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German Pages 351 Year 1998
MARTIN LAlLACH
Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als Aufgabe des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Schriften zum Völkerrecht
Band 130
Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als Aufgabe des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen The Jurisdiction of the United Nations Security Council With Regard to the Maintenance of International Peace and Security (English Summary)
Von Martin Lailach
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Lailach, Martin: Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als Aufgabe des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen = The jurisdiction of the United Nations Security Council with regard to the maintenance of international peace and security (English Summary) I von Martin Lailach . - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 130) Zug\.: Göttingen, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09225-2
Alle Rechte vorbehalten 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
©
ISSN 0582-025 I ISBN 3-428-09225-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97060
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der GeorgAugust-Universität zu Göttingen im Wintersemester 1996/97 als Dissertation angenommen. Bei der Überarbeitung des im Februar 1996 abgeschlossenen Manuskripts konnte nach diesem Zeitpunkt erschienene Literatur leider nur zum Teil berücksichtigt werden. Von der Einarbeitung der Resolutionen des Sicherheitsrates in Reaktion auf die Krisen in Ruanda/Ostzaire und in Albanien sowie auf die vermutete Verwicklung des Sudan in terroristische Aktivitäten wurde abgesehen, da sie unter den hier interessierenden Gesichtspunkten nicht zu neuen Erkenntnissen geführt hätte. Die Fertigstellung der Arbeit wäre nicht denkbar gewesen ohne die wohlwollend fördernde Unterstützung meines Doktorvaters Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Dietrich Rauschning. Ich möchte ihm an dieser Stelle nicht nur für die Betreuung der Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens danken, sondern auch für die vielfältigen juristischen und menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten, die er mir während meiner insgesamt fünf Jahre währenden Tätigkeit am Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen bot. Auch die hervorragenden logistischen Bedingungen und der umfangreiche Bestand der Institutsbibliothek, den ich an diesem Institut nutzen konnte, sind wesentlich auf seine Tatkraft zurückzuführen. Herr Professor Dr. Udo Fink übernahm die Aufgabe, das Zweitgutachten zu erstellen. Ich bin ihm für die ebenso zügige wie wohlmeinende Begutachtung dankbar. Während meines Praktikums in der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen in New York erhielt ich von vielen Seiten Anregungen. Besonders danken möchte ich den Herren Roy S. Lee und Gianluca Burci vom Büro des Rechtsberaters der Vereinten Nationen, die mir in zahlreichen Gesprächen die Sichtweise der Praxis näherbrachten. Herrn Professor Thomas M. Franck und Herrn Gregory H. Fox von der New York University School ofLaw bin ich für die Einblicke in einen wichtigen, progressiven Zweig der amerikanischen Völkerrechtslehre zu Dank verpflichtet. Mein viermonatiger Aufenthalt in New York wurde durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ermöglicht, dem dafür auf diesem Wege auch gedankt sei.
Vorwort
8
Wesentliche geistige und moralische Unterstützung erhielt ich von den Mitarbeitern des Instituts für Völkerrecht in Göttingen, die es auf sich nahmen, meine mindestens halbjährlich wechselnde, aber zum jeweiligen Zeitpunkt natürlich stets einzig vertretbare Auffassung mit konstruktiver Kritik und leisem Schmunzeln zu begleiten. Frau Sabine Bienk-Koolman hat darüber hinaus die Arbeit Korrektur gelesen und durch ihre Anmerkungen zu deren Verbesserung maßgeblich beigetragen. Frau Christiane Becker gebührt besonderer Dank dafür, das Unmögliche möglich gemacht zu haben. Zudem hat sie mich trotz hartnäckigen Widerstands meinerseits von den Vorteilen einer Druckformatvorlage überzeugt. Ich widme dieses Buch meinen Eltern, die mir in jedem Abschnitt meines Lebens durch ihre Unterstützung, ihr Verständnis und ihr Interesse geholfen haben und noch helfen.
Berlin, im Juni 1997
Martin Lai/ach
Inhaltsverzeichnis
I. 11.
Einleitung
21
Der faktische Hintergrund.... ... ................ .... ..... ................. ...... ....... ........... ... Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit.....................................................
21 25
Erster Teil
Der Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ehVN
27
1. Kapitel Der Wortlautgehalt des Begriffs des Friedens
27
Der allgemeine Sprachgebrauch ................................................................... Die Dichotomie des Friedensbegriffs im allgemeinen Völkerrecht und in der Friedensforschung.............................................................................. III. Der Friedensbegriff der Charta der Vereinten Nationen................................ IV. Ergebnis...................... ................................................................ ............ .... I.
11.
2. Kapitel Überlegungen zum Fortgang der Interpretation I. 11.
Die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 ChVN ..................................................... Insbesondere: Die Praxis des Sicherheitsrates .............................................. 1. Die Bedeutung der Praxis des Sicherheitsrates für die Auslegung........... 2. Die Unergiebigkeit der Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 24 Abs. I Ch VN und die Untersuchung anderer Normen der Charta der Vereinten Nationen.......................................................................... a) Die in Frage kommenden Normen ..................................................... b) Die Übereinstimmung des Begriffs in Art. 24 Abs. 1 ChVN und Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen ........... ..... ...................
27 28 31 36
37 37 38 38
39 40 40
10
Inhaltsverzeichnis
m.
c) Die Übereinstimmung des Begriffs in Art. 24 Abs. 1 Ch VN und Art. 39 ChVN.................................................................................... d) Ergebnis. ........... ...................................................................... .... ...... Ergebnis.. ................. ................................ .... .................................. .............
44 48 48
3. Kapitel Die Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 der Charta der Vereinten Nationen
49
I. II. IIl.
Der Friedensbruch....................................................................................... Die Angriffshandlung. .................................................................................. Die Friedensbedrohung................................................................................ 1. Palästina................. .. .............. .. ... .................. ......................... ... .. ...... ... . 2. Kongo................................ .................................................... ................ 3. Indien - Pakistan.................................................................................... 4. Zypern................................................................................................... 5. Rhodesien.............................................................................................. a) Resolution SlRES1221 (1966)............................................................ b) Resolution SIRES/232 (1966)............................................................ c) Resolution SIRES/253 (1968)............................................................ d) Weitere Resolutionen ......... ........................................................ ....... 6. Südafrika ................... ... .......... ................................................. .......... .... 7. Irak - Kuwait ........ ............ ............................. ........................................ 8. Irak (Kurden)......................................................................................... 9. Libyen ................................................................................................... 10. Liberia........................... ........................................................................ 1l. Somalia................................................................................................. a) Resolution SIRES1733 (1992)............................................................ b) Resolutionen SIRES1746 (1992) bis SIRES/775 (1992) ..................... c) Resolution SIRES1794 (1992)............................................................ d) Weitere Resolutionen............................................. .. .................... .. ... 12. Jugoslawien ........................................................................................... a) Die Gesamtsituation vor dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien............................................................... b) Die Gesamtsituation nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien............................................................... c) Die Nichtbeachtung der Waffenstillstände und die Situation von UNPROFOR..... ............... ........... .................... ...................... ............ d) Die Leistung humanitärer Hilfe in Bosnien-Herzegowina...................
49 52 53 53 54 56 57 58 58 61 64 65 67 71 72 76 80 81 81 83 84 88 89 91 94 96 97
Inhaltsverzeichnis
II
e) Die Verletzung von Nonnen des htunanitären Völkerrechts auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ...................................................................................... f) Die Situation nach dem Abschluß des Abkommens von Dayton ......... 13. Ruanda.................................................................................................. a) Resolution SIRES/918 (1994)............................................................ b) Resolution SIRES/929 (1994)...... .. ............................ ...... .................. c) Resolution SIRES/955 (1994)............................................................ 14. Haiti ..................................................................................... .... .. .. ......... a) Resolution SIRES/841 (1993).. .............. .. .......................................... b) Resolution SIRES/873 (1993)............................................................ c) Resolution SIRES/917 (1994)............................................................ d) Resolution SIRES/940 (1994 )........ .. .................................................. 15. Angola................................................................................. ........ .......... 16. Die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31. Januar 1992 .....................................................................................
100 103 105 105 108 109 112 112 115 118 121 123
4. Kapitel Auswertung der PraIis zu Art. 39 ChVN und Rückschluß auf den vom Sicherheitsrat vertretenen Begriff des Weltfriedens
129
132
Bereits ausgetragene oder drohende internationale bewaffnete Konflikte...... 132 Menschliches Leiden in extremen Ausmaßen............................................... 134 m. Die Verletzung bestimmter völkerrechtlicher Nonnen.................................. 141 IV. Die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität des Sicherheitsrates sowie anderer Organe der Vereinten Nationen ............................................. 144 V. Der Aspekt des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen ........ ...................... 146 VI. Anmerkungen zur Terminologie........................... ....................... .. ..... ..... ..... 146 VII. Ergebnis. .. .................. .. ........... .. ................... ... .. .. ..... .. ..... .................... ........ 147
1. II.
1.
5. Kapitel Die Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen
148
Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ....................... 1. Bereits ausgebrochene internationale bewaffnete Konflikte.................... 2. Gefahr des Ausbruchs eines internationalen bewaffneten Konflikts ........ a) Militärische Übergriffe...................................................................... b) Andere internationale Spannungslagen ..............................................
149 149 149 149 151
12
Inhaltsverzeichnis
TI.
Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens.................................................................................. Ergebnis. ....... ............ ..................................... ................................ .............
157 160
6. Kapitel Teleologische Betrachtungen: Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt
161
III.
1. TI.
Grundsätzliche Überlegungen...................................................................... Die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt als Bestandteil des Weltfriedens...... ........ ........... ........... .. .................................. ........................ III. Die Adressaten des Friedensgebots ............................................. ............ .. ... IV. Ergebnis.... ......... ..... ...... ............. ................... ......................... ..................... 7. Kapitel Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens 1.
Die Wahrung des Weltfriedens als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen...................................................................................................... 1. Die Einstufung der Wahrung des Weltfriedens als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen.......................................................................... 2. Rückschlüsse aus dieser Einstufung....................................................... a) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen ................................................ aa) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als Voraussetzung für die Verwirklichung der anderen Ziele der Vereinten Nationen .................................................................... bb) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen vorrangig genanntes Ziel............................................................................... b) Die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen... c) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte und extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als gleichberechtigte Aspekte des vorrangigen Ziels der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu wahren................................................ 3. Ergebnis ............................................................ ....................................
161 164 168 170
171
172 172 172 173
173
178 180
182 183
Inhaltsverzeichnis II.
IIL
I. II.
Die Gewährleistung der Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens allein mittels einer Qualifizierung von Notsituationen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 Ch VN ? ...................................................... 1. Problemstellung..................................................................................... 2. Extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN............................................................. a) Die Struktur des Begriffs "Bedrohung" .............................................. b) Die Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 Ch VN als Voraussetzung der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit................................................................................ c) Konkrete Spannungslagen als Voraussetzung der Friedensbedrohung.................................................................................................. aa) Konkrete internationale Spannungslagen .................................... bb) Der Zusammenbruch der Staatsgewalt........................................ cc) Die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen .............................................................. d) Der Wegfall von Bedingungen für den Erhalt des Weltfriedens als Voraussetzung der Friedensbedrohung............................................... e) Ergebnis............................................................................................ 3. Ergebnis.......................................... ................................................... ... Ergebnis......................................................................................................
202 205 206 207
8. Kapitel Frieden als Integrität der Grundnormen der Völkerrechtsordnung
208
183 183
185 185
187 194 195 200 201
Die Untersuchung der Zielsetzungen der Charta der Vereinten Nationen...... 208 Ergebnis...................................................................................................... 213 9. Kapitel Die nachfolgende Vertragspraxis
I. II. IIL
13
214
Der Sicherheitsrat........................................................................................ 214 Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ................................................ 215 Ergebnis. ................... ........... ... ................... ...... .................... .. .... .... .. .. ......... 216
14
Inhaltsverzeichnis 10. Kapitel Die Übereinstimmung mit den allgemeinen Zielsetzungen der Staatengemeinschaft
1.
Die Bedeutung der allgemeinen Zielsetzungen der Staatengemeinschaft für die Auslegung der Charta der Vereinten Nationen.... .............................. TI. Die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg .................................................... 1. Der internationale bewaffnete Konflikt .................................................. 2. Der Schutz der Würde des Menschen..................................................... m. Der Umbruch zum Ende des Zweiten Weltkriegs ......................................... IV. Die Entwicklung seit 1945........................................................................... 1. Die Kodifizierung der Menschenrechte.................................... .............. 2. Die Kodifizierung des humanitären Völkerrechts ................................... 3. Humanitäre Hilfsleistungen.................................................................... 4. Die Absicherung durch besondere Rechtsregeln .......... ........................... a) Ius cogens ........ .............. .......... .......................... ...................... ......... b) Verpflichtungen erga ornnes .................... .......... ............ .................... c) Internationale Verbrechen im Sinne des Art. 19 des ersten Teils des Konventionsentwurfs der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit ............................................................................. d) Gemeinsame Merkmale der Konzepte ............................................... 5. Ergebnis ................... ......................... ... ....................... ...... .............. .... .. V. Ergebnis... .................... ......................... ..... ..................... ............................ 11. Kapitel Die Konkretisierung des Begriffs des Weltfriedens 1. TI.
m.
217 218 218 220 223 224 225 227 229 230 231 232
234 235 236 237
239
Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt....................... 240 Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens............................................................................ 244 Friedensbruch und Friedensbedrohung .......................... .............. .......... ....... 246 12. Kapitel Der Begriff der internationalen Sicherheit in Art. 24 Abs. 1 ehVN
1. TI.
217
Der Inhalt des Begriffs der internationalen Sicherheit.................................. Das Verhältnis der internationalen Sicherheit zum Weltfrieden.................... m. Die Aufgabe des Sicherheitsrates................................................................. IV. Ergebnis..................................................... .. .. ...................... .......................
249 249 250 251 251
Inhaltsverzeichnis Ergebnis des ersten Teils
15 251
Zweiter Teil
Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch den Sicherheitsrat
253
13. Kapitel Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
253
I. Vorbeugende Maßnalunen zur Verhinderung von Friedensbrüchen............... ll. Die Beseitigung von Friedensbrüchen.......................................................... Ill. Die Friedenskonsolidierung .. .................................................................. ..... IV. Ergebnis .......... ............... .......... ............................................................... ....
14. Kapitel Die Kriterien für die Bestimmung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates I. ll.
Ill.
1. ll. Ill.
253 254 255 256
257
Problemstellung........................................................................................... Die Kriterien ftir die Abgrenzung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates zu denjenigen anderer Organe.............................................................. 1. Die Beschränkung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates auf die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt..... 2. Die Begrenzung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates anhand des Grades der Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.............................................................................................. Ergebnis......................................................................................................
257
260 266
15. Kapitel Der Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen der Organe der Vereinten Nationen
267
258 258
Die Aufgaben des Sicherheitsrates angesichts eines Friedensbruchs............. 267 Die Aufgaben des Sicherheitsrates im Vorfeld eines Friedensbruchs ..... ....... 268 Die Aufgaben des Sicherheitsrates im Bereich der Friedenskonsolidierung... 275
16
Inhaltsverzeichnis
I. Die Konsolidierung der vom Sicherheitsrat bereits behandelten Spannungslagen ........................ .......................................... ................... 276 2. Die Konsolidierung anderer Spannungslagen.......................................... 280 IV. Ergebnis. .... ............. .... ................................................................................ 283 Ergebnis des zweiten Teils
284
Zusammenfassung und Ausblick
285
English Summary The Jurisdiction of the United Nations Security Council with regard to the Maintenance of International Peace and Security
290
I. 11.
The literal meaning ofthe notion "peace" ..................................................... Points ofreJevance for further interpretation ................................................ m. The practice ofthe Security Council with regard to art. 39 ofthe Charter ..... IV. Evaluation ofthe Security Council's practice................................................ V. The practice ofthe Security Council with regard to chapter VI ofthe Charter ........................................................................................................ VI. Teleological interpretation: Peace seen as absence ofinternational armed conflicts .................................... ......................................... ............... VII. Peace seen as absence oflarge-scale, man-made human suffering................. vrn. Peace seen as integrity ofthe basic mies ofthe international legal order....... IX. The subsequent practice................ ............................................................... X. The conforrnity to the basic values ofthe international society...................... XI. Specification ofthe notion "international peace"........................................... XII. The notion of "international security" .. ....................................... .................. xm. The maintenance of international peace and security .................................... XIV. Criteria for the definition ofthe jurisdiction ofthe Security Council............. Xv. Definition of the jurisdiction of the Security Council..... .................... ........... XVI. ConcJusions .................... ............. .................................... ............................
290 291 292 296 298 299 299 303 303 304 305 305 306 306 306 307
Literaturverzeichnis
308
Personen- und Sachverzeichnis
341
AbkürLungsverLeichnis a.A.
anderer Ansicht
Abs.
Absatz
AdG
Archiv der Gegenwart
AIDI AJIL
Annuaire de l'Institut de Droit International Arnerican Journal ofInternational Law
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
Bd.
Band
BGBl.
Bundesgesetzblatt
bzw.
beziehungsweise
ChVN
Charta der Vereinten Nationen
ders.
derselbe
dies.
dieselbe
Diss. rer. pol.
politologische Dissertation
dt.
deutsch
dieselben
EA
Europa - Archiv
ECOSOC-Res.
Resolution des Wirtschafts- und Sozialrates
f.
folgende
fT.
folgende
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GAOR
Official Records of the General Assembly
GV-Res.
Resolution der Generalversammlung
Hrsg.
Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
Hs.
Halbsatz
LC.J. Reports
International Court of Justice - Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders
2 Lailach
18 IFHV
Abkürzungsverzeichnis Institut für Friedenssicherungsrecht und Hwnanitäres Völkerrecht der Ruhr - Universität Bochwn
IGH
Internationaler Gerichtshof
ILM
International Legal Materials
insb.
insbesondere
Jur. Diss.
Juristische Dissertation
Jur. Habil.
Juristische Habilitationsschrift
LNTS
League ofNations Treaty Series
Mass.
Massachusetts
MIClVIH
International Civilian Mission
NATO
North Atlantic Treaty Organization
No.
nwnber
Nr.
Nummer
P.C.I.J.
Pennanent Court ofInternational Justice
Par.
Paragraph
RGBL
Reichsgesetzblatt
RPF
Rwandese Patriotic Front
Rz.
Randziffer
S.
Satz Seite
s.
siehe
SCOR
Official Records of the Security Council
Sp.
Spalte
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
Stzg.
Sitzung
u.
und
u. a.
und andere
U.S.
Uni ted States
UdSSR
Union der Sozialistischen Sov.jetrepubliken
UN
Uni ted Nations
UN-Dok.
Dokwnent der Vereinten Nationen
UN-Generalsekretär
Generalsekretär der Vereinten Nationen
UNAMIR
United Nations Assistance Mission for Rwanda
UNCIO
Docwnents ofthe United Nations Conference on International Organization. San Francisco 1945
UNITA
Uniao Nacional para a Independencia Total de Angola
Abkürzungsverzeichnis
UNMIH
United Nations Mission in Haiti
UNPROFOR
United Nations Protection Force
UNTS
United Nations Treaty Series
UNYB
Yearbook ofthe United Nations
US-Präsident
Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
vgl.
vergleiche
VN
Vereinte Nationen
VN-Charta
Charta der Vereinten Nationen
WOv
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
YBILC
Yearbook of the International Law Commission
Ziff.
Ziffer
2'
19
Einleitung I. Der faktische Hintergrund Das Ende des Ost-West-Gegensatzes hat in einschneidender Weise die weltpolitischen Konstellationen verändert. Bis zu diesem Zeitpunkt war die globale Lage von der Polarität der beiden Blöcke geprägt, die von den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und ihren jeweiligen Verbündeten gebildet worden waren. Die Konfrontation hatte im sogenannten Kalten Krieg) zum Einsatz fast aller zur Verfügung stehenden Mittel geführt. Ausgenommen war lediglich die unmittelbare kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Staaten der beiden Machtblöcke. Jedoch gab es eine Reihe sogenannter Stellvertreterkriege2 in afrikanischen, asiatischen und zentralamerikanischen Staaten, das heißt Bürgerkriege zwischen der Regierung und einer Rebellenbewegung des jeweils betroffenen Staates, bei denen jede Seite von einem der beiden Blöcke unterstützt wurde. Das Ende dieser von ideologischer Konfrontation geprägten Periode zu Beginn der 90er Jahre weckte Hoffnungen, daß nun eine Phase der Befriedung und Kooperation eintreten werde. Der zweite Golfkrieg, in dem im Frühjahr 1991 eine internationale Koalition an der Seite Kuwaits mit praktisch einhelliger Unterstützung der Staatengemeinschaft den Aggressor Irak zurückschlug, gab Anlaß, von einer neuen, auf der Beachtung des Völkerrechts ruhenden Weltordnung zu sprechen. 3 Diese Hoffnungen haben sich nicht erfiillen können. Zwar konnte eine Reihe von Konflikten beendet werden, insbesondere die Mehrzahl der Stellvertreterkriege. 4 In bezug auf diese wirkte sich positiv aus, daß die Phase der ideologischen Konfrontation beendet war und die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion bzw. Rußland keine Notwendigkeit mehr sahen, Zu dem Begriff s. Kraus, S. 15; Schaumann, S. 182. Schaumann, S. 183. 3 s. die Rede des amerikanischen Präsidenten Bush vor dem Kongreß am 06.03.1991 zum Ende des Golfkriegs, abgedruckt in: EA Bd. 46 (1991), S. D 220. 4 Torres Bemardez, S. 735. 1
2
22
Einleitung
die Bürgerkriegsparteien zu unterstützen. 5 Jedoch hat trotz dieser positiven Entwicklung die Zahl der innerstaatlichen Konflikte seit 1990 insgesamt stark zugenommen. 6 Der Zusammenbruch des sozialistischen Staatssystems in der Sowjetunion und anderen Staaten fiihrte dazu, daß nationale, ethnische oder religiöse Spannungen innerhalb der Bevölkerung, die bis dahin unterdrückt worden waren, gewaltsam ausbrachen. Zeitgleich spitzten sich auch in anderen Staaten die internen Konkfliktsituationen zu, insbesondere in Somalia, Ruanda und Liberia. Die klassische Trennung zwischen dem internationalen, von zwei oder mehr Staaten ausgetragenen bewaffneten Konflikt und dem Bürgerkrieg, verstanden als bewaffneter Konflikt der Regierung eines Staates und einer Rebellenbewegung, deren Ziel es ist, die Regierung zu stürzen, die Strukturen des Staates grundlegend zu verändern oder die Sezession eines Teils des Staates zu erreichen, 7 verwischte angesichts der neuen Konfliktsituationen zunehmend. Die Zerfallsprozesse der Sowjetunion und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien wurden von bewaffneten Auseinandersetzungen begleitet, die als Staatwerdungskonflikte bezeichnet wurden. 8 Diese bewaffneten Auseinandersetzungen begannen als Bürgerkriege und wurden in ihrem Verlauf durch die Staatwerdung der früheren Teilrepubliken internationalisiert. 9 Umgekehrt wandelten sich die internationalen Konflikte in Afghanistan und Kambodscha durch das Ende der Beteiligung anderer Staaten von internationalen zu internen Konflikten. 10 Damrosch reagiert auf diese komplexe Situation, indem sie den internen Konflikt als einen Konflikt definiert, der seinen Schwerpunkt innerhalb der Grenzen eines bestehenden Staates habe. Beispiele seien ethnische Unruhen, Putsche, der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, die Behinderung humanitärer Hilfsleistungen und andere Gewaltakte ~ s. dazu Ratner, Image, S. 438 f
s. UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, in: "Supplement to an Agenda for Peace: Position paper of the Secretary-General on the occasion of the fiftieth anniversary of the United Nations" vom 03.01.1995 (UN-Dok. S/1995/1), S. 3, Par. 10. 7 Vgl. Art. 1 der Resolution des Institut de Droit International zum "Prinzip der Nichteinmischung in Bürgerkriege" vom 14.08.1975, in: AID! Bd.56 (1975), S. 545 (545/547); Akehurst, S. 88; Castren, S. 28; Gordon, S. 521, Fn. 4; Rauschning, Gewaltverbot, S. 75; Schachter, Internal Conflict (Moore), S. 401; Sohn, UN Role, S.208. 8 Haquani, S. 252 f; Wallensteen, S. 310. 9 Wallensteen, S. 310. Vgl. hinsichtlich des Jugoslawien-Konflikts auch Damrosch, Nationalism, S. 502; Greenwood, Humanitarian Intervention, S. 38 f; Insanally, S.445; Kirgis, S.522; KOOl/mans, S. 116 f; Marauhn, Aktionen, S.21; Petrovicl Condorelli, S. 34; Steinberg, S. 52. 10 Haquani, S. 252 f. 6
Einleitung
23
innerhalb eines Staates. Unter den Begriff des internen Konflikts fielen auch die Konflikte anläßlich eines Staatenzerfalls sowie diejenigen, die grenzüberschreitende Elemente als Faktoren oder Folgen aufwiesen. Ausgeschlossen sei lediglich die reine grenzüberschreitende Aggression. 11 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros-Ghali, stellte in seinem Bericht zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung der Organisation die gemeinsamen Merkmale dieser internen Konflikte dar: Sie werden nicht nur durch reguläre Armeen ausgetragen, sondern auch durch Milizen und bewaffnete Zivilisten. Häufig gehen sie mit dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen einher, so daß keine Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung mehr möglich ist. 12 Aufgrund dieser Desorganisation und fehlenden hierarchischen Kontrolle sind humanitäre Notsituationen häufig anzutreffen. 13 Dabei ist in vielen Fällen das von der Zivilbevölkerung erduldete Leid kein Nebenprodukt der politischen und militärischen Strategien, sondern stellt deren Hauptziel dar. 14 Besonders in diesen Fällen werden grundlegende humanitäre Regeln regelmäßig mißachtet. Der Verstoß gegen grundlegende Regeln des humanitären Völkerrechts führte etwa in Somalia und Ruanda zu Greueltaten unvorstellbaren Ausmaßes. Aber auch in Konflikten, in denen das Leid der Zivilbevölkerung kein strategisches Ziel der Parteien ist, sind hohe Verluste zu beklagen. In den Konflikten der jüngsten Vergangenheit waren 90 Prozent der Todesopfer Nichtkombattanten. 15 Die Veränderungen der weltpolitischen Lage haben sich auch auf die Arbeit des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ausgewirkt. Seit seinem einmütigen Handeln angesichts des Überfalls des Irak auf Kuwait im August 1990 hat er eine bis dahin in diesem Ausmaß nicht gekannte Aktivität entfaltet. Bezeichnend dafür ist, daß den 646 Resolutionen, die der Rat in den vierundvierzig Jahren von 1946 bis 1989 verabschiedete, 389 Resolutionen aus den sechs Jahren von 1990 bis 1995 gegenüberstehen. Im Rahmen dieser Aktivitäten hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch mit einer Reihe interner Konflikte (im Sinne Damroschs) befaßt. Genannt seien beispielsweise die Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, in Somalia, Ruanda, Liberia, Angola und
Damrosch, Introduction, S. 4 f. "Supplement to an Agenda for Peace" (s. oben Fn. 6), S. 5, Par. 13. 13 "Supplement to an Agenda for Peace" (s. oben Fn. 6), S. 5, Par. 12. 14 "Bericht des Generalsekretärs über die Tätigkeit der Vereinten Nationen" vom 22.08.1995 (dt. Vorabfassung von UN-Dok. Al50/1), S. 61, Par. 474. 15 So UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in seinem Tätigkeitsbericht 1995 (s. oben Fn. 14), S. 60, Par. 469. 11
12
24
Einleitung
Haiti. Der Grund für dieses neue Ausmaß von Aktivität des Sicherheitsrates ist in dem Zusammentreffen zweier Umstände zu sehen. Einerseits war die Arbeit des Rates nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes nicht mehr durch die ideologische Konfrontation behindert, die bis dahin aufgrund des Vetorechts der fünf ständigen Mitglieder zur weitgehenden Lähmung des Rates geführt hatte. Die neue politische Konstellation ebnete den Weg für ein kooperatives Zusammenwirken der Mitglieder des Sicherheitsrates im Hinblick auf die Erfüllung der Aufgaben dieses Organs der Vereinten Nationen. Andererseits spielten sich in den Jahren seit 1990 bewaffnete Konflikte ab, die durch ihren blutigen und grausamen Verlauf die Weltöffentlichkeit alarmierten, die daraufhin ein Tätigwerden des Sicherheitsrates forderte. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob in dieser jüngsten Phase tatsächlich mehr und grausamere Konflikte stattfanden (und -finden) als in früheren Phasen oder ob die Weltöffentlichkeit nur aufgrund des besseren Informationsstands und insbesondere aufgrund des Zugangs zu bildlichen Darstellungen des menschlichen Leids empfänglicher geworden iSt. 16 Entscheidend ist, daß in wesentlich größerem Umfang als bislang Forderungen an den Sicherheitsrat herangetragen wurden, er möge auf die Beendigung bestimmter bewaffneter Konflikte hinwirken. Die umfangreiche Tätigkeit des Sicherheitsrates hat jedoch nicht nur Unterstützung erfahren. Eine weitverbreitete Kritik hält die Mittel des Rates für politisch wirkungslos oder deplaziert. Dies gilt besonders für Aktionen mit beschränktem Erfolg wie etwa den Maßnahmen des Sicherheitsrates in Somalia oder in Bosnien-Herzegowina. Neben dieser politischen Kritik, die nicht den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden kann, wird aus juristischer Sicht vorgetragen, daß der Sicherheitsrat durch seine Aktivitäten gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoße. In diesem Zusammenhang sind zwei verschiedene Fragestellungen zu unterscheiden. Das erste Problem ist, ob der Sicherheitsrat den ihm in der Charta zugewiesenen Aufgabenbereich überschreitet, wenn er zur Beendigung interner Konflikte tätig wird. Die Kritiker des Rates streiten ihm in diesen Fällen die Handlungsberechtigung mit dem Argument ab, daß Art. 24 Abs. 1 ChVN dem Sicherheitsrat lediglich die Aufgabe übertrage, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Dies schließe ein Tätigwerden bei internen Konfliktsituationen aus. Daneben steht die zweite Frage, welche Befugnisse dem Sicherheitsrat zur Verfügung stehen, um die ihm zugewiesene Aufgabe der Friedenswahrung zu erfüllen. Handlungsformen, die nicht ausdrücklich in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen sind, wie etwa die Ermächtigung aller oder bestimmter 16 Gesprochen wird in diesem Zusammenhang vom "CNN-Faktor" oder von "CNNization"; s. dazu etwa Wallensteen, S. 305.
Einleitung
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Mitgliedstaaten zum Einsatz von militärischer Gewalt17 oder die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs für die Ahndung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht,18 wurden als Handeln ohne Befugnis und daher als rechtswidrig verurteilt. 19
n. Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit Es ist das Ziel der vorliegenden Untersuchung, den Inhalt der dem Sicherheitsrat in Art. 24 Abs. 1 ChVN übertragenen Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, zu bestimmen. Da die Aufgabenzuweisung an ein Organ einer Internationalen Organisation sowohl den Grund als auch die Grenze des Handeins des Organs bestimmt, kann auf diese Weise bestimmt werden, in welchen Fällen der Sicherheitsrat handlungsberechtigt ist. Hingegen soll in der vorliegenden Untersuchung nicht diskutiert werden, welche Befugnisse dem Sicherheitsrat zur Erfüllung seiner ihm durch Art. 24 Abs. 1 ChVN zugewiesenen Aufgabe zur Verfügung stehen. Es wird mithin die Frage untersucht, unter welchen Voraussetzungen der Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit handlungsberechtigt ist, nicht aber die Frage der zulässigen Handlungsformen. 20 Im ersten Teil der Arbeit wird der Inhalt der Begriffe des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN als der vom Rat zu schützenden Güter ermittelt.
17 s. Resolution SlRES/678 (1990) (IraklKuwait), Resolutionen SlRES1770 (1992), SlRES/816 (1993), SlRES/836 (1993) und SIRES/l031 (1995) (Jugoslawien), Resolution SlRES1794 (1992) (Somalia), Resolution SlRES/929 (1994) (Ruanda) und Resolution SlRES/940 (1994) (Haiti). 18 Resolution SlRES/827 (1993) in bezug auf das ehemalige Jugoslawien; Resolution SlRES/955 (1995) hinsichtlich Ruanda. 19 s. zu der Frage der Ermächtigung zu militärischer Gewaltanwendung durch die Mitgliedstaaten kritisch: Bothe, Golfkrise, S. 10; ders., Limites des pouvoirs, S. 73; Boustany, S. 399; Bowett, Impact, S. 96; Djiena Wembou, Validite, S. 347; Krökel, S. 85; Le BouthillierlMorin, S. 183 f; Menk, S. 135; Weston, S. 522. Ablehnend zur Befugnis des Sicherheitsrates, einen Strafgerichtshof zu errichten, äußern sich P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 54 f; ders., Organisation de la paix, S. 622 u. 626; Graefrath, Jugoslawientribunal, S. 434. Bedenken haben Bedjaoui, New World Order, S. 49 f, und die Vertreter Brasiliens (UN-Dok. SIPY. 3175, S. 6 f, und UN-Dok. SIPY. 3453, S. 9) und Chinas (UN-Dok. SIPY. 3453, S. 11) im Sicherheitsrat. 20 Diese Unterscheidung triffi ausdrücklich auch Dominice, S. 419.
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Einleitwlg
Der zweite Teil behandelt die Frage, in welchen Situationen der Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit berufen ist. Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Schritt untersucht, welchen Inhalt der Begriff der Wahrung hat. Da gemäß der Charta der Vereinten Nationen neben dem Sicherheitsrat auch die Generalversammlung im Bereich der Friedenswahrung tätig wird, schließt sich die Frage an, nach welchen Kriterien die Zuständigkeitsbereiche21 der verschiedenen Organe der Vereinten Nationen voneinander abzugrenzen sind.
21 Statt "Zuständigkeit" wird auch der Begriff "Kompetenz" verwendet (s. etwa KöckIP. Fischer, S. 176). Da aber "Kompetenz" auch im Sinne von "Befugnis" gebraucht wird (s. etwa Seidl-HohenveldemILoibl, Rz. 1401-1407 (S. 192-194)), ist der Begriff der "Zuständigkeit" vorzuziehen.
Erster Teil
Der Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 1 eh VN Im ersten Teil der Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welchen Inhalt die in Art. 24 Abs. 1 ChVN verwendeten Begriffe des Weltfriedens) und der internationalen Sicherheie haben. 1. Kapitel
Der Wortlautgehalt des Begriffs des Friedens L Der allgemeine Sprachgebrauch Der in Art. 24 Abs. 1 ChVN verwendete Begriff des Friedens hat im allgemeinen Sprachgebrauch zwei unterschiedliche Bedeutungen. Frieden wird sowohl im engen Sinne als Antithese des zwischenstaatlichen Krieges, also als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt verstanden, als auch im umfassenderen Sinne als ein Zustand eines geordneten Miteinanders innerhalb einer Gemeinschaft von Rechtssubjekten und zwischen solchen Gemeinschaften. Dieser Zustand wird durch die Beachtung von grundlegenden Regeln des Umgangs miteinander erreicht, insbesondere durch den Verzicht auf Gewaltanwendung beim Ausgleich bestehender Interessengegensätze. 3 Die beiden Ansätze haben gemeinsam, daß der Zustand des Friedens von der Wahl der Mittel der Handelnden abhängt. Es herrscht Frieden, wenn nur ) "International peace", "paix internationale"; zur Problematik der offiziellen deutschen Übersetzung des Begriffs s. unten Fn. 44 im 2. Kapitel. 2 "International security", "seeurite internationale". 3 Eintrag "Frieden", in: Meyers Enzyklopadisches Lexikon, Bd.9: Fj-Gel, 9. Auflage, MannheimlWienlZürich 1973, S. 433 (433); ähnlich auch Eintrag "Frieden", in: Brockhaus Enzykloptidie in 24 Btinden, Bd. 7 (Ex-Frt), 19. Auflage, Mannheim 1988, S. 660 (660). Die Philosphie hat sich stets mit der Frage des Friedens im umfassenderen Sinne, also als Zustand in und zwischen Gesellschaften, beschäftigt; s. dazu Mittelstraß, Eintrag "Frieden (historisch-juristisch)", S. 684 (
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1. Teil: Weltfrieden lUld internationale Sicherheit
"friedliche" Mittel und keine Gewalt zur Zielerreichung und Konfliktaustragung eingesetzt werden. Die Ansätze unterscheiden sich dadurch, daß für den engen Friedensbegriff nur die internationalen Beziehungen relevant sind, während der umfassendere Friedensbegriff auch die innerstaatlichen Verhältnisse erfaßt.
11. Die Dichotomie des Friedensbegriffs im allgemeinen Völkerrecht und in der Friedensforschung Der Begriff des Friedens hat auch in der allgemeinen völkerrechtlichen Diskussion zwei unterschiedliche Bedeutungen. Frieden im engen Sinne ist die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, Frieden im weiten Sinne die Kooperation der Staaten, die allgemeine Wohlfahrt, der Einsatz für die wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit, der wirtschaftliche, soziale, kulturelle und humanitäre Fortschritt und die Beachtung des Völkerrechts als Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben. 4 Der weite Friedensbegriff in der allgemeinen völkerrechtlichen Diskussion muß vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Friedensforschung gesehen werden. Der Ansatzpunkt der Friedensforschung war es, die klassische Auffassung von Frieden als Abwesenheit bewaffneter Gewalt als zu eng zu kritisieren. Dieser sogenannte "negative Frieden" stelle zwar die Mindestvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen dar,5 genüge jedoch nicht zur Erreichung dieses Zustands. Insbesondere bestehe die Gefahr, daß eine Politik, die sich nur für den negativen Frieden einsetze, Unrechtszustände durch die Festschreibung des status quo hinnehme. 6 Es müsse daher auch ein "positiver Frieden" herrschen, verstanden als ein Zustand sozialer Gerechtigkeit. 7 Richtungsweisend waren in diesem Zusammenhang die Untersuchungen von Galtung. Er definiert Frieden als die Abwesenheit von Gewalt, wobei er unter Gewalt die Beeinflussung eines Menschen versteht, die dazu führe, daß seine aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer sei als seine potentielle Verwirklichung. Gewalt sei mithin die Ursache für den Unterschied zwischen dem Aktuellen und dem Potentiellen. 8 Es gebe zwei Delbrück, FriedenssicheflUlg, S. 137. SchaeJer, S. 15. 6 Galtung, S. 32; Kaiser, S. 31. 7 Groten, S. 60; Kaiser, S. 36. S. dazu auch RandelzhoJer, FriedensbegritT, S. 15 f.; SchaeJer, S. 16. 8 Galtung, S. 9. 4
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1. Kapitel: Wortlautgehalt
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Typen von Gewalt, die personale und die strukturelle. Personale Gewalt sei durch eine Person ausgeübte Gewalt. Bei struktureller Gewalt fehle ein Akteur. Sie sei systemimmanent und äußere sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen. Die Bedingungen struktureller Gewalt seien also gleichzusetzen mit sozialer Ungerechtigkeit. 9 Dieser erweiterte Gewaltbegriff führe zu einem erweiterten Friedensbegriff. Die Abwesenheit personaler Gewalt sei der negative Frieden, die Abwesenheit struktureller Gewalt der positive Frieden. 10 Als Problem dieses Ansatzes wurde erkannt, daß durch den Versuch, den Begriff des positiven Friedens mit demjenigen der sozialen Gerechtigkeit auszufüllen, lediglich ein ausfüllungsbedürftiger Begriff durch einen anderen ersetzt wurde. I I Was unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen sei, bleibe unklar und hänge auch wesentlich von den subjektiven Wertvorstellungen des Interpreten ab. 12 Ein Ausweg wurde darin erblickt, den positiven Frieden nicht ausschließlich als Zustand, sondern auch als Prozeß der Verwirklichung der Wertvorstellungen zu verstehen. 13 Die Verwirklichung des Friedens sei die einzig mögliche Definition des Friedens. Durch den Prozeß der Herstellung definiere der Frieden sich selbst. 14 An diesem Ansatz wurde zu Recht kritisiert, daß es sich um einen Zirkelschluß handele. Der Prozeß müsse, um sinnvoll zu sein, einen Orientierungspunkt haben. Somit müsse der positive Frieden die Richtschnur für spezifische Handlungen während des Prozesses sein, obwohl er erst im Prozeß entwickelt werden solle. 15 Es wird deutlich, daß es der Friedensforschung bislang nicht in zufriedenstelIender Weise gelungen ist, den Begriff des positiven Friedens auszufüllen. Dennoch hat sie durch die Einführung dieses Begriffs wesentliche Impulse gegeben, die sich auch in der völkerrechtlichen Diskussion auswirkten. Trotz der Forderungen, für den Bereich der sozialen Gerechtigkeit nicht den Begriff des Friedens zu verwenden und so zur Begriffsverwirrung beizutragen,16 hat sich das Begriffspaar "negativer/positiver Frieden" eingebürgert. 17 Um den
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Galtung, S. 12 f..
10 Galtung, S. 32.
Groten, S. 61. Groten, S. 63; Kaiser, S. 32. 13 s. Groten, S. 65; Kaiser, S. 32; RandelzhoJer, FriedensbegritT, S. 18. 14 Picht, S. 33. IS Groten, S. 66. 16 Kewenig, Diskussionsbeitrag., S. 162 f.; RandelzhoJer, FriedensbegritT, S. 34 f.; Rauschning, Diskussionsbeitrag, S. 169. 17 Delbrück, Friedenssichenmg, S. 141. 1I
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Eindruck der Minderwertigkeit des negativen Friedens zu vermeiden, der durch das Wort "negativ" entstehen könnte, wird auch vom "engen" und "weiten" Begriff des Friedens gesprochen. 18 Randelzhofer legt dar, daß im Völkerrecht der Frieden im engen Sinne durch das Gewaltverbot gesichert werde. Der Frieden im weiten Sinne könne auf der völkerrechtlichen Ebene als Gerechtigkeit sowohl in den internationalen Beziehungen als auch in bezug auf die internen Verhältnisse eines Staates eine Rolle spielen. 19 Rechtsnormen, die sich mit der Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen befaßten, seien insbesondere im Entwicklungsvölkerrecht und im Umweltschutzrecht zu finden. Das Entwicklungsvölkerrecht strebe eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung, den Abbau des Wohlstandsgefalles und eine ausgewogene gemeinsame Wirtschaftsentwicklung an und erkenne das Entwicklungsproblem als gemeinsame Aufgabe der Völkerrechtsgemeinschaft an. Ein Ausfluß dieses Denkens sei die Gründung von Institutionen wie der Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung20 und die Verabschiedung von Generalversammlungsresolutionen wie beispielsweise der "Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten"21 und der "Erklärung zum Recht auf Entwicklung".22 Das Umweltschutzrecht setze die Solidarität und Zusammenarbeit der Staaten zur Gewährleistung einer unbeschädigten Welt voraus. 23 Der Frieden im weiten Sinne als Gerechtigkeit in den innerstaatlichen Verhältnissen erlange völkerrechtlich Bedeutung durch den Menschenrechtsschutz. Dieser setze die Erzeugung gemeinsamer Wertvorstellungen über eine gerechte Situation innerhalb der Staaten voraus. 24 Die geschilderte Dichotomie des Friedensbegriffs in der allgemeinen völkerrechtlichen Diskussion stimmt mit derjenigen des allgemeinen Sprachgebrauchs nur hinsichtlich des Friedens im engen Sinne, also der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, überein. Das weite Begriffsverständnis geht über das umfassendere Verständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs, 18 Delbrück, Friedenssicherung, S. 136 f.; SchaeJer, S. 15, Fn. 9. Zu der Tendenz, den "negativen" Frieden auch negativ zu bewerten, s. Huber, in: Ritter, Eintrag "Friedensforschung", Sp. 1121. 19 RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 20. 20 United Nations Conference on Trade and Deve10pment (UNCTAD); s. dazu RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 28, und R. Schütz, S. 59. 21 Resolution AlRES/3281 (XXIX) vom 12.12.1974; s. dazu RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 28, undR. Schütz, S. 65-77. 22 Resolution AlRES/411128 vom 04.12.1986; s. dazuR. Schütz, S. 80-83. 23 RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 29. 24 RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 28.
I. Kapitel: Wortlautgehalt
31
das den Zustand eines geordneten Miteinanders innerhalb einer Rechtsgemeinschaft - im vorliegenden Zusammenhang insbesondere innerhalb eines Staates - als Frieden bezeichnet, hinaus, indem nicht nur dieses geordnete Miteinander, sondern auch die Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und des Fortschritts erfaßt werden. Der entscheidende Unterschied ist, daß der umfassendere Friedensbegriff des allgemeinen Sprachgebrauchs, der im Folgenden als "mittlerer" Friedensbegriffbezeichnet werden soll, bei einer Bewertung der von den Handelnden eingesetzten Mittel ansetzt, indem er nur "friedliche Mittel" zuläßt und Gewaltanwendung als unfriedliches Mittel ausschließt. Demgegenüber ist der weite Friedensbegriff des allgemeinen Völkerrechts zielorientiert: Entscheidend ist nicht die Art und Weise der Gestaltung gesellschaftlicher oder auch zwischenstaatlicher Verhältnisse, sondern ihr Ergebnis, also die Gestalt dieser Verhältnisse. 25
ID. Der Friedensbegriff der Charta der Vereinten Nationen Für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 Ch VN ist die Belegung des Begriffs des Friedens mit drei unterschiedlichen Inhalten nur dann von Bedeutung, wenn dieser Begriff in der Charta der Vereinten Nationen nicht in eindeutiger Weise verwendet wird. In diesem Falle wäre zu klären, welche der möglichen Begriffsbedeutungen für Art. 24 Abs. 1 ChVN Gültigkeit beansprucht. Verhielte es sich hingegen so, daß die Charta der Vereinten Nationen den Begriff des Friedens stets im engen Sinne als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt verwendet und die von den Vertretern der beiden weiter gefaßten Friedensbegriffe mit erfaßten Sachverhalte eindeutig auf andere Weise kennzeichnet, so käme auch in bezug auf Art. 24 Abs. 1 ChVN nur eine Auslegung in Betracht, die den Begriff des Weltfriedens im Sinne des engen Friedensbegriffs mit der Abwesenheit internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen gleichsetzt. Der Begriff des Friedens wird in der Charta der Vereinten Nationen einundfünfzigmal verwendet,26 davon zweiunddreißigrnal in Form des Begriffs Weltfrieden,27 ohne jedoch definiert zu werden. 28 In einigen dieser Normen 25 S. zu dem Unterschied zwischen dem mittelorientierten (deontologischen) und dem zielorientierten (teleologischen) Ansatz in der Philosophie Fahrenbach, in: Ritter, Eintrag "Deontologie", Sp. 114. 26 s. die Nachweise bei D. Chr. Dicke/Renge/ing, S. 15. 27 s. die Aufzählung bei D. Chr. Dicke/Rengeling, S. 15, Fn. 4. 28 Schaefer, S. 17.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
scheint der Weltfrieden die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu bedeuten, etwa in Art. 26 ChVN, durch den der Sicherheitsrat beauftragt wird, Pläne für ein System der Rüstungsregelung vorzulegen, das sicherstellen soll, daß der Weltfrieden und die internationale Sicherheit mit einem möglichst geringen Einsatz von Ressourcen für Rüstungszwecke hergestellt und gewahrt werden. Ein anderes Beispiel ist Art. 2 Ziff. 3 ChVN, der die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, ihre internationalen Streitigkeiten so beizulegen, daß der Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Die Gegenüberstellung von Weltfrieden und Gerechtigkeit spricht dafür, daß die vom Begriff der Gerechtigkeit umfaßten Sachverhalte nicht unter den Begriff des Weltfriedens subsumiert werden können. 29 Andere Normen der Charta der Vereinten Nationen werden allerdings von einer gewichtigen Gruppe von Autoren als Beispiele für die Verwendung des weiten Friedensbegriffs angeführt. Genannt wird Absatz 5 der Präambel, in dem die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ihre Entschlossenheit bekunden, "als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben". Dies bedeute, daß der Zustand des Friedens mehr sei als die Abwesenheit von militärischer Gewalt. Er umfasse als gutnachbarlicher Frieden auch bestimmte positive Werte wie gegenseitige Toleranz und Zusammenarbeit. 30 Noch darüber hinaus gingen die Artikel I Ziff. 2, 55 und 73 ChVN, in denen die Beachtung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker als Teil des Friedens aufgefaßt würden. 31 In Art. I Ziff. 2 ChVN wird die Achtung vor dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker als geeignete Maßnahme zur Festigung des Weltfriedens bezeichnet. In Art. 55 ChVN wird festgestellt, daß die Förderung der Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten notwendig sei, um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt zu erreichen, der für friedliche Beziehungen zwischen den Nationen erforderlich sei. Art. 73 ChVN zählt die Verpflichtungen der Staaten auf, die Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung verwalten. In diesem Zusammenhang werden die Förderung des politischen, So Nowlan, S. 172. D. ehr. DickelRengeling, S. 19; Schaefer, S. 20; a. A. Amtz, S. 23. 31 Zu Art. 1 Ziff. 2 ChVN: Baroni, S. 99 f; Bedjaoui, in: CotlPellet, Art. 1, S. 26; Delbrück, Friedenssicherung, S. 141; Frowein, in: Simrna, Art. 39, Rz.6; Gross, Buchbesprechung, S. 226; Lachs, in: CotlPellet, Art. 1 Par. 1, S. 32 f; Wolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 5; zu Art. 55 ChVN: Baroni, S. 99 f.; Delbrück, Friedenssicherung, S. 141; Gross, Buchbesprechung, S. 226; Pellet, in: CotlPellet, Art. 55 (a,b), S. 844 f; Wolfrum, in: Simma, Art. 55 (a,b), Rz. 2; zu Art. 73 ChVN: Gross, Buchbesprechung, S. 226; Schaefer, S. 19 f 29
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1. Kapitel: Wortlautgehalt
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wirtschaftlichen, sozialen und erzieherischen Fortschritts und die Festigung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nebeneinander als Pflichten genannt, die "im Rahmen des durch diese Charta errichteten Systems des Weltfriedens und der Internationalen Sicherheit" zu erfüllen seien. Die genannten Normen haben gemeinsam, daß die Beachtung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker sowie die Schaffung eines wirtschaftlichen und sozialen Mindeststandards als Maßnahmen genannt werden, die zur Wahrung des Weltfriedens erforderlich sind. Dieses Konzept spiegelt sich auch in den Resolutionen der Generalversammlung wider. Beispielshalber sei ein Ausschnitt aus Resolution AJRES1290 (IV) zitiert: "The General Assembly 1. Declares that the Charter of the United Nations, the most solemn pact of peace in history, lays down basic principles necessary for an enduring peace; ( ... ); Calls upon every nation 2. To refrain from threatening or using force contrary to the Charter; (00. ); 6. To promote, in recognition ofthe paramount importance ofpreserving the dignity and worth of the human person, fuH freedom for the peaceful expression of political opposition, fuH opportunity for the exercise of re1igious freedom and fuH respect for aH the other fundamental rights expressed in the Universal Declaration of Human Rights; 7. To promote nationaHy and through international co-operation, efforts to achieve and sustain higher standards ofliving for aH peoples; (00')' ,,32
Sechsunddreißig Jahre später heißt es im Annex zu Resolution AJRES/40/3 vom 24. Oktober 1985 anläßlich der Ausrufung des "Internationalen Jahrs des Friedens", daß die Förderung des Friedens das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen sei. Die Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erfordere fortdauernde und positive Aktivitäten der Staaten zur Verhinderung von Kriegen, zur Beseitigung von Friedensbedrohungen, zur friedlichen Streitbeilegung und zu vertrauensbildenden Maßnahmen, zur Abrüstung, zur Entwicklung, zur Beachtung der Menschenrechte und zur Dekolonisierung, zur Förderung der Lebensqualität, zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und zum Schutz der Umwelt. Jedoch kann aus den zitierten Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, daß dort der weite Begriff des Friedens Verwendung gefunden hat, der auch die Beachtung bestimmter völkerrechtlicher Normen und die Schaffung bestimmter Lebensbedingungen mit
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Resolution AlRES/290 (IV) ("Essentials ofPeace") vom 01.12.1949.
3 Lailach
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
einschließt. 33 Eine ebenfalls plausible Alternative besteht darin, den Inhalt des Begriffs des Friedens auf die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu beschränken und den Einsatz für die Menschenrechte, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Verbesserung der Lebensbedingungen als strukturell-langfristiges Hinwirken auf die Beseitigung der kriegsfördernden Faktoren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ursprungs zu verstehen. 34 Diese Aktivitäten berührten demzufolge nicht den Begriff des Weltfriedens an sich, sondern die Wahrung des - eng verstandenen - Weltfriedens. Die Interpretation einer Episode aus der Entstehungsgeschichte der Charta der Vereinten Nationen stößt auf die gleichen Schwierigkeiten. Im Laufe der Kodifikationsarbeiten zu Art. 2 Ziff. 7 Ch VN hatte Frankreich vorgeschlagen, dem Sicherheitsrat solle ein Tätigwerden bei Angelegenheiten der inneren Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verwehrt sein, außer wenn "the clear violation of essential liberties and of human rights constitutes in itself a threat capable of compromising peace". 35
In der endgültigen Version des Art. 2 Ziff. 7 Hs. 2 ChVN, der Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der Charta von der allgemeinen Begrenzung des Art. 2 Ziff. 7 Ch VN ausnimmt, fehlt jeglicher Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen. Doch hatte der australische Delegierte, auf dessen Vorschlag die gültige Fassung des Art. 2 Ziff. 7 Hs. 2 ChVN zurückgeht,36 den französischen Argumenten zugestimmt und sich bereit gezeigt, seinen Vorschlag entsprechend zu ergänzen. 37 Nachdem der australische Entwurf unverändert angenommen worden war, zog Frankreich seinen Änderungsvorschlag zurück. 38 Dem Verhalten der französischen und der australischen Delegation ist zu entnehmen, daß sie übereinstimmend der Auffassung waren, der Sicherheitsrat könne angesichts extremer Menschenrechtsverletzungen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig werden. Jedoch bleibt die Haltung der französischen Delegation zu der Frage, ob die Abwesenheit schwerwiegender So die oben in Fn. 31 genannten Autoren. So P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 45; ders., Organisation de la paix, S. 622 f. 35 Vorschlag Frankreichs zur Änderung der Entwürfe bezüglich der Errichtung einer allgemeinen Internationalen Organisation, in: UNCIO Bd. m, S. 383 (386). 36 s. Vorschlag Australiens zur Änderung des Entwurfs des Paragraphen 8 des Kapitels TI, in: UNCIO Bd. VI, S. 436 (440). 37 s. Zusammenfassender Bericht der 16. Sitzung des Ausschusses IIl, in: UNCIO Bd. VI, S. 494 (499). 38 Zusammenfassender Bericht (s. oben Fn. 37), in: UNCIO Bd. VI, S. 494 (499). 33 34
1. Kapitel: Wortlautgehalt
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Menschenrechtsverletzungen an sich ein Teil des Weltfriedens ist, unklar. Im französischen Entwurf wird eine eindeutige Verletzung grundlegender Menschenrechte als eine Bedrohung charakterisiert, die fahig sei, den Frieden zu beeinträchtigen. Dies deutet darauf hin, daß Frankreich in den schweren Menschenrechtsverstößen lediglich einen kriegsfördernden Faktor sah. Andererseits gab der französische Delegierte als Ziel seines Vorschlags an, daß es aufgrund der Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit wünschenswert sei, daß die Vereinten Nationen eine Interventionsmöglichkeit zum Schutz bestimmter Minderheiten hätten. 39 Dieses Ziel kann nur dann umfassend verwirklicht werden, wenn der Schutz unabhängig von der Frage gewährleistet werden kann, ob die Menschenrechtsverletzungen zu der Gefahr einer internationalen bewaffneten Auseinandersetzung geführt haben. Diese Überlegungen sprächen dafür, die Abwesenheit der Menschenrechtsverletzungen an sich in den Begriff des Weltfriedens einzubeziehen. Es ist nicht das Ziel dieses Überblicks, die genannten Auslegungsfragen zu beantworten. Es sollte lediglich dargestellt werden, daß ein Verständnis der Charta der Vereinten Nationen, dem zufolge in ihr ein Friedensbegriff verwendet wird, der über die enge Auffassung hinausgeht, zwar nicht über jeden Zweifel erhaben ist, aber durchaus möglich erscheint. Ist die Einschlägigkeit des mittleren oder des weiten Friedensbegriffs nicht ohne weiteres auszuschließen, so kommt ein entsprechendes Verständnis auch für Art. 24 Abs. 1 Ch VN in Frage. Es bleibt festzuhalten, daß der in Art. 24 Abs. 1 ChVN verwendete Begriff des Friedens einer eindeutigen Klärung allein auf der Grundlage einer Wortlaut-Interpretation nicht zugänglich ist. Gegen diesen Befund wenden Bentwich/Martin ein, daß sich zwar nicht aus dem Begriff des Friedens, aber aus dem Attribut "Welt-" ("international") ergebe, daß der Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN nur zwischenstaatliche Zustände beschreibe. Der Frieden innerhalb der Staaten sei nur durch den Begriff des "universal peace" des Art. 1 Ziff. 2 ChVN40 erfaßt. 41 Dieses Argument ist nicht zwingend. Es reduziert den Begriff "international" auf das unmittelbare Verhältnis zweier oder mehr Staaten zueinander. "International" sind aber auch Sachverhalte, die die Interessen der internationalen Gemeinschaft berühren, ohne selbst notwendigerweise zwischenstaat-
Zusammenfassender Bericht (s. oben Fn. 37), in: UNCIO Bd. VI, S. 494 (498). In der offiziellen deutschen Fassung des Art. I Ziff.2 Ch VN ist auch dieser Begriff mit "Weltfrieden" übersetzt. 41 BentwichIMartin, Art. I, S. 6. 39 40
3*
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1. Teil: Weltfrieden lUld internationale Sicherheit
licher Natur zu sein. 42 Vor dem Hintergrund dieses Wortverständnisses erscheint es durchaus plausibel, daß das Attribut "international" nicht ausschließlich zwischenstaatliche Verhältnisse bezeichnet, sondern der Verdeutlichung der Relevanz des - zwischen- oder innerstaatlichen - Sachverhalts für die internationale Gemeinschaft dient. Mit dem Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 Ch VN kennzeichnet diese Gemeinschaft demnach diejenigen Aspekte der zwischenstaatlichen und möglicherweise auch innerstaatlichen Zustände, die sie als so bedeutsam betrachtet, daß sie bereit ist, Angriffe darauf mit schlagkräftigen Mitteln abzuwehren. Welche Aspekte dies sind, kann nicht dem Begriff "international" entnommen werden, sondern ist durch die Auslegung des Begriffs des Friedens selbst zu ermitteln.
IV. Ergebnis
Der Inhalt des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN ergibt sich nicht unmittelbar aus der Betrachtung der Bedeutung des Wortes. Dies macht eine umfassende Untersuchung dieses Begriffs unter Zuhilfenahme der übrigen völkerrechtlichen Auslegungsmethoden erforderlich.
42 In Webster 's New International Dictionary 0/ the English Language (2. Aufl. 1958) wird "international" erklärt als: "between or among nations or their citizens; pertaining to the intercourse of nations; participated in by two or more nations; common to or affecting two or more nations".
2. Kapitel
Überlegungen zum Fortgang der Interpretation I. Die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 ChVN Bei der Auslegung des Begriffs des Weltfriedens gemäß Art. 24 Abs. 1 ChVN sind der Wortlaut,) die systematische Stellung der Norm und ihr Ziel und Zweck als Auslegungskriterien zu berücksichtigen. Dies sind die völkerrechtlich anerkannten Kriterien, die in Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜV)2 aufgezählt sind. Die Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens, die gemäß Art. 5 WÜV auch für Gründungsurkunden Internationaler Organisationen gelten, können zwar nicht unmittelbar angewandt werden, da Art. 4 WÜV bestimmt, daß keine Rückwirkung auf vor Inkrafttreten des Übereinkommens, also vor 1980,3 geschlossene Verträge stattfindet. Jedoch stellt der überwiegende Teil des Übereinkommens, darunter auch die Auslegungsregeln, kodifiziertes Gewohnheitsrecht dar. 4 Daher sind die in Art. 31 Abs. 1 des Übereinkommens genannten Auslegungskriterien für die Interpretation der Charta der Vereinten Nationen entsprechend heranzuziehen. 5 Neben diesen Kriterien ist gemäß Art. 31 Abs. 3 WÜV die nachfolgende Praxis der Vertragsparteien in gleicher Weise zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang kann auch die Praxis der Organe der Vereinten Nationen als Auslegungskriterium herangezogen werden. 6 Die Voraussetzung dafür ist, daß die Praxis des betreffenden Organs konsistent und dauerhaft ise und von der dazu die Ausführungen im I. Kapitel. Quellen: UNTS Bd. 1155, S. 331; BGBI. 1985 Ir, S. 927. 3 s. UNTS Bd. 1155, S. 332, Fn. I. 4 Ress, S. 51; Sinclair, S. 153; Verdross/Simma, § 775 (S. 491); WetzellRauschning, S. 13. 5 ßindschedler, Delimitation des competences, S. 320; Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 8. 6 ßindschedler, DeJimitation des competences, S. 324; E. Klein, Vertragsauslegung, S. 101 f;Ress, S. 59 f 7 Fitzmaurice, Scholar, S. 141; E. Klein, Vertragsauslegung, S. 105; Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 29 f; Voi'cu, S. 201 f u. 205; sowie Richter Spender in I S.
2
38
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen getragen wird. 8
11. Insbesondere: Die Praxis des Sicherheitsrates 1. Die Bedeutung der Praxis des Sicherheitsrates für die Auslegung
Da der Sicherheitsrat ein Organ der Vereinten Nationen ist, in dem nicht alle Mitgliedstaaten repräsentiert sind, kann sein Handeln nicht ohne weiteres mit der Auffassung der Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit gleichgesetzt werden. 9 Etwas anderes gilt aber, wenn die Mitgliedstaaten ihre Unterstützung für das Handeln des Rates zum Ausdruck bringen. Als Medium kommen insbesondere Resolutionen der Generalversammlung in Betracht, da in diesem Organ der Vereinten Nationen sämtliche Mitgliedstaaten vertreten sind. 1o Die Resolutionen der Generalversammlung können, obwohl sie zunächst das Ergebnis des Willensbildungsprozesses des Organs an sich sind, auch als Ausdruck der Auffassung derjenigen Staaten herangezogen werden, die für die Annahme der Resolution gestimmt haben. Im Falle einstimmig oder durch Konsens angenommener Resolutionen drückt die Resolution den übereinstimmenden Willen der gesamten Mitgliedschaft aus. 11 Machen sämtliche oder zumindest der weit überwiegende Teil der Mitgliedstaaten mittels einer Resolution der Generalversammlung deutlich, daß sie das Handeln des Sicherheitsrates billigen, so kann die in Frage stehende Praxis des Rates, soweit sie konsistent und dauerhaft ist, als nachfolgende Praxis der Vertragsstaaten im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b WÜV gewertetl2 und mithin als gleichwertiges Auslegungskriterium herangezogen werden. seinem Sondervotum zu: Certain expenses of the United Nations (Article 17, paragraph 2, of the Charter), Advisory Opinion of 20 Ju1y 1962, I.C.J. Reports 1962, S. 151 (195). 8 Elias, S. 76; Fitzmaurice, Scholar, S. 141; Herdegen, S. 112; Karl, S. 91, Fn. 50; E. Klein, Vertragsauslegung, S. 104; Ress, in: Sirruna, "Auslegung", Rz.30; Skubiszewski, Interpretation, S. 896 f; Stein, Spätere Praxis, S. 122. 9 Herdegen, S. 112; Skubiszewski, Interpretation, S. 896 f.; Tomuschat, Obligations, S. 341. 10 Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 2; Schilling, S. 102. 11 E. Klein, Vertragsauslegung, S. 102 f; Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz.2; Skubiszewski, Interpretation, S. 896 f 12 IGH, in: Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, LC.J. Reports 1971, S. 16 (22, Par. 22); sowie Bind-
2. Kapitel: Fortgang der Interpretation
39
Auch wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sein sollten, ist die Praxis des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ein wichtiges Element bei der Auslegung der Normen der Charta. Der Grund dafür ist, daß der Rat selbst ein Interpret der ihn betreffenden Bestimmungen ist,13 dessen Auffassungen neben denjenigen anderer Interpreten zu berücksichtigen und auszuwerten sind. 2. Die Unergiebigkeit der Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 24 Abs. 1 ChVN und die Untersuchung anderer Normen der Charta der Vereinten Nationen
Es stellt sich vor diesem Hintergrund für die vorliegende Arbeit das Problem, daß es keine Beispiele aus der Praxis des Sicherheitsrates gibt, in denen zu Art. 24 Abs. I Ch VN Stellung genommen wird. Es ist daher notwendig, nach anderen Wegen zu suchen, um die Auffassung des Sicherheitsrates hinsichtlich seiner Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, zu ermitteln. Eine sich anbietende Lösung ist, die Praxis des Rates zu anderen Normen der Charta der Vereinten Nationen, die ebenfalls den Begriff des Weltfriedens enthalten und bei denen der Umfang des zugänglichen Erkenntnismaterials günstiger ist, zu untersuchen. Das Ergebnis dieser Untersuchung, also der Inhalt des Begriffs des Weltfriedens im Sinne der untersuchten Norm aus der Sicht des Sicherheitsrates, kann dann in einem zweiten Schritt auf Art. 24 Abs. I ChVN unter der Voraussetzung übertragen werden, daß der Begriff in Art. 24 Abs. 1 Ch VN und in der untersuchten Norm notwendigerweise identisch ist. 14 In Hinblick auf diesen zweiten Schritt soll der Untersuchung der Praxis des Sicherheitsrates zu Normen, die den Begriff des Weltfriedens enthalten, die Klärung der Frage vorgeschaltet werden, ob eine inhaltliche Abweichung des Begriffs des Weltfriedens in der betreffenden Norm von dem in Art. 24 Abs. 1 Ch VN verwendeten Friedensbegriff ausgeschlossen werden kann.
schedler, Delimitation des competences, S. 324; Elias, S. 76; Fitzmaurice, Scholar, S. 141; Herdegen, S. 112; Karl, S. 91, Fn. 50; E. Klein, Vertragsauslegung, S. 101 f. u. 104; Ress, S. 59 f.; ders., in: Simma, "Auslegung", Rz. 30; Skubiszewski, Interpretation, S. 896 f.; Stein, Spätere Praxis, S. 122. \3 E. Klein, Vertragsauslegung, S. 105 f.; Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 32; Schachter, UN Charter, S. 292; Vofcu, S. 123. 14 s. dazu allgemein Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 10.
40
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
a) Die in Frage kommenden Normen
Theoretisch besteht die Möglichkeit, sämtliche Normen der Charta der Vereinten Nationen, in denen der Begriff des Weltfriedens verwendet wird, zu untersuchen. 15 Es müssen jedoch zunächst die Normen ausgeschieden werden, die sich nicht an den Sicherheitsrat richten. In Frage kommen somit aus Kapitel VI der Charta die Artikel 33 Abs.2, 34, 36 Abs. 1 und 37 Abs. 2 ChVN, aus Kapitel VII die Artikel 39, 42 S. 1, 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 und 48 Abs. 1 ChVN, sowie Art. 26 ChVN. Die meisten dieser Normen gewähren dem Sicherheitsrat bestimmte Handlungsbefugnisse zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Der Erkenntniswert dieser Normen hinsichtlich der Praxis des Sicherheitsrates muß als gering eingeschätzt werden, weil der Rat von seinen Befugnissen Gebrauch macht, ohne den Nutzen seiner Maßnahmen im Hinblick auf die Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe der Friedenswahrung zu erläutern. Dies bedeutet, daß die Praxis des Sicherheitsrates als Erkenntnismaterial von geringem Wert ist und über die Auffassung des Rates nur Mutmaßungen angestellt werden könnten. Anders verhält es sich jedoch mit Art. 39 ChVN. Aufgrund dieser Bestimmung hat der Sicherheitsrat wiederholt eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens als Voraussetzung für den Einsatz der in den folgenden Artikeln vorgesehenen Mittel festgestellt. Es besteht die Möglichkeit, von diesen ausdrücklichen Feststellungen auf die Auffassung des Sicherheitsrates in bezug auf den Begriff des Friedens in Art. 39 ChVN rückzuschließen. Da sowohl Beispiele aus der Praxis des Sicherheitsrates als auch Stellungnahmen der Literatur zu dieser Praxis in reichem Maße vorhanden sind, erscheint eine Untersuchung des Art. 39 ChVN erfolgversprechend. Neben Art. 39 ChVN ist eine Untersuchung der oben genannten Normen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen ebenfalls in Betracht zu ziehen, da auch in diesem Zusammenhang der Sicherheitsrat ausdrückliche Feststellungen (der Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit) getroffen hat. b) Die Übereinstimmung des Begriffs in Art. 24 Abs. J ChVN und Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen
Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen regelt die friedliche Beilegung von Streitigkeiten unter Beteiligung des Sicherheitsrates. In diesem Kontext bestimmt Art. 33 Abs. 2 ChVN, daß der Sicherheitsrat die Parteien einer 15 Dies sind knapp 30 Normen; s. die Aufzählung von D. ehr. DickelRengeling, S. 15, Fn. 4.
2. Kapitel: Fortgang der Interpretation
41
Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefahrden, auffordern kann, die Streitigkeit mit im ersten Absatz dieser Bestimmung näher genannten friedlichen Mitteln beizulegen. Art. 34 ChVN verleiht dem Sicherheitsrat die Befugnis, Untersuchungen durchzuführen, um festzustellen, ob die Fortdauer der Streitigkeit geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefahrden. Die Artikel 36 Abs. 1 und 37 Abs. 2 ChVN, die dem Sicherheitsrat die Befugnis verleihen, verfahrenstechnische beziehungsweise materielle Empfehlungen zur Streitbeilegung abzugeben, nehmen hinsichtlich der Art der Streitigkeit auf die in Art. 33 ChVN umschriebenen Streitigkeiten Bezug. Die Befugnisnormen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Aufgabenzuweisung in Art. 24 Abs. 1 ChVN. Sie statten den Sicherheitsrat mit den Befugnissen aus, die notwendig sind, damit der Rat im Wege der friedlichen Streitbeilegung seine Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erfüllen kann. 16 Dieses Zusammenspiel von Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen ergibt sich bereits aus der allgemeinen Struktur von Gründungsverträgen Internationaler Organisationen, in denen den Organen Befugnisse zum Zwecke der Erfüllung ihrer Aufgaben verliehen werden. Es wird hier daran deutlich, daß die in Frage stehenden Normen des Kapitels VI der Charta die Begriffe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wörtlich übernehmen. Darüber hinaus stellt Art. 24 Abs. 2 Ch VN die Verbindung ausdrücklich her. Es heißt dort, daß die besonderen Befugnisse (unter anderem) des Kapitels VI der Charta dem Sicherheitsrat zur Erfüllung der sich aus dem ersten Absatz des Art. 24 ChVN ergebenden Aufgabe, also der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, eingeräumt werden. Es besteht demnach ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der sich aus Art. 24 Abs. 1 ChVN ergebenden Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und den in den Artikeln 33 Abs. 2, 34, 36 Abs. 1 und 37 Abs. 2 ChVN enthaltenen Befugnissen. 17 Dieser unmittelbare Zusammenhang der Aufgabenzuweisungsund der Befugnisnormen gebietet eine einheitliche Auslegung des Begriffs des Weltfriedens in Art. 24 Abs. 1 ChVN und in Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen. Ben Salah vertritt die Ansicht, Art. 34 Ch VN ermächtige den Sicherheitsrat generell, sich der materiellen Streitschlichtung jeder Art von internationaler Bowett, Institutions, S. 33 f. Delbrück, Entwicklung, S. 24; ders., in: Simma, Art. 24, Rz. 9; Tomuschat, in: Simma, Art. 33, Rz. 1. 16
17
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
42
Streitigkeit, unabhängig von den Belangen der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN, zu widmen. Träfe dies zu, so dienten die Befugnisse des Art. 34 Ch VN sowohl der Erfüllung der Aufgabe aus Art. 24 Abs. 1 ChVN als auch anderen Zwecken. Der Zusammenhang zwischen Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnorm wäre dann nicht mehr hinreichend eng, um annehmen zu können, daß zweifelsfrei eine Identität des in den Artikeln 24 und 34 ChVN verwendeten Begriffs des Weltfriedens bestehe. Ben Salah bringt als Argument vor, daß die Überschrift des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen "Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten" laute und der Rat gemäß Art. 34 ChVN jede Streitigkeit oder Spannungssituation untersuchen könne. 18 Aus dem Wortlaut des Art. 34 ChVN ergibt sich indes, daß diese Untersuchungsbefugnis nur dazu dient festzustellen, daß die Streitigkeit oder Situation die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährden könnte. Nur hinsichtlich dieser Art von Streitigkeiten ist der Sicherheitsrat befugt, aus eigenem Antrieb Maßnahmen zur materiellen friedlichen Streitbeilegung zu ergreifen. 19 Die Funktion des Art. 34 Ch VN beschränkt sich somit darauf, dem Sicherheitsrat die Möglichkeit zu geben, im Wege eines filternden Vorgangs diejenigen Streitigkeiten zu ermitteln, die wegen ihres friedensgefährdenden Charakters ein weitergehendes Tätigwerden des Rates erfordern. Der gleiche Gedankengang liegt den Artikeln 35 bis 37 zugrunde: Zwar können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 35 Abs. I ChVN die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auch auf Streitigkeiten lenken, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit nicht gefährden,20 doch folgt daraus entgegen der Ansicht von OppenheimIH. Lauterpache 1 kein Recht des Sicherheitsrates, an der materiellen Regelung dieser Streitigkeiten teilzunehmen, da dieses Recht durch die Artikel 36 und 37 ChVN auf friedensgefährdende Streitigkeiten beschränkt wird. Art. 35 Ch VN eröffnet dem Sicherheitsrat lediglich die Möglichkeit, alle vorgelegten Streitigkeiten auf die Tagesordnung zu setzen,
Ben Salah, in: CoUPeIlet, Art. 34, S. 578 f. Escher, S.28; Jimenez de Arechaga, Traitement des differends, S. 14; Lee, S. 142; Tomuschat, in: Simma, Art. 33, Rz. 3. 20 Die Verweisung auf Art. 34 ChVN, und somit die Relevanz der Friedensgefährdung, bezieht sich nur auf die Situationen, nicht auf die Streitigkeiten. Dies geht aus der authentischen englischen Fassung klarer hervor als aus der deutschen: "Any Member of the United Nations may bring any dispute, or any situation of the nature referred to in Article 34, to the attention of the Security Council or of the General Assembly. " 21 Oppenheim/H. Lauterpacht, Bd. 2, § 25 c (S. 99 f.). 18 19
2. Kapitel: Fortgang der Interpretation
43
um selbst festzustellen, ob eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu befürchten ist. 22 Die einzige Ausnahme bildet Art. 38 ChVN, der es dem Sicherheitsrat gestattet, auch bei Streitigkeiten, die nicht die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährden, auf Antrag der Parteien vermittelnd tätig zu werden. 23 Diese Ausnahme erklärt die von Ben Salah als Argument herangezogene weite Fassung der Überschrift des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen. Art. 38 ChVN nimmt jedoch in Kapitel VI eine Sonderrolle ein, da seine Zielrichtung nicht die Beseitigung von Friedensgefährdungen ist, sondern die allgemeine Streitschlichtung. 24 Er verdankt seine Existenz der Ansicht, der Sicherheitsrat solle allen Staaten als Forum zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten dienen. 25 Nimmt der Sicherheitsrat die in Art. 38 ChVN vorgesehene Vermittlerrolle auf Bitten aller Parteien wahr, so handelt er allein im Interesse dieser Parteien und nicht in Erfüllung der ihm in Art. 24 Abs. 1 ChVN zugewiesenen Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. 26 Folgerichtig wird der Weltfrieden in Art. 38 Ch VN nicht erwähnt, sondern im Gegenteil diese Norm ausdrücklich von den anderen Bestimmungen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen abgesetzt. 27 Als Ergebnis ist festzuhalten, daß alle Bestimmungen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen, in denen der Begriff des Weltfriedens verwendet wird,28 ausschließlich dem Zweck dienen, dem Sicherheitsrat Befugnisse zur Erfüllung seiner sich aus Art. 24 Abs. 1 ChVN ergebenden Aufgabe zu gewähren, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Der enge Zusammenhang zwischen Art. 24 Abs. 1 ChVN und den genannten Befugnisnormen erlaubt den Schluß, daß der Begriff des Weltfriedens in allen diesen Normen notwendigerweise denselben Inhalt hat.
So auch Jimenez de Arechaga, Traitement des ditTerends, S. 14. Delbrück, Entwicklung, S. 25; Escher, S. 53; Jimenez de Arechaga, Traitement des differends, S. 14 f.; Stein/Richter, in: Simma, Art. 38, Rz. 3. 24 Stein/Richter, in: Simma, Art. 38, Rz. 2. 25 Escher, S. 53. 26 Stein/Richter, in: Simma, Art. 38, Rz. 2; allgemein zu Aufgaben des Sicherheitsrates, die nicht in Art. 24 Abs. 1 Ch VN erteilt werden, Kewenig, Bindungswirkung, S.271. 27 Es heißt in Art. 38 ChVN: "Unbeschadet der Artikel 33 bis 37 kann der Sicherheitsrat [... ]." 28 Artikel 33 Abs. 1 und 34 ChVN sowie mittels Verweisung Artikel 36 Abs. 1 und 37 Abs. 2 ChVN. 22
23
44
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
c) Die Übereinstimmung des Begriffs in Art. 24 Abs. J Ch VN und Art. 39 Ch VN
Wie Kapitel VI enthält auch Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen ein Bündel von Befugnissen für den Sicherheitsrat, mit denen er zur Erfüllung seiner in Art. 24 Abs. 1 Ch VN festgelegten Aufgabe ausgestattet wurde. 29 Die in Kapitel VII enthaltenen Normen verleihen dem Sicherheitsrat die notwendigen Befugnisse, um bei einer Bedrohung oder einem Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, gegebenenfalls unter Einsatz nichtmilitärischer oder militärischer Zwangsmaßnahmen, zu wahren oder wiederherzustellen. Der unmittelbare Zusammenhang der Aufgabenzuweisungs- und der Befugnisnormen, der auch in bezug auf Kapitel VII der Charta in Art. 24 Abs. 2 Ch VN deutlich zum Ausdruck kommt, gebietet wiederum eine einheitliche Auslegung des Begriffs des Weltfriedens in Art. 24 Abs. 1 ChVN und in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, einschließlich des Art. 39 ChVN?O An diesem Ergebnis wurden jedoch Zweifel geäußert, die auf dem Umstand beruhen, daß der Sicherheitsrat gemäß dem Wortlaut des Art. 39 ChVN nicht eine Bedrohung oder einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit feststellt, sondern eine Bedrohung oder einen Bruch "des Friedens". Daraus schloß der Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika im Sicherheitsrat im Jahre 1948, daß der Rat sich auch mit der Bedrohung oder dem Bruch des nationalen Friedens befassen dürfe. Der Begriff "international" sei in Art. 39 ChVN durch "any" ersetzt worden, so daß die Wendung "any threat to the peace" den internationalen Frieden ebenso umfasse wie den nationalen Frieden. 3! Gegen diese Auffassung sprachen sich die Vertreter von Großbritannien,32 China,33 Syrien34 und Frankreich35 aus. Bei dieser Gelegenheit wies der syrische Delegierte darauf hin, daß das Adjektiv "any" die Bedrohung bzw. den Bruch des Friedens qualifiziere und nicht den Frieden an sich. Es könne demnach unterschiedliche Formen der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens geben, aber nur eine Form des Friedens im Sinne des Art. 39 ChVN,
29 30 31 32 33 34 35
Bowett, Institutions, S. 33 f. Delbrück, in: Simma, Art. 24, Rz. 9. Vereinigte Staaten (SCOR, 3. Jahr, Nr. 69,296. Stzg. (18.05.1948), S. 7). Großbritannien (SCOR, 3. Jahr, Nr. 69,296. Stzg. (18.05.1948), S. 2). China (SCOR, 3. Jahr, Nr. 69,296. Stzg. (18.05.1948), S. 22). Syrien (SCOR, 3. Jahr, Nr. 70,297. Stzg. (20.05.1948), S. 8 f.). Frankreich (SCOR, 3. Jahr, Nr. 134, 392. Stzg. (24.12.1948), S. 8).
2. Kapitel: Fortgang der Interpretation
45
nämlich den internationalen Frieden. 36 Diese Annahme werde dadurch unterstützt, daß am Ende des Art. 39 ChVN der internationale Frieden erwähnt werde. 37 Auch in der Literatur wird die von dem Vertreter der Vereinigten Staaten geäußerte Ansicht zu Recht praktisch einhellig abgelehnt. 38 In Art. 39 ChVN ist am Ende bestimmt, daß der Sicherheitsrat Maßnahmen aufgrund der sich anschließenden Befugnisnormen beschließt, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Eine Feststellung der Bedrohung oder des Bruchs eines nicht mit dem Weltfrieden identischen Friedens durch den Sicherheitsrat wäre sinnlos, da er aufgrund der Bestimmung am Ende des Art. 39 ChVN nicht befugt wäre, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. 39 Bei dem Wortlaut des Art. 39 ChVN handelt es sich lediglich um eine redaktionelle Unebenheit. Die Befugnis des Sicherheitsrates zur Feststellung von Friedensbedrohungen oder -brüchen beschränkt sich auf den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die Praxis des Sicherheitsrates entspricht dieser Auffassung. In der weit überwiegenden Zahl seiner Feststellungen sprach der Rat von einer Bedrohung oder einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Von dieser Praxis wich er in Resolution SIRES/54 (1948) ab. Dort bezeichnete der Rat die Situation in Palästina als "threat to the peace within the meaning of Article 39 ofthe Charter ofthe United Nations". Mit dieser Formulierung ließ er jedoch offen, welche Bedeutung der Begriff der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in Art. 39 ChVN seiner Ansicht nach hat. Resolution SIRES/82 (1950) vom 25. Juni 1950 enthält die Feststellung, daß der Angriff nordkoreanischer Truppen auf Südkorea einen Friedensbruch ("breach of the peace") darstelle. Jedoch ergibt sich aus der Folgeresolution SIRES/83 (1950) vom 27. Juni 1950, daß der Sicherheitsrat von einem Bruch des internationalen Friedens ausgegangen war, der nun durch eine militärische Aktion der Mitgliedstaaten wiederhergestellt werden sollte. Es heißt dort:
Syrien (SCOR, 3. Jahr, Nr. 70, 297. Stzg. (20.05.1948), S. 8). Syrien (SCOR, 3. Jahr, Nr. 70, 297. Stzg. (20.05.1948), S. 9); ähnlich auch Großbritannien (SCOR, 3. Jahr, Nr. 69,296. Stzg. (18.05.1948), S. 2). 38 Delbrück, in: Sirnrna, Art. 24, Rz. 9; Escher, S. 28 f; Frowein, Friedenssicherung, S. 45; ders., in: Sirnrna, Art. 39, Rz. 7; Gading, S. 69 f; Kelsen, United Nations, S. 731; Kirsch, S. 19; Pauer, S. 81 f.; Ross, S. 110 f; Schaefer, S. 17; Sohn, UN Role, S.210; Stone, Legal Controls, S. 256 f; Tomuschat, in: Sirnrna, Art. 33, Rz. 13; a. A. Gehrke, S. 162; Jimenez de Arechaga, Derecho constitucional, S. 373 f 39 Kelsen, United Nations, S. 731; Pauer, S. 81 f; Sohn, UN Role, S. 210. 36 37
46
I. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
"The Security Council, Having determined that the anned attack upon the Republic of Korea by forces from North Korea constitutes a breach ofthe peace, ( ... ), Recommends that the Members of the United Nations furnish such assistance to the Republic of Korea as may be necessary to repel the anned attack and to restore international peace and security in the area."
Es läßt sich im Ergebnis feststellen, daß der Sicherheitsrat bisher in keinem Fall bei der Formulierung der Feststellung darauf abgestellt hat, daß es sich nicht um den internationalen Frieden oder die internationale Sicherheit handeln müsse. Der Rat geht also trotz des Wortlauts des Art. 39 ChVN davon aus, daß diese Norm die Feststellung einer Bedrohung oder eines Bruchs nicht jeglichen Friedens, sondern nur des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit regelt. Fraglich ist allerdings, ob diesem Ergebnis entgegensteht, daß der Sicherheitsrat in einigen Fällen40 eine "Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region" und anläßlich des Falkland-Konflikts einen "Bruch des Friedens in der Region der Falkland-Inseln,,41 festgestellt hat. Es wird vertreten, daß der Weltfrieden ("international peace") nur betroffen sei, wenn auf globaler Ebene ein bewaffneter Konflikt ausgetragen werde oder drohe. Handele es sich dagegen um eine regional begrenzte Auseinandersetzung, so seien der Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. I eh VN nicht berührt. 42 Gegen diese Auffassung spricht der Wortlaut der authentischen englischen Fassung des Art. 24 Abs. I ChVN. Dort wird der Begriff "international" verwendet. Dieser Begriff ist zurückzuführen auf das lateinische "inter nationes", das heißt "zwischen den Staaten". In diesem Sinne wird der Begriff "international" auch gebraucht. International ist jeder Sachverhalt, der das Verhältnis von zwei oder mehr Staaten betrifft oder Interessen von zwei oder mehr Staaten berührt. 43 Der "internationale Frieden" ist bereits dann betroffen, wenn zwei Staaten eine bewaffnete Auseinandersetzung führen. 44 Zu
40 Resolutionen SIRES/807 (1993), SIRES/873 (1993), SIRES/917 (1994), SIRES/918 (1994), SIRES/929 (1994), SIRES/940 (1994) Wld SIRES/949 (1994). 41 Resolution SIRES/502 (1982). 42 Sharara, S. 62. 43 s. den Eintrag in Webster's New International Dictionary 0/ the English Language oben Fn. 42 im I. Kapitel. 44 Insofern ist die deutsche ÜbersetzWlg des Begriffs mit "Weltfrieden" Wlglücklich. Sie wäre dann am Platze gewesen, wenn im englischen Original die Ausdrücke "global peace" oder "Wliversal peace" verwendet worden wären.
2. Kapitel: Fortgang der Interpretation
47
demselben Ergebnis führt die Überlegung, daß die Vereinten Nationen als System kollektiver Sicherheit jede Anwendung bewaffneter Gewalt eines Mitglieds gegen ein anderes Mitglied verhindern sollen 45 und nicht nur einen bewaffneten Konflikt, an dem sämtliche, die meisten oder die wichtigsten Mitgliedstaaten beteiligt sind. Demzufolge gehört es zu den sich aus Art. 24 Abs. I ChVN ergebenden Aufgaben des Sicherheitsrates, auch im Falle einer bilateralen bewaffneten Auseinandersetzung tätig zu werden. 46 Ist also der Weltfrieden (besser: der internationale Frieden) bereits betroffen, wenn zwischen zwei Staaten ein bewaffneter Konflikt ausgebrochen ist oder droht, so ist der regionale Frieden von diesem Begriff mit erfaßt. Der Begriff des regionalen Friedens ist ein Unterfall des internationalen Friedens, bei dem ein besonderer Akzent auf den Gesichtspunkt gesetzt wird, daß der Frieden in der gesamten betreffenden Region durch das friedensbedrohende oder den Friedensbruch darstellende Geschehen in Frage gestellt ist. 47 Die Resolutionen des Sicherheitsrates zu Ruanda machen in exemplarischer Weise deutlich, daß der Sicherheitsrat von diesem Verständnis des regionalen Friedens als Unterfall des internationalen Friedens ausgeht. In den Resolutionen SlRES/918 (1994) und SIRES/929 (1994) sprach der Rat von einer Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region. In Resolution SlRES/955 (1994) heißt es dann: "The Security Council,
C···),
Determining that this situation continues to constitute a threat to international peace and security, C···)·"
Es wird hier ein Andauern der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festgestellt, obwohl diese Art von Feststellung bislang nicht explizit getroffen worden war. 48 Dies bedeutet, daß der Begriff der Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region nach Ansicht des Sicherheitsrates ein Unterfall desjenigen der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Im Ergebnis ist festzustellen, daß Art. 39 ChVN dem Sicherheitsrat die Möglichkeit gibt, eine Bedrohung oder einen Bruch des Weltfriedens und der
Zum System kollektiver Sicherheit Delbrück, Collective Security, S. 105. So auch Ratner, Image, S. 429. 47 So auch Escher, S.28; Freudenschuß, Artic1e 39, S.33; Schachter, Internal Conflict (Moore), S. 405; SchefJer, Doctrine, S. 287; Schilling, S. 87, Fn. BI. 48 s. dazu genauer unten S. 109. 45
46
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
48
internationalen Sicherheit festzustellen. Dieser Begriff stimmt mit dem in Art. 24 Abs. I ChVN verwendeten Begriff überein. d) Ergebnis
Aus dem System der Charta der Vereinten Nationen und dabei insbesondere dem Zusammenspiel von Aufgabenzuweisungs- und Befugnisnormen ergibt sich, daß der Begriff des Weltfriedens in den Artikeln 24 Abs. 1, 33 Abs.2, 34, 36 Abs. 1,37 Abs. 2 und 39 ChVN identisch ist.
m. Ergebnis Die Auslegung des Begriffs des Weltfriedens allein anhand des Art. 24 Abs. 1 ChVN stößt auf die Schwierigkeit, daß die Praxis des Sicherheitsrates in bezug auf diese Norm unergiebig ist. Daher ist eine Untersuchung der Praxis des Sicherheitsrates zu den Artikeln 33 Abs. 2, 34, 36 Abs. 1, 37 Abs. 2 und 39 Ch VN vorzunehmen, um Erkenntnisse fur die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 ChVN zu gewinnen. Dabei soll Art. 39 ChVN aufgrund der Fülle und Aktualität der einschlägigen Praxis des Sicherheitsrates49 vorrangig behandelt werden.
49
s. dazu Tomuschat, Obligations, S. 337.
3. Kapitel
Die Praxis des Sicherheitsrates zu Artikel 39 der Charta der Vereinten Nationen Im Folgenden sollen die Fälle untersucht werden, in denen der Sicherheitsrat einen Friedensbruch, eine Angriffshandlung oder eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN feststellte. Aus dieser Praxis sowie aus den dazu geäußerten Meinungen in der Literatur sollen Rückschlüsse in bezug auf die Frage gezogen werden, welchen Inhalt der Begriff des Weltfriedens im Kontext des Art. 39 ChVN nach Ansicht des Sicherheitsrates hat.
L Der Friedensbruch In bislang vier Fällen stellte der Sicherheitsrat fest, daß sich ein Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ereignet habe. Der erste Fall war der Einmarsch nordkoreanischer Truppen in die Republik Korea, das heißt nach Südkorea. 1 Dies gab dem Sicherheitsrat Anlaß, am 25. Juni 1950 in Resolution S/RES/82 (1950) festzustellen: "The Security Council, ( ... ), Noting with grave concern the anned attack on the Republic ofKorea by forces from
North Korea, Determines that this action constitutes a breach ofthe peace; ( ... ). "
Zu diesem Zeitpunkt betrachteten die Organe der Vereinten Nationen die (südkoreanische) Regierung der Republik Korea als die rechtmäßige Regierung des weiterhin bestehenden Staates Korea, die jedoch ihre Hoheitsgewalt nur in dem südlichen Teil des Staatsgebiets ausüben konnte. 2 Obwohl Nords. AdG Bd. 20 (1950), S. 2458 f. Vgl. Generalversammlungsresolution AlRESI195 (ill) vom 12.12.1948: "2. Declares that there has been established a lawful govemment (the Govemment of the Republic of Korea) having efTective control and jurisdiction over that part of Korea where the Temporary Commission was able to observe and consult and in 1
2
4 Lailach
50
l. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
korea keine eigenständige Staatlichkeit besaß, unterlag das Regime nach Ansicht des Sicherheitsrates dem völkerrechtlichen Gewaltverbot und führte durch seinen Angriff auf Südkorea einen Friedensbruch im Sinne des Art. 39 ChVN herbei? Der Angriff der nordkoreanischen Truppen auf die Republik Korea stellte somit eine Anwendung militärischer Gewalt im Verhältnis zwischen einem de facto-Regime 4 und einem Staat, der die Hoheitsgewalt auch für das Gebiet des de facto-Regimes beanspruchte, dar. In Resolution SlRES/502 (1982) vom 3. April 1982 verurteilte der Sicherheitsrat die Besetzung der Falkland-Inseln, einer britischen Besitzung, durch argentinische Marineinfanteristen und Fallschirmjäger. 5 Dabei führte der Rat aus: "The Security Council, ( ... ), Deeply disturbed at reports of an invasion on 2 April 1982 byanned forces of Ar-
gentina, Determining that there exists a breach of the peace in the region of the Falkland Islands (Islas Malvinas), ( ... ). "
In diesem Fall wurde der Weltfrieden durch die gegen einen Staat gerichteten militärischen Aktionen eines anderen Staates gebrochen. Dies gilt ebenfalls für den dritten und vierten Fall eines Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die beide durch internationale militärische Konflikte herbeigeführt wurden. Im Falle der bewaffneten Aus-
which the great majority of the people of all Korea reside; [... ] and that this is the only such Government in Korea"; sowie die folgende Stellungnahme der Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat (SCOR, 5. Jahr, Nr. 15,473. Stzg. (25.06.1950), S. 5 f): "The United Nations Commission worked towards the United Nations objectives of the withdrawal of occupying forces from Korea, the removal ofthe barriers between the regions of the North and the South and the unification of that country under a representative government freely determined by its people." 3 So auch Bowett, Se1f-Defense, S. 153; Brownlie, Use of Force, S. 380; Frowein, de facto-Regime, S. 55 f; ders., in: Simma, Art. 39, Rz. 10; McDougallFeliciano, S. 221; Rauschning, Gewaltverbot, S. 78 f; Stone, Legal Controls, S. 230, Fn. 12, u. S.235; Verdross/Simma, § 406 (S. 241); Weber, S. 80 f; Wengier, Gewaltverbot, S. 35 f; ders., Völkerrechtssubjekt, S. 124; a. A. Kelsen, Recent Trends, S. 930 f u. 934 f 4 S. dazu allgemein Frowein, de facto-Regime, S. 6 u. 52; sowie unten S. 168. 5 Zum Sachverhalt und der Vorgeschichte des Konflikts s. AdG Bd.52 (1982), S. 25484-25489.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
51
einandersetzungen zwischen dem Irak und dem Iran6 stellte der Sicherheitsrat in Resolution SIRES/598 (1987) vom 20. Juli 1987 fest: "The Security Council, ( ... ), Deeply concemed that ( ... ) the conflict between the Islamic Republic of Iran and
Iraq continues unabated, with further heavy loss of human life and material destruction, ( ... ), Determining that there exists a breach of the peace as regards the conflict between Iran and Iraq, ( ... ). ,,7
Anläßlich der Besetzung Kuwaits durch irakisehe Truppen8 verabschiedete der Rat am 2. August 1990 Resolution S/RES/660 (1990): "The Security Council, Alarmed by the invasion of Kuwait on 2 August 1990 by the military forces of Iraq, Determining that there exists a breach of international peace and security as regards
the Iraqi invasion ofKuwait,
( ... ). ,,9
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ein bewaffneter Angriff durch Truppen eines Staates auf einen anderen Staat den Rat in bisher drei Fällen veranlaßt hat festzustellen, daß sich ein Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ereignet habe. In einem Fall wurde der Friedensbruch durch den Angriff eines de facto-Regimes auf einen Staat herbeigeführt. Daraus läßt sich hinsichtlich des Begriffs des Weltfriedens schließen, daß nach Ansicht des Sicherheitsrates die Abwesenheit internationaler] 0 bewaffneter Gewalt von diesem Begriff erfaßt wird.
6 Der bewaflhete Konflikt zwischen dem Irak und dem Iran begann im Herbst 1980; zum Sachverhalt und der Vorgeschichte des Konflikts s. AdG Bd. 50 (1980), S. 2390923915. 7 S. dazu auch die Stellungnahmen von Großbritannien (UN-Dok. SIPV. 2750, S. 16), Italien (UN-Dok. SIPV.2750, S. 33) und den Vereinigten Staaten (UN-Dok. SIPV. 2750, S. 19). 8 Zum Sachverhalt und der Vorgeschichte des Konflikts s. AdG Bd.60 (1990), S. 34762-34764. 9 s. dazu auch die Stellungnahmen von Finnland (UN-Dok. SIPV.2932, S.22), Großbritannien (UN-Dok. SIPY. 2932, S. 21), Kanada (UN-Dok. SIPV.2932, S. 17), Malaysia (UN-Dok. SIPV. 2932, S. 18), der UdSSR (UN-Dok. SIPV. 2932, S. 23) und den Vereinigten Staaten (UN-Dok. SIPV. 2932, S. 14). 10 Verstanden als Beziehungen zwischenstaatlicher Art sowie zwischen Staaten und staatsähnlichen Gebilden; s. dazu genauer unten S. 168.
4*
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
52
n
Die Angriffshandlung
In einigen Resolutionen verurteilte der Sicherheitsrat die gegen die jeweiligen Nachbarstaaten gerichteten AngrifIshandlungen ("acts of aggression ") Südafrikas und Rhodesiens, etwa in Resolution SIRES/418 (1977) vom 4. November 1977: "The Security Council, ( ... ), Recognizing that the military build-up by South Africa and its persistent acts of aggression against the neighbouring States seriously disturb the security of those States, ( ... ), I. Determines, having regard to the policies and acts of the South African Government, that the acquisition by South Africa of arms and related materiel constitutes a threat to the maintenance of international peace and security; ( ... ). "
und in Resolution SIRES/424 (1978) vom 17. März 1978: "The Security Council, ( ... ), Reaffirming that the existence of the minority racist regime in Southern Rhodesia and the continuance of its acts of aggression against Zambia and other neighbouring States constitute a threat to international peace and security, ( ... ). ,,11
Doch wird aus dem Text dieser Resolutionen deutlich, daß der dort verwendete Begriff der AngrifIshandlungen lediglich das Verhalten Südafrikas und Rhodesiens beschreiben und nicht im Sinne des Art. 39 ChVN verstanden werden sollte. Alle einschlägigen Resolutionen enthalten eine Feststellung gemäß Art. 39 ChVN, durch die die Vorkommnisse als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und nicht als AngrifIshandlung charakterisiert wurden. Die tatsächlich durchgeführten AngrifIshandlungen stellten somit einen Aspekt der Friedensbedrohung dar. 12
11 Ähnlich wie Resolution SIRES/424 (1978) auch Resolution SIRES/411 (1977) und Resolution SIRES/445 (1979). 12 So auch Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 446. S. auch die Stellungnalune Großbritanniens zu Resolution SIRES/418 (1977) (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 4, Par. 42): "We have made clear our view, which is reflected in par. I, as to the nature ofthe threat to international peace and security. We do not interpret the reference in the preambule to "acts of aggression" as heing used in the technical sense of Article 39 of the Charter."
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Auch in anderen Fällen militärischer Angriffshandlungen eines Staates gegenüber einem anderen Staat hat der Sicherheitsrat es vorgezogen, eine Bedrohung oder einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festzustellen, obwohl die Feststellung einer Angriffshandlung im Sinne des Art. 39 ChVN nahegelegen hätte.\3 Es gibt keine Resolution des Sicherheitsrates, in der dieser die Feststellung einer Angriffshandlung gemäß Art. 39 ChVN getroffen hätte.
m. Die Friedensbedrohung 1. Palästina
Die erste Feststellung einer Friedensbedrohung traf der Sicherheitsrat am 15. Juli 1948 in Resolution SIRES/54 (1948). Es heißt dort: "The Security Council, Taking into consideration that the Provisional Government of Israel has indicated its acceptance in principle of a prolongation of the truce in Palestine; that the States members ofthe Arab League have rejected successive appeals ofthe United Nations Mediator, and ofthe Security Council in its resolution 53 (1948) of7 July 1948, for the prolongation of the truce in Palestine; and that there has consequently deve10ped a renewal of hostilities in Palestine, I. Determines that the situation in Palestine constitutes a threat to the peace within the meaning of Artic1e 39 ofthe Charter ofthe United Nations; ( ... ). "
Der Hintergrund war, daß es nach der Niederlegung des Mandats für die Verwaltung Palästinas durch Großbritannien zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen jüdischen und palästinensischen Gruppen gekommen war. Beide Seiten beanspruchten das Gebiet als Territorium eines zukünftigen unabhängigen Staates. Am 1. Mai 1948 drangen syrische, libanesische und ägyptische Truppen auf das Gebiet vor. Daraufhin rief die Provisorische Regierung Israels am 15. Mai 1948 den unabhängigen Staat Israel aus. Die genannten arabischen Truppen, denen sich jordanische Streitkräfte anschlossen, kämpften an der Seite der palästinensischen bewaffneten Gruppen gegen die israelischen Einheiten. Ein erster Waffenstillstand, der mit Hilfe des von den Vereinten Nationen entsandten Vermittlers Graf Bemadotte zustande gekommen war, wurde zuI3 So auch GraefrathIMohr, S. 112, in bezug auf den Überfall Kuwaits durch den Irak; PetroviciCondorelli, S. 35 f., hinsichtlich des Jugoslawien-Konflikts.
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
54
nächst eingehalten. Seiner Verlängerung stimmte jedoch nur die Provisorische Regierung Israels zu. Die arabische Seite lehnte ab und startete eine neue Offensive. Diese Situation wurde vom Sicherheitsrat als Friedensbedrohung gekennzeichnet. 14 Zum Zeitpunkt der Feststellung des Sicherheitsrates fand eine internationale bewaffnete Auseinandersetzung zwischen dem Staat Israel und den an der Seite der palästinensischen Gruppen kämpfenden arabischen Nachbarstaaten statt. Im Gegensatz zu den bewaffneten Konflikten, die den Sicherheitsrat zur Feststellung eines Friedensbruchs veranIaßten, hatte dieser internationale bewaffnete Konflikt seinen Ursprung jedoch nicht in einem militärischen Angriff eines Staates gegen einen anderen Staat. Vielmehr wurde die bereits begonnene bewaffnete Auseinandersetzung zwischen jüdischen und palästinensischen Gruppen erst durch das Eingreifen der Nachbarstaaten sowie durch die die Staatwerdung Israels im Verlauf des Konflikts internationalisiert. 15 2. Kongo
Der Sicherheitsrat befaßte sich seit Juli 1960 mit der Situation im Kongo. 16 Nach der Proklamation der Unabhängigkeit der belgischen Kolonie am 30. Juni 1960 17 war es zu Feindseligkeiten gegenüber den europäischen Bewohnern des Landes gekommen, die Belgien veranIaßten, militärisch zu intervenieren. Gleichzeitig kam es zu Spannungen, da der Ministerpräsident der kongolesischen Provinz Katanga, Moise Tschombe, die Unabhängigkeit dieser Provinz anstrebte. 18 Die ersten Resolutionen des Sicherheitsrates,19 der sich auf Bitten der kongolesischen Regierung mit der Situation befaßte, enthalten keine ausdrückliche Feststellung einer Friedensbedrohung. 20 Diesen Schritt machte der Rat
14 15 16 17 18
s. die Darstellung der Geschehnisse bei Wellens, S. 410 - 412. s. Dinstein, War, S. 7. Dem späteren Zaire. s. AdG Bd. 30 (1960), S. 8487. s. AdG Bd. 30 (1960), S. 8515 f. 19 Resolutionen SlRESI143 (1960), SlRESI145 (1960), SlRESI146 (1960) und SlRESI157 (1960). 20 So auch Franck, Fairness, S. 227; ders., Security Council, S. 93; Jimenez de Arechaga, Security Council, S. 347; Manin, S. 64; Seyersted, S. 135; Soubeyrol, Congo, S. 587; a. A. Gross, Domestic Jurisdiction, S. ISO (zu Resolution SlRESI143 (1960)).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
55
erst arn 21. Februar 1961 in Resolution SlRES/161 (1961),21 die er als Reaktion auf den Tod von Ministerpräsident Patrice Lumurnba und anderen kongolesischen Politikern verabschiedete. In Teil A der aus zwei Teilen bestehenden Resolution heißt es: "The Security Council, ( ... ), Having leamt with deep regret of the announcement of the killing of the Congolese leaders, Mr. Patrice Lumumba, Mr. Maurice Mpolo and Mr. Joseph Okito, Deeply concemed at the grave repercussions of these crimes and the danger of widespread civil war and bloodshed in the Congo and the threat to international peace and security, Noting the report ofthe Secretary-General's Special Representative ( ... ), bringing to light the development of a serious civil war situation and preparations therefore, ( ... ); 2. Urges that measures be taken for the immediate withdrawal and evacuation from the Congo of all Belgian and other foreign military and paramilitary personnel and political advisers not under the United Nations Command, and mercenaries; ( ... ); 5. ReaJJirms Security Council resolutions 143 (1960) of 14 July 1960, 145 (1960) of 22 July 1960 and 146 (1960) of 9 August 1960 and General Assembly resolution 1474 (ES-IV) of 20 September 1960 and reminds all States of their obligations under these resolutions."
Der Sicherheitsrat drängte darauf, daß die Vereinten Nationen unverzüglich alle geeigneten Maßnahmen ergreifen sollten, um den Ausbruch des Bürgerkriegs zu verhindern. 22 In Teil B derselben Resolution zeigte sich der Sicherheitsrat "Gravely concemed at the continuing deterioration ofthe situation in the Congo and at the prevalence of conditions which seriously imperil peace and order and the
UN-Generalsekretär Hammarskj61d führte damals in mehreren Stellungnahmen (SCOR, 15. Jahr, 887. Stzg. (21.08.1960), S.7, Par. 32; SCOR, 15. Jahr, 913. Stzg. (07.12.1960), S.5, Par. 25; und SCOR, 15. Jahr, 920. Stzg. (13.12.1960), S.19, Par. 75) aus, die Resolutionen SlRESI143 (1960) und SlRESI145 (1960) enthielten eine implizite Feststellung einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN (so auch Bowett, UN Forces, S.180; Halderman, S. 980; E. M. Miller, S. 2 f.; Simmonds, S. 59). Unabhängig von der Frage, ob eine implizite Feststellung möglich ist, läßt sich der Auffassung des UN-Generalsekretärs entnehmen, daß in den Resolutionen keine ausdrückliche Feststellung einer Friedensbedrohung enthalten ist. 21 Obwohl der Sicherheitsrat sich nur "schwer besorgt" zeigte, liegt eine Feststellung im Sinne des Art. 39 Ch VN vor; so auch Franck, Security Council, S. 93; Karaosmanoglu, S. 248; Seyersted, S. 138 f. S. zur Begründung unten Fn. 140. 22 In diesem Zusammenhang wurde auch zum Einsatz von Gewalt als letztem Mittel ermächtigt.
56
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit unity and territorial integrity of the Congo, and threaten international peace and security".
Daraufhin drängte der Rat auf eine Zusammenkunft des kongolesischen Parlaments und auf eine Reorganisation der Armee dieses Staates. Die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit lag nach Ansicht des Sicherheitsrates in dem drohenden Ausbruch eines Bürgerkriegs im Kongo. Dabei läßt sich zwar nicht den Präambeln der Teile A und B der Resolution S/RES/161 (1961), dafür aber dem zweiten und dem fünften operativen Absatz des Teils A entnehmen, daß der Sicherheitsrat vor allem die drohenden internationalen Auswirkungen eines Bürgerkriegs im Kongo verhindern wollte. In Absatz 2 drängte der Sicherheitsrat darauf, daß alles belgische und sonstige ausländische militärische und paramilitärische Personal sowie Söldner abgezogen und evakuiert werden sollten. In Absatz 5 wurden alle Staaten an ihre sich aus den bereits verabschiedeten Resolutionen ergebende Verpflichtung erinnert, den Konsolidierungsprozeß im Kongo nicht zu behindern. Das Ziel der Tätigkeit des Sicherheitsrates war also nicht primär die Verhinderung des Bürgerkriegs im Kongo an sich, sondern die Abwendung der Gefahr, daß sich andere Staaten an dem bewaffneten Konflikt beteiligen könnten. Der Weltfrieden war nach Auffassung des Rates durch die Anwesenheit der belgischen Truppen und durch die militärische und finanzielle Unterstützung der kongolesischen Opposition durch andere Staaten sowie die dadurch erzeugte Gefahr einer Gegenintervention bedroht. 23 3. Indien - Pakistan
Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan gingen am 3. Dezember 1971 in eine offene bewaffnete Auseinandersetzung über, in deren Verlauf Ostpakistan von indischen Truppen besetzt und von Indien als unabhängiger Staat Bangladesch anerkannt wurde und die pakistanischen Truppen in Ostpakistan kapitulierten. 24 Eine Reihe von Mitgliedstaaten bat den Sicherheitsrat, die sich zuspitzende Lage zu behandeln. Aufgrund der Uneinigkeit der ständigen Mitglieder mußte sich der Rat am 6. Dezember 1971 darauf be23 s. die Stellungnalunen von Guinea (SCOR, 16. Jahr, 931. Stzg. (07.02.1961), S. 23, Par. 87) und Chile (SCOR, 16. Jahr, 942. Stzg. (20.02.1961), S. 8, Par. 36). So auch Boland, S. 67; Castafieda, Valeur juridique, S. 272; Franck, Diskussionsbeitrag, S. 70 f; Friedmann, S. 269; Gendebien, S. 45; Karaosmanoglu, S. 86 f; E. M. Miller, S. 2 f; Schaefer, S. 165 f 24 Zum politischen Hintergrund und Verlauf des Konflikts s. AdG Bd. 41 (1971), S. 16781-16790; sowie Hiscocks, S. 178-182.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 eh VN
57
schränken, durch Resolution SIRES/303 (1971) die Angelegenheit an die Generalversammlung zu verweisen. Diese forderte am 7. Dezember 1971 die Parteien in Resolution A/RES/2793 (XXVI) zur Einstellung der Feindseligkeiten auf. Der bewaffnete Konflikt dauerte jedoch auch nach der Verabschiedung der Generalversamrnlungsresolution an. Der Sicherheitsrat trat am 21. Dezember 1971 erneut zusammen und beschloß Resolution SIRES/307 (1971). Diese Resolution beginnt mit den Worten: "The Security Council, Having discussed the grave situation in the subcontinent, which remains a threat to international peace and security, ( ... )."
Der Rat forderte dann einen dauerhaften Waffenstillstand und den Rückzug der Truppen auf ihr jeweiliges Staatsgebiet. Zudem rief er die Konfliktparteien auf, die Genfer Konventionen von 1949 zu beachten. In Resolution SIRES/307 (1971) wurden die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Truppen Indiens und Pakistans als Friedensbedrohung eingestuft. Der Anlaß der Feststellung des Sicherheitsrates war demnach eine zwischenstaatliche bewaffnete Auseinandersetzung. 25 4. Zypern
Der Sicherheitsrat hatte sich seit 1964 mit der politischen Situation in Zypern befaßt,26 dabei jedoch darauf verzichtet, diese Situation als Friedensbedrohung zu kennzeichnen. Seine Tätigkeit hatte im wesentlichen darin bestanden, die Parteien zur friedlichen Beilegung ihrer Streitigkeit aufzufordern und die "United Nations Peace-keeping Force in Cyprus" (UNFICYP) aufzustellen und deren Mandat jeweils zu verlängern. Am 15. Juli 1974 führte die von griechischen Offizieren geführte Nationalgarde einen Staatsstreich gegen den Präsidenten von Zypern, Erzbischof Makarios III., durch und setzte eine pro-griechisch-zyprische "Regierung der nationalen Rettung" ein. 27 Am Morgen des 20. Juli 1974 landeten türkische Truppen auf Zypern und rückten unter Widerstand griechisch-zyprischer
25 Zur Sprachrege1ung des Sicherheitsrates (Friedensbedrohung statt Friedensbruch trotz bereits ausgetragener internationaler bewaffneter Auseinandersetzung) s. unten S. 146. 26 s. dazu unten S. 152. 27 s. AdG Bd. 44 (1974), S. 18852.
58
l. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Streitkräfte auf die Hauptstadt Nikosia zu. Die griechische Regierung ordnete daraufhin die allgemeine Mobilmachung an. 28 Diese Ereignisse veranlaßten den Generalsekretär der Vereinten Nationen, um eine Sitzung des Sicherheitsrates zu bitten. Der Rat verabschiedete am 20. Juli 1974 die Resolution SlRES/353 (1974). Dort heißt es: "The Security Council, ( ... ), Gravely concerned about the situation which has led to a serious threat to international peace and security, and which has created a most explosive situation in the whole Eastern Mediterranean area, ( ... ). "
Im operativen Teil der Resolution rief der Sicherheitsrat die Parteien zu einer Waffenruhe auf und forderte, daß die ausländische militärische Intervention beendet werde. Der von den beiden zyprischen Parteien ausgetragene Konflikt war zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Resolution SlRES/353 (1974) bereits durch die Intervention der türkischen Truppen internationalisiert worden. 29 Unabhängig von diesen bereits eingetretenen internationalen Auswirkungen des Bürgerkriegs befürchtete der Sicherheitsrat weitere Auswirkungen in der Region des östlichen Mittelmeeres. 3o Die in der Resolution enthaltene Feststellung ist ein Beispiel dafür, daß der Sicherheitsrat eine Bürgerkriegssituation mit bereits eingetretenen internationalen Auswirkungen - hier der Intervention anderer Staaten - als Friedensbedrohung einstuft. 5. Rhodesien
a) Resolution SIRESI22] (1966)
Nach dem Scheitern der britisch-rhodesischen Verhandlungen über die Unabhängigkeit des von Großbritannien abhängigen Gebiets erklärte der rhodesische Ministerpräsident lan Smith am 11. November 1965 einseitig die Unabhängigkeit Rhodesiens. Die britische Regierung verurteilte diesen Schritt als
s. AdG Bd. 44 (1974), S. 18853 f. Allgemein dazu Gordon, S. 540, Fn. 108. 30 s. die Stellungnahmen von Indonesien (UN-Dok. SfPV. 1781, S. 11), Österreich (UN-Dok. SfPY. 1781, S. 13) und den Vereinigten Staaten (UN-Dok. SfPY. 1781, S. 5). 28
29
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Akt der Rebellion. 31 Der Sicherheitsrat schloß sich in Resolution SlRES/216 (1965) vom 12. November 1965 und in Resolution SlRES1217 (1965) vom 20. November dieser Verurteilung an und forderte alle Staaten auf, das rassistische weiße Minderheitsregime in Rhodesien nicht anzuerkennen. Zudem rief er alle Staaten zum Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu Rhodesien auf. Nachdem sich der Sicherheitsrat mit seinen ersten Resolutionen zu Rhodesien im Rahmen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen gehalten hatte,32 reagierte er am 9. April 1966 auf die Möglichkeit, daß zwei Öltanker ihre für Rhodesien bestimmte Ladung in einem mosambikanischen Hafen löschen könnten, mit Resolution SlRES1221 (1966): "The Security Council, Recalling ( ... ) its call to all States to do their utmost to break off economic relations with Southern Rhodesia, inc1uding an embargo on oil and petroleum products, Gravely concemed at reports that substantial supplies of oil may reach Southern Rhodesia as the result of an oil tanker having arrived at Beira and the approach of a further tanker which may lead to the resumption of pumping through the Companhia do Pipeline Moyambique Rodesias pipeline with the acquiescence of the Portuguese authorities, . Considering that such supplies will afford great assistance and encouragement to the illegal regime in Southern Rhodesia, thereby enabling it to remain longer in being, 1. Determines that the resulting situation constitutes a threat to the peace; ( ... ). "
Der Sicherheitsrat rief Portugal, das die Hoheitsgewalt über Mosambik innehatte, auf, die Löschung des Öls und seinen Transport nach Rhodesien zu untersagen. Die Regierung von Großbritannien wurde aufgefordert, die Löschung der Ladung von Öltankern, deren Ladung vermutlich rur Rhodesien bestimmt sei, zu verhindern, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Gewalt. 33 In der Resolution stellte der Sicherheitsrat eine Friedensbeclrohung durch die "daraus folgende Situation" fest. Mit dieser Situation meinte er nicht das Bestehen des Minderheitsregimes an sich, sondern die Folgen des bevorstehenden Lösehens der Fracht der Öltanker, also die Unterstützung des Regimes 31 Zum Sachverhalt und zur Vorgeschichte s. AdG Bd. 35 (1965), S. 12163-12165; sowie Morvay, S. 319-322. 32 So auch Eisemann, Sanctions, S. 40; G. Fischer, S. 64; Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 381 f; Howell, S. 774 u. 781 f; Nkala, S. 168; Ruzili, S. 73 f; a. A. H. Fischer, S. 103, Fn. 7; Nowlan, S. 165; Worku, S. 18; Zacklin, Rhodesia, S. 48; die bereits Resolution SlRES1217 (1965) dem Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zuordnen; s. dazu unten Fn. 43 im 5. Kapitel. 33 s. dazu Chayes, S. 4 f
60
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
durch die Öllieferung. Dies ergibt sich aus der Präambel der Resolution, in der der Rat das unverbindliche Embargo in Erinnerung rief und seiner Besorgnis über die bevorstehende Mißachtung dieses Embargos Ausdruck verlieh. Er gab zu bedenken, daß die Öllieferungen das illegale Regime in Rhodesien unterstützen und so zu dessen Machterhalt beitragen würden. Die Ursache für die Friedensbedrohung war nicht die Existenz des Minderheitsregimes an sich, sondern dessen Unterstützung entgegen dem Embargobeschluß des Sicherheitsrates. Diese Auslegung wird durch eine Untersuchung der Diskussionen im Sicherheitsrat bestätigt. Vor Verabschiedung der Resolution SIRES/221 (1966), deren Entwurf 4 von Großbritannien eingebracht worden war, schlugen Nigeria, Mali und Uganda eine Resolution vor, in der es heißen sollte: "The Security Council,
( ... ),
Determines that the situation prevailing in Southern Rhodesia constitutes a threat to
international peace and security;
( ... ). ,,35
Dieser nicht angenommene Gegenentwurf verdeutlicht, daß die Feststellung der Friedensbedrohung in der verabschiedeten Resolution sich nicht auf die Gesamtsituation in Rhodesien, sondern nur auf die drohende Mißachtung des Embargos beziehen sollte. In der Literatur wird nur vereinzelt auf Resolution SIRES/221 (1966) eingegangen. Dabei kommen Gowlland-Debbas und Tomuschat ebenfalls zu dem Ergebnis, daß die Friedensbedrohung nur durch die Unterstützung des illegitimen Regimes in Rhodesien unter Verstoß gegen das Embargo entstanden sei, nicht durch die Situation in Rhodesien an sich. 36 HeinzlPhilipplWolfrum nehmen hingegen an, die in Resolution SIRES/221 (1966) festgestellte Friedensbedrohung sei durch die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen Rhodesiens mit seinen Nachbarstaaten hervorgerufen worden. 37 Dagegen spricht, daß weder in der Resolution selbst noch in den vorangegangenen Debatten auf die Gefahr internationaler Auseinandersetzungen zwischen Rhodesien und seinen Nachbarn hingewiesen wurde. Die in Resolution SIRES/221 (1966) 34 Resolutionsentwurf von Großbritannien vom 09.04.1966 (UN-Dok. S/7236/Rev. 1). 35 Resolutionsentwurf von Nigeria, Mali und Uganda vom 09.04.1966 (UN-Dok. S/7243). 36 Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 414 f.; Tomuschat, Obligations, S. 337; a. A. Baroni, S. 143; H. Fischer, S. 103, Fn. 7; Worku, S. 16 f. 37 HeinzlPhilipp/Wolfrum, S. 126; s. auch Wolfrum, Aufgaben, S. 6.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
61
festgestellte Friedensbedrohung wurde nach Ansicht des Sicherheitsrates durch die drohende Mißachtung des Embargos verursacht. Diese Mißachtung des vom Sicherheitsrat empfohlenen Embargos stellte sowohl eine Unterstützung des rhodesischen Minderheitsregimes dar als auch eine Beeinträchtigung der Autorität des Sicherheitsrates. 38 b) Resolution SIRESI232 (1966)
Da das in Resolution SlRES1217 (1965) empfohlene Embargo nicht das Ende der Herrschaft des Minderheitsregimes bewirkt hatte, verabschiedete der Sicherheitsrat am 16. Dezember 1966 auf Vorschlag Großbritanniens Resolution SlRES1232 (1966). Mit dieser Resolution beschloß der Rat ein verbindliches Wirtschaftsembargo, nachdem er ausgeführt hatte: "The Security Council,
( ... ),
Deeply concemed that the Council' s efforts so far and the measures taken by the administering Power have failed to bring the rebellion in Southern Rhodesia to an end, ( ... ), Acting in accordance with Articles 39 and 41 ofthe United Nations Charter, I. Determines that the present situation in Southern Rhodesia constitutes a threat to international peace and security; ( ... ). "
In dieser Resolution stellte der Sicherheitsrat zum ersten Mal fest, daß die Situation in Rhodesien an sich eine Friedensbedrohung darstelle. In den Diskussionen wiesen die Staatenvertreter darauf hin, daß die Einstufung der innerstaatlichen Situation Rhodesiens als Friedensbedrohung einerseits auf einer Beurteilung der gegenwärtigen Lage beruhe, andererseits aber auch auf der Tatsache, daß in Resolution SlRES1217 (1965) festgestellt worden sei, daß die Fortdauer der (damaligen) Situation eine Friedensbedrohung darstellen würde, und diese Situation nun über ein Jahr angedauert habe. 39 Es ergibt sich aus den bis zu diesem Zeitpunkt beschlossenen Resolutionen sowie aus der Debatte zu Resolution SlRES/232 (1966), daß der Sicherheitsrat mit der "gegenwärtigen Situation in Rhodesien" die Existenz des weißen Min-
38 Higgins, Problems and Process, S.221; s. zu diesem Aspekt genauer unten S.144. 39 Argentinien (SCOR, 21. Jahr, 1332. Stzg. (09.12.1966), S. 14, Par. 54); Großbritannien (SCOR, 21. Jahr, 1331. Stzg. (08.12.1966), S. 5 f., Par. 22); Pakistan (SCOR, 21. Jahr, 1335. Stzg. (13.12.1966), S. 18, Par. 79).
62
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
derheitsregimes meinte. 40 Die in Resolution SIRES/232 (1996) geäußerte Besorgnis des Rates darüber, daß die Rebellion in Rhodesien noch nicht beendet sei, ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß der Rat in Resolution SIRES1217 (1965) erklärt hatte, daß die Unabhängigkeitserklärung der illegalen Machthaber in Rhodesien eine Rebellion darstelle. In dieser Resolution war die Machtübernahme durch die weiße Minderheit in Rhodesien ausdrücklich verurteilt worden. Resolution SIRES1221 (1966) hatte zum Ausdruck gebracht, daß der Sicherheitsrat eine Unterstützung des Machterhalts des Regimes ablehnte. In der Diskussion vor der Verabschiedung der Resolution SIRES1232 (1966) erläuterte der Vertreter Großbritanniens, das Ziel der von ihm vorgeschlagenen Resolution sei es, die Wirtschaft Rhodesiens so weit zu beeinträchtigen, daß den Mitgliedern des Minderheitsregimes klar werden müsse, daß ihr Land bei einer Fortsetzung ihrer bisherigen Politik keine wirtschaftliche Zukunft habe. 41 Ein anderer Delegierter führte an, daß die Existenz des weißen Minderheitsregimes in Rhodesien den Frieden bedrohe. 42 Schwieriger ist die Frage zu beantworten, warum dieses Minderheitsregime in den Augen des Sicherheitsrates eine Friedensbedrohung darstellte. Hier bieten die Resolutionen, die Debatten im Sicherheitsrat und die Literatur ein Bündel unterschiedlicher Erklärungen an. In den bis zu diesem Zeitpunkt beschlossenen Resolutionen hatte der Schwerpunkt auf der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts des gesamten rhodesischen Volkes durch das Minderheitsregime gelegen. Die Resolutionen SIRES/217 (1995) und SIRES/232 (1966) hatten herausgestellt, daß in Übereinstimmung mit der Generalversammlungsresolution AlRES/1514 (XV)43 das Volk von Rhodesien frei seine Zukunft bestimmen dürfe. Andere Gründe dafür, warum das Minderheitsregime eine Friedensbedrohung darstelle, waren hingegen nicht genannt worden. In der Diskussion vor Verabschiedung der Resolution SIRES/232 (1966) brachte eine Reihe von Delegationen vor, daß die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen werde, daß dem rhodesischen Volk das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten werde. 44 Diese Vorenthaltung könne auch zu einer gefähr-
40 So auch Abellcin Honrobia, S. 6; Farer, Democracy, S. 727; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 8. 41 Großbritannien (SCOR, 21. Jahr, 1331. Stzg. (08.12.1966), S. 3, Par. 12). 42 Argentinien (SCOR, 21. Jahr, 1332. Stzg. (09.12.1966), S. 13 f., Par. 53). 43 "Dec1aration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples" vom 14.12.1960. 44 Jordanien (SCOR, 21. Jahr, 1340. Stzg. (16.12.1966), S.4, Par. 12); Pakistan (SCOR, 21. Jahr, 1335. Stzg. (13.12.1966), S. 18, Par. 80); Vereinigte Staaten (SCOR, 21. Jahr, 1333. Stzg. (12.12.1966), S. 4, Par. 13).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
63
lichen und explosiven Lage in Rhodesien führen. 45 Es wurde aber auch erwähnt, daß das Bestehen des Minderheitsregimes zu Spannungen in der Region führe. 46 In der Literatur können drei Hauptmeinungen festgestellt werden. Eine erste Gruppe von Autoren nimmt an, der Sicherheitsrat habe die Friedensbedrohung in der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts des rhodesischen Volkes gesehen. 47 Andere sind der Auffassung, der Sicherheitsrat habe auf die schweren Menschenrechtsverletzungen in Rhodesien reagiert. 48 Schließlich ist eine dritte Gruppe der Ansicht, daß drohende internationale Auseinandersetzungen für den Sicherheitsrat ausschlaggebend gewesen seien. 49 Zu den Menschenrechtsverletzungen als Grund ist zu bemerken, daß sie weder in der Resolution noch der dazugehörigen Debatte erwähnt wurden. Zwar können die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und ihre mit Zwang verbundene praktische Umsetzung mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergehen, doch sollte dies unter dem speziellen Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts betrachtet werden. Da dieser Aspekt die Willensbildung des Sicherheitsrates dominierte, ist es nicht ratsam, Resolution S/RES1232 (1966) sowie spätere Resolutionen zu Rhodesien als Präzedenzfalle für die Feststellung einer Friedensbedrohung aufgrund schwerer Menschenrechtsverletzungen anzuführen. 50 In bezug auf die Frage, ob die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker oder die drohenden internationalen bewaffneten Auseinandersetzungen für den Sicherheitsrat entscheidend waren, ist zutreffend, daß keiner der genannten Gründe isoliert betrachtet werden kann. Es ist die Kombination dieser beiden tatsächlichen Umstände, die den Sicherheitsrat veranlaßt hat, eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN festzustellen und
Vereinigte Staaten (SCOR, 21. Jahr, 1333. Stzg. (12.12.1966), S. 5, Par. 19). Argentinien (SCOR, 21. Jahr, 1332. Stzg. (09.12.1966), S. 14, Par. 54); Großbritannien (SCOR, 21. Jahr, 1331. Stzg. (08.12.1966), S. 6, Par. 23). 47 Van Boven, S. 16; Damroseh, Changing Conceptions, S. 101; Fifoot, S. 151; Franek, Democratic Governance, S.85; ders., Security COWlcil, S. 96 f.; Gading, S. 99; Gaja, S. 303; Li/lieh, Humanitarian Intervention, S. 564 f.; Tomusehat, Obligations, S. 337. 48 Alston, S. 130; CortenIP. Klein, Autorisation, S. 510; Fink, S. 468; Gallant, S. 905; Gordon, S. 539, Fn. 106; Mattler, S.671; Nkala, S. 167; Verdross/Simma, § 234 (S. 144). 49 Baroni, S. 143; Bothe, Legitimacy, S. 295, Fn. 18; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 21; Higgins, Problems and Process, S. 255; Nowlan, S. 175; Ruzie, S. 87. 50 So auch van Boven, S. 16; Lillieh, Humanitarian Intervention, S. 564 f. 45
46
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
64
Zwangsmaßnahmen zu beschließen. 51 Zwar dominiert im Text der Resolution S/RES/232 (1966) der Aspekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker, doch hätte der Sicherheitsrat diese Resolution nicht beschlossen, wenn nicht auch die Lage in der Region spannungsgeladen gewesen wäre. Insbesondere Großbritannien, das den Resolutionsentwurf eingebracht hatte, betonte diesen Gesichtspunkt: "The action of the Rhodesian Front ( ... ) has brought in its train the most farreaching consequences. The dangers to peace and stability in the whole region of central and southem Africa are acute. Even outside stresses are being created between nations by this issue". 52
In Anbetracht der Tatsache, daß Großbritannien die Anwendung des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen sehr zurückhaltend beurteilt hatte,53 ist es wahrscheinlich, daß der britische Vertreter auch diesmal die Feststellung einer Friedensbedrohung verhindert hätte, wenn nicht die aus seiner Sicht entscheidenden internationalen Auswirkungen vorgelegen hätten. Es erscheint somit zutreffend, nicht einen der Aspekte für allein einschlägig zu halten, sondern davon auszugehen, daß die Kombination dieser beiden Gesichtspunkte den Sicherheitsrat veranlaßte, eine Friedensbedrohung festzustellen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß nach Ansicht des Sicherheitsrates die in Resolution S/RES/232 (1966) festgestellte Friedensbedrohung durch das Bestehen und die Politik des weißen Minderheitsregimes herbeigeführt wurde, da dieses dem rhodesischen Volk in seiner Gesamtheit das Selbstbestimmungsrecht verweigerte und dies zu einer Gefahr internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen in der Region führte. c) Resolution S/RES/253 (1968)
Da das Minderheitsregime in Rhodesien trotz des Wirtschaftsembargos seine Macht erhalten konnte, hatte sich der Sicherheitsrat in den folgenden Jahren wiederholt mit der Situation zu beschäftigen. Die erste Resolution nach 51 So auch Damrosch, Introduction, S. 10; Malanczuk, Humanitarian Intervention,
S. 16. 52
Großbritannien (SCOR, 21. Jahr, 1331. Stzg. (08.12.1966), S. 6, Par. 23).
53 Resolution SIRES/217 (1965), deren Formulierung wesentlich von einem Entwurf Großbritanniens (s. SCOR, 20. Jahr, 1259. Stzg. (13.11.1965), S. 10, Par. 31)
beeinflußt wurde, enthält keine Feststellung einer Friedensbedrohung (s. unten Fn. 43 im 5. Kapitel). Hinsichtlich Resolution SIRES/221 (1966) erwirkte Großbritannien, daß nicht die Situation in Rhodesien, sondern die bevorstehende Mißachtung des Embargos als Friedensbedrohung gekennzeichnet wurde (s. oben S. 58).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
65
Resolution S/RES/232 (1966) war S/RES1253 (1968) vom 29. Mai 1968. In dieser Resolution bekräftigte der Sicherheitsrat ausdrücklich seine Feststellung, daß die Situation in Rhodesien eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle. Neben der Anerkennung der Legitimität des Kampfes des rhodesischen Volkes um sein Selbstbestimmungsrecht, wie es sich aus der Charta der Vereinten Nationen und der Resolution A/RES/1514 (XV) ergebe, wurden in dieser Resolution die Akte der politischen Unterdrükkung, einschließlich Verhaftungen, Verurteilungen und Hinrichtungen, als eine Verletzung der Grundfreiheiten und -rechte des Volkes von Rhodesien verurteilt. Lillich weist darauf hin, daß dies das erste Mal gewesen sei, daß der Sicherheitsrat Menschenrechtsverletzungen in seine Beschreibung der friedensbedrohenden Vorkommnisse aufgenommen habe. Er stellt jedoch zu Recht klar, daß diese Resolution so sehr auf die besondere Situation des Selbstbestimmungsrechts der Völker zugeschnitten gewesen sei, daß ihre Aussagekraft in bezug auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Kontexten problematisch erscheine. 54 Während bemerkenswert ist, daß in Resolution S/RES1253 (1968) Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich verurteilt werden, ist doch weiterhin die Einschätzung zutreffend, daß der Sicherheitsrat diese Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Volkes von Rhodesien und der Gefahr internationaler Feindseligkeiten in der Region sah. d) Weitere Resolutionen
Im Laufe der Jahre stellte der Sicherheitsrat den Aspekt der Gefahr internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen stärker in den Vordergrund. 55 Einen Anlaß dazu bot am 24. Januar 1973 die Beschwerde Sambias, das Regime in Rhodesien führe subversive und Sabotage-Akte auf sambischem Territorium aus und konzentriere Truppen entlang der gemeinsamen Grenze. Der Sicherheitsrat reagierte am 2. Februar 1973 auf die vorgebrachte Beschwerde mit Resolution S/RES/326 (1973), in der er ausführte: "The Security Council,
( ... ),
Gravely concerned at the situation created by the provocative and aggressive acts committed by the illegal regime in Southern Rhodesia against the security and economy of Zambia,
54 Lillich, Humanitarian Intervention, S. 564 f.; a. A. Ritterband, S. 433; Weiss/ Forsythe/Coate, S. 126. 55 Fifoot, S. 150.
5 Lailach
66
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit Reaffirming the inalienable right of the people of Southern Rhodesia (Zimbabwe) to self-detennination and independence in accordance with General Assembly resolution 1514 (XV) of 14 December 1960, and the legitimacy of their struggle to secure the enjoyment of such rights, as set forth in the Charter ofthe United Nations, Recalling its resolution 232 (1966) of 16 December 1966, in which it determined that the situation in Southern Rhodesia constituted a threat to international peace and security, Convinced that the recent provocative and aggressive acts perpetrated by the illegal regime against Zambia aggravate the situation, ( ... ). "
Im operativen Teil der Resolution verurteilte der Sicherheitsrat sowohl die gegen Sambia gerichteten provokativen Handlungen des rhodesischen Regimes als auch die Akte der Unterdrückung des rhodesischen Volkes. Die Resolutionen SlRES/403 (1977) und SlRES/411 (1977) entsprechen in ihrer Struktur der Resolution SlRES/326 (1973). Der Sicherheitsrat erinnerte zunächst an die in Resolution SIRES1232 (1966) enthaltene Feststellung einer Friedensbedrohung und gab dann seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Übergriffe des Minderheitsregimes in Rhodesien auf seine Nachbarstaaten56 die bestehende Situation verschärften. Resolution SlRES/423 (1978) vom 14. März 1978 ist die erste Resolution, in der der Sicherheitsrat nicht aufgrund eines konkreten Zwischenfalls, sondern allgemein feststellte, daß die Existenz des Regimes in Rhodesien den Frieden in der Region bedrohe. Der Rat führte aus: "Reaffirming that the continued existence of the illegal regime in Southern Rhodesia is a source of insecurity and instability in the region and constitutes a serious threat to international peace and security, Gravely concerned over the continued military operations by the illegal regime, including its acts of aggression against neighbouring independent States, ( ... ). "
Schließlich stellte der Sicherheitsrat am 17. März 1978 in Resolution SlRES/424 (1978) die beiden Elemente der durch die Existenz des Regimes hervorgerufenen Friedensbedrohung, nämlich die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der rhodesischen Volkes durch die weiße Minderheit und die Übergriffe auf die Nachbarstaaten, deutlich nebeneinander: "The Security Council,
( ... ),
Gravely concerned at the numerous hostile and unprovoked acts of aggression by the illegal minority regime in Southern Rhodesia violating the sovereignty, air space 56 Botsuana im Falle von Resolution SIRES/403 (1977) und Mosambik bei Resolution SIRES/411 (1977).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
67
and territorial integrity ofthe Republic of Zambia, resulting in the death and injwy of innocent people, as weIl as the destruction of property, and culminating on 6 March 1978 in the anned invasion of Zambia, ReajJirming the inalienable right ofthe people ofSouthem Rhodesia (Zimbabwe) to self-determination and independence in accordance with General Assembly resolution 15 14 (XV) of 14 December 1960, and the legitimacy of their struggle to secure the enjoyment of such rights, as set forth in the Charter of the United Nations, ( ... ),
ReajJirming that the existence of the minority racist regime in Southem Rhodesia and the continuance of its acts of aggression against Zambia and other neighbouring States constitute a threat to international peace and security, ( ... ). "
Entsprechende Feststellungen finden sich in den Resolutionen SlRES/445 (1979) und SlRES/455 (1979). Demgegenüber liegt der Schwerpunkt in Resolution SlRES/448 (1979), in der die von dem Regime durchgeführten Wahlen für null und nichtig erklärt wurden, da sie nicht als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch das ganze rhodesische Volk betrachtet werden könnten, auf der internen Situation in Rhodesien. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß der Sicherheitsrat von Beginn an die Existenz des weißen Minderheitsregimes deshalb für eine Friedensbedrohung hielt, weil dadurch dem rhodesischen Volk in seiner Gesamtheit sein Selbstbestimmungsrecht vorenthalten werde und zudem die Gefahr militärischer Zwischenfälle in der Region bestehe. Dieser zweite Aspekt läßt sich allerdings zunächst nur den Debatten entnehmen. Er tritt im Laufe der Zeit jedoch immer stärker in den Vordergrund und steht schließlich auch im Text der Resolutionen gleichberechtigt neben dem erstgenannten Gesichtspunkt.
6. Südafrika
Der Sicherheitsrat hatte sich erstmals 1960 mit dem System der Apartheid in Südafrika57 befaßt und bei dieser Gelegenheit am 1. April 1960 Resolution SIRES/134 (1960) verabschiedet, in der die Regierung Südafrikas aufgerufen wurde, die Politik der Apartheid und der Rassendiskriminierung aufzugeben. Dieser Resolution folgten zahlreiche weitere, in denen diese Aufforderung
57 s. allgemein zum System der Apartheid Delbrilck, Apartheid, S. 37, der es als ein System definiert, das auf der von der nationalen Rechtsordnung vorgesehenen Diskriminierung und Trennung bestimmter Völker oder Bevölkerungsgruppen wegen ihrer Rasse, Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit beruht.
5"
68
I. Teil: We1tfrieden und internationale Sicherheit
wiederholt wurde. 58 All diese Resolutionen, die in Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen anzusiedeln sind, führten nicht zu einer Änderung der Politik der weißen Minderheitsregierung in Südafrika. Der Sicherheitsrat beschloß daraufhin am 4. November 1977 in Resolution SlRES/418 (1977) ein verbindliches Waffenembargo gegen Südafrika. Zu Beginn dieser Resolution heißt es: "The Security Council, Recalling its resolution 392 (1976) of 19 June 1976, strongly condemning the South African Government for its resort to massive violence against and killings of the African people, inc1uding schoolchildren and students and others opposing racial discrimination, and calling upon that Government urgently to end violence against the African people and to take urgent steps to e1iminate apartheid and racial discrimination, Recognizing that the military build-up by South Africa and its persistent acts of aggression against the neighbouring States seriously disturb the security of those States, ( ... ), Strongly condemning the South African Government for its acts of repression, its defiant continuance of the system of apartheid and its attacks against neighbouring independent States, Considering that the policies and acts of the South African Government are fraught with danger to international peace and security, ( ... ), Acting under Chapter vn ofthe Charter ofthe United Nations, I. Determines, having regard to the policies and acts of the South African Government, that the acquisition by South Africa of arms and re1ated materiel constitutes a threat to the maintenance of international peace and security, ( ... ). "
In dieser Resolution hat der Rat, anders als im Falle Rhodesiens,59 nicht die Existenz der weißen Minderheitsregierung oder des Systems der Apartheid, sondern nur den Erwerb von Waffen und anderem militärischem Gerät durch die Regierung Südafrikas als Friedensbedrohung charakterisiert und so die Notwendigkeit des Waffenembargos begründet. Jedoch ist dieser Erwerb von militärischer Ausrüstung nicht an sich eine Friedensbedrohung, sondern im Hinblick auf "die Politik und die Akte der südafrikanischen Regierung". Aus den vorangehenden Absätzen der Präambel der Resolution SlRES/418 (1977) wird deutlich, daß die "Politik" der Regierung sich auf das System der Apartheid bezieht, das mit Gewalt gegen die Bevölkerung und Rassendiskriminierung verbunden ist. Mit den "Akten" sind die Angriffsakte der Regierung gegen die Nachbarstaaten Südafrikas gemeint. Der Weltfrieden und die 58 59
Einige dieser Resolutionen sind unten, S. 159, dargestellt. s. oben S. 61.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
69
internationale Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN wurden nach Ansicht des Sicherheitsrates durch die Waffenlieferungen an Südafrika bedroht, weil diese Waffen die südafrikanische Regierung in die Lage versetzen würden, sowohl intern das System der Apartheid und den damit einhergehenden Repressionsmechanismus aufrechtzuerhalten, als auch die Aggressionsakte gegen die Nachbarstaaten fortzusetzen. Die Untersuchung der Diskussion, die der Verabschiedung von Resolution SlRES/418 (1977) vorausging, bestätigt, daß der Sicherheitsrat die Friedensbedrohung nicht ausschließlich in der internen Situation Südafrikas oder der Gefahr internationaler militärischer Zwischenfälle sah, sondern in der Kumulation dieser beiden Aspekte. So führte der Generalsekretär der Vereinten Nationen in der Eröffnung der Debatte an, daß die Politik der südafrikanisehen Regierung eine derart massive Verletzung von Menschenrechten und eine so große Gefahr für den internationalen Frieden darstelle, daß eine dem Ernst der Situation angemessene Antwort erforderlich sei. 60 Auch einige Mitglieder des Sicherheitsrates betonten, es gehe um die Politik der Apartheid und die Angriffe Südafrikas auf seine Nachbarn. 61 In der Literatur wird Resolution SlRES/418 (1977) unterschiedlich aufgefaßt. Einige Autoren vertreten die Meinung, der Sicherheitsrat habe die in dieser Resolution festgestellte Friedensbedrohung ausschließlich62 oder überwiegend63 in der Bedrohung der Nachbarstaaten durch die südafrikanische Regierung gesehen. Demgegenüber ist eine zweite Gruppe der Auffassung, in den Augen des Sicherheitsrates habe die Friedensbedrohung in dem System der Apartheid und den dadurch bedingten schweren Menschenrechtsverletzungen gelegen. 64 Dies war jedoch genauso wenig wie die internationalen Zwischenfälle der ausschließliche Grund. Vielmehr stehen in Resolution SlRES/418 (1977) die "policies" und die "acts", also die Politik der Apartheid und die gegen Nachbarstaaten gerichteten Angriffsakte, gleichwertig nebeneinander. Mithin ist den Autoren zuzustimmen, die den Sicherheitsrat dahin60 UN-Generalsekretär Waldheim (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 1, Par. 6). 61 Großbritannien (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.l977), S. 4, Par. 41 f.); Pakistan (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 6, Par. 68); Rumänien (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 3 f, Par. 33). 62 Bailey, S. 313; Bothe, Legitirnacy, S. 294 f; Frowein, in: Sirnrna, Art. 39, Rz. 8.; Gaja, S. 303 f 63 Van Boven, S. 17. 64 Abellan Honrubia, S.6; CorteniP. Klein, Autorisation, S. 513 f; Damroseh, Changing Conceptions, S. 101; Gallant, S. 905; Li/lieh, Humanitarian Intervention, S. 564 f; Mattler, S. 673; Weiss/Forsythe/Coate, S. 126 f
70
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
gehend verstehen, daß die Kumulation dieser beiden Aspekte die Friedensbedrohung ausmachte. 65 Angesichts dieser Doppelstrategie des Sicherheitsrates kann nicht festgestellt werden, ob auch einer der beiden Aspekte alleine nach Ansicht des Rates die Feststellung einer Friedensbedrohung gerechtfertigt hätte. 66 In späteren Resolutionen wurde der eine oder der andere dieser beiden Aspekte betont, je nachdem aus welchem Anlaß die Resolution verabschiedet wurde. Es ist bemerkenswert, daß der Sicherheitsrat in den Resolutionen, die sich angesichts interner Vorfälle in Südafrika ausschließlich gegen das System der Apartheid wandten, dieses System zwar ausdrücklich als schwere Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verurteilte und seine Abschaffung forderte, es aber nie an sich als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN charakterisierte. Ein gutes Beispiel für diese Kategorie von Resolutionen, in denen das Apartheidsystem nur als Friedensgefahrdung im Sinne des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen eingestuft wurde, ist Resolution SIRES/473 (1980) vom 13. Juni 1980: "The Security Council, ( ... ), ReajJirming its recognition of the legitirnacy of the struggle of the South African people for the elimination of apartheid and the establishment of a democratic
society in accordance with their inalienable human and political rights as set forth in the Charter of the United Nations and the Universal Declaration of Human Rights, ( ... ), 3. ReajJirms that the policy of apartheid is a crime against the conscience and dignity of mankind and is incompatible with the rights and dignity of man, the Charter ofthe United Nations and the Universal Declaration ofHuman Rights, and seriously disturbs international peace and security; ( ... ); S. Calls upon the Government of South Africa urgently to end violence against the African people and to take urgent measures to eliminate apartheid; ( ... ). "
Hingegen wurden die militärischen Übergriffe Südafrikas auf Angola am 28. März 1979 in Resolution S/RES/447 (1979) als Friedensbedrohung beschrieben:
65 Alston, S. 130; Baroni, S. 144; Damrosch, Introduction, S. 10; Fifoot, S. 151 f.; Franck, Fairness, S. 230; Gading, S. 100; Heintze, Res. 688, S.44; Nowlan, S. 166; Tomuschat, Obligations, S. 338; Worku, S. 20. 66 . Tomuschat, Obligations, S. 338.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
71
"The Security Council, ( ... ), 1. Condemns strongly the racist regime of South Africa for its premeditated, persis-
tent and sustained armed invasions ofthe Peop1e's Republic of Angola, which constitute a flagrant violation of the sovereignty and territorial integrity of that country as well as a serious threat to international peace and security; ( ... ). "
Eine entsprechende Feststellung findet sich auch in den Resolutionen SIRES/571 (1985), SIRES/577 (1985) und SIRES/602 (1987). Die in diesen Resolutionen beschriebene Friedensbedrohung bestand in der Anwendung internationaler Gewalt durch Südafrika gegen Angola. 7. Irak - Kuwait
Die Resolutionen des Sicherheitsrates, die sich mit der Besetzung Kuwaits durch den Irak befassen, enthalten keine Feststellung einer Friedensbedrohung. Stattdessen stellte der Sicherheitsrat in Resolution S/RES/660 (1990) einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fest. 67 Auf dieser Feststellung beruhen auch die Folgeresolutionen. 68 Der Sicherheitsrat sah sich drei Jahre später veranlaßt, sich erneut mit der Situation zu befassen. Im Oktober 1994 konzentrierte der Irak Truppen an der Grenze zu Kuwait. 69 Der Sicherheitsrat reagierte darauf am 15. Oktober 1994 mit SIRES/949 (1994), in der er ausführte: "The Security Council, Recognizing that any hostile or provocative action directed against its neighbours by the Government of Iraq constitutes a threat to peace and security in the region, Determined to prevent Iraq from resorting to threats and intimidation of its neighbours and the United Nations,
s. oben S. 51. Es ist Praxis des Sicherheitsrates, bei Folgeresolutionen auf die Feststellung gemäß Art. 39 ChVN zu verzichten, soweit die Umstände, die zu der Feststellung veranlaßten, weiterhin bestehen und keine neuen Aspekte hinzugetreten sind; s. alle den Konflikt zwischen dem Irak und Kuwait und dessen Folgen betreffenden Resolutionen ab SIRES/661 (1990), die Resolutionen SIRES/724 (1991 ), SIRES1771 (1992), SIRES/819 (1993), SIRES/820 (1993), SIRES/824 (1993), SIRES/844 (1993), SIRES/847 (1993), SIRES/970 (1995), SIRES/98I (1995), SIRES/987 (1995), SlRES/990 (1995), SIRES/994 (1995), SlRES/1004 (1995), SlRESIl009 (1995) und SlRESIl026 (1995) zum Jugoslawien-Konflikt und Resolution SIRES/878 (1993) in bezug auf Somalia. Zu der kontrovers diskutierten Frage, ob Resolution SIRES/687 (1991) die Feststellung einer Friedensbedrohung enthalte, s. (ablehnend) unten S. 278. 69 Zum Sachverhalt s. AdG Bd. 64 (1994), S. 39368-39371. 67
68
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
72
Acting under Chapter vn ofthe Charter ofthe United Nations, ( ... )."
Im operativen Teil der Resolution forderte der Sicherheitsrat vom Irak, seine militärischen Einheiten zu ihren ursprünglichen Stellungen zurückzuziehen und zukünftig derartige feindselige oder provokative Manöver zu unterlassen. Die in Resolution SlRES/949 (1994) enthaltene Feststellung einer Friedensbedrohung bezieht sich auf die gegen den Nachbarstaat Kuwait gerichteten feindseligen und provozierenden militärischen Aktionen des Irak. Nach Ansicht des Sicherheitsrates lag eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit vor, weil der Irak seine Truppen an der Grenze zu Kuwait konzentriert hatte und die Gefahr eines internationalen militärischen Zwischenfalls oder gar Konflikts bestand. 8. Irak (Kurden)
Nach der Niederlage der irakisehen Truppen gegen die Koalition an der Seite Kuwaits begannen im März 1991 Aufstände der Schiiten im Südirak und der Kurden im Norden des Landes. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen wurden die kurdischen Aufständischen von Regierungseinheiten zurückgeschlagen. Die irakisehen Truppen vertrieben auch die kurdische Zivilbevölkerung aus ihren Siedlungsgebieten. Etwa zwei bis drei Millionen Menschen flohen aus ihrer Heimat in das Hochgebirge in den nördlichen Grenzregionen des Irak. An der Grenze zur Türkei hielten sich circa 250.000 Kurden auf; an der iranisch-irakischen Grenze wurden mindestens 500.000 Flüchtlinge gezählt. 70 Auf Antrag der Türkei/ 1 Frankreichs72 und des Iran73 sah sich der Sicherheitsrat am 5. Mai 1991 veranlaßt, die Resolution SlRES/688 (1991) zu verabschieden, in der die Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung verurteilt und der Irak ersucht wurde, diese Unterdrückung zu beenden und einen offenen Dialog zu beginnen. Der Rat bestand darauf, daß der Irak internationalen
70
71
Dok. n Dok. 73
Dok.
s. AdG Bd. 61 (1991), S. 35500-35502 u. 35563 f. Brief der Türkei vom 02.04.1991 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UNS/22435), S. 1. Brief Frankreichs vom 04.04.1991 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UNS/22442), S. 1. Brief des Iran vom 04.04.1991 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UNS/22447), S. 1.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
73
humanitären Hilfsorganisationen Zugang zu den Bedürftigen gewähre. 74 Unter anderem heißt es in der Resolution: "The Security Council,
( ... ),
Gravely concerned by the repression of the Iraqi civilian population in many parts ofIraq, including most recently in Kurdish-populated areas, which led to a massive flow of refugees towards and across international frontiers and to cross-border incursions which threaten international peace and security in the region, ( ... ), 1. Condemns the repression of the Iraqi civilian population in many parts of Iraq, including most recently in Kurdish-populated areas, the consequences of which threaten international peace and security in the region; ( ... ). "
Es wird kontrovers diskutiert, in welcher Sachlage der Sicherheitsrat die Friedensbedrohung75 erblickt habe. Eine Reihe von Autoren vertritt die Auffassung, die Unterdrückung der Zivilbevölkerung an sich, insbesondere der Kurden, habe für den Rat die Friedensbedrohung dargestellt. 76 Es sei dies das erste Mal, abgesehen von den speziell gelagerten Fällen Südafrikas und Südrhodesiens, daß der Sicherheitsrat schwere Menschenrechtsverletzungen innerhalb eines Staates als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN gekennzeichnet habe. 77 74 Es kann hier nicht der Frage nachgegangen werden, ob der Sicherheitsrat durch diese Forderungen in die Angelegenheiten der inneren Zuständigkeit des Irak eingegriffen hat. S. dazu Djiena Wembou, Buchbesprechung, S. 477, der der Auffassung ist, der Sicherheitsrat habe gegen Art. 2 Ziff. 7 Ch VN verstoßen. Anderer Ansicht sind Kramer, S. 105; Franck, Fairness, S. 236 f; A. Roberts, S.438; Schachter, Gulf Conflict, S. 468 f 75 Obwohl sich der Sicherheitsrat nur "schwer besorgt" zeigte, liegt eine Feststellung im Sinne des Art. 39 ChVN vor; so auch Alston, S. 145; Baroni, S. 142; Delbrück, Humanitarian Intervention, S. 895 f; ders., Wirksameres Völkerrecht, S. 104; Heintze, Res. 688, S. 44; Malanczuk, Kurdish Crisis, S. 129; Nanda, S. 306; SchejJer, Use of Force, S. 146; Sorel, Devoir d'ingerence, S. 107; WeckeI, S. 194; a. A. Greenwood, Humanitarian Intervention, S. 36; Marauhn, Aktionen, S. 21; Zacklin, Crise du Golfe, S. 73. S. zur Begründung unten Fn. 140. 76 Van Boven, S. 21 f; Corten, S. 121; Damrosch, Nationalism, S. 495; R.-J. Dupuy, Droit d'ingerence, S. 275; Eddine Ghozali, S. 86; Freudenschuß, Changing Role, S. 158; HeinziPhilipplWolfrum, S. 126; Herdegen, S. 104 u. 115; Hilaire, S. 89; Nafziger, S. 31; Partsch, Solidarität, S. 475; PeaselForsythe, Human Rights, S. 303; dies., Humanitarian Intervention, S. 12; RandelzhoJer, Neue Weltordnung, S. 57; Rodley, S.31; Schilling, S. 73 f; Seidel, S. 57 f; Stein, Enforcement, S. 114 f; Weissl ForsythelCoate, S. 72 u. 127; White, S. 37; Wolfrum, Aufgaben, S. 6; s. auch die Erklärung des deutschen Außenministers Genscher vor dem Deutschen Bundestag am 17.04.1991, abgedruckt in: EA Bd. 46 (1991), S. D235 (D237). 77 PeaselForsythe, Human Rights, S. 303; Rodley, S. 32; Stein, Enforcement, S. 114 f; WeisslForsythelCoate, S. 127.
74
1. Teil: Weltfrieden lUld internationale Sicherheit
Dem wird entgegengehalten, der Sicherheitsrat habe nicht die Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Irak, sondern nur deren internationale Auswirkungen als Friedensbedrohung charakterisiert. Diese Auswirkungen seien insbesondere in den grenzüberschreitenden Flüchtlingsströmen und den dadurch hervorgerufenen Spannungen zwischen dem Irak und seinen Nachbarstaaten Türkei und Iran zu sehen. Es sei in diesem Zusammenhang auch schon zu Grenzzwischenfällen gekommen. 78 Tomuschat erkennt in Resolution SlRES/688 (1991) eine Doppelstrategie des Sicherheitsrates, sowohl die Menschenrechtsverletzungen als auch die Flüchtlingsströme zu nennen und die Friedensbedrohung in der Kombination dieser beiden Elemente auszumachen. 79 Bereits der Wortlaut der Resolution SlRES/688 (1991) gibt der zweitgenannten Interpretation recht. In dem zitierten operativen Absatz wird ausdrücklich nicht die Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung, sondern nur deren Konsequenzen als Friedensbedrohung angeführt und verurteilt. In der Präambel werden diese Konsequenzen näher geschildert als umfangreiche Flüchtlingsströme zu und über internationale Grenzen sowie als Grenzzwischenfälle. Eine gleichlautende Argumentation findet sich auch in den Bitten der Türkei, Frankreichs und des Iran80 um eine Sitzung des Sicherheitsrates im Hinblick auf die Situation im Irak. In der Debatte im Sicherheitsrat ist von den Befürwortern des Resolutionsentwurfs betont worden, daß die Flüchtlingsströme und die Grenzzwischenfälle die Friedensbedrohung herbeigeführt hätten. Es gehe nicht darum, sich in die inneren Angelegenheit des Irak einzumischen, sondern darum, eine Bedrohung des Friedens und der Stabilität in der Region abzuwenden. 81 Keiner
78 Alston, S. 132; Baroni, S. 144; Bothe, Legitimacy, S. 294 f.; CortenIP. Klein, Droit d'ingerence, S.226-230; dies., Autorisation, S. 512 f; Daems, S.268; Damrosch, Changing Conceptions, S. 103; Gaja, S. 304 f.; Gordon, S. 548; Heintze, Res. 688, S.44; Higgins, Problems and Process, S.256; Kimminich, S. 451; Kooijmans, S. 114; Lillich, Humanitarian Intervention, S. 565 f; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 17 f; Nowlan, S. 175; Simma, Legal Basis, S. 142; Sonnenhol, S. 150 f; Stromseth, S. 98; Wengier, New World Order, S. 123 f; WhitelMcCoubrey, S. 358; Worku, S. 24. 79 Tomuschat, Obligations, S. 250 u. 338 f; älmlich auch Otunnu, S. 599. 80 s. oben Fn. 71 bis 73. 81 Belgien (UN-Dok. SIPY. 2982, S. 67); Cöte d'Ivoire (UN-Dok. SIPV. 2982, S.41); Ecuador (UN-Dok. SIPY. 2982, S.36); Frankreich (UN-Dok. SIPV.2982, S. 53); Großbritannien (UN-Dok. SIPV.2982, S. 64); Iran (UN-Dok. SIPV.2982, S. 13); Österreich (UN-Dok. SIPY. 2982, S. 56); Rumänien (UN-Dok. SIPY. 2982, S.22 u. 24); Türkei (UN-Dok. SIPY. 2982, S. 7 f); UdSSR (UN-Dok. SIPY. 2982,
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
75
der den Resolutionsentwurf unterstützenden Mitglieder des Sicherheitsrates behauptete, die Unterdrückung der irakisehen Zivilbevölkerung stelle an sich eine Friedensbedrohung dar. Bezeichnend ist eine Bemerkung des Vertreters Ecuadors: "It might perhaps have been a question of internal jurisdiction in Iraq, if the situation had not gone beyond the borders of the country. ( ... ) The human pressures that the displaced communities of over 1 million people are exerting on those borders constitute, my delegation believes, a threat to international peace and security.,,82
Die Gegner des Resolutionsentwurfs waren der Ansicht, die durch die Flüchtlingsströme herbeigeführten internationalen Auswirkungen hätten nicht den Grad einer Friedensbedrohung erreicht. 83 Das bestehende humanitäre Problem dürfe nicht durch den Sicherheitsrat, sondern nur durch die dafür zuständigen Organe der Vereinten Nationen behandelt werden. 84 Die die Resolution tragende Mehrheit der Mitglieder des Rates war jedoch der Ansicht, es liege eine Friedensbedrohung vor, die allerdings nicht durch die im Irak stattfindenden massiven Menschenrechtsverletzungen, sondern durch die dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme und deren internationale Implikationen entstanden sei. Im übrigen wird diese Auslegung durch eine Debatte bestätigt, die sich einige Zeit später im Sicherheitsrat abspielte. Es wurde darum gestritten, ob der Rat Herrn van der Stoel, der als Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einen Bericht über die Lage der Menschenrechte im Irak angefertigt hatte, einladen dürfe, vor dem Sicherheitsrat zu berichten. Die Zuständigkeit des Rates zur Behandlung von Menschenrechtsfragen wurde von einigen seiner Mitglieder bestritten. Der Vertreter Indiens führte in diesem Zusammenhang aus: "The Council can focus its legitimate attention on the threat or like1y threat to peace and stability in the region but it cannot discuss human ri§!tts situations per se or make recommendations on matters outside its competence." 5
Der ecuadorianische Delegierte, der zuvor für Resolution SlRES/688 (1991) gestimmt hatte, bemerkte: S.59 u. 61); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPY. 2982, S.58); Zaire (UN-Dok. SIPY. 2982, S. 38). 82 Ecuador (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 36). 83 Indien (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 62); Jemen (UN-Dok. SIPY. 2982, S. 27); Simbabwe (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 32). 84 China (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 56); Indien (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 63); Kuba (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 46); Simbabwe (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 31). 85 Indien (UN-Dok. SIPY. 3105, S. 6).
76
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit "( ... ) since the Security Council does not have competence in matters relating to human rights, it would not be possible for it either to examine the report ofMr. van der Stoel ( ... ) or to take a stand on it. ( ... ) Ecuador therefore understands that the invitation to Mr. van der Stoel does not in any way afTect or increase the normal authority of the Council, because this invitation falls within the scope of aresolution already adopted, and should be understood to reflect all the !imitations inherent in that resolution itself. ,,86
Schließlich ließ der Vertreter Chinas keinen Zweifel daran, daß er gegen Resolution SlRES/688 (1991) gestimmt hätte, wenn dieser zu entnehmen gewesen wäre, daß der Sicherheitsrat die Verletzung der Menschenrechte an sich als Friedensbedrohung betrachte: "The Chinese delegation is of the view that the competence of the Security Council is to deal with matters bearing upon international peace and security. Questions of human rights ought to be dealt with by the Commission on Human Rights. ,,87
Als Ergebnis der Analyse der Resolution SlRES/688 (1991) ist festzuhalten, daß die in dieser Resolution enthaltene Feststellung einer Friedensbedrohung sich auf die internationalen Auswirkungen - in Form der grenzüberschreitenden Flüchtlingsströme und Grenzzwischenf,ille - der Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung bezieht. 9. Libyen
Zwei libysche Geheimdienstagenten standen in dem Verdacht, den Absturz einer Boeing 747 auf Flug Pan Am 103 am 21. Dezember 1988 über Lockerbie (Schottland) herbeigeführt zu haben. Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens forderten von Libyen, die beiden Beschuldigten auszuliefern, Zugang zu Zeugen und Beweismaterial zu gestatten und eine angemessene Entschädigung zu zahlen. 88 Des weiteren wurde Libyen von Frankreich verdächtigt, in den Absturz einer DC-lO auf Flug Union de transports 772 am 19. September 1989 über dem Niger verwickelt gewesen zu sein. Frankreich verlangte von Libyen, sämtliches Beweismaterial herauszugeben und den Zugang zu allen in Frage kommenden Zeugen zu gewähren. 89 ÜberEcuador (UN-Dok. SfPY. 3105, S. 8 fT.). China (UN-Dok. SfPV. 3105, S. 12). 88 Brief Großbritanniens vom 20.12.1991 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/23307), S. 9; Brief der Vereinigten Staaten vom 20.12.1991 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/23308), S. 2. 89 Brief Frankreichs vom 20.12.1991 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/23306), S. 2. 86
87
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
77
dies forderten alle drei Regierungen gemeinsam, daß Libyen sich definitiv verpflichten müsse, sämtliche terroristischen Aktivitäten und die Unterstützung terroristischer Gruppen zu beenden. 9O Der Sicherheitsrat machte sich diese Forderungen am 21. Januar 1992 in Resolution S/RES/731 (1992) zu eigen. Während diese Resolution keine Feststellung einer Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN enthält,91 heißt es darin doch, daß alle Staaten das Recht hätten, ihre Staatsangehörigen vor Akten des internationalen Terrorismus zu schützen, die eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellten. Der Sicherheitsrat bekräftigte seine Entschlossenheit, den internationalen Terrorismus zu unterdrücken, und drängte in diesem Zusammenhang Libyen, den Aufforderungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs Folge zu leisten. Auf das Untätigbleiben Libyens reagierte der Sicherheitsrat am 31. März 1992 mit der Verabschiedung der Resolution S/RES/748 (1992), in der es unter anderem heißt: "The Security Council,
( ... ),
Convinced that the suppression of acts of international terrorism, including those in which States are directiy or indirectiy involved, is essential for the maintenance of international peace and security, ( ... ),
Reaffirming that, in accordance with the principle in Article 2, paragraph 4, of the Charter of the United Nations, every State has the duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in terrorist acts in another State or acquiescing in organized activities within its territory directed towards the commission of such acts, when such acts involve a threat or use of force, Determining, in this context, that the failure by the Libyan Government to demonstrate by concrete actions its renunciation of terrorism and in particular its continued failure to respond fully and effectively to the requests in resolution 731 (1992) constitute a threat to international peace and security, ( ... ). "
Im operativen Teil der Resolution entschied der Sicherheitsrat, daß die libysche Regierung nun ohne weitere Verzögerung den Forderungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs Folge leisten müsse. 92 Zur 90 Brief Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten vom 20.12.1991 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/23309), S. 3. 91 Delon, S. 469; Stein, Lockerbie, S. 217; White, S. 47; a. A. Aust, S. 470; Reisman, Constitutional Crisis (AJIL), S. 87; ders., Constitutional Crisis (ADI), S. 408. 92 Es soll hier nicht die kontrovers diskutierte Frage untersucht werden, ob der Sicherheitsrat zu dieser Maßnahme befugt war; s. dazu Bowett, Impact, S. 92; Caron,
78
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Durchsetzung dieser Pflicht beschloß der Rat ein am 15. April 1992 wirksam werdendes Wirtschaftsembargo, das den Flugverkehr von und nach Libyen und den Handel mit militärischen Gütern betraf. Zudem wurden alle Staaten verpflichtet, das bei ihnen akkreditierte libysche diplomatische und konsularische Personal zu verringern und dessen Bewegungsfreiheit einzuschränken. Das Wirtschaftsembargo wurde vom Sicherheitsrat am 11. November 1993 durch Resolution S/RES/883 (1993) auf den Handel mit Öl und Ölprodukten sowie auf ein Einfrieren der Auslandsguthaben Libyens ausgedehnt. In dieser Resolution findet sich eine nahezu identische Feststellung der Friedensbedrohung. Gemäß der in Resolution S/RES/748 (1992) enthaltenen Feststellung liegt die Friedensbedrohung in der Weigerung Libyens, durch konkrete Taten deutlich zu machen, daß es dem Terrorismus entsagt habe, und insbesondere in der Weigerung dieses Staates, den Aufforderungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs in vollem Umfange nachzukommen. Die Nichterfüllung der Forderungen der drei genannten Staaten durch Libyen wird nicht in einer isolierten Betrachtungsweise als Friedensbedrohung gekennzeichnet. Vielmehr ist die Erfüllung der Forderungen als ein besonders relevantes Beispiel für eine konkrete Tat zu verstehen, durch die Libyen die Beendigung seiner Unterstützung des internationalen Terrorismus veranschaulichen könnte, die auszuführen es sich aber weigert. Die Friedensbedrohung besteht nach Ansicht des Sicherheitsrates darin, daß aus der Weigerung Libyens, den Aufforderungen Folge zu leisten, nur geschlossen werden könne, daß dieser Staat weiterhin den internationalen Terrorismus unterstütze. Es ist also nicht die Weigerung an sich die Friedensbedrohung, sondern die fortdauernde Unterstützung des internationalen Terrorismus, für die die Weigerung ein Indiz ist. Für dieses Verständnis spricht der Zusammenhang, in dem die Feststellung der Friedensbedrohung in Resolution S/RES/748 (1992) steht. In der Präambel gab der Sicherheitsrat seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Unterdrückung des staatlich unterstützten Terrorismus wesentlich für die Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sei. Er bekräftigte die sich aus Art. 2 ZifI. 4 ChVN ergebende Verpflichtung der Staaten, keine terroristischen Handlungen durchzuführen oder zu unterstützen. 93 Der Sicherheitsrat setzte dadurch staatlich unterstützte Terrorakte auf eine Stufe mit militäriS.554; Fromuth, S.355; Harper, S. ISS; Rashkow, S.313; Sorel, Ordonnances, S.721. 93 Abellan Honrubia, S. 9, weist daraufhin, daß der Sicherheitsrat nahezu wörtlich die in Resolution AlRES/2625 (XXV) (s. dazu unten Fn. 32 im 6. Kapitel) enthaltene Formulierung übernommen hat.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
79
sehen Akten eines Staates. Der Hinweis auf das völkerrechtliche Gewaltverbot macht deutlich, daß der Sicherheitsrat die friedensbedrohende Wirkung staatlich unterstützter internationaler Terrorakte nicht darin erblickte, daß die Zielstaaten sich zu bewaffneten Gegenmaßnahmen herausgefordert fühlen könnten, sondern darin, daß bereits der Terrorakt an sich, der im Widerspruch zu Art. 2 Ziff. 4 ChVN steht, den Weltfrieden beeinträchtigt. Die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wird mit der Unterstützung des internationalen Terrorismus durch einen Staat in Verbindung gebracht, jedoch an keiner Stelle mit der Weigerung eines Staates an sich, seine Staatsangehörigen auszuliefern oder Beweismaterial und Zeugen zugänglich zu machen. Auch in der der Verabschiedung von Resolution SIRES1748 (1992) vorangegangenen Debatte stellte kein Mitglied des Sicherheitsrates auf den letztgenannten Aspekt ab. Mehrere Staatenvertreter machten jedoch deutlich, daß der internationale Terrorismus und dessen staatliche Unterstützung eine Friedensbedrohung darstellten. 94 Aus diesen Gründen ist die in der Literatur zu findende Auffassung, der Sicherheitsrat habe in einer isolierten Betrachtung die Weigerung Libyens, seine Staatsangehörigen auszuliefern und Beweismaterial und Zeugen zugänglich zu machen, als Friedensbedrohung gekennzeichnet,95 abzulehnen. Der von einigen Autoren96 gezogenen Schlußfolgerung, eine solche Weigerung könne nicht den Weltfrieden bedrohen und die Feststellung der Friedensbedrohung sei daher sehr zweifelhaft, fehlt daher die tatsächliche Grundlage. Der Sicherheitsrat hat jedoch auch nicht pauschal den internationalen Terrorismus als Friedensbedrohung gekennzeichnet. 97 Zutreffend ist, daß der Rat in der fortdauernden Unterstützung des internationalen Terrorismus durch Libyen, die durch die Weigerung dieses Staates, den Aufforderungen Großbritanniens, der
94 Frankreich (UN-Dok. SIPy. 3063, S. 73); Österreich (UN-Dok. SIPy. 3063, S. 77); Ungarn (UN-Dok. SIPy. 3063, S. 76); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV. 3063, S. 66). 95 Abellan Honrobia, S. 12; Andres Saenz de Santa Maria, S. 338; Conforti, Pouvoir discretionnaire, S. 60; Dinstein, War, S. 292; Herdegen, S. 115 u. 116 f.; Marschang, S. 71; Mattler, S.686; Otunnu, S.599; Stein, Diskussionsbeitrag, S. 169; Szasz, Enforcement, S. 23. 96 Conforti, Pouvoir discretionnaire, S. 60; Graefrath, Libyan Case, S. 196; Kooijmans, S. 117; Marschang, S. 71; Szasz, Enforcement, S. 23; sowie Richter Bedjaoui in seiner abweichenden Meinung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (S. 43, Par. 21). 97 So aber Beveridge, S. 912; Freudenschuß, Article 39, S. 18; Fromuth, S. 355.
80
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs nachzukommen, indiziert werde, als Friedensbedrohung charakterisiert hat. 98 10. Liberia
Nach dem Sturz und der Ermordung von Präsident Samuel Doe am 10. September 1990 eskalierte der in Liberia seit Beginn dieses Jahres99 ausgetragene Bürgerkrieg. Es kam zum vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung und aller staatlichen Strukturen, zu hohen Verlusten an Menschenleben und zu massiven Flüchtlingsströmen. Während die Interimsregierung von Liberia lediglich die Hauptstadt Monrovia unter Kontrolle hatte, wurde der Rest des Landes von zwei feindlichen Rebellenbewegungen, der "National Patriotic Front of Liberia" (NPFL) und dem "United Liberation Movement of Liberia for Democracy" (ULIMO) , beherrscht. Die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), eine Regionalorganisation, der Liberia angehörte, bemühte sich um eine friedliche Lösung des Konflikts. In diesem Zusammenhang entsandte sie eine Friedenstruppe, die "ECOWAS Cease-fire Monitoring Group" (ECOMOG). lOO Am 19. November 1992 reagierte der Sicherheitsrat auf die Bitten Liberias 101 und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten102 mit der Verabschiedung der Resolution SIRES1788 (1992), die den Beschluß eines umfassenden Waffenembargos enthält. Zu Beginn dieser Resolution heißt es: "The Security Council,
( ... ),
Detennining that the deterioration of the situation in Liberia constitutes a threat to international peace and security, particularly in West Africa as a whole, ( ... )"
98 So auch Richter Dda in seiner Erklärung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising [rom the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (S. 17); sowie Arcari, S. 945; Drihuela Calatayud, S. 407 f; Rubin, S. 10; Schilling, S. 74; Schreuer, S. 162; Stein, Lockerbie, S. 222 f; Tomuschat, Lockerbie, S. 47; Torres Bemtirdez, S. 749. 99 s. AdG Bd. 60 (1990), S. 3413l. 100 Zum Konfliktverlauf s. AdG Bd. 60 (1990), S. 34863-34866, und AdG Bd. 62 (1992), S. 37453 f; sowie Wippman, S. 160-175. 101 Brief Liberias vom 18.11.1992 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UNDok. S/24825). 102 Brief Benins vom 28.10.1992 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. S/24735), S. l.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
81
Eine ähnliche Feststellung traf der Rat auch in der Folgeresolution, Resolution SIRES/813 (1993) vom 26. März 1993: "The Security Council,
( ... ),
Determining that the deterioration of the situation in Liberia constitutes a threat to international peace and security, particularly in this region ofWest Africa, ( ... ). "
In diesen Feststellungen wurde die Situation in Liberia, also der dort herrschende Bürgerkrieg und der faktische Zusammenbruch der Staatsgewalt, als Friedensbedrohung beschrieben. Dabei wurden die Auswirkungen auf die westafrikanische Region besonders herausgestellt. In den Debatten betonten die Vertreter Liberias und anderer afrikanischer Staaten die bestehende Gefahr des Übergreifens des bewaffneten Konflikts auf die Nachbarstaaten Liberias. Es gebe Hunderttausende von Flüchtlingen und einen stark expandierenden Waffenmarkt in der Region. 103 Überdies hätten bereits bewaffnete Übergriffe auf das Staatsgebiet von Sierra Leone stattgefunden. I 04 Es kann festgestellt werden, daß der Sicherheitsrat im Falle Liberias die Friedensbedrohung in der Bürgerkriegssituation und deren internationalen Auswirkungen gesehen hat. 105
11. Somalia
a) Resolution SlRESI733 (1992)
Nach dem Sturz von Präsident Siad Barre im Januar 1991 106 begann ein Machtkampf verschiedener Clans und Banden in Somalia. Schwere bewaffnete Auseinandersetzungen im ganzen Land führten zu hohen Verlusten unter der Zivilbevölkerung und weitreichender Zerstörung der Infrastruktur. Sämtliche staatlichen Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in Somalia brachen zusammen. Die verschiedenen Landesteile wurden von unterschiedlichen Clans
103 Liberia (UN-Dok. SIPV.3138, S. 13 u. 18); Senegal (UN-Dok. SIPv. 3138, S. 22); Sierra Leone (UN-Dok. SIPv. 3138, S. 49). 104 Sierra Leone (UN-Dok. SIPv. 3138, S. 49). 105 So auch Greenwood, Humanitarian Intervention, S. 37; a. A. Marauhn, Aktionen, S. 23; und Schilling, S. 74, die nur auf die interne Lage abstellen. 106 s. AdG Bd. 61 (1991), S. 35296.
6 Lailach
82
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
kontrolliert. Erschwerend kam hinzu, daß plündernde und raubende Banden in Somalia umherzogen. I 07 Der Sicherheitsrat begann im Januar 1992, sich mit der Situation in Somalia zu befassen. Am 23. Januar verabschiedete er Resolution SIRES1733 (1992), in der er die Parteien aufforderte, die Auseinandersetzungen zu beenden, an alle Mitgliedstaaten appellierte, jede spannungssteigernde Handlung zu unterlassen, und die Verhängung eines umfassenden Waffenembargos beschloß. In der Präambel der Resolution führte der Rat aus: "The Secun·ty Council,
C···),
Gravely alarmed at the rapid deterioration of the situation in Somalia and the heavy loss of human life and widespread material damage resulting from the conflict in the country and aware of its consequences on stability and peace in the region, Concemed that the continuation of this situation constitutes, as stated in the report ofthe Secretary-General, a threat to international peace and security, C···)·"
Die Auslegung der zitierten Passage aus Resolution SIRES1733 (1992) muß sich allein auf den Wortlaut stützen, da der Verabschiedung der Resolution keine Debatte vorausging. lOS Aus dem Wortlaut ergibt sich, daß die Friedensbedrohung lO9 aus der Sicht des Sicherheitsrates durch eine Reihe verschiedener Umstände herbeigeführt wurde. Genannt wird die Situation in Somalia, insbesondere der durch den Konflikt herbeigeführte hohe Verlust an Menschenleben und Sachwerten. Des weiteren wies der Sicherheitsrat auch auf die Auswirkungen des Konflikts in der Region hin, ohne diese allerdings näher zu erläutern. llo Resolution SIRES1733 (1992) läßt sich entnehmen, daß die Friedensbedrohung nach Ansicht des Sicherheitsrates sowohl in der internen Situation in Somalia als auch in deren internationalen Auswirkungen begründet war l l l
s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36325 f. Vgl. UN-Dok. SIPv. 3039. 109 Es liegt eine Feststellung im Sinne des Art. 39 ChVN vor, obwohl der Sicherheitsrat sich nur "besorgt" zeigt und nur die "Fortdauer der Situation" als Bedrohung kennzeichnet; so auch Uerpmann, S. 119; a. A. Fifoot, S. 154; Gordon, S. 553. S. zur Begründung unten Fn. 140. 110 So auch Gordon, S. 552. Hingegen meinen Olinga, S. 450, und Rashkow, S. 312, der Resolution entnehmen zu können, daß die internationalen Auswirkungen durch die Flüchtlingsströme entstanden seien. 111 So auch Nowlan, S. 176. Marauhn, Aktionen, S. 21, und Worku, S. 31, sehen hingegen den menschenrechtlichen Aspekt im Vordergrund stehen; ähnlich auch Koroma, S. 412, Fn. 10. 107
108
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ehVN
83
b) Resolutionen SlRES/746 (1992) bis SIRES/775 (1992) In den folgenden Resolutionen, SIRES1746 (1992) und SIRES1751 (1992), zeigte sich der Sicherheitsrat "Deeply disturbed by the magnitude of the human sutTering caused by the conflict and concerned that the continuation of the situation in Somalia constitutes a threat to international peace and security".
Eine Akzentverschiebung enthalten die Resolutionen SIRES1767 (1992) und SIRES/775 (1992), in denen es heißt: "Deeply disturbed by the magnitude of the human sutTering caused by the conflict and concerned that the situation in Somalia constitutes a threat to international peace and security".
Der Sicherheitsrat sah die Friedensbedrohung nicht mehr in dem Andauern der Situation in Somalia, sondern bereits in deren gegenwärtigen Bestehen. Die Annahme, der Sicherheitsrat hätte in den vorherigen Resolutionen noch keine Friedensbedrohung festgestellt, sondern nur diese Feststellung in Falle des Andauerns der Situation in Aussicht gestellt, ginge jedoch fehl. 112 Zutreffend ist, daß alle erwähnten Resolutionen die Feststellung einer Friedensbedrohung enthalten. Durch die veränderte Terminologie brachte der Sicherheitsrat zum Ausdruck, daß seine Besorgnis angesichts der Lage in Somalia zunahm.
Fromuth nimmt an, daß in den Resolutionen SIRES1746 (1992) bis SIRES1775 (1992) die interne Situation in Somalia an sich als Friedensbedrohung charakterisiert worden sei.1\3 Dies läßt sich dem Text der Resolutionen aber nicht zweifelsfrei entnehmen. Zwar zeigte sich der Sicherheitsrat ausdrücklich über das Ausmaß des menschlichen Leidens betroffen, doch nannte er nicht diese Situation ("this situation") als Friedensbedrohung. Stattdessen wird ausgeführt, daß die Situation ("the situation") in Somalia die Friedensbedrohung darstelle. Damit kann der Rat sowohl die zuvor beschriebene Notsituation der leidenden Bevölkerung als auch die allgemeine, von ihm in Resolution SIRES1733 (1992) beschriebene Lage gemeint haben. Die Analyse der vor Beschluß der Resolution SIRES1746 (1992) geführten Diskussion der Mitglieder des Sicherheitsrates gibt auf diese Frage keine Antwort, da einige Delegierte die Friedensbedrohung in dem Ausmaß des Leidens sahen,114 an-
dazu oben Fn. 109. Fromuth, S. 349 f. 114 Indien (UN-Dok. SfPY. 3060, S. 31 f.); Ungarn (UN-Dok. SfPV. 3060, S. 54).
112 S. 113
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
dere aber auch in den Auswirkungen des Konflikts auf die Region. 115 Daher erscheint die Annahme, in den genannten Resolutionen habe der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung ausschließlich in der humanitären Notsituation in Somalia gesehen, nicht gefestigt.
c) Resolution SlRESI794 (1992) Etwas anderes gilt für Resolution SIRES1794 (1992), die der Sicherheitsrat am 3. Dezember 1992 verabschiedete: "The Security Council, ( ... ), Recognizing the unique character of the present situation in Somalia and mindful of its deteriorating, complex and extraordinary nature, requiring an immediate and exceptional response, Determining that the magnitude of the human tragedy caused by the conflict in Somalia, further exacerbated by the obstacles being created to the distribution of humanitarian assistance, constitutes a threat to international peace and security, Gravely alarmed by the deterioration of the humanitarian situation in Somalia and underlining the urgent need for the quick delivery ofhumanitarian assistance in the whole country, ( ... ), Expressing grave alarm at continuing reports of widespread violations of international humanitarian law occurring in Somalia, including reports of violence and threats of violence against personnel participating lawfully in impartial humanitarian relief activities; deliberate attacks on non-combatants, relief consignments and vehicles, and medical and relief facilities; and impeding the delivery of food and medical supplies essential for the survival ofthe civilian population, ( ... ), Sharing the Secretary-General's assessment that the situation in Somalia is intolerable ( ... ), Determined to establish as soon as possible the necessary conditions for the delivery of humanitarian assistance wherever needed in Somalia ( ... ), ( ... )."
Damit reagierte der Sicherheitsrat darauf, daß die Situation in Somalia sich im Laufe des Jahres 1992 trotz seiner Resolutionen weiter verschärft hatte. Die anhaltenden Kämpfe hatten bereits im März 1992 etwa 14.000 Todesopfer und 27.000 Verwundete gefordert. 11 6 Aufgrund der anhaltenden Dürre, der andauernden Kämpfe und der schwerwiegenden Behinderung der internationalen l1S Frankreich (UN-Dok. SIPY. 3060, S.44); Simbabwe (UN-Dok. SIPV. 3060, S.46). 116 s. AdG Bd. 62 (1992), S. 36904.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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humanitären Hilfsbemühungen durch die verschiedenen Clans und Banden entwickelte sich eine Hungerkatastrophe enormen Ausmaßes. 117 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen berichtete dem Sicherheitsrat im Juli 1992, daß viereinhalb Millionen Menschen in Somalia dringend auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen seien, darunter eine Million Kinder. Mehrere Hunderttausend Flüchtlinge würden die Lager in angrenzenden Staaten füllen. Der akute Nahrungsmangel sei sowohl die Ursache als auch die Folge der fehlenden Sicherheit für die Bevölkerung Somalias. Eine effektive Bereitstellung von Nahrungsmitteln sei daher der Schlüssel, um diesen Teufelskreis zu sprengen. 118 Die Formulierung der in Resolution S/RES/794 (1992) enthaltenen Feststellung weicht von denen der vorangegangenen Resolutionen ab. Der Sicherheitsrat stellte in klarer Weise fest, daß das Ausmaß der menschlichen Tragödie, das durch den Konflikt in Somalia verursacht und durch die Behinderung der humanitären Hilfsleistungen, die einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstelle, verschärft worden sei, die Friedensbedrohung ausmache. Der Rat erkannte die Beispiellosigkeit und Unerträglichkeit der Situation an und bekräftigte seine Absicht, so bald wie möglich die notwendigen Voraussetzungen für die Leistung humanitärer Hilfe zu schaffen. Im operativen Teil der Resolution wurden die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen ermächtigt, zur Schaffung eines sicheren Umfelds für die Leistung humanitärer Hilfe alle notwendigen Mittel einzusetzen. 119 Die katastrophale humanitäre Lage und die Unterbindung der völkerrechtswidrigen Behinderung von Hilfsleistungen in Somalia waren das Leitmotiv der gesamten Resolution. l2o Auswirkungen auf die Nachbarstaaten wurden nicht mehr erwähnt, nicht einmal abstrakt durch die Floskel der Friedensbedrohung "in der Region". 121
117 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 27.11.1992 (UN-Dok. SI24859); sowie AdG Bd. 62 (1992), S. 37059 f. 118 Bericht des UN-Generalsekretärs vom 22.07.1992 (UN-Dok. S/24343), S.5, Par. 26. 119 Auf dieser Grundlage begannen Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika und zwanzig anderen Staaten die Aktion "Restore Hope"; s. AdG Bd.62 (1992), S. 37381-37385, sowie den Bericht der Vereinigten Staaten über die Umsetzung der Resolution SlRES1794 (1992) vom 17.12.1992 (UN-Dok. S/24976) und die Folgeberichte. 120 So auch UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, in: "Supplement to an Agenda for Peace" (s. Fn. 6 in der Einleitung), S. 18, Par. 78. 121 Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 24, Fn. 261. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Bezugnahme auf die vorangegangenen Resolutionen, unter anderem Resolution SlRES1733 (1992), eine Floskel ist, die sich in jeder Reso-
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Auch in der Diskussion, die der Annahme von Resolution S/RES/794 (1992) voranging, wurde die Lage der Bevölkerung in Somalia als Friedensbedrohung und als Grund für das Handeln des Sicherheitsrates genannt. So führte etwa der Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika aus: "The vote of the United States for the resolution before us expresses our conunitment to resolving the human tragedy in Somalia - a crisis of immense, almost indescribable proportions." 122
Einige Staatenvertreter brachten zudem vor, die Situation in Somalia wirke sich auf die Nachbarstaaten aus. 123 Dieser Aspekt wurde jedoch nicht in den Resolutionstext aufgenommen und kann daher nicht als die organschaftliche Auffassung des Sicherheitsrates angesehen werden. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß der Generalsekretär der Vereinten Nationen in seinem Brief an den Sicherheitsrat über die Situation in Somalia, in dem er hinsichtlich des HandeIns des Rates fünf Optionen (darunter die in Resolution S/RES/794 (1992) umgesetzte) vorschlug, ausführte: "At present no government exists in Somalia that could request and allow such use of force. It would therefore be necessary for the Security Council to make a determination under Article 39 of the Charter that a threat to the peace exists, as a result of the repercussions of the Somali conflict on the entire region, and to decide what measures should be taken to maintain international peace and security. ,,124
Dem Sicherheitsrat lag also der Vorschlag vor, die Friedensbedrohung aufgrund der Auswirkungen der Situation in Somalia auf die gesamte Region festzustellen. Diesem Vorschlag ist der Rat nicht gefolgt. Er zog es vor, die Friedensbedrohung allein in der menschlichen Tragödie in Somalia selbst zu sehen. 125
lution des Sicherheitsrates [mdet und keine eigenständige interpretatorische Bedeutung hat. 122 Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV.3145, S.36); ähnlich auch Ecuador (UN-Dok. SfPY. 3145, S. 11), Frankreich (UN-Dok. SfPV. 3145, S.29), Großbritannien (UN-Dok. SfPV. 3145, S. 33), Kap Verde (UN-Dok. SfPY. 3145, S. 18), Österreich (UN-Dok. SfPY. 3145, S. 31) und Simbabwe (UN-Dok. SfPY. 3145, S. 6). 123 Kap Verde (UN-Dok. SfPV.3145, S.19); Marokko (UN-Dok. SfPV.3145, S.44). 124 Brief des UN-Generalsekretärs vom 29.11.1992 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. S/24868), S. 3. 125 So auch CortenIP. Klein, Autorisation, S. 512 f. Demgegenüber sind Gordon, S. 553, Fn. 181; A. Roberts, S. 440; und Sorel, Somalie, S. 68, der Ansicht, der Sicherheitsrat habe sich bei der Feststellung der Friedensbedrohung auf den Bericht des UN-Generalsekretärs gestützt.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Bedeutsam ist allerdings ein Aspekt, der in Resolution SIRES/794 (1992) nur unterschwellig enthalten ist und erst in späteren Resolutionen126 ausdrücklich genannt wird. Dies ist die Abwesenheit einer funktionsfähigen Regierung in Somalia. Der Vertreter Ecuadors wies in der Debatte darauf hin, daß "Somalia is a cmll1try without a Government, without any responsible authority, without any valid national principles. ,,127
In der Resolution selbst sprach der Sicherheitsrat dann von dem einmaligen Charakter und der außergewöhnlichen Natur der Situation in Somalia. Die Beispiellosigkeit der Situation war aus der Sicht des Sicherheitsrates nicht nur in dem Ausmaß des Leidens der Zivilbevölkerung begründet, sondern auch in dem vollständigen Zusammenbruch der staatlichen Strukturen. Verantwortlich für die Lage war nicht eine Regierung, auf die der Sicherheitsrat mit diplomatischen Mitteln hätte einwirken können, sondern verschiedene Clans und Banden. Dieser Umstand ist für die Bestimmung der Situation, die der Sicherheitsrat als Friedensbedrohung charakterisiert hat, bedeutsam, denn es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß der Rat die Feststellung auch getroffen hätte, wenn in Somalia eine funktionsfahige Regierung und staatliche Strukturen bestanden hätten. Als Ergebnis der Untersuchung der Resolution SIRES/794 (1992) ist festzuhalten, daß der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung festgestellt hat, die durch das Ausmaß der menschlichen Tragödie in einem Staat ohne Regierung und staatliche Strukturen begründet war und durch die völkerrechtswidrige Behinderung der humanitären Hilfsleistungen verschärft wurde. Internationale Auswirkungen spielten keine Rolle mehr. Auch die Mehrheit der Autoren, die sich mit der Resolution befaßt haben, weist darauf hin, daß der Sicherheitsrat sich nicht auf internationale Auswirkungen gestützt habe. 128 Während Gordon und Kirgis annehmen, daß Resolution SIRES/794 (1992) keine Begründung enthalte, worin die Friedensbedrohung liege,129 gehen andere Autoren zu Recht davon aus, daß dem Resolutionstext zu entnehmen sei, daß der Sicherheitsrat die Friedensbedro126 Resolutionen SIRES/897 (1994), SIRES/923 (1994) und SIRES/954 (1994); s. dazu unten S. 88. 127 Ecuador (UN-Dok. SIPV. 3145, S. 13). 128 CortenIP. Klein, Autorisation, S. 512 f.; Freudenschuß, Artic1e 39, S.21; Fromuth, S. 349 f.; Gaja, S. 305; Gordon, S. 554; Kühne, S. 29; Lillich, Humanitarian Intervention, S. 566; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 24; Marauhn, Aktionen, S. 23; a. A. Djiena Wembou, Validite, S. 347; Olinga, S. 450 (anders aber S. 454). 129 Gordon, S. 553; Kirgis, S. 514.
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1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
hung in dem Ausmaß des menschlichen Leidens130 in einem Staat ohne staatliche Strukturen131 gesehen habe. Szasz argumentiert, daß in Wirklichkeit keine Friedensbedrohung vorgelegen habe. Der Sicherheitsrat habe die Feststellung nur getroffen, um so die Hilfsleistungen durch die Vereinten Nationen zu ermöglichen, denen sonst das Verbot der Einmischung in die Angelegenheiten der inneren Zuständigkeit eines Staates aus Art. 2 Ziff. 7 ChVN entgegengestanden hätte. Die sonst übliche Überwindung dieses rechtlichen Hindernisses durch die Zustimmung der Regierung des betroffenen Staates sei in diesem Falle nicht möglich gewesen, da in Somalia keine Regierung mehr bestanden habe. Der Sicherheitsrat habe daher den Kunstgriff angewendet, eine Friedensbedrohung im Sinne des Kapitels VII der Charta festzustellen und damit den Ausnahmemechanismus des Art. 2 Ziff. 7 Hs. 2 ChVN zu aktivieren. 132 Zu diesen Ausführungen ist zu bemerken, daß sie möglicherweise die Motivation der Mitglieder des Sicherheitsrates korrekt widerspiegeln, dies aber nichts an der Tatsache ändert, daß der Rat eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN festgestellt hat. Bei der Untersuchung der Frage, wie der Sicherheitsrat Art. 39 ChVN interpretiert, ist dieser formale Akt entscheidend. Der Sicherheitsrat muß sich dies zurechnen lassen, auch wenn er tatsächlich der Auffassung gewesen sein sollte, seine Feststellung entspreche nicht der Sachlage.
d) Weitere Resolutionen
In den folgenden Resolution, S/RES/814 (1993), S/RES/837 (1993) und S/RES/886 (1993), stellte der Sicherheitsrat lediglich fest: "Determining that the situation in Somalia continues to threaten international peace and security in the region".
130 Baroni, S. 59 u. 154; CortenIP. Klein, Autorisation, S. 513 f; Franck, Fairness, S. 239; Gading, S. 119; Herdegen, S. 115; International Institute tor Strategie Studies, S. 29 f; Kimminich, S. 452 f; Kühne, S. 29; Lillich, Humanitarian Intervention, S. 567; Mattler, S. 685; Schilling, S. 74; Seidel, S. 58; Stein, Enforcement, S. 114 f 131 Boutros-Ghali, FriedenserhaltWlg, S. 129; Damrosch, Introduction, S. 12 f; Fromuth, S. 349 f; Herdegen, S. 115; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S.24; A. Roberts, S. 440; Tomuschat, Gemeinschaft, S. 12; ders., Obligations, S. 250 u. 339; Weiss/Forsythe/Coate, S. 128. 132 Szasz, Diskussionsbeitrag, S. 102; ders., Enforcement, S. 23.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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In Resolution SlRES/897 (1994) vom 4. Februar 1994 wies der Rat zum ersten Mal ausdrücklich auf die Bedeutung der Abwesenheit einer Regierung in Somalia hin: "Determining that the situation in Somalia continues to threaten peace and security and having regard to the exceptional circumstances, including in particular absence of a govenunent in Somalia, and acting under Chapter vn of the Charter of the Uni ted Nations".
Eine identische Feststellung findet sich auch in Resolution SIRES/923 (1994). Schließlich verabschiedete der Sicherheitsrat am 4. November 1994 die Resolution SlRES/954 (1994), mit der er das Mandat der "United Nations Force in Somalia" (UNOSOM 11) zum letzten Mal verlängerte und den Rückzug der Truppen beschloß. In dieser Resolution heißt es: "The Security Council,
( ... ),
Recognizing also the impact that the situation in Somalia has had on neighbouring countries including, in particular, flows of refugees, Determining that the situation in Somalia continues to threaten peace and security, and having regard to the exceptional circumstances including, in particular, the absence of a govenunent in Somalia, acting under Chapter vn of the Charter of the United Nations, ( ... )" .
Diese Passage faßt alle Elemente zusammen, die rur den Sicherheitsrat im Laufe seines Befaßtseins mit der Situation in Somalia die Friedensbedrohung ausgemacht haben. 12. Jugoslawien
Der seit 1991 ausgetragene bewaffnete Konflikt auf dem Gebiet der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ging mit dem Auseinanderbrechen dieses Staates und der Entstehung der unabhängigen Staaten Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro)133 einher. Die Behandlung des 133 Die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) beansprucht, kein neu entstandener Staat, sondern mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien identisch zu sein. In diesem Fall läge keine Dismembration der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vor, sondern eine Sezession der früheren Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Dieser Anspruch wird von den genannten neu entstandenen Staaten nicht anerkannt. Die Haltung der Vereinten Nationen ist nicht eindeutig, da einerseits festgestellt wurde,
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Konflikts durch den Sicherheitsrat spiegelt diese komplexe Situation wider. In der ersten Phase (Resolutionen SIRES1713 (1991) bis SIRES1749 (1992)) ging der Rat von einem internen Konflikt in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien aus. 134 In Resolution SIRES1752 (1992) vom 15. Mai 1992 war zum ersten Mal von der "ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien" die Rede. Drei Tage später wurden Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina als Mitglieder in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen. \35 Es lagen nun in den Augen des Sicherheitsrates zwei internationalisierte Konflikte vor, nämlich die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kroatischen Truppen und den in Kroatien ansässigen Serben, die von der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) unterstützt wurden,136 und der Konflikt in Bosnien-Herzegowina, an dem neben den drei bosnischen Gruppen (den Muslimen, den bosnischen Kroaten und den bosnischen Serben) auch die Staaten Kroatien und Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) beteiligt waren. 13? daß der vonnals als Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien bekannte Staat aufgehört habe zu bestehen und daß die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) nicht automatisch die Mitgliedschaft dieses Staates fortsetzen könne (s. die Resolutionen SIRESI777 (1992) vom 19.09.1992 und AlRES/4711 vom 22.09.1992), andererseits Namensschild und Flagge Jugoslawiens nicht abgenommen worden sind und die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) Dokumente zirkulieren lassen kann. Der UN-Generalsekretär bemerkte, die Frage falle "in den Grenzbereich zwischen dem Völkerrecht und einer politischen Entscheidung der Vereinten Nationen in einer heiklen Angelegenheit" (Tätigkeitsbericht 1995 (s. oben Fn. 14 in der Einleitung), S. 15, Par. 109). Zu diesem Problemkreis, der hier nicht näher ausgefilhrt werden kann, s. die unterschiedlichen Ansichten bei Blum, S. 833; Dastis Quecedo, S. 251 f.; Oeter, S. 9; Partseh, Mitgliedschaft, S. 187; sowie im Gutachten Nr. I der Schiedskommission der Jugoslawien-Konferenz, abgedruckt in: ILM Bd. 31 (1992), S. 1494 (1496). 134 So auch Delon, S. 146; Franck, Security Council, S. 104; Kooijmans, S. 116; Marauhn, Aktionen, S. 21; PetroviciCondorelli, S. 34. 135 Resolutionen SlRES1753 (1992) bis SlRES1755 (1992). 136 Bei der Bewertung der Beziehung von Kroatien zu der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) ist es unerheblich, ob letztere mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien identisch ist. 137 Ungarn (UN-Dok. SIPV. 3082, S. 16); Marokko (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 19); Österreich (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 24); anders aber Simbabwe (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 17). Vgl. auch Damrosch, Nationalism, S. 502; Greenwood, Humanitarian Intervention, S. 38 f.; Insanally, S.445; Kimminich, S. 447; Kirgis, S. 522; Kooijmans, S. 116 f.; Marauhn, Aktionen, S. 21; PetroviciCondorelli, S. 34; Steinberg, S. 52. S. auch den Abschlußbericht der vom Sicherheitsrat durch Resolution SlRES1780 (1992) eingesetzten Expertenkommission, die zu dem Schluß kam, daß der Charakter und die Komplexität der verschiedenen bewaffneten Konflikte die Anwendung des fUr internationale bewaffnete Konflikte geltenden humanitären Völkerrechts rechtfertigten (UN-Dok. SI1994/674 vom 27.05.1994, S. 13, Par. 44).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Diejenigen der Resolutionen zu dem Konflikt auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, die eine Feststellung der Friedensbedrohung enthalten, sollen im Folgenden untersucht werden. Diese Resolutionen beziehen sich teils auf die Gesamtsituation, teils auf einen der Konflikte oder auch nur einzelne Aspekte dieser Auseinandersetzungen. a) Die Gesamtsituation vor dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
Nachdem sich Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 für unabhängig erklärt hatten, wendete die jugoslawische Bundesarmee Gewalt gegen die Truppen der beiden Teilrepubliken an. 138 Der Konflikt entwickelte sich insbesondere in Kroatien zu einer offenen bewaffneten Auseinandersetzung zwischen kroatischen Territorialverteidigungs- und Polizeieinheiten und der serbisch dominierten Bundesarmee. 139 Der Sicherheitsrat reagierte am 25. September 1991 auf den Ausbruch der bewaffneten Feindseligkeiten zwischen demjugoslawischen Bundesheer und den slowenischen bzw. kroatischen Truppen durch Verabschiedung der Resolution SIRESI713 (1991), mit der er ein Embargo bezüglich aller Lieferungen von Waffen und militärischer Ausrüstung nach Jugoslawien beschloß. In dieser Resolution heißt es unter anderem: "The Security Council,
( ... ),
Deeply concemed by the fighting in Yugoslavia, which is causing a heavy loss of hwnan life and material damage, and by the consequences for the countries of the region, in particular in the border areas of neighbouring countries, Concemed that the continuation of this situation constitutes a threat to international peace and security, ( ... )"
Der zitierte Passus enthält die Beschreibung einer Bürgerkriegssituation mit internationalen Auswirkungen, die den Sicherheitsrat zu der Feststellung einer Friedensbedrohung veranlaßte. 140 Der Sicherheitsrat zeigte sich über die bes. AdG Bd. 61 (1991), S. 35798 f s. AdG Bd. 61 (1991), S. 35858 u. 36020 f 140 Es liegt eine Feststellung im Sinne des Art. 39 ChVN vor, obwohl der Sicherheitsrat sich nur "besorgt" zeigt und nur die "Fortdauer der Situation" als Bedrohung kennzeichnet. Dies ist daraus ersichtlich, daß der Rat in Resolution SIRES1713 (1991) unter ausdrücklichem Bezug auf Kapitel vn der Charta ein Waffenembargo verhängte. Darüber hinaus bestätigt der Wortlaut der Resolution SIRES1743 (1992) (Text s. unten S. 93) diese Annahme. So auch DelbrUck, Wirksameres Völkerrecht, S. 105; Freudenschuß, Artic1e 39, S. 12; Malanczuk, Hwnanitarian Intervention, S.23; Nowlan, S. 168; Petrovic!Condorelli, S. 33 f; Schilling, S.74, Fn.44; Uerpmann, S. 119; 138
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1. Teil: Weltfrieden lll1d internationale Sicherheit
waffneten Auseinandersetzungen an sich, die hohe Verluste an Menschenleben und Sachschäden verursachten, besorgt, aber auch über die Folgen für Nachbarstaaten. Diese Folgen, die insbesondere in den Grenzgebieten auftreten sollten, wurden in der Resolution nicht näher erläutert. In der vorausgehenden Debatte wurde darauf hingewiesen, daß der Sicherheitsrat insbesondere im Hinblick auf die internationalen Auswirkungen des Konflikts in Jugoslawien handele. 141 Die bewaffneten Auseinandersetzungen könnten sich besonders destabilisierend auf die Region auswirken, weil dort gerade ein empfindlicher Prozeß des politischen und wirtschaftlichen Wandels ablaufe. 142 Zudem gebe es in ganz Mittel- und Osteuropa Nationalitäten- und Minderheitenprobleme, so daß ein bewaffneter Konflikt nur schwer auf das Staatsgebiet Jugoslawiens begrenzt werden könnte. 143 Schließlich hätten die Nachbarstaaten Jugoslawiens Flüchtlingsströme und einen Ausfall der Energieversorgung zu befürchten. 144 Die interne Situation Jugoslawiens, vor allem die hohen Verluste an Menschenleben und Sachwerten, wurde in den Debatten nicht als Grund für die Friedensbedrohung erwähnt. Vielmehr stellten einige Delegierte heraus, daß gerade die Gefahr der internationalen Eskalation den Sicherheitsrat veranlasse, sich mit dem Konflikt zu befassen und unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig zu werden. 145 Es läßt sich festhalten, daß der Sicherheitsrat in Resolution SIRES1713 (1991) eine Friedensbedrohung feststellte, die ihren Grund sowohl in den durch die bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb Jugoslawiens verursachten Verlusten an Menschenleben und Sachwerten als auch in den drohenden internationalen Auswirkungen hatte. 146 Dabei zeigen die Debatten, daß der Sicherheitsrat vor allem über die internationalen Auswirkungen besorgt Weller, S. 579; a. A. Fifoot, S. 154; Hobe, S. 56; Marauhn, Aktionen, S. 21; Rodley, S. 25 f. 141 Indien (UN-Dok. SfPY. 3009, S.46). S. auch die Briefe Österreichs vom 19.09.1991 (UN-Dok. S/23052) lll1d Ungarns vom 20.09.1991 (UN-Dok. S/23057) an den Präsidenten des Sicherheitsrates, in denen um eine dringliche Sitzllllg des Rates gebeten wurde, da die sich verschärfende Situation in Jugoslawien Spannlll1gen in der gesamten Region erzeuge. 142 Belgien (UN-Dok. SfPV. 3009, S. 21). 143 Großbritannien (UN-Dok. SfPY. 3009, S. 57); Rußland (UN-Dok. SfPY. 3009, S. 51); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV. 3009, S. 58). 144 Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV. 3009, S. 58). 145 Großbritannien (UN-Dok. SfPY. 3009, S.57); Indien (UN-Dok. SfPV. 3009, S. 46); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV. 3009, S. 58). 146 So auch Damrosch, Changing Conceptions, S. 104; Freudenschuß, Article 39, S. 12; Kooijmans, S.116; Nowlan, S. 168 u. 176; Steinberg, S.52; Tomuschat, Obligations, S. 339; Worku, S. 29.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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war, insbesondere die Gefahr des Übergreifens des Konflikts auf andere Staaten und das Entstehen von Flüchtlingsströmen. 147 Die Schlußfolgerung, die Friedensbedrohung sei nur in den internationalen Auswirkungen und nicht in der internen Situation Jugoslawiens gesehen worden,148 ist jedoch mit dem Wortlaut der Resolution nicht zu vereinbaren. Auch für die Auffassung, die Friedensbedrohung finde ihren Grund in einer Völkerrechtsverletzung durch Jugoslawien, nämlich der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker,149 findet sich kein Anhaltspunkt in Resolution SIRES1713 (1991) oder den dazugehörigen Protokollen der Debatten im Sicherheitsrat. Am 27. November 1991 verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution SIRES/nI (1991), in der erste Vorbereitungen zur Entsendung der "United Nations Protection Force" (UNPROFOR) getroffen wurden. In dieser Resolution stellte der Rat erneut eine Friedensbedrohung fest: "The Security Council,
C···),
Deeply concemed by the fighting in Yugoslavia and by the serious violations of earlier cease-fire agreements, which have caused heavy loss of human life and widespread material damage, and by the consequences for the countries of the region, Noting that the continuation and aggravation of this situation constitute a threat to international peace and security, C···)·"
Diese Feststellung ist inhaltlich weitgehend mit der in Resolution SIRES1713 (1991) enthaltenen identisch. Auf diese inhaltliche Übereinstimmung wies der Sicherheitsrat am 21. Februar 1992 in Resolution SIRES1743 (1992), durch die er UNPROFOR errichtete, ausdrücklich hin: "The Security Council, C···), Concemed that the situation in Yugoslavia continues to constitute a threat to international peace and security as determined in resolution 713 (1991), C···)· "
Die Ausführungen zu Resolution SIRES1713 (1991) können mithin auf die in den Resolutionen SIRES/nI (1991) und SIRES1743 (1992) enthaltenen Feststellungen übertragen werden.
Auf die Bedeutung des letzten Aspekts weist Kooijmans, S. 116, hin. Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 23 f. 149 Bothe, Legitimacy, S. 294. 147
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b) Die Gesamtsituation nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
In Resolution SIRES1752 (1992) vom 15. Mai 1992 sprach der Sicherheitsrat zum ersten Mal von der "ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien": "The Secun'ty Council,
C···),
Deeply concemed about the serious situation in certain parts of the fonner Socialist Federal Republic of Yugoslavia, and in particular about the rapid and violent deterioration ofthe situation in Bosnia-Hercegovina, C···)·"
Im operativen Teil dieser Resolution, in der sich keine Feststellung einer Friedensbedrohung findet, forderte der Sicherheitsrat, daß alle Formen von Einmischung von außerhalb Bosnien-Herzegowinas, einschließlich der Einmischung durch Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee und durch Teile der kroatischen Armee, beendet werden sollten und daß die Nachbarstaaten Bosnien-Herzegowinas unverzüglich Maßnahmen ergreifen sollten, um diese Einmischungen zu unterbinden und die territoriale Integrität Bosnien-Herzegowinas zu respektieren. 150 Zudem forderte der Rat, daß die Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee und die Teile der kroatischen Armee, die sich in Bosnien-Herzegowina befanden, entweder zurückgezogen oder der Regierung von Bosnien-Herzegowina unterstellt oder entwaffnet und aufgelöst werden sollten. Am 30. Mai 1992 folgte die Verabschiedung von Resolution SIRES1757 (1992), in der der Sicherheitsrat die Nichterfüllung seiner in Resolution SIRES1752 (1992) gestellten Forderungen verurteilte und ein Wirtschaftsembargo gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) beschloß. Dieses erfaßte die Einfuhr von Rohstoffen oder Produkten aus der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) oder ihre Ausfuhr in diesen Staat, den Flugverkehr und die Darlehensgewährung, die Reduzierung des diplomatischen und konsularischen Personals dieses Staates und den wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch. Die in Resolution SIRES1757 (1992) getroffene Feststellung der Friedensbedrohung hat folgenden Wortlaut:
150 Das Parlament von Bosnien-Herzegowina hatte am 15.10.1991 gegen den Willen der bosnisch-serbischen Abgeordneten die Unabhängigkeit erklärt; s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36347.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ehVN
95
"The Security Council, ( ... ), Determining that the situation in Bosnia and Herzegovina and in other parts of the fonner Socialist Federal Republic of Yugoslavia constitutes a threat to international peace and security, ( ... )."
Diese Feststellung einer Friedensbedrohung nimmt keinen Bezug mehr auf Auswirkungen auf die Nachbarstaaten Jugoslawiens. Der Grund dafiir ist darin zu sehen, daß Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien kurz zuvor als unabhängige Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen worden waren und der Sicherheitsrat der Auffassung war, daß zwischen Bosnien-Herzegowina, der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und Kroatien ein internationaler bewaffneter Konflikt bestehe. 151 Besonders klar drückte sich in diesem Zusammenhang der ungarische Delegierte aus: "Since last Friday, however, a new element, in fact a very important new dimension, has been added to the overall picture which should not be left aside, namely, that this naked aggression is committed against aState Member of the United Nations. ,,152
Die Situation stellte aus der Sicht des Sicherheitsrates eine Friedensbedrohung dar, weil in Bosnien-Herzegowina ein internationaler bewaffneter Konflikt ausgetragen wurde, an dem neben den bosnischen Parteien auch Truppen aus der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und aus Kroatien beteiligt waren. Der Sicherheitsrat verstand den Konflikt nun nicht mehr als Bürgerkrieg in Jugoslawien, der Auswirkungen auf die Nachbarstaaten hat, sondern als internationale bewaffnete Auseinandersetzung auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, auf dem sich mittlerweile mehrere unabhängige Staaten gebildet hatten. In einer Reihe von Resolutionen stellte der Sicherheitsrat fest, daß die Situation in Bosnien-Herzegowina weiterhin eine Friedensbedrohung darstelle. So heißt es etwa in Resolution S/RES/816 (1993) vom 31. März 1993: "The Security Council,
( ... ),
Determining that the grave situation in the Republic of Bosnia and Herzegovina continues to be a threat to international peace and security, ( ... )."
151 Rußland (UN-Dok. SfPV. 3082, S. 36); Ungarn (UN-Dok. SfPV. 3082, S. 16); Venezuela (UN-Dok. SfPV. 3082, S. 28); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SfPV. 3082, s. 33); s. auch Stein berg, S. 52. 152 Ungarn (UN-Dok. SfPV. 3082, S. 16).
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
96
Durch diese Resolution wurden die Mitgliedstaaten ermächtigt, zur Durchsetzung des in Resolution SIRES1781 (1992) beschlossenen, den Luftraum von Bosnien-Herzegowina erfassenden Flugverbots die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Eine entsprechende Feststellung findet sich auch in Resolution SIRES/836 (1993), mit der UNPROFOR und die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, die eingerichteten Schutzzonen (Sarajevo, Srebrenica und andere Städte153) gegen Angriffe zu verteidigen. Durch Resolution SlRES/958 (1994) wurde diese Ermächtigung auf die in Kroatien gelegenen Schutzzonen erstreckt. Schließlich traf der Sicherheitsrat eine solche Feststellung auch in Resolution SlRES/859 (1993), in der er einen Waffenstillstand forderte und die Verpflichtungen der Parteien wiederholte, in Resolution SIRES/900 (1994), in der die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung in den Schutzzonen gefordert wurde, und in Resolution SlRES/942 (1994), durch die ein Wirtschaftsembargo gegen die bosnischen Serben beschlossen wurde.
c) Die Nichtbeachtung der Waffenstillstände
und die Situation von UNPROFOR
In einer Reihe von Resolutionen stellte der Sicherheitsrat fest, daß die Parteien sich nicht an die vereinbarten Waffenstillstände und andere Vereinbarungen, die das Ende des Konflikts herbeiführen sollten, hielten. Diese Vertragsbruche führten regelmäßig nicht nur zu einem erneuten Aufflammen der Kampfhandlungen, sondern dadurch auch zu einer Gefahrdung der UNPROFOR-Truppen. Auf diese Situation reagierte der Sicherheitsrat zum ersten Mal am 19. Februar 1993 mit der Verabschiedung von Resolution SIRES/807 (1993), in der es heißt: "The Security Council,
( ... ),
Deeply concemed by the lack of cooperation of the parties and others concerned in implementing the United Nations peace-keeping plan in Croatia (S/23280, Annex Ill),
Deeply concemed also by the recent and repeated violations by the parties and others concerned oftheir cease-frre obligations, Determining that the situation thus created constitutes a threat to peace and security in the region, ( ... ),
153
s. Resolutionen SIRES/819 (1993) und SIRES/824 (1993).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
97
Determined to ensure the security of UNPROFOR and to this end, acting under Chapter VII ofthe Charter ofthe United Nations, ( ... )."
Im operativen Teil der Resolution wurden die Parteien aufgefordert, ihre Verpflichtungen einzuhalten, die UNPROFOR-Truppen nicht zu gefährden und sie nicht an der Ausübung ihres Mandats zu hindern. Ähnliche Resolutionen sind SIRES/815 (1993), SIRES/913 (1994), SIRES/941 (1994) und SIRES/998 (1995). Der Sicherheitsrat sah die Friedensbedrohung jeweils in der Fortführung des internationalen bewaffneten Konflikts, wobei die Mißachtung der Waffenstillstands- und anderer Vereinbarungen im Vordergrund des Interesses stand. Die Verstöße gegen die Abkommen führten nicht nur zu einer Gefährdung der Friedenstruppe, sondern auch zu einer Beeinträchtigung der Autorität des Sicherheitsrates, der an dem Zustandekommen der verschiedenen Abkommen beteiligt gewesen war und UNPROFOR entsandt hatte. 154
d) Die Leistung humanitärer Hilfe in Bosnien-Herzegowina
Die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung in Bosnien-Herzegowina wurde dadurch erschwert, daß die Konfliktparteien die Hilfskonvois nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen passieren ließen. Zudem wurden immer wieder Konvois beschossen oder überfallen. 155 Eine Vereinbarung, der zufolge sichere Korridore eingerichtet und von UNPROFOR überwacht werden sollten, wurde nicht umgesetzt. 156 Aufgrund dieser Sachlage sah sich der Sicherheitsrat am 13. August 1992 veranlaßt, Resolution SIRES/770 (1992) zu verabschieden, in der er, unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen handelnd, die Mitgliedstaaten aufrief, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die Leistung humanitärer Hilfe in Sarajevo und anderen Teilen Bosnien-Herzegowinas durch die humanitären Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen und andere Organisationen zu erleichtern.
zu diesem Aspekt genauer unten S. 144. s. AdG Bd. 62 (1992), S. 36858 u. 37082 f. 156 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 10.07.1992 (UN-Dok. S/24263), S. 2, Par. 5 f. 154 S. 155
7 Lailach
98
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Durch diesen Beschluß ermächtigte der Rat die Mitgliedstaaten zur Anwendung von Gewalt zur Sicherstellung humanitärer Hilfsleistungen. 157 Dem Aufruf in Resolution SIRES/770 (1992) ging folgende Feststellung einer Friedensbedrohung voraus: "The Security Council,
( ... )
Recognjzjng that the situation in Bosnia and Herzegovina constitutes a threat to international peace and security and that the provision of hwnanitarian assistance in Bosnia and Herzegovina is an irnportant element in the Council' s efTort to restore international peace and security in the area, ( ... )."
Es ist dies das erste Mal, daß die Leistung humanitärer Hilfe im Zusammenhang mit einer Friedensbedrohung genannt wurde. Fraglich ist allerdings, ob der Sicherheitsrat zum Ausdruck bringen wollte, daß die humanitäre Notsituation und ihre Verstärkung durch die Behinderung der Hilfsleistungen an sich eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellten. Möglich erscheint auch, daß der Rat weiterhin den in Bosnien-Herzegowina ausgetragenen internationalen bewaffneten Konflikt als die Friedensbedrohung ansah und die Erleichterung der humanitären Hilfsleistungen nur als ein Mittel betrachtete, das zur Beendigung dieses Konflikts beitragen könnte. Der Wortlaut der in Resolution SIRES/770 (1992) getroffenen Feststellung spricht für die zweite der beiden genannten Möglichkeiten. Als Friedensbedrohung wird nicht die Behinderung der Hilfsleistungen, sondern allgemein die "Situation in Bosnien-Herzegowina" beschrieben. Erst danach wird die Bedeutung der humanitären Hilfe erwähnt, und zwar nicht isoliert, sondern als ein Element im Kontext der Bemühungen des Sicherheitsrates, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Dies setzt die Resolution SIRES/770 (1992) zu den zuvor getroffenen Entscheidungen in Beziehung. Dort wurde der internationale bewaffnete Konflikt in BosnienHerzegowina als Friedensbedrohung gekennzeichnet. Demnach lag die Friedensbedrohung aus der Sicht des Sicherheitsrates weiterhin in dem internationalen bewaffneten Konflikt, und die von ihm angestrebte Erleichterung der humanitären Hilfsleistungen war lediglich ein Mittel, um diesen Konflikt seinem Ende zuzuführen.
157 So auch Torrelli, S.200. Die Pläne fUr ein Eingreifen von NATO-Verbänden wurden allerdings nach der Eröffnung der Londoner Jugoslawien-Konferenz am 26.08.1992 nicht weiter verfolgt; s. Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 21.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
99
In der Debatte, die der Verabschiedung der Resolution SIRES/770 (1992) vorausging, wiesen mehrere Staatenvertreter darauf hin, daß der Sicherheitsrat die Pflicht habe, das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern. 158 Damit reagiere der Rat auf eine Forderung der Weltgemeinschaft. 159 Jedoch brachte keiner der Delegierten vor, daß die humanitäre Notsituation oder die Behinderung der Hilfsleistungen an sich die Friedensbedrohung ausmache. Vielmehr wurde deutlich gemacht, daß die Erleichterung humanitärer Hilfsleistungen notwendig sei, um den bewaffneten Konflikt einzudämmenl60 und letztlich zu seiner Beendigung beizutragen. So führte der Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika aus: "The Security COWlcil has demonstrated today by these resolutions that it too shares the belief that the provision of humanitarian assistance not only is an urgent humanitarian concern but is also an important element of the effort to restore peace and security in the region. ,,161
Der ecuadorianische Delegierte bemerkte: "The international community cannot be insensitive to the suffering of defenceless human beings. The existing situation is without doubt a threat to international peace and security and the provision ofhumanitarian assistance is a basic condition for the restoration of peace and security in the region. ,,162
Diese Diskussionsbeiträge bestätigen das durch Auslegung des Wortlauts gewonnene Ergebnis, daß der Sicherheitsrat weiterhin die bewaffneten Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina als Friedensbedrohung betrachtete und die Erleichterung der humanitären Hilfsleistungen lediglich als ein Mittel ansah, diese Friedensbedrohung zu beseitigen. Stimmen in der Literatur, die in Resolution SIRES/770 (1992) ein erstes Beispiel für die Feststellung einer Friedensbedrohung sehen, die durch die Behinderung humanitärer Hilfsleistungen an sich erzeugt worden sei,163 kann daher nicht zugestimmt werden. In Resolution SIRES1787 (1992) wiederholte der Sicherheitsrat die in Resolution SIRES/770 (1992) getroffene Feststellung der Friedensbedrohung. Im
158 Ecuador (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 9); Rußland (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 27); Simbabwe (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 16); Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPV.3106, S.38). 159 Ecuador (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 8); Frankreich (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 47); Rußland (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 27). 160 So Kap Verde (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 6). 161 Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPv. 3106, S. 38). 162 Ecuador (UN-Dok. SIPV. 3106, S. 9). 163 CortenIP. Klein, Autorisation, S. 513 f.; Petrovic/Condore/li, S. 46-50; Rashkow, S. 312; offen gelassen bei Steinberg, S. 54.
7*
100
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Anschluß daran erstreckte er das Embargo auf den Schiffsverkehr durch die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und ermächtigte die Mitgliedstaaten, unter Anwendung aller notwendigen Maßnahmen den Seeschiffsverkehr zu kontrollieren. e) Die Verletzung von Normen des humanitären Völkerrechts auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
Im Verlauf des Jahres 1992 wurde aus Bosnien-Herzegowina in immer stärkerem Umfang von gravierenden Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Internierungslagern, berichtet. 164 Der Sicherheitsrat hatte auf diese Berichte zunächst am 13. August 1992 mit Resolution SIRES/771 (1992) reagiert, in der er, ohne eine Friedensbedrohung festzustellen, die Bindung der Konfliktpartien an das humanitäre Völkerrecht und die individuelle Verantwortlichkeit von Personen, die gegen die Vorschriften der Genfer Konventionen von 1949 verstoßen, bekräftigte und die unverzügliche Beendigung der Rechtsverstöße forderte, wobei er dieser Forderung unter Heranziehung des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen bindende Wirkung verlieh. Durch Resolution SIRES1780 (1992) vom 6. Oktober 1992 setzte der Sicherheitsrat eine Expertenkommission ein, die die Situation in der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien untersuchen sollte. Die Kommission berichtete in ihrem vorläufigen Bericht, der dem Sicherheitsrat am 9. Februar 1993 vorgelegt wurde, von Massenmorden 165 sowie, im Zusammenhang mit der Praxis der sogenannten "ethnischen Säuberungen",166 von Folter, willkürlichen Verhaftungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen und militärischen Angriffen auf Zivilisten und deren Eigentum. 167 Daraufhin beschloß der Sicherheitsrat am 22. Februar 1993, daß ein internationaler Gerichtshof zur Strafverfolgung von Personen, die sich der schweren Verletzung von Normen des humanitären Völkerrechts auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien schuldig gemacht haben, zu errichten sei. In Resolution SIRES/808 (1993) heißt es: "The Security Council, ( ... ),
164
16S 166 167
s. AdG Bd. 62 (1992), S. 37074 f.
UN-Dok. S/25274, S. 18, Par. 62.
s. dazu unten Fn. 35 im 11. Kapitel.
UN-Dok. S/25274, S. 16, Par. 56.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
101
Expressing once again its grave alarm at continuing reports of widespread violations of international hurnanitarian law occurring within the territory of the former Yugoslavia, including reports ofmass killings and the continuance ofthe practice of "ethnic cleansing", Detennining that this situation constitutes a threat to international peace and security, Detennined to put an end to such crimes and to take effective measures to bring to justice the persons who are responsible for them, Convinced that in the particular circurnstances of the former Yugoslavia the establishment of an international tribunal would enable this aim to be achieved and would contribute to the restoration and maintenance of peace, ( ... )."
Zunächst ist - ähnlich wie bei Resolution SIRES/770 (1992) - zu untersuchen, ob aus der Sicht des Sicherheitsrates die Verletzung grundlegender Normen des humanitären Völkerrechts eine Friedensbedrohung darstellte oder aber die Friedensbedrohung weiterhin in dem internationalen bewaffneten Konflikt lag, der unter anderem auch durch die Rechtsverletzungen angefacht wurde. Im letzteren Fall wäre die Verfolgung der Rechtsverletzungen nur ein Element in dem Bemühen des Sicherheitsrates, den bewaffneten Konflikt zu einem Ende zu führen. Der Wortlaut spricht hier für die erste Variante. Anders als bei Resolution SIRES/770 (1992) wird nicht die allgemeine Situation in Bosnien-Herzegowina als Friedensbedrohung beschrieben und dann die Notwendigkeit einzelner Maßnahmen zur Beilegung des Konflikts herausgestellt. Vielmehr werden zunächst die zahlreichen schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts genannt und daraufhin "diese Situation" als Friedensbedrohung charakterisiert. Mit "dieser Situation" kann nur die einen Absatz zuvor beschriebene gemeint sein, also die durch die Verletzungen des humanitären Völkerrechts geschaffene Lage. Mithin läßt sich, insbesondere im Lichte der Gegenüberstellung der Resolutionen SIRES/770 (1992) und SIRES/SOS (1993), feststellen, daß der Sicherheitsrat die Friedensbedrohung in den Rechtsverletzungen sah. 168 Fraglich ist weiterhin, warum nach Auffassung des Sicherheitsrates eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN durch die Verletzung grundlegender Normen des humanitären 168 So auch Bedjaoui, New World Order, S. 47; Boutros-Ghali, Foreword, S. 404; a. A. Dinstein, War, S. 294; Greenwood, Tribunal. S. 646; Hollweg, S. 9Sl; OellersFrahm, S. 737; Pellet, S. 29, die auf die vorangehenden Resolutionen abstellen (s. zu der Bedeutung der Bezugnahme auf vorangegangene Resolutionen oben Fn. 121). David, S. 568, und Tomuschat, Strafgerichtshof, S. 63, betrachten die allgemeine, friedensbedrohende Situation in Bosnien-Herzegowina als ausschlaggebend.
102
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Völkerrechts herbeigeführt wurde. Eine Möglichkeit ist, daß diese Rechtsverletzungen eine Friedensbedrohung darstellten, weil sie die bewaffneten Auseinandersetzungen weiter anfachten, sie also unmittelbare negative Auswirkungen auf den internationalen bewaffneten Konflikt hatten. 169 Die Alternative besteht darin, die Friedensbedrohung in den Rechtsbrüchen an sich mit ihren schwerwiegenden Folgen für die Zivilbevölkerung, unabhängig von ihren Auswirkungen auf den Konfliktverlauf, zu erblicken. Der Text der Resolution SIRES/SOS (1993) ist auch in diesem Zusammenhang aufschlußreich. Die Situation, die gemäß der Feststellung des Sicherheitsrates eine Friedensbedrohung darstellt, wird im vorangehenden Absatz beschrieben. In dieser Beschreibung fehlt jeglicher Hinweis auf die Auswirkungen, die die Rechtsverletzungen auf den Fortgang des bewaffneten Konflikts haben könnten. Erst später wird der Zweck des internationalen Strafgerichtshofs nicht nur in der Unterbindung der Rechtsverletzungen, sondern auch darin gesehen, daß er ein Beitrag zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Friedens sei. Diese letzte Passage macht deutlich, daß die Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen ein Aspekt ist, der neben dem der Unterbindung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts steht. Aber nur diese wurden zuvor als Friedensbedrohung gekennzeichnet. Demnach ergibt sich aus dem Wortlaut, daß die schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts an sich mit ihren gravierenden Folgen für die betroffenen Menschen nach Ansicht des Sicherheitsrates eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN darstellten, unabhängig von ihren Auswirkungen auf den Verlauf des bewaffneten Konflikts. 170 Die Beiträge in der Debatte, die der Verabschiedung von Resolution SIRES/SOS (1993) vorausging, ergeben kein klares Bild. Während der Vertreter Ungarns seiner Überzeugung Ausdruck gab, daß "the gravity and the massive nature of these violations constitute a threat to international peace and security", 171
stellte der französische Delegierte auf die Auswirkungen der Rechtsbrüche auf den Fortgang des bewaffneten Konflikts ab, als er bemerkte: "The atrocities committed by all sides in the Yugoslav crisis have given rise to an intolerable situation which is fanning the flames of conflict and therefore constitutes a threat to international peace and security. ,,\72 Darauf stellt Partseh, GerichtSgrilnder, S. 12, ab. So auch UN-Generalsekretär Boutros-Ghalj in seinem vom Sicherheitsrat in Resolution SIRES/808 (1993) angeforderten Bericht (UN-Dok. SI25704), S. 4, Par. 10; sowie Kühne, S. 30; Leseure, S. 76; Meron, S. 122; o 13rien, S. 644; ThUrer, S. 495. 171 Ungarn (UN-Dok. SIPV. 3175, S. 21). 169
170
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
103
Die anderen Delegationen nahmen zu diesem Aspekt der Resolution nicht Stellung. Als Ergebnis der Analyse der Diskussionen ist somit festzustellen, daß zwar keine Bestätigung des sich durch Auslegung des Resolutionstextes ergebenden Befunds möglich ist, aber auch keine Widerlegung dieses Befunds. Mithin ist an diesem Ergebnis festzuhalten. In der Präambel der am 25. Mai 1993 verabschiedeten Resolution SIRES/827 (1993), in der der Sicherheitsrat die Errichtung des internationalen Strafgerichtshofs vollzog, finden sich Absätze, die den oben zitierten, aus Resolution SIRES/808 (1993) stammenden Passagen weitgehend entsprechen. Lediglich die Beschreibung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die zu der Friedensbedrohung führten, ist ausführlicher und plastischer: "Expressing once again its grave alann at continuing reports of widespread and flagrant violations of international hurnanitarian law occurring within the territoI)' of the former Yugoslavia, and especially in the Republic of Bosnia and Herzegovina, including reports of mass killings, massive, organized and systematic detention and rape of women, and the continuance of the practice of "ethnic cleansing", including for the acquisition and the holding of territoI)''' .
Die in Resolution SIRES/827 (1993) festgestellte Friedensbedrohung wurde also aus Sicht des Sicherheitsrat wiederum durch die massiven Verletzungen des humanitären Völkerrechts an sich hervorgerufen. 173 j) Die Situation nach dem Abschluß des Abkommens von Dayton
Nach der Paraphierung des Friedensabkommens von Dayton am 21. November 1995 174 beschloß der Sicherheitsrat am 22. November in Resolution SIRES/1021 (1995) die zeitlich gestaffelte Aufhebung des durch Resolution SIRES1713 (1991) verhängten Waffenembargos und in Resolution SIRES/1022 (1995) die sofortige, zeitlich unbegrenzte Suspendierung der übrigen Sanktionen. 175 In beiden Resolutionen findet sich die gleichlautende Feststellung:
Frankreich (UN-Dok. SfPV. 3175, S. 8). So auch Freudenschuß, Article 39, S. 17; Leseure, S. 76. 174 "General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina" und Anhänge; wiedergegeben in UN-Dok. S/1995/999. Das Abkommen wurde am 14.12.1995 in Paris unterzeichnet. 175 In der Resolution werden die Resolutionen SlRES1757 (1992), SlRES1787 (1992), SIRES/820 (1993), SIRES/942 (1994), SIRES/943 (1994), SIRES/988 (1995), SIRES/992 (1995), SIRES/1003 (1995) und SIRES/I015 (1995) als diejenigen Resolutionen angefiilut, durch die die nun suspendierten Sanktionen verhängt oder modifi172 173
104
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
"The Security Council, ( ... ), Determining that the situation in the region continues to constitute a threat to inter-
national peace and security, ( ... ). "
Der Sicherheitsrat war der Ansicht, daß die durch den internationalen bewaffneten Konflikt entstandene Friedensbedrohung auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien176 durch den Abschluß des Abkommens von Dayton noch nicht beseitigt sei und weitere Maßnahmen erforderlich seien. l77 Diese Auffassung kam auch in Resolution S/RES/1031 (1995) vom 15. Dezember 1995 zum Ausdruck, durch die der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten ermächtigte, durch oder in Zusammenarbeit mit der NATO die "Multinational Imp1ementation Force" (IFOR) zur Überwachung der Umsetzung des Abkommens von Dayton zu errichten und bei dieser Überwachung alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. In dieser Resolution traf der Rat ebenfalls die Feststellung, daß die Situation in der Region weiterhin den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohe. Durch Resolution SIRES/1037 (1996) vom 15. Januar 1996 errichtete der Sicherheitsrat die "United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium" (UNTAES), der er die Aufgabe zuwies, die Demilitarisierung der Parteien und die Rückkehr der Flüchtlinge in die genannten Regionen Kroatiens sowie die Umsetzung der übrigen Bestimmungen des von der Regierung Kroatiens und der serbisch-kroatischen Partei geschlossenen Abkommens l78 zu überwachen. Die Resolution enthält folgende Feststellung: ""The Security Council,
( ... ),
Determining that the situation in Croatia continues to constitute a threat to international peace and security, ( ... ). "
Eine identische Feststellung traf der Sicherheitsrat auch in Resolution S/RES/1038 (1996) vom gleichen Tage, durch die er das Mandat der Militär-
ziert wurden. Durch Resolution SIRES/l074 (1996) wurden die Sanktionen endgültig aufgehoben. 176 s. oben S. 94. 177 s. zu diesem Aspekt ausführlich unten S. 276. 178 "Basic Agreement on the Region of Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium between the Government of Croatia and the local Serbian community" vom 12.1 J.J 995; wiedergegeben in UN-Dok. S/1995/951.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ehVN
105
beobachter auf der Halbinsel von Prevlaka (Kroatien)179 verlängerte. Diese beiden Feststellungen geben die vom Rat bereits erklärte Ansicht wieder, daß die Situation auch nach Abschluß des Abkommens von Dayton instabil und die Friedensbedrohung daher noch nicht beseitigt sei. Im Gegensatz zu den Resolutionen SlRES/1021 (1995), SIRES/1022 (1995) und SlRES/1031 (1995) beschränkte der Sicherheitsrat die Feststellungen auf Kroatien, da die im operativen Teil der Resolutionen SlRES/1037 (1996) und SlRES/1038 (1996) beschlossenen Maßnahmen nur für diesen Staat von Bedeutung sind. 13. Ruanda
a) Resolution SIRES/9IB (1994) Nach dem Tod des Präsidenten von Ruanda, der am 6. April 1994 zusammen mit dem Präsidenten von Burundi bei einem Flugzeugabsturz mit ungeklärter Ursache ums Leben gekommen war, kam es in Ruanda zu blutigen Ausschreitungen zwischen den beiden ethnischen Bevölkerungsgruppen der Hutu und der Tutsi, die in den folgenden Wochen zum Wiederaufleben des offenen Bürgerkriegs führten, der seit 1990 von der Tutsi-Rebellenbewegung "Rwandese Patriotic Front" (RPF) gegen die von der Hutu-Mehrheit in Ruanda gestellte Regierung geführt worden war und, nach verschiedenen gescheiterten Waffenstillstandsvereinbarungen, erst im August 1993 durch den Abschluß eines Friedensvertrags l80 beigelegt werden konnte. Die Truppen der RPF rückten vom Norden Ruandas aus gegen den Widerstand der Regierungstruppen ins Landesinnere von Ruanda vor. 181 Neben den Kämpfen der Einheiten von Regierung und Rebellen fanden schwere Pogrome und blutige Massaker an der Zivilbevölkerung im gesamten Land statt, die von marodierenden Soldaten und bewaffneten Banden begangen wurden. 182 Am 13. Mai berichtete der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem Sicherheitsrat, daß sich in Ruanda über anderthalb Millionen Menschen auf den Flucht befanden. 183 Die RPF habe die nördlichen und östlichen Teile von Ruanda unter ihrer Kon-
179 Die Ennächtigung fmdet sich in den Resolutionen SlRES1779 (1992) und SIRES/981 (1995). 180 "Peace Agreement between the Govemment of the Republic of Rwanda and the Rwandese Patriotic Front" vom 04.08.1993, wiedergegeben in UN-Dok. 8/26915. 181 s. AdG Bd. 64 (1994), S. 38835. 182 s. AdG Bd. 64 (1994), S. 38835 f. 183 Bericht des UN-Generalsekretärs vom 13.05.1994 (UN-Dok. SI1994/565), S. 2, Par. 5.
106
I. Teil: We1tfrieden und internationale Sicherheit
trolle. Die Hauptstadt Kigali sei zwischen den Regierungstruppen und den Aufständischen geteilt. 184 Um diese Situation zu beenden, verabschiedete der Sicherheitsrat am 17. Mai 1994 die Resolution SIRES/918 (1994). In der Präambel dieser Resolution führte der Rat aus: "The Security Council,
( ... ),
Strongly condemning the ongoing violence in Rwanda and particularly condemning the very munerous killings of civilians which have taken place in Rwanda and the impunity with which armed individuals have been able to operate and continue operating therein, (. .. ), Deeply concemed that the situation in Rwanda, which has resulted in the death of many thousands of innocent civilians, inc1uding women and children, the internat displacement of a significant percentage of the Rwandan population, and the massive exodus of refugees to neighbouring countries, constitutes a humanitarian crisis of enormous proportions; Expressing once again its alarm at continuing reports of systematic, widespread and flagrant violations of international humanitarian law in Rwanda, as weIl as other violations ofthe rights to life and property, Recalling in this context that the killing of members of an ethnic group with the intention of destroying such a group, in whole or in part, constitutes a crime punishable under internationallaw, ( ... ), Deeply disturbed by the magnitude of the human suffering caused by the conflict and concemed that the continuation of the situation in Rwanda constitutes a threat to peace and security in the region, A ( ... ), B Determining that the situation in Rwanda constitutes a threat to peace and security in the region, Acting under Chapter VII ofthe Charter ofthe United Nations, ( ... ). "
Abschnitt A des operativen Teils der Resolution enthält die Aufforderung zu einem sofortigen Waffenstillstand und eine Erweiterung des Mandats der "United Nations Assistance Mission for Rwanda" (UNAMIR) um die Aufgabe, die Zivilbevölkerung und die Verteilung humanitärer Hilfsgüter zu schützen, gegebenenfalls auch durch die Errichtung von Schutzzonen. In Abschnitt B verhängte der Sicherheitsrat ein umfassendes Waffenembargo.
184 Bericht des UN-Generalsekretärs vom 13.05.1994 (UN-Dok. S/1994/565), S. I, Par. 3.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region wird die Situation in Ruanda genannt. Diese Situation wird in den vorangehenden Absätzen der Präambel als ein interner Konflikt beschrieben, der verschiedene schwerwiegende Folgen habe. Zu diesen Folgen gehörten die extrem hohe Zahl an Opfern unter der Zivilbevölkerung, die schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts und des Rechts auf Leben und Eigentum, die große Zahl an intern Vertriebenen und die massiven Flüchtlingsströme in Nachbarstaaten. Es handelte sich mithin um eine komplexe Situation. Die meisten der sie konstituierenden Elemente waren interner Natur, das heißt, sie bezogen sich ausschließlich auf die Lage innerhalb des Staatsgebiets von Ruanda. Jedoch wird mit den Flüchtlingsströmen in Nachbarstaaten auch eine internationale Auswirkung des Konflikts genannt. Die Beiträge in der Diskussion, die der Annahme der Resolution SlRES/918 (1994) vorausging, spiegeln diese Gewichtung der unterschiedlichen Aspekte der Lage in Ruanda wider. Der Schwerpunkt der Ausführungen lag auf der internen Situation, die durch ein hohes Maß an Gewalt, Tod und interner Vertreibung und Flucht gekennzeichnet war. In diesem Sinne wurde beispielsweise vorgetragen: "The resulting level of violence, death and displacement now qualifies perhaps as the greatest hwnan tragedy in so short a time period in OUf century. ( ... ) It c1early constitutes, as the draft resolution before us maintains, a serious threat to peace and security in the region, which must be addressed. ,,185
Jedoch wurde vereinzelt auch auf die Flüchtlingsströme und die Folgen für Frieden und Sicherheit in der Region hingewiesen: "Lastly, the imposition of a military embargo on Rwanda reaffmns the international community's resolve to contain the hostilities and to avoid an intensification of the conflict, a conflict which, if not controlled in time, could spread beyond the borders of that country, destabilizin~ neighbouring countries and having a highly negative impact on the entire region." 86
Zusammenfassend ist festzubalten, daß der Sicherheitsrat in Resolution SlRES/918 (1994) eine Friedensbedrohung feststellte, die sowohl durch die internen als auch durch die grenzüberschreitenden Auswirkungen des Konflikts in Ruanda ausgelöst wurde, wobei die Bedeutung der internen Faktoren überwog.
185 Dschibuti (UN-Dok. SIPV.3377, S.8); ähnlich auch Argentinien (UN-Dok. SIPV. 3377, S. 14) und die Vereinigten Staaten (UN-Dok. SIPY. 3377, S. 12). 186 Spanien (UN-Dok. SIPV.3377, S. 15); ähnlich auch China (UN-Dok. SIPY. 3377, S. 9).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
b) Resolution S/RES/929 (1994)
Seit Verabschiedung der Resolution SlRES/918 (1994) am 17. Mai 1994 hielt der Bürgerkrieg in Ruanda weiterhin an. Neben den andauernden Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Einheiten der RPF, bei der letztere Erfolge verzeichnen konnten, setzten sich auch die Massaker an der Zivilbevölkerung fort. 187 Es kristallierte sich heraus, daß ein systematisch geplanter und durchgeführter Völkermord an den Tutsi begangen wurde. 188 Schätzungen zufolge verloren bei dem Morden in Ruanda mindestens 500.000, möglicherweise auch eine Million und mehr Menschen ihr Leben. 189 Annähernd zwei Millionen Menschen befanden sich auf der Flucht, davon anderthalb Millionen intern Vertriebene und über 400.000 Flüchtlinge in Nachbarstaaten. 19o Diese Situation veranlaßte den Sicherheitsrat, am 22. Juni 1994 Resolution SlRES/929 (1994) zu verabschieden. Durch diese Resolution wurden die Mitgliedstaaten ermächtigt, alle erforderlichen Mittel anzuwenden, um solange die humanitären Aufgaben von UNAMIR zu erfüllen, bis diese Friedenstruppe in der Lage sei, dies selbst zu tun. 191 Resolution SlRES/929 (1994) enthält folgende Feststellung einer Friedensbedrohung: s. AdG Bd. 64 (1994), S. 39048 f. s. den am 09.12.1994 veröffentlichten Abschlußbericht der vom Sicherheitsrat durch Resolution SIRES/935 (1994) eingesetzten unabhängigen Expertenkommission, die zu dem Schluß kam, daß es eindeutige Beweise gebe, daß die Massenvernichtung der Tutsi durch Elemente der Hutu-Bevölkerung methodisch geplant und ausgeführt worden sei (UN-Dok. S1199411405, S. 14, Par. 58). Der UN-Generalsekretär wies bereits in seinem Bericht vom 31.05.1994 darauf hin, daß ein systematisch begangener Völkermord vorliege, der von Angehörigen der Regierungstruppen und der Präsidentengarde sowie insbesondere den Hutu-Jugendmilizen durchgeführt werde (UN-Dok. SI1994/640, S. 3, Par. 7). 189 s. AdG Bd. 64 (1994), S. 39152. Der UN-Generalsekretär ging bereits in seinem Bericht vom 31.05.1994 von 250.000 bis 500.000 Opfern - bei einer Gesamtbevölkerung von 7 Mio. Menschen - aus (UN-Dok. S/1994/640, S. 2, Par. 5). 190 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 31.05.1994 (UN-Dok. SI1994/640), S. 5, Par. 15. 191 Der UN-Generalsekretär hatte am 20.06.1994 berichtet, daß die Mitgliedstaaten nur sehr zögerlich bereit seien, an der Friedenstruppe UNAMIR teilzunehmen oder sie zu unterstützen und die Truppe daher frühestens in drei Monaten ihr Mandat wahrnehmen könne. Deshalb schlage er vor, das Angebot Frankreichs (s. den Brief Frank:reichs vom 20.06.1994 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/1994/734), S.I) anzunehmen, eine multilaterale militärische Aktion unter französischer Führung zum Schutz der Zivilbevölkerung in Ruanda durchzufiIhren; s. den Brief des UN-Generalsekretärs vom 20.06.1994 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. SI1994/728). Aufgrund der in Resolution SIRES/929 (1994) enthaltenen 187 188
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 eh VN
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"The Security Council,
C· .. ),
Deeply concemed by the continuation of systematic and widespread killings of the civilian population in Rwanda, Recognizing that the current situation in Rwanda constitutes a unique case which demands an urgent response by the international community, Determining that the magnitude ofthe humanitarian crisis in Rwanda constitutes a threat to peace and security in the region,
C···)."
Nach Ansicht des Sicherheitsrates wurde die Friedensbedrohung durch das Ausmaß der humanitären Krise in Ruanda herbeigeführt. Gegenüber der Feststellung in Resolution SIRES/918 (1994), in der generell "die Situation in Ruanda" mit ihren internen und externen Folgen als Friedensbedrohung charakterisiert worden war, fand hier eine Akzentverschiebung in Richtung auf die interne Situation statt, denn die humanitäre Krise spielte sich hauptsächlich in Ruanda ab. Zudem wurden in den vorangehenden Absätzen der Präambel keine internationalen Auswirkungen, etwa Flüchtlingsströme, mehr genannt, sondern nur noch die systematischen und zahlreichen Morde an der Zivilbevölkerung Ruandas. Aufgrund dieser Akzentverlagerung kann festgestellt werden, daß nun allein der Konflikt und seine internen Auswirkungen die Friedensbedrohung ausmachten. 192 Dem steht nicht entgegen, daß der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung "in der Region" festgestellt hat. Diese abstrakte und floskelartige Feststellung wurde in der Resolution nicht konkretisiert. Auch den Protokollen der Debatte l93 können keine Hinweise entnommen werden, daß internationale Auswirkungen einen Einfluß auf die Feststellung der Friedensbedrohung gehabt hätten. c) Resolution SlRESI955 (1994)
Am 8. November 1994 nahm der Sicherheitsrat die Resolution SlRES/955 (1994) an. Durch diese Resolution errichtete er den "Internationalen Strafgerichtshof für die Verfolgung von Personen, die sich in Ruanda oder Nachbarstaaten des Völkermordes oder anderer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht schuldig gemacht haben". Dieser Schritt war das Ergebnis einer zunehmenden Entschlossenheit des Sicherheitsrates, die Vorgänge in Ruanda
Ermächtigung führten Frankreich und der Senegal die "Operation turquoise" durch. Französische Truppen brachten Teile des Südwestens Ruandas unter ihre Kontrolle und richteten dort eine Schutzzone ein; s. AdG Bd. 64 (1994), S. 39051. 192 So auch Kimminich, S. 448. 193 UN-Dok. S/PV. 3392.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
als Völkermord zu brandmarken und dagegen vorzugehen. In Resolution SlRES/918 (1994) hatte der Rat noch von einer humanitären Krise gesprochen. Dagegen hatte sich der tschechische Delegierte mit folgenden Worten gewandt: "(The situation in Rwanda) is being described as a humanitarian crisis as though it were a famine or perhaps a natural disaster. In the view of my delegation, the proper description is genocide.'ol94
In der nachfolgenden Resolution SIRES/925 (1994) vom 8. Juni 1994 stellte der Sicherheitsrat fest: "Noting with the gravest concern the reports indicating that acts of genocide have occurred in Rwanda and recal/ing in this context that genocide constitutes a crime punishable under internationallaw,"
In Resolution SlRES/955 (1994) zog der Sicherheitsrat die Konsequenz aus den Berichten über den Völkermord195 und die massiven Verletzungen des humanitären Völkerrechts,196 indem er den Strafgerichtshof zur Verfolgung dieser Verbrechen errichtete. In der Präambel der Resolution heißt es: "The Security Council, ( ... ), Expressing once again its grave concern at the reports indicating that genocide and other systematic, widespread and flagrant violations of international humanitarian law have been cornmitted in Rwanda, Determining that this situation continues to constitute a threat to international peace and security, Determined to put an end to such crimes and to take effective measures to bring to justice the persons who are responsible for them, Convinced that in the particular circumstances of Rwanda, the prosecution of persons responsible for serious violations of international humanitarian law would enable this aim to be achieved and would contribute to the process of national reconciliation and to the restoration and maintenance of peace, Believing that the establishment of an international tribunal for the prosecution of persons responsible for genocide and the other above-mentioned violations of international humanitarian law will contribute to ensuring that such violations are halted and effectively redressed, ( ... ). "
194 Tschechische Republik (UN-Dok. SIPV. 3377, S. 16). 195 s. den vorläufigen Bericht vom 04.10.1994 der unabhängigen Expertenkommission. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß ein klarer Fall von Völkermord vorliege (UN-Dok. S/l994/l125, S. 27, Par. 124). 196 s. den vorläufigen Bericht der unabhängigen Expertenkommission (s. oben Fn. 195), S. 23, Par. 107.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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Die Formulierung der zitierten Absätze der Präambel lehnt sich eng an die Resolutionen SIRES/808 (1993) und SIRES/827 (1993) an, durch die der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien errichtet wurde. 197 Wiederum führte der Sicherheitsrat zunächst die schwerwiegenden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, insbesondere den Völkermord, in Ruanda an und stellte dann fest, daß "diese Situation" eine Friedensbedrohung sei. Folglich wurden der Weltfrieden und die internationale Sicherheit nach Ansicht des Rates durch die benannten Verbrechen bedroht und nicht etwa allgemein durch den bewaffneten Konflikt in Ruanda und dessen verschiedene Auswirkungen. Auch die Frage, ob die Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu der Friedensbedrohung führten, weil sie Verstöße gegen grundlegende Normen der internationalen Gemeinschaft mit schwersten Folgen für die betroffene Bevölkerung darstellten, oder deshalb, weil durch sie der Konflikt in Ruanda mit seinen internen und externen Auswirkungen weiter angefacht wurde, ist hier ebenso wie im Falle der Resolutionen SIRES/808 und SIRES/827 im Sinne der ersten Alternative zu beantworten. Der Sicherheitsrat kennzeichnete nur die schweren Verstöße gegen das Völkermordverbot und die Normen des humanitären Völkerrechts als Friedensbedrohung. Erst in einem nachfolgenden Absatz zeigte er sich überzeugt, daß die Errichtung des Strafgerichtshofs nicht nur zu der Unterbindung der Rechtsverletzungen, sondern auch zu dem Prozeß der nationalen Versöhnung und zur Wiederherstellung des Friedens beitragen werde. Diese Ziele wurden mithin eigenständig neben das der Beendigung der Rechtsbrüche gestellt. Nur diese Rechtsbrüche wurden zu Beginn als die Friedensbedrohung verursachend angeführt. Folglich läßt sich der Struktur der Präambel von Resolution SIRES/955 (1994) entnehmen, daß allein die Tatsache, daß in Ruanda das Völkermordverbot und grundlegende Normen des humanitären Völkerrechts verletzt wurden, nach Auffassung des Sicherheitsrates eine Friedensbedrohung darstellte. Die der Verabschiedung der Resolution vorausgegangene Diskussion im Sicherheitsrat gab einer Reihe von Delegationen Gelegenheit, als Grund für das Tätigwerden des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen festzustellen, daß der Völkermord in Ruanda ein Geschehen sei, das die internationale Gemeinschaft nicht hinnehmen könne. So sagte der Vertreter der Russischen Föderation: "In addition, we believe that support for the Security Council resolution will give yet another dear and unequivocal signal to the effect that the international COl1UDU-
197
s. oben S. 100.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
nity will not tolerate serious violations of norms of international humanitarian law and disregard for the rights of the individual." 198
Der britische Delegierte bemerkte: "The establishment of a tribunal in these exceptional circumstances for the prosecution of those responsible for the atrocities is a signal of the international cornmunity' s determination that offenders must be brought to justice." 199
Einigen Wortbeiträgen ist darüber hinaus zu entnehmen, daß die Verletzungen der genannten völkerrechtlichen Normen in Ruanda eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellten, da diese Normen grundlegende Werte der Weltgemeinschaft seien: "The independent Cornmission ofExperts conc1uded that even though the conflict in Rwanda was a domestic one its consequences affected the entire international community, inasmuch as fundamental principles of international humanitarian law were violated. ,,200
Die Kennzeichnung des Völkermordes und der anderen schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts als Friedensbedrohung unabhängig von deren internationalen Auswirkungen wurde von den Mitgliedern des Sicherheitsrates unwidersprochen hingenommen. 201 14. Haiti
a) Resolution S/RES/841 (1993)
Am 1. Oktober 1991 wurde Jean - Bertrand Aristide, der gewählte Präsident von Haiti, durch einen Militärputsch gestürzt. Die Macht übernahm eine dreiköpfige Militärjunta unter der Leitung des Armeeoberbefehlshabers Cedras. 202 Nach dem Putsch kam es zu zahlreichen Ermordungen, willkürlichen Fest-
Rußland (UN-Dok. SIPY. 3453, S. 2). Großbritannien (UN-Dok. SIPV. 3453, S. 6); ähnlich auch Argentinien (UN-Dok. SIPv. 3453, S. 8). 200 Tschechische Republik (UN-Dok. SIPV.3453, S. 6 f.); ähnlich auch Spanien (UN-Dok. SIPv. 3453, S. 11 f.). 201 Brasilien (UN-Dok. SIPY. 3453, S. 9) und China (UN-Dok. SIPY. 3453, S. 11) äußerten Zweifel an der Befugnis des Sicherheitsrates, einen Strafgerichtshof zu errichten, nicht aber an der Feststellung der Friedensbedrohung. S. dazu auch oben Fn. 19 in der Einleitung. 202 s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36079 f. 198
199
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 Ch VN
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nahmen, Mißhandlungen, Folterungen und Verschleppungen. 203 Flüchtlinge verließen in großer Zahl das Land. 204 Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bemühte sich seit Beginn des Konflikts um eine politische Lösung. 205 Die Mitgliedstaaten dieser Organisation verurteilten jedoch gleichzeitig scharf den Militärputsch und beschlossen die politische und wirtschaftliche Isolierung der neuen Militärjunta in Haiti. 206 Das Aussetzen der Lieferungen von Gütern, rur die das Militär und die Polizei in Haiti Verwendung haben könnten, insbesondere Waffen, Munition und Öl, wurde am 24. November 1992 auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen empfohlen,z07 Da das empfohlene Wirtschaftsembargo nur unzureichend befolgt wurde,208 bat der Ständige Vertreter Haitis bei den Vereinten Nationen im Namen von Präsident Aristide den Sicherheitsrat, ein verbindliches Embargo zu beschließen. 209 Am 16. Juni 1993 verabschiedete der Sicherheitsrat S/RES/841 (1993). Diese Resolution enthält den Beschluß eines Wirtschaftsembargos, das sich auf die Lieferung von Öl und Ölprodukten sowie von Waffen und militärischem Gerät nach Haiti und das Einfrieren der Auslandsguthaben dieses Staates erstreckt. In der Präambel von Resolution S/RES/841 (1993) wird ausgeführt: "The Security Council, (00')' s. AdG Bd. 62 (1992), S. 36429, 37195 f u. 37487. s. AdG Bd. 62 (1992), S. 36431 u. 36881 f 205 s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36080, und Bd. 62 (1992), S. 36430 u. 37196. 206 s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36080. 207 Resolution AlRES/47/20 A. 208 s. AdG Bd. 62 (1992), S. 37195. 209 Brief des Ständigen Vertreters von Haiti vom 07.06.1993 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. S/25958): "[00'] In the light of[the] situation and on instructions ofmy Government, Irequest that the Security Council make universal and mandatory the sanctions against the de facto authorities adopted at the Ad Hoc Meeting ofMinisters for Foreign Affairs of the Organization of American States and recommended to the international community in various General Assembly resolutions, giving priority to the embargo on petroleum products and the supply of arms and munitions. I remain convinced that a solution to the Haitian crisis would help to promote stability in the region and would contribute to the strengthening of international peace and security. [00']'" Acevedo, S. 137 f, vertritt die Ansicht, daß der Sicherheitsrat erst im Juni 1993 aktiv geworden sei, da zuvor viele Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen der Ansicht gewesen seien, es liege keine eindeutige Friedensbedrohung vor. 203 204
8 Lailach
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Also recalling the statement of 16 February 1993 (S/25344), in which the Council noted with concern the incidence of humanitarian crises, including mass displacements of population, becoming or aggravating threats to international peace and security, Deploring the fact that, despite the efforts of the international community, the legitimate Government ofPresident Jean-Bertrand Aristide has not been reinstated, Concemed that the persistence of this situation contributes to a c1imate of fear of persecution and economic dislocation which could increase the number of Haitians seeking refuge in neighbouring Member States and convinced that areversal of this situation is needed to prevent its negative repercussions on the region, ( ... ), Determining that, in these unique and exceptional circumstances, the continuation of this situation threatens international peace and security in the region, ( ... ). "
Nach Ansicht des Sicherheitsrates wurde die Friedensbedrohung durch "die Fortdauer dieser Situation" erzeugt. Die Situation wird in den vorangehenden Absätzen beschrieben. Demnach fuhrten die Nichtwiedereinsetzung von Präsident Aristide und die humanitäre Krisensituation in Haiti zu Fluchtbewegungen aus Verfolgungsangst oder wirtschaftlicher Not. Die Flüchtlinge bewegten sich nicht nur innerhalb Haitis, sondern auch in zunehmender Zahl in Richtung Nachbarstaaten. Diese Flüchtlingsströme hatten nach Ansicht des Sicherheitsrates negative Auswirkungen auf den Frieden und die Sicherheit in der Region. Folglich ist nicht die interne Situation in Haiti an sich, sondern deren internationale Auswirkungen die Ursache für die Friedensbedrohung. 21o Die Untersuchung der vorangehenden Debatte bestätigt dieses Ergebnis. Die beiden Delegierten, die zu der Frage der Ursache der Friedensbedrohung Stellung nahmen, bezogen sich auf die Flüchtlingsströme und deren Konsequenzen fur die Region: "The situation in Haiti is a threat to peace and security in the region; and Haiti's neighbours are daily subjected to the consequences. ,,211 "This tragedy is not confined within the borders of Haiti. It has already extended dangerously beyond them. The situation in Haiti is undoubtedly a threat to peace and security, particularly in the Carribean basin ( ... ). ,,2\2
Kuba hatte sich zwar in einer schriftlichen Stellungnahme gegen diese Argumentation gewandt
210 So auch Baroni, S. 113 f; a. A. Corten, S. 132 f, und Heintze, Haiti, S. 21, die auf die humanitäre Krise an sich abstellen. Zweifel an dem Bestehen einer Friedensbedrohung äußert Falk, S. 342, Fn. 3. 211 Kanada (UN-Dok. SIPY. 3238, S. 7). 212 Venezuela (UN-Dok. SIPY. 3238, S. 11 f).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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"(The draft resolutions) make particular reference to the impact of the question of Haitian refugees on international peace and security in the region. Cuba, as one of Haiti's closest neighbours, has received thousands ofrefugees from this long-suffering country, perhaps more than any other State in the region, and has never considered that this flow threatened peace and security in the geographical area in which it is situated, but has viewed it as a purely humanitarian question which must be resolved ( ... ) through the international organizations and bodies which deal with refugees and displaced persons. Accordingly, in the view of (Cuba), this question does not fall within the mandate accorded to the Security Council under the Charter. (Cuba categorically repudiates) the adoption ofmeasures concerning the internal situation of Haiti by the Security Council, whose primary responsibility is the maintenance of international peace and security, a context which does not embrace the situation prevailing in Haiti, however many pretexts are advanced in an effort to demonstrate the contrary. In the view of Cuba the actions today being sought of the Council, in addition to being illegal under the Charter, establish a dangerous precedent which only serves to buttress the repeated attempts to extend the authority and mandate of the Security Council beyond those laid down in the Charter. ,,213
Doch fand dieser Standpunkt im Sicherheitsrat keine Mehrheit. Er spiegelt sich daher nicht in dem Text der Resolution SlRES/841 (1993) wider.
b) Resolution SlRESI873 (/993) Am 3. Juli 1993 schlossen Präsident Aristide und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Cedras, das Abkommen von Govemors Island214 ab. Es sah unter anderem vor, daß Cedras zurücktrete und Aristide am 30. Oktober 1993 nach Haiti zurückkehre. Dieser Prozeß sollte durch die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten überwacht werden. Nach Abschluß dieses Abkommens suspendierte der Sicherheitsrat mit Resolution SlRES/861 vom 27. August 1993 die Sanktionen gegen Haiti. Nachdemjedoch die Militärs in Haiti entgegen ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen von Govemors Island nicht zum Rücktritt bereit waren und den Angehörigen der "United Nations Mission in Haiti" (UNMIH)215 die Landung in Haiti verweigerten,216 setzte der Rat die Sanktionen am 13. Oktober 1993 durch Resolution 213 Brief Kubas vom 14.06.1993 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. S/25942), S. 2 f. 214 Der Text ist wiedergegeben in UN-Dok. S/26063, S. 2 f. 215 Der Sicherheitsrat hatte UNMlli durch Resolution SIRES/867 (1993) vom 23.09.1993 errichtet und mit dem Mandat ausgestattet, die Behörden Haitis bei der Errichtung einer Polizei truppe und der Modernisierung der Streitkräfte zu unterstützen. 216 Das amerikanische Schiff "Harlan County", auf dem sich Einheiten von UNMlli befanden, wurde am 11.10.1993 am Andocken im Hafen von Port-au-Prince durch eine Blockade des Hafens gehindert; s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 13.10.1993 (UN-Dok. S/26573) und AdG Bd. 63 (1993), S. 38345.
8*
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
SlRES/873 (1993) wieder in Kraft. In dieser Resolution traf er folgende Feststellung: "The Security Council, ( ... ), Deeply disturbed by the continued obstruction of the arrival of the United Nations
Mission in Haiti ( ... ), and the failure ofthe Anned Forces ofHaiti to carry out their responsibilities to allow the Mission to begin its work, Having received the report of the Secretary-General (S/26573), infonning the Council that the military authorities of Haiti, including the police, have not complied in good faith with the Governors Island Agreement, Determining that their failure to fulfil obligations under the Agreement constitutes a threat to peace and security in the region, ( ... ). "
Nach Ansicht des Sicherheitsrates entstand die hier festgestellte Friedensbedrohung durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dem Abkommen von Governors Island durch die Militärs in Haiti. Der Vertreter Venezuelas drückte dies durch die folgenden Worte aus: "That lack of compliance with the obligations imposed in the (Governors Island) Agreement obviously reflects a situation that is a threat to peace and security in the region and requires the Council to take action under Chapter VII ofthe Charter. ,,217
Bei der Beurteilung der Frage, ob nach Ansicht des Sicherheitsrates die Nichterfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags eine Friedensbedrohung darstellen kann, müssen zwei Besonderheiten des vorliegenden Falls berücksichtigt werden. Erstens handelte es sich bei dem Abkommen von Governors Island um einen Vertrag zur Beilegung des Konflikts zwischen den haitianischen Parteien. Dieser Konflikt hatte zu einer schweren humanitären Notsituation in Haiti und massiven Flüchtlingsströmen geführt. 218 Aufgrund der Nichtbefolgung des Abkommens von Governors Island bestand die konkrete Gefahr, daß dieser Konflikt wieder aufflammen und zu denselben oder ähnlichen gravierenden Mißständen führen könnte. 219 Zweitens waren Organe der Vereinten Nationen in mehrfacher Hinsicht in die Angelegenheit einbezogen. Die Durchführung der Wahlen in Haiti, deren Ergebnis in dem Abkommen von Govemors Island von allen Seiten anerkannt wurde, war durch die "United Nations Observer Group for the Verification of the Elections in Haiti" (ONUVEH) auf der Grundlage einer Ermächtigung der
Venezuela (UN-Dok. SIPY. 3291, S. 6). s. oben S. 112. 219 Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich auch bald; s. unten S. 118 die Beschreibung der Situation in Resolution SIRES/917 (1994). 217 218
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Generalversammlung220 unterstützt und überwacht worden. Das Abkommen von Governors Island kam unter Vermittlung des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zustande. 221 Das Abkommen sah vor, daß die Einhaltung der Verpflichtungen der Parteien durch die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten überwacht werde. 222 Die internationale Gemeinschaft war somit im übertragenen Sinne Partei des Abkommens von Governors Island. 223 Mehrere Organe der Vereinten Nationen hatten ein besonderes Interesse daran, daß das Abkommen erfüllt werde. 224 Dies erschien notwendig, um das durch die Tätigkeit der Vereinten Nationen bereits Erreichte zu sichern und die Erfüllung zukünftiger Aufgaben zu ermöglis. Resolution AlRES/45/2 vom 10. Oktober 1990. s. den Bericht des UN-Genera1sekretärs vom 12.07.1993 (UN-Dok. S/26063), S. 1, Par. 4. 222 Punkt 10 des Governors Island Agreements. Auf diesen Aspekt weist Corten, S. 126, besonders hin. 223 Dieses Bild benutzte Präsident Aristide in seinem Brief vom 29.07.1994 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. SI1994/905): "I feel that the time has come for the international community, as a party in the process which led to that Agreement [of Governors Island], to take prompt and decisive action, under the authority of the United Nations, to allow for its full imp1ementation. " 224 So auch Corten, S. 130 f. Die Generalversammlung hatte bereits in Resolution AlRES/4617 vom 11.10.1991 den Putsch scharf verurteilt und dabei die Mitwirkung der Vereinten Nationen an der Durchführung der Wahlen betont: "The General Assembly, [ ... ], Bearing in mind that, on the basis of its resolution 45/2 [... ], the United Nations system, at the request of the 1awful authorities of that country [... ]; supported the efforts ofthe people ofHaiti to consolidate their democratic institutions and also supported the holding offree elections on 16 December 1990, [ ... ], 1. Strongly condemns the attempted illegal replacement of the constitutional President of Haiti, the use of violence and military coercion and the violation of human rights in that country; 2. Affirms as unacceptable any entity resulting from that illegal situation and demands the immediate restoration of the legitimate Government of President Jean-Bertrand Aristide, together with the full application of the National Constitution and hence the full observance ofhuman rights in Haiti; [ .. .]. " Während der gesamten Dauer der Behandlung der Situation durch den Sicherheitsrat unterstützte die Generalversammlung dessen Maßnahmen (s. die Resolutionen AlRES/47/20 A vom 24.1l.l992, AlRES/47/20 B vom 20.04.1993, AlRES/48/27 A vom 06.12.1993 und AlRES/48127 B vom 08.07.1994). 220 221
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
chen, sowie um das Ansehen und die Stellung der Vereinten Nationen zu wahren. Es standen somit die Effektivität und die Autorität der Organe der Vereinten Nationen in Frage. Zusammenfassend ist festzustellen, daß nicht die Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags an sich die Friedensbedrohung ausmachte, sondern die durch Mißachtung des Abkommens von Governors Island entstandene Gefahr zum einen des Wiederauflebens des Konflikts mit seinen schwerwiegenden humanitären Auswirkungen und zum anderen der Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen. In Resolution SlRES/875 (1993) vom 16. Oktober 1993 bekräftigte der Sicherheitsrat seine in Resolution SlRES/873 (1993) getroffene Feststellung einer Friedensbedrohung und ermächtigte die Mitgliedstaaten, das Embargo mit allen angemessenen Mitteln durchzusetzen. c) Resolution S/RES/917 (1994)
Am 6. Mai 1994 verabschiedete der Sicherheitsrat Resolution SlRES/917 (1994), mit der er das Embargo auf alle Rohstoffe und Produkte sowie auf den Flugverkehr ausdehnte. Die Präambel der Resolution enthält folgende Absätze: "The Security Council, (00. ), Reaffinning that the goal of the international community remains the restoration of democracy in Haiti (00')' Strongly condemning the numerous instances of extra-judicial killings, arbitrary arrests, illegal detentions, abductions, rape and enforced disappearances, the continued denial of freedom of expression, and the impunity with which armed civilians have been able to operate and continue operating, Reaffinning its determination that, in these unique and exceptional circumstances, the situation created by the failure of the military authorities in Haiti to fulfil their obligations under the Governors Island Agreement and to comply with relevant Security Council resolutions constitutes a threat to peace and security in the region, (00')' "
In dieser Feststellung sah der Sicherheitsrat die Friedensbedrohung nicht mehr unmittelbar in dem Bruch des Abkommens von Governors Island, sondern in der Situation, die durch die Nichterfüllung der Verpflichtungen aus diesem Abkommen sowie der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates geschaffen wurde. Den beiden vorangehenden Absätzen ist zu entnehmen, daß diese Situation zwei unterschiedliche Aspekte aufwies, nämlich die Nichtverwirklichung des Ziels der Staatengemeinschaft, die Demokratie in Haiti wiederherzustellen, und die massiven Menschenrechtsverletzungen in Haiti.
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Die Menschenrechtsverletzungen, die eines der beiden Elemente der friedensbedrohenden Situation der Resolution SlRES/917 (1994) bildeten, wurden vom Sicherheitsrat enumerativ dargelegt. Der Rat verzichtete hier darauf, internationale Auswirkungen dieser Menschenrechtsverletzungen zu beschreiben. Es sind vielmehr die Verletzungen an sich, die er verurteilte. 225 Ein Delegierter faßte dies in die Worte: "Because of its scope, the tragedy of Haiti goes beyond the country' s borders. The international community cannot regard the serious, systematic violation of human rights within the territory of a given State as a purely internal matter. ,,226
Der Passus in Resolution SlRES/917 (1994), dem zufolge die Wiederherstellung der Demokratie in Haiti das Ziel der internationalen Gemeinschaft sei, hat in der Literatur zu der Annahme geführt, die Zerstörung demokratischer Strukturen durch die Machthaber in einem Staat sei vom Sicherheitsrat als Friedensbedrohung charakterisiert worden. 227 Diese Schlußfolgerung erscheint jedoch nicht zwingend. Die Alternative ist, daß nur in dem speziell gelagerten Fall Haitis die Weigerung der Militärs, die faktische Regierungsgewalt in einem durch UNMIH überwachten Prozeß an den gewählten Präsidenten Aristide abzutreten und so die Demokratie in Haiti wiederherzustellen, zu der Friedensbedrohung beitrug, weil die Militärs durch dieses Verhalten gegen das Abkommen von Governors Island und die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates verstießen. Diese Mißachtung der völkerrechtlichen Verpflichtungen trug zu den humanitären Mißständen und Menschenrechtsverletzungen in Haiti bei und stellte die Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen in Frage. 228 Diesem Verständnis zufolge wäre die Wiederherstellung der Demokratie in Haiti das Ziel der internationalen Gemeinschaft nicht aufgrund der allgemeinen Bedeutung der Demokratie, sondern weil dies der Inhalt des Abkommens von Governors Island war. Die Befolgung dieses Abkommens wäre dann aus denselben Gründen wie bei Resolution SlRES/873 (1993) für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit relevant. Es lassen sich eine Reihe von Gründen dafür anführen, daß nicht der Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung, sondern der Bruch des AbSo auch Reisman, Haiti, S. 82 f Argentinien (UN-Dok. SIPV. 3376, S. 5). 227 Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S. 495 u. 498; P.-M. Dupuy, Organisation de la paix, S. 618; Gordon, S. 559; Schreuer, S. 82 f; Stein, Diskussionsbeitrag, S. 193; ders., Enforcement, S. 114 f; s. auch Dominice, S. 430 f; Lukashuk, S. 147; Tomuschat, Future, S. 83. Grundsätzlich ablehnend Frowein, Diskussionsbeitrag, S. 94; Gordon, S. 569 f; Torres Bemardez, S. 738. 228 s. insoweit oben S. 115 die Ausfllhrungen zu Resolution SIRES/873 (1993). 225 226
120
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
kornmens von Governors Island und die Mißachtung der Resolutionen für den Sicherheitsrat ausschlaggebend war. In dem Absatz der Resolution SlRES/917 (1994), der die Feststellung der Friedensbedrohung enthält, wird dieses spezielle völkerrechtswidrige Verhalten der Militärs ausdrücklich erwähnt. Überdies wird der einmalige und außergewöhnliche Charakter der Umstände betont. Angesichts der relativen Häufigkeit von Staatsstreichen gegen gewählte Regierungen blieben diese Ausführungen unverständlich, wenn der Sicherheitsrat auf den Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung an sich abgestellt hätte. Es erscheint naheliegender, den Passus so zu verstehen, daß der Sicherheitsrat signalisieren wollte, daß allein die speziellen Umstände im Fall Haitis ihn zum Handeln veranlaßt hätten und er nicht gewillt sei, zukünftig im Falle eines Sturzes einer gewählten Regierung die Feststellung einer Friedensbedrohung zu erwägen. 229 Schließlich ist bemerkenswert, daß der Sicherheitsrat in Resolution SlRES/841 (1993), seiner ersten Resolution in Reaktion auf den Sturz von Präsident Aristide, den Gesichtspunkt der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse nicht erwähnte, sondern vorzog, sich auf die internationalen Auswirkungen der Situation zu berufen. Erst nach dem Verstoß gegen das Abkommen von Governors Island durch die Militärs führte der Rat die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse als Ziel der internationalen Gemeinschaft an. Dieses späte Interesse an der innenpolitischen Situation Haitis wird dann plausibel, wenn nicht die Wiederherstellung der Demokratie an sich, sondern die Umsetzung des Abkommens von Governors Island als Handlungsziel des Sicherheitsrates erkannt wird. 230 Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die in Resolution SlRES/917 (1994) festgestellte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit aus der Sicht des Sicherheitsrates durch zwei unterschiedliche Elemente herbeigeführt wurde. Dieses sind die sich in Haiti abspielenden massiven Menschenrechtsverletzungen und die Mißachtung des Abkommens von Governors Island sowie der Resolutionen des Sicherheitsrates. Diese Nichtbefolgung rechtlicher Verpflichtungen ist aus der Sicht des Sicherheitsrates, wie schon bei Resolution SlRES/873 (1993), friedensbedrohend, weil dadurch die Menschenrechtsverletzungen befördert und die Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen in Frage gestellt wurden.
229 230
So auch Corten, S. 128 f. So auch Corten, S. 130.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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d) Resolution SIRESI940 (J 994)
In S/RES/940 (1994) vom 31. Juli 1994, durch die die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Militärs zum Verlassen von Haiti zu bewegen, stellte der Sicherheitsrat fest, daß die Situation in Haiti weiterhin eine Friedensbedrohung darstelle: 231 "The Security Council, ( ... ), Condemning the continuing disregard of the (Governors Island Agreement) by the
illegal de facto regime, and the regime's refusal to cooperate with etTorts by the United Nations and the Organization of American States (OAS) to bring about their implementation, Gravely concemed by the significant further deterioration of the humanitarian situation in Haiti, in particular the continuing escalation by the illegal de facto regime of systematic violations of civil liberties, the desperate plight of Haitian refugees and the recent expulsion of the statT of the International Civilian Mission (MICIVlli) ( ... ),
( ... ), ReajJirming that the goal of the international community remains the restoration of democracy in Haiti and the prompt return of the legitimately elected President, Jean-Bertrand Aristide, within the framework of the Governors Island Agreement, ( ... ), Determining that the situation in Haiti continues to constitute a threat to peace and security in the region, ( ... ). "
Die durch den Sicherheitsrat festgestellte Friedensbedrohung wurde wiederum durch die heiden Elemente des fortdauernden Vertragsbruchs durch die Militärs in Haiti und der schweren Menschenrechtsverletzungen verursacht. 232 Dieser zweite Aspekt der Friedenshedrohung wurde in der Resolution mit der allgemeinen humanitären Notlage in Haiti in Zusammenhang gebracht. Dabei wurde auch das Problem der Flüchtlinge erwähnt, doch nicht in seiner internationalen Dimension (wie noch in Resolution S/RES/841 (1993», sondern nur im Kontext der humanitären Situation in Haiti. 233 In der Debatte, die der Verabschiedung von Resolution S/RES/940 (1993) vorausging, wurde die Feststellung der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit kontrovers diskutiert. Einige Vertreter von Staaten, die an der Erörterung der Angelegenheit teilnahmen, ohne Mitglied des Rates Ähnlich auch schon Resolution SIRES/933 (1994) vom 30. Juni 1994. So auch Corten, S. 125 u. 129. Kimminich, S. 448, stellt nur auf die Vertragsverletzung ab. 233 So auch Corten, S. 122, und Glennon, S. 72. 231
232
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1. Teil: Weltfrieden Illld internationale Sicherheit
zu sein, waren der Ansicht, die Situation in Haiti stelle keine Friedensbedrohung dar: "The use of force in this case gives rise to grave legal and practical doubts ( ... ). Indeed, the crisis in Haiti, in our opinion, is not a threat to peace, a breach of the peace or an act of aggression such as would warrant the use of force in accordance with Article 42 of the Charter. ,,234 "We do not believe that the internal political situation in Haiti projects externally in such a way as to represent a threat to international peace and security. ,,235 "(We express) our grave concern ( ... ) with the formulation that describes the situation in Haiti as a threat to regional peace and security, something that is new and removed from the precepts established by the Charter of the United NatiQns concerning the authority of the Security COllllcil. ,,236
Diese Auffassung konnte sich jedoch bei der Willensbildung im Si;::herheitsrat nicht durchsetzen. Die Resolution, und somit auch die Feststellung der Friedensbedrohung, wurde mit 13 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. 237 Die Stellungnahme des nigerianischen Delegierten macht besonders deutlich, daß die Friedensbedrohung nicht in dem Putsch und der Mißachtung der Wahlergebnisse an sich lag, sondern in dem Verstoß gegen das Abkommen von Governors Island: "We reaffirm the special character ofthe present situation in Haiti. The adoption of the draft resolution should therefore not be seen as aglobaI license for external interventions through the use of force or any other means in the internal affairs of Member States. For my delegation, the overriding rationale for the proposed action Illlder Chapter vn in the draft resolution is predicated on the failure of the military Government in Haiti to honour the Governors Island Agreement, which it freely entered into with the ousted President Aristide, and the military Government's failure to fully implement extant Security COllllcil resolutions, both of which failures threaten international peace and security in the region ... 238
234 235 236 237 238
Mexiko (UN-Dok. SfPV. 3413, S. 4). Uruguay (UN-Dok. SfPV. 3413, S. 7). Kuba (UN-Dok. SfPV. 3413, S. 5). s. UN-Dok. SfPV. 3413, S. 14. Nigeria (UN-Dok. SfPV. 3413, S. 11).
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15. Angola
Am 1. Mai 1991 waren die Regierung von Angola und die Rebellenbewegung "Uniäo Nacional para a Independencia Total de Angola" (UNITA)239 übereingekommen, den seit der Unabhängigkeit Angolas im Jahre 1975 andauernden, verheerenden Bürgerkrieg zu beenden und eine zivile Gesellschaft in Angola aufzubauen. In den "Acordos de paz para Angola"240 war die Abhaltung freier Wahlen unter Überwachung durch die Vereinten Nationen vorgesehen. Obwohl die am 29. und 30. September 1992 durchgeführten Wahlen, aus denen die bisherige Regierungspartei als Sieger hervorging, von den internationalen Wahlbeobachtern als frei und fair gekennzeichnet wurden, weigerte sich die UNIT A, das Ergebnis anzuerkennen. In der Folge flammten erneut heftige Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Einheiten der UNITA auf, 241 die die Zivilbevölkerung in extremer Weise in Mitleidenschaft zogen?42 Bei den Vermittlungsversuchen, die der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen unternahm, zeigte sich insbesondere die UNITA nicht bereit, ihre Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag einzuhalten und die Kampfhandlungen einzustellen. 243 In Resolution SlRES/851 (1993) vom 15. Juli 1993 verlangte der Sicherheitsrat von der UNITA, die Kämpfe einzustellen und das Wahlergebnis zu akzeptieren. Anderenfalls sei der Rat bereit, ein Waffen- und Ölembargo gegen sie zu beschließen. Da die UNITA diesen Forderungen nicht nachkam, beschloß der Sicherheitsrat am 15. September 1993 das angedrohte Embargo. In Resolution SlRES/864 (1993) heißt es: "The Security Council,
( ... ),
Expressing grave concern at the continuing deterioration ofthe political and military situation, and noting with consternation the further deterioration of an already grave humanitarian situation, ( ... );
239 "Nationale Union filr die vollständige Unabhängigkeit Angolas". 240
Der Text ist wiedergegeben in UN-Dok. S/22609.
241 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 25.11.1992 (UN-Dok. S/24858).
242 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 12.07.1993 (UN-Dok. S/26060), S. 4, Par. 10-13; den "Report of the Secretary-General on the Work of the Organization" vom 02.09.1994 (UN-Dok. A/49/l), S. 61, Par. 456 u. 461; sowie die Berichte in AdG Bd. 63 (1993), S. 37853 f. u. 38198 f. 243 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 12.07.1993 (UN-Dok. S/26060).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
A ( ... ); 7. Condemns UNITA for continuing military actions, which are resulting in increased suffering to the civilian population of Angola and darnage to the Angolan economy and again demands that UNITA immediately cease such actions; ( ... ); 13. Strongly condemns the repeated attacks carried out by UNITA against United Nations personnel working to provide humanitarian assistance and reajJirms that such attacks are clear violations of international humanitarian law, 14. Takes note of statements by UNITA that it will cooperate in ensuring the unimpeded delivery ofhumanitarian assistance to all Angolans and demands that UNITA act accordingly; ( ... ); B Strongly condemning UNITA and holding its leadership responsible for not having taken the necessary measures to comply with the demands made by the Council in its previous resolutions, Determined to ensure respect for it resolutions and the full implementation of the "Acordos de Paz", Urging all States to refrain from pro vi ding any form of direct or indirect assistance, support or encouragement to UNITA, Determining that, as a result of UNITA's military actions, the situation in Angola constitutes a threat to international peace and security, ( ... )."
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, der Sicherheitsrat habe festgestellt, daß die militärischen Handlungen der UNIT A die Friedensbedrohung darstellten?44 Sollte dies zutreffen, so wäre es das erste Mal, daß der Sicherheitsrat die Kampfhandlungen einer Partei in einem Bürgerkrieg als Friedensbedrohung charakterisiert hätte. Doch steht dieser Annahme der Wortlaut der Resolution entgegen. Demnach machten nicht die militärischen Aktionen der UNIT A die Friedensbedrohung aus, sondern die durch diese Aktionen herbeigeführte Situation in Angola. Diese Situation hatte verschiedene Facetten, die in den vorangehenden Absätzen der Resolution SlRES/864 (1993) benannt werden. Die Situation war zum einen durch eine schwerwiegende humanitäre Notlage gekennzeichnet. In der Resolution zeigte sich der Sicherheitsrat über diese Notsituation schwer besorgt und stellte fest, daß sie durch die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch die UNITA verursacht worden sei. 245 Zum anderen verletzte die UNITA durch die fortgesetzten Kämpfe ihre Verpflichtungen aus den "Acordos de paz para Angola", also dem mit der Regierung geschlossenen Friedensvertrag, dessen Umsetzung von den Truppen der "United Nations Verification Mission" (UNAVEM 11) überwacht wer244 245
Corten, S. 127; Verpmann, S. 119. Operativer Absatz 7 des Abschnitts A.
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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den sollte. 246 Zu dieser Verletzung eines Friedensvertrags mit internationalen Überwachungsmechanismen trat die Nichtbefolgung der vorangegangenen Resolutionen des Sicherheitsrates. In Resolution SlRES/864 (1993) zeigte sich der Rat entschlossen, die Beachtung seiner Resolutionen und die vollständige Umsetzung des Friedensvertrags sicherzustellen. Hier spielt, ähnlich wie im Falle Haitis,247 nicht die Völkerrechtswidrigkeit des Verhaltens der UNIT A an sich eine Rolle, sondern die zwei Folgen der Mißachtung der in Frage stehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen. Dies sind erstens die entgegen dem Friedensvertrag fortgefiihrten Kämpfe und die daraus resultierende humanitäre Notsituation248 und zweitens die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität des Sicherheitsrates und anderer an dem Friedensprozeß in Angola beteiligter Organe der Vereinten Nationen. In Resolution SlRES/864 (1993) wird auch der Aspekt der Einmischung anderer Staaten in den Konflikt in Angola durch die Unterstützung der UNITA genannt. Jedoch ging dieser Gesichtspunkt nicht in die Beschreibung der Friedensbedrohung ein, da dort allein auf die Situation abgestellt wurde, die durch die militärischen Aktivitäten der UNITA selbst herbeigefiihrt wurde. Die Analyse des Resolutionstextes ergibt folglich, daß der Sicherheitsrat die Situation in Angola, die ein Resultat der militärischen Handlungen der UNIT A war, als Friedensbedrohung beschrieb. Als die beiden friedensbedrohenden Elemente der Situation benannte er die humanitäre Notlage in Angola und die Mißachtung der Friedensverträge und der Resolutionen des Sicherheitsrates durch die UNIT A. Die der Verabschiedung von Resolution SlRES/864 (1993) vorausgegangene Debatte spiegelt wider, daß die vom Sicherheitsrat festgestellte Friedensbedrohung durch die Situation in Angola auf zwei verschiedenen Elementen beruht, die beide in der Wiederaufnahme der Kämpfe durch die UNITA ihren Grund hatten. Zu der schwerwiegenden humanitären Notsituation in Angola äußerten sich die Delegationen unter anderem folgendermaßen: "We are deeply touched by the wretched hwnanitarian condition this conflict has created in Angola. We will not stand by while innocent people are slaughtered, whether by bullets or slowly by starvation. The efforts of the international conununity to assist the poor and affiicted is (sic) of deep irnportance to uso ,,249
Art. I. 4 des Anhangs I des Friedensvertrags. s. dazu oben S. 115. 248 Insoweit überschneidet sich das friedensbedrohende Element des Vertragsbruchs mit dem zuvor dargestellten Element der hwnanitären Notsituation; s. zu diesem Element der Friedensbedrohung Otunnu, S. 606. 249 Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPY. 3277, S. 42). 246
247
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
"The humanitarian situation in Angola, as a result of the conflict in that country, is indeed catastrophic. The daily mortality of almost 1,000 persons because of the direet or indirect effeets of the war is both barbaric and intolerable and needs immediate attention. UNITA is mainly responsible for the deteriorating situation caused by the failure of its leadership to accept the results of the elections held in Angola last ~ear and its re1entless pursuit to gain control ofthe country through military means." 50
Die Ausführungen machen deutlich, daß die katastrophale humanitäre Lage in Angola, die in den bewaffneten Auseinandersetzungen ihre Ursache hatte, für den Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung darstellte, ohne daß es auf internationale Auswirkungen des Konflikts angekommen wäre. Die Mitglieder des Rates waren der Auffassung, daß die internationale Staatengemeinschaft dem Leiden der Zivilbevölkerung nicht länger tatenlos zusehen könne. Resolution SlRES/864 (1993) ist in gewissem Sinne die Antwort auf die Frage, die der Vertreter Tansanias ihnen zwei Monate zuvor, anläßlich der Beratungen zu Resolution SlRES/851 (1993), gestellt hatte: "The question must be asked: for how long will the international community continue to accept the suffering of the Angolan people as the inevitable outcome of an internal conflict?"251
Die Mißachtung der Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag und aus den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates durch die UNITA als das zweite Element der friedensbedrohenden Situation in Angola wurde in unterschiedlicher Weise kommentiert. Einige Vertreter wiesen lediglich auf die Rechtsverletzungen hin: "Spain considers that the time has come to adopt appropriate measures vis-a-vis UNITA's systematic violation of resolutions adopted by the Council and accords that have been reached. ,,252 "The persistence of armed conflict in Angola, which has brought about a humanitarian crisis of tragic proportions, calls for urgent and decisive action on the part of the international community - the Security Council in particular - to reinstate the peace process based on the imRlementation ofthe Acordos de paz and ofthe resolutions ofthe Security CounciL 2 ( ... ) 250 Pakistan (UN-Dok. SIPV.3277, S. 51); ähnlich auch Brasilien (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 23), Dschibuti (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 36 f.), Japan (UN-Dok, SIPy. 3277, S. 43), Kap Verde (UN-Dok, SIPV. 3277, S. 36) und Rußland (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 44). 251 Tansania (UN-Dok. SIPY. 3254, S. 86). 252 Spanien (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 31). m Brasilien (UN-Dok. SIPY. 3277, S. 23).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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At the same time, however, it is no less important that the UNITA leadership lUlderstand that the United Nations will not turn ablind eye to violations of Security COlUlcil resolutions and that this Organization would be betrayin.r its most basic principles if it were to allow force to prevail over the rule of law. ,,25
Andere Delegierte sahen durch das Verhalten von der UNITA die Bemühungen der mit dem Konflikt befaßten Organe der Vereinten Nationen und folglich deren Effektivität gefährdet: "The Secretary-General and his Special Representative, as weil as the front-line African cOlUltries, have made tremendous efforts for the settlement of the Angolan question and important progress had once been made in the process of fmding a political settlement. However, owing to UNITA's refusal to accept the results ofthe general elections and its non-observance of the relevant Security COlUlcil resolutions, the situation in Angola continues to deteriorate, escalating the civil war and forcing a huge exodus of refugees into neighbouring cOlUltries. As a result, the work of the United Nations Verification Mission (UNAVEM Ir) is confronted with enormous difficulties, which have affected peace and security in the region. "m
Der Vertreter von Dschibuti schilderte plastisch die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die UNITA, um die Autorität der Vereinten Nationen und speziell des Sicherheitsrates zu wahren: "As the Secretary-General indicates, the Angolan conflict has been the focus of an illlimaginable level of international activity, so great has been the concern at the amolUlt ofhuman suffering and physical destruction in that COlUltry. (After the elections,) the fighting and suffering have, in fact, escalated to levels lUlprecedented in this long tragedy. The blame for this must be laid squarely at the feet of Jonas Savimbi, whose duplicity, cynicism and contempt for human life and values are lUlbolUlded. In some respects, he is an example of a phenomenon the United Nations can expect to encolUlter on a rising scale. As with Karadzic and Mladic in Bosnia, Pol Pot in Cambodia, Aidid in Somalia and various potential strongmen rising in central Asia, Savimbi is one ofthe new warlords - educated, cynical, clever and ruthless. These warlords perceive the United Nations as weak and apprehensive, concerned more with TV news briefs than victory, prepared to accept the 'reality' of what is rather than the means used to reach the situation or the principles lUlderlying what should be. ( ... ) The pattern is all too consistent. But Angola must not be a replay of Bosnia. Savimbi must be shown that there is another 'reality'.,,256
Die Frage der internationalen Auswirkungen des bewaffneten Konflikts in Angola fand in den Stellungnahmen der Delegationen wenig Beachtung. Le254 Brasilien (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 26); ähnlich auch Großbritannien (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 41). m China (UN-Dok. SIPV. 3277, S.28); ähnlich auch Rußland (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 44). 256 Dschibuti (UN-Dok. SIPy. 3277, S. 36 f.).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
diglich China257 und Ägypten,258 das zu einer Stellungnahme eingeladen worden war, wiesen auf die Folgen des Konflikts für die Nachbarstaaten Angolas hin. Das Problem der Unterstützung der UNlTA durch andere Staaten, das schon in den vorangegangenen Resolutionen angesprochen worden war, wurde in Resolution SlRES/864 (1993) aufgenommen, ohne zuvor von einer der Delegationen thematisiert worden zu sein. Dies war noch in der Debatte zu der unmittelbar vorhergehenden Resolution SlRES/851 (1993), in der das Embargo angedroht wurde, anders gewesen. Bei dieser Gelegenheit hatten sieben Delegierte259 auf die internationalen Auswirkungen hingewiesen. Es war folgerichtig, daß der Vertreter Spaniens zu diesem Zeitpunkt drei Gesichtspunkte aufgezählt hatte, die den Sicherheitsrat zum Handeln veranlassen sollten: "At stake in Angola is the surviva1 of an entire population which now faces a catastrophic situation and the daily horrors of civil war. ( ... ) Also at stake is the stability of the region. The echos of what happens in Angola have serious implications for neighbouring countries, which are now taking in large numbers of Angolan refugees and which have expressed a growing concern at the fact that the armed struggle is approaching their borders. Finally, and of great importance, at stake is the credibility ofthe United Nations and of the Security Council. ,,260
Das Element der Auswirkungen auf die Nachbarstaaten wurde jedoch in Resolution SlRES/864 (1993) in bezug auf die Beschreibung der friedensbedrohenden Situation nicht wieder aufgenommen. Folglich ist zusammenfassend festzuhalten, daß der Sicherheitsrat in dieser Resolution feststellte, die durch die Wiederaufnahme der Kämpfe durch die UNlTA herbeigeführte Situation in Angola bedrohe den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Diese Situation wies zwei unterschiedliche Charakteristika auf, nämlich die katastrophale humanitäre Lage in Angola und die Mißachtung der Pflichten aus dem Friedensvertrag und aus den Resolutionen des Sicherheitsrates durch die UNIT A. Das friedensbedrohende Element in diesem völkerrechtswidrigen Verhalten sah der Sicherheitsrat sowohl in den negativen Auswirkungen auf die humanitäre Situation als auch in der Gefährdung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen.
257 China (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 28). 258 Ägypten (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 16). 259 Angola (UN-Dok. SIPY. 3254, S. 16); China (UN-Dok. SIPY. 3254, S. 104);
Dschibuti (UN-Dok. SIPY. 3254, S. 102); Japan (UN-Dok. SIPV.3254, S. 115); Pakistan (UN-Dok. SIPY. 3254, S. 118); Sambia (UN-Dok. SIPY. 3254, S.76); Spanien (UN-Dok. SIPV. 3254, S. 56). 260 Spanien (UN-Dok. SIPV. 3254, S. 56).
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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16. Die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31. Januar 1992
Am 31. Januar 1992 trat der Sicherheitsrat zum ersten Mal in seiner Geschichte auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammen. Anläßlich dieses Treffens gab der britische Premierminister Major in seiner Funktion als Präsident des Rates eine Erklärung im Namen der Mitglieder des Rates ab, in der die veränderte politische Weltlage nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und die neuen oder wiedererlangten Handlungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten der Vereinten Nationen und insbesondere des Sicherheitsrates gewürdigt wurden. Zu der Frage der Friedensbedrohung enthält die Erklärung folgende Passage: "The absense of war and military conflicts amongst States does not in itse1f ensure international peace and security. The non-military sources of instability in the economic, social, humanitarian and ecological fie1ds have become threats to peace and security. The United Nations membership as a whole, working through the aRpropriate bodies, needs to give the highest priority to the solution ofthe matters. ,,2 1
Die Mitglieder des Sicherheitsrates trafen in dem zitierten Absatz der Erklärung keine Feststellung im Sinne des Art. 39 ChVN,262 sondern verwendeten den Begriff der Friedensbedrohung in einem weiter gefaßten Sinne?63 Es wurden Situationen im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich erfaßt, die zwar nicht aktuell den Weltfrieden und die internationale Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN bedrohen, aber zu Instabilitäten und Gefahrdungslagen führen. Aus diesem Grund sahen die Mitglieder des Sicherheitsrates die Notwendigkeit, sich mit der Lösung dieser Problemlagen zu beschäftigen. In der Aufforderung an die gesamte Mitgliedschaft der Vereinten Nationen, im Rahmen der zuständigen Organe an der Problembewältigung mitzuwirken, kommt zum Ausdruck, daß die Mitglieder der Rates zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht den Sicherheitsrat, sondern andere Organe - in Frage kommen die Generalversammlung und der Wirtschafts- und Sozialrat für zuständig hielten. Doch macht die Bezeichnung dieser Problemlagen als UN-Dok. S/23500, S. 3. So aber Schilling, S. 90, der die seiner Ansicht nach vorliegende Feststellung als zu weitgehend kritisiert. Torres Bemardez, S. 741 f., bringt das gegen diese Annahme sprechende Argument vor, daß es nicht der Praxis des Sicherheitsrates entspricht, bestimmte, weltweit bestehende Mißstände pauschal als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN zu kermzeichnen. 263 So auch Ipsen, Re1ativierung, S.42; Kooijmans, S. 118; Nowlan, S. 173 f.; Torres Bemardez, S. 741 f. 261
262
9 Lailach
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1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
Bedrohqng des Friedens und der Sicherheit die Ansicht der Mitglieder des Rates deutlich, daß sich die genannten Situationen zuspitzen und zu einer Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN heranwachsen könnten. Die Mitglieder des Sicherheitsrates signalisierten durch die Begriffswahl, daß sie nicht ausschlössen, sich künftig mit diesen Situationen zu befassen. 264 In einer späteren Passage der Erklärung bestätigten die Mitglieder des Sicherheitsrates, daß sie der Idee des Systems der kollektiven Sicherheit des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet seien. In diesem Zusammenhang betonten sie, daß die internationale Gemeinschaft Akte des internationalen Terrorismus wirksam unterbinden müsse. 265 Dem ist zu entnehmen, daß die Mitglieder des Sicherheitsrates bereit sind, derartige Akte als Friedensbedrohung zu qualifizieren und mit Zwangsmaßnahmen gegen sie vorzugehen. 266 Schließlich wird auch die Verbreitung der Massenvernichtungswaffen als Friedensbedrohung gekennzeichnet: "The members of the COWlcil, while fuHy conscious of the responsibilities of other organs of the United Nations in the fields of disarmament, arms control and nonproliferation, reaffirm the crucial contribution which progress in these areas can make to the maintenance of international peace and security. ( ... ) The proliferation of aH weaPt0ns of mass destruction constitutes a threat to international peace and security." 67
Während in der Erklärung die wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bedingungen innerhalb eines Staates als mögliche Gefährdungstatbestände beschrieben werden, fehlen Ausführungen zu innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen. Diese Konflikte werden nicht durch den Begriff der "nichtmilitärischen Quellen der Instabilität im humanitären Bereich" erfaßt. Unter diesen Begriff können zwar schwere Menschenrechtsverletzungen subsumiert werden,268 nicht aber Verletzungen des humanitären Völkerrechts, da ausdrücklich von nichtmilitärischen Quellen die Rede ist. 269 In den mündlichen Stellungnahmen wurde die Frage der internen bewaffneten Auseinandersetzungen wie folgt aufgegriffen: So auch Torres Benuirdez, S. 742. UN-Dok. S/23500, S. 3. 266 So auch Torres Bemardez, S. 750. 267 UN-Dok. S/23500, S. 5; s. dazu auch Torres Bemardez, S. 763. 268 So auch Alston, S. 161; White, S. 61. 269 Torrelli, S. 170, hält den Begriff des "Humanitären" in dieser BeziehWlg ftlr nicht eindeutig. 264 265
3. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Art. 39 ChVN
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"National conflicts are sometirne as destructive as the fiercest international conflicts. The enormous loss of live and the human tragedy they produce demand no less attention and appeal for no less speedy a response from the international community. Apart from the loss of human lives, every national conflict has an international dimension, for it generates massive numbers of refugees, thus creating enormous social pressure in neighbouring countries, threatening their peace and stability. ,,270
Besonders eindrücklich schilderte UN-Generalsekretär Boutros-Ghali das Problem: "CiviI wars are no longer civil, and the carnage they inflict will not let the world remain indifferent. The narrow nationalism that would oppose or disregard the norms of a stable international order ( ... ) can disrupt a peaceful global existence. ,,271
Zusammenfassend ist zu bemerken, daß die Erklärung der Mitglieder des Sicherheitsrates vom 31. Januar 1992 keine Feststellung einer bereits bestehenden Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN enthält. Es wurden jedoch in dieser Erklärung sowie in den vorangegangenen mündlichen Stellungnahmen innerstaatliche Situationen benannt, die Ursachen der Instabilität sind und sich nach Ansicht der Mitglieder des Rates zu einer Friedensbedrohung entwickeln können.
270 Kap Verde (UN-Dok. SIPV.3046, S. 81); ähnlich auch Simbabwe (UN-Dok. SIPy. 3046, S. 131). 271 UN-Generalsekretär Boutros-Ghali (UN-Dok. SIPV. 3046, S. 9 f.).
9*
4. Kapitel
Auswertung der Praxis zu Art. 39 ehVN und Rückschluß auf den vom Sicherheitsrat vertretenen Begriff des Weltfriedens Eine Zusammenschau der Praxis des Sicherheitsrates ergibt, daß der Rat die folgenden Ursachen für Bedrohungen des Friedens im Sinne des Art. 39 ChVN festgestellt hat: bereits ausgetragene oder drohende internationale bewaffnete Konflikte, menschliches Leiden in extremen Ausmaßen, die Verletzung bestimmter völkerrechtlicher Normen, die Beeinträchtigung seiner Effektivität und Autorität sowie die anderer Organe der Vereinten Nationen, der Zusammenbruch staatlicher Strukturen. Im Folgenden soll überblickartig dargestellt werden, welche Resolutionen den verschiedenen Ursachenkonstellatioen zuzuordnen sind. Dabei ist zu beachten, daß der Sicherheitsrat in vielen Fällen verschiedene Aspekte kumuliert hat. In diesen Fällen sind die oben angeführten Ursachen nicht als Fallgruppen, sondern als Komponenten zu verstehen. Über die Zuordnung hinaus wird versucht werden, aus den Feststellungen von Bedrohungen des Weltfriedens ruckzuschließen, wie der Sicherheitsrat den Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 39 ChVN - und somit auch des Art. 24 Abs. I Ch VN - versteht.
I. Bereits ausgetragene oder drohende internationale bewaffnete Konflikte Der Sicherheitsrat stufte die sich bereits im Gang befindlichen bewaffneten Konflikte zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaatenl und zwiI
Resolution SIRES/54 (1948).
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
133
sehen Indien und Pakistan2 als Friedensbeclrohung ein. Dies gilt auch für die durch die Beteiligung anderer Staaten internationalisierten BÜfgerkriegssituationen in Zypern 3 und in Bosnien-Herzegowina4 und Kroatien. 5 Die Unterstützung des internationalen Terrorismus durch Libyen näherte er durch seine Subsumtion dieser Taten unter das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 eh VN einem internationalen bewaffneten Konflikt an. 6 Der Sicherheitsrat war der Ansicht, daß der Ausbruch eines internationalen bewaffneten Konflikts zu befürchten sei, wenn Nachbarstaaten das Ziel oder wenigstens der Schauplatz einzelner militärischer Übergriffe wurden. Die militärischen Übergriffe hatten in diesen Fällen noch nicht zu einem militärischen Konflikt zwischen den beteiligten Staaten geführt und sind daher von diesen zu unterscheiden. 7 Dennoch bestand die Gefahr, daß die Situation zu einem internationalen Konflikt eskalieren könnte. Dies machte für den Sicherheitsrat die Friedensbeclrohung aus. Eine derartige Feststellung traf der Rat angesichts der Übergriffe Rhodesiens gegen seine Nachbam8 und Südafrikas gegen Angola. 9 Auch wenn noch keine internationalen militärischen Übergriffe stattgefunden hatten, erblickte der Sicherheitsrat in einer Reihe von Spannungslagen eine Friedensbedrohung, da er die Eskalation der Situation zu einem internationalen bewaffneten Konflikt befürchtete. Diese Gefahr bestand im Falle des Kongo wegen der Neigung anderer Staaten, militärisch zu intervenieren. IO In Resolution SIRES/307 (1971). Resolution SIRES/353 (1974). 4 Resolutionen SIRES1757 (1992), SIRES1770 (1992), SIRES1787 (1992), SIRES/815 (1993), SIRES/816 (1993), SIRES/836 (1993), SIRES/859 (1993), SIRES/900 (1994), SIRES/913 (1994), SIRES/94I (1994), SIRES/942 (1994), SIRES/1021 (1995), SlRESIl022 (1995) und SlRESIl031 (1995). 5 Resolutionen SIRES1757 (1992), SIRES/807 (1993), SIRES/815 (1993), SIRES/958 (1994), SlRESIl037 (1996) und SlRESIl038 (1996). 6 Resolution SIRES1748 (1992); s. dazu auch Franck, Fairness, S.241; Gaja, S. 306; Hobe, S. 59; Kirgis, S. 515; Kühne, S.39; Torres Bemardez, S.750; sowie Richter Oda in seiner Erklärung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (S. 17); zweifelnd Abellan Honrubia, S. 14 f. 7 Diese Unterscheidung trifft auch Szasz, Internal Conflicts, S. 347 f. 8 Resolutionen SIRES/326 (1973), SIRES/403 (1977), SIRES/411 (1977), SIRES/423 (1978), SIRES/424 (1978), SIRES/445 (1979), SIRES/448 (1979) und SIRES/455 (1979). 9 Resolutionen SIRES/418 (1977), SIRES/447 (1979), SIRES/571 (1985), SIRES/577 (1985) und SIRES/602 (1987). 10 Resolution SlRESIl61 (1961). 2
3
134
1. Teil: Weltfrieden lUld internationale Sicherheit
den übrigen Spannungslagen war sowohl diese Interventionsgefahr gegeben als auch die Gefahr des Übergreifens des internen bewaffneten Konflikts auf andere Staaten. I I Anzeichen für diese Eskalationsgefahr waren Grenzzwischenfälle (in den Fällen der Kurden im Irak l2 und Liberias l3 ) und massive Flüchtlingsströme. Letztere waren in der ersten Resolution zu Haiti l4 der alleinige Grund der Friedensbedrohung. In den Resolutionen bezüglich der Lage der Kurden im Irak,15 der Anfangsphase des Konflikts auf dem Gebiet der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien,16 Somalias, I 7 Liberias l8 und Ruandas l9 waren sie für den Sicherheitsrat ein wichtiger Aspekt. Diese Übersicht macht deutlich, daß der Sicherheitsrat von einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN ausgeht, wenn eine Situation zu einem internationalen bewaffneten Konflikt zu eskalieren droht oder bereits durch einen solchen Konflikt gekennzeichnet ist. 20 Dies bedeutet für den Begriff des Friedens, daß er die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt erfaßt.
11. Menschliches Leiden in extremen Ausmaßen Der Sicherheitsrat stützte die Feststellung einer Bedrohung des Weltfriedens in den Resolutionen zu den Konflikten in Jugoslawien,21 Somalia,22
11 Resolution SIRES/232 (1966) zu Rhodesien, sowie die in den folgenden Fußnoten genannten Resolutionen. 12 Resolution SIRES/688 (1991). 13 Resolutionen SIRES1788 (1992) lUld SIRES/813 (1993). 14 Resolution SIRES/841 (1993). 15 Resolution SIRES/688 (1991). 16 Resolutionen SlRESI7l3 (1991), SIRES/721 (1991) lUld SIRES1743 (1992). 17 Resolutionen SIRES1733 (1992), SIRES1746 (1992), SIRES1751 (1992), SIRES1767 (1992) lUld SIRES/775 (1992). 18 Resolutionen SIRES1788 (1992) lUld SIRES/813 (1993). 19 Resolutionen SIRES/918 (1994) lUld SIRES/929 (1994). 20 Zur UnterscheidlUlg zwischen Friedensbruch lUld FriedensbedrohlUlg durch den Sicherheitsrat s. lUlten S. 146. 21 Resolutionen SlRESI7l3 (1991), SIRES1721 (1991) lUld SIRES1743 (1992). 22 Resolutionen SIRES1733 (1992), SIRES1746 (1992), SIRES1751 (1992), SIRES1767 (1992), SIRES/775 (1992), SIRES1794 (1992), sowie die Folgeresolutionen SIRES/814 (1993), SIRES/837 (1993), SIRES/886 (1993), SIRES/897 (1994), SIRES/923 (1994) lUld SIRES/954 (1994).
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
135
Haiti/3 Angola 24 und Ruanda25 auf die hohen Verluste an Menschenleben und das durch die Konflikte verursachte extreme Ausmaß menschlichen Leidens. Die Konsequenzen dieser Feststellungen für den Begriff des Weltfriedens erschließen sich nicht unmittelbar. Theoretisch bestehen zwei Möglichkeiten. Es kann sein, daß die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens für den Sicherheitsrat ein Bestandteil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN ist. Dies hätte zur Folge, daß schwerwiegende Notsituationen allein wegen ihres Bestehens den Frieden beeinträchtigten und der Rat dementsprechend einen Friedensbruch oder eine Friedensbedrohung26 gemäß Art. 39 ChVN feststellen könnte. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß der Sicherheitsrat den Friedensbegriff auf die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt beschränkt und humanitäre Notsituationen den so verstandenen Weltfrieden bedrohen, weil sie zu internationalen bewaffneten Konflikten führen oder diese verschärfen können. Diese Deutungsmöglichkeit besteht auch dann, wenn den Resolutionen zu entnehmen ist, daß der Sicherheitsrat die Bedrohung des Friedens in dem menschlichen Leiden an sich und nicht in dessen Auswirkungen auf den bereits ablaufenden internationalen bewaffneten Konflikt erblickt. 27 Selbst in diesem Fall ist denkbar, daß die Mitglieder des Rates der Ansicht sind, daß durch die extreme Notsituation das internationale System destabilisiert wird und daher die mittel- oder langfristige Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts besteht. Die beiden Konzeptionen unterscheiden sich darin, daß in der ersten die Unterbindung von durch Gewaltanwendung erzeugten humanitären Notsituationen das Ziel der Maßnahmen des Sicherheitsrates zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist, während sie in der zweiten Alternative nur das Mittel darstellt, um das Ziel der mittel- und langfristigen Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu erreichen. Um die zutreffende Konzeption zu ermitteln, ist es somit notwendig, die Praxis des Sicherheitsrates im Hinblick auf seine Ziele im Falle des Einschreitens gegen extreme menschliche Notsituationen zu untersuchen.
23 Resolutionen SIRES/841 (1993), SIRES/873 (1993), SIRES/917 (1994) und SIRES/940 (1994). 24 Resolution SIRES/864 (1993). 25 Resolutionen SIRES/918 (1994) und SIRES/929 (1994). 26 Zur Verwendung der Begriffe durch den Sicherheitsrat s. unten S. 146. 27 s. oben S. 100 zum Beispielsfall der Resolutionen SIRES/808 (1993) und SIRES/827 (1993) in bezug auf die Situation auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien.
136
l. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
Ein prominentes Beispiel ist der Konflikt in Somalia. In Resolution SIRES1794 (1992) stellte der Sicherheitsrat fest, daß das Ausmaß der menschlichen Tragödie und die Behinderung der humanitären Hilfe den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohten. Er war mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen der Ansicht, daß die Situation nicht hinnehmbar sei, und zeigte sich entschlossen, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für humanitäre Hilfsleistungen zu schaffen. Demgegenüber führte der Sicherheitsrat in Resolution SIRES1794 (1992) keine internationalen Auswirkungen der Situation an. 28 Auch in den Stellungnahmen der Delegierten wurde immer wieder die Sorge um die Lage der notleidenden Bevölkerung ausgedrückt, wie die folgenden Beispiele veranschaulichen: "We are grave1y concerned at its (the situation in Somalia) horrendous humanitarian dimensions and we agree with the Secretary-General that we cannot cOWltenance this untold sutTering of innocent men, women and children from starvation and famine.,,29 "Solidarity and interdependence - principles that Wlderlie OUT international order do not permit us to remain impassive in the face of human tragedy, regardless of where it may OCCUT. ,,30 "Cape Verde has always taken the view that the national conflict in Somalia has reached a level of destruction comparable to that of the most ferocious international conflict, necessitating resolute and etTective action on the part of the international commWlity with a view to putting an end to the tragedy affiicting the Somali people.,,31 "By (taking a more determined approach Wlder Chapter Vll), the COWlcil is fulfilling its responsibility towards the affiicted population in Somalia and in acting upon its claim on international solidarity. ,,32 "The world has followed with dismay the appalling human tragedy in Somalia ( ... ). ,,33 "The vote of the United States for the resolution before us expresses OUT commitment to resolving the human tragedy in Somalia - a crisis of immense, almost indescribable proportions. ,,34 28 29 30 31 32 33 34
s. oben S. 84. Simbabwe (UN-Dok. SIPY. 3145, S. 6). Ecuador (UN-Dok. SIPY. 3145, S. 11). Kap Verde (UN-Dok. SIPV. 3145, S. 18). Österreich (UN-Dok. SIPY. 3145, S. 31). Großbritannien (UN-Dok. SIPV. 3145, S. 33). Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPV. 3145, S. 36).
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
137
Keine Delegation trug vor, daß es zur mittel- und langfristigen Verhütung internationaler bewaffneter Konflikte durch frühzeitige Ursachenbeseitigung notwendig sei, Maßnahmen zur Beendigung der Notsituation in Somalia zu ergreifen. Der Beweggrund war allein das unvorstellbare Ausmaß menschlichen Leidens. Es war das Handlungsziel des Sicherheitsrates, die extreme Notsituation zu beseitigen. Dazu fühlte er sich als im Namen der Staatengemeinschaft handelndes Organ verpflichtet, um so dem Gebot internationaler Solidarität Genüge zu tun. Der nächste Fall, in dem der Sicherheitsrat tätig wurde, um eine extreme Notsituation zu beenden, war Angola. In Resolution SlRES/864 (1993) wurde die Situation in diesem Staat als Friedensbedrohung gekennzeichnet, ohne auf internationale Auswirkungen abzustellen. Entscheidend waren für den Sicherheitsrat die katastrophale humanitäre Lage und die Nichtumsetzung des Friedensvertrags. 35 Zu dem Aspekt der Notsituation führten die Staatenvertreter aus: "In light of the dreadful situation prevailing in Angola, the international community has a duty and an obligation to take immediate and drastic action. ,,36 "The report submitted by the Secretary-General informs us that up to 1,000 people have been dying every day in Angola from causes related direct1y or indirect1y to the conflict. That is a stark reminder of the need for the Security Council to take strong measures to bring an end to that destructive fratricidal conflict. Ours is a heavy responsibility. ,,37 "Too much destruction has occurred in the country. Tao many killings have taken place unnecessarily. It is time that the suffering ofthe Angolan people be ended.,,38 "We are deeply touched by the wretched humanitarian condition this conflict has created in Angola. We will not stand by while innocent people are slaughtered, whether by bullets or slowly by starvation. The efforts of the international community to assist the poor and affiicted is (sic) of deep importance to uso ,,39 "The humanitarian situation in Angola, as a result of the conflict in that country, is indeed catastrophic. The daily mortality of almost 1,000 persons because of the direct or indirect effects of the war is both barbaric and intolerable and needs immediate attention. ,,40
35 36 37 38 39 40
s. dazu oben S. 123. Nigeria (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 13). Brasilien (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 23). Kap Verde (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 36). Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPV. 3277, S. 42). Pakistan (UN-Dok. SIPY. 3277, S. 51).
138
1. Teil: Weltfrieden illld internationale Sicherheit
Wiederum war es die gegenwärtige Lage der Bevölkerung, die die Mitglieder des Sicherheitsrates bewegte, nicht die von dieser Lage ausgehenden zukünftigen Gefahren. Diese Analyse trifft auch auf die in bezug auf Ruanda verabschiedete Resolution SIRES/918 (1994) und die zugehörige Debatte im Sicherheitsrat zu. Diese Resolution wurde im Mai 1994, also einen Monat nach Beginn des Völkermordes in Ruanda, beschlossen. Obwohl bei der Feststellung der Friedensbedrohung auch internationale Auswirkungen erwähnt wurden, ist die Resolution doch deutlich von der Besorgnis angesichts der Lage der Bevölkerung Ruandas geprägt. Es heißt in der Präambel unter anderem: "Deeply concemed that the situation in Rwanda, which has resulted in the death of many thousands of innocent civilians, inc1uding women and children, the internal displacement of a significant percentage of the Rwandan population, and the massive exodus of refugees to neighbouring cOillltries, constitutes a humanitarian crisis of enorrnous proportions"
In der Debatte wurde ausgefiihrt: "The resulting level of violence, death and displacement now qualifies perhaps as the greatest human tragedy in so short a time period in our century. The combined efforts ( ... ) to provide humanitarian relief fail to match the rising needs created by this catastrophe. It c1early constitutes, as the draft resolution before us maintains, a serious threat to peace and security in the region, which must be addressed. ,,41 "Faced with a humanitarian catastrophe of such a magnitude the international community could not fail to react. ,,42 "The sheer magnitude of the humanitarian disaster in that tragic COillltry demands action. ,,43 "Some sources estirnate the deaths at approxirnately 200,000 persons. This horrifying situation ( ... ) has made it absolutely essential for the Security COilllcil to consider the adoption of measures to be irnplemented irnrnediate1y in order to meet the most urgent needs of the civilians at risk in Rwanda, inc1uding the many refugees and displaced persons, contributing to their protection and security and providing support and aid in the delivery ofhumanitarian assistance.,,44
In der etwa einen Monat später verabschiedeten Resolution SIRES/929 (1994), der Grundlage der von Frankreich durchgefiihrten bewaffneten Intervention "Operation turquoise", spielen internationale Auswirkungen keine
41 42 43
44
Dschibuti (UN-Dok. S/PY. 3377, S. 8). Frankreich (UN-Dok. S/PV. 3377, S. 11). Vereinigte Staaten (UN-Dok. S/PY. 3377, S. 12). Argentinien (UN-Dok. S/PV. 3377, S. 14).
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
139
Rolle mehr. 45 Die Delegierten ließen in ihren Stellungnahmen keinen Zweifel daran, daß sie von dem Ziel geleitet wurden, den Völkermord in Ruanda und das mit ihm verbundene extreme menschliche Leiden zu unterbinden: "The enonnous scale ofthe human tragedy in Rwanda and the continuing massacres ofthe innocent civilian population ofthat 10ng-sufTering country dictate the need for the adoption of urgent measures that can stop further bloodshed in Rwanda. ,,46 "My delegation has made no effort to disguise its shock, disgust and disbelief at the relentless aberration and genocidal frrestonn destroying Rwanda and its human population. In what has become a killing spectac1e virtually monopolizing our screens, the daily repetition of helplessness and desperation now weighs heavily on our human patience and values. ,,47 "For two months now, the population of Rwanda has been the victim of unprecedented massacres, of such magnitude that one no longer hesitates to describe them as genocide. ( ... ) The goal of the French initiative is exc1usively humanitarian: the initiative is motivated by the plight of the people, in the face of which, we believe, the international community cannot and must not remain passive. ( ... ) Our objective is simple: to rescue endangered civilians and put an end to the massacres, and to do so in an impartial manner. ,,48 "So much has been said about the tragedy in Rwanda ( ... ). It is not necessary to catalogue once again the horrors of what has been taking place there, the tales of butchery, of slain orphans, nuns, mothers, hospital patients, innocent victims; it becomes almost mind-numbing. But we cannot afford to become numb to this tragedy. Despite the demands that the killing stop, despite the expressions of outrage, reports of continuing atrocities reach our ears. ,,49 "But what has made Rwanda a tragedy of historic proportions is the fact that so many innocent civilians have been killed while that conflict rages, and killed in circumstances that have horrified the whole world. It is that humanitarian disaster with which the Council has been faced for weeks now, and on which we have taken a difficult but, we believe, necessary decision today. "so "Over the last weeks the world has followed with deep shock and dismay the horrific news coming out of Rwanda: the news of genocide, of systematic killings in the most barbaric and deplorable fashion of hundreds of thousands of innocent men,
dazu oben S. 108. Rußland (UN-Dok. SIPY. 3392, S. 2). Dschibuti (UN-Dok. SIPY. 3392, S. 3). Frankreich (UN-Dok. SIPy. 3392, S. 5 f.). Vereinigte Staaten (UN-Dok. SIPy. 3392, S. 6). Großbritannien (UN-Dok. SIPV. 3392, S. 8).
45 S. 46 47
48 49
50
140
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
women and children. Not since the holocaust has the world witnessed human tragedy of such enormous proportions. ( ... ) It is my delegation's view that the immediate overriding concern ofthe international community in respect to Rwanda must be to move fast and decisively to save irmocent lives. ,,51
Es ist im Ergebnis festzustellen, daß der Sicherheitsrat angesichts extremer und massiver, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Leiden Maßnahmen stets mit dem Ziel ergriff, diese konkreten Leiden zu beenden. Er fühlte sich berufen, im Namen der internationalen Gemeinschaft nicht länger zuzulassen, daß Menschen extremen Verfolgungs- und Notsituationen ausgesetzt werden. Anläßlich der Sitzung des Sicherheitsrates auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs am 3l. Januar 1992 drückte UN-Generalsekretär Boutros-Ghali dies so aus: "Civii wars are no longer civil, and the carnage they inflict will not let the world remain indifferent. ,,52
Demgegenüber spielten weder die kurzfristige Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts aufgrund bereits vorhandener internationaler Auswirkungen noch der Aspekt, daß durch die Notsituation das internationale System destabilisiert werden und daher die mittel- oder langfristige Gefahr des Ausbruchs eines internationalen bewaffneten Konflikts bestehen könnte, eine Rolle. Der Sicherheitsrat handelte zur Gewährleistung nicht der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, sondern der Abwesenheit extremer menschlicher Notsituationen. Der Rat versteht diese Gewährleistung der Abwesenheit extremer menschlicher Notsituationen als Teil seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu wahren. Dies hat für den Begriff des Weltfriedens zur Konsequenz, daß dieser nach Ansicht des Rates auch die Abwesenheit dieser menschlichen Notsituationen urnfaßt.
51 Tschechische Republik (UN-Dok. SIPv. 3392, S.9); ähnlich auch Brasilien (UN-Dok. SIPV. 3392, S.2), Neuseeland (UN-Dok. SIPv. 3392, S.7), Oman (UN-Dok. SIPV. 3392, S. 11) und Spanien (UN-Dok. SIPv. 3392/Corr. 1, S. 2). 52 UN-Generalsekretär Boutros-Ghali (UN-Dok. SIPV. 3046, S. 9 f.). S. auch die Ausflihrungen des Vertreters von Kap Verde (UN-Dok. SIPV. 3046, S. 81): "National conflicts are sometimes as destructive as the fiercest international conflicts. The enormous loss of live and the human tragedy they produce demand no less attention and appeal for no less speedy a response from the international community."
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
141
III. Die Verletzung bestimmter völkerrechtlicher Normen Der Sicherheitsrat führte in einer Reihe von Resolutionen das Bestehen einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auf die Verletzung bestimmter Normen des Völkerrechts zurück. Dies waren das Verbot des VÖlkermordes,53 die grundlegenden Normen des humanitären Völkerrechts,54 elementare Menschenrechte,55 das Selbstbestimmungsrecht der Völker56 und das Verbot der Apartheid. 57 Es muß hier wiederum die Auffassung des Sicherheitsrates zu der Frage geklärt werden, in welchem Verhältnis diese Verstöße gegen grundlegende völkerrechtliche Bestimmungen zum Weltfrieden stehen. Denkbar ist, daß die Rechtsbrüche den Frieden im Sinne der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt bedrohen, da sie die Rechtstreue der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft negativ beeinflussen könnten und daher die mittel- oder langfristige Gefahr des Verstoßes gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot und mithin eines internationalen bewaffneten Konflikts bestünde. Die zweite Möglichkeit besteht darin, daß die Verletzung dieser Normen, deren Ziel durchgängig die Minimierung extremen menschlichen Leidens ist, den Frieden im Sinne der Abwesenheit menschlicher Notsituationen bedroht. Schließlich erscheint theoretisch vertretbar, daß die Integrität dieser Rechtssätze selbst ein Bestandteil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN ist. Die entscheidende Frage ist mithin, ob der Sicherheitsrat bei seinen Bemühungen zur Durchsetzung dieser Normen von dem Ziel geleitet war, die mittel- und langfristige Gefahr des Ausbruchs internationaler bewaffneter Konflikte zu beseitigen, das menschliche Leiden zu mindern oder die Integrität der völkerrechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Die Untersuchung der einschlägigen Resolutionen und der dazugehörigen Debatten der Mitglieder des Sicherheitsrates ergibt folgendes Bild: In den
53
Resolution SIRES/955 (1994) zu Ruanda.
54 Resolution SIRES1794 (1994) und die Folgeresolutionen (s. Fn. ) zu Somalia;
Resolutionen SIRES/808 (1993) und SIRES/827 (1993) zu dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien; Resolution SIRES/864 (1993) zu Angola; Resolutionen SIRES/918 (1994), SIRES/929 (1994) und SIRES/955 (1994) zu Ruanda. 55 Resolutionen SIRES/917 (1994) und SIRES/940 (1994) zu Haiti. 56 Resolutionen SIRES/221 (1966), SIRES/232 (1966), SIRES/253 (1968), SIRES/326 (1973), SIRES/403 (1977), SIRES/411 (1977), SIRES/424 (1978), SIRES/445 (1979), SIRES/448 (1979) und SIRES/455 (1979) zu Rhodesien. 57 Resolution SIRES/418 (1977) zu Südafrika.
142
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Fällen von Somalia, 58 Angola59 und Ruanda,60 die durch extremes menschliches Leiden gekennzeichnet waren und in denen der Rat die Verletzung grundlegender Normen des humanitären Völkerrechts mit in die Beschreibung der Friedensbedrohung einbezog, fehlt in den Debatten jeglicher Hinweis auf die Bedeutung der Rechtsverletzungen. Die Staatenvertreter brachten als Motivation ausschließlich vor, die extreme Notsituation beenden zu wollen. 61 In den Resolutionen zu Südafrika und Haiti finden sich heide Aspekte in den Stellungnahmen der Delegierten. So betonte der venezolanische Vertreter anläßlich der Verabschiedung von Resolution SIRES/418 (1977) die inhumanen Aspekte des Apartheid-Systems:
"In this new phase of the struggle against the inhuman policy of apartheid, we hope that the conunitment on the arrns embargo will be fully and scrupulously complied with ( ... ). ,,62 Der Delegierte der Sowjetunion stellte demgegenüber heraus, daß das System der Apartheid ein völkerrechtliches Verbrechen darstelle: "( ... ) the embargo ( ... ) would help in bringing pressure to bear on the Pretoria regime, with a view to cutting off the endless chain of crimes committed by racism and apartheid. ,,63 Während der Debatte zur Situation in Haiti, die zum Beschluß von Resolution SIRES/917 (1994) führte, gab ein Mitglied sowohl die menschliche Notsituation als auch die Verletzung grundlegender Menschenrechte als Beweggrundan: "Because of its scope, the tragedy of Haiti goes beyond the country's borders. The international conununity cannot regard the serious, systematic violation of human rights within the territory of a given State as a purely internal matter. ,,64 Weiterhin interessant sind die Diskussionen, die anläßlich der Errichtung der Strafgerichtshöfe zur Verfolgung der Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht im ehemaligen Jugoslawien65 und in Ruanda66 geführt wurden. Es Resolution SIRES1794 (1992). Resolution SIRES/864 (1993). 60 Resolutionen SIRES/918 (1994) und 929 (1994). 61 s. die Darstellung der Debatten oben S. 136. 62 Venezuela (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.1l.1977), S. 3, Par. 31); ähnlich auch Rumänien (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.1l.1977), S. 3 f., Par. 33). 63 UdSSR (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 5, Par. 49). 64 Argentinien (UN-Dok. SIPY. 3376, S. 5). 65 Resolutionen SIRES/808 (1993) und SIRES/827 (1993). 66 Resolution SIRES/9SS (1993). 58 59
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
143
wurde durchgängig herausgestellt, daß die internationale Gemeinschaft die schweren Verstöße gegen grundlegende Normen des humanitären Völkerrechts nicht hinnehmen könne. 67 Zu der Frage, ob der Grund dafur sei, daß die Rechtsbrüche zu extremem und inakzeptablem Leiden der betroffenen Bevölkerung führten, oder ob das Ziel der internationalen Gemeinschaft die Integrität ihrer elementaren völkerrechtlichen Bestimmungen sei, wurde indes nur vereinzelt Stellung genommen. Aus diesen Stellungnahmen ergibt sich kein einheitliches Bild. Im Rahmen der Debatte zu Resolution SlRES/827 (1993) betonte der japanische Delegierte die Folgen der Verletzungen des humanitären Völkerrechts für die Situation der Bevölkerung: "The violations of international humanitarian law in the region are extraordinary in their scope, gravity and persistence. The humanitarian implications are enonnous ( ... ). The magnitude of the crisis is clearly demonstrated in unanimously adopted resolution 808 (1993), which declared the situation to be a threat to international peace and security. ,,68
Aus Anlaß der Errichtung des Strafgerichtshofs für Ruanda stellte der Vertreter der Tschechischen Republik auf die Auswirkungen der Rechtsverstöße für die internationale Gemeinschaft, deren Grundwerteordnung verletzt werde, ab: "The independent Commission of Experts concluded that even though the conflict in Rwanda was a domestic one its consequences atTected the entire international community, inasmuch as fundamental principles of international humanitarian law were violated. ,,69
Im Rahmen der Auswertung der beschriebenen Praxis kann zunächst festgestellt werden, daß der Sicherheitsrat schwerwiegende Verstöße gegen grundlegende völkerrechtliche Normen nicht deshalb als friedensbedrohend ansah, weil sie die Rechtstreue der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft erschüttern und daher rnittel- oder langfristig zu Verstößen gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot durch andere Rechtsgenossen führen könnten. Es ist also in den untersuchten Fällen nicht das Ziel des Sicherheitsrates gewesen, den Frieden im Sinne der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu wahren. Hingegen kann auf der Grundlage der Resolutionen und der Debatten nicht abschließend geklärt werden, ob der Sicherheitsrat Verstöße gegen grundlegende Normen des Völkerrechts als Friedensbedrohung qualifi67 Zu Jugoslawien: Brasilien (UN-Dok. SIPV. 3175, S. 4) und Ungarn (UN-Dok. SIPy. 3175, S. 21). Zu Ruanda: Argentinien (UN-Dok. SIPV. 3453, S. 8), Frankreich (UN-Dok. SIPy. 3453, S. 3) und Rußland (UN-Dok. SIPY. 3453, S. 2). 68 Japan (UN-Dok. SIPV. 3175, S. 23). 69 Tschechische Republik (UN-Dok. SIPV. 3453, S. 6 f.).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
zierte, weil sie zu extremem menschlichem Leiden führten oder weil er die Integrität dieser Rechtsnormen an sich zu schützen beabsichtigte. Dies bedeutet für die Bestimmung des Inhalts des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 eh VN, daß offen bleiben muß, ob der Begriff nach Ansicht des Sicherheitsrates neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und extremer menschlicher Notsituationen7o auch die Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen umfaßt.
IV. Die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität des Sicherheitsrates sowie anderer Organe der Vereinten Nationen In einigen Fällen sah sich der Sicherheitsrat veranlaßt, eine Friedensbedrohung festzustellen, weil seine vorangegangenen Resolutionen nicht befolgt wurden. Ebenso verhielt er sich bei der Mißachtung von Friedens- oder Waffenstillstandsverträgen, die unter seiner Mitwirkung oder der anderer Organe der Vereinten Nationen zustande gekommen waren und/oder einen internationalen Verifikationsmechanismus mit Beteiligung der Vereinten Nationen vorsahen. Der erste Fall dieser Kategorie war Resolution SlRES/221 (1966), in der der drohende Bruch des gegen das Regime in Rhodesien gerichteten Wirtschaftsembargos vom Sicherheitsrat als Friedensbedrohung aufgefaßt wurde. 7! Siebenundzwanzig Jahre später bedrohte der Bruch des Abkommens von Governors Island durch die Militärs in Haiti nach Ansicht des Sicherheitsrates den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. 72 In späteren Resolutionen zu Haiti 73 trat neben die Komponente des Vertragsbruchs die der Mißachtung der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates. Dasselbe gilt für Resolution SlRES/864 (1993), in der der Sicherheitsrat die Mißachtung sowohl des Friedensvertrags als auch seiner Resolutionen durch die UNIT A zum Gegenstand der Friedensbedrohung machte. In einigen Resolutionen, die die Konflikte in Bosnien-Herzegowina und Kroatien betrafen, wurde die Nichteinhaltung der diversen Waffenstillstände als Friedensbedrohung gekennzeichnet. 74
Dies wurde bereits geklärt; s. oben S. 132 und S. 134. Ähnlich auch Higgins, Problems and Process, S. 258; Insanally, S. 444. 72 Resolutionen SIRES/873 (1993) und SIRES/875 (1993). 73 Resolutionen SIRES/917 (1994), SIRES/933 (1994) und SIRES/940 (1994). 74 Resolutionen SIRES/807 (1993), SIRES/815 (1993), SlRESI9l3 (1994), SIRES/941 (1994) und SIRES/998 (1995). 70
71
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
145
Die Friedensbedrohung weist in diesen Fällen zwei Elemente auf. Das erste Element ist die Gefahr, daß der Konflikt, der durch den Vertrag oder die Resolutionen beendet werden sollte, fortgeführt wird oder wieder auflebt. 75 Es hängt dann von der Art und den Umständen des Konflikts ab, worin die Friedensbedrohung zu sehen ist. Daneben steht das - hier bedeutsame - zweite Element der Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen. Diese Beeinträchtigung kann die Erfolgschancen der Organe bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, verringern. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität ist es bedenklich, wenn durch die Nichtbefolgung der betreffenden Verträge und Resolutionen die unter Mitwirkung der Vereinten Nationen erzielten Resultate zerstört oder internationale Verifikationsmechanismen be- oder verhindert werden. Dies kann zu einer abnehmenden Bereitschaft der Staaten führen, zukünftig von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Mechanismen der Vereinten Nationen Gebrauch zu machen. Werden verbindliche Verträge, an deren Zustandekommen der Sicherheitsrat beteiligt war, oder Resolutionen des Rates nicht befolgt, so tritt zu dem Problem der Effektivität das der Autorität des Sicherheitsrates. Wenn es der Rat sanktionslos hinnähme, daß seine Anordnungen mißachtet werden, so verlöre sein wirkungsvollstes Instrument seine Kraft. Die Bereitschaft der Staaten zu friedensbedrohenden Handlungen oder gar Friedensbrüchen nähme zu, da sie eine wirkungsvolle Reaktion des Sicherheitsrates nicht mehr (oder zumindest nicht mehr in dem von der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Umfang) zu fürchten hätten. Das von den Vereinten Nationen errichtete friedenssichernde System der kollektiven Sicherheit nähme Schaden, da seine Funktionsfahigkeit wesentlich auf einer glaubhaften Androhung einer wirkungsvollen kollektiven Reaktion auf Friedensstörungen beruht. 76 Maßnahmen des Sicherheitsrates zur Sicherstellung der Effektivität der Organe der Vereinten Nationen und seiner eigenen Autorität dienen also dazu, mittel- und langfristig das Entstehen von Friedensbedrohungen zu verhindern. Die Sicherstellung der Effektivität und Autorität der Vereinten Nationen ist kein Teilaspekt des Weltfriedens, sondern dient dessen Wahrung. Beeinträchtigungen von Effektivität oder Autorität sind daher als Bedrohungsfaktoren einzuordnen. Für die Ermittlung des Inhalts des Begriffs des Weltfriedens sind sie ohne Bedeutung.
75 Auf dieses Element stellen Damrosch, Introduction, S. 12 f.; dies., Nationalism, S. 495; und Otunnu, S. 606, ab. 76 So auch Daudet, S. 92.
IO Lailach
146
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
V. Der Aspekt des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen In Resolution SIRES1794 (1992) und den folgenden Resolutionen in bezug auf die Situation in Somalia77 stand neben dem Element der Verletzung des humanitären Völkerrechts und des großen Ausmaßes der menschlichen Leidens das des Zusammenbruchs der staatlichen Strukturen. Aus diesem Grund bildeten einige Autoren eine entsprechende eigene Fallgruppe von Friedensbedrohungen, die durch einen solchen Zusammenbruch entstehen könnten. 78 Diese Annahme erscheint jedoch nicht gefestigt, da der Sicherheitsrat bislang nicht festgestellt hat, ausschließlich der Zusammenbruch der staatlichen Strukturen bedrohe den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Somit kann dieser Gesichtspunkt als zusätzliche Komponente, nicht aber als Fallgruppe eingestuft werden. Ein Rückschluß auf den vom Sicherheitsrat vertretenen Begriff des Weltfriedens, dem zufolge das Bestehen funktionierender staatlicher Strukturen eine weitere Komponente des Weltfriedens sei, wäre nicht überzeugend. Da das durch den Zusammenbruch staatlicher Strukturen entstehende Vakuum sowohl die Gefahr eines innerstaatlichen Konflikts mit schwerwiegenden humanitären Folgen als auch das Risiko eines internationalen bewaffneten Konflikts in der Region mit sich bringt, erscheint es plausibler, diesen Zusammenbruch als Bedrohungsfaktor zu verstehen.
VI. Anmerkungen zur Terminologie Der Sicherheitsrat sprach von einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit immer dann, wenn er der Auffassung war, es drohe der Ausbruch internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen. In diesen Fällen lag im eigentlichen Sinn des Wortes eine Bedrohung des Friedens in der Form der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt vor. Darüber hinaus stellte der Rat aber auch dann eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN fest, wenn die internationalen bewaffneten Feindseligkeiten bereits ausgebrochen waren, wenn menschliches Leiden in extremem Ausmaße verursacht wurde oder wenn fundamentale Völkerrechtsnormen verletzt wurden. In all diesen Fällen war der Weltfrieden, vom Sicherheitsrat verstan77 Resolutionen SIRES/814 (1993), SIRES/837 (1993), SIRES/886 (1993), SIRES/897 (1994), SIRES/923 (1994) und SIRES/954 (1994). 78 Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S.495; Koroma, S.4l2; Kühne, S. 36; Ramcharan, S. 36.
4. Kapitel: Auswertung der Praxis
147
den als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, der Abwesenheit extremen menschlichen Leidens und möglicherweise auch der Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen, eigentlich bereits gebrochen. 79 Der Unterschied zwischen einer Bedrohung und einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist mithin in der Praxis des Rates kein zeitlich bedingter, an die verschiedenen Stadien einer Krise geknüpfter, sondern ein inhaltlicher. Der Sicherheitsrat verwendet den Begriff des Friedensbruchs nur dann, wenn eindeutig ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehr Staaten (oder staatsähnlichen Gebilden) stattfindet, und auch dann nur, wenn dies politisch im Sicherheitsrat durchzusetzen ist. 80 Komplexere Situationen, insbesondere durch Beteiligung anderer Staaten oder durch Zerfall des Staates internationalisierte Bürgerkriege, werden ebenso als Friedensbedrohung beschrieben wie extreme menschliche Notsituationen und die Verletzung grundlegender Völkerrechtsnormen.
VII. Ergebnis
Die Auswertung der Praxis des Sicherheitsrates fUhrt zu dem Ergebnis, daß der Rat unter Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens versteht. Es bleibt offen, ob der Sicherheitsrat auch die Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen fUr einen Bestandteil des Weltfriedens hält.
Älmlich auch Schilling, S. 68, Fn. 4. Dies mag der Grund sein, warum der Konflikt zwischen Indien und Pakistan "nur" als Friedensbedrohung eingestuft wurde. 79
80
10*
5. Kapitel
Die Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen Das folgende Kapitel ist der Untersuchung der Feststellungen des Sicherheitsrates im Rahmen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen gewidmet. Diese Feststellungen unterscheiden sich von denen des Kapitels VII der Charta dadurch, daß der Sicherheitsrat statt eines Bruchs oder einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit deren Gefährdung feststellt. Aus dieser Sachlage folgt zunächst, daß neben der Bedrohung auch das Bestehen einer Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ein auslösendes Moment für die Zuständigkeit es Sicherheitsrates ist.! Des weiteren ist zu erkennen, daß der Weltfrieden, zu dessen Schutz der Sicherheitsrat berufen ist, in Kapitel VI und VII der Charta identisch ist. Als Unterscheidungskriterium dient lediglich die Art seiner Beeinträchtigung. 2 Die Identität des Friedensbegriffs in Kapitel VI und VII der Charta kann im übrigen nicht nur durch die Analyse der Begriffe der Friedensgefährdung und der Friedensbedrohung aufgezeigt werden, sondern auch systematisch dadurch, daß die Normen beider Kapitel der Umsetzung derselben Aufgabe dienen, nämlich der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 24 Abs. 1 ChVN. Diese theoretische Begründung des Gleichklangs des Begriffsverständnisses in Kapitel VI und VII der Charta wird durch die Analyse der Praxis des Sicherheitsrates bestätigt. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, daß der Rat auch bei seinem Handeln im Rahmen des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen davon ausgeht, daß sich der Weltfrieden in der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens manifestiert.
! Zur Bestimmung der Friedensgefiihrdung und der Abgrenzung zur Friedensbedrohung s. unten S. 268. 2 Tomuschat, Obligations, S. 341.
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ChVN
149
I. Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt 1. Bereits ausgebrochene internationale bewaffnete Konflikte
Der bewaffnete Konflikt zwischen dem Irak und dem Iran3 gab dem Sicherheitsrat Anlaß, in Resolution SlRES/514 (1982) vom 12. Juli 1982 eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festzustellen. Die Präambel dieser Resolution enthält einen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß der Sicherheitsrat in Erfüllung seiner sich aus Art. 24 Abs. 1 ehVN ergebenden Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit handele: "The Security Council, ( ... ), Deeply concemed about the prolongation of the conflict between the two countries,
resulting in heavy losses of hwnan lives and considerable material damage and endangering peace and security, ( ... ), Recalling that by virtue of Article 24 of the Charter the Security Council has the primary responsibility for maintenance ofinternational peace and security, ( ... ). ,,4
2. Gefahr des Ausbruchs eines internationalen bewaffneten Konflikts
Neben dem bereits ausgetragenen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen dem Irak und dem Iran gab eine Reihe von Situationen dem Sicherheitsrat Anlaß zur Feststellung einer Friedensgefährdung, weil bestimmte konkrete Anzeichen auf eine Eskalationsgefahr hinwiesen. Als derartige Anzeichen wertete der Rat vereinzelte militärische Übergriffe eines Staates auf einen anderen Staat sowie andere internationale Spannungslagen. a) Militärische Übergriffe
Der Sicherheitsrat sah sich wiederholt veraniaßt festzustellen, daß ein militärischer Übergriff eines Staates auf das Gebiet eines anderen Staates den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefahrde. Die militärischen dazu oben S. 51. Ähnlich auch die Resolutionen SIRES/522 (1982), SIRES/582 (1986) und SIRES/588 (1986). 3 S. 4
150
1. Teil: Weltfrieden \llld internationale Sicherheit
Aktionen hatten zumeist den Hintergrund, daß der betreffende Staat eine interne bewaffnete Auseinandersetzung mit einer nationalen Befreiungsbewegung fiihrte und diese Gruppe Stützpunkte in anderen, in der Regel benachbarten Staaten unterhielt. Das Ziel der militärischen Aktionen war ein Angriff auf diese Stützpunkte. Diese Zielsetzung lag beispielsweise den militärischen Übergriffen Portugals auf Sambia, 5 auf den Senegal6 und auf Guinea7 und den bewaffneten Aktionen Südafrikas auf dem Staatsgebiet Sambias, 8 Lesothos9 und Angolas 10 zugrunde. Mehnnals stufte der Sicherheitsrat das Verhalten Israels als Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ein. Der militärische Angriff auf den Flughafen von Beirut (Libanon) und die Zerstörung von dreizehn Flugzeugen verschiedener arabischer Fluggesellschaften durch die israelische Luftwaffe am 28. Dezember 1968 11 gab dem Sicherheitsrat Anlaß, drei Tage später Resolution SlRES/262 (1968) zu verabschieden, in der unter anderem ausgefiihrt wurde: "The Security Council,
( ... ),
2. Considers that such premeditated acts of violence endanger the maintenance of the peace; ( ... ). "
Eine vergleichbare Situation entstand im Juni 1981 durch die Zerstörung eines irakischen Atomreaktors durch israelische Luftangriffe. 12 In diesem Zusammenhang stellte der Sicherheitsrat am 19. Juni 1981 in Resolution SlRES/487 (1981) fest: "Deeply concemed about the danger to international peace and security created by the premeditated Israeli air attack on Iraqi nucIear installations on 7 J\llle 1981,
Resolution SIRES/268 (1969). Resolutionen SIRES/273 (1969), SIRES/294 (1971), SIRES1302 (1971) \llld SIRES1321 (1972). . 7 Resolutionen SIRES/275 (1969) \llld SIRES/290 (1970); s. allgemein zu den Übergriffen Portugals auf Nachbarstaaten der von Portugal abhängigen afrikanischen Gebiete Resolution SIRES1312 (1972). 8 Resolution SIRES/393 (1976). 9 Resolutionen SIRES/527 (1982) \llld SIRES/580 (1985). 10 Resolutionen SIRES/545 (1983), SIRES/546 (1984), SIRES/567 (1985) \llld SIRES/574 (1985). 11 Israel betrachtete diesen Angriff als Vergelt\lllgsschlag filr den Anschlag auf ein israelisches Flugzeug in Athen; zum Sachverhalt s. AdG Bd. 39 (1969), S. 14432. 12 Zum Sachverhalt s. AdG Bd. 51 (1981), S. 24639. 5
6
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ChVN
151
which could at any time explode the situation in the area, with grave consequences for the vital interests of all States".
b) Andere internationale Spannungslagen
Eine rein zwischenstaatliche Spannungslage entstand zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Iran aus Anlaß der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran. I3 Der Sicherheitsrat sah sich veranlaßt, in Resolution S/RES/457 (1979) vom 4. Dezember 1979 festzustellen: "The Security Council, ( ... ), Deeply concemed at the dangerous level of tension between Iran and the United
States of America, which could have grave consequences for international peace and security,
( ... ), Mindful of the obligation of States to settle their international disputes by peaceful means in such a manner that international peace and security, and justice, are not endan~ered, ( ... ). "I
In anderen Fällen hatte die internationale Spannungslage ihre Wurzeln in einem internen Konflikt. Im Falle des von Portugal abhängigen Angola befürchtete der Sicherheitsrat im Jahre 1961, daß die Aufrechterhaltung der Abhängigkeit und die repressiven Maßnahmen der portugiesischen Behörden in Angola andere Staaten zu einer Intervention veranlassen könnten. In Resolution S/RES/163 (1961) vom 9. Juni 1961 traf der Rat eine dementsprechende Feststellung einer Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit: "The Security Council, ( ... ), Deeply deploring the large-scale killings and the severely repressive measures in
Angola, Taking note of the grave concern and strong reactions to such occurrences throughout the continent of Africa and in other parts of the world, Convinced that the continuance of the situation in Angola is an actual and potential cause of international friction and is likely to endanger the maintenance of international peace and security, ( ... ). ,,15
13 Am 04.11.1979 hatte eine Gruppe islamischer Studenten die amerikanische Botschaft in Teheran besetzt und die dort befmdlichen Personen zu Geiseln genommen. Die Geiselnahme wurde von der iranischen Regierung ausdrücklich unterstützt; s. AdG Bd. 50 (1980), S. 23195 f. 14 Ähnlich auch Resolution SIRES/461 (1979).
152
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Der im Dezember 1963 ausgebrochene Bürgerkrieg auf Zypern zwischen den griechischen und türkischen Zyprern I 6 veranlaßte die türkische Regierung, den griechischen Zyprern mit einer militärischen Intervention zu drohen. 17 Diese Spannungslage war der Grund für die Verabschiedung der Resolution SlRES/186 (1964) am 4. März 1964: "The Security Council, Noting that the present situation with regard to Cyprus is likely to threaten international peace and security and may further deteriorate unless additional measures are promptly taken to maintain peace and to seek out a durable solution, ( ... ), Having in mind the relevant provisions of the Charter of the United Nations and, in particular, its Artic1e 2, paragraph 4, which reads: (... ), 1. Ca/ls upon all Member States, in conformity with their obligations under the Charter ofthe United Nations, to refrain from any action or threat of action likely to worsen the situation in the sovereign Republic of Cyprus, or to endanger international peace; ( ... ). "
Auch die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den armenischen Bewohnern der in Aserbaidschan gelegenen Region Berg-Karabach und den Regierungstruppen Aserbaidschans l8 beschäftigten den Sicherheitsrat. 19 Trotz einer Reihe entgegenstehender tatsächlicher Hinweise20 leugnete die Regierung Armeniens, in die Auseinandersetzungen verwickelt zu sein. 21 Der Sicherheitsrat trug der Position der armenischen Regierung Rechnung, indem er in Resolution SlRES/822 (1993) vom 30. April 1993 lediglich von Spannungen zwischen den Republiken Armenien und Aserbaidschan sprach und bewaffnete Auseinandersetzungen nur zwischen lokalen armenischen Einheiten der Region Berg-Karabach und aserbaidschanischen Regierungstruppen konstatierte: "The Security Council,
( ... ),
15 Ähnlich auch Resolution SIRES/218 (1965) in bezug auf alle von Portugal abhängigen afrikanischen Gebiete. 16 s. AdG Bd. 34 (1964), S. 11121. 17 S.AdGBd. 34(1964),S.11122f. 18 Zu Konfliktursachen und -beginn s. AdG Bd. 60 (1990), S. 34177-34180. Zur Situation zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Resolution SIRES/822 (1993) s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 14.04.1993 (UN-Dok. S/25600). 19 Der militärische Konflikt hatte seine Ursache in der Unabhängigkeitserklärung Berg-Karabachs im September 1991; s. AdG Bd. 61 (1991), S. 36355 f. 20 s. AdG Bd. 62 (1992), S. 36895 u. 37141 f., und AdG Bd. 63 (1993), S. 37916 f. 21 s. AdG Bd. 63 (1993), S. 37916.
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ChVN
153
Expressing its serious concern at the deterioration of the relations between the Republic of Armenia and the Republic of Azerbaijan, Noting with alarm the escalation in arrned hostilities and, in particular, the latest invasion of the Kelbadjar district of the Republic of Azerbaijan by local Armenian forces, Concerned that this situation endangers peace and security in the region, ( ... ). ,,22
Unter Zugrundelegung dieser Sichtweise war eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gegeben, da die Gefahr der Eskalation der Situation zu einem internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bestand. Dementsprechend fiihrte der Vertreter Frankreichs aus: "( ... ) we think it essential to prevent these c1ashes from turning into a conflict between States. Here the preambular paragraph ofthe resolution seems to us to strike a reasonable balance between acknowledging that tension exists between Armenia and Azerbaijan and recognizing the localized nature of the fighting. ,,23
In anderen Fällen stand nicht eine Intervention anderer Staaten in einen internen Konflikt, sondern umgekehrt die Ausweitung dieses Konflikts durch Übergriffe einer der Konfliktparteien auf das Gebiet anderer Staaten zu befürchten. Diese Situation bestand nach Ansicht des Sicherheitsrates beispielsweise in Südafrika im Jahre 1970. Der Rat stellte in Resolution SlRES/282 (1970) vom 23. Juli 1970 fese 4 "The Security Council,
( ... ),
Convinced further that the situation resulting from the continued application of the policies of apartheid and the constant build-up of the South African military and police forces ( ... ) constitutes a potential threat to international peace and security, Recognizing that the extensive arrns build-up of the military forces of South Africa poses areal threat to the security and sovereignty of independent African States opposed to the racial policies of the Government of South Africa, in particular the
22 Ähnlich auch die Resolutionen SIRES/853 (1993), SIRES/874 (1993) und SIRES/884 (1993). 23 Frankreich (UN-Dok. SIPV. 3205, S. 11). Der Delegierte von Dschibuti äußerte sein Bedauern über diese Bewertung der Situation (UN-Dok. SIPV. 3205, S. 7): "My delegation voted in favour ofthe resolution in the hope that, in the near future, we will be in a position to call aspade aspade. It disturbs us to have had to accept that this is a local conflict perpetrated and carried out solely by local Armenian forces. However, we aIl know too weIl that the truth is that this is a conflict between Armenia and Azerbaijan." 24 Ähnlich auch die Resolutionen SIRES/134 (1960) und SIRES/417 (1977).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
neighbouring States, ( ... ). ,,25
In einigen der Resolutionen, die sich mit den Konflikten in Ruanda26 und in Georgien27 beschäftigten, wies der Sicherheitsrat auf die Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit hin, die ihre Ursache unter anderem in massiven Flüchtlingsströmen in benachbarte Staaten habe. So heißt es in bezug auf den Konflikt in Ruanda28 in Resolution SlRES/812 (1993) vom 12. März 1993: 25 Die folgenden Autoren nehmen an, daß die Feststellung einer "potentiellen Friedensbedrohung" (sowie andere Formulierungen, die nicht den Begriff der "Geflihrdung" verwenden) Art. 39 ChVN zuzuordnen seien: Aust. S.470; Ballaloud, S.38; Ermacora, S. 416 u. 434; Gross, Domestic Jurisdiction, S. 150; Köck, S. 335; Reisman, Constitutiona1 Crisis (ADI), S. 408; Ritterband, S. 393 u. 405 f; Soubeyrol, Apartheid, S. 331; ZackIin, Rhodesia, S. 48. Jedoch zeigt ein Vergleich mit Resolution SlRES/418 (1977), in der der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung unter exakter Übernahme der Formulierung des Art. 39 ChVN feststellte und anschließend ausdrücklich erklärte, unter Kapitel VII der Charta zu handeln (s. zu dieser Resolution oben S. 67), daß er in den zuvor verabschiedeten Resolutionen gerade durch die von Art. 39 ChVN abweichende Formulierung seine Absicht deutlich machen wollte, (noch) nicht in den Anwendungsbereich des Kapitels VII einzutreten. Die Stellungnahmen der Delegierten bestätigen dieses Verständnis; vgl. Indonesien (SCOR, 19. Jahr, 1129. Stzg. (10.06.1964), S. 7, Par. 22), Großbritannien (SCOR, 19. Jahr, 113l. Stzg. (15.06.1964), S.18, Par. 90), Benin (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 5, Par. 54), Indien (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 7, Par. 79), Pakistan (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 6, Par. 68), Venezuela (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 3, Par. 31) und Vereinigte Staaten (SCOR, 32. Jahr, 2046. Stzg. (04.11.1977), S. 3, Par. 24). Zu diesem Ergebnis gelangen auch Alston, S. 146 f; Amtz, S. 86 f u. 97; Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S. 651-656; Cortenl P. Klein, Autorisation, S.514, Fn.46; Delon, S.469; Dominice, S.424; Eisemann, Sanctions, S.40; G. Fischer, S.64; Franck, Security Counci1, S.93; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz.26; Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 381 f; Howell, S. 774 u. 781 f; Jimenez de Arechaga, Security Counci1, S. 347; Kooijmans, S. 112; Meier, S. 108 f; Menk, S. 126; Nkala, S. 168; Ruzie, S. 73 f; Schachter, Internal Conflict (Moore), S.414; Seyersted, S. 135; Soubeyrol, Congo, S.587; Stein, Lockerbie, S.217; Thierry/Sur/Combacau/Vallee, S. 581; Torres Bemtirdez, S. 758; White, S. 47. 26 Resolutionen SlRES/812 (1993) und SlRES/846 (1993). 27 Resolutionen SlRES/858 (1993), SlRES/876 (1993), SlRES/896 (1994), SlRES/906 (1994), SlRES/971 (1995) und SlRES/993 (1993). 28 In Ruanda kämpfte die Tutsi-Rebellenbewegung "Rwandese Patriotic Front" (RPF) seit 1990 gegen die von den Hutu dominierte Regierung. Erst nach Verabschiedung von Resolution SlRES/812 (1993), in der der Sicherheitsrat die Entsendung einer Beobachtergruppe in Aussicht stellte, gelangten die Parteien im August 1993 zu einer Einigung. Die Vereinbarungen wurden weitgehend eingehalten, bis es im April 1994 zu dem tödlichen Flugzeugabsturz des Präsidenten von Ruanda und dem sich daran anschließenden Völkermord kam. S. dazu oben S. 105 u. 108. Zu der Situation zum
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ChVN
155
"The Security Council, ( ... ), Gravely concemed by the fighting in Rwanda and its consequences regarding inter-
national peace and security, Alarmed by the humanitarian consequences of the latest resumption of the fighting in Rwanda, in particular the increasing number of refugees and displaced persons, and by the threats to the civilian populations, ( ... ). "
Der französische Vertreter im Sicherheitsrat führte dazu erläuternd aus: "( ... ) the continued fighting and the resulting further loss of life and material darnage have seriously cornprornised that country's chances quickly to regain the path ofpeace and dernocracy and are gravely threatening the political stability ofthe region. If this situation continues, it could cause a very serious humanitarian crisis in Rwanda ( ... ). It could also, as a consequence, engender an explosion that would certainly affect the neighbouring countries. ,,29
Hinsichtlich der Lage in Georgien, wo die Regierung in einen Bürgerkrieg mit der Sezessionistenbewegung in Abchasien verwickelt war,3D stellte der Sicherheitsrat in SlRES/876 (1993) vom 19. Oktober 1993 fest: "The Security Council,
( ... ),
Deeply concemed at the human suffering caused by the conflict in the region, and at reports of "ethnie cleansing" and other serious violations of international humanitarian law, Determining that continuation of the conflict in Abkhazia, Republic of Georgia, threatens peace and stability in the region, ( ... ); 2. ReajJirms its strong condernnation of the grave violation by the Abkhaz side of the Cease-fue Agreement of 27 July 1993 ( ... ), and subsequent actions in violation of international humanitarian law; ( ... ); 5. AjJirms the right of refugees and displaced persons to return to their hornes, and calls on the parties to facilitate this; ( ... ). "
In ihren Stellungnahmen äußerten einige Delegierte ihre Besorgnis angesichts der humanitären Lage in Georgien, der großen Zahl von Flüchtlingen Zeitpunkt der Verabschiedung von Resolution SIRES/812 (1993) s. AdG Bd.63 (1993), S. 37727. 29 Frankreich (UN-Dok. SIPv. 3183, S. 13). 30 Nach der Unabhängigkeitserklärung des Parlaments von Abchasien (einer zu Georgien gehörenden Region am Schwarzen Meer) im Juli 1992 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen georgischen Regierungstruppen und den abchasisehen Separatisten. S. zum Konfliktverlauf AdG Bd. 62 (1992), S. 37001 u. 37227 f., und AdG Bd. 63 (1993), S. 38201 u. 38370 f.
156
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
und den Berichten über schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts. So sagte etwa der Vertreter Frankreichs: "The withdrawal of Georgian forces and authorities from the Abkhaz region has resulted in numerous violations of human rights, and there have also been alarming reports of atrocities and acts of "ethnic cleansing". Finally, tens of thousands of refugees have fled Abkhazia and are now suffering grave deprivation. ,,31
Ein besonders gelagerter Fall war die Entführung des früheren SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann32 aus Argentinien nach Israel durch den israelischen Geheimdienst im Jahre 1960. 33 Argentinien hatte eine Verletzung seiner Souveränität geltend gemacht und nach dem erfolglosen Ersuchen an Israel, Eichmann zurückzuüberstellen, den Sicherheitsrat angerufen. Dieser stellte in der vorsichtig ausbalancierten Resolution S/RES/138 (1960) vom 23. Juni 1960 fest, daß nicht die konkrete Entführung, sondern die Wiederholung eines solchen Akts eine Friedensgefahrdung darstellen könnte, da die mit ihr einhergehende Verletzung eines Grundprinzips der internationalen Ordnung zu internationalen Spannungen führen würde: "The Security Council, ( ... ), Having regard to the fact that reciprocal respect for and the mutual protection of the sovereign rights of States are an essential condition for their harmonious coexistence, Noting that the repetition of acts such as that giving rise to this situation would involve a breach ofthe principles upon which international order is founded, creating an atmosphere of insecurity and distrust incompatible with the preservation of peace, Mindful of the universal condemnation of the persecution of the Jews under the Nazis, and of the concern of people in all countries that Eichmann should be brought to appropriate justice for the crimes of which he is accused, ( ... ), 1. Declares that acts such as that under consideration, which affect the sovereignty of a Member State and therefore cause international friction, may, if repeated, endanger international peace and security; ( ... ). "
31 Frankreich (UN-Dok. SIPV. 3295, S.4); ähnlich auch Japan (UN-Dok. SIPV. 3295, S. 10), Rußland (UN-Dok. SIPV. 3295, S. 7), Ungarn (UN-Dok. SIPV. 3295, S. 8 f.) und die Vereinigten Staaten (UN-Dok. SIPV. 3295, S. 3 f.). 32 Eichmann war zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland mit der Organisation der Massendeportationen von Juden betraut gewesen; s. AdG Bd. 30 (1960), S. 8414. 33 s. AdG Bd. 30 (1960), S. 8414 u. 8448 f.; zum Sachverhalt s. auch Hiscocks, S. 245 f.
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ehVN
157
Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Sicherheitsrat mehrfach Situationen, die die Gefahr einer Eskalation zu einem internationalen bewaffneten Konflikt in sich bargen, als Gefahrdung des Weltfriedens einstufte. Dieser Bewertung liegt das Verständnis zugrunde, daß die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ein Bestandteil des Weltfriedens ist.
11. Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens Die Notsituation, in der sich die Menschen im Jemen aufgrund des dort ausgebrochenen Bürgerkriegs34 befanden, wurde vom Sicherheitsrat in Resolution S/RES/924 (1994) vom 1. Juni 1994 als Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit qualifiziert: "The Security Council, ( ... ), Deeply concemed at the tragic death of innocent civilians, Considering that the continuance of the situation could endanger peace and security
in the region,
( ... ). ,,35
In dieser Resolution fehlt jede Bezugnahme auf die Auswirkungen des Bürgerkriegs auf andere Staaten in der Region. Allein die hohen Verluste an Menschenleben stellten für den Sicherheitsrat die Friedensgefahrdung dar. 36 Demgegenüber wurde die extreme humanitäre Notlage der Menschen in Ruanda und Georgien neben die internationalen Auswirkungen der jeweiligen Situation gestellt. 37
34 s. AdG Bd.64 (1994), S.39091-39094; sowie den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 27.06.1994 (UN-Dok. SI19941764). 35 Ähnlich auch Resolution SIRES/931 (1994). 36 s. auch die schriftliche Stellungnahme Katars vom 01.06.1994 (UN-Dok. S11994/65 1), in der allein die hohen Verluste als Grund für die Besorgnis der anderen arabischen Staaten angegeben werden: "[Yemen' s current problems of conflict and interneeine fighting between nationals of the same country] have reached the point where we see today [... ] the tragedies and amictions of war and thousands of innocent Yemenis falling victim to that struggle, which inflicts such heavy losses on fraternal Yemen, presenting a threat to the peace and security of our Arab nation as a whole and exposing it to further calamity, grief and destruction." 37 s. oben S. 155 zu den Resolutionen und Stellungnahmen bezüglich Ruandas und S. 155 zu den Resolutionen und Wortbeiträgen in bezug auf Georgien.
158
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Die Notsituationen, die durch die systematische rassische Diskriminierung in Südafrika und Rhodesien entstanden, stufte der Sicherheitsrat in deutlicher Weise als Gefährdungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ein. Im Gegensatz zu den späteren Resolutionen, mit denen der Rat in den Anwendungsbereich des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen eintrat,38 stellte er bei den hier in Frage stehenden Resolutionen allein auf das diskriminierende System an sich ab und verzichtete auf die Erwähnung internationaler Auswirkungen. Die Gründe dafür müssen im Bereich der Politik gesucht werden. Bei den sowohl vom Gewicht der Feststellung als auch von den Rechtsfolgen sehr viel bedeutsameren Resolutionen des Kapitels VII der Charta konnte kein politischer Konsens unter den Mitgliedern den Sicherheitsrates hergestellt werden, daß das jeweilige Regime an sich als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu qualifizieren sei. 39 Hinsichtlich der Situation in Rhodesien ist Resolution SlRES1217 (1965) vom 20. November 1965 anzuführen. 40 In dieser Resolution wurde die Situation als Friedensgefährdung eingestuft, ohne daß auf die Auswirkungen auf die Nachbarstaaten Rhodesiens Bezug genommen wurde. 41 Demgegenüber fand das in der Generalversammlungsresolution NRES/1514 (XV) 42 festgehaltene Selbstbestimmungsrecht der Völker Erwähnung: "The Security Council, ( ... ), I. Determines that the situation resulting from the proclamation of independence by the illegal authorities in Southern Rhodesia is extremely grave ( ... ) and that its continuance in time constitutes a threat to international peace and security; 2. ReajJirms its resolution 216 (1965) of 12 November 1965 and General Assembly
38 s. oben S. 58 zu Rhodesien und S. 67 zu Südafrika. 39 Bezeichnend ist ein Auszug aus der Debatte vor Verabschiedung von Resolution
SIRES/282 (1970), in der das Apartheidsystem in Südafrika verurteilt wurde. Der Vertreter Sambias filhrte aus (UN-Dok. SfPV. 1549, S. I f.): "[ ... ] the sponsors of this draft resolution were ready to enter into immediate discussions with all members of the Security Council with a view to arriving at an acceptable formula. [... ] in the course of those discussions certain suggestions were put forward which made it necessary for us to make an amendment to the seventh paragraph ofthe preamble. We have replaced the words "constitutes a serious threat to international peace and security" by the words "constitutes a potential threat to international peace and security." s. dazu auch Tomuschat, Obligations, S. 341. 40 Zu der tatsächlichen Lage in Rhodesien im November 1965 s. oben S. 58. 41 So auch Tomuschat, Obligations, S. 337; s. auch die Stellungnalune Großbritanniens (SCOR, 20. Jahr, 1257. Stzg. (12.11.1965), S. 5, Par. 21 f.). 42 s. oben Fn. 43 im 3. Kapitel.
5. Kapitel: Praxis des Sicherheitsrates zu Kapitel VI ChVN
159
resolution 1514 (XV) of 14 December 1960;
( ... ). ,,43
In den Resolutionen zu Südafrika wurde der Sicherheitsrat noch deutlicher. 44 So enthält beispielsweise Resolution SIRES/182 (1963) vom 4. Dezember 1963 die folgende Passage: "The Security Council,
( ... ),
Being strengthened in its conviction that the situation in South Africa is seriously disturbing international peace and security, and strongly deprecating the policies of the Government of South Africa in its perpetuation of racial discrirnination as being inconsistent with the principles contained in the Charter of the United Nations and with its obligations as a Mernber ofthe United Nations, Recognizing the need to elirninate discrimination in regard to basic human rights and fimdamental freedoms for all individuals within the territory of the Republic of South Africa without distinction as to race, sex, language or religion, Expressing the firm conviction that the policies of apartheid and racial discrirnination as practiced by the Government of the Republic of South Africa are abhorrent to the conscience of mankind and that therefore a positive alternative to these policies must be found through peaceful means, ( ... ). ,,45
Schließlich ist Resolution SIRES/180 (1963) vorn 3l. Juli 1963 zu erwähnen. In dieser Resolution beschrieb der Sicherheitsrat die Aufrechterhaltung der Abhängigkeit verschiedener afrikanischer Gebiete von Portugal entgegen
43 Im Gegensatz zu der neueren Praxis des Sicherheitsrates seit Resolution SlRESI7l3 (1992) (s. dazu oben Fn. 140 im 3. Kapitel) ist hier die Feststellung, daß die "Fortdauer der Situation eine Friedensbedrohung darstelle", Kapitel VI der Charta zuzuordnen. Dies ist daran zu erkennen, daß ein späterer Resolutionsentwurf vom 17. Mai 1966 (UN-Dok. S/7285/Add. I), der die Passage enthielt: "Determines that the situation in Southern Rhodesia continues to constitute a threat to international peace and security;" unter anderem mit der Begründung abgelehnt wurde, daß die Feststellung nicht zutreffe, da der Rat bislang noch keine Friedensbedrohung festgestellt habe und die Situation in Rhodesien daher nicht "weiterhin" den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohen könne (Uruguay, in: SCOR, 21. Jahr, 1281. Stzg. (18.05.1966), S.9, Par. 29 f, und SCOR, 21. Jahr, 1285. Stzg. (23.05.1966), S.6, Par. 24). Zu diesem Ergebnis gelangen auch Bailey, S. 308; Eisemann, Sanctions, S. 40; G. Fischer, S. 64; Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 381 f; Howell, S.774 u. 781 f; Nkala, S. 168; Ruzie, S. 73 f.; a. A. H. Fischer, S. 103, Fn. 7; Nowlan, S. 165; Worku, S. 18; Zacklin, Rhodesia, S. 48. 44 So auch Stern, in: CotlPellet, Art. 36, S. 610. 45 Ähnlich auch die Resolutionen SIRES/181 (1963), SlRESI191 (1964) und SIRES/311 (1972).
160
1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheie6 "The Secun'ty Council, ( ... ), 1. Confirms General Assembly resolution 1514 (XV); ( ... ); 3. Deprecates the attitude of the Portuguese Government, its repeated violations of
the principles of the Charter and the relevant resolutions of the General Assembly and of the Security COWlcil; 4. Determines that the situation in the Territories Wlder Portuguese administration is seriously disturbing peace and security in Africa; ( ... ). " Die Beispiele machen deutlich, daß extreme menschliche Notsituationen zu einer Gefährdung des Weltfriedens führen können. Dies zeigt, daß die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens ebenfalls ein Element des Weltfriedens ist.
ill. Ergebnis Die Analyse der Bedeutung des in Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen verwendeten Begriffs des Weltfriedens führt zu dem Ergebnis, daß aus der Sicht des Sicherheitsrates der Weltfrieden die beiden Elemente der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens umfaßt.
46 S.
dazu auch Stern, in: CotIPellet, Art. 36, S. 610.
6. Kapitel Teleologische Betrachtungen: Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt I. Grundsätzliche Überlegungen Jede Auslegung des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 eh VN muß sich in einem ersten Schritt mit dem Argument auseinandersetzen, dieser Begriff sei so weit und voraussetzungslos gefaßt, daß er nicht materiell faßbar sei und seine Interpretation im Belieben des Sicherheitsrates stehe. Die meisten Autoren, die diese Ansicht vertreten, belassen es bei dieser gleichsam resignativen Aussage und suchen begrenzende Kriterien in den politischen Mechanismen des Sicherheitsrates, 1 den einschlägigen Verfahrensvorschriften2 oder in allgemeinen Rechtsprinzipien. 3 Ipsen hingegen führt I Carpentier, S. 298; Cohen Jonathan, in: CotIPellet, Art. 39, S. 655; Combacau, Pouvoir de sanction, S. 99 f; Conforti, Pouvoir discn:tionnaire, S. 56 f; ders., Nazione Unite, S. 177 f; Dinstein, War, S. 281 f; Dominice, S.425; Dulles, S. 194 f.; R.-J. Dupuy, Condusions, S. 494; Farer, Paradigm, S. 330; Fox, Security Council, S. 319; ders., Civil Wars, S. 641; Franke, S. 208; Freudenschuß, Artide 39, S. 39; Higgins, Rhodesia, S. 101 f; Ipsen, Relativierung, S. 42; Kelsen, United Nations, S. 727; Lillieh, Diskussionsbeitrag, S. 67 u. 69; Manier, S. 688 f, 691 u. 694, Fn. 128; Otunnu, S. 600; Reisman, Peacemaking, S. 418; L. D. Roberts, S. 612; Ruzie, S. 87; Sohn, Civil Wars, S.586; Sur, Diskussionsbeitrag, S. 148; ders., Securite collective, S. 19 f; Szasz, Enforcement, S. 23 f; Torrelli, S. 191 f; White, S. 37 u. 46; sowie Richter Weeramantry in seiner abweichenden Meinung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (66); zweifelnd Hailbronner, Diskussionsbeitrag, S. 73 f; und Scott, S. 589. 2 Alston, S. 172; Dinstein, Legal Lessons, S. 4; Freudenschuß, Artide 39, S. 37; Higgins, Rhodesia, S. 101; Reisman, Constitutional Crisis (ADI), S. 416; Sur, Securite collective, S. 20; Verdross, Völkerrecht, S. 652; Wolfrum, Security Council, S. 317; zweifelnd Schilling, S. 80 f. 3 Alston, S. 138 f; Arntz, S. 33; Bindschedler, Beteiligung der Schweiz, S. 10 f; Bowett, Self-Defense, S. 197; Conforti, Non-Coercive Sanctions, S. 111 f; Evatt, S. 11; Gross, Buchbesprechung, S.228; Oldenhage, S. 118; L. D. Roberts, S.612, Fn. 76; Verdross, Völkerrecht, S. 132; sowie Richter Bedjaoui in seiner abweichenden Meinung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v.
11 Lailuch
162
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
im Zusammenhang mit dem Begriff des Weltfriedens in Art. 39 ChVN zur Begründung aus, es handele es sich um eine bewußte Entscheidung der Verfasser der Charta, dem Sicherheitsrat die Befugnis zur dynamischen Interpretation des Begriffs der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Rahmen seiner Feststellungsbefugnis zuzuerkennen. Mittels dieser dynamischen Interpretation habe der Rat die Möglichkeit, den offenen Vertragsbegriff der Bedrohung des Weltfriedens unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen und zeitlichen Begriffswandlungen und unter Anwendung der in Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge festgelegten Auslegungsmethoden jeweils neu auszufüllen. Da der Sicherheitsrat demnach in keiner Weise an seine bisherige Praxis gebunden sei, sei es nicht angängig, aus dieser Praxis induktiv eine Begriffsbestimmung zu gewinnen. Es sei genausowenig sinnvoll, durch eine systematische oder teleologische Auslegung der Charta den Begriff deduktiv auszufüllen. Statt dieser Bemühungen könne sich der Interpret darauf beschränken festzuhalten, daß eine Bedrohung des Weltfriedens im Sinne des Art. 39 ChVN dann vorliege, wenn der Sicherheitsrat dies feststelle. 4 Es ist Ipsen darin zuzustimmen, daß eine Begriffsbestimmung allein auf der Grundlage der bisherigen Praxis des Sicherheitsrates nicht genügen kann. Dafür sprechen zwei in gewisser Weise gegenläufige Argumente. Zum einen besteht die Möglichkeit, daß der Sicherheitsrat durch seine bisherigen Feststellungen den ihm auslegungstheoretisch zur Verfugung stehenden Spielraum noch nicht ausgeschöpft hat. Eine Grenzziehung entlang der bisherigen Praxis ist daher wenig sinnvoll. Es ist zu vermeiden, daß zukünftige Feststellungen, die sich im Rahmen des theoretisch Zulässigen befinden, nur deshalb als unzulässig gekennzeichnet werden, weil sie über die bisherige Praxis hinausgehen. Zum anderen ist die Praxis des Sicherheitsrates als alleinige Erkenntnisquelle auch deshalb unzureichend, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Sicherheitsrat ultra vires gehandelt hat. 5 Wie der Internationale Gerichtshof im ersten Admissions-Gutachten feststellte, ist der Sicherheitsrat trotz seiner Stellung als politisches Organ an die Vorschriften der Charta der Vereinten Nationen gebunden, die seine Befugnisse begrenzen oder Voraussetzungen für seine Feststellungen benennen. 6 United Kingdom), Provisiona1 Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (45, Par. 26 f). 4 Ipsen, Relativierung, S. 42. 5 Bedjaoui, Contröle de h:galite, S. 92 f; Bowett, hnpact, S. 95 f; Tomuschat, Obligations, S. 341. 6 IGH, in: Conditions ofAdmission of aState to Membership in the United Nations (Article 4 of the Charter), Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1948, S. 57 (64). S. auch
6. Kapitel: Frieden als Abwesenheit bewaflheter Gewalt
163
Diese beiden Gründe sprechen dafiir, auf eine rein induktive Auslegung anhand der Praxis des Sicherheitsrates zu verzichten. Dies bedeutet allerdings nicht, daß diese Praxis zu vernachlässigen ist. Vielmehr kann sie unter bestimmten Voraussetzungen als Auslegungskriterium herangezogen werden. In jedem Falle ist die Praxis ein Zeugnis des Begriffsverständnisses des Sicherheitsrates, das bei der Auswertung der verschiedenen vorgebrachten Auslegungsmöglichkeiten an prominenter Stelle zu berücksichtigen ist. 7 Entgegen der Auffassung von Ipsen erscheint eine Auslegung des Begriffs des Weltfriedens mittels der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden sinnvoll. Ipsen selbst schreibt, daß der Sicherheitsrat bei seiner dynamischen Interpretation die in Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge kodifizierten Auslegungsmethoden anzuwenden habe. Somit hat er auch die Grenzen der zulässigen Auslegung zu beachten. 8 Er könnte sich also beispielsweise nicht über den klaren Wortlaut einer Bestimmung hinwegsetzen. 9 Nichts anderes gilt bei einer dynamischen Interpretation, da diese dem auslegenden Organ nur die Möglichkeit gewährt, stattgefundene Begriffswandlungen zu reflektieren, nicht aber, selbst den Begriffsinhalt zu ändem. 10 Mithin sind dem Sicherheitsrat bei seiner Auslegung Grenzen gesetzt, unabhängig von der Tatsache, daß die Weite des Begriffs des Weltfriedens vermuten läßt, daß dem Sicherheitsrat bei seinen Feststellungen gemäß Art. 39 ChVN ein Spielraum verbleibt. 11 Die Ermittlung des Inhalts des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN - und damit auch des Art. 39 ChVN dient der Bestimmung des Umfangs und somit auch der Grenzen des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates. Die Handlungen des Sicherheitsrates werden an dieser Bestimmung zu messen sein. Der Auslegung des Begriffs des Weltfriedens steht nicht entgegen, daß er offensichtlich sehr weit gefaßt ist. Vielmehr fordert die Weite und Unschärfe dieses Begriffs seine Auslegung geradezu heraus. In Rechtstexten verwendete Ausdrücke sind nur deswegen überhaupt problematisierbar, weil sie sich einer IGH, in: Certain expenses 0/ the United Nations (Article 17, paragraph 2, 0/ the Charter), Advisory Opinion of 20 July 1962, I.C.J. Reports 1962, S. 151 (168); sowie Bedjaoui, Contröle de legalite, S. 92 f; Bothe, Limites des pouvoirs, S. 69; Bowett, Impact, S. 95 f; Ch. de Visscher, Problemes d'interpretation, S. 148 f 7 S. dazu oben S. 38. 8 Giraud, S. 399; Herdegen, S. 111; E. Lauterpacht, S.465; Ress, S.63; Vofcu, S. 132. 9 Ress, in: Simma, "Auslegung", Rz. 23. 10 Bemhardt, Auslegung, S. 74 f; Karl, S. 83; E. Klein, Statusverträge, S. 338; Ress, S. 63; ders., in: Simma, "Auslegung", Rz. 19-21. 11 Dazu allgemein Ch. de Visscher, Problemes d'interpretation, S. 148 f
I 1*
164
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Sprache bedienen, die zahlreiche Bedeutungen innerhalb einer weiten Bandbreite zuläßt. 12 Die Behauptung, ein rechtlicher Ausdruck sei angesichts seiner großen Weite und Unschärfe inhaltlich völlig beliebig auszulegen,13 ist unzutreffend, weil selbst bei sehr dehnbaren Begriffen Extremfalle denkbar sind, die zweifellos nicht mehr unter den in Frage stehenden Begriff fallen. 14 Es ist als Ergebnis festzuhalten, daß eine teleologische Auslegung des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN sinnvoll und seine materielle Ausfüllung realisierbar erscheint. 15
11. Die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt als Bestandteil des Weltfriedens Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Versagens der Mechanismen des Völkerbundes war es das Anliegen der Griinderstaaten der Organisation der Vereinten Nationen, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, das die Anwendung bewaffneter Gewalt als Mittel zur Durchsetzung einzelstaatlicher Interessen wirksam verhindern sollte. 16 Dementsprechend beginnt die Charta der Vereinten Nationen mit der Zielsetzung, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren" und zu diesem Zweck "Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird." 17 Die Idee des Weltfriedens, dessen Voraussetzung die Ächtung der Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen und die Gewährleistung eines Systems gewaltfreier Staatenbeziehungen ist, durchzieht gleichsam als Leitmotiv die Entstehungsgeschichte der Vereinten Nationen. In der AtlantikCharta vom 14. August 1941 erklärten der amerikanische Präsident F. D.
Larenz, S. 181 f u. 298. s. dazu oben S. 161. 14 Geiger, S. 261. 15 So fi1r Art. 39 ChVN auch Bothe, Limites des pouvoirs, S. 69 f; Delbrilck, Future, S. 80. 16 Dies geschieht durch das grundsätzliche Verbot der unilateralen Gewaltanwendung und die Möglichkeit, auf Verstöße mit nichtmilitärischen und militärischen Zwangsmaßnahmen zu reagieren; s. dazu Delbrilck, Collective Security, S. 105; Wolfrom, in: Simma, Art. 1, Rz. 7. 17 Erster und siebter Absatz der Präambel der Charta der Vereinten Nationen. 12
13
6. Kapitel: Frieden als Abwesenheit bewaffneter Gewalt
165
Roosevelt und der britische Premierminister Churchill die folgenden Prinzipien zu Leitsätzen ihrer jeweiligen nationalen Politik: "Sixth, after the final destruction ofthe Nazi tyranny, they hope to see established a peace which will afford to all nations the means of dwelling in safety within their own bOlmdaries ( ... ).
( ... )
Eighth, they be1ieve that all of the nations of the world, for realistic as weIl as spiritual reasons, must come to the abandonment of the use of force. Since no future peace can be maintained if land, sea or air armaments continue to be employed by nations which threaten, or may threaten, aggression outside of their frontiers, they believe, pending the establishment of a wider and permanent system of general security, that the disarmament of such nations is essential. ,,18
Es wird hier ausdrücklich herausgestellt, daß der Frieden von einem Verzicht auf die Anwendung grenzüberschreitender bewaffneter Gewalt abhängig sei. Diese Auffassung wurde am l. Januar 1942 in der von siebenundvierzig im Kampf gegen die Achsenmächte alliierten Staaten unterzeichneten "Erklärung der Vereinten Nationen,,19 übernommen. In der Moskauer Erklärung vom 30. Oktober 1943, in der die Gründung einer Internationalen Organisation zur Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in Aussicht genommen wurde, wurde herausgestellt, daß es zur Wahrung des Weltfriedens notwendig sei, daß die Staaten bewaffnete Gewalt gegenüber anderen Staaten nur im Rahmen von Maßnahmen des Systems kollektiver Sicherheit ausübten: "The Governments of the United States of America, the United Kingdom, the Soviet Union and China: ( ... ), Recognizing the necessity of ensuring a rapid and orderly transition from war to peace and of establishing and maintaining international peace and security with the least diversion ofthe world's human and economic resources for armaments; Jointly dec1are: ( ... ) 4. That they recognize the necessity of establishing at the earliest practicable date a general international organization, based on the principle of the sovereign equality of all peace-Ioving States, and open to membership by all such States, large and smalI, for the maintenance of international peace and security. 5. That for the purpose of maintaining international peace and security pending the re-establishment of law and order and the inauguration of a system of general secu18 "Joint Dec1aration by the President of the United States of America and Mr. Winston Churchill representing His Majesty's Government in the United Kingdom, known as the Atlantic Charter, August 14, 1941 ", in: U.S. Department of State Bulletin vom 16.08.1941, S. 125; auch abgedruckt in: UNYB Bd. 1(1946/47), S. 2. 19 "The Dec1aration by United Nations", in: U.S. Department of State Bulletin vom 03.01.1942, S. 3; auch abgedruckt in: UNYB Bd. 1 (1946/47), S. 1.
166
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
rity, they will consult with one another and as occasion requires with other members of the United Nations with a view to joint action on behalf of the community of nations. 6. That after the tennination of hostilities they will not employ their military forces within the territories of other States except for the purposes envisaged in this declaration and after joint consultation. ( ... ). ,,20
Auf der Griindungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco 1945 war es das generelle Verständnis der Staaten, daß die neue Organisation das Ziel haben solle, künftig internationale bewaffnete Konflikte zu verhindern?l Dies kam in diversen Stellungnahmen zum Ausdruck, etwa in dem Vorschlag der Philippinen. Dieser Vorschlag enthielt eine Liste von Handlungen, die als Friedensbedrohung oder Angriffshandlung zu qualifizieren seien. All diese Handlungen haben gemeinsam, daß sie den Bereich der internationalen Beziehungen betreffen: "Any nation should be considered as threatening the peace or as an aggressor, if it should be the flrst party to commit any of the following acts: (1) To declare war against another nation; (2) To invade or attack, with or without dec1aration of war, the territory, public vesse1, or public aircraft of another nation; (3) To subject another nation to a naval, land or air blockade; and (4) To interfere with the internal affairs of another nation by supplying arms, ammunition, money or other fonns of aid to any armed band, faction or group, or by establishing agencies in that nation to conduct propaganda subversive ofthe institutions ofthat nation.'t22
Schließlich wird in dem Bericht des ersten Ausschusses an die erste Kommission zu dem oben erwähnten, in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebenen Ziel ausgefuhrt: "It is war as such, the scourge ofhumanity, which we want to bar. ( ... ). Determined as we are to save future generations from war, we shall, therefore, guard peace by our common will and force. ,,23
Der Sicherheitsrat hat während seines Bestehens bereits ausgebrochene oder drohende internationale bewaffnete Konflikte kontinuierlich als Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gekennzeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, daß er die Abwesenheit dieser Art von
20 "The Moscow Declaration on General Security", in: U.S. Department of State Bulletin vom 06.11.1943, S. 307; auch abgedruckt in: UNYB Bd. I (1946/47), S. 3. 21 s. Tomuschat, Obligations, S. 335. 22 Vorschlag der Philippinen zur Änderung der Dumbarton Oaks-Entwürfe, in: UNCIO Bd. m, S. 535 (538). 23 Bericht des Berichterstatters des ersten Ausschusses an die erste Kommission, in: UNCIO Bd. VI, S. 446 (450).
6. Kapitel: Frieden als Abwesenheit bewaffueter Gewalt
167
Gewaltanwendung als Bestandteil des Weltfriedens ansieht. 24 Auch die Generalversammlung hat von Beginn an deutlich gemacht, daß die Anwendung von bewaffneter Gewalt in den internationalen Beziehungen eine Verletzung des Weltfriedens darstellt. So heißt es in Resolution NRES/290 (IV) vom 1. Dezember 1949: 25 "The General Assembly I. Declares that the Charter or the United Nations, the most solemn pact of peace in history, lays down basic principles necessary for an enduring peace ( ... ); Calls upon every nation 2. To refrain from threatening or using force contrary to the Charter; ( ... ). "
Ebenso deutlich ist Resolution NRES/380 (V) vom 17. November 1950: 26 "The General Assembly,
( ... ),
I. Solemnly reajJirms that, whatever the weapons used, any aggression, whether committed openly, or by fomenting civil strife in the interest of a foreign Power, or otherwise, is the gravest of all crimes against peace and security throughout the world; ( ... ). "
Als letztes Beispiel sei Resolution NRES/3314 (XXIX) genannt, die eine Definition des Begriffs der Angriffshandlung im Sinne des Art. 39 ChVN enthält. 27 Die Angriffshandlung wird in Art. 1 dieser Resolution als Anwendung bewaffneter Gewalt durch einen Staat definiert, die gegen die Souveränität, die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichtet oder in sonstiger Weise mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Eine derartige Angriffshandlung wird als Verletzung des Weltfriedens eingestuft. 28 Im Ergebnis ist festzuhalten, daß als allgemein akzeptiert gelten kann, daß der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt erfaßt. 29
s. oben S. 132. "Essentials ofPeace". 26 "Peace through Deeds". 27 s. dazu ausfi1hrlich unten S. 241. 28 Erster Absatz der Präambel. 29 Sämtliche Stimmen in der Literatur sprechen sich daftlr aus; vgl. Tomuschat, Obligations, S. 335. 24
25
168
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
IIL Die Adressaten des Friedensgebots Die vorrangigen Adressaten des Friedensgebots der Charta der Vereinten Nationen sind die Staaten. 3D Das Ziel der Vereinten Nationen, die Anwendung bewaffneter Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu verhindern, geht aus den oben zitierten Dokumenten klar hervor. Es ist auch daran erkennbar, daß das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 ChVN, das eine wesentliche Komponente des Friedenssicherungssystems der Charta bildet,31 sich seinem Wortlaut zufolge an die Staaten richtet. Diese sind verpflichtet, außerhalb ihres eigenen Staatsgebiets keine bewaffnete Gewalt zur Verfolgung ihrer Ziele einzusetzen. 32 Der Sicherheitsrat hat in seiner Praxis das Friedensgebot auch auf Nordkorea erstreckt und dementsprechend den Angriff nordkoreanischer Truppen auf die Republik Korea als Verstoß gegen das Gewaltverbot und als Friedensbruch gebrandmarkt, obwohl aus der Sicht des Rates Nordkorea kein Staat war. 33 Zourek vertritt entgegen dieser Praxis die Auffassung, daß sich der Adressatenkreis auf die Staaten beschränke, also der Einsatz bewaffneter Gewalt in anderen als zwischenstaatlichen Beziehungen sich nicht auf den Weltfrieden auswirke. 34 Dieses Konzept steht jedoch im Widerspruch zu der Grundidee der Friedenserhaltung, der zufolge die Konfliktaustragung der völkerrechtlichen Akteure nicht mit der gewaltsamen Veränderung des befriedeten territorialen Besitzstands dieser Akteure einhergehen soll.35 Zu diesen Akteuren zählen nicht nur die Staaten, sondern auch staatsähnliche Gebilde, die ein Gebiet in konsolidierter Weise beherrschen. Zu diesen staatsähnlichen Gebilden zählen etwa befriedete de facto-Regime, die ein Teilgebiet eines Staates dauerhaft mit der Absicht beherrschen, die Regierungsgewalt im Gesamtstaat neu oder wieder zu erlangen und daher nicht als Staat in den räumlichen Grenzen des
30 Dies gilt auch für die Staaten, die nicht Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen sind; s. Asrat, S. 84-89; Bowett, Self-Defense, S. 152 f; Rauschning, Gewaltverbot, S. 76; Tomuschat, Obligations, S. 252 f; VerdrosslSimma, § 294 (S. 177) und § 468 (S. 285); Wengier, Gewaltverbot, S. 32. 31 Asrat, S. 91; Wright, Lebanon, S. 115. 32 s. Resolution AlRES/2625 (XXV) vom 24.10.1970 ("Deciaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter ofthe United Nations"), Annex, Prinzip I; sowie Frowein, de facto-Regime, S. 49. 33 s. oben S. 50. 34 Zourek, L'agression, S. 817 f 35 s. Bowett, Self-Defense, S. 35 f u. 154; Neuhold, Konflikte, S. 75; Schindler, Gewaltverbot, S. 29 f; Wengier, Völkerrecht, S. 530.
6. Kapitel: Frieden als Abwesenheit bewatTneter Gewalt
169
von ihnen effektiv beherrschten Gebiets betrachtet werden wollen. 36 Diese de facto-Regime werden trotz ihrer fehlenden Staatlichkeit durch das Gewaltverbot geschützt und verpflichtet. 37 Bei geteilten Staaten gilt im Verhältnis der Teilgebilde zueinander sowie zu Dritten das Gewaltverbot auch dann, wenn sie von der jeweiligen Gegenseite und deren Verbündeten nicht als Staat anerkannt werden. Die Voraussetzung ist lediglich, daß sie sich in ihrem Bestand gefestigt haben. 38 Dies trifft ebenfalls auf Aufständische zu, die einen Teil des Staatsgebiets effektiv beherrschen und nicht mehr von der Zentralregierung mit Waffengewalt bekämpft werden. 39 Zusammenfassend ist festzustellen, daß dann, wenn Staaten oder staatsähnliche Gebilde die effektive Hoheitsgewalt über ein Gebiet ausüben, sie den Schutz des völkerrechtlichen Gewaltverbots genießen und an dieses Verbot ihrerseits gebunden sind. 40 Dies gilt auch und gerade dann, wenn der territoriale Besitzstand bestritten wird. Ist dieser Besitzstand konsolidiert, so kann seine Veränderung nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden, selbst wenn er völkerrechtswidrig erlangt sein sollte. 41 Die Anwendung bewaffneter Gewalt von oder gegen staatsähnliche Gebilde verstößt gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot und verletzt den Weltfrieden. Der Sicherheitsrat kann nicht nur angesichts eines zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikts, sondern auch bei einer militärischen Auseinandersetzung, in die ein staatsähnliches Gebilde Dazu Frowein, de facto-Regime, S. 6 u. 52. CrawJord, S. 151 f (mit dem Beispiel Taiwan); RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 ZitT.4, Rz. 28; Verdross/Simma, § 405 f (S. 240 f). Das Gewaltverbot gilt hier in seiner gewohnheitsrechtlichen Ausprägung; vgl. RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 28, Fn. 68; sowie allgemein IGH, in: Military Activities in and against Nicaragua, Merits, Judgment, I.C.J. Reports 1986, S. 14 (S. 99 f); Bericht der V6lkerrechtskommission der Vereinten Nationen, in: YBILC 1976, Bd. 2, Tei12, S. 105, Rz. 24; RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 ZitT. 4, Rz. 56. 38 Bothe, Gewaltverbot, S. 18; Bowett, Se1f-Defense, S. 153 f; Caty, S. 184-187; CrawJord, S. 271-273; Frowein, de facto-Regime, S.66-69; Higgins, Deve1opment, S.222; Hilf, S. 128; Lombardi, S. 50; McDougal/Feliciano, S. 221; Neuhold, Konflikte, S. 75; RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 28; Rauschning, Gewaltverbot, S. 78 f; Schindler, Gewaltverbot, S. 29 f.; Schwebel, S.472; Sohn, UN Ro1e, S. 209; P. de Visscher, S. 49; Weber, S. 81; Wright, Civi1 Strife, S. 151; ders., Prevention, S. 525. Es kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, ob das Teilgebilde unabhängig von der Anerkennung als Staat eingestuft werden kann, da in jedem Falle das Gewaltverbot gilt. 39 Brownlie, Use of Force, S. 380; Dohna, S. 86 f; Lombardi, S. 50; Schindler, Gewaltverbot, S. 30; Verdross/Simma, § 405 f (S. 240 f). 40 Asrat, S. 89 f.; Rauschning, Gewaltverbot, S. 78; Wengler, Gewaltverbot, S. 35. 41 Bowett, Self-Defense, S. 154; Dinstein, Armistice, S. 33; Dohna, S. 76; Frowein, de facto-Regime, S. 69; Schindler, Gewaltverbot, S. 31; Verdross/Simma, § 405 f (S. 241); Wengier, Völkerrecht, S. 530 f 36
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170
1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
verwickelt ist, eine Feststellung gemäß Art. 39 ChVN treffen. 42 Die Beschreibung des Weltfriedens als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ist demnach unter der Voraussetzung zutreffend, daß der Begriff "international" nicht nur die zwischenstaatlichen Beziehungen erfaßt, sondern auch die Beziehungen zwischen Staaten und staatsähnlichen Gebilden sowie dieser Gebilde untereinander. 43
IV. Ergebnis
Der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN urnfaßt die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt.
So auch Frowein, in: Simrna, Art. 39, Rz. 10. So auch Bothe, Gewaltverbot, S. 17; Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S. 657 f.; Frowein, in: Sirnma, Art. 39, Rz. 9; Herdegen, S. 114. 42 43
7. Kapitel
Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens Es ist nun die Frage zu untersuchen, ob der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt auch die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens umfaßt. 1 Es wurde eingangs2 aufgezeigt, daß der Wortlaut des Begriffs des Weltfriedens an sich keine eindeutige Antwort auf diese Frage zuläßt. Es sollen daher im Folgenden teleologische Überlegungen angestellt werden. In deren Rahmen wird in einem ersten Schritt ermittelt werden, welche Zielvorstellungen mit dem Vertragsziel der Charta der Vereinten Nationen, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, verbunden sind. Konkret wird die Frage zu untersuchen I Diese Frage wird kontrovers diskutiert; zustirrunend: Alston, S. 139; Brunner, S. 2 f; Corten, S. 119; CorteniP. Klein, Autorisation, S. 511; Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S. 494 f; Delbrück, Impact, S. 145; Hutehinson, S.625; International Institute Jor Strategie Studies, S. 29 f; Kimminich, S.455; Koroma, S.415; Kühne, S. 37 f; Mattler, S. 685 f.; Mourgeon, S.650; Otunnu, S. 604 f; Ramcharan, S. 36; Simma, Diskussionsbeitrag, S. 179; Tomuschat, Gemeinschaft, S. 4 f; ders., Obligations, S.243; Torrelli, S. 172; Verdross/Simma, § 234 (S. 144); siehe auch die Stellungnalune Australiens (UN-Dok. Al471PV. 15, S. 14 f.). Ablehnend: Acheson, S. 598; Baroni, S. 100 f; Bentwichl Martin, Art. 1, S. 5 (6); Beyerlin, Humanitäre Aktion, S. 68; Bindschedler, Delimitation des competences, S. 384; Bothe, Limites des pouvoirs, S. 72; Burley, S. 111; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 389 f.; Delbrück, Friedenssicherung, S. 144 f u. 147; Derpa, S. 74; D. Chr. Dicke/Rengeling, S. 20 f; P.-M Dupuy, Construction de la paix, S. 47; ders., Organisation de la paix, S. 623; Escher, S. 28 f; Frowein, Diskussionsbeitrag, S. 94; ders., Friedenssicherung, S.48; ders., in: Sirruna, Art. 39, Rz.6; Gaja, S. 308; Ghebali, S. 114; Herdegen, S. 115; Higgins, Problems and Process, S. 255; Kewenig, Diskussionsbeitrag, S. 177; Kirsch, S. 19; Kopelmanas, S. 294 f.; Magiera, Allocation, S. 81; Menk, S. 190 f; Nowlan, S. 172; O'Connell, Continuing Limits, S. 904 f.; dies., Diskussionsbeitrag, S. 179; RandelzhoJer, Friedenssicherung, S. 230; ders., Friedensbegriff, S. 19 u. 35-37; Schachter, Theory and Practice, S. 390; SchaeJer, S. 18 u. 22; Schilling, S. 84; Seidel, S. 57; Sonnenhol, S. 149; Wittig, S. 69; Worku, S. 2; siehe auch die Stellungnalunen Indiens (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 63), Kubas (UN-Dok. SIPy. 2982, S. 46) und Simbabwes (UN-Dok. SIPV. 3105, S. 11). 2 s. oben 1. Kapitel.
172
1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
sein, ob nur die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt oder darüber hinaus die Abwesenheit extremen menschlichen Leidens auch in anderen Situationen angestrebt wird. Der zweite Schritt wird darin bestehen zu fragen, wie das ermittelte Vertragsziel gemäß den Normen der Charta der Vereinten Nationen optimal erreicht werden kann.
I. Die Wahrung des Weltfriedens als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen 1. Die Einstufung der Wahrung des Weltfriedens als
vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen
Die Stellung des Ziels der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu wahren, wird durch einen Blick auf Art. 39 ChVN deutlich. Diese Norm hat die Funktion, dem Sicherheitsrat die Anwendung der Maßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen zu eröffnen, wenn der Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedroht oder gebrochen sind. Die dadurch gewährte Möglichkeit, die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens mit schlagkräftigen Mitteln auch entgegen dem Willen des Destinatärs durchzusetzen, zeigt die überragende Bedeutung, die der Erhaltung des Weltfriedens als Ziel der Vereinten Nationen beigemessen wird. Die vorrangige Stellung dieses Ziels wird auch dadurch deutlich, daß es sowohl in der Präambel als auch in Art. 1 der Charta an erster Stelle genannt wird. 3 Diese Stellung ist durch die Absicht der Gründer der Vereinten Nationen zu erklären, eine Organisation zu schaffen, die einen effektiven Beitrag zur Wahrung des Weltfriedens leisten und dadurch die Gefahr einer Wiederholung der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs verringern könne. 4 2. Rückschlüsse aus dieser Einstufung
Mit der Feststellung, daß die Wahrung des Weltfriedens das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen ist, ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob der durch die Vereinten Nationen zu erhaltende Weltfrieden, der fiir die Mitglied3 s. IGH, in: Certain expenses ofthe United Nations (Article 17, paragraph 2, ofthe Charter), Advisory Opinion of20 July 1962, I.C.J. Reports 1962, S. 151 (168). 4 Zu den einschlägigen Passagen aus den Dokumenten der GründWlgskonferenz in San Francisco sowie aus den wegbereitenden ErklärWlgen s. oben S. 164.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
173
staaten so bedeutsam ist, daß sie Zwangsmaßnahmen zu seiner Durchsetzung akzeptieren, sich ausschließlich in der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt manifestiert oder darüber hinaus in der Abwesenheit jeglicher Form extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens.
a) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen
Die Vertreter der engen Auffassung zum Begriff des Weltfriedens betrachten die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt als das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen. 5 Der Sicherheitsrat könne zwar auch gegen schwerwiegende menschliche Notsituationen vorgehen, doch nur, um dadurch die Gefahr eines Ausbruchs internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen zu beseitigen. Die Verhinderung oder Beseitigung extremen menschlichen Leidens sei lediglich das Mittel, um die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt dauerhaft zu garantieren. 6 Für dieses Verständnis der Ziele der Vereinten Nationen werden zwei unterschiedliche Begründungen vorgebracht. aa) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als Voraussetzung für die Verwirklichung der anderen Ziele der Vereinten Nationen Es wird argumentiert, daß die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt vorrangig gegenüber den anderen Zielen der Vereinten Nationen sei, da der Nichteinsatz von bewaffneter Gewalt die Voraussetzung für deren Verwirklichung bilde. 7 Zu diesen Zielen gehören die Verwirklichung des Menschenrechtsschutzes und des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, wie sich aus den Artikeln 1 Ziff. 3, 13 Ziff. 1 lit. bund 55 ChVN ergibt. Diese Ziele stehen in der Tat nicht unabhängig neben dem-
5 So ausdrücklich P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 44; Randelzho/er, Friedenssicherung, S. 230; älmlich auch Beyerlin, Humanitäre Aktion, S. 68; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 388 f; Gordon, S. 569 f; Nowlan, S. 181 f; O'Connell, Continuing Limits, S. 911; Stone, Legal Controls, S. 256 f; Worku, S. 3; Wright, Prevention, S.524. 6 So P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 45. 7 BentwichlMartin, Art. I, S. 5 (5 f); P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 44; s. auch IGH, in: Certain expenses 0/ the United Nations (Article 17, paragraph 2, 0/ the Charter), Advisory Opinion of20 July 1962, I.C.J. Reports 1962, S. 151 (168).
174
1. Teil: Weltfrieden lUld internationale Sicherheit
jenigen der Sicherung des Weltfriedens. Ihre Verwirklichung ist VOn der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt abhängig, da während bewaffneter Konflikte die Gefahr der Zerstörung der bislang in diesen Bereichen aufgebauten Strukturen besteht. Darüber hinaus wird ein weiterer Aufbau neuer und verbesserter Strukturen aufgrund der konfliktbedingten Bindung von Personen und Sachrnitteln nicht möglich sein. 8 Die Sicherung des Friedens im Sinne der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt gewährleistet somit die notwendige Ruhe, um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ziele verwirklichen zu können. 9 Andererseits ist aber die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ihrerseits von der Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Gegebenheiten abhängig. 1O Dies kommt in der Charta der Vereinten Nationen zum Ausdruck. In Art. 1 Ziff. 2 ChVN wird die Achtung vor dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker als geeignete Maßnahme zur Festigung des Weltfriedens bezeichnet. In Art. 55 ChVN wird festgestellt, daß die Förderung der Verbesserung des Lebensstandards, der Vollbeschäftigung und der Voraussetzungen rur wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg (lit. a), der Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art (lit. b) und der Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (lit. c) notwendig sei, um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt zu erreichen, der rur friedliche Beziehungen zwischen den Nationen erforderlich sei. Die folgende Passage aus Resolution NRES/377 (V) der Generalversammlung entspricht diesem Gedankengang: "The General Assembly,
( ... ),
14. Is ful/y conscious that (... ) enduring peace will not be secured solely by collective security arrangements against breaches of international peace and acts of aggression, but that a genuine and lasting peace depends also upon the observance of all the Principles and Purposes established in the Charter of the United Nations, (... ), and especially upon respect for and observance ofhuman rights and fimdarnen-
So auch Urquhart, S. 315. P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 46. 10 Dies schreibt auch P.-M. Dupuy selbst, Construction de la paix, S.45. S. auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.01.1992 (UN-Dok. SI23500), S. 3; lUld die "Agenda for Peace. Report ofthe Secretary-General pursuant to the statement adopted by the Summit Meeting of the Security COlUlcil on 31 January 1992" vom 17.06.1992 (UN-Dok. S/24111), S.2, Par. 5 lUld S.6, Par. 22; sowie Baroni, S. 113; Delbrück, FriedenssicherlU1g, S. 137; P.-M. Dupuy, Organisation de 1a paix, S. 623; Ghebali, S. 110; Humphrey, S. 119; Schaefer, S. 19 f.; lUld die StelllUlgnahrne Australiens vor der Generalversamm1lUlg (UN-Dok. Al471PV. 15, S. 14 u. 17). 8
9
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
175
tal freedoms for all and on the establishment and maintenance of conditions of economic and social well-being in all cOWltries; ( ... )." II In zahlreichen Menschenrechtsdokumenten wird herausgestellt, daß die Beachtung der Menschenrechte eine Voraussetzung fiir die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt sei. So lautet Abs. I der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Da die AnerkennWlg der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde Wld ihrer gleichen Wld Wlveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit Wld des Friedens in der Welt bildet". 12 Die Gegenüberstellung der Begriffe Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden weist darauf hin, daß der Inhalt des Begriffs des Friedens im Kontext dieses Präambelabsatzes sich auf die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt beschränkt. Dies gilt auch fiir den inhaltlich identischen Abs. I der Präambeln des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte J3 und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 14 Abs. 7 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung15 stellt explizit heraus, daß schwerwiegende Diskriminierungen die Gefahr internationaler bewaffneter Konflikte in sich bergen: "In erneuter Bekräftigung der Tatsache, daß eine DiskriminierW1g zwischen Menschen auf Grund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe oder ihres Volkstums freWldschaftlichen Wld friedlichen BeziehWlgen zwischen den Völkern im Wege steht Wld daß sie geeignet ist, den Frieden Wld die Sicherheit Wlter den Völkern wie das harmonische Zusammenleben der Menschen sogar innerhalb eines Staates zu stören".
Schließlich sei beispielshalber der einschlägige Passus der Wiener Erklärung der Weltmenschenrechtskonferenz zitiert, die am 25. Juni 1993 per Akklamation16 angenommen wurde: II Resolution AlRES/377 A (V) ("Uniting for Peace") vom 03.11.1950; vgl. auch die durch Konsens angenommene Resolution AlRES/2625 (XXV) (s. oben Fn. 32 im 6. Kapitel), Annex, 3. Absatz der Präambel: "Bearing in rnind the importance of maintaining and strengthening international peace fOWlded upon freedom, equality, justice and respect for fundamental human rights [... l". 12 Quelle: GV-Res. AlRES1217 (II1); deutsche ÜbersetzWlg abgedruckt in Sartorius Bd. 11: Internationale Verträge. Europarecht, Nr. 19. 13 Quellen: UNTS Bd. 999, S. 171; BGBL 197311, S. 1534. 14 Quellen: UNTS Bd. 993, S. 3; BGB!. 1973 11, S. 1570. 15 Quellen: UNTS Bd. 660, S. 195; BGB!. 196911, S. 962. 16 s. "Report of the World Conference on Human Rights. Report of the Secretary-General" vom 13.10.1993 (UN-Dok. AlConf. 157/24 (Part I)), S. 19, Par. 88.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
"The efforts of the United Nations system towards the universal respect for, and observance of, human rights and fundamental freedoms for all, contribute to the stability and well-being necessary for peacefu1 and friendly relations among nations, and to improved conditions for peace and security as weIl as socia1 and econornic development, in conformity with the charter of the United Nations. ,,17
Die Relevanz der Beachtung der Menschenrechte für die Sicherstellung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ist darin zu sehen, daß schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verschiedene internationale Auswirkungen haben können, die letztlich zu internationalen bewaffneten Konflikten führen können, beispielsweise grenzüberschreitende militärische Repressionsakte des menschenrechtsverletzenden Staates, Flüchtlingsströme oder eine steigende Interventionsbereitschaft anderer Staaten. 18 Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität innerhalb der Staaten ist bedeutsam für die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, da die Globalisierung von Wirtschaft und Kommunikationswesen zu einer vertieften gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten geführt hat. 19 Selbst kleinste wirtschaftliche oder politische Instabilitäten in einem Staat können massive Kapitalbewegungen auslösen, die sich auch in anderen Staaten gravierend auswirken. 20 Diese könnten sich daher veranlaßt sehen, zur Wahrung ihrer inneren Sicherheit in die internen Verhältnisse des Staates, von dem die Instabilität ausgeht, einzugreifen. 21 Auch wenn die Eingriffe zunächst nichtmilitärischer Art sein mögen, besteht doch die Gefahr, daß im Verlauf des so entstandenen internationalen Konflikts die Schwelle zur bewaffneten Auseinandersetzung überschritten wird. Ein anderes Szenario ist, daß ein Staat einen begrenzten bewaffneten Konflikt mit einem anderen Staat provoziert, um auf diese Weise von seinen in17 "Vienna Declaration and Programme of Action" vom 25.06.1993 (UN-Dok. AlConf 157/23), S. 5, Par. 6. 18 S. dazu ausf11hrlich unten S. 195. 19 s. dazu UN-Genera1sekretär Boutros-Ghali (UN-Dok. SfPv. 3046, S. 9 f); sowie ders., Empowering, S. 96; Commission on Global Governance, S. 10 f u. 135-138; Fromuth, S. 345 f; Henkel, S. 195; Tomuschat, Obligations, S. 212 f; Zemanek, 8.277. 20 Henkel, S. 195. 21 Ghebali, S. 110, spricht von der Aufhebung der Trennung zwischen interner und internationaler Sicherheit. S. auch die Rede des amerikanischen Präsidenten C/inton vor der Gesellschaft "Freedom House" am 06.10.1995, auszugsweise wiedergegeben in: "Clinton Defends Foreign Policy", International Herald Tribune vom 07./08.10.1995, S. 1, in der es heißt: "[ ... ] global problems like the environment, terrorism and drugs have made the old distinction between foreign and domestic policy almost meaningless."
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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nenpolitischen Problemen wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Art abzulenken. Der Funktionsmechanismus dieses Ablenkungsmanövers besteht darin, daß die patriotischen und solidarischen Gefühle der Bevölkerung angesprochen werden, so daß deren Aufmerksamkeit - einschließlich der der Medien - von den Konfliktgeschehnissen beansprucht wird anstatt von internen Mißständen oder Krisen. Einschlägige Beispiele sind die von Argentinien provozierte bewaffnete Auseinandersetzung mit Großbritannien um die Falkland-Inseln22 oder der Grenzkonflikt zwischen Peru und Ecuador?3 Aus den Ausführungen ergibt sich, daß die Maßnahmen der Organe der Vereinten Nationen im wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bereich sowie zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes der Beseitigung der kriegsfördernden Faktoren politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ursprungs dienen. 24 Die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten stehen somit in einem Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit. 25 Entsprechend heißt es in dem Bericht des Berichterstatters der Unterkommission der Vereinten Nationen zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten zum Verhältnis von Menschenrechten und Weltfrieden, daß sich der Frieden und die Beachtung der Menschenrechte gegenseitig bedingten. Die Förderung des einen helfe dem anderen. Es sei allgemein akzeptiert, daß die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verzahnt und sich gegenseitig unterstützend seien und daß die Wahrung des Weltfriedens notwendig für die volle
dazu oben S. 50.
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S.
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Im Januar 1995 eskalierten Grenzscharmützel im Grenzgebiet von Ecuador und
Peru zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, die Kämpfe provoziert zu haben. Die Ursache des Konflikts war ein Grenzstück von 340 km2, das seit über 160 Jahren umstritten ist. Der Dauerstreit der beiden südamerikanischen Staaten hatte zum letzten Mal 1941 zu einer offenen bewaffneten Auseinandersetzung geführt. Anläßlich der 1995 ausgebrochenen Feindseligkeiten fanden in beiden Staaten Demonstrationen der Bevölkerung statt, in denen sie sich mit ihrer jeweiligen Regierung und ihren Truppen solidarisierte. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, gab es jedoch in beiden Staaten auch Leute, die den Verdacht hegten, der Konflikt werde periodisch von Politikern bei der Länder neu geschürt, um von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. S. zu dem Ganzen AdG Bd. 65 (1995), S. 39678-39680. 24 P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 44 f.; ders., Organisation de la paix, S. 623; s. auch die Stellungnalune Australiens (UN-Dok. Al471PY. 15, S. 17). 25 So auch Boutros-Ghali, Empowering, S. 96; Magiera, Kriegsverhütung, S. 72; s. auch die Stellungnalune Australiens (UN-Dok. Al471PY. 15, S. 18 u. 20).
12 Lailach
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Verwirklichung der Menschenrechte sei. Genauso sei der Weltfrieden gefahrdet, wenn die Menschenrechte mißachtet würden. 26 Dieses System wechselseitiger Bedingtheit ist im Idealzustand ein stabiles System, in dem sich die verschiedenen interdependenten Komponenten im Gleichgewicht halten. Jedoch ist dieses System auch durch eine hohe Empfindlichkeit gekennzeichnet, da Verletzungen einer Komponente auf die anderen Komponenten durchgreifen. In seinem Bericht "An Agenda for Peace" führte UN-Generalsekretär Boutros-Ghali in diesem Zusammenhang aus, daß die Probleme des unkontrollierten Bevölkerungswachstums, der erdrückenden Schuldenlasten, der Handelshemmnisse, der Drogen und des wachsenden Unterschieds zwischen Arm und Reich weiterhin fortbestünden. Armut, Krankheit, Hunger, Unterdrückung und Verzweiflung grassierten und hätten gemeinsam 17 Millionen Flüchtlinge und 20 Millionen intern Vertriebene hervorgebracht. Diese Phänomene seien "sowohl die Ursachen als auch die Folgen von Konflikten,,?7 Es besteht mithin die Gefahr, daß ein Teufelskreis dadurch in Gang gesetzt wird, daß ein bewaffneter Konflikt zu extremen sozialen Mißständen führt, die einen neuen bewaffneten Konflikt provozieren, und so weiter. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die verschiedenen Ziele der Charta der Vereinten Nationen in ihrer Verwirklichung voneinander gegenseitig abhängig sind. Unter diesem Blickwinkel sind die Ziele der Vereinten Nationen als gleichrangig zu betrachten. Das Primat der Verhütung internationaler bewaffneter Konflikte kann nicht damit begründet werden, daß es die Grundvoraussetzung der Verwirklichung der anderen Ziele der Vereinten Nationen sei, da dieses Argument ebenso auf die anderen Ziele zuträfe. bb) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte als in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen vorrangig genanntes Ziel Randelzhofer bringt vor, es ergebe sich aus der Präambel der Charta der Vereinten Nationen,28 daß das Hauptanliegen der Charta die Friedenssiche26 "Interre1ationship between human rights and international peace. Supplementary working paper prepared by Mr. Murlidhar Bhandare to Sub-Commission resolution 1989/47 of I September 1989" vom 22.06.1994 (UN-Dok. E/CN. 4/Sub. 2/1994/29), S. 2, Par. 6. 27 "An Agenda for Peace" (s. oben Fn. 10), S. 3, Par. 13. 28 Zur Bedeutung der Präambel bei der Untersuchung des Vertragsziels s. Bindschedler, Delimitation des competences, S. 320.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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rung in Form der Verhütung internationaler bewaffneter Konflikte sei. 29 In der Tat bekräftigen die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in der Präambel an vorderster Stelle ihre Entschlossenheit, "künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren". Es stellt sich indes die Frage, warum der Krieg, verstanden als internationaler bewaffneter Konflikt,3o geächtet wird. Theoretisch sind verschiedene Gründe für den Ausschluß dieser Form der internationalen Konfliktaustragung denkbar, etwa daß sie auch für den obsiegenden Staat wirtschaftlich nachteilig sein kann, insbesondere wegen der Zerstörung der Infrastruktur und der nachhaltigen Belastung seiner internationalen Handelsbeziehungen, die von zunehmender Wichtigkeit sind,31 daß die Ressourcenbindung angesichts drängender ökonomischer und ökologischer Problemstellungen unerwünscht ist, daß die Zulässigkeit bewaffneter Konfliktaustragung zu einer Dominanz der militärisch starken Staaten führt oder auch, daß sie als unzivilisierte und gesellschaftlich überholte Verhaltensweise betrachtet wird. Der Präambel der Charta läßt sich jedoch entnehmen, daß keiner dieser Gesichtspunkte ausschlaggebend ist, sondern derjenige, das menschliche Leiden zu verhindern, das mit der Austragung bewaffneter Konflikte verbunden ist. Es heißt in der Präambel: "Wir, die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu Wlseren Lebzeiten Wlsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, ( ... )."
Randelzho/er, FriedenssichefWlg, S. 230. s. oben S. 166 zu den StellWlgnalunen während der GründWlgskonferenz in San Francisco in bezug auf die Bedeutung des Begriffs "Krieg" in der Präambel. In Webster 's New International Dictionary 0/ the English Language (2. Aufl. 1958) heißt es Wlter dem Eintrag "war": "The state or fact of exerting violence or force against another, now only against a state or other politically organized body; esp., a contest by force between two or more nations or states, carried out for any purpose; armed conflict of sovereign powers; declared and open hostilities. " Aufschlußreich sind auch die Defmitionen von OppenheimIH. Lauterpacht (Bd. 2, § 54 (S. 202)): "War is a contention between two or more States through their armed forces, for the purpose of overpowering each other and imposing such conditions of peace as the victor pleases. " und von Dinstein (War, S. 15 f.): "War is a hostile interaction between two or more States, either in a technicalor in a material sense. War in the technical sense is a formal status produced by a declaration of war. War in the material sense is generated by actual use of armed force, which must be comprehensi ve on the part of at least one party to the conflict." 31 Henkel, S. 193, stellt dar, daß die WohlstandssteigerWlg in den Industriestaaten vor allem dem internationalen Güteraustausch zu verdanken ist. Zu der Unvereinbarkeit des "Handelsgeistes" mit dem Krieg s. Kant, S. 33; dazu auch Hiscocks, S. 18. 29
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1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
Die Verhütung oder Unterbindung internationaler bewaffneter Konflikte ist kein sich selbst genügender Zweck, sondern dient der Minimierung des menschlichen Leidens, das anläßlich bewaffneter Konflikte durch die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen oder die bewußte Zerstörung der Lebensgrundlagen entsteht. 32 Die Leitidee der Vereinten Nationen ist nicht das Wohl der Staaten, sondern das der Menschen. Dieser Wechsel des Bezugspunkts gegenüber der Periode des klassischen Völkerrechts 33 wird verständlich vor dem Hintergrund der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs und dem Völkermord an den Juden. Die verantwortlichen Entscheidungsträger waren sich 1945 darin einig, daß ein System, daß die Friedlichkeit des internationalen Verkehrs zu gewährleisten versuchte, sich aber nicht für die Lebensbedingungen der Menschen interessierte, nicht genügte. Es bestand der gleichsam philanthropische Konsens, daß es ein moralisches Gebot mitmenschlicher und somit grenzüberschreitender Solidarität sei, Situationen extremen menschlichen Leidens, wie sie die nationalsozialistische Diktatur erzeugt hatte, zu verhüten beziehungsweise zu beenden. Entsprechend heißt es im ersten Absatz der Präambel der Erklärung der Generalversammlung anläßlich des fünfzigsten Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen: "Fifty years ago the United Nations was born out of the sufferings caused by the Second World War. The determination, enshrined in the Charter of the United Nations, "to save succeeding generations from the scourge ofwar" is as vital today as it was fifty years ago. In this, as in other respects, the Charter gives expression to the common values and aspirations of humankind. ,,34
Dieser grundlegende Konsens der internationalen Gemeinschaft bestand trotz aller Interessengegensätze in der Zeit nach 1945 fort und führte zu einem urnfassenden Ausbau der völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Menschen vor extremen, durch Gewaltanwendung verursachten Notsituationen. 35 b) Die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen
Aus den genannten Gründen ist das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen nicht die Verhinderung internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen an So auch Tomuschat, Obligations, S. 342. s. dazu ausftlhrlich Wlten S. 223. 34 Resolution AlRES/50/6 ("Dec1aration on the Occasion of the Fiftieth Anniversary ofthe United Nations") vom 24.10.1995. 35 s. dazu ausführlich Wlten S. 224. 32
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7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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sich, sondern die Verhütung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens. Menschliches Leiden in extremen Ausmaßen kann aber auch aus anderen Gründen als internationalen bewaffneten Konflikten entstehen. Es ist zu denken an Völkermord, an willkürliche Tötungen, an Folter, an Verfolgung und Vertreibung, an Versklavung, an weitreichende und erniedrigende Diskriminierung oder auch an Hungersnöte und andere Katastrophen, die durch den Menschen herbeigeführt wurden. Die Vorstellung, daß die internationale Gemeinschaft diese Situationen extremen menschlichen Leidens mit der Begründung hinzunehmen bereit sei, daß die Ursache nicht in einem internationalen, sondern in einem innerstaatlichen Konflikt liege, widerspricht dem geschilderten Modell eines internationalen Systems, dessen Leitidee nicht das Wohl der Staaten, sondern das der Menschen ist. Mit der Charta der Vereinten Nationen hat sich die internationale Gemeinschaft eine Verfassung gegeben,36 in der diese Leitidee umgesetzt werden sollte. Unmittelbar nach Gründung der Organisation der Vereinten Nationen wurde diese Leitidee auch im Bereich des allgemeinen Völkerrechts abgesichert. Es wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die dazu geführt hat, daß die Staaten an Normen zum Schutz des Individuums vor extremem Leiden sogar gegen ihren Willen gebunden sind. 3? Vor diesem Hintergrund wäre ein Verständnis der Zielsetzung der Vereinten Nationen anachronistisch, dem zufolge nur das durch internationale bewaffnete Konflikte erzeugte menschliche Leiden bedeutsam wäre, während Notsituationen, die auf innerstaatliche Ursachen zurückzuführen sind, hinzunehmen wären. 38 Es ist das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen, Situationen extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens zu verhüten oder zu beenden, unabhängig von der Ursache dieser Situation.
36 Kimminich, S. 454; Macdonald, S. 119 f.; Verdross/Simma, § 91 (S. 72). S. auch die Diskussion in der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, in: "Report of the International Law Commission on the work of its forty-sixth session" (UN-Dok. A/49/l0), S.349, Par. 296, in der die Vereinten Nationen als "der überzeugendste Ausdruck der organisierten internationalen Gemeinschaft" bezeichnet wurden. 3? s. dazu ausführlich unten S. 235. 38 So auch Tomuschat, Obligations, S. 342.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
c) Die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte und extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als gleichberechtigte Aspekte des vorrangigen Ziels der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu wahren
Es wurde dargelegt, daß die Verhinderung internationaler bewaffneter Auseinandersetzungen kein sich selbst genügender Zweck ist, sondern der Verhütung der mit solchen Konflikten regelmäßig verbundenen menschlichen Notsituationen dient. Dies legt den Gedanken nahe, als Friedenserhaltung ausschließlich die Gewährleistung der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens zu verstehen und auf den Aspekt der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt als eigenständiges Element der Friedenserhaltung zu verzichten. Dagegen spricht, daß dann argumentiert werden könnte, daß internationale bewaffnete Auseinandersetzungen, die sich im Rahmen zulässiger militärischer Austragungsformen halten und insbesondere die Zivilbevölkerung nicht über Gebühr in Mitleidenschaft ziehen, mit den Zielen der Vereinten Nationen vereinbar seien. Eine derartige Differenzierung der internationalen bewaffneten Konflikte birgt erhebliche Gefahren in sich. Es ist in der Regel nicht vorhersehbar, ob ein internationaler bewaffneter Konflikt in seinem Verlauf zu extremem menschlichem Leiden ruhren wird. Die einzig realisierbare Lösung ist, sämtliche internationalen bewaffneten Konflikte als unzulässige Formen der Konfliktaustragung einzustufen. Folgerichtig verbietet Art. 2 Ziff. 4 ehVN grundsätzlich jede Art von Anwendung bewaffneter Gewalt in den internationalen Beziehungen. Die Friedenserhaltung als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen umfaßt demnach zwei Bereiche, nämlich die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens. Diese beiden Bereiche überschneiden sich insofern, als internationale bewaffnete Konflikte zu extremen menschlichen Notsituationen fUhren können. Doch stehen auch internationale Auseinandersetzungen, die nicht die Ursache solcher Notsituationen sind, dem Ziel der Friedenserhaltung entgegen. Dies gilt umgekehrt auch rur extreme menschliche Notsituationen, die nicht auf einen internationalen bewaffneten Konflikt zUfÜckzufiihren sind, soweit sie durch menschliche Gewaltanwendung verursacht wurden. 39 39 Zur KlarsteIlung sei hier angemerkt, daß Notsituationen, die nicht durch menschliches Verhalten, sondern durch Naturkräfte hervorgerufen wurden, filr den Bereich der Erhaltung des Weltfriedens nicht relevant sind. Das Bestehen oder Nicht-
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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3. Ergebnis
Die Friedenserhaltung als vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen umfaßt neben der Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt auch die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens.
R Die Gewährleistung der Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens allein mittels einer Qualifizierung von Notsituationen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ehVN ? 1. Problemstellung
Der Befund, daß durch die Zielvorgabe der Wahrung des Weltfriedens die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens angestrebt werden, legt es nahe, den Weltfrieden als einen Zustand zu verstehen, der frei von internationaler Gewaltanwendung und von extremen Notsituationen ist. Diese Annahme ist gerade auch mit Blick auf Art. 39 ChVN berechtigt, da nur der Sicherheitsrat mit den ihm zur Verfiigung stehenden Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen wirkungsvoll den Friedenszustand gewährleisten kann40 und der Einsatz dieser Zwangsmaßnahmen voraussetzt, daß der Rat gemäß Art. 39 ChVN die betreffende Situation als Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit oder als Angriffshandlung einstuft. 41 bestehen von Frieden wird ausschließlich durch menschliches Verhalten bestimmt. Folgerichtig stehen dem Sicherheitsrat, der die Hauptverantwortung filr die Erhaltung des Weltfriedens trägt, nur Maßnahmen zur Verfi1gung, deren Zweck es ist, ein bestimmtes menschliches Verhalten durch Überzeugungskraft oder Zwang zu erwirken. 40 Das Instrumentarium der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates beschränkt sich auf die angesichts internationaler bewaffueter Gewalt oder extremer menschlicher Notsituationen in der Regel wirkungslosen Mittel der Empfehlung und der unverbindlichen Aufforderung; s. die Artikel 10 bis 14 ChVN (Generalversammlung) und 62 bis 66 ChVN (Wirtschafts- und Sozialrat). 41 Die Feststellung gemäß Art. 39 ChVN ist notwendige Voraussetzung der Anwendung der Zwangsmaßnahmen des Kapitels vn der Charta. Eine Ausnahme gilt nur filr Folgeresolutionen; s. dazu oben Fn. 68 im 3. Kapitel. So auch Bowett, Institutions, S. 38 f.; Cohen Jonathan, in: CoVPellet, Art. 39, S.649 u. 651; Dahm, Völkerrecht
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Gegen diesen Ansatz werden jedoch Bedenken erhoben. Es wird eingewendet, das geschilderte Verständnis des Begriffs des Weltfriedens führe zu einer Ausweitung dieses Begriffs, die seine Handhabbarkeit mindere. Dies sei ein unnötiger negativer Effekt, der der gebotenen optimalen Erreichung der Vertragsziele abträglich sei. Die Verwirklichung des Ziels der Vereinten Nationen, extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen zu verhindern, könne dadurch gewährleistet werden, daß im Kontext des Art. 39 ChVN nicht das Begriffselement des Weltfriedens, sondern das der Bedrohung des Friedens herangezogen werde, um extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen zu erfassen. Diese Notsituationen könnten stets als Bedrohung des Weltfriedens, der seinerseits ausschließlich als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu verstehen sei, eingestuft werden. Die Heranziehung des Begriffselements der Bedrohung halte den Umfang des Begriffselements des Weltfriedens begrenzt, ohne dem Ziel der Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens abträglich zu sein. Aufgrund dieser Vorteile sei diese Auslegung im Lichte des Auslegungsgrundsatzes des effet utile42 geboten. 43 Es wird im Folgenden zu untersuchen sein, ob der Ausgangspunkt dieser Auffassung zutrifft, daß das Begriffselement der Bedrohung im Sinne des Art. 39 Ch VN so verstanden werden kann, daß jede extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituation als Bedrohung des WeltfrieBd. 2, S. 388; H. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 58, Rz. 7 (S. 906); Fleischhauer, Compliance, S. 430; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 24; Goodrich/Simons, S. 346 u. 360 f; Goodspeed, S. 219; Kelsen, United Nations, S. 725; OppenheimIH. Lauterpacht, Bd. 2, § 52 fa (S. 168); Ross, S. 145; Verdross, Völkerrecht, S. 650; VerdrosslSimma, § 235 (S. 145); a. A. Eisemann, in: CotlPellet, Art. 41, S. 697; Freudenschuß, Artic1e 39, S. 31; Simmonds, S. 59; Virally, S. 453. 42 Dieser Grundsatz besagt, daß eine Vertragsbestimmung so ausgelegt werden soll, daß das Gestaltungsziel und der Regelungszweck des Vertrags unter Beachtung des Wortlauts und des Sinns des Vertrags bestmöglich erreicht werden. S. dazu StlGH, in: Acquisition 0/ Polish Nationality, Advisory Opinion of September 15th, 1923, Publications ofthe P.C.I.J., Serie B, Nr. 7, S. 16 f; StIGH, in: Free Zones Case, Order of August 19th, 1929, Publications of the P.C.I.J., Serie A, Nr. 22, S. 13; IGH, in: Corfu Channel Case, Judgment of April 9th, 1949, LC.J. Reports 1949, S. 4 (24); IGH, in: Interpretation 0/ Peace Treaties (second phase), Advisory Opinion of July 18th, 1950, LC.J. Reports 1950, S. 221 (229); sowie Bemhardt, Interpretation in Int'l Law, S. 322; Fitzmaun'ce, Law and Procedure (1951); S. 19 f; ders., Law and Procedure (1957), S. 222 f; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rz. 16 (S. 125 f); JenningslWatts, § 633 (S. 1280 f.); McNair, S.383-385; Nguyen Quoc/DaillierlPellet, Par. 172 (S. 258); Rouyer-Hameray, S. 90 f; Schachter, Relation, S. 196 f; VerdrosslSimma, § 780 (S. 494). 43 So ausdrücklich Nowlan, S. 174; Worku, S. 5 f; mit gleichem Ansatz auch Baroni, S. 113; HeinziPhilipplWolfrum, S. 126; Wolfrum, Aufgaben, S. 6.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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dens, verstanden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, eingestuft werden kann. 2. Extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN
a) Die Struktur des Begriffs "Bedrohung"
Der Begriff der Bedrohung ist grundsätzlich doppeldeutig. Er kann eine konkrete Handlung einer Person44 beschreiben, nämlich das Bedrohen einer anderen Person. Es handelt sich dann um die Verhaltensweise "eine Bedrohung durchführen". Die Bedrohung ist in diesem Zusammenhang das - ausdrückliche oder konkludente - Inaussichtstellen einer dem Adressaten der Bedrohung unerwünschten Handlung. Die Bedrohung kann sich aber auch auf eine Situation beziehen im Sinne von "eine Bedrohung sein". Die Situation wird dadurch zur Bedrohung, daß sie die Gefahr in sich birgt, im weiteren Verlauf unerwünschte Folgen zu haben. Die bedrohende Situation wird zwar durch bestimmte Handlungen herbeigefiihrt, doch müssen diese Handlungen nicht darauf gerichtet sein, eine dem Bedrohten unerwünschte Handlung in Aussicht zu stellen. Es kann durch Handlungen mit völlig anderer Zielgerichtetheit eine bedrohende Situation herbeigefiihrt werden, möglicherweise sogar unwissentlich oder gegen den Willen des Handelnden. Eine "Bedrohung durchführen" kann der Drohende nur gegen eine Person. Art. 39 ChVN spricht jedoch von einer Bedrohung "des Friedens". Der Frieden ist kein tauglicher Adressat einer Bedrohung im Sinne der konkreten Handlung "Drohung". Daher kann der Begriff der Bedrohung im Zusammenhang des Art. 39 ChVN nur im Sinne der zweiten Bedeutungsaltemative als "eine Bedrohung sein", also als Situation verstanden werden. Dieses Verständnis wird durch die authentische englische Fassung bestätigt. Dort wird der Begriff "threat to the peace" verwendet. Dies kann nur als "to be a threat to the peace", also als "eine Bedrohung des Friedens sein" verstanden werden. "Eine Bedrohung gegen jemanden durchführen" hieße hingegen "to make a threat against someone". Anders als im Deutschen wird an der in Art. 39 ChVN verwendeten Präposition - "to" statt "against" - deutlich, daß der Zustand der Bedrohung gemeint ist. Die Wortwahl des Art. 39 ChVN zeigt, daß eine Friedensbedrohung eine Situation beschreibt. 44 Verstanden im weiten Sinne als Akteur, also auch Staaten und andere juristische Personen, die mittels ihrer Organe handeln.
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1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
In diesem Sinne versteht auch der Sicherheitsrat den Begriff. Ein deutliches Beispiel ist Resolution SlRES/864 (1993), in der nicht die militärischen Handlungen der UNIT A in Angola, sondern die daraus resultierende Situation als Friedensbedrohung beschrieben wird: "The Security Council,
C···),
Determining that, as a result of UNITA's military actions, the situation in Angola constitutes a threat to international peace and security, C···)·"
Eine Situation, die eine Bedrohung darstellt, ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die Gefahr des zukünftigen Eintritts eines unerwünschten Ereignisses in sich birgt. Im Falle des Art. 39 ChVN ist dieses unerwünschte Ereignis der Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Eine Friedensbedrohung liegt also vor, wenn die Gefahr besteht, daß die friedensbedrohende Situation sich zu einem Friedensbruch fortentwickelt. Im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Situationen als Friedensbedrohung sind zwei sich überschneidende Problemkreise zu unterscheiden. Da eine gegebene Situation dadurch zur Friedensbedrohung wird, daß ihr die Gefahr des zukünftigen Eintritts eines Friedensbruchs immanent ist, setzt die Beurteilung dieser Situation zwangsläufig eine Prognose voraus. Diese Prognose, die gemäß Art. 39 ChVN der Sicherheitsrat abzugeben hat, fordert ein subjektives Urteil über zukünftige Geschehensabläufe und ist daher nur bedingt verifizierbar. 45 Zweitens ist derjenige Zeitpunkt im Vorfeld des Friedensbruchs zu ermitteln, von dem aus auf der Grundlage bestimmter tatsächlicher Gegebenheiten die Prognose zu treffen ist. Auf diese Weise wird in dem Prozeß der Verdichtung einer Situation von einer gefahrlosen Lage zu einem Friedensbruch ein bestimmter Punkt herausgefiltert, von dem an die Situation als Friedensbedrohung zu bezeichnen ist. Dieser Zeitpunkt ist durch objektive Kriterien zu beschreiben. In Frage kämen etwa unmittelbare Kampfvorbereitungen, grenzüberschreitende militärische Zwischenfälle, internationale Auswirkungen oder interne Krisen mit einem bestimmten Schweregrad. Diese objektiven Kriterien sind einer Überprüfung relativ gut zugänglich. Dies wirkt sich auf den ersten Problemkreis, also die notwendige Prognose, aus. Je dichter der Zeitpunkt, ab dem eine Situation eine Friedensbedrohung ist, am tatsächlichen Eintritt des Friedens45 Die Frage der gerichtlichen ÜberpIilfbarkeit der FeststellWlgen des Sicherheitsrates kann hier nicht behandelt werden. Vgl. zu diesem Problemkreis die EntscheidWlg des Internationalen Gerichtshofs Wld die abweichenden MeinWlgen zum Lockerbie-Fall, in: IGH, Questions 01 Interpretation and Application 01 the 1971 Montreal Convention arising Irom the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, LC.J. Reports 1992, S. 3; sowie die Literatur zu dieser EntscheidWlg.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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bruchs liegt, desto geringer ist die Zahl der Unsicherheitsfaktoren bei der Prognose. Wird beispielsweise angenommen, die Friedensbedrohung trete erst im Falle der Generalmobilmachung und Kriegserklärung ein, so ist relativ leicht vorherzusehen, daß es zu einem Friedensbruch kommen wird. Jedoch steht dieser hohen Prognosesicherheit eine verringerte Zahl von Gefahrenabwehrmöglichkeiten gegenüber. Je stärker sich die Gefahr bereits verdichtet hat, desto schwieriger wird es sein, sie zu beseitigen, und desto drastischere Mittel müssen gewählt werden. Es sind also bei der Entscheidung über den Zeitpunkt, ab dem eine Situation eine Friedensbedrohung darstellen kann, die gegenläufigen Kriterien der Prognosesicherheit und der Zahl der tauglichen Abwehrmöglichkeiten zu berücksichtigen. Es ist im Folgenden zu untersuchen, welchen Zeitpunkt die Charta der Vereinten Nationen als frühestmöglichen Zeitpunkt einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bestimmt hat. Dabei ist unter Heranziehung des Auslegungsgrundsatzes des effet utile 46 derjenige Zeitpunkt zu ermitteln, der ein Mindestmaß an konkreter Prognosesicherheit gewährleistet und gleichzeitig dem Sicherheitsrat den größtmöglichen Spielraum bei der Auswahl seiner Maßnahmen beläßt. b) Die Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN als Voraussetzung der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
Die Ähnlichkeit des Wortlauts der Artikel 2 Ziff. 4 und 39 ChVN legt die Annahme nahe, daß eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dann - und erst dann - bestehe, wenn eine rechtswidrige Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN stattgefunden habe. Diese These wird vor allem von Arntz vertreten. 47 Art. 2 Ziff. 4 ChVN und Art. 39 ChVN seien korrespondierende Normen. 48 Die Bedrohung im Sinne des dazu oben Fn. 42. Amtz, S. 44; s. auch Marschang, S. 71 f; Meier, S. 109; Preuss, S. 609; Wengler, Gewaltverbot, S. 31; Wright, Domestic Jurisdiction, S.25. A. A. Bindschedler, Grundfragen, S. 70; ders., Delimitation des competences, S. 385; Bothe, Legitimacy, S. 293; ders., in: Schaumann, S. 11 (17); Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 389; Derpa, S. 79; Dinstein, War, S. 282; Franke, S. 206 f; Gading, S. 76; Kewenig, Gewaltverbot, S. 191, Fn.42; F Klein, S. 187; Köck, S.333; KrökeI, S.71; Neuhold, Konflikte, S. 113; Nincic, S. 89 f; OppenheimIH. Lauterpacht, Bd. 2, § 52 d (3) (S. 163); Orrego Vicuiia, S. 41 f; Verdross, Idees directrices, S.56; Verdross/Simma, § 234 (S. 144); White, S. 34 f 48 Meier, S. 109. 46 S.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Art. 39 ChVN entspreche der Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN und der Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und die Angriffshandlung korrespondierten mit der Anwendung von Gewalt. 49 Die Friedensbedrohung sei also die Bedrohung eines Staates mit einem bewaffneten Konflikt durch einen anderen Staat und nicht die objektive Gefahr, daß sich irgendein Ereignis zu einem internationalen Konflikt ausweite. 50 Dafür sprächen die folgenden systematischen und teleologischen Argumente: Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen diene der Umsetzung der in Art. 1 Ziff. 1 ChVN genannten Ziele. Diese Ziele würden nach den in Art. 2 Ch VN genannten Grundsätzen angestrebt. Somit bestehe ein enger Zusammenhang zwischen Art. 39 ChVN und Art. 2 Ziff. 4 ChVN. 51 Kapitel VII der Charta sei das Ausführungskapitel zu Art. 2 Ziff. 4 ChVN und Kapitel VI das zu Art. 2 Ziff. 3 ChVN. Letzteres werde besonders deutlich durch die Verwendung des Begriffs der Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowohl in Art. 2 Ziff. 3 Ch VN als auch in den Bestimmungen des Kapitels VI. 52 Kapitel VII bestehe also zumindest in erster Linie zur Durchsetzung des Gewaltverbots. 53 Daher erscheine es nicht abwegig, eine weitergehende Übereinstimmung dahingehend zu vermuten, daß die in Art. 39 ChVN genannten Begriffe eine Aufgliederung der durch Art. 2 Ziff. 4 Ch VN verbotenen Gewalt darstellten. 54 Ein weiterer Gesichtspunkt sei, daß die in Art. 41 ChVN aufgeführten Maßnahmen Repressaliencharakter hätten. Repressalien seien aber nach allgemeinem Völkerrecht nur als Reaktion auf einen Rechtsbruch rechtmäßig. Die in Art. 42 ChVN vorgesehene militärische Gewalt sei nach allgemeinem Völkerrecht auch nur gegen einen Rechtsbrecher statthaft. 55 Dies zeige, daß Art. 39 ChVN einen Rechtsbruch voraussetze. Dem könnte entgegenstehen, daß der Sicherheitsrat den Adressaten seiner Beschlüsse möglicherweise frei wählen könne. Jedoch wäre das Auferlegen einer Strafe, wo keine Verpflichtung verletzt worden sei, ein Rechtsrnißbrauch in Form des Ermessensmißbrauchs. Hätte eine Ausnahme von diesem Rechtsgrundsatz gelten sollen, so hätte es einer dahingehenden ausdrücklichen Erwähnung in der Charta der 49 50 51
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Amtz, S. 70; Wengier, Gewaltverbot, S. 23, Fn. 3l. Wengier, Gewaltverbot, S. 31. Amtz, S. 28. Amtz, S. 35. Amtz, S. 28. Amtz, S. 35 u. 42. Amtz, S. 29 f.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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Vereinten Nationen bedurft. Da dies nicht der Fall sei, sei der Sicherheitsrat an diesen Grundsatz gebunden. Dies ergebe sich aus seiner Bindung an das Völkerrecht gemäß Art. 1 Ziff. 1 ChVN. 56 Außerdem ergebe sich aus der Formulierung am Ende des Art. 40 ChVN, daß Zwangsmaßnahmen in erster Linie gegen den Staat verhängt werden sollten, der die provisorischen Maßnahmen nicht befolge. Diese Nichtbefolgung sei. ein Indiz fur die allgemeine "Schuld" des betreffenden Staates. Aus all dem folge, daß der Sicherheitsrat Maßnahmen nur gegen der Aggressor bzw. den friedensbedrohenden Staat, also gegen einen Rechtsbrecher, ergreifen dürfe. 57 Somit gelte, daß Art. 39 ChVN nur die Verletzungen des Art. 2 Ziff.4 ChVN erfasse und keine anderen Situationen, auch nicht die Verletzung anderer Völkerrechtsnormen. Art. 39 ChVN erfasse von den Konfliktstadien nur die, die dem Ausbruch eines bewaffneten Konflikts unmittelbar voranzugehen pflegten. 58 Nicht erfaßt würden dagegen entfernte, nur potentielle Gefährdungen des Friedens. 59 Ein Bürgerkrieg falle grundsätzlich nicht unter Art. 39 ChVN, da keine Verletzung des Art. 2 Ziff. 4 ChVN vorliege. Anderes gelte auch nicht bei internationalen Rückwirkungen des Bürgerkriegs. Nur bei der akuten Gefahr einer grenzüberschreitenden Gewaltanwendung, hervorgerufen durch die Einmischung eines anderen Staates oder durch Kampfhandlungen, die das Gebiet eines anderen Staates verletzten, sei eine Friedensbedrohung möglich. 60 Bei einer Einmischung eines anderen Staates sei allerdings erst diese Einmischung die Friedensbedrohung und die Maßnahmen dementsprechend gegen den sich einmischenden Staat zu richten. 61 Die dargestellte Argumentation stößt auf mehrere Bedenken. Dem ersten Argument, Art. 2 Ziff. 4 ChVN und Art. 39 ChVN seien korrespondierende Normen, ist zwar insoweit zuzustimmen, als die Begriffe der Androhung62 und der Bedrohung63 starke Ähnlichkeiten aufweisen. Gemeinsam ist ihnen das Element des Drohens, also des möglichen zukünftigen Eintritts eines unerwünschten Ereignisses. Die Androhung von Gewalt ist die Vorstufe der Gewaltanwendung, die Friedensbedrohung die Vorstufe des Friedensbruchs oder der Angriffshandlung. Die Erfassung dieser Vorstufen bewirkt eine Vor-
56 57 58 59 60 61
62 63
Amtz, S. 33. Amtz, S. 34; Fenwick, S. 755; Meier, S. 108, Fn. 38; Oldenhage, S. 117. Amtz, S. 44. Amtz, S. 49. Amtz, S. 66 f. Amtz, S. 67, Fn. 18 u. 20; Wengler, Gewaltverbot, S. 30 f. "TIrreat of' (force), "menace de" (la force). "TIrreat to" (the peace), "menace contre" (la paix).
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
verlagerung der Verbotsschwelle des Art. 2 Ziff. 4 ChVN und der Eingriffsschwelle des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen64 auf Phasen vor dem tatsächlichen Ausbruch bewaffneter internationaler Gewalt. Jedoch weisen die beiden Begriffe trotz ihrer Ähnlichkeit entscheidende Unterschiede auf. Die Androhung ist eine bestimmte Handlung, nämlich das ausdrückliche oder konkludente - Inaussichtstellen einer dem Adressaten der Androhung unerwünschten Handlung, hier der Gewaltanwendung. Demgegenüber handelt es sich bei der Bedrohung um eine Situation, die auch durch Handlungen hervorgerufen sein kann, die nicht auf die Herbeiführung dieser Situation oder ihrer bedrohenden Wirkung gerichtet waren. 65 Dies hat zur Folge, daß die Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN und die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 ChVN unterschiedlichen Bewertungsprozessen unterliegen. Die Kennzeichnung einer Handlung als Androhung von Gewalt enthält den Vorwurf der Völkerrechtswidrigkeit. Dieser fehlt bei der Beurteilung von Handlungen, die zu einer Friedensbedrohung führen, da hier die objektiv entstandene Situation entscheidend ist. 66 Des weiteren ist die Androhung als tatsächliche Handlung einem objektiven Nachweis eher zugänglich als die Feststellung einer Bedrohung durch eine Situation, die die zwangsläufig subjektive Einschätzung der Situation voraussetzt. 67 Als zweites Argument wird vorgetragen, Art. 2 Ziff. 4 ChVN und Art. 39 Ch VN seien auch aus systematischen Gründen als korrespondierende Normen zu betrachten. Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen sei das Ausführungskapitel zu Art. 2 Ziff. 3 Ch VN und Kapitel VII der Charta dasjenige zu Art. 2 Ziff. 4 ChVN. Daran ist richtig, daß die Verwirklichung der in Art. 2 Ziff. 3 ChVN vorgesehenen friedlichen Streitbeilegung durch Kapitel VI der Charta ebenso unterstützt wird wie die Durchsetzung des Gewaltverbots durch die dem Sicherheitsrat in Kapitel VII eröffneten Möglichkeiten. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß eine Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN als Friedensbedrohung nach Art. 39 ChVN qualifiziert werden kann. Jedoch ist selbst dann, wenn der Zweck des Kapitels VII in erster Linie68 in der Durchsetzung des Gewaltverbots gesehen wird, der weitergehende Schluß, daß dies der ausschließliche Zweck dieses Kapitels sei, nicht zwingend. Abgesehen von der fehlenden logischen Zwangsläufigkeit sprechen 64
So HeinzIPhilipp/Wolfrum, S. 126; Wolfrum, Aufgaben, S. 7. dazu oben S. 185. So auch Bothe, Gewaltverbot, S. 17; Dinstein, War, S. 282. So auch White, S. 34 f. So Amtz, S. 28.
65 S. 66 67 68
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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auch einige der Charta zu entnehmende Indizien dagegen. Am Ende des Art. 39 ChVN wird als Ziel der Maßnahmen des Kapitels VII nicht die Durchsetzung des Gewaltverbots des Art. 2 Ziff. 4 ChVN, sondern die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit genannt. Dieses Ziel der Vereinten Nationen soll nicht nur mittels der Durchsetzung des Gewaltverbots erreicht werden, sondern auch durch andere Mittel wie etwa der friedlichen Streitbeilegung. Dies ist in Art. I Ziff. 1 ChVN ausdrücklich festgestellt. Art. 2 Ziff. 3 und 4 ChVN enthalten die entsprechenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Die Kapitel VI und VII der Charta korrespondieren nicht exakt mit diesen beiden Bestimmungen, denn auch in Kapitel VII gibt es Elemente der friedlichen Streitbeilegung, insbesondere im Wege der Empfehlungen gemäß Art. 39 ChW9 und der vorläufigen Maßnahmen nach Art. 40 Ch VN. 70 Zielsetzung und Instrumentarium des Kapitels VII gehen also über die Durchsetzung des Gewaltverbots hinaus. Auch die Terminologie des Art. 39 ChVN ist, wie bereits dargelegt, weiter gefaßt als diejenige des Art. 2 Ziff. 4 ChVN. Dies fuhrt zu dem Schluß, daß zwar die Durchsetzung des Gewaltverbots ein wesentlicher Zweck des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen ist, sich die Zielsetzung dieses Kapitels darin aber nicht erschöpft. Das dritte Argument der Befurworter einer Gleichsetzung der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 ChVN mit der Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Ziff. 4 ChVN geht dahin, daß die in Art. 41 Ch VN enthaltenen Maßnahmen Repressaliencharakter hätten. Da Repressalien nach allgemeinem Völkerrecht nur als Reaktion auf einen Völkerrechtsbruch rechtmäßig seien, sei ein solcher Rechtsbruch auch im Rahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen vorauszusetzen. 71 Dieses Argument kann nicht überzeugen. Es ist zwar zutreffend, daß die Maßnahmenkataloge des Art. 41 ChVN und der nach allgemeinem Völkerrecht zulässigen Repressalien sich überschneiden. 72 Der Grund fur diese Übereinstimmung besteht darin, daß sich diese Maßnahmen als faktisch wirkungsvoll erwiesen haben, um bestimmte Ziele gegenüber einem nicht koope69 Castafieda, Legal Effects, S. 77 f.; Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S.662; GoodrichIHambro/Simons, Art. 39, S.300; Karaosmanoglu, S.246; Kelsen, United Nations, S. 438 u. 734; Kr6kel, S. 86; Ross, S. 143. 70 Frowein, in: Simma, Art. 40, Rz. 18; Murphy, S. 319; Nincic, S. 175; Olinga, S.450. 71 Neben den oben in Fn. 47 zitierten Autoren argumentieren so auch Kelsen, United Nations, S. 735, Derpa, S. 79, und Schilling, S. 89, ohne allerdings im Ergebnis eine Verletzung gerade des Art. 2 Ziff. 4 ChVN zu fordern. 72 Gowlland-Debbas, Enforcement Action, S.77, weist zu Recht darauf hin, daß nicht alle in Art. 41 ChVN enthaltenen Maßnahmen Repressaliencharakter haben.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
rationsbereiten Destinatär durchzusetzen, also dessen Willen zu beugen. Da die Willensbeugung das Ziel sowohl der Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen als auch der Repressalien ist,73 ist die Übereinstimmung der Kataloge folgerichtig. Von dieser Übereinstimmung der Art und Wirkung der Zwangsmaßnahmen und der Repressalien kann aber nicht auf die Identität des Grundes oder der Zulässigkeitsvoraussetzungen dieser beiden Maßnahmen geschlossen werden. Es ist der weit überwiegenden Mehrheit der Autoren darin zuzustimmen, daß der Grund der Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII der Charta in der Gefahrenabwehr zu sehen ise 4 und, anders als bei Repressalien,75 ein Völkerrechtsverstoß nicht vorausgesetzt wird. 76 Arntz untermauert seine These, die Zwangsmaßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen setzten wie die Repressalien einen Rechtsbruch voraus, mit dem Argument, daß der Sicherheitsrat die Maßnahmen nicht gegen jeden beliebigen Destinatär, sondern nur gegen einen Rechtsbrecher anwenden dürfe, da er sonst sein Ermessen mißbrauche. 77 Der Ermessensmißbrauch wird seinerseits damit begründet, daß keine Strafe verhängt werden dürfe, wo keine Verpflichtung verletzt worden sei. Der Strafcharakter der Zwangsmaßnahmen basiert jedoch auf der Annahme, es handele sich um Reaktionen auf Verletzungen des Völkerrechts. Es liegt mithin ein Zirkelschluß vor, in dem die Notwendigkeit des Völkerrechtsbruchs mit dem beschränkten Kreis der Destinatäre begründet wird, der wiederum von dem Völkerrechtsbruch abhängt. Da der Zweck der Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates nicht in der Ahndung von Rechtsbrüchen, sondern in der Abwehr der Gefahren für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu
s. dazu Combacau, Sanctions, S. 339. Beyerlin, Sanktionen, Rz. 10 (S. 724); Combacau, Pouvoir de sanction, S. 18; Dahm, Völkerrecht Bd.2, S. 392; P.-M. Dupuy, Observations, S.472; GowllandDebbas, Enforcement Action, S. 59; E. Klein, Sanctions, S. 104; Lapidoth, S. 114; Nkala, S. 170; Compliance. S. , Compliance, S.428); ders., Theory and Practice, S. 390; Sur, Securite collective, S. 20 f u. 24, Fn. 17; Verdross, Idees directrices, S. 57; ders., Völkerrecht, S. 650; Virally, S. 453; Weckei, S. 169. 75 Dazu Combacau, Sanctions, S. 339; Partsch, Reprisals, S. 331. 76 Bothe, Gewaltverbot, S. 17; Combacau, Sanctions, S. 339; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 389; D. Chr. Dicke/Rengeling, S. 82; Gaja, S. 300 f; Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 450 f; dies., Enforcement Action, S.61 u. 77; Hemdl, S. 334 f; Higgins, Settlement of Disputes, S. 16; Karaosmanoglu, S. 33; Lapidoth, S. 114; McDougallReisman, S. 11; Neuhold, Threat to Peace, S. 100; Oppenheim/Ho Lauterpacht, Bd.2, § 52 b (S. 160) u. § 52 d (3) (S. 163); Ross, S. 141; Uerpmann, S. 109; Verdross, Völkerrecht, S. 650; Verdross/Simma, § 234 (S. 144). 77 s. oben S. 188; ähnlich Köck, S. 334. 73
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7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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sehen ist,78 ist der Sicherheitsrat in der Auswahl des Destinatärs der Maßnahmen nicht beschränkt. 79 Der Rat kann selbst im Falle einer bewaffneten Intervention gegen den Staat vorgehen, der das Ziel der Intervention gewesen ist, etwa wenn dieser durch seine interne Politik, die zu einern von der internationalen Gemeinschaft als unerträglich empfundenen Zustand geführt hat, die Intervention provoziert hat. 80 Die Argumente, die für eine Gleichsetzung der Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN mit der Androhung von Gewalt gemäß Art. 2 ZifI. 4 ChVN sprechen sollen, greifen nicht durch. Die grundlegende Ursache dafür ist, daß die Zielsetzung des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen nicht ausschließlich in der Repression und Bestrafung von Völkerrechtsverletzungen besteht, beziehungsweise hier noch enger einer bestimmten Verletzung, nämlich der des Art. 2 ZifI. 4 ChVN. Anderenfalls hätte der Sicherheitsrat die Stellung eines Strafverfolgungsorgans, das juristisch nachvollziehbar81 entschiede, ob eine Friedensbedrohung begangen wurde, und dann eine der Maßnahmen des Kapitels VII der Charta ergriffe. 82 Dieses Konzept entspricht nicht der Aufgabe des Sicherheitsrates, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Der Rat ist ein politisches und keinjudikativ-strafendes Organ. 83 Art. 39 ChVN ermöglicht es dem Sicherheitsrat, schon bei einer Bedrohung des Weltfriedens aktiv zu werden. Die Aufnahme der Friedensbedrohung in den Katalog der Tatbestände des Art. 39 ChVN hat den Zweck, den Sicherheitsrat nicht erst bei einern Bruch des Friedens, sondern schon in dessen Vorfeld die Befugnis zu geben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Charta der Vereinten Nationen entscheidet sich dafür, einen Teil der Prognosesicherheit84
aufzugeben, um eine effiziente Friedenswahrung zu ermöglichen. Seiner Aufgabe, den Frieden zu wahren, könnte der Sicherheitsrat aber nicht in zufriedensteIlender Weise gerecht werden, wenn er stets einen Verstoß gegen Art. 2 ZifI. 4 ChVN abwarten müßte. In diesen Fällen, in denen der tatsächliche Friedensbruch regelmäßig dicht bevorsteht, wird eine wirkungsvolle Verhinderung dieses Friedensbruchs nicht mehr oder nur mit drastischen Mitteln
S. dazu die folgenden Ausführungen. Bindschedler, Delimitation des competences, S. 384 f. u. 401 f.; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 391; Nkala, S. 170; Ross, S. 141 f. 80 So Franke, S. 207; Nkala, S. 171. 81 Amtz, S. 41. 82 Amtz, S. 29 f.; vgl. auchMenk, S. 141. 83 Broha, Sicherheitsrat, Rz. 1 (S. 763). 84 s. dazu oben S. 187. 78
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Lailach
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
möglich sein. Das umfangreiche und abgestufte Instrumentarium der Kapitel VI und VII der Charta der Vereinten Nationen, das dem Sicherheitsrat zur Verfügung steht, bliebe so praktisch ungenutzt. Überdies wäre ein Versuch des Sicherheitsrates, mit drastischen Mitteln, insbesondere militärischen oder nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen gemäß den Artikeln 41 und 42 ChVN, die Konfliktgefahr abzuwenden, mit hohen materiellen und immateriellen Kosten verbunden, die durch ein friihzeitigeres Eingreifen vermieden werden könnten. Das Konzept des präventiven Mechanismus,85 der auf der Vorverlagerung der Eingriffsschwelle vor die aktuelle Konfrontation beruht, hat zur Folge, daß eine Maßnahme nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen auch gegenüber einem sich völkerrechtsgemäß verhaltenden Staat zulässig ist, soweit dieser durch sein Verhalten eine Friedensbedrohung - möglicherweise unbeabsichtigt - verursacht hat und die Maßnahme zur Beseitigung dieser Bedrohung geeignet ist. 86 Im Ergebnis ist festzuhalten, daß eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN auch zu einem Zeitpunkt eintreten kann, zu dem (noch) keine Gewalt angedroht wird. Eine Beschränkung der Bedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN auf Fälle der Verletzung des Art. 2 Ziff. 4 Ch VN ist abzulehnen. Dabei soll nicht verkannt werden, daß diese Beschränkung durch das Bestreben motiviert ist, den Begriff der Friedensbedrohung durch eine restriktive Auslegung zu begrenzen und so einem Machtmißbrauch des Sicherheitsrates vorzubeugen. 87 Dies ist jedoch nicht der Weg, den die Charta der Vereinten Nationen gewählt hat. 88 c) Konkrete Spannungslagen als Voraussetzung der Friedensbedrohung
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, daß durch die Aufnahme des Begriffs der Bedrohung in Art. 39 ChVN die durch diese Norm aufgestellte
85 Beyerlin, Sanktionen, Rz. 3 (S. 722); s. auch die Stellungnahme Australiens vor der Generalversammlung (UN-Dok. Al47fPY. 15, S. 17). 86 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 389; Kelsen, United Nations, S. 730; McDougallReisman, S. 8; Schachter, UN Law, S. l2; sowie die Präambel der Resolution des Institut de Droit International zum "Prinzip der Nichteinmischung in Bürgerkriege" vom 14.08.1975, in: AIDI Bd. 56 (1975), S. 545 (545). 87 Vgl. Arntz, S. 39, und Menk, S. 107 f. u. 114. 88 s. zu den bestehenden, die Machtvollkommenheit des Sicherheitsrates begrenzenden Mechanismen unten S. 285.
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Eingriffsschwelle für Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen vor den Zeitpunkt des Ausbruchs internationaler bewaffneter Gewalt vorverlagert wird. 89 Da gleichzeitig ein Mindestmaß an Prognosesicherheit gewährleistet sein muß,90 kommt als Zeitpunkt für den Eintritt einer Bedrohung des Weltfriedens derjenige Zeitpunkt in Betracht, zu dem sich aufgrund einer konkreten Spannungslage die Gefahr der Eskalation der bestehenden Situation zu einem Friedensbruch an bestimmbaren Anzeichen festmachen läßt. Diese konkreten Spannungslagen können in Form einer konkreten internationalen Spannungslage, eines Zusammenbruchs der Staatsgewalt und einer Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen auftreten. aa) Konkrete internationale Spannungslagen Als Anzeichen für eine bestehende Eskalationsgefahr kommt insbesondere das Bestehen einer konkreten internationalen Spannungslage in Frage. Diese kann ihre Ursache in dem Verhalten eines Staates in einer Angelegenheit haben, die die Streitparteien gleichermaßen betrifft, also im eigentlichen Sinne international ist. Zu denken ist hier beispielsweise an Grenzstreitigkeiten. Daneben sind diejenigen Spannungslagen von zunehmender Bedeutung, die ihren Ursprung in einer rein innenpolitischen Verhaltensweise eines Staates oder einem internen Ereignis haben. Obwohl der betreffende Staat in der Regel nicht beabsichtigt, durch seine Innenpolitik die Situation anderer Staaten zu beeinflussen, ist dies wegen der fortgeschrittenen Verflechtung und Interdependenz der Sachverhalte und Interessen der Staaten oft unvermeidbar. 91 Innerstaatliche Situationen können auf vielfältige Weise Folgen in anderen Staaten zeitigen. Folgende Konstellationen sind zu erwähnen:
89 So auch Frowein, de facto-Regime, S. 47; HeinzlPhilipplWolJrum, S. 126; Schilling, S. 89 f.; Wolfrum, Aufgaben, S. 7. Es ist darauf hinzuweisen, daß dies unter der oben (s. S. 184) aufgestellten Prämisse gilt, daß der Weltfrieden mit der Abwesenheit internationaler bewaffueter Gewalt gleichbedeutend sei. Sollte sich im weiteren Verlauf der Untersuchung herausstellen, daß dieser Begriff auch die Abwesenheit extremen menschlichen Leidens erfaßt, so wird die Friedensbedrohung auch die Phase vor dem Eintritt extremer menschlichen Notsituationen bezeichnen. 90 s. dazu oben S. 187. 91 Petersmann, S. 176; s. auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.0l.l992 (UN-Dok. S/23500), S. 3, und die Stellungnahme Australiens vor der Generalversammlung (UN-Dok. A/47fPV. 15, S. 14 u. 17 f.).
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Militärische und sicherheitspolitische Folgen
Im Falle eines Bürgerkriegs oder eines Putsches kann sich ein anderer Staat verpflichtet fühlen, einer der Parteien militärischen Beistand zu gewähren. Die Verbindung zu dieser Partei mag auf vertraglichen,92 geostrategischen,93 ideologischen, ethnischen, religiösen, historischen oder moralischen94 Gründen beruhen. 95 Die Entscheidung eines Staates, Massenvernichtungswaffen zu stationieren, kann die sicherheitspolitischen Interessen anderer Staaten berühren. 96
Wirtschaftliche Folgen Die Globalisierung der Wirtschaft hat dazu geführt, daß ökonomische Krisen oder bewußte wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen in einem Staat sich unmittelbar auf die wirtschaftliche Lage anderer Staaten auswirken. Dies gilt nicht nur für den Bereich des Außenhandels, der naturgemäß einen internationalen Bezug hat, sondern etwa auch für die Geldpolitik, die Verschuldungsrate, und so weiter. 97 Schließlich können auch Krisen nicht primär 92 Zu denken ist an Freundschafts- und Beistandsverträge. Beispielsweise entschloß sich Frankreich im Oktober 1995 auf der Grundlage eines bilateralen Beistandsabkommens mit den Komoren, den Putsch des ehemaligen französischen Fremdenlegionärs Bob Denard durch eine militärische Intervention auf Bitten der Regierung der Komoren zu beenden; s. AdG Bd. 65 (1995), S. 40406 f 93 Während der Phase des Ost-West-Gegensatzes hatte der Verlauf von Bürgerkriegen geostrategische Bedeutung filr die beiden Supermächte und ihre jeweiligen Verbündeten. Beispielsweise war es eines der Hauptziele der Maßnahmen der Vereinten Nationen im Kongo, die Intervention der beiden Supermächte zu verhindern; s. Abi-Saab, S. 8-10; Boland, S. 67; Friedmann, S. 269. 94 Im Rhodesien-Konflikt bestand nach Ansicht einiger Beobachter die Gefahr, daß andere Staaten militärisch intervenieren könnten, um das Unrechtsregime zu beeenden; s. dazu auch Röling, Friedenssicherung, S. 103. 95 So auch Nass, S. 279; RandelzhoJer, Neue Weltordnung, S. 56; Wright, Prevention, S. 525 f 96 So auch Fromuth, S. 355-357; Kirgis, S. 517; Kahne, S. 39; Schilling, S.91; Wengier, New World Order, S. 124; zweifelnd Baroni, S. 210 f, und H. Fischer, S.104. 97 Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Stellungnahmen der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates zu wirtschaftspolitischen Fragen. Beispielsweise beschäftigte sich die Generalversammlung mit der Bekämpfung der Inflation (Resolution AlRES/341197 vom 19.12.1979 ("EfIects ofthe world inflationary phenomenon on the development process")) und dem Verbraucherschutz (Resolution AlRES/39/248 vom 09.04.1985 ("Consumer protection")). Der Wirtschafts- und Sozialrat setzte sich mit den Fragen des organisierten Verbrechens (ECOSOC-Res. 1994/13 vom 25.07.1994 ("Contro1 of the proceeds of crime")) und der Bekämpfung des Drogenhande1s durch schärfere Zollkontrollen (ECOSOC-Res. 1994/4 vom 20.07.1994
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wirtschaftlicher Art, etwa Bürgerkriege, die Handelsinteressen anderer Staaten berühren98 oder zu einer gefährlichen Beschränkung des Zugriffs auf regionale Ressourcen führen. 99 Soziale Folgen Hier sind zunächst die sozialen Folgen zu nennen, die durch wirtschaftliche Krisensituationen bedingt sind, wie etwa die Arbeitslosenquote und die inflationsbedingte Verarmung. Zwei andere Bereiche sind jedoch ebenfalls erwähnenswert: Massive Flüchtlingsströme, die durch extreme menschliche Notsituationen in einem anderen Staat ausgelöst werden, können in den Aufnahmeländern zu erheblichen sozialen Spannungen führen. 1oo Ein gänzlich anderes Problem entsteht, wenn ein Staat keine effektiven Maßnahmen gegen die Produktion und den Export von Drogen und gegen andere Formen organisierter Kriminalität ergreift. Der Drogenkonsum sowie die organisierte Kriminalität können in anderen Staaten zu gravierenden gesellschaftlichen Problemen führen. 101 Ökologische Folgen Schwere Umweltbelastungen, die von dem Gebiet eines Staates ausgehen, können grenzüberschreitende oder gar globale Wirkungen haben. 102 Diese Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, daß innenpolitische Entscheidungen und Geschehnisse häufig bedeutsame Wirkungen in
(UEncouraging States to detect the use of trade channels for illicit consignments at all stages of movement U)) auseinander. 98 So auch Beyerlin, Humanitäre Aktion, S. 69; Wright, Prevention, S. 525 f. 99 So auch SchejJer, Doctrine, S. 287. 100 s. beispielsweise die Resolutionen des Sicherheitsrates zu Haiti (insb. Resolution SIRES/841 (1993)) und Ruanda (insb. SIRES/918 (1994)); s. auch Gordon, S. 573; Hutehinson, S. 627; Kirgis, S. 517; H. Lauterpacht, Human Rights, S. 186; ders., Protection, S. 36; Marauhn, Aktionen, S. 21; SchejJer, Doctrine, S. 287; Szasz, Internal Conflicts, S. 348. 101 So auch Kühne, S.39. In Resolution AfRES/50/6 vom 24.10.1995 (s. oben Fn. 34) heißt es: U[ ... ] while recognizing that action to secure global peace, security and stability will be futile unless the economic and social needs of people are addressed, we will: [ ... ]; Act together to defeat the threats to States and people posed by terrorism, in all its forms and manifestations, and transnational organized crime and the illicit trade in arms and the production and consumption of and trafficking in illicit drugs. U 102 So auch Brunner, S. 3; Kühne, S. 39; SchejJer, Doctrine, S. 287.
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anderen Staaten haben. Diese anderen Staaten werden mit Problemen konfrontiert, die sie wirksam nur lösen können, indem sie auf die Beseitigung der Ursachen hinwirken. 103 Da diese Ursachenbekärnpfung nur in dem Gebiet des Ursprungsstaats zu realisieren ist, werden außenpolitische Schritte notwendig. Im günstigsten Falle ist eine Lösung durch Zusammenarbeit der betroffenen Staaten zu erreichen. Häufig sind jedoch internationale Streitigkeiten die Folge, die zu der oben erwähnten konkreten internationalen Spannungslage führen. Besteht eine konkrete Spannungslage zwischen zwei oder mehr Staaten, so kann die Prognose, diese Spannungslage könnte zu einem internationalen bewaffneten Konflikt eskalieren, auf verschiedenen Annahmen beruhen. Möglich ist, daß der von den grenzüberschreitenden Folgen betroffene Staat sich zu einer militärischen Intervention entschließen wird. 104 Aber auch der Staat, in dem die Ursachen des Konflikts zu finden sind, kann im Verlauf der Konflikteskalation zu dem Schluß kommen, eine militärische Lösung sei für ihn vorteilhaft. Denkbar ist auch, daß ein interner bewaffneter Konflikt auf andere Staaten übergreifen wird, \05 insbesondere weil ein vom Bürgerkrieg betroffener Staat militärische Aktionen im Ausland durchfuhrt, um die dort gewährte Unterstützung der Rebellen zu unterbinden. 106 Schließlich ist noch das Szenario zu nennen, daß nicht diese beiden Staaten zu militärischen Gegnern werden, sondern einer der beiden so destabilisiert wird, daß dritte Staaten die Gelegenheit zu einer Intervention nutzen. \07 Entsteht aufgrund außen- oder innenpolitischer Gegebenheiten eine konkrete internationale Spannungslage, so kann der Sicherheitsrat dies als ein Anzeichen für das Bestehen einer Friedensbedrohung heranziehen. Auf diese Weise ist einerseits gewährleistet, daß der Rat so frühzeitig eingreifen kann, daß auch mit schonenden Mitteln, insbesondere den Mitteln der friedlichen 103 s. die oben in Fn. 21 wiedergegebene Ansicht von US-Präsident Clinton, daß die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik verwischten. 104 So auch Beyerlin, Hwnanitäre Aktion, S. 69; Gordon, S. 565; Herdegen, S. 115; Higgins, Rhodesia, S. 101; Mattler, S. 686; Myers, S. 92; Nass, S. 279; RandelzhoJer, Neue Weltordnung, S. 56; Szasz, Internal Conflicts, S. 347; White, S. 45; Wright, Prevention, S. 525 f. 105 Ein Beispiel ist der Bürgerkrieg in Liberia, der auf Sierra Leone übergriff. S. die Darstellung des Vertreters von Sierra Leone in UN-Dok. SfPV. 3138, S. 49; sowie AdG Bd. 61 (1991), S. 35648 f. Dazu allgemein Gordon, S. 565; Hutehinson, S. 627; Marauhn, Aktionen, S. 21; Mattler, S. 686; SchejJer, Doctrine, S. 287; Szasz, Internal Conflicts, S. 348; White, S. 45. 106 Zu den Übergriffen Portugals und Südafrikas s. unten S. 150; s. auch Szasz, Internal Conflicts, S. 348. 107 So auch Gordon, S. 573.
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Streitbeilegung und der vorläufigen Maßnahmen, eine Beseitigung der Gefahr zu erreichen ist. I 08 Andererseits ist ein zufriedenstelIendes Maß an Prognosesicherheit gewährleistet, da die konkrete Beschaffenheit der Spannungslage und die Charakteristika der Streitparteien bekannt sind. 109 Eine Reihe von Autoren fordert indes, daß der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung erst dann feststellen dürfe, wenn entweder grenzüberschreitende Kampfhandlungen stattfänden oder andere Staaten sich an den bewaffneten Auseinandersetzungen in einem von einem Bürgerkrieg betroffenen Staat bereits beteiligten. 11 0 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Hat die konkrete internationale Spannungslage das von diesen Autoren geforderte Stadium bereits erreicht, so gewinnt der Eskalationsprozeß eine Eigendynamik, die nur schwer zu bremsen sein wird. Die Forderung an den Sicherheitsrat, bis zu diesem Zeitpunkt zu warten, schränkt die Zahl der dem Rat zur Verfügung stehenden erfolgversprechenden Instrumente in gravierender Weise ein, ohne andererseits die Prognosesicherheit wesentlich zu erhöhen, da sowohl die Akteure als auch die konkrete Konfliktkonstellation bereits vorher bestimmbar sind.
108 Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß in einem frühen Konfliktstadium, in dem die Mittel der friedlichen Streitbeilegung noch erfolgversprechend erscheinen, nur eine Friedensgefährdung im Sinne des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen und (noch) keine Friedensbedrohung gemäß Art. 39 ChVN vorliege, da diese heiden Begriffe nicht an verschiedene Konfliktstadien anknüpfen, sondern beide inhaltlich unterschiedslos eine konkrete Spannungslage voraussetzen; s. dazu ausführlich unten S. 268 ff. Entscheidet sich der Sicherheitsrat dafilr, eine Friedensbedrohung festzustellen, so stehen ihm dennoch auch die in Kapitel VI der Charta enthaltenen Maßnahmen zur Verfügung; so auchAIston, S. 139. 109 Im Ergebnis so auch Baroni, S. 113; Beyerlin, Humanitäre Aktion, S. 69 f; Boland, S. 67; Bothe, Legitimacy, S. 294 f; van Boven, S. 22 f; Bowett, Institutions, s. 39; Bnmner, S. 3; Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S. 655; Conforti, Pouvoir disCft!tionnaire, S. 55; Delbrück, Humanitarian Intervention, S. 898 f; ders., Staatliche Souveränität, S. 19; Franck, Security Council, S. 85; Friedmann, S. 269; Frowein, de facto-Regime, S.47; ders., Friedenssicherung, S.46; Gordon, S. 569 f; Gross, Buchbesprechung, S. 226 f; Herdegen, S. 115; Higgins, Rhodesia, S. 101; Hutchinson, S. 627; Karaosmanoglu, S. 33; Kipp, S. 585; Kresock, S. 236; Kühne, S. 28; H. Lauterpacht, Human Rights, S. 186; ders., Protection, S. 36; Lombardi, S.49; McDougallFeliciano, S. 125; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 25; Marauhn, Aktionen, S. 21; E. M. Miller, S. 4; L. B. Miller, S. 35; Myers, S. 92; Nass, S.279; Rauschning, Gewaltverbot, S. 77; Röling, Friedenssicherung, S. 103; Ross, S. 110 f; Schilling, S. 89; Schlüter, S. 260 f; Simma, Legal Basis, S. 142; Stein, Enforcement, S. 118; Stone, Legal Controls, S.257, Fn.69; Szasz, Internal Conflicts, S. 347 f; Wright, Prevention, S. 524. 110 Bindschedler, Delimitation des competences, S.384; Castren, S. 82 f; Menk, S. 113 f; Sohn, UN Röle, S. 211; Weber, S. 181; Zorgbibe, S. 164.
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bb) Der Zusammenbruch der Staatsgewalt Eine weitere konkrete Spannungslage und somit ein Anzeichen für die Gefahr, daß eine Situation zu einem internationalen bewaffneten Konflikt eskalieren könnte, ist der Zusammenbruch der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen eines Staates. In einer derartigen Situation ist eine Prognose hinreichend sicher, daß eine Gefahr bestehe, das entstehende Machtvakuum könne die Region destabilisieren oder andere Staaten verleiten, in den zusammengebrochenen Staat zu intervenieren. 111 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Zusammenbruch staatlicher Strukturen mit dem Zerfall der Gesellschaftsordnung, der Fragmentierung der Bevölkerung in verschiedene, sich gegenseitig bekämpfende Gruppen und einem allgemeinen Zustand der Anarchie und Gesetzlosigkeit einhergeht. 112 Im Gegensatz zu herkömmlichen internen Konflikten, bei denen eine intakte Regierung durch Rebellen angegriffen und gegebenenfalls darüber hinaus von außen destabilisiert wird, liegt der Fall hier so, daß zunächst die Regierungsstrukturen zusammenbrechen und dies erst der Anlaß für den vollständigen Ausbruch des Bürgerkriegs und die mögliche Beteiligung anderer Staaten ist. 113 Der Zusammenbruch eines Staates hat mit einer internationalen Spannungslage gemeinsam, daß das Bestehen beider Situationen ein hinreichend konkretes Anzeichen für eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN ist. II 4 Herdegen schlägt eine andere Begründung für die Zulässigkeit der Feststellung einer Friedensbedrohung im Falle des Zusammenbruchs der staatlichen Strukturen vor. Er argumentiert, daß dann, wenn ein Staat zusammengebrochen sei und keine effektive Staatsgewalt mehr bestehe, das völkerrechtliche Gewaltverbot nicht mehr gelte. Andere Staaten könnten mithin rechtmäßig zum Schutz der Bevölkerung gegenüber den Bürgerkriegsparteien und Banden intervenieren. Dieses Recht der einzelnen Staaten sei dann auch dem Sicher-
111 s. dazu oben S. 81 die Resolution des Sicherheitsrates SlRES1733 (1992) hinsichtlich der Situation in Somalia. 112 So auch Damrosch, Nationalism, S. 495; Kühne, S. 37 f; Tomuschat, Gemeinschaft, S. 12. 113 Schachler, Internal Conflict (Moore), S. 411; ders., Internal Conflict (Raman), s. 311 f 114 So auch Corten, S. 119; CorteniP. Klein, Autorisation, S. 511; Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S. 495; Herdegen, S. 116; Kühne, S. 37 f.; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 25; Otunnu, S. 606; Ramcharan, S. 36; Tomuschal, Gemeinschaft, S. 12; ders., Obligations, S. 339; zweifelnd Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 222.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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heitsrat in Form der "Notgeschäftsführung" zuzubilligen. 1J5 Es erscheint fraglich, ob der Ausgangspunkt dieser These, das Gewaltverbot gelte nicht mehr, zutrifft. Dieses grundlegende völkerrechtliche Verbot, das Staaten und staatsähnliche Gebilde in ihrem territorialen Bestand und ihrer politischen Unabhängigkeit schützt, muß gerade auch dann gelten, wenn die Staatsgewalt nicht mehr effektiv funktioniert. Formal ist dies damit begründbar, daß trotz des Wegfalls der effektiven Staatsgewalt der Staat als Völkerrechtssubjekt weiterhin bestehe 16 und somit auch den Schutz des ausnahmslos für alle Staaten geltenden Gewaltverbots genießt. Auf der tatsächlichen Argumentationsebene ist einzuwenden, daß das staatliche Gemeinwesen gerade in Zeiten schwerer interner Krisen auf den Schutz durch das völkerrechtliche Gewaltverbot vertrauen können muß. Ein Aussetzen des Gewaltverbots ermöglichte nicht nur die Intervention zu humanitären Zwecken, sondern eröffnete jedem Staat die Möglichkeit, seine eigenen Interessen auf dem Gebiet des betroffenen Staates mit gewaltsamen Mitteln zu verfolgen. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, daß das völkerrechtliche Gewaltverbot durch den Zusammenbruch der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen eines Staates nicht außer Kraft gesetzt wird. cc) Die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen Schließlich ist die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen eine konkrete Spannungslage und als solche ein Anzeichen für eine Friedensbedrohung. Werden Resolutionen des Sicherheitsrates mißachtet oder gegen Friedens- oder Waffenstillstandsverträge verstoßen, an deren Umsetzung Organe der Vereinten Nationen beteiligt sind, so entsteht dadurch zwar nicht zwangsläufig eine konkrete internationale Spannungslage, in die der seine Verpflichtungen mißachtende Akteur verwickelt ist. Doch sind die konkreten Anzeichen deutlich genug, um prognostizieren zu können, daß die Maßnahmen des Sicherheitsrates in zukünftigen Fällen von Friedensbedrohungen keine oder nur eingeschränkte Wirkung haben werden, wenn nicht bereits bei ersten Anzeichen der Mißachtung der völkerrechtlichen Verpflichtungen und der Autorität des Rates Gegenmaßnahmen ergriffen werden. ll7 115 Herdegen, S. 116; ähnlich auch Morrison, S. 101; A. Roberts, S. 440; zweifelnd Szasz, Diskussionsbeitrag, S. 102. 116 Soweit dieser Wegfall vorübergehend und nicht dauerhaft ist; s. DahmIDelbrUckl Wolfrom, S. 143 f.; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5, Rz. 10 (S. 59). 117 So auch Ramcharan, S. 36; s. ausfilhrlich oben S. 144.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Das Defizit dieser Fallgruppe gegenüber den bislang dargestellten konkreten Spannungslagen besteht darin, daß die Beteiligten der zukünftigen konkreten Krisensituation nicht bekannt sind. Es wird dadurch aufgewogen, daß das Szenario und seine Gefährlichkeit, das heißt die fehlende oder verminderte Durchsetzungsfähigkeit des Sicherheitsrates, bereits erkennbar sind.
d) Der Wegfall von Bedingungen filr den Erhalt des Weltfriedens als Voraussetzung der Friedensbedrohung
Es wird von einer Reihe von Autoren vertreten, daß es als Anzeichen für eine Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN genüge, daß wesentliche Bedingungen für die Erhaltung des Friedens verlorengingen, 118 also Ursachen gesetzt würden, die die Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts hervorrufen könnten. 119 Aufgrund der zunehmenden internationalen Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit gewönnen die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen internationaler Konflikte immer mehr an Bedeutung. 120 Um diesen Konfliktgefahren zu begegnen, habe der Sicherheitsrat die Möglichkeit, das Kriegsverhütungsinstrumentarium des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen einzusetzen. Es sei nicht sinnvoll zu verlangen, daß der Sicherheitsrat warten müsse, bis bestimmte destabilisierende Faktoren bereits zu konkreten Spannungen geführt hätten. Vielmehr müsse die Statthaftigkeit der Abwehr im Vorfeld ausgenutzt werden, um die Konfliktverhütung so früh wie möglich zu beginnen. 121 Der Sicherheitsrat könne auch gegen eklatante Menschenrechtsverletzungen vorgehen, da diese selbst dann, wenn keine unmittelbaren grenzüberschreitenden Auswirkungen zu erkennen seien, die Stabilität des internationalen Systems bedrohten. 122 Die Erfahrung lehre, daß für eine dauerhafte Sicherung des Weltfriedens nicht nur das friedliche Zusammenleben der Staaten, sondern auch gerechte Verhältnisse innerhalb der Staaten erforderlich seien. \23
Heinz/PhilipplWolfrum, S. 126; Wolfrum, Aufgaben, S. 6; Worku, S. 5 f. Nowlan, S. 180 f. 120 Petersmann, S. 176; s. auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.01.1992 (UN-Dok. SI23500), S. 3, und die Stellungnahme Australiens vor der Generalversammlung (UN-Dok. A/47fPV. 15, S. 14 u. 17 f.). 121 Petersmann, S. 176; SchejJer, Doctrine, S. 288. 122 Heinz/PhilipplWolfrum, S. 126; SchefJer, Doctrine, S. 288; Wolfrum, Aufgaben, S.7. 123 Baroni, S. 61; Pauer, S. 87 u. 90. 118
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7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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Dieses Konzept verzichtet auf eine konkrete Spannungslage, wie sie im Falle einer internationalen Streitigkeit, des Zusammenbruchs eines Staates oder der Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen gegeben ist. Es soll ausreichen, daß eine Ursache gesetzt wird, die im weiteren Verlauf der Geschehnisse erfahrungsgemäß zu einer konkreten Spannungslage und letztlich zu einern internationalen bewaffneten Konflikt führen kann. Dies erscheint jedoch nicht unproblematisch, da Ursachenketten fast beliebig konstruiert werden können. So könnte beispielsweise ein geringfügiger Verstoß gegen eine Menschenrechtsbestimmung als Bedrohung des Weltfriedens eingestuft werden, da im Falle ihrer Nichtahndung die Wiederholung dieses Verstoßes und andere Verstöße drohten. Die quantitative und qualitative Steigerung der Menschenrechtsverletzungen könnte schließlich so drastische Formen annehmen, daß andere Staaten sich veranlaßt sähen, aus moralischen Gründen militärisch zu intervenieren. Ein anderes Beispiel wäre, daß nach einer Wahl in einern Staat die Amtseinsetzung der neuen Regierung als Friedensbedrohung betrachtet werden könnte, da diese Regierung zum Ziel hat, eine aggressive Außenwirtschaftspolitik zu verfolgen. Das Abstellen allein auf die potentielle Ursächlichkeit einer Situation für die Eskalation zu einern Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit hat den entscheidenden Nachteil, daß praktisch keine Prognosesicherheit mehr bestünde. Der weitere Verlauf des Geschehens müßte prognostiziert werden, ohne daß sich der Sicherheitsrat auf die Merkmale einer konkreten Spannungslage stützen könnte. Überdies setzt das dargestellte Konzept nicht voraus, daß die Betroffenen des gegenwärtigen Wegfalls der Bedingungen für die Friedenserhaltung und die Beteiligten der zukünftigen konkreten Spannungslage identisch sind. Denkbar wäre auch eine allgemeine Destabilisierung des internationalen Systems, beispielsweise durch einen Rückgang der Rechtstreue, die zu der Entstehung der zukünftigen konkreten Spannungslage mit anderen Beteiligten beitrüge. Diese Spannungslage könnte kausal auf die gegenwärtigen Geschehnisse zurückgeführt werden. In einern solchen Fall würde die Prognose zusätzlich dadurch erschwert, daß die Akteure, deren Verhalten vorherbestimmt werden soll, nicht bekannt wären. Der dargestellte, zu weit gehende Verzicht auf Prognosesicherheit erhöht die Gefahr eines Mißbrauchs seiner Befugnisse durch den Sicherheitsrat. Der Rat könnte jede beliebige Situation zu einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN erklären, da die Konstruktion einer hypothetischen Kausalkette stets möglich ist. Zwar ist die Charta der Vereinten Nationen so angelegt, daß dem Sicherheitsrat ein breiter Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage zusteht, ob eine Friedens-
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bedrohung vorliege. 124 Dennoch kann es nicht die Aufgabe des Rates sein, jegliches beliebige Ereignis daraufhin zu untersuchen, ob es eine Ursache für einen zukünftigen Friedensbruch sein könne. Abgesehen von der geschilderten Mißbrauchsgefahr, die bei einer derartig weiten Aufgabe bestünde, wäre der Sicherheitsrat auch tatsächlich nicht in der Lage, dieser Aufgabe nachzukommen. Es ist von seiner gesamten Organisationsstruktur darauf angelegt, auf tatsächliche konkrete Krisensituationen unverzüglich zu reagieren. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß in Art. 24 Abs. I ChVN die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dem Sicherheitsrat übertragen wird, "um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten". Folgerichtig verpflichtet Art. 28 Abs. I S. 2 ChVN die Mitglieder des Rates, jederzeit am Sitz der Vereinten Nationen vertreten zu sein. Der Sicherheitsrat ist zwar ein Organ, das in dem Sinne präventiv tätig werden kann, daß es nicht den Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit abzuwarten braucht. Doch ist der Rat gleichzeitig seinem Wesen nach reagierend, nicht von sich aus agierend. Es ist seine Aufgabe, im Falle einer konkreten Spannungslage durch den Einsatz des ihm zur Verfügung stehenden Instrumentariums zu verhindern, daß diese Spannungslage zu einem Friedensbruch eskaliert. Demgegenüber gehört es nicht zu seinem Aufgabenbereich, bereits das Entstehen von konkreten Spannungslagen mittel- und langfristig zu verhüten. Die bisherige Praxis des Sicherheitsrates stimmt mit diesem Verständnis der Charta der Vereinten Nationen überein. In allen Fällen, in denen der Rat die Gefahr der Eskalation zu einem Ausbruch internationaler bewaffneter Gewalt feststellte, machte er dies an einer konkreten Spannungslage fest. Aus der Resolution oder zumindest aus den Debatten ging stets hervor, wie die Krisensituation beschaffen war und wer die Beteiligten waren. 125 In den Fällen, in denen der Sicherheitsrat keine konkrete Spannungslage erkannte, die zu einem internationalen bewaffneten Konflikt führen könnte,126 begründete er die Friedensbedrohung nicht damit, daß Ursachen gesetzt worden seien, die im weiteren Verlauf der Geschehnisse zu konkreten Spannungslagen und letztlich zu einem internationalen bewaffneten Konflikt mit denselben oder anderen Beteiligten führen könnten. Insbesondere die Debatten machen deutlich, daß dieser Aspekt keine Rolle spielte. 124 S. dazu den Bericht des Ausschusses IIII3 der GründlUlgskonferenz der Vereinten Nationen, in: UNCIO Bd. XII, S. 502 (505). 125 s. zur Praxis oben S. 53. 126 Am deutlichsten in den Resolutionen SIRES/808 (1993), SIRES/827 (1993) lUld SIRES/955 (1994); s. dazu oben S. 100 lUld S. 109.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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Zusammenfassend ist festzustellen, daß die potentielle Ursächlichkeit einer Situation für einen zukünftigen Friedensbruch nicht genügt, um diese Situation als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN einstufen zu können. e) Ergebnis
Die Feststellung einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 ChVN setzt voraus, daß eine konkrete Spannungslage darauf hinweist, daß die bestehende Situation zu einem Friedensbruch eskalieren könnte. Als konkrete Spannungslagen kommen internationale Spannungslagen, der Zusammenbruch der Staatsgewalt und die Beeinträchtigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen in Betracht. Diese konkreten Spannungslagen können als Anzeichen dafür gewertet werden, daß der Weltfrieden im Sinne der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt gefährdet ist. 127 Dies bedeutet für die Ausgangsfrage, ob extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen als Bedrohung im Sinne des Art. 39 ChVN qualifiziert werden können, daß dies zwar grundsätzlich möglich, aber nicht stets der Fall ist. Bildet die Notsituation die Ursache einer konkreten Spannungslage, insbesondere weil andere Staaten dagegen protestieren und möglicherweise zur Intervention bereit sind, so kann die Lage eine Friedensbedrohung darstellen. Das gleiche gilt, wenn eine aus anderen Gründen bestehende konkrete Spannungslage eine Notsituation zur Folge hat, die ihrerseits zur Eskalation der Situation hin zu einer internationalen bewaffneten Auseinandersetzung beiträgt. Doch müssen Situationen extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens keineswegs immer die Ursache oder Folge von konkreten Spannungslagen sein, die befürchten lassen, daß die Lage zu einem internationalen bewaffneten Konflikt eskalieren könnte. Es ist somit nicht zutreffend, daß extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen stets über den Begriff der Bedrohung erfaßbar sind. 128
127 Es wird noch auszuführen sein, daß auch die Abwesenheit extremen menschlichen Leidens ein Element des Weltfriedens ist. In diesem Fall gibt es andere Konstellationen von konkreten Spannungslagen. Doch gilt auch dann, daß eine konkrete Spannungslage vorliegt, wenn zu befürchten ist, daß diese spezifische Situation, deren Charakteristika und Akteure bekannt sind, zu einem Friedensbruch eskalieren könnte (s. unten S. 247). 128 So aber Nowlan, S. 174; Worku, S. 5 f.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit 3. Ergebnis
Es wurde festgestellt, daß die Charta der Vereinten Nationen die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als ein Element ihres vorrangigen Ziels, den Weltfrieden zu erhalten, betrachtet.!29 Diese Wertentscheidung, die die Freiheit des Menschen von extremer, durch den Menschen geschaffener Not als grundlegende Motivation der Vereinten Nationen ausweist, wirkt sich auf den Inhalt des Begriffs des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN aus. Wäre dieser Begriffsinhalt ausschließlich mit der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt gleichzusetzen, so wäre der Sicherheitsrat dann nicht im Rahmen des Kapitels VII der Charta handlungsbefugt, wenn die schwerwiegende Notsituation nicht zu einer Bedrohung des so verstandenen Weltfriedens fUhrt, also nicht mit einer konkreten Spannungslage einhergeht, die den Rat befürchten läßt, daß es zu einem Ausbruch internationaler bewaffneter Gewalt kommen könnte. Die Konsequenz dieser Auffassung ist, daß in Situationen wie dem Völkermord in Ruanda im Frühjahr und Sommer 1994, dem mehr als 500.000 Menschen zum Opfer fielen,130 die Vereinten Nationen tatenlos zuschauen müßten, weil die einzig erfolgversprechenden Maßnahmen des Kapitels VII der Charta nicht hätten angewendet werden dürfen. Die Eingriffsbefugnis hinge davon ab, daß der Völkermord im Zusammenhang mit einem internationalen Konflikt verübt würde oder die Gefahr eines derartigen Konflikts erzeugte. Dieses geradezu zynisch anmutende Ergebnis!3! ist nicht mit dem festgestellten vorrangigen Ziel der Vereinten Nationen zu vereinbaren, extremes, durch Gewaltanwendung verursachtes menschliches Leiden zu verhindern. Daraus folgt, daß auch die Abwesenheit extremen menschlichen Leidens ein Bestandteil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN - und somit auch des Art. 39 ChVN - ist. Nur dieses Verständnis ermöglicht es dem Sicherheitsrat, auch in Situationen einzugreifen, in denen das schwerwiegende menschliche Leiden nicht zu der konkreten Gefahr einer internationalen bewaffneten Auseinandersetzung geführt hat. Dem könnte entgegengehalten werden, daß es für den Sicherheitsrat kein Problem darstelle, eine konkrete Spannungslage festzustellen, die auf die Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts hinweise, soweit er nur gewillt sei einzuschreiten. 132 Doch ist dieser scheinbar pragmatische Ausweg
129
130 131 132
s. oben S. 182. s. oben S. 108. So Rodley, S. 35. So argumentieren Alston, S. 138 f., und Rodley, S. 36.
7. Kapitel: Frieden als Abwesenheit menschlichen Leidens
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nicht mit den Wertentscheidungen der Charta der Vereinten Nationen zu vereinbaren. Das vom Sicherheitsrat bekundete Ziel seiner Maßnahmen wäre in diesem Fall nicht die Beendigung des bestehenden menschlichen Leidens an sich, sondern die Verhütung des Ausbruchs eines internationalen bewaffneten Konflikts. Dies hätte zur Folge, daß die Bedeutung extremer, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Notsituationen im System der Charta der Vereinten Nationen unterschiedlich bewertet würde in Abhängigkeit vom äußeren Anlaß dieses Leidens. Diese Differenzierung ist nicht überzeugend. Der philanthropische Grundgedanke der Charta kommt nur dann voll zur Geltung, wenn die Verursachung menschlichen Leidens unabhängig von seinem Entstehungsgrund verurteilt und ihm stets mit derselben Absicht, dieses konkrete Leiden zu beenden, entgegengetreten wird. Diese teleologischen Überlegungen führen dazu, unter Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN nicht nur die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt, sondern auch die Abwesenheit extremer, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Notsituationen zu verstehen.
m. Ergebnis Auf der Grundlage der Untersuchung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen ist festzuhalten, daß der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt auch die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens umfaßt.
8. Kapitel
Frieden als Integrität der Grundnormen der Völkerrechts ordnung I. Die Untersuchung der Zielsetzungen der Charta der Vereinten Nationen Im Folgenden ist die Frage zu untersuchen, ob der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN neben den beiden festgestellten Elementen auch die Unversehrtheit der Völkerrechtsordnung umfaßt. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, daß es das Ziel der Maßnahmen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen sei, Verletzungen von Normen der Charta der Vereinten Nationen oder auch des allgemeinen Völkerrechts zu beseitigen. Dies bedeute, daß jedweder Verstoß gegen völkerrechtliche Normen als Angriff auf die Integrität der Völkerrechtsordnung und daher als Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN eingestuft werden könnte.! Dies wird von den meisten Autoren zu Recht als zu weitgehend empfunden. Ein Teil von ihnen plädiert jedoch fiir die Erfassung der Integrität bestimmter grundlegenden Rechtsnormen der internationalen Gemeinschaft durch den Friedensbegriff des Art. 39 ChVN und somit auch des Art. 24 Abs. 1 ChVN. Es wird argumentiert, daß sich vor dem Hintergrund faktischer Notwendigkeiten ein Katalog von völkerrechtlichen Normen herausgebildet habe, die als gemeinsames Kennzeichen besäßen, daß sie unabhängig vom Willen der einzelnen Staaten fiir alle Staaten verbindlich seien. 2 Zu diesen Normen zählten neben dem Gewaltverbot das Völkermordverbot, 3 die grundlegenden Bestimmungen des Menschenrechtsschutzes, 4 des humanitären Völkerrechts5 und der Cavare, S. 221; Kelsen, United Nations, S. 727; Oldenhage, S. 117. s. dazu oben S. 235. 3 Bothe, Legitimacy, S. 296; Brunner, S. 3; Damrosch, Introduction, S. 12 f.; dies., Nationalism, S. 495; K. Dicke, S. 22; Eddine Ghozali, S. 87; Heintze, Res. 688, S. 45; Kartashkin, S. 207; Kühne, S. 36. 4 Abellan Honrubia, S. 5; Alston, S. 170; Bothe, Legitimacy, S. 296; Carrillo Salcedo, Röle du Conseil de Securite, S. 162; Damrosch, Reflections, S. 356; Delbrück, Humanitarian Intervention, S.900; ders., Impact, S. 156; ders., Staatliche I
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8. Kapitel: Frieden als Integrität der Grundnonnen
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Regeln über die Kriegsführung, 6 das Selbstbestimmungsrecht der Völker' und das Verbot der Apartheid. 8 Da diese Normen im kollektiven Interesse bestünden, sei auch ihre kollektive Durchsetzung die geeignetste Form der Durchsetzung. 9 Der Sicherheitsrat biete sich dafür an, da er das einzige kollektive Organ sei, das praktisch die gesamte Staatengemeinschaft repräsentiere und gleichzeitig das erforderliche Instrumentarium an Zwangsmaßnahmen zur Verfügung habe. 10 Dieser Gedankengang entbehrt nicht der Überzeugungskraft. Er ist aber mit dem Problem behaftet, daß dem Sicherheitsrat die Aufgabe der Durchsetzung der grundlegenden Rechtsnormen der internationalen Gemeinschaft deshalb zugewiesen wird, weil dies rechtspolitisch erwünscht ist und der Rat als geeignet erscheint. Der Umfang des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates kann sich jedoch nur aus der Charta der Vereinten Nationen ergeben. Aufgaben, die die Charta nicht vorsieht, können den Organen der Vereinten Nationen grundsätzlich nicht gleichsam von außen zugewiesen werden. Eine Auslegung des Souveränität, S. 19; K. Dicke, S. 22; Franck, Security Council, S. 103; Gallant, S. 906; Hannikainen, S. 284; Kartashkin, S. 208; Kimminich, S. 455; Kühne, S. 36; H. Lauterpacht, Protection, S. 15 u. 26; Lillich, Humanitarian Intervention, S. 572; Malanczuk, Humanitarian Intervention, S. 25; Marcus-Helmons, S. 477; Mattler, S. 686; Nass, S.280; PeaselForsythe, Human Rights, S. 302; dies., Humanitarian Intervention, S. 12; Ramcharan, S. 36; Reisman, Haiti, S. 83; Rodley, S. 35; Simma, Diskussionsbeitrag, S. 179; Sohn, Civil Wars, S. 586; Tomuschat, Allocation, S. 92; ders., Obligations, S.341; VerdrosslSimma, § 234 (S. 144); White, S.45; Whitel McCoubrey, S. 357 f; Zourek, L'interdiction, S. 123; sowie die Stellungnahme Australiens (UN-Dok. A/47IPV. 15, S. 14 f). 5 Carrillo Salcedo, Röle du Conseil de Securite, S. 163; Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S.495; Gowlland-Debbas, Enforcement Action, S.66; Hutehinson, S. 627 u. 639; Kühne, S. 36; Mattler, S. 686; Torrelli, S. 172. 6 Damrosch, Introduction, S. 12 f; dies., Nationalism, S.495; Eddine Ghozali, S. 87; Kartashkin, S. 207. 7 Abellan Honrubia, S. 5; Bothe, Legitimacy, S. 294; Eddine Ghozali, S. 87; Hannikainen, S. 284; Randelzho/er, Neue Weltordnung, S. 60; Zourek, L'interdiction, S. 123. Zweifelnd Fenwick, S. 754; Delbrück, Friedenssicherung, S. 144 f u. 147; die Bedenken sind ausdrücklich relativiert in Delbrück, Humanitarian Intervention, S. 894, Fn.32. 8 Bothe, Legitimacy, S. 296; K. Dicke, S. 22; Fromuth, S. 344; Gowlland-Debbas, Enforcement Action, S. 64 f.; Kartashkin, S. 207. 9 Brunner, S. 3; Delbrück, Impact, S. 156 f; K. Dicke, S.22; Fromuth, S. 361 f; Gading, S. 164 f; Grae/rath, Int'l Crimes, S. 164; Hobe, S. 59; Kartashkin, S. 207; Simma, Legal Basis, S. 131. Ähnlich auch Oellers-Frahm, S. 749; und Schachter, Compliance, S. 428. 10 Bothe, Legitimacy, S. 296; Damrosch, Nationalism, S. 494; Delbrück, Impact, S. 145; Gading, S. 164 f; Glennon, S. 71; International Institute/or Strategie Studies, S. 30; Randelzho/er, Neue Weltordnung, S. 63; Simma, Legal Basis, S. 143.
14 Lailach
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Art. 24 Abs. I ChVN, die aufgrund rechtspolitischer Überlegungen zu einem Ergebnis gelangt, das sich nicht mit den anerkannten völkerrechtlichen Auslegungsmethoden begründen läßt, überschreitet die Grenzen der zulässigen Auslegung. I I In den Worten von Larenz handelt es sich dann nicht um eine Auslegung, sondern um eine "Hineinlegung". Der Interpret dürfe sich nicht über die erkennbare Regelungsabsicht und die der Regelung zugrunde liegenden Wertentscheidungen hinwegsetzen. 12 Der Präambel der Charta der Vereinten Nationen kann entnommen werden, daß die Verhinderung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens ein Aspekt des vorrangigen Ziels der Vereinten Nationen ist, den Weltfrieden zu erhalten. Darauf weist die Formulierung in der Präambel der Charta hin, wonach Kriege und die mit ihnen verbundenen unsagbaren Leiden zukünftig verhindert werden sollen. 13 Ein entsprechender Hinweis an gleichermaßen prominenter Stelle l4 darauf, daß auch die Einhaltung der grundlegenden völkerrechtlichen Normen diesen Stellenwert besitzt, fehlt in der Charta. Etwas anderes kann insbesondere nicht der Tatsache entnommen werden, daß in Art. I Ziff. I Ch VN die Grundsätze der Gerechtigkeit und des Völkerrechts erwähnt werden. Es ist nicht die Aufgabe des Sicherheitsrates, diese Grundsätze durchzusetzen. Vielmehr ergibt sich aus Art. I Ziff. I ChVN in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 ChVN, daß der Sicherheitsrat bei seinem Handeln im Rahmen des Kapitels VI der Charta an diese Grundsätze gebunden ist. 15 Die Erwähnung der Grundsätze der Gerechtigkeit und 11 Bemhardt, Interpretation and Modification, S.499; Herdegen, S. 111; Ress, S. 63, Vofcu, S. 96 u. 208. S. auch die Diskussion in der Vt5Ikerrechtskommission der Vereinten Nationen, in: Tätigkeitsbericht 1994 (s. oben Fn. 36 im 7. Kapitel), S. 353, Par. 310. 12 Larenz, S. 305 u. 338. 13 s. dazu oben S. 179. 14 Zur besonderen Bedeutung der Präambel filr die Bestimmung der Vertragsziele s. oben Fn. 28 im 7. Kapitel. 15 Die folgenden Autoren nehmen an, die Bindung an die Grundsätze der Gerechtigkeit und des Völkerrechts gälten auch filr Maßnahmen des Sicherheitsrates aufgrund von Kapitel vn der Charta der Vereinten Nationen: Amtz, S. 33; Bowett, Self-Defense, S. 197; Evatt, S. 11; Mani, S. 22; Oidenhage, S. 118; sowie Richter Bedjaoui in seiner abweichenden Meinung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, LC.J. Reports 1992, S. 3 (45, Par. 26 f.). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte (s. den Bericht des Berichterstatters des ersten Ausschusses an die erste Kommission, in: UNCIO Bd. VI, S. 446 (453 f)) ergibt sich jedoch, daß nur die Maßnahmen der friedlichen Streitbeilegung von dieser Bindung erfaßt werden. So auch Alston, S. 138 f; Conforti, Pouvoir disCH:tionnaire, S. 55; D. Chr. DickelRengeling, S. 23 f; GoodrichIHambro/Simons,
8. Kapitel: Frieden als Integrität der Grundnonnen
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des Völkerrechts hat somit für den Sicherheitsrat die Funktion einer Handlungsbeschränkung und nicht einer Zielsetzung. 16 Auch die Struktur des Sicherheitsrates spricht gegen die Annahme, daß ihm in Art. 24 Abs. 1 ehVN die Aufgabe zugewiesen sei, die Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen sicherzustellen. Seine Zusammensetzung und die für ihn geltenden Verfahrensvorschriften weisen darauf hin, daß er eine politische und keine judikative Aufgabe zu erfüllen hat 11 Die Entscheidungen des Rates unterliegen keinem Begrtindungszwang. Auch müssen die Delegierten nicht durch besondere Rechtskenntnis ausgewiesen sein. Der Sicherheitsrat ist so beschaffen, daß er auf politische Krisen unter Berücksichtigung politischer Gesichtspunkte reagieren kann.
Art. 1, S. 27 (; Gross, Buchbesprechung, S. 229; Kelsen, United Nations, S. 16,295 u. 730; Krökel, S.74; Reisman, Constitutional Crisis (ADI), S. 413 (; sowie Richter Weeramantry in seiner abweichenden Meinung zu: Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United Kingdom), Provisional Measures, Order of 14 April 1992, I.C.J. Reports 1992, S. 3 (66); s. auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.01.1992 (UN-Dok. S/23500), S.3, und dazu Torres Bemardez, S. 751. Allerdings ist der deutsche Text unklar. Er lautet: "Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: 1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch filhren könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;" Diese Übersetzung macht nur unzureichend deutlich, daß nicht etwa Kollektivmaßnahmen getroffen werden können, um internationale Streitigkeiten friedlich nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts beizulegen, sondern daß die Kollektivmaßnahmen und die Maßnahmen zur friedlichen Streitbeilegung zwei alternative Mittel zur Wahrung des Weltfriedens sind. Dies ergibt sich aus dem authentischen englischen Text: "The Purposes ofthe United Nations are: 1. To maintain international peace and security, and to that end: to take effective collective measures for the prevention and removal of threats to the peace, and for the suppression of acts of aggression or other breaches of the peace, and to bring about by peaceful means, and in conformity with the principles of justice and international law, adjustment or settlement of international disputes or situations which might lead to a breach of the peace; H 16 A. A. Abellan Honrobia, S. 5. 11 So auch Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S. 664 f.; Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 63 u. 450 (; Hemdl, S. 336; Higgins, Settlement ofDisputes, S. 17; Rashkow, S. 311; Schachter, Theory and Practice, S. 390; Schilling, S. 89; Stephen, S. 481; Weckei, S. 169.
14*
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Es läßt sich somit der Charta der Vereinten Nationen nicht entnehmen, daß die Integrität der grundlegenden Normen des Völkerrechts ein Bestandteil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN ist. Nun verhält es sich allerdings so, daß der Sicherheitsrat häufig die Beachtung dieser Normen anstrebt und dies auch in zahlreichen Fällen ausdrücklich von den betroffenen Parteien fordert. Dies bedeutet indes nicht zwangsläufig, daß der Sicherheitsrat der Ansicht ist, die Unversehrtheit dieser Normen sei ein Bestandteil des Weltfriedens. Vielmehr nutzt der Rat den Umstand, daß die in Frage stehenden Normen ebenso wie sein eigenes Handeln den Zweck haben, menschliches Leiden in extremen Ausmaßen zu unterbinden. Diese Zielidentität hat einerseits zur Folge, daß der Sicherheitsrat, wenn er Maßnahmen zur Minderung menschlichen Leidens ergreift, damit gleichsam als Nebeneffekt die Beachtung der grundlegenden Rechtsnormen der internationalen Gemeinschaft, von denen im Falle extremer, durch Gewaltanwendung verursachter Notsituationen in der Regel einige verletzt sind, durchsetzt. Diesen Effekt kann er andererseits bewußt nutzen, indem er die Forderung nach Einhaltung der betreffenden völkerrechtlichen Bestimmungen als Mittel einsetzt, um zu erreichen, daß die extreme menschliche Notsituation beendet und damit der Weltfrieden wiederhergestellt wird. Durch die Belegung des Verursachers der menschlichen Notsituation mit dem Stigma des Rechtsbrechers gewinnen seine Forderungen nach Beendigung dieser Situation an Gewicht. 18 Es läßt sich somit aus der Praxis des Sicherheitsrates nicht ableiten, daß die Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen ein Bestandteil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. I ChVN ist. Den Debatten des Sicherheitsrates läßt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Zwar wurde oben festgestellt, daß die Stellungnahmen der Delegierten keine eindeutigen Schlüsse zuließen,19 doch muß im Lichte der hier angestellten teleologischen Überlegungen angenommen werden, daß die Bemerkungen der Staatenvertreter zur Durchsetzung des Rechts als Ziel des Rates nur die soeben ausgeführte Bedeutung hatten. Demnach setzte sich der Sicherheitsrat rur die Rechtswahrung ein, um das menschliche Leiden zu beenden. Auch die Errichtung der beiden Strafgerichtshöfe ist ein Beispiel fur diese Instrumentalisierung der Rechtswahrung. Die Feststellung, daß die Wahrung der grundlegenden Rechtsnormen der internationalen Gemeinschaft kein Bestandteil der sich aus Art. 24 Abs. I Ch VN ergebenden Aufgabe des Sicherheitsrates ist, sondern lediglich 18 Zu der Vorgehensweise des Sicherheitsrates am Beispiel des humanitären Völkerrechts s. Bourloyannis, S. 343 u. 347 f. 19 s. oben S. 143.
8. Kapitel: Frieden als Integrität der Grundnormen
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ein Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe sein kann, ist nicht nur von theoretischer Bedeutung. Es ist eine praktische Folge dieses Befunds, daß der Sicherheitsrat dann, wenn er der Ansicht ist, ein Eintreten fiir die Integrität der angefiihrten völkerrechtlichen Bestimmungen sei nicht oder nicht mehr der Wahrung des Weltfriedens dienlich, von einem solchen Eintreten absehen kann. 20 Es steht also im politischen Ermessen des Rates, ob zu einer Verletzung einer grundlegenden völkerrechtlichen Norm Stellung genommen werden soll. Ein derartiges Vorgehen wäre dem Sicherheitsrat nicht möglich, wenn die Rechtswahrung Teil seiner Aufgabe wäre, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. 21
II. Ergebnis
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Integrität der grundlegenden völkerrechtlichen Normen der internationalen Gemeinschaft nicht von dem Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN erfaßt wird. Dagegen spricht nicht, daß der Sicherheitsrat sich fiir die Integrität einiger grundlegender Normen des Völkerrechts einsetzt, da dies fiir ihn ein Mittel darstellt, um den Weltfrieden zu wahren.
20 Ein - bislang theoretisches - Beispiel wäre der Beschluß, die Tätigkeit des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien bzw. für Ruanda zu beenden, da eine Fortführung der strafgerichtlichen Aktivitäten sich negativ auf den Friedensprozeß auswirkenkönnte. 21 Zu der Verpflichtung des Sicherheitsrates, Fälle, die in den ihm durch Art. 24 Abs. 1 ehVN zugewiesenen Aufgabenbereich fallen, auch zu behandeln, s. unten S.287.
9. Kapitel
Die nachfolgende Vertragspraxis I. Der Sicherheitsrat Die Praxis des Sicherheitsrates in den Fällen extremen menschlichen Leidens, das nicht durch internationale bewaffnete Konflikte hervorgerufen wurde, von ihnen begleitet wurde oder die konkrete Gefahr ihres Ausbruchs herbeigeführt hatte, wurde bereits dargestellt.) Das Ergebnis der Analyse war, daß die Mitglieder des Rates übereinstimmend von dem Wunsch geleitet wurden, die Not der betroffenen Menschen so schnell wie möglich zu beenden oder wenigstens zu lindern. Der Aspekt, daß durch die Maßnahmen des Sicherheitsrates die Gefahr eines internationalen bewaffneten Konflikts abgewendet würde, spielte keine Rolle. Die Mitglieder des Sicherheitsrates differenzierten auch nicht zwischen internationalen und internen bewaffneten Konflikten. Das extreme menschliche Leiden an sich war Grund genug für ihr Tätigwerden. Während der Zusammenkunft des Sicherheitsrates auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs am 31. Januar 1992 faßte der Premierminister von Kap Verde diese Position in den folgenden Worten zusammen: "National conflicts are sometime as destructive as the fiercest international conflicts. The enormous loss of live and the human tragedy they produce demand no less attention and appeal for no less speedy a response from the international community."2
Es ist festzustellen, daß die Praxis des Sicherheitsrates mit dem durch teleologische Auslegung der Charta der Vereinten Nationen gewonnenen Ergebnis in Einklang steht. Der Rat betrachtet neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt auch die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens als Teil des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN. 3
1 2 3
s. oben S. 134. Kap Verde (UN-Dok. SfPV. 3046, S. 81). s. ausführlich oben S. 134.
9. Kapitel: Nachfolgende Vertragspraxis
215
ß. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben die Aktivitäten des Sicherheitsrates zur Bekämpfung extremer humanitärer Notsituationen gebilligt.4 Beispielshalber sei Generalversammlungsresolutions A/RES/46/242 vom 25. August 1992 zur Situation in Bosnien-Herzegowina genannt, die zwei Wochen nach der Resolution des Sicherheitsrates SIRES/770 (1992) mit der weit überwiegenden Mehrheit der Stimmen der Mitgliedstaaten6 verabschiedet wurde. Mit dieser Resolution erinnerte die Generalversammlung an die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates, schloß sich den in ihnen enthaltenen Forderungen an und drängte den Sicherheitsrat darüber hinaus, "weitere geeignete Maßnahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen" in Betracht zu ziehen. Auch in späteren Resolutionen hieß die Generalversammlung die Maßnahmen des Sicherheitsrates in bezug auf den JugoslawienKonflikt gut. 7 Auch die Maßnahmen des Sicherheitsrates angesichts der katastrophalen humanitären Lage in Somalia wurden von der Generalversammlung unterstützt. Zwei Wochen nach Verabschiedung der Resolution SIRES1794 (1992) durch den Sicherheitsrat nahm die Generalversammlung im Konsensverfahren am 18. Dezember 1992 die Resolution A/RES/47/167 an. 8 In dieser Resolution zeigte sich die Generalversammlung tief besorgt über die tragische Situation in Somalia und unterstützte nach einer ausdrücklichen Bezugnahme auf Resolution SlRES1794 (1992)9 das Vorhaben einer internationalen Konferenz zur friedlichen Lösung des Konflikts. Anläßlich der Einfiihrung des Resolutionsentwurfs im Namen der Afrikanischen Gruppe sagte der Vertreter Senegals: "The scale of the human tragedy caused by the conflict calls for exceptional and urgent measures, which the Security Council took on 3 December in resolution 794 (1992). ( ... ) the Security Council took a historie decision which, in our opinion, is
4 So auch Damrosch, Nationalism, S. 495; Fox, Civil Wars, S. 643 f.; Herdegen, S. 113 f.; Insanally, S. 446. 5 Zur Bedeutung von Resolutionen der Generalversammlung bei der Ermittlung der Auffassung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen s. oben S. 38. 6 136:1:5; dagegen stimmte Jugoslawien, es enthielten sich Ghana, Lesotho, Malawi, Namibia und Rußland; s. UN-Dok. A/46fPV. 91, S. 76. 7 s. die Resolutionen AlRES/48/88 vom 20.12.1993 und AlRES/49/1O vom 03.11.1994. 8 s. UN-Dok. A/47fPV. 92, S. 98. 9 Dritter Absatz der Präambel.
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
commensurate with the distress evoked throughout the world b~ the intolerable pictures we have seen ofthe Somalian people's protracted agony ... 1
m
Ergebnis
Die Untersuchung der von den Mitgliedstaaten getragenen Praxis des Sicherheitsrates gelangt ebenso wie die teleologische Auslegung der Charta der Vereinten Nationen zu dem Ergebnis, daß es das vorrangige Ziel der Vereinten Nationen ist, die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu gewährleisten und extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen zu verhindern oder zu beseitigen. Dabei ist belanglos, ob die Ursache des menschlichen Leidens in einer internationalen oder einer innerstaatlichen Konfliktsituation liegt. Im Lichte dieser Gleichrangigkeit kann Weltfrieden gemäß Art. 24 Abs. 1 ChVN nur als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und extremer, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Notsituationen verstanden werden. I I
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Senegal (UN-Dok. AJ47fPY. 92, S. 96). So auch Tomuschat, Obligations, S. 342.
10. Kapitel Die Übereinstimmung mit den allgemeinen Zielsetzungen der Staatengemeinschaft L Die Bedeutung der allgemeinen Zielsetzungen der Staatengemeinschaft für die Auslegung der Charta der Vereinten Nationen Die Staatengemeinschaft hat sich mit der Organisation der Vereinten Nationen ein Forum geschaffen, in dem die gemeinsamen Zielvorstellungen verwirklicht werden sollen. l Die Charta der Vereinten Nationen kann als Verfassung der internationalen Gemeinschaft betrachtet werden. 2 Ihre Zielsetzungen stehen daher im Kontext der allgemeinen Zielvorstellungen der internationalen Gemeinschaft und spiegeln diese wider? Die Auslegung der Charta muß mit den gemeinsamen Werten der internationalen Gemeinschaft in Einklang stehen, wie sie sich nicht nur in der Charta der Vereinten Nationen, sondern auch in anderen Rechtstexten manifestieren. 4 Es müssen daher die allgemeinen Zielsetzungen der Staatengemeinschaft in ihrem historischen Kontext auf die Frage hin untersucht werden, ob der die Verhinderung internationaler bewaffneter Konflikte und der Schutz des Menschen vor extremem, durch Gewaltanwendung verursachtem Leiden ein zentrales Anliegen dieser Gemeinschaft ist. Wäre dies der Fall, so müßte die Zielsetzung der Organisation der Vereinten Nationen dies reflektieren.
I S. Art. 1 Ziff. 4 ehVN: "Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: [... ] 4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die BemühWlgen der Nationen zur VerwirklichWlg dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden. " s. dazu VerdrosslSimma, § 91 f (S. 72). 2 Kimminich, S. 454; Macdonald, S. 119 f; VerdrosslSimma, § 91 (S. 72). 3 Frowein, VerpflichtWlgen erga omnes, S. 254; Schachter, Relation, S. 173 u. 197 f; Tomuschat, Obligations, S. 342. 4 Schachter, Relation, S. 197 f
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit 11. Die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg 1. Der internationale bewaffnete Konflikt
Zu Beginn des Neunzehnten Jahrhunderts wurde der zwischenstaatliche bewaffnete Konflikt als legitimes Mittel betrachtet, um politische Zwecke zu erreichen. Ein Krieg wurde nicht als Zeichen für das Versagen der Politik gewertet, sondern als "eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchftlhren desselben mit anderen Mitteln."s Es stand dem Staat frei, sein Interesse am Wohlergehen der Staatsangehörigen dem Interesse, bestimmte Ziele mittels eines Krieges zu erreichen, unterzuordnen. Dementsprechend war das Recht zum Krieg weitgehend unbeschränkt. 6 Auch die Regeln des ius in bello, also die Art und Weise der Kriegsführung betreffend, waren kaum ausgebildet. 7 Gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts trat ein Wandel in der Bedeutung und Stellung des Krieges ein, der seinen Grund darin hatte, daß die technologische und industrielle Entwicklung eine Kriegsführung in weit umfassenderem Ausmaß ermöglichte. 8 Die Vorstellung eines umfassenden Krieges, der die Soldaten und die Zivilbevölkerung weit stärker in Mitleidenschaft ziehen würde als bislang, war für die aufkommende Friedensbewegung der Grund, ein Verbot oder zumindest eine Domestizierung des Krieges einzufordern. 9 Die Haager Konferenzen um die Jahrhundertwende, auf denen Grundregeln des Rechts im Krieg kodifiziert wurden,lo sind von dieser Bewegung beeinflußt worden. I I Bestimmend war jedoch nicht das pazifistische Gedankengut der Friedensbewegung, sondern nationalistische und sozialdarwinistische Strömungen. Für sie war Krieg eine unvermeidliche Konsequenz des Wettbewerbs der Staaten Von Clausewitz, S. 108; s. dazu auch Holsti, S. 158 f. Dinstein, War, S. 70 u. 72. 7 So stellte von Clausewitz fest (S. 90):
S 6
"Die Gewalt rüstet sich mit den Erfmdungen der Künste und Wissenschaften aus, wn der Gewalt zu begegnen. Unmerkliche, kawn nennenswerte Beschränkungen, die sie sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie, ohne ihre Kraft wesentlich zu schwächen." 8 Holsti, S. 159 f. 9 Baumgart, S. 120 f. u. 137; Holsti, S. 160; Scupin, S. 580-583. 10 s. Mössner, S. 206 u. 209. 11 Scupin, S. 583.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
219
und Nationen. Der Krieg wurde als vorteilhaft für die Nation angesehen, da er das Zusammengehörigkeitsgefühl stärke, Spannungen aufgrund sozialer Unterschiede abbaue und das Individuum an die Gemeinschaft binde. Krieg war nicht mehr so sehr ein Mittel zur Erlangung politischer Zugeständnisse des gegnerischen Staates durch dessen Überwindung, sondern unabhängig von der politischen Position des Gegners ein Mittel zur Stärkung der Nation. 12 Dieses Konzept setzte ebenso wie die eingangs beschriebene, zu Beginn des Neunzehnten Jahrhunderts vorherrschende Auffassung voraus, daß das Recht der Staaten zum Krieg nicht beschränkt sei. Ein Umdenken setzte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein. Der Krieg wurde nicht mehr als unvermeidliches und legitimes Mittel der Staaten, sondern als ein zentrales Problem der Staatengemeinschaft aufgefaßt. 13 Dies spiegelte sich in der Satzung des Völkerbundes wider, die das Führen eines Krieges nur noch unter bestimmten Bedingungen als rechtmäßig einstufte. 14 Noch einen Schritt weiter ging der Kellogg - Briand - pakt,15 in dem sich die Vertragsparteienl6 verpflichteten, alle zwischen ihnen entstehenden Streitigkeiten friedlich zu lösen und auf den Krieg als Werkzeug ihrer Politik zu verzichten. Diese Verpflichtungen karnen nicht einem umfassenden Gewaltverbot gleich, da bewaffnete Gewalt unterhalb der Schwelle zum Krieg nicht verboten wurde und das Kriegsverbot nur in den Beziehungen der Vertragsparteien untereinander galt. Dessenungeachtet markiert der Kellogg - Briand - Pakt den Übergang vom (gegebenenfalls beschränkten) Recht zum Krieg zum Verbot des Krieges. l ?
Holsti, S. 161 f. Holsti, S. 208; RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 7. 14 In Art. 10 bis 15 der Satzung des Völkerbunds war die Verpflichtung der Mitgliedstaaten festgeschrieben, nicht zum Kriege zu schreiten, ehe sie nicht die Streitigkeit einem gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren oder dem Völkerbundrat unterbreitet hatten und nach Abschluß dieses Verfahrens drei Monate vergangen waren. Nach diesem Aufschub war jedoch der Krieg gestattet. Verboten war der Krieg nur gegen einen Staat, der sich dem Urteil oder dem einstimmig angenommenen Bericht des Völkerbundrates fugte. 15 Vertrag über die Ächtung des Krieges vom 27.08.1928 (Quellen: LNTS Bd. 94, S. 57; RGBI. 1929 II, S. 97). 16 Ursprüngliche Vertragsparteien waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Groß.britannien, Italien, Japan, Polen, die Tschechoslowakei und die Vereinigten Staaten. Aufgrund von Beitritten erhöhte sich die Zahl der Vertragsparteien auf 63 zum Dezember 1938 (s. AJIL Bd. 33 (1939), Supplement, S. 865). 17 Dinstein, War, S.81 u. 83; RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 Ziff.4, Rz. 10; Wal/ace, S. 236 u. 238 f. 12
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
2. Der Schutz der Würde des Menschen
Im klassischen Völkerrecht des Neunzehnten Jahrhunderts waren nur die Angehörigen fremder Staaten in gewissem Umfang geschützt,18 während die Staaten die eigenen Staatsangehörigen nach Maßgabe des Völkerrechts nach freiem Ermessen behandeln konnten. 19 Das Interesse des Staates an einem menschenwürdigen Dasein der seiner Hoheitsgewalt unterworfenen Individuen konnte im Einklang mit dem zu dieser Zeit geltenden Völkerrecht anderen Interessen untergeordnet werden. Zu diesen anderen Interessen sind nicht nur das Interesse an der Durchführung einer kriegerischen Auseinandersetzung,20 sondern etwa auch das Interesse an einer wirksamen Kontrolle der Aktivitäten der Menschen, an der Unterdrückung jeglicher Opposition oder an wirtschaftlichen Vorteilen zu zählen. Eine Einschränkung erfuhr diese Handlungsfreiheit der Staaten im Laufe des Neunzehnten Jahrhunderts in bezug auf den Handel mit Sklaven. 21 Es setzte sich die Auffassung durch, daß die Sklaverei eine menschenunwürdige, zu verbietende Erscheinung sei. 1890 wurde die Brüsseler Generalakte beschlossen, durch die der Sklavenhandel untersagt wurde. 22 Diese Entwicklung ist bemerkenswert, da die Staaten erstmalig bereit waren, völkerrechtliche Verpflichtungen hinsichtlich der Behandlung der Menschen unter ihrer Hoheitsgewalt einzugehen. Es ist jedoch hervorzuheben, daß die Entscheidung der Staaten, den Sklavenhandel zu unterbinden, zunächst auf der jeweils innerstaatlichen Ebene gefallt wurde. 23 Nachdem die innenpolitische Entscheidung getroffen worden war, wurde die entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, um auch andere Staaten zu dieser Verpflichtung zu bewegen. Der Grund dafür war nicht ein altruistisches, mitmenschliches Interesse am Schicksal der Menschen in anderen Staaten, sondern das Problem, daß das Verbot der unter dem Gesichtspunkt der Produktionskosten wirtschaftlich vorteilhaften Sklaverei denjenigen Staaten, die Sklaverei weiterhin zuließen, einen Wettbewerbsvorteil bringen würde. Angesichts der Situation,
Amold, S. 7 f.; Henkin, Hwnan Rights, S. 269; Lillich, Aliens, S. 8-11. Henkin, Hwnan Rights, S. 268; Verdross/Simma, § 1208 (S. 797); Szabo, S. 20 f. 20 s. dazu oben S. 218. 21 Robertson, S. 15. 22 Vertragsparteien waren alle europäischen Staaten, der Kongo, Persien, Sansibar, die Türkei und die Vereinigten Staaten. S. Henkin, Hwnan Rights, S. 269; Robertson, S. 15 f.; Trebilcock, S. 482. 23 s. Trebilcock, S. 481, zwn Einfluß der Quäker und Puritaner in Neuengland und der englischen und französischen Philosophen in ihren jeweiligen Heimatländern. 18
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10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
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daß die wirtschaftlich maßgeblichen Staaten bereit waren, gegen die Sklaverei vorzugehen, aber aus Wettbewerbsgründen diesen Schritt nicht jeweils unilateral tun wollten, bot sich eine allseitige völkerrechtliche Verpflichtung an, die allen Staaten den gleichen wirtschaftlichen Nachteil brachte und daher die Wettbewerbssituation prinzipiell unberührt ließ. 24
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Schutz der Würde des Menschen und seiner Daseinsbedingungen in zwei Bereichen völkerrechtlich geregelt. Der erste Bereich waren die Arbeitsschutzbestimmungen, die von der 1919 gegründeten Internationalen Arbeitsorganisation ausgearbeitet und von zahlreichen Staaten ratifiziert wurden. 25 Wie schon bei dem Abkommen zur Abschaffung des Sklavenhandels lag auch der Gründung und den Aktivitäten der Internationalen Arbeitsorganisation die Idee zugrunde, daß die Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf der nationalen Ebene nur dann ohne den Eintritt von Wettbewerbsnachteilen im internationalen Vergleich erreicht werden könne, wenn alle im Wettbewerb stehenden Staaten gleichermaßen zur Einführung der veränderten Bedingungen verpflichtet seien. 26 Dies geht auch aus der Präambel der Satzung der Internationalen Arbeitsorganisation hervor: 27 "Auch würde die Nichteinfilhrung wirklich menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation die Bemühungen anderer Nationen um Verbesserung des Loses der Arbeitnehmer in ihren Ländern hemmen."
Als zweiter Bereich ist das System des Minderheitenschutzes zu nennen, das im Zusammenhang mit dem Völkerbund errichtet wurde. Das Ziel des Minderheitenschutzes war es zu gewährleisten, daß Angehörige von Minderheiten nicht schlechter behandelt würden als andere Staatsangehörige, und der Minderheit Mittel zur Verfügung zu stellen, ihre Traditionen und Besonderheiten zu bewahren. 28 Zu diesem Zweck verpflichteten sich Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien, Griechenland und Litauen in Verträgen, die sie mit den Alliierten und Assoziierten Mächten abschlossen, zum Schutz der Minderheiten auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet. Eine entsprechende Ver-
24 Es ist anzumerken, daß hier nur der Grundmechanismus geschildert werden kann. In der Praxis werden sich stets Wettbewerbsverschiebungen ergeben, da die verschiedenen Staaten und ihre Märkte in unterschiedlicher Weise von der nun verbotenen Lage profitiert haben werden. 2S Samson, S. 87 u. 90. 26 Samson, S. 88. 27 Quellen: UNTS Bd. 15, S. 40; BGBl. 195711, S. 318. 28 StIGH, in: Minority Schools in Albania, Advisory Opinion of April 6th, 1935, Publications ofthe P.C.I.J., Serie AlB, Nr. 62, S. 17; sowie Capotorti, S. 386.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
pflichtung enthalten die Friedensverträge mit Österreich, Bulgarien, Ungarn und der Türkei. In all diesen Verträgen war vorgesehen, daß der Völkerbundrat die Umsetzung des Minderheitenschutzes mittels Untersuchung behaupteter Vertragsverletzungen gewährleisten solle. 29 Die Errichtung dieses Minderheitenschutzsystems nach dem Ersten Weltkrieg war von den Alliierten Mächten betrieben worden. 30 Der Grund war die von diesen Staaten gehegte Befürchtung, der jeweilige Zusammenschluß verschiedener ethnischer, sprachlicher und religiöser Gruppen in den Staaten Mittel- und Südosteuropas könne zu internationalen Spannungen führen. 3 ! Um diese Gefahr zu vermindern und gleichzeitig an der vorgesehenen territorialen Neuordnung dieses Teils von Europa festhalten zu können, wurde von den Minderheiten in den jeweils betroffenen Staaten die Anerkennung des westeuropäischen, auf der Staatsangehörigkeit des Individuums gründenden Staatsmodells erwartet. Im Gegenzug wurde ihnen der völkerrechtlich abgesicherte Minderheitenschutz gewährt. 32 Zusammenfassend ist festzustellen, daß in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erste Ansätze zur völkerrechtlichen Absicherung der Würde und der Lebensbedingungen des Menschen zu verzeichnen sind. Im Falle der Minderheitenschutzverträge bestand allerdings die Besonderheit, daß nicht alle Vertragspartner gleichermaßen zum Schutz der Minderheiten verpflichtet waren, sondern nur die genannten Staaten Mittel- und Südosteuropas. Dies ist mit der Absicht der Alliierten Mächte, die die Vertragsabschlüsse betrieben hatten, zu erklären, internationale Auseinandersetzungen aufgrund der Unterdrückung von Minderheiten in diesen Staaten zu verhindern. Demgegenüber verpflichteten sich in den Abkommen zur Abschaffung der Sklaverei und den Arbeitsschutzverträgen alle Vertragsparteien gleichermaßen. In diesen Fällen ging der jeweilige Vertragsstaat die Verpflichtung gerade um der Verpflichtung der anderen Staaten willen ein. Die Verpflichtung der anderen Staaten war rur den betreffenden Staat die Voraussetzung, um auf der nationalen Ebene als erstrebenswert erkannte Ziele im Bereich des Arbeitsschutzes oder der Abschaffung der Sklaverei umsetzen zu können, ohne Wettbewerbsnachteile im internationalen Vergleich zu erleiden. Das vom jeweiligen Vertragsstaat durch den Vertragsschluß angestrebte Ziel war also nicht primär die Verbesserung des Loses der Menschen in den anderen Ver-
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s. Capotorti, S. 386 f Baumgart, S. 71; Henkin, Human Rights, S. 269. Baumgart, S. 71; Henkin, Human Rights, S. 269; Robertson, S. 19. Baumgart, S. 71.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
223
tragsstaaten, sondern die Ermöglichung der wettbewerbsneutralen Verbesserung der Daseinsbedingungen seiner eigenen Staatsangehörigen.
m Der Umbruch zum Ende des Zweiten Weltkriegs Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Völkermordes an den Juden veranlaßten die Staaten, die Sicherung der Würde des Menschen in den Mittelpunkt zu rücken?3 Wegweisend war die "Four Freedoms"-Rede des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, in der dieser eine neue Weltordnung fiir die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwarf, die auf moralischen Werten gründen sollte. 34 Roosevelt nannte die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Freiheit von Not und die Freiheit von Furcht als gleichwertige Grundlagen fiir eine Weltordnung friedlich kooperierender Staaten. 35 Diese vier Prinzipien spielten eine bedeutende Rolle bei der zunehmenden Überzeugung der Staaten, daß eine Internationale Organisation zur Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und zum Schutz der menschlichen Würde notwendig sei. Sie schlugen sich in der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und verschiedenen Menschenrechtsverttägen nieder. 36 Bezeichnend ist die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,37 in der es im zweiten Absatz heißt: "da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei filhrten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben, und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden ist".
Es wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Gewährleistung der Abwesenheit extremen menschlichen Leidens zum vorrangigen Ziel der internationalen Gemeinschaft geworden ist. 38 Die Folge der Entwicklung dieser Zielvorstellungen war zum einen, daß in der Charta der Vereinten Nationen in Art. 2 Ziff. 4 ChVN ein umfassendes 33 So auch Henkin, Human Rights, S. 268; Macdonald, S. 129. 34 Delbrück/K. Dicke, S. 806; Oppermann, S. 337; de Zayas, S. 239.
35 Roosevelt, "Four Freedoms Speech", Ansprache an den 76. Kongreß zur Lage der Union, 06.01.1941; abgedruckt in: Zevin, S. 262 fT. 36 Delbrück/K. Dicke, S. 817; Humphrey, S. 119 f.; de Zayas, S. 239. 37 Quellen: s. oben Fn. 12 im 7. Kapitel. 38 s. auch Henkin, Human Rights, S. 268.
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Gewaltverbot festgeschrieben wurde. Im Gegensatz zum Kellogg - Briand Pakt wurde durch diese Bestimmung jede Art bewaffneter Gewalt sowie ihre Androhung verboten. 39 Zudem erstreckt sich der Schutz des Art. 2 Ziff. 4 ChVN auch auf Nichtmitgliedstaaten der Organisation der Vereinten Nationen. 4o Das umfassende Gewaltverbot der Charta ist eine Folge der Erkenntnis, daß angesichts der modemen Kriegsführungsmöglichkeiten, deren Ausmaß und Folgen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs und insbesondere auch durch den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki deutlich geworden waren, der internationale bewaffnete Konflikt als Mittel der Konfliktlösung nicht mehr in Frage kommen konnte. 41 Zum anderen wurde die Stärkung des Schutzes der menschlichen Würde und die Sicherstellung der Mindestbedingungen für ein menschenwürdiges Dasein als Ziel der Vereinten Nationen aufgenommen. Gemäß Art. 1 Ziff. 3 ChVN setzen sich die Vereinten Nationen das Ziel, "eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten fi1r alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen. "
Der Generalversammlung und dem Wirtschafts- und Sozialrat wurde die Aufgabe zugewiesen, die Lösung der genannten internationalen Probleme und die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte zu fördem. 42 Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 56 ChVN verpflichtet, gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation der Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten, um diese Ziele zu erreichen.
IV. Die Entwicklung seit 1945 Im Zusammenhang mit der Erfiillung der Aufgabe, die Daseinssicherheit und die Würde des Menschen zu schützen, setzte nach 1945 eine umfassende Tätigkeit mit dem Ziel der Rechtsfortbildung ein.
RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 11. Verboten ist die Androhung oder der Einsatz von Gewalt gegen "einen" Staat ("any state"), unabhängig von seiner Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. So auch Verdross/Simma, § 294 (S. 177). 41 DelbrackiK. Dicke, S. 817; Holsti, S. 327. 42 s. Art. 13 und 62 ChVN. 39 40
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
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1. Die KodifIZierung der Menschenrechte
Im Bereich des Menschenrechtsschutzes war der erste bedeutende Schritt die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948. 43 Im Anschluß an diese rechtlich unverbindliche Erklärung44 setzte eine Kodifikationstätigkeit ein, die mit der Unterzeichnung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte45 am 19. Dezember 1966 zum Durchbruch gelangte. Neben diesen beiden Verträgen mit universaler Bedeutung46 ist mittlerweile eine Vielzahl menschenrechtlicher Verträge in Kraft getreten. Der Umfang und die Regelungsdichte der bestehenden Normen weisen auf den Stellenwert hin, den die Staaten dem Schutz des Individuums beimessen. Durch diese Entwicklung wurde es möglich, die Fragen der Würde und der Lebenssituation der in den Mitgliedstaaten lebenden Menschen in umfassender Weise zum Gegenstand der Behandlung auf der internationalen Ebene zu machen. Dabei waren die Staaten, die die verschiedenen Menschenrechtsverträge ratifizierten und dadurch völkerrechtliche Pflichten übernahmen, von dem Interesse geleitet, daß sich auch andere Staaten dergestalt verpflichten. Anders als bei den in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossenen Verträgen zum Arbeitsschutz und zur Abschaffung der Sklaverei hat die Gewährleistung der in den allgemeinen Menschenrechtsverträgen geschützten Rechte in der Regel keinen bedeutsamen Einfluß auf die Produktionskosten und ist somit nicht wettbewerbsrelevant. Auch unter anderen Gesichtspunkten hat die Frage, ob in einem Staat die Menschenrechte gewährt oder mißachtet werden, in der Regel keine unmittelbar signiftkanten Auswirkungen auf die Situation in anderen Staaten. 47 Dies führt zu dem Schluß, daß es nicht das Ziel
Quellen: s. oben Fn. 12 im 7. Kapitel. Henkin, Bill of Rights, S. 6; H. Lauterpacht, Human Rights, S. 397; Partseh, in: Simma, Art. 55 (c), Rz. 30-33; Weis, S. 4 f Zur Frage, ob die Erklärung mittlerweise zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist, s. bejahend Carrillo Salcedo, Human Rights, S. 307. Partseh, in: Simma, Art. 55 (c), Rz. 33, nimmt dies nur für gewisse grundlegende Bestimmungen der Erklärung an. 45 Quellen: s. oben Fn. 13 und 14 im 7. Kapitel. 46 Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte hatte zum 31.12.1994 127 Vertragsparteien; den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hatten 129 Staaten ratifIZiert. 47 Abzusehen ist im vorliegenden Zusammenhang von der Situation der Nachbarschaft zweier Staaten, die dazu fUhrt, daß soziale Mißstände im einen Staat Auswirkungen im anderen haben können. Dieses räumlich enge Verhältnis ist in bezug auf die 43
44
15 Lailach
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
der die betreffenden Menschenrechtsverträge ratifizierenden Staaten war, Verbesserungen der Situation der eigenen Staatsangehörigen in wettbewerbsneutraler Weise zu ermöglichen, da die notwendigen innerstaatlichen Maßnahmen auch ohne eine völkerrechtliche Verpflichtung anderer Staaten in gleicher Weise durchführbar waren. Das Ziel ist vielmehr in der Absicht zu sehen, zu der Verbesserung des Loses der Menschen in den anderen Vertragsstaaten beizutragen. Diese Bereitschaft der Staaten, ohne unmittelbaren eigenen Vorteil politischer oder wirtschaftlicher Art sich für die Würde und die Lebensbedingungen von Menschen in anderen Staaten einzusetzen und dafür eigene völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, macht deutlich, daß diese Fragen zu einer zentralen Angelegenheit der Staatengemeinschaft geworden sind. In diesem Zusammenhang ist auch der Mechanismus der Individualbeschwerde eine bezeichnende Entwicklung. Gemäß dem Fakultativprotokoll vom 19.12.1966 zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte48 können Personen, die der Hoheitsgewalt eines durch das Protokoll gebundenen Staates unterliegen, vor einem durch dieses Protokoll eingesetzten Ausschuß vortragen, sie seien Opfer einer Verletzung der in dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte anerkannten Rechte durch den betreffenden Staat geworden. Dieser Kontrollmechanismus ist auch in einigen anderen universalen49 und regionalen5o Menschenrechtsverträgen vorgesehen. Die Bereitschaft eines Staates, den seiner Hoheitsgewalt unterworfenen Menschen eine Möglichkeit auf der völkerrechtlichen Ebene zu geben, sich über angebliche Menschenrechtsverletzungen durch eben diesen Staat zu beschweren, und die damit dem Individuum zugestandene völkerrechtliche Handlungsfähigkeit sind bemerkenswerte, völkerrechtlich bedeutsame Neuerungen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts und der deutlichste Ausdruck des gewandelten Verständnisses der Staatengemeinschaft. Diese Entwicklung
gegenseitigen Beziehungen der Vertragsstaaten multilateraler Menschenrechtsverträge die Ausnahme. 48 Quellen: UNTS Bd. 999, S. 171; BGBL 1992 II, S. 1246; RatifIkationsstand zum 31.12.1994: 77 Vertragsparteien. 49 s. Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Quellen: UNTS Bd.660, S.195; BGBI. 1969 II, S.961); Art. 22 der Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Quelle: BGBL 1990 II, S. 246). 50 s. Art. 25 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Quellen: UNTS Bd.213, S.221; BGB!. 1952 II, S.686 u. 953); Art. 44 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Quelle: Organization of American States, Oflicial Records OEAlSer. KJXVIII.I, Document 65, Rev. 1, Corr. 2).
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
227
wird nur vor dem Hintergrund der allgemein gewandelten Auffassung verständlich, der zufolge nicht mehr der Staat, sondern der Mensch der letzte Ausgangspunkt der Völkerrechtsordnunil ist, also seine Existenzbedingungen und seine Würde als Letztbegründung fiir die Gestaltung völkerrechtlicher Regeln herangezogen werden. 2. Die KodifIZierung des humanitären Völkerrechts
Die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs machten deutlich, daß das bislang bestehende humanitäre Völkerrecht52 unzureichend war. Die Bestrebungen, das Schicksal des Individuums in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzungen erträglicher zu machen und bestimmte Formen extremen Leidens auszuschließen, mündeten in die vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949. 53 Während die Konventionen, die die Behandlung der verwundeten
51 Mosler, Rechtsordnung, S. 13 f. u. 30; eh. de Visscher, Droits de l'homme, S. 3. Ähnlich auch Jenks, S. 3; Macdonald, S. 129. Bezeichnend ist die von Lauterpacht vorgenommene Änderung in dem Lehrbuch von Oppenheim. Dieser hatte 1912 geschrieben (§ 288 (S. 362)): "The importance ofindividuals to the Law ofNations is just as great as that ofterritory, for individuals are the personal basis of every State. Just as aState cannot exist without a territory, so it cannot exist without a multitude of individuals who are its subjects and who, as a body, form the people or the nation. The individuals belonging to aState can and do come in various ways in contact with foreign States in time ofpeace as well as war. The Law ofNations is therefore compelled to provide certain roles regarding individuals. " Lauterpacht ergänzte 1955 diese Aussage um den entscheidenden Gesichtspunkt (OppenheimIH. Lauterpacht, Bd. 1, § 288 (S. 636)): "Moreover, apart from being nationals of their States, individuals are the ultimate objects of International Law - as they are, indeed, of alllaw." 52 Insbesondere das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten der Heere im Felde vom 22.08.1864 und das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei den im Felde stehenden Heeren vom 06.07.1906, die Haager Abkommen vom 29.07.1899 und 18.lO.1907, die dieAnwendung der in den genannten Abkommen enthaltenen Regeln auf den Seekrieg betrafen, und die Genfer Abkommen vom 27.07.1929 betreffend die Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und die Behandlung der Kriegsgefangenen; siehe dazu ausführlich lpsen, in: ders., Völkerrecht, § 61, Rz. 2-5 (S. 981-984). 53 Genfer Abkommen vom 12.8.1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (Quellen: UNfS Bd. 75, S. 31; BGBL 1954 II, S. 783); Genfer Abkommen vom 12.8.1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schißbrüchigen der Streitkräfte zur See (Quellen: UNfS Bd.75, S. 85; BGBL 1954 II, S. 813); Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (Quellen: UNfS Bd. 75, S. 135; BGBL 1954 II, S. 838); Genfer
15"
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Kombattanten und der Kriegsgefangenen regelten, an ältere Vertragswerke anknüpften,54 wurde der Schutz der Zivilbevölkerung im vierten Genfer Abkommen von 1949 zum ersten Mal umfassend völkerrechtlich geregelt. Eine Ausweitung des Schutzes wurde durch die beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen55 vorgenommen. Die KodifIkationen zeugen von dem Anliegen, extreme Formen menschlichen Leidens mit Hilfe völkerrechtlicher Regelungen auszuschließen. Dieses Ziel wird in den genannten Vertragswerken erstmals auch in bezug auf interne Konflikte verfolgt. Der gemeinsame Art. 3 der Abkommen bestimmt, daß in internen Konflikten ein Mindestbestand an Regeln gilt, die extremes menschliches Leiden verhindern sollen. Zu diesen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung und der nicht mehr an den Kämpfen teilnehmenden Soldaten gehören das Verbot der Tötung, Verstümmelung, grausamen Behandlung und Folter, das Verbot der Geiselnahme, das Verbot der erniedrigenden und entwürdigenden Behandlung sowie das Verbot der Verurteilung oder Hinrichtung ohne ordentliches Gerichtsverfahren. Da die Genfer Abkommen gemäß ihrem gemeinsamen Art. 2 grundsätzlich nur auf internationale bewaffnete Konflikte Anwendung fInden,56 bildet der gemeinsame Art. 3, der ausschließlich interne Konflikte betrifft, einen systemwidrigen Fremdkörper. Die Tatsache, daß die Vertragsparteien57 bereit waren, diesen Fremdkörper zu akzeptieren, zeigt ihr humanitär-philanthropisch motiviertes Bestreben, die Gestaltung des Konfliktverlaufs auch einer Abkommen vom 12.8.1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (Quellen: UNfS Bd. 75, S. 287; BGBL 195411, S. 917, und 195611, S. 1586). 54 s. oben Fn. 52. 55 Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) (Quellen: Official Records ofthe Diplomatie Conference on the Reaffirmation and Development ofInternational Hurnanitarian Law Applicable in Anned Conflicts. Geneva (1974-1977), Bd. I, Bern 1978, S. 115; BGBL 199011, S. 1551); Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll 11) (Quellen: Official Records of the Diplomatie Conference on the Reaffirmation and Development of International Hurnanitarian Law Applicable in Anned Conflicts. Geneva (1974-1977), Bd. I, Bern 1978, S. 185; BGBL 1991 11, S. 1637). 56 Eine uneingeschränkte Anwendung der Abkommen auch auf interne Konflikte war insbesondere aus Gründen der mangelnden Gegenseitigkeit der Verpflichtungen im Falle interner Konflikte (die Rebellenbewegung kann nicht Partei der Genfer Abkommen sein) nicht zu verwirklichen; s. dazu Comite international de la Croix-Rouge, S. 6 f. 57 Diese sind praktisch mit der internationalen Gemeinschaft gleichzusetzen: zum 31.12.1994 hatten alle vier Genfer Abkommen jeweils 189 Vertragsparteien.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
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internen Auseinandersetzung nicht dem betroffenen Staat zu überlassen, sondern sicherzustellen, daß bestimmte Regeln zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Humanität in jedem Falle gelten. 58 Der Maßstab ist nicht mehr das staatliche Interesse, interne Konflikte nach eigenem Gutdünken möglichst effektiv zu bewältigen, sondern der Mensch. 3. Humanitäre Hilfsleistungen
Im Bereich der internationalen humanitären Hilfsleistungen ist ein Rechtsbildungsprozeß im Gange. Die Generalversammlung befaßt sich seit Verabschiedung der Resolution NRES/43/131 vom 8. Dezember 198859 mit dem Fragenkomplex. In den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung kommt zum Ausdruck, daß die Staatengemeinschaft es als ihre Pflicht betrachtet, im Falle humanitärer Katastrophen Hilfe zu leisten. 60 So heißt es beispielsweise in der Präambel der Resolution NRES/43/131: "The General Assembly,
( ... ),
Desiring that the international commlUlity should respond speedily and efTectively to appeals for emergency humanitarian assistance made in particular through the Secretary-General, Mindful of the importance of humanitarian assistance for the victims of natural disasters and similar emergency situations, Recognizing that the international community makes an important contribution to the sustenance and protection of such victims, whose hea1th and life may be seriously endangered, Considering that the abandonment of the victims of natural disasters and similar emergency situations without humanitarian assistance constitutes a threat to human life and an ofTence to human dignity, ( ... ). "
Resolution NRES/46/182 vom 19. Dezember 1991 61 enthält in ihrem Annex Richtlinien für die Leistung humanitärer Hilfe. Dabei wurde nun62 herComite international de la Croix-Rouge, S. 4; Pietet, S. 51. Die Resolution wurde durch Konsens angenommen (s. UN-Dok. A/43fPV.75, S. 180); s. auch CortenIP. Klein, Droit d'ingerence, S. 240; Domestici-Met, S. 132 f.; Eddine Ghoza/i, S. 82 f.; Eisemann, Devoir d'ingerence, S. 73. 60 So auch R.-J. Dupuy, Droit d'ingerence, S. 276; a. A. CortenIP. Klein, Droit d'ingerence, S. 242-244. 61 Resolution AlRES/46/182 wurde durch Konsens angenommen (s. UN-Dok. Al46fPY. 78, S. 41). 62 Resolution AlRES/43/131 hatte nur Naturkatastrophen erfaßt; s. Eisemann, Devoir d'ingerence, S. 73; unklar PeaselForsythe, Human Rights, S. 306. 58
59
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
ausgestellt, daß humanitäre Hilfe nicht nur bei Naturkatastrophen, sondern auch bei vom Menschen geschaffenen extremen Notsituationen zu leisten ist. 63 Den Staaten, deren Angehörige von der Katastrophe betroffen sind, wurde die vorrangige Verantwortung für die Leistung humanitärer Hilfe zugewiesen: "4. Each State has the responsibility fIrst and foremost to take care of the victims of natural disasters and other emergencies occurring on its territory. Hence, the affected State has the primary role in the initiation, organization, coordination, and implementation of humanitarian assistance within its territory". 64
Ist der Staat dazu nicht in der Lage, so soll er die Gewährung internationaler humanitärer Hilfe zulassen: "6. States whose populations are in need ofhumanitarian assistance are called upon to facilitate the work of (the intergovernmental and non-governmental) organizations in implementing humanitarian assistance, in particular the supply of foOO, medicines, shelter and health care, for which access to victims is essential".65
Der Prozeß in der Generalversammlung zeigt, daß den beteiligten Staaten die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verantwortlichkeit für Menschen in extremer Not zunehmend bewußt geworden ist. 66 Mit der Behandlung der Frage der Pflicht des betroffenen Staates und der internationalen Gemeinschaft zur Leistung humanitärer Hilfe wird ein weiterer Bereich völkerrechtlich erfaßt, in dem die Staatengemeinschaft sich verpflichtet fühlt, extremes menschliches Leiden zu verhüten oder zu beenden. 4. Die Absicherung durch besondere Rechtsregeln
Das gegenwärtige Völkerrecht kennt Konzepte, die entwickelt wurden, um die grundlegenden Normen der internationalen Gemeinschaft verstärkt zu schützen. In Betracht kommen das Konzept des ius cogens und das der Verpflichtungen erga omnes. Außerdem ist das Konzept des internationalen Verbrechens erwähnenswert, das dem von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen angenommenen Entwurf des ersten Teils einer Konvention
63 Resolution AlRES/461182 ("Strengthening of the coordination of humanitarian emergency assistance ofthe United Nations"), Annex, Leitprinzip Nr. 1. 64 Resolution AlRES/461182 (s. Fn. ), Annex, Leitprinzip Nr. 4. 65 Resolution AlRES/461l82 (s. Fn. ), Annex, Leitprinzip Nr. 6. S. dazu auch die Stellungnahmen der Niederlande (UN-Dok. Al461PY. 39, S. 13) und Japans (UN-Dok. Al461PY. 39, S.58); sowie Domestici-Met, S. 133; Dumas, S. 61; Eddine Ghozali, S.83. 66 So auch R.-J. Dupuy, Droit d'ingerence, S. 278 f.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
231
über die Staatenverantwortlichkeit zugrunde liegt. Dieses Konzept kann zwar bislang nicht als Bestandteil des geltenden Völkerrechts angesehen werden,67 doch spricht seine einstimmige Billigung durch die Mitglieder der Völkerrechtskommission für seine Bedeutung. 68
a) Ius cogens Gemäß Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜV)69 ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens) eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit als eine Norm angenommen und anerkannt wird, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann. Völkerrechtliche Verträge, die zur Zeit ihres Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts stehen, sind gemäß Art. 53 WÜV nichtig. Art. 64 WÜV sieht vor, daß bei Entstehen einer neuen zwingenden Norm jeder zu ihr in Widerspruch stehende Vertrag ex nunc nichtig wird und erlischt. Zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts stehen also nicht zur Disposition der Vertragsparteien. 70 In Art. 53 WÜV werden keine Beispiele für ius cogens-Normen angeführt. Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, die den Kodifikationsentwurf ausgearbeitet hatte, gab zur Begründung an, bei Einfügung einer Liste bestehe die Gefahr, daß diese einen abschließenden Eindruck erwecke. 7l Dies müsse vermieden werden, weil nicht ausgeschlossen sei, daß die Völkerrechtsgemeinschaft später weitere Normen als zwingend ansehen werde. 72 Während der Kodifikationsarbeiten hätten allerdings einige Mitglieder der Kommission das Verbot bewaffneter Gewalt, das Völkermordverbot, das Sklavereiverbot, die Normen zum Schutz der Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht
67 Zur Kritik der Staaten an dem Entwurf s. Hofmann, S. 197 u. 204 f.; Simma, Staatenverantwortlichkeit, S. 378. 68 Hofmann, S. 200. 69 Quellen: s. oben Fn. 2 im 2. Kapitel. 70 Annacker, S. 37; de Hoogh, S. 185; Mosler, Iot'l Legal Community, S. 311. 71 Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 50 [dem späteren Art. 53 WüV], in: YBILC 1966, Bd. II, S. 247 (248, Par. 3); auch abgedruckt in: WetzellRauschning, S. 377 f. 72 Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 50 (s. oben Fn. 71), S. 248, Par. 3; s. auch Frowein, Jus cogens, S. 329.
232
1. Teil: Weltfrieden Wld internationale Sicherheit
der Völker beispielshalber als zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts genannt. 73 Während das Konzept des ius cogens allgemein akzeptiert ist,74 besteht keine Einigkeit in bezug auf den Umfang des Katalogs der zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts. In Zusammenhang mit den in den Diskussionen der Völkerrechtskomrnission genannten Normen wird einschränkend bemerkt, daß nicht alle menschenrechtsschützenden Normen, sondern nur diejenigen zum Schutz der elementaren Menschenrechte als zwingende Normen eingestuft werden könnten. 75 Genannt werden das Recht auf Leben und das Verbot der Folter, das Verbot der Sklaverei, des Menschenhandels, der Zwangsarbeit, der Kollektivstrafen und der Massenhinrichtungen. 76 Ebenso gehöre dazu das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit77 oder auch aus anderen Gründen wie Geschlecht, Religion, Sprache oder politischer Überzeugung. 78 Der ius cogens-Charakter des Selbstbestimmungsrechts der Völker könne nur in bezug auf Treuhandgebiete und Kolonien als gesichert gelten. 79 Trotz aller Ungewißheit im Detail kann als gesichert gelten, daß das Gewaltverbot, das Verbot des Völkermordes, die Normen zum Schutz der elementaren Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker im kolonialen Kontext als ius cogens zu betrachten und mithin unabdingbar sind. Damit wird die Beachtung von Normen gesichert, die die Verhütung internationaler bewaffneter Gewalt und extremen menschlichen Leidens zum Gegenstand haben. b) Verpflichtungen erga omnes Verpflichtungen der Staaten erga omnes bestehen gemäß dem obiter dictum des Internationalen Gerichtshofs im Barcelona Traction-Urteil gegenüber der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit. Im Lichte der Bedeutung 73
V61kerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 50 (s. oben
Fn. 71), S. 248, Par. 3.
74 Danilenko, Jus cogens, S. 42 f; Frowein, Jus cogens, S. 328; de Hoogh, S. 189; Tomuschat, Obligations, S. 306. 75 Linsi, S. 32 f 76 K. Dicke, S. 22; Hannikainen, S. 446-519; Kadelbach, S. 290-303. 77 Brownlie, Principles, S. 513; Kadelbach, S. 282; Linsi, S. 32 f 78 Hannikainen, S. 482. 79 Hannikainen, S. 421-424; Kadelbach, S. 273.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
233
der betroffenen Rechte müsse allen Staaten ein rechtliches Interesse an ihrer Einhaltung zugestanden werden. 80 Durch die Verpflichtungen würden die Grundgüter und -werte der internationalen Gemeinschaft geschützt. 81 Der Internationale Gerichtshof nannte im Barcelona Traction-Urteil als Beispiele für Verpflichtungen erga omnes das Verbot von Angriffshandlungen, das Völkermordverbot und die Prinzipien und Regeln in bezug auf die grundlegenden Menschenrechte einschließlich des Schutzes vor Sklaverei und vor rassischer Diskriminierung. 82 Im Nicaragua-Urteil bezeichnete der Gerichtshof die im gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen von 194983 niedergelegten Regeln als grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts, die die elementaren Erwägungen der Menschlichkeit reflektierten. 84 Im OsttimorUrteil stellte er heraus, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker erga omnes-Charakter habe. 85 Das Konzept der Verpflichtungen erga omnes, die eine besondere Bedeutung für die internationale Gemeinschaft haben, ist weitgehend akzeptiert. 86 Zwar nehmen einige Autoren an, daß auch andere Normen wie etwa die Pflicht zur Beachtung der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten8 ? oder die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung, die Pflicht zur Erfüllung der Pflichten nach Treu und Glauben, die Prinzipien des völkerrechtlichen Umweltschutzes, die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer und die Gewährung freien Zugangs zur Hohen See und zum Weltraum88 Verpflichtungen erga omnes seien. Dies kann aber dahinstehen, da auf jeden Fall Einigkeit besteht, daß die im vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Normen zum Schutz der Menschen vor schwerwiegenden
80 IGH, in: Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Judgment, I.C.J. Reports 1970, S. 3 (32, Par. 33); s. auch Annacker, S. 29. 81 Sperduti, S. 272. 82 IGH, in: Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, Judgment, I.C.J. Reports 1970, S. 3 (32, Par. 34); s. dazu auch Stein, Enforcement, S. 115 f; Jaenicke, Int'l Public Order, S. 315. 83 s. oben Fn. 53. 84 IGH, in: Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States 0/ America), Merits, Judgment, I.C.J. Reports 1986, S. 14 (113 f, Par. 218); s. auch Frowein, Staatengemeinschaftsinteresse, S. 221 f u. 225; Linsi, S. 32, Fn. 80. 8S IGH, in: East Timor (portugal v. Australia), Judgment, I.C.J. Reports 1995, S. 90 (102, Par. 29). 86 Gowlland-Debbas, Collective Responses, S. 249 f; Stein, Enforcement, S. 115. 87 K. Dicke, S. 22; Stein, Enforcement, S. 115 f 88 Jaenicke, Int'l Public Order, S. 315.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Notsituationen und zur Abwendung internationaler bewaffneter Gewalt Verpflichtungen erga omnes darstellen. c) Internationale Verbrechen im Sinne des Art. J9 des ersten Teils des Konventionsentwurfs der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit
Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen gelangte bei ihren Kodifikationsarbeiten bezüglich einer Konvention über die Staatenverantwortlichkeit zu der Ansicht, daß es eine Reihe von völkerrechtlichen Normen gebe, die für den Schutz fundamentaler Interessen der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit von solcher Wichtigkeit seien, daß ihre Verletzung nicht nur die normale völkerrechtliche Verantwortlichkeit des verletzenden Staates gegenüber dem unmittelbar verletzten Staat nach sich ziehe, sondern ein davon zu unterscheidendes, spezifisches Rechtsfolgenregime. 89 Die schwerwiegende Verletzung dieser besonders bedeutenden Normen wird in dem Entwurf der Kommission als internationales Verbrechen bezeichnet, die Verletzung normaler völkerrechtlicher Normen als internationales Vergehen. 90 Die Völkerrechtskommission entschied sich dafür, einige internationale Verbrechen in Art. 19 des Entwurfs beispielshalberl aufzuzählen. Im dritten Absatz werden genannt: "(a) a serious breach of an international obligation of essential importance for the maintenance of international peace and security, such as that prohibiting aggression, (b) a serious breach of an international obligation of essential importance for safeguarding the right of self-detennination of peoples, such as that prohibiting the establishment or maintenance by force of colonial domination, 89 Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 19 des ersten Teils des Konventionsentwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, in:YBll-C 1976, Bd. TI, Teil2, S. 95 (101 f., Par. 15). Die Ausgestaltung dieses Rechtsfolgenregimes soll erst in den späteren Teilen des Entwurfs vorgenommen werden (s. Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 19, S. 117, Par. 52); s. auch Annacker, S. 42. 90 Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Art. 19 des ersten Teils des Konventionsentwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, in:YBll-C 1980, Bd. TI, Teil2, S. 32. Das internationale Verbrechen wird in Absatz 2 des Art. 19 wie folgt defIniert: "An internationally wrongful act which results from the breach by aState of an international obligation so essential for the protection of fundamental interests of the international community that its breach is recognized as a crime by that community as a whole constitutes an international crime." 91 Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 19 (s. oben Fn. 90), S. 119, Par. 60, u. S. 120, Par. 64.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
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(c) a serious breach on a widespread scale of an international obligation of essential importance for safeguarding the human being, such as those prohibiting slavery, genocide and apartheid, (d) a serious breach of an international obligation of essential importance for the safeguarding and preservation of the human environment, such as those prohibiting massive pollution ofthe atrnosphere or ofthe seas.,,92
Alle genannten Nonnen, deren schwerwiegende Verletzung ein internationales Verbrechen darstellen soll, haben gemeinsam, daß sie auf die Verhütung internationaler bewaffneter Gewalt oder extremen menschlichen Leidens durch die Zufügung körperlicher oder seelischer Qualen oder die Zerstörung der Lebensgrundlagen zielen. 93 Das Inaussichtstellen eines besonderen Rechtsfolgenregimes im Falle der schwerwiegenden Verletzung dieser Normen macht ihren Stellenwert für die internationale Gemeinschaft deutlich. d) Gemeinsame Merkmale der Konzepte
In den genannten Konzepten spiegelt sich die Erfahrung wider, daß die Beachtung bestimmter grundlegender Werte der internationalen Gemeinschaft, die den Nichteinsatz internationaler bewaffneter Gewalt und den Schutz der Würde und der Lebensbedingungen der Menschen gewährleisten sollen, nicht dem Gutdünken der einzelnen Staaten überlassen werden kann. 94 Die Entwicklung der beschriebenen Rechtsregeln ist ein deutliches Zeichen dafiir, daß sich das Völkerrecht von einer Verkehrsordnung der Staaten zu einer von der Abwesenheit bewaffneter Gewalt und dem Schutz der menschlichen Würde her konstituierten internationalen Rechtsordnung gewandelt hat. 95 In dieser Rechtsordnung stehen die genannten grundlegenden Nonnen nicht zur Disposition der Staaten. Dies gilt selbst dann, wenn ein Staat der 92 Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Art. 19 des ersten Teils des Konventionsentwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, in:YBILC 1980, Bd. II, Teil2, S.32. 93 Graefrath, Int'! Crirnes, S. 164; Hobe, S. 59; und Kartashkin, S. 207, gehen deshalb davon aus, daß in den beschriebenen Fällen der Sicherheitsrat eine Friedensbedrohung gemäß Art. 39 ChVN feststellen könne; a. A. Gaja, S. 308, Fn. 25. S. auch die Diskussion in der Välkerrechtskommission der Vereinten Nationen, in: Tätigkeitsbericht 1994 (s. oben Fn. 36 im 7. Kapitel), S. 350, Par. 298 u. 305 f. 94 Annacker, S. 31; Delbrilck, Impact, S. 145; Fox, Civil Wars, S. 638; GowllandDebbas, Collective Responses, S. 249 f.; Graefrath, Reaction, S. 254; Hailbronner, Sanctions, S. 5; de Hoogh, S. 184; Jaenicke, Int'! Public Order, S. 315; Linsi, S. 28 f.; Mosler, Int'! Legal Cornrnunity, S. 311; Sperduti, S. 272. 95 DelbrackiK. Dicke, S.798 u. 817; Jaenicke, Ordre public, S. 85 f.; Mosler, Rechtsordnung, S. 36; Verdross/Simma, § 1351 (S. 916).
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I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Geltung der Norm oder der geschilderten besonderen Rechtsregeln widerspricht. Der besondere Charakter der Konzepte des ius cogens und der Verpflichtungen erga omnes besteht nicht nur in der Anordnung spezifischer Rechtsregeln, sondern auch darin, daß der einzelne Staat die prinzipielle Geltung der in Frage stehenden Rechtsregel nicht durch seinen Widerspruch abwenden kann. 96 Wenn die "internationale Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit",97 also die überwiegende Mehrzahl der Staaten unter Einschluß der wesentlichen Komponenten der Staatengemeinschaft,98 der Auffassung ist, daß eine Norm zwingenden Charakter habe oder ihre Verletzung zu einer Verpflichtung des verletzenden Staates erga ornnes führe, so ist auch ein dieser Einschätzung widersprechender Staat daran gebunden. Sowohl die Anwendung der besonderen Rechtsregeln der Konzepte des ius cogens und der Verpflichtungen erga ornnes als auch die Verbindlichkeit der grundlegenden Norm an sich99 sind nicht von der Zustimmung des Staates abhängig. 5. Ergebnis
Dem gegenwärtigen Völkerrecht können vielfältige Beispiele entnommen werden, die belegen, daß sich das Völkerrecht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs grundlegend gewandelt hat. Die Regelungen zum Schutz des Menschen vor schwerwiegenden Notsituationen, die mittlerweile in großem Umfange vor allem im Bereich des Menschenrechtsschutzes und des humanitären Völkerrechts bestehen, verpflichten die Staaten zu bestimmten Verhaltensweisen gegenüber ihren Staatsangehörigen und anderen ihrer Hoheitsgewalt unterworfenen Individuen. Dadurch wird eine Verringerung der rechtmäßigen Verhaltensoptionen der Staaten im Falle eines Konflikts zwischen dem Interesse eines Staates an der Gewährleistung der Abwesenheit extremen Leidens für die Menschen unter seiner Hoheitsgewalt und einem anderen staatlichen Interesse bewirkt. Die Zustimmung der Staaten zu den genannten Normen bedeutet, daß die Staaten bereit sind, das erstgenannte Interesse allen anderen Interessen überzuordnen.
96 Annacker, S. 31; Delbrilck, Allocation, S. 174 u. 176; ders., Impact, S. 143 f; de Hoogh, S. 186 f; Stein, Enforcement, S. 115; Tomuschat, Obligations, S.307. Dies soll auch ftir das Konzept des internationalen Verbrechens gelten, das sich insoweit an das ius cogens-Konzept anlehnt; s. Simma, Staatenverantwortlichkeit, S. 377. 97 s. Art. 53 WÜV. 98 Ago, S. 252 f.; Annacker, S. 37 f; Delbrilck, Impact, S. 143 f; Hannikainen, S. 210 f; de Hoogh, S. 187 f 99 Tomuschat, Obligations, S. 365.
10. Kapitel: Ziele der Staatengemeinschaft
237
Das gegenwärtige Völkerrecht ist aber nicht nur durch die Bereitschaft der Staaten charakterisiert, ihrem Interesse am Wohl der Menschen unter ihrer Hoheitsgewalt mittels der Schaffung völkerrechtlicher Normen den Vorrang einzuräumen. Das Völkerrecht wird dadurch geprägt, daß im Falle elementarer Normen zum Schutz der Menschen vor extremen Notsituationen die Verbindlichkeit sowohl der Norm als auch der speziellen Rechtsregeln der Konzepte des ius cogens und der Verpflichtungen erga omnes nicht von der Zustimmung des einzelnen Staates abhängig ist. Die Völkerrechtsordnung beruht nicht mehr auf dem reinen Konsens-Modell, das die Bindung eines Staates nur bei seiner Zustimmung zuläßt, sondern auf dem Modell einer verfaßten Staatengemeinschaft, die eine begrenzte Zahl grundlegender Regeln zur Sicherung der Grundbedürfnisse des Menschen anerkennt, durch die auch ohne einzelstaatliche Zustimmung die elementaren Rechte und Pflichten der Staaten festlegt werden.! 00
V. Ergebnis In der Wertehierarchie der Staatengemeinschaft, die in den grundlegenden völkerrechtlichen Normen erkennbar ist,!OI ist die Verhütung extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens von zentraler Bedeutung. Dies wird in der Charta der Vereinten Nationen widergespiegelt, in der dem Sicherheitsrat in Art. 24 die Aufgabe zugewiesen ist, im Rahmen der Wahrung des Weltfriedens extreme menschliche Notsituationen zu verhindern. Die Zielsetzungen der Charta stimmen somit mit den allgemeinen Zielvorstellungen der internationalen Gemeinschaft überein. Dieser Befund bestätigt das durch Auslegung der Charta der Vereinten Nationen gefundene Ergebnis. Ein Verständnis des Friedensbegriffs der Charta der Vereinten Nationen, das den Weltfrieden auf die Abwesenheit internatio100 Danilenko, Changing Structure, S. 355; DelbrUck/K. Dicke, S.818; K. Dicke, S. 22; International Institute Jor Strategie Studies, S. 30; Mosler, Int'l Society, S. 18; ders., Rechtsordnung, S.36; Simma, Legal Basis, S. 129; Tomusehat, Obligations, S. 210 f. u. 307; s. auch V6lkerreehtskommission der Vereinten Nationen, Kommentar zu Art. 50 (s. oben Fn. 71), S. 247, Par. 1; kritisch Weil, S. 44l. 101 Das Bestehen einer gemeinsamen Wertehierarchie der internationalen Gemeinschaft bestreiten Aeheson, S. 598; Baroni, S. 101 f.; RandelzhoJer, Friedensbegriff, S. 36 (wohl revidiert durch RandelzhoJer, Neue Weltordnung, S. 63). Menk, S. 190 f., behauptet, die Durchsetzung der vermeintlich gemeinsamen Werte durch den Sicherheitsrat führe zu einem Diktat der Werte, zu einer "internationally imposed public order"; s. dazu unten S. 239.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
naler bewaffneter Gewalt beschränkte, führte hingegen zu einer Diskrepanz zwischen den Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft auf der allgemeinen völkerrechtlichen Ebene und im Organisationsrahmen der Vereinten Nationen, die wegen des Zusammenhangs dieser beiden Ebenen102 systemwidrig wäre.
102
s. oben S. 217.
ll. Kapitel
Die Konkretisierung des Begriffs des Weltfriedens Die Untersuchungen zum Begriff des Weltfriedens haben zu dem Ergebnis geführt, daß dieser Begriff die beiden Elemente der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens umfaßt. Es ist demnach die ihm in Art. 24 Abs. 1 ChVN zugewiesene Aufgabe des Sicherheitsrates, internationale bewaffnete Konflikte und extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituationen zu verhindern. 1 Die Vertreter der Auffassung, der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN sei ausschließlich mit der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt gleichzusetzen,2 bringen hingegen vor, daß nur dieses Konzept eine klare Abgrenzung des Begriffs ermögliche. 3 Die Anwendung des weiten Friedensbegriffs in bezug auf die Aufgaben und Befugnisse des Sicherheitsrates führe zu einer uferlosen Ausweitung der Begriffskonturen, die das Konzept insgesamt unglaubwürdig erscheinen lasse. 4 Diese Kritik beruht auf der Annahme, der Begriff des Friedens könne allgemein nur entweder als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt oder - im Sinne des weiten Friedensbegriffs des allgemeinen Völkerrechts und der Friedensforschun~ als soziale Gerechtigkeit durch Verwirklichung der Menschenrechte und wirtschaftlichen Wohlstand verstanden werden. Die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit sei ein Ziel der Charta der Vereinten Nationen, das von der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu unterscheiden sei. Daher könne der Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN nur als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt verstanden werden.
1 Zur Bedeutung der "Wahrung" des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit s. ausführlich unten S. 267. 2 s. oben Fn. 1 im 7. Kapitel. 3 Baroni, S. IOD; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 6; Herdegen, S. 115; Koskenniemi, S. 342 f.; Nowlan, S. 172; Worku, S. 2. 4 Burley, S. 111. 5 s. dazu oben S. 28.
240
l. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Diese Argumentation beruht auf der zutreffenden Annahme, daß die Gestaltung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die Sicherung der Menschenrechte nicht in den Aufgabenbereich des Sicherheitsrates fallt. 6 Der Rat hat nicht die Möglichkeit, seine Vorstellungen von der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse gegen den Willen des betroffenen Staates durchzusetzen, gegebenenfalls sogar unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen. 7 Doch folgt daraus nicht, daß der Weltfrieden mit der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt gleichgesetzt werden muß. Entgegen der Annahme der Vertreter dieser Ansicht besteht eine dritte, "mittlere"s Möglichkeit, den Begriff des Friedens zu verstehen, der zufolge der Frieden neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt ein Mindestmaß an geordneten Lebensbedingungen innerhalb der Staaten erfaßt. 9 Die Anwendung dieses Friedensbegriffs führt nicht zur positiven Gestaltung der innerstaatlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern zur Gewährleistung der Nichtanwendung bestimmter politischer Mittel, die zu extremem menschlichem Leiden führen würden. Angestrebt wird nicht ein "Wert-" oder "Kulturimperialismus" , sondern im Gegenteil die Gewährleistung der Selbstbestimmungsmöglichkeit des einzelnen und der jeweiligen Gesellschaft in einer Sicherheit geWährleistenden Ordnung. 1O Dieser Friedensbegriff, der der Charta der Vereinten Nationen zugrunde liegt, ist hinreichend klar abgrenzbar. Sein Umfang ist keineswegs uferlos, sondern bestimmbar. Diese Bestimmung soll im Folgenden skizziert werden.
I. Frieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt Der Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN ist gebrochen, wenn ein internationaler bewaffneter Konflikt ausgetragen wird. Ein derartiger Konflikt liegt dann vor, wenn ein Staat oder staatsähnliches Gebilde!! militärische Gewalt gegen einen anderen Staat oder staatsähnliches Gebilde einsetzt. In diesem Zusammenhang eröffnen sich zwei Problemkreise. Erstens ist die Frage zu untersuchen, ob auch die sogenannte indirekte Gewalt, also die UnSo auch Tomuschat, Obligations, S. 342. So auch Koskenniemi, S. 342 f. 8 S. zum "mittleren" Friedensbegriff oben S. 31. 9 s. oben S. 27. Zu diesem Ergebnis gelangt ausdrücklich auch Tomuschat, Obligations, S. 342. 10 DelbrückiK. Dicke, S.817. Dies übersehen Acheson, S.598; Koskenniemi, S. 342 f.; Menk, S. 190 f. II s. oben S. 168. 6
7
11. Kapitel: Konkretisierung des FriedensbegrifTs
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terstützung einer der Parteien eines bewaffneten Konflikts etwa durch Beratung und Ausbildung, Lieferung militärischen Materials oder Entsendung irregulärer Truppen,12 zu einem Friedensbruch fuhren kann. Zweitens stellt sich hinsichtlich nichtmilitärischer Formen der Ausübung von Druck oder Zwang durch einen Staat die Frage, ob diese der militärischen Gewalt gleichgestellt werden können. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Resolution der Generalversammlung NRES/3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974.\3 Diese Resolution enthält eine Definition des Angriffs ("aggression"), die dem Sicherheitsrat als Leitlinie im Falle der Feststellung einer Angriffshandlung im Sinne des Art. 39 ChVN dienen sol1. 14 Diese Definition bindet den Sicherheitsrat zwar nicht, da eine Resolution der Generalversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat keine Bindungswirkung entfalten kann. 15 Dieser Sachlage entspricht die im Annex der Resolution NRES/3314 (XXIX) enthaltene Formulierung, daß der Sicherheitsrat das Recht habe, in den genannten Fällen einer Angriffshandlung aufgrund der speziellen Situation im Einzelfall von einer Feststellung im Sinne des Art. 39 ChVN abzusehen l6 und umgekehrt nicht aufgezählte Handlungen als Angriffshandlung zu qualifizieren. I 7 Aus diesem Grund wäre ein Rückschluß von der in Resolution NRES/3314 (XXIX) enthaltenen Definition auf das zukünftige Verhalten des Sicherheitsrates verfehlt. 18 Dennoch ist die Definition fiir die vorliegende Untersuchung von Nutzen, da sie die übereinstimmende Auffassung l9 der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen widerspiegelt. In Art. 1 des Annexes zu Resolution NRES/3314 (XXIX) wird die Angriffshandlung als bewaffnete Gewalt eines Staates gegen die Souveränität, territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates definiert. Art. 3 nennt beispielshalber einige Fälle, die regelmäßig als An12 Lamberti Zanardi, S. 111; RandelzhoJer, in: Simma, Art. 2 ZifT. 4, Rz. 24 f.; Virally, in: CotlPellet, Art. 2 ZifT. 4, S. 12l. 13 "Defmition of Aggression". 14 Operativer Absatz 4 der Resolution. 15 Broha, Aggression, S.282; Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S.659; Conforti, Pouvoir discn!tionnaire, S. 53; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 14; Herdegen, S. 114; Kooijmans, S. 111; R6ling, Definition, S. 400; Worku, S. 5. 16 Art. 2 des Annexes der Resolution AlRES13314 (XXIX). 17 Art. 4 des Annexes der Resolution AlRES/3314 (XXIX). 18 Aus diesem Grund hält Garvey, S. 197, die Defmition der AngrifTshandlung durch die Generalversammlung insgesamt fur überflüssig. 19 Die Resolution wurde durch Konsens angenommen; s. GAOR, 29. Jahr, 2319. Stzg. (14.12.1974), Bd. 3, S. 1480.
16 Lailach
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
griffshandlung zu qualifizieren seien. Dazu gehören unter anderem der militärische Angriff eines Staates auf das Gebiet eines anderen Staates, dessen Besetzung und Annexion, die militärische Blockade der Häfen oder Küsten eines Staates, ein militärischer Angriff auf die Streitkräfte eines anderen Staates, die Zurverfügungstellung des Staatsgebiets zur Durchführung von Angriffshandlungen durch den das Gebiet nutzenden Staat und die Entsendung irregulärer Truppen zur Durchführung einer der aufgezählten Handlungen. Aus der Definition und der Aufzählung wird deutlich, daß nur bewaffnete Gewalt unter den Begriff der Angriffshandlung fallen soll. Einbezogen wird die sogenannte indirekte Gewalt in Form der Unterstützung der Ausübung direkter militärischer Gewalt eines anderen Staates durch Zurverfügungstellung des Staatsgebiets. Ausgeschlossen sind jedoch die sogenannte wirtschaftliche und ideologische Gewalt, das heißt die Ausübung wirtschaftlichen oder anderen nichtmilitärischen Drucks auf einen anderen Staat. 20 Die Beschränkung des Begriffs der Angriffshandlung auf direkte und indirekte internationale bewaffnete Gewalt entsprach auch der Absicht aller an den Entwürfen beteiligten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen?l Eine Angriffshandlung im Sinne des Art. 39 ChVN, durch die der Weltfrieden und die internationale Sicherheit verletzt würden, setzt mithin gemäß der Definition der Generalversammlung einen Akt internationaler bewaffneter Gewalt direkter oder indirekter Art voraus. Dieses Ergebnis kann auf den Friedensbruch im Sinne des Art. 39 ChVN übertragen werden, da dieser sich von der Angriffshandlung nach weit überwiegender Ansicht nur dadurch unterscheidet, daß der Sicherheitsrat im Falle der Feststellung einer Angriffshandlung den Angreifer benennt. 22
20 Broms, S. 342; Cohen Jonathan, in: Cot/Pellet, Art. 39, S. 659; Ferencz, S. 4; a. A. Worku, S. 4, der annimmt, daß die Frage der AngrifTshandlung durch nichtmilitärische Gewalt unbeantwortet geblieben ist, da in Resolution AlRES/3314 (XXIX) diese Handlungsforrn nicht genannt ist. 2l s. die Entwürfe von Australien, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten vom 25.03.1969 (UN-Dok. NAC. 13411. 17, S.I), von der UdSSR vom 27.02.1969 (UN-Dok. AlAC. 13411. 12, S. 2) und von Ecuador, Ghana, Guyana, Haiti, Iran, Jugoslawien, Kolumbien, Madagaskar, Mexiko, Spanien, Uganda, Uruguay und Zypern vom 24.03.1969 (UN-Dok. NAC. 13411. 16, S. 2); sowie Broms, S.363. 22 Derpa, S. 81; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 12; Herdegen, S. 114; Kelsen, United Nations, S. 727; Thierry/Sur/Combacau/Vallee, S. 580; White, S. 49; Wright, Strengthening, S. 164; ders., Subversive Intervention, S.529; s. auch die Stellungnahme Australiens (SCOR, 2. Jahr, Nr. 67, 171. Stzg. (31.07.1947), S. 1623); a. A. Corten, S. 120; Kipp, S. 585; Pompe, S. 99 f.; Röling, Aggression, S. 178; Sohn, Aggression, S. 701.
11. Kapitel: Konkretisierung des Friedensbegriffs
243
Angesichts dieser Sachlage vermag die Beschränkung auf direkte militärische Gewalt, für die Wrighe3 und Stone24 eintreten, nicht zu überzeugen. Sie steht im Gegensatz zu dem in Resolution AlRES/3314 (XXIX) zum Ausdruck gekommenen Konsens der Staatengemeinschaft, auch Akte indirekter bewaffneter Gewalt als Verletzungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu betrachten. Auch auf der 1945 in San Francisco abgehaltenen GTÜndungskonferenz der Organisation der Vereinten Nationen war angemerkt worden, daß unter Art. 39 ChVN auch die Versorgung und Unterstützung bewaffneter Gruppen in einem anderen Staat, also Akte indirekter Gewalt, fielen. 25 Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 39 ChVN und damit auch der in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Zwangsmaßnahmen auf die Verhinderung und Unterdrückung von Akten direkter militärischer Gewalt birgt zudem die Gefahr in sich, den Handlungsspielraum, den der Sicherheitsrat zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit genießt, so weit einzuengen, daß ein wirksames Handeln nicht mehr in jedem Falle gewährleistet wäre. Mithin können auch Akte indirekter bewaffneter Gewalt den Weltfrieden und die internationale Sicherheit verletzen. 26 Die entgegengesetzte Ansicht geht dahin, daß auch die Anwendung nichtmilitärischen Drucks oder Zwangs ebenso wie die Ausübung militärischer Gewalt als Friedensbruch oder Angriffshandlung eingestuft werden könne?7 Auch diesem Verständnis steht das in Resolution AlRES/3314 (XXIX) zum Ausdruck gekommene übereinstimmende Begriffsverständnis der Staatengemeinschaft entgegen. 28 Es widerspricht überdies dem allgemeinen Sprachgebrauch, den Zustand des Friedens in den grenzüberschreitenden Ver23 Wright, Prevention, S. 526 f.; ders., Strengthening, S. 164; ders., Subversive Intervention, S. 529. 24 Stone, Aggression, S. 67. 25 Vorschlag der Philippinen zur Änderung der Dwnbarton Oaks-Entwürfe, in: UNCIO Bd. m, S. 535 (538); der Wortlaut ist oben, S. 166, wiedergegeben. 26 So auch Bothe, Gewaltverbot, S. 17 f.; Skubiszewski, Use ofForce, S. 779. 27 Dahm, Verbot der Gewaltanwendung, S. 53; ders., Völkerrecht Bd.2, S. 390; Higgins, Development, S. 176. 28 Etwas anderes kann auch nicht aus dem Versuch einiger Staaten abgeleitet werden, die Ausübung sogenannter wirtschaftlicher Gewalt unter das Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 ChVN zu fassen (vgl. RandelzhoJer, in: Sirnrna, Art. 2 Ziff. 4, Rz. 16), da es der Zweck dieser Argumentation war, die individuelle Gegenwehr gegen diese Art von Zwang durch Art. 51 ChVN legitimieren zu können. Ein Eingreifen des Sicherheitsrates in Fällen "wirtschaftlicher Gewalt" war jedoch auch von den so argumentierenden Staaten nicht angestrebt. Mithin sollte aus der Sicht dieser Staaten die "wirtschaftliche Gewalt" zwar ein Verstoß gegen das Gewaltverbot, aber kein Friedensbruch oder Angriffshandlung gemäß Art. 39 ChVN sein.
16*
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
hältnissen über die Abwesenheit internationaler bewaffneter Konflikte hinaus auf die wirtschaftlichen Beziehungen auszudehnen. Es ist festzuhalten, daß der Weltfrieden als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt erst gebrochen ist, wenn Akte direkter oder indirekter internationaler bewaffneter Gewalt begangen werden.
II. Frieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens
Der Weltfrieden als Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens wird gebrochen, wenn eine schwerwiegende menschliche Notsituation durch Menschen herbeigefiihrt wird. Eine solche Notsituationen liegt beispielsweise vor, wenn willkürliche Tötungen in großem Ausmaß durchgefiihrt werden. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur, im Falle eines Völkermordes, also der Tötung von Mitgliedern einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe in der Absicht, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. 29 Unter den Begriff des Völkermordes fallen auch folgende Handlungen, die ebenfalls zu extremen Notsituationen fiihren: die Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe, die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen fiir die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizufiihren, die Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind, und die gewaltsame Überfiihrung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe. Voraussetzung ist stets die Absicht, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Schweres körperliches und seelisches Leiden wird auch durch Folter und andere grausame Behandlungen erzeugt, insbesondere durch Vergewaltigungen. 30 Sklaverei ist aufgrund des zugefiigten seelischen Leides als extreme 29 s. Art. II der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkennordes (Quellen: UNTS Bd. 78, S. 277; BGBL 1954 II, S. 730). Hinsichtlich der Ereignisse in Ruanda stellte die vom Sicherheitsrat eingesetzte unabhängige Expertenkommission in ihrem Abschlußbericht vom 09.12.1994 fest, daß in Ruanda in der Zeit vom 06.04.1994 bis 15.07.1994 zweifelsohne ein Völkennord begangen worden sei (UN-Dok. S/1994/1405, S. 31, Par. 156). In bezug auf den Konflikt in der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien kam die zuständige Expertenkommission in ihrem Abschlußbericht vom 27.05.1994 zu dem Schluß, daß die Geschehnisse in Prijedor seit dem 30.04.1992 wohl als Völkennord einzustufen seien (UN-Dok. S/1994/674, S. 43, Par. 182). 30 Bezüglich der Ereignisse in der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ermittelte die Expertenkommission zahlreiche Fälle systematisch
11. Kapitel: Konkretisierung des Friedensbegriffs
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Notsituation zu betrachten. In diese Kategorie sind auch schwerwiegende Diskriminierungen aus rassischen oder sonstigen Gründen einzuordnen. 31 In all diesen Fällen liegt ein schwerer Angriff auf die dem Menschen innewohnende Würde vor, deren Anerkennung und Schutz ein zentrales Anliegen der internationalen Gemeinschaft ist,32 wie der gleichlautende erste Absatz der Präambeln der beiden universellen Menschenrechtspakte33 deutlich macht: "In der Erwägung, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet".34
Im Fall der Vertreibung der Bevölkerung aus ihrer Heirnae s tritt neben die körperlichen und seelischen Leiden der Aspekt des Entzugs der Lebensgrundlagen. In diesem Zusammenhang ist auch an gezielte schwerwiegende Umgeplanter und ausgefilhrter Vergewaltigungen, begangen insbesondere an muslimischen Frauen (UN-Dok. S/1994/674, S. 55-60, Par. 232-253). Zu demselben Ergebnis kam die Untersuchungskommission der Europäischen Union; s. den Bericht dieser Kommission an die Außenminister der Europäischen Union (UN-Dok. S/25240 vom 03.02.1993, Annex I). Im Zusammenhang mit den "ethnischen Säuberungen" (s. dazu auch unten Fn. 35) berichtete die Expertenkommission von Massenmorden, Folter, Vergewaltigungen, schweren Körperverletzungen an Zivilisten, Mißhandlungen von zivilen und Kriegsgefangenen, der Benutzung von Zivilisten als menschlichen Schutzschiiden, der Zerstörung von privatem, öffentlichem und kulturellem Eigentum, Plünderungen, Zwangsenteignungen von Grundeigentum, der Vertreibung der Zivilbevölkerung und Angriffen auf medizinisches Personal und Einrichtungen, die mit dem Roten Kreuz gekennzeichnet waren. Diese Akte seien mit extremer Brutalität und bewußt öffentlich verübt worden, um Panik unter der Zivilbevölkerung zu erzeugen und sie so zur endgültigen Flucht zu veranlassen (s. UN-Dok. S/1994/674, S. 34, Par. 134 f.). 31 Zu denken ist insbesondere an gesetzlich institutionalisierte Systeme der Rassendiskriminierung wie in Rhodesien und Südafrika; s. dazu oben S. 58 und S. 67. 32 So auch DelbrUckiK. Dicke, S. 817 f. 33 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Quellen: s. oben Fn. 13 und 14 im 7. Kapitel). 34 s. auch Abs. 2 der Präambel der Charta der Vereinten Nationen und den oben, S. 175, zitierten ersten Absatz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. 35 Erwähnt sei beispielshalber die Praxis der sogenannten "ethnischen Säuberungen", also die Schaffung ethnisch homogener Siedlungsgebiete durch die Vertreibung anderer ethnischer Gruppen durch Gewalt oder Einschüchterung (s. zu diesem Begriffsverständnis den vorläufigen Bericht der Expertenkommission vom 10.02.1993 (UN-Dok. S/25274, S. 16, Par. 55; zu den Formen der Gewalt und Einschüchterung s. oben Fn. 30). Diese Praxis wurde von den Serben in Bosnien-Herzegowina und Kroatien und ihren Unterstützern in der Föderativen Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) angewendet, wie in dem Abschlußbericht der Expertenkommission vom 27.05.1994 (UN-Dok. S/1994/674), S. 33-37, Par. 129-150, ausgefilhrt wird.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
weltzerstörungen, die den Menschen unmittelbar gefährden oder ihn seiner Existenzgrundlage berauben, zu denken. 36 Aus demselben Grund liegt eine extreme menschliche Notsituation vor, wenn die Leistung humanitärer Hilfe an die notleidende Bevölkerung seitens arn Konflikt Unbeteiligter (andere Staaten, Internationale Organisationen und/oder nichtstaatliche humanitäre Hilfsorganisationen) durch eine oder mehrere der Parteien der bewaffneten Auseinandersetzung behindert oder ganz unterbunden wird. 37 In allen genannten Fällen liegt eine zu einem Bruch des Weltfriedens führende extreme Notsituation nur dann vor, wenn es sich nicht um Einzelerscheinungen handelt, sondern um schwerwiegende, zahlreiche und systematisch erzeugte Fälle menschlichen Leidens.
III. Friedensbrucb und Friedensbedrobung Ein Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 ChVN liegt vor, wenn eine extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Notsituation besteht oder ein internationaler bewaffneter Konflikt ausgebrochen ist. 38 Eine Friedensbedrohung ist eine Situation, in der aufgrund einer konkreten Spannungslage zu befurchten ist, daß diese Situation zu einem Friedensbruch eskaliert. Droht ein internationaler bewaffneter Konflikt, so kommen als konkrete Spannungslagen internationale Krisensituationen, der Zusammenbruch der Regierungs- und Verwaltungsstrukturen eines Staates und die Beeinträch-
36 Zu denken ist an Fälle wie das bewußte Ablassen großer Mengen Öls in den Persischen Golf und das Anzünden von Bohrlöchern durch den Irak während des Krieges gegen Kuwait und dessen Verbündete; s. AdG Bd. 61 (1991), S. 35333 u. 35387. 37 So auch Corten, S. 119; CortenIP. Klein, Autorisation, S. 511; Damrosch, Introduction, S. 12 f); dies., Nationalism, S.495; Kahne, S. 37 f.; Manier, S. 686; Mourgeon, S. 650; Otunnu, S. 604 f. In den Berichten des UN-Genera1sekretärs fmden sich zahlreiche Beispiele für die bewußte Behinderung humanitärer Hi1fs1eistungen; s. beispielsweise die Berichte zu der Situation in Angola (Tätigkeitsbericht 1994 (s. oben Fn.242 im 3. Kapitel), S.61, Par. 462), in Bosnien-Herzegowina (Bericht des UN-Genera1sekretärs vom 10.07.1992 (UN-Dok. S/24263), S. 5, Par. 18), in Somalia (Bericht des UN-Generalsekretärs vom 27.11.1992 (UN-Dok. S/24859), S. 3 f.) und im Sudan (Tätigkeitsbericht 1995 (s. oben Fn. 14 in der Einleitung), S. 66 f., Par. 514). 38 A. A. Komamicki, S. 85, der die Phase der unmittelbaren Vorbereitungen des bewaffneten Konflikts - entgegen dem Wortlaut und der einhelligen Praxis - als Friedensbruch bezeichnet.
11. Kapitel: Konkretisierung des Friedensbegriffs
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tigung der Effektivität und Autorität der Organe der Vereinten Nationen in Betracht. 39 Für die Qualifizierung menschlicher Notsituationen als Friedensbedrohung ist ebenfalls Voraussetzung, daß eine konkrete Spannungslage besteht. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der beiden Aspekte des Weltfriedens weisen die konkreten Spannungslagen, die die Gefahr in sich bergen, daß die bestehende Situation zu einer extremen menschlichen Notsituation eskaliert, andere Charakteristika auf als die bislang beschriebenen Spannungslagen. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, daß menschliche Notsituationen erst dann zu einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fuhren, wenn es sich um qualitativ und quantitativ schwerwiegende Not handelt. Jeder Einzelfall ist daraufhin zu untersuchen, ob das Ausmaß der Not so groß ist, daß die Schwelle von der Friedensbedrohung zum Friedensbruch überschritten ist. Dies bedeutet für die Bestimmung einer Friedensbedrohung, daß diese dann vorliegt, wenn konkrete Vorfälle zwar noch nicht zu menschlichem Leiden in den Ausmaßen eines Friedensbruchs gefuhrt haben, aber unter Berücksichtigung der Gesamtsituation den Schluß zulassen, daß es sich nicht um Einze}f,Ule handele, sondern die Verdichtung der Not zu einem Friedensbruch aufgrund der qualitativen und quantitativen Steigerung der Vorfälle zu befürchten sei. Der Ausbruch eines internationalen Konflikts, der den Übergang von der Bedrohung zum Bruch des Weltfriedens markiert, ist in der Regel ein objektiv bestimmbares Ereignis. Dies gilt aber dann nicht, wenn eine interne bewaffnete Auseinandersetzung durch den Zerfall des betroffenen Staates oder die Beteiligung anderer Staaten internationalisiert wird. 40 In diesen Fällen erfordert die Entscheidung, daß die Schwelle zum Friedensbruch überschritten sei, eine subjektive Bewertung der Lage. Dies gilt gleichermaßen für die Beurteilung der Frage, ob das extreme, durch Gewaltanwendung verursachte menschliche Leiden das qualitative und quantitative Ausmaß eines Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erreicht hat. Der Sicherheitsrat hat eine pragmatische Lösung gewählt. Angesichts von Situationen, die eine subjektive Bewertung zur Feststellung des Friedensbruchs erforderlich machen, stellt er stets eine Friedensbedrohung fest und verzichtet so darauf, das quantitative und qualitative Ausmaß des menschlichen Leidens im Hinblick auf die Einstufung als Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu beurteilen oder einen bewaffneten Konflikt mit internen und internationalen Elementen zu bewerten. Nur wenn ein 39
40
s. oben S. 194. s. dazu oben S. 22.
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
eindeutig internationaler bewaffneter Konflikt ausgetragen wird, stellt er einen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 ChVN fest. 41 Diese Begriffsverwendung des Rates wirkt sich praktisch nicht aus, da dem Sicherheitsrat in allen drei in Art. 39 ChVN genannten Fällen dieselben Befugnisse im Rahmen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen zur Verfiigung stehen. 42
s. dazu oben S. 146. Bereits auf der GIilndungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco (Zusanunenfassender Bericht der 14. Sitzung des Ausschusses IIII3, in: UNCIO Bd. XII, S. 379 (380)) wurde erkannt: "Because it was not possible in every case to distinguish between a threat to the peace and a rupture of the peace, it was safer not to authorize one kind of Council action for a threat and another for a rupture. The wiser course was to leave the evaluation of the situation to the Council." 41
42
12. Kapitel
Der Begriff der internationalen Sicherheit in Art. 24 Abs. 1 ehVN Art. 24 Abs. 1 ChVN weist dem Sicherheitsrat die Aufgabe zu, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Es stellt sich die Frage, ob die Wahrung der internationalen Sicherheit einen eigenständigen Aufgabenbereich neben der Friedenswahrung bildet.
I. Der Inhalt des Begriffs der internationalen Sicherheit Kelsen und DickelRengeling vertreten die Ansicht, daß die Begriffe des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in einem tautologischen Verhältnis zueinander stünden. Die Erwähnung der internationalen Sicherheit sei überflüssig, da kein Unterschied zum Begriff des Weltfriedens bestehe. l Diese Auffassung verkürzt jedoch den Unterschied, der durch den Wortlaut der beiden Begriffe nahegelegt wird. Die Sicherheit gliedert sich in einen subjektiven und einen objektiven Aspekt auf. 2 Subjektiv bedeutet internationale Sicherheit die Gewähr, daß der Weltfrieden nicht gebrochen oder zumindest ein Friedensbruch sich nicht unkontrolliert ausweiten werde. 3 Objektiv kann dann von internationaler Sicherheit gesprochen werden, wenn durch Vorkehrungen im Rahmen der internationalen Beziehungen dafür Sorge getragen wurde, daß es nicht zu einem Friedensbruch kommen kann. 4 In diesem Zusammenhang kommen theoretisch mehrere Sicherheitssysteme in Frage, etwa Sicherheit durch Gleichgewicht der Mächte, 5 durch Abschreckung in Form der wechselseitig gesicherten D. ehr. DickelRengeling, S. 23; Kelsen, United Nations, S. 13. Vetschera, S. 146; Wolfrom, in: Simma, Art. 1, Rz. 6. 3 GoodrichIHambro, Art. 1, S. 93; H.-J. Schütz, in: Simma, Art. 26, Rz. 30; Vetschera, S. 145 f; Wolfrom, in: Simma, Art. 1, Rz. 6. 4 Ross, S. 110; Verosta, S.534; Vetschera, S. 146; Wolfrom, in: Simma, Art. 1, Rz.6. 5 Verosta, S. 545; Wolfrom, in: Simma, Art. 1, Rz. 6 u. 10. I
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250
I. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
Zerstörung, 6 durch Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen7 oder durch ein System kollektiver Sicherheit. 8 Diese Sicherheitssysteme haben den Anspruch, durch die Gestaltung der Struktur der internationalen Beziehungen das Risiko eines Friedensbruchs zu minimieren. 9 Darüber hinaus ist für einen Zustand der Sicherheit ein Frühwamrnechanismus erforderlich, mit dem die trotz der Vorkehrungen entstandene Gefahr eines Friedensbruchs frühzeitig erkannt und beseitigt werden kann. \0 Im Rahmen des kollektiven Sicherheitssystems der Vereinten Nationen nimmt der Sicherheitsrat diese Aufgabe wahr, dem die Befugnis erteilt wurde, bei einer Friedensgefährdung oder -bedrohung, also bereits im Vorfeld eines Friedensbruchs, tätig zu werden. I I
n. Das Verhältnis der internationalen Sicherheit zum Weltfrieden
Der Weltfrieden ist ein Zustand der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und extremen menschlichen Leidens. Dieser Zustand muß nicht zwangsläufig mit dem Zustand internationaler Sicherheit einhergehen. Zu denken ist etwa an einen labilen Frieden, der mit großer Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zusammenbrechen wird. In diesem Fall besteht keine subjektive Sicherheit. Dasselbe gilt, wenn der Weltfrieden von einer Hegemonialmacht abhängt, in deren Belieben es steht, den Friedenszustand jederzeit zu beenden. 12 Es ist der Sinn der Gewährleistung internationaler Sicherheit, diese labilen Friedenszustände auszuschließen. Wird die Dauerhaftigkeit des Zustands des Weltfriedens durch ein funktionierendes Sicherheitssystem einschließlich eines Frühwamrnechanismus gestärkt, so nimmt damit auch die subjektive Sicherheit zu. Der Weltfrieden und die internationale Sicherheit sind mithin zwei unterschiedliche, aber miteinander verbundene Konzepte. 13 Die FördeWolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 6. Vetschera, S. 150-152; Wolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 6; s. auch "An Agenda for Peace" (s. oben Fn. 10 im 7. Kapitel), S. 3, Par. 12. 8 Vetschera, S. 146-148; Wolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 6 f.; zum System kollektiver Sicherheit auch Delbrack, Collective Security, S. 105. 9 Dabei sind die meisten dieser Systeme auf das Friedenselement der Abwesenheit internationaler bewaffueter Gewalt ausgerichtet. 10 Verosta, S. 534. 11 s. zu der präventiven Funktion des Sicherheitsrates oben S. 193. 12 H.-J. Schutz, in: Simma, Art. 26, Rz. 30; Wolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 10. 13 So auch Wolfrum, in: Simma, Art. 1, Rz. 4. 6 7
12. Kapitel: Internationale Sicherheit
251
rung der objektiven internationalen Sicherheit hat das Ziel, eine dauerhafte Wahrung des Weltfriedens zu ermöglichen und damit gleichzeitig die subjektive Sicherheit zu stärken.
III. Die Aufgabe des Sicherheitsrates Die Vereinten Nationen sind als kollektives Sicherheitssystem ein Teil des Vorhabens, die dauerhafte Wahrung des Weltfriedens und die subjektive Sicherheit zu fördern. Kommt der Sicherheitsrat seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu wahren, durch die Abwehr von Friedensgefährdungen und -bedrohungen und die Beseitigung von Friedensbrüchen nach, so erfiillt er damit gleichzeitig die ihm im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit zugedachte Rolle. Der Rat stärkt die internationale Sicherheit, indem er zur Wahrung des Weltfriedens tätig wird.
IV. Ergebnis
Die Begriffe des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bezeichnen nicht denselben Gegenstand. Insofern war es keine Ungenauigkeit der Verfasser der Charta der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat in Art. 24 Abs. I ChVN die Wahrung sowohl des Weltfriedens als auch der internationalen Sicherheit zu übertragen. Indes hat dies nicht zur Folge, daß der Sicherheitsrat zwei selbständige Aufgabenbereiche abzudecken hat. Vielmehr hat sein Tätigwerden zur Wahrung des Weltfriedens ipso facto zur Folge, daß auch die internationale Sicherheit gewahrt wird.
Ergebnis des ersten Teils Der Begriff des Weltfriedens im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN beschreibt einen Zustand, der frei von der Ausübung internationaler bewaffneter Gewalt und von extremem, durch Gewaltanwendung verursachtem menschlichem Leiden ist. Der Begriff der internationalen Sicherheit weist einen objektiven und einen subjektiven Aspekt auf. Subjektiv bedeutet internationale Sicherheit die Ge-
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1. Teil: Weltfrieden und internationale Sicherheit
währ, daß der Weltfrieden nicht gebrochen oder zumindest ein Friedensbruch sich nicht unkontrolliert ausweiten werde. Objektiv besteht internationale Sicherheit, wenn durch Vorkehrungen im Rahmen der internationalen Beziehungen dafür Sorge getragen wurde, daß es nicht zu einem Friedensbruch kommen kann. Im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen setzt sich der Sicherheitsrat für die Wahrung des Weltfriedens ein und erhöht damit gleichzeitig die internationale Sicherheit in ihrem objektiven und ihrem subjektiven Aspekt.
Zweiter Teil
Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch den Sicherheitsrat 13. Kapitel Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wird in Art. I Ziff. 1 ChVN als erstes Ziel der Vereinten Nationen genannt. Durch die Aktivitäten zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit soll der Zustand der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens gewährleistet werden. Diese Aktivitäten können in verschiedenen Stadien eines möglichen Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit entfaltet werden.
I. Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Friedensbrüchen Die Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr eines Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sind ein zentraler Bereich der Aktivitäten zur Friedenswahrung. Zu diesen Maßnahmen zählen die Bemühungen des Sicherheitsrates zur Beseitigung von Friedensgefahrdungen und -bedrohungen' gemäß Kapitel VI und VII der Charta der Vereinten Nationen. Da die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und extremer menschlicher Notsituationen auch von der Entwicklung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und humanitären Gegebenheiten abhänI Es ist anzwnerken, daß gemäß der Terminologie des Sicherheitsrates (s. dazu oben S. 146) eine Friedensbedrohung auch dann bestehen kann, wenn der Weltfrieden bereits gebrochen ist. Die Maßnahmen des Rates haben in diesem Fall keinen präventiven, sondern repressiven Charakter.
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
gig ist,2 sind auch die Maßnahmen der Organe der Vereinten Nationen in diesen Bereichen zu nennen. Sie dienen der Beseitigung der kriegsfördernden Faktoren politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Ursprungs. Es handelt sich um strukturelle Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, die auf eine langfristige und dauerhafte Verbesserung der Gegebenheiten angelegt sind. 3
IL Die Beseitigung von Friedensbrüchen In Art. I Ziff. I der Charta der Vereinten Nationen erklären die Mitgliedstaaten es zu ihrem Ziel, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit "zu wahren".4 Angesichts dieser Formulierung, die sich auch in Abs. 6 der Präambel und in Art. 24 Abs. 1 Ch VN wiederfindet, könnte der Schluß gezogen werden, daß sich der Aufgabenbereich der Organe der Vereinten Nationen nicht auf den Fall eines Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erstreckt, da der bereits gebrochene Frieden nicht mehr gewahrt werden kann. 5 Ein derartiges Auslegungsergebnis erschiene aber nicht nur defätistisch, sondern vernachlässigte auch eine Reihe von in der Charta enthaltenen Hinweisen darauf, daß es sich bei der in Frage stehenden Formulierung lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handelt. So heißt es in Art. 1 Ziff. 1 ChVN nach der Nennung des Ziels der Friedenswahrung, daß zu diesem Zweck wirksame Kollektivrnaßnahmen getroffen werden können, um unter anderem "Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrükken". Demnach muß der Begriff der Wahrung in Art. 1 Ziff. 1 ChVN im Sinne von "Wahrung oder Wiederherstellung" verstanden werden. Auch die Befugnis des Sicherheitsrates, gemäß Art. 39 ChVN einen Friedensbruch oder eine Angriffshandlung festzustellen und daraufhin Maßnahmen des Kapitels VII der Charta zu ergreifen, wäre unverständlich, wenn die Beseitigung von Brüchen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht in den Aufgabenbereich des Rates fiele, wie er in Art. 24 Abs. 1 ChVN bestimmt wird. Art. 39 ChVN gibt darüber hinaus als Zielsetzung der Maßnahmen des Kapitels VII ausdrücklich die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedazu oben S. 173. So P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S.46; ders., Organisation de la paix, S.623. 4 "To maintain", "maintenir". S Darauf weist Kelsen, United Nations, S. 13, in bezug auf die authentische englische Fassung hin. 2 S.
3
13. Kapitel: Begriff der Wahrung
255
dens und der internationalen Sicherheit6 an. Schließlich spricht Art. 51 Ch VN davon, daß der Sicherheitsrat im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ein Mitglied der Vereinten Nationen die zur "Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen" ergreifen kann. Es ist offensichtlich, daß bei einem bewaffneten Angriff auf einen Mitgliedstaat der Frieden bereits gebrochen ist und nicht mehr im eigentlichen Sinne gewahrt werden kann. Der Begriff der Wahrung ist auch hier im Sinne der Wahrung und Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu verstehen. Dies gilt insgesamt für die Normen der Charta der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel gesetzt, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und im Falle eines Friedensbruchs wiederherzustellen. 7
III. Die Friedenskonsolidierung Neben den Bereichen der Prävention und der Repression von Friedensbrüchen ist als dritter Bereich der Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit die Friedenskonsolidierung zu nennen. Dieser Bereich erfaßt das Stadium nach der Beseitigung eines Friedensbruchs, also der Beendigung eines internationalen bewaffneten Konflikts oder einer extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Notsituation, oder nach der Abwendung einer konkreten Gefahr für den Weltfrieden. Es handelt sich um Maßnahmen der "Nachsorge"8 in der Konfliktfolgezeit. Die Aktivitäten zur Friedenskonsolidierung haben insofern einen Doppelcharakter, als daß sie einerseits der vollständigen Wiederherstellung eines stabilen Weltfriedens im Rahmen der Unterbindung einer geschehenen Gefährdung, Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens dienen9 und andererseits Vorkehrungen gegen erneute Friedensgefahrdungen, -bedrohungen oder -brüche darstellen. 10 Sie sind somit gleichzeitig in die Vergangenheit und die Zukunft gerichtet.
6 "To maintain or restore international peace and security", "pour maintenir ou n!tablir la paix et la securite internationales". 7 So auch Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 151; D. ehr. DickelRengeling, S. 26 f.; Verdross, Völkerrecht, S. 509. 8 Diesen Ausdruck verwendet Herdegen, S. 105 u. 116. 9 UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, in: "An Agenda for Peace" (s. oben Fn. 10 im 7. Kapitel), S. 6, Par. 21. 10 Thierry, S. 379.
256
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
UN-Generalsekretär Boutros-Ghali entwickelte in seiner "Agenda für den Frieden" das Konzept der Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit. 11 Er nennt als mögliche Maßnahmen nach dem Ende eines internationalen bewaffneten Konflikts die Verstärkung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit, die Erleichterung der Reisemöglichkeiten und organisierte Besuche von Staatsangehörigen im jeweils anderen Land. Nach dem Ende eines internen Konflikts kommen die Entwaffnung und Demobilisierung der Kombattanten, die Aus- und Weiterbildung von Sicherheitspersonal, die Repatriierung von Flüchtlingen, die Beobachtung von Wahlen und Programme zur Förderung des Schutzes der Menschenrechte in Betracht. Die Aufgabe der Organe der Vereinten Nationen ist es, diese Möglichkeiten sowie die dazu benötigten vorhandenen Strukturen zu erkennen und zu fördern. 12 Auf diese Weise versuchen die Vereinten Nationen, die Friedensdynamik durch die Hilfe bei der Wiederbelebung der betroffenen Gesellschaften aufrechtzuerhalten. 13
IV. Ergebnis
Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erfordert ein Tätigwerden der Organe der Vereinten Nationen im Vorfeld eines möglichen Friedensbruchs, zur Beseitigung von Friedensbrüchen und in der friedenskonsolidierenden Phase der Konfliktfolgezeit.
"Post-conflict peace-building". UN-Genera1sekretär Boutros-Ghali, in: "An Agenda for Peace" (s. oben Fn. 10 im 7. Kapitel), S. 16, Par. 55 f. 13 UN-Genera1sekretär Boutros-Ghali in seinem Tätigkeitsbericht 1995 (s. oben Fn. 14 in der Einleitung), S. 63, Par. 491. 11
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14. Kapitel
Die Kriterien für die Bestimmung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates I. Problemstellung Die Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit fallen gemäß dem System der Charta der Vereinten Nationen nicht ausschließlich in den Verantwortlichkeitsbereich des Sicherheitsrates, dem gemäß Art. 24 Abs. 1 ChVN nicht die alleinige, sondern die "Hauptverantwortung" zugewiesen ist. Auch die Generalversammlung kann sich gemäß Art. 10, 11 und 14 ChVN mit Fragen der Friedenswahrung befassen. Es ist zu untersuchen, wie der Aufgabenbereich des Rates von demjenigen der Generalversammlung abzugrenzen ist. Bei der Bestimmung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates ist neben dem Gesichtspunkt der Aufgabenzuweisung an mehrere Organe im Bereich der Friedenswahrung auch zu beachten, daß andere, eigenständige Aufgaben wie der Menschenrechtsschutz und die Förderung der Wirtschaft Auswirkungen auf die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit haben. Strukturell-langfristige Aktivitäten zur Verbesserung der humanitären, sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Situation haben eine friedensbewahrende oder -konsolidierende Wirkung und können deshalb als friedenswahrende Maßnahmen im präventiven oder postkonfliktuellen Bereich bezeichnet werden. Es ist fraglich, ob der Sicherheitsrat, der grundsätzlich keine Zuständigkeit für diese Aufgabenbereiche besitzt, unter dem Aspekt der Wahrung des Weltfriedens dennoch in diesen Bereichen tätig werden kann.
17 Lailach
258
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
11. Die Kriterien für die Abgrenzung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates zu denjenigen anderer Organe 1. Die Beschränkung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates
auf die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt
Eine verbreitete Meinung nimmt an, daß dem Sicherheitsrat gemäß Art. 24 Abs. I ChVN nur die Aufgabe zufalle, die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu gewährleisten. Die Behandlung sozialer und wirtschaftlicher Fragen einschließlich extremer menschlicher Notsituationen falle hingegen in den Zuständigkeitsbereich der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates. 1 Die Begründung für dieses Konzept kann nur auf den Begriff der Wahrung und nicht auf den in Art. 24 Abs. I ChVN verwendeten Begriff des Weltfriedens gestützt werden, weil dieser, wie dargelegt wurde, neben der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt auch die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens erfaßt. Da der Begriff der Wahrung an sich wenig zu einer Klärung beiträgt,2 wird nur eine Untersuchung des Systems der Charta der Vereinten Nationen zum Erfolg führen können. Es wird vorgebracht, daß die Beschränkung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates auf die Sicherung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt notwendig sei, um eine Grenzverwischung und Kollisionen mit den Aufgabenbereichen anderer Organe der Vereinten Nationen zu vermeiden. 3 Dieses Argument ist aber nur dann stichhaltig, wenn als Alternative zu diesem Konzept nur die Anwendung des weiten Friedensbegriffs des allgemeinen Völkerrechts und der Friedensforschung,4 also der Einschluß der innerstaatlichen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Friedensbegriff, anerkannt wird. Dann wäre in der Tat faktisch eine Allzuständigkeit des Sicherheitsrates gegeben. Doch erscheint durchaus eine hinreichend präzise Abgrenzung der Aufgabenbereiche möglich, wenn der Begriff des Weltfriedens auf die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt und extremer, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Notsituationen beschränkt wird. Wie noch auszuführen sein wird,5 bestehen bei diesem Begriffsvers. oben Fn. 1 im 7. Kapitel. s. oben S. 253 zur Weite dieses Begriffs. 3 Baroni, S. 99 f.; D. ehr. DickelRengeling, S.20; Frowein, Diskussionsbeitrag, S. 94; ders., Friedenssichenmg, S. 48; ders., in: Simma, Art. 39, Rz. 6. 4 s. dazu oben S. 28. 5 s. unten S. 267. I
2
14. Kapitel: Kriterien zur Bestimmung des Aufgabenbereichs
259
ständnis neben dem Aufgabenbereich des Sicherheitsrates eigenständige Aufgabenbereiche der anderen Organe der Vereinten Nationen. Des weiteren wird argumentiert, daß die Betrachtung des dem Sicherheitsrat zur Verfügung gestellten Instrumentariums, insbesondere der in Kapitel VII der Charta gewährten Möglichkeit der Zwangsmaßnahmen, zu dem Schluß führe, daß dem Rat nur die Funktion der Verhinderung und Beseitigung von akuter internationaler bewaffneter Gewaltanwendung zufalle. 6 Es wird noch zu untersuchen sein, inwieweit der Aufgabenbereich des Sicherheitsrates auf die unmittelbare Verhinderung und Beseitigung konkreter und akuter Gefahren für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit beschränkt ist.? Unbeschadet dieser Frage kann aus der Art der dem Sicherheitsrat erteilten Befugnisse nicht gefolgert werden, diese dienten nur der Abwehr internationaler bewaffneter Gewalt. Da sowohl die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt als auch die Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens Elemente des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sind und zwischen diesen beiden Elementen kein hierarchischer Unterschied besteht, kann nicht angenommen werden, daß der Sicherheitsrat nur die Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt mit Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen durchsetzen können soll, nicht aber die Abwesenheit extremer menschlicher Notsituationen. Es ist allerdings zu überlegen, ob die Gewährleistung der Abwesenheit extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Leidens deshalb die Aufgabe der Generalversammlung und des Wirtschafts- und Sozialrates ist, weil diese gemäß Art. 13 ChVN bzw. Art. 62 ChVN für die Förderung der Menschenrechte und des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts zuständig sind. Die beiden Organe beschäftigen sich demnach mit Mißständen in diesen Bereichen, unter denen extreme menschliche Notsituationen die schwerwiegendste Form darstellen. Dieser Ansatz basiert auf einer strikten Trennung der Aufgabenbereiche der verschiedenen Organe der Vereinten Nationen nach Materien, mit der Folge, daß alle mit Menschenrechten und wirtschaftlichen und sozialen Fragen in Zusammenhang stehenden Probleme von der Generalversammlung und dem Wirtschafts- und Sozialrat zu behandeln wären, während der Sicherheitsrat sich ausschließlich mit dem Fragenkreis internationaler bewaffneter Konflikte zu beschäftigen hätte. Eine derartig strikte Trennung steht jedoch nicht mit dem System der Charta der Vereinten Nationen in Einklang. Art. 10 ChVN erteilt der Generalversammlung die Befugnis, alle in den 6 ?
17*
D. ehr. DickelRengeling, S. 20; Schaefer, S. 18. s. dazu unten S. 267.
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
Rahmen der Charta fallenden Angelegenheiten zu behandeln. Mithin kann sich dieses Organ auch mit den Fragen der Anwendung internationaler bewaffneter Gewalt auseinandersetzen. Umgekehrt sind auch dem Sicherheitsrat nicht nur Aufgaben zugewiesen, die mit internationalen bewaffneten Konflikten in Zusammenhang stehen. 8 So hat er beispielsweise gemäß Art. 83 ChVN die Aufgabe, über die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und erzieherischen Angelegenheiten der strategischen Zonen, einer Sonderform der Treuhandgebiete, 9 zu wachen. Aus diesen Gründen ist das dargestellte Konzept abzulehnen. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß keine Gründe dafür ersichtlich sind, die in Art. 24 Abs. 1 ChVN dem Sicherheitsrat zugewiesene Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auf die Gewährleistung der Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt zu begrenzen. Der Sicherheitsrat ist für die Sicherung dieses Elements des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ebenso verantwortlich wie für die Abwesenheit extremer, durch Gewaltanwendung verursachter menschlicher Notsituationen. 2. Die Begrenzung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates anhand des Grades der Gerährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
Das Verhältnis der Aufgabenbereiche der Organe der Vereinten Nationen erschließt sich über einen Vergleich der den Organen zur Verfügung stehenden Befugnisse. Die Generalversammlung ist gemäß den Artikeln 10 bis 14 Ch VN darauf beschränkt, Empfehlungen abzugeben. Soweit die Situation Fragen im wirtschaftlichen, sozialen oder humanitären Bereich einschließlich des Menschenrechtsschutzes aufwirft, weil die Ursachen oder Folgen des Konflikts in einem dieser Bereiche liegen, steht das gleiche Recht gemäß Art. 62 ChVN auch dem Wirtschafts- und Sozial rat zu. Demgegenüber ist der Sicherheitsrat mit wesentlich wirkungsvolleren Mitteln ausgestattet. Er hat im Rahmen des Kapitels VII der Charta die Möglichkeit, nichtmilitärische oder militärische Zwangsmaßnahmen zu beschließen. Dieser Unterschied in der Ausstattung mit Befugnissen weist darauf hin, daß es die Aufgabe des Sicherheitsrates sein soll, in Situationen tätig zu werden, in denen unverbindliche Stellungnahmen und Empfehlungen nicht mehr genügen. Dieses Konzept ist auch in Art. 11 Abs. 2 ChVN erkennbar. Gemäß 8 9
Darauf weist auch Kewenig, Bindungswirkung, S. 271, hin. s. dazu Rauschning, in: Simma, Art. 82, Rz. 1.
14. Kapitel: Kriterien zur BestinunWlg des Aufgabenbereichs
261
dieser Bestimmung überweist die Generalversammlung Fragen, die die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffen, an den Sicherheitsrat, wenn diese Fragen Maßnahmen erfordern, das heißt verbindliche Zwangsmaßnahmen, die ausschließlich dem Sicherheitsrat zur Verfügung stehen. lo Die Verantwortung für die Behandlung der Situation und somit für die Abwehr der Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit geht auf den Sicherheitsrat über. Die Generalversammlung hat sich während des Tätigwerdens des Rates gemäß Art. 12 Abs. 1 ChVN weiterer Empfehlungen zu enthalten. I I Es ist sowohl dem Art. 11 Abs. 2 ChVN als auch der teleologischen Betrachtung der Befugnisausstattung des Sicherheitsrates zu entnehmen, daß der Sicherheitsrat dann auf den Plan tritt, wenn eine Situation zu einem solchen Grad an Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit führt, daß das Handeln eines auf Empfehlungen beschränkten Organs nicht mehr die Wahrung des Friedens zu gewährleisten vermag. 12 Seine Aufgabe besteht darin zu gewährleisten, daß der Weltfrieden und die internationale Sicherheit nicht durch Staaten oder andere Akteure gestört werden, die nicht bereit sind, den Empfehlungen der Generalversammlung oder gegebenenfalls auch des Wirtschafts- und Sozialrates Folge zu leisten. In einem System effizienter Friedenswahrung ist es unerläßlich, ein Organ mit dieser Aufgabe zu betrauen. Fehlte dieses Element, so hätte dies nicht nur die nachteilige Konsequenz, daß akute Gefahrdungen oder gar Brüche des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht wirksam verhindert werden könnten, sondern darüber hinaus auch, daß die Resultate der bereits von der Organisation geleisteten langfristig-strukturellen Bemühungen zur Friedenswahrung der Gefahr der Zerstörung ausgesetzt wären. 13
10 IGH, in: Certain expenses 0/ the United Nations (Article 17, paragraph 2, 0/ the Charter), Advisory Opinion of 20 July 1962, LC.J. Reports 1962, S. 151 (164 f.); s. auch Hailbronner/E. Klein, in: Sinuna, Art. 10, Rz. 32, Wld Art. 11, Rz. 31. 11 Hailbronner/E. Klein, in: Sinuna, Art. 12, Rz. 4; zu der Praxis der Generalver-
sanunlWlg s. Wlten die ArunerkWlg in Fn. 17. 12 So auch Alston, S. 139 u. 171; Hailbronner/E. Klein, in: Sinuna, Art. 11, Rz. 31; Ramcharan, S. 36; Tomuschat, Obligations, S. 342. 13 Dieser EtTektivitätsgesichtspunkt kann im übrigen als weiteres Argument dafür herangezogen werden, daß der Weltfrieden im Sinne des Art. 24 Abs. 1 ChVN Wld des Kapitels vn der Charta auch die Abwesenheit extremen, durch GewaltanwendWlg verursachten menschlichen Leidens umfaßt: Die VorstellWlg, daß die Vereinten Nationen sich in vielfältiger Weise um den Schutz der Menschenrechte Wld die Verbesserung der sozialen, humanitären Wld wirtschaftlichen BedingWlgen bemühen, aber angesichts einer Situation extremen menschlichen Leidens, in der die aufgebauten Strukturen Wld anderen erreichten Verbesserungen auf dem Spiel stehen, tatenlos
262
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
Nimmt die Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit eine Stärke an, die den Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsrates eröffnet,14 so überlagert diese Zuständigkeit die der Generalversammlung im Bereich der Friedenswahrung. Die Hauptverantwortung, die dem Sicherheitsrat in Art. 24 Abs. 1 ChVN zugewiesen wird, bedeutet nicht nur den qualitativen Vorrang des Rates, der als einziges Organ mit der Befugnis zu bindenden Entscheidungen 15 und vor allem zu Zwangsmaßnahmen gemäß Art. 41 oder 42 ChVN ausgestattet ist, sondern auch den zeitlich-verfahrensmäßigen Vorrang. 16 Dementsprechend ist die Generalversammlung gemäß Art. 12 Abs. 1 ChVN verpflichtet, zu Fragen der Friedenswahrung keine Empfehlungen abzugeben, solange sich der Sicherheitsrat mit der Situation befaßt. Dies führt allerdings nicht dazu, daß sich die Generalversammlung überhaupt nicht mehr mit der Situation auseinandersetzen dürfte. Die Diskussion der Angelegenheit ist ihr durch Art. 12 Abs. 1 ChVN nicht verwehrt. Auch kann sie Aktivitäten im Hinblick auf Aspekte der Situation entfalten, die nicht unmittelbar die Abwehr der konkreten Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit betreffen, etwa zu Fragen des Menschenrechtsschutzes. 17 Ein anschauliches Beispiel bietet in diesem Zusammenhang die Krise in Haiti. Der Sicherheitsrat hatte die Auswirkungen der Situation in Haiti nach dem Putsch gegen Präsident Aristide am 16. Juni 1993 in Resolution S/RES/841 (1993) als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gekennzeichnet. 18 Dessenungeachtet behandelte die Generalversammlung in ihrer im September 1993 begonnenen achtundvierzigsten Sitzusehen, obwohl mit dem Sicherheitsrat ein prinzipiell handlungsfiUriges Organ bereitsteht, erscheint nicht sehr überzeugungskräftig. 14 Zur Bestimmung dieses Grades s. unten S. 267. 15 Gemäß Art. 25 ChVN. 16 So auch Delbrllck, in: Simma, Art. 24, Rz. 9. Auf den zweiten Aspekt beschränkt sich Degni-Segui, in: CotlPellet, Art. 24, S. 452 f. 17 Hailbronner/E. Klein, in: Simma, Art. 12, Rz. 18 f.; soweit die friedensstörende Situation Gegenstände berührt, die den sich aus Art. 62 ChVN ergebenden Aufgabenbereich des Wirtschafts- und Sozialrates berühren, kann auch dieses Organ tätig werden. Es kann hier nicht der Frage nachgegangen werden, ob die sehr liberale Auslegung des Art. 12 Abs. 1 ChVN durch die Generalversammlung satzungsgemäß ist, der zufo1ge sie auch Empfehlungen zu den friedenswahrenden Aspekten abgeben könne, soweit sie sich dadurch nicht in offenen Widerspruch zum Sicherheitsrat setze, sondern ihn "unterstütze". S. etwa die Resolution AlRES/471121 vom 18.12.1992, in der der Sicherheitsrat aufgefordert wird zu beschließen, daß Bosnien-Herzegowina vom Waffenembargo ausgenommen werde. Vgl. zu dem Problemkreis allgemein Hailbronner/E. Klein, in: Simma, Art. 12, Rz. 20-22; sowie speziell zu den Jugoslawien Resolutionen der Generalversammlung Ratner, Image, S. 434. 18 s. dazu oben S. 112.
14. Kapitel: Kriterien zur Bestimmung des Aufgabenbereichs
263
zung weiterhin "die Situation der Demokratie und der Menschenrechte in Haiti". In Resolution AlRES/48/27 A vom 6. Dezember 1993 heißt es: "The General Assembly
( ... ),
Recognizing the importance ofthe measures adopted by the Security Council with a view to reaching a settlement ofthe Haitian crisis, ( ... ), I. Strongly condemns again the attempt to replace unlawfully the constitutional President of Haiti, the employment of violence and military coercion and the violation of human rights in that country; ( ... )."
Auch die Verantwortung für die "International Civilian Mission" (MICIVIH), also der von den Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten gemeinsam aufgestellten Expertengruppe zur Überwachung der Beachtung der Menschenrechte in Haiti, deren UN-Komponente im April 1993 von der Generalversammlung errichtet worden war,19 verblieb bei dem Plenarorgan der Vereinten Nationen. Dementsprechend war es die Generalversammlung, die am 8. Juli 1994 durch Resolution AlRES/48/27 B das Mandat verlängerte. 20 Der Aufgabenbereich des Sicherheitsrates wird durch das Kriterium, daß der Grad der Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit das Handeln eines mit wirkungsvollen Instrumenten ausgestatteten Organs erfordert, nicht nur begrundet, sondern auch begrenzt. Eine darüber hinausgehende Ausdehnung seines Zuständigkeitsbereiches führte zu einer Überlagerung des gesamten Aufgabenbereiches der Generalversammlung in bezug auf die Friedenswahrung, für die keine Notwendigkeit besteht und die unter dem Gesichtspunkt der Funktionsverteilung zwischen dem Plenarorgan Generalversammlung und dem Sicherheitsrat als einem Organ ohne Repräsentanz aller Mitgliedstaaten bedenklich wäre. 21 In Frage stünde das Prinzip der Gewaltens. Resolution AlRES/47/20 B vom 20.04.1993. Dies hatte zur Folge, daß in Haiti gleichzeitig die vom Sicherheitsrat errichtete UNMlli und die der Generalversammlung unterstehende MICIVIH agierten. Beide Gruppen standen unter der Leitung des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Haiti; s. dazu beispielsweise den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 21.09.1993 (UN-Dok. S/26480), S. 4, Par. 18 f. 21 s. die Stellungnahme Simbabwes (UN-Dok. SIPV. 3105, S. 11): "[ ... ] my delegation expressed the need for caution in the manner the Council interprets its mandate. Indeed, it can be argued that everything that happens has a bearing on international peace and security. This kind of approach would c1early render other organs of the Organization redundant. 11 Ähnlich auch die Stellungnahmen Indiens (UN-Dok. SIPV.2982, S. 63) und Kubas (UN-Dok. SIPV. 2982, S. 46). 19
20
264
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
teilung, das auch im Rahmen des Organgefiiges der Vereinten Nationen zu beachten ist. 22 Zudem bestünde im Falle der faktischen Allzuständigkeit des Sicherheitsrates die Gefahr der Ineffektivität dieses Organs. 23 Die Begrenzung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates auf Situationen, in denen die Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit einen bestimmten Grad erreicht hat, entspricht dem Selbstverständnis der Mitglieder des Rates. So führte der britische Premierminister Major in seiner Eigenschaft als Präsident des Sicherheitsrates am 31. Januar 1992 im Namen der Mitglieder aus: "The absence of war and military conflicts amongst States does not in itself ensure international peace and security. The non-military sources of instability in the economic, social, hurnanitarian and ecological fields have become threats to peace and security. The United Nations membership as a whole, working through the al'propriate bodies, needs to give the highest priority to the solution ofthe matters. ,,2
Aus dem Hinweis, daß die zuständigen Organe25 das Problem der friedensstörenden Faktoren zu behandeln und daß sämtliche Mitgliedstaaten daran mitzuwirken hätten, ist ersichtlich, daß diese Aufgabe nicht ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Sicherheitsrates fallen soll. Aufschlußreich sind auch die Debatten, die die Mitglieder des Sicherheitsrates bei der Behandlung der Frage der Kurdenverfolgung im Irak führten. Anläßlich der Verabschiedung der Resolution S/RES/688 (1991), in der die internationalen Auswirkungen der Verfolgung als Friedensbedrohung eingestuft wurden,26 trugen einige Delegierte vor, fiir die Fragen der humanitären Situation und der Menschenrechtsverletzungen im Irak sei nicht der Rat, sondern andere Organe der Vereinten Nationen zuständig. 27 Die Mehrheit der Sicherheitsratsmitglieder war jedoch der Ansicht, die Angelegenheit falle in den Aufgabenbereich des Rates. Der Vertreter Ecuadors gab in klarer Weise den Grund dafiir an:
22 So P.-M. Dupuy, Organisation de la paix, S. 624 u. 626; Frowein, Diskussionsbeitrag, S. 94; Kirsch, S. 19. 23 So Ghebali, S. 114, mit Hinweis auf den Völkerbundrat; ähnlich auch Alston, S. 171. 24 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.01.1992 (UN-Dok. S/23500), S. 3. 25 "Appropriate bodies". 26 s. dazu oben S. 72. 27 Indien (UN-Dok. SfPV. 2982, S. 63); Kuba (UN-Dok. SfPY. 2982, S. 46); Simbabwe (UN-Dok. SfPY. 2982, S. 31 f.).
14. Kapitel: Kriterien zur Bestirrunung des Aufgabenbereichs
265
"It might be said that ( ... ) the Security Council would not be the OOdy competent to take (the measures), given that Chapter IX ofthe Charter says that it is the General Assembly or the Economic and Social Council which would be the competent 00dies in such situations. lbis would be so - I repeat - if we were dealing solely with a case ofviolation ofhuman rights by a country within its own frontiers; however, ( ... ) this is a situation which affects international peace and security, and I therefore believe that the Council is competent to take a stand and to act by taking steps to put an end to this situation. ,,28
Im August 1991 diskutierten die Mitglieder des Sicherheitsrates die Frage, ob der Rat gemäß Regel 39 seiner Geschäftsordnung Herrn van der Stoel einladen dürfe, der im Auftrag der Menschenrechtskomrnission der Vereinten Nationen einen Bericht über die Lage der Menschenrechte im Irak angefertigt hatte. Es wurde in deutlichen Worten vorgetragen, daß der Sicherheitsrat nicht die Aufgabe habe, sich mit Menschenrechtsfragen an sich zu befassen: "The Council can focus its legitimate attention on the threat or likely threat to peace and stability in the region but it cannot discuss human ri~ts situations per se or make recorrunendations on matters outside its competence." 9 "The Chinese delegation is of the view that the competence of the Security Council is to deal with maUers bearing upon international peace and security. Questions of human rights ought to be dealt with by the Corrunission on Human Rights. ,,30
Auch der Delegierte aus Ecuador bemühte sich herauszustellen, daß der Sicherheitsrat grundsätzlich keine Zuständigkeit für Fragen der allgemeinen Lage der Menschenrechte in bestimmten Staaten habe: "Therefore, since the Security Council does not have competence in maUers relating to human rights, it would not be possible for it either to examine the report of Mr. van der Stoel or to take a stand on it. ( ... ) The Council decided to act on this maUer (by adopting resolution 688), which is not normally part of its competence, because a phenomenon had come about that could affect international peace and security ( ... ). Ecuador therefore understands that the invitation to Mr. van der Stoel does not in any way affect or increase the normal authority of the Council, because this invitation falls within the scope of aresolution already adopted, and should be understood to reflect all the limitations inherent in that resolution itself. ,,31
An diesen Beispielen wird deutlich, daß der Sicherheitsrat keine Allzuständigkeit besitzt, sondern nur im Falle einer hinreichenden Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit tätig werden kann. Es wird auch Ecuador (UN-Dok. SfPV. 2982, S. 36). Indien (UN-Dok. SfPY. 3105, S. 6). 30 China (UN-Dok. SfPV. 3105, S. 12); ähnlich auch Simbabwe (UN-Dok. SIPY. 3105, S. 11). 31 Ecuador (UN-Dok. SfPY. 3105, S. 8-10). 28
29
266
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
anschaulich, daß bei der Bewertung der jeweiligen konkreten Situation im Hinblick auf den ihr immanenten Gefahrdungsgrad die Mitglieder des Sicherheitsrates keineswegs in gleichförmiger Weise die Erweiterung des Aufgabenbereichs des Rates auf Kosten der anderen Organe der Vereinten Nationen anstreben und nur diese anderen Organe dem entgegenzuwirken versuchen, sondern vielmehr innerhalb des Rates insbesondere die nichtständigen Mitglieder bemüht sind, ein restriktives Verständnis des Zuständigkeitsbereichs des Sicherheitsrates durchzusetzen. Der Grad der Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, der den Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsrates eröffnet, ist deIjenige, der das Handeln eines Organs erfordert, das mit verbindlichen Anordnungen oder gar Zwangsmaßnahmen reagieren kann. Es wäre jedoch verfehlt, daraus abzuleiten, daß das Organ auch zur Reaktion mit derartigen Maßnahmen verpflichtet ist. 32 Selbst wenn der Sicherheitsrat die Maßnahmen der friedlichen Streitbeilegung des Kapitels VI der Charta der Vereinten Nationen in Anwendung bringt, die auch der Generalversammlung gemäß den Artikeln 10, 11 Abs.2 und 14 ChVN zur Verfügung gestanden hätten, handelt er mit größerer Autorität, da er im Falle des Scheiterns seiner Bemühungen das verbindliche Instrumentarium des Kapitels VII der Charta einsetzen kann. Zudem ist der Rat als zahlenmäßig beschränktes und jederzeit handlungsbereites Organ33 wesentlich flexibler als die Generalversammlung. Diese Vorteile des Handeins durch den Sicherheitsrat selbst in Bereichen, die auch der Generalversammlung eröffnet sind, blieben ungenutzt, wenn der Sicherheitsrat stets mit verbindlichen Maßnahmen reagieren müßte.
m. Ergebnis Der Sicherheitsrat ist ab dem Zeitpunkt für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verantwortlich, ab dem ein bestimmter Grad der Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ein wirkungsvolles Handeln erforderlich erscheinen läßt.
32 33
So auch Aiston, S. 139. s. Art. 28 ChVN.
15. Kapitel
Der Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen der Organe der Vereinten Nationen Es ist im Folgenden zu untersuchen, wie gemäß den Normen der Charta der Vereinten Nationen der Zeitpunkt bestimmt wird, ab dem aufgrund des Grades der Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit der Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsrates eröffnet ist. Dabei soll auf die drei Konfliktphasen abgestellt werden, die im Zusammenhang mit der Untersuchung der Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch die Vereinten Nationen I dargestellt wurden.
L Die Aufgaben des Sicherheitsrates angesichts eines Friedensbruchs Die Vermeidung von internationalen bewaffneten Konflikten und extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Notsituationen ist das oberste Ziel der Vereinten Nationen. 2 Ist dieses Ziel aufgrund eines Friedensbruchs vereitelt, so tritt an seine Stelle die schnellstmögliche Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Dieses Ziel verlangt, daß dem dafiir verantwortlichen Organ das gesamte Instrumentarium einschließlich der Möglichkeit des verbindlichen Beschlusses von Zwangsmaßnahmen militärischer oder nichtmilitärischer Art zur Verfiigung steht. Daher ist es folgerichtig, daß dem Sicherheitsrat in Art. 39 ChVN die Befugnis erteilt wird, die Feststellung eines Friedensbruchs zu treffen und daran anschließend gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen tätig zu werden.
I
2
s. oben S. 256. s. oben S. 182.
268
2. Teil: Wahnmg des Weltfriedens
11. Die Aufgaben des Sicherheitsrates im Vorfeld eines Friedensbruchs Im Bereich des Vorfeldes von Friedensbrüchen gestaltet sich die Bestimmung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates komplexer. Einen Hinweis geben die Befugnisnormen der Kapitel VI und VII der Charta der Vereinten Nationen. Ihnen zufolge ist der Sicherheitsrat ermächtigt, gegen Gefährdungen und Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit vorzugehen. Die Bedeutung des Begriffs der Friedensbedrohung wurde bereits ermittelt. Eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit liegt vor, wenn aufgrund einer konkreten Spannungslage zu prognostizieren ist, daß diese Situation zu einem Friedensbruch eskalieren könnte. 3 Es ist nun zu untersuchen, was unter einer Friedensgefahrdung zu verstehen ist. Die Verwendung zweier unterschiedlicher Begriffe zur Beschreibung von Situationen im Vorfeld eines Friedensbruchs scheint darauf hinzuweisen, daß zwei unterschiedliche Grade der Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit erfaßt werden. 4 Unter diesem Blickwinkel legen es die in Kapitel VII der Charta vorgesehenen, gegenüber Kapitel VI schärferen Maßnahmen nahe, die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als den höheren Gefahrdungsgrad zu betrachten. Dementsprechend wird vertreten, daß die Gefahr eines Friedensbruchs bei einer Friedensgefährdung nur latent bestehe, während sie im Falle einer Friedensbedrohung bereits zu einer unmittelbaren und offensichtlichen Gefahr eskaliert sei. 5 Der Versuch, die Friedensgefahrdung und die Friedensbedrohung abstrakt zu unterscheiden, stößt jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. Wie der Vertreter Polens anläßlich des Berichts des Unterausschusses des Sicherheitsrates zur Spanienfrage herausstellte, 6 beschreiben beide Situationen einen potentiellen Friedensbruch und erfordern daher eine Prognose, ob, wann und unter welchen Bedingungen dieser eintreten wird. Die Schwierigkeit besteht darin festzulegen, ab welcher Gefahrennähe die Gefahr von einer Friedensgefahrdung
s. oben S. 205. So Rajan, S. 126 f.; sowie der Unterausschuß des Sicherheitsrates zur Spanienfrage am 01.06.1946 im "Report of the Sub-Committee on the Spanish Question Appointed by the Security Council on 29 April 1946" (UN-Dok. SI75), S. 12; Frankreich (SCOR, 1. Jahr, 1. Serie, Nr.2, 44. Stzg. (06.06.1946), S. 322); Australien (SCOR, 1. Jahr, 1. Serie, Nr. 2,47. Stzg. (18.06.1946), S. 377). 5 Amtz, S. 48; Gordon, S. 577; Nowlan, S. 181; SchlUter, S. 252. 6 Polen (SCOR, 1. Jahr, 1. Serie, Nr. 2, 47. Stzg. (18.06.1946), S. 370). 3
4
15. Kapitel: Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen
269
in eine Friedensbedrohung umschlägt. Das Kriterium der expliziten Androhung internationaler militärischer Gewalt7 kann in diesem Zusammenhang nicht überzeugen. Durch dieses Kriterium werden die Bedrohungen nicht erfaßt, denen der Weltfrieden in Gestalt der Abwesenheit extremen menschlichen Leidens im Rahmen interner Konfliktsituationen ausgesetzt ist. Außerdem zeigt Art. 41 ChVN, der auch relativ schwache Maßnahmen wie den Abbruch der Verkehrsmöglichkeiten und der diplomatischen Beziehungen als Reaktionen auf eine Friedensbedrohung vorsieht, daß eine solche Friedensbedrohung nicht erst bei einem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch bewaffneter Feindseligkeiten vorliegen kann, da dann diese Maßnahmen wirkungslos wären. 8 Neben dem Problem der Abgrenzung der Friedensgefahrdung zur Friedensbedrohung besteht auch die Schwierigkeit, die Gefahrdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit von Situationen abzugrenzen, die sich zwar im weiteren Verlauf der Geschehnisse negativ auf den Erhalt des Friedens auswirken können, aber noch nicht die Intensität einer Friedensgefahrdung erreicht haben. Unter der Prämisse, daß Friedensgefahrdungen einen schwächeren Gefahrdungsgrad aufweisen als Friedensbedrohungen, können konkrete Spannungslagen nicht als Friedensgefahrdung betrachtet werden, da sie bereits als Voraussetzung einer Friedensbedrohung herangezogen werden. Die nächst schwächere Kategorie auf der Skala der Gefährdungslagen im Hinblick auf den Weltfrieden und die internationale Sicherheit sind Situationen, die als potentiell ursächlich für einen Friedensbruch angesehen werden können, ohne eine konkrete Spannungslage darzustellen. Vorausgesetzt wird eine Prognose aufgrund hypothetischer Kausalverläufe, die sich nur in geringem Maße an konkreten Faktoren orientieren kann. Dies hat zur Folge, daß praktisch jede Situation als potentiell ursächlich für einen zukünftigen Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit qualifiziert werden kann. 9 Könnten diese Situationen als Friedensgefahrdung eingestuft werden, so wäre eine Abgrenzung zu Situationen, die (noch) keine Friedensgefahrdung darstellen, nicht zu verwirklichen. Dies bedeutet für die verschiedenen Kategorien von Gefährdungsgraden, daß es neben der Kategorie der durch konkrete Spannungslagen erzeugten Bedrohungen des Weltfriedens nur die Kategorie der potentiell für einen zuVorgebracht von Arntz, S. 48, lUld Schlüter, S. 252. So auch Polen in seinem Vorbehalt vom 01.06.1946 zum "Report of the Sub-Committee on the Spanish Question Appointed by the Security COlUlcil on 29 Apri11946" (UN-Dok. SI75), S. 16. 9 s. dazu oben S. 202. 7
8
270
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
künftigen Friedensbruch ursächlichen Situationen gibt, durch die praktisch alle Situationen erfaßt werden. Die Abgrenzung einer dritten Kategorie ist nicht möglich. Die Friedensgefährdung kann daher nur entweder mit der Friedensbedrohung hinsichtlich des erforderlichen Gefährdungsgrades gleichgesetzt werden, oder jede Situation erfassen, in der Ursachen gesetzt werden, die im weiteren Verlauf zu einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit führen können. Die zweitgenannte Konzeption wird weder dem Wesen und den Fähigkeiten noch der Verantwortung des Sicherheitsrates gerecht.Der Rat ist auf eine Reaktion auf konkrete Krisen angelegt und nicht auf mittel- und langfristige Vorbeugung. Bei einer Gleichsetzung von Friedensgefährdungen mit Situationen, die für einen zukünftigen Friedensbruch potentiell ursächlich sind, wäre jedoch diese mittel- und langfristige Prävention von ihm gefordert. Dies führte nicht nur zu einer Überlastung des Rates, sondern auch zu einer Überschneidung mit dem Aufgabenbereich der Generalversammlung. In Art. 24 Abs. 1 eh VN wird zum Ausdruck gebracht, daß dies nicht das Bild der Charta vom Verhältnis von Sicherheitsrat und Generalversammlung ist. Die in dieser Bestimmung vorgenommene Aufgabenzuweisung geschieht auch im Hinblick auf die Abwehr von Friedensgefährdungen durch Maßnahmen des Kapitels VI zu dem Zweck, "ein schnelles und wirksames Handeln zu gewährleisten", also kurzfristige Gefahrenabwehr und nicht mittel- und langfristige Vorsorge zu leisten. Die Gründe, die gegen eine Einbeziehung der potentiell ursächlichen Situationen ohne konkrete Anzeichen einer Spannungslage in den Begriff der Friedensbedrohung vorgebracht wurden, \0 sprechen auch dagegen, die Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit diesen Situationen gleichzusetzen. Daher können die Bemühungen, die Friedensgefährdung und die Friedensbedrohung anband des Grades der Gefahr fiir den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu differenzieren, nicht überzeugen. II Die Friedensgefährdung setzt wie die Friedensbedrohung eine konkrete Spannungslage voraus. Der Sicherheitsrat hat diesem Ergebnis entsprechend in seiner Praxis keine Unterscheidung zwischen einer Gefährdung und einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit anband des Grades der Gefahr für den Weltfrieden getroffen. Dies wird besonders in den folgenden Fallbeispielen deutlich, in denen er praktisch unveränderte Situationen teils als Friedenss. oben S. 202. So auch Escher, S. 31; Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 17; Karaosmanoglu, S. 282; sowie Polen (SCOR, 1. Jahr, 1. Serie, Nr. 2, 47. Stzg. (18.06.1946), S. 370). 10
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15. Kapitel: Grenzverlaufzwischen den Aufgabenbereichen
271
gefahrdungen, teils als Friedensbedrohungen qualifizierte, um auf diese Weise politische Signale zu setzen oder auch sich das Instrumentarium des Kapitels VII der Charta zu eröffnen. In einer Reihe von Resolutionen beschäftigte sich der Sicherheitsrat mit dem weißen Minderheitsregime in Rhodesien, das im November 1965 einseitig die Unabhängigkeit Rhodesiens erklärt hatte. 12 Dieser Schritt wurde vom Sicherheitsrat am 20. November 1965 in Resolution SIRES/217 (1965) verurteilt. In dieser in Kapitel VI anzusiedelnden J3 Resolution führte der Rat unter anderem aus: "I. Determines that the situation resulting from the proclarnation of independence by the illegal authorities in Southern Rhodesia is extremely grave, that the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland should put an end to it and that its continuance in time constitutes a threat to international peace and security".
Als sich die politische Situation in Rhodesien über ein Jahr später nicht entsprechend den Forderungen des Sicherheitsrates geändert hatte, verabschiedete er am 16. Dezember 1966 Resolution SIRES/232 (1966), mit der er ein bindendes Wirtschaftsembargo gegen Rhodesien beschloß. Dort heißt es: "The Security Council,
C···),
Deeply concemed that the Council' s etTorts so far and the measures taken by the adrninistering Power have failed to bring the rebellion in Southern Rhodesia to an end, ( ... ), Acting in accordance with Articles 39 and 41 ofthe United Nations Charter, 1. Determines that the present situation in Southern Rhodesia constitutes a threat to international peace and security; ( ... )."
Wie sich auch aus den Diskussionen zu Resolution SIRES/232 (1966) ergibt,14 war es gerade das unveränderte Andauern der Situation in Rhodesien, das den Sicherheitsrat veranlaßte, nun zur Verhängung von Zwangsmaßnahmen zu schreiten. Der Rat nahm nicht deshalb eine Friedensbedrohung an, weil sich die Lage verschärft hätte, sondern weil er angesichts einer unveränderten Lage und der Fruchtlosigkeit der milderen Mittel des Kapitels VI der 12 s. oben S. 58. 13
s. oben Fn. 43 im 5. Kapitel.
14 Vgl. die Stellungnahmen von Großbritannien (SCOR, 21. Jahr, 1331. Stzg.
(08.12.1966), S. 5 f., Par. 22), Argentinien (SCOR, 21. Jahr, 1332. Stzg. (09.12.1966), S. 14, Par. 54) und Pakistan (SCOR, 21. Jahr, 1335. Stzg. (13.12.1966), S. 18, Par. 79).
272
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
Charta der Vereinten Nationen zu den schärferen Maßnahmen des Kapitels VII übergehen wollte. Die Konstellation, daß der Sicherheitsrat bei einer unveränderten Situation von der Feststellung einer Friedensgefährdung zu der einer Friedensbedrohung überging, gerade weil die Situation trotz seiner Bemühungen im Rahmen des Kapitels VI unverändert blieb und er nun schärfere Maßnahmen einzusetzen beabsichtigte, findet sich auch in einer Reihe anderer Fälle. So beschäftigte sich der Sicherheitsrat seit 1960 mit dem Apartheidsystem in Südafrika, aber erst in Resolution SlRES/418 (1977) stellte er fest, daß dieses System eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle. Dabei hatte sich nicht die Situation in Südafrika verändert, sondern der politische Wille der Mitglieder des Sicherheitsrates. 15 Die immer wieder vorkommenden militärischen Übergriffe Südafrikas auf seine Nachbarstaaten wurden vom Sicherheitsrat mal als Friedensgefährdung, mal als Friedensbedrohung gekennzeichnet, abhängig von der Frage, wie stark sein Protest gegen ein derartiges Verhalten ausfallen sollte. 16 Der zwischen dem Iran und dem Irak seit 1980 ausgetragene bewaffnete Konflikt war in den Augen des Sicherheitsrates über lange Jahre eine Friedensgefährdung. 17 Erst in Resolution SlRES/598 (1987) stellte der Rat fest: "The Security Council, ( ... ), Deeply concemed that, despite its calls for a cease-fire, the conflict between the Is-
lamic Republic of Iran and Iraq continues unabated, with further heavy loss of hwnan life and material destruction, ( ... ), Determined to bring to an end all military actions between Iran and Iraq, ( ... ), Determining that there exists a breach of the peace as regards the conflict between Iran and Iraq, ( ... )."
White, S. 40. Vgl. fllr die Übergriffe Südafrikas auf Angola die Resolutionen SIRES/545 (1983), SIRES/546 (1984), SIRES/567 (1985) und SIRES/574 (1985) (Friedensgefährdung) sowie SIRES/447 (1979), SIRES/475 (1980), SIRES/571 (1985), SIRES/577 (1985) und SIRES/602 (1987) (Friedensbedrohung). 17 Die Standardformulierung lautete: "Deeply concemed about the prolongation of the conflict between the two countries, resulting in heavy losses of hwnan lives and considerable material damage and endangering peace and security,"; vgl. die Resolutionen SIRES/514 (1982), SIRES/522 (1982), SIRES/582 (1986) und SIRES/588 (1986). 15
16
15. Kapitel: Grenzverlaufzwischen den Aufgabenbereichen
273
Zu diesem Zeitpunkt war im Sicherheitsrat der politische Wille gereift, dem seit mehreren Jahren andauernden bewaffneten Konflikt ein Ende zu bereiten. Die nachhaltige Weigerung Libyens, den Forderungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs nachzukommen, die diese in Zusammenhang mit ihren Ermittlungen zu zwei Flugzeugabstürzen an Libyen gestellt hatten, und die in dieser Weigerung nach Ansicht des Sicherheitsrates zum Ausdruck kommende Unterstützung des internationalen Terrorismus durch Libyen18 wurde in Resolution S/RES/731 (1992) als Friedensgefährdung und in Resolution S/RES/748 (1992) als Friedensbedrohung eingestuft. In den Diskussionen zu letztgenannter Resolution wurde nicht auf neuere Entwicklungen seit Verabschiedung der Resolution S/RES/731 (1992) abgestellt, sondern die Friedensbedrohung in der Unterstützung des internationalen Terrorismus durch Libyen gesehen. 19 Dieser Sachverhalt hatte bereits der Resolution S/RES/731 (1992) zugrunde gelegen. In Angola weigerte sich die Oppositionsbewegung UNITA entgegen ihren Verpflichtungen aus dem mit der Regierung geschlossenen Friedensvertrag, das Ergebnis der 1992 durchgeführten und von den Vereinten Nationen überwachten Wahlen anzuerkennen. 2o Die von der UNITA begonnene Wiederaufnahme der bewaffneten Auseinandersetzungen wurde zunächst vom Sicherheitsrat im Rahmen des Kapitels VI verurteilt. 21 Da die UNlTA die Aufforderungen zum Abschluß eines Waffenstillstands nicht befolgte, wurde ihr in Resolution S/RES/851 (1993) die Verhängung eines ausschließlich gegen sie gerichteten Waffenembargos angedroht. Zum Beschluß dieses Embargos und somit zum Handeln unter Kapitel VII kam es dann in Resolution S/RES/864 (1993). Auch hier liegt die Situation vor, daß nicht eine eskalierende Lage den Sicherheitsrat zu diesem Schritt veranlaßte, sondern eine unveränderte Situation und die Nichtbeachtung seiner Aufforderungen durch die UNITA, deren Willen nun mittels der Zwangsmaßnahmen gebeugt werden sollte. 22 dazu oben S. 76. s. die Stellungnahmen Frankreichs (UN-Dok. SfPV.3063, S.73), Österreichs (UN-Dok. SfPV. 3063, S. 77), Ungarns (UN-Dok. SfPV. 3063, S. 76) und der Vereinigten Staaten (UN-Dok. SIPV. 3063, S. 66). 20 s. oben S. 123. 21 Vgl. die Resolutionen SIRES1785 (1992), SIRES/804 (1993), SIRES/811 (1993) und SIRES/834 (1993). 22 s. die Stellungnahmen Angolas (UN-Dok. SfPV. 3254, S. 17), Brasiliens (UN-Dok. SfPY. 3254, S. 49), Kap Verdes (UN-Dok. SfPV. 3254, S. 46), Namibias (UN-Dok. SfPY. 3254, S. 31), Tansanias (UN-Dok. SfPY. 3254, S. 86) und Nigerias (UN-Dok. SfPY. 3277, S. 13); s. dazu auch Theuermann, S. 153-155. 18 S.
19
18 Lailach
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
Die Analyse der Praxis des Sicherheitsrates führt zu dem Schluß, daß der Rat nicht von einer objektiven Unterscheidbarkeit der Friedensgefährdung des Kapitels VI und der Friedensbedrohung des Kapitels VII ausgeht. Auch im Falle von Friedensgefährdungen lag stets eine konkrete Spannungslage vor. Die Frage, ob eine solche Spannungslage als Friedensgefährdung oder -bedrohung zu bezeichnen ist, steht im Ermessen des Rates, wobei die entscheidenden Faktoren sind, ob er sich auch die Möglichkeit der Anwendung der Maßnahmen des Kapitels VII der Charta eröffnen möchte und welches politische Signal er auszusenden beabsichtigt. 23 Diese Praxis bestätigt, daß die Gefahrdung und die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sich nicht durch den Grad der Gefahr für den Frieden unterscheiden. Auch eine Friedensgefährdung setzt voraus, daß eine konkrete Spannungslage besteht. Liegt eine solche Spannungslage vor, so wird dadurch der Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsrates, der ihm in Art. 24 Abs. 1 ChVN zugewiesen ist, eröffnet. Dem Rat stehen dann theoretisch sowohl die Befugnisse des Kapitels VI als auch diejenigen des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen zur Verfügung. Es hängt von seinen politischen Zielsetzungen ab, welche Befugnisse er nutzt. Zudem ist für jede Handlung des Sicherheitsrates Voraussetzung, daß sich unter seinen Mitgliedern die gemäß Art. 27 Abs. 3 ChVN notwendige Mehrheit von neun Mitgliedern einschließlich aller fünf ständigen Mitglieder findet. Aus der Untersuchung der Friedensgefährdung und der Friedensbedrohung erschließt sich die Abgrenzung zu den Aufgabenbereichen der Generalversammlung und gegebenenfalls des Wirtschafts- und Sozialrates. Zwar ist es denkbar, daß dem Sicherheitsrat neben den in Kapitel VI und VII der Charta der Vereinten Nationen genannten Befugnissen auch sogenannte generelle Befugnisse zur Verfügung stehen, um seiner Aufgabe der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu genügen,24 doch führen die beiden Gesichtspunkte der notwendigen Abgrenzung zum Aufgabenbereich der Generalversammlung und der Arbeitsfähigkeit des Sicherheitsrates zu dem
So auch Skubiszewski, Use ofForce, S. 786; White, S. 38 f. Diese umstrittene Frage kann hier nicht entschieden werden; vgl. nur dafür IGH, in: Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), AdvisoI)' Opinion, I.C.J. Reports 1971, S. 16 (S. 52, Par. 110); sowie Castaneda, Legal EfTects, S. 75; Seyersted, S. 171; dagegen Richter Fitzmaurice in seiner abweichenden Meinung zu: Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), AdvisoI)' Opinion, I.C.J.Reports 1971, S.16(S.293, Par.1l2); sowie Frowein, in: Simma, Art. 39, Rz. 28; Verdross/Simma, § 159 (106 f.). 23
24
15. Kapitel: Grenzverlaufzwischen den Aufgabenbereichen
275
Schluß, daß auch diese Befugnisse, soweit sie bestehen, dem Rat nur unter der Voraussetzung verliehen sind, daß eine konkrete Spannungslage gegeben ist. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß im Vorfeld eines Friedensbruchs die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dann zur Aufgabe des Sicherheitsrates wird, wenn eine konkrete Spannungslage eine Eskalation der in Frage stehenden Situation zu einem Friedensbruch befiirchten läßt. Eine Situation, die zwar im weiteren Verlauf negative Auswirkungen auf den Erhalt des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit haben kann, aber (noch) keine konkrete Spannungslage darstellt, unterfällt nicht dem Aufgabenbereich des Sicherheitsrates.
m Die Aufgaben des Sicherheitsrates im Bereich der Friedenskonsolidierung
Der Sicherheitsrat ist der Auffassung, daß neben anderen Organen der Vereinten Nationen25 auch er selbst im Bereich der Friedenskonsolidierung, also nach der Beendigung des eigentlichen Friedensbruchs oder der Abwendung der unmittelbaren Gefahr, tätig werden könne: "The members of the Council note that United Nations peace-keeping tasks have increased and broadened considerably in recent years. Election monitoring, human rights verification and the repatriation of refugees have in the settlement of some regional conflicts, at the request or with the agreement of the parties concerned, been integral Earts of the Security Council's etTort to maintain international peace and security." 6
Es ist im Folgenden zu untersuchen, ob sich der dem Sicherheitsrat in Art. 24 Abs. 1 eh VN zugewiesene Aufgabenbereich tatsächlich auf diese Phase der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erstreckt. 25 Die Zuständigkeit anderer Organe wird in der folgenden Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 30.04.1993 (UN-Dok. S/25696, S. 2) ausdrücklich hervorgehoben: "In discharging its responsibilities in the prevention of breaches of peace and in the resolution of conflicts, the Security Council encourages coordinated action by other components ofthe United Nations system to remedy the underlying causes ofthreats to peace and security." 26 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 31.01.1992 (UN-Dok. S/23500), S. 2.
18*
276
2. Teil: Wahrung des Weltfriedens 1. Die Konsolidierung der vom Sicherheitsrat
bereits behandelten Spannungslagen
Hat der Sicherheitsrat gemäß Art. 39 ChVN einen Bruch des Friedens festgestellt, so ist es seine Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Diese Aufgabe ist umfassend zu verstehen. Es obliegt dem Sicherheitsrat, durch seine Maßnahmen den Zustand eines stabilen Weltfriedens anzustreben. Im Falle einer Bedrohung oder Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist es die Aufgabe des Rates, einen stabilen Zustand zu wahren und zu diesem Zwecke bereits entstandene Instabilitätsfaktoren zu beseitigen. Die umfassende Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit macht auch Maßnahmen der Friedenskonsolidierung nach dem Ende des Konflikts notwendig. 27 Die Forderung, daß diese Maßnahmen nicht mehr vom Sicherheitsrat, sondern von anderen Organen der Vereinten Nationen vorzunehmen seien,28 ist aus mehreren Grunden abzulehnen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, daß die in Frage stehenden Situationen auch nach dem Ende des internationalen bewaffneten Konflikts oder der extremen, durch Gewaltanwendung verursachten menschlichen Notsituation beziehungsweise nach der Abwendung der unmittelbaren Eskalationsgefahr als konkrete Spannungslagen bezeichnet werden können. Dies erscheint zwar auf den ersten Blick widerspruchlich, da sich die Konfliktparteien in der Regel gerade bereit gefunden haben, ihren Konflikt beizulegen. Eine konkrete Spannungslage wird jedoch dadurch gekennzeichnet, daß aufgrund konkret zu erkennender Faktoren zu befürchten steht, daß die vorliegende Situation zu einem Friedensbruch eskalieren könnte. Im Lichte dieses Verständnisses ist ein Friedenskonsolidierungsprozeß dann eine konkrete Spannungslage, wenn die spezifischen Gegebenheiten, die Eigenschaften der Parteien und das zwischen ihnen herrschende Klima Anlaß zu der Befürchtung geben, der Prozeß könne scheitern. Weitere Voraussetzung ist, daß der möglicherweise wieder ausbrechende Konflikt einen Friedensbruch darstellte, also entweder als internationaler bewaffneter Konflikt einzustufen wäre oder schweres menschliches Leiden mit sich brächte. Kommt der Sicherheitsrat bei einer Beurteilung der Situation zu dem Ergebnis, daß es sich weiterhin um eine konkrete Spannungslage in dem soeben dargestellten Sinne handele,
S. oben S. 255. So P.-M. Dupuy, Construction de la paix, S. 52 f.; ders., Organisation de la paix, S. 624 u. 626. 27
28
15. Kapitel: Grenzverlaufzwischen den Aufgabenbereichen
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so kann er mit dem Ziel der Unterstützung und Festigung des Friedenskonsolidierungsprozesses tätig werden. 29 Des weiteren wäre es im Hinblick auf die Aufgabenverteilung unter den verschiedenen Organen unökonomisch, die Verantwortung vom Sicherheitsrat auf andere Organe der Vereinten Nationen zu übertragen, da der Rat sich bereits mit der Situation befaßt hat und dementsprechend mit den Gegebenheiten und Akteuren vertraut ist. Darüber hinaus ist die Phase der Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit in der Regel durch eine hohe Instabilität geprägt. Die Überantwortung der Angelegenheit auf ein Organ der Vereinten Nationen, das nicht die Flexibilität, Autorität und Wirkungskraft des Sicherheitsrates besitzt, kann in einer solchen Situation ein bedenkliches Signal an die betroffenen Parteien aussenden. Sie könnten sich ermutigt sehen, entgegen den gegebenenfalls vereinbarten Bedingungen die Situation zu ihren Gunsten zu verändern, und damit den gesamten Prozeß der Friedenskonsolidierung gefährden. 30 Der Aufgabenbereich des Sicherheitsrates erstreckt sich mithin auf die Phase der Friedenskonsolidierung. 31 Dies entspricht auch der Praxis des Rates. So hat er sich beispielsweise auch nach dem Abschluß des Friedensabkommens von Dayton mit der Situation in Bosnien-Herzegowina und Kroatien beschäftigt und verschiedene Maßnahmen beschlossen oder zu ihnen ermächtigt, die zur Befriedung der Lage beitragen sollen. 32 Angesichts der sehr instabilen politischen Situation, die weiterhin in Bosnien-Herzegowina und Kroatien besteht, ist deutlich erkennbar, daß der Abschluß des Friedensabkommens allein noch nicht zur Befriedung der Situation genügt und urnfassende Friedenskonsolidierungsmaßnahmen notwendig sind, um die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu beseitigen. Weitere Beispiele sind die Situationen in Namibia und Südafrika. Der Sicherheitsrat hat auch nach der Einigung der betroffenen Parteien33 den gesamten Prozeß der Unabhängigkeit Namibias begleitee4 und in diesem Zusam29 So auch Delbrück, Wirksameres Völkerrecht, S. 106 f.; Thieny, S. 379; Tomuschat, Obligations, S. 343 f; sowie die Stellungnahme der Vereinigten Staaten (UN-Dok. A/46/609/Add. 1, S. 43, Par. 7). 30 s. dazu Tomuschat, Obligations, S. 343 f 31 So auch Schindler, Non-intervention, S. 502; Sur, Securite collective, S. 24, Fn. 17; Tomuschat, Strafgerichtshof, S. 63; ders., Obligations, S. 343 f 32 S. oben S. 103. 33 s. das von Angola, Kuba und Südafrika am 05.08.88 unterzeichnete "Genfer Protokoll", wiedergegeben in UN-Dok. S/20566. 34 s. die Resolutionen SIRES/628 (1989), SIRES/629 (1989), SIRES/632 (1989), SIRES/640 (1989), SIRES/643 (1989) und SIRES/652 (1990).
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
menhang mittels der "United Nations Transition Assistance Group" (UNTAG) eine umfassende Operation mit zivilen und militärischen Komponenten durchgeführt. Auch die Auflösung des Apartheidsystems in Südafrika beschäftigte den Sicherheitsrat. Er sah keine Veranlassung, seine Aufgabe, die durch dieses System verursachte FriedensbedrohuntS abzuwenden, als beendet anzusehen, nachdem sich die Regierung in Südafrika bereit erklärt hatte, ihre bisherige Politik aufzugeben. Vielmehr begleitete er den Reformprozeß bis zu den Wahlen, die vom 26. bis 29. April 1994 stattfanden. 36 Er forderte die Parteien mehrfach zu einem kooperativen Verhalten und zur Eindämmung der Gewalt in Südafrika auf. 37 Durch Resolution SlRES/894 (1994) vom 14. Januar 1994 errichtete er die "United Nations Observer Mission in South Africa" (UNOMSA), eine Expertengruppe zur Beobachtung der Wahlen. Erst nach der erfolgreichen Durchführung dieser Wahlen hob er am 25. Mai 1994 durch Resolution SlRES/919 (1994) das Embargo und andere Sanktionsmaßnahmen und Beschränkungen auf, die bis dahin gegen Südafrika in Kraft geblieben waren. Am 27. Juni 1994 nahm der Sicherheitsrat die Frage Südafrikas von seiner Tagesordnung. 38 Am Beispiel Südafrikas wird deutlich, wie sensibel der Prozeß der Friedenskonsolidierung ist. Der Sicherheitsrat sah sich wiederholt veranlaßt, seine Autorität in die Waagschale zu werfen, um die Parteien dazu zu bewegen, den unterbrochenen Verhandlungsprozeß wieder aufzunehmen. Ein anders geartetes Fallbeispiel ist die Friedenskonsolidierung nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen dem Irak und Kuwait und seinen Verbündeten. Der Irak schien nicht bereit, die Maßnahmen, die zur Stabilisierung des Friedens in der Region als notwendig erachtet wurden, auf einer freiwilligen Basis durchzuführen. Der Sicherheitsrat ordnete daher am 3. April 1991 eine Reihe von Maßnahmen in Resolution SlRES/687 (1991) verbindlich an. 39
s. SIRES/418 (1977) und dazu oben S. 67. s. AdG Bd. 64 (1994), S. 38914. 37 s. beispielsweise die Resolutionen SlRES1765 (1992), SIRESI772 (1992) und SIRES/894 (1994). 38 Resolution SIRES/930 (1994): "The Security Council [... ] also decides that it has conc1uded its consideration of the item entitled The question of South Africa' and hereby removes this item from the list of matters of which the Council is seized." 39 Es soll hier nicht die kontrovers diskutierte Frage untersucht werden, ob der Sicherheitsrat zu jeder dieser Maßnahmen, insbesondere der Grenzdemarkation und der einseitigen Festsetzung von Schadensersatzleistungen des Irak, befugt war, s. dazu unten Fn. 4 in der Zusammenfassung. 35
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15. Kapitel: Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen
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Statt diese Resolution in Folge der Resolution S/RES/660 (1990), die die Feststellung des Bruchs des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit enthält, zu sehen, wird von einigen Autoren angenommen, daß der dort festgestellte Friedensbruch nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen behoben gewesen sei und die neu entstandene Lage eine Friedensbedrohung darstelle, deren Feststellung in Resolution S/RES/687 (1991) fehle bzw. konkludent enthalten sei. 40 Der Sicherheitsrat habe die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in dem weiterhin bestehenden Waffenarsenal des Irak,41 in der möglichen Weigerung dieses Staates, den in Resolution SlRES/687 (1991) vorgesehenen Schadensersatz zu leisten,42 oder auch in dem unkooperativen Verhalten des Irak gesehen. 43 Der Text der Resolution gibt jedoch darauf keinen Hinweis. Vielmehr kommt durch die folgenden Passagen zum Ausdruck, daß der Sicherheitsrat an die in Resolution SlRES/660 (1990) getroffene Feststellung eines Friedensbruchs anknüpfen wollte: "The Security Council,
( ... ),
Reaffirming the need to be assured of Iraq's peaceful intentions in the light of its unlawful invasion and occupation ofKuwait, ( ... ), Aware ofthe use by Iraq ofballistic missiles in unprovoked attacks and therefore of the need to take specific measures in regard to such missiles located in Iraq, ( ... ), Bearing in mind its objective of restoring international peace and security in the area as set out in recent resolutions of the Security Council, ( ... ), l. Affirms all thirteen resolutions noted above ( ... ); ( ... ). "
Der Sicherheitsrat war der Auffassung, der durch ihn in Resolution SlRES/660 (1990) festgestellte Friedensbruch berechtige ihn, nach dem Ende der eigentlichen Kampfhandlungen präventive Maßnahmen zu beschließen. Resolution SlRES/687 (1991) knüpfte an Resolution SlRES/660 (1990) an. Der Sicherheitsrat zog seine Handlungsberechtigung nicht aus der Feststellung einer Friedensbedrohung, die sich in der Resolution SlRES/687 (1991) dem-
40 Baroni, S.202; Conforti, Pouvoir discretionnaire, S. 58 f.; H. Fischer, S. 103; Freudenschuß, Artide 39, S. 31; Herdegen, S. 115 u. 117; Lavalle, S. 58; Randelzhofer, Neue Weltordnung, S. 55. 41 So Conforti, Pouvoir discretionnaire, S. 58 f.; Lavalle, S. 58. 42 So Conforti, Pouvoir discretionnaire, S. 58 f., der im Folgenden an der Rechtmäßigkeit einer solchen Feststellung zweifelt. 43 So Herdegen, S. 117.
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
entsprechend auch nicht finden läßt, sondern aus der ihm übertragenen Aufgabe, nach der Feststellung des Friedensbruchs den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in umfassender Weise wiederherzustellen. 44 Dem steht nicht entgegen, daß die in der Resolution angeordneten Maßnahmen auch eine präventive Wirkung entfalteten. Aufgrund des Doppelcharakters der friedenskonsolierenden Maßnahmen 45 ist dies ein zu erwartendes Phänomen. 46 2. Die Konsolidierung anderer Spannungslagen
In einer Reihe von Fällen wirkte der Sicherheitsrat auf Bitten der betroffenen Parteien an dem Prozeß der Friedenskonsolidierung mit, obwohl er sich bislang nicht mit dem nun beizulegenden Konflikt befaßt hatte. Sein Beitrag bestand darin, eine Friedenstruppe aufzustellen, die die von den Parteien vereinbarten Maßnahmen überwachte oder sie unterstützte, etwa die Entwaffnung und Demobilisierung der Kombattanten, die Förderung ziviler und politischer Strukturen oder die Überwachung von Wahlen. Zu nennen sind die Friedenskonsolidierungsprozesse in Kambodscha,47 Angola48 und Mosambik. 49
44 So auch Fleischhauer, Year in Review, S. 587; GraefrathIMohr, S. 133 f.; Harper, S. 113; Heintschel von Heinegg, S. 41; Higgins, Problems and Process, S.255; E. Klein, Goltkonflikt, S. 434; Marauhn, Implementation, S. 782 f. 45 s. oben S. 255. 46 s. dazu Gowlland-Debbas, Enforcement Action, S. 83; Harper, S. 113. 47 In Resolution SIRES/668 (1990) vom 20.09. 1990 befaßte sich der Sicherheitsrat zum ersten Mal mit Kambodscha. Er begrüßte in dieser Resolution die grundsätzliche Einigung der kambodschanischen Parteien im Rahmen der Pariser Friedensverhandlungen. Durch Resolution SIRES1745 (1992) vom 28.02.1992 stellte der Rat die "United Nations Transitional Authority in Cambodia" auf, die für die Vorbereitung von Wahlen in Kambodscha und die Aufrechterhaltung der Ordnung bis zu diesem Zeitpunkt verantwortlich war. 48 Der Sicherheitsrat begrüßte in Resolution SIRES/696 (1991) vom 30.05.1991 den Abschluß der "Acordos de paz para Angola". Er wies der "United Nations Angola Verification Mission" (UNAVEM), die bislang fUr die Überwachung des Abzugs der kubanischen Truppen verantwortlich gewesen war (s. Resolution SIRES/626 (1988) vom 20.12.1988), die Aufgabe zu, den Friedensprozeß in Angola zu überwachen (die Friedenstruppe wurde fortan als "UNA VEM Ir" bezeichnet). 49 Nach Abschluß des Friedensvertrags zwischen der Regierung von Mosambik und der Rebellenbewegung "Resistencia Nacional M~ambicana" (RENAMO) befaßte sich der Sicherheitsrat erstmals in Resolution SIRES1782 (1992) vom 13.10.1992 mit der Situation. Er begrüßte die Einigung der Parteien und nahm die Errichtung einer Friedenstruppe zur Überwachung des Friedensprozesses in Aussicht. Durch Resolution SIRES1797 (1992) vom 16.12.1992 errichtete der Rat die "United Nations Operation in Mozambique" (ONUMOZ).
15. Kapitel: Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen
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Die Begründung für die Erstreckung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates auf diese Situationen kann hier nicht darauf gestützt werden, daß der Sicherheitsrat mit der Lage bereits vertraut war und daher eine Verlagerung der Zuständigkeit auf ein anderes Organ der Vereinten Nationen unökonomisch wäre. Doch trifft auch in den hier zu untersuchenden Fällen das oben50 genannten Argument zu, daß die grundsätzliche Einigung der Konfliktparteien noch keine Gewähr für einen reibungslosen Ablauf des Friedenskonsolidierungsprozesses bietet. Dieser Prozeß ist in der Regel sehr empfindlich und von hohem gegenseitigen Mißtrauen geprägt. In dieser für das Erreichen eines stabilen Friedens entscheidenden Phase ist es von herausragender Bedeutung, daß das den Prozeß begleitende Organ der Vereinten Nationen die Möglichkeit hat, mittels seiner Autorität und Wirkungskraft das Scheitern des Prozesses abzuwenden. 51 Zu denken ist an Situationen wie in Angola oder Kambodscha, wo eine der Parteien die getroffenen Vereinbarungen nicht einhielt und den Friedenskonsolidierungprozeß nachhaltig gefährdete. Im Falle Angolas drohte der Sicherheitsrat der UNIT A zunächst in Resolution SlRES/851 (1993) ein Waffenembargo an und verhängte dieses Embargo dann durch Resolution SlRES/864 (1993).52 Im Zusammenhang mit der Situation in Kambodscha drohte der Sicherheitsrat der "Party of Democratic Kampuchea (Khmer Rouge)" (PDK) am 30. November 1992 in Resolution SIRES1792 (1992) an, im Falle der fortgesetztem Mißachtung des Friedensplans das Einfrieren der ausländischen Guthaben dieser Partei anzuordnen. 53 Die Zuständigkeit des Sicherheitsrates ist in diesen Fällen nicht aus einer bereits getroffenen Feststellung der Friedensgefährdung, der Friedensbedrohung oder des Friedensbruchs abzuleiten, durch die ihm die Aufgabe zuteil geworden wäre, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in umfassender Weise zu wahren oder wiederherzustellen. Doch steht es dem Sicherheitsrat auch hier zu, die Situation als konkrete Spannungslage einzustufen, wenn er befürchtet, daß der Friedenskonsolidierungsprozeß scheitern und dies zu einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit führen könnte. 54 Die Praxis des Sicherheitsrates läßt erkennen, daß diese Bewertung in jedem Einzelfall vorgenommen wird. In den oben genannten Fällen hatten vers. oben S. 276. s. dazu Ratner, Image, S. 440. 52 s. oben S. 123. 53 s. dazu Isoart, S. 663; Ratner, Cambodia, S. 256. 54 s. zu der Charakterisierung einer Situation nach Ende des unmittelbaren Konflikts als konkrete Spannungslage oben S. 276. 50
51
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
heerende Bürgerkriege die Parteien zu erbitterten Feinden gemacht, so daß der Prozeß der Friedenskonsolidierung sehr empfindlich war. Die Nichtanerkennung des Wahlergebnisses in Angola durch die UNIT A und die wieder aufgenommenen Kämpfe, die zu schwerstem menschlichen Leiden führten, sind ein beredtes Zeugnis für diese Lage. 55 Auch das mögliche Scheitern des Friedensprozesses nach dem Ende des kambodschanischen Bürgerkriegs, in dessen Verlauf mindestens eine Million Kambodschaner den Tod gefunden hatten,56 gab zu schweren Befürchtungen Anlaß. 57 Demgegenüber gibt es auch Fälle, in denen aus Sicht des Sicherheitsrates keine konkrete Spannungslage bestand. So wurde das Referendum in Eritrea, das aus dem Sezessionskrieg in Äthiopien als unabhängiger Staat hervorgegangen war,58 von einer Beobachtergruppe überwacht, die von der Generalversammlung errichtet worden war. 59 Da Äthiopien die Abspaltung akzeptiert hatte und sich in Eritrea selbst keine ehemaligen Bürgerkriegsparteien gegenüberstanden, gab die Situation keinen Anlaß für Befürchtungen, sie könne zu einem Friedensbruch eskalieren. Auch die Bitte Haitis, die Wahlen zu überwachen und ihre organisatorische Durchführung zu unterstützen,60 wurde vom Generalsekretär der Vereinten Nationen im Anschluß an inoffizielle Konsultationen nicht, wie von Haiti zunächst gewünscht,61 an den Sicherheitsrat, sondern an die Generalversammlung weitergeleitet. 62 Der Sicherheitsrat war der Ansicht, daß im Gegensatz zu
s. oben S. 123. Diese Zahl nennt Doyle, S. 16. Presseberichte gingen davon aus, daß allein zwischen 1975 und 1978 etwa 2 Mio. Menschen dem Pol Pot-Regime zum Opfer fielen; s. AdG Bd. 49 (1979), S. 22311. Zur Geschichte des Konflikts und seiner Beilegung Isoart, S. 646-655; Ratner, Cambodia, S. 243-248. 57 s. zu den Problemen im Verlauf des Friedenskonsolidierungsprozesses Isoart, S. 659-664; Ratner, Cambodia, S. 252-258. 58 Zum Sachverhalt s. AdG Bd. 63 (1993), S. 37861-37863. 59 AlRES/471l14 vom 16.12.1992. 60 Die Regierung von Haiti richtete die Bitte zunächst informell über den Repräsentanten des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Haiti an den UN-Generalsekretär; s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 19.11.1991 (UN-Dok. A/46/609), S. 14, Par. 37. 61 s. den Brief der Interimspräsidentin von Haiti vom 23.06.1990 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. A/44/965, S. 2): "1 have pleasure in expressing my gratitude to you for your dear willingness to request the Security Council to provide a specific mandate for the assistance requested by Haiti." 62 s. den Brief des UN-Generalsekretärs vom 07.09.1990 an den Präsidenten des Sicherheitsrates (UN-Dok. S/21845), S. 1. 55
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15. Kapitel: Grenzverlauf zwischen den Aufgabenbereichen
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den Wahlen in Nicaragua, die im Kontext des gesamten zentralamerikanischen Friedensprozesses standen,63 die zu diesem Zeitpunkt bestehende Situation in Haiti keine unmittelbare Relevanz für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit habe. 64 Er begnügte sich damit festzustellen: "The members of the Council, without prejudice to their positions on the competence of the organs of the United Nations on electoral assistance if requested by a Member State and without prejudice to the right of any member of the Council to raise the matter at any later time in the Council for further consideration, concur ( ... ). They note that the proposed assistance to its electoral process ( ... ), which involves inter alia the provision of advisers, observers and experts on electoral security matters, but does not include the use of any United Nations fCace-keeping forces, will be considered in its entirety by the General Assembly. ,,6
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Sicherheitsrat in der Phase der Friedenskonsolidierung dann tätig wird, wenn er zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Spannungslage für gegeben hält.
IV. Ergebnis
Art. 24 Abs. 1 eh VN weist dem Sicherheitsrat die Aufgabe zu, angesichts konkreter Spannungslagen schnell und wirksam zu handeln. Demgegenüber 63 s. den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 19.11.1991 (UN-Dok. AJ46/609), S. 11, Par. 28, der auf das Esquipulas TI - Abkommen (wiedergegeben in UN-Dok. S/19085) und die Erklärung von Costa dei Sol (wiedergegeben in UN-Dok. S/20491) der zentralamerikanischen Staaten Costa Rica, EI Salvador, Guatemala, Nicaragua und Honduras hinweist, in denen die Wahlen in Nicaragua als Teil des regionalen Friedensprozesses bezeichnet wurden; s. dazu auch Schmidt, S. 138 f 64 So auch Garber, S. 220 f; Hodgson, S. 143-145; Theuennann, S. 138 f. In der Generalversammlung erklärte Bolivien am 09.10.1990 (UN-Dok. AJ451PY. 26, S. 62) bei der Einfilhrung des Entwurfs der späteren Resolution AJRES/45/2, in der der UN-Generalsekretär zur Durchfilhrung der Wahlbeobachtung in Haiti ermächtigt wurde: "The view of the sponsors of the draft resolution [... ] is that the technical assistance for the Haitian elections should be considered as support for the domestic efforts of the Haitian authorities and a response to the request by [... ] the President of the Provisional Government of Haiti, and that such assistance does not have and should not have any connection with questions of international peace and security." 65 Brief des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 05.10.1990 an den UN-Generalsekretär (UN-Dok. S/21847). S. zu dem Entscheidungsprozeß in der Frage des zuständigen Organs den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 19.11.1991 (UN-Dok. AJ46/609), S. 14 f, Par. 37-41; sowie Darko Asante, S. 274 f; Freudenschuß, Changing Role, S. 160; Schmidt, S. 139.
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2. Teil: Wahrung des Weltfriedens
gehört es nicht zu seinen Aufgaben, unabhängig von einer solchen Spannungslage langfristig-strukturelle Vorsorge gegen Störungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu treffen.
Ergebnis des zweiten Teils Die Umsetzung des in der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebenen Ziels, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, erfordert ein Tätigwerden der Organe der Vereinten Nationen zur Abwendung möglicher Brüche des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Vorfeld, zur Beseitigung tatsächlicher Friedensbrüche und zur Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit. In diesem Zusammenhang fällt dem Sicherheitsrat die Aufgabe zu, konkrete Spannungslagen zu beseitigen, das heißt Spannungslagen, die bereits zu einem Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geführt haben oder die befürchten lassen, daß die konkret bestehende Situation zu einem solchen Friedensbruch eskalieren könnte. Das dafür erforderliche und in Art. 24 Abs. 1 ChVN vorgesehene schnelle und wirksame Handeln des Sicherheitsrates wird dem Rat durch seine Zusammensetzung, seine Verfahrensvorschriften und die ihm in der Charta der Vereinten Nationen gewährten Handlungsbefugnisse ermöglicht.
Zusammenfassung und Ausblick Es ist die sich aus Art. 24 Abs. I ChVN ergebende Aufgabe des Sicherheitsrates, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Der Rat soll tätig werden, wenn eine Situation vom Einsatz internationaler bewaffneter Gewalt oder von extremem, durch Gewaltanwendung verursachtem menschlichem Leiden geprägt ist oder wenn zu befürchten ist, daß die konkrete Lage, mit der sich der Sicherheitsrat befaßt, sich zu einer solchen Situation zuspitzen könnte. Dem Sicherheitsrat ist bei der Feststellung, ob eine derartige konkrete Spannungslage vorliegt und er daher berufen ist, zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit tätig zu werden, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Angesichts der weitreichenden Befugnisse, die dem Sicherheitsrat insbesondere in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gewährt sind, hat diese Einräumung eines Beurteilungsspielraums zu Befürchtungen Anlaß gegeben, die Mitglieder des Sicherheitsrates könnten die Macht des Rates mißbrauchen. Daher sei eine Beschränkung des Aufgabenbereichs des Rates auf die Verhinderung internationaler bewaffneter Gewalt geboten. l Dieser Ansatz ist nicht mit der Ordnung der internationalen Gemeinschaft in Einklang zu bringen, die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. 2 Zur Entfaltung seiner Würde je nach seiner kulturellen und persönlichen Eigenart benötigt der einzelne die Gewährleistung eines Freiraums. Angriffe auf diesen Freiraum können von anderen Staaten ausgehen, die gegen den eigenen Staat, also den gesellschaftlichen Verband, dessen Mitglied der einzelne ist und im Rahmen dessen er sich entfaltet, militärische Gewalt einsetzen. Angriffe auf den Freiraum des einzelnen können aber auch vom eigenen Staat ausgehen. Es ist die dem Sicherheitsrat zugewiesene Aufgabe, alle Arten von Angriffen auf diesen Freiraum abzuwehren und so eine Ordnung aufrechtzuerhalten, die dem einzelnen Sicherheit gewährt. Zu diesem Zweck
1 2
s. oben Fn. 87 im 7. Kapitel zu den von Amtz und Menk geäußerten Bedenken. s. oben S. 236.
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Zusammenfassung und Ausblick
soll der Rat den Einsatz internationaler bewaffneter Gewalt verhindern und extremes menschliches Leiden unterbinden. Obwohl also die Beschränkung des Aufgabenbereichs des Sicherheitsrates auf die Abwehr internationaler bewaffneter Gewalt nicht dem Bild der Charta der Vereinten Nationen von den Aufgaben des Sicherheitsrates entspricht, ist den Vertretern der genannten Ansicht darin zuzustimmen, daß gewährleistet werden muß, daß der Sicherheitsrat seine Befugnisse nicht mißbraucht, um statt der Gewährleistung der notwendigen Freiräume seine eigenen Vorstellungen von der "richtigen" Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß eine Reihe von begrenzenden Mechanismen bereits besteht. Zunächst ist bedeutsam, daß die dem Sicherheitsrat zur Verfügung stehenden Befugnisse nicht unbegrenzt sind. Zwar ist weitgehend anerkannt, daß der Rat sich neben den ausdrücklich in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Befugnissen sich auch auf sogenannte "implied powers" berufen kann, also implizite Befugnisse, die dem Sicherheitsrat trotz Nichterwähnung in der Charta zustehen, da er sie zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. 3 Doch kann sich der Rat weder auf ausdrückliche noch auf implizite Befugnisse berufen, um "legislative" Tätigkeiten, die auf die positive Gestaltung der gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse eines Staates gerichtet sind, zu begründen. 4 Zu nennen sind auch die Verfahrensvorschriften des Sicherheitsrates. Gemäß Art. 27 Abs. 3 ChVN bedürfen die Feststellungen im Sinne des Art. 39 ChVN der Zustimmung von neun der fünfzehn Mitglieder des Sicherheitsrates, einschließlich der Stimmen aller ständigen Mitglieder. Insbesondere das Vetorecht der ständigen Mitglieder beugt der Durchsetzung von Partikularinteressen oder Wertvorstellungen eines einzelnen Mitglieds oder einer Gruppe von Mitgliedern und damit einem Mißbrauch der Befugnisse des Sicherheitsrates vor. 5 s. Zuleeg, S. 312. s. dazu allgemein Bowett, UN Forces, S. 424; Gordon, S. 559; Graefrath, Jugoslawientribunal, S. 434; Herdegen, S. 105 f. u. 116 f.; E. Klein, Golfkonflikt, S.434; Schachter, Use ofForce, S. 75; ders., Interna! Conflict (Moore), S. 422 f. In diesem Zusammenhang erscheinen die an der Rechtmäßigkeit der Resolution SIRES/687 (1991) geäußerten Zweifel zumindest nicht offensichtlich unberechtigt, da dem Irak in dieser Resolution sehr weitreichende Vorschriften in bezug auf seine zukünftige Politik gemacht wurden. S. Bedjaoui, New World Order, S. 40-43; Bothe, Limites des pouvoirs, S. 68-76; Dominice, S. 421; P.-M. Dupuy, Guerre du Golfe, S.626; Gerson, S.7; Harper, S. 147; Higgins, Problems and Process, S. 183 f.; Queneudec, S. 769; Sur, Res. 687, S. 25-97. 5 So auch Alston, S. 172; Dinstein, Legal Lessons, S. 4; Franck, Security Council, S.84; Freudenschuß, Article 39, S.37; Gowlland-Debbas, Collective Responses, 3
4
Zusammenfassung und Ausblick
287
Über den notwendigen politischen Konsens der erforderlichen Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates hinaus ist der Sicherheitsrat auf die Unterstützung durch die große Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen oder zumindest durch die international wichtigen Staaten angewiesen. 6 Eine Feststellung einer Friedensbedrohung gemäß Art. 39 ChVN oder der Gebrauch von Befugnissen für Ziele, die nach Ansicht der nicht im Sicherheitsrat vertretenen Staaten unglaubwürdig sind, sind dem Rat abträglich, 7 da die Gefahr besteht, daß die Staatengemeinschaft den Beschlüssen des Sicherheitsrates ihre politische und finanzielle Unterstützung entzieht. 8 Es besteht das Erfordernis, daß das Handeln des Rates in den Augen der Staatengemeinschaft legitim sein muß. Der Sicherheitsrat hat das Gewaltmonopol aufgrund der Annahme inne, daß er Gewalt nicht zur Durchsetzung partikularer Interessen seiner Mitglieder, sondern zu gemeinsamen Zwecken der internationalen Gemeinschaft einsetzen werde. Mißbraucht er dieses Monopol, so verliert sein Handeln die notwendige Legitimität. 9 Ein Mißbrauch der Befugnisse des Sicherheitsrates kann zur Nichtbeachtung der Beschlüsse des Rates führen und damit zu einern Autoritätsverlust dieses Organs. Aus diesem Grund haben die Mitglieder des Sicherheitsrates ein politisches Interesse daran, die Interessen der Staatengemeinschaft insgesamt zu berücksichtigen. Schließlich muß der Sicherheitsrat bei seinen Aktivitäten den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben beachten. 1o Dies hat zur Folge, daß die Entscheidungen des Rates mit den Zielen der Charta der Vereinten Nationen in Einklang stehen müssen. 11 Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt sich auch, daß der Sicherheitsrat gleichartige Situationen gleich behanS.455; dies., Enforcement Action, S. 90 f; Higgins, Rhodesia, s. 101; Hutchinson, S. 636 f; McDouga/IReisman, S. 9; Pauer, S. 88; RandelzhoJer, Neue Weltordnung, S. 63; Reisman, Constitutional Crisis (ADI), S. 416; Sur, Securite collective, S.20; Verdross, Völkerrecht, S. 652; Wolfrum, Security Council, S. 317; zweifelnd Schilling, S. 80 f 6 So auch Farer, Paradigm, S. 330; ähnlich auch Abellan Honrubia, S. 14. 7 Cohen Jonathan, in: CotlPellet, Art. 39, S. 655. 8 Bothe, Limites des pouvoirs, S. 70; Lillich, Diskussionsbeitrag, S. 69; Mattler, S. 688 f, 691 u. 694, Fn. 128; Szasz, Enforcement, S. 24 f 9 Mattler, S. 691 f; Otunnu, S. 600; Schachter, Intervention, S. 278. Diesen Überlegungen liegt das von Franck definierte Konzept der Legitimität zugrunde, dem zufolge Legitimität eine Eigenschaft einer Nonn oder einer nonnschaffenden Institution ist, durch die die Nonnadressaten zur Befolgung veranlaßt werden, da sie der Auffassung sind, daß die Nonn oder das Handeln der Institution mit den einschlägigen, allgemein akzeptierten Vorschriften übereinstimme. S. Franck, Legitimacy, S. 24; sowie Caron, S. 556-562. 10 So auch Alston, S. 138 f 11 Verdross, Völkerrecht, S. 132.
288
Zusarrunenfass\U1g \U1d Ausblick
deIn muß. Zwar steht es im Ermessen des Sicherheitsrat zu beurteilen, ob eine konkrete Spannungslage besteht, die sein Tätigwerden erfordert, doch muß der Rat sich zumindest mit der Situation befassen, um zu dieser Beurteilung zu gelangen. In der Praxis bestehen in diesem Zusammenhang Defizite. So hat sich der Sicherheitsrat beispielsweise während der gesamten Dauer des verheerenden Bürgerkriegs in Kambodscha nicht mit dieser Situation befaßt. 12 Um solche Vorkommnisse zukünftig zu vermeiden, sollte de lege ferenda in Betracht gezogen werden, das Recht der Anrufung des Sicherheitsrates nicht nur den Staaten 13 und der Generalversammlung,14 sondern auch denjenigen Nichtstaatlichen Organisationen 15 zu gewähren, die den Beobachterstatus bei Organen der Vereinten Nationen besitzen. 16 Des weiteren wäre es fur die GeWährleistung der umfassenden Aufgabenerfüllung durch den Sicherheitsrat hilfreich, wenn der Rat seine Entscheidungen begründen müßte. Das Begründungsdefizit besteht gegenwärtig weniger angesichts der Entscheidungen des Sicherheitsrates zu handeln, bei denen sich bei einer Zusammenschau der Resolutionen, der dazugehörigen Debatten und der vorausgegangenen Berichte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in der Regel ein Bild von der Motivation des Sicherheitsrates zeichnen läßt, sondern vielmehr im Falle der Untätigkeit des Rates. Wäre der Rat gehalten, bei jedem Antrag auf Befassung mit einer Angelegenheit zu begründen, aus welchen Gründen seiner Ansicht nach keine konkrete Spannungslage gegeben ist, die sein Handeln erforderte,
s. zur Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft Hannum, S. 137 f. Das Anruf\U1gsrecht steht Mitgliedstaaten \U1d, soweit sie Partei der Streitigkeit sind, auch Nichtmitgliedern der Vereinten Nationen zu; vgl. Art. 35 Abs. 2 \U1d 3 ChVN. 14 Art. 11 Abs. 2 S. 2 \U1d Abs. 3 ChVN. 15 s. allgemein zu den Nichtstaatlichen Organisationen (Non-govemmental organizations), die als private Vereinigill1gen bestimmte Interessen auf der internationalen Ebene verfolgen, Rechenberg, S. 276 f. 16 Ein Zeichen ft1r die Z\U1ehmende BedeutlUlg der Nichtstaatlichen Organisationen ist ihre Herausstell\U1g in der Erklärung der Generalversamml\U1g zum fünfzigsten Jahrestag der Grilnd\U1g der Vereinten Nationen (UN-Dok. NRES/50/6 vom 24.10.1995): " 17. We recognize iliat our common work will be ilie more successful if it is supported by all concerned actors of ilie international community, including nongovemmental organizations, multilateral fmancial institutions, regional organizations and all actors of civil society. We will we1come and facilitate such support, as appropriate." 12
!3
Zusammenfassung und Ausblick
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so wäre zu hoffen, daß der Sicherheitsrat aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit!7 zukünftig seine ihm in Art. 24 Abs. 1 ChVN Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, in umfassenderer Weise erfüllen würde als bisher.
17 S.
19 Lailach
zu den Aspekten der Legitimität und Autorität oben S. 144.
English Summary The Jurisdiction ofthe United Nations Security Council with regard to the Maintenance of International Peace and Security
The aim of this book is to determine the contents of the Security Council' s function in maintaining international peace and security, as codified in article 24 of the United Nations Charter. This subject is of particular practical relevance. The activity of the Security Council, witnessed since 1990, raises the question of whether or not the Council is entitled to intervene in large-scale human suffering, caused by intra-state conflicts, which had few or no international repercussions as in Somalia, Rwanda, and Angola. Part one (Chapters I to 12) contains the legal interpretation of the notion "international peace and security". In part two (chapters 13 to 15), the meaning of "maintenance", as weIl as the Security Council's role in this context, will be examined.
I. The literat meaning of the notion "peace" According to general usage, "peace" means either absence of international armed conflicts, or renunciation of force in inter-state and intra-state relations. In general public internationallaw, the notion "peace" is used to describe the state of absence of international armed conflict, as weIl as the state of interstate and intra-state justice and well-being. In the Charter of the United Nations, the notion of peace can be found numerous times. However, it remains uncertain in which sense it is employed, as various interpretations seem to be possible. The examination of the literal meaning of the notion "peace" does not lead to an unequivocal result. Peace within the meaning of art. 24 of the Charter
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might refer to any of the three states which it describes in general usage and in general public internationallaw.
11. Points of relevance for further interpretation The legal interpretation of art. 24 of the Charter as a treaty law rule must take into account the various methods of interpretation, Le., the systematic and the teleological approach as weIl as the examination of the subsequent practice of the parties of the treaty, that is, the member states of the United Nations. The action of the Security Council may be regarded as subsequent practice, provided that it is consistent and accepted by the large majority of member states. In this context, one is confronted with the problem that there are no explicit statements of the Security Council concerning art. 24 of the Charter, nor any other practice. However, practice can be found in relation to other Charter rules, in particular art. 39 and the provisions of chapter VI. This may be used, provided that the contents of the notion "international peace" within the meaning of the aforementioned provisions are necessarily identical to the meaning ofart.24. The provisions of chapter VI in the Charter which contain the notion "international peace" (arts. 33 par. 2, 34, 36 par. I, and 37 par. 2), vest specific powers in the Security Council with a view to taking part in the pacific settlement of disputes. It is a regular feature of treaties which establish an international organization, and moreover expressly mentioned in art. 24 par. 2 ofthe Charter, that specific powers are vested in a body in order to enable it to discharge its duties. That means that there is a close correlation between art. 24 which defines the function of the Security Council to maintain international peace, and the provisions of chapter VI which contain the powers vested in this body with regard to enabling it to perform this function. This leads to the conclusion that the notion "international peace" must be identical as seen in aIl of these rules. The same holds true with regard to the provisions of chapter VII of the Charter, including art. 39. There again, specific powers are vested in the Security Council in order to enable it to carry out its duty in maintaining international peace. Therefore, the notion must be identical within the meaning of arts. 24 and 39, in spite of the fact that the latter provision uses the expressions "threat to the peace" and "breach of the peace" without the adjective "international". This must be regarded as an editorial inaccuracy.
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English Summary
IR The practice of the Security Council with regard to art. 39 of the Charter The Security Council determined the existence of a breach of the peace in four cases, i.e., the invasion of the Republic of Korea by forces from North Korea (resolution SIRES/82 (1950», the invasion of the Falkland Islands by Argentina (resolution SIRES/502 (1982», the armed conflict between Iran and Iraq (resolution SIRES/598 (1987», and the invasion of Kuwait by military forces of Iraq (resolution SIRES/660 (1990». In aIl of these cases, international armed force was the reason for the Security Council's decision. So far, the Security Council did not determine the existence of an act of aggression within the meaning of art. 39 of the Charter. In resolution SIRES/54 (1948), the Security Couneil determined that the situation in Palestine constituted a threat to the peace. The reason for this determination was the international armed struggle of Israel against Palestinian armed groups and the forces ofIsrael's Arab neighbour states. The situation in the Congo was dealt with in resolution SIRES/161 (1961). The Security Council deterrnined the existence of a threat to the peace because of the imminent danger of a eivil war which might have led to the intervention by other states. The international armed conflict between India and Pakistan was the reason for determining a threat to the peace, dealt with in resolution SIRES/307 (1971). After the intervention of Turkish forces, the armed conflict in Cyprus constituted, according to resolution SIRES/353 (1974), a threat to the peace. In this case, the threat was created by an internal armed conflict which had been internationalized by foreign intervention. Concerning Southern Rhodesia, the Security Council made its first determination in resolution SlRES1221 (1966). The threat to the peace was seen in the situation resulting from oil supplies reaching Southern Rhodesia in contravention of the economic embargo. It was constituted not by the existence of the raeist minority regime as such but by its support from other states which thereby disregarded the embargo which had been recommended by the Security Council. In contrast, the Security Council determined in resolutions SlRES1232 (1966) and SIRES/253 (1968) that the existence of the minority regime as such and its raeist policy constituted a threat to the peace. The reason for this determination must be seen in respect to the denial of the right of the Southern Rhodesian people to self-determination, as weIl as in respect to the danger of an armed intervention by other states. In a number of resolutions
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(e.g. SIRES/326 (1973), SIRES/403 (1977), and SIRES/424 (1978», the Security Council determined that the military operations of the Rhodesian regime against neighbour states contributed to the existing threat to the peace. The situation in South Africa led to resolution SIRES/418 (1977). The Security Council determined that the acquisition of arms by the South African government constituted a threat to the peace because of its racist apartheid policy and its acts of armed aggression against neighbour states. The cumulation of these two aspects sufficed, in the opinion of the Council, to place their finding under art. 39. The resolutions dealing with the invasion of Kuwait by Iraqi armed forces, were based on adetermination of the existance of a breach of the peace (er. above). Resolution SIRES/949 (1994) however, contains adetermination of a threat to the peace which was created by the movements of Iraqi forces, directed in a hostile and provocative manner against Kuwait. The Security Council reacted to the danger of an international armed conflicl. In resolution SIRES/688 (1991), the Security Council determined that the consequences of the repression of the Iraqi civilian population, in particular the Kurds, threatened international peace and security. It follows from the text of the resolution and the statements of the Council members that the aforementioned consequences were international ones, i.e., a massive flow of refugees towards and across international borders and international tensions. Therefore, resolution SIRES/688 (1991) contains an example of a threat to the peace created by international repercussions of an internal conflict. The Libyan failure to extradite two citizens which were suspected to be involved in the Lockerbie incident, was taken by the Security Council as evidence that this state supported international terrorism. This led the Council to determine in resolution SIRES1748 (1992) that the conduct of Libya constituted a threat to the peace. With regard to the civil war in Liberia, the Security Council determined in resolutions SIRES1788 (1992) and SIRES/813 (1993) that this internal armed conflict and its international repercussions threatened international peace and security. The situation in Somalia caused the Security Council to pass several resolutions. The first one, resolution SIRES1733 (1992), contains the determination that the internal armed conflict as weil as its international repercussions in the region constituted a threat to the peace. After a number of resolutions with similar findings, the Security Council determined in resolution SIRES1794 (1992) that the magnitude of the human tragedy in Somalia, further exacerbated by the obstacles being created to the distribution of huma-
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nitarian assistance, constituted a threat to international peace and security. Neither in the resolution, nor in the preceding discussions, was any mention made of international repercussions. This determination was reiterated in subsequent resolutions, and complemented by the fact that in Somalia, no government or other responsible authority was in place. Since 1991, the Security Council was confronted with the complex situation created by the breakdown of the Socialist Federal Republic of Yugoslavia and the armed conflict which accompanied it, as weIl as the ones which followed in Croatia and in Bosnia and Herzegovina. When the Security Council passed the first resolution, SIRES1713 (1991), it deemed the conflict to be an internal armed conflict within Yugoslavia. It determined that this internal conflict and its international repercussions constituted a threat to international peace and security. Similar determinations can be found in resolutions SIRES/721 (1991) and SIRES1743 (1992). From resolution SIRES1752 (1992) on, the Security Council used the notion "the former Socialist Federal Republic of Yugoslavia". Taking into account that Bosnia and Herzegovina, Croatia and Slovenia had just been admitted as members of the United Nations, the Council was now of the opinion that there existed an international armed conflict in the territory of Bosnia and Herzegovina, with the three Bosnian ethnic groups, Croatia and the Federal Republic of Yugos1avia (Serbia and Montenegro) being the adversaries. In resolution SIRES1757 (1992), the Security Council determined that this international armed conflict constituted a threat to the peace. In a couple ofresolutions, the first one being resolution SIRES/807 (1993), the Security Council made the determination that the repeated violations of cease-fire obligations by the parties threatened international peace and security. In reaction to the numerous attacks against convoys providing humanitarian assistance, the Security Council stated in resolution SIRES/770 (1992) that the situation in Bosnia and Herzegovina constituted a threat to international peace and security and that the provision of humanitarian assistance was an important element in the Council' s effort to restore peace. While this resolution is the first one which recognizes the correlation of humanitarian assistance and the maintenance of international peace and security, it does not contain, however, the determination that the obstruction of assistance as such constituted the threat to the peace. The Council considered the armed conflict as a whole to be the threat, as it had done in the preceding resolutions. In contrast, the Security Council determined in resolutions SIRES/808 (1993.) and SIRES/827 (1993) that the widespread violations of international humanitarian law within the territory of the former Yugoslavia, in particular mass killings and the practice of "ethnic cleansing", constituted as such a threat to international peace and security. It follows from the text ofthe resolutions and
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the preceding discussions that these violations were deemed a threat to the peace because of their grave and massive nature and the severe consequences for the affected population, and not because of their effect on the ongoing armed conflict. After the signing of the Dayton Agreement, the Security Council lifted the sanctions and established the "Multinational Implementation Force (IFOR)". In the pertaining resolutions (i.e., inter alia, SIRES/1021 (1995), SIRES/1022 (1995), and SIRES/I031 (1995», the Council determined that the situation continued to be a threat to international peace and security. This decision was based on the finding that the post-conflict situation was not yet stable. In reaction to the internal armed conflict in Rwanda, the Security Council determined in resolution SIRES/918 (1994) that this conflict and its international repercussions threatened international peace and security. Because of the ongoing armed conflict and reports of genocide, the Security Council passed resolution SIRES/929 (1994). In this resolution, it determined that the threat to the peace was constituted by the magnitude of the human suffering in Rwanda. International repercussions were not taken into account any more. Resolution S/RES/955 (1994) contains the determination that the genocide and other systematic, widespread and flagrant violations of international humanitarian law threatened the peace. As in resolution SIRES/SOS (1993) concerning the former Yugoslavia (cf. above), this determination was made because of the nature of the violations and their consequences on the population. No mention was made of the effects of the genocide on the ongoing internal armed conflict in Rwanda. After the coup d'etat in Haiti and the subsequent massive flow of refugees, the Security Council passed resolution S/RES/841 (1993). In this resolution, the Council determined that the internal situation in Haiti and its international repercussions threatened international peace and security. In July 1993, the conflicting Haitian parties concluded the Governors Island Agreement. However, the military junta did not honour its comrnitments. Therefore, the Security Council deterrnined in resolution SIRES/S73 (1993) that the failure of the military authorities in Haiti to fulfil their obligations constituted a threat to the peace. It follows from the resolution and its context that it was not the violation of an international agreement as such which threatened peace, but the danger of a resumption of hostilities which this violation created. Moreover, the Security Council took into account the impairment of the efficiency and authority of the United Nations bodies, given that the General Assembly and the Secretary-General had been involved in the Haitian peace process and, more specifically, in the negotiations which had led to the Governors Island Agreement.
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In resolution SlRES/917 (1994), the Security Council detennined that the situation created by the failure of the Haitian military authorities to fulfil their obligations, constituted a threat to international peace and security. The aforementioned situation was described in two aspects, namely numerous instances of violations of human rights, and the non-restoration of democracy. With regard to the latter aspect, it was not the destruction of democratic structures as such which was qualified as a threat to the peace, but the specific situation of non-compliance with the Governors Island Agreement which had provided for the restoration of democracy. This specific non-compliance had already been the reason for the Security Council' s detennination in resolution SlRES/873 (1993). In resolution SlRES/940 (1994), the Security Council made adetermination similar to the one contained in resolution SlRES/917 (1994). In reaction to the anned conflict in Angola, the Security Council passed resolution SlRES/864 (1993). It detennined that the situation in Angola which had been created by the resumption of hostilities by UNITA, constituted a threat to international peace and security. The examination of the text of the resolution and the preceding discussions leads to the conclusion that the Council made this determination because of the grave humanitarian situation and the failure of UNIT A to fulfil its obligations under the "Acordos de Paz". The latter aspect threatened the peace since it contributed to the deterioration of the humanitarian situation and affected the efficiency and authority of those United Nations bodies which had been involved in the negotiations concerning the peace treaty. The declaration of the President of the Security Council on the 31st of January, 1992 does not contain any determination of a threat to international peace and security within the meaning of art. 39 of the Charter. However, it mentions some internal conflict situations which might be the source of instability and lead to threats to the peace.
IV. Evaluation ofthe Security Council' s practice The Security Council determined the existence of a threat to international peace in case of either an international anned conflict or the risk of the escalation of a situation to such a conflict. This means that in the opinion of the Council, the absence of international anned force is part of the notion "international peace". In a number of resolutions with regard to the situations in fonner Yugoslavia, Somalia, Haiti, Angola, and Rwanda, the Security Council determined
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that there was a threat to the peace because of the large-scale, man-made human suffering. It follows from the relevant resolutions and the preceding discussions that the Council acted with the view of terminating this human suffering. Neither immediate consequences of the humanitarian situation for ongoing conflicts with international repercussions, nor the long-term risk of an international armed conflict created by the destabilization of the international system due to the passive acceptance of man-made human suffering, were taken into account by the Security Council. This means that the termination of large-scale, man-made human suffering was not a means for the Security Council to counter or prevent international armed conflicts, but the ultimate goal of the Council' s action. The Security Council is of the opinion that the prevention or termination of large-scale, man-made human suffering is part of its duty to maintain and restore international peace, as codified in art. 24 of the Charter. It results from this standpoint that the notion "international peace" also includes the absence of such situations of human suffering. The violation of basic mIes of public internationallaw, e.g., the prohibition of genocide, the basic human rights, the right to self-determination, and the basic mIes of international humanitarian law, also caused the Security Council to determine a threat to international peace and security. However, it remains uncertain after the examination of the resolutions and pertaining discussions if the Council acted because these violations always lead to large-scale, manmade human suffering, or because it thought the maintenance and restoration of the integrity of the basic mIes of international law to be part of its duty in maintaining international peace. In an number of instances, the determination of the Security Council was, inter alia, caused by the impairment of the efficiency and authority of the United Nations bodies. It would be erroneous, however, to regard this efficiency and authority as part of international peace. Rather, the prejudices to these features cause a threat to the peace, understood as the absence of international armed conflicts and of large-scale, man-made human suffering, and maybe as the integrity of the basic mIes of internationallaw. The breakdown of governmental stmctures within astate also causes such a threat. The existence of such stmctures as such is not apart of the notion "international peace" within the meaning of art. 24 ofthe Charter.
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English Summary V. The practice of the Security Council with regard to chapter VI of the Charter
The examination of the practice of the Security Council with regard to those provisions of chapter VI of the Charter which provide it with specific powers for the settlement of disputes which endanger international peace and security, leads to the same results as the analysis of the practice concerning art. 39 of the Charter. The absence of international armed conflicts as an element of international peace was, from the standpoint of the Security Council, the relevant aspect in determining in resolution SIRES/514 (1982) that the armed conflict between Iran and Iraq endangered peace and security. In a number of cases, the international armed conflict had not (yet) broken out. However, the Security Council was of the opinion that there was a danger of an outbreak of hostilities on an international scale. Therefore, it stated that international peace was endangered, having in mind that the absence of international armed force is one element of international peace. Examples of the Security Council' s action with regard to conflict situations of the aforementioned type are the resolutions which deal with isolated military attacks of astate against another as performed by Portugal (resolutions SIRES1268 (1969), SIRES1273 (1969), and SIRES/290 (1970», South Africa (resolutions SIRES/393 (1976), SIRES/527 (1982), and SIRES/545 (1983», and Israel (resolutions SIRES1262 (1968) and SIRES/487 (1981». Furthermore, one should mention the resolutions with regard to the conflictual situations in Angola (resolution SIRES/163 (1961», in Cyprus (resolution SIRES/186 (1964», in South Africa (resolution SIRES/282 (1970», between Iran and the United States of America (resolution SIRES/457 (1979», in Rwanda (resolution SIRES/812 (1993», in Azerbaijan (resolution SIRES/822 (1993», and in Georgia (resolution SIRES/876 (1993». The large-scale, man-made human suffering which was spurred by the internal armed conflict in Yemen gave the Security Council reason for passing resolution SIRES/924 (1994) in which it determined a danger for international peace and security. A number of resolutions, e.g., resolutions SIRES/182 (1963) and SIRES/217 (1965), dealt with situations ofracial discrimination in South Africa and Southern Rhodesia. In these resolutions, the situation as such, causing large-scale, man-made human suffering, was characterized as a danger to international peace. It follows from these examples that the Security Council regards the absence of human suffering of such dimensions as another element of international peace within the meaning of art. 24 ofthe Charter.
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VI. Teleological interpretation: Peace seen as absence of international anned conflicts It is not disputed that the absence of international arrned conflicts is an element of international peace within the meaning of art. 24 of the Charter. One of the main purposes of the United Nations is to maintain international peace. It was common understanding from the very beginning that international armed conflicts should be prevented, or, as the First Committee had phrased it during the San Francisco negotiations, that "it is war as such, the scourge of humanity, which we want to bar." International peace, understood as the absence of international arrned conflicts, is broken when two or more states engage in armed hostilities. The same holds tme when de facto-regimes are involved in such a conflict, provided that they had efIective control over a territory. In this respect, the notion "international peace" has to be understood in a wider sense than "inter-state" peace.
Vll. Peace seen as absence of large-scaIe, man-made human suffering In contrast to the absence of international arrned conflicts as an element of international peace, the absence of large-scale, man-made human sufIering is highly controversial. Therefore, a thorough teleological analysis is necessary. The starting-point is that the maintenance of international peace and security is the primordial purpose of the United Nations. This follows from the fact that it is mentioned as the foremost purpose both in the preamble and in art. I of the Charter. Its preeminent position is also underlined in chapter VII of the Charter. The mIes of this chapter provide the Security Council with powers to maintain or restore international peace and security even against the will of the target state. By vesting these powers in the Council, the member states expressed the outstanding importance they attach to the maintenance of international peace. However, it remains to be discussed whether international peace, whose maintenance is of such preeminent importance, comprises only the absence of international arrned conflicts, or, the absence of large-scale, man-made human sufIering as well. It is argued that the absence of international arrned conflicts alone is the preeminent purpose ofthe United Nations (and, therefore, ought to be equalled with the notion "international peace and security") since it is the precondition
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English Summary
for the realization of all other purposes like the promotion of human rights and of economic progress. While it is correct that the realization of these purposes is endangered or impossible in case of international armed conflicts, it can also be said, on the same token, that the realization of these purposes is the precondition for the absence of international hostilities since unstable social or economic conditions aggravate the risk of international conflicts. In fact, the various purposes of the United Nations are in a relation of mutual interdependence. Therefore, it cannot be argued that the absence of international armed conflicts is the preeminent purpose because of its preconditional character in relation to the other purposes, as this argument would hold tme for all of the purposes of the United Nations. Another line of argumentation is to hold that the maintenance of international peace as the preeminent purpose of the United Nations comprises only the prevention of international armed conflicts because the preamble states that the founders of the organization were determined to "save succeeding generations from the scourge of war". However, it must be asked why war is ostracized. The reason is to be found in the preamble as weIl: because war had "brought untold suffering to mankind". The ultimate goal was not the proscription of war as an end in itself, but the minimization of large-scale, man-made human suffering. When the United Nations was founded, it was common understanding that the international society had to shift its basic reference point from the well-being of states to the well-being of the individual. The Second World War and the Holocaust had made dear that it did not suffice to secure the peaceful relations among states without taking into account the situation of human beings. Until today, there has always been consensus that the protection of humankind against large-scale, man-made suffering is the preeminent goal of the international society. Despite all conflicts of interest and ideology, this consensus led to the expansion and codification of a vaste body of law, its goal being to secure the protection of individuals against extreme, man-made suffering (cf. below). It follows that the preeminent purpose of the United Nations is not the prevention of international armed conflicts themselves, but the prevention of large-scale, man-made human suffering. However, this kind of suffering may also occur for other reasons than international hostilities, e.g., because of acts of genocide, arbitrary killings, torture, slavery, discrimination, and so on. It sterns from the aforementioned shift of the reference point of the international system towards the well-being ofthe individual that the international society is not prepared to accept these situations of large-scale, man-made human suffering, irrespective of their international or internal cause. Since the Charter of the United Nations is meant to be the constitution of the international society
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by which the basic values and reference points of this society shall be secured, it reflects these reference points and values. It must therefore be concluded that the preeminent purpose of the United Nations is the prevention of large-scale, man-made human suffering, irrespective of its cause. As this preeminent purpose is described by the notion "maintenance of international peace and security", this notion includes the absence of human suffering of the aforementioned kind. The two elements ofthe notion "international peace" within the meaning of art. 24 ofthe Charter, i.e., the absence ofinternational armed conflicts and the absence of large-scale, man-made human suffering, are both necessary to define the notion. Although it has been shown that the prevention of international armed conflicts is not an end in itself but shall serve the prevention of large-scale, man-made human suffering, the absence of international armed conflicts is an element of full value. This follows from the fact that an international armed conflict does not necessarily cause such suffering. However, international hostilities of that kind would still break international peace and security. Since art. 2 par. 4 of the Charter proscribes all forms of international armed force, no differentiation can be made between conflicts causing largescale, man-made human suffering, and others. In conclusion, it may be stated that the notion "international peace" within the meaning of art. 24 of the Charter comprises two elements, i.e., the absence of international armed conflicts and the absence of large-scale, man-made human suffering. These two elements may overlap since international armed conflicts may cause large-scale, man-made human suffering. However, both large-scale, man-made human suffering caused by other situations than international hostilities, and international armed conflicts which do not lead to large-scale, man-made human suffering, mayaiso affect international peace. While agreeing with the finding that the absence of international armed conflicts and of large-scale, man-made human suffering is the preeminent purpose of the United Nations, some scholars argue that the notion "international peace" should only comprise the absence of international armed conflicts. The prevention of large-scale, man-made human suffering should be realized by qualifying such situations as threats to the peace within the meaning of art. 39 of the Charter. It is pointed out that this interpretation would have the advantage of circumscribing the notion "international peace". Consequently, it must be examined whether the starting-point of this line of argumentation, i.e., that situations of large-scale, man-made human suffering always constitute a threat to the peace, holds true. To this end, the notion "threat to the peace" within the meaning of art. 39 of the Charter, shall be analyzed.
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English Summary
A threat to the peace within the meaning of art. 39 of the Charter is a situation which gives reason to forecast a breach of the peace, this forecast being based on specific features of the situation. In contrast to the opinion of some scholars, it is held that a threat to the peace does not require a violation of the prohibition of the use of force (art. 2 par. 4 of the Charter). By including the notion "threat to the peace" in art. 39, the power to prevent breaches of the peace without having to wait until the breach actually occurred, was vested in the Security Council. This preventive mechanism would be of little use if the Council had to wait until astate would explicitly make a threat of force and thereby violate art. 2 par. 4 ofthe Charter. A situation constitutes a threat to the peace within the meaning of art. 39 when its specific features give reason to fear that this concrete situation may deteriorate into a breach of the peace. These specific features may be international tensions and crises, the breakdown of the governmental structures of a state, or the impairment of the efficiency and authority of United Nations bodies caused by the disregard by astate of United Nations resolutions or agreements which were negotiated with United Nations involvement. A situation constitutes a threat to the peace only when this concrete situation threatens to escalate into a breach of the peace. It does not suffice to argue that the situation may destabilize the international system and, thereby, be the long-term cause for a breach of the peace which may occur at another time or place. Only when the concrete situation itself, whose features and actors will be known, gives rcason to fear that it may deteriorate into abreach of the peace, will the necessary forecast be based on sufficient factual information. Large-scale, man-made human suffering does not necessarily result from or cause a concrete situation which itself threatens to escalate into an international armed conflict. Since such a concrete situation is necessary, however, to determine a threat to the peace within the meaning of art. 39, it follows that it is not correct to state that every situation of large-scale, man-made human suffering may be characterized as a threat to the peace, the latter understood as absence of international armed conflicts. Thus, it may not be held that the preeminent purpose of the United Nations to prevent both international armed conflicts and large-scale, man-made human suffering, may be realized by defining "international peace" as the absence of international armed conflicts and by qualifying situations of large-scale, man-made human suffering as threats to the peace according to art. 39 of the Charter. On the contrary, it is necessary to understand "international peace" within the meaning of art. 24 of the Charter as the absence of international armed conflicts and of large-scale, man-made human suffering.
English Summary
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vm. Peace seen as integrity of the basic roles of the intemationallegal order
The integrity of the basic mies of public international law, i.e., inter a1ia, the prohibition of genocide, the basic human rights, the right to self-detennination, and the basic mies of international humanitarian law, is not comprised of the notion "international peace" within the meaning of art. 24 of the Charter. In contrast to the aspect of the prevention of human suffering, the integrity of these mIes is not mentioned in the preamble of the Charter, nor at any other point, as apreeminent purpose of the United Nations. Furthennore, the structure of the Security Council is one of a political body which reacts to political crises, and not one of a judicial body. It follows from these considerations that it cannot be held by means of interpreting the Charter that the integrity of the basic mIes of international law is an element of international peace. In its resolutions, the Security Council tends to denounce specific actions of a party to a conflict as violation of basic mIes of the international legal order (cf. above). However, this does not lead to the conclusion that the integrity of these mIes is a part of international peace. Rather, the Security Council takes advantage of the fact that the actions which cause large-scale, man-made human suffering, constitute violations of international law. By stigmatizing the targeted state or group of its resolution as violator of law, the Council attaches more importance to its determinations and measures.
IX. The subsequent practice It has al ready been shown that the practice of the Security Council is consistent with the finding that international peace within the meaning of art. 24 of the Charter describes the absence of international armed conflicts and of largescale, man-made human suffering. The vast majority of member states of the United Nations supports the practice of the Security Council in this respect. This attitude was expressed in a number of resolutions which the General Assembly passed unanimously or with an overwhelming majority ofvotes, in which it welcomed the measures of the Security Council or asked this body to go further.
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English Swnrnary X. The confonnity to the basic values of the international society
The United Nations serves as a fomm for the international society with a view to realizing common purposes. The Charter of the United Nations is meant to be the constitution of this society. Therefore, the purposes which are mentioned in the Charter reflect the purposes and values of the international society in general, as contained in the body of general internationallaw. Each interpretation of the United Nations Charter has to take into account this relationship. The body of general international law must be exarnined in order to verify if the prevention of large-scale, man-made human suffering is a preeminent purpose ofthe international society. Until the twentieth century, war was not prohibited by international law. During the period of the League of Nations, first steps were taken with a view to proscribing international armed conflicts. The protection of individuals also was of a very fragmentary nature. Agreements were concluded against slavery and, since 1919, in the framework of the International Labour Organization, to improve the situation of workers. The Second World War brought a shift of emphasis in the development of international law. It had become clear that the protection of the individual against large-scale, man-made human suffering caused by armed conflicts or other reasons, had to be ameliorated. Consequently, the prohibition of the use of force was included in the Charter of the United Nations. As weil, intense activity began to develop and codify mies for the protection of the individual. The states were now prepared to enter into agreements which aimed at the universal protection of human rights, like the two International Covenants of 1966. The codification of international humanitarian law was brought forward. In particular, mies were codified in relation to the protection of the civilian population and to the application of the basic rules of hurnanitarian law in non-international arrned conflicts. In the General Assembly, the question of the duty of astate to provide humanitarian assistance to its population, is under discussion. In general international law, the basic mies which serve to prevent largescale, man-made human suffering, are regarded as customary law. In addition, these mies have binding force for all states as jus cogens. Their violation shall be regarded as violation erga omnes. It follows that both the customary force of these mies and their particular character are binding for all members of the international society, irrespective of their will. This situation is actually the result of a revolutionary change of international law from a system based on consent towards a constitutional system containing some basic mies which are
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not dispositive. These basic mIes are all those which aim at guaranteeing the absence of large-scale, man-made human suffering, irrespective of its source. The members of the international society were prepared to save human beings from extreme suffering and, to this end, to develop international law and, even beyond, to accept a fundamental change of their organizational system. The prevention of large-scale, man-made human suffering is the preeminent purpose of the international legal society. The Charter of the United Nations reflects this situation.
XI. Specification of the notion "international peace" International peace as the absence of international anned force is broken when astate or a de facto-f(!gime uses military force against another state or de facto-f(!gime. Indirect military force (as described in General Assembly resolution AJRES/3314 (XXIX)) suffices to affect international peace. International peace as the absence of large-scale, man-made human suffering is broken in case of acts of genocide, torture, slavery, systematic rape of women, massive discrimination for racial or other reasons, "ethnic cleansing" or other instances of expulsion, the obstmction of humanitarian assistance, and acts of a similar nature. In all of these examples, international peace is broken when the cases are not of a solitary, but numerous and massive, systematic nature.
XU. The notion of "international security" The notion "international security" describes astate of international relations which is characterized by a minimal risk of a future breach of international peace. This minimization is attained, within the framework of the United Nations, through the system of collective security. International peace and international security within the meaning of art. 24 of the Charter are two different but interdependent notions. Theoretically, there may exist astate of international peace without security as the peace might be of a very instable nature. It becomes clear that the notion "international peace" describes the present state of the international system, whereas "international security" covers the future developments.
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It is the Security Council' s function to maintain both international peace and security. The Council discharges its duty by preventing international armed conflicts and instances of large-scale, man-made human suffering.
XIII. The maintenance of international peace and security The following chapters deal with the interpretation of "maintenance" of international peace and security. It is shown that in order to maintain peace, it is necessary for the Uni ted Nations bodies to prevent threats to and breaches of the peace, to restore peace in case of a breach, and to consolidate peace by means of peace-building measures in post-conflict situations.
XIV. Criteria for the definition of the jurisdiction of tbe Security Council According to art. 24 of the Charter, the Security Council bears the principal responsibility for the maintenance of international peace and security. However, it is not the only body with this duty. In particular, the General Assembly also takes part in this effort (cf. arts. 10, 11, and 14 ofthe Charter). Therefore, the partition of tasks must be determined. Taking into consideration the different characteristics of the two bodies and of the powers vested in them, a teleological interpretation leads to the conclusion that it is the General Assembly's function to ameliorate the social and economical preconditions for lasting and stable inter-state and intra-state peace on a medium- and long-term basis. In contrast, the Security Council shall act rapidly as soon as the degree of danger for international peace and security necessitates short-term and forceful measures.
XV. Definition of tbe jurisdiction of tbe Security Council In case of a breach of the peace, i.e., an international armed conflict or large-scale, man-made human suffering, it is the Security Council's function to use its powers defined in chapter VII of the Charter, in order to restore international peace and security. In the period before the actual breach of international peace and security, the Security Council has jurisdiction to act in case
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of a threat to the peace within the meaning of art. 39 of the Charter, i.e., a concrete situation whose specific features give reason to fear that this particular situation may deteriorate into a breach of the peace. The Security Council also has jurisdiction to act when a situation endangers international peace and security within the meaning of chapter VI of the Charter. However, it is shown that there is no difference between a danger and a threat to international peace and security. Otherwise, the Security Council would have the power to exercise the measures contained in chapter VI in face of any situation that rnight, in the long ron, cause a breach of peace at any given time or place. Since practically every situation may be characterized as a potential cause for a future breach of peace in this sense, this interpretation would lead to a general jurisdiction of the Security Council at the expense of the General Assembly. During the period of post-conflict restoration and consolidation of international peace and security, the Security Council has jurisdiction to act when the process is instable and has the potential to faiI. In this event, the concrete situation gives reason to fear a renewal of the international armed conflict or the large-scale, man-made human suffering, and therefore constitutes a danger or a threat to international peace and security.
XVL Conclusions Within the meaning of art. 24 of the Charter of the United Nations, the notion "international peace and security" comprises the absence of international armed conflicts and of large-scale, man-made human suffering. In order to maintain international pe ace and security, it is necessary to prevent threats to the peace and breaches of the peace, to restore peace in case of its breach, and to consolidate post-conflict situations. Various United Nations bodies are charged with the maintenance of international peace and security. Within this framework, it is the Security Couneil' s function to become active in face of a concrete situation which threatens to deteriorate into a breach of the peace.
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Personen- und Sachregister Abchasien 155 Abkommen von Dayton Siehe Bosnien-Herzegowina Abkommen von Govemors Island Siehe Haiti Abrüstung 33; 250; 256 Abschreckung 249 Ägypten 53 Äthiopien 282 Afghanistan 22 Agenda for Peace 178; 256 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 175; 223; 225 Alliierte und Assoziierte Mächte 221 Angola 11; 23; 70 f; 123 fT.; 133; 135; 137; 141 f; 144; 150 f; 186; 273; 280 f - Uniäo Nacional para a Independencia Total de Angola 122; 144; 186; 273;281 - United Nations Verification Mission (UNAVEM II) 124 Angriffshandlung 52; 167; 189; 241 f Apartheid 67; 141 f; 209; 235; 245; 272;278 arabische Staaten 53; 132 Arbeitsschutzbestimmungen 221 f; 225 Argentinien 50; 156; 177 Aristide, Jean-Bertrand 112 f; 115; 119;262 Armenien 152 Aserbaidschan 152 Atlantik-Charta 164
Atombomben 224 Aufständische 72; 106; 169; siehe auch Nationale Befreiungsbewegung; Rebellenbewegung Auslegung - dynamische 162 - effet utile 184; 187 - Methoden 37; 161; 209; 217; 258 - teleologische 164; 171; 207; 212 Autorität - der UN-Organe, Mißachtung 118 f; 125; 144;201;247 - des Sicherheitsrates Siehe Sicherheitsrat Bangladesch 56 Barre, Siad 81 Befugnisse - des Sicherheitsrates Siehe Sicherheitsrat - generelle 274 - implizite 286 Belgien 54 Berg-Karabach 152 Bosnien-Herzegowina 24; 89 f; 94 f; 97; 100; 133; 144; 215; 277 - Abkommen von Dayton 103; 277 - bosnische Kroaten 90 - bosnische Muslime 90 - bosnische Serben 90 - Leistung humanitärer Hilfe 97 - Menschenrechtsverletzungen 100 - Multinational Implementation Force (IFüR) 104
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Personen- und Sachregister
- United Nations Protection Force (UNPROFOR) Siehe Jugoslawien Boutros-Ghali, Boutros 23; 131; 140; 178; 256 Brüsseler Generalakte 220 Bürgerkrieg 22; 56; 58; 80; 91; 105; 108; 123; 133; 147; 157; 189; 196; 200; siehe auch Konflikt, interner bewaffneter Bulgarien 222 Cedras, Raoul 112; 115 Charta der Vereinten Nationen 223 - als Verfassung der internationalen Gemeinschaft 181; 217 - Art. 1 ZitT. I Ch VN 172; 188; 189; 191; 210; 253 - Art. I ZitT. 2 Ch VN 32; 35; 174 - Art. 1 ZitT. 3 ChVN 173; 224 - Art. lOChVN 257; 260; 266 - Art. 11 ChVN 257; 260; 266 - Art. 12 ChVN 261 f - Art. 13 Ch VN 173; 259 f - Art. 14 ChVN 257; 260; 266 - Art. 2 ZitT. 3 ChVN 32; 188; 190 - Art. 2 ZitT. 4 ChVN Siehe Gewaltverbot - Art. 2 ZitT. 7 ChVN 34; 88 - Art. 26 Ch VN 32; 40 - Art. 27 Ch VN 274; 286 - Art. 28 Ch VN 204 - Art. 33 ChVN 40 - Art. 34 Ch VN 40 f - Art. 35 ChVN 42 - Art. 36 ChVN 40 tT. - Art. 37 ChVN 40 tT. - Art. 38 ChVN 43 - Art. 39 ChVN 40; 44; 49; 162f.; 170; 172; 183; 185; 200; 202 f; 205;241;246;254;267 -Art.40ChVN 189;191
- Art. 41 ChVN 188; 191; 262; 269 - Art. 42 ChVN 188; 262 - Art. 51 ChVN 255 - Art. 55 ChVN 32; 174 - Art. 56 ChVN 224 - Art. 62 ChVN 259 f - Art. 73 ChVN 32 - Art. 83 ChVN 260 -Präambel 32; 164; 166; 172; 178; 210; 254 - Praxis der Mitgliedstaaten 38; 215; 241 - Praxis des Sicherheitsrates 38; 162; 214 - travaux preparatoires 34 Churchill, Winston 165 Dayton Siehe Bosnien-Herzegowina de facto-Regime 50; 147; 168 Dekolonisierung 33 Diskriminierung 175; 181; 232 f; 245 Doe, Samuel 80 Drogen 178; 197 ECOMOO Siehe ECOWAS CeaseFire Monitoring Group ECOWAS Siehe Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten ECOWAS Cease-frre Monitoring Group 80 Ecuador 177 EtTektivität der UN-Organe 118 f; 125; 145; 201; 247; 264 etTet utile Siehe Auslegung Eichmann, Adolf 156 Entwaffnung 280 erga omnes-Verpflichtungen 232; 236 f. Eritrea 282 Erklärung der Vereinten Nationen 165
Personen- und Sachregister Erster Weltkrieg 219; 221 "ethnische Säuberungen" 100 Fakultativprotokoll Siehe Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Falkland-Inseln 46; 50; 177 Flüchtlingsströme 74; 80 f; 85; 92; 105; 108; 113 f; 116; 121; 134; 154 f; 176; 178; 197 Folter 100; 113; 181; 228; 232; 244 Fortschritt, wirtschaftlicher und sozialer 30 f; 33; 173; 176; 239; 253;257;259 Four Freedoms-Rede 223 Frankreich 76; 273 Frieden - als Abwesenheit extremen, durch Gewalt verursachten menschlichen Leidens 135; 140; 147; 171; 181; 206;212;244 - als Abwesenheit internationaler bewaffneter Gewalt 51; 134; 143; 146; 149; 164; 173; 240 - als Integrität grundlegender Völkerrechtsnormen 141; 147; 192; 208 - Konsolidierung 255; 257; 275 - regionaler 46 - und Menschenrechte 32; 34 fo; 129 - und wirtschaftlich-sozialer Mindeststandard 33 f; 129 - Wahrung 253 - Welt- 35; 44 Friedensbedrohung 53; 146; 184;246; 251;268 - durch drohenden internationalen Konflikt 56; 63; 69; 72; 74; 81 fo; 92; 107; 114; 133; 173; 189;246 - durch internationalen Konflikt 54; 57 f; 95; 97 f; 104; 132; 246
343
- durch menschliche Notsituation 83; 85; 92; 102; 107; 109; 111; 124; 134; 247 - durch schwere Menschenrechtsverletzungen 63; 65; 69; 73; 109; lll; 118; 121; 130; 141 - durch Terrorismus 77; 130; 133; 273 - durch Verletzungen des humanitären Völkerrechts 101; 107; 111; 141 - Prognosesicherheit 187; 193; 195; 199;203 Friedensbegriff - enger 27 fo; 30; 239 - im allgemeinen Völkerrecht 28; 30 - in der Friedensforschung 28 - mittlerer 27; 31; 240 - weiter 30; 239; 258 Friedensbruch 49; 147; 186; 189; 193;242;246;249;254;267;276 Friedensgefiihrdung 148; 188; 251; 268 - durch drohende internationale Konflikte 149 - durch menschliche Notsituationen 157 - Verhältnis zur Friedensbedrohung 148;268 Geiselnahme 228 - Teheran 151 Generalversanunlung 38; 57; 117; 129; 167;224;229;257;263;266; 274;282;288 - Resolutionen 33; 38; 57; 62; 158; 167; 174;215;229;230;241;263 - Verhältnis zum Sicherheitsrat 263; 266;270;274;276;282 Genfer Rotkreuz-Konventionen 57; 100;227;233
344
Personen- illld Sachregister
- Zusatzprotokolle 228 Georgien 154; 155 Gewalt - indirekte 240 - nichtmilitärische 241 Gewaltenteililllg 264; 265 Gewaltverbot 30; 50; 79; 133; 141; 168; 182; 188; 200; 208; 220; 223; 231 f; 234 Gleichgewicht der Mächte 249 Globalisiefilllg 176; 195; 196; 202 Governors Island Siehe Haiti Grenzzwischenfälle 74; 134; 195 Griechenland 57; 221 Großbritannien 50; 53; 58; 76; 177; 273 Gründilllgskonferenz der Vereinten Nationen 34; 166; 243 Guinea 150 Haager Konferenzen 218 Haiti 24; 112; 134 f; 142; 144; 262; 282 - Abkommen von Governors Island 115; 118; 122; 144 - International Civilian Mission (MlCIVIH) 121; 263 - Uni ted Nations Mission in Haiti (UNMlH) 115; 119 - Uni ted Nations übserver Group for the Verification ofthe Elections in Haiti (üNUVEH) 116 Hegemonialmacht 250 Hinrichtilllgen, extralegale 65; 228; 232 Hiroshima 224 humanitäre Hilfsleistilllgen 85; 97; 106; 136; 229 - Behindefilllg 73; 85; 97; 246 humanitäres Völkerrecht 100; 109; 141; 156;208;218;227;233;237
Hilllgersnot 85; 181 IFüR Siehe Bosnien-Herzegowina implied powers Siehe Befugnisse, implizite Indien 56; 133 Individualbeschwerde 226 International Civilian Mission Siehe Haiti Internationale Arbeitsorganisation 221 Internationaler Gerichtshof - Admissions-Gutachten 162 - Barcelona Traction-Urteil 232 - Nicaragua-Urteil 233 - üsttimor-Urteil 233 Internationaler Pakt über bürgerliche illld politische Rechte 175; 225 f; 245 - Fakultativprotokoll 226 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale illld kulturelle Rechte 175;225;245 Internationales Übereinkommen zur Beseitigilllgjeder Form von Rassendiskriminiefilllg 175 InternierlUlgslager 100 Irak - Konflikt mit Iran 51; 149; 272 - Konflikt mit Kuwait 21; 23; 51; 71; 278 - Kurden 72; 134; 264 -Atomreaktor 150 Iran 72; 151 - Konflikt mit Irak Siehe Irak Israel 53; 132; 150; 156 ius ad bellum 218 ius cogens 231; 236 ius in bello 209; 218
Personen- Wld Sachregister Jemen 157 Jordanien 53 Jugoslawien 221 - Abkommen von Dayton Siehe Bosnien-Herzegowina - Bosnien-Herzegowina Siehe Bosnien-Herzegowina - Föderative Republik Jugoslawien (Serbien Wld Montenegro) 89; 94 - Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien 23; 89; 94; 100; 104; 134; 142 - Kroatien Siehe Kroatien - Mazedonien Siehe Mazedonien - Multinational hnplementation Force (IFOR) Siehe Bosnien-Herzegowina - Slowenien Siehe Slowenien - Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien 89; 91; 134 - United Nations Protection Force (UNPROFOR) 93; 96 f - United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium (UNTAES) Siehe Kroatien - Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien 22; 89 }Uunbodscha 22;280;288 - Party of Democratic Kampuchea (Khmer Rouge) (PDK) 281 Kellogg-Briand-Pakt 219; 224 Khmer Rouge Siehe Kambodscha kollektive Sicherheit, System der 130; 145; 164; 250 Kollektivstrafen 232 Kolonien 54; 232; 235
345
Konflikt - internationaler bewaffneter 22; SO; 53 f; 57 f; 72; 90; 146; 182; 218; 240;246;255;260 - interner bewaffneter 22; 72; 82; 90; 130; 228; 247; siehe auch Bürgerkrieg - StaatwerdWlgs- 22; 54; 89; 147; 247 Kongo 54; 133 KonsolidiefWlg Siehe Frieden Korea 45; 49; 168 Kriminalität, organisierte 197 Kroatien 89; 91; 95 f; 104; 133; 144; 277 - kroatische Serben 90 - Prevlaka, Halbinsel von 105 - United Nations Protection Force (UNPROFOR) Siehe Jugoslawien - United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium (UNTAES) 104 Kurden Siehe Irak Kuwait Siehe Irak Legitimität Siehe Sicherheitsrat Lesotho 150 Libanon 53; 150 Liberia 22 f; 80; 134 - National Patriotic Front of Liberia (NPFL) 80 - United Liberation Movement ofLiberia for Democracy (ULIMO) 80 Libyen 76; 133;273 Litauen 221 Lockerbie, Attentat von 76 Lumumba, Patrice 55 Major, John 129; 264 Makarios rn. 57
346
Personen- und Sachregister OAS Siehe Organisation Amerikanischer Staaten Österreich 222 ONUVEH Siehe Haiti Operation turquoise Siehe Ruanda Organisation Amerikanischer Staaten 113; 115; 117; 263
Massenmord 100; 105; 109 MassenvemichtungswafTen 130; 196 Mazedonien 89 Menschenhandel 232 Menschenrechte - Schutz 30; 33; 35; 173; 181; 208; 224 f.; 231 f.; 237; 239; 256; 257 - und Frieden Siehe Frieden - Verletzungen 35; 63; 69; 75; 100; 107; 113; 118; 121; 141; 176;202; 226 Menschenrechtskornmission der Vereinten Nationen 75; 265 MlCIVlli Siehe Haiti Minderheitenschutzsystem 221 Mitgliedstaaten - Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt Siehe Sicherheitsrat - Praxis Siehe Charta der Vereinten Nationen Mosambik 59; 280 Moskauer Erklärung 165 Multinational Implementation Force Siehe Bosnien-Herzegowina
Pakistan 56; 133 Palästina 45; 53 Party of Democratic Kampuchea (Khmer Rouge) Siehe Kambodscha PDK Siehe Kambodscha Peru 177 Polen 221 Portugal 59; 150; 151; 159 Präambel Siehe Charta der Vereinten Nationen Prävention Siehe vorbeugende Maßnahmen Prevlaka, Halbinsel von Siehe Kroatien Prognosesicherheit Siehe Friedensbedrohung
Nagasaki 224 Namibia 277 - United Nations Transition Assistance Group (UNTAG) 278 National Patriotic Front ofLiberia Siehe Liberia nationale Befreiungsbewegung 156; siehe auch Aufständische; Rebellenbewegung Nicaragua 283 Nichtstaatliche Organisationen 246; 288 Notsituation, menschliche 84; 99; 105; 116; 119 fT.; 134; 157; 173; 180; 197;205;237;244;258;282 NPFL Siehe Liberia
Rassendiskriminierungskonvention Siehe Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Rebellenbewegung 21; 80; 105; 122; 198; 200; siehe auch Aufständische; Nationale Befreiungsbewegung Recht der Kriegsführung Siehe ius in bello Recht zum Krieg Siehe ius ad bellum Repressalien 188; 191 Resolutionen - der Generalversammlung Siehe Generalversammlung - Mißachtung Siehe Sicherheitsrat
Personen- und Sachregister Rhodesien 58; 73; 271 - innerstaatliche Situation 61; 158 - Mißachtung des Embargos 59; 144 - Übergriffe auf andere Staaten 52; 65; 133 Roosevelt, Franklin Delano 165; 223 Ruanda 22 f; 105; 134 f; 138; 142; 154; 157;206 - Feststellung der Bedrohung des regionalen Friedens 47; 108 - Operation turquoise 138 - United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR) 106; 108 Rumänien 221 Sambia 65; 150 Selbstbestimmungsrecht der Völker 32; 62; 65; 141; 158; 160; 174; 209; 231 f; 234 Senegal 150 Sicherheit, internationale 249 Sicherheitsrat - Aktivitäten 23 -Befugnisse 24;41;44; 193; 198; 202; 248; 254; 259 f; 266; 274; 285 - Begrülldungszwang 288 - Bindung an Charta 162; 210 - Ermächtigung der Mitgliedstaaten zum Einsatz militärischer Gewalt 24; 85; 96; 98; 104; 108; 118; 120 - Ermessensspielraum 163; 203; 213; 274;285;288 - Legitimität 287 - Mißachtung der Autorität 61; 97; 125; 144;201;247;287 - Mißachtung der Resolutionen 118; 124; 144;201 - Mißbrauch der Befugnisse 25; 162; 203;285
347
-politischeMechanismen 161; 193; 211;271;287 - Strafgerichtshof, Errichtung 25; 100; 109; 142;212 - Unterausschuß zur Spanienfrage 268 - Waffenembargo 68; 78; 80; 82; 91; 103; 106; 113; 123; 273; 278; 281 - Wirtschaftsembargo 59; 61; 78; 94; 96; 100; 103; 113; 116; 118; 123; 269;271 - Zwangsmaßnahmen Siehe Zwangsmaßnahmen Sierra Leone 81 Sklaverei 181; 220; 222; 225; 231 f; 235;244 Slowenien 89; 91 Smith, lan 58 Somalia 22 ff.; 81; 134; 136; 142; 146;215 - United Nations Force in Somalia (UNOSOM II) 89 Sowjetunion 21 f Spannungslage, konkrete 133; 151; 195; 202 f.; 205; 246; 268; 270; 276;281;285 Staatengemeinschaft 35; 118; 126; 181;217;243;245;285;287 Staatenverantwortlichkeit, Konventionsentwurf der ILC 231; 234 Staatsangehörige 77;218;226;237 Staatwerdungskonflikt Siehe Konflikt Stabilität des internationalen Systems 178;202 Strafgerichtshof, Errichtung Siehe Sicherheitsrat Streitbeilegung, friedliche 33; 40; 190; 199; 233 Südafrika 67; 73; 142 - innerstaatliche Situation 68; 158; 272;278
348
Personen- und Sachregister
- Übergriffe auf andere Staaten 52; 68; 133; 150; 153; 272 - United Nations Observer Mission in South Africa (UNOMSA) 278 Syrien 53 Terrorismus 77; 130; 133; 273 Tötungen, willkürliche 100; 112; 181; 228;244 Treu und Glauben 233; 287 Treuhandgebiete 232; 260 Tschechoslowakei 221 Tschombe, Moise 54 Türkei 57; 72; 152;222 Übergriffe, militärische 52; 65; 68; 81; 133; 149; 176; 198; 272 ULIMO Siehe Liberia Umweltschutz 30; 33; 129; 197; 233; 235;246;253;257 UNAMIR Siehe Ruanda UNAVEM II Siehe Angola UNFICYP Siehe Zypern Ungarn 222 Uniao Nacional para a Independencia Total de Angola Siehe Angola UNITA Siehe Angola United Liberation Movement ofLiberia for Democracy Siehe Liberia United Nations Assistance Mission for Rwanda Siehe Ruanda United Nations Force in Cyprus Siehe Zypern United Nations Force in Somalia Siehe Somalia United Nations Mission in Haiti Siehe Haiti United Nations Ob server Group for the Verification ofthe Elections in Haiti Siehe Haiti
United Nations Observer Mission in South Africa Siehe Südafrika United Nations Protection Force Siehe Jugoslawien Uni ted Nations Transition Assistance Group Siehe Namibia Uni ted Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium Siehe Kroatien United Nations Verification Mission Siehe Angola UNMIH Siehe Haiti UNOMSA Siehe Südafrika UNOSOM II Siehe Somalia UNPROFOR Siehe Jugoslawien UNTAES Siehe Kroatien UNTAG Siehe Namibia Unterausschuß des Sicherheitsrates zur Spanienfrage Siehe Sicherheitsrat USA Siehe Vereinigte Staaten von Amerika van der Stoel 75; 265 Verbrechen, internationale 234 Vereinigte Staaten von Amerika 21; 76; 151; 273 Verfahrensvorschriften 161; 211; 286 Vergewaltigung 100; 244 Verhaftungen, willkürliche 65; 100; 113 Verschleppung 113 Vertragsrechtskonvention Siehe Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vertrauensbildende Maßnahmen 33; 250 Vertreibung 100; 107; 181; 245 Völkerbund 164; 219; 221
Personen- Wld Sachregister Völkennord 108; 110; 138; 141; 180 f; 206; 208; 223; 231; 233; 235;244 völkerrechtlicher Vertrag, NichtbeachtWlg 96; 105; 116; 119; 121; 123; 137; 144;201;273;281 Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen 231; 234 VölkerrechtsordnWlg 208; 217; 227; 236 f.; 285 vorbeugende Maßnahmen 253; 257; 268;279 vorläufige Maßnahmen 191; 199 Waffenembargo Siehe Sicherheitsrat Waffenstillstand, NichtbeachtWlg 96; 105; 144; 201 WahlüberwachWlg durch die Vereinten Nationen 117; 123; 256; 273; 278;280;282 WahrWlg des Weltfriedens Siehe Frieden Weltfrieden Siehe Frieden Weltmenschenrechtskonferenz, Wiener 175 WiederherstellWlg der Demokratie 118
349
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 37; 162; 231 Wirtschafts- Wld Sozialrat 129; 224; 258;274 Wirtschaftsembargo Siehe Sicherheitsrat Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten 80 Wirtschaftspolitik 196; 203; 254 Würde des Menschen 220; 223; 225; 235;245;285 ZivilbevölkeTWlg 23; 72; 81; 97; 100; 105; 123; 182;218;228 Zusammenbruch der staatlichen OrdnWlg 22; 80 f; 87; 146; 200; 246 Zusatzprotokolle Siehe Genfer Rotkreuz-Konventionen Zwangsarbeit 232 Zwangsmaßnahmen 44; 172; 183; 189; 191; 209; 240; 259 f; 267 Zweiter Weltkrieg 164; 172; 180; 223;227 Zypern 57; 133; 152 - United Nations Force in Cyprus (UNFICYP) 57