Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff [4. ed.] 9783428526420, 9783428126422


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German Pages 58 [59] Year 2007

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Inhalt
Einleitung
I. Bericht über zwei völkerrechtstheoretische Werke
1. G. Scelle, Précis de Droit des Gens
2. H. Lauterpacht, The function of Law in the International Community
II. Bericht über zwei Abhandlungen aus The British Yearbook of International Law 1936
1. Sir John Fischer Williams, Sanctions under the Covenant
2. Arnold McNair, Collective Security
III. Kritische Erörterung der neuen völkerrechtlichen Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff
Schluß
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Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff [4. ed.]
 9783428526420, 9783428126422

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CARL

SCHMITT

D i e Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff

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CARL SCHMITT Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff Vierte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin https://doi.org/10.3790/978-3-428-52642-0 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:31:42 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage 1938 Zweite Auflage 1988 Dritte Auflage 2003 Alle Rechte vorbehalten © 2007 Duncker & Humblot GmbH Neusatz auf Basis der 1938 erschienenen ersten Auflage Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-12642-2

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Inhalt

Einleitung I. Bericht über zwei völkerrechtstheoretische Werke

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1. G. Scelle, Précis de Droit des Gens

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2. H. Lauterpacht, The function of Law in the International Community

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II. Bericht über zwei Abhandlungen aus The British Yearbook of International Law 1936

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1. Sir John Fischer Williams, Sanctions under the Covenant

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2. Arnold McNair, Collective Security

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III. Kritische Erörterung der neuen völkerrechtlichen Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff

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Schluß

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Seit mehreren Jahren werden in den verschiedensten Teilen der Erde blutige Kämpfe ausgetragen, bei denen ein mehr oder weniger allgemeines Einverständnis den Begriff und die Bezeichnung des Krieges vorsichtig vermeidet. Es ist allzu billig, darüber zu spotten. I n Wahrheit tritt hier nur mit ungeschminkter Deutlichkeit zutage, daß alte Ordnungen sich auflösen und noch keine neuen an ihre Stelle getreten sind. I n der Problematik des Kriegsbegriffs spiegelt sich die Unruhe der heutigen Weltlage. Es zeigt sich, was immer galt, daß die Geschichte des Völkerrechts eine Geschichte des Kriegsbegriffs ist. Das Völkerrecht ist nun einmal ein „Recht des Krieges und des Friedens", jus belli acpacis, und w i r d das bleiben, solange es ein Recht selbständiger, staatlich organisierter Völker, das heißt: solange der Krieg ein Staatenkrieg und nicht ein internationaler Bürgerkrieg ist. Jede Auflösung alter Ordnungen und jeder Ansatz zu neuen Bindungen wirft dieses Problem auf. Innerhalb einer und derselben Völkerrechtsordnung kann es ebensowenig zwei widersprechende Kriegsbegriffe wie zwei einander aufhebende Neutralitätsvorstellungen geben. Daher w i r d heute der Kriegsbegriff zu einem Problem, dessen sachliche Erörterung geeignet ist, den Nebel trügerischer Fiktionen zu teilen und die wirkliche Lage des heutigen Völkerrechts erkennen zu lassen. Heute haben die großen Mächte viele guten Gründe, Zwischenbildungen und Zwischenbegriffe zwischen offenem Krieg und wirklichem Frieden zu suchen. Die Tatsachen, die mit der Formel „totaler Krieg" gemeint sind, legen solche Zwischenbildungen besonders nahe 1 . Diese sind aber nur Hinausschiebungen und Vertagungen, durch die das neue Problem des Kriegsbegriffs keineswegs gelöst werden kann. Entscheidend ist, daß zur Totalität eines Krieges vor allem seine Gerechtigkeit gehört. Ohne sie wäre jeder Totalitätsanspruch ebenso eine leere Prätention, wie umgekehrt der gerechte Krieg großen Stils heute von selbst der totale Krieg ist. M i t den Erklärungen, unter denen der Präsident Wilson am 2. A p r i l 1917 sein Land in den Weltkrieg gegen Deutschland führte, ist das Problem des diskriminierenden Kriegsbegriffs in die Geschichte des neueren Völkerrechts eingetreten. Damit hat sich die Frage des gerechten Krieges 1

Darüber der Aufsatz: „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat", in der von Freiherrn von Freytagh-Loringhoven herausgegebenen Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht" IV, 1937, S. 139-146, und der außerordentlich interessante Aufsatz von Baron Julius Evola, „La guerra totale", in der Zeitschrift „La Vita Italiana (Ii Regime Fascista)" XXV, 1937, S. 567.

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Einleitung

in einer ganz anderen Weise erhoben, als sie von scholastischen Theologen oder von Hugo Grotius gemeint war. Für Nationen einer bestimmten relativistischen oder agnostizistischen Geistesart gibt es heute keine heiligen Kriege mehr, obwohl die Erfahrungen des Weltkrieges gegen Deutschland gezeigt haben, daß die Kriegspropaganda keineswegs auf die Mobilisierung derjenigen moralischen Kräfte verzichtet, die nur durch einen „Kreuzzug" zu erfassen sind. Für einen gerechten Krieg aber braucht die moderne Geisteshaltung bestimmte Verfahren juristischer oder moralischer „Positivierung". Der Genfer Völkerbund ist, wenn er überhaupt etwas Nennenswertes sein soll, i m wesentlichen ein Legalisierungssystem. Er soll das Urteil über den gerechten Krieg bei einer bestimmten Stelle monopolisieren und die mit der Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff verbundene, folgenschwere Entscheidung über Recht und Unrecht des Krieges bestimmten Mächten in die Hände geben. Er ist also, solange er in dieser Form besteht, nur ein Mittel zur Vorbereitung eines i m höchsten Grade „totalen", nämlich eines mit überstaatlichen und übernationalen Ansprüchen geführten, „gerechten" Krieges.

Die folgende Darlegung soll, an der Hand eines Berichtes über einige kennzeichnende Veröffentlichungen des ausländischen völkerrechtlichen Schrifttums, ein Bild des neuen Entwicklungsabschnittes geben, in den das Völkerrecht der Nachkriegszeit seit den Jahren 1932/33 eingetreten ist. Die Besonderheit dieses neuen Stadiums liegt darin, daß der Gedanke einer Verbindung des heutigen Genfer Völkerbundes mit einer universalen, ökumenischen Weltordnung, insbesondere die Durchführung der in dieser Verbindung enthaltenen Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, in eine solche Krisis geriet, daß man - wie die Ereignisse in Ostasien, Afrika und Spanien zeigen - nicht nur nicht zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg, sondern überhaupt nicht einmal mehr zwischen Krieg und Nicht-Krieg zu unterscheiden vermochte. Eben diese Krisis aber zwingt die Vertreter des Gedankens einer Verbindung von Genfer Völkerbundsrecht und universalem Völkerrecht, für ihre Idee eine deutlichere, sei es institutionell-föderalistisch, sei es rechtlich-moralisch konkretere Gestaltung zu suchen. I n demselben Maße, in dem der Gedanke des Genfer Völkerbundes durch die politischen Ereignisse in eine offensichtliche Krisis gerät, w i r d er gleichzeitig, durch eine A r t dialektischer Notwendigkeit, zu einer Steigerung und Vertiefung weitergetrieben. Eine Hierarchie bloßer Normen reicht jetzt offenbar nicht mehr aus; an ihre Stelle soll entweder eine Hierarchie konkreter völkerrechtlicher Insti-

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Einleitung

tutionen und Autoritäten treten 2 oder es soll sonstwie der diskriminierende Kriegsbegriff durchgesetzt werden. Die Institutionalisierung gibt den vielen Programmen eines „konstruktiven Pazifismus" das, was man eine juristische „Positivierung" nennen kann; sie verleiht der im Genfer Völkerbund organisierten internationalen Völkerrechtsgemeinschaft die Würde einer, trotz aller Unvollkommenheit nicht nur i m Grundsatz, sondern auch i m entscheidenden Ansatz heute bereits wirklichen, konkreten Ordnung; der Genfer Völkerbund, und durch ihn schließlich auch die die ganze Menschheit umfassende „communauté internationale", bekommt entweder eine wirkliche „Verfassung", durch die institutionelle und verfahrensmäßige Möglichkeiten einer wirksamen, „kollektiven" A k t i o n gewährleistet sind, oder er erhält wenigstens die Bedeutung einer für die „moralische" Uberzeugung der Welt über Recht und Unrecht eines Krieges entscheidenden Autorität. Die rechtswissenschaftlichen Mittel und Argumentationen sowohl der typisch französischen „Institutionalisierungen", wie der typisch englischen „Konkretisierungen" des Rechtsproblems werden sich aus dem folgenden Bericht ergeben. Ihre völkerrechtstheoretische wie ihre politisch-praktische Bedeutung ist heute - wegen der neuen, gerade durch die Krisis von Völkerbund und Völkerrecht gesteigerten Intensität des außenpolitischen Problems - eine andere und größere als die von früheren, rein literarischen Äußerungen, wie zum Beispiel die der vielen rechtslogischen Konstruktionen einer „Verfassung" der Völkerrechtsgemeinschaft, oder der seit Wehberg-Schückings Kommentar zur Völkerbundssatzung (1921) oft wiederholten Behauptung, der Genfer Völkerbund sei ein „Staatenbund" i m Sinne der bisherigen, hauptsächlich im deutschen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts entwickelten Begriffsantithese zum Bundesstaat, mit „eigenen", nicht nur „gemeinsamen" Organen 3 . Es geht heute, anders und mehr als je, um die Frage des gerechten Krieges. Das erste Jahrzehnt der Nachkriegszeit war völkerrechtlich von einem Vertragspositivismus beherrscht, dessen Haltung und Leistung im ganzen darin bestand, unter Berufung auf die Heiligkeit der Verträge und den Satz pacta sunt servanda den Status quo der Pariser Vorortsverträge zu legalisieren, und über dem als unentbehrliche, aber wissenschaftlich nicht ganz 2 Georges Scelle , Völkerbund und Völkerrecht, herausgegeben von Freiherrn von Freytagh-Loringhoven, 1. Jahrgg. (1934), S. 7; dazu Carl Bilfinger; ebenda, 4. Jahrgg. (1937), S. 345 (Zur Lage des VB.Rechts). 3 Uber diese Literatur und ihre durch Zitierungen allmählich sich ansammelnde „herrschende Ansicht": Jos. Kunz, Die Staatenverbindungen (Handbuch des Völkerrechts II, 4), Wien 1929, S. 505, und das dort zitierte Schrifttum, ferner Claudio Baldoni, La sociétà delle Nazioni, Bd. I, p. 74, Studi di Diritto Pubblico, diretti da Donato Donati Nr. 10, Padua 1936.

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Einleitung

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überzeugende A b r u n d u n g auf der einen Seite die I d e o l o g i e n des Pazifismus, auf der anderen die leeren, alles u n d nichts enthaltenden I d e o g r a m m e u n d „logischen Zurückführungen"

einer „ r e i n e n Rechtslehre"

schweb-

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t e n . Seit d e m Jahre 1932 aber - das entscheidende P h ä n o m e n ist die m i t d e m japanischen V o r s t o ß i n Ostasien sich durchsetzende, neue P r o b l e m a t i k des v ö l k e r b u n d s r e c h t l i c h e n Kriegsbegriffs - spiegelt sich die D y n a m i k der p o l i t i s c h e n Ereignisse

auch i n der Völkerrechtswissenschaft.

Der

ideenlose Vertragspositivismus des b l o ß e n Status q u o k o n n t e n i c h t n u r d e n „ Z e r f a l l des Versailler Vertrages" n i c h t a u f h a l t e n 5 ; er w u r d e

auch

rechtstheoretisch unhaltbar. D e n Satz „ p a c t a sunt servanda" m u ß t e n gerade die A n h ä n g e r einer neuen, universalistischen W e l t o r d n u n g i n w a c h sendem U m f a n g auch wissenschaftlich als u n z u l ä n g l i c h e G r u n d l a g e einer N e u o r d n u n g e m p f i n d e n . D e r B e g r i f f der „ R e v i s i o n " erlebte eine u n e r w a r tete A u s w e i t u n g ; ü b e r die eigentlichen „ R e v i s i o n e n " v o n Verträgen hinaus w u r d e j e t z t neben der „ k o l l e k t i v e n Sicherheit" auch die N o t w e n d i g k e i t echter R e f o r m e n u n d w i r k s a m e r R e c h t s e i n r i c h t u n g e n u n d Verfahrensweisen einer allgemeinen „ f r i e d l i c h e n Ä n d e r u n g " , eines „peaceful change", e r k a n n t , eine N o t w e n d i g k e i t , die sich d u r c h H i n w e i s e auf A r t . 19 VS. n i c h t m e h r als „ u n j u r i s t i s c h " oder „ u n w i s s e n s c h a f t l i c h " a b t u n l i e ß 6 . D i e 4 Carl Schmitt, Nationalsozialismus und Völkerrecht, Berlin 1934, Schriften der Deutschen Hochschule für Politik, herausgegeben von Paul Meier-Benneckenstein, Heft 9, dazu die Besprechung von Herbert Kraus, Niemeyers Zeitschrift für Internationales Recht, Bd. 50, S. 151. Zu S. 11 der Ausführungen meines Vortrages „Nationalsozialismus und Völkerrecht" hat mich Herr Professor A. von Verdroß (Wien) darauf aufmerksam gemacht, daß er in seinem Buch „Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft", Berlin 1926, zwar den Satz „pacta sunt servanda" zur „Grundnorm der einheitlichen Völkerrechtsordnung" gemacht, damit aber keineswegs eine Anerkennung der Pariser Vorortsdiktate gemeint habe, die vielmehr als unsittliche Verträge ungültig seien, wie spätere Veröffentlichungen, insbesondere der Aufsatz „Heilige und unsittliche Staatsverträge" in Völkerbund und Völkerrecht, 2. Jahrgg. (1935), S. 164, und „Der Grundsatz pacta sunt servanda und die Grenze der guten Sitten", Ztschr. f. Öffentliches Recht, X V I (1936), S. 79, klarstellen. Ich nehme gern davon Kenntnis und benutze gern diesen Anlaß, um den von meinem Wiener Kollegen gewünschten Hinweis anzubringen. 5 W. Ziegler; Der Zerfall des Versailler Vertrages, eine geschichtliche Darstellung, Veröffentlichungen der Forschungsabteilung der Deutschen Hochschule für Politik, Bd. 1, Berlin 1937. 6 Die Formel dürfte in dieser Prägung auf den Titel der im Jahre 1932 erschienenen Schrift von Sir John Fischer Williams, International Change and International Peace, zurückgehen. Weiteres Schrifttum bei Heinrich Rogge, Das Revisionsproblem, Theorie der Revision als Voraussetzung einer internationalen wissenschaftlichen Aussprache über „Peaceful Change of Status quo", Berlin 1937. Uber die Internationale Studienkonferenz über kollektive Sicherheit, London, 2.-8. Juni 1935, vgl. den Bericht von F. Berber in Bruns Ζ. V (1935), S. 803-818. In der Akademie für Deutsches Recht ist dieses Thema auf Grund eines Vortrages von Professor Arnold Toynbee (London) am 28. Februar 1936 in Berlin erörtert worden (Jahrbuch der Deutschen Akademie für Deutsches Recht, 1936, S. 225). Uber die in Paris vom 28. Juni bis 3. Juli abgehaltene Internationale Stu-

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Einleitung

chaotische Verwirrung des Kriegsbegriffs, die sich angesichts der Ereignisse in Ostasien und in Spanien in tragischer Weise dokumentierte, brachte dann die ganze Ratlosigkeit eines neuen, vom Völkerrecht noch nicht bewältigten Entwicklungsstadiums schließlich aller Welt zum Bewußtsein. I n dieser Lage steht auch die am Genfer Völkerbund und seinen Zielen und Idealen sich ausrichtende, rechtswissenschaftliche Theorie und Systematik vor neuen Aufgaben und Fragestellungen. Ihre Anknüpfung an die Normativistik des ersten Abschnitts ist dabei nicht zu verkennen. Systematische Gebäude und gut durchdachte Theorien stehen gewöhnlich nicht am Anfang, sondern am Ende einer Epoche. Daher sind die i m folgenden behandelten theoretischen Arbeiten nicht etwa in bewußter Abkehr von der Arbeit der vorangehenden Jahre, sondern sogar wesentlich aus ihr heraus entstanden. Ihre Bedeutung liegt darin, daß sie sozusagen von selbst, durch die Entwicklung der Dinge getragen, in das neue Stadium eingehen und durch die neuen Ereignisse eine andere, ernstere A r t von Aktualität erhalten, als sie das Schrifttum des vorangehenden, durch die Illusion der erreichten Legitimierung des Status quo gekennzeichneten Abschnittes aufzubringen vermochte. Wenn sich hier selbstverständlich viele Zusammenhänge mit dem bisherigen Schrifttum, viele Anknüpfungen, Übergänge und Zwischenbildungen feststellen lassen, so kommt es doch darauf nicht an. I m ganzen tritt die Eigenart des neuen, durch den Versuch einer wirklichen „Institutionalisierung" gekennzeichneten Entwicklungsabschnitts seit mehreren Jahren deutlich genug zutage. Insbesondere haben die Bemühungen um eine Aktivierung des Genfer Völkerbundes gegen Italien (Herbst 1935) alle großen kritischen Fragen - Kriegsbegriff, neuer Neutralitätsbegriff, rechtliche Natur des Völkerbundes - aufgeworfen; die Sanktionsversuche gegen Italien können geradezu als ein „pathognomischer Moment" betrachtet werden, das heißt als ein Augenblick, der das kritische Stadium der „Institutionalisierung" oder „Konkretisierung" von Völkerbund und Völkerrecht nach vorwärts wie nach rückwärts plötzlich in hellstem Lichte zeigt und es dadurch wissenschaftlich erkennbar macht. Dabei ist es nicht zufällig, daß die interessantesten Leistungen des neuen Stadiums dem französischen und dem englischen Schrifttum angehören. I m ersten Abschnitt des Völkerrechts der Nachkriegszeit, von 1920 bis dienkonferenz „Peaceful Change" vgl. die Berichte von F. Berber und D. von Kenvers in den „Monatsheften für Auswärtige Politik", August 1937; zu dem Buch von Werner Gramschy Grundlagen und Methoden internationaler Revision, Stuttgart und Berlin 1937 vgl. die Besprechung von Bertram in der Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht", IV (1937), S. 398/99.

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Einleitung

1932, konnte das die Aktivität von Staatsmännern wie Benesch und Politis begleitende rechtstheoretische Bemühen sich noch mit einem in Wien geborenen Normativismus zufrieden geben, der in mancher Hinsicht nur ein Reflex der abnormen völkerrechtlichen Lage des Nachkriegs-Österreich war 7 , und an dem sogar noch die Züge einer für die vergangene habsburgische Monarchie typischen, abstrakten A r t von Jurisprudenz nachgewiesen worden sind 8 . Jetzt dagegen ändert und erweitert sich der H o r i zont. A m auffälligsten hat die mit den Sanktionsversuchen gegen Italien seit Oktober 1935 sich aufdrängende, völkerbundsrechtliche Problematik die Tatsache enthüllt, daß es sich seit langem nicht mehr um neue N o r men, sondern um neue Ordnungen handelt, um deren konkrete Gestaltung sehr konkrete Mächte ringen. So darf man sagen, daß das völkerrechtliche Denken, wie es sich in den hier interessierenden, neueren Veröffentlichungen bekundet, seine Folie in der politischen Gesamtlage von Weltmächten wie England, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika findet, und daß es das Licht der Welt nicht zufälligerweise statt in Wien, in London und Paris erblickt hat 9 . Sobald die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen den A n sprüchen einer institutionalisierten, übervölkischen, ökumenischen Weltordnung und dem Selbstbehauptungswillen freier Völker sich steigert und vertieft, erscheinen zahlreiche Fragen und Probleme, die in anderen Zeiten der Rechtsphilosophie oder einfach der pädagogischen Taktik des Unterrichts überlassen werden, plötzlich in einem neuen, oft geradezu revolutionären Aspekt. Das betrifft nicht nur die bekannten alten Grundfragen allgemeiner Natur: Monismus oder Dualismus bzw. Pluralismus, Primat des Völkerrechts oder des Landesrechts, Subordinations- oder Koordinationsrecht, Souveränität oder Nicht-Souveränität der Staaten, Uberstaatlichkeit oder Zwischenstaatlichkeit des Völkerrechts, Herrschaftsgemeinschaft oder Rechtsgemeinschaft; es gilt in ganz besonderem Maße auch für die Frage, wie das neue völkerrechtswissenschaftliche System aufgebaut werden soll und an welcher Stelle dieses Systems die einzelnen, praktisch wichtigen Fragen einzureihen sind. So ist es beispielsweise ein folgenrei7 Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, 1926, S. 11, Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet (Rheinische Schicksalsfragen, Schrift 27/28), Berlin 1928, S. 86/87; Rheinischer Beobachter, 1928, S. 340. 8 Erich Voegelin, Der autoritäre Staat, Wien 1936, S. 127 (die reine Rechtslehre Kelsens in der Tradition der österreichischen Staatslehre). Daß das Lehrbuch des Völkerrechts von Alexander Hold-Ferneck (1930-1932) nicht in diesen Zusammenhang gehört, versteht sich von selbst. 9 Der folgende Bericht beschränkt sich auf französische und englische Veröffentlichungen; die zum Gesamtbild gehörende amerikanische Literatur (Quincy Wright, Hudson u. a.) soll in einem besonderen Bericht erörtert werden.

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Einleitung

cher Unterschied, ob man die Kolonie, wie bisher, nur als Ausstrahlung der Staatsgewalt im Anhang zu der Lehre von den Staaten als Völkerrechtssubjekten, vielleicht als eine Qualifizierung bei der Lehre vom Staatsgebiet und dem räumlichen Herrschaftsbereich der Staaten behandelt, oder ob die Kolonialgewalt, wie das neuerdings vertreten wird, als eine spezifisch völkerrechtliche Erscheinung anzusehen ist, die ihre rechtliche Begründung in einem Auftrag und einer „Delegation" findet, die von einer regionalen oder von der universalen Völkerrechtsgemeinschaft erteilt wird, so daß der Mandatsgedanke des Art. 22 VS. ein erster, positivrechtlicher Ansatz eines neuen, ins Regionale oder Universale zu verallgemeinernden Prinzips wäre. So ist es ferner zum Beispiel nicht gleichgültig, an welcher Stelle des völkerrechtlichen Gesamtsystems die Frage des sogenannten völkerrechtlichen Minderheitenschutzes behandelt wird, ob sie grundsätzlich eine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit, „domaine exclusif" des einzelnen Staates ist oder Ausdruck eines die staatlichen Grenzen sprengenden Volksbegriffs, der im Gegensatz zum Staat das Volk zum maßgebenden Völkerrechtssubjekt erhebt; ob sich eine völkerrechtlich wirksame Qualifizierung des Staatsangehörigkeitsbegriffs in ihr äußert oder ein völkerrechtliches Mandat eines bestimmten Staates, einer Gruppe von Staaten oder gar der universalen Völkerrechtsgemeinschaft; ob sie ein Homogenitätsproblem 1 0 , ein Interventionsproblem oder ein Ausfluß der völkerrechtlich unmittelbaren Stellung des einzelnen, Staatsangehörigen Individuums ist. So ist es, u m weitere Beispiele herauszugreifen, auch für das politische Ergebnis nicht gleichgültig, ob die Freie Stadt Danzig bei den „Staaten" oder aber etwa i m Rahmen der Lehre vom Genfer Völkerbund ihren Platz i m System des Völkerrechts findet, ob der Genfer Völkerbund als Krönung des Völkerrechts oder nur i m Rahmen der völkerrechtlichen Verträge erscheint. Schließlich sei noch daran erinnert, daß auch der Begriff der „ Piraterie" der plötzlich wieder aktuell geworden ist, seit langem ein merkwürdiges Problem darstellt, das auf der einen Seite als eine nur noch theoretisch interessante Bagatelle, auf der anderen aber als Einbruchsteile eines völlig neuen, den Staatsbegriff sprengenden Völkerrechts erscheint 11 . Diese Beispiele mögen genügen, um die praktische Bedeutung der Völkerrechtssystematik und der, wenn ich so sagen darf, „systematischen Begriffsstandortslehre" anzudeuten. Dadurch, daß eine bestimmte Frage 10 Dazu die Darlegungen von H. Raschhofer, Die Krise des Minderheitenschutzes, in Bruns Z. V I (1936), S. 238 f.: gewisse individualistisch konstruierte Freiheiten als „base de l'organisation sociale dans tous les Etats de l'Europe" und „Standard der Staatsstruktur". 11 Darüber unten in diesem Bericht, S. 51 und 57.

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14

I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke

an einer bestimmten Stelle des völkerrechtlichen Systems behandelt wird, sind bereits entscheidende Ergebnisse vorweggenommen. Die „Flugbahn eines Begriffs", um dieses anschauliche Bild eines jungen Franzosen zu übernehmen 12 , die Überzeugungskraft und Folgerichtigkeit eines völkerrechtlichen Gedankens, w i r d nicht nur durch den Inhalt einer isolierten Vorstellung, sondern wesentlich durch den Standort eines Begriffs in einem Begriffssystem bestimmt. Daher beginnt die folgende Darlegung mit einem Bericht über zwei mehr theoretische, vielfach noch in der Denkarbeit des vorangehenden Stadiums verwurzelte, völkerrechtswissenschaftliche Werke des französischen und englischen Schrifttums, um dann einige konkret-praktische Argumentationen, vor allem englischer Autoren, zu behandeln. I n dieser Reihenfolge liegt kein Urteil über die größere oder geringere wissenschaftliche Bedeutung, vielmehr bedürfen alle systematischen und rechtstheoretischen Behauptungen einer Ergänzung durch einige typische Argumentationen konkret-praktischer Stellungnahmen. N u r dadurch entsteht ein Gesamteindruck, der dazu beitragen kann, das gegenwärtige Stadium der am Genfer Völkerbund ausgerichteten Völkerrechtswissenschaft und ihre Stellung zum Problem des gerechten Krieges richtig zu verstehen.

I. Die theoretischen Arbeiten, die hier zuerst behandelt werden sollen, sind: der bisher in zwei Bänden vorliegende „Précis de droit des gens" des berühmten Pariser Völkerrechtslehrers und Vorkämpfers des universalistischen Völkerbundsgedankens Georges Scelle (Band I 1932, Band I I 1934), der in bewußter Unterscheidung nicht mehr, wie es üblich geworden war, von einem „ D r o i t international", sondern vom „ D r o i t des gens" als einem wirklichen Völkerrecht spricht; und das 1933 erschienene, A . D . M c N a i r gewidmete Buch des Lehrers des öffentlichen internationalen Rechts an der Londoner Universität H. Lauterpacht, „The Function of Law in the International Community", das auch deshalb besondere Beachtung verdient, weil sein durch zahlreiche völkerrechtliche Abhandlungen und Vorträge bekannter Autor das weltbekannte völkerrechtliche Lehrbuch von L. Oppenheim, „International Law", weiterführt. Die beiden Werke von Scelle und Lauterpacht scheinen mir besonders wichtige Anzeichen dafür zu sein, daß die völkerrechtswissenschaftliche Erörterung auch in syste12 William Gueydan de Roussell, Demaskierung des Staates, Europäische Revue 1936, S. 799.

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I. Z w e i völkerrechtstheoretische Werke

matischer und rechtstheoretischer Hinsicht in ein neues, interessanteres Stadium eingetreten ist. Beide gehen in ihrer grundsätzlichen und systematischen Konkretisierung über den früheren Positivismus und Normativismus weit hinaus. Der Satz „pacta sunt servanda" ist für sie der Ausdruck eines noch voluntaristischen, das heißt auf den subjektiven Willen der einzelnen Staaten begründeten Völkerrechts, mag dieser Wille auch als der durch „Vereinbarung" entstehende „Gemeinwille" der Lehre Triepels aufgefaßt werden 1 3 . Beide Werke erstreben eine durch Institutionen gesicherte, universale Weltrechtsordnung, wobei Genfer Völkerbund, universale Völkerrechtsgemeinschaft, Weltrechtsordnung und Menschheit sich gegenseitig durchdringen, ergänzen und vorwärtstreiben. Während das vor kurzem erschienene Lehrbuch des Völkerrechts von Alfred von Verdroßt die Staaten trotz des „Primats des Völkerrechts" als „souveräne Rechtsgemeinschaften" behandelt und auf ihnen seine Systematik aufbaut, wobei zwischen Völkerrecht und Weltbundesstaatsrecht ausdrücklich unterschieden w i r d (§ 7, S. 47), zeigen die genannten beiden Arbeiten, daß die Dynamik der Weltereignisse auch die am Genfer Völkerbund ausgerichtete Völkerrechtswissenschaft zu kühneren Institutionalisierungen treibt. Die Unterscheidung von gegenwärtig-positivem und künftigem Recht, ebenso die von Genfer Völkerbund und universaler Völkerrechtsgemeinschaft, w i r d dabei zwar anerkannt, aber dann doch gleichzeitig in einer oft widerspruchsvollen und unklaren Weise auf der einen Seite durch den Aufbau des Systems und durch die Positivierung bestimmter Grundsätze in ihrer Bedeutung vermindert, da von dem „grundsatzwidrigen" Völkerrecht immer weniger übrigbleibt; auf der anderen Seite geht die Verschiedenheit von lex lata und lex ferenda in einer starken Fortschrittsund Entwicklungstendenz unter, weil das diesem Fortschritt widersprechende positive Völkerrecht nur noch als eine bereits zum Untergang verurteilte Abnormität behandelt wird. Statt einer Rechtswissenschaft des bloßen Status quo scheint also jetzt eine geradezu gegenteilige Leistung erbracht zu sein: eine revolutionär-neue Systematik und eine auf allgemeine Rechtsgrundsätze sich stützende, die vorwärtsdrängende Dynamik des Weltgeschehens in sich aufnehmende, völkerrechtliche Jurisprudenz eines werdenden Rechts. Angesichts des Werkes von Scelle könnte man vielleicht sogar einen Augenblick glauben, hier sei auf völkerrechtswissenschaftlichem Gebiet die erstaunliche Voraussage Proudhons ver13 Für uns sind die theoretischen und praktischen Bedenken gegen Triepels „Vereinbarung", die schließlich doch in einem Willenspsychologismus stecken bleibt, durch Gustav Adolf Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, Stuttgart 1933, S. 19-27, abschließend dargelegt worden. 14 Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft, herausgegeben von E. Kohlrausch und H. Peters, Berlin 1937.

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wirklicht, das 20. Jahrhundert werde in analoger Weise föderalistisch sein, wie das 19. Jahrhundert konstitutionalistisch w a r 1 5 . Untereinander sind die beiden Werke sehr verschieden, nicht nur i m Stil und in ihrer geistigen Prägung, sondern auch in ihren Methoden der Institutionalisierung und in den Vorstellungen, die sie sich von der Struktur der institutionalisierten Völkerrechtsgemeinschaft und von deren artbestimmender Institution machen. Scelle baut ein völlig neues System des Völkerrechts auf, das trotz zahlreicher Widersprüche zu früheren Äußerungen des Autors und trotz großer Unklarheiten in wichtigen Fragen (zum Beispiel der Struktur des Völkerbundes) doch als ein geschlossenes Ganzes wirkt. Es beseitigt die gesamte bisherige, durch die zentrale Stellung des Staates bestimmte Systematik des Völkerrechts und läßt sie als eine veraltete, geradezu mittelalterliche Angelegenheit erscheinen. Dieses System ist radikal individualistisch, demokratisch i m Sinne des konkretwirklichen (nicht nur „logisch-rückführbaren") Primats einer überstaatlichen, internationalen Rechtsordnung. Man kann das Werk als die erste, mit aller Folgerichtigkeit durchgeführte Völkerrechtssystematik der individualistischen, liberal-demokratischen Weltanschauung bezeichnen. Durch seine Kunst, politische Ziele und Ideale in juristische Formulierungen und systematische Konstruktionen zu kleiden, steht Scelle in der großen rechtswissenschaftlichen Tradition, die mit den Legisten des französischen Mittelalters beginnt und die sich bisher noch in jedem Jahrhundert der neueren Geschichte Europas in den verschiedensten außen- und innenpolitischen Situationen bewährt hat. Sein rechtswissenschaftlicher Typus ist dadurch bestimmt, daß er die Gesetzgebung, die Legislative, zur artbestimmenden Institution der institutionalisierten Völkerrechtsgemeinschaft macht und sie als „erste Funktion", als Grundlage des Systems einführt, während die internationale Rechtsprechung, als „zweite Funktion", erst i m kommenden dritten Band behandelt werden soll. Die Legislative, die man i m Völkerrecht so lange vermißt hatte, w i r d auf das kühnste gleich in seinen Mittelpunkt hineinkonstruiert. Scelles weltumfassende Völkerrechtsordnung w i r d dadurch zum überstaatlichen Spiegelbild eines Gesetzgebungsstaates, wie es Frankreich, das* Vaterland berühmter Gesetzeskodifikationen, seit langem ist. Neben einem solchen Werk, das den ganzen Reiz einer radikalen, systematischen Neuschöpfung hat, w i r k t das Buch von H. Lauterpacht sehr vorsichtig und konservativ und durchaus nicht in entsprechender Weise typisch eng15 D u principe fédératif, Paris 1863, S. 109. A n dieser Stelle zieht Proudhon auch die oft (z. B. von Spengler) wiederholte Parallele der heutigen Gegenwart mit dem Beginn der „ère actiaque", die 30 v. Chr. durch die Schlacht bei Aktium mit einer langen Friedensperiode einsetzte.

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lisch. Es bedeutet auch keine repräsentative englische Stellungnahme in dem Sinne, wie die im folgenden zu besprechenden Aufsätze von englischen Rechtsgelehrten wie Sir John Fischer Williams und A . D. McNair. Das ist bei der Herkunft des aus dem galizischen Polen stammenden A u tors leicht begreiflich. Aber als ein juristisches Werk, zwar nicht so sehr systematischer als rechtstheoretischer Art, nimmt es i m englischsprachigen Schrifttum der letzten Jahre eine hervorragende Stellung ein. Es knüpft mit großer Umsicht an die spezifisch englischen Einrichtungen und Denkweisen des common-Law und des Richterrechts an, erörtert in einer sorgfältigen Untersuchung eine große Fülle von Vorentscheidungen, vermeidet die legistisch-konstruktivistischen Begriffe Scelles und hält sich mehr an die anerkannten Grundsätze der allgemeinen Rechtslehre, durch deren kritische Analyse es, Schritt für Schritt, den Boden gewinnt, auf dem dann schließlich doch der Staat und das in ihm organisierte Volk entthront ist und eine civitas maxima , mit einem universalen common law und einem internationalen Richtertum als spezifischer Institution erscheint. So spiegelt sich in den beiden Werken der tiefe Gegensatz des französischen Staates und des englischen Commonwealth, der Gegensatz eines an einer „Legislative" ausgerichteten, zur geschriebenen Kodifikation drängenden Gesetzesdenkens und eines durch richterliche Entscheidungen getragenen, gemeinrechtlichen case law. Konstitutionalisierung und Institutionalisierung von Völkerbund und Völkergemeinschaft bedeuten, wie an diesen beiden Büchern deutlich wird, etwas Verschiedenes, je nachdem ihre Konstruktionen und Analogien in der französischen oder in der englischen Verfassung, in den Institutionen des französischen oder denen des englischen „Rechtsstaates" ihren Ausgangspunkt haben 16 . Aber trotz dieser Verschiedenheiten, trotz des Unterschiedes auch der Methoden, des Stils und der Temperamente, gelangen beide Autoren zu ihrem gleichen Ziel, zu einer universalen und institutionalisierten Weltrechtsordnung. Beide stehen daher in der gleichen Front. Auch darin liegt ein Grund dafür, gerade diese zwei völkerrechtstheoretisch wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre für eine nähere Betrachtung auszuwählen. Der Bericht über das Werk von Scelle ist dabei ausführlicher gehalten, weil seine Arbeit die erste, über bloße Programme und Postulate hinausgehende, wirklich systematische Gestaltung eines liberaldemokratischen Internationalrechts darstellt. 1. Scelle hat den Staat aus seiner bisherigen zentralen Stellung im Völkerrecht radikal entthront. Er spricht ihm jede Rechtspersönlichkeit und 16 Über die Verschiedenheit des Begriffes „Rechtsstaat", die sich ergibt, je nachdem ein Gemeinwesen mit common-law und Richterstand oder aber ein Gesetzesstaat mit staatsbeamteter Justiz in Frage steht, vgl. Bruns Z. V I (1936), S. 268; über die Abhängigkeit der völkerrechtlichen von der wechselnden innerstaatsrechtlichen Begriffsbildung: Dickinson , Am. Journal of Int. Law 26 (1932), p. 239.

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jede Rechtssubjektivität ab. Die Staatsperson, der Etat-personne, ist für ihn eine bloße Fiktion. Rechtssubjekt ist nur das menschliche Individuum; alles übrige w i r d als unwissenschaftliche, mittelalterliche „Metaphysik" oder als „Anthropomorphismus" abgetan. Die Rechtsregel (Norm) ist ein Ausdruck der sozialen Solidarität von Menschen, die kollektive Gruppen verschiedener A r t bilden: ökonomische, religiöse, territoriale und andere Kollektivitäten, unter denen der Staat nur eine von vielen „sozialen Gruppen" ist, und die in ihrer Mannigfaltigkeit zusammen das große Bild der Einteilung des Menschengeschlechts auf verschiedene Sozietäten, „le tableau de la répartition de l'éspèce humaine" auf die mannigfaltigen „sociétés", darstellen. Die Verwandtschaft dieser Konstruktion mit der Lehre vom sozialen Pluralismus des an der gleichen Londoner Hochschule wie Lauterpacht wirkenden jüdischen Professors Laski sei hier wenigstens erwähnt, obwohl dieser Autor, der aus der pragmatistischen Philosophie des echten Angelsachsen William James die Sozialtheorie der zweiten Internationale gemacht hat, bei Scelle nicht besonders genannt ist 1 7 . Der Staat des bisherigen Völkerrechts verwandelt sich dadurch in eine den jeweils regierenden Personen zustehende, durch völkerrechtliche Normen begrenzte und delegierte Kompetenz. Daß diese Position der Regierenden an einer unglücklichen Doppelseitigkeit von internationaler und innerstaatlicher „Funktion" leidet, w i r d aus der heute noch bestehenden Primitivität und Unvollkommenheit der internationalen Organisation erklärt, soll aber an dem bereits geltenden Grundsatz nichts ändern. So entstehen plötzlich „internationale" Instanzen aus Einrichtungen, die sich selber bisher fraglos für nichts als „national" hielten. Die Hierarchie der Normen ist auf die einfachste Weise der Welt, mit Hilfe des Begriffs der „Kompetenz", zu einer Hierarchie internationaler Autoritäten und Institutionen vervollkommnet. Kompetenz-Kompetenz hat in diesem System nur die völkerrechtliche Weltrechtsordnung, „le système juridique mondial du droit des gens" (I 250). Die schwierige Frage nach dem Adressaten der Völkerrechtsnorm, ebenso das vielbesprochene Problem der Transformation, sind ganz bedeutungslos geworden, da die Schranken des Staates gefallen sind und das Individuum zum einzigen Rechtssubjekt, daher auch zum unmittelbaren Völkerrechtssubjekt, und zum einzige Adressaten jeder N o r m erhoben ist. Dieser Gedankengang ist durch Duguits Lehre von der objektiven, „sozialen Regel" und durch Kelsens normativistische Vorstellungen stark beeinflußt 1 8 ; er überholt aber beide dadurch, daß er der N o r m eine „ D y n a m i k " 17 Über diese pluralistische Sozialtheorie: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 3. Ausgabe, Hamburg 1933, S. 20 ff., Kant-Studien, X X X V (1930), S. 29 f. 18 Walter Schiffer; Die Lehre vom Primat des Völkerrechts in der neueren Literatur, Wiener rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. X X V I I , Wien 1937,

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zuschreibt, die Institutionen schafft und das „droit normatif" in ein „droit constructif" verwandelt (11/53, 548). Normativistisch und objektivistisch im Sinne der Ablehnung jedes subjektiven Willens, auch eines durch „Vereinbarung" entstehenden, internationalen „Gemeinwillens", ist die Erhebung der objektiven, sozialen Regel über den Gesetzgeber; die Rechtsregel w i r d als etwas vor und über dem Gesetzgeber Stehendes, „antérieure et supérieure au législateur" gedacht (II, 337). Legistisch dagegen, i m Sinne des Bedürfnisses nach einer Legislative ist die Konstruktion eines „législateur" durch Verwandlung des völkerrechtlichen Vertrages in einen „acterègle". Das unlösbar scheinende Problem der „internationalen Gesetzgebung" w i r d dadurch gelöst, daß die völkerrechtlichen Verträge nicht mehr, wie bisher, als obligationenrechtliche Verträge im Sinne eines bloßen „contrat", sondern als legislative Akte gedeutet werden. Die nur obligationenrechtliche, nur subjektive, nicht gesetzlich-objektiv verbindliche Verpflichtungen begründenden „contrats" werden als etwas Seltenes, als bloße Nachwirkungen patrimonialen Staatsdenkens hingestellt, bei denen es sich um Angelegenheiten wie Geld, bewegliches Vermögen, Gebietsabtretungen und dergleichen handelt. I m übrigen soll das, was man bisher als völkerrechtlichen „Vertrag" bezeichnet hat, normalerweise nicht nur eine „Vereinbarung" i m Sinne der Lehre Triepels, sondern unmittelbar ein wahrer legislativer A k t sein, ein „traité-loi". Die Verbindlichkeit des völkerrechtlichen Vertrages beruht daher nicht mehr auf dem Satz „pacta sunt servanda", der nur ein Ausdruck der alten Willenstheorie ist und deshalb lebhaft kritisiert w i r d (II, 334). Völkerrechtlicher Gesetzgeber ist jeder Mensch, der zuständig ist, völkerrechtlich wirksame Rechtshandlungen vorzunehmen, durch die eine völkerrechtliche Rechtsregel zustande kommt; der so entstandene völkerrechtliche Gesetzgebungsakt hat dann einen „effet global et unitaire" (II, 349). Nachdem auf solche Weise eine völkerrechtliche Legislative gefunden ist, erscheint es nicht mehr schwierig, auch eine mit Kompetenz-Kompetenz ausgestattete völkerrechtliche Verfassungsgesetzgebung und einen „pouvoir constituant" zu konstruieren. Dadurch w i r d das internationale Rechtssystem ein ungeheuer erweitertes, in den Grundlinien aber getreues Spiegelbild der konstitutionellen Gesetzesordnung des innerstaatlichen Verfassungsrechts. Der liberale Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts w i r d einfach auf die internationale Völkergemeinschaft übertragen. Die Untersuchung des „phénomène fédératif", dem im systematischen Aufbau das 3. Kapitel des I. Buches gewidmet ist, dient dazu, an dem Beispiel föderalistischer Gebilde, wie dem englischen Weltreich, der Sowjetunion, S.104 f.; Heinrich Drost, Grundlagen des Völkerrechts, München und Leipzig 1936, S. 97.

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der panamerikanischen U n i o n und dem Genfer Völkerbund, die Möglichkeit einer organisierten bündischen Verfassungsgesetzgebung anschaulich zu machen, gleichzeitig aber auch die Übertragung des innerstaatlichen Konstitutionalismus auf das Völkerrecht vor den naheliegenden Bedenken gegen einen zentralistischen Universalismus zu bewahren. Konstitutionalisierung und Föderalisierung erweisen sich hier als brauchbare konstruktive Mittel, sowohl den Genfer Völkerbund wie die universale Völkerrechtsgemeinschaft zu institutionalisieren. „ D r o i t constitutionnel international" ist der entscheidende Begriff dieses ganzen Systems, den Scelle daher auch als Titel über den zweiten Teil seines Werkes setzt. Dieses konstitutionalisierte Völkerrecht dient, ebenso wie der innerstaatliche Konstitutionalismus, dem Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum des Individuums und der von Individuen gebildeten Kollektivitäten. Es baut sich auf den bekannten Grund- und Freiheitsrechten des Individuums auf: Petitionsrecht, Garantie des menschlichen Lebens, der persönlichen Freiheit, der Freizügigkeit, des Privateigentums usw. (Kap. 2 des II. Teils). Schaffung und Ausarbeitung eines positiven Völkerrechts ist identisch mit der Schaffung und Ausarbeitung einer internationalen Legislative, die in der völkerrechtlichen Vereinbarung, i m „traité-loi", das traditionelle Mittel, in der Setzung des Genfer Völkerbundes aber ihre, wenn auch noch unvollkommene, immerhin bisher höchste Organisationsstufe erreicht hat. Die Genfer Völkerbundssatzung soll nämlich, trotz ihres vertraglichen Ursprungs, eine wahre Bundesverfassung, „Konstitution" i m juristischen Sinne sein, der Genfer Völkerbund wird daher auch, als echte überstaatliche Institution, mit einer „verfassungsgebenden Gewalt", einem „pouvoir constituant", ausgerüstet (I. Kap. 3, sect. 4, p. 246: la Société des Nations comme organisation fédérale, und II. Kap. 2, sect. 8, p. 493: la législation collective). Die auf solche Weise konstruierte völkerrechtliche Verfassung ist offensichtlich nur ein auf die Internationale übertragener Anwendungsfall des zweiteiligen liberalen Verfassungsschemas: individualistische Freiheitsrechte als Grundlage und eine „Organisation", insbesondere eine „Legislative". Der „Primat des Völkerrechts" gegenüber dem staatlichen Recht w i r d dadurch zu einer konkret-konstitutionellen Wirklichkeit. Völkerrechtliche Verträge gehen als internationale „Gesetze" jedem innerstaatlichen Gesetz, auch jedem innerstaatlichen Verfassungsgesetz, ohne weiteres und unmittelbar vor. Bei einem Widerspruch zwischen beiden sollen die innerstaatlichen Normen, auch die innerstaatlichen Verfassungsnormen, ipso facto als nichtig und nicht vorhanden betrachtet werden. Beispiele und Belege für diese Auffassung findet Scelle in dem, einen Anschluß Österreichs an Deutschland vorsehenden Art. 61, Abs. 2 der Weimarer Verfassung, der dem A n schlußverbot der Pariser Friedensverträge (Art. 80 Vers. Vertrag) widersprach; ferner in der Ungültigkeit des Wilna-Vorbehalts des Art. 5 der

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Litauischen Verfassung, und in dem völkerrechtlichen Minderheitenschutz (II, 356). Welche staatlichen Organe, genauer: welche Personen völkerrechtlich kompetent sind, völkerrechtliche Verträge abzuschließen, ist daher selbstverständlich Sache des die Kompetenz delegierenden Völkerrechts, und nicht mehr, wie nach der heute noch herrschenden Lehre, Sache des innerstaatlichen Verfassungsrechts (II, 439). Was man als „innere" und „eigene" Angelegenheit, als „domaine exclusif" des einzelnen Staates bezeichnet, bleibt bestehen, ist aber ebenfalls vom Völkerrecht und vom „ordre international" delegiert. Auch auf dem Gebiet, auf dem die innerstaatliche Regierung autonom ist und weitgehend freies Ermessen hat, ist ihr Ermessen vom Völkerrecht her begrenzt und kontrolliert. Daß die heutige positive Völkerrechtslage solchen Auffassungen offensichtlich widerspricht, liegt nur daran, daß Völkerrecht und Völkergemeinschaft sich heute noch in einem primitiven Entwicklungsstadium befinden. Scelle glaubt an eine auf die Dauer unwiderstehliche Entwicklung, die trotz aller Rückschläge, trotz faschistischer und nationalsozialistischer Tendenzen, doch unwiderstehlich von der Zwischenstaatlichkeit zur Überstaatlichkeit, von der Anarchie zur Hierarchie und zu einer immer klareren Spezialisierung der Funktionen, zur Herausarbeitung einer überstaatlich-universalen, ökumenischen Ordnung führen werde (II, 547 / 549). Individualismus und Universalismus sind die beiden Pole, zwischen denen sich dieses völkerrechtliche System bewegt. Sein folgerichtiger Individualismus scheut vor keiner Konsequenz zurück, wenn er auch öfters zwischen lex lata und lex ferenda unterscheiden und die „primitive" Unvollkommenheit der heutigen positiven Rechtslage, die Rückstände der staatlichen „Exklusivität" und die daraus folgende zwischenstaatliche „Anarchie" immer wieder beklagen muß. Entscheidend ist, daß für ihn bereits heute das Individuum als einziges Subjekt des Völkerrechts und als unmittelbares Mitglied der internationalen Gemeinschaft, der „communauté internationale", angesehen wird. Diese internationale Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft von Individuen und nicht von Staaten; auch der Genfer Völkerbund besteht, wie jede Kollektivität, nur aus Individuen, nicht aus Staaten oder Regierungen; er hätte danach 2 Milliarden Mitglieder, darunter auch die Angehörigen der Kolonien und der Mandatsgebiete, nur daß diese Mitglieder infolge ihrer Staatsangehörigkeit nach der heutigen Regelung leider noch nicht „Bürger", citoyens , des Völkerbundes sind (I, 253). Daß das sogenannte völkerrechtliche Minderheitenrecht ebenfalls individualistisch konstruiert wird, versteht sich danach von selbst (II, 187). Doch soll, auch unabhängig von völkerrechtlichen Minderheitenschutzverträgen, dem Individuum ein völkerrechtliches Petitionsrecht gegenüber den innerstaatlichen Instanzen auch seines eigenen Staates als ein subjektives öffentliches Recht zustehen, wofür auf den „beau cours" von

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Nathan Feinberg aus dem Jahre 1933 „La pétition en droit international" 1 9 verwiesen wird. Dieses völkerrechtliche Petitionsrecht jedes einzelnen soll bereits nach heutigem positiven Völkerrecht eine „compétence immédiate" des Individuums sein, „conférée directement par l'ordre juridique international" (II, 33 / 34). Leider widerspricht auch hier wieder das positive innerstaatliche Recht aller heutigen Staaten einem solchen Petitionsrecht, aber im Grundsatz soll es trotzdem als positives Recht anerkannt werden. Dieser folgerichtige Individualismus führt weiter zu der Forderung, daß jeder einzelne das völkerrechtsunmittelbare Recht erhalten soll, seine Staatsangehörigkeit jederzeit frei zu wählen, da man dem Individuum nicht zumuten könne, gegen seinen Willen einem Staat anzugehören, und eine wirkliche individuelle Freiheit nur dort bestehe, w o die wirtschaftlichen, moralischen und gefühlsmäßigen Interessen des einzelnen geschützt sind. Das Individuum soll daher auch gegenüber seinem eigenen Staat das Recht haben, seine Staatsangehörigkeit zu behalten, wenn es sie nicht aufgeben will; das deutsche Gesetz vom 14. Juli 1933 über den Widerruf von Einbürgerungen w i r d in diesem Zusammenhang als ein Beispiel völkerrechtswidriger Diskrimination und Willkür hingestellt 20 (II, 183). Jedes Individuum ist also gleichzeitig Weltbürger (im vollen juristischen Sinne des Wortes) und Staatsbürger (II, 293). Zugunsten von Leben und Freiheit der Individuen, auch von Staatsangehörigen des betroffenen Staates, sollen die anderen Regierungen, insbesondere aber der Genfer Völkerbund, die völkerrechtliche Kompetenz der Intervention haben (II, 13 Anm.). Die Intervention w i r d zur normalen und zentralen Rechtsinstitution dieses Systems. Der Genfer Völkerbund hätte nach Scelle auf Grund des Art. 11 VS. im Jahre 1933 auch gegen die Behandlung der Juden in Deutschland „à juste titre" intervenieren dürfen Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 40, I I (1932), S. 529 bis 639. Feinberg, der einige Jahre Sekretär des Komitees der jüdischen Delegationen in Paris war, nimmt für die Wunsch-Petition (pétition-vœu) eine gewohnheitsrechtlich entwickelte allgemein-völkerrechtliche Zulässigkeit an, die allerdings in ihrer Ausübung nicht gegen ein Landesgesetz verstoßen darf; für die Beschwerde-Petition (pétitionplainte) behauptet er auf Grund der Praxis des Völkerbundsrates gegenüber Petitionen der Bewohner der Mandatsgebiete, der Angehörigen von Minderheiten und der Saarbewohner, daß durch die Entscheidungen des Völkerbundsrates als eines internationalen Gesetzgebers alle diejenigen ein völkerrechtsunmittelbares Beschwerde-Petitionsrecht haben, die durch eine Entscheidung des Völkerbundsrates dazu instand gesetzt (habilités) sind; jeder Mitgliedsstaat hat diesem Petitionsrecht seine innerstaatliche Gesetzgebung anzupassen. Nach A. von Verdroß, Völkerrecht (1936), S. 48, hat das Petitionsrecht der Minderheiten den Grundsatz, daß die Angehörigen der Mitgliedsstaaten des Völkerbundes staatsunterworfen bleiben, „etwas aufgelockert". 20 Gegen den Aufsatz von Scelle in der Revue critique de droit international (1934), S. 63 ff., der die gleiche Ansicht vertritt, vgl. B. Schenk Graf von Stauffenberg in Bruns Ζ. IV (1934), S. 261-276.

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(II, 3 1 / 3 2 Anm.); die Bemühungen um eine Intervention gegen das nationalsozialistische Deutschland waren, ebenso wie gegen das bolschewistische Rußland und das faschistische Italien, „juridiquement fondés"; aber leider beherrscht die Politik immer noch die Wahrung des Völkerrechts (II, 54). Seinen Höhepunkt erreicht dieser Individualismus darin, daß jedem Individuum, auch dem Staatsangehörigen, ein völkerrechtliches Widerstandsrecht gegen innerstaatsrechtliche Anordnungen gegeben wird, die gegen das Völkerrecht verstoßen (II, 46). Hier w i r d die tiefere Bedeutung dieses neuen Völkerrechts, die Verwandlung des Staatenkrieges in einen Bürgerkrieg, einen Augenblick sichtbar. Jedes Individuum, das in einem völkerrechtlich unzulässigen Krieg einen M o b i lisierungsbefehl erhält, soll das Recht haben, sich diesem Befehl zu entziehen und in einem geregelten Verfahren die Annullierung des Mobilmachungsbefehls zu verlangen. Eine unmittelbare Rechtspflicht des Individuums zum Widerstand gegen einen völkerrechtlich unzulässigen Krieg, wie sie der bekannte Pazifist Hans Wehberg behauptet 21 , lehnt Scelle aus Gründen der praktischen Unmöglichkeit ab; aber auch bei diesem Anlaß beklagt er wieder die Unzulänglichkeit des positiven Rechts, und zwar in dieser Hinsicht des innerstaatlichen Rechts, das in den einzelnen Staaten noch keine genügende Sicherheit zum Schutze dieses individuellen Widerstandsrechts geschaffen habe, obwohl es sich für einen Rechtsstaat (Etat de droit) doch von selbst verstehen müßte, auch das Leben des Individuums zu schützen, nachdem er für persönliche Freiheit und Eigentum Rechtsschutzgarantien geschaffen habe. Daher w i r d eine internationale Instanz gefordert, die der einzelne im Falle der Mobilmachung gegenüber Verfügungen seiner staatlichen Behörde anrufen kann, wenn die Entscheidung in dieser Frage „nicht über jedem Verdacht" erhaben ist (II, 47). Allen kollektiven Gruppen w i r d ein allgemeines Selbstbestimmungsrecht, sogar ein Sezessionsrecht gegeben (I, 119; I I , 260); die regierenden Personen haben nicht das Recht, die Einheit ihres Staates mit Gewalt aufrechtzuerhalten. Das neue völkerrechtliche System, das Scelle für diese Lehre aufbaut, macht es jedem Juristen anschaulich, welche praktische Bedeutung der rechtswissenschaftlichen Systematik und der systematischen Placierung der einzelnen völkerrechtlichen Frage zukommt. Daß das völkerrechtliche sogenannte Minderheitenproblem nur als ein Anwendungsfall einer Zertrümmerung der staatlichen „Exklusivität" und der völkerrechtsunmittelbaren Stellung des einzelnen erscheint, wurde bereits erwähnt. Die Rechtslage Danzigs ist beim Völkerbund als ein Beispiel dafür behandelt, 2i Recueil des Cours 1925, II, S. 35; 1928, IV, S. 290; vgl. auch unten S. 51 unseres Berichtes.

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daß dieser wirkliche Regierungsgewalt, ein „pouvoir gouvernemental" ausübe (I, 254). Die Kolonialgewalt ist dem einzelnen Staat von der universalen Völkergemeinschaft delegiert. Besonders in dieser Hinsicht w i r d die Umwälzung des gesamten bisherigen Begriffssystems deutlich. Der ganze II. Band von Scelles Völkerrecht, der sich als „internationales Verfassungsrecht" (droit constitutionnel international) bezeichnet, ist, wie gezeigt, nur ein in die universale Internationalität vergrößertes Spiegelbild des liberalen Konstitutionalismus und sucht die Welt in einen (im eigentlichsten Sinne des Wortes) Welt-Rechtsstaat zu verwandeln. Dieser II. Band zerfällt infolgedessen in zwei Teile, die den zwei Teilen des konstitutionellen Verfassungsschemas entsprechen: Freiheitsrechte und „Organisation", insbesondere der „Legislative", weil dieser „Rechtsstaat" in Wahrheit nur ein Gesetzesstaat ist. Die von Scelle aufgebaute Systematik seines I. Teils ist aber nicht weniger umstürzend. Dieser Teil trägt die Uberschrift: „Le milieu intersocial", weil das internationale Recht i m Sinne des bisherigen zwischenstaatlichen Rechts nur als Teil des inter sozialen Rechtes erscheint, und zerfällt in vier Kapitel, deren Titel und Reihenfolge, wenn man sie mit der bisher üblichen Systematik vergleicht, für sich schon genug besagen: 1. Le 2. Le 3. Le 4. Le

phénomène phénomène phénomène phénomène

étatique (S. 73-141), colonial (S. 142-186), fédératif (S. 187-287), social extraétatique (S. 288-312).

Dadurch, daß neben dem „staatlichen Phänomen" unmittelbar und auf gleicher Stufe das „koloniale Phänomen" eingeführt wird, ist zum Ausdruck gebracht, daß beides, Staatsgewalt wie Kolonialgewalt, von der universalen Völkerrechtsordnung abhängen. Heute erhält jede Kolonisierung ihre rechtliche Grundlage von der „société internationale globale" (I, 149), so, wie sie in früheren Zeiten auf der Rechtsgrundlage päpstlicher Verleihungen und später durch europäische Konferenzbeschlüsse legitimiert vor sich ging. Die Mandatsbestimmungen des Artikels 22 VS. werden zu einem bloßen Anwendungsfall und Beleg dieser universalistischen Auffassung des Kolonialproblems (I, 170). Die Ausführungen des 3. Abschnittes über das „föderalistische Phänomen" dienen dazu, den Begriff einer überstaatlichen Verfassung mit Hilfe des Begriffs einer Bundesverfassung einleuchtend zu machen. Auch solche föderalistischen Analogien sind ein brauchbarer Hebel, um den einzelnen Staat völkerrechtssystematisch aus den Angeln zu heben und in ein überstaatliches System einzufügen. Die von Scelle sogenannten „außerstaatlichen Phänomene" des 4. Kapitels liefern dann wohl das anschaulichste Beispiel für seine Methode, den Staat durch eine bestimmte völkerrechtswissenschaftliche Systematik vom Völ-

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kerrecht her zu relativieren und zu degradieren. Die katholische Kirche erscheint völkerrechtlich nicht, wie in den bisherigen Lehrbüchern des Völkerrechts, als eine nur aus geschichtlichen Gründen erklärliche, völkerrechtlich singuläre Größe; sie w i r d vielmehr zum typischen Anwendungsfall einer neuen völkerrechtlichen Kategorie, der „außerstaatlich-sozialen" Größe; die, wie Kolonie und Föderation, der staatlichen Kategorie völkerrechtlich gleichgeordnet ist und mit ihr auf der gleichen Stufe und in völkerrechtlich-systematisch gleichem Range steht. Neben der katholischen Kirche w i r d in demselben 4. Kapitel, als weiteres Beispiel einer außerstaatlichen sozialen Größe, noch die „nationale Heimstätte" der Juden in Palästina behandelt, als ein Typus internationaler Einrichtungen, der „die materiellen und geistigen Interessen solcher Bevölkerungsteile garantieren soll, die i m Rahmen der staatlichen Einrichtungen keine ausreichende Befriedigung ihrer berechtigten Bestrebungen oder keine genügende Garantie ihrer Sicherheit finden". Der Typus derartiger außerstaatlich-sozialer Einrichtungen soll weiterentwickelt werden, und zwar durch den Genfer Völkerbund. I n diesem Zusammenhange w i r d es bedauert, daß es dem Genfer Völkerbund nicht gelungen ist, die armenische Nation vor der Verfolgung zu retten; doch soll dieser Nichterfolg von weiteren Bemühungen eines Ausbaues dieser vierten, außerstaatlich-sozialen Kategorie nicht abschrecken (I, 312). Uber diese beiden Bände des Werkes von Scelle ist hier - unter Beiseitelassung der außerordentlich zahlreichen sonstigen Veröffentlichungen des Autors - ausführlich berichtet worden, weil sein System des Völkerrechts die polare Verbindung von liberalem Individualismus und völkerrechtlichem Universalismus zum erstenmal in einer neuen völkerrechtlichen Systematik folgerichtig durchgeführt hat. I n seiner völkerrechtlichen Konstruktion ist das, was man bisher „Staat" nannte, zu einem „sozialen Phänomen" neben andern sozialen Phänomenen verallgemeinert; juristisch ist der Staat in eine bloße „Kompetenz" bestimmter, in der Doppelrolle von internationaler und nationaler Funktion auftretender Menschen verwandelt. Daß die Wirklichkeit der gegenwärtigen, positiven Rechtslage ein ganz anderes Bild ergibt, ist dem Autor dieses Systems w o h l bekannt, aber in solchen Abweichungen sieht er nur Rückstände der überkommenen Anarchie des Völkerlebens, Residuen mittelalterlicher Vorstellungen von der „Exklusivität" der Clans. Daß die Entwicklung unter dem Einfluß von Faschismus und Nationalsozialismus eine andere Richtung zu nehmen scheint, kann ihn in seinem Fortschrittsglauben nicht beirren. Das sind dann eben Entwicklungskurven, die vorübergehend auch einmal abwärts verlaufen, auf die Dauer aber die politische und juristische Organisierung der Menschheit als eines ökumenischen Ganzen nicht aufhalten (II, 548). I m übrigen ist das Völkerrecht seiner Natur nach so stark von

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allgemeinen Grundsätzen durchdrungen, daß sich in den meisten wichtigen Fällen bereits für die gegenwärtige Rechtslage ein dieser individualistischen Grundauffassung entsprechender Standpunkt vertreten läßt. Bei der Eigenart des Völkerrechts als eines „unvollkommenen Rechts" ist es nicht schwierig, Konstruktionen zu finden, mit deren Hilfe weltanschauliche Postulate als bereits geltendes, positives Recht erscheinen können. N u r dort, wo die positive Rechtslage offensichtlich einen praktisch unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt, wie zum Beispiel in der Frage der Staatsangehörigkeit, w i r d der Unterschied von lex lata und lex ferenda ausdrücklich erwähnt. Solche Methoden erleichtern es natürlich, den Genfer Völkerbund zu „institutionalisieren". Er w i r d einmal (I, 257) als eine das freie Sezessionsrecht (durch Art. 26 VS.) ausschließende „Zwischenbildung zwischen Staatenbund und Bundesstaat", unmittelbar danach (I, 260) als „einem Staatenbund verwandt" bezeichnet, jedenfalls aber zu einem überstaatlichen, föderativen System erhoben, das heute zwar noch verhältnismäßig lose, aber von einer bereits vorhandenen Entwicklungstendenz zu festeren überstaatlichen Organisationsformen beherrscht sei (I, 260). Er hat einen „pouvoir constituant"; seine Satzung ist, wie schon erwähnt, eine w i r k liche „Verfassung"; die Aufnahme in den Völkerbund bedeutet, wie gegenüber der herrschenden Auffassung betont wird, heute bereits eine völkerrechtliche Anerkennung auch durch die überstimmten Mitglieder (I, 104). Die Vertragsvorstellungen, die heute praktisch noch vorherrschen, werden als bedauerlicher juristischer Irrtum hingestellt; doch sind die Gesetzgebungsakte der zuständigen Völkerbundsorgane nur „materiell" Gesetzgebung; es fehlt ihnen die „force exécutoire", und jeder Regierung steht es frei, zu entscheiden, ob der Gesetzgebungsakt des Völkerbundes für ihre Staatsangehörigen gelten soll (II, 498). Der Grundsatz der Einstimmigkeit, der leider immer noch anerkannt ist, beeinträchtigt das föderative System so stark, daß es schließlich doch nicht als überstaatlich, sondern als „inorganique ou interétatique" bezeichnet w i r d (I, 258). Der auf solche Weise, in höchst unklarer Vermischung von gegenwärtigem und künftigem Recht, zur föderalistischen Institution erhobene Genfer Völkerbund w i r d von der universalen Weltrechtsordnung unterschieden (I, 250); i m völkerrechtlichen System Scelles erhält der Genfer Völkerbund seinen Platz neben anderen föderativen Rechtsgebilden, neben dem englischen Imperium, der Sowjetunion und Pan-Amerika. Trotzdem bleibt Scelle ein Vertreter und Vorkämpfer der Universalität des Genfer Völkerbundes; daher muß er die Frage, ob dieser „Bund", wenn er wirklich einmal universal geworden sein sollte, mit der universalen Weltrechtsordnung der „société écouménique du Droit des gens" identisch ist, selbstverständlich bejahen. Zu der Frage, ob die ökumenische Weltrechtsordnung ein „Weltstaat" ist,

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hat sich Scelle in widersprechender Weise geäußert 22 . Nach seinem hier interessierenden systematischen Werk ist die einheitliche Weltordnung als ein „Weltföderalismus" verschiedenartigster „Gesellschaften" gedacht. Für die Gegenwart w i r d die Rechtslage dahin konstruiert, daß das System überstaatlicher Kompetenzen, wie es der Genfer Völkerbund anscheinend heute bereits darstellt, sich in die allerdings noch ziemlich anarchische Kompetenz-Kompetenz der Weltrechtsordnung einfügt und von ihr durchdrungen, ergänzt und kontrolliert w i r d (I, 250). Das Endziel ist und bleibt die universale und ökumenische, föderalistisch institutionalisierte Weltrechtsordnung. N u r ist die dahingehende geschichtliche Entwicklung heute durch Diktaturen und nichtliberaldemokratische Staaten verdunkelt (II, 292). Inzwischen dienen die Analogien mit föderalistischen Einrichtungen als die Hebel, deren sich eine universalistische Konstruktion des Völkerrechts bedient, u m die alte Welt aus den Angeln zu heben. M i t dem Hinweis auf seine föderalistischen Ideen kommt Scelle auch über den Einwand, daß er einen zentralistischen Weltstaat erstrebe, leicht hinweg (I, 250 Anm.). Die Unterscheidung von Universalismus und Zentralismus ist Scelle allerdings gegenwärtig. Bei einem Franzosen, der von Duguit kommt und Proudhon kennt, versteht sich das von selbst. Die eigentliche Schwierigkeit liegt aber gerade darin, daß ein „föderalistischer Universalismus" völkerrechtlich heute einen Widerspruch in sich bedeutet. Der Selbstwiderspruch w i r d durch eine Betrachtung des Kriegsbegriffs erkennbar. Der Krieg jedoch hat in dem System von Scelle keinen Platz mehr; er ist für seine A r t von Völkerrecht i m eigentlichen Sinne des Wortes „unbegreiflich" geworden; denn er ist entweder Recht, und dann kein Krieg, oder Unrecht, und dann nur noch ein Verbrechen, insbesondere als Angriffskrieg ein „crime international" (II, 47). Dieses Problem des Kriegsbegriffs soll wegen seiner fundamentalen, alles entscheidenden Bedeutung unten in einem besonderen Kapitel (S. 42 f.) erörtert werden. 2. H . Lauterpacht behandelt in einem einleitenden Teil die geschichtliche Entwicklung der Lehre von der „Begrenzung der richterlichen Funktion im Völkerrecht" und die Anwendung dieser Lehre in den völkerrechtlichen Schiedsverträgen von den Haager Konventionen (1907) bis zu den vielen Verträgen der letzten Jahre. Ein zweiter Teil betrifft das Verhältnis der völkerrechtlichen Gerichtsbarkeit zur Vollständigkeit des Völkerrechts, wobei die Probleme der „Lücken i m Völkerrecht", der Lückenausfüllung und der Zulässigkeit eines non liquet im internationalen Ge22 Über frühere Äußerungen Scelles, die sich gegen einen Weltstaat richten, vgl. die Nachweise bei W. Schiffer a. a. O. S. 145.

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richtsverfahren behandelt werden. I m dritten Teil w i r d die Unterscheidung von rechtlichen und politischen Streitigkeiten und die Unparteilichkeit des Richters erörtert. Den vierten Teil beherrscht die Frage der A n passung des Völkerrechts an den Wandel der politischen und sonstigen Lage, die Besonderheit, die sich aus dem Fehlen einer Anpassung durch gesetzgeberische Regelung ergibt, die mannigfache Anpassung durch Rechtspraxis oder Vergleich, die richterliche Anwendung der clausula rebus sie stantibus, die Lehre vom Rechtsmißbrauch (abus de droit) i m Völkerrecht und die Ausdehnung der richterlichen Befugnis auf Empfehlungen und auf Entscheidungen ex aequo et bono, wodurch die richterliche Entscheidung zu einem Teil der international constitutional machinery wird. I m fünften Teil werden Rechts- und Interessenkonflikte, Zwangsvergleich und Interessenstreitigkeiten erörtert. Ein letzter, sechster Teil schließlich spricht von den „Grenzen der Herrschaft des Rechts" überhaupt (the limits of the rule of law), zunächst innerhalb des Staates, also von den Grenzen der justizförmigen Behandlung von Streitfragen, insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit, dann aber unter dem Gesichtspunkt des spezifischen Charakters des Völkerrechts als eines „unvollkommenen" Rechts. Das allgemeine Rechtsproblem des Völkerrechts (ist es überhaupt Recht oder ist es Moral? ist es eine A r t besonders schwachen Rechts?), die Frage: Koordination oder Subordination?, und die „Herrschaft des Rechts im Völkerrecht" stehen dabei als Problem i m Mittelpunkt, mit dem bereits genannten Ergebnis, daß auch das Völkerrecht im vollen Sinne des Wortes Recht ist und daher die Wissenschaft des Völkerrechts die Aufgabe hat, dieses Recht als eine überstaatliche N o r m der Völkergemeinschaft zu entwickeln, nicht aus dem Willen der Staaten, nicht aus dem Satz „pacta sunt servanda", der ja wieder nur auf diesen Willen zurückführt, sondern „ex fine civitatis maximae", wie Grotius sagt. Die eingangs gestellte Frage nach den Grenzen der richterlichen Funktion i m Völkerrecht w i r d dahin beantwortet: es gibt ein Recht ohne Gesetzgeber, aber es gibt kein Recht ohne Richter. Die Frage ist also nicht, ob es hinreichend klare Regeln gibt, sondern es kommt nur darauf an, den Richter einzusetzen, der Streitfragen entscheidet und Frieden stiftet. Ein völkerrechtlicher Gesetzgeber würde einen Überstaat, einen super-State konstituieren; ein völkerrechtlicher Richter dagegen würde i m Rahmen der heutigen Praxis und Lehre des Völkerrechts dem Recht zur Herrschaft verhelfen, ohne daß eine überstaatliche Organisation erforderlich wäre. Daraus ergibt sich die Aufgabe der Völkerrechtswissenschaft. Ihre Würde besteht darin, den Standard des internationalen Rechts zu erhöhen, nicht aber auf den der rudimentären Praxis der Gegenwart herabzusinken. Die Unterscheidung von politischen und Rechtsfragen erweist sich als eine Sackgasse. Alle wichtigen Fragen sind Rechtsfragen. Darum ist eine schiedsrich-

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terliche Entscheidung aller völkerrechtlichen Fragen möglich und eine wesentliche Sicherung des Friedens. Sie kann und soll den Krieg nicht ersetzen, aber sie ist eine conditio sine qua non der normalen Methode, den Frieden zu erhalten. „Friede" ist die ganz hervorragende Forderung des Rechts, juristisch betrachtet ist diese Forderung aber nur eine Umschreibung der Einheit des Rechtssystems. „Friede" widerspricht der Selbsthilfe und damit dem Krieg. Der juristische Positivismus, sagt Lauterpacht am Schluß, ist im Völkerrecht durch seine eigenen Übertreibungen unwissenschaftlich geworden, weil er schließlich nur noch die Praxis der Staaten registrieren wollte und dadurch jeden Versuch eines höheren Prinzips und den Begriff des Völkerrechts selbst als eines Ganzen paralysierte. Eine wissenschaftlich-kritische Rechtswissenschaft aber ist imstande, diese Ganzheit des Völkerrechts zu erreichen. Auch dieses Werk endet also beim „Ganzen des Völkerrechts", den „States in their totality" i m Sinne einer im Grunde bereits vorhandenen civitas maxima. Es ist in seiner Argumentation zurückhaltender als das Buch von Scelle und vermeidet es, offen von einer überstaatlichen Organisation oder gar Gesetzgebung zu sprechen. Dafür ist es aber in dem praktischen Ergebnis seines Universalismus ebenso deutlich. Indem es das Völkerrecht als ein lückenloses Ganzes hinstellt, wird, mit Hilfe des Satzes: ubi jus ibi societas, eine bereits vorhandene, juristisch nachweisbare Völkerrechtsgemeinschaft als civitas maxima konstruiert. „International law is made for States in their totality", nicht für die vorübergehenden Interessen einzelner Staaten (431). Die Entscheidung darüber, worin dieses dauernde Interesse der Gesamtheit besteht, kann nicht der einzelne Staat haben, weil das dem einfachen Rechtsgrundsatz widersprechen würde, daß „nemo judex in causa sua" ist. Also muß es eine von den Staaten unabhängige, internationale Gerichtsbarkeit geben. Darin, daß die universale Rechtsgemeinschaft auf dem Weg über ein lückenloses Richterrecht gewonnen w i r d und die für den kontinentalen Staat typischen, gesetzesstaatlichen Analogien vermieden sind, liegt eine einleuchtende Anknüpfung an die Rechtszustände des angelsächsischen common law und dessen - im Gegensatz zur französischen Staatlichkeit - unstaatlich-rechtsständisch aufgefaßtes Richtertum. Die Eigenart von Lauterpachts Gedankengang besteht darin, daß er kein neues System des Völkerrechts aufbaut, sondern in Argumentationen der allgemeinen Rechtslehre die einander oft widersprechenden Grundsätze des überlieferten, vom Staatswillen getragenen Völkerrechts analysiert und das hinter den einzelnen Fällen stehende Recht, the law behind the case, findet. Gegen den aus der Souveränität und der Gleichberechtigung der Staaten folgenden Satz des bisherigen Völkerrechts zum Beispiel, daß kein Staat gegen seinen Willen einer fremden Gerichtsbarkeit unterworfen werden kann - par in parem non

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habet imperium - und gegen die daraus gefolgerte Formel „omnis judex in causa sua", w i r d der andere, ebenfalls allgemein anerkannte Grundsatz „nemo judex in causa sua" geltend gemacht, den der StIG. in der Mossulsache (B 12 vom 21. November 1925) ausdrücklich anerkannt hat, und den sogar Hobbes für den Naturzustand des „bellum omnium contra omnes" gelten lassen muß. Aus dem Begriff des Richters folgt die Unparteilichkeit; Richter kann also nur sein, wer an keine der streitenden Parteien gebunden ist. So wird, ohne ein neues System, ohne auffällige Entgegensetzungen und offene Frontalstellungen, wie sie für Scelle charakteristisch sind, alles anerkannt und doch gleichzeitig relativiert und problematisiert. Der bisherige Vertragspositivismus w i r d durch allgemeine Rechtsgrundsätze mühelos ad absurdum geführt. Gleichzeitig aber w i r d die bisherige, wesentlich staatliche Theorie des Völkerrechts als „Metaphysik" und als „unwissenschaftlich" abgetan. Gegenüber den unzulänglichen und primitiven Unterscheidungen von Recht und Politik ist richtig erkannt, daß jede internationale Frage, ebenso wie sie der Möglichkeit nach immer politisch sein kann, so auch an irgendeinem Punkt immer eine rechtliche Seite hat und daher immer potentiell justiziabel ist. M i t Hilfe allgemeiner Rechtsgrundsätze und Begriffe kann jede Lücke i m Recht ausgefüllt werden; trotz Anerkennung der besonderen Schwierigkeiten und Mängel ist die Schwäche des Völkerrechts doch heilbar und ist für die Zulassung eines „non liquet" bei der internationalen Gerichtsbarkeit ebensowenig ein Grund gegeben wie beim innerstaatlichen Richter. Demnach steht der universalen internationalen Rechtsgemeinschaft eines Richterrechts rechtswissenschaftlich nichts mehr i m Wege. Die Institutionalisierung ist auch hier erreicht. N u r daß die zentrale, strukturbestimmende Institution nicht, wie bei dem französischen Juristen eine Legislative, sondern, nach englischem Vorbild, ein das internationale Common-Law tragendes Richtertum ist 2 3 . Zwischen der völkerrechtlichen Theorie Lauterpachts und dem System von Scelle besteht bei aller Verschiedenheit und sogar Gegensätzlichkeit der Gedankengänge, i m Ergebnis doch darin Ubereinstimmung, daß beide für ein den Staat entthronendes internationales Recht konkrete Institutionen finden. Hier liegt ein Nebeneinander von Verschiedenheit in der Argumentation und Ubereinstimmung i m praktischen Endergebnis vor, das am besten an Lauterpachts Stellungnahme zu den konkreten Fragen der Völkerbundssanktionen des Herbstes 1935 anschaulich wird. Lauterpacht hat sich in einem Aufsatz des British Year Book of International 23

Die Vorlesung „The development of International Law by the Permanent Court of International Justice" vor der Haager Akademie 1934 enthält im wesentlichen denselben Gedanken und dieselbe Methode der Herausarbeitung eines „Law behind the Case".

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Law, X V I I I (1936) S. 54, zu der Frage geäußert, ob die Satzung des Genfer Völkerbundes gegenüber anderen völkerrechtlichen Vertragsnormen „höheres Recht" „higher law" ist. Die Frage erhob sich für die zahlreichen, an den sogenannten Völkerbundssanktionen gegen Italien teilnehmenden Völkerbundsstaaten, aus Anlaß der praktischen Entscheidung, wieweit bestehende Handelsverträge, Meistbegünstigungsklauseln zugunsten Italiens usw. gegenüber den Verpflichtungen des Art. 16 VS. Bestand haben. Das „Legal Sub-Committee" des auf Grund einer Empfehlung der Völkerbundsversammlung gebildeten „Coordinating-Committees" (vgl. unten S. 35) stellte den Vorrang der Völkerbundssatzung fest. Für die juristische Argumentation Lauterpachts ist es hier von Interesse, daß er den Art. 20 der VS., der bisher keine besondere Rolle gespielt hatte, zur Grundlage seiner Argumentation macht 2 4 . So kommt er zu dem Ergebnis, daß die Völkerbundssatzung als Vertrag die stärkere Verbindlichkeit begründet und in diesem Sinne „higher law" ist. Dabei wendet er sich, nicht ohne Schärfe, gegen den für Scelle - der hier nicht genannt w i r d typischen Versuch, der Völkerbundssatzung einen legislativen und sogar konstitutionellen Charakter zu geben. Solche Konstruktionen legislativer Typen sind für Lauterpacht nur leere „Beschwörungen (incantations) eines höheren Typus". Er hält daran fest, daß es sich bei der Völkerbundssatzung um vertragsobligatorische, nicht um gesetzliche oder verfassungsgesetzliche Verpflichtungen handelt, aber diese Bindungen genügen ihm, um mit Hilfe des Grundsatzes der allgemeinen Rechtslehre, daß Verträge, die einem gültigen Vertrag widersprechen, unverbindlich sind, das praktisch-politisch entscheidende Ergebnis, nämlich den Vorrang der Bundessatzung als des „higher law", zu gewinnen. Art. 20 VS. ist für ihn nur der Ausdruck des allgemeinen Rechtssatzes von der Nichtigkeit des späteren Vertrages; der in Art. 20 gebrauchte Ausdruck „abrogates to" besagt demnach „superior to", wobei es keinen Unterschied ausmachen soll, ob, wie öfters in Nachkriegsverträgen 25 , die Verpflichtungen gegenüber dem Völkerbund ausdrücklich vorbehalten sind, oder ob ein solcher ausdrücklicher Vorbehalt fehlt. Die Völkerbundssatzung w i r d vermieden, aber i m Ergebnis ist das gleiche und sogar auch noch eine Begründung der neueren

24 Art. 20 lautet: The Members of the League severally agree that this Covenant is accepted as abrogating all obligations or understandings inter se which are inconsistent with the terms thereof, and solemnly undertake that they will not hereafter enter into any engagements inconsistent with the terms thereof. 25 Charles Rousseau, De la compatibilité des normes juridiques et contradictoires dans Tordre international, Revue générale de droit international public 39 (1932), p. 133-192; besonders p. 161 zu Art. 20 VS: Vorbehalt des Völkerbundsvertrages als eines Vertrages „à puissance renforcée" mit „prééminence" über alle widersprechenden anderen, früheren wie späteren, mehrseitigen wie bilateralen Verträge.

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Lehre von der non-recognition 26 mit Hilfe allgemeiner Grundsätze erreicht. Ausdrücklich w i r d hervorgehoben, daß auch auf diese Weise die Völkerbundssatzung zu einem zweckmäßigen Instrument in dem Prozeß der politischen Integration der Menschheit werde, „a purposeful instrument in the process of political integration of mankind".

II. Das Gesamtbild des letzten völkerbundsrechtlichen Entwicklungsstadiums läßt sich nicht durch eine Betrachtung nur systematisch-konstruktiver oder rechtstheoretischer Bemühungen, wie derjenigen von Scelle und Lauterpacht, gewinnen. Ein einigermaßen vollständiges Bild w i r d erst dadurch sichtbar, daß auch einige repräsentative Äußerungen von solchen Autoritäten hinzugenommen werden, die zu dem entscheidenden Problem jedes Völkerrechts, nämlich des Krieges und der Neutralität, in aktueller Weise Stellung nehmen, ohne auf der einen Seite durch allgemeine theoretische, auf der anderen durch nur interessenmäßig-taktische Argumentationen bestimmt zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt sind aus dem umfangreichen völkerrechtlichen Schrifttum, das seit dem Sanktionsversuch gegen Italien entstanden ist, die beiden Aufsätze von hervorragender Bedeutung, die von den Herausgebern des letzten Bandes des British Year Book of International Law ( X V I I , 1936) unter dem Eindruck jener Völkerbundssanktionen des Jahres 1935 veröffentlicht worden sind: die Abhandlung „Sanctions under the Covenant" von Sir John Fischer Williams (S. 130 bis 149), und der Aufsatz „Collective Security" von McNair (S. 150 bis 164). Beide sind schon durch die Namen ihrer Autoren für die englische Gesamthaltung in diesen wichtigen völkerrechtlichen Fragen repräsentativ. I m praktischen Ergebnis sind auch sie ein Teil der Bestrebungen, die aus Anlaß der sogenannten Sanktionen gegen Italien den Genfer Völkerbund als wahre Gemeinschaft zu erweisen, in unserer Ausdrucksweise: ihn zu „föderalisieren" suchten. Aber obgleich sie dabei nicht im französischen Sinne mit eigentlichen Institutionalisierungen arbeiten, sind ihre Ausführungen doch gewichtiger, als die der meisten französischen völ26 Im Anschluß an die an Japan und China gerichtete Note des Staatssekretärs Stimson vom 7. Januar 1932, wonach die Vereinigten Staaten keine im Widerspruch mit der Völkerbundssatzung oder dem Kellogg-Pakt geschaffene Situation anerkennen würden (sog. Stimson-Doktrin), hat die Resolution der Völkerbundsversammlung vom 11. März 1932 eine Pflicht aller Völkerbundsmitglieder ausgesprochen, keinen Vertrag oder keine Abmachung anzuerkennen, die gegen die VS oder den Kellogg-Pakt entstanden sind; vgl. dazu American Journal of International Law, X X V I (1932), S. 342 und 499; Sir John Fischer Williams, The new Doctrine of recognition, Grotius Society, X V I I I (1933), p. 109.

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I I . Z w e i A b h a n d l u n g e n aus T h e B r i t i s h Yearbook of International L a w 1936

k e r r e c h t l i c h e n S t e l l u n g n a h m e n gleicher R i c h t u n g z u d e m gleichen T h e m a . Diese w i r k e n aus i h r e m gesetzesstaatlichen D e n k e n heraus meistens z u sehr begriffsjuristisch u n d logizistisch, w i e z u m Beispiel der i m ü b r i g e n j u r i s t i s c h sehr interessante A u f s a t z v o n Charles Rousseau 27,

der bei diesem

A n l a ß d e n ganzen Gegensatz v o n v o l u n t a r i s t i s c h e m u n d o b j e k t i v i s t i s c h e m V ö l k e r r e c h t , v o n „ i n d i v i d u a l i s m e c o n t r a c t u e l " u n d „ o b j e k t i v e r N o r m " aufr o l l t , die juristische N a t u r der V ö l k e r b u n d s s t e l l u n g n a h m e n präzisieren u n d das ganze P r o b l e m des „ d r i t t e n Staates" revidieren w i l l , u m d e n „caractcère sociétaire" des V ö l k e r b u n d e s z u stärken. D i e englischen Rechtsgelehrten, die i n i h r e r rechtswissenschaftlichen

D e n k w e i s e n i c h t v o n Staat

und

Gesetz, sondern v o n einem C o m m o n L a w geprägt sind, v e r m e i d e n solche Begriffsantithesen;

sie w i r k e n d u r c h die p r a k t i s c h - k o n k r e t e

Art

ihrer

A r g u m e n t a t i o n , s i n d aber a m entscheidenden P u n k t , n ä m l i c h i n der Frage des gerechten Krieges, n i c h t w e n i g e r entschieden, w i e sich d e n n auch jede der beiden englischen D a r l e g u n g e n i n i h r e n Schlußsätzen z u einer ganz u n g e w ö h n l i c h e n , geradezu w a r n e n d e n E i n d r i n g l i c h k e i t s t e i g e r t 2 8 .

27 L'application des sanctions contre Pltalie, Revue de Droit International et de Législation comparée, 3. série, t. X V I I (1936), S. 5-64. 28 Ein kurzer Aufsatz aus demselben Band dieses Jahrbuchs von J. G. Starke über „Monism and Dualism" (S. 66-81) sei hier anmerkungsweise mit einigen Worten vorweg erwähnt, nicht als ob er gleichen Gewichts wäre wie die beiden Aufsätze der berühmten Herausgeber jener hochangesehenen völkerrechtlichen Veröffentlichung, sondern als ein Symptom für die einfache Selbstverständlichkeit, mit der Begriffe eines normativistischen Monismus empirische Realität erhalten können und mit Hilfe föderalistischer Analogien eine überstaatliche Ordnung „institutionalisieren" helfen. Starke gibt der „hypothetischen Ursprungsnorm" empirische Wirklichkeit. Für ihn ist infolgedessen heute bereits eine internationale Verfassung mit verfassungsrechtlichen, konstitutionellen oder, wie Starke sagt, „funktionalen" Normen der Völkerrechts vorhanden. Diese sind die „Ursprungsnorm" sowohl der übrigen völkerrechtlichen wie auch aller landesrechtlichen Normen. Die Leugnung des Primats der völkerrechtlichen Verfassungsnorm erscheint diesem Autor als Leugnung des Völkerrechts selbst; die überlieferte dualistische Lehre ist „Anarchie und Fiktion"; „State law is conditioned by international law" (p. 477). Daß die völkerrechtliche Praxis heute immer noch vom Willen der Staaten ausgeht, und daß der StIG. in der bekannten Äußerung des Gutachtens zum Lotusfall (Nr. 10) an dem Grundsatz festhält, daß Beschränkungen der Souveränität der Staaten nicht vermutet werden, ist „mehr die Feststellung einer historischen Tatsache als die Analyse einer wirklich juristischen Situation" (S. 81). Dieser Aufsatz zeigt am besten, wie plausibel und eindrucksvoll die föderalistischen Analogien sind, um sowohl den Genfer Völkerbund wie die universale Völkerrechtsordnung zu stützen, zu ergänzen und vorwärtszutreiben. Seine Kenntnis des australischen Bundesverfassungsrechts kommt dem Autor dabei zustatten. Der Primat der Bundesverfassung vor der Einzelverfassung wird ihm zu einem vollkommenen Beispiel („a perfect example") der Hierarchie konkreter Normen und damit im Ergebnis wirklicher Institutionen. Die Analogie mit dem Bundesrecht ermöglicht auch die Unterscheidung von völkerrechtlicher Verfassungsnorm und einfacher völkerrechtlicher Norm, weil es außer dem Bundesverfassungsrecht auch einfaches Bundesgesetzesrecht gibt. „Gewisse Verschiedenheiten" ergeben sich allerdings schon daraus, daß im „normalen" Bundessystem eine geschriebene

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1. Der Aufsatz von Sir John Fischer Williams über die Völkerbundssanktionen enthält unter dem Namen „Weiterentwicklung" (development) der Völkerbundssatzung in seinem Kern ebenfalls das, was in diesem Bericht als „Föderalisierung" des Genfer Völkerbundes bezeichnet wird. Er behandelt das im Oktober 1935 akut gewordene Völker- und völkerbundsrechtliche Problem einer gemeinsamen, kollektiven A k t i o n von Völkerbundsmitgliedern gegen ein satzungsbrüchiges Mitglied nach Art. 16 VS. Seine Darlegungen behalten noch heute und in Zukunft ihre Bedeutung, wenn sie auch durch den weiteren Verlauf der Ereignisse und insbesondere durch den Sieg Italiens und die Eroberung Abessiniens politisch überholt sind. Fischer Williams spricht nicht vom Krieg als einem „internationalen Verbrechen", nicht von Strafaktionen, weil beides, Verbrechen und Strafe, nicht für Staaten und Völker, sondern nur für die Handlungen von Individuen gebraucht werden soll; er weist darauf hin, daß Art. 16 VS. auch das Wort „Sanktionen" nicht kennt. Was man darunter versteht und was Art. 16 VS. meint, soll nur darin bestehen, den Erfolg eines satzungswidrigen Krieges zu verhindern, damit sich die Völkerbundsmitglieder, unter dem Eindruck einer erfolgreichen Verhinderung, in Zukunft satzungsmäßig verhalten (133). Dann w i r d die Anwendung und vor allem die Weiterentwicklung des Art. 16 erörtert, wie sie sich aus Anlaß des italienisch-abessinischen Konflikts ergeben hat. Die Sanktionen gegen Italien sind bekanntlich nicht durch einen Beschluß des Völkerbundsrats in Gang gekommen 2 9 ; in der Ratssitzung vom 7. Oktober haben die einzelnen M i t Bundesverfassung die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Einzelstaat regelt. Die universale internationale Gemeinschaft kommt eben nur in einem längeren geschichtlichen Wachstum zustande, und es ist natürlich, daß die heute vorhandenen „funktionalen Normen", z. B. des Genfer Völkerbundsrechts, diese langsame Entwicklung widerspiegeln. Auch dieser interessante Aufsatz zeigt also das typische Bild: Institutionalisierung des Genfer Völkerbundes und der universalen Völkerrechtsordnung durch Föderalisierung; Überbrückung der offensichtlichen Diskrepanz zwischen heutiger Wirklichkeit und universalistischer Konstruktion durch einen ökumenischen Fortschritts- und Entwicklungsglauben. 29

Der am 7. Oktober 1935 dem Völkerbundsrat vorgelegte Bericht des vom Völkerbundsrat eingesetzten Sechser-Ausschusses über die Frage der Satzungsverletzung im Sinne des Art. 16 des Völkerbundpaktes im Abessinienkonflikt ist abgedruckt in Bruns Ζ. V (1935), S. 920-922; die Entschließungen und Vorschläge über die Anwendung von Maßnahmen gemäß Art. 16 und die Vorschläge des Koordinationskomitees vom 11.-19. Oktober 1935 a. a. O. V I (1936), S. 137-148 (die Berichte des juristischen Unterausschusses a. a. O. S. 143-146); die Protestnote der italienischen Regierung a. a. O. S. 377; die Verhandlungen über die gegenseitige Hilfeleistung im Mittelmeer S. 380. Über die juristische „Technik der Sanktionen" ist von deutscher Seite vor allem der Aufsatz von E. Woermann in „Völkerbund und Völkerrecht" II, S. 605-611, zu beachten, der in prägnanter Zusammenfassung die inneren Widersprüche des Sanktionsversuches aufzeigt. Vgl. ferner A. Mandelstam, Le conflit italo-éthiopien devant la Société des Nations, 1937, der vorschlägt, die Entscheidung über die Frage des Friedensbruches dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag zu übertragen, weil das Verfahren des

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glieder des Rates, mit Ausnahme Italiens, ihre Meinung dahin geäußert, daß Italien unter Mißachtung der Art. 12 VS. „zum Kriege geschritten" sei. Der Präsident der Ratssitzung nahm von der Tatsache Kenntnis, „daß vierzehn i m Völkerbundsrat vertretene Mitglieder des Völkerbundsrats der Ansicht sind, daß w i r uns angesichts eines Krieges befinden, der unter Mißachtung der Verpflichtungen des Art. 12 der Satzung begonnen wurde". I m Anschluß daran stellte der Präsident fest, daß ein ihm vorliegender Bericht eines Sechserausschusses des Rats, der zu demselben Ergebnis gekommen war, sowie ein Protokoll dieser Sitzung allen M i t gliedern des Völkerbundes übersandt werden sollte, brachte die Resolution der Bundesversammlung vom 4. Oktober 1921 über die „ W i r t schaftswaffe nach A r t 16" in Erinnerung und fügte hinzu, daß „der Rat nunmehr seine Pflicht zur Koordination hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen aufnehmen" müsse. Das war nach Fischer Williams nicht mehr Anwendung der Völkerbundssatzung, aber notwendige und berechtigte „Weiterentwicklung" (138). Es folgte eine zweite „Weiterentwicklung": Die Völkerbundsversammlung, die in Art. 16 nicht erwähnt ist, wurde in das Verfahren einbezogen. Sie faßte aber ebenfalls keinen Beschluß, sondern jedes Mitglied brachte seine Stellungnahme zu der Meinung der 14 Ratsmitglieder zum Ausdruck, wobei allerdings in einigen Fällen der Grundsatz zur Anwendung kam, daß Stillschweigen Zustimmung bedeutet, und wobei bekanntlich drei Staaten, Osterreich, U n garn und Albanien, ihre abweichende Meinung äußerten. A u f dieser Grundlage erging mit großer Mehrheit eine „Empfehlung", ein „vœu" der Versammlung vom 10. Oktober 1935, das die Mitglieder einlud, ein sogenanntes Koordinationskomitee für die gemeinsame Beratung und „Erleichterung" der von den einzelnen teilnehmenden Staaten ins Auge gefaßten Maßnahmen zu bilden. Für jeden Kenner des Bundesverfassungsrechts und seiner Geschichte ist dieses Verfahren der „Weiterentwicklung" eines Kollektivvertrages von größtem Interesse. Die Schwierigkeiten, die in dem Erfordernis der Einstimmigkeit liegen, werden, um eine gemeinsame A k t i o n zu ermöglichen, durch eine typisch „bündische" Ergänzung des Vertrages i m Sinne einer „Gemeinschaft" überwunden; aus den Stellungnahmen der einzelnen M i t glieder und aus den mit bloßer Mehrheit zustande gekommenen „EmpHerbstes 1935 übereilt und unsachlich war. Daß der Ausweg ins Justizförmige aber noch tiefer in die juristische Diskriminierung und damit in die Aufhebung des Kriegsbegriffes führen müßte, wird sich aus den späteren Ausführungen unseres Berichtes (unten S. 47) ergeben. Mit dem Satz „la Cour nous dira le droit", den Briand am 19. Mai 1931 vor dem Völkerbundsrat ausgesprochen hat, um die Frage der deutsch-österreichischen Zollunion vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof zu bringen, hat man keine guten Erfahrungen gemacht.

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fehlungen" der Völkerbundsorgane entsteht ein „general sentiment"; dieses w i r d als ausreichende Grundlage für die gemeinsame Völkerbundsaktion angesehen, und die, wie Fischer Williams sagt, „eingebildete Schwierigkeit des Grundsatzes der Einstimmigkeit" ist behoben. N o c h eine weitere, keineswegs nur eingebildete Schwierigkeit w i r d auf eine ähnliche „bündische" Weise in Ordnung gebracht. A r t 16 gibt jedem einzelnen Völkerbundsmitglied das Recht, nicht aber die Pflicht, gegen den Satzungsbrecher Krieg zu führen; denn der Satzungsbrecher hatte nach Art. 16 - die rechtsgültige Feststellung, daß er zum Kriege geschritten war, unterstellt - ipso facto gegen jedes Völkerbundsmitglied eine Kriegshandlung begangen. Es widerspräche aber den „general implications" und dem „spirit" der Satzung (141), wenn jedes einzelne Völkerbundsmitglied Krieg führen würde; auch ein „rechtlich zulässiger Krieg soll nach Möglichkeit nicht als ein Mittel zur Verhinderung eines Krieges, selbst eines rechtlich zulässigen Krieges, heraufbeschworen werden". Es entspricht also dem Geist der Völkerbundssatzung, sich zunächst auf wirtschaftliche Zwangsmittel zu beschränken, und es entspricht ihm ferner, daß diese wirtschaftlichen Zwangsmittel gegen den satzungsbrüchigen Staat zwar von den einzelnen Mitgliedsstaaten, aber in einer gemeinsamen A k t i o n vorgenommen werden, so daß sie nach Fischer Williams doch Völkerbundsmaßnahmen, nicht bloße Einzelaktionen der einzelnen Mitglieder sind. Den Engländer stört es nicht, daß der Ausgangspunkt der Völkerbundssanktionen, der ihre rechtliche Voraussetzung und Grundlage ist, nämlich die Feststellung des Satzungsbruches, kein A k t des Völkerbundes als solchen, sondern der einzelnen Staaten ist, während das, was sie aufgrund ihrer Entscheidungsfreiheit gegen den satzungsbrüchigen Staat unternehmen, i m Rahmen einer kollektiven Völkerbundsaktion von Völkerbunds wegen vor sich gehen soll. Auch die „Resolutionen" der Völkerbundsversammlung vom 4. Oktober 1921 über die „Wirtschaftswaffe" sind „Empfehlungen" und nicht mit der Satzung gleichen Ranges. Aber wenn sich alle Mitglieder des Völkerbundes auf einer Versammlung gegenseitig und vor der ganzen Welt über eine bestimmte Auslegung der Satzung geeinigt haben, so ist es „schwierig, sie (diese Mitgliederstaaten) nicht als durch ihre eigene Erklärung gebunden zu erachten"; denn sonst „wäre ein feierlicher A k t jedes Sinnes beraubt". Zur juristischen Begründung w i r d hier an das englisch-rechtliche Prinzip des „estoppel" erinnert, ohne daß solche Analogien entscheidend sein sollen. Die Rechtsgeschichte, besonders die englische Rechtsgeschichte, kennt ja viele Beispiele erfolgreicher rechtlicher Weiterführungen und Reformen durch andere Instanzen als den Gesetzgeber, wenn eine souveräne Gesetzgebung nicht in der Lage ist, notwendige Ergänzungen vorzunehmen. So w i r d der Genfer Völkerbund zu einem aktionsfähigen „kollektiven" Gebilde; er w i r d nicht

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eigentlich „institutionalisiert"; seine Satzung bleibt Vertrag, aber er w i r d trotzdem auf eine wirksame Weise - obwohl das Wort nicht gebraucht ist - föderalisiert, und seine Einrichtungen und Verfahrensweisen erhalten eine konkrete, „bündische" Effektivität. Denn nach ihnen bestimmt sich das Wesentliche: Recht oder Unrecht der gegen einen Staat gerichteten militärischen oder wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen. Der letzte Teil des Aufsatzes erweitert und vertieft diese nicht-institutionalistische Föderalisierung des Genfer Völkerbundes zu einer grundsätzlichen Erörterung des neuen Problems der „Neutralität". Auch hier ist der Kernpunkt ein typisch gemeinschafts-, und zwar bundesrechtlicher Satz: innerhalb des Genfer Völkerbundes kann es nicht die rechtliche Indifferenz gegenüber Kriegen geben, die das Wesen der bisherigen Neutralität ausmacht (145). Neutralität ist hier u m so weniger möglich, als die Völkerbundssatzung, zum Unterschied vom Kellogg-Pakt, ausdrücklich Gegenaktionen gegen das satzungswidrig zum Krieg schreitende Mitglied vorsieht. Es ist „offensichtlich" (obvious), daß das Neutralitätsrecht die Handhabung gültiger Satzungsbestimmungen nicht einschränken kann. Das besagt auch die bekannte Regierungsäußerung von Mr. Eden vom 23. Oktober 1935, die es ausdrücklich ablehnt, „that any covenant-breaking State had any legal right to require observance by other Members of the League of any of the laws of neutrality". Gegenüber dem Friedensbrecher gibt es keine Neutralität. Trotzdem hat die englische Regierung während der Völkerbundssanktionen gegen Italien gegenüber italienischen Kriegs- und Hilfsschiffen die Regeln der Haager Neutralitätskonvention Nr. 13 angewandt, Italien demnach nicht als internationalen „Rechtsbrecher", sondern nach altem Neutralitätsrecht „unparteiisch" behandelt. Fischer Williams erklärt diese auffällige Inkonsequenz damit, daß er sagt, es besteht keine Rechtspflicht, bei einer Völkerbundsaktion über das N o t wendigste hinwegzugehen. Die rechtslogischen Schwierigkeiten werden aber noch größer, wenn er die Frage stellt, wieweit eine gegenüber Nichtmitgliedsstaaten erzwingbare Blockade des Handels eines satzungsbrüchigen Mitglieds durch satzungstreue Mitglieder zulässig ist, obwohl kein Krieg vorliegt. Nach bisherigem Neutralitätsrecht wäre eine solche Blokkade zweifellos völkerrechtswidrig. Sie dadurch als völkerrechtsmäßig zu konstruieren, daß man sie mit der alten Friedensblockade gleichsetzt, wäre eine Begriffssophistik, die dem geraden Sinn der englischen Juristen widerspricht. Er sieht, daß eben doch etwas ganz anderes vorliegt, als die alte Friedensblockade; denn die Völkerbundsblockade gegen einen Mitgliedsstaat geht aufgrund eines sie besonders ermächtigenden Vertrages der Völkerbundssatzung vor sich, dem der Betroffene i m voraus zugestimmt hat. Können also Nichtmitgliederstaaten ihr Recht auf ungehinderten Handelsverkehr mit dem von der A k t i o n betroffenen Staat gegenüber den an der

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Völkerbundsaktion teilnehmenden Staaten geltend machen? Die Frage bleibt offen. Ebenso w i r d die Frage nach der Gültigkeit einer nur i m Kriege zulässigen Konterbande-Erklärung der künftigen Entwicklung überlassen. Doch w i r d als juristische Konstruktion angedeutet, daß hier, obwohl der Krieg vermieden wird, gewissermaßen doch ein Krieg sozusagen in Entwicklung, „a war in progress", vorliege, wobei die Völkerbundsmächte als „quasi-trustees" des künftigen rechtmäßigen Kriegspartners angesehen werden und alle seine Rechte wahrnehmen können. Dieser Teil der Ausführungen von Fischer Williams ist für uns deshalb besonders wichtig, weil sich in ihnen die Schwierigkeiten und Widersprüche enthüllen, zu denen jeder Versuch einer Konkretisierung des Genfer Völkerbundes führen muß. Es bleibt in Wirklichkeit kein anderer Ausweg, als den alten, von dem überlieferten, nicht-diskriminierenden Kriegsbegriff abhängigen Begriff der Neutralität ganz fallen zu lassen. Das ist auch das umwälzende, das Antlitz des Völkerrechts verändernde Ergebnis, zu dem der englische Jurist sich in den eindrucksvollen Schlußsätzen seines Aufsatzes feierlich bekennt. Er gibt hier einen Ausblick in die Zukunft, der den ganzen Ernst der Frage offenbart und den Kernpunkt des gegenwärtigen Entwicklungsabschnitts des Völkerrechts klarer und schärfer zum Bewußtsein bringt, als jede weitere Rede oder Argumentation. Sir John Fischer Williams sagt: die kommende Generation werde wahrscheinlich mehr die Pflichten als die Rechte der Neutralen in den Vordergrund stellen. Außerdem aber könnten Kriege kommen, in denen - wenn nicht durch eine Aktion, so doch in Gedanken - nicht Stellung zu nehmen, für jeden sittlich denkenden Menschen unmöglich würde. I n einem solchen Weltkrieg, der kein bloßer „dog-fight" wäre und mit allen moralischen Energien geführt würde (in der heute üblichen Ausdrucksweise hieße das: in einem „totalen" Krieg) könnte die Neutralität, mag sie auch respektabel sein, doch nicht sehr weitgehend respektiert werden. Dante, so schließt der berühmte englische Rechtsgelehrte, hat diejenigen Engel, die in dem großen Kampf zwischen Gott und dem Teufel neutral blieben, besonderer Verachtung und Strafe überliefert, nicht nur weil sie ein Verbrechen begingen, indem sie ihre Pflicht, für das Recht zu kämpfen, verletzten, sondern auch deshalb, weil sie ihr eigenstes, wahrstes Interesse verkannt haben; die Neutralen eines solchen Kampfes träfe also ein Schicksal, dem nicht nur Dante, sondern auch Macchiavelli zustimmen würde. So tritt vor das Vae victis! noch ein warnendes Vae neutris! Seine völkerrechtliche Begründung beruht darauf, daß der Genfer Völkerbund als eine wirkliche Gemeinschaft unterstellt wird, wobei es auf juristisch-begriffliche Unterscheidungen von Bund, Gemeinschaft und Gesellschaft nicht ankommt, da der Genfer Völkerbund jedenfalls eine „Society" ist, deren

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bloßes Vorhandensein es rechtlich unmöglich macht, daß ihre Mitglieder gegenüber einer Satzungsverletzung durch andere Mitglieder gleichgültig bleiben; und die eo ipso jedes Mitglied verpflichtet, seine Handlungen so einzurichten, daß es von den anderen Mitgliedern Vertrauen erwarten kann und ein „Gemeinschaftsgeist" möglich ist. Begriffe des „general sentiment" und des gemeinsamen „spirit" sind in der Argumentation von Fischer Williams das Analogon zu dem, was die Verfassungslehre des deutschen Föderalismus als den „Grundsatz der Vertragstreue und der bundesfreundlichen Gesinnung", oder als den „allgemeinen bündischen Rechtssatz der bundesfreundlichen Haltung" bezeichnete, und womit sie den Formalismus einer angeblich „rein juristischen" Methode glücklich überw a n d 3 0 . Die Einführung und Konkretisierung solcher typisch „bündischen" Vorstellungen enthält die wirksamste und folgenreichste Föderalisierung des Genfer Völkerbundes; denn sie macht die bereits vorhandenen Einrichtungen, insbesondere den Rat, zu echten, bündischen Größen mit allen notwendigen bündischen Befugnissen. Sobald ein wirklicher Bund vorhanden ist, folgt in der Tat alles weitere von selbst. Dabei vermeidet der Aufsatz, wie gesagt, alle begriffskonstruktiven Fragen, wie „Staatenbund oder Bundesstaat?". Fischer Williams hat die Genfer Völkerbundssatzung an einer anderen Stelle einmal mit einem impressionistischen Gemälde verglichen, das nicht mit einem juristischen Mikroskop, sondern mit dem Auge des Praktikers betrachtet werden müsse 31 . Daher kommt es ihm auch nicht auf die Kontroverse an, ob die Völkerbundssatzung eine Verfassung oder ein Vertrag, eine „Konstitution" oder nur ein „Kontrakt" ist. Er hält sich in einer vernünftig-praktischen Weise an sein Ziel, wirksame Aktionen gegen den Satzungsbrecher zu ermöglichen, ohne die Freiheit und das Selbstentscheidungsrecht des einzelnen Mitgliedes mehr als unbedingt nötig aufzuheben. Darin liegt die Eigenart und Überlegenheit dieses völkerrechtsgeschichtlich ungewöhnlich wichtigen Aufsatzes. Sein tiefer, unausgesprochener Kerngedanke geht dahin, daß es gar nicht darauf ankommt, jeden Völkerbundsstaat zur Teilnahme an den gemeinsamen Aktionen des Völkerbundes, w o h l aber alle dritten Staaten, Mitglieder wie Nichtmitglieder, zur Anerkennung des Rechtes dieser Aktionen zu bringen. 2. Die außerordentliche Bedeutung des Aufsatzes von McNair liegt darin, daß er unmittelbar auf die letzte und entscheidende Frage, nämlich die eines neuen Kriegs- und Neutralitätsbegriffes hinführt. M c N a i r zitiert sei30 Rudolf Smendy Festgabe für Otto Mayer, Tübingen 1916, S. 260 f.; ders., Verfassung und Verfassungsrecht, München und Leipzig 1928, S. 170/71; Carl Bilfinger, Der Einfluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens, Tübingen 1923, S. 52 f. 31 Some aspects of the Covenant of the League of Nations, 1934.

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nen Vorgänger auf dem Lehrstuhl der Whewell Professur in Cambridge, Brierly 3 2 , und erinnert daran, wie sehr es Grotius darauf ankam, zwischen gerechten und ungerechten Kriegen zu unterscheiden, wie dieser Unterschied aber schließlich ganz aus der Völkerrechtslehre verschwand, bis die unbedingt herrschende Lehre (Hall, Westlake und alle andern führenden Völkerrechtslehrer) den Krieg nur noch als „extra-legal" ansah, während die Frage seiner „Illegalität" völkerrechtlich nicht mehr gestellt wurde. Die andere Seite dieses nichtdiskriminierenden Kriegsbegriffs war ein bestimmter Neutralitätsbegriff, der für die nichtkriegführenden Staaten, ohne Rücksicht auf Recht oder Unrecht einer kriegführenden Partei, die Pflicht zu strengster Unparteilichkeit begründete. Das ist nun, wie M c N a i r glaubt, wenigstens für den größten Teil der Welt anders geworden. I n der Haltung der Völkerbundsstaaten zu dem italienisch-abessinischen Krieg sieht er einen Beweis dafür, daß das bisherige Neutralitätsrecht, mit seiner Pflicht zur nichtdiskriminierenden Unparteilichkeit, durch die Völkerbundssatzung überwunden ist. Für diejenigen Staaten, die nicht Mitglied des Völkerbundes sind, soll sich aus dem Kellogg-Pakt, der ja mit unbeachtlichen Ausnahmen (zum Beispiel Tibet) für alle Staaten der Erde gilt, die Pflicht zur Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen und damit auch der neue Neutralitätsbegriff ergeben. Die neue Ordnung der Erde w i r d durch die allmählich sich herausbildenden Methoden des „kollektiven Widerstandes gegen den Angreifer" bestimmt. Die Tendenz zur Föderalisierung bedient sich hier des Wortes „Kollektivierung". Daß mit der Kollektivierung der A k t i o n gegen den Angreifer auch neue kollektive Methoden zur Revision des Status quo und zur kollektiven Durchsetzung solcher Revisionen notwendig werden, hebt McNair ausdrücklich hervor. I n den bisherigen Versuchen der Organisation eines allgemeinen gegenseitigen Beistandes (Entwurf von 1923, Genfer Protokoll von 1924, Generalakte von 1928 und andere 33 ) sieht er 32

Auf die ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörenden Veröffentlichungen von J. L. Brierly, insbesondere auch seine kürzlich erschienenen Vorlesungen Règles générales du droit de la paix, Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 1936, IV, S. 109 f. (la guerre juste et injuste), sei hier wenigstens mit einem Wort hingewiesen. 33 Vgl. die Dokumente in der von Viktor Bruns herausgegebenen Sammlung „Politische Verträge", Band II, 1. Teil (1920-1927), Materialien zur Entwicklung der Sicherheitsfrage im Rahmen des Völkerbundes, bearbeitet von Georg von Gretschaninow, Berlin 1936; die Genfer Generalakte vom 26. Sept. 1928 im Recueil des Traités der SdN., X X I I , S. 272. Uber weitere Vorschläge vgl. besonders den Bericht von M. Bourquin auf der Londoner Studienkonferenz über die kollektive Sicherheit vom 3. bis 8. Juni 1935, SdN., Coopération Intellectuelle Nr. 53 / 54, und die Vorlesung von Bourquin y Le Problème de la Sécurité Internationale, Recueil des Cours, Bd. 49 (1934); zur Kritik von deutscher Seite vor allem: Freiherr von Freytagh-Loringhoven, Die Regionalverträge, Fünf Vorlesungen an der Haager Akademie für Völkerrecht, Deutsche Ausgabe in den Schriften der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe Völkerrecht Nr. 4; Asche Graf von Man-

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die Anzeichen dafür, daß die Menschheit sich auf dem Weg zu neuen Formen einer wirksamen Kollektivierung befindet. Zwang und Gewalt werden nicht abgeschafft, wohl aber „kollektiviert" und „entnationalisiert". Das soll freilich nicht durch Bildung einer selbständigen, internationalen Regierung, wie manche vorschlagen, und nicht durch eine eigene von den einzelnen nationalen Regierungen verschiedene, neue internationale Macht geschehen; die Machtanwendung muß vielmehr in der Hand der einzelnen Regierung bleiben, die über die Voraussetzung und die A r t einer solchen A k t i o n i m Rahmen der gemeinsamen Beratung und Zusammenarbeit selbst entscheidet. Die Föderalisierung des Genfer Völkerbundes geht demnach, wie bei Sir John Fischer Williams, durch eine praktischverständige Beimischung föderalistischer Vorstellungen, aber ohne antithetische Zuspitzungen und ohne Institutionalisierungen französischen Stils vor sich, unter Wahrung der vertraglichen Grundlagen und mit sorgfältiger Rücksicht auf die Selbständigkeit der einzelnen Staaten. Kein Völkerbundsmitglied ist zu einer militärischen A k t i o n verpflichtet, aber die Satzung ermächtigt es zur Teilnahme an einer solchen, wenn es das nach seinem Ermessen für richtig hält. Dabei hat jedes Mitglied vernünftigerweise ein Recht darauf, sich i m voraus mit einem genügend starken Teil der kooperierenden Mächte zu verständigen, wenn der zu bekämpfende Angreifer vermutlich von seiner bewaffneten Macht Gebrauch macht, um Widerstand zu leisten. Wichtiger als alles andere ist die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen und die praktische Durchsetzung dieser Unterscheidung gegenüber dem Angreifer, das heißt gegen einen ungerechterweise kriegführenden Staat. I n Art. 10 und 16 VS. sieht M c N a i r die bereits heute gültige, rechtliche Grundlage für praktische Schlußfolgerungen aus der Unterscheidung gerechter und ungerechter Kriege. Von der Regierung der Vereinigten Staaten hofft er, daß sie die Folgerungen aus dem Kellogg-Pakt ziehen und gegenüber einem als Angreifer erklärten Staat nicht an dem überlieferten Begriff der Neutralität festhalten werde, obwohl der Präsident der Vereinigten Staaten i m italienisch-abessinischen Konflikt die notwendige Unterscheidung zwischen Angreifer und Objekt des Angreifers noch nicht gemacht habe. Auch diese Darlegungen sind trotz ihrer Kürze von größter völkerrechtlicher Tragweite; sie enthalten in ihrer prägnanten, auf das Wesentliche konzentrierten Stellungnahme die vollständigste Zusammenfassung der für das gegenwärtige Stadium des Völkerrechts entscheidenden Fragen delsloh, Politische Pakte und völkerrechtliche Ordnung (Sonderdruck aus: 25 Jahre Kaiser Wilhelm-Gesellschaft, Dritter Band: Die Geisteswissenschaften), Berlin 1937; Carl Schmitt, Über die innere Logik der Allgemeinpakte auf gegenseitigen Beistand, in der Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht", I I (1935), S. 92-98.

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I I I . Kritische Erörterung

und stellen das Problem mit sicherer Einfachheit auf die richtige Ebene: die des Kriegsbegriffs. Der Schlußabsatz erinnert an den Schluß des Aufsatzes von Sir John Fischer Williams. Zunächst freilich beginnt M c N a i r mit einem Vergleich, der für einen beeindruckbaren Leser auf den ersten Blick geradezu phantastische Aspekte eröffnen könnte. Er deutet nämlich an, daß das reiche England vor der Notwendigkeit einer Revision des Status quo vielleicht in die Rolle des reichen Jünglings aus dem Evangelium hineingerät, der zwar die besten Absichten hatte, aber „traurig davonging", als ihm zugemutet wurde, wirklich auf seinen Reichtum zu verzichten. Leider w i r d dieser schöne und tiefsinnige Vergleich nur einen Augenblick gestreift; das Bild des reichen Jünglings versinkt, kaum gegrüßt, gemieden, und es ist nicht etwa davon die Rede, es zu konkreten Folgerungen oder praktischer Detaillierung zu vertiefen. Statt dessen w i r d sofort daran erinnert, daß England durch seine Beteiligung an der Bildung einer internationalen Truppe bei der Abstimmung i m Saargebiet und seine Haltung i m Völkerbund während des September 1935 bereits einen wichtigen Beitrag zur Durchführung kollektiver Aktionen geleistet habe, so daß jetzt auch die anderen Staaten, wenn sie an den Segnungen der kollektiven Sicherheit teilnehmen wollten, bereit sein müßten, die Lasten und das Risiko der neuen Methode auf sich zu nehmen, damit der Zustand dauernden Friedens allmählich herbeigeführt werden könne.

III. Stärker und zwingender als das systematisch-konstruktive Werk von Scelle und die rechtstheoretische Arbeit Lauterpachts zeigen die beiden, mit der konkreten Frage der sogenannten Sanktionen sich beschäftigenden Aufsätze des British Yearbook, daß heute, wie in jedem intensiven Augenblick der Völkerrechtsgeschichte, der Begriff des Krieges in den Mittelpunkt tritt und zum letzten und echtesten Prüfstein allen Völkerrechts wird. Für Scelle ist der Krieg auf der einen Seite einfach ein „crime international", auf der anderen eine polizeiliche A k t i o n und dadurch ein w i r k liches Rechtsverfahren. Das würde allerdings erst in einer überstaatlichen Organisation vollkommen verwirklicht sein 3 4 . Man darf mit einiger Spannung darauf warten, wie der französische Jurist in der Weiterführung seines Werkes das Problem des völkerrechtlichen Krieges systematisch gestaltet, oder ob er es vielleicht mit seinem M u t zur Folgerichtigkeit als grundsätzlich bereits erledigt ansieht und nicht mehr erwähnt. Lauterpacht hält in seinem rechtstheoretischen Werk die Frage des Krieges offen. 34

Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, 1932, IV, p. 680.

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I I I . Kritische E r ö r t e r u n g

I n seiner Ausgabe von L. Oppenheims International Law (Vol. II, 5. Aufl. 1935, §§ 52 j, 61 und 306 a, S. 154, 182, 532) geht er von den überlieferten Begriffen aus und sucht er die durch Völkerbund und Kellogg-Pakt bewirkten Änderungen des Neutralitätsrechts damit zu begründen, daß er sie in der Völkerbundssatzung und i m Kellogg-Pakt vertraglich zugesichert findet. Das diskriminierende Verhalten gegenüber dem Satzungsbrecher soll aus diesem Grunde keine Verletzung der Neutralitätspflicht zur Unparteilichkeit sein, weil auch nach überliefertem Völkerrecht Verträge, die auf die Neutralitätsansprüche verzichten und einer diskriminierenden Behandlung zustimmen, zulässig seien; die Völkerbundsstaaten hätten sich, weil sie dem Art. 16 VS. zugestimmt haben, i m voraus einverstanden erklärt; alle anderen Staaten sollen durch den Kellogg-Pakt der Diskriminierung des Vertragsbrechers i m voraus zugestimmt haben. Diese Argumentation geht zwar an den von Fischer Williams und M c N a i r aufgeworfenen neuen Fragen des Kriegs- und Neutralitätsbegriffs vorbei, scheint aber praktisch das gleiche Ergebnis zu erreichen. Die neuesten Lehrbücher des Völkerrechts, insbesondere A . von Verdroß* 5 und E. Wolgast 36 halten, trotz einiger Einschränkungen, im ganzen heute noch an dem überlieferten, nichtdiskriminierenden Kriegs- und Neutralitätsbegriff fest. Dasselbe gilt von der letzten größeren monographischen Darstellung von Josef L. Kunz* 7. Die Behandlung des Neutralitätsrechts in dem von G. A. Walz herausgegebenen Handbuch des Völkerrechts (V, 5, 1936) durch E. v. Waldkirch und E. Vanselow verbleibt ebenfalls auf der bisherigen Grundlage 3 8 . Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß 35 A. von Verdroß, Völkerrecht (Berlin 1937), § 45, S. 192/93, erklärt den Krieg nur bei einer justa causa als völkerrechtliche Zwangsmaßnahme zulässig; davon gehe auch Art. 15 Abs. 7 VS aus; auf S. 88 wird ein Zusammenhang von erzwungenem Friedensvertrag und rechtmäßigem Krieg angedeutet; da der Staat aber souverän bleibt und ihm die Entscheidung über Recht und Unrecht des Krieges zusteht, so bleibt es auch bei dem alten, nicht-diskriminierenden Kriegsbegriff. Auf S. 320 heißt es daher bei der Lehre von der Neutralität: „Dieser Grundsatz der Unparteilichkeit durchzieht wie ein roter Faden das ganze Neutralitätsrecht". 36 Das „Völkerrecht" von Ernst Wolgast (Berlin 1934), das sich durch viele treffende und originelle Beobachtungen auszeichnet, ist an diesem Punkt ebenfalls sehr zurückhaltend. Zwar wird in § 493 (S. 934 / 35) gesagt, daß es unmöglich sei, den gegenwärtigen Stand des Neutralitätsrechts exakt darzulegen („dies um so weniger, als der Völkerbundund der Kellogg-Pakt, Stimson-Doktrin, das Neutralitätsrecht in seiner Gänze schlechthin fraglich gemacht haben"), vgl. auch § 475 und 477. Aber in den „Obersten Sätzen" heißt es dann doch, daß die Pflicht zum „gleichmäßigen" Verhalten die Annahme eines besonderen rechtlichen Grades „wohlwollende Neutralität" ausschließe. Wolgast hat also das Dilemma: Neutralität oder Nichtneutralität? wohl erkannt. 37

Kriegsrecht und Neutralitätsrecht. Wien 1935. Die Frage der Neutralität der Schweiz im Genfer Völkerbund soll hier nicht erörtert werden; es sei nur bemerkt, daß auch an ihr der Zwangscharakter des Dilemmas: 38

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das völkerrechtliche Problem des Kriegsbegriffs mit zunehmender Stärke und unabsehbarer Tragweite die völkerrechtliche Entwicklung der Gegenwart beherrscht. Die Frage des „gerechten" Kriegs hat sich erhoben. Es war sehr mutig und offen von McNair; die alles entscheidende Frage in solcher konkreten Klarheit aufzuwerfen. Aber hat sich der auf Genfer Völkerbund und Kellogg-Pakt begründete, von dorther zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg unterscheidende, neue völkerrechtliche Kriegsbegriff schon wirklich i m Völkerrecht durchgesetzt? Ist er i m Vergleich zu den während des Weltkrieges erhobenen Ansprüchen, die er weiterführt, heute mehr als in den Jahren 1917-1919 ein wirksames Ordnungselement? Für die Bejahung dieser Frage scheinen mir die Ausführungen von M c N a i r und Sir John Fischer Williams, ebenso wie die zahlreichen andern Bemühungen gleicher Richtung, nur den schwachen und problematischen Anhaltspunkt zu geben, der in der Supposition des Genfer Völkerbundes als einer bereits vorhandenen Gemeinschaft mit bündischem Charakter enthalten ist. Ich w i l l nicht verkennen, was es völkerrechtlich bedeutet, wenn Mächte wie England, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika an einem diskriminierenden Kriegsbegriff Interesse haben; aber ich glaube doch nicht, daß die damit beanspruchte, ungeheure Wendung sich bereits in der Wirklichkeit vollzogen hat oder auch nur als Programm und Forderung hinreichend klar und in sich widerspruchslos wäre. Sowohl die systematischen und rechtstheoretischen Versuche einer Institutionalisierung von Völkerbund und Völkergemeinschaft, wie auch die praktisch-konkreten Argumente von Sir John Fischer Williams und M c N a i r bedürfen vielmehr gerade vom Kriegsbegriff her einer weiteren völkerrechtlichen Klärung. Es handelt sich dabei, wie nach unseren bisherigen Ausführungen klar sein dürfte, nicht um begriffstheoretische Kontroversen, sondern um eine Frage von elementarster praktischer Bedeutung, nämlich die Frage der Neutralität in einem etwaigen künftigen Kriege 3 9 . Neutralität oder Nichtneutralität? sichtbar wird, demgegenüber eine „differenzielle" Neutralität (wie sie z. B. von Dietrich Schindler, Völkerbund und Völkerrecht, II, S. 524, verteidigt wird) unhaltbar wird. Die Bindung an eine Entscheidung über Recht oder Unrecht einer kriegführenden Partei schließt den rechtlichen Kern der Neutralität, die Unparteilichkeit, aus. Es gibt keine halbe Unparteilichkeit. 39 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß der erste beachtliche Versuch, der Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Krieg auf dem Wege über das Neutralitätsrecht praktische Wirkungen zu verschaffen, während des Weltkrieges gegen Deutschland von belgischer Seite unternommen worden ist, in dem Vortrag von Ch. de Visscher vom 28. Juli 1916, De la belligérance dans ses rapports avec la violation de la neutralité, Grotius Society II, p. 102: „Cette égalité juridique, qui existe entre belligérants ordinaires dans le cas de guerre régulière, se trouve exclue ici en raison du caractère injuste de l'agression".

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I I I . Kritische Erörterung

Es ist richtig, daß Grotius von gerechten und ungerechten Kriegen spricht; er nennt die ungerechten Kriege „latrocinia" und sagt sogar, beim ungerechten Krieg bestehe für die Untertanen keine Rechtspflicht, dem Fürsten zu folgen. Aber Grotius hat noch nicht eindeutig ein von (im modernen Sinne) staatlich organisierten Völkern getragenes Völkerrecht, sondern eine noch halbfeudale A r t von mittelalterlich-naturrechtlichem Common Law-Gemeinwesen i m Auge. Er spricht daher auch noch von Privatkriegen, ein Begriff, der von selbst aufhört und sich in einen „strafgesetzlichen Tatbestand" verwandelt, sobald eine geschlossene staatliche Ordnung und ein darauf sich gründendes Völkerrecht entsteht, die das jus ad bellum beim Staat konzentriert und monopolisiert. I n dem Maße, in dem der moderne Staat sich herausbildet, klärt sich daher auch die Eigenart des von solchen Staaten getragenen Völkerrechts und setzt sich der ihm spezifische, nichtdiskriminierende Kriegsbegriff durch. I m 18. Jahrhundert steht er bei Vattel, in seinem D r o i t des Gens (1758) fest, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß in allen Zweifelsfällen jede unabhängige Nation selbst über die Gerechtigkeit eines Krieges entscheidet, obwohl auch Vattel ausführlich von gerechten und ungerechten Kriegen spricht und sogar den Privatkrieg, allerdings nur noch als einen Vorgang des „Naturzustandes", erwähnte 4 0 . Doch ist auch für Grotius der ungerechte Krieg eben doch Krieg und etwas anderes als Exekution oder Sanktion auf der einen, Mord, Raub und Piraterie auf der anderen Seite. Auch Grotius (De Jure Belli ac Pacis 1 § 2 Nr. 3) sagt ausdrücklich: „Justitiam in definitione (sc. belli) non includo". Sein Jus belli ac pacis kann, ebenso wie das überlieferte, bis auf den heutigen Tag gültige Völkerrecht, selbstverständlich von gerechten und ungerechten Kriegen sprechen, es kann diese Unterscheidung aber ebensowenig in den Kriegsbegriff, wie in den entsprechenden Begriff von Neutralität aufnehmen, ohne diesen Kriegsbegriff als solchen und damit die Gesamtstruktur der Völkerordnung zu zerstören. In praxi handelt es sich nur darum, ob jeder Staat für sich die Entscheidung trifft und das jus supremae decisionis behält, oder ob ein anderer Staat oder eine Gruppe von ihnen mit Wirkung für Dritte die völkerrechtliche Entscheidung über Recht oder Unrecht des Krieges an sich zieht 4 1 . 40 Le Droit des Gens, t. II, Buch 3, Kap. 1, § 2, und Kap. 3; in Buch 3, Kap. 3, § 39 und 40, tritt am deutlichsten der agnostizistische Gesichtspunkt hervor, daß, wenn jede Nation an ihr Recht glaubt, jeder souveräne Staat kraft seiner Souveränität selbst entscheiden muß. 41 Welche praktischen Folgerungen der neutrale Staat aus dem von ihm anerkannten Recht oder Unrecht einer kriegführenden Partei zieht, ist eine zweite Frage; jedenfalls ist ein in solcher Weise zwischen Recht und Unrecht unterscheidender dritter Staat nicht mehr „neutral", auch dann nicht, wenn er sich nicht an militärischen oder wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen beteiligt.

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Gegenüber dieser Grundfrage kommt es nicht darauf an, wie der Krieg rechtstheoretisch konstruiert und abgegrenzt wird, ob er „actio" oder „status" ist, ein Rechtsverfahren, eine Rechtsinstitution, Selbsthilfe oder nur ein nicht wider-, aber außerrechtlicher Vorgang, ob der „Wille zum Krieg" oder „objektive" Tatsachen das Entscheidende sind usw. 4 2 . Weder berührt es unsere Frage, daß die kriegführenden Staaten zu allen Zeiten ihre Sache selbstverständlich als gerecht und die des Gegners als ungerecht hinstellen, noch ist es entscheidend, daß es auf der Seite der „dritten" Staaten Modifikationen wie eine „wohlwollende", eine „bewaffnete", eine „bedingte" und ähnliche Arten der Neutralität gibt. Die Praxis der Neutralität hat immer viele Nuancen gekannt. Aber eine für dritte Staaten oder gar die Völkerrechtsgemeinschaft bindende Entscheidung über Recht und Unrecht war damit nicht beansprucht. Ist ein neutraler Staat davon überzeugt, daß die eine kriegführende Partei gegenüber der anderen i m Recht oder Unrecht ist, so steht es ihm frei, auf der Seite, auf der er das Recht sieht, in den Krieg einzutreten; er w i r d dadurch selbst kriegführende Partei, aber er kann nicht mit völkerrechtlicher Wirkung den Krieg auf der einen Seite zum völkerrechtlichen Recht, auf der anderen Seite zum völkerrechtlichen Unrecht machen. I m entscheidenden Augenblick und gegenüber der Frage, wieweit das heutige Völkerrecht gerechte und ungerechte Kriege kennt, erhebt sich stets ein einfaches Entweder-Oder und gilt immer noch: „ O n est neutre ou on ne l'est pas" 4 3 . Die Neutralität läßt sich nuancieren, aber nicht halbieren. Sie ist vom Staats- und Volksbegriff und von der heutigen Völkerrechtsordnung unabtrennbar. Wenn heute ein Staat oder eine Gruppe von Staaten diese grundsätzlich nichtdiskriminierende Haltung aufgibt und in der Weise zum Kriege schreitet, daß in einer auch für Dritte rechtlich maßgeblichen Weise die eine Kriegspartei von der anderen rechtlich unterschieden wird, so ist damit der Anspruch erhoben, nicht nur i m eigenen Namen, sondern auch i m Namen einer höheren, das heißt überstaatlichen Ordnung und Gemeinschaft aufzutreten; es ist der Anspruch erhoben, etwas ganz anderes zu tun als das, was man bisher unter Kriegführen verstand, also etwas zu tun, was folgerichtig überhaupt nicht mehr als „Krieg" i m bisherigen völkerrechtlichen Sinn bezeichnet werden darf. Sobald die Vorstellung der möglichen Neutralität und damit die eines unbeteiligten „dritten Staates" verneint wird, ist ein universaler oder regionaler Herrschaftsanspruch er42 Vgl. die Übersichten bei J. Kunz a. a. O. S. 4 f.; Georg Kappus: Der völkerrechtliche Kriegsbegriff in seiner Abgrenzung gegenüber militärischen Repressalien, Breslau 1936 (für die „Willenstheorie"). 43 Hammarskjöldy La neutralité en général, Bibliotheca Visseriana III, p. 59, Leyden 1924.

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hoben. Wenn die Völkerrechtsordnung einer aus staatlich organisierten Völkern gebildeten Völkerrechtsgemeinschaft auf dem Staat als dem Träger der letzten Entscheidung über sein jus belli, und auf einem daraus folgenden, nichtdiskriminierenden Kriegs- und Neutralitätsbegriff ruht, so hebt die Einführung einer völkerrechtlich maßgeblichen Diskriminierung nicht nur den nichtdiskriminierenden, sondern jeden Kriegsbegriff auf. Die Frage ist heute also in Wirklichkeit nicht mehr: gerechter oder ungerechter, erlaubter oder unerlaubter Krieg?, sondern: Krieg oder NichtKrieg? Die große „planetarische" Auseinandersetzung der Völker geht schon so tief, daß sie auf die letzten Grundbegriffe und auf das Dilemma: Krieg oder Nicht-Krieg? stößt. Ebenso ist beim Begriff der Neutralität die Entwicklung schon bis zu der Alternative: Gibt es noch Neutralität oder gibt es keine mehr? vorgestoßen. N u r daraus erklärt sich die merkwürdige, von 1914 bis zum heutigen Tage, also seit über 20 Jahren zwischen zwei extremen Gegensätzen schwankende Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika, die sich bald einem rigoros passiven, folgerichtig nicht-unterscheidenden Neutralitätsbegriff, bald einem den Neutralitätsbegriff beseitigenden und die Entscheidung über Recht und Unrecht an sich reißenden, diskriminierenden Kriegsbegriff zuwenden, ohne daß bisher eine endgültige Entscheidung gefallen wäre 4 4 . Alle Versuche, auf dem Wege über den Genfer Völkerbund einen diskriminierenden Kriegsbegriff in das Völkerrecht einzuführen, stoßen infolgedessen heute auf zwei große Unvereinbarkeiten: die Unvereinbarkeit jedes Kriegsbegriffs mit dem Neuordnungsanspruch des Genfer Völkerbundes, und die Unvereinbarkeit von Universalismus und Föderalismus in der heutigen Lage des Völkerrechts. 1. Der bisherige Kriegsbegriff macht es durch seine Nichtdiskriminierung und seine paritätische Gleichbewertung beider Parteien möglich, daß die beiderseitige bewaffnete Auseinandersetzung rechtlich als ein einheitlicher, völkerrechtlicher Begriff gelten kann. Die Nichterstreckung auf dritte Staaten, der Verzicht auf eine für Dritte maßgebliche rechtliche Unterscheidung, ist die Voraussetzung einer solchen Zusammenfassung. Sobald mit Wirkung für Dritte über Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit, Erlaubtheit oder Unerlaubtheit von Kriegen entschieden wird, ist die 44 Vgl. John H. Spencer; Die Vereinigten Staaten und die Rechte der Neutralen im Seekriege, Bruns Ζ. V (1935), S. 293-304. Das umfangreiche amerikanische Schrifttum, das insbesondere in den letzten Jahren entstanden ist, bewegt sich nur um das Dilemma dieser beiden Extreme. Der Zwangscharakter dieses Dilemmas ergibt sich ohne weiteres aus dem andern: Krieg oder Nicht-Krieg, wie es im Text behandelt ist, so daß eine weitere Behandlung des amerikanischen Schrifttums für die Zwecke dieses Berichtes nicht erforderlich ist. Eine lehrreiche Parallele aus der Anerkennungspraxis bei Makarov, Bruns. Ζ. IV (1934), S. 3. Im übrigen vgl. unten S. 56 f. dieses Berichtes.

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Einheitlichkeit des Kriegsbegriffs gesprengt und liegt auf der einen Seite ein völkerrechtlich gerechter, zulässiger, auf der anderen Seite ein völkerrechtlich ungerechter, unzulässiger „Krieg" vor. Das wären eigentlich zwei Kriege, die aber, da Recht und Unrecht rechtlich nicht zu einem Begriff verbunden werden kann, jeder etwas ganz Verschiedenes und Entgegengesetztes bedeuten und daher nicht mit demselben Rechtsbegriff erfaßt werden können. Ein anerkannt rechtmäßiger und ein ebenso anerkannt rechtswidriger Vorgang kann, innerhalb derselben Rechtsordnung, nicht einen und denselben Rechtsbegriff bilden. Das wäre ebensowenig denkbar, wie daß etwa innerhalb eines Staates der Kampf zwischen Polizei und Verbrecher, oder der rechtswidrige Angriff und die rechtmäßige N o t wehr als eine einheitliche „Rechtseinrichtung" mit einer rechtmäßigen und einer rechtswidrigen „Seite" aufgefaßt werden könnten. Ebenso umgekehrt: Solange eine Rechtsordnung einen Vorgang wie das Duell duldet oder gar als Rechtseinrichtung anerkennt, kann sie gewisse Auseinandersetzungen als Nicht-Duell, zum Beispiel als strafbare Körperverletzung, ansehen, nicht aber, sobald ein Duell vorliegt, zwischen „gerechten" und „ungerechten" Duellen unterscheiden. Sobald eine Völkerrechtsordnung also wirklich mit überstaatlicher, das heißt für dritte Staaten maßgeblicher Gültigkeit zwischen berechtigten und unberechtigten Kriegen (zwischen zwei Staaten) unterscheidet, ist die bewaffnete A k t i o n auf der gerechten Seite nur Rechtsverwirklichung, Exekution, Sanktion, internationale Justiz oder Polizei; auf der ungerechten Seite ist sie nur Widerstand gegen rechtmäßiges Vorgehen, Rebellion oder Verbrechen und jedenfalls etwas anderes als die überkommene Rechtsinstitution „ K r i e g " 4 5 . 45 Norbert Gürke hat das große Verdienst, zu der Frage des gerechten Krieges mit einer konkreten Unterscheidung (statt mit den sonst üblichen scholastisch-naturrechtlichen Allgemeinheiten) Stellung genommen zu haben, indem er den auf einen gerechten Lebensausgleich zielenden Krieg dem mit einer universalistischen Ideologie gegen einen „totalen Feind" geführten Vernichtungskrieg gegenüberstellt (Volk und Völkerrecht, Tübingen 1935, S. 73; Der Begriff des totalen Krieges in der Zeitschrift „Völkerbund und Völkerrecht" IV, 1937, S. 207/ 212). Diese Unterscheidung ist sehr fruchtbar und macht den Gegensatz eines universalistischen zu einem politisch-pluralistischen Weltbild anschaulich. Doch ist zu beachten, daß der universalistisch-ideologisch gerechtfertigte Vernichtungskrieg gerade wegen seines ökumenischen Anspruchs zunächst den Staat als geschlossene Volks- und Raumordnung seines bisherigen Ordnungscharakters beraubt, den Staatenkrieg in einen internationalen Bürgerkrieg verwandelt (wobei der sogenannte Bürgerkrieg natürlich nicht mehr auf derselben Ebene Krieg ist, wie der Staatenkrieg), daß er infolgedessen den Begriffen von Krieg und Feind ihre Ehre und Würde nimmt und beide Begriffe vernichtet, indem er den Krieg auf der „gerechten" Seite zu einer Exekution oder Säuberungsmaßnahme, auf der ungerechten Seite zu einem rechts- und moralwidrigen Widerstand von Schädlingen, Unruhestiftern, Piraten und Gangstern macht. In meiner Abhandlung über den „Begriff des Politischen" (1. Ausgabe 1927, 3. Ausgabe 1932), auf die Gürke hinweist, ist dieser Zusammenhang der Beseitigung des Kriegs- und Feindbegriffs mit einem universalistischen Pazifismus klargestellt. Daß es

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I I I . Kritische Erörterung

D i e Genfer V ö l k e r b u n d s s a t z u n g hat i n der Frage des Kriegsbegriffs keine E n t s c h e i d u n g getroffen. I n A r t . 16 VS. w i r d die militärische A k t i o n des Satzungsbrechers ebenso „ K r i e g " genannt w i e die G e g e n a k t i o n gegen i h n „ K r i e g " heißt. A r t 15 A b s . 7 sieht n o c h K r i e g e alten Stiles (auf beiden Seiten p o u r le m a i n t i e n d u d r o i t ) vor. D a r a u f h i n w e r d e n i n der V ö l k e r bundsjurisprudenz

üblicherweise

„erlaubte"

und

„unerlaubte"

Kriege

unterschieden, m i t z w e i verschiedenen N e u t r a l i t ä t s b e g r i f f e n , d e m neuen f ü r die unerlaubten, u n d d e m alten f ü r die erlaubten K r i e g e 4 6 .

Beide

Kriegsarten sollen aber d o c h u n t e r einen B e g r i f f „ K r i e g " als einen Rechtsbegriff f a l l e n 4 7 . H i e r t r i t t die unentschiedene H a l b h e i t der V ö l k e r b u n d s sich bei dieser Verwandlung des „Krieges" in einen „Nicht-Krieg" nicht etwa nur um begriffstheoretische Feinheiten handelt, zeigen die Bemühungen derjenigen Autoren, die die Luftwaffe als spezifische Sanktions- oder auch Bürgerkriegswaffe hinstellen, um den Fortschritt der militärtechnischen Entwicklung gleichzeitig als einen weltgeschichtlichen Fortschritt zur Verwandlung des Krieges in eine Befriedungsaktion gegen rebellische oder zivilisatorisch rückständige Bevölkerungen zu erweisen, da es selbstverständlich kein „Krieg" mehr ist, wenn auf solche Bevölkerungen Bomben abgeworfen werden. Im übrigen verweise ich auf die folgenden Ausführungen meines Berichtes sowie auf Anm. 56 und 57. 46

Lauterpacht sucht die Diskriminierung auf Grund der Völkerbundssatzung und des Kellogg-Paktes mit dem überlieferten Kriegsbegriff zu vereinigen und begründet das damit, daß er sagt, auch die innerstaatliche Rechtsordnung müsse den Bürgerkrieg ablehnen und könne doch nicht verhindern, daß erfolgreiche Revolutionäre als kriegführende Partei anerkannt werden und von einem Bürger krieg gesprochen wird. Das Argument ist wichtig, nicht weil es zutrifft, sondern weil es den Zusammenhang des diskriminierenden Kriegsbegriffs mit der Verwandlung der Staatenkriege in Bürgerkriege erkennen läßt; vgl. unten S. 51. Folgerichtige Verneinung des Rechtsinstituts „Krieg", bei Wolzendorff, „Die Lüge des Völkerrechts", 1919. Eine interessante Erörterung der völkerbundsrechtlichen Gemengelage von erlaubten und nicht erlaubten Kriegen und alter und neuer Neutralität gibt die Vorlesung von John B. Whitton, Recueil des Cours de l'Académie de Droit International, X V I I , I I (1927), S. 453-571. Auch die Pariser These von Ph. Michailides, La neutralité et la Société des Nations, 1933, stellt fest, daß gegenüber dem früheren Neutralitätsrecht zwar tiefe Änderungen eingetreten sind (weil die Völkerbundsstaaten untereinander etwas wie eine „famille tribale" bilden, innerhalb deren alle solidarisch gegen das Unrecht stehen, das einem von ihnen angetan wird), andererseits aber auch noch viele Fälle der alten Neutralität bestehen bleiben. Von deutscher Seite ist eine zusammenfassende Behandlung der Frage durch G. von Schmoller zu erwarten. Inzwischen vgl. die Aufsätze „Neue Neutralität" von Frhr. von Freytagh-Loringhoven, Zeitschrift für Völkerrecht X X (1936), S. 1 - 1 3 ; W. Troitzsch, Ende oder Wandlung der Neutralität? in „Völkerbund und Völkerrecht" I I (1935/36), S. 237-248; K. Keppler; Zwischen Neutralität und Sanktionen, Deutsche Juristen-Zeitung (1936), S. 1336-1344; H. Rogge, Kollektivsicherheit, Bündnispolitik und Völkerbund, Berlin 1937, S. 360 f. (Wiederaufkommen der Neutralitätspolitik; Sicherheitskalkulationen der „Neutralitätspolitik"; zur Soziologie der Neutralitätspolitik). 47 Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 2 Anm. 4: „Wohl bestehen vertragsmäßige Beschränkungen des ius ad bellum. Aber auch V.B.P. (= Völkerbundpakt) und Kellogg-Pakt lassen den Krieg als Rechtsinstitution prinzipiell bestehen".

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Satzung zutage, die neue Unterscheidungen einführt, ohne sie durchführen zu können und dadurch die entgegengesetztesten Rechtsvorgänge unter einem und demselben Begriff zusammenfaßt. Eigentlich kennt die Genfer Völkerbundssatzung drei Arten von „Kriegen": Exekutions- oder Sanktionskriege, tolerierte und verbotene Kriege. Dem müßten drei ebenso verschiedene Begriffe von Neutralität entsprechen. Daß es aber nicht angeht, eine „Exekution", das heißt eine rechtlich gebotene Handlung, des weiteren eine rechtlich geduldete, i m Sinne einer nicht verbotenen, und schließlich noch eine ausgesprochen für rechtswidrig erklärte, also eine verbotene Handlung unter einen und denselben Rechtsbegriff zu bringen, bedarf keiner langen Erörterung 4 8 . Während der Durchführung der Sanktionen gegen Italien suchte man in einer juristisch überaus vorsichtigen Weise die Frage des Kriegsbegriffs zu vermeiden und stellte die sogenannten Sanktionsmaßnahmen ganz auf die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Staates ab. Die A k t i o n sollte „entnationalisiert" werden. Gerade dadurch wurde aber der innere Widerspruch offenkundig und blieb es ganz unbestimmbar, was „völkerbündische" und was „einzelstaatliche" A k t i o n sein sollte. Scelle spricht davon, daß eine „action collective de la Société en un faisceau d'actions parallèles étatiques" vorlag 4 9 ; Sir John Fischer Williams bemühte sich in seinem oben (S. 36 ff.) erörterten Aufsatz die Verbindung von Einzelentscheidung und kollektiver Gemeinsamkeit herzustellen. Aber diese Harmonisierungsversuche zeigen schließlich nur, daß der Genfer Völkerbund weder an dem überlieferten Kriegs- und Neutralitätsbegriff festgehalten, noch einen wirklich neuen Begriff an seine Stelle gesetzt hat. Vor dem Dilemma: Völkerbundsexekution gegen einen Friedensbrecher oder bloßes Konsultationsverfahren zur Erleichterung einer Reihe von Einzelaktionen alten Stiles? hat er es weder gewagt, sich unter Beseitigung des bisherigen Kriegsbegriffs zu seinem universalen Weltordnungsanspruch zu bekennen, noch hat er den M u t aufgebracht, auf seine Prätentionen einfach zu verzichten. Eine weitere verhängnisvolle Wirkung der „Entnationalisierung" des Krieges und der Einführung eines diskriminierenden Kriegsbegriffs sei in diesem Zusammenhang wenigstens angedeutet: Die Aufspaltung der bisherigen völkerrechtlichen Voraussetzung einer inneren, geschossenen Einheit des staatlich organisierten Volkes. Fischer Williams scheint sie bemerkt zu haben; er ist ihr aber dadurch entgangen, daß er es vermeidet, die A k t i o n gegen den Satzungsbrecher aus Art. 16 VS. mit Begriffen wie Sanktion oder gar Strafe in Verbindung zu bringen und versucht, sie ganz 48

Über tolerierte Kleinkriege, dog-fights, vgl. unten im Text S. 53. In der Vorrede zu dem Buch von Georges T. Eies, Le principe de l'unanimité dans la Société des Nations et les exceptions à ce principe, Paris 1935. 49

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zu versachlichen (oben S. 34). Scelle, der vom „crime international" spricht, ist nicht so zurückhaltend (oben S. 27). Ganz unumwunden hat Hans Wehberg in seinen Vorlesungen über die Achtung des Krieges (1930) die Folgerung gezogen und die Forderung ausgesprochen, daß die Urheber eines „ungerechten" Krieges selbstverständlich als „Kriegsverbrecher" vor einen internationalen Gerichtshof gestellt werden müßten, außerdem aber auch die innerstaatliche Bestrafung solcher Verbrecher notwendig sei 5 0 . Fischer Williams zitiert mit Recht den Satz: „You cannot interdict a nation". Hobbes hat denselben Gedanken einmal so formuliert: Wenn der Papst eine Nation exkommuniziert, so exkommuniziert er nur sich selbst 51 . Freilich ist es denkbar, daß eine internationale A k t i o n auch gegen Staaten und Völker als solche geführt wird; aber selten werden diese so total verbrecherisch sein, daß ein Volk als Ganzes zum hostis generis humani und als Ganzes „friedlos" gemacht werden kann. Wenn mit überstaatlichem Geltungsanspruch Sanktionen oder Strafmaßnahmen vorgenommen werden, so führt die „Entnationalisierung" des Krieges daher gewöhnlich auch zu einer Unterscheidung innerhalb von Staat und Volk, in deren geschlossene Einheit von außen eine diskriminierende Aufspaltung dadurch eingeführt wird, daß sich die internationalen Zwangsmaßnahmen, wenigstens dem Vorgeben nach, nicht gegen das Volk, sondern nur gegen die jeweils regierenden Personen und deren Gefolgschaft richten, diese aber eben dadurch aufhören, ihren Staat oder ihr Volk zu repräsentieren. Die Regierenden werden, mit anderen Worten, „Kriegsverbrecher", „Piraten" oder - um die modern-großstädtische Erscheinungsform des Piraten zu nennen - „Gangster". Das sind nicht etwa nur die Redensarten einer hochgepeitschten Propaganda; es ist die rechtslogische Folge der Entnationalisierung des Krieges, die in der Diskriminierung bereits enthalten ist. Der Begriff der Piraterie wirft die Frage von der universalistischen und ökumenischen Seite auf. Es gehört bekanntlich zum Begriff des Piraten, daß er „entnationalisiert" ist und auch von dem Staat, dem er etwa angehört, fallen gelassen wird. Dadurch entsteht eine praktisch wichtige und sehr ausdehnungsfähige Einbruchsstelle überstaatlich-universalistischer Begriffsbildungen, die es ermöglichen, ganze Staaten und Völker als Piraten zu behandeln und den seit einem Jahrhundert unpraktisch gewordenen Begriff des „Räuberstaates" auf einer Ebene gesteigerter Intensität von neuem zu beschwören 52 . Alle derartigen Sprengungen und Aufspaltungen des Staates in eine (verbrecherische) Regierung und ein 50

Deutsche Ausgabe der im Recueil des Cours de l'Académie du Droit International, X X I V (1929), veröffentlichten Vorlesung, Berlin 1930, S. 141. si Behemoth, Part I, S. 491 der Ausgabe von 1750. 52

Vgl. unten S. 57 Anm. 56 und 57

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(schuldloses) Volk (im Sinne der Nicht-Regierenden als der Nicht-Schuldigen) sind in Wahrheit nur die Kehrseite der Sprengung und Auflösung des Kriegsbegriffs, die mit der Einführung des völkerrechtlich diskriminierenden Kriegsbegriffs verbunden ist. I m Weltkrieg gegen Deutschland haben w i r auch diese Auswirkung des Versuches, einen diskriminierenden Kriegsbegriff einzuführen, an uns selber erfahren. I n dem gleichen Maße, in dem der Weltkrieg bei unseren Gegnern als eine völkerrechtliche A k t i o n gegen einen Völkerrechtsbrecher hingestellt wurde, wurde er gleichzeitig als eine nicht gegen das deutsche Volk, sondern nur gegen seine Regierung gerichtete Strafaktion ausgegeben. Beides steht in untrennbarem Zusammenhang. Das hat sich ein für allemal darin dokumentiert, daß dieselbe Erklärungen des Präsidenten Wilson vom 2. A p r i l 1917, die mit dem überlieferten, nichtdiskriminierenden Neutralitätsbegriff brach, in einem Zuge auch die Aufspaltung der in sich geschlossenen staatlichen Einheit Deutschlands ins Werk setzte, indem sie, in unmittelbarem Anschluß an die Beseitigung des nichtdiskriminierenden Neutralitätsbegriffs, proklamierte: „ W i r haben keinen Streit mit dem deutschen Volk". Der Teil V I I des Versailler Diktats zieht unter der Uberschrift „Strafbestimmungen" die praktischen Folgerungen: der vormalige Kaiser von Deutschland wird „wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge" „unter öffentliche Anklage gestellt" (Art. 227); die deutsche Regierung soll die sogenannten deutschen Kriegsverbrecher ausliefern (Art. 228-230). Wenn Scelle in seinem systematischen Werk die humanitäre Intervention gegen faschistische oder nationalsozialistische Staaten befürwortet und zur völkerrechtlichen Institution erheben w i l l (oben S. 22 f.), so liegt das in derselben Richtung und entspricht derselben Logik, die den Krieg „entnationalisiert", das heißt den Staatenkrieg abschafft, um ihn zu „internationalisieren", das heißt in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Sir John Fischer Williams und McNair haben daher durchaus recht, wenn sie auf die große Tragweite der Wendung vom nichtdiskriminierenden zum diskriminierenden Kriegsbegriff hinweisen. Sie übersehen nur, daß diese Wendung noch weit folgenreicher ist, daß nämlich infolge ihrer Diskriminierung jeder Kriegsbegriff und damit ein vielleicht schwacher, aber doch echter, bisher wirklicher Ordnungsgedanke des Völkerrechts vernichtet wird, ohne daß etwas anderes als eine Staaten- und völkerzerstörende, universale Prätention an seine Stelle tritt. Dadurch, daß mit Hilfe einer beim Genfer Völkerbund liegenden Unterscheidung von völkerrechtlich zulässigem und völkerrechtlich unzulässigem Krieg der diskriminierende Kriegsbegriff wenigstens im Ansatz institutionalisiert wird, läßt sich zwar die ganze bisherige Völkerrechtsordnung aus den Angeln heben, aber keine neue Ordnung schaffen.

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Es ist nur ein neuer Weltherrschaftsanspruch erhoben, den nur ein neuer Weltkrieg verwirklichen könnte. 2. Föderalismus und ökumenischer Universalismus heben sich in der gegenwärtigen Lage des Völkerrechts gegenseitig auf. Die hier genannten Autoren gehen sämtlich und ohne nähere Prüfung 5 3 davon aus, daß der Genfer Völkerbund zwar noch nicht universal und ökumenisch ist, aber doch universal und ökumenisch sein müßte und seine Universalität wenigstens als Ziel anzuerkennen sei; gleichzeitig versuchen sie, ihn durch verschiedene Methoden der Konkretisierung zu einem wirklich föderalistischen Gebilde zu machen. Auch hier erweist sich die Frage der kollektiven bewaffneten Aktion, mit anderen Worten: das Problem des Kriegsbegriffs, als der sicherste Prüfstein. Innerhalb eines Bundes irgendwelcher A r t kann es keinen Krieg geben, solange der Bund besteht. Das ist der unbestreitbar richtige Kern des Aufsatzes von Sir John Fischer Williams. Die Schwierigkeiten aber, die sich für ihn und die anderen Autoren der gleichen Richtung erheben, werden unüberwindlich, sobald die Frage der Einbeziehung von Nichtmitgliedsstaaten in dieses föderalistische System, das heißt das Problem der ökumenischen Universalität erscheint. Eine Einbeziehung von Nichtmitgliedern ist nach geltendem, nicht universalistischem Völkerrecht unmöglich, weil der Begriff des Krieges stets eine einfache Entscheidung verlangt. Die, wenn ich so sagen darf, logische Dignität des Kriegsbegriffs ist so stark und ausschlaggebend, daß von ihr stets ein einfaches Dilemma: Krieg oder Nicht-Krieg? ausgeht. Man muß also stets vom Kriege her definieren. Was nicht „Krieg" ist, ist dann eben „Frieden". Bringt die „Kollektivierung" wirklich einen echten Bund zustande, so kommt diese ganze Logik zum Zuge, das heißt innerhalb des Bundes w i r d nicht mehr zwischen gerechten und ungerechten Kriegen entschieden, vielmehr gibt es überhaupt keine Kriege mehr, sondern nur noch Exekutionen. „Erlaubte" Kriege sind noch denkbar, aber nur als ungefährliche Kleinkriege, als dog-fights, wie Fischer Williams (oben S. 38) sagt. Sie können innerhalb des Bundes toleriert werden, wie zum Beispiel auch die Ordnung des modernen Staates Duelle tolerieren kann. Außerhalb des Bundes dagegen sind noch Kriege möglich; diese fallen aber unter den alten, nichtdiskriminierenden Kriegsbegriff. Erhebt die zu einem Bund zusammengeschlossene Gruppe von Staaten für sich den Anspruch, einen gerechten Krieg zu führen, so ist das gegenüber dem Nichtmitglied völkerrechtlich ebensowenig maßgeblich, wie es nach bisherigem Völkerrecht maßgeblich war, wenn irgendein Staat oder eine Staatengruppe mit 53 Als Beispiel eines Ansatzes zu einer solchen Prüfung sei die Abhandlung von R. Genet, SdN. et Communauté internationale in der Revue internationale du Droit des Gens, Bd. I (1936), S. 92 f., 149 f. hier wenigstens genannt.

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Wirkung über ihren eigenen Bereich hinaus über Recht und Unrecht entscheiden wollte. Die Beseitigung des Kriegsbegriffs tritt nicht, wie M c N a i r will, bereits durch vertragliche Bindungen von der A r t des Kellogg-Pakts ein, sondern erst durch die institutionelle, organisierte Zusammenfassung zu einem Bund. Es gehört zum Wesen des bisherigen Völkerrechts, daß der Krieg der stärkere Begriff ist und alle Verträge zwischen den Kriegführenden aufhebt, daß auch der im Krieg liegende Vertragsbruch, zum Beispiel ein Bündnisbruch, daher für die neutralen dritten Staaten den Krieg nicht als Krieg i m völkerrechtlichen Sinne beseitigt. Diejenigen Autoren, die aus der Völkerbundssatzung statt eines Vertrages eine echte „Verfassung", eine „Konstitution" machen wollen, erstreben mit Hilfe dieses Begriffs die Institutionalisierung zu einem wirklichen Bund und, soweit sie der universalen Völkerrechtsgemeinschaft eine solche Verfassung geben, die radikale Beseitigung des bisherigen, wesentlich nichtdiskriminierenden, paritätischen Kriegsbegriffs. Kein pazifistischer Eifer, aber auch kein noch so berechtigter Abscheu vor den Greueln eines Krieges kann darüber hinweghelfen, daß auch heute noch ein Krieg zwischen zwei Staaten etwas anderes ist als Mord, Raub und Piraterie. Bevor der Kriegsbegriff beseitigt und aus einem Staatenkrieg zu einem internationalen Bürgerkrieg wird, müssen erst die staatlich organisierten Völker beseitigt werden. Der Krieg hat nach überliefertem Völkerrecht sein Recht, seine Ehre und seine Würde darin, daß der Feind kein Pirat und kein Gangster, sondern ein „Staat" und ein „Völkerrechtssubjekt" ist. Das w i r d gelten, solange es mit einem jus belli (im Sinne des jus ad bellum) ausgestattete politische Organisationen gibt. Z u m Begriff des Bundes dagegen gehört der Verzicht auf âzsjus belli innerhalb des Bundes. Wird eine Beseitigung des jus belli über den Rahmen des Bundes hinaus mit Wirkung gegen dritte Staaten erstrebt, so ist der darin liegende Anspruch nicht mehr völkerrechtlich i m bisherigen Sinne, sondern ein universalistischer Herrschaftsanspruch auf Neuordnung der Welt. Tritt gegenüber solchen weltrechtlichen Prätentionen der Fall ein, auf den Sir John Fischer Williams am Schluß seines Aufsatzes so eindrucksvoll hinweist (oben S. 38), nämlich der Fall eines totalen Weltkrieges, mit einem genügend starken Gegner, der dann einen „ungerechten" Krieg führt, so w i r d dieser durch die Kraft seines Widerstandes die Beibehaltung des alten völkerrechtlichen Kriegsbegriffs, das heißt die rechtliche Nichtdiskriminierung durchsetzen. Dann war der auf dem Weg über den Genfer Völkerbund legitimierte Krieg eben doch nur ein Krieg bisherigen Völkerrechts, wie ja auch der 1914-1918 gegen Deutschland geführte Weltkrieg, trotz aller Bemühungen, ihn zu einer völkerrechtlichen „Exekution" gegen die vom deutschen Volk unterschiedene deutsche Regierung zu machen, und trotz aller sonstigen Diskriminierungen Deutschlands, dank der Widerstandskraft des

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I I I . Kritische Erörterung

deutschen Volkes schließlich doch ein solcher Krieg geblieben ist. I m anderen Falle allerdings, wenn kein wirksamer Widerstand geleistet wird, wäre ein universalistischer Weltherrschaftsanspruch seinem Ziel um einen Schritt näher gekommen. Würde dann wirklich das universalistische Endziel erreicht, so gäbe es zwischen den Völkern der Erde überhaupt keine Kriege mehr, weder gerechte noch ungerechte. Solange dieser Endzustand aber nicht wirklich herbeigeführt ist, schließen bündisch-föderalistische und universalistische Begriffe und Methoden des Völkerrechts einander aus. I m heutigen Stadium der völkerrechtlichen Entwicklung lassen sich Föderalismus und Universalismus vielleicht normativistisch-logizistisch miteinander harmonisieren, sobald aber an eine institutionell-konkrete Verwirklichung herangegangen wird, tritt ihre Unvereinbarkeit sofort zutage. Eine Föderalisierung des Genfer Völkerbundes bedeutet heute notwendigerweise eine straffere Zusammenfassung und Vergemeinschaftung i m Hinblick auf den Fall, daß mit einem einigermaßen beachtlichen, militärischen Widerstand gerechnet werden muß, das heißt Stärkung für den Kriegsfall. Solange diese Lage anhält, bewirkt die Einführung der Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen in concreto nur die Einführung der Unterscheidung von Genfer Völkerbundskriegen und anderen Kriegen, demnach eine Intensifizierung von Krieg und Feindschaft. Die Erfahrung, die w i r i m Weltkrieg auf Grund der Haltung des Präsidenten Wilson gemacht haben, würde sich nur wiederholen. I n dieser Lage treibt die Föderalisierung als Intensifizierung den Völkerbund zu einer immer „wirksameren", das heißt immer eindeutiger am Kriegsfall ausgerichteten Organisation, mit dem Ergebnis, daß die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen eine immer tiefere und schärfere, immer „totalere" Unterscheidung von Freund und Feind herbeiführt. Zwischen das universale Endziel und die Wirklichkeit des heutigen Zustandes würde also zunächst eben doch wieder ein Krieg treten, vielleicht wieder ein „endgültig letzter Krieg der Menschheit", jedenfalls ein eben dadurch vertiefter und verschärfter, „totaler" Krieg. Der Schluß des Aufsatzes von Sir John Fischer Williams (oben S. 38) mit seinem Wae neutris! läßt in dieser Hinsicht keinen Zweifel übrig. Alle von der Möglichkeit eines solchen Falles bestimmten Föderalisierungen müssen sich daher zunächst von dem universalistischen Ideal entfernen, mögen sie sich i m übrigen noch so sehr damit rechtfertigen, daß sie in ihrem Endziel auf die geeinte Menschheit und auf die Beseitigung des letzten Hindernisses dieser Einheit hinstreben. Alles, was in der heutigen Lage eine wirksame, effektive Föderalisierung des Völkerbundes bedeutet, schafft bestenfalls einen neuen Bund, der um so schärfer zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern nach Freund und Feind unterscheiden muß, je vollkommener

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seine föderalistischen Institutionen ausgebildet und je folgerichtiger mit seiner Unterscheidung von gerechten, das heißt eigenen, und ungerechten, das heißt gegnerischen Kriegen, Ernst gemacht wird. Der Genfer Völkerbund steht, mit anderen Worten, nicht nur vor dem Dilemma „Bund oder Bündnis?", das vor kurzem von Viktor Bruns behandelt worden ist 5 4 ; von der anderen Seite her stellt ihn die Vermengung von Genfer Völkerbund und universaler Völkerrechtsgemeinschaft vor die nicht weniger schwierige Alternative: Institutionalisierter Bund oder ökumenische Welt- und Menschheitsordnung? Die beiden Tendenzen Föderalismus und Universalismus wirken sich demnach heute praktisch in entgegengesetzter Richtung aus. Man kann auch nicht hoffen, das Stadium des zu einer Steigerung des Krieges führenden Föderalismus lasse sich überspringen, und es sei möglich, unmittelbar in den ökumenischen Universalismus hinein zu institutionalisieren. Die Menschen, die diesen dem universalen Endziel entgegengesetzten Weg der Föderalisierung des Genfer Völkerbundes einschlagen, werden freilich in bestem Glauben versichern, daß der Widerspruch von Föderalismus und Universalismus nur für eine kurze Zwischenstufe, für ein unvermeidliches Durchgangsstadium gelte. Aber dieses Zwischenstadium ist, an den Maßen menschlicher Voraussehbarkeit und Planung gemessen, eben doch eine neue Geschichtsepoche, mit neuen, intensiveren Kriegen, ein für sterbliche Menschen unabsehbarer Zeitabschnitt mit unberechenbaren Endergebnissen. Es war in der Tat ein folgenreicher Vorgang, als während des Weltkrieges gegen Deutschland die Vereinigten Staaten von Amerika durch ihren Präsidenten Wilson i m Frühjahr 1917 den Anspruch erhoben, durch die Verwerfung des überlieferten, nichtdiskriminierenden Kriegs- und Neutralitätsbegriffs eine neue Epoche des Völkerrechts zu inaugurieren und mit völkerrechtlicher Wirkung, über ihr eigenes Land hinaus, Recht und Unrecht der kriegführenden Parteien zu bestimmen. Wenn in unserem Bericht mehrfach an diesen großen Präzedenzfall erinnert wird, so geschieht das nicht, um vergessene völkerrechtliche Kontroversen aufzuwühlen, sondern um eine der größten, wenn nicht die größte Erfahrung der Völkerrechtsgeschichte nicht fruchtlos in Vergessenheit geraten zu lassen. A u f die zwischen zwei extremen Gegensätzen - einer passiven, fast den Atem anhaltenden Neutralität und einer die Entscheidung über Recht und Unrecht an sich reißenden Intervention - sich bewegende Politik der Vereinigten Staaten von Amerika wurde bereits oben (S. 47) hingewiesen; sie hat sich schon während des Weltkrieges gezeigt. Wilson war zu Beginn des Krieges der Herold einer rigorosen, ja skrupulösen Auffassung des nichtdiskriminierenden Neutralitätsbegriffs, wofür 54 Bruns Ζ. V I I (1937), S. 295-312.

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seine Rede v o m 19. A u g u s t 1914 e i n Beispiel i s t 5 5 . D a d u r c h , daß er m i t der E r k l ä r u n g v o m 2. A p r i l 1917 i n aller F o r m den S t a n d p u n k t wechselte u n d n u n m e h r die N e u t r a l i t ä t als n i c h t m e h r d u r c h f ü h r b a r u n d f ü r d e n F r i e d e n der W e l t u n d die F r e i h e i t der V ö l k e r auch n i c h t m e h r w ü n s c h b a r bezeichnete, hat er eine f u n d a m e n t a l neue P r o b l e m a t i k i n das V ö l k e r r e c h t e i n g e f ü h r t 5 6 . Sie ist i n den l e t z t e n Jahren an d e n Fragen des N e u t r a l i t ä t s rechts allgemein z u m B e w u ß t s e i n g e k o m m e n . Es handelt sich aber n i c h t n u r u m das N e u t r a l i t ä t s r e c h t , das n i c h t isoliert w e r d e n k a n n , sondern u m den K r i e g s b e g r i f f u n d d a m i t u m die G e s a m t s t r u k t u r der V ö l k e r r e c h t s o r d nung.

Alle

völkerrechtlichen

Neuerungsversuche

der

Nachkriegszeit

bewegen sich u m diese Frage. A l l e B e m ü h u n g e n u m die D e f i n i t i o n des Angriffs

u n d des Angreifers, u m die S t ä r k u n g u n d P o s i t i v i e r u n g des

A r t . 16 VS., die v i e l e n Pläne einer k o l l e k t i v e n Sicherheit u n d gegenseitigen Beistands, aber auch z u m Beispiel die A n w e n d u n g des englischen Pirateriebegriffs auf der K o n f e r e n z v o n N y o n v o m September 1937, sind i n i h r e r v ö l k e r r e c h t l i c h e n Eigenart d a d u r c h b e s t i m m t , daß sie d u r c h j u r i s t i sche K r i t e r i e n des gerechten Krieges den bisherigen, n i c h t d i s k r i m i n i e r e n d e n Kriegsbegriff z u beseitigen s u c h e n 5 7 . Das Ergebnis w a r bisher n u r die v ö l l i g e E r s c h ü t t e r u n g des alten, v e r b u n d e n m i t d e m v ö l l i g e n M a n g e l eines einleuchtenden neuen Kriegsbegriffs,

also p r a k t i s c h gesprochen:

Krieg

55

In dieser Rede warnt Wilson seine Landsleute sogar vor der seelischen Versuchung, selbst einer nur in Gedanken und Gefühlen erfolgenden Parteinahme („die Seele in Versuchung zu führen, neutral zu bleiben dem Namen nach"). „Wir müssen unparteiisch sein, in Gedanken und Taten, unsere Gefühle im Zaum halten, so gut wie jede Handlung, die als Bevorzugung irgendeiner der kämpfenden Parteien ausgelegt werden kann." Vgl. dazu die auch heute noch lesenswerte Schrift von H. Pohl, Amerikas Waffenausfuhr und Neutralität, Berlin 1917, S. 17 f.; interessante weitere Belege für die Entwicklung Wilsons bei Felix Brüggemann, Woodrow Wilson und die Vereinigten Staaten von Amerika, Gießener Phil. Diss. 1933, in der auch weiteres Schrifttum angegeben ist. 56 Neuerdings hat George A. Finch in einer Bemerkung zu dem Anti-Piratenabkommen von Nyon vom 14. September 1937 in American Journal of International Law 31 (1937), p. 665, an den Zusammenhang der Argumentation Wilsons mit der Definition der Piraterie erinnert. Wilson hat in seiner Rede vom 2. April 1917 den Ausdruck „Piraterie" zwar nicht gebraucht, wohl aber den deutschen Unterseebootkrieg als einen „gegen die Menschheit" geführten Krieg bezeichnet, der ein „Krieg gegen alle Nationen" sei. Damit war Deutschland mit den für die Piraterie üblichen Formulierungen zum hostis generis humani erklärt. Die rechtslogische Folge ist, daß der Krieg aufhört, Krieg zu sein; denn gegen Piraten führt man nicht Krieg, sie sind nur das Objekt antikrimineller oder seepolizeilicher Aktionen und Zwangsmaßnahmen. 57 Carl Bilfingen Die russische Definition des Angreifers, Bruns Ζ. V I I (1937), S. 490, über solche Definitionsversuche als eine „Umschreibung und Organisation der Idee des gerechten Krieges gegen den Angreifer". Über den Begriff der Piraterie: Carl Schmitt, in Völkerbund und Völkerrecht, 4. Jahrgg. (1937), S. 351. In dem oben S. 33 erwähnten Aufsatz von J. G. Starke, British Yearbook of International Law, X V I I (1936), S. 71, findet sich ein hübsches Beispiel dafür, wie der Pirateriebegriff als Einbruchsstelle für den „Primat des Völkerrechts" dienen kann.

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Schluß

und zugleich Nicht-Krieg, Anarchie und völkerrechtliches Chaos. A n dieser schlimmen Frucht läßt sich der Wert einer im Weltkrieg gegen Deutschland geborenen, von dem Makel dieser Herkunft noch keineswegs gereinigten Beseitigung des alten Kriegsbegriffs erkennen.

Z u m Schluß ein Wort zum eigenen Standort. Die kritische Erörterung einiger besonders beachtenswerter Veröffentlichungen des ausländischen Schrifttums, die hier an der Hand des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs versucht wurde, hat ihren eigenen Standort keineswegs darin, daß sie die Begriffe einer früheren Zeit konservativ oder reaktionär festzuhalten bestrebt ist. Wir wissen, daß der Kriegsbegriff des 18. und 19. Jahrhunderts nicht unverändert bleiben kann, daß neue völkerrechtliche Ordnungen und Gemeinschaften notwendig und unvermeidlich sind, und daß insbesondere eine wirkliche Gemeinschaft der europäischen Völker die Voraussetzung eines wirklichen und wirksamen Völkerrechts ist. Eine Darlegung wie der oben besprochene Aufsatz von Sir John Fischer Williams, mit seiner vernünftigen Überlegenheit über pseudojuristische Begriffssophistik und mit seinem guten Sinn für bündische Notwendigkeiten, wäre für uns eine vorbildliche völkerrechtliche Argumentation und das Musterbeispiel einer überzeugenden Beweisführung, wenn eben nur der Genfer Völkerbund wirklich ein Bund und seine Gemeinschaftssubstanz imstande wäre, zukunftsvolle Institutionalisierungen und Föderalisierungen zu tragen. Das aber ist nicht der Fall. Die besten bündischen Einrichtungen und Verfahrensweisen sind nicht nur wertlos, sie sind schädlich und ein Hindernis der dringend notwendigen Neuordnung, wenn sie auf einer nur fiktiven Gemeinschaft aufgebaut sind. Unsere K r i t i k richtet sich also nicht gegen den Gedanken fundamentaler Neuordnungen und gegen die Arbeit an dieser Aufgabe. Was w i r auf Grund unserer völkerrechtswissenschaftlichen Betrachtung verneinen, ist nicht das Ziel einer wirklichen Völkergemeinschaft, sondern nur eine bestimmte, durch ihre unklare und unwirkliche Vermengung von Genfer Völkerbund und universaler Weltordnung gekennzeichnete Methode. Deren Institutionalisierungen, Föderalisierungen und Konkretisierungen der Entscheidung über Recht und Unrecht eines Krieges halten w i r für einen Irrweg. Sie sind für uns auch nicht etwa „besser als nichts"; sie stehen einer wirklichen Gemeinschaft der Völker schlimmer als nichts im Wege.

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