Die Revolution von 1525 [4. durchges. und bibliographisch erw. Aufl.] 9783486819304, 9783486442649

Die These von der "Revolution des gemeinen Mannes" ist in die internationale Forschungstradition des 20. Jahrh

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German Pages 376 Year 2004

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Die Revolution von 1525 [4. durchges. und bibliographisch erw. Aufl.]
 9783486819304, 9783486442649

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Blickle · Die Revolution von 1525

Peter Blickle

Die Revolution von 1525 4., durchgesehene und bibliografisch erweiterte Auflage

R. Oldenbourg Verlag München 2004

Bibliografische

Information

der Deutschen

Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2004 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen Umschlagentwurf: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Thomas Murner, Von dem Großen lutherischen Narren, Straßburg 1522. Bildvorlage nach der kritischen Ausgabe von Paul Merker, Thomas Murners Deutsche Schriften IX, Straßburg 1918, S. 183. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-44264-3

Inhaltsverzeichnis

Vorworte

IX

Abkürzungsverzeichnis „EINE GROSSE, UNGEHÖRTE EMPÖRUNG DES GEMEINEN MANNES ALLENTHALBEN IN GERMANIEN" - das Ereignis....

XII 1

TEIL 1 KRISE DES FEUDALISMUS - Ursachen der Revolution

23

Die Zwölf Artikel - des Manifest von 1525

24

1.1 Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

32

1.1.1 LEIBEIGENSCHAFT VERSUS FREIHEIT

40

1.1.2 PROBLEME DER AGRARWIRTSCHAFT

51

1.1.2.1

GRUNDHERRSCHAFT UND BÄUERLICHES EIGENGUT

1.1.2.2

FORST UND ALLMENDE - JAGD UND FISCHEREI

51

1.1.2.3

DIENSTE UND FRONEN

66

1.1.2.4

LANDSTEUEM UND REISSTEUERN

68

58

1.1.3 VON DER „HERRSCHAFT" ZUM „KLEINSTAAT" - VOM „HOLDEN" ZUM „UNTERTANEN"

72

1.1.4 WIRTSCHAFT, GESELLSCHAFT, HERRSCHAFT - VOM ZUSAMMENHANG DER KRISENHAFTEN ERSCHEINUNGEN

1.2 Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

76

90

1.2.1 D I E ZWÖLF ARTIKEL ALS REGIONALE BASISFORDERUNGEN

92

1.2.2 REGIONALE UND LOKALE MODIFIKATIONEN DER ZWÖLF ARTIKEL. .

95

1.2.3 ORIGINÄRE BESCHWERDESCHRIFTEN

99

1.3 Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates 1.3.1 D I E KRISE DER FEUDALEN AGRARVERFASSUNG

105 105

1.3.1.1

ZWISCHEN FREIHEIT UND EIGENSCHAFT

1.3.1.2

BELASTUNGEN DER LANDWIRTSCHAFT DURCH DIE GRUNDHERRSCHAFT. 111

1.3.1.3 1.3.1.4

105

GENOSSENSCHAFTLICHE NUTZUNGSRECHTE UND FISKALISTISCHE NUTZUNGSBESCHRÄNKUNGEN

116

„EXOGENE"FAKTOREN-BEVÖLKERUNGSBEWEGUNGEN

122

1.3.2 D I E DYNAMIK DES FRÜHMODERNEN STAATES

126

1.3.3 DAS POLITISCHE BEWUSSTSEIN DER BAUERN

131

1.4 Biblizismus contra Feudalismus

140

VI

Inhaltsverzeichnis

TEIL 2 GEMEINER N U T Z E N U N D CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE - Ziele der Revolution 151 2.1 Die „Christlichen Vereinigungen" und „Landschaften" - Modelle einer neuen Gesellschafts- und Herrschaftsordnung?

152

2.2 Der Bauernkrieg als Empörung des gemeinen Mannes

165

2.2.1 BAUERN UND REICHSSTÄDTE

165

2.2.2 BAUERN UND LANDSTÄDTE

183

2.2.3 BAUERN UND BERGKNAPPEN

188

2.24

DER „GEMEINE M A N N " - BEGRIFFSGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNGEN

2.3 Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

191

196

2.3.1 ALTERNATIVEN DES FEUDALISMUS - DIE KORPORATIV-BÜNDISCHE VERFASSUNG

197

2.3.2 PERSPEKTIVEN DES FRÜHMODERNEN STAATES - DIE LANDSCHAFTLICHE VERFASSUNG 2.3.3 U T O P I E N - D E R TOTALE CHRISTLICHE STAAT

2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.3.4

212 223

Michael Gaismair Balthasar Hubmaier Thomas Müntzer HansHergot

223 226 228 232

2.4 Reformatorische Theologie und revolutionäre Praxis

237

TEIL 3 RESTAURATION U N D KOOPERATION Folgen der Revolution

245

3.1 Stabilisierungsversuche des Reiches - die Beschwerden des gemeinen Mannes auf dem Speyerer Reichstag 1526

246

3.2 Konfliktlösung im staatlichen Bereich

254

3.2.1 STADTSTAAT

254

3.2.2 KLEINSTAAT

256

3.2.3 GROSSSTAAT

265

3.3 Die landschaftliche Verfassung als Möglichkeit

272

3.4 Die Verstaatlichung der Gemeindereformation

274

Inhaltsverzeichnis

VII

DIE REVOLUTION DES GEMEINEN MANNES IM FORSCHUNGSDISKURS - Zusammenfassung und Einordnung

279

„Bauernkrieg" oder „Frühbürgerliche Revolution" - Forschungskontroversen im Horizont zweier konkurrierender Gesellschaftssysteme Die „Revolution des Gemeinen Mannes" - Zusammenfassung „Sozialer Systemkonflikt" und neue Perspektiven - die Bauernkriegsforschung der letzten 15 Jahre

280 289 298

Anhang I Die Zwölf Artikel Anhang II Die oberschwäbischen Beschwerden Anhang III Modell der Weltherrschaft von „Hans Hergot" Anhang IV Tabellarische Ubersicht zur Revolution von 1525 Anhang V Ubersichtskarte des Bauernkriegs

321 327 334 336 338

Verzeichnis der Karten, Tabellen und Abbildungen Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Literatur Nachtragsbibliografie

340 341 355

Register

357

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage

Der ersten Auflage dieses Buches [1975] ist 1977 eine unveränderte Studienausgabe gefolgt. Das war vertretbar, weil zu diesem Zeitpunkt die Bauernkriegsforschung, die durch das Gedenkjahr 1975 einen ungeahnten Aufschwung genommen hatte, noch andauerte. Mittlerweile ist die Diskussion zu einem gewissen, vorläufigen Abschluß gekommen, so daß es sinnvoll, ja unumgänglich war, eine notwendige Neuauflage nicht einfach in Form eines durchgesehenen Nachdrucks herauszubringen, sondern die seit der Erstauflage von 1975 erschienene Literatur - sie umfaßt nach der Bibliographie von Ulrich Thomas über 500 Titel* - einzuarbeiten. Das war eine faszinierende Herausforderung, die zur Uberprüfung und breiteren empirischen Absicherung eigener Positionen beigetragen hat. Die Verdeutlichung und Präzisierung meiner Hauptthesen ist Ergebnis der Auseinandersetzung mit der anregenden öffentlichen Kritik, die das Buch außerhalb der Bundesrepublik vor allem in England, den USA und der DDR erfahren hat, aber auch den eher privaten bohrenden Anfragen von Ulrich Scheuner und Hans Rosenberg nach der Tragfähigkeit und dem Erklärungswert zentraler Begriffe wie Revolution und gemeiner Mann. Diesen Anregungen verdankt das Buch in wesentlichen Punkten seine veränderte Fassung. [...] Saarbrücken, im September 1980

Peter Blickle

Vorwort zur dritten Auflage

Nachdem die 1983 erschienene Studienausgabe der Zweiten Auflage vergriffen war, hat sich der Verlag freundlicherweise entschlossen, eine dritte Auflage herauszubringen. Sie ist gegenüber der zweiten erweitert. Neu hinzugekommen ist erstens ein ereignisgeschichtlicher Teil. Damit komme ich einem von den Benützern der Arbeit vielfach geäußerten Wunsch nach. Eingear*)

U. THOMAS, Bibliographie zum deutschen Bauernkrieg und seiner Zeit (Veröffentlichungen seit 1974), he. innerhalb der Fachdokumentation Agrargeschichte an der Universität Hohenheim (2 Teile), Stuttgart 1976/77.

χ

Vorworte

beitet habe ich zweitens die seit der Zweitauflage erschienene Literatur, wodurch der Forschungsüberblick eine merkliche Ausweitung erfahren hat. Die Erweiterungen berühren den interpretatorischen Kern der ersten und zweiten Auflage nicht. Deswegen habe ich auf Anregung des Verlages für die Ergänzungen ein kompositorisches Verfahren gewählt, das gewährleistet, daß die ältere, zweite Auflage weiter benutzt und zitiert werden kann. Identisch sind in der jetzigen und in der vorgängigen Auflage die Seiten 24-278. Der Forschungsüberblick, der bislang meinen eigenen Analysen vorangestellt war, ist an den Schluß des Buches gerückt. Neu geschrieben wurde eine nach systematischen Gesichtspunkten organisierte Darstellung der jüngeren Forschungen. Zwischen diese beiden Teile habe ich meine eigene Interpretation in Form der Zusammenfassung (Seiten 279-287 der 2. Auflage) eingebettet. Das ist einerseits kein gänzlich befriedigendes Verfahren, weil angesichts der unterschiedlichen Entstehungszeiten der Texte (deren schon früher formulierte Teile fairerweise ja nicht umgeschrieben werden durften) ein sprachlich nicht ganz homogenes letztes Kapitel entstanden ist. Es mag aber andererseits die ungewöhnliche Komposition insofern berechtigt sein, als die grundsätzlichen Debatten um die interpretatorische Einordnung des Bauernkriegs in die deutsche und europäische Geschichte zeitlich vor und nicht nach dem Erscheinen dieses Buches erfolgt sind. Der verfügbare Umfang für das ereignisgeschichtliche Kapitel war durch die Entscheidung, den größten Teil des Buches mit der Zweitauflage seitengleich zu halten, beschränkt. Durch Kreuzverweise auf die systematischen Teile habe ich versucht, nicht nur die Kürze etwas auszugleichen, sondern auch den Ereignissen ihren interpretatorischen Standort zuzuweisen. Bern, im März 1993

P. B.

Vorwort zur vierten Auflage

Der R. Oldenbourg Verlag hat sich freundlicherweise entschlossen, das vergriffene Buch durch eine Neuauflage weiterhin zugänglich zu machen. Die hier vorgelegte vierte Auflage ist lediglich durchgesehen und um eine Nachtragsbibliographie der seit der dritten Auflage erschienenen Literatur erweitert worden. Die These des Buches, der Bauernkrieg von 1525 könne als „Revolution des gemeinen Mannes" interpretiert werden, entstand in einem intellektuellen Klima, das durch die konkurrierenden theoretischen Konzepte von Max Weber und Karl Marx einerseits, von Historismus und Strukturalismus andererseits geprägt war. Wie die mittlerweile etablierte Historische Anthropologie das Ereignis Bauernkrieg interpretieren

Vorworte

XI

wird, bleibt abzuwarten. Einen vielversprechenden Versuch hat Paul Burgard vorgelegt. H a t t e bis in die 1970er Jahre der Bauernkrieg im Unterschied z u r Revolution von 1848 zur positiven Identitätsbildung in Deutschland nichts beitragen können, s o änderte sich das in den folgenden Jahrzehnten sichtlich, jedenfalls in Süddeutschland. S y m bolisch trug der Bundespräsident, Johannes Rau, dem Rechnung, als er im M ä r z 2000 auf der Kanzel der St. Martinskirche in Memmingen das programmatische Manifest des Bauernkrieges, die in M e m m i n g e n entstandenen „ Z w ö l f Artikel" der oberschwäbischen Bauern, mit d e m Bemerken würdigte, sie enthielten mit ihrer Freiheitsforderung „im Kern die Ü b e r z e u g u n g von der Universalität der Menschenrechte". Bern - Saarbrücken, im April 2004

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

GLAK

Badisches Generallandesarchiv Karlsruhe

HStAM

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. I. Allgemeines Archiv

HStASt

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

HZ

Historische Zeitschrift

KU

Klosterurkunden

LAS

Landesarchiv Salzburg

StaAM

Stadtarchiv Memmingen

StAN

Staatsarchiv Neuburg

StiAM

Stiftungsarchiv Memmingen

U

Urkunde

VSWG

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

ZAA

Zeitschrift für Agrargesdiichte und Agrarsoziologie

ZATr

Waldburg-Zeil'sches Gesamtarchiv Schloß Zeil. Archivkörper Trauchburg

ZAZ

Waldburg-Zeil'sches Gesamtarchiv Schloß Zeil. Archivkörper Zeil

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

ZGO

Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins

ZWLG

Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

„EIN GROSSE, UNGEHÖRTE EMPÖRUNG DES GEMEINEN MANNES

ALLENTHALBEN IN GERMANIEN" - das Ereignis

„Anno domini 1525, in anfang diß jars, entstund eine grosße, ungehörte entpßrung des gemeynen manns allenthalben in gantzem Germanien" 1 . „Gantz Germanien", das war weniger und mehr als Deutschland - von Trient bis nach Leipzig, von der oberösterreichischen bis zur lothringischen Grenze erstreckte sich das Aufstandstandsgebiet. Große Teile der Schweiz gehörten dazu, große Teile N o r d - und Westdeutschlands blieben der Erhebung fern 2 . Im Züricher Oberland kam Johannes Stumpf zu der Einschätzung, „solche uffrür aber (glych wie ander alle) ist mit tyrranny gelegt und gestillet worden; dan tyrrany und uffrur gehfirend zusamen [...]; es ist deckel und haffen z&men" 3 . Das war das Urteil eines Zwingli nahestehenden Dorfpredigers, eines freilich gelehrten Mannes, eines teilnehmenden Zeitgenossen, eines Deutschen, der Kindheit, Jugend und Studium im oberrheinischen Dreieck von Heidelberg, Speyer und Basel verbracht hatte. Vor der Tür seines Pfarrhauses gewissermaßen spielte sich der erste Akt des Bauernkriegs ab, links und rechts des Hochrheins zwischen dem Bodensee und Basel. A m Hocbrhtin mehrten sich Zeichen der Unruhe seit der Mitte des Jahres 1524. Ein vielleicht nur zu ängsdicher Kaplan alarmierte den kaiserlichen Landvogt im Oberelsaß mit der Nachricht, die Bauern seines Dorfes „wellend den Adel erwürgen und die Pfaffen alle" 4 . Im nahen Thayngen drang die Gemeinde seit Juni darauf, ihren Pfarrer zu wählen, und fand in Adam Bärtz einen Priester, der ihr das Evangelium predigte, mit dem zweifachen, für Beobachter befremdlichen Ergebnis, 1 2

3 4

E. GAGLIARDI u.a., Stumpfs Reformationschronik, 261 f. Die Darstellung fußt, allerdings unter anderer Zuordnung der Aufstandsregionen und -ereignisse, besonders auf G . FRANZ, Bauernkrieg (1), mit folgenden Ergänzungen: Für den Mittelrhein W.-H. STRUCK, Bauernkrieg am Mittelrhein, 14-64. Für Thüringen W. ELLIGER, Thomas Müntzer, 417-786. Für das Elsaß: G. BISCHOFF, Guerre des paysans, 259-277. Für die Alpenländer: A. DOPSCH, Der Salzburger Bauernkrieg und Michael Gaismair, in: F. Dörrer, Bauernkriege, 225-246; J. MACEK, Gaismair (für Tirol); O . VASELLA, Bauernkrieg; DERS., Herrschaft in Graubünden; DERS., Bauernartikel (alle für Graubünden); P. BLICKLE, Bäuerliche Rebellionen im Fürststift St. Gallen, in: DERS. (Hg.), Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, 1973, 232 ff., 260-284; CH. DIETRICH, Bauernunruhen, 197-241 (für Zürich) und P. KAMBER, Reformation in Zürich; P. BIERBRAUER, Freiheit und Gemeinde im Berner Oberland 1300-1700, 1991, 227-285. - Zitate werden generell belegt, unsichere oder widersprüchliche Rekonstruktionen von Ereignissen in Anmerkungen erläutert. E. GAGLIARDI u. a., Stumpfs Reformationschronik, 262, Biographisches ebd., VII-XII. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 85 Nr. 19.

2

„Eine große, ungehörte Empörung..."

daß die „haiigen pildnussen mit grosser Verachtung vß der kirchen getan, dieselbe zerschlagen vnnd ettlich in offen geschoben vnnd verbrennt" wurden und die Untertanen ihrem Kloster Petershausen „nit mer in ainichem weg pflichtig noch gehorsam, sondern fryg sin" wollten 5 . Die oberdeutschen Chronisten berichten übereinstimmend, die Frau des Grafen von Lupfen habe von ihren Bauern in der Landgrafschaft Stühlingen während der Ernte als Frondienst das Sammeln von Schneckenhäuschen verlangt, um darauf ihr Garn wickeln zu können 6 . Am 23. Juni beantworteten die Bauern diese Schikane mit Organisationsmaßnahmen zum Widerstand. Militärische Führer wurden bestimmt, ein Fähnlein aufgeworfen und Hans Müller von Bulgenbach als Hauptmann gewählt, ein erfahrener Landsknecht mit großer rhetorischer Begabung, der zu einem der herausragenden Bauernführer im Südwesten des Reiches werden sollte. Was sich in der Landgrafschaft an Konflikten in Jahrzehnten angestaut hatte, zeigte sich in der später beim Reichskammergericht eingereichten mächtigen Beschwerdeschrift von 62 Artikeln: harte Leibeigenschaft, unbillig hohe Steuern und grobe Mißstände in der Rechtspflege wurden gerügt 7 . Den Reichskammerrichtern empfahlen die stolzen Bauern, zu „erwegen die gottliche, naturliche Pillickeit, Vernunft und Verstant" 8 . Bald suchten die Stühlinger das Bündnis mit der nahen Stadt Waldshut, die am Hofe Erzherzog Ferdinands schon lange im Ruch der Ketzerei stand. Balthasar Hubmair versah die Stadtpfarrei. Er war ein querer Theologe unter den Reformatoren, in früheren Tagen hatte er der Schönen Madonna in Regensburg Zehntausende von Wallfahrern zugeführt. Jetzt machte er auch durch Flugschriften immer wieder auf sich aufmerksam. Viele hielten ihn später für den Drahtzieher der bäuerlichen Bewegung 9 . „Ist derselbig Doctor Baltaser ain Anfenger und Ufweger gewest des ganzen beurischen Kriegs" 1 0 , meinte der Notar des benachbarten St. Blasien schon 1524. - Der Bauernkrieg begann sich mit der Reformation zu vermengen. Jenseits des Rheins gärte es gleichfalls. Die Stammheimer hatten rechtswidrig einen evangelischen Prediger berufen, der vom amtierenden eidgenössischen Landvogt flugs verhaftet wurde. Von allen Kirchen der Gegend dröhnten daraufhin am 17. Juni die Glocken über den Rheinfall, 5000 Bauern brachten sie auf die Beine, die den gefangenen Prädikanten befreien wollten. Das mißlang, doch die übernächtigte

5 6 7 8 9 10

Zitiert bei P. BIERBRAUER, Hailau und Thayngen, 38 f. Die Belege nachgewiesen bei G. FRANZ, Bauernkrieg, 100. Druck G., FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 101-123 Nr. 25. Ebd., Quellen Bauernkrieg, 123 Nr. 25. Vgl. unten 226ff. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 86 Nr. 20.

Hochrhein

3

Menge war gereizt. „Die woltend all geesßen und getruncken han" 1 1 und hielten die benachbarte Karthause Ittingen für ein offenbar besonders preiswertes Gasthaus. Das erste Kloster war gestürmt. Daß es schließlich auch noch brannte, war wohl eher Versehen als Absicht. Die Lage am Hochrhein begann unübersichtlich zu werden für die Herren, und gefährlich auch. Der nahe Hegau erhob sich Anfang Oktober. Fast auf den gleichen Tag rückten Schweizer zur Unterstützung der evangelischen Sache und zum Schutze Hubmairs in Waldshut ein, die Hauensteiner besetzten im November ihr Kloster St. Blasien, später auch St. Trudpert. Wie die Stühlinger klagten sie, was sie schon seit Jahrzehnten erfoglos taten, gegen die Leibeigenschaft und die unbillige Rechtspflege 12 . Zwischen den Grafschaften Stühlingen und Hegau lag der Klettgau. Schon lange vor der Jahreswende wurde es hier unruhig. Zürich hatte einen großen Einfluß auf die Bauern, weil die Grafschaft mit der Stadt verburgrechtet war, so kamen reformatorische Gedanken früh über den Rhein. Heute macht die Gegend gelegentlich bei Weinprämiierungen von sich reden, und so mag es verständlich sein, daß es den Bauern ärgerte, wenn er sein edles Gewächs nicht verkaufen durfte. „So ein Saum Wein wächst, den er mit seiner sauern Arbeit erbauen hat", heißt eine der 44 Klagen der Klettgauer, „darf er ihn nit schenken" ohne die Erlaubnis der Herrschaft . Die Klettgauer hatten andere Sorgen auch, doch kamen sie vor allem in der Legitimation des Widerstandes ein gehöriges Stück weiter, vielleicht durch die Auseinandersetzung mit der Bibel. Dem Zürcher Rat schrieben sie im Januar 1525, „das wir alles das, so gotlich vnd billich ist, auch cristenlich zegeben vnd nemmen, vnserem gnedigen herrn obgemelt, gern vnd mit willen furan, wie bisher geben wellen und zfistellen" 14 . Herrschaftliche Forderungen, sollte das heißen, finden ihre Grenze dort, wo sie sich nicht als göttlich und billig ausweisen können. Um die Jahreswende hatten die Bauern am Hochrhein jedenfalls ihre Artikelbriefe publik gemacht, ihre Organisation aufgebaut und durch Eide gesichert und schließlich ihren Forderungen durch das Einfrieren der Abgaben Nachdruck verliehen. Erzherzog Ferdinand von Österreich wollte die bedingungslose Unterwerfung der Bauern. Georg Truchseß von Waldburg wurde von ihm als Feldhauptmann bestellt, rückte an den Hochrhein vor und forderte am 15. Februar die Hegauer auf, sich zu unterwerfen, und „wo ihr das nit Thuet, so werdt ich gegen Euch alß verbrecheren und Ueberfahrer des Reichs Reformation und Landt Fridens [...] Handien" 1 5 . Damit war, bevor der Aufstand gewalttätigen Charakter angenommen hatte,

11

E . GAGLIARDI u.a., Stumpfs Reformationschronik, 206.

12

G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 9 8 - 1 0 1 Nr. 24.

13

H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden 1 , 1 8 0 .

14

Zitiert bei P. BLICKLE (zusammen mit einer Berner Arbeitsgruppe), Zürichs Anteil am deutschen Bauernkrieg, 92. F ü r die Interpretation dieser komplizierten, aber für die Rekonstruktion des Göttlichen Rechts wichtigen Quellen ebd.

15

K. WALCHNER - J . BODENT, Georg von Waldpurg, 233.

4

„Eine große, ungehörte Empörung..."

durch die Herren diktiert, wie er heißen würde - Krieg. Daß zunächst daraus nicht viel wurde, lag an den unzureichenden Mitteln, mit denen man Georg von Waldburg ausgestattet hatte, nicht an seinen strategischen und militärischen Fähigkeiten. In seiner Heimat, in Oberschwaben, sollte er sie bald unter Beweis stellen können. Einen Tag, nachdem Truchseß Georg die Hegauer zu Landfriedensbrechern erklärt hatte, reichten die Bauern in Oberschwaben ihre Beschwerden dem Schwäbischen Bund ein. Auf dieses Procedere hatten sie sich mit den Herren, den Adeligen, Prälaten und Städten, die sich im Schwäbischen Bund zur Wahrung des Landfriedens zusammengeschlossen hatten, geeinigt. Es stand seit 1500 in der Verfassung des Bundes, daß er Konflikte zwischen den Obrigkeiten und Untertanen zu schlichten habe. 300 Beschwerden gingen beim Bund ein 16 , die Unterschiedlichstes verlangten: beim Gutswechsel sollte nicht mehr als „ein bar hentschach" geben werden, meinte Jörg Maier von Uttenweiler17; „mer wend kain Heren han dan alain Got den Allmechtigen"18, ließen die Untertanen des Klosters Schussenried wissen. Oberschwaben war lange vor Ausbruch des Bauernkriegs eine unruhige Region gewesen, die Bauernschaften waren hoch politisiert, mehrfach hatten sie es auf militärische Auseinandersetzungen mit ihren Herren ankommen lassen. In der kurzen Zeit von vier Wochen entstanden drei Aufstandszentren - südlich von Ulm, im Allgäu mit dem Mittelpunkt in Kempten und am nördlichen Bodenseeufer. Baltringer Haufe, Allgäuer Haufe und Bodenseehaufe sollten sie bald heißen. Am Heiligen Abend 1524 begannen in Baltringen die ersten Konspirationen. Chronisten berichten, daß sich die zunächst noch formlose Vereinigung täglich weitete, an die 10000 Bauern sollen schließlich versammelt gewesen sein. Etwas Karnevaleskes hatten Bauernaufstände immer an sich. „Sie wolltent ain Danz hon", erklärten die Baltringer den Gesandten des Schwäbischen Bundes, die von Ulm, wo ihre Kanzlei war, die wenigen Kilometer ins Lager hinausritten, um zu verhandeln. „Sint doch kein Junkfrauen da", meinten die Herren. Die Bauern deuteten mit dem Daumen hinüber auf das Frauenkloster Heggbach, „da werent Junkfrauen genueg, mit denen wolten si ain Danz hon". Die Bauernweiber jagten den Nonnen vermutlich größeren Schrecken ein. „Sie müessent nuß und die Kien melken und bös Jubben tragen", meinten die Bäuerinnen, sie selbst wollten im Kloster leben „und saubere Belzlin tragen". „Man würd uns in den gemainen Hufen triben und daß Heß ob dem Haupt zuesament binden", fürchteten die Nonnen, „und mir müesset auch Kint hon und uns Wehe geschehen Ion" 19 . Doch dann lachten sie selbst wieder schallend, als sie unter ihre Betten krochen und feststellen mußten, daß darunter 16

17 18 19

Soweit überliefert gedruckt bei W. VOGT, Correspondenz Artzt. Zur Auswertung vgl. unten 32-39. W. VOGT, Correspondenz Artzt, 263 Nr. 901 a. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 164 Nr. 36. Bericht einer Heggbacher Nonne nach G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 140-143 Nr. 30.

Oberschwaben

5

noch keine Bauern lagen. In Baltringen organisierten sich die Bauern paramilitärisch. Sie bewaffneten sich, nannten sich Haufen, wählten in Huldrich Schmid von Sulmingen einen Hauptmann, später stellten sie einen Feldschreiber an, der die Bauernkanzlei führte; es war der Kürschnergeselle Sebastian Lotzer aus Memmingen. Anfang Februar begannen Verhandlungen mit den Räten des Schwäbischen Bundes, die vorschlugen, die Beschwerden vor dem Reichskammergericht zum Austrag zu bringen. Huldrich Schmid wollte von einem herkömmlichen Rechtsverfahren nichts wissen, er reklamierte „das gottlich recht, das iedem stand ußspricht, was im gebürt ze thön oder ze lassen". Spöttisch antworteten die Bundesgesandten „lieber Huldrich, du fragest nach gottlichem recht. Sag an, wer wirt sollich recht ußsprechen? Gott wirt ja langsam von himel komen herab und uns ainen rechtstag anstellen". Huldrich Schmid zögerte nicht mit seiner Antwort. Er wollte alle Priester ermahnen, zu Gott zu beten, „das er uns gelerte, frome männer, die disen span nach lut gottlicher gschrift wissen urtailen und ze entschaiden, anzaigen und verordnen welle" 20 . Theologen als Richter, Evangelium als Maßstab einer gerechten Ordnung, hieß das. So standen die Dinge Ende Februar - es mußte etwas geschehen. Im Allgäu herrschte am nachweislichsten jene Tyrannei, die Johannes Stumpf von Zürich aus glaubte im Reich wahrnehmen zu können. Wegen angeblich grober Mißachtung alter Rechte hatten die Untertanen des Klosters Kempten 1523 dem Fürstabt die schuldige Huldigung verweigert. „Hans Hiemer zu Lego", heißt es in einer Beschwerdeschrift der Kemptener Untertanen, „ist ein fryer man gewesen hat zu der Ehe genomen Barbara mullerin daselbst, die ist leib aigen gewesen, dem ist der kirchganng verpotten worden, bis er sich auch leibaigen gemacht" 21 . Ein Freier heiratet eine Leibeigene des Klosters Kempten, und er und seine Frau werden von ihrem geistlichen Herrn, dem Abt, mit dem Kirchenbann belegt. Mißachtung des Ehesakraments und Bruch des kanonischen Rechts muß man das wohl nennen. Um zu den Heilsmitteln der Kirche wieder zugelassen zu werden, muß Hiemer seine Freiheit aufgeben. Die „Akte Hiemer" ist lediglich einer von rund 1000 dokumentierten Fällen, bei einer geschätzten Untertanenschaft des Stifts von rund 3 000 Personen. Die Kemptener Bauern kamen mit ihrem Abt nicht mehr zurecht, auch in benachbarten Herrschaften war es ähnlich. Schließlich vereinigten sich die Allgäuer am 14. Februar 1525 in Sonthofen in einem Bund, der zwei Wochen später als „Christliche Vereinigung" noch enger geknüpft wurde. „Bei ainander bestan und bei dem heiigen Evangelio und bi dem Wort Götz und bi dem heiigen Rechten und ain ander zu Recht helfen und darzu und daran setzen Lib und Gut" 22 , lautete das Ziel des Bundes, das jeder „in Aids Weis" bekräftigen mußte, der ihm beitrat. So 20

E. EGLI - R. SCHOCH (Hgg.), Johannes Kesslers Sabbata mit kleineren Schriften und Briefen, 1902,175. - Vgl. auch unten 146.

21

P. BLICKLE - H . BESCH, L e i b e i g e n s c h a f t s r o d e l , 6 2 3 N r . 2 9 7 .

22

G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 166 Nr. 38.

6

,Eine große, ungehörte Empörung

wurden Eidgenossenschaften schon immer gestiftet, auch die Schweizer Eidgenossenschaft von 1291. Darin lag aber auch die politische Brisanz des Bundes, in ihm steckte der Keim einer neuen politischen Ordnung. Auch der Bodenseehaufe wurde auf ähnliche Weise konstituiert. Ende Februar war das ganze nördliche Bodenseeufer von Uberlingen bis nach Bregenz organisiert. Am Heiligen Abend 1524 hatten die Baltringer begonnen, den Widerstand zu organisieren. In der zweiten Märzwoche 1525 erfolgte der große programmatische Durchbruch der bäuerlichen Bewegung in der Reichsstadt Memmingen. Vertreter der drei Haufen, 50 Bauern etwa, trafen sich dort in der vom Rat ihnen zugewiesenen Kramerzunftstube. Die Stadt war nicht zufällig gewählt. Lotzer, der Feldschreiber der Baltringer, war hier zu Hause. Die Stadt selbst hatte sich erst neulich einen zweifelhaften Ruhm gesichert: nach Tumulten an Weihnachten in der Pfarrkirche Unser Frauen hatte um Dreikönig eine Disputation stattgefunden und seitdem stand Memmingen als erste und einzige Reichsstadt in Oberschwaben eindeutig im Lager der Reformation. Die Verhandlungen waren langwierig und schwierig, weil es um Grundsätzliches ging - Gewalt gegen die Obrigkeiten oder Reformation mit den Obrigkeiten hieß die Alternative. Die Allgäuer wollten „dapfer mit dem Schwert drein fahren", die Baltringer votierten für den Weg des diskursiven Ausgleichs. Man einigte sich auf gemeinsame Beschwerden, die unter dem schlagwörtlichen Titel „Zwölf Artikel" bekannt wurden 23 und erstellte eine Liste jener Theologen, die über deren Rechtmäßigkeit urteilen sollten. Martin Luther, Philipp Melanchthon und die bedeutenderen Reformatoren aus dem süddeutschen Raum waren darunter. Die Zwölf Artikel trugen formal und inhaltlich die Handschrift der Baltringer. Im Gewand von Bitten wurde um Abgabenerleichterung, Einführung der Reformation, Aufhebung der Leibeigenschaft, Freigabe von Jagd und Fischerei und Erweiterung der Gemeinderechte ersucht. Beraten wurde aber auch eine „Bundesordnung" 2 4 , auf die sich die Mitglieder aller drei Haufen verpflichteten. Die „Landschaft" oder die „Christliche Vereinigung" war damit geschaffen. Sie gab sich in der Bundesordnung eine Art Verfassung. Jeder Haufe bestimmte vier Räte und einen Obersten als Repräsentativorgan der Gemeinden. Verordnet wurde, daß alle Priester das reine Evangelium zu predigen haben, die Burgen und Schlösser nur mit Mitgliedern der Vereinigung besetzt werden dürfen und Verträge mit den Obrigkeiten die Zustimmung der Vereinigung erfordern 25 . Die Bundesordnung folgte eher den Optionen der Radikalen. Mit ihr ließ sich auch ohne die alten Obrigkeiten leben.

23

Text vgl. unten Anhang I. Inhaltliche Interpretation unten 24-31.

24

E d i t i o n G . SEEBASS, A r t i k e l b r i e f , 7 7 - 8 7 .

25

Vgl. detaillierter unten 125-158.

Oberschwaben

7

Was hier über die Entstehung der „Zwölf Artikel" und der „Bundesordnung" gesagt wurde, ist wissenschaftliche Rekonstruktion 26 . Beide Texte hüllen sich in Anonymität und verzichten auf jede Herkunftsbezeichnung, beide wurden allerdings als Flugschriften gedruckt, beide erlebten sensationell hohe Auflagen 27 . Dadurch haben sie erheblich auf andere Aufstandslandschaften eingewirkt. In Ulm tobten die Räte des Schwäbischen Bundes und rüsteten eiliger, als sie von der Chrisdichen Vereinigung selbst über die Gründung des Bundes informiert wurden. Sie und selbst die Bürgermeister der oberschwäbischen Reichsstädte hatten offenbar den Eindruck gewonnen, daß die Bauern „des entlichen gemiets vnn willens seyen jre Obern vnd herrschafften geistlich vnd weltlich, vom Adel vnd Stetten gemeinlich vnd sunderlich vnderzfidrucken, Sich frey darzö inen selb Ordnung, vnd recht zümachen, vnd zfisetzen, vnd niemand vnderworffen zfi sein" 2 8 . Subjektive Erfahrungen mußten einen solchen Eindruck festigen. Der Abt von Weißenau, der aus seinem Kloster in sein Ravensburger Stadthaus hatte fliehen müssen, konnte weder die bei ihm Zuflucht suchenden Mönche aus Ochsenhausen, noch jene aus Schussenried aufnehmen. „Ich kundt si nitt underhalten in dem hus , stellt er resigniert fest. Gekleidet wie Laien irrten sie verängstigt umher und fanden angesichts der antiklerikalen Stimmung im Land schwer Unterschlupf. Hunderte müssen so über die Straßen gezogen sein, denn die Klöster zwischen Schwarzwald und Lech, Donau und Bodensee wurden mehr oder minder alle eingenommen - Ochsenhausen „zerrussen", Schussenried und Zwiefalten „geplindert", Ottobeuren „eingenomen", Irsee „in grund verbrent", Roggenburg „uberfallen und geplindert" 30 . Die Keller wurden erbrochen, die Speicher geleert, die Teiche ausgefischt - die Haufen mußten schließlich verproviantiert werden 31 . Die kleineren Burgen und Adelssitze, die für die herumziehenden Haufen am Wege

26

Die hier getroffenen Zuordnungen decken sich nicht mit denen der Literatur. FRANZ, Bauernkrieg, 113-134, behandelte die Zwölf Artikel gewissermaßen als Privatarbeit, läßt sie jedenfalls nicht durch das Bauernparlament in Memmingen laufen. Dann macht es aber keinen Sinn, daß in Memmingen Theologen benannt wurden, welche die Artikel beurteilen sollten. Zu beurteilen waren nämlich nur die Zwölf Artikel (ausdrücklich ausgeführt in Art. 12 selbst), nicht aber die Bundesordnung, die ja bereits in Oberschwaben unter den Aufständischen Rechtskraft erlangt hatte. Die jüngere Forschung ist Franz gefolgt. Die Argumente für die Annahme, daß die Zwölf Artikel, die Bundesordnung und die Richterliste gewissermaßen parlamentarisch in Memmingen verabschiedet wurden (möglicherweise in zwei Lesungen, zwei weitere Sitzungen fanden noch im März statt), habe ich dargelegt in einer Studie: Memmingen - ein Zentrum der Reformation, in: Stadtgeschichte Memmingen, hg. v. J. JAHN im Auftrag der Stadt Memmingen, erscheint voraussichtlich 1994.

27

Nachweise bei H. CLAUS, Druckschaffen, 24-31. K. WALCHNER - J . BODENT, Georg von Waldpurg, 239. Nach einem Mandat des Schwäbischen Bundes von Karfreitag 1525. Alle Belege bei G. FRANZ - W. FLEISCHHAUER, Weißenauer Chronik, 32. F.L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 92-102. Siehe unten 159.

28

29 30 31

8

„Eine große, ungehörte Empörung..."

lagen, wurden erstürmt und niedergebrannt. Eine Flugschrift zog für den Monat März Bilanz: 23 Klöster und 24 Schlösser seien teils „verprennt", teils „geplündert" worden 32 . Der Schwäbische Bund holte zum Gegenschlag aus. Die „eilende Hilfe" wurde in einem günstigen Moment aufgeboten, als die Söldner im kaiserlichen Dienst nach der Schlacht von Pavia in die Heimat zurückkamen. Die Hauptmannschaft über die Bundestruppen erhielt Georg von Waldburg, der von der Donau heraufziehend, kleinere und größere Bauernhaufen aufbrachte. Gefangene wurden, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend, nicht gemacht. Als er in seiner Herrschaft Wurzach auf 4 000 Bauern traf, darunter sicher auch seine eigenen Untertanen, wurden sie „zum merer Tail erwürgt und ertrengkt, also das von den 4000 nit vil hinwegk komen sein"·53. Die Entscheidung für Oberschwaben fiel in Weingarten. Die „Christliche Vereinigung" hatte dort ihre Truppen zusammengezogen. 12 000 Bauern waren es nach der Einschätzung des Truchsessen, 7000 Knechte standen ihm selbst zur Verfügung. Der Ausgang einer Schlacht war schwer abzuschätzen. So versuchte es der Truchseß mit einem Vertrag. Die Bauern gingen darauf ein: Die Christliche Vereinigung mußte aufgelöst werden, dafür wurden Verhandlungen vereinbart. Als „Weingartner Vertrag" ist diese Vereinbarung vom Ostermontag 1525 in die Geschichte des Bauernkriegs eingegangen. Es war die Kehre von der aggressiven in die defensive Phase in Oberschwaben. Martin Luther pries vom fernen Wittenberg den Ausgleich als vernünftig und hoffnungsvoll. Die „Zwölf Artikel" waren noch druckfrisch, da begann am 21. März der Aufstand in Rothenburg ob der Tauber, von wo er sich wie ein Flächenbrand in ganz Franken ausbreitete: nach Osten in das Gebiet von Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Hall, Nördlingen, Dinkelsbühl und Ellwangen, nach Nordosten in die fränkischen Hochstifte Würzburg und Bamberg, nach Nordwesten hinüber ins Erzstift Mainz, den Rhein hinunter bis nach Boppard, selbst bis ins Trierische reichten die Ausläufer. Rothenburg verfügte im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung über ein enorm großes Territorium von rund 160 Dörfern. Die Stadt selbst wurde von einer oligarchischen Schicht von Patriziern beherrscht, was Spannungen mit der Gemeinde erklärt, die unmittelbar nach den Unruhen in ihrem Hinterland eine Stadtrevolte anzettelte und mit Erfolg eine neue Verfassung durchdrückte. Auf der Landschaft wurden, berichtet der Stadtschreiber, „aus jedem Dorf zwen zu Räten erweit und also ainen Rat und Regiment under inen gesetzt und gemacht"34. Bald schlossen sich Bauern anderer Herren an, die Würzburger und Mergentheimer 32

33 34

Das seind die C16ster/vnd Schl6sser/so die Schwarzweidischen Pawern verprent vnd geplündert haben, o.O. o. J. (1525). Nach dem Exemplar der Staatsbibliothek München. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 210 Nr. 61. Ebd., 322 Nr. 100.

Neckartal - Odenwald

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gehörten dazu. Die Tauber hinabziehend, wurde aus dem Rothenburger durch ständigen Zulauf der „Taubertaler Haufen". Dessen programmatische Forderung, „was das hailig Evangelium aufricht, soll ufgericht sein, was das niderlegt, soll nidergelegt sein und bleiben" 35 , deckte sich völlig mit der Legitimationsformel der Oberschwaben. Neu war der Begriff der „Reformation", mit dem die fränkischen Bauern hier erstmals operierten und der leitmotivisch alle späteren Programmschriften durchzieht. In der Form, wie diese Reformation bewerkstelligt werden sollte, lag die fränkische Variante des Programms. Sie wurde nicht allein den Theologen anheimgestellt, sondern es sollten neben den Bauern und Bürgern auch der Adel beteiligt werden. Das läßt sich aus dem Umstand erklären, daß der bäuerlichen Bewegung in Franken früh Adelige beigetreten waren oder beitreten mußten, jedenfalls gab es in keiner Aufstandsregion so viel Kooperation mit dem Adel wie in Franken. Ein eigener Haufe entstand im Odenwald Ende März, dessen Kopf bald Wendel Hipler wurde, ein in der Kanzlei des Grafen von Hohenlohe tätiger Mann. Die Hohenloher Bauern und jene aus dem Neckartal schlossen sich bald an. „Die ganze christliche Versammlung des hellen lichten Haufens", wie sie sich nach dem Zusammenschluß nannte, zwang die Hohenloher Grafen, die Zwölf Artikel anzunehmen, andere Adelige folgten. Einen zweifelhaften Ruf hatte sich der Haufe durch die Weinsberger Tat erworben. In Weinsberg lag eine starke württembergische Besatzung zum Schutz des Herzogtums. Der Befehlshaber, Graf Ludwig von Helfenstein, hatte den Bauern mit dem Verbrennen der Dörfer gedroht. Sie ihrerseits konnten handstreichartig Stadt und Burg nehmen und jagten am 16. April die gesamte Besatzung durch die Spieße. Die Wirkung von Weinsberg ist nicht leicht abzuschätzen, vieles spricht dafür, die Panikstimmung in Franken auf dieses Ereignis zurückzuführen. Wie in Oberschwaben die Mönche unbehaust umherirrten, so verließen in Franken die Ritter ihre Burgen, die ihnen nicht mehr genug Schutz zu gewähren schienen. Alle Städte, Nürnberg ausgenommen, fielen zu den Bauern, selbst die Bischöfe flohen in die besser befestigten Residenzen der Fürsten. Die Erfolge des Neckartal-Odenwälder Haufens wurden immer spektakulärer. „Wir wollen Herrn sein" 3 6 , ließ man die Stadt Tauberbischofsheim wissen und erreichte mit dieser Drohgebärde, daß alle acht Städte des Mainzer Oberstifts ihren Widerstand aufgaben. Mit Werbung und Drohung gelang es den Bauern, einen der renommiertesten Ritter Frankens, Götz von Berlichingen, die Hauptmannschaft aufzudrängen. Wendel Hipler hatte ihm die Zwölf Artikel „verköndt und dieselben usgelegt, wie ain prediger" 37 , und ihn so von der Rechtmäßigkeit der bäuerlichen Forderungen überzeugen wollen. Vielleicht wäre das gar nicht nötig gewesen, denn

35

Artikel der fränkischen Bauernschaft G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 368 Nr. 120.

36

A . WAAS, Bauern, 94 (Faksimile des Schreibens).

37

Zitiert bei H . ULMSCHNEIDER, Berlichingen, 147.

10

„Eine große, ungehörte Empörung..."

auch Opportunismus hatten ihm die Zeitgenossen unterstellt. „Er vermog die edelleut zu ine zu pringen", soll er einem Gerücht nach den Bauern versprochen haben, „dann sy als wol von fürsten als [die] paurn betrangt sein" 38 . Mit den politischen Routiniers wie Hipler und Berlichingen setzte sich mehr Pragmatismus durch. Dazu gehört die Umarbeitung der Zwölf Artikel in eine Satzung, die in Form der sogenannten „Amorbacher Erklärung" am 5. Mai 1525 von „Hauptlewt Rethe und gantz versamlung deß gemeynen Christenlichen Hawffen Im Neckaerthal und Ottenwalde" erlassen wurde 39 . Wer sich auf die Zwölf Artikel verpflichten ließ, akzeptierte damit seitdem die Pfarrerwahl und die Verwaltung der Zehnten durch die Gemeinde, die Aufhebung der Leibeigenschaft und des Todfalls, die Freigabe von Jagd und Fischerei, die freie Beholzung durch gewählte gemeindliche Forstwarte. Die resdichen der Zwölf Artikel sollten durch „die Reformation" bereinigt werden. „Die Artickel zu Meren und zu mindern", behielten sich die beiden Haufen ausdrücklich vor. Anfang Mai wurde der Statthalter des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten im „Miltenberger Vertrag" gezwungen, die Zwölf Artikel anzunehmen. Mit Brief und Siegel stand das vornehmste Kurfürstentum des Reiches im Lager der Bauern. Damit gab es für die Odenwälder und Neckartaler keinen Grund, weiter ins Mainzische vorzurücken. Die Aktivitäten verlagerten sich in den fränkischen Kernraum. Zuvor noch hatte Wendel Hipler aus der Amorbacher Erklärung die Konsequenz gezogen, wenn er darauf drängte, „die Reformation" endlich ins Werk zu setzen. Für ihn war nur eine Regelung für das gesamte Reich die angemessene Antwort auf die erreichten bäuerlichen Erfolge. In Heilbronn sollte Mitte Mai die Reformation beraten und verabschiedet werden, alle Bauernhaufen des ganzen Reiches waren eingeladen, Vertreter zu schicken40, doch blieb das Unternehmen wegen der kriegerischen Handlungen, die in allen Reichsgebieten jetzt einsetzten, des dadurch bedingten geringen Besuchs und der frühzeitigen Abreise der erschienenen Gesandten bald stecken. Odenwälder, Neckartaler und Taubertaler waren sich einig, daß nach Mainz auch Würzburg fallen müsse. Der Unterfrauenberg über Würzburg war die einzige Festung, die noch wirksamen Widerstand leisten konnte. Im Bauernlager fanden heftige Diskussionen über das politisch und militärisch angemessene Vorgehen statt. Reformer und Radikale standen sich in unübersichtlichen Konfigurationen gegenüber, zumal Mißtrauen aufkam, teils gegen die Pfaffen, teils gegen den Adel im Haufen. Die Radikalen setzten sich schließlich durch. Der Unterfrauenberg „must... herab, dafür hulf nichts". Die ewigen Beschwichtiger wie Götz von Berlichingen wollte man nun offensichtlich nicht mehr haben. „Sie hetten ein bauern krieg, sie wölten khein fürsten, graven, herrn oder edelman dabey haben" 41 . Der 38 39

40 41

Zitiert Ebd., 137. K . WALCHNER - J . BODENT, G e o r g von Waldpurg, 281.

Vgl. unten 206 ff. Beide Belege bei H. ULMSCHNEIDER, Berlichingen, 162 f.

Bildhäuser Haufe

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Sturm auf den Unterfrauenberg am 15. Mai mißlang. Die Feste wurde weitere Wochen ohne erkennbaren Sinn belagert, dafür verkam die Disziplin im bäuerlichen Lager angesichts der Tatenlosigkeit. Der Bildhäuser Haufe, der im nördlichen Teil des Würzburger Hochstifts entstanden war und bislang wenig von sich reden gemacht hatte, ergriff nun die Initiative und lud die Dörfer und Städte Frankens auf den 1. Juni zu einem Landtag nach Schweinfurt, um „von gueter Ordnung aufrichtung des Worts Gottes, auch Fridens und Rechtens, sonderlich aber der obrigkheiten, vnd andere Sachen halbe zue handlen". 100 Delegierte kamen, die Städte hielten sich eher zurück. Die Nürnberger entschuldigten sich höflich, keineswegs spöttisch mit den Worten, wir „zweiffein auch nit, wie ihr in solchem nit Euch selbst sonder die Ehr Gottes vnd Heyl des nechsten suchet, vnd desshalben, das Wort Gottes Ewer Maß vnd Richtscheit (nach welchen alles Menschlich Weesen gericht und reguliret werden muß) sein Lassen, und mehr auf das, so den gemeinen Nuz zu guetem Kunfftig folgen soll" 42 . Noch während in Schweinfurt getagt wurde, rückten die Truppen des Schwäbischen Bundes gegen Franken vor. Die Fähnlein zerstreuten sich zum Schutz ihrer heimatlichen Dörfer oder zum Schutz des eigenen Überlebens, die Reste wurden bei Königshofen zusammengezogen und das Taubertal aufgeboten. Doch vermochten die annähernd 5000 Mann gegen das Heer des Truchsessen Georg mit seinen 8000 Knechten und 2500 Reisigen nicht viel auszurichten. Wenige Bauern sollen die Schlacht überlebt haben, wenige auch das Nachspiel zwischen Würzburg und Ochsenfurt, in dem die Belagerer von Würzburg besiegt wurden. Der Schwäbische Bund rückte weiter gegen Bamberg vor und schlug dort am 17. Juni sein Lager auf. Damit beantwortete er den Aufstand im Hochstift Bamberg. Dieser hatte am 10. April als Revolte der Bürger begonnen, denen rasch 8000 Bauern aus dem Hochstift zu Hilfe kamen und war nach vier Tagen zunächst beendet, als der Bischof der Einsetzung eines Landschaftausschusses zustimmte, der die Beschwerden bereinigen sollte43. Erst nachdem dessen Beratungen zu schleppend vom Fleck kamen, radikalisierte sich auch die Bewegung Bambergs unter dem Eindruck der Erfolge der Odenwälder. Jetzt wurde beschlossen, daß sie „kein Schloß kein kloster im landt wollen lassen sten" 44 , und in wenigen Tagen waren 200 Burgen besetzt oder niedergebrannt. Es seien „die Slosser vngezweiffelt auß Schickung des Almechtigen zerprochen worden" 45 , meinte man im Landtag in tapferer Hoffnung. Die Odenwälder suchten die Verbindung mit dem Rheingau, was im Erfolgsfall koordinierte Aktionen aller Mainzischen Untertanen erlaubt hätte. Der Bauernkrieg im Rheingau blieb jedoch innerhalb der territorialen Grenzen, lediglich mit 42

43 44 45

K. WALCHNER - J. BODENT, Georg von Waldpurg, 287. Vgl. unten 218 f. Zeugenaussage, Druck bei W. STOLZE, Bauernkrieg, 262. Druck Ebd., 255.

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„Eine große, ungehörte Empörung..."

der Mainzer Bürgerschaft kam es zu einer eidlichen Verbrüderung. Im Rheingau, den 21 Winzergemeinden flußabwärts hinter Mainz, waren die Unruhen am ersten Sonntag nach Ostern ausgebrochen. Auf den 8. Mai wurden alle Gemeinden und der Adel auf den Wacholder, die alte Gerichtsstätte des Rheingaus geladen. Auch hier zeigte sich die enge Verbindung der Aufstandsbewegung mit dem Adel und die Referenz auf die „Reformation". Falls eine „gemeine reformation bey andern underthanen gemeinlich geordent und angenommen wurde", wollte das Domkapitel dem Rheingau nicht nur die eingereichten 31 Beschwerden abnehmen, sondern ihn auch in den Genuß entsprechender Vereinbarungen kommen zu lassen46. Von den Ereignissen im Rheingau beeinflußt, kam es in Mainz zu einem Aufstand der Bürgerschaft. Im fürstlichen Lager galt die Stadt als eher verläßlich, noch am 23. und 24. April trafen sich hier die Gesandten der vier rheinischen Kurfürsten und Hessens, um Maßnahmen gegen die Aufständischen zu organisieren und zu koordinieren. Aus der Markusprozession des 25. April, an der die Bürgerschaft wie üblich in Wehr und Waffen teilnahm, wurde eine Stadtrebellion. Über Nacht wurden Beschwerden ausgearbeitet, am Morgen die gesamte Bürgerschaft zusammengerufen, von ihr die Artikel ratifiziert und dann dem Domkapitel ultimativ zur Annahme vorgelegt. Die Gemeinde ließ sich die Stadtschlüssel übergeben und Geschütz der Martinsburg auf den Platz bringen. Eine Woche später wurden die Artikel vom Statthalter angenommen und gesiegelt. Die Vorgänge in Mainz standen am Beginn einer Kette von Stadtrebellionen am Mittelrhein, die an die Zunftkämpfe des Spätmittelalters erinnern. Eine Zunftverfassung einzuführen, gehörte fast überall zu den wichtigen Forderungen, die immer auch von reformatorischen Begehren überwölbt waren. Der Aufstand in Frankfurt war beispielhaft für viele Städte, weil die 46 Frankfurter Artikel durch den Druck verbreitet und damit sehr einflußreich wurden, ähnlich den Zwölf Artikeln der Bauern, deren Geist sie verpflichtet waren. Im Süden wurden Speyer und Worms von der Unruhewelle erfaßt, doch vor allem nach Norden pflanzte sie sich, ausgehend von Frankfurt, in isolierten Stadtaufständen nach Limburg, Gießen, Wetzlar, Hochheim, Boppard, Oberwesel, Wiesbaden und Friedberg fort. Bis Köln schwappten die Ausläufer der Unruhen des Jahres 1525 und leckten zuletzt noch bis Dortmund, Münster und Osnabrück. Doch angesichts der Ähnlichkeit mit spätmittelalterlichen Bürgerrebellionen fällt es schwer, die städtischen Aktionen als integralen Teil des Bauernkriegs zu sehen. In Fulda brach der Aufstand nur einen Tag später als in Frankfurt aus. Am 19. und 20. April faßten Stadt und Landschaft ihre Beschwerden in 13 Artikeln zusammen. Die Machtdemonstration von 10 000 Aufständischen ließ es dem Koadjutor des Stifts ratsam erscheinen, die Artikel anzunehmen. Gleiche Vorgänge wiederholten sich im Reichsstift Hersfeld. Energisch wandte sich der junge Philipp von Hes-

46

W. - H. STRUCK, Bauernkrieg am Mittelrhein, 206 Nr. 75.

Thüringen

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sen zum Schutz seiner bedrohten Grafschaft gegen die Bauern und schlug sie bei Fulda mit nur 1400 Knechten und 350 Reisigen vernichtend. Fulda und Hersfeld waren das Einfallstor für die bäuerliche Bewegung nach Thüringen. Programmatisch blieb Thüringen weit hinter den Entwürfen und Konzepten der Oberdeutschen zurück. Meistens wurden lediglich die Zwölf Artikel übernommen und darüber hinaus keine weiteren Ziele entwickelt; lokale und regionale Beschwerden, wie sie aus dem gesamten oberdeutschen Raum in so großer Zahl überliefert sind, fehlen. Die Aufforderungen, dem Haufen beizutreten, wurden oft damit begründet, „das sie gerne wolten einen gemeinen fried und einigkeit (wie dan das heilige evangelium lernt), aufrichten. Und sie haben zwölf artickel des leibs und der seien heil betreffen, welche alzumal in der heiligen schrift gegrundt seint" 47 . Auch die Organisationsformen blieben eher schwach. Mit dem Verwüsten der Klöster und dem Erstürmen der Burgen gaben sich die zahlenmäßig kleinen Aufständischengruppen meist zufrieden. Freilich gab es auch Ausnahmen. Im Werratal, in der Grafschaft Schwarzburg, um Neustadt an der Orla, im Vogtland und Erzgebirge bildeten sich Haufen mit ähnlichen Zielen. Mit Goslar, Halberstadt, Halle, Leipzig und Joachimsthal sind die äußersten Orte im Norden und Osten benannt, die der Bauernkrieg noch erreichte. Lediglich im Erzgebirge gewannen die Unruhen allerdings durch die Bergknappen ihre eigene Färbung. Es sind Ausläufer wie die vereinzelten Stadtunruhen in Nord- und Westdeutschland. Zu einer eigentlichen Vereinigung von Bauern und Bergknappen wie später in Tirol und Salzburg ist es in Thüringen nicht gekommen. Unbeschadet einer gewissen Gleichförmigkeit gibt es zwei Aufstandsgebiete mit einer eigenen interessanten Konturierung - Erfurt und Mühlhausen. Am 28. April 1525 öffnete Erfurt den Bauern seines Territoriums die Tore, nach dramatischen Verhandlungen zwischen Räten, Predigern, Bauern und Bürgern. 11 000 Bauern waren es schließlich, die sich in der Stadt aufhielten, allerdings kaum 10 Tage. Das freilich reichte hin, um die kirchliche und politische Verfassung gänzlich umzustürzen. Mit der Verwüstung der Häuser der Geistlichen brach auch die Herrschaft des Stadtherrn, des Mainzer Erzbischofs, gänzlich zusammen. Die „Gemeinde" der Erfurter Bürger und die „Landschaft" der Erfurter Bauern, meldeten jetzt ihre kirchlichen und politischen Vorstellungen unmißverständlich an. In ihren gemeinsam verfaßten 28 Artikeln kam beides klar zum Ausdruck. Das kirchliche Leben sei so zu ordnen, „das ein gemein derselbigen pfarr iren pfarrer zu setzen und zu entsetzen habe" und wichtige politische Entscheidungen bedürften künftig der Zustimmung der „Gemeinde" und der „Landschaft" 48 . Hier wird das Modell eines durch Bürgerschaft und Landschaft parlamentarisch kontrollierten Rates skizziert. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen wurden am 9. Mai geschaffen. „Die verordnete von vierteln, handwerkern und gantzer gemeinde sambt den verordneten der gantzen landschaft der Stadt 47

O. MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland, 234 Nr. 305.

48

W.P. FUCHS - G . FRANZ, A k t e n B a u e r n k r i e g M i t t e l d e u t s c h l a n d , 2 5 0 - 2 5 2 N r . 1 3 9 0 .

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„Eine große, ungehörte Empörung..."

Erffurt" entbanden den Rat von seiner eidlichen Verpflichtung gegenüber dem Mainzer Erzbischof und verpflichteten ihn im Gegenzug auf Gemeinde und Landschaft 49 . Die 28 Artikel sollten auf einer landtagsähnlichen Verhandlung mit Martin Luther Verfassungsrang erhalten, standen also unter dem Vorbehalt der Schriftgemäßheit der Forderungen. Erwartungsgemäß hat Luther, wenn auch reichlich spät, nämlich im September 1525, den Frost seines Mißfallens auf das ganze Unternehmen fallen lassen. Der Geist der 28 Artikel bestehe darin, lautete sein Urteil, „das eyn iglicher seinen nutz habe und seines willens lebe, das unterst zu oberst unnd alles umbkeret" 50 . Die Umkehrung der Verhältnisse war in Mühlhausen in Thüringen schon 1523 geglückt. Die Reichsstadt hatte im Sommer 1523 eine neue Verfassung erhalten, derzufolge Stadtrechtsrenovationen und Ämterbesetzungen die Zustimmung „der gemein" oder der „achteman von wegen der gemein" erforderten 51 . Gemeinde und Achtmannen als Verteter der Stadtviertel gewannen einen größeren Einfluß, wie das, wenn auch nicht in verfassungsrechtlicher Absicherung, in anderen Städten, Memmingen etwa, auch nachweisbar ist 52 . In dieses Gemeinwesen trug Thomas Müntzer, als er im August 1524 in Mühlhausen ankam, seine mystischen, apokalyptischen und revolutionären Vorstellungen von einem „Ewigen Bund" der Auserwählten, der berufen sei, die Gottlosen zu vernichten 53 . Im Dezember 1524 kam es zu einer zweiten Verfassungsrevision. Das gesamte Korpus städtischen Rechts wurde einer theologischen Verträglichkeitsüberprüfung durch die Prädikanten und Achtmänner unterworfen. „Dieselbe haben alle Artikel, welche sich mit der Bibel und dem Evangelium nicht verglichen, abgetan und Ordnung, wie man fürter in peinlichen und bürgerlichen Sachen richten oder handeln soll", aufgerichtet 54 . Bei den Ratswahlen im März 1525 setzte sich dann Müntzers Einfluß glänzend durch. Müntzers „Ewiger Bund" war nach seiner Intention eine voluntaristische Vereinigung von Menschen, die sich selbst als Auserwählte und Werkzeuge Gottes fühlten. Unter der Fahne des Regenbogens, Symbol des Bundes Gottes mit den Menschen und des Weltgerichts, trat man dem Bund bei. In höchster Erregung suchte Müntzer im April 1525 die Ausbreitung des Aufstands in Thüringen zu nutzen, um seine Vorstellungen durchzusetzen. „Das ganze deutsche, franzosisch und welsch land ist wag, der meyster will spiel machen, die b&ßwichter müssen dran", schrieb er den Allstedtern Ende April, und forderte sie auf, „fanget an und streytet den streyth des Herren" 5 5 . Nach Verlauf der ersten Maiwoche stand in Thüringen

49

51

52 53 54 55

Ebd., 253 Nr. 1391. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), 18. Bd., 1908, 539. W.P. FUCHS - G. FRANZ, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland, 9 Nr. 1092. Die Rechtsetzungskompetenz der Gemeinde ergibt sich aus Artikel 1. Vgl. unten 165-169. Vgl. unten 228-232. Zitiert bei G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 421. G . FRANZ, M ü n t z e r , 454.

Elsaß

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als einziger geordneter und von der Zahl her nennenswerter Haufe der Frankenhäuser noch unter Waffen. Am 12. Mai zog ihm Müntzer mit 300 Getreuen aus Mühlhausen zu und übernahm sofort die Führung. Das von Fulda her anrückende Heer Philipps von Hessen erreichte Frankenhausen am 15. Mai. Gegen die Herausgabe Müntzers wurde den Bauern Generalamnestie zugesichert. Doch der charismatische Prediger konnte sich im bäuerlichen Lager behaupten. Noch am selben Tag vereinigte sich das Heer Herzog Georgs von Sachsen mit den Hessen, die bäuerliche Wagenburg wurde umstellt und mit Artillerie beschossen. Unter den Bauern, die zuversichtlich aber vergeblich auf ein Gottesurteil zu ihren Gunsten gewartet hatten, brach Panik aus. Von einer ordentlichen Schlacht konnte keine Rede sein, von den 6 000 Bauern wurden 5 000 umgebracht, 600 gefangen genommen. Auf dem „Schlachtberg" oberhalb Frankenhausens, von dem die „Blutrinne" hinab zur Stadt läuft, steht als „Erfüllung einer moralischen Verpflichtung"56 der Deutschen Werner Tübkes ursprünglich „frühbürgerliche Revolution" geheißenes Panorama, das vorhersagbar mehr, länger und intensiver Interpretationen hinter sich herziehen wird, als das geschichtswissenschaftliche Konstrukt „frühbürgerliche Revolution", dem es seine Existenz verdankt. Listig nistet sich die Geschichte in die Kunst ein. Die zeitgleich mit Frankenhausen stattfindenden Schlachten bei Böblingen und Zabern bedeuteten das Ende des Bauernkriegs im Südwesten des Reiches. Er war im April nochmals am Hochrhein aufgeflammt und hatte schnell den ganzen Oberrhein erfaßt, den Sundgau und das Elsaß, das Speyerer Hochstift und das Kurfürstentum Pfalz, sowie das Herzogtum Württemberg. Bei der Gleichzeitigkeit der Bewegungen kamen freilich auch Einflüsse aus anderen Regionen hinzu. Auch am Oberrhein wirkten die Zwölf Artikel revolutionierend; mehrheitlich beriefen sich auf sie die Bauernhaufen. Im Elsaß richtete sich die Wucht des Aufstandes vornehmlich gegen die Klöster. Nahezu alle Haufen benannten sich nach ihnen - Altdorf, Ebersheimmünster, Mauersmünster, Neuburg. Mit dem Herbitzheimer Haufen an der Saar erreichte die Bewegung Anschluß an die Unruhen im Hochstift Trier, die ihrerseits ihre Zentren in den Ämtern Saarburg und Blieskastel hatten. Die Organisation des Aufstandes funktionierte im Elsaß problemlos. Auf alten Landesdefensionstraditionen gegen Frankreich aufbauend und durch die vorangehenden Bundschuhaufstände konspirativ geschult, gelang es immer äußerst rasch, oft in nur zwei bis drei Tagen, die Stärke eines Haufens auf ein paar Tausend Mann hinaufzutreiben. Erasmus Gerber aus dem Landstädtchen Molsheim führte mit großer Energie die elsässischen Haufen zusammen, bildete Ausschüsse, Räte und ein Regiment und gab damit der gesamten Bewegung in den ersten Maitagen ein

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K.M. KOBER, in: Werner Tübke, Reformation - Revolution. Panorama Frankenhausen, Monumentalbild von Werner Tübke, Dresden 1988,9.

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„Eine große, ungehörte Empörung..."

institutionelles Gerüst, das die politische Ordnung aufrecht erhalten konnte 57 . In seinem Aufbau war es von den Strukturen der christlichen Vereinigung in Oberschwaben nicht allzuweit entfernt, stärker war lediglich der bürgerliche Anteil der Aufständischen. Zwischen den weinbautreibenden Dörfern und Städten besteht heute noch kein erkennbar großer Unterschied. Der Bauernkrieg im Elsaß dauerte kaum vier Wochen. Der Herzog von Lothringen rückte gegen die Elsässer vor und machte um den 15. Mai auf brutalste Weise nieder, was ihm im Weg stand. In Lupfstein wurden Dorf und Kirchhof „umbleit mit holz, das angezint und si alle verbrent", in Zabern wurden 3 000 entwaffnete Bauern, als sie „mit wissen steblin" aus der Stadt zum angegebenen Versammlungsplatz zogen, niedergemacht. Hin und her reitende Söldner, Niederländer und Spanier zumeist, trieben „vil hochmuts im land, slagen und swechen frowen und junkfrowen". Straßburg steckte voll mit geflüchteten Frauen und Kindern 58 , im Hinterland lagen 18 000 tote Bauern. Im Herzogtum Württemberg waren die Unruhen gleichfalls Mitte April ausgebrochen. Nur wenige Amtsstädte beteiligten sich nicht. Am 25. April wurde Stuttgart besetzt, die Regierung setzte sich nach Tübingen ab. Sie hatte den Eindruck gewonnen, der „uffrurigen puren vorhaben" sei, „alle clöster und schlösser zu zerrissen und verbrenne . „Landschaft" nannten sich die Aufständischen, eigentlich ein für die politische Repräsentation des Landes besetzter Begriff, und amteten als funktionierende Nebenregierung. Sie arbeiteten aber auch an Verfassungsentwürfen, wie künftig das Land zu regieren sei60. Der Schwäbische Bund hatte sein Heer vom oberschwäbischen Weingarten zunächst gegen die noch nicht besiegten Bauern am Hochrhein führen wollen, dann sich aber entschlossen, die Weinsberger Tat zu rächen. So zog er gegen die Württemberger, die sich bei Böblingen sammelten. Bürgermeister aus 30 Amtern saßen im Kriegsrat, 12 000 Mann befehligten sie. Am 12. Mai kam es zur Schlacht, die von der stark überlegenen Artillerie des Bundes rasch entschieden wurde. Die Unruhen im Hochstift Speyer und in der Kurpfalz verliefen nach dem üblichen Muster. Am 23. April wurde Bruchsal besetzt, militärische Gegenmaßnahmen des Bischofs erwiesen sich als Fehlschlag, weil die aufgebotene Mannschaft zu den Bauernhaufen überlief. Hinter Landau bildete sich im Geilweiler Klosterhof ein stark von pfälzischen Untertanen beschickter Haufe. Die Neustädter vermittelten Verhandlungen mit dem Kurfürsten. Man traf sich am 10. Mai in der Nähe der Stadt bei Forst auf freiem Feld. Die Bauern versprachen, „die ingenomen Schloß, Stet und Flecken [zu] räumen" und auseinderzugehen, der Fürst versprach die Einberufung eines Landtags und lud, wie es pfälzische Lebensart nahelegte, die Haupt57 58

59

60

Vgl. unten 201-204. H. VLRCK, Correspondenz der Stadt Strassburg, 167 Nr. 295. Die Zitate aus Straßburgs Korrespondenz mit Basel. G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 305. Vgl. unten 215-218.

Hochrhein

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leute „zum Essen" und „nam darnach ein Abschied und fugt sich wider hinüber gehn Haidelbergk" 61 . Für den beabsichtigten Landtag ließ er von seinen Landeskindern, den Reformatoren Brenz und Melanchthon, Gutachten erstellen, die im Ratschlag gipfelten, „es wer von Nötten, das ein solch wild, ungezogen Volk als Teutschen sind, noch weniger Freiheit hette, dann es hat" 6 2 . Eine Woche nach dem Forster Treffen war durch Frankenhausen, Böblingen und Zabern die Dringlichkeit für einen Landtag sehr viel geringer. Der Pfalzgraf besetzte am 25. Mai Bruchsal, zog dann mit dem Schwäbischen Bund ins Fränkische und kam, als dort das Nötige getan war, zurück. Am 24. Juni wurden in Pfeddersheim bei Worms 7000 Bauern geschlagen, die elsässische Schlächterei fand ihr pfälzisches Gegenstück. Noch war der Hochrhein fest in bäuerlicher Hand. Tief hatte sich hier die Uberzeugung eingegraben, es müsse eine prinzipielle Veränderung aller gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse geben. Hans Müller von Bulgenbach war wie ein Jahr zuvor als Hauptmann unbestritten. Auch er organiserte eine „Christliche Vereinigung", die nun alle Freiwilligkeit bald vermissen ließ, sich vielmehr zu einem Zwangsbündnis umformte. Der „weltliche Bann" wurde über jene verhängt, die den Anschluß verweigerten, alle Gemeinschaftseinrichtungen blieben ihnen vorenthalten, niemand durfte mit ihnen verkehren, „sonder man laus si pliben als abgeschnite gestorbne Glider" 6 3 . Politiktheoretische Überlegungen wurden angestellt, über Tyrannei, sie verhindernde Wahlmodi und Repräsentationsprobleme wurde diskutiert 64 , doch an eine Realisierung war angesichts der veränderten Kräftekonstellation schon nicht mehr zu denken. Doch es dauerte, bis die Bauern unterworfen waren. Erst am 4. November unterlagen die Klettgauer der militärischen Ubermacht Habsburgs. Noch drei Tage zuvor hatten sie sich bereit erklärt, auf alle von ihnen gestellten Forderungen zu verzichten, nicht jedoch unter der verlangten Vorbedingung, daß „wir von dem g&ttlichen wort gottes weichen wellend, das wir nit k&ndendt vnd m&gend" 65 . Am Sitz der Regierung in Ensisheim begann man für den Erzherzog von Österreich die Urteile über jene Priester zu protokollieren, die das „göttliche Wort" gepredigt hatten: ist „mit dem schwerdt gericht, in 4 theil vertheilt und auf die vier Straßen gehenckht worden", ist „mit dem sträng an dem hochgericht gehenckht worden", ist „mit dem wasser zum todt gericht", ist „mit gebundnen henden in das wasser geworfen und vom leben zum todt hingericht worden" - 70 Fälle dieser Art werden genannt 66 .

61 62 63 64 65

66

G. FRANZ, Harer, 53. Gutachten Melanchthons. Druck bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 185 Nr. 44. Ebd., 236 Nr. 68. Vgl. unten 227 ff. Zitiert bei P. BLICKLE (zusammen mit einer Berner Arbeitsgruppe), Zürichs Anteil am deutschen Bauernkrieg, 101. Belege in C. ULBRICH, Geistliche im Widerstand, 257-265.

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Möglicherweise hängt der späte Beginn der Unruhen in den Alpenländem zwischen Ende April und Mitte Mai 1525 damit zusammen, daß die Stellung der Bauern hier durchgängig besser war als in den Territorien des Reiches. In Salzburg, Tirol und Graubünden waren die Bauern in den Landtagen vertreten, in den Territorien des Reichsstifts St. Gallen, der Städte Zürich und Bern gab es Landschaften, bäuerliche Repräsentationen, die in der Regel bei wichtigeren politischen Geschäften gehört wurden. Die Besitzrechte der Bauern waren vergleichsweise gut, die Abgaben erträglich, jedenfalls in den eidgenössischen Stadtstaaten, in Graubünden, wohl auch in großen Teilen Tirols. Dem entsprach, daß die Bewegungen ohne größere militärische Konfrontationen abliefen - das Erzstift Salzburg ausgenommen -, was nicht heißt, daß sie in ihrer Programmatik weniger prinzipiell gewesen wäre. Politische Kreativität haben gerade die Bauern in Salzburg, Tirol und Graubünden entwickelt. In den Alpenländern begannen die Unruhen im Januar 1525 in Tirol mit dem Aufstand von einigen tausend Bergknappen im unteren Inntal. Mit ihnen traten die ersten Arbeiter im Frühkapitalismus, der eines seiner Zentren zweifellos in den Gold-, Silber- und Kupferminen der Zentralalpen hatte, aktiv in das Geschehen ein67. Auch einer ihrer herausragenden Führer, Michael Gaismair, kam aus einer Familie, die eng mit dem Bergbau verbunden war. Südlich des Brenners begann der Bauernkrieg am 9. Mai 1525 mit der gewaltsamen Befreiung Peter Pässlers. Er sollte wegen mehrfacher Übertretung eines Fischereiverbots hingerichtet werden. In der Bischofsresidenz Brixen wurden die Häuser der Geistlichen und Adeligen geplündert, kurz darauf das nahe Kloster Neustift. Von hier dehnte sich der Aufstand rasch auf das ganze Hochstift Brixen und das südlich angrenzende Hochstift Trient aus. Gleichentags kam es auch zu Unruhen in Nordtirol. In Telfs, eine gute Tagereise vom Allgäu entfernt, beschloß eine Gemeindeversammlung der umliegenden Dörfer, die Zinsen nicht mehr zu zahlen. Die Landleute der Gerichte Thaur und Rettenberg bemächtigten sich der Stadt Hall und plünderten dort das Haus der Fugger. Die verhaßten Räte Erzherzog Ferdinands, Salamanca, Graf von Ottenburg und Johannes Fabri aus Leutkirch, und die beiden Bischöfe von Brixen und Trient flüchteten. Vorausschauend war wenige Tage zuvor in der Umgebung des oberschwäbischen Landvogts zu hören gewesen, „wo ain Aufrur und Embörung beschehen, daß die vier Mann des allein Ursach sein" 68 . Zentrum des Aufstandes war zweifellos Südtirol. Zur Koordination der lokalen und regionalen Aktionen beriefen die Aufständischen auf den 30. Mai einen Landtag der Städte und Landgerichte nach Meran ein. Nach den Spielregeln des Ständewesens konnte nur der Landesherr einen Landtag einberufen; das Vorhaben zeigte somit deudich die politischen Ansprüche der Tiroler. Für die Beratungen wurde eine Proposition von 64 Artikeln ausgearbeitet und mit geradezu alttesta-

67 68

Vgl. unten 188-191. E L . BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 267 Nr. 266.

Alpenländer

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mentlichem Pathos eingeleitet: Da heutzutage „alle sachen auf aigennutzigkait unnd nicht auf gmainen nutz gewendt" seien, was „got der allmechtig nit lenger gedulden mugen", habe er sich „aus gütlicher gerechtigkait mit ainer solchen grausamer straff diser aufrurn unnd emporungen" geoffenbart 69 . Mögücherweise stand Michael Gaismair, zweifellos der führende Theoretiker des Tiroler Bauernkriegs7®, hinter diesem Programm. In dieser äußerst prekären Situation war es zweifellos ein Erfolg Ferdinands, daß der von ihm hastig für den 12. Juni nach Innsbruck einberufene Landtag von den Städten und Gerichten wirklich beschickt wurde. Die 64 Meraner Artikel, um die Nordtiroler Beschwerden auf 96 Artikel ergänzt, bestimmten die Verhandlungen. Es war in der Tat ein Landtag der Bauern und Bürger auch deswegen, weil sie durchgesetzt hatten, daß die Prälaten, anfänglich auch der Adel, von den Verhandlungen ausgeschlossen wurden. Indem sich die Aufständischen auf einen Landtag einließen, war freilich auch entschieden, daß sich die revolutionären Elemente nicht würden durchsetzen können. Viele Südtiroler wußten das und hatten keine oder nur widerwillig Boten nach Innsbruck geschickt. Der Landtag wurde gleichwohl ein Erfolg, für die Bauern und Bürger auf der einen Seite, für Ferdinand auf der anderen. Denn aus den Beschwerden heraus entstand eine Landesordnung, die erste umfassende für Tirol 71 . Im benachbarten Erzstift Salzburg schrieben im Sommer 1525 die Aufständischen an den Hauptmann des Schwäbischen Bundes, der Erzbischof habe dem Land einen Eid geschworen, es bei seinen alten Rechten zu handhaben und zu schützen, ihn aber vielfach gebrochen. Der Stadt Salzburg habe er ihre Freiheiten, Polizeien und Handwerkerordnungen kassiert, in den Märkten, Landgerichten und Bergwerken „vil treffennlicher neuung und beswerungen aufbracht", die evangelischen Prediger „mit swerer vennkhnuß und in annder wege betruebt" 72 . In der Tat war die Befreiung eines als Ketzer verurteilten Geistlichen am 8. Mai 1525 und die nachfolgende Enthauptung zweier dabei beteiligter Bauern ohne Gerichtsverfahren das Fanal zum Aufstand. Am 25. Mai erhoben sich unter Führung der Bergleute des Gasteiner Tals die Pinzgauer und Pongauer Bauern, 10 Tage später zog ihr Heer in Salzburg ein und zwang, vereint mit den Salzburger Bürgern, den Erzbischof zum Rückzug auf seine Feste Hohensalzburg. Die Salzburger Beschwerden, in „Vierundzwanzig Artikel gemeiner Landschaft Salzburg" gebracht, leben von der Kraft der Wut: „Tiranen und Pluetsaufer" sind die bischöflichen Beamten, die es dahin gebracht haben, „das ain Armer zu khainem Rechten noch rechtlicher Ausfuerung hat khömen mögen". Die Besitzwechselabgaben bei der Hofübergabe „hat der Teufl als ein Würkher aller Ungerechtigkhait durch seinen Jaghundt", den Erzbischof, erfunden, „damit man arm 69 70 71 72

H. WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, 35 Nr. 15a. Vgl. unten 223-226. Vgl. unten 213 ff. K. WALCHNER - J. BODENT, Georg von Waldpurg, 327-330.

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Undertan betreugt". Durch die Geistlichen wird „die götlich Warhait und Gerechtigkhait frävenlich, verächtlich, spötlich und gewaltiglich veracht, verworfen und under die Fueß getreten". Es darf „khain Verschonung mer Stat haben, sonder man mueß dem Sackh das Bant aufreißen und den Unfladt heraus schütten" 73 . Im Juni und Juli waren die Aufständischen die eigentliche Obrigkeit. „Landschaft" nannten sie sich wie die Württemberger 74 . Offenbar erreichte im Salzburgischen die bäuerliche Bewegung einen besonders hohen Grad effektiver Organisation. Das zeigte sich auch auf militärischem Gebiet. Am 3. Juli errangen die Salzburger bei Schladming einen überzeugenden Sieg über die Truppen des Landeshauptmanns der Steiermark. Es war die einzige große Schlacht, welche die Bauern für sich entscheiden konnten. Am 16. August erschien das Bundesheer vor Salzburg, konnte die Aufständischen aber weder zur Kapitulation veranlassen noch besiegen. Die notwendige Konsequenz war ein Waffenstillstand, der auch vorsah, die Beschwerden auf dem Verhandlungsweg beizulegen. In Salzburg und Tirol erreichte der Bauernkrieg zweifellos seine größte Wucht in den Alpenländern. Von diesen Zentren strahlte er aus nach Osten und Westen. Im Attergau und Admont wie in den Bergbaugebieten von Ennstal, Murtal und im Salzkammergut kam es zu Unruhen, womit die habsburgische Herrschaft an einer neuen Front bedroht war. Von Tirol aus griff der Aufstand in die Bündner Täler und damit in die Herrschaftsgebiete des Bischofs von Chur über. Territorialgrenzen waren der Zeit noch vielfach fremd. Das zeigte sich auch daran, daß Vertreter der Bündner Bauernschaften den Meraner Landtag beschickt hatten. Doch auch von Norden, vom Bodensee her, wurde die Entwicklung beeinflußt. Das Zentrum des Aufstandes lag im Bereich des „Gotteshausbundes" des Hochstifts Chur. Seine Verfassung näherte sich landständischen Strukturen. Auf gemeinsamen Versammlungen von Domkapitel, der Stadt Chur und den Gerichten des Landes konnten die Bauern ihre Interessen gegenüber ihrem Landesherrn, dem Bischof von Chur, zur Geltung bringen. Von Beginn an präsentierte sich die Unruhe im antiklerikalen Gewand. Die Beschwerden gegen das geistliche Gericht des Bischofs gaben der Aufstandsbewegung im hinteren Rheintal, dem Domleschg und dem Engadin die einheitliche Stoßrichtung. Der Sturm der Bauern und der Bürger der Stadt Chur auf die bischöfliche Residenz markiert den Höhepunkt der Gewalt in der Region. Die politischen Ziele der Bauern wurden in den Zweiten Ilanzer Artikelbrief von 1526 eingearbeitet, der im Gegensatz zu den Meraner Artikeln der Tiroler und denen der Salzburger Landschaft kein Katalog von Forderungen war, sondern ein Verfassungsdokument. Mit ihm wurden gewissermaßen die Herrschaftsrechte des Bischofs und des Domkapitels von den Gemeinden kassiert. In einer legalistischen Verbrämung wurden sie um lächerliche Summen „gekauft" 7 "*. Seitdem konnten die 73 74 75

G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 295-309 Nr. 94. Vgl. unten 160-163. Vgl. unten 269 ff.

Alpenländer

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Bündner sagen, „die form unsers Regiments ist Democratisch: unnd stehet die erwellung unnd entsetzung der Oberkeiten [...] bey unserem gemeinen man: welcher macht hat/dem mehren nach/Landtsatzungen zu machen/und wider abzuthun/Pündtnussen mit frömbden Fürsten und Stenden aufzurichten/ über Krieg und Frid zu disponieren/und alle andere der hohen und minder Oberkeit gebuurende Sachen zu verhandeln" 76 . Zu Aufständen im eigendichen Sinn ist es in den Territorien von St. Gallen, Zürich und Bern nicht gekommen. Gelegentliche Gewalttätigkeiten gegen herrschaftliche Beamte waren zu verzeichnen, seltener die Besetzung eines Klosters. Im Fürststift St. Gallen, das seinen Bauernkrieg mit dem Rorschacher Klosterbruch von 1489 schon hinter sich hatte, war der Einfluß aus dem Oberschwäbischen stark. Was „inen das göttlich recht gäbe und näme, bi dem selben wellen sis bliben lassen", wurde als Leitlinie der bäuerlichen Politik auf einer Landsgemeinde am 1. Mai beschlossen77. Zwischen März und Juli 1525 wurde der Konflikt durch Schiedssprüche der Schirmorte St. Gallens - Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus - beigelegt. Der spektakulärste Akt in den Schweizer Stadtstaaten bestand in der Einnahme des Klosters Rüti am 23. April 1525 durch die Bauern der Zürcher Landschaft, die auch die weitestgehenden Forderungen stellten. In deren Konsequenz lag die Aufhebung aller Mediatherrschaften und eine Beschränkung der Herrschaft des Zürcher Rats auf gerichtliche und vogteiliche Funktionen. Die Stadträte, konflikterprobt wie sie im Umgang mit ihren Landschaften waren - keine Region des Reiches hatte im Spätmittelalter so viele Bauernrebellionen erlebt wie die Eidgenossenschaft - , reagierten entschieden. Bern beschloß am 5. Mai 6000 Mann aufzubieten, um notfalls Unruhen im eigenen Territorium zu dämpfen. Mit vereinzelten Tumulten im Thurgau erreichte die Bewegung ihren Ursprungsort vom Sommer 1524 ein Jahr später aufs Neue. Spätestens im Sommer 1525 war klar, daß der Aufstand militärisch gescheitert war. Die Rädelsführer flohen vor der Rache ihrer Herren. Der Korridor zwischen Tirol und der Eidgenossenschaft wurde zum Asyl der aufrührerischen Eliten des Reiches. Hier organisierte Michael Gaismair, der den Aufstand in Tirol zunächst militärisch geführt hatte, ein letztes Mal den Widerstand gegen die Fürsten. Gedeckt durch ein Netz von Sympathisanten schlug er sich mit einer kleinen, sicher elitären, zum Letzten entschlossenen Schar von Anhängern unter abenteuerlicher Umgehung der gut bewachten Pässe nach Salzburg durch. Dort war es unruhig geblieben, die Radikalen hatten sich mit dem Waffenstillstand vom Sommer nie

Zitiert bei R.C. HEAD, Social Order, Politics and Political Language in the Raethian Freestate (Graubünden), 1470-1620 , 1992,502. 77 W. MÜLLER, Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, 1. Teil, 2. Reihe, 1. Bd.: Die allgemeinen Rechtsquellen der Alten Landschaft, 1974,156. 76

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„Eine große, ungehörte Empörung..."

abgefunden. Der Schwäbische Bund stand mit 2400 Knechten im Land. Die entscheidenden Gefechte fanden in der letzten Juniwoche 1526 statt und fielen zuletzt, nach Erfolgen der Bauern und vornehmlich solchen der von Gaismair selbst angeführten Fähnlein, zugunsten der Herren aus. Nach dem Eindruck von Johannes Stumpf, der den Bauernkrieg als komplementären Prozeß von „Tyranny" und „Uffrur" interpretiert hatte, setzte die Tyrannei im Reich aufs Neue ein. „Von anfang der christenheyt har ist mencklichs achtens uff ein jar nie sovil christenbluts vergosßen durch den henker. Gott hatt die armen gestraft. Der tyrrannen urtel stat vor der thür" 78 .

78

E. GAGLIARDI u.a., Stumpfs Reformationschronik, 292.

TEIL 1

KRISE

DES

FEUDALISMUS

Ursachen der Revolution

„ W i r (uln Den herren Dar ombe ölenen. öaz fi o n e befchlrmen. onOt befchlrment fi ono n ü t . (o fin rolr in n ü t Mtnettee fchulOlg nach rechte" 1 .

1

F. L. A.

LASSBERG

(Hg.), Der Sdrwabenspiegel, 1840 [Nachdruck 1961], 133.

D I E Z W Ö L F A R T I K E L - D A S M A N I F E S T V O N 1525

„ D a m turnet [lhr| Oer oberheyt yhrt gcioallt und recht auch, J a alle«, roae fit hat, Denn roae behellt fie, roenn fie ölt geroallt oerloren h a t " ? Martin Luther - Crmahnung zum FrleOen auf öle Zwölf Artikel Oer ßauernfchaft In Schroaben 1 .

Den Bauernkrieg von 1525'hätte es in dieser Art ohne die „Zwölf Artikel" nicht gegeben. Die „Zwölf Artikel" der obersdiwäbisdien Bauern2 sind Beschwerdeschrift, Reformprogramm und politisches Manifest zugleidi. Sie - „Dye Grundtlidien Vnd rechten haupt Artickel, aller Baurschafft vnnd Hyndersessen der gaistlichen vnd Weltlichen oberkayten, von woelchen sy sidi beschwert vermainen" 3 - sind gewissermaßen die Klammer, welche die Revolution von 1525 zeitlich und sachlich zusammenhält: Sie wurden am Beginn des Aufstandes im Februar/März 1525 formuliert und standen nadi der militärischen Niederwerfung auf dem Reichstag in Speyer 1526 zur Beratung an 4 . In der kurzen Zeitspanne von zwei Monaten erschienen 25 Drucke5 - das entspricht schätzungsweise einer Gesamtauflage von 25 000 Exemplaren· - , die große Teile des Reiches erreichten; Städte, Adelige und Geistliche, die zum Anschluß an ein-

Weimarer Ausgabe, Bd. 18, 1908 [Nachdruck 1964], 305. Die Herkunft der Zwölf Artikel ist heute unumstritten. Vgl. zuletzt und zusammenfassend G. FRANZ, „Zwölf Artikel", 193-213. s Die Belege werden im folgenden nadi der kritischen Ausgabe (Druck M) von GÖTZE zitiert. A. GÖTZE, Zwölf Artikel, 9-15. - Der Text im Anhang I. 4 Vgl. unten S. 246-253. 5 H. CLAUS, Drudcsdiaffen, 24-29. - A. GÖTZE, Zwölf Artikel, 1. • P. LÜCKE, Gewalt und Gegengewalt in den Flugschriften der Reformation (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 149), 53. 1 1

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zelne Bauernhaufen veranlaßt werden konnten, wurden eidlich auf die Zwölf Artikel verpfliditet 7 . Was erklärt den durchschlagenden Erfolg der Zwölf Artikel? In der Präambel wehren sich die Bauern vehement gegen eine kausale Verknüpfung von neuer evangelischer Lehre und Aufstand, von Reformation und Revolution: Weil die zentralen Anliegen des Evangeliums in ihrem Verständnis Friede, Liebe, Einigkeit und Geduld sind, kann die neue Lehre nicht Ursache der Empörung sein. Vielmehr ist die Zerstörung und Unterdrückung von Liebe, Friede und Einigkeit, kurz: des Evangeliums, des göttlichen Willens, Ursache der Empörung. Das derart aggressiv zur Schau gestellte Sendungsbewußtsein wird gemäßigt durch einen unerschütterlich scheinenden Glauben an Gott, der kühne Parallelen nicht scheut, wenn er optimistisdi die deutschen Bauern von 1525 mit den Israeliten in Ägypten vergleicht: Die Befreiung der Bauern aus einer sklavischen Herrschaft 8 ist Gottes Wille, Gottes Gericht. Gottes Wille, Gottes Gericht, Gottes Majestät sind die Axiome der konkreten Forderungen, die in elf Punkten zusammengefaßt werden: 1. Die Bauern verlangen für die Gemeinde das Recht der Wahl und Absetzung ihrer Pfarrer, da nur so gewährleistet werden kann, daß das reine Evangelium ohne die Interpretation und Tradition der alten Kirche gelehrt wird. Das ist notwendig zur Selbstverwirklidiung des Menschen - eines Menschen, der durch die „Einbildung des Glaubens und der Gnade" seine übernatürliche Vollendung erfährt, die ihm erst die Vereinigung mit Gott ermöglicht. 2. Der Kleinzehnt wird aufgehoben, der Großzehnt, von gewählten Kirchenpröpsten verwaltet, wird von der Gesamtgemeinde zunächst dem Pfarrer nach seinen Bedürfnissen, dann den Armen des Dorfes zugeteilt und schließlich für die etwa notwendige Landesverteidigung zurückbehalten, um die Dorfgenossen mit Steuern möglichst wenig zu belasten. Da die Zehnten nur noch in wenigen Fällen der örtlichen Pfarrei uneingeschränkt zur Verfügung standen, vielmehr weitgehend im Zuge der Mobilisierung und Kommerzialisierung aller Herrschaftsberechtigungen in die Hände des Adels, der hohen Geistlichkeit, der Städte und städtischen Stiftungen übergegangen waren, beabsichtigen die Bauern bei urkundlich nachweisbarem Kauf von der Gemeinde den Zehntberechtigten angemessen zu entschädigen, in allen anderen Fällen den Zehnt zugunsten der Gemeinde einzuziehen.

7

Inwieweit über den deutschen Sprachraum hinaus das Ereignis „Bauernkrieg" registriert wurde, ist kaum ansatzweise untersucht. Daß etwa der englische Königshof Kenntnis von den deutsdien Verhältnissen hatte, ist zuletzt nochmals dadurch nachgewiesen worden, daß eine englische Fassung von Beschwerden aus dem deutschen Bauernkrieg vorliegt. Vgl. dazu Α. E. HOLLAENDER, 'Articles of Almayne'. An English Version of German Peasants' Gravamina, 1525, in: J. C. DAVIES (Hg.)> Studies presented to Sir Hilary Jenkins, 1957, 164 - 177.

8

V g l . 2. Moses 1 , 8 - 1 4 und 5, 4 - 23.

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3. Die Leibeigenschaft soll aufgehoben werden, doch bedeutet dies nicht, d a ß die Bauern keiner Obrigkeit, keiner Herrschaft mehr u n t e r w o r f e n sein wollen. 4. Freie J a g d und Fischerei werden unter anderem mit dem Hinweis auf den erheblichen Wildschaden gefordert. Soweit Fischereirechte nachweislich den Gemeinden abgekauft wurden, ist eine einvernehmliche Regelung zwischen der Gemeinde und dem Fischereirechtsinhaber vorgesehen. K ö n n e n derartige u r k u n d liche Nachweise nicht erbracht werden, ist die Fischereigerechtigkeit der Gemeinde zurückzuerstatten. 5. Wälder und Forsten sollen, sofern sie nicht nachweisbar den Gemeinden abgekauft w u r d e n , den D ö r f e r n restituiert werden, damit die Bauern unentgeltlich - allerdings unter Kontrolle von gewählten Gemeindeforstknechten - Brennu n d Bauholz beziehen können. Soweit der Verkauf von H o l z - und Forstrechten seitens der Gemeinden urkundlich nachgewiesen werden kann, werden gütliche Vereinbarungen mit den Forstinhabern in Aussicht genommen. 6. Die Dienste (Fronen) sollen auf ein erträgliches M a ß herabgesetzt werden, wobei als Orientierung H e r k o m m e n und Evangelium zu gelten haben. 7. Die Bestimmungen der Lehensbriefe müssen eingehalten werden. Die Dienste sollen nicht willkürlich erhöht werden, damit der Bauer sein G u t o r d nungsgemäß bebauen und einen angemessenen Arbeitsertrag daraus erwirtschaften k a n n . Benötigt die Herrschaft Dienste, so werden sie von den Bauern gegen angemessene Vergütung dann geleistet, wenn die Arbeit auf dem eigenen H o f dies gestattet. 8. D a f ü r die grundherrlich, gebundenen Güter in vielen Fällen die Gülten so hoch angesetzt sind, d a ß ein Existenzminimum des Gutsinhabers nicht mehr gewährleistet ist, sollen die Abgaben durch „ehrbare Leute" neu eingeschätzt werden. 9. Weil durch die gerichtsherrliche Gesetzgebungstätigkeit die Bußenhöhe f ü r schweres Vergehen 9 („großer Frevel") immer wieder neu festgesetzt wird und in der Bemessung der Strafen Willkür herrscht, verlangen die Bauern eine Bußenfestsetzung nach den älteren Gerichtsordnungen. 10. Ehemalige Gemeindewiesen u n d -ädcer ziehen die Gemeinden d a n n ein, w e n n keine K a u f v e r t r ä g e vorgelegt werden können. In den Fällen, w o recht-

• Der „große Frevel" gehört nicht wie anderwärts in den Kompetenzbereich des Hochrichters, sondern bezeichnet die Bußen für bestimmte Vergehen, die in der Regel vor dem dörflichen Niedergericht verhandelt wurden. Der „große Frevel" umfaßt Bußen zwischen 10 Pfd.h [HStAM, KL Kempten (MüB) 211] und 10 ß h [Memminger Geschichtsblätter, Jahresheft 1965 (1966), 29, 64 ff.] Nach der Gerichtsordnung von Ersingen von 1498 wird der „grosse fraevel" folgendermaßen definiert „Item ob ainer den andern lamm oder bainschroettig sdiliege aid verwundte, das man dieselbig wunden maißlen oder hefften müesste, wie oder welches sich also begebe, der yeglicher, so soellidin fraevel begangen hette, soll umb drewzehehn pfund und fünf schilling haller gestrafft werden". P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 75. Ergänzende Belege ebd. 162, 2 3 2 , 2 3 9 .

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mäßiger Erwerb nachgewiesen werden kann, wird eine gütliche Übereinkunft angestrebt. 11. Der Todfall wird in H i n k u n f t verweigert, weil er die Erben in ungebührlicher Weise belastet, ja zur Expropriierung der Bauern eingesetzt wird. Der letzte und zwölfte Artikel nimmt den Gedanken der Präambel wieder auf, lenkt zurück auf das grundsätzliche Anliegen der Bauern, die Harmonisierung der weltlichen Ordnung mit dem Wort Gottes. Soweit die aufgestellten Artikel durch die Schrift als unberechtigt erwiesen werden können, wollen die Bauern sie fallen lassen. Vice versa - und konsequenterweise - stellen sie weitere Forderungen, falls sich solche aus dem Testament ergeben sollten. Mit Ausnahme des programmatischen Pfarrerartikels und des Zehntartikels sind die Gravamina Ausfluß des krisenhaften Charakters der spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Agrarverfassung, versteht man Agrarverfassung als das Beziehungsgefüge zwischen Berechtigungen der Feudalherren 1 0 im grund-, leib- und (nieder)gerichtsherrlichen Bereich einerseits und den genossenschaftlich-gemeindlichen Rechten im Rahmen des Dorfes andererseits. Die Zwölf Artikel zielen auf die Feudalherren als Grundherren, wenn sie Reduzierung der Gülten und Dienste fordern; sie zielen auf die Feudalherren als Leibherren, wenn sie Beseitigung der Leibeigenschaft, der aus ihr abgeleiteten Dienste und Todfälle verlangen; sie zielen auf die Feudalherren als Gerichtsherren, wenn sie eine Rechtssprechung nach Gewohnheitsrecht fordern 1 1 , sie zielen schließlich auf die Feudalherren als „Landesherren" 1 2 , wenn sie aus grund-, leib- oder gerichtsherrlichen Rechten abgeleitete Gebotsautonomie der Herrschaften ablehnen. Audi ohne eine tieferreichende Analyse hilft die Einordnung der Beschwerden in den Bereich der Agrarverfassung ihre weite Verbreitung zu verstehen. Die Zwölf Artikel griffen die feudale Gesellschafts- und Herrschaftsordnung an, die überregional in verwandten Strukturen im agrarischen Bereich am besten erhalten geblieben war. Weil die Ausbildung der Agrarverfassung, mit anderen Worten: die Rechtsfortschreibung im hofrechtlichen Bereich nach dem spätmittelalterlichen Rechtsempfinden konsenspflichtig war 1 3 , nie freiwillig allein herrschaftlicher

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Hier und im folgenden soll mit dem Begriff „feudal" und „Feudalherren" nicht mehr gegeben werden als eine Abbreviatur für umständliche und langatmige Umschreibungen. Es dürfte sinnvoll sein, für eine Arbeit, die sich zeitlich lediglich im 15. und 16. Jahrhundert bewegt, mit „feudal" nicht mehr überdachen zu wollen als die wirtschaftliche, soziale und herrschaftliche Zuordnung des Bauern zu einem Herrn. „Feudale" Rechte in diesem Bezugssystem wären die Grundherrschaft, die Leibherrsdiaft, die niedere Gerichtsherrschaft mit allen aus ihr abgeleiteten und entwickelten Sonderrechten. „Feudalherren" wären Adelige, Prälaten, nicht aber Korporationen wie Spitäler und Städte. Vgl. zuletzt E. WALDER, Zwölf Artikel, 14-22, bes. 19 ff. Der Begriff „Landesherr" ist in Oberschwaben wenig verbreitet. Er dient hier nur als Hilfskonstruktion, um die in Schwaben im 15./16. Jahrhundert neu geschaffenen Herrschaflsberechtigungen der Grund- und Leibherren zu bezeichnen. O. BRUNNER, Land und Herrschaft, 346 f.

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Gebots- und Verbotsgewalt anheimgestellt blieb, konnte nun, nachdem dieses Prinzip offensichtlich verletzt und durch die Herren außer Kraft gesetzt worden war, der Feudalismus audi von den Bauern in höherem Maße als früher in Frage gestellt werden. Die Zwölf Artikel ersdiöpfen sich nicht in der Negation, in der Abwehr und Zurückdrängung herrschaftlicher Ansprüche, sie waren revolutionär in zweifacher Hinsidit; konkret durch den Leibeigenschafts-, Zehnt- und Pfarrerwahlartikel, grundsätzlich durdi die Inanspruchnahme des Evangeliums als gesellschafts- und herrschaftsgestaltendes Prinzip 14 . Revolutionären Charakter hatte zweifellos - zumindest in weiten Teilen Oberschwabens - die Forderung nach uneingeschränkter Aufhebung der Leibeigenschaft, weil sich die Feudalherrschaft als Dorf- und Ortsobrigkeit in starkem Maße auf die Leibherrschaft stützte, aus der unter Umständen die Steuerhoheit, die Wehrhoheit und die Gerichtshoheit abgeleitet werden konnten 15 . Wenn die Leibherrschaft fiel, brach eine wesentliche, ja in bestimmten Gebieten die entscheidende Stütze adeliger und geistlicher Herrschaft zusammen - ein herrschaftliches Vakuum hätte die Folge sein müssen. Die Bauern waren sich der Tragweite dieser Forderung durchaus bewußt, da sie - was sonst in keinem Artikel erwähnt wird - ausdrücklich darauf hinweisen, daß mit der Aufhebung der Leibeigenschaft keineswegs jede Art von Obrigkeit beseitigt werden soll. Doch wie diese Art von Obrigkeit aussehen soll, bleibt in den Zwölf Artikeln offen und läßt Raum für viele Formen politischer Neugestaltung. Einen Einbruch in die Rechte der feudalen Oberschicht bedeutete die Kommunalisierung des Zehnten, weil er im Entstehungsgebiet der Zwölf Artikel ein Drittel bis die Hälfte der Einkünfte der Feudalherren und der städtischen kommunalen Wohlfahrtseinrichtungen ausmachte 1 '.

14

G. VOGLER, Zwölf Artikel, hat neuerdings diese Auffassung unterstützt und besonders darauf hingewiesen, daß audi die Zeitgenossen die Artikel als „revolutionär" empfanden; ebd. 221 f.

15

F ü r das mittlere O b e r s d i w a b e n vgl. SAARBRÜCKER ARBEITSGRUPPE, Leibeigenschaft in

M

Oberschwaben, und D . W . SABEAN, Landbesitz, 8 6 - 9 9 ; - Für das Allgäu vgl. P . BLICKLE, Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik. Zahlen über die Bedeutung des Zehnten liegen kaum vor. HEIMPEL hat für das Biberacher Spital errechnet, daß im Zeitraum von 1517 bis 1526 die jährlichen Gülteinnahmen 2653 Doppelzentner Getreide ausmachten, die Zehnteinnahmen 1598 Doppelzentner. CH. HEIMPEL, Biberadi, 21 f. Die Zahlen für die Klosterherrschaft Ochsenhausen zum Jahr 1522 zeigen, daß der Zehnt den Gülten an Bedeutung gleichkam.

Gült (in Malter) Roggen Vesen Hafer Gerste Belege bei E. GRUBER, Ochsenhausen, 116.

526 43 737

Zehnt (in Malter) 361 334 397 26

Die Zwölf Artikel - das Manifest von 1525

29

Dem Zehntberechtigten den Zehnt verweigern konnte seinen wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Hier zeigt sich sehr deutlich, daß die Unantastbarkeit des Eigentums, die in den Zwölf Artikeln zu wiederholten Malen formuliert wird, bei Verwirklichung der Forderungen eine leere, wenn auch von den Bauern nicht so gemeinte Formel war: Denn in der Tat geht die Flugschrift unausgesprochen von der Voraussetzung aus, daß Zehnten, Forsten, Fischereiberechtigungen und Allmenden ursprünglich in kommunalem Besitz waren, wenn sie nur jene Eigentumsverhältnisse respektiert, die sich auf Kaufverträge mit den Gemeinden stützen können. Was die Verwirklichung dieser Forderungen für die Feudalherren wirtschaftlich bedeutet hätte, läßt sich mit einiger Genauigkeit nidit sagen, doch dürfte die Vermutung nicht zu gewagt sein, daß jene adeligen und kirchlichen Herrschaften, die wie etwa das Damenstift Lindau 17 ohnehin über kaum existenzfähige Einkommen verfügten, verschwunden wären wie im Zuge der spätmittelalterlichen Agrarkrise der niedere Adel. Die Pfarrerwahl, auch wenn sie nur der Sicherung der reinen Verkündung dienen sollte, zertrümmerte die letzten Reste des Eigenkirchenwesens. Ein Instrument nicht nur der Seelsorge, sondern audi der wirtschaftlichen Machtsteigerung und politischen Propaganda sollte hier der alten Kirche und den Feudalherren entzogen werden 18 . Wichtiger freilich dürfte gewesen sein, daß „die Pfarrerwahl und die Predigt des Evangeliums . . . Voraussetzung war, wenn dem göttlichen Recht im sozialen Bereich Geltung verschafft werden sollte" 1β . Der erste Artikel läßt die Absicht erkennen, „einerseits . . . die reformatorische Bewegung auf dem Lande zum Erfolg zu führen, und andererseits . . . die Verbindung von göttlichem Recht und sozialem Programm herzustellen" 20 . Die einleitend thematisierte und im 12. Artikel expressis verbis formulierte Forderung, die weltliche Ordnung aus der Bibel zu deduzieren und mit ihr zu legitimieren, mußte in einer religiös aufgewühlten Zeit wie dem frühen 16. Jahrhundert für den Bauern ein erlösendes Wort sein. Das „Schinden" und „Schaben" der Herren, das an die Stelle ihres „Schutzes" und „Schirms" getreten war, wie der 11. Artikel anklagend und verzweifelt formuliert, mußte ein Ende haben. Gottes Wille, Gottes Gerechtigkeit, Gottes Majestät in der Welt verwirklichen zu können, entzündete die Hoffnung auf eine befriedete Welt 21 . Das Evangelium als Rechts17

Die Äbtissin von Lindau beziffert die jährlichen Einkünfte f ü r ihr adeliges Damenstift auf die jämmerliche Summe von 400 fl. H . GÜNTER, Blarer Briefe, 91 N r . 142. 18 Gegen den revolutionären Charakter spricht natürlich nicht, d a ß es schon anderwärts gelegentlich P f a r r e r w a h l e n gegeben hat. Vgl. f ü r die Nachbarräume Obersdiwabens vor allem die Hinweise bei D. KURZE, P f a r r e r w a h l e n im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeinde und des Niederkirchenwesens (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschidite und zum Kirchenrecht, 6. Bd.) 1966, 300-314. " G. VOGLER, Zwölf Artikel, 216. 20 Ebd. 21 Vgl. auch K . GRIEWANK, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff (suhrkamp tasdienbuch Wissenschaft 52), 1973, 86. „Politische Heilserwartung" bescheinigt GRIEWANK den Zwölf Artikeln.

30

Die Zwölf Artikel - das Manifest von 1525

Abb. 1 Kampf der Bauern gegen die Gewaltherrschaft. Holzschnitt des Petrarca-Meisters 1519/20 Bauern schleifen mit Seilen eine Burg und damit ein Symbol der feudalen Herrschaft. Die Träger dieser Herrschaft, symbolisiert in Krone und Szepter, fallen mit der Burg, die fliehende Burgbesatzung (im Vordergrund) wird von Bauern ermordet.

Die Zwölf Artikel - das Manifest von 1525

31

norm erdrückt so konsequenterweise ältere Rechtsnormen: Zwar ist es „Brauch", daß der Bauer nicht jagen und fischen darf, doch dieser Brauch ist dem „Gottesw o r t " nicht gemäß und muß deswegen aufgehoben werden; zwar verlangen die Bauern, die Dienste auf jene N o r m zurückzunehmen, die zu Zeiten ihrer Eltern verbindlich war, aber doch nur dann, wenn sich diese N o r m mit dem „Gotteswort" vereinbaren läßt; zwar ist die Todfallabgabe ein „Brauch", doch da sie „wider Gott" ist, muß sie beseitigt werden. Selbst dort, wo im Text nicht das alte H e r kommen durch das göttliche Wort außer Kraft gesetzt wird, wie bei der Forderung nach gerecher Bußenbemessung, wird schließlich doch marginal 2 2 durch den Bezug auf das Testament versucht, die Beschwerde theologisch abzusichern. Der drängende Appell der Zwölf Artikel, dem Gotteswort gemäß zu leben, weist intentional auf gesellschaftliche und politische Veränderung 2 3 . Die Zwölf Artikel sammeln wie in einem Parabolspiegel die Beschwerden der einzelnen oberschwäbischen Dörfer; ihr mehrfacher Druck verdeutlichte den Bauern im Reich die Krise der Agrarverfassung. Sie aus ihrem regional begrenzten ökonomischen, sozialen und politischen Hintergrund zu verstehen, heißt sie zu profilieren und die Ursachen der Revolution des gemeinen Mannes freilegen (I). Die Zwölf Artikel zeigen einen Weg aus der spätmittelalterlichen Krise, die nicht nur eine Krise der Agrarverfassung, sondern auch eine Krise der Gesellschaft und der politischen Ordnung war, indem sie mit ihrem Biblizismus einen Gesamtrahmen abstecken. Konkretisiert wird der Weg nur an Einzelbeispielen, etwa in der Abschaffung der Leibeigenschaft, im übrigen aber bleibt er offen und läßt Raum f ü r eine weitere Ausbildung des revolutionären Programms (II).

22

23

Eine Auswertung der Bibelstelle bei H . MICHAELIS, Bedeutung der Bibel, 69-77 und M. BRECHT, Der theologische Hintergrund der Zwölf Artikel. Nach dem gegenwärtigen Stand der Bauernkriegsforschung sind die Zwölf Artikel ein gemäßigtes Reformprogramm. FRANZ charakterisiert sie als „ernsthaft begründete Reformvorsdiläge, die durchführbar waren", G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 200. - SMIRIN sind die Artikel „kein Programm des Gesellschaftsumsturzes", weil sie „die Grundlagen des feudalen Rechts und der ganzen Gesellschaftsordnung unberührt" lassen, vielmehr „das göttliche Recht als radikales Prinzip" nur für die „religiösen und kirchlichen Umwandlungen" einsetzen; Μ. M. SMIRIN, Münzer, 401, ergänzend 516 f. - WAAS schließt aufgrund der Zwölf Artikel auf „einen sehr gemäßigten Charakter" des Bauernkriegs; A. WAAS, Bauern 96 f. DERS., Wendung im Bauernkrieg, 488 ff. - WALDER, nimmt zu dieser Frage nicht explizit Stellung, wenn er in Weiterführung und stärkerer Akzentuierung einiger FRANz'sdier Thesen den politischen Gehalt (Ordnung der eigenen Angelegenheiten durch Mehrheitsbesdiluß der Gemeinde) besonders herausarbeitet; E. WALDER, Zwölf Artikel, 5-22. - BUSZELLO erweitert die WALDERsche Interpretation, indem er in den Zwölf Artikeln „das Streben nach persönlicher sozialer Aufwertung" sieht: „Das Ziel ist die Gleichwertigkeit, nicht die Gleichheit - weder im sozialen noch im politischen Sinne"; H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 18.

1.1

D I E ZWÖLF A R T I K E L U N D I H R W I R T S C H A F T L I C H E R , SOZIALER U N D P O L I T I S C H E R H I N T E R G R U N D

Das Anliegen der Zwölf Artikel besteht zunächst darin, die Krise der spätmittelalterlichen Agrarwirtschaft und Agrarverfassung zu überwinden. Klammert man die Forderungen, die der erste und zweite Artikel mit der Pfarrerwahl und der Kommunalisierung des Zehnten ansprechen, zunächst aus, so lassen sidi die Zwölf Artikel in drei übergeordneten Sachgruppen zusammenfassen: Leibeigenschaft, Todfall und Dienste machen einen Komplex aus, Jagd und Fischerei, Holzbezug und Allmende einen zweiten und schließlich Grundherrschaft und die meist aus ihr entwickelte niedere Gerichtsherrschaft und die grundherrlichen Dienste einen dritten. Die Zwölf Artikel sind artifizielles Produkt der Beschwerden einzelner Bauern, Dörfer oder Herrschaften Oberschwabens 1 . U m zu prüfen, ob und in welchem Umfang sie für die Beschwerden der Bauern repräsentativ sind, inwieweit sie tatsächlich die Ursachen des Aufstandes auf den größtmöglichen gemeinsamen Nenner bringen, wird es methodisch sinnvoll sein, die lokalen Artikel auf ihre Einzelbeschwerden hin zu untersuchen und diese zu quantifizieren 2 . Damit lassen sidi audi qualifizierte Aussagen darüber machen, welche Probleme im sub1

G. FRANZ, „Zwölf Artikel", 206. Die 6-seitige Übersicht über die obersdiwäbischen Beschwerden steht vor dem Register als Anhang II, S. 296 ff. Die Auswertung stützt sich auf die Beschwerden von 1. Dem Adel zugeordneten Bauern des Baltringer Haufens: Achstetten (Kr. Biberach), Altbierlingen (Kr. Ehingen), Erolzheim, Walpershofen und Binnrot (Kr. Biberach), Pfänders (Kr. Biberadi?), Unterroth (Kr. Biberadi), Öpfingen-Griesingen (Kr. Ehingen), Edelbeuren (Kr. Biberadi), Bronnen (Kr. Biberach), Elimannsweiler (Kr. Biberadi), Rißtissen (Kr. Ehingen), Warthausen (Kr. Biberadi), Badi (Kr. Ehingen?), Bußmannshausen (Kr. Biberadi), Untersulmetingen (Kr. Biberach), Herrschaft Stadion (Kr. Ehingen). 2. Den Klöstern zugeordneten Bauern des Baltringer Haufens: Schemmerberg-Altheim (Kr. Biberadi), Herrschaft Rot an der Rot (Kr. Biberadi), Sulmingen-Maselheim (Kr. Biberadi), Herrschaft Odisenhausen (Kr. Biberadi), Höfen (Kr. Biberadi), Alberweiler (Kr. Biberadi), Rottenacker (Kr. Ehingen), Attenweiler (Kr. Biberadi), OggelshausenTiefenbadi (Kr. Saulgau), Unterroth (Kr. Biberadi, Illertissen?), Oberholzheim (Kr. Biberadi), Mietingen (Kr. Biberadi), Herrschaft Gutenzell (Kr. Biberadi), Mittelbiberach (Kr. Biberadi), Äpfingen (Kr. Biberach). 3. Den Spitälern und Städten zugeordneten Bauern des Baltringer Haufens: Röhrwangen (Kr. Biberadi), Langenschemmern (Kr. Biberach), Burgrieden-Bühl-Stetten (Kr. Biberadi), Baltringen (Kr. Biberadi), Streitberg (Kr. Biberach?), Baustetten (Kr. Biberadi), Spitalherrsdiaft Biberadi. 4. Südliches Oberschwaben: Herrschaft Schussenried (Kr. Ravensburg), Herrschaft Kißlegg (Kr. Wangen), Rappertsweiler (Kr. Tettnang), Bauern des Seehaufens (Kr. Tettnang-Lindau). 5. Allgäu und Bayerisdi-Sdiwaben: Memminger Dörfer (Woringen, Dickenreishausen, Hitzenhofen, Hart, Buxheim, Steinheim, Memmingerberg, Ungerhausen, Holzgünz, Lauben, Frickenhausen, Arlesried, Dankelsried, Betzenhausen, Daßberg, Erkheim, Gottenau, (Fortsetzung der Fußnote 2 s. S. 33) 2

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

33

jektiven Bewußtsein der Bauern Priorität besaßen 3 . Zu untersuchen, ob und inwieweit dieses subjektive Bewußtsein unverzerrt oder gebrochen objektive Verhältnisse Unterreichau, Wespach, Brunnen, Amendingen, Boos, Pleß, Buxach, Volkratshofen, Priemen, Westerhart), Herrschaft Kempten, Martinszell (Kr. Kempten), Tigen Rettenberg (Kr. Sonthofen), Tigen Marktoberdorf, Weicht (Kr. Kaufbeuren), Wiedergeltingen (Kr. Mindelheim?), Langenerringen (Kr. Augsburg?). Die Beschwerden sind ediert bei G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, Nr. 24,26 a-e, g-i, k, m-r, 28, 30, 31. - DERS., Quellen Bauernkrieg, Nr. 28, 34, b, h, 35, 36, 40, 56. - F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, Nr. 58, 62, 104, 133. - W. VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 34, 47, 55, 59, 67 c, 880, 882, 883, 885-887, 890-892, 895, 898 a, 900, 903. Die Auswertung der Quellen erfolgte nach den mehr als einmal vorkommenden Beschwerden/Forderungen unter folgenden Gesichtspunkten: 1. Religiöse Fragen 1.1 Neues Evangelium 1.2 Pfarrerwahl 1.3 Religion und Kirche (allgemein) 2. Grundherrschaft 2.1 Gültermäßigung bei Unwetter und Mißwachs 2.2 Gült (Zins) 2.2.1 zu hoch 2.2.2 erhöht 2.2.3 anderes 2.3 Rechtsverschlechterung der Güter 2.4 Ehrschatz 2.4.1 zu hoch 2.4.2 erhöht 2.4.3 anderes 2.5 Dienste 2.5.1 abschaffen 2.5.2 zu hoch 2.5.3 erhöht 2.6 Verkaufsrecht der Güter 3. Leibherrsdhafl 3.1 Freiheit von Leibeigenschaft 3.2 Einschränkung der Leibeigenschaft 3.3 Rekognitionsabgaben 3.4 Ungenossame Ehe 3.5 Halbteil-Todfall 3.6 Dienste 3.6.1 abschaffen 3.6.2 zu hoch 3.6.3 erhöht 3.7 Zinser (Rechtsverschlechterung) 3.8 Freizügigkeit 1

3.9 Erbrecht 4. Ortsherrschafl 4.1 Hoch- und Niedergericht 4.2 Rechtsverweigerung 4.3 Reditssprechungspraxis 4.4 „Fremde" Gerichte 4.5 Bußenerhöhung 4.6 Gesetzgebungspraxis 4.7 Gebotsrecht der Gemeinde 4.8 Wahl der Gemeinde „beamten" 4.9 Gemeinde „angestellte" 4.10 Sonstiges 5. Zehnt 5.1 Abschaffung des Kleinzehnten 5.2 Großzehnt (Abschaffung/Einschränkung) 6. Allmende-Forst 6.1 Holz 6.2 (Gemeinde-)Wasser 6.3 Fischerei 6.3.1 frei 6.3.2 eingeschränkt frei 6.4 Weiderechte 6.5 Jagdredit 6.6 Wildschaden 6.7 Allmende (allgemein) 6.8 Sonstiges 7. Dienste (nicht zuordnungsfähig) 8. Steuern 8.1 Reisgeld/Reis 8.2 Steuern (undifferenziert) 8.3 Ungeld 8.4 Sonstiges

Die Beschwerden als Indikatoren für das subjektive Bewußtsein der Bauern auszuwerten, ist der große methodische Fortschritt, den FRANZ in die Bauernkriegsdiskussion eingebracht hat. Vgl. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), VI f. Ein Ergebnis dieser neuen Fragestellung ist der von FRANZ edierte Aktenband.

34

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

Die Beschwerdeschriften a u s d e m oberschwäbischen R a u m

/ Α Stel f H ©Oberholzhei eae .riesingen •Ncnsreri Aystettenen^uurgri lliertissen ABurgrieden Donau J Alibierfingen ^ \ BuhlA"Ro,bei Laupheimyp B»U Untersulmetingei ßm,ann.sha.us,enr*» Rot,ena,.cker Altheim Sche(·mmerbergÄJH _ iBu... Wal pertshofen* Oberstadi•on .Langen- mI ) ABaltn^Mi e t i n qen \\ ngen „ , t •Winterrieden .Frickenhausen Schemmern J >•· S c h ö n e b ü r g Alberweiler· .HÄ*5 ;L _•'·"«» E^lbeuren Λ\ , ® rJiSulmingen Reid.au / Ar|esrjed 1,fre ö n «0h,wong.> ' ; »" . M onheim «·' " | A· anns· ' · Etulm χ #Gut enz?ll [ APleß Δ /AA en _ _ m «weil· Attenweiler · Worthausen/ »·* _ „ ΙLi. Betzenhausen » / Göpperts! !S" BT BErolzheim A B.berach^ \ Bronnen« hofen- Jebenhausen •^•aonlond« • · * $ 'Ringschnait· jHe.mert.ng.n Erkhe.m ^ Hattenburg·/ •Erlinmoos , J*muun•Do, I M « Steinhei igüm .Mittelbüg· λm»Hol AUngerhau, •Ϊ™ L -Buxheim". Λf Ungerhaus9en, Ehrensbergj· er\Hirichbronn ) enA A. Gottenau Engli \\ Tobanronhnheneim im. ( A · Am dingen A F*amoo, Λ H^W-AN»"'* Memmingen Markt -Rettenbach WesterharlΑ| χΧ\ ADickenreishouser "AUixAO Volkraishofen ± Brunnen ADossberg Steinhausen ^Priemen AWoringen

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Langerring!o en

Wiedergeltingen

Morktoberdorf Zeichenerklärung

• Kißlogg

Α

Reichsstadl



Adel



Klöster



Orientierungsorte

^ ^ Regional - Beschwerden •

Lokal-Beschwerden

reflektiert, ist ein erster Ansatz zu einer dringend notwendigen Faktorenanalyse der Revolutionsursachen von 1525 (vgl. Anhang II). Es besteht kein Zweifel darüber, daß die anony.n erschienenen Zwölf Artikel aus dem oberschwäbischen Raum stammen; ob sie lediglich die Lokalbeschwerden der Baltringer Dörfer zusammenfassen 4 , ist nicht mit letzter Stringenz nachgewiesen. Sicher dürfte jedoch sein, daß die Redaktion durch den Memminger Kürsdinergesellen Sebastian Lotzer - möglicherweise mit Unterstützung des Memminger Prädikanten Schappeler-erfolgte, dessen Erfahrungshorizont die oberschwäbischen Verhältnisse waren, zumal Lotzer sowohl mit den Bauern der Memminger Dörfer wie mit den Baltringern in engster Verbindung stand 5 . Selbst wenn die Zwölf Artikel unmittelbar aus den Baltringer Beschwerden herausgewachsen sein sollten,

4

5

Bauernkrieg, 1 2 3 . - Ergänzend und stärker differenzierend Artikel", 206. Abschließend G. FRANZ, „Zwölf Artikel", passim.

G . FRANZ,

DERS.,

„Zwölf

1.1

Die Z w ö l f Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und p o l i t i s i e r Hintergrund

w a r e n sie r e p r ä s e n t a t i v

für den gesamten oberschwäbischen

Raum:

Denn

35 eine

q u a n t i t a t i v e A u s w e r t u n g aller oberschwäbischen A r t i k e l zeigt, d a ß die p r o z e n tualen A n t e i l e d e r Einzelbeschwerden

a n der G e s a m t z a h l

d e r Beschwerden

B e r e i d i des B a l t r i n g e r H a u f e n s n a h e z u identisch sind m i t denen des

im

gesamten

oberschwäbischen Raumes®. W i l l die A n a l y s e der lokalen A r t i k e l m e h r als einen allgemeinen E i n d r u c k v e r m i t t e l n 7 , so müssen die Einzelbeschwerden

quantifiziert

w e r d e n 8 . W a s die Z w ö l f A r t i k e l n u r sehr bedingt zeigen können, das Gewicht der E i n z e l f o r d e r u n g i m V e r b a n d aller Beschwerden, k a n n m i t d e r statistischen A u s w e r t u n g d e r L o k a l - u n d R e g i o n a l a r t i k e l w e t t g e m a c h t w e r d e n , weil so die „ H i e r a r c h i e " der G r a v a m i n a aufgezeigt w e r d e n k a n n .

F a ß t man die Einzelbeschwerden in sachlich zusammenhängende Gruppen zusammen, um Zufälligkeiten der Formulierungen abzugleichen, so ergibt ein Vergleich der Baltringer Lokalbeschwerden mit denen des gesamten oberschwäbischen Raumes Abweichungen von allenfalls 3°/o. So beschweren sich - um nur einige Beispiele zu geben - 51,28°/o der Baltringer Artikel und 5 0 % der oberschwäbischen Artikel (insgesamt) über die Dienste. Bei den Steuern sind die Werte 2 8 , 2 1 % : 2 9 , 6 3 % , beim Großzehnt 4 1 , 0 3 % : 4 0 , 7 4 % , beim Ehrschatz 6 4 , 1 0 % : 6 1 , 1 1 % . 7 Vgl. zusammenfassend G. FRANZ, Bauernkrieg, 122 f. 8 Eine quantitative Auswertung der Beschwerden ist mit methodischen Problemen verbunden, über die im Einzelfall an O r t und Stelle Rechenschaft abgegeben werden soll. Probleme grundsätzlicher Art bestehen darin, daß das für eine statistische Auswertung zur Verfügung stehende Material von 54 Beschwerdeschriften mit annäherend 550 Einzelbeschwerden für den gesamten oberschwäbischen Raum nicht allzu breit ist (ausgespart sind dabei die Beschwerden aus dem Stühlinger und Fürstenberger Raum, die BAUMANN in seinen Aktenband aufgenommen hat; vgl. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 1 8 8 226). Innerhalb Oberschwabens ist die Dichte der Überlieferung sehr ungleich: 39 Beschwerden aus den Dörfern des Baltringer Haufens stehen lediglich 15 aus dem übrigen Oberschwaben (einschließlich des Allgäus und des heutigen Bayerisch-Schwaben) gegenüber. Bei einer Aufschlüsselung der Beschwerden nach herrschaftlicher Zugehörigkeit der Dörfer wirkt der Umstand erschwerend, daß etwa aus dem Gebiet des Baltringer H a u fens zwar die klösterlicher und adeliger Herrschaft unterstehenden Orte mit 15 bzw. 17 Beschwerdeschriften annähernd gleich stark vertreten sind, für die städtisch-spitälischer Herrschaft unterstehenden Dörfer jedoch nur 7 Beschwerdeschriften vorliegen. Schwierigkeiten der Zuordnung ergeben sich daraus, daß teilweise einzelne Orte, teilweise ganze Herrschaften mit oft weit über 2 0 Ortschaften nur eine Beschwerdeschrift erstellen. Schließlich macht die Sprache der Beschwerden gewisse Schwierigkeiten: Wenn ein Artikel die Gülten als zu hoch, ein anderer sie als erhöht bezeichnet, so kann damit sachlich dasselbe gemeint sein, muß es aber nicht. Schließlich spielt der Zeitpunkt der Niederschrift eine entscheidende Rolle: J e früher die Artikel abgefaßt wurden, desto eher entsprechen sie den lokalen Verhältnissen, während bei Artikeln, die erst im März formuliert wurden, schon Abhängigkeiten von anderen Artikeln oder gar den Zwölf Artikeln bestehen können. Solche Schwierigkeiten wenigstens weitgehend zu überwinden, ist möglich, wenn das Beschwerdematerial räumlich und sachlich möglichst differenziert aufgefächert wird, um es entsprechend der jeweiligen Fragestellung in behutsamer Zusammenfassung auswerten zu können. 11

36

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Sowohl quantitativ wie qualitativ steht die Leibeigenschaft

an der Spitze der

Beschwerden: 7 0 % der Dörfer und Herrschaften® verlangen kompromißlos die Aufhebung der Leibeigenschaft -

nimmt man die Einzelbeschwerden gegen die

Rekognitions- und Todfallabgaben sowie gegen die Heiratsbeschränkungen hinzu, so beschweren sich 9 0 % aller Bauern über die Leibherrschaft - , in 24 von 35 Fällen steht der Leibeigenschaftsartikel an erster oder zweiter Stelle. Bei den Klagen über einzelne wirtschaftliche und rechtliche Folgeerscheinungen der Leibeigenschaft steht mit 3 7 % eindeutig die Todfallabgabe im Vordergrund, während sich über die Rekognitionsabgaben und die beschränkte Ehefreiheit 2 7 % bzw. 2 4 % der Bauern beschweren. Die Forderung nach Abschaffung der aus der Leibeigenschaft fließenden Dienste ist hingegen mit 1 1 % recht bescheiden10. Aus dem Gewicht der Einzelforderungen wird zum Teil verständlich, weshalb die Zwölf Artikel die Todfallbeschwerde neben der generellen Forderung nach Aufhebung der Leibeigenschaft eigens verankern. F a ß t man die Einzelbeschwerden über Jagd,

Fischerei,

Holzbezug

und

All-

mende zusammen, so werden in diesem Bereich von 8 1 % der Bauern Forderungen angemeldet. Vorrangig geht es um Sicherung bzw. Erweiterung der Holzbezüge ( 6 1 % ) und Allmend- und Weiderechte ( 4 6 % ) . Die breit dargelegte Forderung nach Restituierung der gemeindlichen Fischereigerechtigkeit in den Zwölf Artikeln • Die folgenden Zahlen- und Prozentangaben beziehen sich auf alle aus dem obersdiwäbisdien Raum verfügbaren Besdivrerdeschriften. Die folgenden Auswertungen basieren auf den einzelnen Artikeln, ein Multiplizieren der von der Bauernschaft einer Herrsdiaft insgesamt eingebrachten Beschwerden mit der Zahl der Ortsdiaflen (die ζ. T. fiktiv sein müßte wie in der Grafschaft Kempten), dürfte das Gesamtbild durdi die zufällige Überlieferung eher verzerren als ausgleichen. Zudem dürfte es für die Fragestellung angemessener sein, den jeweiligen herrschaftlichen Bezugspunkt gegenüber dem numerischen zu betonen. Die Problematik soll an einem Einzelbeispiel verdeutlicht werden. Analysiert man die Beschwerden von Untertanen der Klöster im Einzugsbereich des Baltringer Haufens, so stehen 17 Beschwerdesdiriften zur Verfügung. Unter ihnen ist eine Beschwerdeschrift für die gesamte Herrschaft Ochsenhausen, die um 1525 26 Ortschaften umfaßte. Multipliziert man die Odisenhauser Beschwerden mit 26, redinet also mit insgesamt 42 Ortschaften, so bleiben die Prozentzahlen relativ konstant, wenn man die Beschwerdepunkte in größere Einheiten zusammenfaßt. Auf der Basis der 17 Artikel beschweren sich über die Leibeigenschaft 94,11%>, auf der Basis von 42 Ortschaften 97,67%. Starke Abweichungen hingegen können sidi ergeben, wenn Einzelbeschwerden herausgegriffen werden. Die Halbteil-Todfall-Besdiwerde wird bei der ersten Berechnungsart bei41,17 zu leisten hatten 22 . Anderwärts wie in der Klosterherrschaft Heggbach errechneten sich zumindest die Getreideabgaben ausschließlich nadi der Hofgröße 2 3 , so daß hier eine gleichmäßige Belastung aller Bauern gegeben war; sie erreichte allein bei den Getreideabgaben ohne Berücksichtigung der Zehntabgaben und Küchengefälle 3 0 ° / o des Ertrags 24 . Wenn die H ö f e um 1525 zu hoch belastet waren, so bleibt die Frage zu beantworten, ob die Grundherren die Abgaben gesteigert hatten oder ob andere Gründe für die Klage in den Beschwerdeschriften verantwortlich zu machen sind. Einer willkürlichen Erhöhung der Abgaben standen bis ins 18. Jahrhundert Schwierigkeiten rechtlicher Art entgegen. Erblehengüter, die der Grundherr inner-

18

18

20

21

Im Memminger Gebiet ist der Ehrschatz nach Ausweis der Lehensbriefe selten (StiAM 38/1 zu 1458 und 35/5 zu 1490) erhoben worden. Die Antwort des Memminger Rates auf die Beschwerden der Memminger Dörfer bestätigt, daß der Ehrsdiatz jedenfalls nicht von allen Höfen zu entrichten war. Vgl. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 123 f. - Im Gebiet des Klosters Rot wird von Erblehengütern kein Ehrsdiatz erhoben; W. N U B E R , Rot, 302 f. Allerdings ist ein Ehrsdiatz (10fl/o des Gutswertes) bei Verkauf üblich. - In den Herrschaften Weingarten, Weissenau und Ravensburg wird kein Ehrsdiatz vor 1525 erhoben, hingegen in der Waldburger Herrschaft; D. W. SABEAN, Landbesitz, 35. - Dagegen ist in Ochsenhausen eine Besitzwediselabgabe (5%> Abfahrt, 10°/o Auffahrt) seit 1502 üblich. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 32. 1458 wird das Gut von Konrad Schmelz in Dickenreishausen (LK Memmingen) mit zusätzlich 1 Malter Korn belastet, weil der Ehrsdiatz in Höhe von 20 fl, der aufgrund der Gutsvergabe von 1452 bezahlt werden sollte, noch nicht entrichtet ist. Gemessen an den jährlichen Naturalabgaben bedeutet das eine Belastungssteigerung um 15°/o. Derselbe Inhaber sieht sich 1468 gezwungen, wegen Zins- und Gültrückständen in Höhe der jährlich anfallenden Abgaben den Hof aufzugeben; StiAM 38/1. In Mietingen müssen die Gutsinhaber offensichtlich jährlich 32 Sch h als Ehrschatz an die Äbtissin von Heggbach entrichten. P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 168. So in Alleshausen 1520. P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 411.

22

D . W . SABEAN, L a n d b e s i t z , 62 ff.

25

Nach der Dorfordnung von Mietingen von 1456 sind von jedem Jauchert 5 Viertel Roggen und 5 Viertel Hafer zu entrichten? P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 164. Die Berechnung geht davon aus, daß die Hektarerträge im südlichen und nördlichen Oberschwaben in etwa gleich waren. Unter Zugrundelegung der Ertragsberechnung von D. W. SABEAN, Landbesitz, 57, ergibt sich für Hafer in Mietingen ein Hektar-Ertrag von 3 2 8 , 0 1 kg, dem Abgaben in Höhe von 9 8 , 2 8 kg gegenüberstehen. Für die Umrechnung der Flächen- und Hohlmaße vgl. D. W. SABEAN, Landbesitz, 163 und CH. HEIMPEL, Biberach, 97 f. Ähnliche Werte dürften für die Klosterherrschaft Rot (nach dem Urbar von 1 5 1 8 ) gelten. Höfe in der Größenordnung von 3 0 bis 4 0 Jauchert ( 1 5 - 2 0 ha) entrichteten durchschnittlich 20 Malter Korn, 8 Sch h und 50 Eier. Vgl. W. NUBER, Rot, 235 ff.

24

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politisier Hintergrund

55

halb einer Familie verleihen mußte, konnten in der Regel nicht höher belastet werden. Für leibfällige oder nur auf eine bestimmte Zahl von Jahren ausgegebene H ö f e konnten selbstverständlich bei jedem Besitzwechsel die Bedingungen neu festgesetzt werden 25 . Für die Erblehengüter ist in der Tat eine wachsende Belastung nicht nachzuweisen: D i e Abgaben bleiben über Jahrhunderte konstant, lediglich über die Besitzwechselgebühren konnte der Grundherr - im wesentlichen allerdings erst seit dem 16. Jahrhundert - an möglichen Agrarkonjunkturen partizipieren 26 . Bei den leibfälligen oder auf nur einige Jahre ausgegebenen Gütern blieb gleichfalls in der Mehrzahl der Fälle die Belastung konstant 27 oder erhöhte sich nur geringfügig 28 . Selbst dort, w o man auf den ersten Blick eine erhebliche Belastungssteigerung vermuten würde, wie bei einem Gut in Frickenhausen, dessen Abgaben 1495 gegenüber 1474 auf das Doppelte anstiegen 29 , muß man in Rechnung stellen, daß die höheren Abgaben durdi Gutsvergrößerungen bedingt sein können 30 . Eine spürbare, ins Gewicht fallende Höherbelastung der Güter ist seitens der Grundherren vor 1525 nicht erfolgt. Die berechtigte Beschwerde der zu hohen Belastung muß somit andere Gründe haben. Unerträglich hoch belastet konnten die Güter vor allem dann erscheinen, wenn der Grundherr trotz mehrerer Miß-

25

Soweit sich sehen läßt, wurde im Memminger Gebiet lediglich in einem Lehensbrief (1474 Sölde in Frickenhausen) die Bestimmung inseriert, daß der Grundherr die Abgaben auch während der Laufzeit des Vertrages erhöhen konnte. StiAM 58/1. Ansonsten bestätigen alle Lehensbriefe, daß die Abgaben während der Vertragsdauer nicht erhöht werden dürfen. So audi CH. HEIMPEL, Biberach, 22. 2 * Das Beispiel auf S. 56 und S. 57 aus dem Memminger Einflußbereidi greift einen exemplarischen Fall heraus, der deswegen gewählt wurde, weil sich der Hof besonders weit ins Mittelalter zurückverfolgen läßt. 27 D. W. SABEAN, Landbesitz, 35, hat dies für den zentraloberschwäbischen Raum um Weingarten-Ravensburg nachgewiesen. Um dem Entstehungsgebiet der 12 Artikel näherzukommen, wurden rund 300 Lehensbriefe und -reverse der Memminger Dörfer untersucht. Das für die vorliegende Fragestellung relevante Material (Lehensbriefe und -reverse v o r 1525) findet sich in S t i A M 2 9 / 1 , 2 , 9 ; 3 0 / 2 , 6 ; 3 5 / 5 ; 3 8 / 1 , 2 ; 5 5 / 2 ; 5 8 / 1 , 3 , 4 ; 63/7, 28

28 30

9,10. - Gleiches bestätigt sich für die Klosterherrsdiaft Rot; vgl. W. NUBER, Rot, 254. Als Beispiel für die Art der Belastungssteigerung wird ein Hof in Betzenhausen, der grundherrlidi im 15. Jahrhundert Memminger Bürgern, im 16. Jahrhundert dem Memminger Unterhospital unterstand, vorgeführt (siehe S. 58). StiAM 58/1. Im allgemeinen weisen die Lehensbriefe und -reverse die Größe der Güter nicht aus; eine Zuordnung zu Urbaren ist nur in wenigen Fällen möglich. Nur dort, wo die Urkunden eindeutig festhalten, daß der Bauer Ν. N. einen Hof im bisherigen Umfang übernommen hat - eine Angabe, die in aller Regel gemacht wird - , läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß das Gut unverändert vom Vorinhaber übernommen wurde.

56

TEIL 1

K R I S E DES F E U D A L I S M U S

ernten, wie sie für die Jahre vor 1525 nachzuweisen sind 31 , keine Zinsreduktion gewährte, sondern die Abgaben in voller Höhe eintrieb 82 . Immerhin findet sich in 28°/o der Beschwerdeschriften der Baltringer und in 24°/o der Klageartikel aller oberschwäbischen Bauern die Forderung nach Gültermäßigung bei Unwetter und Mißwachs 88 . Bei Durchsicht der Bestandsurkunden und urbariellen Aufzeichnungen fällt darüber hinaus zweierlei auf, was den Gültartikel erklären könnte: die rasche Zunahme der Sölden 84 und die nodi bis ins 16. Jahrhundert vorangetriebene Rodung 8 5 . D . W. SABEAN, Landbesitz, 115. " CH. HEIMPEL, Biberach, 21. - D . W. SABEAN, Landbesitz, 78. M D a s Problem als solches ist wohl so alt wie die Grundherrsdiaft selbst und wurde von Fall zu Fall unterschiedlich gelöst. So mußte das Kloster Rot seinen Untertanen in Haslach aufgrund eines Schiedsspruches des oberschwäbisdien Landvogts 1425 Gültnachlaß bei Mißwachs und Krieg gewähren. W. NUBER, Rot, 333. 94 Für das Memminger Gebiet deutlich erkennbar in Dickenreishausen (StiAM 38/1) und Frickenhausen (StiAM 58/1). - Für die Klosterherrschaft Rot W. NUBER, Rot, 235 f. " So in Betzenhausen (StiAM 58/4), Frickenhausen (StiAM 58/1) und Arlesried (StiAM (Fortsetzung der Fußnote 35 s. S. 57) Zu Anm. 26 auf S. 55 31

Mußbach

Grundherr: Spital Memmingen Abgaben Spital

Hofgröße Jahr

1398

Acker in Jauchen



Wiesen tn Tagwerk



Holz in Tagwerk



1449

16'/2

20

15% + 2„Schachen"

1465

16'/2

20

15'/2 + 2 Hölzer

1489

Korn (Memminger Maß)

Heugeld

8 Malter

1 Pfd. h



8 Malter

Schirmgeld





1 Pfd. h

10 Sch. h

Dienstgeld

Hennen













Aufgrund einer unerlaubten Gutsteilung zwischen Vater und Sohn fällt das Gut an das Spital heim und wird neu vergeben.

1574

47

17



10 Malter

5 Pfd. h



1597

47

17



10 Malter

5 Pfd. h



1626

47

17



10 Malter

5 Pfd. h



1 Pfd. 1 Sch.h

3

1 Pfd. 1 Sch.h

3

1 Pfd. 1 Sch.h

3

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

57

Dies - und gelegentliche erlaubte 38 oder unerlaubte 37 Gutsteilungen - lassen auf eine starke Nachfrage nach Gütern seitens der Bauern schließen, die bei der offensichtlich hohen Belastung der H ö f e nicht wirtschaftlich motiviert gewesen sein dürfte. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß Bevölkerungsbewegungen gleichermaßen die verstärkte Nachfrage und die als zu hoch empfundene Belastung verursacht haben 88 .

34

37

38

55/2) für den Herrschaftsbereich der Stadt Memmingen. - Vgl. ergänzend K. FEHN, Mittelschwaben, 122 ff., 157, 163. FEHN weist einen starken Zuwachs der Sölden seit 1450 nach. Rodung ist auch im Bereich der Klosterherrsdiaft Rot nachzuweisen, vgl. W. NUBER, Rot, 258; HStASt, Β 486 U 118. Für die Klosterherrschaft Rot ist nachzuweisen, daß Güter faktisch geteilt wurden, wenn sie auch gegenüber dem Grundherrn nur einen Inhaber hatten. Das Kloster forderte in solchen Fällen die doppelten Dienste. W. NUBER, Rot, 247 (ein Beispiel unter vielen). 1483 teilt Konrad Widemann seinen vom Unterhospital Memmingen erblehenbaren Hof mit seinem Sohn und wird deswegen abgestiftet. StiAM 29/1. Vgl. dazu unten S. 79 ff.

St. Afra Hühner

Eier

Gänse

Flachs

Ehrschatz

6 Viertel K o m aufgrund von

Leiheform

Hofinhaber

Quelle

Erblehen

Hans Widemann

StiAM 29/1

Jörg Widemann

StiAM Fol. Bd. 16, fol. 72

Jörg Widemann

StiAM Fol. Bd. 17, fol. 49

Christian Burcklin

StiAM 29/1



13'/, Jauchen Acker

5 Viertel













8

150

1

3 Pfd.

8

150

1

3 Pfd.

175 fl

8

150

1

3 Pfd.

300 fl



Erblehen —

Erblehen

Niclaus Burcklin

Erblehen

Jörg Burcklin

Erblehen

Niclaus Burcklin

StiAM Fol. Bd. 20, fol. 427 f.

TEIL 1

58 1.1.2.2

Forst und Allmende

- Jagd und

KRISE DES FEUDALISMUS

Fischerei

D i e beiden Forderungen der Z w ö l f Artikel, langfristig eine ausreichende Versorgung der bäuerlichen Wirtschaft mit Bau-, Brenn- und Z a u n h o l z durch Restituierung der Gemeindewälder sicherzustellen u n d die Jagd - unter besonderem H i n weis auf den Wildschaden - freizugeben, haben eine gemeinsame Wurzel: H o l z , der wichtigste Rohstoff des Mittelalters u n d der frühen N e u z e i t , w a r in einer beängstigenden Weise k n a p p geworden 1 . I n f o l g e der starken Nachfrage der zahlreichen oberschwäbischen Reichsstädte erzielten v o r allem Bau-, aber auch Brennh o l z hohe Preise; sie verleiteten zunächst z u einem Raubbau a m Wald, d e m bald die Einsicht folgte, d a ß nur durch eine Forstschutzpolitik auf lange Sicht G e w i n n e Zu Anm. 28 auf S. 55 Betzenhausen

Grundherr:

Memminger

Bürger (Vöhlin)

Spital

Abgaben

Roggen in Malter (M) und Viertel (V)

Hennen

Hühner

1474

30

15



3 Μ 4 Pfd. h

1

6

150

15 Jahre

Hans Gänsler

StiAM 58/4

1486

30

15



3 Μ 4 Pfd. h*

1

6

150

4 Jahre

Hans Mangier

StiAM 58/4

6Μ 4V

3 Μ 4 Pfd. 4 V 7 Sch. h

1

6

150

einleibfällig

Hans Mangier

StiAM 58/4

6Μ 4V

3 Μ 5 Pfd. 4 V 7 Sch. h

2

6

150 4 Pfd.

einleibfällig

Franz Maier

StiAM, Fol. Bd. 20, fol. 262 f.

1494

1574

35

17

Leiheform

Inhaber

Quelle

Flachs

Heugeld

Wiesen in Tagwerk

υ ÜJ

Jahr

Hafer in Malter (Μ) und Viertel (V)

Ackcr in Jauchen

Hofgröße

* + 7 Sch. h von einer Wiese, die nicht in das Gut gehört. 1

Vgl. speziell f ü r Oberschwaben und das Alpenvorland insgesamt die Belege bei F. v. HORNSTEIN, Wald, passim, zusammenfassend 116. Für die allgemeine forstgeschiditliche Literatur vgl. S. 113 Anm. 1. — Einen anschaulichen Einblick in die Verteilung von Siedlung, landwirtschaftlicher Nutzfläche und Wald wenigstens f ü r einen Teil Obersdiwabens bietet eine Karte von Ph. Reulin von 1589 im Landesmuseum in Stuttgart. Die neueste forstgeschichtliche Untersuchung f ü r Oberschwaben berührt die vorliegende Fragestellung kaum, bietet aber einen guten Überblick über die Forstbezirke und ihre rechtliche Zugehörigkeit. R. KIESS, Forsten in Oberschwaben während des Mittelalters, in: Ulm und Oberschwaben 40/41 (1973), 69—122.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

59

zu erzielen sein würden. E i n weiterer A n r e i z zu verbesserter Bewirtschaftung der Forsten erwuchs aus der Jagdleidenschaft der adeligen und geistlichen H e r r e n , w a r doch durch den R a u b b a u a m W a l d n a t u r g e m ä ß audi der Wildbestand

zurück-

gegangen. E s w a r naheliegend, die Gewinne aus dem F o r s t durch eine Einschränkung der bäuerlichen N u t z u n g s - und Bezugsrechte zu steigern und zu sichern 2 . I m Spätmittelalter hatten die oberschwäbischen B a u e r n gelegentlich durch Verkohlung v o n Buchenholz 3 oder H o l z v e r k a u f 4 d a und d o r t zusätzliche E i n k o m m e n erzielen können -

v o r allem wenn ihre Gemeinde-, E i g e n - und Lehenwälder o d e r ihre

Nutzungsrechte

verkehrsgünstig

lagen,

das

heißt,

das H o l z

verschifft

werden

konnte 5 . Diese Rechte ließen sich ausgangs des 15. und zu Beginn des 16. J a h r hunderts nur selten behaupten®. Schwerer wog für die bäuerliche Wirtschaft, d a ß die H o l z b e z ü g e fixiert oder reduziert und die W a l d w e i d e erheblich eingeschränkt w u r d e n 7 . D e n Lehengütern wurden die ihnen zugeschlagenen W a l d a n t e i l e (Lehen-

2

3 4

5

β

7

Besonders eindrucksvoll dokumentiert diesen Sachverhalt P. GEHRING mit seiner Edition der D o r f - und Gerichtsordnungen und Weistümer, die allerdings nur das nördliche Oberschwaben decken. Vgl. P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 95, 98, 165, 221 f., 3 3 8 , 3 6 1 , 4 1 2 , 542 f., 632. So in der Herrschaft Zeil. Vgl. F. v. HORNSTEIN, Wald 48. Vgl. die Hinweise bei F. v. HORNSTEIN, Wald, passim, bes. 21, 151 (für das Allgäu), 152 (für das Augsburger Gebiet). - Weitere Belege für das nördliche Oberschwaben bei P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen 95, 165, 222. Geflößt wird auf Donau, Iiier, Wertach, Aitrach, Schüssen etc. Vgl. die Hinweise bei F. v. HORNSTEIN, Wald, passim. Aus dem Herrschaftsgebiet der Reichsstadt Memmingen wird lediglich in einem Lehensbrief für einen H o f im Rodungsgebiet (Betzenhausen) festgehalten, daß der Hofinhaber berechtigt ist, 5 Klafter Holz jährlich zu verkaufen; StiAM 58/4. — Die Bauern des Fürststifts Kempten und des Hochstifts Augsburg konnten durch einen Vertrag von 1512 ihre Bezugs- und Weiderechte und ihre Verkaufsrechte behaupten. F. v. HORNSTEIN, Wald, 151, die Kemptener klagen allerdings 1525 über ein Holzverkaufsverbot; vgl. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, Nr. 65, Art. 10. - Gelegentlich wird der Holzverkauf in den Lehensbriefen ausdrücklich verboten; so etwa 1474 für einen H o f in Betzenhausen; StiAM 58/4. - So auch in Überlingen, vgl. W. GÜNTHER, Forstgesdiichte, 45. - In Mietingen bei Baltringen wird schon 1456 den Bauern verboten, Holz aus dem Gemeindewald zu verkaufen; vgl. P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 165. - So auch in Mähringen und in den Klosterherrschaften Söflingen und Ochsenhausen; ebd. 98, 222, 314. Die Dorfordnungen und Verträge vor 1500 legen die Vermutung nahe, daß sich die Bauern teilweise nach Bedarf und Belieben der herrschaftlichen Wälder bedienen konnten, wie etwa die Klosteruntertanen von Weissenau in Ummendorf: „Zum ailften als die von Umendorff vermainen, ime herren von Ow uff sin aigen grund und boden holtz ze howen und darumb nichts schuldig werden, es werd den ainer daran begriffen - hab ich gemacht." P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 338. - Vgl. auch die interessanten Veränderungen zwischen 1480 und 1494; ebd. 338 bzw. 361. Ein Privileg König Sigmunds für das Kloster Rot verbietet dessen Untertanen die Beholzung aus den Klosterwäldern. HStASt, Β 486 U 95 (Vidimus).

60

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

hölzer) weitgehend entzogen 8 , die Nutzungsrechte reguliert®. Im Altdorfer Wald waren seit 1531 nur mehr Erlen und Hainbuchen zu schlagen erlaubt 10 . Nach einem Vertrag von 1454 waren die Untertanen des Klosters Schussenried nicht berechtigt, Eichen und Buchen zu schlagen. Bauholz sollte ihnen nach einer entsprechenden Eingabe zugewiesen werden 11 . In Jungingen bei Ulm suchte man den Verbrauch durch Geldforderungen einzuschränken 12 . Anderwärts wurden die Deputate auf eine bestimmte Holzmenge beschränkt1*. Die Verkürzung der Holzbezüge begleitete eine Einschränkung der Waldweiderechte 14 . Waren in Oberschwaben durch die bis ins 16. Jahrhundert reichende Rodung 15 , durch den Brandwaldfeldbau 1 ® 8

So ist etwa nach dem Urbar des Memminger Unterhospitals von 1574 (StiAM, Fol. Bd. 20) den Gütern das Holz entzogen, das noch in Lehensbriefen des 15. Jahrhunderts als Pertinenz des Gutes verzeidinet wird (StiAM 29/1, 35/5). Um 1500 häufen sich die Bestimmungen, daß von den Hölzern, die zu den Gütern gehören, nichts geschlagen werden darf (StiAM 35/5 Lehenbrief für ein Gut in Hart 1498; StiAM 30/6 Lehenbrief für ein Gut in Attenhausen 1518 etc.). • Besonders deutlich läßt sidi dieser Vorgang in der Klosterherrsdiaft Rot nachzeichnen. Die Bauern hatten ihren Bedarf zunächst aus den zu den Gütern gehörenden Hölzern oder aus den Allmendwäldern zu decken; die herrschaftlichen Bannwälder standen ihnen nur dann zur Nutzung zur Verfügung, wenn sie nicht über Lehen- bzw. Eigenhölzer und Gemeindewälder verfügten. 1396 versucht das Kloster diese Rechte aufzuheben, muß sie den Bauern allerdings aufgrund eines Schiedsspruches wieder zugestehen (Zell). Im 15. Jahrhundert übt das Kloster über alle Arten von Wäldern ein Aufsichtsrecht mit der Begründung, Raubbau verhindern zu müssen. Gleichzeitig wird den Bauern jeder Holzverkauf, auch aus dem eigenen Wald, verboten. 1456 schließlich werden die Waldweiderechte für jeden Bauern beschränkt (Bauer: 4 Schweine; Söldner: 2 Schweine). Das Sammeln von Eicheln und Bucheckern wird bei Strafe verboten. W. NUBER, Rot, 312 ff. 10 11

12

15

11

15

F . v. HORNSTEIN, W a l d , 39 f. F. v. HORNSTEIN, W a l d , 89.

So nadi der Satzung von 1445. Die Geldzahlungen schwanken zwischen 5 Sdi. h (für einen Handwagen?) und 1 Pfd. h (für einen bespannten Wagen?). P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 95. 1 Pfd. h entspricht etwa dem Heugeld, das ein ganzer Hof an den Grundherrn jährlich zu zahlen hat. 1512 wird zwischen dem Augsburger Spital und der Gemeinde Gabelbach ein Vergleich geschlossen, der den Holzbezug eines Bauern auf 19, den eines Söldners auf 10 Klafter (ausgenommen Tannen und Eichen) beschränkt. Zimmerholz wird auf Bitten nach Bedarf zugeteilt. F. v. HORNSTEIN, Wald, 168. HStASt, Β 486 U 197; 1481 VII. 6 (Prozeß zwischen dem Abt von Rot und einem Bauern um das Recht, Eicheln zu lesen. Die erste Instanz, das mit Bauern besetzte Gericht von Rot, bestätigt das Recht, Eicheln zu lesen, das Appellationsgericht gibt dem Abt Recht). Für Mittelschwaben K. FEHN, Mittelschwaben, 122 ff., 157, 163. - Für das Memminger Gebiet ist Rodung in Betzenhausen (StiAM 58/4), Frickenhausen (StiAM 58/1), Arlesried (StiAM 55/2) und Dickenreishausen (F. v. HORNSTEIN, Wald, 157) nachweisbar. Für das Allgäu, die Bodenseegegend und das südliche Oberschwaben vgl. die Nachweise bei F. v. HORNSTEIN, Wald, 32, 38, 48, 98. - Vgl. ergänzend die Ergebnisse der Ortsnamenforschung, R. DERTSCH, Historisches Ortsnamenbuch von Bayern, Schwaben, Bd. 1 (Marktoberdorf), Bd. 3 (Kaufbeuren), Bd. 4 (Kempten), 1953, 1960, 1966.

" F. v . HORNSTEIN, W a l d , 105, 115.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

61

und den Kahlschlag für den Verkauf 17 die Waldflächen ohnehin reduziert worden, so daß selbst in Rodungsgebieten die Zahl der Schweine, die in den Wald getrieben werden durften, beschränkt werden mußte 18 , so erfolgte durch die Forstschutzpolitik eine noch weitergehende Einschränkung, weil größere Flächen als bisher gebannt und die Zeiten, in denen die Wälder gebannt waren, ausgedehnt wurden 19 , wenn der Weidgang nicht schlechterdings ganz verboten wurde 20 . Die Notwendigkeit einer Forstschutzpolitik haben die Bauern nicht bestritten. Sie versichern in den Zwölf Artikeln, daß bei Erfüllung ihrer Forderung „nit Ausraitung des Holz geschehen wirt", da Gemeindebeauftragte für eine geordnete Waldwirtschaft sorgen sollten21. Allerdings hatten sie kein Verständnis dafür, daß sich die Grund- und Forstherren auf ihre Kosten bereicherten, denn in der Tat waren die Einkünfte der Feudalherren aus dem Holzverkauf erheblich22. Es gab wohl kein oberschwäbisches Kloster, das im ausgehenden 15., beginnenden 16. Jahrhundert nicht seine Revenuen durch Holzverkauf erheblich gesteigert hätte 23 . Gleiches gilt selbstverständlich audi für den Adel 24 . Allein im Jahre 1562 verkaufte das bescheidene Kloster Gutenzell für 3000 fl Holz an die Reichsstadt Ulm 25 . 1554 veräußerten die Fugger aus ihrer Herrschaft Boos an Ulm um 7000 fl Buchenholz 28 - aus derselben Herrschaft, die sie erst drei Jahre zuvor um die vergleichsweise lächerliche Summe von 29 000 fl von Memminger Bürgern gekauft hatten 27 . Die wirtschaftliche Bedeutung des Holzes wird schließlich dadurch unterstrichen, daß die Städte versuchten, sich durch das Ankaufen von Wäldern von ihren Zu-

17 18

Vgl. die Belege unten S. 116 Anm. 27, 28. StiAM 55/2.

" F. v . HORNSTEIN, W a l d , 1 0 4 . 20

21

22

In Gabelbach (bei Augsburg) soll das Holz, die „Viehweid" genannt, „der gedachten Eichen- und Tännen-Reiser halben allzeit in Bann liegen und ein jeder der obgemeldeten Reiser bei einem Gulden Strafe verboten sein". Zitat nach F. v. HORNSTEIN, Wald, 168. Für ähnliche Fälle ebd. 157. - In einem Prozeß zwischen dem Abt von Odisenhausen und den Bauern von Waltenhofen erreicht das Kloster, daß die Waldweide den Untertanen verboten wird, mit der bezeichnenden Begründung, als Leibherr sei der Abt berechtigt, solche Verbote zu erlassen. HStASt, Β 486 U 199; 1483 I. 16. Es läßt sich nachweisen, daß die Gemeinden dieses Problem sdion im 15. Jahrhundert in aller Deutlichkeit erkannten, und - soweit sie über die Gemeindewälder selbst bestimmen konnten-entsprechende Vorsorgemaßnahmen trafen, die der landesfürstlichen Forstschutzpolitik entsprachen. Vgl. für Mähringen P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 98. V g l . F. v . HORNSTEIN, W a l d , 93, 9 9 .

25

Vgl. die Belege für Kempten, Isny, Ochsenhausen, Gutenzell u. a. bei F. v. HORNSTEIN, Wald, 26, 92, 95. " Für die Waldburger vgl. F. v. HORNSTEIN, Wald, 48. 25 2

F. v . HORNSTEIN, W a l d , 1 0 6 f.

« F. v. HORNSTEIN, W a l d , 158.

27

Fuggerarchiv Dillingen 153,4.

62

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

lieferern unabhängig zu machen 28 , auf der anderen Seite die Grundherren um die Ausdehnung ihrer Wald- und Forstanteile bemüht waren 29 . Ein weiteres Motiv, die Bauern möglichst aus den Wäldern fernzuhalten, war die Jagdleidenschaft der Feudalherren. Unzweideutig drückt sich die Innsbrucker Regierung gegenüber dem Forstmeister in der Markgrafschaft Burgau aus 3 0 : Die Eichen- und Buchenwälder seien deswegen besonders zu schützen, weil sie für das Rot- und Schwarzwild die Nahrung liefern und ihm als Unterstand dienen. Freilich sollte dieser summarische Überblick 31 nicht vergessen machen, daß je nach Region und herrschaftlicher Zugehörigkeit das Ausmaß der Einschränkung von Bezugs- und Nutzungsberechtigungen unterschiedlich war. Im Allgäu, dem zweifellos waldreichsten Gebiet Oberschwabens um 1500, sind Klagen über Einschränkung der Holzrechte selten, während sie bei den Bauern des Baltringer Haufens weit verbreitet sind. Feststellen läßt sich auch, daß in Adels- und Klosterherrschaften die Klagen über ungenügende Holzbezüge und Weiderechte sehr viel häufiger 32 sind als in städtischen Gebieten. Schon vor 1525 suchten die Bauern in den Verträgen zwischen Herrschaft und Gesamtuntertanenschaft die Holzbedürfnisse längerfristig zu sichern 33 . Interessanterweise wird das Jagdrecht nachhaltig nur von den Untertanen des Adels gefordert (26,66°/o), während die Bauern der Klöster und Spitäler diese Forderung nicht erheben. Das heißt nicht, daß sie weitergehende Jagdrechte besessen hätten als die Untertanen des Adels 34 , bedeutet vielmehr, daß Prälaten und Bürger nicht oder nur wenig jagten und daher den Wildbestand in den klösterlichen und städtischen Wäldern nicht eigens hegten. So wurden die Feldkulturen seltener durch Wild- und Jagdschaden 35 verwüstet. In den Zwölf Artikeln werden

28 2i

F . v . HORNSTEIN, W a l d , 1 5 4 ( f ü r K a u f b e u r e n ) , 1 7 0 f. ( f ü r A u g s b u r g ) . 1 5 1 0 e r w i r b t das K l o s t e r Ochsenhausen die H e r r s c h a f t W a i n a n d e r Iiier m i t ausdrücklichem H i n w e i s a u f die W ä l d e r . F . v . HORNSTEIN, W a l d , 9 8 . - H i e r z u g e h ö r t auch die Privatisierung

von Waldallmenden;

ebd. 9 5 . D i e R e i c h s s t a d t

Ulm

verbietet

der

Ge-

m e i n d e J u n g i n g e n schon 1 4 4 5 H o l z aus d e m W a l d zu f ü h r e n , w a s bisher offensichtlich g e s t a t t e t w a r , m i t A u s n a h m e v o n W e i d e n u n d Besenreis, die jedoch nicht v e r k a u f t w e r d e n d ü r f e n . P . GEHRING, O b e r s c h w a b e n R e d i t s q u e l l e n , 9 5 . 30

D i e Q u e l l e n d a t i e r e n z w a r erst v o n 1 5 5 0 , doch dürften die hier gegebenen A n w e i s u n g e n

31

Forstgesdiichtlidie

auch f ü r f r ü h e r e Z e i t e n gelten. V g l . F . v . HORNSTEIN, W a l d , 1 6 3 . Untersuchungen,

die

eine

weitergehende

Differenzierung

erlauben

w ü r d e n , fehlen. 82

E s ergeben sich f o l g e n d e W e r t e : 80°/o d e r adeligen U n t e r t a n e n bringen den H o l z -

und

F o r s t a r t i k e l ein ( K l ö s t e r : 7 0 , 5 8 % ; S t ä d t e u n d S p i t ä l e r : 5 7 , 1 4 ° / o ) . B e i den B e s c h w e r d e n gegen die E i n s c h r ä n k u n g d e r W e i d e r e c h t e sind die Z a h l e n 60°/o : 4 1 , 1 7 ° / o : 2 8 , 5 6 % . 33

F ü r Sdiussenried v g l . SAARBRÜCKER ARBEITSGRUPPE, Leibeigenschaft in O b e r s c h w a b e n , 2 1 . - F ü r O d i s e n h a u s e n G . FRANZ, Q u e l l e n B a u e r n k r i e g , 3 5 f.

34

D a s k o n n t e allenfalls d o r t gelten, w o freie P i r s c h b e z i r k e lagen w i e u m B i b e r a c h

und

M e m m i n g e n . V g l . die P i r s c h o r d n u n g für B i b e r a c h v o n 1 5 1 1 bei P . GEHRING, O b e r s c h w a ben Rechtsquellen, 1 7 4 f. 35

F . L . BAUMANN, A k t e n B a u e r n k r i e g , 3 5 3 f.

Bauernkrieg,

114,

Nr.

104. Vgl. H .

HEIMPEL,

Fischerei

und

Abb. 2 Jagdszene vor dem Hintergrund eines Dorfes. Federieidmung aus dem Hausbuch des Truchsessen von Waldburg um 1480/90 Im Vordergrund eine adelige Jagdgesellschaft. Im Hintergrund Zeichen der Herrschaft über die Bauern in Form von Burg (links) und R a d und Galgen (rechts). Die Häuser des Dorfes sind in Fachwerkbauweise ausgebradit, das Dorf selbst mit einem (geflochtenen) Etter umgeben. Angedeutet ist redits vom Dorf die Parzellierung der Flur und das Pflügen mit P f e r d e n ; der rechte Bildrand weist mit den aufgespannten Netzen auf die Bedeutung der Niederjagd (Hasen) hin.

64

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Allmendforderungen der Bauern, soweit sie sidi nicht auf Holzbezugs- und Waldweiderechte beziehen, nur an einer Stelle formuliert, wenn die Rückgabe entfremdeter Gemeindewiesen und -äcker gefordert wird. Eine Auswertung der Lokalbeschwerden zeigt, daß die Allmende offensichtlich wenig Konfliktstoff lieferte, jedenfalls nicht zwischen Bauer und Herrschaft. Weder die Baltringer (12,82°/o) noch die oberschwäbischen Bauern insgesamt ( 1 1 , 1 1 % ) beklagen sich über die Verletzung ihrer Allmendrechte besonders häufig, allein die klösterlichen Untertanen ( 2 3 , 3 2 % ) hatten offensichtlich Anlaß, über Nutzungsbeschränkungen zu klagen. Die Ochsenhauser Untertanen beschwerten sich 1502, daß der Abt die Allmenden um Zins verleihe und die Brachen seiner Eigenwirtschaft für den Viehauftrieb banne; unter dem Druck des Schwäbischen Bundes mußte sich das Kloster verpflichten, künftig Allmenden nur mit Zustimmung der Bauern zu vergeben und den Viehtrieb auf die Klosterbrachen zu gestatten 36 . Wo sich die Sölden und Kleinbauernstellen nachweislich vermehrten 37 , mußte sich der Viehbesatz der H ö f e verringern. Eine zunehmende Reglementierung des Viehbesatzes läßt sich um 1500 in den Dorfordnungen nachweisen. Vor 1500 konnte im allgemeinen jeder H o f soviel Vieh halten wie er über den Winter bringen konnte 3 8 . Wurden die Allmendberechtigungen für den einzelnen H o f beschnitten, dann mußten die Erträge der ein- und zweimähdigen Wiesen schon teilweise im Sommer verfüttert werden. Dadurch verringerte sich der Viehbesatz, und das heißt das persönliche Vermögen. Die Festschreibungen scheinen in der T a t restriktiven Charakter zu haben 3 *. Im Vergleich zu den wenigen Forderungen nach Freigabe der Jagd sind die nach unbeschränkter Fischerei sehr viel häufiger. Nimmt man an, daß der Forderung nach Fischerei und nach Freigabe der Gewässer im Kern derselbe Sachverhalt zugrunde liegt, dann beschweren sich über diesbezügliche Einschränkungen unter den Baltringer Dörfern adeliger und klösterlicher Zugehörigkeit mehr als die Hälfte 4 0 . Möglicherweise wollten die Bauern mit der Forderung nach Freigabe der

36 37

G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 35. Vgl. als Ergänzung zu früheren Anmerkungen für das südliche Oberschwaben D . W . SABEAN, Landbesitz, passim. Für das nördliche Oberschwaben standen in der Klosterherrschaft R o t nach dem Urbar von 1518 Höfe, „Gütlein" und Sölden in einem Verhältnis von 51,16 : 27,13 : 21,17. Berechnungen aufgrund der Auswertung des Urbars von 1518 nach W. NUBER, Rot, passim.

Für R o t H S t A S t , Β 4 8 6 U 118. - Für Kempten vgl. R . DERTSCH (Hg.), Das stiftkemptisdie Salbudi von 1527 (Alte Allgäuer Geschlechter 24), 1941. J * In Algershofen wird 1509 jedem Haus 4 Sdiafe und 12 Gänse zu halten erlaubt (über Großvieh werden keine Bestimmungen getroffen). P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 407 f. - In Söflingen dürfen pro Pferd ( = 1 ft H o f ) 1 Rind und 4 Schafe gehalten werden. Ebd. 229. Vgl. die detaillierteren, aber mit Söflingen verwandten Bestimmungen für Alberweiler ebd. 630 ff. - U m Memmingen kommen 1527 auf 1 Pferd 3,2, um Kempten 4 , 3 - 5 , 1 Rinder. R . DERTSCH, Das stiftkemptische Salbuch von 1527, I V . 38

40

Adel 5 3 , 3 3 % , Klöster 66,67°/», Städte-Spitäler 14,28°/o.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

65

Flüsse und Bäche oder Restituierung der Gemeindewässer audi die Bewässerung der Wiesen sicherstellen. Bei den fehlenden Voruntersuchungen und den mehr zufälligen Quellenfunden läßt sich nur unter Vorbehalt sagen, daß man den Bauern offensichtlich das Wässern ihrer Wiesen und das Tränken des Viehs verbot, teilweise mit der höhnischen Begründung, daß die Fischbestände darunter zu leiden hätten 41 . Derartig willkürliche und schikanöse Bestimmungen wurden von der sog. Fischenzgerechtigkeit abgeleitet 42 , auch wenn die Herrschaft nicht in allen Gewässern das Fischereirecht beanspruchen konnte. Wie unnachsichtig Übertretungen solcher Gebote geahndet wurden, zeigt das Roter Beispiel: Der Abt drohte den Untertanen den Kirchenbann an, sollten sie die Bestimmungen nicht einhalten 43 . Selbst wenn man beide Beschwerden streng auseinanderhält, wird die Freigabe der Fischerei noch häufig genug gefordert 44 . Ausgangs des 15. Jahrhunderts vermehren sich offensichtlich die Verbote der Fischerei45, ohne daß im Einzelfall genau zu sagen wäre, ob es sich hier um Neuerungen handelt. Für eine derartige Vermutung sprechen die Dorfordnungen und Weistümer, die zumindest im 15. Jahrhundert in der Regel nur formulieren, was nicht selbstverständlich ist; dafür sprechen auch gewisse Rechtsunsicherheiten bei den Herren, die etwa darin zum Ausdrude kommen, daß sich das Kloster Rot eigens von Kaiser Maximilian das exklusive Fischrecht in der ganzen Herrschaft bestätigen läßt 4 · und gleichzeitig mit kaiserlicher Billigung die Strafen f ü r Fischfrevel um das Zwanzigfache erhöht. Die hohen Bußen, mit denen die Fischfrevel belegt werden, deuten an, daß es schwierig war, solche Gebote durchzusetzen. H ä t t e sich der Bauer der Gefahr hoher Strafen bis zum Kirchenbann ausgesetzt, wenn er nicht auf die Fischspeise angewiesen gewesen wäre und hier ein altes Recht zu verteidigen glaubte? Verführerisch ist der Gedanke, in der Forderung nach freier Jagd und Fischerei ein revolutionäres Symbol zu sehen, weil Fleisch und Fisch Herrenspeise waren 47 . Der Hintergrund der Zwölf Artikel jedoch zeigt, daß der Jagdartikel auf die adeligen Dörfer beschränkt und an Gewicht weit hinter der Fischereiforderung zurück bleibt. Eine innere Kohärenz besitzen beide Forderungen nur bedingt, in der Realität insofern, als sie beide in wirtschaftlichen Problemen des Bauern wurzeln - sowohl Wildschaden wie Fischereientzug drückten auf den bäuerlichen Haushalt - , in der Legitimation insofern, als sie beide mit der Genesis begründet wurden.

41

HStASt, Β 486 U 922. - W. NUBER, Rot, 325.

« Ebd. 43 HStASt, Β 486 U 922. 44 Adel 33,33%, Klöster 35,29%. Bei den städtisch-spitälisdien Dörfern fehlt die Beschwerde. 45

P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 228 f., 342, 631 f.

4t

HStASt, Β 486 U 304. H. HEIMPEL, Fischerei und Bauernkrieg, 353-372.

47

TEIL 1

66 1.1.2.3

K R I S E DES FEUDALISMUS

Dienste und Fronen

Dienste und Fronen sind synonyme Begriffe und geben für eine Kategorisierung der Dienstleistungen nichts her, zumal um 1500 der sachliche Zusammenhang zwischen Fron als Leistung für den Herrn und dem unbestimmteren Dienst, der etwa auch für die Bedürfnisse der Dorfgemeinde geleistet werden mußte, nicht mehr deutlich erkannt wurde, wie dies etwa durch den sprachlich sinnlosen Begriff „Gemeindefronen" zum Ausdruck kommt. Die Verfasser der Zwölf Artikel und der Lokalbeschwerden waren nicht mehr in der Lage, Dienste und Fronen exakt bestimmten Herrschaftsberechtigungen zuzuordnen, so daß es große Schwierigkeiten macht, festzustellen, über weldie A r t von Fronen sich die Bauern beschwerten. Grundherr, Leibherr und Gerichtsherr (Vogt) konnten Dienstleistungen von den Bauern fordern: zur Bewirtschaftung des Herrenhofes, zur Versorgung der Burgen und Klöster mit Brennholz, zum B a u und Unterhalt von Burgen und Straßen. Zum Teil waren die Fronen gemessen, das heißt die Zahl der Frontage und Dienstleistungen pro J a h r war für jeden H o f genau festgelegt, zum Teil waren die Dienste ungemessen und konnten bei Bedarf von den Herren jederzeit in Anspruch genommen werden. Weil um 1 5 0 0 Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft schon weitgehend zusammenfielen, ist es außerordentlich schwierig zu sagen, aus welcher Herrschaftsberechtigung Fronforderungen deduziert wurden. Bei aller Vorsicht, die hier geboten ist, wird man als wahrscheinlich annehmen dürfen, daß die grundherrlichen Fronen weitestgehend gemessen waren. Solches ergibt sich aus den Lehensbriefen und -reversen, die die Pflicht des Grundholden gegenüber dem Grundherrn festhalten. Nun erheben die Z w ö l f Artikel gegen die Grundherren den Vorwurf, die Leiheverträge hinsiditlich ihrer Bestimmungen über die Dienste nicht einzuhalten. Bei der Durchsicht der Lehensbriefe zeigt sich, daß nur die wenigsten Bestimmungen über die Dienstpflichten enthalten und wenn die Dienstpflichten verzeichnet werden, dann beziehen sie sich nur auf die gemessenen F r o nen, die etwa in der Grundherrsdiaft des Memminger Spitals bei zwei bis drei Tagen 1 , in der Klosterherrschaft Marchtal bei zwei bis vier Tagen 2 , in der Klosterherrschaft R o t bei vier Tagen 3 , im Fürststift Kempten 4 und in der Montforter H e r r schaft Argen bei vier bis sechs Tagen 5 , in der Klosterherrschaft Ochsenhausen bei

1

StiAM 35/5; Fol. Bd. 20.

2

P . GEHRING, Obersdiwaben Reditsquellen, 410.

» W . NUBER, R o t , 3 0 7 .

* P . BLICKLE, Landschaften, 3 7 4 f . 5

HStASt, Β 123" Bü 171.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

16 Tagen® i m Jahr lagen 7 . Seltener findet sidh der Passus, d a ß neben den

67

fixierten

D i e n s t e n Fronen in unbestimmter H ö h e nach den örtlichen oder herrschaftlichen G e w o h n h e i t e n z u leisten seien 8 . D i e ungemessenen Fronen - nur auf sie k a n n sich die Beschwerde beziehen -

müssen w o h l z u einem Z e i t p u n k t aktuell

geworden

sein, als die Formel, der H o f i n h a b e r müsse d e m Grundherrn „gehorsam, gerichtsbar, dienstbar, steuerbar u n d raisbar" sein, in die Lehensbriefe eingerückt w u r d e 9 . H i e r spiegelt sich ein herrschaftsgeschichtlich entscheidender, auch für die bäuerliche Erhebung relevanter P r o z e ß : die U m b i l d u n g der Grundherrschaft zur Obrigkeit 1 0 , die auch Dienstleistungen

w i e die ungemessenen

Fronen

für sich

reklamieren

k o n n t e , die d e m Grundherrn als solchem w o h l nicht z u s t a n d e n . D i e Frage, o b die ungemessenen Fronen unter oder über den gemessenen lagen, b e a n t w o r t e n

die

• E . GRUBER, O c h s e n h a u s e n , 126. 7

8 9

10

Bei der genauen Berechnung der Fron- und Diensttage ergeben sich deswegen Schwierigkeiten, weil im Einzelfall nicht zu sagen ist, ob die geforderten Dienste etwa nur einen halben Tag oder gar mehr als einen Tag erfordern. Vgl. die Bestimmungen für Alleshausen: „Von der dienst wegen, so soll h i n f u r o ain jeder arman zu Alleshuwsen und Brachsenberg, der vier roß hat, des jars drey fert mit der menin, item ainer, der drew roß hat, zwu fert, item ainer, der zway roß hat, audi zwu fert järlichen uff ain halbe meyl wegs faren und thon, wahin es aim herren von Marchtall geföllig ist, item ainer, der nit mer dann ain roß hat, soll alle jar ain klaffter holtz machen oder vier krützer d a r f ü r geben, item ainer, der kain roß hat, soll audi alle jar ain klaffter holtz machen oder vier krützer d a r f ü r geben und sollen deshalb mit biet gehalten werden, wie ander nachpuren die iren halten". P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 410. - Die Bauern der Herrschaft Argen (Grafen von M o n t f o r t ) leisten vier Dienste auf dem Bodensee, weiter müssen sie je einen Tag schneiden und heuen, 5 Fuder H o l z in das Herrschaftshaus führen, 2 Tage „ähren" und zum Abtransport von H e u und K o r n von den Feldern 2 Fahrten leisten. H S t A S t , Β 123 (II) Bü 171. So in Frickenhausen (StiAM 58/1) und Arlesried (StiAM 55/2). Mit Ausnahme von Arlesried, wo die Formel schon 1441 begegnet (StiAM 55/2), läßt sie sich f ü r andere O r t e wie Didcenreishausen (StiAM 38/1), Betzenhausen (StiAM 58/4) und Frickenhausen (StiAM 58/1) erst seit den 1470er Jahren belegen. Sehr deutlich wird der Zusammenhang zwischen Grundherrschaft und Ortsobrigkeit im Eid, den die Mietinger Bauern der Äbtissin von Heggbach zu leisten haben. „Item wenn man ain hoff verlicht: diss gut verliech ich dir; des ersten solt du es bulich und wesenlich halten, hus und hof und hofraiti, garten und meder, und aber die solt du halten bulich wesenlich aen urbu, darvon nuez versezen noch verliehen aen wissen ainr aptissin, d a r nach dienstbar sin mit allen diensten, darnach die gult [geben] und gehorsamen und grichtbar [sein], aim fleken zu steg und zu weg und zu stur und wachten, und was ain fleken anlit, gehorsam zu sind und recht niemen und geben vor unserm geriditstab, und wyter kain herrn noch schirm suchen aen erlobung, du salt odi die gult und rent zu den zilen und tagen, als man es dir bstimpt, [bringen], und sie due guelt sol rog und haber sin, und nit tresdien noch wirben koffmansgut, und uff unser erlobung gen Bibrach oder her zu fieren und messen. Darnach spricht m a n : diss wirst du geloben, und wenn er gelopt, denn licht im ain hoffmaister von der hand und spricht zu im: also lieh ich dir nach lantsbruch und gewonhait." Druck bei P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 169.

TEIL 1

68

KRISE DES FEUDALISMUS

wenigen Quellen des Spätmittelalters kaum 1 1 - wegen der geringen grundherrlichen Eigenwirtschaft bestand sicherlich wenig Bedarf an Fronen. Belastend konnten die Jagdfronen sein, die um 1500 wohl nur die Untertanen des Adels zu leisten hatten, wie sich aufgrund der Forderung nach freier J a g d gerade in Adelsherrschaften erschließen läßt 1 2 , belastend konnten die Fuhrfronen sein, die besonders klösterliche Untertanen zu erbringen hatten, um den Wein vom Bodensee in die oberschwäbischen Klosterkeller zu schaffen 18 , belastend konnten die Fuhr- und Baufronen für die Burgen, Schlösser und Klöster sein, wenn sie wie von den R o t e r Klosterleuten „sovil und offt mans begert" zu leisten waren 1 4 . Konkrete Angaben über die tatsächliche Belastung der Landwirtschaft insgesamt durch die Dienste werden schwer zu gewinnen sein, weil ihre Inanspruchnahme von J a h r zu J a h r und von Herrschaft zu Herrschaft je nach den Erfordernissen schwanken konnte. In den D o r fOrdnungen geht die Tendenz im 15. Jahrhundert dahin, die Zahl der Dienste offenzulassen und lediglich die allgemeine Dienstpflicht zu betonen 1 5 . Unruhen, wie sie wegen Fronsteigerungen in der Herrschaft Söflingen ausgebrochen waren, führten nicht dazu, daß sich das Kloster zu einer Fixierung der Jahresdienste bereit fand 1 4 . O b der E n t w u r f des Ratsgutachtens der Stadt Memmingen die Verhältnisse in Oberschwaben korrekt wiedergibt, wenn er auf die Beschwerden der Memminger Bauern indigniert antwortet, in den umliegenden Herrschaften seien bis zu zwei Dienste wöchentlich zu leisten 17 , mag dahingestellt bleiben. Selbst wenn die Belastung erheblich geringer gewesen sein sollte, ist es nicht unverständlich, daß die Bauern gegen die ungemessenen Fronen vorgehen, weil bei starker Nachfrage nach Bauernwirtschaften - auch in Form von Sölden - und einer teilweise an die Grenze des Möglichen geratenen Belastbarkeit der H ö f e die Bauern wohl nicht selten auf Zuerwerb durch Lohnarbeit angewiesen waren, der geregelt nachzugehen ihnen die ungemessenen Dienste nicht erlaubten.

1.1.2.4 Landsteuern und Reissteuem D i e steuerliche Belastung der Bauern bestand mit starken

regionalen

Unter-

schieden in Ungeld, Land- und Reissteuern. Das Ungeld, als Konsumsteuer in den

Vgl. D . W. SABEAN, Landbesitz, 50, 53 f. " Vgl. J . VOCHEZER, Geschichte des Hauses Waldburg II, 630 ff. 15 W. NUBER, Rot, 308. Einzelne Bauern haben bis zu viermal jährlich an den Bodensee zu fahren. " Ebd. 15 P. GEHRING, Obersdiwaben Reditsquellen, 165, 169, 222 f., 410. 11 P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 222 ff. " StaAM 341/6. 11

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

69

Städten eine durchaus geläufige Abgabe, wurde auf dem Land selten erhoben 1 und gab offensichtlich audi zu Beschwerden keinen Anlaß 2 . Gravierender waren die Landsteuern, die jedoch nur in bestimmten Herrschaften verlangt wurden: Im Allgäu sind sie offensichtlich weit verbreitet, während sie in der Mehrzahl der oberschwäbischen Herrschaften fehlen. Dies läßt sich damit erklären, daß es im Allgäu wenig grundherrlich gebundenen Boden gab und die Herrschaften ihre Einkünfte bezogen, indem sie die Eigengüter über die Person besteuerten. In der Montforter Herrschaft Staufen wurde 1467 die bisher übliche pauschale Steuersumme der Gesamtuntertanenschaft durch eine einhalbprozentige Vermögenssteuer ersetzt 3 , die 1496 von den Grafen von Montfort auch in der Herrschaft Argen eingeführt wurde 4 . Derartige Landsteuern sind auch für die Augsburger Pflegämter Marktoberdorf 5 und Rettenberg-Sonthofen· nachzuweisen. In der Grafschaft Kempten wurde auf der Basis eidlicher Selbsteinschätzung die Landsteuer erst nach 1525 mit V»°/o des Vermögens festgeschrieben7, während im 15. Jahrhundert offensichtlich recht willkürlich verfahren wurde 8 . Auf den ersten Blick scheint dieser Steuersatz niedrig, er konnte jedoch unter Umständen 40°/o des Geldwertes der grundherrlichen Abgaben ausmachen8. Dabei sei freilich an dieser Stelle nochmals betont, daß die Güter im Allgäu großteils bäuerlicher Eigenbesitz waren. So ist es verständlich, daß sich im Allgäu nur die Kemptener Bauern über die Landsteuern beschweren, offensichtlich wegen der willkürlichen Erhebung und der ständigen Steigerung. Waren die Landsteuern nur regional verbreitet, so wurden die Reissteuern in allen Teilen Oberschwabens erhoben, wenn auch gegen härteste Widerstände: Die Reissteuer einzutreiben war mit rechtlichen Komplikationen verbunden, weil die Wehrpflicht der Untertanen räumlich, zeitlich und sachlich beschränkt war - auf

1

P. GEHRING, Oberschwaben Reditsquellen, 167, 227. 2,56°/o bzw. 1,85% der Baltringer bzw. obersdiwäbisdien Artikel beschweren sich über das Ungeld. * O. RIEDER, Urkundenkuriosa, 117 ff. * HStASt, Β 127 (II) Bü 168. Dafür verzichtet der Graf auf die Verlassenschaft seiner Untertanen. 5 P. BLICKLE, Personalgenossensdiaften und Territorialgenossenschaften im Allgäu, 204 ff. * A. SCHRÖDER, Zur Wirtschafts- und Verfassungsgesdiidite des Hochstifts Augsburg, in: Jahrbücher des Historischen Vereins Dillingen 20 (1907), 123-153. 7 A. WEITNAUER, Die Bauern des Stifts Kempten 1525/26, 43 f. 8 Nach Aussagen der Bauern wurde die Steuer von ihnen als einmalige Hilfe bewilligt, aus dieser einmaligen Hilfe eine Verbindlichkeit abgeleitet, und nach und nadi die Steuern von 800 Pfd. h auf 1600 Pfd. h gesteigert. HStAM, Fürststift Kempten, Münchener Bestand, Lit. 304 b. * Umrechnungen bei P. BLICKLE, Landschaften, 354 f. !

70

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

das Gebiet der Herrschaft, auf einen Tag und auf Fälle der Landesnot 1 0 . Die Anforderungen des Reiches und des Schwäbischen Bundes - sie wuchsen mit der Türkengefahr und den Ordnungsproblemen Oberdeutschlands - , führten dazu, daß sich ausgangs des 15. Jahrhunderts die Stände neuen Belastungen ausgesetzt sahen, die sie zunächst auf die Untertanen umzulegen suchten. Weil Reichs- und Bundessteuern nichts anderes waren als ein Ersatz für nicht geleistete Heerfahrtspflicht, wäre es rechtlich korrekt gewesen, diese Summen aus den Kameraleinkünften zu finanzieren. Die Rechtsproblematik scheint sowohl den Herren wie den Bauern bewußt gewesen zu sein. In der Klosterherrschaft Rot kam es 1488 wegen einer Steuer für den Schwäbischen Bund zu Unruhen, in deren Gefolge die Rädelsführer gefangengenommen und die Bauern durch ein Schiedsgericht der Rittergesellschaft St. Jörgenschild zur Zahlung der Bundessteuern verpflichtet wurden 11 . Wohl um ähnlichen Vorfällen vorzubeugen, erwirkte der Prälat von Rot 1497 von König Maximilian ein Privileg, das es ihm erlaubte, die Reichssteuern auf seine Untertanen abzuwälzen 1 2 - dies ein doch recht eindeutiges Indiz für die rechtliche Unsicherheit auch auf Seiten des Klosters. Auch anderwärts hielten die Bauern die Umlage der Reichs- und Bundessteuern - beide werden mit dem Begriff der Reissteuer gefaßt, womit terminologisch seitens der Herren die unterschiedlichen rechtlichen Ursprünge verwischt werden - für unberechtigt. Weingartner Leibeigene vertraten die Ansicht, ihre Gült- und Zinszahlungen verpflichteten den Herrn, sie zu beschützen, ohne sie nochmals mit Steuern zu belasten 13 . In Ochsenhausen waren die Bauern zur Zahlung der Reissteuer nur unter der Voraussetzung bereit, daß ihre leibfälligen Güter in Erblehen umgewandelt würden. Nur dann seien sie der Lehenspyramide integriert und verpflichtet, die Lasten des Reichs mitzutragen 14 . Sicher schwingen hier ältere Rechtsvorstellungen mit wie sie der Schwabenspiegel formulierte: „Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz si uns beschirrmen" 15 . Die Rechtsproblematik wird nochmals klar beleuchtet, wenn im 16. Jahrhundert zwischen den Herrschaften und den Untertanen Kompromisse geschlossen wurden, durch die der Herrschaft ein Drittel oder ein Viertel der Reichs- und Bundeslasten aufgebürdet wurde wie in Ochsenhausen, Kempten, Rothenfels und der Landvogtei Schwaben 18 . 10

Für Obersdiwaben fehlen bis heute die Belege in größerer Dichte. Bei der beschränkten Wehrpflicht im gesamten oberdeutschen Raum (vgl. zusammenfassend P. BLICKLE, Landschaften, 483 ff.) können gleiche Verhältnisse für Obersdiwaben angenommen werden. Entsprechend argumentieren die Bauern von Baustetten: „Kain rayß oder ander styer zu geben, es sey denn ain landzkrieg oder Landzstür"; W . VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 884.

11

HStASt, Β 488 Bü 207. HStASt, Β 486 U 821.

12 13

D . W . SABEAN, L a n d b e s i t z ,

14

HStASt, Β 481 Bü 10. Zit. nach O . BRUNNER, Land und Herrschaft, 263.

15 le

55.

Z u s a m m e n f a s s e n d P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n ,

502-510.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

71

Aufstände, wie sie in R o t u n d Odisenhausen audi durch die Erhebung der Reissteuern ausgelöst wurden, m a d i t m a n nicht allein, um wirtschaftlich belanglose Rechtsansprüche durchzukämpfen. Indes ist es schwer, konkrete Vorstellungen von der H ö h e der Belastung f ü r die bäuerliche Wirtschaft zu bekommen. N a c h Schätzungen f ü r das J a h r 1519, als der Schwäbische Bund gegen H e r z o g Ulrich von Württemberg zu Felde zog, belastete die Reissteuer einen H o f mit rund V2 fl monatlich 1 7 . Natürlich fielen solche Steuern nicht regelmäßig an, dennoch w ä r e dies eine enorme Belastung. I m Kloster R o t w u r d e n Reissteuern a u f g r u n d der Reichsabschiede nachweislich 18 1507, 1510, 1522 u n d 1524 erhoben 1 9 ; Angaben über die Forderungen des Schwäbischen Bundes fehlen, so d a ß Steuern zweifellos auch noch in anderen J a h r e n anfielen. Bei sehr vorsichtiger Schätzung w i r d man die steuerliche Belastung eines durchschnittlichen H o f e s bei einer einfachen Reissteuer mit 1 fl zu veranschlagen haben 2 0 . Falls die H ö f e an der Grenze der Rentabilität lagen, k o n n t e die Reissteuer eine spürbare Mehrbelastung bedeuten, die u m so hartnäckiger zurückgewiesen w u r d e , als sie ganz fraglos vor dem E n d e des 15. J a h r h u n d e r t s nicht üblich und darüber hinaus die rechtliche Basis f ü r ihren Einzug äußerst schmal war. Freilich, auch hier läßt sich zeigen, d a ß die Reissteuer Probleme allein zwischen den P r ä laten und den Bauern schuf: In adeligen und städtischen Herrschaftsgebieten w u r d e die Reissteuer k a u m in die Artikel aufgenommen 2 1 . Der oberschwäbische Adel k a m seinen Reichs- u n d Bundesverpflichtungen offenbar mit seiner Mannschaft nach, die Städte dürften die Reissteuern weitgehend über ihre H a u s h a l t e b z w . ihre Spitäler 2 2 finanziert haben.

17 18

18 20

21

22

D. W. SABEAN, Landbesitz, 55. Die Zahlen nach den vorhandenen Quittungen des Kaisers bzw. der Reichsstädte Augsburg und Nürnberg und einem Steuerbuch (1524), die nicht vollständig sein müssen. HStASt, Β 486 U 273, 280, 313 und Β 488 Bü 983. Nach dem Steuerlibell von 1524, das wegen sehr eigenwilliger Abbreviaturen des Schreibers schwer zu deuten ist, wurde offensichtlich eine einprozentige Vermögenssteuer erhoben. HStASt, Β 488 Bü 983. Das Libell verzeichnet zu jedem Namen das geschätzte Vermögen und mehrere Steuerposten (ζ. T. von anderer Hand). Die Berechnung geht davon aus, daß die verschiedenen Posten nicht im selben Jahr erhoben wurden. - 1507 zahlt Rot an Maximilian 150 fl. Umgerechnet auf die Höfe entspräche das einer steuerlichen Belastung von ca. 1 fl 3 Sch. h pro Hof, umgerechnet auf alle Anwesen ergibt sich eine durchschnittliche Belastung von V2 fl. Die Reichsanlagen waren nach den vorhandenen Quittungen zu schließen in etwa gleich, 1507: 150 fl, 1510: 96 fl, 1522: 135 fl. Bezogen auf alle oberschwäbischen Artikel beschweren sich über das Reisgeld gegenüber dem Adel 18,75%, gegenüber den Städten 10%, gegenüber den Klöstern 50%. Vgl. CH. HEIMPEL, Biberadi, 83 ff. Das Spital zahlt mit 9191 Pfd. h zwei Drittel der Steuern, die Biberadi für den Feldzug gegen Herzog Ulrich aufzubringen hat. Offensichtlich wurden die Bauern vor derartigen Abgaben verschont.

TEIL 1

72 1.1.3

KRISE DES FEUDALISMUS

V O N DER „ H E R R S C H A F T " ZUM „KLEINSTAAT " - VOM „ H O L D E N " ZUM „ U N T E R T A N E N "

Den Bereich der Rechtspflege und Verwaltung attackieren die Zwölf Artikel, wenn sie die Ungerechtigkeiten mit besonderer Betonung der willkürlichen Bußund Strafbestimmungen ausdrücklich anprangern und tendenziell eine Erweiterung der gemeindlichen Selbstverwaltung für Forst-, Allmend-, Kirchen- und Vermögensfragen verlangen. Beide Forderungen lassen sich, nachdem die Probleme der Agrarwirtschaft einigermaßen bekannt sind, unschwer erklären: Der Zugriff der Feudalherren auf Forst und Allmende konnte nur durchgesetzt werden, wenn die kommunalen Organe durch herrschaftliche ersetzt oder zu herrschaftlichen Befehlsempfängern degradiert wurden; daß es hierbei - und nicht nur in diesem Gebiet, wie etwa die Entwicklung der Leibeigenschaft deutlich zeigt - neuer Rechtssetzungen bedurfte, die zum Teil auch die Dorfgerichte ihrer rechtsschöpferischen Funktion beraubte, ist einsichtig und hinreichend nachgewiesen. Kontrolliert man die Aussagen der Zwölf Artikel mit den Lokalbeschwerden, so gewinnen die Forderungen, die unmittelbar auf die Feudalherren als „Gesetzgeber", als „Riditer", als Obrigkeit zielen, ein sehr viel schärferes Profil. Die Fragen der Gemeindeautonomie stehen in Oberschwaben hinter den Problemen der Rechtsprechung weit zurück 1 . Freilich darf die Verkopplung beider Anliegen nicht übersehen werden. Eine Rechtsprechung nach älteren Gewohnheiten fordern konnte heißen, die Kompetenzen der Dorfgerichte im ursprünglichen Umfang wieder herstellen zu wollen. Dessen ungeachtet ist es verständlich, daß die Lokalbeschwerden als Spiegel der Ursachen stärker die konkreten Belastungen betonen, während die Zwölf Artikel aufgrund ihres programmatischen Charakters in höherem Maße darauf reflektieren, wie die Forderungen, sollten sie eingelöst werden, langfristig gesichert werden konnten. Im Bereich der Rechtspflege stehen die Vorwürfe gegen die Rechtsprechungspraxis (40,74%>) an der Spitze, während die Ladung vor „fremde" Gerichte (24,07%) und die Klagen wegen Rechtsverweigerung (12,96°/O) zweitrangig erscheinen. Bei stärkerer Differenzierung nach herrschaftlicher Zugehörigkeit zeigt sich deutlich, daß die Beschwerden gegen die Rechtsprechungspraxis in den Adelsherrschaften (40°/O) und Klosterherrschaften (47,05%) des Baltringer Haufens sehr viel häufiger sind als in den städtisch-spitälischen Dörfern (14,28%), während umgekehrt sich vor allem städtische Untertanen über die Ladung vor fremde Gerichte beschweren (42,85%) 2 , was insofern einsichtig ist, als die städtischen Territorien noch nicht durchgehend ihren grundherrschaftlichen Bereich durch die Gerichts-

Ober Einschränkung der Gemeindekompetenzen klagen b z w . eine Erweiterung der Gemeinderechte fordern 25,93°/o der Besdiwerdeschriften; den Bereich der Gerichtspflege tangieren 53,70°/o. * Klosterherrschaften 2 9 % , Adelsherrschaften 20°/o. 1

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

73

barkeit hatten absichern können 3 und daraus Kompetenzschwierigkeiten mit den benachbarten adeligen und klösterlichen H e r r n

entstehen konnten. Wenn

die

Bauern auf reichsstädtischem Territorium gegenüber Bürgermeistern und Räten selten die Reditsprechungspraxis angreifen (14,28°/n), so ist es auch nicht verwunderlich, daß sie sich nie über Eingriffe in die Gemeinderechte beschweren. Jene Beschwerden, die sich vornehmlich gegen den Adel und die Geistlichkeit als Obrigkeit richten, spiegeln gebrochen Veränderungen in der Art der H e r r schaftsausübung, wie sie während eines rund ein Jahrhundert dauernden Prozesses vor 1525 stattgefunden hatten. Die Fortschreibung des Rechts, die Rechtsprechung und die Verwaltung lagen noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts wohl in stärkerem Maße in gemeindlich-genossenschaftlicher H a n d als um 1525. Der zunächst lässige Umgang des Adels und der Klöster mit Herrschaftsrechten erlaubte im Weg der Delegation deren „Kommunalisierung": Die zahlreichen oberschwäbischen Reformklöster waren zunächst ihrem religiösen Anliegen in höherem Maße verpflichtet und verhielten sich herrschaftlich indifferent, solange das Dotationsgut und die Seelgerätstiftungen der monastischen Gemeinschaft eine hinreichende Existenzgrundlage sicherten; der oberschwäbische Adel - aus der Reichsministerialität zumeist herausgewachsen -

sah seine Funktion vornehmlich darin, in königlichen und

kaiserlichen Diensten tätig zu sein. Das vermutbare Desinteresse an Herrschaftsrechten noch im 14. Jahrhundert wird schließlich auch verständlich, wenn man die starke Stellung der oberschwäbischen Reichslandvögte bedenkt, die im 14. J a h r hundert mit Hochgerichtsbarkeit, Forsthoheit, Geleitsrecht, Schirmvogtei über die Klöster und Rechte in den Reichsstädten deutlich daran erinnerten, daß Schwaben fundamentale Bedeutung für die staufische Herrschaft gehabt hatte. D e r dörfliche Bereich, die agrarische Gesellschaft erledigt die elementarsten „staatlichen" Aufgaben der Friedewahrung und Rechtssicherung aus sich selbst heraus, nur nach außen war der adelige Schutz nicht zu entbehren. In der Praxis wurden die D ö r f e r durch bäuerliche Ammänner, Richter, Vierer und Gemeindepfleger verwaltet: Sie regelten die komplizierte Drei-Felder-Wirtschaft, den Weidgang, die Bewässerung der Wiesen und teilten die Holzbezüge zu; sie erließen, teils im Auftrag der Herrschaft, Gebote und Verbote zur Sicherung des dörflichen Zusammenlebens; sie sprachen im Dorfgericht Recht über Fälle der freiwilligen und niederen Gerichtsbarkeit 4 . I m 15. Jahrhundert verlagerten sich die Kompetenzen

3

4

Die Bürger, Spitäler und Städte konnten vorwiegend auf Kosten des verarmenden niederen Adels auf dem Land Fuß fassen. Der Adel trennte sich zunächst von seinen Gütern, die Herrsdiaftsredite (Gericht, Zwing und Bann) aber suchte er möglichst lang in seiner Hand zu halten. Zusammenfassend mit Belegen auch aus dem oberschwäbischen Raum K. S. BADER, Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde (Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, 2. Bd.), 1962. - P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, passim. - P. BUCKLE, Memmingen, 2 4 4 - 2 5 3 .

74

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

im administrativen und jurisdiktioneilen Bereich von der Dorfgemeinde zur Herrschaft. Die Obrigkeit nahm auf die Wahl der gemeindlichen Organe stärkeren Einfluß und verdrängte sie schließlich durch die Ernennung 5 , wiewohl der dürftige herrschaftliche Beamtenapparat nadi wie vor dazu zwang, die Verwaltung und Rechtssprechung durch Gemeindemitglieder ausüben zu lassen. Sie freilich standen nun stärker unter herrschaftlicher Kontrolle, die obrigkeitlidie Gebots- und V e r botsgewalt sorgte nachhaltiger dafür, daß die Interessen von Adel und Klöstern - neue Interessen! - im D o r f durchgesetzt wurden: D e r Gemeindewald, die Gewässer, die Weide, der Feuerschutz, der Gottesdienst erfreuten sich plötzlich der herrschaftlichen Aufmerksamkeit; die Dorfgerichte verfielen durch die detaillierten obrigkeitlichen B ü ß - und Strafnormen zu Ruinen, weil sie mehr und mehr ihre Funktion der Rechtsschöpfung einbüßten. Möglidi, daß soziale Spannungen, oligardiisdie Verkrustungen, wirtschaftliche Krisen das D o r f als politischen Organismus da und dort lebensunfähig gemacht hatten; möglich, daß es „Got dem allmaechtigen zuo lob und (den) . . . undertanen . . . zuo pesserung, audi zuo auffung und merung i m ern, hab und guotz"·, zur Förderung des „gemeinen N u t z e n s " 7 schlechthin, notwendig war, in stärkerem M a ß e ordnend in den dörflichen Bereidi einzugreifen. N ä h e r freilich liegt es, den Ursprung solcher Fürsorge in einem gewandelten Herrschaftsverständnis zu suchen. Schon die auffällige Verdichtung der Dorfordnungen im 15. Jahrhundert 8 - sie sind der schriftliche Niederschlag von Kompetenzdifferenzen - spricht für die Aufmerksamkeit, die man nun Verwaltungsaufgaben widmete. Zur selben Zeit werden in den Klosterherrsdiaften die geistlichen Prokuratoren und Schaffner durch weltliche Amtleute ersetzt®. Die Amtmänner, Hofmeister oder Vögte, die meist reichsstädtischen Familien entstammten, nahmen sich energischer und erfolgreicher der Verwaltungs-, Polizei- und Gerichtsaufgaben a n : Sie sorgten für die Eintreibung der Strafgelder, kontrollierten die Maße, inspizierten die Mühlen, führten Grenzbegehungen durch, beaufsichtigten den Zehnteinzug und überprüften die Rechnungen; ihnen unterstanden gelegentlich eigene Polizeitruppen, die den herrschaftlichen Maßnahmen den nötigen Nachdruck geben konnten, die aufrührerische Bauern einschüchtern und renitente Untertanen festnehmen konnten, die dann in den nun auch nachweisbaren Gefängnissen verschwanden.

Wahl durch die Gemeinde vgl. P. GEHRING, Obersdiwaben Rechtsquellen, 74, 99, 168, 262. Für stärkere Mitwirkung der Herrschaft ebd. 165, 213 f., 410; für Einsetzung durdi Obrigkeit ebd. 146, 238, 410. • Präambel der Herrschaftsordnung von Söflingen von ca. 1495. P. GEHRING, Oberschwaben Reditsquellen, 213. 7 Ebd. 213, 538. 8 Für Obersdiwaben liegen bis jetzt vor 1400 kaum Weistümer oder Dorfordnungen vor; vgl. die Quellen bei P. GEHRING, Obersdiwaben Rechtsquellen. ' H.-M. MAURER, Territorialgewalt oberschwäbischer Klöster, 158 f., hat erstmals im Gesamtzusammenhang diese Frage untersucht und ein beweiskräftiges Belegmaterial ausgebreitet. 5

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

75

Wenn diese Administrationsmaßnahmen aus der Optik des frühmodernen Staates audi einen dürftigen Zuschnitt haben, wird hier dodi ein neues Selbstverständnis der oberschwäbischen Herren offenkundig, das eingebunden ist in weiterreichende Zielsetzungen - den Territorialstaat. Das Herrschaftsrelief Oberschwabens war zu Beginn des 15. Jahrhunderts zerklüftet, Güter und Eigenleute konzentrierten sich wohl schwerpunktmäßig um den Herrschaftsmittelpunkt, die Burg, das Kloster, die Stadt, reichten aber weit darüber hinaus in die Interessensphäre fremder Machtkonzentration: Der Lehensbesitz des Fürststifts Kempten erstreckte sich mit unterschiedlicher Intensität und ohne territoriale Brücken vom Alpenrand bis zur Schwäbischen Alb, vom Lech bis ins Westallgäu 1 0 ; Einzelgüter und Gutskomplexe der Trudisessen von Waldburg finden sich versprengt in ganz Oberschwaben 1 1 ; die Besitzungen des Memminger Bürgertums stießen ins Allgäu, an den Lech und in die Ulmer Gegend vor 1 2 . Im Übergang zum 16. Jahrhundert jedoch w a r der faktische Herrschaftsbereich des Klosters Kempten auf das Gebiet der gleichnamigen Grafschaft zusammengeschrumpft; die Waldburger hatten sich mit Erfolg in den Herrschaften Waldburg, Wolfegg, Zeil, Wurzadi und Trauchburg behauptet; das reichsstädtische Territorium von Memmingen erstreckte sich auf rund 20 Dörfer in unmittelbarer Umgebung der Stadt. Hundert Jahre hatten hingereicht, um die Besitzüberlagerungen und grundherrschaftlichen Verwicklungen und Verflechtungen zu entwirren. K u r z u m : Wo noch um 1400 in einem Dorf drei, vier oder mehr Grundherren oft gleichwertig begütert waren, hatten sich die Gewichte nun zugunsten eines Herrn entscheidend verschoben, der unbeschadet geringfügiger Besitztitel auswärtiger Herrschaften als dominierender Grundherr in der Regel als Ortsobrigkeit galt. Gleiches gilt f ü r den Bereich der Leibherrschaft, die das Instrumentarium zur Territorialisierung vorwiegend im südlichen Oberschwaben abgab, weil hier die Grundherrschaft zur Territorialisierung von Herrschaftsrechten relativ ungeeignet war. In einer breiten Zone vom Bodensee bis an den Lech standen Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit allein dem Leibherrn, nicht dem Grundherrn zu, und der Fürstabt von Kempten umschrieb die Allgäuer Herrschaftsstruktur durchaus richtig, wenn er seine Ansprüche so begründete: „Nämlich ist ursach, das die guter der armen leut aigen sein, und dieselbigen armen leut der herren aigen, und ain jeder aigen man den gerichtszwang bey ime und seinem gut tregt, demselben gerichtpar, strafpar, steuerpar und gewärtig ist und kainem anderen . . .° 13 . Hier konnte ein territorialstaatlicher A u f b a u nur über die Leibeigenschaft erfolgen. Ohne Beschränkung der Freizügigkeit und der unbeschränkten Heiratsfähigkeit war keine

10

11 12

13

W. E. VOCK, Lehensbesitz des Hochstifts Augsburg 1424 und des Fürststifts Kempten 1451, in: W. ZORN (Hg.), Historischer Atlas von Bayerisdi-Schwaben, 1955, Karte 21. Vgl. J. VOCHEZER, Geschichte des Hauses Waldburg II, passim. Vgl. demnächst das von K . v. ANDRIAN-WERBURG herausgegebene Urkundenbuch der Reichsstadt Memmingen. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, Nr. 62.

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TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Änderung zu erreichen. Die Leibeigenen der kleinen Herrschaft Rotenfels saßen um 1450 nicht allein im engeren Herrschaftsbereich um Immenstadt - Sonthofen Oberstdorf, wie er durch den Hochgerichtsbezirk markiert war, sie wohnten vielmehr in einem Radius von rund 100 km um die herrschaftliche Burg 1 4 . Zur selben Zeit bezeichnet das Ottobeurer Untertanenverzeichnis die äußersten Punkte seiner Leibeigenenwohnorte mit Nürnberg, Canstatt, Colmar, Salem und St. Gallen 1 5 . Die Grundherrschaft zu territorialisieren war verhältnismäßig einfach: Entfernter Besitz konnte verkauft und das durch den Verkauf freigesetzte Kapital zum Ankauf von Gütern im engeren Interessenbereich verwendet werden; wenn dieser Prozeß insgesamt recht reibungslos ablief, so deswegen, weil alle Grundherren offensichtlich das gemeinsame Interesse verband, Grund und Boden unmittelbar um die Burg, das Kloster, die Stadt zusammenzuziehen. Machte man gleichzeitig die Vergabe von Gütern von der Ergebung in die Leibeigenschaft abhängig, erreichte man so einen kompakten Herrschaftsverband, in den hereinzuwirken allenfalls noch dem Hochgerichtsherrn möglich war. Sofern sich die Herren schwerpunktmäßig auf die Leibeigenschaft stützen mußten, war ihre Ausgangssituation schwieriger: Leibeigene konnten nicht verkauft werden 16 . So fand man den Ausweg, die Leibeigenen auszutauschen, zunächst Mann gegen Mann, Frau gegen Frau, dann in Gruppen von 10 bis 20 Personen, schließlich in Kontrakten, bei denen über 1000 Leibeigene ihren Herrn wechselten 17 . Der Bauer konnte nach wie vor seinen H o f bewirtschaften, lediglich sein Leibherr hatte gewechselt. Erreicht wurde - wenn auch mit einer zeitlichen Phasenverschiebung von rund 50 Jahren - dasselbe wie im Bereich der Grundherrschaft: Territorien entstanden, in denen es nur einen Leibherrn gab, der gegenüber den Bauern eine exklusive Gerichts-, Steuer- und Wehrhoheit beanspruchen konnte 1 8 . Der Territorialisierungsprozeß spielt sich im wesentlichen im 15. Jahrhundert ab, wenn bescheidene Anfänge audi ins 14. Jahrhundert zurück-, Ausläufer - dies gilt vornehmlich für die Territorialisierung der Leibherrschaft - bis ins mittlere 16. Jahrhundert hereinreichen 19 . Für den Bauern bedeutete dies verschärften herr14 15 11

A . WEITNAUER ( H g . ) , D a s Rothenfelser U r b a r und Leuteverzeichnis von 1 4 5 1 , 1 9 3 8 . Staatsarchiv Neuburg, Klosterliteralien O t t o b e u r e n 6 0 1 I. D e r Leibeigene wechselt seinen H e r r n , wenn nidit über den F r e i k a u f mit dem V e r k a u f des Gutes. D a s Recht, in solchen F ä l l e n das G u t weiterhin bewirtschaften zu dürfen und die Belastungen und Rechte nicht zu ändern, wird in derartigen Verkaufsurkunden oft festgehalten.

17

So e t w a zwischen K e m p t e n und O t t o b e u r e n . H S t A M , K U K e m p t e n 3 7 6 7 .

18

D e r V o r g a n g als solcher ist noch nicht hinreichend untersucht; lediglich für einzelne L e i b herren, wie den A b t von K e m p t e n , liegen regional beschränkte Einzeluntersuchungen vor. A n überregionalen Vorarbeiten W . MÜLLER, S p ä t f o r m e n der Leibeigenschaft, 6 1 - 6 6 ; für die Einordnung des Allgäus in die Gesamtentwicklung ebd. 66.

la

D a r a u s erklären sich auch gewisse Kompetenzschwierigkeiten, mit denen der Schwäbische B u n d nicht fertigwerden k o n n t e : G i l t der H o c h - oder Niedergerichtsherr als O r t s h e r r ? K o m m t dem G r u n d h e r r n oder dem Hochgerichtsherrn Steuer- und W e h r h o h e i t zu und anderes mehr. Vgl. W . VOGT, Correspondenz A r t z t , N r . 2 8 , 6 3 8 .

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

77

schaftlichen Druck gegenüber den älteren lockeren Abhängigkeitsverhältnissen: Grundherrschaft, Leibherrschaft - und zum Teil die Gerichtsherrsdiaft - fielen zusammen, w o zuvor die Rivalität der Ansprüche dem Bauern einen herrschaftlichen Leerraum gelassen hatte. Der Bauer saß näher bei seinem Herrn, war administrativ leichter zu erfassen und wurde damit wirksamer beherrscht. Der Grundholde, der Muntmann, der Gotteshausmann, der Zinser war zum Untertanen geworden, die Herrschaft zur Obrigkeit 20 .

1.1.4

W I R T S C H A F T , GESELLSCHAFT, H E R R S C H A F T -

VOM Z U S A M M E N H A N G

DER

KRISENHAFTEN E R S C H E I N U N G E N

Die Agrarkrise im ausgehenden 14. Jahrhundert planierte den Weg zur Krise des Feudalismus im frühen 16. Jahrhundert. Diese kausale Verknüpfung betonen, heißt nicht, die Eigenwertigkeit des politischen Bereichs unterschätzen, bedeutet audi nicht, ökonomischen Faktoren absolute Priorität für gesellschaftliche und herrschaftliche Entwicklungen einräumen, zumal eine Initialwirkung der Agrarkrise für die Territorialisierungsbestrebungen nicht stringent nachgewiesen ist. Freilich ist die enge Verzahnung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und herrschaftlichen Bereichs nicht zu übersehen. Jede einzelne Herrschaftsberechtigung, sei es die Leibherrschaft, sei es die Grundherrschaft - um hier nur vorrangiges zu benennen - , hatte, wenn sie anders als bisher eingesetzt wurde, nicht nur Bedeutung für die Herrschaftsstruktur, sondern Rückwirkungen auch auf das gesamte Wirtschaftsund Gesellschaftsgefüge 1 . Die Fortentwicklung der persönlichen Abhängigkeiten 20

1

„Wir Conrad usser Gottes verhengknus abte deß wirdigen gottshauß zu Obermarditall Premonstratenser Ordens in Costantzer bistumb gelegen und wir burgermaister und rat der statt Mundtrichen von wegen deß ehrwirdigen Hayligen Gaists spittauls daselbst, beede one alles mittel gemaine unwiderspredienlidie herrschaften, obrigkaiten, grund-, gerichts- und lehenherrn über daß dorf Algershoffen, dessen hoch- und niderer gerichtlichen jurisdiction, zwing, benn und herrlichaiten, bekennen und tun kund offenbar mit disem brieff, alß sich dann biß anhero under unsern armen leutten, underthonen, einwohnern und verwandten daselbst zu Algershofen allerlay irrungen, spenn, mißverstend und andere unordnungen zutragen und begeben, audi sich ye lenger ye meer under inen eufers ereugen und einreißen wellen, derowegen wir von obrigkait wegen nit lenger zusehen noch vill weniger umbgeen kinden noch mögen, sonder unß uff heut dato allhie zue Obermarditall im gottshauß . . . ainhelliglidi mit genügsamer vorbetrachtung uff nachfolgende Ordnungen, Satzungen, gebott- und verbott-articul verainiget und verglichen, die sollen den underthonen ingemain und sonders publiciert und fürgehalten werden, die wür auch von inen biß zue unser widerrueffung unverbrochenlich volnzogen und getrüwlich gehalten haben wollen, bey peen und straff bey jedem puncten vermeldt. Und seindt daß die straffarticul." P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 407. An Vorarbeiten vgl. die regional beschränkte, wirtsdiaftsgeschiditlich ausgerichtete Untersuchung von D. W. SABEAN, Landbesitz; den herrschaftlich-territorialstaatlichen Aspekt ohne räumliche Beschränkung untersucht stärker H.-M. MAURER, Territorialgewalt obersdiwäbischer Klöster.

78

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

zur Leibeigenschaft war - um mit einer Analyse des ökonomischen Bereichs zu beginnen - für die bäuerlidie Wirtschaft von weilreichenden sekundären Folgen 2 . Einschränkung und Verbot der Freizügigkeit mit dem vorrangigen Ziel, die Bewirtschaftung des herrschaftlichen Urbars sicherzustellen3 und dem Territorialstaat näherzukommen 4 , versperrten der ländlichen Bevölkerung den natürlichen Abfluß in die zahlreidien Reichsstädte, die durch die Pesteinbrüche des 14. Jahrhunderts und durch ihren wirtschaftlichen Aufschwung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts fast unbegrenzt Menschen hatten aufnehmen können 5 . Selbst wenn man unterstellt, daß Bauern noch Möglichkeiten und Wege fanden, in die Städte auszuweichen, werden das Einzelfälle geblieben sein, weil die herrschaftlichen Sicherheitsvorkehrungen zu engmasdiig waren: Mußte der Einzug des Vermögens den Bauern von der Flucht abhalten, so waren auch die Dorfgenossen daran interessiert, solche Fluchtversuche zu unterbinden, weil sie gezwungen worden waren, mit ihrem Vermögen für die Verluste des Leibherrn bei der Flucht eines ihrer Genossen zu haften. Der scharfe Zugriff der Leibherren auf die Verlassenschaft ihrer Eigenleute wurde um 1450 in der Regel gemildert, doch das Verbot der Freizügigkeit blieb bestehen - jetzt sehr viel entschiedener mit der Absicht, die territorialstaatlichen Maßnahmen zu fördern und flankierend zu begleiten* - , so daß jedenfalls mehr Menschen

1

Für Einzelnachweise vgl. grundsätzlich die vorangegangenen Kapitel. Ergänzendes Belegmaterial wird hier nur eingeschlossen, wenn nicht schon in früheren Zusammenhängen darauf hingewiesen wurde.

3

SAARBRÜCKER A R B E I T S G R U P P E , L e i b e i g e n s c h a f t i n O b e r s c h w a b e n , 2 4 f .

4

P. BLICKLE, Leibeigenschaft als Instrument der Territorialpolitik, 5 1 - 6 6 . Im einzelnen herrschen über die Bevölkerungsentwicklung in den oberschwäbischen Reichsstädten des 14. und des 15. Jahrhunderts nur ungefähre Vorstellungen. Beispiele allerdings können das Ausmaß des Bevölkerungswachstums erahnen lassen. Die Bevölkerungszahlen für Ravensburg (trotz mehrerer Pesten) 1300: 1500, 1380: 3 5 0 0 ; 1 5 0 0 : 4500 Einwohner. Die Zahlen für U l m ; 1300: 4 0 0 0 ; 1 3 4 5 : 7 0 0 0 ; 1400: 9 0 0 0 ; 1450: 13 0 0 0 ; 1500: 1 7 0 0 0 ; 1 5 5 0 : 19 000. D i e beste Zusammenstellung des Zahlenmaterials (unter Aussdiluß der heute in Bayerisdi-Schwaben liegenden Städte) bei H . GREES, Bevölkerungsentwicklung in den Städten Oberschwabens, bes. 1 3 6 - 1 4 6 . - Den hohen Anteil der ländlichen Bevölkerung an den Zuwanderern hat P . EITEL für Überlingen nachgewiesen. Vgl. P . EITEL, Die Herkunft der Uberlinger Neubürger im 15. Jahrhundert, i n : Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees 87 (1969), 1 2 7 - 1 3 1 . Weitere Belege bei E. KEYSER (Hg.), Württembergisches Städtebudi (Deutsches Städtebuch, Bd. I V / 2 ) , 1962 (vgl. die einzelnen Ortsartikel) und H . AMMANN, Vom Lebensraum der mittelalterlichen Stadt. Eine Untersuchung an schwäbischen Beispielen, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 31 (1963), 2 8 4 - 3 1 6 .

6

* Die Stände des Schwäbischen Bundes einigten sich schon 1486 darauf, keine Eigenleute von Mitständen in ihren Herrschaften zu dulden. K . KLÜPFEL, Urkunden zur Geschichte des Schwäbischen Bundes I, 7.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlidier, sozialer und politischer Hintergrund

79

von einer kaum vermehrbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche ihr Auskommen finden mußten 7 . Bezogen auf die einzelne Familie war die Kulturfläche vermutlich sogar geringer geworden, weil der Einzug von bäuerlichem Eigengut die Hofgrößen auf den Umfang des Lehengutes schrumpfen ließ, falls nicht das ehemalige Eigengut zum Lehen geschlagen wurde. Doch muß man bei der Zunahme der Sölden 8 zumindest in Erwägung ziehen, ob sie nicht mit ehemaligem Eigengrund ausgestattet wurden. So ließe sich erklären, warum gegen 1500 eine so lebhafte Nachfrage nach Bauerngütern zu verzeichnen ist*. Sie könnte gelegentlich auch wirtschaftlich motiviert gewesen sein, weil die Preise für agrarische Erzeugnisse seit 1500 anzogen 10 , was die Grundherren wiederum veranlaßt haben mag, da und dort die Ehrschatzabgaben einzuführen. Nicht die Erhöhung der Abgaben war es, was die Bauern veranlaßte über die zu hohe Belastung der Güter zu klagen, sondern die Tatsache, daß mehr Menschen von einem H o f ihr Auskommen finden mußten. Die Gemeinden 11 oder Herrschaften setzten denn audi ausgangs des 15. Jahrhunderts da und dort durch, daß der Zuzug in die Dörfer unterbunden oder durch ein Einkaufsgeld erschwert wurde 12 . Konkrete Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung zu bekommen, macht außerordentliche Schwierigkeiten, weil Steuerbücher, die üblicherweise den Berechnungen zugrunde liegen, für diese Zeit noch nicht zur Verfügung stehen. Sie

7

Etwa gleichzeitig sind die Bevölkerungszahlen in den Reichsstädten rückläufig. Vgl. P. EITEL, Reichsstädte, 119. Eine Stagnation des städtischen Bevölkerungswachstums scheint audi Η. GREES, Bevölkerungsentwicklung in den Städten Oberschwabens, 147, anzunehmen. Bisher wurde angenommen, daß die wirtschaftliche Stagnation in den Städten für eine solche Entwicklung verantwortlich zu machen ist. Nicht untersucht ist, ob nicht die Einschränkung der Freizügigkeit auf dem Land diese Entwicklung mitverursacht hat. Eine bewußte Absdiließung der Städte gegenüber dem Umland im 15. Jahrhundert ist, soweit sich sehen läßt, allein für Ulm nachzuweisen. Vgl. E. NÜBLING, Die Reichsstadt Ulm am Ausgange des Mittelalters (1378-1556), 1. Bd., 1904, 266; 2. Bd., 1907, 375.

8

H. GREES, Seldnertum im östlichen Schwaben, 115 f. * Selbst wenn man diesen Gedankengang als zu spekulativ ablehnt - und er ist spekulativ, zumal detaillierte Untersuchungen über die Verteilung von Eigengut und grundherrlich gebundenem Gut für das 15. Jahrhundert nicht vorliegen bliebe der Faktor des Verbots der Freizügigkeit ausreichend, um die Übersetzung der Dörfer zu erklären. 10

C H . HEIMPEL, B i b e r a c h , 2 4 f . - D . W . SABEAN, L a n d b e s i t z , 6 7 .

11

P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 97. Die Ordnung für Söflingen von 1495 bestimmt: „Item wir haben auch der sch waeren leuef halben angesehen und verordnet, daz nue hinfuero in unserm dorf Sefflingen niemands eingelassen noch aufgenommen werden soell, dann die, so yetzund darinn hawßhaeblidi oder umb ainen zinß sitzen oene unser sonder wissen und willlen . . . Ob aber yemands mit unserm verguensten auf gepuerlich kuntschaft vorgeruerter weiß eingelaßen wurd, der yedes solte uns drew pfund haeller zue burgerrecht, und unserem amptman hie zue Seflingen fuenf schilling hlr geben". P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen,

12

2 2 6 . - D . WEHRENBERG, A l l m e n d r e c h t e , 5 9 i f .

80

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

zu ersetzen, sind die Ottobeurer Leibeigenschafts- und Untertanenverzeichnisse v o n 1450/80 1 3 und 1548 14 geeignet, die zudem den Vorteil haben, daß sie Männer, Frauen und Kinder verzeichnen. Trotz aller Auswertungsschwierigkeiten 15 läßt sich für das Ottobeurer Klosterterritorium zwischen 1450/80 und 1548 ein Bevölkerungszuwachs von rund 5 0 % erredinen. Ist dies mehr als ein Näherungswert, so sind aufgrund eines durchaus repräsentativen Materials von 400 bis 500 Familien die durchschnittlichen Familienstärken sehr viel genauer festzustellen: Sie liegen 1450/80 bei mindestens 5,04 und 1548 bei 5,60 Personen 16 , das heißt, daß ein H o f 18,42°/o mehr Mensdien ernähren mußte. Wenn das absolute Bevölkerungswadistum nicht voll auf die Familienstärke durchschlägt, so ergibt sich daraus eine Vermehrung der Familien und - bei einer nicht wachsenden landwirtschaftlichen Nutzfläche - eine Zunahme der Sölden 17 . Wenn durch die Übersetzung der Dörfer die H ö f e zumindest teilweise an die Grenze der Rentabilität geraten waren, konnte jede weitere Belastung unerträglich scheinen. H o l z kaufen zu müssen, wie die Zwölf Artikel sagen, wurde aufgrund der älteren nahezu unbeschränkten Holzbezugsrechte nicht nur als Rechtsverletzung empfunden, sondern war nun auch wirtschaftlich belastend, zumal bei der Bau-

15

StAN, Klosterliteralien Ottobeuren 601'. StAN, Klosterliteralien Ottobeuren 600. 15 Die Quelle von 1 4 5 0 / 8 0 verzeichnet nur Ottobeurer Leibeigene; jene von 1 5 4 8 alle innerhalb der Niedergeriditsgrenzen wohnenden „Untertanen" mit ihrer leibherrlichen Zugehörigkeit. Ein Vergleich kann also nur die Ottobeurer Leibeigenen berücksichtigen. Erschwerend kommt hinzu, daß im fraglichen Zeitraum Leibeigene zwischen den Herrschaften ausgetauscht wurden; Vgl. P. BLICKLE, Memmingen, 138 f. Anm. 585. Dies könnte eine „unnatürliche" Zunahme der Ottobeurer Leibeigenen bewirkt haben, wobei freilich ergänzend hinzuzufügen ist, daß Ottobeuren am Leibeigenentausch wie überhaupt am Institut der Leibeigenschaft nicht nachhaltig interessiert war. Unklar bleibt auch, ob beide Verzeichnisse vollständig sind, was nur mit dem Münchener Urkundenbestand überprüfbar wäre. " Die Anlage der Quellen erfordert es, die Frauen in Relation zu den Kindern zu setzen. Da nicht alle Frauen Kinder hatten, dürften die angegebenen Werte höher anzusetzen sein. 17 1548 reagierte die Bevölkerung in den großen geschlossenen Dörfern offensichtlich schon mit einer Geburtenbeschränkung: 1450/80 1548 Kinder Kinder Frauen Kinder Kinder Frauen pro Frau pro Frau Attenhausen 48 2,27 24 74 3,08 109 Benningen 62 2,50 21 51 2,43 155 Hawangen 53 3,79 104 225 2,16 201 52 2,35 Fredienrieden 24 81 3,38 122 32 65 2,03 12 51 4,25 Egg Sontheim 46 28 84 3,50 139 3,02 Ottobeuren 52 52 132 2,54 118 2,27 14

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

81

weise der damaligen Zeit die Häuser nicht selten niederbrannten 18 , also viel Bauholz benötigt wurde, abgesehen davon, daß audi das Einzäunen der Gärten und Fluren, wo es erlaubt war, erhebliche Mengen an Zaunholz beansprucht haben dürfte. Die Einschränkung der Weiderechte, teils veranlaßt durch die Herrschaften, indem sie die Waldweiderechte beschränkten, teils veranlaßt durch die Gemeinden selbst, weil die Söldner gewohnheitsgemäß ihr Vieh auf die Weide treiben durften, hat den Viehbesatz pro H o f verringert und damit die bäuerlichen Einkommen reduziert. Denn allein das Vieh war dem Zugriff der Herren entzogen 19 . In der Herrschaft Meßkirch beschweren sich 1525 die Bauern allein darüber, „das sie mit söldnern oder taglönern in den dörfern übersetzt, die inen mit abnutzung der waiden zu überlegen, das sie ire narung und underhaltungen von iren güetern nit in maßen, wie von alterhero, haben künden". Als man den Fall näher untersuchte, so jedenfalls berichtet die Chronik, stellte sich heraus, „das mertails derselben dagdienster der mair söne, dochtermener und nechste verwandte gewesen" 20 . Wenn nun der Adel bei einer derart angespannten Lage noch übermäßige Wildbestände hielt, um seiner Jagdleidenschaft nachgehen zu können, mit dem Erfolg, daß durch Wildschaden die Ernteerträge geschmälert wurden, wenn gleichzeitig die Herrschaften die Fischerei als ihr ausschließliches Recht betrachteten, mußte das die ohnehin gereizte Atmosphäre weiter verschlechtern. Nur so läßt sich verstehen, daß ein Bauer von Landolzweiler durch alle Instanzen bis zum Kaiser prozessierte, um gegen den Abt von Rot durchzusetzen, Eicheln lesen zu dürfen 21 . Litten die Tagelöhner und Söldner vermutlich mehr unter den Diensten, weil sie bei ihrer dürftigen Ausstattung mit Land auf Zuerwerb durch Lohnarbeit angewiesen waren, so die groß- und mittelbäuerliche Schicht unter den Reissteuern, weil die Bemessungsgrundlage allein das Vermögen war, über das die Kleinbauern kaum verfügten. Soviel wird man bei allen Beredinungsschwierigkeiten sagen können, ohne Gefahr zu laufen, die Situation völlig falsch einzuschätzen: Langfristig verschlechterte sich im 15. Jahrhundert die Lage für den Landwirt - ein Prozeß, der sich in den letzten Jahrzehnten vor 1525 beschleunigte, weil Nutzungsbeschränkungen, Diensterhöhungen und steuerliche Belastungen voll auf den landwirtschaftlichen Betrieb durchschlugen. Selbst wenn durch die konjunkturelle Belebung im agrarwirtsdiaftlichen Bereich um 1500 die marktorientierten Bauern höhere Erlöse als bisher erzielen konnten, dürfte die Ertragslage für die Mehrzahl der Bauern mise-

Dies geht auch aus den zahlreichen feuerpolizeilichen Bestimmungen der Dorfordnungen hervor. 1 9 Der Viehzehnt ist, soweit sich sehen läßt, in Obersdiwaben nicht üblidi, allenfalls vom Kleinvieh. Allein über die Besthauptabgabe konnte die Herrschaft diesen möglicherweise lukrativen „Nebenerwerbszweig" besteuern. 2 0 H . DECKER-HAUFF, Die Chronik der Grafen von Zimmern II, 272. « HStASt, Β 486 U 9 2 1 ; 1483 VII. 28. 18

82

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

rabel gewesen sein. Konfliktverschärfend wirkte sich das subjektive Bewußtsein des Bauern aus, weil die zusätzlichen Belastungen Neuerungen waren, die in seinen Erfahrungshorizont fielen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wirkten in den sozialen Bereich, zumal der Grundherr aus der Optik des frühen 16. Jahrhunderts nicht der Partner war, an den Vorwürfe adressiert werden konnten. Die Abgaben waren nicht gesteigert worden; damit war das alte Herkommen nicht verletzt worden; folglich konnten hier nicht energisch genug Forderungen bei der Herrschaft angemeldet werden, weil sie nicht zu legitimieren waren. Ohne Rechtsbasis stellte der Bauer des 15. und 16. Jahrhunderts keine Forderungen, er stellte allenfalls Bitten. Das Dorf wurde solcherart zu einem Herd sozialer Konflikte, die zwischen den Gruppen des Dorfes, aber auch innerhalb der Familien ausgetragen wurden. Die groß- und mittelbäuerliche Schicht stellt sich gegen die Söldner und Kleinbauern, weil sie ihre Allmend- und Holzbezugsrechte schmälerten und steuerlich geringer belastet wurden. In den Familien der groß- und mittelbäuerlidien Schicht stellte sich das Problem, daß die nachgeborenen Söhne, selbst wenn sie angemessen ausgesteuert werden konnten, sich entweder als Knechte auf dem brüderlichen Hof verdingen oder als Söldner im Dorf bleiben mußten, solange die Höfe nicht geteilt wurden. Da Oberschwaben Anerbengebiet war und blieb und die Herrschaften in der Regel keine Veranlassung sahen, der Realteilung Vorschub zu leisten, ließen sich die familieninternen Konflikte nur lösen, wenn sich die Söhne entschlossen, die Unsicherheiten eines Landsknechtsdaseins der Deklassierung innerhalb der dörflichen Gemeinschaft vorzuziehen. Der eine oder andere konnte sicher für einige Jahre in der Stadt Arbeit und Brot finden, doch das löste den Konflikt nicht, sondern schob ihn nur hinaus, weil die Städte zu Beginn des 16. Jahrhunderts selbst wirtschaftliche Probleme im Überfluß hatten 22 , die den Erwerb des Bürgerrechts ungemein erschwerten. Ließ sich hingegen bei den Grundherren die Teilung der Höfe erreichen23, dann bedeutete dies einen sozialen Abstieg: Ein geteilter halber Hof war ein Kleinbetrieb, schon fast eine Sölde. Zu solchen Schwierigkeiten kamen gelegentlich die Unsicherheiten der Erbfolge. Oberschwaben war ein Fallehengebiet, das heißt, die Güter fielen beim Tod des Inhabers an den Grundherren heim und konnten von ihm nach Belieben vergeben werden 24 . Anderwärts wie in Bayern hatte man in der Agrarkrise versucht, die Bauern durch eine Verbesserung der Besitzrechte zu halten - es ist der bekannte Vormarsch der Erbzinsgüter im bayerischen Rechtsbereich25 - , hier begegnete man den wirtschaftlichen Schwierig22

R. EIRICH, Memmingens Wirtschaft und Patriziat von 1347 bis 1551, 1971, 46 ff. - Vgl. zusammenfassend P. EITEL, Reichsstädte, 120.

23

V g l . W . NUBER, R o t , p a s s i m .

24

H.-M. MAURER, Territorialgewalt oberschwäbischer Klöster, 164 f. unter Berücksichtigung der regionalen Sondergewohnheiten. G. KIRCHNER, Probleme der spätmittelalterlichen Klostergrundherrsdiaft in Bayern, Landflucht und bäuerliches Erbrecht, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 16 (1956), 1-94.

25

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

83

keiten mit Zwang und Drude gegenüber den Bauern. Audi in Schwaben gab es selbstverständlich bessere Besitzrechte, Güter, die auf drei Leiber verliehen waren wie in Weingarten 26 , doch war dies nicht die Regel. Um das Erbrecht mußte gekämpft werden: Eine Kette von Unruhen erschütterte im 15. Jahrhundert die Klosterherrsdiaft Rot, weil Abt und Konvent immer wieder versuchten, die Erblehen in Fallehen zurückzuverwandeln 27 . In der Klosterherrsdiaft Ochsenhausen wurde 1502 das Erbredit für die Güter durchgesetzt, nach einem Prozeß durch 7 Instanzen 28 , nach Abgaben- und Huldigungsverweigerung, Androhung von aktivem Widerstand und militärischer Intervention des Schwäbischen Bundes. Erblehen waren zweifellos in der Minderzahl und damit blieb dem Bauern die existentielle Sorge. Zwar verlieh der Grundherr das heimgefallene Gut dem Sohn des Beständners, wenn von ihm eine ordentliche Bewirtschaftung zu erwarten war; doch er konnte auch anders verfahren und besonders dann, wenn die Nachfrage groß war 2 9 . Je nach den örtlichen Erbgewohnheiten blieb für den ältesten oder jüngsten Sohn also bis zum Tod des Vaters ungewiß, ob er mit der Übergabe des Hofes rechnen konnte. Die familiären und dörflichen Spannungen wurden durch die Tatsache, daß es Freie, Zinser und Leibeigene verschiedener Herren gab, weiter gesteigert. Wenig hat sich im bäuerlichen Bewußtsein so hartnäckig gehalten, wie die Vorstellung von einer ursprünglichen Freiheit 30 , wenngleich die erfolgreichen Nivellierungsbestrebungen letztlich aus allen Bauern Leibeigene machten. Doch bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts waren diese Probleme für die Herren und damit auch für die Familien und Dörfer noch nicht überstanden: Noch immer waren Grundherrschaft und Leibherrschaft nicht völlig deckungsgleich. Heiratete ein Bauer auf einem Fallehengut eine auswärtige Leibeigene, dann konnte er mit Sicherheit damit rechnen, daß seine Kinder, die in der Regel 3 1 dem Rechtsstand der Mutter folgten, den Hof nicht würden übertragen bekommen: Die Kinder wurden durch die Strafen, die auf ungenossamen Ehen standen, faktisch enterbt. Schärfere Belastungen für die ländliche Gesellschaft ergaben sich dort, wo sich die Leibeigenschaft noch nicht voll durchgesetzt hatte, wo Leibeigene und Zinser

26 27 28 29

30

31

D. W. SABEAN, Landbesitz, 21. Zusammenfassend W. NUBER, Rot, 291 ff. H.-M. MAURER, Territorialgewalt oberschwäbischer Klöster, 161. Wenn es so überaus schwierig ist, trotz dichter Überlieferung der Lehensbriefe wie im Spitalarchiv Memmingen Besitzerreihen über mehrere Generationen herzustellen, dann doch wohl deswegen, weil die H ö f e nicht in den Familien blieben. Mit demselben Problem kämpft D. W. SABEAN, Landbesitz, 20 ff. Vgl. ergänzend zu den oben angeführten Belegen für das 17. Jahrhundert einen Aufstand in der bisdiöflich-augsburgischen Pflege Rettenberg, wo die Bauern glaubten, „das ain brief vorhanden . . . , darinnen Stande lautter geschrieben, daz in ganzer Teutscher Nation kein sollicher Siz seye, wie in diesem Tigew Röttenberg, und daz sie von Leibaigenschaft frey . . L a n d e s r e g i e r u n g s a r c h i v für Tirol, Handschrift 3571, fol. 32. Eine Ausnahme madit allein das Allgäu.

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K R I S E DES FEUDALISMUS

in einem D o r f zusammen lebten 82 . Im Allgäu gelang es während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, das Prinzip der ärgeren Hand durchzusetzen, so daß die Kinder aus einer Ehe zwischen Leibeigenen und Freizinsern grundsätzlich leibeigen wurden 38 . Spätestens nadi zwei Generationen spürten die Bauern die Konsequenz einer solchen Reditsverschlechterung: Statt der Besthaupt- und Gewandfallabgabe, die die Kinder der Freizinser hatten aufbringen müssen, war von den nun Leibeigenen die Hälfte der Hinterlassenschaft zu entrichten. Eine Ehe eingehen, bedeutete unter Umständen audi einen Ausschluß aus der sozialen Gemeinschaft, wenn die Ungenossame mit dem Verbot der „empfadiung des hochwirdigen sacraments des zarten fronleichnams Jhesu Christi" 3 4 geahndet wurde. Der Weg von der Munt zur Leibherrschaft hinterließ Narben in der ländlichen Gesellschaft, die audi nadi 1525 noch aufbrechen konnten. Die Leibeigenschaft war ein Problem bis zur Bauernbefreiung. Für die demütigende Art, in der die Herrschaft mit ihren Untertanen in der Euphorie ihrer neugewonnenen „kleinstaatlidien Souveränität" umging, gibt es kein erschütternderes Dokument als den Leibeigensdiaftsrodel der Kemptener Freien, Muntleute, St. Nikolauszinser, St. Martinszinser, Allerheiligenzinser und Freizinser, die durch Gefängnis, Geldbußen und Gutsentzug gezwungen wurden, sich „freiwillig" in die Leibeigenschaft des Klosters zu ergeben 85 . Hier und in vergleichbaren Fällen erzeugte das herrschaftliche Vorgehen natürlich eine genossenschaftliche Solidarität jenseits aller rechtlichen Standesuntersdiiede. Wenn das Alte Herkommen als rechtsgestaltendes Prinzip dermaßen pervertiert und desavouiert wurde, brauchten die Bauern nadi einer Legitimation für ihren Widerstand nicht mehr zu suchen. Freilich - solche Verhältnisse herrschten nicht allerorten, doch war die Erinnerung der ehemaligen Zinser an ihre Rechtsstellung lebendig, audi wenn sie faktisch schon längst zu Leibeigenen herabgesunken waren wie die Budiauer Kornelierleute 36 , die noch 1525 behaupteten „ain yeder kornölgermensch sey als frey als der vogel auf dem zwey und mug ziehen und sich setzen in stöt, markt und dörfer unverhindert aller herren. Von der freyhait hat sy [die Äbtissin von Buchau] uns gwaltiglich trungen und uns größlich beschwärt mit fäll, gläß ungenössin und hoptredit wider das götlidi gsatz und alle billidiait, audi wider ier aigne freyhaitbrieff" 3 7 . Wie es vor diesem Nivellierungsprozeß ausgesehen haben mag, läßt das Ottobeurer Einwoh-

32

33

34 35

Das gilt für die Kornelierleute des Budiauer Damenstifts und die Freizinser und Freien im Allgäu. Vgl. zusammenfassend R . WIEDEMANN, Allgäuischer Gebrauch, passim. Ergänzend oben S. 42 Anm. 19. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 55, N r . 62. Einzelbeispiele aus dem Rodel drucken G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 124 f. und O. ERHARD, Der Bauernkrieg in der gefürsteten Grafschaft Kempten, 1908, 8 - 1 2 . - Das Rodel selbst in HStAM, Klosterliteralien Kempten (Münchner Bestand) 217, fol. 156 ff. Neuerdings ediert in Z B L G 42 (1979), 5 6 7 - 6 2 9 .

' · V g l . SAARBRÜCKER A R B E I T S G R U P P E , L e i b e i g e n s c h a f t i n O b e r s d i w a b e n , 2 2 A n m . 37

G . FRANZ, Akten Bauernkrieg, 150.

91.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

85

nerverzeidinis von 1548 38 erahnen, das einen Anteil von 20°/o Freien an der Gesamtbevölkerung des Klosterterritoriums ausweist. Orte mit 1-99 Einwohnern

Leibeigenschaftsverjhältnisse im Ottobeurer \/

Klosterstaat 1548

- —

Orte mit 100-249 Einwohnern

Egg (

t V Niederrieden *

f

λ Orte mit 250 - 500 Einwohnern Grenze des Ottobeurer

\ Günz I

Schlegelsberg

Niedergerichtsbezirks

J\

Unterwesferheim \ Oberwesterheim

jT* Hauptmannschoftx Hawangen^-—Dennenberg^

Grabus j I / Sontheim

1

1 Ottobeurer Leibeigene

H

Kemptener Leibeigene

E H Freie 1111111 Leibeigene verschiedener Herren:

Attenhausen $ /

Augsburg (Bischof), Fugger (Graf), Memmingen (Stadt und Spital), Montfort (Graf), Pappenheim (Marschall) u. a.

Frechenrieden Benningen «...ur,« Ottobeuren Ober- u n d ^ V ^ Untermoosbach Hauptmannschaft Böglins Dietratried

Hauptmannschaft Halbersberg Hauptmannschaft ölbrechts I /

; | Hauptmannschaft Eheim Hauptmannschaft Schoren •\Hauptmannschaft Oberried

Niederdorf

Wolfertschwenden Pfarrei Böhen

Die Leibeigenschaft, die „härtere Eigenschaft" wie die Kemptener Bauern sagten, war sozial diffamierend 39 . In Tannheim prozessierten vier Brüder durch alle Instanzen der geistlichen Gerichtsbarkeit bis nach Rom - wegen eines Gewandfalles, den sie für ihre verstorbene Mutter dem Abt von Rot entrichten sollten, der ihnen aber unberechtigt schien40. Durch alle Instanzen der weltlichen Gerichtsbarkeit lief ein Prozeß, den die Brüder Stefan um ihre Zinserschaft gegen den Abt von Kempten austrugen 41 . Die Staufener Bauern sandten Gesandtschaften an den Kaiser und ließen als Zeugen Bauern aus dem gesamten oberdeutschen Raum auf-

38 39 40 41

S t A N , Klosterliteralien Ottobeuren 690. Vgl. dagegen F. LÜTGE, Agrarverfassung, 106. H S t A S t , Β 486 U 290; 1515 I X . 1. H S t A M , Klosterliteralien Kempten (Münchner Bestand), 407.

86

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

marschieren, nur um nachzuweisen, daß sie keine Leibeigenen seien 42 . Die Schussenrieder Bauern beharrten darauf, als freie Gotteshausleute und nicht als Leibeigene bezeichnet zu werden, wiewohl sich ihre Rechtsstellung um nichts von der anderer Bauern der Nachbarherrschaften unterschied. Das Bewußtsein von einer vergangenen Freiheit, sicher zum Teil nur im Hinblick auf die früher lockeren Abhängigkeiten berechtigt, war bei den Bauern vorhanden, doch die Leibeigenschaft befand sich auf dem Weg, eine Gewohnheit, Altes Herkommen zu werden. Für die ländliche Gesellschaft und die dörfliche Gemeinschaft bedeuteten die noch bestehenden Unterschiede zwischen Zinsern, Gotteshausleuten und Leibeigenen eine soziale Differenzierung, die die Schichtung nach wirtschaftlichen Kriterien überlappte. Wohl bestanden starke Spannungen unter den Bauern, aber sie konnten nicht zu scharf abgegrenzten Gruppenbildungen führen, zumal durch die ländliche Arbeitsverfassung der Bauer auf den Söldner, der Söldner auf den Bauern angewiesen war 4 3 . Der Gegensatz Bauer - Herrschaft überlagerte die Spannungen zwischen den Bauern. Noch sah die ländliche Wirtschaft und Gesellschaft als ihren natürlichen Gegner den Herren, zumal durch die Wandlungen im politischen Bereich der Bauer nachhaltig betroffen wurde. Aus der Leib- und Grundherrschaft erwuchsen ja nicht nur wirtschaftliche Probleme und soziale Spannungen; so wie sie eingesetzt wurden, wuchs auch der herrschaftliche Druck. Über die Leibherrschaft wie über die Grundherrschaft hatten die Herren eine exklusive Gebots- und Verbotsgewalt und zur Durchsetzung ihrer „Gesetze" eine ausschließliche Gerichtshoheit entwickelt. Sich „freiwillig" mit einem Eid verpflichten zu müssen, keinen fremden Schutz und Schirm zu suchen, nicht flüchtig zu werden, Frau und Kinder, H a b und Gut dem H e r r n nicht zu entfremden, bedeutete ja auch, wie die Leibeigenschaftsurkunden bestätigen, dem Herrn „gerichtsbar, steuerbar, dienstbar, botbar und gehorsam" zu sein 44 . Wo der Rechtsweg durch solche Verschreibungen dem Leibeigenen nicht ohnehin ausdrücklich verboten war, blieb auch die Appellation vom geistlichen Gericht in Konstanz, über Mainz nach Rom oder vom Dorfgericht über das Rottweiler Hofgericht und das Landgericht an den Kaiser ein nicht nur finanziell ruinöses sondern auch sinnloses Unterfangen, weil die päpstlichen Bullen 45 und die kaiserlichen Privilegien 4 ' die neuen Formen der Leibeigenschaft zweifach sanktio-

42

4,1 44

45 46

O.

RIEDER, U r k u n d e n k u r i o s a ,

passim. -

E r g ä n z u n g e n z u RIEDER b e i B . BILGERI,

Ge-

schichte Vorarlbergs, 2. Bd., 1974, 289-295. H. GREES, Seldnertum im östlichen Schwaben, 126 ff. „Ich hab ouch in den salben ayd genomen das ich dem obgenanten minem gnädigen herrn von kempten und sein gnaden gotzhus und nachkomen, pottmässig und dienstbar sin sol, mit sturen, diensten, faßnadithennen und aller pflicht . . ." Für Ockenhausen HStASt, Β 481 U 115. Für Kempten: HStAM, Klosterurkunden Kempten 399 (1431), 439 (1434) und 1537 (1496). - Für Rot: HStASt, Β 486 U 95 (1431), ergänzend U 821. - Für Ochsenhausen: E. GRUBER, Ochsenhausen, 130. - Für Sdiussenried: HStASt, Β 505 U 505 (1504). Die Belege stellen eine Auswahl dar.

1.1

Die Zwölf Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

87

nierten. Die zahllosen Prozesse, die dennoch geführt wurden, bestätigen, daß der Bauer nicht bereit war, solche neuen Formen der Abhängigkeit widerstandslos hinzunehmen; er mochte nicht glauben, daß Recht werden sollte, was er als Unrecht empfand. Gleiches gilt f ü r die Grundherrschaft: Der Bauer versprach bei der Gutsübernahme zunächst nicht mehr, als den Hof „baulich und wesentlich" zu halten und seine Gülten in der vereinbarten H ö h e termingemäß zu entrichten. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden in den Lehensbriefen die Verpflichtungen um die Bestimmungen erweitert, wie sie sich in den Leibeigenschaftsergebbriefen finden: Der Grundholde verpflichtet sich, f ü r die Laufzeit des Leihevertrags seinem Grundherrn „gerichtsbar, steuerbar, reisbar, dienstbar und botmäßig" zu sein 47 . Solche Bestimmungen zwangen Herren und Bauern, Grund- und Leibherrschaft zusammenfließen zu lassen; als Leibeigener konnte der Bauer nicht mehr auf fremdes U r b a r ziehen, als Grundholde konnte er keinen fremden Leibherrn haben. Derartige Ansprüche waren nur durchsetzbar in einem engeren Bereich um den Herrschaftsmittelpunkt - die Realisierung des Territorialitätsprinzips, von den H e r r e n energisch und mit hohen Kosten auf den Weg gebracht, ließ sich im Laufe weniger Generationen solcherart verwirklichen. Herrschaftsgeschichtlich bedeutete dies nach oben eine Emanzipation vom Kaiser bzw. seinen Vertretern, den Reichslandvögten, nach unten eine Nivellierung unterschiedlicher Abhängigkeiten, eine Verschärfung des herrschaftlichen Drucks. Für die Könige und Kaiser waren die Reichslandvogteien nur mehr als Pfandobjekte interessant. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als P f a n d in der H a n d der Erzherzöge von Österreich, verschärfte sich der Konkurrenzkampf zwischen den aufstrebenden territorialen Gewalten und Habsburg 4 8 - die oberschwäbischen Herren wurden die Sieger; Hochgerichtsbarkeit 49 und Reichsstandschaft 50 konnte ihnen kaum mehr verweigert werden. Für die Bauern war kein Kaiser mehr zu sehen: Als Landvögte amtierten oberschwäbische Adelige, die Waldburger und Königsegger, die Grund- und Leibherren vieler Bauern; die Kaiser hatten ihre schützende und schirmende H a n d zurückgezogen, das ehemalige Reichsland Schwaben war ohne kaiserliche und reichi47 48

49

50

HStASt, Β 486 U 207 und StiAM 58/3 und 4. Dies sehr eindrucksvoll bei J. R. WEGELIN, Gründlich H i s t o r i s i e r Bericht von der Kayserlichen und Reiths Landvogtey in Schwaben, wie auch dem Frey Kayserlichen Landtgericht auf Leutkircher Haid und in der Pirß, 1755. - Den neuesten Stand der Kenntnis fassen zusammen E. GÖNNER - M. MILLER, Die Landvogtei Schwaben, in: F. METZ (Hg.), Vorderösterreich, 2 1967, 683-704. Anstelle von Einzelhinweisen sei auf die Bände Baden-Württemberg und Bayern des Handbuchs der Historischen Stätten Deutschlands verwiesen, dessen Ortsartikel eine rasche Überprüfung ermöglichen. Auf Reichstagen sind nachzuweisen seit 1460 Weingarten, seit 1471 Salem, seit 1497 Marchtal, Ochsenhausen, Rot, Schussenried und Weissenau, seit 1501 Buchau. Vgl. H . PFLÜGER, Schutzverhältnisse und Landesherrschaft der Reichsabtei Herrenalb von ihrer Gründung im Jahre 1149 bis zum Verlust der Reichsunmittelbarkeit im Jahre 1497 (bzw. 1535) (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Β 4) 1958, Tabellenanhang.

88

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

sehe Symbole. Dafür gab es eine Vielzahl von „Kleinstaaten", deren Herren nach dem Muster größerer Territorien mit Hilfe ihrer Amtleute das durchzusetzen wußten, was sie unter „guter Polizei" verstanden. Der Abt von Weingarten erzürnte sich auf einem Reichstag über das ständige Hin- und Herlaufen der Stände, das die Beratungen nicht von der Stelle brachte. „Das verdroß den . . . mündi . . . , darumb sprücht er überlaut: ,Ir meine gnedige und gütige herren, ir laufen uf und ab, hin und wider, nit anders, als bei mir die pauren pflegen, da sie ain sawhirten under inen erwellen.' Mit dieser red, so gelidiwol fredi und frei genug, bracht er sie uf die benk 51 ." Eine so heitere Ironie kaschiert nur mit Mühe die Überheblichkeit gegenüber den bestehenden gemeindlich-genossenschaftlichen Institutionen, die zu beseitigen oder zu entmündigen tendenziell das Anliegen des Territorialstaates sein mußte. Noch standen Adel und Prälaten mitten in der Auseinandersetzung mit ihren renitenten Gemeinden und Bauernschaften und mußten sich vor reichsstädtischen Magistraten, kaiserlichen Beauftragten und Schiedskommissionen des Schwäbischen Bundes gegen die Klagen ihrer Untertanen verteidigen52. Der kumulative Effekt, den die wadisenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zunehmenden sozialen Spannungen und die verstärkten herrschaftlichen Abhängigkeiten bewirkten, hatte eine krisenhafte und konfliktgeladene Situation geschaffen, wie sie in dieser Form wohl keines der vergangenen Jahrhunderte gekannt hatte. Über all dem sollte man die notwendigen Differenzierungen nicht übersehen. Für die Bauern waren ihre natürlichen Gegner hierarchisch gestaffelt: Die Beschwerden gegen die Städte hielten sich in Grenzen. Weide-, Jagd-, Allmend- und Fischereirechte wurden so gut wie nicht reklamiert, lediglich hinsichtlich der Holzbezüge hatten die städtischen Bauern Forderungen anzumelden; die Gemeindekompetenzen blieben offensichtlich ungeschmälert, die Steuerlasten bescheiden und die Klagen gegen die Rechtspflege auf die Kompetenzabgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Gerichtsherren beschränkt. Die Klagen im Bereich der Grundherrschaft - mehr als Bitten denn als Forderungen formuliert - waren zahlreicher als gegen die Leibherrschaft und blieben insgesamt weit hinter den Forderungen der adeligen und klösterlichen Untertanen zurück. Zwar hatten die Dörfer des Adels mehr über die Dienste, vermutlich Jagdfronen, die Holznutzungsbeschränkungen und die Ehrschatzerhebungen zu klagen als die klösterlichen Untertanen, sie wogen insgesamt jedoch wohl etwas weniger als die Beschwerden, die gegen die Klöster vorgebracht wurden. Mehr als in anderen Beschwerdeschriften wird in den Artikeln der Klosterdörfer gegen die Höhe der Gülten, gegen die Rekognitionsund Todfallforderungen, gegen die Heiratsbeschränkungen, gegen die Rechtssprechungspraxis, gegen den Zugriff auf Gewässer und Allmende und gegen die Reissteuer polemisiert. Nicht das Mißverhältnis von geistlichem Anspruch und welt51 w

P. HERRMANN, Zimmerisdie Chronik II, 533. Eine erste Zusammenstellung des Materials, die sicher nodi nidit vollständig ist, bei H.-M. MAURER, Territorialgewalt obersdiwäbischer Klöster, 162 f.

1.1

Die Z w ö l f Artikel und ihr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hintergrund

89

lichem Amt lenkte die Spitzen der revolutionären Bewegung zunächst gegen die Geistlichkeit, sondern die in der T a t gravierendere Belastung der klösterlichen Untertanen. Wenn dieser erste Stoß auch den Adel traf, dann deswegen, weil im adelig-bäuerlichen Beziehungsgefüge die Spannungen nur wenig geringer waren. Allein die Städte blieben weitgehend vom militärischen Vorgehen der Bauern verschont. Inwieweit die Ursachen Programmatik und Zielsetzung der Revolution determinierten, muß zunächst zurückgestellt werden, um mit dem aufgrund der Analyse Oberschwabens geschärften Problembewußtsein das Ursachenfeld in allen Aufstandsgebieten abzuschreiten.

1.2

DIE RÄUMLICHE U N D SACHLICHE REICHWEITE DER ZWÖLF ARTIKEL

Angenommen, der hochmittelalterliche Feudalismus hätte sich in rudimentären Formen im Beziehungsgefüge zwischen Bauer und H e r r am längsten und in prinzipiell gleicher Formation im Reidi gehalten, dann wäre die weite Verbreitung der Zwölf Artikel verständlich. Keines der bäuerlichen Programme hat in so umfassender Weise Fragen der Grund-, Leib-, Gerichts- und Ortsherrschaft intoniert, sie gleichzeitig von unmittelbar erkennbaren regionalen Besonderheiten freigehalten und damit in den Mantel der Allgemeinheit gehüllt 1 . In ihrem Entstehungsgebiet hatten die Zwölf Artikel die zweifache Funktion, Ursachen und Programm des Bauernaufstandes zu benennen und zu formulieren. Dies gilt im allgemeinen auch f ü r jene Herrschaften, Territorien und Regionen, welche die Zwölf Artikel übernahmen. Zunächst geht es im Rahmen einer U r sachenanalyse der Revolution um die Frage, inwieweit die Rezeption der Zwölf Artikel Indiz f ü r gleiche oder verwandte Probleme im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich sein kann. Die Zwölf Artikel waren in allen Aufstandsgebieten bekannt. Sebastian Lotzer wußte aufgrund seiner eigenen schriftstellerisch-propagandistischen Tätigkeit die Wirksamkeit der Flugblattliteratur richtig einzuschätzen 2 . Mehr als zwanzig Drucke, zum Teil an verschiedenen Orten, sorgten dafür, daß sich die Zwölf Artikel in den Monaten April und Mai rasch verbreiteten. Allgäuer Bauern, die in den Alpenländern um Bundesgenossen warben, brachten sie nach Tirol 3 , Kaufleute nach Fulda 4 ; die Elsässer baten Geistliche um eine Interpretation 5 , die Kurfürsten die Reformatoren um Gutachten®; die bayerischen Herzöge konnten sie von ihrem Territorium fernhalten, Erzherzog Ferdinand sudite ihr Eindringen in die österreichischen Erbländer - erfolglos wie sich zeigte - zu verhindern 7 . Die Zwölf Artikel kennen, hieß nicht in allen Fällen, sie übernehmen. Bedeutung hatten sie - als Ersatz f ü r lokale und regionale Forderungen, als Zusatz zu originären Beschwerdeartikeln oder als Programm - im deutschen Südwesten im Schwarzwald, Breisgau, Markgräflerland und im Elsaß; in Franken in den Rothenburger Dörfern, im Einzugsbereich des Neckartaler und Odenwälder H a u -

1

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ,

2

M . BRECHT, D e r theologische Hintergrund der Z w ö l f Artikel.

3

J. MACEK, G a i s m a i r ,

4

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g (1), 3 9 4 .

5

H . VIRCK, Correspondenz der Stadt Strassburg, 111 N r . 196. Vgl. den Abdruck v o n Melanchthons Gutaditen bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 1 7 9 - 1 8 8 N r . 44.

6

7

J. MACEK, G a i s m a i r ,

123.

131.

131.

1.2

91

D i e räumlidie und sachliche Reichweite der Z w ö l f Artikel

fens, im Hohenlohisdien und im Hochstift Bamberg; im fränkisch-schwäbischen Grenzland, im Ries und im Fürststift Ellwangen, bei den Gaildorfer und Limpurger Bauern und im Hodistift Eichstädt; im H e r z o g t u m Württemberg wie im Hochstift Speyer und in der K u r p f a l z argumentieren die Bauern mit den Zwölf Artikeln; im Thüringischen stützten sich auf sie die Bauern des Thüringer Waldes, des Stifts F u l d a und der Grafschaft Schwarzburg; schließlich dienten sie auch im Erzgebirge als Programm 8 . Hingegen hatten sie offensichtlich in der Schweiz, in der Grafschaft Tirol, im Erzstift Salzburg und in Franken beim Taubertaler und Bildhäuser H a u f e n keine Bedeutung®. Es läßt sich vermuten - was zu verifizieren oder zu falsifizieren ist - , daß die Zwölf Artikel auch dort, wo sie nur programmatischen Charakter hatten, zumindest in groben Zügen die N ö t e des Bauern spiegeln. Wo immer sie mehr als eine nur stimulierende Funktion hatten, dürften vergleichbare Herrschaftsstrukturen anzunehmen sein; denn selbst als P r o g r a m m mußten sie dort untauglich und von den Herrschaften leicht zu relativieren sein, wo sie völlig ins Leere zielten. Wenn die Zwölf Artikel weitestgehend, jedoch nicht im gesamten Aufstandsgebiet zugrunde gelegt wurden, obwohl sie allerorten bekannt waren, deutet das teilweise schon Grenzen ihrer Brauchbarkeit an: Denkbar wäre, daß in einigen Herrschaften die wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Probleme tatsächlich so gelagert waren, daß die Zwölf Artikel als Basisforderungen nicht taugten, wie etwa in Tirol, das mit seinen erheblich besseren Besitzrechten und der weitgehenden persönlichen Freiheit der Bauern zwei zentrale Probleme der Zwölf Artikel kaum kannte 1 0 . Vermutbar wäre, daß mancherorts die theoretische Begründung mit dem Göttlichen Recht nicht akzeptabel war, wie in der Klosterherrschaft St. Gallen, w o sich die Legitimation zunädist auf das Alte Herkommen beschränkte 1 1 . Freilich ist auch zu berücksichtigen, daß gelegentlich sachlich das Nämliche wie in den Zwölf Artikeln gefordert wurde, ohne daß auf sie Bezug genommen wurde, wie dies bei den Gasteiner Beschwerden der Salzburger Untertanen nachzuweisen ist 1 2 . Will man den Ursachen der Revolution näher kommen - und nur darum geht es hier - lassen sich Ansatzpunkte für eine präzise Fragestellung zunädist dadurch

8

G.

FRANZ,

Bauernkrieg

(1),

219,

222,

236,

297,

309,

311,

319,

340,

346,

348,

351,

357, 361 f., 394 f., 400, 402 f., 436, 453. In diesem Abschnitt wird die M o n o g r a p h i e von FRANZ n a d i der 1. A u f l . zitiert, weil sie im allgemeinen breiter angelegt ist und die Sonderbeschwerden differenzierter behandelt. E r g ä n z e n d für die K u r p f a l z ein Schreiben des P f ä l z e r s an Melandithon im C o r p u s R e f o r m a t o r u m , Bd. 1, 1834, 742 f. » G . F R A N Z , B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 2 4 8 , 2 7 3 ff., 3 0 1 , 10

11

12

328.

Z u s a m m e n f a s s e n d neben den älteren Arbeiten von H . WOPFNER, L a g e Tirols und O . STOLZ, Rechtsgeschidite des Bauernstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg, 1949, neuerdings J . MACEK, G a i s m a i r , 5 1 - 7 0 . D i e St. Galler Beschwerden in J . STRICKLER, Eidgenössische Abschiede I V / 1 , bes. 6 2 9 - 6 3 8 N r . 264 f. Vgl. gegen FRANZ neuerdings W. MÜLLER, Rechtsquellen St. Gallen, X X V . F. LEIST, Q u e l l e n - B e i t r ä g e B a u e r n - A u f r u h r , 6 - 1 0 .

TEIL 1

92

KRISE DES FEUDALISMUS

gewinnen, daß man feststellt, w o die Zwölf Artikel ohne Abstriche übernommen wurden (1), w o sie durdi regionale und lokale Forderungen modifiziert wurden (2), um schließlich zu untersuchen, welche Beschwerden in jenen Gebieten erhoben wurden, die auf eine Rezeption der Zwölf Artikel verzichteten (3).

1.2.1

D I E Z V Ö L F A R T I K E L ALS R E G I O N A L E B A S I S F O R D E R U N G E N

Welche Herrschaftsberechtigungen und -praktiken krisenauslösend waren, beantworten mit größter Genauigkeit, wie das oberschwäbische Material gezeigt hat, die Lokalbeschwerden. W o sie fehlen und an ihre Stelle die Zwölf Artikel treten, kann ihr hoher Repräsentationswert für örtliche und regionale Nöte dann angenommen werden, wenn nadizuweisen ist, daß lokale Forderungen audi außerhalb des schwäbischen Raumes in den Zwölf Artikeln aufgingen. Im Sdiwarzwald und Hegau kam es im April 1525 nadi dem Vorspiel von zum zweiten Aufstand. D i e Bauern rekurrierten zunächst auf die Zwölf Artikel 2 , wiewohl die Ziele im Verlauf weniger Tage sehr viel weiter gesteckt wurden. Vorher hatten sie beim Reidiskammergericht ihre Beschwerden eingereicht'. Sie erlauben eine Überprüfung der Kongruenz des jeweiligen Hintergrundes der Zwölf Artikel - in Oberschwaben und im Hegau und Schwarzwald 4 . 1524*

1

Zusammenfassend G. FRANZ, Bauernkrieg, 98-108. - Die älteren Beschwerden (zu 1524 zum Teil rekonstruierbar) bei H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden I, 16 Nr. 15, 121 ff. Nr. 86, 181 ff. Nr. 140.

1

H . SCHREIBER, B a u e r n k r i e g U r k u n d e n I I , 8 5 ff. N r . 2 1 6 . V g l . G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) ,

s 4

219. Anders angeordnet, aber inhaltlich gleich sind die Artikel, welche die Bauern der Stadt Neuenburg übergeben. Drude A. BERNOUILLI, Basler Chroniken VI, 494 f. Druck bei F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 188-226. Bei der Auswertung dieser Artikelgruppe ergeben sidi besondere Schwierigkeiten; vgl. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 208. Den Beschwerden der Gesamtuntertanenschaft sind Lokalartikel einzelner Dörfer und Ämter angehängt, die bei der statistischen Auswertung nicht berücksichtigt wurden, um nicht eine zu starke Gewichtsverlagerung zu riskieren. In die nachfolgende Auswertung, die sich somit nur auf fünf Beschwerdeschriften stützen kann, gehen ein: 1. Die Beschwerden von Winzeln-Hodimössingen ( P . H E R R MANN, Zimmerisdie Chronik II, 354 ff.) 2. Herrschaften Stühlingen und Lupfen (F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 188-208) 3. Herrschaft Fürstenberg (ohne die Regionalbeschwerden von Lenzkirch, Löffingen, Rotenbach, Riedböhringen, Döggingen, Unadingen, Waldau, Neustadt, die Täler: Bregenbach, Hammereisenbach, Schönenbach, Langenbach, Linadi, Uradi, Schollach, Langenordnach und Viertäler; Vöhrenbadi, Rudenberg, Schwarzenbach, Langenordnach, Schollach, Schönenbadi und Hausen vor Wald) (F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 209-224) 4. Göschweiler (F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 225 f.) und 5. Brigtal (F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 96 f.).

1.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

93

Bei behutsamer Auswertung 5 zeigt sidi in Gegenüberstellung mit den Baltringer Artikeln, daß die Grundherrsdiaft im Hegau und Schwarzwald zu Beschwerden sehr viel weniger Anlaß gab: Über Ehrschatzgebühren wird nicht geklagt, vereinzelt nur über eine höhere Gültbelastung der Höfe®, vorrangig allerdings über die grundherrlichen Dienste 7 . Die Leibherrschaft hingegen ist in erheblich stärkerem Maße Beschwerdegegenstand: Zwar findet sich die radikale Forderung nach bedingungsloser Aufhebung der Leibeigenschaft sehr viel seltener als in Oberschwaben 8 , dafür werden energischer Entlastungen hinsichtlich der Heiratsbeschränkungen, Todfallabgaben und leibherrlichen Dienste gefordert'. Freizügigkeit und Erbrecht, in den Baltringer Beschwerden nidit eigens reklamiert, finden im Hegau und Schwarzwald eine breite Erörterung 10 . Ergeben sich doch bemerkenswerte Differenzen, was die Grund- und Leibherrschaft betrifft, so decken sie sich in höherem Maße im Bereich der Gerichtsherrschaft. Hier wie dort haben die Artikel gegen Rechtsverweigerung, Rechtssprechungspraxis, „fremde" Gerichte, Bußenerhöhung und Gesetzgebungspraxis in etwa das gleiche Gewicht. Von größerer Bedeutung sind im Schwarzwald und Hegau offensichtlich die Einschränkungen gemeindlich-genossensdiaftlicher Befugnisse 11 . Die Forderung nach hinreichenden Holzbezügen und Allmendnutzungsrechten hat hier wie dort dieselbe Bedeutung. Sehr viel energischer jedoch verlangen Hegau und Schwarzwald Fischerei und Jagd, letzterer mit besonderer Betonung

5

Für eine schematisdi-statistische Auswertung sind 5 Besdiwerdeschriften selbstverständlich eine zu schmale Grundlage, so daß die zu errechnenden Prozente nur als Näherungswerte betrachtet werden können. Eine Umrechnung der vorhandenen Besdiwerdeschriften auf die Gesamtzahl der Orte (unter Einbeziehung der örtlichen Sonderbesdiwerden) gibt in der Endausrechnung bei Einzelforderungen gegenüber der ersten Berechnungsart stark divergierende Werte, zeigt aber tendenziell bei Zusammenfassung vergleichbarer Einzelposten in dieselbe Richtung. • Je nadi Berechnungsart nehmen allenfalls 30—40% der Artikel auf die Belastung der Güter mit Abgaben Bezug (Baltringer: 71,79%). 7 Hegau-Schwarzwald: 20-24%; Baltringer 5,13%. β Im Sektor Leibeigenschaft gehen die Werte je nach Berechnungsart so weit auseinander, daß hier nur Schätzwerte (in Anlehnung an die Berechnung aufgrund von 5 Besdiwerdeschriften) geboten werden können. - Die Aufhebung der Leibeigenschaft fordern hier etwa 30—40%; Baltringer: 82,05%. • Baltringer Hegau-Schwarzwald Ungenossame Ehe 15,38% um 70% Halbteil-Todfall 33,33% um 80% Dienste 12,82% 20-23% 10 Freizügigkeit: um 35%; Erbrecht: um 50%. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß die Erbrechtsbeschwerde von der Halbteil-Todfall-Besdiwerde aufgesogen werden kann. In jedem Fall wiegt dieses Problem in den Hegau-Schwarzwald-Besdiwerden stärker als in den Baltringer Artikeln. 11 Baltringer Hegau-Sdiwarzwald Gemeinde„beamte" 10,26% um 50% Gemeinde« angestellte" 10,26% um 20%

94

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

des Wildsdiadens 18 . Schließlich wiegen die Dienste und die Steuern im Beschwerdekatalog des Schwarzwaldgebietes erheblich schwerer als beim Baltringer Haufen 13 . Deutlich wird aus diesem Vergleich zweierlei: Die Zwölf Artikel zu übernehmen hieß auch, die durch sie formulierten Aufstandsursachen als verbindlich anzuerkennen; freilich, die Gewichtsverlagerungen innerhalb der einzelnen Beschwerden und Besdiwerdegruppen bei den Baltringer und Schwarzwälder Bauern deuten auf die Elastizität und Belastbarkeit der Zwölf Artikel. Es wird zu zeigen sein, wann und wo die Belastbarkeit die Toleranzschwelle überschritt, die Zwölf Artikel als Ersatz für Lokalbeschwerden unbrauchbar wurden. Wo die Zwölf Artikel in complexu unmodifiziert übernommen wurden, bestätigt sidti, daß lokale Forderungen - soweit solche bekannt sind - durch die Zwölf Artikel konfirmiert wurden: Das gilt für den Neckartaler Haufen 14 , die Limpurger 15 und Hohenloher Bauern 18 . In den übrigen Fällen, wo unter dem Mantel der Zwölf Artikel Lokalbeschwerden nicht mehr festzustellen sind, wie im Breisgau und Markgräflerland, im Ries, um Ellwangen und Gaildorf, in den Hochstiftern Eichstädt und Speyer, im Werratal und im Erzgebirge, wird man eine überregionale Verbindlichkeit der obersdiwäbischen Aufstandsmotive annehmen können. Leibherrschaft, Grundherrschaft, Gerichtsherrschaft und die aus ihnen entwickelten sekundären Rechte wie Ortsobrigkeit und Landeshoheit sind damit für das gesamte Aufstandsgebiet näher zu untersuchen. Inwieweit andere Konfliktmomente berücksichtigt werden müssen, wird sich zeigen, wenn jene Territorien näher beleuchtet sind, in denen die Zwölf Artikel modifiziert wurden.

Baltringer 66,67% 12,82% 20,51 % 12,82% 2,56% Baltringer 51,28% Dienste allg. Reissteuer 28,21 % Steuer allg. 10,26 % Ungeld 2,56 % Die Beschwerden sind nicht schriftlich formuliert worden, lassen aus den vorliegenden Geständnissen der Bauern rekonstruieren. Urkundenbuch Heilbronn IV, 113 f. Nr. 2882, 151 f. Nr. 2917. Holz Allmende Fischerei frei Jagd frei Wildschaden

14

Hegau-Schwarzwald um 60°/o um 15% um 50°/o um 45°/o um 30% Hegau-Schwarzwald 80-82% um 50% um 75% um 50% sich jedodi teilweise Vgl. M. v. RAUCH, Zusammenfassend G.

FRANZ, Bauernkrieg (1), 3 0 9 f . 15 18

Drude bei F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 139-149. Die Lokalbesdiwerden, die im Original nicht mehr vorhanden sind, bei F. OECHSLE, Bauernkrieg, 255-258.

1.2

1.2.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

95

REGIONALE U N D LOKALE MODIFIKATIONEN DER ZWÖLF ARTIKEL

Wie die Breisgauer und Schwarzwälder stützten sich die Bauern jenseits des Rheins auf die Zwölf Artikel 1 . D a ß sie nur partiell geeignet waren, die gesamte Breite der Sundgauer und Elsässer Beschwerden abzudecken, zeigt ein Vergleich mit den Beschwerden vom Juli 1525, die anläßlich einer Tagsatzung in Basel vorgelegt wurden 2 . Sie als Ersatz f ü r die Lokalbeschwerden 3 heranzuziehen ist berechtigt, weil sie deutlich genug erkennen lassen, daß hier Zusatzforderungen formuliert wurden, die schon in die Bundschuhzeit zurückreichen 4 . Programmatisch im Sinne von revolutionär konnten diese Artikel nach der entscheidenden Niederlage gegen den Herzog von Lothringen ohnehin nicht mehr sein. Mit ihren 24 Artikeln geht die Klageschrift schon numerisch über die Zwölf Artikel hinaus; zudem sind die Ausführungen zu den einzelnen Artikeln in der Regel breiter angelegt und präziser gefaßt: Genauer als in den Zwölf Artikeln wird definiert, was unter Leibeigenschaft 5 zu verstehen sei, wenn Steuern, Fronen, Todfälle, beschränkte Freizügigkeit und Heiratsfähigkeit moniert werden; präzisierend wird die Jagdforderung damit begründet, daß die Grundherren bei Wildschaden keine Gült- und Zinsnachlässe gewähren. K n a p p die Hälfte der „Artikel und Beschwerden unser der gemeinen Gepursam, das gemeinen Lands im Sundgow und obern Elsaß" ist inhaltlich identisch mit den Zwölf Artikeln 6 ; ein paar Forderungen, die als eigene Artikel ausgeworfen werden, führen die Thematik der Zwölf Artikel gedanklich nur weiter: Die Forderung, auf Fastnachtshühner zu verzichten gehört in den Leibeigenschaftsartikel, die Beschwerde gegen Übersetzung der Gemeindeweiden mit herrschaftlichem Vieh in den Allmendartikel.

1

2 3

4

5

6

H . VIRCK, Correspondenz der Stadt Strassburg, 114 Nr. 201, 117 Nr. 205. - H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden II, 197 Nr. 324. - G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 207 Nr. 73. H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden III, 13-25 Nr. 381. Lokalbeschwerden sind diesen Regionalbeschwerden angehängt (ediert von G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 215-236 Nr. 78); sie verzeichnen jedoch nur solche Beschwerden, die nicht sdion in den Regional- oder Generalbeschwerden enthalten sind, und können damit für eine allgemeine Auswertung kaum herangezogen werden. Die übrigen Lokalbeschwerden zusammengestellt bei G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 237 Anm. 1. Vgl. besonders die Quellenstücke bei A. ROSENKRANZ, Der Bundschuh, 2. Bd., 1927, 15 (Sdilettstadt) 125 f. (Lehen). Hier auch der Hinweis, daß das Haus Österreich nie Leibeigene besessen habe. Der Wortlaut der Beschwerde deutet an, daß die Habsburger Untertanen am Oberrhein Leibeigene zu werden drohten. Nach der Numerierung der Sundgauer-Elsässer Artikel und der Zwölf Artikel entspricht Art. 1 (Sundgau-Elsaß) = Art. 1 (Zwölf Artikel); Art. 2 = Art. 2; Art. 3 = Art. 3; Art. 4 = Art. 4 ; Art. 5 = Art. 5, 6 und 7 ; Art. 6 = Art. 8 ; Art. 7 = Art. 9 ; Art. 8 = Art. 1 0 ; Art. 9 = Art. 1 1 ; Art. 2 4 = Art. 1 2 .

96

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Das Verbreitungsgebiet der Zwölf Artikel Zeichenerklärung

w

Λ

partielle Rezeption totale Rezeption

y

Schwarzburg·:••••l·. Ausbreitung der Aufstände

m

Neckartal-Odenwald Speyer

jL

Λ

» Kurpfalzf· \:

Württemberg-

'

Hohenlohe' (Rothenburg / Eichstätt

Limpurg-Gaildorf'

Breisgau- '

v ^

Markgräflerland; iwarzwa

Darüber hinaus fordert die Beschwerdeschrift7 eine sehr viel sorgfältigere, gerechtere und praktikabelere Gerichtspflege: Hatte bisher der Hochgerichtsherr die Verlassenschaft von Totsdilägern eingezogen, die Kosten für das Hochgeridit jedoch auf die Bauern abgewälzt, so sollten nun solche Güter nur soweit eingezogen werden, als es zur Deckung der Gerichtsunkosten unumgänglich war, im übrigen den hinterbliebenen Frauen und Kindern belassen werden; waren die Prozesse bisher durch vier Instanzen über Ensisheim, Innsbruck, das Kammergericht und das Hofgericht in Rottweil gelaufen, so sollte nun das Urteil der örtlichen Gerichte im allgemeinen verbindlich sein und zur finanziellen Entlastung der Bauern nur ein Appellationsgericht im Land geschaffen werden; waren bisher die Untertanen ohne Verhör ins Gefängnis gelegt worden, so sollte dies nur noch bei hochgerichtlichen Fällen praktiziert werden; waren die Bauern wegen Schuldforderungen vor den geistlichen Gerichten mit dem Bann belegt worden, so sollte hinfür das geistliche Geridit, seiner Kompetenz entsprechend, auf geistliche Angelegenheiten beschränkt bleiben.

7

Auf ein Referat der einzelnen Forderungen wird verzichtet; sie werden nach übergeordneten Gesiditspunkten zusammengefaßt.

1.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

97

Neben den detaillierten und vorrangigen Vorwürfen gegen die Rechtssprechungspraxis stehen weitere Beschwerden, die sich in den Zwölf Artikeln nicht finden.

Sie richten sich: gegen die Landsteuern, die Konsumtionssteuern und die

Zölle; gegen willkürlich erweiterte Kompetenzen der Amtleute und bestimmte Dienstleistungen für die Beamten; gegen eine Absonderung des Adels bei der Landesverteidigung. M i t der Forderung, die Klöster aussterben zu lassen und die Juden aus dem Land zu vertreiben, gehen die Elsässer und Sundgauer weit über die Z w ö l f Artikel hinaus. H i e r spiegeln sich sehr deutlich regionale und herrsdiaflsstrukturelle Eigenheiten des Oberrheingebiets: Klagen gegen die geistlichen Gerichte und das R o t t weiler Hofgeridit, radikale Forderungen gegenüber Geistlichen und Juden reichen am Oberrhein bis ins 15. Jahrhundert zurück. Gravamina gegen Landsteuern, Akzisen, Zölle, gegen Praktiken der Landesverteidigung und der Amtleute weisen auf eine spezifisdie Herrschaftsstruktur - die des werdenden großflächigen Territorialstaats, der durch seine Amtleute seine Herrschaftsredite intensivierte, durch Steuern anstelle der Kammereinkünfte den Territorialstaat

finanzierte

und - wie

im Falle des Sundgaus und Elsaß - seine Untertanen in besonders hohem M a ß e für Verteidigungszwedce, wenn auch mit landständisdier Bewilligung, in Anspruch nahm. Wohl zielen die Beschwerden zunächst auf den Adel und die Prälaten 8 - so adressiert zeugen sie für überregional verbindliche Herrschaftsstrukturen im grund-, leib- und gerichtsherrlidien Bereich - , sie lassen darüber hinaus jedoch erkennen, daß die Probleme für Bauern in einem größeren Territorium wie Vorderösterreich zum Teil doch andere waren als in den kleinräumigen Herrschaftseinheiten, in denen Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft keine Beschränkung an einem Landesherren fanden. W i e der Vergleich der Z w ö l f Artikel mit den elsässischen und sundgauischen Beschwerden ergibt, wird bei einer Faktorenanalyse der Revolutionsursachen zweierlei aufmerksam untersucht werden müssen: die, wie sich bis jetzt zeigt, überregional homogene Agrarstruktur und die regional untersdiiedliche Herrschaftsstruktur. In Vorderösterreich wird der Landesherr als solcher nicht, sondern allenfalls in seiner Eigenschaft als Grundherr und Gerichtsherr angegriffen; hingegen werden die Beschwerden vornehmlich an die adeligen und geistlichen Grundherren, Leibherren und Niedergeriditsherren gerichtet - gelegentlich wird der Ausdruck Ortsherr die richtige Bezeichnung sein - , gleichgültig ob sie reichsunmittelbar oder landsässig waren. Das läßt Prioritäten erkennen: Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft sind in höherem M a ß e als die Landesherrschaft Konfliktherde. M i t Vorderösterreich bedingt vergleichbar ist das Herzogtum Württemberg, wenngleich hier die Besitzausstattung des Adels und der Prälaten geringer war, folglich der Landesherr,

1525 die österreichische Regierung, als bedeutendster

Grundherr Ziel bäuerlicher Aggressionen ebenso sein mußte wie die Klöster, an

8

Vgl. dazu audi die Antwort der Anwälte der Ritterschaft und der Prälaten bei H. SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden I I I , 2 5 - 3 1 N r . 382.

98

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

deren Aufhebung gedacht war 9 . Matern Feuerbacher wollte eine „christanlich Ordnung nach ußweißung gemainer artickel die ir wißt im truck ußgangen volstrecken, furschieben und hanthaben" 1 0 . Die Zwölf Artikel durchsetzen, bedeutete audi ihre sozialökonomisdien Zielsetzungen realisieren. Bäuerliche Beschwerden auf dörflicher oder Amtsebene fehlen, um die Verbindlichkeit der Zwölf Artikel für Württemberg zu kontrollieren. Ersatzweise können allerdings jene lokalen Beschwerden herangezogen werden, die 1514 mit dem Aufstand des „Armen Konrad" formuliert wurden 11 . Sie zeigen deutlidi, daß Forst und Allmende, J a g d und Fischerei Konfliktstoff geliefert hatten, weil durch Nutzungsbeschränkungen im Zuge der württembergisdhen Forstschutzpolitik die bäuerliche Wirtschaft stark belastet wurde: Die Forderung nach Freigabe oder teilweiser Freigabe der J a g d - dieses Beispiel ist besonders augenfällig - wird nahezu ausschließlich mit den enormen Wildschäden 12 auf den Kulturflächen begründet. Klagen über Dienste und Fronen finden sich 1514 ebenso wie Beschwerden über die Leibherrschaft und die Gerichtspflege: Wenn 1514 moniert wird, daß die „Gelehrten . . . durch das ganz Land mit ir Handlung einbrechen, also das jetz und einer, dem rechtens N o t ist, mit 10 Gulden darvon nit kompt, der vielleicht vor 12 Jahren mit 10 ß die Sach gar hett usgemacht" 13 , dann deckt diese Forderung voll den Neunten der Zwölf Artikel ab. Strukturelle Verbesserungen sind im Jahrzehnt nach 1514 nicht erfolgt, so daß an der Verbindlichkeit der Beschwerden auch 1525 kaum gezweifelt werden kann. Zu Beginn des Aufstandes 1525 äußerte Feuerbacher, die Gültbelastung der Höfe sei unerträglich hoch14. Dies zusammengenommen zeigt die Verträglichkeit der regionalen württembergischen Verhältnisse mit den Zwölf Artikeln. Freilich darf man darüber nicht übersehen, daß die territorialstaatlichen Eigenheiten Württembergs schon 1514 voll durchschlagen: Sie äußern sich in den zahlreichen Beschwerden der Dörfer gegen die Städte, die ihre Vorrangstellung im Amt politisch und wirtschaftlich auszunutzen wußten 15 ; sie artikulieren sich in den massiven Vorwürfen gegenüber den herzoglichen Amtleuten.

» G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 2 5 7 . 10 11

12

13

W. VOGT, C o r r e s p o n d e d Artzt, N r . 226 b. Drude bei G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 77-110 N r . 15 a - x . Dazu audi die Besdiwerdesdirift der württembergischen Landschaft, die teilweise die lokalen Forderungen zusammenfaßt; leicht zugänglicher Drude (auszugsweise) bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 50-53 N r . 8. Vgl. für das Ausmaß der Wildschäden die Artikel von Sindelfingen bei G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 81 N r . 15 f. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 50 N r . 8.

14

V g l . G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 3 5 7 .

15

Vgl. für den verfassungsgeschichtlichen Hintergrund W. GRUBE, Dorfgemeinde und Amtsversammlung in Württemberg, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 13 (1954), 194-219.

1.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

99

Im Fürststift Fulda hingegen gehen die Forderungen von Bürgern und Bauern über die Zwölf Artikel, die pauschal übernommen werden, kaum hinaus 16 , lassen jedenfalls eigenständige lokale Aufstandsursachen nicht erkennen. Abgeschwächt gilt ähnliches f ü r die Grafschaft Schwarzburg, deren Lokalbeschwerden, ausgenommen den Leibeigenschaftsartikel, der hier durchgängig fehlt, in den Zwölf Artikeln durchaus eine allgemeine Überdachung finden konnten 1 7 . Als regionale Besonderheit müssen die zahlreichen Klagen gegen die Schäfereien, vornehmlich aber gegen Zoll und Steuern gewertet werden. Quantitativ wie qualitativ stehen die Zwölf Artikel auch im Hochstift Basel im Vordergrund; als regionale Eigenheiten erweisen sich hier lediglich der ausgeprägt antikirchliche und antijüdische Affekt und die Aversionen gegen Pfandherren und Fremde 18 . Die Zwölf Artikel zu modifizieren, war offensichtlich nur in den größeren Territorien notwendig. Konflikte zwischen den landsässigen Feudalherren und den Bauern, zwischen dem Landesherrn als Grundherrn und den Bauern konnten die Zwölf Artikel abdecken, sie versagten jedoch und mußten nach ihrer Herkunft versagen, sollten sie die Probleme benennen, die f ü r den Bauern durch das Landesfürstentum entstanden waren: das Beamtentum als Instrument der Herrschaftsintensivierung, Steuern und Zölle als Mittel der Staatsfinanzierung. Die Steuern - sie mehr als die Zölle - mußten die bäuerliche Wirtschaft weiter belasten, da sie zusätzlich zu den grundherrlichen Abgaben erhoben wurden, die ihrerseits zur Finanzierung des frühmodernen Staates nicht mehr hinreichten. Das Beamtentum, zur Durchsetzung landesfürstlicher Interessen installiert, mußte notgedrungen in den kommunalen Bereich eingreifen und dort mittels seiner delegierten Gebotsund Verbotsgewalt den Autonomiebereich der Gemeinde einschränken.

1.2.3

ORIGINÄRE BESCHWERDESCHRIFTEN

Die Aufstandsgebiete, in denen die Beschwerden nicht mit den Zwölf Artikeln umschrieben wurden, bleiben beschränkt: auf Teile Frankens und Thüringens und - auffälligerweise - auf die Schweiz und den Alpenraum. Ein summarischer Überblick, der hier ausreichend ist, den Horizont der Konfliktmöglichkeiten vollends zu überblicken, kann sich auf Salzburg, Tirol und die Schweiz beschränken, weil f ü r Franken insgesamt - und gleiches gilt für Thüringen - unbeschadet aller lokalen strukturellen Eigenheiten, ein im Prinzip vergleidi-

16

17 18

O. MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland I, 123 N r . 171, Art. 8 fordert global die Verwirklichung der Zwölf Artikel. Art. 2 (Evangelium) und Art. 4 (Schultheißenwahl) bekräftigen nochmals Forderungen, die ausdrücklich oder tendenziell in den Zwölf Artikeln enthalten sind. W. P. FUCHS - G. FRANZ, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland II, 110-128 Nr. 1208. H . RENNEFAHRT, Bauernunruhen im Eisgau (1462 und 1525), in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 20 (1962/63), 5 - 5 3 , hier 29 f.

100

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

bares Wirtschafts-, Sozial- und Herrschaftsgefüge angenommen werden kann. Salzburg benennt die Ursachen des Aufstandes in den 24 Artikeln gemeiner Landschaft Salzburg 1 - einem sprachgewaltigen Manifest, das ein düsteres Panorama priesterlicher Völlerei und Geilheit, adeliger Schinderei und fürstlicher Willkür entwirft 2 . Gegen die geistlichen und adeligen Grundherren, Hofmarksherren und Gerichtsherren wird vehement 3 der Vorwurf erhoben, Eigengüter und Erbgerechtigkeiten der Höfe eingezogen, Abgaben und Dienstleistungen erhöht, Besitzwechselgebühren neu eingeführt zu haben 4 . Die Leibeigenschaft wird attackiert, weil sie in Salzburg nicht herkömmlich, vielmehr nur das Institut der Zinserschaft verbreitet sei, das die Herren nicht dazu berechtige, die Bauern mit Geboten und Verboten ihrer Herrschaft zu unterwerfen, mit Todfällen ihres Besitzes zu berauben, kurz, über die „armen Leudten Gwalt (zu) haben als ainer über sein Vieh" 5 . Die Freigabe oder bedingte Freigabe der Forsten, der Fischerei und der J a g d mit ausdrücklichem Hinweis auf die Wildschäden scheint gegenüber den Beschwerden gegen die Grund- und Leibherrschaft zweitrangig, wenn man von der Breite der Artikel und der Kraft ihrer Sprache auf ihr Gewicht schließen darf®. Dies zeigt, daß die Salzburger Artikel bisher durchaus den Forderungen der Zwölf Artikel entsprechen7. Doch ist damit der Beschwerdekatalog längst nicht erschöpft. Er richtet sich auch - wiewohl minder heftig - gegen den Landesfürsten und seine Beamten als „Tiranen und Pluetsaufer" 8 : Sie lassen den Armen nicht zu seinem Recht kommen; sie vernachlässigen schlechterdings die Gerichtspflege; bzw. beuten sie unter rein fiskalischen Gesichtspunkten aus; sie mißbrau-

1

An Regionalbeschwerden liegen lediglich die Artikel der Gasteiner Landschaft vor. F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 6-10. Mit ihnen und den während des 15. Jahrhunderts eingebrachten Beschwerden (vgl. zusammenfassend P. BLICKLE, Ständische Vertretung und genossenschaftliche Verbände der Bauern im Erzstift Salzburg, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 32 [1969], 132-147) läßt sich ziemlich deutlich herausschälen, was dem Aufstand in Salzburg an Ursachen (nach Abzug der evangelischen Forderungen) zugrunde lag.

2

Für Einzelbelege wird auf den leicht zugänglichen Drude bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 295-309 N r . 94 Bezug genommen. - Zum besseren Verständnis des Textes dient A . HOLLAENDER, S a l z b u r g e r B a u e r n k r i e g ,

18-22.

Die Dringlichkeit der Sprache erlaubt freilich nur bedingt Rückschlüsse auf das Gewicht der einzelnen Beschwerden. 4 G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 301 ff., 305 f. (Art. 8-11, 18). 5 G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 301. A. HOLLAENDER, Artikel Salzburg, 69 f., weist in diesem Artikel nach, daß dem „Autor" der 24 Artikel die Zwölf Artikel bekannt waren. • Ebd. 304 (Art. 15 und 16). Von der Fischerei ist nicht ausdrücklich die Rede, doch dürfte sie in Art. 16 mit eingeschlossen sein. 7 Bezugnahmen auf die Zwölf Artikel fehlen, doch könnte die Beweisführung darauf hindeuten, daß bei der Redaktion die Zwölf Artikel Verwendung fanden. Vgl. vornehmlich Art. 8 bezüglich der Argumentation gegen die Leibeigenschaft und Art. 7 über die Verteilung des Zehnten. 8 Ebd. 306. s

1.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

101

dien das geistliche Gericht, indem sie mit dem Kirchenbann weltlidie Vergehen strafen; sie auferlegen dem L a n d Steuern», die doch ausschließlich für die L a n d e s verteidigung eingezogen werden sollten. Unbeschadet der Tatsache, d a ß die Z w ö l f Artikel in Salzburg nicht z u m P r o gramm

erhoben

wurden,

zeigen

die Beschwerden,

daß

die

krisenauslösenden

F a k t o r e n im agrarischen Bereich dieselben w a r e n wie a n d e r w ä r t s , und die herrschaftsstrukturellen

Gegebenheiten

die Beschwerden

in eine

ähnliche

Richtung

drängten wie sie aus Vorderösterreich und W ü r t t e m b e r g bekannt sind. D i e nun immer

deutlicher

werdende

grobe Zweiteilung

in Klein-

und

Großterritorien

innerhalb der Aufstandsgebiete bestätigt sich auch a m Tiroler Beschwerdematerial. In den Lokalbeschwerden wie in den zusammenfassenden M e r a n e r und Innsbrucker A r t i k e l n 1 0 sind die K l a g e n gegen die Grundherren, t r o t z des w e i t v e r breiteten Erbzinsrechts,

besonders zahlreich 1 1 ; vereinzelt

hingegen

sind in

den

* Hier sind Konsumtionssteuern (Ungeld) gemeint. Ebd. 308 f. (Art. 23). H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, hat die lokalen, regionalen und überregionalen Beschwerden ediert. Eine quantitative Auswertung wie für Oberschwaben verbot sich bei rund 130 örtlichen Besch werdeschriften aus Gründen der Arbeitsökonomie. Erschwerend kommt hinzu, daß ein Großteil der Lokalbeschwerden erst nach Erstellung der Meraner-Innsbrucker Artikel verfaßt wurde und damit auf eine Benennung jener Artikel, die in dieser allgemeinen Beschwerdeschrift schon formuliert waren, verziditen konnte. Erweitert ist die gedruckt vorliegende empirische Basis durch die Edition der örtlichen Beschwerden durch F. STEINEGGER - F. SCHOBER, Partikularbeschwerden der Tiroler, die bereits 1933 A. HOLLAENDER, Bauernkrieg in Tirol, 244-343, in seine Arbeit aufgenommen hat, was Steinegger und Schober erstaunlicherweise nicht vermerken. Eine neue quantifizierende Auswertung des Materials ist auch nadi dieser Neuedition und unter stärkerer Berücksichtigung der Landesordnung von 1525 geboten. - Für eine Gewichtung der Beschwerden hilfreich ist jedoch ein Rückgriff auf die Jahrzehnte vor 1525, in denen seitens der Bauern immer wieder Klagen vorgebracht wurden. Diese Beschwerden (vgl. H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, 3 - 3 2 ) hat J . MACEK, Gaismair, 69, ausgewertet. Seine Zusammenstellung erlaubt in gewissen Grenzen die Wertigkeit der Aufstandsursachen in Tirol zu erkennen: Die 343 Artikel, aufgeschlüsselt nadi mehrfach vorkommenden Betreffen, ergeben folgendes Gesamtbild: 1. Neue Abgaben, Geldleistungen und ständige Erhöhung derselben 73 2. Neue Zölle, Mauten und ähnliche Gebühren 52 3. Verletzung des Gemeindeeigentums und der Freiheit von Wald, Weide und Wasser sowie Jagdgerechtsame 49 4. Willkürliches eigennütziges Vorgehen der Pfleger und anderer Beamten 31 5. Jagd und Wildschaden 24 6. Fronen und deren Erhöhung 19 7. Höhe der Steuern, Steuerschulden 15 8. Kirchenabgaben und Zahlungen 15 9. Verletzung angestammter Rechte und Ordnungen 12 10. Kirchliche Mißstände 10 1 1 Allein ein Viertel der Meraner-Innsbrucker Artikel bezieht sich in irgendeiner Form auf die Grundherrschaft.

10

102

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

lokalen Artikeln Forderungen nach Aufhebung oder Einschränkung der Leibeigenschaft 12 . Der Grundherrschaft an Gewicht vergleichbar sind die Klagen gegen Einschränkungen der Allmend- und Holznutzungsrechte und die Forderung nach Ausweitung der Fischerei- und Jagdrechte, letztere eindeutig motiviert durch den spürbaren Wildschaden in Tirol, der schon beim Tode König Maximilians dazu geführt hatte, daß die Bauern hemmungslos auf Rot- und Schwarzwild J a g d gemacht hatten 13 . Schließlich werden auch die Dienste, die grundherrlichen gleichermaßen wie die landesherrlichen in Form der Roboten, auf ihren Sinn und ihre Berechtigung hin befragt. Sehr viel zurückhaltender als in Salzburg formulieren die Tiroler ihre Beschwerden an die Adresse des Landesherrn: Soweit sie Steuerfragen anschneiden, wird weniger die Berechtigung der Steuer in Frage gezogen, als vielmehr ihre gerechtere Umverteilung verlangt; hingegen werden Zölle, Mauten und Gebühren aller Art oft angegriffen. Soweit sie sich auf Mängel in der Rechtspflege beziehen, wird die Schuld weniger beim Landesherrn als bei den Richtern und Pflegern gesucht - Adeligen zumeist, an die viele Tiroler Gerichte verpfändet waren. In der Beschwerdeintensität Tirols zeigt sich ein deutliches Süd-Nord-Gefälle, was sich damit erklären läßt, daß die Südtiroler Bauern durch die dort stärker ausgeprägte geistliche und adelige Grundherrschaft und die sie überlagernde Landesherrschaft mit deren wachsenden Ansprüdien an die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes in zweifacher Weise belastet wurden 14 . Die unterschiedlichen herrschaftsstrukturellen Voraussetzungen bestimmen die Beschwerdeschriften in der Schweiz, die schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Stärkere Verwandtschaft mit den Artikeln aus dem südwestdeutschen Raum zeigen lediglich die Gravamina der Landschaften St. Gallen 1 5 und Thurgau 1 ·. Beide Beschwerdeschriften klagen über Erhöhung der grundherrlichen Belastung, Rechtsverschlechterung der Güter durch „Vergrundherrschaftung" von bäuerlichem Eigengut und Besitzwechselgebühren 17 ; beide verlangen Aufhebung " 13 14

15 ,E

17

H . WOPFNER, Q u e l l e n B a u e r n k r i e g D e u t s c h t i r o l , 1 2 4 , 1 3 4 f . ; F . STEINEGGER - R .

SCHO-

BER, Partikularbeschwerden der Tiroler, 38 ff. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 71. J . BUCKING, Gaismair, 15-57. Ergänzend für Südtirol allgemein K . F. ZANI, Michael Gaismair. Mit einem Beitrag über Armut und Unterdrückung in Tirol, in: Der Schiern 49 (1975), 584-597. Einige Verdeutlichungen der Tiroler Verhältnisse sind von der Publikation der Referate des Gaismair-Symposiums (Innsbruck 15. - 19. X I . 1976) zu erwarten. Einen Überblick über die dortige Thematik bei S. HOYER - G. VOGLER, Internationales Gaismair-Symposium, in: Z f G 25 (1977), 726 ff. J . STRICKLER, Eidgenössische Abschiede IV/1, 611 f., 630 ff. J . STRICKLER, Eidgenössische Abschiede IV/1, 648 ff. (Beschwerden der Landschaft), 650656 (Lokalbeschwerden). Darüber hinaus fordert die Landschaft Thurgau Zinsreduktion im Falle besonderer Belastungen, worunter sowohl Kriege wie Mißernten verstanden werden können.

1.2

Die räumliche und sachliche Reichweite der Zwölf Artikel

103

b z w . Erleichterung der Leibeigenschaft u n d Erbfähigkeit f ü r die unehelichen Kinder; beide bitten um Freigabe der J a g d 1 8 u n d der Fischerei auf dem Bodensee; beide verlangen v o n ihren Herrschaften eine anteilmäßige Beteiligung bei allgemeinen Steuern u n d Reissteuern u n d die Erlaubnis, unbeschränkt gewerblicher Tätigkeit auf dem L a n d e nachgehen zu d ü r f e n ; beide klagen über Mißbräuche in der Rechtspflege, weil unbescholtene Leute, die bereit sind, sich vor Gericht zu v e r a n t w o r t e n , auch dann ins Gefängnis gelegt werden, w e n n es sich nicht um hochgerichtliche Vergehen h a n d e l t ; beide klagen über Kompetenzbeschneidungen der D o r f - u n d Gerichtsgemeinden, der T h u r g a u über die ausschließliche Besetzung aller Ä m t e r im Gericht durch die Gerichtsherren, St. Gallen über die Ausschaltung der Gemeinden beim Erlassen v o n Geboten u n d Verboten 1 9 . I m übrigen sind die inhaltlichen Übereinstimmungen der Artikel aus der Schweiz bescheiden; über die Forderung nach A u f h e b u n g b z w . Einschränkung der Leibeigenschaft gehen die Gemeinsamkeiten k a u m hinaus. Die Ä m t e r der S t a d t Basel beschweren sich vorzüglich über die Steuern u n d Zölle (Salzkauf, böser Pfennig, Kornzoll), die Kompetenzüberschreitungen der geistlichen Gerichte, die Fronen, das eingeschränkte J a g d - u n d Fischereirecht u n d fordern eine Einschränkung der Reispflicht auf Fälle der Landesnot 2 0 . In den D ö r f e r n der Stadt Schaffhausen beschränken sich die Forderungen - den Zehnten ausgenommen, der als „exogene" Forderung auch bei der Analyse der übrigen Beschwerdeschriften nie berücksichtigt w u r d e - auf A u f h e b u n g der Leibeigenschaft u n d Reduzierung der Fronen u n d Zinsen 2 1 . Die Solothurner Bauern 2 2 unterstreichen mit drei Artikeln ihre Forderung nach A u f h e b u n g der Leibeigenschaft, wiewohl nach Verträgen von 1514 diese Forderung weitgehend gegenstandslos war 2 3 , begnügen sich im übrigen jedoch mit allgemeinen Forderungen: beschränkte Freigabe der Forsten, J a g d - und Fischereigerechtigkeit, A u f h e b u n g des Ungelds u n d Verbesserung der Rechtspflege. Für das Berner u n d Züricher Landgebiet schließlich läßt sich aus den Beschwerden

18

Im Thurgau unter Hinweis auf Wildschaden. " Die Landschaft St. Gallen beklagt sich darüber hinaus über den Güterkauf der toten Hand, der die steuerliche Belastung der Bauern steigert, über Allmendeinsdiränkungen und Fronen. - Die Landschaft Thurgau beschwert sich über das Ungeld und den Einzug des Gutes bei hochgerichtlichen Vergehen zuungunsten der hinterlassenen Kinder. 20 Die Beschwerden rekonstruiert aufgrund der zwischen den Ämtern und der Stadt geschlossenen Verträge. Druck bei R. THOMMEN, Urkundenbuch der Stadt Basel, 10. Bd., 1908, 33-57 Nr. 38. Eine starke Abhängigkeit von den Zwölf Artikeln betonen R. WACKERNAGEL, B a s e l , 1 9 2 4 , 3 7 6 . - P . BURCKHARDT, Basel, 4 1 ff. 21

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g A k t e n , 2 4 6 - 2 5 2 N r . 8 8 - 9 2 .

22

G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 273-309 Nr. 107-144; vgl. vornehmlich die gemeinsame Beschwerdesdirift ebd. 273 ff. Nr. 107. G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 70 ff. Nr. 13 q.

23

104

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

kaum mehr ein gemeinsames Grundanliegen, eine Vergleichbarkeit der Ursachen herauslesen 24 . Die originären, von den Zwölf Artikeln offensichtlich kaum beeinflußten Beschwerden, zeigen unbeschadet regionaler Abweichungen, wie sie in der Schweiz teilweise zu beobachten und möglicherweise mit den dort schwächer gewordenen feudalen Strukturen zu erklären sind, eine Schichtung der Ursachenfelder: Das hofrechtliche Beziehungsgefüge zwischen Holden und Herren, das am nachhaltigsten den bäuerlichen Alltag bestimmte, ist aufs Hödiste gespannt und belastet; keine der zahlreichen Herrschaftsberechtigungen wird von der bäuerlichen Kritik ausgenommen, die Grundherrschaft nicht, die Leibherrschaft nicht, die Niedergerichtsbarkeit nicht, die Gebots- und Verbotsgewalt nicht, die Strafgewalt nicht. Uber den agrarisch-feudalen Bereich legt sich, teils verschärfend, teils wohl auch entlastend, der werdende Territoralstaat, dessen Verwaltungs- und Steuerpraktiken attackiert werden. Der hohe Objektivitätsgrad 2 5 und die Gleichförmigkeit der Beschwerden weisen einer Faktorenanalyse der Revolutionsursachen die Richtung.

24

Vgl. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 250. Für die Lokalbeschwerden DERS., Bauernkrieg Akten, 313-328 N r . 146-156. - Für Zürich ausführlich neuerdings P. E. HUBER, Reformation auf der Zürcher Landschaft, 122 if. Als Ergänzung immer noch wichtig H . NAB-

25

Vgl. die Ergebnisse von Kapitel 1.1. Ergänzend H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutsditirol, X X . Μ. M. SMIRIN, Deutschland vor der Reformation, 52 ff. - A. HOLLAENDER, Bauernkrieg in Tirol, 58, rückt die Lokalbesch werden sogar in die Nähe der „Verwaltungsakten". - Skeptischer dazu zuletzt H.-M. MAURER, Bauernkrieg, 266.

HOLZ, U r s a c h e n d e s B a u e r n k r i e g e s ,

160-167.

1.3

KRISE DER AGRARVERFASSUNG - KRITIK FRÜHMODERNEN

1.3.1

D I E K R I S E DER FEUDALEN AGRARVERFASSUNG

1.3.1.1

Zwischen Freiheit und Eigenschaft

Weniges hat die Reformatio

DES

STAATES

Sigismundi

so leidenschaftlich

gegeißelt wie

das

„Eigenmachen" der Bauern durch die adeligen und geistlichen Herren 1 . Es geht ihr nicht darum, bestehende Rechtsverhältnisse als Mißstände zu kennzeichnen, ihr Anliegen ist es, einen in Gang befindlichen Prozeß zum Stillstand zu bringen. Über die lakonisch gefaßten Beschwerden der Bundschuher 2 , die wortgewaltige Anklage des Oberrheinischen Speyerer Reichstages

4

Revolutionärs 3 ,

bis hin zu den Beratungen

des

bleibt die Leibeigenschaft Gegenstand heftiger Auseinander-

setzungen in Politik und Publizistik, die 1525, wie die Beschwerdeschriften aus allen Aufstandsgebieten beweisen, einen Höhepunkt erreichten 5 . Die Legitimation des Leibeigenschaftsartikels in nahezu allen Aufstandsgebieten mit dem Göttlichen Recht und Evangelium® könnte vermuten lassen, daß die Bauern nur um der Durchsetzung des Evangeliums willen, wie sie es verstanden, die Leibeigenschaft aufgehoben wissen wollten, näherhin: daß nicht die wirtschaftlichen Belastungen, die familien- und dorfinternen Komplikationen den Wunsch nach persönlicher

1

H. KOLLER (Hg.), Reformation Kaiser Sigmunds (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters, Bd. 6), 1964, 276-287. Vgl. besonders Handschrift V, 281.

2

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g , 6 5 .

A. FRANKE - G. ZSCHÄBITZ, Das Budi der hundert Kapitel und der vierzig Statuten des sogenannten Oberrheinischen Revolutionärs (Leipziger Ubersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter A 4), 1967. 4 Vgl. unten S. 246-253. 5 Neuerdings zusammengestellt bei W. MÜLLER, Widerstand gegen die Leibeigenschaft, 18-32. - Die von H. RABE, Leibeigenschaft, vertretene These, daß das „Neuwort Leibeigenschaft . . . in der Zeit des Bauernkrieges von den Bauern selbst eingeführt" wurde (Zitat 103) ist nicht zwingend, weil sie auf methodisch unzureichender Auswertung und empirisch zu schmaler Quellengrundlage gewonnen wurde. Angesichts eklatanter Fehlinterpretationen (vgl. die Besprechung in ZBLG 42, 1979, 190-193) kann die vom Untertitel her vielversprechende Untersuchung („Eine Untersuchung über die Anfänge einer Ideologisierung und des verfassungsrechtlichen Wandels von Freiheit und Eigentum im deutschen Bauernkrieg") hier keine weitere Berücksichtigung finden. * W. MÜLLER, Widerstand gegen die Leibeigenschaft, 12 ff., hat jüngst nachgewiesen, daß die mit dem Evangelium begründete Forderung nach völliger Aufhebung der Leibeigenschaft zunächst im Zürcher Landgebiet im Januar 1524 auftauchte und sich von dort über den Hochrhein (Januar 1525) nach Oberschwaben (Februar 1525) ausbreitete. 3

106

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Freiheit auslösten 7 . Dringlidikeit, Entschiedenheit, Leidenschaftlichkeit 8 der Sprache lassen keinen Zweifel daran, daß die Beseitigung der Leibeigenschaft zumindest in der Anfangsphase des Aufstandes die Hauptforderung der Bauern war. Die Zwölf Artikel bestätigen dies schon in der Präambel, insofern sich die Bauern mit dem Volk Israel vergleichen, das Gott durch das Rote Meer geführt hat. Befreit hat Gott damit sein versklavtes Volk von den ständig wachsenden Fronen, die ihm von tyrannischen Herrschern auferlegt wurden·. Wenn die Artikel einen realen Hintergrund haben, wenn sie die Probleme der Bauern zuverlässig spiegeln, was für Oberschwaben mit einiger Stringenz nachgewiesen werden konnte, dann darf man die Forderung nach Aufhebung der Leibeigenschaft nicht isolieren, sondern muß sie im Zusammenhang mit den affirmativen Artikeln sehen, die Todfall, beschränkte Freizügigkeit und erschwerte Heiratsfähigkeit - sie alle unmittelbare Ausflüsse der Leibherrschaft - zusätzlich angreifen. Generell die Kongruenz von Leibeigensdiaftsbesdiwerden und realhistorischem Hintergrund zu erweisen, macht größte Schwierigkeiten 10 . Mehr zu bieten als thesenhaft zugespitzte Verallgemeinerungen, die nur punktuell empirisch abzusichern sind, ist derzeit nidit möglich. Das Verbreitungsgebiet der Leibeigenschaft deckt sich weitgehend mit dem Aufstandsgebiet von 1525 11 . Es erstreckt sich in der Ost-West-Richtung von Salz7

So übereinstimmend die westliche Forschung. Vgl. für den Forschungsstand allgemein G. FRANZ, Artikel Leibeigenschaft, in: H . RÖSSLER - G. FRANZ, Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, 1958, 624 und C . GOEHRKE, Artikel Leibeigenschaft, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 3, 1969, 1403. Insbesondere ist auf folgende Spezialuntersuchungen zu verweisen, die größtenteils auch, meist in Anlehnung an FRANZ, die Leibeigenschaft für wirtschaftlich bedeutungslos halten. D . WEHRENBERG, Allmendrechte, 3 0 - 3 3 . - M . TISCHLER, L e i b e i g e n s c h a f t W ü r z b u r g , 9 3 - 9 7 , 114. - J . TACKE,

Agrarverfas-

sung der oberen badischen Markgrafschaft, 55. - A. STROBEL, Agrarverfassung, 33-38 (zurückhaltender in pauschalen Urteilen). - H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 212. - K . S. BADER, Grundlagen dörflichen Verfassungslebens im südwestdeutschen Raum, in: Montfort 21 (1969), 276. Die wichtigsten Belege sind relativ rasch über das Register (Betreffe: Eigenschaft, Leibfall etc.) bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, zu erschließen. • 2. Moses 5-14. 1 0 Für den oberdeutschen Raum führen bisher nur die Arbeiten von W. MÜLLER und C. ULBRICH (vgl. Literaturverzeichnis) weiter, die vorwiegend auf den südalemannischen Raum beschränkt bleiben. - Die Urteile über die Bedeutung der Leibeigenschaft im Bauernkrieg werden von der Kenntnis des 16. Jahrhunderts her gefällt - eine Ausnahme macht hier lediglich H . KLEIN - und beschränken sich in generalisierenden Aussagen darauf, die von TH. KNAPP formulierten Ergebnisse zu bekräftigen. Vgl. dazu 8

SAARBRÜCKER ARBEITSGRUPPE, L e i b e i g e n s c h a f t i n O b e r s c h w a b e n , 1 0 f . 11

Eine erste Zusammenstellung bei TH. KNAPP, Leibeigenschaft in Deutschland, 347, fiir Süddeutschland und die Alpenländer auch O . STOLZ, Bauernbefreiung in Süddeutschland, 23-32. Vgl. dagegen einschränkend F. LÜTGE, Agrarverfassung, 105 ff., der die Leibeigenschaft im wesentlichen als ein Problem des deutschen Südwestens betrachtet. - Daß das Verbreitungsgebiet weiter gezogen ist, zeigen H . RABE, Leibeigenschaft, und W. MÜLLER, Widerstand gegen die Leibeigenschaft, 10.

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

107

bürg bis ins Elsaß 12 - lediglich Tirol kennt sie 1525 nur mehr in Relikten1® - , in der Süd-Nord-Riditung von der Schweiz bis nach Franken 14 . Um 1525 kann noch nicht durchgängig von einem rechtlich nivellierten, einheitlichen Untertanenverband auf der Basis einer Territorialleibherrschaft15 gesprochen werden 16 : Je größer in einem Gebiet die Unterschiede aufgrund verschieden intensiver persönlicher Abhängigkeiten waren, desto drückender mußten die rechtlichen Folgen der Leibeigenschaft - Verbot der Freizügigkeit, Einschränkung der Heiratsfähigkeit - empfunden werden. Die Leibeigenen der Herren von Thun äußerten sich auf dem Innsbrucker Landtag von 1525, sie hätten „kain beschwerd der leibaigensdiafft . . . anders dann, daz sy sich der schämen und nit so stattlicher verheyrat werden mugen" 17 . Derartige Belege ließen sich häufen. Sie zeugen insgesamt für die Komplikationen, die sich aus der Leibeigenschaft ergeben konnten: Der Kreis der Heiratsfähigen war durch die Ehebeschränkungen um 1500 oft so eng gezogen, daß der Grad der Verschwägerung den Bauern die Verheiratung unmöglich machte18. Die wirtschaftlichen Belastungen beschränkten sich wohl weitgehend auf eine Rekognitionsgebühr in Form eines Leibschillings oder Leibhuhns, auf die Leibsteuer als jährlich zu entrichtende Abgabe und den Todfall in Form des besten

12

Für Salzburg H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg. A. HOLLAENDER, Salzburger Bauernkrieg, 19 f.; f ü r das Oberrheingebiet neben den älteren Arbeiten von J. TACKE, Agrarverfassung der oberen badischen Markgrafsdiaft, 55 ff., A. STROBEL, Agrarverfassung, 33 ff., H . OTT, Agrarverfassung im Oberrheingebiet, 128-133 und K. R. KOLLNIG, Freie Bauern in elsässisdien Weistümern, 124 f., die abschließende Untersuchung

13

Vgl. dazu die Verhandlungen auf dem Innsbrucker Juni-Juli-Landtag von 1525. L R A T I , Landtagsakten Fasz. 2. Für die Schweiz zusammenfassend W. MÜLLER, Spätformen der Leibeigenschaft; f ü r Württemberg O. HERDING, Leibeigenschaft im H e r z o g t u m Wirtemberg; f ü r Franken M. TISCHLER, Leibeigenschaft W ü r z b u r g (die Bedeutung der Leibeigenschaft bestreitet R. ENDRES, Sozialökonomische Lage, 63); f ü r die K u r p f a l z ΤΗ. KNAPP, Leibeigenschaft in Deutschland, 347. - An neueren Arbeiten, die das hier skizzierte Bild im wesentlichen bestätigen, aber audi differenzieren, sind herauszuheben: C. ULBRICH, Leibherr-

v o n C . ULBRICH, L e i b h e r r s c h a f t .

14

schaft u n d W . v. HIPPEL, B a u e r n b e f r e i u n g , 15

16

17 18

143-172.

Der Begriff Territorialleibherrschaft ist dem bis heute gebräuchlichen der Lokalleibeigenschaft vorzuziehen, weil er deutlicher erkennen läßt, d a ß die Leibherrschaft als Instrument der Territorialpolitik in einem bestimmten, aber über „lokalen"'' Interessenbereich eingesetzt wurde. - Der Begriff hat sich mittlerweile in der Forschung durchgesetzt. Vgl. dazu etwa die beiden wichtigsten Publikationen (dort jeweils die Register) von C. ULBRICH, Leibherrschaft und W. v. HIPPEL, Bauernbefreiung. Vgl. etwa K. R. KOLLNIG, Freie Bauern in elsässischen Weistümern und Η . OTT, A g r a r verfassung im Oberrheingebiet, 128 f. H . WOPFNER, Die Lage Tirols zu Ausgang des Mittelalters, 1908, 73. Für das Oberrheingebiet nachgewiesen bei C . ULBRICH, Leibherrschaft; ergänzend (vornehmlich f ü r den schweizerischen Raum) W. MÜLLER, Spätformen der Leibeigenschaft, 42.

108

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Stüdes Vieh und des besten Kleides 1 ·. Lagen alle diese Abgaben auf dem Leibeigenen, waren sie zweifellos spürbar, zumal die Leibsteuern stattliche Höhen erreichen konnten 20 . In der Regel ist von dieser dreifachen Verpflichtung lediglich die Todfallabgabe überregional verbreitet, so daß die Belastung um so höher wurde, je geringer der Viehbestand der einzelnen bäuerlichen Wirtschaft war. Vieh war neben dem Arbeitsgerät der einzige Vermögenswert des Bauern, über den er frei verfügen konnte 21 ; ihn zu „besteuern", mußte den Bauern besonders hart treffen. Nun sind verläßliche Zahlen, die eine Schätzung des durchschnittlichen Viehbesatzes eines Hofes erlauben, selten. Große Unterschiede sind hier mit Sicherheit anzunehmen. Ein Vollbauer, in der Regel mit 4 Pferden und einem mehrfachen an Rindern ausgestattet, konnte die Besthauptabgabe leicht ertragen, während sie für den Kleinbauern und Söldner zu einer drückenden Belastung werden konnte. Die Abgaben aufgrund persönlicher Abhängigkeiten im 16. Jahrhundert setzen eine Verschleifung der Unterschiede zwischen den spätmittelalterlichen Eigenleuten und Zinsern voraus 22 . Die Besthauptabgabe war ursprünglich ein Zeichen der Zinserschaft, während der Leibherr von seinem Eigenmann die Hinterlassenschaft oder Teile der Verlassenschaft einzog, in der Regel freilich nur dann, wenn die Leibeigenen kinderlos starben oder verheiratete Kinder hinterließen. Teilweise wurde diese Praxis noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts geübt 23 . In welchem Umfang auf diese Weise persönliche Vermögenswerte einer Familie, die sie möglicherweise über Generationen hin hatten ansammeln können, von den Herrschaften eingezogen wurden, nachdem die nächsten Verwandten nach den Kindern

" So ziemlidi übereinstimmend, in der Regel allerdings erst für das 16. Jahrhundert exakt nachzuweisen, M . TISCHLER, Leibeigenschaft Würzburg, 8 0 - 8 7 ; J. TACKE, Agrarverfassung der oberen badisdien Markgrafschaft, 56 f.; O. HERDING, Leibeigenschaft im Herzogtum Wirtemberg, 1 7 0 ; T H . K N A P P , Leibeigenschaft in Deutschland, 3 4 9 ; W. MÜLLER, Freie und leibeigene St. Galler Gotteshausleute, 7, 10; H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 182, 184 f., 187. 20 M. TISCHLER, Leibeigenschaft Würzburg, 80-87, weist nach, daß in einzelnen Ämtern die Leibsteuer 2 fl jährlich ausmachen konnte. 11 Für die Zeit vor 1525 ist zu bezweifeln, ob Vieh besteuert wurde; soweit sich sehen läßt, beschränkte sich die Besteuerung auf das liegende Gut. 22 Vgl. H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 251 f. W. MÜLLER, Freie und leibeigene St. Galler Gotteshausleute, 7. 23 Eine Zusammenstellung von Belegen, auch für die Zeit nach 1525, bei TH. KNAPP, Leibeigenschaft in Deutschland, 349 f. - Für den Oberrhein Belege bei C. ULBRICH, Leibherrschaft, 1 0 8 und H . BAIER, Zur Vorgeschichte des Bauernkriegs, 1 8 8 - 2 1 8 . - W. MÜLLER, Widerstand gegen die Leibeigenschaft, 8, hält den „Herrenanspruch an den Nadilaß" neben den Ehehindernissen für „die charakteristischen und audi am stärksten belastenden Kennzeichen leibrechtlicher Bindungen . . . an der Schwelle zur Neuzeit".

1.3

Krise der A g r a r v e r f a s s u n g - K r i t i k des f r ü h m o d e r n e n Staates

109

nidit erbberechtigt waren, läßt sich kaum abschätzen24. Zusammen mit dem Einzug oder teilweisen Einzug des liegenden 25 und fahrenden Vermögens von ungenossam verheirateten Leibeigenen20, der für die Feudalherren um so erklecklicher sein mußte, je mehr die Bauern durch Einengung der Heiratsmöglichkeiten gezwungen wurden, ungenossame Ehen einzugehen, wird man aufs Ganze gesehen an einer allmählichen, möglicherweise auch nur bescheidenen Bereicherung der Herren und einer Verarmung des Bauernstandes kaum zweifeln können 27 . Die Beschwerden über die Leibeigenschaft würden sich als bloß revolutionäres Symbol entlarven, wenn der Verschmelzungsprozeß zwischen Zinsern und Eigenleuten durchweg eine rechtliche Besserstellung des Bauernstandes und damit eine wirtschaftliche Entlastung gebracht hätte. Nicht bestreiten läßt sich, daß sich infolge der Wirtschaftsentwicklung des 12./13. Jahrhunderts die Formen der Unfreiheit lockerten, die Freizügigkeit wuchs, die wirtschaftliche Selbständigkeit zunahm und damit die Unterschiede zwischen frei und unfrei als Kriterien sozialer Abgrenzung verblaßten 28 . Im alemannisch-schwäbischen Raum findet diese Entwicklung eine begriffliche Entsprechung derart, daß die Untertanen fordern und teilweise auch durchsetzen, „freie

Gotteshausleute" und „freie

Herrschaftsleute"

zu sein29. Die Unfreiheit als Rechtsinstitut war damit nicht verschwunden und

84

Vgl. TH. KNAPP, Leibeigenschaft in Deutschland, 349 f. Salem zieht beim T o d seiner Leibeigenen, vorausgesetzt die K i n d e r sind verheiratet, die gesamte F a h r h a b e ein; allein Eigengüter gehen an die nächsten V e r w a n d t e n ; H . BAIER, Z u r Vorgeschichte des B a u e r n kriegs, 210. - St. G e o r g e n zieht v o n U n v e r h e i r a t e t e n die gesamte Hinterlassenschaft „von f a r e n d e m guot u n d v o n aigen guot, d z nit lehen ist", ein. E b d . 217. 25 Vgl. f ü r die Feudalisierung v o n bäuerlichem A l l o d allgemein H . EBNER, D a s freie Eigen, 1969, 257 f. " Belege f ü r den gesamten oberdeutschen R a u m bei W . MÜLLER, S p ä t f o r m e n der Leibeigenschaft, 32 ff. - D a m i t sind noch nicht die S t r a f e n , sondern nur die erbrechtlichen K o n s e q u e n z e n b e r ü h r t . Auch die S t r a f e n , die u n m i t t e l b a r nach der Eheschließung w i r k sam w u r d e n , k o n n t e n erhebliche Vermögenseinbußen bedeuten. D a s ausgehende M i t t e l alter a h n d e t die ungenossame Ehe mit E i n z u g des Gutes (Lindau, Allerheiligen, Weitenau, K o n s t a n z ) , jährliche N a t u r a l a b g a b e n (Besthaupt) o d e r G e l d a b g a b e n u n d schließlich mit einmaligen G e l d b u ß e n in H ö h e v o n 3 fl bis 100 P f d . P f g . Vgl. ebd. 31 f. 27 Eine ähnliche, jedenfalls v o n seiner älteren I n t e r p r e t a t i o n abweichende Beurteilung h a t W . MÜLLER in seiner letzten A r b e i t zu diesem T h e m a ( W i d e r s t a n d gegen die Leibeigenschaft, 3 2 - 3 7 ) gegeben. - Eine straffere Z u s a m m e n f a s s u n g bietet W . MÜLLER, Freiheit u n d Leibeigenschaft - soziale Ziele des deutschen Bauernkrieges? in: P. BLICKLE, Revolte, 264-272. 28 K . BOSL, A r t . Leibeigenschaft, in: H . RÖSSLER - G . FRANZ, Sachwörterbuch z u r d e u t schen Geschichte, 1958, 6 2 1 ; C . GOEHRKE, A r t . Leibeigenschaft, i n : Sowjetsystem u n d demokratische Gesellschaft, 1402; K . R . KOLLNIG, Freie Bauern in elsässischen Weistüm e r n , 115 f., H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 182. 29 G r u n d l e g e n d f ü r den schweizerischen R a u m W . MÜLLER, Freie Gotteshausleute. Z u r P r o blematik ständischer Benennungen in Quellen des 14. bis 17. J a h r h u n d e r t s , in: Zeitschrift der S a v i g n y - S t i f t u n g f ü r Reditsgeschidite, germanistische A b t e i l u n g 92 (1975), 89-104. F ü r den O b e r r h e i n C . ULBRICH, Leibherrschaft, bes. 255 ff., 272 f. - G. FRANZ, B a u e r n krieg, 18.

110

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

konnte nach Bedarf reaktiviert werden. Eine solche Lage war mit der spätmittelalterlichen Agrarkrise gegeben: Die Freizügigkeit mußte eingeschränkt werden, um die Bewirtschaftung der Güter sicherzustellen30; die ungenossame Ehe mußte durch hohe Strafen unterbunden werden, um Erbfolgeschwierigkeiten und rechtliche Komplikationen mit anderen Herren im Gefolge der Territorialisierungsbestrebungen zu vermeiden 31 ; die Abgaben mußten, soweit dies möglich war, gesteigert werden, um die Einkommenseinbußen der Grundherren beim Verfall der Getreidepreise abzugleichen. Hatten sich bis zum 14. Jahrhundert die rechtlichen Unterschiede weitgehend eingeebnet, so konnte eine Verschärfung persönlicher Abhängigkeiten bedeuten, daß unterschiedslos freie Muntleute, Zinser und Leibeigene den neuen Formen der Leibeigenschaft unterworfen wurden. Das Wildfangredit war ein weiteres Mittel, den Kreis der Leibeigenen zu erweitern 32 . Das 15. Jahrhundert wird beherrscht von Klagen über Höherbelastungen, Heiratsverbote und Freizügigkeitsbeschränkungen, die bisher offensichtlich nicht üblich waren 33 . Sollte dies ein Zufall der Überlieferung sein? Koppelt man solche zweifellos ergänzungsbedürftigen Daten mit den stärker empirisch abgesicherten Ergebnissen des schwäbischen Raumes 34 , wird man zweierlei festhalten müssen: eine Intensivierung persönlicher Abhängigkeiten zwischen dem ausgehenden 14. und dem mittleren 15. Jahrhundert und eine allmähliche Entschärfung der Leibeigenschaft in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts. Dies berechtigt, von einer „zweiten Leibeigenschaft" nicht nur für Ostelbien, sondern auch für den oberdeutschen Raum zu sprechen35. Wenn der Kulminationspunkt der zweiten Leibeigenschaft um 1450 nicht hinreichte, über vereinzelte Re80

31

32

35

H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 156, 176 f. - W. MÜLLER, Spätformen der Leibeigenschaft, 24. W. MÜLLER, Spätformen der Leibeigenschaft, 24 ff. Instruktiv ist hier audi die Badisdie Landesordnung von 1495. Druck bei G. K. SCHMELZEISEN, Polizei- und Landesordnungen I, 1 4 2 . H . KLEIN, Eigenleute des Erzstifts Salzburg, 195. - TH. KNAPP Leibeigenschaft in Deutschland, 359 f. - Für Basel C. ULBRICH, Leibherrschaft, 228, 232, 277. - F. TREMEL, Wirtschaftsgeschichte Österreichs, 130. Vgl. dazu ausführlich C. ULBRICH, Leibherrschaft. Ergänzend für den Sdvwarzwald J. BADER, Urkundenreste über das ehemalige sank-blasisdie Waldamt, in: ZGO 6 (1855), 2 2 6 - 2 5 0 , 3 5 8 - 3 8 2 , 466—487. I m G e g e n s a t z z u KOLLNIG w i r d m a n in d e n F r e i e n des E l -

sasses, die wie Leibeigene belastet sind, nicht Privilegierte des Hochmittelalters sehen müssen, sondern Depossedierte des Spätmittelalters sehen können. Vgl. K. R. KOLLNIG, Freie Bauern in elsässischen Weistümern, 123 ff. - K. S. BADER, Das Benediktinerinnenkloster Friedenweiler und die Erschließung des südöstlichen Schwarzwaldes, in: ZGO 52 (1939), 90. - W. MÜLLER, Abgaben von Todes wegen, 40. - Für neue Perspektiven vgl. demnächst die Saarbrücker Dissertation von P. BIERBRAUER, Freiheitsvorstellungen in der bäuerlichen Gesellschaft. 54

V g l . o b e n S. 4 0 - 5 0 .

35

Vgl. die Artikel Leibeigenschaft und zweite Leibeigenschaft, in: ökonomisches Lexik o n , 2 . B d . , 2 1 9 7 1 , 4 3 f . u n d C . GOEHRKE, A r t . Leibeigenschaft, 1 4 0 7 . - E r g ä n z e n d , v o r -

1.3

Krise der A g r a r v e r f a s s u n g - K r i t i k des friihmodernen Staates

111

volten 36 hinaus eine vergleichbare Reaktion wie 1525 mit dem Argument zu bewirken, daß die „natur alle menschen fry hat geborn und eygenschaft wider natur ist ingefürt" 37 - um es mit Erasmus von Rotterdam zu sagen bleibt zu fragen, was die Leibeigenschaft im Verbund mit anderen Herrschaftsberechtigungen bedeutet hat.

1.3.1.2

Belastungen der Landwirtschaft durch die Grundherrschaft

Kennzeichnend für die spätmittelalterliche Entwicklung der Agrarverfassung ist eine Verbesserung der bäuerlichen Besitzrechte1. Von der befristeten Leihe auf eine bestimmte Zahl von Jahren oder auf Lebenszeit geht der Weg zum vererbbaren Lehen. Dies mag seitens der Grundherren verschiedene Ursachen haben: den Anreiz zur Abwanderung zu mindern, die Investitionsbereitschaft zu erhöhen, Herrschaftsrechte zu kapitalisieren. Ohne Zweifel förderte allerdings auch der Druck seitens der Bauern die Rechtsverbesserung ganz erheblich2. Damit ist freilich über die Belastung der Bauern noch wenig gesagt3. Zwar konnten die Abgaben bei Erbgütern nicht erhöht werden, doch zeigt sich auch bei den Fallgütern, deren Abgaben rechtlich bei jedem Besitzerwechsel neu festgesetzt werden konnten, daß eine Gült- und Zinssteigerung vor dem 16. Jahrhundert kaum erfolgt ist4. Wenn auch da und dort die Erbbaugüter geringer belastet gewesen sein mögen als die Freistiftgüter oder Fallehen 5 , so sind gravierende Unterwiegend f ü r die ostelbisdien Gebiete G . HEITZ, Z u m C h a r a k t e r der „zweiten Leibeigenschaft", i n : ZfG 20 (1972), 2 4 - 3 9 . M

Vgl. neben den schon für Oberschwaben genannten Belegen summarisch G . FRANZ, Bauernstand, 131 if. I m Einzelfall sind A u f s t ä n d e a u f g r u n d einer Verschärfung der Leibeigenschaft f ü r den O b e r r h e i n u n d die Schweiz festzustellen.

" Z i t a t nach F. MARTINI, D a s B a u e r n t u m im deutschen Schrifttum von den A n f ä n g e n bis z u m 16. J a h r h u n d e r t , 1944, 251. Ι V g l . F . LÜTGE, A g r a r v e r f a s s u n g , 9 4 f f . , 1 7 6 ff. -

T H . KNAPP, B e i t r ä g e , 1 1 1 , 4 2 4 . -

O.

STOLZ, Rechtsgesdiichte, 125 ff. - Besonders überzeugend f ü r Bayern herausgearbeitet durch G.KIRCHNER,Probleme der spätmittelalterlichen Klostergrundherrschaft in B a y e r n : * F ü r O b e r s d i w a b e n vgl. die Belege oben S. 85 f.; f ü r Tirol die L a n d e s o r d n u n g von 1404, die nach der P r ä a m b e l ihr Entstehen den Ständen v e r d a n k t , man wird sagen können den Geriditsvertretern, w e n n v o n 22 A r t i k e l n 17 den Bauleuten gewidmet sind. Drude bei H . WOPFNER, Beiträge z u r Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe Deutschtirols im Mittelalter (Untersuchungen zur Deutschen Staats- u n d Rechtsgeschichte, 67 H ) , 1903, 203-209. - F ü r den oberdeutschen R a u m insgesamt P. BLICKLE, Agrarverfassungsvertrag. 3 Die Agrargeschichte h a t sich bislang vorwiegend mit Fragen der Agrarverfassung beschäftigt, nicht zuletzt deswegen, weil das f ü r eine statistische A u s w e r t u n g vorliegende Material lückenhaft u n d m i t nur erheblichem Z e i t a u f w a n d zu bearbeiten ist. Vergleichbare Untersuchungen, wie sie etwa E. LE ROY LADURIE, Les paysans de Languedoc, 1966, f ü r Frankreich vorgelegt h a t , fehlen f ü r Deutschland. D a ß sie möglich sind, h a t D . W . SABEAN, Landbesitz, bewiesen. 4

T H . KNAPP, B e i t r ä g e , 4 1 0 .

5

H . WOPFNER, B e r g b a u e r n b u c h , 4 8 0 f f .

112

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

schiede in Mitteleuropa kaum zu sehen. Für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts kann man unter Berücksichtigung der Zehnten mit einer durchschnittlichen Abgabenbelastung von rund 30°/o vom Bruttoertrag rechnen®. J e nach der Größe des Betriebes, dem Grad der Spezialisierung und der Intensität der Marktverfleditungen konnte das reale Einkommen der Bauern stark variieren, wenn auch generell nicht daran gezweifelt werden kann, daß die Belastung insgesamt hoch war 7 . Für die breite mittelbäuerliche Schicht wird man damit rechnen können, daß ihre Nettoerträge eben hinreichten, um ihr Leben zu fristen 8 . Bäuerlicher Wohlstand, den Chroniken und literarische Zeugnisse der Zeit mit ihren plastischen Schilderungen von Kleiderluxus, Freß- und Saufgelagen kaustisch karikieren und die damit die Ausnahmesituation beschreiben, wird auf eine bäuerliche Oberschicht beschränkt gewesen sein, die man sich nicht allzu breit denken darf®. Die zunehmende Differenzierung der ländlichen Gesellschaft in Ober-, Mittelund Unterschicht wurde überlagert durch die steigende Marktverflechtung der Bauern, die in den Aufstandsgebieten mit ihrem Städtereichtum in der Regel gegeben war. Bei extrem hohen Ernteschwankungen 10 konnten die fixierten Abgaben nicht mehr aufgebracht werden. Besonders die auf Ackerbau, Viehzucht oder Weinbau spezialisierten Bauern konnten bei Mißernten, soweit es sich um Kleinund Mittelbetriebe handelte, keine Überschüsse auf den Markt bringen und damit weder die benötigten, nicht selbst hergestellten Produkte kaufen noch die Verpflichtungen gegenüber ihrem Grundherrn erfüllen. Für das Elsaß - ein unter diesem Aspekt besonders gut untersuchtes Gebiet 11 - lassen sich Mißernten für die

* So W. ABEL, Landwirtschaft, 142 ff. - Seine Berechnungen werden durch die regionalen Untersuchungen in der Regel bestätigt. Vgl. für die Schweiz W. SCHNYDER, Bevölkerung Zürichs, 109; für Franken R. ENDRES, Bauernkrieg in Franken, 38 f.; DERS., Probleme, 93; für das Elsaß errechnet R a p p eine grundherrliche Belastung von mindestens 25°/o vom Ertrag bei Wein- und Ackerbau. F. RAPP, Bauernkrieg im Unterelsaß, 35. 7

W . ABEL, L a n d w i r t s c h a f t , 145.

W. ABEL, Landwirtschaft, 96 f. - DERS., Agrarkrisen, 81. * E. KELTER, Ursachen des Bauernkriegs, 670-681, gibt zu bedenken, daß selbst der marktorientierte Bauer seine Produkte unter Wert verkaufen mußte, weil er den Markt nicht frei wählen konnte. Die Möglichkeit der Magazinierung bei Städten und Landesherren konnte dem Bauern auch bei knappen Ernten die Preise verderben. Über die Möglichkeiten der Bauern, Getreidehandel zu betreiben, ist wenig bekannt. Vgl. G. FRANZ, Die 8

Geschichte des deutschen L a n d w a r e n h a n d e l s ,

i n : G . FRANZ - W . A B E L -

G.

CASCORBI,

Der deutsche Landwarenhandel, 1960, 30 ff. Beispiele für überdurchschnittlichen Reichtum einzelner Bauernfamilien, den die Chroniken im Auge haben, lassen sich wohl in allen Herrschaftsgebieten finden. Vgl. etwa für das Elsaß F. RAPP, L'aristocratie paysanne du Kochersberg, in: Bulletin philologique et historique, 1967, Paris 1969, 439-450. - DERS., Bauernkrieg im Unterelsaß, 36 ff. 10

11

F. RAPP, Bauernkrieg im Unterelsaß, 38 f., weist die immer stärker werdenden Preisschwankungen während des 15. Jahrhunderts mit konkretem Zahlenmaterial nach. Die Niedrigstpreise für ein Viertel Korn fallen während des 15. Jahrhunderts von 40 Pfennig auf 26 Pfennig, die Höchstpreise steigen von 90 Pfennig auf 160 Pfennig. Ebd., 39 f.

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

113

Jahre 1480-1483, 1490-1492, 1500-1503 und 1516-1519 nachweisen - zeitgleich werden viele Höfe aufgegeben 12 , zwei Beobachtungen, die sich wohl kausal miteinander verknüpfen lassen. Duldet man Verallgemeinerungen, so ist festzuhalten, daß die Belastung der Landwirtschaft durch die Grundherrschaft vor 1525 hodi war, aber nicht erhöht wurde 13 . Beharrt man auf der regionalen Differenzierung, muß man ergänzend hinzufügen, daß die Herren wenige Jahrzehnte vor 1525 da und dort über die Besitzwediselgebühren höhere Einkünfte zu erzielen suchten14. Dies dürfte vornehmlich für die kleineren adeligen Grundherren gelten15, deren Feudalrente für ein standesgemäßes Leben nicht mehr im Entferntesten hinreichte16. Doch audi in größeren Territorien lassen sich derartige Steigerungen der Feudalrente über die Besitzwechselgebühren nachweisen: In Franken wurde der Handlohn verbreitet von 5 auf 10°/o und darüber hinaus angehoben und im Hochstift Bamberg sogar bei der Auszahlung der Kinder erhoben 17 ; im Hochstift Salzburg 18 und in der Grafschaft Tirol 19 gehören die dort „Anleit" bzw. „Auf- und Abzug" genannten Besitzwechselgebühren zu den bäuerlichen Gravamina von 1525, die sich jedoch wie die Forderung nach Verringerung der Gülten wohl hauptsächlich gegen den Adel und die Klöster richteten. Als Alternativen boten sich an: die Verhältnisse als gegeben hinzunehmen und damit von den Reichsstädten ausgekauft zu werden oder andere Einkommensquellen zu erschließen und dadurch Prozesse mit den Untertanen zu riskieren. Die Besitzwechselgebühr bot die einzige Möglichkeit, die Feudalrente zu erhöhen 20 . Die gleichbleibenden grundherrlichen Belastungen wurden um so drückender, je kleiner der Hof war. Nun steht außer Zweifel, daß sich die Mann-Land-Relation

12 13

14 15 16

17 18

Vgl. für Oberschwaben oben S. 53 f. F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 136, hat nachgewiesen, daß im fränkisch-schwäbisdien Grenzgebiet um 1510 der sog. Ehrschatz eingeführt wird (ca. 25°/o vom bisherigen Zins), der die Verschlechterung der Silberwährung ausgleichen soll. F. GRAF, Bauern im Nürnberger Gebiet, 31. Auf breiter Basis setzen sich die Besitzwechselabgaben erst im 16. Jahrhundert durch. Vgl. die Zahlen bei W. ABEL, Agrarkrisen, 77 und F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 125 ff. Nähere Einblicke ermöglicht die Untersuchung von R. ENDRES, Sozialökonomische Lage. R. ENDRES, Sozialökonomisdie Lage, 65. P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n , 5 2 7 f .

' · F . STEINEGGER - R . SCHOBER, P a r t i k u l a r b e s c h w e r d e n d e r T i r o l e r . 20

Die zur Verfügung stehenden Untersuchungen stammen im wesentlichen von D. W. SABEAN, Landbesitz und F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 132 ff. - Pietsch weist nach, daß die Besitzwechselgebühr ursprünglich in der symbolischen Abgabe einer Maß Wein bestand, gegen 1520 jedoch 15% des Gutswertes ausmachte. Das war, soweit Berechnungen überhaupt möglich sind, das 20 - 30fache einer Jahresgült. Legt man eine durchschnittliche Besitzdauer von 20 - 30 Jahren zugrunde, so bedeutete dies aufs Jahr umgerechnet eine Belastungssteigerung von 100°/o.

114

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

ausgangs des 15. und während des 16. Jahrhunderts ständig verschlechterte 21 . Selten hatte der landwirtschaftliche Betrieb noch die Größe einer normalen Hufe 2 2 . Großteils durch Gutszerschlagungen, seltener durch Aufteilung von Allmenden erhöhte sich ausgangs des 15. Jahrhunderts die Zahl der Söldner, Häusler und Gärtner. Detaillierte Untersuchungen in Thüringer Ämtern lassen Einzelheiten dieses Prozesses deutlicher erkennen: Zwischen 1496 und 1542 stieg die Zahl der Steuerpflichtigen von 763 auf 1231, die der Bauernstellen von 670 auf 784 (Gutsteilungen) und die des Gesindes von 58 auf 249 23 . Mit anderen Worten: nur ein Viertel der zunehmenden Bevölkerung konnte mit landwirtschaftlichen Betrieben ausgestattet werden, der größere Teil sank offensichtlich auf das unterste dörfliche Stratum ab, soweit er nicht abwanderte. Wo immer genauere Einblicke in die ländliche Sozialstruktur möglich sind, weisen die Dörfer um 50°/o ländliche Unterschichten aus 24 . Unerheblich niedriger sind die Werte, wenn man nicht von den Besitzgrößen, sondern von den Vermögensverhältnissen her die ländliche Gesellschaft zu gliedern sucht: Für Thüringen 25 , Sachsen 26 , Franken 27 und Württemberg 28 liegt der Anteil der Vermögenslosen (bis 25 fl) an der gesamten ländlichen Bevölkerung bei 4 0 5 0 % - er verringert sich in bestimmten Regionen Sachsens 29 und erhöht sich in

21

22

W . ABEL, M a s s e n a r m u t , 29.

So schon ΤΗ. KNAPP, Beiträge, 435; G. FRANZ, Bauernkrieg, 292. E. SCHWARZE, Ostthüringische Ämter, 257 f. 24 Vergleichbares Zahlenmaterial für das Gebiet der Reichsstadt Ulm, das Herzogtum Württemberg, Sachsen, die Lausitzen bei G. FRANZ, Bauernstand 215-225. - Lediglich in Sachsen liegen die Werte erheblich unter 40°/o. (Der Berechnung werden die greifbaren Zahlen bis 1550 zugrundegelegt). Vgl. für Sachsen abweichend M. STRAUBE, Amt Allstedt, 41, der rund 50% Unterschichten ausmacht. - Ergänzend für Schwaben H. GREES, Seldnertum im östlichen Schwaben, 139. 25 D. LOESCHE, Bauern Mühlhausen, 66 ff. - Für Thüringen ergibt sich nach den jüngeren Untersuchungen ein differenzierteres, regional unterschiedliches Bild. Vgl. dazu vor allem die in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin" Leipzig III, 1977, abgedruckten Beiträge eines Kolloquiums „Handel und Produktion im thüringisch-sächsischen Raum, vornehmlich im 16. Jahrhundert"; hier wird neues Quellenmaterial verarbeitet. ! * K. BLASCHKE, Soziale Gliederung und Entwicklung der sächsischen Landbevölkerung im 16. bis 18. Jahrhundert, in: ZAA 4 (1956), 144 ff. 27 R. ENDRES, Bauernkrieg in Franken, 37. - Für Bayern, das hier nur wegen des Vergleichsmaterials interessieren kann, beträgt die Zahl der Söldner um 50°/o. P. FRIED, Historisch-statistische Beiträge zur Geschichte des Kleinbauerntums (Söldnertums) im westlichen Oberbayern, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in München 51 1966), bes. 20. 28 G. FRANZ, Bauernstand, 224. Für das westliche Bodenseegebiet H . BAIER, Des Klosters Salem Bevölkerungsbewegung, Finanz-, Steuerwesen und Volkswirtschaft seit dem 15. Jahrhundert, in: Freiburger Diözesanardiiv 35 (1934), 62. 29 K. BLASCHKE, Soziale Gliederung und Entwicklung der sächsischen Landbevölkerung im 16. bis 18. Jahrhundert, in: ZAA 4 (1956), 144 ff. 25

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

115

Teilgebieten Thüringens 3 0 . Setzt m a n solche Zahlen in Relation zu den städtischen Vermögen Hessen 3 1

eindringliches Belegmaterial liefern dazu das Mittelrheingebiet und dann kann über die verbreitet ärmlichen Verhältnisse a u f dem L a n d

kein Zweifel bestehen 3 2 . Die Brauchbarkeit eines solchen Befundes erhärten die D a t e n über die V e r schuldung der Landwirtschaft: In Gebieten der Steiermark ist die Z a h l der Schuldner beängstigend hoch, die Schuldsummen sind überraschend niedrig, entsprechen im Durchschnitt dem Marktpreis für ein bis zwei Ochsen, liegen aber oft 10 und mehr J a h r e auf dem H ö f . D a s heißt, d a ß selbst geringfügige Schulden k a u m a b getragen werden k o n n t e n 3 3 . F ü r Teile Tirols ist eine Verschuldung v o n

durch-

schnittlich 5 0 ° / o des Gutswertes zu errechnen 3 4 . F ü r das Elsaß ist generell eine „Überschuldung" der B a u e r n mit hinreichend breitem Quellenmaterial zu belegen 3 5 . I n welchem U m f a n g solche Entwicklungen soziale Sprengkraft besaßen, ist -

um d a r a u f wenigstens marginal einzugehen -

verfügbare

Quellenmaterial

naturgemäß

von

k a u m abzuschätzen, zumal das

innerdörflichen

Konflikten

spricht 3 6 . E i n äußerst kompliziertes Gefüge antagonistischer Interessen im m u ß angenommen werden, das mindestens durch drei Gruppierungen w u r d e : Bauern, Kleinbauern (Söldner) und ländliche L o h n a r b e i t e r 3 7 .

kaum Dorf

bestimmt Möglicher-

D . LOESCHE, Bauern Mühlhausen, 68. W . - H . STRUCK, Bauernkrieg am Mittelrhein, 70 ff. 3 2 Ein breites Vergleichsmaterial fehlt noch. Für Mühlhausen errechnet D . LOESCHE, Bauern Mühlhausen, 7 1 , 9 % Vermögenslose in der Stadt gegenüber 5 0 % auf dem Land und ein durchschnittliches städtisches Vermögen von 63,6 Geschoßmark gegenüber 8,2 G M auf dem Land. Möglicherweise waren in Süddeutschland die Gegensätze weniger scharf ausgeprägt; vgl. die spürbar höhere Zahl der Vermögenslosen in oberschwäbischen Reichsstädten, P. EITEL, Reichsstädte, 119. 3 3 F. TREMEL, Wirtschaftsgeschichte Österreichs, 133. 3 4 H . WOPFNER, Die Verschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes in Tirol seit Ausgang des Mittelalters, in: Z B L G 12 (1939), 120. 3 5 F. RAPP, Bauernkrieg im Unterelsaß, 41. 3 * Die von D . W. SABEAN, Landbesitz, formulierte These vom Gegensatz Bauer - Söldner als Motiv für den Bauernkrieg hat starke positive Resonanz gefunden (vgl. Ζ. Β. ΤΗ. KLEIN, Folgen, 69). Das dieser These zugrundeliegende peasant - economy - Konzept mit seiner Kategorisierung der ländlichen Gesellschaft nach dem Grad der Marktverflechtung läßt sich empirisch nicht bestätigen. SABEAN kann für den von ihm bearbeiteten Raum lediglich zwei, dazu nodi umstrittene Beispiele vorweisen. 3 7 Die ländliche Lohnarbeiterschaft (und ihre Rechtsstellung im Dorf) ist erst in den letzten Jahren stärker als Forschungsgegenstand aufgegriffen worden. Vgl. R . ENDRES, Ländliche Rechtsquellen als sozialgeschichtliche Quellen, in: P. BLICKLE (Hg.), Deutsche Ländliche Rechtsquellen, Probleme der Weistumsforschung, 1977, 161-184. - W. HELD, Ländliche Lohnarbeit im 15. und 16. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung Thüringens, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1978/1, 171-189. DERS., Die Tagelohnarbeit in den thüringischen Dörfern im 15. und 16. Jahrhundert im Spiegel der Dorfordnungen und Weistümer, in: ebd. 1978/11, 9 3 - 1 0 5 . - DERS., Der Einsatz von Tagelöhnern im Doppelamt Jena - Burgau zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Feudalismus 2 (1978), 2 0 7 - 2 2 4 .

30 31

116

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

weise neutralisierten sidi die innerdörflichen Konflikte durch diese soziale Tektonik, was erklären könnte, daß Spannungen innerhalb der Aufständischen selbst jedenfalls 1525 nach außen nicht sichtbar werden.

1.3.1.3

Genossenschaftliche Nutzungsrechte und fiskalistische Nutzungsbeschränkungen

Die spätmittelalterliche Landwirtschaft wurde weitgehend dadurch „entlastet", daß ihr neben dem relativ selbständig bewirtschafteten Eigen- oder Lehengut in beachtlichem Umfang Nutzungsrechte an Forsten und Allmenden zustanden; sie erlaubten eine Viehhaltung, deren Umfang bei einer Begrenzung auf die Ressourcen des eigenen Hofes sehr viel geringer hätte sein müssen; sie gestatteten bauliche Maßnahmen für Haus, H o f und zum Schutz der Felder, ohne für Baumaterial auf eigene finanzielle Reserven zurückzugreifen. Angesichts ausgedehnter Forsten und relativ unklarer Rechtsverhältnisse noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts 1 ergaben sich kaum Differenzen zwischen den nutzungsberechtigten Bauern und den Obereigentümern, zumal auch dort, wo vereinzelt schon Holzbezüge fixiert und Allmendrechte genauer abgegrenzt waren, der Bedarf kaum ernsthaft beeinträchtigt wurde. Einer völlig gewandelten Situation steht man 1525 gegenüber: Kaum eine der bäuerlichen Beschwerdeschriften vergißt, nachdrücklich Holzbezugsrechte, Jagdrechte mit dem Argument der Wildschäden, Allmendrechte und Waldweiderechte zu reklamieren. Wo derartige Beschwerden ausnahmsweise fehlen 2 , wie in Kempten 3 oder auf dem Schwarzwald 4 , genügt ein Blick auf ein forstgeschichtliches Kartenwerk um zu erkennen, daß sich hier die Relationen von Wald und landwirtschaftlicher Nutzfläche gegenüber anderen Räumen erheblich zugunsten des Forstes verschoben. Differenzen zwischen Bauernschaften und Herrschaften, die schon in das 15. Jahrhundert zurückreichen 5 , haben ihre Gründe im Raubbau am Wald, einem dadurch beschleunigten Anziehen der Holzpreise, das die Herrschaften veranlassen mußte, ihre unscharf definierten Rechte am Wald zu präzisie-

1

Vgl. A. BÜHLER, Wald und Jagd, 9 ff. - H . HAUSRATH, Waldeigentum, 192. - Noch immer brauchbar für einen ersten Gesamtüberblick A. BERNHARDT, Geschichte des Waldeigentums, der Waldwirtschaft und Forstwissenschaft in Deutschland, 1. Bd., 1872 [Nachdruck 1966], 96 ff., 108 ff. Den neuesten Gesamtüberblick liefert K . HASEL, Zur Geschichte des Waldbesitzes in Deutschland, in: Wirtschaftliche und soziale Strukturen im Wandel. Festschrift für Wilhelm Abel zum 70. Geburtstag, Bd. 1, 1974, 7 7 - 9 5 .

2

Eine Zusammenstellung bei H . HAUSRATH, Waldeigentum, 187. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 5 1 - 7 5 . H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden I, 121 ff. - Hier handelt es sich um ein Schreiben von St. Blasien an den Innsbrucker Hofrat, das nicht alle bäuerlichen Beschwerden korrekt wiedergeben muß. Dies gilt mit nur geringen Einschränkungen für alle sog. Voraufstände.

3 4

5

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

117

ren. Noch war 1525 mit der Argumentation der Reichsstadt Memmingen nicht durchzukommen, die gegenüber der kaiserlichen Landvogtei Schwaben behauptete, „weme der Hirsch gehöre, der auch die Diebe hangen dörfte"®, um mit dem Wildbann eine Landeshoheit über ihr reichsstädtisches Territorium zu begründen, doch zeigt dieser plastische Analogieschluß eines reichsstädtischen Syndikus wohin intentional die Entwicklung für die Bauern zu gehen drohte: den Wildbann - mit anderen Rechten versteht sich - zur Landeshoheit fortzuentwickeln 7 wie das in Württemberg bereits gelungen war: „Die Grafen von Württemberg (bauten) ihr Territorium nicht auf Grafschaftsrechten, sondern auf Wildbännen auf" 8 . Erst im 17. Jahrhundert jedoch war man endgültig soweit, die Forsthoheit zu den Regalien zu zählen, in ihr einen integralen Bestandteil der Landeshoheit zu sehen und via Forstgesetzgebung und Forstgerichtsbarkeit die landesherrlichen Interessen im Wald durchzusetzen 9 . Die landesherrliche Forstschutzpolitik setzt behutsam im 15. Jahrhundert ein, um dann während des 16. Jahrhunderts energisch weitergeführt zu werden. Sachsen10, Württemberg 11 , Salzburg 12 und Tirol 13 - um nur die wichtigsten Territorien hier zu nennen - haben vor 1525 Forstordnungen erlassen14. Sicher konnten diese Forderungen auf ältere Weistümer und Maiengebote - wie die lokal beschränkten Waldordnungen gelegentlich audi heißen - zurückgreifen, doch kann kein Zweifel darüber herrschen, daß nun, wie die Flut der Forstmandate beweist, der herrschaftliche Zugriff auf die Wälder energischer wurde, zumal sich die neue Forstgesetzgebung nicht auf die landesherrlichen Forsten beschränkte, sondern Verbindlichkeit auch für Gemeinde- und Privatwälder beanspruchte 15 . Motive landesherrlicher Forstschutzpolitik waren in wechselseitiger Interessenverschränkung: die zunehmende Holzverknappung, die durch Forstverwüstungen beider Seiten - der Bauern wie der Herren - und den enormen Bedarf der expandierenden Städte zugenommen hatte, die dadurch steigende Rentabilität des

« StaAM 14/1. W. WIRZ, Forstpolitik, 9 f.

7 β

H . W . ECKARDT, J a g d , 28. • Vgl. W . WIRZ, Forstpolitik, 8. - M . ENDRES, W a l d b e n u t z u n g , 131. - K . ROTH, F o r s t -

und Jagdwesen, 391-396. - R. KIESS, Forsten, 122. - H . W. ECKARDT, Jagd, 28, hält die Regalienqualität von Forst- und Wildbann schon im 14. Jahrhundert für ausgebildet. 10

M . ENDRES, W a l d b e n u t z u n g , 73.

11

W . W I R Z , F o r s t s c h u t z p o l i t i k , 2 6 - 3 1 ; R KIESS, F o r s t e n ,

12

A. BÜHLER, Wald und Jagd, 9 f., M. ENDRES, Waldbenutzung, 86 f. H . OBERRAUCH, Tirols Wald, 48. Für eine Gesamtübersicht vgl. Κ. ROTH, Forst- und Jagdwesen, 397 ff. - Eine auszugsweise Zusammenstellung bei W. ABEL, Landwirtschaft, 153. W. WIRZ, Forstpolitik, 24. - Das ist natürlich nicht identisch mit der Einziehung - gegen solche Behauptungen wendet sidi H . HAUSRATH, Waldeigentum, 189 f. - , wiewohl gemeindliche und private Verfügungsrechte damit scharf beschnitten werden.

13 14

15

11-14.

118

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Forstes und die Jagdleidenschaft der Herren 1 '. Sicher wurden Forstgesetzgebung und Forstgerichtsbarkeit unterschiedlich scharf gehandhabt, je nachdem wie bedrohlich die Holzverknappung geworden war 1 7 , doch kaschierten die Forstordnungen gelegentlich auch nur die Jagdleidenschaft der Herren 1 8 : Die Klagen der Bauern in Tirol haben zweifellos ihren Grund in dem enormen Holzbedarf des Landes für den Bergbau und das Seigern von Kupfer und Silber 19 , doch sind die Beschwerden in Vorarlberg, dessen Forsten lediglich den Habsburgern als Jagdreviere dienten, nicht minder heftig; die Beschwerden der Württemberger Bauern im Armen Konrad gegen Nutzungsbeschränkungen sind sicher durch echte Engpässe dieses dicht besiedelten Landes zu begründen, in der Markgrafschaft Baden hingegen dienten die Forstordnungen dem Schutz von Hoch- und Niederwild 2 0 . Der Effekt war schließlich immer der nämliche: der Bauer wurde, soweit klare Rechtstitel nicht entgegenstanden, vom Wald so weit als möglich fern gehalten. Wo immer nähere Einblicke in die Forstwirtschaft um 1500 möglich sind, zeigt sich ein ähnliches Bild: Verbot der Rodung, schlagweises Hauen an Stelle des bisherigen Plenterbetriebes und damit langfristiges Bannen des Jungholzes, Einschränkung der Waldmast- und Waldweiderechte 21 . Ohne weiteres freilich war es nicht möglich, via Forstmandat den Bauern ihre Berechtigungen zu entziehen, doch suchte man seitens der Forstherren die Beweislast den Bauern zuzuschieben 22 . Den Berechtigungsnachweis mit Brief und Siegel zu erbringen war den Bauern selbstverständlich nur in den allerseltensten Fällen möglich 23 , genausowenig wie die Herren ihre exklusiven Ansprüche auf den Wald nachweisen konnten, dafür aber um so wortreicher ihre „landtsfürstliche Obrigkeit" betonten. Das Dilemma der Rechtsunsicherheit wird offenkundig, wenn die Zwölf Artikel gerade die landesfürstliche Argumentation auf den Kopf stellen. Die Herren sollen mit Urkunde und Petschaft beweisen, daß sie nicht die Forsten den Gemeinden entzogen haben. Im einzelnen richtete sich die Forstgesetzgebung gegen die Schweinemast, die Waldweide und die Holzbezüge. Ob im 15. Jahrhundert das Ausschlagsrecht immer

16

W . GÜNTHER, Forstgeschichte, 2 7 f., 31, 38, 4 7 . -

O . EICHHORN, F o r s t o r d n u n g e n , 2.

-

R . KIESS, F o r s t e n , 1 1 - 1 4 , 140. 17

W . WIRZ, F o r s t p o l i t i k , 2 5 - 2 9 .

18

M . ENDRES, W a l d b e n u t z u n g , 5 8 . - H . W . ECKARDT, J a g d , 3 0 f.

19

V g l . H . WOPFNER, A l m e n d r e g a l , 1 0 0 f .

20

Vgl. W. WIRZ, Forstpolitik, 25-29, der daraufhin die württembergischen und badischen Forstordnungen näher untersucht hat. Die Einzelbelege seien hier zusammengefaßt: R. KIESS, Forsten, 11-14. - W. WIRZ, Forstpolitik, 28; O. EICHHORN, Forstordnungen, 6. - A. BÜHLER, Wald und J a g d , 9 ff. -

21

H . WOPFNER, A l m e n d r e g a l , 9 9 f .

Vgl. besonders die Belege für Württemberg bei W. WIRZ, Forstpolitik, 32, 46-52; für Tirol H . HAUSRATH, Waldeigentum, 192. 23 Vereinzelt waren die Nutzungsrechte fixiert in Weistümer und Dorfordnungen, teils wurden sie vertraglich festgelegt wie in Ochsenhausen und Schussenried. 22

1.3

119

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

limitiert, ein Geldäquivalent immer an den Herrn bezahlt werden mußte 24 , scheint fraglich 25 . Im 16. Jahrhundert nun ist dies üblich. Wo nicht die Hegung des Wildes zu Einschränkung der Waldmast f ü r Schweine führte, verstanden es die Forstherren, durch Verpachtungen und Verleihungen hohe Einkünfte zu erzielen 26 . Schädlich f ü r den Forst war in der Tat die Waldweide, da das Jungholz durch Rinder und Schafe nicht hochkam. Mit der Zunahme der H o f - und Söldnerstellen mußte die Gefahr der Waldverwüstung wachsen, wiewohl selbstverständlich die Übersetzung mit Wild f ü r eine geregelte Forstwirtschaft ebenso schädlich sein konnte. Folglich wurde das Jungholz gebannt, f ü r mindestens drei höchstens zehn Jahre. Damit schied der Forst als Weide f ü r den Bauern faktisch aus: das Jungholz war nicht zugänglich, der Hochwald gab f ü r die Weide nichts mehr her 27 . H i n sichtlich der Holznutzung wurde zunächst d a f ü r gesorgt, daß die Bauern kein H o l z verkauften, was bisher, wie die Einzelbestimmungen der Forstordnungen vermuten lassen, üblich gewesen zu sein scheint 28 . Anstelle des bisherigen ungeregelten Hauens nach Bedarf, wurden jetzt die Holzarten bestimmten Zwecken zugewiesen: Eichen und Buchen ausschließlich f ü r Bauholz, windbrüchiges H o l z als Brennholz. Die Zuteilung erfolgte unter der Aufsicht von Forstleuten, zum Teil sogar unter Beiziehung von Zimmerleuten 2 9 . Inwieweit die Bauern ihren Bedarf noch zur Gänze decken konnten, läßt sich nicht schlüssig mit Zahlen beantworten 30 . Allerdings ist auch nicht zu übersehen, daß der Bauer da und dort Holz kaufen mußte 3 1 . Wenn bei Nürnberg die Bauern wegen Holzmangel die Äcker aufforsteten 3 2 , ist das sicher ein extremes, aber gerade deswegen auch instruktives

24

25

26

Eine Zusammenstellung einschlägiger Belege für die Zeit vor 1525 bei H . HAUSRATH, Waldeigentum, 193 f. D i e Lehenbriefe halten gelegentlich die Aussdilagsrechte fest. D a s heißt, daß schon Höchstzahlen festgesetzt sind, v o n einer Geldzahlung aber noch nicht die Rede ist. D . WEHRENBERG, Allmendredite, 156 f., nimmt an, allerdings gestützt nur auf einen Beleg, d a ß für H o l z b e z ü g e in der Regel ein Zins zu entrichten war. 1594 betrugen im Lauenfoerder Forst die Einnahmen aus H o l z (jährlich) 44 Rthls., die aus der Mast 1110 Rthlr. M. ENDRES, Waldbenutzung, 7 9 - 8 2 . Für Ergänzungen vgl. W. WIRZ, Forstpolitik, 55 f.

27

W. WIRZ, Forstpolitik, 5 8 - 6 3 . - O . EICHHORN, Forstordnungen, 5 6 - 6 0 . - M. ENDRES, Waldbenutzung, 111 ff. 28 H . WOPFNER, Almendregal, 99, weist nach, daß ein einzelner Bauer in Tirol um die Bewilligung nachsuchen konnte, 1500 Stämme zu schlagen. Vgl. F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 128 f. 29 ψ WIRZ, Forstpolitik, 38 f. - M. ENDRES, Waldbenutzung, 4 0 - 4 4 . - W. GUNTHER, Forstgeschidite, 51 ff. 30 Entsprechende Vorarbeiten fehlen in der forstgeschichtlichen Literatur. Ausnahmsweise konnten die Bauern sich auch am H o l z h a n d e l beteiligen; vgl. F. PIETSCH, Artikel der Limpurger, 128 f. 31

32

M . ENDRES, W a l d b e n u t z u n g ,

6 9 ff. -

W . WIRZ, Forstpolitik,

Nürnberger Gebiet, 138. F. GRAF, Bauern im Nürnberger Gebiet, 139.

51. -

F. GRAF, B a u e r n

im

120

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Beispiel für das mögliche Ausmaß bäuerlicher Belastung. Forstschutzpolitik mußte nicht überall und in jedem Fall für den Bauern restriktiven Charakter haben. Dennoch: hier wird man die herben bäuerlichen Klagen als Kontrapunkt zur lyrischen Kanzleisprache nicht überhören dürfen; nicht alle landesväterliche Fürsorge diente den Landeskindern 33 . Eine sekundäre Folge der Forstschutzpolitik, soweit sie vorrangig der Sicherung und Vermehrung der Wildbestände diente, war die Verwüstung der landwirtschaftlichen Kulturen durch Schwarz- und Rotwild wie durch die Jagden - ein Problem, das über 1525 hinaus solange für den Bauern nicht befriedigend gelöst war, als er nicht selbst den Forst verwalten, damit die Wildbestände nach Belieben dezimieren und auf den kultivierten Flächen abschießen durfte 34 . In allen Beschwerdeschriften, soweit sie nicht ausschließlich programmatischen Charakter haben, wird die Freigabe der J a g d unter Hinweis auf die Wildschäden gefordert. Über ihren Umfang lassen sich keine konkreten Vorstellungen gewinnen, als Indiz für den Realitätsgehalt der Forderungen kann allerdings dienen, daß die Bauern bis ins frühe 19. Jahrhundert unvermindert nachdrücklich an dieser Forderung festgehalten haben. Verbot man die J a g d auf den kultivierten Flächen, ja sogar das Halten von Hunden und das Einzäunen der Kulturen, so konnte in den Augen der Bauern die Forstschutzpolitik nicht dem gemeinen Nutzen dienen, zumal ja auch für ihn erkennbar gewesen sein dürfte, daß Rodungsverboten 35 und Waldweideverboten 3 ' in weiten Teilen des Reiches der Wunsch nach Vermehrung der Wildbestände zugrundelag, also letztlich auch die Jagdleidenschaft die Forstschutzpolitik diktierte. Dies so zu sehen war dem Bauern nicht zu verdenken, wenn die Strafen für Jagdfrevel soweit gingen - einmal wenigstens muß auch dies erwähnt werden - , daß der Bauer, der auf seinen eigenen Äckern einen Hirsch erlegte, in die Haut des Tieres eingenäht und von Jagdhunden zerfleischt wurde 37 .

Vgl. dagegen die unbefriedigende und in sich widersprüchliche Arbeit von H . HAUSRATH, Waldeigentum, bes. 187. 3 4 P. BLICKLE, Landschaften, 553-559. - D a z u allgemein H . W. ECKARDT, J a g d , der bes. 28 ff. audi auf ein ursprüngliches Jagdredit der Bauern hinweist. 3 5 Für Baden G. KATTERMANN, Bäuerliche Beschwerden in der Markgrafsdiaft Baden nach dem Bühler Armen Konrad von 1514, in: Z G O 56 (1943), 122-205. Die Auseinandersetzungen laufen während des 16. Jahrhunderts über das Forum der Landtage weiter G L A K 74/5114 und 74/5123-5128. - Für Franken R. ENDRES, Sozialökonomische Lage, 66. - Für Tirol H . OBERRAUCH, Tirols Wald, 54; H . WOPFNER, Almendregal, 103, und die Tiroler Landesordnungen von 1525/26 (Buch 1, Teil 7, Tit. 12) und 1532 (Buch 4, Tit. 12 f.). - Für Salzburg L A S , Landschaft, Kasten I und F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 138 f. " M. ENDRES, Waldbenutzung, 131. 3 7 F. URBAN, Wirtschaftliche Grundlagen der Bauernkriege unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen und südwestdeutschen Länder, Masch. Diss. phil. Erlangen 1924, 25. - Kritisch zu diesem Beleg H . W. ECKARDT, J a g d , 132 f. - Ähnliche Belege bietet auch H . HEIMPEL, Fischerei und Bauernkrieg, 361 f. 33

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

121

Darüber hinaus noch Jagdfronen leisten und Jagdhunde halten zu müssen, übertraf dann freilich im bäuerlichen Bewußtsein das noch erträgliche Maß an Willkür 38 . Im Anschluß an die Jagd nur ein Wort zur Fischerei: wie der Bauer sich selbstverständlich mit H o l z aus dem Wald versorgte, so nutzte er die Bäche, Flüsse und Seen zur Fischerei. Erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden auch die Gewässer durch die Herrschaften gebannt und damit dem Bauern die bisherigen Nutzungsrechte entzogen. Ob der Fisch für die Kalorienbedarfsdeckung der bäuerlichen Familie eine nennenswerte Bedeutung hatte 40 , läßt sich schwer entscheiden und auch aus den Beschwerden nicht erschließen. Soweit die Fischerei mit dem Alten Herkommen begründet wird, verlangen die Bauern sie lediglich für Kranke und Sdiwangere. Die Freiheit der Gewässer fordern, hieß allerdings mehr verlangen als das Fischrecht, denn auch das Tränken des Viehs und das Bewässern der Wiesen war mit Rücksicht auf die Fisdibestände eingeschränkt worden 41 . Hinsichtlich der Allmenden waren die Rechtsverhältnisse prinzipiell wohl etwas klarer als bei den Wäldern, doch Eigentums- und Herrschaftsrechte konnten verblassen, wenn genügend Weideland vorhanden war, wie dies für die Folgejahrzehnte der Pest des 14. Jahrhunderts anzunehmen ist. Aufgrund des Allmendregals war es den Grund- und Landesherren ein leichtes42, Nutzungsbeschränkungen zu erlassen, Söldner auf der Allmende anzusetzen, das eigene Vieh ausschließlich auf die Allmende auszusdilagen, so daß der Viehbesatz der H ö f e unter Umständen verringert werden mußte. Die Engpässe in der Fleischversorgung Mitteleuropas, die allein durch immense Importe ausgeglichen werden konnten 43 , mögen neben dem Städtewachstum und der städtischen Einkommensverbesserung 44 auf

38

39

40

41 42

43

44

Vgl. zusammenfassend A. BÜHLER, Wald und J a g d , 20-25 und H . WOPFNER, Almendregal, 102 f. D a z u abschließend H . HITZBLECK, Die Bedeutung des Fisches für die Ernährungswirtschaft Mitteleuropas in vorindustrieller Zeit unter besonderer Berücksichtigung Niedersachsens, Diss. Göttingen, 1971, bes. 209 ff. F. GRAF, Bauern im Nürnberger Gebiet, 149-157, macht wahrscheinlich, daß die Fischerei für den Bauern von großer Wichtigkeit war. Die Einschränkung der Nutzungsrechte, die er nachweisen kann, korrespondieren mit dem Preisanstieg. - Dagegen unterstreicht ENDRES in Anlehnung an HEIMPEL die symbolische Bedeutung des Fisches. Vgl. R. ENDRES, Adelige Lebensformen, 17. Vgl. H . HEIMPEL, Fischerei und Bauernkrieg, 353-372. Eine Zusammenfassung der älteren Forschung und der regionalen Untersuchungen bei D . WEHRENBERG, Allmendrechte, bes. 153-179. Als Ergänzung für den mitteldeutschen Raum - Wehrenberg beschränkt sich auf Oberdeutschland - zusammenfassend A. TIMM, Studien zur Siedlungs- und Agrargesdiidite Mitteldeutschlands, 1956, 164 ff. Anstelle von Einzelnadiweisen sei verwiesen auf J . BOG (Hg.), Der Außenhandel Ostmitteleuropas 1450-1650, 1971. W. ABEL, Agrarkrisen, 59 ff., 72 ff.

122

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

soldie Nutzungsbeschränkungen zurückzuführen sein. Die wenigen Schätzungen über den Viehbestand 45 , wie auch die indirekten Nachrichten über Importe, Preise 46 und bäuerliche Nahrungsgewohnheiten 47 weisen alle in dieselbe Richtung: auf einen sehr geringen Viehbesatz 48 .

1.3.1.4

„Exogene" Faktoren - Bevölkerungsbewegungen

Die Spannungen innerhalb der ländlichen Gesellschaft mußten sich verschärfen, wenn sich einerseits die Einkommen verringerten, andererseits die Herrschaft nicht der geeignete Partner war, den man für derartige Verschlechterungen verantwortlich machen konnte. Wenn die Beschwerden im Bereich der Grundherrschaft selten mit dem Argument des Alten Herkommens abgesichert werden - die Bibel gab zur Begründung von Zinsentlastungen ohnehin nicht viel her vielmehr nur allgemein über die Höhe der Gülten und anderer Belastungen geklagt wird, so ist dies zumindest ein Indiz dafür, daß exogene Faktoren jenseits des Beziehungsgefüges B a u e r - H e r r die Rentabilität der Landwirtschaft beeinträchtigt hatten. Wo diese exogenen Faktoren gesucht werden müssen, sagen Chronisten des 16. Jahrhunderts, die über wachsende Bevölkerung klagen, allen voran Sebastian Franck, der glaubte nodi nach der militärischen Niederlage der Bauern, die 100 000 Menschen das Leben gekostet hatte 1 , weitere 100 000 Männer, Frauen und Kinder nicht gerechnet, für die Besiedlung Ungarns entbehren zu können. Wie Ulrich von Hutten sah er allein in Krieg oder Pest die Chance, das Problem der Übervölkerung zu entschärfen 2 . Die Brauchbarkeit solcher chronikalischer Nachrichten ist zunächst in Zweifel zu ziehen, weil sie auf persönlichen Beobachtungen beruhen, deren Verbindlichkeit am naturgemäß begrenzten Erfahrungshorizont des Zeitgenossen seine Grenzen findet. Bevölkerungsgeschichtliche Untersuchungen ergeben für die Zeit um 1500 eine Dichte von rund 30 bis 40 Einwohner je Quadratkilometer 3 . Überflüssig zu

45

A . HAUSER, Bäuerliche W i r t s c h a f t und E r n ä h r u n g in der Schweiz v o m 1 5 . h u n d e r t , i n : Z A A 1 9 ( 1 9 7 1 ) , 1 7 3 , rechnet in der Schweiz m i t einem

18. J a h r -

durchschnittlichen

V i e h b e s a t z v o n drei bis vier Stück G r o ß v i e h p r o Wirtschaftsbetrieb. 46

F . BLAICH, Fischpreise und F l e i s c h v e r s o r g u n g in O b e r d e u t s c h l a n d im 1 6 . J a h r h u n d e r t , i n : W . FISCHER ( H g . ) , B e i t r ä g e z u W i r t s c h a f t s w a c h s t u m u n d W i r t s d i a f t s s t r u k t u r im 1 6 . und 1 9 . J a h r h u n d e r t , 1 9 7 1 , 3 3 - 3 7 . H . WERMELINGER, L e b e n s m i t t e l t e u e r u n g e n in B e r n , 3 7 ff.

47

A . HAUSER, Bäuerliche W i r t s c h a f t u n d E r n ä h r u n g in der Schweiz v o m 1 5 . hundert, in: Z A A 19 (1971),

48

Die Gesamturteile

18.

Jahr-

170-189.

weitgehend

übereinstimmend.

Vgl. audi Κ .

BLASCHKE, Sachsen

im

Z e i t a l t e r der R e f o r m a t i o n , 3 3 . 1

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g , 2 8 0 .

2

E . KELTER, U r s a c h e n des B a u e r n k r i e g e s , 6 5 6 .

3

E . KEYSER, Bevölkerungsgeschichte D e u t s c h l a n d s , 3 3 6 . - D i e Z a h l e n bestätigt im w e s e n t lichen F . KOERNER, B e v ö l k e r u n g s z a h l in M i t t e l e u r o p a , 3 2 8 f.

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

123

betonen, daß je nach Bodenqualität, Verteilung von Wald und landwirtschaftlicher Nutzfläche, Städtedichte - um nur einige wichtige Faktoren zu benennen - starke Unterschiede in der Bevölkerungsdichte bestehen konnten 4 . Noch ist mit solchen absoluten Zahlen wenig gewonnen: D a ß die Bevölkerung damit schon an die Nahrungsdecke gestoßen wäre, darf bezweifelt werden, da sie bis zum Dreißigjährigen Krieg wuchs 5 , eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und eine erkennbare Intensivierung der Landwirtschaft jedoch kaum erfolgte 6 . Zu f r a gen ist, ob sich die Bevölkerung in den Jahrzehnten vor 1525 vermehrte, ob mehr Menschen von einem unverändert gleichbleibenden Ertrag leben mußten? Die Pestumzüge des 14. Jahrhunderts hatten die Bevölkerung Europas und damit auch Mitteleuropas stark reduziert 7 ; eine Bevölkerungsschrumpfung bzw. -Stagnation ist über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus anzunehmen. Unbestritten ist das Bevölkerungswachstum im 16. Jahrhundert; umstritten jedoch bleibt und ungeklärt ist, seit wann mit einem Bevölkerungswachstum geredinet werden kann und wie stark dieses Wachstum war 8 . Genauere Berechnungen, die f ü r Deutschland insgesamt als repräsentativ gelten können, sind erst seit etwa 1520 möglich und lassen ein Wachstum von zunächst rund 0,7°/o jährlich mit absteigender Tendenz gegen die Jahrhundertwende erkennen 9 . Regionale Unterschiede sind freilich aufmerksam zu registrieren: Der Gesamteindruck spricht f ü r ein früheres und rascheres Wachstum in Westdeutschland als in Ostdeutschland 10 . Vermutlich setzte auch das Bevölkerungswachstum in Oberdeutschland früher ein als in den

4 5

6

Belege bei F. KOERNER, Bevölkerungszahl in Mitteleuropa, 330. W. ABEL, Landwirtschaft, 152, nimmt an, daß die Bevölkerungszahl von 1340 (ca. 14 Mill.) erst wieder 1560 erreicht war. Zusammenfassend W. ABEL, Landwirtschaft, 189 ff. - Zur Einordnung in die gesamteuropäische Entwicklung vgl. R. J. MOLS, Die Bevölkerung im 16. und 17. Jahrhundert, in: C. M. CIPOLLA - K. BORCHARDT, Bevölkerungsgeschichte Europas (Serie Piper 19), 1 9 7 1 , 5 8 - 1 2 2 , bes. 8 1 .

7

Abschließend W. ABEL, Agrarkrisen, 48 ff. - Zur Einordnung in die gesamteuropäische Entwicklung vgl. Villages disertes et histoire economique X I e - X V I I I e siecle (Ecole pratique des Hautes etudes, VI e Section, Centre de redierches historiques, Les hommes et la terre XI), Paris 1965; hier audi die Zusammenfassung von W. ABEL, Desertions rurales: bilan de la recherche allemande, 515-531. 8 Zur Problematik der Berechnung von Bevölkerungszahlen vgl. F. KOERNER, Bevölkerungszahl in Mitteleuropa, 325 ff. - Ergänzend K. KLEIN, Die Bevölkerung Österreichs vom Beginn des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in: H. HELCZMANOVSZKI (Hg.), Beiträge zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Österreichs 1973, 47-112. * F. KOERNER, Bevölkerungszahl in Mitteleuropa, 328. Ausführlicher DERS., Die Bevölkerungsverteilung in Thüringen am Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Länderkunde, N F 15/16 (1958), 178-315, bes. 190 ff. (hier Vergleichsmaterial aus dem gesamten deutschen Raum). 10

W.

TREUE,

Wirtschaft,

451.

TEIL 1

124

K R I S E DES FEUDALISMUS

n o r d d e u t s c h e n T e r r i t o r i e n 1 1 : W ä h r e n d e t w a i n Sachsen d a s B e v ö l k e r u n g s w a c h s t u m e r s t in d e n J a h r z e h n t e n v o r 1 5 5 0 e i n s e t z t 1 2 , s p r e c h e n v e r l ä ß l i c h e Z a h l e n f ü r O b e r d e u t s c h l a n d v o n e i n e m j ä h r l i c h e n B e v ö l k e r u n g s W a c h s t u m v o n l , 4 ° / o seit d e m A u s g a n g des 1 5 . J a h r h u n d e r t s 1 * . I n d e n a n F r a n k e n a n g r e n z e n d e n T e i l e n T h ü r i n g e n s l ä ß t sich d i e Z u n a h m e d e r S t e u e r p f l i c h t i g e n v o n

1496-1542

auf ca. 6 2 %

fest-

l e g e n 1 4 . I m E r z s t i f t S a l z b u r g stieg d i e B e v ö l k e r u n g z w i s c h e n 1 4 9 7 u n d 1 5 3 1 -

je

nachdem, w i e m a n die z u r V e r f ü g u n g stehenden D a t e n hochredinet - u m m i n d e stens

14,3%,

höchstens 6 9 % 1 5 ;

ein Beispiel

dafür,

wie schwer über

allgemeine

Trends hinaus präzise A n g a b e n über demographische Entwicklungen zu gewinnen sind. F r e i l i c h liegen d e r a r t i g e W e r t e n u r f ü r T e i l r ä u m e v o r u n d e r l a u b e n

keine

Verallgemeinerung1·. Ein mancherorts beängstigendes W a c h s t u m der Bevölkerung k a n n m a n allerdings aus indirekten H i n w e i s e n erschließen: D i e „gute P o l i z e i " der L a n d e s h e r r n w e n d e t seit 1 5 0 0 m e h r u n d m e h r d e m B e t t l e r w e s e n i h r e

Aufmerk-

s a m k e i t z u 1 7 , a u f d e m L a n d v e r m e h r e n sich S ö l d n e r u n d G ä r t n e r 1 8 , die

Grund-

11

V g l . für das E l s a ß H . DUBLED, G u e r r e des paysans, 61 f. F ü r das Salemer Gebiet ergibt sich eine Zunahme der Steuerpfliditigen um 1 5 % zwischen 1488 und 1505. V g l . H . BAIER, Z u r Bevölkerungs- und Vermögensstatistik des Salemer Gebietes im 16. und 17. J a h r -

12

K . BLASCHKE, Bevölkerungsgeschichte von Sachsen bis zur industriellen R e v o l u t i o n , 1967, 84-90.

13

F ü r Zürich und sein Landgebiet W . SCHNYDER, Bevölkerung Zürich, bes. 108. E . SCHWARZE, Ostthüringische Ä m t e r , 2 5 7 . K . - H . LUDWIG, Neue Quellen zur Bevölkerungsentwicklung in der ersten H ä l f t e des 16. Jahrhunderts. D i e Salzburger Mannschaftsauszüge von 1531 nud 1541, i n : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 117 ( 1 9 7 7 ) , 2 0 1 - 2 1 5 , bes. 2 0 3 f.

hundert, in: Z G O 29 (1914),

14 15

197.

16

D a s Bevölkerungswachstum setzt auch in anderen Teilen Europas schon im 15. J a h r h u n dert ein. Vgl. M . R . REINHARD - A . ARMENGAUD, Histoire generale de la population mondiale, 1961, 8 2 - 9 5 , bes. 9 4 f. - Eine relativ geringe Bevölkerungsdichte nimmt für das E l s a ß F . RAPP, Bauernkrieg im Unterelsaß, 2 9 - 3 2 , an, wobei seine Ausführungen (auch wegen der geringen Verbindlichkeit der empirischen D a t e n ) offen lassen, o b nicht auch im E l s a ß in den J a h r z e h n t e n v o r 1 5 2 5 mit einem Bevölkerungs Wachstum zu rechnen ist. S o auch für F r a n k e n R . ENDRES, Sozialökonomische Lage, 6 3 .

17

In T i r o l setzt die Gesetzgebung gegen Bettler bereits 1491 ein. Vgl. den Druck der Maximilianischen Halsgerichtsordnung von 1 4 9 9 , die ältere diesbezügliche Verordnung republiziert, bei E . SCHMIDT, D i e Maximilianische Halsgerichtsordnung für T i r o l ( 1 4 9 9 ) und R a d o l f z e l l ( 1 5 0 6 ) als Zeugnisse mittelalterlicher Strafrechtspflege, 1 9 4 9 , 9 4 - 1 4 2 . Vgl. für B a y e r n die Zusammenstellung bei H . LIEBERICH, D i e A n f ä n g e der Polizeigesetzgebung des H e r z o g t u m s B a i e r n , i n : Festschrift für M a x Spindler, 1969, 311 ff. D e r B e ginn der Bettlergesetzgebung f ä l l t auch hier ins ausgehende 15. J a h r h u n d e r t . F ü r die Reichsgesetzgebung, die 1 4 9 7 einsetzt, vgl. zusammenfassend die Obersicht bei G . K . SCHMELZEISEN, P o l i z e i - und Landesordnungen, 1/1, 2 1 .

18

Zusammenfassend E . KELTER, Ursachen des Bauernkrieges, 6 5 4 f. Neuere Detailstudien bestätigen diese Entwicklung. V g l . P . FRIED, Herrschaftsgeschichte der altbayerischen Landgerichte Dachau und K r a n z b e r g im H o c h - und Spätmittelalter sowie in der frühen Neuzeit (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, B d . 1), 1962. Für B a y e r n insgesamt ist die Entwicklung gut belegt durch die Hefte des Historischen Atlas-

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

125

herren suchen die Realteilung zu verhindern, die Gemeinden schließen sich nach außen ab durch die Einhebung eines Einkaufsgeldes 19 , die Rodung wird, w o möglich, vorangetrieben 20 , dem Schwäbischen Bund und den Städten machte es nicht einmal 1525 Schwierigkeiten Landsknechte zu werben 2 1 ; dies alles deutet auf eine wachsende Bevölkerung. Was das Bevölkerungswachstum f ü r das flache Land bedeutete, läßt sich erst dann richtig einordnen, wenn man sich die Möglichkeiten und Grenzen der horizontalen Mobilität zwischen Land und Stadt vergegenwärtigt. Durch die Seuchen des 14. und 15. Jahrhunderts, mit denen zeitlich der Aufschwung der städtischen Wirtschaft zusammenfiel, hatten die Städte einen hohen Bedarf an Arbeitskräften. Ihr Wachstum verdankten sie nur zum Teil ihren Bürgern selbst, rund die Hälfte der Neubürger waren Zuwanderer aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft 22 . Dies gilt bis in 15. Jahrhundert. Die seitdem einsetzenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Städte 2 3 verschlossen den Bauern den Zuzug in die Stadt mehr und mehr. Das Bevölkerungswachstum mußte damit überwiegend von der Landwirtschaft allein verkraftet werden 2 4 . Die Unterschiede zwischen dem Osten und Westen, dem Süden und Norden des deutschen Reiches mögen mit d a f ü r verantwortlich sein, daß es 1525 in Ostelbien und Norddeutschland nicht zum Aufstand kam 2 5 .

ses von Bayern. Für Württemberg H . G R E E S , Dorf und Flur zweier Ostalb-Gemeinden im Wandel des Sozialgefüges, in: Jahrbücher für Statistik und Landeskunde von BadenWürttemberg 1963, 89-127. K. B L A S C H K E , Sachsen im Zeitalter der Reformation, 49 f. " D. 20

21

28

23

24

25

Allmendrechte, 59 ff., der dieses Faktum allerdings anders interpretiert. Bergbauernbuch, 1 0 5 ff. W. VOGT, Correspondenz Artzt, passim. - In den Prozessen, welche die Stadt Zürich gegen heimkehrende Reisläufer führt, wird immer wieder angegeben, sie wären durch ihre ärmlichen Verhältnisse dazu bewogen worden, in fremde Dienste zu treten. Vgl. W . S C H N Y D E R , Bevölkerung Zürichs, 110; R. W A C K E R N A G E L , Basel, 376. E. K E Y S E R , Die Bevölkerung der deutschen Städte, in: Städtewesen und Bürgertum als geschichtliche Kräfte. Gedächtnisschrift für Fritz Rörig, 1953, 25-36. R. E N D R E S , Unterschichten, 1 5 4 , spricht von einem „wirtschaftlichen Niedergang, vornehmlich bei den Reichsstädten". Für die Steiermark hat P I C K L nachgewiesen, daß der Arbeitskräftebesatz dort besonders hodi ist (4,03 - 5,20 Arbeitskräfte pro Hof), wo keine Möglichkeit besteht, in der Montanindustrie beschäftigt zu werden (im Einzugsbereich des Eisenzentrums Mürzzuschlag liegt der Arbeitskräftebesatz bei 2,74 Arbeitskräften pro Hof). In den Zahlen sind Einwohner unter 12 Jahren nicht berücksichtigt; d. h. daß die durchschnittliche Familienstärke auch in der Steiermark, die durch Fehden und Türkenkriege besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde, erheblich höher anzusetzen ist. Vgl. O. P I C K L , Steiermärkische Bauernhöfe, 147. So das Urteil von W. T R E U E , Wirtschaft, Gesellschaft und Technik in Deutschland vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 2. Bd., 1970, 451. WEHRENBERG,

H . WOPFNER,

126 1.3.2

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

D I E D Y N A M I K DES F R Ü H M O D E R N E N S T A A T E S

Der Begriff „frühmoderner" Staat 1 deckt jene Territorien innerhalb des Römischen Reiches deutscher Nation, die wie Brandenburg und Österreich sich durch eine „ungemeine Steigerung der politischen Intensität und des staatlichen Bewußtseins" auszeichnen 2 , anders gesprochen: die auf territorialer Basis die lehensreditlichen Bindungen auflösen, indem sie einen Beamtenapparat ausbilden, das Rechtssetzungsmonopol f ü r sich beanspruchen und gleichzeitig dem Staat neue Finanzquellen jenseits der Feudalwirtschaft erschließen. Solche Kriterien des frühmodernen Staates grenzen jene Herrschaften aus, deren Territorialstaatsverfassung nach wie vor primär auf der Agrarverfassung ruht. Es sind dies die Herrschaften Schwabens, Frankens, des Ober- und Hochrheins - jene Kleinstaaten, deren Probleme die Zwölf Artikel abdecken. Eine scharfe Abgrenzung zwischen „Kleinstaat" und „Großstaat" f ü r 1500 vornehmen zu wollen, ist sicher schwierig, die Übergänge bleiben fließend, doch sind Zuordnungen, nimmt man sie behutsam vor, durchaus möglich. Herrschaften vom Typus des Fürststifts Kempten sind „Kleinstaaten", Herrschaften vom Typus Tirol „Großstaaten". Im Hinblick auf eine Ursachenanalyse der Revolution von 1525 interessiert allein die Frage, inwieweit, unbeschadet der allgemeinverbindlichen Substruktur der Agrarverfassung, der frühmoderne Staat den bäuerlichen Lebensbereich berührte. Er hat dies in zweifacher Weise getan - durch die Steuern und das Beamtentum. Der enorme Geldbedarf der deutschen Territorialstaaten ist seit dem 14. Jahrhundert deutlich zu belegen 3 . Das krude Faktum soll genügen, ohne weiter die Ursachen zu untersuchen 4 . Erschöpfte sich das 14. Jahrhundert noch in primitiven Formen der Staatsfinanzierung, indem es im wesentlichen auf dem Weg der P f a n d schaften Herrschaftsrechte kommerzialisierte 5 , so änderte sidi dies im 15. Jahr-

1

G . OESTREICH, G e i s t u n d G e s t a l t d e s f r ü h m o d e r n e n S t a a t e s , 1 9 6 9 , 5 f.

2

G . OESTREICH, V e r f a s s u n g s g e s d i i c h t e , 3 6 1 . Z u s a m m e n f a s s e n d G . LANDWEHR, M o b i l i s i e r u n g der H e r r s c h a f t s o r d n u n g , 4 9 4 . E i n z e l h i n w e i s e in H . PATZE ( H g . ) , D e r deutsche T e r r i t o r i a l s t a a t i m 14. J a h r h u n d e r t ( V o r t r ä g e u n d F o r s c h u n g e n 13 u n d 14), 1 9 7 0 / 7 1 . - G . DROEGE, D i e finanziellen G r u n d l a g e n des T e r r i t o r i a l s t a a t e s in W e s t - u n d O s t d e u t s c h l a n d a n der W e n d e v o m M i t t e l a l t e r zur N e u zeit, in: V S W G 53 (1966), 1 4 5 - 1 6 1 .

3

4

W e l c h e finanziellen A u f w e n d u n g e n d i e T c r r i t o r i a l p o l i t i k e r f o r d e r t e , ist n o c h nicht hinreichend u n t e r s u c h t . D i e Z u s a m m e n h ä n g e s i n J b e s o n d e r s gut für Sachsen u n d d i e P f a l z n a c h g e w i e s e n . D i e „ V e r ä m t e r u n g " Sachsens i m 16. J a h r h u n d e r t w a r nur durch d i e b e d e u t e n d e n E i n n a h m e n aus d e m B e r g b a u z u finanzieren. G . OESTREICH, V e r f a s s u n g s g e schichte, 4 0 7 . D i e K o n s o l i d i e r u n g der p f ä l z i s c h e n T e r r i t o r i a l h o h e i t k o s t e t e 5 2 0 0 0 0 fl; G . LANDWEHR, D i e B e d e u t u n g der R e i c h s - u n d T e r r i t o r i a l p f a n d s c h a f t e n f ü r d e n A u f b a u des k u r p f ä l z i s d i e n T e r r i t o r i u m s , i n : M i t t e i l u n g e n des H i s t o r i s c h e n V e r e i n s der P f a l z 6 6 (1968), 165-170.

5

G . LANDWEHR, D e r V e r p f ä n d u n g der d e u t s c h e n R e i c h s s t ä d t e i m M i t t e l a h e r zur Deutschen Reditsgeschichte 5), 1967.

(Forschungen

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

127

hundert zusehends, weil man neben der fiskalischen Ausnützung der Regalien vor allem auf Steuern als Mittel der Staatsfinanzierung verfiel. Fehlen in den „Kleinstaaten" die Steuern, so sind sie in den „Großstaaten" allerorts üblich. Voraussetzung der Steuerpflichtigkeit war die unmittelbare Unterstellung unter den Landesherren 6 . O b die Einebnung persönlicher Abhängigkeiten, die Verflüchtigung der Leibeigenschaft zur allgemeinen landesherrlichen Untertänigkeit, wie dies etwa f ü r Tirol besonders deutlich zu beobachten ist 7 , f ü r den Bauern eine wirtschaftliche Entlastung brachte oder ob er vielmehr die Befreiung von leibherrlichen Abgaben mit einer höheren steuerlichen Belastung erkaufte, ist heute noch nicht abzuschätzen. Eines ist allerdings unübersehbar - die zunehmende steuerliche Belastung in den Jahrzehnten vor 1525. Soweit die Landstände die Steuern zu bewilligen hatten, suchten sie selbstverständlich die Belastung des Landes möglichst gering zu halten, konnten freilich bei der ständig drohenden Gefahr eines Staatsbankrotts doch nicht umhin, immer wieder enorme Summen dem Landesfürsten zur Verfügung zu stellen, in der trügerischen Hoffnung, dadurch verpfändete Kameraleinkünfle auszulösen, Schulden abzutragen und damit auf lange Frist sich selbst zu entlasten. Neben die Landsteuern oder an deren Stelle traten noch die Konsumsteuern, in den Hochstiftern die Weihsteuern und in Süddeutschland die Steuern f ü r den Schwäbischen Bund. U n d um vorrangiges zuletzt zu benennen, ist auf die Reichssteuern im Gefolge der Türkenkriege hinzuweisen, deren Bedeutung f ü r das ausgehende 15. und beginnende 16. Jahrhundert aus den weitreichenden Konsequenzen f ü r die Staatsentwicklung des späteren 16. Jahrhunderts 8 nur erahnt werden kann. Wo immer flüchtige oder nähere Einblicke in das Finanzwesen der „Großterritorien" möglich sind, wird die Bedeutung der Steuer klar erkennbar: in Salzburg 9 und in der Kurpfalz 1 0 , in Tirol 1 1 und Württemberg 1 2 , in Vorarlberg 1 3 und

6

O . STOLZ, Rechtsgeschichte, 322. - G. DROEGE, Die Ausbildung der mittelalterlichen territorialen Finanzverwaltung, in: H . PATZE (Hg.), Der deutsche Territorialstaat im 14. J a h r h u n d e r t I (Vorträge und Forschungen 13), 1970, 343. - P. BUCKLE, Landschaften, 247.

7

O. STOLZ, Rechtsgeschichte, 127-132. 8 Vgl. W. SCHULZE, Landesdefension und Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen des innerösterreichischen Territorialstaates (1564-1619) (Veröffentlichungen der Kommission f ü r Neuere Geschichte Österreichs 60), 1973. Eine breiter angelegte Untersuchung, die die Bedeutung des Reichssteuerwesens für die territorialstaatliche Entwicklung lieferte zuletzt W. Schulze, Reich und Türkengefahr im spaten 16. J a h r h u n d e r t . Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, 1978. 9 In Salzburg stehen Steuerforderungen des Landesherrn (ohne Berücksichtigung der Weihsteuer) auf der Tagesordnung der Landtage von 1473, 1476, 1477, 1479, 14S9, 1504 und 1522. P. BLICKLE, Landschaften, 64. - Für die Bauern kommt belastend hinzu, daß gelegentlich den Adeligen eine Steuer bei Verheiratung ihrer Töchter oder anläßlich des Ritterschlags ihrer Söhne zu entrichten war. F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 8. (Fortsetzung der Fußnoten 10-13 s. S. 128)

128

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

im Hochstift Speyer 1 4 . Vom Ausmaß der steuerlichen Belastung der Bauern kann Franken konkretere Vorstellungen vermitteln 15 : Die Landsteuer belastete das mobile Vermögen in den Jahren vor 1525 mit 5 bis 1 0 % ; die Weihsteuern, die anläßlich der Inthronisation eines Bischofs und damit nicht regelmäßig, im Hochstift Bamberg jedoch 1501, 1503, 1505 und 1522 zu entrichten waren, betrugen bei Stiftslehen 1 0 % des Gesamtvermögens und erreichten für Güter außerhalb der bischöflichen Grundherrschaft Beträge bis zu 10 fl. Hinzu traten indirekte Steuern auf Wein und Bier, zum Teil auch auf Fleisch und Mehl, die eine Preiserhöhung von 10 bis 2 0 % bedeuteten. Zusammen mit den Reissteuern, die 1519, 1523 und 1524 fällig wurden, bedeutete dies eine enorme Belastung, so daß letztendlich Steuern und Zinsen die Hälfte des jährlichen Einkommens verschlangen 16 . Soldie Daten zu verallgemeinern ist unzulässig, doch zeigen sie Tendenzen an, die für den realen Hintergrund bäuerlicher Beschwerden über Steuern in den Großterritorien sprechen. Selbst kleine Stadtstaaten wie Basel schlossen sich dieser Entwicklung an und provozierten damit entsprechende Beschwerden ihrer Bauern 17 . Der landesherrliche Finanzbedarf mußte Rückwirkungen auf die territorialstaatliche Verwaltung und Behördenorganisation haben 18 . Ihr ständiger Ausbau über mehrere Jahrhunderte erreichte um 1500 einen ersten Abschluß und Höhepunkt in der Schaffung von Hofräten und Hofgerichten in Ober- und Niederösterreich, Bayern, Baden, Hessen, Sachsen und anderen Territorien 19 . Der einheimische Adel und ein vielfach versipptes und verschwägertes Bürgertum, zum Teil schon juristisch geschult, besetzte die Schlüsselstellungen der Zentralbehörden und setzte von hier aus das landesfürstliche Interesse durch: Die Rechtspflege tendierte zu einer

10

H . J . COHN, The Government of the Rhine Palatinate in the Fifteenth Century, 1965. F. GLASSCHRÖDER, Zum kurpfälzischen Ständewesen, in: Z G Ο 10 (1895), 470 f.

11

F v . MYRBACH, Z u r S t e u e r g e s c h i c h t e T i r o l s , i n : F i n a n z a r c h i v 1 9 ( 1 9 0 2 ) 2 . B d . , 9 3 - 1 3 5 .

12

13

14

15 16

-

F. KOGLER, Das landesfürstliche Steuerwesen in Tirol bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Archiv für österreichische Geschichte 90 (1901), 419-712. - Das Steuersimplum betrug um 1500 1 % des Gesamtvermögens (einschließlich des liegenden Gutes). Die Belastung hing damit von der Höhe der Bewilligung ab. Vgl. für die Jahre vor 1525 F. HIRN, Geschichte der Tiroler Landtage von 1518 bis 1525 (Erläuterungen und Ergänzungen zu Jannssens Geschichte des deutschen Volkes IV/5), 1905, bes. 26. V. ERNST, Die direkten Staatssteuern der Grafschaft Wirtemberg, in: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 1904, I, 55-90 und II, 78-119. A. BRUNNER, Die Vorarlberger Landstände von ihren Anfängen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs und Liechtensteins 3), 1929, 68 ff. F. J . MONE, Steuerbewilligungen im Bistum Speier 1439-1441, in: Z G O 1 (1850), 163169. Eine Steuer wurde auch 1523 nach Bewilligung durch Ämtertage erhoben. G L A K 78/1951. Vgl. R. ENDRES, Bauernkrieg in Franken, 41 ff. Ebd., 17.

17

P . BURCKHARDT, B a s e l , 1 2 .

18

K . BLASCHKE, Sachsen im Zeitalter der Reformation, 19. Vgl. die Zusammenstellung bei G. OESTREICH, Verfassungsgeschichte, 404 f. - Danach im wesentlichen die folgende summarische Übersicht.

19

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

129

Vereinheitlichung der lokalen Rechtsgewohnheiten zugunsten eines verbindlichen Landrechts; die Sozialpolitik neigte zu stärkerer Reglementierung des gesellschaftlichen und privaten Bereichs mittels der „guten Polizei", die jeden auftretenden Mißstand rasch steuern wollte; die Wirtschaftspolitik erstrebte mit Forst- und Bergbauordnungen u n d mit einer stärkeren Kontrolle des landesfürstlichen U r b a r s eine Steigerung landesherrlicher Einkünfte. Es w ä r e einfältig, die Intentionen dieser M a ß n a h m e n global als landesfürstliche Interessenpolitik zu klassifizieren. Eine Steigerung der Kameraleinkünfte mußte ebenso im Interesse der Bauern liegen wie eine Rechtsvereinheitlichung auf territorialer Ebene: das eine w a r unerläßlich f ü r eine steuerliche Entlastung, das andere unabdingbar bei der zunehmenden Mobilität. Zumindest f ü r den oberdeutschen R a u m läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit nachweisen, d a ß die Bauern diese Entwicklung mindestens unterstützt hatten 2 0 . Freilich w a r ein solcher N e u b a u des Staates nicht immer ohne Konflikte zu bewerkstelligen. Sollten die Einkünfte der landesfürstlichen K a m m e r gesteigert werden, k o n n t e es nicht damit sein Bewenden haben, f ü r eine effektivere Eintreibung grundherrlicher Abgaben zu sorgen, sondern es mußten konsequenterweise auch andere Einnahmequellen erschlossen w e r d e n : e t w a über den Forst, der nun auf der Rechtsgrundlage der Regalienhoheit durch Forstordnungen geschützt wurde, was f ü r den Bauern N u t zungsbeschränkungen mit sich bringen mußte. Sollte das Dorf wirksam v o r f r e m den Zuzüglern, Bettlern u n d Vaganten geschützt werden, mußten Kontrollen durchgeführt werden, die über die I m m u n i t ä t des Hauses hinweggingen. Sollte eine Rechtsvereinheitlichung erfolgen, mußten die zentralen landesfürstlichen Gerichte gelegentlich Urteile der ersten Instanz widerrufen. D a ß ein arrogantes Beamtentum hier gelegentlich zu weit ging sei nicht bestritten: Die Regalienqualität der Allmende berechtigte noch nicht dazu, wüst gewordene, als Weiden g e n u t z t e D o r f f l u r e n einzuziehen; die gute Polizei e r f e h l t e ihr Ziel, w e n n sie glaubte, die Wirtshäuser statt u m 10 U h r um 9 U h r schließen zu müssen; die Gerichtsbarkeit tat zuviel des Guten, w e n n sie Prozesse von den ersten Instanzen abzog, um das römische Erbrecht 2 1 im L a n d e durchzusetzen. Häufiger und grundsätzlicher allerdings waren die Differenzen, die sich auf gemeindlicher Ebene abspielten. Die neue Konzeption des Territorialstaates ließ sich mit H o f r ä t e n , Hofgerichten, Ratsstuben, Kanzleien, Regierungen, K a m m e r 20 21

P. BLICKLE, Landschaften. Von einer generellen Rezeption des römischen Rechts im agrarischen Bereich kann kaum gesprochen werden. Zur Rezeptionsproblematik insgesamt die Position der neueren Rechtsgesdiidite bei F. WIEACKER, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (Jurisprudenz in Einzeldarstellungen, Bd. 7), 1952, 119 und H. CONRAD, Deutsche Rechtsgeschidite, 2. Bd., 1966, 339-343. - Beschwerden, die sich direkt gegen das römische Recht richten, finden sich 1525 kaum. Speziell für den ländlichen Bereich vgl. G. AUBIN, Der Einfluß der Rezeption des römischen Rechtes auf den deutschen Bauernstand, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik III. F o l g e 4 4 ( 1 9 1 2 ) , 7 2 1 - 7 4 2 . bes. 7 2 4 - 7 2 8 .

TEIL 1

130

K R I S E DES F E U D A L I S M U S

gerichten, Regimenten und Raitkammern und wie immer sie heißen mögen entwickeln, aber noch nicht nach unten durchsetzen. Dazu bedurfte es einer Lokalverwaltung, die in Form der Amtsverfassung gefunden wurde. Dem Amt, das sich teils mit der älteren Gemeinde räumlich deckte, teils über sie hinausging, stand ein Amtmann vor, ein Adeliger zumeist, der als Amtsträger des Landesfürsten die Ziele der Regierung zu verwirklichen hatte. Zeitlich befristet, abhängig von der Zentrale, wurde er mit Richter-, Polizei- und Verwaltungsfunktionen ausgestattet 2 2 ; seine richterliche Kompetenz konnte mit jener der gemeindlichen Gerichte kollidieren; seine Polizeikompetenz konnte die Funktion analoger gemeindlicher Amtsträger einengen; seine Verwaltungskompetenz konnte dörfliche Organe überflüssig machen. Die Südtiroler Bauern verlangten Amtleute f ü r die Stadt- und Landgerichte, „die ierer Ffürstlichen] D[urchlaucht] zinß, raentn und gueltn ierlichn eintreiben, verraitn und betzaln, aber in den gerichtzhaenndlen weder in peen unnd faelln zue straffen noch zue hanndien nicht gewalt haben, sonnder allain F.D. ambtmann gehaissen sein" 23 . Eigenmächtigen Kompetenzausweitungen der Amtmänner - das ist der Inhalt dieser Beschwerde - sollte Einhalt geboten werden. Das hieß freilich nicht, dem Landesherrn jede Gerichtskompetenz absprechen, doch sollten die „richter in allen penen und fael, sy sein klain oder gros, kein interesse oder genies haben, sonnder alles F.D. zueessteen unnd verraitn" 2 4 , um unbillige Strafen und richterlichen Eigennutz zu verhindern. Diese Forderung wird einigermaßen verständlich, wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß über 60°/o der Tiroler Gerichte verpfändet waren 2 5 , die Gerichtsherren ihrerseits schlecht bezahlte Pfleger und Richter einsetzten, die ihr Einkommen über die Strafgebühren aufbesserten. Ähnliches läßt sich am Beispiel der württembergischen Regalienpolitik illustrieren. Württemberg hat sich bei seiner relativ diditen Besiedlung, seinem akuten Holzmangel und der Jagdleidenschaft seiner Herzöge besonders früh und nachhaltig der Forstsdiutzpolitik angenommen 26 . U m sie durchzusetzen, wurden zahlreiche Forstmeister angestellt, deren Position zum Amtsmißbrauch reizen mußte, war dodi die Kanzlei gehalten, keine Klagen gegen die Förster anzunehmen 2 7 . Aufgrund ihres Gebotsrechtes sperrten sie den Bauern nicht nur die Wälder, sondern audi die Allmenden und die Bäche; aufgrund ihrer Strafgewalt verhängten sie hohe Geldbußen, wenn der Bauer den Jagdhund, den er zu halten verpflichtet war, bei Bedarf nicht stellen konnte. Die Forstmeister mit ihren Knechten ließen

22

G . OESTREICH, V e r f a s s u n g s g e s d i i c h t e ,

23

H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, 39. Ebd. Vgl. H . WOPFNER, Lage Tirols, 112. - K . F. ZANI, Beschwerung, 260.

24 25

395.

26

R . KIESS, F o r s t e n .

27

D a z u G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 5 0 - 5 3 N r . 8.

1.3

K r i s e der A g r a r v e r f a s s u n g - K r i t i k des f r ü h m o d e r n e n S t a a t e s

131

sich auf K o s t e n der Bauern verpflegen, während sie ihnen gleichzeitig verboten, zur Vertreibung des Wildes von den Kulturen die H u n d e frei laufen zu lassen-'*. Mängel in der Gerichtspflege und Verwaltung wurden durch das Prinzip der guten Polizei nicht nur vermieden, sondern auch geschaffen. Zusätzlich lastete der A p p a r a t der niederen Beamten, teils schlecht bezahlt, teils gewinnsüchtig, wenn auch

nicht

ausschließlich

auf

den

Gemeinden

und

beschwerte

sie neben

den

Steuern. Die

optimale

finanzierung

Verwertung

der Regalienhoheit,

neue

Formen

der

Staats-

via Steuern und administrative Durchdringung des Territoriums mit

einem numerisch ständig wachsenden Beamtenapparat kennzeichnen die territorialstaatliche Politik an der Wende zur Neuzeit, deren Kosten die ländliche wie die städtische Bevölkerung zusätzlich belasteten. D i e oft ärmlichen Verhältnisse, vornehmlich in der ländlichen Gesellschaft, gaben selbst die Reichsfürsten zu. D i e M a r k g r a f e n von Ansbach stellten für ihre Territorien fest: „ W o einer ein auskommen hat, so haben etwaigen funffzig aus den armen landleuten kaum das brod zu essen und des sie teglich von hausrate in iren hewsern bedorffen" 2 9 . Selbst wenn dieses Zitat die Verhältnisse übertrieben negativ wiedergeben sollte, ist an einer wachsenden wirtschaftlichen Belastung und seiner verstärkten Reglementierung auf Kosten der bisherigen kommunalen Rechte durch den

frühmodernen

S t a a t nicht zu zweifeln. D i e vorhandenen regionalen Untersuchungen jedenfalls bestätigen durchgängig diesen Gesamteindruck 3 0 . O b ein höherer Perfektionsgrad des frühmodernen Staates, wie er etwa für Hessen angenommen worden ist oder für Sachsen vermutet werden darf, als E r klärung für das Ausbleiben größerer Unruhen verantwortlich gemacht

werden

k a n n 3 1 , muß angesichts des heutigen Forschungsstandes eine offene Frage bleiben.

1.3.3

D A S POLITISCHE B E W U S S T S E I N DER B A U E R N

Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, Vertiefung der sozialen Spannungen, Verstärkung des herrschaftlichen Drucks schärften das politische Bewußtsein der Bauern. W ä h r e n d des 15. Jahrhunderts vollzieht sich ein bemerkenswerter, vornehmlich für die Verfassungsentwicklung Oberdeutschlands einschneidender P r o zeß - die Verlagerung politischer Verantwortlichkeit der Bauern von der ländlichen Gemeinde auf die Landschaft als Gesamtrepräsentation des Territoriums.

28

E i n e F ü l l e v o n Belegen in den A m t s - u n d D o r f b e s c h w e r d e n 1 5 1 4 . D r u c k bei G . FRANZ,

29

D a s Z i t a t bei E . ENDRES, S o z i a l ö k o n o m i s c h e L a g e , 7 0 .

30

V g l . neben den in diesem K a p i t e l g e n a n n t e n a l l g e m e i n e n landesgeschichtlichen

Bauernkrieg Akten, 7 7 - 1 1 0 N r . 15 a - x .

suchungen für F r a n k e n R . ENDRES, S o z i a l ö k o n o m i s c h e L a g e , 6 5 - 7 1 . -

Unter-

F ü r T i r o l v g l . die

s o r g f ä l t i g e n B e r e c h n u n g e n insbesondere für B r i x e n bei J . BÜCKING, G a i s m a i r , bes. 2 8 . 31

Ε . G . FRANZ, H e s s e n , 6 3 1 f.

Abb. 3 Drei Marktbauern und ein Bauernpaar, Federzeichnung von Albrecht Dürer um 1496 Dürers Bilder bringen etwas vom neuen Selbstbewußtsein der Bauern bzw. ihrer Einschätzung durch den Künstler zum Ausdruck.

1.3

133

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates Wie immer die ländliche

Gemeinde

entstanden sein mag 1 , in ihrem Reifungs-

prozeß spielt das 14. und 15. Jahrhundert zweifellos eine ganz bedeutende Rolle 2 . Durdi den Verdorfungsprozeß im Zuge der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode 3 wuchsen die Ordnungsprobleme der ländlichen Gesellschaft, durch die Auflösung der Fronhofsverbände, die Mobilisierung und Kommerzialisierung der Herrschaftsrechte 4 entstanden konkurrierende Herrschaftsansprüche im Dorf, die den Bauern zur Ausbildung genossenschaftlicher Verwaltungs- und Gerichtsorgane zwangen, um das entstandene herrschaftliche Vakuum zu überbrücken. Solche Entwicklungen stärkten den genossenschaftlich-gemeindlichen Autonomieradius, der ohnehin bei der wenig entwickelten Administration der Grund-, Orts- und Territorialherren erheblich war, weil er zur Delegation von Herrschaftsrechten an diese kleinsten politischen Einheiten zwang. Die

Dorfgemeinde,

die

Gerichtsgemeinde,

die

Talgemeinde,

die

Bergge-

meinde 5 , sie alle waren wegen vergleichbarer Aufgaben ähnlich verfaßt 8 . Bauern aus der Gemeinde, teils gewählt, teils eingesetzt, teils im Zusammenwirken von

1

Es erübrigt sich, in diesem Zusammenhang die divergierenden Standpunkte von BADER, STEINBACH u n d DOPSCH e i n g e h e n d e r

2 3

4

zu erörtern. V g l . zusammenfassend

TH.

MAYER,

Landgemeinde, 477 ff. Ergänzend G. FRANZ, Bauernstand, 50. - W. ABEL, Verdorfung und Gutsbildung in Deutschland zu Beginn der Neuzeit, in: ZAA 9 (1961), 39-48. Vermutlich wird man den Prozeß der Verdorfung wenigstens für Oberdeutschland noch mehr ins Spätmittelalter ziehen müssen. G. FRANZ, Bauernstand, 63. Die Wüstungsforschung und Siedlungsgeschichte zeigt mit fortschreitenden Detailuntersuchungen immer deutlicher diesen Prozeß. Als Beleg sollen nur zwei methodisch vorbildliche Arbeiten dienen: H. JÄNICHEN, Markung und Allmende und die mittelalterlichen Wüstungsvorgänge im nördlichen Schwaben, in: Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen I (Vorträge und Forschungen VII), 1964, 163-222 und H. GREES, Dorf und Flur zweier Ostalb-Gemeinden im Wandel des Sozialgefüges, in: Jahrbücher für Statistik und Landeskunde von Baden-Württemberg 1963, 89-127. V g l . G . LANDWEHR, M o b i l i s i e r u n g d e r H e r r s c h a f t s o r d n u n g ,

484-505.

Die rechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Dorf, Genossenschaft, Gemeinde usw. sollen hier nicht weiter diskutiert werden. Vgl. dazu die mehrfach zitierten Arbeiten von K. S. BADER und die kritische Auseinandersetzung mit dessen Auffassung bei TH. MAYER, Landgemeinde, 468 ff., 478 ff. Gemeinde soll im folgenden jeder beliebige ländliche, lokal oder regional beschränkte Verband mit politischen Funktionen heißen, gleichgültig, ob es sich dabei um ein Dorf handelt oder einen größeren Bezirk mehrerer Dörfer, Weiler oder Einöden, der unter Bezeichnungen wie Gericht und Hauptmannschaft, begegnen kann. • Für die Funktion der Gemeinde im Spätmittelalter liegen Gesamtzusammenfassungen nicht vor. G. FRANZ, Bauernstand, 55 ff., 64 ff., bietet hier mehr als TH. MAYER, Landgemeinde. Die folgende Darstellung stützt sich auf eigene Vorarbeiten (vgl. P. BLICKLE, Landschaften), deren Verallgemeinerungsfähigkeit vor allem mit den Detailuntersuchungen kontrolliert wurden, wie sie in dem von TH. MAYER herausgegebenen Sammelbänden Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen (Vorträge und Forschungen Bd. V I I , VIII), 1964, zusammengefaßt sind. Die Vergleichbarkeit der Gemeinden in Aufbau und Aufgaben betont nochmals nachdrücklich K . S. BADER, Dorf III, 302. 5

134

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

Gemeinde u n d Herrschaft bestimmt, sorgten f ü r einen möglichst reibungslosen Ablauf der Wirtschaft w o immer sich individuelle und gemeindliche Interessen kreuzen m u ß t e n : bei der Dreifelderwirtschaft, den Trieb- und Trattrechten, den Allmend- und Holznutzungsrechten; sie versahen Aufgaben baupolizeilicher, feuerpolizeilicher u n d marktpolizeilicher A r t ; sie erließen Gebote und Verbote, um den Wirtschaftsablauf zu sichern, die Eigentumsverhältnisse zu schützen, den inneren Frieden zu w a h r e n ; sie übten eine Strafgewalt, um die Durchsetzung der Gebote und Verbote zu gewährleisten; sie besetzten das dörfliche Gericht mit Urteilern, die Fälle der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Niedergerichtsbarkeit bis hin zu den drei bzw. vier hohen Fällen der Hochgerichtsbarkeit behandelten. K u r z : die elementarsten A u f g a b e n staatlicher Tätigkeit, Friedewahrung u n d Rechtssicherung, wurden durch Bauern selbst wahrgenommen, kontrolliert durch die Herrschaft, soweit ihr dies möglich w a r , stärker jedoch durch die Gemeinde, die zunächst nach Bedarf zusammentreten konnte. Solche gemeinsamen Bauprinzipien betonen, ist notwendig, um die Vorstellungen von der politischen O r d n u n g des Spätmittelalters zu präzisieren, genauere n von jener politischen O r d n u n g , in deren Blickfeld auch die Bauern, nicht nur Kaiser und Reichsstände fallen 7 . Die Ordnungsprobleme im ländlichen Bereich wuchsen zweifellos, im 14. J a h r h u n d e r t durch Siedlungskonzentration, im 15. J a h r h u n d e r t durch die Verdichtung der ländlichen Bevölkerung. Die elementarsten Bedürfnisse menschlichen Zusammenlebens k o n n t e zu dieser Zeit die Herrschaft f r a g los weniger erfolgreich sichern, als die Gemeinschaft selbst, in der solche Probleme aktuell wurden - das Dorf f ü h r t hier als „zweite Stimme" kanonisch fort, was die Stadt thematisiert hatte 8 . Erst der f r ü h m o d e r n e Staat konnte in die Dorfgemeinde, in die Gerichtsgemeinde, in die Talgemeinde, in die Berggemeinde einen herrschaftlichen Beamten setzen, der, sanktioniert mit der A u t o r i t ä t der Obrigkeit, das durchzusetzen suchte, was der Landesfürst u n d seine R ä t e als förderlich erachteten f ü r den gemeinsamen N u t z e n , die gute Polizei - u n d ihre Interessen. Die Gemeindekompetenzen im 15. J a h r h u n d e r t f ü r besonders weitreichend zu halten und ihre Gemeinsamkeiten herauszustellen, heißt nicht die Unterschiede zu übersehen, die es zeitlich wie räumlich geben konnte 9 . Beispiele genügen, um dies zu illustrieren. Die Vorarlberger Gerichtsgemeinden wuchsen in der f r ü h e n N e u zeit wegen der zunehmenden Komplizierung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher

7

8

9

Dies zu betonen sei erlaubt angesichts eines herrschenden Geschichtsbildes, das die Prioritäten doch sehr anders setzt. Vgl. dazu die Konzeption verschiedener Handbücher wie etwa die der 9. Auflage von Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, des Territorien-Ploetz oder des Handbuchs der Schweizer Geschichte. Vgl. H. MAIER, Polizeiwissenschaft, 96-115. - Für den dörflichen Bereich, wenn vielleicht auch nicht so weitgehend K. S. BADER, Dorf III, 2. V g l . K . S. BADER, D o r f I I , 2 6 6 - 3 8 3 u n d I I I , 3 0 2 - 3 1 5 ( m i t A u f a r b e i t u n g des Schriftt u m s bis 1 9 7 0 / 7 1 ) .

1.3

K r i s e d e r A g r a r v e r f a s s u n g - K r i t i k des f r ü h m o d e r n e n S t a a t e s

135

Verhältnisse und dem schwindenden Interesse Habsburgs an seinen Vorlanden teilweise zu nahezu autonomen politischen Gebilden heran, wenn sie selbständig Landesordnungen erließen10 während die Grundherrschaft in Sachsen den Dorfgemeinden schon im 15. Jahrhundert ihre Kompetenzen mehr und mehr entzog 11 . In Franken 1 2 mögen früher, anknüpfend an Königsfreienverbände, politisch verantwortliche Gemeinden entstanden sein als im spätbesiedelten Schwarzwald 13 . Auch im 15. Jahrhundert sind Intensitätsunterschiede lokal und regional gewiß festzustellen. In einem Dorf, unmittelbar am Fuße der Burg des Herrn gelegen, konnte sich genossenschaftlich-gemeindliche Selbstverwaltung in nur bescheidenen Formen entwickeln, wohingegen ein entferntes Tal, für den herrschaftlichen Vogt nur nach einem mehrtägigen Ritt, winters überhaupt nicht zu erreichen, naheliegenderweise weitestgehend auf sich gestellt war. Auch regionale Unterschiede sind erkennbar, sowohl innerhalb der Grafschaften, Herrschaften, Herzogtümer und Kurfürstentümer wie von Land zu Land 1 4 : Im Fürstentum St. Gallen ist der Radius gemeindlidier Selbstverwaltung in der „Alten Landschaft" enger gezogen als im Toggenburg 1 5 ; in der Grafschaft Württemberg bleibt unter der Vorherrschaft der Amtsstadt und dem Einfluß des Vogtes der Spielraum der Gemeinden bescheidener als in Oberschwaben 16 ; im Rheingau besitzen die Bauern politische Rechte wie sonst wohl nirgendwo im Kurfürstentum Mainz 1 7 . Daß herrschaftliche Entwicklungen aber audi naturräumliche Gegebenheiten für die unterschiedliche Stärke der Gemeinden verantwortlich sein mögen, mag abschließend der Hinweis sagen, daß die Gemeinden Tirols 18 aufs Ganze gesehen mehr Rechte entwickeln konnten als jene Salzburgs 19 , die Gemeinden im Alpengebiet mehr als jene Süd- oder Mitteldeutschlands. Freilich, die Unterschiede sind gradueller nicht prinzipieller Art. 10

11 12 13

14

15

16 17 18

V g l . n e u e r d i n g s die Q u e l l e n s a m m l u n g v o n Κ . H . BURMEISTER, V o r a r l b e r g e r W e i s t ü m e r I (österreichische W e i s t ü m e r , 18. B d . ) , 1 9 7 3 . - DERS., D i e V o r a r l b e r g e r L a n d s b r ä u c h e u n d ihr S t a n d o r t in der W e i s t u m s f o r s c h u n g (Rechtshistorische A r b e i t e n , B d . 5), 1970. - DERS., D i e V e r f a s s u n g der ländlichen Gerichte V o r a r l b e r g s v o m S p ä t m i t t e l a l t e r bis z u B e g i n n des 19. J a h r h u n d e r t s , i n : Z A A 19 ( 1 9 7 1 ) , 2 6 - 3 9 . S u m m a r i s c h K . BLASCHKE, Sachsen im Z e i t a l t e r d e r R e f o r m a t i o n , 58 f. Η . H . HOFMANN, B a u e r n u n d H e r r s c h a f t in F r a n k e n , i n : Z A A 14 ( 1 9 6 6 ) , 11 ff. V g l . neben den m e h r f a c h h e r a n g e z o g e n e n A r b e i t e n v o n BADER z u l e t z t W . LEISER, A m t u n d E i n u n g in B a d e n , i n : M o n t f o r t 21 ( 1 9 6 9 ) , 3 5 4 - 3 7 3 . V e r g l e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g e n f e h l e n bisher w e i t g e h e n d , so d a ß nur a u f einige hinreichend belegte B e i s p i e l e v e r w i e s e n sei. D i e unterschiedliche E n t w i c k l u n g ist durch die v o r l i e g e n d e n E d i t i o n e n g u t z u e r k e n n e n ; v g l . W . MÜLLER, Rechtsquellen S t . G a l l e n u n d M . GMÜR ( H g . ) , D i e Rechtsquellen des K a n t o n s S t . G a l l e n , 1. T e i l : O f f n u n g e n u n d H o f r e c h t e , 2. B d . : T o g g e n b u r g ( S a m m l u n g Schweizerischer Rechtsquellen X I V ) , 1906. W . GRUBE, V o g t e i e n , Ä m t e r , L a n d k r e i s e in der Geschichte S ü d w e s t d e u t s c h l a n d s , 2 1 9 6 0 . G . FRANZ, B a u e r n s t a n d , 94 f. F . HUTER, Z u r Geschichte der G e m e i n d e b i l d u n g in T i r o l , i n : D i e A n f ä n g e der L a n d g e m e i n d e u n d ihr W e s e n I ( V o r t r ä g e u n d F o r s c h u n g e n V I I ) , 1964, 2 2 3 - 2 3 5 .

" V g l . H . KLEIN, in P r o t o k o l l N r . 53 des K o n s t a n z e r A r b e i t s k r e i s e s f ü r mittelalterliche Geschichte (9. - 12. O k t . 1 9 5 8 ) .

136

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Spätestens seit dem frühen 15. Jahrhundert kommt in das Beziehungsgefüge zwischen Bauer und Herr eine neue Dimension, die plakativ unter herrschaftsgeschichtlichem Aspekt als Territorialisierung bezeichnet werden kann. Kongenial der Abgrenzung nach außen durch Tausch und Kauf von Gütern, Leuten und Herrschaftsrechten ist die Intensivierung nach innen durch Zurückdrängung der adeligen und geistlichen Herren als mediater Gewalten, die Verschleifung persönlicher Abhängigkeiten zugunsten eines einheitlichen Untertanenverbandes des Territorialherren, die Aktivierung oder Reaktivierung hoheitlicher Rechte 20 . Dieser Prozeß führte zunächst dazu, daß Adel und Prälate unter dem Zugzwang der von den Landesherren eingeleiteten Entwicklung ihrerseits nach unten den Drude gegenüber ihren Bauern verstärkten 2 1 , nach oben im Instrument der Landtage eine Möglichkeit fanden, dem Landesherrn ihren korporativen Widerstand entgegenzusetzen 22 . Zwischen Bauern und Herren mußten die Konflikte auf der Ebene der ländlichen Gemeinde ausgetragen werden; je mehr die Dorfbewohner im Zuge der Territorialisierung Untertanen eines Herrn wurden, desto enger wurde der herrschaftsfreie Raum; je mehr der Ortsherr von seinem Gebotsrecht Gebrauch machte, desto beschränkter wurde die rechtsschöpferische Funktion der Dorfgerichte; je häufiger das Weistumsrecht kodifiziert wurde, desto seltener war der Bauer an der Rechtsfortschreibung beteiligt 23 ; je intensiver sich der Herr der Verwaltung annahm, desto mehr wechselten die „Dorfbeamten " von der gemeindlichen in die herrschaftliche Verantwortlichkeit; je energischer die Hoheitsrechte gehandhabt wurden, desto stärker hatte die Gemeinde unter Nutzungsbeschränkungen aller Art zu leiden. Um es kurz zu machen: aus der Polarität zwischen Gemeinde und Herr wurde ein Antagonismus. Den Beweis liefern die Weistümer und Dorfordnungen, die in tausend Jahren keine solche Dichte 24 aufzuweisen haben wie im 15. Jahrhundert 25 .

20

21

22 23 24

25

Auf Einzelbelege wird verzichtet; vgl. insgesamt: Der deutsche Territorialstaat des 14. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen Bd. 13, 14), 1970/71. Herausgearbeitet bei H . FEIGL, Die innere Krise der Grundherrschaft im 16. Jahrhundert und die Ursachen der Bauernkriege, in: Bericht über den 6. österreichischen Historikertag in Salzburg (Veröffentlichungen des Verbandes der österreichischen Geschichtslehrer 14), 1961, 9 1 - 9 9 . O. BRUNNER, Land und Herrschaft, 437 ff. Grundlegend Κ . H . BURMEISTER, Rechtsfindung, 175 ff. Eine solche Aussage verkennt nicht, daß ein Teil der Quellen der zunehmenden Schriftlichkeit zu verdanken ist. Vgl. D. WERKMÜLLER, Uber Aufkommen und Verbreitung der Weistümer nach der Sammlung von Jacob Grimm, 1972, 1 8 1 - 1 8 5 .

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

137

Kein Zweifel, die Dorfordnungen verdrängen die Weistümer, die herrschaftliche Rechtssatzung tritt an die Stelle der genossenschaftlichen Rechtsweisung 2 · nidit nur in der Absicht, die eigenen Interessen nachhaltiger durchzusetzen, sondern auch mit dem Ziel, eine Rechtsvereinheitlichung f ü r das Territorium zu erreichen. Von der RedltsanWeisung und damit auch der Rechtsetzung ausgeschlossen zu werden, so hatten die Bauern erkannt, „bedeutete den Status rein passiver Untertanenschaft" 2 7 . Dorf und Gericht waren je länger je weniger in der Lage, den herrschaftlichen Einbrüchen zu wehren. Dem passiv zuzusehen, war der Bauer nidit geneigt; in harten Auseinandersetzungen, begleitet von Huldigungs- und Abgabenverweigerungen, bilden sich Landschaften - Korrelate der Herrschaften - , die als Genossenschaften, als Korporationen des ganzen Landes, zum Teil in Verbindung mit den alten Landständen, dem Territorialherrn gegenübertreten 28 : Bereits an der Wende zum 15. Jahrhundert gelingt den Tiroler Bauern, korrekter gesagt den Untertanen des Grafen von Tirol, der Vorstoß in die Landtage; die habsburgischen Vorlande folgen mit einiger Verzögerung dieser Entwicklung; auf österreichischen Teil- und Gesamtlandtagen, schließlich auf eigenen Landtagen erscheinen die habsburgisdien Untertanen in Vorderösterreich um die Mitte des 15. Jahrhunderts, in Sdiwäbisch-Österreich und Vorarlberg um 1500. In Salzburg bemühen sidi die erzbisdiöflichen Untertanen seit den 1460er Jahren um eine Integration in den landständisdien Körper. In den kleineren Territorien Oberdeutschlands genannt seien nur die Grafschaft Toggenburg, die Klosterherrschaften Sdiussenried, Ochsenhausen und Kempten, die markgräflich-badischen Herrschaften RöttelnSausenberg, Hochberg, Badenweiler und die Fürstprobstei Berchtesgaden - wird gegen schärfste Widerstände der Herrschaften die rechtliche Anerkennung der Gesamtuntertanenschaft als korporativer Verband durchgesetzt. In solchen Vorgängen politischer Emanzipation der Bauern äußert sich überzeugend das politische Bewußtsein der Bauern, audi dort, wo es nur ansatzweise zu Landschaftsbildungen gekommen ist, wie in der K u r p f a l z in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, im Hochstift Speyer kurz nach 1500.

29

Verwiesen sei summarisch auf die neuere rechts- und verfassungsgeschichtliche Forschung. F. WIECAKER, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (Jurisprudenz in Einzeldarstellungen 7), 1952, 63 ff., 118. - W. TRUSEN, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland (Recht und Geschichte, Bd. 1), 1962. - H . MAIER, Polizeiwissenschaft, 97 ff. - G. K. SCHMELZEISEN, Polizei- und Landesordnungen I, 2. - H . CONRAD, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Bd., 1966, 339-343. Selbstverständlich ist Rechtssatzung noch nidit gleichbedeutend mit Rezeption des römischen Rechts. Dessen geringe Bedeutung für den Bauernkrieg hat schon der kritische Forschungsbericht von A. STERN, Das römische Recht und der deutsche Bauernkrieg von 1525, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 14 (1934), 20-29, nachgewiesen.

27

H . - M . MAURER, Bauernkrieg, 267. Vgl. für die folgende Übersicht zusammenfassend P. BLICKLE, Landschaften, 54-156. Belege werden eigens nur dann verzeichnet, wenn sie in dieser Arbeit nicht aufgenommen sind.

28

138

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

In Hinsicht auf die Revolution von 1525 ist es angezeigt, die dramatischen Akzente dieses Emanzipationsprozesses zu betonen 29 . Der Erzbischof von Salzburg konnte nur mit Hilfe der bayerischen Herzöge den Aufstand seiner Bauern dämpfen, der schließlich den Weg in die Landtage ebnete; der Fürstpropst von Berchtesgaden bedurfte der Intervention Kaiser Maximilians, um sich gegen die Landschaft wenigstens teilweise durchzusetzen; die Prälaten von Ochsenhausen und Kempten mußten den Schwäbischen Bund um militärisches Eingreifen gegen ihre aufständischen Untertanen ersuchen. Gefangenschaft, Flucht, Ausweisung gehören vielerorts zur Landschaftswerdung. Nicht allerorten vollzog sich die Landschaftsbildung unter derart gewaltsamen Vorzeichen, dennoch: der renitente Bauer setzte seine wirtschaftliche Existenz, seine Freiheit, ja sein Leben aufs Spiel, um nicht zum Objekt des Territorialstaats degradiert zu werden. Der „gemeine Mann" war „politisiert": Boten der schwäbischen Bauernschaft zogen durch Oberdeutschland, um Zeugen für die Prozesse gegen ihre Herrschaften beizubringen; Gemeinden weigerten sich, neugewählten Prälaten zu huldigen, solange ihre Beschwerden nicht beseitigt waren; Ammänner drohten den herrschaftlichen Vögten mit Gewalt, falls sie nicht von Abgaben entlastet würden; Bauernschaftsvertreter zogen auf die Universitäten, um sich von den Juristen Gutachten gegen ihre Herrschaften erstellen zu lassen; bäuerliche Delegationen erschienen auf Reichstagen, am kaiserlichen Hof, bei den Tagsatzungen der Eidgenossenschaft und in den Schweizer Städten um rechtliche oder militärische Hilfe gegen ihre Herren zu erbitten. Die Erfolge, welche die Bauern schließlich allerorten erkämpften, mußten die politischen Erwartungen erheblich steigern: Die Salzburger Bauern hatten 1462 den Erzbischof zwingen können, Steuererhöhungen und andere Neuerungen zurückzunehmen; die Tiroler Bauern hatten 1474 zusammen mit den Städtevertretern auf dem Landtag eine Landesordnung durchgesetzt; die Berchtesgadener konnten 1506 den Fürstprobst zwingen, Eingriffe in die bestehende Agrarverfassung zurückzunehmen; die Odisenhauser setzten 1502 gegen den Prälaten die Umwandlung der Fallehen in Erblehen durch; der dritte Stand, die Bürger und Bauern Vorderösterreichs, konnten 1500 eine Polizeiordnung nach ihren Wünschen erzwingen; die Landschaft Rötteln-Sausenberg hatte 1518 eine Landesordnung weitgehend selbständig ausgearbeitet. Die Belege genügen. Was die Bauern erreichten, wurde kodifiziert in Form von Landtagsabschieden, gesiegelten Landesordnungen oder zweifach ausgefertigten Urkunden, von denen die Untertanenschaft ein Exemplar erhielt. Will man die Gemeinsamkeiten solcher Übereinkommen aufeinander beziehen, Unterschiede gegeneinander abgrenzen, erkennt man schon hier die verschiedenen Problemkreise, die Klein- und Großterritorien gleichzeitig verbanden und trennten. In den kleinen Territorien

29

Die schriftliche Uberlieferung läßt, zumal es sich meistens um Quellen herrschaftlicher Provenienz handelt, herrschaftliche vor genossenschaftlichen Impulsen in einer Weise in den Vordergrund treten, die der Wirklichkeit kaum entsprochen haben dürfte.

1.3

Krise der Agrarverfassung - Kritik des frühmodernen Staates

139

Schwabens, des Oberrheins und der Schweiz geht es um eine f ü r das ganze Territorium verbindliche Definition der Agrarverfassung - Leibeigenschaftsverpflichtungen, Besitzrechte, Nutzungsberechtigungen. Dies gilt f ü r die größeren Territorien nur mit Modifikationen. Dort, wo der Landesherr gleichzeitig der bedeutendste Grundherr war wie in Salzburg oder Tirol, wird versucht, über die Landesordnungen auch den Bereich der Agrarwirtschaft und Agrarverfassung im Sinne der Bauern genauer zu umschreiben; wo der Landesherr als Grundherr weit hinter Adel und Geistlichkeit an Bedeutung zurückblieb wie in Vorderösterreich, konnte der agrarische Bereich kaum Gegenstand von Landesordnungen sein; hier bedurfte es direkter Verhandlungen zwischen Bauern und Grundherr. Dennoch: tendenziell wollen die Bauern überall dasselbe - Mitsprache bei der Ausgestaltung der Territorialstaatsverfassung. Wenn sich die Aktivitäten im Bereich der Kleinterritorien weitestgehend auf die Agrarverfassung beschränken, dann deswegen, weil hier Agrarverfassung und Territorialstaatsverfassung nahezu identisch waren. Die Landesordnungen in großen Territorien wollen genau in dem Maße mehr, als sich ihr Territorialstaat vom reinen Agrarstaat entfernt hat. Ein weiteres unterscheidet die Großterritorien von den Kleinterritorien; von Salzburg bis Vorderösterreich geht es auf den Landtagsverhandlungen auch um Steuern, die überall bedenkenlos ausschließlich auf die Städte und das Land umgelegt wurden, wo es keine politische Repräsentation der Bauern gab. Freilich, auch dies ist zu beachten: die Erfolge der Bauern hatten ihre Grenzen. Auffällig ist an allen Landtagsabschieden, Landesordnungen und Verträgen die Betonung des „Alten Herkommens". Das Durchsetzungsvermögen der Bauern erreichte seine Grenze am Alten Herkommen. Damit war viel, wenig und nichts zu erreichen - viel, wenn das alte Recht nachweisbar durch Neuerungen verletzt worden war; wenig, wenn es durch eine jahrzehntelange Überlagerung mit Neuerungen nicht mehr bewiesen werden konnte; nichts, wenn es angesichts neuer sozialer und wirtschaftlicher Probleme keine Ordnungsfunktion haben konnte. Wo immer sich der Territorialstaat, wenn auch nur subsidiär, des römischen Rechts, des gemeinen Rechts, des Satzungsrechts bediente, wo immer sich sein Rechtsbewußtsein von der deutschen Tradition der Rechtsfindung und Rechtsweisung entfernte, ließ er einen hilflosen Bauern zurück. Der Legimationszwang bestand für beide Seiten: die Herren kämpften mit dem „gemeinen kaiserlichen und geistlichen Recht", der Bauer verteidigte sich mit der stumpfgewordenen Waffe des Alten Herkommens. Die Kategorie der Rationalität stand gegen die Kategorie der Ethik. Gefesselt an sein eigenes Rechtsverständnis von Herkommen und Billigkeit konnte der Bauer nur fordern, was er rechtlich begründen konnte. Er benötigte ein Äquivalent zum „gemeinen kaiserlichen und geistlichen Recht"; er sollte es 1525 finden - im „göttlichen Recht" 30 . 30

D i e Erklärungen, die I. SCHMIDT, Göttliches Recht, 32 ff., für die Rezeption des G ö t t lichen Rechts anbietet, bleiben deswegen vage, weil die nur bedingte Brauchbarkeit des Alten H e r k o m m e n s für die Strukturprobleme des 16. Jahrhunderts nicht erkannt wird.

1.4

BIBLIZISMUS C O N T R A

FEUDALISMUS

Die Krise des Feudalismus w a r auf traditionelle Weise, etwa nach dem Muster gemeinsamer Rechtsfindung von H e r r e n u n d Bauern, k a u m zu lösen. W a r u m ? U m dies zu beantworten, sei v o r a b die Berührung, Überlagerung und wechselseitige Abhängigkeit der Konfliktfelder aufgezeigt, sei versucht "die Wertigkeit der krisenhaften Momente in einer A r t zu bestimmen, die gleichermaßen die allgemeinen Verhältnisse wie die regionalen Besonderheiten deckt. So schwer es ist, die Lage der mitteleuropäischen Landwirtschaft um 1500 richtig einzuschätzen, in den letzten fünf J a h r z e h n t e n vor 1525 verschlechtert sich die Situation der Bauern insofern, als erst jetzt die landwirtschaftliche Fläche erkennbar k n a p p wurde, die Nutzungsberechtigungen energisch eingeschränkt, Steuern spürbar erhöht w u r d e n . Inwieweit dieser P r o z e ß vor dem H i n t e r g r u n d einer Rezession oder konjunkturellen Belebung im agrarwirtschaftlichen Bereich ablief, läßt sidi nicht entscheiden. Als verursachender F a k t o r ist er - ohne ihm schon d u r d i die Plazierung P r i o r i t ä t einräumen zu wollen - deswegen relevant, weil die Verschlechterungen in den Erfahrungsbereich von nur zwei Generationen fielen u n d damit als Verschlechterungen auch e m p f u n d e n w u r d e n . M a n w i r d hier einwenden können, es sei verfehlt, die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft als Aufstandsursadie zu betonen, angesichts einer vor wie nach 1500 nicht eben stürmischen Entwicklung im agrarischen Bereich. Eine solche Aussage ist richtig, sie übersieht jedoch, d a ß zusätzliche wirtschaftliche Belastungen tatsächlich ausreichend waren, um bereits vor 1525 Revolten auszulösen: D e r A u f s t a n d der Salzburger Bauern w a r die A n t w o r t auf die Verdoppelung der Weihsteuer, die U n r u h e n in den Klosterherrschaften Weissenau, Schussenried und St. Blasien die Reaktion auf die Steigerung der Leibeigenschaftsabgaben, der Aufstand des Armen K o n r a d in W ü r t t e m b e r g das Echo auf die landesherrliche Forstschutzpolitik. Es sei unbestritten, d a ß man die Ursachen solcher Revolten in tieferen Schichten des bäuerlichen Bewußtseins suchen k a n n , etwa im verletzten Rechtsempfinden, doch l ä ß t sich in keinem einzigen Fall übersehen, d a ß die Konflikte durch herrschaftliche M a ß n a h m e n provoziert w u r d e n , die unmittelbar u n d immer auf die bäuerliche Wirtschaft durchschlugen. Wenn die Revolten seit der Mitte des 15. J a h r h u n d e r t s in immer kürzeren Intervallen ausbrechen, spricht dies f ü r eine Verschärfung der Krise vor 1525. U n d nicht n u r dies; das numerische Ansteigen der A u f s t ä n d e läßt sich mit der wachsenden wirtschaftlichen Belastung synchronisieren. Diesen Gesichtspunkt wollte der Mainzer K u r f ü r s t schon bei der Kaiserwahl von 1519 berücksichtigt wissen u n d agitierte wegen der wirtschaftlichen Macht der Habsburger f ü r K a r l V., „domit der a r m gemein man sonder merklich ursach u n d not nit mit aufsetzen und Schätzungen uberladen und beswert werde, d a n n daraus w u r d e nichts guts folgen, allein ein buntschuch" 1 . 1

Deutsche Reidistagsakten unter Karl V., Bd. 1, ! 1962, 843 f. Nr. 378.

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Abb. 4 Fahnenträger des Evangeliums, der neuen Thomas Murners Vom großen lutherischen Narren, Der im typischen Gewand des Söldners auftretende und ihrer Aufschrift ein neues Programm; es gehört die Aufschriften wie „Freiheit" und „Gerechtigkeit"

reformatorischen Lehre, Holzschnitt in 1522 Bannerträger propagiert mit der Fahne zu einer Reihe weiterer Darstellungen, tragen.

142

TEIL 1

K R I S E DES FEUDALISMUS

Zweierlei ist an diesen Revolten bemerkenswert. Sie werden geführt mit der Begründung, zu Zeiten der „Eltern und Voreltern" sei diese oder jene Abgabe nicht üblich gewesen; sie werden geführt mit dem Ziel, eine konkrete Beschwerde zu beseitigen. Begründung und Zielsetzung verschmelzen ineinander. Ohne Legitimation gab es keine Forderung, und die Legitimation war das Alte Herkommen - der Schlüsselbegriff für mittelalterliches Rechtsdenken schlechthin. Damit versteht sich fast von selbst, daß in den spätmittelalterlichen Revolten und Aufständen innerhalb des Reiches nichts gefordert wurde, was nicht zu legitimieren war, anders gesprochen: daß die Revolte nur die Beseitigung einer bestimmten Neuerung anstreben konnte. Damit ist die Frage beantwortet, weshalb die Aufstände territorial beschränkt bleiben, warum es nicht schon im 15. Jahrhundert zu einer Revolution, vergleichbar der von 1525, gekommen ist. Die Rückwirkungen der zusätzlichen wirtschaftlichen Belastungen trafen in den sozialen Bereichen Dorf und Familie auf eine ohnehin gespannte Situation. Seitdem die Landflucht wirksam unterbunden war, kämpfte eine wachsende Bevölkerung um die Verteilung einer kaum erweiterbaren Kulturfläche. Im Realteilungsgebiet nivellierte sich die Gesellschaft nach unten; im Anerbengebiet verschärfte sich durch Zunahme der ländlichen Unterschicht der Gegensatz zwischen arm und reich. Es scheint auf den ersten Blick absurd, wenn angesichts solcher innerdörflicher Schwierigkeiten, die Herren weiterhin die Freizügigkeit verhinderten; sie taten dies aber nicht im Hinblick auf die Söldner und Kleinbauern, sondern um die Vermögenswerte der großen Höfe steuerlich belasten zu können. Das nämliche Motiv, ergänzt durch das territorialstaatliche Interesse, steht hinter dem Verbot der ungenossamen Ehe, das in der Tat die einfachsten Bedürfnisse nicht zu befriedigen erlaubte. Die sozioökonomische Entwicklung steht in einem auffälligen Gegensatz zur politischen, die plakativ mit politischer Emanzipation der Bauern umschrieben werden kann. Hatte die weitgehende dörfliche Selbstverwaltung die Fähigkeit für politische Entscheidungen gefördert, so mußten die Erfolge der Bauern in den Auseinandersetzungen mit ihren Herrn die politischen Erwartungen steigern. Die Aufforderung zu mehr regionaler Differenzierung ist an dieser Stelle angebracht. Graduelle Unterschiede in den wirtschaftlichen Belastungen, sozialen Spannungen und politischen Erwartungen sind nicht abzustreiten; sie verbieten es auch, eine Hierarchie der Ursachen durchgängig als verbindlich zu erklären, im Gegenteil ist es angezeigt, sie als Variable mit regional unterschiedlichem Eigengewicht zu werten. In Tirol wogen die höheren politischen Erwartungen die geringeren wirtschaftlichen Belastungen auf: Schrittweise waren die Untertanen ihrem Ziel einer Landesordnung nähergekommen. In Franken hatte die wirtschaftliche Belastung mehr Gewicht als die politischen Erwartungen: Die grundherrlichen und landesherrlichen Lasten überschritten die Toleranzschwelle, wenn durch Abgaben die Hälfte der Einkünfte aufgezehrt wurde. Solche Beispiele, die beliebig vermehrbar wären, zeigen, daß das Zusammenwirken der Variablen letztlich immer den

1.4

Biblizismus contra Feudalismus

143

gleichen Effekt hatte: Die Belastbarkeit des Verhältnisses B a u e r - H e r r hatte ihre Grenze erreicht. Wo dies nodi nicht der Fall war, möglicherweise in Thüringen und Sachsen, die Formen der Leibeigenschaft und Gemeindeautonomie wie Oberdeutschland und audi eine ähnlich hohe wirtschaftliche Belastung 2 nidit kannten, konnte eine charismatische und revolutionäre Gestalt wie Thomas Müntzer den schmalen Graben ohne Mühe zuschütten. Noch erfolgte der revolutionäre Durchbruch nicht. Unverständlich scheint eine solche Lethargie der Bauern nur, wenn man das Treueverhältnis, das ethische Moment, das den Bauern an seinen Herrn band, aus dem Beziehungsgefüge H e r r H o l d e herausnimmt. Z w a r wurde in der T a t - und dies spürte auch der Bauer sehr deutlich - die Treue, das Ferment mittelalterlicher sozialer und politischer Ordnung, dadurch desavouiert, daß nun das ökonomische Abhängigkeitsverhältnis eindeutig dominierte, doch noch war er nicht imstande, diese älteren ethischen Schranken zu überspringen. Sie äußerten sich in seinem Rechtsdenken, das zwar auf einem hohen sittlichen Niveau stand, jedoch in seiner Bindung an das Alte Herkommen untauglich war, Probleme einer sich rasch wandelnden Sozial- und Herrschaftsordnung zu meistern: D a s Alte Herkommen bot keine Lösung für das Bevölkerungsproblem - zum Beispiel. Wo der Herr „altes Recht" vorweisen konnte, war das „Alte H e r k o m m e n " ohnmächtig. Der sibyllinische Satz soll sagen, daß geschriebenes Recht - Fälschungen Inbegriffen - an Beweiskraft dem Alten Herkommen überlegen war. Altes Herkommen konnte nur dort Neuerungen abwehren, wo es sich als „verbrieftes" Altes Herkommen ausweisen konnte. In Zweifelsfällen sprach die Vermutung für den Stärkeren. „Die beste Rechtsordnung verliert ihren Sinn, wenn der Betroffene seine rechtlich gegebenen Ansprüche gegen den stärkeren Gegner nicht durchsetzen kann" 3 . Weil dies nicht immer und noch nicht lange so war, hoffte der Bauer auf die Kraft des alten Rechts. Sich dessen bewußt zu werden, daß diese Hoffnung trügerisch war, dauerte begreiflicherweise eine gewisse Zeitspanne 4 . War schließlich klar, daß die Konflikte in der traditionellen Form des rechtlichen Ausgleichs nicht mehr zu lösen waren, blieben als Alternativen: der Verzicht auf jede Legitimation der Forderungen oder die Zuflucht zu einem „neuen" Recht. Die ethisch, sprich rechtlich begründete Forderung war selbstredend der nackten Forderung überlegen. War das „neue" Redit bäuerlichem Rechtsverständnis kongenial, war es fähig, die Nöte, Spannungen, H o f f nungen und Erwartungen in berechtigte sittliche Forderungen umzusetzen, mußte es geradezu erlösend wirken. D a s „neue" Recht wurde gefunden - im „göttlichen" Recht. 2 3

4

Vgl. die Berechnungen bei A. STRAUBE, Amt Allstedt, bes. 33. Κ . H . BURMEISTER, Rechtsfindung, 181.

Dieser Sachverhalt läßt sich in einer Formel etwa folgendermaßen fassen: Wirtschaftsoziale politische liehe Belastung Spannung Erwartung Aufstandsbereitsdiaft = ; ~ : Legitimationszwang Je geringer der Legitimationszwang wird, desto größer wird die Aufstandsbereitschaft.

144

TEIL 1

K R I S E DES F E U D A L I S M U S

Der „Bauernkrieg" begann im Januar-Februar 1525 in Oberschwaben 5 . Im Allgäu, am Bodensee und um Baltringen erhoben sich die Bauern und organisierten sich im Allgäuer, Bodenseer und Baltringer „Haufen", ohne daß in der ersten Phase eine wechselseitige Beeinflussung nachweisbar wäre. Der Zuwachs an wirtschaftlichen Belastungen, sozialen Spannungen und politischen Erwartungen hatte offensichtlidi bei der Homogenität der agrarischen und herrschaftlichen Verhältnisse ein gleiches Niveau erreicht, zumal Adel und Geistlichkeit ihre Territorialisierungs- und Intensivierungsmaßnahmen aufeinander abgestimmt hatten 6 : Die zahlreichen Prozesse des 15. Jahrhunderts mußten für die Kommunikation unter den Herren förderlich sein, weil sie in wechselnder Zusammensetzung die Schiedskommissionen bildeten 7 und so weit über den engen Horizont ihrer Territorialgrenzen hinaus die Verhältnisse in den oberschwäbischen Herrschaften kannten. Eine Institution wie der Schwäbische Bund, der auf seinen Bundestagen Adel, Prälaten und Ratsherren zusammenführte, mußte dem Erfahrungsaustausch förderlich sein, der letztlich zu einer Nivellierung nach unten führte. Die auffällige häufige Begründung der restriktiven Maßnahmen seitens der Herren mit den Gewohnheiten in benachbarten Herrschaften beweist dies hinlänglich. Signatur der Erhebungen im Januar-Februar 1525 ist ihr überterritorialer Charakter. Bauern verschiedenster Herrschaften schlossen sich zusammen; Dörfer erhoben sich, nicht mehr die Untertanen eines Herrn. Das ist ein Novum insofern, als die bisherigen Revolten den engen herrschaftlichen Bezugsrahmen nie durchbrochen hatten 8 . Voraussetzung des transterritorialen Zusammenschlusses war die Überwindung des bisherigen Legitimationszwanges. Das ist einsichtig, weil das Alte Herkommen nur durch den Herrn und niemanden sonst verletzt werden konnte,

5

Wenn die Stühlinger Erhebung von 1524 auch teilweise in Struktur und Verlauf das nämliche B i l d zeigt, wie die Erhebungen in anderen Landschaften 1525 [vgl. G . FRANZ, Bauernkrieg (1), 1 5 8 - 1 8 1 ] , scheint es nicht angezeigt, mit ihr den „ B a u e r n k r i e g " beginnen zu lassen. Z w e i Überlegungen mögen d a s rechtfertigen: 1. D i e Bauern blieben in ihrer Legitimation dem Alten H e r k o m m e n verbunden und ließen sich d a m i t 2. auf den Rechtsweg a b d r ä n g e n , so d a ß die Stühlinger E r h e b u n g noch nicht den allgemeinen Durchbruch brachte, vielmehr eher den älteren R e v o l t e n und A u f s t ä n d e n zuzurechnen ist. Vgl. d a z u neuerdings auch W. BECKER, Göttliches Wort, 243.

• Stellvertretend f ü r viele Fälle sei hier auf den P r o z e ß der M o n t f o r t e r G r a f e n mit ihren Herrschaftsleuten in S t a u f e n verwiesen. Zur A b s t ü t z u n g seines Rechtsanspruchs holte der G r a f 60 Kundschaften, überwiegend von Adeligen und Prälaten, ein. O . RIEDER, Urkundekuriosa, 130-143. 7 Eine Zusammenstellung, die bis heute fehlt, aus den P r ä a m b e l n der verschiedenen U n t e r tanen- oder Herrschaftsverträge jedoch möglich wäre, könnte hier sehr viel klarere Vorstellungen vermitteln. A u f eine D o k u m e n t a t i o n sei hier verzichtet, weil sie den U m f a n g einer Miszelle annehmen müßte. 8

D e r H i n w e i s auf die oberrheinischen Bundschuhaufstände k a n n eine solche Feststellung deswegen nicht entkräften, weil sie sich durch ihren konspirativen, elitären und r a d i k a len C h a r a k t e r wesentlich v o m Bauernkrieg wie von den übrigen V o r a u f s t ä n d e n unterscheiden.

1.4

Biblizismus contra Feudalismus

145

folglich Forderungen in der Ummantelung des Alten Herkommens allein an ihn adressiert werden konnten. Überwindung des traditionellen Legitimationszwanges und Isolationismus war auf zweierlei Art möglich: durch ein neues Recht, das die enge Rechtsgemeinschaft B a u e r - H e r r aufhob oder durch den Verzicht auf das Recht. Das eine läßt sich bei den Allgäuern, das andere bei den Baltringern nachweisen. Die Leibeigenen und Zinser des Allgäuklosters Kempten drängten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts mit zunehmender Heftigkeit auf eine Lockerung persönlicher Abhängigkeiten. Die Revolte von 1491/92 war der erste, die nur mit Einschränkung geleistete Huldigung von 1523 der zweite Höhepunkt eines überaus dramatischen Prozesses, der seitens der Bauern ausschließlich mit der Waffe des Alten Herkommens geführt wurde. Im Januar 1525 scheiterte ein Schiedsverfahren zwischen Abt, Konvent und Landschaft 9 . Die Landschaft diskutierte daraufhin am 23. Januar in Leubas, der Malstätte des kaiserlichen Landgerichts Kempten, das weitere Procedere: kriegerisches oder gerichtliches Vorgehen; die Mehrheit votierte f ü r den Rechtsweg 10 . Noch zu diesem Zeitpunkt war die Landsdiaft in ihrer Zusammensetzung exklusiv auf die stift-kemptischen Untertanen beschränkt. Den Vorwurf des Abtes, Bauern fremder Herren hätten ihre Einung mitbeschworen, womit er seinen Untertanen die Schuld am Ausbruch des Bauernkrieges zuschieben wollte, wurde von der Landschaft energisch mit dem Hinweis zurückgewiesen, sie hätten allen Fremden verboten, ihrem Bündnis beizutreten 11 . Hier wird mit aller Deutlichkeit die Verkoppelung von Altem Recht und regional-personal begrenzter Aktivität dokumentiert. Der Landschaftsbevollmächtigte Jörg Schmid (Knopf) zu Leubas ging nach Tübingen, um sich dort mit einem Juristen zu beraten. Erst am 20. Februar wurde er von der Landschaft zurückberufen 1 2 , nachdem das ganze Allgäu in Aufruhr war und die Bauern eine neue Legitimation f ü r Forderungen gefunden hatten: „das heilige Evangelium und das Göttliche Recht" 13 . Die regionale Begrenzung war aufgehoben, herrschaftliche Zugehörigkeiten bildeten keine unüberwindlichen Grenzen mehr f ü r genossenschaftliche Zusammenschlüsse. Bis Ende des Monats 14 fanden Bauern des Grafen von Montfort und Ausbürger der Stadt Wangen, Leibeigene des Abts von Kempten und Untertanen des Bischofs von Augsburg einen institutionellen Rahmen f ü r ihr Vorgehen in der „Christlichen Vereinigung der Landart Allgäu" 1 5 . Die Kemptener Bauern hatten nie auf eine Legitimation verzichtet,

• F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 75-84 Nr. 62. Tag zu Obergünzburg 9 . - 1 4 . Januar. P. BUCKLE, Landschaften, 326. 11 Druck G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 131 Nr. 27. 12 G. FRANZ, Bauernkrieg, 115. 13 G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 184. 14 F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 487 f. 15 G. FRANZ, Bauernkrieg (1). 10

146

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

hatten vielmehr verbrauchte alte Rechtsvorstellungen gegen griffigere neue ausgetauscht - Altes Herkommen gegen Göttliches Recht. Die zweite Alternative zum Alten Herkommen begleitete die Erhebung um Baltringen. Binnen eines Monats hatten sich Mitte Februar südlich der Donau 7000-10 000 Bauern aus den verschiedensten Herrschaften von Meßkirch bis an den Lech im Baltringer Feldlager eingefunden. Am 16. Februar reichten die Bauern dem Schwäbischen Bund auf dessen Erfordern ihre Beschwerdeschriften ein, nur wenige waren schon früher unmittelbar an die Herrschaften gerichtet worden. Wertet man sie nach der Art ihrer Legitimation aus18, dann zeigt sich, daß nur 5°/» mit dem Göttlichen Recht, ll°/o mit dem Alten Herkommen, 84°/o jedoch überhaupt nicht begründet werden 17 . Naheliegenderweise ist in die Einzelartikel aufgrund der älteren Gewohnheiten noch da und dort eine Begründung eingeflossen. Bei äußerst vorsichtiger Zuordnung scheint sich die Vermutung zu bewahrheiten, daß verschiedene Forderungen nicht begründbar waren, weil eine nachweisbare Verletzung des Alten Rechts nicht vorlag. So wird in den Bereichen Leibherrschaft und Grundherrschaft kaum (l,5°/o bzw. 8°/o), in dem der Rechtspflege und Nutzungansprüche häufiger (14,81% bzw. 20,73°/o) mit dem Alten Herkommen argumentiert. Das Legitimationsvakuum wurde in zehn Tagen überwunden. Am 27. Februar beschloß der Baltringer Haufen, der sich nun „christliche Versammlung" nannte, die Durchsetzung des göttlichen Wortes zum Programm zu erheben: „Was uns dann daselbig göttlich wort nymbt und gibt, dabey woll wir allzeit gerne beleyben und uns bey demselben wol und wee geschehen lassen"18. Rechtliche Begründungen für Forderungen zu suchen war überflüssig, Beschwerden einzubringen entbehrlich, den Ausgleich mit jeder einzelnen Herrschaft anzustreben überflüssig. Der Aufstand hatte seine Legitimation, die Revolution ihr Ziel. Es galt allein dieses Ziel genauer zu umreißen, die wirtschaftlidien, sozialen und politischen Forderungen mit dem göttlidien Wort zu harmonisieren. Die Revolution braudite ihr Manifest - sie fand es in den Zwölf Artikeln.

16

17

18

Vgl. dagegen etwa die Stühlinger Artikel, die überwiegend mit dem Alten Herkommen legitimiert werden. F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 188-208 Nr. 199. Die Chronik des Andreas Lettsch sieht die Wiederherstellung des Alten Herkommens als Hauptziel der Stühlinger; Drude bei F. J. MONE, Quellensammlung 2, 46. Für das zugrundeliegende Material vgl. Anhang II. Der folgenden Auswertung liegen nur die Einzelartikel zugrunde. Des öfteren werden die Artikel global in der Präambel mit Altem Herkommen (7,69%) und dem Göttlichen Recht (12,82%) begründet, die Einzelbeschwerden hingegen nehmen dann wieder auf das Göttliche Recht oder das Alte Herkommen Bezug. W. VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 83.

1.4

Biblizismus contra Feudalismus

147

D a s Göttliche Recht durchzusetzen, was immer die Bauern im einzelnen darunter verstanden haben mögen 1 9 , w u r d e z u m Ziele der Revolution 2 0 . D a s Göttliche Recht als neues Rechtsprinzip formuliert zu haben, es als rechtliche Begründung zur Ü b e r w i n d u n g v o n Strukturproblemen des Feudalismus - und schließlich des Feudalismus selbst - nutzbar gemacht zu haben, verlieh den Z w ö l f Artikeln ihre Durchschlagskraft. Selbst dort, w o sie nicht als Basisforderungen dienen konnten, weil der Feudalismus noch zu stabil oder durch das neue Prinzip des frühmodernen Staates schon ausgelaugt war, konnte der Uberbau des Göttlichen Rechts abgezogen, verselbständigt und für inhaltlich anders geartete Forderungen nutzbar gemacht werden. D i e Z w ö l f Artikel, Spiegel der bäuerlichen Zielsetzungen in der ersten Phase der R e v o l u t i o n , hatten zunächst nur die A u f g a b e , die Rechtmäßigkeit der Forderungen mit der Bibel nachzuweisen, folgerichtig die herrschaftlichen Maßnahmen, die solche Forderungen provoziert hatten, als unchristlich zu brandmarken. Für die Bauern hatte das „göttliche Wort" als Rechtsprinzip erlösend gewirkt: Schuld an der Empörung trugen die Herren, gerechtfertigt w a r die Empörung durch die Bibel 2 1 . Welche Mittel zur Durchsetzung des „göttlichen Worts" ergriffen werden konnten und sollten, blieb damit noch offen. D a s Göttliche R e d i t w a r potentiell dynamisch in einem dreifachen Sinn: N u n konnten Forderungen jeder Art, die aus der Bibel deduzierbar waren, angemeldet werden. N u n waren die ständischen Schranken aufhebbar, die Bauern und Städter

19

Eine detailliertere begriffsgeschichtliche Untersuchung zu liefern ist im Moment noch nicht möglich. Vgl. für Vorarbeiten H . MICHAELIS, Bedeutung der Bibel; MICHAELIS untersucht insbesondere die Bedeutung der Begriffe Göttliche Gerechtigkeit und Göttliches Recht in den Zwölf Artikeln, in Gaismairs Landesordnung und im Heilbronner Programm. I. SCHMIDT, Göttliches Recht, 29, weist darauf hin, daß der Begriff selbst nie klar definiert wurde. Der augenblickliche Diskussionsstand ist aufgearbeitet, problematisiert und zu Forschungsaufgaben weiterentwickelt bei H . WUNDER, „Altes Recht" und „Göttliches Recht" im Deutschen Bauernkrieg, in: ZAA 24 (1976), 54-66. Die von WUNDER (ebd., 65) formulierten Forderungen einzulösen, erweist sich als außerordentlich schwierig deswegen, weil die Beschwerden, die in der Regel über das bäuerliche Rechtsbewußtsein Auskunft geben, zunächst formuliert wurden, um vor Gericht verwertbar zu sein. Dieser Umstand erklärt, weshalb im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit das Argument des „Alten Rechts" notwendigerweise immer in den Vordergrund tritt. Vgl. dazu den von mir herausgegebenen Band: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, 1980. 20 Insofern mag es angehen, mit Η . A. OBERMAN, Tumultus rusticorum, 316, von einem „Glaubenskrieg" zu sprechen, der „mit gleichem Recht seinen Platz in der Kirchengeschichte beansprucht wie die Bewegungen, die von Wittenberg, Genf und Trient ausgegangen sind"; dieses Urteil hat freilich in Obermans bemerkenswerter Reformationsgeschichte (Werden und Wertung der Reformation, Vom Wegestreit zum Glaubenskampf, 1977) keinen Ausdruck gefunden. (Fußnote 21, s. S. 148)

148

TEIL 1

KRISE DES FEUDALISMUS

bisher getrennt hatten. Nun wurde die künftige Sozial- und Herrschaftsordnung prinzipiell often. Wo immer tiefere Einblicke in die Reaktion der Herren auf die Forderungen der Bauern möglich sind, wird nochmals deutlich, daß dem Bauern das Alte Herkommen zur Abwehr von Neuerungen kaum nützte. Die Repliken des Adels auf die Artikel ihrer Untertanen, die beim Schwäbischen Bund eingingen, bestreiten durchgängig, daß Neuerungen eingeführt worden seien22. In der Argumentation der Herren entsprach die Realität dem Alten Herkommen und dem Landsgebrauch 23 . Damit war jeder Ausgleich blockiert, der Bauer blieb in einer defensiven Situation, aus der ihn nur das Göttliche Recht befreien konnte. Der Begründungszwang des Alten Herkommens lahmte die Bauern freilich nur dort, wo exklusiv feudale Herrschaftsstrukturen bestanden. Die Städte hingegen replizierten auf die Klagen ihrer Bauern wesentlich pragmatischer, ja sie relativierten sie sogar mit einem Schuß Ironie. So die Stadt Memmingen, wenn sie die Forderung nach Aufhebung des Ehrschatzes mit der Antwort parierte, sie würden künftig die Höfe so verleihen „wie dan seine Unterthanen begern, das es mit iren pfarherrn hinfür gehalten werden sol" 24 . Unterschiedliche Interessen als solche gelten zu lassen und zu behandeln, wie es die Reichsstadt Memmingen tat, erleichterte selbstverständlich eine Verständigung, während das Alte Herkommen bei den adeligen und geistlichen Herren nun geradezu zur Fluchtburg vor dem Göttlidien Recht wurde. Die Anwälte der Ritterschaft und der Prälaten aus dem Elsaß und Sundgau argumentierten auf der Tagsatzung in Basel gegen die Bauern durchweg mit dem Alten Herkommen: die Frondienste würden „von Alter har gebrucht"; die Todfälle sind „auch nit von Newem erdacht, sonder von vyl Jaren her gebrucht worden"; Fastnachthühner werden weiter gefordert, „dwyl sie und ihre Eltern die so lange Zit gereycht und geben haben"; Güter von Totschlägern werden eingezogen, weil es „lennger dann Menschengedechtnus ist also gebraucht worden" 25 . Ob in Tirol 26 , Salzburg 27 oder Franken 28 , überall beharrten die Herrschaften je länger je mehr auf dem Alten Herkommen. Es war durchaus eine Ausnahme, wenn Kurfürst Friedrich der Weise seinem Bruder Herzog Johann gegenüber zugab, daß „die

21

22 23 24

25

Die Schuld am Aufstand wird den Herren zugeschoben: „Zum ersten, ist das Evangelion nit ain ursadi der Emperungen oder auffruren . . . die Revolution selbst wird mit dem Wort Gottes gerechtfertigt: „Zum andern die ungehorsamikait, Ja die Empoerung aller Bauren Christenlich endtsdiuldigen". A. GÖTZE, Zwölf Artikel, 8. W. VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 47, 55, 60, 67. Besonders deutlich W. VOGT, Correspondenz Artzt, 67. StaAM 341/6. Entwurf des Ratsentscheids. Drude der endgültigen, modifizierten Fassung bei F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 120 126 Nr. 108. H. SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden III, 25-31 Nr. 382.



P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n , 2 0 5 .

27

F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 127-143 Nr. 98. O. MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland 1/1, 11 Nr. 20.

28

1.4

Biblizismus contra Feudalismus

149

armen in fil wege von uns wertlidien und gaistlidien oberkaiten beschwerd" werden und man „fileicht . . . den armen leuten zu solchem aufrure orsache geben" hätte 29 . Ohne Göttliches Recht - nur dies sollten die wenigen Hinweise dokumentieren - wäre die Revolution in dieser Form nidit möglich gewesen. Die Durchschlagskraft des Göttlichen Rechts zeigt sich auch in den Städten. Unbeschadet der Tatsache, daß die Bauern aus der Stadt das Argument des Göttlichen Rechts geliefert bekamen - für die Zwölf Artikel steht dies ganz außer Frage - , wurde doch erst durch die Bauern das Göttliche Recht als mögliches Gestaltungsprinzip der gesellschaftlichen und politischen Ordnung in die Städte transportiert. Im allgemeinen kommt das Schlagwort vom Göttlichen Recht in den Städten erst, nachdem es die Bauern durchgängig aufgegriffen hatten 30 . Den Anspruch, die Gestaltung der politischen Ordnung grundsätzlich offen zu halten, hatten schon die Zwölf Artikel mit einer salvatorischen Klausel deutlich angemeldet: Sollte sich erweisen, daß die von ihnen aufgestellten Artikel „unrecht weren, sollen sy von stundan todt und absein, nichts mer gelten, dergleichen ob sich in der schrift mit der warhait mer artickel erfunden, die wider Got und beschwernus des naechsten weren, woell wir unns auch vorbehalten, unnd beschlossen haben" 3 1 . Man wollte das Evangelium nicht nur hören, sondern auch „dem gemeß leben"; die in den Zwölf Artikeln formulierten Einzelbeschwerden waren nicht das letzte Wort, konnten es nicht sein, „weil der Gerechtigkeit Gottes noch das Sein fehlt(e)" 3 2 . Noch war der Glaube an die Beweiskraft und die Überzeugungskraft des göttlichen Wortes gleichermaßen unerschüttert. Dies bedeutete bei aller Befreiung eine neue Fesselung, weil den Theologen vorbehalten blieb, die Bibel auf ihre Brauchbarkeit für den weltimmanenten Bereich zu befragen, und den Herren zugetraut wurde, sich solcher Interpretation zu unterwerfen. Wohin würde die Revolution steuern, wenn sich die Theologen versagten und die Herren verschlossen?

M

G. FRANZ - W. P. FUCHS, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland II, 91 N r . 1183.

30

G . F R A N Z , B a u e r n k r i e g , 2 2 7 ff.

31

W. GÖTZE, Zwölf Artikel, 15. W. BECKER, Göttliches Wort, 253. - Κ . H . BURMEISTER, Rechtsfindung, 183 ff., führt das von den Bauern eingeführte „göttliche Recht" auf das römische Recht zurück: „Statt auf die Bibel hätte man sidi auch auf das Corpus iuris civilis berufen können", von dem BURMEISTER annimmt, daß es in bäuerlichen Kreisen weiter verbreitet war (ebd. 183). Diese Vermutung ist m. £ . nicht hinreichend empirisch abgesichert, sie wird schließlich auch widerlegt durch die allgemeine Beobachtung, daß die Bauern ihre angeblich naturreditlidien Vorstellungen nidit von den Juristen, sondern von den Theologen interpretiert haben wollten - und zwar aus dem Evangelium.

32

TEIL 2

GEMEINER NUTZEN UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE Ziele der Revolution

„ W a n n atn g t m a y n t tanOtfchaft lang zeyt fro htrrtn mutrolllen o n ö otrOtrben orrOulbet/ tonötr hoffnung almr beeetrung

bey f n u .

S o t e aber nlt letn roill/fo (oll aln gemayne lanötfchaft fleh htchllch b t i o a p p n t n mit Orm idiroert". 1

1

An die versamlung gemayner Pawersdiafft (Druck bei H .

BUSZELLO,

Bauernkrieg, 179 f.).

2.1

DIE „CHRISTLICHEN VEREINIGUNGEN" UND SCHAFTEN" - MODELLE EINER NEUEN UND

„LAND-

GESELLSCHAFTS-

HERRSCHAFTSORDNUNG?

Zwischen den Monaten J a n u a r und Mai 1525 entstanden in Mittel- und O b e r deutschland im gesamten Aufstandsgebiet eine Vielzahl militärisch-genossenschaftlidi-politischer Zusammenschlüsse, die N a m e n wie Haufen, Heller Haufen, Christliche Versammlung,

Christliche Vereinigung, Evangelischer

brüderlicher

Bund,

Landschaften und Bruderschaften führten 1 . Besonders häufig sind die Bezeichnungen „Christliche Vereinigung" und „Landschaft". Inwieweit sie in ihren gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen über die bloße Formulierung eines Beschwerdekatalogs hinauswachsen konnten, inwieweit ihre Zusammensetzung und Organisation neue Perspektiven für eine zukünftige Staatlichkeit eröffnete, soll an nur zwei, aber zwei repräsentativen Beispielen erläutert werden: an der Christlichen Vereinigung und Landschaft Allgäu - Bodensee - Baltringen und an der Landschaft und Christlichen ersamen Gemeinde Salzburg. Anfang M ä r z drängte der Baltringer H a u f e zum Zusammenschluß mit den Allgäuern und Bodenseern 2 . Am 6. M ä r z traten in der Kramerzunftstube zu Memmingen rund 50 Vertreter der Haufen zusammen 3 , um der „Landschafft von den huffen vom Algöw, Bodenseer und Baltringer", der „Christlichen Vereinigung", wie sie sich am 7. M ä r z gegenüber dem Schwäbischen Bund nannte 4 , einen institutionellen Rahmen durch eine Bundesordnung zu geben. Durch die Bezeichnung „Landschaft" kamen der korporative Charakter und der politische Anspruch dieser überterritorialen Vereinigung zum Ausdruck, durch den Namen „Christliche Vereinigung" der neue Maßstab politischer Ordnung durch Evangelium und G ö t t liches Recht. Die Bundesordnung, die vermutlich auf einem Entwurf von Sebastian Lotzer 5 aufbauen konnte, wurde nach eintägiger Beratung am 7. M ä r z von den Für eine Gesamtübersicht nodi immer G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 195, 188 f., 202, 204, 217 ff., 234 f., 303, 311, 319 f., 326 f., 345 f., 354 ff., 396, 402, 416 ff., 447. - Für terminologische Varianten vgl. audi das Sachregister bei G. FRANZ, Bauernkrieg Akten. 8 F. L. BAUMANN, Akten Bauernkrieg, 138 f. Nr. 133. ® Detaillierte Beschreibungen der Entwicklung in Oberschwaben bei F. L. BAUMANN, Allgäu III, 31-73. - Μ. M. SMIRIN, Münzer, 497-517. - G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 2 0 2 214. - A. WAAS, Bauern, 179-191. - H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 53-67. 4 Zitat nach dem Faksimile bei F. L. BAUMANN, Allgäu III, 37. Ebd.: „Nach dem sich ain Ersame Landtsdiafft diser landartt in ain christlich verainigung verbunden . . . " . 5 So G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 202 f. und H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 59. - Der Entwurf gedruckt bei C. A. CORNELIUS, Bauernkrieg, 187-190 und G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 193 ff. Nr. 50. Es ist nicht auszusdiließen, daß Lotzer den Entwurf vom Oberrhein bezogen hat, wenngleidi eine solche Abhängigkeit mit letzter Stringenz nodi nicht bewiesen werden kann. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß in Basel zwei handschriftliche (Fortsetzung der Anmerkung 5 s. S. 154) 1

S r i W e w r f a m l u n g g r n i a n u r ·β>30?σ< Γ φ ί # # m fy&txatfaa (fatten/ m b νΛ «nöc w w t / i w i tmpiimg vü wffiftt «inffatfbt . ι ΐ . c>8 ;t enp&Mg m c f y a «tut ΜφΛΒφα 0t jiaStgcfdxtvi v«b n w f k b c r C $ a t m fte&g ob« md)t fdnilbtg femb.-si. gtgaititott ανβ ba heftigen (Sittichen g«fd>:# von TOrte fctf$mnä&fflKtft gtacr

Äe^NBiSlD'ifMfcwSairtwAs·« iShuctMffi Btrtw p|e^tltf|li·

Abb. 5 Links: An die Versammlung gemeiner Bauernschaft. Rechts: Bundesordnung der oberschwäbischen Bauern. Flugschriften aus dem Jahre 152} Links: Das Bild und die Bildumschriften bringen das duale Gesellschafts- und Ordnungsprinzip des 16. Jahrhunderts zum Ausdruck. Links stehen die mit Hellebarden und Dreschflegeln bewaffneten Bauern als die guten Christen (Hie Parsßman guot Christen), redits die adeligen und geistlichen Herrenstände und Anhänger des Papsttums (hie Romanisten und Sophisten). Das Papsttum selbst ist auf das Glücksrad geflochten; der Eigennutz (der herren gytz) wird d a f ü r sorgen, d a ß eine neue, analog der Verfassung in der Schweiz konzipierte staatliche O r d n u n g entstehen wird (Wer meret Schwyz). /{ecfefi: Das Bild zeigt die typische Bewaffnung und Kleidung eines Bauernhaufen.

154

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N U N D CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

Vertretern der einzelnen H a u f e n angenommen® und in Oberschwaben über die Kanzeln 7 und in anderen Aufstandsgebieten durch 10 Drucke 8 verbreitet. Sie hatte zunächst das bestehende herrschaftliche Vakuum zu überbrücken, bildete aber gleichzeitig den ersten vagen Versuch eines Verfassungsentwurfs. Die Präambel 9 umschreibt - ähnlich den Zwölf Artikeln - das Anliegen der christlichen Vereinigung damit, das „Evangelium" und „göttliche Wort" 1 0 , die „Gerechtigkeit und das göttliche Recht" 1 1 durchzusetzen. Die Verkündigung des göttlichen Wortes wird dadurch gesichert, daß die Pfarrer auf die Predigt des reinen Evangeliums verpflichtet, widrigenfalls ersetzt werden 1 2 ; der Durchsetzung des Göttlichen Rechts dienen die übrigen Bestimmungen der Bundesordnung: Realisiert wurde das Programm der Zwölf Artikel insofern, als den Herren die Einkünfte bis zu einer vertraglichen Regelung gestrichen, die gerichtlichen Kompetenzen ihnen jedoch nicht ausdrücklich abgesprochen wurden 1 3 . Die Einschränkungen herrschaftlicher Rechte, die allgemein und sehr vage formuliert werden, treten deutlicher hervor, betrachtet man näher die Kompetenzen der Vereinigung und die von ihr ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen: Verträge mit den Herrschaften bedurften der Zustimmung der Vereinigung und wurden wenn überhaupt - nur dann gebilligt, wenn damit kein Austritt aus der Landschaft verbunden war. Die Führung der Christlichen Vereinigung übernahm ein Gremium von drei Obersten und zwölf Räten, die aus den drei Haufen heraus gewählt wurden, deren Kompetenzen sich jedoch offensichtlich auf militärische Belange beschränken sollten 14 . Die Friedewahrung wurde den Mitgliedern selbst zur Pflicht gemacht, genau in der Art, wie die ländlichen Rechtsquellen des 15./16. Jahrhunderts den Frieden innerhalb der dörflichen Gemeinschaft sicherten 15 . Einige polizeiliche Gebote gegen Raub, Gotteslästerung und anderes, traten flankierend Fassungen der Bundesordnung liegen, die bis auf Geringfügigkeiten mit dem LotzerEntwurf identisch sind: 1. Staatsarchiv Basel, Politisches Μ 42, fol. 1 8 2 - 1 8 4 . 2. U n i v e r sitätsbibliothek Basel VB Mscr. 09 („Baselischer Untertanen Empörung und wider Begnadigung A n n o 1525"), fol. 5 9 - 6 1 ' . Die beiden Stücke sind voneinander abhängig; A . BERNOULLI, Basler Chroniken, 4 9 1 - 4 9 4 , ediert den Text nach der Vorlage im Staatsarchiv. - Vgl. audi unten S. 185 Anm. 12. 6

C . A . CORNELIUS, B a u e r n k r i e g 1 8 3 - 1 8 6 . - G . F R A N Z , Q u e l l e n B a u e r n k r i e g , 1 9 5 ff. N r .

51.

- Eine Variante bietet W. VOGT, Correspondenz Artzt N r . 110. - Eine vergleichende Auswertung bei H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 59 ff. 7 W. VOGT, Correspondenz Artzt, N r . 128. 8 D i e Drucke nachgewiesen bei H . CLAUS, Druckschaffen, 29 ff. * Zitiert wird nach den Vorlagen bei FRANZ. D i e Interpretation folgt der verabschiedeten Bundesordnung im T e x t v o m 7. Marz und gibt Abweichungen soweit nötig in den A n merkungen. 10 E n t w u r f : „Göttliche Wahrheit". 11 E n t w u r f : „göttliche Gerechtigkeit". 12 E n t w u r f : die Ersetzung erfolgt durch die Wahl seitens der Gemeinde. Vgl. ergänzend Art. 7 des Entwurfs. So auch die v o n G. FRANZ (Bauernkrieg Akten, 166 N r . 32) sogenannte „Predigtordnung der Christlichen Vereinigung". (Anmerkungen 1 3 - 1 5 s. S. 155)

2.1

D i e „Christlichen Vereinigungen" und „Landschaften"

155

hinzu. Handwerker und Landsknechte, die außerhalb des Landes ihrem Broterwerb nachgehen mußten, hatten sich gegenüber ihrem Pfarrhauptmann eidlich zu verpflichten, nicht gegen die Vereinigung in Dienste zu treten, ihr etwaige Kriegsvorbereitungen mitzuteilen und im Ernstfall sich zur Verteidigung der Vereinigung zur Verfügung zu stellen. Dienstleute der Feudalherren sollen nach Aufkündigung ihres Diensteides in die Landschaft aufgenommen oder des Landes verwiesen werden 16 . Der Sicherheit der Bauern diente schließlich der Schlösserartikel 17 , der Adeligen und Prälaten verbot, Geschütze und Mannschaften, Mitglieder der Landschaft ausgenommen, in ihren Mauern zu halten. Die Bundesordnung trägt zweifellos den Charakter des Vorläufigen 18 , ihre Konturen bleiben blaß, die politischen Ordnungsprobleme ungelöst 19 - verständlich bei der überstürzten Redaktion, für die sich die Bauern nicht mehr als einen Tag Zeit genommen hatten. Das Göttliche Recht, wie es die Bauern zu diesem Zeitpunkt verstanden, bot keine Handhabe, energisch, unerbittlich, militärisch diszipliniert gegen Adel und Prälaten vorzugehen. Die Bundesordnung gab sich, auch wenn sie den militärischen Charakter der Landschaft nicht verleugnen konnte, in der Grundtendenz defensiv und die wenig später beratene „Landesordnung" 2 0 blieb dieser Konzeption prinzipiell treu. Noch saßen die Adeligen auf ihren Burgen, die Prälaten in ihren Klöstern, sofern sie es nicht vorgezogen hatten, in den Reichsstädten Zuflucht zu suchen 21 . Die feudale Herrschaft war fraglos in Agonie, doch was die Bauern an ihre Stelle zu setzen wußten, konnte mehr als ein Provisorium nicht sein, wiewohl die Christliche Vereinigung auf Dauer angelegt war 2 2 . Zwar war es

13

14 15

18

17 18

Vgl. dagegen die Interpretation bei H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 58 mit nicht ganz stringenter Beweisführung gegen FRANZ. Dies ist aufgrund des Entwurfs anzunehmen. P. GEHRING, Oberschwaben Rechtsquellen, 75 f., 218, 539 f., - P. BUCKLE, Memmingen, 249. - V o n daher scheint es fraglidi, o b man die Christliche Vereinigung mit H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 61, in die Kontinuität der Landfriedensbündnisse stellen muß. D a ß der T e x t der Bundesordnung so zu interpretieren ist, bestätigt Ulrich Artzt. Vgl. W. VOGT, Correspondenz Artzt, N r . 122. Er fehlt im Entwurf. D i e insgesamt nur geringfügig abweichenden Interpretationen bei G. FRANZ, Bauernkrieg, 286. - A. WAAS, Bauern, 182 ff. - H . ANGERMEIER, Staat und Reich, 335. - H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 5 8 .

19

20 21

22

I n w i e w e i t quasi-politische Verbände innerhalb der Christlichen Vereinigung Ordnungsfunktionen übernehmen konnten - etwa die „ganze gemaine landtschaft" Kempten bleibt mangels detaillierteren Materials bisher ungeklärt. Vgl. für Ansätze die Korrespondenz zwischen der Kemptener Landschaft und dem Schwäbischen Bund im März 1525. W. VOGT, Correspondenz Artzt N r . 116. Druck bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 198 ff. N r . 54. D i e in die Reichsstadt Kempten geflüchteten Geistlichen und Adeligen nach dem Bericht der Werdensteiner Chronik bei F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 482 f. So zuletzt überzeugend H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 63, w i e w o h l die behauptete Vergleichbarkeit der Bundesordnung der Christlichen Vereinigung mit älteren eidgenössischen Bünden gelegentlich etwas erzwungen scheint.

156

TEIL 2

GEMEINER NUTZEN UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

denkbar, daß die Obersten und R ä t e auch mit weiteren als nur militärischen Vollmachten ausgestattet würden, wohl war es vorstellbar, daß schließlich mit dem unausweichlidien weiteren Zerfall obrigkeitlicher Funktionen die Landschaft die Rechtspflege selbst übernehmen würde - wenigstens deuten darauf die detaillierteren Bestimmungen hinsichtlich der Friedewahrung in der „Landesordnung" - , noch w a r der Optimismus nicht gestorben, welcher der Bundesordnung die Hoffnung diktiert hatte, der Adel werde der Christlichen Vereinigung beitreten 2 3 - die P r ä laten waren es offensichtlich nicht wert, erwähnt zu werden, wiewohl später die Konventualen zum Beitritt gezwungen wurden 2 4 - , doch im Augenblick blieb ein organisatorisches Vakuum, das dringend überbrückt werden mußte. Potentiell war die Christliche Vereinigung auf dem Weg zu einer Eidgenossenschaft in Oberschwaben 2 5 , schließlich schworen die Mitglieder der Vereinigung einen Eid, nicht umsonst bezeichneten sie sich als Landschaft. Doch offensichtlich standen die Bauern und ihre Führer noch zu sehr im Bann des feudalen Beziehungsgefüges, als daß sie eine radikale Alternative zum bestehenden System hätten denken, geschweige denn realisieren können. Solche Unsicherheiten

dokumentieren

die beiden von

der

Christlichen Vereinigung überlieferten Eidesformeln. In der ersten Version: Vereidigung auf das Ziel, das Evangelium und das Göttliche Recht durchzusetzen und in diesem Rahmen die bestehenden herrschaftlichen Rechte zu wahren; in der zweiten Version die Ersetzung des Vorbehalts herrschaftlicher Rechte durch das Bekenntnis, keinen anderen H e r r n als den Kaiser haben zu wollen 2 6 . Das Unvermögen, politische Alternativen zu konzipieren, wurde gefördert durch das Bibelverständnis der Oberschwaben, das zwar hinreichte, für die konkreten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen an die Herren Belegstellen aus dem Testament herauszuklauben, eine Weiterführung des Programms, eine politische Ausmünzung der „göttlichen Wahrheit", jedoch in die Kompetenz der Theologen verwies. Eine Woche nadi Verabschiedung der Bundesordnung, auf einem weiteren Bundestag in Memmingen, wurden sie benannt: Luther und Zwingli, Melandithon und Osiander, Billican und Zell neben einer Reihe weiterer, von denen die Bauern Wohnort und Amt, nicht aber die Namen kannten 2 7 . Ihre Reaktion war, soweit eine solche überhaupt erfolgte, eine schroffe Zurückweisung der bäuerlichen H o f f nung, mittels des göttlichen Wortes die politischen Ordnungen verändern, verbessern, verchristlichen zu können 2 8 . Melanchthon gutachtete für den Kurfürsten von der Pfalz, „dieweil das Evangelium foddert Gehorsam gegen die Oberkeit/

23

A. WAAS, Bauern, 183, unterstellt „zahlreiche Anschlüsse von Burgen und Dienstmannen".

24

W . VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 148, 153. - H . GÜNTER, Blarer Brief, 49 f. Nr. 72.

25

H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 6 4 .

· Die Fassungen des Eides bei G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, Druck C. A. CORNELIUS, Bauernkrieg, 186. 2 8 Neuerdings breit dargestellt bei H . BORNKAMM, Luther, 3 1 4 - 3 5 3 . 2

27

197 f.

Nr.

52.

2.1

Die „Christlichen Vereinigungen" und „Landschaften"

157

und Aufrur verbeut, ob schon Fürsten ubel tuen, und audi sonst foddert, das man Unredit leid, handeln sie (die Bauern) widder das Evangelium, darinnen das sie sich aufleinen widder ir Oberkeit, und Gewalt und Frevel widder sie furnemen. . . . Und handeln doch also öffentlich widder Gott, das man greifen mag, das sie der Teufel treibt" 2 9 . Den Tenor hielt auch Martin Luther, ja selbst Zwingli, der in seinen Schlußreden unmißverständlidi die Anpassung des positiven Rechts an die Normen des (göttlichen) Gesetzes gefordert hatte 30 , trat nicht für eine Aktualisierung des göttlichen Rechtes ein, ließ - wie etwa das St. Galler Beispiel deutlich zeigt - die Bauern ohne seine Hilfe, nachdem er massiv zur Säkularisation des Klosters St. Gallen aufgerufen hatte 31 . Damit blieb das Göttliche Recht stumm, weil es nicht formuliert wurde; es verlor seine Autorität, weil es aus der Krise nicht herausführte; es entbehrte der Sprengkraft, weil die militärische und politische Führungsschicht der Christlichen Vereinigung - Lotzer und Sdiappeler eingeschlossen - es nicht für eine politische Ordnung auszuwerten verstanden 32 . Zwischen Eidgenossenschaft und Reichsunmittelbarkeit bewegte sich die Reichweite des politischen Denkens, zwischen Passivität und Defensive erschöpfte sich das taktische Operieren 83 . Während die Christliche Vereinigung numerisch ständig wuchs - mit Ausnahme der Reichsstädte und ganz weniger Landstädte gab es in der zweiten Hälfte des März kaum mehr eine ländliche oder städtische Kommune, die nicht der Christlichen Vereinigung beigetreten wäre 3 4 - waren ihre Repräsentanten und Strategen nicht in der Lage, das Programm weiterzuentwickeln. Je dringender beim Anschwellen der Landschaft die Notwendigkeit wurde, das Problem Adel und Prälaten zu lösen und eine funktionsfähige politische Ordnung herzustellen, desto unfähiger schienen die Promotoren der Christlichen Vereinigung, anders als auf dem Verhandlungsweg ihre Forderungen zu vertreten. Zwanzig Tage waren seit der Verabschiedung der Bundesordnung vergangen. Das Göttliche Recht, von dem die

G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 180 N r . 44. G. W. LOCHER, Zwingli, bes. 233-239. " Zusammenfassend P. BLICKLE, Bäuerliche Revolten im Fürststift St. Gallen, in: DERS. (Hg.), Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, 1980, 234. 3 2 So gesehen wird man zu einer anderen Beurteilung kommen als G. FRANZ, Bauernkrieg 28 30

(1), 208.

35

34

Die einzelnen kleineren Unterabteilungen konnten dagegen sehr viel aktiver sein, wenn es galt, adelige Dienstleute abspenstig zu machen und den Adel zum Eintritt in die Vereinigung zu überreden. Vgl. den anschaulichen Bericht bei F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 487 ff. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 206. - H.-M. MAURER, Bauernkrieg, 256 ff., hat nachgewiesen, daß 6 0 - 7 0 % der waffenfähigen Bevölkerung freiwillig den Bauernhaufen beigetreten sind, eine Zahl, die eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist. MAURER errechnet eine durch mehrere Quellen gestützte Zahl der Aufständischen von 110 000 im Südwesten, bei einer angenommenen Gesamtbevölkerung von 800 000.

158

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

Christliche Vereinigung getragen wurde, hatte befreiend, aber nicht revolutionierend gewirkt. Zum Anzünden der Burgen, zum Vertreiben des Adels reichte es nicht hin. Die radikalen Elemente innerhalb der Christlichen Vereinigung, die eine andere Vorstellung von göttlichem Recht hatten 35 , sorgten dafür, daß die Dämme durchbrochen wurden: Am 26. März ging das erste Schloß in Flammen auf, am 4. April wurde bei Ulm-Leipheim die erste Formation vom Heer des Schwäbischen Bundes geschlagen36. Bis das Heer des Schwäbischen Bundes weiter gegen den Bodensee vorstieß und schließlich durch den Weingartner Vertrag die Bauernhaufen auflöste und sie auf den Weg des schiedsgerichtlichen Ausgleichs abdrängte, wurden zahllose Klöster, Schlösser und Burgen gestürmt. Mit ihnen wurden Symbole der feudalen Herrschaft vernichtet, mit der Zerstörung von Paramenten, Reliquien, Bibliotheken und Archiven wurde bewußt oder unbewußt der gesamten kulturellen Tradition, der Vergangenheit schlechthin abgeschworen, auf eine bessere Zukunft gesetzt, die das blinde Auge in einer ungewissen Ferne erahnte. Für die militärische Auseinandersetzung mit geschulten Truppen hingegen mangelte es sowohl am konkreten Ziel wie an der fanatischen Überzeugung. Die politische Alternative war verschwommen, die ideologische Zauberformel fehlte, seitdem sich die Führer der Christlichen Vereinigung geweigert hatten, die Verträglichkeit von Göttlichem Recht und Gewalt zu propagieren. Die oberschwäbische Entwicklung weist auf zwei Fakten hin, deren Verbindlichkeit für das gesamte Aufstandsgebiet zu prüfen ist. Es ist zum einen die Tatsache, daß seit der Rezeption des Göttlichen Rechts die Beseitigung der konkreten Beschwerden nicht mehr das einzige Ziel der Bauern ist, sie vielmehr, wenn auch mit noch vagen Vorstellungen, auf eine politische Ordnung drängen, die ständische Unterschiede aufhebt und auf den Fundamenten lokal-regionaler Korporationen wie Dorf- und Stadtgemeinden, Gerichten und Landschaften 37 einen staatlichen Verband anstrebt, dessen innere Struktur durch das Wahlprinzip, wie es den Erfahrungen und Praktiken im kommunalen Bereich entsprach, geformt wird, ohne die älteren Korporationen aufzuheben. Zum andern verdient die Beobachtung betont zu werden, daß die Bauern über eine sehr lange Zeitspanne hin eine grundsätzlich pazifistische Haltung bewahren. Sie ist mit der klugen Bemerkung erklärt worden, „die Bauern woll(t)en . . . eigentlich den offenen Kampf gar nicht, sie woll(t)en das kampflose Einschwenken der Regierungen auf die Linie des Evangeliums"38. Die Hinhaltetaktik des Schwäbischen Bundes, verbunden mit eifrigen Rüstungen, konnte den Bauern nicht verborgen bleiben; gleichzeitig wuchsen mit jeder weiteren Woche die Versorgungsschwierigkeiten für die Bauern. Ende März

35 36

Vgl. die überzeugende Interpretation von Μ. M. SMIRIN, Münzer, 497 ff. Für die Faktographie G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 209 ff.

37

H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 5 9 .

38

W. BECKER, Göttliches Wort, 259.

Abb. 6 Bauern haben das Kloster Weissenau eingenommen. Jacob Murers Weissenauer Chronik von 1525, Federzeichnung. Im Speiseraum des Klosters zechen die verbliebenen Konventualen und die eingedrungenen Bauern; andere Bauern bemächtigen sich der Vorräte von Keller und Fischweiher.

160

TEIL 2

GEMEINER NUTZEN UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

begannen sie, von den Klöstern Getreide und Waffen zu erpressen 3 ·. Ein oder zwei T a g e später wurden die ersten Sdilösser und Klöster gestürmt. Beide Ereignisse fallen in die letzte Märzwodie, die zweifellos den Umschwung in der Haltung der Bauern brachte. Warum forderten jetzt die Bauern Waffen, obwohl ihre Stellung dies schon seit vier Wochen erlaubte? Ist es denkbar, daß es erst des Angriffs von außen bedurfte, der Erfahrung, daß das Göttliche Wort für niemanden außer für die Bauern verbindlich war, um loszuschlagen? Die „gemeine Landschaft Salzburg" oder - wie sie sich auch nannte - die „christliche ersame Gemein dieser Provinz im Pirg Saltzburg Bistumb" 4 0 entstand in der zweiten Maihälfte 1525. Der Aufstand war wenige Tage zuvor von Gastein ausgegangen, hatte sich unter Führung der Pinzgauer und Pongauer Bauern und der Gasteiner Knappen rasch über das L a n d ausgedehnt, den Anschluß der Stadt Salzburg erreicht und den Erzbischof zum Rückzug auf die Feste Hohensalzburg gezwungen 4 1 . D a s Programm der Salzburger 4 2 stellte das Göttliche Recht in den Mittelpunkt, verlangte demgemäß die unverfälschte Verkündigung des göttlichen Worts und begründete die wirtschaftlichen Forderungen mit dem Evangelium. Es wies allerdings mit seinen konkreten Forderungen über den ökonomischen Bereich insofern hinaus, als deren Verwirklichung nachhaltig das Gesellschaftsgefüge und die politische Ordnung im Salzburger L a n d beeinflußt hätte: Die gemeindlichen Kompetenzen der Salzburger Gerichte werden gestärkt, indem ihnen die Pfarrerwahl und die Mitsprache bei Ernennung der Richter eingeräumt wird. Die Grundherren werden zu bloßen Rentenempfängern, weil ihre hoheitlichen Befugnisse an den Landesherrn übergehen. Die Eigentumsverhältnisse werden grundsätzlich nicht angegriffen, wohl aber die politische Ordnung, die in letzter Konsequenz auf eine Beseitigung der mediaten Gewalten angelegt ist, zumal die Geistlichkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Landgerichte unterstellt wird 4 4 .

»» H . GÜNTER, B l a r e r B r i e f e , 49 f. N r . 7 2 ; 52 N r . 7 5 ; 56 f. N r . 8 1 ; 57 N r . 83. - W. VOGT, 40 41

Correspondenz Artzt, Nr. 148, 153. - F. J. MONE, Quellensammlung 2, 122. G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 295, 297 Nr. 94. G. FRANZ, Bauernkrieg, 165 f. - Vgl. audi A. HOLLAENDER, Salzburger Bauernkrieg. Eine neuere Gesamtdarstellung der Unruhen des 15. und 16. Jahrhunderts in Salzburg gibt aufgrund der vorhandenen Literatur G. FLOREY, Sozialrevolution und Reformation im Erzstift Salzburg, in: P. F. BARTON (Hg.), Sozialrevolution und Reformation. Aufsätze zur Vorreformation, Reformation und zu den „Bauernkriegen" in Südmitteleuropa, 1975, 4 2 - 6 1 .

41

45

44

Uberliefert in einer regionalen Beschwerdeschrift (Gastein) und den 24 Artikeln der Landschaft; F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 6-10 Nr. 1 und G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 295-309 Nr. 94. Für unterschiedliche Schwerpunktsetzungen vgl. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 273 ff. und H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 23 f. Hierzu vor allem die Interpretation von H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 23 f.

2.1

Die »Christlichen Vereinigungen* und „Landschaften"

161

Umschrieben die 24 Artikel gemeiner Landschaft Salzburg nur in negativer Form, wie die politische Ordnung im Erzstift Salzburg von Bauern und Bergknappen gedacht war, so äußerte sich die Stadt Salzburg sehr viel konkreter 45 : Die Kompetenzen von Erzbischof, Domkapitel und Rat sollte ein Regiment der Salzburger Landschaft aus Mitgliedern der drei Stände - gedacht war wohl an Adel, Bürger und Bauern 4 · - übernehmen; in seine Zuständigkeit fiel die Verwaltung der Klöster, die Besetzung der Ämter und die Finanzverwaltung. Dem Erzbischof verblieben seine kirchlichen Rechte - selbst sie nicht ungeschmälert - und ein festes, von der Landschaft bestimmtes Einkommen. Dieses Programm setzt eine weitgehend funktionierende ständische Verfassung voraus. Es wächst zweifellos aus den Traditionen des Ständestaates heraus und verlagert lediglich die landesherrlichen Kompetenzen auf die Stände, die Landschaft. Das bisherige Regiment durch Landschaftsvertreter zu ersetzen schien der einfachste Weg, um die Machtverhältnisse zu ändern ohne grundsätzliche Eingriffe in den staatlichen Aufbau und den behördlichen Apparat. Ein Landschaftsregiment konnte, auch wenn es zunächst von der Stadt propagiert worden war, Ziel aller Gruppierungen sein, zumal die Bauern schon seit Jahrzehnten nachdrücklich ihr Interesse an der Integration in die Landschaft bekundet hatten 47 . Freilich hing es entscheidend davon ab, welchen Personenkreis der Begriff Landschaft konkret abdeckte. Zwischen den Landständen im herkömmlichen Sinn, auf die sich auch der Erzbischof in seiner verzweifelten Lage weitgehend stützte und den aufständischen Bauern und Bergknappen mußte entschieden werden, wer berechtigterweise die Bezeichnung Landschaft für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Aufständischen ließen sich im Juni 1525 als „Landschaft" von den erzbischöflichen Amtleuten, Pflegern und Mautnern huldigen, nahmen sie in den landschaftlichen „Schutz und Schirm" und erließen Gebote und Verbote 48 . Eine Auffüllung des Landschaftsbegriffs gibt der Verfassungsentwurf der Stadt Salzburg in seinem Sdilußartikel: „Zum lessten, vnd in allweg ist gros von nötten, das die Burgerschaft vonn Stetten vnd märckten, Auch die Bauerschafft vonn Gerichten Sambt den vonn Perckhwerchen, Treulich, vnd vesstigklich, als was ainen, dass audi den andern angee, mit pflicht und verschreibungen, wie vormals zu der Zeit, als der Igelbrieue [1403] aufgerichtt worden zum thail auch beschehen ist, Sich zusammen verschreiben vnd verpünden, Domit, wo ain Landsfürst hinfüran mer, das Land vnpillichen besweren wolt, das alsdann ain Landschaft, aus Craft solher verpündung, sich des widersetzen vnnd entladen, vnd also bey frid vnd ainigkait beleiben möcht. Doch das die geystlidien, vnd vom Adel, dieweil Sy allemal wider-

45 41

Text bei J . W I D M A N N , Beiträge, 2 0 - 2 7 . Dies ergibt sidi daraus, daß dem Domkapitel seine Befugnisse entzogen, die Klöster unter landschaftliche Verwaltung gestellt werden sollten.

47

P . BUCKLE, Landschaften, 62 ff.

48

Vgl. F. LEIST, Quellen-Beiträge Bauern-Aufruhr, 45 f. Nr. 36.

162

Teil 2

Gemeiner N u t z e n

und

christliche,

brüderliche

Liebe

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ί Die Molsheimer Artikel vom 11. Mai 1525. Stadtarchiv Straßburg Ausfertigung der Artikel durch den Schreiber der elsässischen H a u f e n (Übertragung bei G. Franz, Quellen Bauernkrieg, 244 f.).

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

203

man schweren soll, wenn man stett oder dörfer inimpt" 20 . Sie bekräftigen die Gebots- und Verbotsgewalt der Hauptleute, Regenten und Obersten 21 , unterwerfen sie aber offensichtlich auch einer Kontrolle durch den gesamten Haufen bzw. eines dazu gewählten Gremiums, wenn der 10. Artikel bestimmt: „es sollent ouch die huptlut verborgelidi on wissen deshaufens oder zugebnen regenten nichts handien". Die Riickbindung weitreichender Gebote und Mandate an den Gesamtwillen der Aufständischen bestätigt die Nachricht, daß diese Artikel „von obern hauptleuten und gemeinen brudern" verabschiedet wurden. Selbst wenn man unterstellt, die Organisation der Elsässer Haufen habe allein der militärischen Sicherung gedient, ist doch einsichtig, daß eine solche Konzeption auch als politisches Modell realisierbar war 22 . Autonome, „dem göttlichen wort und helgen evangelion und der gerechtikeit" 23 verpflichtete ländlidie und städtische Gemeinden wurden regional in Haufen zusammengefaßt, denen Hauptleute mit möglicherweise ausschließlich militärischen Kompetenzen und Regenten mit vermutlich allgemein obrigkeitlichen Befugnissen vorstanden. Die Haufen delegierten Vertreter in einen gemeinsamen Ausschuß, der als Regiment Kriegsrat und oberste Landesbehörde zugleich war. Den Vorsitz des Regiments führte ein gewählter oberster Hauptmann, der die Vereinigung nach außen ver.trat. Für Obrigkeiten traditioneller Art war in dieser Vereinigung kaum Raum, allenfalls dann, wenn sie sich vorbehaltlos dem Evangelium unterwarfen, dessen wirtschaftliche, soziale und politische Implikationen in concretu über die Zwölf Artikel hinaus noch nicht formuliert waren. Wie ernst die verstreuten Nachrichten zu werten sind24, die Elsässer wollten allein den Kaiser als ihren Herrn anerkennen, läßt sich nur schwer entscheiden. Zwei der vier einschlägigen Belege entstammen der Korrespondenz Nikiaus Zieglers von Barr 25 , die beiden anderen Zeugnisse sind Geständnisse von Bauern nach der Niederlage, die wohl auf der Folter erpreßt wurden 28 . Die Fahnensymbolik spricht

20 21

22

23

24

25 26

H . VIRCK, Correspondenz der Stadt Strassburg, 161 f. Nr. 289. Die Terminologie der Quellen bleibt unscharf. Um hier abschließendes sagen zu können, wäre es wohl nötig, die von Virck weitgehend in Regestenform mitgeteilten Stücke im Original daraufhin zu überprüfen, ob den Begriffen funktionale Unterscheidungskriterien zugrunde liegen. In der Literatur ist bisher die Überlegung nicht berücksichtigt worden, inwieweit die militärische Organisation auch den Rahmen für eine politische Organisation abgeben konnte. Berücksichtigt man diesen Aspekt, wird die Zielsetzung sehr viel deutlicher faßbar, als aus den wenigen, meist zufällig überlieferten programmatischen Äußerungen. Art. 1 der „Artikel, so man schweren soll . . . " H. VIRCK, Correspondenz der Stadt Strassburg, 182. Auch G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 237, sieht hierin nicht mehr als „die Meinung einzelner". Dagegen betont H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 70-74, stärker die Kaiservorstellung. G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 206 f. Nr. 73 und 207 f. Nr. 75. G. FRANZ, Bauernkrieg Akten, 237 Nr. 80, und H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden II, 198 Nr. 3 2 4 .

204

TEIL 2

G E M E I N E R N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE L I E B E

eher gegen als für die Verbindlichkeit konkreter Vorstellungen über die Haltung der Elsässer gegenüber dem Kaiser, wenn von mehr als 20 Fahnen nur eine den Reichsadler führt 27 . Der Taubertaler Haufen, der neben den Untertanen der Reichsstadt Rothenburg Bauern mehrerer fränkischer Adeliger, des Deutschordens und des Stifts Würzburg umfaßte 28 , legte wie alle Haufen das Göttliche Recht, näherhin das Evangelium und das göttliche Wort, seinen Forderungen und Zielen zugrunde28. Das erste verbindliche Programm der Taubertaler sperrte den Herren bis zu einem Ausgleich alle Einkünfte und Dienstleistungen und suchte - hierin den Bemühungen der Christlichen Vereinigung in Oberschwaben durchaus verwandt - zur Überbrückung des entstandenen herrschaftlichen Leerraums das notwendigste Minimum staatlicher Aufgaben in eigener Verantwortlichkeit zu übernehmen: Die „brüderliche Liebe" als Maxime des Zusammenlebens wird geschützt und gestützt durch eine Friedensordnung nach dem Vorbild der dörflichen Friedewahrung, durch einige polizeiähnliche Bestimmungen (Zutrinken, Gotteslästerung) und durch die Gerichts- und Strafgewalt eines gewählten Profosen 30 . Diese erste Ordnung wurde durch die Ochsenfurter Feldordnung vom 27. April verschärft, in ihrem Geltungsbereich jedoch mit ihren häufigen Rückgriffen auf das Feldlager offensichtlich eingeschänkt31, zumindest war ihr älteres Vorbild geeigneter, einen allgemeinen Rahmen für die Bewältigung von Ordnungsproblemen abzugeben. Die Ochsenfurter Feldordnung bringt allerdings sehr viel deutlicher zum Ausdruck, wie sich der Taubertaler Haufe eine künftige Gesellschaft dachte. Die alten Obrigkeiten mußten nun nicht mehr nur auf ihre Einkünfte verzichten, ihre adeligen Repräsentanten - von den Prälaten ist nicht die Rede - mußten ihre Burgen verlassen und selbst zerstören und konnten dann, wenn sie es wollten, sich in die „christliche Bruderschaft" der Taubertaler aufnehmen lassen. Hier werden nicht nur die Herrschaftsrechte des Adels - und konsequenterweise auch der Geistlichkeit - aufgehoben, wie aus dem ergänzenden Artikel hervorgeht, demzufolge der Adel der gleichen Gerichtsbarkeit wie Bauern und Bürger untersteht, auch die

27

H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 7 4 .

18

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 2 9 3

ff.

Vertrag zwischen dem Haufen und dem Deutsdiordenskomtur zu Mergentheim F. F. OECHSLE, Bauernkrieg, 2 7 6 : „So gered unnd versprich idi . . . , wess obeingelebter beschwerdenn unnd in andern wegenn das wort gotts wffricht und becrefftigt, es also wffgeridit unnd becrefftigt sein zu lassenn unnd was des umbstost, ligenn und tod sein zu l a n " ; vgl. audi Artikel der versamelten pauerschaft im lanndt zu Francken: „Und was das heillig evangelium aufridit, soll aufgericht sein, was das niderlegt, soll nidcrgelegt sein und bleiben". W . VOGT, Correspondenz Artzt, N r . 406. SO

F . F . OECHSLE, B a u e r n k r i e g , 1 4 3 f .

51

Druck G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 3 4 7 - 3 5 3 N r . 110. - Referat der wichtigsten Bestimmungen bei G . FRANZ, Bauernkrieg (1), 303.

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

205

bisher bestehende Eigentumsordnung wird radikal verworfen, weil dem Adel nicht mehr belassen wird als seine fahrende Habe 32 . Nodi ließ die „Reformation", die in der Feldordnung vorgesehen war, Raum für eine gesellschaftliche und politische Neuordnung durch die Reformatoren aufgrund einer Interpretation des göttlichen Worts und des Evangeliums33, doch in der Art wie die Taubertaler die Bibel politisierten, wurde ein Gutteil der Interpretation doch schon vorweggenommen34. Die Subordination und Integration des Adels mußte doch zur Folge haben, daß er neben seinen Herrschaftsrechten auch seinen Grundbesitz verlor. In eine ähnliche Richtung gehen weitere Mandate, die von Odisenfurt aus offenbar verschickt wurden35, wenn sie allen Zöllnern befehlen, von den Fuhrleuten keine Zölle mehr zu erheben und alle Getreidekästen und Keller der Obrigkeiten in ihre Verwaltung zu nehmen. Solange die „Reformation" nicht vorlag, die Bibelkundigen nicht gesprochen hatten, blieb die politische Ordnung in der Schwebe. Die Taubertaler hatten wie die Oberschwaben die Revolution nicht selbst zu Ende gedacht, sondern sie den Theologen ausgeliefert. Das erklärt den fragmentarischen Charakter der vorliegenden Ordnungen; die Militärorganisation war hier in Franken wohl nicht ohne weiteres in eine politische Ordnung umzusetzen wie im Elsaß, weil das Gliederungsprinzip des Haufens nicht die Dörfer und Städte waren und in Franken vergleichbar gut funktionierende Gemeinden fehlten, die einen staatlichen Aufbau von unten hätten fördern können. Verglichen mit den Taubertalern beschränkte sich der Νeckartal-Odenwälder Haufen36 auf ein gemäßigteres Programm. Untertanen des Erzbischofs von Mainz, der Reichsstadt Heilbronn, der Grafen von Hohenlohe und vieler anderer Herren, die sidi hier zusammenfanden, zwangen nach der Eroberung von Weinsberg und der Ermordung der adeligen Besatzung die Städte und den Adel ohne große Schwierigkeiten zum Eintritt in den Haufen 37 . Die Verpflichtung des Kurfürsten von Mainz gegenüber der „ganzen christlichen Versammlung des hellen Haufens" 38 war nur der spektakulärste Fall 39 in dieser Kette von Beitritten. Verpflichtet wurden die Herren auf die Zwölf Artikel, deren Forderungen bis zu einer „Reforma-

3!

53 54

35 39 37

Das Vermögen wird nicht nur durch die Zerstörung der Burgen und die Verminderung der Abgaben verringert; so G. FRANZ, Bauernkrieg, 183. - Ähnlich H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 39. W . VOGT, Correspondenz Artzt, Nr. 406. Vgl. abweichend H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 38 f. Buszellos Interpretation des Adelsartikels ist zuzustimmen (39 f.); sie kollidiert etwas mit seiner Auffassung, daß die bestehenden Obrigkeiten erhalten bleiben sollen (38). G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 347 Nr. 110. Für Einzelheiten G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 3 0 7 - 3 2 5 . Liste bei F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 586 f.

38

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 3 1 1 .

39

H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 3 7 .

206

TEIL 2

G E M E I N E R N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE L I E B E

tion" einzuhalten waren 4 0 . Zwar verlangte der Nedkartal - Odenwälder Haufen die bedingungslose Unterwerfung der Herren unter die vorgesehene „Reformation", doch war damit nicht beabsichtigt, die obrigkeitlichen Rechte völlig zu beseitigen 41 . Die gemäßigtere Art und Weise, mit der hier die Aufständischen den Herren gegenübertraten, fand ihren Ausdruck schließlich audi darin, daß zwar die Predigt des reinen Gotteswortes gefordert und dementsprechend, was ja schon die Zwölf Artikel hinreichend bekräftigten, den Gemeinden die Pfarrerwahl zugebilligt werden sollte 42 , doch blieb die Forderung nach Durchsetzung des Göttlichen Rechts, wenigstens in den überlokalen Forderungen, stark im Hintergrund 4 3 . Das erklärt, warum die Neckartaler und Odenwälder die Ausarbeitung der Reformation nicht ausschließlich den Theologen übertragen wollten 4 4 . Wenn man das als Konzilianz gegenüber den Herren werten will, muß freilich gleich betont werden, daß eine Regelung zwischen der einzelnen Herrschaft und ihren Untertanen nicht denkbar war, der Ausgleich vielmehr für den Haufen als ganzen und die Herren insgesamt verbindlich sein sollte 45 . Diese Reformation hatte das „Heilbronner Bauernparlament" vorzubereiten, zu dem die Haufen aus Schwaben, Franken und dem Oberrhein auf Einladung der Odenwälder und Neckartaler zwar noch Vertreter entsandten, dodi kam es wegen der Niederlage der Württemberger gegen das Heer des Schwäbischen Bundes bei Böblingen nicht mehr zu Beratungen 4 '. Für die Heilbronner Verhandlungen entwarf Wendel Hipler, der „ K o p f " 4 7 des Neckartal-Odenwälder Haufens, einen Beratungsplan 4 8 ; Friedrich Weigandt, der Keller zu Miltenberg, der enge Beziehungen zu Hipler unterhielt 49 , selbst aber 1525 im Hintergrund blieb und sich den Bauern nicht anschloß, steuerte einen Entwurf für Adel und Reichsstädte zur Vorbereitung des Heilbronner Tages 5 0 und einen wenig originellen Reichsreformentwurf 51 bei 52 . Für die Ziele der fränkischen

40

41

42 43 44

45

Die Texte bei F . F. OECHSLE, Bauernkrieg, 267 ff. - F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 587 f., und G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 369 f. N r . 121. Als ein Beleg für viele mögen hier die Amorbacher Artikel genügen; G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 3 4 2 - 3 4 5 Nr. 107. F. L. BAUMANN, Quellen Bauernkrieg, 588. Zusammenfassend H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 37 f. In der Versdireibung der Grafen Albrecht und Georg von Hohenlohe heißt es: „Erstlidien die Reformation betreffen ist abgeredt was durch ganntzen hellen hauffen Reformirt uffgeridit geordnet und beschlossen wurdet darbei zu pleiben". F. F. OECHSLE, Bauernkrieg, 267. Für die räumliche Ausdehnung vgl. H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 42 f.; dazu sind die Korrekturen von R. ENDRES, Bauernkrieg in Franken, 52 f., zu berücksichtigen.

49

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g ( 1 ) , 3 2 5 .

47

Ebd., 307 f. G . FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 370 f. N r . 122. Zuletzt H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 47.

48 49 T0

G . FRANZ, Q u e l l e n B a u e r n k r i e g , 3 7 1 - 3 7 4 N r .

51

Ebd. 3 7 4 - 3 8 1 N r . 124. Dazu kritisch G . VOGLER, Heilbronner Programm, 1 1 7 - 1 2 0 .

52

123.

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

207

Bauern sind Weigandts Entwürfe kaum repräsentativ, ob Hipler daran dachte, sie den Verhandlungen zugrunde zu legen, bleibt unklar 53 . Eine Abrundung des Programms der Neckartal - Odenwälder kann man nur über Hiplers Beratungsplan gewinnen, dessen Verbindlichkeit freilich audi nicht überschätzt werden darf, hatte doch schon die Amorbacher Erklärung, die an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen prinzipiell festhielt, nicht die Zustimmung des ganzen Haufens gefunden 54 . Wenn der Beratungsplan Hiplers für seine sozialen und politischen Vorstellungen repräsentativ sein sollte, dann ist nicht zu bestreiten, daß sein Programm an Entschiedenheit hinter dem zurückblieb, was die schwäbischen, oberrheinischen und fränkischen Haufen formuliert hatten. Wohl dachte Hipler 5 5 an eine Koordinierung der Einzelprogramme, Feldordnungen, Landes- und Bundesordnungen der verschiedenen Haufen, auch plante er offensichtlich ein für alle Haufen verbindliches Verteidigungsbündnis nach dem Vorbild der territorialen Zuzugs- und Verteidigungsordnungen5®, selbst ein gewisser aggressiver Zug fehlt seinem Programm nicht, wenn er die Eroberung der Kurfürstentümer Trier und Köln immerhin ins Auge faßte. Von gleichem, wenn nicht erheblicherem Gewicht sind jedoch seine unverdeckt formulierten Absichten, zwischen Aufständischen und Herren zu einem Ausgleich zu kommen. Revolutionär an seinem Programm bleibt, daß die Klöster endgültig ihre Stellung als Herrschaftsträger verlieren. Die Position der Fürsten und des Adels wird jedoch nicht ernsthaft in Frage gestellt, zumal Hipler an eine Entschädigung für Verluste an Zehnteinkünften, indirekten Steuern und Besitzwechselgebühren aus Kirchengut dachte; Kaiser und Reich werden als Realität respektiert und nicht durch einen Alternativentwurf neu gedacht oder gar in Frage gestellt. Hipler war daran gelegen, geordnete Verhältnisse so schnell wie möglich wieder herzustellen, ohne Gefahr zu laufen, die errungene Position einzubüßen; die Bauern sollten ihre landwirtschaftliche Tätigkeit wieder aufnehmen, nur ein Teil unter den Waffen bleiben. Möglich war das nur dann, wenn die „Reformation" im Sinne eines Ausgleichs zwischen den Aufständischen und den Herren durch einen Schiedsvergleich rasch hergestellt wurde 57 . Es kam offensichtlich nicht in den Denkhorizont Wendel Hiplers, daß die wirtschaftliche und politische Entmachtung der Geistlichkeit einerseits, die Bestätigung der Adelsherrschaft andererseits, der untaugliche Versuch war, zwei unvereinbare Prinzipien zu harmonisieren. Tradierte Herrschaftsverhältnisse in Form der Fürsten- und Adelsherrschaft zu bewahren, hieß schließlich doch die Bauernhaufen auflösen. Die Bauernhaufen - und das ist wohl der interessanteste Gedanke an diesem Entwurf - in politische Verbände zu überführen, die für „Ordnung, Frid

53 54 55

G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 325. - Weiterführend H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 47 f. G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 320. - G. VOGLER, Heilbronner Programm, 121. Zur Interpretation vor allem H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 44 ff.

56

P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n , 4 7 8 - 4 8 6 .

57

Zur Einordnung des Verfahrens wichtig H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 46.

208

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

und Recht" gesorgt hätten, war nicht möglich im Bezugssystem der alten feudalen Ordnung. Gemeinsam ist der revolutionären Bewegung in Schwaben, am Oberrhein und in Franken die Rezeption der Zwölf Artikel und mit ihr die Dogmatisierung des Göttlichen Rechts als unverzichtbaren Bestandteils der Revolution. Das Göttliche Recht förderte den überterritorialen Zusammenschluß, ja ermöglichte ihn erst recht eigentlich58, erstickte das Alte Herkommen und führte in letzter Konsequenz dazu, daß selbst die gemäßigte Faktion den Ausgleich nicht mehr auf der Ebene der Einzelherrschaft, sondern zwischen den Feudalherren und den Haufen suchte59. Die Revolution überwand die staatliche Begrenztheit oberdeutscher Herrsdiaften, belastete sich damit freilich mit der Aufgabe, die gesellschaftlich-politische Ordnung für solche überterritorialen Einheiten finden zu müssen. Das Programm mußte über die Zwölf Artikel hinaus auf eine Art und Weise weiterentwickelt werden, die dem Siegeszug der Aufständischen entsprach. Nachdem sie Schwaben, Franken und den Oberrhein in ihre Hand gebracht hatten, forderte das entstandene Vakuum immer gebieterischer eine realisierbare politische Lösung. Sie artikulierte sich zuerst in einem kruden Antiklerikalismus, der die Brauchbarkeit der Zwölf Artikel als Basisforderungen auf die Verhandlungen mit dem Adel beschränkte. Schließlich zeigte sich aber auch die Unverträglichkeit des neu geschaffenen Zustands mit traditioneller adeliger Herrschaft. Solange die Position der Aufständischen nicht ernsthaft gefährdet war, bevor das militärische Vorgehen des Schwäbischen Bundes und des Lothringers die Haufen auf den Verhandlungsweg zwang - und allein aus dieser Optik muß die Programmatik gesehen werden dachte wohl niemand daran, die adelige Herrschaft wieder zu restituieren, die derartige Breschen in den korporativ-bündischen Aufbau der verschiedenen Christlichen Vereinigungen und Haufen hätte schlagen müssen, daß deren Existenz fraglich geworden wäre. Wenn die unabdingbare Konsequenz nicht formuliert wurde, spricht das eher für das Unvermögen, schlüssige und brauchbare politische Alternativen zu entwerfen als für eine konziliante, neutrale oder gar freundliche Haltung gegenüber dem Adel. Bekräftigt wird dieser Eindruck durch die Art, wie die Vereinigungen und Haufen der Herausforderung begegneten, daß ihre Vorstellungen in einem Reich mit einem Kaiser unterzubringen waren oder staatlich autonome Gebilde außerhalb des Reichsverbandes erforderten. Audi hier zeigt sich in der Unentschlossenheit und geringen Präzision der widersprüchlichen Aussagen, daß kühne, untraditionelle Modelle nicht zu Ende gedacht, wenigstens nicht formuliert werden konnten. Der frühmoderne Staat nach dem Zuschnitt der Kurfürstentümer oder Herzogtümer war am Oberrhein, in Franken und Schwaben kein Vorwurf, dessen man sich hätte bedienen können, weil es das Landesfürstentum in dieser Form dort nicht gab. Reichsunmittelbarkeit, die wohl nirgends ganz ausgeschlossen wurde, konnte die

58

M

H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 51 f., gibt dem überterritorialen Zusammenschluß Priorität vor dem Göttlichen Recht. Die einzelnen Stufen arbeitet H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 50 f., heraus.

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

209

H a u f e n nicht von der Verpflichtung entbinden, eine stabile politische Ordnung zu schaffen; Vorbilder f ü r eine solche Art von Reichsunmittelbarkeit gab es nidit, allenfalls konnte die Schweiz als Orientierung dienen, und es ist sicher nicht zufällig, daß sich die vagen Staatskonzeptionen von 1525 am Oberrhein und in Oberschwaben an die Eidgenossenschaft anlehnten. Wo solche Vorbilder nicht präsent waren, wie in Franken, blieb die Revolution doch weitgehend in der Negation stecken. Unsicherheit, Unfähigkeit und Unvermögen kann man den Bauern nur dann attestieren, wenn man von ihnen einen ausgereiften, durchdachten, in sich stimmigen und formulierten Verfassungsentwurf erwartet. Die Reichsreformversuche, die sich durch das Spätmittelalter ziehen, sind der deutlichste Beweis dafür, daß kühne Alternativen zum bestehenden System nicht denkbar waren, ja selbst die anspruchsvolle politische Theorie von Cusanus oder die apokalyptische Vision des Oberrheinischen Revolutionärs bewegten sich in den sakrosankten Vorstellungen von Kaiser und Reich. Darüber ging die Revolution in der Tat weit hinaus, weil sie eine Alternative ansatzweise entwickelte: die korporativ-bündische Verfassung, die in Oberschwaben, dem deutschen Südwesten und dem Elsaß funktionierende ländliche und städtische Gemeinden in H a u f e n zusammenfaßte, diesen über ihre militärischen Aufgaben hinaus eine politische Funktion zuwies und sie schließlich föderativ im Bund der Christlichen Vereinigung zusammenführte. Konstruktiv war in diesem dreistufigen Staat die Konzeption des „Haufens", der überterritorialen militärisch-politischen Institution, die der Sache nach neu war, wie auch die hilflose Begriffswahl zeigt; die gemeindlich - genossenschaftliche Grundlage erwuchs aus lebendigen Traditionen, der bündische Gedanke war vorgeprägt in der Eidgenossenschaft, in den Städtebünden, im Schwäbischen Bund. Die sehr viel vageren politischen Vorstellungen in Franken bzw. die dort ausgeprägtere Verhandlungsbereitschaft bestätigt ein weiteres Mal, d a ß Modelle 1525 auf reale Vorbilder angewiesen waren. Das Göttliche Recht lieferte kein positives Staatsrecht, das Evangelium keinen besten Staat. Damit blieben sie Interpretationen offen, die zu liefern die Theologen sich weigerten, und waren damit in den überterritorialen Aufständen untauglich, um mit ihrer Hilfe ein einheitliches politisches Ziel ansteuern zu können. Deutlich zeigt sich dies am Beispiel des Markgräflerlandes, das ohne Rücksicht auf die überterritoriale Bewegung im deutschen Südwesten durchaus eigene Wege ging. Die Bauern in den markgräflich-badischen Herrschaften Rötteln-Sausenberg, Badenweiler und Hochberg wollten an die Stelle markgräflicher Vögte und Beamter ein aus der „Landschaft" gebildetes Regiment 60 aus Bauern 61 setzen. Von ihrem

,0

61

H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden II, 85 ff. Nr. 216. „und sich die Hauptleut daneben auch hören lassen, daß der Landschaft Meinung sei, uns ein Regiment zu madien". In der Herrschaft Rötteln-Sausenberg lag als einzige Stadt Schopfheim.

210

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE L I E B E

Herrn verlangten sie nach dessen eigenem Bericht an die Stadt Basel®2 die Verpflichtung auf die Zwölf Artikel. Unter diesem Vorbehalt waren sie bereit, ihm weiterhin den Besitz seiner Schlösser und Herrschaften zuzugestehen und ihn als Herrn anzuerkennen, mit dem Zusatz allerdings, daß er „ihr Herr(n) anstatt K a i s e r l i c h e r ] M f a j e s t ä t ] " sei. O b die Ziele der Bauern in der gebrochenen Form eines Bittschreibens des Markgrafen Ernst von Baden an die Stadt Basel völlig korrekt wiedergegeben werden, mag zunächst dahingestellt bleiben, zumal die Informationen noch den U m w e g über den Landvogt in Rötteln machten. Die Intention der Markgräfler wird allerdings deutlicher, untersucht man eingehender die Herrschaftsstruktur. Der Landschaftsbegriff wurde von den Markgräflern nicht wie anderwärts okkupiert, um damit politische Ansprüche anzumelden, er reicht hier ins 15. Jahrhundert zurück und bezeichnet die Korporationen der Untertanen in den drei Herrschaften Rötteln-Sausenberg, Badenweiler und Hochberg, die auch gemeinsame Versammlungen abhielten - Landtage könnte man sie nennen, auch wenn diese Bezeichnung erst nach 1525 nachzuweisen ist. Der Radius der politischen Kompetenzen dieser Landschaften war schon vor 1525 beachtlich. Der Erbvertrag Philipps von Hochberg war 1490 unter ihrer Beteiligung ausgearbeitet worden 6 3 ; 1503 verweigerten sie nach dem Tode Philipps von Hochberg-Sausenberg dessen Witwe und Tochter die Huldigung und besetzten die Schlösser, weil beide nach ihrer Auffassung nicht erbberechtigt waren; 1509 wurde mit ihnen wegen einer Mannschafts Werbung verhandelt® 4 ; 1511 zwangen sie den Markgrafen Christoph bei seinen Erbteilungsplänen den von ihm favorisierten Sohn Philipp zugunsten von dessen Bruder Ernst fallenzulassen® 5 ; 1517 wurden unter ihrer Beteiligung in den Einzelherrschaften Landesordnungen ausgearbeitet 6 6 . Die Forderung an Markgraf Ernst war eine konsequente Weiterentwicklung der politischen Kompetenzen, die nun im Fahrwasser der Ereignisse von 1525 vollends abgerundet werden sollten 6 7 . An eine Entsetzung des Markgrafen war seitens • 2 H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden II, 85 f. Nr. 216. ®3 Vgl. K . SEITH, Landständische Einrichtungen des Markgräflerlandes, 149 ff. - Die Landschaft hatte eine Fixierung der Fräuleinsteuer durchgesetzt und die Zusidierung erwirkt, daß die Herrschaften Rötteln-Sausenberg, Badenweiler und Höchberg nicht getrennt würden. 6 4 J . GUT, Die Landschaft auf den Landtagen der markgräflich badischen Gebiete (Schriften zur Verfassungsgeschichte 13), 1970, 68. 6 5 G L A K 120/894 b. - K . SEITH, Landständische Einrichtungen des Markgräflerlandes, 161. " Markgraf Ernst von Baden äußert 1525, seine Untertanen hätten sich nicht nur „wider gotliche und menschliche Recht" empört, sondern „ouch über ire selbs uffgerichte eigene angenommene bewilligte und lanng hargebrachte Landsordnung" [Staatsarchiv Basel, Politisches Μ 4, fol. 185], womit nur die Landesordnung von 1517 gemeint sein kann. V g l . P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n , 5 4 5 .

Nachstehend die einschlägigen Passagen des nicht leicht zugänglichen Textes: „Und als derselb", gemeint ist der Landvogt von Rötteln, „gen Badenwyler komen, haben sie ihre (Fortsetzung der Anmerkung 67 s. S. 211)

87

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

211

der Bauern nicht gedacht, offensichtlich aber an eine Abtrennung der sogenannten oberen Herrschaften (Rötteln-Sausenberg, Badenweiler und Hochberg) von der Markgrafschaft Baden-Durlach. Denn das landschaftliche Regiment intendierte nichts anderes als die Entsetzung der - adeligen - Landvögte und ihres untergeordneten Personals, beschränkte seinen Zuständigkeitsbereich jedoch auf die oberen Herrschaften, zumal es in Baden-Durlach zu dieser Zeit keine Landschaft gab und die oberen Lande sich als politische Einheit verstanden. Ob unter solchen Umständen das Ziel der Markgräfler mit Reichsunmittelbarkeit, mit direkter Unterstellung unter den Kaiser, zutreffend charakterisiert ist 68 , scheint fraglich, zumal der Hinweis auf den Kaiser die Sorgen des Markgrafen Ernst spiegeln könnte, habsburgischer Herrschaft untergeordnet zu werden, hatte doch erst zehn Jahre vor dem Bauernkrieg die Ensisheimer Regierung nachdrücklich einen oberhoheitlichen Anspruch über die markgräflichen Herrschaften angemeldet 69 . Falls es berechtigt sein sollte, das Anliegen der Bauern vorrangig in einer Umgestaltung der landschaftlichen Verfassung zu sehen, würde sich einmal mehr bestätigen, daß klare politische Konzeptionen dort am ehesten entworfen werden konnten, wo die Bauern politische Erfahrung auf Territorialstaatsebene hatten sammeln können. Die Markgräfler wären damit eher den Staatsvorstellungen der Salzburger, Tiroler und Württemberger gefolgt als denen der übrigen oberrheinischen Bauern. Innerhalb der Christlichen Vereinigungen war durchaus Raum, eigene begrenzte Vorstellungen zu verfolgen. Das freilich mußte auf die Revolution lähmend wirken, noch bevor die militärischen Gegenschläge erfolgten 70 . Es fehlten die überzeugenden politischen Zielsetzungen, die den Revolutionären die nötige Energie gegeben hätten; die kampflose Preisgabe überlegener strategischer Positionen derBodenseer und Allgäuer bei Weingarten, der demütigende Auszug von 20000 unbewaffneten Bauern mit weißen Kreuzlein aus der Stadt Zabern sind weniger Zeichen von Feigheit - wäre sie charakteristisch für die Bauern gewesen, wäre es zum Aufstand nie gekommen-als von Unsicherheit. Die Unsicherheit war gewissermaßen in

68

Hauptleut daselbs hingeschickt, und ihm anzeigen lassen, daß in Summa die Sach daruff stand, daß uff gestrigen T a g der Landschaft die zwölf Artikel, so die Gepursame uff dem Wald fürgenomen vorgelesen werden, daruff zu schweren, und daß ihr Meinung sei, ein Regiment zu madien. So wir nun ihr Herr anstatt R. M. sein wollen, und ihnen sollich Artikel halten, so syen sie der Meinung uns für einen Herrn zu halten, und by den Schlössern und Herrschaften bliben zu lassen. Und sich die Hauptleut daneben audi hören lassen, daß der Landschaft Meinung sei, uns ein Regiment zu machen, dermaß daß sie all Ämpter mit Bauren besetzen, und wollen kein Edelmann noch Herrn haben, denn allein den Kaiser, und was an Kaisers Statt, und müssen wir audi ein Paur sein, doch wollen sie uns gehorsam sind." H . SCHREIBER, Bauernkrieg Urkunden II, 86 N r . 216. Allein auf diesen Beleg stützt sich die in der Literatur verbreitete Auffassung, vgl. G. FRANZ, B a u e r n k r i e g , 1 3 8 ; H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 7 0 f .

69 70

K . SEITH, Landständische Einrichtungen des Markgräflerlandes, 161. Herausgearbeitet bei G. VOGLER, Heilbronner Programm, 123.

212

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

den Organisationsformen und den aus ihnen entwickelten Verfassungskonzeptionen installiert, die aufgrund ihres „demokratischen Prinzips" 7 1 nicht nur rasche militärische Entscheidungen erschwerten, sondern audi die Diskussion über den Grad der Radikalität in Gang hielten: über die Tragweite des Göttlichen Rechts als Legitimationsbasis für Gewalt ist es 1525 wohl selten zu einer definitiven Festlegung gekommen. Das beweist die Tatsache, daß von Greueltaten der Bauern gegenüber Personen - ein Topos, der bis in die jüngste Forschung den Charakter der Revolution von 1525 verzerrt - nicht die Rede sein kann 72 . Verantwortlich für die Unsicherheit waren, wenn man Verantwortliche dingfest machen will, die Reformatoren und das Bürgertum, weil sie der Revolution das Schwert verweigerten und einen Kompromiß ansteuerten, wo es keinen Kompromiß geben konnte: die Schappelers, Lotzers, Zells, Butzers, Capitos, Hiplers und Weigandts säten, was sie nicht ernten wollten. Sich über ihre Autorität hinwegzusetzen, kostete Kraft, so daß das Modell der korporativ-bündischen Verfassung immerhin ein respektabler Neuansatz politischen Denkens war, der auf eine Verwirklichung des gemeinen Nutzens in brüderlicher Nächstenliebe hofft 73 . Sehr viel einfacher hatten es die Aufständischen dort - das Beispiel des Markgräflerlandes hat es anklingen lassen - , wo die landständische Verfassung ein Modell lieferte, das an die Ziele von 1525 angepaßt werden konnte.

2.3.2

P E R S P E K T I V E N DES F R Ü H M O D E R N E N S T A A T E S - DIE L A N D S C H A F T L I C H E VERFASSUNG

Das Göttliche Redit weltimmanent zu verankern, das Evangelium im Diesseits zu verwirklichen war möglich nur durch gesellschaftliche und herrschaftliche Veränderungen. Die vagen Sehnsüchte in konkrete verfassungspolitische Ziele umzusetzen, ließ sich - auch ohne Hilfe der Reformatoren - dort am ehesten verwirklichen, wo

71 72

73

Auf den Aspekt hat deutlicher erstmals H.-M. MAURER, Bauernkrieg, 288, hingewiesen. Das hat nochmals nachdrücklich H.-M. MAURER, Bauernkrieg, 281, bestätigt; bei ihm ist auch die in diesem Zusammenhang immer wieder angezogene „Weinsberger T a t " ins rechte Licht des Kriegsrechts gerückt. H.-M. MAURER, Bauernkrieg, 289, geht m. E. zu weit, wenn er die Feststellung trifft, „die Bauern wollten die Herrschaften nicht vernichten, ihre grundsätzliche Legitimität blieb unbestritten". Das würde zwar, was Maurers Absicht ist, die Tatsache erklären, daß die Bauern der militärischen Konfrontation wo möglich auswichen; zu erklären bleibt dann allerdings, weshalb von den Aufständischen überhaupt Verfassungskonzepte entwickelt wurden, wenn an eine Übernahme der Herrschaft nicht gedacht war. Der Knoten des Problems ist wohl das Fehlen eines Widerstandsrechts, genauerhin seine Präzisierung; denn unklar war, ob die Obrigkeiten vernichtet oder nur neutralisiert werden sollten. Letzteres war sicher beabsichtigt, damit aber auch die traditionelle Herrschaft obsolet geworden.

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

213

der frühmoderne Staat durch seine landständische Verfassung eine Möglichkeit anbot, die durch Göttliches Recht und Evangelium zu einer neuen Wirklichkeit werden konnte. Die landständische Verfassung war als Modell für die Staatsvorstellungen der Revolution deswegen tauglich, weil sie erkennen ließ, daß Ordnungsprobleme in einem großflächigen Staat im Zusammenwirken von Landesherr und Landschaft zu meistern waren. Der Alternativentwurf mußte lediglich die bestehende Verfassung mit den grundsätzlichen Anliegen der Revolution harmonisieren. Das Markgräflerland hat dieses Problem theoretisch dadurch gelöst, daß es die Polarität von Landschaft und Herrschaft durch ein Landschaftsregiment auflöste; die Rückbindung der Politik des Regiments an den Gesamtwillen der Landschaft schien Garantie genug, die Prinzipien gemeiner Nutzen, brüderliche Liebe, Göttliches Recht verwirklichen zu können. Eine ähnliche Lösung fand Salzburg mit seinem Landschaftsregiment, das freilich an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft war: Umgestaltung der Landschaft von einem adelig-geistlich-bürgerlichen Gremium in eine Korporation der Bauern, Bergknappen und Bürger, die aus autonomen Gemeinden via Wahl hervorging, so durch sie kontrolliert wurde und die Verantwortlichkeit der Staatsgewalt gegenüber dem gemeinen Mann gewährleistete. Hier wie dort blieb die Verfassungsrevision ständestaatlichem Denken verpflichtet; neu formuliert wurde - wo es nötig war wie in Salzburg - der Begriff der Landschaft; erweitert wurde die Kompetenz der Landschaft bis zur politischen Entmündigung des Landesherrn. Es bleibt zu fragen, wie die Revolution anderwärts den Vorwurf der landständischen Verfassung zu formulieren wußte: in Tirol, in Württemberg, in Bamberg, in Würzburg, in Vorderösterreich. In Tirol, dem Land mit der traditionsreichen und politisch erfolgreichen Repräsentation der Städte und Gerichte1, blieb die revolutionäre Bewegung janusköpfig, weil der radikale und der gemäßigte Flügel sich kaum auf ein gemeinsames Programm einigen konnten2. Erzherzog Ferdinand gelang es durch geschickte taktische Schritte, die Bergknappen, Bauern und Bürger im Inntal zu beruhigen und die radikaleren Südtiroler auf den Verhandlungsweg abzudrängen. Im Juni 1525 begann in Innsbruck der Landtag3, den alle Gerichte und Städte beschickten, auch wenn deren Vertreter nicht immer Bauern und Städter geschlossen hinter sich haben mochten. Nach einem turbulenten Auftakt des Landtags setzten die Gerichte und Städte den Ausschluß des Prälatenstandes von den Verhandlungen durch und er-

1

P . BLICKLE, L a n d s c h a f t e n ,

159-254.

Besonders gut herausgearbeitet von J . MACEK, Gaismair, 1 8 4 - 2 9 0 . ® Den ausführlichsten Überblick liefert J . MACEK, Gaismair, 2 2 1 - 2 9 0 ; als Ergänzung wichtig J . HIRN, Die Tiroler Landtage zur Zeit der großen Bauernbewegung, in: Jahrbuch der Leo-Gesellsdiaft, 1893, 1 0 2 - 1 2 7 . Eine kurze Zusammenfassung bei G. FRANZ, Bauernkrieg, 1 5 9 - 1 6 4 .

2

214

TEIL 2

G E M E I N E R N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE L I E B E

reichten, daß ihr Programm, die Meraner Artikel erweitert um die sogenannten Innsbrucker Zusätze 4 , das bestimmende Thema des Landtags wurden. Keine Beschwerdeschrift des Jahres 1525 ist so ausführlich und detailliert gehalten wie die 9 6 Meraner-Innsbrucker Artikel, die Grundlage einer neuen Landesordnung werden sollten und dementsprechend besonders sorgfältig formuliert und mehrmals überarbeitet worden waren; alle Materien, die gemeinhin die Landesordnungen des 16. Jahrhunderts behandeln, werden im Gewand von G r a v a mina thematisiert, vom Erbrecht bis zum Gerichtsverfassungsrecht, von der Agrarwirtschaft über die Stadtwirtschaft bis zur guten Polizei 5 . Es ist entbehrlich, das Panorama der Beschwerden voll zu entfalten, eine Beschränkung auf die grundsätzlichen gesellschaftlichen und politischen

Anliegen

reicht hin, die Ziele der Revolution in Tirol zu charakterisieren. Mit den übrigen Aufstandsgebieten verbindet Tirol der scharf ausgeprägte Antiklerikalismus, der sidi in der Programmatik niederschlägt in den Forderungen nach Säkularisierung der Bistümer und Klöster zugunsten des Landesherrn, Unterordnung der Geistlichkeit unter die Land- und Stadtgerichte und Pfarrerwahl durch die Gerichtsgemeinden. Neben die wirtschaftliche und politische Entmachtung der Geistlichkeit tritt die politische Entmündigung des Adels; seine wirtschaftliche Stellung bleibt unangetastet, soweit sie nicht durch die vorgesehenen Entlastungen der bäuerlichen Wirtschaft betroffen wird, seine Herrschaftsrechte und sein privilegierter Gerichtsstand werden ihm jedoch entzogen, allerdings weniger zugunsten des Landesherrn als vielmehr zur Autonomieerweiterung der ländlichen und städtischen Gerichte 6 , die für sich das Recht beanspruchen, alle lokalen Amtsträger zu wählen und dem Landesherrn lediglich die Besetzung der zur Einziehung und Verwaltung der landesherrlichen Einkünfte notwendigen Ämter einräumen. Wechselseitig wird die Konkursmasse von Geistlichkeit und Adel auf Landesherrn und Land- und Stadtgerichte verteilt; die mediaten Gewalten sind ausgeschaltet; der unmittelbare Bezug vom gemeinen Mann zum Landesherrn ist hergestellt. Die Landtage behalten ihre vermittelnde Funktion, j a werden als Kontrollorgan landesfürstlicher Politik ausdrücklich bestätigt, wenn die Verbindlichkeit der Landtagsabschiede von der Zustimmung der Gerichte abhängig gemacht wird 7 . I m Gegensatz zu Salzburg und Württemberg fehlt dem politischen Programm die eindeutige Alternative zur landschaftlichen Verfassung herkömmlicher Art. An eine Beschränkung obrigkeitlicher Rechte war zwar im lokalen Rahmen der Gerichte gedacht, doch bleibt jene Forderung zweideutig, die eine Besetzung des Regi-

4

5

Die Meraner Artikel bei H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, 3 5 - 4 7 ; mit den Innsbrucker Zusätzen ebd. 5 0 - 6 7 . Eine Zusammenstellung der Beschwerden nach Sadigruppen bei P. BLICKLE, Landschaften,

202-212.

6 7

So interpretiert zutreffend die Artikel H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 25 f. H . WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutschtirol, 59. Art. 4 9 : „Item, das füran alle lanndtag . . . alwegen auf ,wider hinder sich bringen' ausgesdiribn und gehalten werden."

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

215

ments „mit verstenndigen, erlichen lanndleuten, so der lanndspreuch wissen tragen, als v o m adl, Stetten u n d gerichten" verlangt, weil die Aufständischen unter Regiment, wie der K o n t e x t des Artikels wahrscheinlich macht 8 , vermutlich allein die höchste Gerichtsinstanz Tirols verstanden, folglich die Regimentsreform im Z u sammenhang mit den zahlreichen Artikeln gesehen werden muß, die eine Verbesserung der Rechtspflege anstreben 9 . Lediglich die Forderung, Ferdinands Günstling Salamanca und seine Anhänger zu entfernen, deutet darauf hin, d a ß es den Tirolern auch d a r u m zu t u n w a r , die zentralen Regierungsbehörden wieder Einheimischen zu öffnen, doch blieb es dem Landesherrn unbenommen, den H o f r a t mit Leuten seines Vertrauens zu besetzen. D e r revolutionäre Schub traf die Geistlichkeit und den Adel, um so den „gemeinen N u t z e n " durch eine Entlastung der bäuerlichen Wirtschaft, durch stärkere Kontrolle der Stadtwirtschaft, durch soziale Einrichtung wie Spitäler, durch eine verbesserte Gerichtspflege entschiedener zu f ö r d e r n . Ferdinand, der sich als G u b e r n a t o r Karls V. auszugeben wußte, obwohl durch H a u s v e r t r ä g e schon zugunsten seines Bruders auf Tirol verzichtet hatte 1 0 , machte sich die A u t o r i t ä t des kaiserlichen Landesherrn zunutze; er w a r kein verhaßter geistlicher Würdenträger wie der Erzbischof von Salzburg; er w a r kein wegen Landfriedensbruch Geächteter wie H e r z o g Ulrich von W ü r t t e m b e r g ; er konnte seine landesherrliche Position nahezu unangefochten auch auf dem H ö h e p u n k t der Revolution behaupten. In Württemberg lagen zwischen dem Beginn des Aufstandes und seiner N i e d e r w e r f u n g in der Schlacht von Böblingen am 12. Mai k a u m vier Wochen 11 . Bis auf Tübingen, wohin sich die württembergische Regierung unter dem Truchsessen Wilhelm v o n W a l d b u r g zurückgezogen hatte, u n d wenige andere Städte brachten die Aufständischen das Land in ihre H a n d . Das „heilige Evangelium u n d die gött-

8

Art. 12 regelt zunächst nur den Instanzenzug und fährt dann fort: „auch daz dieselb regierung oder regiment zu Ynsprugg mit verstenndigen, erlichen lanndleuten, so der lanndspreuch wissen tragen, als vom adl, Stetten und gerichten und nicht von äussern oder gaistlidien leutten noch doctores besetzt werden und daz dieselben vom regiment alle handlung von stund an furnemen, es sey appellation oder annders unnd nicht vertziehen, audi daselbs muntlich und nicht schriftlichen procediert werden". H. WOPFNER, Quellen Bauernkrieg Deutsditirol, 53. • H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 136 f., betont, daß Art. 12 eine Besetzung des Hofrats (Regiments) intendiere, um „die zentrale Landesbehörde einer ständischen Kontrolle zu unterwerfen". Diese Interpretation dürfte zu weit gehen, weil es recht unwahrscheinlich ist, daß eine so weitreichende Forderung nur einmal und dann nicht unzweideutig unter 96 Artikeln formuliert wird. Zudem hatte Maximilian vergeblich versucht, Vertreter aller vier Stände in das Regiment zu bringen. Vgl. P. BUCKLE, Landschaften, 187. 10

J . MACEK, G a i s m a i r , 2 4 0 .

11

Für die Ereignisse G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 351-360.

216

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

liehe Gerechtigkeit" 12 durchzusetzen, war jenseits aller konkreten politischen Forderungen das gemeinsame Anliegen von Stadt und Land. Das politische Ziel zu erkennen, das erst kurz vor der militärischen Niederlage deutlicher formuliert wurde 13 , ist wegen der wenigen konkreten programmatischen Äußerungen und der divergierenden politischen Positionen der Aufständischen14 recht schwierig; schließlich galt es, sich für den vertriebenen Herzog Ulrich von Württemberg oder die österreichische Regierung oder gegen beide zu entscheiden. Doch läßt sich über eine begriffsgeschichtliche Untersuchung rasch ein Zugang zu den über die einzelnen Parteiungen hinweg verbindlidien Ziele gewinnen. Die Aufständischen legten sich bald nach ihrem Zusammenschluß den Namen „Landschaft" zu 15 , der bislang ausschließlich die Gesamtheit der Städte und Ämter bezeichnet hatte, wie sie in den Landtagen mit den landsässigen Prälaten dem Landesherrn gegenübertraten 1 ·. Damit entzogen sie der bisherigen Landschaft, die vornehmlich durch die Ehrbarkeit der Amtsstädte vertreten wurde, die Legitimation, das Land zu sein und im Namen dieses Landes mit der Herrschaft das Land zu regieren. Die Ehrbarkeit der Amtsstädte erkannte sogleich die Gefahr, wie das dringliche Ersuchen von Bottwar und Beilstein an die Landstände zeigt, mit den Aufständischen Verhandlungen aufzunehmen 17 . Die daraufhin abgeordneten „Gesanten von der landschaft" schlugen vor, einen Landtag zur Beilegung der Beschwerden auszuschreiben, der entgegen der bisherigen Praxis auch von den Amtsorten beschickt werden sollte18. Die Bauern lehnten das ab, es sei denn der Landtag würde „uff stund jetz im veld gehalten". Dieser Gegenvorschlag der Aufständischen war nicht realisierbar und ernst gemeint nur insofern, als damit zum Ausdruck kommen sollte, daß die herkömmlichen Landtage ihren Kredit verspielt hatten. Alle weiteren Versuche der Ehrbarkeit, via Landtag die Konflikte zu lösen, scheiterten1*. Ende April, Anfang Mai setzte sich schließlich der Landschaftsbegriff als Bezeichnung für die Gesamtheit der aufständischen Ämter endgültig durch. Die Hauptleute erließen Mandate und Verordnungen, stellten Geleit- und Schutzbriefe im Namen der „landschaft Wurtemberg" 20 aus. Die politisdie Brisanz, die sich

12

G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 92 f. Nr. 20, 96 Nr. 28, 98 Nr. 35, 9 9 N r . 3 8 , 1 0 0 N r . 3 9 , 1 0 0 f . N r . 4 0 , 1 0 3 N r . 4 4 , 2 8 3 N r . 5 7 , 3 0 4 f . N r 9 0 . - G . FRANZ,

ls 14

15

Bauernkrieg (1), 355 f., spricht unverständlicherweise von einer „Säkularisierung" des Begriffs der göttlichen Gerechtigkeit. G. FRANZ, Kanzlei der württembergisdien Bauern, 298 f. Nr. 85 und 86. G . FRANZ, B a u e r n k r i e g (1), 356 f.

Erstmals in aller Deutlichkeit am 26. April: „Christliche veraynigung diser landschaft"; G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 99 Nr. 36. " W. GRUBE, Der Stuttgarter Landtag. 17 G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 304 f Nr. 90. 18 Jedes Amt sollte 6 Landtagsboten entsenden, 3 aus der Stadt (je einen von Gericht, Rat und Gemeinde) und 3 aus den Amtsdörfern. " W. GRUBE, Stuttgarter Landtag, 140. 10 G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 99 Nr. 36, 107 Nr. 51, 282 Nr. 55, 2 8 4 N r . 5 9 , 2 8 7 Nr. 6 5 , 2 9 1 N r . 7 4 , 2 9 4 Nr. 8 0 .

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

217

hinter einer solchen Okkupation des Landsdiaftsbegriffs verbarg, kommt in dem Anschreiben des Statthalters von Württemberg, Wilhelm Truchseß von Waldburg, und seines Vetters Georg an die Aufständischen zum Ausdruck, die in ihren Adressen absichtlich die farblose und unverfängliche Bezeichnung an „die versammelten etlicher stett und flecken des furstentums Wurtemperg" 21 und im Text den Landschaftsbegriff im traditionellen Sinn 22 gebrauchten, während Feuerbacher und Wunderer hartnäckig als „Hauptleute der landschaft Wurtembergk" replizierten 2 '. Der terminologische Streit verdeutlicht einen Legitimitätskonflikt, der sich insofern in Grenzen hielt, als die Hauptleute der württembergischen Aufständischen im Gegensatz etwa zu den Elsässern selten die Bezeichnung Regiment für sich in Anspruch nahmen 24 . Zwar war es ihre Absicht, wie sie dem Kurfürsten Ludwig von der Pfalz mitteilten, „das furstentomb Wirtemperg und die lantschaft an uns zu pringen" 25 , doch dachten sie nicht daran, jede landesherrliche Obrigkeit zu beseitigen, im Gegenteil: Der vertriebene Herzog Ulrich von Württemberg sollte in seine Herrschaft wieder eingesetzt werden 26 , freilich um den Preis einer drastischen Beschneidung seiner obrigkeitlichen Rechte durdi die neue Landschaft. Zwischen ihm und der neuen Landschaft sollte ohne jede Einmischung von fremdden Haufen 2 7 der Ausgleich gefunden werden. Die landschaftliche Verfassung 28 nadi den Vorstellungen der Aufständischen 29 , die nach einer Generalamnestie und 21 22

2S 24 25 26

Ebd. 292 f. Nr. 76, 77. Georg Truchseß von Waldburg an die Aufständischen: „ob ir dan einich beschwerdartikel hetten oder zu haben vermeinen, die vor hodigedachter fl. dt. oder, wie oblut, den loblichen pundstenden oder zu künftigem landtag, so meiner achtung furderhin furgenommen wurdet, vor gemainer landsdiaft euwer notdurft nadi furbringen und dasselbst gepurlichs bescheids und lyterung erwarten". Ebd. 293 Nr. 77. Ebd. 294 Nr. 80. Ergänzend 106 Nr. 50. Ebd. 100 Nr. 40. Ebd. Ebd. 297 f. Nr. 85, 86. Das Schreiben, das die Aufständischen am 30. IV. an den Schwäbischen Bund schicken (ebd. 106 f. Nr. 50), wird von H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 77, und wohl audi von G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 357, als Beleg für eine habsburgfreundliche Partei innerhalb der Aufständischen in Anspruch genommen. Μ. E. ist es nicht mehr als eine geschickte, aber auch nichtssagende Bestätigung der kaiserlichen Oberhoheit. Es geht den Württembergern nur darum, sich von den übrigen Aufständischen abzugrenzen. Buszellos Interpretation verwechselt hier das Kaisertum mit Habsburg; das Schreiben spricht vom Kaiser, aber nidit von Erzherzog Ferdinand, der Landesherr in Württemberg war. Vgl. A. WAAS, Bauern, 212.

27

G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 100 f. Nr. 40, 101 Nr. 41, 103 Nr. 43, 106 Nr. 50, 291 Nr. 74. 28 Konzipiert in einem Verhandlungsangebot an Herzog Ulrich. G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 298 f. Nr. 86. 2 » G. FRANZ, Bauernkrieg (1), 357, vertritt die Auffassung, daß die Bauern keine Stärkung der Landschaft wollten, der Entwurf einer landschaftlichen Verfassung „allenfalls . . . die Bestrebungen wieder (gibt), die die Führer der Ehrbarkeit, . . . verfolgen". Er begründet diese Auffassung mit der ablehnenden Haltung der Bauern gegenüber Landtagsverhandlungen am 19. April. Diese Argumentation ist deswegen nicht schlüssig, weil die Land(Fortsetzung der Anmerkung 29 s. S. 218)

218

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

der Bereinigung der außenpolitischen Komplikationen 30 in Kraft getreten wäre, hätte eine entscheidende Verfassungsänderung insofern bedeutet, als mit der Einziehung des gesamten Kirchenbesitzes zugunsten der Kammer auch die Geistlichkeit als politischer Stand, als integraler Faktor der landständischen Verfassung beseitigt worden wäre und die landesherrlichen Rechte auf ein Minimum an Kompetenzen zusammengeschrumpft wären. Neben den Landesherrn wäre ein 12köpfiges von der Landschaft gewähltes Regiment getreten, paritätisch besetzt von Bauern, Bürgern und Adeligen, das kollegialisch mit dem Herzog, dem die erste und letzte Stimme zugebilligt wurde, die Regierungsgeschäfte, die Ernennung aller Beamten eingeschlossen, geführt hätte, mit der klar formulierten Absicht, daß der Herzog „on deren radt und willen . . . nit, was land und lytt betrifft, macht zu handien haben" soll31. Hingegen sollte die Ausarbeitung von Landesordnungen - gedacht war offensichtlich zunächst an eine Ordnung, die zentrale Forderungen der Zwölf Artikel verbindlich hätte verankern sollen - dem Landtag 32 überlassen bleiben. Der Landtag seinerseits hätte eine andere Struktur als bisher aufgewiesen, da die Gleichwertigkeit von Adel, Bürgern und Bauern, wie sie im Regiment begegnet, konsequenterweise auch im Landtag hätte gegeben sein müssen. Wenn das Wahlprinzip auf kommunaler Ebene für die Besetzung von Rat und Gericht verbindlich sein sollte, dann wohl auch für die Bestimmung der Landtagsboten. Oligarchische Verkrustungen, die in Württemberg durch die Ehrbarkeit gegeben waren, hätten so vermieden werden können. Die genossenschaftlichen Verbände, sei es auf kommunaler, sei es auf territorialer Ebene wurden symbolisch der Landesherrschaft zumindest gleichgestellt, wenn Amtleute, Gericht und Rat gegenüber der Gemeinde, Forstknechte, andere Beamte und das landesfürstliche Militär gegenüber der Landschaft eidlich verpflichtet wurden. Weniger deutlich formuliert und eher vom faktischen Verlauf der Revolution zu abstrahieren ist das Programm der Aufständischen im Hochstift Bamberg™. Säkularisierung der Klöster 34 und Beseitigung der Mitregierung des Domkapitels 35

30

31 82

33

Schaft vom 19. April die Ehrbarkeit ist, jene des „Verhandlungsangebots" aber die Gesamtheit der Aufständischen. Das „Verhandlungsangebot" der Ehrbarkeit zuzuschreiben, wie FRANZ dies tut, dürfte aufgrund des Inhalts kaum angängig sein, weil sein Anliegen gerade darin besteht, die exklusive Stellung der Ehrbarkeit auszuschalten (vgl. Art. 2 und 14). - Wie Franz audi W. GRUBE, Stuttgarter Landtag, 141. Gedacht war an eine Aussöhnung mit Bayern, dem Kaiser und dem Schwäbischen Bund und an eine Regelung der finanziellen Probleme. G. FRANZ, Kanzlei der württembergischen Bauern, 298. So muß korrekterweise Art. 9 interpretiert werden, der die Redaktion der Ordnung „gesanten gmainer landschaft" zuweist. N e u e r d i n g s z u s a m m e n f a s s e n d R . ENDRES, B a m b e r g , 9 1 - 1 3 8 , bes. 1 1 1 f f .

34

H . BUSZELLO, B a u e r n k r i e g , 2 8 . - R . ENDRES, B a m b e r g , 1 1 1 .

35

O . MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland, 69 Nr. 99. - G. FRANZ, Quellen Bauernkrieg, 408 f. Nr. 132.

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

219

neben Erweiterung kommunaler Kompetenzen, sind als Forderungen den Quellen zu entnehmen. D a ß längerfristig eine landschaftliche Verfassung angestrebt wurde, ist allein a u f g r u n d des Vorgehens der Aufständischen zu vermuten. Ende April w u r d e ein 18köpfiger Aussdiuß eingesetzt, in den der Bischof neun, die Bauern, die S t a d t Bamberg u n d der Adel je drei Vertreter delegierten 3 6 . Die Aufgabe des Ausschusses sollte sich darauf beschränken, die Beschwerden und Forderungen a b zugleichen, doch wenige Tage nach seiner Konstituierung erließ er Religionsmandate, gab die Jagd frei und hob die Zehnten, Fronen u n d Hauptrechte auf 3 7 . D a mit hatte er seine Kompetenzen eigenmächtig überschritten u n d w a r auf dem besten Weg, die Funktionen eines Regiments im Hochstift Bamberg zu übernehmen 3 8 . Wenn schließlich auf dem H ö h e p u n k t der revolutionären Bewegung Forderungen nach einer Beteiligung der Städte u n d D ö r f e r bei der W a h l des Bischofs laut w u r den, die Vergabe der Ä m t e r durch die Gemeinde gefordert u n d die Besetzung des Landgerichts mit bürgerlichen und bäuerlichen Urteilssprechern verlangt wurden 3 9 , wenn im Zuge des zweiten Aufstands die Sonderrechte des Adels zugunsten einer Gleichstellung mit Bürgern und Bauern beseitigt werden sollten 40 , unterstreicht das ein weiteres Mal die überregional verbindlichen Modellvorstellungen f ü r eine Verfassungsänderung. Sie finden sich im Hodistift Wiirzburg in ähnlicher Form 4 1 : Die Geistlichkeit verliert ihre wirtschaftliche u n d herrschaftliche Stellung; die Position des Bischofs wird nicht in Frage gestellt - allenfalls an eine U m w a n d l u n g in ein weltliches Fürstentum ist gedacht 4 2 - , doch h a t er die Herrschaft mit einem ständischen Kollegium auszuüben, das mit Adeligen, Bürgern und Bauern besetzt w i r d und viermal jährlich zusammentritt 4 3 . L ä ß t sich in Bamberg u n d W ü r z b u r g wenigstens noch in Umrissen ein politischer E n t w u r f erkennen, der in eine landschaftliche Verfassung hätte ausmünden können, so bleiben in einigen Territorien die Staatsvorstellungen doch blaß u n d erschöpfen sich wie in Speyer 4 4 und Fulda 4 5 in einem antiklerikalen Affekt, der an politischen Ansätzen nicht mehr hervorbringt als die U m w a n d l u n g von Bistum u n d Stift in eine weltliche Herrschaft, die wirtschaftliche und politische Entmachtung der Geistlichkeit u n d da u n d d o r t eine Erweiterung der Gemeinde-

36

R . ENDRES, B a m b e r g , 115.

37

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g (1), 3 4 0 .

38

Vgl. auch

39

G . FRANZ, B a u e r n k r i e g (1), 3 4 0 .

40

R . ENDRES, B a m b e r g , 116.

41

Zusammenfassend H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 2 9 f. So berichtet der Amtmann von Mainberg an den Grafen Wilhelm von Henneberg; O. MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland, 7 f. Nr. 13. R. E N D R E S , Bauernkrieg in Franken, 52. - H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 134 f. F. J. M O N E , Quellensammlung 2, 25, 27 f. - H. BUSZELLO, Bauernkrieg, 30 f. O. MERX, Akten Bauernkrieg Mitteldeutschland, 120-123 Nr. 169-171, 132-135 Nr. 181183. H . BUSZELLO, Bauernkrieg, 28 f.

42

43 44 45

H . BUSZELLO,

Bauernkrieg,

135.

220

TEIL 2

GEMEINER N U T Z E N UND CHRISTLICHE, BRÜDERLICHE LIEBE

Synopse der landschaftlichen Verfassungen (Vergleich des Zustandes von 1524/25 mit dem Salzburg 1524/25 Landesherr

Bamberg

Programm

= Regierung keine mit Regierung Domkapitel Domkapitel

Regiment

(Adel) Bürger Bauern (Bergknappen)

1524/25

Programm

= Regierung = Regierung mit mit Regiment Domkapitel Bischof [9] Domkapitel Adel [3] Bürger [31

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1524/25

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Programm

= Regierung = Regierung mit mit Regiment Domkapitel Adel [6] Domkapitel Bürger [6] Bauern [6]

Bauern [3]

(Adel) Adel Geistlichkeit Städte Städte Märkte Märkte Gerichte (Gerichte) Knappen

k Adel Geistlichkeit Städte

(Adel) (Städte) (Bauern)

1

Landtag

Landgerichte, Dörfer, Städte, Berggerichte usw.

Würzburg

Einsetzung der „Beamten" durch Landesherrn

Einsetzung durch Regiment mit Zustimmung der Gemeinde

Einsetzung der „Beamten" durch Landesherrn

(Wahl durch Gemeinde)

autonomic, die sich gelegentlich schon mit der Pfarrerwahl zufriedengibt 46 . Erklärbar ist dieses Phänomen möglicherweise damit, daß in der Pfalz bei der Gemengelage von speyerischen, kurfürstlichen und reichsunmittelbaren Herrschaften die Aufständischen nicht nadi herrschaftlicher Zugehörigkeit isoliert bleiben konnten 47 , und im Stift Fulda die Aufständischen sich mit andern Haufen in Thüringen vereinigten 48 . Kurz: Die Konflikte wurden nicht allein im territorialstaatlichen Rahmen ausgetragen, die Notwendigkeit hier und nur hier die Lösung zu finden war nicht so ausgeprägt wie in Salzburg, Tirol und Württemberg. 4

* F. J. M O N E , Quellensammlung, 2, 27 f. G. F R A N Z , Harer, 39 ff. 48 G . F R A N Z , Bauernkrieg, 2 4 1 . 47

2.3

Der revolutionäre Charakter der Empörung des gemeinen Mannes

221

Programm der Aufständischen)

Tirol

Württemberg

Markgräferland

1524/25

Programm

1524/25

Programm

1524/25

Programm

= Regierung mit Regiment

= Regierung mit Regiment

= Regierung mit Regiment

= Regierung mit Regiment

= Regierung mit Vögten

= Regierung mit Regiment

Einsetzung durch Landesherrn

(Adel, Bürger, Bauern)

Einsetzung durch Landesherrn

Adel [4] Bürger [4] Bauern [4]

Einsetzung durch Landesherrn (Vögte)

Bauern

* 1r

Adel Geistlichkeit Städte Gerichte

Adel Städte Gerichte (Knappen)

Einsetzung der „Beamten" durch Landesherrn

Wahl durch Gemeinde

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Bauern Stadt [1]

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