren, sehr hoch war. Mit Geduld und Geschick kann man sich für eine Reihe von Forschungsthemen die erforderliche Primärquellenbasis, die quellenkritischen Ansprüchen genügt, im WWW zusammensuchen. Das sind zwei Beispiele statt sehr vieler. Zwischen dem WWW als Primärquellenpipeline einerseits und digitalem „jstor“ (für: journal storage) oder „book store“, also Sekundärquellenpipeline, lassen sich im Rahmen einer digitalen Geschichtswissenschaft weitere Anwendungen skizzieren. Ich greife hier nochmals auf ein eigenes Projekt zurück, die Website „Europaquellen“.60 Dabei geht es um Quellen des 17. Jahrhunderts, die für Studien über Europaideen, -begriffe und -vorstellungen im 17. Jahrhundert herangezogen werden können. Forschungsgeschichtlich verortete sich das 2004 ab97

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geschlossene Projekt in der Beobachtung, dass frühneuzeitliche Europabegriffe etc. in der Geschichtswissenschaft zwar schon lange auf einige Neugierde stießen, die Darstellungen sich aber eines sehr eingeschränkten Quellenkorpus bedienten, das kaum erweitert wurde. Die ‚Datenbank‘61 erschließt über Quellenautopsien über hundert Drucke und ikonographische Quellen aus verschiedenen europäischen Ländern und aus verschiedenen Genres (Geschichte, Politik, Pam­ phletistik, Libretto usw.). Jede Autopsie folgt derselben Gliederung und untersucht die Quelle längs einer vorher erstellten Liste von Schlüsselwörtern und inhaltlichen Betreffen. In einem Begleitbuch62 haben wir, das Projektteam, exemplarisch aufgezeigt, wie mit einer solchen Quellen-Website Forschung realisiert werden kann. Eine Steigerung solcher Angebote würde eine optimale Vorbereitung von Forschungsprojekten ermöglichen. Beobachtbar sind Hybride im Web. Am Beispiel der Edition der Werke von Leibniz lässt sich studieren, wie dies aussehen kann. Da kritische Editionen lange brauchen, bis sie als Druckwerk verfügbar sind, wird in diesem Fall der Zwischenstand bereits im Web zur Verfügung gestellt, ohne dass deshalb auf den schlussendlichen Druck verzichtet würde. Das Risiko bei der Benützung besteht in der bis zur Drucklegung nicht endgültigen Quellenkritik.63 (3) Entwicklung des Web für die Geschichtswissenschaft: Auch wenn das Projekt „Europaquellen“ für sich stehen kann, so repräsentiert es zugleich einen Prototyp, der als Zwischenebene zwischen Primär- und Sekundärquellendigitalisaten der Nachahmung harrt, um das Web gezielt forschungsgerecht auszugestalten. Als vergleichbares Anwendungsfeld können lexikologische Forschungen angesehen 98

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werden, insbesondere solche, die auf die semantischen Felder und Umfelder („Wortfelder“) der Lemmata abheben und Begriffsgeschichte im Sinne des seinerzeit von Rolf Reichardt initiierten „Handbuchs politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich, 1680 bis 1820“ (HPSG), das noch nicht vollständig erschienen ist, betreiben.64 In den 1960er-Jahren war mit lexikometrischen Untersuchungen etwa am Wortschatz von Rousseau begonnen worden, seinerzeit noch unter Verwendung von Lochstreifenkarten. Wortfeldforschung, die auch Häufigkeitsfrequenzen erfasst, stellt ein äußerst komplexes Unterfangen dar, ließe sich aber sehr gut visualisieren. Das HPSG wäre geradezu ideal als raffinierter Hypertext im Web vorstellbar, in dem einerseits durch die multidirektionalen und typisierten Links die Wortfelder der Schlüsselwörter (nicht nur) der Französischen Revolution „qualitativ“ dargestellt und durch animierte Visualisierungen der Worthäufigkeiten untermauert würden. Ohne hier mit vor allem technischen Details zu langweilen, wie das im Einzelnen vor sich gehen könnte bzw. würde, sehe ich im Zuge der Entwicklung des Web für die Geschichtswissenschaft, auf dem Weg zur digitalen Geschichtswissenschaft, als weitere Säule die Transponierung oder „Übersetzung“ serieller, lexikometrischer, sozial- und wirtschaftsgeschichtlich-statistischer Forschungen in dynamische und animierte Websites. Als Beispiel diene der von Andreas Kunz geschaffene Kartenserver am Institut für Europäische Geschichte Mainz, der u.a. die „Serie A-K“ (steht für: animierte Karten) enthält. Klickt man beispielsweise die Karte 107 an,65 so baut sich am Bildschirm nach und nach das deutsche Eisenbahnnetz von 1835 bis 1885 auf. Die animierte Visualisierung eines solchen infrastrukturellen Vernetzungsprozesses innerhalb eines halben Jahrhunderts ist wesentlich aussagekräftiger als lediglich eine Beschreibung 99

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per Text oder durch statische Karten (die der Server natürlich zur Verfügung stellt). Die oben gestellte Frage, ob das Web zu besserer (geschichtswissenschaftlicher) Forschung geführt hat oder führt, ist ja schwer zu beantworten. Wichtigstes Messkriterium wäre das, was die eigentliche Stärke des Web ausmacht: seine Multimedialität und sein daran geknüpftes Potenzial, transdiszi­ plinäres Arbeiten zu fördern. Ich möchte hier das Beispiel eines Studenten (Georg Winkler) nennen, der im Rahmen einer methodisch orientierten Lehrveranstaltung zu „bildlichen und dinglichen Quellen“, die ich im Sommersemester 2008 durchführte, seine Semesterarbeit nicht nur wie die anderen TeilnehmerInnen in dem CMS Hypertextcreator ablieferte,66 sondern als Video realisierte, in dem er eigene künstlerische und musikalische Kompetenzen und Ambitionen mit Methoden wie Interview, Aufsuchen von Orten in Wien mit Europabezug und anderes mehr verknüpfte. Das Video kann man sich ansehen und selber urteilen.67 Was sich an einigen Beispielen wie dem fluid wirkenden Hypertext pastperfect.at, dem fluiden Video des Studenten Georg Winkler oder Andreas Kunzes animierten Karten abzeichnet – um nur drei Prototypen zu nennen –, sind geschichtswissenschaftliche Websites, die die Statik vieler Seiten hinter sich lassen und die heutige Sensibilität für das Fluide in den Dingen, die die Geschichtswissenschaft untersucht, mittels fluider Websites aufgreift und dieser Sensibilität den adäquaten, nur digital erreichbaren Ausdruck gibt – ohne die oben diskutierte Zeit- und Kontextschichtenstabilisierung des verwendeten Materials außer Acht zu lassen. Die Tatsache, dass das Web mit seinen multimedialen Angeboten transdisziplinäres Arbeiten erleichtert, bedeutet nicht automatisch, dass dies geschieht. Es bedarf der ent100

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sprechenden Kompetenz, die entweder mitgebracht werden muss oder erst zu erlernen ist. In der digitalen Geschichtswissenschaft kann dies unterstützt werden, indem „Tutorials“ für das transdisziplinäre Arbeiten nicht nur, aber zunächst einmal an unterschiedlichsten Quellentypen integriert werden. Film und Foto als historische Quelle bedürfen einer eigenen quellenkritischen Schulung ebenso wie kunsthistorische oder architekturgeschichtliche Quellen, Urkunden, Notariatsakte des 16. Jahrhunderts oder Meldezettel des 20. Jahrhunderts usw. Auf einer anderen Ebene ist die Frage der Sprachkompetenzen anzusiedeln. Das Web eröffnet eine Quellenbreite, die es leicht macht, im Sinne der Methode des Vergleichs, im Sinne der Erforschung von Transfers oder im Sinne der Erforschung transregionaler Prozesse (Europäisierung, Globalisierung etc.) Grenzen zu überschreiten, die früher wegen der erforderlichen Reisen und der damit verbundenen Kosten und der Zeit unüberwindlich sein konnten und thematische Beschränkungen erzwangen, die allein durch die Arbeitssituation, aber nicht durch die Sache, das Thema, begründbar waren. Das nutzt jedoch nichts, wenn nicht eine entsprechende Sprachkompetenz vorliegt bzw. diese individuelle Kompetenz durch Mehrsprachigkeit der Seite ausgeglichen wird. Da dies teuer und zeitaufwändig ist, vermögen das nur durchfinanzierte Projekte wie im Fall der schon mehrfach genannten Seiten der World Digital Library (UNESCO) oder von „europeana“. WDL liefert von Fachleuten erstellte Videotutorials zu den „Quellen“ („items“ in WDL genannt); dies kann schon als idealtypisch bezeichnet werden. Unter solchermaßen optimalen und weitläufig standardi­ sierten Bedingungen würde die Chance zur Transdisziplinarität und zur Nutzung der ganzen Bandbreite von Primärquellen tatsächlich genutzt werden können. 101

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Geschichtswissenschaftliches Arbeiten wäre dann tatsächlich ein anderes, von anderer Qualität, die zudem schneller in den Kreislauf von Forschung, Rezeption und Forschung eingespeist werden könnte.

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VIII Digitales Erzählen

Wichtig ist die Frage, wie sich Schwerpunktsetzungen in der Geschichtswissenschaft entwickeln und welche Rolle darin eine „von Geburt an“ digitale Geschichtswissenschaft spielt. Im Zusammenhang der digitalen Medienrevolution war bereits auf neue Zugänge zur Geschichte verwiesen worden, die sich auf die Erforschung von Vernetzungsprozessen und Kohärenzbildungen beziehen. Darauf ist zurückzukommen, denn die Frage lautet, wie ich solche historische Phänomene darstelle, für die Darlegungen von Kausalitätsketten und ­linearen bzw. sequenziellen Verbindungen allein nicht ausreichen. Wie „erzähle“ ich Geschichte oder geschichtliche Phänomene, die eine Netzwerknatur besitzen? Oder wie „erzähle“ ich Geschichte, wenn ich sie grundsätzlich als Netzphänomen betrachte? Wie erzähle ich das Fluide, das sich so schnell ändert, dass ich kaum dauerhafte Ergebnisse festhalten kann – wo sich die Geschichtswissenschaft bisher doch besonders mit der Analyse dauerhafter Ergebnisse befasst und die sie in Entwicklungsresultat- und Epochenbegriffen wie Modernisierung oder Sattelzeit niedergelegt hat? Hypertexte bieten sich als adäquates Medium hierfür an, und diese lassen sich trotz der Möglichkeiten, die Remediationen eröffnen, eigentlich nur mithilfe des digitalen Mediums Web, nicht aber mithilfe der historischen Monographie realisieren. „Digitale Geschichtswissenschaft“ vermag hier etwas, was die traditionelle Geschichtswissenschaft nur höchst unvollkommen 103

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oder vielleicht gar nicht vermag. Im Hypertext lassen die sich schnell verändernden Kontexte, Zeitschichten etc. gleichzeitig darstellen. Hiervor stehen freilich die Verlockungen der digitalen Welt und ihrer technischen Möglichkeiten als „Hindernis“. Geschichte miterlebbar und nachvollziehbar machen – dieses Ziel verfolgen schon seit Jahren bestimmte CD-Roms bzw. DVDs für den Schulunterricht. Dabei wird versucht, Geschichte in Anlehnung an den Film wie ein wirkliches Geschehen zu erzählen, in das die Schülerinnen und Schüler oder andere aktiv eingreifen können. Ein bisschen, als würden sie mithilfe einer Zeitmaschine in eine frühere Zeit gelangen und dort sich einmischen können. Theoretisch werden damit die Nachteile einer monographischen Erzählung, wie sie in der Geschichtswissenschaft gang und gäbe ist, ausgeglichen. Außerdem sind Kino- und Fernsehfilme, die ihre HeldInnen mittels dieser oder jener Zeitmaschine oder Zeitsprüngen wie in „Star Trek“68 in eine andere Zeit katapultieren, wo sie dann den Lauf der Geschichte oder die Zukunft ändern, sehr populär. Gegen diese Art der digitalen Geschichtsvermittlung, jedenfalls soweit es sich um Lehr- und Lernprodukte für die Schule handelt, kann viel eingewandt werden. Das digitale Nachbauen, Nachschneidern und Nachstellen von Geschichte kann Fehler enthalten, die, selbst wenn sie sich nur auf kleine Details erstrecken, einigen Schaden anrichten können, da es sich um animierte Bilder handelt, die viel eher im Gedächtnis haften bleiben als Primärquellentexte, die im Unterricht gelesen und interpretiert werden. Natürlich stehen solche Gegenargumente auf wackligen Beinen, denn auch eine monographische Erzählung oder analytische Darstellung von Geschichte ruft in der Vorstellung Bilder hervor, die vielleicht 104

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noch weniger „stimmen“ als die eines digitalen Besuchs in einer spätmittelalterlichen Stadt (gängige DVD69). Die schulischen „explorativen Lernprogramme“ im Fach Geschichte lassen sich sehr gut didaktisch begründen, zumal in Bezug auf bestimmte Altersklassen nur so ein echtes Inte­ resse an Geschichte geweckt werden kann. Museumspädagogische Konzepte docken daran unter Umständen an, indem sie Touchscreens oder ebenfalls digitale animierte Darstellungen zu historischen Kontexten anbieten. Ist an diesen Angeboten Geschichtswissenschaft ohnehin beteiligt, so könnte die digitale Geschichtswissenschaft dennoch einen spezielleren Weg beschreiten, nämlich einen historisch-semiotischen Weg, der die „Gefahr“, „unrichtige“ Bilder von Geschichte zu konstruieren, minimiert. Wenn wir beim Beispiel der Stadt bleiben, so tragen viele Städte ihre Geschichtlichkeit deutlich vor sich her, verschiedenste Zeitschichten sind für das bloße, wenn auch geübte Auge gut erkennbar, es ist reizvoll, auf der Grundlage vorhandener Quellen, vor allem ikonographischer und autobiographischer Quellen, Orte gewissermaßen hologrammähnlich vor dem inneren Auge dort wiedererstehen zu lassen, wo sich heute etwas ganz anderes befindet. Aber verhalten wir bei dem Sichtbaren, bei den Zeichen der Stadt, die auch ihr Bewusstsein und ihren unverwechselbaren Charakter ausmachen. Sie sind Zeichen unterschiedlicher Zeitschichten, unterschiedlicher Stile, unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher sozialer Verhältnisse etc. Manchmal finden sich in einem Umkreis von wenigen hundert Metern Zeichen von der Antike bis heute. Isoliert man die einer Zeit- und Kultur- oder Kontextschicht zugehörigen Zeichen, entsteht diese als ursprünglicher Kontext, der durch seine materielle Zeichenhaftigkeit in unserer Gegenwart präsent ist. Die Zeichen sind mit anderen 105

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Epochen als denen ihres Ursprungs verwoben, weil verändert, renoviert oder restauriert wurde. Und setzt man wieder alles zusammen, entsteht ein komplexes Netz oder Gewebe von Zeichen, das nichts anderes darstellt als einen zeichenhaften Hypertext der Geschichte. Dies wiederum ist verwoben mit künstlerischen und literarischen Verarbeitungen der Zeichen der Stadt,70 die auf unsere Wahrnehmung zurückwirken – direkt, wenn wir sie kennen, indirekt und vermittelt über andere Kanäle, wenn wir sie nicht selber rezipiert haben. Genau genommen bietet sich uns Geschichte so und nur so dar. Alle Überlieferung ist materiell und enthält darüber hinaus Erinnerung an materiell Verlorenes – wie die antike Bibliothek von Alexandria – gewissermaßen als Hologramme. Alle materielle Überlieferung ruft einerseits durch ihren zeitlichen Ursprung ihren ehemaligen Kontext auf und ist zugleich in unsere Gegenwart durch ihren Aufbewahrungs- oder Standort eingewoben, außerdem war sie zumeist allerlei Modifizierungen unterworfen, die jene zwischen Entstehung und Heute liegenden Zeitschichten und Kontexte ansprechen. Eine Handschrift mag irgendwann neu eingebunden, wenn nicht gar „ergänzt“, ein Druckstück einer Sammlung einverleibt worden sein, für die es ursprünglich nicht bestimmt war; eine Archivalie wurde aus ihrem anfänglichen institutionellen Zusammenhang herausgenommen und nach dem Prinzip des örtlichen Betreffs in ein am betreffenden Ort befindliches Archiv überführt. Etwas anderes wurde während eines Krieges geraubt und nicht restituiert und befindet sich nun in einer Umgebung, die z. B. im 19. oder 20. Jahrhundert geschaffen wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde allenthalben in Europa Geschichtliches aus verschiedenen Epochen gleichzeitig vergegenwärtigt. Was uns heute der Bildschirm 106

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ist, auf dem wir, wenn wir eine entsprechende Website gefunden haben, uns Artefakte und ihre Kontexte aus zehntausend Jahren gleichzeitig vergegenwärtigen lassen können, wie in der World Digital Library, war den Bürgern des 19. Jahrhunderts beispielsweise die Ringstraße in Wien. Allein das kurze Stück, an dem Parlament, Rathaus und Universität liegen, vergegenwärtigt Geschichte aus der griechischen Antike, dem gotischen Mittelalter und der Renaissance, wenn nur die simulierten Baustile genommen werden, aber auch Geschichte anderer Epochen einschließlich der Zeitgeschichte, wenn auf den Figurenschmuck, Denkmäler und anderes geachtet wird.71 Die digitale Geschichtswissenschaft, wie sie sich in der World Digital Library (www.wdl.org) oder in Europeana (www.europeana.eu) präsentiert, macht nichts anderes. Allerdings sind diese Seiten letztlich immer auf ein Einzelobjekt, das man sich genauer ansehen und erklären lassen kann, ausgerichtet, selbst wenn der Weg zum Einzelobjekt durch thematische oder raum-zeitlich strukturierte Kollektionen führt. Der Schritt zur historischen Semiotik auf dem Bildschirm ist dort noch nicht vollzogen. Diesen Schritt zu machen wäre der Ausweis einer digitalen Geschichtswissenschaft, die nicht nur das digital auführt, was auch mit anderen nicht-digitalen Verfahrensweisen geschaffen werden kann, sondern etwas, das genuin nur digital vergegenwärtigt werden kann. Das 19. Jahrhundert nahm Idealtypisierungen vor; die, wie an der Wiener Ringstraße, geschaffenen Zeichen waren alle zeitgenössisch und wurden innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne geschaffen, sie vergegenwärtigen verschiedene Epochen. Bei der historisch-semiotischen Methode wird nicht idealtypisiert, sondern die überlieferten Zeichen werden digital abgebildet, wie sie sind, aber sowohl in ihrer Zeit- und Kulturschichtenspezifik wie in ihrer oben kurz skizzierten 107

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Verwobenheit als mehrdimensionaler und dynamischer – also: nicht statischer! – Hypertext dargestellt. Für das spielerische und spielende Lernen sowie für das Kino- oder Fernsehfreizeitvergnügen oder auch das Computer- bzw. Webspiel mag es seine Reize besitzen, Zeitreisen zu unternehmen und virtuell die eigene Gegenwart dabei zu verlassen. In der „realen“ Welt können wir das freilich nicht, alle historischen Evokationen, die die unendlich vielen Zeichen um uns herum bewirken, passieren in dem Moment, wo wir uns diesen Zeichen aussetzen und sie auf uns wirken lassen. Geschichte ist nur, weil es Gegenwart gibt. Im Film oder Spiel wechseln wir Zeit und Raum, in unserer Echtzeit bleiben wir in unserer Zeit und in unserem Raum, aber die Zeichen weben uns in einen historischen Hypertext ein. Es ist hier nicht der Ort, über programmiertechnische Details und Fragen des Mediendesigns, die bei der Realisierung von Websites entstehen, die diese Hypertexte auf der Grundlage einer historisch-semiotischen Perspektive digital umsetzen sollen, zu diskutieren. Entscheidend ist, dass diese Form der Geschichte und Geschichtsbetrachtung nur im digitalen Hypertext möglich ist. Wir sind noch nicht so weit, aber wir bewegen uns offenkundig dorthin: Es hat nicht an Versuchen gefehlt, aus der monographisch angelegten Erzählung herauszufinden oder sie durch Theorie und strukturelle Analyse in ein Prozedere einzubinden, das Positions- und Perspektivenwechsel erfordert. Oder die Erzählung wird durch literarische Mittel der Irritation wie das Rückwärtserzählen ‚gebrochen‘ bzw. aus verschiedenen Perspektiven immer wieder neu erzählt, eine Technik, die im Nouveau Roman und im Film perfektioniert wurde. Oder einfacher: Da an historischen Ereignissen in der Regel Menschen mit sehr unterschiedlichen sozialen, kulturellen, 108

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ökonomischen und anderen Hintergründen beteiligt sind, haben sie bei ihrer Wahrnehmung des Ereignisses auch andere Perspektiven, die sich je nach Quellenlage erzählen lassen. Eine bewährte Methode, sich den Zwängen – aber auch den Vorteilen! – einer kausalitätsorientierten sequenziellen Erzählung zu entziehen, stellt die Erhebung des analytischen Zugangs zum absoluten Prinzip dar, wie es in Enzyklopädien der Fall ist. Enzyklopädische Artikel müssen nicht in jedem Fall auf das Erzählen verzichten, aber prinzipiell definieren und analysieren sie ihre Gegenstände hinsichtlich ihrer wesentlichen bzw. als wesentlich erachteten Eigenheiten. Das gilt sowohl für historische wie andere Gegenstände. Zwar ruft das für Enzyklopädien seit der französischen Encyclopédie so charakteristisch gewordene System der Querverweise immer wieder Assoziationen an das System der Links in einer Webseite hervor, aber es wäre voreilig, daraus zu schlussfolgern, das Web mit seinen Verlinkungen wäre nur die modernere technische Ausführung des historischen Verweissystems, das sich auch mit den seit dem 18. und vor allem 19. Jahrhundert verbreitenden Zettelkästen findet. Ein elektronischer Hypertext besitzt ein ganz anderes Potenzial; er ermöglicht nicht nur Verlinkungen im Sinne des Verweises oder der Fußnote und vertiefenden Anmerkung, sondern er kann Kohärenzen erzeugen und darstellen.72 Sieht man davon ab, dass traditionelle Verweissysteme nur etwas nutzen, wenn z. B. alle Bände einer Enzyklopädie verfügbar sind, stoßen sie schnell an ihre Grenzen. Es ist eben umständlich, wegen eines Verweises im selben Band blättern oder einen anderen Band herausziehen zu müssen usw. Es kann in einer bestimmten Zeit nur eine bestimmte Anzahl von Verweisen verfolgt und verarbeitet werden. Elektronische Links bieten Zeitvorteile und ermöglichen ein schnelleres Hin und 109

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Her, das die Verarbeitungskapazität des Nutzers oder der Nutzerin erhöht. Die typisierten multidirektionalen Links eines Hypertextes liefern darüber hinaus Kohärenz bzw. die Möglichkeit von Kohärenz. Eine traditionelle Verweiskette endet irgendwann, weil sich in Bezug auf den Artikel, mit dem gestartet wurde, keine sinnvolle Beziehung mehr ergibt. Das gilt analog für traditionelle Links im Web. Nicht so im Hypertext, der mit typisierten multidirektionalen Links arbeitet. Darin endet das Netz sinnvoller Verknüpfungen und Beziehungen nie! Was ein Hypertext nicht liefern kann, ist die „große Erzählung“, die „Meistererzählung“. Diese Form der Geschichtserzählung ist keineswegs obsolet, ihr bleibt das Buch vorbehalten. All die neuen geschichtswissenschaftlichen Ansätze, die historische Vernetzungsprozesse aller Art zum Gegenstand haben, stehen jedoch außerhalb des Genres der Meistererzählung: Geschichte von „Beziehungen“, Geschichte kultureller Transfers, histoire croisée, entangled history, Netzwerkgeschichte sowie historisch-semiotische Ansätze gehen von Vielfalt und Vielheit aus, die nicht zwangsläufig oder immer mit einer „Einheit“ gekoppelt sind. Es handelt sich um eine jüngere Entwicklung, dass Vielheit und Einheit nicht wie die zwei Seiten derselben Medaille behandelt werden, sondern in der Geschichte auch getrennte Phänomene meinen. Die Kulturtransferforschung hat die vermeintliche Einheit der Nationalkultur aufgebrochen und diese als interkulturelles Phänomen herausgearbeitet. „Europa“ schien lange Zeit nur als Einheit oder als „Vielfalt in der Einheit“ bzw. „Einheit in der Vielfalt“ denkbar. Kulturtransfer-, Europäisierungs-, Europäizitäts- und Geschichtsregionsforschung und andere Ansätze haben erwiesen, dass „Einheit“ weder als essenzieller Kern noch als Voraussetzung von europäischer Geschichte und Identität verpflichtend anzunehmen ist. Es bestanden 110

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und bestehen zahlreiche Kohärenzen in Europa im Verlauf der Geschichte, die nicht mit Einheit zu verwechseln sind. Im digitalen Hypertext mit typisierten multidirektionalen Links lassen sich solche komplexen Kohärenzen besser darstellen als in der Monographie, nicht zu reden vom Sammelband. Digitale geschichtswissenschaftliche Hypertexte, die mit typisierten multidirektionalen Links arbeiten, wurden bisher nur ausnahmsweise erstellt. Die schon genannte Seite www. pastperfect.at, die dem Zeitalter Karls V. gewidmet ist, gilt als Idealtyp eines solchen Hypertextes. Am Institut für Europäische Geschichte, Mainz, entsteht ein technisch nicht ganz, aber in vieler Beziehung vergleichbares Webprojekt, das sich „Europäische Geschichte online“ (EGO) nennt und europäische Geschichte aus der Perspektive von Transfers, Migrationen, Europäisierungsprozessen etc. darstellen will.73 Sowohl pastperfect wie EGO sind von Geburt an digitale Projekte von Geschichtsdarstellung, die aus den laufenden Forschungen der Autorinnen und Autoren schöpfen. Kein Gesetz schreibt also vor, dass digitale Geschichtsdarstellungen immer nur Zweitverwertungen von Gedrucktem sein können! Längs der neueren Forschungsansätze wird Geschichte neu geschrieben. Bekanntes Material wird im Kontext von Kulturtransferforschung oder der Perspektive der entangled history gegen den Strich gelesen, neu interpretiert und mit neuen Forschungsergebnissen verknüpft. „Neu schreiben“ bedeutet einen Vorgang von Übersetzung – aus einem früheren Denk­ rahmen in unseren heutigen. Digitale Geschichtswissenschaft in Gestalt digitaler Hypertexte, die mit typisierten mehrdirektionalen Links arbeiten, könnte der zentrale Ort dieser Übersetzungstätigkeit wie der Forschung auf der Grundlage der genannten Ansätze sein, die Geschichte als Hypertext verstehen. 111

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Unter Bezugnahme auf die historisch-mediale Interfaceforschung von Martin Gasteiner74 lässt sich „Geschichteschreiben“ als Visualisierungstechnik verstehen. Wie weiter oben schon einmal angemerkt wurde, rufen auch analytisch-theoretisch vorgehende, nicht nur narrative geschichtswissenschaftliche Texte Bilder auf und hervor. Erzählsequenzen stellen im Grunde immer auch Bildsequenzen dar. Abstraktere, also analytische, theoretische oder geschichtsphilosophische Zugänge selektieren Geschichte, schneiden die Selektionen zu, geben diesen ein „Design“ aus Sprache und Strukturierung des Textes und der Rhetorik, benutzen Metaphern usw. Sie tun das, was auch ein Bild im eigentlichen Wortsinn tut. Die digitale Geschichtswissenschaft erfüllt die Funktion eines Interface zwischen „Geschichte“ und dem Ich oder dem Wir heute in einem doppelten Sinn: Generell als „Geschichteschreiben“ und speziell durch ihre Digitalität, die sich des elektronischen, also im engeren Wortsinn, Interface bedient.

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IX Was ist „digitale Geschichtswissenschaft“?

Die Frage nach dem Warum der angerissenen Entwicklungen muss uns noch einmal beschäftigen.75 Kulturgeschichtlich wurden die Phänomene Internet und Web als Medienrevolution charakterisiert. Diese Medienrevolution hat sehr schnell höchste historische Weihen erhalten, insoweit sie bezüglich ihrer Geschichtsmächtigkeit auf eine Stufe mit dem althistorischen Übergang zur Schriftlichkeit in der von dem Philosophen Karl Jaspers zuerst sogenannten „Achsenzeit“76 sowie mit dem Übergang zum Buchdruck im 15./16. Jahrhundert gestellt wurde. Wir wissen, dass „Revolution“ als kulturwissenschaftlicher Begriff nicht in erster Linie auf die Schnelligkeit fundamentaler Transformationen als Merkmal rekurriert, sondern auf die Fundamentalität der Transformationen selbst. Zwar zeichnet sich das Netz wesentlich durch die technische Beschleunigung jedweder Art von Kommunikation und der Wahrnehmung von – allgemein gesprochen – Zeichen aus, aber als kulturelles Phänomen entwickelt es sich eher gemächlich, nicht anders als der Buchdruck. Zweifellos gibt es in Bezug auf den Buchdruck und das Internet jeweils einen historischen „Moment“, der im weiteren kulturellen Rezeptionsprozess symbolische Kraft erlangt hat. Im Fall des Buchdrucks ist klar, dass dieser „Moment“ in der Person Gutenbergs und des Drucks der 42-zeiligen Bibel 1454 besteht; schon berühmte Zeitgenossen wie der künftige Papst Enea Silvio Pic113

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colomini sahen das so. Im Fall des Internets ist das schwieriger, weil sich die Sache zunächst eher im Stillen entwickelte. Die meisten Bücher über das Internet favorisieren das Jahr 1990/1991 mit der so genannten Erfindung des WWW durch Tim Berners-Lee vom CERN in Genf,77 wir können uns für den entscheidenden „Moment“ aber auch, wie schon im Falle Gutenbergs, noch einmal am Papst orientieren – diesmal einem amtierenden Papst: 1995 erlaubte Papst Johannes Paul II. die Freischaltung der ersten Website des Vatikans.78 1995 ist das Jahr, post quem das Web wahrhaftig die Welt eroberte. Ob das dem päpstlichen Segen zu verdanken war, sozusagen einem webgerechten „urbi et orbi“, sei dahingestellt. Diskussionswürdig bleibt die Frage, wann die fundamentalen Transformationen, um die es geht, erreicht waren bzw. erreicht sein werden. Die zitierten „Momente“ sind qualitativer, aber nicht quantitativer Natur; die Rede von fundamentalen Transformationen visiert jedoch quantifizierbare Phänomene an, das Erreichen der sogenannten kritischen Masse, für die ein bestimmtes Medium lebenswichtig wird. Medienrevolutionen sind Teil einer umfassenden Veränderung einer Kultur oder von Kulturen im Plural. Kultur – ich gehe von einem semiotischen Kulturbegriff aus – ist als ein sehr komplexer Code zu verstehen, der den Sinn oder Widersinn und die Bedeutungen, die menschlichem Tun und Handeln und Denken inhärent sind, codiert – manchmal eindeutig, zumeist aber zwei- und mehrdeutig. Die Zeichen dieses Codes sind vielfältig, auf einer mittleren Ebene werden sie komposit und bilden Subcodes aus: Gemeint mit dieser kompositen Ebene sind Texte, Bilder, musikalische Kompositionen, architektonische Gebilde, Gestik, Mode, Inszenierungen (die mehrere Subcodes mit einander verbinden), nicht zuletzt das WWW. 114

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Wie in der Semiotik sind Bezeichnendes und Bezeichnetes im Konnex zu betrachten. Was bedeutet somit das „Netz“ – hier in der doppelten Bedeutung von Internet und Web – kulturell und kulturgeschichtlich? Das Netz bedeutet zunächst einmal selbst einen Subcode, der bestimmte Transformationen codiert. Um was für ein „Was?“ handelt es sich, das in der kulturhistorischen Perspektive das Netz als Sprache oder Subcode übersetzt? Das Was ist die nicht-essenzialistische, nämlich hybride, fluide, volatile, hypertextuelle Zivilisation, die unsere Gesellschaft zunehmend charakterisiert und die teilweise als Praxis, teilweise als Versprechung bzw. Schicksal, teilweise aber als Vision – manche würden sagen: Horrorvision – besteht. Hybridität, Fluidität, Volatilität, Hypertextualität sind in erster Linie global verbreitete großstädtische, metropole Realitäten, die jedoch über ihren direkten Verwirklichungsraum hinaus zivilisationsbildend wirken. Der Zusammenhang zwischen dem „Netz“ als Codierung und der Zivilisation, dem Was, das es codiert, ist keineswegs nur metaphorisch. Die Welt, in der das „Netz“ eine signifikante Bedeutung erlangt hat und von der aus es andere Räume und Köpfe erobert, ist die Zivilisation der metropolen Stadt, in der die sozialen, ökonomischen, religiösen, politischen, kulturellen und anderen Gefüge einen tief greifenden Wandel durchmachen, indem sie vom Gefüge zum Netz bzw. Hypertext mutieren. Der Wandel bezieht sich infolgedessen auf die Auflösung von stabilen Gebundenheiten, Gebundenheiten an sozia­le, ökonomische, religiöse, politische, kulturelle, berufliche Grup­pen. Gebundenheit oder anders ausgedrückt: Loyalität, wird durch Fluidität und Volatilität, oder anders ausgedrückt: durch zeitlich begrenzte und nur noch relative Loyalitäten ersetzt. Das menschliche Individuum nimmt eine neue Position 115

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ein: Es handelt sich nicht einfach um die Fortsetzung eines historischen Individualisierungsprozesses, sondern um den Beginn eines neuen Typus. Historisch gehören stabile Gebundenheiten oder Loyalitäten und essenzialistische Konzeption des Individuums ebenso zusammen wie in der neuen Zivilisation zeitlich begrenzte und nur noch relative Loyalitäten mit dem Typus der Hybridität korreliert sind. In der pessimistischen Sichtweise wird dieser Wandel als Verlust interpretiert; dabei wird aber übersehen, dass an die Stelle der essenzialistischen Konstellation eine neue tritt, die sich mit dem Wort „Kohärenz“ charakterisieren lässt. Hybridität, Fluidität, Volatilität, Hypertextualität sind erforderlich, um in einer wie noch nie in Fluss geratenen Welt Kohärenzen zu erzielen. Essenzialismus kann sich sehr kontraproduktiv auswirken, wenn er Kohärenzbildung verhindert. Es ist unrichtig, Hybridität, Fluidität u.a.m. mit Wertelosigkeit, Amoralität, Verlorenheit, Identitätsverlust und anderen negativen Begriffen in Verbindung zu bringen. In Bezug auf das Thema der digitalen Geschichtswissenschaft bleibt festzuhalten, dass das Netz (Internet und Web) den anskizzierten zivilisatorischen Wandel codiert. Das ist zugleich Geschichte, die sich im Netz vollzieht. Die Veränderung unserer Zivilisation bringt eine durchschlagende Veränderung geschichtswissenschaftlicher Grundpositionen mit sich. Unsere Alltagswelt, oder sagen wir: die Gegenwartsgeschichte, funktioniert mehr und mehr nach dem Hypertext-Muster, verständlich wird uns aber auch vergangene Geschichte, wenn wir sie wie einen Hypertext sehen lernen, so dass deren Repräsentation im Medium des Hypertextes adäquat erscheint. Die grundsätzliche Position, von der aus wir Geschichtswissenschaft betreiben, ändert sich radikal. Die Fragen, die wir „an die Geschichte“ stellen, das ist ein 116

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banaler Lehrsatz, sind an unsere Gegenwart rückgebunden, genauer: an unsere gegenwärtige Positionierung, die sich darin ausdrückt, dass wir, die einen mehr, die anderen weniger, immer mehr Elemente des vorhin beschriebenen hybriden, fluiden, volatilen, hypertextuellen Individuums annehmen. Wir brauchen nur die Ansätze, Konzepte und Theorien der letzten zehn bis fünfzehn Jahre Revue passieren lassen, die die Geschichtswissenschaft heute prägen: Kulturgeschichte – oft im weiteren Gewand der cultural studies und der historischen Kulturwissenschaften; Kommunikationstheorien, integrationsgeschichtliche Ansätze, also Ansätze, die Kohärenzbildungen untersuchen, und die vom zeitgeschichtlichen Feld der Erforschung der europäischen Integration sowohl auf die antike wie die mittelalterliche, wie die (früh-)neuzeitliche Geschichte ausgedehnt wurden; Beziehungsgeschichte(n), die je nach Fokus Kulturtransferforschung, histoire croisée, entangled history, Internationale Beziehungen genannt werden; historisch-semiotische Ansätze; nicht zuletzt der Netzwerkbegriff als Begriff mit theoretischem Anspruch, der zunehmend zur kategorialen Einordnung historischer Untersuchungsgegenstände verwendet wird.79 Als Vision ergibt sich ein neues Beziehungssystem, das aus den Komponenten Netzwerk-Zivilisation, Konzeptualisierung der Geschichtswissenschaft als Wissenschaft geschichtlicher Kohärenzen im Netzwerk und ihrer Zeitschichten, Web als Netzwerkmedium und dem hypertextuellen, fluiden, volatilen Individuum besteht. Das „Netz“ als Code wird sich kaum mehr statisch wie derzeit noch präsentieren: Die in Zukunft „typische“ historische Website wird eher dreidimensional gestaltet sein und semantische Zusammenhänge visualisieren: Die erwähnte multidisziplinäre und multimediale Herangehensweise, ggf. im Mo117

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dus der Globalität, hat ja den tieferen Sinn, Geschichte nicht mehr selektiv, sondern komposit zu sehen und zu verstehen. Multidisziplinarität und Multimedialität als Forderung sind in dem Maße gewachsen, wie sich die metropole Netzwerkzivilisation entwickelt hat, aus der unsere an die Gegenwart rückgebundenen historischen Fragestellungen resultieren. Das Potenzial von Multidisziplinarität und Multimedialität wird erst dann ausgeschöpft, wenn diese Ansätze im Verbund mit der möglichen Technik genutzt werden, um Geschichte, das heißt geschichtliche Kohärenzen gewissermaßen im Fluss, fließend darzustellen und ebenso zu verstehen. Das Netz codiert die gegenwärtige transformierte Zivilisation besser als die „alten Medien“ und es codiert unsere neuen Sichtweisen auf Vergangenes adäquater. Da eine wesentliche Eigenschaft des Web in der Schnelligkeite besteht, was wiederum eigentlich „nur“ auf Beschleue Zum Thema Beschleunigung schrieb mir Jakob Krameritsch folgenden Kommentar (23.12.2009): „Inspirierend für mich war in diesem Zusammenhang auch: Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt/Main 2005. Darin geht Rosa u.a. auch auf die beschleunigende Wirkung von Technik ein, die Du – eher am Anfang Deines Textes – ansprichst. Er weist darauf hin, dass die Steigerung der Kommunikationsmenge durch Technik ermöglicht, aber nicht erzwungen wird. Zuallererst wird versucht, mit Technik Zeit zu sparen. Der wahrnehmbare Steigerungszwang resultiert daher nicht aus der Technik selbst, sondern aus der durch sie ermöglichten ‚Gegenwartsschrumpfung‘ (Lübbe), d.h. aus der beschleunigten Veränderung der Kommunikations- und Handlungskontexte (siehe Kap. VII. bei Rosa): Potenzial, Zeit zu sparen, hebt sich zugunsten erhöhtem Output oder besserer Qualität auf. … Es geht dabei v.a. um Veränderungen des Zeit-Raum-Regimes, die nicht bloß 118

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nigungsvorgänge in unserer Zivilisation antwortet bzw. diese codiert, muss gefragt werden, ob geschichtswissenschaftliche Forschung „schneller“ werden muss bzw. ob digitale Geschichtswissenschaft eine „schnelle Wissenschaft“ ist, die Vorteile bietet? Nein – und ja. Das „Ja“ bezieht sich auf bestimmte Situationen: Für das öffentliche Zeremoniell und „die Medien“ spielen Jahrestage aller erdenklichen Art eine große Rolle. Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang auch abgerufen bzw. aufgerufen, sich zu beteiligen. Forschung, um diesbezüglich neues Wissen zu schaffen, ist oft nicht möglich, weil die Jahrestage so zahlreich wie Regentropfen sind und die scientific community gar nicht groß genug sein könnte, um den Bedarf zu befriedigen. Der Druck, sich diesem Zeremoniell nicht ganz zu entziehen, ist spürbar; zum einen verspricht Beteiligung oft öffentliche Aufmerksamkeit und mehr öffentliche Reputation, manchmal auch Geld in interessanter Höhe, und falsch ist das Begehen eines Jahrestages keineswegs immer, weil es sinnvolle Formen von Soziabilität schafft. Unter den zuvor skizzierten Bedingungen wäre GeVeränderungen aufgrund von technischen Beschleunigungen sind, sondern ebenso verknüpft sind mit der Beschleunigung sozialen Wandels und des Lebenstempos. Die technische/ mediale Beschleunigung stellt ‚nur‘ die materielle Basis und die Möglichkeitsbedingungen für die Vielfalt von sozialen Beschleunigungsprozessen dar, welche jenen Veränderungen zugrunde liegen und heute vor allem unter dem Stichwort der ‚Globalisierung‘ diskutiert werden. Es gibt also eine Wechselwirkung: technische Beschleunigung, beschleunigter sozialer Wandel und Erhöhung des Lebenstempos: ‚Schnell wechselnde und qualitativ veränderte Interaktionsmuster sind (…) mindestens ebenso sehr eine Form und Folge des beschleunigten sozialen Wandels wie eine Konsequenz der kommunikationstechnologischen Entwicklung.‘“ 119

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schichtswissenschaft „schneller“ – mit Forschung und der Produktion neuen Wissens aus Anlass eines Jahrestages. Es besteht ein öffentliches und langfristiges Interesse an Themen und Problemstellungen, die mit Erinnerung und Gedächtnis zusammenhängen, wo Geschichtswissenschaft im Verbund mit anderen Wissenschaften gefragt ist und schnelle Ergebnisse, z. B. mit Rücksicht auf das Alter von Menschen, die Restitutions- oder Wiedergutmachungsansprüche, sei es juristisch, sei es moralisch, besitzen, sehr erwünscht sind. Dies bezieht sich längst nicht mehr nur auf den Zweiten Weltkrieg bzw. überhaupt die Zeit des Nationalsozialismus; je nach Land und Problemstellung betrifft dies die jüngere und jüngste Geschichte. Wäre es nicht die gewiss hohe Investition wert, die eine vorausschauende (Offline-)Digitalisierung der archivalischen Beweise kosten würde, die aber einen Umgang mit Unrecht ermöglichen würde, der den europäischen Grundwerten entspräche? Die angesprochene Vorausschau ist keine Aufforderung zum Vabanquespiel, sie ergibt sich aus den aktuellen öffentlichen, oft transnationalen, europäischen und globalen Debatten. Ein anderer Fall, wo eine schnellere Geschichtswissenschaft im Verbund mit anderen Wissenschaften wie Politikwissenschaft, Soziologie, Kommunikationswissenschaft und Publizistik, Psychologie, Ökonomie, Jurisprudenz und ggf. weiteren wünschenswert wäre, sind die großen Fragen unserer Zeit, deren Beantwortung nicht zuletzt auch empirisch fundierter geistes- und humanwissenschaftlicher Forschung bedarf. Wenn wir davon ausgehen, dass zu jeder Zeit in der Geschichte Strukturen aufgebaut und Entwicklungsweichen – oft auf Kosten historischer Alternativen – gestellt wurden und werden und diese langfristig Wirkung entfalten – neben vielen eher kurz- und mittelfristig wirksamen Faktoren –, so 120

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müssen wir ein hohes Interesse daran haben, dies zu erkennen und zu wissen. Mentalitäten ändern sich bekanntlich langsam, ebenso Strukturen; aber auch wissenschaftlich gewonnenes Wissen selber: Die Klimaforschung beispielsweise hat es nicht nur mit aktuellen oder nur kurz zurückreichenden Datenerhebungen zu tun, sondern auch mit Erkenntnissen aus einer Jahrmillionen zurückreichenden Klimageschichte, deren Interpretation erhebliche Auswirkungen auf die Natur der Antworten hat, die Wissenschaften der Politik geben (sollen). Wissenschaftliches Wissen muss sich in manchen Fällen vielleicht unabdingbar schneller ändern, sagen wir ruhig: vervollkommnen, damit die „richtigen“80 Antworten gegeben werden. Schauen wir auf die künftige Entwicklung der Europäischen Union: Die als notwendig erachtete Verfassung ist gescheitert, über dem Ersatz, dem Lissabonvertrag, schwebte lange das Damoklesschwert des Scheiterns, nun ist er durch – um den Preis einiger beschämender Ausnahmeregelungen für einzelne Länder –, im Wahlkampf 2009 zu den Wahlen zum Europäischen Parlament formierten sich die rechten und sonstigen Gegner der Union, die wenig von der EU wissen, aber aus bestimmten Ängsten und Unzufriedenheiten politisches Kapital schlagen. Die EU scheint zudem ans Ende der Optionen zu gelangen: Erneut ein Verfassungskonvent, erneut ein Vertrag sind ebenso ausgeschlossen wie Erstarrung auf der Grundlage des Nizzavertrags. Es bedarf dringend der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte, die Aufschluss über tiefer liegende Fehler geben könnte, wie etwa das „Non“ Frankreichs und das „Nee“ der Niederlande 2005 gegen den Verfassungsentwurf (zumal hier nicht von „Fehlern“ zu sprechen ist, da es sich um demokratische Volksabstimmungen handelte). Wo stehen die EuropäerInnen und „ihre“ EU heute? – Auch das eine geschichtswissenschaftliche Frage. Ein „new deal“ ist erst 121

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denkbar, wenn diese Fragen nicht zuletzt durch geschichtswissenschaftliche Forschung mitbeantwortet werden, aber die Zeit läuft. Solide Forschung, die trotzdem – im oben skizzierten Sinn – „schnell“ ist, ist gefragt. Das Nein – Geschichtswissenschaft muss nicht schnell sein – bezieht sich auf Auswüchse wissenschaftlichen Wettbewerbs, die sich in Fälschungen, Plagiaten und ähnlichen Methoden, die schnelle Ergebnisse und Publizität versprechen, äußern. Oder anders ausgedrückt: Eine Wissenschaft soll nicht schnell sein, um für die Forschungsinstitution mehr Publizität, schneller, vor einer anderen, und einen besseren Platz im Ranking zu erreichen, sondern um einer bestimmten Problemlösung willen. Dauerhafte Reputation hat noch nie anders erworben werden können als durch solide, in jedem Punkt verantwortbare, nachvollziehbare und moralischen Maßstäben genügende Forschung. Die Erhöhung im Ranking, die Publizität, die kommen dann schon. Das Verfertigen einer großen monographischen geschichtswissenschaftlichen Erzählung, die einem mitnichten obsolet gewordenen Genre angehört, muss ebenfalls nicht „schnell“ sein. Hier gelten die traditionellen Regeln der „langsamen“ wissenschaftlichen Arbeit fort. Der Begriff des „Schnellen“ im Kontext der digitalen Medien, im Kontext von Wissenschaft überhaupt, im Kontext von Geschichtswissenschaft ist somit anders zu definieren, als es herkömmlich geschieht und zum Schaden aller praktiziert wird. Digitale Geschichtswissenschaft macht einen eigenen und recht eigenständigen Teilbereich von Geschichtswissenschaft aus. Es bestehen viele Brücken und Schnittpunkte, die äußerlich anhand von Remediationen oder parallelen Publikationsformen – gedruckt, digital – bzw. sich ergänzenden oder 122

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hybriden digitalen und gedruckten Publikationsformen nachvollzogen werden können. Das Interesse am Verständnis von Geschichte als Netzwerkbildung, Ergebnis von Netzwerken, als Ausdruck von Netzwerken, das Interesse am Ansatz „Flüssige Moderne“, an Konzepten wie entangled history und histoire croisée etc. wäre ohne die Wirkmächtigkeit der digitalen WWW-Welt kaum zu erklären. Als Ganzes wird Geschichtswissenschaft so zu einer hybriden Wissenschaft. Aber ist sie es jetzt schon? Wie oben erschlossen, erlaubt die Anwendung digitaler Techniken andere geschichtswissenschaftliche Operationen und die Umsetzung bestimmter Konzepte, die die ausschließliche Benutzung von Druckmedien so nicht zulässt. Insoweit bleibt es vorläufig sinnvoll, digitale Geschichtswissenschaft als etwas Eigenes zu sehen, das sich gleichwohl nicht aus der Geschichtswissenschaft als solcher heraus- oder abkapselt. Um es klar und präzise auszudrücken: einen Artikel oder ein Buch als PDF „ins Netz zu hängen“ ist keine digitale Geschichtswissenschaft. So praktisch diese und andere Serviceleistungen sind, sie gehen am Eigentlichen einer digitalen Geschichtswissenschaft vorbei. Das hypertextuelle Darstellen und „Erzählen“ von Geschichte ist hingegen digitale Geschichtswissenschaft, sofern es multimedial und trans- bzw. interdisziplinär angelegt ist. In der digitalen Geschichtswissenschaft hat der geschichtswissenschaftsaffine Informatiker ebenso seine Heimstatt wie der geschichtswissenschaftsaffine Mediendesigner und Medienkünstler. Digitale Geschichtswissenschaft macht den Hypertext der Geschichte erfahrbar, sie bringt ihn als solchen auf den Bildschirm. Sie entwickelt eine genuin geschichtswissenschaftliche Deskriptorensprache, was angesichts der Schwierigkeiten, die geistes- und kulturwissenschaftliche Fächer mit der Definition und Normierung gemeinsamer Kategorien und Termini haben, nicht der einfachste Teil des 123

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Ganzen ist. Hält man sich an etablierte wissenschaftliche Taxonomien, erscheint die Aufgabe weniger illusionär. Digitale Geschichtswissenschaft bedeutet nicht zuletzt auch den Abschied von der statischen Website und den Wechsel zu semantischen, dynamischen, ggf. dreidimensionalen, flüssigen Sites, die die Fluidität, die geschichtlichen Personen, Ereignissen, Kontexten usw. eignet, aufnehmen und visualisieren, wie das Gedruckte es nicht kann. Skeptiker und Kritiker werden zumindest einwenden, dass über all diesen Wunderdingen, die da in Aussicht gestellt werden, weder Datenschutz noch Urheberrecht übergangen werden dürfen. Über Datenschutz bei der wissenschaftlichen Recherche oder Herstellung von Websites macht man sich erstaunlich wenig Gedanken. Die Risiken, die dadurch entstehen, dass wir relativ transparente Spuren im Internet ziehen und hinterlassen, sind bekannt. Sie sind z. T. unvermeidbar, aber es könnte doch wieder von Interesse sein, sogar im Internet geschützte Bereiche für eine Wissenschaft zu schaffen. Gleichwohl würde dies der Identität des Web zuwiderlaufen und die Chancen, die die globale Offenheit eben bietet, beeinträchtigen. Das Urheberrecht der individuellen Autorinnen und Autoren scheint unter die Räder der Buchscanprogramme und des wissenschaftspolitischen Drucks, Forschungsergebnisse open access zur Verfügung zu stellen, zu kommen. Von Bedeutung im Zusammenhang dieser Reflexionen über digitale Geschichtswissenschaft ist dabei weniger der harte juristische Aspekt, sondern die Frage, welche Art von WissenschaftlerInnenpersönlichkeit in Zukunft sich wird behaupten können? In der Geschichtswissenschaft bleibt das Buch m.E. die Domäne der großen wissenschaftlichen Erzählung. Die ist we124

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der obsolet noch wird sie obsolet werden. Diese Art von Erzählung war und ist ein eminent persönlicher und individueller Wissenschaftsakt, ohne dass damit die Voraussetzungen, die ein solches Buch in den Vorarbeiten des Faches, anderer Fächer, der scientific community findet, übersehen würde. Hier ist das Buch ein Buch und nicht nur die zwei Deckel, zwischen denen bedruckte Seiten zusammengebunden wurden. Umgekehrt, aber das ist eine Wiederholung, steckt nicht in jedem geschichtswissenschaftlichen Buch eine große geschichtswissenschaftliche Erzählung. Es gilt, die Publikationsgenres wieder genauer zu fassen und präziser auf die Entsprechungen, die zwischen Publikationsform und Inhalt, Schreib- und Sprechhaltung sowie Publikum bestehen, zu achten. Das läuft im Grunde darauf hinaus, die Geschichtswissenschaft in Bezug auf die Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse anders aufzustellen als bisher. Noch folgt sie den Kommunikationsmechanismen, die im Zuge ihrer universitären Institutionalisierung seit dem 19. Jahrhundert entwickelt wurden – mit dem Unterschied, dass es „alles“ nun nicht mehr nur gedruckt, sondern oft zugleich digital gibt. So nützlich – nur ein Beispiel – Tagungshomepages sind – müssen die abstracts als solche ewig im Netz bleiben? Anders formuliert: Hat eine Tagung außer dem Ertrag der Fachkommunikation einen wissenschaftlichen Ertrag, so sollte dieser als Hypertext, versehen mit den erforderlichen Metadaten und universalen Deskriptoren, im Web publiziert werden können – andernfalls hat sie wohl keinen anderen Ertrag als den der Fachkommunikation erbracht, die als solche einen legitimen Zweck darstellt, aber nicht für sich publizierbar ist. Die meisten Tagungssammelbände würden sich mangels vernetzter Inhalte nicht mittels CMS in einen digitalen Hypertext umsetzen lassen. Es mag utopisch erscheinen, aber es wäre 125

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nichts anderes als webadäquat, Forschungsfelder, die durch ForscherInnen, ForscherInnengruppen, Tagungen etc. an verschiedensten Standorten bedient werden, im Web als Hypertext zusammenwachsen zu lassen. Statt Hunderter gedruckter geschichtswissenschaftlicher bzw. historisch-kulturwissenschaftlicher Zeitschriften oder eJournals bzw. Onlinejournals wäre es logischer – und noch einmal: webadäquater –, an diesen letztlich riesigen Hypertexten zu bauen. Technisch kann jeder individuelle Forscher, jede Gruppe, jeder Standort ein eigenes CMS betreiben, solange die Metadaten und Deskriptoren sorgfältig eingebaut werden und damit die semantische Suche bedient wird. Ideal wären kollektiv erarbeitete Taxonomien. Das heißt in der Praxis, dass zum Beispiel eine (große) Fachtagung rein fachkommunikativ, statt einer hohen Anzahl 20-minütiger Vorträge zuzuhören, zu einem Forschungsfeld die erforderlichen Metadaten und Deskriptoren bzw. Taxonomien verhandelt, mittels derer dann völlig individuell und autonom im Semantic Web das Forschungsfeld als „Portal“ bedarfsgemäß erstellt wird, nachdem die Metadaten, Deskriptoren und Taxonomien an den Orten der Forschung in die jeweiligen Seiten eingegeben wurden. Die Möglichkeiten des Semantic Web lassen sogar einen Bedeutungszuwachs für die individuellen ForscherInnen zu, vorausgesetzt, die gemeinsame(n) formale(n) Sprache(n) wird/ werden gewissenhaft überall benutzt. Das Web kündigt somit nicht das Ende der individuellen ForscherInnenpersönlichkeit an, sondern deren Neubestimmung und Neugewichtung. Das wird allerdings nur dann geschehen, wenn ein Minimum dessen, was hier skizziert wurde, umgesetzt wird, andernfalls werden die aufgebauten Druckpositionen von Buchscans bis Open-access-Zwang die individuelle ForscherInnenpersönlichkeit aufreiben oder aus den Universitäten und Forschungs126

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instituten in irgendwelche Nischen verdrängen. Das schadet dann den Universitäten und Instituten. Solche Hypertexte auf den PC herunterladen zu wollen wäre absurd, außerdem zu mühsam und arbeitsaufwändig. Niemand hätte ein Interesse daran, dies zu scannen und seine Geschäfte damit zu machen. Ein Hypertext lässt darüber hinaus die AutorInnen AutorInnen sein, sie verschwinden mitnichten in der Anonymität. Wenn umgekehrt das geschichtswissenschaftliche Buch wieder seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt wird, nämlich eine große geschichtswissenschaftliche Erzählung zu sein, die alle Sorgfalt erfahren hat, die eine literarisch anspruchsvolle wissenschaftliche Darstellung verlangt, dann wird dieses Buch auch wieder in seinen eigentlichen ästhetischen Kontext zurückfinden, den weder das eBook noch der Scan im Web bieten kann. Es wird wieder gelesen werden, um verstanden zu werden.

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X Nachwort

Es befremdet vielleicht, dass ich diesen Essay über digitale Geschichtswissenschaft mit Gedanken über die Renaissance einer bestimmten Sorte Buch und historischer Erzählung beendet habe, wo doch gerade in „Edge“ die alles entscheidende Frage gestellt wurde: „How is the internet changing the way you think?“81 So, wie die Frage gestellt ist, zielt sie auf subjektive Erfahrungen und Antworten, und so fallen die rund 160 Beiträge (bis zum 11.1.2010) auch aus. Sie isolieren in der Regel das Thema Internet/Web von seinen kulturellen Kontexten, die ich in diesem Essay nicht zuletzt mit bestimmten Entwicklungen in Kunst und Literatur, aber auch in den Wissenschaften selber angesprochen habe. Die Methode des Internet und des Web – oder Methoden im Plural – sind im Grunde wissenschaftlich, den Wissenschaften entnommen. Wenn Internet und Web die Art, wie wir denken, verändern, dann hin in Richtung einer Popularisierung der Verwendung wissenschaftlicher Methoden. Zurück zum Buch: Eine große monographische geschichtswissenschaftliche Erzählung ist nicht mit einer Meistererzählung gleichzusetzen. Gleichwohl ist Letztere nicht illegitim, denn es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass Meistererzählungen vorwiegend nationale oder andere imperiale Mythen etc. stützen müssen. Wir sind darauf angewiesen, unsere Welt und ihre Geschichte zu verstehen und auszulegen. Wir sind auf Erkenntnisgewinn angewiesen, der nicht ausschließlich – 129

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wie vielleicht im Hypertext – der individuellen Bedeutungsschöpfung, die sich dann wieder vernetzt, dienen kann, sondern der in die Formulierung von Interpretationsangeboten und Orientierungshilfen münden muss, die Gegenstand öffentlicher und kollektiver Diskurse werden. Das Nachdenken über digitale Geschichtswissenschaft wird daher auch zu einer Neubestimmung der wissenschaftlichen Monographie und der mit ihr verbundenen Verantwortung vor der Öffentlichkeit wie auch zu einer Rehabilitierung der „wissenschaftlichen Langsamkeit“ führen. Es handelt sich nicht um Widersprüche, sondern um aufeinander angewiesene Komponenten von Wissenschaft. So war die Widmung dieses Essays über digitale Geschichtswissenschaft an das Buch und an die Zeit nur logisch. Es reicht nicht aus, die Veränderungen unserer Zivilisation zu beschreiben und beispielsweise das Web als Codierung dieser Veränderungen zu verstehen. Das ist ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt, denn es bleibt die Frage nach Verantwortlichkeiten und ethisch-moralischen Zielbestimmungen. Die Prekarisierung von Lebensverhältnissen und die zunehmende Dominanz des Situativen, für das das Web mehr als nur eine Metapher ist, sind nicht einfach hinzunehmendes Schicksal. Nicht zufällig werden Langsamkeit und Entschleunigung aktuell diskutiert. Hier hat eine monographische Geschichtswissenschaft ihren Sinn und ihre Verantwortung, so wie die digitale Geschichtswissenschaft ihren Sinn und ihre Verantwortung besitzt. Es soll deshalb kein künstlicher Graben zwischen beiden Formen von Geschichtswissenschaft gezogen werden, das hieße, den ethischen Imperativ der Kohärenzbildung zu negieren. ******

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Ich danke Josef Köstlbauer und Jakob Krameritsch für die kritische Lektüre des Manuskripts und die Anregungen, die ich daraus erhalten habe. In den Text sind Passagen aus teils veröffentlichten (s. Angaben in den Anmerkungen), teils unveröffentlichten Vorträgen und Artikeln eingeflossen, der größte Teil wurde hier jedoch erstmals formuliert. Generell bedanke ich mich bei den jungen Wiener Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich seit über zehn Jahren Wege in die digitale Geschichtswissenschaft ausprobiert und diskutiert habe: Martin Gasteiner, Josef Köstlbauer, Jakob Krameritsch, Marion Romberg und manchen anderen, die wie Günter Kastner in der ein oder anderen Phase mit dabei gewesen waren. Ich danke Frau Dr. Reinhold-Weisz und Herrn Dr. Peter Rauch für ihr Interesse am Thema der digitalen Geschichts­ wissenschaft. Die Zusammenarbeit mit Frau Mag.a Bettina Waringer hat wieder Freude gemacht.

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Anmerkungen

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Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz (= Band 1 der Trilogie „Im Wartesaal“), benutzte Ausgabe: Berlin (Ost) 1969.

2 Zur Wirkungsgeschichte von „Holocaust“ und Gedächtnisbildung s. das Buch von Daniel Levy, Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt/Main 2001. 3

http://www.adfontes.uzh.ch/1000.php. Alle in diesem Buch verwendeten URLs wurden zuletzt am 7. Januar 2010 aufgerufen.

4 Hal Foster: An Archival Impulse, in: October 110, Fall 2004, 3–22. Ich danke Sabeth Buchmann, Akademie für Angewandte Kunst, Wien, für verschiedene Literaturhinweise. 5

Beides verbindet der libanesische Künstler Walid Raad in seinem Internet-Projekt „The Atlas Group Archive“(http:// www.theatlasgroup.org).

6 Zu „Web 2.0 und Geschichtswissenschaft“ s. die Siegener Tagung vom 9./10. Oktober 2009: „Web 2.0 und Geschichtswissenschaft: ‚Social Networking‘ als Herausfor133

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derung und Paradigma“: http://www.fb1.uni-siegen.de/ geschichte/web2null/. Dazu u. a. den Weblog von Peter Haber: http://weblog.histnet.ch/archives/3212. 7 Kurze Hinweise s. in: http://www.ub.ruhr-uni-bochum. de/informationen/chronik1.html (= z.  T. Kopie von: http://www.ruhr-uni-bochum.de/archiv/Aspl_11.htm). 8 Details in: http://www.ub.ruhr-uni-bochum.de/informationen/chronik3.html. 9 http://www.corpusthomisticum.org/it/index.age;jsessioni d=D49E189312A996E6FCB52A2F1752C89B .

10 Details bei: Werner Bergmann: Multimediale Gesellschaft – Geschichtsstudium multimedial und computergestützt I, in: Wolfgang Schmale (Hg.): Studienreform Geschichte kreativ, Bochum 1997, S. 217–240; zu Busa: S. 220, zu Arnold: S. 219. Ausführlicher: Peter Haber: „digital.past/Geschichtswissenschaft im Digitalen Zeitalter“, Habil. Basel 2009 (ungedruckt), Teil I, der auf entsprechende Publikationen, z. B. in der HZ 1968 hinweist (Lückerath, Carl August: Prolegomena zur elektronischen Datenverarbeitung im Bereich der Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift, 207 [1968], S. 265–296). 11 Bergmann, wie Anm. 10, S. 218. 12 S. http://oldcomputers.net/ibm5155.html.

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13 Wolfgang Schmale: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich, 1715–1794, Berlin 1988. 14 Sehr schön dargestellt bei Sonja Neef: Abdruck und Spur. Handschrift im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, Berlin 2008, hier Kapitel „Prolegomenon Schreiben und Technik“. 15 „Il y a en moi un peintre et un bricoleur.“ Interview der Tageszeitung „Le Monde“ mit Claude Lévi-Strauss am 21. Juni 1974, wiederabgedruckt anlässlich des Todes von Lévi-Strauss in „Le Monde“ vom 5. November 2009. 16 Vgl. Manfred Thaller, in: http://www.hki.uni-koeln.de/ kleio/old.website/tutorial/intro.htm. 17 Zahlen zum Bochumer Historikertag s. bei Wolfgang Schmale: Der 38. Historikertag in Bochum: Quantitative Beobachtungen und unmaßgebliche Schlussfolgerungen, in: Verband der Historiker Deutschlands, Mitteilungsblatt, Göttingen 1991, S. 25–31, EDV S. 30f. 18 Vgl. Manfred Thaller, in: http://www.hki.uni-koeln.de/ kleio/old.website/tutorial/intro.htm. 19 S. Peter Haber, op. cit., S. 47. 20 http://hist.net/. 21 Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsen135

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tation und Rezeption der historischen Erzählung, Münster u.a. 2007 (Medien in der Wissenschaft, 43). 22 http://www.geschichte-online.at/. 23 Die folgenden Absätze basieren auf meinem Vortrag im Rahmen der hist2006-Tagung an der Humboldt-Universität Berlin: Geschichte im Netz – Praxis, Chancen, Visionen, in: Geschichte im Netz – Praxis, Chancen, Visionen. Beiträge der Tagung .hist2006. Herausgegeben für Clio-online von Daniel Burckhardt, Rüdiger Hohls und Claudia Prinz, unter Mitwirkung von Sebastian Barteleit, Gudrun Gersmann, Peter Haber, Madeleine Herren, Patrick Sahle, Daniel Schlögl, Georg Vogeler, Claudia Wagner und Irmgard Zündorf: http://edoc.hu-berlin.de/ histfor/10_I/PHP/Eroeffnung_2007-10-I.php#001003. Der Originaltext wurde teilweise umgearbeitet, gekürzt und erweitert. 24 Analysiert von: Daniel Hufler, Der Zweite Weltkrieg in Computerspielen, Wien 2008 (Diplomarbeit bei Wolfgang Schmale). 25 Vgl. beispielsweise Jay David Bolter, Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media, Cambridge/ Mass; London 1999; Albert Kümmel, Leander Scholz, Eckhard Schumacher (Hg.): Einführung in die Geschichte der Medien, Paderborn 2004. 26 Anette Völker-Rasor (Hg.): Oldenbourg Geschichte Lehrbuch. Frühe Neuzeit, München 2000, 3. unveränd. Aufl. 2010. 136

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27 http://www.oldenbourg-wissenschaftsverlag.de/olb/ de/1.c.1704856.de Zusatzmaterial zum Buch. 28 Vgl. von diesem Autor die Werke „Im Schatten des Windes“ (Frankfurt a. M. 2003) und „Das Spiel des Engels“ (Frankfurt a. M. 2008). 29 Darmstadt 2007, 2. Aufl. 2008. 30 Zum Zusammenhang zwischen „Bedeutsamkeit“ und Zeit bzw. auch „Zeitlichkeit“ (die ich hier allerdings nicht meine) s. Jochen Hörisch: Bedeutsamkeit. Über den Zusammenhang von Zeit, Sinn und Medien, München 2009. 31 Die Tageszeitung „Le Monde“ veröffentlichte im Sommer 2009 eine Reihe von Bibliotheksporträts, in denen nicht zuletzt auf solche „Fremdkörper“ – im Vergleich zum Buch – wie in der Bibliothek von Carpentras das Augenmerk gelegt wurde: „Un cabinet de curiosités à Carpentras“, von Thomas Wieder, „Le Monde“, 14.8.2009, séries d’été III. 32 Michel Houellebecq: Extension du domaine de la lutte, Paris 1994 (Roman). Houellebecque beschäftigt sich in seinen Romanen nicht zuletzt mit der Bedeutung elektronischer Medien aus gesellschaftskritischer und zukunftskritischer Sicht. 33 Vgl. aber auch: Peter Horvath: Geschichte Online: neue Möglichkeiten für die historische Fachinformation, Köln: Zentrum für Historische Sozialforschung 1997 (Historical social research: Supplement 8). 137

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34 Köln (UTB) 2001; vgl. auch: Stuart Jenks, Paul Tiedemann: Internet für Historiker: eine praxisorientierte Einführung, 2., überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 2000. 35 Franz X. Eder et. al.: Geschichte online. Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten, Wien (UTB) 2006. 36 Wolfgang Schmale, Martin Gasteiner, Jakob Krameritsch, Marion Romberg: E-Learning Geschichte, Wien 2007. Martin Gasteiner/Peter Haber (Hg.): Digitale Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissenschaften, Wien 2010. 37 Vannevar Bush: As we may think. in: Atlantic Monthly. Vol. 176/1 1945. 641–645.: http://www.ps.uni-sb. de/~duchier/pub/vbush/vbush0.shtml. 38 V. Bush verabsolutierte das Assoziieren im Gehirn nicht, sondern sah dies als eine von mehreren im Gehirn angewandten „Techniken“. 39 http://www.enzyklopaedie-der-neuzeit.de/. 40 Z. B., wenn auch noch ganz am Anfang stehend: www. wolframalpha.com. 41 http://www.iconclass.nl/about-iconclass/what-is-iconclass. 42 http://www.iconclass.org/rkd/11D9/.

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43 https://phaidra.univie.ac.at/. Das Projekt wird von Dr. Paolo Budroni, einem Geisteswissenschaftler, geleitet. 44 Wir versuchen das derzeit in einem von mir geleiteten Schwerpunktprojekt der Universität Wien im Rahmen eines Forschungsportals für die Historisch-kulturwissenschaftliche Fakultät durchzuführen. Hauptakteur des Projekts ist Martin Gasteiner. 45 Der erste Treffer mit einer Suchmaschine des Musters „www.xxx.at“, führt tatsächlich auf eine Lehrerseite …: http://193.171.252.18/www.lehrerweb.at/ms/ms_arb/gs/ allg_roemerquizkarten.pdf. 46 Haber, op. cit., S. 185. 47 Haber, op. cit., S. 254. 48 Vgl. u. a.: Jakob Krameritsch, Martin Gasteiner: Schreiben für das WWW: Bloggen und Hypertexten, in: Wolfgang Schmale (Hg.): Schreib-Guide Geschichte. Schritt für Schritt wissenschaftliches Schreiben lernen, Wien 2006 (UTB 2854), S. 231–271, hier besonders 231–242. 49 Praxisbeispiele aus unterschiedlichen Lehrveranstaltungstypen: Forschungsseminar „Paris: Historische Semiotik einer Stadt“ (SS 2008): http://www.univie.ac.at/igl. geschichte/ss2008/fs_ss2008_index.htm >Blogliste. Propädeutischer Methoden-Kurs „Informatik und Medien in der Geschichtswissenschaft“ (mehrfach durchgeführt, Blogs sind hier zusammengefasst: http://www.univie. ac.at/geschichte-M4/wordpress/.) 139

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50 Wolfgang Schmale, Martin Gasteiner, Jakob Krameritsch, Marion Romberg: E-Learning Geschichte (Böhlau Studienbuch), Wien/Köln/Weimar 2007. 51 URLs: Geschichte online: http://www.geschichte-online. at; Ad fontes: http://www.adfontes.uzh.ch; Arabic Papyrology School: http://orientx.uzh.ch:8080/aps_test_2/ home/; Pastperfect: http://www.pastperfect.at. 52 http://www.deuframat.de. 53 Am Beispiel der Reichsgeschichte genauer ausgeführt: Wolfgang Schmale: Wege der Forschung und Lehre: Internet, in: Stephan Wendehorst, Siegrid Westphal (Hg.): Lesebuch Altes Reich, S. 244–249, München 2006. 54 Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen Seiten durch Gregor Horstkemper, Alessandra Sorbello-Staub: Zeitfibel: Historische Chronologie im Web, in: GWU 59 (2008), S. 662–663 (Rubrik „Informationen Neue Medien“). 55 Das Folgende im Kern, aber stark gekürzt, nach: Wolfgang Schmale: Hypertextcreator, in: AHF, Forschungsberichte, Jahrbuch 2006, http://www.ahf-muenchen.de/ Forschungsberichte/Jahrbuch2006/AHF_Jb2006_FB_ D3_Schmale.pdf. HYPERTEXTCREATOR http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/html/Hypertextcreator/Start.html/ (Beispiele für den Einsatz des CMS sind ebenfalls über diese Seite ansteuerbar; die Realisierungsgrade sind sehr unterschiedlich, je nach Projekt oder Lehrveranstaltung, aber 140

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gerade dadurch lehrreich). Beispielseite für die Redaktionsmaske: http://gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse. php?a=3406&arttyp=k. 56 Beispieldatenbank aus dem propädeutischen MethodenKurs „Bildliche und dingliche Quellen“ (SS 2004/SS 2008): http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/ss2008/ku_ ss2008_index.htm oder direkt http://www.univie.ac.at/ hypertextcreator/europa/site/browse.php. Auf „Kontext“ klicken; der erste „Kontext“ „Wien, Europaikonografie“ wurde im SS 2004 von einer Kursgruppe erarbeitet, der zweite „Wien, ikonografische Spaziergänge“ im SS 2008. Der zweite „Kontext“ enthält auch ein selbst gefertigtes Video eines Studenten. Die Datenbankrealisierung der Studierenden zeigt Möglichkeiten und natürlich auch Grenzen auf, die durch den Semesterrhythmus mitbedingt sind. 57 Vgl. die Beschreibung in: http://riitta.oittinen.fidisk. fi/europe/index.html; Bilder der „eurospotters” unter: http://riitta.oittinen.fidisk.fi/europe/eurosigns_world/ index.html. 58 Zu Max von Portheim s. Reinhard Buchberger, Gerhard Renner, Isabella Wasner-Peter (Hg.): Portheim. sammeln & verzetteln. Die Bibliothek und der Zettelkatalog des Sammlers Max von Portheim in der Wienbibliothek, Wien 2007. 59 http://www.dhm.de/filmarchiv/marshall-plan-filme/. 60 http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/europaquellen; 141

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vgl. auch: Rolf Felbinger, Günter Kastner, Josef Köstl­ bauer, Wolfgang Schmale: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert – Web-Datenbank und Publikation, in: Institut für Europäische Regionalforschungen der Universität Siegen (Hg.): Interregiones, Heft 12/2003, 79–99. 61 Da seinerzeit kein CMS, sondern HTML-Technik verwendet wurde, ist „Datenbank“ nicht ganz korrekt als Bezeichnung. 62 Wolfgang Schmale, Rolf Felbinger, Günter Kastner, Josef Köstlbauer: Studien zur europäischen Identität im 17. Jahrhundert, Bochum 2004 (technische Details und Konzeption des Webprojekts sowie Datenblätter zu allen Quellen s. S. 117–210). 63 Vgl. Nora Gädeke: Ein Dinosaurier im Internet – die historisch-kritische Leibnizedition. Vom Nutzen der neuen Medien für ein editorisches Langzeitunternehmen, in: Brigitte Merta, Andrea Sommerlechner, Herwig Weigl: Vom Nutzen des Edierens. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Wien, 3.–5. Juni 2004, Wien, München 2005, S. 183–196. 64 Die Grundlagen des Projekts sind in Heft 1/2 nachzulesen: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820, Heft 1/2: Allgemeine Bibliographie; Einleitung (Rolf Reichardt); Die Wörterbücher in der Französischen Revolution (Brigitte Schlieben-Lange), München 1985. Reichardt schildert auch den spannenden 142

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Gang der Forschung von der Lochkartenlexikometrie zur Wortfeldforschung. 65 http://www.ieg-maps.uni-mainz.de/mapsp/mapebga0. htm. 66 http://www.univie.ac.at/hypertextcreator/europa/site/ browse.php. 67 Abgelegt unter: http://video.google.de/videoplay?docid=8 412481207113475717&hl=de. 68 http://www.startrek.com/startrek/view/index.html, Episodenbeispiel zur Zeitproblematik: http://www.startrek. com/startrek/view/series/ANI/episode/22010.html. 69 Ich will damit nicht behaupten, dass die Bilder der konkreten DVD nicht stimmen, das wäre eine hier nicht zu führende Diskussion. „Die Stadt im späten Mittelalter“; Südwestrundfunk, Autorin: Silke Amberg. Mehr unter: http://www.planet-schule.de Multimedia CD-ROMs (http://www.planet-schule.de/sf/04_mul01.php). 70 Nicht von ungefähr spiele ich auf den Titel eines Buches von Karlheinz Stierle an: Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt, München 1993. 71 Vgl. Gerhard Murauer: Inszenierung von Geschichte im öffentlichen Raum am Beispiel der Wiener Ringstraße, Dipl. Arbeit Wien 2009 (Betreuung: Wolfgang Schmale).

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72 Maßgeblich für die Problemstellung geschichtlichen Erzählens mittels Hypertext ist die zitierte Arbeit von Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung, Münster u.a. 2007. S. vom selben Autor: Die fünf Typen des historischen Erzählens im Zeitalter digitaler Medien, in: Zeithistorische Forschungen Jg. 6 (2009): http://www.zeithistorischeforschungen.de/16126041-krameritsch-3-2009. 73 http://www.ieg-mainz.de/likecms/likecms.php?site=site. htm&dir=&nav=208. 74 Martin Gasteiner: „Zwischen laterna magica und Interface“. Grundprobleme einer historisch-medialen Interfaceforschung. Wien 2009 (Diplomarbeit bei Wolfgang Schmale). 75 Die folgenden Absätze basieren auf meinem Vortrag im Rahmen der hist2006-Tagung an der Humboldt-Universität Berlin: Geschichte im Netz – Praxis, Chancen, Visionen, in: Geschichte im Netz – Praxis, Chancen, Visionen. Beiträge der Tagung .hist2006. Herausgegeben für Clio-online von Daniel Burckhardt, Rüdiger Hohls und Claudia Prinz, unter Mitwirkung von Sebastian Barteleit, Gudrun Gersmann, Peter Haber, Madeleine Herren, Patrick Sahle, Daniel Schlögl, Georg Vogeler, Claudia Wagner und Irmgard Zündorf: http://edoc.hu-berlin.de/ histfor/10_I/PHP/Eroeffnung_2007-10-I.php#001003. Der Originaltext wurde teilweise umgearbeitet, gekürzt und erweitert.

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76 Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1949. 77 Tim Berners-Lee verlinkt auf seiner Webseite zu „A Little History of the World Wide Web“ unter: http://www. w3.org/History.html. 78 S. Matthias W. Zehnder: Geschichte und Geschichten des Internets, Kilchberg 1998, S. 80. 79 Vgl. zur Begriffsbildung: Matthias Schulze: Netzwerke und Normen in der internationalen Geschichte. Überlegungen zur Einführung, in: Historische Mitteilungen 17 (2004), S. 1–14, Stuttgart 2005. In Bezug auf „Neue Medien“ s. Manuel Castells: Das Informationszeitalter. Band 1: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Band 2: Die Macht der Identität. Band 3: Jahrtausendwende, Opladen 2001, 2002, 2003. 80 „Richtig“ stellt einen relationalen Begriff dar, keinen verabsolutierbaren. 81 http://www.edge.org/q2010/q10_index.html (The Edge annual question – 2010).

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Register (Begriffe mit „digital“, „Web“ sowie „Geschichte“, „Geschichtswissenschaft“ u.ä. wurden nicht aufgenommen) ad fontes 14, 82f., 133 Antwortmaschine 72 Arabic Papyrology School 82f. Arnold, K. 25, 134 Ästhetik 22, 45, 47, 48, 71, 72 Archiv 13f., 15, 17, 51, 77 Audio-visuelle Medien 10ff., 17, 19, 23 Bergmann, Werner 27, 134 Berners-Lee, Tim 68, 114 Bibel 46, 113 Bibliothek 14, 45-48, 137 Bildschirm 13, 16, 28, 30f., 41, 67, 106 Bochum, Ruhruniversität 24f., 32f., 134, 135 Buch 21, 26, 27, 28, 42, 44, 46, 113, 127, 129f. Buchmann, Sabeth 133 Budroni, Paolo 139 Busa, Roberto 25, 134 Bush, Vannevar 66-68, 138 d’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 69 Castells, Manuel 145

Datenschutz 124 Deskriptor 47, 125f. DeuFraMat 83 Deutsches Historisches Museum 97 Diderot, Denis 69 Ditfurth, Christian von 65 Eder, Franz X. 138 Edge 129, 145 E-Learning 55ff., 79–90 Elfenbeinturm (der Wissenschaft) 51f. Enzyklopädie 69–72, 84, 109 Erzählen 103-112 Europäische Geschichte online (EGO) 111 Europaquellen 97f. europeana.eu 73 Evidenz, evident 23, 31f., 34 Fernsehen 12, 16, 27, 39 Feuchtwanger, Lion 9–12, 133 Foster, Hal 15, 133 Gasteiner, Martin 112, 131, 138, 139, 144 Gedächtnis 11 Geschichte online 35, 66, 82f. 147

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Gutenberg, Johannes 113 Haber, Peter 35, 63, 76, 134 Handschrift(lich), --keit 24, 26, 28, 30, 40f. Hearts of Iron 38 Historische Workstation 27, 32, 33, 61f. Hodel, Jan 35, 63 Hörisch, Jochen 137 Holocaust 11f., 13, 133 Horstkemper, Gregor 140 Horvath, Peter 137 Houellebecq, Michel 59, 137 Hypertext (s. auch Hypertextcreator) 103–112, 116, 125f. Hypertextcreator 35, 58, 83, 85–89, 100, 140 IBM 25, 27f., 32, 134 Index Thomisticus 25, 134 Individuum, Individualisierung, individuell 16, 17, 18, 22, 29, 31, 34, 58, 67, 77, 94, 115f. Institut für Europäische Geschichte (Mainz) 99 Interdisziplinarität (auch Transdisziplinarität) 18, 53f., 61, 101, 118 Interfaceforschung 112 Intermedialität 18 Isidor von Sevilla 69

Jaspers, Karl 113, 145 Jenks, Stuart 65 Johannes Paul II. (Papst) 114 jstor 84, 97 Kastner, Günter 131, 142 Klassifizierungssystem 73f. Kleio 32, 135 Köstlbauer, Josef 15, 39, 54, 131 Kohärenz 68, 71, 103, 109f., 116, 130 Krameritsch, Jakob 35, 131, 135, 138, 139, 144 Kreativität 79f. Kunst, künstlerisch etc. 15, 30, 31, 35 Kunz, Andreas 99 Lévi-Strauss, Claude 30, 135 Lexikometrie 99 Lochkarten, Lochstreifen 25 Lückerath, Carl August 134 Marra, Stephanie 65 Medienrevolution 23, 24ff., 49, 103, 113 Meistererzählung 44, 110 München (Universität LMU) 33, 34 Neef, Sonja 135 Nelson, Lynn H. 35 Nouveau Roman 108

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Oittinnen, Riitta 96, 141 Ordnung 14, 17 pastperfect 35, 58, 82f. Phaidra 73f., 139 Piccolomini, Enea Silvio 113 Portheim, Max von 96f., 141 Quelle (historische Primärquelle) 13f., 37, 97f., 101, 104 Raad, Walid 133 Reichardt, Rolf 99, 142 Remediation 16, 41, 136 Rezeption 16, 48, 66 Romberg, Marion 131, 138

Völker-Rasor, Anette 136 Wenzel, Horst 46 Werkzeug 22, 31 Wien (Universität) 21, 35, 74, 139 Wikipedia 69-72, 75 Winkler, Georg 100, 141, 143 Wissen 49f., 58, 65-77, 119 World Digital Library 101, 107 WYSIWYG 31 Zafón, Carlos Ruiz 46, 137 Zedler, Johann Heinrich 70 Zettelkatalog, -kasten 47, 96f.

Schnelligkeit 56, 120-122 Schreibmaschine 24, 27f., 30 Schulze, Winfried 27, 33 Semantic Web 68, 73f., 77, 126 Semiotik 114ff. Star Trek 104, 143 Stauber, Reinhard 33 Suchmaschine 21, 73ff. Tabloide 41 Tagging 76 Technik 27, 30 Thaller, Manfred 32, 62, 135 Tonfilm 10f., 16 Vergegenwärtigung 13, 15 Vernetzung 34 149

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MARTIN GASTEINER UND PETER HABER (HG.)

DIGITALE ARBEITSTECHNIKEN FÜR DIE GEISTES- UND KULTURWISSENSCHAFTEN

Das Buch vermittelt Kenntnisse und Kompetenzen für fortgeschrittene Studierende, Dozierende sowie Forschende in den Geisteswissenschaften im Umgang mit Neuen Medien, Open Access und Digitalen Publikationspraktiken. Es orientiert über Rechte und Pflichten im Umgang mit digitalen Texten und Bildern, behandelt die unterschiedlichen Situationen in den deutschsprachigen Ländern und weist weiterführende Literatur und Quellen zu diesen Themen nach. MIT BEITR ÄGEN VON:

Valentin Groebner, Tom Holert, Jakob Krameritsch, Martin Gasteiner, Peter Haber, Seyavash Amini, Olaf Blaschke, Georg Bernhard, Daniel Burckhardt, Nikolaus Forgo 2010, 269 S. BR. 8 S/W-ABB. 150 X 215 MM. ISBN 978-3-8252-3157-6

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WOLFGANG SCHMALE, MARTIN GASTEINER, JAKOB KR AMERITSCH, MARION ROMBERG

E-LEARNING GESCHICHTE

E-Learning ist ein Mittel, um die Massenuniversität im europäischen Hochschulraum wettbewerbsfähig zu positionieren, indem die didaktisch-technischen Vorteile elektronischer Medien genutzt werden. Ziel ist es, die europäische Wissensgesellschaft, basierend auf der universitären Ausbildung, trotz stagnierender Finanzmittel zu erreichen. In Fächern wie Medizin, Statistik, Psychologie ist E-Learning bereits fortgeschritten. Im Fach Geschichte läuft nach der Erstellung wissenschaftlicher Websites und geschichtswissenschaftlicher Portale seit rund vier Jahren die Produktion virtueller Lernobjekte und deren Einsatz im Rahmen von E-Learning an. Wolfgang Schmale zählt in diesem Bereich seit den 1990er Jahren zu den treibenden Kräften an der Universität Wien und verfügt über die bisher umfassendste E-Learning-Expertise im Fach Geschichte im deutschsprachigen Wissenschaftsraum.

2007, 219 S. BR. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-205-77496-9

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