Die Urteilstafel: Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–101 9783787325399, 9783787310159

Diese knapp gefaßte Studie zu einem zentralen Problem der Systematik der "Kritik der reinen Vernunft" gibt ein

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German Pages 130 [137] Year 1991

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Die Urteilstafel: Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–101
 9783787325399, 9783787310159

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K a n t-For sch u nge n I V

K a n t-For sch u nge n Herausgegeben von Reinhard Brandt und Werner Stark

Band 4

F eli x M ei n er V er lag H a mbu rg

R ei n h a r d Br a n dt

Die Urteilstafel Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–201

F eli x M ei n er V er lag H a mbu rg

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1015-9 ISBN eBook: 978-3-7873-2539-9

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1991. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT

I.

Einleitung ..................................................................................................................

1

II.

Die Vollständigkeit der Urteilstafel inderneueren Literatur.........................

9

111.

Die Systemidee der Tafel .......................................................................................

45

Methode und Status der Interpretation ........................ :..........................................

45

1. "Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt"(A 67-69) ....................

46

2. Der "logische Verstandesgebrauch überhaupt" ..................................................

50

3. Die- "alle"- Verstandeshandlungen .....................................................................

53

4. Die Urteilstafel ........................................................................................................

55

5. Die Tafel ...................................................................................................................

59

6. Die vier Titel und zwölf Momente des Urteils ...................................................

61

7. Begriff, Urteil, Schluß und Methode .................................................................... a) Begriff ................................................................................................................ b) Urteil ................................................................................................................. c) Schluß................................................................................................................. d) Urteil und Schluß. Historischer Exkurs ....................................................... e) Methodenlehre.................................................................................................

62 63 64 65 68 71

8. Urteil und allgemeine Logik, Resümee ...............................................................

71

9. Detailinterpretation der Erläuterungen...............................................................

72

10. Die Vollständigkeit der Urteilstafel ...................................................................

85

11. Ergänzende Überlegungen zur Tafel .................................................................

86

12. Zur Beurteilung der Tafel ....................................................................................

87

13. Zum Aufbau und System der 'Kritik der reinen Vernunft' ............................

89

Zur Genese der Tafel .............................................................................................

97

Einleitung......................................................................................................................

97

1. Die logischen Prinzipien .........................................................................................

98

2. Die frühen Logik-Nachschriften............................................................................

99

3. Die Apperzeptionslehre um 1775 ........................................................................

107

4. Die operationes mentis in den Logik-Nachschriften der späten siebziger Jahre ........................................................................................................

110

IV.

VI

V.

Inhalt

Zur Geschichte der Interpretation der 'Kritik der reinen Vernunft' ............

113

Anhang.....................................................................................................................................

119

Exkurs 1 ....................................................................................................................... Exkurs 2 .......................................... ............................................................................. Exkurs 3 .......................................................................................................................

119 120 121

Literatur ................................................................................................................................... Verzeichnis der zitierten Reflexionen ................................................................................ Namenverzeichnis ..................................................................................................................

125 128 129

I. EINLEITUNG

Die gewöhnlich "Urteilstafel" genannte "transzendentale Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen" (A 73) 1 steht am Anfang der ''Transzendentalen Logik" und liefert den systematischen Aufriß der gesamten weiteren Gedankenentwicklung der Kritik der reinen Vernunft. Die Verstandesbegriffe oder Kategorien lassen sich nach Kant aus der Urteilstafel gewinnen; die Kategorien liefern ihrerseits das Konzept für die Grundsätze, und die Vernunftideen im zweiten Teil der ''Transzendentalen Logik", der "Dialektik", werden in der durch die Urteilstafel begründeten Systematik verortet und in ihr begründet. Unsere Untersuchung wird zeigen, daß auch die "Methodenlehre", die auf die Lehre von den Verstandesbegriffen, Grundsätzen und Schlüssen folgt, ihre Verortung in der Urteilstafel findet; sie korrespondiert dem vierten Titel, dem der Modalität. Dem Vorgehen der Kritik von 1781 folgt die gesamte theoretische, aber auch die praktische Philosophie Kants bis in die letzten Begriffsverästelungendes sog. Opus postumum; bei allen Metamorphosen der übrigen Lehrstücke wird an den Kategorien und damit an der Urteilstafel als der Grundlage aller Systematik nie gezweifelt. Die Form aller VerstandeshandJungen als Gegenstand der allgemeinen Logik ist in der Urteilstafel erfaßt, in ihr hat alle Kritik, Transzendentalphilosophie und Metaphysik (der Sitten und der Natur) ihr Fundament -wenn es einen Fels gibt, auf dem das Lehrgebäude der Kantischen Philosophie erbaut ist, so muß es die Urteilstafel sein. Worin ist diese Tafel und ihre von Kant behauptete Systematik und Vollständigkeit ihrerseits begründet? Ist sie "evident und keines Beweises fähig"? 2 Eine gewisse Evidenz soll sicher durch das Arrangement der logischen Funktionen in einer anschaulichen Tafel erzeugt werden, deren vier Titel der Leser uno intuitu zu erfassen vermag; aber die diskursive "Evidenz" ist realisierbar nur für einen Leser, der über bestimmte, von Kant vorausgesetzte Kenntnisse und Interpretationen des Textes verfügt; Kant hat die Tafel nicht a Ia Moliere dem Diener Lampe vorgehalten und geprüft, ob sie ihm auch evident sei. Welches sind die Kenntnisse und welches sind die Interpretationen, über die man verfügen muß, um das, was an der Tafel auch in diskursiver Hinsicht evident ist, als solches zu sehen? Die Urteilsfunktionen sollen nach einem Begriff oder einer Idee zusammenhängen (nach A 67), und zugleich soll der so erstellte Zusammenhang "der gewohnten Technik der Logiker" (A 70) bis auf geringfügige, in den Erläuterungen zu klärende Differenzen (A 70-71) völlig entsprechen. Welchen Weg soll man einschlagen bei der Suche nach der Idee, die den systematischen Zusammenhang der Urteilstafel stiftet? Den apriorischen Die Kritik der reinen Vernunft wird hier und im folgenden nach der ersten oder zweiten Auflage in der Ausgabe von R. Schmidt, Harnburg 1956, zitiert; in allen anderen Fällen werden Kants Schriften und die bisher edierten Nachschriften seiner Vorlesungen nach der Akademie-Ausgabe seiner Gesammelten Schriften, Berlin 1900 ff., mit Band- und Seitenangabe zitiert. Hervorhebungen und Sperrdruck werden bei der Wiedergabe der Zitate grundsätzlich fortgelassen. 2 Maier 1934, 84; so auch Schmitz 1989, 188. 1

2

Einleitung

der Verstandeseinheit, aus dem die Titel und Momente der Tafel dann wohl zu deduzieren wären, oder den empirischen Weg des Aufraffens von Lehrstücken der traditionellen Logik? Heidegger schreibt in Kant und das Problem der Metaphysik resigniert: "Der reine Verstand gibt in sich ein Mannigfaltiges, die reinen Einheiten möglicher Einigung her. Und wenn gar die möglichen Weisen der Einigung (Urteile) einen geschlossenen Zusammenhang, d. h. die geschlossene Natur des Verstandes selbst ausmachen, dann liegt im reinen Verstand ein systematisches Ganzes der Mannigfaltigkeit reiner Begriffe verborgen ... Dieser Ursprung der Kategorien wurde vielfach und wird immer wieder angezweifelt. Das Hauptbedenken stößt sich an der Fragwürdigkeit der Ursprungsquelle selbst, an der Urteilstafel als solcher und ihrer zureichenden Begründung. In der Tat entwickelt Kant die Mannigfaltigkeit der Funktionen im Urteil nicht aus dem Wesen des Verstandes. Er legt vielmehr eine fertige Tafel vor, die nach den vier 'Hauptmomenten' Quantität, Qualität, Relation, Modalität gegliedert ist. Ob und inwiefern gerade diese vier Momente im Wesen des Verstandes gründen, wird gleichfalls nicht gezeigt. Ob sie überhaupt rein formallogisch begründbar sind, kann bezweifelt werden". 3 Ist dies das letzte Wort der Interpreten? Kant behauptet die systematische Vollständigkeit der Urteilstafel, und der Leser muß diese alles fundierende Annahme als ein unauflösbares Rätsel betrachten? Auch H. J. Paton steht vor einem Rätsel: "It is a curious fact that Kant should help us so little about the principle of his division, especially in view of his interest in such topics, and in view of the oddness of the division itself, with its four main forms and its three Subordinate moments. It is also curious that he should assume without question our apriori knowledge of the forms of thought, when he has made so much difficulty in regard to a priori knowledge of the forms of intuition ... the question is clearly in need of discussion, and sofaras I am aware, it is never even discussed". 4 Nimmt man die Kantischen Ausführungen zu den im Titel angegebenen Stichworten zur Kenntnis und konsultiert die Arbeiten, die hierzu nach Heideggers Kantbuch erschienen, besonders die Untersuchungen von Walter Bröcker, Hans Lenk, Lorenz Krüger, Klaus Reich, Peter Schulthess und Hans Wagner, 5 so kann man zu folgendem provisorischen Urteil gelangen: Eine Ableitung der Urteilstafel aus der transzendentalen Apperzeption im Sinn von Reich hat Kant so wenig intendiert wie vorgelegt; die Gründe, die Krüger gegen diese Idee anführt, sind überzeugend und lassen sich ergänzen und dadurch vertiefen, daß gezeigt wird, daß die Ableitung aus der objektiven Einheit der Apperzeption die Kantische Idee der Kritik der reinen Vernunft zerstört. Auf der anderen Seite ist es auffällig, wie wenig die Darlegungen von Krüger (und auch der anderen

Heidegger 1951, 56-57. Paton 1951, I 208. Der Text ist aus der 1. Auflage von 1936 übernommen; 1939 hatte Paton die Reichsehe Dissertation von 1932 zur Kenntnis genommen und als überzeugende Lösung hingestellt (Paton 1939, 375); vgl. auch Paton 1947, 33: "The traditional criticisms of Kanton this point (sc. im Hinblick auf Kants formale Logik, R. B.) were based on complete misunderstanding. Compare Dr. Klaus Reich in Die Vollständigkeit der Kontisehen Urteilstafel - a work which supersedes all previous discussions on this topic". ' Bröcker 1970; Lenk 1968; Krüger 1968; Reich 1932; Schulthess 1981; Wagner 1987. 3

4

Einleitung

3

Autoren) jetzt noch die Systemidee der Urteilstafel erklären können- worin liegt sie denn begründet, wenn man einen Beweis im Reichsehen Sinn ablehnt? Krüger rekurriert am Ende darauf, daß die Urteilstafel vor Augen stelle, welche "Formen des Denkens für das Denken als solches charakteristisch und überdies irreduzibel sind" (342-343). Aber was heißt "für das Denken als solches charakteristisch"? Die Krügersehen Überlegungen beginnen dort zu stagnieren, wo die positive Interpretationsaufgabe anfängt. Sucht man die Kantischen Vorstellungen aus dieser mißlichen Situation zu befreien, so macht man eine überraschende Beobachtung: keiner der genannten Autoren läßt sich auf den Text ein, der die Urteilstafel einleitet (A 67-69) und erläutert (A 70-76). Dies gilt auch von Bröcker, der nicht von der Einheit des Verstandes ausgeht, sondern sich umgekehrt das Urteil vorgeben läßt und die Tafel durch eine Urteilsanalyse zu gewinnen sucht; er tut dies jedoch sogleich auf eigene Faust und stellt dann eine nicht näher präzisierte Übereinstimmung seiner eigenen formallogischen Überlegungen mit dem Kantischen Resultat fest. Schulthess, der die fundierteste Analyse der Kantischen Logik liefert, sieht in den verschiedenen Textstücken nur Verlängerungen der Entwicklung der siebziger Jahre; er entfaltet die Interpretation der Verstandesfunktionen nicht aus der Sicht des Lesers der Publikation von 1781. Der Text, der jedermann vor Augen liegt, wird auf diese Weise beiseite gesetzt, und an die Stelle der vom Autor autorisierten Darlegungen in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft treten entweder eigene Gedanken oder - besonders bei Reich - apokryphe, nicht zur Veröffentlichung bestimmte Notizen Kants, vor allem aber Passagen aus der transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage der Kritik. Daß man diese, systematisch und zeitlich nachgeordneten Überlegungen von 1787 oder auch Reflexionen aus der Zeit von 1770 bis ungefähr 1800 zur Interpretation der Schrift von 1781 benutzen kann, wird als selbstverständlich unterstellt. Eines der Bedenken dagegen: Die aus der eigenen Kombination vielfältiger Kantzitate gewonnene Idee der Vollständigkeit tritt in eine Konkurrenz zu Kants eigenen Aussagen in der Kritik von 1781. Wenn Kant die berechtigte Frage, wie die Vollständigkeitsbehauptung legitimiert und begründet ist, überhaupt beantwortet, so wird er dem Leser die Antwort dort offerieren müssen, wo er die Behauptung aufstellt und die Tafel einleitet und erläutert; von diesem Text wenigstens ist auszugehen, auch wenn am Ende keine befriedigende Lösung zu erzielen ist. Kant sagt nicht, die Urteilstafel sei aus der Einheit des Verstandes herzuleiten, so daß der Leser, der diese Herleitung nicht findet, nun seinerseits eine derartige Deduktion selbst erstellen muß. Die Passage, die zur Idee einer Herleitung der Urteilstafel aus der Verstandeseinheit einladen könnte, sie tatsächlich jedoch gerade abweist, lautet: "Die Transzendental-Philosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe, oder Idee, unter sich zusammenhängen müssen" (A 67). Hier ist von den Verstandesbegriffen oder Kategorien die Rede, und es wird unterschieden eine ratio fiendi- die absolute Einheit des Verstandes, aus der die Kategorien entspringen - von der ratio cognoscendi, einem Prinzip, nach dem die Kategorien aufgesucht werden müssen; welches Prinzip, welcher Begriff oder welche Idee das Aufsuchen ermöglichen und den Zusammenhang gewährleisten, der dann als Topik für die Gewinnung eines Kategoriensystems dienen kann, wird hier nicht

4

Einleitung

gesagt- eben dies ist Gegenstand der folgenden Abschnitte, in denen die Urteilstafel eingeleitet, vorgestellt und erläutert wird. Der Versuch, diese Tafel selbst aus der Einheit des Verstandes mit verstreuten Texten Kants oder nach eigenen Überlegungen zu gewinnen, findet hier (und auch an anderen Stellen) keine Grundlage, sondern wird abgewiesen. Daß Kant selbst in den einschlägigen Passagen der Urteilstafel (A 67-76) Argumente für die Vollständigkeit der Momente nennt und diese Argumente im Werk einen Einzigkeitsanspruch erheben (also nicht durch die später eingeführte transzendentale Apperzeption überholt oder außer Kraft gesetzt werden), dürfte, nimmt man den Erläuterungstext (A 71-76) überhaupt zur Kenntnis, von niemandem zu bestreiten sein. Hier also muß eine Interpretation, will sie sich überhaupt auf die Kritik und ihre Systemansprüche beziehen, einsetzen. Es sollte weiter beachtet werden, daß im ersten und zweiten Abschnitt des Leitfadenkapitels (eben A 67-76) nicht vom "Ich denke", nicht vom Bewußtsein und nicht von der Einheit des Bewußtseins gesprochen wird; hierin liegt eine klare Entscheidung des Autors, denn in parallelen Texten vor und nach 1781 wird die Konzeption der Urteilstafel mit einem Rekurs auf das Bewußtsein und dessen Einheit formuliert. Wenn der Text von 1781 (und 1787) an den einschlägigen Stellen nur vom Verstand und dessen Handlungen und ihren Funktionen spricht, so ist darin eine Anweisung an den Leser zu sehen, diese Rede aus dem Kontext zu begreifen und allenfalls auf das in den traditionellen, an Aristoteles orientierten Logiken (etwa von Christian Wolff) genannte Vermögen des Verstandes zu rekurrieren, nicht jedoch auf die transzendentale Theorie des Bewußtseins, die erst später im Werk auf der Basis der bis dahin erörterten Ästhetik und Logik entwickelt wird. Es muß eine Antwort auf die seit Maimon6 und Hegel 7 immer wieder verhandelte Frage nach der systematischen Einheit der Urteilstafel geben, sonst hätte Kant diese Einheit nicht behauptet. Die Antwort muß dort zu finden sein, wo die Kritik von der Urteilstafel handelt, einem relativ kurzen und gut überschaubaren Text, den Kant unverändert in die 2. Auflage übernommen hat. Die Lösung des Kryptogramms muß so geartet sein, daß der Autor vom aufmerksamen Leser erwarten konnte, er würde sie - selbstverständlich - finden. Beginnt man mit diesen Prämissen die Interpretation, so ist folgender Weg einzuschlagen: Die Prätention der Vollständigkeit der Urteilstafel bezieht sich sowohl auf die vier Titel wie auch die jeweils drei Momente. Der Erläuterungstext (A 7176) gibt die Gründe der Vollständigkeit der Momente; dieser Text ist zu analysieren und vor allem auf die von Kant nicht explizit dargestellte gleiche Struktur der triadischen Anlage hin zu untersuchen. Alle Fragen nach der Vollständigkeit der Momente müssen sich also an den einschlägigen Text halten; wir werden uns ihm später in einer detaillierten Interpretation zuwenden. So bleibt die Frage nach der Vollständigkeit der vier Titel. Die erste Passage, die hierfür heranzuziehen ist, steht am Beginn der Erläuterung des vierten Titels, der Modalität: "Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt, (denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines 6

7

Maimon 1912, 248 ff. Hegel1958 ff., VIII 128-129. Vgl. Reich 1986, 7-8.

Einleitung

5

Urteils ausmachte,) sondern nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht" (A 74). Keiner der eingangs genannten Interpreten (außer- mit Einschränkung - Walter Bröcker und Peter Schulthess) hat ein Prinzip angegeben, gemäß dem die Vollständigkeit der Urteilstafel mit den ersten drei Titeln gegeben ist - das jedoch behauptet Kant! Wer nicht zeigt, in welcher Weise Quantität, Qualität und Relation den Inhalt eines Urteils ausmachen, zu dem dann aus bestimmten Gründen noch die Modalität hinzutritt, kann den zentralen Gedanken nicht getroffen haben. Nun findet sich im Erläuterungstext keine Antwort auf die Frage, warum es außer den genannten drei Funktionen nichts gibt, was das Urteil im genannten Sinn bestimmen könnte; man wird also vom Erläuterungstext zurück zur Urteilstafel und zum Einleitungsabschnitt "Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt" (A 67-69) gehen. Sieht man von den komplizierten Argumenten und Gründen im einzelnen ab und fragt sich, worauf sich die genannten drei Titel beziehen können, wenn der Autor die Behauptung ihrer Vollständigkeit als plausibel und nachvollziehbar hinstellt, so kommt folgender Gedanke in Frage: Das Urteil ist eine Erkenntnis durch Begriffe; Begriffe beziehen sich im Gegensatz zur Anschauung immer auf vieles, was unter ihnen begriffen wird. Das Erkenntnisurteil ist zur begrifflichen Bestimmung der Vielheit, auf die sich die Begriffe beziehen, genötigt, d.h. es muß die Frage beantworten, ob das Prädikat von allem, von einigem oder von einem aus dem unbestimmten Feld des Vielen gilt, worauf sich der Subjektbegriff als bloßer Begriff bezieht. Daher die Notwendigkeit der Quantität als erstem Titel. Sie steht am Anfang, weil das zuerst Gegebene der Begriff ist. Sodann ist das Urteil trivialerweise ein Urteil; es steht vor der Entscheidung, ob es eine Bejahung oder Verneinung ausspricht, es ist als Urteil wesentlich kataphasis oder ap6phasis (um das dritte Moment des unendlichen Urteils kümmern wir uns später). Zum Urteil gehört also die Qualität. Es fehlt noch die Relation. Das getrennte Auftreten der Relation läßt sich provisorisch folgendermaßen plausibel machen: Die gesonderte Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt (in der einfachsten Variante) wird von der (Quantität und) Qualität vorausgesetzt, denn die Verneinung des Zusammenhangs von Prädikat und Subjekt ("Alle Menschen sind nicht sterblich") ist keine Vernichtung des Urteils; es muß also eine Verbindung im Urteil liegen, die indifferent ist gegen die Entscheidung, ob das Urteil eine Bejahung oder Verneinung ausspricht. Dieses Verhältnis wird unter dem Titel der Relation näher nach seinen Momenten spezifiziert; es gibt neben dem kategorischen das hypothetische und das disjunktive Urteil, da die formale Verknüpfung entweder zwei Begriffe oder zwei oder mehrere Urteile zu ihrer Materie haben kann. Nehmen wir das allgemeine, bejahende, kategorische Musterurteil "Alle Körper sind teilbar", so können wir die drei Titel einmal im quantifizierten Subjekt, sodann in der bejahenden oder verneinenden Kopula und endlich im Prädikat (und dessen Verhältnis zum Subjekt) lokalisieren- diese Stücke machen den Inhalt des Urteils aus, mehr gibt es nicht, wie man sieht. Da das Urteil nach den Bestimmungen des "Ersten Abschnitts" (A 67-69) eine funktionale Einheit bildet, müssen auch die drei Titel einen systematischen Zusammenhang abgeben. Nach weiteren Gründen läßt sich jetzt nicht mehr fragen, so wenig wie bei letzten Bestimmungen der "Ästhetik": "Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit

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Einleitung

der Apperzeption a priori zustande zu bringen, läßt sich ebensowenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind" (B 145-146). Es wird als evident angenommen, daß der Verstand ein Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe ist, daß Begriffe nur in Urteilen zur Erkenntnis gebraucht werden können und daß im Urteil ein Zwang zur begrifflichen Bestimmung des unbestimmt Vielen, zur Bejahung oder Verneinung und zur Bestimmung des Verhältnisses vorliegt, das überhaupt erst die Quantität und Qualität des Urteils erzwingt und ermöglicht. Wir haben hiermit das Urteil als isolierte propositio durchlaufen. Wir können und müssen jedoch darüber hinaus den Ort aufsuchen, an dem das tatsächliche Urteil im Erkenntnisprozeß lokalisiert ist; man untersucht, ob das Ausgesagte nur als möglich, schon als wirklich oder gar schon als notwendig behauptet werden kann, und bestimmt so den "Wert" (A 74) der Kopula. Der Titel der Modalität fügt zum Urteil nichts Neues hinzu, lokalisiert es aber in der methodus der Erkenntnis. Ohne eine derartige modale Bestimmung ist das Urteil kein ErkenntnisurteiL "Da diese Einteilung in einigen, obgleich nicht wesentlichen Stücken, von der gewohnten Technik der Logiker abzuweichen scheint ... " (A 70-71) -die unwesentlichen Abweichungen, die im Erläuterungstext genannt werden, sind die Einbeziehung des einzelnen und des unendlichen Urteils unter den Titeln der Quantität und der Qualität; es wird darauf verwiesen, daß schon transzendentale Gesichtspunkte eine Rolle spielen (A 71 und A 73). Das einzelne und unendliche Urteil sprengen nicht den Rahmen der allgemeinen Logik, aber ihre explizite Berücksichtigung findet unter einem dieser Logik fremden Gesichtspunkt statt. "Wenn wir von allem Inhalte eines Urteils überhaupt abstrahieren, und nur auf die bloße Verstandesform darin achtgeben, so finden wir ... " (A 70); dieser Satz vor der Urteilstafel weist den Leser an, von dem Inhalt (ob es sich z. B. um Menschen, Sterblichkeit etc. handelt) zu abstrahieren, also eine attentio negativa zu leisten und zugleich eine attentio positivaauf die sog. Verstandesform. Es wird also diese Verstandesform am konkreten Urteil entdeckt; die Definition des Urteils war im vorhergehenden Abschnitt gegeben und erläutert worden; die Titel und Momente werden jedoch nicht aus der Definition hergeleitet, sondern im Urteil als einer artikulierten Einheit gefunden. Der Relationstitel ist der entscheidende; erst durch das Verhältnis des Prädikats zum Subjektbegriff wird dieser genötigt, die bloße Vielheit in einer der drei Optionen zu bestimmen; erst durch das vorgängige Verhältnis wird es möglich, das Urteil bejahend oder verneinend auszusprechen. Es wird sich später zeigen, daß mit der Relation auch eine letzte Möglichkeit für das Erkenntnisvermögen im Hinblick auf das Urteil erreicht ist, und zwar sowohl das einfache Verstandesurteil wie auch das erweiterte Urteil, das in einem Vernunftschluß formuliert wird; auch in ihm wird nichts anderes ausgesprochen als das "Verhältnis" in einer seiner drei möglichen Varianten (A 304); d. h. das Verhältnis, das im kategorischen, hypothetischen oder disjunktiven Urteil formuliert wird, ist identisch mit dem Verhältnis, das in den korrespondierenden drei Vernunftschlüssen vorliegt und den hinzutretenden Handlungen der Urteilskraft und der Vernunft ihren Ort bestimmt. Wenn diese Interpretation korrekt ist, wird verständlich, wie Kant im Zusammenhang mit der Urteilstafel durchgängig vom "Denken überhaupt" und zuvor von allen,

Einleitung

7

die Logik insgesamt erschöpfenden Handlungen des Verstandes sprechen kann; die Urteilstafel formuliert dann mit ihren vier Titeln tatsächlich die wesentlichen Stücke der Begriffs-, Urteils-, Schluß- und Methodenlehre und realisiert so auf eine gänzlich neue Weise die Struktur der neueren Aristotelischen Logik (besonders seit der Logik von Port Royal) mit ihren vierteiligen Lehrbüchern in eben diesem Aufbau. Und die Kritik selbst übernimmt nach der Urteilstafel die viergliedrige Bauform mit ihren Kategorien (Begriffen), Grundsätzen (Urteilen), der Dialektik (Vernunftschlüssen) und dann viertens der Methodenlehre. Dieser Prospekt wird ausführlich zu erläutern sein. Wir hätten, wenn die interpretative Durchführung gelingt, alle "Handlungen des Verstandes", alle "operationes mentis", von denen in den Lehrbüchern der Logiker gehandelt wird und die Kant als verbindlich in den auf die Urteilstafel folgenden Teilen der Kritik übernimmt, im eigenwilligen Prisma der Urteilstafel verortet Die Strukturierung der Kritik nach der Anlage der Lehrbücher der (neueren) Aristotelischen Logik kann zugleich dokumentieren, daß für Kant diese historisch oder empirisch vorgegebene Form systematisch verbindlich ist; in ihr hat es der Verstand "mit nichts weiter als mit sich selbst und seiner Form zu tun", in ihr werden "die formalen Regeln alles Denkens" (B IX) vollständig erfaßt; eben das prätendiert auch die UrteilstafeL Und wir können umgekehrt sagen: Wenn Kant ausweislich der eben angeführten Zitate die Logik in ihrer Aristotelischen Form für abgeschlossen hält, kann die eigene Urteilslogik sie nicht verlassen; damit stellt sich die Aufgabe für den Interpreten, diese Logik (in ihrer allerdings tiefgreifend neuen Systematisierung) als präsent in der Urteilstafel freizulegen. In systematischer Hinsicht mag man mit der Lösung hadern und der Meinung sein, daß sich bessere Lösungen für das Problem der Vollständigkeit der Kantischen oder einer anderen Urteilstafel entwickeln lassen, aber das ist nicht mehr die Ebene der Interpretation der Theorie von 1781 und 1787, sondern die ihrer Bewertung und eventuellen Ersetzung durch eine andere eigene Tafel oder Begründung. Wir werden hierauf in späterem Zusammenhang zurückkommen. 8 Ich möchte im folgenden so vorgehen, daß ich mich im II. Teil der Untersuchung mit den Interpretationen befasse, die mit ihren Wegen und Irrwegen die Lösung des nun über zweihundert Jahre alten Problems vorbereiten halfen. Ich befasse mich zunächst mit den Arbeiten von Bröcker und Wagner, die beide die Urteilstafel selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen und sich nicht sogleich unter die Ägide der transzendentalen Apperzeption als des Referenzpunktes von Einheit und Vollständigkeit begeben; sodann stelle ich die Arbeit von Krüger als Auftakt der komplexesten und anspruchsvollsten, auch einflußreichsten Untersuchung vor, der Arbeit von Klaus Reich. Peter Schulthess ergänzt den Ansatz von Krüger. Da Lenk gänzlich von Reich abhängt, kann die Erörterung seiner Ausführungen erst auf Reich folgen. - Im III. Teil soll die eben skizzierte Interpretationsidee näher ausgeführt und präzisiert werden. Der IV. Teil bringt eine historische Ergänzung und Stützung der vorhergehenden Ausführungen; ich möchte Elemente der Genese der Urteilstafel zeigen und dabei auf das Theorie-Umfeld eingehen, in dem Kant seine Idee entwickelt. Die gedankliche Organisation führt hier zu 8

Vgl. unten S. 87-89.

8

Einleitung

gewissen Überschneidungen mit Teil III; es ist jedoch methodisch wichtig, die textlichsystematische Interpretation von der historisch-genetischen zu trennen; wird diese Trennung nicht vollzogen, droht die Gefahr, daß die Geschichte als beliebiger Beleg-pool für eigene sog. Rekonstruktionen zur Verfügung steht. Die historisch-genetische Untersuchung (im IV. Teil) wird nur einige Stationen der Entwicklung der Urteilstafel herausgreifen, es wird nicht beansprucht, den Gedanken in seinen Konsequenzen und Brüchen zu entfalten, der zur Idee von 1781 geführt hat. Vor allem wird die Frage der parallelen Entstehung der Kategorientafel ausgeblendet. 9 Im V. Teil wird die vorgeschlagene Lösung in den Kontext einer der Hauptlinien der bisherigen Interpretation der Kritik der reinen Vernunft (Cohen, Reich, Henrich) gestellt und das Ergebnis im Hinblick auf den jetzt sichtbar werdenden Grundriß und Beweisgedanken (soweit er unter der Regie der Urteilstafel steht) der Kritik erörtert.

9

Vgl. dazu jetzt Carl 1989.

II. DIE VOLLSTÄNDIGKEIT DER URTEILSTAFEL IN DER NEUEREN LITERATUR

Walter Bröcker handelt von der Vollständigkeit der Urteilstafel im Kapitel 7 ("Die metaphysische Deduktion der Kategorien") seiner Schrift Kant über Metaphysik und Erfahrung. Er folgt implizit der Anweisung Kants, die Funktionen des Verstandes in der Analyse des Urteils zu finden, verabsentiert sich jedoch sogleich vom Text: "Wir machen den Versuch, unabhängig von Kants Ansatz diejenigen Formen der Einheit aufzufinden, die sich aus dem Begriff des Urteils als solchem ergeben" (42). Damit ist die Interpretation wehrlos gegenüber konkurrierenden Ansätzen, die die Urteilstafel aus der transzendentalen Apperzeption begreifen, und sie reiht einen möglichen Einfall an die vielen anderen Einfälle, die die Hermeneutik anläßlich vorliegender Texte und Theorien hervorbringt. Daß dies methodisch unbefriedigend ist, liegt auf der Hand. Weiter vermag Bröcker nicht zu erklären, daß in der Urteilstafel alle Handlungen des Verstandes vereint sind und damit in ihr die gesamte formale Logik abgedeckt ist; er kennt dies offenbar auch nicht als Prätention der Kritik der reinen Vernunft. Bröcker konstatiert: "Zum Wesen des Urteils gehört ... unabdingbar die Synthese von Subjekt und Prädikat" (42); und in Übereinstimmung mit der Aristotelischen Tradition lassen sich nach Bröcker die beiden Grundformen der Synthese fixieren, die Bejahung und Verneinung; hiermit ist die Qualität gewonnen, sie steht am Anfang (wie auch bei Kant bis hin in die späten siebziger Jahre häufig; wir werden freilegen müssen, warum am Schluß die Quantität an diese Stelle rückt). "Und nun ist der Rest leicht. Denn offenbar kann es nun noch geben 2. die Synthese von Subjekten, 3. die Synthese von Prädikaten, 4. die Synthese von Urteilen und 5. die Synthese mit dem urteilenden Ich" (43). Wir finden, so der Gedanke, außer der Bejahung und Verneinung Quantifikatoren, "Junktoren" (im Sinn Bröckers) und dann die Verbindung mit dem urteilenden Ich. 3 und 4 rücken als "Junktoren" zusammen unter dem Titel der Relation, den Bröcker in seinen drei Momenten von kategorischem, hypothetischem und disjunktivem Urteil zu generieren versucht. Bröcker entwickelt eine Urteilstheorie eigener Art und verläßt damit das Feld einer textbezogenen Interpretation. Hier sei nur eine elementare Irritation im Ansatz hervorgehoben: das Urteil, das Bröcker in seinem "Wesen" zu erkennen meint, ist das Urteil als unmittelbare Beziehung von Prädikat und Subjekt. Nach der Kritik der reinen Vernunft jedoch ist das Urteil "die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben"- so in dem Text, der der Tafel vorhergeht und der von Kant als essentiell für ihr Verständnis vorgetragen wird und es bestimmt (A 68). Das Urteil ist so konzipiert, daß sich das Prädikat mitteist des Subjektbegriffs auf etwas in diesem letzteren Vorgestelltes bezieht (womit z. B. ästhetische Urteile und viele andere aus den zu erörternden Erkenntnisurteilen ausgeschlossen sind). 1 Bröcker geht so vor, daß aus dem eigenen Verstehenshorizont eine vorgebliche Erkenntnis des "Wesens" des Ur1

S. dazu unten S. 63-64.

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Die Vollständigkeit der Urteilstafel in der neueren Literatur

teils zugrunde gelegt wird; da Kant, so wird weiter geschlossen, ein wichtiger abendländischer Denker ist, muß er bei seiner Urteilstafel um dieses Wesen gerungen haben und tatsächlich trifft sich das Wesensdenken des Interpreten im Ergebnis mit dem von Kant. Mit diesem Vorgehen jedoch ist nicht gewährleistet, daß beide Gedankenstränge mehr als ihr äußerliches Ergebnis gemein haben. Hans Wagners These lautet: "Das schlechthin Wesentliche und Fundamentale am Urteil ist die Relation zwischen den Urteilsbegriffen des Subjekts und des Prädikats. Diese Fundamentalrelation nimmt in jedem Fall eines Urteils je eine von drei Möglichkeiten der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität an" (93). So das Resümee der Ausführungen, soweit sie für uns einschlägig sind. Dies heißt im Fall der Quantität, daß das Quantitätsmoment sich nicht primär auf den Subjektbegriff bezieht, bei dem es grammatisch erscheint, sondern: "Es ist die Urteilsrelation, welcher die Quantität zukommt: die Urteilsrelation ist es, was entweder allgemein oder partikulär oder singulär ist" (88). Desgleichen ist es die Urteilsrelation, die "hinsichtlich ihrer formalen Qualität notwendigerweise entweder Affirmation oder Negation oder Limitation zwischen dem jeweiligen Subjektsbegriff und dem jeweiligen Prädikatsbegriff ist" (89). A fortiori trifft diese Charakteristik auf die Spezialrelation zu, die unter diesem Titel in der Kantischen Urteilstafel erscheint; dies läßt sich nach Wagner auch im Fall der zusammengesetzten Urteile, des hypothetischen und des disjunktiven, zeigen. Und die Modi des Urteils "sind Randstufen hinsichtlich des Geltungsgrades, den jene Relation in dem oder jenem Urteil besitzt" (93). Wagner geht nicht explizit auf die Frage ein, worin Kant die Vollständigkeit der Urteilstafel begründet sieht; er beantwortet sie jedoch mit dem Hinweis, Kant erhebe keinen Anspruch auf Orginalität im Hinblick auf die einzelnen Momente (87), entsprechend verweist Wagner wiederholt auf die Tradition. Tatsächlich nun mag diese Tradition "ehrwürdig" (89-90) sein, sie ist jedenfalls kein monolithischer Block, so daß Kant vor der Frage stand, welchem der vielen verschiedenen Angebote er folgen sollte - Darjes oder Wolff, Lambert oder Locke? So sind wir durch den Hinweis auf die Tradition nicht der Frage enthoben, nach welchem Kriterium Kant bei der Auswahl der verschiedenen Möglichkeiten einer Urteilstafel verfuhr. Nach Wagner müssen wir, wie gezeigt, zwei Relationsbegriffe annehmen, einmal den von Kant unter dem Titel der "Relation" genannten und sodann einen allgemeinen, der auch unter den anderen Titeln seine jeweilige Bestimmung erfährt. In der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft finden wir eine ähnliche Überlegung Kants im Hinblick auf die Begriffe von Einheit und Verbindung: "Diese Einheit, dieapriorivor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht, ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit ( § 10); denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht" (B 131). Können und müssen wir analog einen doppelten Relationsbegriff einführen? Halten wir uns an die Urteilstafel in der Kritik der reinen Vernunft, so werden wir diese Frage schon nach dem Grundsatz des "praeter necessitatem non multiplicare" verneinen müssen. In der Kantischen Urteilstafel steht die Relation zwar an letzter Stelle im Bereich der (formal-) inhaltlichen Bestimmungen des Urteils, die Urteilstafel besagt jedoch, daß das Urteil "Alle Menschen sind sterblich" gleichursprünglich durch die Bestimmungen der Quantität, der Qualität und der

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Relation bestimmt ist: das eine kann nicht ohne das andere sein, denn sonst würden wir diese Titel und ihre Momente nicht im Urteil finden. Das Urteil ist in seiner Relation also durch die Vorgaben des quantifizierten Subjektbegriffes und der bejahenden oder verneinenden Kopula schon bestimmt; und umgekehrt beziehen sich diese Bestimmungen auf die Relation - eben dies ist die Einheitsfunktion der Urteilshandlung in ihren verschiedenen Ausforrnungen. Wir können also im Feld der Urteilstafel nicht mit einem zweiten Relationsbegriff operieren. Wichtig ist, daß außer der Relation selbst auch die Momente der drei übrigen Titel nur aus der Einheit im Urteil begriffen werden können und jeweils Momente dieser Einheit sind. Wagner spricht wie Bröcker von einer Relation (im kategorischen Urteil) als der Verbindung von Subjekt- und Prädikatbegriff. Diese Redeweise ist legitim, so lange sie sich auf die grammatische Oberfläche des Urteils bezieht; sie wird falsch, wenn das Eigentümliche der Kantischen Logik thematisiert wird. Das (kategorische) Urteil wird grundsätzlich so gefaßt, daß sich der Prädikatbegriff durch den Begriff des Subjekts auf dasjenige bezieht, was der letztere bezeichnet. "In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird" (A 68). Die grammatische Struktur wird also semantisch erweitert: Es ist immer das x präsent, das in der Wortfolge nicht erscheint, jedoch den eigentümlichen Relationscharakter des Urteils bestimmt. Das Prädikat "sterblich" bezieht sich bejahend oder verneinend durch den (dadurch quantifizierungsbedürftigen) Begriff "Mensch" auf alle oder einige (oder auch ein) x, die {bzw. das) unter diesen Begriff fallen (fällt). Hiervon ist außer der Relation sowohl die Quantität wie auch die Qualität des Urteils tangiert; eben hierin zeigt sich die Einheit des Urteils, das drei bzw. vier verschiedene Momente aufweist. Die Isolierung einer gesonderten Relation neben dem dritten Titel "Relation" würde gegen diese einheitliche Form des zugrunde gelegten Urteils verstoßen. Wie immer man den Verhältnisbegriff faßt, er wird bei Wagner nicht ermächtigt, als Deduktionsbasis der zwölf von ihm sogenannten "Urteilstypen" zu fungieren - es könnte, so müssen wir folgern, im Prinzip beliebig andere Relationen geben, wenn sich die Tradition anders entschieden hätte. So bleibt auch auf der Ebene der Wagnersehen Ausführung selbst die Frage offen: Wie kommt es zur inneren Logik eben dieser Urteilstafel? Lorenz Krüger beginnt seine Untersuchung mit einem Abschnitt "Problemstellung: ein Paradoxon". Das Paradox, das Krüger exponiert, besteht darin, daß Kant einerseits in verschiedenen Hinweisen in der Kritik der reinen Vernunft eine Beweisbarkeit der Vollständigkeit der Urteilstafel unterstellt, daß er andererseits die Beweismöglichkeit zu negieren scheint, z. B. an der oben schon zitierten (von Reich nicht berücksichtigten) Stelle: "Von der Eigentümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zustande zu bringen, läßt sich ebensowenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und keine anderen Funktionen zu urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind" (B 145-146). Krüger: "Diese Äußerungen (wie auch vergleichbare an anderem Ort: Prolegomena § 36; Brief an M. Herz vorn 26. 5. 1789, XI 51 ... )lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und es ergibt sich mit ihr das Paradoxon, daß Kant zur Absicht seines kritischen Unterneh-

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mens einen Vollständigkeitsbeweis bezüglich der Verstandesfunktionen (für) unerläßlich (hält) und doch zugleich (für) unmöglich erklärt" (337). Zur Unableitbarkeit läßt sich noch folgendes ergänzen: In einer Anmerkung zu den Erläuterungen der Urteilstafel heißt es: "Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft wäre" (A 75). Diese Vermögen sind also in die Denkfunktionen der Urteilstafel involviert (eben dies versucht unser Interpretationsvorschlag herauszuarbeiten); die Vermögen selbst lassen sich so wenig ableiten wie die Grundvermögen des Sinnes, der Einbildungskraft und der Apperzeption. 2 Also kann die Urteilstafel ebenfalls nicht aus einem höchsten Prinzip deduziert werden. Die Auflösung des Paradoxons, die Krüger in einem späteren Abschnitt vorführt, sieht folgendermaßen aus: Kant schließt eine Ableitbarkeit der Urteilsformen zwar aus, er verfügt jedoch über ein Prinzip, das ihn davor bewahrt, in eine "rhapsodistische Aufsuchung" (A 81) zurückzufallen. Krüger zitiert: "Die Transzendentalphilosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt entspringen ... " (A 67). Der "höchste Punkt", so Krüger, "an den auch die ganze Logik zu heften ist, ist zur Systematik und Vollständigkeit freilich unerläßlich. Er hat nur eine andere Funktion als die eines Axioms oder Prinzips, aus dem Beweise geführt werden könnten. Als die 'Idee des Ganzen' spielt er vielmehr die Rolle eines Entscheidungskriteriums für die Frage, welche Formen des Denkens für das Denken als solches charakteristisch und überdies irreduzibel sind" (342). Die Formen des Urteilens seien a priori gegeben und könnten damit als bekannt gelten; sie würden nun unter dem Kriterium beurteilt, "ob sie Formen sind, die dem Verstande zu seinem Zweck, Einheit unter unseren Vorstellungen herzustellen, verhelfen - kurz gesagt: daraufhin, ob sie 'Funktionen' sind" (342). Dieses Ergebnis ist enttäuschend, denn es kann nicht operationalisiert werden. Krüger zeigt weder, welches denn die apriorischen, uns gegebenen Formen sind, noch auf welche Weise Kant überzeugend seine vollständige Urteilstafel aus ihnen herausbekommt. Selbst wenn man annimmt, daß das Kriterium der Entscheidung, ob die vorgeführten apriorischen Formen wirkliche und irreduzible Funktionen des Verstandes sind oder nicht, selbst wenn dieses Kriterium überzeugend in Aktion treten kann - was bewahrt Kant davor, daß er irgendwann in einem logischen Handbuch oder sonstwo eine weitere apriorische Form entdeckt und diese den Test gut übersteht? Er müßte seine Tafel erweitern; eben dagegen aber glaubt er sich gefeit. Krüger teilt den allgemeinen Glauben an den famosen höchsten Punkt der transzendentalen Apperzeption als dem Einheitsfokus und Systemursprung der Urteile; er will aus ihm nicht deduzieren, ihn aber doch als Kriterium benutzen (" ... ist zur Systematik und Vollständigkeit freilich unerläßlich"). Wenn Kant jedoch die ganze Logik an diesen höchsten Punkt heften will ("Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß, ... " (B 134)), muß sie nach dem normalen Bildverständnis vorher fertig sein. 3 Dies kommt dem Postulat entgegen, daß der Leser der Vgl. A 94; XXIII 18 und 20. Vor der Kritik der reinen Vernunft benutzt Kant die Metapher in den Träumen eines Geistersehers: "Daher haben scharfsinnige Männer, um diese Unbequemlichkeit zu vermeiden, von der entgegengesetzten äußersten 2

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Urteilstafel und ihrer Erläuterungen an Ort und Stelle eine Vorstellung von der Systematik gewinnen muß und nicht auf den Glücksfall hoffen sollte, daß der Autor den Schlüssel zur Lösung vielleicht (oder vielleicht auch nicht) an einer späteren Stelle versteckt hat. In den Ausführungen zur Urteilstafel selbst begegnet man weder einem "Ich denke" noch einer transzendentalen Apperzeption oder einem Hinweis darauf, daß erst diese späteren Lehrstücke die Urteilstafel verständlich machen. Noch eines: Wenn man sich auf den "höchsten Punkt" bezieht, so muß man ernst nehmen, daß dort von der "ganzen Logik" gesprochen wird; man müßte also zeigen, daß die gesamte allgemeine oder formale Logik aus der objektiven Einheit der Apperzeption zu entwickeln ist oder doch auf sie als ein Kriterium zurückbezogen ist. Die Ableitung jedoch der Begriffs-, Urteils- und Schlußlogik inklusive der logischen Prinzipien (Satz vom Widerspruch etc.) wird von keiner der Interpretationen anvisiert, die sich an den "höchsten Punkt" klammern. Reich spricht von der Urteilslogik als dem "Kernstück" der allgemeinen reinen Logik (58); aber er gibt dafür keine Begründung und zieht daraus keine Schlußfolgerung etwa derart, daß die gesamte Logik auf diesen Kern zurückgeführt und damit aus dem "höchsten Punkt" hergeleitet werden müßte. Die Lösung der Vollständigkeitsproblematik, die in der Einleitung kurz skizziert wurde, macht den Kantischen Text sehr wohl verständlich: die Urteilstafel enthält tatsächlich alle "Handlungen des Verstandes" (A 69), und sie läßt sich als Einheitsgefüge aller logischen Verstandeshandlungen problemlos an den Einheitspunkt der Apperzeption "anheften" (was im übrigen für die Logik selbst ganz uninteressant oder auch trivial ist). Peter Schulthess beschäftigt sich in seiner umfangreichen Arbeit Relation und Funktion. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Philosophie Kants nur auf wenigen Seiten (276-283) mit dem Problem der "Urteilstafel". Er weist zu Recht darauf hin, daß der entscheidende Punkt bei Kant die logischen Funktionen sind und nicht zwölf Urteilsarten, die man vielleicht in der Sprache aufsuchen kann (277). Der nächste Schritt ist der Verweis darauf, daß nach Kant die Logik seit Aristoteles geschlossen und vollendet ist, daß die Logik "die formalen Regeln alles Denkens ... ausführlich darlegt und strenge beweist" (278); aber dieser Gedanke der Systematik der formalen Regeln alles Denkens wird von Schulthess nicht aufgenommen und verfolgt. Alles Denken! Es umfaßt nach dem auch in der Kritik der reinen Vernunft akzeptierten Kanon die Logik in Begriffen, Urteilen und Schlüssen; und hiermit entsteht die Aufgabe, die Momente allen Denkens im restringierten Bereich der logischen Funktionen in den Grenze, nämlich dem obersten Punkte der Metaphysik, angefangen" (II 358). In der Kritik der Urteilskraft heißt es: "Es ist also wohl eine gewisse Ahnung unserer Vernunft, oder ein von der Natur uns gleichsam gegebener Wink, daß wir vermittelst jenes Begriffs von Endursachen wohl gar über die Natur hinausgelangen und sie selbst an den höchsten Punkt in der Reihe der Ursachen knüpfen könnten .. ."(V 390). Rafael Ferber macht auf eine ähnliche Konzeption bei Platon aufmerksam; in der Po/iteia heißt es am Ende des VI. Buches: "So verstehe denn auch, daß ich unter dem andern Teil des Denkbaren dasjenige meine, was die Vernunft selbst ergreift (ho Iogos haptetai) mittels des dialektischen Vermögens, indem sie die Voraussetzungen nicht zu Anfängen, sondern wahrhaft zu Voraussetzungen macht, gleichsam als Zugang und Anlauf, damit sie, bis zum Nichtvor aussetzungshaften an den Anfang von allem gelangend, diesen ergreife (hapsamenos autes ), und so wiederum sich an alles haltend, was mit jenem zusammenhängt, zum Ende hinabsteige .. ." (511b). Auch hier also werden die Erkenntnisse nicht aus dem höchsten Punkt abgeleitet, sondern an ihn geheftet. Vgl. Ferber 1989, 106-111.

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Urteilen aufzusuchen. Schulthess geht an dieser Stelle (einer Anregung Krügers folgend) zurück auf Lambert: "Kants Überzeugung ist es also, daß die Logik geschlossen und vollständig ist. Bezüglich dieser Vollständigkeit stützt sich Kant wahrscheinlich auf die Logikarbeit von Lambert, in dessen Organon und Architektonik die Vollständigkeit und Abgezähltheit der Logik sich aus der kombinatorischen Analyse ergibt ..." (278). Bei Lambert fand Kant "ein abgezähltes Arsenal von möglichen Urteilsformen vor" (279), das letztlich doch auf logischen Konventionen beruhte. Kant sortierte hieraus die aus, die seinem operationalen Einheitskriterium genügten. "Diese letzteren nun namhaft zu machen, wäre eine Aufgabe für sich. Es genügt natürlich nicht, dieses Einheitskriterium, nach dem nun die logischen Funktionen als Einheit aus den möglichen Urteilsformen herausgesucht werden, als im Verstand, als absolute Einheit zu suchen, wie dies Krüger tut ... Man käme wahrscheinlich weiter, wenn man als Einheitskriterium die mögliche Funktionalisierbarkeit einer Urteilsform ansetzte" (279-280). Es folgt darauf ein Versuch, der in diese Richtung geht, aber in der Kürze und bei den schon referierten Einschränkungen nicht das Problem der Systematik der Urteilstafel abdecken kann. Im Grunde wäre dieses vom Interpreten zu konstruierende Einheitskriterium ein Ersatz für den höchsten Punkt, den auch Krüger nicht aus den Augen verlieren konnte. Schulthess stellt bei Lambert zwei Gedanken heraus: daß er einen kombinatorischen Aufbau liefert und daher schon alle überhaupt in Frage kommenden Urteilsarten nennt, daß er jedoch andererseits in den Urteilsarten befangen bleibt und keine wirklich funktionale Ableitung (?) liefert. Es sei auf zwei andere Punkte verwiesen, die m. E. für Kant wichtig sind: Lambert untersucht, wie Schulthess sagt, "die Vollständigkeit und Abgezähltheit der Logik" (278) - der Logik überhaupt, nicht der Urteilslogik. Der Gedanke der Vollständigkeit betrifft bei Lambert die erstere, nicht die letztere. Schulthess zitiert: "Die Vernunftlehre verfähret auf eine ähnliche Art in Absicht auf einige Stücke der Intellectualwelt. Sie nimmt anfangs nur einen Begriff, und betrachtet die Bestimmungen, die er haben kann. Sodann vergleichet sie zween Begriffe und ihre Verhältnisse. Von diesem schreitet sie zu dreyen, und sodann zu mehreren fort, und die Theorie wird allgemeiner, auf je mehrere Begriffe, der Zahl nach, sie sich ausdehnet" (278-279). Das System, das Lambert hier zugrunde legt oder auch anhand der Zahlenreihe entwickelt, ist das von Begriff, Urteil (zwei Begriffe), Schluß (drei Begriffe) und dann das Kombinieren von Schlüssen in der weiteren Syllogistik (mehrere Begriffe). Wenn Lambert Kant angeregt hat, dann vielleicht auch mit dieser Idee, den Aufbau der traditionellen Logik kombinatorisch fruchtbar zu machen. Wir werden hierauf im Zusammenhang der Erläuterungen der Relationsmomente zurückkommen. "... und, in der Tat, außer Klaus Reich haben nur wenige Kantforscher an Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel (Berlin 1932, 2 1948) geglaubt", schreibt Vittorio Mathieu korrekt in seinem neuen Buch zum sog. Opus postumum; 4 da er selbst den Glauben Reichs nicht teilt, vergißt er hinzuzufügen, daß außer Reich auch Kant dieser Meinung war und die meisten anderen Interpreten nur deswegen von der bei Kant gut belegbaren Überzeugung abrückten, weil sie nicht wußten, worin das System der Urteils' Mathieu 1989, 24.

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tafel liegen sollte. "Allen Verehrern der Critik, die ich noch gesprochen habe und mir selbst, liegt die Beantwortung der Frage auf dem Herzen; wie deducirt man die Vollständigkeit der Tafel der Urtheile, auf der die Vollständigkeit der Tafel der Kategorien beruhet", fragt G. S. A. Mellin 1794 (XI 498) - es scheint, daß die erste Antwort auf diese Frage nicht von Kant kam, sondern von Reich. Die Frage selbst wird von Mellin und den übrigen zeitgenössischen Verehrern der Kritik sicher nicht in ihrer Wichtigkeit überschätzt: Ohne die System- und Vollständigkeitsirlee der Urteilstafel zerbricht nicht nur die Tafel der Kategorien, sondern die gesamte Kritik der reinen Vernunft zerfällt in willkürliche Fragmente, weil sich nach der Urteilstafel alles, was auf sie folgt, systematisch ordnen soll; Reichs Beweisziel ist daher essentiell für das Verständnis der gesamten Schrift und der Kantischen Philosophie überhaupt; nur würde man die Antwort auf die Mellinsche Frage lieber in Kants Schrift von 1781 finden als in einem Werk von 1932. Die Reichsehe Untersuchung ist dem Ziel gewidmet, "zu erkennen, wie Kant den Zusammenhang der von ihm in § 9 der Kritik angegebenen 'allgemein und rein'- oder 'formal'-logischen Bedingungen der Urteile unter sich in einem System in concreto hat verstanden wissen wollen" (11, vgl. 45). 5 Es wird zunächst (gegen Hege!) versichert, daß der Rückgriff auf die traditionelle Logik im Selbstverständnis Kants nicht ein empirisches Auflesen einer zufälligen historischen Tradition darstellt, sondern daß Kant glaubt, über ein Prinzip zu verfügen, gemäß dem die Vollständigkeit der Urteilstafel- in weitgehender Übereinstimmung mit der Tradition -gewährleistet ist. In einem zweiten Teil des § 1 wird festgehalten, daß die allgemeine Logik den Unterschied von analytischem und synthetischem Urteil nicht kennt, jedoch die logische Form des Urteils vermittelst der analytischen Einheit des Begriffs zustande kommt. Diese analytische Einheit nun setzt die objektive Einheit des Selbstbewußtseins voraus. Reich rekonstruiert diese letztere, von Kant als "höchster Punkt" bezeichnete Einheit der Apperzeption in folgender Form: Die Einheit der Apperzeption ist durch das "Ich denke" gegeben, durch einen Aktus der Spontaneität also. Als solcher läßt sich dieser Aktus anband der Kategorien, Prädikabilien und Prädikamente wenn nicht erkennen, so doch bestimmen. Die Analyse des inhaltlosen "Ich denke" gelangt zu vier elementaren Bestimmungen, die sich als Momente der Relation, Quantität, Qualität und Modalität fassen lassen (28-32). Hiermit kann man zur analytischen Einheit des Bewußtseins zurückkehren(§ 3). Sie ist das jeden Gedanken begleitende Bewußtsein des "Ich denke"; ihm entspricht in seiner unrestringierten Form der Gedanke eines Gegenstandes überhaupt, in seiner auf bestimmte Inhalte restringierten Form entspricht ihm der bestimmte Begriff eines Gegenstandes (conceptus communis). Die "Definition des Urteils" (§ 4) besagt, daß das Urteil die Art ist, gegebene Erkenntnisse ( d. h. hier: die irgendwelche Gegenstände bezeichnenden Begriffe) zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen und damit als wahr von einem Gegenstand zu behaupten; die Begriffe sind, dies besagt das Urteil, im Gegenstand verknüpft. Hiermit sind die Präliminarien für die Lösung der eigentlichen Aufgabe geliefert. Um zu erkennen, "wie Kant in concreto die Systematik der Urteilsmomente verstanden hat" (45), wird ein zweistufiges Verfahren eingeschlagen: Zuerst wird eine Systematik "auf eigene Faust" im ' Die Arbeit von Reich (Erstauflage 1932) wird nach der Ausgabe von 1986 zitiert.

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Grobbau entworfen (§ 5), sodann wird diese Systematik mit Kantischen Texten von den frühen siebziger bis in die späten neunziger Jahre gerechtfertigt und verfeinert (§ 6). Auf beiden Wegen läßt sich nach Reich zeigen, daß und wie Kant die Titel und Momente der Tafel aus der objektiven Einheit der Apperzeption ableitete. Zunächst einige erste methodische Bedenken gegen das Reichsehe Verfahren. Die Relation zwischen Autor und Leser wird auf dreifache Art gestört. Während Kant eine Tafel mit den logischen Funktionen des Verstandes in Urteilen präsentiert und sie in einer Einleitung und in erläuternden Bemerkungen erklärt, sagt Reich dem Leser, daß die Erklärung an einer späteren Stelle zu suchen ist, nämlich in der transzendentalen Deduktion der Kategorien. Von Kant wurde er hierzu nicht ermächtigt. Sodann kommt eine Erklärung "auf eigene Faust", bei der der Interpret sich an die Stelle des Autors setzt und den Leser selbst darüber belehrt, wie die Systemidee eigentlich zu verstehen ist. Und drittens wird Kant nicht mit dem Text von 1781 ins Spiel gebracht, sondern der Interpret benutzt zur Bestätigung seiner eigenen Rekonstruktion spätere Publikationen und private Notizen Kants. Die zweite Auflage der Kritik und die Reflexionen werden in der Reichsehen Interpretation essentiell für das Verständnis der Urteilstafel, sie haben keinen akzessorischen und illustrierenden Wert, sondern bilden das Zentrum der Eruierung der Systemidee. Damit sagt der Interpret dem Leser von 1781, an den sich Kant wendete, daß sein Bemühen um das Verständnis sinnlos war, denn vor der Abfassung der zweiten Auflage und vor der Veröffentlichung der Reflexionen in der Akademie-Ausgabe, also praktisch vor 1932, war an das Verstehen einer fundamentalen Idee der Kritik nicht zu denken. Der Leser von 1781 wird ebenso entmündigt wie der Autor, der sich an ihn wendet. Die Interpretation muß die grundsätzlichen, vom Autor kalkulierbaren Verstehensmöglichkeiten dieses Lesers anvisieren; sie kann dafür alle beliebigen historischen Quellen heranziehen, aber diese dürfen nicht an die Stelle des vom Autor einkalkulierten Leserverständnisses treten. Kant mag ein schwieriger Autor sein, aber er ist, so weit unsere Quellen darüber Auskunft geben, nicht geplant unverständlich, er mag obskur sein, aber er ist kein Obskurant. Nach Reich ist das wichtigste Lehrstück der gesamten kritischen Philosophie nur durch später von Kant publizierte Schriften und Kants private, ohne seinen ausdrücklichen Willen veröffentlichte Notizen verständlich. Ein weiteres generelles Bedenken: Nach Reich läßt sich die Urteilstafel vollständig ableiten aus der transzendentalen Apperzeption. Kant hat diese Ableitung der Tafel selbst nicht durchgeführt, wir verschärfen: auch nicht in Ansätzen, und er hat dazu nie explizit Stellung bezogen, etwa in der Form, daß er sich der Ableitung in der Kritik und auch in anderen Schriften geflissentlich überhebe, ob er gleich im Besitz derselben sein möchte (vgl. A 82). Dieses Phänomen ist, wenn ich richtig sehe, ein Unikum, das einer Erklärung bedürfte: Warum bringt Kant die Ableitung nicht selbst, und warum sagt er nichts zu diesem in seiner gesamten Theorie doch wohl einmaligen Vorgehen? Die Herleitung der Funktionen des Verstandes aus der transzendentalen Apperzeption kann nicht zum von Kant selbst nicht ausgeführten Programm der Transzendentalphilosophie gehören, die im Gegensatz zur Kritik der Vernunft eine vollständige Analysis der reinen Verstandesbegriffe enthalten muß (vgl. A 13- 14). Reich beruft sich hierauf am Schluß seiner Arbeit, beachtet jedoch nicht, daß Kant nicht von den Urteilsfunktionen der allgemeinen Logik,

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sondern von den Kategorien spricht.6 Die einzige Lösung kann m. E. nur darin bestehen, daß man zeigt, daß Kant eine Systemidee hat, die er dem Leser zumuten konnte; die Schwierigkeiten meinte er im Einleitungs- und Erläuterungstext zu beseitigen - dieser Text muß entsprechend das A und 0 der Interpretation sein. Noch ein Punkt vorweg: Reich leitet die Urteilstafel aus der objektiven Einheit der Apperzeption ab, von der Kant nicht im Kontext der Urteilstafel spricht, sondern in der transzendentalen Deduktion, die die Möglichkeit objektiv gültiger Urteile gewährleisten soll. Folgt man dem Reichsehen Vorschlag, so muß man in Kauf nehmen, daß Urteile, die nur subjektiv gültig sind (Urteile des Humeschen Typs), keine Lizenz erhalten, in der allgemeinen Logik als Urteile zu fungieren. Ihr Ausscheiden aus den Urteilen ist nicht in einem bloß logischen, sondern in einem erkenntnistheoretischen Defizit begründet, über das der Leser erst etwas erfahren kann nach der Einführung der Kategorien; diese letzteren aber sollen nach Kant ihrerseits von der Urteilstafel abhängen. Mit diesem Problem und mit diesem Zirkel ist jeder Versuch behaftet, die objektive Einheit der Apperzeption als Ausgangspunkt der Systematik der Urteilstafel zu wählen. Ich meine, hiermit ist das notwendige Scheitern derartiger Versuche in der Kantischen Theorie selbst aufgewiesen. Hege! wirft Kant eine "irrationelle Erkenntnis des Rationellen" vor, er habe es sich mit der Auffindung der Kategorien bequem gemacht, indem er seiner Tafel einfach die gewöhnlichen Abhandlungen der Logik zugrunde gelegt habe. 7 Reich bestätigt das Vertrauen, das Kant in die Logik hatte; es sei jedoch nicht möglich, "von einem Vorurteil Kants zugunsten der gewöhnlichen Logik" (9) zu sprechen, sein Urteil beruhe auf seinem eigenen Begriff von "der eigentümlichen Natur dieser Wissenschaft (B VIII)" (9). Es fällt schwer, diese Antwort auf Hege! zu begreifen. Die Frage ist: wie kann plausibel gemacht werden, daß eine völlig eigene Herleitung aller Titel und Momente der Urteilstafel derart mit der traditionellen Logik übereinstimmt, daß Kant nach der Vorstellung der Tafel sogleich sagen kann: "Da diese Einteilung in einigen, obgleich nicht wesentlichen Stücken, von der gewohnten Technik der Logiker abzuweichen scheint, so werden folgende Verwahrungen wider den besorglichen Mißverstand nicht unnötig sein" (A 70-71), oder in den Prolegomena: "Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt waren, darzustellen" (IV 323-324) - kann die von Kant herausgehobene Koinzidenz mit der Tradition ein Zufall sein? Kant schreibt 1783, er sei durch die Arbeit der Logiker vor ihm in den Stand gesetzt, die vollständige Tafel8 darzustellen! Reich kann kein Prinzip 6 Krüger macht darauf aufmerksam, daß die vollständige Analysis nicht identisch ist mit dem Nachweis der Vollständigkeit der Tafel, s. Krüger 1968,334-336. 7 Hegel 1958 ff., V 52. 8 Es muß sich um die Urteilstafel handeln, denn Kant fährt fort: "Ich bezog endlich diese Functionen zu urtheilen auf Objecte überhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung, Urtheile als objectiv-gültig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandesbegriffe, ... Ich nannte sie wie billig nach ihrem alten Namen Kategorien" (IV 324). In der Kritik von 1781 spricht Kant nicht von reinen Verstandesfunktionen im Zusammenhang der Urteilstafel, sondern von logischen (die indifferent sind gegenüber der Alternative von rein und empirisch, s. noch einmal ausdrücklich A 131). Die Prolegomena nehmen also eine Verschiebung vor, die bei Reich dazu führt, daß die allgemeine Logik (der Urteilstafel) durchgängig zur allgemeinen reinen Logik wird und die Urteilstafel schon die objektive Gültigkeit der Urteile enthält.

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nennen, das die Übereinstimmung von systematischer Ableitung und empirischer Tradition, von Vernunft und Geschichte erklären kann - aber genau dazu ruft der Hegeische Einwand auf. Reich stellt die These auf und belegt, daß die allgemeine Logik den Unterschied von analytischen und synthetischen Urteilen nicht kennt; diese Auffassung ist gut dokumentiert; der entscheidende Punkt ist, daß die Differenz von analytisch und synthetisch vom Inhalt des Urteils und nicht seiner bloßen Form abhängt. Zum gleichen Ergebnis kommt unabhängig Schulthess: "Die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen gehört also nicht mehr in die Logik" (76; vgl. 119-120). Diese Vorstellung wird bei Reich mit der Meinung verbunden, daß Begriffe die analytische Einheit des Bewußtseins ausdrücken, Urteile jedoch generell durch die objektive Einheit des Selbstbewußtseins bzw. die transzendentale Apperzeption gestiftet werden - nur so kann diese letztere als der höchste Punkt bezeichnet werden, an den nicht nur die Transzendentalphilosophie, sondern schon die Logik zu heften ist. In der zweiten Hälfte des § 1 der Arbeit versucht Reich, zunächst im Rückgriff nur auf A 79 (vgl. das Zitat S. 13) und A 68-69 seine Idee gegen konkurrierende Auffassungen zu beweisen. Ist dieser Beweis gelungen? Ich glaube nicht. Es ist methodisch günstig, mit dem Abschnitt zu beginnen, den Reich erst an zweiter Stelle einbezieht, nämlich A 67-69 (Reich 17). Reichs Beweisziel ist es zu zeigen, daß nach dem Kantischen Text die Funktion der Einheit unter unseren Vorstellungen nicht identisch ist mit der Funktion der Einheit in den Urteilen; die erstere sei analytisch und komme den Begriffen zu, die zweite wird dagegen von Reich so verstanden, daß sie die erstere als ihre Materie gebraucht (Begriffe bilden die Materie der Urteile) und daher anderer Art sein muß als die Funktion der Einheit unter unseren Vorstellungen; die zweite kommt vermittelst der ersteren zustande, aber sie ist nicht identisch mit ihr. Ohne unserer Detailanalyse vorzugreifen, läßt sich gegen diese Lesart von A 67-69 folgendes einwenden: Die Trennung der Funktion der Einheit in den Urteilen von der Einheitsfunktionunter unseren Vorstellungen und die Stufung derart, daß es sich bei den ersteren um "'die Funktionen der Einheit' in jenen 'Funktionen der Einheit unter unsern Vorstellungen"' handelt (Reich 17), scheitert am Duktus des Kantischen Textes, der, wie später genauer zu zeigen ist, in folgendem (ergänzungsbedürftigen) Syllogismus endet: "Alle Urteile sind (demnach) Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen"; "Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen"; "Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann" (A 69). Dieser Schluß setzt voraus, daß die Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen und die Funktionen der Einheit in den Urteilen nicht in der Weise, wie Reich vorschlägt, unterschieden werden können. Hier nur noch folgendes Bedenken. Reich sagt von den Funktionen der Einheit in den Urteilen: "Aber: diese 'Funktionen der Einheit in den Urteilen' sind nicht diejenigen Funktionen, von denen zuvor gesagt worden war, daß sie Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen sind, denn das sind alle Urteile, einzeln für sich genommen. Jetzt aber handelt es sich um die logische Form eines Urteils überhaupt, nicht aber darum, was jedes beliebige denkbare Urteil, d. h. irgendwelche logische Materie in

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dieser Form, als Ganzes für sich in bezug auf unsere Vorstellungen überhaupt sei" (17). Reich führt eine Differenz von "alle Urteile" und "Urteil überhaupt" ein und macht die ersteren zu "irgendwelcher logischen Materie" (mit dem schwer verständlichen Zusatz "in dieser Form als Ganzes für sich ..."), d. h. er gibt ihnen den Status von Begriffen, die als Materie eines Urteils überhaupt dienen. Daß das, was alle Urteile sind, nämlich Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, als Materie der logischen Form des Urteils überhaupt fungieren soll, klingt nicht sehr plausibel. - Der Terminus eines "Urteils überhaupt" wird von Kant hier nicht benutzt (er spricht von den "Funktionen der Einheit in den Urteilen", A 69); und es gibt gute (später zu entwickelnde) Gründe dafür, daß dieser Terminus in der ersten Fassung der Kritik nur scheinbar, nicht wirklich vorkommt. Für die Reichsehe Interpretation jedoch ist er essentiell. Das Argument, in der Urteilsidee unter dem Titel "Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt" (A 67) werde von dem Unterschied analytischer und synthetischer Urteile abstrahiert, ist sicher korrekt; die Vorstellung jedoch, Kant operiere hier mit der Differenz von Begriffen als analytischer Einheit und Urteilen als objektiver Einheit läßt sich nicht halten. Begriffe sind nichts anderes als Prädikate möglicher Urteile, und diese werden vorgestellt als "Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen" (A 69). Da nun, so geht der Gedanke weiter, alle Handlungen des Verstandes auf Urteile rückführbar sind (und ergo alle Funktionen des Verstandes auf Funktionen der Einheit in den Urteilen), so können alle Funktionen des Verstandes gefunden werden, "wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann" {A 69). Und eben dies, so der optimistische Ausblick auf die dann folgende Tafel, läßt sich "ganz wohl bewerkstelligen". Reich möchte gegen den gedanklichen Aufbau des "Ersten Abschnitts" {A 67) durchsetzen, was seine vorhergehende Analyse von A 79 ergeben hat, daß nämlich die Subordination von Vorstellungen unter Begriffe analytischer Natur, das Urteil jedoch Produkt einer Synthesishandlung ist. Reich interpretiert den Satz: "Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Fonn eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, ... " {A 79, Hervorhebung von mir, R.B.) so, daß der Ausdruck "vermittelst der analytischen Einheit" eigentlich lauten müßte: "vermittelst ihrer analytischen Einheit", nämlich der der Begriffe: "Wir können also", so heißt es nach einer Sichtung des Vorkommens von "analytisch" im näheren Kontext, "aus dieser Umgebung unserer Stelle erschließen, daß die analytische Einheit wesentlich (oder 'seiner Form nach') zum Begriff gehört, aber nirgends ist eine Spur, die darauf führen könnte, anzunehmen, daß die Urteilseinheit analytische Einheit sei" (14-15). Im Kantischen Text dagegen ist von einer analytischen oder sonst einer anderen Urteilseinheit nicht die Rede; aber wohl ist die Funktion, die die Einheit der Verstandeshandlung darstellt, als eine analytische gefaßt. Aus der letzten Bemerkung des Absatzes ist zu schließen, daß die allgemeine Logik überhaupt, sowohl in der Begriffs- wie in der Urteilslogik, analytischer Natur ist; die Einheit, auf der die logische Form eines Urteils beruht, ist eine analytische Einheit. Wir erinnern uns des Satzes: "Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, ... " (A 69)- die Einheit, von der hier

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die Rede ist, wird im "Dritten Abschnitt" des Leitfadens als analytische Einheit bezeichnet (im Gegensatz zur synthetischen, zu der der Verstand allein nicht in der Lage ist; im Gegensatz zur allgemeinen Logik, die eine Sache nur des Verstandes ist, bedarf es zur Synthesisleistung "des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt"). Die analytische Einheit, von der hier abrupt im Gegensatz zur synthetischen Einheit gesprochen wird, und die analytische Einheit der Apperzeption und des Bewußtseins, von der Kant im § 16 der transzendentalen Deduktion in der Auflage von 1787 spricht und von der es heißt, sie hänge allen Begriffen als solchen an (B 133-134), müssen nicht identisch sein; wir stehen nicht unter dem Zwang, die Ausführungen von 1781 aus der Sicht von 1787 zu interpretieren, sondern können das Verhältnis der beiden Ausführungen umgekehrt erst bestimmen, wenn die 81er Fassung für sich erhellt ist. Der § 2 der Reichsehen Arbeit handelt von der objektiven Einheit des Selbstbewußtseins, einer speziellen Funktion der reinen Apperzeption im Hinblick auf die Möglichkeit, etwas zum Gegenstand meiner Erkenntnis zu haben. Diese Einheit wird als Spontaneität bezeichnet - "Das Ich denke drückt einen 'Aktus der Spontaneität' aus" (28). Der nächste Schritt nun ist in der Ökonomie des Gedankens schwer verständlich: Reich bestimmt diesen Aktus mit Hilfe der Kategorientafel und ihrer kategorialen Erweiterungen. "Es ist keine Frage, daß sich Kant in dieser Sprechweise9 der Kategorien, der Prädikamente und Prädikabilien bedient (§ 10, B 107 /8) - genau so wie beim Gebrauch der Termini 10 Rezeptivität und Affektion am Anfang der transzendentalen Aesthetik" (28). Richtig ist sicher, daß Kant auch von unschematisierten Kategorien Gebrauch macht; ohne diese Möglichkeit könnte z. B. von der Kausalität durch Freiheit in der Moralphilosophie nicht gesprochen werden. Reichs Darlegung bringt auch eine treffende Analyse des Kantischen Gedankens im Hinblick auf das "Ich denke". Aber der springende Punkt ist nicht der Gebrauch unschematisierter Kategorien, wie er tatsächlich vorliegt, sondern der Rekurs auf das mittels dieser Kategorien begriffene "Ich denke". Das Beweisprogramm lautet: Herleitung der Urteilsmomente aus dem "Ich denke". Aber die Urteilsmomente bilden die Grundlage der Kategorien (und damit der Prädikamente und Prädikabilien) -welchen Sinn kann es haben, bei diesem Beweisziel das Ich nach den Kategorien aufzuschlüsseln? Die Überlegungen in diesem Paragraphen sind entweder auf Zirkularität angelegt (daß ein nach den Kategorien bestimmtes "Ich denke" wiederum die Quelle der Urteilsmomente bildet), oder sie sind überflüssig.U Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins wird von der analytischen Einheit vorausgesetzt, die nun ihrerseits als Grundlage der Lehre vom Begriff fungiert: § 3 liefert die Begriffs-, §4 die Urteilslehre oder -definition; der Begriff drückt die analytische, das Urteil die objektive Einheit des Bewußtseins aus. Wir brauchen auf diese Erörterungen, die sich gänzlich auf die zweite Auflage beziehen, im Rahmen unseres Beweiszieles nicht näIn der Auflage von 1932 statt "in dieser Sprechweise": "hier". In der Auflage von 1932: "bei dem Gebrauch des Terminus". 11 Ebbinghaus 1933, 2075 schreibt: Die Untersuchung Reichs greife auf die "ursprünglich synthetische (objektive) Einheit des Selbstbewußtseins zurück und schafft sich durch ihre Analyse (§ 2) die Voraussetzungen für die systematische Ableitung der Urteilstafel und den Nachweis ihrer Vollständigkeit". Da die Analyse mit den Kategorien operiert, können die Ableitung der Urteilstafel und der Nachweis ihrer Vollständigkeit nur zirkulär sein. 9

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her einzugehen - die Darlegungen der transzendentalen Deduktion von 1787 folgen auf die Urteilstafel im logischen Sinn (sie setzen sie als schon gewonnen voraus) und im zeitlichen Sinn (sie werden später entwickelt und dargelegt) und können daher für die Interpretation des Leitfadens von 1781 nicht konstitutiv sein. Und nun zu den Paragraphen, die den Kern des Beweisanspruchs ausmachen. Die systematische Grundlage bildet die "Definition des Urteils" (Titel des § 4); sie wird der transzendentalen Deduktion der zweiten Auflage entnommen, in der es heißt, "daß ein Urteil nichts anderes sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen" (§ 19, vgl. Reich 39). Reich weist zunächst nach, daß hiermit die nur logische Form des Urteils bestimmt wird (vgl. auch den Titel des § 19: "Die logische Form aller Urteile besteht in der objektiven Einheit der Apperzeption der darin enthaltenen Begriffe"); Reich zeigt die Entwicklung dieser Urteilsdefinition in den Reflexionen der achtziger Jahre und macht in einer Anmerkung (S. 42) noch einmal darauf aufmerksam, daß es sich hier um eine rein logische (und nicht spezifisch transzendentalphilosophische) Bestimmung handelt und die Form der Urteile indifferent ist gegenüber der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Urteilen. Die Entwicklung der achtziger Jahre geschieht nicht in einem Bruch mit der ersten Auflage, denn auch in ihr findet sich schon der Gedanke, daß die logische Form des Urteils auf dem Verhältnis zum transzendentalen Bewußtsein beruht (A 117 Anmerkung, Reich 43). Reichs Kommentar dazu: Wenn wir den Weg antreten, um die Systematik der Momente des Denkens im Urteil durch ihre Ableitung aus der transzendentalen Apperzeption und der durch sie gegebenen Definition des Urteils verstehen zu können, so können wir "hinzufügen, daß (Kant) selbst uns in einer gelegentlich hingeworfenen Bemerkung unter dem Text zu verstehen gibt, daß dieser Weg für die systematische Vorstellung der logischen Form eines Urteils notwendig ist" (43)- aber eben das sagt Kant weder hier noch an anderer Stelle. In der fraglichen Anmerkung der A-Auflage steht, "daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) das transzendentale Bewußtsein sei. Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen" (A 117). Kant sagt nicht, was Reich als sein Programm braucht: daß die logische Form aus dem transzendentalen Bewußtsein oder aus ihrem "Verhältnis zu dieser Apperzeption" herzuleiten ist, sondern nur, daß die kollektive Einheit beliebiger Vorstellungen und die logische Form des Erkenntnisses (also des Urteils) auf dem Verhältnis zum transzendentalen Bewußtsein beruht. Hätte er Reichs Programm sei es in der A-, sei es in der B-Auflage für durchführbar gehalten, hätte er dem Desiderat Reichs nachkommen müssen, daß nämlich diese "Vorstellung vom Urteil an die Spitze seiner eigentlichen formal-logischen Erörterung, wenn sie systematisch geschehen soll, gestellt werden muß" (Reich 44) - ein konsequenter Kant hätte die Lehre von der objektiven Einheit der Apperzeption wenn nicht an den Anfang der gesamten Kritik, so doch an den Anfang der "Transzendentalen Logik" gestellt. Man wird des weiteren dem Reichsehen Ansatz im Hinblick auf die Urteilsdefinition entgegenstellen: Wenn eine Urteilsbestimmung oder auch-definitionzur EntschlüsseJung

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der Urteilstafel und ihres Vollständigkeitsanspruchs gesucht wird, dann in den dafür von Kant vorgesehenen Textteilen der ersten und zweiten Auflage; dort wird das Urteil folgendermaßen bestimmt: "Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben" (A 68); von Apperzeption und objektiver Einheit ist hier nicht die Rede; deren philosophische Bestimmung in späteren Theorieteilen der Kritik hängt vielmehr von der vorher entwickelten Urteilstafel ab, sie setzt voraus, daß die logische Form oder Verstandesform des Urteils mit den verschiedenen Titeln und Momenten schon vorliegt. Die Formulierung von A 68 läßt es offen, ob das Urteil subjektiv oder objektiv gültig ist; das letztere beruht auf der objektiven Einheit der Apperzeption- bei der Klärung des Verstandesgebrauchs überhaupt darf diese Differenz als explizite noch keine Rolle spielen, weder in der Form, daß das nur subjektiv gültige Urteil eigentlich kein Urteil ist, sondern nur den Status gewissermaßen von Begriffen als Materie der objektiv gültigen Urteile hat, noch in der Form, daß die Möglichkeit auch der subjektiven Urteile von der Primärform der objektiv gültigen abhängt. So wenig wie die allgemeine Logik den Unterschied von analytischen und synthetischen Urteilen kennt, so wenig setzt sie eine Theorie der Differenz von subjektiven und objektiven Urteilen voraus; im letzteren Fall kommt allerdings erschwerend hinzu, daß Kant faktisch die nur subjektiv gültigen Urteile ausschließt. Kant schreibt in der schon oben 12 herangezogenen Passage der Prolegomena, er habe nach einem Prinzip gesucht, nach welchem man die reinen Verstandesbegriffe hätte gewinnen können. "Um aber ein solches Princip auszufinden, sah ich mich nach einer Verstandeshandlung um, die alle übrige (d. h. "alle Handlungen des Verstandes", R. B.) enthält und sich nur durch verschiedene Modificationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urtheilen. Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt waren, darzustellen. Ich bezog endlich diese Functionen zu urtheilen auf Objecte überhaupt, oder vielmehr auf die Bedingung, Urtheile als objectiv-gültig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandesbegriffe ... " (IV 323-324) - eine deutliche Zäsur zwischen dem Auffinden der vollständigen Urteilstafel und der Gewinnung der Kategorien durch die Beziehung der Verstandesfunktionen auf Objekte überhaupt. - Es ist zu ergänzen, daß auch Reich sich zuweilen auf die frühe Definition des Urteils stützt (z. B. 48; Hinweis T. Pinder), aber dies geschieht ohne systematische Reflexion über Identität und Differenz der beiden Definitionen (Ebbinghaus wird später der Einfachheit halber behaupten: "die erste (sc. Auflage der Kritik, R. B.) definiert das Urteil überhaupt nicht" 13). Der "Entwurf der Systematik" (§ 5, 44) nimmt als Vorgabe einzig die "von dem höchsten Punkt der Philosophie her entwickelte 'Definition' des Urteils" (44). Das Verfahren bei dieser zunächst "auf eigene Faust" (45) entwickelten Systematik, die dann durch Kant-Texte verfeinert werden soll, ist ein analytisches; es wird ein "Urteil überhaupt" zugrundegelegt, das schon objektiv gültig, d. h. das in seiner Möglichkeit die Mög12 13

Vgl. S. 17. Ebbinghaus 1968, 128.

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Iichkeit der Wahrheit in sich schließen soll (45). Aus der so gewonnenen Modalität macht Reich die "logische Wirklichkeit" und verwandelt sie derart in das "einfachste in der allgemeinen reinen Logik gegebene Material", nämlich die Begriffe. Die Begriffe aber werden in einem Urteil in ein Verhältnis gesetzt -wir sind auf wunderbare Weise von der Modalität zur Relation gelangt. "Der (sc. Begriff, R.B.), der zur Bedingung dient, hat, so sagen wir, die Funktion des Subjekts, der andere die des Prädikats. S (A) ist P (B): die Relation eines Begriffs als Prädikates zu einem anderen als Subjekt ist das Verhältnis zweierBegriffe in ihrer Einheit im Urteil" (48)- dieses Wissen um Subjekt und Prädikat soll aus der Definition des Urteils fließen und nichts anderes sein als die geforderte InVerhältnis-Setzung der Materie des Urteils, der Begriffe. Aber wie gelangt man zu diesen Beerungen? Wie wird aus den Begriffen hier ein Subjekt, dort ein Prädikat? "Wir haben somit die Funktion des kategorischen Urteils, die Funktion des Subjekts im Verhältnis zum Prädikat (oder umgekehrt), aus unserer Voraussetzung der objektiven Einheit der Apperzeption gegebener Begriffe (der Definition der Form des Urteils) analytisch gewonnen" (48). Aber wie ist dieses Gewinnen neuer Bestimmungen dagegen geschützt, daß die vorliegende Urteilstafel als geheimer Leitfaden dient und das Verfahren somit zirkulär wird? Wir wissen schon, was herauskommen soll, und der "Entwurf' enttäuscht uns nicht in unseren Erwartungen. Ein mögliches Verfahren wäre vielleicht gewesen, an den einzelnen Stufen die möglichen Alternativen zu entwickeln und dann zu der einzig wirklich möglichen Lösung vorzudringen; da dies aber nicht geschieht, ist das Verfahren, das schon Bekannte noch einmal zu erzeugen, wenig überzeugend. Der Leser muß eindringlich bezweifeln, daß die Analyse auch ohne den Blick auf das schon vorliegende Ergebnis just zu der Kantischen Tafel, in unserem Fall also der Relation, geführt hätte. Und nun der nächste Schritt: Stattzweier Begriffe werden als Urteilsmaterie zwei Urteile genommen; wäre diese Verbindung von Urteilen nicht möglich, gäbe es "wohl viele 'Wahrheiten' (objektiv gültige kategorische Urteile), aber worin läge ihre Beziehung auf die durchgängige objektive Einheit der Apperzeption im Bewußtsein meiner Vorstellungen?" (48). Das hypothetische Urteil als eine derartige Verknüpfung von "Urteilen" (49) ist somit gewonnen und mit ihm zugleich das problematische Urteil, denn die Verbindung der beiden Urteile ist nur möglich unter der Bedingung, daß unausgemacht bleibt, ob sie objektiv gültig sind. Und der weitere Gang zum disjunktiven Urteil deckt zugleich die weiteren Momente der Modalität auf- "so sind Relation und Modalität verfilzt" (52). Ein Einwand gegen die Gewinnung des hypothetischen und disjunktiven Urteils als einer Pluralität von Urteilen aus der Notwendigkeit, im Bewußtsein einen durchgängigen Zusammenhang herzustellen, also nicht nur Wahrheitsinseln unverknüpfter kategorischer Urteile im Kopf zu tragen, ein Einwand dagegen lautet: Wenn es zur durchgängigen objektiven Einheit der Apperzeption einer Verknüpfung von Urteilen bedarf, warum dann nicht eine Verknüpfung von kategorischen Urteilen in Syllogismen? Der Syllogismus kann ein Kontinuum kategorischer Urteile stiften und somit eine "durchgängige" Einheit im Bewußtsein vieler Vorstellungen gewährleisten. - Der Einfall Reichs, die zusammengesetzten Urteile auf die beschriebene Weise zu gewinnen, ist nur der des Interpreten, er läßt sich bei Kant nicht belegen; dieser verweist vielmehr im § 19 in einer Fußnote zurück auf den§ 9, in dem die Urteilstafel entwickelt wird; in ihr liege die Not-

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wendigkeit, neben den kategorischen auch hypothetische und disjunktive Urteile anzunehmen (B 141). Die verbleibenden Teile im "Entwurf der Systematik" (52-54) sind der raschen und wenig überzeugenden Gewinnung der Qualität und der Quantität des Urteils gewidmet. Auch hier findet sich kein Argument gegen den Verdacht, Reichs Weg richte sich nach dem schon bekannten Ziel. Wenn dies zutrifft, wenn die fertige Urteilstafel das Verfahren ihrer Deduktion lenkt, wird der Anspruch der ganzen Herleitung hinfällig. Reich beginnt, wie wir sahen, mit der aus der objektiven Einheit der Apperzeption erzeugten Definition des Urteils, nimmt dessen Materie, die Begriffe, als gegeben an und setzt sie in ein Verhältnis, woraus die Funktion des kategorischen Urteils entspringt. Beim Übergang vom ersten Moment der Relation zum zweiten wird aus der Funktion des kategorischen Urteils ein kategorisches Urteil, das als Materie für das hypothetische Urteil dienen soll- aber es gibt kein Urteil, das nicht im Hinblick auf jeden der vier Titel bestimmt wäre! Unter der Hand wird aus dem "S ist P" ein nur in dem einen Moment des einen Titels bestimmtes kategorisches Urteil, das also weder im Hinblick auf seine Quantität, Qualität oder Modalität bestimmt wäre; eben dies ist ein nihil negativum in der Kantischen Urteilslogik. Die Reichsehe Konstruktion ist auf dieses kategorische UrUrteil des "S ist P" angewiesen, weil die Bestimmungen der übrigen Momente (der Relation) und der übrigen Titel erst sukzessiv hergeleitet werden sollen. Mag man die isolierte Betrachtung der Funktion des kategorischen Urteils noch hinnehmen, das Operieren mit einem kategorischen Urteil, in dem nicht gleichursprünglich die übrigen Titel mit je einem Moment schon vertreten sind, ist nicht möglich. Das Urteil ist als solches nur dann gegeben, wenn es im Hinblick auf seine Quantität, Qualität, Relation und Modalität determiniert ist; entsprechend ist das kategorische Urteil ein mögliches Urteil nur dann, wenn es hinsichtlich der drei übrigen Titel in jeweils einem der drei zur Auswahl stehenden Momente fixiert ist - es muß also im Hinblick auf die Modalität schon entweder problematisch, assertorisch oder apodiktisch sein und kann nicht auf das hypothetische Urteil warten, um zu einem ersten modalen Status zu gelangen. Reichs gesamte weitere Arbeit setzt die Möglichkeit voraus, mit dem Ur-Urteil "S ist P" operieren zu können; es ist dasjenige Konstrukt, das im weiteren Gang mit vorgeblicher Notwendigkeit zu den übrigen Bestimmungen angeert wird, so daß am Ende die vollständige Urteilstafel aus ihm erzeugt worden ist. Bei Kant jedoch gibt es noch keine Vorstellung des nachvollziehbaren Produzierens des einheitlichen Zusammenhangs des Urteils aus der höchsten (oder besser: durch die höchste) Einheit der transzendentalen Apperzeption. Reich ersetzt häufig die Formulierung "S ist P" durch die des "Urteils überhaupt". Vom "Urteil überhaupt" spricht Kant, wenn ich richtig sehe, nicht in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft; wenn es im Vorspann der Tafel heißt: "Wenn wir von allem Inhalt eines Urteils überhaupt abstrahieren, und nur auf die bloße Verstandesform darin achtgeben... " (A 70), so bezieht sich das "überhaupt" auf "Inhalt" und "abstrahieren", anderenfalls müßte bei dem "Urteil überhaupt" auch noch vom Inhalt abstrahiert werden, der gerade im "überhaupt" schon negiert ist. Wir haben es mit einer Anweisung zu tun, von allem Inhalt eines Urteils zu abstrahieren und nur auf die Verstandesform darin achtzugeben (A 70); wie jedes Dreieck eine bestimmte Seitenlänge hat, man jedoch von

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dieser bestimmten Länge und von allen bestimmten Maßen überhaupt abstrahieren und nur auf die Seiten- oder Winkelverhältnisse achten kann, so hat jedes Urteil einen Inhalt, von dem man absehen kann, um nur auf die in ihm ("darin") präsente Verstandesform zu achten. Die Funktion des Denkens "in demselben" (A 70) kann unter vier Titel gebracht werden - das Urteil muß also so geartet sein, daß die in ihm liegende und entdeckbare Funktion des Denkens unter vier Titel gebracht werden kann. Der Begriff des "Urteils überhaupt" wird in den Metaphysischen Anfangsgründen gebraucht: "Die letztere Aufgabe, obgleich auch ohne sie das Gebäude fest steht, hat indessen große Wichtigkeit und, wie ich es jetzt einsehe, eben so große Leichtigkeit, da sie beinahe durch einen einzigen Schluß aus der genau bestimmten Definition eines Urtheils überhaupt (einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objects werden) verrichtet werden kann" (IV 475). Wie dieses "Urteil überhaupt" aussieht, sagt Kant nicht; jedenfalls läßt es sich nicht als Ur-Urteil der Form "S ist P" fixieren und dann durch die fehlenden Titel und Momente anern, sondern es muß im Hinblick auf die Titel durchgängig bestimmt sein. Wir kommen hiermit zum Zentrum der Schrift, dem Nachweis der Deduzierbarkeit der Urteilstafel mit Kantischen Mitteln. In einem ersten Schritt wird "Der ganze Weg und sein Durchlaufungssinn" (I; 54-59) vorgestellt, der zweite erläutert "Die einzelnen Wegabschnitte" (II; 59-86). Zu I: Der Durchlaufungssinn der Kamischen Urteilstafel, wie sie dem Leser vor Augen gestellt wird, ist nach Reich synthetisch, wie daraus erhellt, daß Kant bei der Darstellung des "Ich denke" im analytischen Verfahren mit dem Ende, der Modalität, beginnt (B 418-419). Der Aufbau der Urteilstafel sei deswegen synthetisch, weil sie der synthetischen Entwicklung der Kategorien und Grundsätze zu dienen habe; für die allgemeine reine Logik, die Logik also der Urteilstafel, gelte umgekehrt ein analytisches Verfahren; die eigentliche der Tafel angemessene Abfolge müsse also Kants Abfolge auf den Kopf stellen, mit der Modalität beginnen und über die Relation und Qualität zur Quantität fortschreiten. Die analytische Durchlaufung stellt Kant, so Reich, selbst als diejenige vor, die bei der Zergliederung der Verstandeshandlungen innerhalb der formalen Logik einzuhalten ist; als Textzeugen dienen die entsprechenden Passagen aus dem Kapitel "Die Analytik der Grundsätze" (A 130-132). Aber in diesen Passagen wird nicht von einem analytischen Verfahren gesprochen, sondern von der Analytik im Gegensatz zur Dialektik, und davon, daß die allgemeine Logik in ihrer Analytik Begriffe, Urteile und Schlüsse behandelt; für das Unternehmen, die Urteilstafel auf den Kopf zu stellen, erhält man hier wenig Hilfe. Es wäre des weiteren verwunderlich, daß Kant den Leser über einen derart fundamentalen Eingriff in die zu erwartende und eigentliche Abfolge nicht informiert; er suggeriert statt der von Reich unterstellten Lesart, daß sich die Kategorien und Grundsätze nach den Verstandesformen im Urteil richten und daß diese letzteren unabhängig von dem gewonnen wurden, was von ihnen abhängt, sowohl im Inhalt wie im Aufbau. Nach Reich mußte der Leser auf die Publikation der Prolegomena und ihren Hinweis auf die synthetische Vorgehensweise der Kritik warten, um überhaupt eine Chance zu haben, die Urteilstafel zu begreifen und sie zum Zweck ihrer Dechiffrierung auf den Kopf zu stellen. Die Frage, welches Vorgehen konkret analytisch und welches synthetisch ist, ist fast immer eine Crux; wir können hier wenigstens folgendes festhalten: Kant schreibt in der

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von Reich herangezogenen Einleitung der "Analytik der Grundsätze", die allgemeine Logik befasse sich in ihrer Analytik mit Begriffen, Urteilen und Schlüssen (A 130), und in der anschließenden "Einleitung. Von der transzendentalen Urteilskraft überhaupt" (A 132-136) heißt es in Fortsetzung dieses Gedankens: "Denn da sie (sc. die allgemeine Logik, R. B.) von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, so bleibt ihr nichts übrig, als das Geschäft, die bloße Form der Erkenntnis in Begriffen, Urteilen und Schlüssen analytisch auseinander zu setzen, und dadurch formale Regeln alles Verstandesgebrauchs zustande zu bringen" (A 132-133). Wenn unsere Idee korrekt ist, daß die Urteilstafel in ihren drei ersten Momenten dem Aufbau der allgemeinen Logik von Begriff, Urteil und Schluß folgt, so ist die von Kant in der "Analytik" vorgestellte Tafel der Urteile analytisch im Sinn einer Zergliederung der Verstandeshandlungen überhaupt: "... so finden wir, daß die Funktion des Denkens in demselben (sc. in einem Urteil, R. B.) unter vier Titel gebracht werden könne ... ", hieß es im Einleitungstext (A 70), das Finden ist nur durch die Analyse des Urteils (im Hinblick auf seine "in ihm" liegende Verstandesform) möglich. Man braucht also die Urteilstafel nicht zu revolutionieren und mit der Modalität zu beginnen, um ein analytisches Vorgehen zu gewährleisten. (Es wird sich später zeigen, daß die Urteilstafel - unter einem anderen Aspekt - auch in synthetischer Abfolge mit dem Titel der Quantität beginnt). Die Vorstellung der einzelnen Wegabschnitte (59-86) ist methodisch problematisch. Einmal wird die "Systematik" zugrunde gelegt, von der nicht gezeigt wurde, daß sie nicht mit dem Blick auf das schon vorliegende Ergebnis entwickelt wurde, d. h. in ihrer Beweisfunktion zirkulär ist. Dieser Mangel prägt jetzt auch die Rekonstruktion und Feinarbeit mit Kantischen Texten aus den siebzigerbis in die späten neunziger Jahre -die Urteilstafel, die abgeleitet werden soll, ist in unkontrollierbarer Weise immer schon da. Ein weiterer grundsätzlicher Einwand bezieht sich auf den Umgang mit den Überlegungen Kants aus den verschiedenen Phasen vor und nach 1781. So beginnt Reich mit Reflexionen, in denen die Relation und Modalität unter dem Titel der Quaeitas zusammengefaßt werden (60-61) - aber die Quaeitas kommt in der Kritik der reinen Vernunft nicht mehr vor. Wie können wir Kant die Möglichkeit absprechen, seine Meinung über bestimmte Detailfragen vor der Abfassung der Schrift zu ändern und .damit die vorhergehenden Reflexionen und Notizen obsolet werden zu lassen? Eben dies ist der Fall bei der Quaeitas. Reich schreibt: "Also mit Quaeitas bezeichnet Kant in 3035 die Relation (des P zum S) 14 und später in eins Relation und Modalitätsunterschiede" (6o). Ohne hier auf die verwinkelten Züge in der Kantischen Entwicklung einzugehen, sei nur auf die Logik- Biomberg verwiesen, in der die drei Fragen "Quae? Qualis? Quanta?" als bekannter Gedanke genannt werden und dann zur Quaeitas ausgeführt wird: "3. quae est propositio? ist die Frage, ob das Judicium purum, oder modale sey. Modal aber heißt ein urtheil, welches eine Urtheils Bedingung beym Praedicato führet" (XXIV 277). Wie Meier(§ 309) trennt Kant noch das reine Urteil vomjudicium modale; entgegen der in den nachfolgenden Jahren gewonnenen Überzeugung, daß jedes Urteil modal bestimmt sei (verbunden mit einer völligen Neufassung dessen, was unter "modal" zu verstehen ist), ist Kant hier noch der Meinung, daß das reine Urteil modal nicht bestimmt ist. Sobald der Wandel 14

In der ersten Auflage: '"(des S zum P)".

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eingetreten ist, fällt die so bestimmte Frage nach dem "Quae" der propositio natürlich fort. Unter dem Stichwort "Die Form des Urteils und die Relation überhaupt" (61-63) versucht Reich zu zeigen, daß Kant Relation und Modalität als den eigentlichen Ursprung des Urteils betrachtet. Aber das vorgeführte Material liefert für diese Auffassung keine überzeugende Grundlage. In der Reflexion 3040 (Reich 62) ordnet Kant die später sogenannten Titel in der Reihenfolge relatio, qualitas, quantitas, modalitas. Dazu Reich: "Hier bemerken wir mit der größten Deutlichkeit einen Akt der Auszeichnung der Rolle der Relation vor der der Qualität und Quantität" (62)- aber es muß ergänzt werden: und vor der der Modalität, wenn man sich schon auf diese Reflexion bezieht; die "modalitas" folgt auf die Quantität und Qualität. Im übrigen ist unklar, was mit der Reihenfolge gesagt werden soll; im Text steht ursprünglich: "qualitas, quantitas, relatio, modalitas", also die Reihenfolge der Enzyklopädie-Vorlesung (vgl. unten S. 45-46). Die durch über die Begriffe geschriebenen Ziffern erzeugte Reihenfolge mag ein Experiment der späten siebziger Jahre sein. Die auf diese Titel folgenden Zeilen behandeln nur die Relation, nicht die Modalität. - In der Reflexion 5854 wird die Kategorie (!) des Verhältnisses als "die vornehmste unter allen" bezeichnet; Reich macht daraus eine "Auszeichnung der Rolle der Relation vor der der Qualität und Quantität" (62); es muß jedoch (wie auch bei der Reflexion 3058, ebenfalls Reich 62) hinzugefügt werden: und der Modalität; aber damit würde Reichs "quod erat demonstrandum" hinfällig. Im folgenden wird die Auszeichnung von Relation und Modalität als bewiesen benutzt;§ 19 der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft wird so gelesen: '"Das Urteil ist nichts anderes als die Art (Modus), gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen"' (63), und mit dem von Reich hinzugesetzten Modus soll die Modalität indiziert sein. Aber die Gleichsetzung von Art, Modus, Modalität ist diktiert vom Beweisziel - warum gehört zur Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen, nicht auch die Bejahung und Verneinung? Deren Ausschließung bedürfte jedenfalls einer detaillierten Begründung. Meier formuliert im§ 309 seiner Logik: "Die Vorstellung der Art und Weise, wie das Prädicat dem Subjecte zu oder nicht zukommt, ist die Bestimmung des Verbindungsbegriffs und der Verneinung desselben (modus formalis)" (in der KautAusgabe: XVI 662). Aber Kant gewinnt die Möglichkeit, die Modalitätsfunktionen zu Momenten jedes Erkenntnisurteils zu machen und damit den modus formalis von Meier aufzugeben, durch eine neue Urteilstheorie, in der das Formale des Urteils durch die Verstandesfunktionen bestimmt wird- durch alle Titel und Momente, nicht nur die der Modalität. Damit gewinnt das Wort oder der Begriff "Art" im§ 19 die Allgemeinheit, die man beim Lesen unwillkürlich annimmt. Wenn Kant in der "Ästhetik" vom Objekt an sich selbst spricht "unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen" (A 38), wenn in der ''Transzendentalen Dialektik" von den verschiedenen Arten der Vernunftschlüsse gesprochen wird gemäß den Urteilen, "sofern sie sich in der Art unterscheiden, wie sie das Verhältnis des Erkenntnisses im Verstande ausdrücken" (A 304), so verwendet er den Begriff der "Art" ebenso terminologisch unbelastet wie in § 19. Die drei Momente der Relation lassen sich nach Reich durch die Funktion, die der Begriff des Exponenten bei Kant hat, ableiten (66-73). Durch diesen Begriff also soll erwiesen werden, daß es nur drei Verhältnisse des Urteils gibt und diese notwendig die des

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kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Urteils sind. Zunächst ist man erstaunt, daß hier wieder einem Begriff die Beweislast aufgebürdet wird, der innerhalb der Einführung, Darstellung und Erläuterung der Urteilstafel nicht vorkommt; Kants Erwähnung des Begriffs des Exponenten in der Kritik ist eher marginal. Zwei der vier Stellen, an denen er vorkommt, sind nach Reich nicht einschlägig (72), zwei handeln von Naturgesetzen und den Analogien der Erfahrung (A 159 und 216) - wir könnten diesen Passagen nur eine strukturelle Information über das entnehmen, was der Begriff des Exponenten grundsätzlich bedeutet, die spezifische Funktion innerhalb der Vollständigkeitsproblematik der Urteilsrelationen der allgemeinen Logik kann an diesen Stellen gewiß nicht erhellt werden. Kants Schrift selbst also kann uns über die Rolle des Begriffs des Exponenten nicht informieren; es sind wieder Notizen aus anderen Phasen, denen Kant die Lösung des Rätsels anvertraut und folglich dem Leser mit Vorsatz entzogen haben soll. Es wird des weiteren ausgeschlossen, daß Kant den Begriff des Exponenten mit guten Gründen aus der Darlegung der Urteilstafel eliminierte. Und es wird mit diesem Weg übergangen, was Kant jedem Leser im Erläuterungstext zur Vollständigkeit der Relationsmomente sagt. Reich zitiert drei Reflexionen, eine aus den neunziger, zwei andere aus den siebziger Jahren (Refl. 3202, 3039 und 3063), in denen das Wort "Exponent" im Zusammenhang mit dem Verhältnisbegriff begegnet, und stellt sodann die plausible These auf, Kant sei durch die Mathematik zum Gebrauch des Begriffs angeregt worden. 15 Nach den angeführten Quellen erfahren wir, daß der Exponent die Beziehung zweier homogener Größen in bezug auf ihre Größe bestimmt: "So wäre der Exponent des Zahlenverhältnisses 3 : 12 entweder 4 oder 1/4" (67). Sollte es gelingen, im Begriff des Exponenten auf eine präzise Weise die Erklärung für die drei Relationen zu finden? Mit neuerer Terminologie: Die Identifizierung der prädikatenlogischen Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt mit der aussagenlogischen Verknüpfung der Implikation und Disjunktion? Wenn ich richtig sehe, wird diese im Kontext der Reichsehen Überlegungen notwendige Idee nicht eingeführt, sondern es wird aus weiteren Kant-Reflexionen, in denen der Begriff des Exponenten als Bezeichnung der verschiedenen Verhältnisse, nicht aber zu deren Erklärung verwendet wird, der Schluß gezogen, die drei Momente seien abgeleitet. "Dieser Begriff des Exponenten oder der Bedingung der Assertion erst ist es, der es Kant überhaupt möglich gemacht hat, die kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Urteile unter einen Gesichtspunkt zu bringen" (70). Reichs Idee ist, daß das im Begriff des Exponenten ausgedrückte Verhältnis (die Relation in ihren drei Momenten) identisch ist mit der Einheit des Bewußtseins, die in dem modus formalis gedacht wird, in der Modalität also. "Wir haben damit den Zusammenhang der Relationsbegriffe mit dem ursprünglichen Modalitätsbegriff, dem Begriff der logischen Wirklichkeit, vorgeführt, den Kanteben in der Verwendung des Begriffs der Bedingung der objektiven Einheit oder des Exponenten zu erkennen gibt" (72). Aber so wenig wie es ein urspüngliches nur kategorisches Urteil der Form "S ist P" gibt, so wenig läßt sich bei Kant der für die Reichsehe Konstruktion essentielle "ursprüngliche Modalitätsbegriff' finden;

15

Vgl. auch Schulthess 1981, 247-253.

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er ist eine, für die Interpretation unentbehrliche, Schöpfung des Interpreten. Wir werden im historischen Teil der vorliegenden Untersuchung auf die Frage der Zusammennahme der drei Relationsurteile zurückkommen; es wird sich zeigen, daß Kant bei seinen Überlegungen in der Urteilsebene und innerhalb der Einheitsfunktionen des Verstandes verbleibt und nicht auf die Einheit des Bewußtseins und Selbstbewußtseins rekurriert, entsprechend auch der Begriff des Exponenten nicht die ihm von Reich vindizierte wesentliche Funktion bei der Umwandlung der hypothetischen und disjunktiven Urteile aus zusammengesetzten in Verhältnisurteile (die als solche dem kategorischen Urteil koordiniert werden können) hat. Weder der Begriff des Exponenten noch der der objektiven Einheit der Apperzeption vermögen z. B. die Frage zu beantworten, warum das hypothetische Urteil sich nur aus zwei Teilurteilen, das disjunktive sich jedoch notwendig aus mindestens zwei, also auch mehreren Urteilen zusammensetzt. Oder: Warum gibt es keine kopulativen Urteile unter dem Titel der Relation? Wenn man über ein Verfahren der Herleitung der drei Momente verfügt, müßte man problemlos zeigen können, wie das kopulative Urteil ausgeschlossen wird. Dies wäre zugleich ein Punkt, in dem sich die Ableitung als Ableitung bewähren könnte und nicht als Hinleitung zu dem Ergebnis, das uns schon vor Augen liegt. Unter dem Titel "Relationsunterschiede und Modalitätsunterschiede" (73) versucht Reich den engen Zusammenhang, ja die Deckungsgleichheit der jeweiligen drei Momente zu zeigen. Die dazu dienlichen Bemerkungen Kants finden sich in einigen Reflexionen und dann in Äußerungen im Zusammenhang des Streites mit Eberhard, also am Ende der achtziger Jahre. Aus den von Reich angeführten Reflexionen "seit etwa 1780" (75; Reflexion 2154, 5562, 6209) soll folgen: "Deutlich sehen wir in der Vorstellung der sog. logischen Grundsätze den Zusammenhang der Relationsunterschiede und Modalitätsunterschiede in dem Umstand, daß derselbe Grundsatz die formalen Bedingungen der Urteile sowohl nach einem Moment der Relation wie nach einem Moment der Modalität betrifft" (75). Und auch: "Im Logiknachlaß herrscht durchweg der Modalitätsgesichtspunkt bei der Aufzählung der logischen Prinzipien" (75). Nur: die beiden letzten Reflexionen sprechen einfach nicht von der Modalität. Und bei der ersteren ist der Zusammenhang sehr unklar, zumal unter dem Stichwort "Qualität" von der Deutlichkeit, nicht von den Momenten der Urteilstafel geredet wird. Der Text lautet in der AkademieAusgabe folgendermaßen: "1. Quantitaet. logische Allgemeinheit. 2. Qualität: Deutlichkeit. relation: Warheit." Nur formales, nicht materiales criterium der Warheit. "(' Warheit kan zur relation, aber auch der modalitaet gezogen werden; der letzteren nach ist die relation möglich, wirklich oder nothwendig.)" (XVI 253). Wie die Zuordnung der Deutlichkeit zum Titel der Qualität zeigt, experimentiert Kant hier mit möglichen Korrespondenzen der vier späteren Titel der Urteilstafel und den Eigenschaften der gelehrten Erkenntnis, wie sie in Meiers "Vernunftlehre" aufgeführt werden und auch die Kantische Logik bis in die siebziger Jahre dominieren; die Verbindung von Deutlichkeit und Qualität findet im Rahmen der Merkmalslogik statt, in der in einem bejahenden oder verneinenden Urteil die dem Subjekt zukommenden oder nicht zukommenden Merkmale deutlich gemacht werden. Das Urteil in der Fassung von 1781 dient jedoch entschieden nicht der Verdeutlichung der- vorher verworrenen- Merkmale eines Begriffs; damit aber verliert jeder Rückgriff auf die Merkmalslogik seinen Erkenntniswert

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Ähnlich etwa die Reflexion 2150: "Wir haben Geredt: 1) von der Qvalitaet der Erkenntniß: ob klar oder dunkel. 2) von der Qvantitaet: ob extensiv oder Intensiv. 3. Relation: [Warh] ob wahr oder falsch- aufs object bezogen" (XVI 253). "klar oder dunkel" bezieht sich auf den Begriff hinsichtlich seiner Merkmale. - Was immer die Formulierung "... der letzteren (sc. der Modalität, R. B.) nach ist die relation möglich, wirklich oder nothwendig" im Zusatz der Refl. 2154 heißen mag, die einfachste Interpretation ist die, daß dasselbe trivialerweise auch z. B. von der Qualität gilt: alle kategorischen Urteile müssen der Qualität nach bejahend oder verneinend (oder unendlich) sein. Und was in diesem Zusatz über die Wahrheit steht, informiert uns nicht über irgendeine Herrschaft des Modalitätsgesichtspunktes; von der Wahrheit wird auch in den Erläuterungen der Urteilstafel in der Kritik unter den Punkten 3 und 4 gesprochen. Man könnte dies als Problem diskutieren; die bloße Tatsache des Auftauchens der Wahrheitsfrage unter dem Titel der Relation und der Modalität besagt noch nichts. - In den Reflexionen 5562 und 6209, die Reich aus dem Metaphysik-Nachlaß heranzieht (75), wird von der Modalität nicht gesprochen, sie können entsprechend auch nicht deren Dominanz beweisen oder "den Zusammenhang von Relation und Modalität ... durchschauen lassen" (75). So bleiben nur die Überlegungen Kants im Zusammenhang des Streits mit Eberhard und dann der Schrift über die Fortschritte der Metaphysik. In einem Brief an Reinhold vom 19. Mai 1789 bezieht Kant den Sfltz des Widerspruchs auf kategorische, den Satz des logischen Grundes auf hypothetische und den des ausgeschlossenen Mittleren auf die disjunktiven Urteile. Es heißt in dem Brief: "Nach dem ersten Grundsatze (sc. dem Satz des Widerspruchs, R. B.) müssen alle Urtheile erstlich, als problematisch (als bloße Urtheile) ihrer Möglichkeit nach, mit dem Satze des Wiederspruchs, zweytens, als assertorisch (als Sätze), ihrer logischen Wirklichkeit d Warheit nach, mit dem Satze des z. Grundes, drittens, als apodictische (als gewisse Erkenntnis) mit dem princ: exclusi medii inter duo contrad. in Ubereinstimmung stehen; ..." (XI 45; vgl. Reich 75). Wie immer diese Vorstellung Kants zu interpretieren ist - die Urteilstafel fordert von jedem Urteil, daß es durch eines der jeweils drei Momente unter den vier Titeln zu bestimmen ist, also muß das kategorische Urteil seinerseits entweder problematisch, wirklich oder notwendig sein. Dies gilt für jedes einzelne Urteil, und wenn ich die Reichsehen Ausführungen richtig verstehe, so kommt er am Schluß der einschlägigen Ausführung auf eben diesen Konflikt zu sprechen: der Zusammenhang von problematischem und kategorischem Urteil mittels des Satzes vom Widerspruch sei verwickelter - "Wir wollen das nicht verfolgen" (76). Die nähere Erörterung eben dieser Verwicklung hätte m. E. dazu geführt, der Relation und der Modalität im Hinblick auf jedes einzelne Urteil ihre Selbständigkeit zurückzugeben, statt sie unter dem Aspekt der Streitschrift gegen Eberhard und der Fortschritte der Metaphysik zur Deckung zu bringen. Im Erläuterungstext zur Urteilstafel in der Kritik der reinen Vernunft werden die Modalitäts- und Relationsmomente zwar ebenfalls in eine enge Beziehung gesetzt, allerdings (gegen Reich) umgekehrt so, daß die logische Möglichkeit, die logische Wirklichkeit und die logische Notwendigkeit durch die Verortung in hypothetischen oder disjunktiven Schlüssen gewonnen werden; dazu später Näheres. "Der Schnitt zwischen Modalität-Relation und Qualität-Quantität als Problem" (76). Die bisherigen Ausführungen von Reich liefen darauf hinaus, die innere "Verfilzung" von Modalität und Relation aufzuweisen; der nächste Schritt ist die Zusammenfassung dieser

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Titel im Hinblick auf den Akt der Verknüpfung im Gegensatz zur Vergleichung, die durch die beiden anderen Urteilsfunktionen, Quantität und Qualität also, geleistet wird. Dem Leser ist die Entgegensetzung der beiden entsprechenden Kategoriengruppen unter dem Titel der mathematischen und dynamischen Kategorien bekannt; Reich setzt ebenfalls von der Zweiteilung der Kategorientafel an und schließt dann auf eine entsprechende Struktur - "so wie im Logischen" - in der UrteilstafeL In den weiteren Überlegungen wird dann die Zweiteilung im Gebiet des Logischen selbst unter den Stichworten der "Vergleichung" und "Verknüpfung" aufzuweisen versucht. Der erste Anknüpfungspunkt ist die Anmerkung im § 39 der Prolegomena (IV 325326). Reich zitiert aus dieser Anmerkung aus der Ziffer 2): "daß die Kategorien 'von der Größe und Qualität ... ohne Korrelata oder Opposita (seien), dagegen die der Relation und Modalität diese letztere bei sich führen'" (77). Reich fährt fort: "Es werden noch weitere Eigenschaften der Tafel der Kategorien genannt: immer mit dem Hinweis: 'so wie im Logischen'" (77). Der Hinweis "so wie im Logischen" erscheint bei Kant dagegen nur unter der Ziffer 3); Kant hält ihn also an dieser Stelle für notwendig - man kann daraus auch schließen, daß die Ziffern 1) und 2) nur für die Kategorien bestimmt sind und dort das "so wie im Logischen" eben nicht gilt. Unter der Ziffer 4) nun steht: "daß, so wie die Modalität im Urtheile kein besonderes Prädicat ist, so auch die Modalbegriffe keine Bestimmung zu Dingen hinzuthun" - hier wird die Modalität in der Weise bestimmt, wie Kant auch 1781 sagte: Mit ihr kommt zum Inhalt der Urteilsform nichts mehr hinzu. Die Ziffer besagt also etwas über die innere Zusammengehörigkeit von Quantität, Qualität und Relation gegenüber der Modalität, sie läuft der Reichsehen Intention also gerade zuwider; das Gegenläufige wird jedoch nicht erörtert, sondern aus der Analyse schweigend eliminiert. - Die von Reich dann angeführten Reflexionen 5697 und 5859 beziehen sich explizit bzw. entsprechend dem Kontext nur auf die Kategorien, sie tragen also nichts bei zur einschlägigen Frage. Und dann ein Zitat aus der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft: "Die erste Klasse hat, wie man sieht, keine Korrelata, die allein in der zweiten Klasse angetroffen werden. Dieser Unterschied muß doch einen Grund in der Natur des Verstandes haben" (77; B 110). Die Bemerkung bezieht sich auf die Kategorientafel, die im Unterschied zur Urteilstafel unter den Titeln der Relation und Modalität ja tatsächlich Korrelate und Opposita anführt (A 80). Wie sollten die korrespondierenden Korrelate und Negationen bei der Urteilstafel lauten? Welches Korrelat hat z. B. das kategorische Urteil? Kant kennt es nicht, und Reich führt es auch nicht an. Wenn es in der 2. Auflage heißt, die Zweiteilung müsse doch "einen Grund in der Natur des Verstandes haben" (B 110), so bleibt offen, worauf sich diese Bemerkung genau beziehteine Verknüpfung mit der Urteilstafel wird in diesem Punkt wenigstens nicht hergestellt und dürfte auch kaum möglich sein. Bei der Einführung der zwei Abteilungen von Verstandesbegriffen bezieht sich Kant darauf, daß die erste - dann mathematisch genannte Abteilung sich "auf Gegenstände der Anschauung (der reinen sowohl als dem empirischen)", die zweite- dynamische- sich "auf die Existenz dieser Gegenstände (entweder in Beziehung aufeinander oder auf den Verstand)" gerichtet ist (B 110). Diese Begründung der Dichotomie muß für die Urteilstafel notwendig entfallen, wenigstens wenn man sie als Tafel der "logischen Funktion des Verstandes in Urteilen" (A 70) auffaßt und nicht als Tafel der reinen Verstandesfunktionen und damit schon der Kategorien. - Reich unter-

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stellt, es sei nunmehr erwiesen, daß auch die Urteilstafel eine der Kategorientafel analoge Zweiteilung aufweisen müsse, und versucht im folgenden zu zeigen, daß sie durch die Begriffe der "Vergleichung" und "Verknüpfung" bei Kant tatsächlich gegeben ist. Quantität und Qualität sollen innerhalb des Gesamtkomplexes des "Urteils überhaupt" den Part der bloßen Vergleichung ausmachen, während der Relation und Modalität der eigentliche Kern des Urteils, die Verknüpfung, zufällt. Erst die letztere bildet das Urteil im Hinblick auf die Verknüpfung von Begriffen in der objektiven Einheit der Apperzeption. Diese Beobachtung ist logisch unabhängig von der vorher anband der Dichotomie der Kategorientafel eingeführten (und nicht erwiesenen) Zweiteilung. Das Argument ist plausibel im Hinblick auf den Titel der Quantität, unter dem die Bestimmung durch den bloßen Vergleich der Extensionen der Begriffe ert werden kann; und Kant behauptet auch für die Bejahung und Verneinung, sie beruhe auf bloßer Vergleichung (dazu gleich Näheres). In den Kantischen Ausführungen zur Urteilstafel innerhalb der Kritik der reinen Vernunft fehlt jedoch jeder Hinweis auf den Unterschied von Vergleichung und Verknüpfung als eigentümliche Differenz der zwei Titelgruppen (vermutlich, weil das analysierte Urteil gerade die Einheit von beidem realisiert). Reich übernimmt aus seinen Voruntersuchungen (§ 3) die Idee "von einem logischen Verhältnis der Begriffe, das nicht ein Verhältnis derselben im Urteil sei, nämlich das der Unterordnung" (das hier mit dem der Vergleichung identifiziert werden soll; 79). "Hören wir wieder Kant Reflexion 3051 (um 1780): 'Die Vorstellung der Art, wie verschiedene Begriffe als solche allgemein notwendig (empirisch oder apriori) zu einem Bewußtsein") überhaupt (nicht bloß meinem) gehören, ist das Urteil. ") Begriffe gehören zu einem Bewußtsein nur dadurch, daß sie unter- , nicht nebeneinander (wie Empfindungen) gedacht werden"' (79). Die Reflexion wird von Adickes der Phase ypsilon bis psi, d.h. 1767-1789 zugeordnet. Die von Reich nicht korrekt zitierte Reflexion enthält spätere Zusätze, von denen der letzte von Adickes ausdrücklich der Phase omega, also irgendwann zwischen 1790 und 1801, zugeteilt wird. Das "überhaupt" hinter "Bewußtsein"" steht nicht, wie in Reichs Version, vor der Klammer, sondern in ihr ("