Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers: Eine Studie zum Privat- und Wirtschaftsrecht unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bezüge 9783161578663, 3161469380

is Professor at the Law Faculty of the University of Munich, and since 2001 director of the Max Planck Institute for Int

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German Pages 708 [713] Year 2020

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
§ 1 Einleitung
I. Eine Dogmatik für den privatrechtlichen Verbraucherschutz
II. Verstärkung oder Schwächung des Verbraucherschutzes
III. Zur Notwendigkeit einer verbraucherschutzrechtlichen Dogmatik
IV Eigener Ansatz: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung
1. Begriff
2. Die Stellung des Verbrauchers
3. Die rechtliche Qualifikation
4. Das situationsbezogene Verbraucherschutzmodell
V. Definitionen und Abgrenzung
VI. Gang der Darstellung
1. Bestandsaufnahme (Erstes Kapitel)
2. Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen (Zweites Kapitel)
3. Verfassungsrechtliche Grundlagen (Drittes Kapitel)
4. Privatrechtliche Umsetzung (Viertes Kapitel)
Erstes Kapitel: Bestandsaufnahme
§ 2 Der privatrechtliche Schutz des Verbrauchers durch das geltende deutsche Recht (Überblick)
I. Erste Anfänge
1. Abzahlungsgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch
2. Das UWG von 1896 und seine Fortentwicklung
II. Die Entwicklung des Kartellrechts
III. Die Verbraucherschutzgesetzgebung der 70er Jahre
IV. Die Verbraucherschutzdebatte im Schrifttum
1. Das ordnungspolitische Informationsmodell
2. „Soziale“ Alternativmodelle
3. Verbraucherschutz und Privatautonomie
V. Neuere Entwicklungen
1. Europäisierung
a) Ausgangslage nach der Römischen Fassung des EG-Vertrages
b) Entstehen der EG-Verbraucherpolitik
c) Die Einheitliche Europäische Akte und die Rechtsangleichungspolitik im Bereich des Verbraucherschutzes
d) Nationales Verbraucherschutzrecht unter Einfluß der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten
e) Verbraucherschutz unter Geltung des Maastrichter EU-Vertrages
f) Verbraucherschutz nach dem Amsterdamer Vertrag
2. Ökologisierung und Politisierung
3. Übergang zur „risikofreien Gesellschaft“
4. Folgen für die Konzeption des Verbraucherschutzes
§ 3 Verbraucherschutz zwischen Politik und Rechtsgebiet
I. Verbraucherschutzpolitik
1. Die beiden Bedeutungen von Verbraucherschutzpolitik
2. Verbraucherschutz als politisches Postulat
3. Verbraucherschutzpolitik als Rechtspolitik
4. Verbraucherschutzpolitik im Sinne des Gemeinschaftsrechts
II. Verbraucherschutzrecht als Sonderprivatrecht?
1. Kodifikation oder Sondergesetze?
2. Sonderprivatrecht des Verbrauchers oder Einheit des Bürgerlichen Rechts?
a) Das interne Bezugssystem
b) Das externe Bezugssystem
3. Über die falsche Fragestellung
III. Zusammenfassung
Ergebnisse zum Ersten Kapitel
Zweites Kapitel: Die marktwirtschaftliche Theorie des Verbrauchers
§ 4 Markt und Verbraucher
I. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes
1. Die „unsichtbare Hand“
2. Die klassische Gleichgewichtsökonomie
3. Liberale Markttheorien
a) Der grenzenlose Wirtschaftsliberalismus des Laissez faire
b) Die Rückbesinnung auf den Wirtschaftsliberalismus bei Hayek
c) Die Chicago School
4. Der Markt im Ordoliberalismus
a) Euckens Ordnungsmodell
b) Das Verhältnis von Ökonomie und Recht
c) Ordoliberalismus und Verbraucherschutz
I. Die Konzeption des Wettbewerbs
1. Wettbewerb als Voraussetzung der Marktwirtschaft
a) Der vollkommene Wettbewerb in der neoklassischen Theorie
b) Der vollkommene Wettbewerb der Chicago School
c) Der vollständige Wettbewerb bei Eucken
d) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren
e) Die Kritik am statischen Modell des vollkommenen (vollständigen) Wettbewerbs
f) Wettbewerb und Verbraucherschutz
2. Das Bestreiten der Funktionstüchtigkeit des Wettbewerbs
a) Das Konsumentenmanagement der Hersteller nach Galbraith
b) Die Kritik an der Kritik
III. Das Menschenbild der Ökonomie
1. Homo oeconomicus und methodologischer Individualismus
2. Der Verzicht auf ein theoretisches Menschenbild
IV. Die Ziele der Marktorganisation
1. Effizienz als ausschließliches Ziel der Wirtschaftspolitik
2. Die ökonomische Begründung alternativer Verbraucherschutzkonzepte
3. Freiheitssicherung auch gegen den Sozialstaat (Hayek)
4. Die Soziale Marktwirtschaft
a) Das Verhältnis von Marktwirtschaft und Sozialem
b) Marktkonformität sozialer Maßnahmen
c) Umweltsoziale Marktwirtschaft
d) Der Verbraucher in der Sozialen Marktwirtschaft
V. Selbstbestimmung statt Effizienz: Der Kodak-Fall
VI. Zusammenfassung
§ 5 Von der ökonomischen Analyse des Rechts zum Konzept der normativen Effizienz
I. Normative anstelle ökonomischer Effizienz
1. Die Aufgaben der ökonomischen Analyse des Rechts
a) Ökonomische Analyse des Rechts als Methode
b) Ökonomische Analyse des Rechts im positiven Sinne
c) Ökonomische Analyse des Rechts im normativen Sinne
d) Über das Verhältnis von positiver und normativer Analyse
e) Über die richtig verstandene ökonomische Analyse des Rechts
2. Die Grundannahme rationalen und egoistischen Verhaltens
a) Methodologischer Individualismus
b) Der homo oeconomicus als Menschenbild der ökonomischen Analyse?
c) Eigener Vorschlag: Das Alternativmodell der „normativen Effizienz“
3. Ökonomische (allokative) und normative Effizienz
a) Ausschließlichkeitsanspruch ökonomischer Effizienz
b) Die Kritik am neoklassischen Modell
c) Innovative Effizienz
4. Zusammenfassung
II. Neue Institutionelle Ökonomie
1. Einführung
2. Entwicklung
3. Das Coase-Theorem
4. Die Informationsökonomie
5. Eingeschränkte Rationalität (bounded rationality)
6. Neue Institutionelle Ökonomie, Transaktionskostenökonomie und normative Effizienz
a) Theorienverfeinerungen und Verbraucherselbstbestimmung
b) Normative statt ökonomischer Effizienz
c) Methode
d) Interdependenz der Ordnungen
e) Die normative Effizienz im Praxistest
7. Zusammenfassung
III. Die wirtschaftliche Selbstbestimmung als zugleich ökonomisches und normatives Konzept
1. Das Verbraucherschutzmodell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
a) Wirtschaftliche Selbstbestimmung als Entscheidungszuständigkeit
b) Das ordnungspolitische Grundkonzept
2. Privatautonomie und Selbstbestimmung
a) Die Funktion der Privatautonomie
b) Die ordnungspolitischen Spielregeln des Verbraucherschutzes
3. Zum Verhältnis von Recht und Ökonomie
Ergebnisse zum Zweiten Kapitel
Drittes Kapitel: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers
§ 6 Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers im Grundgesetz
I. Der Begriff der Wirtschaftsverfassung
1. Die „Wirtschaftsverfassung“ des Grundgesetzes
2. Verschiedene Definitionen des Begriffs „Wirtschaftsverfassung“
a) Der ökonomische Begriff
b) Der staatsrechtliche (normative) Begriff
c) Der gemischt ökonomisch-normative Begriff
3. Folgerungen für das Wirtschafts- und Verbraucherschutzrecht
II. Die Bedeutung der Verfassung für das Verbraucherschutzrecht
1. Grundlagen der Grundrechtsdogmatik
a) Grundrechte als Abwehrrechte
b) Grundrechte als negative Kompetenzvorschriften
c) Grundrechte als Institutsgarantien
d) Grundrechte als staatliche Schutzpflichten
e) Grundrechte als Elemente der objektiven Ordnung
f) Grundrechte als Teilhaberechte
2. Die Strukturprinzipien der Verfassung
a) Das Demokratieprinzip
b) Das Rechtsstaatsprinzip
c) Das Sozialstaatsprinzip
d) Umweltschutz als Staatszielbestimmung
3. Die Bedeutung der Grundrechte für das Verbraucherschutzrecht
a) Der grundrechtliche Schutz der Marktgegenseite
b) Der grundrechtliche Schutz der Verbraucher
4. Das Grundrecht des Verbrauchers auf wirtschaftliche Selbstbestimmung
a) Schutzbereich
b) Wirkung der Grundrechtsgarantie
c) Grundrechtsschranken
5. Zusammenfassung
III. Verfassungsrecht und Privatrecht
1. Die formale Sicht der Privatautonomie in der Rechtsprechung des BGH
2. Die materielle Sicht der Privatautonomie in der Rechtsprechung des BVerfG
3. Die verfassungsrechtliche Kontrolldichte
4. Der Maßstab der Prüfungspflicht
a) Typisierbare Situationen strukturellen Vertragsungleichgewichts
b) Ungewöhnliche Belastung
5. Schlußfolgerung
Viertes Kapitel: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers im Privatrecht
§ 7 Die privatrechtlichen Grundlagen des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts
I. Verbraucherschutz zur Sicherung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
II. Das situationsbezogene Verbraucherschutzrecht
1. Die marktbezogene Betrachtung als Ausgangspunkt
2. Die Begründung des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts
a) Die verbrauchertheoretische (soziologische) Begründung
b) Die wirtschaftswissenschaftliche Begründung
c) Die normative Begründung
3. Konstitutives und kompensatorisches Verbraucherschutzrecht
4. Die Ermittlung verbraucherschutzrelevanter Situationen
III. Das konstitutive Verbraucherschutzrecht
1. Die „formale“ Privatautonomie
2. Die Sicherung des Wettbewerbs
3. Der Zusammenhang von formaler Privatautonomie und Wettbewerb
IV. Zusammenfassung
§ 8 Das kompensatorische Verbraucherschutzrecht
I. Zwingendes und dispositives Recht
II. Vorschriften zur Sicherung der Willensfreiheit
III. Dispositives Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrecht
IV. Das Haustürwiderrufsgesetz
1. Schutz gegen Überrumpelung
2. Der sachliche Anwendungsbereich – die Bürgschaftsproblematik
V. Das Verbraucherkreditgesetz
1. Die Rücktrittsfiktion
2. Informationspflichten
3. Das Widerrufsrecht
4. Der fremdfinanzierte Kauf
5. Nicht geregelte Probleme
VI. Das AGB-Gesetz
1. Das einseitige Stellen von AGB
a) Das Fehlen von Wettbewerb um bessere AGB
b) Die ökonomische Analyse des AGB-Gesetzes
c) Das AGB-Gesetz im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
2. Die Inhaltskontrolle im besonderen
3. Diskussion von Teilaspekten
a) Die Inhaltskontrolle bei nicht im einzelnen ausgehandelten Individualverträgen
b) Der objektive Maßstab der Inhaltskontrolle
c) Das Transparenzgebot
4. Zusammenfassung
VII. Das Produkthaftungsrecht
1. Das Produkthaftungsrecht als Teil des Deliktsrechts
2. Die Zwecke des Deliktsrechts
3. Der besondere Grund der Haftung
4. Der informationelle Fehlerbegriff
5. Informationeller Fehlerbegriff und wirtschaftliche Selbstbestimmung
6. Bestimmung der Produkthaftung für verschiedene Fehlerkategorien
a) Erkennbarkeit der Gefährlichkeit
b) Instruktionsfehler
c) Fabrikationsfehler
d) Konstruktionsfehler
7. Gefährdungs- und Verschuldenshaftung als Entscheidungsdelegation
VIII. Schlußfolgerungen
1. Wirtschaftliche Selbstbestimmung als inhaltliche Bestimmung der Rechtsfähigkeit
2. Wirtschaftliche Selbstbestimmung als Grundlage eines freiheitlichen Verbraucherschutzrechts
§ 9 Der Verbraucher
I. Der Verbraucher im situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht
II. Der persönliche Anwendungsbereich der Verbraucherschutzgesetze
1. Das konstitutive Verbraucherschutzrecht
2. Das kompensatorische Verbraucherschutzrecht
a) Die Vorschriften des BGB (einschließlich des ProdHaftG)
b) Das Haustürwiderrufsgesetz
c) Das Verbraucherkreditgesetz
d) Das AGB-Gesetz
e) Der „letzte Verbraucher“ im Unlauterkeitsrecht
III. Wirtschaftliche Selbstbestimmung und Verbraucherleitbild
1. Notwendigkeit und Funktion des Verbraucherleitbildes
2. Zu einer Systematik des Verbraucherleitbildes
3. Der Maßstab des Verbraucherleitbildes
a) Rekonstruktion des vollständigen Vertrags
b) Das Vertragsmodell
c) Konkretisierungen
4. Das normative Verbraucherleitbild
a) Gründe
b) Merkmale
IV. Der Verbraucher im Gemeinschaftsrecht
1. Der Verbraucher im Primärrecht
2. Der Verbraucher im Sekundärrecht
3. Die Konzeption des „hohen Verbraucherschutzniveaus“
a) Optimierung statt Maximierung
b) Mindestschutz und Optimierungsaufgabe
V. Zusammenfassung
§ 10 Instrumentarien des Verbraucherschutzrechts
I. Abgrenzung der Verbraucherschutzinstrumente
II. Das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip
III. Regeln zur Sicherung der Willensfreiheit bei Vertragsschluß (insbesondere Informationspflichten)
1. Negative Informationspflichten
a) Das Verbot der arglistigen Täuschung und das Anfechtungsrecht
b) Das Verbot der irreführenden Werbung und das Rücktrittsrecht
c) Gestaltungsrechte zur Sicherung negativer Informationspflichten
2. Positive Informationspflichten (Aufklärungspflichten)
a) Spezialgesetzliche Informationspflichten
b) Informationspflichten aufgrund von Generalklauseln
c) Ordnungspolitische Instrumente
IV. Die Verlängerung der Überlegungsfrist
1. Regelungen des deutschen Rechts
2. Richtlinien des Gemeinschaftsrechts
3. Das Widerrufsrecht im VerbrKrG und HWiG
4. Beurteilung anderer Fälle
a) Das Rücktrittsrecht bei Time-Sharing-Verträgen
b) Das Widerrufsrecht beim Fernabsatz
c) Das Versicherungsvertragsrecht
5. Gegen das Wirksamkeitsargument
V. Die Inhaltskontrolle von Verträgen
1. Charakteristika der Inhaltskontrolle
2. Einzelfälle der Inhaltskontrolle
a) Die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz
b) Die Kontrolle des Ausbeutungsmißbrauchs
c) Die Sittenwidrigkeitskontrolle
VI. Der Handtaschen-Fall
1. Sachverhalt und Entscheidung
2. Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
a) Instrumente des konstitutiven Verbraucherschutzrechts
b) Informationspolitische Maßnahmen
c) Inhaltskontrolle
VII. Die Behandlung von Familienbürgschaften
1. Rechtsprechung
a) Voraussetzungen der Sittenwidrigkeitskontrolle bei Bürgschaften von Kindern
b) Strengere Behandlung von Ehegattenbürgschaften
c) Bevorzugung der Sittenwidrigkeitskontrolle und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
d) Beurteilung nach Spezialgesetzen
2. Beurteilung im Lichte wirtschaftlicher Selbstbestimmung
a) Regeln zur Sicherung der freien Willensbildung
b) Verlängerung der Überlegungsfrist
c) Die Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB
VIII. Zusammenfassung
§ 11 Das Unlauterkeitsrecht
I. Das Unlauterkeitsrecht im situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht
1. Stellenwert der Verbraucherselbstbestimmung im UWG – positive und negative Funktion
a) Wirtschaftliche Selbstbestimmung und Konsumentensouveränität
b) Über den Markt zu koordinierende wirtschaftliche Selbstbestimmung
2. Zwischen konstitutivem und kompensatorischem Verbraucherschutz
II. Die „politische“ Werbung zu kommerziellen Zwecken
1. Der Begriff der „politischen“ Werbung
2. Der Solidarisierungseffekt als Kriterium der „gefühlsbetonten Werbung“
3. Das Argument der übermäßigen Belästigung
4. Interessen Dritter
5. Werbung mit einem politischen Zusatznutzen (social marketing)
III. Die Umweltwerbung
1. Begriff
2. Das Irreführungsverbot
a) Rechtsprechung
b) Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
3. Die gefühlsbetonte Werbung
a) Rechtsprechung
b) Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
4. Die zugaberechtliche Beurteilung
5. Zusammenfassung
§ 12 Das Markenrecht
I. Einführung
II. Die Funktion der Marke
1. Die Funktionenlehre
2. Die Unterscheidungsfunktion
3. Die Herkunftsfunktion
4. Die Qualitätsfunktion
5. Die Werbefunktion
6. Die Kommunikationsfunktion: Die Marke als Property Right
7. Die Verbraucherfunktion
III. Der spezifische Gegenstand des Markenrechts
1. Nationales Markenrecht und Freiheit des Warenverkehrs
2. Von „Hag I“ zu „Hag II“
3. Die freiwillige Markenaufspaltung (Ideal Standard)
IV. Das Markenrecht im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
1. Die Funktionenlehre
2. Die Forderung nach einer Verbraucherfunktion
3. „Ideal Standard“ im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung
V. Zusammenfassung
Ergebnisse zum Vierten Kapitel
Schlußwort
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers: Eine Studie zum Privat- und Wirtschaftsrecht unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bezüge
 9783161578663, 3161469380

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JUS P R I V A T U M Beiträge zum Privatrecht Band 31

ARTI BUS

Josef Drexl

Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers Eine Studie zum Privat- und Wirtschaftsrecht unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bezüge

Mohr Siebeck

JOSEF DREXL, geboren 1962; Studium der Rechtswissenschaften in München, Genf und Berkeley; 1990 Promotion; 1993 LL.M. (Berkeley); 1996 Habilitation; seit August 1997 Professor für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Würzburg.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers: eine Studie zum Privat- und Wirtschaftsrecht unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Bezüge / Josef Drexl. - Tübingen: 978-3-16-157866-3 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 Mohr Siebeck, 1998 (Jus Privatum; Bd. 31) I S B N 3-16-146938-0

© 1998 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Times-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Fiir Wolfgang Fikentscher

Vorwort Die vorliegende Studie beruht auf einer Habilitationsschrift, die Ende 1996 von der Juristischen Fakultät der Universität München angenommen wurde. Erste Überlegungen für diese Schrift gehen auf den Beginn der 90er Jahre zurück. Am Anfang stand die Idee, das Verbraucherschutzthema mal wieder einer wissenschaftlichen Aufarbeitung zuzuführen. Nun waren damals schon viele große und weniger große Werke geschrieben. Neues zu schreiben, vielleicht sogar eine eigene Verbraucherschutzdogmatik zu entwickeln, stellte sich schnell als anspruchsvolle Aufgabe heraus. Zudem war es erforderlich, was einem in anderen Rechtsgebieten in ähnlichem Maße nicht abverlangt wird, sich selbst im Verhältnis zum Thema zu definieren. Einen wichtigen Einschnitt für die Arbeiten zu dieser Studie bedeutete der Aufenthalt an der University of California at Berkeley im Studienjahr 1992/93. Zwar stand die Teilnahme am dortigen Magisterstudiengang ganz im Vordergrund. Dennoch hat sich dieser Aufenthalt ganz wesentlich in Inhalt und Grundkonzeption der Studie niedergeschlagen. Der näheren Bekanntschaft mit der ökonomischen Analyse des Rechts und der entstehenden Begeisterung für sie, unter anderem im Rahmen einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Robert Cooter, folgte nach der Rückkehr nach Deutschland ein kritisches Überdenken. Jedenfalls war jetzt der Entschluß gefaßt, eine wirtschaftsrechtlich geprägte Studie zum Verbraucherschutzrecht zu schreiben. Die eigene Position zum Thema konnte nicht gefühlsmäßig begründet werden, sondern bedurfte der Begründung über die Ökonomie. Schließlich ging es um den Schutz des Verbrauchers als Marktteilnehmer. In dieser Situation traf das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1993 seine Entscheidung zum Bürgschaftsrecht, wonach die Zivilgerichte verpflichtet sein sollen, materielle Vertragsfreiheit im Verhältnis zwischen Privaten durchzusetzen. Damit verbunden war eine Intensivierung der Debatte über die Funktion der Privatautonomie und über die Grenzen der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht. So wird die im Vergleich zu früheren Studien zum Verbraucherschutz etwas ungewöhnliche Vorgehensweise verständlich. Zu entwickeln war eine Verbraucherschutzkonzeption, die einmal als ökonomisch wünschenswert anzusehen ist, was wiederum eine Auseinandersetzung mit ökonomischen Theorien und deren Prämissen voraussetzte, und die andererseits im Lichte übergeordneten

VIII

Vorwort

Rechts - des nationalen Verfassungsrechts und des europäischen Gemeinschaftsrechts - überzeugt. Der Leser wird andere methodische Ansätze, wie vor allem den rechtsvergleichenden, vermissen. Diese „Lücke" mag überraschen, da man gerade angesichts der Debatte um ein europäisches Privatrecht der Betrachtung von Verbraucherschutzkonzeptionen anderer -vor allem europäischer - Länder weitreichende Bedeutung zuweisen müßte. Grund für diese „Lücke" ist nicht ein Bestreiten des Nutzens der Rechtsvergleichung, sondern die Feststellung, daß bei der juristischen Debatte um das Verbraucherschutzrecht ökonomische Grundvorstellungen stets im Räume stehen, implizit als richtig unterstellt werden, die Verbraucherschutzökonomie aber nur selten diskutiert wird. So liegt der Studie die Überzeugung zugrunde, daß es auch für das Europäische Verbraucherschutzrecht auf das Auffinden der auch ökonomisch richtigen Verbraucherschutzkonzeption ankommt, was durch einen reinen rechtsvergleichenden Ansatz zu leicht übersehen würde. Eine rechtsvergleichende Analyse wäre zudem zur, wenn auch gewiß nicht wertlosen Lebensaufgabe angewachsen, da der Verbraucherschutz eine Vielzahl unterschiedlicher, oftmals sehr heterogener Rechtsmaterien erfaßt. Die Habilitationsschrift soll daher mit ihrem ökonomischen Ansatz allenfalls als ein Schritt vor der rechtsvergleichenden Befassung mit dem privatrechtlichen Verbraucherschutzrecht verstanden werden. Der ökonomische, wirtschaftsrechtliche Ansatz legt die theoretischen Grundlagen. Darauf kann eine rechtsvergleichende Analyse aufbauen. Der beträchtliche Umfang der Habilitationsschrift hat die Veröffentlichung nicht gerade erleichtert. Es war eine Entscheidung zu fällen, entweder die Schrift erheblich zu kürzen oder einige Teile gesondert zu veröffentlichen. Gewählt wurde ein Mittelweg. Gesondert veröffentlicht wird jener Teil, der sich mit den normativen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages befaßt. Grund hierfür ist gerade nicht die geringe Bedeutung dieses Teils, sondern sind die im Rahmen der Analyse des Primärrechts und der Rechtsprechung gewonnenen Erkenntnisse, die zwar aus Anlaß des Verbraucherschutzthemas entwikkelt werden, aber darüber hinausgehend zu einer eigenständigen Dogmatik der Grundfreiheiten führen. Mit der gesonderten Veröffentlichung ist die Hoffnung nach größerer Beachtung verbunden, die im Rahmen der Gesamtstudie nicht in entsprechendem Maße gewährleistet gewesen wäre. In der hier veröffentlichten Studie erhalten geblieben ist eine kurze Übersicht über das EG-Verbraucherschutzrecht und die zum Teil recht ausführliche Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben bei der Behandlung von Einzelthemen im Vierten Kapitel. Auch das vorliegende Werk behält daher wie die ursprüngliche Habilitationsschrift den Charakter einer auch gemeinschaftsrechtlichen Studie. Dessen ungeachtet ist der Zusammenhang mit den ausgegliederten und an anderer

Vorwort

IX

Stelle veröffentlichten Ausführungen zum Gemeinschaftsrecht im Sinne einer Gesamtbegründung zu beachten. Darüber hinaus war es unerläßlich, auch Kürzungen vorzunehmen. Erheblich gekürzt wurde der ökonomische Teil (Zweites Kapitel), wobei mehrere Paragraphen in einem neuen § 4 aufgingen. Dahinter steht die Überzeugung, die Studie durch eine kürzere Fassung der Diskussion verschiedener ökonomischer Theorien weniger „ökonomielastig" und damit für Juristen lesbarer zu machen. Fast ohne Kürzungen blieb § 5 mit einer kritischen Auseinandersetzung zur ökonomischen Analyse des Rechts, die für die Begründung des vertretenen Modells der Verbraucherselbstbestimmung ganz wesentliche Bedeutung besitzt. Einige Einzelthemen, die sich im Viertel Kapitel fanden, sind vollständig gestrichen worden, so ein eigener Abschnitt zum Wohnraummietrecht, zum Reisevertragsrecht und schließlich zum Recht der vergleichenden Werbung. Die ursprünglichen Ausführungen werden vielleicht einmal nach Aktualisierung in Aufsatzform erscheinen. Die Rechtsentwicklung ist nach Abschluß der Arbeiten für die Habilitationsschrift nicht stehen geblieben. Weitere Impulse gingen von der europäischen Richtliniengesetzgebung sowie von der deutschen Rechtsprechung vor allem zum Bürgschaftsrecht aus. Es wurde versucht, diese Rechtsentwicklungen und das dazugehörige Schrifttum noch bis weit in das Jahr 1997 zu berücksichtigen. Freilich hätte man manche Beispiele inzwischen anders gewichten können. So fehlt eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Fernabsatz-Richtlinie, dem erst Ende 1996 ergangenen TzWrG oder gar den Vorschlägen zur Angleichung des Rechts des Verbrauchsgüterkaufs. Auch hier zeigt sich, daß das Verbraucherschutzrecht eine dauernde Aufgabe bleiben wird. Die Zeit der Habilitation ist aus verständlichen Gründen keine leichte Zeit. Dafür, sie überstanden zu haben, gebührt vielen Menschen mein ganz persönlicher Dank. An erster Stelle möchte ich Wolfgang Fikentscher nennen, den Betreuer der Habilitationsschrift und meinen wissenschaftlichen Mentor seit meinem Eintritt an seinem Lehrstuhl im Jahre 1988. Es war oftmals mein Bestreben, mich von meinem Lehrer abzusetzen, gerade nach meinen Erfahrungen in den USA. Die kritische Betrachtung meiner eigenen Positionen hat mich aber zu Erkenntnissen gleichsam zurückgeführt, die auch von meinem Lehrer stammen könnten. Daß mir Wolfgang Fikentscher zuhörte und mich einfach nur machen ließ, spricht für seine Toleranz als Wissenschaftler und vielleicht auch für sein Vertrauen, daß seine Schüler ihren Weg schon finden werden. Als Dank für die genossene Förderung und den Glauben an meine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit widme ich ihm dieses Werk. Einen ganz besonderen Dank möchte ich auch Gerhard Schricker aussprechen, der das Zweitgutachten erstellt hat und mir am Ende meiner Arbeit nochmals Ansporn gegeben hat, die Dinge durchzudenken. Ihm gebührt auch deshalb Dank, weil er mir über die Benutzung der Bibliothek des Max-Planck-

X

Vorwort

Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbs in München, dessen Direktor er ist, die Anfertigung dieser Arbeit ermöglicht hat. Der Verwertungsgesellschaft Wort danke ich für die großzügige finanzielle Förderung der Drucklegung. Schließlich möchte ich meinen Dank an die früheren Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht in München, allen voran Andreas Heinemann und Thomas Möllers anfügen, die mir in der intensiven Phase der Bearbeitung viel Arbeit am Lehrstuhl abgenommen haben. Bei der Bearbeitung des Manuskripts für dieses Buch haben mir mit großer Einsatzbereitschaft meine Mitarbeiter an meinem inzwischen übernommenen Lehrstuhl wertvolle Hilfe geleistet. Dies sind Ilse Hahn, die das Manuskript technisch bearbeitet hat, Ulrich Kulke und Sabine Böhmert, die es mit kritischem Auge Korrektur gelesen und noch manche Verbesserung bewirkt haben, sowie einige studentische Hilfskräfte. Es ist mir ein besonderes Anliegen, einer ganzen Reihe von Freunden zu danken. Wer mich und mein Leben besser kennt, weiß, daß es Zeiten gab, in denen ich selbst nicht an die Fertigstellung der Habilitationsschrift geglaubt habe. Die nachfolgend genannten Freunde haben in mir den Glauben daran gestärkt, daß es weitergeht. Dank sagen möchte ich Michael Eberl, Anke Schierholz, Sylvie Strobel, Önder Dizman, Walter Gintschel und im ganz besonderen Maße Josef Sedlmair, Andreas Friese und Heiner Schulte. Zuletzt erwähnen möchte ich drei Personen, die mir besonders am Herzen liegen und die schwer an der Habilitationsschrift getragen haben. Ich danke meiner Frau Lisa und unseren beiden gemeinsamen Kindern Maximilian und Konstantin für das ihnen abverlangte und mir entgegengebrachte Verständnis. Würzburg, den 22. September 1998

Josef Drexl

Inhaltsübersicht Vorwort Inhaltsverzeichnis Abkürzungen §1

VII XIII XXIV

Einleitung

1

17

Erstes Kapitel: Bestandsaufnahme §2 §3

Der privatrechtliche Schutz des Verbrauchers durch das geltende deutsche Recht (Überblick)

18

Verbraucherschutz zwischen Politik und Rechtsgebiet

64

Zweites Kapitel: Die marktwirtschaftliche

Theorie

des Verbrauchers

89

§4

Markt und Verbraucher

91

§5

Von der ökonomischen Analyse des Rechts zum Konzept der normativen Effizienz

Drittes Kapitel: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers §6

Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers im Grundgesetz

Viertes Kapitel: Die wirtschaftliche des Verbrauchers im Privatrecht §7

162

217 218

Selbstbestimmung 281

Die privatrechtlichen Grundlagen des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts

282

§8

Das kompensatorische Verbraucherschutzrecht

303

§9

Der Verbraucher

397

XII

Inhaltsübersicht

§ 10 Instrumentarien des Verbraucherschutzrechts

445

§11 Das Unlauterkeitsrecht

547

§12 Das Markenrecht

593

Schlußwort

635

Literaturverzeichnis

636

Sachregister

677

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Inhaltsübersicht

XI

Abkürzungen §1

XXVII

Einleitung

1

I. Eine Dogmatik für den privatrechtlichen Verbraucherschutz

1

II. Verstärkung oder Schwächung des Verbraucherschutzes

1

III. Zur Notwendigkeit einer verbraucherschutzrechtlichen Dogmatik

5

IV. Eigener Ansatz: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung 1. Begriff 2. Die Stellung des Verbrauchers 3. Die rechtliche Qualifikation 4. Das situationsbezogene Verbraucherschutzmodell

7 7 7 8 9

V. Definitionen und Abgrenzung VI. Gang der Darstellung 1. Bestandsaufnahme (Erstes Kapitel) 2. Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen (Zweites Kapitel) 3. Verfassungsrechtliche Grundlagen (Drittes Kapitel) 4. Privatrechtliche Umsetzung (Viertes Kapitel)

10 12 13 13 14 15

Erstes Kapitel: B e s t a n d s a u f n a h m e §2

Der privatrechtliche Schutz des Verbrauchers durch das geltende deutsche Recht (Überblick) I. Erste Anfänge 1. Abzahlungsgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch 2. Das UWG von 1896 und seine Fortentwicklung

II. Die Entwicklung des Kartellrechts III. Die Verbraucherschutzgesetzgebung der 70er Jahre

18 18 18 20 21 23

XIV

Inhaltsverzeichnis

IV. Die Verbraucherschutzdebatte im Schrifttum 1. Das ordnungspolitische Informationsmodell 2. „Soziale" Alternativmodelle 3. Verbraucherschutz und Privatautonomie V. N e u e r e Entwicklungen 1. Europäisierung a) Ausgangslage nach der Römischen Fassung des EG-Vertrages . b) Entstehen der EG-Verbraucherpolitik c) Die Einheitliche Europäische Akte und die Rechtsangleichungspolitik im Bereich des Verbraucherschutzes d) Nationales Verbraucherschutzrecht unter Einfluß der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten e) Verbraucherschutz unter Geltung des Maastrichter EU-Vertrages f) Verbraucherschutz nach dem Amsterdamer Vertrag 2. Ökologisierung und Politisierung 3. Übergang zur „risikofreien Gesellschaft" 4. Folgen für die Konzeption des Verbraucherschutzes

§3

Verbraucherschutz zwischen Politik und Rechtsgebiet I. Verbraucherschutzpolitik 1. Die beiden Bedeutungen von Verbraucherschutzpolitik 2. Verbraucherschutz als politisches Postulat 3. Verbraucherschutzpolitik als Rechtspolitik 4. Verbraucherschutzpolitik im Sinne des Gemeinschaftsrechts

II. Verbraucherschutzrecht als Sonderprivatrecht? 1. Kodifikation oder Sondergesetze? 2. Sonderprivatrecht des Verbrauchers oder Einheit des Bürgerlichen Rechts? a) Das interne Bezugssystem b) Das externe Bezugssystem 3. Über die falsche Fragestellung III. Z u s a m m e n f a s s u n g

Ergebnisse zum Ersten Kapitel

25 26 29 35 43 44 44 45 46 53 54 57 58 59 61

64 64 64 65 69 70 71 72 76 77 79 82 84

86

Inhaltsverzeichnis

XV

Zweites Kapitel: Die marktwirtschaftliche Theorie des Verbrauchers § 4 Markt und Verbraucher I. D i e Vorstellung v o m F u n k t i o n i e r e n des M a r k t e s 1. Die „unsichtbare H a n d " 2. Die klassische Gleichgewichtsökonomie 3. Liberale Markttheorien a) D e r grenzenlose Wirtschaftsliberalismus des Laissez faire b) Die Rückbesinnung auf den Wirtschaftsliberalismus bei Hayek c) Die Chicago School 4. Der Markt im Ordoliberalismus a) Euckens Ordnungsmodell b) Das Verhältnis von Ökonomie und Recht c) Ordoliberalismus und Verbraucherschutz I. D i e K o n z e p t i o n des W e t t b e w e r b s 1. Wettbewerb als Voraussetzung der Marktwirtschaft a) D e r vollkommene Wettbewerb in der neoklassischen Theorie .. b) Der vollkommene Wettbewerb der Chicago School c) Der vollständige Wettbewerb bei Eucken d) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren e) Die Kritik am statischen Modell des vollkommenen (vollständigen) Wettbewerbs f) Wettbewerb und Verbraucherschutz 2. Das Bestreiten der Funktionstüchtigkeit des Wettbewerbs a) Das Konsumentenmanagement der Hersteller nach Galbraith . b) Die Kritik an der Kritik III. D a s M e n s c h e n b i l d d e r Ö k o n o m i e 1. H o m o oeconomicus und methodologischer Individualismus 2. Der Verzicht auf ein theoretisches Menschenbild IV. D i e Ziele d e r M a r k t o r g a n i s a t i o n 1. Effizienz als ausschließliches Ziel der Wirtschaftspolitik 2. Die ökonomische Begründung alternativer Verbraucherschutzkonzepte 3. Freiheitssicherung auch gegen den Sozialstaat (Hayek) 4. Die Soziale Marktwirtschaft a) Das Verhältnis von Marktwirtschaft und Sozialem b) Marktkonformität sozialer M a ß n a h m e n c) Umweltsoziale Marktwirtschaft d) D e r Verbraucher in der Sozialen Marktwirtschaft

91 91 92 95 97 97 98 104 106 107 113 115 116 116 116 117 119 120 120 123 124 125 126 128 128 132 133 133 139 144 146 146 148 149 150

XVI

Inhaltsverzeichnis

V. Selbstbestimmung statt Effizienz: D e r Kodak-Fall

151

VI. Z u s a m m e n f a s s u n g

§5

Von der ökonomischen Analyse des Rechts zum der normativen Effizienz

160

Konzept 162

I. Normative anstelle ökonomischer Effizienz 1. Die Aufgaben der ökonomischen Analyse des Rechts a) Ökonomische Analyse des Rechts als Methode b) Ökonomische Analyse des Rechts im positiven Sinne c) Ökonomische Analyse des Rechts im normativen Sinne d) Über das Verhältnis von positiver und normativer Analyse e) Über die richtig verstandene ökonomische Analyse des Rechts . 2. Die Grundannahme rationalen und egoistischen Verhaltens a) Methodologischer Individualismus b) Der homo oeconomicus als Menschenbild der ökonomischen Analyse? c) Eigener Vorschlag: Das Alternativmodell der „normativen Effizienz" 3. Ökonomische (allokative) und normative Effizienz a) Ausschließlichkeitsanspruch ökonomischer Effizienz b) Die Kritik am neoklassischen Modell c) Innovative Effizienz 4. Zusammenfassung

162 163 163 164 164 166 167 169 170

II. N e u e Institutionelle Ö k o n o m i e 1. Einführung 2. Entwicklung 3. Das Coase-Theorem 4. Die Informationsökonomie 5. Eingeschränkte Rationalität (bounded rationality) 6. Neue Institutionelle Ökonomie, Transaktionskostenökonomie und normative Effizienz a) Theorienverfeinerungen und Verbraucherselbstbestimmung .. b) Normative statt ökonomischer Effizienz c) Methode d) Interdependenz der Ordnungen e) Die normative Effizienz im Praxistest 7. Zusammenfassung

186 186 190 191 193 198

III. D i e wirtschaftliche Selbstbestimmung als zugleich ökonomisches und normatives Konzept 1. Das Verbraucherschutzmodell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung a) Wirtschaftliche Selbstbestimmung als Entscheidungszuständigkeit

174 176 181 181 183 185 185

199 200 202 203 203 204 205 206 206 206

Inhaltsverzeichnis

XVII

b) Das ordnungspolitische Grundkonzept 2. Privatautonomie und Selbstbestimmung a) Die Funktion der Privatautonomie b) Die ordnungspolitischen Spielregeln des Verbraucherschutzes . 3. Zum Verhältnis von Recht und Ökonomie

Ergebnisse zum Zweiten Kapitel

206 208 208 209 210

212

Drittes Kapitel: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers §6

Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers im Grundgesetz

218

I. D e r Begriff der Wirtschaftsverfassung 1. Die „Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes 2. Verschiedene Definitionen des Begriffs „Wirtschaftsverfassung" .. a) Der ökonomische Begriff b) Der staatsrechtliche (normative) Begriff c) Der gemischt ökonomisch-normative Begriff 3. Folgerungen für das Wirtschafts- und Verbraucherschutzrecht

218 219 221 222 223 225 227

II. D i e B e d e u t u n g der Verfassung für das V e r b r a u c h e r s c h u t z r e c h t . . . 1. Grundlagen der Grundrechtsdogmatik a) Grundrechte als Abwehrrechte b) Grundrechte als negative Kompetenzvorschriften c) Grundrechte als Institutsgarantien d) Grundrechte als staatliche Schutzpflichten e) Grundrechte als Elemente der objektiven Ordnung f) Grundrechte als Teilhaberechte 2. Die Strukturprinzipien der Verfassung a) Das Demokratieprinzip b) Das Rechtsstaatsprinzip c) Das Sozialstaatsprinzip d) Umweltschutz als Staatszielbestimmung 3. Die Bedeutung der Grundrechte für das Verbraucherschutzrecht.. a) Der grundrechtliche Schutz der Marktgegenseite b) Der grundrechtliche Schutz der Verbraucher 4. Das Grundrecht des Verbrauchers auf wirtschaftliche Selbstbestimmung a) Schutzbereich b) Wirkung der Grundrechtsgarantie c) Grundrechtsschranken 5. Zusammenfassung

229 229 230 232 233 234 235 239 240 240 243 244 248 249 249 252 253 253 256 259 261

XVIII

Inhaltsverzeichnis

III. Verfassungsrecht und Privatrecht 1. Die formale Sicht der Privatautonomie in der Rechtsprechung des B G H 2. Die materielle Sicht der Privatautonomie in der Rechtsprechung des BVerfG 3. Die verfassungsrechtliche Kontrolldichte 4. Der Maßstab der Prüfungspflicht a) Typisierbare Situationen strukturellen Vertragsungleichgewichts b) Ungewöhnliche Belastung 5. Schlußfolgerung

263 264 266 270 273 273 277 279

Viertes Kapitel: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers im Privatrecht §7

Die privatrechtlichen Grundlagen des Verbraucherschutzrechts

situationsbezogenen

I. Verbraucherschutz zur Sicherung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung II. D a s situationsbezogene Verbraucherschutzrecht 1. Die marktbezogene Betrachtung als Ausgangspunkt 2. Die Begründung des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts a) Die verbrauchertheoretische (soziologische) Begründung b) Die wirtschaftswissenschaftliche Begründung c) Die normative Begründung 3. Konstitutives und kompensatorisches Verbraucherschutzrecht . . . . 4. Die Ermittlung verbraucherschutzrelevanter Situationen

282 282 284 284 285 285 286 288 288 289

III. D a s konstitutive Verbraucherschutzrecht 1. Die „formale" Privatautonomie 2. Die Sicherung des Wettbewerbs 3. Der Zusammenhang von formaler Privatautonomie und Wettbewerb

300

IV. Zusammenfassung

302

§8

Das kompensatorische

Verbraucherschutzrecht

I. Zwingendes und dispositives Recht II. Vorschriften zur Sicherung der Willensfreiheit III. Dispositives Leistungsstörungs-und Gewährleistungsrecht

293 293 296

303 303 308 311

Inhaltsverzeichnis

IV. D a s Haustürwiderrufsgesetz 1. Schutz gegen Überrumpelung 2. Der sachliche Anwendungsbereich - die Bürgschaftsproblematik . V. D a s Verbraucherkreditgesetz 1. 2. 3. 4. 5.

Die Rücktrittsfiktion Informationspflichten Das Widerrufsrecht Der fremdfinanzierte Kauf Nicht geregelte Probleme

VI. Das A G B - G e s e t z 1. Das einseitige Stellen von AGB a) Das Fehlen von Wettbewerb um bessere AGB b) Die ökonomische Analyse des AGB-Gesetzes c) Das AGB-Gesetz im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung 2. Die Inhaltskontrolle im besonderen 3. Diskussion von Teilaspekten a) Die Inhaltskontrolle bei nicht im einzelnen ausgehandelten Individualverträgen b) Der objektive Maßstab der Inhaltskontrolle c) Das Transparenzgebot 4. Zusammenfassung VII. Das Produkthaftungsrecht 1. Das Produkthaftungsrecht als Teil des Deliktsrechts 2. Die Zwecke des Deliktsrechts 3. Der besondere Grund der Haftung 4. Der informationelle Fehlerbegriff 5. Informationeller Fehlerbegriff und wirtschaftliche Selbstbestimmung 6. Bestimmung der Produkthaftung für verschiedene Fehlerkategorien a) Erkennbarkeit der Gefährlichkeit b) Instruktionsfehler c) Fabrikationsfehler d) Konstruktionsfehler 7. Gefährdungs- und Verschuldenshaftung als Entscheidungsdelegation VIII. Schlußfolgerungen 1. Wirtschaftliche Selbstbestimmung als inhaltliche Bestimmung der Rechtsfähigkeit 2. Wirtschaftliche Selbstbestimmung als Grundlage eines freiheitlichen Verbraucherschutzrechts

XIX

312 312 315 322 322 324 324 325 328 328 329 329 330 332 342 343 344 347 356 363 364 365 366 367 371 374 379 379 381 383 386 390 393 393 393

XX

Inhaltsverzeichnis

§9

Der Verbraucher

397

I. D e r Verbraucher im situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht II. D e r persönliche Anwendungsbereich der Verbraucherschutzgesetze 1. Das konstitutive Verbraucherschutzrecht 2. Das kompensatorische Verbraucherschutzrecht a) Die Vorschriften des BGB (einschließlich des ProdHaftG) b) Das Haustürwiderrufsgesetz c) Das Verbraucherkreditgesetz d) Das AGB-Gesetz e) Der „letzte Verbraucher" im Unlauterkeitsrecht

397 398 398 399 399 400 402 407 413

III. Wirtschaftliche Selbstbestimmung und Verbraucherleitbild 1. Notwendigkeit und Funktion des Verbraucherleitbildes 2. Zu einer Systematik des Verbraucherleitbildes 3. Der Maßstab des Verbraucherleitbildes a) Rekonstruktion des vollständigen Vertrags b) Das Vertragsmodell c) Konkretisierungen 4. Das normative Verbraucherleitbild a) Gründe b) Merkmale

414 414 415 421 421 423 424 430 430 431

IV. D e r Verbraucher im Gemeinschaftsrecht 1. Der Verbraucher im Primärrecht 2. Der Verbraucher im Sekundärrecht 3. Die Konzeption des „hohen Verbraucherschutzniveaus" a) Optimierung statt Maximierung b) Mindestschutz und Optimierungsaufgabe

433 433 434 438 438 440

V. Z u s a m m e n f a s s u n g

§10

Instrumentarien

des Verbraucherschutzrechts

I. Abgrenzung der Verbraucherschutzinstrumente II. D a s verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip III. Regeln zur Sicherung der Willensfreiheit bei Vertragsschluß (insbesondere Informationspflichten) 1. Negative Informationspflichten a) Das Verbot der arglistigen Täuschung und das Anfechtungsrecht b) Das Verbot der irreführenden Werbung und das Rücktrittsrecht

441

445 445 449 452 453 453 454

Inhaltsverzeichnis

c) Gestaltungsrechte zur Sicherung negativer Informationspflichten 2. Positive Informationspflichten (Aufklärungspflichten) a) Spezialgesetzliche Informationspflichten b) Informationspflichten aufgrund von Generalklauseln c) Ordnungspolitische Instrumente IV. Die Verlängerung der Überlegungsfrist 1. Regelungen des deutschen Rechts 2. Richtlinien des Gemeinschaftsrechts 3. Das Widerrufsrecht im VerbrKrG und HWiG 4. Beurteilung anderer Fälle a) Das Rücktrittsrecht bei Time-Sharing-Verträgen b) Das Widerrufsrecht beim Fernabsatz c) Das Versicherungsvertragsrecht 5. Gegen das Wirksamkeitsargument V. Die Inhaltskontrolle von Verträgen 1. Charakteristika der Inhaltskontrolle 2. Einzelfälle der Inhaltskontrolle a) Die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz b) Die Kontrolle des Ausbeutungsmißbrauchs c) Die Sittenwidrigkeitskontrolle VI. D e r Handtaschen-Fall 1. Sachverhalt und Entscheidung 2. Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung a) Instrumente des konstitutiven Verbraucherschutzrechts b) Informationspolitische Maßnahmen c) Inhaltskontrolle VII. Die Behandlung von Familienbürgschaften 1. Rechtsprechung a) Voraussetzungen der Sittenwidrigkeitskontrolle bei Bürgschaften von Kindern b) Strengere Behandlung von Ehegattenbürgschaften c) Bevorzugung der Sittenwidrigkeitskontrolle und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage d) Beurteilung nach Spezialgesetzen 2. Beurteilung im Lichte wirtschaftlicher Selbstbestimmung a) Regeln zur Sicherung der freien Willensbildung b) Verlängerung der Überlegungsfrist c) Die Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB VIII. Z u s a m m e n f a s s u n g

XXI

457 459 459 463 465 466 466 468 469 476 476 478 479 485 488 488 490 490 492 493 496 496 497 498 498 500 505 505 505 509 515 518 520 521 531 533 543

XXII

§11

Inhaltsverzeichnis

Das Unlauterkeitsrecht I. D a s Unlauterkeitsrecht im situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht 1. Stellenwert der Verbraucherselbstbestimmung im U W G positive und negative Funktion a) Wirtschaftliche Selbstbestimmung und Konsumentensouveränität b) Über den Markt zu koordinierende wirtschaftliche Selbstbestimmung 2. Zwischen konstitutivem und kompensatorischem Verbraucherschutz

547 547 547 548 552 553

II. D i e „politische" Werbung zu kommerziellen Zwecken 1. Der Begriff der „politischen" Werbung 2. Der Solidarisierungseffekt als Kriterium der „gefühlsbetonten Werbung" 3. Das Argument der übermäßigen Belästigung 4. Interessen Dritter 5. Werbung mit einem politischen Zusatznutzen (social marketing)..

556 563 565 567

III. D i e U m w e l t w e r b u n g 1. Begriff 2. Das Irreführungsverbot a) Rechtsprechung b) Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung . 3. Die gefühlsbetonte Werbung a) Rechtsprechung b) Beurteilung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung . 4. Die zugaberechtliche Beurteilung 5. Zusammenfassung

573 574 576 576 580 583 583 585 589 592

§12

Das Markenrecht I. E i n f ü h r u n g

II. Die Funktion der M a r k e 1. Die Funktionenlehre 2. Die Unterscheidungsfunktion 3. Die Herkunftsfunktion 4. Die Qualitätsfunktion 5. Die Werbefunktion 6. Die Kommunikationsfunktion: Die Marke als Property Right 7. Die Verbraucherfunktion III. D e r spezifische Gegenstand des Markenrechts 1. Nationales Markenrecht und Freiheit des Warenverkehrs

555 555

593 593 596 596 597 597 600 604 605 609 610 610

Inhaltsverzeichnis 2. Von „Hag I" zu „Hag II" 3. Die freiwillige Markenaufspaltung (Ideal Standard) IV. Das Markenrecht im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung 1. Die Funktionenlehre 2. Die Forderung nach einer Verbraucherfunktion 3. „Ideal Standard" im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung V. Zusammenfassung Ergebnisse

zum Vierten Kapitel

XXIII 611 614 620 620 624 626 628 630

Schlußwort Literaturverzeichnis

635 636

Sachregister

677

Abkürzungen a.A. a.a.O. ABl. Abs. AbzG AcP a.E. a.F. AfP AGB AGBG AGV AIPPI AJP Am. Econ. Rev. AMG Am. J. Comp. L. Anm. AöR Art. Aufl. BB Beil. ber. BEUC BGB BGBl. BGH BGHZ BKartA BMJ BR-Drucks. BT-Drucks. Bull. BVerfG BVerfGE Cah. Dr. Europ. C.M.L.R. C.M.L. Rev. DB

anderer Auffassung am angegebenen Ort Amtsblatt (Europäische Gemeinschaft) Absatz Abzahlungsgesetz Archiv für civilistische Praxis am Ende alte Fassung Archiv für Presserecht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände Association internationale pour la protection de la propriété industrielle Aktuelle Juristische Praxis American Economic Review Arzneimittelgesetz American Journal of Comparative Law Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Artikel Auflage Betriebsberater Beilage berichtigt Bureau Européen des Union des Consommateurs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen in Zivilsachen (Bundesgerichtshof) Bundeskartellamt Bundesministerium der Justiz Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Bulletin Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Cahiers de Droit Européen Common Market Law Reports Common Market Law Review Der Betrieb

Abkürzungen ders. d.h. dies. DNotZ DÖV DVB1. DWW DZWir ECLJ EFLR EG EGMR EGV E.L. Rev. EMRK E.R.RL. EU EuGH EuGRZ EuR Eur. Bus. L. Rev. EUV EuZV EuZW EWG EWGV EWiR EWS f. ff. FS GA GemMVO GewO GFV GG GjS GRUR G R U R Ausl. G R U R Int. GS GWB HaustürWG Hrsg. HWG HWiG i.d.R. HC Int. Bus. Law. Int. & Comp. L.Q. Int. Rev. L. & Econ. IPRax i.S.d.

XXV

derselbe das heißt dieselbe, dieselben Deutsche Notarzeitschrift Deutsche öffentliche Verwaltung Deutsche Verwaltungsblätter Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Consumer Law Journal European Food Law Review Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag über die Europäische Gemeinschaft European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention European Review of Private Law Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht European Business Law Review Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende fortfolgende Festschrift Generalanwalt Gemeinschaftsmarkenverordnung Gewerbeverordnung Gruppenfreistellungsverordnung Grundgesetz Gesetz über jugendgefährdende Schriften Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Auslandsteil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Haustürwiderrufsgesetz Herausgeber Heilmittelwerbegesetz Haustürwiderrufsgesetz in der Regel International Review of Industrial Property and Copyright Law International Business Lawyer International and Comparative Law Quarterly International Review of Law and Economics Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne des/der

XXVI i.V.m. J. JA J.C.P. JCP J. Econ. Literature J. Econ. Perspectives JITE J. L. & Econ. J. Leg. Stud. JNSt. J.O. J. Pol. Econ. JR Jura JuS JZ KG KJ KritV KSchG L. LM LMBG L.Q. Rev. MA MarkenG MDR MHG Mod. L. Rev. m.w.N. n.F. NJW NJW-RR No. Nr. N.Y.U. L. Rev. OLG OLGE ORDO Pol'y ProdHaftG RabelsZ RDAI Rdnr. REDC Rev. RG RGBI. RGZ

Abkürzungen in Verbindung mit Journal Juristische Arbeitsblätter Journal of Consumer Policy Juris Classeur Périodique Journal of Economic Literature Journal of Economic Perspectives Journal of Institutional and Theoretical Economics (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft) Journal of Law and Economics Journal of Legal Studies Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik Journal Officiel (Frankreich) Journal of Political Economy Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift Konsumentenschutzgesetz (Österreich) Law Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier/Möhring Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz Law Quarterly Review Markenartikel Markengesetz Monatsschrift des Deutschen Rechts Miethöhengesetz Modern Law Review mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Number, nombre Nummer New York University Law Review Oberlandesgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Policy Produkthaftungsgesetz Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Rabels-Zeitschrift) Revue de droit des affaires internationales Randnummer Revue européenne de droit de la consommation Review Reichsgericht Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen in Zivilsachen (Reichsgerieht)

Abkürzungen

XXVII

Riv.Dir.Eur. RIW RSDIE RTDE Rs. S. SEW

Rivista die Diritto Europeo Recht der internationalen Wirtschaft Revue suisse de droit international et européen Revue trimestrielle de droit européen Rechtssache Seite Sociaal Economische Wetgeving - Tijdschrift voor Europees en economisch recht

Slg. SMI StGB Stud. TB TvC TzWrG U. u.a. U. Chi. L. Rev. U. Pa. L. Rev. usw. UWG VAG Va. L. Rev. verb. VerbrKrG VersR vgl. Vol. VuR VVDStRL VVG WiB W.I.P.R. WiSt WM

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des E u G H Schweizerische Mitteilungen für Immaterialgüterrecht Strafgesetzbuch Studies Tätigkeitsbericht (Bundeskartellamt) Tijdschrift voor Consumentenrecht Teilzeit-Wohnrechte-Gesetz University unter anderem University of Chicago Law Review University of Pennsylvania Law Review und so weiter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Versicherungsaufsichtsgesetz Virginia Law Review verbunden Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht vergleiche volume Verbraucher und Recht Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungsvertragsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung World Intellectual Property R e p o r t Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wertpapiermitteilungen - Zeitschrift für Wirtschafts- und B a n k recht Wirtschaftspolitische Chronik Wirtschaft in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Warenzeichengesetz Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zugabeverordnung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucherpolitik

WPChr. WRP WuW WZG ZAW z.B. ZBB ZEuP ZfRV ZHR ZIP ZLR ZRP ZugabeVO ZVglRWiss ZVP

„Auf meine Zigarren und meine Würde werde ich nie verzichten!" Richter Romnicki, in: Andrzej Szczypiorski, Die Schöne Frau Seidenmann, S.82.

§1 Einleitung I. Eine Dogmatik für den privatrechtlichen

Verbraucherschutz

Verbraucherschutz? Ist das noch ein Thema? Die Verbraucherschutzdebatte, deren Anfänge in die 70er Jahre zurückreichen, hat, so scheint es, an Intensität eingebüßt. Einst ging es um rechtspolitische und auch ideologische Grabenkämpfe zwischen jenen, die sich über ein als sozial apostrophiertes Verbraucherschutzrecht die Veränderung des überkommenen Sozialmodells des Bürgerlichen Rechts erhofften, und jenen, die sich als Verteidiger der Marktwirtschaft sahen. Die Vorteile der Marktwirtschaft sind heute unbestritten. Dennoch handelt es sich beim Verbraucherschutz um kein unzeitgemäßes Thema. Verbraucherschutz durch das Recht existiert. Die einschlägige Rechtsmasse Gesetze und Rechtsprechung - wächst kontinuierlich an. Das Schrifttum interessiert sich sehr wohl für den Verbraucherschutz, konzentriert sich aber auf praktische Fragestellungen oder einzelne Teilrechtsgebiete. Was fehlt, ist eine in sich kohärente Rechtsdogmatik. In dieser Studie geht es darum, diese Lücke für das Privatrecht zu schließen und die einst begonnene dogmatische Auseinandersetzung unter veränderten ökonomischen Grundvorstellungen und rechtlichen Rahmenbedingungen wieder aufzunehmen.

II. Verstärkung oder Schwächung des

Verbraucherschutzes

Versucht man, den gegenwärtigen Stellenwert des privatrechtlichen Verbraucherschutzes zu bestimmen, stößt man auf gegensätzliche Entwicklungen, die das Fehlen in sich geschlossener rechtspolitischer Konzeptionen nur zu sehr verdeutlichen. Was die Gesetzgebung angeht, richtet sich der Blick sogleich auf das europäische Recht, das in den letzten Jahren zu einem erheblichen Ausbau des Verbraucherschutzes geführt hat. Der Maastrichter Unionsvertrag (EUV) schuf eine eigene Verbraucherschutzpolitik (Art. 129a EGV). Der Erlaß einer Reihe von Gemeinschaftsrechtsakten mit beachtlicher Bedeutung für das private Ver-

2

§1

Einleitung

braucherschutzrecht wurde auch von den Bürgern Europas zur Kenntnis genommen. Hinzuweisen ist etwa auf die Pauschalreise-Richtlinie 1 , deren verspätete Umsetzung es zuließ, daß deutsche Urlauber wegen Fehlens der gemeinschaftsrechtlich geforderten Insolvenzsicherung plötzlich in fernen Ländern festsaßen. Die Time-Sharing-Richtlinie 2 greift ein modernes und lebensnahes Thema des Verbraucherschutzes auf, das ohne internationale Aktionen kaum zu lösen ist. Sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von der Mehrzahl der Zivilisten unbemerkt hatte sich mit dem Vorschlag der EG-Kommission einer Mißbrauchskontrolle aller Verbraucherverträge eine grundsätzliche Umgestaltung des allgemeinen Privatrechts ähnlich der einst von Reich 3 vorgeschlagenen rollenspezifischen Aufspaltung in ein Unternehmensrecht, Verbraucherrecht und Bürgerrecht angebahnt. Diese Vorschläge wurden - nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes aus Deutschland - auf die Kontrolle der nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln beschränkt 4 . Die Umsetzung der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln 5 führte dennoch zu wesentlichen Änderungen im deutschen AGB-Gesetz 6 . Zusätzlich bedroht die Verwirklichung des Binnenmarktprogramms nationalen Verbraucherschutz. Letzterer tritt in einen latenten Widerspruch zu den Grundfreiheiten. Die Einführung des freien Versicherungsmarktes führt zu einer fast vollkommenen Abschaffung des Schutzes der Verbraucher durch die öffentlich-rechtliche Versicherungsaufsicht. An die Stelle des öffentlichen Rechts tritt der Schutz durch das Privatrecht mit seiner AGB-Kontrolle und speziellen Instrumentarien des Versicherungsvertragsrechts, deren verbraucherschutzrechtliche Bewertung allerdings zweifelhaft bleibt 7 . Mit der Angleichung des Rechts der vergleichenden Werbung 8 entfernt sich die Gemeinschaft erstmalig für das Verbraucherschutzrecht vom Prinzip der Mindestangleichung zugunsten eines Konzepts des „richtigen" Verbraucherschutzrechts, um eine Liberalisierung von Werbebeschränkungen gerade auch in Deutschland zu erreichen. 1

Richtlinie 90/314/EWG vom 13.6. 1990 ü b e r Pauschalreisen, A B l . Nr. L 158/59. Richtlinie 94/47/EG vom 26.10.1994 z u m Schutz der E r w e r b e r im Hinblick auf b e s t i m m t e A s p e k t e von Verträgen über den E r w e r b von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. Nr. L 280/83. 3 Reich, Z R P 1974, 188; ders., M a r k t und Recht, 1977, S. 198ff., dazu ausführlicher unten § 2 IV 2 c). 4 Siehe zur Kritik, Brandner/Ulmer, B B 1991, 701; Hommelhoff, A c P 192 (1992), 90. Canaris, in: FS Lerche, 1993, S. 873, 887ff., a r g u m e n t i e r t im Sinne der Verfassungswidrigkeit der ursprünglichen Vorschläge. 5 Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4. 1993; ABl. Nr. L 95/29. 6 G e s e t z vom 25.7. 1996; B G B l I 1996, 1013; dazu Coester-Waltjen, Jura 1997, 272; Eckert, Z I P 1996. 1238; Heinrichs, N J W 1996, 2190; Graf von Westphalen, B B 1996, 2101. 7 D a z u ausführlich unten § 10 IV 4 c). * Richtlinie 97/55/EG vom 6. 10. 1997 zur Ä n d e r u n g der Richtlinie 84/450/EWG über irref ü h r e n d e W e r b u n g zwccks E i n b e z i e h u n g der vergleichenden Werbung, ABl. Nr. L 290/18. 2

II. Verstärkung oder Schwächung des

Verbraucherschutzes

3

Die Verbraucherschutzgesetzgebung in Deutschland beschränkt sich im wesentlichen darauf, die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in deutsches Recht umzusetzen 9 . Im übrigen wurde die verbraucherschutzrelevante Rechtsentwicklung durch den Gesetzgeber unter den Leitgedanken der Deregulierung gestellt. Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand über längere Zeit die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes 10 . Für die Entwicklung des Verbraucherschutzrechts jedenfalls unter konzeptionellen Gesichtspunkten wichtiger ist die Liberalisierung des Unlauterkeitsrechts, die mit der Aufhebung der umstrittenen §§6d und 6e U W G durch das Änderungsgesetz zum U W G von 1994 begonnen wurde. Eine wesentliche Lockerung des Rabatt- und Zugabeverbots läßt dagegen noch auf sich warten. Besonders schwierig erscheint es, eine Änderung an der überwiegend als zu restriktiv empfundenen Rechtsprechung zur großen und kleinen Generalklausel (§§ 1 und 3 U W G ) zu erreichen, was wohl nur allmählich durch eine breit angelegte wissenschaftliche Diskussion gelingen wird 1 '. Im Rahmen der Deregulierungsdebatte darf es nicht um die Abschaffung des Verbraucherschutzes gehen, sondern um die Bestimmung des richtigen Maßes an Verbraucherschutz 12 . Die Debatte um die Abschaffung des Verbots des blickfangmäßigen Eigenpreisvergleichs (§6e U W G ) lenkt den Blick auf die Rechtsprechung. Während seit Beginn der 80er Jahre der E u G H verstärkt nationales Unlauterkeits- und Verbraucherschutzrecht über die Warenverkehrsfreiheit zu kontrollieren begann und auch § 6e U W G in der Yves .Roc/zw-Entscheidung als gemeinschaftswidrig beanstandete 13 , stellt die wenig später ergangene fec/c-Entscheidung Grenzen und Umfang der Beeinflussung nationalen Unlauterkeits- und Verbraucherschutzrechts durch das primäre Gemeinschaftsrecht in Frage 14 . Ähnlich der Deregulierungsdebatte verdeutlicht auch die Rechtsprechung des EuGH, daß es nicht um die Aufweichung des Verbraucherschutzes, sondern um dessen richtige Konzeption - unter Berücksichtigung spezifisch gemeinschafts9

Diese Beschränkung war ausdrückliches Leitmotiv der Vorschläge zur Umsetzung der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln; vgl. Nr. III Begründung des Referentenentwurfs, BB 1995, 110, 112. 10 Zum Teil wurde sogar die Verfassungswidrigkeit des LadenschlußG a.F. behauptet, so Reineck/Döhring, BB 1996,703 (unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit des Gewerbetreibenden). 11 Siehe Emmerich, in: FS Gernhuber, 1993, S.857; Schricker, G R U R Int. 1994, 586; ders., G R U R Int. 1996, 473; Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, 1995. In Verteidigung des geltenden Unlauterkeitsrechts gegen die Deregulierungsbestrebungen, Kisseler, G R U R 1995, 73. 12 Zur Einführung in die ökonomische Theorie der Regulierung, A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 13ff. 11 E u G H , vom 18.5.1993, Rs. C-l 26/91, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft e.V. gegen Yves Rocher GmbH, Slg. 1993,1-2361. 14 E u G H , vom 24.11.1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Bernard Keck und Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097.

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§1

Einleitung

rechtlicher Erfordernisse - geht. Anknüpfend an die Rechtsprechung des E u G H , hat sich diese Problematik in der Diskussion um das richtige Verbraucherleitbild im Widerstreit des mündigen Verbrauchers (Gemeinschaftsrecht) mit dem flüchtigen Verbraucher (nationales Recht) materialisiert. Auf der Ebene der deutschen Rechtsprechung der letzten Jahre sind denkbar unterschiedliche Positionen einzelner Zivilsenate des B G H festzustellen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Entwicklung im Bürgschaftsrecht 15 . Inzwischen setzt der IX. Zivilsenat das AGB-Gesetz bewußt und in Abweichung früherer Judikate dazu ein, Familienangehörige gegen Bürgschaften zu schützen, bei denen der Haftungsumfang nicht ex ante zu überschauen ist16. Im Schrifttum wird diesbezüglich ein grundsätzlicher Wandel beim Verständnis der Bürgschaft konstatiert 17 . Zu recht unterschiedlichen Ergebnissen kamen der einem liberalen und formalen Verständnis der Privatautonomie verpflichtete IX. und der eher individualschutzorientierte XI. Zivilsenat für die Anwendbarkeit des HWiG auf Bürgschaften. Der Meinungsstreit bewog schließlich den IX. Zivilsenat, die entsprechende Auslegungsfrage für die Haustürwiderrufs-Richtlinie dem E u G H vorzulegen 18 . Entsprechend der Situation beim HWiG standen sich unterschiedliche, aber nicht explizit offengelegte Ansätze der beiden Senate bei der Prüfung der Wirksamkeit von Bürgschaften von einkommens- und vermögenslosen Familienangehörigen gegenüber. Der IX. Zivilsenat behandelte solche Bürgschaften unter dem formalen Kriterium der Volljährigkeit generell als wirksam 19 . Der XI. Zivilsenat hielt dagegen eine Kontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB im Einzelfall für möglich 20 . Die Auseinandersetzung kulminierte in der Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993, in der das BVerfG unter bestimmten Voraussetzungen die Instanzgerichte zum Schutz der materiell zu verstehenden Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 G G verpflichtete 21 . Die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG verdeutlicht den Einfluß der Grundrechte auf das Verständnis des Privatrechts und damit auch des privaten Verbraucherschutzrechts. Das Verhältnis von Grundgesetz und Privatrecht ist nach wie vor umstritten. Die Bürgschaftsentscheidung, die überwiegend als 15 Ebenfalls das Bürgschaftsrecht in Beziehung zum Verbraucherschutzrecht setzend, Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, 19%, S. 12 ff. 16 B G H Z 126, 174 = NJW 1994, 2145; B G H NJW 1995, 2553; 1996, 1274. Dazu ausführlich unten §10 VII. 17 Z.B. Pape, NJW 1996, 887, 889. 18 Zur Vorlagefrage, die die formale Sichtweise des IX. Zivilsenats widerspiegelt; B G H NJW 1996,930 (vom 11.1.1996). Siehe die inzwischen ergangene Entscheidung des E u G H vom 17.3. 1998, Rs. C-45/96 Bayerische Hypotheken-und Wechselbank AG gegen Dietzinger, E u Z W 1998, 252, und die nachfolgende Entscheidung des BGH, NJW 1998,2356 (vom 14. 5.1998). Grundlegend B G H Z 106, 269 (vom 19.1. 1989). 20 B G H Z 120, 272 (vom 24.11. 1992). 21 BVerfGE 89, 214. Ausführlich zu diesem Fragenkomplex unten §6 III, sowie mit Vorschlägen zur Fallösung unten § 10 VII.

III. Zur Notwendigkeit

einer verbraucherschutzrechtlichen

Dogmatik

5

Korrektur der formalistischen und herzlosen Rechtsprechung des IX. Zivilsenats verstanden wurde, belebte die Debatte um dieses zweifelhafte Verhältnis. Als Verteidiger der Autonomie des Privatrechts stellt insbesondere Zöllner in seiner Kritik am BVerfG den Einfluß der Grundrechte auf das Privatrecht umfassend in Frage 22 .

III. Zur Notwendigkeit verbraucherschutzrechtlichen

einer Dogmatik

Die jüngsten Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum, die als Beispiele des folgenden Studienmaterials hiermit nur angedeutet sind, machen deutlich, daß sich an der von Gilles im Jahre 1980 getroffenen Feststellung nichts geändert hat. Es fehlt nach wie vor an einem „zukunftsweisenden Regelungsprogramm", einem „telos" als Gesamtziel, dem die einzelnen Gesetze zum Schutz des Verbrauchers verpflichtet sind23. Im Vordergrund der Kritik stehen eindeutige Wertungswidersprüche. Zu vertreten ist die These einer einheitlichen Privatrechtsordnung, die auf einem einheitlichen Bild des Menschen beruht. Damit ist es kaum vereinbar, wenn einerseits die Rechtsprechung, unter Verweisung auf die Volljährigkeit, es als richtig ansieht, daß einkommens- und vermögenslose junge Erwachsene an Bürgschaften festgehalten werden, die sie unter familiärem Druck und Verharmlosung der wirtschaftlichen Folgen durch den Gläubiger abgegeben haben und die ihnen auf Dauer die Aussicht auf eine eigene wirtschaftliche Existenz nehmen 24 , Gerichte aber andererseits dem Hersteller von Textilien die Werbung mit der „ölverschmutzten Ente" verbieten, weil ohne sachlichen Bezug zur beworbenen Ware beim Verbraucher starke Gefühle des Mitleids und der Ohnmacht ausgelöst werden, was wiederum zu einer Solidarisierung mit dem Werbenden führen soll25. Man kann auf den Wertungswiderspruch geradezu zynisch hinweisen: Gesteht das Recht dem einzelnen eine engere emotionale Verbundenheit mit der geschundenen Natur zu als mit dem eigenen Vater, dessen Kredit durch die Bürgschaft gesichert werden soll? Dennoch wäre die damit herausgeforderte Kritik an der Rechtsprechung vordergründig. Denn die rechtliche Beurteilung muß die verschiedensten Umstände berücksichtigen. So unterscheiden sich die beiden Fälle durch die wirtschaftliche Bedeutung des 22

Zöllner, AcP 196 (1996), 1. Ganz ähnlich H.A. Hesse/Kauffmann, J Z 1995, 219, die den Bundesverfassungsrichtern eine Helferattitüde, einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip und die Vernachlässigung ihrer eigentlichen Aufgabe der Rechtspflege zugunsten von Subjektivität vorwerfen. 23 Gilles, JA 1980, lf. Ähnlich Burmann, W R P 1973, 313. 24 B G H Z 106, 269 - „Nur für die Akten". Hierzu ausführlich unten §6 III und § 10 VII. 25 B G H NJW 1995, 2488 = W R P 1995, 679 - „Ölverschmutzte Ente". Dazu ausführlich unten §11 II 1.

6

§1

Einleitung

Geschäfts. Je schwerwiegender die Folgen, so ein mögliches Argument, um so eher wird sich der Betroffene die Vertragsentscheidung überlegen. Andererseits sind die Folgen einer Fehlentscheidung im Bürgschaftsfall ungleich belastender. Im Bürgschaftsfall stellt sich zudem das Problem der Zurechnung, wenn die unsachliche Beeinflussung vom Hauptschuldner ausgeht. Im Fall der „gefühlsbetonten Werbung" sind u.U. auch die Interessen der Konkurrenten zu berücksichtigen. Beide Fälle betreffen aber zwei zentrale Begriffe des Privatund Wirtschaftsrechts, jene der Privatautonomie und des Wettbewerbs. Bei der Privatautonomie geht es darum, welches Maß an intellektueller Leistungsfähigkeit die Rechtsordnung dem einzelnen abverlangen kann. Das traditionelle Kriterium ist jenes der formalen Privatautonomie, das jedem Geschäftsfähigen das Recht zur Regelung seiner Rechtsangelegenheiten überläßt, ihm aber auch die Verantwortung für das einmal Vereinbarte aufbürdet. Im Bürgschaftsfall ist die Relevanz der Frage nach dem richtigen Verständnis der Privatautonomie offensichtlich. Aber auch im Fall der „gefühlsbetonten Werbung" liegt es nicht wesentlich anders, denn die Beurteilung der Vertragsanbahnung sollte auf keinen anderen Wertungen hinsichtlich intellektueller Leistungsfähigkeit, individueller Freiheit und Verantwortlichkeit beruhen als der Vertragsschluß selbst. Im Fall der gefühlsbetonten Werbung geht es offensichtlich um das richtige Verständnis des zu schützenden Wettbewerbs. Die Werbung ist Mittel zum Wettbewerb um den Verbraucher. Es bleibt zu fragen, welche Mittel im Wettbewerb zulässig sind und welche nicht. Im Bürgschaftsfall ist die Wettbewerbsproblematik weniger offensichtlich, aber dennoch vorhanden. So läßt sich feststellen, daß kreditgewährende Banken Sicherheiten von Familienangehörigen verlangen, deren wirtschaftlicher Wert offensichtlich gegen Null tendiert, und Bankkunden sich auf solche Bedingungen einlassen, ohne den Wettbewerb am Markt angesichts einer großen Zahl von Anbietern auszunutzen. Die angeführten Beispielsfälle, die neben vielen anderen Gegenstand der Untersuchung sein werden, betreffen Situationen des Verbraucherschutzes von ganz unterschiedlicher Struktur und unterschiedlichen Wertungszusammenhängen. Diese Komplexität macht die Schwierigkeiten deutlich, mit denen bei der Ausarbeitung eines überzeugenden Gesamtkonzeptes zu rechnen ist. Gleichzeitig begründet diese kurze Analyse die Hoffnung auf ein durchaus lohnendes Unterfangen. Mit den beiden juristisch schützbaren Größen der Privatautonomie und des Wettbewerbs, die sich gegenseitig bedingen, ist zudem ein Ansatzpunkt für eine solche Konzeption gefunden.

IV. Eigener Ansatz: Die wirtschaftliche

IV. Eigener Ansatz:

Die wirtschaftliche

Selbstbestimmung

1

Selbstbestimmung

Die Untersuchung dient der hiermit vorgeschlagenen Begründung des Verbraucherschutzmodells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung. 1. Begriff Der Begriff der Selbstbestimmung steht für die Materialisierung der formalen Privatautonomie. Dem einzelnen ist die Rechtsmacht, eigene Angelegenheiten ohne Einflußnahme Dritter zu regeln, nicht um dieser Rechtsmacht willen eingeräumt, sondern weil sich über sie - zumindest im Ansatz - Selbstbestimmung in der Koordinationsordnung des Marktes verwirklicht 26 . Der Begriff der Selbstbestimmung deckt sich mit jenem der materiellen Freiheit. Dennoch macht es Sinn, ihn vom Begriff der Freiheit abzusetzen. Durch den Begriff der Selbstbestimmung kommt der Charakter der aktiven Rolle der Marktteilnehmer besser zum Ausdruck. Es geht nicht nur um die Freiheit vom Zwang anderer, sondern um die Sicherung der Chance, Ziel und Mittel wirtschaftlichen Handelns selbst zu bestimmen. Die Konkretisierung auf das Wirtschaftliche hin ist mittelbezogen zu verstehen. Wirtschaftliche Selbstbestimmung bedeutet also Selbstbestimmung über die Koordinationsordnung des Marktes. Dagegen geht es nicht um die Selbstbestimmung in der Politik oder in persönlichen Beziehungen. Ersteres gehört zum Verfassungsorganisationsrecht, letzteres zum Familienrecht. Dagegen darf die Beschränkung auf das Wirtschaftliche nicht zielbezogen verstanden werden. Deshalb schließt die wirtschaftliche Selbstbestimmung die Befugnis ein, andere als rein ökonomische Zielsetzungen, beispielsweise sozialer, politischer oder ökologischer Art zu verfolgen. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, daß eine Limitierung der Zielsetzungen eine notwendige Beschränkung dessen, was Selbstbestimmung bedeutet, bewirken würde. Die Zieloffenheit ergibt sich unmittelbar aus dem Begriff der Selbstbestimmung. Für das Verbraucherschutzrecht wird eine Öffnung des gegenständlichen Bereichs über rein ökonomische Interessen hinaus bewirkt. Damit reagiert das Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung auf tatsächliche Entwicklungen im Verbraucherverhalten, wonach beispielsweise ökologische Argumente immer größere Bedeutung in der Werbung und bei Konsumentscheidungen erhalten. 2. Die Stellung des Verbrauchers Die Studie verschreibt sich dem Recht zum Schutze des Verbrauchers. Wirtschaftliche Selbstbestimmung kann aber nicht, so wie es hier verstanden wird, 26

So auch Flume, Allgemeiner Teil II, 1992, S. 1.

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§1

Einleitung

ein Privileg des Verbrauchers unter Ausschluß anderer sein. Steht wirtschaftliche Selbstbestimmung allen Marktteilnehmern zu, gibt es kein Verbraucherschutzrecht als eigenständiges Rechtsgebiet. Dennoch macht die Frage nach dem rechtlichen Schutz des Verbrauchers Sinn. Die Stellung des Verbrauchers ist durch die Realität und die Entwicklung des Rechts allemal zum klärungsbedürftigen Phänomen geworden. Das Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung gibt eine Antwort in einem ganz bestimmten Sinn. Diese Antwort führt den Verbraucherschutz dogmatisch in das Privatrecht zurück. Verbraucherschutz ist nichts Besonderes im Verhältnis zum allgemeinen Privatrecht. Die Verbraucherschutzproblematik macht im Gegenteil auf das richtige Verständnis der Selbstbestimmung und dessen Schutz in der Privatrechtsordnung aufmerksam. 3. Die rechtliche Qualifikation Die Privatautonomie gewährt lediglich ein Recht auf eigenverantwortliche Interessenwahrnehmung. Darüber hinaus ist die Anerkennung eines subjektiven Rechts darauf, daß sich über diese Interessenwahrnehmung auch Selbstbestimmung verwirklicht, abzulehnen, weil die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, abgesehen von der allemal unabänderlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen, von den ökonomischen Rahmenbedingungen der konkreten Entscheidung abhängen. Wirtschaftliche Selbstbestimmung ist daher allenfalls ein rechtlich zu verfolgendes Ziel. Bedenklich ist es, wenn Manfred Wolf auf dem Prinzip der Selbstbestimmung aufbauend die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit als Wirksamkeitsvoraussetzung von Willenserklärungen behandelt 27 . Diese Einordnung übersieht den ökonomischen Zusammenhang. Wenn die Verwirklichung wirtschaftlicher Selbstbestimmung von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Entscheidung abhängt, dann würde, konsequent weitergedacht, wirtschaftliche Selbstbestimmung als Wirksamkeitsvoraussetzung von Rechtsgeschäften eine Überprüfung des Rechtsgeschäfts anhand wirtschaftstheoretischer Erwägungen erfordern. Dies wäre theoretisch machbar, zumal die ökonomische Analyse des Rechts ähnliches vertritt. Die wirtschaftliche Selbstbestimmung wäre aber als rechtliches Konzept viel zu unbestimmt, um ausreichende Rechtssicherheit herbeizuführen. Erforderlich wird also i.d.R. eine weitere rechtliche Konkretisierung im Wege der Gesetzgebung. In der Tat können schon bestehende Regelungen des Rechts, sowohl des BGB als auch des spezialgesetzlichen Verbraucherschutz-

27 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 124f.

IV. Eigener Ansatz: Die wirtschaftliche

Selbstbestimmung

9

rechts, im Sinne der Sicherung wirtschaftlicher Selbstbestimmung verstanden werden. 4. D a s situationsbezogene Verbraucherschutzmodell Der wirtschaftlichen Selbstbestimmung entspricht eine Strukturierung des Verbraucherschutzrechts, die als situationsbezogenes Verbraucherschutzmodell bezeichnet werden kann. Diesem Modell liegt eine Zweiteilung des Rechts in das konstitutive und kompensatorische Verbraucherschutzrecht zugrunde. Das konstitutive Verbraucherschutzmodell hat zur Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Selbstbestimmung am Markt überhaupt möglich wird. Konstitutive Elemente der Selbstbestimmung sind die Gewährleistung der formalen Privatautonomie und der Freiheit des Wettbewerbs. Beide Prinzipien stehen in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis. Das kompensatorische Verbraucherschutzmodell reagiert auf die Erkenntnis, daß selbst bei Gewährleistung der konstitutiven Elemente nicht in allen Situationen die Chance zur Selbstbestimmung besteht. Aufgabe der Rechtspolitik ist es, die Situationen eines Versagens dieser konstitutiven Elemente zu identifizieren und durch die Entwicklung spezifischer Instrumente zu kompensieren. Trotz der offensichtlichen Ähnlichkeiten zum Ansatz von Manfred Wolf handelt es sich um ein hiervon zu unterscheidendes Modell. Es geht nicht, wie Fikentscher anschaulich in einer Kritik an Wolf formuliert hat, um die Anerkennung einer „wirtschaftlichen Geschäftsfähigkeit" 28 . Dieser Begriff enthält einen Widerspruch in sich. Die Geschäftsfähigkeit knüpft an Merkmale des einzelnen Rechtsträgers an, der Begriff des Wirtschaftlichen - zumindest in der Marktwirtschaft - an der Koordinationsordnung des Marktes. Wenn das Argument des Wirtschaftlichen richtig ist, muß im Lichte der Funktionen des Marktes argumentiert werden. Auf persönliche Merkmale des einzelnen kann es dann nicht ankommen. Andernfalls geräte das zur Selbstbestimmung komplementäre Prinzip der Selbstverantwortung in Gefahr. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Selbstbestimmung sind deshalb primär über ordnungspolitische Maßnahmen (konstitutives Verbraucherschutzrecht) zu verfolgen (Wettbewerbspolitik, Wahrung der Privatrechtsordnung). Nur dort, wo sich spezifische und typisierbare Gründe für ein Versagen der ordnungspolitischen Maßnahmen finden lassen, muß die Verbraucherschutzpolitik durch die Formulierung allgemeiner Tatbestände, sei es im Wege der Gesetzgebung, sei es im Wege der richterlichen Konkretisierung von Generalklauseln, kompensierend eingreifen. In methodologischer Hinsicht geht es nicht um die Einzelfallüberprüfung des Vereinbarten nach ökonomischen Maßstäben, sondern um die Formulierung allgemeiner Tatbestände durch das 28

Fikentscher,

in: FS Hefermehl,

1971, S.41, 46.

10

§1

Einleitung

Recht, wobei die ökonomische Theorie durchaus eine mögliche Erkenntnisquelle der Rechtstheorie darstellt.

V. Definitionen

und

Abgrenzung

Es ist eine Auffälligkeit der Verbraucherschutzdebatte, daß die Begriffe des Verbrauchers und des Verbraucherschutzrechts unterschiedlich definiert werden, je nachdem, welcher Verbraucherschutztheorie man anhängt. So kann der Begriff des Verbrauchers rollenspezifisch verstanden werden, wobei jedermann auch als Verbraucher am Markt teilnimmt. Ein klassenbezogenes Verständnis wird dagegen die Verbraucher als soziale Gruppe von anderen, insbesondere den Herstellern, abgrenzen, und einen sozialen Gegensatz im Verhältnis dieser Gruppen zueinander annehmen. Im ersteren Fall wird man das gesamte Recht zur Regelung der Marktprozesse zum Verbraucherschutzrecht zählen. Im zweiten Fall wird man das Verbraucherschutzrecht auf jene Normen beschränken, die Sonderregeln zugunsten der Verbraucher enthalten, um deren soziale Unterlegenheit gegenüber der Hersteller- und Anbieterseite auszugleichen. Diese Unterschiede verdeutlichen, daß der endgültigen Festlegung der Begriffe die begründete Entscheidung für ein bestimmtes Verbraucherschutzmodell vorausgehen muß. Deshalb kann hier einstweilen nur vom Verbraucher und vom Verbraucherschutzrecht im Sinne von Arbeitsdefinitionen gesprochen werden. Um eine Determinierung des zu ermittelnden Verbraucherschutzmodells zu vermeiden, sind die Arbeitsdefinitionen möglichst weit zu halten. Eine weite Definition des Verbrauchers verwendet beispielsweise Eike von Hippel. Er versteht unter dem Verbraucher den privaten Endverbraucher als „Person, der Waren oder Dienstleistungen zur privaten Verwendung geliefert werden" 29 . Borchert bezeichnet als Verbraucher den „privaten Konsumenten von Waren oder Dienstleistungen" 30 . Beide Bestimmungen sind zu eng. Die Definition Hippels übergeht, daß Verbraucherschutzprobleme typischerweise schon bei Vertragsschluß, manchmal auch schon bei Vertragsanbahnung (Werbung) auftauchen. Auf die „Lieferung" kann es deshalb nicht ankommen. Richtig ist dagegen bei beiden Definitionen das Abstellen auf die private Zwecksetzung. Will man schließlich auch die Problematik der Bürgschaft erfassen, bei der es gleichermaßen um die Wahrung der Selbstbestimmung geht, ist es zu eng, wenn man den Konsum zum ausschließlich entscheidenden Kriterium erhebt 31 . Bürgen geben eine Sicherheit; Konsument ist allenfalls der Haupt29

E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.3. Borchert, Verbraucherschutzrecht, 1994, S. 1. 31 Vgl. auch die Behandlung von Familienbürgschaften bei Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, 1996, S. 12ff. Auch Tonner, J Z 1996, 533, 537, erwähnt die Rechtsprechung zu den Familienbürgschaften im Zusammenhang mit dem Verbraucherrecht. 30

V. Definitionen

und

Abgrenzung

11

Schuldner. Deshalb sollte neben dem privaten Letztverbraucher im Sinne der von Borchert gegebenen Definition auch jede Person erfaßt werden, die aus persönlichen Gründen eine Sicherheit für die Verbindlichkeit eines Dritten gegenüber einem gewerblichen Anbieter von Waren oder Dienstleistungen gewährt. Nicht erforderlich ist es, daß das Geschäft auch für den Hauptschuldner ein Verbrauchergeschäft ist. Danach soll für diese Studie als Verbraucher jede Person verstanden werden, die nicht zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken im wirtschaftsrelevanten Rechtsverkehr handelt oder sonst - z.B. als Adressat von Werbung - betroffen ist. Unter dem Begriff des Verbraucherschutzrechts versteht man entsprechend die Gesamtheit aller Normen, die für die Stellung des Verbrauchers Bedeutung haben. Nach dieser Definition kommt es insbesondere nicht darauf an, daß die einzelnen Vorschriften nur für den Verbraucher gelten. Damit gehören sowohl die Wettbewerbsgesetze (GWB und UWG) als auch viele Bestimmungen des BGB zum Verbraucherschutzrecht. Die Verwendung des Begriffs „Verbraucherschutzrecht" bedeutet für sich noch nicht, daß das Verbraucherschutzrecht als eigenständiges Rechtsgebiet, vielleicht als Sonderprivatrecht des Verbrauchers, zu verstehen ist. Dies hängt vielmehr von den Anforderungen ab, die die Dogmatik an das Vorliegen eines eigenständigen Rechtsgebiets stellt. Aus Gründen der Mach- und Lesbarkeit beschränkt sich die Studie hinsichtlich Gegenstand und Methode. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der privat- und wirtschaftsrechtliche Teil des Verbraucherschutzrechts. Die umfassende Behandlung auch des öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Teils würde den Umfang einer noch vertretbaren Untersuchung sprengen. Dabei werden die Vorteile der präventiven Wirkung öffentlich- und strafrechtlichen Verbraucherschutzes nicht verkannt. Der auf Selbstbestimmung aufbauende Selbstschutz des Verbrauchers über das Privatrecht läuft leer, wenn Gefahren nicht zu erkennen und die nachteiligen Folgen so gewichtig sind (im Extremfall der Tod), daß der Verbraucher nicht auf das Lernen am Markt verwiesen werden kann. Die Erforderlichkeit von Präventivschutz durch das öffentliche Sicherheitsrecht läßt sich andererseits gerade im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung gut begründen. Das öffentliche Sicherheitsrecht gehört zum kompensatorischen Verbraucherschutzrecht, weil die konstitutiven Elemente zum Schutz des Verbrauchers nicht ausreichen. Schon diese kurze Überlegung zeigt, daß die Grenzziehung nach den traditionellen Rechtsgebieten von Privatrecht, Straf- und öffentlichem Recht im Verbraucherschutz kaum eine Berechtigung hat. So wird das Recht der Werbung gleichermaßen durch das öffentliche Recht (z.B. Medienrecht) und das Privatrecht (UWG) gestaltet. Andererseits sollte die vorliegende Untersuchung aber auch unter dem Aspekt betrachtet werden, daß privatrechtliche Lösungen sehr wohl einen Beitrag zum Schutz des Verbrauchers leisten und öffentliches Recht und Strafrecht

12

§1

Einleitung

oftmals auch entlasten können. Wegen der geringeren Eingriffsintensität im Verhältnis zur persönlichen Freiheit wäre gleichwirksamen Lösungen des Privatrechts im Vergleich zu den anderen beiden Instrumenten der Vorzug einzuräumen 32 . Wettbewerbsrechtliche Lösungen können in einigen Fällen sogar höhere Qualität zu sichern geeignet sein als administrative Überwachungssysteme 33 . In methodischer Hinsicht wird auf eine rechtsvergleichende Analyse verzichtet. Eine solche wäre zwar angesichts recht unterschiedlicher Konzeptionen in verschiedenen Ländern und der Bedeutung für das Gemeinschaftsrecht durchaus gewinnbringend und angebracht, würde aber den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen. Methodische Grundlage ist hier Überprüfung und Begründung des nationalen und - in Ansätzen - des europäischen Rechts anhand ordnungspolitischer Konzeptionen, in denen die Wirtschafts-, Verfassungs- und sonstige Rechtsordnung in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis zu sehen sind. Das Konzept der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers steht damit lediglich für einen Begründungsversuch für das geltende Recht und die Rechtspolitik des Verbraucherschutzes. Ein methodologischer Ausschließlichkeitsanspruch wird damit nicht verbunden. In der Studie finden die Begriffe des Wettbewerbsrechts, des Kartellrechts und des Unlauterkeitsrechts häufige Verwendung. Das Kartellrecht soll hier das Recht des GWB, also das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen bezeichnen, obwohl das GWB sich nicht nur mit Kartellen befaßt. Das Unlauterkeitsrecht bezieht sich auf die Regelungsgegenstände des U W G und seiner Nebengesetze (insbesondere das RabattG und die ZugabeVO). Die Gesamtheit von Kartell- und Unlauterkeitsrecht wird Wettbewerbsrecht genannt.

VI. Gang der Darstellung Die Begründung des Modells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung als Grundlage des Verbraucherschutzes baut auf drei Säulen auf: der ökonomischen, der verfassungsrechtlichen und der privatrechtlichen. Diese drei Säulen gehören zusammen. Keine ist ohne die andere denkbar. Jeder dieser Säulen ist ein Kapitel der vorgelegten Untersuchung gewidmet. Diesen drei Kapiteln geht ein weiteres voraus, in dem eine Bestandsaufnahme vorgenommen wird. 32

So auch eine der Zentralthesen bei Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996, S. 8ff., 328ff. und 383ff., der sich besonders mit dem Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht in den beiden im Titel genannten Rechtsgebieten auseinandersetzt. Ähnlich für den Verbraucherschutz, Schricker, G R U R Int. 1973, 694, 697ff. Etwas zurückhaltender zur Leistungsfähigkeit des Privatrechts für den Umweltschutz, Medicas, J Z 1986, 778. Zur früheren Verbraucherschutzdebatte, siehe Hillermeier, BB 1976, 75, 76f. 33 In diesem Sinne Oberender/Daumann, WiSt 1996, 566, für medizinische Versorgungsleistungen.

VI. Gang der Darstellung

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1. B e s t a n d s a u f n a h m e (Erstes Kapitel) Das erste Kapitel stellt unter Berücksichtigung des Europäischen Rechts die Verbraucherschutzentwicklung dar (§2). Dabei wird auf die verbraucherschutzrechtliche Debatte sowie die zivilistische Diskussion um das richtige Verständnis der Privatautonomie eingegangen. Überdies erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Begriffen der Verbraucherpolitik und des Verbraucherschutzrechts als Sonderprivatrecht (§3). Als Ergebnis wird eine Konzeption der Verbraucherpolitik als Rechtspolitik vertreten und ein Sonderprivatrecht der Verbraucher abgelehnt.

2. Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen (Zweites Kapitel) Das zweite Kapitel widmet sich den wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen des Verbraucherschutzrechts. Dahinter steht die Erkenntnis, daß der Schutz des Verbrauchers als normatives Problem nur richtig zu erfassen ist, wenn die Stellung des Verbrauchers als Teilnehmer am Markt verstanden wird. Jede ökonomische Theorie setzt als sozialwissenschaftliche Theorie Annahmen über das Verhalten von Menschen voraus. Nichts wesentlich anderes gilt für das Recht. Deshalb müssen die ökonomischen und normativen Charakteristika des Verhaltens des Menschen am Markt nach den verschiedenen Theorien offengelegt werden. Ökonomisches und normatives Menschenbild fallen nicht notwendig zusammen. Ökonomie und Recht verfolgen spezifische Zielsetzungen. Soweit es der Ökonomie um die möglichst präzise Beschreibung der Wirklichkeit geht, liegt die Definition eines Durchschnittsverhaltens nahe. Im Recht beschreibt das Menschenbild dagegen nicht die Wirklichkeit, sondern gehört zu den Grundlagen, die das Sollen bestimmen. Freilich darf das, was dem Menschen abverlangt wird, nicht realitätsfern sein. Umgekehrt nähert sich die Ökonomie mit ihrem Menschenbild dem Normativen an, wenn sie sich zur Aufgabe setzt, Hilfen zur Entscheidung zwischen Regelungsalternativen anzubieten. Deshalb müssen die Wertungen offengelegt werden, die hinter bestimmten ökonomischen Theorien und rechtlichen Regelungen stehen. Bei der Ermittlung dieser Wertungen geht es nicht um die bloße Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Recht, sondern um die materielle Begründung als „richtiges Recht". Das bedeutet, daß im Ausgangspunkt die Kriterien der zu vertretenden Verbraucherschutzkonzeption der Begründung bedürfen. Für das Verhältnis von Recht und Ökonomie besagt dies folgendes: Bei verschiedenen ökonomischen Theorien sind die spezifischen materiellen Wertungen aufzudekken und mit den normativen Wertungen der Rechtsordnungen zu vergleichen. Ökonomische Theorien können für sich nicht die Geltung einer bestimmten Verbraucherschutzkonzeption begründen. Kurz: Ökonomie ist nicht Recht. Die Ökonomie kann aber die Umsetzung und Konkretisierung der normativ vorge-

14

§1

Einleitung

gebenen Wertungen in der Privatrechtsordnung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung im Sinne einer auch ökonomisch sinnvollen Ordnung leiten. Umgekehrt macht es wenig Sinn, über den Gerechtigkeitsgehalt der formal-abstrakten Gleichheit entsprechend dem liberalen Verständnis der Privatautonomie oder der Materialisierung der Privatautonomie nachzudenken, ohne auch die ökonomischen Folgen zu berücksichtigen. Im zweiten Kapitel werden direkte Bezüge zur klassischen Nationalökonomie und der modernen Neoklassik (Chicago School) zum Laissez faire-Liberalismus, in dem Verbraucherschutz keinen Platz hat, hergestellt. Eine zentrale Stellung nimmt die Behandlung des Ordoliberalismus ein, der im Modell der Sozialen Marktwirtschaft in der Praxis fortentwickelt wurde. Danach wird die Koordinationsordnung des Marktes zugleich als soziale Einrichtung verstanden, in der die Marktteilnehmer selbstbestimmte Entscheidungen dezentral treffen und der Staat durch die aktive Sicherung der Freiheit des Wettbewerbs diese Entscheidungsfreiheiten auf Dauer garantiert. In der ökonomischen Theorie ist heutzutage das Recht selbst Untersuchungsgegenstand (ökonomische Analyse des Rechts). In ihren unterschiedlichen Ausrichtungen bedeutet die ökonomische Analyse des Rechts für das Verbraucherschutzrecht sowohl eine Bedrohung (Chicago School) als auch eine Quelle neuer Begründungen (Transaktionskosten- und Informationsökonomie). Problematisch sind jedenfalls für das deutsche Recht die normativen Wertungen der ökonomischen Analyse, d.h. die Ausrichtung des menschlichen Verhaltens nach dem Leitbild des homo oeconomicus und die Herstellung wirtschaftlicher Effizienz als ausschließliche normative Zielbestimmung. Die Wertordnung des Rechts führt zu dem Vorschlag, den homo oeconomicus durch den selbstbestimmten Menschen des Grundgesetzes und wirtschaftliche Effizienz durch ein Konzept der normativen Effizienz zu ersetzen. 3. Verfassungsrechtliche Grundlagen (Drittes Kapitel) Das dritte Kapitel dient der verfassungsrechtlichen Grundlegung des Modells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung im deutschen Verfassungsrecht (§9). Nachzuweisen ist, daß dieses Modell auch normativ gilt. Entsprechend wird geklärt, auf welcher normativen Ebene dieses Modell eine Verankerung gefunden hat und wie weit eine etwaige Determinierung durch das Verfassungsrecht reicht. Weil es um die Stellung des einzelnen im Marktgeschehen geht, wird damit automatisch die Frage nach der Wirtschaftsverfassung für das deutsche und europäische Recht aufgeworfen. Für das deutsche Recht verweist die Wirtschaftsverfassung in die Grundrechte, über die das BVerfG mit seiner Bürgschaftsentscheidung vom 19. Oktober 1993 eine Materialisierung des Begriffs der Vertragsfreiheit vorgenommen hat. Diese Entscheidung kann zum Ausgangspunkt der verfassungsmäßigen Verankerung eines Grundrechts

VI. Gang der

Darstellung

15

auf wirtschaftliche Selbstbestimmung gemacht werden. Im Gemeinschaftsrecht würde man vor allem auf die Grundfreiheiten verwiesen, wobei sich die Anerkennung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers in der konkreten Ausformung der Grundfreiheiten als grenzüberschreitende Konsumfreiheit durch die Rechtsprechung erkennen ließe34. 4. Privatrechtliche Umsetzung (Viertes Kapitel) Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der privatrechtlichen Verwirklichung des Modells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung im weiten Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Unter dem Stichwort der privatrechtlichen Grundlagen wird die Konzeption des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts begründet, das sich in das konstitutive und das kompensatorische Verbraucherschutzrecht teilt (§ 7). Sodann werden die verschiedenen Vorschriften des kompensatorischen Verbraucherschutzrechts auf ihre Rechtfertigung im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung hin untersucht (§ 8). Dabei stellt sich heraus, daß dieses Modell nicht nur bestehende Normen begründen, sondern vielfach auch zu einem besseren Verständnis beitragen und deren Auslegung leiten kann. Der Definition von Situationen, in denen ein Versagen der konstitutiven Elemente vorliegt, folgt die Abgrenzung des persönlichen Anwendungsbereiches nach (§9). Im kompensatorischen Verbraucherschutzrecht gilt ein rollenspezifischer Verbraucherbegriff. Alle Instrumente des Verbraucherschutzes setzen ein bestimmtes Verbraucherleitbild voraus. Die verschiedenen Verbraucherinstrumente lassen sich ebenfalls im Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung erklären (§ 10). Dabei kommt der Unterscheidung zwischen Informationspflichten, der Verlängerung der Überlegungsfrist und der Inhaltskontrolle wesentliche Bedeutung zu. Für das Verhältnis der kompensatorischen Instrumente zueinander und der kompensatorischen zu den konstitutiven gilt der verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Abschließend wird die Bedeutung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung an Beispielen aus dem Unlauterkeitsrecht (§11) und dem Markenrecht (§ 12) nachgewiesen.

34 Das Gemeinschaftsrecht als Grundlage des Modells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung wird an anderer Stelle näher behandelt werden.

Erstes Kapitel

Bestandsaufnahme

§ 2 Der privatrechtliche Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht (Überblick) I. Erste

Anfänge

1. Abzahlungsgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch Wollte man die Abweichung vom formalen Prinzip der Privatautonomie zum entscheidenden Kriterium erheben, so wäre das Anfangsdatum der modernen deutschen Verbraucherschutzgesetzgebung mit dem Jahr 1894 anzugeben. Obwohl das damals erlassene Abzahlungsgesetz 1 nicht an der Person des Verbrauchers anknüpfte, sondern auch den nichteingetragenen Kaufmann einbezog, wurde der Ausnahmecharakter des Gesetzes im Verhältnis zu den allgemeinen privatrechtlichen Lehren in den Abweichungen vom Prinzip der Privatautonomie deutlich 2 . Die Gründe für das Tätigwerden des Gesetzgebers waren symptomatisch für spätere Initiativen ähnlicher Art. Beim Warenabsatz anzutreffende Mißbräuche veranlaßten den Gesetzgeber zum Einschreiten. Auf die Vereinbarkeit mit anerkannten zivilrechtlichen Lehren wurde keine Rücksicht genommen. Gar völlig fehlte ein einheitliches dogmatisches oder rechtspolitisches Konzept, das das AbzG in seinem Ausnahmecharakter legitimiert und zukünftige Maßnahmen vorhersehbar gemacht hätte 3 . Anlaß für das AbzG war nicht so sehr der Mißbrauch in Verträgen mit den Letztverbrauchern, sondern mit Kleingewerbetreibenden, die im Wege des Abzahlungskaufs ihre Produktionsmittel zu finanzieren suchten 4 . Dabei stellte sich die statistische Zunahme des Verkaufs unter Eigentumsvorbehalt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weniger als Phänomen der Verarmung der Bevölkerung dar 5 als vielmehr der Massenproduktion, der Erschließung neuer 1 Veröffentlicht am 21.5.1894; RGBl. S.450. Zu antiken Vorbildern des Verbraucherschutzes, siehe z.B. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, S.26. 2 Vgl. Tonner, J Z 1996, 533, 536, der das AbzG als das „älteste Verbraucherschutzgesetz" bezeichnet. 3 Zur Geschichte des AbzG, siehe Bültes, Das Abzahlungsgesetz, 1985, S. 25 ff.; Benöhr, Z H R 138 (1974), 492ff.; Hadding, Gutachten, 1980, S.33ff.; Ostler/Weidner, 1971, Einl. Anm.3ff. 4 Ungenau deshalb Eichenhofer, JuS 1996,859, 860, wonach Verbraucherschutz das Gesetzgebungsmotiv gewesen sei; ähnlich wie Eichenhofer auch Medicus, JuS 1996, 761, 766. 5 Allerdings wurde auch argumentiert, der Abzahlungskauf verleite zum frühen Heiraten, siehe Benöhr, Z H R 138 (1974), 492, 495.

I. Erste Anfänge

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Käuferschichten durch die verkehrsmäßige Anbindung des flachen Landes sowie der Entdeckung neuer Vertriebsformen 6 . So wollte sich die Heimwerkerin den Kaufpreis mit der gerade erworbenen Nähmaschine erst verdienen (sog. „Zwangssparen") 7 . War vereinbart, daß der Käufer bei Zahlungsunfähigkeit nicht nur die Maschine zurückzugeben, sondern unverändert auch die Darlehensraten zu entrichten habe, wurde der gerade in seiner wirtschaftlichen Existenz Gescheiterte noch zusätzlich geschröpft. Der Gesetzgeber setzte sich zum Ziel, die wirtschaftlichen Vorteile der neuen Vertriebsform (Existenzgründung ohne Anfangskapital) zu erhalten, aber die damit verbundenen Mißbräuche zu bekämpfen. Das Geschäft wurde nicht verboten, sondern es wurden lediglich bestimmte Mißbräuche durch zwingendes Privatrecht unterbunden. Die Tatsache, daß die Privatautonomie nicht immer einen gerechten Ausgleich zwischen den Parteien herbeiführen kann, erfuhr dadurch eine erste gesetzliche Anerkennung 8 . Die Dringlichkeit des Problems veranlaßte den Gesetzgeber im Jahre 1894 zu einem Handeln außerhalb der bereits geplanten Kodifikation, deren Vollendung in absehbarer Zeit noch ungewiß war 9 . Der Dringlichkeit entsprach eine Bearbeitung durch den Reichstag selbst und nicht durch die Redaktoren des BGB 10 . Die Politik siegte über die Dogmatik. Die Beschränkung der Vertragsfreiheit wurde weniger durch eine soziale Konzeption legitimiert, auch wenn das AbzG nach Verabschiedung als Leistung einer in „schwerem sozialen Ringen begriffenen Zeit" verstanden wurde, sondern als Versuch der Sicherung der materiellen Vertragsfreiheit durch Beschränkung der formalen Vertragsfreiheit 11 . Die Verabschiedung des BGB trat in einen konzeptionellen Gegensatz zum AbzG. Obwohl die Forderung nach einer Salbung des BGB mit einem „Tropfen sozialen Öls" (Otto v. Gierke) 12 unerhört blieb und es in späteren Jahren als Ausdruck der Interessen des herrschenden Bürgertums kritisiert wurde, ist der Sinn der Kodifikation in erster Linie in der Festschreibung anerkannter bürgerlichrechtlicher Lehren zu entdecken 13 . Das BGB war nicht als Instrument der 6

Benöhr, Z H R 138 (1974), 492, 494f. Weitere Waren, die typischerweise im Abzahlungskauf abgesetzt wurden, waren Pianos (Klavierlehrer) und Möbel (Pensionen). 8 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.35. ' Benöhr, Z H R 138 (1974), 492, 501 f. 10 Benöhr, Z H R 138 (1974), 492, 501f., 502. 11 Benöhr, Z H R 138 (1974), 492, 501. 12 O. von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, S. 10. Dort wird von „sozialistischem" Öl gesprochen. Otto von Gierke wird also gängigerweise falsch zitiert. 13 Daß dieses „anerkannte" oder „vorfindbare" Recht Ergebnis der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist, läßt sich jedoch nicht bezweifeln; so auch Hillermeier, BB 1976, 75. Vgl. zur rechtspolitischen Debatte bei Verabschiedung des BGB, SchulteNölke, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1996,9,10f., der auf die Dringlichkeit der Herstellung der Rechtseinheit verweist; ders., NJW 1996,1705. 7

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

Wirtschafts- und Sozialpolitik gedacht, sondern sollte Bestehendes kodifizieren 14 . Die Lösung der Verbraucherschutzproblematik wurde durch die Redaktoren des BGB nicht schlechterdings abgelehnt, sondern - von den Generalklauseln des BGB abgesehen - in andere Gebiete des Rechts verwiesen 15 . So blieb auch das AbzG erhalten 16 . Die Kodifikation sollte durch das brisante und im Fluß befindliche Thema nicht beeinflußt werden 17 . Im Ergebnis war damit von Anfang an der Grundstein für den Streit um das Sonderprivatrecht des Verbrauchers gelegt. 2. D a s U W G von 1896 und seine Fortentwicklung Der zweite wichtige Schritt zum Schutz von Verbraucherinteressen wurde durch das U W G aus dem Jahre 189618 getan 19 . Während die Rechtsprechung des ausgehenden 19. Jahrhunderts sich bemüht hatte, die junge Gewerbefreiheit gegen jede Kontrolle unlauteren Wettbewerbs zu sichern 20 , verbot das U W G von 1896 in Einzeltatbeständen besonders schädliche Verhaltensweisen im geschäftlichen Verkehr. Hierzu gehörte die Irreführung des § 3 UWG. Wenn auch ursprünglich der Unterlassungsanspruch nur dem Konkurrenten zustand und die Entstehungsgeschichte den Schutz des Verbrauchers als unmittelbaren Zweck des Gesetzes verneinen läßt21, so war doch zum Ausdruck gekommen, daß Abnehmer jedweder Art - gewerblich oder privat - indirekt und tatsächlich in ihren Interessen geschützt wurden. Im Jahre 1937 bezeichnete Eugen Ulmer deshalb den Schutz des Abnehmers als ein Ziel des UWG 22 , nachdem die 14 So Damm, J Z 1978,173,174f. Kubier, J Z 1969, 645, 647, weist darauf hin, daß die Kodifikationsidee mit der modernen, auf Parlamentsarbeit aufbauenden sowie der Einflußnahme durch Interessengruppen ausgesetzten Demokratie kaum vereinbar sei. Genauso Esser, in: Vogel/Esser, 100 Jahre oberste deutsche Justizbehörde, Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, 1977, S. 13, 18. Auch danach erscheint das AbzG als Ergebnis der „neuen" und das BGB als Überbleibsel der „alten" Zeit. 15 Deshalb erscheint die Kritik am unsozialen Charakter des BGB als überzogen; Schmoekkel, NJW 1996, 1697, 1702. 16 Gleiches gilt für das Gesetz betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken usw. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen vom 7.6. 1871 (RGBl. S.207), jetzt Haftpflichtgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.1. 1978 (BGBl. I 209); Kubier, in: FS Raiser, 1974, S.697, 706f. 17 Schulte-Nölke, NJW 1996, 1705, 1708, zum AbzG. 18 Reichsgesetz vom 27.5. 1896; RGBl. S. 145. 19 Als Vorläufer des U W G wäre das Markenschutzgesetz vom 30.11.1874 (RGBl. 441) zu zitieren, das indirekt den Abnehmer vor besonderen Fällen der Irreführung schützte. 20 R G Z 3,67, 69; 18, 93, 99ff.; 20,72,75ff. So hat man selbst in Gebieten mit französischem Recht einen Rückgriff auf die deliktsrechtlichen Generalklauseln der Art. 1382 und 1383 Code civil mit dem Argument ausgeschlossen, aus dem beschränkten Regelungsbereich des Markenschutzgesetzes von 1874 (RGBl. S. 143) ergebe sich, daß eine Irreführung des Verbrauchers im übrigen zulässig sei. 21 Siehe Schricker, G R U R Int. 1970,32,33, unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien. 22 E. Ulmer, G R U R 1937, 769, 772f. Zum Theorienstreit über Schutzgut bzw. Schutzzweck

II. Die Entwicklung

des Kartellrechts

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Rechtsprechung des Reichsgerichts das „Interesse des Publikums an der Reinhaltung des Verkehrs" als Schutzzweck anerkannt hatte 23 . Schon in der ursprünglichen Konzeption angelegt trat der Verbraucherschutzgedanke selbständig neben den des Konkurrentenschutzes 24 . Nachdem 1909 die große Generalklausel des § 1 U W G Aufnahme im Gesetz gefunden hatte 25 , führte das Änderungsgesetz von 196526 durch die Einführung der Klagemöglichkeit für Verbraucherverbände in § 13 Abs. 2 Nr. 3 U W G auch zur rechtlichen Anerkennung des Schutzes der Verbraucher. Diese Tendenz fand ihre Fortsetzung im Rücktrittsrecht des § 13a UWG, das durch die UWGNovelle von 198627 geschaffen wurde. In rechtsdogmatischer Hinsicht ist diese Neuerung deshalb bedeutsam, weil der Gesetzgeber im Rahmen der inzwischen sich ausbreitenden verbraucherschützenden Gesetzgebung damit erstmalig innerhalb des U W G eine Ausnahme vom formalen Prinzip der Privatautonomie vorsah.

II. Die Entwicklung des Kartellrechts Definiert man das Ziel des Verbraucherschutzes durch die Versorgung möglichst vieler privater Nachfrager mit möglichst vielen Waren und Dienstleistungen, die möglichst hohen Qualitätsanforderungen genügen, unter möglichster Schonung der Ressourcen, und akzeptiert man den auf der Grundlage des Wettbewerbs funktionierenden Markt als das Instrument, das das Gesamtergebnis der Definition optimiert, dann wird derjenige Teil der Rechtsordnung, der sich dem Schutz des Wettbewerbs widmet, zur Grundlage eines jeden Verbraucherschutzes. Das Kartellrecht, und bei Zugrundelegung identischer Ziele auch das Unlauterkeitsrecht, präsentiert sich so als „Magna Charta des Verbrauchers". Am Anfang der Entwicklung des Kartellrechts stand die Kartellfreundlichkeit des Reichsgerichts. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1897 gab das Gericht der Klage auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Nichteinhaltung einer Preisabsprache statt 28 . Dem Argument der Beklagten, das Kartell beschränke die Gewerbefreiheit aus § 1 GewO, stimmte das Gericht nur unter der Voraussetzung zu, daß Wettbewerb zur Gänze oder doch in gewissen Richtungen für des UWG, der bis heute nicht beigelegt ist, siehe die umfassende Darstellung bei Baumbach/ Hefermehl, Einl. U W G Rdn. 40ff.; Köhler!Piper, Einf. Rdnr. lOff. 23 R G G R U R 1930, 540, 542 (vom 7.3. 1930). 24 So die inzwischen h.M., siehe trotz aller Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S.8. 25 RGBl. S. 499. 26 Gesetz vom 21.7.1965, BGBl. I 625. 27 Gesetz vom 25.7.1986, BGBl. 11169. 28 R G Z 38,155. Siehe dazu Biedenkopf, in: FS Böhm, 1965, S. 113,118ff.; F. Böhm, O R D O 1 (1948), 197. Grundlegend zur Geschichte des Kartellrechts in Deutschland, Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, zur erwähnten Entscheidung S.8ff.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

immer vernichtet werde 29 . Deshalb sei ein Kartell nur dann als unwirksam zu betrachten, wenn es auf die Begründung eines Monopols oder auf die „wucherische Ausbeutung des Konsumenten" gerichtet sei30. Damit hatte zwar die Relevanz privater Wettbewerbsbeschränkungen für den Verbraucher eine ausdrückliche richterliche Bestätigung gefunden; die Gefährlichkeit wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens für das Wettbewerbssystem insgesamt und für die Verbraucherwohlfahrt im besonderen wurde jedoch vollkommen unterschätzt. Die weitgehende Kartellierung der deutschen Wirtschaft um die Jahrhundertwende lag in der Logik der Entwicklung 31 . Die Kartellverordnung von 192332 bedeutete den ersten Versuch zur gesetzlichen Regelung des Wettbewerbs. Als Mißbrauchsgesetz erlaubte sie Kartelle im Grundsatz, anstatt sie zu verbieten 33 . Bereits 1924 wurde auf einer Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie die umfassende Kartellierung eingeläutet 34 . Der Nationalsozialismus erließ 1933 das Zwangskartellgesetz, um auch Außenseiter durch Behördenentscheidung unter das Kartell zwingen zu können. Die Zwangskartellierung schuf die Voraussetzungen für das nationalsozialistische Modell der zentralen Verwaltungswirtschaft. Nach dem Krieg führten die Allierten mit dem Dekartellierungsrecht erstmalig wirksames Kartellrecht ein35. Dem Namen nach und der wirtschaftlichen und politischen Situation entsprechend war es auf die Entflechtung der hochkonzentrierten deutschen Wirtschaft angelegt. Die negativen Erfahrungen, die man nach dem sog. Souveränitätsstichtag (5.5.1955) mit der amerikanisch geprägten rule ofreason gemacht hatte - bundesstaatliche Organe gingen tendenziell von einer Zulässigkeit von Kartellen aus - , führten schließlich zum Verbotsprinzip der §§1 und 15 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 195736. 29

RGZ38,155,158f. R G Z 38,155,158. Für eine kurze Übersicht zur deutschen Geschichte der Kartellgesetzgebung, siehe Emmerich, Kartellrecht, 1994, S.30ff.; Lehmann, J Z 1990, 61; ausführlicher Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994; Mestmäcker, RabelsZ 60 (1996), 58; Rittner, Z H R 160 (1996), 180. 32 „Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht"; Notverordnung vom 2.11. 1923, RGBl. 1 1067. 33 Die Wirkungslosigkeit der KartVO wird durch den „Bernrather Tankstellenfall", R G Z 134, 342 (vom 18.12. 1931), illustriert. Ein Tankstellenbetreiber als Außenseiter sollte mit Preisunterbietung um stets einen Pfennig durch das Preiskartell entweder zur Geschäftsaufgabe oder zum Beitritt zum Kartell veranlaßt werden. Dem Betroffenen mußte mit § 1 U W G geholfen werden. Die KartVO griff nicht, weil das Kartell nicht eingetragen und ausdrücklich als rechtlich unverbindlich bezeichnet war. 34 Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, S. 179. 35 Gesetz der amerikanischen Militärregierung Nr. 56 vom 28.1.1947; britische Verordnung Nr. 96 vom 9.6. 1947; französische Verordnung Nr. 96 vom 9.6. 1947. Dazu Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S.159ff. 36 BGBl. I S. 1081. Zur Entstehung des G W B in kurzer Zusammenfassung, Lehmann, J Z 1990, 62; Oberender, O R D O 40 (1989), 321, 327ff. Ausführlich, Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S. 163 ff. 30 31

¡11. Die Verbraucherschutzgesetzgebung

der 70er Jahre

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Wettbewerbsrecht im Sinne von Beschränkungsrecht wird im wesentlichen von staatlichen Behörden verwaltet. Die Sicherung des Wettbewerbs erfolgt damit - unabhängig von der Diskussion über das Schutzgut des G W B und den daraus abzuleitenden Auslegungsgrundsätzen - im Interesse der Allgemeinheit. Mit dem Allgemeininteresse wird aber auch der einzelne, Gewerbetreibender oder Konsument, rein tatsächlich geschützt, sofern etwa seine Freiheit, vertragliche Konditionen frei zu vereinbaren, durch die Anwendung des GWB gesichert wird. Das GWB hat daher zumindest indirekte Bedeutung für den Schutz des Verbrauchers 37 . Subjektive Ansprüche einzelner, und damit auch des Verbrauchers, auf Unterlassung oder Schadensersatz werden nur unter den Voraussetzungen des § 35 GWB anerkannt.

III. Die Verbraucherschutzgesetzgebung

der 70er Jahre

Die Verbraucherbotschaft John F. Kennedys vom 15.3.1962 hat die Notwendigkeit von Verbraucherschutz in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gerückt 38 . Die folgende Entwicklung, unterstützt durch neue sozialwissenschaftliche Erkenntnisse insbesondere von der Abhängigkeit und Beeinflußbarkeit des Verbrauchers von der und durch die Werbung, führte schließlich auch in Deutschland zum Entstehen einer sogenannten Verbraucherpolitik. Den verbraucherschutzpolitischen Programmen der Bundesregierung ist dabei ein allgemeines ordnungspolitisches Bekenntnis zur Wettbewerbsordnung zu entnehmen 39 . Die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Mittel zur quantitativ und qualitativ optimalen Befriedigung von Bedürfnissen wurde zum obersten verbraucherpolitischen Gebot erklärt. Spezifische verbraucherschutzrechtliche Maßnahmen wurden dort für notwendig erachtet, wo das Leitbild des „aktiven Verbrauchers" durch „fehlende Marktübersicht" und „unlautere Marktpraktiken" gestört wird. Die Verbraucherpolitik definierte Einzelziele 40 , zu denen die Sicherung des Wettbewerbs, Verbraucherinformation und -beratung, der Schutz des Verbrauchers gegen unlautere Praktiken genauso gehörten wie optimaler Gesundheitsschutz, umweltfreundliche Produktion sowie die Sicherung von Wohnraum zu angemessenen Bedingungen. Trotz der ordnungspolitischen Ausrichtung wurde die begrenzte Leistungsfähigkeit der Wettbewerbspolitik 37 Zur Funktion des Kartellrechts für den Schutz des Verbrauchers, vgl. E. v. Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S. 145ff., der das Kartellrecht primär und in der Sache stark vereinfachend als Instrument zur Bekämpfung überhöhter Preise auffaßt. 38 Sie ist abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, 281 ff. 39 Erster Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 18.10.1971, BT-Drucks. 4/2724; Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik vom 20.10. 1975 (abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S. 295ff.). 40 Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik, in: E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.296.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

erkannt, was wiederum Ansatzpunkt für besondere gesetzgeberische Maßnahmen sein sollte. Die Umsetzung dieser Verbraucherpolitik in Rechtsvorschriften mußte eine Vielzahl von recht unterschiedlichen Gesetzen zivil-, verwaltungs- und strafrechtlicher Natur erfassen. Zu erwähnen sind beispielsweise das Verbot der vertikalen Preisbindung durch die 2. Kartellgesetznovelle von 197341, die PreisangabeVO von 1973 als informationspolitisches Instrument, das Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen in § 38 Abs. 1 Z P O für Personen, die nicht Vollkaufleute sind42, die Verschärfung der gewerbepolizeilichen Befugnisse gegen unzuverlässige Gewerbetreibende (§ 35 GewO) 43 , das gewerberechtlich ausgerichtete Maklergesetz (§34c GewO) 44 sowie die Makler- und Bauträgerverordnung 45 , das Fernunterrichtsgesetz 46 , das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität 47 sowie zahlreiche verwaltungsrechtliche Normen über die Kennzeichnung von Waren und den Gesundheitsschutz. Auf privatrechtlichem Gebiet haben verbraucherpolitische Bedeutung insbesondere die Einführung des Widerrufsrechts im AbzG 48 , das in das BGB inkorporierte ReiseveranstalterG 49 und das AGB-Gesetz 50 . Verbraucherschutz besonderer Art ist in den Vorschriften des sozialen Mietrechts zu finden 51 . Auch die Verbraucherschutzverbände haben sich dem „marktkomplementären" Ansatz angeschlossen. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AGV) bezeichnete es in ihrem Aktionsprogramm von 1973 als ihr Ziel, „den Grad der Einflußnahme der Verbraucher auf den Wirtschaftsablauf zu steigern und somit der Konsumentensouveränität näherzukommen" 5 2 .

41 Siehe Punkt II. 1.1 des Zweiten Berichts der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik, der die negativen Auswirkungen der Preisbindung auf Verbraucher kritisiert. 42 Vom 21. März 1974. 43 Gesetz vom 13. Februar 1974. 44 Gesetz vom 16. August 1972. 45 Vom 11. Juni 1975. 46 BGBl. 1976 I, S.2525. Dazu Heinbuch, Theorien und Strategien des Verbraucherschutzes - am Beispiel des Fernunterrichtsgesetzes, 1983. 47 Vom 29.7. 1976 (BGBl. I S.2034). Das Gesetz richtete sich vor allem gegen den Mietwucher (§ 302a StGB). 48 Gesetz vom 15. Mai 1974. 49 Gesetz vom 4.5. 1976; BGBl. I S.509. 50 Gesetz vom 9.12. 1976; BGBl. I S. 3317. 51 Hierzu gehören insbesondere das Gesetz zur Regelung der Miethöhe (MHG) vom 18.12. 1974 sowie das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz vom 18.12.1975 (BGBl. I 2289). 52 Aktionsprogramm der A G V vom 29. Mai 1973, abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S. 319,320. Zur Position der AGV, vgl. auch Hart/Joerges, in: Assmann/Brüggemeier/Hart/Joerges, Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts, 1980, S. 83,131 f., die die Haltung der A G V als auf Einzelprobleme fixiert und deshalb im Programm unsystematisch sowie als konfliktunfähig gegenüber staatlicher Politik kritisieren.

IV. Die Verbraucherschutzdebatte

IV. Die Verbraucherschutzdebatte

im

Schrifttum

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im Schrifttum

Obwohl selbst Ergebnis der politischen und dogmatischen Verbraucherschutzdiskussion ist die Gesetzgebung der 70er Jahre mit der rechtlichen Zersplitterung der Materie ihrerseits zum Anlaß wissenschaftlicher Diskussion um Berechtigung, Natur und richtigen Standort, insbesondere im Verhältnis zum allgemeinen Privatrecht, geworden 53 . Versucht man, die verschiedenen und sehr facettenreichen Positionen in Gruppen einzuteilen, so lassen sich grob eine herrschende ordnungspolitische Theorie des Informationsmodells (unten 1.) sowie eine Gruppe von Alternativmodellen unterscheiden (unten 2.)54. Beide Richtungen sind ihrer Natur nach als rechtspolitische Denkschulen zu verstehen. Beide vertreten ein zumindest ähnliches Anliegen. Strukturelle Nachteile der Verbraucher gegenüber der Anbieter- und Herstellerseite sollen durch gesetzgeberische Maßnahmen einen Ausgleich erfahren 55 . Dem ordnungspolitischen Informationsmodell und den „sozialen" Alternativmodellen geht es um die ökonomische Begründung des richtigen Verbraucherschutzmodells. Das Informationsmodell folgt dem Leitbild der Konsumentensouveränität. Die Alternativmodelle unterstellen - nicht selten unter Anknüpfung an marxistische Theorien - ein ökonomisches und soziales Machtgefälle zwischen Hersteller- und Verbraucherschaft. Beide sind nur bedingt allenfalls in zweiter Linie, weil privatrechtliche Folgerungen aus den ökonomischen Erkenntnissen gezogen werden - als dogmatische Privatrechtstheorien zu verstehen. Parallel dazu wird die eigentlich zivilistische Diskussion um das Ver53 Als wesentliche Beiträge gelten Dauner-Lieb, Verbraucherschutzrecht durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983; E. v. Hippel, Verbraucherschutz, 1974/1986; Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981; Reich, Markt und Recht, 1977, S. 179ff.; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979; K. Simitis, Verbraucherschutz - Schlagwort oder Rechtsprinzip, 1976. 54 Dem entspricht die oft zitierte Unterscheidung bei Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, in das „marktkomplementäre" Informationsmodell und die „marktkompensatorischen" sozialen Modelle. Eine Vierteilung von Verbraucherschutztheorien findet sich bei Hart/Joerges, in: Assmann/Brüggemeier/ Hart/Joerges, Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts, 1980, S. 83, 118ff. Danach wird unterschieden zwischen (1.) der klassischen Gleichgewichtsökonomie, nach der es keiner Verbraucherpolitik bedarf und die sich mit dem „formalen" Privatrecht begnügt, (2.) der Ordnungspolitik, die den Schutz des Verbrauchers ausschließlich über die Wettbewerbspolitik zu erreichen versucht und deshalb kein Sonderprivatrecht des Verbraucherschutzes zuläßt, (3.) dem funktionalistischen Ansatz, der eine Materialisierung des Verbraucherschutzes verfolgt, und (4.) den Alternativkonzepten, die sich in der Forderung einer Reform der Gesamtgesellschaft ähneln und nicht selten ihre Ziele über verstärkte verfahrensmäßige Beteiligung der Verbraucher verfolgen. 55 Auch wurde schon in den 70er Jahren die Notwendigkeit von Verbraucherschutz generell bestritten; vgl. dazu die Hinweise bei Schricker, G R U R Int. 1970, 32, 34. Aus jüngerer Zeit besonders kritisch, Gärtner, J Z 1992, 73. Nach H. Hübner, in: FS Börner, 1992, S.717, 720f„ werde der politisch „mündige" Bürger durch das übersteigerte Verbraucherschutzrecht in eine „Kleinkinderbewahranstalt" eingewiesen.

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§2 Der privatrechtliche

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hältnis des Verbraucherschutzes zum Prinzip der Privatautonomie geführt, die bis heute andauert und sich immer mehr verfeinert hat (unten 3.). 1. Das ordnungspolitische Informationsmodell 5 6 Das ordnungspolitische Informationsmodell hat in der Praxis, d.h. durch Gesetzgebung und Rechtsprechung, weitgehende Anerkennung gefunden. Der Grad der praktischen Verwirklichung bedeutet aber keine zwingende Rechtfertigung. Vielmehr muß sich auch das Informationsmodell der Kritik stellen. In den Worten von Konstantin Simitis, einem Kritiker dieses Verbraucherschutzkonzepts, geht das Informationsmodell von zwei Grundannahmen aus57: (1.) Wirtschaftlicher Wettbewerb gewährleistet einen Markt, der sich an den Interessen des Verbrauchers orientiert. (2.) Der Verbraucher ist grundsätzlich in der Lage, seine Marktchancen zu nutzen. Dem Informationsmodell liegt also die Wettbewerbsordnung als die dem Verbraucher nützlichste Wirtschaftsform zugrunde. Die Sicherung des Wettbewerbs durch das Kartellrecht wird zum Ausgangspunkt des rechtlich verankerten, oder besser, gesicherten Verbraucherschutzes 58 . Wettbewerb am Markt erlaube dem Verbraucher, das ihm günstigste Angebot auszuwählen. Der Verbraucher entscheide; der Anbieter reagiere. Am Markt herrsche Konsumentensouveränität 59 . Das Informationsmodell folgt dem Leitbild der Konsumentensouveränität. Danach verfügt der Nachfrager von Waren und Dienstleistungen über das „Letztentscheidungsrecht" über den wirtschaftlichen Erfolg und Mißerfolg des Anbieters 60 . Der Nachfrager entscheidet nach eigenen Vorstellungen und nicht nach fremden Vorgaben. Insofern ist die Konsumentensouveränität ordnungspolitisches Leitbild, in dem die Freiheit der Konsumwahl und die Unabhängigkeit privater Haushalte von Machteinflüssen anderer wesentlich sind61. Dem Informationsmodell entspricht die Annahme der Gleichgerichtetheit der Interessen von Gewerbetreibenden und Verbrauchern in vielen Fällen 62 . 56 Eine ausführliche Darstellung des Informationsmodells findet sich bei Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 62ff. 57 K. Simitis, Verbraucherschutz, 1976, S. 107. 58 So etwa bei Gröner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, 1987, S. 17ff. Vgl. auch Helmrich, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherpolitik in der sozialen Marktwirtschaft, 1984, S.41. 59 Ausführlich zum Begriff der Konsumentensouveränität, Gröner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, 1987, S. 11 ff.; vgl. auch Persky, 7 J. Econ. Perspective 183 (1993), der das Konzept der Souveränität des Verbrauchers als Leitgedanke für überzeugender hält als die Annahme rationalen Verhaltens in der ökonomischen Analyse. Besonders deutlich für ein Konzept der Konsumentensouveränität, Dreher, J Z 1997,167, 177. 60 Prosi, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherpolitik in der sozialen Marktwirtschaft, 1984, S.67,68. 61 So Gröner/Köhler, Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, 1987, S. 12. 62 So ausdrücklich Schricker, G R U R Int. 1970,32,39. Burmann, W R P 1973,313, spricht von

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Dies werde insbesondere bei der A n w e n d u n g des für den Verbraucher besonders wichtigen U W G nutzbar gemacht. Sowohl die Verbraucher- als auch die Konkurrenteninteressen richten sich etwa gegen i r r e f ü h r e n d e Werbung. D i e E i n r ä u m u n g eines Unterlassungsanspruchs f ü r den K o n k u r r e n t e n o h n e die Notwendigkeit der Darlegung individuellen Betroffenseins nutze das Interesse des K o n k u r r e n t e n und dessen übergeordnetes Wissen vom Marktgeschehen auch zugunsten der Verbraucher aus. Verbraucherschutz erfolge über die Indienstnahme privater Interessen zum allgemeinen Wohl 63 . Nach den Vertretern des Informationsmodells ist Verbraucherschutz nur im R a h m e n der Marktwirtschaft möglich. Das Informationsmodell stellt sich damit als reaktiv heraus. Es akzeptiert die Marktwirtschaft als günstigste Wirtschaftsf o r m und wird deren Ergebnisse nur dort korrigieren, wo es zwingend notwendig ist 64 . D e r Verbraucher wird als zur Selbstverantwortung fähiges Wesen begriffen 6 5 , das seine wirtschaftlichen Entscheidungen auf rationaler G r u n d l a g e treffen kann. Das Recht hat dort einzugreifen, wo Wettbewerb als verbraucherschützende Grundeinrichtung wegen eines Mangels an Information versagt. Verbraucherschutz soll nicht bevormunden 6 6 , sondern rationale Entscheidungen ermöglichen. Erlaubt, und immanenter Teil der Wettbewerbsordnung als Verbraucherschutzordnung, sind alle Instrumentarien, die den M a r k t transp a r e n t e r und Verbraucherentscheidungen rationaler machen 6 7 . Hervorragendes verbraucherschutzrechtliches Instrument ist danach die rechtliche A n e r k e n n u n g von Informationspflichten. Sie kompensieren ein Informationsdefizit des Verbrauchers gegenüber dem Anbieter 6 8 . D a u n e r - L i e b k o m m t in diesem System auch zu einer Rechtfertigung der Widerrufsrechte und der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz 6 '. D a s Informationsmodell beeinem „Gesamtinteresse" der Konkurrenten und Verbraucher „an der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs". 63 So Tilmann, G R U R 1976, 544, 547, in bezug auf das UWG. 64 Entsprechend sieht Tilmann, Z H R 142 (1978), 52,63, den Zweck der Inhaltskontrolle von AGB nach § 9 AGB-Gesetz ähnlich dem Zweck des § 1 U W G nicht in einer Gerechtigkeitsgarantie, sondern in einer Ungerechtigkeitsabwehr. 65 Vgl. Tilmann, Z H R 142 (1978), 52, 61, der den mündigen Verbraucher als Leitbild des AGB-Gesetzes bezeichnet. Dem Mehr an Rechten müsse auch ein Mehr an Zurechnungsrisiken entsprechen. Hieraus zieht Tilmann den Schluß auf eine typisierende Betrachtung der Frage, ob die andere Seite der Einbeziehung der AGB zugestimmt hat. Auf das Verständnis des besonders unerfahrenen Kunden könne es nicht ankommen. Sehr beschränkend Dreher, J Z 1997, 167, 177, nach dem Wettbewerb und Kartellrecht zum Schutze des Verbrauchers prinzipiell ausreichen. 66 So ausdrücklich Schricker, G R U R Int. 1970, 32, 42. 67 Vgl. die Charakterisierung bei Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981, S. 32. 68 Ausführlich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.63ff. 69 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 70 und 72ff. Kritisch insoweit F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 752.

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schränkt sich - zumindest wie von Dauner-Lieb vertreten - auf die Kompensation des Informationsdefizits 70 : „[Die] an die geschäftliche und rechtliche U n e r f a h r e n h e i t des Verbrauchers a n k n ü p f e n d e Rechtsfortbildung [hat sich] darauf zu beschränken, das (...) E r f a h r u n g s - und Informationsdefizit bestimmter Personenkreise mit Hilfe geeigneter, dogmatischer Mittel auszugleichen, d.h. in erster Linie die in dieser Hinsicht gestörte Parität zwischen den Vertragspartnern als entscheidende F u n k t i o n s b e d i n g u n g von P r i v a t a u t o n o m i e wiederherzustellen."

Andere Gründe für das Versagen der Privatautonomie werden damit ausgeschlossen. Der von Franz Bydlinski vorgeschlagene Test, ob denn bestimmte Vorschriften des Verbraucherschutzrechts auch zugunsten der voll informierten Beteiligten wirken 71 , führt freilich zu einem positiven Ergebnis und stellt damit die Geltung des reinen Informationsmodells in Frage. So steht das einwöchige Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HWiG natürlich auch dem voll informierten und belehrten (§2 HWiG) Kunden zu72. Deshalb bleibt nur folgende Entscheidung: Entweder ist die Berechtigung des Widerrufsrechts nach dem HWiG in Zweifel zu ziehen (reines Informationsmodell) oder aber es sind weitere Gründe der Kompensation neben dem Vorliegen eines Informationsdefizits anzuerkennen. Im zweiten Fall wäre das Informationsmodell zu erweitern, was aber nicht notwendig die Anerkennung eines alternativen Verbraucherschutzmodells (unten 2.) bedeutet. Dem Primat der Wettbewerbspolitik im Informationsmodell entspricht nicht notwendig eine Bevorzugung des Privatrechts gegenüber dem Straf- und Verwaltungsrecht 73 . Eine einheitliche Linie fehlt hier. So betont Schricker die Vorzüge des durch Zivilrichter auf wesentliche Initiative der Konkurrenten durchgesetzten deutschen UWG-Systems gegenüber dem weniger effizienten, aber administrativen amerikanischen, englischen und schwedischen Konzept 74 . Die Bevorzugung des Zivilrechts entspreche dem - heute über das Gemein70 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.66f. 71 F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 752. 72 Noch überzeugender ist das Beispiel der Kontrolle von Familienbürgschaften, die sich kaum mit einem Informationsdefizit erklären läßt; dazu ausführlich unten § 9 III und § 13 VII. 73 So aber Burmann, W R P 1973, 313, 316, der staatlich verwalteten Verbraucherschutz mit der „marktlichen Entmündigung des Verbrauchers" gleichsetzt. 74 Schricker, G R U R Int. 1973, 694, 697ff. Das Entstehen des administrativen Verbraucherschutzsystems im anglo-amerikanischen Rechtskreis wurde wesentlich durch das Fehlen einer lauterkeitsrechtlichen Generalklausel, vergleichbar dem § 1 UWG, begünstigt. In den USA wird Verbraucherschutz durch die zentrale Fair Frade Commission (FFC) verfolgt. In Großbritannien ist das System dezentralisiert. In Schweden gibt es seit 1.1. 1971 einen VerbraucherOmbudsman, der vor allem auf informellem Weg zur Lösung vieler Probleme beitragen kann. Schricker verwirft das schwedische Modell mit dem Hinweis, daß hierfür in Deutschland der Aufbau einer riesigen Behörde erforderlich wäre. Ähnlich Hillermeier, BB 1976, 725, 727, der das Vollzugsdefizit des Verwaltungsrechts herausstellt.

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schaftsrecht (Art. 3b EGV) wieder sehr aktuellen - gesellschaftlichen Subsidiaritätsprinzip 75 . Dennoch sei Verbraucherschutzrecht nicht allein durch das Zivilrecht zu erreichen. Wegen der spezifischen Vorteile von Zivil-, Straf-und Verwaltungsrecht sei ein gemischtes System am besten 76 . Eike von Hippel, der das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem grundsätzlich anerkennt 77 , will dagegen die verwaltungsrechtliche Kontrolle als Mittel der Prävention vorziehen, während das reaktive Zivilrecht häufig zu spät komme 78 . Insbesondere sei das schwedische Modell eines Verbraucher-Ombudsman zu übernehmen 79 . 2. „Soziale" Alternativmodelle Allen Alternativmodellen ist die fundamentale Kritik am Informationsmodell gemeinsam. Man könnte sie, wobei in den Ergebnissen Unterschiede bestehen, unter dem Begriff des sozialen Verbraucherschutzmodells zusammenfassen 80 . Jedoch sehen auch Vertreter des Informationsmodells ihr Anliegen mit guten Gründen als soziales an81. Und, wie sich aus dieser Studie ergibt, geraten die als „sozial" apostrophierten Modelle in Gefahr, im Rahmen ihrer Verwirklichung denkbar unsoziale Ergebnisse herbeizuführen. Deshalb wird das Adjektiv sozial hier in Anführungsstriche gesetzt. Den Vertretern der Alternativmodelle ist die Kritik gemeinsam, das Informationsmodell setze sich mit den Prämissen funktionierenden Wettbewerbs und der Fähigkeit der Verbraucher zu rationaler Entscheidung in Widerspruch zur sozialen Realität. Die Fiktion der Wettbewerbsordnung sehe sich mit der zunehmenden Vermachtung von Märkten in Monopolen und Oligopolen konfrontiert; der Entscheidungsfreiheit des Konsumenten stehe die Wirklichkeit einer Abhängigkeit von Entscheidungen des Produzenten gegenüber. a) Konstantin Simitis kritisiert den vom liberalen Verbraucherschutzmodell

75

Schricker, G R U R Int. 1973, 694, 699. Schricker, G R U R Int. 1970, 32, 44. 77 E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.268: „Nach allen bisherigen Erfahrungen hat sich die Marktwirtschaft als die effizienteste und freiheitlichste Ordnung des Wirtschaftslebens erwiesen." Die Zuordnung Hippels zu den Vertretern des Informationsmodells ist nicht eindeutig. Hippel selbst hält die Zweiteilung der Verbraucherschutztheorien in marktkomplementäre und marktkompensatorische Modelle durch Dauner-Lieb für zu grob; E. von Hippel, J Z 1984, 1097. 78 E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.264ff.; Hippel insoweit kritisierend, Schricker, RabelsZ 41 (1977), 402, 406. 79 E. von Hippel, BB 1974, 1038f. 80 So die Charakterisierung nach Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 108ff. 81 Schricker, G R U R Int. 1970, 32, 40, leitet aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes eine Verpflichtung zum Verbraucherschutz ab. Eichenhofer, JuS 1996,859,860, charakterisiert das Verbraucherschutzrecht als sozial gebundenes Privatrecht. 76

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unterstellten Gleichklang von Hersteller- und Verbraucherinteressen 82 . Vielmehr bestehe ein fundamentaler Gegensatz zwischen den am Tauschwert interessierten Herstellern und den am Gebrauchswert interessierten Konsumenten 83 , der letztlich auf die ungleiche Verteilung von Eigentum und die daraus resultierende Verteilung von Herrschaft in der Gesellschaft zurückzuführen sei84. Dabei komme es dem Hersteller nicht auf die Befriedigung, sondern auf die zusätzliche Schaffung von Bedürfnissen an85. Dieses Ziel erreiche er über die Werbung als Instrument zur Steuerung der Konsumentenentscheidung. Das Modell der Konsumentensouveränität sei durch die eingetretenen Strukturveränderungen unwiederbringlich aufgehoben 86 . Der Verbraucher entscheide irrational 87 ; ihm komme es auf den von der Werbung vermittelten Zusatznutzen an88. Konsumentscheidungen erfolgen wegen der Marktunübersichtlichkeit notwendig uninformiert. Diese Intransparenz werde durch eine Preisdiskriminierung über den gleichzeitigen Verkauf identischer Waren mit verschiedenen Marken durch die Hersteller noch gefördert 89 . Auch eine Informationspolitik könne nicht helfen, weil sie notwendig von zu geringer Anpassungsgeschwindigkeit und, hinsichtlich der relevanten Entscheidungskriterien, unvollständig sei90. Simitis fordert deshalb eine gestaltende und nicht nur eine reaktive Verbraucherschutzpolitik 91 . Während die Anwendung des U W G nur Randerscheinungen erfasse, hätten Politik und Recht die sozialen Ursachen des Machtmißbrauchs durch die Hersteller aufzudecken 92 . Die Hersteller seien an gesellschaftliche Vorgaben zu binden und nicht, wie es das liberale Informationsmodell erlaube, der Verbraucher an die Vorgaben der Werbung 93 . Der Verbraucher könne nur aus seiner Abhängigkeit befreit werden, indem die Produzenten öffentlicher Kontrolle unterworfen und den Verbrauchern gegenüber verantwortlich gemacht werden. Weil man Verbraucherinteressen nicht ex ante bestimmen könne, komme dem Verfahren der öffentlichen Willensbildung der Verbraucher

82 K. Simitis, Verbraucherschutz, 1976. Die Verbraucherschutztheorie bei Simitis hat ihrerseits Kritik bei den Vertretern des herrschenden Informationsmodells ausgelöst; siehe z.B. Helmrich, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, 1984, S.41, S. 48f. 83 K. Simitis, a.a.O., S. 144. 84 K. Simitis, a.a.O., S. 148. 85 K. Simitis, a.a.O., S. 138. 86 K. Simitis, a.a.O., S. 136. 87 K. Simitis, a.a.O., S. 112ff. 88 K. Simitis, a.a.O., S.134. 89 K. Simitis, a.a.O., S. 100. 90 K. Simitis, a.a.O., S.119ff. 91 K. Simitis, a.a.O., S. 196. 92 K. Simitis, a.a.O., S. 155. 93 K. Simitis, a.a.O., S.196.

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grundsätzliche Bedeutung zu94. Ziel sei die kollektive Selbstbestimmung der Verbraucher im Produktionsprozeß (Verbraucherschutz durch Partizipation) 95 . b) Reifner unterzieht die herrschende Zivilrechtsdogmatik einer ähnlich fundamentalen Kritik, wie dies Simitis in bezug auf die Wettbewerbspolitik tut 96 . Nach Reifner setze sich die traditionelle Zivilrechtsdogmatik mit der Fiktion der Vertragsfreiheit von Hersteller und Verbraucher in Widerspruch zur Rechtswirklichkeit. Die argumentative Trennung des Sollens vom Sein diene allein der Absicherung normativer Theorien gegen die Kritik der Sozialwissenschaften 97 . Dabei werde ein Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit bewußt hingenommen und durch das Argument der Rechtssicherheit legitimiert 98 . Weil das Recht jedoch auf Dauer den Widerspruch zu den Gerechtigkeitsvorstellungen in der Gesellschaft nicht aufrecht erhalten könne, sei die Praxis gezwungen, allmählich die Einwirkung sozialer Zusammenhänge auf die auf den privatrechtlichen Vertrag aufbauende und in Zweipersonenverhältnissen denkende Zivilrechtskonzeption zuzulassen 99 . Dies zeige sich etwa in der Anerkennung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, der c.i.c., der Einwirkung der Sozialexistenz als Kriterium des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder in den Regelungen des - damals - gerade erlassenen AGB-Gesetzes, das sich aus dem Verwischen der Grenze zwischen Privatautonomie und privater Normsetzung rechtfertige. Deshalb sei die Willenserklärung als Grundlage privater Rechtsableitung zweifelhaft geworden 100 . Reifner fordert in Überwindung der Abstraktion der geltenden Zivilrechtsdogmatik ein Abstellen auf die tatsächlich vorgegebenen sozialen Rollen der am Wirtschaftsprozeß beteiligten Personen 101 . Damit räumt er freimütig ein, das bisherige Selbstverständnis des Zivilrechts in Frage zu stellen 102 . Naturrecht und religiöses Wertesystem will er durch soziale Adäquanz und soziale Richtigkeitskontrolle ersetzen 103 . Die Relevanz des Sozialen begründet Reifner mit dem Argument des Sachzwangs. Das Recht dürfe nicht zum „Störfaktor" des zu regelnden Bereichs werden 104 . Freiheitsprinzip und Sozialstaatsprinzip werden in einem Spannungsverhältnis empfunden. Freiheit legitimiere die Macht der wirtschaftlich Starken, während allein soziale Gerechtigkeit die Freiheit der Masse der Bevöl94

K. Simitis, a.a.O., S. 158. K. Simitis, a.a.O., S. 156f. 96 Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979. 97 Reifner, a.a.O., S.28. 98 Reifner, a.a.O., S.31. 99 Reifner, a.a.O., S. 34ff. 100 Reifner, a.a.O., S.36. 101 Reifner, a.a.O., S.39. 102 Reifner, a.a.O., S.41. 103 Reifner, a.a.O., S.45f. 104 Reifner, a.a.O., S.52. 95

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kerung herstellen könne. Die praktizierte Sozialpolitik wird von Reifner als „sozialer Kapitalismus" kritisiert105. Reifner unterwirft das geltende Zivilrecht einer „prinzipiellen" und einer symptomatischen" Kritik. Im Rahmen der prinzipiellen Kritik knüpft Reifner unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Marx an einem dialektischen Zivilrechtsverständnis an. Das an der Freiheit der Einzelperson orientierte Verständnis formaler Privatautonomie der herrschenden Zivilrechtsdogmatik sei direkter Ausdruck der Herrschaft der produzierenden Wirtschaft 106 . Dagegen sei die Freiheit des Verbrauchers über die rechtliche Anerkennung der Prinzipien von Kollektivität, Sozialität und Prävention zu erreichen 107 . Ähnlich wie Konstantin Simitis will Reifner in der geltenden Zivilrechtsdogmatik die Verwirklichung der am Tauschwert ausgerichteten Interessen der Hersteller erkennen, während es dem Verbraucher am Gebrauchswert gelegen sei108. Eine neue, gerechtere Zivilrechtsdogmatik müsse deshalb notwendig die Frage der Legitimation der Herrschaft stellen109. Im Rahmen der symptomatischen Kritik fordert Reifner, die im Namen materieller Gerechtigkeit von der Praxis zugelassenen Ausnahmen von der formalen Privatautonomie im Rahmen einer alternativen Auslegung der Zivilrechtsgesetze zur Regel zu machen 110 . An die Stelle von Freiheit und Gleichheit seien Sozialität und soziale Rücksicht zu setzen. Sozialität und soziale Rücksicht seien die Voraussetzungen für die Herstellung von Freiheit und Gleichheit aller 1 ". Reifner offeriert anstelle der formalen eine soziale Auslegung. Individualismus sei durch Kollektivität, Isolation durch Gesellschaftlichkeit, Tauschwert und Gewinnbezogenheit durch Gebrauchswert und Nutzen zu ersetzen 112 . Die soziale Auslegung sei durch die Verfassung geboten 113 . Sie habe an jenen Rechtsinstitutionen anzuknüpfen, die die traditionelle Dogmatik bereits verändert haben (Wegfall der Geschäftsgrundlage, arbeitsrechtliche Sphärentheorie, Durchgriff beim fremdfinanzierten Geschäft, faktischer Vertrag, Anscheinsvollmacht, etc.) 114 . Das individuelle Schuldverhältnis und Eigentum können rechtliche Ansatzpunkte bleiben. Die Gesellschaftlichkeit sei jedoch über die Ordnungselemente des Zivilrechts einzuführen115. Unter anderem sei im Reifner, a.a.O., S. 61. Reifner, a.a.O., S. 69f. 107 Reifner, a.a.O., S.75. 108 Reifner, a.a.O., S.70. 105 Reifner, a.a.O., S. 80. 110 Reifner, a.a.O., S.82. 111 Reifner, a.a.O., S.82 f. 112 Reifner, a.a.O., S.92. 113 Reifner, a.a.O., S.99. 114 Reifner, a.a.O., S.92f; vgl. auch Eichenhof er, JuS 1996, 857, 858, der solche Institutionen als,soziale" Ausformungen des allgemeinen Privatrechts betrachtet. 115 Reifner, a.a.O., S.93. 105 106

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Bereicherungsrecht der Konsumzweck (causa consumendi) als Rechtsgrund anzuerkennen 116 . Im Hinblick auf die Verbraucherverschuldung, mit der sich Reifner schwerpunktmäßig auseinandersetzt und an der er seine soziale Auslegung demonstriert, wird mit Hilfe des Konsumzwecks ein Einstehen des Darlehensgebers für den Erfolg der wunschgemäßen Verwendung der finanzierten Sache begründet. Banken „verkaufen" nicht den Kredit, sondern die Konsummöglichkeit, indem sie offen mit der Ermöglichung fremdfinanzierten Konsums werben117. Hieraus sei die Akzessorietät des Finanzierungsgeschäfts gegenüber dem Absatzgeschäft abzuleiten 118 . Störungen des Absatzgeschäfts schlagen auf das Finanzierungsgeschäft durch. Werde vom Lieferanten nicht rechtzeitig erfüllt, könne auch das Finanzierungsinstitut noch nichts fordern (§320 BGB). Werde die Hauptleistung unmöglich, sei dies auch für die Darlehensrückzahlung zu berücksichtigen. Das Verschulden des Warenlieferanten habe sich der Darlehensgeber nach §278 BGB entgegenhalten zu lassen" 9 . Damit vertritt Reifner die Zulässigkeit des Einwendungsdurchgriffs auch dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des verbundenen Geschäfts nach dem heutigen § 9 Abs. 1 VerbrKredG nicht vorliegen120. c) Auch Reich fordert eine sozialwissenschaftlich abgesicherte Zivilrechtsdogmatik, die die ökonomischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben gleichermaßen berücksichtigt 121 . Dabei läßt sich Reich durch die sozialistische Zivilrechtsdogmatik inspirieren 122 . Vorzuschlagen sei eine Dreiteilung des allgemeinen Vermögensrechts in Unternehmensrecht (Rechtsverkehr zwischen Unternehmen), Verbraucherrecht (Warenaustausch zwischen Unternehmen und Endverbrauchern) sowie dem Bürgerrecht (Rechtsverkehr zwischen privaten Bürgern), die jeweils gesonderten Rechtsregeln folgen sollen123. Privatautonomie in ihrem formalen Verständnis mache nur im ersten und dritten Bereich Sinn, nicht dagegen beim Verbraucherrecht. Dieses habe das Machtgefälle zwischen Unternehmen und Verbrauchern zur Kenntnis zu nehmen 124 . Reich ver116 Reifner, a.a.O., S. 95; dazu auch Chr. Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981, S.59ff. 117 Reifner, a.a.O., S.238. 118 Reifner, a.a.O., S.244 und 261. 119 Reifner, a.a.O., S.262. 120 Reifner, a.a.O., S.263f. 121 Reich, Z R P 1974,187f. Vgl. auch die Kritik an Reich bei F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.723. 122 Eindeutige Anklänge an die marxistische Wirtschaftstheorie, insbesondere zur Dialektik von Tausch- und Gebrauchswert, finden sich bei Reich, Markt und Recht, 1977, S. 179. 123 Reich, Z R P 1974,188; ders., Markt und Recht, 1977, S. 198ff., in Fortentwicklung der Raiser'schen Trennung des Bereichs der privaten Lebenssphäre im eigentlichen Sinn einerseits und des Bereichs der Güterproduktion und -Verteilung andererseits; vgl. Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S.29ff. 124 Reich, Z R P 1974, 188.

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wirft das Konzept der Konsumentensouveränität als realitätsfern. Der Verbraucher sei nicht Souverän, sondern „Untertan" des Marktgeschehens 125 . Deshalb sei ein marktkompensatorisches Verbraucherschutzrecht im Gegensatz zu den marktkomplementären Ansätzen der Ordnungspolitik legitimierbar 126 . Verbraucherrecht habe dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes Geltung im Zivilrecht zu verschaffen 127 . Das Verhältnis von dispositivem und zwingendem Recht sei für das Verbraucherrecht umzukehren 128 . Regelungen, die schon heute wenn auch als Ausnahmen von den allgemeinen Prinzipien - Ausdruck des Sozialstaatsprinzips im Zivilrecht sind (AbzG, soziales Wohnraummietrecht), seien als Ausgangspunkt einer sozialstaatlichen Zivilrechtsdogmatik zu verallgemeinern 12 ''. Reich verwirft die ordnungspolitischen Vorstellungen einer auf dem Leitbild des homo oeconomicus aufbauenden Konsumentensouveränität; Wettbewerbspolitik sei nicht mit Verbraucherpolitik identisch 130 . Der Wettbewerbsprozeß sei in seiner Natur als „komplexer Sozialprozeß" zu akzeptieren und erst durch seine positiven Wirkungen für den Verbraucher legitimierbar. Wettbewerb sei deshalb nicht nur rechtlich geschützter Entdeckungsprozeß, sondern „öffentlich, rechtlich geregelte Veranstaltung zur Erreichung bestimmter sozial-ökonomischer Funktionen" 131 . Als Ziele des Verbraucherschutzes werden die Kontrolle von Anbietermacht (Preiskontrolle, Werbekontrolle, AGB-Kontrolle), Gegeninformation (z.B. durch Warentests), Gegenmacht (Förderung der Verbraucherverbände) 132 und Individualschutz (materielles und prozessuales Recht) postuliert 133 . Trotz der Forderung nach marktkompensatorischem Verbraucherschutz treffen sich die rechtspolitischen Forderungen Reichs nicht selten mit denen der Vertreter eines ordnungspolitischen Konzepts. So erkennt Reich die besondere Bedeutung von privatrechtlichen Informationspflichten durchaus an134. d) Hart/Joerges kritisieren den ordnungspolitischen Verbraucherschutz125

Reich, Markt und Recht, 1977, S.183f. Reich, in: Reich/Tonner/Wegener, Überholte Konzeptionen, 1975, S. 20. Vgl. auch die Kritik an Reich bei Gröner/Köhler, Verbraucherschutzrecht in der Marktwirtschaft, 1987, S.36f. Zu Recht wendet F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 723, ein, daß mit der Annahme struktureller Unterlegenheit jede Verbraucherschutzmaßnahme legitimiert werden kann, solange der Verbraucher seine Verbraucherstellung behält. 127 Reich, Markt und Recht, 1977, S. 197. 128 Reich, Z R P 1974, 188. 129 Reich, Z R P 1974, 188. 130 Reich, Z R P 1974, 180, 190. 131 Reich, Z R P 1974, 180, 191. 132 Dazu auch Reich, in: Reich/TonnerfWegener, Überholte Konzeptionen, 1975, S.20; ders., Markt und Recht, 1977, S. 221 ff. 133 Reich, Z R P 1974, 188, 191 ff. 134 Siehe Reich, NJW 1978,513ff.; ähnlich auch Reich, JZ1980,329,332f., in bezug auf Informationspflichten des Darlehensgebers. 126

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ansatz vor allem wegen seiner Wirkung, neue Lösungsansätze zu hemmen. Die marktkomplementäre, am Wettbewerb ausgerichtete Verbraucherschutztheorie sei vorherrschend, weil sie praktischen Interessen, überkommenen Gerechtigkeitsvorstellungen sowie den Strukturen des materiellen Rechts und der Justiz entspreche. 135 Im Gegensatz zu anderen Befürwortern von Alternativkonzepten, aber auch im Gegensatz zu Hippel als wohl einem Vertreter der herrschenden, markt- und wettbewerbsbetonenden Auffassung, werden von Hart/Joerges die Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Verbraucherinteressen herausgestellt. Zwar erschlössen sich die relevanten Bereiche des Verbraucherschutzrechts über die Verbraucherinteressen. Letztere seien aber weder empirisch ermittelbar noch theoretisch legitimierbar 136 . Neueren wettbewerbspolitischen Erkenntnissen des Neoliberalismus - etwa der Kantzenbach'schen Auffassung vom funktionierenden Wettbewerb, die bewußt Verhaltensspielräume der Anbieterseite, d.h. Marktimperfektionen, zuläßt - wird tendenziell die Rechtfertigung für eine marktkompensatorische Verbraucherpolitik entnommen 137 . Wegen der Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Verbraucherinteressen komme es auf die Bildung einer Verbrauchergegenmacht an, die das organisatorische Übergewicht der Unternehmerseite auszugleichen in der Lage ist138. Dabei werden die Schwierigkeiten der Organisation diffuser Verbraucherinteressen erkannt 139 . Deshalb solle die Organisations- und Artikulationsfähigkeit der Verbraucher gefördert sowie die Institutionalisierung der Verbraucherpartizipation betrieben werden 140 . Vor allem Joerges und mit ihm Brüggemeier fordern eine umfassende Repräsentation der Verbraucher im Rechtsbildungsprozeß 141 . Hierdurch soll ein Ausgleich widerstreitender Interessen ermöglicht werden. Das Entstehen eines punktuell-reaktiven Verbraucherrechts sei dann anstelle geschlossener Lösungsmuster nur konsequent 142 . 3. Verbraucherschutz und Privatautonomie Auf der Grundlage geltenden Rechts ergibt sich eine größere Plausibilität des Informationsmodells. Die klassische Sichtweise der Privatautonomie baut wie das Informationsmodell auf dem Prinzip - wie Dauner-Lieb es nennt - der for135 Hart/Joerges, in: Assmann/Brüggemeier/Hart/Joerges, Wirtschaftsrecht als Kritik am Privatrecht, 1980, S. 87, 89. 136 Hart/Joerges, a.a.O., S.87, 90f. 137 Hart/Joerges, a.a.O., S.87, lOlff. 138 Hart/Joerges, a.a.O., S.87, 107ff. 139 Hart/Joerges, a.a.O., S.87, 109ff. 140 Hart/Joerges, a.a.O., S.87, 235. 141 Vgl. Joerges/Brüggemeier, in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S.233ff., wo die Beteiligung der Verbraucher an einem „runden Tisch" bei der Ausarbeitung einer Europäischen Privatrechtskodifikation gefordert wird. Siehe dazu die Kritik bei Tilmann, Z E u P 1995, 534, 546f. 142 Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1977, S. 134.

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Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

mal-abstrakten Gleichheit auf 143 . Dagegen bedingen die „sozialen" Alternativmodelle die Überwindung dieser normativ festgelegten formal-abstrakten Gleichheit der Privatrechtsordnung. Für die Entwicklung einer privatrechtlichen Verbraucherschutztheorie kommt es deshalb entscheidend auf die richtige Sichtweise - insbesondere von den Funktionen - der Privatautonomie an und - daran anschließend - auf die Gründe, die eine Abweichung von der formalen Privatautonomie rechtfertigen. Diese Diskussion, deren Anfang man durchaus schon mit der scholastischen Debatte um den gerechten Preis (iustum pretium) ansetzen kann 144 , ist bis heute nicht abgeschlossen. Im Jahre 1941 versuchte Schmidt-Rimpler mit der Theorie der Vertragsfreiheit in ihrer Funktion der Richtigkeitsgewähr die Vertragsfreiheit gegen Angriffe der nationalsozialistischen Ideologie zu verteidigen 145 . Nach dem Krieg fügte Schmidt-Rimpler der Richtigkeitsgewähr einen zweiten Seinsgrund der Privatautonomie hinzu, nämlich die Sicherung individueller Freiheit gegen staatliche Regelung 146 . Dabei sind die Funktion der Richtigkeitsgewähr und jene der Sicherung individueller Freiheit nicht als Gegensatz zu verstehen 147 . Mit der Theorie der Richtigkeitsgewähr war erstmals eine Formulierung gefunden worden, mit der gleichermaßen die formale Privatautonomie privatrechtlich und ökonomisch zu begründen war. Die Theorie der Richtigkeitsgewähr rechtfertigt die formale Sicht der Vertragsfreiheit, weil niemand besser als die Vertragsparteien dazu in der Lage ist, das Richtige zu beurteilen. Nicht aus dem Ergebnis also, sondern aus dem Verfahren ergibt sich die Verbindlichkeit des Vereinbarten. Die Privatrechtstheorie blieb hier nicht stehen. Noch bei Schmidt-Rimpler setzte sich die Auffassung durch, daß das Verharren bei der formalen Sicht der Privatautonomie nicht schlechterdings die Richtigkeit des Vereinbarten garantieren kann 148 . Ludwig Raiser kritisiert die formale Sicht der Privatautonomie als Ausdruck des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus 149 . Er konstatiert, daß die formale Privatautonomie nicht immer zu einem „Gleichgewicht" führe, und knüpft hieran die Forderung nach Schutz des Schwachen durch das Recht, damit der Vertrag nicht zu einem Instrument der Herrschaft degenerie-

143 Grundsätzlich Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.54ff. 144 Siehe dazu Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 39ff., aus der Sicht der modernen Vertragsrechtsdiskussion. 145 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130ff. Siehe hierzu auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.51ff.; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 121f. 146 Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.3, 5ff. 147 Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.3, 9. 148 Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S.3, 12f. 149 Raiser, J Z 1958, 1, 2; siehe auch ders., Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S. 17.

IV. Die Verbraucherschutzdebatte

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re150. Der Staat nach Raiser ist nicht mehr jener, gegen den sich die Vertragsfreiheit richte. Vielmehr habe der Staat den Schwachen auch im Vertragsrecht zu schützen und soziale Gerechtigkeit im Sinne des Sozialstaates zu verwirklichen. Als Beispiele nennt Raiser das Arbeitsrecht und das Wohnraummietrecht und in seinem späteren Werk auch den Schutz des Verbrauchers 151 . Wohl noch einen Schritt weiter geht Spiros Simitis, der von unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen auf unterschiedliche Selbstbestimmungschancen und damit ein generelles Versagen der Selbstbestimmung am Markt schließt. Anstelle der Vertragsfreiheit fordert er ein „korporatistisches Arrangement", in dem die verschiedenen Statusgruppen, u.a. jene der Verbraucher, einzubinden seien152. Im zivilistischen Schrifttum ist die Auffassung, daß die Richtigkeit des Vereinbarten nicht mehr allein durch die formale Privatautonomie zu gewährleisten sei, weit verbreitet. So begründet sich nach Flume die Privatautonomie erst durch das Prinzip der Selbstbestimmung153. Privatautonomie könne sich nur entwickeln, wenn tatsächliche Macht zur Selbstbestimmung bestehe. Es sei das ewige Dilemma der Privatautonomie, daß sie immer wieder durch ungleiche Machtverteilung in Frage gestellt werde. Nach Flume wird aber die ungleiche Machtverteilung zwischen den Vertragsparteien durch den wirtschaftlichen Wettbewerb ausgeglichen 154 . Die „Krankheit" des Privatrechts sei also, wie auch Knut Wolfgang Nörr vertritt, heilbar 155 . Dagegen bestreiten Zweigert/ Kötz überhaupt, daß die Vertragsfreiheit noch Vertragsgerechtigkeit herstellen könne 156 . Auf die Wirkung des Wettbewerbs gehen sie nicht ein. Von Ludwig Raiser aus scheint eine gerade Linie zu den „sozialen" Alternativmodellen zu führen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß gerade auch die Grundidee des ordnungspolitischen Informationsmodells von der Sicherung der Konsumentensouveränität durch das Kartellrecht auf der Anerkennung des „Versagens" der nur formalen Privatautonomie aufbaut. Deshalb ließe sich im Anschluß an die Gedanken von Raiser der grundsätzliche Zusammenhang von Vertragsfreiheit und Wettbewerb entwickeln, wie es vor allem der Ordoliberale der Freiburger Schule Franz Böhm unternommen hat157. 15(1

Raiser, J Z 1958, 1, 3, passim. Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S.31f. 152 S. Simitis, KJ 1988, 32, 34 f. 153 Flume, Allgemeiner Teil II, 1992, S. 1. Ähnlich Medicus, Allgemeiner Teil, 1994, Rdnr. 176; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rdnr. 4. 154 Flume, Allgemeiner Teil II, 1992, S. 10. 155 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S.223. 156 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung II, 1984, S.7ff. 157 Siehe insbesondere F. Böhm, O R D O 22 (1971), 11,21. Zum Verhältnis von Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, F. Böhm, O R D O 17 (1966), 75. Siehe ausführlicher unten § 4 I 4 b). Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Wettbewerb, siehe auch Rittner, AcP 188 (1988), 101. Auch Raiser, J Z 1958, 1, 6ff., geht umfassend auf das Kartellrecht ein. Allerdings setzt sich Raiser bewußt von den Ordoliberalen, namentlich Böhm, ab. Er stellt in Abrede, daß sich die ordoliberale Erwartung erfülle, wonach sich die Wettbewerbs- und marktwirtschaftli151

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

Aus der Erkenntnis, daß formale Privatautonomie nicht geeignet ist, in allen Fällen die Richtigkeit des Vereinbarten zu gewährleisten, erwächst die Forderung nach einer Materialisierung. Die Materialisierungsforderung als solche ist freilich zu unbestimmt, um daraus rechtliche Folgerungen abzuleiten. Aufzudecken sind sowohl der Gegenstand der Materialisierung als auch die Kriterien dafür, wann eine Materialisierung erforderlich wird. Bei Raiser findet sich mit dem vertraglichen Ungleichgewicht ein für die nachfolgende Debatte wesentlicher Gesichtspunkt, nämlich jener der Vertragsparität. Hierauf bezieht sich Raiser beispielsweise, wenn er die Erforderlichkeit von zwingendem Recht begründet 15 *: „ D a s älteste, schon klassische Mittel des Gesetzgebers, einem notorischen Ungleichgewicht der K r ä f t e im Vertragsrecht zu begegnen, ist es, f ü r bestimmte, b e s o n d e r s g e f ä h r d e t e Vertragstypen zwingende Regeln zum Schutz des schwächeren Vertragsteils aufzustellen."

Vom Begriff des vertraglichen Ungleichgewichts aus, gepaart mit der auch von Raiser gebrauchten Antinomie von Freiheitsschutz und grundgesetzlich geschützter Gleichheit und Sozialstaatlichkeit, ist es in der Tat nur ein kleiner theoretischer Schritt zu einem „sozialen" Alternativkonzept des Verbraucherschutzes: Sofern man sich diesem Gedankengang anschließt, erscheint es konsequent, die Verbraucher zu schützen, weil sie gegenüber den Anbietern unterlegen sind. Die soziale und wirtschaftliche Schwäche des Verbrauchers wird zum Grund des Verbraucherschutzes. In der Tat schließt sich an diesen Gedankengang eine nicht unbeachtliche zivilistische Literatur über den Schutz des Schwächeren im Zivilrecht an, zu der natürlich auch jene des „sozialen" Verbraucherschutzrechts zählt 159 . Auffälligstes Beispiel für ein Recht der Ungleichgewichtslagen ist das kollektive Arbeitsrecht, das die „schwachen" Arbeitnehmer schützt, indem es ihnen den Zusammenschluß und die Bildung einer Gegenmacht erlaubt 160 . Entsprechend kann für den Schutz des Verbrauchers die Bildung einer Verbraucherche Ordnung unter staatlichem Schutz selbst erhalte; Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S. 26. Angedeutet wird dies schon in Raiser, Z H R 111 (1948), 75,93, wenn Raiser in jenen Bereichen, in denen die wirtschaftlichen Voraussetzungen für Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit nicht mehr gegeben sind, den Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht verwirklichen will. Dabei scheint Raiser freilich zu übersehen, daß es im Ordoliberalismus gerade die Aufgabe des Staates ist, über die Sicherung der Freiheit des Wettbewerbs diese Ordnung - man könnte sagen, von Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit - zu erhalten. 158 Raiser, J Z 1958, 1, 6. 159 Siehe etwa E. von Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982; Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975. Überraschend ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Gleichsetzung erfolgt, so z.B. E. von Hippel, RabelsZ40 (1976), 513: „Wer über den Schutz des Schwächeren im Recht nachdenkt, stößt u.a. zwangsläufig auf das Thema Verbraucherschutz." 160 Zum Arbeitsrecht, Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S. 18ff.; allgemein zur Bildung von Gegenmacht, Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 64ff.

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gegenmacht diskutiert werden. Hierfür stehen insbesondere die Vorschläge der Theoretiker des „sozialen" Verbraucherschutzes, eine Bindung der Hersteller an den kollektiven Willen der Verbraucher über Verfahrensregelungen herbeizuführen (Simitis, Hart/Joerges)' 61 . Das Argument des vertraglichen Ungleichgewichts hat weitreichende Verwendung in Rechtsprechung und Schrifttum zur Begründung der Abweichung von der formalen Privatautonomie gefunden 162 . Dabei bleibt vieles unklar. So wird selten geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Ungleichgewicht angenommen werden kann, durch was ein Ungleichgewicht verursacht wird, welcher Grad an Ungleichgewichtigkeit noch hinnehmbar ist und welche Kritierien über das Instrument und das Maß des Ausgleichs bestimmen sollen. Verschiedentlich wird versucht, eine zivilistische Theorie des Ausgleichs von Ungleichgewichtslagen zu entwickeln. So diskutiert Lieb die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unter dem Aspekt des Ausgleichs eines vertraglichen Ungleichgewichts, das er wesentlich durch die Vorformulierung von Vertragsklauseln begründet sieht, und stellt die folgerichtige Forderung nach einer ähnlichen Behandlung entsprechender Störungen der Vertragsparität auf 163 . In einer umfassenden Studie versucht Hönn eine normative Theorie für die Behandlung von Störungen der Vertragsparität zu entwickeln 164 . Zweifelhaft ist es, wenn 161

Siehe oben 2 a) und d). Vgl. Limbach, KritV 1986, 165; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.216ff. m.w.N. Man kann von einer fast allgemeinen und geradezu selbstverständlichen Verwendung des Begriffs der Ungleichgewichtslage und - von der anderen Seite betrachtet der Parität sprechen, wobei die Zusammenhänge, in denen der Begriff auftaucht, recht unterschiedlich sein können. Auch wird der Begriff von Vertretern verschiedenster Verbraucherschutzkonzepte verwendet. Vgl. etwa Canaris, AcP 184 (1984), 201, 207, der das soziale Argument zur Begründung der unmittelbaren Wirkung der Grundrechte im Privatrecht zurückweist. So sei die Privatautonomie des Konsumenten nicht wesentlich eingeschränkt, wenn Wettbewerb funktioniert (ein zweifellos richtiger Gedanke!). Deshalb gehe es nicht um soziale Unterlegenheit, sondern nur um einen unselbständigen Ausschnitt „gestörter Vertragsparität". Nach MünchKomm/ZCramer, Vor § 145 Rdnr. 3, gibt es bei Vorliegen eines Marktungleichgewichts" keine Richtigkeitschance. Nach Kramer ist der Begriff des Marktungleichgewichts im Sinne einer „intellektuellen und eventuell organisatorischen Waffenungleichheit der Parteien" zu verstehen. Selbst Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S.66f., bezeichnet Parität als Funktionsbedingung der Privatautonomie. Die „sozialen" Alternativkonzepte werden mit „strukturellen Ungleichgewichtslagen" begründet; so z.B. Hart, KritV 1991, 363f., zur Begründung eines „vertraglichen Sozialschutzes". 162

163 Lieb, AcP 178 (1978), 196,202ff. Aus jüngerer Zeit auch wieder Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, 1992, S. 103ff., der eine „Störung der Vertragsparität" durch die Verwendung von AGB für gegeben hält. Vgl. auch H. Hübner, Allgemeiner Teil, 1996, Rdnr. 607, nach dem Privatautonomie die wirtschaftliche Äquivalenz der Vertragsparteien voraussetzt. Hübner sieht entsprechend das VerbrKrG und das A G B G als Recht zum Schutz des Schwächeren gegen die wirtschaftliche Übermacht der anderen Vertragspartei an; Hübner, a.a.O., Rdnr. 1035ff., ausführlich zum Verbraucherschutz. 164 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982. Siehe auch Hönn, J Z 1983, 677, insbesondere 683 ff.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

Singer eine Abweichung von der formalen Privatautonomie auch außerhalb von typisierbaren Ungleichgewichtslagen vertritt 165 . Für das Verbraucherschutzrecht ist das bloße Abstellen auf das Argument des Ungleichgewichts deshalb unbefriedigend, weil bei der Annahme einer generellen Unterlegenheit des Verbrauchers letztlich jede Maßnahme zugunsten, oftmals auch nur scheinbar zugunsten des Verbrauchers legitimierbar würde. Diesem Fehler erliegen die sozialen Verbraucherschutzkonzepte. Deshalb erscheint das Argument des Ungleichgewichts bedenklich 166 . Erforderlich ist ein Zurückgehen auf die Funktionsbedingungen der formalen Privatautonomie. Diesen Weg beschreitet in der Tat Manfred Wolf, indem er in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1970 der Vertragsfreiheit die Aufgabe der Durchsetzung von Selbstbestimmung zuweist167. Damit bestimmt er ein Kriterium, das der Materialisierung zugänglich und zur inhaltlichen Bestimmung der Richtigkeitsgewähr der Vertragsautonomie geeignet sein soll. Dagegen begegnet sein Vorschlag, das Vorliegen rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit als „selbständige Voraussetzung gültiger Willenserklärungen" zu behandeln 168 , Bedenken. Mit Fikentscher wird man gegen diese „wirtschaftliche Geschäftsfähigkeit" einzuwenden haben, daß man danach in jedem Einzelfall die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Vertragsschlusses zu überprüfen hätte 169 . Das unverzichtbare Maß an Rechtssicherheit wäre damit wohl auf das Spiel gesetzt. Dennoch bedeutet der Ansatz Wolfs eine wichtige Fortentwicklung der Lehre SchmidtRimplers 170 . Die formale Vertragsfreiheit bietet - in den Worten Wolfs - nur eine Richtigkeitschance, wenn das Vereinbarte auf der Ausübung von Selbstbestimmung beruht. Dagegen fehle es an dieser Chance, wenn die Vereinbarung unter Umständen zustande kommt, die der Selbstbestimmung der Vertragsparteien keinen Raum zur Entfaltung lassen. In diesen Fällen sei das Prinzip der Selbstbestimmung durch jenes der objektiven Vertragsgerechtigkeit zu ersetzen 171 . Die sich daran anschließende rechtspolitische Forderung ist klar. Es geht um die Identifikation der Umstände, die ein Versagen der Selbstbestimmung begründen. Folgt man diesem Gedankengang - unter Ablehnung zumindest der von Wolf vertretenen Wirksamkeitskontrolle im Einzelfall - , wird eine Verfeinerung der verbraucherschutzrechtlichen Debatte möglich. Es geht nicht mehr um 165

Singer, J Z 1995, 1133, 1138f. Vgl. Mertens, AcP 178 (1978), 227,242ff., der in begrüßenswerter Weise versucht, das Argument unterschiedlicher Macht in Fallgruppen zu konkretisieren. Dennoch überzeugt sein Ansatz nicht, weil er nicht notwendig an der zu typisierenden Vertragssituation anknüpft. 167 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970. 168 M. Wolf, a.a.O., S. 124f. 169 Fikentscher, in: FS Hefermehl, 1971, S.41, 49. 170 Dazu ausführlich M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S.67ff. 171 M. Wolf, a.a.O., S.74. 166

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die abstrakte Feststellung der Unterlegenheit eines Repräsentanten einer bestimmten abgrenzbaren Gruppe der Bevölkerung, sondern um die normative Definition von Situationen, die typisierbar sind und in denen sich das Eingreifen des Rechts durch das Versagen der Selbstbestimmung legitimiert. Unter methodischen Gesichtspunkten verfährt auch Lieb bei Betrachtung der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz nicht anders, wenn er feststellt, daß die Schutzbedürftigkeit des anderen Teils kein Gesetzesmerkmal sei, und er den Grund für die Inhaltskontrolle in der Beschränkung der Entscheidungsfreiheit durch die Vorformulierung der AGB erkennt 172 . Wenn Lieb dennoch von einer Störung der Vertragsparität spricht, deutet dies darauf hin, daß er gerade die Beschränkung der Entscheidungsfreiheit - man könnte auch sagen der Selbstbestimmung - zur Voraussetzung für das Vorliegen einer Störung der Vertragsparität erhebt. Ohne Wolf zu zitieren, stellt Weitnauer ein Marktversagen fest, sofern Entscheidungen im Marktgeschehen nicht auf freien, unabhängigen und autonomen Entschlüssen beruhen 173 . Weitnauer zieht hieraus allerdings nicht den richtigen Schluß auf Ausarbeitung einer Markt- oder SelbstbestimmungsVersagenstheorie, sondern geht zu weit, wenn er alle Mittel für zulässig hält, die „den Schwachen stärker machen, (...) den Mächtigen die Überlegenheit nehmen, (...) den Schwachen davor bewahren, aus Schwäche im Übermaß Rechte preiszugeben oder Pflichten auf sich zu nehmen." 174 In einigen jüngeren Untersuchungen wird auf das Argument des Ungleichgewichts vollends verzichtet 175 . So stützt Fastrich seine Dogmatik der Inhaltskontrolle wieder auf die Theorie der Richtigkeitsgewähr, die er auf den doppelten Systemgedanken der Selbstbestimmung und der Ordnungsaufgabe des Privatrechts zurückführt 176 . Die Theorie Manfred Wolfs lehnt Fastrich ab, weil Wolf einerseits die generelle Inhaltskontrolle zugunsten einer konkreten Einzelfallkontrolle verwirft 177 und bei konsequenter Anwendung der Theorie, nach der das Vorliegen von rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit Wirksamkeitsvoraussetzung ist, das Vereinbarte auch dann als unwirksam zu betrachten sein müßte, wenn das Vereinbarte die Angemessenheitskontrolle besteht 178 . Das Paritätsargument lehnt Fastrich ausdrücklich mangels Feststellbarkeit des Vor172

Lieb, AcP 178 (1978), 196, 201 f. Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S. 17f. 174 Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S. 16. 175 Neuerdings aber wieder Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 12ff. 176 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.60f. 177 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1972, S.230f. und 293. 178 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S.40f. Zumindest das letzte Argument ist zweifelhaft, da ja Wolf an die Stelle des Vereinbarten bei Versagen der Selbstbestimmung das objektiv Gerechte setzen will. Damit bleibt das Ergebnis zumindest gleich, wenn man das Angemessene mit den Anforderungen der objektiven Vertragsgerechtigkeit gleichsetzt. 173

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§2 Der privatrechtliche

Schlitz des Verbrauchers durch das geltende Recht

liegens von Parität ab179. Coester-Waltjen folgt ähnlich wie Fastrich unter Ablehnung des Paritätsarguments der Theorie der Richtigkeitsgewähr 180 . Das Paritätsargument lehnt auch von Stebut für das von ihm untersuchte Wohnraummietrecht und Arbeitsvertragsrecht ab, für die er zu einer sozialen Begründung der Abweichungen von der formalen Privatautonomie - unabhängig vom Vorliegen eines Ungleichgewichts - kommt 181 . Den genannten Autoren, ob sie nun auf ein Vertragsungleichgewicht, das Merkmal der Selbstbestimmung oder eine abstrahierende Richtigkeitsgarantie des Vereinbarten abstellen, ist doch die Materialisierung der formalen Privatautonomie gemeinsam. Auf der rein formalen Sicht der Vertragsfreiheit beruht freilich die ursprünglich liberale Konzeption des Bürgerlichen Rechts. Zur normativen Begründung der Materialisierung liegt die Heranziehung des Grundgesetzes nahe. Von der zivilistischen Seite kommend entwickelt Canaris ein differenziertes Bild der Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht 182 . Das BVerfG ist in der Bürgschaftsentscheidung aus dem Jahre 1993 der Materialisierung des Verständnisses der Vertragsfreiheit gefolgt 183 . Bezeichnenderweise wird die Materialisierung nicht auf das Gleichheitsgebot und das Sozialstaatsprinzip gestützt, sondern auf die Verbürgung der Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG. Dabei nimmt das Gericht auf den von Manfred Wolf und auch Flume verwandten Gesichtspunkt Bezug. Vertragsfreiheit bedeute unter Geltung des Grundgesetzes Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtslebenm. Für das Gericht geht es nicht um den Ausgleich der Freiheit des Stärkeren mit der sozialen Schutzbedürftigkeit des Schwächeren, sondern um den Ausgleich materiell zu verstehender Freiheiten unterschiedlicher Grundrechtsträger im Sinne praktischer Konkordanz 185 . Hinsichtlich der Voraussetzungen für die grundgesetzlich gebotene Abweichung von der formalen Privatautonomie stellt das Gericht aber dennoch auf das Telos des vertraglichen Ungleichgewichts ab. Danach soll eine Korrektur bei typisierbaren Fallgestaltungen erfolgen, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lassen und die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sind186. 179 Fastrich, a.a.O., S.216ff. Siehe auch das diesbezügliche Argument bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 24, wonach man den Begriff des Gleichgewichts rechtstheoretisch nicht nutzbar machen kann, solange nicht geklärt ist, was Gleichgewicht bedeutet. 180 Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 23. 181 von Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982, S.268f. Ebenfalls für eine soziale Begründung des Wohnraummietrechts, Eichenhofer, JuS 1996, 857. Vgl. die vehemente Kritik am „sozialen" Mietrecht als Ausdruck des Sozialismus, Emmerich, in: FS Mestmäcker, 1996, S.989. 182 Canaris, AcP 184 (1984), 201; ders., JuS 1989, 161. Vgl. auch ders., in FS Lerche, 1993, S. 873. 183 BVerfGE 89, 214 (vom 19.10. 1993); dazu ausführlich unten §6 III. 184 BVerfGE 89, 214. 254f. 185 BVerfGE 89, 214, 232. 186 BVerfGE 89, 214, 232.

V. Neuere

Entwicklungen

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Die Einwirkung des Grundgesetzes auf das Privatrecht ist ihrerseits nicht unumstritten. So versucht Dieter Reuter den Gerechtigkeitsgehalt der formalen Freiheitsethik gegen die grundgesetzlichen Wertungen zu verteidigen 187 , sieht die formale Freiheit des Privatrechts aber nur im Gegensatz zur sozialen Gerechtigkeit 188 . Seine Theorie führt zu Einwänden gegen die Erforderlichkeit von Verbraucherschutz 189 . Zöllner greift in einer ausführlich begründeten Stellungnahme die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG als Fehlgriff an190. Dabei wird sowohl dem Merkmal der Selbstbestimmung als auch jenem des vertraglichen Ungleichgewichts jede Bedeutung für die Bestimmung des Begriffs der Privatautonomie abgesprochen. Das Ziel Zöllners ist es, die Wertungen des Privatrechts gegen die Beeinflussung durch das Grundgesetz, oder besser des BVerfG, zu verteidigen 191 . Zöllner sieht durch die Bürgschaftsentscheidung das „noch immer wahrnehmbare Modell einer Privatrechtsgesellschaft" bedroht. So sei big brother ständig präsent und bringe ein obrigkeitsstaatliches Element in die Privatrechtsordnung 192 . Nach Dreher beseitige das Verbraucherrecht die Gleichheit der Rechtspersonen als Grundlage des Privatrechts und führe dem Privatrecht statt Frischzellen „Killerzellen" zu193. Dem Argument der Verteidiger der Privatautonomie begegnen Vertreter der ökonomischen Analyse mit einer Theorie des Marktversagens, mit der viele Abweichungen von der Privatautonomie, z.B. des AGBG, losgelöst vom wenig überzeugenden „,Schutz der Schwächeren", erklärt werden 194 .

V. Neuere

Entwicklungen

Die in den 70er Jahren begonnene dogmatische Verbraucherschutzdebatte hat Mitte der 80er Jahre an Intensität abgenommen, ohne ihre spezifischen Argumente ausdiskutiert oder gar eine allgemeine Übereinstimmung herbeigeführt zu haben. Dies mag mit am Regierungswechsel liegen, der mit dem Verschwinden der sozial-liberalen Koalition auch jede Hoffnung auf die rechtspolitische Durchsetzung einer alternativen Verbraucherschutzkonzeption begraben hat 195 . Andererseits war mit der Gesetzgebung der 70er Jahre eine Verlagerung 187

D. Reuter, AcP 189 (1989), 199; ders., DZWir 1993, 45. D. Reuter, AcP 189 (1989), 199. 208. 189 D. Reuter, AcP 189 (1989), 199, 210. 190 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, passim. 191 Mit ähnlicher Zielrichtung schon Zöllner, AcP 188 (1988), 85. 192 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 3. 193 Dreher, iZ 1991, 167, 177. 194 Siehe nur Kötz, in: FS Mestmäcker, 1996, S.1037, 1039; ausführlich unten §5 II 4; zum A G B G unten §8 VI 1 b). 1,5 Interessant aus der Zeit des Regierungswechsels, Tonner, KJ 1985, 107, der die Frage stellt, ob die alternativen Konzepte insgesamt gescheitert oder nur nicht durchsetzbar sind. 188

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

der wissenschaftlichen Diskussion auf die Interpretation der neuen Gesetze vor allem des AGB-Gesetzes - und damit eine Hinwendung zu einer pragmatischen Auffassung von Verbraucherschutzrecht eingeleitet worden. Die folgenden zehn Jahre bereicherten die Verbraucherschutzentwicklung mit wesentlich drei neuen Aspekten, die mit Europäisierung, Ökologisierung und der Hinwendung zur „risikofreien Gesellschaft" zu umschreiben sind196. 1. Europäisierung a) Ausgangslage nach der Römischen Fassung des EG-Vertrages Die Römische Fassung des EG-Vertrages (damals noch EWG-Vertrag) vom 25. März 1957 zeichnet sich durch ein weitgehendes Schweigen zur rechtlichen Position des Verbrauchers aus. Rechtlichen Niederschlag fand die Position des Verbrauchers in der Präambel sowie in Art. 2 EGV, wo die „stetige Besserung der Lebensbedingungen" und die „beschleunigte Hebung der Lebenshaltung" zu Zielen der Gemeinschaft erhoben wurden. Die Grundlagen für eine eigenständige Verbraucherpolitik waren damit nicht gelegt worden 197 . Vielmehr galt die auch in Deutschland vorherrschende Auffassung, daß den Interessen der Verbraucher am besten durch die Sicherung des Wettbewerbs am Markt zu entsprechen sei. Die Errichtung eines erheblich größeren Gemeinsamen Marktes versprach nicht nur Effizienzgewinne für die Herstellerseite, sondern auch Vorteile für die Verbraucher, die als aktive Marktbürger in den Genuß des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs kommen würden. Der Begriff des Verbrauchers taucht in der ursprünglichen Fassung des EG-Vertrages an zwei Stellen auf, zum einen im Bereich der Agrarpolitik, zum anderen bei der Wettbewerbspolitik: Der Vertrag erklärt die Belieferung von Verbrauchern zu angemessenen Preisen zu einem Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 39 Abs. 1 (e) EGV) und verbietet bei der Agrarmarktorganisation jede Diskriminierung zwischen Erzeugern und Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft (Art. 40 Abs. 3 (2) EGV). Nach Art. 85 Abs. 3 E G V sind Freistellungen vom Kartellverbot zulässig, sofern der Verbraucher am zusätzlichen Gewinn der Unternehmen angemessen beteiligt wird. Nach Art. 86 Abs. 2 (b) E G V ist ein Mißbrauch marktbeherrschender Stellung insbesondere im Falle der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden des Verbrauchers gegeben. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik sind jedoch die Interessen der Verbraucher mit dem anderen Ziel der Sicherung einer Existenzgrundlage für land196

Siehe dazu allgemein Hart/Köck, Z R P 1991, 41. Deshalb spricht Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.2 (S.30), von einer ursprünglich „produktivistischen", „anbieterorientierten" Ausrichtung des Gemeinschaftsrechts. 197

V. Neuere Entwicklungen

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wirtschaftliche Betriebe in Einklang zu bringen. Das für die Zielverwirklichung dem Gemeinschaftsgesetzgeber zustehende weite Ermessen 198 führte dazu, daß die Interessen der Verbraucher häufig den Agrarinteressen mit dem Ergebnis von über dem Weltmarktniveau liegenden Preisen nachgeordnet wurden 199 . Dem Wortlaut der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften läßt sich nicht entnehmen, daß es dem EG-Wettbewerbsrecht auch normativ auf den Schutz der Verbraucher ankommt. Anders als die deutsche und auch die englische, dänische und griechische Fassung spricht die französische und italienische Fassung nur von Benutzern (utilisateurs, utilizzatori)200. Der E u G H und das Schrifttum sehen durch den Verbraucherbegriff des Art. 85 Abs. 2 E G V auch Gewerbetreibende der anderen Wirtschaftsstufen als geschützt an. Die Vorschrift soll sicherstellen, daß zumindest ein Teil des Gewinns aus wettbewerbsbeschränkenden Abreden weitergegeben wird. Eine entsprechende Auslegung gilt bei Art. 86 Abs. 2 (b) EGV 201 . Dennoch kann aus dem Fehlen einer eindeutigen rechtlichen Verankerung des Verbraucherschutzes in den Art. 85 ff. E G V nicht gefolgert werden, es käme für die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts nicht auf den Schutz des Verbrauchers an. Deshalb ist es bedenklich, wenn wie von Reich ein potentieller Zielkonflikt zwischen der auf Freiheit und Effizienz gerichteten Wettbewerbspolitik einerseits und der auf Sicherung der Lebensqualität gerichteten Verbraucherpolitik andererseits angenommen wird202. Vielmehr wird im Schrifttum zu Recht die angemessene Versorgung des Verbrauchers als eines von mehreren Zielen der europäischen Wettbewerbspolitik definiert 203 . b) Entstehen der

EG-Verbraucherpolitik

Im Zuge der weltweiten Verbraucherschutzbewegung haben schließlich auch die EG-Organe die Verbraucherschutzproblematik aufgegriffen 204 , wobei zunächst die Rechtsgrundlage zweifelhaft bleiben mußte 205 . Entsprechend waren die praktischen Auswirkungen anfangs dürftig 206 . 198 Gilsdorf/Triebe, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Art. 39 Rdnr. 2 und 6. 195 Gilsdorf/Priebe, a.a.O., Art. 39 Rdnr. 28. 2()0 Siehe Krämer, EWG-Verbraucherrecht, 1985, Rdnr. 3; Reich, 3 E.R.P.L. 285 (1995). 201 Krämer, EWG-Verbraucherrecht, 1985, Rdnr. 4, m.w.N.; Mortelsmann/Watson, TvC 1995, 229, 230; Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.64 (S. 163). 202 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm. 12 (S.54f.). 203 ]mmenga_ JA 1993, 257, 263. Als weiteres Ziel nennt Immenga die harmonische Wirtschaftsentwicklung bei internationaler Arbeitsteilung. 204 Umfassend zum Entstehen der Verbraucherschutzpolitik, Bourgoignie, in: Bourgoignie/ Trudek, Consumer Law, Common Markets and Federalism, 1987, S. 89, 98ff. 205 Siehe Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.4 (S.33f.). 206 Vgl. die seinerzeitige Analyse bei Alber, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Sozialen Marktwirtschaft, 1984, S.7.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

In ihrem Ersten Verbraucherpolitischen Programm aus dem Jahre 1975 legte die Kommission mit Billigung des Rates und in Reaktion auf die Pariser Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs vom Oktober 1972 den Grundstein für eine geänderte Auffassung von der Rolle des Verbrauchers in der Gemeinschaft 207 . Das Programm definierte fünf „Rechte" als Ausdruck der Interessen des Verbrauchers: (1.) das Recht auf Schutz seiner Gesundheit und Sicherheit, (2.) das Recht auf Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen, (3.) das Recht auf Wiedergutmachung erlittenen Schadens, (4.) das Recht auf Unterrichtung und Bildung, (5.) das Recht auf Vertretung (Recht, gehört zu werden). Die Verwirklichung dieser Rechte wurde als Querschnittsaufgabe mit Relevanz in den verschiedenen Gemeinschaftspolitiken begriffen, und die Notwendigkeit von Verbraucherschutz wurde mit dem Bestehen einer Ungleichgewichtslage zugunsten der Hersteller begründet™. Die beabsichtigten Maßnahmen sollten sich jedoch im Rahmen einer marktkomplementären, auf Konsumentensouveränität ausgerichteten Informationspolitik halten. So wurde insbesondere eine bessere Unterrichtung des Verbrauchers gefordert 209 . Das Zweite Verbraucherpolitische Programm aus dem Jahre 1981210 hat diese auf die Verwirklichung der fünf Verbraucherschutzrechte gerichtete Politik fortgeschrieben. c) Die Einheitliche Europäische Akte und die im Bereich des Verbraucherschutzes

Rechtsangleichungspolitik

Im Ersten Verbraucherpolitischen Programm aus dem Jahre 1975 finden sich schon die wesentlichen Schwerpunkte der späteren Rechtsangleichungspolitik der Gemeinschaft 211 , die inzwischen beschlossen sind. (1.) Bereits in der Zeit vor Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) und damit vor Implementierung des Binnenmarktprojekts durch Intensivierung der Rechtsangleichung sind im Bereich der privatrechtlichen Verbraucherschutzpolitik die Richtlinie über irreführende Werbung 212 , die Pro207 Entschließung des Rates vom 14. April 1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. Nr. C 92; abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.454ff. Siehe auch aus dieser Zeit Chr. Joerges, ZVP 1979, 213. 208 Nr. 6 des Programms. 209 Nr. 8 des Programms. 210 Entschließung des Rates vom 19.5. 1981 betreffend ein zweites Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. Nr. C 133 vom 3.6. 1981; abgedruckt bei E. von Hippel, Verbraucherschutzpolitik, 1986, S. 467ff. 211 Nr. 20 bis 24 des Programms. 212 Richtlinie 84/450/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung vom 10. September 1984, ABl. Nr. L 250/17. Siehe dazu Schricker, in; Schricker (Hrsg.), Recht der Werbung in Europa, Rdnr. 140ff., sowie die

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Entwicklungen

AI

dukthaftungs-Richtlinie 213 , die Haustürwiderrufs-Richtlinie 214 und die Verbraucherkredit-Richtlinie 215 verabschiedet worden. Diese vier Richtlinien ergingen auf der Grundlage des damals allein zur Verfügung stehenden Art. 100 Abs. 1 EGV. Die Verbraucherschutzgesetzgebung nach Art. 100 Abs. 1 E G V war einem doppelten, d.h. einem prozeduralen und einem materiellrechtlichen Problem ausgesetzt. Prozedural war Einstimmigkeit zu erzielen. Materiellrechtlich war der Erlaß einer Richtlinie nur in bezug auf Vorschriften der Mitgliedstaaten erlaubt, „die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken." Ob diese Voraussetzungen zum Tätigwerden der Gemeinschaft vorlagen, war zweifelhaft 216 . (2.) Die Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986 schuf die Voraussetzungen für eine weitreichende Normsetzungsaktivität der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes. Der neu eingeführte Art. 100a Abs. 3 E G V verpflichtet die Kommission im Sinne einer positiven Verbraucherschutzpolitik™, bei ihren Vorschlägen zur Rechtsangleichung im Rahmen der Herstellung des Binnenmarktes für den Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau auszugehen. Die wesentliche Verfahrenserleichterung bestand im Vergleich zu Art. 100 Abs. 1 E G V in der Aufgabe der Einstimmigkeit zugunsten des Prinzips der qualifizierten Mehrheit für die Beschlußfassung im Rat. Am Anfang der binnenmarktbezogenen Verbraucherpolitik stand die Verbraucherschutzentschließung des Rates vom 23. Juni 1986218. Dort wurde im Anschluß an die Verbraucherschutzprogramme von 1975 und 1981 die Mitteilung der Kommission unter dem Titel „Neuer Impuls für die Politik der Verbraucher" begrüßt und die Bereitschaft erklärt, bei der Sicherung eines hohen Niveaus an Verbraucherschutz mitzuwirken. Die Verbesserung des Verbraucherschutzes wurde als Maßnahme verstanden, die Vorteile des Gemeinsamen Marktes im SinKritik bei Keilholz, G R U R Int. 1987,390. Irreführungsverbote sind auch in spezielleren Richtlinien enthalten, z. B. Art. 6 Abs. 3 der Kosmetika-Richtlinie 76/768/EWG vom 27.7.1976, ABl. Nr. L 262/169 (mehrmals geändert); Art. 2 Abs. 1 a) der Etikettierungs-Richtlinie 79/112/EWG vom 18.12. 1978, ABl. Nr. L 33/1 (mehrmals geändert). 211 Richtlinie 85/374/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte vom 25. Juli 1985, ABl. Nr. L 210/29. 214 Richtlinie 85/577/EWG vom 20.12.1995 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. Nr. L 372/31. 215 Richtlinie 87/102/EWG vom 22.12. 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. Nr. L 42/48; geändert durch Richtlinie 90/88/EWG vom 22.2. 1990, ABl. Nr. L 61/14. 216 Vgl. Oppermann, Europarecht, 1991, Rdn. 1072. 217 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, S.39, spricht in diesem Zusammenhang von Schutzregelungen durch positive Integration im Gegensatz zur Negativintegration (oder Negativkontrolle) bei der verbraucherschutzorientierten Rechtsprechung des E u G H insbesondere im Rahmen des Art. 30 EGV. 218 Entschließung des Rates vom 23.6.1986 betreffend die künftige Ausrichtung der Politik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum Schutz und zur Förderung der Interessen der Verbraucher, ABl. Nr. C 167/1.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

ne eines „Europa der Bürger" auch den Marktbürgern zukommen zu lassen. Die Kommission wurde aufgefordert, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten 219 . Unter Geltung der Einheitlichen Europäischen Akte sind weitere wichtige Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich des privatrechtlichen Verbraucherschutzes in Angriff genommen worden. Hierzu zählen die vor Maastricht verabschiedete Richtlinie über Pauschalreisen 220 sowie die Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 221 . In beiden Fällen erfolgte die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber nicht rechtzeitig, was im Falle der Pauschalreise-Richtlinie den E u G H dazu bewogen, die Haftung der Bundesrepublik für Schäden festzustellen, die Urlauber infolge der verspäteten Umsetzung erlitten haben 222 . Maßnahmen zur Errichtung des Binnenmarkts betreffen auch die Produktsicherheit und damit den präventiven, sicherheitsrechtlichen Verbraucherschutz. Hierzu zählen verschiedene Richtlinien im Bereich des Lebensmittelrechts 223 , 219

Zum „Neuen Impuls" sowie zur Ratsentscheidung, siehe Héloire, E u Z V 1987,1. Richtlinie 90/314/EWG vom 13.6.1990, ABl. Nr. L 158/59. Dazu Halbhuber/Hondius, 19 J.C.P. 305 (1996); zur Umsetzung, Eckert, D B 1994,1069; Führich, NJW1994,2446; Storni, ECLJ 1992, 189; Tempel, NJW 1996, 1625; Tonner, EWS 1993, 197; zur Umsetzung in Österreich, Mayrhofer, ZfRV 1995,229; Peer, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1996, S. 117. 221 Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4. 1993, ABl. Nr. L 95/29. Siehe dazu Bakker/Jongeneel, TvC 1992, 4; Brandner, ZIP 1992, 1590; Brandner/Ulmer, BB 1991, 701 = 28 C.M.L. Rev. 647 (1991); Bultmann, VuR 1994, 137; Damm, J Z 1994, 161; Davis, ECLJ 1992, 65; Eckert, WM 1993,1070; Frey, ZIP 1993,572; Habersack/Kleindiek/Wiedenmann, ZIP 1993,1670; Heinrichs, NJW 1993, 1817-1822; ders., NJW 1995, 153; Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562; Huet, La Semaine Juridique [JCP], Édition Économie, 1994, Nr.309; Chr. Joerges, Z E u P 1995, 191; Klaas, in: FS Brandner, 1996, S.247; Leroux, Revue de la concurrence et de la consommation 1995, 65; Michalski, D B 1994, 665; Micklitz, Z E u P 1993, 522; ders., VuR 1996, 75; de Moor, 3 E.R.P.L. 257 (1995); Nassall, WM 1994,1645; ders., J Z 1995,689; Niebling, WiB 1994,863; ders., EWS 1995, 185; Reich, VuR 1995, 1; Remien, Z E u P 1994, 34; Schmidt-Salzer, J Z 1995, 223; ders., BB 1995,1493; ders., NJW 1995, 1641; Tenreiro, Contrats-Concurrence-Consommation, Juillet 1993, S.l-, ders., 3 E.R.P.L. 273 (1995); P. Ulmer, E u Z W 1993, 337; Graf von Westphalen, EWS 1993, 161; Wilhelmsson, ECLJ 1992, 77. Speziell zur Umsetzung in französisches Recht, siehe Benabent, 3 E.R.P.L. 211 (1995); Berger-Walliser, RIW 1996,459; Davo, REDC1995,215; Ghestin/Marchessaux, R E D C 1993, 67; dies., La Semaine Juridique [JCP] Édition Économie, 220

1995, S. 319; Plaisant, La Semaine Juridique [JCP] Édition Économie, 1994, Nr. 3772; Sinay-Cytermann, La Semaine Juridique [JCP], Édition Générale, 1994, S.511 (No. 3804); Witz/Wolter, Z E u P 1995, 885; zur Umsetzung in britisches Recht, Beatson, 1995 Cambridge L.J. 235; Singleton, Consumer Law Today, In Focus (March 1995); Wagner/Althen, RIW 1995,546; zur Umsetzung in italienisches Recht, Klesta-Dosi, R E D C 1995,145; de Nova, 3 E.R.P.L. 221 (1995); zur Umsetzung in portugiesisches Recht, Pinto Monteiro, 3 E.R.P.L. 231 (1995); zur Umsetzung in griechisches Recht, Alexandridou, R E D C 1996, 2, 3f.; zur Umsetzung in schwedisches Recht, Bernitz, in: Cheng/Liu/Wang (Hrsg.), International Harmonization of Compétition Law, 1995, S. 167,183ff. Zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten allgemein, Hondius, 3 E.R.P.L. 241 (1995). 222 E u G H , vom 8.10. 1996, Verb. Rs. 178-179/94 und 188-190/94, Dillenkofer u.a. gegen Bundesrepublik Deutschland, E u Z W 1996, 695; dazu H u f f , NJW 1996, 3190; Reich, E u Z W 1996, 709. 223 Z.B. die Richtlinie 89/109/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Be-

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Entwicklungen

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des Arzneimittelrechts 224 sowie des technischen Sicherheitsrechts 225 . Im Bereich des technischen Sicherheitsrechts hat die Produktsicherheits-Richtlinie die größte Bedeutung 226 . Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich auf alle Produktkategorien, für die das Gemeinschaftsrecht keine spezifischen Bestimmungen bereitstellt (Art. 1 Abs. 2 (1) der Richtlinie). Diese Vorschriften wirken sich auf den privatrechtlichen Schutz des Verbrauchers allenfalls mittelbar aus, soweit sie - in der Sache dem informationstheoretischen Ansatz folgend - zum Teil umfangreiche Auszeichnungs- und Informationspflichten begründen 227 . Dagegen statuieren die Informationspflichten keinen zwingenden und ausreichenden Standard für die Informationspflichten im Bereich der Produkthaftung 228 . So läßt die Produktsicherheits-Richtlinie die Produkthaftungs-Richtlinie ausdrücklich unberührt 229 . Informationspolitischen Charakter besitzt die Preisangabe-Richtlinie für andere Erzeugnisse als Lebensmittel 230 , die die Lebensmittelangabe-Richtlinie 231 sowie die Lebensmitteletikettierungs-Richtlinie 232 aus der Vorbinnenmarktzeit rührung zu kommen vom 21.12.1988, ABl. Nr. L40/38 (Bedarfsgegenstände-Richtlinie); Richtlinie 89/107/EWG zur Angleichung der Mitgliedstaaten über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen vom21.12.1988, ABl. Nr. L40/27 (Zusatzstoff-Richtlinie), die Richtlinie 89/397/EWG über die amtliche Lebensmittelüberwachung, vom 14.6.1989, ABl. L186/23. 224 Z.B. die Richtlinie 91/356/EWG zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Arzneimittel vom 13. 6. 1991, ABl. Nr. L 193/30; die Richtlinie 89/105/EWG betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme vom 21.12.1988, ABl. Nr. L 40/8. Umfassend zum Arzneimittelrecht, Hart/Reich, Integration und Recht des Arzneimittelmarktes in der EG, 1990; sowie Horton, 50 Food & Drug L.J. 461 (1995). 225 Z.B. die Richtlinie 88/404/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Sicherheit von Spielzeug vom 3.5.1988 (Spielzeug-Richtlinie), ABl. Nr. L187/ 1, berichtigt in ABl. Nr. L 37/42 vom 9.2.1991. 226 Richtlinie 92/59/EWG über die allgemeine Produktsicherheit vom 29.6.1992, ABl. L 228/ 24. Siehe dazu Argiros, Legal Issues of European Integration, 1994/1,125; Davis, ECLJ1992,138. 227 Eine allgemeine Aufklärungspflicht wird von Art. 3 Abs. 2 der Produktsicherheits-Richtlinie fixiert: „Die Hersteller haben im Rahmen ihrer jeweiligen Geschäftstätigkeit dem Verbraucher einschlägige Informationen zu erteilen, damit er die Gefahren, die von dem Produkt während der üblichen oder nach vernünftigen Ermessen voraussehbaren Gebrauchsdauer ausgehen und ohne entsprechende Warnhinweise nicht unmittelbar erkennbar sind, beurteilen und sich dagegen schützen kann." Siehe hierzu Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht, 1996, S. 267 ff. 228 Art. 6 Abs. 1 (a) der Produkthaftungs-Richtlinie, § 3 Abs. 1 (a) ProdHaftG. 229 Art. 13 der Produktsicherheits-Richtlinie. 230 Richtlinie 88/314/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise von anderen Erzeugnissen als Lebensmitteln vom 7.6.1988, ABl. Nr. L 142/19. 231 Richtlinie 79/581/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Lebensmittelpreise vom 19.6. 1979, ABl. Nr. L 158/19, geändert durch Richtlinie 88/315/EWG vom 7.6.1988, ABl. Nr. L 142/23. 232 Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür vom 18.12.1978, zuletzt geändert durch Richtlinie 89/395/EWG vom 14.6.1989, ABl. Nr. L186/17.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

ergänzt. Der Information des Verbrauchers mit dem Ziel, ihm umweltgerechtes Verhalten zu ermöglichen, dient die Einführung eines Umweltzeichens (sog. Eco-Label) 233 . Verbraucherpolitische Bedeutung haben schließlich die Markenrechtsharmonisierungs-Richtlinie 234 und verschiedene Harmonisierungsmaßnahmen im Banken- und Versicherungssektor 235 . Im Bereich der Versicherungen sind inzwischen die Schadens-, Lebens-, Rechtsschutz- und Kfz-Haftpflichtversicherung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung zugeführt worden. Der Schutz des Verbrauchers wird in diesen Bereichen durch Informationspflichten des Versicherers und bei der Lebensversicherung durch ein 14- bis 30tägiges Rücktrittsrecht gewährleistet. Für Versicherungsverträge gilt ein allgemeines Transparenzgebot. Verbraucherschutzrechtliche Bedeutung kommt schließlich der FernsehRichtlinie aus dem Jahre 1989 zu, die in den Art. lOff. umfangreiche Bestimmungen über die Grenzen der Werbung - u.a. ein absolutes Werbeverbot für Tabakerzeugnisse (Art. 13) - enthält 236 . (3.) Arbeiten zu weiteren Richtlinien wurden unter Geltung der Einheitlichen Europäischen Akte in Angriff genommen. Deren Verabschiedung hat inzwischen den Regeln des Maastrichter Unions-Vertrages zu folgen 237 . Als erste Nach-Maastricht-Richtlinie zum privaten Verbraucherschutz sind die TimeSharing-Richtlinie 238 , die Richtlinie über grenzüberschreitende Überweisungen239, die Fernabsatz-Richtlinie 240 sowie die Richtlinie über vergleichende Werbung 241 zu nennen. 233

Verordnung ABl. Nr. L 99/1 (1992); dazu Boy, R I D E 1996, 69; Maniet, ECLJ 1992, 93. Erste Richtlinie 89/104/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 21.12. 1988, ABl. Nr. L 40/1. 235 Zum Binnenmarkt für Versicherungen, siehe European Consumer Law Group, 15 J.C.P. 207 (1992) (mit einer kritischen Stellungnahme); Hübner/Matuschke-Beckmann, E u Z W 1995. 263; Loheac, Revue du Marché Commun et de l'Union européenne 1994, 592; Prülls/Armbrüster, DZWir 1993, 397ff. und 449ff.; Reich, VuR 1991, 257; ders., VuR 1993, 10; Reiff, VersR 1997, 267; W.-H. Roth, NJW 1993, 3028; Wilke, in: FS Helmrich, 1994, S.883. 236 Richtlinie 89/552/EWG vom 3.10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit; Abi. Nr. L 298/23, berichtigt in ABl. Nr. L 331/51, geändert durch die Richtlinie 97/36/EG, ABl. Nr. L 202/ 70; konsolidierte Fassung abgedruckt in G R U R Int. 1998,20. Dazu Marín-Pérez de Nanclares, Die EG-Fernsehrichtlinie, 1994; Großkommentar/Sc/iric/cei', Einl. Rdnr. F365ff.; Schricker, G R U R Int. 1991,185,186f. (insbesondere zu den Werbeverboten); ders., G R U R Int. 1990,771, 774f.; ders., in: Schricker (Hrsg.), Recht der Werbung in Europa, Rdnr. 167ff. 237 Dazu sogleich unten IV. 238 Richtlinie 93/47/EG vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien, ABl. Nr. L 280/83. Siehe dazu Downes, 18 J.C.P. 433 (1995); Fragola, Riv.Dir.Eur. 1995, 803; Schalch, A J P 1996, 679; Schomerus, NJW 1995, 359. 239 Richtlinie 97/5/EG vom 27.1.1997, ABl. Nr. L 43/25; dazu Schneider, E u Z W 1997, 589. 240 Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. Nr. L 144/19; dazu Reich, E u Z W 1997, 581; aus der Zeit vor der Verabschiedung, Allix, R E D C 1993, 95, Micklitz, VuR 1993,129. 234

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51

Grundlage der gegenwärtigen Verbraucherschutzpolitik der Gemeinschaft in der Nach-Maastricht-Ära 242 sind der Aktionsplan der Kommission für die Jahre 1993 bis 1995243, der Aktionsplan für die Jahre 1996 bis 1998244 sowie die Ratsentschließung vom 13. Juli 1992245. Dabei wird der Verabschiedung bereits geplanter Maßnahmen erste Priorität beigemessen. Geplant sind eine Richtlinie über Werbung für Tabakerzeugnisse 246 sowie eine Richtlinie über Garantien beim Kauf von Verbrauchsgütern 247 . Zu weiteren privatrechtlichen Rechtsakten könnten die im Aktionsplan der Kommission für die Jahre 1996 bis 1998 enthaltenen Überlegungen zum Schutz der Verbraucher im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen 248 und Leistungen öffentlicher Versorgungsunternehmen führen. Ungewiß ist, ob die Gemeinschaft das ursprüngliche Vorhaben der Rechtsangleichung im Bereich der Dienstleistungshaftung 249 wiederaufnehmen wird, das im Rahmen der Subsidiaritätsdebatte zurückgenommen wurde 250 . 241 Richtlinie 97/55/EG vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. Nr. L 290/18. Siehe dazu Bourgoignie, ECLJ 1992, 3; St. Bühler, WM 1992, 677; Frhr. von Gamm, W R P 1992, 143; Jochen Meyer, W R P 1991, 765; Michel, RDAI 1991, 837; Möllers/Schmid, EWS 1997,150; Wolff, MA 1994, 536. 242 Siehe zusammenfassend Dauses/Sturm, ZfRV 1996, 133. 243 KOM (93) 378 endg. vom 28.7. 1993. 244 KOM (95) 519 endg., abgedruckt in 19 J.C.P. 101 (1996), siehe auch Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.8a (S.41). 245 Entschließung des Rates vom 13.7. 1992 über künftige Prioritäten für den Ausbau der Verbraucherschutzpolitik, ABl. C 186/2. Im Anhang sind die Prioritäten der Verbraucherschutzpolitik aufgelistet. 246 Vgl. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, vorgelegt von der Kommission am 30.4. 1992, ABl. Nr. C 129/5 vom 21.5. 1992; vgl. dazu Schricker, G R U R Int 1992,347,348f. Ob Art. 100a E G V die geplante Regelung trägt, wird angezweifelt; so von Dauses, E u Z W 1994, 545. Die Richtlinie wurde inzwischen - Anfang 1998 verabschiedet. 247 Siehe das Grünbuch vom 15.11. 1993, KOM (93), 509 endg., sowie den Richtlinienvorschlag der Kommission vom 18.6. 1996, KOM (95) 520 endg. (abgedruckt in Z I P 1996,1845); dazu European Consumer Law Group, 17 J.C.P. 363-383 (1994); Amtenbrink/Schneider, VuR 1996,367; Howells, ECLJ 1992,199 (aus britischer Sicht); Hondius, TvC 1996,245; ders., Z E u P 1997,130; K. Huber, in FS Everling, 1995, S.493; Jongeneel, TvC 1995, 5; Junker, DZWir 1997, 271; Lehmann/Dürrschmidt, G R U R Int. 1997, 549 (zu werberechtlichen Aspekten); Medicus, ZIP 1996,1925; Micklitz, R T D E 28 (1992), 515; ders., E u Z W 1997,229; Reich, E u Z W 1995,71 (zu den kartellrechtlichen Bezügen); Schlechtriem, J Z 1997,441; Weatherill, 110 L.Q. Rev. 545549 (1994); Tenreiro, R E D C 1996,187. 248

Dazu Bonino, WM 1996, 1617. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen, KOM (90) 482 endg. 250 Mitteilung der Kommission vom 23.6.1994, KOM(94) 260 endg. Zur Kritik an dem Vorhaben, siehe Basedow, Z E u P 1995,1; Baumgärtel, J Z 1992, 321; Deutsch, Z R P 1990,454; Giesen, JR 1991,485; K. Heinemann, Z I P 1991,1193; Ludlow, 1991 Int'l Bus. Law. 543; Schiemann, in: Schnyder/Heiss/Rudisch (Hrsg.), Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1995, S. 131; Skaupy, BB 1991,2021. 249

52

§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

Mit dem Richtlinienvorschlag zur Rechtsdurchsetzung bei grenzüberschreitenden Verbraucherstreitigkeiten wendet sich die Gemeinschaft der prozessualen Seite des Verbraucherschutzes zu251. Dabei geht es vor allem um die Einführung grenzüberschreitender Verbraucherverbandsklagen 252 . (4.) Mit ihrer Richtliniengesetzgebung wirkt die Gemeinschaft auf den privatrechtlichen Verbraucherschutz in Deutschland ein. Einige spezielle Privatrechtsgesetze beruhen ganz oder in großem Umfang auf diesen Richtlinien; so das HWiG vom 16. Januar 1986253, das ProdHaftG vom 15. Dezember 1989254, das VerbrKrG vom 17. Dezember 1990255 und schließlich das TzWrG vom 20. Dezember 1996256. Zu keinen Gesetzesänderungen Anlaß gab der Erlaß der Richtlinie über irreführende Werbung, da man den einschlägigen § 3 U W G und die Rechtsprechung dazu als richtlinienkonform ansah 257 . Zu einer konzeptionellen Änderung des AGB-Gesetzes, nämlich der Anknüpfung einzelner Vorschriften an den Verbraucherbegriff (§24a AGBG), führte die Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln 258 . Eine Änderung sogar des BGB bewirkte die Pauschalreise-Richtlinie 259 . Deutsches Verbraucherschutzrecht ist danach in ganz erheblichem Umfang umgesetztes europäisches Richtlinienrecht. Danach kann es keine reine nationale Verbraucherschutzdogmatik mehr geben. Entsprechend wird im Vierten Kapitel dieser Studie auf die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien einzugehen sein. 251 Vorschlag vom 16.2. 1996; ABl. Nr. C 107/3; abgedruckt in EWS 1996,242. Siehe auch das vorausgehende Grünbuch, KOM(93) 576 endg. vom 16.11. 1993; dazu Bourgoignie, ECLJ 1992,126; Franck, R E D C 1993,206; Gasparinetti, Revue du Marché Unique Européen 1994/4, 83; Meier, R E D C 1995, 199. 252 Vgl. Franck/Goyens, R E D C 1995, 27; dies., R E D C 1996, 95. Probleme der Rechtsdurchsetzung im grenzüberschreitenden Verkehr werden ausführlich erörtert von Reich, RabelsZ 56 (1992), 444, 455ff. 253 BGBl. I S. 122, in Umsetzung der Haustürwiderrufs-Richtlinie. Das HWiG beruht auf eigenständigen deutschen Reformplänen, die mit den europäischen Gesetzgebungsarbeiten zeitlich parallel liefen. So konnte das Gesetz schon einen Monat nach Erlaß der Richtlinie verabschiedet werden. 254 BGBl. I S.2198, in Umsetzung der Produkthaftungs-'kichtlinie. 255 BGBl. I S.2840, in Umsetzung der Verbraucherkredit-Richtlinie und in Ablösung des AbzG. Dazu Bülow, NJW 1991,129; Gilles, ZRP1989,299; von Heymann, WM 1991,1285; Michalski, Jura 1997,167; Reinking/Nießen, ZIP 1991,634; Schmelz/Klute, ZIP 1989,1509; Slama, WM 1991,569; sehr kritisch Reifner, VuR 1990,185; ders., VuR 1991, 91. Zur erneuten Reform des Verbraucherkreditrechts auf europäischer Ebene, F.J. Scholz, EWS 1995, 357. 256 BGBl. I S. 2154; in Umsetzung der Time-Sharing-Richtlinie. Dazu Martinek, NJW 1997, 1393; Masch, D N o t Z 1997,180. 257 Siehe Funke, W R P 1991, 550, 553; Hauschka, ZVglRWiss 89 (1990), 166, 170; Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der EG, 1994, S.22ff.; Schricker, G R U R Int. 1990,771,772. 258 Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes vom 29.7. 1996; BGBl. I S. 1013; dazu CoesterWaltjen, Jura 1997,272; Drygala, ZIP 1997, 968; Eckert, ZIP 1996,1238; Heinrichs, NJW 1996, 2190; Graf von Westphalen, BB 1996, 2101. 259 Gesetz vom 24.6. 1994; BGBl. I 1322.

V. Neuere

d) Nationales Verbraucherschutzrecht zu den Grundfreiheiten

53

Entwicklungen

unter Einfluß der

Rechtsprechung

Neben dem europäischen Gesetzgeber über das Richtlinienrecht wirkt auch der Europäische Gerichtshof über die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten auf das nationale Recht ein. Verbraucherschutz wird als eine der immanenten Schranken der Warenverkehrs- (Art. 30 EGV) und Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 E G V ) unter dem Stichwort der zwingenden Erwägungen des Allgemeininteresses anerkannt 260 . Danach können Mitgliedstaaten nationale, den Waren- und Dienstleistungsverkehr beschränkende Maßnahmen zum Schutze des Verbrauchers aufrecht erhalten, sofern diese verhältnismäßig sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung verhindert, daß weder den gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsfreiheiten noch den nationalen Verbraucherschutzstandards in pauschaler Weise der Vorrang eingeräumt wird. Sie führt vielmehr zur Herausbildung einer europäischen Verbraucherschutzkonzeption, weil eine Antwort darauf gefordert ist, welche nationalen Verbraucherschutzvorstellungen unter dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts noch Anerkennung finden können. Nach Reich, der hier von Negativkontrolle spricht, wurde der Gerichtshof „zum Hüter dessen, was wirklicher Verbraucherschutz bedeutet, oder umgekehrt zum Kritiker von Regelungen, die solchen Schutz nur vortäuschen, um in Wahrheit Sonderinteressen protektionistisch abzuschotten." 261 Für das deutsche Recht am spektakulärsten ist die Überprüfung des Unlauterkeitsrechts (UWG) am Maßstab der Grundfreiheiten geworden 262 , die auch nach der einschränkenden, vielleicht auch nur klarstellenden KeckEntscheidung 263 in den Rechtssachen Clinique 264 und Mars 265 im Hinblick auf den Irreführungsmaßstab des § 3 U W G fortgeführt wurde. In einem informationspolitisch orientierten Ansatz setzt hier der Gerichtshof in grenzüberschreitenden Fällen dem Leitbild des flüchtigen Verbrauchers der deutschen

260 Grundlegend die Cassis de Dijon-Entscheidung, E u G H , vom 20.2. 1979, Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG gegen Bundesmonopolverwaltung gegen Branntwein, Slg. 1979, 649. 261 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1993, S. 32. Ähnlich Tonner, KJ 1990, 98; Steindorff, W R P 1993, 139, 147. 262 Zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des inzwischen gestrichenen § 6e U W G (Verbot des blickfangmäßigen Eigenpreisvergleichs), E u G H , vom 18.5.1993, Rs. C-126/91, Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft e.V gegen Yves Rocher GmbH, Slg. 1993,1-2361; vgl. auch die vorausgehende Entscheidung, E u G H , vom 7.3.1990, Rs. C-362/88, GB-Inno-BM gegen Confédération du commerce luxembourgeois, Slg. 1990,1-667. 263 E u G H , vom 24.11.1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, Bernard Keck und Daniel Mithouard, Slg. 1993,1-6097. 264 E u G H , vom 2.2. 1994, Rs. C-315/92, Verband Sozialer Wettbewerb e.V. gegen Clinique Laboratories SNC und Estée Lauder Cosmetics GmbH, Slg. 1994,1-317. 265 E u G H , vom 6.7.1995, Rs. C-470/93, Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. gegen Mars GmbH, Slg. 1995,1-1923.

54

§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

UWG-Rechtsprechung das europäische Leitbild des mündigen (verständigen) Verbrauchers entgegen 266 . Der Rechtsprechung ließen sich weitreichende Vorgaben des Gemeinschaftsrechts für das nationale Recht entnehmen und zu einer umfassenden europarechtlichen Verbraucherschutzkonzeption der „wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers" entwickeln. Der entsprechende Nachweis wird an anderer Stelle geführt 267 . Für diese Studie genügt der Hinweis, daß die hier für das nationale Recht entwickelte Verbraucherschutzkonzeption natürlich auch den Vorgaben der Grundfreiheiten zu entsprechen hat, daß aber die Grundfreiheiten das hier vertretene Modell der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers auch normativ tragen. e) Verbraucherschutz

unter Geltung des Maastrichter

EU-Vertrages

Der Maastrichter EU-Vertrag schuf durch den neuen Art. 129a E G V erstmalig eine gesetzliche Grundlage für eine binnenmarktunabhängige Verbraucherschutzpolitik2t,li. Daneben führte der Maastrichter Vertrag auch zu einigen Änderungen bei der Binnenmarktkompetenz. Art. 129a Abs. 1 (a) E G V bestimmt unter Verweisung auf Art. 100a EGV, daß die Gemeinschaft - und damit alle Organe und nicht mehr nur die Kommission bei ihren Vorschlägen (Art. 100a Abs. 3 EGV) 269 - im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu leisten habe. Dabei bleibt aber das autonome Schutzziel des Verbraucherschutzes dem primären Integrationsziel Binnenmarkt untergeordnet2™. Entscheidungen im Rahmen des Art. 100a E G V sind nunmehr im neuen Verfahren der Mitentscheidung gemäß Art. 189b E G V zu treffen. Danach steht dem Parlament in der Sache ein Vetorecht zu, das der Rat auch nicht einstimmig ausräumen kann 271 .

266 Die wissenschaftliche Diskussion hierzu hat denkbar großen Umfang angenommen; vgl. nur Fezer, W R P 1995, 671; Leible, DZWir 1994, 177; Leisner, E u Z W 1991, 498; Luder, E u Z W 1995, 609; A.H. Meyer, W R P 1993, 215; ders., G R U R Int. 1996, 98; Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.l5b. 267 Drexl, Verbraucherselbstbestimmung im Gemeinschaftsrecht, 1998 (in Vorbereitung). 268 Zum Verbraucherschutz nach Maastricht allgemein, Dahl, 16 J.C.P. 345 (1993); Lopez, Revue de la concurrence et de la consommation No. 82 (1994), 57 (für eine deutliche Intensivierung der Verbraucherpolitik aufgrund neuer Rechtsgrundlagen); Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593; Micklitz/Weatherill, 16 J.C.P. 285 (1993); Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.8ff. (S.39ff.) 269 Ebenso Micklitz/Reich, E u Z W 1992, 593,596. 270 I.E. Schwartz, Z E u P 1994, 559, 571. 271 Micklitz/Reich, E u Z W 1992,593,598, halten das für wichtig, damit die Verbraucher über das Parlament Einfluß auf die Verbraucherpolitik nehmen können. Zu den politischen Implikationen der Verfahrensänderung, siehe Cooter/Drexl, 14 Int'l Rev. L. & Econ. 307-326 (1994).

V. Neuere

Entwicklungen

55

Unabhängig von der Binnenmarktkompetenz ist die Verbesserung des Verbraucherschutzes seit Maastricht gemäß Art. 3 (s) E G V als eigenständiger Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft anzusehen. Art. 129a Abs. 1 (b) E G V erlaubt „spezifische Aktionen", welche die Politik der Mitgliedstaaten zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher und zur Sicherstellung einer angemessenen Information der Verbraucher unterstützen und ergänzen, ohne daß ein Bezug zum Binnenmarkt bestehen muß 272 . G e m ä ß Art. 129a Abs. 3 E G V begründen solche Aktionen nur einen Mindestschutz 273 . Auch nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages lehnt der E u G H eine unmittelbare Wirkung von Verbraucherschutzrichtlinien zwischen Privaten ab. Eine solche ergebe sich auch nicht aus Art. 129a EGV 2 7 4 . Generell ist die Verbraucherschutzpolitik - auch die binnenmarktbezogene - als bloße Beitragspolitik ausgestaltet. Damit ist eine vollkommene Vergemeinschaftung der Verbraucherschutzpolitik ausgeschlossen 275 . Trotz dieser Einschränkung bewirkt die Ergänzung um eine binnenmarktunabhängige Verbraucherpolitik eine Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen. Allerdings dürfte die binnenmarktunabhängige Verbraucherpolitik nur geringe Bedeutung für den privatrechtlichen Verbraucherschutz erlangen 276 . Die durch Art. 129a E G V zum Ausdruck k o m m e n d e Stärkung gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes wird andererseits durch das in Art. 3b Abs. 2 E G V niedergelegte Subsidiaritätsprinzip wieder in Frage gestellt 277 . Das

272

Nach I.E. Schwartz, Z E u P 1994,559,571, soll auch der punktuelle Erlaß von Richtlinien und Verordnungen möglich sein. Ähnlich wohl auch Dahl, 16 J.C.P345,350f. (1993), im Widerspruch zur Auffassung der dänischen Regierung. Zurückhaltend Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm. 8 (S. 40f.), der aber vorschlägt, im Rahmen der Maastricht Ii-Konferenz den Begriff der spezifischen Aktionen durch jenen der „Maßnahmen" zu ersetzen; a.a.O., Anm.8c (S.45). 273 Zu beachten ist, daß sich Art. 129a Abs. 3 EGV nur auf die Beitragspolitik nach Art. 129a Abs. 1 (b) E G V bezieht, nicht dagegen auch auf Art. 129a Abs. 1 (a) EGV. Dies bedeutet, daß auch nach Maastricht - im Rahmen der allgemeinen Subsidiaritätsklausel des Art. 3b Abs. 2 E G V - eine abschließende Rechtsangleichung möglich bleibt. Wie hier, Dahl, 16 J.C.P. 345,349 (1993). Eine abschließende Angleichung - in Abweichung vom Mindestschutzprinzip - ist für den Bereich der vergleichenden Werbung vorgesehen. 274 E u G H , vom 7.3. 1996, Rs. C-192/94, El Corte Inglés S/4 gegen Cristina Blázquez Rivero, NJW 1996, 1401, 1402 (Tz. 18-20). 275 Nach MicklitzJReich, E u Z W 1992, 593, kommt in der Ausgestaltung als Beitragspolitik das Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck. Nach Reich, Z E u P 1994, 381, 403, bedarf es deshalb für das Verbraucherschutzrecht nicht des Rückgriffs auf das Subsidiaritätsprinzip. 276 Vgl. Reich, Privatrecht und Verbraucherschutz in der EG, 1995, S. 6, der von einer „quantité négligeable" spricht. 277 Deshalb besonders kritisch die Vertreterin des Europäischen Büros der Verbraucherverbände BEUC, Goyens, 16 J.C.P. 375,378f. (1993). Das Schrifttum zum Subsidiaritätsprinzip ist kaum mehr zu überschauen; siehe z.B. von Borries, E u R 1994, 263; Jarass, E u G R Z 1994, 209; Kamburoglou, WuW 1993, 273 (zur Wettbewerbspolitik); Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip,

56

§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

Subsidiaritätsprinzip gilt nur im Bereich der nicht ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen. Hierzu zählt auch die Ermächtigung zu einer Verbraucherpolitik 278 . Freilich wird zum Teil - u.a. auch von der Kommission 279 - eine ausschließliche Binnenmarktkompetenz behauptet 280 . Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen 281 . Eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen ausschließlichen und nicht ausschließlichen Kompetenzen ist dem EGV, abgesehen von der Formulierung des Art. 3b Abs. 2 EGV, fremd. Ermächtigungen an die Gemeinschaft zum Tätigwerden beziehen sich in der Regel auf bestimmte Ziele (Sicherung der Grundfreiheiten, Errichtung des Binnenmarktes), die im Laufe der Zeit zu erreichen sind. Dagegen grenzen föderale Staatsverfassungen, z.B. das deutsche Grundgesetz, die Gesetzgebungszuständigkeiten gegenständlich, d.h. nach Sachbereichen, ab. Die zielorientierte Zuständigkeitsabgrenzung des E G V kann prinzipiell alle Politikbereiche erfassen. Deshalb macht es keinen Sinn, von einer ausschließlichen Binnenmarktzuständigkeit der Gemeinschaft zu sprechen. Gerade bei der Rechtsangleichung materialisiert sich der Konflikt zwischen dem nationalen und europäischen Regelungsanspruch. Schließt eine individuelle Ermächtigung des Vertrages für die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Sachgebiet nicht aus, ist also das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. In diesem Sinne ausschließliche Zuständigkeiten sind selten 282 .

1993; Möschel, NJW 1995, 281 (zum Kartellrecht); Müller-Graff, Z H R 159 (1995), 34; Palacio Gonzalez, 20 E.L. Rev. 355 (1995); Pustorino, Diritto comunitario e degli scambi internazionali 1995,47; R. Scholz, in: FS Helmrich, 1994, S. 411. Zum Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips zur gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzpolitik allgemein, siehe Gibson, 16 J.C.P. 323 (1993); Micklitz/Weatherill, 16 J.C.P. 285, 304ff. (1993). 278 Zum Begriff der nicht ausschließlichen Kompetenzen, siehe Calliess, E u Z W 1995, 693; Müller-Graff, Z H R 159 (1995), 34, 59ff. 279 Die Kommission geht von einer ausschließlichen Kompetenz im Bereich der Rechtsangleichung aus, soweit es um die Beseitigung von Hindernissen für die Grundfreiheiten geht. Dagegen soll diese Zuständigkeit nicht ausschließlich sein, soweit ein Tätigwerden nur zur Sicherung gleicher Wettbewerbsbedingungen für erforderlich gehalten wird. Diese Abgrenzung ist jedoch kaum durchzuhalten, da sie nicht ohne wirtschaftliche und damit praktisch höchst schwierige Bewertungen auskommen würde. Zur Position der Kommission, vgl. Calliess, E u Z W 1995, 693f., mit Hinweisen auf die Position der Bundesregierung, die im Bereich der Rechtsangleichung eine ausschließliche Kompetenz generell bestreitet. 280 So MicklitzJReich, E u Z W 1992, 593, 594; Reich, Z E u P 1994, 381,403f„ wobei Reich die Beseitigung der indirekten Wettbewerbsverzerrungen durch Verbraucherschutzrichtlinien als außerhalb der Binnenmarktkompetenz liegend ansieht. 281 Wie hier, Remien, ZfRV 1995,116, 125f., sowie Müller-Graff, Z H R 159 (1995), 34, 59ff., allerdings mit weiterer Konkretisierung im Hinblick auf Einzelentscheidungen. So soll allein der Gemeinschaft die Definitionsaufgabe zukommen, ob beispielsweise eine Verbraucherschutz-Richtlinie erforderlich ist (a.a.O., S. 69); ähnlich bei der Entscheidung über die Integrationsintensität und der Wahl des richtigen Rechtsaktes. 282 Z.B. im Bereich der Handelspolitik (Art. 113 E G V ) und der Landwirtschaftspolitik (Art. 38ff. EGV).

V. Neuere

Entwicklungen

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Unabhängig von der juristischen Frage, ob und in welchem Umfang das Subsidiaritätsprinzip im Bereich der Verbraucherpolitik Anwendung findet, zeichnet sich eine Selbstbeschränkung der praktischen Politik ab. So ist mit der A b n a h m e der Gesetzgebungstätigkeit der Gemeinschaft und mit einer geringeren Regelungsdichte erlassener Maßnahmen zu rechnen 283 . Entsprechend wurde im Dezember 1992 auf dem Treffen des Europäischen Rates in Edinburgh die Rücknahme des Richtlinienvorschlags zur Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln sowie eine Überarbeitung der Vorschläge zur Dienstleistungshaftung und zur vergleichenden Werbung gefordert. In einer internen Streichliste vom Februar 1993 forderte das Bundeswirtschaftsministerium die R ü c k n a h m e oder zumindest die Vereinfachung fast aller in Vorbereitung befindlichen verbraucherschutzrechtlichen Rechtsakte der Gemeinschaft 2 8 4 . Die EG-Kommission hat die Rückstellung der Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen u.a. mit dem Subsidiaritätsprinzip begründet 2 8 5 . Damit besteht die Gefahr, daß das Subsidiaritätsprinzip der Verhinderung von auf der E b e n e der Mitgliedstaaten vernachlässigtem Verbraucherschutz dient 286 , auch wenn man es rechtlich für unzulässig erachtet, das Subsidiaritätsprinzip als „Einfallstor für eine Dereglementierung oder einen Rückzug der Gemeinschaft" zu gebrauchen 287 . Für den Augenblick ist jedenfalls mit einer Konsolidierung des Verbraucherschutzes zu rechnen. M a ß n a h m e n im Zusammenhang mit eindeutig grenzüberschreitenden Sachverhalten werden nach wie vor erlassen (Time-Sharing, Fernabsatz, grenzüberschreitende Verbraucherklagen). Dagegen haben Vorhaben, die die Grundlagen nationalen Privatrechts betreffen (Dienstleistungshaftung) geringere Erfolgsaussichten 288 . In der Z u k u n f t wird man zudem mit einer Überarbeitung bestehenden Sekundärrechts zu rechnen haben. Dies zeichnet sich augenblicklich für das Verbraucherkreditrecht ab 289 . f ) Verbraucherschutz

nach dem Amsterdamer

Vertrag

Der Amsterdamer Vertrag zur Reform des EU-Vertrages vom 19. Juni 1997 führt zu einer Änderung der verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften, ohne aller283 Vgl. Gibson, 16 J.C.P. 323, 326ff (1993), der die offiziellen Erklärungen der Kommission und des Europäischen Rates zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips analysiert. 284 Abgedruckt in VuR 1993, 1. 285 Mitteilung der Kommission betreffend neue Ausrichtungen in Sachen Haftung bei Dienstleistungen vom 23.6.1994, KOM(94) 260 endg., S.4. Die Hauptargumente sind aber inhaltlicher Natur; vgl. z.B. die Kritik des EG-Kommissars Bangemann, Z E u P 1994, 377, 379; und bei von Bar, ZfRV 1994, 221, 226 m.w.N. 286 Gibson, 16 J.C.P. 313, 336 (1993). 287 So die rechtliche Auslegung bei Micklitz/Reich, E u Z W 1992, 593, 594. 288 Daher gegen den Trend das Vorhaben zur Angleichung des Rechts des Verbrauchsgüterkaufs. 289 Die Kommission legte am 11.5. 1995 einen Bericht über das Verbraucherkreditrecht auf der Grundlage von Art. 17 der Verbraucherkredit-Richtlinie mit Überlegungen zu einem Ausbau des gemeinschaftsrechtlichen Schutzes vor; vgl. F.J. Scholz, EWS 1995, 357.

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§2 Der privatrechtliche

Schutz des Verbrauchers durch das geltende Recht

dings inhaltlich viel zu ändern. In Art. 100a Abs. 3 E G V wird ein weiterer Satz hinzugefügt, nach dem nun auch das Parlament und der Rat im Rahmen der Rechtsangleichung ein hohes Verbraucherschutzniveau anzustreben haben. Dies hat aber schon nach Art. 129a Abs. 1 E G V in der Maastrichter Fassung gegolten. Art. 129a E G V wird neugestaltet. Die binnenmarktbezogene Verbraucherschutzpolitik (Art. 129a Abs. 3 (a) E G V n.F.) wird nun auf eine Liste von Verbraucherschutzzielen bezogen (Art. 129a Abs. 1 E G V n.E), die bislang nur für die binnenmarktunabhängige Verbraucherpolitik galt (Art. 129a Abs. 1 (b) E G V a.F.)290. Die binnenmarktunabhängige Verbraucherschutzpolitik soll neben Maßnahmen zur Unterstützung und Ergänzung nun auch Maßnahmen zur Überwachung der mitgliedstaatlichen Verbraucherschutzpolitik erfassen (Art. 129a Abs. 3 (b) E G V n.F.). Neu ist der einheitliche Begriff der Maßnahmen für die binnenmarktabhängige und -unabhängige Verbraucherschutzpolitik anstelle des unklaren Begriffs der spezifischen Maßnahmen nur für die binnenmarktunabhängige Politik291. Damit ist klargestellt, daß auch in diesem zweiten Bereich Richtlinien und Verordnungen erlassen werden können 292 . 2. Ökologisierung und Politisierung Die Ökologisierung bedeutet wohl die wichtigste Akzentverschiebung für das Verbraucherschutzrecht in den letzten Jahren. Obwohl schon die Verbraucherschutzpolitik der 70er Jahre ökologisch verträgliche Produktion zu einem eigenen Anliegen erklärte 293 , war der Gedanke des Umweltschutzes doch den zu schützenden Interessen des Verbrauchers entgegengesetzt. Dies ist zumindest der Fall, wenn man Verbraucherinteressen grundsätzlich mit ausschließlich wirtschaftlichen und damit egoististischen Interessen der Verbraucher gleichsetzt. Verbraucherschutz soll den Konsum erleichtern. Wachsender Konsum bedeutet aber tendenziell eine Bedrohung der Umwelt. Die mit Ökologisierung bezeichnete Entwicklung bedeutet eine Hinwendung von der egoistischen zu einer - auch - altruistischen Konzeption des Verbraucherschutzes. Sie wurde durch die Verbraucher selbst ausgelöst. Mehr Verbraucher als früher sind aufgrund gesteigerten ökologischen Bewußtseins bereit, für ökologisch besser verträglichen Konsum einen höheren Preis zu bezahlen 294 . In der Praxis wird die Ökologisierung in der Werbung mit Umwelt2,(1 Als neues Verbraucherschutzziel wird die Förderung des Rechts zur Bildung von Vereinigungen zur Wahrung von Verbraucherinteressen genannt. 291 Zum Verständnis des Begriffs der spezifischen Maßnahmen, Lecheler, in: Dauses (Hrsg.), EG-Wirtschaftsrechtshandbuch, H.V Rdnr. 25f. 292 Zu den Vorschlägen im Vorfeld des Amsterdamer Vertrages, Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm.8c (S.45). 293 Siehe Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Verbraucherpolitik, in: E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.296. 294 Für eine soziologische Betrachtung des Verbraucherverhaltens im Spannungsfeld zwi-

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Schutzthemen deutlich 295 . Der Tiger gehört nicht mehr in den Tank, sondern der Tank - so die durchaus suggestive Werbemitteilung - erhält den Urwald als Lebensumwelt des Tigers. Ähnliche Verschiebungen der Verbrauchermotive lassen sich im politischen Bereich feststellen. So ist der „faire Handel", der die ökonomischen Interessen etwa von kleinen Kaffeebauern in der Dritten Welt gebührend berücksichtigt, zu einem Marketingargument geworden 296 . Mit der Ökologisierung hat dies nichts zu tun. Die „Politisierung" teilt aber mit der Ökologisierung das Auftauchen altruistischer Motivationsstrukturen beim Verbraucher. Während Verbraucherschutz und Umweltschutz in den 70er Jahren gleichermaßen Reizworte waren 297 , haben beide diesen Charakter inzwischen weitgehend verloren. Der Verbraucherschutz ist sogar in seiner politischen Bedeutung hinter den Umweltschutz zurückgetreten 298 . Das relative Verschwinden des Verbraucherschutzthemas aus der wissenschaftlichen Diskussion stellt sich aber weniger als Ausdruck der Lösung der Verbraucherschutzproblematik dar, sondern vielmehr als deren Aufgehen in der Thematik des Umweltschutzes 299 . Die gesteigerte Bedeutung des Umweltschutzes hat offensichtlich gemacht, was schon in der Vergangenheit gegolten hat. Verbraucherschutz ist kein autonom zu verfolgendes Politikziel. Verbraucherschutz kollidiert vielmehr mit anderen legitimen Politikzielen und ist mit diesen abzuwägen. Hart/Köck sprechen in diesem Zusammenhang von einem Policy-Mix300. 3. Ü b e r g a n g zur „risikofreien Gesellschaft" Die dritte, relativ junge Entwicklung betrifft den Übergang zur risikofreien Gesellschaft. Hierfür charakteristisch ist das Bestreben, jegliche Gefahr, die früher vielleicht als allgemeines Lebensrisiko vom einzelnen akzeptiert wurde, rechtlich zu erfassen. Dabei gilt vermehrt der Grundsatz, daß ein Schadensfall durch Fremdeinwirkung auch einen Haftungsfall nach sich ziehen müsse 301 .

sehen Konsum und Umweltschutz, siehe Scherhorn, 16 J. Consumer Pol'y 171 (1993). Siehe auch Elkington, Consumer Pol'y Rev., Vol. 1, No. 2,1991,76; MacKenzie, Consumer Pol'y Rev., Vol. 1, No. 2, 1991, 68; Cope/Winward, Consumer Pol'y Rev., Vol. 1, No. 2, 1991, 66. 295 Dazu ausführlich unten § 14 III. 296 Dazu AgV, VerbrR 1996, Heft 10. 297 Siehe dazu Welbergen, WuW 1979, 291. 298 Vgl. Schmidt-Salzer, NJW 1994, 1305, 1314, der den Umweltschutz als logische Fortführung des Verbraucherschutzes ansieht. 299 Hart/Köck, Z R P 1991,61. Für die Verbindung der nach wie vor getrennt verfolgten Politikbereiche auf europäischer Ebene, Krämer, 16 J.C.P. 455 (1993). 300 Hart/Köck, Z R P 1991, 61, 67. 301 Vgl. z.B. Engel, J Z 1995,213,216, der eine Entwicklung des Haftungsrechts hin zu einem umfassenden Kompensationsrecht verzeichnet. Besonders kritisch Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 95f.

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Am weitesten ist bislang das amerikanische Deliktsrecht gegangen, das über die strict liability der Produkthaftung hinaus eine market share liability annimmt, wenn zwar feststeht, daß der Verbraucher durch ein bestimmtes Produkt verletzt wurde, es sich aber nicht mehr klären läßt, welcher von mehreren Produzenten das konkret schadensverursachende Produkt hergestellt hat302. Jeder Produzent haftet in Höhe seines Marktanteils 303 . Wesentliche Bedeutung hat die market share liability in allen Schadensfällen, die auf Spätfolgen, z.B. von Medikamenten beruhen. Die Frage nach der Quelle einer Schadensverursachung tritt in aller Schärfe in den Umwelthaftungsfällen zutage. Der deutsche Gesetzgeber hat hierauf erstmalig im Umwelthaftungsgesetz reagiert, in dem er nicht nur eine Gefährdungshaftung, sondern auch eine Vermutung der Kausalität einführte (§6 Abs. 1 Satz 1 UmweltHG) 304 . Im Bereich der Produkthaftung sind die Probleme von Langzeitwirkungen, z.B. von Holzschutzfarben oder Asbest, in das Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit getreten 305 . Damit verbunden sind vor allem Schwierigkeiten beim Beweis der Kausalität sowie die Frage nach der Haftung für Entwicklungsfehler. Letztere führen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG nicht zur Haftung; allerdings besteht eine Produktbeobachtungspflicht. Verbraucherschutz wird damit heute weit mehr als noch in den 70er Jahren als Teil eines ganzheitlichen allgemeinen Schutzes der Lebensbedingungen aufgefaßt 306 , der insbesondere die Umweltproblematik mit einschließt. Reich definiert deshalb Verbraucherschutz als Politik zur Förderung von „Lebensqualität" 307 . Das private Haftungsrecht wird zum privaten Sicherheitsrecht, das das öffentliche Sicherheitsrecht - vor allem unter den Aspekten der Lebensmittel-, Arzneimittel- und Immissionsschutzkontrolle - dort vervollständigt, wo letzteres in seinem präventiven Ansatz versagt. Der Impuls hierzu kommt von den Gefährdeten selbst308. Die privatrechtliche Haftung wird zum Lösungsmodell sozialer Gerechtigkeit. Schäden aufgrund allgemeiner Risiken sind über das 302

Siehe die Entscheidung des Court of Appeals of New York von 1989 in Hymowitz v. Eli Lilly, 73 N.Y.2d 487; 539 N.E.2d 1069. 303 Damit stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem relevanten Markt. In Conly v. Boyle Drug Co., 570 So.2d 275 (Fla. 1990), wurde der Grundsatz aufgestellt, der Markt müsse so eng wie möglich definiert werden. Hat der Geschädigte ein Medikament immer in einer bestimmten Apotheke gekauft, komme es auf den Anteil des verklagten Produzenten am Verkauf in dieser Apotheke an. 304 Siehe im einzelnen G. Hager, NJW 1991, 134. 305 Bislang ist die Frage in Deutschland vor allem unter strafrechtlichen Gesichtspunkten relevant geworden; siehe B G H NJW 1995, 2930 (zur Kausalität von Holzschutzmitteln für Gesundheitsschäden); dazu Schmidt-Salzer, NJW 1996,1, sowie Otto, WiB 1995, 929. 306 Hart/Köck, Z R P 1991, 61, 65. 307 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1993, S.24. 308 Reich, Europäisches Verbraucherschutzrecht, 1993, S. 28, rechtfertigt dies auf der Grundlage organisationstheoretischer Überlegungen damit, daß diffuse Verbraucherinteressen erst organisierbar und effizient artikulierbar würden, sobald konkretes Betroffensein vorliegt.

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Haftungsrecht zu sozialisieren. Der Produzent soll die Kosten tragen und sie über den Preis bzw. die Versicherungen auf alle Nutznießer aus dem Eingehen dieser Risiken verteilen. Im Privatrecht, vor allem im Haftungsrecht, bewirkt der Übergang zur risikofreien Gesellschaft einen Wechsel vom Regelungszweck der Kompensation hin zur Prävention309. Eine umfassende Behandlung des Rechts der Risikovorsorge kann in dieser Studie nicht geleistet werden. Sie müßte überdies das öffentliche und strafrechtliche Sicherheitsrecht mit berücksichtigen. Auch macht die kürzlich von Möllers vorgelegte wissenschaftliche Untersuchung eine umfassende Berücksichtigung des Themas entbehrlich 310 . Es kommt ein weiteres hinzu: Unter dem Stichwort der Risikovorsorge geht es um Rechtsgüterschutz (vor allem Gesundheit, Leben). Die vorliegende Arbeit konzentriert sich dagegen auf einen anderen Aspekt, nämlich der - vertragsbezogenen - Selbstbestimmung, wobei die beiden Aspekte selbständig nebeneinander stehen 311 . Dort, wo es im Verbraucherschutz vorrangig um Rechtsgüterschutz geht, nämlich bei der Produzentenhaftung, werden sich Berührungspunkte zu der Arbeit von Möllers ergeben. Aber selbst dort beschränkt sich die vorliegende Studie auf den Nachweis, daß die Produzentenhaftung ebenso unter dem Kriterium der wirtschaftlichen Selbstbestimmung betrachtet werden kann. 4. Folgen für die Konzeption des Verbraucherschutzes Europäisierung, Ökologisierung sowie Hinwendung zur „risikofreien Gesellschaft" können nicht ohne Einfluß auf die rechtliche Konzeption des Verbraucherschutzes bleiben. Alle drei Phänomene zwingen zur Pragmatisierung. Noch mehr als in der Vergangenheit führt der Einfluß des europäischen Rechts sowie die gegenständliche Erweiterung dazu, Verbraucherschutz dort zuzulassen, wo sich sein Fehlen als besonders schmerzlich erweist. Die Reaktion kann sowohl von der Gesetzgebung, meist initiiert von der Europäischen Gemeinschaft, oder von der Rechtsprechung kommen. Der Einfluß des europäischen Rechts erschwert eine nationale Dogmatik des Verbraucherschutzes, weil europäisches Recht bei der Rechtsangleichung fünfzehn unterschiedliche Rechtsordnungen zur Kenntnis zu nehmen hat (die Rechtsspaltung in Großbritannien nicht eingerechnet), deshalb notwendig punktuell, d.h. bedürfnisorientiert vorgehen muß und nationales Recht den Geltungsvorrang des Gemeinschaftsrechts 312 zu akzeptieren 309

Dazu ausführlich Hart, KritV 1991, 363; Köck, KJ 1993, 125; Schmidt, KritV 1986, 83. Möllers, Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht,1996. Vgl. Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 1996, Anm. 1, der nach diesen Aspekten die Instrumente des Europäischen Verbraucherschutzrechts unterteilt. 312 Nach der Rechtsprechung des E u G H haben nationale Gerichte nationales Recht im Fal31U 311

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hat313. Ökologisierung und die Gesamtschau aller „Sozialrisiken" im Rahmen einer privaten Sicherheitsordnung führen endgültig zur Negation der Existenz eines rechtlich abgrenzbaren Bereichs des Verbraucherschutzes. Eine isolierte Betrachtung des Verbraucherschutzes, insbesondere soweit sie sich den Anspruch rechtlicher Dogmatik zu verleihen versucht, erscheint wenig versprechend, wenn nicht gar hoffnungslos. Dennoch besteht ein Bedürfnis nach dogmatischer Aufarbeitung des rechtlichen Verbraucherschutzes. Der europäische Einfluß hat zu einer Wiederbelebung der Verbraucherschutzgesetzgebung geführt. Eine zeitgemäße rechtliche Verbraucherschutztheorie hat dies zur Kenntnis zu nehmen. Sie muß den europäischen Ansatz in ein Gesamtkonzept integrieren und im Rahmen des nationalen Verbraucherschutzes zur Geltung bringen. Ziel ist die Ausarbeitung eines europäisch-national integrierten und damit widerspruchsfreien Verbraucherschutzmodells 314 . Gleichermaßen verbietet die komplexer gewordene Gemengelage verschiedener, sich nicht selten widersprechender Politikziele eine isolierte Betrachtung traditionell definierter Verbraucherinteressen, wie sie beispielsweise in der Vergangenheit Hippel definiert hat315. Diese Gemengelage macht eine akzeptable Verbraucherschutzkonzeption nicht unmöglich, gestaltet aber deren Ausarbeitung erheblich schwieriger. Würde man auf ein solches Konzept verzichten, liefe man Gefahr, gesetzgeberische und richterliche Entscheidungen im Bereich des Verbraucherschutzes allein aus dem Blickwinkel des zu regelnden und meist punktuell begrenzten Sachbereichs oder - aus der Sicht des Richters - im Hinblick auf Einzelfallgerechtigkeit auf der Grundlage wenig präziser gesetzlicher Vorgaben (z.B. § 138 Abs. 1 BGB) zu fällen. In der Folge wären Inkonsistenzen zwischen gesetzlichen Wertungen und richterlichen Entscheidungen zu befürchten. Daß eine in sich schlüssige Ordnung rechtlichen Verbraucherschutzes durch die Gesetzgebung eines demokratisch verfaßten und damit die Einflußnahme von Interessengruppen zulassenden Gemeinwesens kaum erwartet werden kann, liegt auf der Hand. An diesen Stellen muß dann auch konstruktive Kritik am Gesetz erlaubt sein. Einer Gesetzesänderung hat jedoch der Versuch der Rechtsprechung vorauszugehen, Ungereimtheiten durch eine in sich schlüsle eines Konflikts mit Gemeinschaftsrecht unangewendet zu lassen; E u G H , vom 3.3.1978, Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung gegen Simmenthai S.p.A., Slg. 1978, 629. Nationale Vorschriften sind richtlinienkonform auszulegen; E u G H , vom 13.11. 1990, Rs. C-106/89, Marleasing S.A. v. La Comercial International de Alimentación S.A, Slg. 1990,1-4135. 313 Schon frühzeitig wies Krämer, Z V P 1979, 228, auf den Zwang zur Pragmatisierung der Verbraucherschutzpolitik in der Gemeinschaft aufgrund der beschränkten Rechtsgrundlagen, der Marktorientiertheit des Gemeinschaftsrechts und der divergierenden nationalen Verbraucherschutztraditionen hin. 314 Die Begründung des hier vertretenen Modells der wirtschaftlichen Selbstbestimmung für das Gemeinschaftsrecht wird an anderer Stelle geleistet. 315 E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1. Aufl. 1974, 3. Aufl. 1986.

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sige Rechtsanwendung und Gesetzesauslegung zu lösen, soweit dies möglich ist. Grundvoraussetzung hierfür ist eine akzeptable rechtliche Verbraucherschutzkonzeption, die die neuen Aspekte des Themas „Verbraucherschutz" in sich aufnimmt. Schon hier sei darauf hingewiesen, daß zumindest die Grundüberlegungen des liberalen Informationsmodells eher geeignet sein werden als die alternativen „sozialen" Modelle, die neueren Entwicklungen zu integrieren. Das Informationsmodell nimmt Marktergebnisse nicht vorweg, sondern versucht widerstreitende Interessen über den Markt auszugleichen. Es stellt ein zumindest brauchbareres und offeneres Denken zur Verfügung, das neue Konfliktlagen (freier Warenverkehr in Europa oder nationales Verbraucherschutzrecht, Konsum oder Ökologie, Individualisierung oder Sozialisierung von Schäden) eher zu erfassen vermag als die erklärtermaßen „sozialen" Modelle, die überwiegend eindimensional am Interessengegensatz zwischen dem Kollektiv der Hersteller und dem Kollektiv der Verbraucher ansetzen. Zweifelhaft ist dagegen die für das Informationsmodell vertretene Beschränkung der verbraucherschutzrechtlichen Instrumente auf die Kompensation von Informationsdefiziten.

§ 3 Verbraucherschutz zwischen Politik und Rechtsgebiet Der Begriff des Verbraucherschutzes wird allgemein im Zusammenhang mit zwei Konkretisierungen verwendet, nämlich einmal als Verbraucherschutzpolitik und zum anderen als Verbraucherschutzrecht. Im Zusammenhang mit der Verbraucherschutzpolitik geht es um die praktische Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Beim Begriff des Verbraucherschutzrechts stellt sich die Frage nach der Verortung des Verbraucherschutzes in der rechtlichen Gesamtordnung. Eine privatrechtliche Theorie des Verbraucherschutzes erfordert eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit diesen beiden Begriffen.

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1. Die beiden Bedeutungen von Verbraucherschutzpolitik Am Anfang der Entwicklung rechtlichen Verbraucherschutzes in den 70er Jahren steht die Verbraucherschutzpolitik. Der Begriff rechtfertigt sich historisch gesehen durch die politische Verbraucherschutzbewegung, die sowohl auf nationaler wie europäischer Ebene Einfluß auf politische Entscheidungsträger gewann. Letztere formulierten ihre Politik in Programmen. Erst die Verbraucherschutzprogramme wurden zum Ausgangspunkt konkreter rechtlicher Maßnahmen. Versucht man das Verhältnis der Verbraucherschutzpolitik zum rechtlichen Verbraucherschutz näher zu beleuchten, so ist es hilfreich, mindestens zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen von Verbraucherschutzpolitik zu unterscheiden: Nach der ersten ist Verbraucherschutz als politisches Postulat verstehbar. Danach kommt es darauf an, verbraucherpolitische Ziele in den politischen Entscheidungsprozeß einzubringen und effizient umzusetzen 1 . Die politische Zielsetzung ist dabei wichtiger als das Recht. Nach der zweiten Bedeutung ist Verbraucherschutzpolitik, nicht anders als in anderen Politikbereichen, notwendige Voraussetzung legislativer Rechtsbildung (Verbraucherschutzpolitik

1 So das Verständnis nach Stauss, WiSt 1982,114. Dagegen Kuhlmann, Verbraucherpolitik, 1990, S. 1, der eine Definition des Begriffs schlechterdings ablehnt, weil jede Definition beliebig und mehrdeutig wäre.

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als Rechtspolitik). Verbraucherpolitik in diesem Sinne bestimmt den Inhalt der Gesetze. Das Recht wird zum Ziel der Politik. 2. Verbraucherschutz als politisches Postulat Die Konzeption der Verbraucherschutzpolitik, die das Recht lediglich als Instrument des Vollzugs selbstgesetzter Ziele auffaßt, wird dazu neigen, die Vorgaben des rechtlichen Systems als unerheblich anzusehen. Ist einmal ein Regelungsbedürfnis anerkannt, kann dem geltenden Recht kein Grund gegen das Ergreifen der für notwendig erachteten Maßnahme entnommen werden. Die Durchsetzung des politischen Ziels erscheint wichtiger als die Unversehrtheit oder Stimmigkeit der Rechtsordnung. Rechtspolitisch liegt dieser Form von Verbraucherschutzpolitik die Vorstellung konkret feststellbarer und damit tatsächlich vorgegebener Verbraucherinteressen zugrunde. Verbraucher und Hersteller treten zueinander in ein dialektisches Verhältnis. Da nach diesem Verständnis die Struktur der Marktverhältnisse eine Ungleichgewichtslage zu Lasten der Verbraucher bedingt, die Produzenten also stets im Vorteil sind, ergibt sich ein gerechtigkeitsorientiertes politisches Postulat nach Förderung der Verbraucherschutzinteressen. Letztere wurden, z.B. in der Europäischen Gemeinschaft, in der Form von Verbraucherrechten formuliert 2 . Eine diesem Verständnis von Verbraucherpolitik folgende Konzeption von Verbraucherschutzrecht hat notwendig bei den einzelnen Verbraucherinteressen und nicht etwa bei einer vorgegebenen rechtlichen Dogmatik anzusetzen. So erklärt Eike von Hippel, daß es „oberstes allgemeines Ziel des Verbraucherschutzes [sein muß], die Interessen der Verbraucher in allen Bereichen angemessen zu berücksichtigen und die Bedürfnisse der Verbraucher optimal zu befriedigen." 3 Die Unterscheidung verschiedener Verbraucherinteressen wird selbst im marktkomplementären Informationsmodell zum Strukturprinzip des Verbraucherschutzrechts, wobei sich allerdings die Ziele im Informationsmodell auf die Verwirklichung der Konsumentensouveränität beziehen 4 . Dieses Verständnis von Verbraucherschutzpolitik verdient jedoch Kritik, soweit es unbesehen von vorgegebenen Verbraucherinteressen ausgeht 5 . Dies gilt insbesondere für jene Konzeptionen eines „sozialen" Verbraucherschutzrechts, 2 Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. 1975 Nr. C 92; abgedruckt in E. v. Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S. 454ff; vgl. auch oben §2 III. 3 E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.21. 4 Vgl. etwa Gröner/Köhler, Verbraucherschutzrecht in der Marktwirtschaft, 1987, S. 15ff. 5 Die Frage der Ermittlung von Verbraucherinteressen wird nur ausnahmsweise gestellt, so Kuhlmann, Verbraucherpolitik, 1990, S.59ff. Die sodann von Kuhlmann diskutierten Methoden entstammen alle der Soziologie und müssen deshalb im Sinne typischer Verhaltensweisen der Verbraucher abstrahieren.

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§3 Verbraucherschutz

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Rechtsgebiet

die von einem Gegensatz von gebrauchswertorientierten Verbraucherinteressen und tauschwertorientierten Herstellerinteressen ausgehen. Strukturelle Nachteile des Verbrauchers bestehen zwar tatsächlich, zum Beispiel weil der Händler leichter in der Lage ist, die Vertragsbedingungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Formulierung von Verbraucherinteressen wird jedoch dort problematisch, wo sie nicht mehr als Interessen des einzelnen Verbrauchers aufgefaßt werden, sondern als typische Interessen des Kollektivs der Verbraucher, die jenen des Kollektivs der Produzenten und Händler notwendig entgegengesetzt sind. Deshalb ist inhaltliche Präzision bei der Diskussion von Verbraucherinteressen notwendig: Die Summe der individuellen Interessen einzelner Verbraucher ergibt nicht notwendig ein gleichgerichtetes Interesse der Verbraucherschaft insgesamt. Sobald man sich bei der Diskussion über einzelne, für Verbraucher bedeutsame Vorschriften die Frage stellt, wer an deren Beibehaltung, Verschärfung oder andererseits Aufhebung interessiert ist, sind häufig unterschiedliche Interessen von Verbrauchern feststellbar. Gleiches gilt nicht selten auch für die Anbieterseite. So wird der berufstätige Verbraucher tendenziell an einer Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes interessiert sein; der über viel Zeit verfügende Rentner wird eine eher beschränkende Regelung beibehalten wollen, weil sie höhere Wahrscheinlichkeit für gleichmäßige Öffnungszeiten aller Geschäfte an einem Ort bietet. Der an niedrigen Preisen interessierte Verbraucher wird den Strukturwandel im Einzelhandel begrüßen; der weniger mobile Verbraucher wünscht sich den Erhalt des kleinen Ladens an der Ecke. Der geschäftlich gewandte Verbraucher ist an der Abschaffung des Rabattgesetzes interessiert; der unerfahrene oder über wenig Zeit verfügende Verbraucher fürchtet höhere Preise, weil sich knapp kalkulierende Händler vielleicht erst einen Rabattierungsspielraum verschaffen müssen. Die Liberalisierung des Versicherungssektors im europäischen Binnenmarkt verbreitert zwar das Angebot und schafft mehr Wettbewerb. Gleichzeitig beklagt aber die Mehrheit der Verbraucher, ausweislich demoskopischer Untersuchungen, die Unübersichtlichkeit des Versicherungsmarktes 6 . Größere Einzelhandelsunternehmen versprechen sich durch die Abschaffung des Rabattgesetzes einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Konkurrenten 7 . Ein Konflikt unterschiedlicher Verbraucherinteressen besteht im übrigen auch im Bereich der Produktsicherheit. Nur vordergründig entspricht es dem Verbraucherinteresse, die Anforderungen an die Produktsicherheit durch das 6 Geiger, Süddeutsche Zeitung Nr.36 vom 13.2. 1996, S.20. Vgl. auch die Bedenken bei W.H. Roth, NJW 1993, 3028, 3032. 7 Die wirtschaftlich negativen Auswirkungen der Abschaffung des RabattG waren Gegenstand einer Studie von Joachim Zentes; F A Z Nr. 66 vom 19.3. 1994. Zentes befürchtet eine Verstärkung der Inflation, weniger Preiswahrheit sowie die Förderung der Konzentration im Einzelhandel.

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Verbraucherschutzpolitik

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öffentliche Sicherheitsrecht (insbesondere das Lebensmittel- und Arzneimittelrecht) wie auch im Bereich der Produkthaftung kontinuierlich zu erhöhen. Höhere Anforderungen an die Produktsicherheit verlagern das Risiko vom Verbraucher auf den Produzenten und verteuern mittelbar das Produkt. In Einzelfällen mag dies durchaus nützlichen Erzeugnissen die Verfügbarkeit generell nehmen, oder das Erzeugnis ist nur noch für jene Verbraucher erhältlich, die sich Sicherheit leisten können*. Im Arzneimittelrecht kann ein zu strenges Zulassungsverfahren notwendige Heilmittel zu lange vom Markt fernhalten. Daß sich Verbraucher u.U. auch gegen solche „verbraucherschützenden" Maßnahmen organisieren und zur Wehr setzen können, zeigte sich etwa an der AIDS-Diskussion in den Vereinigten Staaten. Dort wurde auf Druck der AIDSKranken die frühzeitige Zulassung ungetesteter, aber unter Umständen lebensrettender Heilmittel entgegen dem sonst üblichen Verfahren ermöglicht 9 . Christian Joerges hat auf die Tatsache oft entgegengesetzter Verbraucherinteressen hingewiesen 10 . Damit ist die Berechtigung inhaltlicher Verbraucherschutzpolitik in Frage gestellt. Macht Verbraucherschutzpolitik noch Sinn, wenn ihre Ergebnisse stets nur einen Teil der Verbraucher begünstigen, den anderen aber benachteiligen? Joerges sucht einen prozeduralen Ausweg. Verbraucherschutz habe über das „Entdeckungsverfahren Praxis" zu erfolgen. In diesem seien allen Marktbeteiligten, also auch den Verbrauchern, Mitwirkungsrechte zuzubilligen. So könne die Antiethik von Markt und Plan überwunden und ihr die Koordination verschiedener Politikziele und Interessen entgegengesetzt werden". Eine vorgegebene Ordnung der Interessen sei nicht vorstellbar. Hieraus ergebe sich die Forderung nach einer umfassenden Repräsentation der Betroffenen im Rechtsfindungsprozeß 12 . Die Auffassung von Joerges führt letztlich dazu, daß es in der Verbraucherschutzpolitik nicht mehr um die Durchsetzung abstrakt erkennbarer Verbraucherinteressen geht, sondern um die demokratische Rechtfertigung spezifischer 8 Zu den unsozialen Wirkungen überzogener Anforderungen an die Produktsicherheit, vgl. Prosi, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherpolitik in der sozialen Marktwirtschaft, 1984, S.67, 81; sowie im Sinne einer „Privilegierung der Schwachen zu Lasten der Schwächsten", Eichenhofer., JuS 19%, 857, 864. 9 Vgl. Edgar/Rothman, 68 Milbank Quarterly 111 (1990); Levi, in: Hanna (Hrsg.), Biomedical Politics, 1991, S. 9. Für die frühzeitige Zulassung des Wirkstoffs Dideoxyinosin (DDI) als Ersatz für das hochtoxische A Z T wurde auf Druck der Anti-AIDS-Bewegung eigens das sogenannte parallel track-Verfahren eingeführt. Der Wirkstoff wurde zur Anwendung freigegeben, während gleichzeitig noch die Testphase für die endgültige Zulassung lief. Zu den Erfahrungen mit dem Verfahren und wieder ansteigendem Sicherheitsbewußtsein in der AIDS-Community, Shulman/Brown, 50 Food & Drug L. J. 503 (1995); Lovell, 51 Food & Drug L. J. 273 (1996). Chr. Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981, S.93ff. Vor Joerges hat schon K. Simitis, Verbraucherschutz, 1976, S. 82, die Existenz allgemeiner Verbraucherschutzinteressen angezweifelt. Siehe auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S. 60f. " Chr. Joerges, Verbraucherschutz als Rechtsproblem, 1981, S . l l l f f . , insbesondere S.115f. 12 Chr. Joerges, a.a.O., S. 134.

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Rechtsgebiet

Maßnahmen. So wäre die Abschaffung des RabattG in Fortführung der Gedanken von Joerges aus der Sicht des Verbraucherschutzes legitim, wenn sich die Politik unter adäquater demokratischer Vertretung der Verbraucher zur Aufhebung entschließt. Diese Argumentation ist, obwohl der mögliche Interessengegensatz von Verbrauchern als Ausgangspunkt Zustimmung verdient, aus mehreren Gründen unbefriedigend. Zum einen spricht Joerges jeder materiellen Richtigkeitsprüfung die Berechtigung ab. Allein das Wie des Zustandekommens von Recht legitimiere das materielle Recht. Joerges nimmt damit die Entwicklung punktuell-reaktiven Verbraucherrechts hin13. Weil das demokratische Verfahren die selektiv vorgehende Gesetzgebung begünstigt, entsteht die Gefahr sich widersprechender Lösungsmodelle für unterschiedliche Fragestellungen. Folgt man der Auffassung von Joerges, bleibt der Einwand unwiderlegt, der prozedural-demokratische Ansatz verhindere ein in sich konsistentes und widerspruchsfreies Verbraucher- und Wirtschaftsrecht. Problematisch wird das auf demokratischer Interessenvertretung begründete „Entdeckungsverfahren Praxis" besonders dort, wo Entscheidungsträger nicht von den Inhabern bestimmter Interessen abhängig sind. Dies sieht auch Joerges, wenn er wenig Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Rechtsprechung und der Kartellbehörden zur Lösung von Verbraucherschutzproblemen bekundet 14 . Interessenkonflikte können aber, und hierin besteht die Funktion der rechtsprechenden Gewalt, auch durch neutrale, d.h. unabhängige Instanzen wahrgenommen werden, deren Mitglieder durch kein unmittelbares Eigeninteresse geleitet werden. Die Vertretung partikularer Interessen in rechtsprechenden Organen ist zunächst ein Widerspruch in sich und allenfalls dort angebracht, wo es, wie im Arbeitsrecht, tatsächlich um den Ausgleich klarer, einander gegenüberstehender Interessen von Angehörigen bestimmter Gruppen geht 15 . Letzteres ist in Fällen mit Verbraucherbezug gerade nicht der Fall. Die Dogmatik hat deshalb im Rahmen der Rechtsprechung eine wichtige demokratische Rolle zu erfüllen. Sie ist dazu geeignet, Entscheidungen vorhersehbar und in sich widerspruchsfrei zu gestalten, wobei sie die Ziele von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gleichermaßen zu verwirklichen trachtet. Über diese beiden Ziele wird die Rechtsprechung demokratisch legitimationsfähig. Die Tatsache, daß eine Verbraucherschutzdogmatik weitgehend fehlt, ist kein zwingendes Argument gegen den hier vertretenen Ansatz. Vielmehr ergibt sich hieraus gerade die Forderung, eine solche zu entwickeln. Daß dies kein einfaches Unterfangen ist, versteht sich angesichts des nun schon jahrzehntelangen und weitgehend 13

So das abschließende Ergebnis bei Chr. Joerges, a.a.O., S. 134. Chr. Joerges, a.a.O., S. 129ff. 15 Die Besetzung von Arbeitsgerichten mit Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber mag aber auch als Versuch gesehen werden, größere Sachnähe des Gerichts herbeizuführen. 14

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erfolglosen Bemühens von selbst. Joerges ist zumindest in einem wichtigen Punkt zuzustimmen: Eine konsensfähige, in sich schlüssige Verbraucherschutzdogmatik kann sich nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen abgehoben ergeben. Sie muß sich an der Realität des Wirtschaftslebens beweisen. Insofern ist dem Modell des „Entdeckungsverfahrens Praxis" durchaus zu folgen, wenn man es als Auftrag versteht, rechtliche Lösungen stets an der Wirklichkeit zu überprüfen. Die zu entwickelnde Verbraucherschutzdogmatik hat damit nicht nur für die Gesetzesauslegung durch die rechtsprechende Gewalt, sondern auch für die Gesetzgebung Bedeutung. Neue Vorschriften müssen mit dem zu vertretenden Verbraucherschutzmodell kompatibel sein. Umgekehrt ist rechtspolitische Kritik dort angebracht, wo die Gesetzgebung zu Widersprüchen führt. Dabei ist davon auszugehen, daß die gesetzgebenden Organe rechtsdogmatischen Überlegungen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sind. Andernfalls würde man Politik auf bloße Interessenvertretung reduzieren. Interessenvertretung ist legitim und demokratisch geboten. Wirksame Interessenvertretung setzt aber voraus, daß die Ermittlung eigener Interessen auf einer der Vernunft zugänglichen Analyse beruht. So gesehen bedeutet Verbraucherschutzdogmatik kein Argument gegen das Einbringen von Verbraucherschutzinteressen in den politischen Prozeß. Nach Ermittlung der Interessen durch Interessengruppen kommt auf die politischen Entscheidungsträger nicht nur die Durchsetzung dieser Interessen als Aufgabe zu. Ganz besonders muß es um den Ausgleich verschiedener Interessen in einem Bemühen um das Ganze gehen. Eine akzeptable Verbraucherschutzdogmatik hat auf einer ersten Stufe das Bestehen ganz unterschiedlicher Interessen von Verbrauchern zur Kenntnis zu nehmen. Auf einer zweiten Stufe sind Lösungsansätze zu entwickeln, die einen Ausgleich dieser Interessen ermöglichen und die in sich widerspruchsfrei sind. 3. Verbraucherschutzpolitik als Rechtspolitik Verbraucherschutzpolitik kann also kein Ersatz für das Recht sein, sondern erklärt, weshalb Recht zur Entstehung kommt. Sind die Interessen individueller Verbraucher unterschiedlich, ergibt sich nicht notwendig die Forderung nach Verbraucherpolitik durch Vertretung als rechtsdefinierendes Prinzip, sondern vielmehr die Forderung nach einer Verbraucherrechtstheorie, die diese Interessenvielfalt zuläßt. Insbesondere erweist sich die Vorstellung von vorgegebenen Verbraucherschutzinteressen als trügerisch. Solche Interessen sind in aller Regel nicht allen Verbrauchern gemeinsam. Aus der Erkenntnis verschiedener individueller, ex ante nicht bestimmbarer Verbraucherschutzinteressen ergibt sich die rechtspolitische Forderung, durch das Recht Situationen zu fördern, die den Verbraucher weitestgehend in die Lage versetzen, seine eigenen Interessen zur Geltung zu bringen. Dieser Forderung ist

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zwischen Politik und

Rechtsgebiet

nicht schlüssig entgegenzuhalten, daß der Verbraucher nicht fähig sei, seine eigenen Interessen im Wirtschaftsverkehr zu vertreten. Dieser Einwand bleibt widersprüchlich, soweit der selbstverantwortlichen Interessenwahrnehmung ein Modell der kollektiven Verbrauchervertretung entgegengesetzt wird 16 . Denn es ist weder zu erklären, wie es dem im Wirtschaftsverkehr unmündigen Verbraucher gelingen soll, über die Politik Mündigkeit zu erzielen, noch lassen sich Gründe dafür finden, weshalb das Kollektiv anstelle des einzelnen Verbrauchers besser in der Lage sein soll, Verbraucherinteressen zu bestimmen. Dennoch bedeutet dies nicht, daß der Verbraucher stets in der Lage ist, eigenverantwortlich zu handeln. Eine psychologische Abhängigkeit des Verbrauchers von der Einflußnahme des Herstellers, z.B. durch Werbung, mag im Einzelfall gegeben sein, denn ansonsten wäre etwa Suggestivwerbung sinnlos. Auf die Möglichkeit der psychologischen Einflußnahme auf den Verbraucher kommt es aber gerade nicht an, wenn man die Förderung eigenbestimmten Handelns des Verbrauchers als die Aufgabe des Rechts anerkennt. Nicht die tatsächliche Zielverwirklichung ist die Aufgabe des Rechts, denn das wäre eine Utopie. Es geht allein um die Sicherstellung, daß selbstbestimmtes Verhalten - als Chance zur Selbstbestimmung (Manfred Wolf) 17 - möglich bleibt, weil Verbraucherinteressen eben nicht klassenspezifisch, sondern ausschließlich individuell definiert sind. Dieser Forderung entspricht das ordnungspolitische Informationsmodell mit seinen spezifischen Ansätzen eher als die Alternativmodelle. Wettbewerb zwischen Anbietern ist die Voraussetzung freier Entscheidungen der Nachfrager. Rechtliche Regeln, die die Informationslage verbessern, dienen der autonomen Selbstbestimmung des Verbrauchers. Dennoch bedeutet dies noch nicht die Befürwortung des Informationsmodells. Auf der einen Seite ist zu vermuten, daß das Informationsmodell hinter dem noch zu entwickelnden Ansatz zurückbleibt. Es sind Situationen denkbar, in denen auch umfassende Information eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung des Verbrauchers aus bestimmten, falltypischen Gründen nicht ermöglicht. In weiteren Situationen sind die notwendigen Informationen nicht zu bekommen. Das Informationsproblem ist damit allenfalls ein - wenn auch wichtiger - Grund, weshalb die Selbstbestimmung des Verbrauchers bedroht sein kann. 4. Verbraucherschutzpolitik im Sinne des Gemeinschaftsrechts Einen vollkommen anderen Bedeutungsgehalt hat der Begriff der Verbraucherschutzpolitik im Sinne des Gemeinschaftsrechts. Von „Politiken" ist im Gemeinschaftsrecht immer dann die Rede, wenn Gemeinschaftsorganen Zuständigkeiten und Aufgaben in bestimmten Bereichen übertragen sind (z.B. 16 17

So jedoch der Ansatz bei K. Simitis, Verbraucherschutz, 1976. Vgl. oben §2 IV 3.

II. Verbraucherschutzrecht

als

Sonderprivatrecht?

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Agrarpolitik, Handelspolitik). Der Begriff „Politik" beschreibt also, daß die Gemeinschaft Zuständigkeit besitzt und wie sie diese Zuständigkeit wahrnimmt. Von diesem speziellen Politikbegriff abgesehen, ist auch für das Gemeinschaftsrecht eine konzeptionelle Unterscheidung zwischen einer Verbraucherpolitik als politisches Postulat sowie einer Verbraucherpolitik als notwendige Voraussetzung des Rechts möglich. Dennoch besteht anders als für das nationale Recht die besondere Gefahr, daß die politische Zielsetzung die Oberhand über die reine Rechtspolitik gewinnt. Wenn Art. 100a Abs. 3 E G V und Art. 129a Abs. 1 E G V von einem hohen Verbraucherschutzniveau sprechen, so kommt darin das Bestreben zum Ausdruck, den Verbraucher möglichst gut schützen zu wollen. Ein Mehr an Verbraucherschutz, so scheint es, ist zugleich besseres Recht 18 . Nichtsdestoweniger ist auch im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzen ein Ausgleich widerstreitender Interessen zu erzielen und die Vielfalt der Interessen verschiedener Verbraucher als Tatsache zu akzeptieren. Im Gemeinschaftsrecht geht es also auch um das richtige Maß an Verbraucherschutz. Das Bemühen, Verbraucherschutz dennoch zu verbessern, erklärt sich aus dem besonderen Regelungszusammenhang. So stellt Art. 100a Abs. 3 E G V klar, daß die Rechtsanpassung zur Errichtung des Binnenmarktes nicht nur den Interessen der Gewerbetreibenden dient, sondern auch jene der Verbraucher als Marktbürger zur Kenntnis zu nehmen hat. So wird dem Verbraucherschutz nur der ihm gebührende Platz zugewiesen. Art. 129a Abs. 1 E G V übernimmt diese Vorstellung für die binnenmarktunabhängige Verbraucherpolitik. Auch auf der Ebene der Gemeinschaft ist danach Verbraucherschutzpolitik in erster Linie Rechtspolitik.

II. Verbraucherschutzrecht

als

Sonderprivatrecht?

Das Erkennen der Richtigkeit einer Verbraucherschutzpolitik, die sich als notwendige Voraussetzung von Recht versteht (Verbraucherschutzpolitik als Rechtspolitik), wirft sogleich die nächste Frage nach der richtigen Konzeption von verbraucherschutzrelevanten Normen auf. Dieser Fragenfolge entspricht die tatsächliche Verbraucherschutzentwicklung, die sich nach Verabschiedung der ersten zivilrechtlichen Verbraucherschutzgesetze in den 70er Jahren zunehmend mit dem Verhältnis dieser neuen „Sondergesetze" zum allgemeinen Zivilrecht auseinandersetzte. War mit den neuen Gesetzen der Grundstein für ein neues, in sich geschlossenes Rechtsgebiet gelegt worden? Handelt es sich beim Verbraucherschutzrecht um Sonderprivatrecht im Verhältnis zum allgemeinen Privatrecht, oder ist das allgemeine Privatrecht über das Sonderprivatrecht zu reformieren"? 18 w

Siehe hierzu ausführlich unten §12 IV 3. Z u r Diskussion um S o n d e r p r i v a t r e c h t e allgemein, F. Bydlinski,

System u n d Prinzipien

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§3 Verbraucherschutz

zwischen Politik und

Rechtsgebiet

1. Kodifikation oder Sondergesetze? Im allgemeinen wird von einem Sonderprivatrecht gesprochen, wenn Vorschriften, wie beispielsweise jene des H G B über den Handelskauf, nur für bestimmte Personengruppen gelten 20 . Dieses Verständnis verkürzt jedoch die Problematik. Für die dogmatische Durchdringung entscheidend ist die Frage nach der Existenz eines eigenen Rechtsgebiets, das sich „Verbraucherschutzrecht" nennt. Bei der Frage nach dem Bestehen eines eigenständigen Rechtsgebiets können und sollen hier zwei Bezugssysteme, ein internes und ein externes, unterschieden werden. Das interne Bezugssystem bezeichnet die Abgrenzung des Rechtsgebiets aus sich selbst heraus. Hier ist zu klären, ob verbraucherschutzrelevante Vorschriften zu einer rechtlichen Einheit zusammengefaßt werden können. Der kodifikatorische Regelungsansatz würde zur Ausarbeitung eines einheitlichen Verbraucherschutzgesetzes führen. Das externe Bezugssystem bezeichnet die Abgrenzung des Rechtsgebiets nach außen 21 . Damit ist das Verhältnis von Verbraucherschutzvorschriften zum allgemeinen Privatrecht angesprochen. Nur wenn eine dogmatische Einheit mit dem allgemeinen Privatrecht bestünde, würde der kodifikatorische Ansatz für eine Einbeziehung von Verbraucherschutzvorschriften in das BGB sprechen. Die Diskussion um das Verbraucherschutzrecht bleibt schon deshalb verschwommen, weil es an einer allgemeinverbindlichen und akzeptierten Definition des Begriffs „Rechtsgebiet" fehlt. Die Anforderungen, die man an das Vorliegen eines neuen Rechtsgebiets stellt, können rein formaler Natur sein, indem man eine wesentlich abschließende Regelung innerhalb eines Gesetzes verlangt (Verbraucherschutzgesetz). Wichtiger erscheinen jedoch die materiellen Anforderungen. Danach wird man von einem einheitlichen Rechtsgebiet nur sprechen können, sofern man die Lösung von Einzelfällen über aufeinander abgestimmte Rechtsgrundsätze, einheitliche Methoden und eventuell - über die Ausbildung eines allgemeinen Teils erreicht 22 . des Privatrechts, 1996. S. 415ff. Bydlinski nimmt die Existenz eines Sonderprivatrechts an, wenn sich dessen Regelungen nicht einem bestimmten Teil des Pandektensystems zuordnen lassen und außerdem die Kriterien der zureichenden Abgrenzbarkeit, normativer Spezifität und allgemeiner Zweckmäßigkeit vorliegen; a.a.O., S.426ff. Jüngst ein Sonderprivatrecht der Verbraucher ablehnend, Gärtner, BB 1995, 1753, insbesondere 1755, mit der interessanten These, daß es sich bei den Verbraucherschutzvorschriften um allgemeines Privatrecht in Abgrenzung zum Sonderprivatrecht des gewerblichen Konsums handelt. 20 So z.B. Gärtner, BB 1995, 1753. Tonner, J Z 1996, 533, 536, beurteilt nach dem persönlichen Anwendungsbereich, ob eine Norm dem Verbraucherrecht oder dem allgemeinen Privatrecht zuzuordnen ist. 21 Das externe Bezugssystem stellt F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.417ff., in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. 22 Zu diesen Kriterien für das Vorliegen von Verbraucherschutzrecht, vgl. Schricker, G R U R Int. 1976, 315, 316. Ähnlich die Kriterien für eine Kodifikation nach F. Bydlinski, System und

II. Verbraucherschutzrecht

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Sonderprivatrecht?

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In diesem letzteren, materiellen Sinne überschreitet die Frage nach dem Bestehen von Verbraucherschutzrecht als Rechtsgebiet das rein akademische Interesse. Im internen Bezugssystem würde eine einheitliche Dogmatik eine Entscheidungshilfe insbesondere auf der Rechtsprechungsebene, aber auch auf jener der Gesetzgebung, ermöglichen, Entscheidungen vorhersehbar machen, also Rechtssicherheit herstellen, und wirtschafts- wie rechtspolitisch die Zieldurchsetzung optimieren. Sofern das Verbraucherschutzrecht in einem Gesetz kodifiziert würde, wäre dies im Sinne der Rechtsklarheit hilfreich, aber für das Vorliegen von Verbraucherschutzrecht als Rechtsgebiet keine notwendige Voraussetzung. Im äußeren Bezugssystem stellt sich die Frage anders. Dort sind die Konzeptionen des rechtlichen Verbraucherschutzes mit jenen des allgemeinen Privatrechts zu vergleichen. Angesprochen ist damit die rechtsdogmatisch zentrale Frage nach der Veränderung des „Sozialmodells" des Privatrechts (soziales Privatrecht anstelle von formal-abstrakter Gleichheit) 23 . Verschiedene ausländische Rechtsordnungen sind für das interne Bezugssystem dem kodifikatorischen Ansatz gefolgt. So wurde 1993 in Frankreich bestehendes Recht nach 10jährigen Vorarbeiten im Code de la consommation zusammengefaßt 24 . Ein eigenes Verbraucherschutzgesetz mit einem vorangestellten allgemeinen Teil hat sich 1991 Griechenland gegeben 25 . Aus dem Kreis älterer Kodifikationen sind das finnische Verbraucherschutzgesetz von 197826, das österreichische Konsumentenschutzgesetz von 197927 sowie das spanische Verbraucherschutzgesetz von 198428 zu nennen. Innerhalb der Europäischen Union bestehen außerdem Verbraucherschutzkodifikationen in Portugal 29 und Luxemburg 30 . In Belgien wird über die Kodifizierung diskutiert 31 . Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 421. Auch nach Bydlinski kommt es für die Annahme eines Sonderprivatrechts nicht auf die Abfassung in Sondergesetzen an, a.a.O., S.424. 23 Vgl. exemplarisch die Auseinandersetzung bei Limbach, KritV 1986,165, mit den Überlegungen bei Dauner-Lieb zum Verbraucherschutz. 24 Gesetz Nr. 93-949 vom 26.7.1993, Journal officiel vom 27.7.1993. Vgl. Petit, R E D C 1993, 213; Raymond, Contrats-Concurrence-Consommation, Août-Septembre 1993, S. 1; Szönyi, G R U R Int. 1996, 83; Witz/Woiter, Z E u P 1995, 35. 23 Gesetz Nr. 1961 vom 3.9.1991 über Verbraucherschutz und sonstige Vorschriften; Auszüge in deutscher Übersetzung sind veröffentlicht in G R U R Int. 1992, 124 (allgemeine Bestimmungen, Werberecht, Verbraucherinstitutionen, Streitschlichtung); siehe Alexandridou, G R U R Int. 1992,120; dies., G R U R Int. 1994, 400; dies., ECLJ 1992,20; dies., R E D C 1996, 2. 26 Kuluttajansuojalaki vom 20.1. 1978. 27 Bundesgesetz vom 8.3. 1979, BGBl. 140. Vgl. dazu Krejci, Konsumentenschutzgesetz, 1986. Allgemein zum österreichischen Verbraucherschutzrecht, Kramer, KritV 1986, 270. 28 Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios, Boletín Oficial vom 24.7. 1984, deutsche Übersetzung abgedruckt in E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.401 ff.; vgl. Fröhlingsdorf, RIW 1985, 99. 29 Lei de defesa de consumidor vom 22.8. 1981; englische Übersetzung bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S.392ff. 10 Loi relative à la protection juridique du consommateur vom 25.8.1983; Abdruck bei E. von Hippel, Verbraucherschutz, 1986, S. 398ff. 31 Dazu Rinkes, TvC 1996, 85.

74

§3 Verbraucherschutz

zwischen Politik und

Rechtsgebiet

In Deutschland gab und gibt es keine Bestrebungen, ein kodifikatorisches Verbraucherschutzgesetz zu schaffen. Gesetzestechnisch setzte sich vielmehr der pragmatisch-selektive Ansatz zur Schaffung unterschiedlicher Gesetze durch, mit denen man bereichs- und situationsspezifisch Verbraucherschutzziele verfolgt. Daß andererseits die Aufspaltung der Rechtsmaterie in verschiedenen Gesetzen nicht notwendig das Entstehen eines einheitlichen Rechtsgebiets verhindern muß, belegt das schwedische Modell eines wesentlich auf Verbraucherbelange ausgerichteten Marktrechts 32 . Umgekehrt vermag die Abfassung eines Verbraucherschutzgesetzes zu nichts anderem als einer bloßen Kompilation vorgefundener Verbraucherschutzvorschriften ohne besonderen systematischen und dogmatischen Anspruch zu geraten. Dies scheint beim französischen Code de la consommation der Fall zu sein33. Deshalb ist das Vorliegen einer Verbraucherschutzkodifikation gerade kein Kriterium für Verbraucherschutzrecht als einheitliches Rechtsgebiet. Genauso wenig wird im externen Bezugssystem die dogmatische Betrachtung durch das Kriterium der Kodifikation ersetzt. Dies beweist sich an der Regelung des Reisevertragsrechts in den §§651a ff. BGB, das wegen des halbzwingenden Charakters der Rechtsvorschriften (§ 651k BGB) ein Fremdkörper im dispositiven Vertragsrecht geblieben ist34. Andererseits weicht das BGB selbst in den §§ 134,138 BGB von der als rechtspolitischem Ausgangspunkt des Privatrechts verstandenen Vorstellung von der Richtigkeitsgewähr privatautonom gesetzter Verträge ab35. Unabhängig von der gesetzlichen Verortung verbraucherschützender Vorschriften 36 stellt sich deshalb die rechtspolitische Frage nach der Rechtfertigung neuer Konzeptionen sowie die rechtsdogmatische Frage nach dem Verhältnis verbraucherschützender Vorschriften zum allgemeinen Zivilrecht. Im Lichte dieser Überlegungen ist auch das ursprüngliche, aber später aufgegebene Teilziel der Schuldrechtsreform kritisch zu würdigen, die verstreuten verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften in das BGB zu inkorporieren 37 .

32 Siehe die Übersichten bei Bernitz, RabelsZ 40 (1976), 593; ders., in: Strömholm (Hrsg.), An Introduction to Swedish Law, 1988, S.267ff; ders., in: Cheng/LiuAVang (Hrsg.), International Harmonization of Competition Laws, 1995, S. 167. Die Verbraucherschutzausrichtung des Marktgesetzes wurde jedoch durch das Reformgesetz von 1995 abgeschwächt; dazu Kur, G R U R Int. 1996, 38, 41 f. 33 Vgl. Szönyi, G R U R Int. 1996, 83. 34 Dazu Zöllner, JuS 1988, 329, 332. 35 Zur Lehre von der Richtigkeitsgewähr privatautonomer Verträge erstmals SchmidtRimpler, AcP 147 (1947), 130. Dazu und zur Diskussion über die Funktion der formalen Privatautonomie allgemein, siehe oben §2 IV 3. 36 Vgl. Medicus, JuS 1996,761, der eine ,gewisse Beliebigkeit" bei der Wahl des gesetzlichen Standorts feststellt. 37 A. Wolf, AcP 182(1982), 80,83, z ä h l t e - o h n e Beschränkung auf das Verbraucherschutzrecht - 2.700 zivilrechtliche Normen in 250 Einzelgesetzen außerhalb des BGB.

II. Verbraucherschutzrecht

als

Sonderprivatrecht?

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Ohne eine grundlegende Klarstellung des Verhältnisses der verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften zur bisherigen Zivilrechtsdogmatik wäre die Reform auf dem Stand von „Sondergesetzen im BGB" steckengeblieben 38 . Zu einer solchen Regelung ist man wohl in den Niederlanden gelangt, wo das neue Bürgerliche Gesetzbuch, das seit 1. Januar 1992 gilt, spezielle Vorschriften beispielsweise zum Konsumentenkauf geschaffen hat 39 . Der kodifikatorische Ansatz ist zusätzlich aus zwei Gründen zweifelhaft geworden. Wie sich am Beispiel des Verbraucherschutzes und, vielleicht noch deutlicher, beim Arbeitsrecht zeigt, erschwert der Übergang zum demokratischen Gesellschafts- und Verfassungssystem sowie zur pluralistischen Industriegesellschaft eine wesentlich nach dogmatischen Überlegungen strukturierte und auf Dauer angelegte Kodifikation 40 . Die Zivilgesetzgebung dient vermehrt dem Ausgleich sozialer Interessen. Dies ist der Grund, weshalb sich beispielsweise in Frankreich moderne Kodifikationen von Rechtsgebieten zunehmend in der Zusammenstellung bestehender Gesetze erschöpfen 41 . Der zu erwartende Einfluß unterschiedlicher Interessengruppen dürfte auch als Grund dafür angesehen werden, weshalb die ProdukthaftungsRichtlinie von 1985 die national recht unterschiedlich behandelte Frage des Schmerzensgeldes offengelassen hat. Auf der europäischen Ebene verhindert so die Entwicklung zur demokratischen Interessengesellschaft gerade die Erfüllung des eigenen Anspruchs, nämlich auf Angleichung nationaler rechtlicher Lösungen, deren Unterschiedlichkeit den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft zu verzerren geeignet ist42.

38 Ebenso A. Wolf, Z R P 1978,249, 253. Allgemein zur Behandlung des Verbraucherschutzrechts im Rahmen der Schuldrechtsreform, vgl. z.B. Landfermann, RabelsZ 45 (1981), 125, 128ff.; Lieb, AcP 183 (1983), 327,348ff.; A. Wolf, Z R P 1978,249,251 ; ders., AcP 182 (1982), 80, 85ff. Zumindest anfänglich war es auch um die „Durchdringung des Privatrechts mit sozialem Pflichtgehalt" (Hans-Jochen Vogel als damaliger Bundesjustizminister) gegangen; vgl. Brüggemeier, KJ 1983, 386; Chr. Joerges, KJ 1987, 166. 39 Anders Hondius, VuR 1996, 295, der den Vorteil der niederländischen Lösung gerade darin sieht, daß das Verbraucherrecht nunmehr als allgemeines Zivilrecht zu betrachten sei. Siehe auch Hondius, TvC 1991,324, sowie Hartkamp, AcP 191 (1991), 396,399. Allgemein zum neuen Gesetz, Hondius, AcP 191 (1991), 378. 40 Nach Kübler, J Z 1969, 645, 646 und 648, entspricht die Kodifikation dem Interessenmonismus und dem bürgerlichen Obrigkeitsstaat. Die offene Industriegesellschaft mit ihrem Interessenpluralismus habe das Zeitalter der Kodifikation beendet. 41 Neben dem Code de la consommation ist der Code de la propriété intellectuelle zu nennen, der im Jahre 1993 die Gesetzesgrundlagen für das Immaterialgüterrecht zusammengefaßt hat. Ob die jungen bürgerlichrechtlichen Kodifikationen aus den Niederlanden und dem kanadischen Québec dem traditionellen dogmatischen Anspruch von Kodifikation gerecht werden, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Grundsätzlich im Sinne des Wiedererstarkens der Kodifikationsidee, F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.423f. 42 So die Bewertung der Produkthaftungs-Richtlinie bei Hommelhoff, in: FS Rittner, 1991, S. 165, 169.

76

§3 Verbraucherschutz

zwischen

Politik und

Rechtsgebiet

Neben der Entwicklung zur pluralistischen Gesellschaft besteht der zweite Grund, weshalb eine Kodifikation des Verbraucherschutzrechts schwieriger geworden ist, im gemeinschaftsrechtlichen Einfluß. Das Verbraucherschutzrecht hat die übergeordneten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Vorgaben zur Kenntnis zu nehmen. Zu diesen Vorgaben gehört nicht nur die nationale Verfassung, sondern vor allem auch das Vorrang vor dem nationalen Recht beanspruchende Gemeinschaftsrecht. Die europäische Verbraucherschutzgesetzgebung geht selbst nur recht selektiv nach Einzelsituationen und -bereichen sowie praktischen Bedürfnissen vor, ohne daß man sich zu viele Gedanken über rechtliche Dogmatik und rechtliche Gesamtkonzeptionen macht. Praktisch wäre ein Bemühen um dogmatische Konzepte auch wenig erfolgversprechend, da die Angleichung inzwischen fünfzehn unterschiedliche Rechtsordnungen - die Rechtsspaltung innerhalb Großbritanniens nicht in Rechnung gestellt - berücksichtigen muß. Neue Konzeptionen sind schwer durchzusetzen, wenn deren Akzeptanz, wie häufig bei der Beschlußfassung im Rat, vom Maß der Abweichung von den jeweiligen nationalen Modellen bestimmt wird. Die dynamische Fortschreibung der Integration im Bereich des Verbraucherschutzes verträgt sich nicht mit dem Anspruch relativer Unwandelbarkeit nationaler Kodifikationen. Aus diesem Grund war der Erlaß des Produkthaftungsgesetzes anstelle der Einarbeitung der Produkthaftungs-Richtlinie in das deutsche Deliktsrecht der §§823ff. BGB gerechtfertigt 43 . Die Abkehr von der Kodifikationsidee bedeutet nicht notwendig die Aufgabe des Bemühens um eine verbraucherschutzrechtliche Dogmatik. In demselben Maße, wie rechtsdogmatische Konzepte auf der Ebene der Gesetzgebung schwerer durchsetzbar werden, hat die Rechtsprechung mehr Gewicht auf die dogmatische Durchdringung der Rechtsmaterie zu legen. Auf der Gemeinschaftsebene erfüllt diese Funktion wesentlich der EuGH. 2. Sonderprivatrecht des Verbrauchers oder Einheit des Bürgerlichen Rechts? Auch für die Frage nach der Existenz von Verbraucherschutzrecht als einheitliches Rechtsgebiet unter Zugrundelegung einer materiellrechtlich orientierten Definition von Rechtsgebieten sollte zwischen dem internen und dem externen Bezugssystem unterschieden werden. Hinsichtlich der internen Dimension ist die dogmatische Einheit von verbraucherschützenden Vorschriften zu untersuchen. Im externen Bezugssystem stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Verbraucherschutzes zum allgemeinen Privatrecht.

43

Hierzu Hommelhoff,

in: FS Rittner, 1991, 165, 183.

II. Verbraucherschutzrecht

a) Das interne

als

Sonderprivatrecht?

11

Bezugssystem

Schon im Verhältnis zueinander ergeben sich für die verschiedenen verbraucherschützenden Vorschriften recht unterschiedliche Konzeptionen. So ist bereits der persönliche Schutzbereich unterschiedlich abgegrenzt. Das ursprüngliche AGB-Gesetz schützte nicht nur den privaten Endverbraucher, sondern grundsätzlich auch den Kaufmann, während die EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln nur für den Verbraucher gilt. Das Verbraucherkreditgesetz beschränkt sich auf den Schutz des privaten Endverbrauchers als vom Gemeinschaftsrecht eingeführte Größe, während sich auf das frühere Abzahlungsgesetz auch der nicht eingetragene Kaufmann berufen konnte. Produkthaftungsgesetz und Produkthaftungs-Richtlinie schützen jedermann, also auch Personen, die nicht Verbraucher sind, gegen Schäden an Leib und Leben, obwohl die Richtlinie in den Erwägungsgründen wesentlich mit der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers begründet wird44. Zählt man auch das Unlauterkeits- und das Kartellrecht zum erweiterten Kreis des Verbraucherschutzrechts, so gibt es Gesetze, die allenfalls auch dem Schutz der Verbraucher zu dienen bestimmt sind, ohne den Verbrauchern individuelle Rechte einzuräumen 45 . Darüber hinaus fehlt es an einer einheitlichen rechtspolitischen Zwecksetzung 46 . Die verbraucherschützenden Vorschriften entstammen unterschiedlichen zeitlichen Epochen, geben Antworten auf verschiedene regelungsbedürftige Situationen und versuchen unterschiedliche Fälle von Interessenkollisionen zu lösen. Konnte man schon bisher von einem einheitlichen Rechtsgebiet allenfalls im Zusammenhang mit dem zivilrechtlichen Verbraucherschutz unter Ausklammerung des öffentlichen Rechts sprechen, so stellt die gegenständliche Erweiterung, vor allem um die ökologische Dimension, die Existenz eines einheitlichen Prinzipien und Methoden folgenden Verbraucherschutzrechts heute erst recht in Frage 47 . So wie das gesetzestechnische „Zerfallen" privatrechtlichen Verbraucherschutzes ist auch die Konzeptionslosigkeit auf den Übergang von der dogmatischen zur interessenorientierten Rechtspolitik zurückzuführen. Joerges erkennt in der irreversiblen Desintegration des Rechts als Ergebnis der Entwicklung vom formal-rationalen Recht hin zur rechtlichen Anerkennung von

44 Dagegen wird die Haftung für Schäden an Sachen auf solche Sachen begrenzt, die zum persönlichen Ge- oder Verbrauch bestimmt sind; § 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, Art. 9 (b) der Richtlinie. 45 Ob sich aus § 35 G W B auch Ansprüche des Verbrauchers ergeben können, ist zweifelhaft; bejahend z.B. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1993, S. 481 (für § 1 G W B und § 15 G W B als Schutzgesetz zugunsten des Verbrauchers); ähnlich Steindorff, J Z 1976, 29, 31. 46 So insbesondere Gilles, JA 1980, lf. 47 Nach Gärtner, J Z 1992, 73, 78, ist weder ein einheitliches rechtliches Konzept noch eine Wertungseinheit erkennbar.

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§3 Verbraucherschutz

zwischen

Politik und

Rechtsgebiet

Interessen eine Steigerung der „Unbestimmtheit des Rechts" 48 . Mit der „Unbestimmtheit des Rechts" bestreitet Joerges das Bestehen eines immanenten Bezugspunkts des positiven Rechts, der zur inhaltlich-systematischen Integration dienen könnte. Einziger Bezugspunkt der Bemühungen um die Integration des Verbraucherrechts könne allein die politische Ökonomie des Konsums sein. Nicht der Markt als solcher sei der Ausgangspunkt der Überlegungen, sondern das Ringen unterschiedlicher sozialer und kultureller Werte mit den ökonomischen Maximen 49 . Joerges hat damit seine Begründung gegeben, weshalb Verbraucherschutzrecht nur über die Betrachtung des Rechtsbildungsverfahrens zugänglich wird. Seine Ergebnisse bleiben jedoch unbefriedigend. Mit dem prozeduralen Ansatz wird das Recht einer inhaltlichen Bewertung entzogen. Allein das Verfahren rechtfertigt das Recht. Insoweit setzt sich Joerges dem Vorwurf des Rechtspositivismus aus. Andererseits, und dies ist für die Entwicklung einer schlüssigen Verbraucherschutzkonzeption umso wichtiger, begründet der Interessenpluralismus der am Marktgeschehen beteiligten Personen nicht notwendig das Fehlen rechtlich anzuerkennender materieller Bezugspunkte. Eine pluralistische Gesellschaft ist nicht zwingend wertelos. Vielmehr sind die durch die Politik zum Ausgleich zu bringenden Interessen ex ante der Bewertung zugänglich. Dies gilt sowohl in der bundesdeutschen Verfassungsordnung als auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Im nationalen Recht ist das durch Politik gesetzte Recht selbst wieder an den verfassungsmäßigen Werten, und dabei insbesondere an der Grundrechtsordnung, zu überprüfen. Im Gemeinschaftsrecht verleihen die Grundfreiheiten dem Prinzip der Marktöffnung im Verhältnis zum nationalen Verbraucherschutz einen besonderen Stellenwert, der schließlich in ein warenverkehrsförderndes Verständnis von Verbraucherschutz mündet. Diesem Argument der normativen Überhöhung mag man im Sinne von Joerges entgegenhalten, auch das höherrangige Recht müsse erst geschaffen und - wichtiger - für den Einzelfall durch die rechtsprechenden Organe (BVerfG und E u G H als höchste Autoritäten) konkretisiert werden; damit sei es ebenso dem Problem der Unbestimmtheit ausgesetzt. Jedoch gelten für das höherrangige Recht Erschwernisse hinsichtlich der Abänderbarkeit durch die Politik (verfassungsändernde Mehrheiten, Vertragsänderung), die es in die Nähe der Unabänderlichkeit bringen. Und die rechtsprechenden Instanzen sind gerade nicht, wie Joerges aber verlangt, dazu berufen, als Transmissionsriemen politisch zu vertretender Interessen zu wirken. Die rechtsprechende Gewalt in der demokratischen Verfassungsordnung legitimiert sich gerade aus der Interessenunabhängigkeit der Richter, die vorhandene Interessen zur Kenntnis nehmen und zum Ausgleich bringen sowie interessenunabhängige Anliegen wie 48 49

Chr. Joerges, KJ 1987, 166, 170. Chr. Joerges, KJ 1987, 166, 180f.

II. Verbraucherschutzrecht

als

Sonderprivatrecht?

79

jene der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit über das Mittel einer inhaltlich-systematischen Dogmatik zur Geltung bringen. Nur so legitimiert sich die Entscheidung des BVerfG, Familienbürgschaften trotz des verfassungsrechtlichen Schutzes der Privatautonomie am Maßstab der Grundrechte zu messen 50 , sowie die Rechtsprechung des E u G H , nationale Verbraucherschutzkonzeptionen an den Grundfreiheiten des E G V zu überprüfen. Damit ist zwar der rechtliche Bezugspunkt des Verbraucherschutzrechts im Sinne von Joerges zunächst unbestimmt. Er kann aber mit dem Mittel rechtlicher Dogmatik durch die rechtsprechenden Instanzen als Ableitung aus höherrangigem Recht gewonnen werden, ohne daß es einer prozeduralen Rückbindung an die individuellen Träger widerstreitender Interessen bedarf. Der Rechtswissenschaft kommt die Aufgabe zu, durch ihre Argumente auf die Entwicklung dieser Dogmatik Einfluß zu nehmen. Das Auffinden dieses rechtlichen Bezugspunktes des Verbraucherschutzrechts ist das Ziel dieser Studie. Für die Frage nach dem Bestehen eines einheitlichen Rechtsgebiets des Verbraucherschutzes läßt sich damit schon jetzt sagen, daß es sich um ein normatives Problem handelt, das notwendig über die Vorgaben höherrangigen Rechts zu lösen ist. Diese rechtlichen Vorgaben werden im Dritten Kapitel zu ermitteln sein. In welchem Maße der als wirtschaftliche Selbstbestimmung bezeichnete Bezugspunkt des Verbraucherschutzrechts geeignet ist, eine privatrechtliche Dogmatik zu begründen, wird in den daran anschließenden Ausführungen des Vierten Kapitels zu zeigen sein. Auf die allenthalben festzustellende Desintegration des positiven Verbraucherschutzrechts, die privatrechtlichen Verbraucherschutz allenfalls als Querschnittsgebiet, aber nicht als dogmatisch durchdachtes Rechtsgebiet erscheinen läßt, muß daher mit einer Umkehr der Methode reagiert werden. Eine Verbraucherschutzdogmatik ergibt sich nicht aus einer Analyse einzelner verbraucherschützender Regelungen, sondern erst durch das Auffinden des normativen Bezugspunkts im höherrangigem Recht. An diesem Bezugspunkt hat sich das Verbraucherschutzrecht zu beweisen. b) Das externe

Bezugssystem

Im externen Bezugssystem erhalten die angeschnittenen Fragen noch größere Brisanz. Wenn es denn ein geschlossenes System zivilrechtlichen Verbraucherschutzes geben sollte, steht dieses System dann im Sinne eines Sonderprivatrechts der Verbraucher im Widerstreit zur Dogmatik des allgemeinen Privatrechts? Oder ist von einer dogmatischen Einheit auszugehen? Definiert die Dogmatik des allgemeinen Privatrechts die Dogmatik des Verbraucherschutzrechts oder bedeutet die abweichende Dogmatik von Verbraucherschutz50

B V e r f G E 81, 242 (vom 19.10. 1993).

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§3 Verbraucherschutz

zwischen Politik und

Rechtsgebiet

recht einen ersten Schritt zur Änderung der allgemeinen privatrechtlichen Dogmatil1? Das Entstehen speziellen privatrechtlichen Verbraucherschutzes stellt wesentliche Grundpositionen des allgemeinen Privatrechts in Frage. Während das BGB vor dem Hintergrund eines liberalen Wirtschaftsverständnisses grundsätzlich ein Gleichgewicht der vertragsbestimmenden Gewalt der Vertragsparteien bewußt als Fiktion unterstellt - Dauner-Lieb spricht hier von abstrakt-formaler Gleichheit 52 scheint die Verbraucherschutzgesetzgebung die gestörte Vertragsparität zuungunsten der Verbraucher zur Kenntnis nehmen zu wollen, woraus sich in Form von zwingenden Vorschriften Abweichungen vom Prinzip der Privatautonomie rechtfertigen 53 . Es entsteht die Gefahr eines zweispurigen Privatrechts mit dem von der Wirklichkeit sozialer und intellektueller Unterschiede abstrahierenden allgemeinen Privatrecht auf der einen und der Herausbildung eines Sonderrechts für die sozial Schwachen nach einem eigenen Sozialmodell auf der anderen Seite 54 . Nur zu verständlich sind daher die Bemühungen, allgemeines Privatrecht und privatrechtliches Verbraucherschutzrecht zu integrieren. Weil man jedoch stets von der einen oder der anderen Materie her argumentierte, mußte sich das Schrifttum für das eine oder andere Sozialmodell entscheiden. Dabei bezog man sich auf außerrechtliche Erkenntnisse, die man als dem Recht gleichsam vorgegeben gewonnen zu haben glaubte. Nur so konnte es zu einer Ideologisierung der Debatte kommen. Auf der einen Seite stehen, wie beispielsweise Dauner-Lieb, jene, die im liberalen Marktmodell die einzige funktionierende Wirtschaftsform erkennen und die durch jede Vorschrift, die über die Verbesserung der Informationslage hinausgeht, das marktwirtschaftliche Modell gefährdet sehen 55 . Die andere Extrempostition, am pointiertesten vertreten von Reifner 56 und Konstantin Simitis57, erklärte die marxistische Wirtschaftstheorie 51

So die Fragestellung bei Gilles, JA 1980,1,6. Zur Veränderung des Sozialmodells des Bürgerlichen Rechts, vgl. die Diskussion bei Westermann, AcP 178 (1978), 150, der das Sozialmodell des Arbeits- und des Wirtschaftsrechts jenem des Privatrechts gegenüberstellt. 52 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 51ff. 53 Aus diesen und ähnlichen Gründen ordnet Tonner, J Z 1996, 533, 541, das europäische Verbraucherschutzrecht als Sonderprivatrecht ein; dagegen überzeugend Heiss, J Z 1997, 83; siehe dazu wieder die Erwiderung von Tonner, J Z 1997, 84. 54 Aufgrund des abweichenden Sozialmodells gerade für die Abfassung von Sondergesetzen, Damm, J Z 1978,173, 175. Aufgrund der europäischen Rechtsetzung für die Einordnung des Verbraucherschutzrechts als Sonderprivatrecht, Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, 1996, S. 10. 55 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, S. 141ff., erkennt bereits in der Infragestellung der Privatautonomie durch das „soziale" Verbraucherschutzrecht den ersten Schritt zur kollektiven Produktionssteuerung und damit zur sozialistischen Planwirtschaft. 56 Oben §2 IV 2 a). 57 Oben §2 IV 2 b).

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Sonderprivatrecht?

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als alleinige sozialwissenschaftlich exakte Beschreibung der ökonomischen Wirklichkeit. Das über die Materialisierung des Zivilrechts zu erreichende Endziel besteht in einer anderen Wirtschaftsordnung, deren Lenkung in die Hände des Kollektivs der Verbraucher gelegt wird. Nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus sind die Vorzüge der Marktwirtschaft wieder konsensfähiger geworden. Die zentral verwaltete Planwirtschaft bedeutete Verwaltung des Mangels. Während der Verbraucher in der Marktwirtschaft die Qual der Wahl bei vielfältigem Angebot empfindet, geht es dem Verbraucher in der Planwirtschaft zuallererst um die Verfügbarkeit lebenswichtiger Erzeugnisse. Damit ist aber nicht gesagt, daß Verbraucherschutz in der Konsumgesellschaft seine Bedeutung verloren hat. So ist Gärtner zu widersprechen, der das Verbraucherschutzrecht als Produkt der Wachstumsphilosophie, als Recht der Reichen und damit als Begleitrecht der Konsumgesellschaft begreift 58 . Die Entwicklung hin zur Konsum- und Überflußgesellschaft, die in den 80er Jahren vor allem von alternativer Seite kritisiert wurde und die Gärtner von einem liberalen Standpunkt aus angreift, gibt noch keinen Anlaß, Verbraucherschutz durch das Recht die Rechtfertigung abzusprechen. Soweit man aus dem allgemein größeren Wohlstand und der besseren Informiertheit und Sensibilität des zeitgenössischen Verbrauchers ein geringeres Bedürfnis an Schutz folgert, wird gleichzeitig soziale und intellektuelle Schwäche zum alleinigen rechtspolitischen Grund für Verbraucherschutz erhoben. Daß letzteres nicht die Position des Gesetzgebers ist, zeigt sich an den Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz. So wird weder im UWG noch in den spezielleren Gesetzen (z.B. VerbrKrG, HWiG) am Einkommen des Verbrauchers angeknüpft. Die Inhaltskontrolle nach den § § 9 ff. A G B G greift unabhängig vom intellektuellen Vermögen der anderen Vertragspartei, eine günstigere Vertragsbestimmung durchzusetzen. Gärtner selbst drückt sich in einer jüngeren Veröffentlichung nunmehr vorsichtiger aus. Die verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen z.B. des VerbrKrG und des HWiG - seien für jedermann geltendes bürgerliches Recht, wovon das Sonderprivatrecht des gewerblichen Konsums eine Ausnahme mache. Die Konsumgesellschaft drücke dem Bürgerlichen Recht ihren Stempel auf 59 . Auch die Frage nach dem sachlichen Verhältnis des privatrechtlichen Verbraucherschutzes zum allgemeinen Privatrecht führt also zu der Erkenntnis, daß sich die vorzufindenden Sozialmodelle zumindest nicht abschließend aus sich selbst heraus erklären. Sozialmodelle lassen sich ökonomisch analysieren und, anerkannten Lehren der Volkswirtschaftslehre folgend, miteinander vergleichen. Die ökonomische Betrachtung findet hier ihren Sinn. Was allerdings 58

Gärtner, J Z 1992, 73, 77f. Gärtner schließt mit dem Hinweis, daß über die Rechtsschutzversicherung das Recht selbst zum Ausdruck der Konsumgesellschaft geworden sei. 59 Gärtner, BB 1995, 1753, 1757.

82

§3 Verbraucherschutz

zwischen Politik und

Rechtsgebiet

nicht gelingt, ist der normative Schritt von der als richtig befundenen Wirtschaftsordnung zum normativ geltenden Rechtssystem. Die aufgrund einer ökonomischen Analyse für richtig befundene Wirtschaftsordnung kann nicht selbst zum Bezugssystem des Rechts werden, denn das würde die Volkswirtschaftslehre zur Hyperverfassung transponieren. Erkenntnisse über das optimale Funktionieren der Wirtschaft beeinflussen aber das Verständnis vom Recht. Denn das zu erkennende rechtliche Bezugssystem darf, soweit es der teleologischen - Auslegung zugänglich ist, nicht in einem Sinn verstanden werden, der jeder wirtschaftlichen Vernunft widerspricht. Methodisch kann deshalb durchaus von der Bestimmung verbraucherschutzrelevanter Situationen im geltenden Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft ausgegangen werden. Eine verbraucherschutzrechtliche Dogmatik ergibt sich hieraus aber nicht unmittelbar, sondern kann erst aufgrund des vorher, im Lichte der wirtschaftlichen Grunddaten zu ermittelnden rechtlichen Bezugssystems entwickelt werden. Zu folgen ist eher Westermann, der die Notwendigkeit einer Einheit von allgemeinem Privatrecht und den Sonderprivatrechten (Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht, Verbraucherschutzrecht) aus der Unteilbarkeit des Gerechtigkeitspostulats folgert 60 . Damit ist die alles entscheidende Frage nach der normativen Legitimation des einen oder anderen Sozialmodells gestellt. Soweit jedoch Westermann eine Harmonisierung von allgemeinem Privatrecht und Wirtschaftsrecht dort für möglich hält, wo ordnungspolitische Belange höheren Rang beanspruchen als der über Vertrag erfolgende Interessenausgleich und er beispielsweise die „öffentliche Ordnung" an die Stelle der subjektiven Elemente des § 138 BGB setzen will, um Ordnungskonformität mit dem GWB zu erreichen 61 , orientiert er wiederum die Lösung von Einzelfällen an einem von mehreren denkbaren alternativen Sozialmodellen. So entsteht ein rechtlicher Gleichklang beispielsweise von § 138 BGB mit den Grundüberlegungen des GWB um den Preis der Einschränkung von Privatautonomie. Ungeklärt bleibt die Frage, weshalb im einen Fall die Gerechtigkeit eine Inhaltskontrolle fordert, im anderen Fall es bei der privatautonomen Gestaltung bleiben soll. 3. Ü b e r die falsche Fragestellung Eine überzeugende Theorie des rechtlichen Verbraucherschutzes ist folglich nur über die Ermittlung des rechtlichen Bezugssystems aller für den Verbraucher relevanten Normen zu entwickeln. Es geht darum, welche Position dem Verbraucher in der Rechtsordnung überhaupt zukommen soll. Hieraus ergibt sich, durchaus auf der Grundlage wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse, eine Funktionsbestimmung des Rechts im Hinblick auf den Verbraucher. Ange60 61

Westermann, AcP 178 (1978), 150, 168. Ähnlich Tilmann, Z H R 142 (1978), 52, 57. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 173f.

II. Verbraucherschutzrecht

als

Sonderprivatrecht?

83

sichts des praktischen Ansatzes der Verbraucherpolitik und ihrer Umsetzung in das Recht mit dem Ergebnis der Desintegration kann kaum erwartet werden, daß sich das vorzufindende Recht in allen seinen Teilen in das zu ermittelnde rechtliche Bezugssystem nahtlos einfügt. Dort, wo sich Widersprüche zum eindeutigen Wortlaut von Gesetzen ergeben, wird Kritik anzubringen und de lege ferenda werden Verbesserungsvorschläge zu machen sein. Meist wird es jedoch genügen, Leitlinien für die Auslegung von Gesetzen zu entwickeln. Mit diesem Ansatz sind auch die in der Diskussion so umstrittenen Fragen um das Bestehen von Verbraucherschutzrecht und nach seinem Verhältnis zum allgemeinen Privatrecht geklärt. Privater Konsum und die Person des Verbrauchers sind Teil der Wirklichkeit des Marktes. Daher lohnt sich die Frage, welcher Stellenwert dem privaten Konsum und dem Verbraucher in der Rechtsordnung zukommt. Ob die Normen, die diesen Gegenstand betreffen, in einem einheitlichen Gesetz gefaßt oder zumindest einheitlichen Methoden und vielleicht verallgemeinerungsfähigen Rechtssätzen folgen, hat demgegenüber sekundäre Bedeutung. Entscheidend kommt es darauf an, daß der private Konsum und die Position des Verbrauchers durch das Recht, wenn auch durch die verschiedensten Gesetze, nicht in widersprüchlicher und in kontraproduktiver Weise geregelt werden. Auch die Frage nach dem Verhältnis der konkret verbraucherschützenden Vorschriften (z.B. VerbrKrG) zum allgemeinen Privatrecht geht an der Sache vorbei, denn es kommt auf die Konsistenz der Rechtsordnung an. Dem zu ermittelnden Bezugssystem von Verbraucherschutz haben dann sowohl die Sondergesetze als auch die Auslegung des allgemeinen Privatrechts zu folgen. Der von Anfang an verwandte Begriff des Verbraucherschutzrechts rechtfertigt sich aus Überlegungen, die auf einer Gesamtschau der Rechtsordnung aufbauen. Der Begriff des Verbraucherschutzrechts bezeichnet nicht nur jene Normen, die sich ausschließlich mit der Rechtsstellung des Verbrauchers befassen, sondern alle Normen, die auf den Verbraucher Anwendung finden. Deshalb zählt auch das AGBG, das in seiner ursprünglichen Konzeption mit Bedacht nicht auf den Verbraucher beschränkt worden war, zum Verbraucherschutzrecht. Gleiches gilt für das UWG, denn es ist für die Begriffsbestimmung nicht erforderlich, daß ein Gesetz dem Verbraucher subjektive Rechte einräumt. Trotz der Beschränkung auf das Privatrecht und obwohl es sich um staatlich verwaltetes Recht handelt, muß auch das Kartellrecht einer Betrachtung zugeführt werden, denn dort geht es um private Rechtsbeziehungen 62 . Schließlich gehört auch das BGB zum Verbraucherschutzrecht in diesem Sinne, denn es findet auf die Rechtsbeziehungen von Verbrauchern Anwendung, obgleich es hinsichtlich der persönlichen Anwendbarkeit von der wirtschaftlichen Rolle 62 Vgl. dazu vor allem K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht - Kartellverwaltungsrecht - Bürgerliches Recht, 1977.

84

§3 Verbraucherschutz

zwischen Politik und

Rechtsgebiet

der Rechtssubjekte im Wirtschaftsprozeß abstrahiert. Das B G B gilt, wenn private Endverbraucher Verträge schließen oder durch zum Ver- oder Gebrauch bestimmte Erzeugnisse Schaden erleiden. Die richtige Fragestellung lautet: Welches ist das rechtliche Bezugsystem, das die Verbraucherschutzgesetzgebung sowie die Auslegung verbraucherschutzrelevanter Normen mit dem Nahziel einer privatrechtlichen Verbraucherschutzdogmatik und dem Endziel der Sicherung von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zu leiten hat?

III.

Zusammenfassung

Abzulehnen ist eine Konzeption der Verbraucherpolitik, die sich zum Ziel setzt, u.U. auch gegen die Grundsätze des allgemeinen Privatrechts vorgegebene Interessen der Verbraucher über das Recht durchzusetzen. Die Ermittlung allgemeiner Verbraucherinteressen ist zweifelhaft, weil in einzelnen regelungsbedürftigen Fällen die autonom definierten Interessen einzelner Verbraucher häufig nicht übereinstimmen. Soziologische Methoden und die Verweisung der Verbraucherpolitik auf Verfahren der Wirtschaftsdemokratie führen bestenfalls zur Durchsetzung von „Mehrheitsinteressen" gegen jene der Minderheit. Vorzuziehen ist deshalb ein Konzept der Verbraucherschutzpolitik als Rechtspolitik, das die Ziele der Verbraucherschutzpolitik nicht den Zufälligkeiten des demokratischen Prozesses überläßt, sondern sich an normativen Bezugspunkten unter Berücksichtigung des Marktgeschehens, innerhalb dessen sich Verbraucherschutz abspielt, orientiert. Hieraus begründet sich die Notwendigkeit einer zivilistischen Dogmatik des Verbraucherschutzes. Der Rechtsprechung kommt bei deren Entwicklung wesentliche Bedeutung zu. Für die Konzeption des Verbraucherschutzrechts kommt es nicht auf die Abfassung in einem - kodifikatorischen - oder mehreren Sondergesetzen oder auf die Inkorporation in die allgemeine bürgerlichrechtliche Kodifikation an. Entscheidend ist das Auffinden eines gemeinsamen Bezugspunktes des Rechts. Die festzustellende Interessenpluralität verhindert nicht die Wertbezogenheit des Verbraucherschutzrechts. Vielmehr wird auf übergeordnete Wertungen verwiesen, die hinter der festzustellenden Interessenpluralität stehen. Damit wird Verbraucherschutz zu einem normativen Problem. Die Identifikation als normatives Problem wird auch deutlich, wenn man die Frage nach dem Verhältnis des Verbraucherschutzrechts zum allgemeinen Privatrecht aufwirft. Der Geltungsanspruch unterschiedlicher Sozialmodelle kann nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten ermittelt werden. Vielmehr bedarf jedes Sozialmodell der normativen Legitimation, weil es um die Frage nach der Geltung eines Sozialmodells geht. Hieraus ergibt sich eine notwendig einheitliche Konzeption von allgemeinem Privatrecht und Sondergesetzen - Gerechtigkeit ist

III.

Zusammenfassung

85

unteilbar (!) - , für die der einheitliche Bezugspunkt für den Schutz des Verbrauchers zu suchen ist. Verbraucherschutzrecht ist deshalb kein einheitliches Rechtsgebiet, schon gar nicht im Gegensatz zum allgemeinen Privatrecht. Verbraucherschutz ist ein Aspekt des allgemeinen Privatrechts, dessen Bedeutung im Rahmen einer allgemeingültigen zivilistischen Dogmatik zu entwickeln ist. Verbraucherschutzrecht definiert sich als die Gesamtheit aller Normen, die für die rechtliche Stellung des Verbrauchers Bedeutung haben, unabhängig davon, ob sie am Begriff des Verbrauchers anknüpfen.

Ergebnisse zum Ersten Kapitel Die Ansätze zu einem Verbraucherschutzrecht in Deutschland reichen mit dem AbzG bis in die Zeit vor dem Entstehen der bürgerlichrechtlichen Kodifikation zurück. Eine dogmatische Diskussion über Stellenwert und Ausgestaltung des Verbraucherschutzes entsteht erst mit dem Entdecken des Verbraucherschutzes als eigener Politikbereich in den 60er Jahren. Dabei kommt es dem damaligen Zeitgeist entsprechend zu einem Disput zwischen den Bewahrern der bestehenden Wirtschaftsordnung und jenen, die über ein „soziales" Verbraucherrecht das bestehende Wirtschaftssystem und oftmals auch das Gesellschaftssystem zu überwinden trachten. Die erste Position will die Ordnungsvorstellungen, wie sie in den zwischenzeitlich erlassenen Wettbewerbsgesetzen ihren Ausdruck finden, für informationspolitische Maßnahmen fortführen, ohne über solche Maßnahmen hinauszugehen (Informationsmodell). Anknüpfend an einem grundsätzlichen Ungleichgewicht von Anbieter- und Verbraucherseite, setzen sich die anderen zum Ziel, die Systemveränderung über die Durchsetzung ihres Sozialmodells gegen jenes der formalabstrakten Gleichheit der bürgerlichrechtlichen Konzeption durchzusetzen („soziale" Alternativmodelle). Eng mit diesem Disput hängt die ältere, über das Verbraucherschutzrecht hinausgehende und noch immer fortgeführte zivilistische Diskussion über die Funktion der Privatautonomie zusammen. Neben dem nationalen Recht steht die Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes. Beide Bereiche sind über die Einwirkung der Grundfreiheiten auf das nationale Verbraucherschutzrecht und über den Erlaß von verbraucherschutzrechtlichem Sekundärrecht untrennbar miteinander verbunden. Die Europäisierung, die Ökologisierung und die Entwicklung hin zu einer risikolosen Gesellschaft erschweren als neuere Entwicklungen eine konsistente normative Theorie des Verbraucherschutzes, machen sie aber weder überflüssig noch unmöglich. Danach lassen sich für die Verbraucherschutzentwicklung zwei Phasen unterscheiden: (1.) die Phase des Entstehens der Verbraucherpolitik mit einer ideologisierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung und (2.) die Phase praktischer Verbraucherschutzpolitik vor allem unter Einfluß des Gemeinschaftsrechts und weiterer neuer Herausforderungen (insbesondere der Ökologisierung). (3.) Vorausblickend - und als Teil dieser Entwicklung versteht sich diese Studie - ist

Ergebnisse zum Ersten Kapitel

87

mit einer (dritten) Phase der Konsolidierung und dogmatischen Aufarbeitung zu rechnen. Im Gemeinschaftsrecht kommt dies durch eine Abschwächung der Verbraucherschutzgesetzgebung unter Einfluß des Subsidiaritätsprinzips zum Ausdruck. Im deutschen Recht spricht hierfür die fortgesetzte rechtsdogmatische Auseinandersetzung um das richtige Verständnis der Privatautonomie, die vor allem durch die Bürgschaftsentscheidung des BVerfG wiederbelebt wird 1 . Für die Verbraucherpolitik ist zur Kenntnis und ernst zu nehmen, daß die individuellen Interessen der Verbraucher häufig nicht übereinstimmen. Deshalb ist eine Verbraucherpolitik, die sich die Durchsetzung vorgegebener Verbraucherinteressen zum Ziele setzt, nicht überzeugend. Gleiches gilt für Versuche, die Ermittlung der Verbraucherinteressen dem demokratischen Prozeß anzuvertrauen. Letzteres würde zur Bestimmung des Verbraucherkollektivs über den einzelnen Verbraucher sowie das Marktgeschehen insgesamt führen. Verbraucherpolitik hat Verbraucherrec/ifspolitik zu sein, der es um den angemessenen Schutz des Verbrauchers nach selbstbestimmten Interessen in der dezentralen Koordinationsordnung des Marktes geht. Dem entspricht, ohne daß insoweit bereits wirtschaftswissenschaftliche Erwägungen angestellt werden müßten, das Informationsmodell eher als die „sozialen" Alternativmodelle. Zu fragen ist nach dem einheitlichen Bezugspunkt des Verbraucherschutzes, der kein wirtschaftswissenschaftliches Sozialmodell, sondern Ausdruck normativer Wertungen zu sein hat. Für das Privatrecht stellt sich im Lichte dieses Bezugspunktes die Frage nach der Funktion der Privatautonomie. Verbraucherschutzrecht ist kein Sonderprivatrecht, sondern ein Aspekt des allgemeinen Privatrechts. Am Ende der Bestandsaufnahme stehen drei Schlußfolgerungen: (1.) Weil Verbraucher Marktteilnehmer sind, verwirklicht sich Verbraucherschutz in der wirtschaftlichen Ordnung des Marktes. Verbraucherpolitik ist insoweit immer auch Ordnungspolitik. Eine privatrechtliche Theorie des Verbraucherschutzes kann deshalb nur entwickelt werden, wenn die Bezüge zu den wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen und den praktischen Auswirkungen für unterschiedliche Verbraucherschutzkonzepte offengelegt werden. Dieser Aufgabe dient das Zweite Kapitel. (2.) Die ökonomische Bewertung von Ordnungsmodellen kann aber nicht das Recht definieren. Das für richtig befundene ökonomische Modell selbst bedarf vielmehr der Legitimation durch das Recht. Für den zu ermittelnden Bezugspunkt des Verbraucherschutzrechts der wirtschaftlichen Selbstbestimmung sind nicht nur dessen ökonomischen Vorteile zu begründen, sondern es ist auch dessen normative Geltung nachzuweisen. Diesem Ziel dient das Dritte Kapitel, das sich mit den Vorgaben der nationalen Verfassung und deren Reichweite bei der konkreten Ausgestaltung des privatrechtlichen Schutzes des Verbrauchers beschäftigt. 1

BVerfGE 89, 214 (vom 19.10. 1993).

88

Ergebnisse zum Ersten Kapitel

(3.) Am Anfang der Ausarbeitung einer privatrechtlichen Dogmatik steht die Bestimmung der Funktion der Privatautonomie, die ihrerseits im Zusammenhang der ökonomischen Auswirkungen und der verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gesehen werden muß. Deshalb gehen das Zweite und Dritte Kapitel dem Vierten voraus. Letzteres dient dazu, unter Berücksichtigung der wirtschaftstheoretischen Grundlagen und der übergeordneten normativen Vorgaben eine verbraucherschutzrechtliche Dogmatik zu entwickeln, die sich in eine allgemein-privatrechtliche Dogmatik einordnet.

Zweites Kapitel

Die marktwirtschaftliche Theorie des Verbrauchers Die Problematik des Verbraucherschutzes setzt eine Auseinandersetzung mit der Rolle des Verbrauchers als Teilnehmer am Marktgeschehen voraus. Im Rahmen der Bestandsaufnahme (Erstes Kapitel) konnten die verschiedensten Auffassungen von der richtigen Konzeption des Verbraucherschutzes festgestellt werden 1 . Ihnen liegen mehr oder weniger explizit unterschiedliche Vorstellungen vom Marktgeschehen zugrunde. Eine Stellungnahme zu den verschiedenen Verbraucherschutztheorien wird erst möglich, wenn die Bezüge zu den unterschiedlichen ökonomischen Theorien aufgedeckt sind. Entsprechendes gilt auch für die im engeren Sinne zivilistische Debatte über die Funktion der Privatautonomie 2 . Die folgenden Ausführungen sollen trotz der wirtschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung als rechtswissenschaftlicher Beitrag verstanden werden. Die ökonomische Theorie bleibt nicht bei der bloßen Beschreibung der Wirtschaftsabläufe stehen (ökonomische Analyse im positiven Sinne). Die positive Beschreibung unterschiedlicher Wirtschaftsformen führt zur ökonomischen Bewertung dieser Formen und damit auch ihrer rechtlichen Grundlagen (ökonomische Analyse im normativen Sinne). Mit diesem normativen Ansatz wird die Grenze zum Recht überschritten. Die ökonomische Analyse im normativen Sinne verbindet ökonomische und rechtsphilosophische Elemente. Die ökonomischen Wertungsgesichtspunkte stimmen jedoch nicht notwendig mit jenen des Rechts überein. Deshalb sind -zumal für die Wissenschaftsrichtung der ökonomischen Analyse des Rechts - die Beziehungen der Ökonomie zur geltenden Rechtsordnung aufzudecken. Der rechtswissenschaftlichen Konzeption dieses Zweiten Kapitels in Richtung auf das Verbraucherschutzrecht entspricht eine dreifache Zielsetzung: (1.) Die Untersuchung dient der Zuordnung verschiedener Verbraucherschutztheorien zu bestimmten ökonomischen Erklärungsansätzen. (2.) Eine entsprechende Zielsetzung wird für die verschiedenen Vorstellungen von der Funktion der Privatautonomie verfolgt. (3.) Schließlich ist das spezifische Verhältnis der verschiedenen ökonomischen Theorien zum Recht aufzudecken. Die ersten beiden Problemstellungen gehen in die dritte über. Bei der Behandlung der 1 2

Siehe oben §2 IV 1 und 2. Siehe oben §2 IV 3.

90

Die marktwirtschaftliche

Theorie des

Verbrauchers

dritten Problemstellung soll ein besonderes Gewicht auf den Stellenwert gelegt werden, den die jeweilige ökonomische Theorie der Rechtsordnung im Verhältnis zur ökonomischen Theorie zuweist. Im folgenden wird unterschieden zwischen der Behandlung der marktwirtschaftlichen Theorie und deren Bedeutung für die Konzeption des Verbraucherschutzes als solcher (§4) und sodann der Diskussion der ökonomischen Analyse des Rechts als Instrument zur Ermittlung der richtigen Verbraucherschutzkonzeption (§5).

§ 4 Markt und Verbraucher Als theoretische Grundlage der einzelnen diskutierten Verbraucherschutzmodelle sind unterschiedliche ökonomische Theorien wahrnehmbar. In den folgenden Ausführungen wird zwar auf verschiedene in der Historie des ökonomischen Denkens feststellbare Theorien für das Marktgeschehen eingegangen. Diese werden aber nicht jeweils für sich getrennt erörtert, sondern in den Zusammenhang mit den zentralen Fragen, die in allen Theorien wiederkehren, gestellt. Dies geschieht, weil bei einer in sich geschlossenen Einzelbetrachtung der ökonomischen Theorien der Bezug zum Verbraucher verschwommen bliebe. Dagegen haben die zentralen Fragen, anhand derer hier vorgegangen wird, ihre Bedeutung in der Verbraucherdiskussion. Diese Fragen betreffen: (1.) Das grundsätzliche Verständnis vom Marktgeschehen, (2.) die Konzeption des Wettbewerbs, (3.) das ökonomische Menschenbild und (4.) die Ziele der Marktorganisation. Gerade die Antwort auf die letzte Frage wird zeigen, daß die ökonomische Theorie ohne normative Wertungen nicht auskommt. Sie leitet über zur nachfolgenden Betrachtung der ökonomischen Analyse des Rechts (unten §5). Im Rahmen der einzelnen Fragen wird auf unterschiedliche Theorien des Marktes eingegangen. Zu diesen gehört die Sicht des Marktes bei Adam Smith, die Fortentwicklung seiner Ideen in der formalistisch vorgehenden Neoklassik, liberale Markttheorien (Laissez faire, der Markt bei Hayek, die Chicago School), Alternativmodelle, die tendenziell für die Aufhebung des Marktes argumentieren (Marx, Galbraith) und schließlich der Ordoliberalismus der Freiburger Schule in seiner Bedeutung als theoretischer Grundlage des Modells der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland.

I. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes Wesentlich für die grundsätzlichen theoretischen Vorstellungen vom Funktionieren des Marktes ist die Definition der Zuständigkeit oder Verantwortlichkeit für die Wirtschaft. Es geht um die Frage, in welchem Maße und im Hinblick auf welche Entscheidungen die wünschenswerte Wirtschaftsordnung auf der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer oder jener der ordnenden Hand des Staates beruhen soll. Daß es dabei um eine, viel-

92

§4 Markt und

Verbraucher

leicht die zentrale, wohl verallgemeinerte Fragestellung des Verbraucherschutzes geht, liegt auf der Hand. Ein Verzicht auf Verbraucherschutz bedeutet die ausschließliche Zuständigkeit und auch Verantwortlichkeit des Verbrauchers für eigenes wirtschaftliches Handeln. Der Verbraucher ist auf sich gestellt. Es herrscht formal verstandene Privatautonomie. Umgekehrt nimmt Verbraucherschutz dem einzelnen tendenziell die Verantwortlichkeit für eigenes Tun durch staatliche Maßnahmen. Gleichzeitig wird in die Entscheidungszuständigkeit des Verbrauchers eingegriffen. Die Freiheitsbeschränkung ist dem Schutz immanent, ein grundsätzlicher Konflikt, der verbraucherschützende Maßnahmen kritikanfällig macht und wohl nur im Wege der normativen Abwägung zu lösen ist1. 1. Die „unsichtbare H a n d " Adam Smith (1723-1790) ist die theoretische Entdeckung des Marktes als System zur dezentralen Koordination wirtschaftlicher Entscheidungen zu verdanken. Dafür gebührt ihm der Ruf des „berühmtesten aller Wirtschaftswissenschaftler" 2 . Im Zentrum der Smith'schen Wirtschaftsordnung steht die Darlegung der klassischen, auch heute noch anerkannten Preistheorie3. Der sich am Markt bildende Preis informiert - modern ausgedrückt - über die Knappheit nachgefragter Güter. Die Vertragsfreiheit gewährleistet, daß beide Vertragsparteien jenen Preis vereinbaren, der der Knappheit entspricht; der Vertrag gereicht zum Vorteil beider Teile. Der Markt wirkt als dezentraler Mechanismus zur Koordination wirtschaftlicher Interessen. Er gewährleistet, daß knappe Ressourcen am kostensparendsten eingesetzt und Waren zum günstigsten Preis angeboten werden. Vermehrt die Interessenkoordination am Markt den Wohlstand der einzelnen Vertragsparteien, so fördert das Gesamtgeschehen der Marktprozesse auch die gesellschaftliche Gesamtwohlfahrt. Staatliche Eingriffe können den Interessenausgleich stören und mindern den Wohlstand. Für die Smith'sche Wirtschaftsordnung hat sich die Metapher der unsichtbaren Hand (invisible hand) eingeprägt, obwohl Smith sie nur an einer Stelle seines Werks, nämlich im Zusammenhang mit der Beschreibung des Freihandels, gebraucht: Smith weist darauf hin, daß der einzelne bei seiner Entscheidung für

1

Als Beispiel sei im Vorgriff nur auf die Debatte um die Familienbürgschaften verwiesen; unten § 10 VII. Die einen, u.a. das BVerfG, begründen den Bürgenschutz im wesentlichen mit dem Versagen der formalen Privatautonomie aufgrund der rechtsgeschäftlichen Unerfahrenheit und der familiären Bindungen. Verteidiger der formalen Privatautonomie wenden sich gegen ein Eingreifen in das Vereinbarte als einer Teilentmündigung der Vermögens- und Einkommensschwachen, so Medicus, Z I P 1989, 817, 822ff. 2 Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse 1,1965, S.241. 3 Smith, The Wealth of Nations, Buch I, 7. Kapitel.

I. Die Vorstellung vom Funktionieren

des Marktes

93

oder gegen grenzüberschreitendes wirtschaftliches Handeln, wie in vielen anderen Fällen, durch eine invisible hand zur Verfolgung eines Ziels gelenkt werde, das nicht Teil seiner Absicht war 4 . Gemeinnutz wird - unbeabsichtigt - durch Eigennutz erreicht. Doch schon Smith erkennt, daß der Markt nicht von sich aus funktioniert. Er identifiziert vier Korrektive, deren Vorliegen das Eigeninteresse mit dem Gemeininteresse erst zur Deckung bringt: (1.) Mitgefühl (sympathy) der Menschen untereinander; (2.) allgemein anerkannte und freiwillig befolgte Regeln der Ethik; (3.) ein funktionierendes Rechtssystem 5 und (4.) intakter Wettbewerb 6 . Die Beachtung der vier Korrektive gewährleistet, daß Eigeninteresse Eigeninteresse bleibt und nicht zu Egoismus und Eigensucht verkommt, andererseits aber auch, daß die Menschen nicht in das andere Extrem des Desinteresses (Leistungsverweigerung) verfallen. Obwohl Smith sich grundsätzlich für eine durch den Staat möglichst unbeeinflußte Wirtschaft ausspricht, hat er die moderne Erkenntnis angedeutet, daß staatliche Eingriffe bei Vorliegen eines Marktversagens durchaus systemkonform, ja vielleicht sogar geboten sind. So findet sich schon bei Smith die Erkenntnis von der Aufhebung des Wettbewerbs durch sich selbst. Das Selbstinteresse werde Unternehmer dazu bringen, durch Wettbewerbsbeschränkungen der disziplinierenden Funktion des Marktes zu entgehen 7 : „People of the s a m e trade seldom m e e t together, even for m e r r i m e n t and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in s o m e contrivance to raise prices."

Der Staat bei Smith ist daher gerade kein Nachtwächterstaat i.S.d. 19. Jahrhunderts. Der Staat hat vielmehr die Funktionsbedingungen des Marktes zu gewährleisten. Behält man diese Erkenntnis im Auge, steht Verbraucherschutz nicht im Widerspruch zum Denken von Smith. Für Smith ist - implizit - die Situation des Verbrauchers, anders als etwa jene des Lohnempfängers 8 , keine besondere im Verhältnis zu den Anbietern von 4 Smith, The Wealth of Nations, London 1975, Vol. 1, S.400. Siehe das Bild der unsichtbaren Hand schon in Smith, Theorie der ethischen Gefühle, 1926, S.315ff. Dort wird die unsichtbare Hand als soziales Prinzip der Gleichheit eingeführt; vgl. Raphael, Adam Smith, 1991, S. 84f. 5 Siehe ausführlich zu den Staatsfunktionen bei Smith, Tuchtfeldt, O R D O 27 (1976), 29, 31 ff. 6 Vgl. Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, 1991, S.6; ausführlicher Recktenwald, in: Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens 1,1989, S. 134, 141 ff. 7 Smith, The Wealth of Nations, London 1975, Vol. 1, S.232f. Nach der Interpretation von Böhm, O R D O 10 (1958), 167, 194f„ glaubte Smith, daß sich private Monopole nicht bilden könnten. Dagegen hatten englische Richter privaten Beschränkungen schon frühzeitig Schutz versagt. So wurde im Schoolmaster's Case (vgl. Westen/Maggs/Schechter, Unfair Trade Practices and Consumer Protection, S.5ff.) von 1410 Schadensersatz wegen Auftretens eines neuen Konkurrenten abgelehnt. 8 Vgl. Tuchtfeldt, O R D O 27 (1976), 29,33, wo auf Vorbehalte von Smith gegenüber den In-

94

§4 Markt und

Verbraucher

Waren und Dienstleistungen. Die Interessen der Verbraucher seien am besten durch die unsichtbare Hand gewährleistet 9 : „It is not f r o m the benevolence of the butcher, the brewer, or the b a k e r that we expect our dinner, but f r o m their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to t h e m of our own necessities but of their advantages."

Dennoch ist Smith nicht wegen seiner aus moderner Sicht „naiven" Haltung gegenüber dem Verbraucher zu kritisieren. Für seine Zeit hat er Wesentliches begründet, was auch heute noch zum gesicherten Bestandteil der Verbraucherschutztheorie gehört, oder doch zumindest gehören sollte. Unmittelbar an die Theorien von Smith schließen sich folgende Erkenntnisse an: (1.) Die Verteilungsfunktion des Marktes als effizientester Versorger dient auch dem Verbraucher. Der Markt ist damit selbst eine Verbraucherschutzeinrichtung. (2.) Die Marktteilnehmer haben die im Vergleich zu jedem Dritten besseren Informationen über ihre eigenen Bedürfnisse und Leistungsmöglichkeiten (Verbraucher) sowie über die Kosten der Bereitstellung eines Produkts (Anbieter). Dies gilt, obwohl der Erkenntnishorizont der Markteilnehmer, auch bei der Beurteilung eigener Bedürfnisse, notwendig unvollkommen ist"1. Ein Wirtschaftsrecht, das die Preisbestimmung nicht durch das Verhandeln von Werten (Markt) erlaubt, sondern tendenziell den Preis staatlich verordnet, muß sich den Vorwurf der Willkür gefallen lassen. Die Unterlegenheit jeder anderen Form der Preisbestimmung gegenüber dem Marktpreis gilt auch für einen zwischen Produzenten und Verbrauchern kollektiv ausgehandelten Preis. Selbst die demokratische Umsetzung von Verbraucherinteressen, wie sie Hart/Joerges vertreten 11 , kann nicht gewährleisten, daß die Bedürfnisse der einzelnen Verbraucher so effizient durchgesetzt werden wie über ihre „Urabstimmung am Markt". Verbraucherinteressen sind eben nicht nur diffus, d.h. wegen des geringen individuellen Vorteils schwer zu organisieren, sondern häufig auch gegenläufig12. (3.) Der Markt entsteht nicht von selbst und erhält sich nicht selbst, sondern hängt vom Vorliegen besonderer Voraussetzungen ab. Der Markt ist damit eine staatliche Einrichtung. Unmittelbar verständlich ist dieses Argument für die Vertragsautonomie und deren Durchsetzung. Markt und Marktpreis können ihteressen der Arbeitgeberschaft hingewiesen wird. Dagegen sah Smith einen Zusammenhang zwischen den Interessen der Arbeitnehmerschaft und dem allgemeinen Wohl. 9 Smith, The Wealth of Nations, Vol. 1, S. 119. 10 Eine zu diskutierende Frage bleibt es, ob und in welchem Maße der Markt solche Unvollkommenheiten sogar erfordert; dazu die Kritik am vollkommenen Wettbewerb unten II 1 e). 11 Hart/Joerges, in: Assmann/Briiggemeier/Hart/Joerges, Wirtschaftsrecht als Kritik am Privatrecht, 1980, S.87ff., dazu ausführlich oben §2 IV 2 d). 12 Dazu oben §3 12.

I. Die Vorstellung

vom Funktionieren

des

Marktes

95

re Funktionen nur erfüllen, sofern Verträge frei ausgehandelt werden und der staatlichen Durchsetzung unterliegen. Die Privatautonomie vermag ihre spezifisch marktwirtschaftliche Funktion aber nur zu erfüllen, soweit Wettbewerb herrscht. Da die Privatautonomie zwar eine notwendige Voraussetzung von Wettbewerb ist, zugleich aber auch zur Aufhebung von Wettbewerb mißbraucht werden kann, bedarf der Wettbewerb des besonderen Schutzes durch staatlich gesetztes Recht. Allein ein marktkomplementäres Verbraucherschutzmodell ist mit den Überlegungen von Smith in Einklang zu bringen. Smith erklärt die ökonomischen Grundlagen für die Geltung der formalen Privatautonomie. Danach nützt die formale Privatautonomie auch dem Verbraucher, weil er über seine grundsätzliche Entscheidungszuständigkeit seine eigenen Interessen über die Koordinationsordnung des Marktes am besten zur Geltung bringen kann. Gleichzeitig erkennt Smith die Gefahr des Mißbrauchs der Privatautonomie zu Zwecken der Wettbewerbsbeschränkung. Dagegen fehlt es an einer verallgemeinerten Theorie der materiellen Vertragsfreiheit. Smith entwickelt keine geschlossene normative Theorie. Allerdings stellt er implizit Forderungen an das Recht, um die positiven ökonomischen Wirkungen zu erreichen. So ist klar, daß das Recht die formale Privatautonomie anzuerkennen hat. Der rechtliche Schutz des Wettbewerbs liegt auf der Linie von Smith. 2. Die klassische Gleichgewichtsökonomie Die Nachfolger Smiths, die Klassiker der Nationalökonomie, waren bestrebt, der von Smith entdeckten Markttheorie unter Verwendung mathematischer Methoden einen formalen Charakter zu geben. Die Klassik hat ihre Fortführung in der Neoklassik gefunden, als deren Hauptvertreter Samuelson anzusehen ist13. Verfolgt wird eine graphische Darstellung der Preistheorie, die in ihrer Grundform in den sich schneidenden Angebots- und Nachfragekurven besteht. Die Kurven geben an, welchen Preis Verbraucher bei einem bestimmten Angebot zu zahlen bereit sind (Nachfragekurve) und welchen Preis ein Produzent verlangen müßte, um eine bestimmte Menge rentabel produzieren zu können (Angebotskurve) 14 . Besteht auf einem Markt Wettbewerb, läßt sich die Produktion auf Dauer nicht außerhalb des Schnittpunktes der Kurven halten. Entweder werden die Produzenten aus eigenem Gewinnstreben bemüht sein, ihre 13 Siehe Samuelson/Nordhaus, Economics, 1992. Die Neoklassik ist ihrerseits eine U n t e r g r u p p e des Neoliberalismus. Z u letzterem zählen i n s b e s o n d e r e der Ordoliberalismus, der in D e u t s c h l a n d terminologisch oft mit d e m Neoliberalismus gleichgesetzt wird, sowie die T h e o rien Hayeks. In dieser Studie soll, u m Verwirrung zu v e r h i n d e r n , auf d e n Begriff des N e o l i b e r a lismus verzichtet w e r d e n . 14 D a z u Samuelson/Nordhaus, Economics, 1992, S.48ff. Auf die Darstellung von K u r v e n wird hier verzichtet.

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§4 Markt und

Verbraucher

Produktion zu steigern, weil Nachfrager bereit sind, einen Preis über den Produktionskosten zu zahlen. Oder aber die Produktion muß eingeschränkt werden, weil der Preis unter den Produktionskosten liegt. Die Einschränkung des Angebots führt dann zu einer Preissteigerung, bis der Preis den Herstellungskosten entspricht 15 . Das Marktgleichgewicht wird erst im Schnittpunkt der Angebots- mit der Nachfragekurve (sog. Gleichgewichtspunkt) erreicht. Die Neoklassik fügt der Preistheorie nach Smith nichts hinzu. Ihr gelingt nur deren graphische Darstellung, und damit gewinnt sie an Überzeugungskraft. An der Graphik läßt sich zudem darstellen, daß der Gesamtwohlstand der Gesellschaft im Gleichgewichtspunkt maximiert wird. Das damit beschriebene Kriterium der wirtschaftlichen (allokativen) Effizienz führt nun ein normatives Kriterium ein. Die ökonomische Theorie beschreibt nicht nur, daß der Gleichgewichtspunkt unter optimalen Wettbewerbsbedingungen erreicht wird. Sie fordert auch, daß der Gleichgewichtspunkt zur Herstellung wirtschaftlicher Effizienz erreicht werden muß. Danach hängen die Forderung nach Sicherung des Wettbewerbs und dem Erreichen wirtschaftlich effizienter Zustände zusammen. Obwohl der Klassik und Neoklassik das Verdienst zukommt, ökonomische Zusammenhänge anschaulich darzustellen, sind ihre Modellannahmen wenig realitätsnah und gerade für die praktische Politik - das gilt für die Wettbewerbspolitik und damit auch für die Verbraucherpolitik - nicht notwendig geeignet. Einmal gilt die ceteris paribus-Klausel. Diese setzt voraus, daß bei der Darstellung der Angebots- und Nachfragekurve alle sonstigen wirtschaftlichen Faktoren, wie das Einkommen der Nachfrager, die Preise für andere Güter, die Kosten der Produktion - insbesondere die Löhne - , konstant zu halten sind. Die ceteris paribus-Klausel ist angreifbar, weil sich in der Wirklichkeit nicht nur einzelne Grunddaten verändern. In der mathematischen Methode können aber kausale Zusammenhänge nur mit der Veränderung einzelner Marktdaten verknüpft werden, wenn die übrigen Marktdaten - modellhaft - konstant gehalten werden. Im übrigen setzen die Klassik und die Neoklassik das Handeln eines „rational egoistischen Menschen" (sog. REM-Hypothese) voraus 16 . Das Bild dieses homo oeconomicus widerspricht aber der Wirklichkeit, in der Irrtümer wirtschaftliches Handeln weitgehend bestimmen. Rationales Handeln einzelner Marktteilnehmer ist wegen vorhandener Informationsdefizite, welche das neoklassische Modell gerade ausschließt, nur beschränkt möglich 17 . Kausal15 Nach der Theorie ist in den Produktionskosten auch ein angemessener Unternehmerlohn enthalten. 16 Im Englischen spricht man von der REMM-Hypothese: resourceful, evaluating, maximizing man. 17 Die moderne Transaktionskostenökonomie bezieht das Problem der Informationsdefizite in das Modell mit ein und gewinnt daraus wesentliche Rückschlüsse für die Ausgestaltung des Rechts, vgl. als Beispiel die grundlegende Arbeit von Coase, The Problem of Social Cost, 3

I. Die Vorstellung vom Funktionieren

des Marktes

97

zusammenhänge sind prospektiv in der Theorie nur deshalb herstellbar, weil Grandannahmen über rationales Verhalten - und das kann im wirtschaftlichen Bereich nur auf Gewinn bzw. optimale Bedürfnisbefriedigung gerichtet sein zugelassen werden. Weil der Markt durch seine Reaktionen informiert - der Preis ist ein wichtiger Informationsträger - und zugleich auf Dauer irrationales Verhalten nicht ungeahndet läßt, besteht allenfalls eine Tendenz zu wirtschaftlich rationalem Verhalten im Sinne der neoklassischen Grundannahmen. Das Modell ist statisch, während Marktprozesse in der Wirklichkeit dynamisch ablaufen. Aber auch diese statische Beschreibung ist notwendig, um überhaupt zu Grundaussagen kommen zu können. Dies schließt nicht aus, daß Modellvariationen möglich sind, um mittel- und langfristige Veränderungen der Marktdaten zu integrieren 18 . Damit bestätigt sich eine Grunderkenntnis der Nationalökonomie: Modelle sind nicht schon deshalb falsch, weil sie sich mit ihren Annahmen von der Realität entfernen, sondern erst dann, wenn ihre Ergebnisse der empirischen Erfahrung widersprechen. Die Brauchbarkeit für die Praxis ist entscheidend, nicht die Realitätsnähe der Grundannahmen. Es gilt das gleiche wie in der Geographie: Ein absolut realitätsnahes ökonomisches Modell ist ebenso brauchbar wie eine Landkarte im Maßstab 1:1. Wenn das Modell nun zwar realitätsfern, aber nicht notwendig unbrauchbar ist, sollte doch wenigstens eine Verifikation seiner Ergebnisse erfolgen. Dies kann entweder empirisch - also durch Erfahrung - oder - ansatzweise - durch eine nicht formale Argumentation aufgrund wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse geschehen 19 . Dabei zeigt sich insbesondere, daß der ökonomische Gehalt mathematischer Modelle häufig auch in Worten durch logische Ableitungen erklärbar ist, ohne daß realitätsferne Annahmen nötig werden 20 . Auf eine weitere Kritik wird noch ausführlicher einzugehen sein. Sie richtet sich gegen die Grundannahme des vollkommenen Wettbewerbs1^. 3. Liberale Markttheorien a) Der grenzenlose Wirtschaftschaftsliberalismus

des Laissez faire

Im Laissez faire als der bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Wirtschaftsform der sich entwickelnden Industriegesellschaft wurde die unJ. L. & Econ. 1 (1960), in deutscher Übersetzung veröffentlicht in: Assmann/Kirchner/Schanze (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Rechts, 1993. S. 129ff. Zur Transaktionskostenökonomie siehe unten §5 II. 18 Vgl. Schmidtchen, 13 Int'l Rev. L. & Econ. 61 (1993), der sich für eine Integration u.a. des Zeitfaktors in ökonomische Modelle ausspricht. 19 Das waren die Methoden des Adam Smith. 20 Unten II. 21 Unten II 1 e).

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§4 Markt und

Verbraucher

sichtbare Hand nach Adam Smith vor allem als Verbot staatlicher, u.U. auch nur ordnender Eingriffe in den Wirtschaftsablauf verstanden. Während es Smith ganz entscheidend um die Überwindung der Zünfteordnung und das Zurückdrängen ständischer Monopole ging, wurde im Laissez faire jegliches wirtschaftlich relevante Handeln des Staates tendenziell als Widerspruch zur unsichtbaren Hand und folglich als unzulässig empfunden. Damit verabschiedete sich das Laissez faire von zwei wichtigen Gedanken bei Smith: (1.) Der Staat spielt eine wesentliche Rolle in der Bereitstellung der Infrastruktur. (2) Die unsichtbare Hand hängt von bestimmten Grundvoraussetzungen und dabei vor allem von einer rechtlichen Ordnung ab, die - in den Worten von Smith - verhindert, daß das Selbstinteresse zum Egoismus verkommt. Dem Freiheitspostulat des Laissez /a/re-Liberalismus entspricht im Bürgerlichen Recht die Gleichsetzung formaler Privatautonomie mit der Richtigkeit des Vereinbarten. Deshalb vertritt, wer die Wertungsgesichtspunkte des Bürgerlichen Rechts gegen die Einflußnahme durch das BVerfG verteidigt (jüngst vor allem Zöllner) 22 , nicht nur die Autonomie des Privatrechts, sondern tendenziell auch einen ungezügelten Wirtschaftsliberalismus 23 . Verbraucherschutz findet weder im Laissez faire noch bei den Vertretern der formalen Privatautonomie eine Rechtfertigung. Angesichts der sozialen Mißstände, die der Laissez /a;>e-Liberalismus zuließ24, ja geradezu für gut befand, konnte auf Dauer Kritik nicht ausbleiben. Am exponiertesten ist jene des Sozialismus, die schließlich in der marxistischen Theorie eine extreme Ausformung fand. Eine marktkonforme Kritik äußerte der Ordoliberalismus der Freiburger Schule (vor allem Walter Eucken und Franz Böhm), die zur Herausbildung der Sozialen Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland führte 25 . b) Die Rückbesinnung

auf den Wirtschaftsliberalismus

bei Hayek

Allerdings hat auch der sich herausbildende Wohlfahrtsstaat wiederum eine Kritik durch die ökonomische Theorie erfahren. Zu nennen ist hier an erster Stelle der Name von Friedrich August von Hayek. Hayek vereinigt sowohl durch seinen Lebenslauf 26 als auch durch sein wissen22

Zöllner, A c P 196 (1996), 1. Siehe auch o b e n § 2 IV 3 a.E. Vgl. Richter/Furubotn, N e u e I n s t i t u t i o n e n ö k o n o m i k , 1996, S. 13f.; I. Schmidt, W e t t b e werbspolitik und Kartellrecht, 1996, S. 111; beide stellen, ähnlich wie hier, d e n Z u s a m m e n h a n g von P r i v a t a u t o n o m i e (vollständiger Vertrag) und Laissez faire (Modell des vollständigen Wettbewerbs) aus ö k o n o m i s c h e r Sicht her. 24 Die U n f ä h i g k e i t des Laissez faire zur Lösung der sozialen Fragen jedoch a u f g r u n d statistischer U n t e r s u c h u n g e n verwerfend, Reichel, WiSt 1994, 451, 452f. 25 D a z u u n t e n IV 4. 26 Siehe die kurze Biographie bei 5. Böhm, Die Verfassung der Freiheit, in: Die Zeit (Hrsg.), Die großen Ö k o n o m e n , 1994, S. 105ff; sowie bei Leube, O R D O 40 (1989), X X I f f . 23

I. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes

99

schaftliches Werk Aspekte der verschiedensten ökonomischen Denkschulen. Ursprünglich der österreichischen, neoklassischen Schule der Nationalökonomie (Carl Menger) entstammend, ordnet er sich mit seinem Freiheits- und Ordnungsdenken dem Ordoliberalismus zu27. Mit seiner strikten Ablehnung „geplanter" Sozialstaatlichkeit entfernte er sich aber vom Denken des Ordoliberalismus und erwarb sich den Ruf eines klassischen Liberalen 28 . Seine Einordnung als klassischer Liberaler wird in seinem Lebensweg durch die enge Freundschaft zu Karl Popper und den Ruf an die University of Chicago (1950) unterstrichen 29 . Dennoch kann Hayek nicht als moderner Vertreter eines Laissez/aiVe-Liberalismus oder als Vertreter der Chicago School gelten. Vom Ordoliberalismus im Sinne Walter Euckens trennt Hayek zwar die Ablehnung des Sozialen. Den Laissez faire-Liberalismus hat Hayek selbst dennoch kritisiert 30 . Anders als bei der Chicago School beginnt das Denken Hayeks bei der Freiheit und nicht beim Effizienzdogma 31 . Außerdem wendet er sich gegen das neoklassische, statische Gleichgewichtsdenken. Wesentlich für die Hayeksche Nationalökonomie und dabei insbesondere für das Verständnis der Ablehnung des sozialen Wohlfahrtsstaates ist die Idee von der spontanen Wirtschaftsordnung. Hayek fügte damit dem Warum der Marktwirtschaft als der wünschenswerten Wirtschaftsordnung die Begründung hinzu, wie diese Wirtschaftsordnung zur Entstehung gelangt. Als Ausgangspunkt der Überlegungen steht bei Hayek die Frage: Wie ist das Informationsproblem in einer komplexen Wirtschaft zu lösen? Hayek beginnt seine Antwort auf erkenntnistheoretischer Grundlage. Danach gebe es keine objektive Wirklichkeit. Vielmehr sei jede Wahrnehmung abstrakt, da sie auf einer subjektiven Theorie von der Wirklichkeit beruhe 32 . Für Hayek besteht zivilisatorischer Fortschritt in der Bewältigung der Koordinationsaufgabe in einer Gesellschaft mit zunehmender Zahl unbewußter Handlungen. Ein Erklärungsproblem ergibt sich deshalb, weil durch die individuellen Handlungen eine Ordnung entsteht, die von niemandem als solche geplant ist33. 27 Im Jahre 1962 folgte Hayek dem Ruf auf den vormals von Walter Eucken vertretenen Freiburger Lehrstuhl für Nationalökonomie. 28 So die Einordnung nach Kammler, O R D O 37 (1986), 251. 29 Vorher hatte Hayek fast 20 Jahre an der London School of Economics gelehrt. 3U von Hayek, in: von Hayek, Individualismus und Wirtschaftsordnung, 1976 (Erstauflage 1947) S. 141,145. Dort bezeichnet es Hayek als unzutreffend, das Fehlen staatlicher Tätigkeit als Liberalismus anzusehen. Richtig sei die Anerkennung des Wettbewerbs, des Marktes und der Preise als ordnendes Prinzip und die Durchsetzung des Wettbewerbs durch den Staat. 31 Weil sich die ökonomischen Ergebnisse bei Hayek und der Chicago School häufig decken, wird Hayek - fälschlicherweise - zuweilen der Chicago School zugerechnet; so bei Samuelson/ Nordhaus, Economics, 1992, S.731. 32 Siehe dazu Streit, O R D O 43 (1992), Iff. Die Hayeksche Erkenntnistheorie ist, obwohl schon in den 20er Jahren begonnen, niedergelegt in von Hayek, The Sensory Order - An Inquiry into the Foundations of Theoretical Psychology, 1976 (Erstveröffentlichung 1945). 33 von Hayek, Mißbrauch und Verfall der Vernunft - Ein Fragment, 1979 (Erstauflage 1959),

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§4 Markt und

Verbraucher

Diese in diesem Sinne spontane Ordnung erklärt Hayek durch ein evolutorisches Modell 34 . Die spontane Ordnung, die sich durch einen evolutionären Prozeß entwickelt, wird zum Instrument zur Entdeckung verstreuten Wissens 35 . Im wirtschaftlichen Bereich verwirkliche sich die spontane Ordnung in der Institution des Marktes. Der Markt sei neben der Sprache wichtigste spontane Ordnung durch zivilisatorische Evolution. Deren Entwicklung erfolge durch Gruppenselektion auf der Ebene zwischen Instinkt und Vernunft 36 . Hayek stellt hier die direkte Verbindung zur Biologie her. Das Leben als solches bedinge Knappheit. Knappheit führe zu Wettbewerb der Individuen. Wettbewerb wiederum steigere die Fähigkeit zur Problemlösung. Die kulturelle Evolution entwickle daher Institutionen, die die Chancen des Überlebens steigern und Wohlstand schaffen. Die Marktordnung als beste Möglichkeit zur Nutzung verstreuten Wissens erscheint danach als fundamentalste Institution zur Wohlstandsbildung 37 . Der Markt löst nach Hayek die drei Grundprobleme des Wirtschaftens: (1.) Der Markt verschafft Informationen über individuelle Präferenzen. (2.) Der Markt sorgt für adäquate Informationsverarbeitung. (3.) Der Markt bietet Anreize, damit entsprechend den Informationen gehandelt wird. Im Gegensatz zur Neoklassik bedarf es bei Hayek nicht der Annahme des rational handelnden Marktteilnehmers 38 . Das Hauptproblem des Wirtschaftens liege gerade in der Ungewißheit über das Handeln der anderen. Wirtschaftliche Entscheidungen sind grundsätzlich spekulativ 39 und erfolgen entsprechend der Hayekschen Erkenntnistheorie nach subjektiver Anschauung. Fehlendes Wissen könne über den Markt ermittelt werden und sei wegen des stetigen Wandels stets neu zu ermitteln. Deshalb ist nach Hayek Markt und Wettbewerb zuvörderst ein Entdekkungsverfahren4i). Der Wettbewerb verbreite über Preise und Marktchancen das Wissen über ökonomische Daten und rege Individuen zur Wissensbeschaffung an. Gleichzeitig werden Fehleinschätzungen korrigiert 41 . Für die Ökonomie und das Recht wirft Hayek die Frage nach den Bedingungen für das Entstehen spontaner Ordnungen auf. Die Theorie der spontanen Ordnung verbindet sich hier mit dem Postulat auf Sicherung individueller FreiS. 50. Eine Fortentwicklung erfuhr die Hayeksche Theorie zum Koordinationsproblem in von Hayek, Die Theorie komplexer Phänomene, 1972 (Erstausgabe 1964). 34 Zu den Wurzeln der Theorie von den evolutionären Marktprozessen, siehe Kerber, ORD O 42 (1991), 325ff. 35 Grundlegend dazu von Hayek, Wirtschaftstheorie und Wissen, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 1976 (Erstveröffentlichung 1937), S.49ff. 36 Siehe dazu Streit, O R D O 43 (1992), 1,18. 37 So im Anschluß an Hayek, Radnitzky, O R D O 38 (1987), 47, 50ff. 38 Vgl. auch Hoppmann, in: FS Mestmäcker, 1996,177,185, der wegen des Problems der Ungewißheit zu Recht das Effizienzkriterium der Wohlfahrtsökonomie verwirft. 39 Streit, O R D O 43 (1992), 1, 8. 40 Dazu von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968. 41 Siehe auch Streit, O R D O 43 (1992), 1, 10.

I. Die Vorstellung vom Funktionieren

des Marktes

101

heit. Die spontane Ordnung könne durch kulturelle Evolution nur in einem Prozeß von Adaption und Lernen entstehen. Adaption und Lernen setzen die Freiheit des einzelnen voraus. Die Freiheit selbst wird deshalb bei Hayek zur Errungenschaft der Zivilisation 42 . Weil aber jede Form der Gesellschaftsordnung Zwang notwendig beinhaltet, ergibt sich eine Präferenz für den Minimalstaat gegenüber dem ausufernden, individuelle Freiheit und soziale Evolution beschränkenden Wohlfahrtsstaat. An die Stelle von staatlicher Versorgung habe das Prinzip der Subsidiarität zu treten 43 . Nun lehnt Hayek nicht etwa jegliche Rolle des Rechts bei der Regelung der Wirtschaft ab. Das Recht dürfe aber erst dann eingreifen, wenn die Bedingungen für das Entstehen spontaner Ordnungen erkannt sind44. Hieraus folgt die freiheitssichernde Funktion des Rechts im Bereich der Wirtschaftsordnung. Ziel der Rechtsordnung sei es, eine Handelnsordnung zu errichten, die die Verfolgung selbstgesteckter Ziele erlaube 45 . Die Rechtsordnung habe zu gewährleisten, daß verstreutes Wissen verwertbar werde 46 . Aus dieser Sicht des wahren Individualismus 47 ergibt sich für Hayek die Ablehnung sowohl des politischen Totalitarismus wie der geplanten Wirtschaft 48 . Hayek wendet sich besonders gegen den Sozialismus. Seine Wirtschaftstheorie ist ethisch fundiert. Aufgabe des Wirtschaftsrechts sei danach die Maximierung individueller Freiheit für alle, vorausgesetzt, es gibt gleiche Freiheit für alle49. Die Sicherung der Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers ist oberstes Ziel der Wirtschaftsordnung sowohl im Ordoliberalismus eines Walter Eucken als auch bei Hayek. Der Unterschied liegt in der Zielrichtung der Freiheitssicherung. Während Eucken die Freiheit des einzelnen vor allem durch die wirtschaftliche Macht von Privaten, d.h. des Monopolisten, bedroht sieht, kommt nach Hayek die größte Gefahr für die Marktwirtschaft von staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen 50 . Bei Eucken ist der Staat zuvörderst aufgerufen, den einzelnen durch eine Entscheidung für die richtige Wirtschaftsordnung gegen die Vermachtung der Märkte zu schützen. Bei Hayek gehört der einzelne vor allem gegen den Staat selbst geschützt 51 . Aufgrund der evolutorischen Theorie von der spontanen Ordnung bestehe eine Richtigkeitsvermutung für das Han42

Vgl. Streit, O R D O 43 (1992), 1, 18. So Radnitzky, O R D O 38 (1987), 47, 62, im Anschluß an Hayek. 44 Vgl. von Delhaes, O R D O 44 (1993), 307, 313f. 45 Dazu von Hayek, Rechtsordnung und Handelnsordnung, in: Streissler (Hrsg.), Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaft, 1967,195ff. 46 Vgl. Streit, O R D O 43 (1992), 1, 16. 47 Zur Abgrenzung des wahren vom falschen Individualismus, von Hayek, O R D O 1 (1948), 19ff. 48 Siehe hierzu vor allem von Hayek, The Constitution of Liberty, London/Henley 1960. 49 So Radnitzky, O R D O 38 (1987), 47, 49, im Anschluß an Hayek. 50 Vgl. Streit, O R D O 43 (1992), 1, 24. 31 Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, 1992, fügt dem den Schutz gegen Organisationen überhaupt hinzu. 43

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Verbraucher

dein privater Marktteilnehmer. Das Vergehen des Staates bei Hayek ist ein doppeltes: Zum einen verfälsche der Staat die Handelnsordnung und den Wettbewerb durch die Zulassung staatlicher Monopole. Zum anderen führe der demokratische Prozeß zu einer „Verfälschung" der Wettbewerbspolitik mit Schutzzwecken, die der spontanen, auf individueller Freiheit aufbauenden Ordnung widersprechen. Die Äußerungen Hayeks zum Verbraucherschutzproblem sind begrenzt. Im Denken Hayeks erfolgt das freie Handeln der privaten Marktteilnehmer auch zum Wohle der Konsumenten 52 . Verbraucherschutz nach Hayek ist gleichbedeutend mit der Sicherung der individuellen Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer, die ihrerseits die spontane Ordnung des Marktes zustande bringt. Oder, kürzer formuliert: Hayekscher Konsumentenschutz ist identisch mit der Hayekschen Ordnungs- und Wettbewerbspolitik. Der Zusammenhang von spontaner Ordnung und Freiheitssicherung bedingt ein ganz bestimmtes Verständnis des Freiheitsbegriffs. Weil in der spontanen Ordnung wirtschaftliche Ergebnisse nicht ethisch bewertbar, sondern der nicht vorhersehbaren evolutionären Entwicklung zu überlassen sind, darf Freiheit im Sinne von Hayek nur formal verstanden werden. Ein materieller Freiheitsbegriff ließe hingegen danach fragen, ob der einzelne in der Lage ist, in bestimmten Situationen von seiner grundsätzlich gewährleisteten Freiheit Gebrauch zu machen. Der Begriff der materiellen Freiheit würde zur Loslösung der Freiheit vom formalen Gleichheitsgedanken zwingen, demzufolge die Freiheit des einen der Freiheit des anderen genau zu entsprechen habe. Materielle Freiheit würde auch zur Loslösung von abstrakten Rechtsregeln zwingen, die Hayek hingegen als Grundlage seiner Handelnsordnung fordert. Materielle Freiheit zwingt zur Freiheitssicherung des Schwachen gegenüber dem Starken. Die Begründung für das Abweichen von den abstrakten Regeln bedeutet jedoch nach der Hayekschen Theorie die Anmaßung von Wissen, das über den Markt erst zu ermitteln ist. Im Vertragsrecht muß deshalb nach Hayek Privatautonomie notwendig formal verstanden werden. Eine nachträgliche Vertragskontrolle, z.B. bei Bürgschaften, wäre unzulässig. Der Hayeksche Gedankengang erweist sich als unschlüssig. Hayek spricht der Rechtsordnung die Legitimation ab, eine Bewertung der Marktergebnisse vorzunehmen. Soweit Hayek sich für die formale Freiheit als Bedingung für die von ihm vertretene spontane Ordnung einsetzt, nimmt er nicht nur eine materiell-ethische Fundierung des Zustandekommens der gewünschten Ordnung vor, sondern bestimmt zugleich die Ergebnisse des Koordinationsprozesses. Wer die Koordination individueller Präferenzen generell der formalen Freiheit überantwortet, bevorzugt inhaltlich den Starken gegenüber dem Schwachen. Dort wo Benachteiligungen bestehen, wird sich die formale Freiheit des Stärke52

Siehe dazu Molsberger, O R D O 24 (1973), 315, 316.

I. Die Vorstellung

vom Funktionieren

des

Marktes

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ren durchsetzen. Die Freiheitsordnung Hayeks ist also gerade eine Ordnung, die nur eine formale, keine materielle Gleichheit der Individuen im Gebrauch ihrer Freiheiten zuläßt. Tatsächlich führt Hayek über seine Idee der spontanen Ordnung eine Wertentscheidung, nämlich zugunsten der nur formalen Freiheit, ein. Die Kritik an Hayek belegt, daß keine ökonomische Theorie ohne normative Bewertungen, d.h. ohne Theorien von der Gerechtigkeit, auskommt. Problematisch wird dies, wenn die Ökonomie Gerechtigkeitstheorien ohne Rücksicht auf die geltende Rechtsordnung entwickelt und - schlimmer - versucht, diese Theorien gegen die Rechtsordnung durchzusetzen (Recht als Funktion der Ökonomie). Soweit Ökonomen Gerechtigkeitstheorien entwickeln oder voraussetzen, ohne sie an die geltende Rechtsordnung anzubinden, beruhen diese Theorien zumeist auf den subjektiven Wertungen dieser Personen und sind damit tendenziell willkürlich. Entsprechend sind zuerst die Wertungen und der Rahmen der vorgegebenen Rechtsordnung zu ermitteln. Erst hieran schließt sich die ökonomische Fragestellung nach der Verwirklichung der vorgegebenen Werte im Bereich der Wirtschaft an. Aus rechtlicher Sicht könnte man Hayeks Ansatz nur folgen, sofern die Hayekschen Werte sich mit den verfassungsmäßig vorgegebenen Werten decken. Die Hayeksche Ökonomie würde in diesem Sinne zu einer „passenden" Ökonomie. Diese positivistische Sicht verkürzt allerdings die Problematik. Dies zeigt sich, wenn man Hayeks Theorie mit Euckens Ordoliberalismus vergleicht. Obwohl auch Hayek den Zusammenhang der wirtschaftlichen Freiheitsordnung mit der politischen Freiheitsordnung sieht, denkt er nicht wie Eucken in den Kategorien der Interdependenz der Ordnungen 53 . Für Eucken soll die gewünschte Wirtschaftsordnung politische Freiheit sichern, wobei die Verfassungsordnung der gewünschten Wirtschaftsordnung die zu verwirklichenden Werte vorgibt. Bei Hayek wird die Forderung nach Freiheit dem evolutionären Denken entnommen. Die gewünschte Ordnung wird nicht durch eine politische Entscheidung, die eine Entscheidung für die Freiheit ist, gesetzt, sondern entsteht aus sich selbst heraus 54 . Die Forderung Hayeks nach Änderung der Verfassung dort, wo sie nicht seinem Ideal der Freiheit und der spontanen Ordnung 53

U n t e n 4 a) a.E. Die Sinnhaftigkeit der Ü b e r a n t w o r t u n g der ö k o n o m i s c h e n E n t w i c k l u n g an die staatlich u n b e e i n f l u ß t e Entwicklung w u r d e im R a h m e n des Ü b e r g a n g s der sozialistischen Planwirtschaften in Mittel- und O s t e u r o p a zur Marktwirtschaft in Frage gestellt. So f ü h r t von Delhaes, O R D O 44 (1993), 307, 312f., aus, daß b e g r ü n d e t e Zweifel d a r a n b e s t e h e n , Laissez faire w e r d e zu einer schnellen E i n f ü h r u n g der Privatwirtschaft f ü h r e n . V i e l m e h r b e s t e h e ähnlich der Situation im Nachkriegsdeutschland ein B e d ü r f n i s zur „Beschleunigung" des Ü b e r g a n g s zur W e t t b e w e r b s o r d n u n g durch staatliche M a ß n a h m e n - in Mittel- und O s t e u r o p a durch eine staatliche Privatisierungspolitik. Es ließe sich hinzufügen, d a ß die Ü b e r a n t w o r t u n g der wirtschaftlichen Entwicklung an die f o r m a l e Freiheit zumindest mittelfristig dort versagen m u ß , wo infolge V e r m a c h t u n g der M ä r k t e keine materielle Freiheit gewährleistet ist. 54

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§4 Markt und

Verbraucher

entspricht, ist daher nur konsequent. Denn richtigerweise muß er die Anpassung des Politischen an seine ökonomische Theorie verlangen, weil andernfalls seine eigenen Wertentscheidungen in Frage gestellt würden. Sein Vorschlag einer Verfassungsreform 55 zur Verhinderung der Transfergesellschaft, in der Interessengruppen unter Berufung auf Gerechtigkeitsargumente die spontane Ordnung zu verhindern suchen, dient allein der Absicherung seiner - vielleicht unbewußten - Wertentscheidungen für den Stärkeren, den Erfolgreichen und u.U. auch den Wettbewerbsbeschränker. c) Die Chicago School Aus dem Kreis der Kritiken am Wohlfahrts- und Sozialstaat hat die Chicago School den bislang entscheidendsten Einfluß auf die praktische Rechtspolitik, vor allen in den Vereinigten Staaten, erlangt 56 . Das Hauptbetätigungsfeld der Chicago School ist das Antitrust-Recht. Die Chicago School erklärt die Herstellung ökonomischer Effizienz unter Einsatz der Rechtsordnung zu ihrem alleinigen Ziel. Wurde die Chicago School zunächst durch den Monetarismus des Milton Friedman bekannt 57 , so gewann sie ihre größte Bedeutung im Bereich der Wettbewerbspolitik (Bork, Demsetz, Stigler, Director, Posner) 58 . Als zunächst ökonomische Theorie entwickelte sie Handlungsanweisungen für die US-amerikanische Antitrust-Verwaltung und Vorschläge zur Auslegung der einschlägigen Gesetze (Sherman Act und Clayton Act) 59 . Die juristischen Vertreter der Chicago School, die auch als Bundesrichter an den Berufungsgerichten (Court of Appeals) (Bork, Easterbrook, Posner) und dem Supreme Court (Scalia) Bekanntheit erlangten, versuchten die Lehren der Chicago School durchzusetzen 60 . Das Antitrust-Recht wurde zum ersten Rechtsgebiet, das diese Richtung der ökonomischen Analyse des Rechts (economic analysis of law) dem wirtschaftlichen Primat der Effizienz unterordnete. 55

y on Hayek, The Constitution of Liberty, 1960. Aus der deutschsprachigen Literatur, siehe vor allem Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986; Fehl, O R D O 38 (1987), 309; Kallfass, WuW 30 (1980), 596; sowie einführend I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 1996, S. 19ff. Aus dem USamerikanischen Schrifttum, siehe die Kritik bei Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 213 (1985). Zur Bezeichnung als Chicago School, siehe Duggan, The Economics of Consumer Protection, 1982, S. x f. 57 Siehe dazu Hirsch/De Marchi, Milton Friedman: Economics in Theory and Practice, 1989. 58 Insbesondere zur Frühphase der Chicago School, siehe Reder, J. Econ. Literature, Vol. 20 (March 1982), S.lff. 59 Grundlegend hierfür war Stigler, The Organization of Industry, 1967. Zum Einfluß auf die Antitrust-Verwaltung, SchmidJBinder, Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich, 1996, S. 150ff. 60 Siehe z.B. Posners Leading Opinion in United States Fidelity & Guar. Co. v. Jadranska Slobodna Plovidba, 683 F.2d 1022 (7th Cir. 1982) in einem deliktsrechtlichen Fall. 56

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Insbesondere Richard Posner dehnte den ökonomischen Erklärungsansatz auch auf andere Lebens- und Rechtsbereiche, einschließlich etwa des Familienrechts, aus61. Die Wettbewerbspolitik der Chicago School beginnt mit einer für den Verbraucher an sich freudigen Botschaft. Antitrust diene alleine der Maximierung der Konsumentenwohlfahrt (consumer welfare) 62 . Dabei wird allerdings Konsumentenwohlfahrt mit gesamtwirtschaftlicher Effizienz gleichgesetzt 63 . Es komme allein auf das gesamtwirtschaftliche Leistungsergebnis an64. Nur letzteres sei zu maximieren 65 . Die spezifische Verwendung des Begriffs der Konsumentenwohlfahrt durch die Chicago School entspricht damit einem terminologischen Mißbrauch 66 , weil es auf die ökonomischen Vorteile für den Verbraucher hinsichtlich Preis und Qualität nachgefragter Leistungen nicht ankommt. Unter Ausklammerung distributiver Effekte und einer einseitigen Ausrichtung auf allokative und produktive Effizienz wird tendenziell eine Wettbewerbspolitik zu Lasten der Nachfrager und zugunsten großer Unternehmen - unter Einschluß einer (theorienimmanent) laxen Zusammenschlußkontrolle - vertreten. Die ökonomische Theorie der Chicago School läßt sich auf neun Grundannahmen zurückführen 67 : (1.) Allein ökonomische Effizienz ist Ziel der Wettbewerbspolitik. (2.) Ökonomische Effizienz besteht aus allokativer und produktiver Effizienz. (3.) Wettbewerb auf stark konzentrierten Märkten ist stärker als gemeinhin angenommen. (4.) Monopole lösen sich durch Neuankömmlinge schnell wieder auf. (5.) Es gibt kaum Marktzutrittsschranken, außer solchen, die vom Staat gesetzt sind. (6.) Größenvorteile (economies of scale) sind stärker zu gewichten als dies gewöhnlich geschieht. (7.) Wachstum von Unternehmen beruht auf größerer Effizienz. (8.) Antitrust darf nicht gegen effizientes Verhalten vorgehen. (9.) Die Entscheidung für das Effizienzkriterium ist unpolitisch. Jede einzelne dieser Grundannahmen setzt sich der berechtigten Kritik aus. Diese Kritik wurde bereits vorgetragen und soll hier nicht insgesamt wiederholt werden 68 . Festzustellen ist hier nur: Die Grundforderung der Chicago School 61 Posner, Antitrust Law: An Economic Perspective, 1976; ders., The Economics of Justice, 1981; ders., Economic Analyses of Law, 3. Aufl., 1986; ders., The Problems of Jurisprudence, 1990; ders., Sex and Reason, 1992. 62 Ausführlich dazu Rule/Meyer, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S. 77 ff. 63 So heißt es in Rule/Meyer, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S.77, 80: ,,[T]he consumer welfare Standard seeks to maximize total surplus." 64 Vgl. Duggan, The Economics of Consumer Protection, 1982; S.6; Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 213, 231 (1985). 65 Vgl. Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986; S. 33; Brodley, 62 N.Y.U. L. Rev. 1020, 1023 (1987). 66 Ebenso Brodley, 62 N.Y.U. L. Rev. 1020,1032f. (1987). 67 Vgl. Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 213,226ff. (1985), und die dort vorgebrachte Kritik an den Chicago-Grundsätzen. 68 Lesenswert Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 213 (1985). Siehe auch die ausführlichen

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Verbraucher

besteht in der Verabschiedung des Staates aus der Verantwortung für das Geschehen am Markt. Das Effizienzdenken dient der Rechtfertigung einer modernen Laissez faire-Politik, die in einem Schwarz-Weiß-Denken das Handeln des Staates grundsätzlich negativ und jenes privater Unternehmen grundsätzlich positiv bewertet69. Fox hat die Philosophie der Chicago School anschaulich folgendermaßen beschrieben70: „Chicago is not fighting a war against inefficiency. Chicago is fighting a war for

private

freedom of action. Chicago's critical contention and presumption that firms act efficiently is not a descriptive observation that produces the conclusion that almost everything is legal. It is simply an argument supporting the normative claim that people (including firms) should

be left free to act and that there is almost never a higher social interest."

Trotz der terminologischen Bezugnahme auf die Konsumentenwohlfahrt hat Verbraucherschutz in der Chicago School, wie schon im Laissez faire und im Denken Hayeks, keinen Platz. Der Chicago School entspricht in der Privatrechtsdogmatik das Festhalten an der formalen Privatautonomie. 4. Der Markt im Ordoliberalismus Das Wirtschafts- und Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nach Beendigung des zweiten Weltkriegs wurde wesentlich durch das nationalökonomische und wirtschaftsrechtliche Denken der Freiburger Schule (vor allem Eukken und Böhm sowie Großmann-Doerth, Miksch, Kronstein, Röpke, Rüstow) beeinflußt71. Die von ihr begründete Idee des Ordo prägte den Begriff des Ordoliberalismus72. Der Ordoliberalismus wiederum liegt dem wesentlich auf Kritiken bei Brodley, 62 N. Y. U. L. Rev. 1020 (1987); Duggan, The Economics of Consumer Protection, 1982; Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986. 69 Vgl. Brodley, 62 N.Y. U. L. Rev. 1020, 1023, Fn. 11 (1987), der der Chicago School vorwirft, Rivalität durch Laissez faire zu ersetzen. Siehe auch Duggan, The Economics of Consumer Protection, 1982, S. vii f. 70 Fox, 84 Michigan L. Rev. 1714,1715f. (1986). An anderer Stelle, in; Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S. 159, 160 bezeichnet Fox die Auseinandersetzung um die Chicago School als eine um das richtige Verständnis von Recht und Gesellschaft und nicht als eine um die richtige Ökonomie. 71 Trotz der grundsätzlichen Bedeutung der Freiburger Schule für die marktwirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik ist die Literatur über sie eher spärlich; grundlegend A. Heinemann, Die Freiburger Schule und ihre geistigen Wurzeln, 1989. Siehe auch Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band 1,1983, S. 41ff.; Gerber, 42 Am. J. Comp. L. 25 (1994), der sogar eine Anleihe am ordoliberalen Gedankengut zur Reform des US-Antitrust-Rechts vorschlägt (a.a.O., S.81 ff.); Streit, 148 J I T E 675 (1992) (auf Englisch), sowie verschiedene Aufsätze in dem Jahrbuch O R D O . 72 Mit dem Akronym „ O R D O " wird das von den Ordoliberalen seit 1948 herausgegebene „Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft" bezeichnet. Mit „ O R D O " wurde nicht nur der Inhalt der Publikation abgegrenzt, sondern man gab sich zugleich ein Programm in dem Sinne, daß es nur eine Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung gibt, die den Namen

I. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes

107

Müller-Armack und Ludwig Erhard zurückgehenden Modell der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde. Die Entwicklung der Theorien des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft gingen zeitlich dem Entstehen der Verbraucherpolitik voraus. Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zukommen, überrascht die Seltenheit, mit der die Verbraucherschutzproblematik beispielsweise zur Sozialen Marktwirtschaft in Beziehung gesetzt wird73.

a) Euckens

Ordnungsmodell

Walter Eucken, der sich durch seine Habilitationsschrift „Die Stickstoffversorgung der Welt" aus dem Jahre 1921 noch als zur damals in Deutschland vorherrschenden historischen Schule zugehörig ausgewiesen hatte, versuchte durch seine späteren Arbeiten, die Antinomie der rationalistisch vorgehenden Klassik und österreichischen Schule (z.B. Menger) auf der einen Seite und der historischen Schule (z.B. von Schmoller) auf der anderen Seite zu überwinden 74 . Während der klassischen Begriffsökonomie ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit vorzuwerfen war, blieb die historische Schule auf der Stufe der Materialsammlung stehen, ohne zur Theorienbildung vorzustoßen. Eucken forschte deshalb nach der in der Wirklichkeit vorhandenen Ordnung und versuchte diese durch eine rationale Theorie zu erklären. In seinem Werk „Grundlagen der Nationalökonomie" von 1939 entwickelt Eucken eine Morphologie der Wirtschaftssysteme. Ausgehend von der Grundüberlegung, daß wirtschaftliches Handeln Pläne erfordert, unterschied er die zwei Grundformen des Wirtschaftens, die Zentralverwaltungswirtschaft und die Verkehrswirtschaft 75 . Während es bei der Zentralverwaltungswirtschaft einen zentralen Planträger gebe, fun„Ordnung" verdient, siehe Veit, O R D O 5 (1953), 3, 6; dort auch zur Herkunft des Ordnungsdenkens aus der Scholastik, a.a.O., S. 7ff. 73 Siehe Prosi, Verbraucherschutzpolitik im Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft, in: Piepenbrock (Hrsg.), Verbraucherschutz in der Sozialen Marktwirtschaft, 1984, S. 67, der sich mit dem Verbraucherschutz beschäftigt, ohne die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft herauszuarbeiten. Anders dagegen Schölten, Die ordnungspolitische Dimension der Verbraucherpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, in: Piepenbrock (Hrsg.), a.a.O., S.95ff., die sich mit den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzt. Von den Ordoliberalen weist allerdings Großmann-Doerth, Das selbstbeschaffene Recht der Wirtschaft, 1933, schon lange vor der Schaffung des AGB-Gesetzes auf eine später anerkannte Problematik - auch - des Verbraucherschutzes hin. Die Forderung nach staatlicher Kontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen wurde später von Eucken übernommen; Eucken, O R D O 1 (1948), 56, 70. Zur Verwendung von A G B als Phänomen wirtschaftlicher Macht, vgl. auch Biedenkopf, in: FS Böhm, 1965, S. 113, 122ff. 74

Zur Methode Euckens, A. Heinemann, Die Freiburger Schule und ihre geistigen Wurzeln, 1989, S.32ff. 75 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959 (Erstaufl. 1939), S.78ff.

108

§4 Markt und

Verbraucher

giere in der Verkehrswirtschaft der Markt als Koordinator der Einzelpläne. Eucken stellte sich die Frage nach der brauchbaren, d.h. menschenwürdigen Ordnung und überschritt damit die Grenze von der deskriptiven (positiven) zur normativen Nationalökonomie. Eine menschengerechte Ordnung sei nur herstellbar, wenn die Freiheit des Menschen umfassend geschützt werde. Freiheit sei durch wirtschaftliche Macht zuerst bedroht 76 . Damit sei es die Aufgabe des Rechts, im Sinne der Idee der Interdependenz der Ordnungen 77 , diejenige wirtschaftliche Ordnung herzustellen (Ordnungsproblem), die die Freiheit des einzelnen gegen wirtschaftliche Macht schützt. Eucken erkennt diese gewünschte Ordnung in der Wettbewerbsordnung der vollständigen Konkurrenz. Während die formal-mathematisch vorgehende Neoklassik, wie von Samuelson vertreten, nach dem Krieg einen weltweiten Siegeszug antrat, wirkte der Ordoliberalismus - international betrachtet - als Theorie (nicht in seiner Wirkung als „deutsches Wirtschaftswunder") eher im Verborgenen. Heutzutage ist er jedoch aktueller denn je. Die moderne Kritik der Neuen Institutionellen Ökonomie (institutional economics) an der Neoklassik stützt sich auf Überlegungen, die schon für die Freiburger Schule mitbestimmend waren 78 . Walter Eucken verwirft sowohl die Wirtschaftsordnung der Zentralverwaltungswirtschaft als auch jene des Laissez faire-Liberalismus als dem Menschen abträglich 79 . In der Zentralverwaltungswirtschaft, als einer von zwei Unterformen der zentralgeleiteten Wirtschaft, erfolge die Lenkung des gesamten wirtschaftlichen Alltags eines Gemeinwesens auf Grund von Plänen einer Zentralstelle811. Sobald aber mindestens zwei Pläne vorliegen, handelt es sich nach Eucken um Verkehrswirtschaft. Deshalb schließt die Euckensche Wirtschaftsmorphologie einen Dritten Weg (Ota Sik) begriffsnotwendig aus81. Eucken lehnt die Zentralverwaltungswirtschaft ab, weil schon aufgrund der „Größe des Gemeinwesens und der Menge der zu bewertenden Güter eine 76

Eucken, O R D O 1 (1948), 56, 74f. Eucken, O R D O 1 (1948), 56, 72. 78 Streit, 148 JITE 675 (1992); Vanberg, O R D O 39 (1988), 17. Zur Neuen Institutionellen Ökonomie, siehe unten §5 II. 79 Ein Überblick über das ordnungspolitische Konzept Euckens findet sich bei Oberender, O R D O 40 (1989), 321. 80 Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959/1939, S.79. Von der Zentralverwaltungswirtschaft unterscheidet Eucken die einfache zentralgeleitete Wirtschaft oder Eigenwirtschaft als zweite Form der zentralgeleiteten Wirtschaft, die sich auf einen überschaubaren Kreis von Individuen (z.B. Familie) beschränkt. Um abgeschwächte Formen der Zentralverwaltungswirtschaft handelt es sich schon, wenn nach Zuweisung fester Gütermengen der Konsumtausch zwischen Verbrauchern zugelassen wird, oder der Verbraucher bei zentraler Festsetzung der Güterproduktion freie Konsumwahl besitzt; Eucken, a.a.O., S. 82ff. 81 Wohl aber entspricht es nach Eucken dem Normalfall, daß beide Wirtschaftsformen kombiniert werden (gemischte Wirtschaft). Eucken geht es also nur um „Idealtypen" von Wirtschaftsformen; Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959/1979, S.80. 77

I. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes

109

Quantifizierung der Werte undurchführbar" wäre. „Während in der Verkehrswirtschaft die Knappheit der einzelnen Güter in den Preisen und Tauschwerten zum Ausdruck komme, verfüge die Zentralverwaltungswirtschaft über keine zureichende Methode, um die Knappheit der einzelnen Produktionsmittel und Produkte exakt festzustellen. Die Leitung vermag infolgedessen die vorhandenen Arbeitskräfte und sachlichen Produktionsmittel nicht entsprechend der faktisch vorhandenen Knappheit zu lenken." 82 Die Zentralverwaltungswirtschaft versagt also, weil der Planbehörde der richtige Maßstab zur Bestimmung des Gleichgewichtspunkts G i.S.d. klassischen Nationalökonomie fehlt. In den Worten der moderneren Transaktionskostentheorie potenziert die Zentralverwaltungswirtschaft Transaktionskosten, weil sie die Entscheidungsbefugnis der sachfernen Planungsbehörde zuweist. Entscheidender noch als die Schwierigkeit bei der Bestimmung von Wirtschaftsdaten ist nach Eucken an der Zentralverwaltungswirtschaft das hohe Maß an wirtschaftlicher Machtzusammenballung zu kritisieren. „Alle Macht konzentriert sich hier in der Zentralstelle, die allein Wirtschaftspläne entwirft und die Handlungen aller Mitglieder des Gemeinwesens - die ihrerseits entmachtet und unfrei sind - lenkt. Das charakteristische Arbeitsverhältnis in der Zentralverwaltungswirtschaft ist Sklaverei und Hörigkeit." 83 Der Gedanke Euckens ließe sich für den Verbraucher fortführen. Auch der Verbraucher ist in der Zentralverwaltungswirtschaft unfrei, weil in ihr die Entscheidungszuständigkeit über individuelle Bedürfnisse vom Verbraucher auf die zentrale Behörde übergeht. Die Euckensche Ablehnung der Zentralverwaltungswirtschaft bedeutet zugleich ein grundsätzliches „Ja" zur Verkehrswirtschaft, in der das Lenkungsproblem über die dezentrale Koordination von Angebot und Nachfrage am Markt gelöst wird. Allerdings ist nach Eucken Verkehrswirtschaft nicht gleich Verkehrswirtschaft. Eucken erkennt in seiner Morphologie, daß sich auch in der Verkehrswirtschaft wirtschaftliche Macht bilden kann. So sei der Markt umso stärker vermachtet, je näher man sich dem Angebots- oder Nachfragemonopol annähere 84 . Wirtschaftliche Macht fehle nur in einer Marktform der Verkehrswirtschaft, nämlich der vollständigen Konkurrenz, die sich durch Konkurrenz auf der Nachfrager- und Angebotsseite auszeichne. In der Marktform der vollständigen Konkurrenz sind die Wirtschaftsteilnehmer nach Eucken zwar entmachtet, aber in einer anderen Weise als in der Zentralverwaltungswirtschaft. Bei vollständiger Konkurrenz bestimme die Gesamtheit der Wirtschaftsteilnehmer den wirtschaftlichen Prozeß, ohne daß diese sich dessen bewußt seien. Während in der Zentralverwaltungswirtschaft eine per82 83 84

Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959/1939, S.80. Eucken, a.a.O., S. 198. Eucken, a.a.O., S. 199.

110

§4 Markt und

Verbraucher

sönliche wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe, sei, so Eucken, in der Marktform der vollständigen Konkurrenz nur eine Abhängigkeit vom anonymen Markt gegeben. Vollständige Konkurrenz bedeute also nicht Konzentration wirtschaftlicher Macht, sondern Verteilung wirtschaftlicher Macht auf möglichst viele8-1. Vollständige Konkurrenz ist für Eucken das andere Extrem im Verhältnis zur Zentralverwaltungswirtschaft. Franz Böhm hat das Verhältnis der Marktabhängigkeit zum Ziel der Freiheitssicherung im Sinne Euckens in einprägsamer Weise beschrieben: „Trotz dieser Abhängigkeit eines j e d e n v o m Planen aller ist keiner abhängig von bestimmten individuellen Nächsten und e b e n hierin besteht die Freiheit bei dieser O r d nung: n i e m a n d hat das Recht, zu befehlen. So ist die Wettbewerbswirtschaft die bestregierte Wirtschaft, zugleich diejenige Wirtschaft, in der so gut wie gar nicht regiert wird." 8 6

Das Modell des Laissez /a/re-Liberalismus wird von Eucken abgelehnt, weil es die Wettbewerbswirtschaft nicht notwendig einschließt. Vielmehr läßt sie eine Vermachtung der Märkte zu. Eucken kritisiert, daß im Laissez faire die Wirtschaftsordnung nicht als Staatsaufgabe angesehen wurde. Man habe an eine Wirtschaftsordnung geglaubt, die sich von selbst entfalte, sobald Freiheit bestehe87. Im Laissez faire sei die rechtsstaatliche Freiheit durch die private Macht bedroht worden, weil man übersah, daß Wettbewerber versuchen werden, der Konkurrenz durch Bildung von Monopolen zu entgehen 88 . Man habe den „Kampf um die Spielregeln" den einzelnen überlassen, hoffte auf das Funktionieren der „unsichtbaren Hand", nahm aber das Scheitern des Preislenkungsmechanismus in KauP'. Eucken kommt aufgrund der Betrachtung der negativen (sozialen) Folgen des Laissez faire zu folgendem Schluß90: „Im G e g e n s a t z . . . zur Politik des Laissez Faire ist es die zentrale A u f g a b e der Wirtschaftspolitik, in der industrialisierten Wirtschaft Bedingungen herzustellen, unter d e n e n sich funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnungen entfalten k ö n n e n . "

Eucken hat damit das Freiheitsparadoxon auf die Wirtschaftstheorie übertragen91. So wie heute anerkannt ist, daß politische Freiheit dort ihre Grenze erreicht, wo sie zu ihrer eigenen Aufhebung führt (streitbare Demokratie), hat der Ordoliberalismus nachgewiesen, daß absolut gewährter wirtschaftlicher Freiheit die notwendige Tendenz zu ihrer eigenen Aufhebung innewohnt. Während der Laissez /«¿^-Liberalismus im Sinne absoluter Freiheit das Entstehen von Kartellen und Monopolen geradezu förderte, setzt sich der Ordoliberalismus 85 86 87 88 89 90 91

Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959/1939, S.202. F. Böhm, O R D O 3 (1950), 15, 16. Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 3f. Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 4f. Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 6f. Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 7. Das Freiheitsparadox wurde von Karl Popper schon bei Plato nachgewiesen.

/. Die Vorstellung vom Funktionieren des Marktes

111

die Sicherung der wirtschaftlichen Freiheit durch die Bekämpfung von Kartellen und Monopolen zum Ziel 92 . Ordoliberalismus ist weder Laissez faire-lAbe,ralismus noch staatlich gelenkte Wirtschaft. Vom Laissez /ßi>e-Liberalismus unterscheidet ihn das Konzept der Wirtschaftsordnung als staatliche Aufgabe. Von der staatlich gelenkten Wirtschaft unterscheidet ihn die bloße Festlegung der „Spielregeln", während das wirtschaftliche Endergebnis den Marktmechanismen überlassen bleibt. „ D e r Staat hat die F o r m e n , das institutionelle R a h m e n w e r k , die O r d n u n g , in d e r gewirtschaftet wird, zu beeinflussen, und er hat Bedingungen zu setzen, unter d e n e n sich eine funktionsfähige und menschenwürdige Wirtschaftsordnung entwickelt. A b e r er hat nicht den Wirtschaftsprozeß selbst zu f ü h r e n . " 5 3

Diese grundsätzliche Sicht des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft läßt sich im Anschluß an Eucken auf den Verbraucherschutz übertragen. Die staatlich gesetzten Spielregeln der Wirtschaft gelten auch für den Verbraucher und schützen ihn gleichermaßen als Marktteilnehmer in seinen Wahlfreiheiten und als „politischen" Bürger. Die Aufgaben von Staat und privaten Wirtschaftsteilnehmern sind im Ordoliberalismus wie folgt zu verteilen: Der Staat sorgt für ein sinnvolles Ineinandergreifen der Wirtschaftsprozesse, so daß alle Wirtschaftsteilnehmer frei planen und handeln können, damit Koordination und nicht Subordination erfolgt (Ordnungspolitik). Der Staat bestimmt also den Rahmen, d.h. die Form des Wirtschaftsablaufs. Die Wirtschaftsteilnehmer füllen diesen Rahmen durch eigene Entscheidungen aus, ohne aber den Rahmen selbst ändern zu dürfen 94 . Bei den Funktionsbedingungen der Wettbewerbsordnung unterscheidet Eukken zwischen den konstituierenden und den regulierenden Prinzipien. Die ersten dienen der Herstellung der Wettbewerbsordnung, die letzteren halten sie funktionsfähig 95 . Dabei dienen alle Prinzipien einem übergeordnetem Ziel: Die Herstellung eines „funktionsfähigen Preissystems vollständiger Konkurrenz" sei im Sinne eines wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundprinzips zu einem wesentlichen Kriterium jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme zu erheben 96 . Bezweckt wird eine positive Wirtschaftsverfassungspolitik der vollständigen Konkurrenz, die über das bloße Verbot von Kartellen und widersprechender staatlicher Maßnahmen (z.B. Subventionen) hinausgeht 97 .

92

Vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 14f.; sowie Schlecht, Grundlagen und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft, 1990, S.65f., zur Notwendigkeit von Wettbewerbspolitik. 93 Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 93. 94 Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 22f. 95 Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 32ff. 96 Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 33. 97 Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 33f.

112

§ 4 Markt und

Verbraucher

Zu den konstituierenden Prinzipien zählen der Primat der Währungspolitik, das Prinzip offener Märkte, Konstanz in der Wirtschaftspolitik, Eigentum, Vertragsfreiheit und Haftung. Dabei beurteilt Eucken das Institut der Vertragsfreiheit durchaus zwiespältig. Sie sei einerseits Voraussetzung von Wettbewerb, könne aber auch dazu benutzt werden, Wettbewerb zu beseitigen. Ähnlich wie Privateigentum bedeute Vertragsfreiheit je nach Wirtschaftsform Unterschiedliches. Formelle Vertragsfreiheit könne reale Freiheit dort nicht wirksam gewährleisten, wo der Markt monopolisiert sei. Erst vollständige Konkurrenz erlaube die freie Wahl des Vertragspartners und das freie Aushandeln der Vertragsbedingungen im Sinne realer Vertragsfreiheit. Deshalb fordert Eucken eine staatliche Monopolkontrolle dort, wo es andernfalls zu von privater Seite diktierten Verträgen kommt. Kontrahierungszwang, die staatliche Festlegung von Preisen und die Kontrolle von AGB als autonom gesetztes Recht der Wirtschaft durch das Monopolamt können in diesem Fall ebenso legitim sein98. Die regulierenden Prinzipien werden erforderlich, weil trotz Vorliegens der konstituierenden Prinzipien Schwächen der Wettbewerbsordnung auftreten können. Eucken unterscheidet fünf regulierende Prinzipien: (1.) die Monopolkontrolle, (2.) die Einkommenspolitik, (3.) die Wirtschaftsrechnung, (4.) das antikonjunkturelle Verhalten sowie (5.) die Währungspolitik. Eine Monopolkontrolle werde trotz der wirksamsten Wettbewerbspolitik dort erforderlich, wo unvermeidbare natürliche Monopole gegeben sind. Die Monopolkontrolle habe hier zu wettbewerbsanalogem Verhalten (Als-ob-Wettbewerb) zu verpflichten. AGB dürften nicht zuungunsten des Vertragspartners vom staatlich gesetzten Recht abweichen". Wesentlich für das Verständnis der Euckenschen Ordnungspolitik ist sein Konzept der Interdependenz der Ordnungen10°. Danach ist die Wirtschaftsordnung nicht isoliert zu sehen, sondern steht im Zusammenhang mit der Verfassungs-, Rechts- und Staatsordnung. Entsprechend kann im Ordoliberalismus das ökonomische Kriterium der Effizienz nicht allein die Form der Wirtschaftsordnung bestimmen. Der Rechtsordnung ist eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung der Funktionsbedingungen der Wettbewerbsordnung zugewiesen. Eucken fordert eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Gesamtentscheidung, an der sich neben der Gesetzgebung auch die Rechtsprechung und die

98 Zur Vertragsfreiheit insgesamt, Eucken, O R D O 2 (1949), 52ff. Zum Wettbewerb als Voraussetzung von Vertragsfreiheit, vgl. Rittner, AcP 188 (1988), 101,126ff. 99 Eucken, O R D O 2 (1949), 1,64ff. Eucken sind andere Autoren mit der Forderung nach einer Kontrolle von A G B vorausgegangen; neben Großmann-Doerth, Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft, 1933, auch Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäfts-Bedingungen, 1935. 100 Vgl. umfassend zur Interdependenz von Wirschaftsordnung und Gesellschaftsordnung bei Eucken, Krüsselberg, O R D O 40 (1989), 223ff. Aus dem jüngeren Schrifttum, Hoppmann, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 177, insbes. 189.

I. Die Vorstellung vom Funktionieren

des Marktes

113

Verwaltung auszurichten haben, weil nur so die Einheit der Wirtschaftspolitik hergestellt werde 101 . Für den Verbraucherschutz relevant sind vor allem die Überlegungen Euckens zur Funktion von Eigentum und Privatautonomie. Beide Institutionen sind nach Eucken ordnungsabhängig, haben also je nach Wirtschaftsordnung unterschiedlichen Inhalt. In der Tat macht die Entscheidung Euckens für die dezentrale Wettbewerbsordnung das Privateigentum erst - und auch für den Verbraucher - erträglich 102 . Den Vertretern „sozialer" Alternativkonzepte 103 ist vorzuwerfen, daß sie sich mit dieser Erkenntnis Euckens nicht auseinandergesetzt haben. Euckens Argument erklärt, weshalb die Verbraucherproblematik beim Wettbewerb und nicht bei der Verteilung des Eigentums anzusetzen hat. Euckens entsprechende Sichtweise der Privatautonomie verteidigt das grundsätzlich marktkonforme Verbraucherschutzmodell gegen die liberale Kritik (z.B. Zöllner). Soweit Eucken der nur formalen Vertragsfreiheit die Forderung nach der Verwirklichung der „realen" Vertragsfreiheit entgegensetzt, vertritt er ein materialisiertes Konzept der Vertragsfreiheit. Von hier aus verläuft eine direkte Linie zur Bürgschaftsentscheidung des BVerfG 104 . b) Das Verhältnis von Ökonomie und Recht Man könnte Walter Eucken und Franz Böhm in ihrer engen Zusammenarbeit als Nationalökonom und Rechtswissenschaftler als erste Vertreter einer ökonomischen Analyse des Rechts in Deutschland bezeichnen 105 . Der Gedankengang der herrschenden Strömung der ökonomischen Analyse des Rechts beginnt freilich bei der Ökonomie und endet beim Recht. Die ökonomische Analyse trifft Aussagen darüber, wie das Recht beschaffen sein soll, um das Gesamtergebnis einer Volkswirtschaft zu optimieren. Kurz: Für die ökonomische Analyse des Rechts ist das Recht eine Funktion des Ökonomischen; für den Ordoliberalismus ist dagegen die Wirtschaft eine Funktion des Rechts. Auch bei Eucken und Böhm erfolgen rechtspolitische Überlegungen im Rahmen der volkswirtschaftlichen Grundkonzeption. Dennoch steht am Anfang der Argumentationskette eine normative Fragestellung. Eucken begibt sich, vom Recht her kommend, auf die Suche nach der menschenwürdigen Wirtschaftsordnung. Nach dem Erkennen der richtigen Ordnung kehrt der Ordoliberalismus zum Recht zurück, indem er die rechtlichen Voraussetzungen zur 101

Eucken, O R D O 2 (1989), 1, 85f. Eucken, O R D O 2 (1949), 1, 52. 103 Oben §2 IV 2. 104 BVerfGE 89, 214 (vom 19.10. 1993). 105 So sieht Heuß, O R D O 40 (1989), 40, die Theorie der Verfügungsrechte (property rights) als „Reimport" bestimmter ordnungspolitischer Vorstellungen. Dem ist zuzustimmen. Genau genommen handelt es sich sogar um eine Verengung solcher Vorstellungen. Die umfassende politische Programmatik des Ordoliberalismus betonend, Rittner, AcP 188 (1988), 101,113. 102

114

§ 4 Markt und

Verbraucher

Errichtung und zum Erhalt dieser Ordnung entwickelt. Die Hauptströmung der ökonomischen Analyse, zumal im Sinne Richard Posners, könnte so nicht argumentieren, denn die Menschenwürde ist ein ökonomisch nicht faßbarer Wert 106 . Deutlicher als bei Eucken wird dieser Zusammenhang von Recht und Ökonomie bei Böhm erkennbar. Nach dessen Kartellrechtskonzeption dient die Monopolkontrolle nicht ausschließlich der Effizienzsicherung des Wettbewerbs, sondern zuvörderst der Sicherung wirtschaftlicher Freiheit. Wettbewerb sei, so Böhm, nicht nur als Leistungsansporn zu schützen, sondern auch als Entmachtungsinstrument 107 . Indem der Ordoliberalismus die individuelle Freiheit jedes einzelnen Wirtschaftsteilnehmers zum Ziel erklärt, das durch das Mittel des Wettbewerbs zu erreichen ist, wird der Wettbewerb selbst zum rechtlichen Schutzgut um der Freiheit und nicht nur um der bloßen wirtschaftlichen Effizienz willen. Der Freiheitsbegriff des Ordoliberalismus ist damit ein inhaltlicher108: „ D e n n vom W e t t b e w e r b hängt nicht nur der Leistungspegel ab, der den Wachstumspolitikern verständlicherweise zunächst am H e r z e n liegt, sondern auch der Freiheits-, Gleichgewichtigkeits- und Gerechtigkeitsgehalt des marktwirtschaftlichen Systems."

Böhm ordnet der Marktwirtschaft zwei Freiheiten zu: die Privatautonomie und die Gewerbefreiheit. Anders als die naturgegebene Privatautonomie bedürfe die Gewerbefreiheit als soziale Auftragszuständigkeit der Rechtfertigung durch den sozialen Nutzen 109 . Dieser Nutzen entstehe nur, wenn der Markt seine Lenkungsaufgabe erfüllt. Dies sei der Fall, wenn Wettbewerb herrscht. Die Privatautonomie ist danach Grundlage der Privatrechtsgesellschaft als Gesellschaft von Gleichen, die die Voraussetzungen zur Erfüllung der Lenkungsaufgabe des Marktes zur Verfügung stellt110. Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen ist unabdingbare Voraussetzung der wirksamen Koordination individueller Wirtschaftspläne und damit für Wettbewerb. Wettbewerb schützt umgekehrt die individuelle Freiheit gegen die Vermachtung der Märkte. Konsequent sieht Böhm wegen ihres latenten Bedrohtseins die Existenz der Privatrechtsgesellschaft nicht als naturgegeben an. Sie bedürfe vielmehr der gärtnerischen Pflege durch 106 Sehr wohl kann aber nach den ökonomischen Auswirkungen des Schutzes der Menschenwürde oder - weiter - der Grundrechte allgemein gefragt werden. So können ökonomische Modelle zur Analyse der Diskriminierung benachteiligter Gruppen (Frauen, Schwarze, etc.) benutzt werden. 107 F. Böhm, O R D O 22 (1971), 11, 20. 108 F. Böhm, a.a.O. Zum Freiheitsparadigma bei Eucken, siehe ausführlich Lenel, O R D O 26 (1975), 49ff. 109 F. Böhm, O R D O 22 (1971), 11, 21. 110 Zum Verhältnis von Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, Böhm, O R D O 17 (1966), 75 ff. Zum Begriff der Privatrechtsgesellschaft bei Böhm, siehe auch Canaris, in: FS Lerche, 1993, S.873, 874f.; Meyer/Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union, 1996, S. l l f f . In Erwiderung auf die Kritik an der Ordnungsfunktion des Privatrechts, Steindorff, in: FS Raiser, 1974, 621, 629ff.

/. Die Vorstellung vom Funktionieren

des Marktes

115

den Staat" 1 . Die Privatrechtsgesellschaft selbst wird damit zu einer staatlichen Einrichtung. Der Staat habe die Spielregeln des Marktes zu bestimmen, dürfe aber nicht selbst am Spiel teilnehmen. Dort aber, wo Private gegen die Spielregeln verstoßen, habe der Staat sanktionierend einzugreifen. Böhm wendet sich deshalb gegen das Mogeln als Einnahmequelle. Darunter versteht er beispielsweise den Mißbrauch der Privatautonomie, unlauteren Wettbewerb, Wucher, Betrug, Monopolisierung oder die politische Forderung an den Gesetzgeber, das Mogeln zum Gesetzgebungsprogramm zu erheben" 2 . Dem Gedanken Euckens zur ordnungsabhängigen Bedeutung von Privateigentum und Privatautonomie fügt Böhm also die normative Erklärung der Entscheidung zugunsten der staatlich zu gewährleistenden Wettbewerbsordnung hinzu. Indem er die Ökonomie zur Funktion des Rechts erhebt, erteilt er der Wettbewerbsordnung die Aufgabe der Sicherung individueller Freiheit. Dies läßt sich auf das Verbraucherschutzrecht übertragen. Ordnungspolitisch gedacht wären Verbraucherschutz und Privatautonomie so zu verstehen, daß sie der Verwirklichung individueller Freiheit dienen. Die Funktion der Privatautonomie besteht danach in der Verwirklichung von Selbstbestimmung. Hinter der Forderung der Ordoliberalen nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Wettbewerbswirtschaft im Sinne einer Wirtschaftsverfassung steht die Notwendigkeit der Sicherung des Wirtschaftssystems gegen den unbeschränkten Zugriff des von Individualinteressen abhängigen einfachen Gesetzgebers 113 . Weil bei den Ordoliberalen die Wettbewerbsordnung der Sicherung individueller Freiheit zu dienen bestimmt ist, wird die Wettbewerbsfreiheit als subjektives Recht verstanden" 4 . c) Ordoliberalismus

und

Verbraucherschutz

Obwohl die Ausführungen des Ordoliberalismus zum Verbraucherschutz schon aufgrund ihrer Entstehungszeit gering sind, sind sie dennoch für das Auffinden der richtigen Verbraucherschutzkonzeption richtungsweisend. Der Ordoliberalismus überwindet das Freiheitsparadoxon für den Markt. Er erklärt die Vorzüge des Marktes für die Freiheit des einzelnen, weist dem Staat eine positive Rolle bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung zu und verteidigt diese Ordnung gegen Angriffe des ungezügelten Wirtschaftsliberalismus und marxistischer Theorien. Damit in Verbindung zu bringen ist ein grundsätzlich marktkomplementäres Verbraucherschutzmodell, das jedoch Abweichungen vom Prinzip

111

F. Böhm, O R D O 17 (1966), 75, 87. F. Böhm, O R D O 17 (1966), 75,140. 113 Dazu ausführlich F. Böhm, O R D O 17 (1966), 75, 140ff. 114 Zum Konzept der Wettbewerbsfreiheit aus jüngerer Zeit, Schmidtchen, (1988), 111 ff. 112

O R D O 39

116

§4 Markt und

Verbraucher

der formalen Privatautonomie im Sinne einer Materialisierung in Richtung auf die Sicherung von Selbstbestimmung zuläßt. Richtungsweisend ist der Ordoliberalismus ebenso im Hinblick auf sein Verständnis vom Verhältnis von Ökonomie und Recht. Indem er die Ökonomie als Funktion des Rechts betrachtet, erlaubt der ordoliberale Ansatz den Übergang von der ökonomischen zur rechtlichen Verbraucherschutztheorie. Die ordoliberale Wirtschaftsordnung ist kein Mittelweg, sondern jene Wirtschaftsordnung, die ein Optimum an Freiheit verbürgt. Entsprechend hätte es auch einer ordoliberalen Konzeption von Verbraucherschutz um die Optimierung von Freiheiten am Markt zu gehen. Mit der Verbindung zum Recht wird die Frage aufgeworfen, ob und in welchem Umfang eine solche Verbraucherschutzkonzeption innerhalb des ordoliberalen Modells durch die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes determiniert wird115.

II. Die Konzeption des Wettbewerbs Bei der Diskussion der verschiedenen Verbraucherschutztheorien (oben § 2 II 1 und 2) fällt auf, daß die Vertreter des Informationsmodells und die Vertreter alternativer Modelle in der Bewertung und Leistungsfähigkeit des Wettbewerbs als Instrument des Verbraucherschutzes ganz unterschiedliche Auffassungen vertreten. 1. Wettbewerb als Voraussetzung der Marktwirtschaft Bei allen liberalen Wirtschaftstheorien kommt, wie gesehen, dem Wettbewerb eine grundlegende Bedeutung für das Funktionieren der Marktwirtschaft zu. Jedoch unterscheiden sich die Theorien in der konkreten Wettbewerbskonzeption, der Funktion des Wettbewerbs zum Erhalt der Marktwirtschaft sowie in der Notwendigkeit der rechtlichen Sicherung des Wettbewerbs. a) Der vollkommene

Wettbewerb in der neoklassischen

Theorie

Die mathematisch vorgehende Klassik und die Neoklassik erheben den vollkommenen Wettbewerb zur Voraussetzung der Gleichgewichtsökonomik. Die Neoklassik definiert den vollkommenen Wettbewerb mit vier Bedingungen: (1.) Eine große Zahl von Anbietern steht einer großen Zahl von Nachfragern gegenüber. (2.) Die individuellen Anteile der Anbieter und Nachfrager sind für sich genommen so klein, daß das Handeln des einzelnen keinen Einfluß auf die Höhe des Preises hat. (3.) Marktzugang und Marktabgang sind kostenlos. (4.) 115

Dazu unten §6.

II. Die Konzeption

des Wettbewerbs

117

Die Güter sind grundsätzlich homogen, so daß es nicht darauf ankommt, bei welchem Konkurrenten gekauft wird116. In der Neoklassik wird der vollkommene Wettbewerb als Leitbild gewählt, weil nur bei ihm der Gleichgewichtspunkt erreicht wird. b) Der vollkommene

Wettbewerb der Chicago School

Auf der neoklassischen Betrachtungsweise beruht auch die Chicago School. Sie begnügt sich aber nicht mit dem Vorliegen von vollständigem Wettbewerb, sondern spricht darüber hinaus dem Antitrust-Recht tendenziell die Berechtigung zum Vorgehen gegen vorgeblich effizientes, tatsächlich aber wettbewerbsbeschränkendes Verhalten ab117. Hieraus resultiert die Forderung nach einer Deregulierung des Antitrust-Rechts, die dessen wettbewerbssichernde Funktion in Frage stellt118. Die Chicago School geht davon aus, daß Wettbewerb auf stark konzentrierten Märkten stärker sei als gemeinhin angenommen. In der praktischen Konsequenz resultiert hieraus eine großzügige Haltung gegenüber Unternehmenszusammenschlüssen 119 . Die Chicago School begründet ihre Position mit dem Fehlen von privaten Marktzutrittsschranken. Monopolistisches Verhalten ziehe Neuankömmlinge an120. Entsprechend sei eine Oligopoltheorie zu verwerfen, wonach sich in einem stark konzentrierten Markt Unternehmen faktisch parallel verhalten 121 . Hohe Gewinne großer Unternehmen sind danach kein Beleg für Marktmacht, sondern beweisen höhere Effizienz 122 . Weil sich Monopole, so die Chicago School, durch Neuankömmlinge auf dem Markt schnell wieder auflösen, sind mittelfristig überwettbewerbliche Gewinne der Produzenten hinnehmbar. Langfristig werde durch Wettbewerb Wohlstand auf die Verbraucher zurückgegeben 123 . Produktwerbung und vertikale Beschränkungen identifiziert 116

Vgl. Hunt/Sherman, Volkswirtschaftslehre 1,1993, S.238f., siehe auch Arthur, 69 N.Y. U. L. Rev. 1, 8f. (1994); I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 1996, S.5. 117 Vgl. die Kritik bei Fox, 84 Michigan L. Rev. 1714,1718 (1986). 118 Typisch für dieses Denken sind die Ausführungen bei Easterbrook, 63 Texas L. Rev. lff. (1984), der eine Auslegung des US-Rechts vorschlägt, wonach hauptsächlich dem Kläger die Beweislast für ineffizientes Verhalten auferlegt wird, und Gerichten rät, von der Zulässigkeit des angegriffenen Verhaltens auszugehen, wenn dessen ökonomische Auswirkungen zweifelhaft sind. 119 Zur Beurteilung der Unternehmenskonzentration durch die Chicago School, siehe Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986, S. 59ff. 12(1 So z.B. Easterbrook, 63 Texas L. Rev. 1,2 (1984). Unternehmenskonzentration wird deshalb nur für problematisch gehalten, wenn ein Unternehmen alle Ressourcen beherrscht und somit den Marktzutritt kontrollieren kann; vgl. Schmidt/Rittaler, a.a.O., S.63. 121 Vgl. Fehl, O R D O 38 (1987), 309, 310; Kallfass, WuW 30 (1980), 596, 597; Schmidt/Rittaler, a.a.O., S. 82. 122 Vgl. Schmidt/Rittaler, a.a.O., S.56. 123 So z.B. Rule/Meyer, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S. 79, 83.

118

§4 Markt und

Verbraucher

die Chicago School lediglich als Maßnahmen effizienten Marketings, nicht aber als Mittel zur Errichtung von Marktzutrittsschranken. Durch künstliche Maßnahmen wie Kampfpreise oder Ausschließlichkeitsbindungen schade sich das anwendende Unternehmen allenfalls selbst, weil Neuankömmlinge durch ineffiziente Verdrängungsmethoden angelockt würden 124 . Hieraus resultiert eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber vertikalen Bindungen 1 2 5 . Das Bestehen von Marktzutrittsschranken leugnet die Chicago School, weil sie jedes Marktverhalten mit dem Kriterium der Effizienz erklärt. E s gilt die Grundannahme, daß durch einseitige Maßnahmen keine Monopolmacht, zumindest nicht in effektiver Weise, zu erlangen sei. Die Chicago School unterstellt - in Verabsolutierung des Modelldenkens und entgegen wirtschaftlicher Realität - das Vorliegen friktionsloser Märkte 1 2 6 . Ineffizientes Verhalten lohnt sich aber dann, wenn etwa aufgrund von Informationsproblemen der Markt nicht hinreichend funktioniert 127 . Während die Chicago School das Bestehen privater Marktzutrittsschranken weitgehend bestreitet, wendet sie sich vehement gegen solche, die vom Staat gesetzt sind 128 . Sinnvolle Wettbewerbspolitik bedeutet deshalb für die Chicago School primär die Bekämpfung staatlicher Regulierung, in der sie eine Bedrohung individueller Freiheit zu erkennen glaubt 129 . Aus der Sicht der Wettbewerbspolitik ist die Schaffung staatlicher Monopole oder staatlich geschützter Naturschutzparks für private Monopolisten natürlich zu kritisieren. Dennoch schießt die Chicago School in zweierlei Hinsicht über das Ziel hinaus. Zum einen ist nicht jeder Eingriff des Staates in das Marktgeschehen negativ zu bewerten. Das wäre nur der Fall, wenn man, wie es die Chicago School tatsächlich tut, davon ausgeht, daß ungeregeltes Marktgeschehen stets zu wünschenswerten Ergebnissen führt. Das Bestehen von Marktunvoll124 Bei der Kampfpreisunterbietung wird folgendermaßen argumentiert: Ein Anbieten zu Preisen unter den Herstellungskosten zum Zwecke der Verdrängung von Konkurrenten sei nur zeitlich begrenzt möglich und nur dann, wenn in Zukunft die zeitweiligen Verluste durch Monopolgewinne ausgeglichen werden können. Monopolgewinne zögen aber sofort wieder Neuankömmlinge an. Dabei übersieht die Chicago School die Möglichkeit, daß die Kampfpreisunterbietung auch anderen strategischen Zielen dienen kann, so z.B. um einen Konkurrenten dazu zu bewegen, sich zu einem möglichst günstigen Preis aufkaufen zu lassen; vgl. Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986, S.86ff.; Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 1721, 1726 (1986); Constantine, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S. 135, 139ff.; Gellhorn, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S.145, 152ff; Baker, 58 Antitrust L.J. 645, 648f. (1989). Grundlegend zur Theorie des predatory pricing, Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. 697 (1975). 125 Vgl. die Kritik bei Möschel, 140 J I T E 156,166ff. (1984). 126 So die Kritik bei Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986, S. 97f. 127 Vgl. dazu den Kodak-Fall unten V. 128 Bork, The Antitrust Paradox, 1978, S. 195 f. 129 Rule/Meyer, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S.79, 92, setzen deshalb ein Antitrust-Recht, das nicht der Chicago School folgt, sogar der Zentralverwaltungswirtschaft gleich.

II. Die Konzeption

des

Wettbewerbs

119

kommenheiten (Informationsprobleme, Externalitäten) zwingt aber dazu, daß der Staat regulierend eingreift. Deshalb geht es nicht um die Abschaffung jeder Regulierung, sondern um die Entscheidung, welche Regulierung erforderlich ist. Andernfalls würde der Staat aus seiner Verantwortung für Probleme des Umwelt- und Gesundheitsschutzes und nicht zuletzt auch des Verbraucherschutzes entlassen 130 . Zum anderen bleibt, wie die ordoliberale Schule begründet hat, das Handeln des Staates erforderlich, damit Wettbewerb überhaupt stattfindet. Die Chicago School sieht dies nicht, weil sie davon ausgeht, Wettbewerb werde sich aufgrund Fehlens von Marktzutrittsschranken stets einstellen. So wird selbst das Kartellrecht zu einer Form mißliebiger Regulierung, die es zurückzudrängen gilt131. Dagegen ist das Kartellrecht nach der ordoliberalen Konzeption gerade das Gegenteil von Regulierung, weil es die Funktionsbedingungen des freien Marktes garantiert. c) Der vollständige Wettbewerb bei Eucken Eucken vertritt im Ordoliberalismus das Leitbild des vollständigen Wettbewerbs132. Der Begriff der vollständigen Konkurrenz nach Eucken trifft sich mit jenem des vollkommenen Wettbewerbs der klassischen Gleichgewichtstheorie in dem Umstand, daß die Wirtschaftsteilnehmer Preise als gegeben hinnehmen. Im Gegensatz zur Klassik, die die tatsächliche Unbeeinflußbarkeit der Marktdaten durch das Handeln einzelner voraussetzt, genügt es für die vollständige Konkurrenz nach Eucken aber, daß die Wirtschaftsteilnehmer die Unbeeinflußbarkeit nur subjektiv annehmen. Dies ist konsequent, denn tatsächlich müssen sich nach Eucken alle Marktdaten aus der Summe der Handlungen der Wirtschaftsteilnehmer ergeben. Auch das Handeln des einzelnen ist daher kausal. Es besteht - anders als im vollkommenen Wettbewerb - objektive Abhängigkeit 133 . 130 Vgl. dazu Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986, S.79f.; Sullivan, 68 Cal. L. Rev. 1, 5 (1980). 131 Siehe die ähnliche Kritik bei Hovenkamp, 84 Michigan L. Rev. 1721,1728, Fn.42 (1986). Der Konzeption von Antitrust als Regulierung entspricht es, die Antitrust-Gesetze selbst einer Effizienzprüfung zu unterziehen; siehe z.B. Dewey, 35 Antitrust Bull. 349 (1990), dort allerdings mit positivem Ergebnis; sowie Rule/Meyer, in: Fox/Halverson (Hrsg.), Collaborations Among Competitors, 1991, S.79, 93 ff. 132 Siehe die genaue Definition in Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 1959/1939, S.201. 133 Zum Verhältnis von vollständiger Konkurrenz und vollkommenen Wettbewerb, siehe Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, S. 188f. An anderer Stelle beschreibt Eucken die vollständige Konkurrenz mit einem Wettlauf, der parallel verläuft, und nicht durch einen Kampf Mann gegen Mann. Vollständiger Wettbewerb sei Leistungswettbewerb; Eucken, O R D O 2 (1949), 1,2ff. F. Böhm, in: F. Böhm: Freiheit und Ordnung, 1980/1950, S.53,62ff„ gibt wohl den Begriff des „vollständigen" Wettbewerbs i.S.d. „vollkommenen" Wettbewerbs wieder; anders - nämlich subjektiv - dann auf S.68f. Die Begriffe werden oftmals identisch verwendet, so I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 1996, S. 5.

120 d) Wettbewerb als

§4 Markt und

Verbraucher

Entdeckungsverfahren

Hayek unterscheidet sich in seiner Ablehnung des vollständigen und des vollkommenen Wettbewerbs gleichermaßen vom Ordoliberalismus wie von der Chicago School. Diese Ablehnung ergibt sich aus der evolutorischen Begründung der Wirtschaftsordnung. Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ist danach ein dynamisches und kein statisches Konzept. Wettbewerb definiert sich nicht durch eine bestimmte Marktform, sondern durch marktliches Tätigwerden der Marktteilnehmer, d.h. dem Suchen nach ökonomischen Daten am Markt. Deshalb kommt es nach Hayek nur darauf an, daß Wettbewerb überhaupt stattfindet. Hierfür ist gerade das Vorliegen von Marktunvollkommenheiten Voraussetzung 134 . Weder die Kriterien, die den Wettbewerb im Sinne der Neoklassik vollkommen, noch jene, die ihn im Sinne Euckens zu einem vollständigen machen, sind notwendige Voraussetzungen dafür, daß der Wettbewerb seine positiven Wirkungen entfaltet. e) Die Kritik am statischen Modell des vollkommenen Wettbewerbs

(vollständigen)

Über Hayek hinaus ist eine Kritik am Leitbild des vollkommenen und auch an dem des vollständigen Wettbewerbs zu formulieren, die für die richtige Verbraucherschutzkonzeption zu beachten ist. Die Kritik geht in zwei Richtungen: (1.) Das Bild vom vollkommenen Wettbewerb ist keine brauchbare Zielangabe für die Wettbewerbspolitik. (2.) Das Modell des vollkommenen Wettbewerbs beschreibt den Wettbewerb notwendig unvollständig, weil es sich nur mit dem Preiswettbewerb befaßt 135 . Das Bild des vollkommenen Wettbewerbs ist aufgrund seiner Annahmen nicht nur unrealistisch, sondern vor allem gerade die Definition von Nichrwettbewerb. Der vollkommene Wettbewerb ist unrealistisch, weil er so gut wie nie in der Praxis vorkommt. Die moderne arbeitsteilige Wirtschaft wird in aller Regel von einer relativ überschaubaren Zahl von Anbietern oder zumindest zum Teil auch von sehr großen Anbietern bestimmt. Manchmal gilt Entsprechendes auch für die Nachfrageseite (Arbeitsmarkt, große Einzelhandelsketten). Marktzugang ist meist mit hohen Investitions- und Werbekosten verbunden. Selbst dort, wo sich homogene Güter finden (Bsp. Getreide), sind sie doch substituierbar, oder der Anbieter, z.B. von Waschmittel oder Baby windeln, versucht, durch Werbung oder Verkauf der Ware unter einer Marke sein Produkt mit einem Zusatznutzen, z.B. Prestige, zu versehen, um es von jenem seines Konkurrenten zu unterscheiden (Produktdifferenzierung). 134

Zur Wettbewerbskonzeption Hayeks, siehe Leffson, O R D O 7 (1955), 261, 263ff. Vgl. die wettbewerbspolitische Kritik bei I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 1996, S. 6ff., dort umfassend zum Konzept des „wirksamen Wettbewerbs". 135

II. Die Konzeption

des Wettbewerbs

121

Noch stärker wiegt das Argument, daß es sich beim vollkommenen Wettbewerb gerade um die Definition von Mc/ziwettbewerb handelt. Hierauf haben Borchardt/Fikentscher schon 1957 in ihrer Schrift „Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung" hingewiesen 136 . Die beiden stellen sich die praxisorientierte Frage, wann sich Geschäftsleute im Wettbewerb fühlen. Bei Borchardt/Fikentscher heißt es in Widerlegung des Eucken'schen Begriffs vom vollständigen Wettbewerb 137 : „ A n d e r s wird der Begriff [der Konkurrenz] vom praktischen G e s c h ä f t s m a n n gebraucht, der sich in diesem Fall [der vollständigen Konkurrenz} nicht in K o n k u r r e n z mit seinem N a c h b a r n fühlt, weil dieser ja gleichermaßen als Individuum durch kein wie i m m e r geartetes Verhalten im R a h m e n des Wettbewerbs den Preis und damit d e n Absatz a n d e r e r zu beeinflussen vermag. D e r G e s c h ä f t s m a n n wird sagen, er b e f i n d e sich mit b e s t i m m t e n A n b i e t e r n im Wettbewerb, wenn er in der Lage ist, seinen Kundenkreis durch Preispolitik, Werbung, Qualitätsleistungen, Kundendienst usw. auszuweiten und wenn a n d e r e das auch tun k ö n n e n , er also in der G e f a h r ist, den Kundenkreis zu verlieren."

Wenn im Sinne des vollkommenen und auch des vollständigen Wettbewerbs das Handeln des einzelnen definitionsgemäß ohne Einfluß auf die Bildung des Preises zu sein hat, müssen die Konkurrenten als price-takersl3S den Marktpreis akzeptieren. Die Gestaltung der Preise ist nun aber ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Mittel, mit dem Konkurrenten versuchen, sich gegenseitig Marktanteile streitig zu machen. Gleiches gilt für den Qualitätswettbewerb. Wenn Produkte von Hause aus homogen sind, ist keine Qualitätsverbesserung möglich, mit der Kunden vom Konkurrenten abgeworben werden könnten. Rivalisierendes Verhalten, wie man es von Wettbewerbern erwartet, ist im Modell des vollkommenen Wettbewerbs gerade ausgeschlossen. Ein realitätsnahes Wettbewerbsverständnis setzt dagegen ein gewisses Maß an Marktmacht, ein Optimum an Marktimperfektion, voraus 139 . Im vollkommenen Wettbewerb kommen zwei Funktionen des Wettbewerbs nicht zum Tragen: Im vollkommenen Wettbewerb gibt es keine Aussicht auf einen Vorsprung gegenüber dem Konkurrenten; es versagt die Belohnungsfunktion. Im vollkommenen Wettbewerb wird aber auch der ineffiziente Wettbewerber nicht bestraft (Straffunktion), weil ein Neubeginn stets möglich ist. Wirklicher, auf Rivalität aufbauender Wettbewerb hat dynamisch zu sein und nicht statisch. 136 Borchardt/Fikentscher, in: Fikentscher, Recht und wirtschaftliche Freiheit 1,1992, S. 91 ff. (Erstausgabe 1957). Siehe auch aus jüngerer Zeit Fikentscher, Aussenwirtschaft, 49 (1994), 281, 305ff., wo der Autor seine frühere Position in Beziehung zur ökonomischen Analyse des Rechts setzt. 137 Borchardt/Fikentscher, a.a.O., S.93f. 138 Cooter/Ulen, Law and Economics, 1988, S.38. 135 Dazu ausführlich Schmidtchen, O R D O 39 (1988), 111, 124ff.; vgl. auch aus dem U.S.amerikanischen Schrifttum, Arthur, 69 N.Y. U. L. Rev. 1,7ff. (1994), der von „rivalrous competition" im Gegensatz zu „perfect competition" spricht.

122

§4 Markt und

Verbraucher

Wieso hat dann aber der vollkommene Wettbewerb seine grundlegende Bedeutung in der neoklassischen Theorie erlangt? Die Neoklassik unterstellt, schon Adam Smith habe die Bedingungen vollkommenen Wettbewerbs für das Funktionieren der unsichtbaren Hand vorausgesetzt. So heißt es bei Samuelson/Nordhaus 140 : „Smith himself recognized that the virtues of the m a r k e t mechanism are fully realized only when the checks and balances of perfect competition are present. (...) The invisiblehand doctrine is about economies in which all the m a r k e t s are perfectly competitive."

Dieses Verständnis ist nicht zwingend, denn die Smith'sche unsichtbare Hand kann sehr wohl im Sinne von Wettbewerb als dynamisches Verfahren zum Entdecken von Marktdaten (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren) begriffen werden 141 . Weil die Marktdaten (Bedürfnisse und Leistungsfähigkeit der Nachfrager, Verhalten der Konkurrenten, etc.) nur geschätzt werden können, lebt der Wettbewerb vom Versuch der Annäherung an den imaginären Gleichgewichtspunkt. Deshalb verläuft die Annäherung auch nicht geradlinig auf der Nachfragekurve, sondern oszilliert um sie142. Dies ist durchaus mit dem Denken von Adam Smith vereinbar, der in empirischer Sichtweise Irrtümer der Marktteilnehmer einkalkuliert. Die neoklassische Theorie vermeidet das Informationsproblem mit der Grundannahme absoluter Information. Nur weil sie wegen der ceteris paribus-Klausel zudem statisch und zeitunabhängig ist, erreicht sie den Gleichgewichtspunkt. Warum kommt es der neoklassischen Nationalökonomie auf das Erreichen des Gleichgewichtspunktes an? Dies liegt an den Effizienzgewinnen, die in diesem Punkt zu erreichen sind. Daß beim tatsächlichen Erreichen des Gleichgewichtspunktes kein Wettbewerb mehr stattfindet, stört in diesem Modell nicht, denn Wettbewerb ist kein Wert an sich. Allein Effizienz entscheidet. Deshalb heißt es bei Samuelson/Nordhaus weiter 143 : „In such a circumstance, m a r k e t s will p r o d u c e an efficient allocation of resources, so that an e c o n o m y is on its production-possibility frontier. W h e n all industries are subject to the checks and balances of perfect competition (...) m a r k e t s can p r o d u c e the efficient bundle of outputs with the most efficient techniques and using the m i n i m u m a m o u n t of inputs."

140

Samuelson/Nordhaus, Economics, 1992, S. 40. So gerade die Beschreibung der unsichtbaren Hand bei Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, 1991, S. 6ff. (insbesondere auf S. 9). 142 So die graphische Darstellung bei Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, 1991, S.7; ders., G R U R Int. 1993, 903. 143 Samuelson/Nordhaus, Economics, 1992, S.40. 141

II. Die Konzeption

f ) Wettbewerb und

des Wettbewerbs

123

Verbraucherschutz

Die erste Kritik am vollkommenen Wettbewerb - vollkommener Wettbewerb ist Mc/ziwettbewerb - richtet sich vor allem an die Wettbewerbspolitik, hat aber auch ihre Bedeutung für den Verbraucherschutz. Die zweite Kritik, nach der vollkommener Wettbewerb wegen des einseitigen Abstellens auf die Preistheorie ein unvollständiges Modell ist, gewinnt für die Verbraucherschutzpolitik im weiteren Sinne Bedeutung. (1.) Wenn man davon ausgeht, daß die Privatautonomie die Voraussetzung für Wettbewerb darstellt, weil sie Inhaltsfreiheit und damit ein Ausstechen des Konkurrenten erlaubt, dann ist Wettbewerb nicht „vollkommen" gewährleistet, wenn die Privatautonomie sich aufgrund der Marktgegebenheiten nicht in allen Punkten durchsetzen kann. Wenn das Modell des vollkommenen Wettbewerbs allein bei der Preisbestimmung und vielleicht noch bei der Wahl des Vertragspartners anknüpft, ist die auf Preisbestimmung gerichtete Vertragsfreiheit wenig wert, denn definitionsgemäß ist der Preis als Datum vom Markt zu nehmen und kein Anbieter ist aufgrund der Homogenität des Gutes leistungsfähiger als der andere. Noch schwerer wiegt allerdings, daß andere Kriterien (Qualität, Nebenbestimmungen, Haftungsfragen, Aufklärung über Gefahren, etc.) ausgeklammert bleiben, obwohl sich in der Verbraucherschutzentwicklung gezeigt hat, daß selbst unter Wettbewerbsbedingungen, insbesondere in bezug auf Nebenabreden, die nicht notwendig Preis und Qualität betreffen, Wettbewerb kaum stattfindet. Ein anschauliches Beispiel bilden die AGB der Banken, die sich für den Verbraucher als gleichermaßen ungünstig und durch formale Privatautonomie ähnlich unabänderbar erwiesen haben. Eine Verbraucherschutztheorie, die die Tugenden des Wettbewerbs erkennt, muß dort regelnd eingreifen, wo Wettbewerb nicht funktioniert, oder, anders formuliert, wo die formale Privatautonomie nicht geeignet ist, materielle Vertragsfreiheit im Rahmen einer Wettbewerbsordnung herzustellen. Definiert man wie die neoklassische Theorie den Wettbewerb als bloße Funktion der Preisbildung, und damit zu eng, wird man tendenziell die Notwendigkeit auch für ein marktkomplementäres Verbraucherschutzrecht ablehnen. Zumindest für die Zwecke des Rechts richtig ist dagegen ein weiter Wettbewerbsbegriff, wie ihn Fikentscher geprägt hat144: „Wirtschaftlicher W e t t b e w e r b ist das selbständige Streben sich zumindest objektiv im Wirtschaftserfolg beeinflussender A n b i e t e r oder N a c h f r a g e r ( M i t b e w e r b e r ) nach Geschäftsverbindung mit D r i t t e n ( K u n d e n und Lieferanten) durch In-Aussicht-Stellen gün144 Fikentscher, Wirtschaftsrecht I, 1983, S.596. Dem Begriff Fikentschers wurde vielfach gefolgt; so F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.597f.; Immenga, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.). § 1 Rdnr. 181. Ablehnend u.a. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S. 62f. Zu verschiedenen Definitionsversuchen, siehe Lukes, in: FS Böhm, 1965, S. 199, 201ff.

124

§ 4 Markt und

Verbraucher

stiger erscheinender - oder im Falle bloßen W e t t b e w e r b s d r u c k s vom M a r k t g e n o m m e n e r - Geschäftsbedingungen."

Dieser Wettbewerbsbegriff wird von Fikentscher als der praktische Wettbewerbsbegriff eines jeden und damit rechtsordnungsunabhängigen Kartellrechts bezeichnet, weil er im Gegensatz zum Begriff des vollkommenen Wettbewerbs auf die Beeinflußbarkeit des Marktes durch das Handeln einzelner Marktteilnehmer abstellt 145 . Damit spricht er die erste Kritik am Begriff des vollkommenen Wettbewerbs an. (2.) Der Begriff Fikentschers ist aber auch deshalb richtig, weil er auf die eingangs genannte zweite Kritik antwortet: Wettbewerb ist nicht auf die Bestimmung von Preisen beschränkt. Wettbewerb als Leitbild deckt sich inhaltlich mit der Privatautonomie. Es geht um Abschluß- und Inhaltsfreiheit, das Ob, MitWem und Mit-Welchem-Inhalt des Vertragsschlusses. Fikentscher bringt diesen Zusammenhang durch die Beschreibung des Wettbewerbs als Verfahren zur Zusammenführung von Vertragspartnern einerseits (Abschlußfreiheit) und die inhaltliche Konkurrenz um beliebige Geschäftsbedingungen - den Preis eingeschlossen - andererseits (Inhaltsfreiheit) zum Ausdruck. Für eine umfassende Konzeption des Wettbewerbs- und Wirtschaftsrechts sowie für die Rechtspolitik hat die hiermit im Anschluß an Fikentscher vertretene Definition des Wettbewerbs große Bedeutung, weil sie, vom Kartellrecht kommend, weitere Gesetze (z.B.: AGBG, VerbrKrG, HWiG, aber auch einzelne Vorschriften des BGB) in den Bereich der Wettbewerbspolitik mit einbezieht, und, von der anderen Seite kommend, dem Kartellrecht als Instrument auch der Verbraucherschutzpolitik Anerkennung verleiht. In beide Richtungen werden dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung folgende Zusammenhänge hergestellt. 2. Das Bestreiten der Funktionstüchtigkeit des Wettbewerbs Die Kritik am Wettbewerbsdenken wird in den alternativen Verbraucherschutztheorien wohl am pointiertesten von Konstantin Simitis vertreten 146 . Das zentrale Argument lautet, in der Überflußgesellschaft würde der Verbraucher durch den Hersteller fremdbestimmt. Nicht der Verbraucher entscheide über seine Bedürfnisse, sondern der Hersteller versuche, neue Bedürfnisse im Verbraucher hervorzurufen 147 . Danach könne auch der Wettbewerb die Interessen von Anbietern und Nachfragern nicht zur Deckung bringen.

145

Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, 1983, S.194f. Simitis, Verbraucherschutz, Schlagwort oder Rechtsprinzip?, 1976; ausführlich oben §2 IV 2 a). 147 Simitis, a.a.O., S. 138. 146

II. Die Konzeption

a) Das Konsumentenmanagement

des Wettbewerbs

125

der Hersteller nach Galbraith

Von ökonomischer Seite hat diese Argumente John Kenneth Galbraith in seinem Buch mit dem aussagekräftigen Titel „The Affluent Society" (Die Überflußgesellschaft) aus dem Jahre 1958 zu begründen versucht. Galbraith kritisiert die allgemeine Anerkennung des wirtschaftlichen Wachstums als Gradmesser gesellschaftlichen Fortschritts, ohne daß die unterschiedliche soziale Wertigkeit von Gütern berücksichtigt werde 148 . Generell würden Güter der Privatwirtschaft als gesellschaftlich wertvoller eingestuft als öffentliche Leistungen, weil die Privatwirtschaft erst die Mittel erwirtschaften müsse, durch die sich der Staat finanziert. Das führe etwa zu dem Widerspruch, daß man Autos für gesamtwirtschaftlich wichtiger hält als die Straßen, auf denen sie fahren. Staubsauger seien bedeutsamer als saubere Straßen 149 . Galbraith stellt nun fest, daß öffentliche Leistungen häufig existenzielle Bedürfnisse befriedigen (Gesundheit, Bildung), während die private Produktion in der Überflußgesellschaft immer mehr den psychologischen und nicht saturierbaren Bedürfnissen der Verbraucher diene 150 . Galbraith unterscheidet zwischen physischen und psychologischen Bedürfnissen der Verbraucher. Physische Bedürfnisse müssen als solche anders als die psychologischen nicht erst geschaffen werden. Sie sind dringlich (urgent). Aufbauend auf der Grenznutzentheorie erklärt er, daß mit höherem Einkommen die Dringlichkeit des Erwerbs sinkt. Dringliche Bedürfnisse werden zuerst befriedigt 151 . Der durch jedes zusätzlich erworbene Gut erlangte Zusatznutzen sei also notwendig geringer als der für das vorher erworbene Gut 152 . Diese anerkannte Lehre der klassischen Nationalökonomie verleitet Galbraith zu der Erkenntnis, daß wirtschaftliches Wachstum in der Überflußgesellschaft nur dann möglich sei, wenn die Produktion weitere Bedürfnisse schaffe. Wenn aber die Produktion erst die Bedürfnisse schaffe, dann können eben diese Bedürfnisse nicht mehr die Notwendigkeit der Produktion begründen. Galbraith hat dies anschaulich formuliert 153 : „So it is that if production creates the wants it seeks to satisfy, or if the wants e m e r g e pari passu with the production, then the urgency of the wants can n o longer b e used to d e f e n d the urgency of the production. Production only filis a void that it has itself created." 148

Galbraith, The Affluent Society, 1958, S. 116ff„ insbesondere S. 127ff. > Galbraith, a.a.O., 1958, S. 128. 150 Galbraith, a.a.O., 1958, S.138. 151 Galbraith, a.a.O., 1958, S.140ff. 152 Allgemein zur Theorie des abnehmenden Grenznutzens, siehe Hunt/Sherman, Volkswirtschaftslehre I, 1993, S. 153f.; Samuelson/Nordhaus, Economics, 1992, S.83ff. 153 Galbraith, The Affluent Society, 1958, S. 147. Vgl. auch die Theorie der Bedürfnishierarchie nach Scherhorn, Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, 1975, S. lOff. Im Gegensatz zu Galbraith hält Scherhorn, 8 J.C.P. 133 (1985), freilich die Konsumentensouveränität durch informationspolitische Maßnahmen für wiederherstellbar. ,4